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Full text of "Die Sicilianische Dichterschule des dreizehnten Jahrhundets"

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DIE 


SICILIANISCHE  DICHTE  HS  CHILE 


DES 


DREIZEHNTEN  JAHRHUNDERTS. 


VON 


ADOLF  GASPARY. 


BERLIN, 

WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG. 

1878. 


Verzeichniss 

der  verkürzt  eitirten  Bu.ch.er. 

Allacci  —  Poeti  Antichi  raccolti  da  Coda.  Mss.  da  Monsign.  Leone  Allaeei, 

Xapoli,  1661. 
Areli.  —  Herrief s  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 
Arch.  Glott.  —  Archivio  Glottologico  Italiano. 
Band.  Lucch.  —  Bandi  Lucchesi,  Bologna,  1863. 
Bartseh,  Chrest.    —   Bartsch,   Chrestomathie  Proveneale   (citirt   nach    der 

2.  Auflage,  1868). 
Caix,   Ant.  Mou.  —  Di  un  Antico  Monumento  di  Poesia  Italietna.   BÄvista 

Europea,  Anno  VI,  vol.  I,  p.  72 — 80. 
„      Form.  —  La  Formazione  degli  Idiomi  Letterari.     Nuova  Antologia, 

vol.  XXVII,  p.  35—60,  u.  288—309. 
„       Toc.  —  Osservazioni  sul  Vocalismo  Italiano,  Firenze,  1875. 
Cherrier  —  Histoire  de  la  Lutte  des  Papes  et  des  Empereurs,  etc.  vol.  IV, 

Paris,  1851. 
Choix  —  Räynouard,  Choix  des  Poesies  Originales  des  Troubadours. 
D'Anc.  —  D'Ancona  c  Comparetti,   Le  Antiche  Birne  Volgari,   vol.  I,  Bo- 
logna, 1875.     (Die  arab.  Ziffer  bezeichnet  die  Verse.) 
D'Anc.  Son.   —   D'Ancona,    Venu  Sonetii  Ineeliti  elel  See.  XIII     Propu- 

gnatore,   VI,  1°,  350—371. 
Grion,  Pozzo    —    II  Pozzo  di  S.  Patrizio,    Bologna,    1870    (aus    Propu- 

gneäore,  III). 
„        Serventese  —  H  Serventese  di  Ciullo  d'Alcamo,  Bologna,  1S71  (aus 

Propugnatore,  IV). 
Guittone  —  Bime  di  Fra   Guittone  d'Avezzo  (publ.  von   Lod.   Valeriani . 

Firenze.  1828;  citirt  nach  den  Nummern  der  Canzonen  [Gans. 

und    der  Sonette   (Son.).     Die    arab.   Ziffer   bei   Ganz,   giebl 

Strophe  oder  Geleit  (Gel.)  an. 
Guittone,   Lett.    —    Lettere   di  Fra    Guittone   d'Arezzo    (publ.    von    Giov. 

Bottari),  Roma.  1745. 
Hist.  Pis.  —  Fragment, i  Historiae  Pisanae,  bei  Muratori,  Rer.  Ital.  Script. 

XXIV,  643  ff. 


—       JV       — 

Hlst.  IJoni.  —  Fragmenta  Historiae  Romanae,   bei  Muratori,  Antig    Ital. 

III,  251  ff. 
Lett.  Seu.  —  Lettere  Völgari  del  See.  XIII,  scritte  da  Senesi,  Imola,  1871. 
Manzoni  —  Birne  Inedite  del  Cod.    Vat.  3214  in   Rivista   di   Füölogia  Ro- 

iiinii :n.  I,  83  ff. 
31.  <•.     -   Mulm.  Gedichte  der   Troubadours. 
31.  W.        Mulm.    Werke  der   Troubadours. 
Nan.   3Iau.   —   Nannucci,    Manuale    della    Letteratura    dcl   Primo   Sccolo, 

2.  ed.  Firenze,  1856. 
Palermo  —  I  Manoscritti  Pälatmi  di  Firev.e,  ml.  II,  Fireme,  lSGo. 
Peire  Vidal  —  Peire   VidaVs  Lieder,   herausgeg.  von  K.  Bartsch,  Berlin, 

185, . 
Kiv.  di  Fil.  Rom.  —  Rivista  di  Füölogia  Romanza. 
Trucchi  —  Poesie  Italiane  Inedite,   Prato,  1846. 
Tal.  —  Pocti  del  Primo  Secolo  della  Lingua  Italiana  vpubl.  von  Väleriani 

u.  Lampredi .  Fireme,  1816. 
Zanibrini,  op.  volg.  —  Lc  Opere  Volgari  a  stampa  dei  Secoli  XIII  e  XIV, 

Bologna.  1866. 


Folgende  Buchstaben  sind  verwendet   zur  Bezeichnung  der  vier  Hand- 
schriften alter  Lyriker,  von  denen  Inhaltsangaben  publizirt  sind,  die  ersten 
drei  Buchstaben  die  nämlichen,  welche  Manzoni  gebrauchte: 
A  —  Cod.   Vat.  3793,   nach   den  Nummern   des  Verzeichnisses   bei  Grion 

in  Böhmers  Romanischen  Studien,  I,  p.  61  ff. 
B  —  Cod.  Chigi  L.  VIII,  305.     Vollständiger  Abdruck  der  Hs.  von  Mo- 
naci  und  Molteni,  Propugnatore,   X,  lu,  p.  124,  289;   2°, 
p.  334;  XI,  1°,  p.  199,  303. 
C  — -  Cod.   Vat.  3214,  bei   Manzoni,    Rivista   di  Füölogia   Romanza,    I, 

p.   71  ff. 
P  —  Cod.  Palat.  418,  bei  Palermo,   I  Manoscritti   Palatini,   vol.   II,  p. 
85  ff.,  nach  Palermo's  Seitenzahlen  citirt. 


I. 

Entstehung  und  Charakter  der  ältesten  italienischen 

Lyrik. 

In  seinem  Buche  de  eloquentia  vulgari  sagt  Dante  (I,  12), 
die  siciliauische  Mundart  verdiene  scheinbar  den  Vorzug  vor  den 
übrigen  Idiomen  Italiens,  „eo  quod  quicquid  poetantur  Itali  sici- 
lianum  vocatur",  und  weiterhin,  nachdem  er  bemerkt,  dass  an 
Kaiser  Friedrichs  II  und  Manfreds  Hofe  sich  alle  Tüchtigsten  des 
ganzen  Landes  vereinigt  hätten,  fügt  er  wiederum  hinzu:  „Et  quia 
r egale  solium  erat  Sicilia,  factum  est,  ut  quicquid  nostri  praede- 
cessores  vidgariter  protulerunt,  sicilianum  vocetur:  quod  quidcm 
retinemits  et  nos,  nee  posteri  nostri  permutare  valebunt",  d.  h.  also: 
Alles,  was  die  älteren  Dichter  in  der  Zeit  vor  Dante  gedichtet,  nannte 
man  sicilianisch;  so  fuhr  man  fort  es  zu  Dante's  Zeit  zu  nennen, 
und  er  selber  meint,  man  werde  diese  Gedichte  auch  später  immer 
so  zu  bezeichnen  haben.  In  diesen  Worten  liegt  kein  Widerspruch 
gegen  die  sonstigen  Ansichten,  zu  denen  er  sich  in  dem  Buche 
bekennt;  Dante  behauptet  nicht  etwa,  die  italienische  Sprache  sei 
sicilianisch  genannt  worden  und  so  immer  zu  nennen,  wie  Galvani J) 
es  missverständlich  aufgefasst  hat,  und  ebenso  wenig  will  er,  man 
solle  die  italienische  Dichtung  allezeit  sicilianisch  nennen,  wie  sich 
dieses  Corazzini  aus  seinen  Worten  herauslas2).  Was  an  jener 
Stelle  des  de  vidgari  eloquentia  gesagt  ist,  bezieht  sich  vielmehr 
einzig  und  allein  auf  die  Produktionen  der  Dichter  vor  Dante,  und 


J)  JDubbi  sulla  veritä  delle  Dottrme  Perticaricme,  Milano,  184G.  p.  201. 
2)  in  seinem  Aufsatze:   Una  Questione  su  la  Storia  della  Lingua.    Pro- 
pugnatore,  VIII,  1°,  p.  27G  ff. 

1 


—     2     — 

die  Bezeichnung  „sicilianisch"  wird  der  ganzen  älteren  italienischen 
Dichterschule  gegeben;  zu  Dante's  Zeit  dagegen  war  an  Stelle 
dieser  eine  andere  neue  Schule  getreten,  welche  sicilianisch  zu 
nennen  ihm  nichl  einfallen  konnte.  Eine  Bestätigung  und  Er- 
gänzung findet  dieses  in  der  berühmten  Stelle  dos  Purgatorio, 
XXIV,  55,  wo  er  Buonagiunta  von  Lucea.  einen  jener  praedecessores, 
sagen  lässt: 

0  frate,  issa  vegg'io,  diss'elli,  il  nodo, 
Che  il  Notaro  e  Guittone  e  me  ritenne 
Di  qua  dal  dolee  Stil  nuovo  ch'i'  odo. 
so  also  in  deutlichen  Gegensatz  zu  einander  setzend  den  alten  und 
den  neuen  Styl,  jenen  des  Notaro  von  Lentini,  Guittone's,  Buona- 
giunta's,  diesen  des  Guinicelli,  Guido  Cavalcanti's,  Dante's  und 
Cino's.  Der  alte  Styl  ist  das,  was  oben  sicilianum  genannt  wurde. 
die  Dichtweise  der  sicilianischen  Schule,  die  sich  auf  die  Dichter 
Mittelitaliens  vererbte,  und,  wie  wenig  es  sich  hier  um  die  Sprache 
handeln  kann,  beweist  schon  das  eine,  dass  an  dieser  Stelle  der- 
selbe Jacopo  da  Lentini  getadelt  wird,  der  im  de  vulg.  el.  gelobt 
werden  war.  Im  de  vulg.  el.  lobt  Dante  den  Notaro  wegen  der 
Sprache  und  trennt  ihn  daher  von  Guittone,  Mino  Mocato,  Bru- 
netto,  Buonagiunta;  im  Purgatorio  tadelt  er  ihn  wegen  der  Dicht- 
weise und  setzt  ihn  in  eine  Kategorie  mit  eben  jenen  Guittone 
und  Buonagiunta. 

Dante  bezeichnete  also  als  sicilianisch  die  ganze  Dichterschule, 
welche  dem  dolee  stil  nuovo  voraufgegangen  war.  mochten  nun 
auch  die  Dichter  selbst  aus  anderen  Theilen  Italiens  gebürtig  sein. 
Daher  verfuhren  ganz  in  seinem  Sinne  Angclo  Colocci,  der  in  sein 
Verzeichniss  von  Worten  der  sicilianischen  Dichter  auch  solche 
von  Toscanern  aufnahm,  und  Bembo,  der  in  der  Liste  der  Poeti 
Siculi  eine  grosse  Anzahl  von  mittelitalienischen  Dichtern  aufzählte1). 
Und  in  der  That  hatte  diese  gemeinsame  Bezeichnung  ihren  guten 
Grund,  und  man  thut  wohl,  heut  den  Namen  der  sicilianischen 
Dichterschule  für  die  ganze  provenzalisirende  Richtung  zu  erneuern, 
die   den   Anfang  der  italienischen   Lyrik  beherrscht.     Die  Dicht- 


')  s.  Grion    II  Vozzo  di  S.  Patrizio,  p.    18,  ff. 


—     3     ~ 

weise  des  Südens  wurde  ohne  wesentliche  Veränderung  nach  Tos- 
cana  und  von  dort  aus  weiter  verpflanzt;  zwar  begegnete  ihr  hier 
sofort  eine  neue  verschiedene  Strömung;  aber  die  alterthümliche 
Manier  behauptete  sich  eine  Zeit  lang  neben  ihr.  Die  Grundlage 
und  der  Charakter  dieser  Dichtung  sind  daher  allenthalben  die 
nämlichen,  gleichgiltig,  welcher  Gegend  die  einzelnen  Verfasser 
angehören  mögen;  überall  finden  sich  dieselben  Icleeen  und  Aus- 
drucksweisen, dieselben  conventioneilen  Bilder;  sogar  die  Sprache 
ist  dieselbe  in  ihren  hauptsächlichsten  Elementen,  wenigstens  bei 
der  Gestalt,  in  welcher  uns  die  Gedichte  überliefert  sind.  Ja  eine 
Trennung  ist  schon  deswegen  nicht  gut  möglich,  weil  oft  genug 
die  Angabe  des  Verfassers  für  ein  und  dasselbe  Gedicht  zwischen 
einem  Dichter  des  Südens  und  einem  Toscaner  oder  Bolognesen 
schwankt,  und  wir  nicht  im  Stande  sind  zu  entscheiden,  welchem 
von  beiden  es  in  Wirklichkeit  zugehöre.  Die  sicilianische  Dichter- 
schule ist  also,  nach  dieser  Auffassung,  nicht  begrenzt  durch  das 
Gebiet  oder  die  Dauer  von  Friedrichs  und  Manfreds  Herrschaft; 
sondern  sie  setzt  sich  in  Mittel-  und  Oberitalien  fort  und  reicht 
wenigstens  bis  zum  Ende  des  13.  Jahrhunderts. 

Die  italienische  Literatur  beginnt  mit  einer  Epoche  der  Nach- 
ahmung, eine  Erscheinung,  die  vielfach  Verwunderung  erregt  hat. 
deren  Bestehen  man  aber  nicht  wegleugnen  kann.  Alle  Denkmale 
von  angeblich  höherem  Alter  als  die  provenzalisircnde  Lyrik  der 
Sicilianer  haben  sich,  so  oft  man  deren  gefunden  haben  wollte, 
immer  und  immer  wieder  als  Täuschungen  erwiesen,  und,  mag  es 
freilich  auch  wahrscheinlich,  ja  wohl  gewiss  sein,  dass  Volks- 
lieder schon  vorher  bestanden  haben,  mag  man  dergleichen  Reste 
auch  wirklich  einmal  auffinden,  dadurch  wird  an  jener  Thatsache 
nichts  geändert;  denn  zwischen  diesen  zerstreuten  Aeusserungeu 
des  Volksgesanges,  welche  ohne  Nachwirkung  verklungen,  und  dem 
Beginne  einer  stetigen  literarischen  Entwickelung  ist  ein  bedeu- 
tender Unterschied.  Auch  hat  die  Erscheinung  an  sich  nichts  so 
Unerklärliches.  Die  Lage  der  Italiener  am  Endo  des  Mittelalters 
unterschied  sich  sehr  bedeutend  von  der  der  anderen  europäischen 
Völker;  sie  waren  eben  damals  keine  junge  Nation,  wie  die  übri- 
gen,   und   konnten    daher   auch    in    ihrer    Dichtung    nicht    die   Zu- 

1* 


_     4     — 

stünde  spiegeln,  welche  bei  den  anderen  das  jugendliche  Zeitalter 
kennzeichneten.  Die  Italiener  hatten  eine  Epoche  hoher  Cultur- 
entwickelung  im  Alterthum  hinter  sich,  deren  Spuren  niemals 
gänzlich  verloren  gegangen  waren;  sie  kamen  nicht  aus  einer  Zeit 
der  Barbarei,  und  daher  fehlten  ihnen  gerade  diejenigen  Stoffe, 
die  zuerst  den  Anstoss  zu  einer  originalen  und  nationalen  Dich- 
tung geben,  die  heroischen,  epischen  Traditionen,  deren  Ursprung 
in  dunkele,  sagenhafte  Zeiten  hinaufreicht.  Und  andererseits  fehlte 
für  eine  neue  Literatur  das  passende  Organ,  die  neue  Sprache. 
Wie  man  sich  in  Italien  als  die  Nachkommen  der  Römer  fühlte, 
so  hielt  man  die  Sprache  Roms  für  die  wahrhafte  italienische 
Sprache,  von  der  das  neue  vulgare  nur  eine  Corruption  zu  sein 
schien,  gut  wohl  für  den  Verkehr  und  die  Bedürfnisse  des  täg- 
lichen Lebens,  aber  nicht  für  die  höheren  geistigen  Interessen,  die 
der  edleren  Sprache  reservirt  blieben.  Das  Italienische,  eben  weil 
es  dem  Lateinischen  am  nächsten  stand  und  auf  demselben  Boden 
erwachsen  war,  auf  dem  dieses  geblüht  hatte,  ist  auch  viel  später 
als  andere  romanische  Idiome  zu  dem  Bewusstsein  gelangt,  eine 
selbständige  Sprache  zu  sein  und  zu  literarischen  Zwecken  dienen 
zu  können.  Wiederum  aber  war  es,  wenigstens  seit  dem  11.  Jahr- 
hundert, doch  nur  eine  Täuschung,  wenn  man  das  Lateinische 
für  lebendig  hielt;  einer  neuen  Entwickelung  der  Dichtung  konnte 
es  fernerhin  nicht  mehr  zum  Ausdruck  dienen.  So  war  Italien 
noch  im  12.  Jahrhundert  ohne  Literatur,  als  das  westlich  angren- 
zende Land  deren  schon  zwei  in  voller  Blüthe  besass,  die  proven- 
zalische  und  die  altfranzösische  des  Nordens.  Diese  Literaturen, 
hochangesehen  in  ganz  Europa,  mussten  naturgemäss  hier  einen  um 
so  stärkeren  Einfluss  ausüben,  je  grösser  der  Mangel  an  eigener 
Produktion  war.  Die  Lieder  der  Troubadours  gaben  den  Anstoss 
zu  den  ersten  Versuchen  in  der  Lyrik,  die  Chansons  de  geste  und 
Romane  der  Franzosen  boten  den  im  eigenen  Lande  fehlenden 
Stoff  für  die  erzählende  Dichtung.  So  kam  es,  dass  hier  die 
Nachahmung  allenthalben  das  Erste  gewesen  ist,  und  dass  die  ori- 
ginale Entwickelung  erst  darauf  folgte  und  in  jener  vorbereitet 
war,  wenn  auch  die  eigentliche  Inspiration  aus  ganz  anderer  Quelle 
stammte. 


Die  Funktion  also,  welche  die  provenzalische  Poesie  in  Italien 
ausgeübt  hat,  und  für  welche  die  italienische  Literatur  ihr  zu 
Danke  verpflichtet  ist,  war  diejenige,  die  Anregung  zum  Dichten 
in  der  Vulgärsprache  zu  geben,  welches  ohne  diese  Beeinflussung 
von  aussen  her  wahrscheinlich  noch  länger  hätte  auf  sich  warten 
lassen.  Seit  Ende  des  12.  Jahrhunderts  ist  vielfach  der  Aufent- 
halt von  Troubadours  in  Italien  bezeugt,  von  älteren  der  des  Peire 
Vidal  und  Raimbauts  de  Vaqueiras,  von  jüngeren  der  des  Gaucelm 
Faidit,  Uc  de  S.  Circ,  Aimeric  de  Pegulhan  und  mancher  anderen. 
Sie  nahmen  meistens  lebhaften  Antheil  an  den  politischen  Hän- 
deln des  Landes  und  ergriffen  Partei  in  den  brennenden  Käm- 
pfen zwischen  Guelfen  und  Gibellinen;  viele  ihrer  Gedichte  beziehen 
sich  auf  italienische  Angelegenheiten.  Raimbaut  de  Vaqueiras  bediente 
sich  sogar  des  Italienischen  für  eine  Strophe  seines  mehrsprachigen 
Descort,  ein  anderes  Mal  verwandte  er  die  genuesische  Mundart  zu 
humoristischem  Zweck  in  dem  Dialoge  mit  der  unhöflichen  Genue- 
serin,  und  diese  seine  Verse  sind  die  ältesten  datirbaren  in  ita- 
lienischer Sprache,  da  sie  vor  1202  verfasst  sein  müssen.  Gewöhn- 
lich hielten  sich  diese  Dichter  bei  den  Fürsten  Oberitaliens  auf, 
zu  deren  Preise  so  manches  ihrer  Lieder  gedichtet  ist.  Aber  Uc 
de  S.  Circ  kam  auch  nach  Toscana  (s.  M.  G.  1163,  F),  Raimbaut 
de  Vaqueiras  zog  mit  dem  Markgrafen  Bonifaz  nach  Sicilien  Kaiser 
Heinrich  VI  zu  Hilfe;  Peire  Vidal  hielt  sich,  auf  der  Rückkehr 
vom  Kreuzzuge,  in  Malta  auf.  Auch  Friedrichs  II  Hofe  blieben 
sie,  bei  ihrer  Wanderlust  und  der  freundlichen  Aufnahme,  die  sie 
hier  erwartete,  gewiss  nicht  fremd.  In  Sicilien  hatte  sich  unter 
der  arabischen  Herrschaft  ein  glänzenderes  materielles  und  geistiges 
Leben  entwickelt,  welches  auch  unter  den  normannischen  Königen 
und  den  hohenstaufischen  Kaisern  fortdauerte.  Friedrich  II,  in 
freundschaftlichem  Verkehr  mit  den  muselmännischen  Fürsten  des 
Orients  und  selbst  in  seiner  Lebensweise  ihnen  nicht  unähnlich, 
hatte  lebhaftes  Interesse  für  intellektuelle  Bestrebungen;  er  förderte 
das  Aufblühen  der  medizinischen  Schule  in  Salerno,  stiftete  die 
Universität  Neapel,  liess  Werke  des  Aristoteles  und  arabische  Com- 
mentare  in  das  Lateinische  übersetzen;  er  selbst  beschäftigte  sich 
mit  mathematischen  und  philosophischen  Fragen  und  sendete  auch 


—     6 

seine  Probleme  durch  die  verbündeten  Sarazenenfürsten  an  musel- 
männische Gelehrte  zur  Beantwortung.  Dass  sein  und  später  Man- 
freds Hof  der  Sammelplatz  für  alle  Tüchtigsten  des  Landes  gewe- 
sen, sagt  Dante  an  der  ölten  angeführten  Stelle;  die  Cento  Novelle 
(nr  20)  berichten  von  Friedrichs  Freigebigkeit  und  Leutseligkeit, 
und  Aimeric  de  Pegulhan  pries  ihn,  da  er  noch  jung  war,  unter 
dem  Bilde  des  guten  Arztes  von  Salerno,  welcher  die  Schäden  der 
Zeit  heile  und  preis  und  do  wiederherstelle,  da  sie  vorher  verloren 
gegangen  l).  Friedrich  II  hatte,  wie  Fauriel  bemerkte2),  auch 
politische  Gründe,  viele  dieser  Troubadours  zu  begünstigen,  welche 
erbittert  durch  die  Albigenscrkriege  heftige  Angriffe  gegen  die 
Curie  richteten;  die  Rügelieder  eines  Guillem  Figueira  konnten 
ihm  wohl  zu  statten  kommen  in  seinem  Kampfe  gegen  die  Päpste3). 
Die  Dichter  des  nördlichen  Italiens,  welche  sich  in  der  Dicht- 
weise der  Provenzalen  versuchten,  bedienten  sich  zu  diesem  Zwrecke 
eben  jenes  vulgare-,  in  welchem  ihre  Muster  verfasst  waren.  Das 
Provenzalische  war  durch  den  vielfachen  Verkehr  mit  Südfrank- 
reich bei  ihnen  wohl  bekannt  und  nicht  schwer  zu  erlernen, 
da  sie  selbst  ihm  nicht  unähnliche  Idiome  redeten;  so  war  es 
ihnen  weit  natürlicher,  mit  der  poetischen  Tradition  zugleich  auch 
die  Sprache  der  Vorbilder  herüberzunehmen,  als  erst  die  eigenen 


1)  Canzone:  En  aquel  temps,  z.  B.  Bartsch,  Chrest.  158. 

2)  Dante  et  les  Origines  de  la  latujue  et  de  la  litterature  italiennes, 
I.  266. 

3)  Diez  schrieb  allerdings  (Poesie  der  Troubadours,  p.  Gl):  „Dass  Fried- 
rich II,  übi'igens  Freund  der  Poesie  und  selbst  Dichter,  die  provenzalischen 
Sänger  besonders  gehegt  habe,  lässt  sich  nicht  behaupten;  Elias  Cairel  und 
Folquet  von  Romans,  die  einzigen,  welche  eine  Zeit  lang  an  seinem  Hofe 
zubrachten,  wissen  nichts  von  seiner  Freigebigkeit  zu  rühmen."  —  Aber 
damit  stimmt  doch  nicht  wohl  das  hohe  Lob  Aimeric's  und  Anderer,  und 
dass  jene  beiden  provenzalischen  Dichter  wirklich  die  einzigen  gewesen 
seien,  die  sich  je  bei  Friedrich  aufgehalten,  lässt  sich  bei  der  Kargheit  der 
Nachrichten  kaum  mit  Bestimmtheit  behaupten.  Andererseits  scheint  es 
freilich  nicht  gerechtfertigt,  von  jedem  Dichter,  welcher  Friedrich  gepriesen, 
auch  anzunehmen,  dass  er  an  dessen  Hof  gelebt  habe,  wie  dies  Bartoli 
(I  primi  due  secoli  della  Lett.  Ital.  p.  90  f.)  thut.  Ja  selbst  die,  welche 
bei  Friedrich  weilten,  brauchen  darum  noch  nicht  nach  Sicilicn  gekommen 
zu  sein,  da  er  sich  mit  seinem  Hofe  ja  oft  genug  in  Oberitalien  aufhielt. 


—     7     — 

noch  unangebauten  Dialekte  zum  literarischen  Gebrauche  zu  er- 
heben. Im  Siulen  hingegen,  am  Hofe  Friedrichs  II,  konnte  eine 
solche  Handhabung  der  fremden  Sprache  nur  schwer  erworben 
weiden,  und  die  Produktionen  in  derselben  konnten  nicht  auf  so 
allgemeines  Verständniss  rechnen;  so  griff  man  zu  dem  totlgare 
des  eigenen  Landes.  Dieses  ist,  wie  ich  glaube,  der  Grund  dafür 
gewesen,  dass  die  italienische  Kunstdichtung  in  Sicilien  begann: 
Im  Norden  der  Halbinsel  dichtete  man  provenzalisch,  in  Mittel- 
italien gab  es  keine  glänzenden  Höfe ,  welche  den  Dichtern  als 
Sammelpunkte  hätten  dienen  können.  Die  provenzalische  Dich- 
tung von  Italienern  des  Nordens  ist  aber  nicht  etwa  eine  Mittel- 
stufe zu  der  des  Südens  in  italienischer  Sprache  gewesen,  wie  man 
geneigt  sein  könnte  anzunehmen,  und  wie  die  Sache  wirklich  bis- 
weilen dargestellt  worden  ist;  beide  sind  vielmehr  gleichzeitig. 
Sordel's  Gedicht  auf  Blacatz'  Tod  ward,  nach  Diez x),  um  1230 
oder  1237  verfasst:  um  1236  fallen  auch  die  politischen  Gedichte 
des  Nicolet  von  Turin  und  des  Peire  de  Caravana;  Lanfranc  Cigala 
dichtete  1242  sein  Sirventes  gegen  Bonifaz  III  von  Monferrat2). 
Und  dieses  sind  die  ältesten,  denen  man  ein  bestimmtes  Datum 
geben  kann,  andere  dagegen  noch  bedeutend  jünger;  Bartolommeo 
Zorgi  dichtete  noch  nach  dem  Tode  Conradins  und  selbst  dem 
Ludwigs  des  Heiligen,  also  um  eine  Zeit,  als  die  höfische  Dich- 
tung im  Süden  schon  erstorben  oder  wenigstens  verblüht  war. 

Unter  den  Namen  derer,  welche  von  den  Handschriften  als 
die  Verfasser  der  ältesten  Gedichte  bezeichnet  werden,  finden  wil- 
den Kaiser  Friedrichs  II  selber  und  seines  Sohnes  König  Enzo's 
von  Sardinien.  Man  hat  bezweifelt,  ob  diese  Fürsten,  inmitten 
der  stürmischen  Ereignisse  und  der  mannichfachen  Geschäft". 
Zeit  gefunden  haben  möchten,  selbst  Verse  zu  machen.  Borgognoni 
dachte3),  die  nach  ihnen  benannten  Gedichte  könnten  wohl  auch 
von  Anderen  in  ihrem  Namen  gemacht  worden  sein.  Alter  in  einer 
Epoche,  in  welcher  Richard  Löwenherz  und  Alfons  II  von  Aragon, 


x)  Leben  und  Werke  der  Troubadours,  p.  -170  f. 

2)  Diez,  1.  c.  568. 

3)  Gli  Antichi  Rmatori   Volgari.     Projougnatore,  IX.  1".  p    16. 


und  später  König  Thibaut  von  Navarra  und  Dom  Denis  von  Por- 
tugal dichteten,  kann  ein  Gleiches  bei  Friedrich  und  Enzo  nicht 
Wunder  nehmen,  besonders  da  von  beiden  der  Chronist  Saliinbene, 
welcher  den  Kaiser  persönlich  kannte,  ausdrücklich  berichtet,  dass 
sie  sich  der  Dichtkunst  beflissen x).  Ob  nun  freilich  die  ihnen 
beigelegten  Poesieen  auch  wirklich  von  ihnen  herrühren,  das  zu 
entscheiden  haben  wir  keine  Möglichkeit,  wenn  wir  nicht  den  Hand- 
schriften glauben  wollen;  aber  bei  allen  übrigen  Dichtern  sind 
wir  in  ganz  demselben  Fall.  Der  Gedichte  übrigens,  welche  die 
Handschriften  einig  sind  dem  Kaiser  und  seinem  Sohne  zuzu- 
schreiben, sind  nur  sehr  wenige.  Von  Friedrich  II  sind  nach  A 
die  Canzonen 

Dela  mia  desiauza.     D'Anc.  LI. 

Dolze  meo  drudo,  e  vattene.     ib.  XLVIII. 
Eine  Bestätigung  dieser  Attributionen  durch  andere  Handschriften 
ist   bis   jetzt    nicht    bekannt.      Dagegen    schreibt    ihm    P    (p.   100) 
noch  zwei  andere  Canzonen  zu: 

Poi  che  ti  piace,  Amore.     Val.  I,  54. 

Per  la  fera  membranza.  ib.  64. 
Die  zweite  ist  wiederum  sonst  nicht  weiter  bekannt.  Die  erste 
legen  gleichfalls  Friedrich  bei  C,  8  und  B,  228;  dagegen  stand  sie 
in  A,  177  nach  Grion's  Verzeichniss  anonym,  und  von  späterer 
Hand  ist  der  Name  Rinaldo  d'Aquino  übergeschrieben  worden. 
Noch  übler  steht  es  mit  den  Enzo  beigelegten.     Die  Canzone 

Amor  mi  fa  sovente.     D'Anc.  LXXXIV. 
gehört  ihm  nach  A,  B,  229,  C,  9  und  P  (p.  100).     In  der  letzten 
Handschrift  steht  als  von  ihm  ferner: 

Amor  fa  come  il  fino  uccellatore.     Val.  I,  172. 

S'eo  trovasse  pietanza.     ib.  171. 
Die  letztere  schreibt  ihm  auch  die  Redianische  Handschrift  zu2), 
dagegen  wäre   sie  nach  A,  107   von  Ser  Nascimbene  di  Bologna, 
nach  B,  238  von  Messer  Semprebene  di  Bologna,  nach  C,  7  sehr 


J)  s.  die  Citate  bei  Tiraboschi,  Stör.  Lett.,  vol.  IV,  p.  8,  n.  u.  p.  388,  n. 
(Ausgabe  Firenze,  1806\ 

2)  Giomale  di  Filologia  Romanza,  I,  p.  51  (Roma,  1878). 


—     9     — 

seltsam  von  ,,Rc  Eh.:<>  et  messere  Guido  GiiinizelU" ,  was  wohl 
heissen  soll,  dass  der  Abschreiber  beide  Bezeichnungen  an  ver- 
schiedenen Orten  gefunden.  Endlich  haben  B,  250,  C,  84  als  von 
Enzo  das  Sonett: 

Tempo  vien  di  salire  e  di  scendere.     Val.  I,  177. 
das  bei  Allacci  als  von  Guittone  d'Arezzo  steht. 

Friedrichs  II    berühmtem    Kanzler  Pier    delle   Vigne    werden 
ausser  dem  Sonette: 

Perö  ch'  Amore  non  si  puö  vedere.     Val.  I,  53. 

welches  von  ihm  nach  Allacci  und  Valeriani,  noch  Alles  in  Allem 
acht  Canzonen  beigelegt;  aber  nur  zwei  von  ihnen  bleiben  unbe- 
stritten, nämlich: 

Amore  in  cui  disio  ed  ö  speranza.     D'Anc.  XXXVIII. 

Amando  con  iiu  core  e  con  speranza.     Val.  I,  49. 
die   letztere    als   von    ihm    in    P   (p.  92),  und  bei  Trissino x)    und 
Barbieri2)  als  solche  erwähnt.     Dagegen  ist: 

Poi  tanta  caonoscenza.     D'Anc.  XXXVII. 
nach  P  (p.  89)  von  Jacopo  Mostacci,  nach  B,  236  von  Jacopo  da 
Lentini. 

Amor  da  cui  move  tuttora  e  vene.     D'Anc.  XL. 

nach  P  zwar  gleichfalls  von  Pietro,  nach  B,  235  aber  von  Jacopo 
da  Lentini.  Die  palatinische  Handschrift  schreibt  Pier  delle  Vigne 
ferner  zu: 

Uno  piacente  sguardo.     D'Anc.  LXXIII. 
welches  in  A  anonym. 

La  dolce  cera  piacente.     D'Anc.  LX. 
welches  in   B,  241   ebenfalls  als  von  Pietro,    aber  in  A  als  von 
Giacomino  Pugliese. 

Membrando  ciö  che  amore.     Val.  I,  260. 
welches  in  der  Giuntina,  bei  Allacci  und  Valeriani  wieder  als  von 
Jacopo  da  Lentini  gedruckt  steht.     Endlich  giebt  Valeriani  (I,  41) 
noch  als  Pietro's  Eigenthum: 

Assai  cretti  celare.     D'Anc.  XXXIX. 


]>  in  der  Poetica,  Ausgabe  der  Opere,  Verona,  1729,  II.  63. 
a)  Origine  della  Poesia  Bimata,  Modena.  1790,  p.  141. 


10     — 

welches  als  solches  auch  bei  Serassi  ').  aber  in  A  als  von  Istefano 
di  Pronto.  Die  Unsicherheit  ist  also  hier  gross,  und  bei  der  ge- 
ringen Zahl  der  wirklich  alten  Handschriften,  die  noch  dazu  nicht 
alle  hinreichend  bekannt  sind,  weiss  man,  wo  sie  einander  wider- 
sprechen, mir  selten,  welcher  man  Rechi  geben  soll.  Im  Allge- 
meinen ist  die  Zahl  der  authentischen  Gedichte  \ on  Sicilianern 
eine  verhältnissmässig  sehr  kleine,  und  von  den  Leistungen  jedes 
Einzelnen  haben  wir  meistens  nur  spärliche  Proben. 

Kaiser  Friedrich,  König  Enzo  und  Pier  delle  Vigne  sind  uns 
bekannt  durch  ihr  öffentliches,  der  Geschichte  angehöriges  Leben-'). 
Dagegen  von  den  übrigen  südlichen  Dichtern  wissen  wir  entweder 
gar  nichts,  wie  von  Mazzeo  Ricco  aus  Messina,  Rugieri  Apugliese, 
Ranieri  da  Palermo,  Rugerone  da  Palermo,  Tommaso  Sasso  da 
Messina,  Jacopo  d'Aquino,  oder  allenfalls  ist  uns  der  Stand  noch 
angegeben,  beim  Notar  Jacopo  da  Lentini,  der  sich  selbst  oft 
genug  so  in  seinen  Liedern  genannt  hat,  und  Istefano  di  Pronto 
Notar,  nach  andern  Istefano  Protonotaro  aus  Messina,  oder  aber 
unser  Wissen  von  diesen  Aeltesten  ist  rein  illusorisch.  Von  Ri- 
naldo  d'Aquino  nimmt  zwar  Grion  ohne  weiteres  an,  dass  er  der 
Bruder  des  heil.  Thomas  gewesen;  aber,  wie  Mazzuchelli  zeigte, 
gab  es  damals  drei  verschiedene  Persönlichkeiten  dieses  Namens, 
und  obendrein  gilt  von  Rinaldo  ganz  dasselbe,  was  Tafuri  in  Be- 
zug auf  Jacopo  und  Monaldo  d'Aquino  bemerkte3),  dass  man  näm- 
lich gar  nicht  entscheiden  kann,  ob  auch  der  Zusatz  d'Aquino  die 
Familie  und  nicht  etwa  nur  den  Geburtsort  bezeichne.  Ebenso 
wenig  kann  man  sagen,  ob  Messer  Prezivalle  Dore  derselbe  ist 
mit  jenem  Perceval  Doria,  welcher  provenzaliseh  dichtete,  und, 
könnte  man  es,  so  wäre  damit  nicht  viel  gewonnen;  denn  auch 
über  die  Persönlichkeit  des  letzteren  ist  man  nicht  im  Klaren. 


')  Anecdota  Litteraria,  III,  446. 

2)  Freilich  sind   die  genaueren  Nachrichten   über  Pier  delle  Vigne  ja 
auch   kärglich  genug,    und    selbst  sein    sorgfältigster  Biograph    De    Blasiis 

Bella  Vita  e  delle  Opere  di  Pietro  della   Vigna,  Napoli,  1860)  konnte  deren 
nur  sehr  wenige  zusammenbringen. 

3)  Baccolta  di  Opuscöli  Scientifici  c  Füologici  (Calogerä),  XXVI,  425 
u.  464. 


—    11    — 

Arrigo  Testa  wird  in  A.  aus  Lentini  genannt,  und  man  hält  ihn 
für  identisch  mit  dem  Henricus  Testa,  welcher  1248  Friedrichs  II 
Podestä  in  Parma  war  und  eben  damals  bei  dem  siegreichen  Aus- 
fall der  Parmenser  gegen  den  Kaiser  getödtet  ward.  Alter  in  den 
Chroniken  heisst  dieser,  wie  Tiraboschi  zeigte1),  stets  de  Meitio. 
Borgognoni  glaubte2),  damit  sei  nicht  sowohl  Arezzo  in  Toscana, 
als  vielmehr  Reggio  in  Calabrien  gemeint,  welches  man  damals 
gleichfalls  zu  Aritium  latinisirte.  Er  wäre  also  aus  Reggio  gewe- 
sen, und  nun  hätten  wir  statt  zweier  möglicher  Geburtsorte  gar 
deren  drei.  Weiter  zeigte  aber  Tiraboschi,  dass  noch  ein  älterer 
Arrigo  Testa  um  1190  gelebt;  gab  es  deren  aber  zwei,  warum 
nicht  auch  drei,  und  warum  konnte  der  Dichter  nicht  eben  ein 
Dritter  sein?  Sieht  man  endlich,  dass  es  ein  einziges  Gedicht  ist, 
welches  ihm  zugeschrieben  wird  (D'Anc.  XXXV),  und  dass  dieses 
sogar  in  der  palatinischen  Handschrift  (p.  100)  als  von  einem 
Arrigo  Di  Vitis  steht  und  in  der  Redianischen  (Giorn.  di  Fil. 
Born.  I,  51)  als  von  Notar  Giacomo,  so  wird  man  wohl  kaum  noch 
hoffen,  hier  zu  irgend  einer  Gewissheit  zu  gelangen. 

Ueberhaupt  aber  liegt  wrenig  daran,  dass  man  diesen  oder 
jenen  Namen  der  Dichter  in  einer  alten  Chronik  oder  Urkunde 
auffinde;  denn,  da  derselbe  Name  so  und  so  oft  in  derselben 
Epoche  bei  verschiedenen  Personen  wiederkehren  konnte  und  noto- 
risch wiedergekehrt  ist,  so  hat  man,  wo  nicht  andere  Umstände 
dazu  kommen,  damit  noch  kein  Recht,  die  aufgespürte  historische 
Persönlichkeit  mit  dem  betreffenden  Dichter  zu  identifiziren.  Da- 
her ist  es  zwar  möglich,  aber  durchaus  nicht  sicher,  dass  Rugieri 
d'Amici,  von  welchem  wir  übrigens  nicht  ein  einziges  unbestritte- 
nes  Gedicht  besitzen3),   eben  jener  Rogerius  de  Aniieis   sei,  den 

J)  IV,  p.  409  f. 

2)  1.  c.  p.  58  f. 

3)  Die  beiden  bei  D'Anc.  XVII  u.  XIX  stehen  in  P  (p.  92),  und  bei 
Val.  I,  485  u.  475,  als  von  Buonagiunta,  und  wiederum  das  Gedicht,  welches 
P,  ib.  und  Val.  I,  425  Rugieri  zuschreiben,  steht  in  A  als  von  Jacopo  Mostacci, 
D'Anc.  XLVI.  Endlich  schreibt,  nach  Molteni  [Giorn.  di  Fü.  lvmi.  I,  51) 
die  Redianischc  Hs.  Rugieri:  Giä  Iwngiamente  amore,  zu.  das  nach  1'  p.  '.'l 
von  Jacopo  da  Lentini,  und  so  Val.  I,  28o,  nach  A,  111.  von  Tiberto  Galli- 
ziani  aus  Pisa. 


—     12     - 

Friedrich  II  um  1240 — 1242  in  hohen  Staatsämtern  und  als  Ge- 
sandten bei  den  sarazenischen  Fürsten  verwendete.1) 

Von  einem  Dichter  endlich  glaubt  man,  ausser  seinen  Can- 
zonen  auch  noch  ein  anderes  Werk  und  in  demselben  eine,  bei 
dem  Mangel  an  sicheren  Daten,  sehr  erwünschte  genaue  Zeitbestim- 
mung zu  besitzen,  nämlich  von  dem  Giudice  Guido  delle  Culonne. 
Ein  Guido  de  Columna,  judex  genannt  gerade  wie  der  Dichter, 
ist  der  Verfasser  der  im  Mittelalter  viel  gelesenen  und  oft  über- 
setzten lateinischen  Historia  Trojana,  an  deren  Ende  sich  die  Er- 
klärung des  Autors  befindet,  dass  er  das  erste  Buch  seines  Werkes 
auf  Antrieb  des  (1272  gestorbenen)  Erzbischofs  Matteo  della  Porta 
von  Salerno  geschrieben,  nach  dessen  Tod  aber  die  Arbeit  unter- 
brochen und  erst  lange  nachher  zu  Ende  geführt  habe.  Hierauf 
folgt  dann  noch  die  Bemerkung:  Factum  est  presens  opus  a  iudice 
Guidone  de  Messana  Anno  dominiee  incarnationis  Millesimo  du- 
centesimo  octuagesimo  septimo  ejusdem  prime  indictionis.  Guido 
hätte  also  noch  1287,  oder,  sollte  die  letzte  Bemerkung  nicht  von 
ihm  selbst  herrühren 2),  wenigstens  noch  lange  nach  1272  gelebt. 
Gerade  aber  dieses  Datum  will  nicht  allzu  gut  mit  der  Epoche 
stimmen,  welche  man  im  Allgemeinen  für  das  Bestehen  der  Hof- 
dichtung in  Sicilien  annehmen  muss,  nämlich  der  Regierungszeit 
Friedrichs  und  Manfreds,  wie  Dante  angiebt.  Guido  könnte  zwar 
wohl  die  Blüthe  der  Schule  überdauert  haben;  er  könnte  auch  in 
der  Jugend  gedichtet  und  dann  im  Alter  seine  lateinische  Erzäh- 
lung verfasst  haben.  Aber  auch  ein  dritter  Fall  ist  nicht  ausge- 
schlossen, dass  nämlich  der  Autor  der  Historia  Trojana  eine  an- 
dere Person,   vielleicht  ein  Sohn  des  älteren  Guido  delle  Colonne 


J)  Huillard-Breholles,  Historia  Dvplomatica  Friderici  II,  Paris,  1859, 
vol.  I,  p.  CCCLXI  u.  CDXIV.  Auf  ihn  vorwies  D'Ancona  in  den  Giunte  zu 
p.  39.  Grion,  Serventese,  p.  6,  citirt  eine  Stelle  aus  einer  ungedruckten 
Chronik,  wo  im  Jahre  1240  Rogcrius  di  Amico  als  dux  et  vicarius  exercitus 
gegen  den  Saladin  genannt  wird. 

2)  Dass  sie  von  Guido  selbst  herrühre,  glaubt  Mussana,  Sirflc  Versioni 
Italiane  della  Storia  Trojana,  Vienna,  1871,  p.  3,  n.  2.  Die  Ansicht  Fos- 
colo's,  Opere,  X,  161,  das  Datum  sei  von  einem  Copisten  hinzugefügt  wor- 
den, hat  ihren  Grund  in  einem  Missverständniss. 


—     13     — 

gewesen;  die  Vererbung  des  Vornamens  und  des  Standes  hat  ja 
in  jener  Zeit,  vorzüglich  in  adeligen  Familien  nichts  Befremdliches, 
und,  um  ein  naheliegendes  Beispiel  anzuführen,  Guido  Guinicelli 
hatte  einen  Sohn,  welcher  ebenfalls  Guido  hiess,  und  wenn  Gae- 
tano  Monti  (bei  Fantuzzi)  nicht  den  letzteren,  sondern  den  Vater 
für  den  Dichter  erklärte,  so  geschah  es  nur,  weil  der  Sohn  im 
Jahre  1300  noch  lebte,  als  Dante  den  Dichter  schon  im  Purgato- 
rium  fand. 

So  bleibt  also  von  Allem  dem,  was  Mongitore,  Crescimbeni, 
Xannucci  über  diese  Dichter  gesagt  haben,  gar  nichts  Positives 
übrig.  Sie  selbst  verweisen  immer  von  neuem  auf  Beinbo,  Ubal- 
dini,  Allacci,  Redi,  Vincenzo  Auria,  oder  den  älteren  Brief  Lorenzo 
de'  Medici's;  aber  an  allen  diesen  Stellen  findet  man  eben  auch 
nichts  weiter  als  nackte  Namenregister.  Quadrio  *)  hat  die  lange 
Autorenliste  bei  Allacci  zu  vereinfachen  gesucht,  indem  er  mehr- 
fach ein  und  dieselbe  Person  mit  veränderter  Bezeichnung  wieder- 
zufinden glaubte.  Hie  und  da  hatte  er  gewiss  Recht;  oft  aber 
bleibt  es  auch  bei  leeren  Vermuthungen.  Borgognoni  hat  jüngst  diese 
Identifizirungsversuche  fortgesetzt2).  Er  vermuthet,  Rugieri  d'Amici, 
Rugieri  Apugliese  und  Rugerone  da  Palermo  seien  alle  drei  ein 
und  derselbe;  Jacopo  d'Aquino  sei  identisch  mit  Jacopo  Mostacci, 
Giacomino  Pugliese  mit  Jacopo  da  Lentini.  Allein,  da  wir  stets 
von  den  einen  so  viel  wissen  wie  von  den  andern,  nämlich  gar- 
nichts,  so  bleiben  diese  Zusammenstellungen  durchaus  müssig;  es 
ist  zwar  bequem,  Vermuthungen  aufzustellen,  und  dann  die  Ge- 
lehrten Siciliens  zur  Prüfung  aufzufordern,  ob  es  sich  so  ver- 
halte; aber  Fragen  und  Suppositionen  von  Möglichkeiten,  die  ebenso 
gut  auch  nicht  sein  können,  bilden  doch  noch  keine  Bereicherung 
unserer  Kenntnisse. 

Für  die  chronologische  Bestimmung  der  provenzalischen  Dich- 
ter und  ihrer  Werke  haben  gewöhnlich  besser  als  die  alten  Bio- 
graphieen  die  Anspielungen  auf  historische  Begebenheiten  gedient. 
welche    sich    in    ihren   Liedern    selbst    finden.     Dieses    Mittel    der 


1)  Della  Storia  e  dellu  Ragione  (Vogni  Poesia.   vol.  II.  parte  I.  p   159  Bf. 

'2j  1.  c.  p.  46  ff. 


—    14    — 

Bestimmung  fehlt  nun  bei  den  Sicilianern  fast  gänzlich;   wo  hier 

auf   geschichtliche   Ereignisse    hingedeutet    wird,    wie    in   Rinaldo 

d'Aquino's  auf  einen  Kreuzzug  bezüglichem  Gedicht,  geschieht  es 

in   zu    allgemeiner   Weise,    als  dass  man    den    genauen   Zeitpunkt 

daraus    erschliessen    könnte     Nur    eine   Anspielung  von  grösserer 

Präcision  scheint  sich  zu   finden,  oämlich  in  der  Canzone  des  Ja- 

cop<>  da  Lentini:  Ben  wüe  venuto  prima  al  cor  doglienm,  D'Anc. 

\  ii.  33  ff. 

Yoi  so  che  sete  sanza  pereepenza 

Como  Florenza  ■ — ■  ched  orgoglio  sente. 

Guardate  a  Pisa,  c'ä  grau  couoscenza, 

(he  fugge  'ntenza  —   d'orgogliosa  gente. 

Giä  lungiamente  —   orgoglio  v'ä  'n  balia; 

Melana  lo  carroccio  par  che  sia. 
Borgognoni  (1.  c.  p.  52)  liest  hier  offenbar  richtig: 

Melan  a  lo  carroccio  par  che  sia. 
wobei  sieh  dann  folgender  Sinn  der  Stelle  ergiebt:  „Ihr  seid,  ich 
weiss  es,  ohne  Einsicht  wie  Florenz,  welches  Stolz  fühlt.  Schauet 
doch  auf  Pisa,  das  grosse  Klugheit  besitzt,  und  das  die  Bestre- 
bungen der  Hochmüthigen  meidet.  Schon  lange  hat  Stolz  euch 
in  seiner  Gewalt;  man  meint  Mailand  mit  seinem  Carroccio  zu 
sehen  (wenn  man  euch  betrachtet)."  Man  erkennt  also  hier  deut- 
lich den  gibellinischen  Dichter  an  Friedrichs  Hofe;  Pisa,  das  stets 
auf  Seiten  des  Kaisers  stand,  wird  gepriesen,  Florenz  und  Mailand 
der  Ueberhebung  beschuldigt.  Borgognoni  bezog  die  Andeutung 
auf  die  Zeit  zwischen  1245  und  1249,  in  dem  Kriege  nach  dein 
C  ncil  von  Lyon.  Aber  der  Ausdruck  Milano  allo  ch-ro<rio  scheint 
auf  einen  Zeitpunkt  zu  deuten,  zu  dem  dieser  Bannerwagen  der 
.Mailänder  eine  besondere  Rolle  gespielt  hat.  Dieses  war  nun  der 
Fall  in  der  Schlacht  von  Cortenuova  1237,  in  welcher  die  Mai- 
länder und  ihre  Verbündeten  geschlagen  wurden,  und  der  erbeu- 
tete Carroccio  das  Haupttriumpheszeichen  Friedrichs  bildete,  so 
dass  er  denselben  als  solches  an  die  Römer  sandte,  und  einige 
Cardinäle  seiner  Partei  ihn  auf  dem  Capitol  aufstellten,  während 
die  Guelfen  ihn  in  Brand  zu  stecken  suchten x). 

1    Huillard-Breholles,  1.  c.  p.  CDLIV. 


—     15     — 

Als,  wie  es  wenigstens  sehr  wahrscheinlich  ist,  die  alte  Lyrik 
im  Süden  mit  dem  Hofe  der  hohenstaufischen  Herrscher  selber 
erstarb,  hatte  sie  schon  seit  einiger  Zeit  die  neue  Stätte  gefunden, 
an  der  sie  nun  fortlebte.  Ueber  den  Weg.  welchen  die  poetische 
Tradition  genommen  hat,  kann  man  nicht  im  Zweifel  sein;  offen- 
bar ward  sie  zuerst  nach  Toscana  verpflanzt.  Guittone  von  Arezzo 
dichtete  schon  im  Jahre  1260  sein  Lied  auf  die  Schlacht  von 
Monteaperti  (Canz.  XLI);  Monte  Andrea,  Cione  Notajo,  Orlandino 
Orafo  und  andere  Florentiner  beschäftigten  sich  in  Sonetten  mit 
den  Ereignissen  des  Jahres  1268.  Durch  Guittone  aber  bestimmt 
sich  sogleich  die  Epoche  vieler  anderer  toscanischer  Dichter  mit, 
welche  in  poetischer  oder  prosaischer  Correspondenz  mit  ihm  stan- 
den, so  des  Meo  Abbracciavacca  von  Pistoja,  des  Bacciarone  di 
Messer  Baccone  von  Pisa,  an  welchen  Guittone's  Brief  XXVII  ge- 
richtet ist.  und  durch  diesen  wissen  wir  dann  auch  ungefähr  die 
Zeit  des  Pannuccio  dal  Bagno,  des  Lotto  di  Ser  Dato  und  anderer 
Pisaner,  die  mit  ihm  in  Verbindung  stehen.  Mit  Meo  Abbraccia- 
vacca correspondirt  wieder  Dotto  Reali  aus  -Lucca  (Guittone,  Let- 
tere,  XXXIV  ff.)  mit  Monte  Andrea  Chiaro  Davanzati,  und  so  er- 
hält man  durch  diese  zahlreichen  Correspondenzen  noch  für  manche 
Andere  wenigstens  die  Sicherheit,  dass  sie  derselben  Periode  ange- 
hören; freilich  genauere  Daten  fehlen  auch  hier,  und  die  Einzel- 
nen konnten  wohl  erheblich  jünger  sein  als  Guittone,  welcher  erst 
1 294  starb  *),  und  der  ihnen  allgemein  als  Meister  galt.  Und  als 
seinen  Meistor  bezeichnet  ihn  auch  ehrfurchtsvoll  Guido  Gninicelli 
von  Bologna  in  einem  Sonette,  mit  dem  er  ihm  eine  Canzone  zur 
Verbesserung  übersendet  (Val.  I,  101);  er  nennt  ihn  da  seinen  lieben 
Vater,  und  Guittone  antwortete  ihm  (Son.  150)  väterlich  als  ein 
älterer  Mann.  Dieses  deutet  darauf,  dass  die  Bologncsen  die  poe- 
tische Tradition  eben  aus  Toscana  erhalten  haben,  und  damit 
stimmen  die  wenigen,  aber  zuverlässigen  biographischen  Nachrichten, 
welche  Gaetano  Monti  über  die  bolognesischen  Dichter  zu  sam- 
meln vermochte2);   denn   sie  weisen   dieselben   alle   in    eine   etwas 


>)  Tiraboschi,  Stör.  Lett.  IV,  401. 

-    bei  Fantuzzij  Notizie  degli  Scrittori  Bolognesi. 


—     16     — 

jüngere  Zeit  wenigstens  als  Guittone  selbst.  Endlich  scheint  sich 
dieses  auch  in  der  Sprache  dieser  Dichter  zu  bestätigen,  welche 
bereits  toscanische  Beeinflussung  zeigt. 

Die  Einwirkung  der  provenzalischen  Literatur  ist  bei  den 
toscanischen  Dichtern  dieser  Schule  sicherlich  keine  geringere  ge- 
wesen  als  bei  ihren  Vorgängern  in  Süditalien;  ja  dieselbe  hat  sich 
sogar  direkt  erneuert  und  verstärkt,  wohl  im  Zusammenhange  mit 
der  Thronbesteigung  Karls  von  Anjou  und  seiner  provenzalischen 
Gemahlin,  in  deren  Gefolge  auch  wieder  Troubadours,  wie  Rainion 
Feraut,  der  spätere  Verfasser  der  Legende  von  St.  Honorat,  nach 
Italien  kamen.  So  zeigt  Guittone  von  Arezzo  in  Styl  und  Sprache 
deutlicher  als  irgend  einer  das  Studium  der  Provenzalen;  er  citirt 
sie  mehrfach  in  seinen  Briefen.,  und,  wo  er  einmal  (Lctt.  p.  58) 
eine  Stelle  von  Peire  Vidal  anführt,  da  sieht  man  aus  der  Genauig- 
keit der  Uebersetzung,  wie  wohl  er  mit  der  fremden  Sprache  ver- 
traut war.  Von  Messer  Migliore  degli  Abati,  einem  florentinisclien 
Dichter,  von  dem  ein  ungedrucktes  Sonett  in  A  (343),  und,  wenn 
er,  wie  Trucchi  glaubte,  identisch  ist  mit  Maestro  Migliore,  auch 
verschiedene  andere  gedruckte  sind,  berichten  die  Cento  Novelle 
(in*  79),  er  habe  vortrefflich  provenzalisch  gesprochen.  Guittone, 
um  den  Tod  des  Frate  Giacomo  da  Leona 1)  klagend,  rühmt  von 
ihm  (Ganz.  XXII): 

Francesca  lingua  e  provenzal  labore 
l'iü  dell'  Artina  e  bono  in  te,  che  chiara 
La  parlasti  e  trovasti  iu  modi  tutti. 
Von  Dante  da  Majano  sind  sogar  zwei  Sonette  in  provenzalischer 
Sprache  erhalten.    Ja  eine  der  beiden  alten  provenzalischen  Gram- 
matiken, der  Donatz   Proensals,   ist  wahrscheinlich  um  diese  Zeit 
in  Italien  und  speziell  zum  Gebrauche  für  Italiener  verfasst  worden; 
sie  ist   gewidmet  einem  Jacobus  de  Mora  und  einem  Conradus  de 
Sterleto,  und,  wie  Galvani  vermuthete,  dürfte  der  letztere  identisch 
sein  mit   dem  gleichnamigen  Gönner  Guittone's,   an   den   sich   das 
Geleit  von  Canzone  XXV  richtet,  während  den  Namen  des  ersteren 


1    Er  ist   Avolil   eine  Person   mit   dem  Ser  Jacopo  da  Leona,  von   dem 
drei  Sonette  bei  Trucchi,  I.  14!>  ff. 


-    17    — 

derselbe  Galvani  unter  denen  der  Anziani  von  Pisa  im  Jahre  1264 
fand 1). 

Der  poetische  Werth  der  ältesten  italienischen  Lyrik  konnte, 
bei  dem  Mangel  der  Originalität,  kein  bedeutender  sein.  Wir 
haben  hier  eben  eine  junge  Literatur,  welche  doch  bei  ihrer  Ent- 
stehung schon  die  Züge  der  Greisenhaftigkeit  und  des  Verfalls  an 
sich  trägt,  weil  sie  sich  in  völliger  Abhängigkeit  befindet  von  einer 
anderen  schon  lange  erwachsenen  und  raffinirten.  Die  sicilianische 
Dichterschule  hat  die  Poesie  der  Troubadours  in  einer  anderen 
Sprache  und  theilweise  mit  veränderter  äusserer  Form  nachgeahmt; 
der  Gehalt  ist  derselbe  geblieben  und  nur  um  vieles  ärmlicher 
geworden.  Die  neue  Sprache  übte  hier  keinen  erfrischenden  Ein- 
fluss;  sie  war  wirklich  nur  ein  anderes  Gewand,  das  man  dem 
alten  Gegenstand  äusserlich  umgehängt,  und  bei  dieser  Neuerung 
hat  die  Poesie  an  ästhetischem  Werthe  nichts  gewinnen  können; 
im  Gegentheil  verlor  sie  in  dem  noch  ungeschickten  und  schwer- 
fälligen Idiom  die  Anmuth  und  Zierlichkeit,  welche  sie  unzweifel- 
haft in  dem  ursprünglichen  besessen  hatte.  Der  Gegenstand,  an 
dem  sich  die  provenzalische  Dichtung  erschöpfte,  die  ritterliche 
Liebe,  erscheint  hier  wieder  in  derselben  Gestalt,  welche  ihr  dort 
einmal  typisch  geworden  war.  Die  Liebe  ist  demüthige,  anbetende 
Verehrung  der  Dame;  sie  stellt  sich  dar  als  ein  Dienen  und  Ge- 
horchen, als  das  Verhältniss  des  Vasallen  zu  seinem  Lehensherrn; 
die  Dame,  mit  allen  Trefflichkeiten  und  Reizen  geschmückt,  steht 
hoch  über  dem  Liebhaber,  der  Gnade  flehend  sich  vor  ihr  neigt; 


l)  s.  hierüber  „Die  beiden  ältesten  provenzal.  Grammatiken",  publizirt 
von  E.  Stengel,  Marburg,  1878,  p.  131.  Die  eine  Handschrift  hat  am  Schlüsse 
die  Bemerkung:  „librum  composui  preeibus  Jacobi  de  Mora  et  domini  Corani 
Zhuchii  de  Sterlleto",  ib.  p.  66.  Bei  Nannucci  fand  Galvani  den  Namen  in 
der  Form  Corrado  d'Ostcrletto;  aber  in  der  Ausgabe  des  Guittone  von  Va- 
leriana steht  geradezu  Corrado  da  Sterleto  wie  im  Donat.  Stengel  in  jener 
seiner  neuen  Ausgabe  der  provenzalischen  Grammatiken,  p.  XX,  schliesst 
sich  Galvani's  Meinung  nur  theilweise  an;  er  giebt  zwar  zu,  dass  der  Damit: 
in  Italien  verfasst  sei,  glaubt  aber,  nach  der  Sprache  urtheilend,  ihn  noch 
in's  12.  Jahrb..  setzen  zu  müssen.  Ob  es  aber  wahrscheinlich,  dass  in  so 
früher  Zeit  in  Italien  eine  provenzalische  Grammatik  für  Italiener  verfassl 
worden? 

2 


—     18    — 

er  ist  unwürdig,  ihr  zu  dienen,  aber  feine  Minne  gleicht  alle  Unter- 
schiede  aus:  die  Dame  ist  grausam  und  lässt  ihn  vergehlieh  schmach- 
ten, so  dass  ihn  seine  Schmerzen  zum  Tode  fahren;  aber  er  darf 
nicht  aufhören,  sie  zu  lieben;  denn  von  Minne  kommt  aller  Werth 
und  alle  Tüchtigkeit;  er  muss  ausharren;  denn  treuer  Dienst  führt 
ihn  endlich  an's  Ziel,  und  leidet  und  stirbt  er,  so  ist  es  ihm  Ruhm 
und  Ehre,  da  es  für  die  Herrlichste  geschieht.  Dieser  Ideenkreis, 
in  welchem  sich  die  provenzalische  Liehespoesie  bewegt,  hatte 
schon  in  ihr  selbst  Conventionalismus  und  Monotonie  hervorge- 
bracht;  in  seiner  typischen  Wiederholung  verhinderte  er  das  freie 
Hervorbrechen  der  Individualität:  es  war.  wie  Diez  sagte,  mehr  eine 
Poesie  des  Verstandes  als  des  Gemüthes.  Aber  in  der  Provence 
gründeten  sich  doch  diese  Ideeen  auf  etwas  Reales,  dort  hatten  sie 
sich  entwickelt  und  spiegelten  eine  Seite  des  wirklichen  Lebens, 
oder  hatten  sie  wenigstens  ehedem  gespiegelt.  Deswegen  fehlt 
wenigstens  in  den  älteren  dichterischen  Versuchen  nicht  eine  ge- 
wisse  "Wärme,  und  die  beständige  Wiederkehr  desselben  Gehaltes 
wird  oft  erträglich  durch  die  Feinheit  und  Zartheit,  mit  denen  er 
behandelt  worden  ist.  In  Italien  war  es  anders:  hier  entsprach 
der  gesellschaftliche  Zustand  jenem  Gehalt  der  Dichtung  durchaus 
nicht;  es  waren  von  aussen  her  gekommene  Ideeen,  welche  sich 
nicht  mehr  auf  ihrem  natürlichen  Boden  befanden.  Das  Ritter- 
thum,  die  sociale  Gestaltung,  welche  seit  den  Kreuzzügen  im  Le- 
ben der  anderen  Nationen  eine  so  wichtige  Rolle  spielte,  hat  in 
Italien  nie  eine  nationale  Grundlage  gehabt:  bisweilen  kam  es 
wohl  zum  Vorschein  an  den  Höfen;  man  gab  Feste  und  veranstal- 
tete Turniere,  man  stellte  sich  verliebt  nach  der  Weise  der 
Troubadours  und  sang  von  Liebe  nach  ihrer  Manier:  aber  Alles 
das  war  nur  künstlich,  und,  da  es  keine  tieferen  Wurzeln  hatte, 
so  musste  es  bald  wieder  verschwinden;  es  war  eine  Nachahmung 
fremder  Sitten,  hinter  der  in  Wirklichkeit  aber  etwas  ganz  anderes 
steckte.  Das  wahrhaft  nationale  Element  war  in  direktem  Wider- 
spruche mit  dem  feudalen  und  ritterlichen  Geiste  und  den  socia- 
len Bildungen,  die  er  hervorgebracht:  es  war  der  Municipalismus, 
der  Geist  der  freien  Commune,  und  erst,  als  dieser  die  Herrschaft 
errang,   erschloss   sich  auch  die  Blüthe  eines  selbständigen  litera- 


—     19     — 

rischen  Lebens.  Und  liiezu  kam  endlich  noch  eines:  als  die  pro- 
venzalische  Poesie  in  Italien  neue  Früchte  tragen  sollte,  da  hatte 
sie  selbst  die  Zeit  ihrer  Reife  schon  überschritten  und  war  einem 
schnellen  Verfalle  preisgegeben. 

Was  konnte  unter  diesen  Umständen  die  älteste  italienische 
Lyrik  werden?  Gesuchte  und  künstliche  Ideeen  in  unbehilflicher 
Sprache,  Gedanken  und  Gefühle,  welche  nicht  mit  der  Realität  im 
Einklänge  standen,  die  sich  mit  keinem  eigenen  Affekte  im  Inneren 
des  Dichters  verknüpften.  Daher  wird  nicht  allein  die  Gestalt  der 
Dame  zu  einer  leeren  Abstraktion,  sondern  auch  die  Persönlich- 
keit des  Dichters  selber  verschwindet.  In  der  ganzen  Reihe  der 
uns  überlieferten  Gedichte  ist  es  ziemlich  gleich  giltig,  welcher 
Name  an  der  Spitze  des  einen  oder  des  anderen  stehe;  gewisse 
Unterschiede  sind  wohl  vorhanden,  aber  alle  diese  rein  äusserlich, 
kein  Zug,  der  eine  Individualität  des  Dichters  zeigte.  Und  den- 
noch fehlte  es  unter  den  Verfassern  gewiss  nicht  an  interessanten 
und  bedeutenden  Persönlichkeiten.  Man  denke  nur  an  Friedrichs  II 
buntes  und  stürmisches  Leben,  an  seine  Kriege  gegen  die  Päpste 
und  die  lombardischen  Städte,  an  seinen  Zug  in's  heilige  Land, 
oder  an  den  blonden  König  Enzo  und  seine  zweiundzwanzigj ährige 
Haft  im  Kerker  der  Bolognesen;  man  denke  endlich  an  Pier  delle 
Vigne,  Friedrichs  allmächtigen  Kanzler,  an  seinen  jähen  Sturz  in 
die  Tiefe  des  Elendes,  das  ihn  trieb,  sein  Dasein  mit  eigener  Hand 
zu  enden,  eine  hochpoetische  Gestalt,  wie  sie  uns  in  der  Göttlichen 
Comödie  erscheint.  Aber  welche  Enttäuschung,  wenn  wir  die 
eigenen  Gedichte  dieser  Männer  in  die  Hand  nehmen!  Und  wenn 
nun  ihr  Leben  so  reich  an  Poesie  war,  und  ihre  Verse  so  arm 
daran  sind,  so  war  der  Grund  eben  der,  dass,  wenn  sie  sich  an- 
schickten, von  Liebe  zu  singen,  sie  zuerst  ihre  eigene  Persönlich- 
keit auszogen  und  nach  einem  gemeinsamen  Typus  dichteten,  wel- 
cher mit  ihren  individuellen  Empfindungen  nichts   zu   thun    hatte. 

Die  Troubadours  nahmen  lebhaften  Antheil  an  den  Welt- 
händeln; sie  hatten  neben  ihrer  Liebespoesie  politische  und  sati- 
rische Gedichte,  und  diese  waren,  wenigstens  in  der  Zeit  der  De- 
cadenz,  der  interessantere  Theil  ihrer  Literatur,  mannichfaltiger 
im  Inhalt,  näher  der  Wirklichkeit  und  ihren  Leidenschaften,  und 


—     20     — 

konnten  nie  zu  solchem  Grade  der  Convcntionalität  und  Seichtig- 
keit  gelangen  we  die  unablässig  nach  demselben  Tone  wiederholte 
Liebesklagc.  Die  provenzalisch  dichtenden  Italiener  des  Nordens 
nahmen  diese  Dichtungsgattung  mit  Erfolg  auf;  Sordel's  Satire  auf 
die  Fürsten  bei  Gelegenheit  von  Blacatz'  Tode  ist  das  hervor- 
ragendste seiner  Gedichte;  Lanfranc  Cigala's  Serventes  gegen  den 
Markgrafen  von  Monferrat,  Peire  de  Caravana's  Aufreizung  der 
Lombarden  gegen  Kaiser  Friedrich  sind  voll  warmer  Leidenschaft- 
lichkeit; in  den  Gedichten  Bonifacio  Calvo's  und  Bartolommeo 
Zorgi's  spiegelt  sich  lebendig  der  alte  Hass  der  beiden  Seerepu- 
bliken Genua  und  Venedig  gegen  einander.  Die  Sicilianer  hin- 
gegen, die  sich  sonst  so  nahe  ihren  Mustern  hielten,  haben  sich, 
soweit  man  nach  den  erhaltenen  Denkmälern  urtheilen  kann,  von 
ihnen  gerade  hier  entfernt,  wo  die  Nacheiferung  am  ersten  hätte 
fruchtbar  werden  können,  und,  zum  Schaden  ihrer  Dichtung,  schei- 
nen sie  sieh  nur  mit  der  Liebespoesie  beschäftigt  zu  haben.  Die 
einzigen  Ausnahmen  sind  zwei  dürre  Moralisationen  unter  dem 
Namen  des  Inghilfredi  Siciliano: 

Conoscenza  penosa  e  angosciosa.     Val.  I,  138. 
eine    der    auch    in   provenzalischen    Serventesen    so    gewöhnlichen 
Klagen  über  den  Verfall  der  Zeit,  und 

Greve  puot'  uom  piacere  a  tutta  gente.    ib.  144. 
eine  Klage  über   die  Herrschaft  der  Thoren  in   der  Welt;    ferner 
das    moralisirende  Sonett  von   König  Enzo   (Val.  I,  177)    und    ein 
anderes  solches  von  Mazzeo  Ricco  (ib.  334). 

Diese  Zurückhaltung  von  einer  Gattung,  welche  bei  ihren 
Vorbildern  einen  so  bedeutenden  Platz  einnahm,  ist  schwerlich 
eine  bloss  zufällige;  vielmehr  hatte  sie  wohl  ihren  Grund  in  jener 
eigenthümlichen  Auffassung  von  Zweck  und  Stellung  der  Vulgär- 
sprache gegenüber  dem  Lateinischen,  welche  in  Italien  lange  Zeit 
herrschend  gewesen  ist.  Als  Dante  in  seiner  Jugend  noch  an  dem 
allgemeinen  Vorurtheil  in  Bezug  auf  die  Sprache  Theil  nahm,  von 
welchem  er  selbst  übrigens,  trotz  seiner  späteren  eifrigen  Verthei- 
digung  des  volgare,  sich  nie  ganz  befreit  hat,  schrieb  er  in  seiner 
Vita  Nuova  (XXV):  „lo  primo,  ehr  commeib  a  dire  siecome  poeta 
volgare,  si  mosse  perb  che   volle  (<<><■  intendere  h1  sue  parole  a 


—     21     — 

donna,  alla  quäle  era  mdlagevole  ad  intendere  i  versi  latini.  E 
questo  e  contro  a  coloro,  che  rimano  sopra  altra  materia  che 
amorosa;  conciossiacosache  cotal  modo  di  parlare  fosse  dal  prin- 
cipio  trovabo  per  dire  d'Amore."  So  also  mochten,  fünfzig  Jahre 
vorher,  auch  die  Sicilianer  denken.  Die  Dichter  waren,  soweit 
man  ihren  Stand  kennt,  hochstehende  und  gelehrte  Männer,  Fürsten, 
Richter  und  Notare;  sie  waren  gewohnt  sich  des  Lateinischen  zu 
bedienen,  wie  es  natürlich  auch  Pier  delle  Vigne  in  seinen  Briefen 
that.  Im  volgare  sangen  sie  nur  von  Liebe  zu  wirklichen  oder 
fingirten  Damen.  Von  Pier  delle  Vigne  ist  sogar  eine  lange  latei- 
nische Poesie  erhalten,  eine  heftige  Satire  gegen  die  lasterhaften 
Mönche,  Avelche  sich  in  die  Händel  der  Welt  mischen  und  zu 
ihrem  Vortheil  den  Unfrieden  zwischen  Kaiser  und  Papst  an- 
stiften1). Es  ist  ein  Gedicht  im  volksthümlichen  Tone,  offenbar 
auf  grosse  Publizität  berechnet.  Ein  Provenzale  würde  solchen 
Gegenstand  im  vulgare  behandelt  haben,  wie  Guillem  Figueira  es 
that  in  seinem  Serventese  gegen  die  Clerisei  und  den  beiden  an- 
deren auf  die  römische  Curie. 

In  diesem  Punkte  zeigt  sich  jedoch  eine  wichtige  Abweichung 
der  toscanischen  Dichter  von  denen  des  Südens.  Die  ersteren 
haben  von  vornherein  den  poetischen  Stoff  nicht  so  sehr  einge- 
schränkt, und  es  findet  sich  bei  ihnen  weit  mehr,  was  dem  Cha- 
rakter des  provenzalischen  Serventes  entspricht2).  Guittone's  bestes 
Gedicht  ist  ein  echtes  politisches  Serventes,  die  schon  erwähnte 
Satire  auf  die  Florentiner  nach  der  Schlacht  von  Monteaperti 
(Canz.  XLI).  Dagegen  besitzen  sehr  geringe  poetische  Vorzüge 
drei  auf  politische  Begebenheiten  bezügliche  Canzonen  von  Pisa- 
nern, Pannuccio  dal  Bagno's 


*)  Du  Merü,  Poesies  popuhin es  du  moyen  äge,  Paris,  1847,  p.  163— 177. 

2)  Der  Name  Serventese  bezeichnete  später  in  der  italienischen  Dich- 
tung etwas  anderes  als  in  der  provenzalischen;  er  bezog  sich  nicht  sowohl 
auf  den  Gegenstand  als  auf  die  Form.  Nur  einmal  scheint  der  Ausdruck 
im  provenzalischen  Sinne  vorzukommen,  nämlich  Val.  I,  448,  in  dem  Ant- 
wortgedichte des  Lionardo  del  Gualacco  auf  das  des  Gallo  Pisano;  denn  die 
Form  dieses  Gedichtes  stimmt  mit  keiner  der  für  das  Serventese  von  Antonio 
da  Tempo  und  Gidino  da  Sommacampagna  angegebenen,  und  der  Inhalt,  eine 
Schmähung  der  Frauen,   ist  der  des  lüigelicdes. 


_     22     

La  dolorosa  noia.     Val.  I,  356. 
des  Lutto  di  Ser  Dato 

JJclla  fera  Lnfertä  e  angosciosa.     ib.  390. 

und  Bacciarone's 

Sc  doloroso  a  voler  movo  dire.  ib.  112. 
Es  sind  Klagen  über  Xoth  und  Unterdrückung  durch  die  schlechte 
Signoria,  welche  sich  der  Stadt  Pisa  bemächtigt  hat.  Alle  drei 
gehen  ohne  Zweifel  auf  dasselbe  Ereigniss,  und,  wenn  man  be- 
denkt, dass  diese  Dichter  Zeitgenossen  Guittone's  sind,  so  wird 
es  sehr  wahrscheinlich,  dass  dieses  Ereigniss  die  Unterdrückung 
der  gibellinischen  Partei  durch  den  Grafen  Ugolino  (1285)  gewe- 
sen ist,  besonders  da  man  bei  Pannuccio  (p.  358)  liest: 

E  giä  non  e  mostrato 

Che  sol  voler  per  lor  fero  e  mortale, 

II  »male  ha  miso  a  male 

Ed  a  daimo,  volendo,  loro  terra, 

E  perdute  ca Stella  e  piano  in  guerra. 

also  den  Vorwurf  des  Verlustes  der  Castelle,  den  man  allgemein 
Ugolino  und  seiner  Partei  machte.  Aus  Lotto's  Canzone  sieht 
man,  dass  er  selbst  sich  im  Kerker  befand,  und  ebenso  war  es 
Pannuccio  ergangen,  der  in  einem  anderen  Klagegedichte  (Val.  I,  374) 
sich  an  seinen  Vetter  um  Hilfe  wendet.  Diese  Bürger  der  tosca- 
nischen  Communen  waren  selbst  zu  tief  in  die  politischen  Bege- 
benheiten verwickelt,  als  dass  dieselben  in  ihren  Versen  nicht 
hätten  einen  Widerhall  finden  sollen.  Bei  Guittone  zeigen  sich 
noch  viele  andere  Bezüge  auf  die  öffentlichen  Angelegenheiten;  er 
hielt  es  für  sein  Amt,  mächtigen  und  hochstehenden  Persönlich- 
keiten, wie  auch  eben  dem  Grafen  Ugolino  und  dem  Giudice  di 
Gallura  in  Pisa  (Canz.  XXIII),  seine  moralischen  Lehren  zu  er- 
theilen.  In  der  vaticanischen  Handschrift  3793  steht  ferner  eine 
Reihe  interessanter  politischer  tenzonirender  Sonette  von  florenti- 
nischen  Dichtern,  Monte  Andrea,  Orlanduccio  Orafo,  Palamidesse 
Belindore,  Schiatta  di  Messer  Albizzo  Pallavillani,  Ser  Cione  No- 
tajo  und  Beroardo  Notajo.  Sie  sind  noch  nicht  sämmtlich  gedruckt; 
aber    ein  Theil  findet  sich   bei  Trucchi  I,  182  ff.;    acht  derselben 


—     23     — 

nahm  Cherrier  als  ungedruckt  in  seine  Histoire  de  la  lutte  des 
l'iipcs.  etc.1)  auf,  theilweise  in  der  That  noch  unbekannte,  theil- 
weise  aber  dieselben,  welche  schon  Trucchi  mitgetheilt  hatte;  ein 
anderes  Sonett  der  Reihe  hat  endlich  noch  Grion  publizirt2). 
Trucchi  hatte  die  Beziehung  der  Gedichte  fast  durchweg  verkannt, 
während  Cherrier  sie  richtig  auf  die  Erwartung  der  Ankunft  Con- 
radins  und  andere  gleichzeitige  Ereignisse  (1268)  deutete,  die  in 
Toscana  grosse  Aufregung  hervorriefen.  Diese  poetischen  Corre- 
spondenzen  geben  uns  die  verschiedenen  Meinungen  der  ehrsamen 
florentinischen  Notare  über  die  Dinge  der  grossen  Welt  draussen. 
Eine  solche  Art  der  Dichtung  freilich,  welche  sich  mit  realen 
Gegenständen  und  Ereignissen,  mit  den  politischen  Händeln  anstatt 
mit  den  Schmerzen  fingirter  Liebe  beschäftigt,  tritt  auch  schon 
aus  dem  engen  Rahmen  der  ältesten  Lyrik  heraus  und  ist  ein 
bedeutender  Schritt  zur  Selbständigkeit  und  Befreiung  vom  frem- 
den Einfluss;  es  ist  der  Beginn  einer  neuen  literarischen  Richtung, 
deren  weitere  Aeusserungcn  an  anderer  Stelle  in's  Auge  zu  fassen 
sind. 

Um  die  nämliche  Zeit  wie  jene  Sonette  wurde  eine  eigen- 
thümliche  Canzone  geschrieben,  die  in  derselben  Handschrift  A  (166) 
steht,  beginnend: 

Allegramentc  e  con  grande  baldanza. 
mitgetheilt  bei  Trucchi,  79,  und  von  neuem  als  ungedruckt  von 
Cherrier,  p.  531.  Die  vaticanische  Handschrift  nennt  den  Verfasser 
Donna  rigo,  d.  i.  Don  Arrigo,  wozu  Bembo^j  schon  anmerkte  fris 
regis  Mspanie.  Trucchi  wollte  statt  dessen  in  dem  Verfasser 
Heinrich,  den  Sohn  Kaiser  Friedrichs  II,  erkennen;  aber  ihm  hätte 
man  den  spanischen  Titel  Don  schwerlich  gegeben,  und  Don  Arrigo 
ist  vielmehr  eine  ganz  bestimmte,  wohl  bekannte  historische  Per- 
sönlichkeit; man  nannte  so  in  Italien  den  Infanten  Don  Enrique, 
Bruder  König  Alfons'  des  Weisen  und  Vetter  Karls  von  Anjou, 
der  1266  nach  Italien  kam,  zuerst,  mit  Karl  eng  verbunden,  durch 


1)  Paris,  1851,  vol.  IV,   p.  527  ff. 

2)  Pozzo,  p.  46. 

s)  oder  Colocci,  von  dem  nach  Monaci  ijjei  D'Anc.  p.  XXI)  diese  An- 
merkungen in  der  11s.  herrühren. 


—     24     — 

seinen  Beistand  Senator  vmi  Rum  ward,  dann  aber  mit  ihm  zer- 
fiel und  einer  der  hauptsächlichsten  Urheber  und  Unterstützer 
von  Conradins  Zuge  wurde.  An  Conradin  ist  das  Gedicht  gerichtet, 
und  Cherrier  hat  es  als  solches  ganz  richtig  betitelt.  Die  An- 
spielungen in  der  Canzone  sind  so  durchaus  persönlich,  dass  man, 
ohne  die  Situation  dieses  Don  Enrique  zu  kennen,  den  Inhalt  gar 
nicht  versteht,  wie  es  offenbar  Trucchi  ergehen  musste.  So  heisst 
es  z.  B.  str.  IV: 

MEora,  per  deo,  chi  m'  ha  trattato  morte, 

E  chi  tieu  lo  inio  acquisto  in  sua  halia 

C'onie  giudeo  — 
was  sich  darauf  bezieht,  dass  Heinrich  eine  Summe  von  40,000 
Dublonen,  die  er  auf  seinen  früheren  Kriegszügen  erspart,  in  den 
Zeiten  der  Freundschaft  an  Karl  von  Anjou  geliehen  hatte,  und 
dieser  sie  nun  nicht  herausgeben  wollte *).  Nach  der  Siegesfreude, 
welche  das  Gedicht  erfüllt,  und  den  Worten  in  str.  V: 

Alto  valore,  ch'aggio  visto  in  parte, 
muss  die  Canzone  kurz  nach  der  Schlacht  bei  Ponte  a  Valle 
(25.  Juni  1268)  verfasst  sein,  welche  den  Muth  der  Gribellinen 
hoch  anschwellen  liess  und  sie  fest  auf  den  schliesslichen  Erfolg 
vertrauen  machte2).  Auffallen  muss  es  übrigens,  dass  ein  Spanier, 
der  erst  seit  zwei  Jahren  in  Italien  verweilte,  in  der  Sprache 
dieses  Landes  dichtete;  zwrar  wäre,  wenn  der  Re  Giovanni  des 
Gedichtes  D'Anc.  XXIV  wirklich  der  König  von  Jerusalem,  Johann 
von  Brienne  ist,  noch  ein  Ausländer  unter  den  ältesten  italieni- 
schen Dichtern;  aber  sein  Aufenthalt  in  Italien  hatte  doch  wenig- 
stens viel  länger  gedauert. 

Weit  häufiger  als  der  politischen  Poesie  begegnet  man  bei 
den  Toscanern  den  Moralisationen.  Zwei  solche  Gedichte  befinden 
sich  unter  denen  Buonagiunta  Urbiciani's  von  Lucca  (Yal.  I,  479 
u.  494),  andere  dichteten  Monte  Andrea,  Dotto  Reali,  Pannuccio, 
Bacciarone,  und  nur  gar  zu  zahlreich  sind  die  weitschweifigen  und 
trockenen  Moralpredigten  des  frate  gaudente  von  Arezzo.    Beson- 


*)  Cherrier.  1.  c.  IV,  p.  160. 
2)  Giov.  Villani,  VII,  24. 


25     - 

ders  gern  moraiisirte  man  in  den  Sonetten,  in  denen  dann  ein 
immer  wiederkehrender  Gegenstand  die  Lehre  ist,  wie  man  sich 
beim  Grliickswechsel  gleichmüthig  verhalten  und  in  günstiger  Lage 
nicht  übermüthig  werden  soll,  wie  in  Buonagiunta's 

De'  uomo  alla  fortuna  eon  coraggio.     Yal.  I,  513. 
und 

Qual  uomo  e  in  su  la  rota  per  Ventura,     ib.  515. 

oder  den  beiden  des  Pucciarello  von  Florenz,  Yal.  II,  218  f.  Auch 
diese  moralisirende  Dichtung,  so  wenig  absoluten  poetischen  Werth 
sie  besitzen  mag,  ist  doch  immer,  insofern  sie  mit  realen  Inter- 
essen des  Lebens  in  Verbindung  steht,  ein  Schritt  über  die  Gren- 
zen der  alten  Schule  hinaus,  deren  typische  Formeln  hier  ihre 
Anwendbarkeit  verloren,  und  der  Keim  für  eine  neue  und  selb- 
ständige Elitwickelung. 


II. 

Der  Einfluss  der  provenzalischen  Poesie. 

Dass  die  Nachahmung  der  Provenzalen  in  Italien  zuweilen 
bis  zu  direkter  Entlehnung  bestimmter  Gedichte,  mit  geringerer 
oder  stärkerer  Modifikation,  gegangen  ist,  das  vermochte  schon 
Diez  wenigstens  an  einem- Beispiel  nachzuweisen1),  nämlich  dem 
Sonette  des  Messer  Polo  von  Amore  dem  Räuber  (Yal.  I,  128), 
welches  nichts  anderes  ist  als  die  Bearbeitung  einer  Strophe  aus 
Perdigon's  Gedicht:  Tot  Vau  mi  ten  amors  d'aital  faisso  (Choix, 
III,  348).  Nannucci  hat  gleichfalls  die  beiden  Gedichte  zusammen- 
gestellt2), offenbar  ohne  von  Diez'  Yorgange  etwas  zu  wissen. 
Unter  den  Liedern,  welche  Diez  noch  nicht  bekannt  sein  konnten, 
findet  sich  noch  mehreres  derselben  x\.rt.  Die  45.  Canzone  des 
Cod.  Yat.  3793,  die  dem  Jacopo  Mostacci  aus  Pisa  beigelegt  wird     . 


*)  Poesie  der  Troubadours,  p.  l'TT. 

2)  iu  der  2.  Ausgabe  seines  Manuale,  I,  523  f. 

s)  gedruckt  bei  Grion,  Pozzu,  31,  und  D'Anc.  XLY. 


—     26     - 

ist  in  den  ersten  drei  Strophen  die  sehr  genaue  Nachahmung 
eines  provenzalischen  Liedes,  welches  beginnt:  Longa  sason  ai  estat 
vas  amor,  und  welche  in  den  Handschriften  einer  ganzen  Reihe 
verschiedener  Dichter  zugeschrieben  wird1).  Das  italienische  Ge- 
dicht findet  sich  übrigens  auch  in  der  palatinischen  Handschrift, 
und  ist  daraus  abgedruckt  bei  Palermo,  II,  89  f.,  theilweise  in  einer 
besseren  Lesart  als  die  vaticanische,  so  dass  sich  durch  Vergleichung 
beider  und  mit  Hilfe  des  Originals  der  Text  in  leidlicher  Correkt- 
heit  herstellen  lässt.  Es  folge  hier  zunächst  die  provenzalische 
Canzone2): 

1.  Longa  sazon  ai  estat  vas  amor 
Humils  e  francs  et  ai  fait  son  coman 

En  tot  quan  puec,  qu'anc  per  negun  afan 
Qu'ieu  en  sofris  ni  per  nulha  dolor 
De  lieis  amar  non  parti  mon  coratge, 
Vas  cui  m'era  rendutz  de  bon  talan, 
Tro  qu'ieu  conuc3)  en  lieis  un  fol  usatge, 
De  quem  dechai  e  m'a  camjat  mon  sen. 

2.  Agut  m'agra4)  per  leial  servidor; 
Mas  tan  la  vei  adouar  ab  enjan, 

Per  que  s'amors  noni  platz  deserenan, 
Nim  pot  far  be,  qu'ieu  en  senta  sabor; 
Partirai  m'en.  qu'aissi  m'es  d'agradatge, 
Pus  qu'elhas  part  de  bon  pretz  eissamen, 
E  vuelh  alhors  teuer  autre  viatge. 
On  restaure  so  que  m'a  fach  perden. 


*)  s.  m  276  des  Troubadourverzeichnisses  iu  Bartsch's  Grundriss  zur 
Geschichte  der  provenz.  Litt.,  womit  zu  vergleichen  Paul  Meyer's  Derniers 
Troubadours,  p.  149.  Gedruckt  ist  das  Gedicht  im  Ghoix,  III,  245  als  von 
Cadenet,  M.  G.  943  als  von  Peire  Raimon  de  Tolosa,  und  nochmals  eine 
Strophe  daraus,  Glioix,  V,  139,  als  vom  Escudier  de  l'Isle. 

-)  Da  der  provenz.  Text  fast  ganz  nach  Raynouard  ist,  habe  ich  die 
Varianten  aus  M.  G.  nicht  erst  dazu  gesetzt. 

3)  R.  conoisc,  M.  G.  conue. 

*)  R.  u.  M.  G.  in  aura;  der  Sinn  verlangt  magra,  welches  der  italie- 
nische Text  bestätigt. 


—     27     — 

3.  Ben  sai,  sim  part  de  lieis  niw  vir  alhor, 

Que  no  Ter  greu  ui  s'o  teiira  a  dan, 

E  si  eug  ieu  saber  e  valer  tan, 

Qu'aissi  cum  suelh  enansar  sa  lauzor, 

Li  sabria  percassar  son  damnatge; 

Pero  lais  m'en  endreg  mon  chausimen; 

Quar  assatz  fai  qui  de  mal  senhoratge 

Si  sap  partir  e  lunhar  bonamen. 
Kv  folgen  noch  zwei  Strophen  und  Geleit,  die  hier  kein  Interesse 
haben,  weil  die  italienische  Nachahmung  sie  nicht  aufnahm.    Diese 
lautet  folgendermassen : 

Umile  core  e  fino  e  amoroso, 
Gia  fa  lungia  stagione,  e'ö  portato 
Buonamente  ad  Amore; 
Di  lei  avanzare  adesso  *)  fui  pensoso 
5.  Oltre  podere;  s'eo  n'era  afauato 
Ne — nde  sentia  dolore, 
Pertanto  non  da  lei  partia  coragio, 
Ne  mancav'  a  lo  fino  piaeimento, 
Fin  ch'io  non  vidi  in  ella  folle  usagio, 
10.  Lo  quäle  avea;  cangiat'  ö  lo  talento2). 

Ben  m'averia  per  servidore  avuto, 
Se  non  fosse  di  fraude  adonata3), 

D'An  ;ona,  XLY  =  A.     Palermo,  II,  89  f.  =  P. 

3.    Lungiamente.    P.    al'   Am.    A.      5.   infin    ch'era.    A.      G.  Nbnde.    A.    No 

ne  senza.    P.   (die  Aenderung   ist   nach   dem  prov.  Texte).  9.   Mentre  nun 

vidi.  A.  in  essa  P.     10.  quäl  l'avea.  P.     12.  frode  adornata.  A. 


*)  adesso  =  immerdar. 

-  D'Anc:  Lo  quäle  avea  cangiato  lo  t.,  Pal.:  Lo  quäl  l'avea.  Ver- 
muthlich  stand  ursprünglich:  Lo  quäl  ni'ave  cangiato  lo  talento;  doch  schien 
die  Aenderung  zu  stark. 

3)  Dem  Verse  fehlt  eine  Silbe.  Was  das  adonata  betrifft,  so  hat  Pa- 
lermo dazu  gerade  die  betreffende  Stelle  des  prov.  Originals  citirt,  aber 
offenbar  nur  aus  dem  Lexique  Roman,  sonst  hätte  er  bemerkt,  dass  er  es 
mit  einer  Nachahmung  des  ganzen  Gedichtes  zu  thun  habe.  Und  doch 
scheint  es,  dass  gerade  dieses  adonare  nicht  in  demselben  sinne  gebraucht 
sei    wie   im   Original,     la   vei  adonar  ab  enjan  heisst:    „ich   sehe   sie   dem 


—     28     — 

Perche  lu  gran  dolzore 

E  la  gran  gioi,  che  m'e  stata,  rifiuto. 
15.  Ormai  gioi,  che  per  lei  mi  fosse  data. 

Nmi  m'averia  savore. 

Perö  ne  parfco  tutta  mia  speranza, 

Ch'ella  partia  del  pregio  e  del  valore; 

Che  mi  fa  uopo  avere  altra  'ntendanza, 
20.  Ond'  io  acquisti,  che  perdei  d'amore. 

Perö  se'u  altra   intendo  e  da  ella  parto, 
Non  le  par  grave  ne  sape  d'oltragio, 

Taut'  e  di  vano  affare; 
Ma  beu  credo  savere  e  valer  tanto1), 
25.  S'eo  la  soglio  2)  avanzare,  ca  danagio 
Le  saveria  trattare; 
Ma  nun  mi  piace  adesso  quelle  dire, 
Ch'eo  ne  fosse  teuuto  misdicente; 

13.  Di  quello  »ran.  P.  14.  Or  lo  gran  bene  .  .  .  stato.  P.  i'la  rifiuto.  A. 
15.  Giamai  ....  da  lei.  P.  16.  favore.  A.  sapore  P.  17.  A  ciö  diparto 
....  intendanza.  P.  ne  porto.  A.  18.  Ke  la  parti  vie  da  honore.  P.  paria  A. 
19.  Ke  me  non  pote  aver.  P.  20.  La'nd'eo  .  .  .  ciö  k'eo.  P.  ciö  che.  A. 
21.  Sc  da  llei  parto  e  inn  altra  intendo.  P.  22.  No  le  sia  gre/e  e  no  le 
sia  oltr.  A.  24.  Ma  io  mi  credo  valere  e  savere  t.  P.  25.  Poi  la.  A  solea. 
P,  und  ca  fehlt.  2<">.  La.  P.  coutare.  A.  27.  'desso  .  .  .  dare.  P.  In  A  ist 
dieser  und  der  folgende  Vers  verstümmelt: 

Se  non  fosse  nella  quäl  eo 

Dir  tanto  misdicente. 

Truge  sich  zugesellen,  sich  mit  ihm  abgeben",  wie  sonst  s'adonar  gebraucht 

wird.  M.  G.  1161,  2: 

Et  ab  neguna  gent  bona 

No  s'atrai  ni  no  s'adona. 
In  der  italienischen  Umarbeitung  dagegen  steht  es  im  Sinne  von  „besiegen, 
bezwingen'-,  wie  bei  Dante,  Inf.  VI,  34  u.  Pv/rg.  XI,  19,  einer  Bedeutung, 
die  freilich  dem  Provenzalischcn  ebenfalls  nicht  fremd  ist,  so  z.  B.  M.  G. 
604,  4,  sowie  Lex.  Born.  III.  11  und  Diez,  Et.  W.  II.  1.  Vielleicht  war 
dem  italienis  jn  Dichter  die  andere  Bedeutung  des  prov.  Wortes  nicht 
bekannt,  und  so  behielt  er  tue  Vocabel  bei,  indem  er  sie  etwas  auderes 
sagen  Hess. 

J)  Der  Reim  fehlt,  sowohl  nach  A  als  nach  P. 

"2)  soglio  hat  A.,  P.  setzt  solea;    aber  soglio   im  Sinne   des  Präteritums 
ist  wie  provenz.  auch  altitalienischer  Gebrauch. 


—     29     — 

C'assai  val  meglio,  chi  si  pö  partire 
30.  Da  reo  signor  e  alluugiar  buonamente. 

Ora,  clie  si  part'  e  allunga  fa  savere *) 

Di  loco,  ovo  possa  essere  affanato, 

E  träne  suo  pensero; 

Ond'io  mi  parto  e  tragone  volere, 
35.  E  dogliomi  del  tempo  trapassato, 

Che  m'e  stato  fallero. 

Ma  nou  dotto;  ch'a  tale  siguoria 

Mi  son  donato,  ca  bon  guidardone 

Mi  donerä,  perciö  che  no  m'oblia: 
40.  Lo  bon  servente  merita  a  stagione2). 

29.  Ke'sai.  P.  in  A.  fehlt  chi  si  pö.  30.  Dal  reo.  P.  32.  Da  loco  .... 
dev'essere.  P.  33.  E  tracta.  P.  35.  E  doglio  delo  t.  A.  36.  stato  fallire.  A. 
37 — 39  ist  wieder  in  A  ganz  entstellt  und  sinnlos: 

Ma  non  ö  mi  spere, 

Ca  tal  segnora  son  servato, 

Che  buono  guiderdone 

Averagio,  che  perzö  ch'e'n  obria. 
40.  ist  nach  A.,  in  P.  steht:  Lo  bon  servente  'ntra'n  sua  stasione. 

Ein  zweites  Gedicht,  welches  einem  bestimmten  provenza- 
lischen  Muster  direkt  nachgebildet  worden,  rührt  von  Chiaro  Da- 
vanzati  her  und  steht  nach  der  vaticanischen  Handschrift  bei 
Trucchi,  I,  153  ff.     Das  Original  ist  von  Sordel  und  beginnt: 

Bei  cavaler  me  plai  que  per  amor1). 
Aber    die  Weise  der  Nachahmung   ist   hier  eine  andere   gewesen 
als  bei  dem  vorigen.     Jacopo  Mostacci,  tief  in  der  Tradition  der 
sicilianischen  Schule   steckend,    hält  sich,  wie  wir   sahen,    seinem 
Vorbilde  sehr  nahe,  nur  hat  er  dessen  letzte  Strophen  fortgelassen 


J)  Diese  4.  Strophe  stand  im  Originale  nicht. 

2)  no  m'oblia  unpersönlich,  wie  die  Alten  in  Analogie  mit  mi  menibra, 
mi  sovviene  sagten,  also:  „ich  vergesse  nicht  den  Satz  der  mich  tröstet): 
Der  gut  Dienende  erhält  zur  Zeit  seinen  Lohn",   ein   häufiger  Gemeinplatz. 

so  M.  W.  I,  164:   Auzit  ai  dir Que  qui  ben  sier,  bau  gazardon  aten. 

D'Anc.  XXVII,  64:  Che  nullo  bon  servente  esti  ubriato. 

3)  Es  ist  nur  in  einer  Hs.  erhalten  und  danach  gedruckt  in  M.  (i.  1264 
und  Herrig's  Archiv,  vol.  34.  p.  404. 


—     30 

und  an  deren  Stolle  eine  eigene  gesetzt,  wenn  anders  uns  sein 
Gedicht  vollständig  vorliegt.  Chiaro  Davanzati  gehört  zu  jenen 
Dichtern,  welche  den  Uebergang  der  Literatur  zu  einer  neuen 
frischeren  Weise  bezeichnen,  und  besitzt  zugleich  eine  viel  bedeu- 
tendere persönliche  Begabung,  wie  das  beweist,  was  sonst  von  ihm 
bekannt  ist.  Obgleich  daher  seine  Nachahmung  an  einzelnen 
Stellen  sich  bis  auf  die  Beibehaltung  von  Worten  erstreckte,  ja 
ihn  sogar  verleitete,  einen  cruden  Provenzalismus,  wie  gitto  a  mi<> 
danno  (get  <i  mon  dari)  im  Sinne  von  „ich  verschmähe"  anzuwen- 
den, so  ist  er  doch  im  Ganzen  sehr  frei  mit  seinem  Original  um- 
gegangen. Er  fand  ein  Gedicht  von  zwei  kleinen  Strophen  mit 
Geleit;  der  darin  enthaltene  immerhin  etwas  originellere  Gedanke, 
ein  Ritter  sei  an  Liebe  gestorben,  das  werde  wohl  die  Frauen 
bekehren  und  sie  mitleidsvoller  machen,  mochte  ihm  gefallen,  und 
er  verwendete  ihn,  mit  Hinzufügung  vieles  Eigenen,  für  eine  weit 
umfangreichere  Canzone.  Man  könnte  denken,  das  provenzalische 
Gedicht  sei  ursprünglich  länger  gewesen;  aber  die  Art,  wie  Chiaro 
es  benutzt  hat,  spricht  dagegen;  der  Inhalt  und  theilweise  die 
Worte  jener  zwei  Strophen  sind  bei  ihm  in  alle  vier  seines  Ge- 
dichtes zerstreut: 

Sordel. 

1.  Bei  cavaler  nie  plai  quo  per  amor 
Moric  l'autrer  en  Flandres;  car  l'aman 
En  seran  trop  mielhs  crezut  derenan 
Per  las  dompnas,  quels  tenon  en  error. 
Ben  volgra,  fos  ab  lui  morta  s'amia; 
Pois  caseuna  so  quo  no  cre  creiria, 
Que  on  plus  fan  los  Uns  amans  languir. 
Plus  van  tarzan  so  que  degran  complir. 

2.  Per  dreit  pot  om  apelar  fals'  amor, 
Car  n'aucis  un  ses  un,  al  meu  semblan; 
Car  per  nulh  mal  tan  adreit  non  estan 
Dui  mort  cnsems  cum  per  cela  dolor. 
Et  esteran,  sc  ad  amor  plazia, 

Mclli  viu  jauzen;  mas  pois  plai  quels  aucia, 


—     31     — 

Ad  amor  prec,  no  volha  un  sol  aucir; 
Quel  vius  trai  peitz  no  fai  l'autr'  al  morir. 

Gel.  Per  que  prec  lei,  que  pot  longar  ma  via, 
Quem  socorr',  ans  quel  mals  d'amor  m'aucia, 
Que,  sei  socors  nom  ven  ans  del  morir, 
A  mon  dan  get  lei  e  son  repentir. 

Chiaro  Davanzati. 
1.  Non  giä  per  gioia  ch'aggia  mi  conforto, 
Ma  perch'  io  veggio  un  uom  morto  d'amore 
Per  dritto  amare  od  esser  servidore 
A  suo  poder  di  donna  tuttavia. 
Ormai  le  donne,  che  il  vedranno  morto, 
Ciascuna  piü  pietanza  avranno  in  core, 
Veggendo,  per  assempro,  lo  dolore 
Del  buon  amante,  ein  il  tienc  in  obblia. 
Ciascuna  crederä  veracemente 
Quello,  onde  sono  State  miscredenti, 
Che  null'  uom  possa  per  amor  morire. 
Cosi  fosse  piaciuto  all'  alto  sire, 
Che  la  donna,  per  cui  morto  e  l'amante, 
Fosse  morta  con  lui  insieme  avante, 
Perche  ciascuna  fosse  poi  credente. 

2.  In  tanto  posso  dell'  amor  misdire, 

Quanto  ha  morto  un  per  lealmente  amare. 

E  non  l'ha  gia  voluto  accompagnare; 

Che,  se  fosse,  saria  piü  gioi  la  morto. 

Che  all'  amante  saria  maggior  desire; 

Se  la  donua  con  lui,  al  trapassare 

D'esto  secol,  com'  ei,  volesse  andare, 

Gia  lo  morir  non  gli  saria  si  forte; 

E  gli  amador,  che  gioia  van  sperando, 

Non  viverian1)  languendo  pur  tardando; 

Tr.  vi  verrian. 


—     32     — 

(  he  l'altre  donnc  non  avrian  dottanza  ]), 
E  movcrian  lor  cori  a  piü  pietanza, 
Veggendo  d'aguaglianza  il  guiderdone 
Del  daimo  e  il  pro,  lä  ovo  amor  li  pone, 
E  credo  a  lor  varria  merce  chiamando 2). 

3.  Ancor  d'un'  altra  cosa  amor  riprendo: 
Da  poi  due  ue  cougiunge  in  un  piacere, 
L'un  pur  tormenta  e  facelo  dolere, 

E  l'altro  non  costringe  di  paraggio. 

E  molti  n'odo,  van  di  ciö  dolendo, 

Che  non  accompie  mai  lo  lor  volere. 

Da  poi  ch'e  morto,  che  val  lo  peutere3)? 

Ciö  che  ha  sperato  puote  uom  dir  dannaggio. 

Perö,  se  amor  piacesse4),  crcderia. 

Che  piü  valore  e  pregio  gli  saria. 

S'ammendasse  di  ciö  ch'aggio  contato. 

Ancor  che  gentil  cor  lungo  aspettato5) 

Non  dispera  per  lunga  sofferenza; 

Ma  dell'  amor  mi  credo  piü  valenza 

Fora  il  donar  lä,  ovo  il  mistier  pur  sia. 

4.  Alcun  poriami  dir:  folle,  che  fai? 
Riprendi  amor?  non  hai  conoscimento. 
Risponderö:  si  hae  valimento, 

Che  uccide  ed  altoreggia ö)  cui  gli  piace; 
Che  m'ha  fatto  sentir  delli  suoi  guai, 
Ma  ha  ritenuto  a  se  lo  piacimento; 


1    Der  Sinn  verlangt  eher:  rCaverian  dottanza. 

"2)  besser  wohl  alor  varria,  d.  i.  allora  v.  merce  chiamando  statt  il 
chiamar  merce,  das  Gerundium  statt  des  substantivischen  Infinitiv  wie  sehr 
oft,  besonders  bei  Guittone. 

Tr.  lo  potere,  vgl.  Str.  4:  che  mi  va/rrä  di  poi  pentere. 

4)  amor  wäre  Casus  obliquus  ohne  Praeposition  als  Dativ,  wie  die  Alten 
öfters  sagten:  se  Dio  piace;  aber  hier  stand  wohl  ursprunglich  s'a  amor 
piacesse,  wie  im  prov.  Original. 

5    aspettato,  Subst.,  im  Sinne  von  aspettazione. 

•    altoreggiare  scheint  identisch  mit  dem  bekannten  alloriare  --    ajutare. 


—     33     — 

A  tal  m'ha  dato  e  messo  a  servimento, 
Tardando  assai  languir  forte  mi  face, 
Perö  che  alluugar  puö  [la]  mia  vita; 
Se  non  provvede,  innanti  che  perita 
Sia,  che  mi  varrä  di  poi  p  entere? 
Gitto  a  mio  danno  il  parlare  e  il  vedere, 
E  se  mia  vita  regna  per  languire x), 
E  non  mi  dona,  me  faria  fallire2), 
Se  il  suo  valor  di  gioia  non  m'invita. 

Gel.  Va,  canzonetta,  a  chi  sente  d'amore, 
Che  deggia  Dio  pregar  per  l'amadore, 
Che  morto  e  d'esta  vita  e  trapassato, 
Che  ajuti  lui  ed  ogni  innamorato, 
Ed  alle  donne  umili  lor  durezza, 
Che  a'  loro  amanti  donin  piü  larghezza; 
Non  sempre  sia  lor  vita  con  dolore. 

In  noch  anderer  Weise  als  hier  ist  die  Entlehnung  geschehen 
in  einer  Canzone  des  Notaro  Giacorno: 

Troppo  son  dimorato. 
bei  D'Ancona,  IX,  wo  aber  die  beiden  letzten  Strophen  fehlen,  die 
nach  Val.  I,  277,  zu  ergänzen  sind.  Das  Original  ist  von  Perdigon: 
Trop  ai  estat  mon  hon  esper  no  vi,  gedruckt  M.  G.  512,  513 3). 
Die  Identität  des  Inhaltes  ist  augenscheinlich;  in  beiden  klagt  der 
Dichter  über  seine  Entfernung  von  der  Dame,  schuldigt  sich  an, 
dass  er  thöricht  genug  war,  sie  zu  verlassen;  aber  er  selbst  habe 
auch  allen  Schaden  davon,  u.  s.  w.  Auch  im  Einzelnen  zeigen 
sich  allenthalben  dieselben  Gedanken,  jedoch  in  einer  ganz  ver- 
schiedenen Reihenfolge,  und  ohne  so  auffällige  Uebereinstimmungen 
des  Wortlautes,  wie  bei  den  oben  angeführten  Gedichten.  Man 
möchte  daher  denken,  der  italienische  Dichter  habe  von  dem  pro- 


*)  regnare  „dauern":  wenn  mein  Leben  in  Schmachten  sich  fristet. 

2)  wahrscheinl.  me'  saria  fallire  =  meglio  sarebbe  morire. 

3)  und  auch  Lex.  Born.  I,  419,  Arch.  35,  436;  36,  446;  eine  Strophe 
auch  bei  Stengel,  Die  Provenz.  Blumenlese  der  Chigiana,  Marburg,  1878, 
Nr.  89. 

3 


—     34     — 

venzalischen  Vorbilde  nur  eine  nicht  ganz  bestimmte  Erinnerung 
im  Kopfe  gehabt.  An  dem  direkten  Einfluss  der  Canzone  Per- 
digon's  auf  diejenige  des  Notars  kann  aber  kein  Zweifel  sein,  wie 
die  Zusammenstellung  folgender  Einzelheiten  darthut: 


str.  Jacopo. 

I.  Troppo  son  dimorato 
F  lontano  paese  .  .  . 
E  dico  che  follia 
Me  n'ba  fatto  allungare. 

Lasso!  ben  vegio  e  sento, 
Morto  fosse,  dovria 
A  Madonna  tornare. 


II.  Ca  s'io  sono  allungato, 
A  null'  oin  nou  afesi 
Quant'  a  me  solo,  ed  i'  ne  so' 

al  perire, 
E  ne  so'  il  danegiato. 
Poi  Madonna   nii  sfesi x), 
Mio  e  '1  danagio  ed  ogne  lan- 

guire. 

III.  Dunqua  son  io  storduto  2;? 
Ciö  saccio  certamente 
Com  quelli,  c'ä  cercato  ciö  che 

teile    .   .   . 

Cotanto  di  dolzore, 
Amore  e  bona  voglia 
Ch'io  l'ö  creduto  avere. 


str.  Perdigon. 

I.  Trop    ai    estat    mon    bon 

esper  no  vi. 
il>.  Car   tan   me    luenh   de   la 
soa  companba 
Per  mon  fol  sen,  don  anc 
jorn  nom  jauzi. 
III.  Que  s'agues  mortz  estat  im 
an, 
Silbdegra  pueisvenirdenan. 

I.  Mas  sivals  leis  no  costa  re, 
Quel  dans  torna  totz  sobre 

nie, 
Et   on   ieu   plus  m'en  van 

lonban, 
Meins   n'ai   de  joi  e  mais 

d'afan. 


II.  Qu'ieu   soi   com  cel   qu'en 
mieg  de  l'aigas  banlia 
E  mor  de  set  .  .  . 
ib.  Qu'eu  n'agra  tot   so  qu'eu 
dem  an, 
Si,    quan    fugim  fos  traitz 
enan. 


*)  1.  mispresi? 

2)  so  Yal.;  bei  D'Anc.  stu/nduto. 


—     35     — 

IV.   Lasso!  chi  m'ha  tonuto?  III.  Ailas,  quals  foldatz  mi  rete. 

Follia  deh  veramente  ...  (M.  G.  513). 

Occhi  e  talento  c  core  Gel.  1.  Cel  que  ditz,  qu'al  cor  non 

Ciascun  per  se  s'argoglia.  sove 

D'aisso  qu'om  ab  los  huelhs 

no  ve, 
Li  meu  Ten  desmenton  ploran 
El  cor  planben  e  sospiran. 

V.  Senza  Madonna,   di  cui  moro            III.  Quar  no  vei   leis,    que  de 

stando  .  .  .  mort  me  gueri. 

.  .  .  morraggio,  ib.  Grans  merces  es,  quar  mor- 

Se  piü  faccio  tardanza.  rai  enaissi. 

Jede  einzelne  Stelle  beweist  hier  wenig;  aber  das  Uebereinstinanien 
so  vieler  in  demselben  Gedichte  kann  nicht  zufällig  sein. 

Ob  nicht  noch  andere  solche  umfangreichere  Entlehnungen 
sich  unter  den  bereits  publizirten  Texten  vorfinden  mögen,  wage 
ich  nicht  zu  entscheiden;  denn  selbst  das  aufmerksamste  Durch- 
lesen genügt  hierzu  nicht,  da,  bei  dem  Charakter  dieser  Gedichte, 
welche  zum  grössten  Theil  einander  so  ähnlich  sehen,  es  schwierig 
ist,  aus  der  Menge  die  zusammengehörigen  herauszufinden.  Kürzere 
Stellen,  die  entlehnt  worden,  lassen  sich  indessen  noch  mehrere 
nachweisen.  Eine  Canzone  des  Stefano  Protonotario,  Val.  I,  202, 
beginnt: 

Assai  mi  piaceria, 

Se  ciö  fosse,  cb'Amore 

Avesse  in  se  sentore 

D'intendere  e  d'audire; 

Ch'eo  li  rimembreria, 

Come  fa  servitore 

Perfetto  a  suo  signore, 

Meo  lontano  servire, 

E  fariali  a  savire 

Lo  mal,  di  che  non  oso  lamentare. 
Verse,  welche  ihm  eingegeben  worden  durch  Richart  de  Barbezieu's 
(Choix,  III,  457,  M.  G.  1418): 

3* 


—     36     - 

Be  volria  saber  d'amor, 

S'elha  ve  ni  au  ni  enten, 

Que  tan  Tai  requist  francamen 

Merce,  e  de  rc  nom  socor  .  .  . 

Quar  atcn  liom  de  bon  senhor, 

Cui  serf  de  bon  cor  leialmen, 

Tan  tro  que  razos  li  cossen 

De  far  ben  a  son  servidor. 
und    hierbei  bestätigt  sich  zugleich  eine  Bemerkung   von   Diez1), 
dass  nämlich   derselbe  italienische  Dichter  mit  demselben  proven- 
zalischen  mehr  als  einen  Zusammenhang  zu  zeigen  pflegt;  das  Bild 
von  der  Tiegerin  in  jenem  citirten  Gedichte  Richart's,  str.  4: 

Si  cum  la  tigra  el  mirador,  etc. 
mag  der  Anstoss  zur  Anbringung  desselben  in  Stefano's  siciliani- 
scher  Canzone  (bei  Barbieri)  gewesen  sein,  str.  2: 

Quandu  eu  la  guardu,  sintiria  dulzuri, 

Ki  fa2)  la  tigra  in  illu  miraturi. 
Aber  in  jener  zuerst  genannten  Canzone  Stefano's  beschränkt  sich 
die  Gemeinsamkeit  mit  der  provenzalischen  auf  den  Anfang,  der 
Rest  ist  in  beiden  ganz  verschieden.  So  begann  auch  Bondie  Die- 
taiuti  ein  Gedicht  (Trucchi,  I,  100)  mit  einem  Bilde,  welches  ihm 
bei  Bernart  de  Ventadorn  (Chrest.  52)  gefallen  hatte,  um  sich 
dann  sofort  von  ihm  zu  entfernen: 

Bernart  de  Ventadorn. 
Quan  vei  la  lauzeta  mover 
De  joi  sas  alas  contral  rai, 
Que  s'oblid'  es  laissa  cazer 
Per  la  doussor,  qu'al  cor  li  vai, 
Ailas,  quals  enveia  m'en  ve 
De  cui  qu'cu  veia  jauzion. 

Bondie  Dietaiuti. 
Madonna,  m'ö  avvenuto  simigliante 
Com  de  la  spera  all'  uccelletta  avviene, 

y)  Poesie  der  Troubadours,  p.  280. 
2)  Barbieri:  fa. 


-     37     — 

Che  sormonta  guardandola  in  altura, 
E  poi  dichiua  lassa  immantinante x) 
Per  lo  dolzor,  che  a  lo  cor  le  viene, 
E  frange 2)  in  terra,  tanto  s'iunamora. 

Die  Entlehnung  einzelner  Bilder  haben  auch  Diez  und  Nan- 
nueei  in  grösserer  Zahl  nachgewiesen,  und  bei  anderer  Gelegenheit 
ist  auf  sie  zurückzukommen. 

Dante  da  Majano  fand  zu  Anfang  eines  Gedichtes  von  Aimeric 
de  Pegulhan  (M.  G.  1001  und  anderswo)  in  den  Versen 

Nulhs  hom  no  sap,  que  s'es  gaugz  ni  dolors, 
S'en  son  poder  non  l'a  tengut  amors; 
Mas  ieu  sai  be  la  dolor  el  türmen, 
E  res  no  sai,  cpuals  es  sa  benauansa  .  .  . 

einen  Gedanken  angedeutet,   den  er  nun  in  einem  Sonette  weiter 

ausführte,  Val.  II,  486: 

Null'  uomo  puö  saver,  che  sia  doglienza, 
Se  non  provando  lo  dolor  d'Amore, 
Ne  puö  sentire  ancor,  che  sia  dolzore, 
Finche  non  prende  della  sua  piacenza. 

Ed  eo  amando  voi,  dolce  mia  intenza3), 
In  cui  donat'  ho  Talma  e'l  corpo  e'l  core, 
Provando  di  ciascun  lo  suo  sentore 
Aggio  di  ciö  verace  canoscenza. 

Ein  Sonett   des  Loffo   Bonaguicli  (Val.  II,  261)    ist,    wie   ich 


*)  Trucchi:  immantinente. 

2)  frangere  heisst  hier  „sich  niedersenken,  niederstürzen",  eine  Bedeu- 
tung, für  die  ich  sonst  kein  Beispiel  kenne;  transit.  =  „lenken,  wenden" 
kommt  es  aber  öfters  vor,  so  Grion,  Serventese,  p.  43: 

Vattene  a  la  chiü  gente, 

Che  per  su'  amore  mi  frange  in  suo  loco. 
Cherrier,  IV,  527: 

S'e  ita  contro  a  noi  largo  suo  corso 

Ventura,  encontra  or  tutta  par  lo  fragna  (d.  i.  il  corso). 
(bei  Cherrier  Sa  ita  und  la  fragna). 

3)  dolce  mia  intenza  „mein  süsses  Begehren". 


—     38     — 

glaube,  entsprungen  aus  ein  Paar  Verseo  von  Aimeric  de  Belenoi 
(M.  G.  194  und  anderswo).  Freilich  hat  Loffo,  ein  Dichter  der 
Uebergangszeit,  und  wohl  sogar  schon  der  neuen  florentinischen 
Dichterschule  zuzurechnen,  den  Gedanken  noch  freier  behandelt, 
als  es  Chiaro  Davanzati  gethan: 

Aimeric  de  Beleuoi. 
Aissi  col  pres,  que  s'en  cuja  fugir, 
Quant  es  estortz,  e  pueis  hon»  lo  repren, 

E  li  dobl'  om  son  perilhos  türmen. 
Cugei  ab  geub  de  sa  preisen  eissir 
D'amor,  que  m'a  tan  duramen  repres, 
Que  per  nulb  genb  estorser  nolb  puesc  ges; 
Ane  mais  no  fui  en  tau  mala  preiso, 
Que  genhs  o  sens  nom  degues  tener  pro. 

Loffo  Bonaguidi. 
Com'  uom,  che  lungamente  sta  iu  prigione 
Iu  forza  di  signor  tanto  spietato, 
Che  non  ama  drittura  ne  ragione, 
Ne  merce  ne  pietä  non  gli  e  in  grato, 

Tener  si  puote  a  fera  condizione, 
Se  'n  altra  guisa  nou  cangia  suo  stato: 
Iu  simil  loco  Amor  lunga  stagione 
M'avea  tenuto,  ond'  era  disperato. 

Or  m'era  per  iugeguo  dipartuto 
Del  periglioso  loco,  ch'  aggio  detto, 
E  della  peua  iu  grau  gioi  rivenuto. 

Piü  cbe  davanti  tenemi  distretto; 

Or  come  faragg'  io  in  questo  puuto  *), 

Lasso,  dolente  nie.  cbe  son  si  stretto? 

Alier.  wenn  man  hier  schon  nicht  mehr  ganz  sicher  ist,  ob 
Loffo  auch  wirklich  das  bezeichnete  Gedicht  vor  sich  gehabt  hat, 
als   er  sein  Sonett  verfasste,    so    ist    noch  viel    weniger    die   An- 


;    i  -  fehlt  der  Reim. 


—     39     — • 

nähme  eines  bestimmten  einzelnen  Originals  am  Platze  bei  der 
grossen  Menge  der  Stellen,  an  denen  aus  der  provenzalischen 
Lyrik  wühl  bekannte  Gedanken  erscheinen.  Die  provenzalische 
war  selbst  eine  Dichtung  der  Gemeinplätze;  sie  schwirrten  gleich- 
sam in  der  Luft,  waren  jedem  Einzelnen  geläufig  und  fanden  sich 
überall  ein,  ohne  dass  man  sie  von  einem  bestimmten  Vorbilde 
zu  entlehnen  brauchte,  wenn  sie  auch  freilich  irgendwo  zuerst  zum 
Vorschein  gekommen  sein  müssen.  Es  ist  eben  ein  umfangreiches 
Repertorium,  in  welches  ein  Jeder  hineingreift,  um  nach  seiner 
Bequemlichkeit  zu  nehmen,  was  er  braucht.  Die  Conventionair 
und  Modepoesie  hat  dergleichen  immer  hervorgebracht;  man  denke 
nur  an  die  Petrarchisten.  Es  giebt  kaum  einen  Troubadour,  der 
nicht  seiner  Dame  gesagt  hätte,  er  wolle  lieber  sie,  auch  ohne 
jeglichen  Lohn,  lieben,  als  von  einer  anderen  die  höchste  Gunst 
erhalten,  so  z.  B. 

Folquet  de  Marselha,  M.  W.  I,  330: 
Vos  die,  mielks  m'ave, 
Que  per  lieis  ieu  suefra  jasse 
Mon  dau,  sitot  a  lieis  nou  cal, 
Qu'  autram  des  s'amor  per  cabal. 
Arnaut  de  Maruelh,  ib.  155: 

Mais  am  de  vos  sol  un  desir 
E  l'esperans'  el  lonc  esper 
Que  de  nulb'  altra  sou  jazer. 
Gaucelm  Faidit,  M.  G.  104,  2: 

E  platz  mi  mais  per  leis  peua  durar, 
Que  de  nulb'  autr'  aver  tot  mou  talen. 
Und  so    folgte   Guido   delle   Colonne   dieser  allgemeinen   Gewohn- 
heit, wenn  er  sang,  D'Anc,  p.  37: 

Che  meglio  m'e  per  ella  pene  avere 
Che  per  un'  altra  beue  cou  baldauza. 
und  Dante  da  Majano,  Val.  II,  444: 

Meo  cor  piü  ama  e  vuole 

Di  voi,  dolee  mia  amanza, 

Istare  in  disiauza, 

Che  d'altra  aver  compita  gioi  d'amore. 


40     — 

und  ein  anderer,  D'Anc,  XCIV,  29: 

Che  meglio  vale  aver  di  voi  speranza, 
Che  d'altre  donne  aver  ferma  certanza. 
ib.  39: 

Meglio  mi  sa  per  voi  mal  sostenere, 
Che  compimento  d'altra  gioia  avere. 
und  so  noch  oft,  immer  in   derselben  Weise.     Kaum  einen  Trou- 
badour giebt  es,  der  nicht  einmal  versichert,  er  wolle  nicht  mäch- 
tiger Fürst,    nicht  König   der  Welt   sein,    sollte   er    darum   seine 
Dame  verlieren,  wie  beispielsweise 

Pons  de  Capduelh,  M.  G.  1035,  2: 

Que  neis  no  vuelh  esser  reis  poderos 
De  tot  lo  mon  per  tal  que  sieus  uo  fos, 
Ni  que  de  lieis  servir  cor  mi  sofranha. 
und  so  D'Anc.  XL,  43: 

E  uon  vorrei  essere  lo  segnore 
Di  tutto  il  raondo,  per  aver  perdita 
La  sua  benivoglienza. 
und,  wenn  Arnaut  Daniel,  M.  W.  II,  72,  betheuert: 
E  no  vuelh  ges  ses  lieis  aver  Lucerna 
Nil  senhoriu  del  renc  per  on  cor  Ehres. 
so  versichert  ein  Sicilianer,  D'Anc.  XXIII,  45: 
Ca  se  tutta  Messina  fosse  mia, 
Senza  voi,  donna,  niente  mi  saria. 
Die  Beschäftigung  mit  all   diesen   stets  wiederkehrenden  Ge- 
danken und  Wendungen  hat  sicherlich  nicht  viel  Anziehendes,  und 
es    ist    nicht    zu    verwundern,    dass    man    für    die    alten    italieni- 
schen   Lyriker    dergleichen    Zusammenstellungen    nur    gelegentlich 
gemacht  hat,  wie  dies  Nannucci  in  seinem  Manuale  that.     Aber 
eine  solche  Betrachtung  ist  nicht  ohne  Nutzen,  ja  sogar  nothwen- 
dig,  wenn  man   sich  über  den   Grad    der  Abhängigkeit  von   den 
Provenzalen  und  über    den    durchaus    typischen   Charakter    dieser 
Poesie   klar  werden  will.     Zugleich  vermag  die  Aufzählung,  nicht 
etwa  aller,  aber  einer  Auswahl  solcher  Gemeinplätze  zur  Ergänzung 
und  Erläuterung  dessen   zu  dienen,  was  oben  nur  in  aller  Kürze 


—     41     — 

über    den    Gedankenkreis    der    sicilianischen    Dichterschule    gesagt 
worden  ist. 

Der  Dichter  versichert  die  Dame  seiner  unverbrüchlichen 
Treue;  er  dient  und  gehorcht  ihr  wie  der  gute  Vasall  seinem 
Lehnsherrn;  daher  nennt  er  sich  mit  dem  feudalen  Ausdruck 
ihren  Mannen: 

Bern,  de  Ventadorn,  M.  W.  I,  21: 

Domna,  vostr'  ora  sui  e  serai, 
AI  vostre  servizi  garnitz, 
Vostr'  om  sui  juratz  e  plevitz. 
G.  Faidit,  M.   G.  489,  5: 

Vostr'  oms  juratz  e  plevitz 
Sui  en  faitz  et  en  parvensa. 
D'Anc.  XXIV,  1: 

Donna,  audite,  como, 
Mi  tegno  vostro  orao 
E  non  cl'altro  sagnore. 
Val.  I,  256: 

Ben  so,  che  son  vostr'  uomo, 
S'a  voi  non  dispiacesse. 
Sie  steht  hoch  über  ihm,  und   er  wäre  unwerth,  ihr  zu  dienen; 
nur  seine  Treue  macht  ihn  dessen  würdig: 
Bern,  de  Ventadorn,  M.  W.  I,  42: 
Mas  no  s'eschai, 
Qu'ilh  am  tan  bassamen; 
Pero  ben  sai, 
Qu'assatz  fora  avinen; 
Quar  ges  amors  segon  ricor  no  vai. 
Bonifaci  Calvo,  M.  G.  Gl 6,  1: 

Tant  auta  dompnam  fai  amar 
Amors,  e  qu'es  tan  bell'  e  pros, 
Que  sol  dignes *)  de  desirar 
S'amor  no  sui2)  ni  vol  razos. 

')  M.  deingnes. 
2)  M.  sai. 


—     42     — 

Val.   II.  5: 

Per  servire  a  voi  11011  seria  degno; 
Ma  voi,  sovrapiacente, 
In  vostra  mente,  solo  nel  meo  guardo 
Couoscete,  clio  in  cor  fedele  regno. 
und  er  tröstet  sicli  damit,,   dass   oft   der  Niedere   emporsteigt  und 
Grosses  erreicht: 
Choix,  III,  347: 

Qu'amors  nie  ditz,  quant  ieu  m'en  vuelh  estraire, 
Que  mantas  vetz  puei'  om  de  bas  afaire 
E  conquier  mais  que  dregz  nol  cossentria. 
D'Anc.  III,   10: 

Ca  spesse  volte  vidi  ed  e  provato, 
C'omo  di  poco  affare, 
Per  venire  in  grau  loco, 
S'ello  sape  avanzare. 
Moltiprica  lo  poco  conquistato. 
Raimon  Jordan,  M.  G.  786,  6: 

....   qu'ieu  vei  manlitas  sazos 
Paubr'  enrequir  per  bon  afortinien. 
Per  qu'ieu  en  vos  afortisc  nion  coratge. 
D'Anc.  XXVIII.  15,  verbessert  mit  B,  237: 

Ca  povero  oino  avene 

Per  aventura  a  bene, 

Che  monta  ed  ave  assai  di  valiniento; 

Perö  non  mi  scoragio  x). 
Duldet  er  auch  Pein,  so  will  er  doch  ausharren:    denn   wer  liebt, 
der  rnuss  dulden: 

Peirol.  M.   W.  II,  28: 

Grieu  er  d'amor  jauzire, 
Qui  uon  es  francs  sufrire. 


x)  vgl.   auch   M.  G.   288,  3;    die  cobla  bei  Stengel,   Riv.  di  Fil.  Born. 
I.    1".  no  73;  D'Aiic.  LXXXIII,  3;  Dante  da  Majano,  Val.  II,  449. 


—     43     — 

Dante  da  Majano.  Val.  II,  445: 

Cui  ben  distringe  Amore  in  veritate, 

Sofferirlo  convene, 

S'acquistar  vuole  ciö,  che  va  cherendo. 
Val.   I,  134: 

Qualunque  vuole  amare, 

Sia  in  amor  giachito  e  sofferente. 

Dulden  führt  an's  Ziel:  Que  bos  suffrire  Conquier  suffren,  sagt 
Pons  de  Capduelh  (Mussafia,  Cod.  Est.  XIII,  3)  und  Brunetto  La- 
tini,  Trucchi,  167: 

Che  lo  buon  sofferente 

Riceve  usatameute 

Buon  compimeuto  dello  suo  desire. 

Und  hierbei  ist  wieder  stehend  das  Bild  vom  treuen  Diener,  wel- 
cher Lohn  zu  erwarten  hat,  und  vom  guten  Herrn,  der  die  Dienste 
wohl  vergilt: 

Arnaut  de  Maruelh,  M.  W.  I,  164: 

Auzit  ai  dir,  per  quem  sui  conortatz, 
Que,  qui  ben  sier,  bon  gazardon  aten, 
Ab  quel  servirs  sia  en  luec  jauzen. 
D'Anc.  LXIV,  6: 

Coufort'  agio  del  mio  intendiniento  5 
Che  ben  couosco,  e  giä  agio  provato, 
Ch'ogne  bono  servire  e  meritato, 
Chi  serve  a  buon  seguore  a  piaciinento. 
Peire  Vidal,  XIII,  5: 

Qu'ab  servir  et  ab  honrar 
Couquier  hom  de  bon  senhor 
Don  e  benfait  et  honor. 


Val.  II,  8: 


Ca  lo  dispero  nou  ave  podere, 
Acciö  ch'allo  siguor  di  valimeuto 
Non  fall'  avvedimento 
Di  provvedc-re  li  leai  serventi. 


—     44     — 

Die  Anbetung  so  hoher  Dame  geschieht  mit  Schüchternheit, 
mit  Besorgniss  zu  missfallen  und  zugleich  in  steter  Sorge  um  die 
ungestörte  Dauer  der  Liehe.  Rechte  Minne  muss  sich  mit  Furcht 
paaren,  sagten  die  Troubadours: 

Arnaut  de  Maruelh,  M.  W.  I,  164: 

Que  mielhs  ama  seih  que  prega  temen, 
Que  no  fai  seih,  que  prega  ardidamen. 
Bern,  de  Ventadorn,  ib.  16:  ■ 

Mas  greu  veiretz  tin'  amansa 
Ses  paor  e  ses  duptanso. 

G.  Faidit,  M.  G.  460,  5: 

Com  non  pot  ben  amar 
Lialmen  ses  duptar. 

D'Anc.  XLII,  12: 

C'amar  sauza  temer  non  si  convene. 
Raimon  Jordan,  M.  G.  786,  1: 

Quar  qui  non  tem,  non  ama  coralmen. 
D'Anc.  XLVII,  14: 

E  chi  non  teme,  non  ama  san  faglia. 
Chiaro  Davanzati,  Cod.  A.  572: 

Chi  non  teme,  non  pö  essere  amante. 
Val.  I,  152: 

Che  Amore  e  piena  cosa  di  paura. 

und  dieser  Satz  wiederholt  sich  bis  zum  Ueberdruss: 

Yal.  II,  415: 

Ch'  Amore  e  piena  cosa  di  dottanza. 

ib.  I,  175: 

Amor  pien'  e  e  cresce  di  paura. 

Dante  da  Majano,  Val.  II,  475: 

Ch'  uomo,  ch'  ama  di  coro,  e  temoroso. 
u.  dgl.  m. 

Daher  wagt  der  Liebhaber  seine  Leidenschaft  der  Dame  nicht 
zu  gestehen;  oft  wohl  ist  er  entschlossen,  hat  seine  Erklärung 
in  Bereitschaft,  aber  in  ihrer  Gegenwart  verstummt  er,  ihr  Anblick 
verwirrt  ihn,  lässt  ihn  alle  wohlgcsetzten  Reden  vergessen: 


—     45     — 

G.  Faidit,  Chrest.   144: 

Car  maiutas  sazos  m'  ave, 
Qu'  ab  tota  fait'  acordansa 
Domuaus  cug  preiar  de  me, 
E  pois,  quan  mos  cors  vos  ve, 
M'espert  e  non  ai  membransa 
Mas  sol  de  vos  esgardar. 
Arn.  Daniel,  M.  W.  II,  75: 

Qu'  ades  ses  lieis  die  a  lieis  coebos  motz, 
Pois,  quan  la  vei,  no  sai,  taut  l'am,  que  dire. 
Val.  I,  317: 

Assai  fiate  mi  muovo  coraggioso 
Di  dirvi,  come  dicon  gli  altri  amanti; 
Poiche  so'  'nanti  a  voi,  viso  amoroso, 
Li  miei  pensier  di  parlar  sono  affranti x). 
D'Anc.  XXXIX,  25: 

Cosi  Amor  m'assicura, 

Quando  piü  mi  spavento, 

Cbiamar  merze  a  quella  a  cui  son  dato; 

Ma,  poi  la  veo,  ublio  zö  c'6  pensato. 


l)  affragnere  =  „berauben",  wie  an  vielen  andern  Stellen: 

Val.  II,  185: 

E  ben  seria  di  bon  savere  affranto, 

Chi  fredda  neve  giudicasse  foco. 
Nan.  Man.  I,  113: 

Condotto  l'Amor  m'ave 

In  sospiri  ed  in  pianto, 

Di  gioia  m'ha  affrauto  —  e  messo  in  pene. 
Tommaso  da  Faenza,  Zambrini,  Op.  volg.  p.  385: 

Rinchius'  äi  fra  lo  pecto 

Cosa  ke  t'äe  del  ver  dire  affranto. 
Cino  da  Pistoja  (im  Sonett:  AM  doloroso): 

E  eiaseun  giorno  rinovello  in  pianto 

E  son  affranto  —  d'ogni  allegramento. 
affragnere  auch  intransit.  „fehlen",  wie  prov.  sofranher: 
Dante  da  Majano,  Val,  II,  488: 

E  voglia  d'amar  lei  si  mi  distringe, 

Che  temo,  el  tempo  in  ciö  sol  non  m'affragna. 


-     46     — 

Aber  wagt  er  es  nicht  mit  Worten  sich  zu  erklären,  so  spricht 
sein  Antlitz  deutlich  genug,  in  seinen  Mienen  mag  also  Madonna 
lesen,  wie  treu  er  ihr  ergehen,  und  was  er  von  ihr  ersehnt: 

Folquet  de  Marselha,  M.  W.  I,  329: 

Per  so  nous  aus  mon  cor  mostrar  ni  dire, 
Mas  a  l'esgart  podetz  mon  cor  devire. 

Aimeric  de  Pegulhan,  M.  G.  1002,  4: 

e  ma  simpla  semblausa 
Podetz  saber  mon  fin  cor  ses  duptansa, 
E  vos,  sius  platz,  prendetz  n'esgardaiiicn. 

I)*Anc.  LXXXIII.  37: 

Perö,  donna  avenente, 

Per  Dio  vi  priego,  quando  mi  redete, 

Guardate  me,  cosi  conoscerete 

Per  la  mia  cera  ciö  che  '1  mio  cor  seilte. 

Möge  sie  ihm  gehen,  auch  ohne  dass  er  verlangt;  denn  das 
angenehmste  Geschenk  ist  dasjenige,  welches  unge fordert  darge- 
boten wird: 

Albert  de  Sestaro,  M.  G.  785.  3: 

Quar,  qui  ben  fai,  non  es  dregz  quel  car  venda; 

Qu'assatz  val  mais  ez  es  plus  saboros, 

Quan  ses  querre  es  facbz  avinens  dos, 

Quez  ab  querer,  sol  qu'om  trop  uoi  coutenda. 

Dante  da  Majano,  Val.  II.  475: 

Ma  quello  e  '1  dono.  ch'  uom  piü  ave  in  grato, 
Qual  senza  dimandar  trova  piacere. 

Ders.  ib.  483: 

Ma  doppio  dono  e  doiina  (1.  d'uomo?)  per  usanza, 
Che  da  senza  cberer  al  bisognoso. 

Der  Preis  der  Dame,  die  Schilderung  ihrer  Schönheit  und 
ihres  Werthes  geschieht  in  allgemeinen  Ausdrücken;  alle  treff- 
lichen Eigenschaften  sind  in  ihr.  Anmuth,  Liebreiz,  Verständigkeit 
und  feine  Sitte;  sie  wird  die  Blume  und  der  Spiegel  der  Frauen 
genannt: 


—     47     — 

Peirol,  M.  W.  II,  30: 

Qu'ilh  es  miralbs  e  flors 

De  totas  las  melhors. 

G.  Faidit,  M.  G.  488,  3: 

Quar  vos  etz  flors  e  miralhs  de  valor 

D'autras  domnas. 

D'Anc.  XVII,  40: 

quella,  ched  e  '1  fiore 

Di  tutte  l'altre  donne,  al  meo  parere. 

Friedrich  II,  Val.  I,  55: 

voi,  che  siete  fiore 

Sor  l'altre  donne  e  avete  piü  valore. 

D'Anc.  LIII,  143: 

Istella  d'albore, 
E  siete  miratore. 

Val.  II,  5: 

D'ogui  valor  gradita, 
Di  beltate  e  di  gioia  miradore, 

Dove  tuttore  —  prendono  mainera     (Val.  prendendo). 
L'altre  valente  donne  di  lor  vita. 
Sie  ist  das  Musterbild  der  anderen  Frauen,  an  dem  sie  sehen, 
wie  sie  sich  zu  benehmen   haben,  und   so  nennt  sie  Bondie  Die- 
taiuti  (Trucchi,  I,  101)  geradezu  chiaro  miraglio  ed  amoroso. 

Dergleichen  Ausdrücke  kehren  unendlich  oft  wieder;  die  ita- 
lienischen Dichter  nennen  ihre  Dame  besonders  häufig  rosa,  rosa 
aulente,  rosa  fresca,  rosa  colorita,  rosa  di  maggio,  u.  s.  w.,  und 
so  die  Bosa  fresca  aulentissima  des  sogenannten  Ciullo  d'Alcamo. 
Oder  man  sagt  von  ihr,  sie  übertreffe  die  lieblichsten  Frauen,  wie 
die  Rose  die  anderen  Blumen: 
Peire  Vidal,  V,  31: 

Que  bei'  es  sobre  las  gensors 
Plus  que  rosa  sobr'  autras  flors. 
D'Anc.  VIII,  23: 

Passate  di  bellezze  ogn'  altra  cosa 
Come  la  rosa  passa  ogn'  altro  fiore. 


—     48     — 

Die  Dame  gleicht  dem  Morgenstern  (stella  d'albore,  Stella 
cToriente,  Stella  Dien«)-,  sie  ist  die  chiarita  spera,  d.  li.  ihr  Ant- 
litz gleicht  der  leuchtenden  Sonnenscheibe;  sie  glänzt  schöner  als 
Edelsteine: 

Cadenet,  M.  G.  303,  1: 

Ai  doussa  flors  benolens, 
Plus  clara  que  flors  de  lis 
^Ni  miraedes  ni  robis 
M  carboncles  resplandens. 

D'Anc.  XLIII,  24: 

E  passa  perle,  smeraldo  e  giacinto. 

ib.  LXXXV,  19: 

Quella,  c'avanza  giaebinto  e  smeraldo.     (Val.  ehe  passa.) 

ib.  LXXXII,  31: 

Che  vostri  assettamente 
Passassero  giachinti  stralucente. 

Es  ist  immer  dasselbe  Bild  abstrakter  Vollkommenheit,  erstarrt 
in  conventionellen  Prädikaten,  ohne  Leben  und  Bewegung;  ihre 
Reize  werden  nur  in  den  allgemeinsten  Zügen  geschildert;  von 
einer  Individualität  der  Frau  findet  sich  hier  natürlich  keine  Spur. 
Diese  ganz  äusserliche  Lobpreisung  sucht  durch  Hyperbeln  zu  er- 
setzen, was  sie  durch  innere  Kraft  nicht  zu  leisten  vermag.  Die 
Dame  ist  so  herrlich,  sagen  die  Dichter,  dass  es  ihres  Gleichen 
nicht  geben  kann;  Gott  hat  kein  so  vollendetes  Werk  geschaffen 
wie  sie: 

Peire  Vidal,  XXXYI,  27: 

Qu'anc  deus  no  fetz  taut  avineu  jornal 
Cum  aieed  jorn  queus  formet  de  sa  mau. 

A.  de  Pegulhan,  M.  G.  604,  5: 

Anc  dieus  non  fetz  sa  par  ni  autretau. 

D'Anc.  XXXI.  G: 

C'altra  piü  bella  o  pare 
Non  poria  rinformare 
Natur'  a  suo  podire. 


—     49     — 

Gott  setzte  besondere  Kunst  darein  sie  zu  bilden;  er  dachte  an 
nichts  als  sie,  da  er  sie  erschuf: 

Peire  Vidal,  rv,  64: 

E  quan  la  volc  bastir 
Deus,  mes  i  son  albir. 
Q'en  reu  als  no  l'avia. 

Val.  II,  237: 

Non  credo  veramente, 
Ched  altro  avesse  a  mente, 
Quando  fe  Dio  si  bella  criatura. 

Sie  ist  so  einzig  in  ihrer  Vollkommenheit,  sagt  ein  anderer,  dass, 
würde  er  ihre  Reize  beschreiben,  er  damit  schon  verrathen  hätte, 
wen  er  liebe;  denn  jeder  würde  sie  aus  der  Schilderung  erkennen, 
auch  ohne  dass  sie  genannt  wäre: 

Blacasset,  M.  G.  151,  2: 

Car  s'ieu  lauzan  vostre  gen  cors  dizia 

So  que  per  ver  faissonar  i  poiria, 

Sabrion  tuich,  de  cui  sui  fis  amans, 

Per  qu'eu  en  sui  de  vos  lauzar  doptans. 
Raimon  Jordan,  Choix,  V,  381: 

De  lieis  lauzar  no  serai  trop  parliers, 

Qu'entendrion,  de  cui  sui  cavaliers, 

S'ieu  dizia  lo  quart  de  sa  valensa. 
D'Anc.  XLVII,  21: 

E  poi  cb'io  fosse  da  tal  douna  amato. 

Com'  eo,  che  se  contare  lo  volesse 

Le  sue  bellezze  certo  nou  porria, 

Poi  si  savria, 

Qual'  este  quella  douna,  per  cui  canto. 
(Die  ersten  Zeilen  scheinen  verdorben.) 

Niemand  hat  so  hohe  Liebe  wie  er,  der  die  Einzige  anbetet: 
Raimb.  de  Vaqueiras,  M.  W.  I,  365: 

Aue  non  amet  tant  aut  cum  ieu  negus 
Ni  tan  pros  domna. 

4 


—     50     — 

D'Anc.   KCIT,  9: 

Null'  oin  si  altamente 
Credo  sia  'namorato 
Ne  si  coralemeutc 
Agia  amore  incarnato, 
Com'  agio  iu  voi,  sovrana. 
Daher    ist    iiberschwänglich    seine  Empfindung   für  sie;   seine  Pein 
führt  ihn  zum  Tode,  von  dem  sie  nilein  ihn  retten  kann: 
(i.  Faidit,  M.  G.  180,  2: 

Quo  totz  mos  coratges  m'en  pen 
Vas  celicis,  quem  pogra  guerir, 
E  s'illi  non  a  de  me  morce, 
Pot  saber,  que  morai  dese. 
D'Anc.  LXXVII,  7: 

Ben  mi  poria  campare 
Quella,  per  cui  m'aveue 
Tutto  questo  penare. 
Kr  stirbt;   aber  süss  ist  ihm  selbst  der  Tod,  wenn  es  ihr  gefallt: 
Peire  Vidal,  XXXVI,  32: 

Si  m'aucizetz,  lionratz  sui  e  jauzens. 

Val.   II,   7: 

Sed  eo  prendesse  morte 
A  vostro  grado,  me  ne  piaceria. 
Blacasset,  M.  G.  151,  Gel.: 

Sius  platz,  dompna,  que  tiu'  amors  m'aucia 
Vos  desiran,  ja  nous  culdetz,  quem  sia 
Euois  en  re,  ans,  sius  es  plazers  grans, 
Serai  totz  temps  de  ma  mort  desirans. 

Nan.  Man.  I,  70: 

che  non  e  noia 

Morir,  s'ella  n'ha  gioia; 

Che  sol  viver  mi  piace 

Per  suo  servir  verace. 
Sic  bat  ihn  so  gefesselt,   dass  er  nicht  von  ihr  lassen  kann,  und 
so  mag  sie  nicht  fürchten,  dass  er  sich  je  einer  anderen  zuwende: 


—     51     — 

G.  Faidit.  M.  W.  II.  105: 

Ja  ma  dona  no  eng,  de  lieis  me  vir, 

Ni  altr'  amors  ja  lim  tolha  ui  m'aia  .  .  . 
Dante  da  Majano,  Val.  II,  440: 

Ne  giä  per  altra  lo  meo  cor  non  svio 

Ne  si  poria  allegrare, 

Si  aggio  fermo  in  voi,  bella,  el  volere. 
Die  Liebesbezeugung  einer  anderen  liilft  ihm  nichts: 
Uc  de  S.  Circ,  M.  G.  78,  5: 

S'ella  noni  val,  ja  autra  uo  m'aiut 

Ni  me -volha  nim  fassa  bei  semblan; 

Car  s'il  nom  vol,  autre  joi  non  deman. 
D'Anc.  XLI,  15: 

Non  m'e  neente, 

Sed  io  sou  d'altr'  amato  .... 

E  giamai  dal  mio  core  non  si  parte. 

Ne  altra  donna  amar  no  mi  sovene. 

Er  trägt  ihr  Bild  in  seinem  Herzen,   und,  ist  er  fern  von  ihr,   so 
erblickt  er  sie  dort  wie  in  einem  Spiegel: 
Amieric  de  Belenoi,  M.  G.  57,  3: 

Que  mos  leials  cors  m'es 
Miralhs  de  totz  sos  bes, 
Que,  quand  alhors  cortei, 
Pensan  ab  lieis  dompnei. 
Ders.  ib.  194,  2: 

Que  mon  cor  m'es  miralhs  de  sa  faisso. 
D'Anc.  XLI,  31: 

Membrandomi  la  sua  cera  piagente, 
Veder  la  creo  tutta  per  sembianti; 
Com'  om,  ca  lo  specchiare  tene  mcnte, *) 
Cosi  mi  pare  ch'io  l'agia  davanti. 


*)  nicht  c'  nlosji..  wie  D'Anc.  setzt:  denn  tener  mente,  por  menie  ..an- 
schauen" haben  bei  den  Alten  das  Objekt  ohne  Präposition. 

1  ■ 


—     52     — 

Nan.  Man.  I.  196: 

Com'  uomo  nello  speglio 
Si  vede  aftigurato, 
Cosi  il  suo  stato  —  paremi  vedere. 
wozu  bei  Nannucci  noch  andere  Parallelstellen  . 
Im  Traume  glaubt  er  oft  bei  der  geliebten  Dame  zu  sein: 
Ahn.  de  Belenoi,  M.  G.  899,  5: 

Mot  nie  tinc  per  pagatz  d'un  ser, 
Qu'en  fui  entre  sons  poderos; 
Ai  dieus,  e  com  era  joios, 
Quhn  laisses  dormir  a  lezer. 
Arn.  de  Maruelh.  M.  W.  I,  165: 

Soven  m'aven  la  nueg,  quan  sui  colgatz; 
Qu'ieu  sui  ab  vos  per  semblan  en  durmen; 
Adoncs  estauc  en  tan  ric  jauzimen, 
Qu'ieu  non  volgra  ja  esser  rissidatz. 
vgl.  auch  M.  Gr.  657,  5  u.  211,  5). 
D'Anc.   XLI.  25: 

Perzö  m'avene, 
Ca,  s'io  sogno,  la  veio; 
Dormo  e  donneu. 
Vegliar  mi  creo; 
Mai  non  desio 
D'aver  null'  altro  bene. 
Wäre  er  gegen  Gott  so  treu,  wie  er  es  gegen  sie  ist,  das  Paradies 
wäre  ihm  gewiss: 

Guillem  de  Cabestanh,  M.  W.  I.  114: 
S'ieu  per  crezensa 
Estes  vas  dieu  tan  fis. 
Vius  ses  falhensa 
Iutrera  en  paradis. 
Guittone,  son.  93: 

Che  se  verace  si  fuss'  io  ver  Deo, 
Com  son  vor  voi,  vivrei  senza  timore, 
Ne  gire'  a[l]  loco,  ov'  e  Santo  Matteo J). 

r)  oder  Ne  girea  loco  =  nc  giria  loco, 

wo  loco  das  bei  den  Alten  gebräuchliche  Ortsadverbium   wäre. 


—     53     — 

Aber  ihre  Liebe  ist  ihm  theurer  als  das  Paradies  selber: 
Arnaut  de  Maruelh,  M.  W.  I,  169: 

Que  sim  lais  dieus  s'amor  jauzir, 
Semblariam,  tan  la  desir, 
Ab  lieis  paradis  us  desertz. 
d.  h.  „so  wahr  Gott  mich  ihre  Liebe  gemessen  lassen  möge,  mit 
ihr  winde  inir  eine  Oede  das  Paradies    scheinen".     Vielleicht  ist 
aber  in  Ses  lieis  zu  ändern;   dann  wäre   es  ein  Gedanke,   der  mit 
feinerer    Wendung   wiederkehrt    in    dem    Sonette    des    Jacopo    da 
Lentini:  Io  nCaggio  posto  in  core  a  Dio  servire.  Val.  I,  319. 

Raimon  Jordan  versteigt  sich  zu  der  oft  angeführten  Ketzerei: 
Choix,  V,  380  (Pam.   Ocovb.  202): 

Que  s'era  cochatz  de  mort, 
Non  querri'  a  dieu  tan  fort, 
Que  lai  el  sieu  paradis 

M'aculhis, 
Com  quem  des  lezer 
D'una  nueg  ab  lieis  jazer. 

D'Anc.  XCVII,  49: 

Si  forte  mio  Dio  siete, 
Che  d'altro  paradiso 
Giamai  non  metto  cura. 
D'Anc.  Son.  II: 

Potendo  vostro  servo  dimorare 
Piü  paradiso  lo  mio  cor  non  crede. 

(D'Anc.  vermuthet  chiecle.) 
(s.  auch  D'Ancona's  Bemerkung,  Projpugnatore  VII,  1°,  56  f.) 

Die  Dame  war  ihm  gnädig;  sie  hat  begonnen,  ihn  zu  beloh- 
nen, und  da  Amore  sich  ihm  freundlich  zeigt,  so  geziemt  es  sieh. 
dass  er  seine  Freude  kund  thue  und  singe: 
B.  Calvo,  M.  G.  616,  5: 

Nom  puesc  tener  de  parveu  far, 
Com  sui  ben  amans  e  joios; 
Car  amors  m'a  volgut  honrar 
Mais  d'amador,  c'anc  el  mout  fos. 


—     54     — 

D'AllC.    L,    1: 

Ben  nii  degio  alegrare 

E  far  versi  d'amore, 

Ca,  cui  son  servidore, 

M'  ä  molto  grandemente  meritato. 
Er  singt  in  der  schlimmen  Jahreszeit  wie  in  der  guten,  nicht  bloss 
im  Mai,  wie  die  schlechten  Liebhaber: 
M.  G.  249,   1  (Peire  Vidal,  Anh.    HD: 

Ges  per  lo  freit  temps  no  m'irais, 

Ans  l'am  tan  com  fatz  la  calor; 

C  altresi  posc  aver  d'amor 

En  envern  bon'  escarida. 
D'Anc.  xxi  ir,  58: 

Ca  s'eo  canto  la  State, 

Quando  lo  bore  apare. 

Non  poria  ubriare 

Di  cantar  al  freddore, 

Cosi  mi  tene  Amore  —  il  cor  gandente. 

(\g\.  über  den  Gemeinplatz  von  den  Sommersängern  Mätzner, 
Altfrz.  Lieder,  p.  117). 

Wohl  hat  er  lange  Pein  erduldet;  aber  die  Freude  nach  den 
Schmerzen  ist  nur  um  so  süsser;  gesegnet  seien  daher  die  ver- 
gangenen Leiden: 

Perdigon,  Choix,  III,  344  (M.  G.  1413,    I): 
Ben  aiol  mal  e  l'afan  cl  cossir, 
Qu'ieu  ai  sufert  longamen  per  amor; 
Quar  mil  aitans  m'en  an  mais  de  sabor 
Li  ben,  qu'amors  mi  fai  aras  sentir. 
D'Anc.   XXII,  25: 

E  per  un  cento  m'  a  pin  di  savore 
Lo  ben,  c'Amore  mi  face  sentire, 
Per  lo  gran  mal,  che  m'  ä  fatto  soffrire. 
Perdigon,  ib. 

si  lo  mals  no  fos 
Ja  negus  bes  no  fora  saboros, 
Doncs  es  lo  mals  mellmramcns  del  be, 
Per  qu'usquecs  fai  a  grazir  <piau  s'avc. 


—     55     — 

D'Anc.  ib.  37: 

Neiente  vale  amor  sanza  penare; 
Chi  vuolc  amar,  convenc  mal  patire, 
Onde  mille  merce  n'agia  lo  male. 
D'Anc.  L,  7: 

Ben  agia  lo  martore, 
Ch'  io  per  lei  lungiamente  agio  durato. 
und  dgl.  öfters. 
Allein  häufiger  erscheint    die  Dame   als  grausam  und  uner- 
bittlich.    Sie    hat  alle  trefflichen  Eigenschaften,    nur    Liebe    und 
Gnade  fehlt: 

Folquet  de  Marselha,  M.  W.  I,  324: 

Car  ilh  val  tan,  so-us  plevis, 

Que.  si  sol  merces  i  fos, 

Ren  als  non  es,  quei  sofranha.     iM.  qui  m  s.) 
Val.  I,  262: 

Quella,  che  senza  intenza1) 

Tuttor  s'agenza  di  gentil  costumi, 

Fuor  ch'  ella  d'amar  nega. 
Dasselbe  ist  offenbar  der  Sinn  von  D'Anc.  XXX IX,  70: 

La  donde  ogne  hen  sol  merze  saria. 
wo  Val.   La   onde  hat,   d.  h.   onde  für   dove,   auf  die  prov.   sicil. 
Weise:  La  dove  sarebbe  ogni  bene,  sol  che  vi  fosse  mercede,   und 
vielleicht  zu  ändern  in  con,  mcrce,  oder: 

La'  nd'  e  ogne  ben,  sol  merze  [vi]  saria. 
Vgl.  G.  Faidit,  M.  G.  125,  4: 

Res  mas  merces  non  es  a  dire, 

Domna,  qu'ab  merce  solamen 

I  serian  complidamen  (.nämlich  honors,  pretz,  etc.  . 
Richärt  de  Barbezieu  in  der  Canzone:    Airessi  cum  Volifans, 
str.  4: 


*)  senza  interna  „ohne  Vergleich",  eigentlich  „ohne  Wetteifer,  l!i\a- 
lität".  S.  die  Stellen  für  interna  in  dieser  Bedeutung  gesammelt  von 
S.  Bongi  in  Zambrini,  Catalogo  di  Opere  Völgari,  Bologna,  1857,  p.  21)7. 


—     5G     — 

Lui  on  beutatz  e  joveus  c  valors 
Es,  que  noi  falb,  mas  im  pauc  de  merce, 
Quc  noi  sion  assemblat  tuieb  li  be. 
Aim.  de  Belenoi,  M.  G.  890,  2: 

vostre  cors,  qu'es  complitz 
De  totz  bes  mas  sol  de  merce. 
Dante  da  Majano,  Yal.  II,  443: 

D'ogni  valor  compita 
Fora  vostra  bontate, 
S'  un  poco  di  pietate 
Fosse  in  vostro  cor  misa, 
Ne  cosa  altra  gradita 
Alla  vostra  biltate 
Manca,  Donna,  sacciate, 
Che  pieta,  ciö  m'avvisa. 
Und  dennoch,  wo  sich  alle  Vorzüge  vereinigen,  wie  kann  da  Milde 
und  Erbarmen  fehlen? 

G.  Faidit,  M.  W.  IL  84: 

Meravilh  nie,  pus  ab  mi  dons  es  tan 
Pretz  e  valors,  plazers  e  digz  cortes, 
Com  pot  esser,  que  noi  sia  merces; 
Em   meravilh  de  lieis,  on  es  honors, 
Sens  e  beutatz,  que  ja  noi  sia  amors. 
Ders.  M.  G.  100,  4: 

Que  lai,  on  es  beutatz  e  pretz  valens, 
Non  deu  falhir  merces  ni  chausimens. 
Val.  II,  84: 

Che  fallir  non  porria 
Merce  ne  senno  ne  tutt'  altre  virtute. 
1.  Merce  «'  e  senno,  ec. 
ib.  II,  10: 

si  conforto, 
Che  non  seria  diporto  1) 
Taut'  adunato  in  parte  per  natura 
For  pietate. 

*)  diporto  „Reiz",  wie  so  oft  piacere  bei  den  Alten. 


—     57     — 

Und  sie  soDte  nicht  so  hart  sein;    denn   säumt  sie  lange  mit  der 
Gnade,  so  stirbt  er,  und  nach  dem  Tode  ist  alle  Hilfe  umsonst: 
Cadenet,  M.  G.  99,  5: 

Eu  die  e  sai,  que  mais  valria, 
Que  dompnal  sieu  acorregues  enan 
La  mort  que  pois;  car,  sitot  a  talan 
De  revenir,  pois  non  a  ges  poder. 
Val.  1,  118: 

Che  l'uom,  da  poi  ch'  e  morto, 
Non  vale  aleuna  gioia  dimostrare, 
Che  ritornare  —  il  possa  nel  suo  stato. 
D'Anc.   XCV,  59: 

Merze,  anzi  ch'  io  mora  iu  vostra  mano: 
Porgesi  invano  —  al  morto  medicina *). 
Er  gehört  ihr  ganz  zu  eigen,  und  es  ist  nicht  schön,  seine  Härte 
an  dem  Unterworfenen  zu  zeigen: 

Giraudo  lo  Ros,  Choix,  III,  11  (M.  G.  438,  3): 
E  nom  par  ges  valors  ni  galhardia, 
Qui  destrui  so  que  trob'  apoderat. 
D'Anc.  VII,  4: 

Non  e  valenza  far  male  a  sofrente. 
Aehnliches  stand  an  einer  verdorbenen  Stelle  Messer  Polo's, 
Val.  I,  134.    Dieselbe  lautet  nach  der  Lesart  von  B,  163,  wie  diese 
auch  schon  Crescimbeni  (III,  69)  genau  wiedergegeben: 
Ch'  audit'  ö  tenzonare: 
Colui  e  da  blasmare, 
Che  suo  pregio  dannea  cd  a  tormeuto, 
•   Poiche  s'  e  messo  in  sua  coufidanza. 

zu  bessern  in: 

Ch'  audit'  ö  tenzonare:  (1.  memonare?) 

Colui  e  da  blasmare, 
Che  suo  preso  daimea  e  da  tormento. 
„zu  tadeln  ist,  wer  seinen  Gefangenen  schädigt  und  peinigt". 


*)  Ueber  diese  triviale  Klage  der  Liebenden  spottet  die  schelmische 
Gemma  leziosa  des  Ciacco  dall'  Anguillaia;  sie  verspricht  ihrem  Anbeter, 
wenn  er  gestorben,  für  ihn  Messen  beten  zu  lassen. 


—     58     — 

Da  er  Madonna's  Eigcnthum,  so  ist  es,  wenn  er  stirbt,  mir  ihr 
Schade;  Bie  verliert  dann,  was  ihr  zugehört,  und  man  wird  sie 
deshalb  schelten: 

Blaeatz.  M.  W.  II.  136: 

•  Per  vos,  doiinia.  morrai, 
Quar  me  trobatz  verai, 
Vos  cii  prendetz  lo  dan, 
•     E  nou  es  benestan, 

Qu'  om  eis  los  sieus  aucia. 
M.   (..   946,  2: 

Mas  plus  greu  m'es,  quar  ieu  sai, 
Que  blasme  n'aura  jasse, 
Sim  fai  murir,  que  pert  nie. 
D'Anc.  XXXVIII,  21: 

Ca,  s'io  troppo  dimoro,  aulente  cera, 
Pare,  cb'  io  pera,  e  voi  mi  perderete. 
Val.  I.  284: 

Ca,  s'eo  mi  moro,  eil'  ha  lo  perdimento. 
D'Anc.   LXVI,   63: 

E  se  pur  m'aucidete, 

Sarävi  misprescianza. 

So  noch  Petrarca  (Ganz.  Nel  dolce  tempo,  str.  5): 

Non  son  mio.  no;  s'  io  moro.  il  danuo  e  vostro. 
Die  Feinde  der  Liebe,  diejenigen,  welche  das  Glück  des  Lieb- 
habers  verhindern   oder   zerstören   und   ihn   beständig   mit  Furcht 
erfüllen,  sind  die  bösen  Zungen,  die  rei  parladori  oder  lusingatori 
(laugengier).     Von  ihnen  sagte  G.  Faidit,  M.  G.  31,  6: 
C  ab  los  fals  brais 
Dels  lauzengiers  savais, 
Cui  dieus  abais, 
Se  vir'  amors  cn  caire 
E  fraub  e  fen. 
und  Friedrich  II,  D'Anc.  LI,  14: 

Che  paura  mi  metto 
Ed  ö  sospetto  —  dela  mala  gentc, 
Che  per  neiente  —  vanno  disturbando 
E  raiupognaiulo  —  cbi  ama  lealmente. 


—     59     - 

Was  die  lausengier  eigentlich  sind,   zeigen   aufs   beste   die  Worte 
des   Arnaut  de  Manulh.  M.  W.  I,  158: 

Aitan  se  pert,  qui  cuja  plazers  dirc 
Ni  lauzengas  per  mou  cor  devinar. 
Es  sind  also  solche,  welche  zu  Munde  reden,  um  die  Gehefcinisse 
der  Liehenden  herauszulocken,  weshalb   sie   eben   auch  devinador 
heissen,    die    Errather    der    Herzensgeheimnisse.      Um    ihretwillen 
aber  soll  man  nicht  von  feiner  Liehe  lassen: 
Peirol,  M.  W.  II,  4: 

Lauzenga  ni  devinalha 

D'enuios  nom  cal  temer. 

Sol  pessar  de  lieis  nom  falha. 

D'Anc.  XYIII.  31: 

A  raio  vivente,  Amore, 

Io  non  ti  falliragio 

Per  lo  lusingatore, 

Che  parla  di  tal  fallagio,    1.  di  fall.? 

Ed  io  si  t'ameragio 

Per  quello *),  ch'  e  salvagio. 
Von    ihren   falschen   Reden   soll    die  Dame    sich    nicht    bestricken 
lassen,  wenn  sie  sie  glauben  machen  wollen,  der  Liebhaber  sei  ihr 
untreu  geworden. 

Raimbaut  de  Vaqueiras.   M.  W.  I.  371: 

Belha  dorana  valens. 

Cortesa  e  conoissens. 

Non  crezatz  lauzengier 

Xi  gilos  mal  parlier 

De  me,  qu'ab  vos  remanh  .  .  . 


')  per  quello  „trotz  ihm",  vgl.  D'Anc.  XLYI.    tl  : 
Canto  amorosamentc 

Per  quella  ria  gente,    (so  Val.;   d'Anc.  VercK  e  la 
Che  mi  vanno  inchcrendo 
La  gioia,  ond'  io  son  fine  benvoleute. 
(die  Freude,  d.  h.  die  Liehliche,  deren  Freund  ich  biuV 


—     60     — 

D'Anc.  LVI,  21,  wo  die  Verse  so  herzustellen  sein  werden: 
Oi  bella  dolzetta  mia. 
Non  far  si  grau  fallimento 
Di  credere  a  (la)  gente  ria 
De'  lor  falso  parlamento. 
Le  lor  parole  sono  viva  lanza, 
(Che)  li  cori  van  pungendo 
E  dicendo  —  per  mala  indivinanza. 
Donna,  merze,  cli'  io  'ncendo 
[Pur]  vegendo  —  partir  si  dolze  amanza1). 
Um  dieser  bösen  Feinde  willen,  welche  sie  umlagern  und  ihr 
Thun  ausspähen,  müssen  die  Liebenden  vorsichtig  und  diskret  sein. 
Heimlichkeit    ist    neben  Treue    und    Geduld    das   Gesetz    für    dun 
echten   Liebhaber;    er    soll   servir,    amar,    celar   e   soffrir  (M.   G. 
439,  2);  durch  Kundwerdung  sinkt  die  Minne  herab: 

Qu'  amors  per  decelar  dechai.  M.  G.  468,  5. 

Amor  si  de'  celare  .  .  . 

Se  vene  in  pala.  perde  sua  vertute.     D'Anc.  XLVII,  29. 
und  so  vorsichert  der  Dichter  die  Dame,  dass  kein  Wort  von  ihrer 
Liebe  über  seine  Lippen  kommen  soll: 
Guiraut  de  Calanso,  Choix,  III,  389: 

Xis  eug,  quem  pas  las  dens 
Uns  motz  descovinens. 

Val.  II,  5: 

Per  mevi  tardo  palese  coraggio 

Fatto  seria,  sacciatelo  per  certo. 
Er  will  wohl  singen,  aber  mit  Vorsicht  und  Klugheit,  und   ohne 
zu  verrathen,  wem  der  Gesang  gelte: 
Lanfranc  Cigala,  M.  G.  715,  Gel. 

Ja  no  dig'  om,  qu'eu  fassa  falhimen, 

S'ieu  chan  d'amor  ni  fatz  d'amor  parvensa; 

Qu'aissi  chantan  sai  la  celadamen 

Cubrir,  don  nais  mos  jois  ni  m'entendensa. 

J)  vgl.  D'Anc.  LVII,  81: 

Tutto  'ncendo 
Pur  vegeudo. 


—     61     — 

D'Anc.  XLII,  1: 

Allegrameute  canto 
Ccrto  ed  a  gran  ragione 

Com'  amador,  c'  ä  gioia  a  suo  volire; 

Ma  non  ch'  io  giä  per  tanto 

Dimostri  la  cagione 

Dela  mia  gioi,  che  ciö  saria  fallire. 
Hinter    dem  Liebesstörer    steckt,    wie    bei    den   Troubadours, 
häufig    der    eifersüchtige    Gatte;    daher    sagt    die    Dame,    D'Anc. 
LIX.  49: 

Ca  si  distretto  mi  tene 

Quelli  cui  Cristo  confonda. 

(Poi)  non  m'auso  fare  ala  porta,  .  .  . 
und  damit  erklärt  sich  eine  schwierige  Stelle,  ib.  LXVIII,  43  ff. 

Chi  'ntra  noi  partimento 

S'intramise  di  fare1), 

Agian2)  da  Dio  tal  guerra, 

Che  non  (n')apara  piui 3), 

Cosi  come  lo  vento 

La  polver  fa  levare, 

Che  face  dela  terra, 

Si  divegna  di  lui! 

(E)  no  le  sia  piü  marito, 

Moia  non  soppelito. 
also:  er,   der  Böse,   sei  nicht  mein-  ihr  Gatte;   sie  möge  ihn  Ver- 
stössen, da  er  ihr  ihre  unschuldigen  Freuden  stört.    Es  liegt  hierin 
ungefähr  die  Lehre,  welche  Uc  de  Mataplana  dem  Rainion  de  Mi- 
raval  gab,  als  dieser  seine  Frau  verstiess: 

Car  maritz,  a  cui  platz  jovens, 

Deu  sofrir  per  so  c'atressi 

Sofrau  lui  siei  autre  vezi.  Arch.  34,  195. 

')  s'intramettere  di  fare,  wie  prov.  s'entrametre  de  faire  =  sich  mit 
etwas  abgeben. 

"2)  Die  Hs.  hat  agiano;  es  stand  wohl  agia;  doch  ist  agian  agia-ne 
denkbar. 

3)  non  apara  <piu  ..dass  er  verschwinde,  vergehe".  D'Anc.  non  n'ä 
para. 


—     62     — 

die  Lehre  der  gegenseitigen  Duldung  in  der  Ehe  für  ausserhalb 
derselben  liegende  Verhältnisse.  In  der  That  ist  ja  die  Liebe 
der  Troubadours  durchaus  nicht  die  zwischen  Gatte  und  Gattin: 
im  Gegentheil  ist  es  ein  Verstoss  gegen  die  conventionellen  Kegeln 
der  Minne,  dass  dieselbe  hier  stattfinde;  das  schon  vorhandene 
Band  schien  die  freie  Aeu-->Tung  der  Empfindung  zu  beeinträch- 
tigen. Die  Liebe  hat  mit  der  Ehe  nichts  zu  thun,  steht  vielmehr 
zu  ihr  im  Gegensatze;  der  Gatte  und  die  Gattin  sind  jener  Dich- 
tung unpoetische  Elemente.  Es  war  daher  nur  der  der  ritter- 
lichen Minne  unkundige  Copist,  welcher  in  der  vaticanischen  Hand- 
schrift über  Mazzeo  Ricco's  Gespräch  zwischen  Messere  und  Madonna 
(D'Anc.  LXXIX)  die  Worte  setzte:  Mazeo  di  Bicco  e  Ja  Moglie, 
und  Borgognoni  that  nicht  wohl,  das  für  haare  Münze  zu  nehmen. 
Die  Minne  selbst  ist  bei  den  Troubadours  ein  abstraktes 
Wesen,  zu  dem  sie  sprechen,  das  sie  preisen,  über  das  sie  sich 
beklagen.  Zu  einer  bestimmteren  Personiiication  ist  es  freilich 
nicht  gekommen;  wie  alle  übrigen  Gestalten  dieser  Dichtung  ist 
auch  Amore  eine  leere  Allgemeinheit  geblieben,  und  allgemein  und 
typisch,  wie  immer,  ist  die  Beschreibung  der  Wirkungen,  welche 
er  ausübt.  Von  Amore  geht  alle  Trefflichkeit  aus,  und  niemand 
kann  tüchtig  sein,  wenn  er  nicht  von  Liebe  erfüllt  ist: 
G.  Faidit,  M.  W.  II.  105: 

Nulhs  liom  no  pot,  ses  amor,  far  que  pros, 

Si  noi  enten  o  noi  a  s'esperansa; 

Quel  jois  d'amor  es  tan  fis  e  tan  bos, 

Qu'  encontra  lieis  non  es  mais  benenansa. 
Ser  Pace,  Val.  II.  406: 

E  chi  non  ama.  non  puote  avanzare 

Valor  e  pregio  ne  esser  benestante, 

E  partesi  da  tutta  beninanza. 
Amore  macht  den   Gemeinen  tüchtig,   den   Thörichten   klug,    den 
Geizigen  freigebig: 

Aim.  de  Pegulhan,  M.  W.  II.  165: 

Enquera  truep  mais  de  be  en  amor. 

Quel  vil  fai  pros  el  nesci  gen  parlan 

E  l'escars  larc  .... 


—     63     — 

Buonagiunta.  Val.  I.  510: 

Che  Amore  ha  in  se  vcrtode, 
Del  vil'  uom  face  prode, 
S'egli  e  villano,  in  cortesia  lo  muta, 
Di  scarso  largo  a  divenir  lo  aiuta. 
Macht  Amore  furchtsam  und  vorsichtig,  so  verleiht  er  doch  auch 
Kühnheit: 

Cadenet  M.  G.  G76,  1: 

Ah.  cum  dona  ric  coratge 
De  preiar  ed  ardimen 
Amors  .... 
Ser  Face,  Val.  II,  408: 

Amor  dona  coraggio  e  ardimento. 
D'Anc.  VI.  9: 

Grande  arditanza  e  coragiosa 
In  guiderdone  Amor  m'  ä  dato. 
Amore  lohnt  alle  Pein,  die  man  erduldet,  wenn  man  ihm  nur 
treu  ergeben  ist: 

Guillem  de  S.  Didier,  M.  W.  II,  40: 

Us  belhs  respiegz  me  vai  recofortau, 
Qu'en  petit  d'ora  aiuda  son  fizelh 
Gentils  amors,  qui  l'enquier  merceian. 
D'Anc.  XXXIII.  19: 

Xon  mente   —   [Amor]  a  quelli,  che  sou  suoi, 

Anti  li  dona  gioi *), 

Come  fa  buon  segnore  a  suo  servente. 


')  Dieser  Reim  gioi  :  suoi,  und  andere  dergleichen:  gioi  :  poi,  D'Anc. 
XXIII,  9;  gioi  :  voi,  XXXVIII,  18;  gioi  :  poi,  LXVIII,  17.  ebenso  Val.  I. 
451.  und  gioi  :  voi,  Val.  I,  500,  beweisen  wohl,  dass  an  den  vielen  Mei- 
len, wo  gioia  im  Vei-se  für  eine  Silbe  zählt,  gioi  gesprochen  wurde,  wie 
es  Bembo  (Prose,  III),  Crescimbeni  Com.  I.  9  .  Quadrio  (I,  669),  Affö  Dizio- 
nario  Precet.  p.  293)  annahmen,  während  Andere  an  Auflösung  des  ./'  in 
einen  Vocal  und  Sprechung  eines  Triphthongs  dachten.  In  den  Handschriften 
ist  im  Verse  meist  gioia  ausgeschrieben,  doch  auch  gioi,  /■■  B.  in  A.  l.XIX. 
17,  B,  155,  str.  2  u.  4,  oder  gio,  \.  ibs  9;  B.  245,  str.  1  u.  3;  131.  u.  öfters; 
freilich  auch  gioa  A.  LXX,  20.     Was  aber  für  gioia  gilt,  nämlich  die  Apo- 


—     64     — 

Darum  soll  man  über  Amorc  nicht  Klage  führen: 
M.   (r.  468,  7: 

Ja  d'amor  nos  deu  hom  doler, 
Que  plus  que  uulh  jorn  uo  forfai 
Esmeud'  a  sazos  eu  uu  ser. 
D'Anc.   XXXIII,  15: 

Pero  la  tegno  grande  scanosceuza, 
Chi  rimproccia  al'  amore  i  suo  tormente. 
Und  hiezu  im  Gegensatz  spinnt  sich  dann  gerade  die  umge- 
kehrte   Gedankenfolge    ab;    die  Klage   über  Amore,    weil    er    den 
Dichter    so    heftig    peinigt,    und    duldet,    dass    Madonna    grausam 
bleibe: 

Aim.  de  Pegulhan,  M.  G.  740,  1: 

Amors,  a  vos  meteissam  dam  de  vos. 
Quar  etz  en  mi  intrada  solamen. 
Monte  Andrea,  Val.  II,  24: 

Di  te  medesmo,  Amore,  mi  ricliiamo. 
Cod.  B,  no  350,  Propugnatore,  XI,  1°,  p.  228: 

A  te  medesmo  mi  ricliiamo,  Amore, 
Di  te,  se  'nver  di  me  fai   fallimento-, 
Ch'  amar  mi  fai  madonna  di  bon  core, 
E  '1  meo  servire  e  contra  '1  suo  talento. 
D'Anc.  LXXII,  1: 

Amor,  non  saccio,  a  cui  io  mi  ricliiami, 
Si  Iaido  m'  äi  feruto, 
Se  nou  a  quelli,  cui  dimostri  c'  ami. 
Amore   that  Unrecht,  ihn   so   hoch   lieben   zu    lassen,  von   wo   er 
keine  Hoffnung  auf  Erhörung  hat: 


cope  des  Endvocals,  wird  dann  auch  für  die  andern  oft  angeführten  "Worte 
anzunehmen  sein,  in  denen  der  Endsilbe  jo,  ja,  je  ein  betonter  Vocal  voran- 
geht, und  die  ganze  Gruppe  als  eine  Silbe  betrachtet  -werden  konnte, 
Pistoja  liei  Petrarca,  noia  bei  Boccaccio;  migliajo,  primajo  u  s.  w.  bei 
Dante  (vgl.  auch  Opere  Mmori  I,  97,  n.  2),  marinajo,  Nan.  Man.  I,  113; 
moio,  einsilbig,  Tai.  I,  76;  aie  desgleichen,  Guittone,  son.  157,  orgoi  (orgojo, 
orgoglio),  derselbe,  son.  33,  u.  dgl.  m.  Vgl.  das  bei  den  Alten  so  häufige 
mei  =  meglio,  voi  =  roglio. 


—     65     — 

Bern,  de  Ventadorn,  M.  W.  I,  38: 

Ab  amor  m'er  a  contendre, 
Qu'ieu  no  m'en  puesc  mais  tener, 
Qu'en  tal  luec  m'a  fag  entendre, 

Don  ja  nulli  joi  non  esper. 
Val.   I,  210: 

Blasmomi  dell'  Amore, 
Che  mi  donao  ardimento 
D'amar  si  alta  amanza. 
Hier  dann    auch   die  Umkehrung  jenes  Bildes  vom  guten   Herrn: 
es  ist  thöricht,  einem  schlechten  Herrn   zu  dienen,   welcher  die 
Treue  nicht  belohnt: 

Uc  de  S.  Circ,  M.  G.  1153,  1: 

Be  fai  granda  follor, 
Qui  met  en  fals  senhor 
Tot  son  cor  ni  s'  amor. 
G.  Faidit,  M.  G.  4G0,  3: 

Ben  fai  grans  follors, 
Qui  renb'  ab  mals  senhors, 
Don  neguna  bonors 
Non  aten  quel  n'escbaia. 
D'Anc.  LXXII,  31: 

A  me  e  adivenuto  per  inganno, 
Como  a  manti *)  avene ; 
Ch'  a  reo  segnore  omo  perde  l'affanno, 
Laonde  aspetta  bene. 
Er  möchte  wohl  ablassen;  aber  Amore  ist  unwiderstehlich: 
R.  de  Miraval,  M.  G.  1083,  1: 

Res  contr'  amors  non  es  guirens 
Lai,  on  sos  poders  s'atura, 
E  noi  vol  autra  mesura, 
Mas  qu'  om  siegal  totz  sos  talens. 
D'Anc.  LXXXI,  7: 

C'Amore,  che  sormonta  ogne  ardimento, 
Mi  sforza  e  vince  e  mena  al  suo  talento. 


')  Ms.  amante,  D'Anc.  [ad]  amante. 


—     66     — 

Wobei  der  häutige  '  i < -m« -in} >l;tt x .  Madonna  möge,  wenn  sie  über 
seine  Liebe  zürne,  nicht  ihn  darob  anklagen,  der  nichts  dafür 
könne,  sondern  Amore  und  ihre  Schönheit,  welche  ihn  gewaltsam 
fesseln : 

Ahn.  de  Pegnlhan,  M.  G.  739,  4: 

Vostra  beutat  blasmatz,  que  m'abelhi, 
E  pueis  blasmatz  amors.  que  m'enanti, 
E  s'ieu  i  fatz  nescies  ni  folbor, 
Xou  blasmetz  me,  mas  vos  eis  ez  amor. 

VaL  I,  212: 

S'io  perö  son  mispriso, 
L' Amore  ne  biasmate 
E  la  vostra  beltate, 
Che  m'  ha  d'amor  si  priso. 
(vgl.  D'Anc.  LXXXIII,  21. 
Zum  Uebel  hat  der  Dichter  mit  Minne  Bekanntschaft  gemacht: 
Pons  de  Capduelh,  M.  W.  I.  349: 

Mas  mal  vi  s'amistansa,     (d.  r.  Amors'') 
Qu'  anc  non  aic  benanansa. 
Nom  tornes  pueis  a  dau. 
D'Anc.  I,  IG: 

Amor,  vostr'  amistate  vide  male.    (,sah  ich  zum  Unglück.) 
Zum  Uebel  schaute  er  die  Reize  der  Dame: 
Peire  Vidal,  XLIV,  17: 

Mala  vi  sa  grau  beutat 
E  sa  cortesia. 
Guittone,  son.  80: 

Abi!  com  mal  vidi  sua  beltä  piaceute 
E  suo  cbiar  viso  e  suo  dolee  avvenire. 
Seine  Augen,  welche  sie  anblicken  wollten,  tragen  die  Schuld,  dass 
er  nun  so  viel  Schmerzen  leidet: 

Rainion  de  Salas,  Choix,  V,  394: 

E  donc  mei  olh  cum  la  pogron  vezer, 

Car  n'ai  perdut  d'els  e  de  mi  poder! 

So  m'au  ilb  fag.  don  mos  cors  vai  ploran. 


-     67     — 

D'Anc.  LXXIII,  10: 

Gli  occhi  mei  ci  'ncolparo, 
Che  volser  riguardare, 
Ond'  io  n'ö  riceputo  male  a  torto, 
Quand'  egli  s'avisaro     (sich  begegneten) 
Cogli  occhi  micidare. 
Und  warum  bekämpft  und  peinigt  Amorc  nur  immer  ihn,  der 
ihm  doch  schon  unterworfen  ist,  und  nicht  lieber  Madonna,  welche 
ihm  Widerstand  leistet: 

Raimon  Jordan,  M.  G.  787,  5: 

Amors,  ben  faitz  volpilhatg'  e  falhensa, 
Quan  mi,  que  sui  vencutz,  venetz  ferir, 
E  laissatz  leis,  cui  non  pot  convertir 
Dieus  ni  merces  ni  dregz  ni  conoissensa. 
Guittone,  son.  26  (zu  Amorc  redend): 

E  sempre  mi  combatti  ogni  stagione; 
Perche  lo  fai,  poi  sono  a  tua  balia? 
Che  non  her  quella,  che  contra  te  pone 
Suo  senno  e  suo  talento  e  te  guerria? 
Derselbe  Gedanke   dann  noch  bei  Petrarca,  umgeformt  nach 
seiner  Weise,  son.  Era  7  giorno: 

Perö,  al  inio  parer,  non  gli  fu  onore 
.     Ferir  me  di  saetta  in  quello  stato, 
E  a  voi  armata  non  mostrar  pur  l'arco. 
Mag  Amorc  doch  auch  sie  einmal  seine  Macht  fühlen  lassen, 
dass  sie  wisse,  was  er  leidet,  und  Erbarmen  mit  ihm  habe: 
Peirol,  M.  W.  II,  19: 

D'altre  trabalh  prec  deu  que  lam  defenda, 
Mais  un  sol  jorn  volgra  qu'ela  sentis 
Lo  mal  qu'eu  trai  per  lei  sers  e  matis. 
Val.  I,  464: 

A  mia  donna,  che  neute 
Cura,  perche  uon  sente 
Delle  mie  pene  amare, 
Falline,  Amor,  saggiare, 
Ch'  aggia  di  nie  pietanza. 


—     68     - 

Ein    beliebter   Gegenstand    dieser    alten   Lyrik   ist    die   Frage 
nach  dem  Wesen  der  Minne,  nach  ihrer  Entstehung  und  der  Weise 
ihrer  Wirkung  im  Menschen.     An  irgend  welche   Tiefe   der  Beob- 
achtung ist  hier  so  wenig  zu   denken  wie  sonst  wo.     Uc  Brauet 
.  Choix,  III,  315: 

Amors,  que  es  us  esperitz  cortes, 
Que  nos  laissa  vezer  mas  per  semblans; 
Quar  d'uelh  en  huelh  salk  e  fai  sos  dous  laus, 
E  d'uelh  en  cor  e  de  coratge  en  pcs. 
welche  Stelle  wohl  Guido   delle  Colonue  im  Sinuc    hatte,  als   er 
sang,  Val.  I,  186: 

Amore  e  imo  spirito  d'ardore, 

Che  non  si  puö  vedire; 

Ma  sol  per  li  sospire 

Si  fa  sentire  a  quello  ch'  e  amadore. 

Minne  entsteht  aus  Sehen  und  Gefallen,  dieses  ist  die  triviale 
Erklärung  für  den  Ursprung  der  Liebe,  die  von  den  Provenzalen 
überkommen  bei  den  Dichtern  der  sicilianischen  Schule  sich  un- 
ablässig wiederholt  findet: 

Ahn.  de  Belenoi,  M.  G.  904,  3: 

Qu'amors  non  es  mas  plazers. 
ib.  4: 

Que  fin'  amors,  so  sapclmtz. 
Nun  es  als  mas  voluntatz, 
Qu'adutz  ins  el  cor  vezers, 
Don  la  rete  bels  plazers, 
E  viu  de  dous  pessamon. 

Also:  der  Anblick  lässt  die  Liebe  entstehen,  das  Wohlgefallen 
am  Geschauten  hält  sie  im  Herzen  fest,  und  sie  nährt  sich  von 
süssen  Gedanken;  gerade  wie  Uc  Brauet  sagt,  sie  gehe  vom  Auge 
zum  Herzen,  von  der  Empfindung  zum  Gedanken.  Aehnlich  auch 
Aimeric  de  Pegulhan,  M.  G.  737,  5: 

Sapchan  qu'amors  es  mia  bevolensa, 

Que  nais  del  cor  e  dels  huelhs  ses  duptar. 


—     69     — 

D'Anc.  XXXV,  25: 

Ma  lo  flu  piacimento, 
Di  cui  l'amor  discende, 
Solo  vista  lo  preude, 
-     Ed  i'  cor  lo  nodrisce. 
Val.  I,  308: 

Amore  e  un  desio,  che  vien  dal  core 
Per  Pabbondanza  di  gran  piacimento, 
E  gli  occlii  in  prima  generan  l'amore, 
E  lo  core  li  da  nutricamento. 
Sei-  Face,  Val.  II,  415: 

Amor  discende  v)  e  nasce  da  piacere 
E  dona  all'  uomo  pena  ed  allegranza, 
E  '1  suo  cominciamento  e  per  vedere. 
Bondie  Dietaiuti,  Trucchi,  I,  101: 

Perö,  canzon,  va  a  dire  ad  ogni  amante, 
Che  lo  veder  mi  par  la  prima  cosa, 
Per  ch'  uom  piü  s'innamora  per  usanza, 
Avvegnache  il  piacere  e  l'affermante,  .... 
Daher  heissen  die  Augen  die  Boten  des  Herzens: 
Aim.  de  Pegulhan,  M.  G.  737,  4: 

Quar  li  huelh  son  drogoman 
Del  cor,  e  l'uelh  van  vezer 
So  qu'al  cor  platz  retener. 
Tartimen  de  Guiraut  e  de  Peironet,  Meyer,  Recueü  cTanc. 

text.  p.  97: 

Car  li  huelh  son  totz  temps  del  cor  messatge. 

Val.  I,  196: 

Gli  occhi  allo  core  sono  li  messaggi 

De'  lor  cominciamenti  per  Ventura. 


*)  Auch  das  Wort  discende  ist  hier  typisch,   so  auch  Guidi  Guinicclli, 
Val.  I,  81: 

E'  par,  che  da  verace  piacimento 

Lo  fino  anior  discenda. 
vgl.  das  Partimen  Guirauts  und  Peironets,  Reeucd  dune,  teoct.  p.  98: 

Car  per  los  huelhs  amors  el  cor  deissen. 


—     70     — 

Val.   II,  381: 

GH  occhi,  che  son  messaggi  dello  coro  .... 
Trucchi,  I,  248: 

Gli  occhi,  che  dello  cor  son  messaggieri  .... 

Die  italienischen  Dichter  haben  an  diesem  Gegenstände  ganz 
besonderen  Geschmack  gefunden;  vorzüglich  beschäftigt  sie  auch 
die  Frage,  ob  Amore  wirklich  ein  reales  Wesen  oder  nur  die 
menschliche  Empfindung  selber  sei.  Mazzeo  Ricco,  D'Anc.  LXXXI,  18, 
behauptet,  Amore  sei  nichts  anderes 

Se  non  distretta  voglia  solamente  .  .  . 

C'Amor  non  prende  visibolemente, 

Ma  par  che  nasca  naturalementc. 
Die  Empfindung  entsteht  innerlich  im  Menschen  ohne  Eintiuss 
einer  wirklichen  äusseren  Macht,  die  Amore  wäre.  Und  Jacopo 
Mostacci  in  einem  Fragesonette  (Val.  II,  208)  ist  derselben  Ansicht, 
dass  Minne  nichts  an  und  für  sich  sei  (non  per  se  mi  pare).  Auf 
dieses  Sonett  scheint  fast  die  Antwort  jenes  dem  Pier  delle  Vigne 
zugeschriebene  zu  sein:  Perb  cli  Amore  non  si  pub  vedere  (Val. 
I,  53),  welches  die  Realität  Amore1  s,  trotz  seiner  Unsichtbarkeit, 
vertheidigt.  Ein  anderes  Sonett  (Val.  I,  310):  Feruto  sono  isr<i- 
riatamente,  das,  auch  nach  der  vaticanischen  Handschrift,  von  Ja- 
copo da  Lentini  sein  soll,  tadelt  die  Dichter,  welche  Amore  als 
Gott  bezeichnen,  und  die  toscanischen  Dichter  sind  gleichfalls 
eifrig,  die  Gottheit  Amore  's  zu  leugnen  und  die  Wirkungen  des- 
selben auf  natürlichem  Wege  zu  erklären,  so  Maestro  Francesco: 
Molti  V Amore  ajjeJlano  dietate.  D'Anc.  Son.  V;  Maestro  Torrigiano: 
2se  volentier  lo  dico  ne  lo  taccio  und  Chi  non  sapesse  oen  la  veri- 
tate.  Trucchi,  I,  131,  f. 

Die  Theorieen  über  die  Liebe  sind  für  die  weitere  Entwicke- 
lung  der  italienischen  Poesie  nicht  ohne  Bedeutung  gewesen;  an 
sie  knüpft  sich  die  Reform  der  Dichtung,  welche  von  Bologna  aus- 
ging; Guido  Guinicelli,  der  sich  im  Anfang  zu  den  alten  Gemein- 
plätzen von  reifere  und  piacere  bequemte  (in  dem  Gedicht:  Con 
gran  desto  pensando,  Val.  I,  81),  verfasste  dann  seine  Canzone  von 
Amore  und  cor  genüle,  in  welcher  ein  neuer  Ideeenkreis  zum  Vor- 


—     71     — 

schein  kam.  Amore  und  cor  gentüe  wurde  darauf  das  Schlagwort 
seiner  Nachfolger,  und  Dante  führte  seine  Gedanken  in  einem  So- 
nette aus,  während  Guido  Cavalcanti  die  Theorie  der  Liebe  zum 
Gegenstande  seiner  wissenschaftlichen  Canzone:  Donna  mi  prega 
machte. 

Wenn  sich  bei  Betrachtung  dieser  Gemeinplätze  allenthalben 
der  Zusammenhang  mit  den  Provenzalen  zeigte,  so  soll  damit 
nicht  durchaus  geleugnet  werden,  dass  die  Italiener  zu  der 
Masse  conventioneller  Ideeen  auch  ihrerseits  neue  Beiträge  geliefert 
haben  mögen,  obgleich  die  Constatirung  im  Einzelnen  unthunlich 
ist,  weil  beiderseits  uns  die  Denkmale  nur  zum  Theile  erhalten 
sind.  Gewiss  ist  dieses,  dass  bei  den  Italienern,  wie  es  bei  den 
Nachahmern  nicht  anders  zu  erwarten,  der  Gedankenkreis  viel 
enger  wurde;  sie  nahmen  bei  weitem  nicht  alle  Elemente  des  um- 
fangreichen Repertoriums  auf,  das  die  Provenzalen  verwendeten. 
Daher  zeigt  sich  hier  eine  Monotonie,  wie  sie  in  solchem  Grade 
doch  bei  den  Troubadours  nicht  zu  finden  ist. 

Diesem  in  so  enge  Grenzen  eingeschlossenen  Ideeenkreise  ent- 
spricht die  Ausdrucksweise  der  Dichter,  welche  sich  zum  grossen 
Theile  aus  conventionellen  Phrasen  und  Formeln  zusammensetzt 
und  bei  jedem  Einzelnen  denselben  allgemeinen  Charakter  trägt. 
Manche  Worte  und  Redensarten  haben  hier  eine  eigenthümliche 
Bedeutung,  welche  sich  speziell  in  Beziehung  auf  die  in  dieser 
Dichtung  dargestellten  Verhältnisse  entwickelt  zu  haben  scheint. 
So  verwandte  man  sehr  häufig,  um  die  Bedrängniss  zu  bezeichnen, 
in  welcher  sich  der  Liebende  befindet,  den  Ausdruck  errore  oder 
erranza,  z.  B.  M.  W.  II,  119: 

De  gaug  li  fora  plazeiitiers ; 
Mas  trop  mi  teil  en  gran  error. 

M.  G.   1281,  4: 

Desiran  toru  en  error 
Soven,  car  tan  luenli  m'estai. 

M.  G.  499,  3: 

Ans  sui  per  vos  en  tal  error 
Cum  aicelh,  qu'a  mal  de  calor. 


—     72     — 

D'Anc.  xxxv,  i: 

Yostra  orgogliosa  c<  ra 
E  la  fera  sembianza 
Mi  tra'  di  fin'  amanza 
E  mettemi  in  errore. 
Val.  I,  524: 

E  poco  stando  un  sospiro  si  nfisi 
Per  te.  ch'  hai  messa  l'anima  iu  errore. 
D'Anc.  XCI,  1: 

L'animo  e  turbaio      1.  m'et.?) 
E  '1  core  in  grande  erranza  .  .  . 
Dem  prov.  mal  traire  „Uebles  dulden",  oder  auch  train    mitfüre 
I  M.  W.   I,  137)  u.  dgl.  entspricht  das  trarre  pi  ne,  D'Anc.  LXII.  62, 
trarre  marfire,  XXXIII,  34.  und  Guittone  d'Arezzo  gebrauchte  ge- 
radezu mal  trare,  son.  110  und  121. 

Von  der  Dame   sagten   die  Troubadours  mit   eigentümlicher 
Wendung.  Werth  und  Trefflichkeit  geleite  sie,  z.  B.  M.  W.  I,  161: 

Belha  domna.  cui  jois  e  jovens  guida. 
und  so  D'Anc.  XL,  24: 

Senno  la  guida  e  '1  fin  pregio  amoroso. 
oder  in  gleichem  Sinne  inviare,  XLII,  30: 

Vostro  gran  pregio  v'  avanza  cd  invia. 
Die  Wirkung  Amore's  auf  den  Liebenden  ist  ein  affinare 
„feiner,  edler,  trefflicher  machen";  die  Unterwürfigkeit  wird  be- 
zeichnet mit  dem  servire  a  talento,  a  grato  oder  a  gradire  oder 
a  piacimento;  die  Annahme  der  Werbung  von  Seiten  der  Dame 
heisst  ritenere  (D'Anc.  XLYI,  52,  Val.  II,  258)  oder  ritenere  a  servir 
dore  (D'Anc.  XXX,  33),  wie  man  prov.  sagte  retener  a  servidor 
oder  retener  a  sos  ops,  d.  h.  ..bei  sich  behalten",  wie  jemanden, 
der  sich  angeboten,  und  den  man  in  seinen  Dienst  aufnimmt. 
Sehr  häufig  drücken  die  Troubadours  das  Veihältniss  der  Unter- 
würfigkeit durch  das  Wort  aclinar  oder  esser  actis  aus: 

Qu'ades  l'acli  e  grans  raerces  li  reu.  M.  W.  II.  105. 

On  es  cela,  vas  cui  eu  sui  aclis.  Feire  Vidal,  XLII,  9. 
Die  italienischen  Lyriker  gaben  dieses  aclinar  durch  inchinare 
wieder,  wie  Friedrich  IL  Val.  I,  54: 


—     73     — 

Valimento  mi  dato,  donna  fina, 
Che  lo  meo  coro  adesso  a  voi  s'inchina. 
und  transitiv: 

Di,  ch'  eo  tuttora  'nchino  sua  valenza.  Val.  II,  210. 

....  l'amor,  che  m'  inchina.  Val.  I,  224. 

(amor  im  Sinne  von  amante). 

D'Anc.  LH,  8,  heisst  es: 

Di  colei,  cui  sono  al  cliino, 
Di  sospir  mai  no  rifino. 
das    al   cldno  also  wohl  nur  ungeschickte   Wiedergabe  des  prov. 
acli,  vielleicht  auch  aus  einem  acchmo  oder  acclmo  entstellt. 

In  derartigen  conventionelleu  Ausdrucksweisen  liegt,  wie  D'An- 
cona  bemerkte1),  oft  der  Grund  der  Schwierigkeiten,  welche  das 
Verständniss  der  Gedichte  uns  heute  darbietet,  und  nur  ein  sorg- 
fältiges vergleichendes  Studium  derselben  kann  diese  Dunkelheiten 
beseitigen. 

Und  so  wie  ein  Repertorium  von  Gedanken  und  Ausdrücken 
gab  es  auch  ein  solches  von  Bildern  und  Vergleichen.  In  der 
conventioneilen  Poesie  dient  das  Bild  nicht  mehr  seinem  eigent- 
lichen Zwecke,  die  dargestellten  Gegenstände  anschaulich  zu  machen, 
sondern  es  ist  ein  äusserlicher  Putz,  den  der  eine  vom  anderen 
herübernimmt,  ein  bequemes  Füllwerk  für  die  an  Gedanken  und 
Empfindungen  so  armen  Strophen.  Die  Liebe  wird  natürlich 
tausendmal  mit  dem  Feuer  verglichen,  und  der  Liebhaber  verfei- 
nert sich  in  Minne,  wie  Gold  im  Schmelzofen: 
Peirol,  M.  W.  II,  5: 

Per  qu'ieu  deveuh  tota  via, 
Cum  fai  l'aurs  el  fuec,  plus  fis. 
G.  Faidit,  ib.  104: 

aissi  for'  afinatz 
Ves  lieis,  cum  l'aurs  s'afina  cn  la  fornatz. 
Eine  anonyme  ungedruckte  Canzone  in  A,  103,  beginnt: 
Cosi  afino  ad  amarvi 
Com'  auro  a  la  formier. 


*)  Birne  Aufteile   Fölgari,  1.  p.  XIV  f. 


—     74     — 

Val.  I,  167: 

Com'  oro  in  foco  aftina, 
Cosi  mi  fa  affin are 
L'amoroso  pcnsare. 
il).  II,  397: 

Com'  auro,  ch'  e  affinato  alla  fornace,  .  .  . 
ib.  I,  458,  der  Dichter  zu  Amore: 

E  si  raffinerai  com'  uro  al  foco. 
Sehr  viel  wurden  Bilder  von  der  See  und  der  Schifffahrt 
verwendet,  wie  auch  dieses  schon  bei  den  Provenzalen  geschah. 
Madonna  hat  den  Liebenden  in  Noth  versetzt,  wie  das  Schiff,  das 
auf  dem  Meere  vom  Sturm  befallen  worden;  der  Liebhaber  ver- 
liert aber,  wie  der  gute  Seemann,  nicht  den  Muth,  sondern  harrt 
aus,  auf  besseres  Wetter  wartend.  Ist  Madonna  ihm  gnädig,  so 
vergleicht  er  sich  dem,  welcher  aus  der  drohenden  Gefahr  sich 
an  das  Land  gerettet  hat.  Bei  den  italienischen  Lyrikern  speziell 
ist  sehr  häufig  die  Unruhe  des  Meeres  als  Bild  für  die  Aufregung 
der  Leidenschaft  gebraucht: 
Val.  I,  151: 

Tempesto  piü  che  marc. 
Pietro  Morovelli,  Grion,  Pozzo,  p.  39: 
A  ciö  non  poso, 
Tempesto  si  come  mare. 
Lapuccio  Bclfradelli,  ib.  p.  44: 

Che  sono  in  tempestate 
Piü  fera  che  di  mare. 
Val.  I,  463: 

Amor,  poich'  a  Madonna  tormentare 
Mi  fai  come  lo  mare, 
Quando  e  di  gran  tcmpcsta. 
ib.  509: 

Che  non  posa  (1.  poso?)  giammai  se  non  com'  onda. 
ib.   172: 

Nullo  giorno  ho  di  posa 
Se  non  come  'n  mar  l'onda. 


—     75     — 

ib.  344: 

Che  si  come  in  mar  l'onda 

Non  aggio  poso. 
Im  Allgemeinen  trifft  man  bei  diesen  Dichtern  selten  ein 
Bild,  das  sich  nicht  wenigstens  einmal  noch  anderswo  wiederfände, 
sei  es  bei  einem  Italiener  selbst,  sei  es  bei  einem  Provenzalen, 
worin  sich  zwar  durchaus  nicht  immer  die  direkte  Entlehnung 
des  einen  vom  anderen  zeigt,  '  wohl  aber  auch  hier  wieder  der 
typische  Charakter  der  ganzen  Dichtweise  und  das  Vorhandensein 
eines  gemeinsamen  Vorrathes  von  poetischen  Mitteln,  aus  dem  der 
Einzelne  schöpfte.  Peire  Rainion  von  Toulouse  sagt  (M.  W.  I,  137), 
wie  die  Kerze,  sich  selbst  zerstörend,  Anderen  Licht  spende,  so 
singe  er,  während  er  Pein  empfinde,  den  Anderen  zu  Gefallen: 

Atressi  cum  la  canclela, 
Que  si  meteissa  clestrui 
Per  far  clardat  ad  autrui, 
Chant,  on  plus  trac  greu  martire, 
Per  plazer  de  l'autra  gen. 

und  so  heisst  es  in  dem  Gedichte:  Appena  pare  cl\!  io  saccia  can- 
tare,  D'Anc.  XLIV,  19,  Guittone,  Canz.  LI,  str.  2: 

Cosi  come  candela,  che  rischiare, 

Prendendo  foco  da  ad  altr'  a  vedere, 

Cosi  diveguo  da  voi  adotrinato, 

Ch'  eo  canto  e  faccio  altrui  gioia  sentire x). 

E  perö  canto  si  amorosamente 

A  ciö  che  sia  plagente 

In  bona  fede  e  con  pura  leanza2). 


1)  Dieser  Vers,  an  dessen  Stelle  bei  D'Anc.  ein  hieber  aus  str.  3  ver- 
irrter  steht,  sowie  E  statt  Ma  zu  Anfang  des  folgenden  sind  aus  der  Lesart 
bei  Guittone,  die  auch  sonst  sehr  stark  abweicht. 

2)  Dasselbe  Bild  von  der  Kerze  auch  im  Ritmo  Cassinese,  wie  Navone, 
Riv.  di  Fil.  Rom.  II,  109,  anmerkt : 

Et  arde  la  candela  sehe  libera 
Et  altri  mustra  bia  dellibera. 


—     76     — 

Peire  Vidal,  an  einer  Stolle.  XIII,  25,  welche  Guittone  in  sei- 
nen Briefen  (p.  58)  übersetzt  hat,  sagt,  er  ziehe  aus  kaltem  Schnee 
helles  Feuer,  um  auszudrücken,   dass  er  durch  Ausdauer  an's  Ziel 
gelange,  und  ähnlich  heisst  es  bei  ihm,  XXXV,  21: 
Tenrai  m'al  us  de  l'enoios  romeu, 
Que  quier  e  quier,  car  de  la  freida  neu 
Nais  lo  cristals,  don  hom  trai  for  arden: 
E  per  esfortz  venson  li  bon  sufren. 
Auf  diese  seltsame  naturwissenschaftliche  Vorstellung  des  Zeitalters, 
dass  aus  dem  Schnee  der  Krystall  entstehe,  der  dann  als  Brenn- 
glas dient,  spielen  mehrere  italienische  Stellen  an: 
Mazzeo  Ricco,  D'Anc.  LXXXIII,   15: 
Ma  questo  m'assicura, 
Che  dentro  l'agua  nasce  foco  arzente, 
E  par  contra  natura. 

ib.  43: 

Ch'  io  non  mi  credo  giamai  snamorare; 
Che  lo  cristallo,  poieh'   e  ben  gelato, 
Non  pöi  aver  speranza, 
Ch'  ello  potesse  neve  ritornare. 
Tommaso  di  Sasso,  D'Anc.  XXI,  41: 

Da  poi  che  cristallo  aven  la  neve, 
Squagliare  mai  non  deve  —  per  ragione. 
Buonagiunta,  Val.  I,  520: 

[Di]  dentro  dalla  nieve  esce  lo  foco, 
E  dimorando  nella  sua  gialura, 
E  vincela  lo  sole  a  poco  a  poco,     (?) 
Divieu  cristallo  l'aigua,  taut'  e  dura. 
Bei  Arnaut  de  Maruelh  heisst  es  (M.  W.  I,  171),   das  Klagen 
thue  ihm  wohl,  auch  wenn  es  keinen  Erfolg  bei  der  Dame  habe, 
sowie  der  Kranke  sich  durch  sein  Jammern  erleichtert  fühle: 
Quel  malautcs,  quan  se  plann, 
Si  nol  val,  si  se  refranh. 
und  ähnlich,  D'Anc.  XXXIX,  37: 


—     77     — 

E  piango  per  usagio, 

Come  fa  lo  nialato, 

Che  si  seute  agravato 

E  dotta  in  suo  coragio, 

Che  per  lameuto  li  par  spesse  fiate, 

Li  passi  parte  di  ria  volontate. 
Peire  de  Cols  d'Aorlac   (Choix,  V,  309)    vorgleicht   die  Wir- 
kungen der  Liebe  mit  denen  der  Sonne,  die  um  so  mehr  erwärmt, 
je  höher  sie  steht: 

Si  col  solelhs,  nobles  per  gran  clardat, 

On  plus  aut  es,  gieta  mais  de  calor 

Eis  plus  bas  luecs  destrenh  mais  per  s'ardor  .... 
und  Guido  delle  Colonne  ermahnt  seine  Dame,   trotz  ihrer  hohen 
Stellung,  Milde  zu  üben,  wie  die  hochstehende  Sonne  am  schönsten 
strahle.     Val.  I,  195,  verbessert  bei  Nan.  Man.  I,  75: 

Lo  Sol  sta  alto  e  si  face  lumera 

Viva,  quanto  piü  in  alto  ha  da  passare. 
Aimeric  de  Pegulhan,  in  der  Canzone:  Si  com  Välbres  qite 
per  sobrecargar,  klagt,  seine  Dame  halte  ihm  nicht  ihr  gegebenes 
Wort,  sowie  man  ein  Kind  mit  Versprechungen  beruhige  und  sie 
ihm  hernach  nicht  erfülle;  derselbe  Vergleich  findet  sich  wieder 
bei  einem  Italiener,  Val.  I,  497,  freilich  auch  hier,  wie  meisten- 
theils,  nicht  in  so  genauer  Uebereinstimmung,  dass  das  Zusam- 
mentreffen nicht  ein  zufälliges  sein  könnte.  Dagegen  ist  der  Ver- 
gleich mit  dem  Baume,  welcher  durch  Ueberlastung  bricht,  zu 
Anfang  desselben  Gedichtes  Aimeric's,  unzweifelhaft  in  einem  ita- 
lienischen Liede  nachgeahmt  worden  (Val.  II,  77),  wie  Diez  an  dem 
wörtlichen  Zusammentreffen  zeigte1),  und  ebenso  wies  Diez  die 
Entlehnung  nach  für  das  Bild  vom  Schmetterlinge  und  der  Flamme, 
Val.  I,  297,  dessen  Original  in  der  Canzone  des  Folquct  von  Mar- 
seille: Sitot  me  sui  a  tart  aperceubutz,  steht2).  Dieses  Bild  vom 
Schmetterling  findet  sich  noch  oft,   aber   nirgend    so    genau  mit 


*)  Poesie  der  Troubadours,  p.  278. 
2)  ib.  p.  279. 


—     78     — 

Folquet's  Worten  übereinstimmend,  wie  an  der  von  Diez  bezeich- 
neten Stelle. 

Vergleiche,  welche  bei  den  Italienern  selbst  sich  mehrfach 
wiederholen,  sind  z.  B.  der  vom  Lichtstrahl,  der  durch  das  Glas 
fällt,  ohne  es  zu  theilen  (Val.  I,  315,  ib.  36G;  II,  82),  der  der  Re- 
den und  Seufzer  des  Liebenden  mit  dem  Ballast,  den  das  Schiff 
in  der  Noth  auswirft,  sich  zu  erleichtern  (D'Anc.  1, 49  u.  XXXIX.  43)  *), 
endlich  der  vom  guten  Maler,  welcher  das  ganze  Bild  in  treue  Ueber- 
eiiistimmung  mit  der  Natur  zu  bringen  sucht  (D'Anc.  I,  41;  LXXX,  31, 
und  in  der  Ballade  bei  Grion,  Serventese,  p.  43).  Solche  Zusam- 
menstellung vermag  bisweilen  dunkele  Stellen  aufzuklären,  und  so 
ist  es,  wie  ich  glaube,  in  folgendem  Beispiel.  Mazzeo  Ricco  sagt, 
D'Anc.  LXXIX.  40: 

Omo  non  si  poria 
Negli  occhi  compartire, 
Che  ne  vedesse  due  'n  una  figura; 
Tanto  coralemente 
Non  mi  poriano  amare, 
Che  'n  altra  parte  gisse  lo  mio  core. 
also:  wie  untrennbar  die  Sehkraft  der  beiden  Augen,  welche  nicht 
jedes   ein  besonderes,   sondern  beide  zusammen  ein  Bild   des  ge- 
schauten Gegenstandes  ergeben,   so  seien  untrennbar  ihre  Herzen. 
Derselbe  Vergleich  nun  liegt  ohne  Zweifel  vor  in  dem  sehr  ver- 
dorbenen Gedichte,  D'Anc.  LXV,  13: 

MoStriam    qili    SUllliglianza:     (wir  wollen  ein  Gleichniss  geben.) 

Per  fermo  ben  sapete, 
Ched  im  occhio  vedere 
Non  poria  per  certanza, 
Che  ciascuno  visagio 
Da  lui  avesse  veduta: 
Cosi  da  voi  partuta 
Nou  faria'l  mi'  coragio. 
„ihr  wisset  wohl,  dass  ein  Auge  nicht  so  sehen  kann,  dass  jedes 

y)  Ein  ganz  ähnlicher  Vergleich  auch  in  der  von  Grion  publizirten 
italienischen  Bearbeitung  des  Bestiaire  cTamou/r,  Propugnatore,  II,  1°,  p.  284. 


—     79     — 

Gesiebt  von  ihm  ein  Bild   empfinge",    visagio   liier   für  jedes   der 
beiden  zum  Seben  bestimmten  Organe. 

Andere  Vergleiche  bingegen  sind  in  sebr  zahlreichen  Bei- 
spielen vorhanden.  Die  Anziehungskraft  des  Magneten,  die  hier 
so  oft  als  Bild  für  die  Macht  Amore's  oder  der  Geliebten  dienen 
muss,  ist  wohl  zu  allen  Zeiten  zu  gleichem  Zwecke  verwendet 
worden;  aber  eigentbümlich  dieser  alten  Dichtung  ist  die  Verglei- 
chuug  des  getreu  und  boffnungsvoll  ausharrenden  Liebhabers  mit 
dem  wilden  Manne,  der  beim  schlechten  Wetter  lacht  und  singt 
in  der  Hoffnung  auf  die  Wiederkehr  des  besseren.  Der  Trost  des 
wilden  Mannes  beim  schlechten  Wetter  war  damals  sprichwörtlich, 
wie  denn  Amanieu  de  Sescas  in  seiner  mit  Sentenzen  vollgestopf- 
ten Liebesepistel  (Cboix,  V,  20  ff.)  sagte: 

.  .  apres  la  plueia  fara  bei, 

So  ditz  homs  salvatges. x) 
Vom  eonort  del  salvatge  redet  Sordel,  M.  G.  1273,  3,  und  Rainion 
Jordan,  M.  G.  786,  4: 

E  grazirai  bes  e  mals  eissameu, 

Qu'aissi  farai  lo  eonort  del  salvatge. 
Ausführlicher  Raimbaut  del  Beljoc,  Choix,  V,  400: 

En  Peire,  m'er  lo  conortz  del  salvatge, 

Que  chant'  al  temps,  en  que  plorar  deuria, 

E  plor'  a  cel,  que  noill  fai(ll)  nul  dampnatge, 

Ans  per  son  grat  per  tot  temps  estaria. 
so  D'Anc.  III,  23: 

Si  com'  omo  salvagio 

Faragio,  com'  e  detto  ch'  ello  face: 

Per  lo  reo  tempo  ride, 

Sperando,  che  poi  pera 

La  laida  ara,  che  vide  .  .  . 
und  ähnlich  noch  sehr  oft2). 


J)  Diese  Stelle  gehört  übrigens  einer  späteren  Zeit  an,  da  die  Epistel 
zwischen  1285  und  1291  geschrieben  worden,  als  Jacob  von  Aragonien  König 
von  Sicilien  war. 

2)  Val.  I,  137;  II,  160;  ib.  270;  Trucchi,  I,  64;  Allacci,  201  [Cecco 
Angiolieri),  Cod.  A,  521.     Dieser  wilde  Mann   erscheint  dann  in  komischer 


—     80     — 

Speziell  dem  Geiste  jener  Zeit  entspricht  auch  das  Bild  vom 
Assassinen,  der  für  den  Alten  vom  Berge  blindlings  in  den  Tod 
geht,  als  Ausdruck  für  die  treue  Ergebenheit  des  Liebenden1). 
Bernart  de  Ventadorn  verglich  den  Kuss,  "welchen  er  von  seiner 
Dame  empfangen,  mit  Peleus'  Lanze,  deren  Wunden  nur  dann 
heilten,  wenn  sie  nochmals  die  verletzte  Stelle  berührte,  M.  W.  I,  17 : 

Atressi  m'es  per  semblansa, 

Cum  fo  de  Peleus  la  lansa, 

Que  de  son  colp  no  podi'  om  guerir, 

Si  per  eis  loc  no  s'en  fezes  ferir. 
und  so  Nan.  Man.  I,  358: 

Ch'  a  Peleus  la  posso  assomigliare; 

Feruto  di  sua  lanza 

Non  guerria  mai,  se  altr'  ore 

Con  ella  il  loco  non  si  riferisse. 
wo  sich  also,  wie  schon  Nannucci  bemerkte,  wieder  theilweis  wört- 
liche Uebereinstimmung  zeigt.     Aber  das  Bild   von  Peleus'  Lau/.'' 
kommt  auch  sonst  mehrfach  vor2),  und  so  steckt  es  gewiss  in  einer 
verdorbenen  Stelle,  Guittone,  Ganz.  LI,  4: 

Ch'  uomo  di  pregio  non  poria  guarire 

Quell'  uom,  che  di  sua  lancia  1'  ha  piagato, 

S'  ello  non  fina  poi  cli  riferire. 
Das  Richtige  weiss  ich  nicht  herzustellen;  aber  ungefähr  muss  es 
das  Folgende  sein: 

Como  Peleo  non  poria  guarire 

Quell'  uom,  che  di  sua  lancia  ave  piagato, 

S'  ello  non  torna  poi  a  riferire. 
Zahlreich  sind  die  Vergleiche,  die  aus  der  classischen  Tradi- 
tion des  Mittelalters  oder  aus  den  Erzählungen  der  französischen 


Weise  bei  Eojardo  persönlich  und  kämpft  dort  mit  Brandimarte  (Orl.  Inn. 
1.  I,  c.  23,  str.  6). 

*)  A.  de  Pegulhan,  M.  G.  1169,  4;  Val.  II,  78;  diese  Stellen  führte  Diez 
an,  Poesie  der  Tr.  279.  Andere  sind,  D'Anc.  XXIII,  23;  XCVII,  41;  Val. 
I,  194. 

2)  Val.  II,  101 :  Cod.  A,  596. 


—     81     — 

Ritterromahe  stammen  oder  endlich  aus  der  heiligen  Schrift, 
alles  in  buntem  Gemische  durcheinander,  nach  der  mittelalterlichen 
Weise.  Als  Muster  der  Schönheit  erscheint  typisch  der  biblische 
Absalon,  Salomo  als  das  der  Weisheit,  Simson  als  das  der  Stärke, 
und  als  das  der  Freigebigkeit  Alexander;  das  Ideal  des  tapferen 
Ritters  ist  Lancelot  oder  auch  andere  Helden  der  Tafelrunde. 
Die  Bilder  für  glühende  Liebe  sind  Paris  und  Helena,  Pyramus 
und  Thisbe,  am  häufigsten  aber,  wie  schon  bei  den  Troubadours, 
Tristan  und  Isolde.  Dante  da  Majano  verglich  seine  Dame  auch 
mit  Blanchefleur,  Val.  II,  457: 

Nulla  bellezza  in  voi  e  mancata, 

Isotta  ne  passate  e  Blanziflore. 
wo  auch  die  Form  des  Namens  noch  die  Spuren  der  französischen 
Herkunft    an    sich    trägt,    und    so    scheint   in    der    Stelle,    D'Anc. 
XXIX.  46: 

Altresi  miemente 

Com  Nareisi  per  sua  spera  vedere, 

Cosi  s'  innamorao, 

Quando  lä  si  sguardao. 

und  zu  Anfang  des  ungedruckten  Sonetts  von  Chiaro  Davanzati, 
A,  558: 

Come  Narcissi  in  sua  spera  mirando. 

die  Form  Nareisi  eher  provenzalisch  als  italienisch,  wie  Bern,  de 
Ventadorn  (M.  W.  I.  32)  sang: 

Qu'  aissim  perdei,  cum  perdet  se 

Lo  bels  Narcezis  en  Ja  fon. 
Am  meisten  aber  beliebt  und  charakteristisch  für  den  Ge- 
schmack des  Zeitalters  sind  die  Thierbilder,  geschöpft  aus  den 
fabelhaften  Erzählungen  von  den  Gewohnheiten  und  Eigenschaften 
der  Thiere,  die  man  in  den  weitverbreiteten  und  wegen  ihrer 
Wunderberichte  viel  gelesenen  Bestiarien  fand.  Die  Thierbücher 
selbst  gaben  häutig  allegorisch  moralische  oder  religiöse  Deutungen 
ihrer  Erzählungen,  und  die  Lyrik  übertrug  dieselben,  oft  seltsam 
und  grotesk  genug,  auf  die  Verhältnisse  der  Minne.  Der  Liebende 
lebt  im  Feuer,  ohne  zu  verbrennen,  wie  der  Salamander: 

G 


—     82     — 

Peire  de  Cols  d'Aorlac,  Choix,  v.  310: 

Quel  fuecx,  que  m'art,  es  d'un'  aital  natura, 
Que  mais  lo  vuelh,  on  plus  lo  sen  arden, 
Tot  enaissi  cos  banha  doussainen 
Salamandrä  er   fuec  et   en  ardura 
En  tra  son  noirimen. 

D'Anc.  I.  27: 

La  salamandrä  audivi 

Ca  nello  foco  vivi  - —  stando  sana: 
Cosi  fo  per  long'  uso, 
Vivo  in  foco  amoroso x). 
Die  Dame  tödtet  mit  dem  Blicke,  wie  der  Basilisk,  oder,  wie  der 
Basilisk   im  Spiegel   sich   selbst  sehend   stirbt,  so   der  Liebhaber, 
wenn  er  die  Dame  anschaut2).    Der  Dichter  gleicht  dem  Schwane, 
der  singt,  bevor  er  stirbt: 
Peirol,  M.  W.  II,  1: 

Atressi  col  signes  fai, 
Qiian  dei  murir,  clian, 
Quar  sai,  qne  plus  gen  murrai 
Et  al)  menhs  d'afan. 
D'Anc.  LXXVIII,  42: 

Ma  vadomi  allegrando, 
Si  come  fa  lo  cecer,  quando  more, 
Che  la  sua  vita  termina  in  cantando3). 
Wie  der  Vogel  Phönix  möchte  er  sterben  und  sich  erneuern,   um 
dann  vielleicht  der  Dame  besser  zu  gefallen: 

Richart  de  Barbezieu,  Ganz.  Atressi  cum  Völifans: 
E  s'ieu  pogues  contra  far 
Fenix,  don  non  es  mas  ns. 
Que  s'art  c  pois  resortz  sus, 
Eu  m'arsera,  car  sui  taut  malanans,  .  .  . 

')  s.  noch  Val.  I.  70;  76;  136;  Trucchi,  I.  94. 

2)  Rostanli  Berenguier  in  P.  Meyer,  Derniers  Troubadows,  §  X.  :!. 
Aim.  de  Pegulhan  in  der  Canz.  .SV  com  Valbres;  Val.  I,  203;  290;  299; 
Trucchi,  1.  101. 

8)  auch  Rostanh  Berenguier  an  derselben  stelle.  Aimeric  de  B«lenoi, 
.\I.  (..  905,  2;  D'Anc.  XCVIII,  7:  Val.  1.  290. 


—     83     — 

D'Anc.  X(  VI.  59: 

Ca  s'io  potesse  a  simile  natura 

Fenice  contrafare, 

Volentier  lo  faria 

Per  sodisfar,  s'ofesa  ö  fatta  aleuna x). 
Wie   die  Tiegerin,    der  man    ihre  Jungen    gerauht,    den   Schmerz 
vergisst,   wenn   sie   sich  im  Spiegel   erblickt,   so   er,  wenn   er   die 
Geliebte  anschaut : 

Richart  de  Barbezieu,  M.  G.  1418,  4  (Choix,  III,  458): 

Si  cum  la  tigra  el  mirador, 

Que  per  remirar  son  cors*  gen 

Oblida  s'ira  e  son  türmen. 

Aissi,  quan  vei  licis,  cui  azor, 

Oblit  mos  mals,  e  ma  dolors  es  mendre. 
Stefano  di  Pronto  in  der  sicil.  Canzone  bei  Barbieri: 

Quandu  eu  la  guardu,  sintiria  dulzuri, 

Ki  fa  la  tigra  in  illu  miraturi 2), 
Ki  si  vidi  livari 

Multu  crudilimenti 

Sua  nuritura3),  ki  illa  ä  nutricatu, 

E  si  bono  li  pari 

Mirarsi  dulcimenti 


*)  s.  D'Anc.  XXXIX,  57  (wo  Fene  Nominativbildung);  XCVIII.  39;  Val. 
I,  137;  290;  207;  II,  24;  210;  510;  Trucchi,  I,  167;  Grion,  Pozzo,  :\1  ■  Guit- 
tone,  Ganz.  II,  1.  Giovanni  dall'  Orto,  Val.  II,  100,  hat  auch  den  Schwa- 
nengesang  auf  den  Phönix  übertragen: 

L'uccel  Fenis,  quando  vene  al  morire, 

Diee  la  gente,  che  fa  dolee  cahto. 
so  auch  in  dem  Sonette,  das  als  von  Cecco  d'Ascöli  bei  Trucchi,  I.  2(10.    • 

2)  Barbieri:  Ki  fu.  Das  in  illu  miraturi  =  tose,  innello  mwatore,  also 
genau  das  prov.  el  mirador;  Grion,  Scrventese,  40,  that  demnach  nicht  wohl 
zu  andern.  Man  bemerke  zugleich,  dass  dieses  wohl  das  einzige  Beispiel 
bei  den  Alten  dafür,  dass  die  Periode  von  einer  Strophe  der  Canzone  in  die 
andere  übergeht. 

3)  Barbieri:  meritura;  Grion  setzte  criatura;  aber  nuritura  änderl 
weniger  stark  und  ist  wohl  denkbar  im  Sinne  von  „Junges",  pröv.  noire- 
äura;  norire  gab  es  auch  altital.;  sicil.  noch  heut'  nurrizea,  nurrimi. 

6* 


-     84     - 

Dintru  unu  speclu,  chi  li  esti  amustratu, 
Ki  l'ublia  siguiri1).      I.  K   UV  ublia? 

Der  Panther,  der  durch  .seinen  süssen  Duft  die  anderer]  Thiere 
anlockt  -).  der  Hirsch,  der,  müde  gehetzt,  gegen  die  Jäger  umkehrt 
um  zu  sterben3),  das  Junge  des  Löwen,  das  todt  zur  Welt  kommt, 
und  das  der  Alte  durch  sein  Gebrüll  zum  Leben  erweckt4),  der 
Elephant,  der  nicht  aufstehen  kann,  wenn  er  gefallen5),  der  Löwe, 
der  mit  dem  Besiegten  Grossmuth  übt6),  und  noch  manche  an- 
dere dieser  wunderbaren  Nachrichten  der  Thierbücher  dienten  zu 
dem  nämlichen  Zwecke,  und  man  ward  nicht  müde,  sie  zu  wieder- 
holen. 

Alle  diese  Bilder  und  Vergleiche  zusammen  bilden  eine  grosse 
Masse  conventioneller  Elemente,  welche  in  Italien  weit  üppiger 
gewuchert  hat  als  iu  der  Provence  selbst;  wenigstens  in  der  uns 
erhaltenen  Literatur  ist  stets  die  Zahl  der  italienischen  Beispiele 
eine  grosse,  während  man  provenzalisch  deren  kaum  eines  oder 
zwei  auftreiben  kann,  und  zuweilen  gar  keines.  Es  ist  auch 
nicht  nöthig,  dass  hier  überall  im  Einzelnen  ein  Muster  in  der 
provenzalischen  Lyrik  vorhanden  gewesen  sei;  man  konnte  auch 
unmittelbar  aus  denselben  Quellen  der  Thierbücher  und  Romane 
schöpfen,  aus  denen  die  Troubadours  diesen  Aufputz  ihrer  Lieder 
entnommen.  Es  war  eben  eine  besondere  Geschmacksrichtung,  die 
von  den  Vorbildern  herübergekommen  nunmehr  gar  sehr  über- 
trieben   wurde.     Dennoch    sind    viele   Gedichte    gänzlich    frei    von 


*)  Andere  Stellen,  wo  dasselbe  Bild.  Choix,  V.  64;  D'Anc.  XCVI,  21; 
Val.  II,  447;  Trucchi,  I,  14(3. 

-  Eissamen  cum  la  pantera,  anonymes  Gedicht,  Chrest.  -!"24 :  D'Anc. 
XXIII,  16,  Val.  I,  70:  129;   137;  D'Anc.  XCV1II,  31. 

'■'<  Rieh,  de  Barbezieu:  Atressi  cum  Volifans,  str.  ä;  Val.  1.  203;  II,  25; 
7(5:  108;  Nan.  Man.  I,  298;  Brunetto  Latini  bei  Trucchi,  T,  1G8;  Tommaso 
da  Faenza  bei  Zambrini,  Op.  volg.  385;  aneb  Guido  Guinicelli,  Val.  1.  78, 
wo  aber  statt  cervo  —  uomo  gedruckt  steht,  das  Richtige  s.  Otto  Ganzoni 
di  Gr.  Gruinicelli,  Ferrara,  Taddei,  187G,  p.  18. 

*)  Rieh,  de  Barbezieu:  Atressi  cwm  lo  leos,  und  Val.  II,  77. 

,r'    Rieh,  de  Barbezieu:  Atressi  cum  Volifans;  D'Anc.  XCVIII,  47. 

'■  B  er  trän  de  Born  gebraucht  das  Bild  in  Bezug  auf  Richard  Löwen- 
herz, M.  W.  i,  315;  vgl.   Peire  Cardenal,  M.  G.   1254,  2;  D'Anc   VIII,  32. 


—     85     — 

diesen  Dingen  geblieben;  anderswo  aber  lässt  sich  wieder  die 
Neigung  zu  denselben  bei  dem  nämlichen  Dichter  durch  mehrere 
Lieder  hindurch  verfolgen,  so  bei  Stefano  di  Pronto  durch  alle 
drei  Gedichte,  welche  seinen  Namen  tragen,  die  sicilianische  Can- 
zone bei  Barbieri,  die  bei  Val.  I,  20-2:  Assai  mi  piaceria,  und  die 
bei  D'Anc.  XXXIX:  Assai  crctti  celare.  Dieses  macht  zugleich  die 
Zusammengehörigkeit  aller  drei  wahrscheinlich,  und  man  wird  der 
varicanischen  Handschrift  Recht  geben  müssen,  welche  eben  das 
letzte  dem  Stefano  beilegt,  während  es  bei  Serassi  und  Yaleriani 
als  von  Pier  delle  Vigne  steht. 

Aber  auch  schon  bei  den  Provenzalen  selber  ist  ein  solcher 
Unterschied  zwischen  den  Dichtern  in  Bezug  auf  die  Vorliebe  für 
diese  typischen  Bilder  vorhanden;  denn,  wenn  auch  gar  manche 
sie  vereinzelt  anwendeten,  wie  Peirol  das  vom  Schwan  und  Folquet 
de  Marselha  das  vom  Schmetterling,  so  zeigt  sich  doch  nur  bei 
wenigen  eine  absichtlich  gehäufte  Wiederholung  derselben.  Zu 
den  letzteren  gehört  vor  allen  Richart  de  Barbezieu,  von  dem  die 
provenzalische  Lebensnachricht1)  ausdrücklich  bemerkt,  qyS  el  se 
deleitava  fort  de  di/re  en  sas  chansos  similitudines  de  bestias  c 
d'auzels  e  dcl  solclh  e  de  las  estelas  per  dwe  plus  nun! las  rasos 
cautre  non  agues  ditas  ni  tröbadas.  Man  sah  ihn  also  als  den 
Erfinder  oder  wenigstens  Ausbilder  dieser  Manier  an,  und  dass  er 
allgemein  in  diesem  Rufe  stand,  zeigt  sich  auch  darin,  dass  ihm 
die  Handschriften  öfters  Gedichte  Anderer  beilegen,  weil  sie  mit 
einem  Vergleiche  beginnen2).  Er  begnügte  sich  nicht  damit,  ein 
solches  Bild  hier  und  da  anzubringen.  In  der  Canzone:  Atressi 
cum  Volifans,  enthält  jede  einzelne  Strophe  einen  besonderen  Ver- 
gleich, die  1.  den  vom  Elephanten,  die  2.  vom  Bären,  die  3.  von 
Daedalus  (oder,  nach  Barbieri  und  Galvani:  Simon  Magus),  die 
4.  vom  Phönix,  die  5.  vom  Hirsch  und  den  Jägern.  Und  gerade 
von  diesem  Dichter  und  der  Entstehung  dieser  Canzone  erzählen 
die  Cento  Novelle  Antiche  (nr  Gl)  eine  oft  wiederholte  Geschichte 


')  Mahn,  Biographicen  der  Troub.  ar  23. 

2)  s.  das  Troubadourverzeichniss   in   Bartsch's  Grundr.  zur  Gesch.   der 
prov.  Lit.  nr  337,  1;  355,  5;  3G6,  2. 


86 

und  geben  das  Gedicht  selbst  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  wieder, 
Richart  war  also  ganz  besonders  wohl  bekannt  in  Italien,  und 
man  wird  nicht  fehl  gehen,  wenn  man  jener  sein«']'  Canzone  einen 
bedeutenden  Einfluss  auf  die  Bildung  einer  solchen  Geschmacks- 
richtung in  der  ältesten  italienischen  Lyrik  zuschreibt.  Ausser 
bei  Richart  ist  unter  den  Troubadours  selbst  diese  Neigung,  wenn 
auch  in  schwächerem  Grade,  wohl  sichtbar  bei  Aimeric  de  Pe- 
gulhan,  namentlich  in  der  Canzone:  Si  cum  Valbres  que  per  söbre- 
cargar,  und  dieser  Dichter  lebte  lange  in  Italien,  und  sein  Ge- 
dicht war  durt  eines  der  bekanntesten;  denn  Dante  citirt  es  im 
Buche  de  vulg.  el.  (II,  6),  und  der  Anfang  desselben  ward,  wie 
üben  bemerkt,  von  einem  Italiener  fast  wörtlich  nachgeahmt. 
Reich  an  mannichtältigen  Vergleichen  ist  auch  des  Venetianers 
Bartolommeo  Zorgi  Lied:  Aissi  <-<A  fttecs  consuma  totas  res  (Chrest. 
269),  und  sehr  eigentümlich  in  dieser  Beziehung  desselben  Dich- 
ters lange  Canzone:  Atressi  com  lo  gamel  (M.  G.  308),  wo  die 
zoologischen  Bilder  sich  mischen  mit  solchen  der  heil.  Geschichte 
und  der  Piitterroinaue:  das  treue  Cameel,  die  Schlange,  die  den 
nackten  Menschen  flieht,  und  daneben  Gott  und  Abel,  Tristan  und 
Isolde,  Sara  und  Abraham,  u.  s.  w. 1) 

Italienische  Gedichte  mit  solcher  wunderlichen  Häufung  von 
Conventionellen  Vergleichen  sind  vorzüglich  das  von  Inghilfredi 
Siciliano:  Audite  forte  cosa,  che  w£  awene,  Val.  I,  136;  das  von 
Stefano  di  Pronto:  Assai  mi  piaceria,  ib.  -202:  und  das:  Lontan 
vi  soii,  ma  presso  r'  e  lo  core,  Val.  II,  76,  welches  nach  der  paläs- 
tinischen Handschrift  (p.  104)  von  Aruorozzo  da  Firenze,  nach  der 
vaticanischen  (171)  von  Camino  Ghiberti.  Chiaro  Davanzati  dich- 
tete einen  Cyclus  von  Sonetten,  deren  jedes  einen  derartigen  Ver- 
gleich enthält;  sie  sind,  ausser  dem  einen  von  der  Tiegerin  (bei 
Trucchi,  I,  1-46),  sämmtlich  noch  ungedruckt,  im  Cod.  Vat,  3793, 
in-  556 — 563,  dazu  gehörig  offenbar  auch  m  354  vom  Hirsche  und 
575  vom   Drachen.  vieMeicht  auch   596  von   Peleus'  Lanze. 


1  Theilweise  erinnert  dieses  Gedicht  an  das  des  Peire  VidaJ  XIV  : 
Bern  pac  ä'ivern  e  cTestiu,  wo  am  Schlüsse  jeder  Strophe  eine  Anspielung 
auf  tue  heil.  Geschichte. 


—     87     — 

In  der  Canzone  bei  D'Anc.   XCVIII: 

Dogliosamente  e  con  grau  malenanza. 

sind  die  zahlreichen  Thierbilder  zu  einem  anderen  als  dem  gewöhn- 
lichen Zwecke  verwendet.  Es  klagt  hier  jemand  darüber,  aus  dem 
Glück  in  das  Elend  herabgestürzt  zu  sein.  Auf  dieses  Lied  hat 
ein  anderer  Dichter,  Arrigo  Baldonasco  (Val.  II,  67),  in  sehr  bit- 
terer Weise,  auf  die  Reime,  geantwortet,  das  Unglück,  das  jener 
bejammerte,  als  die  gerechte  Vergeltung  für  dasjenige  darstellend, 
welches  er  selbst  ehedem  Anderen  bereitet.  Er  wiederholt  dabei 
spottend  theilweise  die  Thierbilder,  die  jener  gebraucht  hatte.  Der 
Verfasser  des  ersten  Gedichtes  sagte,  wenn  der  gefallene  Elephant 
sich  nicht  aufrichten  könne,  so  sei  er  nicht  zu  tadeln,  und  der 
des  zweiten  erwidert,  wohl  sei  er  zu  tadeln,  wenn  er  durch  eigene 
Schuld  gefallen: 

Sc  '1  leofante  cade,  ogni  uom  lo  'ntenda. 

Per  [la]  sua  falla,  bcn  si  de'  biasmare. 

Jener  spielte  auf  den  lockenden  Geruch  des  Panthers  an: 
Che  la  pantera  ä  'n  se  tale  natura, 
Cli'  ala  sua  lena  tragon  gli  animali. 

und  dieser  macht  sich  über  seinen  Vergleich  lustig: 
Paretemi  di  gente  da  Ventura. 
A  trovar  sempro  delle  bestie  eguali. 

Die  beiden  Gedichte  beziehen  sich  jedenfalls  auf  eine  politische 
Umwälzung,  welche  den  Verfasser  des  ersten  einer  Machtstellung 
beraubt  hatte.     Das  beweist  die  4.  Strophe: 

Faccia  'n  tal  guisa1),  che  naturalmente 

Vadan  le  doglie2),  ch'  ö  non  per  ragione3), 

Ca  nun  e  gioco  d'  essere  servente 

A  chi  e  meno  di  sua  condizione. 


J)  es  ist  die  Rede  von  der  Fortuna. 

-i  ..dass   die   Schmerzen   ihren   natürlichen   Gang  nehmen,   nicht    mich 
treffen,  sondern  die,  welchen  sie  zukommen." 
3)  so  Val.;  D'Anc.  dt    önde  per  r. 


—     88     - 

und  die   Antwort: 

Sacciate,  ehe  le  doglie  certamente 
Hanno  stagion1);  che  per  lunga  stagione 
Mantenete  li  mal  comunalmeute 

E  fate  star  tuor  dellc  suc  magione 
A  molti,  ch'  eran  buon,  de'  comunali 
Di  Toscana  c  della  fede  pura. 
Und,  da  hier  Toscana  erwähnt  wird,  und  gleich  zu  Anfang  der 
Reim  fermessa  (fer mezza):  essa  vorkommt,  so  muss  Arrigo  Baldo- 
nasco  ein  Lucchese  oder  Pisaner  gewesen  sein,  und  daher  ist  denn 
auch    die    Attribution    des    ersten    Gedichtes    an    einen    Fredi    da 
Lucca  gewiss  als  richtig  anzunehmen,  wie   sie   in   der  palat.   Hs. 
(p.  104)   geschieht,  während    in    der  vaticanischen    das  Lied  ano- 
nym ist2). 

Das  Aeusserstc  in  der  Aufspeicherung  solcher  Gemeinplätze 
hat  der  Verfasser  des  Marc  Amoroso  geleistet,  einer  Liebesepistel  in 
versi  sciolti,  die  von  Grion  veröffentlicht  worden3).  Trucchi  und 
Grion  haben  dieselbe  etwas  voreilig  dem  Brunetto  Latini  zuge- 
schrieben, weil  sie  sich  in  derselben  Handschrift  mit  Werken  dieses 
Dichters  befindet;  dass  in  Brunetto's  Canzone  gleichfalls  mehrere 
der  conventionellen  Vergleiche  vorkommen,  beweist  nichts,  da 
diese  Manier  ja  damals  allgemein  war.  Andere  hielten  Boccaccio 
für  den  Verfasser4),  was  wohl  ebenso  wenig  richtig  ist.  Jeden- 
falls wäre  man,  nach  der  Form  des  Gedichtes,  eher  geneigt,  es  in 
das  14.  Jahrhundert  zu  setzen.  Grion  machte  auf  die  Verwandt- 
schaft mit  dem  Bcstiaire  d'amour  des  Richard  de  Fournival  auf- 


')  1.  ragion? 

2)  Zu  den  Versen  D'Anc.  XCVIII,  14: 

Si  falsamente  m'  ingannö  lo  sguardo. 
Si  come  lo  leone  lo  lepardo, 
C  a  tradimento  li  levao  lo  manto. 
vgl.  Guillem  üc  d'Albi,  Ohoix,  V,  199: 

Atressi  col  laupartz  andre 
S;ip  en  la  forest  lo  leo  .... 
,  3)  Propugnatore,  I,  p.  5!>3.  fF. 

4)  s.  Birne  e  Prose  del  Buon  Scculo,  Lucca,  1852,  p.  XVIII. 


—     89     — 

merksam;  aber  eine  unmittelbare  Nachahmung  desselben  ist  das 
italienische  Gedicht  nicht;  die  Sammlung  der  Gemeinplätze  ist 
hier  eine  viel  mannichf altigere;  der  Autor  hatte  offenbar  die  alten 
Lyriker  fleissig  gelesen  und  sich  nuu  daran  ergötzt,  alles  Mögliche, 
was  er  bei  ihnen  vorfand,  in  langer  Kette  aneinanderzureihen. 

Die  bei  weitem  grösste  Zahl  der  Gedichte,  welche  von  der 
sicilianischen  Schule  herrühren,  sind,  in  ewiger,  einförmiger  Wie- 
derholung, Gnadenrufe  an  Madonna  und  Amore,  Klagen  über  die 
Harte  der  Dame,  Flehen,  endlich  sich  erbitten  zu  lassen;  seltener 
schon  wird  die  Freude  über  erhaltene  Gunst  besungen.  Einige 
provenzalische  Gattungen,  welche  nach  dem  besonderen  in  ihnen 
behandelten  Gegenstand  einen  bestimmten  Charakter  und  danach 
besondere  Namen  erhalten  hatten,  sind  hier  in  wenigen  Beispielen 
vertreten,  so  der  Conijat  oder  die  Dienstaufsage,  der  Gegensatz 
zum  Gnaderlehen  der  meisten  Gedichte,  und  der  Plarih,  das  Trauer- 
lied um  den  Tod  der  Geliebten  oder  eines  Freundes.  Im  Comiato 
betheuert  der  Dichter,  dass  er  die  Dame  treu  geliebt  und  nie- 
mals gegen  sie  gefehlt  habe;  sie  schien  die  Trefflichste  zu  sein; 
aber  sie  war  falsch;  daher  hat  er  sich  von  ihr  gewendet  und  nun 
eine  andere  Dame  gefunden,  die  ihn  besser  belohnt.  Zu  dieser 
Gattung  gehörte  die  Canzone,  welche  Iacopo  Mostacci  aus  dem 
Provenzalisehen  entlehnte.  Derart  sind  ferner  die  Gedichte  D'Anc. 
LXXXII,  und  C.  In  dem  ersteren,  welches  von  Mazzeo  Ricco,  erin- 
nert ein  Vers  (19): 

S'eo  tardi  mi  so'  addato. 
an  den  Anfang  von  Folquet's  de  Marselha  nahe  verwandtem  Liede: 
Sitot  me  sui  a  tart  aperceubutg,  welches  dem  italienischen  Dichter 
wohl  vorschweben  mochte:  denn,  wie  in  der  ersten  Strophe  Fol- 
quet's findet  sich  auch  in  der  Canzone  Mazzeo's  ein  Bild  vom 
schlechten  Schuldner  und  eines  vom  Spieler,  wennschon  das  letz- 
tere mit  verschiedener  Wendung. 

Ein  Beispiel  des  Pianto  ist  das  Gedicht  von  Giacomino  I'u- 
gliese:  Morte,  perche  wCäi  fatta  $i  gran  guerra,  D'Anc.  LV;  es 
sind  die  trivialen  Wehklagen  über  die  Grausamkeit  des  Todes, 
der  ihm  in  der  Dame  alle  Freuden  und  alles  Glück  geraubt  hat. 
Origineller  ist  das  Trauerlied   des  Pier  delle  Vigne:   Amando  con 


—     90 

fin  core  e  eon  speranza,  Val.  I,  19,  und  sogar  von  einer  gewissen 
Wärme  des  Affektes  und  gewandterer  Form  das  des  Florentiners 
Pacino  Angiolieri:  QuaV  e,  che  per  a/nior  s'allegri  o  canii  (Trucchi, 
I.  116;  Nan.  Man.  I,  221).  Zwei  anonyme  Gedichte  dieser  Art  in 
der  Sammlung  D'Ancona's  (LXXrV  und  LXXV)  sind  im  Munde  einer 
Frau  auf  den  Tod  eines  Mannes  und  einander  so  ähnlich,  dass 
man  vennutlien  muss,  sie  seien  von  demselben  Verfasser  und  bei 
derselben  Gelegenheit  gedichtet1). 

Mit  demselben  Rechte  wie  die  beiden  genannten  kann  man 
auch  als  besondere  Gattung  die  Scheide-  und  Sehnsuchtslieder  auf 
den  Abschied  von  der  Dame  und  das  Weilen  in  der  Ferne  von 
ihr  betrachten,  obgleich  ein  besonderer  Name  für  sie  aus  der  pro- 
venzalischen  Literatur  nicht  bekannt  ist;  nach  der  grossen  Zahl 
der  erhaltenen  Gedichte  scheint  diese  Gattung  in  Italien  einen 
reichlicheren  Anbau  gefunden  zu  haben  als  in  der  Provence. 
Dies  kann  wohl  seinen  Grund  in  den  besonderen  Verhältnissen 
der  Dichter,  ihren  Fahrten  und  Reisen,   haben,  und   man  könnte 


*)  Theilweise  stimmen  sogar  die  Worte,  wie 
LXX1V,  40:  Ch'  cra  servente  di  Liioni  a  tutt'  ore. 

LXXV,  32: piano 

Ali  boni  ad  ogne  mano 
E  tuttor  serventese. 
Daher  kann  man  den  Text  des  einen  ans  dem  andern  verbessern;  im  ersten 
heisst  es: 

Morte,  in  te  nulla  mercede 
Ne  pietä  si  puö  trovare 
Ne  umiltä,  sanza  fede, 
Nmi  val  c'om  ti  possa  fare, 
Che  non  aueide  a  tua  'ntenza 
Qual  vuoi  .... 
„nichts  nützt  es,  was  man  auch  thnn  mag,   dass  du  nicht  nach  deinem  Be- 
lieben   tödtest,   wen   du   willst"  —  also  ist  zu   lesen   im  zweiten   Gedichte, 
LXXV,  3: 

Sc  non  ti  val  preghera 

Ne  merzede  chiamare, 

C  oni  ti  faccia,  si  se'dura,      (D'Anc.  Conti  faccia 

Che  d'  auzider  non  äi  cura. 

Quäle  t'  e  in  talento. 


—     91 

hier  eher  als  anderswo  Bezüge  auf  ihr  Leben  suchen  und  für 
dasselbe  Schlüsse  aus  dem  Inhalte  der  Lieder  ziehen  wollen.  Das 
erste  Gedicht  dieser  Art,  dem  wir  in  der  Sammlung  D'Aucona's 
begegnen,  ist  das  von  Iacopo  da  Lentini  (IX):  Troppo  son  dimo- 
rato,  und  Börgognoni  (1.  c.  p.  55)  folgerte  in  der  That  aus  ihm 
eine  lange  Abwesenheit  Iacopo's,  vielleicht  in  einer  vicaria  oder 
podesteria  für  den  Kaiser.  Aber  gerade  dieses  Gedicht  ist,  wie 
oben  gezeigt  worden,  eine  Anlehnung  an  eine  Canzone  Perdigon's, 
und,  wenn  es  nun  freilich  möglich  ist,  dass  Iacopo  über  seine 
eigenen  Erlebnisse  mit  Benutzung  eines  fremden  Vorbildes  dich- 
tete, so  konnte  er  doch  auch  nachahmen  nur  eben  um  nachzu- 
ahmen. Das  Gedicht  XIX  ist  cd  JRegno  gesendet,  ein  Zug,  der 
zweifellos  auf  reale  Verhältnisse  deutet;  freilich  wird  unsere  Kennt- 
niss  dadurch  nicht  sehr  bereichert.  Interessanter  wäre  die  Can- 
zone Rugerone's  von  Palermo:  Ol  lasso,  non  pensai  (D'Anc.  XLIX), 
wenn  sich  nicht  etwa  einmal  auch  von  dieser  herausstellt,  dass  sie 
ein  provenzalisches  Original  hat.  Der  Dichter  spricht  hier  von  dem 
sehnsüchtigen  Schmerze,  den  er,  während  seiner  Reise,  auf  dem 
Schiffe  empfunden,  und  am  Schlüsse  sendet  er  sein  Lied  an  die 
Blume  Syriens,  alla  fior  cli  Soria.  Börgognoni  meinte  allerdings, 
Soria  sei  hier  für  die  Bezeichnung  der  Landschaft  von  Sora  in 
Unteritalien  zu  halten;  denn  es  sei  nicht  denkbar,  dass  der  Dichter 
sich  in  eine  Sarazenin  verliebt  und  ihr  sicilianischc  Gedichte  in's 
Morgenland  gesendet  habe;  diese  Einwände  jedoch  schwinden, 
wenn  man  nur  an  die  wunderbare  Geschichte  Jaufre  Rudel's 
denkt;  die  Gräfin  von  Tripolis  war  doch  auch  keine  Sarazenin, 
und  Rugerone  konnte  einen  Kreuzzug  mitgemacht  und  die  Liebe 
zur  Blume  Syriens  mit  nach  Hause  gebracht  haben.  Viele  andere 
Gedichte,  wie  das  König  Enzo's,  D'Anc.  LXXXIV,  oder  das  des 
Buonagiunta,  Val.  I,  504,  zeigen  wie  gewöhnlich  die  triviale  Wie- 
derholung typischer  Ideeen  und  Formeln.  Mazzeo  Ricco  verfasste 
ein  Gespräch  zwischen  Messere  und  Madonna,  die  sich  aus  der 
Ferne  gegenseitig  ihre  lieberfüllten  Herzen  senden  (D'Anc.  LXXIX). 
Der  Ausdruck  der  Sehnsucht  pflegt  in  eine  Rückerinnerimg 
an  die  letzte  Freude  vor  dem  Scheiden  überzugehen,  an  die  letzte 
Zusammenkunft  mit   der  Dame,  an  ihre  Rührung,  die  Worte,   die 


—     92     — 

sie  damals  gesprochen;  es  ist  eine  sein-  natürliche  Wendung,  welche 
sich  bei  vielen  Dichtern  auch  anderer  Zeilen  rindet,  und  die  Aehn- 
lichkeiten,  die  man  hier  wahrnimmt,  wird  man  für  ganz  zufällig 
entstandene  halten  dürfen.  Gaucelm  Faidit  sagte  sehr  schön 
(('luvst.  139): 

Qu'  anc  nom  poc  plus  dir, 

Quan  venc  al  partir, 

Mas  sa  caralh  vi  cobrir, 

Em  dis  sospiran: 

A  deu  vos  coman. 
und  Bernart  de  Ventadorn,  M.  W.  I,  35: 

Mantas  vetz  m'es  pucis  membrat 

L'amor,  quem  fetz  al  eonrjat, 

Qu'iel  vi  cobrir  sa  faisso, 

Qu'anc  uom  poc  dire  razo. 
oder  M.  W.  I,  47: 

Que  non  es  jorus.  qu'ieu  uo  sospir 

Per  un  dous  serablan,  quel  vi  far, 

Quan  me  dis:  „Ont  anaria, 

Que  fara  la  vostr'  amia? 

Amics,  cum  la  voletz  laissar?" 
So  sagt  die  Dame,  D'Anc.  LX,  13: 

Messer,  se  venite  a  gire, 

Non  facciate  addimoranza; 

Che  non  e  boua  usanza 

Lasciar  l'amore  e  partire. 


und  LXII.  48: 


LXIX.  13: 


Diciavatemi  sospirando: 

Se  vai,  meo  Sire,  e  fai  [a]dimoranza 

Ve',  eh'  io  m'arendo  e  faecio  altra  vita. 


Se  vai.  amor,  c  nie  lasci  in  tormento, 
Io  n'averö  pensiero  e  cordoglicnza  .... 
Die    zuletzt    angeführten    drei    italienischen    Gedichte    gehören    zu 
den  selbständigeren   der  Schule;  sie   gefallen  sich  in  einer  breite- 
ren  Ausmalung    der    letzten   Zusammenkunft    mit    ihren   einzelnen 


-     93    - 

Umständen,  und  hierbei  kommen  gewisse  der  Realität  entnommene 
Züge  zum  Vorschein.,  die  man  sonst  in  dieser  Dichtung  nicht  ge- 
wohnt ist.  Da  ist  von  Herzen  und  Küssen  die  Rede,  und  Gia- 
comino  Pugliese  erinnert  daran,  wie  die  Geliebte  aus  dem  Fenster 
ihres  Palastes  in  seine  Arme  herabgestiegen  ist  (LXII.  34): 

Meinbrando,  ch'  ei  te,  bella,  alo  mio  brazo, 

Quando  scendesti  a  me  in  diporto 

Per  la  finestra  delo  palazo. 

Der  Ton  ist  hier  ein  leichterer  und  volkstümlicherer,  und  so  ist 
es  auch  in  einem  anderen  Gedichte,  in  welchem  die  Abschieds- 
scene  der  Liebenden  selbst  sich  in  der  Form  der  Tenzone  dar- 
stellt. Es  trägt  in  der  vaticanischen  Handschrift  den  Namen 
He  Federigo,  beginnend:  Bolze  meo  drudo,  e  vattene,  D'Anc. 
XLV1II1).  Grion2)  glaubte,  es  Friedrichs  II  Sohne,  König  Frie- 
drich von  Antiochien,  zuschreiben  zu  müssen  und  nicht  dem 
Kaiser,  wohl  deshalb,  weil  der  Verfasser  He  betitelt  ist;  aber  in 
der  palatinischen  Handschrift  wird  Friedrich  II  selbst  He  Federigo 
genannt  in  der  Ueberschrift  zweier  Canzonen,  von  denen  wenig- 
stens die  erste  ihm  allgemein  zuerkannt  ist.  In  jenem  Abschieds- 
gespräche bei  D'Ancona  sagt  der  Liebhaber,  er  scheide  nicht  aus 
freien  Stücken,  sondern  auf  Geheiss  seines  Herrn: 

Che  mi  convene  ubidire 

Quelli  che  m'ä  in  potestate. 

Hierzu  nun  bildet  das  Gegenstück  eine  Canzone  bei  Valeriana, 
I,  64,  welche  demselben  Friedrich  II  beigelegt  wird  (nach  der 
palat.  Hs.),  und  in  der  That  machen  die  Gedichte  den  Eindruck, 
als    ob    sie    beide  als  zu   einander    gehörig  abgefasst    seien.     Die 


')  Bilancioni  hat  (Propugnatore,  VJII,  2°,  p.  284  ff.)  die  Form  in  Otto- 
narien  hergestellt,  wie  sie  fast  tadellos  in  der  Hs.  stand,  und  auch  einiges 
an  der  Lesart  verbessert;  v.  23  war  jedoch  per  nulV  ältr'  ad  amare  zu 
setzen,  wie  Grion  gethan  {per  .  .  ml.  wie  altfz.  por  .  .  .  ä,  span.  para  und 
v.  34  war  das  sansa  tenore  der  IIs.  nicht  in  sansa  temore  zu  ändern;  si 
ienore  heisst  „ohne  Aufenthalt,  Säumen",  wie  D'Anc,  XXIV,  M7:  l.WVll. 
39;  vgl.  Mussafia,  Zur  Katharinenlegende,  Wien.  ISTI.  (ilossar.  s.  v.  tenore. 

-)  Böhmers  Romanische  Studien,  1.  p.  110. 


—     94     - 

Trennung,  welche  auf  Geheiss  des  Herrn  dort  erst  stattfinden 
sollte  ist  hier  vollzogen,  und  der  Dichter  klagt  in  der  Ferne. 
Der  Anfang  ist  bei  Val.  entstellt,  und  von  Salvini  missverstanden; 
aber  Trissino  gab  in  seiner  Poetik1)  die  ersten  zehn  Verse  in 
correcterer  Lesart,  und  danach  ist  die  erste  Strophe  folgender- 
massen  herzustellen: 

Per  la  fera  membranza 

Dello  mio  gran  disio 

Malamente  fallio, 

Che  mi  fece  partire      1.  Chi  mi  f.? 

E  dipartire  —   la  gran  gioi  ch'  i'  avea. 

Ma  senza  dubitanza 

Lo  mio  Signor  sent  in. 

Allor  che  mi  partio, 

Del  mio  pregio  gradire, 

Che  fallire   —  neu  vuole  e  non  porria. 

E  non  comportaria, 

La  mia  pena  sapesse, 

Che  tanto  mi  stringesse, 

Quanto  temesse  -      della  vita  mia. 

Perehe  si  converria, 

Che  tal  gioia  si  desse, 

Che  s'  altri  1'  aprendesse,    Val.  1«  prendessi 

Dir  non  potesse  —  che  li  fosse  ria. 
Freilich,  wenn  man  diese  Klagen  als  aus  einem  wirklichen  Erleb- 
niss  entsprungen  auffassen  will«  so  könnten  die  beiden  Lieder  nicht 
vom  Kaiser  sein:  denn  wer  wäre  da  jener  Gebieter,  dem  er  zu 
gehorchen  hätte?  Doch  reicht  dieser  Grund  allein  nicht  aus,  sie 
ihm  abzusprechen,  da  das  Ganze  sehr  wohl  als  eine  Fiction  an- 
gesehen werden  kann:  Friedrich  mochte  hier  einem  bekannten 
Typus  Dachsingen,  so  gut  wie  er  ja  in  den  andern  ihm  zugeschrie- 
nen  Liedern  der  modischen  "Weise  folgte  und  nicht  seine  persön- 
lichen Empfindungen  ausdrückte.  Diese  Gestalt  des  Gebieter^-, 
welcher  die  Trennung  der  Liebenden  veranlasst,  erscheint  nämlich 


'    Trissino,  Opere,  II.  65. 


—    95     — 

auch    noch    in    anderen   Gedichten.     In    der   letzten   Strophe    der 
Canzone  D'Anc.  XLIV,  heisst  es1): 

La  disianza  non  si  puö  astutare 

Sanza  di  quel  chcnd'  ave  lo  podere 

Di  ritenere  e  di  darmi  comiato, 

Come  la  cosa  si  possa  compiere. 

Dimque  megiio  conven  merce  chiamare, 

Che  ci  provegia  e  no  lasci  perire 

Lo  suo  servente  di  gioi  prolungato; 

C  a  fino  Amor  faria  a  dispiacere; 

Ma  io  son  certo,  ch'  cgli  e  benvogliente, 

C  Amor  gioi  li  consente, 

Ed  e  gioioso  e  di  gioi  concrianza 2). 

(er  ist  Entstehung,   Quelle   von   Freude). 

und  in  dem  anonymen  Gedichte,  D'Anc.  LXIX,  19: 

Lo  mio  gire,  amorosa,  ben  sacciate,  (D'Anc.  amorosö) 

Mi  fu  contra  volere  in  tutte  guise-,        (D'Anc.  fa  contra) 
A  voi  ritomar  gran  disiro  ajo, 
Ma  [a]Io  meo  sire,  che  m'  ä  in  potestate, 
A  lo  'ncominciamento  1'  impromise 
Di  ritornare  a  Lentino  di  majo. 
In  dieser  letzten  Stelle  macht  die  präcise  Orts-  und  Zeitangabe  den 
persönlichen  Bezug  gewiss,   und  zugleich  kann  kaum  Zweifel  sein. 


')  verbessert  nach  der  Lesart  desselben  Gedichtes.  Guittone,  Canz.  LT. 

2)  Gewisse  Aehnlichkeit  mit  dieser  Stelle  hat  die  des  Gaucelm  Faidit, 

M.  G.  486,  4,  wo  der  Dichter  vom  Grafen  Gottfried   sagt,   dass  er  ihn   bei 

sieh  zunickhalte,  aber  schwerlich  ihm  die  Heimkehr  zur  Geliebten  versagen 

wurde,  wenn  er  sie  wünsche: 

E  si  no  fos  mossenhel  coms  Jaufres, 

Quim  reten  sa  cn  son  cortes  pais, 

Ja  per  honor  ni  per  be,  quem  vengues, 

Non  estera  qu'ieu  ades  no  la  vi  ; 

Vas  antra  part  mon  fin  cor  no  mereeia; 

El  coms  sap  he,  quo  non  pot  reu  saber 

De  fin'  amor.  qui  amador  guerreia, 

Ni  drutz  non  den  ad  amic  dan  teuer. 

Per  qu'ieu  no  cre,  qu'  el  m'auzes  retener. 


—     96     — 

ditss  das  Gedicht    von  lacopo   da  Lentini  herrührt,   der   es   liebte, 
seine  Vaterstadt  in  seinen  Versen  zu  nennen. 

Die  Form  des  Gesprächs,  welche  in  diesen  Scheideliedern  zur 
Darstellung  der  letzten  Zusammenkunft  diente,  ward  auch  sonst 
mehrfach  im  Minnegedichte  verwendet.  Bekannte  provenzalische 
Beispiele  sind  dov  Dialog  des  Albert  de  Sestaro:  Domna,  a  vos 
me  coman,  und  der  des  Raimbaut  de  Yainieiras  mit  der  Genue- 
serin.  Es  sind  dieses  wirkliche  Tenzonen,  oder,  wie  man  sie  ita- 
lienisch nannte,  Contrasti;  der  Liebhaher  drängt  die  Dame,  um 
von  ihr  Erfüllung  seines  Wunsches  zu  erhalten,  sie  aber  bleibt 
unerbittlich  und  weist  ihn  zurück.  In  einem  Gespräche  des  Gia- 
comino  Pugliese  dagegen  (D'Anc.  LIX)  beklagt  sich  der  Liebende 
über  die  Dame,  dass  sie  ihn  täusche,  und  trotz  ihrer  Betheueran- 
gen verharrt  er  in  seinem  Misstrauen.  Die  Toscaner  liebten  für 
diese  Dialoge  die  Balladenform1);  es  müssen  also  wenigstens  im 
Anfange  gesungene  und  von  Tanz  begleitete  Wechselreden  gewesen 
sein.  Den  Inhalt  bilden  immer  die  süsslichen  gegenseitigen  Liebes- 
betheuerungen  oder  Eifersüchteleien,  wie  im  Gedichte  Giacoinino's. 
Zu  demselben  Zwecke  verwendete  man  auch  Sonette,  von  denen 
das  zweite  auf  das  erste  antwortete,  zu  vergleichen  der  provenza- 
lischen  Tenzone  von  nur  zwei  Strophen,  wie  die  des  Uc  Catola 
ist2).  Guittone  von  Arezzo  dichtete  einen  Dialog  von  6  Sonetten 
zwischen  Dichter  und  Dame,  der  ganz  aus  gegenseitigen  Schmä- 
hungen besteht  (Son.  103—108),  und  masslos  in  der  Form,  wie  er 
es  war,  hat  er  dann  gar  in  nicht  weniger  als  32  Sonetten  (Son. 
54—85)  eine  ganze  lange  Liebesgeschichte  ausgesponnen,  in  welcher 
sich  Gespräche  mit  der  Dame  zwischen  Betheuerungen  und  Lamen- 
tationen mischen.  Die  Wechselreden  innerhall)  eines  und  desselben 
Sonettes,  wie  bei  Val.  I,  312;  II,  19  u.  21,  entsprechen  den  cöblas 
tensonadas  der  Provenzalen 3).  Zwei  solche  Gedichte  hat  Trucchi 
(I,  141)  f.)  von  Ser  lacopo  da  Leona  publizirt,  welcher  nach  des 
Herausgebers  Versicherung  deren  besonders  viele  gedichtet  hat. 


')  s.  die  von  Saladino,  Val.  I,  435,  442;  Albertuccio  della  Viola,  ib.  II,  228; 
Dante  da  Majano,  IT,  440. 

2)  Chrest.  5!).    Ein  Sonettengespräch  von  Messer  Polo,  Val.  I,  130  f. 

3)  s.  Leys  cTamors,  1,  325  u.  III.  296  f. 


—     97     — 

Von  diesen  Liebesgesprächen  ganz  verschieden  ist  diejenige 
provenzalische  Gattung,  welche  man  gewöhnlich  unter  dem  Namen 
der  Tenzone  versteht.  Jene  Dialoge  rührten  in  Rede  und  Wider- 
rede von  einem  und  demselben  Dichter  her;  diese  dagegen  waren 
Unterhaltungen  und  Diskussionen  verschiedener  Dichter  untei' 
einander.  Provenzalisch  waren  sie  ebenfalls  in  Canzonenform  ge- 
bunden, so  dass  jedem  der  Theilnehmer  abwechselnd  eine  Strophe 
zufiel,  und  das  Geleit  meistens  die  Personen  bezeichnete,  welche 
die  Dichter  zu  Schiedsrichtern  ihres  Streites  bestimmten.  Aber 
in  der  späteren  Zeit  der  provenzalischen  Literatur  war  es  auch 
Sitte,  dass  der  eine  Dichter  eine  einzelne  Strophe  sendete,  auf 
welche  der  andere  dann  mit  denselben  Reimen  erwiderte.  Solcher 
Strophen  mit  Antworten  sind  nach  einer  vaticanischen  Handschrift 
eine  ganze  Reihe  publizirt  im  Archiv,  vol.  34,  p.  405  ff.  Es  han- 
delt sich  um  persönliche  Fragen  oder  um  Scherze;  meistens  aber 
ist  es  herber  Spott,  den  der  eine  Troubadour  gegen  den  anderen 
schleudert,  und  den  dieser  in  der  Erwiderung  zu  überbieten  sucht, 
wobei  denn  allerlei  unsaubere  Dinge  aus  dem  Privatleben  der 
Dichter  zum  Vorschein  kommen,  freilich  nicht  alle  völlig  glaub- 
würdig, da  diese  Verse  offenbar  Produkte  der  Berufseifersucht 
sind  1).  Diesen  correspondirenden  Strophen  entsprechen  genau  die 
italienischen  Sonette  mit  Antwort,  welche  auch  in  der  vaticanischen 
Handschrift  3793  wirklich  Tenzonen  genannt  werden2).  Aus  dem 
Süden  sind  deren  keine  bekannt;  die  Gattung  scheint  sich  erst  in 
Toscana  entwickelt  zu  haben,  als  man  sich  des  Sonettes  häufiger 


')  s.  darüber  auch  Paul  Meyer,  Dernicrs  Troubadowrs,  §  X,  2,  wo 
einige  andere  solche  Dialoge  zwischen  Rostanh  Berenguier  und  dorn  Bort 
von  Aragon. 

2)  Die  Bezeichnung  tenzone  findet  sich  in  der  vat.  Hs.  sowohl  bei  Ge- 
sprächssonetten zwischen  zwei  Dichtern,  als  auch  bei  solchen  zwischen  Mi- 
sere und  Madonna,  die  also  von  demselben  Dichter  (die  letztern  so  genannt 
z.  B.  «"■■  714  f.  u.  735  f.).  Räthselhaft  sind  dabei  die  Numerirungen  ten- 
zone II,  tenzone  III,  tenzone  XVI,  u.  dgl ,  welche  ganz  bunt  ohne  Ordnung 
verstreut  stehen.  Dieselbe  Nummer  kehrt  öfters  wieder,  ja  sogar  bei  dem- 
selben Dichter;  es  giebt  da  viermal  tenzone  ITT  von  Monte  Andrea  ( 
690,  698,  768);  zweimal  tenzone  III  von  Chiaro  Davanzati  (737.  756),  und 
zweimal  tenzone  II  von  demselben  (688,  735). 

7 


-     98     - 

bediente.  Auch  hier  findet  sich,  wiewohl  seltener,  der  persönliche 
Spott,  so  in  dem  Sönatte  Gruittone's  an  Onesto  von  Bologna 
(Son.  201)): 

Credo,  saprete  ben,  messer  Onesto, 

Che  proceder  dal  fatto  il  nome  <lia. 
Er  ermahnt  Onesto.  seinen  Lebenswandel  mit  seinem  schönen  Na- 
men in  Einklang  zu  bringen,  oder  aber  den  Namen  zu  wechseln, 
worauf  Onesto  ironisch  mit  dem  Sonette  antwortete:  Vostro  saggio 
parlar  ch?  e  manifesto  (Val.  II,  143).  Durch  jene  Verse  Guittone's 
mochte  wohl  auch  der  Giudice  Ubcrtino  zu  seinem  Schmäheedichie 
auf  denselben  angeregt  worden  sein  (Val.  I,  432),  welches  mit  der 
nämlichen  Sentenz  beginnt  wie  jene: 

Se  '1  nome  deve  seguitar  lo  fatto, 

Vera  vita  e  la  tua,  o  Fra  Guittone. 
worauf  dann  wieder  Guittone  (Son.  153)  nicht  bloss  auf  dieselben 
Reime,  sondern  sogar  auf  dieselben  Worte  erwiderte: 

0  Giudice  Ubertin,  in  catun  fatto, 

Ove  pertegno  voi,  ver  son  guittone. 
d.  h.  soweit  ich  euch  gleiche,  redet  mein  Name  freilich  die  Wahr- 
heit, bin  ich  wirklich  ein  Schuft  (guittone). 

Meistens  jedoch  bildeten  den  Gegenstand  der  Correspondenz 
allgemeine  Fragen  verschiedener  Art;  der  eine  Dichter  bat  den 
anderen  um  Aufklärung  über  irgend  einen  ihm  problematischen 
Punkt,  und  dieser  theilte  seine  Ansicht  in  der  Antwort  auf  die 
Reime  oder  auch  ohne  diesen  Zwang  mit.  Zuweilen  ging  dieses 
Fragen  und  Antworten  mehrmals  hin  und  her,  wo  man  dann  eine 
Kette  erhält,  die  wieder  der  gewöhnlichen  ausgedehnten  proven- 
zalischen  Tenzone  entspricht.  Und,  ebenfalls  wie  in  der  proven- 
zalischen  Tenzone,  nahmen  auch  mehr  als  zw-ei  Dichter  an  der 
Unterhaltung  Thcil,  indem  der  erste  Fragende  sein  Sonett  zugleich 
an  verschiedene  sandte.  Mehrfach  handelt  es  sich,  wie  in  den 
meisten  derartigen  Gedichten  der  Troubadours,  um  gewisse  subtile 
Entscheidungen  über  die  Angelegenheiten  der  Minne.  Bartolommeo 
Notajo  fragt  Bonodico  von  Lucca  (Val.  I,  535),  welchen  von  zwei 
Rittern  eine  Dame  bevorzugen  müsse,  den,  welcher  kühn  seine 
Empfindung  kund   thue,  oder  den,   welcher  fürchte  und  schweige; 


—     99     - 

Bonodico  antwortet  mit  dem  Gemeinplatz,  dass  Liebe  aus  Wohl- 
gefallen (piacere)  entstehe;  also  mag  die  Dame  den  wählen,  der 
ihr  gefällt.  Buonagiunta  Urbiciani  fragt  (Val.  I,  529)  einen  Un- 
genannten, welches  das  erste  Leid  sei,  das  Liebe  verursache. 
Dante  da  Majano  will  von  Tommaso  Buzzuola  erfahren,  welches 
der  grösste  Schmerz  in  der  Liebe  sei  (Val.  II,  492),  und  jener  ant- 
wortet, es  sei  der  zu  lieben  und  nicht  wieder  geliebt  zu  werden 
(ib.  252);  Dante  da  Majano  setzt  dann  (ib.  493)  von  neuem  fragend 
die  Diskussion  fort,  worauf  die  Rückantwort  fehlt.  Und  dass  das 
erste  Sonett  hier  zugleich  an  mehrere  Dichter  gesendet  wrorden, 
sieht  man  daraus,  dass  noch  ein  anderer,  Mino  del  Pavesajo  (Val. 
II,  38G)  auf  dasselbe  antwortet,  und  zwar  mit  der  nämlichen  Ent- 
scheidung wie  Tommaso;  auch  hierzu  findet  sich  die  erneute  Frage 
Dante  da  Majauo's  (Val.  II,  494).  So  sendete  dann  der  junge 
Dante  Alighieri  in  seinem  ersten  Sonette  eine  Vision  zur  Erklä- 
rung an  die  berühmten  Dichter  seiner  Zeit,  und  vor  oder  nach 
ihm  hat  Dante  da  Majano  mit  einem  Traume  desgleichen  gethan 
(Val.  II,  499  ff.). 

Aber  auch  mit  anderen  Fragen  gab  man  sich  in   diesen  Ge- 
sprächen ab;   Gonnella  degli  Interminelli  und  Buonagiunta  wech- 
seln vier  Sonette  über  das  Problem,  wie  Eisen   mit  Eisen  gefeilt 
werden  könne  (Val.  I.  530  ff.).    Francesco  Ismera  befragt  jemanden 
darüber,    woher  es  kommen  möge,    dass  der  Sonnenstrahl   durch 
Glas  und  Wasser  fallend  Feuer  erzeuge  (Allacci,  34G): 
Mette  lo  Sol  nell'  acqua  c  träne  il  foco, 
0  del  foco  coli'  acqua  il  Sol  si  sciovra? 
Adoperavi  il  vetro  assai  o  poco 
0  l'esca,  fuor  che  '1  prende  o  mettc  iu  ovra? 
Es  handelt  sich  dabei  um  jene  mit  Wasser  gefüllten  Glaskugeln, 
welche  das  Alterthum  und  Mittelalter  als  Brenngläser  verwendete. 
Bei  Guittone  und  seinen  Nachahmern  herrscht  auch  hier  das   M<>- 
ralisiren  vor;    Natuccio  Aiupiino  von  Pisa  fragt  Bacciarone   (Val. 
I,    414   f.),    warum   Sünde    mehr  beliebt    sei    als   Rechtthun;    Me<> 
Abbracciavacca  peinigt  den  Dotto  Reali  gar  mit  dem  theologischen 
Problem,  woher  die  Seele  der  Verderbniss  verfallen   könne,  da   sie 
doch  von  dem  höchsten  Gute  stamme  (Val.  II.  20  u.  52).     An  Guit- 


—     100     - 

tone  selbst  ergingen  mehrfach  solche  moralische  und  theologische 
Fragen.  Diese  Sonette  sind,  bei  dem  Ungeschick  in  der  Behand- 
lung so  schwieriger  Gegenstände  und  dem  Zwang  der  Form,  fast 
immer  sehr  dunkel,  und  gar  die  Antworten  auf  die  Reime  oft 
nicht  zu  enträthseln. 

Von  der  politischen  Tenzone  bietet  interessante  Beispiele  die 
lange  Reihe  von  Correspondenzen  verschiedener  tiorentinischer 
Dichter  über  die  Ereignisse  des  Jahres  l^ijs.  von  denen  schon  an 
anderer  Stelle  die  Rede  gewesen  ist. 

Die  Troubadours  antworteten  auch  mit  ganzen  Gedichten  auf 
die  Reime  eines  gegen  sie  gerichteten  Angriffsserventes.  In  dieser 
Weise  vertheidigte  sich  Raimon  de  Miraval  gegen  das  Lied  des 
Uc  de  Mataplana,  der  ihm  Vorwürfe  wegen  der  Verstossung  seiner 
Frau  gemacht  hatte v).  Bartolommeo  Zorgi  nahm  mit  einem  Ge- 
dichte seine  Mitbürger,  die  Venetianer,  gegen  ein  Serventes  Boni- 
facio Calvo's  in  Schutz  (Choix,  IV,  226  ff.).  Albert  de  Sestaro  ver- 
fasste  ein  Schmähgedicht  gegen  die  Liebe  (Arch.  32.  407),  gegen 
welches  Aimcric  de  Belenoi  eine  Vertheidigung  derselben  dichtete 
(M.  G.  101).  Gerade  dieser  letzte  Gegenstand  nun  ist  auch  in 
Italien  in  Correspondenzen  von  ganzen  Canzonen  auf  die  Reime 
behandelt  worden.  Tommaso  Buzzuola  vertheidigte  zweimal  die 
Trefflichkeit  der  Minne,  das  erste  Mal  gegen  den  Angriff  Monte 
Andrea's2),  das  zweite  gegen  den  des  Giovanni  dalT  Orto  von 
Arezzo3).  Umgekehrt  erwiderte  auf  eine  Canzone  des  Galletto 
Pisano  (Val.  I,  449),  in  welcher  dieser  sich  seiner  Liebe  rühmte, 
Leonardo  del  Guallacco  aus  Pisa  mit  einer  Schmähung  Amore's 
und  der  Frauen  (ib.  445) 4). 


1    Arch.  34,  195  f.     vgl.  Diez,  Leben  und  Werke  der  Troub.  p.  387. 
Monte's  Gedicht    steht   Val.   II.   31,    Tommaso's   Antwort,    ib.   248; 
Monte  antwortete  dann  von  neuem,  wie  die  Angabe  des  Cod.  A  zeigt,  mit 
dem  Gedichte  Val.  II,  28,   wiederum   die  Liebe  schmähend;    dieses   letztere 
ist  aber  nicht  sulle  rime. 

3)  Giovanni  dalT  Orto's  Gedicht  steht  in  C,  33,  und  ist,  wie  Manzoni  an- 
giebt,  in  Trucchi's  Sammlung  von  Rime  Fazio  degli  Uberti's  (Firenze,  L841 
gedruckt,  die  mir  unbekannt  ist.  Tommaso's  Antwort  inZambrini,  Op.  volg.p.385. 

1    bei  Val.  stehen  die  Gedichte  in  verkehrter  Reihenfolge,  in  richtiger 
dagegen  in  A.  1 12  u.  113. 


—     101      - 

Etwas  verschieden  von  der  einfachen  Tenzone  war  das  joc 
partit  oder  partimen,  in  welchem  jeder  der  beiden  Dichter  die 
gestellte  Frage  auf  seine  Weise  beantwortete,  und  diese  Entschei- 
dung vertheidigte;  es  ist  ein  leeres  dialektisches  Spiel,  da  derjenige, 
welcher  den  Streit  anregt,  dem  Gegner  die  Auswahl  zwischen 
beiden  Antworten  frei  lässt,  und  die  entgegengesetzte  Behauptung 
dann  für  sich  behält.  Diese  Art  der  Tenzone  ist  bei  den  Italie- 
nern weit  seltener;  es  gehören  dahin  die  beiden  Sonette  des  Ban- 
dino,  Val.  I,  428  f.,  mit  welchen  die  beiden  des  Gillio  Lelli  bei 
Allacci,  352  f.,  zu  verbinden  sind.  Das  Charakteristische  des  par- 
timen zeigt  sich  in  Bandino's  Worten: 

Prendi  oramai  entrambe  o  l'una  o  l'altra 
Di  mie  petiziou. 
In  der  That  vertheidigt  ein  jeder  eine  andere  Ansicht;  da  der 
Anfang  des  Disputes  fehlt,  so  ist  nicht  recht  klar,  welches  der 
Gegenstand  gewesen;  wahrscheinlich  aber  war  es  dieses,  ob  es  in 
der  Liebe  besser  sei  langsam  oder  schnell  an  das  Ziel  zu  kommen  x). 
Federigo  dah"  Ambra  hat  ein  partimen  von  9  Sonetten  mit  Ser 
Pace  Notajo  über  die  Frage,  ob  es  räthlicher,  Glück  und  Pein  der 
Liebe  dahinzunehmen,  oder  sich  ganz  derselben  zu  enthalten. 
Federigo  gebraucht  auch  den  technischen  Ausdruck  partito2)  (Val. 
II,   oS7): 

Ciascuno  ama  vertäte  per  natura; 
Ond'  eo  sol  per  trovarla  disputando 
Mando  un  partito  a  voi,  Maestro  Pace3). 

Eine   echte  provenzalische  Partimenfrage  ist  dann   die  Ricco's  an 
Ser  Pace  (Val.  II,  395  f.,   die  Antworten,  404  f.),  ob  es  besser  sei, 


*)  Ausserdem,  dass  das  erste  Sonett  Bandino's  fehlt,  ist  auch  die  Rei- 
henfolge gestört:  auf  jenes  erste  folgte  dasjenige  Gillio's.  welches  jetzt  die 
zweite  Stelle  einnimmt  (All.  353\  dann  das  erste  von  Bandino  Val.  428\ 
weiter  das  erste  von  Gillio  (All.  352)  und  endlich  das  zweite  Bandino's 
(Val.  429). 

-)  Aehnlich  prov.  partida  hei  G.  Riquier,  s.  Bartsch.  Grundriss,  p.  34. 

3)  Auch  hier  ist  die  Reihenfolge  der  Sonette  bei  Valeriana  gestört;  es 
gehören  zusammen  das  p.  387  mit  406;  388  mit  409;  389  mit  408:  390 
mit  407. 


—     102     - 

ein  Mädchen  oder  eine  rerheirathete  Frau  zn  lieben;  dieselbe 
Frage  richtete  ein  Verzellino  an  Dino  Frescobaldi  (Val.  n.  526  f.). 
Von  der  Einwirkung  einiger  anderer  Gattungen,  die  in  der 
provenzalischen  Literatur  einen  besonderen  Namen  trugen,  finden 
sich  in  der  alten  italienischen  Dichtung  vereinzelte  Spuren.  Gnit- 
tone  von  Arezzo  dichtete  einen  sogenannten  pltozer  (Canz.  X),  d.  h. 
eine  Aufzählung  aller  der  Dinge,  welche  dem  Dichter  wohlgefällig 
waren J).  Er  ist  in  der  äusseren  Behandlungsweise  ganz  nach 
provenzalischem  Muster,  alter  mit  streng  moralisch  religiöser  Wen- 
dung des  Inhaltes,  ein  Musterbild  tugendsamer  Denkweise,  das 
gerade  Gegentheil  des  kriegerisch  wilden  plager's  von  Guillem  de 
S.  Gregori  oder  der  lockeren  Scherzo  des  Mönches  von  Montaudon. 
Nur  die  äussere  Gestalt  der  beliebten  Gattung  ist  geblieben;  der 
Geist,  welcher  sich  in  ihr  ausdrückt,  ist  ein  ganz  anderer.  Dem 
provenzalischen  Mönche,  der  bei  Festspielen  präsidirte  und  mit 
dem  Herrgott  verfängliche  Unterhaltungen  pflog,  behagte  es  zu 
weilen 

a  fönt  o  a  riu 

Elh  prat  son  vert  el  flors  reviu, 

E  li  auzellet  chanton  piu, 

E  m'  amiga  von  a  celiu  .  .  .  (M.  W.  II.  59 

Dem  toscanischen  fräbe  gaudente  dagegen  gefällt 

domia,  che  porta 

A  suo  signor  fede  amorosa  e  pura. 
und 

Donna,  che  sottomette  a  castitate 
Bellore  e  gioventute. 

eine  Wittwe,  die  wohl  für  die  Familie  sorgt,  ein  Prälat,  der  seine 
heiligen  Pflichten  erfüllt 

E  religioso,  poi 

Parti  del  mondo.  non  nel  mondo  sede. 


1  Das  Gegentheil  des  plazer,  einen  enueg,  verfasste  der  Cremoncse 
Pateclo  in  noräitalienischer  Mundart,  und  ihm  ahmte  wieder  der  Chronist 
Salimbcne  in  derselben  Gattung  nach;  s.  Mussafia,  Jahrbuch  für  rom.  und 
engl.  Litt..  VI,  p.  222— 22G. 


—     103     — 

welches  letztere  der  Mönch  von  Montaudon  gerade  am  wenigsten 
zu  erfüllen  liebte.  Dieser  plazer  Guittone's  ist  dann  wiederum 
nachgeahmt  worden  von  Chiaro  Dävanzati1)  in  einer  Corona  von 
Sonetten,  von  denen  zwei  schon  bei  Trucchi  (I,  194  u.  197)  gedruckt 
standen,  und  nun  fast  alle  von  D'Ancona  publizirt  sind  in  der 
Auswahl  von  zwanzig  Sonetten  im  Propugnatore ,  VI.  1°  iir-  VIII 
—  XVI  -).  Die  Abhängigkeit  Chiaro's  von  Guittone  ist  leicht  zu 
erkennen.     Guittone  sagte  str.  II: 


J)  Chiaro  Dävanzati  hat  Guittone  öfters  nachgeahmt.  Ein  Sonett  des- 
selben, D'Anc.  Son.  VII: 

Molti  omini  vanno  ragionando 

Dicendo,  che  l'Amore  e  degna  cosa 

E  face  il  folle  assai  gire  ammendando, 

Lo  scarso  largo  con  grazia  copiosa, 

Lo  nescie  hen  saccente  sermonando, 

Lo  vile  pro  e  la  noia  gioiosa  .  .  . 
richtet  sich  zwar  gegen  einen  allbekannten  Satz;  aber  eher  als  direkt  durch 
die  Worte  Aimeric's  de  Pegulhan  (M.  YV.  II,  165)  scheint  es  inspirirt  durch 
die  Guittone's,  Ganz.  IV,  2: 

Lo  vil  pro,  parlädor  lo  nesciente 

E  lo  scarso  mettente 

E  leal  lo  treccante  e  '1  folle  saggio 

Dicon  che  fai,  c  valere  '1  selvaggio; 

Ma.  chi  ben  sente,  il  contrar  vede  aperto. 
Auch  von  der  noch  ungedruckten  Canzone  Chiaro's  (A,  224): 

Abi  dolze  e  gaia  terra  fiorentina 
möchte  man  glauben,   dass   sie  mit  Bezug  auf  Guittone's:    Ähi  dolze  t  gaia 
terra  aretina    A.  1591  gedichtet  sei;    doch  lautet  der  Anfang   der   letzteren 
in  der  Ausgabe  Valeriani's  (Canz.  IX):  0  dolee  terra  Aretina,  und  nach  dem 
Strophenbau  richtig. 

2)  Das  erste  Sonett  dieser  im  Cod.  A  stehenden  Kette  (M-  576  :  Motto 
diletto  e  piaeemi  vedere  fehlt  bei  D'Ancona.  Bilancioni  Propugnatore,  VII. 
1°,  60)  glaubte,  es  gehöre  dazu  auch  das  anonyme  Sonett:  Vita  mi  piace 
(V  iiniii,  che  si  mantene,  das  im  Cod.  Vat.  an  ganz  anderer  Melle  (987)  steht 
und  bei  Trucchi,  I,  195,  unter  Chiaro's  Namen  publizirt  ist  (wonach  bei 
Nannucci,  I,  299,  irrthümlich  als  von  Guido  Orlandi).  Aber  diese  Zugehörig- 
keit ist  sehr  zu  bezweifeln;  denn,  wahrend  in  Chiaro's  plai  _  wird. 
wie  es  in  diesem  oder  jenem  Stande,  dieser  oder  jener  Lebenslage  geziem- 
lich sei  sich  zu  benehmen,  ist  das  fragliche  Sonett  nur  ein  allgemeiner 
Preis  des  segnenden  Einflusses  der  Liebe.     Dazu  hat   dasselbe   die   bei   den 


—     104     — 

E  bcllo  vergoguar  veglio   e  dolore 

Di  che  t'u  pcccatore 

Contra  nostro  signore, 

E  bei,  so  emendar  pugna  a  suo  podere. 
und  Chiaro,  Son.  IX: 

Ancor  mi  piacc  veglio  canoscente 

Di  ciö  ch'  egli  ä  fallato  ripentuto, 

E  ritornare  a  Dio  umilemente, 
Guittone,  str.  III: 

E  mercante,  che  vende 

Ad  im  vor  uiotto  e  uon  sua  robba  lauda. 
Chiaro,  Son.  X: 

Ancor  mi  piace  veder  mercatante 

Ad  un  sol  motto  vender  su'  mercato. 
Guittone,  str.  IV: 

E  ogni  donna  e  donzclla, 

Che  rado  e  umil  favella 

E  ch'  ha  temente  e  vergognoso  aspetto. 
Chiaro,  Son.   XII: 

E  si  ini  piaee  vodere  pulzella 

Piana  ed  umil,  con  hello  reggimento, 

Bassare  gli  occhi  suoi.  quando  favella. 
u.   dgl.   mehr.     Aber  Chiaro,   weit  begabter   als   Dichter  und  ge- 
wandter in  der  Form,  hat  die  kurzen  moralischen  Sätze  Guittone's 
aus  ihrer  einförmigen  Dürre  befreit  und  zu  ansprechenden  kleinen 
Bildern  erweitert. 

Die  Behandlung  des  provenzalischen  Lehrgedichtes  (enseriha- 
men)  zeigt  sich  in  der  Anweisung  für  das  Benehmen  in  der  Liebe, 
dio  bei  D'Anc.  LXVII.  D'Ancona  vermutliete,  dass  es  eine  Nach- 
ahmung provenzalischen  oder  französichen  Originals  sei;  und  dar- 
auf deutet  in  der  That  das  Wort  somonire  (prov.  somoner  oder 
somonre,  frz.  semondre)  v.  21,  und  rire  statt  ridere,  v.  56.  Ueber 
die  Regeln  der  Minne,   das   BenehmeD    des   Liebhabers  gegen   die 


ältesten  Dichtern  wenig  übliche  Reimordnung  abba,  während  alle  Sonette 
jener  Corona  die  Ordnung  a  b  a  b  befolgen. 


—     105     — 

Dame  und  deren  Umgebung,  die  Mittel,  ihre  Gunst  zu  gewinnen, 
handelte  Guittone  in  einer  langen  Sonetten-Corona,  einer  ganzen 
sehr  platten  ars  amandi,  mit  mannichfaltigen  Lehren  und  Rath- 
schlägen,  je  nach  dem  verschiedenen  Stande  der  Geliebten 1). 

Bernerkenswerth  ist  zum  Schlüsse  noch  das  Gedicht,  D'Anc. 
KCV,  mit  Personificationen  abstrakter  Wesen,  wie  die  Literaturen 
Frankreichs  sie  liebten,  und  Brünette-  Latini  und  später  Francesco 
da  Barberino  sie  in  grösseren  Werken  verwendeten.  Der  Dichter 
klagt  über  Mercede,  die  für  ihn  ihre  Kraft  verloren  habe;  Mer- 
cede  antwortet,  ihn  an  Pietate  verweisend;  diese  wiederum  be- 
theuert,  ihm  nicht  nützen  zu  können,  weil  sie  in  Madonna's  har- 
tem Herzen  keinen  Platz  finde,  nur  Amore  vermöge  ihm  zu  helfen, 
und  an  diesen  wendet  sich  endlich  der  Dichter  um  Beistand  flehend. 


Die  Nachahmer  einer  dichterischen  Manier  ergreifen  meist 
am  bereitwilligsten  die  Fehler  und  Auswüchse  derselben,  und  so 
hat  bei  den  Italienern  auch  besonderen  Anklang  gefunden,  was 
an  der  provenzalischen  Poesie  Affektation  und  Künstelei  war. 
Sehr  beliebt  wurde  die  Spielerei  mit  Worten,  die  bisticci  von  amore 
und  amaro,  welche  schon  in  dieser  Zeit  überaus  häufig  be- 
gegnen, ferner  die  beständige  Repetition  desselben  Wortes  oder 
Wortstammes  durch  einen  ganzen  Vers  oder  ein  ganzes  Gedicht, 
die  replicacio  der  Provenzalen 2),  wie  sie  z.  B.  Guittone  anwendete 
in  dem  Sonette  (54): 


*)  Diese  Reihe  beginnt  Son.  173  und  geht  bis  198;  aber  Son.  183 — 185 
sind  hier  irrthümlich  eingeschoben,  und  185  ist  nur  eine  Wiederholung  von 
Son.  86  nach  anderer  Hs.,  was  Valeriani  nicht  bemerkte,  weil  hier  das  erste 
Wort  Pol  statt  Voi. 

2)  s.  Leys  d'amors,  besonders  III,  p.  62;  Beispiele  der  B&plicacio  giebt 
Paul  Meyer,  Demiers  Troubadours,  §  XXII.  Eine  provenz.  cobltt,  publizirt 
von  Stengel,  Eir.  di  Fd.  Rom.  I,  43,  zeigt  die  Replication  desselben  Wortes, 
wie  die  obige  Guittone's: 

Fis  gaugz  entiers,  plazens  e  amoros, 
Ab  vos  es  gaugz,  per  que  totz  bes  reviu, 
E  non  a  gaug  el  mon  tan  agradiu, 
Quel  vostre  gaugz  fal  segle  tot  joios .... 


—     106     — 

Tuttor  ch'  io  dirö  a; i <  > i -  gioiva  cosa, 
[ntenderete,  che  di  voi  favello, 
Che  gioia  sete  di  beltä  gioiosa 
E  gioia  di  piacer  gioivo  e  bello  .  .  . 
Darf  man  den  Herausgebern  trauen,  so  hätte  schon  der  Sicilianer 
Iacopo  da  Lentini  dergleichen  geliebt.  Val  I.  292: 
Lo  viso  e  son  diviso  dallo  viso, 
E  per  avviso  credo  ben  visare,  .  .  . 
Am  weitesten   1  trachte   es  wohl    in    dieser  Kunst    ein   Maglio   aus 
Florenz,  dessen  Sonett  Grion  (Pozzo,  45)  publizirte: 
0  alta  del'altezze  piü  altera. 
Cortese  di  cortesc  cortesia, 
Plagente  di  plagere  plagentera, 
Contita  di  contezze  secontia  (?) l). 
Eine    ähnliche   Spielerei    ist    die    Häufung    der    Binnenreime, 
welche  bei  den  Provenzalen    selbst    niemals    in    der    Ausdehnung 
verwendet  worden   sind  wie  von   den  ältesten  italienischen  Dich- 
tern;   man    begnügte    sich    nicht   damit,    nur   einmal  den   Schluss 
jedes  Verses  innerhalb  des  folgenden  anklingen  zu  lassen,  sondern 
wiederholte  den  Reim  mehrfach  im  Verse  selber: 
Similemente,  —  gente  —  criatura, 
La  portatura  —  pura  —   cd  avvenente 
Faite  plagente  —    mente   —  per  natura, 
Si  che  'n  altura  —  cura  —  vo'  la  gente. 
so  der  Pisaner  Pucciandone  Martelli2). 

La  fior(e)  —  d'amor(e)  —  veggcudola  parlare 
Innaraorar(e)  —  d'amare  —  ogn'  uom  dovria, 
Dolzore  —  nello  cor(e)  -  -  dovria  portare, 
Qual  asservar(c)  —  donar(e)  —  sua  segnoria  (?). 
so  Dante  da  Majäno  (Val.  II,  465). 


1)  Ein  bekanntes,   poetisch  freilich  viel   höher  stehendes  Beispiel   der 
Replication  bei  Petrarca  ist  das  Sonett: 

Dolci  ire,  dolei  sdegni  e  dolei  paci. 

2)  s.  Redi.  Annot.  zu  v.  428  des  Ditir.,  Val.  I,  466. 


—     107     — 

Guittone  von  Arezzo  scheute  sich  nicht,  die  Spielerei  der 
Binnenreime  und  Replicationen  selbst  in  ernsten  moralischen  und 
religiösen  Gedichten  anzuwenden  (Son.  1  u.  20),  und  übertrug 
diese,  wie  die  anderen  Geschmacklosigkeiten  seiner  Dichtung,  auch 
in  die  Prosa  seiner  Briefe.  Er  hat  einmal  auch  die  sogenannten 
rims  derivaüus  der  Provenzalen  ])  nachgeahmt,  d.  h.  in  allen  Rei- 
men die  gleichlautende  Stammsilbe  mit  wechselnder  Endung,  näm- 
lich Son.  88: 

Ahi,  come  bcn  del  mio  stato  mi  pare, 

Mercede  mia,  che  non  e  folle  a  paro; 

Ch'  io  mostro  amor  in  parte,  che  m'  e  spare, 

E  lä  dov'  amo,  quasi  odioso  paro,  .  .  . 
Ein  Produkt  der  Affektation  war  die  dunkele  oder  schwere 
Dichtweise  der  Troubadours  hervorgegangen  aus  dem  Streben  nach 
etwas  Neuem  und  Ausserordentlichem  innerhalb  eines  schon  er- 
schöpften Kreises  von  Gedanken  und  Empfindungen;  die  Tiefe  und 
Bedeutung,  welche  der  Gegenstand  nicht  mehr  darbot,  suchte  man 
wenigstens  äusserlich  herzustellen  durch  die  Umschreibung  der 
gewohnten  Ideeen  mit  neuen  und  schwierigen  Ausdrucksweisen, 
aus  denen  man  den  Sinn  nur  mit  Mühe  herausfand.  Der  Haupt- 
vertreter dieser  Richtung,  Arnaut  Daniel,  war  in  Italien  vorzüg- 
lich angesehen,  wie  die  Lobpreisung  desselben  bei  Dante  beweist, 
und  so  hat  auch  die  dunkele  Poesie  Nachahmer  gefunden.  Diese 
Dichtweise  ist  jedoch,  wie  so  manches  andere  der  Provence  Ent- 
lehnte, erst  bei  den  Toscanern  reichlicher  angebaut  worden.  Nur 
eine  derartige  Canzone,  D'Anc.  XCIX: 

Del  meo  voler  dir  l'ombra 
Cominzo  scura  rima. 
wird    einem    südlichen  Dichter,    dem    Inghilfrcdi    Siciliano.    zuge- 
schrieben2).    Diez  machte  schon  darauf  aufmerksam3),  dass  auch 
die  technischen  Bezeichnungen  dieser  Dichtweise  bei  den  Italienern 


*)  Leys  cVamors,  I,  184;  vgl.  M.  G.  1210—1212  u.  1193. 

2)  nämlich  in  der  palat.  IIs.  (p.  92),   und  so  bei  Val.  I,  141;    Trissino, 
Foetik,  p.  36.     Im  Cod.  Vat.  ist  sie  anonym. 

3)  Poesie  der  Tronb.  p.  277. 


—     108     — 

dieselben  waren  wie  bei  den  Troubadours,  Dämlich  chiuso  parlare 
und  scura  rima.  Pannuccio  dal  Bagno  beschliesst  ein  solches  Ge- 
dicht (Val.  I.  308)  mit  den  Versen: 

Gel.  1.  Lo  mco  dir  parlo  chiuso, 

Perche  quello  in  lui  chiuso 

Yisisi1)  quasi  fiore; 

Sc  di  progio  ogui  fiore     (1.  Che  di?  . 

In  lui  contensi  c  conta 

Sovra  ciascuna  conta. 
d.  h.   „da   in   ihm   (dem  Gedichte)   die  Blume  alles   Wertlies   (die 
Dame)  enthalten  und  dargestellt  ist,  die  lieblich  (conta)  über  jeg- 
liche".    Das  zweite  Geleit  ist  wahrscheinlich  so  zu  lesen: 

So,  che  porea  dir  uomo 

Me,  perche  parlat'  ho  mo 

Voi  non  sentendo,   folle; 

Dico  'n  ciö,  corae  folle 

Venta,  quando  semena,     (Val.  si  mena) 

Cosi  voglia  mi  mena. 
(1.  i.  uom  potrebbe  chiamarmi  folle,  percM  mb  ho  parlato  voi  non 
sentendo  (sensa  che  voi  lo  intendeste);  cosi  come  folle  seminando 
gitta  al  null*  U  seme2),  cosi  fo  iö,  gitto  dl  vento  le  mü  parole, 
parlando  sens'  essere  inteso.  Anderswo  giebt  derselbe  Pannuccio 
als  Grund  seiner  dunkelen  Rede  an,  dass  er  sein  Gedicht  nicht 
habe  wollen  in  den  Mund  aller  und  jeder  kommen  lassen.  (Val. 
I,  371.) 

Auch  dittato  forte  wird  die  Dichtweise  genannt  (Val.  I.  419), 
und  Guittone  bezeichnet  sie  als  soUües),  wo  er  Fra  Giacomo  da 
Leona  (Ganz.  XXII,  2)  preist: 

Tu.  Frate  mio,  vor  bon  trovatore 

In  piana  cd  in  sottil  rima  ed  in  chiara 

E  in  soavi  e  sagei  e  eari  motti. 


1    visare  „betrachten",  vgl.  Val.  I,  340;  363;  Guittone.  Ganz.  XIV.  10. 
-    venture  „in  den  Wind  werfen'",  wie  alitz.  venter.  prov.  ventar. 
3)  so  Escur  prim  chantar  >■  sotil,  Lanfranc  Cigala,  M.  G.  551,  1. 


—     109     — 

Mit  dieser  Dunkelheit  der  Rede  pflegen  sich  alle  möglichen  Künste- 
leien der  Form  zu  paaren,  die  Binnenreime,  die  Alliteration  und 
Replication,  besonders  aber  die  gesuchten  und  schwierigen  Reime 
(rims  cars),  auf  welche  wühl  jener  Ausdruck  Guittone's  motti  cari 
anspielt.  Die  italienischen  Gedichte  der  dunkelen  Weise  haben 
fast  sämmtlich  als  Charakteristicum  die  Reime  von  Homonymen 
(rims  equivocs)  oder  an  Stelle  derselben  noch  öfter  die  Wieder- 
holung des  nämlichen  Wortes  im  Reime;  es  war  dies  eben  der 
Versuch,  die  theueren  Reime  der  Troubadours  nachzuahmen.  In 
solchen  rime  equivoche  ist,  ausser  den  schon  genannten  Pannuccio's, 
auch  die  Canzone  von  Guido  Guinicelli:  Lo  fin  pregio  avanzato 
(Val.  1,69)  geschrieben1),  ferner  die  des  Meo  Abbracciavacca: 
Amor,  tegnomi  matto  (Val.  II,  11)  und  noch  verschiedene  andere 
Canzonen  und  Sonette.  Ein  Gedicht  des  Dotto  Reali,  welches  er 
novo  troväre  nennt  (Val.  II,  49):  Di  cid,  dir  7  meo  cor  sente,  hat 
zwar  nicht  diese  Eigenthümlichkeit,  dafür  aber  eine  wahnsinnige 
Häufung  von  Binnenreimen.  Guittone  verfasste  eine  Canzone  XXXV 
theils  in  rims  equivocs,  theils  in  zusammengesetzten  Reimen  (rims 
contrafagz),  theils  mit  männlichen  Versen  (rime  tronche),  also 
lauter  Gesuchtheiten,  und  fügte  im  Geleite  hinzu: 

Scuro  saccio  che  par  lo 

Mio  detto,  ma  che  pario     {ma  che  =  ausser  dass) 

A  cbi  sa,  intende  ed  ame;  (?) 

Che  lo  'ngegno  mio  däme, 

Che  in  me  pur  provi  d'oune 

Mainera,  e  talento  honne. 

Ihm  und  seinen  Nachahmern  machte  man  vorzüglich  den  Vorwurf 
der  Dunkelheit,  wie  das  Sonett  des  Geronimo  Terramagnino  an 
einen  Schüler  Guittone's  und.  dessen  Antwort  (Val.  II,  53  f.)  be- 
weist, sowie  ein  anderes  Sonett  an  Guittone  (Val.  II.  16),  nach  diu 
Herausgeber  von  Meo  Abbracciavacca,   der  freilich  sich  selbst   in 


')  Im  Cod.  Vat.  (ar-  129)  steht  es  anonym,  und  GrioD  sprach  es  Guido 
Guinicelli  deshalb  ah.  vermuthend.  es  sei  von  Buonagiunta;  aber  Guido  legen 
es  bei  die  Hss.  P:  B,  6;  C.  (!.  und  so  die  Rodianische.  nach  Molteni,  Giorn. 
di  Fü.   Rom.  I.  51. 


-     110     - 

der  dunkelen  Rede  versuchte.  Eher  noch  aber  hatten  diesen  Vor- 
wurf die  drei  Pisaner,  Pannuccio,  Bacciarone  und  Lottu  di  Ser 
Dato  verdient;  denn  sie  haben  nicht  bloss  in  den  Gedichten,  welche 
speziell  der  dunkelen  .Manier  angehörten,  -  indem  allenthalben  eine 
-  i  gewundene  und  geschraubte  Ausdrucksweise  gebraucht,  dass  sie 
dem  Verständniss  die  grösste  Schwierigkeit  bereiten.  Nannucci 
theilte  von  den  vielen  Gedichten  Pannuccio's  in  seinem  Manuale 
(I,  201)  nur  ein  Sonett  mit.  weil  alle  anderen  in  der  florentiner 
Ausgabe  von  zu  verdorbener  Lesart  seien.  Allein  er  täuschte  sieh, 
und  im  Gegentheil  gehören  diese  Gedichte  zu  denen,  welche  ver- 
hältnissmassig gut  in  Ordnung  sind,  wie  schon  die  meist  wohl  er- 
haltene Form  beweist.  Die  Schwierigkeit  liegt  hier,  wir  öfters  bei 
diesen  Alten,  nicht  in  der  Corruption  des  Textes,  sondern  in  der 
Manier  des  Dichters,  der  absichtlich  das  Gewundene  und  Schwer- 
fällige suchte1).     Pannuccio  sagt  (Val.  I,  336): 

Degn'  esser  quanto  fo  non  for'  amato 

Da  voi,  Domia  piacente, 

si  veramente,  —  com'  eo  credo  fiso  .... 
statt:    non  fora  nessuno  degno   d'esser  amato   da    voi,   quanto  fo 
io  (fo  verb.  vicar.  =  sono  degno);  oder  (ib.  348): 

Fermo  avendo  coraggio 

D'altera  donna  di  servir  natura, 
d.  i.  di  servir  donna  d'altera  im  furo.  Und  in  Milchen  unnatür- 
lichen Windungen  dreht  sich  der  Gedanke  durch  die  ganzen  lan- 
gen Gedichte  hindurch.  Hier  mögen  daher  wohl  die  Verfertigen- 
der Carte  <rArh<>r<<i  ihre  kühnen  Transpositionen  erlernt  haben. 
In  diese  Künste  Pannuccio's  und  seiner  Genossen  kann  man, 
sobald  man  ihr  Wesen  einmal  erkannt  hat,  mit  dem  Verständniss 
fast  überall  eindringen,  wenn  anders  man  die  undankbare  Mühe 
nicht  scheut.    Die  Produkte  der  eigentlichen  dunkelen  Manier  da- 


1  Jüne  Ausnahme  macht  aber  immerhin  Pannuccio's  Canzone:  La 
gram  sovrabbondanza,  Val.  I.  371:  obgleich  auch  liier  die  Trauspositiuncn 
nicht  fehlen,  ist  doch  im  Ganzen  das  Gedicht  einfacher  und  klarer  und 
steht  auch  poetisch  höher  als  die  anderen.  Dieses  hätte  Nannucci  wohl  als 
Probe  aufnehmen  können. 


—    111    — 

gegen  widerstehen  oft  genug  allen  Anstrengungen  eines  modernen 
Verstandes,  nicht  weniger,  ja  vielleicht  noch  mehr  als  die  proven- 
zalischen  Vorbilder  dieser  Art.  Und  so  ist  denn  auch,  wie  Bar- 
toli  kürzlich  treffend  bemerkte1),  die  Canzone  Petrarca's:  Mai  non 
mi'  piü  cantar  com  io  söhnt,  welche  die  berühmte  Sentenz  ent- 
hält: Tntendami  chi  pub,  ch'i'  mtintend?  io,  und  die  den  Auslegern 
von  je  her  so  viele  und  so  vergebliche  Mühe  bereitet  hat,  nichts 
anderes  als  ein  später  Abkömmling  der  provenzalischen  schweren 
Dichtwreise. 

Der  dunkelen  Rede  verwandt  ist  die  Gattung,  welche  in  der 
provenzalischen  Literatur  devinalh  genannt  wurde.  Was  das  de- 
vinalh  oder  Räthsel  eigentlich  gewesen,  zeigt  deutlich  das  anonyme 
Gedicht  M.  G.  98,  welches  in  der  Handschrift  ausdrücklich  mit 
So  es  devinalh  überschrieben  ist,  und  das  beginnt: 

Sui  e  no  sui,  fui  e  no  fui, 

E  vuelh  mi  mal  et  am  autrui, 

E  trobiin  nutz  ein  truep  vestitz, 

Et  ai  pro  rams  senes  razitz, 

E  nom  movi  e  corri  fort  .... 
also,  es  ist  eine  Kette  von  Aussagen,  von  denen  je  zwei  einander 
widersprechen.  Dieses  ist  das  Räthsel,  d.  h.  inwiefern  diese  Wider- 
sprüche statt  haben  können,  und  die  zweite  Hälfte  des  Gedichtes 
bringt  dann  die  Auflösung  des  Rätlisels,  indem  sie  zeigt,  dass  jede 
der  beiden  entgegengesetzten  Aussagen  wahr  ist.  nur  in  verschie- 
denem Sinne: 

Fui  e  no  sui  senes  pecatz, 

Sui  e  no  fui  d'els  taut  lassatz. 

Autrui  am  et  a  mi  vuelh  mal, 

Quar  siec  mon  desirier  carnal, 

E  del  volum  del  mou  vestitz 

Me  truep,  mas  nutz  es  l'esperitz  .... 
In  ähnlicher  Weise    wie  dieses  provenzaliscbe  verfährt  das  italie- 
nische devinalh  von  Rugieri  Apugliese,  D'Anc.  LXIII: 


')  I  primi  ilnr  secoli,  ec,  p   b39. 


—     112     — 

L'inilo  sono  cd  orgoglioso, 
Prode  e  vile  e  coragioso, 
Franco  e  sicuro  e  pauroso  .  .  . 

und  so  fort  in  der  Kette  der  Widersprüche;  die  erste  Strophe 
schliesst  mit  allgemeiner  Angabe  des  Grundes  für  die  Möglichkeit 
der  letzteren: 

E   diragiovi  como: 

Mal  c  bene  agio 

Piü  di  null'  omo. 

Dann   in  Strophe  II  von   neuem   die  Häufung   der  Antithesen:    Er 
ist  zugleich  arm  und  reich,  gesund  und  krank,  u.  s.  w.,   und  zum 
.Schlüsse  wie  vorher  die  Angabe  der  Ursache: 

Or  intendete  la  ragione: 
Gioruo  e  notte  istö  in  pensagione. 
Die  folgenden  Strophen  endlich  bieten  die  Aufklärung  der  einzel- 
nen Widersprüche:  demüthig  ist  er,  wenn  er  sie  schaut,  und  hoch- 
müthig  darin,  dass  er  nach  ihr  begehrt;  reich  ist  er  an  Hoffnung 
und  arm  an  Liebe,  u.  s.  w. 

Dieses  Hin-  und  Herspielen  zwischen  Gegensätzen  diente  vor- 
züglich dazu,  den  widerspruchsvollen  Zustand  darzustellen,  in  den 
die  Liebe  versetzt,  und  in  schöner  Weise  hat  dieses  Raimbaut  de 
Vaqueiras  durchgeführt  in  der  Canzone:  Savis  e  folhs,  humils  et 
orgulhos  (M.  W.  I,  366);  so  findet  sich  auch  die  Häufung  der 
Gegensätze  mit  tieferer  psychologischer  Bedeutung  noch  in  Petrar- 
ca's  Sonett:  Pace  non  trovo  e  non  ho  da  far  guerra,  welches  mit 
dem  Verse  schliesst: 

In  cpiesto  stato  son.  donna.  per  vui. 
Ein  devinalh  des  Guiraut  de  Bornelh:    Un  sonet  faU  malvaU 
e  ho  (Chrest.  99)  endet  mit  den  Worten: 

Elam  pot  e  mon  sen  tornar, 

Sim  denha  retenir  en  car. 
In  diesem  letzten  Gedichte  Guiraut's  ist  aber  schon  die  ursprüng- 
liche Form  des  Räthsels,  welche  der  Gattung  den  Namen  gegeben, 
verschwunden;  man  ergötzte  sich  eben  an  der  blossen  Aufreihung 


—     113     — 

der  Antithesen  selber,  welche  schliesslich  in  ganz  sinnlose  Spielerei 
ausartete,  wie  in  dem  Gedichte  D'Anc.  LXXI: 

Giamai  null'  om  non  ä  si  gra'  richeze. 
oder  dein  Inghilfredi's,  Val.  I,  146: 

Poi  la  noiosa  erranza  m'  ha  sorpriso 1). 


III. 

Befreiung  vom  provenzalischen  Einfluss. 

Die  provenzalische  Poesie  hat,  wie  wir  sahen,  der  ältesten 
italienischen  Lyrik  den  Ursprung  gegeben  und  einen  sehr  ausge- 
dehnten Einfluss  auf  dieselbe  ausgeübt.  Allein  diese  conventionelle 
Dichtweise  konnte  nur  ein  vorübergehendes  Dasein  fristen,  da  ihr 
die  Grundlage  im  wirklichen  Leben  fehlte,  und  für  die  Fortent- 
wickeluug  der  italienischen  Poesie  bedurfte  es  eines  neuen  und 
frischeren  Geistes,  der  die  alten  Formen  erfüllte  und  wiederbelebte. 
Die  Elemente  einer  solchen  selbständigen,  nicht  bloss  von  den 
Fremden  entlehnten  Inspiration  waren  offenbar  immer  vorhanden; 
ob  sie  sich  vorher,  etwa  in  Volksliedern,  geäussert  haben,  ist 
zweifelhaft  und  kommt  hier  nicht  in  Betracht,  wo  es  sich  um  die 
Einwirkung  dieser  lebendigen  Strömung  auf  die  Kunstpoesie  selbst 
handelt.  Gegenüber  dem  allgemeinen  Ansehen  der  conventionellen 
Hofdichtung  vermochte  der  neue  Geist  sich  nur  allmählich  geltend 
zu  machen,  und  wenngleich  er  von  Anfang  an  vorhanden  war,  so 
bedurfte  es  doch  längerer  Zeit,  ehe  er  zu  freier  Entfaltung  gelan- 
gen konnte.  Aber  in  einzelnen  Spuren  lässt  sich  doch  auch  schon 
bei  den  Sicilianern  das  Eindringen  einer  natürlicheren  und  frischeren 


J)  Beispiele  des  devmdlh  sind  auch  das  Sonett  von  Lapo  Saltarelli, 
Val.  II,  435,  das  bei  Guittone,  98,  und  eines  von  Saladino,  publizirt  von 
Bongi  in  Zambrini's  Catcdogo,  1857,  p.  319,  und  von  neuem  bei  Palermo, 
II.  105. 

8 


-     114     — 

Dichtweise  in  die  conventionolle  Manier  wahrnehmen,  wie  bereits 
mehrfach  bei   Gelegenheit  angedeutet  worden  ist. 

Fast  alle  Lieder,  die  den  Namen  des  Giacomino  Pugliese  tra- 
gen, zeigen  einen  gewissen  volksthümlichen  Ton  und  eine  realisti- 
schere Färbung;  so,  wenn  er  D'Anc.  LVI,  30  ff.,  wo  auch  schon  die 
sdruceioli  den  Regeln  der  höfischen  Form  nicht  ganz  entsprechen, 
zu  seiner  Dame  sagt: 

Donna,  se  me  non  vuoi  interniere, 

Ver  me  nou  far  si  grau  faglia, 

Lo  mio  cor  mi  degie  rendere  .  .  . 

In  dem  Contrasto,  L1X.  46  ff.,  klagt  die  Dame  folgendermassen  über 
den  bösen  Gatten: 

Meo  Sir,  a  forza  m'avieue, 

Ch'  io  m'appiatti  od  asconda; 

Ca  si  distretto  mi  tene 

Quelli  cui  Cristo  confonda. 

Man  steigt  hier  aus  der  leeren  Abstraktion  in  die  Sphäre  der 
Wirklichkeit  herunter,  und  so  auch  in  den  beiden  Scheideliedern 
Giacomino's  (LX,  LXI1)  und  den  beiden  anderen  Gedichten  ähn- 
lichen Inhaltes,  von  denen  das  eine  Friedrich  II  beigelegt  wird 
(XLVIII),  das  andere  wahrscheinlich  von  Iacopo  da  Lentini  her- 
rührt (LXIX).  Hier,  in  diesen  Schilderungen  der  letzten  Zusam- 
menkunft mit  der  Geliebten,  der  Erzählung  von  dem  Herzen  und 
Küssen,  von  ihrer  Rührung  und  Wehklage,  ist  die  gewöhnliche 
Situation  der  ritterlichen  Lyrik  verändert.  Der  Dichter  beugt 
sich  nicht  mehr  unablässig  in  schmachtender  Anbetung  vor  seiner 
ewig  kalten  und  grausamen  Darue;  Madonna  steigt  aus  ihrer  ab- 
strakten Höhe  herald,  zeigt  selbst  einmal  Leben  und  Bewegung, 
spricht  und  klagt,  lässt  uns  einen  Blick  in  ihr  Inneres  werfen. 
Und  eben  dieses,  die  lebendige  Gefühlsäusseruug  einer  weiblichen 
Seele  gegenüber  der  interesselosen  Schattenhaftigkeit,  in  der  ge- 
wöhnlich die  Dame  der  provenzalisirenden  Lyrik  erscheint,  ist  es 
auch,  was  zweien  anderen  Liedern  einen  besonderen  Charakter 
und  einen  poetischen  Werth  weit  über  alle  übrigen  giebt.  Es 
sind  dieses  die  Klage  eines  Mädchens,  welches  sich  von  dem  Geliebten 


—     115     — 

verrathen  glaubt:  Oi  lassa  innamorata  (D'Anc,  XXVI)  von  Odo 
delle  Colonne,  und  die  Klage  eines  anderen  Mädchens  um  den 
scheidenden  Kreuzfahrer:  Giamai  non  mi  conforto  (D'Anc.  XXXII) 
von  Rinaldo  d'Aqnino.  Trotzdem  die  conventionelle  Phraseologie 
nicht  verschwunden  ist,  zeigt  sich  liier  doch  der  warme  und  natür- 
liche Erguss  ungekünstelter  Empfindung  in  dem  Schmerze  der 
Verlassenen,  ihrer  Erinnerung  an  einstige  Freude,  ihrem  glühen- 
den Hasse  gegen  die  Nebenbuhlerin: 

0  Dio,  clii  lo  m'intenza, 

Mora  di  mala  lanza 

E  senza  peniteuza. 

in  der  Wehmuth  der  Zurückgebliebenen  und  jener  rührenden  Wen- 
dung, mit  der  sie  das  Kreuz  anklagt,  welches  die  Menschheit  rettet 
und  sie  zu  Grunde  richtet,  indem  es  ihr  den  Geliebten  entführt. 
In  beiden  zeigt  auch  schon  die  äussere  Form,  der  kurze,  behen- 
dere Vers,  der  sehr  einfache  Strophenbau  die  Annäherung  an  eine 
volkstümlichere  Weise.  Dass  hier  ein  anderer  Ton  herrscht  als 
in  den  meisten  Produktionen  der  ältesten  Lyrik,  wurde  schon  oft 
bemerkt,  und  so  hat  sie  Carducci  in  seine  Sammlung  von  Liedern 
der  volksthümlichen  Manier  aufgenommen1).  Nicht  auf  derselben 
Höhe  stehend  und  reicher  an  conventionellen  Elementen,  aber  doch 
immerhin  diesen  beiden  verwandt  ist  ein  drittes  Frauenlied,  wel- 
ches sich  unter  dem  Namen  desselben  Rinaldo  d'Aqnino  in  der 
pa latinischen  Handschrift  (p.  94)  und  bei  Val.  I,  223  findet:  Ora- 
mai  quando  flore.  Die  holde  Jahreszeit  erfüllt  das  Herz  des  Mäd- 
chens mit  Liebe,  sie  will  ihren  Anbeter  nicht  mehr  umsonst 
schmachten  lassen: 

Vedendo  quoll'  ombria  del  fresco  bosco 
Bene  conosco,  —  che  accertatamente 
Sara  gaudente  —   l'amor,  clic  m'  inchina. 
Lange  hat  er  sich  vergeblich  gemüht;  aber  nun  kann  er  auf  Er- 
hörung hoffen: 


>)  Cantilene  <•  Ballate,   Strambotti  e  Madrigali  nei  sec.   Sill  •    XIV, 
ii  cura  di  G.  Carducci.     Pisa,  Nistri,  1871,  p.  7  u.  18. 

- 


-     116    — 

Ma  '1  tempo  m'innamora 

E  famrai  star  pcnsata 

D'aver  raerce  ormai 

D'uu  fante,  clic  m'adora. 

E  saccio,  che  costui  per  nie  sostene 

Di  gran[di]  pene;  —  Tun  corc  mi  dice, 

Che  si  disdice,  —  e  l'altro  m'incora1). 
Und  diese  italienischen,  offenbar  von  Männern  gedichteten  Frauen- 
lieder  sind  weit  interessanter  als  so  manche  provenzalische  wirk- 
lich von  Frauen  herrührende  Gedichte,  wie  die  der  Gräfin  von 
Die  oder  der  Dama  Castelloza,  in  denen  von  Weiblichkeit  nichts 
sichtbar  wird,  weil  diese  Frauen,  wie  es  fast  immer  geschehen, 
nur  einfach  die  Weise  der  Männer  nachahmten,  ohne  ihren  Ver- 
sen einen  individuellen  Stempel  aufzudrücken.  In  jenen  wenigen 
italienischen  Liedern  hingegen  müssen  wir,  inmitten  der  Nach- 
ahmung der  Schule,  die  ersten  Spuren  einer  selbständigen  Kunst, 
die  ersten  Regungen  einer  natürlichen  Empfindimg  anerkennen. 

Treten  nun  schon  diese  Gedichte  aus  dem  engen  Rahmen  der 
höfischen  Manier  heraus,  so  bilden  einige  andere,  wie  es  scheint, 
geradezu  einen  Gegensatz  zu  derselben.  In  einem  Liede  des  Com- 
pagnetto  da  Prato  (D'Anc.  LXXXVII):  Per  lo  marito,  c  b  Ho2), 
schilt  eine  Frau  auf  den  bösen  Gatten  und  freut  sich  der  Rache, 
die  sie  an  ihm  zu  nehmen  im  Begriffe  ist;  statt  der  gewohnten 
Welt  der  Ritterpoesie  mit  ihrem  Flehen  und  Schmachten  haben 
wir  hier  auf  einmal  jene  niedere  Region  des  täglichen  Lebens,  in 
welcher  sich  die  Novellen  und  Fabliaux  gefallen.  Die  Verhält- 
nisse, die  dort  abstrakt  und  Verblasen  erscheinen,   sind  hier  derb 


>)  1.  me  nincora?    Der  Kampf  zweier  Entschlüsse  als  zweier   Herzen 
(cori)  auch  Val.  I,  210  f. 

2)  Die  entstellte  erste  Strophe  hat  D'Ancona  in  der  Anmerk.  vortreff- 
lich in  Ordnung  gebracht;    nur  hätte   er   v.   5   nicht   von  der  Hs.  abgehen 
sollen,  in  der  hier,  wie  Sinn  und  Metrum  zeigen,  das  Richtige  stand: 
Ca  per  lo  suo  lacerare 
Tal  pensero  ö  non  l'avea. 
„durch  seine  Misshandlungen  habe  ich  einen  Gedanken  bekommen,  den  ich 
vorher  nicht  hatte". 


—     117     — 

versirinlicht.  Die  ritterliche  Poesie  besitzt  den  Typus  des  gdoso, 
der  in  leerer  Allgemeinheit  angedeutet  bleibt,  Gegenstand  der  Be- 
schwerde für  die  Liebenden;  hier  ist  es  nun  wirklich  der  böse  Ehe- 
mann, welcher  mit  der  Frau  zankt  und  sie  schlägt;  dort  erwirbt 
der  Liebhaber  Gnade  durch  treues  Dienen  und  Ausharren;  hier 
erklärt  die  Frau  frank  und  frei,  sie  habe  nur  deshalb  seine  Wer- 
bungen angenommen,  um  sich  an  ihrem  Manne  zu  rächen;  er  hat 
ihr  Untreue  vorgeworfen  ohne  Grund,  jetzt  wird  sie  ihn  strafen 
und  seinen  Argwohn  zur  Wahrheit  machen;  freilich  nunmehr  ge- 
falle ihr  diese  Liebe  sehr  wohl,  nachdem  sie  sie  einmal  gekostet. 
Die  typischen  lusingatori  sind  hier  zu  der  realistisch- vulgären 
Figur  einer  alten  Nachbarin  geworden,  welche  nach  der  Liebe  der 
jungen  Leute  späht  und  sich  über  sie  ärgert: 

Drudo  mio,  a  te  mi  richiamo 

D'una  vecchia,  c'  ö  a  viciua, 

Ch'  ella  s'  e  acorta,  ch'  io  t'amo, 

Del  suo  mal  dir  no  rifina. 
Sonst  ermahnte  der  Dichter  die  Dame,  nicht  den  lusingatori  und 
adivinatori  zu  glauben;  hier  heist  es  recht  drastisch: 

A  nulla  vecchia  nou  credere, 

Ch'  eile  guerriano  l'amore, 

Perc'  altri  lor  non  credere *), 

Le  vecchie  son  mala  gente  .... 
In  einem  anderen  Gedichte  Compagnetto's  (D'Anc.  LXXXVIII): 
L'amor  fa  nun  donna  amare,  handelt  es  sich  um  ein  Mädchen, 
welches  von  Liebe  entflammt  seinem  Begehron  nicht  zu  wider- 
stehen vermag;  sie  setzt  sich  über  Frauensitte  hinweg  und  sendet 
dem  Geliebten  die  Botschaft,  welcher  sich  nicht  lange  bitten  lässt. 
Dieses  ergiebt  das  gewöhnliche  Wechselgespräch;   sie  sind  soli  in 


l)  Dieses  credere  ist,  wie  ich  glaube,  ein  Fehler  in  der  Hs. .  den  ich 
freilieh  nicht  zu  verbessern  weiss.  Grion  wollte  es  für  einen  Abkömmling  dos 
lat.  Imperf.  conj.  halten,  das  aber  italienisch  nicht  existirt.  Auch  Foths 
Deutung  als  eines  Infinitivs  statt  des  Verbum  finitum  (Böhmers  Roman.  Stud. 
II,  287)  ist  nicht  annehmbar,  da  die  ganze  von  ihm  entwickelte  Theorie 
eines  solchen  Gebrauchs  des  Infinitivs  auf  schwachen  Füssen  stellt. 


-     118     — 

mtribra;  ihr  Verlangen  ist  ein  sehr  positives,  sie  duldet  keine 
Umschweife,  er  soll  sogleich  zur  Sache  kommen,  nicht  erst  fragen; 
er  weiss  ja  wohl,  warum  sie  ihn  hat  kommen  lassen.  Es  ist  der 
crudeste  Ausdruck  der  Sinnlichkeit  von  Seiten  der  Frau.,  die  Um- 
kehrung der  Ritterliebe. 

Denselben  Charakter  wie  die  besprochenen  haben  zwei  ano- 
nyme Gedichte,  welche  früher  fälschlich  den  Namen  des  Rngieri 
Pugliese  und  Friedrichs  II  trugen.  In  dem  ersten  (D'Anc.  I.WYh: 
Ualtro  ier  fui  in  parlamento,  klagt  ein  Mädchen  dem  Geliebten 
ihr  Leid,  dass  der  Vater  sie  gegen  ihren  Willen  mit  einem  Anderen 
verheirathen  wolle,  und  ihr  Getreuer  sucht  sie  zu  trösten.  In  dem 
zweiten  (D'Anc.  LH):  Vi  dolor  mi  convien  cantare,  ist  die  Situa- 
tion unklar,  weil,  wie  Carducci  gezeigt  hat1),  der  Copist  in  str.  II 
drei  Verse  übersprang  und  dafür  die  drei  ersten  der  folgenden 
Strophe  zweimal  schrieb.  Das  Lied  beginnt  mit  der  Klage  des 
Dichters  über  die  Noth  seiner  Geliebten  unter  der  Herrschaft  des 
bösen  Gatten,  wo  es  dann  lieisst: 

Ma  l'omo,  che  l'ä  in  balia, 

Da  tutte  gioi  l'ä  partita 

E  pensa  eiaseuna  dia 

Lo  giorno  che  fui  piatita. 
Hierauf  folgt  eben  jene  Lücke  von  drei  Versen,  und  nachher  findet 
man  die  Frau  selber  redend.  Die  früheren  Drucke  hatten  hier 
nochmals  partita  statt  piatita,  wo  man  dann  geneigt  wäre  zu 
bessern  che  fei  partita  und  zu  denken,  es  sei  eines  jener  beliebten 
Abschiedsgedichte,  in  denen  die  letzten  Worte  der  Dame  berich- 
tet werden.  Da  aber  in  der  einzigen  Handschrift  j>n>f'f<i  steht, 
so  hat  man  zu  dieser  Annahme  kein  Recht,  und  Bilancioni  that 
in  seinein  Restitutionsversuche2)  nicht  wohl,  das  partita  der  alten 
Drucke  beizubehalten,  nachdem  nun  die  Lesart  der  Handschrift 
bekannt  geworden  ist.  Im  Uebrigen  hat  Carducci  gewiss  Hecht, 
wenn  er  mit  dem  Verse:  Lo  giorno  che  fui  piatita  schon  die  Rede 


1    Cantilt  /"■  e  Bällate,  p.  .">. 

ignatore,   Till.   2  .   286   !.     Derselbe   ist   übrigens   auch   sonst 
weniger  glücklich  als  der  Carducci'a  und  gewaltsamer. 


-     119     — 

der  Frau  beginnen  lässt;  was  das  picubita  hier  heisst,  weiss  ich 
nicht,  man  sollte  erwarten:  „den  Tag,  da  ich  verheirathet  worden" 
oder  dgl.  Die  Klage  der  Frau  über  den  verhassten  Ehernann  hat 
wieder  grosse  Aehnliehkeit  mit  der  in  dem  ersten  Gedichte  Com- 
pagnetto's;  sie  wünscht  ihm  den  Tod;  vor  den  Augen  der  Welt 
wird  sie  ihn  dann  bejammern,  aber  im  Innern  sich  freuen  und 
Gott  loben,  dass  er  sie  befreit  habe. 

Und  auch  in  diesen  vier  Gedichten  ist  wieder  die  äussere 
Form  beachtenswerth;  auch  hier  wieder  die  leichten  achtsilbigen 
Verse  statt  der  endecasillabi  und  settenari  der  solennen  Canzone; 
dazu  in  LXXXVII  zwei  sdruccioli.  In  den  drei  erstgenannten  ist 
sogar  auch  der  Strophenbau  genau  derselbe  (a  b  a  b  |  c  d  c  d  c), 
nur  in  LH  ist  die  Strophe  etwas  complizirter  und  unter  die  Otto- 
narien  mischen  sich  am  Ende  zwei  kürzere  Verse. 

Solche  Poesieen  zeigen  also  das  Bestehen  einer  realistischeren 
und  populäreren  Richtung  neben  der  conventioneilen  der  modischen 
Hofdichtung.  Und  dieses  Xebeneinanderherlaufen  der  beiden  Rich- 
tungen ist  nicht  etwas  der  italienischen  Literatur  ausschliesslich 
Eigenthümliches.  Caix  in  seinem  sehr  belehrenden  Aufsätze:  Ciullo 
<!'Alr<tni<>  e  fr  pastorelle  francesi  e  provenmli1),  hat  die  Analogie 
mit  ähnlichen  Erscheinungen  der  provenzalischen  und  altfranzösi- 
schen Lyrik  nachgewiesen.  Die  höfische  Dichtung  benvegte  sich 
in  einer  gemachten,  künstlichen  Welt,  und  was  hinter  dieser 
steckte,  offenbaren  die  oft  so  derben  Spottlieder  and  Tenzonen 
der  Troubadours.  Jenen  Schleier  des  Conventionalismus  nun  zer- 
rissen die  Dichter  selber  bisweilen  und  stiegen  in  die  niedere 
Sphäre  der  Wirklichkeit  hinunter,  in  die  der  Gatten,  welche  mit 
den  Weibern  hadern,  sie  schelten  und  schlagen,  der  Frauen,  welche, 
mit  dem  Manne  unzufrieden,  dem  Buhlen  sich  hingeben.  Der- 
gleichen findet  sich  mehrfach  in  den  altfranzösischen  Romanzen: 

Por  coi  nie  bait  mos  niaris, 

Laisette ! 2) 
ruft  eine  Dame  aus;  sie  will  sich  rächen: 


1    Xiiorn  Antologia  <li  ITvrenze,  vol.  XXX.  p.  477  ff. 
-)  Bartsch,  Romanzen  und  Pastourellen,  T.  2.°.. 


—     120    — 

Avec  1111  > 1 1  amin  geirai 
Nuette. 
Vorzüglich  findet  sich  zu  dem  Gedichte  D'Anc.  LH,  wie  Caix  dar- 
tli.it.  manche  Analogie  in   der  oft   gedruckten  Romanze   in  Pa 
i  ellenform: 

Un  petit  devant  le  jour. 
wo  der  Dichter  das  Gespräch  eines  Ritters  mit  seiner  im  Thurme 
vom  eifersüchtigen  Gatten  eingesclilossenen  Dame  belauscht;  die 
Liebenden  wünschen  dem  hässlichen  Alten  den  Tod:  die  Beschrei- 
bung des  Eifersüchtigen  ist  realistisch  outrirt.  Provenzalisch  sind 
weniger  Proben  dieser  Dichtweise  bekannt;  aber  einige  sind  doch 
vorhanden;  so  das  Lied,  welches  unter  dem  Namen  Cadenet's  im 
Choix,  III.  251,  steht: 

S'anc  fui  belha  ni  prezada. 
Ks  hat  Aehnlichkeit  mit  der  Gattung  der  Alba;  eine  Dame  schmäht 
den  schlechten  Ehemann,  den  man  ihr  des  Reichthums  wegen  ge- 
geben, und  tröstet  sich  damit,  dass  sie  den  Freund   hat  und  den 
treuen  Wächter: 

Ja  per  gap  ni  per  menassa, 
Que  mos  mals  maritz  nie  fassa, 
No  mudarai,  qu'ien  no  jassa 
Ali  mon  amic  tro  al  dia. 
Dazwischen  singt   der  Wächter  selbst,  seiner  Treue  sich  rühmend. 
In  gleichem  Tone  ist  die  reizende  Ballade1): 

Coindeta  sui.  si  cum  n'ai  greu  cossire 
Per  mon  marit,  quar  nol  voil  nil  desire  .  .  . 
De  lui  amar  mia  sui  cobeitosa, 
Anz,  quau  lo  vei.  ne  soi  tan  vergonhi 
Qu'eu  prec  la  mort.  quel  venga  tost  aucire. 
Mais  d'uua  ren  rae  soi  ben  acordada, 
Sil  meus  amics  m'a  s'amor  emendada  .  .  . 
Gewiss    sind    diese    Analogieen    mit    den    Literaturen    Frank- 
reichs,  auf  welche   Caix  aufmerksam    gemacht    hat,   von    grossem 


;    I  Imix.  II.  242;  Chrcst.  239,  u.  s.  w. 


-     121     — 

Interesse;  aber  Caix  selbst  ist  einen  Schritt  zn  weit  gegangen, 
wenn  er  die  betreffenden  italienischen  Poesieen  einfach  für  Nach- 
ahmungen der  entsprechenden  französischen  und  provenzalischen 
erklärte.  Vielmehr  täuschten  sich  diejenigen  nicht,  welche  gerade 
hier  wirkliche  Selbständigkeit  wahrnahmen.  Die  Aehnlichkeit  be- 
steht eben  nur  in  der  Thatsache  einer  allenthalben  hervortreten- 
den realistischeren  Richtung  neben  der  conventioneilen,  hervor- 
gerufen durch  die  Berührung  mit  der  Volkspoesie  oder  wenigstens 
der  Empfindungsweise  des  Volkes.  Im  Einzelnen  aber  gestalteten 
sich  die  Erscheinungen  dieser  Art  bei  den  verschiedenen  Nationen 
verschieden,  da  sie  ja  gerade  aus  einer  Sphäre  stammten,  die  dem 
Einflüsse  der  gemeinsamen  Schule  entzogen  und  einer  selbstän- 
digen Entwicklung  offen  war.  So  sieht  man  es  z.  B.  in  dem 
Liede:  Per  Arno  mi  cavalcava1),  in  welchem  Caix  nicht  mit  Un- 
recht Anklänge  an  die  provenzalische  und  altfranzösische  Pasto- 
relle zu  finden  glaubte;  nur  erstreckt  sich  diese  Verwandtschaft 
nicht  über  die  äussere  Form  hinaus;  der  Inhalt  des  Gespräches, 
welches  der  Dichter  mit  anhört,  die  Ungeduld  des  Mädchens,  einen 
Mann  zu  bekommen,  die  Scheltworte  der  Mutter,  ist  den  Pasto- 
rellen Frankreichs  fremd  und  statt  dessen  ein  Gegenstand,  der  in 
späteren  italienischen  Volksliedern  häufig  wiederkehrt 2).  Nicht 
anders  verhält  es  sich  mit  den  Klagen  von  Frauen  über  den 
Gatten,  die  ein  höchst  beliebter  Stoff  von  Canzonen  des  14.  und 
15.  Jahrhunderts  in  Italien  wurden,  wie  dies  Carducci  bezeugt3). 
Endlich  in  dem  Gedichte:  Ualtro  ier  fui  in  parlamento,  nahm 
Caix  nur  deshalb  so  klare  Beweise  des  französischen  Ursprungs 
wahr,  weil  er  sich  das  Ganze  in  einer  Weise  gedeutet  hatte,  welche 
durchaus  nicht  die  richtige  ist.  Es  handelt  sich  hier  nicht,  wie 
er  meinte,  um  die  gewöhnliche  Situation  der  Romanzen,  sondern, 
wie  schon  gesagt,  die  Frau  in  diesem  Gedicht  ist  unverheirathet. 
und  der  Vater  erst  im  Begriff,  ihr  gegen  ihren  Willen  einen  Mann 
zu  Geben: 


1    in  Cod.  A.  266   strht  es   anonym,   bei    Trucchi,  I.  7:!   fälschlich  als 
von  Ciacco  dall'  Anguillaia,  und  danach  bei  Carducci.  Cant.  e  Hall..   10. 

2)  Beispiele  bei  Carducci,  Cant.  c  Ball.,  p.  43  u.  336. 

3)  Cant.  e  Ball,  p.  3  f. 


—     122     — 

1  niio  padre  atnanire 

Per  compier  lo  mal  m'  ä  fatto, 
sagt   das  Mädchen;  Jas  Uebel   ist   also   noch  nicht  vollendet;  der 
Manu  hat  sie  noch  nicht,  sondern  soll  sie  erst  erhalten: 

Sir   [dio,   or  mi  consiglia 

(E)  donami  lo  tuo  conforto 

De  l'om,  c'  a  forza  mi  piglia. 
und  so  der  Liebhaber: 

Donna,  del  tuo  maritare 

Lo  mio  cor  forte  mi  duole. 
Von   der  Verheirathung  ist   die  Rede,  nicht  von   der  Ehe  (matri- 
monio),  und  demnach  wird  auch  die  ohnedies  jetzt  sinnlose  Stelle 
zu  Anfang": 

Fecemi  grande  lamento, 

C  a  forza   fui  niaritata. 
mit  Trucchi  zu  bessern  sein  in: 

C  a  forza  e  maritata  d.  i.  viene  marüata). 
'  dessen  sagte  Caix  Cp-  508»:  „Rugieri  Pugliese  (?)  viene  a 
colloquio  colla  donna  amata,  che  si  lagna  del  marito,  cki  le  fu 
fatto  sposare  per  forza.'1  Vielmehr  fleht  sie  den  Gehöhten  an, 
ihr  gegen  die  bevorstehende  Verheirathung  zu  helfen.  So  beruht 
denn  auch  auf  einem  Irrthum,  was  Caix  weiter  hinzufügl  : 
unii  ch(  <j'i>  il  poeta  cortigiano  si  ricorda  troppo  dei  suoi  amori 
cavallereschi  <■  chiude  colV  ammonire  Ix  donna  ad  aver  cura  <l<l- 
Vonore,  a  non  far  fallanza,  ad  amare  finamente,  cid  ehe  falsa  il 
carattere  del  genere,  >■','  egli  imitava."  Kr  ahmte  eben  hier  gar 
keines  nach;  die  Moral  aber,  welche  der  Liebhaber  am  Ende  pre- 
digt, ist  nicht  die  von  Caix  bezeichnete;  es  ist  die  Moral  des  De- 
cameron,  d.  h.  sich  den  verhassten  Gatten  zu  nehmen,  wie  so  viele 
andere  thun.  da  ja  das  nicht  ausschliesse,  dass  sie  beide  fort- 
führen, sich  zu  lieben  und  glücklich  zu  sein.  Das  non  fare  fal- 
lanza, zu  dem  er  sie  ermahnt,  ist  eben  dies;-,  keinen  Lärm  wegen 
der  Ehe  zu  machen,  sich  den  Lunten  nicht  zu  verrathen,  ihr  Ver- 
hältniss  geheim  zu  halten,  gerade  wie  Compagnetto  da  Prato 
(D'Anc.    LXXXVII.   tl)   sagte: 


-     123     — 

Lc  vecchie  son  mala  gente, 

Nüu  ti  lasciar  dismagare, 

Che  '1  uostro  aiuor  lin'  e  gente 

Per  lor  11011  possa  falzare  x). 
Die  drittletzte  Zeile  des  Gedichtes  war  derartig,  dass  Trucchi  sie 
unterdrückte    „per   onestä";  das  also   ist   die  Ehrenhaftigkeit,   die 
der  Dichter  dem  Mädchen  anempfiehlt. 

Und    an    dieser  Stelle    kann   ich   nicht    unterlassen,   von    der 
Rosa  fresca  aulentissima  des    sogenannten  Ciullo   cVAloimo'2)  zu 

J)  Das  Fehlen  in   der  Liebe  war  die  Indiskretion,  so  bei  G.  Riquier, 

VIII,  39  f. 

E  per  mi  dons  sui  celius. 

Qu'a  fallir  no  m'  abando. 

D'Anc.  XLII,  4: 

Ma  non  ch'  io  giä  per  tanto 

Dimostri  la  cagione 
Dela  mia  gioi;  che  ciö  saria  fallire. 
und  so  oft. 
'-)  Dieser  Name  Ciullo  d' AI  camo,  gegen  dessen  Richtigkeit  auch  Bilan- 
cioni  und  Caix  Bedenken  erhoben,  wird  wohl  bald  aus  der  Literaturgeschichte 
wieder  verschwinden.  Eine  Erfindung  Allacci's,  wie  Caix  (Biv.  di  Fil.  Born. 
II,  178)  meinte,  ist  er  übrigens  nicht.  Der  erste,  welcher  den  Dichter  er- 
wähnte, war  Ubaldini  in  den  Documenti  d'amore  des  Francesco  da  Barberino 
(1640);  er  nannte  ihn  Ciulo  di  Camo,  einmal  im  Verzeichniss  der  citirten 
Autoren,  und  nochmals  in  der  "Wörtertafel  s.  v.  ea;  das  erste  Mal  berief  er 
sich  dafür  auf  Angelo  Colocci's  Papiere.  Allacci  in  seiner  Vorrede,  ]».  22, 
fithrte  dann  eine  oft  wiederholte  Stelle  aus  eben  jenen  Papieren  Colocci's 
an,  wo  der  Dichter  Gielo  dal  Camo  genannt  wird:  Allacci  selbst  aber  bil- 
dete sich  daraus,  offenbar  mit  Rücksicht  auf  Ubaldini's  Bezeichnung,  eineu 
C4ulo  dal  Camo.  Vincenzo  Auria  nun  in  der  Sicilia  Inventrice  (Palermo, 
1704,  p.  31)  äusserte  die  Ansicht,  dieses  Ciulo  dal  Camo  habe  man  als 
Ciulo  d'Alcamo  zu  lesen,  was  Mongitore  in  seinen  Zusätzen  zu  jeuem  Buche 
Auria's  (p.  lbo)  bestätigte;  Ciulo  dal  Camo  bedeute  Vincenzo  d'Alcamo,  da 
man  in  sicil.  Mundart  Nzulo  oder  Ciullo  für  Vincenzo  sage.  So  ging  dieser 
neugeschaffene  CiuUo  d'Alcamo  in  Mongitore's  Bibliotheca  Sicula  I.  ll11 
über  und  in  Crescimbeni'-  Commentari,  von  wo  ihn  fast  alle  neueren  Bücher 
aufgenommen  haben.  Manzi  citirte  allerdings  im  Wörterverzeichniss  seiner 
Ausgabe  von  Francesco   da  Barberino's  Del  Beygimento  •  "mi  deüe 

Donne  (Roma,  L815    s.  v.  nun  Verse  eines  Ciulo  d'Alcamo  aus  einer  Vatican. 
Hs.    Aber  welchen  Glauben  Manzi  verdiene,  zeigte  der  Graf  Baudi  di  V< 
in  der  neuen  Ausgabe  des  Beggimento    Bologna,  1875),  p.  XXIX  f. 


—     124     — 

sprechen,  wenn  auch  eigentlich  nur.  um  sie  als  ganz  anderer  Art 
von  dein  liier  behandelten  Gegenstande  auszuschliessen.  D'Ancona 
in  der  seiner  Sammlung  der  Rinu  Arrfiche  einverleibten  Unter- 
suchung über  das  Gedicht  kam  zu  dem  Resultate,  dass  es  ein 
wirklicher  Rest  alter  Volkspoesie  sei:  darauf  weist  der  Inhalt,  der 
sich  ganz  in  dem  der  populären  Dichtung  natürlichen  Gedanken- 
kreise bewegt,  die  Form  der  Strophe,  bestehend  aus  den  später 
sogenannten  versi  Martelliani  mit  scharfer  Cäsur  in  der  Mitte, 
abgeschlossen  durch  eine  syrima  von  endecasittabi,  d.  h.  ein  Stro- 
phenhau,  der  auch  sonst  aus  volksthümlichen  Denkmalen  bekannt 
ist1),  endlich  die  Sprach",  welche,  wenigstens,  wie  sie  jetzt  ist, 
eine  viel  stärkere  mundartliche  Färbung  besitzt  als  in  irgend 
einem  Gedichte  der  höfischen  Schule  wahrnehmbar.  Während 
daher  die  vorher  betrachteten  Erzeugnisse  einer  realistischeren 
Richtung  doch  immer  in  unverkennbarem  Zusammenhange  mit  der 
Hofdichtung  stehen,  und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  von  Kunst- 
dichtem  herrühren,  ist  dieser  Contrasto  der  Rosa  fresca  von  den 
anderen  Poesieen  durch  eine  Kluft  geschieden.  Mit  dieser  Unter- 
suchung D'Ancona's  schienen  endlich  die  Fragen,  welche  das  Ge- 
dicht angeregt,  und  welche  eine  ganze  umfangreiche  Literatur 
hervorgerufen  hatten,  erledigt  zu  sein.  Aber  statt  dessen  ist  die 
Diskussion  darüber  seitdem  nur  noch  eifriger  geworden.  Gerade 
besonders  gegen  D'Ancona's  Ansichten  über  die  Rosa  fresca  rich- 
teten sich  Ca  ix'  Argumentationen  in  dem  mehrfach  angeführten 
Artikel  der  Nuova  Antologia.  Nach  Caix  wäre  auch  dieses  Ge- 
dicht nichts  anderes  als  eine  Nachahmung  der  Pastorellen  Frank- 
reichs. Diese  letztere  Auffassung  erklärte  darauf  jedoch  Gaston 
Paris  in  einer  kurzen  Bemerkung  in  der  Bomania  (V.  125)  für  zu 
weit  gehend,  und  Bartoli2)  hat  gegen  dieselbe  Einwände  erhoben, 
welche    auch    Caix"   Entgegnung   nicht    zu    beseitigen   vermochte3). 


])  s.  auch  Moiraci:  Sulla  Strofa  dcl  Contrasto  di  Giullo  d'Älcamo;  Biv. 
di  Fil.  Born.  II.  113—116. 

-    in  ,i,,<i   nuova   opmione  intorno  "/   Contrasto  di  Ciullo  d'Alcamo; 

'"  Europea,  Anno   VII.  vol.  II.  p.  281—294. 

3)  Ancora  del  Contrasto  di  Ciullo  d'Älcamo;  Biv.  Europ.  Lb.  p.  547 
— 558.     D'Ancona   blieb  bei  seiner  früheren  Meinung  über  den  poetischen 


—     125     — 

Wie  nämlich  Caix  in  das  soeben  besprochene  Lied:  Ualtro  ier  fui 
in  parlamento,  die  typische  Romanzensituation  nur  durch  Gewalt- 
samkeit oder  Missverständniss  hineinbrachte,  so  hier  in  die  Rosa 
fresca  die  Situation  der  Pastorelle,  d.  h.  die  des  Ritters,  welcher 
sich  zum  Landmädchen  herablässt  und  sie  für  sein  Begehr  zu  ge- 
winnen sucht.  Die  Personen  des  italienischen  Contrasto  sind  viel- 
mehr beide  desselben  Standes,  beide  gehören  dem  niederen  Volke 
an.  Für  das  Ganze  der  Composition  hat  daher  Caix  keine  treffende 
Analogie  im  Gebiete  der  französischen  oder  provenzalischen  Pasto- 
relle nachzuweisen  vermocht.  Das  Einzige,  was  etwas  näher  käme, 
ist  die  Tenzone  des  Raimbaut  de  Vaqueiras  mit  der  Genueserin, 
wo  wenigstens  die  Frau  auch  Dialekt  redet;  aber  der  AI  »stand  ist 
immer  noch  viel  zu  gross,  die  Aehnlichkeit  viel  zu  allgemeiner 
Art.  als  dass  mau  beide  Gedichte  in  dieselbe  Kategorie  setzen  oder 
gar  das  eine  dem  anderen  nachgeahmt  erachten  dürfte.  Was  jedem 
Unbefangenen  beim  Durchlesen  der  Rosa  fresca  sofort  auffällt,  i- 
der  von  der  höfischen  Poesie  ganz  verschiedene  und  in  seiner 
plebejischen  Rohheit  und  Frische  höchst  originale  Geist,  der  sie 
erfüllt,  und  man  muss  sich  hüten,  verleitet  durch  die  Freude  an 
den  aufgefundenen  Analogieen,  nur  immer  auf  die  Aeusserlich- 
keiten  zu  achten.  Was  alter  dann  auch  die  Nachweisungen  von 
Aehnlichkeiten  mit  dem  französischen  Genre  im  Einzelnen,  in  An- 
drücken und  Redensarten,  betrifft,  welche  Caix  besonders  ausführ- 
lich in  einer  anderen  Arbeit  über  die  Sprache  .des  Contrasto1) 
beizubringen  suchte,  so  sind  sie,  wie  vortrefflich  jener  Artikel 
auch  in  anderen  Beziehungen  sein  mag,  meistens  höchst  kleinlich 
und  bedeutungslos,  und,  wenn  man  gar  Corazzini,  der  ihm  hierin 
gefolgt  ist2),  zustimmen  wollte,  so  würde  man  bald  dahin  kom- 
men, jedes  Gedicht  als  die  Nachahmung  jedes  beliebigen  anderen 
betrachten  zu  können.  Dennoch  bleibt  als  Resultat  von  Caix' 
Untersuchung  dieses  deutlich,   dass   die  Sprache   i\^v   Rosa   fresca 


Charakter  des  Contrastes;  s.  sein  neues  Euch:  La  Poesia  7'<>i»>hirr  Italiana, 
Livorno,  1878,  p.  4. 

*)  Bivista  äi  Fil.  Rom.  II,  177— IUI. 

*)  Del  Contrasto    <li  Ciullo    d'Aleamo;    Propugnatore  IX.   1".    p.  373 

—408. 


—     126     — 

stark  mit  Redeweisen  der  höfischen  Minnedichtung  versetzt  ist,  die 
freilich  dann  mit  dem  Reste,  welcher  in  natürlicher  Rohheit  ver- 
blieben, seltsam  contrastiren.  Es  ist  aber  übereilt,  wenn  Caix 
daraus  sofort  schliessen  will,  der  Autor  müsse  ein  höfischer  Dichter 

gewesen  sein;  dabei  bleiben  ja  umgekehrt  die  plebejischen  Ele- 
mente des  Inhaltes  und  der  Sprache  schwer  begreiflich.  Wohl 
meinte  er,  der  gebildete  Verfasser  habe  liier  absichtlich  die  Weise 
des  Volkes  und  selbst  dessen  Dialekt  nachgeahmt.  Allein  man 
kann  ihm  seine  Erklärung  gerade  umkehren;  er  sagte,  der  Ver- 
fasser musste  ein  Kunstdichter  sein,  welcher  das  Volk  nachahmte; 
man  kann  behaupten,  und  dies  ist  bei  weitem  das  Wahrschein- 
lichere, es  muss  ein  Volksdichter,  ein  Bänkelsänger  gewesen  sein, 
der  bis  zu  einem  gewissen  Grade  von  der  Nachahmung  der  Kunst- 
poesie angesteckt  war,  wie  solches  zu  allen  Zeiten  stattfand.  Dieses 
wollte  auch  Monaci  sagen,  wenn  er  die  Rosa  fresca  mit  den  Ge- 
dichten eines  Bonvesiu,  Bescape,  Antonio  Pucci  und  anderer  zu- 
sammenstellte1); und  er  hatte  Recht;  man  muss  hier  scheiden 
zwischen  der  Volkspoesie  im  engeren  Sinne  und  der  volkstüm- 
lichen Bänkelsängerpoesie.  Caix  dachte  bei  seinen  Argumentatio- 
nen stets  nur  an  das  echte  Volkslied,  wie  er  denn  auch  an  einer 
Stelle  geltend  machte,  der  Verfasser  eines  solchen  könne  kaum 
bekannt,  nicht  berühmt  werden.  Die  Rosa  fresca  ist  aber  nicht 
ein  wirkliches  altes  Volkslied,  sondern  ein  Erzeugniss  der  poesia 
popolaresca  oder  giullaresca,  wie  so  viele  alte  dialektische  Denk- 
male Oberitaliens. 

Bei  Betrachtung  der  Dichtungen  realistischen  Charakters  ist 
wiederum,  wie  oben  bei  der  couventionelleu  Poesie,  zunächst  nicht 
zwischen  den  Dichtern  Süd-  und  Mittelitaliens  geschieden  worden, 
und  wiederum  schon  deswegen  nicht,  weil  bei  der  Unsicherheit 
der  Attributionen  die  Sonderung  kaum  möglich  ist.  Zwei  der  be- 
sprochenen Gedichte  sind  nach  der  Handschrift  von  einem  Tosca- 
ner,  Compagnetto  da  Prato;  aber  die  beiden  anderen  sind  anonym 
und  stehen  mitten  unter  den  Poesieen  von  Sicilianern  und  Apu- 
liern.     Verfolgt   man   alter  weiter    die   neue   Strömung,   welche   in 


'    Biv.  di  Fi!   Ihn«.  It.  243. 


—     127     — 

der  italienischen  Literatur  der  conventioneilen  Manier  der  sicilia- 
nischen Schule  entgegentritt,  und  mehr  und  mehr  zur  Befreiung 
vom  provenzalischen  Einfluss  führt,  so  wendet  sich  die  Betrach- 
tung ganz  und  gar  Toseana  zu.  da  die  hieher  gehörigen  Erschei- 
nungen bereits  in  eine  Zeit  fallen,  in  welcher  die  Dichtung  im 
Süden  erstorben  oder  bedeutungslos  geworden  war. 

Guittone  von  Arezzo  selber,  wie  tief  er  auch  in  der  proven- 
zalisch  sicilianischen  Tradition  steckt,  ja  im  Provenzalisiren  alle 
Anderen  übertrifft,  besitzt  dennoch  schon  eine  gewisse,  uns  frei- 
lich wenig  sympathische  Originalität.  Guittone's  dichterische  Thä- 
tigkeit  zerfällt  in  zwei  scharf  geschiedene  Perioden,  deren  Produkte 
allerdings  in  den  Handschriften  und  Drucken  ganz  unordentlich 
gegen  die  chronologische  Pveihenfolge  durcheinander  stehen1).  Die 
erste  Periode  war  die  der  Liebespoesie.  Ohne  Minne,  so  dachte 
er  damals  wie  die  Troubadours,  giebt  es  keine  Trefflichkeit,  kein 
Dichten  (s.  bes.  Son.  49);  so  bemüht  er  sich  verliebt  zu  werden, 
fleht  Amore  an  in  ihn  einzuziehen,  bittet  den  Bandino  um  Be- 
lehrung, wie  er  es  anfangen  solle,  sieh  zu  verlieben  (Son.  52  und 
Val.  I,  430).  Es  ging  ihm  darin  ähnlich  wie  dem  Troubadour  Uc 
de  S.  Circ,  der,  nach  der  Lebensnachricht  über  ihn,  gleichfalls 
sich  nur  verliebt  stellte  um  zu  singen.  Daher  denn  auch  Dante's 
Vorwurf  im  Purgatorium,  welcher  den  Mangel  an  aufrichtiger 
Empfindung  als  das  Grundübel  der  Dichtung  Guittone's  und  seiner 
Genossen  bezeichnete.  In  dieser  Zeit  gehörte  also  Guittone  durch- 
aus der  sicilianischen  Schule  an,  wie  ihn  Dante  in  eine  Kategorie 
setzt  mit  Iacopo  da  Lentini  und  Buonagiunta  Urbiciani. 

Hierauf  aber  geschah  in  ihm  eine  Umkehr;  auch  er  hatte 
sein  mezzo  del  cammin: 

Poi  fui  dal  mio  prineipio  a  mezza  etate 

In  loco  Iaido,  disorrato  e  brutto. 

Ove  m'  involsi  tutto. 
so    heisst    es    in    dem    Gedichte   über    seine   Bekehrung    an    Maria 
(Ganz.  III).     Er  mochte  also   wohl    •">">   Jahre    alt    sein,    als   er   in 


])  Doch    nicht    so    in    der  Rediaiiisclun    II-  .   wo    sie    gesondert    sind, 
s.  Giornale  rfi  Fü.  Ttotn.  I,  50. 


_    128    — 

den  Orden  der  cavalieri  di  S.  Murin  oder  frati  gaudenü  eintrat. 
Nunmehr  war  seio  Standpunkt  ganz  verändert;  die  Liebe,  die  er 
gepriesen,  schmähte  er  aufs  Heftigste  (Canz.  IV)  und  pries  statt 
ihrer  allein  die  wahre  Liebe  zu  Gott.  Nunmehr  leugnet  er,  dass 
.Minne  Trefflichkeit  gehe;  es  sei  auch  nicht  wahr,  dass  man  ver- 
liebt sein  müsse,  um  singen  zu  können;  im  Gegentheil  sei  Liebe 
Thorheit,  und  das  Rechte  und  Vortreffliche  leistet  nur  der  Weise, 
nicht  der  Thor  (Canz.  I).  Er  verurtheilt  sein  eigenes  früheres 
Leben,  seine  eigene  Dichtung,  malmt,  man  solle  seine  Liebeslieder 
nicht  lesen: 

Perö  fugga  lo  rriio  folle  dir  como 

Suo  grau  nemico  ogni  uomo  l). 
An    denselben   Mastro   Bandino,    den   er  zuerst  um  Belehrung   in 
der  Kunst   der  Liebe   gebeten,  richtet   er  nun  ein  Sonett   in   ganz 
anderem    Tone   (Son.  164),   wo   er   sagt,    es   wäre   vernünftig    auch 
von  ihm,  die  Minne  zu  lassen,  sowie  er  es  gethan. 

Solche  Reue  und  Umkehr  war  nicht  selten  bei  den  Trouba- 
dours, und  auch  von  Italienern  giebt  es  mehrere  Bussgedicht  <■. 
welche  die  Abwendung  von  der  Minne  zu  Gott  besingen,  so  eines 
von  Pannuccio  dal  Bagno  (Val.  I,  351),  eines  von  Bacciarone  (ib. 
407)  oder  die  Canzone  des  Tommaso  da  Faenza:  Celestial  J'"ih'. 
consiglio  vi  cheggio  (Zambrini,  op.  volg.  p.  380).  Aber  Guittone 
war  hier  nur  zu  sich  selbst  zurückgekehrt:  der  Mode  der  Minne- 
poesie  zu  folgen,  war  ihm  stets  schwer  gefallen;  jetzt  giebt  er 
sich  ganz  seiner  Sucht  zum  trockenen  Raisonniren  hin;  er  schreibt 
nicht  mehr  Gedichte,  sondern  Traktate  und  Predigten  in  Versen: 
so  ist  z.  B.  die  7.  Canzone  über  das  Dasein  Gottes  und  die  Un- 
sterblichkeit der  Seele  eine  dürre  Zusammenreihung  von  Syllogis- 
men in  der  Schulsprache  mit  Citirung  von  Tullius,  Aristoteles, 
Boethius,  Seneca;  die  Uebergänge  geschehen  mit  einem:  „Nachdem 
wir  nun  erwiesen  haben,"  u.  s.  w.  Es  ist  eine  Abhandlung,  und 
•kein  Gedicht.  Und  darin  unterscheidet  sich  Guittone's  religiös 
moralische  Poesie  sehr  unvortheilhaft  von  der  damaligen  populären 
Dichtung  über  dieselben  Gegenstände,  welche  doch  manche  erfreu- 


l)  Canz.  III,  2;  s.  auch  Son.  1.").")  au  den  Conte  Gualtieri. 


.—     129     — 

liehe  Früchte  hervorbrachte;  Guittone  hat  nichts  von  der  stürmi- 
schen Gluth  eines  Iacopone"  noch  von  dem  Erzählertalent  Bon- 
vesins  oder  der  rohen  Naivetät  Fra  Giacomino's;  er  ist  ein  kalter 
und  subtiler  Verstand,  und  er  ist  kein  Künstler;  seine  Gedanken 
bringt  er  zum  Vorschein,  wie  der  Zufall  sie  ihm  in  den  Mund 
legt;  ihm  war  es  darum  zu  thun  zu  belehren  und  zu  predigen, 
nicht  zu  dichten;  gegen  diejenigen,  welche  seine  Gedichte  schwie- 
rig und  dunkel  fanden,  vertheidigte  er  sich  (Canz.  XLIII,  Gel.  2) 
mit  den  Worten: 

E  dice  alcun,  eh'  e  duro 

E  aspro  mio  trovato  a  saporare. 

E  puot'  essere  \ero,  ond'  e  cagione, 

Che  m'  abonda  ragione1); 

Perch'  io  gran  canzou  faccio  e  serro  motti, 

E  nulla  fiata  totti 

Locar  loco  li  posso;  ond'  io  rancuro; 

Che  un  picciol  motto  puote  un  gran  ben  fare. 
Hin  und  wieder  trifft  er  daher  einen  kräftigen  Ausdruck,  ein  wir- 
kungsvolles Bild,  wie  Canz.  VIII,  3: 

Legno  quasi  digiunto  2) 

E  nostro  core  in  mar  d'ogni  tempesta, 

Ov'  uomo  fugge  porto  e  incontra  scoglia 

E  di  correr  ver  morte  ora  non  resta. 
erinnernd  schon  an  Dante's:  vivi  Del  viver,  cti  e  un  correre  alla 
worte  (Purg.  XXXIII,  54),  und  ähnlich  heisst  es  Son.  210: 

Non  ti  rimembra,  che  come  corrieri 

Se'  in  questo  raondo  pieno  di  fallire? 

Morendo  oggi  par  che  nascesti  ieri;  (Val.  Morendo  veggio 

Nulla  ne  porti  e  non  sai  dove  gire. 
Aber   dergleichen   ist  verloren  in  einem  Meere  von  Langweiligkeit 
und  Oede,  aus  welchem  dann  wieder  Geschmacklosigkeiten   liervor- 
tauchen,  wie  Canz.  XVI,  Gel.: 

Messer  padre,  del  cor  meo  la  cervice 
Devotamente  ai  pie  vostri  s'  inchina. 

')  ragione  „Gegenstand,  Materie"  der  Poesie,  wie  prov.  raso. 
2)  digiunto  im  Sinuc  von  sdrueito. 

9 


—     130     — 

und   XVIII.  2: 

Quant'  aggio  c  quäle  in  voi  ver  bono  amore, 
Non  partorir  puö  coro, 
Tenelo  in  ventre,  e,  poi[che]  vol.  guaimenta. 
(1.  h.  das  Herz  kann   die  ganze  Liebe  nicht   kundgeben;  also   das 
Herz  hat  einen  Nacken,  den  es  beugt,  und  einen  Bauch,  au-  dem 

sbiert,  und.  wenn  es  nicht  gebären  kann,  wehklagt  es. 

\  "li  seiner  besten  Seite  zeigt  sich  Guittone  in  denjenigen 
Gedichten,  welche  den  provenzalischen  Rügeliedern  verwandt  sind: 
sein  politisches  Serventes  an  die  Florentiner  (Canz.  XLI),  wohl  das 
Beste,  was  er  je  geschrieben  hat,  ist  oben  bereits  öfters  erwähnt 
worden.  Diesem  nahe  steht  die  Invektive  und  Ermahnung  an 
seine  Mitbürger,  die  Aretiner  (Canz.  IX):  0  dolce  terra  Aretina. 
Es  ist  ernst  und  nicht  ohne  Kraft,  und,  wäre  es  nicht  so  abstrakt, 
so  würde  es  an  die  berühmten  Dante'schen  Invektiven  erinnern. 
Man  sieht  hier,  wie  die  politische  Erregung  auch  in  dem  trockenen 
und  phantasielosen  Geiste  den  Funken  der  Dichtung  zeitweise  ent- 
zündete. 

Wollte  man  den  älteren  Literarhistorikern  glauben,  so  hätte 
Guittone  noch  einen  ganz  anderen  und  viel  vollkommneren  Styl 
gehabt,  welcher  ihn  zum  direkten  Vorgänger,  ja  Muster  Petrarca's 
machte.  Freilich  blieb  es  dabei  unverständlich,  wie  zwei  so  gänz- 
lich verschiedene  Dichtweisen  bei  demselben  Manne  möglich,  wie 
der  Verfasser  der  Liebescanzonen  in  conventioneller  Manier  und 
der  weitschweifigen  Moralisationen  das  Sonett  geschrieben  haben 
sollte:  Giä  mille  völte,  qudndo  Amur  w'  im  stretto.  Aber  das 
Ganze  war  eben  auch  eine  Täuschung,  und  was  unbegreiflich 
schien,  war  einfach  falsch:  denn  jene  acht  Sonette  in  der  Giun- 
tiner  Sammlung  der  Uinu  Antiche,  welche  in  diesem  so  glatten 
und  gerundeten  Style  geschrieben  sind,  waren  Guittone  unter- 
geschoben und  sind  Erzeugnisse  der  Renaissancezeit,  das  eine  der- 
selben notorisch  von  Trissino  x). 


')  Es  ist  das  letzte  Sonett  in  der  Ausgabe  VaJeriani's:  Quanto  piü  mi 
distrugge  il  mio  pensiero.  I>;i>-  es  von  Trissino,  bemerkte  schon  Scipione 
Maffei    in    der   Vorrede    zu    Trisfeino's   Werken    ^1729),    ]>.    X.WII    f.,    und 


—     131     — 

Guittone  hat  einen  bedeutenden  Einfluss  auf  die  gleichzeitige 
Literatur  ausgeübt.  Wie  hoch  er  geachtet  wurde,  beweisen  die 
zahlreichen  Sonette,  welche  man  an  ihn  richtete,  und  bezeugen 
Dante's  Worte  im  Turgatorio  und  dem  Buche  de  el.  vülg.  Er  galt 
eine  Zeit  lang  in  Toscana  als  Meister  der  Kunst,  und  die  Nach- 
ahmung seiner  Manier  ist  in  manchen  Gedichten  des  Meo  Abbrac- 
ciavacca,  des  Monte  Andrea,  des  Chiaro  Davanzati,  und  auch  bei 
den  Pisanern  Pannuccio,  Bacciarone,  Lotto  di  Ser  Dato,  unver- 
kennbar. 

Die  provenzalisirende  Dichtweise  musste  in  Toscana  natur- 
gemäss    immer    mehr    in  Verfall    gerathen;    denn    hier    hatte    sie 


Seghezzi  in  der  Vorrede  zur  Sammlung  der  Rune  di  diversi  antichi  autori 
toscani,  Venezia,  Zane,  1731;  nichtsdestoweniger  fuhren  viele,  und  selbst 
noch  Galvani  und  Naunucci  fort,  es  für  Guittone's  Eigenthum  zu  halten  und 
als  solches  zu  preisen.  So  that  auch  Foscolo  zu  der  Zeit,  als  er  die  Storni 
del  Sonetto  schrieb,  und  führte  dieses  Sonett  als  von  Guittone  an,  zugleich 
es  als  ein  Zeugniss  für  den  geringen  Wechsel  betrachtend,  den  die  italie- 
nische Sprache  in  den  fünfhundert  Jahren  erlitten  [Opere,  X,  403);  dagegen 
in  den  Discorsi  sulla  Lingua  Italianu  {Opere,  IV,  169)  erklärte  er  die  Poe- 
sieen  Guittone's  für  spiritose  invenzioni  di  qualche  bell  ingegno  delV  epoea 
di  Leone  X,  ohne  dabei  zwischen  den  verschiedenen  Gedichten  zu  scheiden. 
Giudici  [Storia  della  Lett.  Ital.,  1863,  I,  p.  107  f.)  hielt  die  Sonette  Guit- 
tone's für  unecht,  auch  er,  ohne  im  Einzelnen  einen  Unterschied  zu  machen. 
Dass  acht  der  ehedem  Guittone  beigelegten  Sonette  (Son.  211 — 217  u.  239 
aus  der  Eenaissancezeit  herrühren,  kann  niemand  bezweifeln,  der  mit  der 
Entwicklung  der  italienischen  Literatur  vertraut  ist,  und  schon  die  äussere 
Form  deutet  auf  die  Unechtheit  derselben.  Guittone,  wie  fast  alle  älteren 
Dichter,  giebt  seinem  Sonette  die  Reimordnung  a  b  a  b;  nur  eine  Ausnahme 
davon  ist  unter  den  205  ihm  mit  Sicherheit  zugeschriebenen  vorhanden. 
nämlich  das  an  Meo  Abbracciavacca,  nr  172.  Diese  acht  hingegen  sind 
sämmtlich  in  der  Ordnung  a  b  b  a,  die  mit  Dante  und  Petrarca  die  vor- 
herrschende geworden.  Alle  Poesieen  Guittone's,  welche  die  Giuntina  ent- 
hielt, darf  man  aber  darum  nicht  für  untergeschoben  erklären  wollen,  da 
ja  ein  Theil  derselben  aus  Hss.  bekannt  und  veröffentlicht  ist.  Selbst  die 
übrigen  nur  aus  jener  Sammlung  bekannten  21  Sonette  (Son.  238— 238)  sind 
wenigstens  ganz  im  Style  der  Alten,  den  ein  Fälscher  des  16.  Jahrh.  kaum 
so  geschickt  hätte  nachahmen  kennen.  Dagegen  ist  gewiss  nicht  von  Guit- 
tone, und  wahrscheinlich  von  einem  Dichter  der  neuen  florentinischen  Schule 
die  ballata:  Noi  sem  sospiri  di  pietä  formati,  in  der  Sammlung  Zane.  p.  258; 
Val.  Canz.  LH. 


-     132     — 

vollends  joden  Boden  in  den  wirklichen  Verhältnissen  des  Lebens 
verloren.  An  Friedrichs  II  Hofe  war  doch  noch  am  meisten  von 
feudalem,  ritterlichem  Wesen  vorhanden;  unter  jenen  Richtern  und 
Doctoren  befanden  sich  doch  auch  dichtende  Hofmänner  und 
Fürsten.  In  Toscana  trifft  diese  Richtung  auf  das  Leben  der 
Communen,  das  gerade  Gegentheil  des  Ritterthums,  welches  diese 
Dichtung  geschaffen  hatte:  es  sind  last  nur  noch  Notare,  welche 
hier  dichten,  und  man  sieht,  wie  die  Poesie  jenen  spiessbürger- 
lichen  Charakter  bekommen  musste,  der  sich  in  den  Tenzonen  Ser 
Pace's  und  seiner  Genossen  zeigt,  und  jene  öde  Dürre,  die  bei 
Guittone  und  seinen  Nachahmern  herrscht.  Es  ist  eine  äusser- 
liche,  rhetorische  Uebung  in  der  hergebrachten  Weise,  daher  die 
vermehrte  Künstlichheit  und  Affektation,  da  sich  alle  Bravour  auf 
die  Form  wandte.  Man  dichtete,  ohne  zu  empfinden;  wer  dichtet, 
der  muss  feine  Liebe  pflegen;  aber  wie  sollte  man  sich  gewaltsam 
die  ritterliche  Liebe  einflössen,  die  man  in  der  Wirklichkeit  nicht 
mehr  kannte?  So  quält  und  martert  sich  der  kalte,  trockene 
Guittone,  lässt  sich  Recepte  geben,  wie  man  verliebt  werden  könne, 
fleht  Amore  an,  in  ihn  einzuziehen,  bis  er  zuletzt  in  die  ganz 
entgegengesetzte  Richtung  umschlägt,  und  dafür  streitet,  dass  man 
auch  ohne  Liebe  singen  könne,  und  die  Minne  schmäht.  Und  so 
schmähen  sie  Andere.  Die  Gedichte  gegen  Amors  waren  zwar 
auch  den  Provenzalen  schon  wohl  bekannt;  aber  ihr  so  häufiges 
Vorkommen,  der  ernste,  moralisirende  Ton,  in  dem  sie  abgefasst, 
scheinen  ein  wirkliches  Zeichen  des  Grolles  und  Ueberdrusses. 
Die  Liebe  in  der  neuen  Schule  hatte  dann  eine  veränderte  Be- 
deutung. 

Allein  manche  von  diesen  Dichtern,  welche  unerträglich  sind. 
wo  sie  die  Sicilianer  und  Provenzalen  sclavisch  nachahmen,  zeigen 
sieh  ganz  anders  da,  wo  sie  eben  zu  sich  selbst  und  der  realen 
Sphäre  zurückkehren,  die  sie  umgiebt.  Hier  kommen  wiederum 
die  Regungen  einer  freieren  und  volkstümlicheren  Weise  zum 
Vorschein.  Dieselben  Dichter  pflegen  bisweilen  die  eine  und  die 
andere  Manier,  so  'Monte  Andrea  und  Guido  Orlandi,  und  es 
drängt  sich  dabei  die  Beobachtung  auf,  die  sich  auch  bei  Guido 
Guinicelli    und    Onesto   von   Bologna   wiederholt,    dass    gewöhnlich 


—     133     — 

die  Sonette  freier  und  moderner  sind  als  die  Canzonen.  Das  So- 
nett war,  nach  Dante's  Zeugniss,  eine  tiefer  stehende  Form  und 
damit  der  volksthümlichen  Weise  eher  zugänglich  als  die  hohe 
l'anzone,  die  solenne  Form  der  Dichtung,  welche  immer  am  läng- 
sten im  conventioneilen  Style  verharrte. 

An  Stelle  jener  süsslich  schmachtenden  Tenzonen  von  Messere 
und  Madonna,  die  sich  gegenseitig  ihren  Schmerz  klagen  und  sich 
ihre  Herzen  senden;  treten  hier  Gespräche  mit  halb  spöttischer 
Färbung,  wie  die  Sonette  Chiaro  Davanzati's  bei  Trucchi,  I,  157 
—161.  Die  Dame  fertigt  ihren  Anbeter  mit  guten  Lehren  ab, 
will  auch  von  seinen  Betheuerungen  ehrenhafter  Gesinnung  nichts 
wissen,  vielmehr  zeigt  sie  sehr  viel  Eifer  für  die  Treue  gegen 
ihren  Gatten,  welcher  in  der  älteren  Hofdichtung  als  der  böse 
geloso  oder  lusingatore  erschien.  Dieselbe  Abfertigung  erhält  der 
Liebhaber  in  der  freilich  äusserlich  der  alten  Manier  viel  näher 
stehenden  Balladentenzone  des  Guido  Orlandi:  Partirc,  amor,  non 
oso 1),  und   voll  echt  toscanischer  Schelmerei  sind   die  Antworten, 


')  bei  Manzoni,  VII — X.  Manzoni  hat,  wie  sehr  oft  in  den  von  ihm 
publizirten  Poesieen,  die  Form  ganz  verkannt,  und  so  das  Gedicht  auf  das 
Seltsamste  entstellt.  Alle  hier  gesondert  numerirten  Stücke  bilden  zusam- 
men eine  Ballata  von  4  Strophen;  voran  gebt  die  Bipresa  von  4  Versen, 
und  am  Schlüsse  folgt,  nach  einem  sehr  häufigen,  auch  von  Antonio  da 
Tempo  erwähnten  Verfahren,  eine  neue  Bipresa  auf  die  Reime  der  ersten. 
Auch  die  Abtheiluug  der  Zeilen  ist  bei  Manzoni  falsch,  und  str.  I  z.  B.  so 
herzustellen : 

Partir,  tal'  ora  fue, 

Mi  credea  da  amare 

Per  vero  intendimento  preso  novo. 

Ma  ciö  non  poria  fare; 

Ke  per  un  cento  e  piue 

Doblato  lo  disio  ke  mi  trovo. 

E  per  tale  m'  aprovo 

Paragonato  sono, 

Ne  mai  altro  ragiono 

Ke  di  plaser  a  voi  sempr1  amoroso. 
Das  folgende  Gedicht  bei  Manzoni  v X I >  ist  ebenfalls  eine  Ballata  mit   einer 
neuen  Bipresa  am  Schlüsse,  und   daher,  wenn  man  recht  zusieht,    durchaus 
regelmässig   und   vollständig   erhalten,    nicht   verstümmelt,    wie    der  Beraus- 


—     134     — 

welche  die  G-emnia  lesiosa  ihrem  Bewerber  in  dem  Contrasto  des 
Ciacco  dall'  Anguillaja  von  Florenz  giebt1),  wennschon  sie  zuletzt 
nicht  gar  so  hartherzig  bleibt.    Rustico  di  Filippo,  der  in  manch«  n 

(■"lichten  noch  der  sicilianischen  Manier  angehört2),  hat  anderer- 
seits ein  Sonett:  lo  aggio  inteso,  che  sensa  /<>  core,  welches  mit 
seiner  geistvollen  Pointirung  schon  Crescimbeni  in  Erstaunen 
setzte3),  und  ein  anderes  desselben  Rustico:  Tutto  lo  giomo  m- 
torno  vo  fuggendo*),  zeigt  vollends  schon  nicht  bloss  den  Geist 
und  die  Feinheit,  sondern  auch  die  Schwächen  der  petrarchischen 
Poesie  in  ihren  Antithesen  von  ghiaccio  und  fuoco.  Von  liebens- 
würdiger Einfalt  ist  ein  Sonettengespräch  Chiaro's  hei  Nannucci, 
I,  206  f.  (nach  Massi),  und  das  Bild  vom  entflogenen  Vögelein, 
dem  er  sein  zur  Geliebten  entflohenes  Herz  vergleicht,  entzückt 
durch  seine  Frische  und  Natürlichkeit.  In  vielen  anderen  Gedich- 
ten von  Toscanern  zeigt  sich  wenigstens  eine  bemerkenswert]! e 
Erneuerung  der  Form;  die  Sprache  hat  ihren  alterthümlichen  Cha- 
rakter abgestreift,  ist  behender  und  flüssiger  geworden;  die  pro- 
venzalischen  und  mundartlichen  Elemente,  die  schwerfällige  Ge- 
wundenheit des  Ausdrucks  verlieren  sich  immer  mehr  und  machen 
einer  natürlich  eleganten  Redeweise  Platz.  Dieses  kann  man  selbst 
in  solchen  Gedichten  beobachten,  wie  der  Canzone  des  Bondie 
Dietaiuti:  Madonna,  wC  e  ävvenuto  simigliante  (Trucchi,  I,  100), 
die  doch  sonst  durchaus  an  dem  alten  Ideeenkreise  festhält.  Als 
Hauptrepräsentant  dieser  veränderten  Dichtweise  muss  uns  aber 
eben  Chiaro  Davanzati  gelten,  dem  wir  schon  so  oft  begegneten. 
und  der,  mochte  er  nun  die  Provenzalen  nachahmen,  wie  in  der 
Canzone:    Non  giä  per  gioia,  clrC  aggia,  mi  eonforto,  oder  mochte 


geber  meinte.  Aber  alle  diese  wunderlichen  Irrthümer  Manzoni's,  dem  auch 
die  Form  des  Sonetto  rinterzato  unbekannt  war  is.  nr.  VI  u.  XIII),  zu  be- 
richtigen, ist  hier  nicht  der  Ort. 

1     Trucchi,  I,  69,  wonach  bei  Nannucci  und  Carducci. 

2)  s.  Trucchi,  I,  180.  206  ff.  227. 

3)  Es  steht  in  A.  823  und  C,  138,  hier  als  von  Rustico  Barbuto,  wo- 
durch man  zugleich  sieht,  da>>  dieser  mit  Rustico  'li  Filippo  dieselbe  Per- 
son. Nach  Crescimbeni  (III,  89)  ist  es  gedruckt  Yal.  II,  419,  Nan.  487, 
Trucchi,  177. 

4)  in  A,  835,   bei  Trucchi,  I,  196.  fälschlich  als  von  Chiaro  Davanzati. 


135     — 

er  Guittone  folgen,  wie  in  seinen  Plazer-Sonetten,  stets  doch  eine 
besondere  Originalität  und  Gewandtheit  offenharte.  Witte  hat  in 
einem  Artikel  in  Böhmers  Romanischen  Studien  (I,  114—117)  auf 
die  Bedeutung  dieses  Dichters  aufmerksam  gemacht,  und  in  der 
That  geben  die  von  ihm  bekannten  Gedichte,  so  wenig  ihrer  auch 
im  Verhältniss  zu  der  Menge  der  noch  ungedruckten  sind,  eine 
höchst  günstige  Idee  von  seinem  Talente  und  zeigen,  dass  er  unter 
den  älteren  Toscanern  einer  der  vorzüglichsten  gewesen. 

Diese  Dichter  sind  übrigens  fast  alle  Florentiner,  worin  sich 
die  Prädestination  der  Stadt  als  Centralpunkt  der  literarischen 
Entwickelung  zu  erkennen  giebt.  Ihr  Gegensatz  gegen  die  hart- 
nackigen Anhänger  der  alten  Manier  war  auch  nicht  etwa  bloss 
ein  unbewusster.  Wie  sie  von  den  altmodischen  Fortsetzern  der 
sicilianischen  Schule  dachten,  sieht  man  aus  einem  Sonett  von 
Chiaro  Davanzati  oder  Maestro  Francesco *)  an  Buonagiunta  Ur- 
biciani,  welchem  da  vorgeworfen  wird,  dass  er  sich  mit  dem  Eigen- 
thum  des  Notars  von  Lentini  schmücke,  wie  die  Krähe  mit  den 
Federn  des  Pfaues: 

Per  te  lo  dico,  novo  canzonero, 

Ke  ti  vesti  le  penne  del  Notaro 

E  va'  furando  lo  detto  stranero. 

Siccoin  gli   uccel  la  corniglia  spogliaro, 

Spogliere'ti  per  falso  mehzonero, 

Se  fosse  vivo,  Jacomin  Notaro. 
Dante  da  Majano's  rohes  Benehmen  gegen  den  jungen  Dante 
Alighieri,  als  er  sein  erstes  Sonett  an  die  berühmten  Dichter  sei- 
ner Zeit  sendete,  ist  wohl  bekannt;  aber  Dante  da  Majano  seilet 
ist  es  bei  ähnlicher  Gelegenheit  übel  ergangen.  Auch  er  hat  ein- 
mal eine  Vision  gehabt,  welche  er  zur  Deutung  an  verschiedene 
Dichter  sandte  (Val.  II,  499);  ob  die  des  Alighieri  oder  die  seine 
vorangegangen,  ist  nicht  zu  entscheiden;  aber  fast  erscheint  die 
letztere  wie  eine  ungeschickte  Nachahmung  der  ersteren.  Dante 
Alighieri's    Traum    ist    symbolisch    tiefsinnig,    der    des    Dante    da 


*)  von  ersterem  nach  A,  680,  von  letzterem  nach  C,  120,  publizirl  bei 
Manzoni,  XVI. 


—     136     — 

Majano  süsslich  sinnlich,  zu  unfeiner  Deutung  reizend,  und  Guido 
Orlandi,  welcher  halb  wenigstens  der  neuen,  feindlichen  literari- 
schen Richtung  angehörte,  antwortete  ihm,  mit  herbem  Spotte 
seine   Indiskretion  geisselnd  (Val.  II,  274). 

Trucchi,  welcher  so  vielfach  in  seinen  Ansichten  über  die  alte 
Dichtung  irrte,  hat  hier  doch  einmal  das  Richtige  getroffen  und 
die  verschiedenen  Stufen  einer  allmählichen  Entwicklung  der  Poesie 
in  Toscana  wohl  wahrgenommen.  Er  unterschied  zwischen  den 
trovatori,  den  Dichtern  der  conventioneilen  Manier,  den  trovatori 
di  transizione  und  den  poeti.  Die  Dichter  des  Ueherganges  sind 
eben  die,  von  welchen  soeben  die  Rede  war,  während  er  als  poeti 
Dante,  Guido  Cavalcanti,  Cino  u.  s.  w.  bezeichnet1).  Was  aber 
seine  Yertheilung  der  einzelnen  Dichter  in  diese  verschiedenen 
Kategorieen  betrifft,  so  ist  sie  oberflächlich  und  inconsequent,  wie 
er  denn  Guido  Guinicelli  einfach  unter  die  trovatori  setzte.  Auch 
die  neue  Eintheilung,  welche  Bartoli 2)  versuchte,  kann  nicht  be- 
friedigen; wenn  er  von  Guittone  (p.  161)  sagte:  „Je  freddure  pro- 
venzali  lo  disgustano  cd  egli  sc  ne  emancipa",  so  scheint  das  von 
keiner  klaren  Vorstellung  über  das  Verhältniss  der  Schulen  in 
Toscana  zu  zeugen;  er  nennt  (p.  15'J)  auch  Meo  Abbracciavacca 
und  gar  Pannuccio  dal  Bagnu  unter  denen,  die  von  provenzali- 
schem  Einfluss  frei  seien.  Eine  vollständige  Classification  der  ein- 
zelnen Dichter  ist  aber  überhaupt  unausführbar,  so  lange  nicht 
von  allen  die  erhaltenen  Poesieen  sämmtlich  veröffentlicht  sind, 
und  zugleich  die  Attribution  der  Gedichte  nach  den  Handschriften 
mit  grösstmöglichster  Sicherheit  festgestellt  ist;  denn  bis  jetzt  ist 
oft  das,  was  man  von  einem  Dichter  kennt,  gar  zu  wenig,  um 
danach  entscheiden  zu  können,  welches  der  allgemeine  Charakter 
seiner  Dichtung  sei.  In  Sonderheit  ist  von  den  Dichtern  der  Ueber- 
gangszeit  noch  nicht  hinreichend  viel  veröffentlicht;  in  den  älteren 
Sammlungen  sieht  man  von  ihnen  fast  garnichts.  Trucchi's  Werk 
dagegen  erhielt  gerade  dadurch  seine  Bedeutung,  dass  es  manches 
Werthvolle   dieser  Richtung   brachte;    weiter  gehören   hierher  die 


>)  s.  Trucchi's  Vorrede,  p.  LXXIX  ff. 

'<  I  primi  due  Secoli  della   Lett.  Hui,  p.  162,  u.  1. 


—     137     - 

von  D'Ancona  im  6.  Bande  dos  Propugnatore  publizirten  20  So- 
nette; die  Fortsetzung  von  D'Ancona's  Sammlung  der  Eime  An- 
ticlie  wird  aber  noch  eine  grosse  Fülle  des  Neuen  und  Interessan- 
ten zu  enthüllen  haben. 

Andere  Poesieen  toscanischer  Dichter  zeigen  noch  weitere 
Schritte  in  der  Emancipation  von  den  Traditionen  der  siciliani- 
schen  Schule.  Folgore  da  S.  Gemignano  besingt  in  Sonettenkrän- 
zen die  Vergnügungen  der  verschiedenen  Monate  und  die  der  ver- 
schiedenen Wochentage  zur  Unterhaltung  lustiger  Gesellschaften 
in  Siena  und  Florenz,  und  ein  Cene  dalla  Chitarra  aus  Arezzo, 
ärgerlich  über  Folgore's  Prahlereien  (s.  Val.  II,  199),  verfasste  zu 
den  lustigen  Gedichten  desselben  burleske  Parodieen.  Wir  haben 
hier  also  schon  den  Beginn  der  humoristischen  Poesie,  und  die- 
selbe wird  bereits  mit  grosser  Fertigkeit  gehandhabt  von  Rustico 
di  Filippo  und  Cecco  Angiolieri  aus  Siena,  den  Vorläufern  der 
Sacchetti  und  Pucci  des  folgenden  Jahrhunderts.  Von  Rustico 
stehen  bei  Trucchi  (I,  225  ff.)  achtzehn  Sonette  dieser  ganz  reali- 
stischen Richtung,  politische  Satiren,  persönlicher  Spott,  Scherze 
über  kleine  häusliche  Angelegenheiten  und  Vorkommnisse,  Alles 
für  die  Zeit  sehr  bemerkenswerth,  drastisch,  natürlich,  in  kräfti- 
gem Ausdruck.  Trucchi's  Lob  des  guten  Rustico  als  eines  grossen 
Dichters,  Vorgängers  Dante's,  Schöpfers  des  linguaggio  illustre, 
ist  freilich  sehr  übertrieben.  Allein  mit  diesen  Dichtern  stehen 
wir  auch  schon  auf  der  Grenze  des  13.  Jahrhunderts;  ja  die  poe- 
tische Thätigkeit  mancher  unter  ihnen  dauerte  in  das  14.  hinein. 
Cecco  Angiolieri's  Angriff  auf  Dante  (Allacci,  195)  deutet  auf  die 
Zeit  von  Dante's  Verbannung:  von  Folgore  giebt  es  drei  politische 
Sonette  von  grosser  Kraft  und  Kühnheit  der  Satire,  welche  nach 
der  Schlacht  von  Montecatini  (1315)  gedichtet  worden  *).  Ist  end- 
lich das  Sonett:   Color  di  cener  fatti  son  li  lliunchi2),  von  Guido 


*)  Zwei  derselben  bei  Val.  II.  194  f.  Die  Quadernarien  des  dritten 
theilte  Borgognoni  in  der  Schrift  über  Binde-  Bonicbi.  "Propugnatore,  I.  308, 
mit,  Borgognoni  wollte  sie  alle  drei  Folgore  absprechen,  aber  mii  schlech- 
ten Gründen,  wie  Navone  im  Giomale  di  Füologia  Romanza,  1.  59,  und 
D'Ancona,  Nuova  Antologia,  Ser.  II,  vol.  VIII,  560  f.,  gezeigt  haben. 

-    Trucchi,  I.  244. 


—     138     — 

Orlandi,  dem  es  die  vatican.  11s.  3214  (169)  zuschreibt,  so  hätte 
auch  dieser  Dichter  noch  1316  gelebt;  denn  es  ist  da  von  der  in 
genanntem  Jahre  für  die  Bianchi  erlassenen  Amnestie  die  Rede, 
die  Dante   wegen   der  schmählichen   an   sie  geknüpften  Bedingung 

zurückwies: 

.  Cosi  il  nome  dei  Bianchi  si  diclini 
Per  tal  sentenza,  che  non  vi  si  appelli, 
Salvo  che  a  San  Giovanni  sicuo  offerti. 
Wir  wären  also  damit  über  den  Zeitraum  hinausgelangt,  wel- 
cher uns  liier  beschäftigt;  denn  inzwischen  hatte  sich  schon  die 
Schule  des  dolee  Stil  nuovo  kräftig  entwickelt,  ja  damals  war  schon 
ein  grosser  Theil  der  Divina  Commeäia  vollendet.  Die  neue 
Schule  knüpfte  nicht  unmittelbar  an  die  in  Toscana  aufgekommene 
populär  realistische  Richtung  an,  vielmehr  ging  sie  von  Bologna 
ans.  Guido  Guinicelli,  ihr  Begründer,  war  selbst  zuerst  der  alten 
Manier  gefolgt;  die  meisten  seiner  Canzonen  zeigen  keinen  merk- 
lichen Unterschied  von  denen  der  südlichen  Hofdichter,  inmitten 
derer  sie  gedruckt  zu  stehen  pflegen;  da  rindet  man  dieselben 
Gemeinplätze,  dieselbe  Leere  und  Monotonie,  dieselben  Bilder  und 
Vergleiche,  die  wir  bei  jenen  kennen  gelernt.  Hätte  Dante,  als 
er  ihn  so  sehr  erhob,  ihn  seinen  Vater  nannte,  wirklich  damit 
auf  alle  Pocsieen  Guido's  ohne  Unterschied  deuten  wollen,  so  wäre 
sein  Urtheil  unbegreiflich.  Aber  ohne  Zweifel  dachte  er,  wenn  er 
so  redete,  eben  an  die  berühmte  Canzone:  AI  cor  gentil  rvpara 
sempre  amore,  an  manche  Sonette,  wie  das  von  ihm  selbst  theil- 
weise  nachgeahmte:  Io  vo  del  ver  I"  mia  donna  laudare,  und 
etwa  an  andere  verloren  gegangene  Dichtungen.  Man  wird  kaum 
irren,  wenn  man  annimmt,  dass  jene  Canzonen  Guido's  in  der 
conventionellen  Manier  seinen  jüngeren  Jahren  angehören,  als  er 
Guittone  seinen  Meister  nannte,  und  dass  er  dann  später  seinen 
eigenen  selbständigen  Weg  einschlug.  Diese  Befreiung  geschah 
bei  ihm  durch  wissenschaftliche  Einflüsse;  in  dem  gelehrten  Bo- 
logna verband  sich  die  Dichtung  eng  mit  der  Philosophie,  ent- 
lehnte von  ihr  vielfach  den  Inhalt  und  selbst  die  Darstellungs- 
weise. In  der  Canzone  Guido's  von  Amore  und  cor  i/rntUe  steht 
zu  Anfang  gleichsam  als  philosophische  These  der  Satz,  dass  Amore 


—     139     — 

seinen  Sitz  nur  in  edlem  Herzen  nehme,  in  dein  Herzen,  das 
Lugend  und  Adel  besitzt,  und  dieser  Satz  wird  dann  mit  einer 
Reihe  von  Vergleichen  erläutert.  Aber  in  diesen  Vergleichen  ist 
das  alte  Repertorium  gänzlich  verschwunden;  man  erkennt  hier 
den  Denker,  der  das  Bedeutende  und  Ausdrucksvolle  des  Bildes 
sucht.  Dieses  Streben  nach  Tiefe,  und  damit  eine  neue  Kraft 
und  Männlichkeit  ist  es,  was  die  neue  Schule  von  der  alten  unter- 
scheidet. Amore  und  Madonna  bleiben  Abstraktionen;  aber  sie 
erhalten  eine  verschiedene  Bedeutung.  Madonna  ist  noch  immer 
der  Inbegriff  aller  Vollkommenheit;  aber  sie  ist  zu  einem  Symbol 
geworden,  zu  der  Verkörperung  von  etwas  Höherem,  die  Liebe  zu 
ihr  geht  über  sie  hinaus  zur  Tugend,  zum  höchsten  Gute,  und  die 
Dichtung  erhält  einen  symbolisch  allegorischen  Charakter;  ihr 
eigentlicher  Zweck  wird  allmählich  die  Darstellung  philosophischer 
Wahrheit  umhüllt  vom  schönen  Schleier  des  Bildes,  wie  Dante  sie 
selbst  definirt  hat.  Diese  Einmischung  der  Wissenschaft  ist  an 
und  für  sich  noch  kein  poetisches  Element;  aber  sie  giebt  der 
Dichtung  doch  einen  neuen,  selbständig  entwickelten  Gehalt;  es 
ist,  wie  Bartoli  bemerkte,  eine  neue  Emancipation  vom  Provenza- 
lismus.  Der  neue  Gehalt  steht  doch  jetzt  in  innerlichem  Zusam- 
menhange mit  der  Persönlichkeit  des  Dichters,  wird  nicht  einfach 
von  aussen  aufgenommen.  Der  wissenschaftliche  Symbolismus  rettet 
vor  den  alten  Phrasen,  und  damit  erhält  auch  der  Affekt  von 
Zeit  zu  Zeit  seine  Freiheit  wieder,  wie  am  Schlüsse  von  Guido's 
Canzone  und  an  so  manchen  Stellen  seiner  Sonette.  Bei  den 
florentinischen  Fortsetzern  des  dolee  sül  nuovo,  Guido  Cavalcanti, 
Lapo  Gianni,  Lapo  degli  Ubcrti,  Dino  Frescobaldi,  Gianni  Alfani 
und  auch  Ser  Noffo  Notajo  d'Oltrarno,  mit  dem  wohl  Loffo  oder 
Noffo  Bonaguida  eine  und  dieselbe  Person1),  begegnet  sich  mit 
jenem  Streben  nach  philosophischer  Tiefe  die  den  Toscanern  eigen- 
tümliche Neigung  zu  einer  natürlicheren,  volkstümlicheren  Weise. 
Daher  belebt  ihre  Dichtungen  ein  frischerer  Hauch,  trotz  des  neuen 
symbolischen  Conventionalismus  mit  seinen  Abstraktionen  und  Per- 
soniheationen  Amore's,  der  spiritelli  d'amore  und  damit    der  Ver- 


')  So  vermuthet  Quadrio  und  liier  wahrscheinlich  mit  Recht. 


—     140     - 

äussernd  Hing  innerer,  seelischer  Vorgänge.  Derselbe  Guido  Caval- 
canti,  der  die  Canzone:  Donna  mi  prega,  mit  ihren  scholastischen 
Definitionen  und  Distinctionen  verfasste3  dichtete  auch  die  reizen- 
den naiven  Pastorellen:  In  un  boschetto,  und:  Era  in  pensier 
Wamor.  Als  endlich  in  Dante's  grossem  Gedichte  die  fein  aus- 
gebildete Kunst  der  Schule  sich  mit  dem  beliebtesten  Gegenstande 
der  populären  Tradition  verband,  erreichte  die  literarische  Ent- 
wickelung  ihren  Gipfelpunkt. 


IV. 

Die  Sprache. 

Obgleich  der  Einfluss  der  südlichen  Mundarten  Italiens  auf 
die  Sprache  der  sicilianischen  Dichter  in  gewissen  Einzelheiten 
unverkennbar  ist,  so  unterscheidet  sich  dieselbe,  so  wie  uns  jetzt 
die  Texte  vorliegen,  im  Grossen  und  Ganzen  dennoch  nicht  wesent- 
lich von  der  späteren  italienischen  Gemeinsprache,  als  deren  Grund- 
lage man  das  Toscanische  ansieht.  Und  dieses  ist  zu  verwundern, 
da  doch  naturgemäss,  ehe  in  einem  Lande  eine  gemeinsame  lite- 
rarische Bewegung  besteht,  ein  jeder  Dichter  eben  nur  zu  seinem 
eigenen  Dialekte  zu  greifen  pflegt,  wie  es  denn  auch  wirklich  in 
Italien  selbst  geschah,  wenigstens  in  den  nördlicheren  und  mitt- 
leren Provinzen  des  Landes,  welche  im  13.  Jahrhundert  eine  grosse 
Zahl  dialektischer  Poesieen  hervorbrachten.  Bestand  nun  neben 
den  Mundarten  damals  schon  eine  Gemeinsprache?  Dieses  meinte 
in  der  That  Dante;  er  suchte  es  im  ersten  Buche  seiner  Schrift 
de  vulgari  eloquentia  zu  beweisen  und  führte  zum  Zeugnisse  eben 
jene  Gedichte  der  ältesten  Lyriker  an  als  solche,  deren  Sprache 
verschieden  sei  von  dem  Idiom  der  Gegend,  welcher  der  Verfasser 
angehörte,  und  vielmehr  überall  eine  und  dieselbe,  d.  h.  sein 
italienisches    volgare   illustre   cortujiano.     Diese    Ansicht    Dante's 


—     141     — 

nahm  neuerdings  Perticari  wieder  auf  in  seiner  Difesa  di  Dante1) 
und  vertheidigte  sie  gegen  die  Einwände,  welche  man  inzwischen 
erhoben.  Nach  ihm  wäre  dieses  alte  vulgare  illustre  direkt  aus  dem 
latinum  rusticum  oder  der  von  Raynonard  erdachten  gemeinsamen 
romanischen  Sprache  entsprossen  und  hätte  sich  zuerst  im  Süden 
und  dann  gleichmässig  in  allen  Theilen  Italiens  entwickelt.  Freilich 
wie  diese  Entwicklung  denn  nun  vor  sieh  gegangen,  was  die 
Hauptschwicrigkeit  war,  darüber  blieben  seine  Bemerkungen  sehr 
oberflächlich  und  ungenügend,  und  boten  den  Gegnern  bequeme 
Angriffspunkte.  So  wendete  sich  denn  gegen  ihn  und  Dante's 
Theorie  der  Graf  Giovanni  Galvani  mit  seinem  Buche:  Dubhi  sulla 
veritä  delle  Dottrine  Perticariane  nel  fatto  storico  della  lingual). 
Ihm  stand  es  fest,  dass  die  spätere  Gemeinsprache  eben  nur  das 
Toscanische  sei,  und,  wenn  in  den  Dichtungen  anderer  Gegenden 
von  Anfang  an  etwas  ihr  so  Aehnliches  zum  Vorschein  gekommen, 
so  suchte  er  sich  das  Räthsel  auf  andere  Weise  zu  lösen.  So 
nämlich,  wie  man  oft  genug  toscanische  Schriften  unter  den  Hän- 
den lombardischer  oder  venetianischer  Copisten  sich  dialektisch 
färben  sehe,  so  habe  es  ja  wohl  mit  den  dialektischen  unter  der 
Hand  der  Toscaner  umgekehrt  ergehen  müssen,  und  es  könnten 
die  Gedichte  der  Sicilianer  in  ihrer  eigenen  Mundart  abgefasst 
und  von  toscanischen  Abschreibern  umgestaltet  worden  sein  (p.  56). 
Aber  Galvani  kam  darüber  mit  sich  nicht  in's  Reine.  Bald  ist 
ihm,  wie  hier,  die  jetzige  Gestalt  der  Poesieen  bloss  Resultat  einer 
Toscanisirung  seitens  der  Copisten,  bald  ist  ihm  jene  Sprache  ein 
künstliches  Idiom,  entstanden  durch  eine  Einwirkung  der  Jangues 
d'oc  und  d'o'il  auf  den  sicilianischen  Dialekt,  wodurch  er  einen 
nur  scheinbaren  toscanischen  Anstrich  erhielt3),  bald  sollen  diese 
Dichter  gar  per  istudio  toscanisch  geschrieben  haben  (p.  109  it'.  u. 
p.  113),  was  mit  seiner  Meinung  zusammenhängt,  dass  es  Dichter 
in   Toscana  schon   gegeben  habe,   ehe   man   die  Poesie   an   Fried- 


1)  zuerst  Mailand.  1817. 

2)  in  Opere  di  G.  Gulvani,  vol.  II,  Milano,  1846  (das  Buch  war  vorher 
schon  zweimal  erschienen,  aber  in  geringerem  Umfang  . 

3)  s.  p.  51  und  die  ausführlichen  Auseinandersetzungen  über  Entstehung 
dieser  künstlichen  Sprache  am  Ende  des  Buches. 


—     142     - 

richs  II  Hofe  pflegte.  Und  so  sprach  Galvani  auch  in  einer  neueren 
Schrift1)  wieder  von  einer  Ungua  franca,  einem  romanzo  mesci- 
dato  der  alten  Dichter,  offenbar  mit  Beziehung  auf  die  Auseinander- 
setzungen in  den  letzten  Capiteln  der  Dubbi.  Aehnlich  schwankte 
auch  der  Graf  Libri,  als  er  in  seinem  Buche:  Ristoire  des  Scien- 
ces Mathematiques  en  /fein-  (Paris,  1838,  vol.  I,  p.  176  ff.),  bei- 
läufig auf  diese  Frage  zu  sprechen  kam.  Dass  die  Sicilianer  sich 
einer  Mundart  bedienten,  welche  nicht  die  ihrige  war,  glaubte  er, 
müsse  man  entweder  dadurch  erklären,  dass  toscanische  Dichter 
schon  vorangegangen  und  nur  durch  die  glänzendere  Entwickelung 
im  Süden  in  Schatten  gestellt  worden  seien,  oder  aber,  dass  die 
Texte,  wie  wir  sie  vor  uns  haben,  durch  die  Abschreiber  stark 
modifizirt  worden. 

Für  die  letztere  Auffassung  nun  entschieden  sich  mehrere 
neuere  Kritiker.  Francesco  Corazzini  suchte  das  factum  der  Tos- 
canisirung  an  den  Gedichten  selbst  nachzuweisen,  und  zu  weiterer 
Bestätigung  übersetzte  er  drei  derselben  in  das  Sicilianische  zu- 
rück2); ihm  folgten  Bartoli,  D'Ovidio  und  D'Ancona3).  Eine  Anti- 
cipirung  der  toscanischen  Gemeinsprache,  noch  ehe  in  dieser  eine 
sich  allenthalben  imponirende  Literatur  vorhanden  war,  sagten 
diese  Kritiker,  ist  an  sich  unbegreiflich;  alle  Literaturen  beginnen 
in  den  Dialekten,  und  so  muss  es  auch  in  Sicilicn  gewesen  sein. 
Aber  als  mit  dem  Erlöschen  des  hohenstaufischen  Herrscherhauses 
die  Poesie  im  Süden  verfiel,  erhielten  sich  deren  Erzeugnisse  nur 
in  Mittelitalien,  der  nunmehrigen  Stätte  der  literarischen  Ent- 
wickelung.    Die  Handschriften,   welche   uns  jene   Poesieen   aufbe- 


*)  Osservazioni  sutta  Cantilena  di  Oiullo  cTAlcamo,  citirt  bei  D'Ancona. 
Rinn   Aul.,  p.  277. 

-  in  einem  Artikel  der  Rivista  Filologico-Letteraria,  Verona,  1871, 
und  Saggio  di  restaurazione  degli  antichi  poeti  siciliani,  per  le  nozzt  TXAn- 
cona-Nissim ,  Siena  1871.  Beide  Schriften  blieben  mir  unbekannt;  Coraz- 
zini's  Ansichten  aber  glaube  ich  hinreichend  aus  dem  weiterhin  zu  erwäh- 
nenden Artikel  des  Projpugnatore  zu  kennen. 

Bartoli,  /  primi  due  Secoli  della  Lett.  Itäl.  j>.  141  ff.  D'Ovidio 
in  seiner  Abhandlung  über  Dante"s  De  vulg.  el.,  Archivio  Glottologico ,  II, 
89  ff.  D'Ancona  in  der  Sammlung  der  Birne  Antiche,  p.  XII.  und  den  An- 
hangen zur  Rosa  fresca,  ib.  p.  285  ff. 


—     143     — 

wahrt,  finden  sich  alle  dort  und  nicht  in  Unteritalien;  sie  sind 
von  Toscanern  geschrieben,  die  keinen  Grund  hatten,  den  ursprüng- 
lichen Dialekt  zu  respektiren,  wie  sie  denn  erwiesenermassen  mit 
anderen  Denkmalen  oft  frei  genug  umgegangen  sind.  Diese  Um- 
schreibung konnte  dabei  nicht  schwer  fallen  für  Gedichte,  die  einen 
sehr  beschränkten  Ideeen-  und  Gefühlskreis  in  ärmlicher  conven- 
tioneller  Ausdrucksweise  behandelten.  Zudem  sind  uns  von  Gio- 
vanni Maria  Barbieri  in  dem  1571  bei  seinem  Tode  unvollendet 
hinterlassenen  Buche:  DelV  Origine  della  Poesia  Bimata1),  aus 
einer  Handschrift,  die  er  besass,  zwei  Proben  in  wirklicher  sicilia- 
nischer  Mundart  überliefert  worden,  nämlich  eine  ganze  Canzone 
von  Stefano  Protonotario  und  die  erste  Strophe  einer  solchen  von 
König  Enzo,  also  Dichtern,  welche  durch  andere  Poesieen  uns 
schon  bekannt  sind.  "War  es  nun  denkbar,  dass  ein  und  derselbe 
Dichter  bald  Dialekt  und  bald  volgare  illustre  schrieb,  und  das 
in  Gedichten  ganz  des  nämlichen  Styles  und  Charakters  und  von 
ganz  ähnlichem  Bau?  (D'Ancona,  p.  289  f.)  Endlich  wollte  man 
auch  in  den  jetzigen  Texten  noch  diese  ursprüngliche  mundart- 
liche Form  durchschimmern  sehen.  Man  fand  zahlreiche  Reime. 
welche  jetzt  eben  gar  keine  Reime  sind,  wie  amoroso:  uso,  avere: 
seniire,  und  bemerkte,  dass  sich  echte  Reime  herstellten,  sobald 
man  statt  der  toscanischen  die  entsprechenden  sicilianischen  For- 
men einsetzte.  Also  hier  hatte  der  Reim  verrathen.  was  ursprüng- 
lich dagestanden,  und  demgemäss  wollte  man  über  die  Sprache 
der  Denkmale  im  Allgemeinen  urtheilen. 

Diese  Argumentation  fand  allerdings  von  einigen  Seiten  Wider- 
spruch. Caix.  in  der  Recension  von  D'Ancona's  Untersuchung 
über  die  liosa  frescar),  suchte  wenigstens  in  Bezug  auf  das  letz- 
tere Gedicht  darzuthun.  dass  es  nicht  sowohl  sicilianiscb  oder  tos- 
canisch,  als  vielmehr  apulisch.  und  demnach  nicht  ans  dem  ersten 
Dialekte  in  den  zweiten  umgeschrieben,  sondern  sogleich  in  dem 
dritten   abgefasst   sei,  wie  wir  es  noch  heute  haben.     Monaci,   in 


1    herausgegeben  von  Tiraboschi,   Modena,  1790;    die  beiden  Gedichte 
p.  142  u.  143. 

2)  Rivista  di  Filologia  "Romanza,  II.  p.   L77— 191. 


—     144     — 

einer  Besprechung  der  neuen  Sammlung  der  Hirne  Antiche1), 
äusserte  seine  Bedenken  gegen  die  Herstellung  der  sogenannten 
sicilianischeu  Keime  in  D'Ancona's  Text,  was  also  doch  Zweifel  an 
der  Richtigkeit  der  ganzen  Theorie  über  das  ursprüngliche  Idiom 
der  Poesieen  einschliesst.  Der  Graf  Baudi  di  Vesme  wendete  sich 
im  zweiten  Abschnitte  seiner  Schrift:  La  lingua  italiana  e  il  vul- 
gare toscano*),  gegen  Corazzini's  Behauptungen  und  Restaurations- 
versuche. Er  glaubte,  die  sicilianischen  Gedichte  seien  wirklich 
toscanisch  abgefasst  worden,  und  für  ihn,  als  einen  Gläubigen  der 
Carte  von  Arborea,  hatte  das  keine  Schwierigkeit;  der  berühmte 
Aldobrando  von  Siena,  Schüler  des  berühmteren  Gherardo  von 
Florenz,  war  gegen  1181  aus  der  Heimath  nach  Sicilien  geflohen, 
woher  denn  die  toscanische  Schule  und  Sprache  auf  der  Insel. 
Corazzini  antwortete  ihm  mit:  Una  Quistione  su  Ja  Storia  della 
Lingua3),  auf  seiner  Meinung  beharrend,  und  Hess  dabei  auch  die 
drei  restituirten  Canzonen  mit  einigen  Verbesserungen  wieder  ab- 
drucken. 

Das  Argument  der  auf  sicilianische  Form  deutenden  Reime, 
welches  wohl  das  stärkste  schien,  war  im  Gegentheil  das  schwächste. 
Es  ist  seltsam,  dass  den  Vertheidigern  jener  Ansicht  nicht  ein 
naheliegendes  Bedenken  gekommen  ist,  dieses  nämlich,  dass  der- 
gleichen Reime  doch  nur  Beweiskraft  haben,  wenn  sie  sich  allein 
bei  den  Sicilianern  finden  und  sonst  nirgend.  Gerade  das  ist  aber 
nicht  so;  vielmehr  trifft  man  auf  diese  sicilianischen  Reime  eben 
so  oft  auch  bei  den  Dichtern  Mittelitaliens,  wie  sie  denn  schon 
Bembo  in  den  Prose  aus  dem  Tesoretto  des  Brunetto  Latini  an- 
merkte, und  Quadrio  (I.  766)  speziell  von  ihrem  Vorkommen  bei 
den  Toscanern  handelte4).  Solche  Reime  beweisen  also  entweder 
garnichts  oder  viel  zu  viel.  Bartoli  führt  nach  Corazzini  aus 
zwei  Canzonen  Iacopo's  da  Lentini  die  Reime  auf:  avere  :  morire, 
/Uli  :  mercede;  aber  Guittone  von  Arezzo  reimte  z.  B.  Son.  87: 
aneide  :  mereide,  und    dire:    tenire  oder  dgl.  hat  er  hundertmal, 


*)  Mir.  di  Fü.   Rom.  II,  p.  237—24.;. 

J    Propugnatore,  VIII,  1".  p.  1—36. 

3)  Propugn.  ib.  p.  276—334. 

4    An  ihr  Vorhandensein  orinnerten  nun  von  neuem  Monaci  und  Baudi. 


—     145     — 

wie  so  viele  andere.  Bartoli  fand  bei  Ruggerone:  parisse:  morisse; 
aber  piacesse  :  avesse  :  sentisse  steht  bei  Paganino  da  Sarzana 
(D:Anc.  XXXV],  str.  2),  volcsse  :  venisse  bei  Iacopo  Mostacci  aus 
Pisa  (ib.  XL VII,  str.  2).  Er  fand  nivi  statt  neve,  und  Dante  selbst 
hat  latinisirend  vice,  nigri,  u.  dgl.  Er  fand  dimura:  paura,  und 
scura:  dimura  liest  man,  als  eines  unter  den  zahlreichen  toscani- 
schen  Beispielen,  bei  Paunuccio  dal  Bagno,  Val.  I,  340.  D'Ovidio 
(p.  93)  citirt  als  mundartlichen  Rest  den  Reim  contrata:  ingan- 
nata;  aber  contrata  kann  ebensowohl  ein  Latinismus  sein,  wie  das 
bei  den  Alten  so  häufige  a  grato  (a  grado),  und,  wenn  Odo  delle 
Colonne  prisa  statt  presa  sagte,  so  gebrauchte  Dante  im  Reime 
sorpriso  und  ripriso.  Corazzini,  von  Baudi  auf  dieses  Verhältniss 
aufmerksam  gemacht,  konnte  nicht  umhin  anzuerkennen,  dass  auch 
in  Gedichten  von  Toscanern  im  Reime  oft  u  für  o,  i  für  e  ein- 
trete, und  dass  unter  anderen  die  Form  avire  von  Nannucci  mit 
derartigen  Beispielen  belegt  werde;  aber,  was  nun  noch  fehle,  sei, 
dass  man  ihm  ein  zweifelloses  Beispiel  für  aviri  anführe  (1.  c. 
p.  280).  Das  heisst  also,  Corazzini  giebt  zu,  dass  auch  toscanisch 
betontes  lat.  e  mit  lat.  i  reimen  konnte;  er  bezweifelt  aber,  ob 
dieses  auch  mit  tonlosem  auslautendem  e  und  i  der  Fall  gewesen. 
Es  ist  aber  wunderlich,  das  erste  zuzugeben  und  das  zweite  zu 
bezweifeln;  denn  gerade  die  Indifferenz  zwischen  tonlosem  auslau- 
tendem e  und  i  ist  eines  der  bekanntesten  Facta  der  alten 
Sprache,  und,  wenn  man  einmal  den  Toscanern  ein  avire  zuge- 
steht, so  konnte  beispielsweise  sospiri  :  avire  so  gut  toscanisch 
reimen  wie  sicilianisch,  nämlich  sicil.  sospiri :  aviri,  tose,  sospire: 
avire.  D'Ovidio  sagte  freilich  (p.  93),  sospire  iidire)  sei  weder 
sicilianisch  noch  toscanisch;  aber  er  brauchte  nur  die  lange  Liste 
von  Pluralen  auf  e  statt  auf  i  aus  Singularen  auf  o  bei  Nannucci, 
Teorica  dd  Nomi,  p.  288  ff.,  anzusehen,  um  sich  aus  den  vielen 
Beispielen  von  Toscanern  selbst  des  14.  Jahrhunderts  vom  Gregen- 
theil  zu  überzeugen.  Und  wenn  wiederum  Bartoli  (p.  117)  aus 
dem  Reime:  pari  :  fare  :  formare,  einen  Schluss  auf  sicilianische 
Form  zieht,  so  müsste  auch  Dante  da  Majano  sicilianisch  ge- 
schrieben haben,  da  er  pare  :  allegrare  reimte  (Val.  II,  410)  fort  : 
celare  :  parlare  :  pare  (ib.  442)  und    so  öfters,  ja   ebenso    Dante 

10 


—     146     — 

Alighieri  und  sogar  Petrarca,    die  gleichfalls  pare  für  pari  ver- 
wendeten. 

Man  hat  übrigens,  wie  aus  den  angeführten  Beispielen  ersicht- 
lich ist,  hier  verschiedene  Dinge  mit  einander  vermischt,  und  es 
versäumt  festzustellen,  welches  denn  überhaupt  die  Reime  sind, 
welche  auf  sicilianische  Formen  und  nur  auf  solche  führen.  Man 
sagte,  die  Reime  von  e  mit  i  und  o  mit  u  seien  sicilianisch;  aber 
in  dieser  Ausdehnung  und  Unbestimmtheit  ist  die  Behauptung 
unrichtig,  und  will  man  zusehen,  was  uns  die  Reime  der  ältesten 
Dichter  lehren  können,  und  welcher  Art  die  bei  ihnen  vorhandenen 
Eigenthümlichkeiten  sind,  so  darf  man  dabei  den  verschiedenen 
Ursprung  dieser  toscanischen  e,  i,  o,  u  nicht  vernachlässigen. 

Wenn  also  reimen:  e  aus  lat.  i  mit  i,  o  aus  lat.  ü  mit  u,  wie 

mena  :  dotrina.     D'Anc.   V,  10G. 

dipartive  :  neve.     XL1X,  22. 

meno  :  tino.     LXV,  33. 

conduce  :  croce.  XXXII.  54. 
so  können  die  Formen  »ihm,  nive,  cruce  einfach  als  Latinismen 
betrachtet  werden,  wie  deren  so  viele  bei  den  Alten  vorkommen; 
daher  haben  diese  Reime  bei  Toscanern  nichts  Auffallendes,  und 
Dante  sagte,  wie  schon  erwähnt,  vice,  Par.  30,  18;  viele  als  Prae- 
sens, son.  Cid  che  nCincontra;  nigri,  Purg.  33,  110;  Cino  da  Pistoja: 
sino  {seno,  Carducci,  Hirne  di  Cino,  p.  138);  Petrarca:  nigre,  son. 
Mie  venture,  u.  dgl.  m. ]).  So  waren  ferner  die  Latinismen  tui, 
sui  für  tuoi,  suoi  bei  den  Toscanern  stets  sehr  gewöhnlich. 

Ferner,  reimt  ein  aus  lat.  i  in  Position  entstandenes  e  mit 
einem  i  in  Position,  das  sich  erhalten  hat,  und  ebenso  ein  o  aus 
u  in  Position  mit  einem  erhaltenen  u  in  Position,  wie 

insegna  :  scigna  (seimmia).     D'Anc.  IV,  11. 

veglio  :  piglio.     V,  81. 

adüsse  :  fosse.     I,  77. 
so    zeigt    sich    auch    darin  nichts  spezifisch  Sicilianisches.     Denn, 
wenn  diese  Mundart  die  lat.  i  und  u  in  Position  fast  immer  erhält, 
so  dass  sie  alle  aufeinander  reimen  können,  so  hat  umgekehrt  das 


»)  pigro    piger    ist  eines  von  den  Worten,  welche  lat.  i  erhielten;  aber 
Panmiccio  reimte,  Val.  I,  341:   aMegro:  pigro. 


—     147     — 

Toscanische  die  Neigung,  dieselben  in  e  und  o  zu  verwandeln,  wo 
sie  wieder  alle  reimen  würden.  Nur  ist  diese  Uniwandlung  im 
Florentinischen  nicht  consequent  durchgeführt  worden,  weshalb 
degno,  segno  neben  benigno;  maestro  neben  sinistro  stehen.  Aber 
andere  benachbarte  Idiome,  wie  das  Sienesische,  Umbrische,  Ro- 
magnolische,  gingen  hier  viel  weiter,  und  trifft  man  daher  auf 
Reime  wie  vedesse  :  pari  isse,  so  hat  man  sie  sicilianisch  vidissi: 
partissi,  dagegen  sienesisch  vedesse  :  partesse  zu  lesen.  Und  so 
haben  auch  die  Florentiner  noch  im  14.  Jahrh.  derartige  Formen 
ungescheut  verwendet;  Dante  schrieb  venesse  im  Reime,  Inf.  I,  46; 
venia,  penta  für  vinta,  pinta,  son.  Voi  donne;  benegno,  Canz.  Gli 
occlii  dolcnti,  str.  3;  conto  :  conto  :  giunto  :  punto,  Canz.  Poscia 
cti  Amor,  str.  5;  selbst  Petrarca  hat  sinestra,  Trionf.  d'am.  II,  183, 
und  dergleichen  auch  Boccaccio  und  spätere.  Finden  sich  nun 
hier  auch  Formen,  welche  weder  florentinisch  noch  sonst  aus  tos- 
canischen  Mundarten  bekannt  sind,  wie  z.  B.  Guittone's  quento  für 
quinto,  Canz.  XXIX,  3,  so  ist  darin  nichts  anderes  zu  sehen  als 
die  Fortsetzung  einer  bekannten  Tendenz  der  Sprache,  und  diese 
Annahme  ist  sogar  unumgänglich,  da  die  Toscaner  ein  solches  i 
auch  auf  lat.  e  in  Position  reimen  lassen,  wie  hier  quento  :  valimento, 
während  sicilianisch,  wo  lat.  e  in  Position  nur  selten  in  i  überging, 
dieser  Reim  von  i  :  e  unmöglich  wäre.  Indessen  sind  doch  auch 
nicht  alle  hierhergehörigen  Reime  der  Toscaner  auf  die  angegebene 
Weise  zu  deuten;  ein  grosser  Theil  erklärt  sich  wiederum  einfach 
durch  Latinismen,  wie  ditto,  isso,  surge,  sutto,  condutto  bei  Dante, 
percusse  bei  Petrarca  und  viele  andere  noch  in  späteren  Zeiten. 

Auszuschliessen  sind  weiter  noch  die  Reime  von  lat.  c  vor 
Vocal  mit  i,  wie  credea  :  avia,  welche  nicht  untoscanisch,  wie  an 
anderer  Stelle  zu  erwähnen  sein  wird,  und  endlich  die  Formen 
nui,  vui  für  noi,  voi,  die,  mag  man  sie  nun  erklären,  wie  man 
will,  von  toscanischen  Dichtern  zu  allen  Zeiten  gebraucht  worden 
sind. 

Es  blieben  also  als  sicilianisch  die  anderen  Fälle  von  lat.  e:i 
und  lat.  ö:  u  übrig;  denn  lat.  e  und  ö  sind  sicilianisch  /.  n  ge- 
worden, toscanisch  aber  nicht.  Diese  sind  daher  näher  zu  be- 
trachten: 

10* 


-     148     — 

1)  Reime  von  tose,  e  aus  lat.  e  mit  i: 

a)  Reime  der  Verbalendungen  ere:ire,  ete:ite,  etc.  wie 

ävere  :  morire.     D'Anc.  IV,  47. 
aueidetc  :  venite.     XX,  37. 

Guittone:  arricchire  :  piacire,  Son.  9;  abbellire  :  piacire,  Son.  lll, 
und  oft.  Guido  (Juii licelli:  servire  :  parire ,  Val.  I,  86;  servire: 
vedere,  95.  Onesto  Bolognese:  saKre  :  cadere;  morire  :  vedere,  Nun. 
159  u.  160;  primo  :  ricerimo1),  Trucchi,  211);  und  so  Incontrino  de' 
Fabrucci  von  Florenz:  primo  :  aremo,  Grion,  Pozzo,  42;  Puccian- 
done  aus  Pisa:  podere  :  servire,  Val.  I,  461;  Betto  Mettefuoco: 
piacere :  servire,  Val.  II,  74.  Brunetto  Latini  brauchte  solche  Reime 
in  seiner  Canzorie  (bei  Trucchi,  1G7)  und  im  Tesoretto  (VIII,  XVII, 
XXI),  und  sehr  häufig  sind  sie  in  der  Intelligenzia.  Dagegen 
werden  sie  immer  seltener  bei  den  anderen  Florentinern.  Die 
Compiuta  Donzella  hat  noch:  volere  :  ubbidire,  Trucchi,  135;  Monte 
Andrea:  avere  :  partire,  ib.  120,  und  venire  :  vedere,  D'Anc.  Son. 
XIX;  Ser  Pace:  servire : piacere,  Val.  II,  415,  u.  s.  w.  Guido  Caval- 
canti's:  vedite  :  sbigottite,  Val.  II,  343,  steht  ganz  vereinzelt;  bei 
Dino  Frescobaldi,  Lapo  Gianni,  Cino  und  Dante  kommt  dergleichen 
nicht  mehr  vor. 

Immerhin  konnten  diese  Formen  mit  i  statt  e  leichter  Auf- 
nahme finden,  da  sich  hierbei  an  den  Uebergang  in  eine  andere 
Conjugation  denken  liess.  Die  zweite  Person  plur.  der  2.  Conju- 
gation  lautete  übrigens  auf  i  auch  in  lombardischen  und  emiliam- 
schen  Mundarten;  daher  hat  sie  noch  Bojardo,  welcher  sie  aus 
seinem  Dialekte  schöpfte,  und  so  konnten  sie  aus  dem  ihrigen 
auch  die  Bolognesen  entnehmen,   wenn  sie  bei  ihnen  sich   finden. 

b)  sonstige  Reime  von  lat.  e  mit  i,  wie 

diftide  :  merzede.     D'Anc  VIII,  2. 
freno  :  fino.     V,  117. 
dice  :  fece.     LXXII,  25. 
paese  :  mise.     IX,  2. 
impromise  :  ofese.     LI,  30. 

J)  ricevimo  =  ricevemo,  heut'  riecriamo;  sicil.  jetzt  rieivemu,  aber  in 
den  Chroniken  des  14.  Jabrli.  rieivimu. 


—     149     — 

Guittone:  ancide  :  mercide,  Son.  87,  und  dgl.  unendlich  oft.  Das- 
selbe Guido  Guinicelli,  Val.  I,  108;  Onesto:  vidi  :  cridi  (credi),  Val. 
II,  149;  Pannuccio  aus  Pisa:  avviso  :  acciso  (acceso)  :  miso  :  piso 
(peso),  Val.  I,  382;  Buonagiunta  von  Lucca:  crido  (credo)  :  fido, 
Val.  I.  533;  Brunetto  im  Tesoretto,  XVII:  chino :  frino ;  Intelligemia: 
cridi  :  fidi,  32,  und  in  diesem  Gedichte  mehr  dergleichen.  Doch 
scheint  das  -  es  -  aus  -  ens  -  hier  eine  besondere  Stellung 
einzunehmen;  denn  Dino  Frescobaldi  reimte  noch  in  einem  Ant- 
wortsouett  (Val.  II,  527) :  priso  :  intiso  :  acciso  :  fiso,  und  das  eine 
jiriso  statt  preso  gebrauchte  auch  Guido  Cavalcanti  (Val.  II,  291) 
in  der  Canzone:  Donna  mi  prega;  ja  selbst  Dante  hat  sorpriso, 
ripriso,  Purg.  1,  97  u.  4,  12G.  Dieses  priso  ward  aber  nicht  bloss 
im  Reime  verwendet;  bei  Guittone  findet  es  sich  zweimal  im  Verse, 
Son.  25;  und  Val.  I,  341  liest  man:  priso  :  peso;  ib.  498:  priso: 
impiso,  wo  also  kein  Reimzwang  vorhanden  war.  Ferner  ist  zu 
bemerken,  dass  der  Schreiber  der  vatican.  Hs.  3793,  der  im  Gan- 
zen nur  selten  durch  Aenderung  des  c  in  i  die  Reime  herstellte, 
gerade  priso  neunmal  in  den  93  Gedichten  bei  D'Ancona  ge- 
schrieben hat.  Ausser  diesem  einen  Falle,  mit  dem  es  eine  eigen- 
thümliche  Bcwandtniss  gehabt  haben  muss,  verschwindet  diese 
Klasse  von  Reimen  weit  schneller  als  die  erste;  schon  bei  den 
florentinischen  Dichtern  des  Ueberganges  giebt  es  deren  nicht 
mehr. 

Der  Reim  des  Onesto:  ira  :  sira  (sera),  Val.  II,  145,  ist  gut 
bolognesisch.  Bei  D'Anc.  LXXXV,  1:  maitino:sereno:lathio:fii/<>. 
würde,  heut'  wenigstens,  nicht  sicilianisch  sein  (sirenu);  ist 'das 
Lied  nicht  von  Prenzivalle  Dore,  sondern  von  Semprebene  von 
Bologna,  so  fanden  die  Reime  ihre  Erklärung  in  der  Mundart  des 
Autors:  matein  :  serein  :  In  fein  :  fein;  dazu  stimmt  auch  das  Ura: 
sira,  v.  21  f.;  allein  vedire,  v.  2,  wäre  wieder  nicht  bolognesisch. 
Der  Reim:  matino  :  sereno  :  fino  kommt  aber  gleichfalls  vor  bei 
dem  Florentiner  Puccio  Bellondi.  Nan.  196 x),  und  fi/no  :  sereno, 
InteUigen&ia,  20. 


J)  Das   Gedicht  dort  nach  Massi  anonym ;    von  Puccio  Bellondi  ist   es 
nach  Zambrini,  Op.  volg.  p.  25. 


—     150     — 

2)  Reime  von  tose,  o  ;ms  lat.  ö  mit  u,  wie 

uso  :  amoroso.     D'Anc.  I,  29. 

ora  :  pintura.     II,  3. 

innamora  :  altura.     LII1,    27. 

eiaseuno  :  dono.  IV,  8. 
Guittone:  aleuna  :  persona.  Canz.  II,  2;  uso  :  amoroso,  ib.  4,  und 
dergleichen  unendlich  oft.  Guido  Guinicelli  sogar  in  der  Canzone 
AI  cor  gentü,  str.  2:  natura  :  innamora;  Onesto:  natura  :  ora: 
scenditura,  Nan.  159.  Brunetto,  Tesor.  XV:  grazioso :  uso,  u.  s.  \v. 
Aber  die  Reime  von  o  aus  lat.  ö  mit  w  beschränken  sich  nicht 
auf  diese  Dichter,  welche  die  meisten  Beispiele  von  e  :  i  boten, 
vielmehr  sind  sie  allenthalben,  auch  bei  den  Florentinern  der  spä- 
teren Zeit  verbreitet.  Nur  fragt  es  sich,  ob  es  da  auch  noch  die- 
selbe Erscheinung  ist,  wie  bei  den  Sicilianern.  Wenn  bei  letzteren 
o  und  u  zusammentreffen,  so  ist  es  natürlich,  das  o  in  u  umzu- 
wandeln, um  den  Reim  herzustellen;  aber  bei  den  Dichtern  Mittel- 
italiens zeigen  die  Drucke  ebenso  oft  das  u  umgekehrt  dem  o 
angepasst;  findet  man  dort  meistens  ura  :  pintura  geschrieben,  so 
hier  oraipintora,  und  dieses  sicherlich  nicht  durch  blosse  Willkür 
der  Herausgeber.  Dazu  kommt,  dass  die  Dichter  Mittelitaliens 
das  u  auch  da  mit  o  gereimt  haben,  wo  das  letztere  selbst  in  den 
sicilianischen  Formen  bestand,  d.  h.  wo  es  aus  lat.  o  entstanden 
war1),  oder  in  Worten  wie  nome,  come.  So  Guido  Guinicelli: 
assicuro  :  duro  :  muro  :  mbro  (muojo),  Val.  I,  110:  Pannuccio  dal 
Bagno:  sono  :  alcono  :bbno,  Val.  I,  374 ;  Buonagiunta :  vertode :  prbde, 


])  Die  sicil.  Ausnahme  mit  u  aus  lat.  ö  ist  dimura  (tose,  dimöra,  aber 
altfz.  demore,  s.  Roman.  Stud.  III,  178  u.  182),  daher  D'Auc.  LXXXIV,  13: 
pawra  :  dimora.  Sonst  sind  Reime  von  lat.  ö  mit  u  siciliauiscli  unmöglich, 
und  kommen  auch  in  den  von  solchen  Dichtern  bekannten  Poesieen  nicht 
vor.  In  der  anonymen  Canzone  D'Anc.  LXVI,  27,  steht  scheinbar  ein  tier- 
artiger Reim:  assiewro  :  core;  aber  dort  sind  nur  die  Zeilen  falsch  abgetheilt, 
und  es  ist  zu  lesen: 

Ed  io  con  tin  cor  puro 

Le  vogli'  esser  servente. 
Das  Gedicht  ist  übrigens  wahrscheinlich  von  einem  Pisaner  oder  Lucchesen, 
wie  v.  47  die  Form  fermesse  (:  volesse)  für  fermezze  zeigt. 


—     151     — 

ib.  510.  Guittone  bietet,  wie  immer,  die  reichste  Sammlung:  ono 
(iow) : bbno,  Canz.  V,  2;  adduceznbce,  Cauz.  XVI,  1;  Chiosi  (Chiusi): 

pbsi,  Ganz.  XL,  Gel.  2;  Monte  Andrea:  uomo :  consomo,  Y;d.  II,  33; 
Folgore:  fochi  :  giochi  :  cocki  :  mandochi  (manduchi),  ib.  133.  Und 
so  enthält  sich  dieser  Rehnweise  auch  die  neue  florcntinische 
Dicht erschiüe  nicht  ganz.  Dino  Frescobaldi  hat:  puote  :  virtote, 
Yal.  II,  513;  Guido  Cavalcanti  antwortet  mit  lume :  fiume : costume, 
Val.  II,  348,  auf  des  Bernardo  da  Bologna  Reime  come :  nome :  some, 
ib.  275.  Er  hat  ferner:  come  :  hone;  nome  :  costume  in  der  Can- 
zone  Donna  mi  prega.  Bekannt  ist  Dante's  lome,  Inf.  10,  69,  und 
dasselbe  dolce  lome  gebrauchte  Cino  (Carducci,  p.  119).  Wenn- 
gleich es  hier  aber  wahrscheinlich  ist,  dass  vorzugsweise  die  Aen- 
derung  des  u,  nicht  die  des  o  stattzufinden  hatte,  so  ist  es  doch 
nicht  für  alle  Fälle  gewiss;  denn  in  den  bei  florentinischen  Dich- 
tern häufigen  Reimen  wie  altrui  :  pbi,  liest  man  neben  alt  rot  :  poi 
zu  oft  altrui  :  pui,  nin  es  einzig  auf  Rechnung  der  Herausgeber 
zu  setzen;  ja  bei  Guido  Cavalcanti  steht  sogar  pui  für  puoi,  Val. 
II,  281,  und  Dante  hat,  Purg.  19,  81,  nach  den  besten  Hss.,  furi 
für  fuori  angewendet.  Man  kann  daher  auch  nicht  entscheiden, 
ob  Cino  (Card.  109)  persona  :  alcona  :  perdona,  oder  persuna,  etc. 
schrieb;  Francesco  da  Barberino  (Doc.  3,  22):  ciasconoipono,  oder 
ciascuno  : puno,  und  ebenso  Guido  Cavalcanti  (Val.  II.  369);  curi: 
fiori,  wenn  diese  Strophe  überhaupt  von  ihm,  was  zu  bezweifeln. 
So  ferner  Dante's paurosi :  chiusi,  Son.  Dagli  occhi  della  min  donna. 
Doch  ist  es  wahrscheinlich,  dass  er  chiosi  gesagt,  da  dieses  auch 
bei  Anderen  nicht  selten  x).  Dante's  soso,  Inf.  10,  45,  ist  durch  die 
besten  Hss.  beglaubigt  wie  lome;  also  hatte  Cino  (Card.  25)  wohl 
auch  lassoso  :  astioso.  Nach  Dante  sind  dergleichen  Reime  nicht 
mehr  lange  im  Gebrauche  gewesen;  einige  Spuren  aber  finden  sich 
noch  bei  anderen  Dichtern  des  14.  Jahrhunderts,  wie  Graziolo 
de'  Bambagioli  und  Franco  Sacchetti. 


x)  sogar  bei  Iacopo  da  Lentiui,  Val.  I,  310,  wenn  das  Sonett  von  ihm. 
wie  es  ihm  Cod.  A,  327,  zuschreibt.  Auch  Francesco  da  Barberino  hat  es 
dreimal,  Doc.  56,  10;  112.  8;  271,  6;  also  wohl  auch  das  vierte  Mal.  II.  6: 
ascosa  :  chiosa,  nicht  ascusa  :  chiusa,  wie  Ubaldini  setzte. 


—     1 52     — 

Die  Form  chioso  würde  sich  ans  lat.  clausus  erklären1)!  Dante's 
und  Cino's  soso  könnte  »'im'  Anbildung  an  das  alte  gioso  lür  das 
jetzige  giuso  sein2).  Bei  den  übrigen  Formen  mit  o  statt  ü  Ideibt 
aber  die  Frage,  woher  sie  stammen;  denn  sie  entsprechen  den 
toscanischen  Lautgesetzen  so  wenig  wie  denen  der  südlichen  Mund- 
arten. Dante's  lome  und  Guido's  costome  nennt  man  romagnolische 
Formen,  und  wirklich  geht  in  diesem  Dialekte  ü  vor  Nasalen  in 
o  über  (Mussana,  Darstellung  der  Etomagnolischen  Mundart,  §50), 
womit  sich  dann  weiter  ein  alcono,  consomo,  comone,  u.  s.  w.  deu- 
ten lassen  würden.  Auch  vertode  könnte  man  allenfalls  noch  er- 
klären, wenn  man  es  auf  ein  romagnolisches  virtö  zurückfuhrt 
(U  zu  o  im  Auslaute,  Muss.  58).  Aber  auf  assicoro,  misora,  ad- 
doce  passen  sollet  die  Lautverhältnisse  dieser  Mundart  nicht,  und 
ferner,  wie  kamen  die  romagnolischen  Formen  in  die  Gedichte 
der  Toscaner?  Caix3)  nennt  diese  Reime  bolognesische,  d.  h. 
offenbar,  sie  sollen  ihren  Weg  aus  der  Romagna  über  Bologna 
genommen  haben  und  nach  Toscana  zugleich  mit  der  Tradition 
der  bolognesischen  Schule  gelangt  sein.  Aber  es  gab  deren  in 
Toscana  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  ehe  die  bolognesische  Dich- 
terschule irgend  welche  Bedeutung  hatte.  Nach  Caix  selbst  nahm 
die  Literatursprache  ihren  Weg  vom  Süden  her  durch  die  umbrisch- 


J)  Mundartlich  besteht  der  Stamm  mit  im  sogar  in  Compositis,  aretinisch 
concörre  (conchiudere),  s.  Archivio  Glott.  II.  44.s.  n.  2. 

-  Dieses  alte  gioso  rindet  sich  freilich  bei  Dante  nicht  (Diez'  Versehen 
hat  Flechia,  Arch.  Glott,  II,  26.  n..  berichtigt).  Aber  Francesco  da  Bar- 
berino.  Doc.  262,  10,  reimt  gioso :  nascoso .  Und  so  kommt  es  auch  in  Prosa 
vor,  in  einer  Stelle  der  alten  Tebcrsetziing  des  Girone,  welche  vor  dem 
/  ,*.-<<!,  r  Breusso  gedruckt  ist.  p.  CXV:  „Qucmdo  ella  hae  du 
parole,  non  fe  altra  dimoranza,  anzi  -  <<<  va  cd  suo  pdlafreno  e  montavi 
suso,  e  lassa  J!r>n^  laggioso."  gioso  war  tose,  die  regelrecbte  Form  ans 
lat.  deorsum,  mittellat.  josum,  prov.  jos,  und.  wie  Flechia  anführt,  sard. 
giossu  und  giosso,  venet.  zoso,  zo,  lombard.  go;  endlich  auch  altrömisch 
giose,  Fragm.  Hist.  Rom.  311.  Das  spätere  giuso  scheint  erst  durch  An- 
bildung  an  suso  entstanden  zu  sein:  war  dieses  aber  so.  und  gab  es  vor 
Alters  daneben  noch  ein  gioso,  so  konnte  man  auch  wohl  umgekehrt  das 
suso  nach  diesem  in  .<n.<o  umwandeln.  Schuchardt.  Vor.  II.  177.  führt  zu 
Dante's  soso  ein  vulgarlat.  sorsum  an. 

3)  Formazione,  p.  309,  n.   1:   Ant.  Man.  p.  78. 


—     153     — 

aretinische  Schule:  Guittone  dichtete  schon  vor  Guido  Guinicelli, 
und  doch  wimmeln  seine  Verse  von  solchen  Reimen.  Anderswo 
hat  Caix  auch  an  eine  andere  Erklärung  gedacht;  er  führte  die 
Umwandlung  von  ü  in  o  auf  die  bekannten  vulgärlateinischen  For- 
men wie  f/itoro.  fortona  zurück,  welche  auf  die  Bildung  des  Are- 
tinischen  und  Umbrischen  gewirkt  hätten  *).  Liesse  sich  eine 
solche  Erscheinung  im  Südtoscanischen  mit  grösserer  Bestimmtheit 
nachweisen,  so  wären  damit  freilich  die  besprochenen  Formen  weit 
besser  gedeutet,  als  wenn  man  sie  aus  dem  Romagnolischen  her- 
leiten müsste,  und  dann  wäre  es  auch  natürlich,  dass  sie  am  häu- 
figsten bei  dem  Aretiner  Guittone  vorkommen 2). 

Wie  man  aber  für  o  :  u  die  Schreibung  o  :  o  findet,  ebenso, 
wenn  auch  seltener,  die  von  e :  e  für  e :  L  und  immerhin  auch  die- 
ses zu  häufig,  als  dass  es  von  den  Herausgebern  erfunden  sein 
könnte.  So  bei  Guittone,  neben  dem  gewöhnlichen  servire  :  avere 
oder  servire:  avire,  auch  servere  :  avere ,  Son.  41;  volete  :  segnete, 
Son.  16;  servere  bei  Meo  Abbracciavacca,  Val.  II,  19;  mercedemar- 
tecle  (martidi  =  martiri),  Dante  da  Majano,  Val.  II,  456;  perere, 
ib.  459.  Noch  Rustico  di  Filippo  bei  Trucchi,  I,  225:  dece  (:fece) 
für  dice,  wo  es  sicherlich  die  Hs.  hatte,  da  der  Herausgeber  es 
sogar  für  decet  verstand.  Auch  Fälle,  in  denen  dieses  e  aus  J 
mit  e  aus  e  reimt,  wie  oben  o  aus  ü  mit  o,  giebt  es;  Guittone: 
richere :  savere :  compiere :  dere  (dire),  Son.  171.  Und  hier  wiederum, 
entsprechend  Dante's  furi  und  pul,  bei  Francesco  da  Barberino, 
Doc.  49,  13:  vita  (iriseita)  für  vieta.  Wenn  daher  Dino  Fresco- 
baldi,  Val.  II,  510,  reimte:  s'avvide  :  ueeide  :  riede;  Onesto,  ib.  137: 
(I i ride :  siede :  s'avvede :  cecedc ;  Tommaso  da  Faenza,  ib.  251:  <-<n<ii<jh'r. 


1)  Vocalismo,  p.  23.     Auf  die  vulgärlateinischen  Formen  verwies  auch 
schon  Perticari,  s.  Difesa,  die  Tafel  zu  cap.  XII. 

2)  In  den  Sonetten  der  Hs.  3793  findet  sich  einige  Male  o  für  «  auch 
ausserhalb  des  Reims:  ognono,  Cherrier,  p.  529,  son.  Y: 

Che  di  farlli  incotro  ognono  ne  sia  restio. 
por  für  pure,  ib.  VI: 

Ch'  io  non  daria  d'alcun  por  solo  un  perppe. 
ona  statt  una  in  Orions  Verzeichniss,  nr.  488: 

S'ona  donzella  di  trovare  s'intreoma. 


—     154     — 

pieghi,  so  ist  nicht  klar,  wie  man  zu  ändern  hat.  Phonetisch  steht 
es  übrigens  mit  den  Formen,  welche  e  ans  7  haben,  gerade  so, 
wie  mit  denen,  die  o  aus  ü  haben;  d.  h.  e  aus  t  ist  romagnolisch, 
alter  nur  vor  Nasalen  (Muss.  R.  M.  25),  und  die  andere  Erklä- 
rungsweise (Caix,  Voc.  21)  ist  hier  wie  dort  nicht  hinreichend 
begründet. 

Indessen  hat  man  überhaupt  bezweifelt,  ob  es  gerechtfertigt 
sei,  durch  Aenderungen,  welcher  Art  sie  nun  sein  mögen,  hier  die 
Reime  herzustellen,  und  ob  man  nicht  vielmehr  die  Worte  in  ihrer 
gewöhnlichen  Gestalt  belassen  und  als  unvollkommene  Reime  be- 
trachten  müsse.  So  glaubte  Blanc  (Ital.  Grammatik,  p.  51),  Dante 
habe  wohl  liimc  und  suso  geschrieben,  die  Späteren  erst  in  lome 
und  soso  geändert;  denn  geschlossenes  6  habe  bei  den  Alten  mit 
dem  nahe  verwandten  u  reimen  können,  und  ebenso  geschlossenes 
e  mit  /.  wogegen  zunächst  einzuwenden,  dass,  wie  gezeigt  worden, 
nicht  bloss  6  und  e,  sondern  auch  b  und  e  mit  u  und  i  reimten. 
Monaci  (Biv.  di  FR.  Rom.  II,  240)  stellte  die  Hypothese  auf,  o:u, 
e:i  seien  bis  in  das  14.  Jahrhundert  als  unvollkommene  Reime 
gebräuchlich  gewesen.  Die  Aelteren,  wie  Crescimbeni,  nannten 
dergleichen  einfach  falsche  Reime,  von  denen  die  Verse  der  alten 
Dichter  wimmelten.  Die  Herausgeber  befolgten  gar  keine  be- 
stimmte Methode,  und  so  selbst  D'Ancona,  welcher  ziemlich  regel- 
los bald  änderte,  bald  stehen  Hess,  und  etwas  anderes  war  auch 
nicht  möglich,  wenn  man  sich  nicht  vorher  über  den  Grund  und 
die  Ausdehnung  der  Erscheinung  klar  wurde.  Nannucci  folgte 
bald  der  Zufälligkeit  der  früheren  Ausgaben,  die  er  vor  sich  hatte. 
bald  änderte  er,  bald  Hess  er  stehen;  fand  er  tacire  oder  amorvso, 
so  sagte  er,  es  sei  sicilianisch;  fand  er  alcono,  so  merkte  er 
an,  die  Alten  hätten  das  zuweilen  verwendet;  blieb  o:u  oder  e:i 
im  Texte,  so  nannte  er  es  eine  Assonanz,  und  besser  hätte  er  es 
Dissonanz  oder  Consonanz  genannt;  denn  die  Assonanz  besteht, 
nach  der  gewöhnlichen  Ausdrucksweise,  darin,  dass  die  betonten 
Vocale  übereinstimmen,  die  folgenden  Consonanten  aber  verschieden 
sind;  hier  dagegen  stimmen  die  Consonanten,  die  Vocale  aber 
nicht.  Diese  letztere  Reimweise  ist  in  der  Volkspoesie  verschiedener 
Dialekte  gebräuchlich.     Es  fragt  sich  also  eben,   ob  sie  Ursprung- 


—     155     — 

lieb  auch  der  Kunstdichtuug  eigen  gewesen  sei.  Freilich  hat  ja 
das  Italienische  von  jeher  nicht  so  genau  gereimt,  wie  die  Spra- 
chen Frankreichs;  immer  galt  b:6,  e:'e  als  guter  Reim;  es  wäre 
also  an  sich  nicht  unmöglich,  dass  anfangs  auch  o  :  u,  e  :  i  als 
solche  gegolten.  Indessen  ein  Unterschied  von  den  heutigen  Volks- 
liedern zeigt  sich  sogleich;  diese  lassen  nämlich  nicht  nur  o  :  u, 
e :  i,  sondern  auch  a :  o,  a:e,  e:  u,  u.  s.  w.,  d.  h.  jeden  Vocal  mit 
jedem  zusammenklingen *).  Die  entscheidende  Stimme  in  diesem 
Punkte  scheint  aber  den  Schreibern  der  ältesten  Handschriften  zu 
gebühren;  denn  sie,  welche  noch  das  Ende  des  13.  Jahrhunderts 
erlebt  hatten,  mussten  doch  wohl  wissen,  wie  man  zu  ihrer  Zeit 
ausgesprochen.  Wo  sie  nun  o :  u,  e:i  stehen  Hessen,  schliesst  dieses 
noch  nicht  aus,  dass  man  beim  Sprechen  die  Reime  hergestellt, 
und  nur  die  normalen  Formen  geschrieben  habe,  sowie  man  ja 
ganz  allgemein  in  der  Schrift  die  Apocope  unterliess,  deren  Vor- 
handensein uns  dann  nur  das  Mass  des  Verses  darthut.  Wenn 
aber  der  Schreiber  der  vaticanischen  Handschrift  3793  unter  vielen 
Fällen,  in  denen  er  nicht  änderte,  doch  auch  oft  genug  ein  dolire 
(D'Anc.  V,  201),  podire  (XXXI.  8),  valire  (XXXVII,  26),  völvre 
(XXXVIII,  40),  volire,  parire  (XLII,  3  u.  7),  u.  s.  w.  gesetzt  hat, 
abgesehen  von  den  Latinismen  wie  mina,  mino,  und  dem  oben 
besonders  erwähnten  priso,  so  ist  das  doch  wohl  ein  Beweis,  dass 
er  es  so  habe  sprechen  hören;  denn  wie  sollte  er,  und,  wie  es 
scheint,  noch  andere  Copisten,  diese  Formen  ganz  aus  eigener  Will- 
kür geändert  haben?    Dieser  Beweis  fehlt  freilich  seltsamer  Weise 


*)  Doch  ist  nicht  zu  verschweigen,  dass  in  sehr  seltenen  Fällen  auch 
die  Kunstdichter  sich  Aehnliches  erlaubt  haben.  Bei  Carducci,  Eime  di 
Cino,  p.  511,  findet  sich:  vostro  :  dicastro  in  einem  Gedichte  Franco  Sac- 
chetti's,  und  ebendort,  p.  263,  bildet  sazia  den  Schlussreiiu  einer  Ballade 
des  Matteo  Frescobaldi,  deren  andere  Strophen  alle  auf  Usia  enden.  Be- 
rnerkenswerth  ist  ferner  der  Reim  von  a  mit  nn.  der  mehrfach  vorkommt: 
Intelligcn:i<i,  15:  chiaro: Daro:  d'awo;  ib.  77:  auro  :  Cesaro  :  soverchiaro. 
Francesco  da  Barberino,  Doc.  163,  1:  cittade  :  fraude,  und  sogar  Guido 
Cavalcanti  in  der  Canzone  Donna  mi  prega,  str.  5:  cade  und  rade  mit  aude 
und  fraude  im  Binnenreim.  Es  wäre  also  eine  Assonanz  in  der  Weise  der 
altfrz.  von  einem  Diphthong  mit  dem  Vocal.  der  seinem  betonten  ersten 
Elemente  entspricht. 


156 

für  die  Keime  von  o:u;  denn,  soweit  D'Ancona  die  Handschrift 
publizirt  hat,  findet  sich  keine  Stelle,  an  (\<>v  schon  der  Schreiber 
o  für  den  Reim  in  u  verwandelt  hätte,  ausser  II,  3:  ura,  welches 
aber  bei  seiner  [solirtheit  den  Verdachl  erweckt,  der  Herausgeber 
habe  nur  vergessen,  die  Variante  der  Ils.  anzumerken.  Die  Re- 
dianische  Handschrift  dagegen  änderte  wohl  hier,  nach  den  von 
Bartoli  mitgetheilten  Proben1),  aber  nicht  <>  in  u,  sondern  u  in  o, 
also  z.  P>.  I,  29  oso  (:amoroso)  für  uso.  Dass  die  Toscaner  gewöhn- 
lich so  verfuhren,  nämlich  zwar  das  e  dem  i  anpassten,  umgekehrt 
alter  das  u  dem  o,  kann  man  bei  dem  Wenigen,  was  von  den 
Handschriften  bekannt  ist,  nicht  mit  Sicherheit  schliessen.  Nur 
das  Eine  scheint  gewiss,  dass  es  hier  Regel  gewesen,  die  Heime 
durch  Aenderung  herzustellen,  und  nicht  etwa  die  blosse  Conso- 
nanz  bestehen  zu  lassen.  Allerdings  aber  hatte  Monaci  Recht, 
wenn  er  den  Herausgebern  rieth,  einfach  das  beizubehalten,  was 
sie  in  den  Handschriften  fanden;  denn,  da  die  Attribution  der 
Gedichte  oft  unsicher,  und  häufig  die  Aenderung  in  doppeltem 
Sinne  möglich  ist,  so  würde  man  sich  zahlreichen  Fehlgriffen  und 
Inconsequenzen  aussetzen. 

Es  war  diese  lange  Abschweifung  nothwendig,  um  zu  erfahren, 
was  man  bei  den  ältesten  Lyrikern  aus  den  Reimen  auf  die  Mund- 
art schliessen  könne,  in  welcher  die  Poesieen  ursprünglich  abge- 
fasst  gewesen.  Wie  man  sieht,  kann  hier  die  Untersuchung  durch- 
aus nicht  die  glänzenden  Resultate  ergeben,  welche  man  aus  ihr 
für  Denkmale  anderer  Sprachen  gezogen  hat.  Diejenigen  Reime, 
welche  wirklich  auf  die  sicilianische  Mundart  deuten,  sind  eben 
nicht  viele,  nämlich  nur  die  von  lat.  e  mit  i,  und  ö  mit  u,  inso- 
weit nicht  auch  hier  das  i  und  das  u  die  Umgestaltung  erfuhren. 
Da  nun  das  Gebiet  dieser  Reimweise,  an  Ausdehnung  stets  abneh- 
mend, ungefähr  so  wreit  sich  erstreckt  wie  der  gleichfalls  stets 
abnehmende  Einfluss  der  sicilianischen  literarischen  Tradition,  so 
steht  nichts  im  Wege,  derartige  Formen  auch  wirklich  aus  der 
Mundart  der  ältesten  Dichter  abzuleiten,  von  denen  sie  sich  mit 
allem  anderen   auf  die  nördlicheren  Nachfolger  vererbten.     Diese 


Eivista  di  Fü.  Born.  II,  p.  234  ff. 


—     157     — 

Reime  sind  Archaismen,  sehr  häufig  bei  Dichtern  der  alten  Schule, 
wie  Giiittone,  Bru netto,  Pannuccio  und  auch  Dante  da  Majano. 
Bei  den  Bolognesen  haben  sie  sich  besonders  lange  behauptet,  so 
dass  sie  sich  auch  bei  Onesto  zeigen,  der  doch  einer  der  jüngeren 
mit  Cino  in  Correspondenz  stand,  und  seinem  Ideeengehalte  nach 
schon  fast  ganz  der  neuen  Schule  angehörte.  Bei  den  florentini- 
schen  Dichtern  des  Uebergangs  verlieren  sie  sich  mehr  und  mehr; 
Guido,  Dante,  Dino  Frescobaldi  haben  noch  vereinzelt  die  Formen 
vedite,  priso,  während  die  bei  ihnen,  Cino  und  Francesco  da  Bar- 
berino  noch  häufigeren  Reime  von  o:u  mit  der  sicilianischen  Pho- 
netik nichts  zu  thuii  haben1),  Indessen,  ist  es  nun  auch  wahr- 
scheinlich, dass  die  Toscaner  gewisse  Reime,  die  man  bei  ihnen 
findet,  aus  dem  Süden  erhalten  haben,  so  konnten  dann,  wenn 
sie  diese  Formen  eines  fremden  Dialektes  dem  Reime  zu  Liebe 
verwendeten,  doch  auch  die  Sicilianer  selbst  schon  die  nämlichen 
Elemente  der  eigenen  Mundart  lediglich  gebrauchen,  wo  sie  der 
Reim  dazu  nöthigte,  sonst  jedoch  anders  schreiben,  und  die  Reime 
geben  nicht  das  Recht,  nach  ihnen  etwa  die  Sprache  durchweg 
umzugestalten. 


J)  Es  ist  natürlich  nicht  zu  verwundern,  wenn  diese,  wie  andere  Ar- 
chaismen vereinzelt  auch  später  noch  einmal  auftauchen.  So  findet  man  hei 
Trucchi,  II,  156  f.  die  Reime:  discovrire  :  morire  :  volere,  und  prese  :  conquise  : 
mise,  in  zwei  Balladen,  welche  sicherlich  dem  vorgerückten  14.  Jahrh.  ange- 
hören, da  sie  von  Francesco  degli  Organi  componirt  sind.  Nach  Monaci, 
Biv.  di  Fil.  Born.  II,  240,  hätten  diese  Reime  in  den  unteren  Schichten  der 
Literatur  länger  fortgeleht,  so  in  den  Ritterdichtungen  der  Bänkelsänger 
wie  dem  Febusso  e  Breusso.  Aber  hier  ist  der  Fall  ein  anderer:  die  Bän- 
kelsänger reimten  eben  verschieden  von  den  höheren  Kunstdichtern;  sie 
erlaubten  sich  allgemein  jene  Consonanzen  der  Volkslieder.  Liest  man  da- 
her im  Febusso:  venite  :  sete  :  dite,  II,  4,  oder  sire  :  volere,  IV,  13,  so  werden 
das  ebenso  blosse  Consonanzen  sein,  wie:  rmlla  :  cervella  :  novella,  IV.  31; 
mcommeia  :  provmeia  :  abroncia,  IV,  32;  demnaggio  :  lignaggio  :  riveggio, 
IV,  49;  volere  :  amore  :  core,  V,  G;  vista :  giusta :  frusta,  Y.  8.  Nichts  anderes 
sind  auch  die  Reime  avere  :  ardire  :  redire,  u.  s.  w.,  in  den  von  Pio  Rajna 
publizirten  Gantari  di  Carduino  [Bologna,  l^To  .  wo  sie  sich  neben  notori- 
schen Consonanzen  linden,  und  der  Berausgeber  war  übertrieben  vorsichtig, 
wenn  er  zauderte,  auch  jene  für  dasselbe  anzusehen. 


-     158     — 

Allein  mit  dieser  Frage,  ob  die  sicilianischen  Reime  aus- 
schliesslich bei  den  Dichtern  des  Südens  vorkommen,  war  noch 
nicht  Alles  gethan;  es  blieb  die  andere,  ob  denn,  bei  einer  Rück- 
übersetzung der  Gedichte  in  den  sicilianischen  Dialekt,  nicht  etwa 
unigekehrt  Reime  zerstört  werden  würden,  d.  h.  oh  nicht  Worte 
sieh  jetzt  im  Reime  befinden,  welche  in  das  Sicilianische  über- 
tragen uielit  mehr  zusammenklingen.  Toscanisch  wurden  lat.  o,  0 
und  au  gleicher  Weise  zu  o,  mit  verschiedener,  aber  für  den  Reim 
gleichgiltiger  Aussprache;  sicilianisch  hingegen  ward  ö  zu  u,  ö  und 
au  zu  o  oder  au.  Die  meisten  Reime  von  toscanischem  offenem 
o  mit  geschlossenem  6  werden  also  sicilianisch  aufhören  Reime  zu 
sein.  Und  solche  Fälle  kommen  nun  wirklich  selbst  in  den  Ge- 
dichten vor,  die  ohne  Widerspruch  Sicilianern  beigelegt  werden, 
Dämlich: 

Iacopo  da  Lentini: 

före  :  eure  :  amöre.     D'Anc.  II.  15. 

cösa  :  amorösa.     ib.  56. 
sicilianisch  würde  sich  ergehen:  fori  :  cori  :  amuri;  c<>s<i  ■.  amwusa. 

Tommaso  di  Sasso: 

cöre  :  servidöre.     XX.  16. 

Arrigo  Testa  da  Lentini: 

eröre  :  valöre  :  amöre  :  eure.     XXXV.  4. *) 

Re  Federigo: 

amöre  :  cöre.     XLVIII.  13. 
tenöre  :  cöre.     ib.  34. 

Ruggerone: 

cöre  :  servidöre.      XLIX.  33. 
cöre  :  amöre.     L,  24. 

Imperatore  Federigo: 

cöre  :  tiöre  :  inizadöre.     LI,  37. 

Anonym,  aber  einer  aus  Lentini,  wie  Str.  3  zeigt: 
cöre  :  amöre.     LXIX.  17. 


l)  Dieses  Beispiel  ist  noch  zu  streichen  für  die.  welche  glauben,  dass 
Arrigo  Testa  aus  Arezzo  gewesen. 


—     159     — 

Mazzeo  Ricco: 

cöre  :  megliöre.     LXXVIII,  24. 
cöre  :  amöre.     LXXIX.  14  u.  45. 
Federigo : 

cöre  :  möre  :  amöre  :  ardöre.     Val.  I,  65. 
Ranieri  da  Palermo: 

amorösa  :  cösa  :  rosa.     Val.  I,  118. 
Inghilfredi  Siciliano: 

cöre  :  Amöre.     Val.  I,  138. 
abbaudüiia  :  döna  :  suöna  :  Corona,     ib.  146. 
signöre  :  coro.     ib.  147. 
Iacopo  da  Lentini: 

amöre  :  cöre.  Val.  I,  255. 
Es  mag  diese  Liste  nicht  sehr  umfangreich  erscheinen,  beson- 
ders da  in  fast  allen  Bespielen  sich  das  eine  Wort  core  findet; 
aber  man  bedenke  die  grosse  Arniuth  dieses  alten  Riinariums.  und 
ferner,  dass  hier  eben  nur  die  Gedichte  in  Betracht  gezogen  sind, 
welche  Sicilianern  angehören,  ausgeschlossen  die,  welche  von  Apu- 
liern  herrühren  sollen,  wie  Pier  delle  Vigne  oder  Rinaldo  d'Aquino, 
sowie  die,  welche  auch  einem  anderen  nicht  sicilianischen  Ver- 
fasser beigelegt  werden,  und  natürlich  die  anonymen,  wenn  sie 
nicht  selbst  ihre  Heimath  angeben,  wie  D'Anc.  LXIX.  Es  handelt 
sich  somit  im  Ganzen  um  weniger  als  40  Lieder,  und  wenn  sich 
in  17  von  ihnen,  und  zweimal  zwiefach  Reime  finden,  die  sicilia- 
nisch  unmöglich  sind,  so  ist  das  verhältnissmässig  keine  so  un- 
bedeutende Zahl,  dass  sie  nicht  Bedenken  erregen  müsste. 

Wie  der  Reim  von  lat.  o:ö,  so  wäre  unsicilianisch  auch  der 
von  e(ae,  oe):e;  für  diesen  giebt  es  jedoch  keine  solche  Beispiele 
wie  für  jenen.  Nur  eine  Stelle  würde  hiehergehüren.  die  sich  selt- 
samer Weise  gerade  in  einer  der  beiden  in  wirklichem  siciliani- 
schen Dialekt  erhaltenen  Proben  bei  Barbieri  findet.  Die  Canzone 
König  Enzo's  beginnt: 

Allegru  cori  plenu 
Di  tutta  beninauza, 
Suvvegnavi,  s'  eu  penu. 
plenu  :  penu  Avürde  beut*  nicht   reimen    und  vielmehr  chinu  :  /»int 


—     100     — 

Lauten.  Da  man  jedoch  auch  in  der  Conquesta  des  Fra  Simone 
von  Lentini  (p.  80) *)  liest:  „et  fachende  vila  sani  et  salvi  per- 
vinniro  in  Sichilia  pleni  di  preda,"  so  ergiebt  sich,  dass  plenu 
ehedem  eine  Ausnahme  von  der  Regel  des  e  zu  i  gewesen  sei,  wie 
es  noch  hent'  sirenu,  sigretu,  u.  s.  w.  sind. 

Ein  anderer  Reim  kommt  zweimal  vor,  welcher  jetzt  weder 
sicilianisch  noch  tose; misch  sein,  sondern  nur  auf  einem  Latinis- 
mus beruhen  könnte: 

Tommaso  di  Sasso: 

rifino  :  mino.     D'Anc.  XXI,  43. 

Guido  delle  Colonne  oder  Mazzeo  Ricco: 
mino  :  inchino.  XXIII,  59. 
Gerade  in  dem  einzigen  Worte  minus  ist  ausnahmsweise  sicilia- 
nisch das  kurze  lat.  %  in  e  übergegangen,  und  es  heisst  dort  jetzt 
n/r  hu  wie  tose.  memo.  Die  alte  Sprache  hat  aber  noch  minu  be- 
sessen, wie  uns  wieder  die  von  Di  Giovanni  veröffentlichten  Chro- 
niken lehren;  Ribellamentu,  p.  119:  „a  mini  (1.  minu)  d'un  annu 
vidiriti  per  opera  U  nostri  fatti."  ib.  123:  „e  per  nixiuna  acca- 
sciuni  soi  promisi  non  virranu  minu."  Conquesta,  p.  59:  „incomen- 
zaro  a  viniri  minu,"  und  so  öfters. 

Dahingegen  zeigen  diese  ältesten  Prosadenkmale  des  Sicilia- 
nischen,  aus  welcher  Zeit  sie  nun  herrühren  mögen,  übereinstim- 
mend, dass  cori  stets  cori,  amuri  stets  amuri,  cosa  stets  cosa, 
amurusa  stets  amurusa  gelautet  haben,  u.  s.  w.,  und  dieselben 
Formen  bieten  die  Proben  Barbieri's,  vermischt  freilich  mit  Tos- 
canismen,  die  hier,  in  einem  Buche,  welches  im  16.  Jahrh.  ge- 
schrieben und  Ende  des  18.  gedruckt  worden,  schwerlich  etwas 
beweisen  können2). 


*)  Cronache  Siciliane  dei  Secoli  XIII,  XIV,  AT.  per  cura  di  Yin- 
cemo  Di  Giovanm,  Bologna,  1805. 

a)  Caix  {Form.  p.  295,  n.)  fand  bei  Pier  delle  Vignc  den  Reim  core  : 
amore,  und  sah  den  Grund  davon  darin,  dass  der  Verfasser  Apulier  ge- 
wesen. In  der  Rosa  fresca  merkte  Caix  {Miv.  di  Fil.  Rom.  II,  179,  n.) 
core  :  fore  :  aneore  als  unsicilianisch  an,  weil  es  sicil.  ancüra  heisse;  das 
letztere  aber  war  ein  Irrthum;  mit  besserem  Rechte  bätte  er  anführen  kön- 
nen: maledizione :  magjione -. persone,  str.  XXII,  worüber  unten. 


—     161     — 

Bei  dorn  häufigen  Vorkommen  dieser  unsicilianischen  Reime 
konnte  es  nicht  wohl  ausbleiben,  dass  Corazzini  bei  seinen  Resti- 
tutionen auch  einmal  auf  einen  solchen  traf,  der  eben  den  Pro- 
bierstein für  seine  Theorie  abgegeben  haben  würde.  Aber  er  half 
sich  leicht  aus  der  Noth.  In  dem  Gedichte:  Uamoroso  vrdere1), 
liess  er  in  der  2.  Strophe  einfach  cori  :  servidori  stehen,  anstatt 
in  serviduri  zu  ändern,  und  als  in  dem  Sonette:  Certo  vni  par, 
che  far  den  hon  signore,  welches  ihm  Baudi  zur  Uebersetzung  vor- 
gelegt, sich  ein:  si(jnore  :  core  :  onore  :  valore,  vorfand,  verfuhr 
er  wie  in  jener  Canzone  und  rechtfertigte  dies  damit,  dass  auch 
in  den  heutigen  Volksliedern  oft  das  o  statt  des  u  im  Reime  ver- 
wendet worden2).  Als  Beispiele  führte  er  auf:  ancora  :  ora  :  pa- 
lora,  Pitre,  Canti  popolari,  1,420;  cori  :  palori,  ib.  607;  iirfen- 
sioni  :  cori,  ib.  708;  tentazioni  :  orazioni,  II,  196.  Anderswo,  fügte 
er  hinzu,  komme  auch  valori  vor  statt  valuri;  das  letzte  wäre  in 
der  That  entscheidend  gewesen;  aber  leider  gab  Corazzini  gerade 
für  dieses  die  Stelle  nicht  an,  an  welcher  er  es  gelesen  hatte. 
Alle  anderen  Beispiele  beweisen  garnichts.  Das  zweite:  cori  :  pa- 
lori,  kann  in  correktem  Sicilianisch  nie  anders  lauten  als  so  (tose. 
ehre  :  parble);  ancora  :  ora  :  palora  hat  gleichfalls  nichts  auffal- 
lendes; denn,  wenn  auch  freilich  das  Substantiv  hora  sicil.  ura 
geworden  ist,  und  tose,  allora  dort  allnra  lautet,  so  ist  das  mit 
dem  Adverb  ora  und  mit  ancora  anders;  sie  sind  sicilianisch  wie 
toscanisch    ora  und    ancora   geblieben3).     Reime,    in    denen    ora, 


J)  Propugnatore,  1.  c.  p.  313  f. 

2)  ib.  p.  303,  n. 

3)  nach  Mortillaro  auch  tuttora.  Ascoli  und  Flechia  (Arch.  Glott.  II) 
haben  diese  Ausnahmen  von  ö  zu  u  vergessen  aufzuführen,  wenn  es  freilich 
Ausnahmen  hiervon,  und  nicht  vielmehr  die  Etymologie  dieses  ora  eine  an- 
dere, nämlich  uora  —  aura  —  ora,  wie  im  altfrz.  Zeitadverb  öre  (neben  fa 
subst.)  und  dem  heutigen  encore.  Ueber  diese  französischen  Worte  s.  .1.  Cornn. 
Bomania,  VI,  381;  Gr.  Paris,  ib.  629  und  Bomania,YII,  129;  Suchier.  Zeitschr. 
für  roman.  Phil.  I,  432;  Böhmer,  Roman.  Studien.  111.  L42  Eeft  X  :  Förster, 
ib.  178,  n.  Der  letztere  führt  als  hiehergehörig  auch  ein  tose.  <ni<u>r<(  an: 
aber  toscan.  hat  das  Wort,  wie.  üra ,  geschlossenes  o,  und  das  ancora,  das 
man  in  Fanfani's  Voc.  della  pronunzia  angegeben  findet,  ist  nur  Druck- 
fehler.   Im  Voc.  (leiht  lingua  ital.  hat  Fanfani  selbst  ancora. 

11 


162 

ancora  stehen,   hätte  daher  Corazzini  bei  Pitre  aoch   gar  manche 
auftreiben  können,  ja  im  Gregentheil  hätte  er  keine  gefunden,  wo 
uiders  war;  es  möchte  ihm  aber  schwer  werden,  dort  ein  ora 
für  ura,  Subst.,  oder  ein  allora  nachzuweisen. 

Es  bleiben  die  letzten  Beispiele,  in  denen  das  Suffix  oni 
stehen  geblieben  und  nicht  uni  geworden  ist;  doch  schon  das 
zweite  derselben  hätte  Corazzini  Bedenken  erregen  müssen:  denn 
hier  reimte  oni  mit  oni  selbst;  es  war  also  gar  kein  Reimzwang 
vorhanden.  Sieht  man  genauer  zu.  so  findet  man  solche  Worte 
wie  curruzioni,  disti  izioni  mit  der  Endung  oni  bei  den  siciliani- 
schen  Schriftstellern  und  in  den  Wörterbüchern  des  Dialektes  in 
grosser  Menge,  ein  currusiuni,  distruziuni  aber,  gerade  niemals, 
wogegen  ragiuni,  stagiuni,  u.  s.  w.  stets  das  u  haben,  und  so  das 
A.ugmentativsuffix  onem  :  macchiuni,  u.  dgl.  Wie  sehr  sicilianisch 
ein  soddisfaziuni  unmöglich  ist,  zeigen  z.  B.  die  folgenden  Sprich- 
wörter in   der  Sammlung  Vigo's1),  p.  359: 

Cui  s'  incagna   senza  ragiuni. 

Fa  paci  senza  soddisfazioni. 
p.  360: 

Fa  testamentu  e  cunfissioni 

Mancianmi  sasizza  e  maccarruni. 
Konnte  man  cunfissiuni  sagen,  so  hätte  man  sich  doch  nicht  mit 
der  blossen  Consonanz  statt  des  Reimes  begnügt.  Diese  Erhal- 
tung des  langen  lat.  ö  findet  nun  also  allgemein  statt  in  den  Fe- 
mininis  auf  ionem .  in  welchen  das  i  als  besonderer  Laut  fort- 
besteht, daher  azioni,  >/>m<,,.;.  aber  ragiuni,  und  wieder  sicil. 
riligioni,  nicht  riligiuni,  wie  ja  auch  die  gute  toscanische  An- 
sprache religione  ist.  Der  Grund  der  Erscheinung  ist  nicht  schwer 
zu  erkennen:  alle  jene  Worte  sind  nämlich  nicht  echt  volksthüm- 
licher  Bildung:  daher  entziehen  sie  sich  den  phonetischen  Gesetzen 
des  Dialei 

Die  Volkslieder  verwandten  demnach  hier  überall  die  einzig 
correkten  Formen,  und  in  der  That  hatten  sie  ja  garnicht  nöthig. 
in  grazia  della  rima  die  betonten  Vocale  zu  ändern,  da  sie  statt 


'    Canü  I'i>j">!<<ri  Siciliani,   . 


—     163     - 

des  Reimes  ebensowohl  die  Consonanz  gebrauchten.  Wie  man: 
astuta  :  vita  (Pitre,  145),  Missina  :  Bivona  (332),  zusammenklingen 

Hess,  sn  cori  :  trisori  :  amuri  (560),  oder  cori  :  patruni  :  uri  (601), 
ohne  etwa  das  m  in  o  zu  wandeln.  Corazzini  aber  hat  mit  seinen 
Citaten  gerade  das  Gegentheil  von  dein  bewirkt,  was  er  beabsich- 
tigte; er  wollte  die  Reime  ehre  :  signöre  in  seinem  Sonett  als 
sicilianisch  rechtfertigen  und  deckte  nun  umgekehrt  noch  einen 
Reim  als  unsicilianisch  in  demselben  auf: 

faligione  :  opinione  :  fellone. 
die  ergehen  niüssten: 

faligiuni  :  opinioni  :  felhmi 1). 
Stände  es  also  ganz  fest,  dass  dieses  Sonett  von  Iacopo  da  Lentini 
sei,  so  könnte  man  diese  beiden  zu  der  obigen  Liste  der  unsicilia- 
nischen   Reime    setzen,   und    mit    grösserer  Sicherheit    kann    man 
hinzufügen: 

ragione  :  cagione  :  riprensione  :  stagionc.    D'Anc.LXXX.15. 
in    einem    Gedichte    des    Mazzeo    Ricco,    in    welchem    andererseits 
assicura  :  inamora  :  dismisura,    steht,    und    in    der    Rosa    fresca, 
str.  XXII: 

maledizione  :  magione  :  persone. 
Es  Hesse  sich  noch  einwenden,  dies  sei  wohl  heute  so,  könne 
aber  vor  Alters  anders  gewesen  sein,  da  ja,  wie  wir  sahen,  die 
alten  Chroniken  wirklich  einige  Abweichungen  vom  jetzigen  Laut- 
bestande  des  Dialektes  zeigen.  Allein  gerade  in  diesem  Punkte 
findet  sich  dort  völlige  Uebereinstimmung  mit  dem  letzteren.  Auch 
das  Ribettamentu  hat:  Incarnationi,  p.  115  u.  118;  intentioni,  iL") 
u.  138,  ribellioni,  132  u.  115,  und  dagegen  rascuni,  prixuni  stets  mit 
u;  occasioni,  p.  118,  accasioni,  129,  und  dagegen  accasciuni,  ac- 
caxiuni,  123,  124,  und  caxiuni,  133,  134,  giebt  den  Unterschied  des 
toscan.  occasione  von  cagione  als  des  nicht  volksthümlichen  Worte 
vom  volksthümlichen  wieder.     Dasselbe   gilt   für  ora,  <niv><ro :    Vi- 


J)  Corazzini   schreibt    natürlich    opiniuni,  wie   er   anderswo    L'nu. 
vedere,  str.  3    aneura  setzte.     Seine  Restitutionen   beruhen   auf   einer  nicht 
gerade  sehr  tief  gehenden  Kenntniss  der  Mündart,  in  die  er  übersetzte,  und 
sie  sind  dazu  mit  ziemlicher  Flüchtigkeit  gemacht  und  wimmeln  von  Ihcon- 
sequenzen. 

il* 


—     164     - 

mihi.  p.  1G8:  „e  U  genti  di  lu  Regn/u  ancora  non  eranu  fermi" 
Ribettamentu,  123:  „Ancora  vi  duviria  ricurda/ri,"  ib.  118:  „ora  mi 
jurati  cridema"  und  so  immer,  wogegen  stets  wa  Subst.,  und 
nlliini,  ogni  nra.  Diejenigen  also  wenigstens,  welche  die  beiden 
zuletzt  citirten  Chroniken  noch  in's  13.  Jahrh.  setzen,  müssen  für 
den  Dialekt  zur  Zeit  der  sicilianischen  Dichterschule  dieselben  Er- 
scheinungen voraussetzen  und  danach  die  Reime  der  Gedichte  be- 
urtheilen. 

Zu  bemerken  ist  schliesslich,  dass  diese  Reime  von  b  :  6 
fast  immer  in  Liedern  vorkommen,  in  denen  auch  solche  von  e  :  i, 
o  :  u  sich  finden,  so  dass  ein  noch  so  kühnes  Aendern  der  Attri- 
but ionen  hier  nicht  aus  dem  Widerspruche  heraushelfen  würde. 

Andererseits,  aus  dem  Vorkommen  solcher  unsicilianischen 
Reime  bei  den  Sicilianern  mit  Bestimmtheit  den  Schluss  ziehen 
zu  wollen,  dass  sie  nicht  im  Dialekte  geschrieben  haben  können, 
würde  gleichfalls  voreilig  sein.  Denn  die  Reime  beweisen  hier 
eben  garnichts,  weder  nach  der  einen  noch  nach  der  anderen 
Richtung,  und,  wenn  die  Toscaner,  ihr  eigenes  Idiom  schreibend, 
des. Reimes  halber  Formen  verwendeten,  welche  nicht  die  ihrigen 
waren,  so  konnten  auch  die  Sicilianer  recht  wohl  sich  ihres  Dia- 
lektes bedienen,  und  doch  im  Reime  hier  und  dort  einmal  eine 
lateinische  oder  apulische  Form  gebrauchen.  Hiermit  könnte  man 
sich  zufrieden  geben,  wenn  nur  anderweitig  die  Abfassung  der 
Gedichte  in  sicilianischer  Mundart,  oder,  besser  gesagt,  in  der 
Mundart,  die  wir  als  sicilianisch  kennen,  hinreichend  feststünde. 
Indessen  auch  gegen  die  anderen  Argumente  für  dieselbe  giebt  es 
verschiedene  Bedenken. 

Vor  Allem  ist  es  das  Zeugniss  Dante's,  welches  hier  durchaus 
nicht  so  leicht  wiegt.  Er  ist  der  einzige  überhaupt  aus  so  früher 
Zeit,  der  uns  Nachrichten  von  den  ältesten  Lyrikern  gegeben  hat, 
und  er  schrieb  sein  Buch  de  eloquentia  vulgari  nur  ungefähr 
40  Jahre  nach  dem  Tode  Manfreds,  mit  dem  man  die  Schule  im 
Süden  als  erloschen  anzusehen  pflegt.  Er  konnte  doch  wohl  noch 
wissen,  wie  die  Dinge  standen,  und  er  berichtet  z.  B.  von  Guido 
delle  Colonne,  dass  er  seine  Lieder  in  dem  Idiome  geschrieben 
habe,    welches    nihil    differt    ab    illo,    quorf    lattdab'dhsimam    est 


—     1 65     — 

(I,  12),  d.  h.  im  vulgare  illustfe,  der  italienischen  Gemeinsprache. 
Man  wollte  dieses  dadurch  erklären,  dass  Dante  selbst  schon  die 
Poesieöü  nur  in  der  Umschreibung  kannte,  und  sich  dadurch  täu- 
schen Hess,  diese  für  die  ursprüngliche  Form  ansehend.  „H  tos- 
mneggiammto"  sagt  D'Ovidio  (1.  c.  p.  95),  „piü  o  men  completo, 
secondo  i  casi,  delle  poesie  sicide  fu  cos}  spontaneo  e  facile,  che 
passb  quasi  inavvertito,  e  quando  Dante,  nelV  ultimo  quinto  del 
secoJo  XIII,  attese  agli  studi  poetici,  esso  era  da  un  pezzo  cos\ 
perfettamente  consumato,  che  Dante,  in  buonissima  fede,  prese  per 
schiette  siciliane  le  poesie  auliche  ormai  toscaneggiate."  Also  Dante 
machte  diese  Studien  zwischen  1280  und  1300,  und  da  wTar  die 
Toscanisirung  schon  vollkommen  durchgeführt,  und  schon  seit 
einiger  Zeit,  so  dass  damals  auch  jegliches  Gedächtniss  daran  ver- 
loren gegangen  war.  Wann  wäre  sie  aber  dann  geschehen?  Denn 
seit  Manfreds  Tode  bis  1280  waren  es  doch  nur  14  Jahre.  Und 
Dante  lebte  ja  nicht  eingeschlossen  in  den  Mauern  von  Florenz; 
er  kam  nach  Rom,  weilte  in  Bologna,  verkehrte  an  verschiedenen 
Fürstenhöfen.  Sollte  ihm  da  nie  ein  Sicilianer  oder  Apulier  be- 
gegnet sein,  der  ihn  über  den  wahren  Sachverhalt  aufklären  konnte, 
oder  wmsste  man  auch  im  Süden  schon  von  der  ehemaligen  Form 
der  Lieder  garnichts  mehr?  Schwer  begreiflich  wäre  wenigstens 
Alles  dieses,  wenn  die  Gedichte  eine  von  der  toscanischen  so  sehr 
verschiedene  Gestalt  gehabt,  wie  ihnen  die  Restitutionen  Coraz- 
zini's  gegeben.  Der  letztere  entledigt  sich  übrigens  dieses  Zeug- 
nisses, indem  er  auf  die  Ansicht  vieler  Cinquecentisten  zurückgeht, 
und  das  Buch  de  v/dg.  el.  selbst  für  unecht  erklärt,  was  freilich 
das  Bequemste  ist. 

Ferner,  wie  die  sicilianische  Mundart  überhaupt  im  13.  Jahr- 
hundert ausgesehen  habe,  glaubt  man  zwar  ziemlich  genau  zu 
wissen  aus  verschiedenen  Denkmalen  dieser  Zeit.  Aber  von  den 
beiden  angeblich  ältesten  derselben,  den  Uebersetzungvn  von  Per- 
gamentdiplomen des  Archivs  der  Cathedralc  zu  Palermo  ist  jetzt 
durch  Böhmer  bekannt  geworden,  dass  sie,  anstatt  aus  dem  12., 
aus  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  stammen1).    Die  oft  citirte 


J)  Roman.  Studien,  III,  159  ff. 


-      166     - 

Formel  von  1233  bei  Riccardo  di  S.  Germano  lehrt  uns  für  die 
betonten  Vocale,  welche  bier  die  Hauptsache  sind,  garnichts.  Die 
Abfasstmgszeit  der  beiden  von  Di  Giovanni  publizirten  Chroniken: 
La  Vinuta  di  In  Re  lapicu,  und  Lu  Bibellamentu  di  Gicilia, 
steht  aich  fest.  Die  erste,  eine  ganz  kurze  Erzählung  von  wenig 
über  3  Seiten,  soll  uns  dem  Jahre  1287  sein;  allein  Bartoli,  ob- 
gleich er  sie  als  Sprachprobe  ans  diesem  Jahre  citirt1),  bemerkl 
doch  anderswo  seihst,  dass  jemand,  der,  wie  Frate  Atanasio,  sage: 
„La  vinuta  di  lu  re  Tapicu  a  la  gitati  di  Catania  fu  a  lu 
prima  di  maju  di  Finnin  1287",  wohl  nicht  in  demselben  Jahn' 
geschrieben  halten  könne2).  Die  Schrift  bleibt  also  nndatirt;  Di 
Giovanni  setzte  sie  um  1287  nur,  weil  er  diese  Bezeichnung  in 
seiner  Copie  aus  dein  18.  Jahrhundert  fand,  wo  eben  das  Datum 
des  Ereignisses  mit  dem  der  Schrift  verwechselt  worden.  Das 
Bibellamentu  hat  der  Herausgeher  selbst  nicht  genauer  datirt; 
aber  Hartwig  hat  bewiesen,  dass  es  nach  G.  Villani's  Chronik  ab- 
gefasst  sein  muss3). 

Es  hl eihen  die  beiden  Canzonen  bei  Barbieri,  die  man  als 
Sprachproben  und  zugleich  als  Beweis  dafür  anführt,  dass  die 
Dichter  wirklich  sicilianisch  schrieben.  Für  diese  jedoch  giebt  es 
uoch  eine  Möglichkeit,  welche  man  nicht  ih  Betracht  gezogen. 
dass  nämlich,  wie  man  heut'  annimmt,  die  sicilianischen  Gedichte 
seien  toscanisirt  worden,  umgekehrt  vielmehr  diese  beiden  sicilia- 
nisirt  worden  seien,  was  gewiss  nicht  schwerer  war.  Allerdings 
wird  man  in  Verlegenheit  sein  zu  erklären,  von  wem  und  zu 
welchem  Zwecke  eine  solche  Umschreibung  hätte  geschehen  sollen. 
Aber   nicht  weniger  schwierig   als   die  Beantwortung  dieser  Frage 


'i  /  primi  due  Secoli,  p.  141. 

2)  ib.  i».  264,  n.   1. 

3)  0.  Hartwig,  Giovanni  Villani  und  die  Leggenda  di  Messer  Gianni 
di  Procida,  in  Sybels  Hist.  Zeitschr.  vol.  25  L871),  p.  233—271.  Was  darauf 
Di  Giovanni  in  der  Vorrede  zum  2.  Bande  seines  Filologia  e  Letteratura 
Siciliana  (Palermo,  1871)  geantwortet  hat,  ist  garnichts,  und  beweis!  nur. 
dass  er  nichf  verstand,  um  was  es  sieh  handele.  Von  Fälschung  ist  natür- 
lich hier  gar  keine  Rede;  was  konnte  der  Autor  dafür,  wenn  man  seine 
Schrift  für  zu  alt  hielt?     Er  hat  sie  nicht  datirt. 


—     167     — 

dürfte  die  der  anderen  sein,  wie  sich  denn,  bei  jener  Furie  des 
Toscanisirens,  diese  wenigen  Gedichte  unter  so  vielen  umgeschrie- 
benen in  unveränderter  Gestalt  erhalten  konnten.  Immerhin  ken- 
nen wir  sie  nur  durch  eine  Mittheilung  aus  dem  16.  Jahrhundert, 
und  dazu  nach  einer  Handschrift,  die  sehr  eigenthümlich  beschaffen 
war.  In  dem  libro  Siciliano  stand  nach  Barbieri's  Angaben  Pro- 
venzalisches.  Italienisches,  Sicilianisches  bunt  durcheinander:  fol.  1, 
provenzalische  Biographieen;  fol.  2,  dosgleichen,  und  doch  auf  dem- 
selben Blatte  die  sicilianische  Canzone  Enzo's;  fol.  4,  ein  italieni- 
sches Gedicht;  fol.  7,  eine  provenzalische  Biographie;  fol.  10,  wieder 
ein  italienisches  Gedicht:  fol.  22,  Stefano's  Canzone;  fol.  37,  ein 
italienisches  Gedicht,  und  fol.  38,  wieder  Provenzalisches.  Die  Mi- 
schung des  Provenzalischen  und  Italienischen  schien  nun  zwar 
Mussafia  gar  zu  sonderbar,  und  er  meinte,  man  müsse  zwei  ver- 
schiedene Handschriften  mit  dem  Namen  libro  Siciliano  anneh- 
men, welcher  letztere  dann  nur  für  ein  prov.  Ms.  unverständlich  x). 
Jedenfalls  aber  bleibt  auch  dann  noch  die  Mischung  der  siciliani- 
schen  Gedichte,  fol.  2  und  22,  und  der  italienischen,  fol.  4,  10,  37, 
bestehen 2). 

Das  erste  umfangreichere  Denkmal  der  sicilianischen  Mund- 
art, welches  sicher  datirt  ist,  wäre  demnach  die  Conquesta  dl 
Sicilia  von  Fra  Simone  da  Lentini  aus  dem  Jahre  1358.  Sie 
zeigt  uns  den  Dialekt  ungefähr  100  Jahre  nach  der  Blüthezeii 
der  alten  lyrischen  Schule,  und  dieser  Zeitraum  ist  doch  nicht  so 
kurz,  dass  er  nicht  manche  Veränderungen  hervorgebracht  haben 
könnte.  Um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  konnte  die  Sprache 
noch  wandelbarer,  in  gewissen  Tendenzen  noch  unentschiedener 
und  empfänglicher  für  äussere  Einflüsse  sein;  es  konnten  neben 
den  später  erhaltenen  Formen  andere  bestehen,  die  dann  verdrängt 
wurden,  besonders,  wenn  sich  Hartwigs  Ansicht  bestätigen    sollte, 


y)  Die  provenz.  Liederhandschriften  des  G.  M.  Barbieri,  in  Sitzungsber. 
der  Wiener  Akad.  phil.  bist,  Cl.  vol.  76,  p.  256,  n.    1874  . 

2)  D'Ancona  irrte,  wenn  er  {Birne  Antiche,  p.  XU  annahm,  die  Poe- 
sieen  von  Lanfranco  Maraboto,  Hb.  Sic.  rar.  4,  und  Garibo,  car.  37,  seien 
gleichfalls  mundartlich  gewesen.  Die  Verse,  die  Barbieri  anführt,  zeigen 
schon,  dass  es  nicht  so  war. 


—     168 

dass  das  Sicilianische  ein  Bich  erst  seit  dem  11.  Jahrh.  entwickeln- 
der Seitenzweig  der  Sprache  des  südlichen  Festlandes  und  mit 
der  normannischen  Eroberung  auf  die  Insel  gekommen  sei1).  Be- 
trachtet man  aber  die  Sprache  der  Chroniken  :uis  dem  14.  Jahr- 
hundert selbst,  so  findet  man  sie.  wenigstens  ihrem  äusseren  An- 
sehen nach,  der  italienischen  Gemeinsprache  weit  näher,  weil  die 
Umgestaltung  gewisser  Lateinischer  Consonantengruppen,  welche 
viel  zur  charakteristischen  Färbung  des  Dialektes  beiträgt,  hier 
nicht  durchgeführt  ist.  So  ist  lat.  nd  geschrieben,  nicht  nn  :  au- 
dendu,  intrandu,  etc.;  II,  nicht  dd  :  folli,  etc.;  gli,  nicht  gghi  :  con- 
sigliu,  etc.:  h/b.  nicht  n/ni  :  plumhu,  u.  dgl;  so  auch  meist  ///  : 
plui,  plagiri,  woneben  freilich  auch  chiui,  chiangendu,  u.  s.  w. 
Nun  ist  /war  darum  keineswegs  anzunehmen,  dass  man  damals  in 
Sicilien  wirklich  diese  Laute  noch  so  gesprochen  habe;  mögen  die 
Dialekte  auch  dem  Lateinischen  und  unter  sich  soviel  näher  ge- 
wesen sein,  das  Aufkommen  aller  dieser  Wandlungen  erst  seitdem 
ist  nicht  wahrscheinlich2).  Vielmehr  muss  man  sie  für  blosse  La- 
tinisirungen  in  der  Schrift  halten,  wie  deren  in  allen  alten  Denk- 
malen sich  viele  finden.  Der  gelehrte  Schreiber,  an  das  Aussehen 
des  Lateinischen  gewöhnt  und  mit  den  conventioneilen  Zeichen 
der  neuen  Laute  nicht  vertraut,  wählte  für  diese  jene  lateinischen 


J)  s.  Hartwigs  Vorrede  zu  den  „Sicilianische  Märchen,  aus  dem  Volks- 
mundc  gesammelt''  von  Laura  Gonzenhach,  Leipzig,  1870. 

-  Dieselbe  Erscheinung  findet  sich  in  allen  anderen  Gegenden  Italiens. 
Navone  scheint  im  Bitmo  Cassinese  diese  latinisirende  Orthographie  für  den 
wirklichen  Ausdruck  der  dem  Lateinischen  noch  näheren  Aussprache  zu 
halten  (Riv.  di  Fil.  Born.  II,  103  f.);  aber  er  selbst  führt  Beispiele  für  das 
Gleiche  aus  einer  Hs.  des  15.  Jahrh.  an;  wie  konnte  man  aber  damals  noch 
z.  I).  correndo  sprechen,  da  doch  schon  die  Bo*<t  fresca  :  correnno,  aritonno, 
etc.  hat.  Ascoli  bemerkte  (Arch.  Glott.  I.  p.  554,  Giunta  zu  p.  302  :  „Meri- 
terebbe,  im  pare,  che  si  studiasse,  guanto  si  debba  <<  ragioni  dialeitali,  quanto 
ii  imitazione  <lti  modelli  stranieri  e  <\mtnti>  ad  ill n *i<>n  e  grafica  negli 
esempi  di  />!.  vi,  ecc,  dir  nci  jiüi  «nfic/ii  scritlort  ilu/iuui  Siitcontrano  cotne 
jiJiisur,  ocli"  ecc.  Merkwürdig  ist,  dass  die  Cun<iue$ta  und  Cronkhi  nicht 
UibeUamentu  und  Vinuta)  statt  des  tonlosen  auslautenden  u  stets  o  setzen: 
diese  Schreibweise  würde  also  aus  dem  Vulgärlatein  oder  den  Dialekten 
des  Festlandes  herrühren. 


-     169 

Zeichen,  und  so  näherte  die  Orthographie  die  Dialekte,  welche 
gesprochen  sich  gewiss  viel  ferner  standen.  Die  ältesten  Lyriker 
waren  aber  Richter,  Notare,  Männer  von  hoher  Stellung  im  Staate, 
alle  mit  dem  Lateinischen  wohl  bekannt,  als  sie  die  ersten  Ver- 
suche in  der  Vulgärsprache  machten.  Für  sie  also  ist  dasselbe 
vorauszusetzen  wie  für  die  Chronisten,  und  in  noch  höherem  Grade. 
Die  Latinisirung  wird  bei  ihnen  nicht  auf  die  Schrift  eingeschränkt 
geblieben  sein,  sondern  auch  die  gesprochenen  Worte  selbst  er- 
griffen haben,  und  wir  können  nicht  wissen,  wie  weit  sie  gegangen. 
Dazu  kommt,  dass  unter  diesen  Dichtern  mehrere  Apulier  waren, 
Pier  delle  Vigne,  Rinaldo  d'Aquino,  Giacomino  Pugliese,  Rugieri 
Pugliese,  und  Dante  sagt  ferner,  aus  allen  Gegenden  Italiens  seien 
die  Trefflichsten  an  Friedrichs  Hofe  zusammengeströmt.  Dichteten 
nun  diese  ein  jeder  in  seiner  eigenen  Mundart?  So  dachte  in 
der  That  Corazzini,  und  auch  D'Ovidio  nimmt  es  an  (1.  c,  p.  91) 
und  glaubt,  in  diesem  Babel  habe  man  sich  dennoch  vorstanden, 
da  die  Dialekte  noch  ähnlicher,  und  der  Ideeenkreis  so  beschränkt 
gewesen1).  Mag  man  aber  auch  dieses  zugestehen,  obgleich  es 
nicht  gerade  wahrscheinlich,  oder  mag  man  glauben,  dass  die 
Dichter  anderer  Gegenden  sich  eben  der  Sprache  bedienten,  welche 
an ,  Friedrichs  Hofe  üblich  war,  immer  konnten  leicht  ihre  heimi- 
schen Dialekte  auf  die  Dichtersprache  zurückwirken,  und,  da  Fried- 
rich zwar  vorzüglich  in  Palermo  Hof  hielt,  aber  doch  auf  dem 
Festlande  eine  andere  bedeutende  Residenzstadt  besass,  nämlich 
Neapel,  so  waren  Einflüsse  der  apulischen  Idiome  um  so  eher 
möglich.  Alles  dieses  nun,  die  Latinisirung  und  ferner  die  Pro- 
venzalisirung,  die  ja  allgemein  zugegeben  wird,  dazu  die  wahr- 
scheinliche Einwirkung  eines  anderen  nahe  verwandten  Dialektes 
und  unsere  mangelhafte  Bekanntschaft  mit  der  damaligen  sicilia- 
nischen  Mundart  selber,  machen  es  zweifelhaft,  in  welchem  Ver- 
hältniss  die  Sprache  an  Friedrichs  Hof  oder  wenigstens  die  zu 
poetischen  Zwecken  verwendete  Ausdrucksweise  zu  dem  heutigen 
Sicilianischen    stand.      Wenn    man    heut'    beispielsweise    pinsannu 


*)  D'Ancona  dagegen  spricht  von  einem  testo  siculo  auch  in  Bezug  auf 
das  Gedicht  eines  Apuliers,  Bim.  Ant.  p.  o97,  n.  zu  v.   1!' 


-     170     — 

spricht,  so  sprach  man  es  vielleicht  damals  auch,  aber  man  mochte 
latinisirend  pensandu  schreiben,  und,  wenn  man  beul'  sagl  amuri, 
und  es  wirklich  auch  damals  schon  so  hiess,  so  brauchten  die 
Dichter  doch  vielleicht  daneben  amore,  welches  die  Apulier  im 
Munde  führten,  and  an  das  man  aus  dem  Lateinischen  und  Pro- 
venzalischen  (amors)  gewöhnt  war.  Heber  diese  Unsicherheit 
komml  in  in  mit  den  jetzigen  Hilfsmitteln  nicht  hinaus.  Dass  die 
Sicilianer  nicht  toscanisch  schrieben,  stellt  wohl  fest;  aber  dass 
die  dichterische  Sprache,  deren  sie  sich  bedienten,  der  heutigen 
Schriftsprache  schon  ziemlich  n  he  gestanden  haben  könne,  ist 
damit  nicht  ausgeschlossen.  Die  Copisten  haben  hier  gewiss  ebenso 
etwas  zur  Umgestaltung  der  Texte  beigetragen,  wie  sie  es  überall 
thaten;  allein,  welches  die  ursprüngliche  Form  gewesen,  die  sich 
unter  diesen  Aenderungen  verwischt  hat,  können  wir  nicht  wissen," 
wenn  nicht  die  Auffindung  sicherer  Documente  die  Frage  ent- 
scheidet, und  einstweilen,  anstatt  sich  an  Restitutionen  zu  ver- 
suchen, die  nur  missglücken  können,  ist  es  besser,  sich  an  das  zu 
halten,  was  wir  haben,  und  die  Texte  zu  studiren,  wie  sie 
eben  sind. 

Wenden  wir  uns  nun  nach  Norden,  so  finden  wir  hier  unter 
den  Dichtern,  welche  die  Tradition  der  südlichen  Schule  fort- 
setzten, neben  den  Toscanern  auch  solche,  in  deren  Heimath  man 
abweichende  Dialekte  redete,  eine  ganze  Reihe  in  Bologna,  meh- 
rere in  der  Romagna,  und  vielleicht  einige  in  der  Lombardei. 
Indessen  das  Verhältniss  hat  sich  nun  doch  schon  geändert.  Die 
Sicilianer  hatten  nichts  vor  sich  gehabt  als  die  fremden  Muster: 
aber  jetzt  bestand  schon  eine  poetische  Conventionalsprache,  mochte 
sie  nun  sicilianisch  sein  oder  nicht.  Diese  gelangte  auf  irgend 
eine  Art  modifizirt  zu  den  Dichtern  des  Nordens.  Dazu,  nach 
den  spärlichen  chronologischen  Daten,  die  wir  besitzen,  ist  doch 
soviel  gewiss,  dass  es  vor  den  anderen  Verzweigungen  in  Mittel- 
und  Oberitalien  eine  toscanische  Schule  gab,  deren  Sprache  nach 
aussen  wirken  konnte.  Fan  so  hohes  Alter  wie  das  Guittone's  ist 
von  keinem  Dichter  jener  Gegenden  bezeugt;  er  dichtete,  wie  ge- 
sagt, schon  1260,  und  Guido  (iuinicelli  nannte  ihn  seiuen  Meister. 
Es  wird   demnach    mit   der    bereits   erwähnten  Ansicht  von  Cais 


—     171     — 

seine  Richtigkeit  haben,  dass  die  im  Süden  entstandene  Literatur- 
sprache ihren  Weg  zunächst  über  Arezzo  genommen,  hier  sich 
schon  modifizirt  und  dem  Toscanischen  mehr  und  mehr  assimilirt 
habe,  und  von  da  aus  sich  weiter  verpflanzte.  Die  Annahme  also, 
auch  diese  Dichter  hätten  ein  jeder  in  seinem  Dialekte  geschrieben, 
ist  durchaus  überflüssig1).  Man  darf  hier  nicht  die  Kunstdichter 
auf  eine  Stufe  mit  den  volksthümlichen  stellen,  die  sich  allerdings 
ihrer  Mundarten  bedienten;  aber  diese  dichteten  in  gesonderten 
Regionen  für  die  niederen  Klassen,  jene  standen  in  dem  festen 
Zusammenbange  der  Schule.  Daher  passen  die  Beispiele  Bon- 
vesins,  Fra  Giacomino's,  Iacopone's  nicht  hieher,  ebenso  wenig  die 
der  Prosaiker  wie  Fra  Paolino.  Nur  ausdrückliche  Anzeichen 
könnten  uns  bestimmen  zu  glauben,  dass  auch  die  alten  Lyriker 
Bologna's,  der  Romagna  und  der  Lombardei  in  ihren  Dialekten 
geschrieben  hätten,  und  solche  Anzeichen  sind  nicht  vorbanden2). 
Das  Gegentheil  beweist  vielmehr,  ausser  dem  Zeugnisse  Dante's, 
welches  hier  um  so  viel  glaubwürdiger,  um  wie  viel  er  diesen 
Orten  und  Zeiten  näher  war,  ihre  Correspondenz  mit  Toscanern. 
Guido  Guinicelli  richtete  Sonette  an  Guittone  und  an  Buonagiunta 
von  Lucca;  Onesto  wechselte  solche  mit  Guittone  und  mit  Cino 
von  Pistoja;  Tommaso  von  Faenza  beantwortete  eine  Frage  des 
Dante   da  Majano   (Val.  II.  252);    er    schrieb    eine    ganze   Canzone 


1  Canello's  Verwunderung  {luv.  di  Fil.  Born.  II,  116),  dass  Guido 
Guinicelli  als  Bolognese  toscanisch  geschrieben,  war  daher  nicht  sehr  be- 
gründet. D'Ancona  glaubte  (Bim.  Ant.  p.  XII),  dass  man  für  diese  Gegen- 
den Italiens  schon  ein  gemeinsames  formulario  del  dire  amoroso  in  rima, 
misto  di  toscano  e  di  siculo  voraussetzen  müsse.  D'Ovidio  giebt  wenigstens 
zu,  dass  die  Herrschaft  des  Toscanismus  sich  auch  auf  Bologna  ausgedehnt 
habe  (1.  c.  p.  91). 

2)  Denn  als  solches  kann  man  auch  nicht  den  Umstand  betrachten, 
dass  Ugolino  Buzzuola,  der  nach  Dante  (vulg.  el.  I,  14^  gemeiniglich  illustre 
schrieb,  einmal,  wahrscheinlich  in  scherzhafter  Absicht,  den  Dialekt  ge- 
brauchte in  dem  Sonette:  Ocli  del  Gonte  ond1  cd  mi'ender  nego,  Crescimbeni, 
III,  80;  es  ist,  nach  Manzoni,  das  vorletzte  Gedicht  des  Cod.  V.u.  3214,  in 
dem  sonst  keine  mundartlichen  Gedichte  stehen.  Eine  Deutung  de-  Sonetts 
von  sehr  zweifelhaftem  Werth  gab  Grion  in  seiner  Einleitung  zum  Antonio 
da  Tempo,  p.  24  f. 


—     172     — 

auf  die  Reime  einer  solchen  von  Monte  Andrea  aus  Florenz,  und 
eine  andere  ebenso  auf  die  Reime  einer  des  Giovanni  dall'  Orto 
aus  Arezzo.  Es  war  also  doch  undenkbar,  dass  jene  toscanisch 
schrieben,  und  er  sulle  rime  romagnolisch  antwortet«'1).  Die  dia- 
lektischen Reime  beweisen  hier  ebensowenig  wie  bei  den  Sicilia- 
nern;  denn,  wenn  diese  Dichter  das  volgare  illustre  schrieben,  so 
schliesst  das  natürlich  nicht  aus,  dass  sie  in  dasselbe  hin  und 
wieder  Idiotismen  ihrer  eigenen  Mundarten  mischten,  besonders 
wo  der  Keim  dazu  drängte.  Dieses  geschah  zu  allen  Zeiten,  und 
Bojardo  hat  z.  B.  so  manches  aus  dem  Dialekte  seiner  Heimath 
aufgenommen,  ohne  doch  darum  wirklich  ferraresisch  geschrieben 
zu  haben.  Tommaso  Buzzuola  aus  Faenza,  von  dem  Dante  (vulg. 
el.  I,  14)  rühmte,  er  habe  sich  von  der  Volkssprache  seiner  Gegend 
entfernt,  reimte  :  costo  :  gosto  (gasto),  Val.  II,  249;  aomo  :  fomo 
(fnmo),  ib.  250,  entsprechend  den  romagnoli sehen  gost  und  fom 
(Muss.  R.  M.  50  u.  55),  und  in  dem  Gedichte  bei  Zambrini  (op. 
volg.,  385)  :  digionto  :  conto  :  pronto  :  gionto;  romagn.  zont  (Muss. 
57).  Man  bemerke  jedoch,  dass  auch  schon  in  dem  Gedichte 
Monte's,  auf  welches  das  erste  der  hier  angeführten  antwortet, 
consomo  (  :  uomo)  für  consumo  stand  (Val.  II,  33),  und  dass,  wie 
oben  gezeigt  worden,  Formen  wie  Jörne,  alcono,  costome,  ganz  all- 
gemein waren,  und  selbst  noch  bei  Dante  und  Cino  vorkommen. 
Die  Formen  gosto,  gionto  u.  dgl.  (w  in  Pos.  zu  6)  waren  auch  den 
Mundarten  Toscana's  nicht  fremd.  Charakteristischer  mag  der 
Reim  :  varga  (varca)  :  larga,  Val.  II,  250,  sein,  d.  h.  -ic-  zu  g, 
was  echt  romagnolisch  (Muss.  98).  Innerhalb  des  Verses  musste 
freilich,  was  von  Idiotismen  etwa  vorhanden  war,  meistens  durch 
Copisten  und  Herausgeber  verschwinden.  Einige  Reste  sind  morbio 
für  morbido,  Val.  II,  251  (Muss.  195),  ariprendere,  Zambrini,  385, 
romagn.  arprender  (Muss.  125),  das  par  für  per  in  par  aina,  Val. 


*)  Dagegen  ist  von  Correspondenzen  der  Toscaner  mit  Dichtern  des 
Südens  nichts  bekannt,  seitdem  man  aufgehört  hat,  die  Nina  des  Dante  da 
Majano  für  eine  Sicilianerin  zu  halten  (s.  D'Anc.  Bim.  Ant.  p.  287,n.).  Nach 
Borgognoni  {Propugn.  IX,  1°,  34)  hätte  die  Nma  garnicht  existirt;  doch  ge- 
nügt sein  Grund  dafür  nicht. 


—     173     — 

II.  250  (Muss.  82).     Doch   steht  par  Dco  auch  bei  einem  Pisaner, 
Val.  I,  418.  und  bei  Compagnetto  da  Prato,  D'Anc.  LXXXVII,  46. 

Bandino    reimte    aiudo    {<ijuf<>)  :  rifiudo  :  nudo  :  sudo  :  mudom 
(nudo).   Val.   I,  428  f.,  mit    der    dem  Lombardischen   eigenen  Er- 
weichung   der   Tenuis;    aber    ob   Bandino    wirklich    Paduaner    ge- 
wesen, wie  Allacci  angab,  steht  darum  noch  nicht  fest. 

Von  den  Bulugnesen  wurden  schon  oben  einige  Reime  er- 
wähnt, die  man  als  aus  ihrem  Dialekte  entsprungen  betrachten 
kann,  ol »schon  sie  auch  bei  Anderen  vorkommen.  Onesto  von 
Bologna  schrieb  ferner:  aida  ( :  guido)  für  aita,  Val.  II,  145;  rede 
(  :  vede)  für  rete,  ib.  148;  scde  für  sete,  ebendort,  und  endlich  ridl 
(jreti)  :  lidi  :  sfidi,  ib.  150.  Aber  freilich  haben  auch  diese  Er- 
weichungen sich  wiederum  in  grazia  della  rima  Dichter  erlaubt, 
deren  eigene  Mundart  sie  nicht  darbot;  Gruittone  :  aida,  Canz.  IX. 
Gel.  2;  nudo  :  muto,  Canz.  III,  1;  fiada,  Son.  94;  Ser  Face  aus 
Florenz  :  ferude  für  feride,  Val.  II,  400;  selbst  Dante  :  conosciuda 
(  :  druda),  Manzoni,  XIII;  Francesco  da  Barberino  :  insegnada 
(:  vada),  Doc.  326,  25;  bei  diesem  letzten  vielleicht  durch  proven- 
zalischen  Einfluss. 

Ein  Bolognese  war  gewiss  auch  Messer  Polo1);  er  sagte  also 
fese  ( :  paesc)  für  fecc,  Val.  I,  128,  in  Uebereinstimmung  mit  seinem 


x)  Man  findet  ihn  zwar  Polo  di  Lombardia  genannt  (s.  Crescinilicni. 
III,  69);  aber  ohne  Zweifel  war  er  eine  Person  mit  Ser  Paolo  Zoppo  von 
Bologna,  dessen  Name  in  A,  297,  die  Canzone:  La  gravi  nöbilitate,  trägt, 
welche  anderswo  (B,  163;  Val.  I,  132)  Messer  Polo  beigelegt  wird.  Ferner 
wird  der  letztere  auch  als  Messer  Polo  di  Castello  bezeichnet,  und  dass 
dieser  aus  Bologna  gewesen,  zeigt  sich  in  Ser  Manno's  an  ihn  gerichtetem 
Sonette,  B,  352,  Prvpugnatore,  XI,  ln,  p.  2^9: 

Messer  Paulo  di  Bologna  nato 

E  di  Castel  chiamato  da  lencietti  (7). 
Damit  also  schwindet  wieder  einmal  ein  Einwand  gegen  eine  Aussage  d<> 
Buches  de  vulg.  el.  Dante  bemerkte  T.  15  ,  es  habe  keine  Dichter  aus 
Reggio,  Ferrara  und  Modena  gegeben,  und  man  führte  ihm  dagegeh  diesen 
Messer  Polo  di  Castello  als  einen  Reggianer  an  ^s.  Galvani.  Dubbi,  p.  IT;»  ti'.  . 
Er  war  aber  garnicht  dieses,  sondern  Bolognese.  Mit  den  anderen  Reggia- 
nern  und  Ferraresen,  die  man  aufzählt,  mag  es  dann  wohl  nicht  besser 
stehen.  Theils  ist  ihre  Heimath  unsicher,  theils  ihre  Zeit,  theils,  ol»  sie 
Dichter  gewesen. 


—     1 74 

Dialekt.     Woher    der    Bartolommeo    di    S.    Angelo    gewesen,    der 
(Val.  i.  131)  dise  (dice)  :  guise  reimte,  ist  nicht  bekannt. 

Die  stärkste  idiomatische  Färbung  zeigen  noch  heute  viele 
Gedichte  der  Toscaner  selbe]-.  (Irren  Dialekte  nur  wenig  von  der 
allgemeinen  Literatursprache  abwichen  und  um  so  mehr  verleiteten, 
in  ihre  besonderen  Eigentümlichkeiten  zu  verfallen.  Ein  Bolog- 
.  Lombarde,  Romagnole  hatte  die  conventioneile  Sprache  von 
anderswoher  empfangen;  seine  eigene  Mundart  war  von  ihr  bedeu- 
I  verschieden,  und  er  konnte  beide  nicht  so  leicht  mit  einander 
verwechseln.  Hingegen  stand  }r\u^  Sprache,  wie  sie  nun  auch  ent- 
standen sein  mochte,  jedenfalls  damals  dem  Toscanischen  s<  hr 
nahe,  und  so  identifizirte  sie  leicht  ein  jeder  mit  seiner  speziellen 
munizipalen  Sprechweise,  und  nahm  aas  der  letzteren  manches 
auf,  was  die  poetische  Sprache  im  Allgemeinen  nicht  acceptirt 
hatte,  da  sie  eben  nicht  schlechthin  sienesisch,  pisanisch,  auch 
nicht  ganz  und  gar  florentinisch  war.  Daher  denn  Dante's  beson- 
ders gegen  viele  Toscaner  gerichteter  Vorwurf,  dass  sie  munizi- 
pales volgare  schrieben,  wie  später  ja  noch  öfters,  z.  B.  von  Bembo, 
gegen  die  Florentiner  dieser  Tadel  erneuert  wurde,  dass  sie  die 
Schriftsprache  verdürben,  weil  sie  sie  gar  zu  gut  zu  kennen  glaub- 
ten.    Guittone  von  Arezzo,  hätte  er  selbst  seine  Sprache  bezeich- 

solleu,    würde    sie    gewiss    eher   aretinisch   als    italienisch 
nannt   haben,   da  er  ja   auch  von  Frate  Giacomo   da  Leona   sagte 
(Canz.  X.\ 

Francesca  lingua  e  provenzal  labore 
I'iii  dell'  Artina  e  bono  in  te  .  .  .  . 

Wie  sehr  nun  besonders  in  Bezug  auf  Guittone  Dante'-  Vor- 
wurf begründet   gewesen,    hat   bereits   Caix    (Mon.    Ant.)   nachge- 
ben.   Dem  Idiome  seiner  Vaterstadt  entsprechen  die  zahlreichen 
Formen    mit    o    aus    lat.    u    in    Position   und   e   aus    i   in    Position. 
die    von    denen    der   gewöhnlichen    Schriftsprache    sich    entfernen, 
•.conto)  für  punto,  Canz.  VII.  2;   vergogna  :  pugna,  also 
pogna,   Canz.    X..":    venti  (tnescienti)   für   vinti,   Canz.   IV,  3,   und 
dergleichen  unendlich  oft.    Dem  entspricht  lerner  ein  pertuso  (ino- 
;   für  pertugio,  Son.  12,  und   priso  (lavviso)  für  pregio,  Canz. 


—     175 

XX1T,  3,  und  Son.  124,  145,  159,  obwohl  die  genaueren  aretinischen 
Formen  pertusio  und  presio  waren  (vgl.  casione  bei  Ristoro,  Nan. 

Man.  II,  201).  Sehr  vieles  Mundartliche  rindet  sieh  sogar  ausser- 
halb des  Reimes,  und  hierbei  ist  zu  bedenken,  dass  die  Gedichte 
Guittone's,  sowie  sie  heute  gedruckt  vorliegen,  zum  grössten  Theile 
indirekt  aus  einer  Handschrift  herrühren,  die  von  Pisanerhand  ge- 
schrieben worden1),  und  da  dieselbe  sehr  alt  ist  und  nicht  lau 
nach  Guittone's  eigener  Blüthezeit  angefertigt  ward,  so  ist  man 
um  so  mehr  berechtigt,  die  aretinischen  Idiotismen,  die  man  da 
liest,  auf  die  Rechnung  des  Autors  und  nicht  etwa  des  Schreibris 
zu  setzen,  der  selbst  eine  andere  Mundart  redete.  Formen  also 
wie  deletto  (diletto),  Son.  170;  nobel  (nobile),  Canz.  XIV,  •';.  oder 
malvasio  (malvagio),  Ganz.  VIII.  1;  rasione  (ragiöne),  Ganz.  L.  4; 
spresio  (spregio),  Son.  153,  stammen  gewiss  von  Guittone  selber, 
und  so  das  spezifisch  aretinische  Conditional  malederea  (maldwia), 
Son.  167;  das  fb  (fuii)  nicht  bloss  im  Reime  (Ganz.  XXIII,  Gel.  2; 
XLIII,  2,  etc.),  sondern  auch  im  Verse,  Son.  36,  eine  Form,  die  sehr 
häufig  bei  Ristoro  von  Arczzo.  Dagegen  sind  Bildungen  wie  fievi- 
lezza,  Sun.  130;  mertevü,  Son.  135,  Eigenthum  des  pisanischen  Co- 
pisten. 

Dasselbe  gilt,  wenn  auch  in  weit  geringerem  Grade,  von  an- 
deren Aretinern  und  Sienesen.  Die  Reime  wie  spegne  :  destregne, 
Val.  II,  135,  bei  Ugo  di  Massa  aus  Siena;  vento  (vinto) :  guarnimento, 
Val.  II,  190,  bei  Folgore,  u.  dgl.  in.,  mögen  zwar  wieder  als  nicht 
besonders  charakteristisch  anzusehen  sein.  Dagegen  gilt  das  maio 
(igennajo)  für  mai  (magis),  welches  Gene  dalla  Chitarra,  Val.  II, 


l)  Es  ist  die  Redianische  Handschrift  in  der  Laurenziana .  welche  die 
Briefe  Guittone's,  und  Gedichte  von  ihm  und  Anderen  enthält;  aus  ihr 
waren  zum  grossen  Theil  die  Mss.  Biscionrs  und  Salvini's  abgeschriehen, 
welche  Valerlani  für  seine  Ausgaben  benutzte.  Bas-  der  Schreiber  der  Re- 
dianischen  Hs.  ein  Pisaner.  hat  in  Bezug  auf  die  Briefe  schon  Bottari  be- 
merkt; für  die  Gediehe'  zeigen  es  die  Varianten,  'die  Bartoli  Eiv.  di  Fil. 
Born.  II,  234  ff.)  aus  derselben  zu  den  ersten  Gedichten  hei  D'Anc  gab; 
dort  liest  mau,  in  Texten,  deren  Autor  ein  Sicilianer,  die  pisanisch-lucche- 
sischen  Formen:  mizo    miso),  i.  6;   anse  (anzi),  I.  25:  I-  29;  rin- 

chiozo,  II,  33. 


—     176     — 

196,  gebraucht,  als  ein  speziell  aretinisches  Wort1).    Derselbe  Cenc 
hat  ein  mcslo  für  misto  im  Verse,  Val.  II,  205. 

'Buonagiunta  Urbiciani  aus  Lucca,  dem  Dante  denselbeD  Vor- 
wurf macht  wie  Guittone,  reimte  nicht  nur:  piacensaipensa,  Val. 
1.473,  sondern  auch:  fortesse  [fortezze)  :  esse :  duresse  (durezze); 
feresse  (ferezze) : crudelesse  :paresse:stesse,  ib.  478;  grandessa  :  alle- 
gressaimessa,  ib.  496,  d.  h.  also,  er  zeigt  darin  gerade  zwei  her- 
vorstechende Erscheinungen  des  Pisanisch-Liicchesischen,  ss  für 
fiorent.  zz,  und  s  für  0  nach  Consonant2).  Ferner  reimte  er 
i'ostro:dosso,  Val.  I,  525,  wo  der  Cod.  Vat.  3214,  nr.  69,  nach  Man- 
zoni,  wirklich  vosso  setzt3).  Die  Gedichte  anderer  Lucehcsen  und 
Pisaner  sind  an  derartigen  Reimen  äusserst  reich,  so:  offensa-.po- 
tmza,  Pannuccio,  Val.  I,  354;  fermessa  :  altessa :  gravessa  :  s'appressa, 
ders.  ib.  384;  terso  (terzö) :  verso,  386;  stasso  (stazzo)  :  passo,  Bac- 
ciarone,  ib.  403;  impasso  (impazzo)  :  lasse-,  410;  pensa :  doglienza, 
417.  Die  Reime  wie  dieser  letzte  sind  auch  dem  Süden  möglich, 
nämlich:  penza  :  doglienza,  wie  Iacopo  da  Lentini,  D'Anc.  VII,  25: 
increscenza  :  penza,  und,  bei  der  Verwandtschaft  des  s  nach  Con- 
sonant mit  z,  erlaubten  ihn  sich  auch  die  Florentiner:  penza  : 
lenza :  difenza,  Guido  Orlandi,  Val.  II,  274;  Dante  sogar  umgekehrt: 
fersa  (ferza)  :  attraversa,  Inf.  25,  79.  Dagegen  kommt  das  ss  für 
zz  kaum  anders  als  bei  Pisanern  und  Lucchesen  vor4),  und,  wo 


')  s.  Nannucci,  Man.  I,  349,  n.  2.  und  Caix,  Man.  Ant. 

2)  In  Dante's  Beispielen,  vulg.  el.  I.  13:  gassara  (gazzarra)  als  luecbcsisch, 
Fioransa  als  pisaniseb. 

3)  Nosso,  vosso  soll  noch  heut  lebendig  sein  in  der  Montagna  Pisto- 
jese,  und  man  liest  es  bei  dem  alten  pistojesiseben  Uebersetzer  des  Alber- 
tano  da  Brescia,  s.  Nannucci,  Verbi,  743,  n.  •'>.  Dass  es  aber  nicht  bloss 
pistojesiscb,  sondern  aueb  pisaniscb-luccbesisch  gewesen,  beweist  dieses,  dass 
es  der  pisanisebe  Copist  von  Guittone's  Briefen  oft  gebrauchte,  s.  Bottari's 
Anmerkung  261.  Ebenso  steht  nosso,  vosso  im  Reime  in  Binrs  Mime  c 
Prose  del  Buon  Secolo  (Lucca,  1852),  p.  96.  in  einer  lauda,  die  auch  sonsl 
pisanisebe  Idiotismen  in'  grosser  Zahl  aufweist:  posso  für  pozzo,  4  mal,  tor- 
normo,  trovonno,  als  3.  pers.  plur.  perf.,  i><trlittc.  convertitte,  ec. 

■*)  Monaldo  da  Soffena  brauchte  jedoch  einmal  ausnahmsweise  passo 
für  pazzo,  Val.  II.  2;)7  (Palermo.  II,  112);  dies  aber  in  den  schwierigen  rims 
eguivocs. 


177     — 

man  es  sonst  antrifft,  hat  man  Grund,  an  der  Richtigkeit  der 
Attribution  zu  zweifeln;  so,  wenn  man  bdiesse  :  avesse  in  einem 
Sonette  liest,  das,  nach  Val.  I,  129,  von  Messer  Polo  sein  soll.  Und 
da  in  der  Canzone  Blasmomi  delV  Amore,  die  bei  Val.  I,  210  dem 
Rinaldo  d'Aquino  zugeschrieben  ist,  wie  auch  in  P  (p.  94)  und 
B  (232),  ein  distrignesse  :  manchesse  (manchezse)  :  tenesse  :  bellesse : 
altesse :  fallesse,  steht,  so  muss  mau,  wie  so  oft,  dem  Cod.  A  (110) 
Recht  geben,  der  das  Gedicht  vielmehr  dem  Tiberto  Galliziani 
aus  Pisa  beilegt. 

Manche  andere  Eigenthümlichkeiten  finden  sich  dann  wieder 
innerhalb  des  Verses,  und  sie  wären  hier  wichtiger,  weil  ohne 
Zwang  des  Reimes  gesetzt.  Aber  nun  ist  der  Fall  umgekehrt 
wie  bei  den  Sienesen  und  Aretinern;  denn  da  der  Copist  vieler 
vou  diesen  Gedichten  dieselbe  Mundart  sprach  wie  der  Verfasser, 
so  wissen  wir  nicht  mehr,  welchem  von  beiden  die  einzelnen  dia- 
lektischen Elemente  angehören.  Findet  man  bei  pisanischen  Dich- 
tern Formen  wie  ficcilczza,  Val.  I,  381,  ingannevile,  386,  suggiugato, 
358,  so  entsprechen  sie  zwar  sehr  wohl  dem  Dialekte  der  Ver- 
fasser; aber  diese  konnten  sie  doch  vermieden,  und  der  ungebil- 
detere Schreiber  dieselben  erst  nachher  in  die  Texte  gebracht 
haben.  So  die  Conditionale  3.  Pers.  sing,  wie  sre  (sarebbe),  Val. 
I,  394,  401,  411,  470,  fard  (farebbe),  ib.  397,  entsprechend  denen 
der  Fragm.  Hist.  Pis.  655:  are'  (avrebbe);  Bandi  Lucch.  p.  4:  godere\ 
procedere',  etc.;  und  dazu  die  3.  Pers.  plur.  potreno  (potreb- 
bero),  Val.  I,  393,  wie  die  Bandi  Lucch.  nr.  195:  farenno,  darenno, 
etc.  So  das  häufige  a,  nicht  bloss  für  ubi,  sondern  auch  für  aut; 
die  3.  Pers.  plur.  auf  eno  statt  ono:  segnen  (seguonö),  prenden, 
cövren,  creden,  lücen,  dicen,  etc.  Val.  I,  401,  402,  446,  450.  In  der 
Handschrift  Recli's  selber  stehen  übrigens  diese  Texte  in  einer 
noch  viel  stärker  mundartlichen  Form  als  in  der  Ausgabe  Vale- 
riani's.  Dies  zeigt  die  Canzone  des  Gallo  Pisano:  In  dlta  donna 
ho  misa  mia  mtmdansa  (s.  D'Anc.  LXIV),  die  Crescimbeni  (III, 
nach  jener  Hs.  veröffentlichte,  mit  Formen  wie  solasso  (sd/o . 
altessa  u.  dgl.  auch  im  Verse.  Ein  Sonett  Pucciandone  Martelli's 
hat  sich  durch  seinen  iibergrosseu  Reichthum  an  Binnenreimen 
auch    bei   Valeriani   (I,  466)    besonders    viele    Idiotismen    erhalten: 

12 


—     17s     — 

aber  die  Form,  in  der  es  Redi  (Annot.  zu  v.  428  des  Ditir.),  wie  er 
angiebt,  genau  nach  seinem  Ms.  publizirte,  bietet  noch  einiges 
Mundartliche  mehr 1). 

Nachdem  bis  hieher  von  den  mundartlichen  Elementen  die 
Rede  gewesen  ist,  welche  je  nach  den  verschiedenen  Gegenden 
sich  in  die  alte  Dichtersprache  einmischten,  bleibt  es  übrig,  die- 
jenigen Eigentümlichkeiten  zu  betrachten,  welche  allen  Gegenden 
gemeinsam  sind,  und  welche  eben  der  Ausdrucksweise  der  ältesten 
Lyriker  ihren  einheitlichen  Charakter  geben.  Es  sind  dieses  theils 
solche  Elemente,  welche  aus  den  südlichen  Dialekten  stammen 
und  mit  der  poetischen  Tradition  von  dort  weiter  verpflanzt  wor- 
den, theils  solche,  die  den  Einfluss  des  Provenzalischen  bekunden. 
Einiges  Andere  erklärt  sich  aus  den  toscanischen  Mundarten  selber. 

Die  Einwirkung  der  italienischen  Dialekte  auf  die  alte  Dich- 
tersprache hat  Caix  bereits  mehrfach  untersucht2),  und  auf  seine 
Ausführungen    stütze  ich  mich  theilweise  bei  den  folgenden   Be- 


*)  Auch  in  Bezug  auf  die  übrigen  Hss.  der  alten  Lyriker  wäre  noch 
zuzusehen,  welches  der  Dialekt  der  Schreiber  gewesen.  In  der  vaticanischen 
Hs.  3793  fehlen,  soweit  sie  publizirt  ist  (und  so  wohl  bis  Canzone  305,  bis 
wohin  die  Hand  des  ersten  Schreibers  reichen  soll\  hervorstechende  idioma- 
tische Besonderheiten,  so  dass  man  glauben  möchte,  der  Schreiber  habe 
dem  Gebiete  des  Florentinischen  angehört.  Die  Formen  chiace  (piace),  D'Anc. 
LVIII,  19,  chiano  (piano),  XXI,  30,  stehen  ganz  vereinzelt,  und  werden  von 
den  südlichen  Autoren  herrühren  (auch  V,  111  ist  chiacensa  zu  bessern  aus 
cht  ä  senza;  Val.  piacenza).  So  könnte  auch  das  sienesische  contiato  für 
contato,  T.XX.  8,  aus  der  Mundart  des  Verfassers  stammen,  da  das  Gedicht 
anonym  ist.  Was  sonst  noch  auffallen  möchte,  sind  die  Schreibungen  sc 
und  sg  für  das  heutige  g  zwischen  Vocalen,  also  ascio,  presgio,  u.  dgl.,  beide 
Weisen  auch  in  dem  nämlichen  Gedichte  vorkommend.  Die  erste  Schrei- 
bung, entsprechend  der  Aussprache  s,  war  in  der  alten  Zeit  sehr  allgemein, 
vom  Sicilianischen  hinauf  bis  zum  Pistojesischen.  sg  ist  mir  nur  aus  den 
Lettere  Senesi  und  den  altumbrischen  Uffici  bekannt,  wo  es  gleichfalls 
mit  sc  vermischt.  Was  die  Aussprache  betrifft,  so  ist  anzunehmen,  dass 
sich  sg  zu  sc  verhalten  habe  wie  g  zu  c:  sg  in  rasgione  würde  also  eben 
den  Laut  des  florentinischen  g  zwischen  Vocalen.  denselben  wie  französ.  j 
bedeuten. 

2)  J.'i  Formazione  degli  Idiomi  Letterari,  in  ispecie  deW  Italiano. 
Nuova  Antologia  di  Firenze,  XXVII,  p.  35  u.  288,  s.  besonders  p.  296. 
Osservazioni  sul   Vocalismo  Italiano,  Firenze,  1875. 


—     179     — 

rnerkungen.     Zunächst  sind   es   einige  Erscheinungen   des  Yocalis- 
mus.  um  die  es  sich  hier  handelt: 

1.  Betontes  latein.  e  und  ö  bleiben  meist  undiphthongirt, 
wie  vene,  tene,  omo,  loco.  Es  ist  dieses  wohl  bekannt  aus  dem 
Sicilianischen;  die  Dialekte  des  südlichen  Festlandes  verfuhren 
anders,  wogegen  sich  das  alte  Aretinische  hierin  mit  dem  Sicilia- 
nischen begegnete;  es  belässt  e  immer  (Caix,  Yoc.  30),  und  das  ö 
wenigstens  in  den  meisten  Fällen.  Der  Einfhiss  dieser  näher  ste- 
henden Mundart  mag  also  der  Erscheinung  diese  Herrschaft  ver- 
schafft haben,  welche  in  der  poetischen  Sprache  noch  in  die  mo- 
derne Zeit  fortdauert.  Den  anderen  toscanischen  Idiomen  ist  sie 
wenigstens  nicht  charakteristisch,  obschon  man  undiphthongirte 
Formen  auch  in  den  Lettere  Senesi  und  Band!  I/ucchesi  findet. 

2.  e  vor  Vocal  ungeändert,  wie  in  eo,  Deo,  meo,  etc.  ist  dem 
Sicilianischen  nicht  fremd,  aber  dort  mit  den  anderen  Formen 
gemischt,  consequenter  dagegen  im  alten  Aretinischen  vorhanden. 
und  also  eher  aus  diesem  herstammend  (Caix,  Yoc.  22). 

3.  Begünstigung  des  Diphthongs  au  in  betonter  und  tonloser 
Silbe.  In  betonter  Silbe  ist  es  das  ursprüngliche  lateinische  au, 
welches  in  ö  überging,  aber  in  der  poetischen  Sprache  sich  viel- 
fach erhielt,  so  auro,  tesauro,  anso  (bso),  laude,  fraude,  gaude. 
In  unbetonter  ist  es  theils  ebenso:  laudare.  audire,  augello,  tau- 
pmo1),  oder  es  hat  sich  aus  einem  ursprünglichen  o  gebildet: 
aunore  oder  aonore,  aulente,  audore,  caunosceiua  oder  caonoscensa, 
auoidere,  auriente  (Oriente,  Val.  II,  234).  Die  Erhaltung  des  be- 
tonten au  ist  vielen  alten  Dialekten  gemeinsam,  aber  die  des  ton- 
losen au  in  erster  Silbe  und  der  Uebergang  des  tonlosen  o  in 
jenes  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  südlichen  Mundarten,  sieil. 
auceddu,  aueidiri,  ausari,  u.  s.  w.,  neapol.  auciello,  auliva*),  wo- 
für denn  auch,  wie  bei  den  Alten,  die  Schreibung  ao,  z.  B.  aoUva 
in  den  Gedichten  Sgruttendiu's,  p.  25-2.  Das  Provenzalische  besitzt 
theilweise    die    nämliche  Erscheinung,    was.    wie   Caix    vermuthet, 


')  taupino  aus  tedpino,  8.  Dicz.  Et.  W.  II.  435. 

-    vgl.  Diez,  Gr.  I,  393:  Schuchardt,  Voc.  II.  304;  Aücoli,  Arch.  Glott. 
I.  505. 

12* 


—       ISO 

dazu  beitragen  mochte,  jener  Bildlichen  Neigung  Eingang  zu  ver- 
schaffen. Aus  dem  Süden  wird  wohl  auch  der  häufige  Uebergang 
des  o  in  tonloser  erster  Silbe  zu  dem  bier  allgemein  begünstigten 
a  stammen,  z.  B.  canoseenza,  afesi  (D'Anc.  IX,  14),  ahnte  (V,  29), 
urgoglioso  (XLVII,  8),  wie  sicil.  aceddu,  aliva,  canusciri,  affenniri, 
aeapol.  affennere,  etc. 

Nicht  selten  begegneu  bei  den  alten  Dichtern  auch  Worte 
mit  anderen  Diphthongen:  ai,  oi,  ei,  an  deren  Stelle  die  heutige 
Sprache  nur  noch  einfache  Laute:  a,  o,  e,  kennt.  Zum  Theil  sind 
dieses  wieder  die  archaischen  Formen,  aus  denen  sich  die  späteren 
eidwickelt  haben.  So  bailia,  jetzt  balia,  -während  in  der  beton- 
ten Silbe  noch  das  ai  bestellt:  bailo  (bajulus);  Guittone,  Tanz. 
IV,  5,  hat  auch  bailito  „beherrscht";  bailia  selbst  ist  sehr  häufig 
und  findet  sich  unter  anderm  auch  Band.  Lucch.  p.  99.  In  den 
oft  gebrauchten  guaita,  guaitare,  aguaito,  u.  s.  w.  stammt  das  it 
aus  althochd.  ht,  welches  hier  ausnahmsweise  nicht  wie  latein.  et 
behandelt  worden  (Diez,  Gr.  I,  322),  weshalb  auch  jetzt  guatare 
(nicht  guatfare);  vgl.  Fragm.  Hist.  Tis.  guaito,  659;  aguaito,  659, 
GG1,  und  neapol.  noch  heut'  agguajeto.  In  guaire  für  das  ge- 
wöhnliche gua/ri,  Val.  I,  341,  Guittone,  Ganz.  VI,  2  und  öfter,  ist 
das  i  entweder  attrahirt  oder  ursprünglich,  je  nach  der  Etymolo- 
gie, die  man  annimmt;  prov.  gaire.  Auch  gueri  in  der  Rosa  fresca 
braucht  nicht  gerade  französisch  zu  sein;  es  könnte  sich  zu  guari 
verhalten,  wie  cavaleri  zu  caballarius.  faire  ist,  nach  Ascoli's 
Auseinandersetzungen,  Arch.  Glott.  I,  81  f.,  durch  die  Stufen  fagere, 
fajere  aus  facere  abzuleiten,  und  traire  entspricht  einem  HragWe 
(ib.  82).  So  erklärt  sieb  denn  falte,  Val.  II,  253,  Guittone,  Son.  14, 
und  oft  in  den  Briefen,  aus  fafte  =  facite.  Guittone.  Lett.  p.  54, 
hat  auch  ein  faie  (facit)  wie  vom  Infinitiv  faiere,  und  in  den 
alten  sienesischen  Briefen  findet  sich  das  ganze  Yerbum  so  conju- 
girt:  faite,  p.  38,  58,  88,  etc.,  faieva,  25,  faiese,  28,  43,  etc..  faie- 
sero,  27,  fairste.  30,  u.  s.  w.  Die  Entstellung  des  modernen  /'an. 
fate  selbst  könnte  sich  aus  diesen  alten  Formen  mit  ai  erklären. 
wenn  auch  weiterhin  die  Analogie  walten  mochte;  dann  wäre  fare, 
fatt  durch  faire,  faite  aus  facere,  facitis  entstanden,  wie  piato 
aus  placit um  durch  *piaito  I  Ascoli,  ib.  80),  altrömisch   Fragm.  Hist. 


—     181     - 

Born.  413:  piaiti,  ueapol.  chiajeto.     Und  dem  würden  entsprechen 

die  trarc  und  -  (iure  aus  trawe,  *duire,  die  so  oft  bei  den  Alten 
im  Reime  vorkommen.  So  entstand  ferner,  nach  Sehuchardt  und 
Thomsen  (Romania,  IV,  256  f.  u.  257  —  262),  voito,  die  alte  Form 
von  vuoto,  ans  *vocitus;  für  dieses  voito  und  das  zugehörige  Ver- 
bum  voitare  giebt  zahlreiche  Beispiele,  fast  nur  von  Pisanern, 
Bottari,  Guittone,  Lett.  n.  4.  Aehnlich  verhält  es  sich  auch  mit 
traeoitato  (traccotato),  Guittone,  Son.  120,  Lett.  p.  73,  aus  Hrans- 
cogitatus;  coitoso  (*cogitosus),  Dante  da  Majano,  Val.  II,  449.  — 
duitu  aus  dubito  (dotto)  steht  in  der  sicilianischen  Canzone  Ste- 
fano's  bei  Barbieri,  str.  4:  preite  aus  *prebyter  statt  presbyter  ist 
häufig  bei  den  Alten,  auch  Hist.  Pis.  659,  660,  Hist.  Rom.  321,  411. 
Guittone,  Lett.  p.  67,  hat  eitade  (eta),  und  noch  heut'  neapol. 
ajetate,  sicil.  aitati1).     Ist  es  aus  altlat.  aevitatem? 

Andere  diphthongische  Formen  entstanden  durch  Attraktion 
des  i:  mainer a,  sehr  häufig,  wohl  bekannt  aus  den  nördlichen 
Mundarten,  bei  Gidino  da  Sommacampagna  und  Bonvesin,  aber 
auch  die  Lett.  Sen.  haben  mainiera,  p.  39.  So  mainer o  (sonst 
maniero),  Val.  I,  457  (prov.  mainiers);  estraino  (stranio),  Guittone, 
Lett.  15  u.  74:  paine  (panie),  ib.  10,  woraus  sich  Dante's  pane 
erklärt;  bointä,  ib.  67,  aus  bonitä,  welches  sich  an  vielen  anderen 
Stellen  der  Briefe  findet;  cointezza,  Guittone,  Canz.  V,  Gel.  1,  aus 
*coguititia  (altfrz.  cointise);  ointa  (onta),  Guittone,  Canz.  XI,  2, 
ointoso,  Val.  I,  408,  mit  Attraktion  des  im  deutschen  Grundworte 
enthaltenen  i,  gleichsam  *onita,  *onitoso;  traeoitato  ward  weiter 
zu  traicotato,  Guittone,  Canz.  XXXI,  3.  Mit  diesen  ist  zusam- 
menzustellen vaire  (varie),  Hist.  Rom.  279,  meitä,  Lett.  Sen.  52 
und  sehr  oft  in  den  Band.  Lucch. 

In  aire  iaere)  ist  das  tonlose  e  in  i  übergegangen;  airo  auch 
Hist.  Rom.  281,  neapol.  heut'  noch  ajero.  Aehnlich  erklären  sich 
die  Formen  rei  (re)  bei  Guittone  (Bottari,  Lett.  n.  212),  auch  in 
den  Lett.  Sen.  stets  rey;  ferner  mei,  tei  {nie,  te),  ebenfalls  oft  in 
Guittone's  Briefen  und  sonst  auch  Val.  II,  17,  34,  211;  Trucchi.  I,  94; 


')  Pitre  im  Glossar  zu  den  Fiabe,  mit  dem  Zusatz  „voce  iimilc,  ma  non 
plebea". 


32 

D'Anc.  LXXI,  29.  Sie  sind  nämlich  wahrscheinlich  aus  den  sehr 
häutigen  Formen  mit  paragogischem  e  :ree}  nu  • .  ti  e,  hervorgegangen, 

vermöge  der  dem  Toscanischen  eigenen  Neigung  zum  tonlosen  i 
im  Auslaute. 

Unerklärlich  ist  mir  dagegen  das  erraita,  Guittone,  Lett. 
p.  2,  nach  Bottari  für  erratet;  aituti  (von  attutare  „auslöschen"), 
derselbe,  Son.  14h1):  ferner  das  vielbesprochene  maiiino,  das  be- 
sonders in  den  Idiomen  Frankreichs  und  Norditaliens  verbreitet2), 
di  ich  auch  dem  Süden  nicht  ganz  fremd  ist,  wie  das  von  D'Ovidio, 
Arch.  Glott.  IV,  182,  angeführte  maitenata  des  Dialektes  von  Campo- 
basso  bezeugt.  Endlich  ist  auch  aigua  für  acqua  nach  den  Laut- 
gesetzen Süd-  und  Mittelitaliens  nicht  verständlich;  dagegen  besitzt 
es  wieder  das  Provenzalische  und  Norditalienische,  und  in  den 
lombardischen  Colonieen  Siciliens  spricht  man  noch  beut'  eigtias). 
Soll  man  annehmen,  dass  es  von  hier  in  die  südliche  Dichtersprache 
eingewandert  sei,  da  ja  freilieb  diese  seit  dem  11.  Jahrhundert 
entstandenen  Colonieen  im  13.  viel  bedeutender  waren  als  heut'? 
Sonst  müsste  man  das  Wort,  welches  sogar  in  dem  von  Dante 
citirten  Verse  des  Guido  delle  Colonne  steht,  für  einen  Provenza- 
lismus  halten,  wie  D'Ovidio  thut,  Arch.  Glott.  II,  99,  n. 

Bei  den  meisten  dieser  Formen  indessen  ist  es,  wie  wir  sahen, 
nicht  nöthig,  sie  aus  den  entsprechenden  provenzalischen  herzu- 
leiten, wie  man,  durch  die  Aehnlichkeit  bewogen,  öfters  gethan 
bat;  auch  sind  sie  nicht  dem  Süden  speziell  eigentbümlich;  es  sind 
eben  archaische  Bildungen,  grossentbeils  diejenigen,  aus  welchen 
die  moderneren  Formen  der  betreffenden  Worte  erst  entsprangen 
sind,  daher  meist  gemeinitalieniscb  und  nicht  bloss  in  der  alten 
Dichtersprache,  sondern  auch  in  anderen  Denkmalen  zu  finden4). 


r)  in  einem  Denkmal  Norditaliens  findet  sieh  pmtane  für  puttane, 
Ilir.  da  Fil.  Rom.  II,  45,  das  auch  Mussafia  anerklärlich  war. 

2)  s.  Diez,  Et.  W.  I,  261;  Mussafia,  Glossar  zu  den  Monwmnü  Anficht 
di  Diäl.  Ital.  und  Beitrag;  Arch.  Glott.  1.  432. 

3)  in  Xicosia;  s.  Vigo,  Conti  popöl.  2.  ed.  18705  p.  52. 

4)  Es  ist  bemerkenswerth,  dass  in  der  vatic.  Hs.  3793,  soweit  sie  von 
D'Ancona  publizirt  ist,  ausser  dem  mei  im  Pieime,  und  mehrfach  maitino, 
maitina,  keine  von  diesen   diphthongischen  Formen   vorkommt,   auch  statt 


—     183     — 

Auf  die  südlichen  Dialekte  hingegen  weisen  wiederum  ver- 
schiedene bei  den  ältesten  Dichtern  sehr  gewöhnliche  Verbalformen: 

ajo  und  aggio  statt  der  toscanischen  ho  oder  ahbo,  und 
Conj.  aja,  aggia  (s.  Caix,  Form.  296);  sicil.  faaju,  im  Dialekte  von 
Note:  agghiu,  neapol.  aggio,  altrömisch  liajo.  In  den  ältesten 
toscanischen  Prosaschriften  findet  sich  ein  ajo  oder  aggio  niemals, 
ebensowenig  saccio  (sapio)  oder  deggio  (debeo),  Formen,  die 
gleichfalls  dem  Sicilianischen,  Neapolitanischen,  Altrömischen  ge- 
meinsam sind.  Mit  ajo,  aggio  sind  gebildet  die  alten  Futura  wie 
sar.ajo,  faraggio,  etc.,  sicil.  sarrb  oder  sarroggiu,  aber  neapol. 
sarraggio,  altröm.  sarajo,  Hist.  Rom.  407,  farajo,  807,  und  oft. 
Diese  alterthümlichen  Futura,  sehr  häufig  in  der  sicilianischen 
Dichterschule,  finden  sich  bei  Dante  und  seinen  Nachfolgern  nicht 
mehr;  Boccaccio  wendete  sie  noch  in  den  lyrischen  Gedichten  an; 
er  schrieb  eben  in  Neapel;  aggio  selbst  erhielt  sich  lange,  und 
deggio  gebraucht  die  Dichtersprache  bis  heut',  während  saccio  frühe 
verschwand;  auch  dieses  verwendete  noch  Boccaccio. 

Die  3.  Person  sing.  Perf.  auf  ao,  eo,  io.  Sicilianisch  heut' 
amau,  temiu,  satt  in,  Fra  Simone:  amao,  etc.  Hist.  Rom.  comen- 
zao,  251,  durao,  253,  poteo,  267,  morio,  255,  u.  s.  w.  Neapol.  heut' 
(iu/(i je,  temie,  sentie,  aber  in  älteren  Denkmalen  des  Dialektes  wie 
in  der  Chronik  des  sogenannten  Giovanni  Villani:  ordenao  (cap. 
XVII),  perdio  (cap.  XVIII).  Auffallend  ist  es,  dass  die  Formen  auf 
ao  ein  verschiedenes  Schicksal  von  denen  auf  eo  und  io  gehabt 
haben.  Jene  finden  sich  allein  bei  Dichtern  vor  Dante,  wogegen 
die  3.  Person  Perf.  auf  eo  und  io  auch  Dante  selbst,  Petrarca  und 
Boccaccio    beibehielten,    und    nach    ihrem  Beispiele    die  poetische 


aigua  stets  agua.  Dieses  mag  daher  rühren,  dass  in  Florenz  früher  als 
anderswo  jene  archaischen  Formen  erloschen.  Anders  ist  es  in  einigen  von 
Grion,  Serventese,  p.  44  ff.,  veröffentlichten  Gedichten,  die  in  derselben  Hs. 
von  einem  anders  redenden  Schreiber  stehen.  Dort  liest  man  nicht  bloss 
strainero,  sondern  auch  raigione,  caigione,  und  anch  in  der  palat.  Hs.:  aigua, 
faite,  mainer a,  bailia  (nach  den  Drucken  bei  Palermo,  II,  98  ff.).  Das 
Meiste  dieser  Art  scheint  aber  die  von  I'isanerhand  angefertigte  Redianische 
IIs.  zu  enthalten. 


-     134     — 

Sprache  bis  auf  den   heutigen  Tag;    die   auf  eo  gingen  dabei  oft 
in  io  über;  venäeo  ward   vendio,  wie  ^rc«  zu  owwb  wurde. 

Seltener  als  die  3.  Person  ist  die  erste  Pers.  sing.  Perf. 
auf  (io,  eo,  io;  toccao  für  toccai,  D'Anc.  LX,  10,  nach  der  Hs. 
B,  241  (Prqpugnatore,  X.  2°)  gelesen,  welche  hier  allein  einen  Sinn 
giebt: 

L'  aulente  bocca  e  le  meinie 

De  lo  petto  le  toccao, 

Fra  le  nne  braccia  la  tenne, 

Basciando  mi  domaudao. 
perdeo  für  perdei,  D'Anc.  LXY1II,  37: 

Eo,  che  perdeo,  vi  chcro. 
Guido  Cavalcanti  in  der  ballata:  In  un  boschetto,  sagte  udio  für 
/!<(//.  sentio  für  sentü.  Andere  Beispiele  aus  dem  Dittamondo, 
Guittone's  Briefen,  Francesco  da  Barberino  und  den  Cento  Novelle, 
bei  Nannucci,  Verbi,  162,  f.  Zu  Grunde  scheinen  zu  liegen  die 
sicilianischen  Perfecta  purtaju,  ripitiju,  fniijn,  Pitre,  Fiabe,  I, 
p.  CCXVII,  die  freilich  dem  Palermitanischen  heut'  fremd  sein  sollen. 
Die  gewöhnliche  sicilianische  Perfektbildung  zeigt  sich  in  den 
Formen  wie  audivi,  D'Anc.  I,  27,  VIII,  32,  oder  partivi,  LXIX,  2, 
und  es  sind  durchaus  keine  blossen  Latinismen,  wie  Bartoli  glaubte1). 
Liest  man  audivi  bei  Dante,  Inf.  2G,  78,  so  ist  es  da  allerdings 
für  einen  Latinismus  anzusehen. 

Die  Participia  auf  uto  von  Verben  auf  ire  sind  noch  heut' 
sicil.  und  neapol.,  auch  Hist.  Rom.  partuta,  203,  falluta,  ib., 
feruti,  2C.7.  bestuto  (vestito),  291,  u.  s.  w.  Sie  blieben  bei  Dante 
und  Petrarca,  und  so  verschmäht  sie  auch  die  heutige  Dichter- 
sprache nicht  ganz. 

Auch  den  Imperfekten  auf  ia  statt  ea  der  Verba  auf  ere, 
wie  avia,  tenia,  die  im  Reime  von  der  ältesten  bis  auf  die  neueste 
Zeit  angewendet  wurden,  hat  man  bisweilen  sicilianischen  Ursprung 
zugeschrieben,  aber,  wie  es  scheint,  nicht  mit  Hecht.  Es  liegt 
hier  nicht  der  gewöhnliche  Uebergang  von  e  in  i  vor;  denn  auch 
Dialekte,  die  e  nicht  in  i  verwandeln,  besitzen  diese  Formen,  und 


1 1   /  primi  due  Secoli,  p.  14G,  u.  2. 


-     185     - 

im  Sicilianisclien  selbst  steht  ama  neben  aveva  (nicht  aviva). 
Der  Uebergang  des  kurzen  e  in  i  vor  a,  o,  c  ist  dem  Toscanischen 
gerade  besonders  eigen,  wie  Bio,  mio,  mia,  mir;  cria  (crea)  bei 
den  Alten,  auch  Petrarca;  das  lange  e  kann  sich  aber  in  solcher 
Stellung  unmöglich  besser  behauptet  haben1),  und,  wenn  die  Sprache 
avea,  tenea  beibehielt,  so  geschah  es,  um  die  Conjugationen  nicht 
zu  vermischen;  vor  Alters  jedoch  werden  die  anderen  Formen  mit 
/',  wenn  auch  als  weniger  gebräuchliche,  daneben  bestanden  haben; 
der  Zwang  des  Reimes  brachte  sie  dann  zum  Vorschein.  Aber 
ganz  fehlen  sie  in  alten  toscanischen  Prosaschriften  nicht;  Ristoro 
d'Arezzo  hat  facieno,  receviano,  Nan.  Man.  II,  202,  conosciano,  ib., 
diciano,  203.  Die  Lett.  .Sen.  dovieno,  p.  29,  45,  solieno,  p.  41. 
Hist,  Pis.  tenia,  658,  combatticno,  659,  voliano,  666.  Ebenso  wie 
aus  avea  —  avia,  entstand  dann  auch  dia  aus  dea  (debeat),  wel- 
ches sehr  häufig  bei  Guittone,  auch  ausserhalb  des  Reimes,  und 
ebenso  in  Prosa,  in  den  Conti  di  Antichi  Cavalieri,  die  in  alt- 
aretinischer  Mundart  abgefasst  sind2). 


x)  s.  hierüber  Canello,  Zeitschrift  für  roman.  Phil.  I,  512. 
2)  Dieses  dia  oder  dea  Guittone's  und  Anderer  scheint  meistcntheils 
richtiger  übersetzt  als  erklärt  worden  zu  sein.     Es  steht  in  Indicativbedeu- 
tung,  z.  B.  Guittone,  Canz.  XXII,  1: 

Oh  che  crudele  ed  amarore  amaro 

Nella  perdita  tua  gustar  dea  core. 
wo  man  jetzt  sagt:  gustar  deve;  oder  die  Conti  di  Ant.  Cav.  p.  4:  Sono 
queste  le  gioje,  che  d'amore  diano  venire?  Ristoro  d'Arezzo,  Nan.  Man. 
II,  204:  Lo  cielo  ....  se  dea  movare  suavissimamente.  —  Nannucci  wandte 
darauf  (Man.  1, 178,  n.  10;  II,  204,  n.  8;  Verbi,  593)  sein  bekanntes  Universal- 
mittel an;  aus  devere  ward  deere,  daraus  deare  und  diare,  u.  s.  w.  Er  hatte 
aber  dabei  nicht  bemerkt,  dass  Guittone  dia  auch  als  erste  Person  gebraucht. 
Canz.  XXVI,  4: 

Amor,  piü  ch'  altr'  uom  dia 

Te  piacer  per  ragione. 
d.  h.  „ich  muss  dir  mehr  gefallen",  und  Son.  155: 

Che  servir  mc  ne  te  for  lui  nou  dia, 

Ma  vietar  deggio. 
„non  devo  servire  mc  ne  te  senza  lui".    Beiläufig  hat  es  so  auch  ein  iranco- 
italienischer  Text,    der    von  Rajua    publizirt   in   GiurnaJc  <li   l-'tl.    Rum.  I, 
p.  36,  v.  130: 


-     186     — 

Demnach  wird  es  auch  zweifelhaft,  ob  die  Conditionale  in 
ia,  wie  avria,  saria,  wirklich  aus  Unteritalien  gekommen  sein 
müssen,  wie  Caix  annimmt;  denn,  da  das  alte  Aretinische  amarea, 
sarea,  u.  s.  w.  hatte,  so  war  von  hier  der  Schritt  zu  amaria  der- 
selbe wie  der  von  avea  zu  avia,  und  nicht  untoscanisch.  Von 
ganz  reinen  Denkmalen  dieser  Mundart  ist  nur  noch  gar  zu  wenig 
bekannt  gemacht,  um  entscheiden  zu  können,  nämlich  nur  das 
kleine    Stück    des    Ristoro    bei    Nannucci,      Die   Conti   dl  Antichi 


Cil  que  serf,  fe  que  vos  dia, 

A  l'altrui  sen  senpre  se  guia. 
wo  das  fe  que  vos  dia  —  „meiner  Treu"  der  altfrauz.  Betheuerungsforniel: 
foi  qice  vos  doi,  entspricht.  Ferner  brauchte  Francesco  da  Barberino  dia 
als  2.  Person,  wie  Ubaldini  richtig  anmerkte.  iNannucci  citirt  die  erste 
Stelle  Guittone's  und  die  Francesco's,  aber  ohue  sie  zu  verstehen,  da  er  sie 
unter  dia  3.  Pers.  setzt.)  In  Wirklichkeit  ist  dia  oder  dea  gleich  debba, 
der  regelrechte  Conjunktiv  zu  deo  =  dero.  Wenn  aber  hier  der  Coujunktiv 
anscheinend  statt  des  Indicativ  verwendet  ist,  so  beruht  dieses  auf  dem  all- 
gemeinen Gebrauche  der  Alten  (und  nicht  bloss  der  Italiener),  die  auch 
dobbiatc,  deggiate  sagten,  wo  wir  dovete,  z.  B.  D'Anc.  XXIV,  78,  XXV,  18, 
XXXIV,  22,  und  bei  anderen  unendlich  oft;  d.  h.  sie  gebrauchten  von  dem 
Verbum  des  Müssens  den  Conjunktiv  gleichsam  mildernd  für  die  schroffe 
Behauptung  der  Nothwendigkeit.  So  hat  Guittone  selbst  statt  des  dea  auch 
deggia,  Ganz.  XXIII,  4,  und  degie  im  Sinne  von  dem,  steht  D'Anc.  LVI, 
32,  degia  ib.  LVIII,  3  und  Val.  I,  535,  wozu  freilich  Nannucci,  Verbi, 
588,  auch  wieder  seinen  Infinitiv  degiare  in  Bereitschaft  hat  uind  ein  prov. 
deiarf).  Die  Aussprache  dea  und  dia  könnte  speziell  aretinisch  gewesen 
sein;  denn  es  muss  auffallen,  dass  es  gerade  bei  Guittone  in  den  Gedichten 
und  Briefen  so  unendlich  häufig  ist,  und  dass  alle  anderen  Beispiele,  welche 
man  dafür  kennt,  ausser  dem  einen  Francesco  da  Barberino,  der  ja  über- 
haupt sich  die  meseidanzc  gestattete,  nur  aus  aretinischen  Denkmalen  her- 
rühren, nämlich  Ristoro,  den  Conti  di  Amt.  Cur.  und  einem  Gedichte  des 
Giovanni  dall'  Orto  aus  Arezzo,  d.  h.  nach  dem  Citate  bei  Ubaldini,  welches 
auch  Nannucci,  Verbi,  593,  von  ihm  herüberuahm,  während  in  seinem  eige- 
nen Manuale,  I.  226,  und  bei  Val.  II,  98,  das  dea  der  Stelle  in  dee  umge- 
wandelt ist.  Verbreiteter  dagegen  sind  die  Formen  die,  plur.  dieno, 
welche  eben  dieselben  Coujunktive  sind,  die  und  dieno  aus  dia  und  diu  im. 
wie  sie  und  sieno  aus  sia  und  siano.  Beispiele  für  diese  bei  Ubaldini  und 
bei  Nannucci,  Verbi,  592  f.  Besonders  häufig  liest  man  die,  dieno  im  Sinne 
von  deve,  devono,  in  den  Lettere  Senesi    p.  11,  30,  38,  45,  u.  s.  w.). 


—     187     - 

Cavcdieri  haben  viele  solche  Couditiouale  in  ia;  aber  in  ihnen 
ist  der  Dialekt  nicht  unvermischt. 

Als  echt  sicilianische  Form  kann  man  noch  das  staresse  (sicil. 
starissi),  D'Anc.  VIII,  29,  anführen. 

Bekanntlich  giebt  es  bei  den  alten  Dichtern  noch  ein  an- 
deres Conditional,  das  gebildet  aus  dem  lat.  Plusquaniper- 
fectum  in  die.  sich  noch  zuletzt  in  Dante's  soddisfara  zeigt. 
Aber  bei  den  Dichtern  der  höfischen  Schule  sind  diese  Formen 
doch  nicht  allzu  häufig1;.  Diez  vermuthete  deshalb  darin  eine 
provenzalische  Entlehnung  (Gr.  II,  147).  Dass'  dieses  nicht  der 
Fall  ist,  haben  die  seitdem  aufgefundenen  zahlreichen  Beispiele  in 
vulksthümlichen  Denkmalen  bewiesen,  unter  denen  auch  die  von 
Diez  noch  vermissten  Bildungen  aus  starken  Perfekten.  Ist  aber 
dieses  Conditional  nicht  aus  dem  Provenzalischen  entlehnt,  so  wird 


*)  Zu  denen,  welche  Xaiinucci  an  verschiedenen  Stellen,  hesonders 
Verbi,  323  ff.,  anführt,  lassen  sich  noch  folgende  hinzufügen:  sembrara,  Val. 
I,  298;  pentero,  ib.  411  (Bacciarone  Pisano);  partira,  ib.  II,  43  (Monte  An- 
drea); finera,  D'Anc.  XXIX,  39  (Rinaldo  d'Aquino);  convenera,  Guittone, 
Soii.  114;  pora  (:fora),  ders.  Ganz.  XXXVIII.  4;  Rustico  di  Filippo,  Trucchi, 

I,  239: 

Che  se  grandc  bisogno  nol  richiede, 

De  la  sua  casa  non  si  jpwrtir'  anche. 
für:    non  si  partirebbe  neanche.     Bei  Val.  I,  50  ^Pier  delle  Vigne)  ist  zu 
lesen: 

Per  lei  potere  aneidere  eo  morera. 

statt  morria,  um   den  Beim   mit  piacentera  zu  haben,   und  so  in  dem  Ge- 
dichte des  Maestro  Simone  Rinieri  von  Florenz,  Manzoni,  V: 

De!    or  mi  foste  amara. 

K'  eo  mi  vantara  —  di  cotal  guerrero. 
statt  vemteria.     In  der  sicilianischen  Canzone  Stefano's  bei  Barbieri,   str.  4, 
steht  die   erste  Pers.    plur.   smtiramu,    was   aber  vielleicht   au*  smtiriatnu 
entstellt  ist.    Dante  da  Majano  sagte  in  dem  Sonett:  La  fior  d'amor    Val. 

II,  465): 

S'  eo  troveria  —  di  mia  disia  —  pietate, 

Piü  in  dignitate  —  alzate  —  me  tenire, 

Che  s'  io  avir(e)  —  dovire  —  lo  'mperiato. 

wo  tenire  und  dovire  für  tewi/ra,  dovira  —   tenera,  tlur<_ra.  modifiziri   dem 

schwierigen  Reime  in  jener  Spielerei  zu  Liebe,  wie  alzate  für  alzato  steht. 


-     188     - 

es  nun  dagegeD  sein-  wahrscheinlich,  dass  es  aus  den  Mundarten 
des  süditalienischen  Festlandes  stamme.  Diesen  wenigstens  gehören 
sämmtliche  aus  volksthümlichen  Texten  bekannte  Beispiele  an; 
sehr  oft  erscheint  es  in  der  Rosa  fresca,  von  der  Caix  darthat, 
dass  sie  apulisch;  der  llil um  Cassinese  hat  boltiera,  d.  i.  boUera 
=  volsera»  starkos  Conditional  von  volere,  und  Navone  citirt  dazu 
ein  völsera,  dolzera,  pregara  aus  alten  Gedichten  in  abruzzesischem 
Dialekte.     Dante,   vulg.  el.  I,  12,   führt   als  apulisch  den   Vers  an: 

Vohera  che  chiangesse  lo  quatraro. 
Die  Beispiele,  welche  Foth  (Die  Verschiebung  der  lat.  Tempora,  etc. 
in  Böhmers  Rom.  Studien,  II,  279,  n.)  gesammelt  hat,  sind  aus  den 
alten  aquilanischen  Reimchroniken  bei  Muratori,  Antiquit.  VI. 
Reich  sind  ferner  daran  die  Fragmenta  Historiae  Romanae,  und 
endlich  hat  Caix  (Biv.  di  Fil.  Born.  II,  180)  diese  Formen  als  noch 
lebend  in  Volksliedern  aus  Calabrien  und  Basilicata  nachgewiesen. 
Aus  dem  Sicilianischen  ist,  wie  gleichfalls  Caix  bemerkte,  derarti- 
ges bis  jetzt  nicht  bekannt;  denn  wenn  auch  die  sicilianische  Can- 
zone  bei  Barbieri  sintiramu  hat,  so  gehört  das  nicht  hierher,  da 
ja  die  höfische  Dichtung  allgemein  eine  Verbreitung  der  mund- 
artlichen Formen  über  ihre  ursprüngliche  Zone  hinaus  zeigt. 

Von  diesem  ihrem  Ursprünge  kommt  es  denn,  dass  die  Con- 
ditionale  der  Art  bei  den  Kunstdichtern  in  der  Form  etwas  von 
den  provenzalischen  abweichen;  die  der  Verba  auf  are  bilden  meist 
ara,  nicht  era,  wie  die  gewöhnliche  prov.  Form  ist:  die  der  Verba 
auf  ire  haben  neben  ira  auch  era:  finera,  convenera,  morera,  und 
so  perera,  guerera,  D'Anc.  LVII,  60  ff.,  gerade  wie  convenera,  Hist. 
Rom.  citirt  bei  Nannucci,  Vcrbi,  325,  und  noch  heut'  servera, 
Canti  Popol.  Meridionali,  I,  84.  Einige  wenige  Beispiele  machen 
indessen  eine  Ausnahme  von  dem  Gesagten  und  können  nur  Um- 
formungen nach  provenzalischem  Muster  sein.  Diez  selbst  hat 
disperera  statt  disperara  angemerkt  (D'Anc.  LYII,  68).  Ferner 
steht  innamorera  im  Sonette  Maglio's,  bei  Grion,  Pozzo,  45;  por- 
tera,  Val.  II,  99.  Endlich  Val.  I,  69  (Guido  Guinicelli)  muss  finero 
von  finare  kommen,  wie  die  dort  folgende  Zeile  beweist. 

Die  alten  Präsensformen  reo,  creo,  vao  für  uedo,  credo,  vado, 
widersprechen   den  toscanischen  Lautgesetzen,    da  nach   diesen   d 


—     189 

zwischen  Vocalen  nicht  ausfallt,  Sie  finden  ihre  Erklärung  in  den 
südliehen  Dialekten:  sicil.  viju  aus  video,  *vidjo  (tose,  veggio),  wonach 
criju,  gleichsam  *credeo,  das  tose.  *creggio  gegeben  hätte,  und  vaju, 
gleichsam  *vadeo.  Hist.  Rom.  veio,  '253,  provea  (proveda),  413, 
rnjif  (m<l<t),  413.  Neapel,  noch  heut'  veo  neben  vego,  veco;  breo 
neben  crego,  creggio;  vao  neben  vado,  vaco.  In  der  Sammlung 
D'Ancona's  findet  sich  sowohl  veio,  cyclo,  als  veo,  creo  oder  vio, 
crio  (creo  zu  crio,  wie  acca  zu  (tritt)  geschrieben;  ein  Beispiel 
für  vttjo  ist  D'Anc.  LI,  13,  und  ib.  XLVIII,  21,  ist  aus  vado :  false- 
ragio  —  vajo :  falserajo  herzustellen;  vao,  ib.  XXII,  12 1).  Die  ana- 
logen prov.  Formen  vei,  crei,  van  mochten  auch  hier  wieder  die 
Aufnahme  der  südlichen  Aussprache  bei  den  Toscanern  befördern. 
Ein  vei  hat  noch  Dante,  und  auch  der  altmodische  Frezzi,  s.  Nan- 
nucci,  Verbi,  739.  Petrarca  gebrauchte  cre>  für  credo,  und  dieses 
soll  noch  heut'  auf  dem  Lande  lebendig  sein;  Nannucci  ib.  541. 
Aber  das  gehört  einer  andern  Klasse  von  Erscheinungen  an;  cre' 
verhält  sich  zu  credo,  credi,  crede,  wie  pie  zu  piede,  fr'  zu  vedi, 
die  zu  diede,  te1  zu  tieni,  bontä  zu  hont  ade,  u.  s.  w.  Das  Tosca- 
nische  kennt  den  Ausfall  des  d  zwischen  Vocalen  nicht,  wohl  aber 
ist  ihm  die  Apocope  von  Silben  gewöhnlich. 

Zu  veo,  creo  gesellt  sich  noch  ein  clieo  für  cheggio,  chiedo, 
welches  sehr  häufig  bei  Guittone,  sonst  aber  selten  ist;  es  findet 
sich  noch  bei  Monte  Andrea,  Val.  II,  35,  und  Nannucci  (Verbi.  78G) 
belegt  es  aus  Meo  Abbracciavacca  und  Iacopone  (clicio).  Die  süd- 
lichen Dialekte  scheinen  es  nicht  zu  kennen,  und  so  könnte  es 
durch  spätere  Anbildung  an  veo,  creo  entstanden  sein.  Von  die- 
sem jetzt  verschwundeneu  cheo  stammt  das  alte  caendo,  welches 
die  Wörterbücher  als  Gerundium  ohne  Infinitiv  verzeichnen.  Aus 
cheendo  (gleichsam  cheggendo,  wie  veggendo)  entstand  caendo  durch 


')  Das  charakteristisch  Mundartliche  dieser  Formen  ist  das  oeapol.- 
sicil.  j,  wo  tose.  g\  weiter  fiel  das  j  zwischen  Vocalen  aus.  Dieses  südliche 
j  statt  tj  hat  man  auch  anderswo,  wie  in  den  Heimen:  jinio  pregio  :  pcio 
(jpeggio),  D'Anc.  VIII,  45,  sicil,  preju-.joeju,  und  dasselbe  LXXVIII,  20.  Ob 
es  noch  der  nämliche  Einfluss,  der  Dante  raj<<  für  raggia,  ploja  für  pioggia, 
ii.  s.  w.  sagen  Hess? 


—     190     — 

die  gewöhnliche  Begünstigung  des  a  in  erster  tonloser  Silbe.  Die 
Bedeutung  passt  sehr  wohl;  denn  die  Alten  verwendeten  cherere, 
chiedere  noch  oft  im  Sinne  von  „suchen"  (quaerere). 

Das  lateinische  Verbalsuffix  icare  ward  toscanisch  eggiare. 
Findet  man  also  häufig  solche  Formen  wie  pareiare,  D'Anc.  LXX\  20; 
folleare  (folleggiare),  LXXX,  20;  segnoreare,  LXXXI,  14;  guerriare 
(guerreggiare),  LXXXVII,  39:  danneare,  LXXXYIII,  20;  amariare, 
Guittone,  Son.  159;  vaghco  (vagheggio),  ders.  Son.  9G;  cortea  und 
innamorea,  Chiaro  Davanzati,  Trucchi,  I,  156,  u.  dgl.  m.,  so  muss 
man  sie  auf  die  südliche  Gestaltung  desselben  Suffixes  zurück- 
führen; sicil.  iari  :  passiari  (passeggiare),  russiari  (rosseggiare); 
neapol.  ejare,  eare  und  iure  :  spessejare,  guerfeare,  tastiare,  und 
so  Hist.  Rom.  signoreiare,  305,  motteare  (motteggiare),  291,  signo- 
riare,  289.  Hierher  gehört  auch  goliare  oder  goleare  „begehren", 
entsprechend  einem  toscanischen,  aber  veralteten  goleggiare.  Nea- 
pol. noch  heut'  g&lio  im  Sinne  von  „Verlangen",  das  sicil.  gvliari 
hat,  nach  Mortillaro,  andere  Bedeutung.  Auch  hier  konnte  das 
prov.  Suffix  dar  :  pareiar,  u.  s.  w.,  zur  Verbreitung  jener  Formen 
mitwirken. 

Endlich  ist  eine  Anzahl  einzelner  Worte  zu  erwähnen,  die 
bei  den  alten  Dichtern  sich  finden,  und  die  in  den  südlichen  Dia- 
lekten noch  heut'  vorhanden  sind,  während  das  Toscanische  sie 
nicht  mehr  kennt: 

ahento  und  abentare  in  der  Bedeutung  „Ruhe"  und  „ruhen", 
sehr  häufig  bei  den  Dichtern,  Sicilianern  wie  Toscanern,  vor  Dante; 
auch  Cecco  Angiolieri  gebraucht  es  noch  (Allacci,  216);  sicil.  ab- 
bentu  und  äbbintari,  neapol.  äbbentare.  Ist  Diez'  Identifizirung 
mit  tose,  aventare  (Et.  W.  II,  7)  richtig,  so  zeigt  schon  der  Laut- 
bestand (v  zu  b),  dass  das  Wort  aus  dem  Süden  gekommen. 

cor i na  statt  cuore,  an  zwei  Stellen: 

Notaro  Giacomo,  D'Anc.  XVIII,  8: 

Quando  m'apar  davanti, 

Li  suo  dolzi  sembianti 

M'incendon  Ia  corina. 


-     191     — 

Odo  dellc  Colonne,   XXYI,  49: 

Va,  canzonetta  fina, 
AI  buono  aventuroso, 
Ferilo  ala  corina, 
Se  '1  truovi  disdegnoso. 
curina  ist  vielleicht  auch  D'Anc.  LXVI,  83  statt  susina  zu  setzen. 
Sicil.  curina  heut',  nach  Mortillaro,  nur  noch  in  beschränkter  Be- 
deutung, nämlich  für   den  inneren  Theil  des  Kohles  und  anderer 
Gewächse;  ferner  sagt  man  „la  curina  di  tu  'nvemuP  wie  .Ja  cori 
di  lu  'nccrnu". 

menna  für  mammella,  sicil.  minna,  neapol.  menna. 
D'Anc.  LX,  9  (verbessert  nach  B,  241): 
L'aulente  bocca  e  le  menne 
De  lo  petto  le  toccao. 
attassare  „peinigen". 
Ruggerone  da  Palermo,  D'Anc.  XLIX,  29: 

Lo  reo  pensero  si  forte  m'attassa, 
Che  rider  ne  giucare  non  mi  lassa. 
und  intransitiv,  D'Anc.  XXXVI,  61: 

Ello  peuando  attassa  ed  e  sofrente  (d.  i.  lo  core) 

Del  mal  d'amor  gravoso, 
Pieno  di  disianza. 
neapol.  attassare  „gerinnen  machen,  gefrieren  machen"  (D' Ambra), 
aber  sicil.  attassari  auch  in  dem  Sinne  von  „betrüben,  peinigen". 
Die  Grundbedeutung  ist  offenbar  die  bei  Mortillaro  unter  3)  „in- 
fonder  nelV  acqua  un  veleno  vegetabile  da  noi  chiamato  Tassu 
(taxus),  onde  facilitar  Ja  pesca  per  un  certo  torpore,  che  produce 
ne'  pesci",  daher  dann  allgemein  avvelenire,  ferner  iutiri::.:ir< % 
gelare  und  endlich  attristare.  Das  Sicilianische  hat  auch  die 
intransitive  Bedeutung  „agghiadare,  affliggersi",  wie  in  der  zweiten 
der  obigen  Stellen.  Das  italienische  "Wörterbuch  kennt  das  Wort 
nur  aus  jenen  zwei  Beispielen. 

liarc  statt  legare,  neapol.  liarc,  sicil.  Mari  (neben  ligari). 
D'Anc.  XCVI,  15: 

Amor  mi  stringe,  che  m'  a  in  sua  ballia, 
Ond'  io  forte  mi  doglio 


—     192     — 

E    n  ubrianza  meve  stesso  lasso, 

E  di  si  grevi  pene  il  cor  mi  lia,     dls.  millia) 

Che  tutto  quanto  scioglio.  (Hs.  scolglio)1). 

Dieses  Wort   stand  wahrscheinlich   auch   in  einer  unverständlichen 
Stelle  D'Anc.   LI,  38: 

E  lo  corpo  ä  'n  ballia 

E  tienimi  in  milia  -  -  forte  incatenato. 
Besserte  man  etwa: 

Forte  mi  lia  —  e  tienmi  incatenato, 
so  käme  dadurch   auch   der  Binnenreim  an   die   ihm   im  Gedichte 
gebührende  Stelle.     Allerdings  ist  die  Aenderung  stark. 

Hierzu   das   Substantiv   liama   für  legame,    das   zweimal  bei 
Dante  da  Majano,  Val.  II,  472: 

Ben  aggia  Amore  e  sua  dolee  liama. 
ib.   477: 

E  piü  mi  stringe  Amore  e  sua  liama. 
sicil.  Ujama  verzeichnet  Pitre  im  Glossar  zu  den  Fiabe  (Mortillaro 
nur  ligamäy 

assommare  für  innalzare. 
D'Anc.   XX.  29: 

Ancora  si  asomata 

La  natura  v'  avessc 2), 

Ben  ti  dei  rimembrare, 

Ca  di  mal  farc  —  e  troppo  grau  peccato. 
d.  b.  obschon  euch  die  Natur  so  erhöht  haben  mag,   so   sollt   ihr 
doch  bedenken,  u.  s.  w.     neapol.  assommare,  sicil.  assummari,   in 
beiden  Mundarten  transitiv  und  intransitiv:    innalzare,  fare  venire 
<(,  galla    und   salire.      Corazzini,    der    diese    Canzone    übersetzte, 


1)  vgl.  E  sciof/lio  dorne  neve.     XI4X.  LT). 

In  demselben  Gedicht  XCVI,  11: 

Peru  vi  priego,  cb'  io  non  sia,  diriso, 
Sed  io  od  altro  c'  ami 
Forzasse  in  alenn  lato  .... 
ist  wohl  Forfasse  zu  lesen. 

2)  avessc,  conj.  imperf.  an  Stelle  des  conj.  praes.  ist  gleichfalls  sicilia- 
nischer  Idiotismus;  s.   Pitre,   Fiabe,  I,  p.  CCXXV. 


—     193     — 

übersah,  dass  das  Wort  sicilianisch,  was  doch  seiner  Theorie  nütz- 
lich sein  konnte,  und  suchte  sich  statt  dessen  (aus  dem  Glossar 
von  Bartschs  Chrestomathie,  wie  gewöhnlich)  ein  prov.  asomar  in 
der  schlecht  beglaubigten  Bedeutung  von  distruggere.  Wie  er 
dann  die  von  ihm  selbst  übersetzte  Stelle  verstehen  will,  hat  er 
verschwiegen. 

singa  für  segno. 
D'Anc.  II,  43: 

Sacciatelo  per  singa 

Zö  ch'  i'  vo  dire  a  linga 1), 

Quando  voi  mi  vedete. 
Die  2.  Zeile  ist  nach  Bartoli's  Varianten  verbessert;  vielleicht  stand 
aber:  Zb  cIC  *'  no  dire  a  linga,  was  ein  häufiger  Gemeinplatz 
wäre:  Erkennt  an  Zeichen,  was  ich  in  euerer  Gegenwart  nicht  zu 
sagen  wage,  singa  aus  segna  wäre  allenfalls  toscanisch  erklärbar, 
das  i  ein  Latinismus,  nga  aus  nja  wie  giunga,  venga  und  Dante's 
punga.  Aber  das  Sicilianische  bietet  das  Wort  unmittelbar:  „singa 
=  orma,  vestigio,  segno",  Mortillaro,  wrozu  das  Verbum  singari, 
ferner  nmiga  =  insegna,  segno.  In  dem  Gedichte  des  Iacopo 
Mostacci,  D'Anc.  XLIII,  26  ff.  reimt:  losinga : stringa :  segna idegna, 
was  also  auf  singa  :  dinga  zu  führen  scheint  (cf.  dingi  =  degni 
im  Ritmo  Cassinese,  v.  36). 

la  dia  für  cTi,  giorno.  Grion  hielt  es  für  einen  Lombardis- 
mus, Corazzini  für  einen  Provenzalismus;  aber  die  alten  italieni- 
schen Dichter  gebrauchen  dia  stets  als  Femininum,  während  es 
prov.  und  lombardisch  Masculinum  ist.  Dagegen  haben  die  Fragm. 
Hist.  Rom.  oft  la  die  neben  lo  die  (p.  399,  409,  411  u.  s.  w.);  in 
einem  Volksliede  von  Lecce,  Canti  Meridionali,  II,  18,  heisst  es: 

Ca  a  iddliu  pensu  la  notte  e  la  dia. 
auch  sicil.   la   dia   verzeichnet   Salomone- Marino   in    dem    kleinen 
Glossar,  Propugnatore,  X,  2°,  50,  b.    Es   dürfte  also  eher  aus   dem 
Süden  stammen. 


J)  In  Bezug  auf  linga  vgl.  die  Reime:  aringa  :  lingua,  Brunetto,  /'<  sor  1  . 
und  raminga  :  lingua  in  einem  Gedichte  des  Ciolo  della  Barba,  bei  Grion, 
Pozzo,  p.  38.     prov.  lenga. 

1.". 


—     194     — 

intando,  als  Zeitadverb  im  Sinne  von  allora. 
D'Anc.  LXII,  46: 

Cli'  io  partia  (1.  Quand1  io  partia?) 

Da  voi,  intando 
Diciavatemi  sospirando. 
LXXIT,  CG: 

l)i  nie  rimembra  poco,  l.  ti  membra) 

De  le  'mpromesse  che  mi  facei  intando; 
Non  nie  n'  allegro  poco, 

Si  scassai  de  lo  foco.  (1.  <S"  €  scansai)1). 

Val.  I,  502: 

Adonqna  dico  intando  .  .  . 
Doch  ist  diese  Stelle  dunkel,  und  so  eine  andere,  an  der  das  ein- 
fache tando  steht,  D'Anc.  LXX,  53. 
D'Anc.  LI,  19: 

Sospiro  e  sto  'n  rancura, 
Ch'  io  son  si  disioso 
E  pauroso  —  mi  fate  penare. 
Ma  tanto  m'  assicura 
Lo  suo  viso  amoroso. 
scheint  man   Ma   tando   wC   assicura   lesen   zu  müssen:    „aber  da 
beruhigt  mich   ihr  liebreiches  Antlitz".     Das   Neapolitanische  und 
Sicilianische  haben  tamio,  tannu  als  Correlative  zu  quanno,  quannu 
gebildet.     Das  intandu  steht  neben  tandn   sehr  oft   in  den  alten 
sicilianischen  Chroniken,  welche  Di  Giovanni  herausgab 2). 

Südliche  Form  zeigt  auch  das  ca  für  che,  Conjunktion,  Ver- 
gleichungspartikel und  Relativpronomen,  welches  die  alten  Dichter 
so  oft  verwenden;  es  ist  allen  Idiomen  Unteritaliens  in  alter  und 
neuer  Zeit  gewöhnlich. 


*)  ib.  v.  61,  ist  umzustellen: 

A  grau  vergogna  lo  tuo  coro  äi  dato. 
2)  Vitt.  Imbriani,    Dodiei   Conti  Pomiglicmesi,    Napoli,    1876,    p.  38, 
schlägt  mit  Recht  vor,   dieses  tanno  auch  in  der  Rosa  fresca  zu  lesen,  wo 
jetzt  (Str.  XXIV^  steht: 

Ahi  tanto  innamorastiti,  Juda  lo  traito. 


—     195     — 

Zu  den  erwähnten  vio,  crio  (für  vedo,  credo)  bildet  den  typi- 
schen Reim  desio,  ein  Wort,  mit  dessen  Etymologie  man  sich 
neuerdings  wieder  mehrfach  beschäftigt  hat1).  Diez  leitete  desio 
von  dissidium  her,  worauf  die  portugiesische  Form  desejo,  sowie 
prov.  desieg  hinweisen.  Aber  das  ital.  desio  stimmt  nach  tosca- 
nischen  Lautgesetzen  nicht  dazu;  denn  wie  *vidjo  (video)  —  veggio, 
niusste  dissidium  -  disseggio  ergeben.  Dagegen  neapol.  und  sicil. 
umgekehrt,  da  *vidjo  zu  viju,  vio  ward,  musste  dissidium  in  dis- 
siju,  dissio  oder  auch  disio  übergehen.  In  der  That  liest  man  in 
Fra  Simone's  Conquesta,  p.  15:  Buberto  prisa  la  gitati  cu  grandi 
letitia,  fu  complito  lo  so  dissiju  cu  grandi  gloria."  Daneben 
kommt  bei  ihm  schon  das  Verbum  disiari  vor  (p.  25),  und  heut' 
heist  es  sicil.  nur  noch  disiu,  neapol.  addesio,  regelrecht  nach  der 
Phonetik  dieser  Mundarten,  desio,  welches  im  Italienischen  ein 
spezifisch  poetisches  Wort  ist,  wird  also  aus  dem  Süden  in  die 
Dichtersprache  gekommen  und  in  derselben  verblieben  sein,  wie 
Caix  dasselbe  von  gire,  ancidere  und  anderen  nachgewiesen  hat. 

ricentare  im  Sinne  von  sciacquare. 
D'Anc.  LXXI,  65: 

Per  grau  fidanza  c'  agio  mi  spavento, 

E  ciö,  che  mi  dispiace,  m'  e  a  talento, 

La  neve  mi  riscalda,  e  '1  fuoco  mi  ricenta. 
Der  3.  Vers  ist  falsch,  und  der  Reim  mangelhaft;  vielleicht  ist  zu 
bessern : 

Neve  mi  scalda,  al  fuoco  mi  ricento. 
vielleicht  aber  auch  in  radicalerer  Weise: 

La  grau  fidanza  c'  agio  mi  spaventa, 

E  ciö,  che  mi  dispiace,  m'  attalenta, 

Neve  mi  scalda,  e  '1  fuoco  mi  ricenta. 
Wie  sehr  dieses  Wort  in  Toscana  unbekannt  sein  muss,  zeigt  der 
Umstand,   dass  D'Ancona  nicht   zauderte,  es  ganz  aus  dem  Texte 


J)  Mussafia,  Bomama,  I,  499;  Storni.  Bivista  Ewopea,  Anno  VI.  vol.  1. 
182;  Caix,  ib.  595;  der  letztere  meinte,  aus  desirare  sei  desiare  durch  Dis- 
similation entstanden,  und  daraus  das  Subst.  desio. 

13* 


—     196     — 

zu  streichen  und  dafür  ein  weder  für  den  Sinn  noch  in  den  Reim 
passendes  mcende  zu  setzen,  als  einzige  „parola  acconcia  al  caso", 
die  er  fand.  Dagegen  sind  sicil.  ricmbari  und  arritintari,  neapol. 
arrecentare  in  dieser  Bedeutung  wohlbekannte,  von  den  Wörter- 
büchern verzeichnete  Verba,  aus  lat.  *recentarc.  In  oberitalicni- 
schen  Dialekten  findet  es  sich  wieder,  und  so  prov.  recensar  von 
*recentiare,  worüber  Flechia,  Areh.  Glott.  II,  32  f.,  der  auch  frz. 
rincer  für  dasselbe  Wort  erklärt.  Flechia  meint,  das  Sicilianische 
und  Neapolitanische  könnten  dieses  Verbum  durch  französischen 
oder  oberitalienischen  Eintluss  erhalten  haben,  und  setzt  hinzu 
(p.  üo,  n.):  „üelemento  francese  dbonda  in  questi  due  <li<il<tti 
piü  che  altri  nun  erede,  e  prindpalmente  nel  primo,  come  avremo 
occashiiic  di  dimostrare  con  apposito  laooro."  In  der  That  zeigen 
diese  südlichen  Dialekte  mit  den  Idiomen  Frankreichs  hin  und 
wieder,  nicht  bloss  im  Wortschatz,  sondern  auch  in  manchen  pho- 
netischen Erscheinungen  eine  solche  Verwandtschaft,  dass  man  an 
einen  näheren  Zusammenhang  mit  denselben  denken  muss,  wie  ihn 
ja  auch  die  Geschichte  jener  Gegenden  verständlich  macht,  Auch 
einige  der  hier  zu  besprechenden  Worte  zeigen  diese  Gemein- 
samkeit, so  schon  die  beiden  zuletzt  genannten,  desio  und  ricen- 
tare,  und  so  die  folgenden: 

sagnare  „bluten  machen". 
D'Anc.  VIII,  25: 

E  Fadorneze,  Je  quäl  v'  aecompagna, 

Lo  cor  mi  lancia  e  sag  na. 
Nan.  Man.  I,  69,  verbessert  nach  B,  238: 

Or  si  puö  dir  da  manti: 

Che  e  ciö,  che  nou  si  muore, 

Poich'  e  sagnato  al  core? 

Risponde,  chi  lo  sag  na 

E  'n  quel  momento  istagna  .... 
Monte  Andrea,  bei  Cherrier,  p.  527,  Son.  I: 

Che  suo  morder  neiente  giä  non  sagna. 
und    gleichfalls   Schiatta    in    der   Antwort    sulle  parole,    ebendort 
Son.  II.  Sieil.  sagnari  =  salassare,  cavar  sangue;  frz.  saigner. 


—     197     — 

i n  t a  m  a t o  „verletzt". 
D'Anc.  LXXIII,  4: 

Ed  e  stato  uno  clardo 

Pungeute  e  forte  aguto, 

Che  mi  passao  lo  coro  e  m'  ä  'ntamato. 

Das  frz.  entamer;  sicil.  ntamari  heut'  im  Sinne  von  sbalordire, 
restare  stupido  intransitiv,  nach  Mortillaro;  ntamatu  für  balordo, 
spensierato.  Näher  der  alten  Bedeutung  ist  das  neapol.  ntamare 
für  magagnare.  Das  italienische  Wörterbuch  hat  nur  ein  Beispiel 
des  französirenden  G.  Villani  für  das  Wort  intamato  (oder  inta- 
minato,  aus  prov.  entamenar). 

in  trasatto. 

Mazzeo  Eicco,  Val,  I,  322: 

Dunque  ben  e  ragione, 

Che  '1  nostro  amore  si  parta  in  transatto. 
(D'Anc.  LXXVIII,  52  statt  dessen:  si  parta  affatto.) 

Guittone,  Son.  204: 

Che  sordo  son,  quando  li  sono  al  viso, 

E  muto  a  lei  parlare,  e  giä  non  batto 

Lingua  ne  polso  *),  si  sono  conquiso ; 

Ed  orbo,  quando  la  veo,  so  'n  trasatto,     (Val.  son  tras.) 

Che  non  credo,  che  me  veggia  nel  viso. 

in  trasatto  bedeutet  „unverzüglich",  und  Diez  (Et.  W.  II,  287  f.) 
hat  es  schon  identifizirt  mit  altfz.  entresait,  prov.  atrasaü,  atra- 
sag,  alle  auf  transadum  zurückführend.  In  Unteritalien  existirt 
der  Ausdruck  noch  sicil.  a  la  strasatta,  neapol.  a  la  ntrasatta, 


')  Statt  non  batto  lingua  ne  polso  ist  vielleicht  zu  setzen  vena  >>>' 
polso;  vgl.  Tavola  Ritonda,  ed.  Folidovi,  p.  448:  lo  caraliere  non  batteva  »< 
polsi  ne  vena  e  giaceva  come  eorpo  morio;  ib.  321:  non  si  risenti  ne  polso 
ne  vena;  dasselbe,  p.  44G;  ib.  p.  5:  non  si  sentiano  ne  mutavano  n<  ji<>l;<> 
ne  vene  e  giaceano  siccome  morti,  und  ähnlich,  p.  110.  504.    Auch  provenz., 

Flamenca,  2153: 

Le  dcmzelletz  hac  grau  paor, 
Quau  noil  troba  ni  pols  ni  vena. 


—     198     — 

im  Dialekte  von  Campobasso:  a,  la  'ndragatta,  D'Ovidio,  Arcli. 
Glott.  IV,  166 x). 

Und  hier  mögen  sicli  noch  zwei  Worte  der  Rosa  fresca  an- 
schliessen,  mit  denen  es  dieselbe  Bewandtnis«  hat,  wie  mit  den 
genannten : 

scalfare  „erwärmen", 
str.  XXIX: 

Esto  fatto  far  potesi,  inanti  scalfi  un  uovo. 

Imbriani,  Propugnatore,  IV,  1°.  p.  184,  n.  2,  merkte  bereits  an,  dass 
es  ein  Wort  der  südlichen  Dialekte:  neapol.  scarfare,  sicil.  scar- 
fari;  prov.  escalfar,  frz.  echauffer. 

aritonno. 

str.  II:  Avanti  li  cavelli  m' aritonno. 

str.  III:  Se  li  cavelli  artonniti  .... 

Dass  arritonno  noch  in  Sicilien  lebendig  sei,  sagte  Giudici;  aber 
man  scheint  dabei  allgemein  an  tondere  zu  denken,  wie  auch 
Caix  (Riv.  di  Fil.  Rom.  II,  190)  den  Infinitiv  aritonnersi  schreibt. 
Vielmehr  heisst  aber  derselbe  ritunnari  =  tagliar  la  lana  alle 
pecore  e  i  capelli  agil  uomini,  tosare.  Mortillaro.  Es  ist  das  lat. 
rotundare  und  entspricht  dem  prov.  resonhar,  altfrz.  reoigner, 
nfrz.  rogner,  die  genau  dieselbe  Bedeutung  haben,  aber  von  *rotun- 
diare  kommen,  gerade  wie  oben  prov.  recensar,  frz.  rincer  von 
*recentiare,  sicil.  ricintari  von  *recentare. 

Für  manche  der  aufgeführten  Worte  ist  allerdings  nicht  völ- 
lige Gewissheit  vorhanden,  dass  sie  aus  dem  Süden  stammen,  für 


2)  Beiläufig  sei  erwähnt,  dass  der  prov.  altfz.  Ausdruck  ad  estros 
von  ähnlicher  Bedeutung  ebenfalls  dem  Italienischen  nicht  ganz  unbekannt 
war;  in  einer  Canzone  Cino's  (Dante,  Opere  Minori,  ed.  Fraticelli,  I,  p.  245) 
liest  man: 

Di  che  gli  spiritelli  ferno  corso 

Ver  madonna  a  destrorso. 
Das  Wörterbuch  erklärt  „dalla  destra  parte" ;    der  Sinn   ist   aber   vielmehr 
,,ohne  Umstände,  auf  der  Stelle",  wie  ad  estros,  daher  wohl  auch  ad  estrorso 
zu  schreiben;    zugleich  dient  es  zur  Bestätigung  von  Diez'  Etymologie  (Et. 
W.  II,  296)  aus  *ad  extrorsum. 


—     199     — 

solche  nämlich  wie  sagnare,  assommare,  u.  s.  \v.,  bei  denen  nicht 
die  Lautverhältnisse  selbst  jenen  Ursprung  beweisen,  und  dieser 
nur  dadurch  wahrscheinlich  wird,  dass  sie  im  Süden  heut'  noch 
lebendig  sind,  während  das  Toscanische  sie  nicht  besitzt;  ob  sie 
vielleicht  ehedem  einmal  auch  in  diesem  existirten,  muss  ein  sorg- 
fältigeres Studium  der  ältesten  rein  toscanischen  Denkmale  ent- 
scheiden. Ueberblickt  man  aber  die  obige  Aufzählung  von  For- 
men und  Worten,  so  findet  man,  dass  die  meisten  dieser  Elemente 
nicht  einem  Dialekte  speziell  eigen,  sondern  allen  Idiomen  der 
südlichen  Hälfte  Italiens  bis  nach  Rom  hinauf  gemeinsam  sind 
oder  waren,  dass  man  einige  bisher  nur  als  sicilianisch  bezeichnen 
kann,  andere  aber  wiederum  nur  aus  den  Dialekten  des  Festlandes 
bekannt  sind.  Es  ist  also  richtiger  von  einem  Einflüsse  der  süd- 
lichen Mundarten  im  Allgemeinen,  und  nicht  von  einem  solchen 
bloss  des  Sicilianischen  zu  reden,  und  zugleich  gewinnt  die  vorher 
geäusserte  Vermuthung  an  Wahrscheinlichkeit,  dass  schon  in  der 
Sprache  der  ersten  Dichter  an  Friedrichs  II  Hofe  sich  mit  den 
sicilianischen  Bestandteilen  auch  manche  apulische  gemischt  haben. 


Einfluss  des  Proyenzaliselien  auf  die  alte  Dichter- 
spracke. 

Dass  auf  die  Sprache  der  alten  Lyriker  dasjenige  Idiom,  in 
welchem  die  oft  so  sclavisch  nachgeahmten  poetischen  Muster  ab- 
gefasst  waren,  eine  gewisse  Einwirkung  ausgeübt  haben  müsse, 
ist  an  und  für  sich  klar;  aber  über  die  Ausdehnung  dieses  Ein- 
flusses waren  die  Ansichten  sehr  verschieden.  Bembo  in  seinen 
Prose  hatte  die  Grenzen  sehr  weit  gezogen;  einen  grossen  Theil 
der  italienischen  Sprache  überhaupt  leitete  er  aus  dem  Provenza- 
lischen  ab;  Varchi  im  ErcoJano  ging  hierin  noch  weiter  als  er; 
aber  schon  Castelvetro  in  den  Ginnte  zu  Bembo's  Prose,  dann 
Muratori1),  und  in  neuerer  Zeit  Perticari2)  erklärten  sich  gegen 


x)  in  der  32.  Dissertation  der  Antiquitates  Ital. ,  vol.  II:    De  origmt 
lingicae  italicae. 

2)  in  der  Difesa  dl  Dante,  cap.  XI. 


—     200     — 

diese  Uebertreibungen.  Nannucci  dagegen  fiel  ganz  in  dieselben 
zurück1);  er  und  nach  seinem  Beispiel  viele  Andere  wollten  in 
den  alten  Denkmalen  allüberall  Provenzalismen  aufstöbern,  ohne 
die  Formen  recht  zu  besehen  und  sich  zu  fragen,  womit  sie  denn 
deren  ausländischen  Ursprung  erweisen  könnten.  Andere  wiederum, 
welche  den  Anfang  der  italienischen  Poesie;  recht  hoch  hinauf 
rücken  und  die  vollkommene  Originalität  der  ältesten  Dichter  dar- 
thun  wollten,  wie  Trucchi  oder  die  Vertheidiger  der  (arte  von 
Arborea,  hatten  ein  Interesse  daran,  die  Entlehnungen  aus  dem 
Provenzalischen  möglichst  einzuschränken,  oder,  wo  der  Zusammen- 
hang zu  deutlich,  sollten  wohl  gar  die  Provenzalen  umgekehrt  von 
den  Italienern  entlehnt  haben.  Es  fehlte  an  den  Kriterien  für 
das  Urtheil  über  die  fremde  Abstammung  des  Einzelnen.  Bembo, 
wo  er  ein  italienisches  Wort  fand,  dem  ein  ihm  bekanntes  pro- 
venzalisches  entsprach,  erklärte  einfach  das  erstere  als  aus  dem 
zweiten  entstanden,  während  doch  auch  beide  nur  aus  gemein- 
samer Quelle  gekommen  sein  konnten;  nicht  besser  machte  es  im 
Grunde  Nannucci,  nur  findet  sich,  dank  seiner  Belesenheit  in  den 
provenzalischen  und  altitalienischen  Denkmalen,  in  seinen  Aufzäh- 
lungen unter  dem  Falschen  viel  mehr  Richtiges.  Die  Kriterien 
zur  Unterscheidung  des  einen  vom  anderen  konnten  eben  weder 
Bembo  noch  Nannucci  anwenden,  da  erst  die  neuere  Sprachwissen- 
schaft dieselben  an  die  Hand  giebt.  Danach  muss  man  als  pro- 
venzalische  Entlehnungen  betrachten  in  erster  Linie  die  Worte, 
deren  Gestalt  sich  aus  provenzalischen  Lautgesetzen  erklärt,  nicht 
aber  aus  denen  des  Toscanischen  oder  jener  süditalienischen  Mund- 
arten, die  notorisch  auf  die  Bildung  der  alten  Sprache  einen  Ein- 
fluss  geübt  haben;  die  Dialekte  Oberitaliens,  welche  der  höfischen 
Schule  fern  lagen,  kommen  hier  nicht  in  Betracht.  In  zweiter 
Linie  wird  man  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  für  ent- 
lehnt auch  die  Worte  ansehen  dürfen,  welche,  ohne  dass  die  erste 
Bedingung  statt  hat,  im  Provenzalischen  ganz  gewöhnlich,  bei  den 
italienischen  Dichtern  sich  nur  vereinzelt  finden,  und  mit  der  litc- 


*)  besonders   in   dem  Buche:    Voci  c  Locuzioni  Italiane  derirate  dalla 
Luiijna   I'rovenzale,   Firenze,    1840;    dann   auch  in  seinen  anderen  Werken. 


—     201     — 

rarischen  Nachahmung  der  Provenzalen  selbst  verschwunden  sind. 
Dieses  zweite  Unterseheidungsmittel  ist  natürlich  viel  unsicherer, 
da  man  täglich  die  vermeintlichen  Provenzalismen  in  den  noch 
mangelhaft  durchforschten  volksthümlichen  Denkmalen  auffinden 
kann,  bei  denen  an  solchen  Ursprung  nicht  zu  denken  ist.  Nach 
diesen  Gesichtspunkten  muss  eine  Prüfung  dessen  vorgenommen 
werden,  was  man  gemeiniglich  als  provenzalische  Elemente  der 
alten  Dichtersprache  bezeichnet,  und  welches  grösstentheils  eben 
aus  den  Aufzählungen  Bembo's  und  Nannucci's  herrührt. 

Findet  man  das  Yerbum  ciausire,  so  kann  man  nicht  im 
Zweifel  über  seine  Herkunft  aus  prov.  chausir  (neben  causir)  sein, 
welche  sich  in  dem  palatalen  Laute  zu  Anfang  verräth;  denn  ita- 
lienisch hätte  das  Wort  (entweder  aus  goth.  kausjan  oder  aus 
hiusan,  nach  Diez)  nur  causire  oder  chiusire  geben  können.  Prov. 
chausir  (frz.  choisir)  heisst  „sehen"  und  „wählen"  In  ersterer 
Bedeutung  trifft  man  es  bei  Dante  da  Majano,  Val.  II,  450,  in  der 
zweiten  bei  Guittone,  Son.  84.  s.  Nanuucci,  Voc.  e  Loc.  p.  7  f. 
Nicht  klar  ist  es,  in  welchem  Sinne  es  zweimal  in  der  auch  sonst 
sehr  dunkelen  Ballade  des  Messer  Caccia  da  Castello  steht,  Val. 
II,  374: 

Da  quella  canoscenza  vertuosa, 

Che  tanto  e  valorosa, 

Che  d'  amore  ciausi  la  Deitate, 

Falla  (1.  Fa  la?)  cortese  cortesia  graziosa. 
und  ebendort  weiter  oben: 

Ell'  ha  si  grau  potenza, 

Che  puö  heu  solo  interamente  fare 

Del  suo  piacer  che  si  porria  contare; 

Dio  la  sa  sol,  cui  e  in  se  ciausi ta. 
Merkwürdiger  Weise  hat  dieses  verpflanzte  Wort  im  Italienischen 
noch  eine  dritte  Bedeutung,  welche  aus  dem  Provenzalischeo  nicht 
bekannt  ist,  nämlich   die  von   „lobpreisen"1);    so  bei  Loffo  Bona- 


*)  „auswählen,  erwählen"  ist  ein  Erheben,  Preisen;  doch  neigt  zu  ähn- 
licher Bedeutung  prov.  chausir  schon  in  der  Stelle  bei  Guiraut  Riquier, 
LXXIX,  600: 


—     202     — 

goidi,  Val.  II,  257;  ferner  D'Anc.  XXIX,  10  (Rinaldo  d'Aquino): 
Cosi  son  duMtoso, 
Quando  vegno  a  ciausire, 
Che  ne  perdo  il  savere  e  rimembranza. 

Kr  will   die  Dame  preisen;   aber,  wenn  er  sich  nun   daran  macht. 

lässt  ihre  zu  grosse  Trefflichkeit  ihn  nicht  zu  Worte  kommen. 
Bei  Dante  da  Majano,  Val.  II,  453: 

Greve  mi  sembra,  Donna,  allo  vor  dirc. 
Che  lingua  d'uomo  o  pensiero  di  core 
0  guardo  d'occhi  possan  ben  ciausire 
0  si  nomar  com'  e  vostro  laudore. 

ist    es    wohl   „unterscheiden",      s.    Nan.   Voc.  e  Loc.    p.  9,  Verbiß 
247,  n.  3. 

Dazu  auch  einmal  das  Substantiv  ciausimento  bei  Gonnella 
degli  Interminelli,  Val.  I,  537,  genau  in  derselben  conventioneilen 
Bedeutung,  welche  chausimen  in  der  Sprache  der  Minnedichtung 
hatte,  für  „Nachsicht,  Milde,  Erbarmen".     Nan.  Verbi,  282,  n.  3. 

Die  gleiche  lautliche  Unregelmässigkeit,  wie  in  ciausire,  also 
/>•  zu  6  vor  a,  charakterisirt  mehrere  andere  Worte  als  fremde: 
ciamhra  oder  mit  der  gewöhnlichen  Assibilation  der  Palatalen 
gawibra  (prov.  chambra  neben  cambra,  ital.  camera),  oft  ge- 
braucht und  weit  über  das  Gebiet  der  hier  besprochenen  Dich- 
tung hinausreichend;  treseria,  D'Anc.  LVI,  46,  prov.  tricharia 
(frz.  tricherie);  das  ital.  Wort  ist  treccheria;  lecceria  statt  lecche- 
ria  (von  leccare,  prov.  lechar,  altfrz.  leclder,  lecherie),  Guittone, 
Canz.  IV,  1: 

Perche  seimo  ragion,  non  lecceria. 


Pueis  foron  trobador 
Per  bos  faitz  recontar 
Chantan  c  per  lauzar 
Los  pros  et  enardir 
En  bos  faitz;  car  chausir 
Los  sap  tal,  que  iiols  fa 
Ni  ges  dever  nou  a 
Del  far,  tal  los  eiisenba. 
Diez  übersetzte  es  liier  (Poesie  der  Tr.  p.  21    mit  „würdigen' 


—     203     - 

benenanza  und  malenanza  für  „Wohl-"  und  „Uebelbefiuden", 
prov.  benenansa  und  mdlenansa  neben  benanansa  und  malanansa, 
aus  benanans,  malanans,  also  von  anar  „gehen";  echt  italienisch 
wäre  demnach  ein  boiandanza,  malanäanza  gewesen. 

lausore  braucht  Guittone  öfters  statt  laudore  (Lob),  Canz. 
I,  2  iL  3,  Ganz.  XV.  3:  XXII,  3;  Son.  20;  168.  Ebenso  lausore  bei 
einem  Czucio,  Trucchi,  I,  61  (Cod.  A,  320);  d  zwischen  Vocalen 
zu  s  ist  nicht  italienisch,  sondern  provenzalisch  :  lauzor.  Dasselbe 
zeigt  sich  in  giausor  (für  *gaudore- Freude)  in  der  Gobela  bei 
Grion,  Serventese,  p.  45,  und  ebenso  verhält  es  sich  mit  lusinga, 
lusingliiero,  u.  s.  w.,  welche  der  Sprache  verblieben  sind1). 

faglia,  besonders  oft  in  dem  Ausdrucke  senza  faglia,  steht 
italienisch  neben  fatto,  fallire,  falla,  fallare,  dagegen  prov.  falha 
neben  falhir,  u.  s.  w.  Der  Uebergang  von  11  zu  Ij  ist  italienisch 
vor  den  dunkelen  Vocalen  wenigstens  sehr  selten. 

lungia  und  lungiamente,  Feminin,  und  Adverb  des  Adjec- 
tivs  lungo.  Es  ist  seltsam,  dass  ein  so  häufiges  und  alltägliches 
Wort  entlehnt  worden;  mau  könnte  den  palatalen  Laut  durch 
Einwirkung  des  Adverb  lungi  oder  des  Verb  lungiare  erklären 
wollen;  aber  dass  man  nur  lungia,  lungiamente,  nicht  etwa  lungio 
sagte,  weist  zu  deutlich  auf  das  prov.  g  zu  g  vor  a. 

triare  „unterscheiden,  auswählen",  bei  Brunetto  Latini,  Tcsor. 
VIII,  und  Dino  Frescobaldi,  Val.  II.  520;  ist  Diez'  Ableitung  aus 
Hrüare  (Et.  W.  II,  441)  richtig,  so  kann  es  nicht  italienischen 
Ursprungs  sein,  da  t  zwischen  Vocalen  ausgefallen,  prov.  triar 
(frz.  trier)2). 


x)  s.  Diez,  Et.  W.  I,  255. 

*}  Hierher  wäre  auch  träito  zu  ziehen,  Nominativbildung  aus  trädi- 
tor,  bei  Guittone,  Ganz.  XLIII,  6;  Son.  5;  155;  ein  anderes  Beispiel  noch 
bei  Bottari,  Guitt.  Lett.  n.  479.  In  der  Form  tratto  und  feminin,  tra 
steht  es  in  der  Rosa  fresca,  str.  XXI  u.  XXIV.  Dieses  letztere  ist  aus 
*traditor  gebildet,  wie  prov.  traire;  auch  ital.  tradito  für  traditore,  bei  Al- 
bertuccio  della  Viola,  Val.  II,  2-2V: 

Donavami  grau  gio'  l'amor  tradito. 


—     204     - 

Aber  schon  hier  hindert  die  Unsicherheit  in  der  Etymologie 
des  Wortes  selbst,  mit  Bestimmtheit  entscheiden  zu  können,  und 
so  ist  es  nicht  selten  der  Fall.  Kommt  in  dem  prov.  de  hon  aire 
„wohlgeartet"  das  aire  wirklich  von  lat.  agrwm  (Et.  W.  I,  7  f.), 
so  wäre  echt  ital.  di  hon  agro  gewesen;  das  häufige  di  hon  aire, 
di  hm/  are,  di  hon  aro  müsste  also  aus  dem  Provenzalischen  stam- 
men. Allein  der  Ursprung  des  provenzalischen  Ausdrucks  ist  eben 
nicht  ganz  zweifellos. 

Guittoue  von  Arezzo,  dessen  spezielle  Beschäftigung  mit  dem 
Provenzalischen  anderweitig  hinreichend  bekannt  ist,  weist  auch 
von  allen  Dichtern  der  sicilianischen  Schule  bei  weitem  die  meisten 
Provenzalismen  auf;  er  sagte  grazire  für  gradire  (prov.  grazir), 
Canz.  XVII,  2;  XXXIX,  Gel.;  LV;  afaitare  (schmücken),  Canz.  XLIII, 
Gel.  1  und  Lottere,  p.  35  (prov.  afaitar,  altfz.  afaitier;  ital.  wäre 
aus  ad  —  factare  —  affattare  geworden);  albire  (freier  Wille,  Frei- 
heit zu  etwas),  Canz.  XXVII,  2;  XXIX,  2  (prov.  albire  mit  der  Er- 
setzung des  t  vor  r  durch  i  aus  arbitrium;  Diez,  Gr.  I,  230).  Er 
setzte  asmai  (:assai)  für  ital.  smaghi  (prov.  esmai),  Son.  98;  de- 
strui  für  distrugge,  Son.  113 1). 

Bei  manchen  Worten  ist  der  Lautbestand  nicht  gerade  un- 
italienisch;   aber    es    bestehen   neben    denselben    andere    Formen, 


d.  1).  der  verrätherische  Amore;  und  Cecco  Angiolieri  beginnt  ein  Sonett  in 
Gesjuiichform  (Cod.  B,  413;  Propugnatore,  XI,  1°,  249"): 

—  Becchin',  amore!  —  Che  vno',  falso  tradito?  — 

Endlich  hat  Guittone  auch  das  Particip  traito  für  tradito,  Canz.  LX.  Aber 
man  trifft  solche  Formen  ohne  d  auch  in  alten  mundartlichen  Texten,  sicil. 
traitiiri  bei  Fra  Simone,  p.  13  (neben  traäitwri,  p.  14),  traijturi,  Ribella- 
mcntu,  p.  135;  altpisanisch :  traitore,  Hist.  Pis.  663,  und  so  citirt  Nannucci, 
Verbi,  116,  n.  4,  ein  traitore  von  dem  Pisaner  Cavalca.  Sollte  hier  eine 
Verwechselung  von  trdhere  und  trauere  vorliegen,  wie  solche  prov.  nicht 
selten  war?  —  Auffallend  ist  auch  ein  cria  für  grida  bei  Buonagiunta,  Val. 
I,  506. 

x)  s.  Nannucci,  Voc.  e  Loc.  p.  10,  54,  144.  Die  Besserung  von  dona 
asmai  in  dona  smai,  die  Nannucci  vorschlägt,  ist  überflüssig;  aus  prov. 
esmai  ward  asmai  mit  der  bekannten  Begünstigung  des  a  in  tonloser  erster 
Silbe. 


—     205     — 

welche  von  jeher  die  gewöhnlichen  waren  und  daher  den  fremden 
Ursprung  der  seltenen  wahrscheinlich  machen: 

esmare;  bei  Ser  Baldo  Fiorentino,  Val.  II,  240: 
Pene,  noie  e  pesanza, 
Travaglio  e  maleuanza, 

Altro  di  la  non  ho  secondo  ch'  esmo.  (Val.  chesmo.) 
d.  h.  „wie  ich  meine,  schätze".  Es  kommt  von  lat.  aesümare;  da 
dieses  nun  ital.  das  gebräuchliche  stimare  ergab,  so  wird  esmare 
aus  dem  prov.  esmar  (altfrz.  esmer)  stammen;  esmare  ward  dann 
zu  esimare,  wie  battesmo  zu  battesimo;  dieses  esimare  und  das 
Verbalsubstantiv  eshno  verzeichnet  auch  das  Wörterbuch  als  ver- 
altete Worte,  und  Beispiele  aus  dem  14.  Jahrhundert  giebt  Nan- 
nucci,  Yerbi,  104,  n.  3:  Nomi,  157,  n. 

Das    prov.    Substantiv    esmansa  „Meinung,    Schätzung"   ward 
italienisch  regelrecht  smanza,  welches  sich  an  zwei  Stellen  findet: 
D'Anc.  LXX,  57: 

E  molto  troppa  noia,  (1.  E  moW  b  troppa  noia?) 
Per  ciö  ch'  io  so,  che  'n  gioia 
Non  vi  sia  mia  pesanza, 
Ed  io  cotale  smanza  —  in  core  porto. 
LXIII,  56: 

N'  ö  gran  male,  che  mi  lanza, 

Fermami  la  grancle  smanza, 

E  favello  a  gran  baldanza. 
d.  h.  „die  hohe  Meinung  macht  mich  gesund"  (fermo  Gegentheil 
von  infermo,  ib.  v.  13).  Compositum  von  esmare  ist  ferner  acecs- 
mare  oder  cesmarc,  prov.  acesmar  =  schmücken,  zurichten;  Nan- 
nucci  stellte  dieses  an  einer  Stelle  bei  Guido  Guinicelli  nach  guten 
Hss.  her,  Man.  I,  40,  n.  2,  und  citirte  dazu  ein  anderes  altes  Bei- 
spiel. Dasselbe  Wort  ist  Dante's  accismare,  s.  Diez,  Et.  W.  I,  164, 
und  Nan.  Voc.  e  Loc.  p.  24. 

malvistä  und  malvestä  schrieb  Guittone.  Canz.  XXXVIII.  :?: 
Lett.  p.  68,  offenbar  nach  prov.  malvestat,  da  das  gebräuchliche 
italienische  Wort  malvagitä. 


—     206     — 

giugiart   (prov.  jutjar),  Guittone,  Canz.  XXXIII.  l  u.  2,  aber 

selbst  Dante,  Purg.  20, 48,  und  das  viel  häufigere  vengiare.  mn/la ich 
(prov.  uenjar)  dürften  ausländischer  Herkunft  sein  neben  giuäi- 
care,  vendicare,  obschon  diese  ital.  zu  jenen  werden  konnten,  wie 
manducare  zu  mangiare. 

slognare  „entfernen",  Guittone,  Canz.  VIII,  Gel.  1;  IX,  Gel.  1; 
XXIV,  Gel.:  Son.  24,  mag  «las  prov.  eslorihar  sein,  da  das  gebräuch- 
liche italienische  Wort  lungiare  war:  freilich  konnte  auch  slognare 
neben  slongiare  bestehen  wie  giugnere  neben  giungere. 

Dieses  erste  und  sicherste  Kriteriuni,  die  phonetische  Unmög- 
lichkeit des  heimischen  Ursprunges,  steht  also  in  der  That  nicht 
häutig  zu  Gebote,  und  in  den  meisten  Fällen  inuss  man  sich  mit 
dein  zweiten  minder  zuverlässigen  begnügen. 

Man  pflegt  als  provenzalische  Entlehnungen  die  weiblichen 
Substantiva  auf  anza  und  enza  zu  bezeichnen,  wie  tristanza, 
fallenza,  d.  h.  die,  welche  die  Let/s  cPamors  (II,  64)  „noms  par- 
ticipials"  nennen,  und  wirklich  sind  derartige  Bildungen  bei  den 
alten  Dichtern  so  viel  zahlreicher  als  in  der  späteren  Sprache, 
dass  man  wohl  annehmen  muss,  das  Provenzalische,  welches  sie 
gleichfalls  liebte,  habe  zur  Vermehrimg  derselben  mitgewirkt.  Was 
aber  dann  insbesondere  dazu  trieb,  war  das  Bedürfniss  bequemer 
Pieinie  in  einer  noch  ungeschickten  und  ärmlichen  Dichtweise; 
daher  kommen  diese  Worte  am  häufigsten  eben  im  Reime  vor. 
Wenn  man  also  hier  auch  eine  durch  das  Provenzalische  geför- 
derte Tendenz  wahrnimmt,  so  darf  man  darum  doch  nicht  etwa 
jedes  derartige  Wort  im  einzelnen  als  provenzalisch  ansehen  wollen. 
Die  beiden  Suffixe  anza  (antia)  und  enza  (entia)  sind  so  gut  ita- 
lienisch w7ie  provenzalisch,  und  in  der  ersten  Sprache  wie  in  der 
zweiten  zu  Neubildungen  fähig,  und,  obgleich  wir  den  provenza- 
lischen  Wortschatz  nicht  in  seiner  Vollständigkeit  besitzen,  so  wird 
man  doch  bei  gar  manchen  der  hierher  gehörigen  italienischen 
Substantiva  mit  gutem  Grunde  bezweifeln,  ob  sie  je  provenzalisch 
existirten,  wie  z.  B.  avvaccianga,  Yal.  II,  16;  Guittone,  Canz.  IX. 
Gel.  1,  oder  intendanza,  das  so  oft  neben  intendenm,  credanza, 
Yal.  I,  194,  neben  credenza,  und  umgekehrt  bassensa,  Yal.  II,  10, 
neben  bassanza. 


—     207     — 

Dasselbe  wie  von  diesen  wird  auch  von  den  Bildungen  mit 
den  Suffixen  mcnto  und  aggio  zu  halten  sein,  nur  dass  diese  bei 
weitem  nicht  so  zahlreich  sind.  Auch  modo  und  aggio  sind  im 
Italienischen  fruchtbare  Suffixe;  aber  einige  der  Nomina,  welche 
mit  ihnen  gebildet  worden,  sind  speziell  nur  der  alten  Dichter- 
sprache eigen,  weshalb  man  bei  ihrer  Entstehung  direkt  oder  in- 
direkt provenzalischen  Einfluss  voraussetzen  darf,  so  valimento, 
sbaldimento,  servimento  (z.  B.  Val.  I,  175),  inveggiamento  (D'Anc. 
LXI,  23);  signoraggiv,  fallaggio  (z.  B.  D'Anc.  XVIII.  34),  usaggio, 
badaggio  (Val.  II,  488),  gradaggio  (ib.  451,  485),  arditaggio  (ib.  440), 
dottaggio  (ib.  446)  u.  s.  w.,  besonders  häufig  bei  dem  provenzali- 
sirenden  Dante  da  Majano;  Ser  Pace  schrieb  gar  auch  similagio 
und  peccagio  (Palermo,  II,  106  u.  107)  für  simiglianza  und  peccato. 

Etwas  anders  dagegen  steht  es  mit  den  Substantiven  auf  ore. 
Da  nämlich  im  Italienischen  die  Worte  dieser  Art,  soweit  sie  nicht 
schon  im  Lateinischen  vorhanden  waren,  mit  wenigen  Ausnahmen  (wie 
sentore,  valore,  die  noch  fortbestehen)  schnell  veraltet  sind  (s.  Diez, 
Gr.  II,  350),  so  muss  wohl  dieses  Suffix  im  Italienischen  geringe 
Fruchtbarkeit  besessen  haben,  und  die  Entstehung  so  vieler  alter 
Nomina  mit  demselben  wird  man  in  höherem  Grade  als  bei  den 
vorhergehenden  Kategorieen  der  Einwirkung  des  Provenzalischen 
in  den  ersten  Zeiten  der  italienischen  Literatur  zuschreiben  müssen; 
freilich  aber  ist  auch  hier  an  eine  Uebertragung  der  Tendenz, 
nicht  eine  solche  jedes  einzelnen  Wortes  zu  denken,  wie  dolciore 
oder  dolzore,  das  noch  Dante  gebrauchte,  fallore,  follore,  bäldore 
(Val.  II,  89),  incendore  (Brand,  Val.  I,  293),  gioiore  (Freude,  Val. 
I,  442),  richiamore  (Beschwerde,  D'Anc.  LXXXII.  54),  lucorc  (Val. 
I,  70),  laudore,  gravore  (D'Anc.  XXXIX,  51),  grandore  (Bruni 
Tesor.  XV),  gelore  (D'Anc.  XVIII,  40),  freddore,  tristore,  riccore, 
bellore,  genzore  (Lieblichkeit,  Trucchi,  I,  45),  bei  Guittone  auch 
düettore,  Canz.  XLIX.  Es  ist  ferner  zu  beachten,  dass  auch  diesen 
allen  von  vornherein  das  Geschlecht  der  entsprechenden  lateini- 
schen WTorte  gewahrt  blieb;  sie  sind  masculina,  wie  italienisch 
noch  heut'  die  Substantiva  auf  ore,  nicht  feminina  wie  die  pro- 
venzalischen und  französischen.  Nur  Guittone  brauchte  einmal 
(Son.  20)  val  ore  weiblich    und   desgleichen   la   candore  (Son. 


—     208     — 

Dagegen  findet  sich  bei  allen  diesen  Dichtern   neben  lo  fwre  sehr 
ofl   la  fiore,  wenigstens  wenn  eine  Dame  so  genannt  wird. 

Worte,  welche  provenzalisch  nicht  selten  und  wohlbekannl 
sind,  und  statt  dessen  italienisch  nur  isolirt  erscheinen,  sind  die 
folgenden: 

troante  „Landstreicher,  Schelm"  (prov.  truan),  D'Anc.  LXVIII, 
56:  Vile  troante  alato  (?);  Tommaso  da  Faenza  bei  Zambrini,  op. 
volg.  p.  385:  Truanti,  tricadori,  falsi  molto.  Guittone  schrieb 
truiante,  Ganz.  XXXVII,  3,  und  einen  Vers:  Truianti,  triccador,  so- 
vr'altri  vili,  citirte  Nannucci  aus  einem  ungedruckten  Gedichte  Lapo 
Gianni's  (Voc.  e  Loa,  p.  241). 

faidito  „verbannt"  (prov.  faiditz)  brauchte  Tommaso  da 
Faenza  in  derselben  Strophe,  die  soeben  für  truante  angeführt 
worden:  Homo  folle,  faidito  di  mia  shiera. 

pascore  „Frühling"  (prov.  pascor,  wahrsch.  aus  pascuorum), 
Messer  lo  Re  Giovanni,  D'Anc.  XXIV,  17: 

Dolze  tempo  e  gaudente 

Inver  la  pascore. 
wo  der  Artikel   la  statt   lo  wohl  nur  Versehen   des  Schreibers;  in 
der  Intelligenzia,  v.  1,  steht  es  als  mascul.,  wie  prov.  pascor  es  ist. 

sofrefoso  „ermangelnd".  D'Anc.  XXIX,  9  (Rinaldo  d'Aquino) 
in  derselben  Strophe,  die  oben  ein  Beispiel  für  dausire  hergab. 
Ferner  noch  D'Anc.  XLIV,  26;  prov.  sofraitos  (nfz.  souffreteux)  von 
sofranher  „gebrechen".  Altitalienisch  auch  anderwärts  soffratta 
und  soffrattura,  aber  vereinzelt  und  bald  verschwunden,  s.  Nan. 
Voc.  e  Loc.  p.  14. 

ingresso,  welches  zweimal  bei  Pier  delle  Vigne,  Val.  I,  49, 
leitete  Nannucci  (Voc.  e  Loc.  p.  93)  aus  prov.  engres  im  Sinne 
von  „lästig"  her;  er  selbst  führt  dazu  noch  zwei  Stellen  der  Gradi 
dl  S.  Girolamo  an,  in  denen  das  Wort  gebraucht  ist. 

Auch  hier  ist,  wie  gewöhnlich,  das  Meiste  bei  Guittone  zu 
finden.  Er  verwendete  mettente  „freigebig"  (prov.  meteri),  Canz. 
IV,  2;  appoderato  „besiegt"  (prov.  apoderatz)  ib.  Gel.  2:  <jtilc<i  r< 


—     209     — 

„betrügen"  (prov.  galiar),  Son.  17;  156;  Lett.  p.  361);  manente 
..reich"  (prov.  manen),  Canz.  I,  4:  XXXVII,  2;  Son.  29;  auch  inCanz.  LI, 
doch  um-  nach  der  Lesart  von  D'Anc.  XLIV,  28;  manentia,  Son.  1. 
Dagegen  wird  guaimentare  ..wehklagen",  Canz.  XVIII,  2; 
Son.  48,  (prov.  gäimentar)  nicht  hierher  zu  rechnen  sein;  denn  in 
den  altrömischen  Fragm.  Hist.  Rom.  p.  329  liest  man  gleichfalls: 
„granne  ene  lo  pianto  e  lo  guamentare,"  wo  es  doch  nicht  für 
provenzalisch  gehalten  werden  kann,  und  dieses  ist  zugleich  ein 
Beweis,  wie  unsicher  die  Entscheidung  über  fremde  Entlehnung 
ist,  sobald  die  Bürgschaft  phonetischer  Gestaltung  mangelt.  Eben- 
dort,  in  den  Fragm.  Hist.  Rom.,  trifft  man  mehrfach  das  beson- 
ders aus  Guittone  bekannte  ta  manto  für  tanto  (p.  327  u.  329);  Caix 
fand  dazu  das  Correlativ  camanto  für  quanto  bei  Ristoro  d'Arezzo 
(Mon.  Ant.),  und  das  letztere  steht  ferner  auch  in  der  dunkelen 
frotta  des  Ranieri  de'  Samaritani,  nach  der  Lesart  Redi's2): 
L'  udite  volte  mante 
Ad  anime  c  am  ante 
Probate  son  parole. 
Man  kann  daher  füglich  auch  in  Bezug  auf  das  einfache  manto 
für  molto  zweifeln,  ob  es  ans  Frankreich  gekommen  sei,  wie  Diez 
(Et.  W.  II,  366)  annahm,  besonders  da  dieses  bei  den  italienischen 
Dichtern  oft  in  einer  Weise  gebraucht  wird,  wie  es  provenzalisch 
nicht  vorzukommen  scheint,  nämlich  für  molto  neutral  (viel)  und 
adverbial  (sehr).     Guittone,  Canz.  V,  2: 

Che  tanto  e  bono  in  catun  loco,  quanto 

V  ha  di  te  poco  o  manto. 
Pannuccio.  Yal.  I,  347: 

Perocche  assai  piü  manto 

Falle  cernendo  in  mal  perseverare. 
Ders.  ib.  362: 

Dimorando  piacer  tal  quasi  un'  ora; 

Se  piü,  non  manto  fu,  se  bene  e'  membro. 

J)  Nan.  Voc.  e  Loc.  p.  51  u.  241;  er  hat  auch  vortrefflich  in  Canz. 
VIII>  str.  2  und  3,  für  die  sinnlosen  goleatorc,  gdleanäo,  golea  —  galeatore, 
galeando,  gälea  hergestellt. 

2)  Annot.  zu  v.  403—401  des  Ditirambo;  Val.  I,  125  hat  cK  ha  nun,!, . 

11 


—     210    — 

Ders.  ib.  376: 

Guardare  mi  conven  cose  angosciose, 

Oscure,  dispiaccuti  c  lorde  nianto  (sehr  schmutzige  . 

Guittone,  Son.  22: 

Qual  chi  lordasse  nianto 

El  viso  e  si  pugnasse  i  piedi  ornare. 
Ders.  Canz.  III.  2: 

Ed  ingegnaimi  manto 

In  fare  nie  ed  altrui  saccente  e  forte. 
Viele  andere  Worte  werden  oft  als  provenzalisch  bezeichnet, 
welche  bei  den  alten  Dichtern  nicht  bloss  vereinzelt  erscheinen, 
sondern  sehr  gewöhnlich  sind,  so  agensare  im  Sinne  von  „schmücken" 
und  „gefallen",  wie  prov.  agensar;  abbellire  in  derselben  Bedeu- 
tung, prov.  abelhir;  disdotto  „Vergnügen",  prov.  desduch;  miraglio 
„Spiegel",  prov.  miralh;  piacentero  „lieblich",  prov.  plazcntiers, 
u.  s.  w.  Man  kann  diese  Aufzählung  nach  Belieben  ausdehnen; 
denn  hier  giebt  es  keine  Grenze,  aber  auch  keine  Gewissheit; 
zum  wenigsten  niüsste  man  zu  diesem  Zwecke  die  Geschichte  jedes 
dieser  Worte  in  der  italienischen  Literatur  viel  genauer  kennen, 
als  sie  bisher  die  Wörterbücher  verzeichnet  haben. 

Mit  besserem  Rechte  wird  man  wiederum  die  drei  alten  Com- 
parative  genzore,  forsore1)  und  plusorc  für  entlehnt  ansehen; 
denn  das  Italienische  kennt  sonst,  ausser  den  vier  schon  im  La- 
teinischen anomalen  und  erstarrten,  gar  keine  flexivischen  Com- 
parative,  während  in  der  Provence  diese  Bildungen  reichlicher 
sprossten  (Diez,  Gr.  II,  68  u.  73). 

plusore  war^  eines  von  den  Worten,  durch  welche,  wie  Tobler 
gezeigt  hat,  die  Carte  d'Arborea  sich  als  eine  Fälschung  verriethen; 
es  wurde  dort  missverständlich  für  das  Adverb  piü  gebraucht,  in 
welcher  Bedeutung  es  naturgemäss  bei  den  Alten  nie  vorkommt. 
So  würde  man  auch  irren,  wenn  man  es  in  dieser  Weise  auflässte 
in  der  folgenden  Stelle  Guittone's,  Canz.  I,  3: 


*)  Guittone,  Ganz.  XIV,  3:  XXIX,   1:   LV;  LVHI;  Son.  182. 


—     211     — 

Ma  non  viver  creria 

Senza  falsia  —  feil'  uom;  ma  via  maggiore 

Fora  plusor(e)  —  giusto  di  cor(e)  —  provato. 
Man  hat  es  hier  nämlich  nicht  mit  demselben  Worte  zu  thun. 
sondern  es  ist  dieses  phisore  =  plus  —  ore,  d.  h.  piü  voWk,  so 
wie  denn  plusora  in  diesem  Sinne  schon  von  Nannucci,  Verbi, 
336  (und  Nomi,  311)  nachgewiesen  worden  ist,  in  einer  Stelle  von 
Chiaro  Davanzati,  Val.  II,  48: 

Che  eo  lo  credo  e  visto  1'  ho  prusora 

Una  candela  raorta  rivivare 

Per  poco  dimenare. 
Dieses  Wort  entspricht  also  einem  prov.  pus  horas.  Die  Alten 
liebten  diese  mit  ora,  ore  zusammengesetzten  Zeitadverbien  sehr 
und  hatten  deren  noch  eine  ganze  Reihe,  wie  tuttora,  tuttore,  tut- 
tor,  spessora,  mantf  ore,  soventi  ore  (Trucchi,  I,  157,  161),  altrore 
(Nan.  Man.  I,  358),  grandor  „lange  Zeit"  (Val.  II,  58),  u.  s.  w.1) 
Sie  gehören  als  gut  italienische  Bildungen  nicht  hierher,  wohl 
aber  eine  andere  Zusammensetzung  der  Art,  welche  man  bisher 
nicht  beachtet  hat,  und  die  einmal  erkannt  verschiedene  dunkele 
Stellen  der  alten  Dichter  aufklärt.  Dieses  ist  tuttasora,  tutte- 
so-re,  auch  tuttesora,  gebildet  nach  prov. ^totas  horas2),  welcher 
Ursprung  sich  durch  das  s  verräth.  Zunächst  steht  tutcsora  im 
Sinne  von  „jederzeit"  in  den  Lettere  Senesi,  p.  81.  Ferner  bei 
Mazzeo  Ricco,  D'Anc.  LXXX,  30: 


*)  ore,  cmcore,  all  ore  sagten  die  Alten  neben  ora,  cmcora,  aUora,  und 
daher  or,  ancor,  allor,  wie  noch  heute;  ja  man  findet  sogar  w£  or,  Val.  I. 
347  u.  348;  ciascuri  or,  ib.  350.  Offenbar  ging  voran  ein  tutt'  ore,  spess'  ore, 
mant'  ore,  in  denen  das  ore  regelrecht  als  Plural  steht;  danach  bildete  man 
dann  ore,  or,  u.  s.  w.  Dem  altfrz.  lores,  prov.  loras  ..damals"  {illa  Jiora  mit 
adverbialem  s)  entspricht  ital.  lora,  Guittone,  Canz.  III,  3;  lor,  Son.  68; 
lorclie,  Canz.  XIX,  3.  lora  gebrauchte  auch  Francesco  da  Barberino,  Reg., 
s.  Nan.  Verbi,  31,  n.  1,  und  lor  ehe  Gillio  Lelli,  bei  Allacci,  353.  In  den 
Conti  di  Antichi  Cavalieri  finden  sich  Beispiele  dafür  in  grosser  Menge.  Es 
ist  gute  italienische  Form  aus  illa  Jiora  und  schwerlich  entlehnt. 
*)  z.  B.  M.  W.  II,  18: 

Com  la  flors,  qu'  om  retrai, 

Quo-  totas  Imms  vai 

Contral  solelh  viran. 

14* 


—     212     — 

Che  deve  megliorare  a  tute  sore. 
hatte  das  Ms.,  und   der  Herausgeber  hat  es  mit  Unrecht  in  tutte 
Vore  geändert. 

Ein  anonymes  Gedicht,  D'Anc.  LXVI,  57: 

E  '1  veghiar  mi  dispiace, 

Che  tutta  sora  tormento. 
1.  tuttesor,  um  den  Vers  herzustellen.    Damit  wird  dann  eine  Stelle 
des  Notaro  Giacomo,  D'Anc.  VIII,  14,  verständlich,  die  jetzt  so  ge- 
druckt  steht: 

Ben  dovea  dare  —  a  voi  cor  di  pietate, 

C  a  tutte  for  c'  a  Deo  merze  cliiamasse, 

In  voi,  doinia,  trovasse 

Gran  cor  d'umilitate. 
Die  Hs.  hat  t/i/r  f<>r<-  ca;  man  wird  also  richtig  lesen: 

Ca  tutesor  cad  eo  merze  cliiamasse. 
Endlieh   braucht  man  nun  in   der  sieilianischen  Canzonc  Stefano's 
hei  Barbieri,  str.  3,  Ende: 

Si  ki  instanti  mi  feri  sou  amuri 

D'un  eulpu  *),  ki  inananza  tutisuri. 
nicht  mehr  mit  Grion  (Serventese,  p.  41,  n.)  in  das  ebenso  gewagte 
wie  imbefriedigende  tnfi  furi  (=  fori  =  ferite!)  zu  ändern;  eher 
wäre  wohl   das   inananza  in   das  in  solchem  Sinne  typische  ina- 
vansa  zu  bessern,  und  der  Vers  wird  gelautet  haben: 

D'un  colpu,  ki  inavanza  tutisuri. 
„mit   einem  Streiche,    der  beständig    fortschreitet,  an   Gewalt  zu- 
nimmt", wie  es  ähnlich  heisst  Val.  I,  221  (verbessert  nach  B,  231): 

Fortemente  m'  iunavanza 

E  cresce  tuttavia 

Lo  meo  innamoramento. 

Noch  vorsichtiger  als  mit  der  Constatirung  von  Entlehnungen 
aus  dem  Provenzalischen  muss  man  mit  der  von  solchen  aus  dem 
Französischen  sein;  denn  zu  diesen  lag  ja   die  Veranlassung  nicht 


l)  Fand  Uarbieri  dieses  eulpu  in  seiner  Hs.'?    Alt-  wie  neusicil.  heisst 
es  colpu,  eorpu. 


—     213     — 

in  dem  Idiome  der  Gedichte  selbst,  welche  man  nachahmte,  son- 
dern in  anderen  Verhältnissen  des  Lebens  im  Allgemeinen.  So 
werden  denn  naturgemäss  diese  Entlehnungen  sich  auch  nicht  auf 
die  lyrische  Dichtimg  beschränkt  haben,  sondern  der  Sprache  oder 
Literatur  gemeinsam  gewesen  sein.  Derartig  sind  in  der  That 
die  Titel  sire,  sere,  messere,  aus  franz.  sire,  messire  (Diez,  Et.  W. 
I,  383)  und  das  der  Sprache  verbliebene  obbliare  „vergessen",  welches 
nur  französischer  Abkunft  sein  kann,  wenn  es  dieselbe  Etymologie 
wie  otiblier  (^öblitare)  hat x);  denn  prov.  lautete  das  Verbum  öbMdar 
und  nur  im  Reime  ausnahmsweise  öblia.  Dergleichen  Worte  ge- 
hören also  eigentlich  nicht  hierher,  da  sie  der  ältesten  Lyrik  nicht 
speziell  eigen  sind,  sondern  der  Sprache  im  Allgemeinen. 

Bei  Guittone's  bealtä  für  beltä,  Canz.  XXII,  Gel;  XXXYI,  5; 
Lett.  p.  2  u.  27,  hat  man  freilich,  so  vereinzelt  es  dasteht,  gleich- 
falls keine  andere  Wahl;  es  ist  nicht  italienisch  und  nicht  proven- 
zalisch,  und  kann  nur  das  altfz.  bealte  (neben  beaute)  sein. 

Nicht  so  sicher  dagegen  ist  der  französische  Ursprung  bei 
zwei  anderen  Worten,  welche  sehr  häufig  sind,  nämlich  cera  für 
faccia,  und  clero  oder  cliiero  für  chiaro.  Das  erstere  ist  noch 
heute  lebendig,  und  von  der  Ableitung  aus  dem  Französischen 
befreit  uns  die  Etymologie  aus  cerea,  welche  Ascoli  kürzlich  von 
neuem  vertheidigt  hat,  Arch.  Glott.  IV,  p.  119  ff. 2) 

Soll  clero  das  lateinische  clarus  darstellen,  so  könnte  es 
allerdings  nur  nach  französischem  Lautgesetze  diese  Gestalt  erhalten 
haben  (altfrz.  der);  aber  es  wäre  auffallend",  dass  die  Dichter  ge- 
rade dieses  Adjektiv,  welches  sie  schon  in  chiaro  besassen,  noch 
einmal  aus  dem  Französischen  entnommen  hätten,  und  nicht  etwa 
bloss  um  zu  reimen;  denn  es  steht  auch  oft  genug  im  Verse  (z.  B. 
Val.  I,  526;  II,  234;  236).     Ferner  kommt  aber  auch    provenzalisch 


*)  Diez  trennt  es  davon,  und  leitet  öbblio  ans  öbliviwm  her. 

2)  Dante  da  Majano  brauchte  übrigens  auch  das  prov.  ca/ra  :  para  . 
Val.  II,  455,  und  Lotto  di  Ser  Dato  Pisano  chaira  aeapol.  cavrd),  Val. 
I,  398: 

Che  la  sua  chaira  par  d'  angel  provato. 

was  Valeriani,  und  nach  ihm  Nannucci  iVerbi,  228,  n.  1)  nicht  sehr  schön 
mit  carnc  erklären. 


—     214     — 

ein  der  statt  dar  vor,  wenngleich  sehr  selten1).  Es  ist  daher 
vielmehr  zu  denken  an  eine  Ableitung  aus  *clarms  statt  darus, 
wie  crojo  aus  *crudius  statt  crudus,  mezso  aus  *mitius,  rözko  aus 
*rudius,  worüber  Diez,  Gr.  II,  301.  *darüis  gab  *diero,  dero,  wie 
cabalhirlits  —  earaJicro,  cavalero,  und  so  auch  clcrl  in  der  Rosa 
fresca,  str.  XI,  wie  cavaleri  neben  cavalero.  In  der  That  hat 
Ascoli  auf  eben  diese  Art  ein  ladinischos  der,  dair  gedeutet,  Arch. 
Glott.  I,  227,  275,  und  dass  er  für  das  altitalienische  dero  an  die- 
selbe Ableitung  dachte,  zeigt  seine  Bemerkung  ib.  p.  554  (Giunta 
zu  p.  302). 

Indessen,  wenn  es  freilich  verfehlt  ist,  überall  da  sogleich 
Entlehnungen  vorauszusetzen,  wo  sich  Uebereinstimmungen  zwi- 
schen der  Ausdrucksweise  der  alten  Dichter  Italiens  und  den 
Idiomen  Frankreichs  zeigen,  so  ist  doch  die  Nachweisung  dieser 
Uebereinstimmungen  an  sich  nicht  ohne  Nutzen,  und  der  Gebrauch 
der  einen  Sprache  kann  vielfach  zur  Erläuterung  dessen  der  an- 
deren dienen.  Dieses,  nämlich  das  Yerständniss  gewisser  altitalie- 
nischer Ausdrücke,  welche  jetzt  verschwunden  sind,  durch  Anfüh- 
rung der  provenzalischen  Analogieen  gefördert  zu  haben,  ist  oft 
das  Verdienst  der  Zusammenstellungen  bei  Nannucci,  auch  da  wo 
an  wirkliche  Entlehnung  nicht  zu  denken  ist,  und  zu  diesem  selben 
Zwecke  füge  ich  hier  zum  Schlüsse  noch  eine  Anzahl  solcher  be- 
merkenswerther  Uebereinstimmungen  des  alten  Italienischen  mit 
dem  Provenzalischen  hinzu,  welche  bisher  weniger  beachtet  wor- 
den sind: 

accordarsi  „beschliessen",  eigentlich  „mit  sich  einig  wer- 
den", prov.  s'acordar  ebenso,  und  Subst.  accordanza  „Beschluss". 
Val.  I,  210: 

Assai  faccio  accordanza 

Di  dire  e  poi  ini  scordo,  (d.  h.  werde  wieder  unschlüssig"! 

Tutto  in  fra  nie  mi  stordo 

Per  la  gran  dubitanza. 

Perö  faccio  sembianza 

Allo  cor,  che  sia  sordo, 

*)  s.  Bartsch,  Zeitschr.  f.  rom.  Tbil.  I,  71. 


—     215     — 

Che  mi  clice  :  m'accordo, 

Ch'  i'  addoinaudi  pietanza. 
Das  Herz  spricht  zu  ihm:  „ich  bin   entschlossen,   um  Mitleid  zu 
bitten." 


ib.  171: 


ib.  459: 


E  ben  fare'  accordanza 
Infra  la  rnente  pura, 
Se  '1  pregar  mi  varrea. 


Ch'  Amor  farä  accordanza  fina  aguale 

D'  entrare  in  vostro  core  naturale. 
..dass  Amore  jetzt  den  hohen  Beschluss  fassen  wird,  in  euer  edeles 
Herz  einzuziehen." 

ad  es  so  bedeutet  in  der  heutigen  Sprache  nur  „jetzt";  bei 
den  alten  Dichtern  hatte  aäesso,  adessa  noch  zwei  andere  Bedeu- 
tungen, die  des  prov.  altfrz.  ades:  1)  „sofort,  alsbald",  wofür  hin- 
reichende Beispiele  schon  bei  Ubaldini,  tavola  zu  den  Documenti, 
und  Bottari  zu  Guittone's  Briefen;  2)  „immer"',  wofür  Nannucci, 
Verbi,  123,  n.  1,  zwei  Stellen  der  ältesten  Dichter  (D'Anc.  XXII,  20 
und  Val.  I,  370)  und  eine  aus  dem  DiUamondo  anführte.  In  gleichem 
Sinne  steht  es  aber  noch  oft,  D'Anc.  XXIX,  42;  XXXVIII,  26;  LXV, 
49;  Guittone,  Ganz.  XXXI,  6;  LVII;  Ganz.  XXIII,  2,  heisst  es: 

Onde  non  che  valente  ami  podere, 

Che  ha  nimico  lui  e  ontalo  adessa, 

Poi  ne  vuole  ne  sa  d'  esso  valere. 
„Geschweige  dass  der  Tüchtige  Macht  liebe,  hasst  und  schmäht 
er  sie  immerdar,  da  er  nicht  von  ihr  seinen  Werth  erhalten  will 
noch  kann."  Lettere,  p.  34:  ades  so  pleno  dl  grazia  e  graziosissimo 
tutto  buon  Signor  nostro.  —  Diesen  Sinn  wird  es  also  auch  haben 
in  der  Stelle  Friedrichs  II,  Val.  I,  54: 

Valimento  mi  date,  Donna  fiua; 

Che  lo  meo  core  adesso  a  voi  s'inchina. 
d.  h.  „neigt  sich  immer  zu  euch". 

Bisweilen  haben  es  die  Herausgeber  nicht  erkannt  oder  nicht  ver- 
standen : 

D'Anc.  XXVIII,  11: 


—     216     — 

Perciö  non  mi  dispero 

D'amar  si  altamente,  (soVal.;  D'Anc.  D'Amor) 

Ade sso  merce  chero 

Servendo  umilemente. 
„flehe  immerdar  um  Gnade";  wo  D'Anc.  ad  esso  setzte. 
ib.  XL.  -2b: 

Pregio  ed  amore  adessa  lei  avanza. 
Die  Hs.  hat  ad  esa,  D'Anc  ad  essa;  aber  B,  235:   adesso,   und 
danach  Allacci. 

In  der  sicilianischen  Canzone  Stefano's,  str.  5: 

Ma  eo  sufro  in  usanza. 

Ke  ö  visto  adessa  bon  suffirituri 

Vinciri  prova  et  acquistari  unuri. 
wo  Barbieri  und  Grion  ad  rssa  haben. 

Damit  verschwindet  denn  vollends  die  Bedeutung  von  allora, 
welche  angeblich  nach  Salvini  und  Perticari,  und  den  diesen  nach- 
betenden sardinischen  Vertheidigern  der  Carte  von  Arborea,  adesso 
an  manchen  Stellen  gehabt  hätte,  wo  es  sich  freilich  weder  mit 
ora  noch  mit  subito  erklären  liess.  Nur  Guittone,  Ganz.  VIII,  7, 
könnte  zweifelhaft  machen: 

Tu  corpo  ed  alnia  in  terra  e  'n  mare  spesso 

M3  defendesti  adesso, 

Cli'  io  contro  te  viveva  ad  altro  tutto. 
Aber  auch  hier  wird  es  „immerdar"  heissen,  wo  dann  das  che  die 
bekannte  lockere  Anknüpfung. 

anche  hatte  nicht  bloss  bei  den  Dichtern,  sondern  allgemein 
in   der  alten  Sprache  neben  der  Bedeutung  etiam,  auch  noch  die 
des  prov.  anc,  altfrz.  ainc  =  unguam. 
D'Anc.  XXXIV,  16: 

Ne  dela  vostra  amistate 

Non  eb'  io  anche  guiderdone 

Se  non  im  bascio  solamente. 
(iuittone,  Canz.  LVIII: 

Nel  cui  lavoro  non  credo  bastasse 

Anche  uonio  ne  forse  ansjelo  alcono. 


—     217     — 

In  Prosa.  Tavola  Rotonda,  Nan.  Man.  II,  156:  e  nou  u'  avea  anche 
avuto  figliuolo  neuno. 

Aber  italienisch  auch  ohne  Negation: 
Guittone,  Son.  6: 

Si  como  giä  dissi  anche,  alcuna  cosa 
Non  si  puö  dir  dannosa. 
Conti  cli  Ant.  Cav.  p.  67:  e  che  cid  fo  el  dolore  cti  elli  ebbe  anche 
el  maggiore. 

arr ender si.  Man  sagte  prov.  se  rendre,  altfrz.  soi  rendre 
im  Sinne  von  „ins  Kloster  gehen".  Ebenso  ist  arrendersi  ver- 
wendet D'Anc.  LXII,  49: 

Se  vai,  meo  Sire  e  fai  [a]dimorauza, 

Ve',  ch'  io  m'arendo  e  faccio  altra  vita. 
d.  h.  „ich  werde  Nonne",  und  in  der  Rosa  fresca,  str.  X  f. 

E  con  sore  m'arenno  a  una  magione  .... 

Alo  mosteri  venoci  e  rennomi  con  freri. 
Aehnlich  auch  das  „renderonsi  a  monache"  im  ^ovellino,  nov.  62 
(bei  Borghini  am  Ende   der  Worterklärungen).     Heut'  nicht  mehr 
absolut  gebraucht,  sondern  rendersi  frate,  u.  dgl. 

avvenire  in  =  zu  etwas  gelangen,  etwas  erreichen;  prov. 
avenir  en}  wie  M.  W.  I,  352: 

no  puesc  avenir 

En  far  chanson  avinen. 
Val.  II,  64: 

E  in  cui  sempre  regna,   (Ämore) 

Parnii,  ch'  elli  n'avvegna  in  tal  valore  .... 
ib.  72: 

.  .  .  .  si  mantene 

Bona,  si  chend'  avvene 

In  pregio  e  iu  cortesia. 
Auch  absolut  avvenire  „treffen,  erreichen,  finden": 
Val.  I,  148: 

Ch'  co  non  saeeio  avvenire, 

In  che  guisa  possa  merce  trovare. 
avvenirsi  „an's  Ziel  gelangen"  (wie  rvusevre). 


—     218     — 

Cbiaro  Davanzati,  Trucchi,  I,  100: 

L'  uom  puote  in  s£  aver  tal  desianza, 
Che  affanna  tutto  tempo  c  non  s'avviene. 

degnare.  prov.  denhar  heisst  „geruhen";  aber  die  ursprüng- 
liche Bedeutung  ist  „für  würdig,  für  passend  halten",  woraus  in 
Verbindung  mit  einem  Infinitiv  abgeschwächt  geradezu  „mögen" 
und  endlich  „vermögen",  wie  es  sehr  häufig  bei  den  Troubadours, 
ersteres  z.  B.  beim  Mönch  von  Montaudon,  M.  W.  II,  63: 

Si  tu  o  denhesses  lauzar, 

Elbas  non  o  degron  suffrir. 
„wenn  du  es  auch  loben  möchtest",  und  das  zweite  z.  B.  Flamenca, 
727  (wo  es  reflexiv): 

.  .  apenas  si  denhon  suffrir 

L'esgart. 
„vermögen  kaum  den  Blick  zu  ertragen." 
So  nun  Dante  da  Majano,  Val.  II,  451: 

Ned  altra  giä  non  degna  di  tenere 

Lo  meo  folle  volere. 
„mag  keine  Andere  besitzen." 
ib.  496: 

Non  degno  mai  che  far  vostra  voglienza. 
Guittono,  Son.  33: 

Se  'n  voi  degnasse  fior  valer  mercede. 
„auch  nur  etwas  Gnade  zu  wirken  vermöchte." 
Ders.  Canz.  XXXIII,  5: 

Ma  non  lo  cor  nico  degna  aver  ardire 

Di  chieder  lei  mercede. 
„vermag  nicht  Muth  zu  haben"1). 


*)  Aehnlich  wie   degnare  verwandten   die  Alten  auch   osare  für  „ver- 
mögen", z.  B. 

Guittone,  Son.  199: 

E  che  natura  far  puote  ne  osa 
Fattura  aleuua  ne  maggior  ne  pare. 
wo  es  ganz  deutlich  Synonym  von  potere,  und  so  bei  Guittone  noch  sehr  oft. 
Monte  Andrea,  D'Anc.  Son.  XX: 


—     219     — 

delere  „zerstören",  D'Anc.  LXIII,  24;  Val.  II,  134;  150,  ist  viel- 
leiclit  nicht  blosser  Latinismus,  da  auch  prov.  altfz.  ddir. 

hitcnzione   für  „Aussicht,   Hoffnung";  prov.   cntensio  ist  so 
gebraucht  M.   G.  1158  ff.,  5: 

Et  eu  sui  ti"  aital  faisso, 

Qu'  anc  vas  dompna  uo  m'  atrais 

Beutatz  ui  valors  ni  jais, 

Pois  fetz  de  si  a  maintz  do; 

Que  pois  dona  eutensio 

Dompna  a  chascuu,  eu  nou  teuc  ad  ouranza 

L'  ouor  qu'  ilh  fai;  car  ses  dar  esperansa 


Ne  fu  ne  fia  ned  esser  mai  non  osa 

Piu  bellezze  che  'u  voi  sono  formate. 
AnonjTmes  Sonett  bei  Zainbrini,  op.  volg.  419,  II  (auch  B,  185): 

Ancor  vedem  (B.  deven)  d'Amor  mirabil  cosa, 

Chi  non  prende  suo  bene  a  temporale, 

Per  nulla  guisa  mai  aver  non  1'  osa. 
ib.  III  tB,  186): 

Dunque  chi  osa  loda  divisare 

Simile  o  pare  di  lei,  non  si  trova. 
Daher  auch  D'Anc.  LXII,  19: 

Lo  tuo  splendore 

M'  ä  si  preso, 

Di  gioi  d'  amore 

M'  ä  conquiso 

Si,  che  da  voi  non  oso  partire. 
„mich  nicht  trennen  kann",  zu  verstehen. 
Auch  Dante  gebrauchte  es  noch  so,  in  der  Ganz.  La  dispietata  mcnte: 

Dar  mi  potete  ciö,  ch'  altri  non  osa. 
„was  ein  anderer  nicht  vermag",  wie  auch  Witte  (Kannegiessers  Uebersetz. 
II,  124)  vermuthete,  diese  Bedeutung  aus  dem  Decameron  belegend,  und  in 
dem  Son.  Amore  e  cor  genta: 

E  cosi  senza  1'  un  1'  altro  esser  osa  .  .  . 
Auch  dem  Provenzalischen  scheint   ausar  in  solchem  Sinne  nicht   fremd  zu 
sein;  denn  so  ist  es  wohl  zu  verstehen,  M.  W.  I,  159  (M.  G.  1404,  4;  Arch. 

35,  404): 

Totz  los  forfaitz  e  totas  las  elamors, 

En  quem  podetz  acusar  ni  retraire, 

|3on  quar  m'  ausatz  abelhir  ni  plazer. 


—     220     — 

Pot  beu  dompna,  que  a  sen  e  saber, 

Salvan  s'  onor  maint  amic  retener. 
D'Anc.  LXXXI,  34,  verbessert  nach  Val.  I,  328: 

Chi'  piü  de'  1'  üino  avere  allegramente 

Di  molta  cosa  sola  intenzione 

Che  di  picciola  gioia  processioue  l). 
„freudiger  muss  man  die  blosse  Aussicht  auf  Grosses  besitzen  als 
kleiner  Freude  wirklichen  Fortgang." 

Incontrino  de'  Fabrucci,  bei  Grion,  Pozzo,  p.  42: 

Data  mi  fue  intenzone, 

Pur  a  sua  mossa  e  a  suo  cominciamento, 

Di  darmi  compimento 

A  tutto  il  mio  talento. 
Val.  I,  33G: 

Dandorai  quasi  ferma  iuteuzione, 

Ch'  e  vostra  oppenioue, 

Per  sembiauza  vi  dovesse  amarc. 
ib.  372: 

Intenzione  avendo, 

Che  '1  meo  sacciuto  voi  fero  dolere 

Magna  v'  arä  tosto  pietanza  mossa. 
„indem  ich  die  Hoffnung  hege,   dass  mein  Schmerz  euch  bekannt 
geworden  euch  schnell  grosses  Mitleid  erregt  haben  wird." 

ma  che  oder  mal  che  im  Sinne  von  „ausser"  oder  „ausser 
dass",  n on  ma  che  „nur".  Bekanntlich  hat  es  noch  Dante  in  der 
Comödic  mehrfach  verwendet;  prov.  mas  que  oder  mas  allein,  und 
so  heut'  in  den  n;jrdlichen  Mundarten  Italiens:  piem.  mac  =  sola- 
mente,  neben  nume  (non  magis),  nomä  (Biondelli,  Saggio,  p.  571); 
anma  che  in  den  Canti  Popol.  Monferrini,  p.  3;  nomä,  domä,  lombard. 
(Biondelli,  p.  73);  noma  auch  altvonetianisch,  s.  Romania,  VII,  50; 
bei  Bonvesin  za  may  ma  ..mu"',  z.  B.  trabt,  dei  mesi,  170,  171.  In 
der  Rosa  fresca,  wo  Grion  es  las,  str.  XXX :  Sc  non  ma  a  Ic  van- 
gelie,   stand  es  sicherlich  nicht;   ein  se  non  ma  ist  an  sich  schon 


J)  In  demselben  Gedichte  ist  v.  32  mit  33  umzustellen,   wie  Strophen- 
bau und  Sinn  verlangen. 


221     

kaum  möglich.  Es  eine  kostbare  Reliquie  zu  nennen,  hatte 
Grion  (Serventese,  p.  26)  nicht  allzu  recht;  wenigstens  findet  es 
sich  bei  den  Alten  ungemein  häufig.  An  vielen  Stellen  haben  es 
schon  Salvini  und  Valeriani  richtig  erkannt,  wie  Guittone,  Canz. 
III,  5;  Val.  I,  335;  II,  271  (Guido  Orlandi);  II,  357  (Guido  Caval- 
canti).  Zwei  Beispiele  aus  Guittone  führte  Nannucci,  Voc.  e  Loc. 
p.  40,  an.  Aber  oft  ist  es  von  den  Herausgebern  auch  missver- 
standen  worden,  indem  sie  dieses  ma  che  als  eine  eingeschaltete 
rhetorische  Frage  auffassten,  welche  sehr  wenig  im  Style  der  alten 
Dichter  wäre;  so  bei  Guittone,  Canz.  I,  Gel. 

Non  e  '1  mal  piü  che  '1  bene  a  far  leggiero, 

Ma  che  fero  —  lo  ben  tanto  ne  pare 

Solo  per  disusare. 
wo  Val.  n/rt  che?  fero,  etc.  las. 
Ders.  Canz.  V,  Gel.  2: 

E  nie  certo  con  lor  terzo  vorria, 

Ma  che  mal  mertaria. 
„nur  würde  ich  es  schlecht  verdienen,  ihr  Genosse  zu  sein."     Val. 
wieder  Ma  che?,  und  so  Canz.  XXV,  2;  XXXI,  1.    So  ist  auch  Val. 
II,  448  zu  lesen:  Ma  che  ml  da  conforto,  statt  Ma  che?  etc. 
Dante  da  Majano,  Val.  II,  483: 

Nel  meo  coraggio  non  considerai 

Mai  che  gradir  la  vostra  benvoglienza. 
ib.  495: 

E  ciö  ver  me  non  val  mai  che  mentire. 
d.  h.  „Ovids  weise  Lehren  zur  Heilung  der  Liebe   sind   für  mich 
eitel  Lüge",  und  ebendort: 

Che  'nverso  amor  non  val  forza  ned  arte  .... 

Mai  che  mercede  .... 
so  auch  ib.  490 ;  ma  che  noch  Cecco  Angiolieri,  Allacci,  201.    Guit- 
tone auch  in  den  Briefen,  p.  63,  91,  und    so   die   Cento  Novelle, 
nr.  78:  Hör  cid  chiami  tu  Iddio?    Elli  non  e  ma  che  uno,   von 
Borghini  in  den  Worterklärmigen  verzeichnet. 

ma  tanto  für  .,ausser  soviel"  gebrauchte  Bacciarone,  Val. 
I,  404.  Auch  das  blosse  mai  für  magis  im  Sinne  von  piü  findet 
sich,  bei  Dante  da  Majano,  Val.  II,  447: 


—     222     — 

Che  piü  m'  agenza  c  val  mai  per  amore  .... 
nnd  Terino,  Nan.  Man.  I,  230,  n.  5. 

Auffallend  ist  es,  dass  man  dieses  so  häufige  ma  che  nur  bei 
den  Toscanern  trifft;  aus  der  ganzen  Sammlung  D'Ancona's  kann 
man  kein  Beispiel  dafür  auftreiben;  ma  qaando,  D'Anc.  XX,  26, 
verstand  Corazzini  so,  wie  prov.  mas  quem;  aber  die  Stelle  ist 
dunkel,  und  Corazzini's  Besserung  willkürlich.  Es  möchte  also 
dem  Süden  fremd  gewesen  sein;  Grion  führt  zwar  (Serventese,  26) 
für  nun  ma  „nur"  ein  Beispiel  aus  dem  Liber  Yani  de  Procita 
an;  allein  dieser  Text  ist  nicht  rein  sicilianisch,  sondern  nördlich 
dialektisch  gefärbt. 

per  un  cento  „hundertfach"  (für  eines  hundert);  per  un  cen 
war  sehr  gebräuchlich  bei  den  Troubadours,  wie  man  auch  per 
un  dos,  per  un  tres,  u.  s.  w.  sagte.  Nannucci,  Voc.  e  Loc.  102, 
gab  ein  italienisches  Beispiel  dafür;  man  kann  eine  Menge  anderer 
hinzufügen,  wie  D'Anc.  XXII,  25: 

E  per  un  cento  m'  ä  piü  di  savore 
Lo  ben,  c'  Amore  —  mi  face  sentire, 
Per  lo  grau  mal,  che  m'  ä  fatto  sofrire. 
Desgleichen  XXVII,  32;    Val.  II,  372;  498;    Guittone,  Ganz.  XXIV,  4; 
XXXVIII,  2;  u.s.w.    Auch  Petrarca  gebrauchte  es  noch,  im  Sonett 
Come  va  7  mondo: 

0  speranza,  o  desir  sempre  fallace, 
E  degli  amanti  piü  ben  per  un  cento. 
und  Franco  Sacchetti  (Carducci,  Rime  di  Cino,  p.  487): 
Che,  se  amante  amar  iü  mai  veduto, 
Con  fede  amava  te  per  ognun  cento. 

pesante  im  Sinne  von  „betrübt,  kummervoll". 
D'Anc.  LXXVIII,  30: 

Che  dela  vostra  colpa  io  son  pesante. 
Incontrino  de'  Fabrucci,  bei  Grion,  Pozzo,  p.  41: 

Forte  ne  son  pesante. 
auch  noch  Bindo  Bonichi: 


—     223     — 

Esser  p  es  ante 
Del  bene  altrui,  che  a  se  niente  noce. 
wie  Borgognoni,  Propugnatorc,  I,  580,  anmerkte. 

Es  ist  also  ein  aktives  Participiurn  in  passivischem  Sinne  ge- 
braucht: „belastet,  bedrückt"  statt  „lastend,  lästig".  Diese  Ver- 
wendung des  Partie,  praes.  war  prov.  und  altfrz.  viel  weiter  aus- 
gedehnt, worüber  Tobler,  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  I,  17  ff.,  und  zahl- 
reiche Beispiele  gerade  für  altfrz.  pesant  =  kummervoll,  ib.  p.  23  f. 
prov.  z.  B.  bei  Gausbert  de  Poicibot,  Arch.  34,  397: 
Mas  mos  cors  pesans 
N'esta  malauans. 

presente  „offen,  öffentlich",   prov.  presen,  als  Gegensatz  von 
celat. 

D'Anc.  XVIII,  25: 

Presente  mi  contava, 
E  non  mi  si  celava, 
Tutto  suo  convenente. 
Incontrino  de'  Fabrucci,  Grion,  Pozzo,  p.  42: 

Ca  ben  e  canoscente,  (1.  scanoscente?) 

Qual  donna  fa  presente 
Le  sue  parole  in  vano, 
Ond'  ä  cuor  longitano. 
d.  h.  „öffentlich,  vor  den  Leuten  solche  Worte  redet,  von  denen 
ihr  Herz  ferne  ist." 

pugnare  und  pugnarsi  „sich  bemühen",  gerade  wie  prov. 
ponhar;  unendlich  oft  bei  Guittone  in  Birne  und  Lettere,   z.  B. 
Son.  8: 

E  di  gran  cor  pugnate 
In  arricchir  di  van  pover  riecore. 
wo  es  auch  mit  in  verbunden,  wie  das  provenz.  Verbuni. 
Son.  22: 

Qual  cbi  lordasse  manto 
El  viso  e  si  pugnasse  i.piedi  ornare. 
Lettere,  p.  51:  Ora  non  so  <-}ic  fare,  in  pugnarvi  o  non  di  rico- 


—     224     — 

verare,  ne  s'  >'  pugno  in  merce  o  in  orgoglio,  d.  h.  non  so  che 
fiin.  se  mi  dehba  sforzare  o  no  di  ricuperare  la  vosfra  amicigia, 
e  se  mi  sforzi  per  via  di  merce  <>  per  via  d? orgoglio.  Auch  mit 
Accusativobjekt,  p.  82:  e  quanto  vdl  meglio  (il  mestiere),  meglio 
pugnarlo  d.  h.  bisogna  meglio  adoperarsi  in  esso. 
D'Anc.  LXXIII,  51: 

Ch'  io  mi  pugnassc  pur  di  ben  servirc. 

Val.  I,  422: 

E  con  ogni  argomeirto  m'  apparegli 

Puguaudo,  che  ad  araico  t'  aggia  e  tegna. 

Dass  es  kein  Provenzalismus  ist,  zeigt  schon  der  Umstand,  dass 
auch  der  Aretiner  Ristoro  es  gebraucht,  Nan.  Man.  II,  196:  e  pug- 
narä  ad  cmdare  .  .  .     Vielleicht  ist  in  der  Rosa  fresca,  str.  III: 

Poniamo,  che  s'  aiunga  il  nostro  amore. 
für  dieses  pugnamo  „lass  uns  streben"  zu  verstehen.    Und  so  auch 
Dante,  Inf.  G,  28: 

Qual  e  quel  cane,  che  abbaiando  aggugna 
E  si  racqueta  poi  che  '1  pasto  morde, 
Che  solo  a  divorarlo  intende  c  pugna. 

rcgnarc  im  Sinne  von  „weilen,  verweilen",  wie  oft  das  prov. 
renhar,  z.  13.  Val.  I,  416: 

Ch'  i'  aldo  a'  saggi  dire  iu  voce  vera, 

Che  ciö,  ch'  avveu  piacente  ovver  dogliose 

Cioe  cose  nel  moudo  all'  uom  che  reg  na, 

Sia  per  miglior  di  lui  .  .  .  . 
d.  i.  in  der  beliebten  verschränkten  Weise  der  Pisaner:  alV  uomo, 
che  regna  nel  mondo,  che  sta  nel  mondo. 
ib.  420: 

Regnando  iu  vita  piü  che  morte  dura. 
Guittonc,  Canz.  XX,  5: 

E  dove  non  guareuza 

Porranuo  aver  di  sempre  tormentare, 

Li  converrä  regnare. 
d.  h.  lor  converrä  stare. 


—     225     — 

Ders.  Son.   107: 

tuo  pensier  non  reg  na 

In  altro  che  in  crear  vergogna  e  danno. 

Audi  das  Substantiv  regnamento  „das   Verweilen,  Wohnen",  Val. 

II,  80: 

In  cui  fai  regnamento, 

Volar  lo  fai  senz'  ale. 

„in  wem  du  weilest  (o  Besitz),  den  machst  du  ohne  Flügel  fliegen." 

Daher  die  vielen  Stellen,  an   denen   es  heisst:    „nella  mia  donna 

regna  valenza,   onore,  piaeimento",  etc.,  d.  h.  „Ehre,  Lieblichkeit 

wohnt  in  ihr." 

Daraus  entwickelt  sich  weiter  die  Bedeutung  „dauern". 

Val.  II,  68: 

Ma  era  al  nostro  Signor  rincresciuto 

La  vostra  vita,  che  si  mal  menare 

Vcdea"  in  mondo,  che  gli  era  spiaeere; 

Perö  non  volse  devesse  regnare. 

Don  Arrigo,  Trucchi,  I,  80: 

Che  non  sta  ben  tradimento  a  signore, 

Ne  puö  regnar  sua  laida  signoria. 

Chiaro  Davanzati,   ib.  155: 

E  se  mia  vita  regua  per  languire 

E  non  mi  dona,  me  faria  fallire.         (1.  nie'  saria?) 

D'Anc.  XCI,  18: 

Fallir  dovria  al  postutto 

E  regnar  non  dovria 

Lo  mondo  .  .  . 

„die  Welt  müsste  aufhören  und  nicht  dauern." 

riprendere  „Wurzel  fassen",  prov.  altfrz.  reprendre  und 
emprendre,  s.  Mätzner,  Altfrz.  Lied.  p.  103  u.  104.  Eine  rima  oscura 
Pannuccio's  beginnt,  Val.  I,  368: 

Di  dir  giä  piü  non  celo 
Poi  tante  pene  ho  possa. 
Doglia  m'  c  'n  cor  ripresa. 
(1.  h.  poieke  ho  possa  di  dire,  giä  piü  non  <-<l<>  In  nie  pene;  <U'>i!i<i 

15 


—     226     — 

mi  s'  i   fermata  in  core.     Auch  das   einfache  prendere   in   lacopo 
d'Aquino's  (D'Anc.  XLI,  l): 

AI  cor  m'  e  natu  e  prende  uuo  desio. 

se  tutto  „obgleich-,  prov.  sibot,  ist  mir  nur  aus  Guittone  be- 
kannt, z.  B.  Cauz.  XLIII,  6: 

D'  ogni  altro  casta  in  corpo  ecl  in  cor  öia, 
Sc  tutto  lei  marito  e  disleale. 

..wennschon    sie    einen    treulosen   Gatten    hat":    ebenso   ib.    str.  8; 
Sou.  3;  7:  8,  u.  s.  w.,  und  sehr  oft  in  den  Briefen. 

sofferirsi  di  ..Abstand  nehmen"  von  einer  Sache,  wie  prov. 
se  suffrir  de.    Ein  Beispiel  bei  Xanmicci.  Voc.  e  Loc.  61  (aus  VaL 
I.  477).     Andere  sind 
Val.  I.  303: 

Peru.  Madonna,  mi  voglio  soffrire 
Di  far  sembianza  in  vostra  contrata. 
ib.   II,  85: 

Ma  vogliomene  in  parte  soffer ire.  del  canto 

ib.  257: 

.  .  .  auzi  men  vo'  soffrire. 
ib.  514  (Dino  Frescobaldi) : 

Cosi  di  quello,  onde  il  disio  mi  sforza, 
Mi  convien  sofferir  contra  raia  voglia. 
Es  steht  auch  in  den  Lettere  Senesi,  p.  62:    Ma  se  Ghezo  se  ne 
vole  so  f er  ire  etc. 

soglio.     Der  eigenthümliche   Gebrauch  des  Provenzalischeu, 
vermöge  dessen   von  dem  Verbum  soler  häufig  das  Praesens  -tritt 
des  Praeteritum   steht,    findet   sich   im   alten  Italienischen   wieder, 
also  soglio,  suolc.  wo  man  heute  soleva  setzen  würde. 
Val.  I,  50  (Pier  delle  Vigne): 

Perdo  gioia  e  mi  svoglio, 
Quando  [di]  sua  contezza  mi  rimembra, 
Di  quella,  cli'.  io  amar  e  servir  soglio. 
„die  ich  zu  lieben   pflegte";  denn  die  Dame  ist  todt. 


—     227     — 

Pacino  Angiolieri,  Trucchi,  I,  116: 

Lasso,  che  spessamente  il  giorno  miro 

AI  loco,  ove  inadomia  suol  parere, 

Ma  neu  la  veggo,  siccome  giä  soglio. 
auch  hier  ist  die  Dame  todt;  und  in  demselben  Gedichte: 

Quanto  aver  soglio  piü  sollazzo  e  gioco, 

Cotanto  e  forte  piü  lo  meo  penare. 
Daher  ist  Xannucci's  Erklärung,  Man.  I,  221,  n.  8,  überflüssig. 
D'Anc.  XX,  47: 

A  zö,  ch'  i'  avere  soglio 

De  la  vostra  bellezza, 

Amor  mi  die  certanza  (Ms.  certeza) 

Con  allegranza  —   piena  di  pietate. 
d.  h.  per  quello  che  söleva  ricevere  (godere)  della  vostra   hellezza, 
Amore,  etc. 

Guittone,  Canz.  I,  1: 

Ora  parrä,  s'  e'  saverö  cantare 

E  s'  e'  varrö,  quanto  valer  giä  soglio. 
Ebenso  D'Anc.  LV,  11;   LXXXVI,  22;  Val.  II,  155.     Ferner  noch: 
Guido  Cavalcanti,  Val.  II,  363: 

Un  amoroso  sguardo  spiritale 

M'  ha  rinnovato  ainor  tanto  piacente, 

Che  assai  piü  che  non  suole  ora  m'  assale. 
Und  noch  Dante,  Son.  Se  'l  hello  aspetto: 

Ma  perch'  io  non  la  veggio,  com'  io  soglio, 

Amor  m'  affligge,  ond'  io  prenclo  cordoglio. 
„per  catacresi"  sagt  Fraticelli. 

stare  di  „fern  sein  von",  prov.  estar  de,  z.  B. 

Santz  Honoratz  est  et  tres  antz  de  la  ciptat, 
Que  non  auza  venir  en  son  arcivescat. 

S.  Honorat,  cap.  47. 
oder  Peire  Vidal,  XLIV,  75: 

Tant  ai  de  Proens'  estat. 
ib.  80: 

Car  ai  estat  de  leis  tan  longamen. 

15* 


—     228     — 

so  Val.  I,  278: 

Non  vo'  piu  sofferenza 

Ne  dimorare  omai 

Senza  Madonna,  di  cui  inoro  stando. 
..Ich  will  nicht  längeres  Harren,  noch  bleiben  ohne  Madonna,  fern 
von  der  ich  sterbe." 

stendersi  „wohin  gelangen",  prov.  s'estendre,  z.  B.: 
M.   G.  1139,  4: 

Ni  mais  nom  platz,  quo  s'estenda 

E  leis  merecs  ni  deissenda. 
Zambrini,  op.  volg.  419,  son.  VII: 

Et  tal  v'  aggiunge  et  tal  non  vi  si  st  ende. 
D'Anc.  Son.  V: 

E  perche  sua  vertute  a  potestate 

Piü  che  terrena  segnoria  si  sterulc. 

teuer  danno  „Schaden  thun",  prov.  teuer  ihm. 
Guittone,  Canz.  VIII,  Gel.  1: 

e  cosa  quäle 
Toner  poreami  danno. 
Lettere,  p.  43:    Se  a  padri  e  a  mogtioi  <■  <i  figlinoli  e  ad  amici 
danno  tenete  in  guerra  .... 
Guido  Orlandi,  Val.  II,  268: 

Troppo  servir  tien  danno  ispessamente. 
Es  kommt  auch   sonst  vor,  und   selbst  in  den   Fragm.   Uist.   Pis. 
p.  G62:  piü  voute  U  asagllnno  e  fecieno  e  tennero  loro  danno. 

venire  „werden".      Heute    gebraucht    man    es    so    nur    beim 
Partie.  Perf.;  aber  in  alter  Zeit  stand  venire  und  avvmire  in  die- 
sem Sinne  auch  beim  Adjektiv  und   Substantiv,    wie  prov.   veni/r 
und  avenir,  wo  man  jetzt  divenire  sagt,  z.  B. 
Val.  I,  171: 

So,  che  per  nie  pietä  verrea  crudele. 
ib.  II,  151: 

Che  gioioso  av venire  mai  non  penso. 


—     229     — 

ib.  213: 

Mi  fe  servo  venire 

Della  sua  siguoria  disideroso. 
Guittone,  Lettere,  p.  37:  cui  cavalieri  buon  tutti  vegnono  Regi, 
und  so  sehr  oft. 

Daher  ist  D'Anc.  XXI.  -41,  mit  der  Hs.  zu  lesen: 

Da  poi  che  cristallo  aven  la  neve. 
„sobald  der  Schnee  Krystall  wird'-,  und  nicht  che  'w  cristallo,  wie 
Val.,  Nan.  und  D'Anc.     Und  ib.  XXXI,  41: 

Che  'ngnoranza 

M'  e  venuta  cotal  speranza. 
„Nichtwissen  ist  mir  solche  Hoffnung   geworden",   d.   h.    „ich   bin 
über    sie    ungewiss    geworden",    wodurch    das    unmögliche    Che  'n 
'gnoranza  bei  D'Anc.  weglallt. 

Aehnlich  ist  es  mit  tomare  „zu  etwas  werden,  sich  in  etwas 
verwandeln",  prov.  tornar  in  gleichem  Sinne. 
D'Anc.  XXI,  45: 

acqua  torna  sale. 
..Wasser  wird  zu  Salz."     Demnach  ib.  VII,  31: 

E  la  fereza  torna  pietauza. 
nach  der  Hs.,  nicht  torna  \i  pietanza. 


Zusätze. 


]>.  155,  n.  Den  auffallenden  Schlussreim  sasia  in  Matteo  Frescobaldi's  Bal- 
lade bessert  Carducci  selbst  im  Druckfehlerverz.  zu  sizia. 

..  159.  Aus  der  Liste  der  unsicilianischen  Reime  bei  Sicilianern  mag  mau 
der  grösseren  Sicherheit  halber  noch  die  Stellen  Val.  I,  118  und 
255,  streichen,  weil  nach  der  palat.  Hs.  (p.  92)  die  beiden  Gedichte 
von  Ruggieri  d'Amici  sind,  und  man  nicht  weiss,  ob  dieser  ein 
Sicilianer  gewesen.  Statt  dessen  aber  kann  man  zwei  andere 
Stellen  von  Iacopo  da  Lentini  hinzufügen: 

merzede  :  acede.     D'Anc.  IV,  28. 
freno  :  fino.     V.   117. 
sicil.  merzidi  :  accedi;  [nun  :  finu 

..  162.  Eine  Bemerkung  Böhmers  in  seinen  Romanischen  Studien,  III,  166, 
könnte  glauben  machen,  was  Corazzini  den  Volksliedern  zuschreibt, 
hätten  sich  wenigstens  die  neueren  sicilianischen  Kunstdichter 
erlaubt.  Giov.  Meli  soll  in  der  Fata  Galanti,  VIT.  30,  cosa  :  m/ni- 
rosa  gereimt  haben.  Aber  es  war  dieses  nur  ein  Versehen  Böh- 
mers, dem  das  Auge  beim  Lesen  vom  sicilianischen  Text  auf  die 
rechts  daneben  gedruckte  toscanische  Uebersetzung  geglitten  ist 
(s.  Opere  di  Giov.  Meli.  Palermo,  1857,  p.  -">sl  .  cosa  :  amorosa 
reimte  der  Uebersetzer  Gazzino,  nicht  Meli. 

..  189.  Die  Form  cheo  findet  sich  in  Wahrheit  bei  Meo  Abbracciavacca 
nicht:  die  Stelle,  welche  Nannucci  anführt,  ist  eben  die  Monte's, 
die  er  irrthümlich  jenem  beilegte. 
1,98.  Noch  zur  Erklärung  eines  anderen  Wortes  der  alten  Dichter  ver- 
mögen die  südlichen  Mundarten  beizutragen,  nämlich  schianto  in 
der  Bedeutung  ,,Peiu,  Furcht".  In  der  Rosa  fresca  heisst  es, 
str.  IX: 

Quante  sono  le  schiantora,  che  m'  ä'  mise  alo  core. 
Lapuccio  Belfradelli,  bei  Griou,  Bozzo,  p.  -43: 
S'  io  stato  so'  in  fallare, 
E  poi  mi  date  schitmto. 


—     231     - 

Monte  Andrea  in  Cod.  A,  662: 

Sentomi  al  core  dolorosi  schianti. 
Cino  da  Pistoja  beginnt  ein  Sonett  (nach  B,  269): 

Si  doloroso,  non  poria  dir  quanto, 

Ho  pena  e  schianto  —  angoscia  e  tormento. 
Das  prov.  ital.  Glossar,  welches  Stengel  veröffentlicht  hat  („Die 
beiden  ältesten  prov.  Grammatiken",  p.  89,  13)  übersetzt  mit 
schianto  das  prov.  esglai.  „Furcht"  bedeutet  nun  noch  heut'  das 
sicil.  scantu  (sicil.  scantu  verhält  sich  zu  tose,  schianto,  wie  schettu, 
schera,  seavu,  scuma,  chesa  zu  schietto,  schiera,  schiaro,  schiwma, 
chiesa),  mit  welchem  schon  Giudici  ganz  richtig  das  schiantora 
der  Rosa  fresca  in  Verbindung  brachte.  Hierzu  das  Verbum  scan- 
tarisi,  und  auf  dem  südlichen  Festlande,  noch  genauer  dem  tosca- 
nischen  Lautbestand  entsprechend,  schiantarese,  so  in  einem  Volks- 
liede  von  Martano  (JTerra  d'Otranto),   Canti  Popol.  Merid.  II,  324: 

De  quiddhu  ci  sse  dice  non  mme  scliiantu. 
was  Imbriani  mit  m'atterrisco  erklärt.    Und  so  brauchte  schon  das 
Verbum  Tommaso  di  Sasso,  D'Anc.  XXI,  18: 

Non  trovo  chi  lo  saccia;  ond'  io  mi  schianto. 
„Ich  finde  niemanden,  der  wüsste,  was  Amore  ist,  das  Uebel,  wel- 
ches mich  peinigt;  weshalb  ich  voll  Furcht  bin,  da  das  unbekannte 
Uebel  das  schlimmste."  —  Der  Ursprung  dieser  Bedeutung  aus 
der  gewöhnlichen  des  Wortes  schiantare  wird  leicht  begreiflich, 
wenn  man  an  den  noch  immer  üblichen  Ausdruck  mi  si  schianta 
ü  cuore  denkt.  Vgl.  auch  die  Worte  crepaeuore  und  corrotto, 
welches  letztere  wohl  eher  cor  rwpbwm  ist  als  corruptum  (von 
corrumpere),  wie  Littre  will:  schianto  wäre  also  eigentlich  ein 
schianto  di  cuore. 


Inhalt. 


Seite 
I.    Entstehung  und  Charakter  der  ältesten  italienischen  Lyrik      .     .        1 

II.     Der  Einrluss  der  provenzalischen  Poesie 25 

III.  Befreiung  vom  provenzalischen  Einfluss 113 

IV.  Die  Sprache 140 


Diiiik   vuu  Pösehel  Sc  Trepte  in  Leipzig 


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