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DIE
SICILIANISCHE DICHTE HS CHILE
DES
DREIZEHNTEN JAHRHUNDERTS.
VON
ADOLF GASPARY.
BERLIN,
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG.
1878.
Verzeichniss
der verkürzt eitirten Bu.ch.er.
Allacci — Poeti Antichi raccolti da Coda. Mss. da Monsign. Leone Allaeei,
Xapoli, 1661.
Areli. — Herrief s Archiv für das Studium der neueren Sprachen.
Arch. Glott. — Archivio Glottologico Italiano.
Band. Lucch. — Bandi Lucchesi, Bologna, 1863.
Bartseh, Chrest. — Bartsch, Chrestomathie Proveneale (citirt nach der
2. Auflage, 1868).
Caix, Ant. Mou. — Di un Antico Monumento di Poesia Italietna. BÄvista
Europea, Anno VI, vol. I, p. 72 — 80.
„ Form. — La Formazione degli Idiomi Letterari. Nuova Antologia,
vol. XXVII, p. 35—60, u. 288—309.
„ Toc. — Osservazioni sul Vocalismo Italiano, Firenze, 1875.
Cherrier — Histoire de la Lutte des Papes et des Empereurs, etc. vol. IV,
Paris, 1851.
Choix — Räynouard, Choix des Poesies Originales des Troubadours.
D'Anc. — D'Ancona c Comparetti, Le Antiche Birne Volgari, vol. I, Bo-
logna, 1875. (Die arab. Ziffer bezeichnet die Verse.)
D'Anc. Son. — D'Ancona, Venu Sonetii Ineeliti elel See. XIII Propu-
gnatore, VI, 1°, 350—371.
Grion, Pozzo — II Pozzo di S. Patrizio, Bologna, 1870 (aus Propu-
gneäore, III).
„ Serventese — H Serventese di Ciullo d'Alcamo, Bologna, 1S71 (aus
Propugnatore, IV).
Guittone — Bime di Fra Guittone d'Avezzo (publ. von Lod. Valeriani .
Firenze. 1828; citirt nach den Nummern der Canzonen [Gans.
und der Sonette (Son.). Die arab. Ziffer bei Ganz, giebl
Strophe oder Geleit (Gel.) an.
Guittone, Lett. — Lettere di Fra Guittone d'Arezzo (publ. von Giov.
Bottari), Roma. 1745.
Hist. Pis. — Fragment, i Historiae Pisanae, bei Muratori, Rer. Ital. Script.
XXIV, 643 ff.
— JV —
Hlst. IJoni. — Fragmenta Historiae Romanae, bei Muratori, Antig Ital.
III, 251 ff.
Lett. Seu. — Lettere Völgari del See. XIII, scritte da Senesi, Imola, 1871.
Manzoni — Birne Inedite del Cod. Vat. 3214 in Rivista di Füölogia Ro-
iiinii :n. I, 83 ff.
31. <•. - Mulm. Gedichte der Troubadours.
31. W. Mulm. Werke der Troubadours.
Nan. 3Iau. — Nannucci, Manuale della Letteratura dcl Primo Sccolo,
2. ed. Firenze, 1856.
Palermo — I Manoscritti Pälatmi di Firev.e, ml. II, Fireme, lSGo.
Peire Vidal — Peire VidaVs Lieder, herausgeg. von K. Bartsch, Berlin,
185, .
Kiv. di Fil. Rom. — Rivista di Füölogia Romanza.
Trucchi — Poesie Italiane Inedite, Prato, 1846.
Tal. — Pocti del Primo Secolo della Lingua Italiana vpubl. von Väleriani
u. Lampredi . Fireme, 1816.
Zanibrini, op. volg. — Lc Opere Volgari a stampa dei Secoli XIII e XIV,
Bologna. 1866.
Folgende Buchstaben sind verwendet zur Bezeichnung der vier Hand-
schriften alter Lyriker, von denen Inhaltsangaben publizirt sind, die ersten
drei Buchstaben die nämlichen, welche Manzoni gebrauchte:
A — Cod. Vat. 3793, nach den Nummern des Verzeichnisses bei Grion
in Böhmers Romanischen Studien, I, p. 61 ff.
B — Cod. Chigi L. VIII, 305. Vollständiger Abdruck der Hs. von Mo-
naci und Molteni, Propugnatore, X, lu, p. 124, 289; 2°,
p. 334; XI, 1°, p. 199, 303.
C — - Cod. Vat. 3214, bei Manzoni, Rivista di Füölogia Romanza, I,
p. 71 ff.
P — Cod. Palat. 418, bei Palermo, I Manoscritti Palatini, vol. II, p.
85 ff., nach Palermo's Seitenzahlen citirt.
I.
Entstehung und Charakter der ältesten italienischen
Lyrik.
In seinem Buche de eloquentia vulgari sagt Dante (I, 12),
die siciliauische Mundart verdiene scheinbar den Vorzug vor den
übrigen Idiomen Italiens, „eo quod quicquid poetantur Itali sici-
lianum vocatur", und weiterhin, nachdem er bemerkt, dass an
Kaiser Friedrichs II und Manfreds Hofe sich alle Tüchtigsten des
ganzen Landes vereinigt hätten, fügt er wiederum hinzu: „Et quia
r egale solium erat Sicilia, factum est, ut quicquid nostri praede-
cessores vidgariter protulerunt, sicilianum vocetur: quod quidcm
retinemits et nos, nee posteri nostri permutare valebunt", d. h. also:
Alles, was die älteren Dichter in der Zeit vor Dante gedichtet, nannte
man sicilianisch; so fuhr man fort es zu Dante's Zeit zu nennen,
und er selber meint, man werde diese Gedichte auch später immer
so zu bezeichnen haben. In diesen Worten liegt kein Widerspruch
gegen die sonstigen Ansichten, zu denen er sich in dem Buche
bekennt; Dante behauptet nicht etwa, die italienische Sprache sei
sicilianisch genannt worden und so immer zu nennen, wie Galvani J)
es missverständlich aufgefasst hat, und ebenso wenig will er, man
solle die italienische Dichtung allezeit sicilianisch nennen, wie sich
dieses Corazzini aus seinen Worten herauslas2). Was an jener
Stelle des de vidgari eloquentia gesagt ist, bezieht sich vielmehr
einzig und allein auf die Produktionen der Dichter vor Dante, und
J) JDubbi sulla veritä delle Dottrme Perticaricme, Milano, 184G. p. 201.
2) in seinem Aufsatze: Una Questione su la Storia della Lingua. Pro-
pugnatore, VIII, 1°, p. 27G ff.
1
— 2 —
die Bezeichnung „sicilianisch" wird der ganzen älteren italienischen
Dichterschule gegeben; zu Dante's Zeit dagegen war an Stelle
dieser eine andere neue Schule getreten, welche sicilianisch zu
nennen ihm nichl einfallen konnte. Eine Bestätigung und Er-
gänzung findet dieses in der berühmten Stelle dos Purgatorio,
XXIV, 55, wo er Buonagiunta von Lucea. einen jener praedecessores,
sagen lässt:
0 frate, issa vegg'io, diss'elli, il nodo,
Che il Notaro e Guittone e me ritenne
Di qua dal dolee Stil nuovo ch'i' odo.
so also in deutlichen Gegensatz zu einander setzend den alten und
den neuen Styl, jenen des Notaro von Lentini, Guittone's, Buona-
giunta's, diesen des Guinicelli, Guido Cavalcanti's, Dante's und
Cino's. Der alte Styl ist das, was oben sicilianum genannt wurde.
die Dichtweise der sicilianischen Schule, die sich auf die Dichter
Mittelitaliens vererbte, und, wie wenig es sich hier um die Sprache
handeln kann, beweist schon das eine, dass an dieser Stelle der-
selbe Jacopo da Lentini getadelt wird, der im de vulg. el. gelobt
werden war. Im de vulg. el. lobt Dante den Notaro wegen der
Sprache und trennt ihn daher von Guittone, Mino Mocato, Bru-
netto, Buonagiunta; im Purgatorio tadelt er ihn wegen der Dicht-
weise und setzt ihn in eine Kategorie mit eben jenen Guittone
und Buonagiunta.
Dante bezeichnete also als sicilianisch die ganze Dichterschule,
welche dem dolee stil nuovo voraufgegangen war. mochten nun
auch die Dichter selbst aus anderen Theilen Italiens gebürtig sein.
Daher verfuhren ganz in seinem Sinne Angclo Colocci, der in sein
Verzeichniss von Worten der sicilianischen Dichter auch solche
von Toscanern aufnahm, und Bembo, der in der Liste der Poeti
Siculi eine grosse Anzahl von mittelitalienischen Dichtern aufzählte1).
Und in der That hatte diese gemeinsame Bezeichnung ihren guten
Grund, und man thut wohl, heut den Namen der sicilianischen
Dichterschule für die ganze provenzalisirende Richtung zu erneuern,
die den Anfang der italienischen Lyrik beherrscht. Die Dicht-
') s. Grion II Vozzo di S. Patrizio, p. 18, ff.
— 3 ~
weise des Südens wurde ohne wesentliche Veränderung nach Tos-
cana und von dort aus weiter verpflanzt; zwar begegnete ihr hier
sofort eine neue verschiedene Strömung; aber die alterthümliche
Manier behauptete sich eine Zeit lang neben ihr. Die Grundlage
und der Charakter dieser Dichtung sind daher allenthalben die
nämlichen, gleichgiltig, welcher Gegend die einzelnen Verfasser
angehören mögen; überall finden sich dieselben Icleeen und Aus-
drucksweisen, dieselben conventioneilen Bilder; sogar die Sprache
ist dieselbe in ihren hauptsächlichsten Elementen, wenigstens bei
der Gestalt, in welcher uns die Gedichte überliefert sind. Ja eine
Trennung ist schon deswegen nicht gut möglich, weil oft genug
die Angabe des Verfassers für ein und dasselbe Gedicht zwischen
einem Dichter des Südens und einem Toscaner oder Bolognesen
schwankt, und wir nicht im Stande sind zu entscheiden, welchem
von beiden es in Wirklichkeit zugehöre. Die sicilianische Dichter-
schule ist also, nach dieser Auffassung, nicht begrenzt durch das
Gebiet oder die Dauer von Friedrichs und Manfreds Herrschaft;
sondern sie setzt sich in Mittel- und Oberitalien fort und reicht
wenigstens bis zum Ende des 13. Jahrhunderts.
Die italienische Literatur beginnt mit einer Epoche der Nach-
ahmung, eine Erscheinung, die vielfach Verwunderung erregt hat.
deren Bestehen man aber nicht wegleugnen kann. Alle Denkmale
von angeblich höherem Alter als die provenzalisircnde Lyrik der
Sicilianer haben sich, so oft man deren gefunden haben wollte,
immer und immer wieder als Täuschungen erwiesen, und, mag es
freilich auch wahrscheinlich, ja wohl gewiss sein, dass Volks-
lieder schon vorher bestanden haben, mag man dergleichen Reste
auch wirklich einmal auffinden, dadurch wird an jener Thatsache
nichts geändert; denn zwischen diesen zerstreuten Aeusserungeu
des Volksgesanges, welche ohne Nachwirkung verklungen, und dem
Beginne einer stetigen literarischen Entwickelung ist ein bedeu-
tender Unterschied. Auch hat die Erscheinung an sich nichts so
Unerklärliches. Die Lage der Italiener am Endo des Mittelalters
unterschied sich sehr bedeutend von der der anderen europäischen
Völker; sie waren eben damals keine junge Nation, wie die übri-
gen, und konnten daher auch in ihrer Dichtung nicht die Zu-
1*
_ 4 —
stünde spiegeln, welche bei den anderen das jugendliche Zeitalter
kennzeichneten. Die Italiener hatten eine Epoche hoher Cultur-
entwickelung im Alterthum hinter sich, deren Spuren niemals
gänzlich verloren gegangen waren; sie kamen nicht aus einer Zeit
der Barbarei, und daher fehlten ihnen gerade diejenigen Stoffe,
die zuerst den Anstoss zu einer originalen und nationalen Dich-
tung geben, die heroischen, epischen Traditionen, deren Ursprung
in dunkele, sagenhafte Zeiten hinaufreicht. Und andererseits fehlte
für eine neue Literatur das passende Organ, die neue Sprache.
Wie man sich in Italien als die Nachkommen der Römer fühlte,
so hielt man die Sprache Roms für die wahrhafte italienische
Sprache, von der das neue vulgare nur eine Corruption zu sein
schien, gut wohl für den Verkehr und die Bedürfnisse des täg-
lichen Lebens, aber nicht für die höheren geistigen Interessen, die
der edleren Sprache reservirt blieben. Das Italienische, eben weil
es dem Lateinischen am nächsten stand und auf demselben Boden
erwachsen war, auf dem dieses geblüht hatte, ist auch viel später
als andere romanische Idiome zu dem Bewusstsein gelangt, eine
selbständige Sprache zu sein und zu literarischen Zwecken dienen
zu können. Wiederum aber war es, wenigstens seit dem 11. Jahr-
hundert, doch nur eine Täuschung, wenn man das Lateinische
für lebendig hielt; einer neuen Entwickelung der Dichtung konnte
es fernerhin nicht mehr zum Ausdruck dienen. So war Italien
noch im 12. Jahrhundert ohne Literatur, als das westlich angren-
zende Land deren schon zwei in voller Blüthe besass, die proven-
zalische und die altfranzösische des Nordens. Diese Literaturen,
hochangesehen in ganz Europa, mussten naturgemäss hier einen um
so stärkeren Einfluss ausüben, je grösser der Mangel an eigener
Produktion war. Die Lieder der Troubadours gaben den Anstoss
zu den ersten Versuchen in der Lyrik, die Chansons de geste und
Romane der Franzosen boten den im eigenen Lande fehlenden
Stoff für die erzählende Dichtung. So kam es, dass hier die
Nachahmung allenthalben das Erste gewesen ist, und dass die ori-
ginale Entwickelung erst darauf folgte und in jener vorbereitet
war, wenn auch die eigentliche Inspiration aus ganz anderer Quelle
stammte.
Die Funktion also, welche die provenzalische Poesie in Italien
ausgeübt hat, und für welche die italienische Literatur ihr zu
Danke verpflichtet ist, war diejenige, die Anregung zum Dichten
in der Vulgärsprache zu geben, welches ohne diese Beeinflussung
von aussen her wahrscheinlich noch länger hätte auf sich warten
lassen. Seit Ende des 12. Jahrhunderts ist vielfach der Aufent-
halt von Troubadours in Italien bezeugt, von älteren der des Peire
Vidal und Raimbauts de Vaqueiras, von jüngeren der des Gaucelm
Faidit, Uc de S. Circ, Aimeric de Pegulhan und mancher anderen.
Sie nahmen meistens lebhaften Antheil an den politischen Hän-
deln des Landes und ergriffen Partei in den brennenden Käm-
pfen zwischen Guelfen und Gibellinen; viele ihrer Gedichte beziehen
sich auf italienische Angelegenheiten. Raimbaut de Vaqueiras bediente
sich sogar des Italienischen für eine Strophe seines mehrsprachigen
Descort, ein anderes Mal verwandte er die genuesische Mundart zu
humoristischem Zweck in dem Dialoge mit der unhöflichen Genue-
serin, und diese seine Verse sind die ältesten datirbaren in ita-
lienischer Sprache, da sie vor 1202 verfasst sein müssen. Gewöhn-
lich hielten sich diese Dichter bei den Fürsten Oberitaliens auf,
zu deren Preise so manches ihrer Lieder gedichtet ist. Aber Uc
de S. Circ kam auch nach Toscana (s. M. G. 1163, F), Raimbaut
de Vaqueiras zog mit dem Markgrafen Bonifaz nach Sicilien Kaiser
Heinrich VI zu Hilfe; Peire Vidal hielt sich, auf der Rückkehr
vom Kreuzzuge, in Malta auf. Auch Friedrichs II Hofe blieben
sie, bei ihrer Wanderlust und der freundlichen Aufnahme, die sie
hier erwartete, gewiss nicht fremd. In Sicilien hatte sich unter
der arabischen Herrschaft ein glänzenderes materielles und geistiges
Leben entwickelt, welches auch unter den normannischen Königen
und den hohenstaufischen Kaisern fortdauerte. Friedrich II, in
freundschaftlichem Verkehr mit den muselmännischen Fürsten des
Orients und selbst in seiner Lebensweise ihnen nicht unähnlich,
hatte lebhaftes Interesse für intellektuelle Bestrebungen; er förderte
das Aufblühen der medizinischen Schule in Salerno, stiftete die
Universität Neapel, liess Werke des Aristoteles und arabische Com-
mentare in das Lateinische übersetzen; er selbst beschäftigte sich
mit mathematischen und philosophischen Fragen und sendete auch
— 6
seine Probleme durch die verbündeten Sarazenenfürsten an musel-
männische Gelehrte zur Beantwortung. Dass sein und später Man-
freds Hof der Sammelplatz für alle Tüchtigsten des Landes gewe-
sen, sagt Dante an der ölten angeführten Stelle; die Cento Novelle
(nr 20) berichten von Friedrichs Freigebigkeit und Leutseligkeit,
und Aimeric de Pegulhan pries ihn, da er noch jung war, unter
dem Bilde des guten Arztes von Salerno, welcher die Schäden der
Zeit heile und preis und do wiederherstelle, da sie vorher verloren
gegangen l). Friedrich II hatte, wie Fauriel bemerkte2), auch
politische Gründe, viele dieser Troubadours zu begünstigen, welche
erbittert durch die Albigenscrkriege heftige Angriffe gegen die
Curie richteten; die Rügelieder eines Guillem Figueira konnten
ihm wohl zu statten kommen in seinem Kampfe gegen die Päpste3).
Die Dichter des nördlichen Italiens, welche sich in der Dicht-
weise der Provenzalen versuchten, bedienten sich zu diesem Zwrecke
eben jenes vulgare-, in welchem ihre Muster verfasst waren. Das
Provenzalische war durch den vielfachen Verkehr mit Südfrank-
reich bei ihnen wohl bekannt und nicht schwer zu erlernen,
da sie selbst ihm nicht unähnliche Idiome redeten; so war es
ihnen weit natürlicher, mit der poetischen Tradition zugleich auch
die Sprache der Vorbilder herüberzunehmen, als erst die eigenen
1) Canzone: En aquel temps, z. B. Bartsch, Chrest. 158.
2) Dante et les Origines de la latujue et de la litterature italiennes,
I. 266.
3) Diez schrieb allerdings (Poesie der Troubadours, p. Gl): „Dass Fried-
rich II, übi'igens Freund der Poesie und selbst Dichter, die provenzalischen
Sänger besonders gehegt habe, lässt sich nicht behaupten; Elias Cairel und
Folquet von Romans, die einzigen, welche eine Zeit lang an seinem Hofe
zubrachten, wissen nichts von seiner Freigebigkeit zu rühmen." — Aber
damit stimmt doch nicht wohl das hohe Lob Aimeric's und Anderer, und
dass jene beiden provenzalischen Dichter wirklich die einzigen gewesen
seien, die sich je bei Friedrich aufgehalten, lässt sich bei der Kargheit der
Nachrichten kaum mit Bestimmtheit behaupten. Andererseits scheint es
freilich nicht gerechtfertigt, von jedem Dichter, welcher Friedrich gepriesen,
auch anzunehmen, dass er an dessen Hof gelebt habe, wie dies Bartoli
(I primi due secoli della Lett. Ital. p. 90 f.) thut. Ja selbst die, welche
bei Friedrich weilten, brauchen darum noch nicht nach Sicilicn gekommen
zu sein, da er sich mit seinem Hofe ja oft genug in Oberitalien aufhielt.
— 7 —
noch unangebauten Dialekte zum literarischen Gebrauche zu er-
heben. Im Siulen hingegen, am Hofe Friedrichs II, konnte eine
solche Handhabung der fremden Sprache nur schwer erworben
weiden, und die Produktionen in derselben konnten nicht auf so
allgemeines Verständniss rechnen; so griff man zu dem totlgare
des eigenen Landes. Dieses ist, wie ich glaube, der Grund dafür
gewesen, dass die italienische Kunstdichtung in Sicilien begann:
Im Norden der Halbinsel dichtete man provenzalisch, in Mittel-
italien gab es keine glänzenden Höfe , welche den Dichtern als
Sammelpunkte hätten dienen können. Die provenzalische Dich-
tung von Italienern des Nordens ist aber nicht etwa eine Mittel-
stufe zu der des Südens in italienischer Sprache gewesen, wie man
geneigt sein könnte anzunehmen, und wie die Sache wirklich bis-
weilen dargestellt worden ist; beide sind vielmehr gleichzeitig.
Sordel's Gedicht auf Blacatz' Tod ward, nach Diez x), um 1230
oder 1237 verfasst: um 1236 fallen auch die politischen Gedichte
des Nicolet von Turin und des Peire de Caravana; Lanfranc Cigala
dichtete 1242 sein Sirventes gegen Bonifaz III von Monferrat2).
Und dieses sind die ältesten, denen man ein bestimmtes Datum
geben kann, andere dagegen noch bedeutend jünger; Bartolommeo
Zorgi dichtete noch nach dem Tode Conradins und selbst dem
Ludwigs des Heiligen, also um eine Zeit, als die höfische Dich-
tung im Süden schon erstorben oder wenigstens verblüht war.
Unter den Namen derer, welche von den Handschriften als
die Verfasser der ältesten Gedichte bezeichnet werden, finden wil-
den Kaiser Friedrichs II selber und seines Sohnes König Enzo's
von Sardinien. Man hat bezweifelt, ob diese Fürsten, inmitten
der stürmischen Ereignisse und der mannichfachen Geschäft".
Zeit gefunden haben möchten, selbst Verse zu machen. Borgognoni
dachte3), die nach ihnen benannten Gedichte könnten wohl auch
von Anderen in ihrem Namen gemacht worden sein. Alter in einer
Epoche, in welcher Richard Löwenherz und Alfons II von Aragon,
x) Leben und Werke der Troubadours, p. -170 f.
2) Diez, 1. c. 568.
3) Gli Antichi Rmatori Volgari. Projougnatore, IX. 1". p 16.
und später König Thibaut von Navarra und Dom Denis von Por-
tugal dichteten, kann ein Gleiches bei Friedrich und Enzo nicht
Wunder nehmen, besonders da von beiden der Chronist Saliinbene,
welcher den Kaiser persönlich kannte, ausdrücklich berichtet, dass
sie sich der Dichtkunst beflissen x). Ob nun freilich die ihnen
beigelegten Poesieen auch wirklich von ihnen herrühren, das zu
entscheiden haben wir keine Möglichkeit, wenn wir nicht den Hand-
schriften glauben wollen; aber bei allen übrigen Dichtern sind
wir in ganz demselben Fall. Der Gedichte übrigens, welche die
Handschriften einig sind dem Kaiser und seinem Sohne zuzu-
schreiben, sind nur sehr wenige. Von Friedrich II sind nach A
die Canzonen
Dela mia desiauza. D'Anc. LI.
Dolze meo drudo, e vattene. ib. XLVIII.
Eine Bestätigung dieser Attributionen durch andere Handschriften
ist bis jetzt nicht bekannt. Dagegen schreibt ihm P (p. 100)
noch zwei andere Canzonen zu:
Poi che ti piace, Amore. Val. I, 54.
Per la fera membranza. ib. 64.
Die zweite ist wiederum sonst nicht weiter bekannt. Die erste
legen gleichfalls Friedrich bei C, 8 und B, 228; dagegen stand sie
in A, 177 nach Grion's Verzeichniss anonym, und von späterer
Hand ist der Name Rinaldo d'Aquino übergeschrieben worden.
Noch übler steht es mit den Enzo beigelegten. Die Canzone
Amor mi fa sovente. D'Anc. LXXXIV.
gehört ihm nach A, B, 229, C, 9 und P (p. 100). In der letzten
Handschrift steht als von ihm ferner:
Amor fa come il fino uccellatore. Val. I, 172.
S'eo trovasse pietanza. ib. 171.
Die letztere schreibt ihm auch die Redianische Handschrift zu2),
dagegen wäre sie nach A, 107 von Ser Nascimbene di Bologna,
nach B, 238 von Messer Semprebene di Bologna, nach C, 7 sehr
J) s. die Citate bei Tiraboschi, Stör. Lett., vol. IV, p. 8, n. u. p. 388, n.
(Ausgabe Firenze, 1806\
2) Giomale di Filologia Romanza, I, p. 51 (Roma, 1878).
— 9 —
seltsam von ,,Rc Eh.:<> et messere Guido GiiinizelU" , was wohl
heissen soll, dass der Abschreiber beide Bezeichnungen an ver-
schiedenen Orten gefunden. Endlich haben B, 250, C, 84 als von
Enzo das Sonett:
Tempo vien di salire e di scendere. Val. I, 177.
das bei Allacci als von Guittone d'Arezzo steht.
Friedrichs II berühmtem Kanzler Pier delle Vigne werden
ausser dem Sonette:
Perö ch' Amore non si puö vedere. Val. I, 53.
welches von ihm nach Allacci und Valeriani, noch Alles in Allem
acht Canzonen beigelegt; aber nur zwei von ihnen bleiben unbe-
stritten, nämlich:
Amore in cui disio ed ö speranza. D'Anc. XXXVIII.
Amando con iiu core e con speranza. Val. I, 49.
die letztere als von ihm in P (p. 92), und bei Trissino x) und
Barbieri2) als solche erwähnt. Dagegen ist:
Poi tanta caonoscenza. D'Anc. XXXVII.
nach P (p. 89) von Jacopo Mostacci, nach B, 236 von Jacopo da
Lentini.
Amor da cui move tuttora e vene. D'Anc. XL.
nach P zwar gleichfalls von Pietro, nach B, 235 aber von Jacopo
da Lentini. Die palatinische Handschrift schreibt Pier delle Vigne
ferner zu:
Uno piacente sguardo. D'Anc. LXXIII.
welches in A anonym.
La dolce cera piacente. D'Anc. LX.
welches in B, 241 ebenfalls als von Pietro, aber in A als von
Giacomino Pugliese.
Membrando ciö che amore. Val. I, 260.
welches in der Giuntina, bei Allacci und Valeriani wieder als von
Jacopo da Lentini gedruckt steht. Endlich giebt Valeriani (I, 41)
noch als Pietro's Eigenthum:
Assai cretti celare. D'Anc. XXXIX.
]> in der Poetica, Ausgabe der Opere, Verona, 1729, II. 63.
a) Origine della Poesia Bimata, Modena. 1790, p. 141.
10 —
welches als solches auch bei Serassi '). aber in A als von Istefano
di Pronto. Die Unsicherheit ist also hier gross, und bei der ge-
ringen Zahl der wirklich alten Handschriften, die noch dazu nicht
alle hinreichend bekannt sind, weiss man, wo sie einander wider-
sprechen, mir selten, welcher man Rechi geben soll. Im Allge-
meinen ist die Zahl der authentischen Gedichte \ on Sicilianern
eine verhältnissmässig sehr kleine, und von den Leistungen jedes
Einzelnen haben wir meistens nur spärliche Proben.
Kaiser Friedrich, König Enzo und Pier delle Vigne sind uns
bekannt durch ihr öffentliches, der Geschichte angehöriges Leben-').
Dagegen von den übrigen südlichen Dichtern wissen wir entweder
gar nichts, wie von Mazzeo Ricco aus Messina, Rugieri Apugliese,
Ranieri da Palermo, Rugerone da Palermo, Tommaso Sasso da
Messina, Jacopo d'Aquino, oder allenfalls ist uns der Stand noch
angegeben, beim Notar Jacopo da Lentini, der sich selbst oft
genug so in seinen Liedern genannt hat, und Istefano di Pronto
Notar, nach andern Istefano Protonotaro aus Messina, oder aber
unser Wissen von diesen Aeltesten ist rein illusorisch. Von Ri-
naldo d'Aquino nimmt zwar Grion ohne weiteres an, dass er der
Bruder des heil. Thomas gewesen; aber, wie Mazzuchelli zeigte,
gab es damals drei verschiedene Persönlichkeiten dieses Namens,
und obendrein gilt von Rinaldo ganz dasselbe, was Tafuri in Be-
zug auf Jacopo und Monaldo d'Aquino bemerkte3), dass man näm-
lich gar nicht entscheiden kann, ob auch der Zusatz d'Aquino die
Familie und nicht etwa nur den Geburtsort bezeichne. Ebenso
wenig kann man sagen, ob Messer Prezivalle Dore derselbe ist
mit jenem Perceval Doria, welcher provenzaliseh dichtete, und,
könnte man es, so wäre damit nicht viel gewonnen; denn auch
über die Persönlichkeit des letzteren ist man nicht im Klaren.
') Anecdota Litteraria, III, 446.
2) Freilich sind die genaueren Nachrichten über Pier delle Vigne ja
auch kärglich genug, und selbst sein sorgfältigster Biograph De Blasiis
Bella Vita e delle Opere di Pietro della Vigna, Napoli, 1860) konnte deren
nur sehr wenige zusammenbringen.
3) Baccolta di Opuscöli Scientifici c Füologici (Calogerä), XXVI, 425
u. 464.
— 11 —
Arrigo Testa wird in A. aus Lentini genannt, und man hält ihn
für identisch mit dem Henricus Testa, welcher 1248 Friedrichs II
Podestä in Parma war und eben damals bei dem siegreichen Aus-
fall der Parmenser gegen den Kaiser getödtet ward. Alter in den
Chroniken heisst dieser, wie Tiraboschi zeigte1), stets de Meitio.
Borgognoni glaubte2), damit sei nicht sowohl Arezzo in Toscana,
als vielmehr Reggio in Calabrien gemeint, welches man damals
gleichfalls zu Aritium latinisirte. Er wäre also aus Reggio gewe-
sen, und nun hätten wir statt zweier möglicher Geburtsorte gar
deren drei. Weiter zeigte aber Tiraboschi, dass noch ein älterer
Arrigo Testa um 1190 gelebt; gab es deren aber zwei, warum
nicht auch drei, und warum konnte der Dichter nicht eben ein
Dritter sein? Sieht man endlich, dass es ein einziges Gedicht ist,
welches ihm zugeschrieben wird (D'Anc. XXXV), und dass dieses
sogar in der palatinischen Handschrift (p. 100) als von einem
Arrigo Di Vitis steht und in der Redianischen (Giorn. di Fil.
Born. I, 51) als von Notar Giacomo, so wird man wohl kaum noch
hoffen, hier zu irgend einer Gewissheit zu gelangen.
Ueberhaupt aber liegt wrenig daran, dass man diesen oder
jenen Namen der Dichter in einer alten Chronik oder Urkunde
auffinde; denn, da derselbe Name so und so oft in derselben
Epoche bei verschiedenen Personen wiederkehren konnte und noto-
risch wiedergekehrt ist, so hat man, wo nicht andere Umstände
dazu kommen, damit noch kein Recht, die aufgespürte historische
Persönlichkeit mit dem betreffenden Dichter zu identifiziren. Da-
her ist es zwar möglich, aber durchaus nicht sicher, dass Rugieri
d'Amici, von welchem wir übrigens nicht ein einziges unbestritte-
nes Gedicht besitzen3), eben jener Rogerius de Aniieis sei, den
J) IV, p. 409 f.
2) 1. c. p. 58 f.
3) Die beiden bei D'Anc. XVII u. XIX stehen in P (p. 92), und bei
Val. I, 485 u. 475, als von Buonagiunta, und wiederum das Gedicht, welches
P, ib. und Val. I, 425 Rugieri zuschreiben, steht in A als von Jacopo Mostacci,
D'Anc. XLVI. Endlich schreibt, nach Molteni [Giorn. di Fü. lvmi. I, 51)
die Redianischc Hs. Rugieri: Giä Iwngiamente amore, zu. das nach 1' p. '.'l
von Jacopo da Lentini, und so Val. I, 28o, nach A, 111. von Tiberto Galli-
ziani aus Pisa.
— 12 -
Friedrich II um 1240 — 1242 in hohen Staatsämtern und als Ge-
sandten bei den sarazenischen Fürsten verwendete.1)
Von einem Dichter endlich glaubt man, ausser seinen Can-
zonen auch noch ein anderes Werk und in demselben eine, bei
dem Mangel an sicheren Daten, sehr erwünschte genaue Zeitbestim-
mung zu besitzen, nämlich von dem Giudice Guido delle Culonne.
Ein Guido de Columna, judex genannt gerade wie der Dichter,
ist der Verfasser der im Mittelalter viel gelesenen und oft über-
setzten lateinischen Historia Trojana, an deren Ende sich die Er-
klärung des Autors befindet, dass er das erste Buch seines Werkes
auf Antrieb des (1272 gestorbenen) Erzbischofs Matteo della Porta
von Salerno geschrieben, nach dessen Tod aber die Arbeit unter-
brochen und erst lange nachher zu Ende geführt habe. Hierauf
folgt dann noch die Bemerkung: Factum est presens opus a iudice
Guidone de Messana Anno dominiee incarnationis Millesimo du-
centesimo octuagesimo septimo ejusdem prime indictionis. Guido
hätte also noch 1287, oder, sollte die letzte Bemerkung nicht von
ihm selbst herrühren 2), wenigstens noch lange nach 1272 gelebt.
Gerade aber dieses Datum will nicht allzu gut mit der Epoche
stimmen, welche man im Allgemeinen für das Bestehen der Hof-
dichtung in Sicilien annehmen muss, nämlich der Regierungszeit
Friedrichs und Manfreds, wie Dante angiebt. Guido könnte zwar
wohl die Blüthe der Schule überdauert haben; er könnte auch in
der Jugend gedichtet und dann im Alter seine lateinische Erzäh-
lung verfasst haben. Aber auch ein dritter Fall ist nicht ausge-
schlossen, dass nämlich der Autor der Historia Trojana eine an-
dere Person, vielleicht ein Sohn des älteren Guido delle Colonne
J) Huillard-Breholles, Historia Dvplomatica Friderici II, Paris, 1859,
vol. I, p. CCCLXI u. CDXIV. Auf ihn vorwies D'Ancona in den Giunte zu
p. 39. Grion, Serventese, p. 6, citirt eine Stelle aus einer ungedruckten
Chronik, wo im Jahre 1240 Rogcrius di Amico als dux et vicarius exercitus
gegen den Saladin genannt wird.
2) Dass sie von Guido selbst herrühre, glaubt Mussana, Sirflc Versioni
Italiane della Storia Trojana, Vienna, 1871, p. 3, n. 2. Die Ansicht Fos-
colo's, Opere, X, 161, das Datum sei von einem Copisten hinzugefügt wor-
den, hat ihren Grund in einem Missverständniss.
— 13 —
gewesen; die Vererbung des Vornamens und des Standes hat ja
in jener Zeit, vorzüglich in adeligen Familien nichts Befremdliches,
und, um ein naheliegendes Beispiel anzuführen, Guido Guinicelli
hatte einen Sohn, welcher ebenfalls Guido hiess, und wenn Gae-
tano Monti (bei Fantuzzi) nicht den letzteren, sondern den Vater
für den Dichter erklärte, so geschah es nur, weil der Sohn im
Jahre 1300 noch lebte, als Dante den Dichter schon im Purgato-
rium fand.
So bleibt also von Allem dem, was Mongitore, Crescimbeni,
Xannucci über diese Dichter gesagt haben, gar nichts Positives
übrig. Sie selbst verweisen immer von neuem auf Beinbo, Ubal-
dini, Allacci, Redi, Vincenzo Auria, oder den älteren Brief Lorenzo
de' Medici's; aber an allen diesen Stellen findet man eben auch
nichts weiter als nackte Namenregister. Quadrio *) hat die lange
Autorenliste bei Allacci zu vereinfachen gesucht, indem er mehr-
fach ein und dieselbe Person mit veränderter Bezeichnung wieder-
zufinden glaubte. Hie und da hatte er gewiss Recht; oft aber
bleibt es auch bei leeren Vermuthungen. Borgognoni hat jüngst diese
Identifizirungsversuche fortgesetzt2). Er vermuthet, Rugieri d'Amici,
Rugieri Apugliese und Rugerone da Palermo seien alle drei ein
und derselbe; Jacopo d'Aquino sei identisch mit Jacopo Mostacci,
Giacomino Pugliese mit Jacopo da Lentini. Allein, da wir stets
von den einen so viel wissen wie von den andern, nämlich gar-
nichts, so bleiben diese Zusammenstellungen durchaus müssig; es
ist zwar bequem, Vermuthungen aufzustellen, und dann die Ge-
lehrten Siciliens zur Prüfung aufzufordern, ob es sich so ver-
halte; aber Fragen und Suppositionen von Möglichkeiten, die ebenso
gut auch nicht sein können, bilden doch noch keine Bereicherung
unserer Kenntnisse.
Für die chronologische Bestimmung der provenzalischen Dich-
ter und ihrer Werke haben gewöhnlich besser als die alten Bio-
graphieen die Anspielungen auf historische Begebenheiten gedient.
welche sich in ihren Liedern selbst finden. Dieses Mittel der
1) Della Storia e dellu Ragione (Vogni Poesia. vol. II. parte I. p 159 Bf.
'2j 1. c. p. 46 ff.
— 14 —
Bestimmung fehlt nun bei den Sicilianern fast gänzlich; wo hier
auf geschichtliche Ereignisse hingedeutet wird, wie in Rinaldo
d'Aquino's auf einen Kreuzzug bezüglichem Gedicht, geschieht es
in zu allgemeiner Weise, als dass man den genauen Zeitpunkt
daraus erschliessen könnte Nur eine Anspielung von grösserer
Präcision scheint sich zu finden, oämlich in der Canzone des Ja-
cop<> da Lentini: Ben wüe venuto prima al cor doglienm, D'Anc.
\ ii. 33 ff.
Yoi so che sete sanza pereepenza
Como Florenza ■ — ■ ched orgoglio sente.
Guardate a Pisa, c'ä grau couoscenza,
(he fugge 'ntenza — d'orgogliosa gente.
Giä lungiamente — orgoglio v'ä 'n balia;
Melana lo carroccio par che sia.
Borgognoni (1. c. p. 52) liest hier offenbar richtig:
Melan a lo carroccio par che sia.
wobei sieh dann folgender Sinn der Stelle ergiebt: „Ihr seid, ich
weiss es, ohne Einsicht wie Florenz, welches Stolz fühlt. Schauet
doch auf Pisa, das grosse Klugheit besitzt, und das die Bestre-
bungen der Hochmüthigen meidet. Schon lange hat Stolz euch
in seiner Gewalt; man meint Mailand mit seinem Carroccio zu
sehen (wenn man euch betrachtet)." Man erkennt also hier deut-
lich den gibellinischen Dichter an Friedrichs Hofe; Pisa, das stets
auf Seiten des Kaisers stand, wird gepriesen, Florenz und Mailand
der Ueberhebung beschuldigt. Borgognoni bezog die Andeutung
auf die Zeit zwischen 1245 und 1249, in dem Kriege nach dein
C ncil von Lyon. Aber der Ausdruck Milano allo ch-ro<rio scheint
auf einen Zeitpunkt zu deuten, zu dem dieser Bannerwagen der
.Mailänder eine besondere Rolle gespielt hat. Dieses war nun der
Fall in der Schlacht von Cortenuova 1237, in welcher die Mai-
länder und ihre Verbündeten geschlagen wurden, und der erbeu-
tete Carroccio das Haupttriumpheszeichen Friedrichs bildete, so
dass er denselben als solches an die Römer sandte, und einige
Cardinäle seiner Partei ihn auf dem Capitol aufstellten, während
die Guelfen ihn in Brand zu stecken suchten x).
1 Huillard-Breholles, 1. c. p. CDLIV.
— 15 —
Als, wie es wenigstens sehr wahrscheinlich ist, die alte Lyrik
im Süden mit dem Hofe der hohenstaufischen Herrscher selber
erstarb, hatte sie schon seit einiger Zeit die neue Stätte gefunden,
an der sie nun fortlebte. Ueber den Weg. welchen die poetische
Tradition genommen hat, kann man nicht im Zweifel sein; offen-
bar ward sie zuerst nach Toscana verpflanzt. Guittone von Arezzo
dichtete schon im Jahre 1260 sein Lied auf die Schlacht von
Monteaperti (Canz. XLI); Monte Andrea, Cione Notajo, Orlandino
Orafo und andere Florentiner beschäftigten sich in Sonetten mit
den Ereignissen des Jahres 1268. Durch Guittone aber bestimmt
sich sogleich die Epoche vieler anderer toscanischer Dichter mit,
welche in poetischer oder prosaischer Correspondenz mit ihm stan-
den, so des Meo Abbracciavacca von Pistoja, des Bacciarone di
Messer Baccone von Pisa, an welchen Guittone's Brief XXVII ge-
richtet ist. und durch diesen wissen wir dann auch ungefähr die
Zeit des Pannuccio dal Bagno, des Lotto di Ser Dato und anderer
Pisaner, die mit ihm in Verbindung stehen. Mit Meo Abbraccia-
vacca correspondirt wieder Dotto Reali aus -Lucca (Guittone, Let-
tere, XXXIV ff.) mit Monte Andrea Chiaro Davanzati, und so er-
hält man durch diese zahlreichen Correspondenzen noch für manche
Andere wenigstens die Sicherheit, dass sie derselben Periode ange-
hören; freilich genauere Daten fehlen auch hier, und die Einzel-
nen konnten wohl erheblich jünger sein als Guittone, welcher erst
1 294 starb *), und der ihnen allgemein als Meister galt. Und als
seinen Meistor bezeichnet ihn auch ehrfurchtsvoll Guido Gninicelli
von Bologna in einem Sonette, mit dem er ihm eine Canzone zur
Verbesserung übersendet (Val. I, 101); er nennt ihn da seinen lieben
Vater, und Guittone antwortete ihm (Son. 150) väterlich als ein
älterer Mann. Dieses deutet darauf, dass die Bologncsen die poe-
tische Tradition eben aus Toscana erhalten haben, und damit
stimmen die wenigen, aber zuverlässigen biographischen Nachrichten,
welche Gaetano Monti über die bolognesischen Dichter zu sam-
meln vermochte2); denn sie weisen dieselben alle in eine etwas
>) Tiraboschi, Stör. Lett. IV, 401.
- bei Fantuzzij Notizie degli Scrittori Bolognesi.
— 16 —
jüngere Zeit wenigstens als Guittone selbst. Endlich scheint sich
dieses auch in der Sprache dieser Dichter zu bestätigen, welche
bereits toscanische Beeinflussung zeigt.
Die Einwirkung der provenzalischen Literatur ist bei den
toscanischen Dichtern dieser Schule sicherlich keine geringere ge-
wesen als bei ihren Vorgängern in Süditalien; ja dieselbe hat sich
sogar direkt erneuert und verstärkt, wohl im Zusammenhange mit
der Thronbesteigung Karls von Anjou und seiner provenzalischen
Gemahlin, in deren Gefolge auch wieder Troubadours, wie Rainion
Feraut, der spätere Verfasser der Legende von St. Honorat, nach
Italien kamen. So zeigt Guittone von Arezzo in Styl und Sprache
deutlicher als irgend einer das Studium der Provenzalen; er citirt
sie mehrfach in seinen Briefen., und, wo er einmal (Lctt. p. 58)
eine Stelle von Peire Vidal anführt, da sieht man aus der Genauig-
keit der Uebersetzung, wie wohl er mit der fremden Sprache ver-
traut war. Von Messer Migliore degli Abati, einem florentinisclien
Dichter, von dem ein ungedrucktes Sonett in A (343), und, wenn
er, wie Trucchi glaubte, identisch ist mit Maestro Migliore, auch
verschiedene andere gedruckte sind, berichten die Cento Novelle
(in* 79), er habe vortrefflich provenzalisch gesprochen. Guittone,
um den Tod des Frate Giacomo da Leona 1) klagend, rühmt von
ihm (Ganz. XXII):
Francesca lingua e provenzal labore
l'iü dell' Artina e bono in te, che chiara
La parlasti e trovasti iu modi tutti.
Von Dante da Majano sind sogar zwei Sonette in provenzalischer
Sprache erhalten. Ja eine der beiden alten provenzalischen Gram-
matiken, der Donatz Proensals, ist wahrscheinlich um diese Zeit
in Italien und speziell zum Gebrauche für Italiener verfasst worden;
sie ist gewidmet einem Jacobus de Mora und einem Conradus de
Sterleto, und, wie Galvani vermuthete, dürfte der letztere identisch
sein mit dem gleichnamigen Gönner Guittone's, an den sich das
Geleit von Canzone XXV richtet, während den Namen des ersteren
1 Er ist Avolil eine Person mit dem Ser Jacopo da Leona, von dem
drei Sonette bei Trucchi, I. 14!> ff.
- 17 —
derselbe Galvani unter denen der Anziani von Pisa im Jahre 1264
fand 1).
Der poetische Werth der ältesten italienischen Lyrik konnte,
bei dem Mangel der Originalität, kein bedeutender sein. Wir
haben hier eben eine junge Literatur, welche doch bei ihrer Ent-
stehung schon die Züge der Greisenhaftigkeit und des Verfalls an
sich trägt, weil sie sich in völliger Abhängigkeit befindet von einer
anderen schon lange erwachsenen und raffinirten. Die sicilianische
Dichterschule hat die Poesie der Troubadours in einer anderen
Sprache und theilweise mit veränderter äusserer Form nachgeahmt;
der Gehalt ist derselbe geblieben und nur um vieles ärmlicher
geworden. Die neue Sprache übte hier keinen erfrischenden Ein-
fluss; sie war wirklich nur ein anderes Gewand, das man dem
alten Gegenstand äusserlich umgehängt, und bei dieser Neuerung
hat die Poesie an ästhetischem Werthe nichts gewinnen können;
im Gegentheil verlor sie in dem noch ungeschickten und schwer-
fälligen Idiom die Anmuth und Zierlichkeit, welche sie unzweifel-
haft in dem ursprünglichen besessen hatte. Der Gegenstand, an
dem sich die provenzalische Dichtung erschöpfte, die ritterliche
Liebe, erscheint hier wieder in derselben Gestalt, welche ihr dort
einmal typisch geworden war. Die Liebe ist demüthige, anbetende
Verehrung der Dame; sie stellt sich dar als ein Dienen und Ge-
horchen, als das Verhältniss des Vasallen zu seinem Lehensherrn;
die Dame, mit allen Trefflichkeiten und Reizen geschmückt, steht
hoch über dem Liebhaber, der Gnade flehend sich vor ihr neigt;
l) s. hierüber „Die beiden ältesten provenzal. Grammatiken", publizirt
von E. Stengel, Marburg, 1878, p. 131. Die eine Handschrift hat am Schlüsse
die Bemerkung: „librum composui preeibus Jacobi de Mora et domini Corani
Zhuchii de Sterlleto", ib. p. 66. Bei Nannucci fand Galvani den Namen in
der Form Corrado d'Ostcrletto; aber in der Ausgabe des Guittone von Va-
leriana steht geradezu Corrado da Sterleto wie im Donat. Stengel in jener
seiner neuen Ausgabe der provenzalischen Grammatiken, p. XX, schliesst
sich Galvani's Meinung nur theilweise an; er giebt zwar zu, dass der Damit:
in Italien verfasst sei, glaubt aber, nach der Sprache urtheilend, ihn noch
in's 12. Jahrb.. setzen zu müssen. Ob es aber wahrscheinlich, dass in so
früher Zeit in Italien eine provenzalische Grammatik für Italiener verfassl
worden?
2
— 18 —
er ist unwürdig, ihr zu dienen, aber feine Minne gleicht alle Unter-
schiede aus: die Dame ist grausam und lässt ihn vergehlieh schmach-
ten, so dass ihn seine Schmerzen zum Tode fahren; aber er darf
nicht aufhören, sie zu lieben; denn von Minne kommt aller Werth
und alle Tüchtigkeit; er muss ausharren; denn treuer Dienst führt
ihn endlich an's Ziel, und leidet und stirbt er, so ist es ihm Ruhm
und Ehre, da es für die Herrlichste geschieht. Dieser Ideenkreis,
in welchem sich die provenzalische Liehespoesie bewegt, hatte
schon in ihr selbst Conventionalismus und Monotonie hervorge-
bracht; in seiner typischen Wiederholung verhinderte er das freie
Hervorbrechen der Individualität: es war. wie Diez sagte, mehr eine
Poesie des Verstandes als des Gemüthes. Aber in der Provence
gründeten sich doch diese Ideeen auf etwas Reales, dort hatten sie
sich entwickelt und spiegelten eine Seite des wirklichen Lebens,
oder hatten sie wenigstens ehedem gespiegelt. Deswegen fehlt
wenigstens in den älteren dichterischen Versuchen nicht eine ge-
wisse "Wärme, und die beständige Wiederkehr desselben Gehaltes
wird oft erträglich durch die Feinheit und Zartheit, mit denen er
behandelt worden ist. In Italien war es anders: hier entsprach
der gesellschaftliche Zustand jenem Gehalt der Dichtung durchaus
nicht; es waren von aussen her gekommene Ideeen, welche sich
nicht mehr auf ihrem natürlichen Boden befanden. Das Ritter-
thum, die sociale Gestaltung, welche seit den Kreuzzügen im Le-
ben der anderen Nationen eine so wichtige Rolle spielte, hat in
Italien nie eine nationale Grundlage gehabt: bisweilen kam es
wohl zum Vorschein an den Höfen; man gab Feste und veranstal-
tete Turniere, man stellte sich verliebt nach der Weise der
Troubadours und sang von Liebe nach ihrer Manier: aber Alles
das war nur künstlich, und, da es keine tieferen Wurzeln hatte,
so musste es bald wieder verschwinden; es war eine Nachahmung
fremder Sitten, hinter der in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes
steckte. Das wahrhaft nationale Element war in direktem Wider-
spruche mit dem feudalen und ritterlichen Geiste und den socia-
len Bildungen, die er hervorgebracht: es war der Municipalismus,
der Geist der freien Commune, und erst, als dieser die Herrschaft
errang, erschloss sich auch die Blüthe eines selbständigen litera-
— 19 —
rischen Lebens. Und liiezu kam endlich noch eines: als die pro-
venzalische Poesie in Italien neue Früchte tragen sollte, da hatte
sie selbst die Zeit ihrer Reife schon überschritten und war einem
schnellen Verfalle preisgegeben.
Was konnte unter diesen Umständen die älteste italienische
Lyrik werden? Gesuchte und künstliche Ideeen in unbehilflicher
Sprache, Gedanken und Gefühle, welche nicht mit der Realität im
Einklänge standen, die sich mit keinem eigenen Affekte im Inneren
des Dichters verknüpften. Daher wird nicht allein die Gestalt der
Dame zu einer leeren Abstraktion, sondern auch die Persönlich-
keit des Dichters selber verschwindet. In der ganzen Reihe der
uns überlieferten Gedichte ist es ziemlich gleich giltig, welcher
Name an der Spitze des einen oder des anderen stehe; gewisse
Unterschiede sind wohl vorhanden, aber alle diese rein äusserlich,
kein Zug, der eine Individualität des Dichters zeigte. Und den-
noch fehlte es unter den Verfassern gewiss nicht an interessanten
und bedeutenden Persönlichkeiten. Man denke nur an Friedrichs II
buntes und stürmisches Leben, an seine Kriege gegen die Päpste
und die lombardischen Städte, an seinen Zug in's heilige Land,
oder an den blonden König Enzo und seine zweiundzwanzigj ährige
Haft im Kerker der Bolognesen; man denke endlich an Pier delle
Vigne, Friedrichs allmächtigen Kanzler, an seinen jähen Sturz in
die Tiefe des Elendes, das ihn trieb, sein Dasein mit eigener Hand
zu enden, eine hochpoetische Gestalt, wie sie uns in der Göttlichen
Comödie erscheint. Aber welche Enttäuschung, wenn wir die
eigenen Gedichte dieser Männer in die Hand nehmen! Und wenn
nun ihr Leben so reich an Poesie war, und ihre Verse so arm
daran sind, so war der Grund eben der, dass, wenn sie sich an-
schickten, von Liebe zu singen, sie zuerst ihre eigene Persönlich-
keit auszogen und nach einem gemeinsamen Typus dichteten, wel-
cher mit ihren individuellen Empfindungen nichts zu thun hatte.
Die Troubadours nahmen lebhaften Antheil an den Welt-
händeln; sie hatten neben ihrer Liebespoesie politische und sati-
rische Gedichte, und diese waren, wenigstens in der Zeit der De-
cadenz, der interessantere Theil ihrer Literatur, mannichfaltiger
im Inhalt, näher der Wirklichkeit und ihren Leidenschaften, und
— 20 —
konnten nie zu solchem Grade der Convcntionalität und Seichtig-
keit gelangen we die unablässig nach demselben Tone wiederholte
Liebesklagc. Die provenzalisch dichtenden Italiener des Nordens
nahmen diese Dichtungsgattung mit Erfolg auf; Sordel's Satire auf
die Fürsten bei Gelegenheit von Blacatz' Tode ist das hervor-
ragendste seiner Gedichte; Lanfranc Cigala's Serventes gegen den
Markgrafen von Monferrat, Peire de Caravana's Aufreizung der
Lombarden gegen Kaiser Friedrich sind voll warmer Leidenschaft-
lichkeit; in den Gedichten Bonifacio Calvo's und Bartolommeo
Zorgi's spiegelt sich lebendig der alte Hass der beiden Seerepu-
bliken Genua und Venedig gegen einander. Die Sicilianer hin-
gegen, die sich sonst so nahe ihren Mustern hielten, haben sich,
soweit man nach den erhaltenen Denkmälern urtheilen kann, von
ihnen gerade hier entfernt, wo die Nacheiferung am ersten hätte
fruchtbar werden können, und, zum Schaden ihrer Dichtung, schei-
nen sie sieh nur mit der Liebespoesie beschäftigt zu haben. Die
einzigen Ausnahmen sind zwei dürre Moralisationen unter dem
Namen des Inghilfredi Siciliano:
Conoscenza penosa e angosciosa. Val. I, 138.
eine der auch in provenzalischen Serventesen so gewöhnlichen
Klagen über den Verfall der Zeit, und
Greve puot' uom piacere a tutta gente. ib. 144.
eine Klage über die Herrschaft der Thoren in der Welt; ferner
das moralisirende Sonett von König Enzo (Val. I, 177) und ein
anderes solches von Mazzeo Ricco (ib. 334).
Diese Zurückhaltung von einer Gattung, welche bei ihren
Vorbildern einen so bedeutenden Platz einnahm, ist schwerlich
eine bloss zufällige; vielmehr hatte sie wohl ihren Grund in jener
eigenthümlichen Auffassung von Zweck und Stellung der Vulgär-
sprache gegenüber dem Lateinischen, welche in Italien lange Zeit
herrschend gewesen ist. Als Dante in seiner Jugend noch an dem
allgemeinen Vorurtheil in Bezug auf die Sprache Theil nahm, von
welchem er selbst übrigens, trotz seiner späteren eifrigen Verthei-
digung des volgare, sich nie ganz befreit hat, schrieb er in seiner
Vita Nuova (XXV): „lo primo, ehr commeib a dire siecome poeta
volgare, si mosse perb che volle (<<><■ intendere h1 sue parole a
— 21 —
donna, alla quäle era mdlagevole ad intendere i versi latini. E
questo e contro a coloro, che rimano sopra altra materia che
amorosa; conciossiacosache cotal modo di parlare fosse dal prin-
cipio trovabo per dire d'Amore." So also mochten, fünfzig Jahre
vorher, auch die Sicilianer denken. Die Dichter waren, soweit
man ihren Stand kennt, hochstehende und gelehrte Männer, Fürsten,
Richter und Notare; sie waren gewohnt sich des Lateinischen zu
bedienen, wie es natürlich auch Pier delle Vigne in seinen Briefen
that. Im volgare sangen sie nur von Liebe zu wirklichen oder
fingirten Damen. Von Pier delle Vigne ist sogar eine lange latei-
nische Poesie erhalten, eine heftige Satire gegen die lasterhaften
Mönche, Avelche sich in die Händel der Welt mischen und zu
ihrem Vortheil den Unfrieden zwischen Kaiser und Papst an-
stiften1). Es ist ein Gedicht im volksthümlichen Tone, offenbar
auf grosse Publizität berechnet. Ein Provenzale würde solchen
Gegenstand im vulgare behandelt haben, wie Guillem Figueira es
that in seinem Serventese gegen die Clerisei und den beiden an-
deren auf die römische Curie.
In diesem Punkte zeigt sich jedoch eine wichtige Abweichung
der toscanischen Dichter von denen des Südens. Die ersteren
haben von vornherein den poetischen Stoff nicht so sehr einge-
schränkt, und es findet sich bei ihnen weit mehr, was dem Cha-
rakter des provenzalischen Serventes entspricht2). Guittone's bestes
Gedicht ist ein echtes politisches Serventes, die schon erwähnte
Satire auf die Florentiner nach der Schlacht von Monteaperti
(Canz. XLI). Dagegen besitzen sehr geringe poetische Vorzüge
drei auf politische Begebenheiten bezügliche Canzonen von Pisa-
nern, Pannuccio dal Bagno's
*) Du Merü, Poesies popuhin es du moyen äge, Paris, 1847, p. 163— 177.
2) Der Name Serventese bezeichnete später in der italienischen Dich-
tung etwas anderes als in der provenzalischen; er bezog sich nicht sowohl
auf den Gegenstand als auf die Form. Nur einmal scheint der Ausdruck
im provenzalischen Sinne vorzukommen, nämlich Val. I, 448, in dem Ant-
wortgedichte des Lionardo del Gualacco auf das des Gallo Pisano; denn die
Form dieses Gedichtes stimmt mit keiner der für das Serventese von Antonio
da Tempo und Gidino da Sommacampagna angegebenen, und der Inhalt, eine
Schmähung der Frauen, ist der des lüigelicdes.
_ 22
La dolorosa noia. Val. I, 356.
des Lutto di Ser Dato
JJclla fera Lnfertä e angosciosa. ib. 390.
und Bacciarone's
Sc doloroso a voler movo dire. ib. 112.
Es sind Klagen über Xoth und Unterdrückung durch die schlechte
Signoria, welche sich der Stadt Pisa bemächtigt hat. Alle drei
gehen ohne Zweifel auf dasselbe Ereigniss, und, wenn man be-
denkt, dass diese Dichter Zeitgenossen Guittone's sind, so wird
es sehr wahrscheinlich, dass dieses Ereigniss die Unterdrückung
der gibellinischen Partei durch den Grafen Ugolino (1285) gewe-
sen ist, besonders da man bei Pannuccio (p. 358) liest:
E giä non e mostrato
Che sol voler per lor fero e mortale,
II »male ha miso a male
Ed a daimo, volendo, loro terra,
E perdute ca Stella e piano in guerra.
also den Vorwurf des Verlustes der Castelle, den man allgemein
Ugolino und seiner Partei machte. Aus Lotto's Canzone sieht
man, dass er selbst sich im Kerker befand, und ebenso war es
Pannuccio ergangen, der in einem anderen Klagegedichte (Val. I, 374)
sich an seinen Vetter um Hilfe wendet. Diese Bürger der tosca-
nischen Communen waren selbst zu tief in die politischen Bege-
benheiten verwickelt, als dass dieselben in ihren Versen nicht
hätten einen Widerhall finden sollen. Bei Guittone zeigen sich
noch viele andere Bezüge auf die öffentlichen Angelegenheiten; er
hielt es für sein Amt, mächtigen und hochstehenden Persönlich-
keiten, wie auch eben dem Grafen Ugolino und dem Giudice di
Gallura in Pisa (Canz. XXIII), seine moralischen Lehren zu er-
theilen. In der vaticanischen Handschrift 3793 steht ferner eine
Reihe interessanter politischer tenzonirender Sonette von florenti-
nischen Dichtern, Monte Andrea, Orlanduccio Orafo, Palamidesse
Belindore, Schiatta di Messer Albizzo Pallavillani, Ser Cione No-
tajo und Beroardo Notajo. Sie sind noch nicht sämmtlich gedruckt;
aber ein Theil findet sich bei Trucchi I, 182 ff.; acht derselben
— 23 —
nahm Cherrier als ungedruckt in seine Histoire de la lutte des
l'iipcs. etc.1) auf, theilweise in der That noch unbekannte, theil-
weise aber dieselben, welche schon Trucchi mitgetheilt hatte; ein
anderes Sonett der Reihe hat endlich noch Grion publizirt2).
Trucchi hatte die Beziehung der Gedichte fast durchweg verkannt,
während Cherrier sie richtig auf die Erwartung der Ankunft Con-
radins und andere gleichzeitige Ereignisse (1268) deutete, die in
Toscana grosse Aufregung hervorriefen. Diese poetischen Corre-
spondenzen geben uns die verschiedenen Meinungen der ehrsamen
florentinischen Notare über die Dinge der grossen Welt draussen.
Eine solche Art der Dichtung freilich, welche sich mit realen
Gegenständen und Ereignissen, mit den politischen Händeln anstatt
mit den Schmerzen fingirter Liebe beschäftigt, tritt auch schon
aus dem engen Rahmen der ältesten Lyrik heraus und ist ein
bedeutender Schritt zur Selbständigkeit und Befreiung vom frem-
den Einfluss; es ist der Beginn einer neuen literarischen Richtung,
deren weitere Aeusserungcn an anderer Stelle in's Auge zu fassen
sind.
Um die nämliche Zeit wie jene Sonette wurde eine eigen-
thümliche Canzone geschrieben, die in derselben Handschrift A (166)
steht, beginnend:
Allegramentc e con grande baldanza.
mitgetheilt bei Trucchi, 79, und von neuem als ungedruckt von
Cherrier, p. 531. Die vaticanische Handschrift nennt den Verfasser
Donna rigo, d. i. Don Arrigo, wozu Bembo^j schon anmerkte fris
regis Mspanie. Trucchi wollte statt dessen in dem Verfasser
Heinrich, den Sohn Kaiser Friedrichs II, erkennen; aber ihm hätte
man den spanischen Titel Don schwerlich gegeben, und Don Arrigo
ist vielmehr eine ganz bestimmte, wohl bekannte historische Per-
sönlichkeit; man nannte so in Italien den Infanten Don Enrique,
Bruder König Alfons' des Weisen und Vetter Karls von Anjou,
der 1266 nach Italien kam, zuerst, mit Karl eng verbunden, durch
1) Paris, 1851, vol. IV, p. 527 ff.
2) Pozzo, p. 46.
s) oder Colocci, von dem nach Monaci ijjei D'Anc. p. XXI) diese An-
merkungen in der 11s. herrühren.
— 24 —
seinen Beistand Senator vmi Rum ward, dann aber mit ihm zer-
fiel und einer der hauptsächlichsten Urheber und Unterstützer
von Conradins Zuge wurde. An Conradin ist das Gedicht gerichtet,
und Cherrier hat es als solches ganz richtig betitelt. Die An-
spielungen in der Canzone sind so durchaus persönlich, dass man,
ohne die Situation dieses Don Enrique zu kennen, den Inhalt gar
nicht versteht, wie es offenbar Trucchi ergehen musste. So heisst
es z. B. str. IV:
MEora, per deo, chi m' ha trattato morte,
E chi tieu lo inio acquisto in sua halia
C'onie giudeo —
was sich darauf bezieht, dass Heinrich eine Summe von 40,000
Dublonen, die er auf seinen früheren Kriegszügen erspart, in den
Zeiten der Freundschaft an Karl von Anjou geliehen hatte, und
dieser sie nun nicht herausgeben wollte *). Nach der Siegesfreude,
welche das Gedicht erfüllt, und den Worten in str. V:
Alto valore, ch'aggio visto in parte,
muss die Canzone kurz nach der Schlacht bei Ponte a Valle
(25. Juni 1268) verfasst sein, welche den Muth der Gribellinen
hoch anschwellen liess und sie fest auf den schliesslichen Erfolg
vertrauen machte2). Auffallen muss es übrigens, dass ein Spanier,
der erst seit zwei Jahren in Italien verweilte, in der Sprache
dieses Landes dichtete; zwrar wäre, wenn der Re Giovanni des
Gedichtes D'Anc. XXIV wirklich der König von Jerusalem, Johann
von Brienne ist, noch ein Ausländer unter den ältesten italieni-
schen Dichtern; aber sein Aufenthalt in Italien hatte doch wenig-
stens viel länger gedauert.
Weit häufiger als der politischen Poesie begegnet man bei
den Toscanern den Moralisationen. Zwei solche Gedichte befinden
sich unter denen Buonagiunta Urbiciani's von Lucca (Yal. I, 479
u. 494), andere dichteten Monte Andrea, Dotto Reali, Pannuccio,
Bacciarone, und nur gar zu zahlreich sind die weitschweifigen und
trockenen Moralpredigten des frate gaudente von Arezzo. Beson-
*) Cherrier. 1. c. IV, p. 160.
2) Giov. Villani, VII, 24.
25 -
ders gern moraiisirte man in den Sonetten, in denen dann ein
immer wiederkehrender Gegenstand die Lehre ist, wie man sich
beim Grliickswechsel gleichmüthig verhalten und in günstiger Lage
nicht übermüthig werden soll, wie in Buonagiunta's
De' uomo alla fortuna eon coraggio. Yal. I, 513.
und
Qual uomo e in su la rota per Ventura, ib. 515.
oder den beiden des Pucciarello von Florenz, Yal. II, 218 f. Auch
diese moralisirende Dichtung, so wenig absoluten poetischen Werth
sie besitzen mag, ist doch immer, insofern sie mit realen Inter-
essen des Lebens in Verbindung steht, ein Schritt über die Gren-
zen der alten Schule hinaus, deren typische Formeln hier ihre
Anwendbarkeit verloren, und der Keim für eine neue und selb-
ständige Elitwickelung.
II.
Der Einfluss der provenzalischen Poesie.
Dass die Nachahmung der Provenzalen in Italien zuweilen
bis zu direkter Entlehnung bestimmter Gedichte, mit geringerer
oder stärkerer Modifikation, gegangen ist, das vermochte schon
Diez wenigstens an einem- Beispiel nachzuweisen1), nämlich dem
Sonette des Messer Polo von Amore dem Räuber (Yal. I, 128),
welches nichts anderes ist als die Bearbeitung einer Strophe aus
Perdigon's Gedicht: Tot Vau mi ten amors d'aital faisso (Choix,
III, 348). Nannucci hat gleichfalls die beiden Gedichte zusammen-
gestellt2), offenbar ohne von Diez' Yorgange etwas zu wissen.
Unter den Liedern, welche Diez noch nicht bekannt sein konnten,
findet sich noch mehreres derselben x\.rt. Die 45. Canzone des
Cod. Yat. 3793, die dem Jacopo Mostacci aus Pisa beigelegt wird .
*) Poesie der Troubadours, p. l'TT.
2) iu der 2. Ausgabe seines Manuale, I, 523 f.
s) gedruckt bei Grion, Pozzu, 31, und D'Anc. XLY.
— 26 -
ist in den ersten drei Strophen die sehr genaue Nachahmung
eines provenzalischen Liedes, welches beginnt: Longa sason ai estat
vas amor, und welche in den Handschriften einer ganzen Reihe
verschiedener Dichter zugeschrieben wird1). Das italienische Ge-
dicht findet sich übrigens auch in der palatinischen Handschrift,
und ist daraus abgedruckt bei Palermo, II, 89 f., theilweise in einer
besseren Lesart als die vaticanische, so dass sich durch Vergleichung
beider und mit Hilfe des Originals der Text in leidlicher Correkt-
heit herstellen lässt. Es folge hier zunächst die provenzalische
Canzone2):
1. Longa sazon ai estat vas amor
Humils e francs et ai fait son coman
En tot quan puec, qu'anc per negun afan
Qu'ieu en sofris ni per nulha dolor
De lieis amar non parti mon coratge,
Vas cui m'era rendutz de bon talan,
Tro qu'ieu conuc3) en lieis un fol usatge,
De quem dechai e m'a camjat mon sen.
2. Agut m'agra4) per leial servidor;
Mas tan la vei adouar ab enjan,
Per que s'amors noni platz deserenan,
Nim pot far be, qu'ieu en senta sabor;
Partirai m'en. qu'aissi m'es d'agradatge,
Pus qu'elhas part de bon pretz eissamen,
E vuelh alhors teuer autre viatge.
On restaure so que m'a fach perden.
*) s. m 276 des Troubadourverzeichnisses iu Bartsch's Grundriss zur
Geschichte der provenz. Litt., womit zu vergleichen Paul Meyer's Derniers
Troubadours, p. 149. Gedruckt ist das Gedicht im Ghoix, III, 245 als von
Cadenet, M. G. 943 als von Peire Raimon de Tolosa, und nochmals eine
Strophe daraus, Glioix, V, 139, als vom Escudier de l'Isle.
-) Da der provenz. Text fast ganz nach Raynouard ist, habe ich die
Varianten aus M. G. nicht erst dazu gesetzt.
3) R. conoisc, M. G. conue.
*) R. u. M. G. in aura; der Sinn verlangt magra, welches der italie-
nische Text bestätigt.
— 27 —
3. Ben sai, sim part de lieis niw vir alhor,
Que no Ter greu ui s'o teiira a dan,
E si eug ieu saber e valer tan,
Qu'aissi cum suelh enansar sa lauzor,
Li sabria percassar son damnatge;
Pero lais m'en endreg mon chausimen;
Quar assatz fai qui de mal senhoratge
Si sap partir e lunhar bonamen.
Kv folgen noch zwei Strophen und Geleit, die hier kein Interesse
haben, weil die italienische Nachahmung sie nicht aufnahm. Diese
lautet folgendermassen :
Umile core e fino e amoroso,
Gia fa lungia stagione, e'ö portato
Buonamente ad Amore;
Di lei avanzare adesso *) fui pensoso
5. Oltre podere; s'eo n'era afauato
Ne — nde sentia dolore,
Pertanto non da lei partia coragio,
Ne mancav' a lo fino piaeimento,
Fin ch'io non vidi in ella folle usagio,
10. Lo quäle avea; cangiat' ö lo talento2).
Ben m'averia per servidore avuto,
Se non fosse di fraude adonata3),
D'An ;ona, XLY = A. Palermo, II, 89 f. = P.
3. Lungiamente. P. al' Am. A. 5. infin ch'era. A. G. Nbnde. A. No
ne senza. P. (die Aenderung ist nach dem prov. Texte). 9. Mentre nun
vidi. A. in essa P. 10. quäl l'avea. P. 12. frode adornata. A.
*) adesso = immerdar.
- D'Anc: Lo quäle avea cangiato lo t., Pal.: Lo quäl l'avea. Ver-
muthlich stand ursprünglich: Lo quäl ni'ave cangiato lo talento; doch schien
die Aenderung zu stark.
3) Dem Verse fehlt eine Silbe. Was das adonata betrifft, so hat Pa-
lermo dazu gerade die betreffende Stelle des prov. Originals citirt, aber
offenbar nur aus dem Lexique Roman, sonst hätte er bemerkt, dass er es
mit einer Nachahmung des ganzen Gedichtes zu thun habe. Und doch
scheint es, dass gerade dieses adonare nicht in demselben sinne gebraucht
sei wie im Original, la vei adonar ab enjan heisst: „ich sehe sie dem
— 28 —
Perche lu gran dolzore
E la gran gioi, che m'e stata, rifiuto.
15. Ormai gioi, che per lei mi fosse data.
Nmi m'averia savore.
Perö ne parfco tutta mia speranza,
Ch'ella partia del pregio e del valore;
Che mi fa uopo avere altra 'ntendanza,
20. Ond' io acquisti, che perdei d'amore.
Perö se'u altra intendo e da ella parto,
Non le par grave ne sape d'oltragio,
Taut' e di vano affare;
Ma beu credo savere e valer tanto1),
25. S'eo la soglio 2) avanzare, ca danagio
Le saveria trattare;
Ma nun mi piace adesso quelle dire,
Ch'eo ne fosse teuuto misdicente;
13. Di quello »ran. P. 14. Or lo gran bene . . . stato. P. i'la rifiuto. A.
15. Giamai .... da lei. P. 16. favore. A. sapore P. 17. A ciö diparto
.... intendanza. P. ne porto. A. 18. Ke la parti vie da honore. P. paria A.
19. Ke me non pote aver. P. 20. La'nd'eo . . . ciö k'eo. P. ciö che. A.
21. Sc da llei parto e inn altra intendo. P. 22. No le sia gre/e e no le
sia oltr. A. 24. Ma io mi credo valere e savere t. P. 25. Poi la. A solea.
P, und ca fehlt. 2<">. La. P. coutare. A. 27. 'desso . . . dare. P. In A ist
dieser und der folgende Vers verstümmelt:
Se non fosse nella quäl eo
Dir tanto misdicente.
Truge sich zugesellen, sich mit ihm abgeben", wie sonst s'adonar gebraucht
wird. M. G. 1161, 2:
Et ab neguna gent bona
No s'atrai ni no s'adona.
In der italienischen Umarbeitung dagegen steht es im Sinne von „besiegen,
bezwingen'-, wie bei Dante, Inf. VI, 34 u. Pv/rg. XI, 19, einer Bedeutung,
die freilich dem Provenzalischcn ebenfalls nicht fremd ist, so z. B. M. G.
604, 4, sowie Lex. Born. III. 11 und Diez, Et. W. II. 1. Vielleicht war
dem italienis jn Dichter die andere Bedeutung des prov. Wortes nicht
bekannt, und so behielt er tue Vocabel bei, indem er sie etwas auderes
sagen Hess.
J) Der Reim fehlt, sowohl nach A als nach P.
"2) soglio hat A., P. setzt solea; aber soglio im Sinne des Präteritums
ist wie provenz. auch altitalienischer Gebrauch.
— 29 —
C'assai val meglio, chi si pö partire
30. Da reo signor e alluugiar buonamente.
Ora, clie si part' e allunga fa savere *)
Di loco, ovo possa essere affanato,
E träne suo pensero;
Ond'io mi parto e tragone volere,
35. E dogliomi del tempo trapassato,
Che m'e stato fallero.
Ma nou dotto; ch'a tale siguoria
Mi son donato, ca bon guidardone
Mi donerä, perciö che no m'oblia:
40. Lo bon servente merita a stagione2).
29. Ke'sai. P. in A. fehlt chi si pö. 30. Dal reo. P. 32. Da loco ....
dev'essere. P. 33. E tracta. P. 35. E doglio delo t. A. 36. stato fallire. A.
37 — 39 ist wieder in A ganz entstellt und sinnlos:
Ma non ö mi spere,
Ca tal segnora son servato,
Che buono guiderdone
Averagio, che perzö ch'e'n obria.
40. ist nach A., in P. steht: Lo bon servente 'ntra'n sua stasione.
Ein zweites Gedicht, welches einem bestimmten provenza-
lischen Muster direkt nachgebildet worden, rührt von Chiaro Da-
vanzati her und steht nach der vaticanischen Handschrift bei
Trucchi, I, 153 ff. Das Original ist von Sordel und beginnt:
Bei cavaler me plai que per amor1).
Aber die Weise der Nachahmung ist hier eine andere gewesen
als bei dem vorigen. Jacopo Mostacci, tief in der Tradition der
sicilianischen Schule steckend, hält sich, wie wir sahen, seinem
Vorbilde sehr nahe, nur hat er dessen letzte Strophen fortgelassen
J) Diese 4. Strophe stand im Originale nicht.
2) no m'oblia unpersönlich, wie die Alten in Analogie mit mi menibra,
mi sovviene sagten, also: „ich vergesse nicht den Satz der mich tröstet):
Der gut Dienende erhält zur Zeit seinen Lohn", ein häufiger Gemeinplatz.
so M. W. I, 164: Auzit ai dir Que qui ben sier, bau gazardon aten.
D'Anc. XXVII, 64: Che nullo bon servente esti ubriato.
3) Es ist nur in einer Hs. erhalten und danach gedruckt in M. (i. 1264
und Herrig's Archiv, vol. 34. p. 404.
— 30
und an deren Stolle eine eigene gesetzt, wenn anders uns sein
Gedicht vollständig vorliegt. Chiaro Davanzati gehört zu jenen
Dichtern, welche den Uebergang der Literatur zu einer neuen
frischeren Weise bezeichnen, und besitzt zugleich eine viel bedeu-
tendere persönliche Begabung, wie das beweist, was sonst von ihm
bekannt ist. Obgleich daher seine Nachahmung an einzelnen
Stellen sich bis auf die Beibehaltung von Worten erstreckte, ja
ihn sogar verleitete, einen cruden Provenzalismus, wie gitto a mi<>
danno (get <i mon dari) im Sinne von „ich verschmähe" anzuwen-
den, so ist er doch im Ganzen sehr frei mit seinem Original um-
gegangen. Er fand ein Gedicht von zwei kleinen Strophen mit
Geleit; der darin enthaltene immerhin etwas originellere Gedanke,
ein Ritter sei an Liebe gestorben, das werde wohl die Frauen
bekehren und sie mitleidsvoller machen, mochte ihm gefallen, und
er verwendete ihn, mit Hinzufügung vieles Eigenen, für eine weit
umfangreichere Canzone. Man könnte denken, das provenzalische
Gedicht sei ursprünglich länger gewesen; aber die Art, wie Chiaro
es benutzt hat, spricht dagegen; der Inhalt und theilweise die
Worte jener zwei Strophen sind bei ihm in alle vier seines Ge-
dichtes zerstreut:
Sordel.
1. Bei cavaler nie plai quo per amor
Moric l'autrer en Flandres; car l'aman
En seran trop mielhs crezut derenan
Per las dompnas, quels tenon en error.
Ben volgra, fos ab lui morta s'amia;
Pois caseuna so quo no cre creiria,
Que on plus fan los Uns amans languir.
Plus van tarzan so que degran complir.
2. Per dreit pot om apelar fals' amor,
Car n'aucis un ses un, al meu semblan;
Car per nulh mal tan adreit non estan
Dui mort cnsems cum per cela dolor.
Et esteran, sc ad amor plazia,
Mclli viu jauzen; mas pois plai quels aucia,
— 31 —
Ad amor prec, no volha un sol aucir;
Quel vius trai peitz no fai l'autr' al morir.
Gel. Per que prec lei, que pot longar ma via,
Quem socorr', ans quel mals d'amor m'aucia,
Que, sei socors nom ven ans del morir,
A mon dan get lei e son repentir.
Chiaro Davanzati.
1. Non giä per gioia ch'aggia mi conforto,
Ma perch' io veggio un uom morto d'amore
Per dritto amare od esser servidore
A suo poder di donna tuttavia.
Ormai le donne, che il vedranno morto,
Ciascuna piü pietanza avranno in core,
Veggendo, per assempro, lo dolore
Del buon amante, ein il tienc in obblia.
Ciascuna crederä veracemente
Quello, onde sono State miscredenti,
Che null' uom possa per amor morire.
Cosi fosse piaciuto all' alto sire,
Che la donna, per cui morto e l'amante,
Fosse morta con lui insieme avante,
Perche ciascuna fosse poi credente.
2. In tanto posso dell' amor misdire,
Quanto ha morto un per lealmente amare.
E non l'ha gia voluto accompagnare;
Che, se fosse, saria piü gioi la morto.
Che all' amante saria maggior desire;
Se la donua con lui, al trapassare
D'esto secol, com' ei, volesse andare,
Gia lo morir non gli saria si forte;
E gli amador, che gioia van sperando,
Non viverian1) languendo pur tardando;
Tr. vi verrian.
— 32 —
( he l'altre donnc non avrian dottanza ]),
E movcrian lor cori a piü pietanza,
Veggendo d'aguaglianza il guiderdone
Del daimo e il pro, lä ovo amor li pone,
E credo a lor varria merce chiamando 2).
3. Ancor d'un' altra cosa amor riprendo:
Da poi due ue cougiunge in un piacere,
L'un pur tormenta e facelo dolere,
E l'altro non costringe di paraggio.
E molti n'odo, van di ciö dolendo,
Che non accompie mai lo lor volere.
Da poi ch'e morto, che val lo peutere3)?
Ciö che ha sperato puote uom dir dannaggio.
Perö, se amor piacesse4), crcderia.
Che piü valore e pregio gli saria.
S'ammendasse di ciö ch'aggio contato.
Ancor che gentil cor lungo aspettato5)
Non dispera per lunga sofferenza;
Ma dell' amor mi credo piü valenza
Fora il donar lä, ovo il mistier pur sia.
4. Alcun poriami dir: folle, che fai?
Riprendi amor? non hai conoscimento.
Risponderö: si hae valimento,
Che uccide ed altoreggia ö) cui gli piace;
Che m'ha fatto sentir delli suoi guai,
Ma ha ritenuto a se lo piacimento;
1 Der Sinn verlangt eher: rCaverian dottanza.
"2) besser wohl alor varria, d. i. allora v. merce chiamando statt il
chiamar merce, das Gerundium statt des substantivischen Infinitiv wie sehr
oft, besonders bei Guittone.
Tr. lo potere, vgl. Str. 4: che mi va/rrä di poi pentere.
4) amor wäre Casus obliquus ohne Praeposition als Dativ, wie die Alten
öfters sagten: se Dio piace; aber hier stand wohl ursprunglich s'a amor
piacesse, wie im prov. Original.
5 aspettato, Subst., im Sinne von aspettazione.
• altoreggiare scheint identisch mit dem bekannten alloriare -- ajutare.
— 33 —
A tal m'ha dato e messo a servimento,
Tardando assai languir forte mi face,
Perö che alluugar puö [la] mia vita;
Se non provvede, innanti che perita
Sia, che mi varrä di poi p entere?
Gitto a mio danno il parlare e il vedere,
E se mia vita regna per languire x),
E non mi dona, me faria fallire2),
Se il suo valor di gioia non m'invita.
Gel. Va, canzonetta, a chi sente d'amore,
Che deggia Dio pregar per l'amadore,
Che morto e d'esta vita e trapassato,
Che ajuti lui ed ogni innamorato,
Ed alle donne umili lor durezza,
Che a' loro amanti donin piü larghezza;
Non sempre sia lor vita con dolore.
In noch anderer Weise als hier ist die Entlehnung geschehen
in einer Canzone des Notaro Giacorno:
Troppo son dimorato.
bei D'Ancona, IX, wo aber die beiden letzten Strophen fehlen, die
nach Val. I, 277, zu ergänzen sind. Das Original ist von Perdigon:
Trop ai estat mon hon esper no vi, gedruckt M. G. 512, 513 3).
Die Identität des Inhaltes ist augenscheinlich; in beiden klagt der
Dichter über seine Entfernung von der Dame, schuldigt sich an,
dass er thöricht genug war, sie zu verlassen; aber er selbst habe
auch allen Schaden davon, u. s. w. Auch im Einzelnen zeigen
sich allenthalben dieselben Gedanken, jedoch in einer ganz ver-
schiedenen Reihenfolge, und ohne so auffällige Uebereinstimmungen
des Wortlautes, wie bei den oben angeführten Gedichten. Man
möchte daher denken, der italienische Dichter habe von dem pro-
*) regnare „dauern": wenn mein Leben in Schmachten sich fristet.
2) wahrscheinl. me' saria fallire = meglio sarebbe morire.
3) und auch Lex. Born. I, 419, Arch. 35, 436; 36, 446; eine Strophe
auch bei Stengel, Die Provenz. Blumenlese der Chigiana, Marburg, 1878,
Nr. 89.
3
— 34 —
venzalischen Vorbilde nur eine nicht ganz bestimmte Erinnerung
im Kopfe gehabt. An dem direkten Einfluss der Canzone Per-
digon's auf diejenige des Notars kann aber kein Zweifel sein, wie
die Zusammenstellung folgender Einzelheiten darthut:
str. Jacopo.
I. Troppo son dimorato
F lontano paese . . .
E dico che follia
Me n'ba fatto allungare.
Lasso! ben vegio e sento,
Morto fosse, dovria
A Madonna tornare.
II. Ca s'io sono allungato,
A null' oin nou afesi
Quant' a me solo, ed i' ne so'
al perire,
E ne so' il danegiato.
Poi Madonna nii sfesi x),
Mio e '1 danagio ed ogne lan-
guire.
III. Dunqua son io storduto 2;?
Ciö saccio certamente
Com quelli, c'ä cercato ciö che
teile . . .
Cotanto di dolzore,
Amore e bona voglia
Ch'io l'ö creduto avere.
str. Perdigon.
I. Trop ai estat mon bon
esper no vi.
il>. Car tan me luenh de la
soa companba
Per mon fol sen, don anc
jorn nom jauzi.
III. Que s'agues mortz estat im
an,
Silbdegra pueisvenirdenan.
I. Mas sivals leis no costa re,
Quel dans torna totz sobre
nie,
Et on ieu plus m'en van
lonban,
Meins n'ai de joi e mais
d'afan.
II. Qu'ieu soi com cel qu'en
mieg de l'aigas banlia
E mor de set . . .
ib. Qu'eu n'agra tot so qu'eu
dem an,
Si, quan fugim fos traitz
enan.
*) 1. mispresi?
2) so Yal.; bei D'Anc. stu/nduto.
— 35 —
IV. Lasso! chi m'ha tonuto? III. Ailas, quals foldatz mi rete.
Follia deh veramente ... (M. G. 513).
Occhi e talento c core Gel. 1. Cel que ditz, qu'al cor non
Ciascun per se s'argoglia. sove
D'aisso qu'om ab los huelhs
no ve,
Li meu Ten desmenton ploran
El cor planben e sospiran.
V. Senza Madonna, di cui moro III. Quar no vei leis, que de
stando . . . mort me gueri.
. . . morraggio, ib. Grans merces es, quar mor-
Se piü faccio tardanza. rai enaissi.
Jede einzelne Stelle beweist hier wenig; aber das Uebereinstinanien
so vieler in demselben Gedichte kann nicht zufällig sein.
Ob nicht noch andere solche umfangreichere Entlehnungen
sich unter den bereits publizirten Texten vorfinden mögen, wage
ich nicht zu entscheiden; denn selbst das aufmerksamste Durch-
lesen genügt hierzu nicht, da, bei dem Charakter dieser Gedichte,
welche zum grössten Theil einander so ähnlich sehen, es schwierig
ist, aus der Menge die zusammengehörigen herauszufinden. Kürzere
Stellen, die entlehnt worden, lassen sich indessen noch mehrere
nachweisen. Eine Canzone des Stefano Protonotario, Val. I, 202,
beginnt:
Assai mi piaceria,
Se ciö fosse, cb'Amore
Avesse in se sentore
D'intendere e d'audire;
Ch'eo li rimembreria,
Come fa servitore
Perfetto a suo signore,
Meo lontano servire,
E fariali a savire
Lo mal, di che non oso lamentare.
Verse, welche ihm eingegeben worden durch Richart de Barbezieu's
(Choix, III, 457, M. G. 1418):
3*
— 36 -
Be volria saber d'amor,
S'elha ve ni au ni enten,
Que tan Tai requist francamen
Merce, e de rc nom socor . . .
Quar atcn liom de bon senhor,
Cui serf de bon cor leialmen,
Tan tro que razos li cossen
De far ben a son servidor.
und hierbei bestätigt sich zugleich eine Bemerkung von Diez1),
dass nämlich derselbe italienische Dichter mit demselben proven-
zalischen mehr als einen Zusammenhang zu zeigen pflegt; das Bild
von der Tiegerin in jenem citirten Gedichte Richart's, str. 4:
Si cum la tigra el mirador, etc.
mag der Anstoss zur Anbringung desselben in Stefano's siciliani-
scher Canzone (bei Barbieri) gewesen sein, str. 2:
Quandu eu la guardu, sintiria dulzuri,
Ki fa2) la tigra in illu miraturi.
Aber in jener zuerst genannten Canzone Stefano's beschränkt sich
die Gemeinsamkeit mit der provenzalischen auf den Anfang, der
Rest ist in beiden ganz verschieden. So begann auch Bondie Die-
taiuti ein Gedicht (Trucchi, I, 100) mit einem Bilde, welches ihm
bei Bernart de Ventadorn (Chrest. 52) gefallen hatte, um sich
dann sofort von ihm zu entfernen:
Bernart de Ventadorn.
Quan vei la lauzeta mover
De joi sas alas contral rai,
Que s'oblid' es laissa cazer
Per la doussor, qu'al cor li vai,
Ailas, quals enveia m'en ve
De cui qu'cu veia jauzion.
Bondie Dietaiuti.
Madonna, m'ö avvenuto simigliante
Com de la spera all' uccelletta avviene,
y) Poesie der Troubadours, p. 280.
2) Barbieri: fa.
- 37 —
Che sormonta guardandola in altura,
E poi dichiua lassa immantinante x)
Per lo dolzor, che a lo cor le viene,
E frange 2) in terra, tanto s'iunamora.
Die Entlehnung einzelner Bilder haben auch Diez und Nan-
nueei in grösserer Zahl nachgewiesen, und bei anderer Gelegenheit
ist auf sie zurückzukommen.
Dante da Majano fand zu Anfang eines Gedichtes von Aimeric
de Pegulhan (M. G. 1001 und anderswo) in den Versen
Nulhs hom no sap, que s'es gaugz ni dolors,
S'en son poder non l'a tengut amors;
Mas ieu sai be la dolor el türmen,
E res no sai, cpuals es sa benauansa . . .
einen Gedanken angedeutet, den er nun in einem Sonette weiter
ausführte, Val. II, 486:
Null' uomo puö saver, che sia doglienza,
Se non provando lo dolor d'Amore,
Ne puö sentire ancor, che sia dolzore,
Finche non prende della sua piacenza.
Ed eo amando voi, dolce mia intenza3),
In cui donat' ho Talma e'l corpo e'l core,
Provando di ciascun lo suo sentore
Aggio di ciö verace canoscenza.
Ein Sonett des Loffo Bonaguicli (Val. II, 261) ist, wie ich
*) Trucchi: immantinente.
2) frangere heisst hier „sich niedersenken, niederstürzen", eine Bedeu-
tung, für die ich sonst kein Beispiel kenne; transit. = „lenken, wenden"
kommt es aber öfters vor, so Grion, Serventese, p. 43:
Vattene a la chiü gente,
Che per su' amore mi frange in suo loco.
Cherrier, IV, 527:
S'e ita contro a noi largo suo corso
Ventura, encontra or tutta par lo fragna (d. i. il corso).
(bei Cherrier Sa ita und la fragna).
3) dolce mia intenza „mein süsses Begehren".
— 38 —
glaube, entsprungen aus ein Paar Verseo von Aimeric de Belenoi
(M. G. 194 und anderswo). Freilich hat Loffo, ein Dichter der
Uebergangszeit, und wohl sogar schon der neuen florentinischen
Dichterschule zuzurechnen, den Gedanken noch freier behandelt,
als es Chiaro Davanzati gethan:
Aimeric de Beleuoi.
Aissi col pres, que s'en cuja fugir,
Quant es estortz, e pueis hon» lo repren,
E li dobl' om son perilhos türmen.
Cugei ab geub de sa preisen eissir
D'amor, que m'a tan duramen repres,
Que per nulb genb estorser nolb puesc ges;
Ane mais no fui en tau mala preiso,
Que genhs o sens nom degues tener pro.
Loffo Bonaguidi.
Com' uom, che lungamente sta iu prigione
Iu forza di signor tanto spietato,
Che non ama drittura ne ragione,
Ne merce ne pietä non gli e in grato,
Tener si puote a fera condizione,
Se 'n altra guisa nou cangia suo stato:
Iu simil loco Amor lunga stagione
M'avea tenuto, ond' era disperato.
Or m'era per iugeguo dipartuto
Del periglioso loco, ch' aggio detto,
E della peua iu grau gioi rivenuto.
Piü cbe davanti tenemi distretto;
Or come faragg' io in questo puuto *),
Lasso, dolente nie. cbe son si stretto?
Alier. wenn man hier schon nicht mehr ganz sicher ist, ob
Loffo auch wirklich das bezeichnete Gedicht vor sich gehabt hat,
als er sein Sonett verfasste, so ist noch viel weniger die An-
; i - fehlt der Reim.
— 39 — •
nähme eines bestimmten einzelnen Originals am Platze bei der
grossen Menge der Stellen, an denen aus der provenzalischen
Lyrik wühl bekannte Gedanken erscheinen. Die provenzalische
war selbst eine Dichtung der Gemeinplätze; sie schwirrten gleich-
sam in der Luft, waren jedem Einzelnen geläufig und fanden sich
überall ein, ohne dass man sie von einem bestimmten Vorbilde
zu entlehnen brauchte, wenn sie auch freilich irgendwo zuerst zum
Vorschein gekommen sein müssen. Es ist eben ein umfangreiches
Repertorium, in welches ein Jeder hineingreift, um nach seiner
Bequemlichkeit zu nehmen, was er braucht. Die Conventionair
und Modepoesie hat dergleichen immer hervorgebracht; man denke
nur an die Petrarchisten. Es giebt kaum einen Troubadour, der
nicht seiner Dame gesagt hätte, er wolle lieber sie, auch ohne
jeglichen Lohn, lieben, als von einer anderen die höchste Gunst
erhalten, so z. B.
Folquet de Marselha, M. W. I, 330:
Vos die, mielks m'ave,
Que per lieis ieu suefra jasse
Mon dau, sitot a lieis nou cal,
Qu' autram des s'amor per cabal.
Arnaut de Maruelh, ib. 155:
Mais am de vos sol un desir
E l'esperans' el lonc esper
Que de nulb' altra sou jazer.
Gaucelm Faidit, M. G. 104, 2:
E platz mi mais per leis peua durar,
Que de nulb' autr' aver tot mou talen.
Und so folgte Guido delle Colonne dieser allgemeinen Gewohn-
heit, wenn er sang, D'Anc, p. 37:
Che meglio m'e per ella pene avere
Che per un' altra beue cou baldauza.
und Dante da Majano, Val. II, 444:
Meo cor piü ama e vuole
Di voi, dolee mia amanza,
Istare in disiauza,
Che d'altra aver compita gioi d'amore.
40 —
und ein anderer, D'Anc, XCIV, 29:
Che meglio vale aver di voi speranza,
Che d'altre donne aver ferma certanza.
ib. 39:
Meglio mi sa per voi mal sostenere,
Che compimento d'altra gioia avere.
und so noch oft, immer in derselben Weise. Kaum einen Trou-
badour giebt es, der nicht einmal versichert, er wolle nicht mäch-
tiger Fürst, nicht König der Welt sein, sollte er darum seine
Dame verlieren, wie beispielsweise
Pons de Capduelh, M. G. 1035, 2:
Que neis no vuelh esser reis poderos
De tot lo mon per tal que sieus uo fos,
Ni que de lieis servir cor mi sofranha.
und so D'Anc. XL, 43:
E uon vorrei essere lo segnore
Di tutto il raondo, per aver perdita
La sua benivoglienza.
und, wenn Arnaut Daniel, M. W. II, 72, betheuert:
E no vuelh ges ses lieis aver Lucerna
Nil senhoriu del renc per on cor Ehres.
so versichert ein Sicilianer, D'Anc. XXIII, 45:
Ca se tutta Messina fosse mia,
Senza voi, donna, niente mi saria.
Die Beschäftigung mit all diesen stets wiederkehrenden Ge-
danken und Wendungen hat sicherlich nicht viel Anziehendes, und
es ist nicht zu verwundern, dass man für die alten italieni-
schen Lyriker dergleichen Zusammenstellungen nur gelegentlich
gemacht hat, wie dies Nannucci in seinem Manuale that. Aber
eine solche Betrachtung ist nicht ohne Nutzen, ja sogar nothwen-
dig, wenn man sich über den Grad der Abhängigkeit von den
Provenzalen und über den durchaus typischen Charakter dieser
Poesie klar werden will. Zugleich vermag die Aufzählung, nicht
etwa aller, aber einer Auswahl solcher Gemeinplätze zur Ergänzung
und Erläuterung dessen zu dienen, was oben nur in aller Kürze
— 41 —
über den Gedankenkreis der sicilianischen Dichterschule gesagt
worden ist.
Der Dichter versichert die Dame seiner unverbrüchlichen
Treue; er dient und gehorcht ihr wie der gute Vasall seinem
Lehnsherrn; daher nennt er sich mit dem feudalen Ausdruck
ihren Mannen:
Bern, de Ventadorn, M. W. I, 21:
Domna, vostr' ora sui e serai,
AI vostre servizi garnitz,
Vostr' om sui juratz e plevitz.
G. Faidit, M. G. 489, 5:
Vostr' oms juratz e plevitz
Sui en faitz et en parvensa.
D'Anc. XXIV, 1:
Donna, audite, como,
Mi tegno vostro orao
E non cl'altro sagnore.
Val. I, 256:
Ben so, che son vostr' uomo,
S'a voi non dispiacesse.
Sie steht hoch über ihm, und er wäre unwerth, ihr zu dienen;
nur seine Treue macht ihn dessen würdig:
Bern, de Ventadorn, M. W. I, 42:
Mas no s'eschai,
Qu'ilh am tan bassamen;
Pero ben sai,
Qu'assatz fora avinen;
Quar ges amors segon ricor no vai.
Bonifaci Calvo, M. G. Gl 6, 1:
Tant auta dompnam fai amar
Amors, e qu'es tan bell' e pros,
Que sol dignes *) de desirar
S'amor no sui2) ni vol razos.
') M. deingnes.
2) M. sai.
— 42 —
Val. II. 5:
Per servire a voi 11011 seria degno;
Ma voi, sovrapiacente,
In vostra mente, solo nel meo guardo
Couoscete, clio in cor fedele regno.
und er tröstet sicli damit,, dass oft der Niedere emporsteigt und
Grosses erreicht:
Choix, III, 347:
Qu'amors nie ditz, quant ieu m'en vuelh estraire,
Que mantas vetz puei' om de bas afaire
E conquier mais que dregz nol cossentria.
D'Anc. III, 10:
Ca spesse volte vidi ed e provato,
C'omo di poco affare,
Per venire in grau loco,
S'ello sape avanzare.
Moltiprica lo poco conquistato.
Raimon Jordan, M. G. 786, 6:
.... qu'ieu vei manlitas sazos
Paubr' enrequir per bon afortinien.
Per qu'ieu en vos afortisc nion coratge.
D'Anc. XXVIII. 15, verbessert mit B, 237:
Ca povero oino avene
Per aventura a bene,
Che monta ed ave assai di valiniento;
Perö non mi scoragio x).
Duldet er auch Pein, so will er doch ausharren: denn wer liebt,
der rnuss dulden:
Peirol. M. W. II, 28:
Grieu er d'amor jauzire,
Qui uon es francs sufrire.
x) vgl. auch M. G. 288, 3; die cobla bei Stengel, Riv. di Fil. Born.
I. 1". no 73; D'Aiic. LXXXIII, 3; Dante da Majano, Val. II, 449.
— 43 —
Dante da Majano. Val. II, 445:
Cui ben distringe Amore in veritate,
Sofferirlo convene,
S'acquistar vuole ciö, che va cherendo.
Val. I, 134:
Qualunque vuole amare,
Sia in amor giachito e sofferente.
Dulden führt an's Ziel: Que bos suffrire Conquier suffren, sagt
Pons de Capduelh (Mussafia, Cod. Est. XIII, 3) und Brunetto La-
tini, Trucchi, 167:
Che lo buon sofferente
Riceve usatameute
Buon compimeuto dello suo desire.
Und hierbei ist wieder stehend das Bild vom treuen Diener, wel-
cher Lohn zu erwarten hat, und vom guten Herrn, der die Dienste
wohl vergilt:
Arnaut de Maruelh, M. W. I, 164:
Auzit ai dir, per quem sui conortatz,
Que, qui ben sier, bon gazardon aten,
Ab quel servirs sia en luec jauzen.
D'Anc. LXIV, 6:
Coufort' agio del mio intendiniento 5
Che ben couosco, e giä agio provato,
Ch'ogne bono servire e meritato,
Chi serve a buon seguore a piaciinento.
Peire Vidal, XIII, 5:
Qu'ab servir et ab honrar
Couquier hom de bon senhor
Don e benfait et honor.
Val. II, 8:
Ca lo dispero nou ave podere,
Acciö ch'allo siguor di valimeuto
Non fall' avvedimento
Di provvedc-re li leai serventi.
— 44 —
Die Anbetung so hoher Dame geschieht mit Schüchternheit,
mit Besorgniss zu missfallen und zugleich in steter Sorge um die
ungestörte Dauer der Liehe. Rechte Minne muss sich mit Furcht
paaren, sagten die Troubadours:
Arnaut de Maruelh, M. W. I, 164:
Que mielhs ama seih que prega temen,
Que no fai seih, que prega ardidamen.
Bern, de Ventadorn, ib. 16: ■
Mas greu veiretz tin' amansa
Ses paor e ses duptanso.
G. Faidit, M. G. 460, 5:
Com non pot ben amar
Lialmen ses duptar.
D'Anc. XLII, 12:
C'amar sauza temer non si convene.
Raimon Jordan, M. G. 786, 1:
Quar qui non tem, non ama coralmen.
D'Anc. XLVII, 14:
E chi non teme, non ama san faglia.
Chiaro Davanzati, Cod. A. 572:
Chi non teme, non pö essere amante.
Val. I, 152:
Che Amore e piena cosa di paura.
und dieser Satz wiederholt sich bis zum Ueberdruss:
Yal. II, 415:
Ch' Amore e piena cosa di dottanza.
ib. I, 175:
Amor pien' e e cresce di paura.
Dante da Majano, Val. II, 475:
Ch' uomo, ch' ama di coro, e temoroso.
u. dgl. m.
Daher wagt der Liebhaber seine Leidenschaft der Dame nicht
zu gestehen; oft wohl ist er entschlossen, hat seine Erklärung
in Bereitschaft, aber in ihrer Gegenwart verstummt er, ihr Anblick
verwirrt ihn, lässt ihn alle wohlgcsetzten Reden vergessen:
— 45 —
G. Faidit, Chrest. 144:
Car maiutas sazos m' ave,
Qu' ab tota fait' acordansa
Domuaus cug preiar de me,
E pois, quan mos cors vos ve,
M'espert e non ai membransa
Mas sol de vos esgardar.
Arn. Daniel, M. W. II, 75:
Qu' ades ses lieis die a lieis coebos motz,
Pois, quan la vei, no sai, taut l'am, que dire.
Val. I, 317:
Assai fiate mi muovo coraggioso
Di dirvi, come dicon gli altri amanti;
Poiche so' 'nanti a voi, viso amoroso,
Li miei pensier di parlar sono affranti x).
D'Anc. XXXIX, 25:
Cosi Amor m'assicura,
Quando piü mi spavento,
Cbiamar merze a quella a cui son dato;
Ma, poi la veo, ublio zö c'6 pensato.
l) affragnere = „berauben", wie an vielen andern Stellen:
Val. II, 185:
E ben seria di bon savere affranto,
Chi fredda neve giudicasse foco.
Nan. Man. I, 113:
Condotto l'Amor m'ave
In sospiri ed in pianto,
Di gioia m'ha affrauto — e messo in pene.
Tommaso da Faenza, Zambrini, Op. volg. p. 385:
Rinchius' äi fra lo pecto
Cosa ke t'äe del ver dire affranto.
Cino da Pistoja (im Sonett: AM doloroso):
E eiaseun giorno rinovello in pianto
E son affranto — d'ogni allegramento.
affragnere auch intransit. „fehlen", wie prov. sofranher:
Dante da Majano, Val, II, 488:
E voglia d'amar lei si mi distringe,
Che temo, el tempo in ciö sol non m'affragna.
- 46 —
Aber wagt er es nicht mit Worten sich zu erklären, so spricht
sein Antlitz deutlich genug, in seinen Mienen mag also Madonna
lesen, wie treu er ihr ergehen, und was er von ihr ersehnt:
Folquet de Marselha, M. W. I, 329:
Per so nous aus mon cor mostrar ni dire,
Mas a l'esgart podetz mon cor devire.
Aimeric de Pegulhan, M. G. 1002, 4:
e ma simpla semblausa
Podetz saber mon fin cor ses duptansa,
E vos, sius platz, prendetz n'esgardaiiicn.
I)*Anc. LXXXIII. 37:
Perö, donna avenente,
Per Dio vi priego, quando mi redete,
Guardate me, cosi conoscerete
Per la mia cera ciö che '1 mio cor seilte.
Möge sie ihm gehen, auch ohne dass er verlangt; denn das
angenehmste Geschenk ist dasjenige, welches unge fordert darge-
boten wird:
Albert de Sestaro, M. G. 785. 3:
Quar, qui ben fai, non es dregz quel car venda;
Qu'assatz val mais ez es plus saboros,
Quan ses querre es facbz avinens dos,
Quez ab querer, sol qu'om trop uoi coutenda.
Dante da Majano, Val. II. 475:
Ma quello e '1 dono. ch' uom piü ave in grato,
Qual senza dimandar trova piacere.
Ders. ib. 483:
Ma doppio dono e doiina (1. d'uomo?) per usanza,
Che da senza cberer al bisognoso.
Der Preis der Dame, die Schilderung ihrer Schönheit und
ihres Werthes geschieht in allgemeinen Ausdrücken; alle treff-
lichen Eigenschaften sind in ihr. Anmuth, Liebreiz, Verständigkeit
und feine Sitte; sie wird die Blume und der Spiegel der Frauen
genannt:
— 47 —
Peirol, M. W. II, 30:
Qu'ilh es miralbs e flors
De totas las melhors.
G. Faidit, M. G. 488, 3:
Quar vos etz flors e miralhs de valor
D'autras domnas.
D'Anc. XVII, 40:
quella, ched e '1 fiore
Di tutte l'altre donne, al meo parere.
Friedrich II, Val. I, 55:
voi, che siete fiore
Sor l'altre donne e avete piü valore.
D'Anc. LIII, 143:
Istella d'albore,
E siete miratore.
Val. II, 5:
D'ogui valor gradita,
Di beltate e di gioia miradore,
Dove tuttore — prendono mainera (Val. prendendo).
L'altre valente donne di lor vita.
Sie ist das Musterbild der anderen Frauen, an dem sie sehen,
wie sie sich zu benehmen haben, und so nennt sie Bondie Die-
taiuti (Trucchi, I, 101) geradezu chiaro miraglio ed amoroso.
Dergleichen Ausdrücke kehren unendlich oft wieder; die ita-
lienischen Dichter nennen ihre Dame besonders häufig rosa, rosa
aulente, rosa fresca, rosa colorita, rosa di maggio, u. s. w., und
so die Bosa fresca aulentissima des sogenannten Ciullo d'Alcamo.
Oder man sagt von ihr, sie übertreffe die lieblichsten Frauen, wie
die Rose die anderen Blumen:
Peire Vidal, V, 31:
Que bei' es sobre las gensors
Plus que rosa sobr' autras flors.
D'Anc. VIII, 23:
Passate di bellezze ogn' altra cosa
Come la rosa passa ogn' altro fiore.
— 48 —
Die Dame gleicht dem Morgenstern (stella d'albore, Stella
cToriente, Stella Dien«)-, sie ist die chiarita spera, d. li. ihr Ant-
litz gleicht der leuchtenden Sonnenscheibe; sie glänzt schöner als
Edelsteine:
Cadenet, M. G. 303, 1:
Ai doussa flors benolens,
Plus clara que flors de lis
^Ni miraedes ni robis
M carboncles resplandens.
D'Anc. XLIII, 24:
E passa perle, smeraldo e giacinto.
ib. LXXXV, 19:
Quella, c'avanza giaebinto e smeraldo. (Val. ehe passa.)
ib. LXXXII, 31:
Che vostri assettamente
Passassero giachinti stralucente.
Es ist immer dasselbe Bild abstrakter Vollkommenheit, erstarrt
in conventionellen Prädikaten, ohne Leben und Bewegung; ihre
Reize werden nur in den allgemeinsten Zügen geschildert; von
einer Individualität der Frau findet sich hier natürlich keine Spur.
Diese ganz äusserliche Lobpreisung sucht durch Hyperbeln zu er-
setzen, was sie durch innere Kraft nicht zu leisten vermag. Die
Dame ist so herrlich, sagen die Dichter, dass es ihres Gleichen
nicht geben kann; Gott hat kein so vollendetes Werk geschaffen
wie sie:
Peire Vidal, XXXYI, 27:
Qu'anc deus no fetz taut avineu jornal
Cum aieed jorn queus formet de sa mau.
A. de Pegulhan, M. G. 604, 5:
Anc dieus non fetz sa par ni autretau.
D'Anc. XXXI. G:
C'altra piü bella o pare
Non poria rinformare
Natur' a suo podire.
— 49 —
Gott setzte besondere Kunst darein sie zu bilden; er dachte an
nichts als sie, da er sie erschuf:
Peire Vidal, rv, 64:
E quan la volc bastir
Deus, mes i son albir.
Q'en reu als no l'avia.
Val. II, 237:
Non credo veramente,
Ched altro avesse a mente,
Quando fe Dio si bella criatura.
Sie ist so einzig in ihrer Vollkommenheit, sagt ein anderer, dass,
würde er ihre Reize beschreiben, er damit schon verrathen hätte,
wen er liebe; denn jeder würde sie aus der Schilderung erkennen,
auch ohne dass sie genannt wäre:
Blacasset, M. G. 151, 2:
Car s'ieu lauzan vostre gen cors dizia
So que per ver faissonar i poiria,
Sabrion tuich, de cui sui fis amans,
Per qu'eu en sui de vos lauzar doptans.
Raimon Jordan, Choix, V, 381:
De lieis lauzar no serai trop parliers,
Qu'entendrion, de cui sui cavaliers,
S'ieu dizia lo quart de sa valensa.
D'Anc. XLVII, 21:
E poi cb'io fosse da tal douna amato.
Com' eo, che se contare lo volesse
Le sue bellezze certo nou porria,
Poi si savria,
Qual' este quella douna, per cui canto.
(Die ersten Zeilen scheinen verdorben.)
Niemand hat so hohe Liebe wie er, der die Einzige anbetet:
Raimb. de Vaqueiras, M. W. I, 365:
Aue non amet tant aut cum ieu negus
Ni tan pros domna.
4
— 50 —
D'Anc. KCIT, 9:
Null' oin si altamente
Credo sia 'namorato
Ne si coralemeutc
Agia amore incarnato,
Com' agio iu voi, sovrana.
Daher ist iiberschwänglich seine Empfindung für sie; seine Pein
führt ihn zum Tode, von dem sie nilein ihn retten kann:
(i. Faidit, M. G. 180, 2:
Quo totz mos coratges m'en pen
Vas celicis, quem pogra guerir,
E s'illi non a de me morce,
Pot saber, que morai dese.
D'Anc. LXXVII, 7:
Ben mi poria campare
Quella, per cui m'aveue
Tutto questo penare.
Kr stirbt; aber süss ist ihm selbst der Tod, wenn es ihr gefallt:
Peire Vidal, XXXVI, 32:
Si m'aucizetz, lionratz sui e jauzens.
Val. II, 7:
Sed eo prendesse morte
A vostro grado, me ne piaceria.
Blacasset, M. G. 151, Gel.:
Sius platz, dompna, que tiu' amors m'aucia
Vos desiran, ja nous culdetz, quem sia
Euois en re, ans, sius es plazers grans,
Serai totz temps de ma mort desirans.
Nan. Man. I, 70:
che non e noia
Morir, s'ella n'ha gioia;
Che sol viver mi piace
Per suo servir verace.
Sic bat ihn so gefesselt, dass er nicht von ihr lassen kann, und
so mag sie nicht fürchten, dass er sich je einer anderen zuwende:
— 51 —
G. Faidit. M. W. II. 105:
Ja ma dona no eng, de lieis me vir,
Ni altr' amors ja lim tolha ui m'aia . . .
Dante da Majano, Val. II, 440:
Ne giä per altra lo meo cor non svio
Ne si poria allegrare,
Si aggio fermo in voi, bella, el volere.
Die Liebesbezeugung einer anderen liilft ihm nichts:
Uc de S. Circ, M. G. 78, 5:
S'ella noni val, ja autra uo m'aiut
Ni me -volha nim fassa bei semblan;
Car s'il nom vol, autre joi non deman.
D'Anc. XLI, 15:
Non m'e neente,
Sed io sou d'altr' amato ....
E giamai dal mio core non si parte.
Ne altra donna amar no mi sovene.
Er trägt ihr Bild in seinem Herzen, und, ist er fern von ihr, so
erblickt er sie dort wie in einem Spiegel:
Amieric de Belenoi, M. G. 57, 3:
Que mos leials cors m'es
Miralhs de totz sos bes,
Que, quand alhors cortei,
Pensan ab lieis dompnei.
Ders. ib. 194, 2:
Que mon cor m'es miralhs de sa faisso.
D'Anc. XLI, 31:
Membrandomi la sua cera piagente,
Veder la creo tutta per sembianti;
Com' om, ca lo specchiare tene mcnte, *)
Cosi mi pare ch'io l'agia davanti.
*) nicht c' nlosji.. wie D'Anc. setzt: denn tener mente, por menie ..an-
schauen" haben bei den Alten das Objekt ohne Präposition.
1 ■
— 52 —
Nan. Man. I. 196:
Com' uomo nello speglio
Si vede aftigurato,
Cosi il suo stato — paremi vedere.
wozu bei Nannucci noch andere Parallelstellen .
Im Traume glaubt er oft bei der geliebten Dame zu sein:
Ahn. de Belenoi, M. G. 899, 5:
Mot nie tinc per pagatz d'un ser,
Qu'en fui entre sons poderos;
Ai dieus, e com era joios,
Quhn laisses dormir a lezer.
Arn. de Maruelh. M. W. I, 165:
Soven m'aven la nueg, quan sui colgatz;
Qu'ieu sui ab vos per semblan en durmen;
Adoncs estauc en tan ric jauzimen,
Qu'ieu non volgra ja esser rissidatz.
vgl. auch M. Gr. 657, 5 u. 211, 5).
D'Anc. XLI. 25:
Perzö m'avene,
Ca, s'io sogno, la veio;
Dormo e donneu.
Vegliar mi creo;
Mai non desio
D'aver null' altro bene.
Wäre er gegen Gott so treu, wie er es gegen sie ist, das Paradies
wäre ihm gewiss:
Guillem de Cabestanh, M. W. I. 114:
S'ieu per crezensa
Estes vas dieu tan fis.
Vius ses falhensa
Iutrera en paradis.
Guittone, son. 93:
Che se verace si fuss' io ver Deo,
Com son vor voi, vivrei senza timore,
Ne gire' a[l] loco, ov' e Santo Matteo J).
r) oder Ne girea loco = nc giria loco,
wo loco das bei den Alten gebräuchliche Ortsadverbium wäre.
— 53 —
Aber ihre Liebe ist ihm theurer als das Paradies selber:
Arnaut de Maruelh, M. W. I, 169:
Que sim lais dieus s'amor jauzir,
Semblariam, tan la desir,
Ab lieis paradis us desertz.
d. h. „so wahr Gott mich ihre Liebe gemessen lassen möge, mit
ihr winde inir eine Oede das Paradies scheinen". Vielleicht ist
aber in Ses lieis zu ändern; dann wäre es ein Gedanke, der mit
feinerer Wendung wiederkehrt in dem Sonette des Jacopo da
Lentini: Io nCaggio posto in core a Dio servire. Val. I, 319.
Raimon Jordan versteigt sich zu der oft angeführten Ketzerei:
Choix, V, 380 (Pam. Ocovb. 202):
Que s'era cochatz de mort,
Non querri' a dieu tan fort,
Que lai el sieu paradis
M'aculhis,
Com quem des lezer
D'una nueg ab lieis jazer.
D'Anc. XCVII, 49:
Si forte mio Dio siete,
Che d'altro paradiso
Giamai non metto cura.
D'Anc. Son. II:
Potendo vostro servo dimorare
Piü paradiso lo mio cor non crede.
(D'Anc. vermuthet chiecle.)
(s. auch D'Ancona's Bemerkung, Projpugnatore VII, 1°, 56 f.)
Die Dame war ihm gnädig; sie hat begonnen, ihn zu beloh-
nen, und da Amore sich ihm freundlich zeigt, so geziemt es sieh.
dass er seine Freude kund thue und singe:
B. Calvo, M. G. 616, 5:
Nom puesc tener de parveu far,
Com sui ben amans e joios;
Car amors m'a volgut honrar
Mais d'amador, c'anc el mout fos.
— 54 —
D'AllC. L, 1:
Ben nii degio alegrare
E far versi d'amore,
Ca, cui son servidore,
M' ä molto grandemente meritato.
Er singt in der schlimmen Jahreszeit wie in der guten, nicht bloss
im Mai, wie die schlechten Liebhaber:
M. G. 249, 1 (Peire Vidal, Anh. HD:
Ges per lo freit temps no m'irais,
Ans l'am tan com fatz la calor;
C altresi posc aver d'amor
En envern bon' escarida.
D'Anc. xxi ir, 58:
Ca s'eo canto la State,
Quando lo bore apare.
Non poria ubriare
Di cantar al freddore,
Cosi mi tene Amore — il cor gandente.
(\g\. über den Gemeinplatz von den Sommersängern Mätzner,
Altfrz. Lieder, p. 117).
Wohl hat er lange Pein erduldet; aber die Freude nach den
Schmerzen ist nur um so süsser; gesegnet seien daher die ver-
gangenen Leiden:
Perdigon, Choix, III, 344 (M. G. 1413, I):
Ben aiol mal e l'afan cl cossir,
Qu'ieu ai sufert longamen per amor;
Quar mil aitans m'en an mais de sabor
Li ben, qu'amors mi fai aras sentir.
D'Anc. XXII, 25:
E per un cento m' a pin di savore
Lo ben, c'Amore mi face sentire,
Per lo gran mal, che m' ä fatto soffrire.
Perdigon, ib.
si lo mals no fos
Ja negus bes no fora saboros,
Doncs es lo mals mellmramcns del be,
Per qu'usquecs fai a grazir <piau s'avc.
— 55 —
D'Anc. ib. 37:
Neiente vale amor sanza penare;
Chi vuolc amar, convenc mal patire,
Onde mille merce n'agia lo male.
D'Anc. L, 7:
Ben agia lo martore,
Ch' io per lei lungiamente agio durato.
und dgl. öfters.
Allein häufiger erscheint die Dame als grausam und uner-
bittlich. Sie hat alle trefflichen Eigenschaften, nur Liebe und
Gnade fehlt:
Folquet de Marselha, M. W. I, 324:
Car ilh val tan, so-us plevis,
Que. si sol merces i fos,
Ren als non es, quei sofranha. iM. qui m s.)
Val. I, 262:
Quella, che senza intenza1)
Tuttor s'agenza di gentil costumi,
Fuor ch' ella d'amar nega.
Dasselbe ist offenbar der Sinn von D'Anc. XXX IX, 70:
La donde ogne hen sol merze saria.
wo Val. La onde hat, d. h. onde für dove, auf die prov. sicil.
Weise: La dove sarebbe ogni bene, sol che vi fosse mercede, und
vielleicht zu ändern in con, mcrce, oder:
La' nd' e ogne ben, sol merze [vi] saria.
Vgl. G. Faidit, M. G. 125, 4:
Res mas merces non es a dire,
Domna, qu'ab merce solamen
I serian complidamen (.nämlich honors, pretz, etc. .
Richärt de Barbezieu in der Canzone: Airessi cum Volifans,
str. 4:
*) senza interna „ohne Vergleich", eigentlich „ohne Wetteifer, l!i\a-
lität". S. die Stellen für interna in dieser Bedeutung gesammelt von
S. Bongi in Zambrini, Catalogo di Opere Völgari, Bologna, 1857, p. 21)7.
— 5G —
Lui on beutatz e joveus c valors
Es, que noi falb, mas im pauc de merce,
Quc noi sion assemblat tuieb li be.
Aim. de Belenoi, M. G. 890, 2:
vostre cors, qu'es complitz
De totz bes mas sol de merce.
Dante da Majano, Yal. II, 443:
D'ogni valor compita
Fora vostra bontate,
S' un poco di pietate
Fosse in vostro cor misa,
Ne cosa altra gradita
Alla vostra biltate
Manca, Donna, sacciate,
Che pieta, ciö m'avvisa.
Und dennoch, wo sich alle Vorzüge vereinigen, wie kann da Milde
und Erbarmen fehlen?
G. Faidit, M. W. IL 84:
Meravilh nie, pus ab mi dons es tan
Pretz e valors, plazers e digz cortes,
Com pot esser, que noi sia merces;
Em meravilh de lieis, on es honors,
Sens e beutatz, que ja noi sia amors.
Ders. M. G. 100, 4:
Que lai, on es beutatz e pretz valens,
Non deu falhir merces ni chausimens.
Val. II, 84:
Che fallir non porria
Merce ne senno ne tutt' altre virtute.
1. Merce «' e senno, ec.
ib. II, 10:
si conforto,
Che non seria diporto 1)
Taut' adunato in parte per natura
For pietate.
*) diporto „Reiz", wie so oft piacere bei den Alten.
— 57 —
Und sie soDte nicht so hart sein; denn säumt sie lange mit der
Gnade, so stirbt er, und nach dem Tode ist alle Hilfe umsonst:
Cadenet, M. G. 99, 5:
Eu die e sai, que mais valria,
Que dompnal sieu acorregues enan
La mort que pois; car, sitot a talan
De revenir, pois non a ges poder.
Val. 1, 118:
Che l'uom, da poi ch' e morto,
Non vale aleuna gioia dimostrare,
Che ritornare — il possa nel suo stato.
D'Anc. XCV, 59:
Merze, anzi ch' io mora iu vostra mano:
Porgesi invano — al morto medicina *).
Er gehört ihr ganz zu eigen, und es ist nicht schön, seine Härte
an dem Unterworfenen zu zeigen:
Giraudo lo Ros, Choix, III, 11 (M. G. 438, 3):
E nom par ges valors ni galhardia,
Qui destrui so que trob' apoderat.
D'Anc. VII, 4:
Non e valenza far male a sofrente.
Aehnliches stand an einer verdorbenen Stelle Messer Polo's,
Val. I, 134. Dieselbe lautet nach der Lesart von B, 163, wie diese
auch schon Crescimbeni (III, 69) genau wiedergegeben:
Ch' audit' ö tenzonare:
Colui e da blasmare,
Che suo pregio dannea cd a tormeuto,
• Poiche s' e messo in sua coufidanza.
zu bessern in:
Ch' audit' ö tenzonare: (1. memonare?)
Colui e da blasmare,
Che suo preso daimea e da tormento.
„zu tadeln ist, wer seinen Gefangenen schädigt und peinigt".
*) Ueber diese triviale Klage der Liebenden spottet die schelmische
Gemma leziosa des Ciacco dall' Anguillaia; sie verspricht ihrem Anbeter,
wenn er gestorben, für ihn Messen beten zu lassen.
— 58 —
Da er Madonna's Eigcnthum, so ist es, wenn er stirbt, mir ihr
Schade; Bie verliert dann, was ihr zugehört, und man wird sie
deshalb schelten:
Blaeatz. M. W. II. 136:
• Per vos, doiinia. morrai,
Quar me trobatz verai,
Vos cii prendetz lo dan,
• E nou es benestan,
Qu' om eis los sieus aucia.
M. (.. 946, 2:
Mas plus greu m'es, quar ieu sai,
Que blasme n'aura jasse,
Sim fai murir, que pert nie.
D'Anc. XXXVIII, 21:
Ca, s'io troppo dimoro, aulente cera,
Pare, cb' io pera, e voi mi perderete.
Val. I. 284:
Ca, s'eo mi moro, eil' ha lo perdimento.
D'Anc. LXVI, 63:
E se pur m'aucidete,
Sarävi misprescianza.
So noch Petrarca (Ganz. Nel dolce tempo, str. 5):
Non son mio. no; s' io moro. il danuo e vostro.
Die Feinde der Liebe, diejenigen, welche das Glück des Lieb-
habers verhindern oder zerstören und ihn beständig mit Furcht
erfüllen, sind die bösen Zungen, die rei parladori oder lusingatori
(laugengier). Von ihnen sagte G. Faidit, M. G. 31, 6:
C ab los fals brais
Dels lauzengiers savais,
Cui dieus abais,
Se vir' amors cn caire
E fraub e fen.
und Friedrich II, D'Anc. LI, 14:
Che paura mi metto
Ed ö sospetto — dela mala gentc,
Che per neiente — vanno disturbando
E raiupognaiulo — cbi ama lealmente.
— 59 -
Was die lausengier eigentlich sind, zeigen aufs beste die Worte
des Arnaut de Manulh. M. W. I, 158:
Aitan se pert, qui cuja plazers dirc
Ni lauzengas per mou cor devinar.
Es sind also solche, welche zu Munde reden, um die Gehefcinisse
der Liehenden herauszulocken, weshalb sie eben auch devinador
heissen, die Errather der Herzensgeheimnisse. Um ihretwillen
aber soll man nicht von feiner Liehe lassen:
Peirol, M. W. II, 4:
Lauzenga ni devinalha
D'enuios nom cal temer.
Sol pessar de lieis nom falha.
D'Anc. XYIII. 31:
A raio vivente, Amore,
Io non ti falliragio
Per lo lusingatore,
Che parla di tal fallagio, 1. di fall.?
Ed io si t'ameragio
Per quello *), ch' e salvagio.
Von ihren falschen Reden soll die Dame sich nicht bestricken
lassen, wenn sie sie glauben machen wollen, der Liebhaber sei ihr
untreu geworden.
Raimbaut de Vaqueiras. M. W. I. 371:
Belha dorana valens.
Cortesa e conoissens.
Non crezatz lauzengier
Xi gilos mal parlier
De me, qu'ab vos remanh . . .
') per quello „trotz ihm", vgl. D'Anc. XLYI. tl :
Canto amorosamentc
Per quella ria gente, (so Val.; d'Anc. VercK e la
Che mi vanno inchcrendo
La gioia, ond' io son fine benvoleute.
(die Freude, d. h. die Liehliche, deren Freund ich biuV
— 60 —
D'Anc. LVI, 21, wo die Verse so herzustellen sein werden:
Oi bella dolzetta mia.
Non far si grau fallimento
Di credere a (la) gente ria
De' lor falso parlamento.
Le lor parole sono viva lanza,
(Che) li cori van pungendo
E dicendo — per mala indivinanza.
Donna, merze, cli' io 'ncendo
[Pur] vegendo — partir si dolze amanza1).
Um dieser bösen Feinde willen, welche sie umlagern und ihr
Thun ausspähen, müssen die Liebenden vorsichtig und diskret sein.
Heimlichkeit ist neben Treue und Geduld das Gesetz für dun
echten Liebhaber; er soll servir, amar, celar e soffrir (M. G.
439, 2); durch Kundwerdung sinkt die Minne herab:
Qu' amors per decelar dechai. M. G. 468, 5.
Amor si de' celare . . .
Se vene in pala. perde sua vertute. D'Anc. XLVII, 29.
und so vorsichert der Dichter die Dame, dass kein Wort von ihrer
Liebe über seine Lippen kommen soll:
Guiraut de Calanso, Choix, III, 389:
Xis eug, quem pas las dens
Uns motz descovinens.
Val. II, 5:
Per mevi tardo palese coraggio
Fatto seria, sacciatelo per certo.
Er will wohl singen, aber mit Vorsicht und Klugheit, und ohne
zu verrathen, wem der Gesang gelte:
Lanfranc Cigala, M. G. 715, Gel.
Ja no dig' om, qu'eu fassa falhimen,
S'ieu chan d'amor ni fatz d'amor parvensa;
Qu'aissi chantan sai la celadamen
Cubrir, don nais mos jois ni m'entendensa.
J) vgl. D'Anc. LVII, 81:
Tutto 'ncendo
Pur vegeudo.
— 61 —
D'Anc. XLII, 1:
Allegrameute canto
Ccrto ed a gran ragione
Com' amador, c' ä gioia a suo volire;
Ma non ch' io giä per tanto
Dimostri la cagione
Dela mia gioi, che ciö saria fallire.
Hinter dem Liebesstörer steckt, wie bei den Troubadours,
häufig der eifersüchtige Gatte; daher sagt die Dame, D'Anc.
LIX. 49:
Ca si distretto mi tene
Quelli cui Cristo confonda.
(Poi) non m'auso fare ala porta, . . .
und damit erklärt sich eine schwierige Stelle, ib. LXVIII, 43 ff.
Chi 'ntra noi partimento
S'intramise di fare1),
Agian2) da Dio tal guerra,
Che non (n')apara piui 3),
Cosi come lo vento
La polver fa levare,
Che face dela terra,
Si divegna di lui!
(E) no le sia piü marito,
Moia non soppelito.
also: er, der Böse, sei nicht mein- ihr Gatte; sie möge ihn Ver-
stössen, da er ihr ihre unschuldigen Freuden stört. Es liegt hierin
ungefähr die Lehre, welche Uc de Mataplana dem Rainion de Mi-
raval gab, als dieser seine Frau verstiess:
Car maritz, a cui platz jovens,
Deu sofrir per so c'atressi
Sofrau lui siei autre vezi. Arch. 34, 195.
') s'intramettere di fare, wie prov. s'entrametre de faire = sich mit
etwas abgeben.
"2) Die Hs. hat agiano; es stand wohl agia; doch ist agian agia-ne
denkbar.
3) non apara <piu ..dass er verschwinde, vergehe". D'Anc. non n'ä
para.
— 62 —
die Lehre der gegenseitigen Duldung in der Ehe für ausserhalb
derselben liegende Verhältnisse. In der That ist ja die Liebe
der Troubadours durchaus nicht die zwischen Gatte und Gattin:
im Gegentheil ist es ein Verstoss gegen die conventionellen Kegeln
der Minne, dass dieselbe hier stattfinde; das schon vorhandene
Band schien die freie Aeu-->Tung der Empfindung zu beeinträch-
tigen. Die Liebe hat mit der Ehe nichts zu thun, steht vielmehr
zu ihr im Gegensatze; der Gatte und die Gattin sind jener Dich-
tung unpoetische Elemente. Es war daher nur der der ritter-
lichen Minne unkundige Copist, welcher in der vaticanischen Hand-
schrift über Mazzeo Ricco's Gespräch zwischen Messere und Madonna
(D'Anc. LXXIX) die Worte setzte: Mazeo di Bicco e Ja Moglie,
und Borgognoni that nicht wohl, das für haare Münze zu nehmen.
Die Minne selbst ist bei den Troubadours ein abstraktes
Wesen, zu dem sie sprechen, das sie preisen, über das sie sich
beklagen. Zu einer bestimmteren Personiiication ist es freilich
nicht gekommen; wie alle übrigen Gestalten dieser Dichtung ist
auch Amore eine leere Allgemeinheit geblieben, und allgemein und
typisch, wie immer, ist die Beschreibung der Wirkungen, welche
er ausübt. Von Amore geht alle Trefflichkeit aus, und niemand
kann tüchtig sein, wenn er nicht von Liebe erfüllt ist:
G. Faidit, M. W. II. 105:
Nulhs liom no pot, ses amor, far que pros,
Si noi enten o noi a s'esperansa;
Quel jois d'amor es tan fis e tan bos,
Qu' encontra lieis non es mais benenansa.
Ser Pace, Val. II. 406:
E chi non ama. non puote avanzare
Valor e pregio ne esser benestante,
E partesi da tutta beninanza.
Amore macht den Gemeinen tüchtig, den Thörichten klug, den
Geizigen freigebig:
Aim. de Pegulhan, M. W. II. 165:
Enquera truep mais de be en amor.
Quel vil fai pros el nesci gen parlan
E l'escars larc ....
— 63 —
Buonagiunta. Val. I. 510:
Che Amore ha in se vcrtode,
Del vil' uom face prode,
S'egli e villano, in cortesia lo muta,
Di scarso largo a divenir lo aiuta.
Macht Amore furchtsam und vorsichtig, so verleiht er doch auch
Kühnheit:
Cadenet M. G. G76, 1:
Ah. cum dona ric coratge
De preiar ed ardimen
Amors ....
Ser Face, Val. II, 408:
Amor dona coraggio e ardimento.
D'Anc. VI. 9:
Grande arditanza e coragiosa
In guiderdone Amor m' ä dato.
Amore lohnt alle Pein, die man erduldet, wenn man ihm nur
treu ergeben ist:
Guillem de S. Didier, M. W. II, 40:
Us belhs respiegz me vai recofortau,
Qu'en petit d'ora aiuda son fizelh
Gentils amors, qui l'enquier merceian.
D'Anc. XXXIII. 19:
Xon mente — [Amor] a quelli, che sou suoi,
Anti li dona gioi *),
Come fa buon segnore a suo servente.
') Dieser Reim gioi : suoi, und andere dergleichen: gioi : poi, D'Anc.
XXIII, 9; gioi : voi, XXXVIII, 18; gioi : poi, LXVIII, 17. ebenso Val. I.
451. und gioi : voi, Val. I, 500, beweisen wohl, dass an den vielen Mei-
len, wo gioia im Vei-se für eine Silbe zählt, gioi gesprochen wurde, wie
es Bembo (Prose, III), Crescimbeni Com. I. 9 . Quadrio (I, 669), Affö Dizio-
nario Precet. p. 293) annahmen, während Andere an Auflösung des ./' in
einen Vocal und Sprechung eines Triphthongs dachten. In den Handschriften
ist im Verse meist gioia ausgeschrieben, doch auch gioi, /■■ B. in A. l.XIX.
17, B, 155, str. 2 u. 4, oder gio, \. ibs 9; B. 245, str. 1 u. 3; 131. u. öfters;
freilich auch gioa A. LXX, 20. Was aber für gioia gilt, nämlich die Apo-
— 64 —
Darum soll man über Amorc nicht Klage führen:
M. (r. 468, 7:
Ja d'amor nos deu hom doler,
Que plus que uulh jorn uo forfai
Esmeud' a sazos eu uu ser.
D'Anc. XXXIII, 15:
Pero la tegno grande scanosceuza,
Chi rimproccia al' amore i suo tormente.
Und hiezu im Gegensatz spinnt sich dann gerade die umge-
kehrte Gedankenfolge ab; die Klage über Amore, weil er den
Dichter so heftig peinigt, und duldet, dass Madonna grausam
bleibe:
Aim. de Pegulhan, M. G. 740, 1:
Amors, a vos meteissam dam de vos.
Quar etz en mi intrada solamen.
Monte Andrea, Val. II, 24:
Di te medesmo, Amore, mi ricliiamo.
Cod. B, no 350, Propugnatore, XI, 1°, p. 228:
A te medesmo mi ricliiamo, Amore,
Di te, se 'nver di me fai fallimento-,
Ch' amar mi fai madonna di bon core,
E '1 meo servire e contra '1 suo talento.
D'Anc. LXXII, 1:
Amor, non saccio, a cui io mi ricliiami,
Si Iaido m' äi feruto,
Se nou a quelli, cui dimostri c' ami.
Amore that Unrecht, ihn so hoch lieben zu lassen, von wo er
keine Hoffnung auf Erhörung hat:
cope des Endvocals, wird dann auch für die andern oft angeführten "Worte
anzunehmen sein, in denen der Endsilbe jo, ja, je ein betonter Vocal voran-
geht, und die ganze Gruppe als eine Silbe betrachtet -werden konnte,
Pistoja liei Petrarca, noia bei Boccaccio; migliajo, primajo u s. w. bei
Dante (vgl. auch Opere Mmori I, 97, n. 2), marinajo, Nan. Man. I, 113;
moio, einsilbig, Tai. I, 76; aie desgleichen, Guittone, son. 157, orgoi (orgojo,
orgoglio), derselbe, son. 33, u. dgl. m. Vgl. das bei den Alten so häufige
mei = meglio, voi = roglio.
— 65 —
Bern, de Ventadorn, M. W. I, 38:
Ab amor m'er a contendre,
Qu'ieu no m'en puesc mais tener,
Qu'en tal luec m'a fag entendre,
Don ja nulli joi non esper.
Val. I, 210:
Blasmomi dell' Amore,
Che mi donao ardimento
D'amar si alta amanza.
Hier dann auch die Umkehrung jenes Bildes vom guten Herrn:
es ist thöricht, einem schlechten Herrn zu dienen, welcher die
Treue nicht belohnt:
Uc de S. Circ, M. G. 1153, 1:
Be fai granda follor,
Qui met en fals senhor
Tot son cor ni s' amor.
G. Faidit, M. G. 4G0, 3:
Ben fai grans follors,
Qui renb' ab mals senhors,
Don neguna bonors
Non aten quel n'escbaia.
D'Anc. LXXII, 31:
A me e adivenuto per inganno,
Como a manti *) avene ;
Ch' a reo segnore omo perde l'affanno,
Laonde aspetta bene.
Er möchte wohl ablassen; aber Amore ist unwiderstehlich:
R. de Miraval, M. G. 1083, 1:
Res contr' amors non es guirens
Lai, on sos poders s'atura,
E noi vol autra mesura,
Mas qu' om siegal totz sos talens.
D'Anc. LXXXI, 7:
C'Amore, che sormonta ogne ardimento,
Mi sforza e vince e mena al suo talento.
') Ms. amante, D'Anc. [ad] amante.
— 66 —
Wobei der häutige ' i < -m« -in} >l;tt x . Madonna möge, wenn sie über
seine Liebe zürne, nicht ihn darob anklagen, der nichts dafür
könne, sondern Amore und ihre Schönheit, welche ihn gewaltsam
fesseln :
Ahn. de Pegnlhan, M. G. 739, 4:
Vostra beutat blasmatz, que m'abelhi,
E pueis blasmatz amors. que m'enanti,
E s'ieu i fatz nescies ni folbor,
Xou blasmetz me, mas vos eis ez amor.
VaL I, 212:
S'io perö son mispriso,
L' Amore ne biasmate
E la vostra beltate,
Che m' ha d'amor si priso.
(vgl. D'Anc. LXXXIII, 21.
Zum Uebel hat der Dichter mit Minne Bekanntschaft gemacht:
Pons de Capduelh, M. W. I. 349:
Mas mal vi s'amistansa, (d. r. Amors'')
Qu' anc non aic benanansa.
Nom tornes pueis a dau.
D'Anc. I, IG:
Amor, vostr' amistate vide male. (,sah ich zum Unglück.)
Zum Uebel schaute er die Reize der Dame:
Peire Vidal, XLIV, 17:
Mala vi sa grau beutat
E sa cortesia.
Guittone, son. 80:
Abi! com mal vidi sua beltä piaceute
E suo cbiar viso e suo dolee avvenire.
Seine Augen, welche sie anblicken wollten, tragen die Schuld, dass
er nun so viel Schmerzen leidet:
Rainion de Salas, Choix, V, 394:
E donc mei olh cum la pogron vezer,
Car n'ai perdut d'els e de mi poder!
So m'au ilb fag. don mos cors vai ploran.
- 67 —
D'Anc. LXXIII, 10:
Gli occhi mei ci 'ncolparo,
Che volser riguardare,
Ond' io n'ö riceputo male a torto,
Quand' egli s'avisaro (sich begegneten)
Cogli occhi micidare.
Und warum bekämpft und peinigt Amorc nur immer ihn, der
ihm doch schon unterworfen ist, und nicht lieber Madonna, welche
ihm Widerstand leistet:
Raimon Jordan, M. G. 787, 5:
Amors, ben faitz volpilhatg' e falhensa,
Quan mi, que sui vencutz, venetz ferir,
E laissatz leis, cui non pot convertir
Dieus ni merces ni dregz ni conoissensa.
Guittone, son. 26 (zu Amorc redend):
E sempre mi combatti ogni stagione;
Perche lo fai, poi sono a tua balia?
Che non her quella, che contra te pone
Suo senno e suo talento e te guerria?
Derselbe Gedanke dann noch bei Petrarca, umgeformt nach
seiner Weise, son. Era 7 giorno:
Perö, al inio parer, non gli fu onore
. Ferir me di saetta in quello stato,
E a voi armata non mostrar pur l'arco.
Mag Amorc doch auch sie einmal seine Macht fühlen lassen,
dass sie wisse, was er leidet, und Erbarmen mit ihm habe:
Peirol, M. W. II, 19:
D'altre trabalh prec deu que lam defenda,
Mais un sol jorn volgra qu'ela sentis
Lo mal qu'eu trai per lei sers e matis.
Val. I, 464:
A mia donna, che neute
Cura, perche uon sente
Delle mie pene amare,
Falline, Amor, saggiare,
Ch' aggia di nie pietanza.
— 68 -
Ein beliebter Gegenstand dieser alten Lyrik ist die Frage
nach dem Wesen der Minne, nach ihrer Entstehung und der Weise
ihrer Wirkung im Menschen. An irgend welche Tiefe der Beob-
achtung ist hier so wenig zu denken wie sonst wo. Uc Brauet
. Choix, III, 315:
Amors, que es us esperitz cortes,
Que nos laissa vezer mas per semblans;
Quar d'uelh en huelh salk e fai sos dous laus,
E d'uelh en cor e de coratge en pcs.
welche Stelle wohl Guido delle Colonue im Sinuc hatte, als er
sang, Val. I, 186:
Amore e imo spirito d'ardore,
Che non si puö vedire;
Ma sol per li sospire
Si fa sentire a quello ch' e amadore.
Minne entsteht aus Sehen und Gefallen, dieses ist die triviale
Erklärung für den Ursprung der Liebe, die von den Provenzalen
überkommen bei den Dichtern der sicilianischen Schule sich un-
ablässig wiederholt findet:
Ahn. de Belenoi, M. G. 904, 3:
Qu'amors non es mas plazers.
ib. 4:
Que fin' amors, so sapclmtz.
Nun es als mas voluntatz,
Qu'adutz ins el cor vezers,
Don la rete bels plazers,
E viu de dous pessamon.
Also: der Anblick lässt die Liebe entstehen, das Wohlgefallen
am Geschauten hält sie im Herzen fest, und sie nährt sich von
süssen Gedanken; gerade wie Uc Brauet sagt, sie gehe vom Auge
zum Herzen, von der Empfindung zum Gedanken. Aehnlich auch
Aimeric de Pegulhan, M. G. 737, 5:
Sapchan qu'amors es mia bevolensa,
Que nais del cor e dels huelhs ses duptar.
— 69 —
D'Anc. XXXV, 25:
Ma lo flu piacimento,
Di cui l'amor discende,
Solo vista lo preude,
- Ed i' cor lo nodrisce.
Val. I, 308:
Amore e un desio, che vien dal core
Per Pabbondanza di gran piacimento,
E gli occlii in prima generan l'amore,
E lo core li da nutricamento.
Sei- Face, Val. II, 415:
Amor discende v) e nasce da piacere
E dona all' uomo pena ed allegranza,
E '1 suo cominciamento e per vedere.
Bondie Dietaiuti, Trucchi, I, 101:
Perö, canzon, va a dire ad ogni amante,
Che lo veder mi par la prima cosa,
Per ch' uom piü s'innamora per usanza,
Avvegnache il piacere e l'affermante, ....
Daher heissen die Augen die Boten des Herzens:
Aim. de Pegulhan, M. G. 737, 4:
Quar li huelh son drogoman
Del cor, e l'uelh van vezer
So qu'al cor platz retener.
Tartimen de Guiraut e de Peironet, Meyer, Recueü cTanc.
text. p. 97:
Car li huelh son totz temps del cor messatge.
Val. I, 196:
Gli occhi allo core sono li messaggi
De' lor cominciamenti per Ventura.
*) Auch das Wort discende ist hier typisch, so auch Guidi Guinicclli,
Val. I, 81:
E' par, che da verace piacimento
Lo fino anior discenda.
vgl. das Partimen Guirauts und Peironets, Reeucd dune, teoct. p. 98:
Car per los huelhs amors el cor deissen.
— 70 —
Val. II, 381:
GH occhi, che son messaggi dello coro ....
Trucchi, I, 248:
Gli occhi, che dello cor son messaggieri ....
Die italienischen Dichter haben an diesem Gegenstände ganz
besonderen Geschmack gefunden; vorzüglich beschäftigt sie auch
die Frage, ob Amore wirklich ein reales Wesen oder nur die
menschliche Empfindung selber sei. Mazzeo Ricco, D'Anc. LXXXI, 18,
behauptet, Amore sei nichts anderes
Se non distretta voglia solamente . . .
C'Amor non prende visibolemente,
Ma par che nasca naturalementc.
Die Empfindung entsteht innerlich im Menschen ohne Eintiuss
einer wirklichen äusseren Macht, die Amore wäre. Und Jacopo
Mostacci in einem Fragesonette (Val. II, 208) ist derselben Ansicht,
dass Minne nichts an und für sich sei (non per se mi pare). Auf
dieses Sonett scheint fast die Antwort jenes dem Pier delle Vigne
zugeschriebene zu sein: Perb cli Amore non si pub vedere (Val.
I, 53), welches die Realität Amore1 s, trotz seiner Unsichtbarkeit,
vertheidigt. Ein anderes Sonett (Val. I, 310): Feruto sono isr<i-
riatamente, das, auch nach der vaticanischen Handschrift, von Ja-
copo da Lentini sein soll, tadelt die Dichter, welche Amore als
Gott bezeichnen, und die toscanischen Dichter sind gleichfalls
eifrig, die Gottheit Amore 's zu leugnen und die Wirkungen des-
selben auf natürlichem Wege zu erklären, so Maestro Francesco:
Molti V Amore ajjeJlano dietate. D'Anc. Son. V; Maestro Torrigiano:
2se volentier lo dico ne lo taccio und Chi non sapesse oen la veri-
tate. Trucchi, I, 131, f.
Die Theorieen über die Liebe sind für die weitere Entwicke-
lung der italienischen Poesie nicht ohne Bedeutung gewesen; an
sie knüpft sich die Reform der Dichtung, welche von Bologna aus-
ging; Guido Guinicelli, der sich im Anfang zu den alten Gemein-
plätzen von reifere und piacere bequemte (in dem Gedicht: Con
gran desto pensando, Val. I, 81), verfasste dann seine Canzone von
Amore und cor genüle, in welcher ein neuer Ideeenkreis zum Vor-
— 71 —
schein kam. Amore und cor gentüe wurde darauf das Schlagwort
seiner Nachfolger, und Dante führte seine Gedanken in einem So-
nette aus, während Guido Cavalcanti die Theorie der Liebe zum
Gegenstande seiner wissenschaftlichen Canzone: Donna mi prega
machte.
Wenn sich bei Betrachtung dieser Gemeinplätze allenthalben
der Zusammenhang mit den Provenzalen zeigte, so soll damit
nicht durchaus geleugnet werden, dass die Italiener zu der
Masse conventioneller Ideeen auch ihrerseits neue Beiträge geliefert
haben mögen, obgleich die Constatirung im Einzelnen unthunlich
ist, weil beiderseits uns die Denkmale nur zum Theile erhalten
sind. Gewiss ist dieses, dass bei den Italienern, wie es bei den
Nachahmern nicht anders zu erwarten, der Gedankenkreis viel
enger wurde; sie nahmen bei weitem nicht alle Elemente des um-
fangreichen Repertoriums auf, das die Provenzalen verwendeten.
Daher zeigt sich hier eine Monotonie, wie sie in solchem Grade
doch bei den Troubadours nicht zu finden ist.
Diesem in so enge Grenzen eingeschlossenen Ideeenkreise ent-
spricht die Ausdrucksweise der Dichter, welche sich zum grossen
Theile aus conventionellen Phrasen und Formeln zusammensetzt
und bei jedem Einzelnen denselben allgemeinen Charakter trägt.
Manche Worte und Redensarten haben hier eine eigenthümliche
Bedeutung, welche sich speziell in Beziehung auf die in dieser
Dichtung dargestellten Verhältnisse entwickelt zu haben scheint.
So verwandte man sehr häufig, um die Bedrängniss zu bezeichnen,
in welcher sich der Liebende befindet, den Ausdruck errore oder
erranza, z. B. M. W. II, 119:
De gaug li fora plazeiitiers ;
Mas trop mi teil en gran error.
M. G. 1281, 4:
Desiran toru en error
Soven, car tan luenli m'estai.
M. G. 499, 3:
Ans sui per vos en tal error
Cum aicelh, qu'a mal de calor.
— 72 —
D'Anc. xxxv, i:
Yostra orgogliosa c< ra
E la fera sembianza
Mi tra' di fin' amanza
E mettemi in errore.
Val. I, 524:
E poco stando un sospiro si nfisi
Per te. ch' hai messa l'anima iu errore.
D'Anc. XCI, 1:
L'animo e turbaio 1. m'et.?)
E '1 core in grande erranza . . .
Dem prov. mal traire „Uebles dulden", oder auch train mitfüre
I M. W. I, 137) u. dgl. entspricht das trarre pi ne, D'Anc. LXII. 62,
trarre marfire, XXXIII, 34. und Guittone d'Arezzo gebrauchte ge-
radezu mal trare, son. 110 und 121.
Von der Dame sagten die Troubadours mit eigentümlicher
Wendung. Werth und Trefflichkeit geleite sie, z. B. M. W. I, 161:
Belha domna. cui jois e jovens guida.
und so D'Anc. XL, 24:
Senno la guida e '1 fin pregio amoroso.
oder in gleichem Sinne inviare, XLII, 30:
Vostro gran pregio v' avanza cd invia.
Die Wirkung Amore's auf den Liebenden ist ein affinare
„feiner, edler, trefflicher machen"; die Unterwürfigkeit wird be-
zeichnet mit dem servire a talento, a grato oder a gradire oder
a piacimento; die Annahme der Werbung von Seiten der Dame
heisst ritenere (D'Anc. XLYI, 52, Val. II, 258) oder ritenere a servir
dore (D'Anc. XXX, 33), wie man prov. sagte retener a servidor
oder retener a sos ops, d. h. ..bei sich behalten", wie jemanden,
der sich angeboten, und den man in seinen Dienst aufnimmt.
Sehr häufig drücken die Troubadours das Veihältniss der Unter-
würfigkeit durch das Wort aclinar oder esser actis aus:
Qu'ades l'acli e grans raerces li reu. M. W. II. 105.
On es cela, vas cui eu sui aclis. Feire Vidal, XLII, 9.
Die italienischen Lyriker gaben dieses aclinar durch inchinare
wieder, wie Friedrich IL Val. I, 54:
— 73 —
Valimento mi dato, donna fina,
Che lo meo coro adesso a voi s'inchina.
und transitiv:
Di, ch' eo tuttora 'nchino sua valenza. Val. II, 210.
.... l'amor, che m' inchina. Val. I, 224.
(amor im Sinne von amante).
D'Anc. LH, 8, heisst es:
Di colei, cui sono al cliino,
Di sospir mai no rifino.
das al cldno also wohl nur ungeschickte Wiedergabe des prov.
acli, vielleicht auch aus einem acchmo oder acclmo entstellt.
In derartigen conventionelleu Ausdrucksweisen liegt, wie D'An-
cona bemerkte1), oft der Grund der Schwierigkeiten, welche das
Verständniss der Gedichte uns heute darbietet, und nur ein sorg-
fältiges vergleichendes Studium derselben kann diese Dunkelheiten
beseitigen.
Und so wie ein Repertorium von Gedanken und Ausdrücken
gab es auch ein solches von Bildern und Vergleichen. In der
conventioneilen Poesie dient das Bild nicht mehr seinem eigent-
lichen Zwecke, die dargestellten Gegenstände anschaulich zu machen,
sondern es ist ein äusserlicher Putz, den der eine vom anderen
herübernimmt, ein bequemes Füllwerk für die an Gedanken und
Empfindungen so armen Strophen. Die Liebe wird natürlich
tausendmal mit dem Feuer verglichen, und der Liebhaber verfei-
nert sich in Minne, wie Gold im Schmelzofen:
Peirol, M. W. II, 5:
Per qu'ieu deveuh tota via,
Cum fai l'aurs el fuec, plus fis.
G. Faidit, ib. 104:
aissi for' afinatz
Ves lieis, cum l'aurs s'afina cn la fornatz.
Eine anonyme ungedruckte Canzone in A, 103, beginnt:
Cosi afino ad amarvi
Com' auro a la formier.
*) Birne Aufteile Fölgari, 1. p. XIV f.
— 74 —
Val. I, 167:
Com' oro in foco aftina,
Cosi mi fa affin are
L'amoroso pcnsare.
il). II, 397:
Com' auro, ch' e affinato alla fornace, . . .
ib. I, 458, der Dichter zu Amore:
E si raffinerai com' uro al foco.
Sehr viel wurden Bilder von der See und der Schifffahrt
verwendet, wie auch dieses schon bei den Provenzalen geschah.
Madonna hat den Liebenden in Noth versetzt, wie das Schiff, das
auf dem Meere vom Sturm befallen worden; der Liebhaber ver-
liert aber, wie der gute Seemann, nicht den Muth, sondern harrt
aus, auf besseres Wetter wartend. Ist Madonna ihm gnädig, so
vergleicht er sich dem, welcher aus der drohenden Gefahr sich
an das Land gerettet hat. Bei den italienischen Lyrikern speziell
ist sehr häufig die Unruhe des Meeres als Bild für die Aufregung
der Leidenschaft gebraucht:
Val. I, 151:
Tempesto piü che marc.
Pietro Morovelli, Grion, Pozzo, p. 39:
A ciö non poso,
Tempesto si come mare.
Lapuccio Bclfradelli, ib. p. 44:
Che sono in tempestate
Piü fera che di mare.
Val. I, 463:
Amor, poich' a Madonna tormentare
Mi fai come lo mare,
Quando e di gran tcmpcsta.
ib. 509:
Che non posa (1. poso?) giammai se non com' onda.
ib. 172:
Nullo giorno ho di posa
Se non come 'n mar l'onda.
— 75 —
ib. 344:
Che si come in mar l'onda
Non aggio poso.
Im Allgemeinen trifft man bei diesen Dichtern selten ein
Bild, das sich nicht wenigstens einmal noch anderswo wiederfände,
sei es bei einem Italiener selbst, sei es bei einem Provenzalen,
worin sich zwar durchaus nicht immer die direkte Entlehnung
des einen vom anderen zeigt, ' wohl aber auch hier wieder der
typische Charakter der ganzen Dichtweise und das Vorhandensein
eines gemeinsamen Vorrathes von poetischen Mitteln, aus dem der
Einzelne schöpfte. Peire Rainion von Toulouse sagt (M. W. I, 137),
wie die Kerze, sich selbst zerstörend, Anderen Licht spende, so
singe er, während er Pein empfinde, den Anderen zu Gefallen:
Atressi cum la canclela,
Que si meteissa clestrui
Per far clardat ad autrui,
Chant, on plus trac greu martire,
Per plazer de l'autra gen.
und so heisst es in dem Gedichte: Appena pare cl\! io saccia can-
tare, D'Anc. XLIV, 19, Guittone, Canz. LI, str. 2:
Cosi come candela, che rischiare,
Prendendo foco da ad altr' a vedere,
Cosi diveguo da voi adotrinato,
Ch' eo canto e faccio altrui gioia sentire x).
E perö canto si amorosamente
A ciö che sia plagente
In bona fede e con pura leanza2).
1) Dieser Vers, an dessen Stelle bei D'Anc. ein hieber aus str. 3 ver-
irrter steht, sowie E statt Ma zu Anfang des folgenden sind aus der Lesart
bei Guittone, die auch sonst sehr stark abweicht.
2) Dasselbe Bild von der Kerze auch im Ritmo Cassinese, wie Navone,
Riv. di Fil. Rom. II, 109, anmerkt :
Et arde la candela sehe libera
Et altri mustra bia dellibera.
— 76 —
Peire Vidal, an einer Stolle. XIII, 25, welche Guittone in sei-
nen Briefen (p. 58) übersetzt hat, sagt, er ziehe aus kaltem Schnee
helles Feuer, um auszudrücken, dass er durch Ausdauer an's Ziel
gelange, und ähnlich heisst es bei ihm, XXXV, 21:
Tenrai m'al us de l'enoios romeu,
Que quier e quier, car de la freida neu
Nais lo cristals, don hom trai for arden:
E per esfortz venson li bon sufren.
Auf diese seltsame naturwissenschaftliche Vorstellung des Zeitalters,
dass aus dem Schnee der Krystall entstehe, der dann als Brenn-
glas dient, spielen mehrere italienische Stellen an:
Mazzeo Ricco, D'Anc. LXXXIII, 15:
Ma questo m'assicura,
Che dentro l'agua nasce foco arzente,
E par contra natura.
ib. 43:
Ch' io non mi credo giamai snamorare;
Che lo cristallo, poieh' e ben gelato,
Non pöi aver speranza,
Ch' ello potesse neve ritornare.
Tommaso di Sasso, D'Anc. XXI, 41:
Da poi che cristallo aven la neve,
Squagliare mai non deve — per ragione.
Buonagiunta, Val. I, 520:
[Di] dentro dalla nieve esce lo foco,
E dimorando nella sua gialura,
E vincela lo sole a poco a poco, (?)
Divieu cristallo l'aigua, taut' e dura.
Bei Arnaut de Maruelh heisst es (M. W. I, 171), das Klagen
thue ihm wohl, auch wenn es keinen Erfolg bei der Dame habe,
sowie der Kranke sich durch sein Jammern erleichtert fühle:
Quel malautcs, quan se plann,
Si nol val, si se refranh.
und ähnlich, D'Anc. XXXIX, 37:
— 77 —
E piango per usagio,
Come fa lo nialato,
Che si seute agravato
E dotta in suo coragio,
Che per lameuto li par spesse fiate,
Li passi parte di ria volontate.
Peire de Cols d'Aorlac (Choix, V, 309) vorgleicht die Wir-
kungen der Liebe mit denen der Sonne, die um so mehr erwärmt,
je höher sie steht:
Si col solelhs, nobles per gran clardat,
On plus aut es, gieta mais de calor
Eis plus bas luecs destrenh mais per s'ardor ....
und Guido delle Colonne ermahnt seine Dame, trotz ihrer hohen
Stellung, Milde zu üben, wie die hochstehende Sonne am schönsten
strahle. Val. I, 195, verbessert bei Nan. Man. I, 75:
Lo Sol sta alto e si face lumera
Viva, quanto piü in alto ha da passare.
Aimeric de Pegulhan, in der Canzone: Si com Välbres qite
per sobrecargar, klagt, seine Dame halte ihm nicht ihr gegebenes
Wort, sowie man ein Kind mit Versprechungen beruhige und sie
ihm hernach nicht erfülle; derselbe Vergleich findet sich wieder
bei einem Italiener, Val. I, 497, freilich auch hier, wie meisten-
theils, nicht in so genauer Uebereinstimmung, dass das Zusam-
mentreffen nicht ein zufälliges sein könnte. Dagegen ist der Ver-
gleich mit dem Baume, welcher durch Ueberlastung bricht, zu
Anfang desselben Gedichtes Aimeric's, unzweifelhaft in einem ita-
lienischen Liede nachgeahmt worden (Val. II, 77), wie Diez an dem
wörtlichen Zusammentreffen zeigte1), und ebenso wies Diez die
Entlehnung nach für das Bild vom Schmetterlinge und der Flamme,
Val. I, 297, dessen Original in der Canzone des Folquct von Mar-
seille: Sitot me sui a tart aperceubutz, steht2). Dieses Bild vom
Schmetterling findet sich noch oft, aber nirgend so genau mit
*) Poesie der Troubadours, p. 278.
2) ib. p. 279.
— 78 —
Folquet's Worten übereinstimmend, wie an der von Diez bezeich-
neten Stelle.
Vergleiche, welche bei den Italienern selbst sich mehrfach
wiederholen, sind z. B. der vom Lichtstrahl, der durch das Glas
fällt, ohne es zu theilen (Val. I, 315, ib. 36G; II, 82), der der Re-
den und Seufzer des Liebenden mit dem Ballast, den das Schiff
in der Noth auswirft, sich zu erleichtern (D'Anc. 1, 49 u. XXXIX. 43) *),
endlich der vom guten Maler, welcher das ganze Bild in treue Ueber-
eiiistimmung mit der Natur zu bringen sucht (D'Anc. I, 41; LXXX, 31,
und in der Ballade bei Grion, Serventese, p. 43). Solche Zusam-
menstellung vermag bisweilen dunkele Stellen aufzuklären, und so
ist es, wie ich glaube, in folgendem Beispiel. Mazzeo Ricco sagt,
D'Anc. LXXIX. 40:
Omo non si poria
Negli occhi compartire,
Che ne vedesse due 'n una figura;
Tanto coralemente
Non mi poriano amare,
Che 'n altra parte gisse lo mio core.
also: wie untrennbar die Sehkraft der beiden Augen, welche nicht
jedes ein besonderes, sondern beide zusammen ein Bild des ge-
schauten Gegenstandes ergeben, so seien untrennbar ihre Herzen.
Derselbe Vergleich nun liegt ohne Zweifel vor in dem sehr ver-
dorbenen Gedichte, D'Anc. LXV, 13:
MoStriam qili SUllliglianza: (wir wollen ein Gleichniss geben.)
Per fermo ben sapete,
Ched im occhio vedere
Non poria per certanza,
Che ciascuno visagio
Da lui avesse veduta:
Cosi da voi partuta
Nou faria'l mi' coragio.
„ihr wisset wohl, dass ein Auge nicht so sehen kann, dass jedes
y) Ein ganz ähnlicher Vergleich auch in der von Grion publizirten
italienischen Bearbeitung des Bestiaire cTamou/r, Propugnatore, II, 1°, p. 284.
— 79 —
Gesiebt von ihm ein Bild empfinge", visagio liier für jedes der
beiden zum Seben bestimmten Organe.
Andere Vergleiche bingegen sind in sebr zahlreichen Bei-
spielen vorhanden. Die Anziehungskraft des Magneten, die hier
so oft als Bild für die Macht Amore's oder der Geliebten dienen
muss, ist wohl zu allen Zeiten zu gleichem Zwecke verwendet
worden; aber eigentbümlich dieser alten Dichtung ist die Verglei-
chuug des getreu und boffnungsvoll ausharrenden Liebhabers mit
dem wilden Manne, der beim schlechten Wetter lacht und singt
in der Hoffnung auf die Wiederkehr des besseren. Der Trost des
wilden Mannes beim schlechten Wetter war damals sprichwörtlich,
wie denn Amanieu de Sescas in seiner mit Sentenzen vollgestopf-
ten Liebesepistel (Cboix, V, 20 ff.) sagte:
. . apres la plueia fara bei,
So ditz homs salvatges. x)
Vom eonort del salvatge redet Sordel, M. G. 1273, 3, und Rainion
Jordan, M. G. 786, 4:
E grazirai bes e mals eissameu,
Qu'aissi farai lo eonort del salvatge.
Ausführlicher Raimbaut del Beljoc, Choix, V, 400:
En Peire, m'er lo conortz del salvatge,
Que chant' al temps, en que plorar deuria,
E plor' a cel, que noill fai(ll) nul dampnatge,
Ans per son grat per tot temps estaria.
so D'Anc. III, 23:
Si com' omo salvagio
Faragio, com' e detto ch' ello face:
Per lo reo tempo ride,
Sperando, che poi pera
La laida ara, che vide . . .
und ähnlich noch sehr oft2).
J) Diese Stelle gehört übrigens einer späteren Zeit an, da die Epistel
zwischen 1285 und 1291 geschrieben worden, als Jacob von Aragonien König
von Sicilien war.
2) Val. I, 137; II, 160; ib. 270; Trucchi, I, 64; Allacci, 201 [Cecco
Angiolieri), Cod. A, 521. Dieser wilde Mann erscheint dann in komischer
— 80 —
Speziell dem Geiste jener Zeit entspricht auch das Bild vom
Assassinen, der für den Alten vom Berge blindlings in den Tod
geht, als Ausdruck für die treue Ergebenheit des Liebenden1).
Bernart de Ventadorn verglich den Kuss, "welchen er von seiner
Dame empfangen, mit Peleus' Lanze, deren Wunden nur dann
heilten, wenn sie nochmals die verletzte Stelle berührte, M. W. I, 17 :
Atressi m'es per semblansa,
Cum fo de Peleus la lansa,
Que de son colp no podi' om guerir,
Si per eis loc no s'en fezes ferir.
und so Nan. Man. I, 358:
Ch' a Peleus la posso assomigliare;
Feruto di sua lanza
Non guerria mai, se altr' ore
Con ella il loco non si riferisse.
wo sich also, wie schon Nannucci bemerkte, wieder theilweis wört-
liche Uebereinstimmung zeigt. Aber das Bild von Peleus' Lau/.''
kommt auch sonst mehrfach vor2), und so steckt es gewiss in einer
verdorbenen Stelle, Guittone, Ganz. LI, 4:
Ch' uomo di pregio non poria guarire
Quell' uom, che di sua lancia 1' ha piagato,
S' ello non fina poi cli riferire.
Das Richtige weiss ich nicht herzustellen; aber ungefähr muss es
das Folgende sein:
Como Peleo non poria guarire
Quell' uom, che di sua lancia ave piagato,
S' ello non torna poi a riferire.
Zahlreich sind die Vergleiche, die aus der classischen Tradi-
tion des Mittelalters oder aus den Erzählungen der französischen
Weise bei Eojardo persönlich und kämpft dort mit Brandimarte (Orl. Inn.
1. I, c. 23, str. 6).
*) A. de Pegulhan, M. G. 1169, 4; Val. II, 78; diese Stellen führte Diez
an, Poesie der Tr. 279. Andere sind, D'Anc. XXIII, 23; XCVII, 41; Val.
I, 194.
2) Val. II, 101 : Cod. A, 596.
— 81 —
Ritterromahe stammen oder endlich aus der heiligen Schrift,
alles in buntem Gemische durcheinander, nach der mittelalterlichen
Weise. Als Muster der Schönheit erscheint typisch der biblische
Absalon, Salomo als das der Weisheit, Simson als das der Stärke,
und als das der Freigebigkeit Alexander; das Ideal des tapferen
Ritters ist Lancelot oder auch andere Helden der Tafelrunde.
Die Bilder für glühende Liebe sind Paris und Helena, Pyramus
und Thisbe, am häufigsten aber, wie schon bei den Troubadours,
Tristan und Isolde. Dante da Majano verglich seine Dame auch
mit Blanchefleur, Val. II, 457:
Nulla bellezza in voi e mancata,
Isotta ne passate e Blanziflore.
wo auch die Form des Namens noch die Spuren der französischen
Herkunft an sich trägt, und so scheint in der Stelle, D'Anc.
XXIX. 46:
Altresi miemente
Com Nareisi per sua spera vedere,
Cosi s' innamorao,
Quando lä si sguardao.
und zu Anfang des ungedruckten Sonetts von Chiaro Davanzati,
A, 558:
Come Narcissi in sua spera mirando.
die Form Nareisi eher provenzalisch als italienisch, wie Bern, de
Ventadorn (M. W. I. 32) sang:
Qu' aissim perdei, cum perdet se
Lo bels Narcezis en Ja fon.
Am meisten aber beliebt und charakteristisch für den Ge-
schmack des Zeitalters sind die Thierbilder, geschöpft aus den
fabelhaften Erzählungen von den Gewohnheiten und Eigenschaften
der Thiere, die man in den weitverbreiteten und wegen ihrer
Wunderberichte viel gelesenen Bestiarien fand. Die Thierbücher
selbst gaben häutig allegorisch moralische oder religiöse Deutungen
ihrer Erzählungen, und die Lyrik übertrug dieselben, oft seltsam
und grotesk genug, auf die Verhältnisse der Minne. Der Liebende
lebt im Feuer, ohne zu verbrennen, wie der Salamander:
G
— 82 —
Peire de Cols d'Aorlac, Choix, v. 310:
Quel fuecx, que m'art, es d'un' aital natura,
Que mais lo vuelh, on plus lo sen arden,
Tot enaissi cos banha doussainen
Salamandrä er fuec et en ardura
En tra son noirimen.
D'Anc. I. 27:
La salamandrä audivi
Ca nello foco vivi - — stando sana:
Cosi fo per long' uso,
Vivo in foco amoroso x).
Die Dame tödtet mit dem Blicke, wie der Basilisk, oder, wie der
Basilisk im Spiegel sich selbst sehend stirbt, so der Liebhaber,
wenn er die Dame anschaut2). Der Dichter gleicht dem Schwane,
der singt, bevor er stirbt:
Peirol, M. W. II, 1:
Atressi col signes fai,
Qiian dei murir, clian,
Quar sai, qne plus gen murrai
Et al) menhs d'afan.
D'Anc. LXXVIII, 42:
Ma vadomi allegrando,
Si come fa lo cecer, quando more,
Che la sua vita termina in cantando3).
Wie der Vogel Phönix möchte er sterben und sich erneuern, um
dann vielleicht der Dame besser zu gefallen:
Richart de Barbezieu, Ganz. Atressi cum Völifans:
E s'ieu pogues contra far
Fenix, don non es mas ns.
Que s'art c pois resortz sus,
Eu m'arsera, car sui taut malanans, . . .
') s. noch Val. I. 70; 76; 136; Trucchi, I. 94.
2) Rostanli Berenguier in P. Meyer, Derniers Troubadows, § X. :!.
Aim. de Pegulhan in der Canz. .SV com Valbres; Val. I, 203; 290; 299;
Trucchi, 1. 101.
8) auch Rostanh Berenguier an derselben stelle. Aimeric de B«lenoi,
.\I. (.. 905, 2; D'Anc. XCVIII, 7: Val. 1. 290.
— 83 —
D'Anc. X( VI. 59:
Ca s'io potesse a simile natura
Fenice contrafare,
Volentier lo faria
Per sodisfar, s'ofesa ö fatta aleuna x).
Wie die Tiegerin, der man ihre Jungen gerauht, den Schmerz
vergisst, wenn sie sich im Spiegel erblickt, so er, wenn er die
Geliebte anschaut :
Richart de Barbezieu, M. G. 1418, 4 (Choix, III, 458):
Si cum la tigra el mirador,
Que per remirar son cors* gen
Oblida s'ira e son türmen.
Aissi, quan vei licis, cui azor,
Oblit mos mals, e ma dolors es mendre.
Stefano di Pronto in der sicil. Canzone bei Barbieri:
Quandu eu la guardu, sintiria dulzuri,
Ki fa la tigra in illu miraturi 2),
Ki si vidi livari
Multu crudilimenti
Sua nuritura3), ki illa ä nutricatu,
E si bono li pari
Mirarsi dulcimenti
*) s. D'Anc. XXXIX, 57 (wo Fene Nominativbildung); XCVIII. 39; Val.
I, 137; 290; 207; II, 24; 210; 510; Trucchi, I, 167; Grion, Pozzo, :\1 ■ Guit-
tone, Ganz. II, 1. Giovanni dall' Orto, Val. II, 100, hat auch den Schwa-
nengesang auf den Phönix übertragen:
L'uccel Fenis, quando vene al morire,
Diee la gente, che fa dolee cahto.
so auch in dem Sonette, das als von Cecco d'Ascöli bei Trucchi, I. 2(10. •
2) Barbieri: Ki fu. Das in illu miraturi = tose, innello mwatore, also
genau das prov. el mirador; Grion, Scrventese, 40, that demnach nicht wohl
zu andern. Man bemerke zugleich, dass dieses wohl das einzige Beispiel
bei den Alten dafür, dass die Periode von einer Strophe der Canzone in die
andere übergeht.
3) Barbieri: meritura; Grion setzte criatura; aber nuritura änderl
weniger stark und ist wohl denkbar im Sinne von „Junges", pröv. noire-
äura; norire gab es auch altital.; sicil. noch heut' nurrizea, nurrimi.
6*
- 84 -
Dintru unu speclu, chi li esti amustratu,
Ki l'ublia siguiri1). I. K UV ublia?
Der Panther, der durch .seinen süssen Duft die anderer] Thiere
anlockt -). der Hirsch, der, müde gehetzt, gegen die Jäger umkehrt
um zu sterben3), das Junge des Löwen, das todt zur Welt kommt,
und das der Alte durch sein Gebrüll zum Leben erweckt4), der
Elephant, der nicht aufstehen kann, wenn er gefallen5), der Löwe,
der mit dem Besiegten Grossmuth übt6), und noch manche an-
dere dieser wunderbaren Nachrichten der Thierbücher dienten zu
dem nämlichen Zwecke, und man ward nicht müde, sie zu wieder-
holen.
Alle diese Bilder und Vergleiche zusammen bilden eine grosse
Masse conventioneller Elemente, welche in Italien weit üppiger
gewuchert hat als iu der Provence selbst; wenigstens in der uns
erhaltenen Literatur ist stets die Zahl der italienischen Beispiele
eine grosse, während man provenzalisch deren kaum eines oder
zwei auftreiben kann, und zuweilen gar keines. Es ist auch
nicht nöthig, dass hier überall im Einzelnen ein Muster in der
provenzalischen Lyrik vorhanden gewesen sei; man konnte auch
unmittelbar aus denselben Quellen der Thierbücher und Romane
schöpfen, aus denen die Troubadours diesen Aufputz ihrer Lieder
entnommen. Es war eben eine besondere Geschmacksrichtung, die
von den Vorbildern herübergekommen nunmehr gar sehr über-
trieben wurde. Dennoch sind viele Gedichte gänzlich frei von
*) Andere Stellen, wo dasselbe Bild. Choix, V. 64; D'Anc. XCVI, 21;
Val. II, 447; Trucchi, I, 14(3.
- Eissamen cum la pantera, anonymes Gedicht, Chrest. -!"24 : D'Anc.
XXIII, 16, Val. I, 70: 129; 137; D'Anc. XCV1II, 31.
'■'< Rieh, de Barbezieu: Atressi cum Volifans, str. ä; Val. 1. 203; II, 25;
7(5: 108; Nan. Man. I, 298; Brunetto Latini bei Trucchi, T, 1G8; Tommaso
da Faenza bei Zambrini, Op. volg. 385; aneb Guido Guinicelli, Val. 1. 78,
wo aber statt cervo — uomo gedruckt steht, das Richtige s. Otto Ganzoni
di Gr. Gruinicelli, Ferrara, Taddei, 187G, p. 18.
*) Rieh, de Barbezieu: Atressi cwm lo leos, und Val. II, 77.
,r' Rieh, de Barbezieu: Atressi cum Volifans; D'Anc. XCVIII, 47.
'■ B er trän de Born gebraucht das Bild in Bezug auf Richard Löwen-
herz, M. W. i, 315; vgl. Peire Cardenal, M. G. 1254, 2; D'Anc VIII, 32.
— 85 —
diesen Dingen geblieben; anderswo aber lässt sich wieder die
Neigung zu denselben bei dem nämlichen Dichter durch mehrere
Lieder hindurch verfolgen, so bei Stefano di Pronto durch alle
drei Gedichte, welche seinen Namen tragen, die sicilianische Can-
zone bei Barbieri, die bei Val. I, 20-2: Assai mi piaceria, und die
bei D'Anc. XXXIX: Assai crctti celare. Dieses macht zugleich die
Zusammengehörigkeit aller drei wahrscheinlich, und man wird der
varicanischen Handschrift Recht geben müssen, welche eben das
letzte dem Stefano beilegt, während es bei Serassi und Yaleriani
als von Pier delle Vigne steht.
Aber auch schon bei den Provenzalen selber ist ein solcher
Unterschied zwischen den Dichtern in Bezug auf die Vorliebe für
diese typischen Bilder vorhanden; denn, wenn auch gar manche
sie vereinzelt anwendeten, wie Peirol das vom Schwan und Folquet
de Marselha das vom Schmetterling, so zeigt sich doch nur bei
wenigen eine absichtlich gehäufte Wiederholung derselben. Zu
den letzteren gehört vor allen Richart de Barbezieu, von dem die
provenzalische Lebensnachricht1) ausdrücklich bemerkt, qyS el se
deleitava fort de di/re en sas chansos similitudines de bestias c
d'auzels e dcl solclh e de las estelas per dwe plus nun! las rasos
cautre non agues ditas ni tröbadas. Man sah ihn also als den
Erfinder oder wenigstens Ausbilder dieser Manier an, und dass er
allgemein in diesem Rufe stand, zeigt sich auch darin, dass ihm
die Handschriften öfters Gedichte Anderer beilegen, weil sie mit
einem Vergleiche beginnen2). Er begnügte sich nicht damit, ein
solches Bild hier und da anzubringen. In der Canzone: Atressi
cum Volifans, enthält jede einzelne Strophe einen besonderen Ver-
gleich, die 1. den vom Elephanten, die 2. vom Bären, die 3. von
Daedalus (oder, nach Barbieri und Galvani: Simon Magus), die
4. vom Phönix, die 5. vom Hirsch und den Jägern. Und gerade
von diesem Dichter und der Entstehung dieser Canzone erzählen
die Cento Novelle Antiche (nr Gl) eine oft wiederholte Geschichte
') Mahn, Biographicen der Troub. ar 23.
2) s. das Troubadourverzeichniss in Bartsch's Grundr. zur Gesch. der
prov. Lit. nr 337, 1; 355, 5; 3G6, 2.
86
und geben das Gedicht selbst in seiner ganzen Ausdehnung wieder,
Richart war also ganz besonders wohl bekannt in Italien, und
man wird nicht fehl gehen, wenn man jener sein«']' Canzone einen
bedeutenden Einfluss auf die Bildung einer solchen Geschmacks-
richtung in der ältesten italienischen Lyrik zuschreibt. Ausser
bei Richart ist unter den Troubadours selbst diese Neigung, wenn
auch in schwächerem Grade, wohl sichtbar bei Aimeric de Pe-
gulhan, namentlich in der Canzone: Si cum Valbres que per söbre-
cargar, und dieser Dichter lebte lange in Italien, und sein Ge-
dicht war durt eines der bekanntesten; denn Dante citirt es im
Buche de vulg. el. (II, 6), und der Anfang desselben ward, wie
üben bemerkt, von einem Italiener fast wörtlich nachgeahmt.
Reich an mannichtältigen Vergleichen ist auch des Venetianers
Bartolommeo Zorgi Lied: Aissi <-<A fttecs consuma totas res (Chrest.
269), und sehr eigentümlich in dieser Beziehung desselben Dich-
ters lange Canzone: Atressi com lo gamel (M. G. 308), wo die
zoologischen Bilder sich mischen mit solchen der heil. Geschichte
und der Piitterroinaue: das treue Cameel, die Schlange, die den
nackten Menschen flieht, und daneben Gott und Abel, Tristan und
Isolde, Sara und Abraham, u. s. w. 1)
Italienische Gedichte mit solcher wunderlichen Häufung von
Conventionellen Vergleichen sind vorzüglich das von Inghilfredi
Siciliano: Audite forte cosa, che w£ awene, Val. I, 136; das von
Stefano di Pronto: Assai mi piaceria, ib. -202: und das: Lontan
vi soii, ma presso r' e lo core, Val. II, 76, welches nach der paläs-
tinischen Handschrift (p. 104) von Aruorozzo da Firenze, nach der
vaticanischen (171) von Camino Ghiberti. Chiaro Davanzati dich-
tete einen Cyclus von Sonetten, deren jedes einen derartigen Ver-
gleich enthält; sie sind, ausser dem einen von der Tiegerin (bei
Trucchi, I, 1-46), sämmtlich noch ungedruckt, im Cod. Vat, 3793,
in- 556 — 563, dazu gehörig offenbar auch m 354 vom Hirsche und
575 vom Drachen. vieMeicht auch 596 von Peleus' Lanze.
1 Theilweise erinnert dieses Gedicht an das des Peire VidaJ XIV :
Bern pac ä'ivern e cTestiu, wo am Schlüsse jeder Strophe eine Anspielung
auf tue heil. Geschichte.
— 87 —
In der Canzone bei D'Anc. XCVIII:
Dogliosamente e con grau malenanza.
sind die zahlreichen Thierbilder zu einem anderen als dem gewöhn-
lichen Zwecke verwendet. Es klagt hier jemand darüber, aus dem
Glück in das Elend herabgestürzt zu sein. Auf dieses Lied hat
ein anderer Dichter, Arrigo Baldonasco (Val. II, 67), in sehr bit-
terer Weise, auf die Reime, geantwortet, das Unglück, das jener
bejammerte, als die gerechte Vergeltung für dasjenige darstellend,
welches er selbst ehedem Anderen bereitet. Er wiederholt dabei
spottend theilweise die Thierbilder, die jener gebraucht hatte. Der
Verfasser des ersten Gedichtes sagte, wenn der gefallene Elephant
sich nicht aufrichten könne, so sei er nicht zu tadeln, und der
des zweiten erwidert, wohl sei er zu tadeln, wenn er durch eigene
Schuld gefallen:
Sc '1 leofante cade, ogni uom lo 'ntenda.
Per [la] sua falla, bcn si de' biasmare.
Jener spielte auf den lockenden Geruch des Panthers an:
Che la pantera ä 'n se tale natura,
Cli' ala sua lena tragon gli animali.
und dieser macht sich über seinen Vergleich lustig:
Paretemi di gente da Ventura.
A trovar sempro delle bestie eguali.
Die beiden Gedichte beziehen sich jedenfalls auf eine politische
Umwälzung, welche den Verfasser des ersten einer Machtstellung
beraubt hatte. Das beweist die 4. Strophe:
Faccia 'n tal guisa1), che naturalmente
Vadan le doglie2), ch' ö non per ragione3),
Ca nun e gioco d' essere servente
A chi e meno di sua condizione.
J) es ist die Rede von der Fortuna.
-i ..dass die Schmerzen ihren natürlichen Gang nehmen, nicht mich
treffen, sondern die, welchen sie zukommen."
3) so Val.; D'Anc. dt önde per r.
— 88 -
und die Antwort:
Sacciate, ehe le doglie certamente
Hanno stagion1); che per lunga stagione
Mantenete li mal comunalmeute
E fate star tuor dellc suc magione
A molti, ch' eran buon, de' comunali
Di Toscana c della fede pura.
Und, da hier Toscana erwähnt wird, und gleich zu Anfang der
Reim fermessa (fer mezza): essa vorkommt, so muss Arrigo Baldo-
nasco ein Lucchese oder Pisaner gewesen sein, und daher ist denn
auch die Attribution des ersten Gedichtes an einen Fredi da
Lucca gewiss als richtig anzunehmen, wie sie in der palat. Hs.
(p. 104) geschieht, während in der vaticanischen das Lied ano-
nym ist2).
Das Aeusserstc in der Aufspeicherung solcher Gemeinplätze
hat der Verfasser des Marc Amoroso geleistet, einer Liebesepistel in
versi sciolti, die von Grion veröffentlicht worden3). Trucchi und
Grion haben dieselbe etwas voreilig dem Brunetto Latini zuge-
schrieben, weil sie sich in derselben Handschrift mit Werken dieses
Dichters befindet; dass in Brunetto's Canzone gleichfalls mehrere
der conventionellen Vergleiche vorkommen, beweist nichts, da
diese Manier ja damals allgemein war. Andere hielten Boccaccio
für den Verfasser4), was wohl ebenso wenig richtig ist. Jeden-
falls wäre man, nach der Form des Gedichtes, eher geneigt, es in
das 14. Jahrhundert zu setzen. Grion machte auf die Verwandt-
schaft mit dem Bcstiaire d'amour des Richard de Fournival auf-
') 1. ragion?
2) Zu den Versen D'Anc. XCVIII, 14:
Si falsamente m' ingannö lo sguardo.
Si come lo leone lo lepardo,
C a tradimento li levao lo manto.
vgl. Guillem üc d'Albi, Ohoix, V, 199:
Atressi col laupartz andre
S;ip en la forest lo leo ....
, 3) Propugnatore, I, p. 5!>3. fF.
4) s. Birne e Prose del Buon Scculo, Lucca, 1852, p. XVIII.
— 89 —
merksam; aber eine unmittelbare Nachahmung desselben ist das
italienische Gedicht nicht; die Sammlung der Gemeinplätze ist
hier eine viel mannichf altigere; der Autor hatte offenbar die alten
Lyriker fleissig gelesen und sich nuu daran ergötzt, alles Mögliche,
was er bei ihnen vorfand, in langer Kette aneinanderzureihen.
Die bei weitem grösste Zahl der Gedichte, welche von der
sicilianischen Schule herrühren, sind, in ewiger, einförmiger Wie-
derholung, Gnadenrufe an Madonna und Amore, Klagen über die
Harte der Dame, Flehen, endlich sich erbitten zu lassen; seltener
schon wird die Freude über erhaltene Gunst besungen. Einige
provenzalische Gattungen, welche nach dem besonderen in ihnen
behandelten Gegenstand einen bestimmten Charakter und danach
besondere Namen erhalten hatten, sind hier in wenigen Beispielen
vertreten, so der Conijat oder die Dienstaufsage, der Gegensatz
zum Gnaderlehen der meisten Gedichte, und der Plarih, das Trauer-
lied um den Tod der Geliebten oder eines Freundes. Im Comiato
betheuert der Dichter, dass er die Dame treu geliebt und nie-
mals gegen sie gefehlt habe; sie schien die Trefflichste zu sein;
aber sie war falsch; daher hat er sich von ihr gewendet und nun
eine andere Dame gefunden, die ihn besser belohnt. Zu dieser
Gattung gehörte die Canzone, welche Iacopo Mostacci aus dem
Provenzalisehen entlehnte. Derart sind ferner die Gedichte D'Anc.
LXXXII, und C. In dem ersteren, welches von Mazzeo Ricco, erin-
nert ein Vers (19):
S'eo tardi mi so' addato.
an den Anfang von Folquet's de Marselha nahe verwandtem Liede:
Sitot me sui a tart aperceubutg, welches dem italienischen Dichter
wohl vorschweben mochte: denn, wie in der ersten Strophe Fol-
quet's findet sich auch in der Canzone Mazzeo's ein Bild vom
schlechten Schuldner und eines vom Spieler, wennschon das letz-
tere mit verschiedener Wendung.
Ein Beispiel des Pianto ist das Gedicht von Giacomino I'u-
gliese: Morte, perche wCäi fatta $i gran guerra, D'Anc. LV; es
sind die trivialen Wehklagen über die Grausamkeit des Todes,
der ihm in der Dame alle Freuden und alles Glück geraubt hat.
Origineller ist das Trauerlied des Pier delle Vigne: Amando con
— 90
fin core e eon speranza, Val. I, 19, und sogar von einer gewissen
Wärme des Affektes und gewandterer Form das des Florentiners
Pacino Angiolieri: QuaV e, che per a/nior s'allegri o canii (Trucchi,
I. 116; Nan. Man. I, 221). Zwei anonyme Gedichte dieser Art in
der Sammlung D'Ancona's (LXXrV und LXXV) sind im Munde einer
Frau auf den Tod eines Mannes und einander so ähnlich, dass
man vennutlien muss, sie seien von demselben Verfasser und bei
derselben Gelegenheit gedichtet1).
Mit demselben Rechte wie die beiden genannten kann man
auch als besondere Gattung die Scheide- und Sehnsuchtslieder auf
den Abschied von der Dame und das Weilen in der Ferne von
ihr betrachten, obgleich ein besonderer Name für sie aus der pro-
venzalischen Literatur nicht bekannt ist; nach der grossen Zahl
der erhaltenen Gedichte scheint diese Gattung in Italien einen
reichlicheren Anbau gefunden zu haben als in der Provence.
Dies kann wohl seinen Grund in den besonderen Verhältnissen
der Dichter, ihren Fahrten und Reisen, haben, und man könnte
*) Theilweise stimmen sogar die Worte, wie
LXX1V, 40: Ch' cra servente di Liioni a tutt' ore.
LXXV, 32: piano
Ali boni ad ogne mano
E tuttor serventese.
Daher kann man den Text des einen ans dem andern verbessern; im ersten
heisst es:
Morte, in te nulla mercede
Ne pietä si puö trovare
Ne umiltä, sanza fede,
Nmi val c'om ti possa fare,
Che non aueide a tua 'ntenza
Qual vuoi ....
„nichts nützt es, was man auch thnn mag, dass du nicht nach deinem Be-
lieben tödtest, wen du willst" — also ist zu lesen im zweiten Gedichte,
LXXV, 3:
Sc non ti val preghera
Ne merzede chiamare,
C oni ti faccia, si se'dura, (D'Anc. Conti faccia
Che d' auzider non äi cura.
Quäle t' e in talento.
— 91
hier eher als anderswo Bezüge auf ihr Leben suchen und für
dasselbe Schlüsse aus dem Inhalte der Lieder ziehen wollen. Das
erste Gedicht dieser Art, dem wir in der Sammlung D'Aucona's
begegnen, ist das von Iacopo da Lentini (IX): Troppo son dimo-
rato, und Börgognoni (1. c. p. 55) folgerte in der That aus ihm
eine lange Abwesenheit Iacopo's, vielleicht in einer vicaria oder
podesteria für den Kaiser. Aber gerade dieses Gedicht ist, wie
oben gezeigt worden, eine Anlehnung an eine Canzone Perdigon's,
und, wenn es nun freilich möglich ist, dass Iacopo über seine
eigenen Erlebnisse mit Benutzung eines fremden Vorbildes dich-
tete, so konnte er doch auch nachahmen nur eben um nachzu-
ahmen. Das Gedicht XIX ist cd JRegno gesendet, ein Zug, der
zweifellos auf reale Verhältnisse deutet; freilich wird unsere Kennt-
niss dadurch nicht sehr bereichert. Interessanter wäre die Can-
zone Rugerone's von Palermo: Ol lasso, non pensai (D'Anc. XLIX),
wenn sich nicht etwa einmal auch von dieser herausstellt, dass sie
ein provenzalisches Original hat. Der Dichter spricht hier von dem
sehnsüchtigen Schmerze, den er, während seiner Reise, auf dem
Schiffe empfunden, und am Schlüsse sendet er sein Lied an die
Blume Syriens, alla fior cli Soria. Börgognoni meinte allerdings,
Soria sei hier für die Bezeichnung der Landschaft von Sora in
Unteritalien zu halten; denn es sei nicht denkbar, dass der Dichter
sich in eine Sarazenin verliebt und ihr sicilianischc Gedichte in's
Morgenland gesendet habe; diese Einwände jedoch schwinden,
wenn man nur an die wunderbare Geschichte Jaufre Rudel's
denkt; die Gräfin von Tripolis war doch auch keine Sarazenin,
und Rugerone konnte einen Kreuzzug mitgemacht und die Liebe
zur Blume Syriens mit nach Hause gebracht haben. Viele andere
Gedichte, wie das König Enzo's, D'Anc. LXXXIV, oder das des
Buonagiunta, Val. I, 504, zeigen wie gewöhnlich die triviale Wie-
derholung typischer Ideeen und Formeln. Mazzeo Ricco verfasste
ein Gespräch zwischen Messere und Madonna, die sich aus der
Ferne gegenseitig ihre lieberfüllten Herzen senden (D'Anc. LXXIX).
Der Ausdruck der Sehnsucht pflegt in eine Rückerinnerimg
an die letzte Freude vor dem Scheiden überzugehen, an die letzte
Zusammenkunft mit der Dame, an ihre Rührung, die Worte, die
— 92 —
sie damals gesprochen; es ist eine sein- natürliche Wendung, welche
sich bei vielen Dichtern auch anderer Zeilen rindet, und die Aehn-
lichkeiten, die man hier wahrnimmt, wird man für ganz zufällig
entstandene halten dürfen. Gaucelm Faidit sagte sehr schön
(('luvst. 139):
Qu' anc nom poc plus dir,
Quan venc al partir,
Mas sa caralh vi cobrir,
Em dis sospiran:
A deu vos coman.
und Bernart de Ventadorn, M. W. I, 35:
Mantas vetz m'es pucis membrat
L'amor, quem fetz al eonrjat,
Qu'iel vi cobrir sa faisso,
Qu'anc uom poc dire razo.
oder M. W. I, 47:
Que non es jorus. qu'ieu uo sospir
Per un dous serablan, quel vi far,
Quan me dis: „Ont anaria,
Que fara la vostr' amia?
Amics, cum la voletz laissar?"
So sagt die Dame, D'Anc. LX, 13:
Messer, se venite a gire,
Non facciate addimoranza;
Che non e boua usanza
Lasciar l'amore e partire.
und LXII. 48:
LXIX. 13:
Diciavatemi sospirando:
Se vai, meo Sire, e fai [a]dimoranza
Ve', eh' io m'arendo e faecio altra vita.
Se vai. amor, c nie lasci in tormento,
Io n'averö pensiero e cordoglicnza ....
Die zuletzt angeführten drei italienischen Gedichte gehören zu
den selbständigeren der Schule; sie gefallen sich in einer breite-
ren Ausmalung der letzten Zusammenkunft mit ihren einzelnen
- 93 -
Umständen, und hierbei kommen gewisse der Realität entnommene
Züge zum Vorschein., die man sonst in dieser Dichtung nicht ge-
wohnt ist. Da ist von Herzen und Küssen die Rede, und Gia-
comino Pugliese erinnert daran, wie die Geliebte aus dem Fenster
ihres Palastes in seine Arme herabgestiegen ist (LXII. 34):
Meinbrando, ch' ei te, bella, alo mio brazo,
Quando scendesti a me in diporto
Per la finestra delo palazo.
Der Ton ist hier ein leichterer und volkstümlicherer, und so ist
es auch in einem anderen Gedichte, in welchem die Abschieds-
scene der Liebenden selbst sich in der Form der Tenzone dar-
stellt. Es trägt in der vaticanischen Handschrift den Namen
He Federigo, beginnend: Bolze meo drudo, e vattene, D'Anc.
XLV1II1). Grion2) glaubte, es Friedrichs II Sohne, König Frie-
drich von Antiochien, zuschreiben zu müssen und nicht dem
Kaiser, wohl deshalb, weil der Verfasser He betitelt ist; aber in
der palatinischen Handschrift wird Friedrich II selbst He Federigo
genannt in der Ueberschrift zweier Canzonen, von denen wenig-
stens die erste ihm allgemein zuerkannt ist. In jenem Abschieds-
gespräche bei D'Ancona sagt der Liebhaber, er scheide nicht aus
freien Stücken, sondern auf Geheiss seines Herrn:
Che mi convene ubidire
Quelli che m'ä in potestate.
Hierzu nun bildet das Gegenstück eine Canzone bei Valeriana,
I, 64, welche demselben Friedrich II beigelegt wird (nach der
palat. Hs.), und in der That machen die Gedichte den Eindruck,
als ob sie beide als zu einander gehörig abgefasst seien. Die
') Bilancioni hat (Propugnatore, VJII, 2°, p. 284 ff.) die Form in Otto-
narien hergestellt, wie sie fast tadellos in der Hs. stand, und auch einiges
an der Lesart verbessert; v. 23 war jedoch per nulV ältr' ad amare zu
setzen, wie Grion gethan {per . . ml. wie altfz. por . . . ä, span. para und
v. 34 war das sansa tenore der IIs. nicht in sansa temore zu ändern; si
ienore heisst „ohne Aufenthalt, Säumen", wie D'Anc, XXIV, M7: l.WVll.
39; vgl. Mussafia, Zur Katharinenlegende, Wien. ISTI. (ilossar. s. v. tenore.
-) Böhmers Romanische Studien, 1. p. 110.
— 94 -
Trennung, welche auf Geheiss des Herrn dort erst stattfinden
sollte ist hier vollzogen, und der Dichter klagt in der Ferne.
Der Anfang ist bei Val. entstellt, und von Salvini missverstanden;
aber Trissino gab in seiner Poetik1) die ersten zehn Verse in
correcterer Lesart, und danach ist die erste Strophe folgender-
massen herzustellen:
Per la fera membranza
Dello mio gran disio
Malamente fallio,
Che mi fece partire 1. Chi mi f.?
E dipartire — la gran gioi ch' i' avea.
Ma senza dubitanza
Lo mio Signor sent in.
Allor che mi partio,
Del mio pregio gradire,
Che fallire — neu vuole e non porria.
E non comportaria,
La mia pena sapesse,
Che tanto mi stringesse,
Quanto temesse - della vita mia.
Perehe si converria,
Che tal gioia si desse,
Che s' altri 1' aprendesse, Val. 1« prendessi
Dir non potesse — che li fosse ria.
Freilich, wenn man diese Klagen als aus einem wirklichen Erleb-
niss entsprungen auffassen will« so könnten die beiden Lieder nicht
vom Kaiser sein: denn wer wäre da jener Gebieter, dem er zu
gehorchen hätte? Doch reicht dieser Grund allein nicht aus, sie
ihm abzusprechen, da das Ganze sehr wohl als eine Fiction an-
gesehen werden kann: Friedrich mochte hier einem bekannten
Typus Dachsingen, so gut wie er ja in den andern ihm zugeschrie-
nen Liedern der modischen "Weise folgte und nicht seine persön-
lichen Empfindungen ausdrückte. Diese Gestalt des Gebieter^-,
welcher die Trennung der Liebenden veranlasst, erscheint nämlich
' Trissino, Opere, II. 65.
— 95 —
auch noch in anderen Gedichten. In der letzten Strophe der
Canzone D'Anc. XLIV, heisst es1):
La disianza non si puö astutare
Sanza di quel chcnd' ave lo podere
Di ritenere e di darmi comiato,
Come la cosa si possa compiere.
Dimque megiio conven merce chiamare,
Che ci provegia e no lasci perire
Lo suo servente di gioi prolungato;
C a fino Amor faria a dispiacere;
Ma io son certo, ch' cgli e benvogliente,
C Amor gioi li consente,
Ed e gioioso e di gioi concrianza 2).
(er ist Entstehung, Quelle von Freude).
und in dem anonymen Gedichte, D'Anc. LXIX, 19:
Lo mio gire, amorosa, ben sacciate, (D'Anc. amorosö)
Mi fu contra volere in tutte guise-, (D'Anc. fa contra)
A voi ritomar gran disiro ajo,
Ma [a]Io meo sire, che m' ä in potestate,
A lo 'ncominciamento 1' impromise
Di ritornare a Lentino di majo.
In dieser letzten Stelle macht die präcise Orts- und Zeitangabe den
persönlichen Bezug gewiss, und zugleich kann kaum Zweifel sein.
') verbessert nach der Lesart desselben Gedichtes. Guittone, Canz. LT.
2) Gewisse Aehnlichkeit mit dieser Stelle hat die des Gaucelm Faidit,
M. G. 486, 4, wo der Dichter vom Grafen Gottfried sagt, dass er ihn bei
sieh zunickhalte, aber schwerlich ihm die Heimkehr zur Geliebten versagen
wurde, wenn er sie wünsche:
E si no fos mossenhel coms Jaufres,
Quim reten sa cn son cortes pais,
Ja per honor ni per be, quem vengues,
Non estera qu'ieu ades no la vi ;
Vas antra part mon fin cor no mereeia;
El coms sap he, quo non pot reu saber
De fin' amor. qui amador guerreia,
Ni drutz non den ad amic dan teuer.
Per qu'ieu no cre, qu' el m'auzes retener.
— 96 —
ditss das Gedicht von lacopo da Lentini herrührt, der es liebte,
seine Vaterstadt in seinen Versen zu nennen.
Die Form des Gesprächs, welche in diesen Scheideliedern zur
Darstellung der letzten Zusammenkunft diente, ward auch sonst
mehrfach im Minnegedichte verwendet. Bekannte provenzalische
Beispiele sind dov Dialog des Albert de Sestaro: Domna, a vos
me coman, und der des Raimbaut de Yainieiras mit der Genue-
serin. Es sind dieses wirkliche Tenzonen, oder, wie man sie ita-
lienisch nannte, Contrasti; der Liebhaher drängt die Dame, um
von ihr Erfüllung seines Wunsches zu erhalten, sie aber bleibt
unerbittlich und weist ihn zurück. In einem Gespräche des Gia-
comino Pugliese dagegen (D'Anc. LIX) beklagt sich der Liebende
über die Dame, dass sie ihn täusche, und trotz ihrer Betheueran-
gen verharrt er in seinem Misstrauen. Die Toscaner liebten für
diese Dialoge die Balladenform1); es müssen also wenigstens im
Anfange gesungene und von Tanz begleitete Wechselreden gewesen
sein. Den Inhalt bilden immer die süsslichen gegenseitigen Liebes-
betheuerungen oder Eifersüchteleien, wie im Gedichte Giacoinino's.
Zu demselben Zwecke verwendete man auch Sonette, von denen
das zweite auf das erste antwortete, zu vergleichen der provenza-
lischen Tenzone von nur zwei Strophen, wie die des Uc Catola
ist2). Guittone von Arezzo dichtete einen Dialog von 6 Sonetten
zwischen Dichter und Dame, der ganz aus gegenseitigen Schmä-
hungen besteht (Son. 103—108), und masslos in der Form, wie er
es war, hat er dann gar in nicht weniger als 32 Sonetten (Son.
54—85) eine ganze lange Liebesgeschichte ausgesponnen, in welcher
sich Gespräche mit der Dame zwischen Betheuerungen und Lamen-
tationen mischen. Die Wechselreden innerhall) eines und desselben
Sonettes, wie bei Val. I, 312; II, 19 u. 21, entsprechen den cöblas
tensonadas der Provenzalen 3). Zwei solche Gedichte hat Trucchi
(I, 141) f.) von Ser lacopo da Leona publizirt, welcher nach des
Herausgebers Versicherung deren besonders viele gedichtet hat.
') s. die von Saladino, Val. I, 435, 442; Albertuccio della Viola, ib. II, 228;
Dante da Majano, IT, 440.
2) Chrest. 5!). Ein Sonettengespräch von Messer Polo, Val. I, 130 f.
3) s. Leys cTamors, 1, 325 u. III. 296 f.
— 97 —
Von diesen Liebesgesprächen ganz verschieden ist diejenige
provenzalische Gattung, welche man gewöhnlich unter dem Namen
der Tenzone versteht. Jene Dialoge rührten in Rede und Wider-
rede von einem und demselben Dichter her; diese dagegen waren
Unterhaltungen und Diskussionen verschiedener Dichter untei'
einander. Provenzalisch waren sie ebenfalls in Canzonenform ge-
bunden, so dass jedem der Theilnehmer abwechselnd eine Strophe
zufiel, und das Geleit meistens die Personen bezeichnete, welche
die Dichter zu Schiedsrichtern ihres Streites bestimmten. Aber
in der späteren Zeit der provenzalischen Literatur war es auch
Sitte, dass der eine Dichter eine einzelne Strophe sendete, auf
welche der andere dann mit denselben Reimen erwiderte. Solcher
Strophen mit Antworten sind nach einer vaticanischen Handschrift
eine ganze Reihe publizirt im Archiv, vol. 34, p. 405 ff. Es han-
delt sich um persönliche Fragen oder um Scherze; meistens aber
ist es herber Spott, den der eine Troubadour gegen den anderen
schleudert, und den dieser in der Erwiderung zu überbieten sucht,
wobei denn allerlei unsaubere Dinge aus dem Privatleben der
Dichter zum Vorschein kommen, freilich nicht alle völlig glaub-
würdig, da diese Verse offenbar Produkte der Berufseifersucht
sind 1). Diesen correspondirenden Strophen entsprechen genau die
italienischen Sonette mit Antwort, welche auch in der vaticanischen
Handschrift 3793 wirklich Tenzonen genannt werden2). Aus dem
Süden sind deren keine bekannt; die Gattung scheint sich erst in
Toscana entwickelt zu haben, als man sich des Sonettes häufiger
') s. darüber auch Paul Meyer, Dernicrs Troubadowrs, § X, 2, wo
einige andere solche Dialoge zwischen Rostanh Berenguier und dorn Bort
von Aragon.
2) Die Bezeichnung tenzone findet sich in der vat. Hs. sowohl bei Ge-
sprächssonetten zwischen zwei Dichtern, als auch bei solchen zwischen Mi-
sere und Madonna, die also von demselben Dichter (die letztern so genannt
z. B. «"■■ 714 f. u. 735 f.). Räthselhaft sind dabei die Numerirungen ten-
zone II, tenzone III, tenzone XVI, u. dgl , welche ganz bunt ohne Ordnung
verstreut stehen. Dieselbe Nummer kehrt öfters wieder, ja sogar bei dem-
selben Dichter; es giebt da viermal tenzone ITT von Monte Andrea (
690, 698, 768); zweimal tenzone III von Chiaro Davanzati (737. 756), und
zweimal tenzone II von demselben (688, 735).
7
- 98 -
bediente. Auch hier findet sich, wiewohl seltener, der persönliche
Spott, so in dem Sönatte Gruittone's an Onesto von Bologna
(Son. 201)):
Credo, saprete ben, messer Onesto,
Che proceder dal fatto il nome <lia.
Er ermahnt Onesto. seinen Lebenswandel mit seinem schönen Na-
men in Einklang zu bringen, oder aber den Namen zu wechseln,
worauf Onesto ironisch mit dem Sonette antwortete: Vostro saggio
parlar ch? e manifesto (Val. II, 143). Durch jene Verse Guittone's
mochte wohl auch der Giudice Ubcrtino zu seinem Schmäheedichie
auf denselben angeregt worden sein (Val. I, 432), welches mit der
nämlichen Sentenz beginnt wie jene:
Se '1 nome deve seguitar lo fatto,
Vera vita e la tua, o Fra Guittone.
worauf dann wieder Guittone (Son. 153) nicht bloss auf dieselben
Reime, sondern sogar auf dieselben Worte erwiderte:
0 Giudice Ubertin, in catun fatto,
Ove pertegno voi, ver son guittone.
d. h. soweit ich euch gleiche, redet mein Name freilich die Wahr-
heit, bin ich wirklich ein Schuft (guittone).
Meistens jedoch bildeten den Gegenstand der Correspondenz
allgemeine Fragen verschiedener Art; der eine Dichter bat den
anderen um Aufklärung über irgend einen ihm problematischen
Punkt, und dieser theilte seine Ansicht in der Antwort auf die
Reime oder auch ohne diesen Zwang mit. Zuweilen ging dieses
Fragen und Antworten mehrmals hin und her, wo man dann eine
Kette erhält, die wieder der gewöhnlichen ausgedehnten proven-
zalischen Tenzone entspricht. Und, ebenfalls wie in der proven-
zalischen Tenzone, nahmen auch mehr als zw-ei Dichter an der
Unterhaltung Thcil, indem der erste Fragende sein Sonett zugleich
an verschiedene sandte. Mehrfach handelt es sich, wie in den
meisten derartigen Gedichten der Troubadours, um gewisse subtile
Entscheidungen über die Angelegenheiten der Minne. Bartolommeo
Notajo fragt Bonodico von Lucca (Val. I, 535), welchen von zwei
Rittern eine Dame bevorzugen müsse, den, welcher kühn seine
Empfindung kund thue, oder den, welcher fürchte und schweige;
— 99 -
Bonodico antwortet mit dem Gemeinplatz, dass Liebe aus Wohl-
gefallen (piacere) entstehe; also mag die Dame den wählen, der
ihr gefällt. Buonagiunta Urbiciani fragt (Val. I, 529) einen Un-
genannten, welches das erste Leid sei, das Liebe verursache.
Dante da Majano will von Tommaso Buzzuola erfahren, welches
der grösste Schmerz in der Liebe sei (Val. II, 492), und jener ant-
wortet, es sei der zu lieben und nicht wieder geliebt zu werden
(ib. 252); Dante da Majano setzt dann (ib. 493) von neuem fragend
die Diskussion fort, worauf die Rückantwort fehlt. Und dass das
erste Sonett hier zugleich an mehrere Dichter gesendet wrorden,
sieht man daraus, dass noch ein anderer, Mino del Pavesajo (Val.
II, 38G) auf dasselbe antwortet, und zwar mit der nämlichen Ent-
scheidung wie Tommaso; auch hierzu findet sich die erneute Frage
Dante da Majauo's (Val. II, 494). So sendete dann der junge
Dante Alighieri in seinem ersten Sonette eine Vision zur Erklä-
rung an die berühmten Dichter seiner Zeit, und vor oder nach
ihm hat Dante da Majano mit einem Traume desgleichen gethan
(Val. II, 499 ff.).
Aber auch mit anderen Fragen gab man sich in diesen Ge-
sprächen ab; Gonnella degli Interminelli und Buonagiunta wech-
seln vier Sonette über das Problem, wie Eisen mit Eisen gefeilt
werden könne (Val. I. 530 ff.). Francesco Ismera befragt jemanden
darüber, woher es kommen möge, dass der Sonnenstrahl durch
Glas und Wasser fallend Feuer erzeuge (Allacci, 34G):
Mette lo Sol nell' acqua c träne il foco,
0 del foco coli' acqua il Sol si sciovra?
Adoperavi il vetro assai o poco
0 l'esca, fuor che '1 prende o mettc iu ovra?
Es handelt sich dabei um jene mit Wasser gefüllten Glaskugeln,
welche das Alterthum und Mittelalter als Brenngläser verwendete.
Bei Guittone und seinen Nachahmern herrscht auch hier das M<>-
ralisiren vor; Natuccio Aiupiino von Pisa fragt Bacciarone (Val.
I, 414 f.), warum Sünde mehr beliebt sei als Rechtthun; Me<>
Abbracciavacca peinigt den Dotto Reali gar mit dem theologischen
Problem, woher die Seele der Verderbniss verfallen könne, da sie
doch von dem höchsten Gute stamme (Val. II. 20 u. 52). An Guit-
— 100 -
tone selbst ergingen mehrfach solche moralische und theologische
Fragen. Diese Sonette sind, bei dem Ungeschick in der Behand-
lung so schwieriger Gegenstände und dem Zwang der Form, fast
immer sehr dunkel, und gar die Antworten auf die Reime oft
nicht zu enträthseln.
Von der politischen Tenzone bietet interessante Beispiele die
lange Reihe von Correspondenzen verschiedener tiorentinischer
Dichter über die Ereignisse des Jahres l^ijs. von denen schon an
anderer Stelle die Rede gewesen ist.
Die Troubadours antworteten auch mit ganzen Gedichten auf
die Reime eines gegen sie gerichteten Angriffsserventes. In dieser
Weise vertheidigte sich Raimon de Miraval gegen das Lied des
Uc de Mataplana, der ihm Vorwürfe wegen der Verstossung seiner
Frau gemacht hatte v). Bartolommeo Zorgi nahm mit einem Ge-
dichte seine Mitbürger, die Venetianer, gegen ein Serventes Boni-
facio Calvo's in Schutz (Choix, IV, 226 ff.). Albert de Sestaro ver-
fasste ein Schmähgedicht gegen die Liebe (Arch. 32. 407), gegen
welches Aimcric de Belenoi eine Vertheidigung derselben dichtete
(M. G. 101). Gerade dieser letzte Gegenstand nun ist auch in
Italien in Correspondenzen von ganzen Canzonen auf die Reime
behandelt worden. Tommaso Buzzuola vertheidigte zweimal die
Trefflichkeit der Minne, das erste Mal gegen den Angriff Monte
Andrea's2), das zweite gegen den des Giovanni dalT Orto von
Arezzo3). Umgekehrt erwiderte auf eine Canzone des Galletto
Pisano (Val. I, 449), in welcher dieser sich seiner Liebe rühmte,
Leonardo del Guallacco aus Pisa mit einer Schmähung Amore's
und der Frauen (ib. 445) 4).
1 Arch. 34, 195 f. vgl. Diez, Leben und Werke der Troub. p. 387.
Monte's Gedicht steht Val. II. 31, Tommaso's Antwort, ib. 248;
Monte antwortete dann von neuem, wie die Angabe des Cod. A zeigt, mit
dem Gedichte Val. II, 28, wiederum die Liebe schmähend; dieses letztere
ist aber nicht sulle rime.
3) Giovanni dalT Orto's Gedicht steht in C, 33, und ist, wie Manzoni an-
giebt, in Trucchi's Sammlung von Rime Fazio degli Uberti's (Firenze, L841
gedruckt, die mir unbekannt ist. Tommaso's Antwort inZambrini, Op. volg.p.385.
1 bei Val. stehen die Gedichte in verkehrter Reihenfolge, in richtiger
dagegen in A. 1 12 u. 113.
— 101 -
Etwas verschieden von der einfachen Tenzone war das joc
partit oder partimen, in welchem jeder der beiden Dichter die
gestellte Frage auf seine Weise beantwortete, und diese Entschei-
dung vertheidigte; es ist ein leeres dialektisches Spiel, da derjenige,
welcher den Streit anregt, dem Gegner die Auswahl zwischen
beiden Antworten frei lässt, und die entgegengesetzte Behauptung
dann für sich behält. Diese Art der Tenzone ist bei den Italie-
nern weit seltener; es gehören dahin die beiden Sonette des Ban-
dino, Val. I, 428 f., mit welchen die beiden des Gillio Lelli bei
Allacci, 352 f., zu verbinden sind. Das Charakteristische des par-
timen zeigt sich in Bandino's Worten:
Prendi oramai entrambe o l'una o l'altra
Di mie petiziou.
In der That vertheidigt ein jeder eine andere Ansicht; da der
Anfang des Disputes fehlt, so ist nicht recht klar, welches der
Gegenstand gewesen; wahrscheinlich aber war es dieses, ob es in
der Liebe besser sei langsam oder schnell an das Ziel zu kommen x).
Federigo dah" Ambra hat ein partimen von 9 Sonetten mit Ser
Pace Notajo über die Frage, ob es räthlicher, Glück und Pein der
Liebe dahinzunehmen, oder sich ganz derselben zu enthalten.
Federigo gebraucht auch den technischen Ausdruck partito2) (Val.
II, oS7):
Ciascuno ama vertäte per natura;
Ond' eo sol per trovarla disputando
Mando un partito a voi, Maestro Pace3).
Eine echte provenzalische Partimenfrage ist dann die Ricco's an
Ser Pace (Val. II, 395 f., die Antworten, 404 f.), ob es besser sei,
*) Ausserdem, dass das erste Sonett Bandino's fehlt, ist auch die Rei-
henfolge gestört: auf jenes erste folgte dasjenige Gillio's. welches jetzt die
zweite Stelle einnimmt (All. 353\ dann das erste von Bandino Val. 428\
weiter das erste von Gillio (All. 352) und endlich das zweite Bandino's
(Val. 429).
-) Aehnlich prov. partida hei G. Riquier, s. Bartsch. Grundriss, p. 34.
3) Auch hier ist die Reihenfolge der Sonette bei Valeriana gestört; es
gehören zusammen das p. 387 mit 406; 388 mit 409; 389 mit 408: 390
mit 407.
— 102 -
ein Mädchen oder eine rerheirathete Frau zn lieben; dieselbe
Frage richtete ein Verzellino an Dino Frescobaldi (Val. n. 526 f.).
Von der Einwirkung einiger anderer Gattungen, die in der
provenzalischen Literatur einen besonderen Namen trugen, finden
sich in der alten italienischen Dichtung vereinzelte Spuren. Gnit-
tone von Arezzo dichtete einen sogenannten pltozer (Canz. X), d. h.
eine Aufzählung aller der Dinge, welche dem Dichter wohlgefällig
waren J). Er ist in der äusseren Behandlungsweise ganz nach
provenzalischem Muster, alter mit streng moralisch religiöser Wen-
dung des Inhaltes, ein Musterbild tugendsamer Denkweise, das
gerade Gegentheil des kriegerisch wilden plager's von Guillem de
S. Gregori oder der lockeren Scherzo des Mönches von Montaudon.
Nur die äussere Gestalt der beliebten Gattung ist geblieben; der
Geist, welcher sich in ihr ausdrückt, ist ein ganz anderer. Dem
provenzalischen Mönche, der bei Festspielen präsidirte und mit
dem Herrgott verfängliche Unterhaltungen pflog, behagte es zu
weilen
a fönt o a riu
Elh prat son vert el flors reviu,
E li auzellet chanton piu,
E m' amiga von a celiu . . . (M. W. II. 59
Dem toscanischen fräbe gaudente dagegen gefällt
domia, che porta
A suo signor fede amorosa e pura.
und
Donna, che sottomette a castitate
Bellore e gioventute.
eine Wittwe, die wohl für die Familie sorgt, ein Prälat, der seine
heiligen Pflichten erfüllt
E religioso, poi
Parti del mondo. non nel mondo sede.
1 Das Gegentheil des plazer, einen enueg, verfasste der Cremoncse
Pateclo in noräitalienischer Mundart, und ihm ahmte wieder der Chronist
Salimbcne in derselben Gattung nach; s. Mussafia, Jahrbuch für rom. und
engl. Litt.. VI, p. 222— 22G.
— 103 —
welches letztere der Mönch von Montaudon gerade am wenigsten
zu erfüllen liebte. Dieser plazer Guittone's ist dann wiederum
nachgeahmt worden von Chiaro Dävanzati1) in einer Corona von
Sonetten, von denen zwei schon bei Trucchi (I, 194 u. 197) gedruckt
standen, und nun fast alle von D'Ancona publizirt sind in der
Auswahl von zwanzig Sonetten im Propugnatore , VI. 1° iir- VIII
— XVI -). Die Abhängigkeit Chiaro's von Guittone ist leicht zu
erkennen. Guittone sagte str. II:
J) Chiaro Dävanzati hat Guittone öfters nachgeahmt. Ein Sonett des-
selben, D'Anc. Son. VII:
Molti omini vanno ragionando
Dicendo, che l'Amore e degna cosa
E face il folle assai gire ammendando,
Lo scarso largo con grazia copiosa,
Lo nescie hen saccente sermonando,
Lo vile pro e la noia gioiosa . . .
richtet sich zwar gegen einen allbekannten Satz; aber eher als direkt durch
die Worte Aimeric's de Pegulhan (M. YV. II, 165) scheint es inspirirt durch
die Guittone's, Ganz. IV, 2:
Lo vil pro, parlädor lo nesciente
E lo scarso mettente
E leal lo treccante e '1 folle saggio
Dicon che fai, c valere '1 selvaggio;
Ma. chi ben sente, il contrar vede aperto.
Auch von der noch ungedruckten Canzone Chiaro's (A, 224):
Abi dolze e gaia terra fiorentina
möchte man glauben, dass sie mit Bezug auf Guittone's: Ähi dolze t gaia
terra aretina A. 1591 gedichtet sei; doch lautet der Anfang der letzteren
in der Ausgabe Valeriani's (Canz. IX): 0 dolee terra Aretina, und nach dem
Strophenbau richtig.
2) Das erste Sonett dieser im Cod. A stehenden Kette (M- 576 : Motto
diletto e piaeemi vedere fehlt bei D'Ancona. Bilancioni Propugnatore, VII.
1°, 60) glaubte, es gehöre dazu auch das anonyme Sonett: Vita mi piace
(V iiniii, che si mantene, das im Cod. Vat. an ganz anderer Melle (987) steht
und bei Trucchi, I, 195, unter Chiaro's Namen publizirt ist (wonach bei
Nannucci, I, 299, irrthümlich als von Guido Orlandi). Aber diese Zugehörig-
keit ist sehr zu bezweifeln; denn, wahrend in Chiaro's plai _ wird.
wie es in diesem oder jenem Stande, dieser oder jener Lebenslage geziem-
lich sei sich zu benehmen, ist das fragliche Sonett nur ein allgemeiner
Preis des segnenden Einflusses der Liebe. Dazu hat dasselbe die bei den
— 104 —
E bcllo vergoguar veglio e dolore
Di che t'u pcccatore
Contra nostro signore,
E bei, so emendar pugna a suo podere.
und Chiaro, Son. IX:
Ancor mi piacc veglio canoscente
Di ciö ch' egli ä fallato ripentuto,
E ritornare a Dio umilemente,
Guittone, str. III:
E mercante, che vende
Ad im vor uiotto e uon sua robba lauda.
Chiaro, Son. X:
Ancor mi piace veder mercatante
Ad un sol motto vender su' mercato.
Guittone, str. IV:
E ogni donna e donzclla,
Che rado e umil favella
E ch' ha temente e vergognoso aspetto.
Chiaro, Son. XII:
E si ini piaee vodere pulzella
Piana ed umil, con hello reggimento,
Bassare gli occhi suoi. quando favella.
u. dgl. mehr. Aber Chiaro, weit begabter als Dichter und ge-
wandter in der Form, hat die kurzen moralischen Sätze Guittone's
aus ihrer einförmigen Dürre befreit und zu ansprechenden kleinen
Bildern erweitert.
Die Behandlung des provenzalischen Lehrgedichtes (enseriha-
men) zeigt sich in der Anweisung für das Benehmen in der Liebe,
dio bei D'Anc. LXVII. D'Ancona vermutliete, dass es eine Nach-
ahmung provenzalischen oder französichen Originals sei; und dar-
auf deutet in der That das Wort somonire (prov. somoner oder
somonre, frz. semondre) v. 21, und rire statt ridere, v. 56. Ueber
die Regeln der Minne, das BenehmeD des Liebhabers gegen die
ältesten Dichtern wenig übliche Reimordnung abba, während alle Sonette
jener Corona die Ordnung a b a b befolgen.
— 105 —
Dame und deren Umgebung, die Mittel, ihre Gunst zu gewinnen,
handelte Guittone in einer langen Sonetten-Corona, einer ganzen
sehr platten ars amandi, mit mannichfaltigen Lehren und Rath-
schlägen, je nach dem verschiedenen Stande der Geliebten 1).
Bernerkenswerth ist zum Schlüsse noch das Gedicht, D'Anc.
KCV, mit Personificationen abstrakter Wesen, wie die Literaturen
Frankreichs sie liebten, und Brünette- Latini und später Francesco
da Barberino sie in grösseren Werken verwendeten. Der Dichter
klagt über Mercede, die für ihn ihre Kraft verloren habe; Mer-
cede antwortet, ihn an Pietate verweisend; diese wiederum be-
theuert, ihm nicht nützen zu können, weil sie in Madonna's har-
tem Herzen keinen Platz finde, nur Amore vermöge ihm zu helfen,
und an diesen wendet sich endlich der Dichter um Beistand flehend.
Die Nachahmer einer dichterischen Manier ergreifen meist
am bereitwilligsten die Fehler und Auswüchse derselben, und so
hat bei den Italienern auch besonderen Anklang gefunden, was
an der provenzalischen Poesie Affektation und Künstelei war.
Sehr beliebt wurde die Spielerei mit Worten, die bisticci von amore
und amaro, welche schon in dieser Zeit überaus häufig be-
gegnen, ferner die beständige Repetition desselben Wortes oder
Wortstammes durch einen ganzen Vers oder ein ganzes Gedicht,
die replicacio der Provenzalen 2), wie sie z. B. Guittone anwendete
in dem Sonette (54):
*) Diese Reihe beginnt Son. 173 und geht bis 198; aber Son. 183 — 185
sind hier irrthümlich eingeschoben, und 185 ist nur eine Wiederholung von
Son. 86 nach anderer Hs., was Valeriani nicht bemerkte, weil hier das erste
Wort Pol statt Voi.
2) s. Leys d'amors, besonders III, p. 62; Beispiele der B&plicacio giebt
Paul Meyer, Demiers Troubadours, § XXII. Eine provenz. cobltt, publizirt
von Stengel, Eir. di Fd. Rom. I, 43, zeigt die Replication desselben Wortes,
wie die obige Guittone's:
Fis gaugz entiers, plazens e amoros,
Ab vos es gaugz, per que totz bes reviu,
E non a gaug el mon tan agradiu,
Quel vostre gaugz fal segle tot joios ....
— 106 —
Tuttor ch' io dirö a; i < > i - gioiva cosa,
[ntenderete, che di voi favello,
Che gioia sete di beltä gioiosa
E gioia di piacer gioivo e bello . . .
Darf man den Herausgebern trauen, so hätte schon der Sicilianer
Iacopo da Lentini dergleichen geliebt. Val I. 292:
Lo viso e son diviso dallo viso,
E per avviso credo ben visare, . . .
Am weitesten 1 trachte es wohl in dieser Kunst ein Maglio aus
Florenz, dessen Sonett Grion (Pozzo, 45) publizirte:
0 alta del'altezze piü altera.
Cortese di cortesc cortesia,
Plagente di plagere plagentera,
Contita di contezze secontia (?) l).
Eine ähnliche Spielerei ist die Häufung der Binnenreime,
welche bei den Provenzalen selbst niemals in der Ausdehnung
verwendet worden sind wie von den ältesten italienischen Dich-
tern; man begnügte sich nicht damit, nur einmal den Schluss
jedes Verses innerhalb des folgenden anklingen zu lassen, sondern
wiederholte den Reim mehrfach im Verse selber:
Similemente, — gente — criatura,
La portatura — pura — cd avvenente
Faite plagente — mente — per natura,
Si che 'n altura — cura — vo' la gente.
so der Pisaner Pucciandone Martelli2).
La fior(e) — d'amor(e) — veggcudola parlare
Innaraorar(e) — d'amare — ogn' uom dovria,
Dolzore — nello cor(e) - - dovria portare,
Qual asservar(c) — donar(e) — sua segnoria (?).
so Dante da Majäno (Val. II, 465).
1) Ein bekanntes, poetisch freilich viel höher stehendes Beispiel der
Replication bei Petrarca ist das Sonett:
Dolci ire, dolei sdegni e dolei paci.
2) s. Redi. Annot. zu v. 428 des Ditir., Val. I, 466.
— 107 —
Guittone von Arezzo scheute sich nicht, die Spielerei der
Binnenreime und Replicationen selbst in ernsten moralischen und
religiösen Gedichten anzuwenden (Son. 1 u. 20), und übertrug
diese, wie die anderen Geschmacklosigkeiten seiner Dichtung, auch
in die Prosa seiner Briefe. Er hat einmal auch die sogenannten
rims derivaüus der Provenzalen ]) nachgeahmt, d. h. in allen Rei-
men die gleichlautende Stammsilbe mit wechselnder Endung, näm-
lich Son. 88:
Ahi, come bcn del mio stato mi pare,
Mercede mia, che non e folle a paro;
Ch' io mostro amor in parte, che m' e spare,
E lä dov' amo, quasi odioso paro, . . .
Ein Produkt der Affektation war die dunkele oder schwere
Dichtweise der Troubadours hervorgegangen aus dem Streben nach
etwas Neuem und Ausserordentlichem innerhalb eines schon er-
schöpften Kreises von Gedanken und Empfindungen; die Tiefe und
Bedeutung, welche der Gegenstand nicht mehr darbot, suchte man
wenigstens äusserlich herzustellen durch die Umschreibung der
gewohnten Ideeen mit neuen und schwierigen Ausdrucksweisen,
aus denen man den Sinn nur mit Mühe herausfand. Der Haupt-
vertreter dieser Richtung, Arnaut Daniel, war in Italien vorzüg-
lich angesehen, wie die Lobpreisung desselben bei Dante beweist,
und so hat auch die dunkele Poesie Nachahmer gefunden. Diese
Dichtweise ist jedoch, wie so manches andere der Provence Ent-
lehnte, erst bei den Toscanern reichlicher angebaut worden. Nur
eine derartige Canzone, D'Anc. XCIX:
Del meo voler dir l'ombra
Cominzo scura rima.
wird einem südlichen Dichter, dem Inghilfrcdi Siciliano. zuge-
schrieben2). Diez machte schon darauf aufmerksam3), dass auch
die technischen Bezeichnungen dieser Dichtweise bei den Italienern
*) Leys cVamors, I, 184; vgl. M. G. 1210—1212 u. 1193.
2) nämlich in der palat. IIs. (p. 92), und so bei Val. I, 141; Trissino,
Foetik, p. 36. Im Cod. Vat. ist sie anonym.
3) Poesie der Tronb. p. 277.
— 108 —
dieselben waren wie bei den Troubadours, Dämlich chiuso parlare
und scura rima. Pannuccio dal Bagno beschliesst ein solches Ge-
dicht (Val. I. 308) mit den Versen:
Gel. 1. Lo mco dir parlo chiuso,
Perche quello in lui chiuso
Yisisi1) quasi fiore;
Sc di progio ogui fiore (1. Che di? .
In lui contensi c conta
Sovra ciascuna conta.
d. h. „da in ihm (dem Gedichte) die Blume alles Wertlies (die
Dame) enthalten und dargestellt ist, die lieblich (conta) über jeg-
liche". Das zweite Geleit ist wahrscheinlich so zu lesen:
So, che porea dir uomo
Me, perche parlat' ho mo
Voi non sentendo, folle;
Dico 'n ciö, corae folle
Venta, quando semena, (Val. si mena)
Cosi voglia mi mena.
(1. i. uom potrebbe chiamarmi folle, percM mb ho parlato voi non
sentendo (sensa che voi lo intendeste); cosi come folle seminando
gitta al null* U seme2), cosi fo iö, gitto dl vento le mü parole,
parlando sens' essere inteso. Anderswo giebt derselbe Pannuccio
als Grund seiner dunkelen Rede an, dass er sein Gedicht nicht
habe wollen in den Mund aller und jeder kommen lassen. (Val.
I, 371.)
Auch dittato forte wird die Dichtweise genannt (Val. I. 419),
und Guittone bezeichnet sie als soUües), wo er Fra Giacomo da
Leona (Ganz. XXII, 2) preist:
Tu. Frate mio, vor bon trovatore
In piana cd in sottil rima ed in chiara
E in soavi e sagei e eari motti.
1 visare „betrachten", vgl. Val. I, 340; 363; Guittone. Ganz. XIV. 10.
- venture „in den Wind werfen'", wie alitz. venter. prov. ventar.
3) so Escur prim chantar >■ sotil, Lanfranc Cigala, M. G. 551, 1.
— 109 —
Mit dieser Dunkelheit der Rede pflegen sich alle möglichen Künste-
leien der Form zu paaren, die Binnenreime, die Alliteration und
Replication, besonders aber die gesuchten und schwierigen Reime
(rims cars), auf welche wühl jener Ausdruck Guittone's motti cari
anspielt. Die italienischen Gedichte der dunkelen Weise haben
fast sämmtlich als Charakteristicum die Reime von Homonymen
(rims equivocs) oder an Stelle derselben noch öfter die Wieder-
holung des nämlichen Wortes im Reime; es war dies eben der
Versuch, die theueren Reime der Troubadours nachzuahmen. In
solchen rime equivoche ist, ausser den schon genannten Pannuccio's,
auch die Canzone von Guido Guinicelli: Lo fin pregio avanzato
(Val. 1,69) geschrieben1), ferner die des Meo Abbracciavacca:
Amor, tegnomi matto (Val. II, 11) und noch verschiedene andere
Canzonen und Sonette. Ein Gedicht des Dotto Reali, welches er
novo troväre nennt (Val. II, 49): Di cid, dir 7 meo cor sente, hat
zwar nicht diese Eigenthümlichkeit, dafür aber eine wahnsinnige
Häufung von Binnenreimen. Guittone verfasste eine Canzone XXXV
theils in rims equivocs, theils in zusammengesetzten Reimen (rims
contrafagz), theils mit männlichen Versen (rime tronche), also
lauter Gesuchtheiten, und fügte im Geleite hinzu:
Scuro saccio che par lo
Mio detto, ma che pario {ma che = ausser dass)
A cbi sa, intende ed ame; (?)
Che lo 'ngegno mio däme,
Che in me pur provi d'oune
Mainera, e talento honne.
Ihm und seinen Nachahmern machte man vorzüglich den Vorwurf
der Dunkelheit, wie das Sonett des Geronimo Terramagnino an
einen Schüler Guittone's und. dessen Antwort (Val. II, 53 f.) be-
weist, sowie ein anderes Sonett an Guittone (Val. II. 16), nach diu
Herausgeber von Meo Abbracciavacca, der freilich sich selbst in
') Im Cod. Vat. (ar- 129) steht es anonym, und GrioD sprach es Guido
Guinicelli deshalb ah. vermuthend. es sei von Buonagiunta; aber Guido legen
es bei die Hss. P: B, 6; C. (!. und so die Rodianische. nach Molteni, Giorn.
di Fü. Rom. I. 51.
- 110 -
der dunkelen Rede versuchte. Eher noch aber hatten diesen Vor-
wurf die drei Pisaner, Pannuccio, Bacciarone und Lottu di Ser
Dato verdient; denn sie haben nicht bloss in den Gedichten, welche
speziell der dunkelen .Manier angehörten, - indem allenthalben eine
- i gewundene und geschraubte Ausdrucksweise gebraucht, dass sie
dem Verständniss die grösste Schwierigkeit bereiten. Nannucci
theilte von den vielen Gedichten Pannuccio's in seinem Manuale
(I, 201) nur ein Sonett mit. weil alle anderen in der florentiner
Ausgabe von zu verdorbener Lesart seien. Allein er täuschte sieh,
und im Gegentheil gehören diese Gedichte zu denen, welche ver-
hältnissmassig gut in Ordnung sind, wie schon die meist wohl er-
haltene Form beweist. Die Schwierigkeit liegt hier, wir öfters bei
diesen Alten, nicht in der Corruption des Textes, sondern in der
Manier des Dichters, der absichtlich das Gewundene und Schwer-
fällige suchte1). Pannuccio sagt (Val. I, 336):
Degn' esser quanto fo non for' amato
Da voi, Domia piacente,
si veramente, — com' eo credo fiso ....
statt: non fora nessuno degno d'esser amato da voi, quanto fo
io (fo verb. vicar. = sono degno); oder (ib. 348):
Fermo avendo coraggio
D'altera donna di servir natura,
d. i. di servir donna d'altera im furo. Und in Milchen unnatür-
lichen Windungen dreht sich der Gedanke durch die ganzen lan-
gen Gedichte hindurch. Hier mögen daher wohl die Verfertigen-
der Carte <rArh<>r<<i ihre kühnen Transpositionen erlernt haben.
In diese Künste Pannuccio's und seiner Genossen kann man,
sobald man ihr Wesen einmal erkannt hat, mit dem Verständniss
fast überall eindringen, wenn anders man die undankbare Mühe
nicht scheut. Die Produkte der eigentlichen dunkelen Manier da-
1 Jüne Ausnahme macht aber immerhin Pannuccio's Canzone: La
gram sovrabbondanza, Val. I. 371: obgleich auch liier die Trauspositiuncn
nicht fehlen, ist doch im Ganzen das Gedicht einfacher und klarer und
steht auch poetisch höher als die anderen. Dieses hätte Nannucci wohl als
Probe aufnehmen können.
— 111 —
gegen widerstehen oft genug allen Anstrengungen eines modernen
Verstandes, nicht weniger, ja vielleicht noch mehr als die proven-
zalischen Vorbilder dieser Art. Und so ist denn auch, wie Bar-
toli kürzlich treffend bemerkte1), die Canzone Petrarca's: Mai non
mi' piü cantar com io söhnt, welche die berühmte Sentenz ent-
hält: Tntendami chi pub, ch'i' mtintend? io, und die den Auslegern
von je her so viele und so vergebliche Mühe bereitet hat, nichts
anderes als ein später Abkömmling der provenzalischen schweren
Dichtwreise.
Der dunkelen Rede verwandt ist die Gattung, welche in der
provenzalischen Literatur devinalh genannt wurde. Was das de-
vinalh oder Räthsel eigentlich gewesen, zeigt deutlich das anonyme
Gedicht M. G. 98, welches in der Handschrift ausdrücklich mit
So es devinalh überschrieben ist, und das beginnt:
Sui e no sui, fui e no fui,
E vuelh mi mal et am autrui,
E trobiin nutz ein truep vestitz,
Et ai pro rams senes razitz,
E nom movi e corri fort ....
also, es ist eine Kette von Aussagen, von denen je zwei einander
widersprechen. Dieses ist das Räthsel, d. h. inwiefern diese Wider-
sprüche statt haben können, und die zweite Hälfte des Gedichtes
bringt dann die Auflösung des Rätlisels, indem sie zeigt, dass jede
der beiden entgegengesetzten Aussagen wahr ist. nur in verschie-
denem Sinne:
Fui e no sui senes pecatz,
Sui e no fui d'els taut lassatz.
Autrui am et a mi vuelh mal,
Quar siec mon desirier carnal,
E del volum del mou vestitz
Me truep, mas nutz es l'esperitz ....
In ähnlicher Weise wie dieses provenzaliscbe verfährt das italie-
nische devinalh von Rugieri Apugliese, D'Anc. LXIII:
') I primi ilnr secoli, ec, p b39.
— 112 —
L'inilo sono cd orgoglioso,
Prode e vile e coragioso,
Franco e sicuro e pauroso . . .
und so fort in der Kette der Widersprüche; die erste Strophe
schliesst mit allgemeiner Angabe des Grundes für die Möglichkeit
der letzteren:
E diragiovi como:
Mal c bene agio
Piü di null' omo.
Dann in Strophe II von neuem die Häufung der Antithesen: Er
ist zugleich arm und reich, gesund und krank, u. s. w., und zum
.Schlüsse wie vorher die Angabe der Ursache:
Or intendete la ragione:
Gioruo e notte istö in pensagione.
Die folgenden Strophen endlich bieten die Aufklärung der einzel-
nen Widersprüche: demüthig ist er, wenn er sie schaut, und hoch-
müthig darin, dass er nach ihr begehrt; reich ist er an Hoffnung
und arm an Liebe, u. s. w.
Dieses Hin- und Herspielen zwischen Gegensätzen diente vor-
züglich dazu, den widerspruchsvollen Zustand darzustellen, in den
die Liebe versetzt, und in schöner Weise hat dieses Raimbaut de
Vaqueiras durchgeführt in der Canzone: Savis e folhs, humils et
orgulhos (M. W. I, 366); so findet sich auch die Häufung der
Gegensätze mit tieferer psychologischer Bedeutung noch in Petrar-
ca's Sonett: Pace non trovo e non ho da far guerra, welches mit
dem Verse schliesst:
In cpiesto stato son. donna. per vui.
Ein devinalh des Guiraut de Bornelh: Un sonet faU malvaU
e ho (Chrest. 99) endet mit den Worten:
Elam pot e mon sen tornar,
Sim denha retenir en car.
In diesem letzten Gedichte Guiraut's ist aber schon die ursprüng-
liche Form des Räthsels, welche der Gattung den Namen gegeben,
verschwunden; man ergötzte sich eben an der blossen Aufreihung
— 113 —
der Antithesen selber, welche schliesslich in ganz sinnlose Spielerei
ausartete, wie in dem Gedichte D'Anc. LXXI:
Giamai null' om non ä si gra' richeze.
oder dein Inghilfredi's, Val. I, 146:
Poi la noiosa erranza m' ha sorpriso 1).
III.
Befreiung vom provenzalischen Einfluss.
Die provenzalische Poesie hat, wie wir sahen, der ältesten
italienischen Lyrik den Ursprung gegeben und einen sehr ausge-
dehnten Einfluss auf dieselbe ausgeübt. Allein diese conventionelle
Dichtweise konnte nur ein vorübergehendes Dasein fristen, da ihr
die Grundlage im wirklichen Leben fehlte, und für die Fortent-
wickeluug der italienischen Poesie bedurfte es eines neuen und
frischeren Geistes, der die alten Formen erfüllte und wiederbelebte.
Die Elemente einer solchen selbständigen, nicht bloss von den
Fremden entlehnten Inspiration waren offenbar immer vorhanden;
ob sie sich vorher, etwa in Volksliedern, geäussert haben, ist
zweifelhaft und kommt hier nicht in Betracht, wo es sich um die
Einwirkung dieser lebendigen Strömung auf die Kunstpoesie selbst
handelt. Gegenüber dem allgemeinen Ansehen der conventionellen
Hofdichtung vermochte der neue Geist sich nur allmählich geltend
zu machen, und wenngleich er von Anfang an vorhanden war, so
bedurfte es doch längerer Zeit, ehe er zu freier Entfaltung gelan-
gen konnte. Aber in einzelnen Spuren lässt sich doch auch schon
bei den Sicilianern das Eindringen einer natürlicheren und frischeren
J) Beispiele des devmdlh sind auch das Sonett von Lapo Saltarelli,
Val. II, 435, das bei Guittone, 98, und eines von Saladino, publizirt von
Bongi in Zambrini's Catcdogo, 1857, p. 319, und von neuem bei Palermo,
II. 105.
8
- 114 —
Dichtweise in die conventionolle Manier wahrnehmen, wie bereits
mehrfach bei Gelegenheit angedeutet worden ist.
Fast alle Lieder, die den Namen des Giacomino Pugliese tra-
gen, zeigen einen gewissen volksthümlichen Ton und eine realisti-
schere Färbung; so, wenn er D'Anc. LVI, 30 ff., wo auch schon die
sdruceioli den Regeln der höfischen Form nicht ganz entsprechen,
zu seiner Dame sagt:
Donna, se me non vuoi interniere,
Ver me nou far si grau faglia,
Lo mio cor mi degie rendere . . .
In dem Contrasto, L1X. 46 ff., klagt die Dame folgendermassen über
den bösen Gatten:
Meo Sir, a forza m'avieue,
Ch' io m'appiatti od asconda;
Ca si distretto mi tene
Quelli cui Cristo confonda.
Man steigt hier aus der leeren Abstraktion in die Sphäre der
Wirklichkeit herunter, und so auch in den beiden Scheideliedern
Giacomino's (LX, LXI1) und den beiden anderen Gedichten ähn-
lichen Inhaltes, von denen das eine Friedrich II beigelegt wird
(XLVIII), das andere wahrscheinlich von Iacopo da Lentini her-
rührt (LXIX). Hier, in diesen Schilderungen der letzten Zusam-
menkunft mit der Geliebten, der Erzählung von dem Herzen und
Küssen, von ihrer Rührung und Wehklage, ist die gewöhnliche
Situation der ritterlichen Lyrik verändert. Der Dichter beugt
sich nicht mehr unablässig in schmachtender Anbetung vor seiner
ewig kalten und grausamen Darue; Madonna steigt aus ihrer ab-
strakten Höhe herald, zeigt selbst einmal Leben und Bewegung,
spricht und klagt, lässt uns einen Blick in ihr Inneres werfen.
Und eben dieses, die lebendige Gefühlsäusseruug einer weiblichen
Seele gegenüber der interesselosen Schattenhaftigkeit, in der ge-
wöhnlich die Dame der provenzalisirenden Lyrik erscheint, ist es
auch, was zweien anderen Liedern einen besonderen Charakter
und einen poetischen Werth weit über alle übrigen giebt. Es
sind dieses die Klage eines Mädchens, welches sich von dem Geliebten
— 115 —
verrathen glaubt: Oi lassa innamorata (D'Anc, XXVI) von Odo
delle Colonne, und die Klage eines anderen Mädchens um den
scheidenden Kreuzfahrer: Giamai non mi conforto (D'Anc. XXXII)
von Rinaldo d'Aqnino. Trotzdem die conventionelle Phraseologie
nicht verschwunden ist, zeigt sich liier doch der warme und natür-
liche Erguss ungekünstelter Empfindung in dem Schmerze der
Verlassenen, ihrer Erinnerung an einstige Freude, ihrem glühen-
den Hasse gegen die Nebenbuhlerin:
0 Dio, clii lo m'intenza,
Mora di mala lanza
E senza peniteuza.
in der Wehmuth der Zurückgebliebenen und jener rührenden Wen-
dung, mit der sie das Kreuz anklagt, welches die Menschheit rettet
und sie zu Grunde richtet, indem es ihr den Geliebten entführt.
In beiden zeigt auch schon die äussere Form, der kurze, behen-
dere Vers, der sehr einfache Strophenbau die Annäherung an eine
volkstümlichere Weise. Dass hier ein anderer Ton herrscht als
in den meisten Produktionen der ältesten Lyrik, wurde schon oft
bemerkt, und so hat sie Carducci in seine Sammlung von Liedern
der volksthümlichen Manier aufgenommen1). Nicht auf derselben
Höhe stehend und reicher an conventionellen Elementen, aber doch
immerhin diesen beiden verwandt ist ein drittes Frauenlied, wel-
ches sich unter dem Namen desselben Rinaldo d'Aqnino in der
pa latinischen Handschrift (p. 94) und bei Val. I, 223 findet: Ora-
mai quando flore. Die holde Jahreszeit erfüllt das Herz des Mäd-
chens mit Liebe, sie will ihren Anbeter nicht mehr umsonst
schmachten lassen:
Vedendo quoll' ombria del fresco bosco
Bene conosco, — che accertatamente
Sara gaudente — l'amor, clic m' inchina.
Lange hat er sich vergeblich gemüht; aber nun kann er auf Er-
hörung hoffen:
>) Cantilene <• Ballate, Strambotti e Madrigali nei sec. Sill • XIV,
ii cura di G. Carducci. Pisa, Nistri, 1871, p. 7 u. 18.
-
- 116 —
Ma '1 tempo m'innamora
E famrai star pcnsata
D'aver raerce ormai
D'uu fante, clic m'adora.
E saccio, che costui per nie sostene
Di gran[di] pene; — Tun corc mi dice,
Che si disdice, — e l'altro m'incora1).
Und diese italienischen, offenbar von Männern gedichteten Frauen-
lieder sind weit interessanter als so manche provenzalische wirk-
lich von Frauen herrührende Gedichte, wie die der Gräfin von
Die oder der Dama Castelloza, in denen von Weiblichkeit nichts
sichtbar wird, weil diese Frauen, wie es fast immer geschehen,
nur einfach die Weise der Männer nachahmten, ohne ihren Ver-
sen einen individuellen Stempel aufzudrücken. In jenen wenigen
italienischen Liedern hingegen müssen wir, inmitten der Nach-
ahmung der Schule, die ersten Spuren einer selbständigen Kunst,
die ersten Regungen einer natürlichen Empfindimg anerkennen.
Treten nun schon diese Gedichte aus dem engen Rahmen der
höfischen Manier heraus, so bilden einige andere, wie es scheint,
geradezu einen Gegensatz zu derselben. In einem Liede des Com-
pagnetto da Prato (D'Anc. LXXXVII): Per lo marito, c b Ho2),
schilt eine Frau auf den bösen Gatten und freut sich der Rache,
die sie an ihm zu nehmen im Begriffe ist; statt der gewohnten
Welt der Ritterpoesie mit ihrem Flehen und Schmachten haben
wir hier auf einmal jene niedere Region des täglichen Lebens, in
welcher sich die Novellen und Fabliaux gefallen. Die Verhält-
nisse, die dort abstrakt und Verblasen erscheinen, sind hier derb
>) 1. me nincora? Der Kampf zweier Entschlüsse als zweier Herzen
(cori) auch Val. I, 210 f.
2) Die entstellte erste Strophe hat D'Ancona in der Anmerk. vortreff-
lich in Ordnung gebracht; nur hätte er v. 5 nicht von der Hs. abgehen
sollen, in der hier, wie Sinn und Metrum zeigen, das Richtige stand:
Ca per lo suo lacerare
Tal pensero ö non l'avea.
„durch seine Misshandlungen habe ich einen Gedanken bekommen, den ich
vorher nicht hatte".
— 117 —
versirinlicht. Die ritterliche Poesie besitzt den Typus des gdoso,
der in leerer Allgemeinheit angedeutet bleibt, Gegenstand der Be-
schwerde für die Liebenden; hier ist es nun wirklich der böse Ehe-
mann, welcher mit der Frau zankt und sie schlägt; dort erwirbt
der Liebhaber Gnade durch treues Dienen und Ausharren; hier
erklärt die Frau frank und frei, sie habe nur deshalb seine Wer-
bungen angenommen, um sich an ihrem Manne zu rächen; er hat
ihr Untreue vorgeworfen ohne Grund, jetzt wird sie ihn strafen
und seinen Argwohn zur Wahrheit machen; freilich nunmehr ge-
falle ihr diese Liebe sehr wohl, nachdem sie sie einmal gekostet.
Die typischen lusingatori sind hier zu der realistisch- vulgären
Figur einer alten Nachbarin geworden, welche nach der Liebe der
jungen Leute späht und sich über sie ärgert:
Drudo mio, a te mi richiamo
D'una vecchia, c' ö a viciua,
Ch' ella s' e acorta, ch' io t'amo,
Del suo mal dir no rifina.
Sonst ermahnte der Dichter die Dame, nicht den lusingatori und
adivinatori zu glauben; hier heist es recht drastisch:
A nulla vecchia nou credere,
Ch' eile guerriano l'amore,
Perc' altri lor non credere *),
Le vecchie son mala gente ....
In einem anderen Gedichte Compagnetto's (D'Anc. LXXXVIII):
L'amor fa nun donna amare, handelt es sich um ein Mädchen,
welches von Liebe entflammt seinem Begehron nicht zu wider-
stehen vermag; sie setzt sich über Frauensitte hinweg und sendet
dem Geliebten die Botschaft, welcher sich nicht lange bitten lässt.
Dieses ergiebt das gewöhnliche Wechselgespräch; sie sind soli in
l) Dieses credere ist, wie ich glaube, ein Fehler in der Hs. . den ich
freilieh nicht zu verbessern weiss. Grion wollte es für einen Abkömmling dos
lat. Imperf. conj. halten, das aber italienisch nicht existirt. Auch Foths
Deutung als eines Infinitivs statt des Verbum finitum (Böhmers Roman. Stud.
II, 287) ist nicht annehmbar, da die ganze von ihm entwickelte Theorie
eines solchen Gebrauchs des Infinitivs auf schwachen Füssen stellt.
- 118 —
mtribra; ihr Verlangen ist ein sehr positives, sie duldet keine
Umschweife, er soll sogleich zur Sache kommen, nicht erst fragen;
er weiss ja wohl, warum sie ihn hat kommen lassen. Es ist der
crudeste Ausdruck der Sinnlichkeit von Seiten der Frau., die Um-
kehrung der Ritterliebe.
Denselben Charakter wie die besprochenen haben zwei ano-
nyme Gedichte, welche früher fälschlich den Namen des Rngieri
Pugliese und Friedrichs II trugen. In dem ersten (D'Anc. I.WYh:
Ualtro ier fui in parlamento, klagt ein Mädchen dem Geliebten
ihr Leid, dass der Vater sie gegen ihren Willen mit einem Anderen
verheirathen wolle, und ihr Getreuer sucht sie zu trösten. In dem
zweiten (D'Anc. LH): Vi dolor mi convien cantare, ist die Situa-
tion unklar, weil, wie Carducci gezeigt hat1), der Copist in str. II
drei Verse übersprang und dafür die drei ersten der folgenden
Strophe zweimal schrieb. Das Lied beginnt mit der Klage des
Dichters über die Noth seiner Geliebten unter der Herrschaft des
bösen Gatten, wo es dann lieisst:
Ma l'omo, che l'ä in balia,
Da tutte gioi l'ä partita
E pensa eiaseuna dia
Lo giorno che fui piatita.
Hierauf folgt eben jene Lücke von drei Versen, und nachher findet
man die Frau selber redend. Die früheren Drucke hatten hier
nochmals partita statt piatita, wo man dann geneigt wäre zu
bessern che fei partita und zu denken, es sei eines jener beliebten
Abschiedsgedichte, in denen die letzten Worte der Dame berich-
tet werden. Da aber in der einzigen Handschrift j>n>f'f<i steht,
so hat man zu dieser Annahme kein Recht, und Bilancioni that
in seinein Restitutionsversuche2) nicht wohl, das partita der alten
Drucke beizubehalten, nachdem nun die Lesart der Handschrift
bekannt geworden ist. Im Uebrigen hat Carducci gewiss Hecht,
wenn er mit dem Verse: Lo giorno che fui piatita schon die Rede
1 Cantilt /"■ e Bällate, p. .">.
ignatore, Till. 2 . 286 !. Derselbe ist übrigens auch sonst
weniger glücklich als der Carducci'a und gewaltsamer.
- 119 —
der Frau beginnen lässt; was das picubita hier heisst, weiss ich
nicht, man sollte erwarten: „den Tag, da ich verheirathet worden"
oder dgl. Die Klage der Frau über den verhassten Ehernann hat
wieder grosse Aehnliehkeit mit der in dem ersten Gedichte Com-
pagnetto's; sie wünscht ihm den Tod; vor den Augen der Welt
wird sie ihn dann bejammern, aber im Innern sich freuen und
Gott loben, dass er sie befreit habe.
Und auch in diesen vier Gedichten ist wieder die äussere
Form beachtenswerth; auch hier wieder die leichten achtsilbigen
Verse statt der endecasillabi und settenari der solennen Canzone;
dazu in LXXXVII zwei sdruccioli. In den drei erstgenannten ist
sogar auch der Strophenbau genau derselbe (a b a b | c d c d c),
nur in LH ist die Strophe etwas complizirter und unter die Otto-
narien mischen sich am Ende zwei kürzere Verse.
Solche Poesieen zeigen also das Bestehen einer realistischeren
und populäreren Richtung neben der conventioneilen der modischen
Hofdichtung. Und dieses Xebeneinanderherlaufen der beiden Rich-
tungen ist nicht etwas der italienischen Literatur ausschliesslich
Eigenthümliches. Caix in seinem sehr belehrenden Aufsätze: Ciullo
<!'Alr<tni<> e fr pastorelle francesi e provenmli1), hat die Analogie
mit ähnlichen Erscheinungen der provenzalischen und altfranzösi-
schen Lyrik nachgewiesen. Die höfische Dichtung benvegte sich
in einer gemachten, künstlichen Welt, und was hinter dieser
steckte, offenbaren die oft so derben Spottlieder and Tenzonen
der Troubadours. Jenen Schleier des Conventionalismus nun zer-
rissen die Dichter selber bisweilen und stiegen in die niedere
Sphäre der Wirklichkeit hinunter, in die der Gatten, welche mit
den Weibern hadern, sie schelten und schlagen, der Frauen, welche,
mit dem Manne unzufrieden, dem Buhlen sich hingeben. Der-
gleichen findet sich mehrfach in den altfranzösischen Romanzen:
Por coi nie bait mos niaris,
Laisette ! 2)
ruft eine Dame aus; sie will sich rächen:
1 Xiiorn Antologia <li ITvrenze, vol. XXX. p. 477 ff.
-) Bartsch, Romanzen und Pastourellen, T. 2.°..
— 120 —
Avec 1111 > 1 1 amin geirai
Nuette.
Vorzüglich findet sich zu dem Gedichte D'Anc. LH, wie Caix dar-
tli.it. manche Analogie in der oft gedruckten Romanze in Pa
i ellenform:
Un petit devant le jour.
wo der Dichter das Gespräch eines Ritters mit seiner im Thurme
vom eifersüchtigen Gatten eingesclilossenen Dame belauscht; die
Liebenden wünschen dem hässlichen Alten den Tod: die Beschrei-
bung des Eifersüchtigen ist realistisch outrirt. Provenzalisch sind
weniger Proben dieser Dichtweise bekannt; aber einige sind doch
vorhanden; so das Lied, welches unter dem Namen Cadenet's im
Choix, III. 251, steht:
S'anc fui belha ni prezada.
Ks hat Aehnlichkeit mit der Gattung der Alba; eine Dame schmäht
den schlechten Ehemann, den man ihr des Reichthums wegen ge-
geben, und tröstet sich damit, dass sie den Freund hat und den
treuen Wächter:
Ja per gap ni per menassa,
Que mos mals maritz nie fassa,
No mudarai, qu'ien no jassa
Ali mon amic tro al dia.
Dazwischen singt der Wächter selbst, seiner Treue sich rühmend.
In gleichem Tone ist die reizende Ballade1):
Coindeta sui. si cum n'ai greu cossire
Per mon marit, quar nol voil nil desire . . .
De lui amar mia sui cobeitosa,
Anz, quau lo vei. ne soi tan vergonhi
Qu'eu prec la mort. quel venga tost aucire.
Mais d'uua ren rae soi ben acordada,
Sil meus amics m'a s'amor emendada . . .
Gewiss sind diese Analogieen mit den Literaturen Frank-
reichs, auf welche Caix aufmerksam gemacht hat, von grossem
; I Imix. II. 242; Chrcst. 239, u. s. w.
- 121 —
Interesse; aber Caix selbst ist einen Schritt zn weit gegangen,
wenn er die betreffenden italienischen Poesieen einfach für Nach-
ahmungen der entsprechenden französischen und provenzalischen
erklärte. Vielmehr täuschten sich diejenigen nicht, welche gerade
hier wirkliche Selbständigkeit wahrnahmen. Die Aehnlichkeit be-
steht eben nur in der Thatsache einer allenthalben hervortreten-
den realistischeren Richtung neben der conventioneilen, hervor-
gerufen durch die Berührung mit der Volkspoesie oder wenigstens
der Empfindungsweise des Volkes. Im Einzelnen aber gestalteten
sich die Erscheinungen dieser Art bei den verschiedenen Nationen
verschieden, da sie ja gerade aus einer Sphäre stammten, die dem
Einflüsse der gemeinsamen Schule entzogen und einer selbstän-
digen Entwicklung offen war. So sieht man es z. B. in dem
Liede: Per Arno mi cavalcava1), in welchem Caix nicht mit Un-
recht Anklänge an die provenzalische und altfranzösische Pasto-
relle zu finden glaubte; nur erstreckt sich diese Verwandtschaft
nicht über die äussere Form hinaus; der Inhalt des Gespräches,
welches der Dichter mit anhört, die Ungeduld des Mädchens, einen
Mann zu bekommen, die Scheltworte der Mutter, ist den Pasto-
rellen Frankreichs fremd und statt dessen ein Gegenstand, der in
späteren italienischen Volksliedern häufig wiederkehrt 2). Nicht
anders verhält es sich mit den Klagen von Frauen über den
Gatten, die ein höchst beliebter Stoff von Canzonen des 14. und
15. Jahrhunderts in Italien wurden, wie dies Carducci bezeugt3).
Endlich in dem Gedichte: Ualtro ier fui in parlamento, nahm
Caix nur deshalb so klare Beweise des französischen Ursprungs
wahr, weil er sich das Ganze in einer Weise gedeutet hatte, welche
durchaus nicht die richtige ist. Es handelt sich hier nicht, wie
er meinte, um die gewöhnliche Situation der Romanzen, sondern,
wie schon gesagt, die Frau in diesem Gedicht ist unverheirathet.
und der Vater erst im Begriff, ihr gegen ihren Willen einen Mann
zu Geben:
1 in Cod. A. 266 strht es anonym, bei Trucchi, I. 7:! fälschlich als
von Ciacco dall' Anguillaia, und danach bei Carducci. Cant. e Hall.. 10.
2) Beispiele bei Carducci, Cant. c Ball., p. 43 u. 336.
3) Cant. e Ball, p. 3 f.
— 122 —
1 niio padre atnanire
Per compier lo mal m' ä fatto,
sagt das Mädchen; Jas Uebel ist also noch nicht vollendet; der
Manu hat sie noch nicht, sondern soll sie erst erhalten:
Sir [dio, or mi consiglia
(E) donami lo tuo conforto
De l'om, c' a forza mi piglia.
und so der Liebhaber:
Donna, del tuo maritare
Lo mio cor forte mi duole.
Von der Verheirathung ist die Rede, nicht von der Ehe (matri-
monio), und demnach wird auch die ohnedies jetzt sinnlose Stelle
zu Anfang":
Fecemi grande lamento,
C a forza fui niaritata.
mit Trucchi zu bessern sein in:
C a forza e maritata d. i. viene marüata).
' dessen sagte Caix Cp- 508»: „Rugieri Pugliese (?) viene a
colloquio colla donna amata, che si lagna del marito, cki le fu
fatto sposare per forza.'1 Vielmehr fleht sie den Gehöhten an,
ihr gegen die bevorstehende Verheirathung zu helfen. So beruht
denn auch auf einem Irrthum, was Caix weiter hinzufügl :
unii ch( <j'i> il poeta cortigiano si ricorda troppo dei suoi amori
cavallereschi <■ chiude colV ammonire Ix donna ad aver cura <l<l-
Vonore, a non far fallanza, ad amare finamente, cid ehe falsa il
carattere del genere, >■',' egli imitava." Kr ahmte eben hier gar
keines nach; die Moral aber, welche der Liebhaber am Ende pre-
digt, ist nicht die von Caix bezeichnete; es ist die Moral des De-
cameron, d. h. sich den verhassten Gatten zu nehmen, wie so viele
andere thun. da ja das nicht ausschliesse, dass sie beide fort-
führen, sich zu lieben und glücklich zu sein. Das non fare fal-
lanza, zu dem er sie ermahnt, ist eben dies;-, keinen Lärm wegen
der Ehe zu machen, sich den Lunten nicht zu verrathen, ihr Ver-
hältniss geheim zu halten, gerade wie Compagnetto da Prato
(D'Anc. LXXXVII. tl) sagte:
- 123 —
Lc vecchie son mala gente,
Nüu ti lasciar dismagare,
Che '1 uostro aiuor lin' e gente
Per lor 11011 possa falzare x).
Die drittletzte Zeile des Gedichtes war derartig, dass Trucchi sie
unterdrückte „per onestä"; das also ist die Ehrenhaftigkeit, die
der Dichter dem Mädchen anempfiehlt.
Und an dieser Stelle kann ich nicht unterlassen, von der
Rosa fresca aulentissima des sogenannten Ciullo cVAloimo'2) zu
J) Das Fehlen in der Liebe war die Indiskretion, so bei G. Riquier,
VIII, 39 f.
E per mi dons sui celius.
Qu'a fallir no m' abando.
D'Anc. XLII, 4:
Ma non ch' io giä per tanto
Dimostri la cagione
Dela mia gioi; che ciö saria fallire.
und so oft.
'-) Dieser Name Ciullo d' AI camo, gegen dessen Richtigkeit auch Bilan-
cioni und Caix Bedenken erhoben, wird wohl bald aus der Literaturgeschichte
wieder verschwinden. Eine Erfindung Allacci's, wie Caix (Biv. di Fil. Born.
II, 178) meinte, ist er übrigens nicht. Der erste, welcher den Dichter er-
wähnte, war Ubaldini in den Documenti d'amore des Francesco da Barberino
(1640); er nannte ihn Ciulo di Camo, einmal im Verzeichniss der citirten
Autoren, und nochmals in der "Wörtertafel s. v. ea; das erste Mal berief er
sich dafür auf Angelo Colocci's Papiere. Allacci in seiner Vorrede, ]». 22,
fithrte dann eine oft wiederholte Stelle aus eben jenen Papieren Colocci's
an, wo der Dichter Gielo dal Camo genannt wird: Allacci selbst aber bil-
dete sich daraus, offenbar mit Rücksicht auf Ubaldini's Bezeichnung, eineu
C4ulo dal Camo. Vincenzo Auria nun in der Sicilia Inventrice (Palermo,
1704, p. 31) äusserte die Ansicht, dieses Ciulo dal Camo habe man als
Ciulo d'Alcamo zu lesen, was Mongitore in seinen Zusätzen zu jeuem Buche
Auria's (p. lbo) bestätigte; Ciulo dal Camo bedeute Vincenzo d'Alcamo, da
man in sicil. Mundart Nzulo oder Ciullo für Vincenzo sage. So ging dieser
neugeschaffene CiuUo d'Alcamo in Mongitore's Bibliotheca Sicula I. ll11
über und in Crescimbeni'- Commentari, von wo ihn fast alle neueren Bücher
aufgenommen haben. Manzi citirte allerdings im Wörterverzeichniss seiner
Ausgabe von Francesco da Barberino's Del Beygimento • "mi deüe
Donne (Roma, L815 s. v. nun Verse eines Ciulo d'Alcamo aus einer Vatican.
Hs. Aber welchen Glauben Manzi verdiene, zeigte der Graf Baudi di V<
in der neuen Ausgabe des Beggimento Bologna, 1875), p. XXIX f.
— 124 —
sprechen, wenn auch eigentlich nur. um sie als ganz anderer Art
von dein liier behandelten Gegenstande auszuschliessen. D'Ancona
in der seiner Sammlung der Rinu Arrfiche einverleibten Unter-
suchung über das Gedicht kam zu dem Resultate, dass es ein
wirklicher Rest alter Volkspoesie sei: darauf weist der Inhalt, der
sich ganz in dem der populären Dichtung natürlichen Gedanken-
kreise bewegt, die Form der Strophe, bestehend aus den später
sogenannten versi Martelliani mit scharfer Cäsur in der Mitte,
abgeschlossen durch eine syrima von endecasittabi, d. h. ein Stro-
phenhau, der auch sonst aus volksthümlichen Denkmalen bekannt
ist1), endlich die Sprach", welche, wenigstens, wie sie jetzt ist,
eine viel stärkere mundartliche Färbung besitzt als in irgend
einem Gedichte der höfischen Schule wahrnehmbar. Während
daher die vorher betrachteten Erzeugnisse einer realistischeren
Richtung doch immer in unverkennbarem Zusammenhange mit der
Hofdichtung stehen, und aller Wahrscheinlichkeit nach von Kunst-
dichtem herrühren, ist dieser Contrasto der Rosa fresca von den
anderen Poesieen durch eine Kluft geschieden. Mit dieser Unter-
suchung D'Ancona's schienen endlich die Fragen, welche das Ge-
dicht angeregt, und welche eine ganze umfangreiche Literatur
hervorgerufen hatten, erledigt zu sein. Aber statt dessen ist die
Diskussion darüber seitdem nur noch eifriger geworden. Gerade
besonders gegen D'Ancona's Ansichten über die Rosa fresca rich-
teten sich Ca ix' Argumentationen in dem mehrfach angeführten
Artikel der Nuova Antologia. Nach Caix wäre auch dieses Ge-
dicht nichts anderes als eine Nachahmung der Pastorellen Frank-
reichs. Diese letztere Auffassung erklärte darauf jedoch Gaston
Paris in einer kurzen Bemerkung in der Bomania (V. 125) für zu
weit gehend, und Bartoli2) hat gegen dieselbe Einwände erhoben,
welche auch Caix" Entgegnung nicht zu beseitigen vermochte3).
]) s. auch Moiraci: Sulla Strofa dcl Contrasto di Giullo d'Älcamo; Biv.
di Fil. Born. II. 113—116.
- in ,i,,<i nuova opmione intorno "/ Contrasto di Ciullo d'Alcamo;
'" Europea, Anno VII. vol. II. p. 281—294.
3) Ancora del Contrasto di Ciullo d'Älcamo; Biv. Europ. Lb. p. 547
— 558. D'Ancona blieb bei seiner früheren Meinung über den poetischen
— 125 —
Wie nämlich Caix in das soeben besprochene Lied: Ualtro ier fui
in parlamento, die typische Romanzensituation nur durch Gewalt-
samkeit oder Missverständniss hineinbrachte, so hier in die Rosa
fresca die Situation der Pastorelle, d. h. die des Ritters, welcher
sich zum Landmädchen herablässt und sie für sein Begehr zu ge-
winnen sucht. Die Personen des italienischen Contrasto sind viel-
mehr beide desselben Standes, beide gehören dem niederen Volke
an. Für das Ganze der Composition hat daher Caix keine treffende
Analogie im Gebiete der französischen oder provenzalischen Pasto-
relle nachzuweisen vermocht. Das Einzige, was etwas näher käme,
ist die Tenzone des Raimbaut de Vaqueiras mit der Genueserin,
wo wenigstens die Frau auch Dialekt redet; aber der AI »stand ist
immer noch viel zu gross, die Aehnlichkeit viel zu allgemeiner
Art. als dass mau beide Gedichte in dieselbe Kategorie setzen oder
gar das eine dem anderen nachgeahmt erachten dürfte. Was jedem
Unbefangenen beim Durchlesen der Rosa fresca sofort auffällt, i-
der von der höfischen Poesie ganz verschiedene und in seiner
plebejischen Rohheit und Frische höchst originale Geist, der sie
erfüllt, und man muss sich hüten, verleitet durch die Freude an
den aufgefundenen Analogieen, nur immer auf die Aeusserlich-
keiten zu achten. Was alter dann auch die Nachweisungen von
Aehnlichkeiten mit dem französischen Genre im Einzelnen, in An-
drücken und Redensarten, betrifft, welche Caix besonders ausführ-
lich in einer anderen Arbeit über die Sprache .des Contrasto1)
beizubringen suchte, so sind sie, wie vortrefflich jener Artikel
auch in anderen Beziehungen sein mag, meistens höchst kleinlich
und bedeutungslos, und, wenn man gar Corazzini, der ihm hierin
gefolgt ist2), zustimmen wollte, so würde man bald dahin kom-
men, jedes Gedicht als die Nachahmung jedes beliebigen anderen
betrachten zu können. Dennoch bleibt als Resultat von Caix'
Untersuchung dieses deutlich, dass die Sprache i\^v Rosa fresca
Charakter des Contrastes; s. sein neues Euch: La Poesia 7'<>i»>hirr Italiana,
Livorno, 1878, p. 4.
*) Bivista äi Fil. Rom. II, 177— IUI.
*) Del Contrasto <li Ciullo d'Aleamo; Propugnatore IX. 1". p. 373
—408.
— 126 —
stark mit Redeweisen der höfischen Minnedichtung versetzt ist, die
freilich dann mit dem Reste, welcher in natürlicher Rohheit ver-
blieben, seltsam contrastiren. Es ist aber übereilt, wenn Caix
daraus sofort schliessen will, der Autor müsse ein höfischer Dichter
gewesen sein; dabei bleiben ja umgekehrt die plebejischen Ele-
mente des Inhaltes und der Sprache schwer begreiflich. Wohl
meinte er, der gebildete Verfasser habe liier absichtlich die Weise
des Volkes und selbst dessen Dialekt nachgeahmt. Allein man
kann ihm seine Erklärung gerade umkehren; er sagte, der Ver-
fasser musste ein Kunstdichter sein, welcher das Volk nachahmte;
man kann behaupten, und dies ist bei weitem das Wahrschein-
lichere, es muss ein Volksdichter, ein Bänkelsänger gewesen sein,
der bis zu einem gewissen Grade von der Nachahmung der Kunst-
poesie angesteckt war, wie solches zu allen Zeiten stattfand. Dieses
wollte auch Monaci sagen, wenn er die Rosa fresca mit den Ge-
dichten eines Bonvesiu, Bescape, Antonio Pucci und anderer zu-
sammenstellte1); und er hatte Recht; man muss hier scheiden
zwischen der Volkspoesie im engeren Sinne und der volkstüm-
lichen Bänkelsängerpoesie. Caix dachte bei seinen Argumentatio-
nen stets nur an das echte Volkslied, wie er denn auch an einer
Stelle geltend machte, der Verfasser eines solchen könne kaum
bekannt, nicht berühmt werden. Die Rosa fresca ist aber nicht
ein wirkliches altes Volkslied, sondern ein Erzeugniss der poesia
popolaresca oder giullaresca, wie so viele alte dialektische Denk-
male Oberitaliens.
Bei Betrachtung der Dichtungen realistischen Charakters ist
wiederum, wie oben bei der couventionelleu Poesie, zunächst nicht
zwischen den Dichtern Süd- und Mittelitaliens geschieden worden,
und wiederum schon deswegen nicht, weil bei der Unsicherheit
der Attributionen die Sonderung kaum möglich ist. Zwei der be-
sprochenen Gedichte sind nach der Handschrift von einem Tosca-
ner, Compagnetto da Prato; aber die beiden anderen sind anonym
und stehen mitten unter den Poesieen von Sicilianern und Apu-
liern. Verfolgt man alter weiter die neue Strömung, welche in
' Biv. di Fi! Ihn«. It. 243.
— 127 —
der italienischen Literatur der conventioneilen Manier der sicilia-
nischen Schule entgegentritt, und mehr und mehr zur Befreiung
vom provenzalischen Einfluss führt, so wendet sich die Betrach-
tung ganz und gar Toseana zu. da die hieher gehörigen Erschei-
nungen bereits in eine Zeit fallen, in welcher die Dichtung im
Süden erstorben oder bedeutungslos geworden war.
Guittone von Arezzo selber, wie tief er auch in der proven-
zalisch sicilianischen Tradition steckt, ja im Provenzalisiren alle
Anderen übertrifft, besitzt dennoch schon eine gewisse, uns frei-
lich wenig sympathische Originalität. Guittone's dichterische Thä-
tigkeit zerfällt in zwei scharf geschiedene Perioden, deren Produkte
allerdings in den Handschriften und Drucken ganz unordentlich
gegen die chronologische Pveihenfolge durcheinander stehen1). Die
erste Periode war die der Liebespoesie. Ohne Minne, so dachte
er damals wie die Troubadours, giebt es keine Trefflichkeit, kein
Dichten (s. bes. Son. 49); so bemüht er sich verliebt zu werden,
fleht Amore an in ihn einzuziehen, bittet den Bandino um Be-
lehrung, wie er es anfangen solle, sieh zu verlieben (Son. 52 und
Val. I, 430). Es ging ihm darin ähnlich wie dem Troubadour Uc
de S. Circ, der, nach der Lebensnachricht über ihn, gleichfalls
sich nur verliebt stellte um zu singen. Daher denn auch Dante's
Vorwurf im Purgatorium, welcher den Mangel an aufrichtiger
Empfindung als das Grundübel der Dichtung Guittone's und seiner
Genossen bezeichnete. In dieser Zeit gehörte also Guittone durch-
aus der sicilianischen Schule an, wie ihn Dante in eine Kategorie
setzt mit Iacopo da Lentini und Buonagiunta Urbiciani.
Hierauf aber geschah in ihm eine Umkehr; auch er hatte
sein mezzo del cammin:
Poi fui dal mio prineipio a mezza etate
In loco Iaido, disorrato e brutto.
Ove m' involsi tutto.
so heisst es in dem Gedichte über seine Bekehrung an Maria
(Ganz. III). Er mochte also wohl •">"> Jahre alt sein, als er in
]) Doch nicht so in der Rediaiiisclun II- . wo sie gesondert sind,
s. Giornale rfi Fü. Ttotn. I, 50.
_ 128 —
den Orden der cavalieri di S. Murin oder frati gaudenü eintrat.
Nunmehr war seio Standpunkt ganz verändert; die Liebe, die er
gepriesen, schmähte er aufs Heftigste (Canz. IV) und pries statt
ihrer allein die wahre Liebe zu Gott. Nunmehr leugnet er, dass
.Minne Trefflichkeit gehe; es sei auch nicht wahr, dass man ver-
liebt sein müsse, um singen zu können; im Gegentheil sei Liebe
Thorheit, und das Rechte und Vortreffliche leistet nur der Weise,
nicht der Thor (Canz. I). Er verurtheilt sein eigenes früheres
Leben, seine eigene Dichtung, malmt, man solle seine Liebeslieder
nicht lesen:
Perö fugga lo rriio folle dir como
Suo grau nemico ogni uomo l).
An denselben Mastro Bandino, den er zuerst um Belehrung in
der Kunst der Liebe gebeten, richtet er nun ein Sonett in ganz
anderem Tone (Son. 164), wo er sagt, es wäre vernünftig auch
von ihm, die Minne zu lassen, sowie er es gethan.
Solche Reue und Umkehr war nicht selten bei den Trouba-
dours, und auch von Italienern giebt es mehrere Bussgedicht <■.
welche die Abwendung von der Minne zu Gott besingen, so eines
von Pannuccio dal Bagno (Val. I, 351), eines von Bacciarone (ib.
407) oder die Canzone des Tommaso da Faenza: Celestial J'"ih'.
consiglio vi cheggio (Zambrini, op. volg. p. 380). Aber Guittone
war hier nur zu sich selbst zurückgekehrt: der Mode der Minne-
poesie zu folgen, war ihm stets schwer gefallen; jetzt giebt er
sich ganz seiner Sucht zum trockenen Raisonniren hin; er schreibt
nicht mehr Gedichte, sondern Traktate und Predigten in Versen:
so ist z. B. die 7. Canzone über das Dasein Gottes und die Un-
sterblichkeit der Seele eine dürre Zusammenreihung von Syllogis-
men in der Schulsprache mit Citirung von Tullius, Aristoteles,
Boethius, Seneca; die Uebergänge geschehen mit einem: „Nachdem
wir nun erwiesen haben," u. s. w. Es ist eine Abhandlung, und
•kein Gedicht. Und darin unterscheidet sich Guittone's religiös
moralische Poesie sehr unvortheilhaft von der damaligen populären
Dichtung über dieselben Gegenstände, welche doch manche erfreu-
l) Canz. III, 2; s. auch Son. 1.").") au den Conte Gualtieri.
.— 129 —
liehe Früchte hervorbrachte; Guittone hat nichts von der stürmi-
schen Gluth eines Iacopone" noch von dem Erzählertalent Bon-
vesins oder der rohen Naivetät Fra Giacomino's; er ist ein kalter
und subtiler Verstand, und er ist kein Künstler; seine Gedanken
bringt er zum Vorschein, wie der Zufall sie ihm in den Mund
legt; ihm war es darum zu thun zu belehren und zu predigen,
nicht zu dichten; gegen diejenigen, welche seine Gedichte schwie-
rig und dunkel fanden, vertheidigte er sich (Canz. XLIII, Gel. 2)
mit den Worten:
E dice alcun, eh' e duro
E aspro mio trovato a saporare.
E puot' essere \ero, ond' e cagione,
Che m' abonda ragione1);
Perch' io gran canzou faccio e serro motti,
E nulla fiata totti
Locar loco li posso; ond' io rancuro;
Che un picciol motto puote un gran ben fare.
Hin und wieder trifft er daher einen kräftigen Ausdruck, ein wir-
kungsvolles Bild, wie Canz. VIII, 3:
Legno quasi digiunto 2)
E nostro core in mar d'ogni tempesta,
Ov' uomo fugge porto e incontra scoglia
E di correr ver morte ora non resta.
erinnernd schon an Dante's: vivi Del viver, cti e un correre alla
worte (Purg. XXXIII, 54), und ähnlich heisst es Son. 210:
Non ti rimembra, che come corrieri
Se' in questo raondo pieno di fallire?
Morendo oggi par che nascesti ieri; (Val. Morendo veggio
Nulla ne porti e non sai dove gire.
Aber dergleichen ist verloren in einem Meere von Langweiligkeit
und Oede, aus welchem dann wieder Geschmacklosigkeiten liervor-
tauchen, wie Canz. XVI, Gel.:
Messer padre, del cor meo la cervice
Devotamente ai pie vostri s' inchina.
') ragione „Gegenstand, Materie" der Poesie, wie prov. raso.
2) digiunto im Sinuc von sdrueito.
9
— 130 —
und XVIII. 2:
Quant' aggio c quäle in voi ver bono amore,
Non partorir puö coro,
Tenelo in ventre, e, poi[che] vol. guaimenta.
(1. h. das Herz kann die ganze Liebe nicht kundgeben; also das
Herz hat einen Nacken, den es beugt, und einen Bauch, au- dem
sbiert, und. wenn es nicht gebären kann, wehklagt es.
\ "li seiner besten Seite zeigt sich Guittone in denjenigen
Gedichten, welche den provenzalischen Rügeliedern verwandt sind:
sein politisches Serventes an die Florentiner (Canz. XLI), wohl das
Beste, was er je geschrieben hat, ist oben bereits öfters erwähnt
worden. Diesem nahe steht die Invektive und Ermahnung an
seine Mitbürger, die Aretiner (Canz. IX): 0 dolce terra Aretina.
Es ist ernst und nicht ohne Kraft, und, wäre es nicht so abstrakt,
so würde es an die berühmten Dante'schen Invektiven erinnern.
Man sieht hier, wie die politische Erregung auch in dem trockenen
und phantasielosen Geiste den Funken der Dichtung zeitweise ent-
zündete.
Wollte man den älteren Literarhistorikern glauben, so hätte
Guittone noch einen ganz anderen und viel vollkommneren Styl
gehabt, welcher ihn zum direkten Vorgänger, ja Muster Petrarca's
machte. Freilich blieb es dabei unverständlich, wie zwei so gänz-
lich verschiedene Dichtweisen bei demselben Manne möglich, wie
der Verfasser der Liebescanzonen in conventioneller Manier und
der weitschweifigen Moralisationen das Sonett geschrieben haben
sollte: Giä mille völte, qudndo Amur w' im stretto. Aber das
Ganze war eben auch eine Täuschung, und was unbegreiflich
schien, war einfach falsch: denn jene acht Sonette in der Giun-
tiner Sammlung der Uinu Antiche, welche in diesem so glatten
und gerundeten Style geschrieben sind, waren Guittone unter-
geschoben und sind Erzeugnisse der Renaissancezeit, das eine der-
selben notorisch von Trissino x).
') Es ist das letzte Sonett in der Ausgabe VaJeriani's: Quanto piü mi
distrugge il mio pensiero. I>;i>- es von Trissino, bemerkte schon Scipione
Maffei in der Vorrede zu Trisfeino's Werken ^1729), ]>. X.WII f., und
— 131 —
Guittone hat einen bedeutenden Einfluss auf die gleichzeitige
Literatur ausgeübt. Wie hoch er geachtet wurde, beweisen die
zahlreichen Sonette, welche man an ihn richtete, und bezeugen
Dante's Worte im Turgatorio und dem Buche de el. vülg. Er galt
eine Zeit lang in Toscana als Meister der Kunst, und die Nach-
ahmung seiner Manier ist in manchen Gedichten des Meo Abbrac-
ciavacca, des Monte Andrea, des Chiaro Davanzati, und auch bei
den Pisanern Pannuccio, Bacciarone, Lotto di Ser Dato, unver-
kennbar.
Die provenzalisirende Dichtweise musste in Toscana natur-
gemäss immer mehr in Verfall gerathen; denn hier hatte sie
Seghezzi in der Vorrede zur Sammlung der Rune di diversi antichi autori
toscani, Venezia, Zane, 1731; nichtsdestoweniger fuhren viele, und selbst
noch Galvani und Naunucci fort, es für Guittone's Eigenthum zu halten und
als solches zu preisen. So that auch Foscolo zu der Zeit, als er die Storni
del Sonetto schrieb, und führte dieses Sonett als von Guittone an, zugleich
es als ein Zeugniss für den geringen Wechsel betrachtend, den die italie-
nische Sprache in den fünfhundert Jahren erlitten [Opere, X, 403); dagegen
in den Discorsi sulla Lingua Italianu {Opere, IV, 169) erklärte er die Poe-
sieen Guittone's für spiritose invenzioni di qualche bell ingegno delV epoea
di Leone X, ohne dabei zwischen den verschiedenen Gedichten zu scheiden.
Giudici [Storia della Lett. Ital., 1863, I, p. 107 f.) hielt die Sonette Guit-
tone's für unecht, auch er, ohne im Einzelnen einen Unterschied zu machen.
Dass acht der ehedem Guittone beigelegten Sonette (Son. 211 — 217 u. 239
aus der Eenaissancezeit herrühren, kann niemand bezweifeln, der mit der
Entwicklung der italienischen Literatur vertraut ist, und schon die äussere
Form deutet auf die Unechtheit derselben. Guittone, wie fast alle älteren
Dichter, giebt seinem Sonette die Reimordnung a b a b; nur eine Ausnahme
davon ist unter den 205 ihm mit Sicherheit zugeschriebenen vorhanden.
nämlich das an Meo Abbracciavacca, nr 172. Diese acht hingegen sind
sämmtlich in der Ordnung a b b a, die mit Dante und Petrarca die vor-
herrschende geworden. Alle Poesieen Guittone's, welche die Giuntina ent-
hielt, darf man aber darum nicht für untergeschoben erklären wollen, da
ja ein Theil derselben aus Hss. bekannt und veröffentlicht ist. Selbst die
übrigen nur aus jener Sammlung bekannten 21 Sonette (Son. 238— 238) sind
wenigstens ganz im Style der Alten, den ein Fälscher des 16. Jahrh. kaum
so geschickt hätte nachahmen kennen. Dagegen ist gewiss nicht von Guit-
tone, und wahrscheinlich von einem Dichter der neuen florentinischen Schule
die ballata: Noi sem sospiri di pietä formati, in der Sammlung Zane. p. 258;
Val. Canz. LH.
- 132 —
vollends joden Boden in den wirklichen Verhältnissen des Lebens
verloren. An Friedrichs II Hofe war doch noch am meisten von
feudalem, ritterlichem Wesen vorhanden; unter jenen Richtern und
Doctoren befanden sich doch auch dichtende Hofmänner und
Fürsten. In Toscana trifft diese Richtung auf das Leben der
Communen, das gerade Gegentheil des Ritterthums, welches diese
Dichtung geschaffen hatte: es sind last nur noch Notare, welche
hier dichten, und man sieht, wie die Poesie jenen spiessbürger-
lichen Charakter bekommen musste, der sich in den Tenzonen Ser
Pace's und seiner Genossen zeigt, und jene öde Dürre, die bei
Guittone und seinen Nachahmern herrscht. Es ist eine äusser-
liche, rhetorische Uebung in der hergebrachten Weise, daher die
vermehrte Künstlichheit und Affektation, da sich alle Bravour auf
die Form wandte. Man dichtete, ohne zu empfinden; wer dichtet,
der muss feine Liebe pflegen; aber wie sollte man sich gewaltsam
die ritterliche Liebe einflössen, die man in der Wirklichkeit nicht
mehr kannte? So quält und martert sich der kalte, trockene
Guittone, lässt sich Recepte geben, wie man verliebt werden könne,
fleht Amore an, in ihn einzuziehen, bis er zuletzt in die ganz
entgegengesetzte Richtung umschlägt, und dafür streitet, dass man
auch ohne Liebe singen könne, und die Minne schmäht. Und so
schmähen sie Andere. Die Gedichte gegen Amors waren zwar
auch den Provenzalen schon wohl bekannt; aber ihr so häufiges
Vorkommen, der ernste, moralisirende Ton, in dem sie abgefasst,
scheinen ein wirkliches Zeichen des Grolles und Ueberdrusses.
Die Liebe in der neuen Schule hatte dann eine veränderte Be-
deutung.
Allein manche von diesen Dichtern, welche unerträglich sind.
wo sie die Sicilianer und Provenzalen sclavisch nachahmen, zeigen
sieh ganz anders da, wo sie eben zu sich selbst und der realen
Sphäre zurückkehren, die sie umgiebt. Hier kommen wiederum
die Regungen einer freieren und volkstümlicheren Weise zum
Vorschein. Dieselben Dichter pflegen bisweilen die eine und die
andere Manier, so 'Monte Andrea und Guido Orlandi, und es
drängt sich dabei die Beobachtung auf, die sich auch bei Guido
Guinicelli und Onesto von Bologna wiederholt, dass gewöhnlich
— 133 —
die Sonette freier und moderner sind als die Canzonen. Das So-
nett war, nach Dante's Zeugniss, eine tiefer stehende Form und
damit der volksthümlichen Weise eher zugänglich als die hohe
l'anzone, die solenne Form der Dichtung, welche immer am läng-
sten im conventioneilen Style verharrte.
An Stelle jener süsslich schmachtenden Tenzonen von Messere
und Madonna, die sich gegenseitig ihren Schmerz klagen und sich
ihre Herzen senden; treten hier Gespräche mit halb spöttischer
Färbung, wie die Sonette Chiaro Davanzati's bei Trucchi, I, 157
—161. Die Dame fertigt ihren Anbeter mit guten Lehren ab,
will auch von seinen Betheuerungen ehrenhafter Gesinnung nichts
wissen, vielmehr zeigt sie sehr viel Eifer für die Treue gegen
ihren Gatten, welcher in der älteren Hofdichtung als der böse
geloso oder lusingatore erschien. Dieselbe Abfertigung erhält der
Liebhaber in der freilich äusserlich der alten Manier viel näher
stehenden Balladentenzone des Guido Orlandi: Partirc, amor, non
oso 1), und voll echt toscanischer Schelmerei sind die Antworten,
') bei Manzoni, VII — X. Manzoni hat, wie sehr oft in den von ihm
publizirten Poesieen, die Form ganz verkannt, und so das Gedicht auf das
Seltsamste entstellt. Alle hier gesondert numerirten Stücke bilden zusam-
men eine Ballata von 4 Strophen; voran gebt die Bipresa von 4 Versen,
und am Schlüsse folgt, nach einem sehr häufigen, auch von Antonio da
Tempo erwähnten Verfahren, eine neue Bipresa auf die Reime der ersten.
Auch die Abtheiluug der Zeilen ist bei Manzoni falsch, und str. I z. B. so
herzustellen :
Partir, tal' ora fue,
Mi credea da amare
Per vero intendimento preso novo.
Ma ciö non poria fare;
Ke per un cento e piue
Doblato lo disio ke mi trovo.
E per tale m' aprovo
Paragonato sono,
Ne mai altro ragiono
Ke di plaser a voi sempr1 amoroso.
Das folgende Gedicht bei Manzoni v X I > ist ebenfalls eine Ballata mit einer
neuen Bipresa am Schlüsse, und daher, wenn man recht zusieht, durchaus
regelmässig und vollständig erhalten, nicht verstümmelt, wie der Beraus-
— 134 —
welche die G-emnia lesiosa ihrem Bewerber in dem Contrasto des
Ciacco dall' Anguillaja von Florenz giebt1), wennschon sie zuletzt
nicht gar so hartherzig bleibt. Rustico di Filippo, der in manch« n
(■"lichten noch der sicilianischen Manier angehört2), hat anderer-
seits ein Sonett: lo aggio inteso, che sensa /<> core, welches mit
seiner geistvollen Pointirung schon Crescimbeni in Erstaunen
setzte3), und ein anderes desselben Rustico: Tutto lo giomo m-
torno vo fuggendo*), zeigt vollends schon nicht bloss den Geist
und die Feinheit, sondern auch die Schwächen der petrarchischen
Poesie in ihren Antithesen von ghiaccio und fuoco. Von liebens-
würdiger Einfalt ist ein Sonettengespräch Chiaro's hei Nannucci,
I, 206 f. (nach Massi), und das Bild vom entflogenen Vögelein,
dem er sein zur Geliebten entflohenes Herz vergleicht, entzückt
durch seine Frische und Natürlichkeit. In vielen anderen Gedich-
ten von Toscanern zeigt sich wenigstens eine bemerkenswert]! e
Erneuerung der Form; die Sprache hat ihren alterthümlichen Cha-
rakter abgestreift, ist behender und flüssiger geworden; die pro-
venzalischen und mundartlichen Elemente, die schwerfällige Ge-
wundenheit des Ausdrucks verlieren sich immer mehr und machen
einer natürlich eleganten Redeweise Platz. Dieses kann man selbst
in solchen Gedichten beobachten, wie der Canzone des Bondie
Dietaiuti: Madonna, wC e ävvenuto simigliante (Trucchi, I, 100),
die doch sonst durchaus an dem alten Ideeenkreise festhält. Als
Hauptrepräsentant dieser veränderten Dichtweise muss uns aber
eben Chiaro Davanzati gelten, dem wir schon so oft begegneten.
und der, mochte er nun die Provenzalen nachahmen, wie in der
Canzone: Non giä per gioia, clrC aggia, mi eonforto, oder mochte
geber meinte. Aber alle diese wunderlichen Irrthümer Manzoni's, dem auch
die Form des Sonetto rinterzato unbekannt war is. nr. VI u. XIII), zu be-
richtigen, ist hier nicht der Ort.
1 Trucchi, I, 69, wonach bei Nannucci und Carducci.
2) s. Trucchi, I, 180. 206 ff. 227.
3) Es steht in A. 823 und C, 138, hier als von Rustico Barbuto, wo-
durch man zugleich sieht, da>> dieser mit Rustico 'li Filippo dieselbe Per-
son. Nach Crescimbeni (III, 89) ist es gedruckt Yal. II, 419, Nan. 487,
Trucchi, 177.
4) in A, 835, bei Trucchi, I, 196. fälschlich als von Chiaro Davanzati.
135 —
er Guittone folgen, wie in seinen Plazer-Sonetten, stets doch eine
besondere Originalität und Gewandtheit offenharte. Witte hat in
einem Artikel in Böhmers Romanischen Studien (I, 114—117) auf
die Bedeutung dieses Dichters aufmerksam gemacht, und in der
That geben die von ihm bekannten Gedichte, so wenig ihrer auch
im Verhältniss zu der Menge der noch ungedruckten sind, eine
höchst günstige Idee von seinem Talente und zeigen, dass er unter
den älteren Toscanern einer der vorzüglichsten gewesen.
Diese Dichter sind übrigens fast alle Florentiner, worin sich
die Prädestination der Stadt als Centralpunkt der literarischen
Entwickelung zu erkennen giebt. Ihr Gegensatz gegen die hart-
nackigen Anhänger der alten Manier war auch nicht etwa bloss
ein unbewusster. Wie sie von den altmodischen Fortsetzern der
sicilianischen Schule dachten, sieht man aus einem Sonett von
Chiaro Davanzati oder Maestro Francesco *) an Buonagiunta Ur-
biciani, welchem da vorgeworfen wird, dass er sich mit dem Eigen-
thum des Notars von Lentini schmücke, wie die Krähe mit den
Federn des Pfaues:
Per te lo dico, novo canzonero,
Ke ti vesti le penne del Notaro
E va' furando lo detto stranero.
Siccoin gli uccel la corniglia spogliaro,
Spogliere'ti per falso mehzonero,
Se fosse vivo, Jacomin Notaro.
Dante da Majano's rohes Benehmen gegen den jungen Dante
Alighieri, als er sein erstes Sonett an die berühmten Dichter sei-
ner Zeit sendete, ist wohl bekannt; aber Dante da Majano seilet
ist es bei ähnlicher Gelegenheit übel ergangen. Auch er hat ein-
mal eine Vision gehabt, welche er zur Deutung an verschiedene
Dichter sandte (Val. II, 499); ob die des Alighieri oder die seine
vorangegangen, ist nicht zu entscheiden; aber fast erscheint die
letztere wie eine ungeschickte Nachahmung der ersteren. Dante
Alighieri's Traum ist symbolisch tiefsinnig, der des Dante da
*) von ersterem nach A, 680, von letzterem nach C, 120, publizirl bei
Manzoni, XVI.
— 136 —
Majano süsslich sinnlich, zu unfeiner Deutung reizend, und Guido
Orlandi, welcher halb wenigstens der neuen, feindlichen literari-
schen Richtung angehörte, antwortete ihm, mit herbem Spotte
seine Indiskretion geisselnd (Val. II, 274).
Trucchi, welcher so vielfach in seinen Ansichten über die alte
Dichtung irrte, hat hier doch einmal das Richtige getroffen und
die verschiedenen Stufen einer allmählichen Entwicklung der Poesie
in Toscana wohl wahrgenommen. Er unterschied zwischen den
trovatori, den Dichtern der conventioneilen Manier, den trovatori
di transizione und den poeti. Die Dichter des Ueherganges sind
eben die, von welchen soeben die Rede war, während er als poeti
Dante, Guido Cavalcanti, Cino u. s. w. bezeichnet1). Was aber
seine Yertheilung der einzelnen Dichter in diese verschiedenen
Kategorieen betrifft, so ist sie oberflächlich und inconsequent, wie
er denn Guido Guinicelli einfach unter die trovatori setzte. Auch
die neue Eintheilung, welche Bartoli 2) versuchte, kann nicht be-
friedigen; wenn er von Guittone (p. 161) sagte: „Je freddure pro-
venzali lo disgustano cd egli sc ne emancipa", so scheint das von
keiner klaren Vorstellung über das Verhältniss der Schulen in
Toscana zu zeugen; er nennt (p. 15'J) auch Meo Abbracciavacca
und gar Pannuccio dal Bagnu unter denen, die von provenzali-
schem Einfluss frei seien. Eine vollständige Classification der ein-
zelnen Dichter ist aber überhaupt unausführbar, so lange nicht
von allen die erhaltenen Poesieen sämmtlich veröffentlicht sind,
und zugleich die Attribution der Gedichte nach den Handschriften
mit grösstmöglichster Sicherheit festgestellt ist; denn bis jetzt ist
oft das, was man von einem Dichter kennt, gar zu wenig, um
danach entscheiden zu können, welches der allgemeine Charakter
seiner Dichtung sei. In Sonderheit ist von den Dichtern der Ueber-
gangszeit noch nicht hinreichend viel veröffentlicht; in den älteren
Sammlungen sieht man von ihnen fast garnichts. Trucchi's Werk
dagegen erhielt gerade dadurch seine Bedeutung, dass es manches
Werthvolle dieser Richtung brachte; weiter gehören hierher die
>) s. Trucchi's Vorrede, p. LXXIX ff.
'< I primi due Secoli della Lett. Hui, p. 162, u. 1.
— 137 -
von D'Ancona im 6. Bande dos Propugnatore publizirten 20 So-
nette; die Fortsetzung von D'Ancona's Sammlung der Eime An-
ticlie wird aber noch eine grosse Fülle des Neuen und Interessan-
ten zu enthüllen haben.
Andere Poesieen toscanischer Dichter zeigen noch weitere
Schritte in der Emancipation von den Traditionen der siciliani-
schen Schule. Folgore da S. Gemignano besingt in Sonettenkrän-
zen die Vergnügungen der verschiedenen Monate und die der ver-
schiedenen Wochentage zur Unterhaltung lustiger Gesellschaften
in Siena und Florenz, und ein Cene dalla Chitarra aus Arezzo,
ärgerlich über Folgore's Prahlereien (s. Val. II, 199), verfasste zu
den lustigen Gedichten desselben burleske Parodieen. Wir haben
hier also schon den Beginn der humoristischen Poesie, und die-
selbe wird bereits mit grosser Fertigkeit gehandhabt von Rustico
di Filippo und Cecco Angiolieri aus Siena, den Vorläufern der
Sacchetti und Pucci des folgenden Jahrhunderts. Von Rustico
stehen bei Trucchi (I, 225 ff.) achtzehn Sonette dieser ganz reali-
stischen Richtung, politische Satiren, persönlicher Spott, Scherze
über kleine häusliche Angelegenheiten und Vorkommnisse, Alles
für die Zeit sehr bemerkenswerth, drastisch, natürlich, in kräfti-
gem Ausdruck. Trucchi's Lob des guten Rustico als eines grossen
Dichters, Vorgängers Dante's, Schöpfers des linguaggio illustre,
ist freilich sehr übertrieben. Allein mit diesen Dichtern stehen
wir auch schon auf der Grenze des 13. Jahrhunderts; ja die poe-
tische Thätigkeit mancher unter ihnen dauerte in das 14. hinein.
Cecco Angiolieri's Angriff auf Dante (Allacci, 195) deutet auf die
Zeit von Dante's Verbannung: von Folgore giebt es drei politische
Sonette von grosser Kraft und Kühnheit der Satire, welche nach
der Schlacht von Montecatini (1315) gedichtet worden *). Ist end-
lich das Sonett: Color di cener fatti son li lliunchi2), von Guido
*) Zwei derselben bei Val. II. 194 f. Die Quadernarien des dritten
theilte Borgognoni in der Schrift über Binde- Bonicbi. "Propugnatore, I. 308,
mit, Borgognoni wollte sie alle drei Folgore absprechen, aber mii schlech-
ten Gründen, wie Navone im Giomale di Füologia Romanza, 1. 59, und
D'Ancona, Nuova Antologia, Ser. II, vol. VIII, 560 f., gezeigt haben.
- Trucchi, I. 244.
— 138 —
Orlandi, dem es die vatican. 11s. 3214 (169) zuschreibt, so hätte
auch dieser Dichter noch 1316 gelebt; denn es ist da von der in
genanntem Jahre für die Bianchi erlassenen Amnestie die Rede,
die Dante wegen der schmählichen an sie geknüpften Bedingung
zurückwies:
. Cosi il nome dei Bianchi si diclini
Per tal sentenza, che non vi si appelli,
Salvo che a San Giovanni sicuo offerti.
Wir wären also damit über den Zeitraum hinausgelangt, wel-
cher uns liier beschäftigt; denn inzwischen hatte sich schon die
Schule des dolee Stil nuovo kräftig entwickelt, ja damals war schon
ein grosser Theil der Divina Commeäia vollendet. Die neue
Schule knüpfte nicht unmittelbar an die in Toscana aufgekommene
populär realistische Richtung an, vielmehr ging sie von Bologna
ans. Guido Guinicelli, ihr Begründer, war selbst zuerst der alten
Manier gefolgt; die meisten seiner Canzonen zeigen keinen merk-
lichen Unterschied von denen der südlichen Hofdichter, inmitten
derer sie gedruckt zu stehen pflegen; da rindet man dieselben
Gemeinplätze, dieselbe Leere und Monotonie, dieselben Bilder und
Vergleiche, die wir bei jenen kennen gelernt. Hätte Dante, als
er ihn so sehr erhob, ihn seinen Vater nannte, wirklich damit
auf alle Pocsieen Guido's ohne Unterschied deuten wollen, so wäre
sein Urtheil unbegreiflich. Aber ohne Zweifel dachte er, wenn er
so redete, eben an die berühmte Canzone: AI cor gentil rvpara
sempre amore, an manche Sonette, wie das von ihm selbst theil-
weise nachgeahmte: Io vo del ver I" mia donna laudare, und
etwa an andere verloren gegangene Dichtungen. Man wird kaum
irren, wenn man annimmt, dass jene Canzonen Guido's in der
conventionellen Manier seinen jüngeren Jahren angehören, als er
Guittone seinen Meister nannte, und dass er dann später seinen
eigenen selbständigen Weg einschlug. Diese Befreiung geschah
bei ihm durch wissenschaftliche Einflüsse; in dem gelehrten Bo-
logna verband sich die Dichtung eng mit der Philosophie, ent-
lehnte von ihr vielfach den Inhalt und selbst die Darstellungs-
weise. In der Canzone Guido's von Amore und cor i/rntUe steht
zu Anfang gleichsam als philosophische These der Satz, dass Amore
— 139 —
seinen Sitz nur in edlem Herzen nehme, in dein Herzen, das
Lugend und Adel besitzt, und dieser Satz wird dann mit einer
Reihe von Vergleichen erläutert. Aber in diesen Vergleichen ist
das alte Repertorium gänzlich verschwunden; man erkennt hier
den Denker, der das Bedeutende und Ausdrucksvolle des Bildes
sucht. Dieses Streben nach Tiefe, und damit eine neue Kraft
und Männlichkeit ist es, was die neue Schule von der alten unter-
scheidet. Amore und Madonna bleiben Abstraktionen; aber sie
erhalten eine verschiedene Bedeutung. Madonna ist noch immer
der Inbegriff aller Vollkommenheit; aber sie ist zu einem Symbol
geworden, zu der Verkörperung von etwas Höherem, die Liebe zu
ihr geht über sie hinaus zur Tugend, zum höchsten Gute, und die
Dichtung erhält einen symbolisch allegorischen Charakter; ihr
eigentlicher Zweck wird allmählich die Darstellung philosophischer
Wahrheit umhüllt vom schönen Schleier des Bildes, wie Dante sie
selbst definirt hat. Diese Einmischung der Wissenschaft ist an
und für sich noch kein poetisches Element; aber sie giebt der
Dichtung doch einen neuen, selbständig entwickelten Gehalt; es
ist, wie Bartoli bemerkte, eine neue Emancipation vom Provenza-
lismus. Der neue Gehalt steht doch jetzt in innerlichem Zusam-
menhange mit der Persönlichkeit des Dichters, wird nicht einfach
von aussen aufgenommen. Der wissenschaftliche Symbolismus rettet
vor den alten Phrasen, und damit erhält auch der Affekt von
Zeit zu Zeit seine Freiheit wieder, wie am Schlüsse von Guido's
Canzone und an so manchen Stellen seiner Sonette. Bei den
florentinischen Fortsetzern des dolee sül nuovo, Guido Cavalcanti,
Lapo Gianni, Lapo degli Ubcrti, Dino Frescobaldi, Gianni Alfani
und auch Ser Noffo Notajo d'Oltrarno, mit dem wohl Loffo oder
Noffo Bonaguida eine und dieselbe Person1), begegnet sich mit
jenem Streben nach philosophischer Tiefe die den Toscanern eigen-
tümliche Neigung zu einer natürlicheren, volkstümlicheren Weise.
Daher belebt ihre Dichtungen ein frischerer Hauch, trotz des neuen
symbolischen Conventionalismus mit seinen Abstraktionen und Per-
soniheationen Amore's, der spiritelli d'amore und damit der Ver-
') So vermuthet Quadrio und liier wahrscheinlich mit Recht.
— 140 -
äussernd Hing innerer, seelischer Vorgänge. Derselbe Guido Caval-
canti, der die Canzone: Donna mi prega, mit ihren scholastischen
Definitionen und Distinctionen verfasste3 dichtete auch die reizen-
den naiven Pastorellen: In un boschetto, und: Era in pensier
Wamor. Als endlich in Dante's grossem Gedichte die fein aus-
gebildete Kunst der Schule sich mit dem beliebtesten Gegenstande
der populären Tradition verband, erreichte die literarische Ent-
wickelung ihren Gipfelpunkt.
IV.
Die Sprache.
Obgleich der Einfluss der südlichen Mundarten Italiens auf
die Sprache der sicilianischen Dichter in gewissen Einzelheiten
unverkennbar ist, so unterscheidet sich dieselbe, so wie uns jetzt
die Texte vorliegen, im Grossen und Ganzen dennoch nicht wesent-
lich von der späteren italienischen Gemeinsprache, als deren Grund-
lage man das Toscanische ansieht. Und dieses ist zu verwundern,
da doch naturgemäss, ehe in einem Lande eine gemeinsame lite-
rarische Bewegung besteht, ein jeder Dichter eben nur zu seinem
eigenen Dialekte zu greifen pflegt, wie es denn auch wirklich in
Italien selbst geschah, wenigstens in den nördlicheren und mitt-
leren Provinzen des Landes, welche im 13. Jahrhundert eine grosse
Zahl dialektischer Poesieen hervorbrachten. Bestand nun neben
den Mundarten damals schon eine Gemeinsprache? Dieses meinte
in der That Dante; er suchte es im ersten Buche seiner Schrift
de vulgari eloquentia zu beweisen und führte zum Zeugnisse eben
jene Gedichte der ältesten Lyriker an als solche, deren Sprache
verschieden sei von dem Idiom der Gegend, welcher der Verfasser
angehörte, und vielmehr überall eine und dieselbe, d. h. sein
italienisches volgare illustre cortujiano. Diese Ansicht Dante's
— 141 —
nahm neuerdings Perticari wieder auf in seiner Difesa di Dante1)
und vertheidigte sie gegen die Einwände, welche man inzwischen
erhoben. Nach ihm wäre dieses alte vulgare illustre direkt aus dem
latinum rusticum oder der von Raynonard erdachten gemeinsamen
romanischen Sprache entsprossen und hätte sich zuerst im Süden
und dann gleichmässig in allen Theilen Italiens entwickelt. Freilich
wie diese Entwicklung denn nun vor sieh gegangen, was die
Hauptschwicrigkeit war, darüber blieben seine Bemerkungen sehr
oberflächlich und ungenügend, und boten den Gegnern bequeme
Angriffspunkte. So wendete sich denn gegen ihn und Dante's
Theorie der Graf Giovanni Galvani mit seinem Buche: Dubhi sulla
veritä delle Dottrine Perticariane nel fatto storico della lingual).
Ihm stand es fest, dass die spätere Gemeinsprache eben nur das
Toscanische sei, und, wenn in den Dichtungen anderer Gegenden
von Anfang an etwas ihr so Aehnliches zum Vorschein gekommen,
so suchte er sich das Räthsel auf andere Weise zu lösen. So
nämlich, wie man oft genug toscanische Schriften unter den Hän-
den lombardischer oder venetianischer Copisten sich dialektisch
färben sehe, so habe es ja wohl mit den dialektischen unter der
Hand der Toscaner umgekehrt ergehen müssen, und es könnten
die Gedichte der Sicilianer in ihrer eigenen Mundart abgefasst
und von toscanischen Abschreibern umgestaltet worden sein (p. 56).
Aber Galvani kam darüber mit sich nicht in's Reine. Bald ist
ihm, wie hier, die jetzige Gestalt der Poesieen bloss Resultat einer
Toscanisirung seitens der Copisten, bald ist ihm jene Sprache ein
künstliches Idiom, entstanden durch eine Einwirkung der Jangues
d'oc und d'o'il auf den sicilianischen Dialekt, wodurch er einen
nur scheinbaren toscanischen Anstrich erhielt3), bald sollen diese
Dichter gar per istudio toscanisch geschrieben haben (p. 109 it'. u.
p. 113), was mit seiner Meinung zusammenhängt, dass es Dichter
in Toscana schon gegeben habe, ehe man die Poesie an Fried-
1) zuerst Mailand. 1817.
2) in Opere di G. Gulvani, vol. II, Milano, 1846 (das Buch war vorher
schon zweimal erschienen, aber in geringerem Umfang .
3) s. p. 51 und die ausführlichen Auseinandersetzungen über Entstehung
dieser künstlichen Sprache am Ende des Buches.
— 142 -
richs II Hofe pflegte. Und so sprach Galvani auch in einer neueren
Schrift1) wieder von einer Ungua franca, einem romanzo mesci-
dato der alten Dichter, offenbar mit Beziehung auf die Auseinander-
setzungen in den letzten Capiteln der Dubbi. Aehnlich schwankte
auch der Graf Libri, als er in seinem Buche: Ristoire des Scien-
ces Mathematiques en /fein- (Paris, 1838, vol. I, p. 176 ff.), bei-
läufig auf diese Frage zu sprechen kam. Dass die Sicilianer sich
einer Mundart bedienten, welche nicht die ihrige war, glaubte er,
müsse man entweder dadurch erklären, dass toscanische Dichter
schon vorangegangen und nur durch die glänzendere Entwickelung
im Süden in Schatten gestellt worden seien, oder aber, dass die
Texte, wie wir sie vor uns haben, durch die Abschreiber stark
modifizirt worden.
Für die letztere Auffassung nun entschieden sich mehrere
neuere Kritiker. Francesco Corazzini suchte das factum der Tos-
canisirung an den Gedichten selbst nachzuweisen, und zu weiterer
Bestätigung übersetzte er drei derselben in das Sicilianische zu-
rück2); ihm folgten Bartoli, D'Ovidio und D'Ancona3). Eine Anti-
cipirung der toscanischen Gemeinsprache, noch ehe in dieser eine
sich allenthalben imponirende Literatur vorhanden war, sagten
diese Kritiker, ist an sich unbegreiflich; alle Literaturen beginnen
in den Dialekten, und so muss es auch in Sicilicn gewesen sein.
Aber als mit dem Erlöschen des hohenstaufischen Herrscherhauses
die Poesie im Süden verfiel, erhielten sich deren Erzeugnisse nur
in Mittelitalien, der nunmehrigen Stätte der literarischen Ent-
wickelung. Die Handschriften, welche uns jene Poesieen aufbe-
*) Osservazioni sutta Cantilena di Oiullo cTAlcamo, citirt bei D'Ancona.
Rinn Aul., p. 277.
- in einem Artikel der Rivista Filologico-Letteraria, Verona, 1871,
und Saggio di restaurazione degli antichi poeti siciliani, per le nozzt TXAn-
cona-Nissim , Siena 1871. Beide Schriften blieben mir unbekannt; Coraz-
zini's Ansichten aber glaube ich hinreichend aus dem weiterhin zu erwäh-
nenden Artikel des Projpugnatore zu kennen.
Bartoli, / primi due Secoli della Lett. Itäl. j>. 141 ff. D'Ovidio
in seiner Abhandlung über Dante"s De vulg. el., Archivio Glottologico , II,
89 ff. D'Ancona in der Sammlung der Birne Antiche, p. XII. und den An-
hangen zur Rosa fresca, ib. p. 285 ff.
— 143 —
wahrt, finden sich alle dort und nicht in Unteritalien; sie sind
von Toscanern geschrieben, die keinen Grund hatten, den ursprüng-
lichen Dialekt zu respektiren, wie sie denn erwiesenermassen mit
anderen Denkmalen oft frei genug umgegangen sind. Diese Um-
schreibung konnte dabei nicht schwer fallen für Gedichte, die einen
sehr beschränkten Ideeen- und Gefühlskreis in ärmlicher conven-
tioneller Ausdrucksweise behandelten. Zudem sind uns von Gio-
vanni Maria Barbieri in dem 1571 bei seinem Tode unvollendet
hinterlassenen Buche: DelV Origine della Poesia Bimata1), aus
einer Handschrift, die er besass, zwei Proben in wirklicher sicilia-
nischer Mundart überliefert worden, nämlich eine ganze Canzone
von Stefano Protonotario und die erste Strophe einer solchen von
König Enzo, also Dichtern, welche durch andere Poesieen uns
schon bekannt sind. "War es nun denkbar, dass ein und derselbe
Dichter bald Dialekt und bald volgare illustre schrieb, und das
in Gedichten ganz des nämlichen Styles und Charakters und von
ganz ähnlichem Bau? (D'Ancona, p. 289 f.) Endlich wollte man
auch in den jetzigen Texten noch diese ursprüngliche mundart-
liche Form durchschimmern sehen. Man fand zahlreiche Reime.
welche jetzt eben gar keine Reime sind, wie amoroso: uso, avere:
seniire, und bemerkte, dass sich echte Reime herstellten, sobald
man statt der toscanischen die entsprechenden sicilianischen For-
men einsetzte. Also hier hatte der Reim verrathen. was ursprüng-
lich dagestanden, und demgemäss wollte man über die Sprache
der Denkmale im Allgemeinen urtheilen.
Diese Argumentation fand allerdings von einigen Seiten Wider-
spruch. Caix. in der Recension von D'Ancona's Untersuchung
über die liosa frescar), suchte wenigstens in Bezug auf das letz-
tere Gedicht darzuthun. dass es nicht sowohl sicilianiscb oder tos-
canisch, als vielmehr apulisch. und demnach nicht ans dem ersten
Dialekte in den zweiten umgeschrieben, sondern sogleich in dem
dritten abgefasst sei, wie wir es noch heute haben. Monaci, in
1 herausgegeben von Tiraboschi, Modena, 1790; die beiden Gedichte
p. 142 u. 143.
2) Rivista di Filologia "Romanza, II. p. L77— 191.
— 144 —
einer Besprechung der neuen Sammlung der Hirne Antiche1),
äusserte seine Bedenken gegen die Herstellung der sogenannten
sicilianischeu Keime in D'Ancona's Text, was also doch Zweifel an
der Richtigkeit der ganzen Theorie über das ursprüngliche Idiom
der Poesieen einschliesst. Der Graf Baudi di Vesme wendete sich
im zweiten Abschnitte seiner Schrift: La lingua italiana e il vul-
gare toscano*), gegen Corazzini's Behauptungen und Restaurations-
versuche. Er glaubte, die sicilianischen Gedichte seien wirklich
toscanisch abgefasst worden, und für ihn, als einen Gläubigen der
Carte von Arborea, hatte das keine Schwierigkeit; der berühmte
Aldobrando von Siena, Schüler des berühmteren Gherardo von
Florenz, war gegen 1181 aus der Heimath nach Sicilien geflohen,
woher denn die toscanische Schule und Sprache auf der Insel.
Corazzini antwortete ihm mit: Una Quistione su Ja Storia della
Lingua3), auf seiner Meinung beharrend, und Hess dabei auch die
drei restituirten Canzonen mit einigen Verbesserungen wieder ab-
drucken.
Das Argument der auf sicilianische Form deutenden Reime,
welches wohl das stärkste schien, war im Gegentheil das schwächste.
Es ist seltsam, dass den Vertheidigern jener Ansicht nicht ein
naheliegendes Bedenken gekommen ist, dieses nämlich, dass der-
gleichen Reime doch nur Beweiskraft haben, wenn sie sich allein
bei den Sicilianern finden und sonst nirgend. Gerade das ist aber
nicht so; vielmehr trifft man auf diese sicilianischen Reime eben
so oft auch bei den Dichtern Mittelitaliens, wie sie denn schon
Bembo in den Prose aus dem Tesoretto des Brunetto Latini an-
merkte, und Quadrio (I. 766) speziell von ihrem Vorkommen bei
den Toscanern handelte4). Solche Reime beweisen also entweder
garnichts oder viel zu viel. Bartoli führt nach Corazzini aus
zwei Canzonen Iacopo's da Lentini die Reime auf: avere : morire,
/Uli : mercede; aber Guittone von Arezzo reimte z. B. Son. 87:
aneide : mereide, und dire: tenire oder dgl. hat er hundertmal,
*) Mir. di Fü. Rom. II, p. 237—24.;.
J Propugnatore, VIII, 1". p. 1—36.
3) Propugn. ib. p. 276—334.
4 An ihr Vorhandensein orinnerten nun von neuem Monaci und Baudi.
— 145 —
wie so viele andere. Bartoli fand bei Ruggerone: parisse: morisse;
aber piacesse : avesse : sentisse steht bei Paganino da Sarzana
(D:Anc. XXXV], str. 2), volcsse : venisse bei Iacopo Mostacci aus
Pisa (ib. XL VII, str. 2). Er fand nivi statt neve, und Dante selbst
hat latinisirend vice, nigri, u. dgl. Er fand dimura: paura, und
scura: dimura liest man, als eines unter den zahlreichen toscani-
schen Beispielen, bei Paunuccio dal Bagno, Val. I, 340. D'Ovidio
(p. 93) citirt als mundartlichen Rest den Reim contrata: ingan-
nata; aber contrata kann ebensowohl ein Latinismus sein, wie das
bei den Alten so häufige a grato (a grado), und, wenn Odo delle
Colonne prisa statt presa sagte, so gebrauchte Dante im Reime
sorpriso und ripriso. Corazzini, von Baudi auf dieses Verhältniss
aufmerksam gemacht, konnte nicht umhin anzuerkennen, dass auch
in Gedichten von Toscanern im Reime oft u für o, i für e ein-
trete, und dass unter anderen die Form avire von Nannucci mit
derartigen Beispielen belegt werde; aber, was nun noch fehle, sei,
dass man ihm ein zweifelloses Beispiel für aviri anführe (1. c.
p. 280). Das heisst also, Corazzini giebt zu, dass auch toscanisch
betontes lat. e mit lat. i reimen konnte; er bezweifelt aber, ob
dieses auch mit tonlosem auslautendem e und i der Fall gewesen.
Es ist aber wunderlich, das erste zuzugeben und das zweite zu
bezweifeln; denn gerade die Indifferenz zwischen tonlosem auslau-
tendem e und i ist eines der bekanntesten Facta der alten
Sprache, und, wenn man einmal den Toscanern ein avire zuge-
steht, so konnte beispielsweise sospiri : avire so gut toscanisch
reimen wie sicilianisch, nämlich sicil. sospiri : aviri, tose, sospire:
avire. D'Ovidio sagte freilich (p. 93), sospire iidire) sei weder
sicilianisch noch toscanisch; aber er brauchte nur die lange Liste
von Pluralen auf e statt auf i aus Singularen auf o bei Nannucci,
Teorica dd Nomi, p. 288 ff., anzusehen, um sich aus den vielen
Beispielen von Toscanern selbst des 14. Jahrhunderts vom Gregen-
theil zu überzeugen. Und wenn wiederum Bartoli (p. 117) aus
dem Reime: pari : fare : formare, einen Schluss auf sicilianische
Form zieht, so müsste auch Dante da Majano sicilianisch ge-
schrieben haben, da er pare : allegrare reimte (Val. II, 410) fort :
celare : parlare : pare (ib. 442) und so öfters, ja ebenso Dante
10
— 146 —
Alighieri und sogar Petrarca, die gleichfalls pare für pari ver-
wendeten.
Man hat übrigens, wie aus den angeführten Beispielen ersicht-
lich ist, hier verschiedene Dinge mit einander vermischt, und es
versäumt festzustellen, welches denn überhaupt die Reime sind,
welche auf sicilianische Formen und nur auf solche führen. Man
sagte, die Reime von e mit i und o mit u seien sicilianisch; aber
in dieser Ausdehnung und Unbestimmtheit ist die Behauptung
unrichtig, und will man zusehen, was uns die Reime der ältesten
Dichter lehren können, und welcher Art die bei ihnen vorhandenen
Eigenthümlichkeiten sind, so darf man dabei den verschiedenen
Ursprung dieser toscanischen e, i, o, u nicht vernachlässigen.
Wenn also reimen: e aus lat. i mit i, o aus lat. ü mit u, wie
mena : dotrina. D'Anc. V, 10G.
dipartive : neve. XL1X, 22.
meno : tino. LXV, 33.
conduce : croce. XXXII. 54.
so können die Formen »ihm, nive, cruce einfach als Latinismen
betrachtet werden, wie deren so viele bei den Alten vorkommen;
daher haben diese Reime bei Toscanern nichts Auffallendes, und
Dante sagte, wie schon erwähnt, vice, Par. 30, 18; viele als Prae-
sens, son. Cid che nCincontra; nigri, Purg. 33, 110; Cino da Pistoja:
sino {seno, Carducci, Hirne di Cino, p. 138); Petrarca: nigre, son.
Mie venture, u. dgl. m. ]). So waren ferner die Latinismen tui,
sui für tuoi, suoi bei den Toscanern stets sehr gewöhnlich.
Ferner, reimt ein aus lat. i in Position entstandenes e mit
einem i in Position, das sich erhalten hat, und ebenso ein o aus
u in Position mit einem erhaltenen u in Position, wie
insegna : scigna (seimmia). D'Anc. IV, 11.
veglio : piglio. V, 81.
adüsse : fosse. I, 77.
so zeigt sich auch darin nichts spezifisch Sicilianisches. Denn,
wenn diese Mundart die lat. i und u in Position fast immer erhält,
so dass sie alle aufeinander reimen können, so hat umgekehrt das
») pigro piger ist eines von den Worten, welche lat. i erhielten; aber
Panmiccio reimte, Val. I, 341: aMegro: pigro.
— 147 —
Toscanische die Neigung, dieselben in e und o zu verwandeln, wo
sie wieder alle reimen würden. Nur ist diese Uniwandlung im
Florentinischen nicht consequent durchgeführt worden, weshalb
degno, segno neben benigno; maestro neben sinistro stehen. Aber
andere benachbarte Idiome, wie das Sienesische, Umbrische, Ro-
magnolische, gingen hier viel weiter, und trifft man daher auf
Reime wie vedesse : pari isse, so hat man sie sicilianisch vidissi:
partissi, dagegen sienesisch vedesse : partesse zu lesen. Und so
haben auch die Florentiner noch im 14. Jahrh. derartige Formen
ungescheut verwendet; Dante schrieb venesse im Reime, Inf. I, 46;
venia, penta für vinta, pinta, son. Voi donne; benegno, Canz. Gli
occlii dolcnti, str. 3; conto : conto : giunto : punto, Canz. Poscia
cti Amor, str. 5; selbst Petrarca hat sinestra, Trionf. d'am. II, 183,
und dergleichen auch Boccaccio und spätere. Finden sich nun
hier auch Formen, welche weder florentinisch noch sonst aus tos-
canischen Mundarten bekannt sind, wie z. B. Guittone's quento für
quinto, Canz. XXIX, 3, so ist darin nichts anderes zu sehen als
die Fortsetzung einer bekannten Tendenz der Sprache, und diese
Annahme ist sogar unumgänglich, da die Toscaner ein solches i
auch auf lat. e in Position reimen lassen, wie hier quento : valimento,
während sicilianisch, wo lat. e in Position nur selten in i überging,
dieser Reim von i : e unmöglich wäre. Indessen sind doch auch
nicht alle hierhergehörigen Reime der Toscaner auf die angegebene
Weise zu deuten; ein grosser Theil erklärt sich wiederum einfach
durch Latinismen, wie ditto, isso, surge, sutto, condutto bei Dante,
percusse bei Petrarca und viele andere noch in späteren Zeiten.
Auszuschliessen sind weiter noch die Reime von lat. c vor
Vocal mit i, wie credea : avia, welche nicht untoscanisch, wie an
anderer Stelle zu erwähnen sein wird, und endlich die Formen
nui, vui für noi, voi, die, mag man sie nun erklären, wie man
will, von toscanischen Dichtern zu allen Zeiten gebraucht worden
sind.
Es blieben also als sicilianisch die anderen Fälle von lat. e:i
und lat. ö: u übrig; denn lat. e und ö sind sicilianisch /. n ge-
worden, toscanisch aber nicht. Diese sind daher näher zu be-
trachten:
10*
- 148 —
1) Reime von tose, e aus lat. e mit i:
a) Reime der Verbalendungen ere:ire, ete:ite, etc. wie
ävere : morire. D'Anc. IV, 47.
aueidetc : venite. XX, 37.
Guittone: arricchire : piacire, Son. 9; abbellire : piacire, Son. lll,
und oft. Guido (Juii licelli: servire : parire , Val. I, 86; servire:
vedere, 95. Onesto Bolognese: saKre : cadere; morire : vedere, Nun.
159 u. 160; primo : ricerimo1), Trucchi, 211); und so Incontrino de'
Fabrucci von Florenz: primo : aremo, Grion, Pozzo, 42; Puccian-
done aus Pisa: podere : servire, Val. I, 461; Betto Mettefuoco:
piacere : servire, Val. II, 74. Brunetto Latini brauchte solche Reime
in seiner Canzorie (bei Trucchi, 1G7) und im Tesoretto (VIII, XVII,
XXI), und sehr häufig sind sie in der Intelligenzia. Dagegen
werden sie immer seltener bei den anderen Florentinern. Die
Compiuta Donzella hat noch: volere : ubbidire, Trucchi, 135; Monte
Andrea: avere : partire, ib. 120, und venire : vedere, D'Anc. Son.
XIX; Ser Pace: servire : piacere, Val. II, 415, u. s. w. Guido Caval-
canti's: vedite : sbigottite, Val. II, 343, steht ganz vereinzelt; bei
Dino Frescobaldi, Lapo Gianni, Cino und Dante kommt dergleichen
nicht mehr vor.
Immerhin konnten diese Formen mit i statt e leichter Auf-
nahme finden, da sich hierbei an den Uebergang in eine andere
Conjugation denken liess. Die zweite Person plur. der 2. Conju-
gation lautete übrigens auf i auch in lombardischen und emiliam-
schen Mundarten; daher hat sie noch Bojardo, welcher sie aus
seinem Dialekte schöpfte, und so konnten sie aus dem ihrigen
auch die Bolognesen entnehmen, wenn sie bei ihnen sich finden.
b) sonstige Reime von lat. e mit i, wie
diftide : merzede. D'Anc VIII, 2.
freno : fino. V, 117.
dice : fece. LXXII, 25.
paese : mise. IX, 2.
impromise : ofese. LI, 30.
J) ricevimo = ricevemo, heut' riecriamo; sicil. jetzt rieivemu, aber in
den Chroniken des 14. Jabrli. rieivimu.
— 149 —
Guittone: ancide : mercide, Son. 87, und dgl. unendlich oft. Das-
selbe Guido Guinicelli, Val. I, 108; Onesto: vidi : cridi (credi), Val.
II, 149; Pannuccio aus Pisa: avviso : acciso (acceso) : miso : piso
(peso), Val. I, 382; Buonagiunta von Lucca: crido (credo) : fido,
Val. I. 533; Brunetto im Tesoretto, XVII: chino : frino ; Intelligemia:
cridi : fidi, 32, und in diesem Gedichte mehr dergleichen. Doch
scheint das - es - aus - ens - hier eine besondere Stellung
einzunehmen; denn Dino Frescobaldi reimte noch in einem Ant-
wortsouett (Val. II, 527) : priso : intiso : acciso : fiso, und das eine
jiriso statt preso gebrauchte auch Guido Cavalcanti (Val. II, 291)
in der Canzone: Donna mi prega; ja selbst Dante hat sorpriso,
ripriso, Purg. 1, 97 u. 4, 12G. Dieses priso ward aber nicht bloss
im Reime verwendet; bei Guittone findet es sich zweimal im Verse,
Son. 25; und Val. I, 341 liest man: priso : peso; ib. 498: priso:
impiso, wo also kein Reimzwang vorhanden war. Ferner ist zu
bemerken, dass der Schreiber der vatican. Hs. 3793, der im Gan-
zen nur selten durch Aenderung des c in i die Reime herstellte,
gerade priso neunmal in den 93 Gedichten bei D'Ancona ge-
schrieben hat. Ausser diesem einen Falle, mit dem es eine eigen-
thümliche Bcwandtniss gehabt haben muss, verschwindet diese
Klasse von Reimen weit schneller als die erste; schon bei den
florentinischen Dichtern des Ueberganges giebt es deren nicht
mehr.
Der Reim des Onesto: ira : sira (sera), Val. II, 145, ist gut
bolognesisch. Bei D'Anc. LXXXV, 1: maitino:sereno:lathio:fii/<>.
würde, heut' wenigstens, nicht sicilianisch sein (sirenu); ist 'das
Lied nicht von Prenzivalle Dore, sondern von Semprebene von
Bologna, so fanden die Reime ihre Erklärung in der Mundart des
Autors: matein : serein : In fein : fein; dazu stimmt auch das Ura:
sira, v. 21 f.; allein vedire, v. 2, wäre wieder nicht bolognesisch.
Der Reim: matino : sereno : fino kommt aber gleichfalls vor bei
dem Florentiner Puccio Bellondi. Nan. 196 x), und fi/no : sereno,
InteUigen&ia, 20.
J) Das Gedicht dort nach Massi anonym ; von Puccio Bellondi ist es
nach Zambrini, Op. volg. p. 25.
— 150 —
2) Reime von tose, o ;ms lat. ö mit u, wie
uso : amoroso. D'Anc. I, 29.
ora : pintura. II, 3.
innamora : altura. LII1, 27.
eiaseuno : dono. IV, 8.
Guittone: aleuna : persona. Canz. II, 2; uso : amoroso, ib. 4, und
dergleichen unendlich oft. Guido Guinicelli sogar in der Canzone
AI cor gentü, str. 2: natura : innamora; Onesto: natura : ora:
scenditura, Nan. 159. Brunetto, Tesor. XV: grazioso : uso, u. s. \v.
Aber die Reime von o aus lat. ö mit w beschränken sich nicht
auf diese Dichter, welche die meisten Beispiele von e : i boten,
vielmehr sind sie allenthalben, auch bei den Florentinern der spä-
teren Zeit verbreitet. Nur fragt es sich, ob es da auch noch die-
selbe Erscheinung ist, wie bei den Sicilianern. Wenn bei letzteren
o und u zusammentreffen, so ist es natürlich, das o in u umzu-
wandeln, um den Reim herzustellen; aber bei den Dichtern Mittel-
italiens zeigen die Drucke ebenso oft das u umgekehrt dem o
angepasst; findet man dort meistens ura : pintura geschrieben, so
hier oraipintora, und dieses sicherlich nicht durch blosse Willkür
der Herausgeber. Dazu kommt, dass die Dichter Mittelitaliens
das u auch da mit o gereimt haben, wo das letztere selbst in den
sicilianischen Formen bestand, d. h. wo es aus lat. o entstanden
war1), oder in Worten wie nome, come. So Guido Guinicelli:
assicuro : duro : muro : mbro (muojo), Val. I, 110: Pannuccio dal
Bagno: sono : alcono :bbno, Val. I, 374 ; Buonagiunta : vertode : prbde,
]) Die sicil. Ausnahme mit u aus lat. ö ist dimura (tose, dimöra, aber
altfz. demore, s. Roman. Stud. III, 178 u. 182), daher D'Auc. LXXXIV, 13:
pawra : dimora. Sonst sind Reime von lat. ö mit u siciliauiscli unmöglich,
und kommen auch in den von solchen Dichtern bekannten Poesieen nicht
vor. In der anonymen Canzone D'Anc. LXVI, 27, steht scheinbar ein tier-
artiger Reim: assiewro : core; aber dort sind nur die Zeilen falsch abgetheilt,
und es ist zu lesen:
Ed io con tin cor puro
Le vogli' esser servente.
Das Gedicht ist übrigens wahrscheinlich von einem Pisaner oder Lucchesen,
wie v. 47 die Form fermesse (: volesse) für fermezze zeigt.
— 151 —
ib. 510. Guittone bietet, wie immer, die reichste Sammlung: ono
(iow) : bbno, Canz. V, 2; adduceznbce, Cauz. XVI, 1; Chiosi (Chiusi):
pbsi, Ganz. XL, Gel. 2; Monte Andrea: uomo : consomo, Y;d. II, 33;
Folgore: fochi : giochi : cocki : mandochi (manduchi), ib. 133. Und
so enthält sich dieser Rehnweise auch die neue florcntinische
Dicht erschiüe nicht ganz. Dino Frescobaldi hat: puote : virtote,
Yal. II, 513; Guido Cavalcanti antwortet mit lume : fiume : costume,
Val. II, 348, auf des Bernardo da Bologna Reime come : nome : some,
ib. 275. Er hat ferner: come : hone; nome : costume in der Can-
zone Donna mi prega. Bekannt ist Dante's lome, Inf. 10, 69, und
dasselbe dolce lome gebrauchte Cino (Carducci, p. 119). Wenn-
gleich es hier aber wahrscheinlich ist, dass vorzugsweise die Aen-
derung des u, nicht die des o stattzufinden hatte, so ist es doch
nicht für alle Fälle gewiss; denn in den bei florentinischen Dich-
tern häufigen Reimen wie altrui : pbi, liest man neben alt rot : poi
zu oft altrui : pui, nin es einzig auf Rechnung der Herausgeber
zu setzen; ja bei Guido Cavalcanti steht sogar pui für puoi, Val.
II, 281, und Dante hat, Purg. 19, 81, nach den besten Hss., furi
für fuori angewendet. Man kann daher auch nicht entscheiden,
ob Cino (Card. 109) persona : alcona : perdona, oder persuna, etc.
schrieb; Francesco da Barberino (Doc. 3, 22): ciasconoipono, oder
ciascuno : puno, und ebenso Guido Cavalcanti (Val. II. 369); curi:
fiori, wenn diese Strophe überhaupt von ihm, was zu bezweifeln.
So ferner Dante's paurosi : chiusi, Son. Dagli occhi della min donna.
Doch ist es wahrscheinlich, dass er chiosi gesagt, da dieses auch
bei Anderen nicht selten x). Dante's soso, Inf. 10, 45, ist durch die
besten Hss. beglaubigt wie lome; also hatte Cino (Card. 25) wohl
auch lassoso : astioso. Nach Dante sind dergleichen Reime nicht
mehr lange im Gebrauche gewesen; einige Spuren aber finden sich
noch bei anderen Dichtern des 14. Jahrhunderts, wie Graziolo
de' Bambagioli und Franco Sacchetti.
x) sogar bei Iacopo da Lentiui, Val. I, 310, wenn das Sonett von ihm.
wie es ihm Cod. A, 327, zuschreibt. Auch Francesco da Barberino hat es
dreimal, Doc. 56, 10; 112. 8; 271, 6; also wohl auch das vierte Mal. II. 6:
ascosa : chiosa, nicht ascusa : chiusa, wie Ubaldini setzte.
— 1 52 —
Die Form chioso würde sich ans lat. clausus erklären1)! Dante's
und Cino's soso könnte »'im' Anbildung an das alte gioso lür das
jetzige giuso sein2). Bei den übrigen Formen mit o statt ü Ideibt
aber die Frage, woher sie stammen; denn sie entsprechen den
toscanischen Lautgesetzen so wenig wie denen der südlichen Mund-
arten. Dante's lome und Guido's costome nennt man romagnolische
Formen, und wirklich geht in diesem Dialekte ü vor Nasalen in
o über (Mussana, Darstellung der Etomagnolischen Mundart, §50),
womit sich dann weiter ein alcono, consomo, comone, u. s. w. deu-
ten lassen würden. Auch vertode könnte man allenfalls noch er-
klären, wenn man es auf ein romagnolisches virtö zurückfuhrt
(U zu o im Auslaute, Muss. 58). Aber auf assicoro, misora, ad-
doce passen sollet die Lautverhältnisse dieser Mundart nicht, und
ferner, wie kamen die romagnolischen Formen in die Gedichte
der Toscaner? Caix3) nennt diese Reime bolognesische, d. h.
offenbar, sie sollen ihren Weg aus der Romagna über Bologna
genommen haben und nach Toscana zugleich mit der Tradition
der bolognesischen Schule gelangt sein. Aber es gab deren in
Toscana aller Wahrscheinlichkeit nach, ehe die bolognesische Dich-
terschule irgend welche Bedeutung hatte. Nach Caix selbst nahm
die Literatursprache ihren Weg vom Süden her durch die umbrisch-
J) Mundartlich besteht der Stamm mit im sogar in Compositis, aretinisch
concörre (conchiudere), s. Archivio Glott. II. 44.s. n. 2.
- Dieses alte gioso rindet sich freilich bei Dante nicht (Diez' Versehen
hat Flechia, Arch. Glott, II, 26. n.. berichtigt). Aber Francesco da Bar-
berino. Doc. 262, 10, reimt gioso : nascoso . Und so kommt es auch in Prosa
vor, in einer Stelle der alten Tebcrsetziing des Girone, welche vor dem
/ ,*.-<<!, r Breusso gedruckt ist. p. CXV: „Qucmdo ella hae du
parole, non fe altra dimoranza, anzi - <<< va cd suo pdlafreno e montavi
suso, e lassa J!r>n^ laggioso." gioso war tose, die regelrecbte Form ans
lat. deorsum, mittellat. josum, prov. jos, und. wie Flechia anführt, sard.
giossu und giosso, venet. zoso, zo, lombard. go; endlich auch altrömisch
giose, Fragm. Hist. Rom. 311. Das spätere giuso scheint erst durch An-
bildung an suso entstanden zu sein: war dieses aber so. und gab es vor
Alters daneben noch ein gioso, so konnte man auch wohl umgekehrt das
suso nach diesem in .<n.<o umwandeln. Schuchardt. Vor. II. 177. führt zu
Dante's soso ein vulgarlat. sorsum an.
3) Formazione, p. 309, n. 1: Ant. Man. p. 78.
— 153 —
aretinische Schule: Guittone dichtete schon vor Guido Guinicelli,
und doch wimmeln seine Verse von solchen Reimen. Anderswo
hat Caix auch an eine andere Erklärung gedacht; er führte die
Umwandlung von ü in o auf die bekannten vulgärlateinischen For-
men wie f/itoro. fortona zurück, welche auf die Bildung des Are-
tinischen und Umbrischen gewirkt hätten *). Liesse sich eine
solche Erscheinung im Südtoscanischen mit grösserer Bestimmtheit
nachweisen, so wären damit freilich die besprochenen Formen weit
besser gedeutet, als wenn man sie aus dem Romagnolischen her-
leiten müsste, und dann wäre es auch natürlich, dass sie am häu-
figsten bei dem Aretiner Guittone vorkommen 2).
Wie man aber für o : u die Schreibung o : o findet, ebenso,
wenn auch seltener, die von e : e für e : L und immerhin auch die-
ses zu häufig, als dass es von den Herausgebern erfunden sein
könnte. So bei Guittone, neben dem gewöhnlichen servire : avere
oder servire: avire, auch servere : avere , Son. 41; volete : segnete,
Son. 16; servere bei Meo Abbracciavacca, Val. II, 19; mercedemar-
tecle (martidi = martiri), Dante da Majano, Val. II, 456; perere,
ib. 459. Noch Rustico di Filippo bei Trucchi, I, 225: dece (:fece)
für dice, wo es sicherlich die Hs. hatte, da der Herausgeber es
sogar für decet verstand. Auch Fälle, in denen dieses e aus J
mit e aus e reimt, wie oben o aus ü mit o, giebt es; Guittone:
richere : savere : compiere : dere (dire), Son. 171. Und hier wiederum,
entsprechend Dante's furi und pul, bei Francesco da Barberino,
Doc. 49, 13: vita (iriseita) für vieta. Wenn daher Dino Fresco-
baldi, Val. II, 510, reimte: s'avvide : ueeide : riede; Onesto, ib. 137:
(I i ride : siede : s'avvede : cecedc ; Tommaso da Faenza, ib. 251: <-<n<ii<jh'r.
1) Vocalismo, p. 23. Auf die vulgärlateinischen Formen verwies auch
schon Perticari, s. Difesa, die Tafel zu cap. XII.
2) In den Sonetten der Hs. 3793 findet sich einige Male o für « auch
ausserhalb des Reims: ognono, Cherrier, p. 529, son. Y:
Che di farlli incotro ognono ne sia restio.
por für pure, ib. VI:
Ch' io non daria d'alcun por solo un perppe.
ona statt una in Orions Verzeichniss, nr. 488:
S'ona donzella di trovare s'intreoma.
— 154 —
pieghi, so ist nicht klar, wie man zu ändern hat. Phonetisch steht
es übrigens mit den Formen, welche e ans 7 haben, gerade so,
wie mit denen, die o aus ü haben; d. h. e aus t ist romagnolisch,
alter nur vor Nasalen (Muss. R. M. 25), und die andere Erklä-
rungsweise (Caix, Voc. 21) ist hier wie dort nicht hinreichend
begründet.
Indessen hat man überhaupt bezweifelt, ob es gerechtfertigt
sei, durch Aenderungen, welcher Art sie nun sein mögen, hier die
Reime herzustellen, und ob man nicht vielmehr die Worte in ihrer
gewöhnlichen Gestalt belassen und als unvollkommene Reime be-
trachten müsse. So glaubte Blanc (Ital. Grammatik, p. 51), Dante
habe wohl liimc und suso geschrieben, die Späteren erst in lome
und soso geändert; denn geschlossenes 6 habe bei den Alten mit
dem nahe verwandten u reimen können, und ebenso geschlossenes
e mit /. wogegen zunächst einzuwenden, dass, wie gezeigt worden,
nicht bloss 6 und e, sondern auch b und e mit u und i reimten.
Monaci (Biv. di FR. Rom. II, 240) stellte die Hypothese auf, o:u,
e:i seien bis in das 14. Jahrhundert als unvollkommene Reime
gebräuchlich gewesen. Die Aelteren, wie Crescimbeni, nannten
dergleichen einfach falsche Reime, von denen die Verse der alten
Dichter wimmelten. Die Herausgeber befolgten gar keine be-
stimmte Methode, und so selbst D'Ancona, welcher ziemlich regel-
los bald änderte, bald stehen Hess, und etwas anderes war auch
nicht möglich, wenn man sich nicht vorher über den Grund und
die Ausdehnung der Erscheinung klar wurde. Nannucci folgte
bald der Zufälligkeit der früheren Ausgaben, die er vor sich hatte.
bald änderte er, bald Hess er stehen; fand er tacire oder amorvso,
so sagte er, es sei sicilianisch; fand er alcono, so merkte er
an, die Alten hätten das zuweilen verwendet; blieb o:u oder e:i
im Texte, so nannte er es eine Assonanz, und besser hätte er es
Dissonanz oder Consonanz genannt; denn die Assonanz besteht,
nach der gewöhnlichen Ausdrucksweise, darin, dass die betonten
Vocale übereinstimmen, die folgenden Consonanten aber verschieden
sind; hier dagegen stimmen die Consonanten, die Vocale aber
nicht. Diese letztere Reimweise ist in der Volkspoesie verschiedener
Dialekte gebräuchlich. Es fragt sich also eben, ob sie Ursprung-
— 155 —
lieb auch der Kunstdichtuug eigen gewesen sei. Freilich hat ja
das Italienische von jeher nicht so genau gereimt, wie die Spra-
chen Frankreichs; immer galt b:6, e:'e als guter Reim; es wäre
also an sich nicht unmöglich, dass anfangs auch o : u, e : i als
solche gegolten. Indessen ein Unterschied von den heutigen Volks-
liedern zeigt sich sogleich; diese lassen nämlich nicht nur o : u,
e : i, sondern auch a : o, a:e, e: u, u. s. w., d. h. jeden Vocal mit
jedem zusammenklingen *). Die entscheidende Stimme in diesem
Punkte scheint aber den Schreibern der ältesten Handschriften zu
gebühren; denn sie, welche noch das Ende des 13. Jahrhunderts
erlebt hatten, mussten doch wohl wissen, wie man zu ihrer Zeit
ausgesprochen. Wo sie nun o : u, e:i stehen Hessen, schliesst dieses
noch nicht aus, dass man beim Sprechen die Reime hergestellt,
und nur die normalen Formen geschrieben habe, sowie man ja
ganz allgemein in der Schrift die Apocope unterliess, deren Vor-
handensein uns dann nur das Mass des Verses darthut. Wenn
aber der Schreiber der vaticanischen Handschrift 3793 unter vielen
Fällen, in denen er nicht änderte, doch auch oft genug ein dolire
(D'Anc. V, 201), podire (XXXI. 8), valire (XXXVII, 26), völvre
(XXXVIII, 40), volire, parire (XLII, 3 u. 7), u. s. w. gesetzt hat,
abgesehen von den Latinismen wie mina, mino, und dem oben
besonders erwähnten priso, so ist das doch wohl ein Beweis, dass
er es so habe sprechen hören; denn wie sollte er, und, wie es
scheint, noch andere Copisten, diese Formen ganz aus eigener Will-
kür geändert haben? Dieser Beweis fehlt freilich seltsamer Weise
*) Doch ist nicht zu verschweigen, dass in sehr seltenen Fällen auch
die Kunstdichter sich Aehnliches erlaubt haben. Bei Carducci, Eime di
Cino, p. 511, findet sich: vostro : dicastro in einem Gedichte Franco Sac-
chetti's, und ebendort, p. 263, bildet sazia den Schlussreiiu einer Ballade
des Matteo Frescobaldi, deren andere Strophen alle auf Usia enden. Be-
rnerkenswerth ist ferner der Reim von a mit nn. der mehrfach vorkommt:
Intelligcn:i<i, 15: chiaro: Daro: d'awo; ib. 77: auro : Cesaro : soverchiaro.
Francesco da Barberino, Doc. 163, 1: cittade : fraude, und sogar Guido
Cavalcanti in der Canzone Donna mi prega, str. 5: cade und rade mit aude
und fraude im Binnenreim. Es wäre also eine Assonanz in der Weise der
altfrz. von einem Diphthong mit dem Vocal. der seinem betonten ersten
Elemente entspricht.
156
für die Keime von o:u; denn, soweit D'Ancona die Handschrift
publizirt hat, findet sich keine Stelle, an (\<>v schon der Schreiber
o für den Reim in u verwandelt hätte, ausser II, 3: ura, welches
aber bei seiner [solirtheit den Verdachl erweckt, der Herausgeber
habe nur vergessen, die Variante der Ils. anzumerken. Die Re-
dianische Handschrift dagegen änderte wohl hier, nach den von
Bartoli mitgetheilten Proben1), aber nicht <> in u, sondern u in o,
also z. P>. I, 29 oso (:amoroso) für uso. Dass die Toscaner gewöhn-
lich so verfuhren, nämlich zwar das e dem i anpassten, umgekehrt
alter das u dem o, kann man bei dem Wenigen, was von den
Handschriften bekannt ist, nicht mit Sicherheit schliessen. Nur
das Eine scheint gewiss, dass es hier Regel gewesen, die Heime
durch Aenderung herzustellen, und nicht etwa die blosse Conso-
nanz bestehen zu lassen. Allerdings aber hatte Monaci Recht,
wenn er den Herausgebern rieth, einfach das beizubehalten, was
sie in den Handschriften fanden; denn, da die Attribution der
Gedichte oft unsicher, und häufig die Aenderung in doppeltem
Sinne möglich ist, so würde man sich zahlreichen Fehlgriffen und
Inconsequenzen aussetzen.
Es war diese lange Abschweifung nothwendig, um zu erfahren,
was man bei den ältesten Lyrikern aus den Reimen auf die Mund-
art schliessen könne, in welcher die Poesieen ursprünglich abge-
fasst gewesen. Wie man sieht, kann hier die Untersuchung durch-
aus nicht die glänzenden Resultate ergeben, welche man aus ihr
für Denkmale anderer Sprachen gezogen hat. Diejenigen Reime,
welche wirklich auf die sicilianische Mundart deuten, sind eben
nicht viele, nämlich nur die von lat. e mit i, und ö mit u, inso-
weit nicht auch hier das i und das u die Umgestaltung erfuhren.
Da nun das Gebiet dieser Reimweise, an Ausdehnung stets abneh-
mend, ungefähr so wreit sich erstreckt wie der gleichfalls stets
abnehmende Einfluss der sicilianischen literarischen Tradition, so
steht nichts im Wege, derartige Formen auch wirklich aus der
Mundart der ältesten Dichter abzuleiten, von denen sie sich mit
allem anderen auf die nördlicheren Nachfolger vererbten. Diese
Eivista di Fü. Born. II, p. 234 ff.
— 157 —
Reime sind Archaismen, sehr häufig bei Dichtern der alten Schule,
wie Giiittone, Bru netto, Pannuccio und auch Dante da Majano.
Bei den Bolognesen haben sie sich besonders lange behauptet, so
dass sie sich auch bei Onesto zeigen, der doch einer der jüngeren
mit Cino in Correspondenz stand, und seinem Ideeengehalte nach
schon fast ganz der neuen Schule angehörte. Bei den florentini-
schen Dichtern des Uebergangs verlieren sie sich mehr und mehr;
Guido, Dante, Dino Frescobaldi haben noch vereinzelt die Formen
vedite, priso, während die bei ihnen, Cino und Francesco da Bar-
berino noch häufigeren Reime von o:u mit der sicilianischen Pho-
netik nichts zu thuii haben1), Indessen, ist es nun auch wahr-
scheinlich, dass die Toscaner gewisse Reime, die man bei ihnen
findet, aus dem Süden erhalten haben, so konnten dann, wenn
sie diese Formen eines fremden Dialektes dem Reime zu Liebe
verwendeten, doch auch die Sicilianer selbst schon die nämlichen
Elemente der eigenen Mundart lediglich gebrauchen, wo sie der
Reim dazu nöthigte, sonst jedoch anders schreiben, und die Reime
geben nicht das Recht, nach ihnen etwa die Sprache durchweg
umzugestalten.
J) Es ist natürlich nicht zu verwundern, wenn diese, wie andere Ar-
chaismen vereinzelt auch später noch einmal auftauchen. So findet man hei
Trucchi, II, 156 f. die Reime: discovrire : morire : volere, und prese : conquise :
mise, in zwei Balladen, welche sicherlich dem vorgerückten 14. Jahrh. ange-
hören, da sie von Francesco degli Organi componirt sind. Nach Monaci,
Biv. di Fil. Born. II, 240, hätten diese Reime in den unteren Schichten der
Literatur länger fortgeleht, so in den Ritterdichtungen der Bänkelsänger
wie dem Febusso e Breusso. Aber hier ist der Fall ein anderer: die Bän-
kelsänger reimten eben verschieden von den höheren Kunstdichtern; sie
erlaubten sich allgemein jene Consonanzen der Volkslieder. Liest man da-
her im Febusso: venite : sete : dite, II, 4, oder sire : volere, IV, 13, so werden
das ebenso blosse Consonanzen sein, wie: rmlla : cervella : novella, IV. 31;
mcommeia : provmeia : abroncia, IV, 32; demnaggio : lignaggio : riveggio,
IV, 49; volere : amore : core, V, G; vista : giusta : frusta, Y. 8. Nichts anderes
sind auch die Reime avere : ardire : redire, u. s. w., in den von Pio Rajna
publizirten Gantari di Carduino [Bologna, l^To . wo sie sich neben notori-
schen Consonanzen linden, und der Berausgeber war übertrieben vorsichtig,
wenn er zauderte, auch jene für dasselbe anzusehen.
- 158 —
Allein mit dieser Frage, ob die sicilianischen Reime aus-
schliesslich bei den Dichtern des Südens vorkommen, war noch
nicht Alles gethan; es blieb die andere, ob denn, bei einer Rück-
übersetzung der Gedichte in den sicilianischen Dialekt, nicht etwa
unigekehrt Reime zerstört werden würden, d. h. oh nicht Worte
sieh jetzt im Reime befinden, welche in das Sicilianische über-
tragen uielit mehr zusammenklingen. Toscanisch wurden lat. o, 0
und au gleicher Weise zu o, mit verschiedener, aber für den Reim
gleichgiltiger Aussprache; sicilianisch hingegen ward ö zu u, ö und
au zu o oder au. Die meisten Reime von toscanischem offenem
o mit geschlossenem 6 werden also sicilianisch aufhören Reime zu
sein. Und solche Fälle kommen nun wirklich selbst in den Ge-
dichten vor, die ohne Widerspruch Sicilianern beigelegt werden,
Dämlich:
Iacopo da Lentini:
före : eure : amöre. D'Anc. II. 15.
cösa : amorösa. ib. 56.
sicilianisch würde sich ergehen: fori : cori : amuri; c<>s<i ■. amwusa.
Tommaso di Sasso:
cöre : servidöre. XX. 16.
Arrigo Testa da Lentini:
eröre : valöre : amöre : eure. XXXV. 4. *)
Re Federigo:
amöre : cöre. XLVIII. 13.
tenöre : cöre. ib. 34.
Ruggerone:
cöre : servidöre. XLIX. 33.
cöre : amöre. L, 24.
Imperatore Federigo:
cöre : tiöre : inizadöre. LI, 37.
Anonym, aber einer aus Lentini, wie Str. 3 zeigt:
cöre : amöre. LXIX. 17.
l) Dieses Beispiel ist noch zu streichen für die. welche glauben, dass
Arrigo Testa aus Arezzo gewesen.
— 159 —
Mazzeo Ricco:
cöre : megliöre. LXXVIII, 24.
cöre : amöre. LXXIX. 14 u. 45.
Federigo :
cöre : möre : amöre : ardöre. Val. I, 65.
Ranieri da Palermo:
amorösa : cösa : rosa. Val. I, 118.
Inghilfredi Siciliano:
cöre : Amöre. Val. I, 138.
abbaudüiia : döna : suöna : Corona, ib. 146.
signöre : coro. ib. 147.
Iacopo da Lentini:
amöre : cöre. Val. I, 255.
Es mag diese Liste nicht sehr umfangreich erscheinen, beson-
ders da in fast allen Bespielen sich das eine Wort core findet;
aber man bedenke die grosse Arniuth dieses alten Riinariums. und
ferner, dass hier eben nur die Gedichte in Betracht gezogen sind,
welche Sicilianern angehören, ausgeschlossen die, welche von Apu-
liern herrühren sollen, wie Pier delle Vigne oder Rinaldo d'Aquino,
sowie die, welche auch einem anderen nicht sicilianischen Ver-
fasser beigelegt werden, und natürlich die anonymen, wenn sie
nicht selbst ihre Heimath angeben, wie D'Anc. LXIX. Es handelt
sich somit im Ganzen um weniger als 40 Lieder, und wenn sich
in 17 von ihnen, und zweimal zwiefach Reime finden, die sicilia-
nisch unmöglich sind, so ist das verhältnissmässig keine so un-
bedeutende Zahl, dass sie nicht Bedenken erregen müsste.
Wie der Reim von lat. o:ö, so wäre unsicilianisch auch der
von e(ae, oe):e; für diesen giebt es jedoch keine solche Beispiele
wie für jenen. Nur eine Stelle würde hiehergehüren. die sich selt-
samer Weise gerade in einer der beiden in wirklichem siciliani-
schen Dialekt erhaltenen Proben bei Barbieri findet. Die Canzone
König Enzo's beginnt:
Allegru cori plenu
Di tutta beninauza,
Suvvegnavi, s' eu penu.
plenu : penu Avürde beut* nicht reimen und vielmehr chinu : /»int
— 100 —
Lauten. Da man jedoch auch in der Conquesta des Fra Simone
von Lentini (p. 80) *) liest: „et fachende vila sani et salvi per-
vinniro in Sichilia pleni di preda," so ergiebt sich, dass plenu
ehedem eine Ausnahme von der Regel des e zu i gewesen sei, wie
es noch hent' sirenu, sigretu, u. s. w. sind.
Ein anderer Reim kommt zweimal vor, welcher jetzt weder
sicilianisch noch tose; misch sein, sondern nur auf einem Latinis-
mus beruhen könnte:
Tommaso di Sasso:
rifino : mino. D'Anc. XXI, 43.
Guido delle Colonne oder Mazzeo Ricco:
mino : inchino. XXIII, 59.
Gerade in dem einzigen Worte minus ist ausnahmsweise sicilia-
nisch das kurze lat. % in e übergegangen, und es heisst dort jetzt
n/r hu wie tose. memo. Die alte Sprache hat aber noch minu be-
sessen, wie uns wieder die von Di Giovanni veröffentlichten Chro-
niken lehren; Ribellamentu, p. 119: „a mini (1. minu) d'un annu
vidiriti per opera U nostri fatti." ib. 123: „e per nixiuna acca-
sciuni soi promisi non virranu minu." Conquesta, p. 59: „incomen-
zaro a viniri minu," und so öfters.
Dahingegen zeigen diese ältesten Prosadenkmale des Sicilia-
nischen, aus welcher Zeit sie nun herrühren mögen, übereinstim-
mend, dass cori stets cori, amuri stets amuri, cosa stets cosa,
amurusa stets amurusa gelautet haben, u. s. w., und dieselben
Formen bieten die Proben Barbieri's, vermischt freilich mit Tos-
canismen, die hier, in einem Buche, welches im 16. Jahrh. ge-
schrieben und Ende des 18. gedruckt worden, schwerlich etwas
beweisen können2).
*) Cronache Siciliane dei Secoli XIII, XIV, AT. per cura di Yin-
cemo Di Giovanm, Bologna, 1805.
a) Caix {Form. p. 295, n.) fand bei Pier delle Vignc den Reim core :
amore, und sah den Grund davon darin, dass der Verfasser Apulier ge-
wesen. In der Rosa fresca merkte Caix {Miv. di Fil. Rom. II, 179, n.)
core : fore : aneore als unsicilianisch an, weil es sicil. ancüra heisse; das
letztere aber war ein Irrthum; mit besserem Rechte bätte er anführen kön-
nen: maledizione : magjione -. persone, str. XXII, worüber unten.
— 161 —
Bei dorn häufigen Vorkommen dieser unsicilianischen Reime
konnte es nicht wohl ausbleiben, dass Corazzini bei seinen Resti-
tutionen auch einmal auf einen solchen traf, der eben den Pro-
bierstein für seine Theorie abgegeben haben würde. Aber er half
sich leicht aus der Noth. In dem Gedichte: Uamoroso vrdere1),
liess er in der 2. Strophe einfach cori : servidori stehen, anstatt
in serviduri zu ändern, und als in dem Sonette: Certo vni par,
che far den hon signore, welches ihm Baudi zur Uebersetzung vor-
gelegt, sich ein: si(jnore : core : onore : valore, vorfand, verfuhr
er wie in jener Canzone und rechtfertigte dies damit, dass auch
in den heutigen Volksliedern oft das o statt des u im Reime ver-
wendet worden2). Als Beispiele führte er auf: ancora : ora : pa-
lora, Pitre, Canti popolari, 1,420; cori : palori, ib. 607; iirfen-
sioni : cori, ib. 708; tentazioni : orazioni, II, 196. Anderswo, fügte
er hinzu, komme auch valori vor statt valuri; das letzte wäre in
der That entscheidend gewesen; aber leider gab Corazzini gerade
für dieses die Stelle nicht an, an welcher er es gelesen hatte.
Alle anderen Beispiele beweisen garnichts. Das zweite: cori : pa-
lori, kann in correktem Sicilianisch nie anders lauten als so (tose.
ehre : parble); ancora : ora : palora hat gleichfalls nichts auffal-
lendes; denn, wenn auch freilich das Substantiv hora sicil. ura
geworden ist, und tose, allora dort allnra lautet, so ist das mit
dem Adverb ora und mit ancora anders; sie sind sicilianisch wie
toscanisch ora und ancora geblieben3). Reime, in denen ora,
J) Propugnatore, 1. c. p. 313 f.
2) ib. p. 303, n.
3) nach Mortillaro auch tuttora. Ascoli und Flechia (Arch. Glott. II)
haben diese Ausnahmen von ö zu u vergessen aufzuführen, wenn es freilich
Ausnahmen hiervon, und nicht vielmehr die Etymologie dieses ora eine an-
dere, nämlich uora — aura — ora, wie im altfrz. Zeitadverb öre (neben fa
subst.) und dem heutigen encore. Ueber diese französischen Worte s. .1. Cornn.
Bomania, VI, 381; Gr. Paris, ib. 629 und Bomania,YII, 129; Suchier. Zeitschr.
für roman. Phil. I, 432; Böhmer, Roman. Studien. 111. L42 Eeft X : Förster,
ib. 178, n. Der letztere führt als hiehergehörig auch ein tose. <ni<u>r<( an:
aber toscan. hat das Wort, wie. üra , geschlossenes o, und das ancora, das
man in Fanfani's Voc. della pronunzia angegeben findet, ist nur Druck-
fehler. Im Voc. (leiht lingua ital. hat Fanfani selbst ancora.
11
162
ancora stehen, hätte daher Corazzini bei Pitre aoch gar manche
auftreiben können, ja im Gregentheil hätte er keine gefunden, wo
uiders war; es möchte ihm aber schwer werden, dort ein ora
für ura, Subst., oder ein allora nachzuweisen.
Es bleiben die letzten Beispiele, in denen das Suffix oni
stehen geblieben und nicht uni geworden ist; doch schon das
zweite derselben hätte Corazzini Bedenken erregen müssen: denn
hier reimte oni mit oni selbst; es war also gar kein Reimzwang
vorhanden. Sieht man genauer zu. so findet man solche Worte
wie curruzioni, disti izioni mit der Endung oni bei den siciliani-
schen Schriftstellern und in den Wörterbüchern des Dialektes in
grosser Menge, ein currusiuni, distruziuni aber, gerade niemals,
wogegen ragiuni, stagiuni, u. s. w. stets das u haben, und so das
A.ugmentativsuffix onem : macchiuni, u. dgl. Wie sehr sicilianisch
ein soddisfaziuni unmöglich ist, zeigen z. B. die folgenden Sprich-
wörter in der Sammlung Vigo's1), p. 359:
Cui s' incagna senza ragiuni.
Fa paci senza soddisfazioni.
p. 360:
Fa testamentu e cunfissioni
Mancianmi sasizza e maccarruni.
Konnte man cunfissiuni sagen, so hätte man sich doch nicht mit
der blossen Consonanz statt des Reimes begnügt. Diese Erhal-
tung des langen lat. ö findet nun also allgemein statt in den Fe-
mininis auf ionem . in welchen das i als besonderer Laut fort-
besteht, daher azioni, >/>m<,,.;. aber ragiuni, und wieder sicil.
riligioni, nicht riligiuni, wie ja auch die gute toscanische An-
sprache religione ist. Der Grund der Erscheinung ist nicht schwer
zu erkennen: alle jene Worte sind nämlich nicht echt volksthüm-
licher Bildung: daher entziehen sie sich den phonetischen Gesetzen
des Dialei
Die Volkslieder verwandten demnach hier überall die einzig
correkten Formen, und in der That hatten sie ja garnicht nöthig.
in grazia della rima die betonten Vocale zu ändern, da sie statt
' Canü I'i>j">!<<ri Siciliani, .
— 163 -
des Reimes ebensowohl die Consonanz gebrauchten. Wie man:
astuta : vita (Pitre, 145), Missina : Bivona (332), zusammenklingen
Hess, sn cori : trisori : amuri (560), oder cori : patruni : uri (601),
ohne etwa das m in o zu wandeln. Corazzini aber hat mit seinen
Citaten gerade das Gegentheil von dein bewirkt, was er beabsich-
tigte; er wollte die Reime ehre : signöre in seinem Sonett als
sicilianisch rechtfertigen und deckte nun umgekehrt noch einen
Reim als unsicilianisch in demselben auf:
faligione : opinione : fellone.
die ergehen niüssten:
faligiuni : opinioni : felhmi 1).
Stände es also ganz fest, dass dieses Sonett von Iacopo da Lentini
sei, so könnte man diese beiden zu der obigen Liste der unsicilia-
nischen Reime setzen, und mit grösserer Sicherheit kann man
hinzufügen:
ragione : cagione : riprensione : stagionc. D'Anc.LXXX.15.
in einem Gedichte des Mazzeo Ricco, in welchem andererseits
assicura : inamora : dismisura, steht, und in der Rosa fresca,
str. XXII:
maledizione : magione : persone.
Es Hesse sich noch einwenden, dies sei wohl heute so, könne
aber vor Alters anders gewesen sein, da ja, wie wir sahen, die
alten Chroniken wirklich einige Abweichungen vom jetzigen Laut-
bestande des Dialektes zeigen. Allein gerade in diesem Punkte
findet sich dort völlige Uebereinstimmung mit dem letzteren. Auch
das Ribettamentu hat: Incarnationi, p. 115 u. 118; intentioni, iL")
u. 138, ribellioni, 132 u. 115, und dagegen rascuni, prixuni stets mit
u; occasioni, p. 118, accasioni, 129, und dagegen accasciuni, ac-
caxiuni, 123, 124, und caxiuni, 133, 134, giebt den Unterschied des
toscan. occasione von cagione als des nicht volksthümlichen Worte
vom volksthümlichen wieder. Dasselbe gilt für ora, <niv><ro : Vi-
J) Corazzini schreibt natürlich opiniuni, wie er anderswo L'nu.
vedere, str. 3 aneura setzte. Seine Restitutionen beruhen auf einer nicht
gerade sehr tief gehenden Kenntniss der Mündart, in die er übersetzte, und
sie sind dazu mit ziemlicher Flüchtigkeit gemacht und wimmeln von Ihcon-
sequenzen.
il*
— 164 -
mihi. p. 1G8: „e U genti di lu Regn/u ancora non eranu fermi"
Ribettamentu, 123: „Ancora vi duviria ricurda/ri," ib. 118: „ora mi
jurati cridema" und so immer, wogegen stets wa Subst., und
nlliini, ogni nra. Diejenigen also wenigstens, welche die beiden
zuletzt citirten Chroniken noch in's 13. Jahrh. setzen, müssen für
den Dialekt zur Zeit der sicilianischen Dichterschule dieselben Er-
scheinungen voraussetzen und danach die Reime der Gedichte be-
urtheilen.
Zu bemerken ist schliesslich, dass diese Reime von b : 6
fast immer in Liedern vorkommen, in denen auch solche von e : i,
o : u sich finden, so dass ein noch so kühnes Aendern der Attri-
but ionen hier nicht aus dem Widerspruche heraushelfen würde.
Andererseits, aus dem Vorkommen solcher unsicilianischen
Reime bei den Sicilianern mit Bestimmtheit den Schluss ziehen
zu wollen, dass sie nicht im Dialekte geschrieben haben können,
würde gleichfalls voreilig sein. Denn die Reime beweisen hier
eben garnichts, weder nach der einen noch nach der anderen
Richtung, und, wenn die Toscaner, ihr eigenes Idiom schreibend,
des. Reimes halber Formen verwendeten, welche nicht die ihrigen
waren, so konnten auch die Sicilianer recht wohl sich ihres Dia-
lektes bedienen, und doch im Reime hier und dort einmal eine
lateinische oder apulische Form gebrauchen. Hiermit könnte man
sich zufrieden geben, wenn nur anderweitig die Abfassung der
Gedichte in sicilianischer Mundart, oder, besser gesagt, in der
Mundart, die wir als sicilianisch kennen, hinreichend feststünde.
Indessen auch gegen die anderen Argumente für dieselbe giebt es
verschiedene Bedenken.
Vor Allem ist es das Zeugniss Dante's, welches hier durchaus
nicht so leicht wiegt. Er ist der einzige überhaupt aus so früher
Zeit, der uns Nachrichten von den ältesten Lyrikern gegeben hat,
und er schrieb sein Buch de eloquentia vulgari nur ungefähr
40 Jahre nach dem Tode Manfreds, mit dem man die Schule im
Süden als erloschen anzusehen pflegt. Er konnte doch wohl noch
wissen, wie die Dinge standen, und er berichtet z. B. von Guido
delle Colonne, dass er seine Lieder in dem Idiome geschrieben
habe, welches nihil differt ab illo, quorf lattdab'dhsimam est
— 1 65 —
(I, 12), d. h. im vulgare illustfe, der italienischen Gemeinsprache.
Man wollte dieses dadurch erklären, dass Dante selbst schon die
Poesieöü nur in der Umschreibung kannte, und sich dadurch täu-
schen Hess, diese für die ursprüngliche Form ansehend. „H tos-
mneggiammto" sagt D'Ovidio (1. c. p. 95), „piü o men completo,
secondo i casi, delle poesie sicide fu cos} spontaneo e facile, che
passb quasi inavvertito, e quando Dante, nelV ultimo quinto del
secoJo XIII, attese agli studi poetici, esso era da un pezzo cos\
perfettamente consumato, che Dante, in buonissima fede, prese per
schiette siciliane le poesie auliche ormai toscaneggiate." Also Dante
machte diese Studien zwischen 1280 und 1300, und da wTar die
Toscanisirung schon vollkommen durchgeführt, und schon seit
einiger Zeit, so dass damals auch jegliches Gedächtniss daran ver-
loren gegangen war. Wann wäre sie aber dann geschehen? Denn
seit Manfreds Tode bis 1280 waren es doch nur 14 Jahre. Und
Dante lebte ja nicht eingeschlossen in den Mauern von Florenz;
er kam nach Rom, weilte in Bologna, verkehrte an verschiedenen
Fürstenhöfen. Sollte ihm da nie ein Sicilianer oder Apulier be-
gegnet sein, der ihn über den wahren Sachverhalt aufklären konnte,
oder wmsste man auch im Süden schon von der ehemaligen Form
der Lieder garnichts mehr? Schwer begreiflich wäre wenigstens
Alles dieses, wenn die Gedichte eine von der toscanischen so sehr
verschiedene Gestalt gehabt, wie ihnen die Restitutionen Coraz-
zini's gegeben. Der letztere entledigt sich übrigens dieses Zeug-
nisses, indem er auf die Ansicht vieler Cinquecentisten zurückgeht,
und das Buch de v/dg. el. selbst für unecht erklärt, was freilich
das Bequemste ist.
Ferner, wie die sicilianische Mundart überhaupt im 13. Jahr-
hundert ausgesehen habe, glaubt man zwar ziemlich genau zu
wissen aus verschiedenen Denkmalen dieser Zeit. Aber von den
beiden angeblich ältesten derselben, den Uebersetzungvn von Per-
gamentdiplomen des Archivs der Cathedralc zu Palermo ist jetzt
durch Böhmer bekannt geworden, dass sie, anstatt aus dem 12.,
aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts stammen1). Die oft citirte
J) Roman. Studien, III, 159 ff.
- 166 -
Formel von 1233 bei Riccardo di S. Germano lehrt uns für die
betonten Vocale, welche bier die Hauptsache sind, garnichts. Die
Abfasstmgszeit der beiden von Di Giovanni publizirten Chroniken:
La Vinuta di In Re lapicu, und Lu Bibellamentu di Gicilia,
steht aich fest. Die erste, eine ganz kurze Erzählung von wenig
über 3 Seiten, soll uns dem Jahre 1287 sein; allein Bartoli, ob-
gleich er sie als Sprachprobe ans diesem Jahre citirt1), bemerkl
doch anderswo seihst, dass jemand, der, wie Frate Atanasio, sage:
„La vinuta di lu re Tapicu a la gitati di Catania fu a lu
prima di maju di Finnin 1287", wohl nicht in demselben Jahn'
geschrieben halten könne2). Die Schrift bleibt also nndatirt; Di
Giovanni setzte sie um 1287 nur, weil er diese Bezeichnung in
seiner Copie aus dein 18. Jahrhundert fand, wo eben das Datum
des Ereignisses mit dem der Schrift verwechselt worden. Das
Bibellamentu hat der Herausgeher selbst nicht genauer datirt;
aber Hartwig hat bewiesen, dass es nach G. Villani's Chronik ab-
gefasst sein muss3).
Es hl eihen die beiden Canzonen bei Barbieri, die man als
Sprachproben und zugleich als Beweis dafür anführt, dass die
Dichter wirklich sicilianisch schrieben. Für diese jedoch giebt es
uoch eine Möglichkeit, welche man nicht ih Betracht gezogen.
dass nämlich, wie man heut' annimmt, die sicilianischen Gedichte
seien toscanisirt worden, umgekehrt vielmehr diese beiden sicilia-
nisirt worden seien, was gewiss nicht schwerer war. Allerdings
wird man in Verlegenheit sein zu erklären, von wem und zu
welchem Zwecke eine solche Umschreibung hätte geschehen sollen.
Aber nicht weniger schwierig als die Beantwortung dieser Frage
'i / primi due Secoli, p. 141.
2) ib. i». 264, n. 1.
3) 0. Hartwig, Giovanni Villani und die Leggenda di Messer Gianni
di Procida, in Sybels Hist. Zeitschr. vol. 25 L871), p. 233—271. Was darauf
Di Giovanni in der Vorrede zum 2. Bande seines Filologia e Letteratura
Siciliana (Palermo, 1871) geantwortet hat, ist garnichts, und beweis! nur.
dass er nichf verstand, um was es sieh handele. Von Fälschung ist natür-
lich hier gar keine Rede; was konnte der Autor dafür, wenn man seine
Schrift für zu alt hielt? Er hat sie nicht datirt.
— 167 —
dürfte die der anderen sein, wie sich denn, bei jener Furie des
Toscanisirens, diese wenigen Gedichte unter so vielen umgeschrie-
benen in unveränderter Gestalt erhalten konnten. Immerhin ken-
nen wir sie nur durch eine Mittheilung aus dem 16. Jahrhundert,
und dazu nach einer Handschrift, die sehr eigenthümlich beschaffen
war. In dem libro Siciliano stand nach Barbieri's Angaben Pro-
venzalisches. Italienisches, Sicilianisches bunt durcheinander: fol. 1,
provenzalische Biographieen; fol. 2, dosgleichen, und doch auf dem-
selben Blatte die sicilianische Canzone Enzo's; fol. 4, ein italieni-
sches Gedicht; fol. 7, eine provenzalische Biographie; fol. 10, wieder
ein italienisches Gedicht: fol. 22, Stefano's Canzone; fol. 37, ein
italienisches Gedicht, und fol. 38, wieder Provenzalisches. Die Mi-
schung des Provenzalischen und Italienischen schien nun zwar
Mussafia gar zu sonderbar, und er meinte, man müsse zwei ver-
schiedene Handschriften mit dem Namen libro Siciliano anneh-
men, welcher letztere dann nur für ein prov. Ms. unverständlich x).
Jedenfalls aber bleibt auch dann noch die Mischung der siciliani-
schen Gedichte, fol. 2 und 22, und der italienischen, fol. 4, 10, 37,
bestehen 2).
Das erste umfangreichere Denkmal der sicilianischen Mund-
art, welches sicher datirt ist, wäre demnach die Conquesta dl
Sicilia von Fra Simone da Lentini aus dem Jahre 1358. Sie
zeigt uns den Dialekt ungefähr 100 Jahre nach der Blüthezeii
der alten lyrischen Schule, und dieser Zeitraum ist doch nicht so
kurz, dass er nicht manche Veränderungen hervorgebracht haben
könnte. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts konnte die Sprache
noch wandelbarer, in gewissen Tendenzen noch unentschiedener
und empfänglicher für äussere Einflüsse sein; es konnten neben
den später erhaltenen Formen andere bestehen, die dann verdrängt
wurden, besonders, wenn sich Hartwigs Ansicht bestätigen sollte,
y) Die provenz. Liederhandschriften des G. M. Barbieri, in Sitzungsber.
der Wiener Akad. phil. bist, Cl. vol. 76, p. 256, n. 1874 .
2) D'Ancona irrte, wenn er {Birne Antiche, p. XU annahm, die Poe-
sieen von Lanfranco Maraboto, Hb. Sic. rar. 4, und Garibo, car. 37, seien
gleichfalls mundartlich gewesen. Die Verse, die Barbieri anführt, zeigen
schon, dass es nicht so war.
— 168
dass das Sicilianische ein Bich erst seit dem 11. Jahrh. entwickeln-
der Seitenzweig der Sprache des südlichen Festlandes und mit
der normannischen Eroberung auf die Insel gekommen sei1). Be-
trachtet man aber die Sprache der Chroniken :uis dem 14. Jahr-
hundert selbst, so findet man sie. wenigstens ihrem äusseren An-
sehen nach, der italienischen Gemeinsprache weit näher, weil die
Umgestaltung gewisser Lateinischer Consonantengruppen, welche
viel zur charakteristischen Färbung des Dialektes beiträgt, hier
nicht durchgeführt ist. So ist lat. nd geschrieben, nicht nn : au-
dendu, intrandu, etc.; II, nicht dd : folli, etc.; gli, nicht gghi : con-
sigliu, etc.: h/b. nicht n/ni : plumhu, u. dgl; so auch meist /// :
plui, plagiri, woneben freilich auch chiui, chiangendu, u. s. w.
Nun ist /war darum keineswegs anzunehmen, dass man damals in
Sicilien wirklich diese Laute noch so gesprochen habe; mögen die
Dialekte auch dem Lateinischen und unter sich soviel näher ge-
wesen sein, das Aufkommen aller dieser Wandlungen erst seitdem
ist nicht wahrscheinlich2). Vielmehr muss man sie für blosse La-
tinisirungen in der Schrift halten, wie deren in allen alten Denk-
malen sich viele finden. Der gelehrte Schreiber, an das Aussehen
des Lateinischen gewöhnt und mit den conventioneilen Zeichen
der neuen Laute nicht vertraut, wählte für diese jene lateinischen
J) s. Hartwigs Vorrede zu den „Sicilianische Märchen, aus dem Volks-
mundc gesammelt'' von Laura Gonzenhach, Leipzig, 1870.
- Dieselbe Erscheinung findet sich in allen anderen Gegenden Italiens.
Navone scheint im Bitmo Cassinese diese latinisirende Orthographie für den
wirklichen Ausdruck der dem Lateinischen noch näheren Aussprache zu
halten (Riv. di Fil. Born. II, 103 f.); aber er selbst führt Beispiele für das
Gleiche aus einer Hs. des 15. Jahrh. an; wie konnte man aber damals noch
z. I). correndo sprechen, da doch schon die Bo*<t fresca : correnno, aritonno,
etc. hat. Ascoli bemerkte (Arch. Glott. I. p. 554, Giunta zu p. 302 : „Meri-
terebbe, im pare, che si studiasse, guanto si debba << ragioni dialeitali, quanto
ii imitazione <lti modelli stranieri e <\mtnti> ad ill n *i<>n e grafica negli
esempi di />!. vi, ecc, dir nci jiüi «nfic/ii scritlort ilu/iuui Siitcontrano cotne
jiJiisur, ocli" ecc. Merkwürdig ist, dass die Cun<iue$ta und Cronkhi nicht
UibeUamentu und Vinuta) statt des tonlosen auslautenden u stets o setzen:
diese Schreibweise würde also aus dem Vulgärlatein oder den Dialekten
des Festlandes herrühren.
- 169
Zeichen, und so näherte die Orthographie die Dialekte, welche
gesprochen sich gewiss viel ferner standen. Die ältesten Lyriker
waren aber Richter, Notare, Männer von hoher Stellung im Staate,
alle mit dem Lateinischen wohl bekannt, als sie die ersten Ver-
suche in der Vulgärsprache machten. Für sie also ist dasselbe
vorauszusetzen wie für die Chronisten, und in noch höherem Grade.
Die Latinisirung wird bei ihnen nicht auf die Schrift eingeschränkt
geblieben sein, sondern auch die gesprochenen Worte selbst er-
griffen haben, und wir können nicht wissen, wie weit sie gegangen.
Dazu kommt, dass unter diesen Dichtern mehrere Apulier waren,
Pier delle Vigne, Rinaldo d'Aquino, Giacomino Pugliese, Rugieri
Pugliese, und Dante sagt ferner, aus allen Gegenden Italiens seien
die Trefflichsten an Friedrichs Hofe zusammengeströmt. Dichteten
nun diese ein jeder in seiner eigenen Mundart? So dachte in
der That Corazzini, und auch D'Ovidio nimmt es an (1. c, p. 91)
und glaubt, in diesem Babel habe man sich dennoch vorstanden,
da die Dialekte noch ähnlicher, und der Ideeenkreis so beschränkt
gewesen1). Mag man aber auch dieses zugestehen, obgleich es
nicht gerade wahrscheinlich, oder mag man glauben, dass die
Dichter anderer Gegenden sich eben der Sprache bedienten, welche
an , Friedrichs Hofe üblich war, immer konnten leicht ihre heimi-
schen Dialekte auf die Dichtersprache zurückwirken, und, da Fried-
rich zwar vorzüglich in Palermo Hof hielt, aber doch auf dem
Festlande eine andere bedeutende Residenzstadt besass, nämlich
Neapel, so waren Einflüsse der apulischen Idiome um so eher
möglich. Alles dieses nun, die Latinisirung und ferner die Pro-
venzalisirung, die ja allgemein zugegeben wird, dazu die wahr-
scheinliche Einwirkung eines anderen nahe verwandten Dialektes
und unsere mangelhafte Bekanntschaft mit der damaligen sicilia-
nischen Mundart selber, machen es zweifelhaft, in welchem Ver-
hältniss die Sprache an Friedrichs Hof oder wenigstens die zu
poetischen Zwecken verwendete Ausdrucksweise zu dem heutigen
Sicilianischen stand. Wenn man heut' beispielsweise pinsannu
*) D'Ancona dagegen spricht von einem testo siculo auch in Bezug auf
das Gedicht eines Apuliers, Bim. Ant. p. o97, n. zu v. 1!'
- 170 —
spricht, so sprach man es vielleicht damals auch, aber man mochte
latinisirend pensandu schreiben, und, wenn man beul' sagl amuri,
und es wirklich auch damals schon so hiess, so brauchten die
Dichter doch vielleicht daneben amore, welches die Apulier im
Munde führten, and an das man aus dem Lateinischen und Pro-
venzalischen (amors) gewöhnt war. Heber diese Unsicherheit
komml in in mit den jetzigen Hilfsmitteln nicht hinaus. Dass die
Sicilianer nicht toscanisch schrieben, stellt wohl fest; aber dass
die dichterische Sprache, deren sie sich bedienten, der heutigen
Schriftsprache schon ziemlich n he gestanden haben könne, ist
damit nicht ausgeschlossen. Die Copisten haben hier gewiss ebenso
etwas zur Umgestaltung der Texte beigetragen, wie sie es überall
thaten; allein, welches die ursprüngliche Form gewesen, die sich
unter diesen Aenderungen verwischt hat, können wir nicht wissen,"
wenn nicht die Auffindung sicherer Documente die Frage ent-
scheidet, und einstweilen, anstatt sich an Restitutionen zu ver-
suchen, die nur missglücken können, ist es besser, sich an das zu
halten, was wir haben, und die Texte zu studiren, wie sie
eben sind.
Wenden wir uns nun nach Norden, so finden wir hier unter
den Dichtern, welche die Tradition der südlichen Schule fort-
setzten, neben den Toscanern auch solche, in deren Heimath man
abweichende Dialekte redete, eine ganze Reihe in Bologna, meh-
rere in der Romagna, und vielleicht einige in der Lombardei.
Indessen das Verhältniss hat sich nun doch schon geändert. Die
Sicilianer hatten nichts vor sich gehabt als die fremden Muster:
aber jetzt bestand schon eine poetische Conventionalsprache, mochte
sie nun sicilianisch sein oder nicht. Diese gelangte auf irgend
eine Art modifizirt zu den Dichtern des Nordens. Dazu, nach
den spärlichen chronologischen Daten, die wir besitzen, ist doch
soviel gewiss, dass es vor den anderen Verzweigungen in Mittel-
und Oberitalien eine toscanische Schule gab, deren Sprache nach
aussen wirken konnte. Fan so hohes Alter wie das Guittone's ist
von keinem Dichter jener Gegenden bezeugt; er dichtete, wie ge-
sagt, schon 1260, und Guido (iuinicelli nannte ihn seiuen Meister.
Es wird demnach mit der bereits erwähnten Ansicht von Cais
— 171 —
seine Richtigkeit haben, dass die im Süden entstandene Literatur-
sprache ihren Weg zunächst über Arezzo genommen, hier sich
schon modifizirt und dem Toscanischen mehr und mehr assimilirt
habe, und von da aus sich weiter verpflanzte. Die Annahme also,
auch diese Dichter hätten ein jeder in seinem Dialekte geschrieben,
ist durchaus überflüssig1). Man darf hier nicht die Kunstdichter
auf eine Stufe mit den volksthümlichen stellen, die sich allerdings
ihrer Mundarten bedienten; aber diese dichteten in gesonderten
Regionen für die niederen Klassen, jene standen in dem festen
Zusammenbange der Schule. Daher passen die Beispiele Bon-
vesins, Fra Giacomino's, Iacopone's nicht hieher, ebenso wenig die
der Prosaiker wie Fra Paolino. Nur ausdrückliche Anzeichen
könnten uns bestimmen zu glauben, dass auch die alten Lyriker
Bologna's, der Romagna und der Lombardei in ihren Dialekten
geschrieben hätten, und solche Anzeichen sind nicht vorbanden2).
Das Gegentheil beweist vielmehr, ausser dem Zeugnisse Dante's,
welches hier um so viel glaubwürdiger, um wie viel er diesen
Orten und Zeiten näher war, ihre Correspondenz mit Toscanern.
Guido Guinicelli richtete Sonette an Guittone und an Buonagiunta
von Lucca; Onesto wechselte solche mit Guittone und mit Cino
von Pistoja; Tommaso von Faenza beantwortete eine Frage des
Dante da Majano (Val. II. 252); er schrieb eine ganze Canzone
1 Canello's Verwunderung {luv. di Fil. Born. II, 116), dass Guido
Guinicelli als Bolognese toscanisch geschrieben, war daher nicht sehr be-
gründet. D'Ancona glaubte (Bim. Ant. p. XII), dass man für diese Gegen-
den Italiens schon ein gemeinsames formulario del dire amoroso in rima,
misto di toscano e di siculo voraussetzen müsse. D'Ovidio giebt wenigstens
zu, dass die Herrschaft des Toscanismus sich auch auf Bologna ausgedehnt
habe (1. c. p. 91).
2) Denn als solches kann man auch nicht den Umstand betrachten,
dass Ugolino Buzzuola, der nach Dante (vulg. el. I, 14^ gemeiniglich illustre
schrieb, einmal, wahrscheinlich in scherzhafter Absicht, den Dialekt ge-
brauchte in dem Sonette: Ocli del Gonte ond1 cd mi'ender nego, Crescimbeni,
III, 80; es ist, nach Manzoni, das vorletzte Gedicht des Cod. V.u. 3214, in
dem sonst keine mundartlichen Gedichte stehen. Eine Deutung de- Sonetts
von sehr zweifelhaftem Werth gab Grion in seiner Einleitung zum Antonio
da Tempo, p. 24 f.
— 172 —
auf die Reime einer solchen von Monte Andrea aus Florenz, und
eine andere ebenso auf die Reime einer des Giovanni dall' Orto
aus Arezzo. Es war also doch undenkbar, dass jene toscanisch
schrieben, und er sulle rime romagnolisch antwortet«'1). Die dia-
lektischen Reime beweisen hier ebensowenig wie bei den Sicilia-
nern; denn, wenn diese Dichter das volgare illustre schrieben, so
schliesst das natürlich nicht aus, dass sie in dasselbe hin und
wieder Idiotismen ihrer eigenen Mundarten mischten, besonders
wo der Keim dazu drängte. Dieses geschah zu allen Zeiten, und
Bojardo hat z. B. so manches aus dem Dialekte seiner Heimath
aufgenommen, ohne doch darum wirklich ferraresisch geschrieben
zu haben. Tommaso Buzzuola aus Faenza, von dem Dante (vulg.
el. I, 14) rühmte, er habe sich von der Volkssprache seiner Gegend
entfernt, reimte : costo : gosto (gasto), Val. II, 249; aomo : fomo
(fnmo), ib. 250, entsprechend den romagnoli sehen gost und fom
(Muss. R. M. 50 u. 55), und in dem Gedichte bei Zambrini (op.
volg., 385) : digionto : conto : pronto : gionto; romagn. zont (Muss.
57). Man bemerke jedoch, dass auch schon in dem Gedichte
Monte's, auf welches das erste der hier angeführten antwortet,
consomo ( : uomo) für consumo stand (Val. II, 33), und dass, wie
oben gezeigt worden, Formen wie Jörne, alcono, costome, ganz all-
gemein waren, und selbst noch bei Dante und Cino vorkommen.
Die Formen gosto, gionto u. dgl. (w in Pos. zu 6) waren auch den
Mundarten Toscana's nicht fremd. Charakteristischer mag der
Reim : varga (varca) : larga, Val. II, 250, sein, d. h. -ic- zu g,
was echt romagnolisch (Muss. 98). Innerhalb des Verses musste
freilich, was von Idiotismen etwa vorhanden war, meistens durch
Copisten und Herausgeber verschwinden. Einige Reste sind morbio
für morbido, Val. II, 251 (Muss. 195), ariprendere, Zambrini, 385,
romagn. arprender (Muss. 125), das par für per in par aina, Val.
*) Dagegen ist von Correspondenzen der Toscaner mit Dichtern des
Südens nichts bekannt, seitdem man aufgehört hat, die Nina des Dante da
Majano für eine Sicilianerin zu halten (s. D'Anc. Bim. Ant. p. 287,n.). Nach
Borgognoni {Propugn. IX, 1°, 34) hätte die Nma garnicht existirt; doch ge-
nügt sein Grund dafür nicht.
— 173 —
II. 250 (Muss. 82). Doch steht par Dco auch bei einem Pisaner,
Val. I, 418. und bei Compagnetto da Prato, D'Anc. LXXXVII, 46.
Bandino reimte aiudo {<ijuf<>) : rifiudo : nudo : sudo : mudom
(nudo). Val. I, 428 f., mit der dem Lombardischen eigenen Er-
weichung der Tenuis; aber ob Bandino wirklich Paduaner ge-
wesen, wie Allacci angab, steht darum noch nicht fest.
Von den Bulugnesen wurden schon oben einige Reime er-
wähnt, die man als aus ihrem Dialekte entsprungen betrachten
kann, ol »schon sie auch bei Anderen vorkommen. Onesto von
Bologna schrieb ferner: aida ( : guido) für aita, Val. II, 145; rede
( : vede) für rete, ib. 148; scde für sete, ebendort, und endlich ridl
(jreti) : lidi : sfidi, ib. 150. Aber freilich haben auch diese Er-
weichungen sich wiederum in grazia della rima Dichter erlaubt,
deren eigene Mundart sie nicht darbot; Gruittone : aida, Canz. IX.
Gel. 2; nudo : muto, Canz. III, 1; fiada, Son. 94; Ser Face aus
Florenz : ferude für feride, Val. II, 400; selbst Dante : conosciuda
( : druda), Manzoni, XIII; Francesco da Barberino : insegnada
(: vada), Doc. 326, 25; bei diesem letzten vielleicht durch proven-
zalischen Einfluss.
Ein Bolognese war gewiss auch Messer Polo1); er sagte also
fese ( : paesc) für fecc, Val. I, 128, in Uebereinstimmung mit seinem
x) Man findet ihn zwar Polo di Lombardia genannt (s. Crescinilicni.
III, 69); aber ohne Zweifel war er eine Person mit Ser Paolo Zoppo von
Bologna, dessen Name in A, 297, die Canzone: La gravi nöbilitate, trägt,
welche anderswo (B, 163; Val. I, 132) Messer Polo beigelegt wird. Ferner
wird der letztere auch als Messer Polo di Castello bezeichnet, und dass
dieser aus Bologna gewesen, zeigt sich in Ser Manno's an ihn gerichtetem
Sonette, B, 352, Prvpugnatore, XI, ln, p. 2^9:
Messer Paulo di Bologna nato
E di Castel chiamato da lencietti (7).
Damit also schwindet wieder einmal ein Einwand gegen eine Aussage d<>
Buches de vulg. el. Dante bemerkte T. 15 , es habe keine Dichter aus
Reggio, Ferrara und Modena gegeben, und man führte ihm dagegeh diesen
Messer Polo di Castello als einen Reggianer an ^s. Galvani. Dubbi, p. IT;» ti'. .
Er war aber garnicht dieses, sondern Bolognese. Mit den anderen Reggia-
nern und Ferraresen, die man aufzählt, mag es dann wohl nicht besser
stehen. Theils ist ihre Heimath unsicher, theils ihre Zeit, theils, ol» sie
Dichter gewesen.
— 1 74
Dialekt. Woher der Bartolommeo di S. Angelo gewesen, der
(Val. i. 131) dise (dice) : guise reimte, ist nicht bekannt.
Die stärkste idiomatische Färbung zeigen noch heute viele
Gedichte der Toscaner selbe]-. (Irren Dialekte nur wenig von der
allgemeinen Literatursprache abwichen und um so mehr verleiteten,
in ihre besonderen Eigentümlichkeiten zu verfallen. Ein Bolog-
. Lombarde, Romagnole hatte die conventioneile Sprache von
anderswoher empfangen; seine eigene Mundart war von ihr bedeu-
I verschieden, und er konnte beide nicht so leicht mit einander
verwechseln. Hingegen stand }r\u^ Sprache, wie sie nun auch ent-
standen sein mochte, jedenfalls damals dem Toscanischen s< hr
nahe, und so identifizirte sie leicht ein jeder mit seiner speziellen
munizipalen Sprechweise, und nahm aas der letzteren manches
auf, was die poetische Sprache im Allgemeinen nicht acceptirt
hatte, da sie eben nicht schlechthin sienesisch, pisanisch, auch
nicht ganz und gar florentinisch war. Daher denn Dante's beson-
ders gegen viele Toscaner gerichteter Vorwurf, dass sie munizi-
pales volgare schrieben, wie später ja noch öfters, z. B. von Bembo,
gegen die Florentiner dieser Tadel erneuert wurde, dass sie die
Schriftsprache verdürben, weil sie sie gar zu gut zu kennen glaub-
ten. Guittone von Arezzo, hätte er selbst seine Sprache bezeich-
solleu, würde sie gewiss eher aretinisch als italienisch
nannt haben, da er ja auch von Frate Giacomo da Leona sagte
(Canz. X.\
Francesca lingua e provenzal labore
I'iii dell' Artina e bono in te . . . .
Wie sehr nun besonders in Bezug auf Guittone Dante'- Vor-
wurf begründet gewesen, hat bereits Caix (Mon. Ant.) nachge-
ben. Dem Idiome seiner Vaterstadt entsprechen die zahlreichen
Formen mit o aus lat. u in Position und e aus i in Position.
die von denen der gewöhnlichen Schriftsprache sich entfernen,
•.conto) für punto, Canz. VII. 2; vergogna : pugna, also
pogna, Canz. X..": venti (tnescienti) für vinti, Canz. IV, 3, und
dergleichen unendlich oft. Dem entspricht lerner ein pertuso (ino-
; für pertugio, Son. 12, und priso (lavviso) für pregio, Canz.
— 175
XX1T, 3, und Son. 124, 145, 159, obwohl die genaueren aretinischen
Formen pertusio und presio waren (vgl. casione bei Ristoro, Nan.
Man. II, 201). Sehr vieles Mundartliche rindet sieh sogar ausser-
halb des Reimes, und hierbei ist zu bedenken, dass die Gedichte
Guittone's, sowie sie heute gedruckt vorliegen, zum grössten Theile
indirekt aus einer Handschrift herrühren, die von Pisanerhand ge-
schrieben worden1), und da dieselbe sehr alt ist und nicht lau
nach Guittone's eigener Blüthezeit angefertigt ward, so ist man
um so mehr berechtigt, die aretinischen Idiotismen, die man da
liest, auf die Rechnung des Autors und nicht etwa des Schreibris
zu setzen, der selbst eine andere Mundart redete. Formen also
wie deletto (diletto), Son. 170; nobel (nobile), Canz. XIV, •';. oder
malvasio (malvagio), Ganz. VIII. 1; rasione (ragiöne), Ganz. L. 4;
spresio (spregio), Son. 153, stammen gewiss von Guittone selber,
und so das spezifisch aretinische Conditional malederea (maldwia),
Son. 167; das fb (fuii) nicht bloss im Reime (Ganz. XXIII, Gel. 2;
XLIII, 2, etc.), sondern auch im Verse, Son. 36, eine Form, die sehr
häufig bei Ristoro von Arczzo. Dagegen sind Bildungen wie fievi-
lezza, Sun. 130; mertevü, Son. 135, Eigenthum des pisanischen Co-
pisten.
Dasselbe gilt, wenn auch in weit geringerem Grade, von an-
deren Aretinern und Sienesen. Die Reime wie spegne : destregne,
Val. II, 135, bei Ugo di Massa aus Siena; vento (vinto) : guarnimento,
Val. II, 190, bei Folgore, u. dgl. in., mögen zwar wieder als nicht
besonders charakteristisch anzusehen sein. Dagegen gilt das maio
(igennajo) für mai (magis), welches Gene dalla Chitarra, Val. II,
l) Es ist die Redianische Handschrift in der Laurenziana . welche die
Briefe Guittone's, und Gedichte von ihm und Anderen enthält; aus ihr
waren zum grossen Theil die Mss. Biscionrs und Salvini's abgeschriehen,
welche Valerlani für seine Ausgaben benutzte. Bas- der Schreiber der Re-
dianischen Hs. ein Pisaner. hat in Bezug auf die Briefe schon Bottari be-
merkt; für die Gediehe' zeigen es die Varianten, 'die Bartoli Eiv. di Fil.
Born. II, 234 ff.) aus derselben zu den ersten Gedichten hei D'Anc gab;
dort liest mau, in Texten, deren Autor ein Sicilianer, die pisanisch-lucche-
sischen Formen: mizo miso), i. 6; anse (anzi), I. 25: I- 29; rin-
chiozo, II, 33.
— 176 —
196, gebraucht, als ein speziell aretinisches Wort1). Derselbe Cenc
hat ein mcslo für misto im Verse, Val. II, 205.
'Buonagiunta Urbiciani aus Lucca, dem Dante denselbeD Vor-
wurf macht wie Guittone, reimte nicht nur: piacensaipensa, Val.
1.473, sondern auch: fortesse [fortezze) : esse : duresse (durezze);
feresse (ferezze) : crudelesse :paresse:stesse, ib. 478; grandessa : alle-
gressaimessa, ib. 496, d. h. also, er zeigt darin gerade zwei her-
vorstechende Erscheinungen des Pisanisch-Liicchesischen, ss für
fiorent. zz, und s für 0 nach Consonant2). Ferner reimte er
i'ostro:dosso, Val. I, 525, wo der Cod. Vat. 3214, nr. 69, nach Man-
zoni, wirklich vosso setzt3). Die Gedichte anderer Lucehcsen und
Pisaner sind an derartigen Reimen äusserst reich, so: offensa-.po-
tmza, Pannuccio, Val. I, 354; fermessa : altessa : gravessa : s'appressa,
ders. ib. 384; terso (terzö) : verso, 386; stasso (stazzo) : passo, Bac-
ciarone, ib. 403; impasso (impazzo) : lasse-, 410; pensa : doglienza,
417. Die Reime wie dieser letzte sind auch dem Süden möglich,
nämlich: penza : doglienza, wie Iacopo da Lentini, D'Anc. VII, 25:
increscenza : penza, und, bei der Verwandtschaft des s nach Con-
sonant mit z, erlaubten ihn sich auch die Florentiner: penza :
lenza : difenza, Guido Orlandi, Val. II, 274; Dante sogar umgekehrt:
fersa (ferza) : attraversa, Inf. 25, 79. Dagegen kommt das ss für
zz kaum anders als bei Pisanern und Lucchesen vor4), und, wo
') s. Nannucci, Man. I, 349, n. 2. und Caix, Man. Ant.
2) In Dante's Beispielen, vulg. el. I. 13: gassara (gazzarra) als luecbcsisch,
Fioransa als pisaniseb.
3) Nosso, vosso soll noch heut lebendig sein in der Montagna Pisto-
jese, und man liest es bei dem alten pistojesiseben Uebersetzer des Alber-
tano da Brescia, s. Nannucci, Verbi, 743, n. •'>. Dass es aber nicht bloss
pistojesiscb, sondern aueb pisaniscb-luccbesisch gewesen, beweist dieses, dass
es der pisanisebe Copist von Guittone's Briefen oft gebrauchte, s. Bottari's
Anmerkung 261. Ebenso steht nosso, vosso im Reime in Binrs Mime c
Prose del Buon Secolo (Lucca, 1852), p. 96. in einer lauda, die auch sonsl
pisanisebe Idiotismen in' grosser Zahl aufweist: posso für pozzo, 4 mal, tor-
normo, trovonno, als 3. pers. plur. perf., i><trlittc. convertitte, ec.
■*) Monaldo da Soffena brauchte jedoch einmal ausnahmsweise passo
für pazzo, Val. II. 2;)7 (Palermo. II, 112); dies aber in den schwierigen rims
eguivocs.
177 —
man es sonst antrifft, hat man Grund, an der Richtigkeit der
Attribution zu zweifeln; so, wenn man bdiesse : avesse in einem
Sonette liest, das, nach Val. I, 129, von Messer Polo sein soll. Und
da in der Canzone Blasmomi delV Amore, die bei Val. I, 210 dem
Rinaldo d'Aquino zugeschrieben ist, wie auch in P (p. 94) und
B (232), ein distrignesse : manchesse (manchezse) : tenesse : bellesse :
altesse : fallesse, steht, so muss mau, wie so oft, dem Cod. A (110)
Recht geben, der das Gedicht vielmehr dem Tiberto Galliziani
aus Pisa beilegt.
Manche andere Eigenthümlichkeiten finden sich dann wieder
innerhalb des Verses, und sie wären hier wichtiger, weil ohne
Zwang des Reimes gesetzt. Aber nun ist der Fall umgekehrt
wie bei den Sienesen und Aretinern; denn da der Copist vieler
vou diesen Gedichten dieselbe Mundart sprach wie der Verfasser,
so wissen wir nicht mehr, welchem von beiden die einzelnen dia-
lektischen Elemente angehören. Findet man bei pisanischen Dich-
tern Formen wie ficcilczza, Val. I, 381, ingannevile, 386, suggiugato,
358, so entsprechen sie zwar sehr wohl dem Dialekte der Ver-
fasser; aber diese konnten sie doch vermieden, und der ungebil-
detere Schreiber dieselben erst nachher in die Texte gebracht
haben. So die Conditionale 3. Pers. sing, wie sre (sarebbe), Val.
I, 394, 401, 411, 470, fard (farebbe), ib. 397, entsprechend denen
der Fragm. Hist. Pis. 655: are' (avrebbe); Bandi Lucch. p. 4: godere\
procedere', etc.; und dazu die 3. Pers. plur. potreno (potreb-
bero), Val. I, 393, wie die Bandi Lucch. nr. 195: farenno, darenno,
etc. So das häufige a, nicht bloss für ubi, sondern auch für aut;
die 3. Pers. plur. auf eno statt ono: segnen (seguonö), prenden,
cövren, creden, lücen, dicen, etc. Val. I, 401, 402, 446, 450. In der
Handschrift Recli's selber stehen übrigens diese Texte in einer
noch viel stärker mundartlichen Form als in der Ausgabe Vale-
riani's. Dies zeigt die Canzone des Gallo Pisano: In dlta donna
ho misa mia mtmdansa (s. D'Anc. LXIV), die Crescimbeni (III,
nach jener Hs. veröffentlichte, mit Formen wie solasso (sd/o .
altessa u. dgl. auch im Verse. Ein Sonett Pucciandone Martelli's
hat sich durch seinen iibergrosseu Reichthum an Binnenreimen
auch bei Valeriani (I, 466) besonders viele Idiotismen erhalten:
12
— 17s —
aber die Form, in der es Redi (Annot. zu v. 428 des Ditir.), wie er
angiebt, genau nach seinem Ms. publizirte, bietet noch einiges
Mundartliche mehr 1).
Nachdem bis hieher von den mundartlichen Elementen die
Rede gewesen ist, welche je nach den verschiedenen Gegenden
sich in die alte Dichtersprache einmischten, bleibt es übrig, die-
jenigen Eigentümlichkeiten zu betrachten, welche allen Gegenden
gemeinsam sind, und welche eben der Ausdrucksweise der ältesten
Lyriker ihren einheitlichen Charakter geben. Es sind dieses theils
solche Elemente, welche aus den südlichen Dialekten stammen
und mit der poetischen Tradition von dort weiter verpflanzt wor-
den, theils solche, die den Einfluss des Provenzalischen bekunden.
Einiges Andere erklärt sich aus den toscanischen Mundarten selber.
Die Einwirkung der italienischen Dialekte auf die alte Dich-
tersprache hat Caix bereits mehrfach untersucht2), und auf seine
Ausführungen stütze ich mich theilweise bei den folgenden Be-
*) Auch in Bezug auf die übrigen Hss. der alten Lyriker wäre noch
zuzusehen, welches der Dialekt der Schreiber gewesen. In der vaticanischen
Hs. 3793 fehlen, soweit sie publizirt ist (und so wohl bis Canzone 305, bis
wohin die Hand des ersten Schreibers reichen soll\ hervorstechende idioma-
tische Besonderheiten, so dass man glauben möchte, der Schreiber habe
dem Gebiete des Florentinischen angehört. Die Formen chiace (piace), D'Anc.
LVIII, 19, chiano (piano), XXI, 30, stehen ganz vereinzelt, und werden von
den südlichen Autoren herrühren (auch V, 111 ist chiacensa zu bessern aus
cht ä senza; Val. piacenza). So könnte auch das sienesische contiato für
contato, T.XX. 8, aus der Mundart des Verfassers stammen, da das Gedicht
anonym ist. Was sonst noch auffallen möchte, sind die Schreibungen sc
und sg für das heutige g zwischen Vocalen, also ascio, presgio, u. dgl., beide
Weisen auch in dem nämlichen Gedichte vorkommend. Die erste Schrei-
bung, entsprechend der Aussprache s, war in der alten Zeit sehr allgemein,
vom Sicilianischen hinauf bis zum Pistojesischen. sg ist mir nur aus den
Lettere Senesi und den altumbrischen Uffici bekannt, wo es gleichfalls
mit sc vermischt. Was die Aussprache betrifft, so ist anzunehmen, dass
sich sg zu sc verhalten habe wie g zu c: sg in rasgione würde also eben
den Laut des florentinischen g zwischen Vocalen. denselben wie französ. j
bedeuten.
2) J.'i Formazione degli Idiomi Letterari, in ispecie deW Italiano.
Nuova Antologia di Firenze, XXVII, p. 35 u. 288, s. besonders p. 296.
Osservazioni sul Vocalismo Italiano, Firenze, 1875.
— 179 —
rnerkungen. Zunächst sind es einige Erscheinungen des Yocalis-
mus. um die es sich hier handelt:
1. Betontes latein. e und ö bleiben meist undiphthongirt,
wie vene, tene, omo, loco. Es ist dieses wohl bekannt aus dem
Sicilianischen; die Dialekte des südlichen Festlandes verfuhren
anders, wogegen sich das alte Aretinische hierin mit dem Sicilia-
nischen begegnete; es belässt e immer (Caix, Yoc. 30), und das ö
wenigstens in den meisten Fällen. Der Einfhiss dieser näher ste-
henden Mundart mag also der Erscheinung diese Herrschaft ver-
schafft haben, welche in der poetischen Sprache noch in die mo-
derne Zeit fortdauert. Den anderen toscanischen Idiomen ist sie
wenigstens nicht charakteristisch, obschon man undiphthongirte
Formen auch in den Lettere Senesi und Band! I/ucchesi findet.
2. e vor Vocal ungeändert, wie in eo, Deo, meo, etc. ist dem
Sicilianischen nicht fremd, aber dort mit den anderen Formen
gemischt, consequenter dagegen im alten Aretinischen vorhanden.
und also eher aus diesem herstammend (Caix, Yoc. 22).
3. Begünstigung des Diphthongs au in betonter und tonloser
Silbe. In betonter Silbe ist es das ursprüngliche lateinische au,
welches in ö überging, aber in der poetischen Sprache sich viel-
fach erhielt, so auro, tesauro, anso (bso), laude, fraude, gaude.
In unbetonter ist es theils ebenso: laudare. audire, augello, tau-
pmo1), oder es hat sich aus einem ursprünglichen o gebildet:
aunore oder aonore, aulente, audore, caunosceiua oder caonoscensa,
auoidere, auriente (Oriente, Val. II, 234). Die Erhaltung des be-
tonten au ist vielen alten Dialekten gemeinsam, aber die des ton-
losen au in erster Silbe und der Uebergang des tonlosen o in
jenes ist eine Eigentümlichkeit der südlichen Mundarten, sieil.
auceddu, aueidiri, ausari, u. s. w., neapol. auciello, auliva*), wo-
für denn auch, wie bei den Alten, die Schreibung ao, z. B. aoUva
in den Gedichten Sgruttendiu's, p. 25-2. Das Provenzalische besitzt
theilweise die nämliche Erscheinung, was. wie Caix vermuthet,
') taupino aus tedpino, 8. Dicz. Et. W. II. 435.
- vgl. Diez, Gr. I, 393: Schuchardt, Voc. II. 304; Aücoli, Arch. Glott.
I. 505.
12*
— ISO
dazu beitragen mochte, jener Bildlichen Neigung Eingang zu ver-
schaffen. Aus dem Süden wird wohl auch der häufige Uebergang
des o in tonloser erster Silbe zu dem bier allgemein begünstigten
a stammen, z. B. canoseenza, afesi (D'Anc. IX, 14), ahnte (V, 29),
urgoglioso (XLVII, 8), wie sicil. aceddu, aliva, canusciri, affenniri,
aeapol. affennere, etc.
Nicht selten begegneu bei den alten Dichtern auch Worte
mit anderen Diphthongen: ai, oi, ei, an deren Stelle die heutige
Sprache nur noch einfache Laute: a, o, e, kennt. Zum Theil sind
dieses wieder die archaischen Formen, aus denen sich die späteren
eidwickelt haben. So bailia, jetzt balia, -während in der beton-
ten Silbe noch das ai bestellt: bailo (bajulus); Guittone, Tanz.
IV, 5, hat auch bailito „beherrscht"; bailia selbst ist sehr häufig
und findet sich unter anderm auch Band. Lucch. p. 99. In den
oft gebrauchten guaita, guaitare, aguaito, u. s. w. stammt das it
aus althochd. ht, welches hier ausnahmsweise nicht wie latein. et
behandelt worden (Diez, Gr. I, 322), weshalb auch jetzt guatare
(nicht guatfare); vgl. Fragm. Hist. Tis. guaito, 659; aguaito, 659,
GG1, und neapol. noch heut' agguajeto. In guaire für das ge-
wöhnliche gua/ri, Val. I, 341, Guittone, Ganz. VI, 2 und öfter, ist
das i entweder attrahirt oder ursprünglich, je nach der Etymolo-
gie, die man annimmt; prov. gaire. Auch gueri in der Rosa fresca
braucht nicht gerade französisch zu sein; es könnte sich zu guari
verhalten, wie cavaleri zu caballarius. faire ist, nach Ascoli's
Auseinandersetzungen, Arch. Glott. I, 81 f., durch die Stufen fagere,
fajere aus facere abzuleiten, und traire entspricht einem HragWe
(ib. 82). So erklärt sieb denn falte, Val. II, 253, Guittone, Son. 14,
und oft in den Briefen, aus fafte = facite. Guittone. Lett. p. 54,
hat auch ein faie (facit) wie vom Infinitiv faiere, und in den
alten sienesischen Briefen findet sich das ganze Yerbum so conju-
girt: faite, p. 38, 58, 88, etc., faieva, 25, faiese, 28, 43, etc.. faie-
sero, 27, fairste. 30, u. s. w. Die Entstellung des modernen /'an.
fate selbst könnte sich aus diesen alten Formen mit ai erklären.
wenn auch weiterhin die Analogie walten mochte; dann wäre fare,
fatt durch faire, faite aus facere, facitis entstanden, wie piato
aus placit um durch *piaito I Ascoli, ib. 80), altrömisch Fragm. Hist.
— 181 -
Born. 413: piaiti, ueapol. chiajeto. Und dem würden entsprechen
die trarc und - (iure aus trawe, *duire, die so oft bei den Alten
im Reime vorkommen. So entstand ferner, nach Sehuchardt und
Thomsen (Romania, IV, 256 f. u. 257 — 262), voito, die alte Form
von vuoto, ans *vocitus; für dieses voito und das zugehörige Ver-
bum voitare giebt zahlreiche Beispiele, fast nur von Pisanern,
Bottari, Guittone, Lett. n. 4. Aehnlich verhält es sich auch mit
traeoitato (traccotato), Guittone, Son. 120, Lett. p. 73, aus Hrans-
cogitatus; coitoso (*cogitosus), Dante da Majano, Val. II, 449. —
duitu aus dubito (dotto) steht in der sicilianischen Canzone Ste-
fano's bei Barbieri, str. 4: preite aus *prebyter statt presbyter ist
häufig bei den Alten, auch Hist. Pis. 659, 660, Hist. Rom. 321, 411.
Guittone, Lett. p. 67, hat eitade (eta), und noch heut' neapol.
ajetate, sicil. aitati1). Ist es aus altlat. aevitatem?
Andere diphthongische Formen entstanden durch Attraktion
des i: mainer a, sehr häufig, wohl bekannt aus den nördlichen
Mundarten, bei Gidino da Sommacampagna und Bonvesin, aber
auch die Lett. Sen. haben mainiera, p. 39. So mainer o (sonst
maniero), Val. I, 457 (prov. mainiers); estraino (stranio), Guittone,
Lett. 15 u. 74: paine (panie), ib. 10, woraus sich Dante's pane
erklärt; bointä, ib. 67, aus bonitä, welches sich an vielen anderen
Stellen der Briefe findet; cointezza, Guittone, Canz. V, Gel. 1, aus
*coguititia (altfrz. cointise); ointa (onta), Guittone, Canz. XI, 2,
ointoso, Val. I, 408, mit Attraktion des im deutschen Grundworte
enthaltenen i, gleichsam *onita, *onitoso; traeoitato ward weiter
zu traicotato, Guittone, Canz. XXXI, 3. Mit diesen ist zusam-
menzustellen vaire (varie), Hist. Rom. 279, meitä, Lett. Sen. 52
und sehr oft in den Band. Lucch.
In aire iaere) ist das tonlose e in i übergegangen; airo auch
Hist. Rom. 281, neapol. heut' noch ajero. Aehnlich erklären sich
die Formen rei (re) bei Guittone (Bottari, Lett. n. 212), auch in
den Lett. Sen. stets rey; ferner mei, tei {nie, te), ebenfalls oft in
Guittone's Briefen und sonst auch Val. II, 17, 34, 211; Trucchi. I, 94;
') Pitre im Glossar zu den Fiabe, mit dem Zusatz „voce iimilc, ma non
plebea".
32
D'Anc. LXXI, 29. Sie sind nämlich wahrscheinlich aus den sehr
häutigen Formen mit paragogischem e :ree} nu • . ti e, hervorgegangen,
vermöge der dem Toscanischen eigenen Neigung zum tonlosen i
im Auslaute.
Unerklärlich ist mir dagegen das erraita, Guittone, Lett.
p. 2, nach Bottari für erratet; aituti (von attutare „auslöschen"),
derselbe, Son. 14h1): ferner das vielbesprochene maiiino, das be-
sonders in den Idiomen Frankreichs und Norditaliens verbreitet2),
di ich auch dem Süden nicht ganz fremd ist, wie das von D'Ovidio,
Arch. Glott. IV, 182, angeführte maitenata des Dialektes von Campo-
basso bezeugt. Endlich ist auch aigua für acqua nach den Laut-
gesetzen Süd- und Mittelitaliens nicht verständlich; dagegen besitzt
es wieder das Provenzalische und Norditalienische, und in den
lombardischen Colonieen Siciliens spricht man noch beut' eigtias).
Soll man annehmen, dass es von hier in die südliche Dichtersprache
eingewandert sei, da ja freilieb diese seit dem 11. Jahrhundert
entstandenen Colonieen im 13. viel bedeutender waren als heut'?
Sonst müsste man das Wort, welches sogar in dem von Dante
citirten Verse des Guido delle Colonne steht, für einen Provenza-
lismus halten, wie D'Ovidio thut, Arch. Glott. II, 99, n.
Bei den meisten dieser Formen indessen ist es, wie wir sahen,
nicht nöthig, sie aus den entsprechenden provenzalischen herzu-
leiten, wie man, durch die Aehnlichkeit bewogen, öfters gethan
bat; auch sind sie nicht dem Süden speziell eigentbümlich; es sind
eben archaische Bildungen, grossentbeils diejenigen, aus welchen
die moderneren Formen der betreffenden Worte erst entsprangen
sind, daher meist gemeinitalieniscb und nicht bloss in der alten
Dichtersprache, sondern auch in anderen Denkmalen zu finden4).
r) in einem Denkmal Norditaliens findet sieh pmtane für puttane,
Ilir. da Fil. Rom. II, 45, das auch Mussafia anerklärlich war.
2) s. Diez, Et. W. I, 261; Mussafia, Glossar zu den Monwmnü Anficht
di Diäl. Ital. und Beitrag; Arch. Glott. 1. 432.
3) in Xicosia; s. Vigo, Conti popöl. 2. ed. 18705 p. 52.
4) Es ist bemerkenswerth, dass in der vatic. Hs. 3793, soweit sie von
D'Ancona publizirt ist, ausser dem mei im Pieime, und mehrfach maitino,
maitina, keine von diesen diphthongischen Formen vorkommt, auch statt
— 183 —
Auf die südlichen Dialekte hingegen weisen wiederum ver-
schiedene bei den ältesten Dichtern sehr gewöhnliche Verbalformen:
ajo und aggio statt der toscanischen ho oder ahbo, und
Conj. aja, aggia (s. Caix, Form. 296); sicil. faaju, im Dialekte von
Note: agghiu, neapol. aggio, altrömisch liajo. In den ältesten
toscanischen Prosaschriften findet sich ein ajo oder aggio niemals,
ebensowenig saccio (sapio) oder deggio (debeo), Formen, die
gleichfalls dem Sicilianischen, Neapolitanischen, Altrömischen ge-
meinsam sind. Mit ajo, aggio sind gebildet die alten Futura wie
sar.ajo, faraggio, etc., sicil. sarrb oder sarroggiu, aber neapol.
sarraggio, altröm. sarajo, Hist. Rom. 407, farajo, 807, und oft.
Diese alterthümlichen Futura, sehr häufig in der sicilianischen
Dichterschule, finden sich bei Dante und seinen Nachfolgern nicht
mehr; Boccaccio wendete sie noch in den lyrischen Gedichten an;
er schrieb eben in Neapel; aggio selbst erhielt sich lange, und
deggio gebraucht die Dichtersprache bis heut', während saccio frühe
verschwand; auch dieses verwendete noch Boccaccio.
Die 3. Person sing. Perf. auf ao, eo, io. Sicilianisch heut'
amau, temiu, satt in, Fra Simone: amao, etc. Hist. Rom. comen-
zao, 251, durao, 253, poteo, 267, morio, 255, u. s. w. Neapol. heut'
(iu/(i je, temie, sentie, aber in älteren Denkmalen des Dialektes wie
in der Chronik des sogenannten Giovanni Villani: ordenao (cap.
XVII), perdio (cap. XVIII). Auffallend ist es, dass die Formen auf
ao ein verschiedenes Schicksal von denen auf eo und io gehabt
haben. Jene finden sich allein bei Dichtern vor Dante, wogegen
die 3. Person Perf. auf eo und io auch Dante selbst, Petrarca und
Boccaccio beibehielten, und nach ihrem Beispiele die poetische
aigua stets agua. Dieses mag daher rühren, dass in Florenz früher als
anderswo jene archaischen Formen erloschen. Anders ist es in einigen von
Grion, Serventese, p. 44 ff., veröffentlichten Gedichten, die in derselben Hs.
von einem anders redenden Schreiber stehen. Dort liest man nicht bloss
strainero, sondern auch raigione, caigione, und anch in der palat. Hs.: aigua,
faite, mainer a, bailia (nach den Drucken bei Palermo, II, 98 ff.). Das
Meiste dieser Art scheint aber die von I'isanerhand angefertigte Redianische
IIs. zu enthalten.
- 134 —
Sprache bis auf den heutigen Tag; die auf eo gingen dabei oft
in io über; venäeo ward vendio, wie ^rc« zu owwb wurde.
Seltener als die 3. Person ist die erste Pers. sing. Perf.
auf (io, eo, io; toccao für toccai, D'Anc. LX, 10, nach der Hs.
B, 241 (Prqpugnatore, X. 2°) gelesen, welche hier allein einen Sinn
giebt:
L' aulente bocca e le meinie
De lo petto le toccao,
Fra le nne braccia la tenne,
Basciando mi domaudao.
perdeo für perdei, D'Anc. LXY1II, 37:
Eo, che perdeo, vi chcro.
Guido Cavalcanti in der ballata: In un boschetto, sagte udio für
/!<(//. sentio für sentü. Andere Beispiele aus dem Dittamondo,
Guittone's Briefen, Francesco da Barberino und den Cento Novelle,
bei Nannucci, Verbi, 162, f. Zu Grunde scheinen zu liegen die
sicilianischen Perfecta purtaju, ripitiju, fniijn, Pitre, Fiabe, I,
p. CCXVII, die freilich dem Palermitanischen heut' fremd sein sollen.
Die gewöhnliche sicilianische Perfektbildung zeigt sich in den
Formen wie audivi, D'Anc. I, 27, VIII, 32, oder partivi, LXIX, 2,
und es sind durchaus keine blossen Latinismen, wie Bartoli glaubte1).
Liest man audivi bei Dante, Inf. 2G, 78, so ist es da allerdings
für einen Latinismus anzusehen.
Die Participia auf uto von Verben auf ire sind noch heut'
sicil. und neapol., auch Hist. Rom. partuta, 203, falluta, ib.,
feruti, 2C.7. bestuto (vestito), 291, u. s. w. Sie blieben bei Dante
und Petrarca, und so verschmäht sie auch die heutige Dichter-
sprache nicht ganz.
Auch den Imperfekten auf ia statt ea der Verba auf ere,
wie avia, tenia, die im Reime von der ältesten bis auf die neueste
Zeit angewendet wurden, hat man bisweilen sicilianischen Ursprung
zugeschrieben, aber, wie es scheint, nicht mit Hecht. Es liegt
hier nicht der gewöhnliche Uebergang von e in i vor; denn auch
Dialekte, die e nicht in i verwandeln, besitzen diese Formen, und
1 1 / primi due Secoli, p. 14G, u. 2.
- 185 -
im Sicilianisclien selbst steht ama neben aveva (nicht aviva).
Der Uebergang des kurzen e in i vor a, o, c ist dem Toscanischen
gerade besonders eigen, wie Bio, mio, mia, mir; cria (crea) bei
den Alten, auch Petrarca; das lange e kann sich aber in solcher
Stellung unmöglich besser behauptet haben1), und, wenn die Sprache
avea, tenea beibehielt, so geschah es, um die Conjugationen nicht
zu vermischen; vor Alters jedoch werden die anderen Formen mit
/', wenn auch als weniger gebräuchliche, daneben bestanden haben;
der Zwang des Reimes brachte sie dann zum Vorschein. Aber
ganz fehlen sie in alten toscanischen Prosaschriften nicht; Ristoro
d'Arezzo hat facieno, receviano, Nan. Man. II, 202, conosciano, ib.,
diciano, 203. Die Lett. .Sen. dovieno, p. 29, 45, solieno, p. 41.
Hist, Pis. tenia, 658, combatticno, 659, voliano, 666. Ebenso wie
aus avea — avia, entstand dann auch dia aus dea (debeat), wel-
ches sehr häufig bei Guittone, auch ausserhalb des Reimes, und
ebenso in Prosa, in den Conti di Antichi Cavalieri, die in alt-
aretinischer Mundart abgefasst sind2).
x) s. hierüber Canello, Zeitschrift für roman. Phil. I, 512.
2) Dieses dia oder dea Guittone's und Anderer scheint meistcntheils
richtiger übersetzt als erklärt worden zu sein. Es steht in Indicativbedeu-
tung, z. B. Guittone, Canz. XXII, 1:
Oh che crudele ed amarore amaro
Nella perdita tua gustar dea core.
wo man jetzt sagt: gustar deve; oder die Conti di Ant. Cav. p. 4: Sono
queste le gioje, che d'amore diano venire? Ristoro d'Arezzo, Nan. Man.
II, 204: Lo cielo .... se dea movare suavissimamente. — Nannucci wandte
darauf (Man. 1, 178, n. 10; II, 204, n. 8; Verbi, 593) sein bekanntes Universal-
mittel an; aus devere ward deere, daraus deare und diare, u. s. w. Er hatte
aber dabei nicht bemerkt, dass Guittone dia auch als erste Person gebraucht.
Canz. XXVI, 4:
Amor, piü ch' altr' uom dia
Te piacer per ragione.
d. h. „ich muss dir mehr gefallen", und Son. 155:
Che servir mc ne te for lui nou dia,
Ma vietar deggio.
„non devo servire mc ne te senza lui". Beiläufig hat es so auch ein iranco-
italienischer Text, der von Rajua publizirt in GiurnaJc <li l-'tl. Rum. I,
p. 36, v. 130:
- 186 —
Demnach wird es auch zweifelhaft, ob die Conditionale in
ia, wie avria, saria, wirklich aus Unteritalien gekommen sein
müssen, wie Caix annimmt; denn, da das alte Aretinische amarea,
sarea, u. s. w. hatte, so war von hier der Schritt zu amaria der-
selbe wie der von avea zu avia, und nicht untoscanisch. Von
ganz reinen Denkmalen dieser Mundart ist nur noch gar zu wenig
bekannt gemacht, um entscheiden zu können, nämlich nur das
kleine Stück des Ristoro bei Nannucci, Die Conti dl Antichi
Cil que serf, fe que vos dia,
A l'altrui sen senpre se guia.
wo das fe que vos dia — „meiner Treu" der altfrauz. Betheuerungsforniel:
foi qice vos doi, entspricht. Ferner brauchte Francesco da Barberino dia
als 2. Person, wie Ubaldini richtig anmerkte. iNannucci citirt die erste
Stelle Guittone's und die Francesco's, aber ohue sie zu verstehen, da er sie
unter dia 3. Pers. setzt.) In Wirklichkeit ist dia oder dea gleich debba,
der regelrechte Conjunktiv zu deo = dero. Wenn aber hier der Coujunktiv
anscheinend statt des Indicativ verwendet ist, so beruht dieses auf dem all-
gemeinen Gebrauche der Alten (und nicht bloss der Italiener), die auch
dobbiatc, deggiate sagten, wo wir dovete, z. B. D'Anc. XXIV, 78, XXV, 18,
XXXIV, 22, und bei anderen unendlich oft; d. h. sie gebrauchten von dem
Verbum des Müssens den Conjunktiv gleichsam mildernd für die schroffe
Behauptung der Nothwendigkeit. So hat Guittone selbst statt des dea auch
deggia, Ganz. XXIII, 4, und degie im Sinne von dem, steht D'Anc. LVI,
32, degia ib. LVIII, 3 und Val. I, 535, wozu freilich Nannucci, Verbi,
588, auch wieder seinen Infinitiv degiare in Bereitschaft hat uind ein prov.
deiarf). Die Aussprache dea und dia könnte speziell aretinisch gewesen
sein; denn es muss auffallen, dass es gerade bei Guittone in den Gedichten
und Briefen so unendlich häufig ist, und dass alle anderen Beispiele, welche
man dafür kennt, ausser dem einen Francesco da Barberino, der ja über-
haupt sich die meseidanzc gestattete, nur aus aretinischen Denkmalen her-
rühren, nämlich Ristoro, den Conti di Amt. Cur. und einem Gedichte des
Giovanni dall' Orto aus Arezzo, d. h. nach dem Citate bei Ubaldini, welches
auch Nannucci, Verbi, 593, von ihm herüberuahm, während in seinem eige-
nen Manuale, I. 226, und bei Val. II, 98, das dea der Stelle in dee umge-
wandelt ist. Verbreiteter dagegen sind die Formen die, plur. dieno,
welche eben dieselben Coujunktive sind, die und dieno aus dia und diu im.
wie sie und sieno aus sia und siano. Beispiele für diese bei Ubaldini und
bei Nannucci, Verbi, 592 f. Besonders häufig liest man die, dieno im Sinne
von deve, devono, in den Lettere Senesi p. 11, 30, 38, 45, u. s. w.).
— 187 -
Cavcdieri haben viele solche Couditiouale in ia; aber in ihnen
ist der Dialekt nicht unvermischt.
Als echt sicilianische Form kann man noch das staresse (sicil.
starissi), D'Anc. VIII, 29, anführen.
Bekanntlich giebt es bei den alten Dichtern noch ein an-
deres Conditional, das gebildet aus dem lat. Plusquaniper-
fectum in die. sich noch zuletzt in Dante's soddisfara zeigt.
Aber bei den Dichtern der höfischen Schule sind diese Formen
doch nicht allzu häufig1;. Diez vermuthete deshalb darin eine
provenzalische Entlehnung (Gr. II, 147). Dass' dieses nicht der
Fall ist, haben die seitdem aufgefundenen zahlreichen Beispiele in
vulksthümlichen Denkmalen bewiesen, unter denen auch die von
Diez noch vermissten Bildungen aus starken Perfekten. Ist aber
dieses Conditional nicht aus dem Provenzalischen entlehnt, so wird
*) Zu denen, welche Xaiinucci an verschiedenen Stellen, hesonders
Verbi, 323 ff., anführt, lassen sich noch folgende hinzufügen: sembrara, Val.
I, 298; pentero, ib. 411 (Bacciarone Pisano); partira, ib. II, 43 (Monte An-
drea); finera, D'Anc. XXIX, 39 (Rinaldo d'Aquino); convenera, Guittone,
Soii. 114; pora (:fora), ders. Ganz. XXXVIII. 4; Rustico di Filippo, Trucchi,
I, 239:
Che se grandc bisogno nol richiede,
De la sua casa non si jpwrtir' anche.
für: non si partirebbe neanche. Bei Val. I, 50 ^Pier delle Vigne) ist zu
lesen:
Per lei potere aneidere eo morera.
statt morria, um den Beim mit piacentera zu haben, und so in dem Ge-
dichte des Maestro Simone Rinieri von Florenz, Manzoni, V:
De! or mi foste amara.
K' eo mi vantara — di cotal guerrero.
statt vemteria. In der sicilianischen Canzone Stefano's bei Barbieri, str. 4,
steht die erste Pers. plur. smtiramu, was aber vielleicht au* smtiriatnu
entstellt ist. Dante da Majano sagte in dem Sonett: La fior d'amor Val.
II, 465):
S' eo troveria — di mia disia — pietate,
Piü in dignitate — alzate — me tenire,
Che s' io avir(e) — dovire — lo 'mperiato.
wo tenire und dovire für tewi/ra, dovira — tenera, tlur<_ra. modifiziri dem
schwierigen Reime in jener Spielerei zu Liebe, wie alzate für alzato steht.
- 188 -
es nun dagegeD sein- wahrscheinlich, dass es aus den Mundarten
des süditalienischen Festlandes stamme. Diesen wenigstens gehören
sämmtliche aus volksthümlichen Texten bekannte Beispiele an;
sehr oft erscheint es in der Rosa fresca, von der Caix darthat,
dass sie apulisch; der llil um Cassinese hat boltiera, d. i. boUera
= volsera» starkos Conditional von volere, und Navone citirt dazu
ein völsera, dolzera, pregara aus alten Gedichten in abruzzesischem
Dialekte. Dante, vulg. el. I, 12, führt als apulisch den Vers an:
Vohera che chiangesse lo quatraro.
Die Beispiele, welche Foth (Die Verschiebung der lat. Tempora, etc.
in Böhmers Rom. Studien, II, 279, n.) gesammelt hat, sind aus den
alten aquilanischen Reimchroniken bei Muratori, Antiquit. VI.
Reich sind ferner daran die Fragmenta Historiae Romanae, und
endlich hat Caix (Biv. di Fil. Born. II, 180) diese Formen als noch
lebend in Volksliedern aus Calabrien und Basilicata nachgewiesen.
Aus dem Sicilianischen ist, wie gleichfalls Caix bemerkte, derarti-
ges bis jetzt nicht bekannt; denn wenn auch die sicilianische Can-
zone bei Barbieri sintiramu hat, so gehört das nicht hierher, da
ja die höfische Dichtung allgemein eine Verbreitung der mund-
artlichen Formen über ihre ursprüngliche Zone hinaus zeigt.
Von diesem ihrem Ursprünge kommt es denn, dass die Con-
ditionale der Art bei den Kunstdichtern in der Form etwas von
den provenzalischen abweichen; die der Verba auf are bilden meist
ara, nicht era, wie die gewöhnliche prov. Form ist: die der Verba
auf ire haben neben ira auch era: finera, convenera, morera, und
so perera, guerera, D'Anc. LVII, 60 ff., gerade wie convenera, Hist.
Rom. citirt bei Nannucci, Vcrbi, 325, und noch heut' servera,
Canti Popol. Meridionali, I, 84. Einige wenige Beispiele machen
indessen eine Ausnahme von dem Gesagten und können nur Um-
formungen nach provenzalischem Muster sein. Diez selbst hat
disperera statt disperara angemerkt (D'Anc. LYII, 68). Ferner
steht innamorera im Sonette Maglio's, bei Grion, Pozzo, 45; por-
tera, Val. II, 99. Endlich Val. I, 69 (Guido Guinicelli) muss finero
von finare kommen, wie die dort folgende Zeile beweist.
Die alten Präsensformen reo, creo, vao für uedo, credo, vado,
widersprechen den toscanischen Lautgesetzen, da nach diesen d
— 189
zwischen Vocalen nicht ausfallt, Sie finden ihre Erklärung in den
südliehen Dialekten: sicil. viju aus video, *vidjo (tose, veggio), wonach
criju, gleichsam *credeo, das tose. *creggio gegeben hätte, und vaju,
gleichsam *vadeo. Hist. Rom. veio, '253, provea (proveda), 413,
rnjif (m<l<t), 413. Neapel, noch heut' veo neben vego, veco; breo
neben crego, creggio; vao neben vado, vaco. In der Sammlung
D'Ancona's findet sich sowohl veio, cyclo, als veo, creo oder vio,
crio (creo zu crio, wie acca zu (tritt) geschrieben; ein Beispiel
für vttjo ist D'Anc. LI, 13, und ib. XLVIII, 21, ist aus vado : false-
ragio — vajo : falserajo herzustellen; vao, ib. XXII, 12 1). Die ana-
logen prov. Formen vei, crei, van mochten auch hier wieder die
Aufnahme der südlichen Aussprache bei den Toscanern befördern.
Ein vei hat noch Dante, und auch der altmodische Frezzi, s. Nan-
nucci, Verbi, 739. Petrarca gebrauchte cre> für credo, und dieses
soll noch heut' auf dem Lande lebendig sein; Nannucci ib. 541.
Aber das gehört einer andern Klasse von Erscheinungen an; cre'
verhält sich zu credo, credi, crede, wie pie zu piede, fr' zu vedi,
die zu diede, te1 zu tieni, bontä zu hont ade, u. s. w. Das Tosca-
nische kennt den Ausfall des d zwischen Vocalen nicht, wohl aber
ist ihm die Apocope von Silben gewöhnlich.
Zu veo, creo gesellt sich noch ein clieo für cheggio, chiedo,
welches sehr häufig bei Guittone, sonst aber selten ist; es findet
sich noch bei Monte Andrea, Val. II, 35, und Nannucci (Verbi. 78G)
belegt es aus Meo Abbracciavacca und Iacopone (clicio). Die süd-
lichen Dialekte scheinen es nicht zu kennen, und so könnte es
durch spätere Anbildung an veo, creo entstanden sein. Von die-
sem jetzt verschwundeneu cheo stammt das alte caendo, welches
die Wörterbücher als Gerundium ohne Infinitiv verzeichnen. Aus
cheendo (gleichsam cheggendo, wie veggendo) entstand caendo durch
') Das charakteristisch Mundartliche dieser Formen ist das oeapol.-
sicil. j, wo tose. g\ weiter fiel das j zwischen Vocalen aus. Dieses südliche
j statt tj hat man auch anderswo, wie in den Heimen: jinio pregio : pcio
(jpeggio), D'Anc. VIII, 45, sicil, preju-.joeju, und dasselbe LXXVIII, 20. Ob
es noch der nämliche Einfluss, der Dante raj<< für raggia, ploja für pioggia,
ii. s. w. sagen Hess?
— 190 —
die gewöhnliche Begünstigung des a in erster tonloser Silbe. Die
Bedeutung passt sehr wohl; denn die Alten verwendeten cherere,
chiedere noch oft im Sinne von „suchen" (quaerere).
Das lateinische Verbalsuffix icare ward toscanisch eggiare.
Findet man also häufig solche Formen wie pareiare, D'Anc. LXX\ 20;
folleare (folleggiare), LXXX, 20; segnoreare, LXXXI, 14; guerriare
(guerreggiare), LXXXVII, 39: danneare, LXXXYIII, 20; amariare,
Guittone, Son. 159; vaghco (vagheggio), ders. Son. 9G; cortea und
innamorea, Chiaro Davanzati, Trucchi, I, 156, u. dgl. m., so muss
man sie auf die südliche Gestaltung desselben Suffixes zurück-
führen; sicil. iari : passiari (passeggiare), russiari (rosseggiare);
neapol. ejare, eare und iure : spessejare, guerfeare, tastiare, und
so Hist. Rom. signoreiare, 305, motteare (motteggiare), 291, signo-
riare, 289. Hierher gehört auch goliare oder goleare „begehren",
entsprechend einem toscanischen, aber veralteten goleggiare. Nea-
pol. noch heut' g&lio im Sinne von „Verlangen", das sicil. gvliari
hat, nach Mortillaro, andere Bedeutung. Auch hier konnte das
prov. Suffix dar : pareiar, u. s. w., zur Verbreitung jener Formen
mitwirken.
Endlich ist eine Anzahl einzelner Worte zu erwähnen, die
bei den alten Dichtern sich finden, und die in den südlichen Dia-
lekten noch heut' vorhanden sind, während das Toscanische sie
nicht mehr kennt:
ahento und abentare in der Bedeutung „Ruhe" und „ruhen",
sehr häufig bei den Dichtern, Sicilianern wie Toscanern, vor Dante;
auch Cecco Angiolieri gebraucht es noch (Allacci, 216); sicil. ab-
bentu und äbbintari, neapol. äbbentare. Ist Diez' Identifizirung
mit tose, aventare (Et. W. II, 7) richtig, so zeigt schon der Laut-
bestand (v zu b), dass das Wort aus dem Süden gekommen.
cor i na statt cuore, an zwei Stellen:
Notaro Giacomo, D'Anc. XVIII, 8:
Quando m'apar davanti,
Li suo dolzi sembianti
M'incendon Ia corina.
- 191 —
Odo dellc Colonne, XXYI, 49:
Va, canzonetta fina,
AI buono aventuroso,
Ferilo ala corina,
Se '1 truovi disdegnoso.
curina ist vielleicht auch D'Anc. LXVI, 83 statt susina zu setzen.
Sicil. curina heut', nach Mortillaro, nur noch in beschränkter Be-
deutung, nämlich für den inneren Theil des Kohles und anderer
Gewächse; ferner sagt man „la curina di tu 'nvemuP wie .Ja cori
di lu 'nccrnu".
menna für mammella, sicil. minna, neapol. menna.
D'Anc. LX, 9 (verbessert nach B, 241):
L'aulente bocca e le menne
De lo petto le toccao.
attassare „peinigen".
Ruggerone da Palermo, D'Anc. XLIX, 29:
Lo reo pensero si forte m'attassa,
Che rider ne giucare non mi lassa.
und intransitiv, D'Anc. XXXVI, 61:
Ello peuando attassa ed e sofrente (d. i. lo core)
Del mal d'amor gravoso,
Pieno di disianza.
neapol. attassare „gerinnen machen, gefrieren machen" (D' Ambra),
aber sicil. attassari auch in dem Sinne von „betrüben, peinigen".
Die Grundbedeutung ist offenbar die bei Mortillaro unter 3) „in-
fonder nelV acqua un veleno vegetabile da noi chiamato Tassu
(taxus), onde facilitar Ja pesca per un certo torpore, che produce
ne' pesci", daher dann allgemein avvelenire, ferner iutiri::.:ir< %
gelare und endlich attristare. Das Sicilianische hat auch die
intransitive Bedeutung „agghiadare, affliggersi", wie in der zweiten
der obigen Stellen. Das italienische "Wörterbuch kennt das Wort
nur aus jenen zwei Beispielen.
liarc statt legare, neapol. liarc, sicil. Mari (neben ligari).
D'Anc. XCVI, 15:
Amor mi stringe, che m' a in sua ballia,
Ond' io forte mi doglio
— 192 —
E n ubrianza meve stesso lasso,
E di si grevi pene il cor mi lia, dls. millia)
Che tutto quanto scioglio. (Hs. scolglio)1).
Dieses Wort stand wahrscheinlich auch in einer unverständlichen
Stelle D'Anc. LI, 38:
E lo corpo ä 'n ballia
E tienimi in milia - - forte incatenato.
Besserte man etwa:
Forte mi lia — e tienmi incatenato,
so käme dadurch auch der Binnenreim an die ihm im Gedichte
gebührende Stelle. Allerdings ist die Aenderung stark.
Hierzu das Substantiv liama für legame, das zweimal bei
Dante da Majano, Val. II, 472:
Ben aggia Amore e sua dolee liama.
ib. 477:
E piü mi stringe Amore e sua liama.
sicil. Ujama verzeichnet Pitre im Glossar zu den Fiabe (Mortillaro
nur ligamäy
assommare für innalzare.
D'Anc. XX. 29:
Ancora si asomata
La natura v' avessc 2),
Ben ti dei rimembrare,
Ca di mal farc — e troppo grau peccato.
d. b. obschon euch die Natur so erhöht haben mag, so sollt ihr
doch bedenken, u. s. w. neapol. assommare, sicil. assummari, in
beiden Mundarten transitiv und intransitiv: innalzare, fare venire
<(, galla und salire. Corazzini, der diese Canzone übersetzte,
1) vgl. E sciof/lio dorne neve. XI4X. LT).
In demselben Gedicht XCVI, 11:
Peru vi priego, cb' io non sia, diriso,
Sed io od altro c' ami
Forzasse in alenn lato ....
ist wohl Forfasse zu lesen.
2) avessc, conj. imperf. an Stelle des conj. praes. ist gleichfalls sicilia-
nischer Idiotismus; s. Pitre, Fiabe, I, p. CCXXV.
— 193 —
übersah, dass das Wort sicilianisch, was doch seiner Theorie nütz-
lich sein konnte, und suchte sich statt dessen (aus dem Glossar
von Bartschs Chrestomathie, wie gewöhnlich) ein prov. asomar in
der schlecht beglaubigten Bedeutung von distruggere. Wie er
dann die von ihm selbst übersetzte Stelle verstehen will, hat er
verschwiegen.
singa für segno.
D'Anc. II, 43:
Sacciatelo per singa
Zö ch' i' vo dire a linga 1),
Quando voi mi vedete.
Die 2. Zeile ist nach Bartoli's Varianten verbessert; vielleicht stand
aber: Zb cIC *' no dire a linga, was ein häufiger Gemeinplatz
wäre: Erkennt an Zeichen, was ich in euerer Gegenwart nicht zu
sagen wage, singa aus segna wäre allenfalls toscanisch erklärbar,
das i ein Latinismus, nga aus nja wie giunga, venga und Dante's
punga. Aber das Sicilianische bietet das Wort unmittelbar: „singa
= orma, vestigio, segno", Mortillaro, wrozu das Verbum singari,
ferner nmiga = insegna, segno. In dem Gedichte des Iacopo
Mostacci, D'Anc. XLIII, 26 ff. reimt: losinga : stringa : segna idegna,
was also auf singa : dinga zu führen scheint (cf. dingi = degni
im Ritmo Cassinese, v. 36).
la dia für cTi, giorno. Grion hielt es für einen Lombardis-
mus, Corazzini für einen Provenzalismus; aber die alten italieni-
schen Dichter gebrauchen dia stets als Femininum, während es
prov. und lombardisch Masculinum ist. Dagegen haben die Fragm.
Hist. Rom. oft la die neben lo die (p. 399, 409, 411 u. s. w.); in
einem Volksliede von Lecce, Canti Meridionali, II, 18, heisst es:
Ca a iddliu pensu la notte e la dia.
auch sicil. la dia verzeichnet Salomone- Marino in dem kleinen
Glossar, Propugnatore, X, 2°, 50, b. Es dürfte also eher aus dem
Süden stammen.
J) In Bezug auf linga vgl. die Reime: aringa : lingua, Brunetto, /'< sor 1 .
und raminga : lingua in einem Gedichte des Ciolo della Barba, bei Grion,
Pozzo, p. 38. prov. lenga.
1.".
— 194 —
intando, als Zeitadverb im Sinne von allora.
D'Anc. LXII, 46:
Cli' io partia (1. Quand1 io partia?)
Da voi, intando
Diciavatemi sospirando.
LXXIT, CG:
l)i nie rimembra poco, l. ti membra)
De le 'mpromesse che mi facei intando;
Non nie n' allegro poco,
Si scassai de lo foco. (1. <S" € scansai)1).
Val. I, 502:
Adonqna dico intando . . .
Doch ist diese Stelle dunkel, und so eine andere, an der das ein-
fache tando steht, D'Anc. LXX, 53.
D'Anc. LI, 19:
Sospiro e sto 'n rancura,
Ch' io son si disioso
E pauroso — mi fate penare.
Ma tanto m' assicura
Lo suo viso amoroso.
scheint man Ma tando wC assicura lesen zu müssen: „aber da
beruhigt mich ihr liebreiches Antlitz". Das Neapolitanische und
Sicilianische haben tamio, tannu als Correlative zu quanno, quannu
gebildet. Das intandu steht neben tandn sehr oft in den alten
sicilianischen Chroniken, welche Di Giovanni herausgab 2).
Südliche Form zeigt auch das ca für che, Conjunktion, Ver-
gleichungspartikel und Relativpronomen, welches die alten Dichter
so oft verwenden; es ist allen Idiomen Unteritaliens in alter und
neuer Zeit gewöhnlich.
*) ib. v. 61, ist umzustellen:
A grau vergogna lo tuo coro äi dato.
2) Vitt. Imbriani, Dodiei Conti Pomiglicmesi, Napoli, 1876, p. 38,
schlägt mit Recht vor, dieses tanno auch in der Rosa fresca zu lesen, wo
jetzt (Str. XXIV^ steht:
Ahi tanto innamorastiti, Juda lo traito.
— 195 —
Zu den erwähnten vio, crio (für vedo, credo) bildet den typi-
schen Reim desio, ein Wort, mit dessen Etymologie man sich
neuerdings wieder mehrfach beschäftigt hat1). Diez leitete desio
von dissidium her, worauf die portugiesische Form desejo, sowie
prov. desieg hinweisen. Aber das ital. desio stimmt nach tosca-
nischen Lautgesetzen nicht dazu; denn wie *vidjo (video) — veggio,
niusste dissidium - disseggio ergeben. Dagegen neapol. und sicil.
umgekehrt, da *vidjo zu viju, vio ward, musste dissidium in dis-
siju, dissio oder auch disio übergehen. In der That liest man in
Fra Simone's Conquesta, p. 15: Buberto prisa la gitati cu grandi
letitia, fu complito lo so dissiju cu grandi gloria." Daneben
kommt bei ihm schon das Verbum disiari vor (p. 25), und heut'
heist es sicil. nur noch disiu, neapol. addesio, regelrecht nach der
Phonetik dieser Mundarten, desio, welches im Italienischen ein
spezifisch poetisches Wort ist, wird also aus dem Süden in die
Dichtersprache gekommen und in derselben verblieben sein, wie
Caix dasselbe von gire, ancidere und anderen nachgewiesen hat.
ricentare im Sinne von sciacquare.
D'Anc. LXXI, 65:
Per grau fidanza c' agio mi spavento,
E ciö, che mi dispiace, m' e a talento,
La neve mi riscalda, e '1 fuoco mi ricenta.
Der 3. Vers ist falsch, und der Reim mangelhaft; vielleicht ist zu
bessern :
Neve mi scalda, al fuoco mi ricento.
vielleicht aber auch in radicalerer Weise:
La grau fidanza c' agio mi spaventa,
E ciö, che mi dispiace, m' attalenta,
Neve mi scalda, e '1 fuoco mi ricenta.
Wie sehr dieses Wort in Toscana unbekannt sein muss, zeigt der
Umstand, dass D'Ancona nicht zauderte, es ganz aus dem Texte
J) Mussafia, Bomama, I, 499; Storni. Bivista Ewopea, Anno VI. vol. 1.
182; Caix, ib. 595; der letztere meinte, aus desirare sei desiare durch Dis-
similation entstanden, und daraus das Subst. desio.
13*
— 196 —
zu streichen und dafür ein weder für den Sinn noch in den Reim
passendes mcende zu setzen, als einzige „parola acconcia al caso",
die er fand. Dagegen sind sicil. ricmbari und arritintari, neapol.
arrecentare in dieser Bedeutung wohlbekannte, von den Wörter-
büchern verzeichnete Verba, aus lat. *recentarc. In oberitalicni-
schen Dialekten findet es sich wieder, und so prov. recensar von
*recentiare, worüber Flechia, Areh. Glott. II, 32 f., der auch frz.
rincer für dasselbe Wort erklärt. Flechia meint, das Sicilianische
und Neapolitanische könnten dieses Verbum durch französischen
oder oberitalienischen Eintluss erhalten haben, und setzt hinzu
(p. üo, n.): „üelemento francese dbonda in questi due <li<il<tti
piü che altri nun erede, e prindpalmente nel primo, come avremo
occashiiic di dimostrare con apposito laooro." In der That zeigen
diese südlichen Dialekte mit den Idiomen Frankreichs hin und
wieder, nicht bloss im Wortschatz, sondern auch in manchen pho-
netischen Erscheinungen eine solche Verwandtschaft, dass man an
einen näheren Zusammenhang mit denselben denken muss, wie ihn
ja auch die Geschichte jener Gegenden verständlich macht, Auch
einige der hier zu besprechenden Worte zeigen diese Gemein-
samkeit, so schon die beiden zuletzt genannten, desio und ricen-
tare, und so die folgenden:
sagnare „bluten machen".
D'Anc. VIII, 25:
E Fadorneze, Je quäl v' aecompagna,
Lo cor mi lancia e sag na.
Nan. Man. I, 69, verbessert nach B, 238:
Or si puö dir da manti:
Che e ciö, che nou si muore,
Poich' e sagnato al core?
Risponde, chi lo sag na
E 'n quel momento istagna ....
Monte Andrea, bei Cherrier, p. 527, Son. I:
Che suo morder neiente giä non sagna.
und gleichfalls Schiatta in der Antwort sulle parole, ebendort
Son. II. Sieil. sagnari = salassare, cavar sangue; frz. saigner.
— 197 —
i n t a m a t o „verletzt".
D'Anc. LXXIII, 4:
Ed e stato uno clardo
Pungeute e forte aguto,
Che mi passao lo coro e m' ä 'ntamato.
Das frz. entamer; sicil. ntamari heut' im Sinne von sbalordire,
restare stupido intransitiv, nach Mortillaro; ntamatu für balordo,
spensierato. Näher der alten Bedeutung ist das neapol. ntamare
für magagnare. Das italienische Wörterbuch hat nur ein Beispiel
des französirenden G. Villani für das Wort intamato (oder inta-
minato, aus prov. entamenar).
in trasatto.
Mazzeo Eicco, Val, I, 322:
Dunque ben e ragione,
Che '1 nostro amore si parta in transatto.
(D'Anc. LXXVIII, 52 statt dessen: si parta affatto.)
Guittone, Son. 204:
Che sordo son, quando li sono al viso,
E muto a lei parlare, e giä non batto
Lingua ne polso *), si sono conquiso ;
Ed orbo, quando la veo, so 'n trasatto, (Val. son tras.)
Che non credo, che me veggia nel viso.
in trasatto bedeutet „unverzüglich", und Diez (Et. W. II, 287 f.)
hat es schon identifizirt mit altfz. entresait, prov. atrasaü, atra-
sag, alle auf transadum zurückführend. In Unteritalien existirt
der Ausdruck noch sicil. a la strasatta, neapol. a la ntrasatta,
') Statt non batto lingua ne polso ist vielleicht zu setzen vena >>>'
polso; vgl. Tavola Ritonda, ed. Folidovi, p. 448: lo caraliere non batteva »<
polsi ne vena e giaceva come eorpo morio; ib. 321: non si risenti ne polso
ne vena; dasselbe, p. 44G; ib. p. 5: non si sentiano ne mutavano n< ji<>l;<>
ne vene e giaceano siccome morti, und ähnlich, p. 110. 504. Auch provenz.,
Flamenca, 2153:
Le dcmzelletz hac grau paor,
Quau noil troba ni pols ni vena.
— 198 —
im Dialekte von Campobasso: a, la 'ndragatta, D'Ovidio, Arcli.
Glott. IV, 166 x).
Und hier mögen sicli noch zwei Worte der Rosa fresca an-
schliessen, mit denen es dieselbe Bewandtnis« hat, wie mit den
genannten :
scalfare „erwärmen",
str. XXIX:
Esto fatto far potesi, inanti scalfi un uovo.
Imbriani, Propugnatore, IV, 1°. p. 184, n. 2, merkte bereits an, dass
es ein Wort der südlichen Dialekte: neapol. scarfare, sicil. scar-
fari; prov. escalfar, frz. echauffer.
aritonno.
str. II: Avanti li cavelli m' aritonno.
str. III: Se li cavelli artonniti ....
Dass arritonno noch in Sicilien lebendig sei, sagte Giudici; aber
man scheint dabei allgemein an tondere zu denken, wie auch
Caix (Riv. di Fil. Rom. II, 190) den Infinitiv aritonnersi schreibt.
Vielmehr heisst aber derselbe ritunnari = tagliar la lana alle
pecore e i capelli agil uomini, tosare. Mortillaro. Es ist das lat.
rotundare und entspricht dem prov. resonhar, altfrz. reoigner,
nfrz. rogner, die genau dieselbe Bedeutung haben, aber von *rotun-
diare kommen, gerade wie oben prov. recensar, frz. rincer von
*recentiare, sicil. ricintari von *recentare.
Für manche der aufgeführten Worte ist allerdings nicht völ-
lige Gewissheit vorhanden, dass sie aus dem Süden stammen, für
2) Beiläufig sei erwähnt, dass der prov. altfz. Ausdruck ad estros
von ähnlicher Bedeutung ebenfalls dem Italienischen nicht ganz unbekannt
war; in einer Canzone Cino's (Dante, Opere Minori, ed. Fraticelli, I, p. 245)
liest man:
Di che gli spiritelli ferno corso
Ver madonna a destrorso.
Das Wörterbuch erklärt „dalla destra parte" ; der Sinn ist aber vielmehr
,,ohne Umstände, auf der Stelle", wie ad estros, daher wohl auch ad estrorso
zu schreiben; zugleich dient es zur Bestätigung von Diez' Etymologie (Et.
W. II, 296) aus *ad extrorsum.
— 199 —
solche nämlich wie sagnare, assommare, u. s. \v., bei denen nicht
die Lautverhältnisse selbst jenen Ursprung beweisen, und dieser
nur dadurch wahrscheinlich wird, dass sie im Süden heut' noch
lebendig sind, während das Toscanische sie nicht besitzt; ob sie
vielleicht ehedem einmal auch in diesem existirten, muss ein sorg-
fältigeres Studium der ältesten rein toscanischen Denkmale ent-
scheiden. Ueberblickt man aber die obige Aufzählung von For-
men und Worten, so findet man, dass die meisten dieser Elemente
nicht einem Dialekte speziell eigen, sondern allen Idiomen der
südlichen Hälfte Italiens bis nach Rom hinauf gemeinsam sind
oder waren, dass man einige bisher nur als sicilianisch bezeichnen
kann, andere aber wiederum nur aus den Dialekten des Festlandes
bekannt sind. Es ist also richtiger von einem Einflüsse der süd-
lichen Mundarten im Allgemeinen, und nicht von einem solchen
bloss des Sicilianischen zu reden, und zugleich gewinnt die vorher
geäusserte Vermuthung an Wahrscheinlichkeit, dass schon in der
Sprache der ersten Dichter an Friedrichs II Hofe sich mit den
sicilianischen Bestandteilen auch manche apulische gemischt haben.
Einfluss des Proyenzaliselien auf die alte Dichter-
spracke.
Dass auf die Sprache der alten Lyriker dasjenige Idiom, in
welchem die oft so sclavisch nachgeahmten poetischen Muster ab-
gefasst waren, eine gewisse Einwirkung ausgeübt haben müsse,
ist an und für sich klar; aber über die Ausdehnung dieses Ein-
flusses waren die Ansichten sehr verschieden. Bembo in seinen
Prose hatte die Grenzen sehr weit gezogen; einen grossen Theil
der italienischen Sprache überhaupt leitete er aus dem Provenza-
lischen ab; Varchi im ErcoJano ging hierin noch weiter als er;
aber schon Castelvetro in den Ginnte zu Bembo's Prose, dann
Muratori1), und in neuerer Zeit Perticari2) erklärten sich gegen
x) in der 32. Dissertation der Antiquitates Ital. , vol. II: De origmt
lingicae italicae.
2) in der Difesa dl Dante, cap. XI.
— 200 —
diese Uebertreibungen. Nannucci dagegen fiel ganz in dieselben
zurück1); er und nach seinem Beispiel viele Andere wollten in
den alten Denkmalen allüberall Provenzalismen aufstöbern, ohne
die Formen recht zu besehen und sich zu fragen, womit sie denn
deren ausländischen Ursprung erweisen könnten. Andere wiederum,
welche den Anfang der italienischen Poesie; recht hoch hinauf
rücken und die vollkommene Originalität der ältesten Dichter dar-
thun wollten, wie Trucchi oder die Vertheidiger der (arte von
Arborea, hatten ein Interesse daran, die Entlehnungen aus dem
Provenzalischen möglichst einzuschränken, oder, wo der Zusammen-
hang zu deutlich, sollten wohl gar die Provenzalen umgekehrt von
den Italienern entlehnt haben. Es fehlte an den Kriterien für
das Urtheil über die fremde Abstammung des Einzelnen. Bembo,
wo er ein italienisches Wort fand, dem ein ihm bekanntes pro-
venzalisches entsprach, erklärte einfach das erstere als aus dem
zweiten entstanden, während doch auch beide nur aus gemein-
samer Quelle gekommen sein konnten; nicht besser machte es im
Grunde Nannucci, nur findet sich, dank seiner Belesenheit in den
provenzalischen und altitalienischen Denkmalen, in seinen Aufzäh-
lungen unter dem Falschen viel mehr Richtiges. Die Kriterien
zur Unterscheidung des einen vom anderen konnten eben weder
Bembo noch Nannucci anwenden, da erst die neuere Sprachwissen-
schaft dieselben an die Hand giebt. Danach muss man als pro-
venzalische Entlehnungen betrachten in erster Linie die Worte,
deren Gestalt sich aus provenzalischen Lautgesetzen erklärt, nicht
aber aus denen des Toscanischen oder jener süditalienischen Mund-
arten, die notorisch auf die Bildung der alten Sprache einen Ein-
fluss geübt haben; die Dialekte Oberitaliens, welche der höfischen
Schule fern lagen, kommen hier nicht in Betracht. In zweiter
Linie wird man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für ent-
lehnt auch die Worte ansehen dürfen, welche, ohne dass die erste
Bedingung statt hat, im Provenzalischen ganz gewöhnlich, bei den
italienischen Dichtern sich nur vereinzelt finden, und mit der litc-
*) besonders in dem Buche: Voci c Locuzioni Italiane derirate dalla
Luiijna I'rovenzale, Firenze, 1840; dann auch in seinen anderen Werken.
— 201 —
rarischen Nachahmung der Provenzalen selbst verschwunden sind.
Dieses zweite Unterseheidungsmittel ist natürlich viel unsicherer,
da man täglich die vermeintlichen Provenzalismen in den noch
mangelhaft durchforschten volksthümlichen Denkmalen auffinden
kann, bei denen an solchen Ursprung nicht zu denken ist. Nach
diesen Gesichtspunkten muss eine Prüfung dessen vorgenommen
werden, was man gemeiniglich als provenzalische Elemente der
alten Dichtersprache bezeichnet, und welches grösstentheils eben
aus den Aufzählungen Bembo's und Nannucci's herrührt.
Findet man das Yerbum ciausire, so kann man nicht im
Zweifel über seine Herkunft aus prov. chausir (neben causir) sein,
welche sich in dem palatalen Laute zu Anfang verräth; denn ita-
lienisch hätte das Wort (entweder aus goth. kausjan oder aus
hiusan, nach Diez) nur causire oder chiusire geben können. Prov.
chausir (frz. choisir) heisst „sehen" und „wählen" In ersterer
Bedeutung trifft man es bei Dante da Majano, Val. II, 450, in der
zweiten bei Guittone, Son. 84. s. Nanuucci, Voc. e Loc. p. 7 f.
Nicht klar ist es, in welchem Sinne es zweimal in der auch sonst
sehr dunkelen Ballade des Messer Caccia da Castello steht, Val.
II, 374:
Da quella canoscenza vertuosa,
Che tanto e valorosa,
Che d' amore ciausi la Deitate,
Falla (1. Fa la?) cortese cortesia graziosa.
und ebendort weiter oben:
Ell' ha si grau potenza,
Che puö heu solo interamente fare
Del suo piacer che si porria contare;
Dio la sa sol, cui e in se ciausi ta.
Merkwürdiger Weise hat dieses verpflanzte Wort im Italienischen
noch eine dritte Bedeutung, welche aus dem Provenzalischeo nicht
bekannt ist, nämlich die von „lobpreisen"1); so bei Loffo Bona-
*) „auswählen, erwählen" ist ein Erheben, Preisen; doch neigt zu ähn-
licher Bedeutung prov. chausir schon in der Stelle bei Guiraut Riquier,
LXXIX, 600:
— 202 —
goidi, Val. II, 257; ferner D'Anc. XXIX, 10 (Rinaldo d'Aquino):
Cosi son duMtoso,
Quando vegno a ciausire,
Che ne perdo il savere e rimembranza.
Kr will die Dame preisen; aber, wenn er sich nun daran macht.
lässt ihre zu grosse Trefflichkeit ihn nicht zu Worte kommen.
Bei Dante da Majano, Val. II, 453:
Greve mi sembra, Donna, allo vor dirc.
Che lingua d'uomo o pensiero di core
0 guardo d'occhi possan ben ciausire
0 si nomar com' e vostro laudore.
ist es wohl „unterscheiden", s. Nan. Voc. e Loc. p. 9, Verbiß
247, n. 3.
Dazu auch einmal das Substantiv ciausimento bei Gonnella
degli Interminelli, Val. I, 537, genau in derselben conventioneilen
Bedeutung, welche chausimen in der Sprache der Minnedichtung
hatte, für „Nachsicht, Milde, Erbarmen". Nan. Verbi, 282, n. 3.
Die gleiche lautliche Unregelmässigkeit, wie in ciausire, also
/>• zu 6 vor a, charakterisirt mehrere andere Worte als fremde:
ciamhra oder mit der gewöhnlichen Assibilation der Palatalen
gawibra (prov. chambra neben cambra, ital. camera), oft ge-
braucht und weit über das Gebiet der hier besprochenen Dich-
tung hinausreichend; treseria, D'Anc. LVI, 46, prov. tricharia
(frz. tricherie); das ital. Wort ist treccheria; lecceria statt lecche-
ria (von leccare, prov. lechar, altfrz. leclder, lecherie), Guittone,
Canz. IV, 1:
Perche seimo ragion, non lecceria.
Pueis foron trobador
Per bos faitz recontar
Chantan c per lauzar
Los pros et enardir
En bos faitz; car chausir
Los sap tal, que iiols fa
Ni ges dever nou a
Del far, tal los eiisenba.
Diez übersetzte es liier (Poesie der Tr. p. 21 mit „würdigen'
— 203 -
benenanza und malenanza für „Wohl-" und „Uebelbefiuden",
prov. benenansa und mdlenansa neben benanansa und malanansa,
aus benanans, malanans, also von anar „gehen"; echt italienisch
wäre demnach ein boiandanza, malanäanza gewesen.
lausore braucht Guittone öfters statt laudore (Lob), Canz.
I, 2 iL 3, Ganz. XV. 3: XXII, 3; Son. 20; 168. Ebenso lausore bei
einem Czucio, Trucchi, I, 61 (Cod. A, 320); d zwischen Vocalen
zu s ist nicht italienisch, sondern provenzalisch : lauzor. Dasselbe
zeigt sich in giausor (für *gaudore- Freude) in der Gobela bei
Grion, Serventese, p. 45, und ebenso verhält es sich mit lusinga,
lusingliiero, u. s. w., welche der Sprache verblieben sind1).
faglia, besonders oft in dem Ausdrucke senza faglia, steht
italienisch neben fatto, fallire, falla, fallare, dagegen prov. falha
neben falhir, u. s. w. Der Uebergang von 11 zu Ij ist italienisch
vor den dunkelen Vocalen wenigstens sehr selten.
lungia und lungiamente, Feminin, und Adverb des Adjec-
tivs lungo. Es ist seltsam, dass ein so häufiges und alltägliches
Wort entlehnt worden; mau könnte den palatalen Laut durch
Einwirkung des Adverb lungi oder des Verb lungiare erklären
wollen; aber dass man nur lungia, lungiamente, nicht etwa lungio
sagte, weist zu deutlich auf das prov. g zu g vor a.
triare „unterscheiden, auswählen", bei Brunetto Latini, Tcsor.
VIII, und Dino Frescobaldi, Val. II. 520; ist Diez' Ableitung aus
Hrüare (Et. W. II, 441) richtig, so kann es nicht italienischen
Ursprungs sein, da t zwischen Vocalen ausgefallen, prov. triar
(frz. trier)2).
x) s. Diez, Et. W. I, 255.
*} Hierher wäre auch träito zu ziehen, Nominativbildung aus trädi-
tor, bei Guittone, Ganz. XLIII, 6; Son. 5; 155; ein anderes Beispiel noch
bei Bottari, Guitt. Lett. n. 479. In der Form tratto und feminin, tra
steht es in der Rosa fresca, str. XXI u. XXIV. Dieses letztere ist aus
*traditor gebildet, wie prov. traire; auch ital. tradito für traditore, bei Al-
bertuccio della Viola, Val. II, 2-2V:
Donavami grau gio' l'amor tradito.
— 204 -
Aber schon hier hindert die Unsicherheit in der Etymologie
des Wortes selbst, mit Bestimmtheit entscheiden zu können, und
so ist es nicht selten der Fall. Kommt in dem prov. de hon aire
„wohlgeartet" das aire wirklich von lat. agrwm (Et. W. I, 7 f.),
so wäre echt ital. di hon agro gewesen; das häufige di hon aire,
di hm/ are, di hon aro müsste also aus dem Provenzalischen stam-
men. Allein der Ursprung des provenzalischen Ausdrucks ist eben
nicht ganz zweifellos.
Guittoue von Arezzo, dessen spezielle Beschäftigung mit dem
Provenzalischen anderweitig hinreichend bekannt ist, weist auch
von allen Dichtern der sicilianischen Schule bei weitem die meisten
Provenzalismen auf; er sagte grazire für gradire (prov. grazir),
Canz. XVII, 2; XXXIX, Gel.; LV; afaitare (schmücken), Canz. XLIII,
Gel. 1 und Lottere, p. 35 (prov. afaitar, altfz. afaitier; ital. wäre
aus ad — factare — affattare geworden); albire (freier Wille, Frei-
heit zu etwas), Canz. XXVII, 2; XXIX, 2 (prov. albire mit der Er-
setzung des t vor r durch i aus arbitrium; Diez, Gr. I, 230). Er
setzte asmai (:assai) für ital. smaghi (prov. esmai), Son. 98; de-
strui für distrugge, Son. 113 1).
Bei manchen Worten ist der Lautbestand nicht gerade un-
italienisch; aber es bestehen neben denselben andere Formen,
d. 1). der verrätherische Amore; und Cecco Angiolieri beginnt ein Sonett in
Gesjuiichform (Cod. B, 413; Propugnatore, XI, 1°, 249"):
— Becchin', amore! — Che vno', falso tradito? —
Endlich hat Guittone auch das Particip traito für tradito, Canz. LX. Aber
man trifft solche Formen ohne d auch in alten mundartlichen Texten, sicil.
traitiiri bei Fra Simone, p. 13 (neben traäitwri, p. 14), traijturi, Ribella-
mcntu, p. 135; altpisanisch : traitore, Hist. Pis. 663, und so citirt Nannucci,
Verbi, 116, n. 4, ein traitore von dem Pisaner Cavalca. Sollte hier eine
Verwechselung von trdhere und trauere vorliegen, wie solche prov. nicht
selten war? — Auffallend ist auch ein cria für grida bei Buonagiunta, Val.
I, 506.
x) s. Nannucci, Voc. e Loc. p. 10, 54, 144. Die Besserung von dona
asmai in dona smai, die Nannucci vorschlägt, ist überflüssig; aus prov.
esmai ward asmai mit der bekannten Begünstigung des a in tonloser erster
Silbe.
— 205 —
welche von jeher die gewöhnlichen waren und daher den fremden
Ursprung der seltenen wahrscheinlich machen:
esmare; bei Ser Baldo Fiorentino, Val. II, 240:
Pene, noie e pesanza,
Travaglio e maleuanza,
Altro di la non ho secondo ch' esmo. (Val. chesmo.)
d. h. „wie ich meine, schätze". Es kommt von lat. aesümare; da
dieses nun ital. das gebräuchliche stimare ergab, so wird esmare
aus dem prov. esmar (altfrz. esmer) stammen; esmare ward dann
zu esimare, wie battesmo zu battesimo; dieses esimare und das
Verbalsubstantiv eshno verzeichnet auch das Wörterbuch als ver-
altete Worte, und Beispiele aus dem 14. Jahrhundert giebt Nan-
nucci, Yerbi, 104, n. 3: Nomi, 157, n.
Das prov. Substantiv esmansa „Meinung, Schätzung" ward
italienisch regelrecht smanza, welches sich an zwei Stellen findet:
D'Anc. LXX, 57:
E molto troppa noia, (1. E moW b troppa noia?)
Per ciö ch' io so, che 'n gioia
Non vi sia mia pesanza,
Ed io cotale smanza — in core porto.
LXIII, 56:
N' ö gran male, che mi lanza,
Fermami la grancle smanza,
E favello a gran baldanza.
d. h. „die hohe Meinung macht mich gesund" (fermo Gegentheil
von infermo, ib. v. 13). Compositum von esmare ist ferner acecs-
mare oder cesmarc, prov. acesmar = schmücken, zurichten; Nan-
nucci stellte dieses an einer Stelle bei Guido Guinicelli nach guten
Hss. her, Man. I, 40, n. 2, und citirte dazu ein anderes altes Bei-
spiel. Dasselbe Wort ist Dante's accismare, s. Diez, Et. W. I, 164,
und Nan. Voc. e Loc. p. 24.
malvistä und malvestä schrieb Guittone. Canz. XXXVIII. :?:
Lett. p. 68, offenbar nach prov. malvestat, da das gebräuchliche
italienische Wort malvagitä.
— 206 —
giugiart (prov. jutjar), Guittone, Canz. XXXIII. l u. 2, aber
selbst Dante, Purg. 20, 48, und das viel häufigere vengiare. mn/la ich
(prov. uenjar) dürften ausländischer Herkunft sein neben giuäi-
care, vendicare, obschon diese ital. zu jenen werden konnten, wie
manducare zu mangiare.
slognare „entfernen", Guittone, Canz. VIII, Gel. 1; IX, Gel. 1;
XXIV, Gel.: Son. 24, mag «las prov. eslorihar sein, da das gebräuch-
liche italienische Wort lungiare war: freilich konnte auch slognare
neben slongiare bestehen wie giugnere neben giungere.
Dieses erste und sicherste Kriteriuni, die phonetische Unmög-
lichkeit des heimischen Ursprunges, steht also in der That nicht
häutig zu Gebote, und in den meisten Fällen inuss man sich mit
dein zweiten minder zuverlässigen begnügen.
Man pflegt als provenzalische Entlehnungen die weiblichen
Substantiva auf anza und enza zu bezeichnen, wie tristanza,
fallenza, d. h. die, welche die Let/s cPamors (II, 64) „noms par-
ticipials" nennen, und wirklich sind derartige Bildungen bei den
alten Dichtern so viel zahlreicher als in der späteren Sprache,
dass man wohl annehmen muss, das Provenzalische, welches sie
gleichfalls liebte, habe zur Vermehrimg derselben mitgewirkt. Was
aber dann insbesondere dazu trieb, war das Bedürfniss bequemer
Pieinie in einer noch ungeschickten und ärmlichen Dichtweise;
daher kommen diese Worte am häufigsten eben im Reime vor.
Wenn man also hier auch eine durch das Provenzalische geför-
derte Tendenz wahrnimmt, so darf man darum doch nicht etwa
jedes derartige Wort im einzelnen als provenzalisch ansehen wollen.
Die beiden Suffixe anza (antia) und enza (entia) sind so gut ita-
lienisch w7ie provenzalisch, und in der ersten Sprache wie in der
zweiten zu Neubildungen fähig, und, obgleich wir den provenza-
lischen Wortschatz nicht in seiner Vollständigkeit besitzen, so wird
man doch bei gar manchen der hierher gehörigen italienischen
Substantiva mit gutem Grunde bezweifeln, ob sie je provenzalisch
existirten, wie z. B. avvaccianga, Yal. II, 16; Guittone, Canz. IX.
Gel. 1, oder intendanza, das so oft neben intendenm, credanza,
Yal. I, 194, neben credenza, und umgekehrt bassensa, Yal. II, 10,
neben bassanza.
— 207 —
Dasselbe wie von diesen wird auch von den Bildungen mit
den Suffixen mcnto und aggio zu halten sein, nur dass diese bei
weitem nicht so zahlreich sind. Auch modo und aggio sind im
Italienischen fruchtbare Suffixe; aber einige der Nomina, welche
mit ihnen gebildet worden, sind speziell nur der alten Dichter-
sprache eigen, weshalb man bei ihrer Entstehung direkt oder in-
direkt provenzalischen Einfluss voraussetzen darf, so valimento,
sbaldimento, servimento (z. B. Val. I, 175), inveggiamento (D'Anc.
LXI, 23); signoraggiv, fallaggio (z. B. D'Anc. XVIII. 34), usaggio,
badaggio (Val. II, 488), gradaggio (ib. 451, 485), arditaggio (ib. 440),
dottaggio (ib. 446) u. s. w., besonders häufig bei dem provenzali-
sirenden Dante da Majano; Ser Pace schrieb gar auch similagio
und peccagio (Palermo, II, 106 u. 107) für simiglianza und peccato.
Etwas anders dagegen steht es mit den Substantiven auf ore.
Da nämlich im Italienischen die Worte dieser Art, soweit sie nicht
schon im Lateinischen vorhanden waren, mit wenigen Ausnahmen (wie
sentore, valore, die noch fortbestehen) schnell veraltet sind (s. Diez,
Gr. II, 350), so muss wohl dieses Suffix im Italienischen geringe
Fruchtbarkeit besessen haben, und die Entstehung so vieler alter
Nomina mit demselben wird man in höherem Grade als bei den
vorhergehenden Kategorieen der Einwirkung des Provenzalischen
in den ersten Zeiten der italienischen Literatur zuschreiben müssen;
freilich aber ist auch hier an eine Uebertragung der Tendenz,
nicht eine solche jedes einzelnen Wortes zu denken, wie dolciore
oder dolzore, das noch Dante gebrauchte, fallore, follore, bäldore
(Val. II, 89), incendore (Brand, Val. I, 293), gioiore (Freude, Val.
I, 442), richiamore (Beschwerde, D'Anc. LXXXII. 54), lucorc (Val.
I, 70), laudore, gravore (D'Anc. XXXIX, 51), grandore (Bruni
Tesor. XV), gelore (D'Anc. XVIII, 40), freddore, tristore, riccore,
bellore, genzore (Lieblichkeit, Trucchi, I, 45), bei Guittone auch
düettore, Canz. XLIX. Es ist ferner zu beachten, dass auch diesen
allen von vornherein das Geschlecht der entsprechenden lateini-
schen WTorte gewahrt blieb; sie sind masculina, wie italienisch
noch heut' die Substantiva auf ore, nicht feminina wie die pro-
venzalischen und französischen. Nur Guittone brauchte einmal
(Son. 20) val ore weiblich und desgleichen la candore (Son.
— 208 —
Dagegen findet sich bei allen diesen Dichtern neben lo fwre sehr
ofl la fiore, wenigstens wenn eine Dame so genannt wird.
Worte, welche provenzalisch nicht selten und wohlbekannl
sind, und statt dessen italienisch nur isolirt erscheinen, sind die
folgenden:
troante „Landstreicher, Schelm" (prov. truan), D'Anc. LXVIII,
56: Vile troante alato (?); Tommaso da Faenza bei Zambrini, op.
volg. p. 385: Truanti, tricadori, falsi molto. Guittone schrieb
truiante, Ganz. XXXVII, 3, und einen Vers: Truianti, triccador, so-
vr'altri vili, citirte Nannucci aus einem ungedruckten Gedichte Lapo
Gianni's (Voc. e Loa, p. 241).
faidito „verbannt" (prov. faiditz) brauchte Tommaso da
Faenza in derselben Strophe, die soeben für truante angeführt
worden: Homo folle, faidito di mia shiera.
pascore „Frühling" (prov. pascor, wahrsch. aus pascuorum),
Messer lo Re Giovanni, D'Anc. XXIV, 17:
Dolze tempo e gaudente
Inver la pascore.
wo der Artikel la statt lo wohl nur Versehen des Schreibers; in
der Intelligenzia, v. 1, steht es als mascul., wie prov. pascor es ist.
sofrefoso „ermangelnd". D'Anc. XXIX, 9 (Rinaldo d'Aquino)
in derselben Strophe, die oben ein Beispiel für dausire hergab.
Ferner noch D'Anc. XLIV, 26; prov. sofraitos (nfz. souffreteux) von
sofranher „gebrechen". Altitalienisch auch anderwärts soffratta
und soffrattura, aber vereinzelt und bald verschwunden, s. Nan.
Voc. e Loc. p. 14.
ingresso, welches zweimal bei Pier delle Vigne, Val. I, 49,
leitete Nannucci (Voc. e Loc. p. 93) aus prov. engres im Sinne
von „lästig" her; er selbst führt dazu noch zwei Stellen der Gradi
dl S. Girolamo an, in denen das Wort gebraucht ist.
Auch hier ist, wie gewöhnlich, das Meiste bei Guittone zu
finden. Er verwendete mettente „freigebig" (prov. meteri), Canz.
IV, 2; appoderato „besiegt" (prov. apoderatz) ib. Gel. 2: <jtilc<i r<
— 209 —
„betrügen" (prov. galiar), Son. 17; 156; Lett. p. 361); manente
..reich" (prov. manen), Canz. I, 4: XXXVII, 2; Son. 29; auch inCanz. LI,
doch um- nach der Lesart von D'Anc. XLIV, 28; manentia, Son. 1.
Dagegen wird guaimentare ..wehklagen", Canz. XVIII, 2;
Son. 48, (prov. gäimentar) nicht hierher zu rechnen sein; denn in
den altrömischen Fragm. Hist. Rom. p. 329 liest man gleichfalls:
„granne ene lo pianto e lo guamentare," wo es doch nicht für
provenzalisch gehalten werden kann, und dieses ist zugleich ein
Beweis, wie unsicher die Entscheidung über fremde Entlehnung
ist, sobald die Bürgschaft phonetischer Gestaltung mangelt. Eben-
dort, in den Fragm. Hist. Rom., trifft man mehrfach das beson-
ders aus Guittone bekannte ta manto für tanto (p. 327 u. 329); Caix
fand dazu das Correlativ camanto für quanto bei Ristoro d'Arezzo
(Mon. Ant.), und das letztere steht ferner auch in der dunkelen
frotta des Ranieri de' Samaritani, nach der Lesart Redi's2):
L' udite volte mante
Ad anime c am ante
Probate son parole.
Man kann daher füglich auch in Bezug auf das einfache manto
für molto zweifeln, ob es ans Frankreich gekommen sei, wie Diez
(Et. W. II, 366) annahm, besonders da dieses bei den italienischen
Dichtern oft in einer Weise gebraucht wird, wie es provenzalisch
nicht vorzukommen scheint, nämlich für molto neutral (viel) und
adverbial (sehr). Guittone, Canz. V, 2:
Che tanto e bono in catun loco, quanto
V ha di te poco o manto.
Pannuccio. Yal. I, 347:
Perocche assai piü manto
Falle cernendo in mal perseverare.
Ders. ib. 362:
Dimorando piacer tal quasi un' ora;
Se piü, non manto fu, se bene e' membro.
J) Nan. Voc. e Loc. p. 51 u. 241; er hat auch vortrefflich in Canz.
VIII> str. 2 und 3, für die sinnlosen goleatorc, gdleanäo, golea — galeatore,
galeando, gälea hergestellt.
2) Annot. zu v. 403—401 des Ditirambo; Val. I, 125 hat cK ha nun,!, .
11
— 210 —
Ders. ib. 376:
Guardare mi conven cose angosciose,
Oscure, dispiaccuti c lorde nianto (sehr schmutzige .
Guittone, Son. 22:
Qual chi lordasse nianto
El viso e si pugnasse i piedi ornare.
Ders. Canz. III. 2:
Ed ingegnaimi manto
In fare nie ed altrui saccente e forte.
Viele andere Worte werden oft als provenzalisch bezeichnet,
welche bei den alten Dichtern nicht bloss vereinzelt erscheinen,
sondern sehr gewöhnlich sind, so agensare im Sinne von „schmücken"
und „gefallen", wie prov. agensar; abbellire in derselben Bedeu-
tung, prov. abelhir; disdotto „Vergnügen", prov. desduch; miraglio
„Spiegel", prov. miralh; piacentero „lieblich", prov. plazcntiers,
u. s. w. Man kann diese Aufzählung nach Belieben ausdehnen;
denn hier giebt es keine Grenze, aber auch keine Gewissheit;
zum wenigsten niüsste man zu diesem Zwecke die Geschichte jedes
dieser Worte in der italienischen Literatur viel genauer kennen,
als sie bisher die Wörterbücher verzeichnet haben.
Mit besserem Rechte wird man wiederum die drei alten Com-
parative genzore, forsore1) und plusorc für entlehnt ansehen;
denn das Italienische kennt sonst, ausser den vier schon im La-
teinischen anomalen und erstarrten, gar keine flexivischen Com-
parative, während in der Provence diese Bildungen reichlicher
sprossten (Diez, Gr. II, 68 u. 73).
plusore war^ eines von den Worten, durch welche, wie Tobler
gezeigt hat, die Carte d'Arborea sich als eine Fälschung verriethen;
es wurde dort missverständlich für das Adverb piü gebraucht, in
welcher Bedeutung es naturgemäss bei den Alten nie vorkommt.
So würde man auch irren, wenn man es in dieser Weise auflässte
in der folgenden Stelle Guittone's, Canz. I, 3:
*) Guittone, Ganz. XIV, 3: XXIX, 1: LV; LVHI; Son. 182.
— 211 —
Ma non viver creria
Senza falsia — feil' uom; ma via maggiore
Fora plusor(e) — giusto di cor(e) — provato.
Man hat es hier nämlich nicht mit demselben Worte zu thun.
sondern es ist dieses phisore = plus — ore, d. h. piü voWk, so
wie denn plusora in diesem Sinne schon von Nannucci, Verbi,
336 (und Nomi, 311) nachgewiesen worden ist, in einer Stelle von
Chiaro Davanzati, Val. II, 48:
Che eo lo credo e visto 1' ho prusora
Una candela raorta rivivare
Per poco dimenare.
Dieses Wort entspricht also einem prov. pus horas. Die Alten
liebten diese mit ora, ore zusammengesetzten Zeitadverbien sehr
und hatten deren noch eine ganze Reihe, wie tuttora, tuttore, tut-
tor, spessora, mantf ore, soventi ore (Trucchi, I, 157, 161), altrore
(Nan. Man. I, 358), grandor „lange Zeit" (Val. II, 58), u. s. w.1)
Sie gehören als gut italienische Bildungen nicht hierher, wohl
aber eine andere Zusammensetzung der Art, welche man bisher
nicht beachtet hat, und die einmal erkannt verschiedene dunkele
Stellen der alten Dichter aufklärt. Dieses ist tuttasora, tutte-
so-re, auch tuttesora, gebildet nach prov. ^totas horas2), welcher
Ursprung sich durch das s verräth. Zunächst steht tutcsora im
Sinne von „jederzeit" in den Lettere Senesi, p. 81. Ferner bei
Mazzeo Ricco, D'Anc. LXXX, 30:
*) ore, cmcore, all ore sagten die Alten neben ora, cmcora, aUora, und
daher or, ancor, allor, wie noch heute; ja man findet sogar w£ or, Val. I.
347 u. 348; ciascuri or, ib. 350. Offenbar ging voran ein tutt' ore, spess' ore,
mant' ore, in denen das ore regelrecht als Plural steht; danach bildete man
dann ore, or, u. s. w. Dem altfrz. lores, prov. loras ..damals" {illa Jiora mit
adverbialem s) entspricht ital. lora, Guittone, Canz. III, 3; lor, Son. 68;
lorclie, Canz. XIX, 3. lora gebrauchte auch Francesco da Barberino, Reg.,
s. Nan. Verbi, 31, n. 1, und lor ehe Gillio Lelli, bei Allacci, 353. In den
Conti di Antichi Cavalieri finden sich Beispiele dafür in grosser Menge. Es
ist gute italienische Form aus illa Jiora und schwerlich entlehnt.
*) z. B. M. W. II, 18:
Com la flors, qu' om retrai,
Quo- totas Imms vai
Contral solelh viran.
14*
— 212 —
Che deve megliorare a tute sore.
hatte das Ms., und der Herausgeber hat es mit Unrecht in tutte
Vore geändert.
Ein anonymes Gedicht, D'Anc. LXVI, 57:
E '1 veghiar mi dispiace,
Che tutta sora tormento.
1. tuttesor, um den Vers herzustellen. Damit wird dann eine Stelle
des Notaro Giacomo, D'Anc. VIII, 14, verständlich, die jetzt so ge-
druckt steht:
Ben dovea dare — a voi cor di pietate,
C a tutte for c' a Deo merze cliiamasse,
In voi, doinia, trovasse
Gran cor d'umilitate.
Die Hs. hat t/i/r f<>r<- ca; man wird also richtig lesen:
Ca tutesor cad eo merze cliiamasse.
Endlieh braucht man nun in der sieilianischen Canzonc Stefano's
hei Barbieri, str. 3, Ende:
Si ki instanti mi feri sou amuri
D'un eulpu *), ki inananza tutisuri.
nicht mehr mit Grion (Serventese, p. 41, n.) in das ebenso gewagte
wie imbefriedigende tnfi furi (= fori = ferite!) zu ändern; eher
wäre wohl das inananza in das in solchem Sinne typische ina-
vansa zu bessern, und der Vers wird gelautet haben:
D'un colpu, ki inavanza tutisuri.
„mit einem Streiche, der beständig fortschreitet, an Gewalt zu-
nimmt", wie es ähnlich heisst Val. I, 221 (verbessert nach B, 231):
Fortemente m' iunavanza
E cresce tuttavia
Lo meo innamoramento.
Noch vorsichtiger als mit der Constatirung von Entlehnungen
aus dem Provenzalischen muss man mit der von solchen aus dem
Französischen sein; denn zu diesen lag ja die Veranlassung nicht
l) Fand Uarbieri dieses eulpu in seiner Hs.'? Alt- wie neusicil. heisst
es colpu, eorpu.
— 213 —
in dem Idiome der Gedichte selbst, welche man nachahmte, son-
dern in anderen Verhältnissen des Lebens im Allgemeinen. So
werden denn naturgemäss diese Entlehnungen sich auch nicht auf
die lyrische Dichtimg beschränkt haben, sondern der Sprache oder
Literatur gemeinsam gewesen sein. Derartig sind in der That
die Titel sire, sere, messere, aus franz. sire, messire (Diez, Et. W.
I, 383) und das der Sprache verbliebene obbliare „vergessen", welches
nur französischer Abkunft sein kann, wenn es dieselbe Etymologie
wie otiblier (^öblitare) hat x); denn prov. lautete das Verbum öbMdar
und nur im Reime ausnahmsweise öblia. Dergleichen Worte ge-
hören also eigentlich nicht hierher, da sie der ältesten Lyrik nicht
speziell eigen sind, sondern der Sprache im Allgemeinen.
Bei Guittone's bealtä für beltä, Canz. XXII, Gel; XXXYI, 5;
Lett. p. 2 u. 27, hat man freilich, so vereinzelt es dasteht, gleich-
falls keine andere Wahl; es ist nicht italienisch und nicht proven-
zalisch, und kann nur das altfz. bealte (neben beaute) sein.
Nicht so sicher dagegen ist der französische Ursprung bei
zwei anderen Worten, welche sehr häufig sind, nämlich cera für
faccia, und clero oder cliiero für chiaro. Das erstere ist noch
heute lebendig, und von der Ableitung aus dem Französischen
befreit uns die Etymologie aus cerea, welche Ascoli kürzlich von
neuem vertheidigt hat, Arch. Glott. IV, p. 119 ff. 2)
Soll clero das lateinische clarus darstellen, so könnte es
allerdings nur nach französischem Lautgesetze diese Gestalt erhalten
haben (altfrz. der); aber es wäre auffallend", dass die Dichter ge-
rade dieses Adjektiv, welches sie schon in chiaro besassen, noch
einmal aus dem Französischen entnommen hätten, und nicht etwa
bloss um zu reimen; denn es steht auch oft genug im Verse (z. B.
Val. I, 526; II, 234; 236). Ferner kommt aber auch provenzalisch
*) Diez trennt es davon, und leitet öbblio ans öbliviwm her.
2) Dante da Majano brauchte übrigens auch das prov. ca/ra : para .
Val. II, 455, und Lotto di Ser Dato Pisano chaira aeapol. cavrd), Val.
I, 398:
Che la sua chaira par d' angel provato.
was Valeriani, und nach ihm Nannucci iVerbi, 228, n. 1) nicht sehr schön
mit carnc erklären.
— 214 —
ein der statt dar vor, wenngleich sehr selten1). Es ist daher
vielmehr zu denken an eine Ableitung aus *clarms statt darus,
wie crojo aus *crudius statt crudus, mezso aus *mitius, rözko aus
*rudius, worüber Diez, Gr. II, 301. *darüis gab *diero, dero, wie
cabalhirlits — earaJicro, cavalero, und so auch clcrl in der Rosa
fresca, str. XI, wie cavaleri neben cavalero. In der That hat
Ascoli auf eben diese Art ein ladinischos der, dair gedeutet, Arch.
Glott. I, 227, 275, und dass er für das altitalienische dero an die-
selbe Ableitung dachte, zeigt seine Bemerkung ib. p. 554 (Giunta
zu p. 302).
Indessen, wenn es freilich verfehlt ist, überall da sogleich
Entlehnungen vorauszusetzen, wo sich Uebereinstimmungen zwi-
schen der Ausdrucksweise der alten Dichter Italiens und den
Idiomen Frankreichs zeigen, so ist doch die Nachweisung dieser
Uebereinstimmungen an sich nicht ohne Nutzen, und der Gebrauch
der einen Sprache kann vielfach zur Erläuterung dessen der an-
deren dienen. Dieses, nämlich das Yerständniss gewisser altitalie-
nischer Ausdrücke, welche jetzt verschwunden sind, durch Anfüh-
rung der provenzalischen Analogieen gefördert zu haben, ist oft
das Verdienst der Zusammenstellungen bei Nannucci, auch da wo
an wirkliche Entlehnung nicht zu denken ist, und zu diesem selben
Zwecke füge ich hier zum Schlüsse noch eine Anzahl solcher be-
merkenswerther Uebereinstimmungen des alten Italienischen mit
dem Provenzalischen hinzu, welche bisher weniger beachtet wor-
den sind:
accordarsi „beschliessen", eigentlich „mit sich einig wer-
den", prov. s'acordar ebenso, und Subst. accordanza „Beschluss".
Val. I, 210:
Assai faccio accordanza
Di dire e poi ini scordo, (d. h. werde wieder unschlüssig"!
Tutto in fra nie mi stordo
Per la gran dubitanza.
Perö faccio sembianza
Allo cor, che sia sordo,
*) s. Bartsch, Zeitschr. f. rom. Tbil. I, 71.
— 215 —
Che mi clice : m'accordo,
Ch' i' addoinaudi pietanza.
Das Herz spricht zu ihm: „ich bin entschlossen, um Mitleid zu
bitten."
ib. 171:
ib. 459:
E ben fare' accordanza
Infra la rnente pura,
Se '1 pregar mi varrea.
Ch' Amor farä accordanza fina aguale
D' entrare in vostro core naturale.
..dass Amore jetzt den hohen Beschluss fassen wird, in euer edeles
Herz einzuziehen."
ad es so bedeutet in der heutigen Sprache nur „jetzt"; bei
den alten Dichtern hatte aäesso, adessa noch zwei andere Bedeu-
tungen, die des prov. altfrz. ades: 1) „sofort, alsbald", wofür hin-
reichende Beispiele schon bei Ubaldini, tavola zu den Documenti,
und Bottari zu Guittone's Briefen; 2) „immer"', wofür Nannucci,
Verbi, 123, n. 1, zwei Stellen der ältesten Dichter (D'Anc. XXII, 20
und Val. I, 370) und eine aus dem DiUamondo anführte. In gleichem
Sinne steht es aber noch oft, D'Anc. XXIX, 42; XXXVIII, 26; LXV,
49; Guittone, Ganz. XXXI, 6; LVII; Ganz. XXIII, 2, heisst es:
Onde non che valente ami podere,
Che ha nimico lui e ontalo adessa,
Poi ne vuole ne sa d' esso valere.
„Geschweige dass der Tüchtige Macht liebe, hasst und schmäht
er sie immerdar, da er nicht von ihr seinen Werth erhalten will
noch kann." Lettere, p. 34: ades so pleno dl grazia e graziosissimo
tutto buon Signor nostro. — Diesen Sinn wird es also auch haben
in der Stelle Friedrichs II, Val. I, 54:
Valimento mi date, Donna fiua;
Che lo meo core adesso a voi s'inchina.
d. h. „neigt sich immer zu euch".
Bisweilen haben es die Herausgeber nicht erkannt oder nicht ver-
standen :
D'Anc. XXVIII, 11:
— 216 —
Perciö non mi dispero
D'amar si altamente, (soVal.; D'Anc. D'Amor)
Ade sso merce chero
Servendo umilemente.
„flehe immerdar um Gnade"; wo D'Anc. ad esso setzte.
ib. XL. -2b:
Pregio ed amore adessa lei avanza.
Die Hs. hat ad esa, D'Anc ad essa; aber B, 235: adesso, und
danach Allacci.
In der sicilianischen Canzone Stefano's, str. 5:
Ma eo sufro in usanza.
Ke ö visto adessa bon suffirituri
Vinciri prova et acquistari unuri.
wo Barbieri und Grion ad rssa haben.
Damit verschwindet denn vollends die Bedeutung von allora,
welche angeblich nach Salvini und Perticari, und den diesen nach-
betenden sardinischen Vertheidigern der Carte von Arborea, adesso
an manchen Stellen gehabt hätte, wo es sich freilich weder mit
ora noch mit subito erklären liess. Nur Guittone, Ganz. VIII, 7,
könnte zweifelhaft machen:
Tu corpo ed alnia in terra e 'n mare spesso
M3 defendesti adesso,
Cli' io contro te viveva ad altro tutto.
Aber auch hier wird es „immerdar" heissen, wo dann das che die
bekannte lockere Anknüpfung.
anche hatte nicht bloss bei den Dichtern, sondern allgemein
in der alten Sprache neben der Bedeutung etiam, auch noch die
des prov. anc, altfrz. ainc = unguam.
D'Anc. XXXIV, 16:
Ne dela vostra amistate
Non eb' io anche guiderdone
Se non im bascio solamente.
(iuittone, Canz. LVIII:
Nel cui lavoro non credo bastasse
Anche uonio ne forse ansjelo alcono.
— 217 —
In Prosa. Tavola Rotonda, Nan. Man. II, 156: e nou u' avea anche
avuto figliuolo neuno.
Aber italienisch auch ohne Negation:
Guittone, Son. 6:
Si como giä dissi anche, alcuna cosa
Non si puö dir dannosa.
Conti cli Ant. Cav. p. 67: e che cid fo el dolore cti elli ebbe anche
el maggiore.
arr ender si. Man sagte prov. se rendre, altfrz. soi rendre
im Sinne von „ins Kloster gehen". Ebenso ist arrendersi ver-
wendet D'Anc. LXII, 49:
Se vai, meo Sire e fai [a]dimorauza,
Ve', ch' io m'arendo e faccio altra vita.
d. h. „ich werde Nonne", und in der Rosa fresca, str. X f.
E con sore m'arenno a una magione ....
Alo mosteri venoci e rennomi con freri.
Aehnlich auch das „renderonsi a monache" im ^ovellino, nov. 62
(bei Borghini am Ende der Worterklärungen). Heut' nicht mehr
absolut gebraucht, sondern rendersi frate, u. dgl.
avvenire in = zu etwas gelangen, etwas erreichen; prov.
avenir en} wie M. W. I, 352:
no puesc avenir
En far chanson avinen.
Val. II, 64:
E in cui sempre regna, (Ämore)
Parnii, ch' elli n'avvegna in tal valore ....
ib. 72:
. . . . si mantene
Bona, si chend' avvene
In pregio e iu cortesia.
Auch absolut avvenire „treffen, erreichen, finden":
Val. I, 148:
Ch' co non saeeio avvenire,
In che guisa possa merce trovare.
avvenirsi „an's Ziel gelangen" (wie rvusevre).
— 218 —
Cbiaro Davanzati, Trucchi, I, 100:
L' uom puote in s£ aver tal desianza,
Che affanna tutto tempo c non s'avviene.
degnare. prov. denhar heisst „geruhen"; aber die ursprüng-
liche Bedeutung ist „für würdig, für passend halten", woraus in
Verbindung mit einem Infinitiv abgeschwächt geradezu „mögen"
und endlich „vermögen", wie es sehr häufig bei den Troubadours,
ersteres z. B. beim Mönch von Montaudon, M. W. II, 63:
Si tu o denhesses lauzar,
Elbas non o degron suffrir.
„wenn du es auch loben möchtest", und das zweite z. B. Flamenca,
727 (wo es reflexiv):
. . apenas si denhon suffrir
L'esgart.
„vermögen kaum den Blick zu ertragen."
So nun Dante da Majano, Val. II, 451:
Ned altra giä non degna di tenere
Lo meo folle volere.
„mag keine Andere besitzen."
ib. 496:
Non degno mai che far vostra voglienza.
Guittono, Son. 33:
Se 'n voi degnasse fior valer mercede.
„auch nur etwas Gnade zu wirken vermöchte."
Ders. Canz. XXXIII, 5:
Ma non lo cor nico degna aver ardire
Di chieder lei mercede.
„vermag nicht Muth zu haben"1).
*) Aehnlich wie degnare verwandten die Alten auch osare für „ver-
mögen", z. B.
Guittone, Son. 199:
E che natura far puote ne osa
Fattura aleuua ne maggior ne pare.
wo es ganz deutlich Synonym von potere, und so bei Guittone noch sehr oft.
Monte Andrea, D'Anc. Son. XX:
— 219 —
delere „zerstören", D'Anc. LXIII, 24; Val. II, 134; 150, ist viel-
leiclit nicht blosser Latinismus, da auch prov. altfz. ddir.
hitcnzione für „Aussicht, Hoffnung"; prov. cntensio ist so
gebraucht M. G. 1158 ff., 5:
Et eu sui ti" aital faisso,
Qu' anc vas dompna uo m' atrais
Beutatz ui valors ni jais,
Pois fetz de si a maintz do;
Que pois dona eutensio
Dompna a chascuu, eu nou teuc ad ouranza
L' ouor qu' ilh fai; car ses dar esperansa
Ne fu ne fia ned esser mai non osa
Piu bellezze che 'u voi sono formate.
AnonjTmes Sonett bei Zainbrini, op. volg. 419, II (auch B, 185):
Ancor vedem (B. deven) d'Amor mirabil cosa,
Chi non prende suo bene a temporale,
Per nulla guisa mai aver non 1' osa.
ib. III tB, 186):
Dunque chi osa loda divisare
Simile o pare di lei, non si trova.
Daher auch D'Anc. LXII, 19:
Lo tuo splendore
M' ä si preso,
Di gioi d' amore
M' ä conquiso
Si, che da voi non oso partire.
„mich nicht trennen kann", zu verstehen.
Auch Dante gebrauchte es noch so, in der Ganz. La dispietata mcnte:
Dar mi potete ciö, ch' altri non osa.
„was ein anderer nicht vermag", wie auch Witte (Kannegiessers Uebersetz.
II, 124) vermuthete, diese Bedeutung aus dem Decameron belegend, und in
dem Son. Amore e cor genta:
E cosi senza 1' un 1' altro esser osa . . .
Auch dem Provenzalischen scheint ausar in solchem Sinne nicht fremd zu
sein; denn so ist es wohl zu verstehen, M. W. I, 159 (M. G. 1404, 4; Arch.
35, 404):
Totz los forfaitz e totas las elamors,
En quem podetz acusar ni retraire,
|3on quar m' ausatz abelhir ni plazer.
— 220 —
Pot beu dompna, que a sen e saber,
Salvan s' onor maint amic retener.
D'Anc. LXXXI, 34, verbessert nach Val. I, 328:
Chi' piü de' 1' üino avere allegramente
Di molta cosa sola intenzione
Che di picciola gioia processioue l).
„freudiger muss man die blosse Aussicht auf Grosses besitzen als
kleiner Freude wirklichen Fortgang."
Incontrino de' Fabrucci, bei Grion, Pozzo, p. 42:
Data mi fue intenzone,
Pur a sua mossa e a suo cominciamento,
Di darmi compimento
A tutto il mio talento.
Val. I, 33G:
Dandorai quasi ferma iuteuzione,
Ch' e vostra oppenioue,
Per sembiauza vi dovesse amarc.
ib. 372:
Intenzione avendo,
Che '1 meo sacciuto voi fero dolere
Magna v' arä tosto pietanza mossa.
„indem ich die Hoffnung hege, dass mein Schmerz euch bekannt
geworden euch schnell grosses Mitleid erregt haben wird."
ma che oder mal che im Sinne von „ausser" oder „ausser
dass", n on ma che „nur". Bekanntlich hat es noch Dante in der
Comödic mehrfach verwendet; prov. mas que oder mas allein, und
so heut' in den n;jrdlichen Mundarten Italiens: piem. mac = sola-
mente, neben nume (non magis), nomä (Biondelli, Saggio, p. 571);
anma che in den Canti Popol. Monferrini, p. 3; nomä, domä, lombard.
(Biondelli, p. 73); noma auch altvonetianisch, s. Romania, VII, 50;
bei Bonvesin za may ma ..mu"', z. B. trabt, dei mesi, 170, 171. In
der Rosa fresca, wo Grion es las, str. XXX : Sc non ma a Ic van-
gelie, stand es sicherlich nicht; ein se non ma ist an sich schon
J) In demselben Gedichte ist v. 32 mit 33 umzustellen, wie Strophen-
bau und Sinn verlangen.
221
kaum möglich. Es eine kostbare Reliquie zu nennen, hatte
Grion (Serventese, p. 26) nicht allzu recht; wenigstens findet es
sich bei den Alten ungemein häufig. An vielen Stellen haben es
schon Salvini und Valeriani richtig erkannt, wie Guittone, Canz.
III, 5; Val. I, 335; II, 271 (Guido Orlandi); II, 357 (Guido Caval-
canti). Zwei Beispiele aus Guittone führte Nannucci, Voc. e Loc.
p. 40, an. Aber oft ist es von den Herausgebern auch missver-
standen worden, indem sie dieses ma che als eine eingeschaltete
rhetorische Frage auffassten, welche sehr wenig im Style der alten
Dichter wäre; so bei Guittone, Canz. I, Gel.
Non e '1 mal piü che '1 bene a far leggiero,
Ma che fero — lo ben tanto ne pare
Solo per disusare.
wo Val. n/rt che? fero, etc. las.
Ders. Canz. V, Gel. 2:
E nie certo con lor terzo vorria,
Ma che mal mertaria.
„nur würde ich es schlecht verdienen, ihr Genosse zu sein." Val.
wieder Ma che?, und so Canz. XXV, 2; XXXI, 1. So ist auch Val.
II, 448 zu lesen: Ma che ml da conforto, statt Ma che? etc.
Dante da Majano, Val. II, 483:
Nel meo coraggio non considerai
Mai che gradir la vostra benvoglienza.
ib. 495:
E ciö ver me non val mai che mentire.
d. h. „Ovids weise Lehren zur Heilung der Liebe sind für mich
eitel Lüge", und ebendort:
Che 'nverso amor non val forza ned arte ....
Mai che mercede ....
so auch ib. 490 ; ma che noch Cecco Angiolieri, Allacci, 201. Guit-
tone auch in den Briefen, p. 63, 91, und so die Cento Novelle,
nr. 78: Hör cid chiami tu Iddio? Elli non e ma che uno, von
Borghini in den Worterklärmigen verzeichnet.
ma tanto für .,ausser soviel" gebrauchte Bacciarone, Val.
I, 404. Auch das blosse mai für magis im Sinne von piü findet
sich, bei Dante da Majano, Val. II, 447:
— 222 —
Che piü m' agenza c val mai per amore ....
nnd Terino, Nan. Man. I, 230, n. 5.
Auffallend ist es, dass man dieses so häufige ma che nur bei
den Toscanern trifft; aus der ganzen Sammlung D'Ancona's kann
man kein Beispiel dafür auftreiben; ma qaando, D'Anc. XX, 26,
verstand Corazzini so, wie prov. mas quem; aber die Stelle ist
dunkel, und Corazzini's Besserung willkürlich. Es möchte also
dem Süden fremd gewesen sein; Grion führt zwar (Serventese, 26)
für nun ma „nur" ein Beispiel aus dem Liber Yani de Procita
an; allein dieser Text ist nicht rein sicilianisch, sondern nördlich
dialektisch gefärbt.
per un cento „hundertfach" (für eines hundert); per un cen
war sehr gebräuchlich bei den Troubadours, wie man auch per
un dos, per un tres, u. s. w. sagte. Nannucci, Voc. e Loc. 102,
gab ein italienisches Beispiel dafür; man kann eine Menge anderer
hinzufügen, wie D'Anc. XXII, 25:
E per un cento m' ä piü di savore
Lo ben, c' Amore — mi face sentire,
Per lo grau mal, che m' ä fatto sofrire.
Desgleichen XXVII, 32; Val. II, 372; 498; Guittone, Ganz. XXIV, 4;
XXXVIII, 2; u.s.w. Auch Petrarca gebrauchte es noch, im Sonett
Come va 7 mondo:
0 speranza, o desir sempre fallace,
E degli amanti piü ben per un cento.
und Franco Sacchetti (Carducci, Rime di Cino, p. 487):
Che, se amante amar iü mai veduto,
Con fede amava te per ognun cento.
pesante im Sinne von „betrübt, kummervoll".
D'Anc. LXXVIII, 30:
Che dela vostra colpa io son pesante.
Incontrino de' Fabrucci, bei Grion, Pozzo, p. 41:
Forte ne son pesante.
auch noch Bindo Bonichi:
— 223 —
Esser p es ante
Del bene altrui, che a se niente noce.
wie Borgognoni, Propugnatorc, I, 580, anmerkte.
Es ist also ein aktives Participiurn in passivischem Sinne ge-
braucht: „belastet, bedrückt" statt „lastend, lästig". Diese Ver-
wendung des Partie, praes. war prov. und altfrz. viel weiter aus-
gedehnt, worüber Tobler, Zeitschr. f. rom. Phil. I, 17 ff., und zahl-
reiche Beispiele gerade für altfrz. pesant = kummervoll, ib. p. 23 f.
prov. z. B. bei Gausbert de Poicibot, Arch. 34, 397:
Mas mos cors pesans
N'esta malauans.
presente „offen, öffentlich", prov. presen, als Gegensatz von
celat.
D'Anc. XVIII, 25:
Presente mi contava,
E non mi si celava,
Tutto suo convenente.
Incontrino de' Fabrucci, Grion, Pozzo, p. 42:
Ca ben e canoscente, (1. scanoscente?)
Qual donna fa presente
Le sue parole in vano,
Ond' ä cuor longitano.
d. h. „öffentlich, vor den Leuten solche Worte redet, von denen
ihr Herz ferne ist."
pugnare und pugnarsi „sich bemühen", gerade wie prov.
ponhar; unendlich oft bei Guittone in Birne und Lettere, z. B.
Son. 8:
E di gran cor pugnate
In arricchir di van pover riecore.
wo es auch mit in verbunden, wie das provenz. Verbuni.
Son. 22:
Qual cbi lordasse manto
El viso e si pugnasse i.piedi ornare.
Lettere, p. 51: Ora non so <-}ic fare, in pugnarvi o non di rico-
— 224 —
verare, ne s' >' pugno in merce o in orgoglio, d. h. non so che
fiin. se mi dehba sforzare o no di ricuperare la vosfra amicigia,
e se mi sforzi per via di merce <> per via d? orgoglio. Auch mit
Accusativobjekt, p. 82: e quanto vdl meglio (il mestiere), meglio
pugnarlo d. h. bisogna meglio adoperarsi in esso.
D'Anc. LXXIII, 51:
Ch' io mi pugnassc pur di ben servirc.
Val. I, 422:
E con ogni argomeirto m' apparegli
Puguaudo, che ad araico t' aggia e tegna.
Dass es kein Provenzalismus ist, zeigt schon der Umstand, dass
auch der Aretiner Ristoro es gebraucht, Nan. Man. II, 196: e pug-
narä ad cmdare . . . Vielleicht ist in der Rosa fresca, str. III:
Poniamo, che s' aiunga il nostro amore.
für dieses pugnamo „lass uns streben" zu verstehen. Und so auch
Dante, Inf. G, 28:
Qual e quel cane, che abbaiando aggugna
E si racqueta poi che '1 pasto morde,
Che solo a divorarlo intende c pugna.
rcgnarc im Sinne von „weilen, verweilen", wie oft das prov.
renhar, z. 13. Val. I, 416:
Ch' i' aldo a' saggi dire iu voce vera,
Che ciö, ch' avveu piacente ovver dogliose
Cioe cose nel moudo all' uom che reg na,
Sia per miglior di lui . . . .
d. i. in der beliebten verschränkten Weise der Pisaner: alV uomo,
che regna nel mondo, che sta nel mondo.
ib. 420:
Regnando iu vita piü che morte dura.
Guittonc, Canz. XX, 5:
E dove non guareuza
Porranuo aver di sempre tormentare,
Li converrä regnare.
d. h. lor converrä stare.
— 225 —
Ders. Son. 107:
tuo pensier non reg na
In altro che in crear vergogna e danno.
Audi das Substantiv regnamento „das Verweilen, Wohnen", Val.
II, 80:
In cui fai regnamento,
Volar lo fai senz' ale.
„in wem du weilest (o Besitz), den machst du ohne Flügel fliegen."
Daher die vielen Stellen, an denen es heisst: „nella mia donna
regna valenza, onore, piaeimento", etc., d. h. „Ehre, Lieblichkeit
wohnt in ihr."
Daraus entwickelt sich weiter die Bedeutung „dauern".
Val. II, 68:
Ma era al nostro Signor rincresciuto
La vostra vita, che si mal menare
Vcdea" in mondo, che gli era spiaeere;
Perö non volse devesse regnare.
Don Arrigo, Trucchi, I, 80:
Che non sta ben tradimento a signore,
Ne puö regnar sua laida signoria.
Chiaro Davanzati, ib. 155:
E se mia vita regua per languire
E non mi dona, me faria fallire. (1. nie' saria?)
D'Anc. XCI, 18:
Fallir dovria al postutto
E regnar non dovria
Lo mondo . . .
„die Welt müsste aufhören und nicht dauern."
riprendere „Wurzel fassen", prov. altfrz. reprendre und
emprendre, s. Mätzner, Altfrz. Lied. p. 103 u. 104. Eine rima oscura
Pannuccio's beginnt, Val. I, 368:
Di dir giä piü non celo
Poi tante pene ho possa.
Doglia m' c 'n cor ripresa.
(1. h. poieke ho possa di dire, giä piü non <-<l<> In nie pene; <U'>i!i<i
15
— 226 —
mi s' i fermata in core. Auch das einfache prendere in lacopo
d'Aquino's (D'Anc. XLI, l):
AI cor m' e natu e prende uuo desio.
se tutto „obgleich-, prov. sibot, ist mir nur aus Guittone be-
kannt, z. B. Cauz. XLIII, 6:
D' ogni altro casta in corpo ecl in cor öia,
Sc tutto lei marito e disleale.
..wennschon sie einen treulosen Gatten hat": ebenso ib. str. 8;
Sou. 3; 7: 8, u. s. w., und sehr oft in den Briefen.
sofferirsi di ..Abstand nehmen" von einer Sache, wie prov.
se suffrir de. Ein Beispiel bei Xanmicci. Voc. e Loc. 61 (aus VaL
I. 477). Andere sind
Val. I. 303:
Peru. Madonna, mi voglio soffrire
Di far sembianza in vostra contrata.
ib. II, 85:
Ma vogliomene in parte soffer ire. del canto
ib. 257:
. . . auzi men vo' soffrire.
ib. 514 (Dino Frescobaldi) :
Cosi di quello, onde il disio mi sforza,
Mi convien sofferir contra raia voglia.
Es steht auch in den Lettere Senesi, p. 62: Ma se Ghezo se ne
vole so f er ire etc.
soglio. Der eigenthümliche Gebrauch des Provenzalischeu,
vermöge dessen von dem Verbum soler häufig das Praesens -tritt
des Praeteritum steht, findet sich im alten Italienischen wieder,
also soglio, suolc. wo man heute soleva setzen würde.
Val. I, 50 (Pier delle Vigne):
Perdo gioia e mi svoglio,
Quando [di] sua contezza mi rimembra,
Di quella, cli'. io amar e servir soglio.
„die ich zu lieben pflegte"; denn die Dame ist todt.
— 227 —
Pacino Angiolieri, Trucchi, I, 116:
Lasso, che spessamente il giorno miro
AI loco, ove inadomia suol parere,
Ma neu la veggo, siccome giä soglio.
auch hier ist die Dame todt; und in demselben Gedichte:
Quanto aver soglio piü sollazzo e gioco,
Cotanto e forte piü lo meo penare.
Daher ist Xannucci's Erklärung, Man. I, 221, n. 8, überflüssig.
D'Anc. XX, 47:
A zö, ch' i' avere soglio
De la vostra bellezza,
Amor mi die certanza (Ms. certeza)
Con allegranza — piena di pietate.
d. h. per quello che söleva ricevere (godere) della vostra hellezza,
Amore, etc.
Guittone, Canz. I, 1:
Ora parrä, s' e' saverö cantare
E s' e' varrö, quanto valer giä soglio.
Ebenso D'Anc. LV, 11; LXXXVI, 22; Val. II, 155. Ferner noch:
Guido Cavalcanti, Val. II, 363:
Un amoroso sguardo spiritale
M' ha rinnovato ainor tanto piacente,
Che assai piü che non suole ora m' assale.
Und noch Dante, Son. Se 'l hello aspetto:
Ma perch' io non la veggio, com' io soglio,
Amor m' affligge, ond' io prenclo cordoglio.
„per catacresi" sagt Fraticelli.
stare di „fern sein von", prov. estar de, z. B.
Santz Honoratz est et tres antz de la ciptat,
Que non auza venir en son arcivescat.
S. Honorat, cap. 47.
oder Peire Vidal, XLIV, 75:
Tant ai de Proens' estat.
ib. 80:
Car ai estat de leis tan longamen.
15*
— 228 —
so Val. I, 278:
Non vo' piu sofferenza
Ne dimorare omai
Senza Madonna, di cui inoro stando.
..Ich will nicht längeres Harren, noch bleiben ohne Madonna, fern
von der ich sterbe."
stendersi „wohin gelangen", prov. s'estendre, z. B.:
M. G. 1139, 4:
Ni mais nom platz, quo s'estenda
E leis merecs ni deissenda.
Zambrini, op. volg. 419, son. VII:
Et tal v' aggiunge et tal non vi si st ende.
D'Anc. Son. V:
E perche sua vertute a potestate
Piü che terrena segnoria si sterulc.
teuer danno „Schaden thun", prov. teuer ihm.
Guittone, Canz. VIII, Gel. 1:
e cosa quäle
Toner poreami danno.
Lettere, p. 43: Se a padri e a mogtioi <■ <i figlinoli e ad amici
danno tenete in guerra ....
Guido Orlandi, Val. II, 268:
Troppo servir tien danno ispessamente.
Es kommt auch sonst vor, und selbst in den Fragm. Uist. Pis.
p. G62: piü voute U asagllnno e fecieno e tennero loro danno.
venire „werden". Heute gebraucht man es so nur beim
Partie. Perf.; aber in alter Zeit stand venire und avvmire in die-
sem Sinne auch beim Adjektiv und Substantiv, wie prov. veni/r
und avenir, wo man jetzt divenire sagt, z. B.
Val. I, 171:
So, che per nie pietä verrea crudele.
ib. II, 151:
Che gioioso av venire mai non penso.
— 229 —
ib. 213:
Mi fe servo venire
Della sua siguoria disideroso.
Guittone, Lettere, p. 37: cui cavalieri buon tutti vegnono Regi,
und so sehr oft.
Daher ist D'Anc. XXI. -41, mit der Hs. zu lesen:
Da poi che cristallo aven la neve.
„sobald der Schnee Krystall wird'-, und nicht che 'w cristallo, wie
Val., Nan. und D'Anc. Und ib. XXXI, 41:
Che 'ngnoranza
M' e venuta cotal speranza.
„Nichtwissen ist mir solche Hoffnung geworden", d. h. „ich bin
über sie ungewiss geworden", wodurch das unmögliche Che 'n
'gnoranza bei D'Anc. weglallt.
Aehnlich ist es mit tomare „zu etwas werden, sich in etwas
verwandeln", prov. tornar in gleichem Sinne.
D'Anc. XXI, 45:
acqua torna sale.
..Wasser wird zu Salz." Demnach ib. VII, 31:
E la fereza torna pietauza.
nach der Hs., nicht torna \i pietanza.
Zusätze.
]>. 155, n. Den auffallenden Schlussreim sasia in Matteo Frescobaldi's Bal-
lade bessert Carducci selbst im Druckfehlerverz. zu sizia.
.. 159. Aus der Liste der unsicilianischen Reime bei Sicilianern mag mau
der grösseren Sicherheit halber noch die Stellen Val. I, 118 und
255, streichen, weil nach der palat. Hs. (p. 92) die beiden Gedichte
von Ruggieri d'Amici sind, und man nicht weiss, ob dieser ein
Sicilianer gewesen. Statt dessen aber kann man zwei andere
Stellen von Iacopo da Lentini hinzufügen:
merzede : acede. D'Anc. IV, 28.
freno : fino. V. 117.
sicil. merzidi : accedi; [nun : finu
.. 162. Eine Bemerkung Böhmers in seinen Romanischen Studien, III, 166,
könnte glauben machen, was Corazzini den Volksliedern zuschreibt,
hätten sich wenigstens die neueren sicilianischen Kunstdichter
erlaubt. Giov. Meli soll in der Fata Galanti, VIT. 30, cosa : m/ni-
rosa gereimt haben. Aber es war dieses nur ein Versehen Böh-
mers, dem das Auge beim Lesen vom sicilianischen Text auf die
rechts daneben gedruckte toscanische Uebersetzung geglitten ist
(s. Opere di Giov. Meli. Palermo, 1857, p. -">sl . cosa : amorosa
reimte der Uebersetzer Gazzino, nicht Meli.
.. 189. Die Form cheo findet sich in Wahrheit bei Meo Abbracciavacca
nicht: die Stelle, welche Nannucci anführt, ist eben die Monte's,
die er irrthümlich jenem beilegte.
1,98. Noch zur Erklärung eines anderen Wortes der alten Dichter ver-
mögen die südlichen Mundarten beizutragen, nämlich schianto in
der Bedeutung ,,Peiu, Furcht". In der Rosa fresca heisst es,
str. IX:
Quante sono le schiantora, che m' ä' mise alo core.
Lapuccio Belfradelli, bei Griou, Bozzo, p. -43:
S' io stato so' in fallare,
E poi mi date schitmto.
— 231 -
Monte Andrea in Cod. A, 662:
Sentomi al core dolorosi schianti.
Cino da Pistoja beginnt ein Sonett (nach B, 269):
Si doloroso, non poria dir quanto,
Ho pena e schianto — angoscia e tormento.
Das prov. ital. Glossar, welches Stengel veröffentlicht hat („Die
beiden ältesten prov. Grammatiken", p. 89, 13) übersetzt mit
schianto das prov. esglai. „Furcht" bedeutet nun noch heut' das
sicil. scantu (sicil. scantu verhält sich zu tose, schianto, wie schettu,
schera, seavu, scuma, chesa zu schietto, schiera, schiaro, schiwma,
chiesa), mit welchem schon Giudici ganz richtig das schiantora
der Rosa fresca in Verbindung brachte. Hierzu das Verbum scan-
tarisi, und auf dem südlichen Festlande, noch genauer dem tosca-
nischen Lautbestand entsprechend, schiantarese, so in einem Volks-
liede von Martano (JTerra d'Otranto), Canti Popol. Merid. II, 324:
De quiddhu ci sse dice non mme scliiantu.
was Imbriani mit m'atterrisco erklärt. Und so brauchte schon das
Verbum Tommaso di Sasso, D'Anc. XXI, 18:
Non trovo chi lo saccia; ond' io mi schianto.
„Ich finde niemanden, der wüsste, was Amore ist, das Uebel, wel-
ches mich peinigt; weshalb ich voll Furcht bin, da das unbekannte
Uebel das schlimmste." — Der Ursprung dieser Bedeutung aus
der gewöhnlichen des Wortes schiantare wird leicht begreiflich,
wenn man an den noch immer üblichen Ausdruck mi si schianta
ü cuore denkt. Vgl. auch die Worte crepaeuore und corrotto,
welches letztere wohl eher cor rwpbwm ist als corruptum (von
corrumpere), wie Littre will: schianto wäre also eigentlich ein
schianto di cuore.
Inhalt.
Seite
I. Entstehung und Charakter der ältesten italienischen Lyrik . . 1
II. Der Einrluss der provenzalischen Poesie 25
III. Befreiung vom provenzalischen Einfluss 113
IV. Die Sprache 140
Diiiik vuu Pösehel Sc Trepte in Leipzig
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