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Presented to the
library ofthe
UNIVERSITY OF TORONTO
by
Eckhard Cafholy
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DIE SITTEN DES ROKOKO
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3. bis 5. Tausend
EINLEITUNG
Das achtzehnte Jahrhundert hat — vielleicht aus einen* Über-
fluß an Dokumenten — in der heutigen Kenntnis unter dem
Abgestorbenen und in seiner Zeit Verbrauchten mehr als irgend-
eine Zeit in der Schätzung zu leiden, so sehr, daß diese Zeit uns
ferner erscheint als irgendeine vor ihr. Die Revolution dünkt uns
so sehr definitive Endigung des Alten und Ausgang unserer ver-
meintlich ganz neuen Geschichte zu sein, daß wir ein Besonderes
in dem Allgemeinen gar nicht mehr wahrnehmen und in einem
bloßen Schlagwort jene Zeit verdichten und erledigen, wo wir
uns in allem Wesentlichen noch immer mit den Dingen aus-
einandersetzen und auf die Fragen Antworten suchen, welche
eben dieses achtzehnte Jahrhundert zum ersten Male gestellt hat.
Die sichtbaren Wirkungen markieren in der Geschichte keines-
wegs. Das tun die Ursachen. Die Revolution, von der wir uns so
neu datieren, ist früheren Datums als 1789, wovon das heutige
Bürgertum Zeuge ist, dessen Geburtsstunde zusammenfällt mit
jener von Rousseaus Literatur, deren träumerisch- verlogene
Sprache dieses Bürgertum bis auf heute nicht zu seinem Vorteil
redet, wenn immer es sich auf der Tribüne äußert. Im Kontor
spricht es zu seinem Glücke ja englisch, und auch dieses Englisch
bekam seine Faktur im achtzehnten Jahrhundert.
Es gefällt sich unsere Zeit darin, zu der Kultur des ancien
regime, der letzten, welche die Menschengeschichte zusammen-
gebracht hat, sich gegensätzlich zu charakterisieren und die sehr
mißverstandenen Werte jener mit einem negativen Vorzeichen
zu versehen, und das um so mehr, als sie die eigenen dafür ein-
besorgten oder bloß so behaupteten Werte positiv einstellt. Man
vermeint jene Zeit oberflächlich und äußerlich, weil man sich
selber tief und intensiv vorkommt: daß diese Tiefe und Inten-
sität sich noch keinerlei Form geschaffen, es zu keinen kulturellen
Werten gebracht haben, das läßt die Menschen dieser Zeit nicht
VI Einleitung
etwa an demVorhandensein dieser Qualitäten zweifeln, sondern soll
sogar ihr ganz außerordentlich starkes Vorhandensein bestätigen.
Daß man heute alles auch in seinem polaren Gegensatze denken und
meinen kann, daß man von Wahrheiten redet, aber nicht von der
Wahrheit, daß keinerlei bindende Lebensformen da sind, das hält
man heute für die Form dieser Zeit. Und achtet nicht, daß sie,
soweit sie es überhaupt zu einer alle verbindenden Form bringt,
bestenfalls nichts sonst tut, als Formen jener alten Zeit unbewußt
parodieren, und eben nichts anderes kann als dieses, da ihr eben
weder die Tiefe noch die Intensität jener alten Zeit eignet, aus
der heraus jene Oberfläche wurde, die wir gesellige Kultur nennen.
Unsere Zeit verbraucht das Erbe des chtzehnten Jahrhunderts
und tut es mit wenig Talent, aber mit einem schlechten Gewissen.
Deshalb möchte es sich in einem Gegensatz zu dem achtzehnten
Jahrhundert gesehen wünschen, dem es aber im Wesentlichen
denkerischer und ethischer Einstellungen viel näher ist als etwa
dem achtzehnten das siebzehnte Jahrhundert, so daß man eine
bestimmt zu charakterisierende Periode von 1730 bis auf heute
datieren kann, welcher durchaus gemeinsame Tendenzen eignen
und die nur durch den Mangel der formbildenden Kräfte im
neunzehnten Jahrhundert voneinander unterschieden sind. Die
Formen, die sich das ancien regime noch geben konnte, haben in
der neueren Zeit nur mehr in der leblosen Konvention eine dis-
kutierte Existenz, in ihrer toten Nachahmung und Parodie, aber
sie sind nicht mehr ein Ganzes bindend und Hintergrund schaf-
fend. Die Leichtigkeit und scheinbare Voraussetzungslosigkeit
der Formen des Rokokos — der Zeit von 1740 bis 1790 — gelten
heute als Wesen und Gesetz für alle Form, in der man nichts als
ein sogenanntes Äußerliches sieht, das man ganz eklektisch wählen
könne. Die neue Zeit hat alle Formen kopiert, aber keine aus
sich geschaffen, unter Formen gesellschaftliche Bindungen ver-
standen, nicht nur Formen der Künste. Das Rokoko verbarg
Zweck, Konstruktion und Elemente hinter dem Ornament; man
Einleitung VII
hob scheinbar alle statischen Gesetze auf und gefiel sich im Illu-
sionismus ; man vermengte Plastik und Architektur so oft, indem
man beides malte. Kirchen machte man wie Theater, Schlaf-
zimmer wie Altäre, Bäume und Sträucher schnitt man nach Tier-
formen, Kaskaden ließ man scheinbar aufwärtsfließen, die Liebe
reklamierte man für den Verstand, und den einzigen Zweck der
Ehe sah man im Ehebruch. Das Gespräch und der Brief wurden
die beliebtesten Ausdrucksformen auch für gelehrteste Dinge,
denn man liebte den belebten Reichtum der Oberfläche und die
Sinnlichkeit des Geselligen aus einer Tiefe heraus, die sich nicht
an sich selbst begnügte : in der Musik hatte das Rokoko sein Ge-
nie. Ja, dieses „oberflächliche" Jahrhundert kultivierte, an die
Vis superba formae glaubend und sie zu schaffen begabt, seine
Oberfläche um so intensiver, je mehr Kräfte von unten sich rühr-
ten, welche die Formen dieses Lebens in Zweifel stellten, weil
sie dieses Leben selber verwarfen. So stark war die Kraft zur
Form und die kulturelle Verpflichtung zur Oberfläche, daß sich
die Tiefen und Neuen selber darein begeben mußten: Diderot
wie Rousseau, Lessing wie Goethe, Händel wie Mozart, Watteau
wie Fragonard: im Besten wie im Schlimmsten lebt das neun-
zehnte Jahrhundert von diesen größten Energien des Rokokos,
was das Griechentum Hölderlins, Beethovens letzte Quartette,
die Episode der deutschen Romantik, was Die natürliche Tochter
nicht zu ändern vermochten bis auf heute.
Was sich im Komplexe des Gefühls am stärksten gegen seine
Zeit stellte — ohne sich aus ihr heraus zu stellen — , wurde unser
verzweifeltes Erbe: Rousseau. In Tolstoi verbrauchten wir dieses
letzte Stück. Rousseaus lyrischer Sentimentalismus wandelte sich
in den Spleen, dieser in den Pessimismus, der in seiner letzten
Wandlung einen anarchischen Individualismus und seinen Zwil-
lingsbruder, den protestantischen Sozialismus, zeugte. Dies sind
die aus dem Rokoko zu datierenden Etappen im Geiste des neun-
zehnten Jahrhunderts. Wir sind dabei, uns mit den letzten ge-
VIII Einleitung
bliebenen Resten auseinanderzusetzen. Noch ist nicht ganz deut-
lich, ob wir eine neue Einstellung haben, die sich jedenfalls durch
eine distinkte Form nicht deutlich gemacht hat. Im allgemeinen
lebt die heutige Zeit mehr als je in der Vernünftigkeit, der sie
in einem angeblichen Wissen um ihre nicht einzige oder gar letzte
Bedeutung die engere Determination des Zweckhaften gegeben
hat. Die auf Zwecke gerichtete Vernunft ist das ordnende Prinzip
heutigen Verhaltens. Gewissermaßen inoffiziell drohen Inunda-
tionen von allerlei Mystik an die Biberbaue.
Die Aufklärung inthronisierte die Vernunft — man mußte über
den Abgrund Pascal wegspringen — und machte die Welt nach
ihrem Bilde vernünftig. Sie entkleidete die Religion, und das
Gefühl stand nackt und fror : da wurde es zu der „Ungenauigkeit
des Herzens" leidvoller Menschen, wie Gebsattel den Sentimen-
talismus sehr richtig nennt, und verklagte die vernünftige Welt.
Rousseau gab dieser Anklage das eindringlichste Wort, denn in
ihm war die Leidenschaft stark genug, daß er das einzelne gene-
ralisieren konnte und sagen : „Der denkende Mensch ist ein dege-
neriertes Tier." Was hundert Jahre später wiederholt heißt : Der
Mensch ist ein heraufgekommenes Tier. Rousseau sagte von sich :
„Ich bin anders als alle, die ich gesehen habe; ich wage es, zu
glauben, daß ich anders bin als irgendeiner." Oder : „Je suis un
etre ä part." Dieser leidenschaftliche Glaube an sich selber, diese
Dissoziierung von der Menschheit mußte nur noch stärker wer-
den aus der Einsicht in den Widerspruch zwischen Leben und
Predigt dieses ganz unsozial Empfindenden. Er predigte die Liebe
als christlich und gab seine fünf Kinder ins Findelhaus; er sprach
gegen Rang und Verschwendung und lebte auf Kosten großer
Herreu ; er eiferte für die Demokratie und hing an den Schleppen
der Aristokraten; er weinte über den Reizen der Reinheit und
bewies sie nur als Ausnahme von der Regel der Nicht-Reinheit.
Unsozial stellte er der Gesellschaft das Gesetz, Rückkehr zur Na-
tur verlangte der Unnatürlichste seiner Zeit. Er war ein Schrift-
Einleitung
IX
steller, den seine Worte trunken machten; und diese Trunken-
heit seiner Worte schuf seinen Zeitgenossen die Erregung, nicht
seine Ideen, die keinerlei Bestürzung hervorriefen. Rousseau or-
ganisierte die deliranten Worte zu einem Sklavenaufstand des
Ungenauen, Undeutlichen: Gefühle zu schwach, um Aktionen
zu zeugen. Gedanken, nicht stark genug, um elementare Ereig-
nisse zu sein, zwei Unzulänglichkeiten, die, zusammengetan, ein
schwer zu benennendes Drittes bilden, als welches das Ferment
ist des Verhaltens bis auf unsere Zeit.
Es ist gewiß nicht schwer, zu beweisen, daß Rousseau nicht
hatte, was man Überzeugungen nennt. In seiner Preisschrift war
er für die Künste als Förderer der Menschheit. Diderot riet ihm,
journalistisch aufgelegt, den entgegengesetzten Standpunkt als
den interessanteren, und Rousseau schrieb gegen die Künste als
die Verderber der Menschheit. Einer, dem die Erhitztheit nur aus
den Vokabeln kommt, der kann so und das Gegenteil. Er war ein
journalistisches Genie, das nicht besser als von Marat, Saint-Just
und Robespierre zitiert werden konnte. Und war ein Dichter und
Literat dazu, aber an der Einsicht, wie er sich mit allen diesen
Talenten zu irgendetwas in sich in geheimen Widerspruch setzte,
nährte sich die Leidenschaft dieses Mannes und trieb ihn ins
Grenzenlose. Er liebte die Menschheit und konnte mit keinem
Menschen in einem einfachen Frieden leben; und war ein Selbst-
gerechter. „Es gibt keinen besseren Menschen als mich", schrieb
er _ wie oft! Und ist dies nicht sein einziges Thema ? Er weinte
mit seinen Zuhörerinnen über sich, vor sich, seine Weste hin-
unter. Ganz Genfer Protestant sagt er: „Ich war ein Sklave in
meinen Lastern, aber in meinen Gewissensbissen bin ich ein
Freier." Also: das Motiv ist mehr als die Tat — diese Praxis der
Quietisten brachte Rousseau in die Literatur, und sie hat davon
ihren Charakter bis auf den heutigen Tag, dessen Psychologis-
mus soeben im Sterben liegt. Und diese Praxis bedeutet im Ethi-
schen eine Vereinfachung des moralischen Mittels, welche den
X Einleitung
Reichtum der Oberfläche so mindert wie die Lust dazu. Und
dies bleibt Versuch und Forderung die ganze Zeit bis auf Tol-
stoi. Die Umkehrung, die Nietzsche Bifrons, der nach vorwärts
und rückwärts Gewandte, zwischen den Zeiten stehende, dem
Satze gab : Ich bin frei in meinen Lastern und ein Sklave in mei-
nen Gewissensbissen, diese Umkehrung sagt den Satz Rousseaus
noch einmal, denn Rousseaus Erlebnis ist auch das Nietzsches
und ist ein Schrei aus persönlicher Not : ob das Wort so ist oder
so, ist keine Unterscheidung im wesentlichen. Nietzsche sah nur
als erster das Ende einer Zeit, ahnte in Qual und Sehnsucht die
neue und suchte doch, ganz in der Gewöhnung der alten ver-
nünftigen Zeit, das Leben zu beweisen, um es zu leben.
Entblößt von aller Form, die es sich im Werden gab, lebte das
Geistige der alten Zeit chaotisch in der neuen zu Ende. Im Un-
verständnis aller Form hielt die neue Zeit die Form für Spiel und
Laune, war „Natur", wie sie meinte, und nahm Formen vor
wie Masken, lächelnd, ohne Glauben, ganz problematisch. Voll
Erschütterungen und Skurrilitäten war diese Zeit, in die noch
unsere Jugend fiel. Sie schreibt Zero, nun da sie die Bilanz zieht.
Wie von einem Vergangenen möchte man schon von ihr sprechen
und die auflebende neue erinnern, daß wir in den Bildungen des
Rokokos stärkere Ressourcen haben für die Haltung, die uns bei
Gott nötiger ist als „Stil" und „Geist" und „Fortschritt". Nicht
daß man sie, wie es bisher geschieht, weiter kopiert, sondern daß
man den Begriff dieser Haltung bekomme: das ist, was dieser
auch in ihren Sozialismen bourgeoisen Zeit not tut, wenn anders
sie ihren Reichtum äquilibrieren will, wonach doch ihre Sehn-
sucht steht. Ein aristokratischer Bekannter erzählte: „In dem
Städtchen läßt die Frau Bürgermeister, wenn sie ausgeht, ihr
Stubenmädchen acht Schritt hinter sich hertraben. Sie hält das
für fein. Aber sie will vor allem damit auch vermeiden, daß man
ihre Köchin für ihre Schwester hält. Glauben Sie, daß man
meinen Chauffeur mit mir verwechselt ?"
Einleitung XI
Der Titel , Rokoko' soll nur eine formale, keine historische
Einheit begreifen. Auch eine moralische Abgrenzung ist da-
mit nicht gemeint. Will man die differenten Perioden an dem
Musterlande, an Frankreich, aufweisen, so unterscheidet man
etwa die Periode von 171 5 bis 1723, die Zeit des Regenten,
die Zeit der „Singularite effrontee" neubegierig, wild persön-
lich in allem sittlichen Tun und mit einem intellektuellen Zynis-
mus unsittlich. Da auf die Zeit des Ministeriums Fleury von
1723 bis 1743: ein geschickter ^Machiavellismus bändigt noch
die auseinanderstrebenden Elemente der Zeit, die alsbald nach
des Kardinals Tode und nach dem Frieden von Aix-la-Chapelle
als Opposition herrschend werden. Mit 1774 beginnt die Pe-
riode der Illusionen und Hoffnungen, der verspäteten Reformen
und permanenten Aufstände. Das ruinierte Land treibt das
städtische kaufmännische Bürgertum in die Revolution. Was
diese Kultur auflöste, bildete sie aus sich selber: die öffentliche
Meinung, die zur Demokratie tendiert bis auf heute. Sie bestand
schon, bevor Voltaire, Diderot und Rousseau ihr ihr mächtiges
Wort liehen. Sie bestand in den Chansons, in den Pamphleten,
in den Memoiren und Korrespondenzen. Dieser öffentlichen
Meinung bediente sich die Philosophia militans, die materiali-
stische wie die spiritualistische, und gab ihr die Macht aus der
Zersetzung alles dessen, was bisher Macht war : Königtum, Staat,
Kirche, Adel. Eine absolute Monarchie mit allen Formen, doch
ohne Prestige und ihre gesetzliche Macht nur zwischen Willkür
und Schwäche schwankend äußernd. Ein Adel, den weder Pflicht
noch Selbstbewußtsein halten und der aus Spaß zur Opposition
geht. Ein Parlament, dessen Widerspruch kein Gedanke frucht-
bar macht. Eine Kirche ganz im Weltlichen versunken. Da kein
geistiges Gesetz ist und kein für alle gültiges Gebot, hat jeder
eine Meinung und ist Richter und Urteiler in allem. Wie ein
Barbier um 1760 sagte zu seinem Klienten: ,,Ich bin ein ganz
armseliger Mensch, aber ich glaube nicht so viel an Gott."
XII Einleitung
Aus dieser Zersetzung der alten Mächte bildete sich eine neue
Macht, die einzig herrschende bis auf unsere Zeit: die öffent-
liche Meinung. Sie ist nicht zu fassen und zur Rechenschaft zu
ziehen, sie ist da und verschwunden, starr unbeweglich und im-
mer flüchtig, unfaßbar überall und nirgends, formlos und alle
Form zerstörend. Wer sie zu beherrschen meint, der endet als
ihr Diener, und wer ihr dienen will, den zermalmt sie oft, denn
sie hat Launen, die in kein Kalkül zu bringen sind. An nichts
gebunden, verbindet sie sich alles. Ihre Wahrheit von heute nennt
sie morgen Lüge, ihre Götter von heute morgen Götzen, ihre
verehrten Talente lächerliche Narren. Ihr Kultus veneriert die
Untreue, die Unbeständigkeit, den permanenten Verrat ; das dop-
pelte Gesicht, das allem eigentümlich ist, was um die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts ans Licht kommt, hat es von der öffent-
lichen Meinung, die sich eine Literatur improvisiert, welche der
Vorläufer der Zeitung ist: die geschriebene Konversation, das
Pamphlet, die Chronik. Sie bringt in Voltaire, in Diderot diese
journalistische Aktivität, in die Gelehrsamkeit den amüsierenden
Vortrag, in den Montesquieu des Esprit des lois den Montes-
quieu der Lettres Persanes. Sie favorisiert den Witz, das Epi-
gramm, die Karikatur. Sie gibt jedem das Recht, von allem zu
reden, und erfindet sich aus ihrer Vielhaftigkeit die idealistische
Einheit des Homme selon la nature, um sich einen seriösen Fond
zu geben, der zu nichts verpflichtet, um ihrer Kritik der Zeit
etwas wie einen moralischen Standpunkt außer der Zeit zu geben,
um für sich selber die Geste der Entschuldigung zu haben, daß
sie eben auch in dieser Zeit lebend ihr erliegen muß und den
Homme selon la nature also nicht verwirklichen kann. Jedes Ge-
sicht dieser Zeit hat zwei Profile: ein mit Krampf ernstes und
das andere, das sich über den Ernst mokiert; ein gefühlvolles und
eines, das darüber zynische Witze macht. Diese Doppeltheit war
in einer Form nicht zu halten und daran zerbrach sie endlich.
Diese Doppeltheit war nur mit äußerster Anstrengung eine Zeit-
Einleitung XIII
lang zu halten gewesen, und diese äußerste Anstrengung zur
Formbehauptung ist das Rokoko. Ein unbewußter Wille belebt
unausgesetzt die glückliche Form, die der Geist unausgesetzt be-
droht : das ist die Geschichte des Rokoko.
Die Sitten des Rokokos : man zitiert sie als das offenkundigste
Beispiel der Unsittlichkeit. Nun will es uns aber scheinen, als ob
sich das Quantum dessen, was, sagen wir im Sittlichen des Liebes-
komplexes geschieht, sich in den Zeiten wenig ändert; es wird
sich immer oder meistens an der Grenze des gerade noch Mög-
lichen halten. Man tat wohl immer nur, was man konnte, nicht
mehr; ich meine, man vernichtete sich nicht, erschöpfte sich
kaum. Man hat in der Zeit des ancien regime gewiß nicht unsitt-
licher gejebt als heute, enn wir das allein Vergleichbare nach
Ort und Milieu vergleichen: Paris mit heutigen großen Städten,
die Reichen oder Reichgewordenen von damals mit denen von
heute. Was sich geändert hat, ist die Haltung zu dem Phänomen
des Sittlichen, das für sich selber ganz gleichgeblieben ist. Das
achtzehnte Jahrhundert moralisierte außerordentlich viel mehr,
als es unsere Zeit tut, und es moralisierte leichter, mit einem
leichteren Gewissen, möchte man sagen. Das heutige Urteil über
jene Zeit äußert sich etwa so, daß man sich heute entrüstet dar-
über und daß man sich damals nicht entrüstete; man ist verblüfft
von einer anders sich äußernden Konvenienz; man ist erstaunt,
daß damals der Geist sich auf eine andere Weise mit den Dingen
abfand, als er es heute zu tun beliebt; man vermißt bei den
Sittenrichtern jener Zeit den Ernst eines Standpunktes; man
weiß, daß die kleinen Pamphlet isten, die über Skandal schrien,
allzuoft silberne Löffel stahlen; aber es dürfte an dem ethischen
Ideal gelegen haben, das sich jene Zeit aus ihrer Vernünftigkeit
konstruierte, daß es zu keinen anderen moralischen Reaktionen
führte als solchen, die sich nur rhetorisch äußerten. Der Homme
selon la nature war ein Wechselbalg. Und brachte der Zufall eines
auf der Landstraße zerbrochenen Wagens die für die einfachen
XIV Einleitung
Sitten des Landvolkes schwärmenden Pariser an das wirkliche
Landvolk, dann konnte praktisch von der Schwärmerei nur eine
Arabeske übrigbleiben oder ein dichterisches Spiel, an das man
nicht glaubte. Man hatte bei den Geistigen, bei den Führern
keine „laxe" Anschauung über das „Sittliche", aber wohl allzu
vernunfthafte Idealitäten, denen im Leben nichts irgend, ent-
sprach. Aber es wäre falsch, den Geist jener Zeit anzuklagen, daß
er nicht strenger gewesen sei und so das Sittenlose gefördert hätte.
Der eine Rousseau wiegt wohl die hundert Crebillons und Ge-
nossen auf, über die Laclos wie ein Strafgericht kam, da die Zeit
sich für die Herrschenden ihrem Ende zuneigte. Aber Laclos
richtet nicht die sinnliche Entfesselung, sondern die Vergewal-
tigung des Sinnlichen durch den Verstand. Jene deutschen Jüng-
linge, die in Rousseau ihren Meister verehrten, waren des Sinn-
lichen wahrhaft voll und gaben unverstellte Kunde davon wie
Glühende vom Gotte, ohne daß sie ihn in Madrigalen variierten
wie die vorige Generation, die in ihrer verständigen Eiskühle eine
Erwärmung darin fand, daß sie „galant" war. Man kann sagen :
Kinderzeugend in den Betten lagen die Burschen, denen später,
als sie beim Klange der Sturmtrommel auf die Straße gingen, die
Hosen zu eng wurden für ihre Muskeln, daß sie sie auszogen, wenn
sie nicht schon, von den durchwühlten Frauen weg, halb nackt
auf die Gasse sprangen. Solche Burschen, kleine Offiziere, Hand-
werker, Nichtstuer, Gaffer, waren die Amants du cceur aller der
ausgehaltenen Mädchen, von deren Namen die Berichte voll sind.
Die sie aushielten, waren reichgewordene Steuerpächter, die der
Ehrgeiz und meist nichts sonst plagte, eine bekannte Mätresse zu
haben; alte Generale der Armee, die wenigstens in der Liebe
noch Schlachten schlagen wollten; Kleriker, die ihre Messen in
den Schlafzimmern lesen mußten, dasienurTitularkleriker wegen
der Einkünfte waren; Tuchhändler mit Geld und einer lang-
weiligen Gattin; Krautjunker vom Lande, die in Paris den ver-
fluchten Kerl spielen wollten — eine Gesellschaft wie die heu-
Einleitung XV
tige, und ihr entsprach, was ihr heute entspricht : das kleine Heer
der Zuhälter und ausgehaltenen hübschen Jungen,
Was das ancien regime dichtete, ist kein Dokument unbedingten
Wertes für das, was es lebte. Die Dichtung ist mitnichten „der
Spiegel der Zeit". Sie ist auch Übertreibung. Besonders, wenn sie
wie im Rokoko nichts als ein Gesellschaftsspiel des Witzes und der
Laune ist. Es gab eine Art zerebraler Debauche, die von bravsten
Leuten mitgemacht wurde: der Dichter der unanständigsten
Liedchen und Operetten, Colle, war der allertreueste Gatte, der
Chevalier Bouffiers der hingehendste treueste Geliebte, und solche
Beispiele scheinbaren Widerspruchs ließen sich Hunderte an-
führen zur Bestätigung, daß die Zeit nicht unsittlicher gelebt
hat als irgendeine andere. Daß sie unsittlicher gedacht hat, das
lag daran, daß sie eben nichts sonst als gedacht hat in diesen An-
gelegenheiten des Sinnlichen, und daß sie mit einer Vernunft
gedacht hat, die, schnell erschöpft, zu immer steigenderem Raffi-
nement treibt, um sich zu behaupten. Was dem Liebeskomplexe
durch die Vernunft an Blut entzogen wurde, das mußte, zur
Wahrung des Bestandes überhaupt, ihm in irgendeiner anderen
Materie von wo anders her wieder zugeführt werden. Prompt
eignet sich das Vokabular der Liebe alles Neue an und bildet es
im Sinne seines galanten Gesamtcharakters um: das Wort Sen-
timent z. B.
Neben die sittengeschichtlichen Dokumente, die hier folgend
das Gesagte illustrieren sollen, stelle man zum Vergleiche das, was
heute geschieht und die „Ausschweifung" jener Zeit wird uns
sehr armselig vorkommen. Vergleicht man aber die Entrüstung
diesei Pamphletäre mit der Entrüstung, die unsere durch die
Öffentlichkeit hypokrit gewordene und polizeilich versittlichte
Zeit aufbringt, dann ist unsere Zeit jener alten weit überlegen.
Die öffentliche Moralität war damals gering, wo man nicht zu
repräsentieren brauchte, da man irgendwie war. Die öffentliche
Moralität ist heute außerordentlich groß, weil man repräsentiert
XVI Einleitung
und nichts als das tut, da man nicht ist. Die Verstaatlichung
der Moralität machte den Einzelunternehmer überflüssig oder
verdächtig. Von Staats wegen unsittlich ist heute das meiste Sitt-
liche. Je stärker es bei einem nötig ist, daß er seine Sitten heim-
lich betreibt, desto mehr wird er an dem Bestand der öffentlichen
Moral interessiert sein. Je sittlicher es heute einer will und tut,
desto gegnerischer wird er sich zur öffentlichen Moral stellen.
Dieser Widerspruch, der heute das öffentliche Leben beherrscht,
war das auflösende Element des Rokokos; das erste europäische
Parlament der Revolution machte ihn definitiv. Ihn aufzuheben,
schickt sich die Zeit an. Aber nicht, wie gleich bemerkt sei, in
dem Hör- und Sehbaren dieser Zeit, in ihren Revolutionen und
Konterrevolutionen, in ihren Kriegen und Pazifismen, in ihren
Krämpfen und Fiebern ! Oder gar in ihren Gegnerschaften, den
vermeinten, der Klassen und Parteien! Alle diese Phänomene
leben vom Widerspruch, lieben ihn, weil sie von ihm leben, und
haben keinen intensiveren Wunsch, als daß er ihnen erhalten
bleibe. Was sich hör- und sehbar heute vollzieht, hat seine Frage-
stellungen immer noch im ancien regime bekommen und sucht
auch im Bannkreise von dessen Geist die Antworten auf diese
Fragen so, wie sie jenem Geiste entsprechen mögen. Darüber
kann eine beliebte „Wissenschaftlichkeit" nicht täuschen, die
ja in dieser sittlichen Kategorie gar nicht in Betracht kommt.
Die den Widerspruch aufzuheben bestimmten Keime liegen
tiefer in der Erde als Rousseaus Appell an die Natur oder als
Tolstois Aufruf zum evangelischen Christentum: was aus diesen
Keimzeilen aufblühte, ist längst schon wieder abgeblüht in der
Treibhaus wärme ihrer Züchtung, nachdem es als aparter Zimmer-
schmuck im bourgeoisen Hause seine Stunde gehabt hat. Was
aber den Widerspruch aufzuheben und die noch währende Zeit
des Rokoko zu beschließen bestimmt ist, das lebt in der tiefsten
Katakombe.
FRANZ BLEI
DIE CHRONIQUE SCANDALEUSE
Vestris, der Gott des Tanzes, hat in der Tat das getan, was
unsere Weltleute ein Ende machen nennen: das heißt —
er hat sich verheiratet. Das Fräulein Heinel1 trug ihn seit langer
Zeit im Herzen. Tat es das, weil er es, vor mehreren Jahren, im
Theater vor aller Welt geohrfeigt hatte ? Geschah es, weil er sich
deshalb verschmäht gesehen hatte ? Wie dem auch sei : Vestris
konnte das Fräulein nicht in den Armen eines Rivalen liegen
sehen. Dieser Rivale war Fierville2, der zweite französische
Tänzer. Er wurde seit geraumer Zeit in London zurückge-
halten, und dort haben sein Talent, besonders aber seine exal-
tierte Art, ihm Ansehen und Reichtum eingebracht. Das Fräu-
lein Heinel, das sich auch nach London begeben hatte, erregte
die Bewunderung der Engländer dermaßen, daß mehrere Lords
eine Begeisterung zeigten, ihr zwei- bis dreitausend Guinees an-
zubieten, um mit ihr zu schlafen; das Fräulein wies das Anerbieten
geringschätzig zurück. An Stelle der Guinees bot Fierville dieser
modernen Lais sein Herz an, und sein Anerbieten wurde ange-
nommen. Aber es war keine einfache Liebschaft: die Heirat
wurde vor dem Altar geschlossen. Einige Jahre verfließen und
die Übersättigung tritt ein. Vestris kommt nach London und
macht seine Beleidigung durch die Unterwürfigkeit seiner Liebe
vergessen. Frau Fierville (Fräulein Heinel) trifft ihre Anord-
nungen in England und kommt nach Paris, um hier mit ihrem
neuen Liebhaber sich wieder zu vereinigen; und hier hat sie ihm,
im Angesicht unserer Altäre, ihre eheliche Treue geschworen,
ohne Zweifel erwartend, daß ein neuer Verführer sie Vestris'
Armen entreißen werde. Daß eine Frau treulos und verräterisch
ist, habe nichts zu bedeuten, werden unsere Leute von Welt
sagen. Aber daß sie eine Rabenmutter ist, was werden sie darauf
antworten ? Und so liegt der Fall des Fräulein Heinel durch ihre
Scheidung von Fierville. Sie hat ein Kind verlassen, die Frucht
Die Chronique Scandaleuse
dieser Ehe, das durch das Mißgeschick dieser Umstände ohne
sichere Stellung in der Gesellschaft ist. Es ist gut für dieses Kind
und für seinesgleichen, daß eine kluge und wohlwollende Philoso-
phie es in den Augen dieser freien und aufgeklärten Nation für
legitim hält. O Frankreich, wann wirst du geruhen, einem so
schönen Beispiel zu folgen ?
Ein entsetzlicher Vorgang hat sich gegen Ende des Jahres 1783
in der rue Michel-le-Comte abgespielt. Eine Art Mönch, aus
dem Orden ausgetreten, sucht einen Pförtner seiner Bekannt-
schaft auf, begleitet von einem jungen Savoyarden, der ihm
ein kleines Paket trägt. Er bittet um die Erlaubnis, in irgend-
einem Zimmer des Hauses einen Brief schreiben zu dürfen. Man
gibt ihm einen Schlüssel, und sein Begleiter folgt ihm. In das
Zimmer eingetreten, ist seine erste Sorge, die Tür fest zu ver-
schließen, damit er den abscheulichen Plan ausführen kann, den
er ersonnen hatte, um seine Begierde an diesem jungen Manne
zu befriedigen. Er findet Widerstand, und seine Erregung wird
Wut, Wahnsinn, Raserei; er bringt diesem Unglücklichen meh-
rere Messerstiche bei und verübt dann noch die empörende
Grausamkeit, dieses blutende Opfer zu vergewaltigen. Er tut
mehr : um das Maß vollzumachen, begeht er die Ruchlosigkeit,
diesem Armen 38 Sous zu stehlen, die er in seiner Tasche fand.
Aber solche Missetaten gehen über die menschliche Kraft. Sein
Kopf wird unklar, er steigt die Treppe hinab, zu der Pfört-
nerin, um von seinen Händen das Blut abzuwaschen. Sein ver-
störtes Aussehen beunruhigt, erschreckt. Er will fliehen, aber
er wird festgehalten. Man überführt ihn seiner Verbrechen,
seine Strafe folgt dicht darauf. Aber, großer Gott! welche
Strafen könnten dem allgemeinen Rechtsempfinden gegen sol-
che Ungeheuer genügen und ihnen genügend Scnrecken ein-
flößen ?
Die Chronique Scandaleuse
Es ist schwer zu sagen, ob mehr Geist oder Narrheit in dem
ist, was der Doktor Graham eben in London ausführt. Jedenfalls :
seine geheimnisvolle Art hat die Neugierde angestachelt, und
seine Sonderbarkeit hat Lobpreiser unter allen Zeitgenossen ge-
funden. Man darf daher vermuten, daß dieses Unternehmen ihm
ein großes Vermögen sichern wird. Hier ist die Beschreibung
seiner Anstalt:
Der Doktor Graham hat mit dem Namen „Tempel der Ge-
sundheit" ein großes Gebäude dekoriert, das in der Pall Mall
hegt, neben dem königlichen Palast. Das Gesims ist mit drei
Figuren geschmückt : Venus, ihr zu Seiten Minerva und Juno.
Darunter liest man die folgenden Inschriften. Der Tempel
der Gesundheit, Das Heil der Monarchen, Der Reichtum der
Armen. Etwas tiefer bemerkt man eine Statue, die er Äskulap
geweiht hat, und endlich liest man über der Tür : Keine Wache
wacht an dieser Tür, damit der Reiche wie der Arme ein-
trete. Trotz dieser Inschrift lassen zwei riesengroße Männer,
die mit einer langen Robe bekleidet und mit einem Panzer ver-
sehen sind, auf dem geschrieben ist: Tempel der Gesund-
heit, niemand herein, der nicht sechs Pfund Sterling bezahlt
hat.
Kaum hat man den rechten Fuß auf die erste Stufe der Treppe
gesetzt, hört man, aus Blasinstrumenten, eine harmonische Musik ;
sie dringt aus Öffnungen, die in der Treppe verborgen ange-
bracht sind. Die lieblichsten Düfte, die den Geruch aufs ange-
nehmste berühren, steigen auf, bis an den Eingang zu einem
prächtigen Empfangszimmer. Es ist für Vorträge bestimmt, in
denen der Doktor behauptet, jede Unfruchtbarkeit aufzuheben,
obgleich er selbst niemals Kinder haben konnte. Er verschleiert
in keiner Weise die Worte in diesem Zweig der Wissenschaft und
dennoch strömen die Damen wie die Herren in Menge zu ihm
und hören ihm ohne Bedenken zu.
Das Innere der Feenpalaste hat niemals Ausgesuchteres und
Die Chronique Scandaleuse
Majestätischeres gezeigt. Die Blumengewinde, die Spiegel, die
Kristalle, die vergoldeten und versilberten Metalle sind hier im
Überfluß angebracht und werfen von allen Seiten ein blendendes
Licht zurück.
Musik geht jeder Sitzung voraus, von fünf Uhr bis sieben Uhr;
dann stellt sich der Doktor Graham vor, in seiner Robe und in
einem gelehrten Ton. Im Augenblick tritt Stille ein, die nur
zu Ende der Sitzung durch einen elektrischen Schlag unterbro-
chen wird, der sich der ganzen Gesellschaft mitteilt (mit Hilfe
der Leitungen, die unter den Tüchern, die alle Bänke bedecken,
verborgen sind). Während noch die einen über das Erstaunen
der anderen spotten, sieht man einen Geist, der durch den Fuß-
boden in den Saal eintritt, erscheinen. Es ist ein magerer und
leichenblasser Mann, von riesenhafter Figur, der, ohne ein Wort
zu sagen, dem Doktor eine Flasche Likör überreicht. Nachdem
der Doktor der Gesellschaft davon angeboten hat, verschwindet
er mit dem Geist.
Auf diese seltsame Erscheinung folgt, in der Gestalt der Göttin
der Musik, eine hübsche Frau, die, nachdem sie einige Stücke ge-
sungen hat, mit einem Male unsichtbar wird. Der Doktor Gra-
ham hat damit seine Sitzung beendet, und die Bezahler ziehen
sich zurück, ohne die sechs Guinees, die sie einem so außer-
gewöhnlichen Schauspiel geopfert haben, zu bedauern.
Nach den Sitzungen bietet der Doktor dem Publikum an, die
Schwermut und die übermäßige Heiterkeit verschwinden zu
machen. Es ist die Elektrizität, die den Ruf des Doktors Gra-
ham seit mehreren Jahren begründet. Man kann nicht leug-
nen, daß er Erfolge gehabt hat.
Aber alle diese Einzelheiten sind nur Nebensachen in seiner
Anstalt : eines der prächtigsten Betten, in dunklem Damast, auf
vier gewundenen Säulen ruhend, überladen mit Blumengehängen
aus vergoldetem Metall, bildet den Hauptbestandteil. Für fünf-
zig Louis versichert der Doktor Graham den jungen Leuten wie
Die Chronique Scandaleuse 5
den alten Gatten, daß sie darin einen Nachkommen ihres Namens
zuwege bringen werden.
Von welcher Seite man auch in das Bett steigt, das das gött-
liche Bett genannt wird, immer hört man eine Orgel, die in
Verbindung mit drei anderen steht, in einer angenehmen Musik
ertönen, deren Melodien die Gatten in die Arme des Morpheus
tragen. Während einer Stunde, — so lange dauert dieses Konzert,
— bemerkt man in dem Bett Ströme von Licht, die abwech-
selnd die Säulen erleuchten. Zur Stunde des Erwachens kommt
unser Zauberer, um den Puls der Gläubiger zu fühlen, gibt ihnen
zu frühstücken und entläßt sie, erfüllt von Hoffnung, indem er
ihnen empfiehlt, ihm Anhänger zu werben.3
#
Wenn die Leidenschaften die Quelle der Tugenden sind, so
haben sie doch noch öfter schreckliche Wirkungen und verderb-
liche Folgen. Ein reicher Landwirt aus der Umgebung von
Meaux gibt davon ein neues und sehr trauriges Beispiel. Nach-
dem er mehrere Jahre lang in einem besonders zärtlichen Ver-
hältnis zu einer Frau dieser Gegend stand, haben eifersüchtige
Regungen in ihm den schwärzesten und rohesten Racheplan ent-
stehen lassen. Eines Tages lockt er die Frau in die Felder; dort
bricht er einen scharfen Dornzweig ab, schneidet ihn zurecht
und schärft ihn noch für seinen Zweck. Die Einsamkeit, in der
er sich mit ihr fand, und die Willfährigkeit, mit der sie seinen
verstellten und hinterlistigen Zärtlichkeiten sich hingab, aus-
nützend, läßt er sie statt der Wonnen der Liebe die Qualen des
grausamsten Todes fühlen und spießt sie auf. Dieses unglück-
liche Geschöpf hat, als man sie vier Stunden später in den letzten
Todeszuckungen fand, zu keinem Beweis gegen seinen Mörder
verhelfen können; aber man hegte Verdacht gegen ihn. Ver-
haftet und verhört, bekannte er sein Verbrechen und büßte es
auf dem Schafott. Vergebens hat seine Familie große Summen
angeboten, um ihn der Strafe zu entziehen; das Geld hat dieses-
Die Chronique Scandaleuse
mal weder über die Gesetze noch über das öffentliche Urteil
siegen können.
Die Zeitungen von England haben, als sie den ungeheueren
Zusammenbruch von Taylor, des Direktors der Oper in Lon-
don, meldeten, der ziemlich kraftvollen Haltung, die unsere
Theodora in dieser Lage gezeigt hat, Erwähnung getan. Sie be-
fand sich bei der Nachricht vor; diesem unglücklichen Ereignis,
das ihr in einem Augenblick jede Frucht ihrer Hoffnungen raubte,
in den Kulissen: sie stieß zunächst einige Verwünschungen gegen
Taylor aus, dann faßte sie den Entschluß, eine Ansprache an das
Publikum zu halten, und schickte sich gerade dazu an. Der König,
der anwesend war, fürchtete, daß dieses Benehmen Anlaß zur
Unruhe im Publikum geben könne und Heß der Tänzerin be-
fehlen, davon abzulassen. Ihre Antwort war, „daß sie Frank-
reich nur verlassen habe, um den Befehlen des Königs sich zu
entziehen; daß sie aber, in dem Lande der Freiheit, ihre Vor-
rechte genießen wolle". „Im übrigen", sprach sie weiter zu dem
Überbringer des Befehls, „sagen Sie Georg, daß er mich bezahle,
und ich verpflichte mich zu schweigen." Dieser Vorschlag wurde
nicht angenommen ; Theodora konnte zum Publikum reden, und
sie bekam, obgleich sie ein sehr schlechtes Englisch sprach, viel
Beifall und Zustimmung.
Die ernsthaftesten Leute von Rang vergnügen sich in Paris
damit, ein Gesellschaftsspiel zu veranstalten, das man Mysti-
fikationen nennt, seitdem Poinsinet4 unschuldigen Andenkens
das Ziel davon gewesen ist. Der Abbe Arnaud von der Aka-
demie hat verbreitet, daß ein junger Mann aus der Provinz,
mit dem er in Briefwechsel stehe, nach Paris kommen würde,
um hier seine literarischen Kenntnisse zu vervollkommnen ; daß
er sich demgemäß vornehme, die bedeutendesten Künstler
kennen zu lernen, unter anderen den Chevalier de Mouhy,
Die Chronique Scandaleuse
denn er habe von ihm den größten Eindruck bei der Lektüre
seiner Romane empfangen. Sie kennen, dem Namen nach, den
Chevalier de Mouhy5; er ist, nach dem Chevalier Coudray, als
Autor das lächerlichste Wesen Der vorgebliche junge Mann
habe, um die Bekanntschaft einzuleiten, dem Abbe Arnaud Stro-
phen zum Lobe des Chevaliers geschickt. Sie folgen hier. Der
Abbe Arnaud selbst hat sie natürlich verfaßt und sie dem ver-
götterten Idol vorgelesen.
Eine der allergrößten Gaben,
die uns diese Zeit gewährt,
ist, gelesen zu haben
die Werke des Herrn Mouhy.
(Hierin findet der Chevalier eine gewisse Leichtigkeit des Aus-
drucks.)
Aus ihm strömet die Noblesse.
O, wie blendend ist sein Geist!
Nein, kein Autor flößt Interesse
ein wie Chevalier Mouhy.
„Ah !" sagt der Chevalier, indem er sich bescheiden in die Brust
wirft, „Ihr junger Mann ist sehr, sehr begabt!"
Man nimmt an, es gäbe keinen,
der des öfteren nicht log.
Aber niemals hört man einen
lügen wie Herrn de Mouhy.
„Wie ? Was soll das heißen ? Spottet er über mich ?" — „Ge-
duld, Herr Chevalier!" — „Nein, Herr Abbe, ich will diese Un-
verschämtheit nicht weiter anhören."
Sein Geschmack, und sein Gebahren,
das ein jedes Wort erfüllt,
lassen vorziehn selbst dem Wahren
diese Lügen vor. Mouhy.
„Was höre ich? Das ist entzückend! Welches ausgesuchte Lob
und welche Geschicklichkeit, es auszudrücken ! Das Ansehen zu
8 Die Chronique Scandaleuse
haben, eine Beleidigung zu sagen und ein Kompliment zu
machen ... — "
Land, das mich zuerst gesehen,
niemals noch verließ ich dich;
aber jetzt nun muß ich gehen
zu dem Chevalier Mouhy.
„Ah, er soll sich keine Mühe machen. Er kennt mich von Re-
nomme — das genügt. Ich werde dennoch entzückt sein, diesen
jungen Mann kennen zu lernen. Er verspricht zu kommen ?"
Edle Haltung, schlanke Beine,
Augen glänzend und entzückt!
So muß aussehen, wie ich meine,
Der Herr Chevalier Mouhy.
(Hier sagt der Chevalier kein Wort, denn er ist alt, lahm und
bucklig.)
Seine Schönheit macht Alarm
bei dem Liebsten und dem Gatten.
Denn wer widersteht dem Charme
Des Herrn Chevalier Mouhy ?
Hier endet die Mystifikation, über die auf Kosten dieses guten
Herrn von Mouhy viel gelacht wurde.
#
Der Chevalier Receveur6kam im März des Jahres 1783 in Lon-
don an und glaubte aus dem Geist der Einigkeit, der aller Köpfe
an den Ufern der Themse sich bemächtigt hatte, Nutzen
ziehen 2u können: er wendet sich an einen, den er hatte vor
zehn Jahren in Haft nehmen wollen (an den Autor des „Ga-
zetier cuirasse"). „Reichen wir uns die Hand," sagte er zu ihm,
„es gibt hier Schlingel von Schreibern, die Ihr Beispiel verlockt
hat. Spannen wir unsere Netze gemeinsam aus, damit alle diese
sauberen Vögel, die uns jetzt belästigen, sich darin fangen!"
„Ich bin gern bereit dazu," antwortet der Gepanzerte, „aber
ich muß Ihnen zuvor mitteilen, daß man im Begriff ist, mich zu
verhaften, weil ich einem Tapetenhändler sechzig Guinees schul-
Die Chronique Scandaleuse
dig bin." „Das soll uns nicht aufhalten," sagt der andere, „gehen
wir zu meinem Bankier. Wir werden auf meinen Kreditbrief
das nehmen, was diesen Lästigen schweigen macht. Aber vor
allem: sagen Sie mir, wer ist der Autor dieser Zoten: ,Petits
soupers im Hause de Bouillon*?7 Dieser Kerl hat zwei Briefe
nach Paris geschrieben; ich habe diese Briefe gesehen. Man muß
sich Schriftstücke verschaffen von allen französischen Verdäch-
tigen hier, um zu vergleichen." Der erste, den mar festnahm,
war ein Mann namens Mauricon, der, nachdem er verschiedenen
Behörden in Paris Streiche gespielt hatte, nach London ge-
kommen war, um die Leute zu einer Art von komischen Oper
zu einer halben Guinee für die Person einzuladen. Der „ge-
panzerte Zeitungsschreiber", der nicht wußte, wie er es anfangen
sollte, seine Handschrift zu bekommen, sagte zu einem gewissen
La Fite, einem gewissen Jombert zu sagen, daß es fünf Guinees
zu verdienen gäbe für denjenigen, der Antwort zurückbrächte
auf einen Brief, den man ihm für Mauricon geben würde.
Jombert erzählt den Fall einem gewissen Dupuis, der es sich in
den Kopf setzt, die fünf Guinees zu verdienen und das ge-
wünschte Schriftstück ohne Bedenken selbst anfertigt. Der alte
Goudar, der Begleiter Receveurs, argwöhnt den Betrug; als eines
Tages der berühmte Philidor, ein Freund Mauricons, zurück-
kehrt, schlägt er das Geschäft ihm vor, überzeugt, daß dieser Weg
der sicherste sei. „Gern", sagt der Musiker zu ihm, „ich werde
Mauricon suchen; er wird nach meinem Diktat schreiben." —
„O nein," erwiderte Goudar, „es ist nicht nötig, daß Mauricon
weiß, worum es sich handelt." „Lassen Sie mich nur machen,"
sagt Philidor und macht sich im stillen über ihn lustig, „ich
werde es Ihnen herbeischaffen." In dieser Zeit verteilte man
in den Straßen Londons Blätter und schlug sie überall an,
um das Volk auf die besonderen Kennzeichen des Polizeiinspek-
tors von Paris aufmerksam zu machen. Dieses Blatt war so ab-
gefaßt :
io Die Chronique Scandaleuse
,Gift gegen die französischen Spione und Ankündigung für
die Fremden, die nicht gern auf die Bastille gehen wollen, um
dort zu verfaulen.
Die tapferen und edlen Briten seien benachrichtigt, daß es
hier Inspektoren der Pariser Polizei gibt, die sich in der Stadt
festgesetzt haben; einige ihrer Leute sind einquartiert in der
Gegend von Saint James. Sie stehen dort Wache, Tag und Nacht,
versehen mit Knebeln, Handschellen und Dolchen, in der Ab-
sicht, die Autoren und Herausgeber der drei folgenden Werke
zu ergreifen und nach Frankreich zu transportieren . . .
Nachdem einige Zeit erfolglos vorübergegangen war, kam der
Graf d'Adhemar nach London und ließ Receveur rufen. „Hast
du gefunden, was du suchtest?" fragte ihn der Botschafter.
„Nein, Herr Graf." —„Dann sieh zu, daß du übermorgen nicht
mehr in London bist!"
#
Der Marschall von Richelieu wohnte einem dieser kleinen
Abendessen bei, die jetzt in Paris so häufig sind. Er fängt an laut
zu lachen. Die vier Damen, die dabei waren, wollten die Ur-
sache des Gelächters wissen: Der sollte sie erfahren, der sie er-
raten würde. Man hatte tausend Vermutungen und alle waren
falsch. Der Marschall lehnte durchaus ab, sich zu erklären; er
habe schon wiederholt erfahren, daß diese Damen ihm die Ver-
traulichkeit niemals verziehen hätten. Die weibliche Neugier
wird um so größer. Der Herzog gibt endlich nach, indem er
um Gnade für sich bittet, die die Damen ihm versprechen. —
„Also," sagt der Achtzigjährige, „man muß Ihnen gehorchen:
die Galanterie geziemt jedem Alter. Eine entzückende Erinne-
rung reizte mein Lachen; ich erinnerte, daß ich einstmals
die Ehre gehabt habe, von einer jeden von Ihnen im Bett
empfangen zu werden. Heute kann ich zu Ihnen nur davon
sprechen."
Die Chronique Scandaleuse n
Frau Dugazon, Schauspielerin an der Comedie Italienne, war
höchstens bei ihrem fünfzehnten oder sechzehnten Liebhaber
seit sechs Monaten (so lange lebte sie von ihrem Gatten ge-
trennt), als dieser es sich einfallen ließ, ihr Verhalten unrecht
zu finden. Der Graf von *** war an der Reihe bei der Schönen,
als Dugazon eintritt. Nach einer kleinen Pause sagt er zu seiner
Frau: „Gnädige Frau, wünschen Sie dem Herrn Grafen einen
guten Abend. Heute bleibe ich hier." Die Schöne stammelt
zitternd dem Grafen einige Worte des Abschieds und winkt ihm
zu gehen, um Streitigkeiten auszuweichen. So bleibt der Gatte
Sieger auf dem Schlachtfeld, aber der Graf war sehr schlechter
Laune. Am nächsten Tag am übernächsten Tag geht er über-
all herum und erzählt, daß Dugazon ein liederlicher Bursche,
ein durchtriebener Kerl sei und daß er ihm die Ohren abschnei-
den werde. Da die Ohren von Dugazon noch nicht abgeschnitten
waren, so wurden sie heiß von allen diesen Dingen, die. ihm
hinterbracht wurden. Der Zufall wollte es, daß er einige Tage
später mit dem Grafen zusammentraf, der dieselben Reden vor
ihm wieder anfing. Dugazon, der einer der tapfersten Komö-
dianten dieser Zeit ist, deutet ihm an, daß er solche Beschimp-
fungen nicht dulden könne. Diese Erklärung zieht eine andere
nach sich: der Graf gibt ihm eine tüchtige Ohrfeige, und in der
nächsten Sekunde gibt sie ihm der andere aus aller Kraft zurück.
Die beiden Gegner brennen darauf, sich zu schlagen; man trennt
sie, man bewacht sie. Dugazon wird von der Polizei gemaßregelt,
und seiner Frau, mit allen ihren Talenten, wird mit dem Zucht-
haus gedroht. Das ist das Ergebnis der Ohrfeigen der beiden
Herren. Im Palais-Royal ist man sehr neugierig, die Wendung
zu erfahren, die die große Angelegenheit nehmen wird. Man
fragt sich im Caveau, wie das enden und was der Graf mit der
Ohrfeige tun werde, die er bekommen habe. „Wer weiß," ant-
wortet ein Spaßvogel, „vielleicht wird er sie zu den übrigen
legen." Die Prophezeiung hat sich bewahrheitet.8
12 Die Chronique Scandaleuse
Der Herr Graf von A**, Generalleutnant der Armeen des
Königs, ist ins Gefängnis gebracht worden, weil er das Feld-
gericht beleidigt hat. Des Gefängnisses und der Ordnung, die er
beobachten muß, müde, läßt er dem alten Marschall von Riche-
lieu eines Tages sagen, daß er nicht mehr von seiner Frau ge-
trennt leben könne, daß er gefoltert werde von den ungestümen
Wünschen, die die Natur in ihm mit einer zu gebieterischen
Stimme sprechen lasse, als daß er sie zum Schweigen bringen
könne. Mit der entzückenden Heiterkeit, die er sich bewahrt
hat, rief der Marschall von Richelieu aus : „Ah, sagen Sie Herrn
von A . . ., daß er nur aus dem Gefängnis herausgelassen würde,
nachdem er mich sein geheimes Mittel habe wissen lassen."
#
Einige junge Offiziere hatten einen Streit mit der Wache bei
Nicolet. Die Sache wurde bekannt und vor das Gericht der
Marschälle gebracht. Der alte Herzog besinnt sich, daß er jung
und Soldat gewesen war. Seine ritterliche Art läßt ihn den Über-
mut der jungen Offiziere billigen, und er tadelt die Leute der
WTache. Einer dieser jungen Adligen ruft laut: „Herr Marschall,
ein Soldat hat die Unverschämtheit gehabt zu sagen, daß er sich
den Teufel um Sie schere!" — „Das mag sein, aber da er Sie,
mein Herr, nicht gebeten hat, es mir wiederzusagen, haben Sie
die Güte, sich nach dem Gefängnis zurückzubegeben."
Der Herzog von *** überraschte eines Tages seine teure Hälfte
in den Armen des Erziehers seines Sohnes. Die würdige Gattin
sagt zu ihm mit herzoglicher Unverschämtheit : „Warum waren
Sie nicht da ? Wenn ich meinen Kutscher nicht habe, nehme
ich den Arm meines Lakaien."
Der Chevalier von *** war zum Souper bei dem Fräulein
Theophile. Sie sprachen von den süßen Freuden und waren
voll der Hoffnung, sie bald zu genießen. Das Fräulein läßt, in-
Die Chronique Scandaleuse 13
mitten ihres verliebten Rausches, einige Seufzer entfliehen. „Was
haben Sie, mein schöner Engel ?" „Mein Freund, ich muß dir
etwas bekennen, ich brauche zwölf Louis äußerst notwendig."
„Göttliche, ich bin in Verzweiflung: ich habe keinen Pfennig,
nicht das geringste. Welches Vergnügen würde es mir gewesen
sein, dir diese Kleinigkeit zu schenken." „Schenken ? ! Ah, mein
Freund, ich kenne deine Lage. Es war ein einfaches Darlehen,
das ich wünschte und nur für wenige Tage. Ich verkaufe meinem
guten Freunde meine Gunst nicht." Darauf folgt ein Erguß der
zärtlichsten Gefühle. Man setzt sich zu Tisch, und bald wirft
man sich in die Arme der Liebe, um für die Härten dieses ver-
wünschten Schicksals sich zu entschädigen. Man hört an die Tür
klopfen. Der Chevalier weiß nicht was tun. „Ah, das ist er",
sagt das Fräulein erschrocken. „Er" war ein reicher Finanzmann,
der die großen Ausgaben des Fräuleins bestritt, indes der Che-
valier statt seiner geliebt wurde. Der Chevalier flüchtet in ein
Nebenzimmer. Der Finanzmann läuft, mit seinen beiden krum-
men Beinen, auf seine Geliebte zu : „Endlich, meine Königin,
habe ich mich frei gemacht von diesem unglücklichen grünen
Tisch, an den ich genagelt war. Verdammt, die Geschäfte gehen
ganz und gar nicht. Die Steuerpachten sind des Teufels; es
gibt nur dreißig für hundert, und bald gibt es nur noch Wasser
zu trinken." „Ah, mein Herr! ich bitte Sie, lassen Sie mich mit
Ihren Geschäften. Meine Migräne wird stärker. O, guter Gott,
guter Gott! Das sind Schläge auf meinen Kopf! O, o, o!" —
„Aber, meine Liebe, das ist ein dummes Kopfweh, ganz außer
der Zeit, zum Teufel mit dieser Migräne! Ich komme . . ." „O,
mein Herr, gehen Sie, gehen Sie!" „Ich soll nicht mit dir zu
Abend essen? Und hier ist schon ein Gedeck bereit!" — „Ja,
ganz richtig — ich wollte gerade etwas essen, als dieses un-
glückliche Kopfweh mich überraschte. Um Gottes willen, lassen
Sie mich, lassen Sie mich, das sind unerhörte Qualen. Ich hoffe,
daß die Ruhe mich wieder herstellen wird." — „Ruhe ? aber
ia Die Chronique Scandaleuse
ich ? was habe ich für mein Geld ?" — „Für mein Geld — hören
Sie — haben Sie zwölf Louis, die Sie mir geben können ? Ich
bin in einer Hundelaune. Es ist für eine Putzmacherin, die mich
nicht atmen läßt." — „Was soll das heißen mit deiner Putz-
macherin' ? Unter uns, meine liebe Freundin, weißt du, wieviel
du mich kostest ? 0, ich kann rechnen !" — „Pfui bezahlt man
seine Freuden ? Ich muß diese zwölf Louis augenblicklich haben.
Bekomme ich sie nicht sofort, kratze ich Ihnen die Augen aus !" —
„Zieh' die Krallen ein, meine Katze, kratze nicht — ich sage dir,
daß ich kein Geld habe. Morgen." — „In dieser Minute muß ich
es haben. Man hat wirklich was an diesen Herren der Steuer-
pacht — sie sind von einer Knauserei!" — „Willst du mir nicht
einen Kuß geben ?" — „Ich Sie küssen ? Ich würde lieber . . .
Spaßhafter Herr!" — Während der Finanzmann das Fräulein
umarmt, legt er geschickt zwölf Louis auf deD Kamin und ent-
schließt sich, seine Lukretia zu verlassen, mit ihrer Migräne, die
sie quält. Sie begleitet ihren Krösus bis an die Tür, ohne seine
Aufmerksamkeit bemerkt zu haben. Das Fräulein kommt zurück
und beklagt sich über den unbeugsamen Geiz dieser Geldleute.
„Meine Liebe," sagt der Chevalier zu ihr, „ich gebe dem Ver-
langen nach, Ihnen zu Diensten zu sein ; ich verhehle nicht, daß
ich gezaudert habe, aber die Liebe reißt mich hin. Nehmen Sie
diese zwölf Louis. Sie sind, meiner Treu, mein ganzes Vermögen."
Die Geliebte ist entzückt und verspricht, diese Summe gut an-
zuwenden. Sie essen in heiterer Laune zu Abend und die Nacht
vergeht noch angenehmer. Am nächsten Morgen eilt der Finanz-
mann zu seiner Treuen; er stirbt vor Verlangen zu erfahren,
welche Empfindung sein Angebinde hervorgebracht hat. Er er-
wartet Dankesbezeugungen, Zärtlichkeiten. Man empfängt ihn
mit häßlichen Schimpfworten; man erklärt ihm sogar, daß er
seinen Abschied nehmen könne. „Aber", schreit der Finanz-
mann „meine Kleine, Sie sind undankbar. Habe ich Ihnen
gestern nicht diese zwölf Louis gegeben, um die Sie mich in so
Die Chronique Scandaleuse i£
übler Laune gebeten haben ?" — „Sie haben mir diese zwölf
Louis gegeben ? Sie ?" — „Ja, ja, ich selbst. Ich habe sie auf Ihren
Kamin gelegt." Streitigkeiten, Vorhaltungen, Weigerungen, dem
Herrn zu glauben. Er leistet alle Eide, er schwört bei Plutus. Man
läßt sich endlich überreden. „Ich muß annehmen," sagt das Fräu-
lein, „daß ich bestohlen worden bin." Das Geschenk wird noch
einmal gemacht. — Kaum hat das Fräulein den Chevalier wieder
gesehen, als es lachend zu ihm sagt : „Ich glaube, mein Herr Spitz-
bube, daß ich Ihnen diese zwölf Louis nicht zurückzugeben brau-
che. Komm: man verzeiht der Liebe alles. Wir werden zusammen
essen, auf die Freigebigkeit dieses Herrn." Der Chevalier be-
kannte alles, lachte selbst darüber, und die beiden Verliebten
waren noch eifriger, den Finanzmann zu betrügen.
Liguria trat eines Tages plötzlich in mein Zimmer. Die Un-
sicherheit ihres Blickes, die Hast ihrer Bewegungen, die Unord-
nung ihrer Haartracht und ihrer Kleidung, alles kündigte eine
Verwirrung und eine außergewöhnliche Erschütterung in ihr
an. Ich war noch im Bett. Sie setzte sich zu mir, sie küßte
mich, sie wollte sprechen; aber sie war zu bewegt; ihr Mund
stieß nur unartikulierte Laute aus. Ich hebe dieses sanfte Kind
zärtlich. Ich glaubte, daß sie irgendein Unglück erfahren habe.
Ich versuchte, sie durch meine Zärtlichkeiten zu beruhigen; nach
und nach kam sie zu sich und, sobald sie den Gebrauch der
Worte wieder erlangt hatte, rief sie aus : „Ah, meine liebe Leu-
cosia, was habe ich Ihnen alles zu sagen! Gestern, beim Unter-
gang der Sonne, dünkte mich, sah ich Biblis : sie näherte sich mir
mit einer geheimnisvollen Miene; sie hüllte meinen Kopf in einen
weißen Schleier und befahl mir, ihr zu folgen. Ich gehorchte ohne
Zaudern. Sie wissen, wie ich dieser Frau vertraue. Wir schritten
durch die Stadt bis zu der Stelle, wo mein Vormund wohnt;
i6 Die Chronique Scandaleuse
dann traten wir in eine schmale und abgelegene Straße. Das
wenige des Tages, das uns bis dahin geleuchtet hatte, verließ uns
gänzlich. Die Stille, die Biblis beobachtete, die Unkenntnis des
Ortes, die entsetzliche Nacht, die mich umgab, durchdrangen
mich mit einem geheimen Schrecken, dessen ich mich nicht er-
wehren konnte. ,0, wohin führen Sie mich, meine liebe Biblis ?*
fragte ich sie. Sie antwortet mir nicht. Eine Tür öffnet sich,
und wir steigen in einen dunklen, unterirdischen Gang hinab,
über eine gewundene Treppe.
Stellen Sie sich vor, meine liebe Leucosia, von welchem
Schrecken ich erfüllt war. Nachdem mich Biblis einige Zeit
in der Dunkelheit geführt hatte, verließ sie mich plötzlich.
,Sie sind', sagte sie, ,in dem Tempel eines Gottes ! Hüten Sie
sich, was immer sich ereigne, die Weihe der Mysterien durch
Ihre Rufe zu stören.' Als sie diese Worte beendet hatte, ent-
fernte sie sich.
Die Überraschung machte mich starr. Ich wußte nicht, was
ich denken sollte. Von welcher Art sind denn diese Mysterien,
die hier feierlich begangen werden, sagte ich zu mir selbst. War-
um sie mit einer so dichten Nacht bedecken ? Aber die Götter
sprechen nicht aus, auf welche Art sie angebetet sein wollen. Es
ist nicht an uns, in ihr Geheimnis zu dringen, denn sie hüten es
eifersüchtig. Es genügt zu wissen, daß ich in ihrem Tempel bin.
Ohne Zweifel achtet man die Unschuld hier, und Biblis liebt
mich zu sehr, um mich irgendwelchen Gefahren auszusetzen.
Diese kurzen Überlegungen haben mich beruhigt. Ich habe die
Hände ausgestreckt, rings um mich her, um mich zu versichern,
daß ich keinen Gefährten meines Abenteuers habe, den ich um
Aufklärungen bitten könne, und ich habe mit größter Aufmerk-
samkeit nach jedem Geräusch gehorcht, das dienen könne, meine
Schritte zu lenken.
Aus der tiefen Stille, die rings um mich herrschte, entflohen
von Zeit zu Zeit Seufzer, aber nicht von jenen schmerzvollen
Die Chronique Scandaleuse ij
Seufzern, die uns ein quälendes Gefühl entlockt. Sie drangen bis
an mein Herz, aber sie erregten dort weniger Mitleid als eine
gewisse süße Empfindung, die durch meine Adern ein zartes
Feuei rinnen ließ. Ich empfand ein nie gekanntes Gefühl. Ich
war außer mir; ich wünschte, ich fürchtete, ohne die Ursache
meiner Wünsche und meiner Ängste zu kennen. Ein leises Ge-
räusch, das sich hören ließ, zwang mich, meine Aufmerksamkeit
zu verdoppeln. Es war das eines leichten und zögernden Schrittes.
Das Geräusch schien sich mir zu nähern : in dem Augenblick er-
griff man eine meiner Hände. Sie kennen meine Schüchternheit,
meine liebe Leucosia. Allein an einem Ort, an dem alles mir un-
begreiflich schien, da habe ich gefühlt, daß eine fremde Hand
die meine ergriff — sollte ich nicht aufschreien ? — Ich habe An-
strengungen gemacht, um mich zu befreien. ,Warum fürchten
Sie mich, entzückende Liguria V sagte eine tiefe Stimme zu mir,
zu stark, um die einer Frau zu sein; aber so wohlklingend, so
sanft, so rührend, daß sie nicht die eines Sterblichen sein konnte.
,Warum ängstigen Sie sich ? Warum fürchten Sie meine Zärtlich-
keiten und mein Entzücken ? Ich bin der Gott, den man an dieser
Stätte verehrt. Ach, was nützen mir Weihrauch, die Opfer, die
man mir bringt, die Ehren, die mich niederdrücken, wenn ich
nur nach dem Glück atme, geliebt zu werden, ohne es erlangen
zu können ?' ,Sie sind ein Gott ?' habe ich noch erschreckter ge-
antwortet. ,Was fordern Sie von mir, außer der Scheu und der
Furcht r" ,Wenn sie mir gebühren, so fordere ich sie nicht von
Ihnen; von Ihnen, von der mein Glück abhäng ; Sie, deren Be-
sitz mich tausendmal glücklicher machen würde als selbst die Un-
sterblichkeit. Halten Sie die Glückseligkeit eines Gottes fest,
liebenswürdige Liguria, verscheuchen Sie sie nicht durch Ihre
Kälte. Dieser Gott wird Ihnen nach bestem Vermögen dienen,
um Sie glücklich zu machen, wenn Sie der Gegenstand seiner
Liebe sein wollen.'
Stellen Sie sich meine Verwirrung vor, meine liebe Leucosia.
l8 Die Chronique Scandaleuse
Was konnte ein Mädchen ohne Erfahrung einem mächtigen Gott
antworten, der in sie drang ? Denn ich zweifele nicht, daß dieser
ein Gott war. Es gibt nichts Menschliches in meinem Abenteuer.
, Glauben Sie denn,' habe ich geantwortet, ,daß ich mich so über
das schwache Vermögen meiner Reize täusche ? Sie sind ein Gott,
mein Herz sagt es mir. Niemals hat die Nähe eines Sterblichen
mir eine solche Bestürzung verursacht, wie ich sie jetzt fühle.
Aber Ihre Macht erschreckt mich mehr, als daß sie mich be-
ruhige. Was habe ich zu erwarten, wenn ich mich Ihren Zärtlich-
keiten hingebe ? Bin ich der Spielball einer vergänglichen Laune,
heute die Ursache Ihrer Wünsche, morgen die Ihrer Gleichgül-
tigkeit, vielleicht Ihrer Verachtung, wenn ich einwillige, Ihnen
zu gehören ? Und wenn sich die Liebe meiner bemächtigt —
welcher schrecklichen Verzweiflung werde ich ausgeliefert sein ?
Weiß ich, wie Götter lieben ? Verpflichten ihre Liebesschwüre
mehr als die der Menschen ?* ,Ah,' hat mir die Stimme geant-
wortet, ,beurteilen Sie meine Gefühle nicht nach denen der an-
deren. Zwingen Sie mich nicht, die Erhabenheit zu verabscheuen,
die mir den Weg zu Ihrem Herzen versperrt. Die Glut, die ick
empfinde, meine liebe Liguria, hat niemals ihresgleichen gehabt,
weder in den Himmeln noch auf der Erde. Fordern Sie Beweise !
Ah, was würde ich nicht tun, um mich Ihres Besitzes zu ver-
sichern ? Ja, ich schwöre, bei Ihren Reizen, bei dem feurigen und
heftigen Verlangen, das mich fortreißt, bei der brennenden Glut,
die mich verzehrt: Sie allein können mein Glück ausmachen.
Und wenn Ihr Herz meine Empfindungen nur etwas erwidern
würde, mein Glück würde keine Grenzen kennen. Aber Sie sind
stumm, und meine flammende Liebe selbst vermag nicht, Sie
zu rühren. Ah, grausames Geschick, ich sehe mein Unglück nur
zu klar. Ich habe bis zu diesem Tag gekämpft, um Ihnen eine
vergebliche Neigung nicht zu zeigen; aber meine Leidenschaft
erklärte sich endlich besiegt durch ihre ungeheure Stärke. Juno
begünstigt mich; sie selbst hat sie in der Erscheinung der Biblis
Die Chronique Scandaleuse 19
an diesen Ort geführt, der meiner Liebe so günstig schien; an
diesen Ort, der für Sie und für mich der Schauplatz der reinsten
Freuden sein könnte, und an dem ich nur meine Qualen ver-
größert fühle. 0, meine Göttin! Sehen Sie den Zustand, dem
Sie mein Herz unterworfen haben, und wenn das Ihre der Liebe
verschlossen ist, öffnen Sie es wenigstens dem Mitleid/
Als der Gott zu mir sprach, hielt er mich unmerklich um-
schlungen; ich dachte nicht, mich zu wehren. Ein Kuß, den er
mir gab, riß mich aus meiner Zerstreutheit. Ich wollte seinen
Armen entschlüpfen, aber das Feuer seiner glühenden Lippen
war schon in meine Seele gedrungen. Ich zwang mich, mich
seinen Umarmungen zu entziehen, und ich fand nur die Kraft,
sie zu erwidern. Bezaubert durch eine Unruhe, die noch größer
wurde durch das Ungestüm seiner Zärtlichkeiten, hat er mir sein
Entzücken durch tausend neue Küsse" bezeigt, die aus Nektar
und Ambrosia gemischt waren. Nein, die Liebe selbst würde sie
nicht besser geben können. Ich will es dir nicht verbergen. Wenn
das Verlangen meines Liebhabers, mit seinem Erfolg zufrieden,
auf meinen Lippen hingeschwunden und nicht größer geworden
wäre, meine Arme hätten niemals die Kraft gehabt, um ihn zu-
rückzuhalten. Aber seine unbesonnenen Aufwallungen haben
mich bald zu mir selbst gebracht. , Grausamer', habe ich zu ihm
gesagt, zusammenraffend, was mir an Kräften blieb, um mich
zu verteidigen und zu ihm zu sprechen, ,was versuchen Sie zu
tun ? Sie können ohne Zweifel Schwäche einflößen, wollen Sie
daraus Nutzen ziehen, um mich zu verführen ? Ich bin unschul-
dig, Sie sind ein Gott, achten Sie mich, achten Sie sich selbst,
lassen Sie mich fliehen . . ' ,Sie fliehen, — Undankbare/ ant-
wortete er mir, ,da ich die Himmel für Sie verlassen habe! Ist
Ihnen dieses Opfer nichts wert ? Kann ich größere bringen ? Und
verdiene ich Ihre zärtlichsten Gefühle nicht ? Welche ist, außer
Ihnen, die Sterbliche, die sie mir verweigern würde V ,Ah,' habe
ich ausgerufen, , lassen Sie sich an meiner Zärtlichkeit genügen!
20 Die Chronique Scandaleuse
Welche andere könnte Sie mehr lieben als ich ? Ich rufe die
Götter, die ich fürchte, zu Zeugen an : ich habe niemals, was ich
für Sie empfinde, je gefühlt. Das ist genug, um Ihnen zu sagen,
daß in der Verwirrung, in der ich bin, ich keine Kraft mehr habe,
um mich zu wehren.* ,Sie Heben mich, Liguria ?' hat mein Lieb-
haber erwidert. ,0, Bekenntnis, das mich entzückt. Sie lieben
mich, o, sagen Sie es mir noch einmal . . . Sie lieben mich ? . . .'
Der Gott, durch das Übermaß seiner Dankbarkeit hingerissen,
hat mich mit einerneuen Flut seiner Zärtlichkeiten überschüttet,
die meine Vorwürfe zurückgehalten hatten. Ich habe alles getan,
was ich konnte, um ihm zu widerstehen, aber endlich : was konnte
ich tun ? Er ist ein Gott, und ich bin nur eine schwache Sterbliche.
Wie soll ich dir alles schildern, meine liebe Leucosia ? Diese
brennenden Liebkosungen, diese zärtlichen Bekenntnisse meines
Geliebten ? ,Süße Liguria,4 sagte er zu mir, ,ich schwöre es beim
Styx, ich werde Sie immer Heben. Aber was soll aus mir werden,
wenn ich Sie verlieren müßte ? Welche Marter für mich ! Schlie-
ßen Sie auf meine künftige Verzweiflung aus meinem gegen-
wärtigen Entzücken. Würde ich nicht beklagen, nicht mit Ihnen
sterben zu können ? Meine Ruhe ist mir genommen. Die Götter
werden mir diese Gnade nicht verweigern: Sie werden Ihnen
UnsterbHchkeit verleihen, denn Ihr Liebreiz hat Sie dessen wür-
dig gemacht/
,Wie, ich werde unsterbHch sein ?' habe ich, außer mir vor
Freude, zu ihm gesagt. ,Ah, mein süßer GeHebter, ich werde Sie
docl* immer lieben.' — Als ich diese Worte aussprach, ließ sich
ein dumpfes Geräusch hören, der Gott entwand sich meinen
Armen. ,Ich verlasse Sie,' sagte er zu mir, ,aber nur, um Sie bald
wiederzusehen und Sie unsterblich zu machen. Ich werde mit
Jupiter sprechen.' Und im Augenblick hat er sich zurückgezogen.
Welche Trennung ! Was habe ich gelitten, meine teure Leuco-
sia! Alle Freuden haben mich mit meinem Geliebten verlassen.
Sie haben in meinem Herzen nur eine schreckliche Leere ge-
Die Chronique Scandaleuse 21
lassen. Das Entsetzen der Finsternis, die mich umgab, hat sich
verdoppelt, und um meine Verzweiflung aufs äußerste zu steigern,
haben Gewissensbisse sich fühlbar gemacht. Denn, obgleich ich
schuldlos war, fand ich nichts, um mich von ihnen zu befreien.
Zweifellos beklagt die Tugend immer, daß irgendwelche Rück-
sicht genommen wurde, um sie zu stützen, und die Schamhaftig-
keit beunruhigt sich sogar über den Genuß erlaubter Freuden.
Wie dem auch sei: jetzt mache ich mir keine Vorwürfe. Wenn
ich den Zärtlichkeiten des Gottes mich ergab, sc ergab ich mich
ihm nur als Gattin; ich habe als Gewähr seiner Treue seine
Schwüre, ich kenne seine Aufrichtigkeit und seine Liebe. — Er
hatte mich kaum verlassen, als eine unbekannte Stimme mich mit
meinem Namen anrief. Ich habe mich nach der Seite vorwärts
bewegt, von der sie kam. Man hat meine Hand ergriffen, und
ich bin aus dem Tempel durch die Tür hinausgegangen, durch
die man mich hereingeführt hatte . . ."
Liguria ist keine andere als ein Fräulein Forestier, eine hüb-
sche Putzmacherin von vierzehn bis fünfzehn Jahren, in die der
Herzog D . . . heftig verliebt war. Biblis ist die Dubuisson, eines
der geschicktesten Werkzeuge, die die berühmte Göurdan je ge-
habt hat.9 Leucosia ist eine gute Freundin der kleinen Forestier.
Der Tempel ist nur ein Zimmer des kleinen herzoglichen Hauses.
Kaum hatte Liguria, oder, um unverhüllt zu sprechen: Fräulein
Forestier, aufgehört zu erzählen, als sie in den Augen ihrer Ge-
fährtin suchte, was jene über dieses erstaunliche Abenteuer denke.
Als jene eben anfing, ihr ihre Gedanken darüber mitzuteilen,
hörte man wiederholt an die Tür klopfen. Die Gefährtin öffnete
zitternd ... Es war die Dubuisson, die sich selbst durch Hände-
klatschen und durch schallendes, unbändiges Gelächter ankün-
digte. Sie flog der jungen Liebhaberin um den Hals. „Ja", sagt
sie zu ihr, „wir haben in Ihnen eine Göttin mehr: jener gewisse
Olymp konnte keine bessere Erwerbung machen. Treten Sie ein,
entzückender Gott," rief sie dem Herzog, der ihr folgte, zu,
22 Die Chronique Scandaleuse
„ kommen Sie, um Ihrer Göttin neue Versicherungen Ihrer Liebe,
die Sie ihr geschworen haben, zu geben und um ihr das Geschenk
der Unsterblichkeit zu bestätigen." Der Herzog fällt der ge-
täuschten Schönen zu Füßen, die endlich begreift, daß man sie
zum Narren gehalten hat. Die Scham und die Schande bedecken
ihre Wangen mit tiefer Röte, und vor Verdruß ist sie in Tränen
gebadet. Sie will ihrem Liebhabersich entziehen, aber ihre Kräfte
verlassen sie. „Bestrafen Sie mich! Nehmen Sie mein Leben,"
sagt der Herzog, sie fest in seinen Armen haltend, „ich bin ein
Unverschämter, ich bekenne es. Aber verzeihen Sie: wenn ich
Sie für wenige Augenblicke getäuscht habe, so geschah es, um
Sie nie mehr zu täuschen. Die Liebe, die mich verzehrt, sei meine
einzige Entschuldigung. Kann sie mir Verzeihung erwirken ? . . "
Der Herzog sprach voll Anmut ; er ist gut gewachsen, jung, galant.
Er seufzte, er vergoß selbst Tränen, die ganz ehrlich schienen.
Schließlich war er so, wie man sein muß, um die Frauen zu ge-
winnen; zudem war seine Schöne verliebt, ohne Erfahrung, und
der Zorn dauert in den Herzen der jungen Mädchen nicht lange.
Der Herzog benahm sich so gut, daß die Tränen des jungen Mäd-
chens nach und nach versiegten. Sie können sich denken, daß
man nicht gezögert hat, die kleine List zu verzeihen und daß
man die Vergebung durch so leidenschaftliche Zärtlichkeiten be-
kräftigt hat, daß die alte Dubuisson, die Zeugin davon war, leb-
haft bewegt schien, sc abgestumpft sie sonst ist. Seit dieser Zeit
hat die junge Putzmacherin einen Wagen, Spitzen, Diamanten
und ein hübsches, gut ausgestattetes Haus.
#
Herr de la Blinaye, ein bretagnischer Edelmann, wohnte auf
seinem Landgut, und hatte ein gutes Einkommen; es war jedoch
zu gering, um davon in der Hauptstadt oder den großen Städten
der Provinz zu leben. Derselbe Grund hatte ihn verhindert, sich
zu verheiraten. Da er indessen ein hinreichend lebhaftes Tem-
perament besaß, war er genötigt gewesen, sich an seine Bäuerinnen
Die Chronique Scandalsuse 23
zu halten, die durch sein Bett sich geehrt fühlten; oder an die
Frauen einiger Krautjunker, seiner Nachbarn, denen er Hörner
aufgesetzt hatte. Er war mehr als sechzig Jahre alt, als er durch
beträchtliche, ihm zufallende Erbschaften über eine Rente von
hunderttausend Livres verfügen konnte. Der Augenblick, um zu
genießen, war gekommen; und da er durch seine Jahre zur Eile
sich getrieben fand, begab er sich ungesäumt nach Paris, dem
Mittelpunkt der Freuden, und konnte da leicht, infolge ihrer
Vielfältigkeit und ihrer ununterbrochenen Dauer, wieder gewin-
nen, was er notwendigerweise in den Zeiten der Dürre hatte ver-
lieren müssen. Er nimmt ein prächtiges Haus; er stattet es in der
vornehmsten Art aus und schwimmt in Wonnen. Er mietet eine
Loge für das ganze Jahr in allen Theatern. Am besten gefällt
ihm die Oper. Seine Sinne, in dieser Hinsicht unverbraucht, ver-
mitteln ihm beinahe die lebhaften Eindrücke seiner Jugend; er
zögert nicht, den Tribut zu zollen, das heißt sich in eine Nymphe
dieses bezaubernden Reiches zu verlieben. Seine Liebe traf das
Fräulein Beaumesnil. Die Feinheit ihres Gesichtes, das Pikante
ihres Spieles, die Leichtigkeit und die Lieblichkeit ihrer Stimme
verführten ihn; er fand sich gefangen, ohne es zu bemerken, und
konnte die Oper nicht einen Tag entbehren, an dem sie spielte.
Wenn sie nicht erschien, war er in äußerster Ungeduld: sie kam
ihm immer zu spät auf die Bühne und ging viel zu früh wieder
weg. Er hatte genügend Erfahrung, um einzusehen, was das be-
deute; glücklicherweise setzte sein Reichtum ihn in die Lage, keine
Zurückweisung befürchten zu müssen. Außerdem war der Augen-
blick günstig: er hörte, daß die Sängerin weder einen, der sie
aushalte, noch einen Liebhaber habe; daß sie also ungehemmt
seine Mätresse werden könne. Er ergreift die Gelegenheit und
sucht sie auf. Er erklärt ihr, daß er ein Provinzler und ein alter
plumper Mensch und im Umgang mit Frauen des Theaters
ganz linkisch sei; daß er sie indessen, geführt von seinem guten
Instinkt, aus hunder t anderen herausgefunden und gewählt habe ;
24 Die Chronique Scandaleuse
daß sie ihm außerordentlich gefalle, daß er in sie vernarrt sei
und daß er 50 000 Livres im Jahr mit ihr zu verzehren habe : wo-
fern er so begünstigt sei, daß seine Huldigungen angenehm seien.
Hinter diesem groben Ton, der ihr wenig vertraut war, ent-
deckt das Fräulein Beaumesnil eine Art sehr anziehender Bered-
samkeit. Die Originalität dieses Mannes schreckt sie nicht ab,
und sie scheint geneigt, seinen Plänen näherzutreten. Man zau-
dert nicht, über die Vertragsbestimmungen zu beschließen. Die
wichtigste war schon angekündigt und mußte alle anderen er-
leichtern; er gibt ihr als erstes Ehegeschenk tausend Louis und
weiterhin tausend Taler monatlich. Er fordert dafür keine Liebe,
er weiß, daß diese sich nicht gebieten läßt; sie ist nicht mehr
genötigt, ihn zu lieben als er, sie nicht zu lieben; aber er verlangt
Rücksichten, Zärtlichkeiten, alles, was ihm Liebe vortäuschen oder
ersetzen könnte. Er wünscht, in zweiter Linie, daß sie alle diese
Laffen, diese Stutzer, diese vornehmen Herren, deren Schwärm
um sie herumflattert, entferne Endlich fordert er die größte
Verschwiegenheit: er fürchtet die Lächerlichkeit, die auf ihn
durch eine so späte Leidenschaft fallen könnte. Eine einzige ver-
traute Zofe muß ihn in der Nacht einlassen; während des Tages
müssen seine Besuche denen einer Menge anderer ernsthafter
Leute, vernünftiger Herren gleichen, die kommen, um sie zu
sehen.
Die Schauspielerin hatte sich den Wünschen des Herrn de la
Biinaye so genau gefügt, daß er sehr zufrieden war. Ihre Vereini-
gung währte schon mehrere Monate, und die Dankbarkeit des
Fräuleins Beaumesnil war so lebhaft, so eifrig, so glühend, daß
sie vor aller Augen den Eindruck einer wahren Leidenschaft er-
weckt hätte, ohne das Alter des Liebhabers und diese Art der
Aushaltung, die beide unverträglich mit Liebe sind. Wie dem
auch sei : die weitere Vorsichtsmaßregel, die Herr de la Biinaye
ergriffen hatte, um sich des Besitzes dieser verborgenen Schatz-
kammer zu versichern, widersprach seinen Absichten und verur-
Die Chronique Scandaleuse 25
sachte wahrscheinlich das, was ihm seine Ruhe und sein Glück
störte.
Er hatte einen Neffen, den Chevalier de la Royerie, einen jun-
gen Gardeoffizier, in sein Haus genommen, den er sehr liebte
und den er zu seinem Erben zu machen dachte. Sein Ziel war,
ihn eilig zu verheiraten. Bis dahin wachte er mit Aufmerksam-
keit über ihn, und dieser junge Soldat wurde nicht im geringsten
in die Gründe eingeweiht, die ihn seine Neigung oder vielmehr
seine Schwäche für eine Courtisane verborgen halten ließen.
Er fühlte richtig, daß seine Reden dann keine Gewalt mehr
über sein Mündel haben und daß sein Beispiel jede Wirkung
seiner Lehren zerstört haben würde. Um ihn besser bewachen
zu können, führte er ihn immer mit sich in die Schauspiele und
in die Oper, in die er am meisten ging. Dort, wenn sie zusammen
in der Loge waren, verfehlte er nicht, sich über seine Geliebte in
Ausdrücken der Bewunderung zu verbreiten, und fesselte so, ohne
es zu wollen, die Augen seines Neffen fortwährend an das Fräu-
lein Beaumesnil, und kraft seiner dauernden Auszeichnungen,
kraft seiner Lobeserhebungen brachte er es dazu, diesen jungen
Mann für sie zu entflammen, der unter den gleichen Umstän-
den für jede andere ebenso sich begeistert hätte. Man beur-
teile die Verheerungen, die in einem so unerfahrenen Herzen
eine Leidenschaft verursachen muß, die durch die Gegenwart
der Geliebten täglich emporwächst, die genährt wird von den
immerzu wiederholten Lobreden, die sich verschließt, sich zu-
rückhält infolge der Anwesenheit eines strengen Erziehers. Man
kann sich leicht denken, bis zu welchem Grad der Unbesonnen-
heit sie gedeihen mußte. Zunächst mußte der Chevalier, ge-
trieben von dem Bedürfnis, alles, was er fühlte, auszudrücken,
sich begnügen, dem Fräulein Beaumesnil einen sehr brünstigen,
sehr hitzigen Brief zu schreiben, in dem er ihr, da er sie nach
den Frauen ihrer Art einschätzte, vorschlug sie zu bezahlen und
ihr ungeheure Summen anbot.
26 Die Chronique Scandaleuse
Diese Erklärung blieb unbeantwortet. Die Leidenschaft des
jungen Mannes wurde dadurch nur noch heftiger, und erhielt
bald den Charakter einer wahrhaften Liebe. Er bereute die
Form seines Briefes ; da er vor dem Gegenstand seiner Neigung
Achtung zu empfinden begann, entschloß er sich zu Vorschlägen,
die den ersten ganz entgegengesetzt waren. Eines Tages, nach
der Oper, nachdem er seinen Onkel unter irgendeinem Vorwand
verlassen hat, läßt er sich bei dem Fräulein Beaumesnil melden;
er tritt ein ; da er noch unbekannt ist, ist er genötigt, sich durch
die Erwähnung seines Briefes einzuführen . . . Bei diesen Worten
nimmt die Theaterheldin eine würdevolle Miene an und läßt ihn
sich nicht weiter erklären; sie fragt ihn, wie er es wagen könne,
sie unter einem derartigen Vorwand aufzusuchen ; sagt ihm, daß
dieser Grund für sie genüge, ihn nicht zu empfangen; sie bitte
ihn, sich zurückzuziehen. Verwirrt, durchdrungen von Schmerz,
bleibt er und will sich entschuldigen : das Wort erstirbt auf seinen
Lippen. Die Schauspielerin, die seinen Widerstand falsch auslegt,
ruft ihre Zofe und droht, sich Hilfe kommen zu lassen, wenn er
weiter darauf bestehe, sie zu belästigen. Da hält er sich nicht
mehr : seine Tränen fließen unaufhaltsam, er schluchzt, er wirft
sich der Geliebten in der Haltung der Reue und Verzweiflung
zu Füßen und sagt, daß er lieber sterben wolle als ihre Ungnade
sich zuziehen in dem Augenblick, in dem er zum ersten Male das
Glück habe, sich ihr nähern zu dürfen. Er verwirft die Sprache
der Leidenschaft, er schwört ihr die reinste und ehrfurchtsvollste
Liebe ; er wünscht keine andere Freiheit als die : ihr huldigen zu
dürfen, ihre Gunst zu erwerben durch seine Ehrerbietung. End-
lich will er (oder vielmehr : sein Herz will) die dauerhafteste und
heiligste Verbindung, und er schlägt sie ihr vor; kraft seiner Be-
mühungen werde er zuversichtlich dahin gelangen, daß man ihn
mit günstigeren Augen betrachte. Eine solche Änderung der Ge-
sinnung, so ungewöhnliche und so schlecht hervorgebrachte An-
erbietungen hießen das Fräulein Beaumesnil leicht einsehen, daß
Die Chronique Scandaleuse 27
sie einen vor Liebe verdrehten Menschen vor sich habe. Sie hatte
Mitleid mit diesem Unglücklichen; da sie ihm in diesem Augen-
blick nicht die Erklärung geben kann, die diese unerwartete Szene
fordert, wird sie milder; sie sagt ihm, daß er zu einer gelegeneren
Zeit eine Unterhaltung, die so viele Einzelheiten habe, wieder
aufnehmen könne; daß sie ihn am folgenden Dienstag erwarte,
wenn sie nicht spiele ; sonst könne sie ihn mit Leichtigkeit wäh-
rend der Vorstellung sprechen. Diese wenigen Worte gaben dem
Chevalier das Leben zurück oder vielmehr : er verließ ihr Zim-
mer als der glücklichste aller Menschen.. Sein Gesicht erschien
einigen seiner Kameraden, als er zu ihnen zurückkehrte, so strah-
lend, daß sie ihm Komplimente machten und ihm Glück wünsch-
ten zu seinen guten Aussichten. Er war von einer zu großen Ver-
ehrung für sein Idol erfüllt, um darüber zu scherzen; er beschäf-
tigte sich unaufhörlich mit ihm bis zu dem Augenblick der Zu-
sammenkunft; er überließ sich allen Trugbildern, die ihm Er-
eignisse, die in einer gleichen Situation sich abspielen könnten,
vortäuschen sollten. Endlich sah er den erwünschten Tag er-
scheinen. Das Fräulein Beaumesnil hatte alle notwendigen Vor-
sichtsmaßregeln ergriffen, damit das Zusammensein nicht ge-
stört werde und man die Angelegenheit gründlich besprechen
könne.
Herr de la Royerie begann, nachdem er seine Versicherungen
der Ehrerbietung, der Zuneigung, der gewaltigen Leidenschaft
und alle anderen Gemeinplätze Verliebter erneut hatte, die Rein-
heit seiner Absichten, die Legitimität der Verbindung, nach der
er trachte, umständlich zu beteuern; mit einem Wort : er machte
dem Fräulein Beaumesnil einen richtigen Heiratsantrag. Er ging
sodann auf die wesentlichen Einzelheiten ein : auf seinen Namen,
sein Herkommen, seinen Rang, sein Vermögen, auf die beträcht-
lichen Hoffnungen, die er in seinen Onkel, Herrn de la Blinaye,
setze. Bei diesem Namen wird das Fräulein Beaumesnil betroffen
durch die Sonderbarkeit dieser Zusammenhänge ; ohne daß er es
28 Die Chronique Scandaleuse
merkt, fragt sie ihn aus, um sich zu unterrichten, ob dieser Onkel
derselbe sei, der sie aushalte. Nachdem sie daran nicht mehr zwei-
feln kann, läßt sie sich durchaus nichts anmerken und wird nur
fester in ihren Beschlüssen ; sie läßt ihn den Faden seiner Rede
wieder aufnehmen und als er aufgehört hat zu sprechen, ant-
worte- sie ihm:
„Das scheinbar verführende Anerbieten, das Sie mir gemacht
haben, mein Herr, würde viele andere blenden. Es gibt zweifellos
wenige unter meinen Kolleginnen, welche da widerstehen wür-
den : Ich finde in allem, was Sie mir sagen, nur 'einen Grund
mehr, Sie abzuweisen und Sie zu bekämpfen. Sie sind ein Mann
von Stellung, im Dienst; Sie erwarten ein beträchtliches Ver-
mögen eines Onkels, und Sie wollen, durch eine unpassende Hei-
rat, sich in den Fall bringen, aus der Gesellschaft sich ausge-
schlossen zu sehen, Ihren Beruf aufgeben zu müssen, enterbt zu
werden. Ich weiß, daß Heiraten dieser Art so allgemein werden,
daß man vielleicht bald nicht mehr Aufmerksamkeit dafür haben
wird als für andere Mißheiraten. Ich sehe alle Tage Offiziere,
die dergleichen getan haben und die nichtsdestoweniger bei ihren
Regimentern oder in ihrem Rang bleiben. Endlich gibt es zweifel-
los Wendungen, Mittel, Ihr Vergehen geheim zu halten, es dem
guten Mann zu verbergen, um Ihnen die Hoffnung zu lassen,
die Erbschaft ungekürzt antreten zu können. Ich habe diese
Schwierigkeiten weniger zu fürchten als Sie selbst : Sie sind in der
Blüte Ihres Alters, im Feuer der Leidenschaft, Sie brennen vor
Liebe, und wenn Sie immer in demselben Rausche bleiben könn-
ten, würde ich Ihr Glück sein, mein Besitz würde Ihnen genügen,
Sie würden keinen anderen nötig haben. Aber wenn Ihre Augen
sich öffnen, wenn der Schleier fällt, werde ich Ihnen ebenso ver-
haßt sein wie ich Ihnen Heb gewesen bin, ebenso verächtlich wie
ich Ihnen bewundernswert erschien. Sie werden mir Ihre Schädi-
gungen anrechnen; Ihre Torheit, die Wirkung einer unfreiwilli-
gen Verführung meinerseits, werden Sie mir zuschreiben. Ich
Die Chronique Scandaleuse 29
wäre es gewesen, die die verborgene Schlinge auswarf, um Sie
einzufangen! Ich wäre eine treulose, schreckliche, verabscheu-
ungswürdige Frau ! Nein, mein Herr, Sie werden mir niemals der-
artige Vorwürfe machen; ich kann mich Ihrer Anerbietungen
nur würdig erweisen, wenn ich Sie zurückweise und stärker bin
als Sie, indem ich mich weigere, auf diese sehr ehrenhafte Ver-
bindung einzugehen. Jede weitere Erklärung würde überflüssig
sein. Danken Sie mir, daß ich Sie von einem verzweifelten Ent-
schluß abbringe. Dieser ist der erste und letzte Besuch, den Sie
mir machen. Und ich werde an meiner Tür die Anweisung geben
Sie niemals mehr vor zu lassen."
Dieser Befehl wurde weder widerrufen noch aufgehoben, was
auch der Chevalier sagen mochte, um die Drohung rückgängig
zu machen; er zog sich zurück. Das Fräulein Beaumesnil be-
zweifelte, daß er nicht versuchen werde, wiederzukommen; sie
traf Vorkehrungen, damit er nicht irgend eine neue Unbesonnen-
heit begehen könne. Sie hoffte, daß er, abgeschreckt durch ihr
Benehmen, seine Huldigungen anderswo anbringen werde, da er
zu ihr nicht einzudringen vermochte. Es kam nicht so; denn der
Chevalier, nachdem er mehreren Abweisungen sich ausgesetzt
hatte, nahm zu einem dieser außergewöhnlichen Mittel seine Zu-
flucht, die man nur noch in Romanen kennt. Man wird weniger
davon überrascht sein, wenn man wissen wird, daß sie seine ge-
wöhnliche Lektüre geworden waren. Diese Art von Büchern, die
seiner Lage am ähnlichsten waren, war die einzige, die ihm ge-
fiel. In einer schönen Nacht ließ er eine Leiter an das Fenster
seiner Geliebten legen. Unter dem Beistand zweier Lastträger,
die die Leiter hielten, nach dem Lichte sich richtend, das er sah,
(seine Geliebte war noch nicht eingeschlafen), steigt er hinauf
zu ihr und klopft an die Fenster. Glücklicherweise war das Fräu-
lein Beaumesnil allein; sie erwartete Herrn de la Blinaye, der
zum Abendessen auf dem Lande war und erst sehr spät zurück-
kommen wollte. Als sie das Geräusch hört, ist sie zuerst starr vor
30 Die Chronique Scandaleuse
Schreck; aber bald läßt sie eine klägliche Stimme erkennen, daß
es de la Royerie ist. Sie ist in der größten Ratlosigkeit, was sie
tun soll. Sie fürchtet, daß er, wenn sie ihn in dieser Stellung ver-
harren läßt, mit Absicht oder durch Zufall, sich den Hals brechen
werde. Andererseits : Welche Szene, wenn der Onkel ihn bei ihr
überraschte! Sie sucht der dringendsten Gefahr vorzubeugen:
sie öffnet ihm ; aber kaum ist er vor ihr auf den Knien, als sie ihre
ganze Macht über ihn aufbietet und ihm befiehlt, sich zurück-
zuziehen. Sie erklärt ihm, daß sie unabänderlich auf ihrem Ent-
schluß bestehe; außerdem erwarte sie jemand, der die Nacht mit
ihr verbringen werde ; wenn ihr Liebhaber ihn in ihrem Zimmer
anträfe, würde das für sie die schrecklichste Katastrophe zur
Folge haben. Diese Mitteilung macht mehr Eindruck auf ihn
als alle die Vorstellungen, Bitten, Drohungen. Sie ist ein Dolch-
stich für den unglücklichen Liebhaber. Die Eifersucht gesellt sich
zu seinen anderen Qualen, ihn ergreift das Entsetzen, einen glück-
licheren Sterblichen, als er es selbst ist, zu sehen; er verzweifelt
vollkommen und schießt wie ein Blitzstrahl hinaus. Er hatte ge-
rade den „Grafen de Cominge", diese Tragödie von Herrn d'Ar-
naud, gelesen; dort spielt die Szene sich auf der Abtei der Trap-
pisten ab. Er sieht nur diesen Ort für geeignet an, um seine
Scham und seine Verzweiflung zu begraben. Er geht, unter dem
Vorwand, in Versailles Dienst zu haben, reist mit der Extrapost
ab und begibt sich in dieses Kloster.
Herr de la Blinaye war inzwischen zurückgekommen und hatte
nach seiner Gewohnheit seinen Wagen weggeschickt. Er kommt
näher, und sieht von weitem zwei Männer, die eine Leiter ent-
fernen und sie auf ihn zu tragen; er hält sie an, fragt sie aus
und vermag nichts aus ihnen herauszulocken, als daß ein junger,
liebenswert aussehender Herr ihnen an der Straßenecke begegnet
ist, sie gefragt hat, ob sie ihm diese Leiter zu gegebener Stunde
bringen wollten; er hat sie im voraus entlohnt und ihnen eine
weitere Entschädigung versprochen; daß er durch das Fenster
Die Chronique Scandaleuse 31
bei einem dort wohnenden Mädchen, das zur Oper gehört, ein-
gestiegen ist; daß er sie gebührend entschädigt hat und daß sie
die nun überflüssig gewordene Leiter zurücktragen.
Der Alte, der aus dieser Erzählung unschwer erraten kann,
daß der heimliche Galan sich nur bei Mlle Beaumesnil einge-
schlichen haben kann, wird von grausamsten Zweifeln erregt und
eilt beflügelten Schrittes, Klarheit zu erlangen. Sie ist noch ganz
bewegt von dem, was sich mit dem Neffen zugetragen hat, und
der Überraschung, sich plötzlich ihrem Herrn gegenüber zu
sehen, zu hören, das zu hören, daß er die Leiter und das ganze
Einsteigmanöver mit angesehen hat, trägt nur dazu bei, ihre
Verwirrung zu steigern. Der Eifersüchtige sieht darin eine Be-
stätigung und wünscht über dies Abenteuer informiert zu wer-
den. Mlle Beaumesnils Zartgefühl empört sich dagegen; die Wut
des Liebhabers verdoppelt sich. Er reizt auf empfindlichste Weise
ihr Ehrgefühl, durch beleidigende Vorwürfe, durch verächtliche
Ausdrucksweise. Und nun antwortet sie ihm mit der Entschie-
denheit der Unschuld und dem Bewußtsein einer guten Tat,
die sie selbst verherrlicht, daß sie in diesem Moment gewichtige
Gründe habe, um ihn nicht befriedigen zu können; daß er eines
Tages bitten solle; daß sie von ihm verlange, daß er deshalb an
ihre Ehrlichkeit glaube; daß sie ihm schwöre, daß nichts sich
bei diesem Zusammensein ereignet habe, das seine Liebe be-
unruhigen oder ihm mißfallen könne; daß sie nach dieser Be-
teuerung jede weitere Frage beleidigen würde, und sie bäte
wohlweislich darauf nicht zu bestehen. In den Augen eines be-
herrschten, menschlich denkenden Beobachters wären diese ihre
Worte, die mit Ruhe nach der vorangegangenen Erregung, die
sie bewegt hatte, ausgesprochen wurden, ein Beweis von der
Wahrheit ihrer Entschuldigungen gewesen; aber der Alte war
zu außer sich, um richtige Schlüsse zu ziehen.
Seine Wut entzündet sich daran; und indem er das Fräulein
mit Vorwürfen, Beleidigungen und all den Schmähungen, die
32 Die Chronique Scandaleuse
ein so grausam getäuschter Mann ausspeit, überhäuft, kündigt
er ihr den definitiven Bruch an.
Wie ein Rasender geht er von ihr und versteckt sich zu Haus.
Nach einer Nacht, in all den Zweifeln verbracht, wie sie jeder
Liebhaber empfunden hat, der sich gezwungen sieht, eine noch
geliebte Mätresse zu verlassen, verfällt er in tiefe Träumerei;
am nächsten Morgen läßt er sein Haus schließen und findet kein
anderes Mittel seine Melancholie zu heilen, als die Zurückge-
zogenheit des Landlebens. Es liegt ihm nichts daran, in seinem
jetzigen Zustand seinen Neffen zu sehen und, davon unterrich-
tet, daß dieser sich in Versailles befindet, befiehlt er nur, daß
man ihn, wenn er von der Wache abgelöst werde, von der
Abreise seines Onkels und dessen Wunsch, ihm zu folgen, ver-
ständige.
Die Besitzung, auf die sich M. de la Blinaye zurückgezogen
hatte, lag fast in der Perche, unweit von La Trappe. Eines Tages
bestimmt er diese Abtei zum Ziel seines Spazierganges. Die
Mönche waren mit Gartenarbeit beschäftigt. Als er sie einen
nach dem anderen betrachtet, fällt ihm einer auf, dessen Gestalt
ihn frappiert, da er seinem Neffen seltsam ähnlich sieht. Er be-
schäftigt sich nicht eingehender damit und verläßt das Kloster.
Nach wenigen Tagen empfängt er Briefe aus Paris, die ihm
mitteilen, daß Herrn de la Royeries Verbleib unbekannt ist, daß
er keineswegs, wie er behauptet hatte, in Versailles sei, daß er
verschwunden sei, ohne daß man mit den gewöhnlichen Aus-
kunftsmitteln habe in Erfahrung bringen können, was aus ihm
geworden ist.
Nun ei innert er sich des Zusammentreffens mit dem jungen
Mönche, dessen Anblick ihn bewegt hat; mit Eilpost begibt er
sich nach der Abtei. Er verlangt Auskunft und zweifelt aus Ant-
worten über den Novizen nicht, daß dies sein Neffe sei. Man
läßt ihn kommen; beim Anblick seines Onkels wird er bewußt-
los; zu sich gekommen, fragt man ihn aus. Fasten und Kastei-
Die Chronique. Scandaleuse 33
ungen haben die Wallungen seines Blutes beruhigt und die Hef-
tigkeit seiner Leidenschaft gemäßigt. Seine Gedanken haben sich
geklärt und da sein Gelübde mehr die Folge von Liebesgram
als ein Wunsch nach göttlicher Gnade war, war ihm diese Ge-
legenheit, seiner Abgeschiedenheit zu entgehen, für die er nicht
geschaffen war, nicht unlieb. Er erzählt seine Tollheiten. Bei
seiner Erzählung kostet es Herrn de la Blinaye Mühe, an sich
zu halten.
Doch ist er so entzückt, seine Mätresse unschuldig zu finden,
ihre Vorsicht, ihre Reserve und den Edelmut ihres Vorgehens
zu bewundern, daß er dem Chevalier billig vergibt.
Der Abt drängt als erster den Novizen, in die Welt zurück-
zukehren und seinem Onkel zu folgen, der ihn in Güte wieder
aufnehmen würde. Bald finden sich beide wieder in der Stadt.
Nachdem sich Herr de la Blinaye über die Absichten seines
Neffen vergewissert und überzeugt hat, daß dieser dank seiner
kurzen aber heilsamen Weltflucht von einem Delirium, das in
seiner Heftigkeit allein seine Schnelle Heilung trug, befreit ist,
sagt er ihm, daß er ihn als einzige Strafe verwirrt zu den Füßen
seiner Angebeteten zu sehen wünscht; und ohne sie zu benach-
richtigen, führt er ihn zu ihr.
Diese Anekdote verwirrt durch ihre Seltsamkeit.
Das Erstaunen der Schauspielerin beim Anblick der versöhn-
ten Rivalen war ungeheuer: „Madame, sagt Herr de la Blinaye,
hier sehen Sie zwei reuige Sünder, die desto würdiger ihres Ver-
zeihens sind, weil Liebe ihre Sünde war."
Dann, zu seinem Neffen gewendet: „Ja," fährt er fort, „ich
bin es, der Ihnen vorgezogen worden ist; ein siebzigjähriger Greis
hat den Sieg über alle Reize der Jugend davongetragen, und
ich bin es, der gewagt hat, eine Frau zu verdächtigen, der man
Altäre errichten sollte." Darauf ergeht man sich in Erklärungen
aller Art über alles, was sich zugetragen hat. Die beiden Lieb-
haber verlassen sie endlich, nicht ohne ihre Heldin mit Lobes-
i. 3
34 Die Chronique Scandaleuse
beteuerungen überschüttet zu haben und ihren Ruhm zu singen
und ganz Paris zu erzählen, daß Anstand und Tugend noch
leben und sogar in den Foyers der Oper.
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Zwei Damen von Rang, die von einer Ausländerin gehört
hatten, daß sie die Zukunft besser weissagen sollte als die
glaubwürdigsten Geschichtschreiber Vergangenes berichten, be-
schlossen, sie aufzusuchen. Sie kommen auf dem Weg zum Thea-
ter in großer Toilette, juwelengeschmückt, zu der Zigeunerin.
„Meine Damen," sagt die alte Zauberin, „wenn Sie auf Ihrer
Absicht bestehen, so seien Sie mutig auf alles gefaßt. Jeder Mensch
wird von seinem verwandten Geist gefolgt, der sich allen seinen
Schritten anheftet und sich ihm nicht zu erkennen gibt, es sei
denn, daß er durch höhere Macht dazu gezwungen werde. Diese
Macht ist mir gegeben, und ich kann einer jeden von Ihnen zu
einer Verständigung mit Ihrem verwandten Geist verhelfen; ei
wird Ihnen alles, was Sie zu wissen wünschen, sei es aus der Ver-
gangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft sagen, aber nur
unter gewissen Bedingungen kann er sich sichtbar machen ..."
Was auch diese Bedingungen sein mögen, was tut's, man wird
sich ihnen unterwerfen ; man wünscht diesen Geist zu sehen, ihn
zu sprechen, eine Unzahl von Dingen zu wissen; Gefahr ist
nicht vorhanden ?
Nein, diese Geister sind wohlgesinnt ; ihr Ziel ist, sich mit dem
Wesen in Einklang zu bringen, das sie zu behüten bestimmt
sind.
„Laß uns unsere Wagen fortschicken, meine Liebe, dies ist
bessere Unterhaltung als Kunst, ich will nach Herzenslust mit
- m braven Geist schwatzen, der mir so freundschaftlich zu-
getan ist, und der mir zweifellos die interessantesten Dinge er-
zählen wird . . . Gute Frau, schnell, was sollen wir tun ?"
„Sie müssen sich allen Schmuckes entledigen, der die mensch-
liche Würde verschleiert, der Ansichten und Gedanken materiell-
Die Chronique Scandaleuse 35
ster Natur verrät. Als Adam mit den Geistern sprach, war er in
völliger Nacktheit; dieser Zustand kommt ihnen näher, er. . ."
„Wie, nackt ? Wir müssen nackt sein wie Adam ?" — „Ja, meine
Damen, nicht das mindeste fremde Kleid darf Sie entstellen,
Sie müssen völlig entblößt von irdischen Dingen sein. Und
dann, was fürchten Sie? Niemand als ihr verwandter Geist
wird Sie erblicken; hier sind Sie sicher."
Meine schönen Damen entkleiden sich gedankenschwer ob
dieser seltsamen Zeremonie. Kleider, Wäsche, Schmuck und Putz
werden in einer Kammer aufbewahrt; als sie in einfacher Nackt-
heit dastehen, führt man jede in ein getrenntes Kabinett, dessen
Tür man sorgfältig verschließt . . . „An mir ist es nun, das übrige
zu tun," sagt die Zauberin, „warten Sie nun auf den Erfolg
meiner Beschwörungen, Sie werden ihn in kürzester Zeit ver-
spüren." Schon nach Ablauf einer Sekunde hatten die entkleideten
Schönen Mühe, ihre Ungeduld zu beherrschen; diese steigerte sich,
als nach einer halben Stunde, einer Stunde, endlich zwei Stunden,
noch immer dasselbe Schweigen, dieselbe Öde um sie herrschte.
Gleichzeitig, im Moment, wo ihnen beiden der Gedanke
kommt, daß sie getäuscht seien könnten, brechen sie aus; mit
aller Kraft fangen sie an zu rufen, um endlich vor Angst ohn-
mächtig zusammenzubrechen. Nachbarn eilen herbei; alles war
verschlossen: man mußte einen Kommissar holen; mit seinen
Helfern eilt ei herbei, man drückt die Türen ein, und man er-
blickt zwei Frauen, die wohl dem Auge ein recht angenehmes
Bild bieten, die aber das Bewußtsein verloren haben.
Schnelle Hilfe bringt sie dazu zurück: aber Beschämung er-
greift sie, sich in diesem Zustand zu wissen und den Augen der
Menge ausgesetzt zu sein. Bald gesellt sich dazu die Verzweif-
lung, beraubt und schmählich ausgenutzt worden zu sein.
Die Alte hat, nachdem sie sie eingeschlossen hatte, das möb-
lierte Haus verlassen, indem sie gewohnt, und nachdem sie ihre
Miete unter dem Vorviand einer plötzlichen Abreise bezahlt
3*
3 6 Die Chronique Scandaleuse
hat, ohne die geringste Schwierigkeit all den Tand dieser neu-
gierigen Damen mit fortgetragen.
So lernten sie also nicht mehr und nicht weniger, als daß man
eher an Schelme denn an Geister und Zauberer glauben soll.
#
Das Haus, das Herr von Cahouet bewohnte, als es ihm noch
gut ging, überblickte den Garten der Jakobiner. Dieser Finanzier
hatte eine sehr hübsche Nichte, der zwei Kammerfrauen zu-
geteilt waren, die an Schönheit vor ihrer Herrin in nichts zu-
rückstanden.
Den drei jungen Wesen gefiel es nun, die jugendlichen Jako-
biner zu lorgnettieren, die, nicht im Zweifel über die Art dieses
Augenspiels, die Mauern überkletterten und durch das Fenster
der jungen Dame einstiegen. Drei Tage dauerten die verliebten
Orgien. Der Herr des Hauses, der wie alle ^Reichen ängstlich und
mißtrauisch ist, glaubt in der Nacht ein Geräusch zu hören, läßt
den Pförtner kommen, wirft ihm seine Nachlässigkeit vor und
vertraut ihm seine Befürchtungen an. Man forscht nach und
entdeckt alles. Die Nichte wird in ein Kloster eingeschlossen,
die Dienerinnen in ein Hospital geschleppt und die Novizen
sind nun vielleicht desto würdiger, Mönche zu werden. Ihr
Schicksal ist unbekannt.
#
Mademoiselle Duthe10, die Heldin unserer galanten Mädchen,
mußte eines Tages eine Strafe über sich ergehen lassen, die sie
nicht wenig demütigte. Eine prächtige Equipage hält vor ihrer
Tür; ein junger Herr, von reich gekleideten Dienern umgeben,
entsteigt ihr; der junge Herr läßt sich als Fremder von höchster
Distinktion bei ihr melden; er wagt ein zärtliches Geständnis
und unterstützt es mit einer verführerischen Versprechung. Die
Schöne, durch das Ungewohnte des Abenteuers und mehr noch
von der Höhe der angebotenen Summe bewegt, schenkt den
liebevollen Bitten des Fremden Gehör, der, ehe er sich von ihr
Die Chronique Scandaleuse 37
trennt, Sorge trägt, eine reich gefüllte Börse auf dem Toiletten-
tisch zu deponieren. Kaum ist er gegangen, öffnet Mlie Duthe
die Börse und findet nichts darin als Kupfermünzen.
Am nächsten Morgen erfährt man, daß der angebliche fremde
Grandseigneur niemand anders als ein Kammerdiener war, der
sich Karosse und Livreen seines Herrn verschafft und seine
Kameraden veranlaßt hatte, ihm bei diesem galanten Betrug zu
dienen. Mlle Duthe ist über das Abenteuer verzweifelt und
schwört, sagt man, nie wieder einen Handel abzuschließen, ohne
vorher die Börse zu öffnen und ohne die näher kennen zu lernen,
die nach ihren Gunstbezeigungen schmachten.
*
Ein junger Mann begab sich auf die Besitzungen, die ihm kürz-
lich durch Erbschaft zugefallen waren. Mit sich führte er ein
Fräulein der lustigen Sitten; unterwegs wird sein Wagen in der
Nähe eines Schlosses schadhaft; er ist gezwungen, sich dort zu
melden, um Gastfreundschaft zu erbitten. Als man ihn in den
Salon führt, erkennt er mehrere Damen von Rang, mit denen er
in der Pariser Gesellschaft verkehrt. Er stellt seine Begleiterin
als eine Dame von Stand vor, die ein ihm benachbartes Schloß
bewohne, und flüstert ihr ins Ohr, ihre Rolle gut zu spielen.
Während der Wagen ausgebessert wird, schlägt man den Rei-
senden eine Partie Brelan vor. Die vorgebliche Dame hätte ein
anderes Spiel lieber gesehen, jedoch entschließt sie sich zum Bre-
lan, das sie schlecht und recht versteht. Gelegentlich eines beson-
ders guten Blattes, das sie hält, schlägt die Schloßdame Brelan.
„Ich pfeife darauf," ruft die Dame, „ich habe einen weit besseren."
Ihr Ritter wirft ihr einen verweisenden Blick zu. Um das Ver-
sehen wieder gutzumachen, sagt sie ohne sich beirren zu lassen :
„Ich bitte um Verzeihung, Madame, ich pfeife nicht darauf."
#
Ist ein junges Mädchen nicht stark genug, ihre Natur und
eine Leidenschaft, die mitunter nichts Sträfliches birgt, zu be-
gg Die Chronique Scandaleuse
kämpfen, so geschieht es selten, daß sie kein Mittel fände, die
Folgen ihrer Schwäche zu zerstören. Ist das Unglück einmal
geschehen, sollten vorsichtige und weise Eltern für das Opfer
von Liebe und Konvention Partei nehmen : man muß warten,
bis der Rausch verflogen ist, ehe man dem Manne Vorhaltungen
macht, der sich dem Wein zu sehr ergibt, und da nichts einer
Herzensaffäre mehr schadet als Öffentlichkeit, sind zornige und
aufbrausende Eltern, die ihr nicht helfen, ihre Schuld zu ver-
heimlichen, viel mehr zu tadeln, als das empfindsame Mädchen,
dem es an Erfahrung fehlt.
So denkt auch Mme B., eine ehrenhafte, von ihren Kindern
vergötterte Frau, doch ist sie mit einem Manne vereint, dessen
Prinzipien weit anders lauten.
Eines Tages kam sie einem Geheimnis auf die Spur, das ihre
Tochter ihr vergeblich hatte verstecken wollen; sie empfing
ihr Geständnis; ein einfaches, unschuldsvolles Herz vermag
einer zärtlichen und geliebten Mutter nichts lange zu verheim-
lichen.
Mme B. trocknet die Tränen ihrer Tochter und verspricht
ihren Beistand, um einem gefürchteten Vatei dies Abenteuer
zu verbergen. Die unvergleichliche Mutter gibt vor, selbst
schwanger zu sein, und der Gewohnheit gemäß, die sie bei sich
eingeführt hat, verwehrt sie ihrem Mann ihr Schlafgemach zu
all den Stunden, die ihm das Geheimnis hätten enthüllen kön-
nen; geschickt benutzte Kleidungsstücke, tausend kleine ge-
sundheitliche Sorgen und Bemühungen aller Art lassen die Welt
von Mme B.s Schwangerschaft wissen. Der fatale Moment
nähert sich; diese bewunderungswürdige Mutter findet es wün-
schenswert, daß ihre Tochter Zeugin der Entbindung sei, gleich-
sam, um ihr eine nützliche Lektion zu geben; der Chirurg ist
Mitwisser. Als der Vater eintreten darf, sieht er ohne Erstaunen
im Bett neben der vermeintlichen Wöchnerin seine Tochter,
die angibt, durch das aufregende Schauspiel, dem sie beigewohnt
Die Chronique Scandaleuse 39
hat, krank geworden zu sein; er erweist seinem Enkelkind, das
er für sein eigenes hält, tausend Zärtlichkeiten; seine wirkliche
Mutter erfreut sich wenigstens des Trostes, ihr Kind als ihren
Bruder herzen zu dürfen.
Heute darf sie es betrachten, ohne erröten zu müssen, da
sie mit dem vereint ist, der ihm das Leben gab. Sie ist tugend-
haft geblieben, obschon sie ein Verbrechen gegen die Tugend
begangen hat. Wie schrecklich hätten aber die Folgen einer in
so mancher Hinsicht entschuldbaren Torheit werden können,
wenn sie eine andere, weniger nachsichtige Mutter gehabt hätte !
*
Mademoiselle Quincy, eine recht hübsche Kurtisane, gibt eines
Tages, sei es aus Malice, sei es aus Leichtsinn, drei verschiedenen
Männern ein abendliches Rendezvous. Die drei Galane treffen
sich; im Moment, in dem sie sich besprechen und über die Groß-
mut der Schönen, die so viele auf einmal beglücken wolle, be-
klagen, erscheint ein vierter, der sie an der Hand führt, und
sagt den anderen ganz lustig:
„Meine Herren, ich bin der wahre Amphitryon ; in zwei Stun-
den werde ich Ihnen Mademoiselle wieder zuführen können.
Unterdessen empfehle ich Ihnen, über das Bizarre der Situation
und über die Treue der Frauen zu meditieren."
Es genügt zu bemerken, daß der Unglücklichen einer ein Abbe
war, der andere ein Kammerherr, und der dritte ein Finanzier;
der, der so kühn sprach, war ein breitschultriger Offizier von
22 Jahren, der nichts Besseres wünschte, als die Verwirrung die-
ser Herren zu erhöhen.
*
Um die Ungläubigen zu überzeugen, die meinen, daß unsere
galanten Damen nicht die .Macht der Gefühle kennen, sei fol-
gende kleine Anekdote berichtet.
Eine dieser Damen, die in Ansehen stand, hatte einen schönen
Papagei, der ihr teurer als ihr Leben war. Für diesen geliebten
4.o Die Chronique Scandaleuse
Vogel hätte sie all ihre Anbeter hergegeben; da fliegt er ihr eines
Tages davon. Ein Schöngeist, der aus der Situation Nutzen
ziehen wollte, würde behaupten, daß dies von böser Vorbedeu-
tung für die Dame sei, und daß es ihr ankündige, wie die Liebe
mit dem Papagei entfliegen könne. Wie dem auch sei : diese neue
Lesbia weint und rauft sich das Haar, und in ihrem Schmerz
ruft 6ie aus : „Ach, mein armer Papagei, was würde ich nicht alles
geben, um dich wieder zu haben; meiner Treu, der ihn mir zu-
rückbrächte, sollte bei mir schlafen."
So verspricht Venus einen Kuß dem, der den Sohn zurückbringt.
Am Morgen nach diesem Gelübde erscheint ein großer, mus-
kulöser Wasserträger, der den Papagei auf der Hand trägt.
„Mademoiselle, ich war gestern in Ihrer Küche, ich habe Ihr
Versprechen gehört, das hat mir das Herz in den Bauch getrie-
ben, kurz, hier ist Ihr Vogel, den ich wiedergefunden habe. Sie
sind ein zu ehrliches Fräulein, um mich um meine Belohnung
zu bringen." Wer aber ein wenig verwirrt wurde, war die Herrin
des Papageis. Wie, ein Wasserträger sollte das Lager besudeln,
auf dem man den Herrn Herzog, den Herrn Bischof, den Herrn
Präsidenten zu empfangen gewohnt war? Sie bot als Entschä-
digung eine ziemlich gewichtige Summe.
„Aber Mademoiselle, ich will gar kein Geld, sondern die
Ehre haben, mit einer so hübschen Frau, wie Sie es sind, zu
schlafen; ich bin kein vornehmer Herr, aber, glauben Sie mir,
Jacques vermag als Liebhaber sich mit jedem zu messen." Die
Demoiselle, die ihren Stolz darein setzt, groß zu handeln, be-
siegt mit einem langen Seufzer den Widerstreit ihrer ehrgeizigen
Gefühle, und gewährt ohne Einschränkungen dem Wasserträger
die versprochene Belohnung.
Scherzend sagt sie, als sie Entschädigung gewährt hat: „Es
tut mir nicht leid, Jacques ist ein Mann wie jeder andere", und
läuft, bei ihrem Papagei zu vergessen, was er sie gekostet hat.
Die Chronique Scandaleuse 41
Ein Generalpächter liebte seine Frau und glaubte sich von
ihr angebetet. Es war ihm grausame, beispiellose Lust, über an-
dere Frauen Böses zu schwatzen. Er insultierte die Opfer ihrer
Galanterien, und nach seinen vielen Schimpfreden gegen beide
Geschlechter, pflegte er sein eigenes Schicksal zu rühmen : „Ich,
für meinen Teil," sagte er, „daß mir das Glück aller anderen zu-
fällt, ich liebe meine Frau sehr und sie ist aus Liebe zu mir
ganz toll." Unser Finanzier schlief ganz friedvoll über diesem
glücklichen Gedanken. Da empfängt er ein Billett, das diese
Worte enthält:
„Sie sind ein Frechling mit ihrem ewigen Glück, das Sie uns
unter die Nase reiben, mein Freund. Sie sind ein Hahnrei, wie
jeder andere auch, und wenn Sie sich morgen früh mit eigenen
Augen davon überzeugen wollen, so steigen Sie gegen neun Uhr
auf Ihren Boden, und Sie werden Madame in einer unzwei-
deutigen Situation treffen."
Der Finanzier zerreißt das Billett in Fetzen und bleibt fest
davon überzeugt, daß diese Nachricht nichts weiter als eine ihm
zugedachte Beleidigung sei. Dennoch entschließt er sich, das
Abenteuer zu wagen. Am nächsten Morgen steigt er zur an-
gegebenen Stunde zum Boden herauf, und noch ehe er sieht,
hört er sehr deutlich diese Worte: „O, Guillaume, laß doch
deine Pferde und kuriere mich lieber, denn ich habe es mehr
als nötig. Dieser Tölpel, mein Mann ..."
Der wütende Gatte läßt sie nicht vollenden, und stürzt sich
nach der Richtung, aus der diese galante Unterhaltung tönt.
Seine Frau erblickt ihn und zieht sich majestätisch zurück; er
will sie schlagen; sie darauf wie ein neuer The mistokles : „Schlage,
aber höre mich an; ich habe eine tolle Lust danach gehabt, und
dein Kutscher erschien mir ein unbedeutender Mensch; glaube
mir, ich liebte dich deshalb nicht weniger; wir wollen uns über
solche Bagatellen des Temperaments nicht erzürnen, mein
Freund, das Herz allein ist alles." Der Finanzier war vor Staunen
Die Chronique Scandaleuse
unbeweglich und verblüfft; diese Kühnheit seiner Frau hatte
er nicht erwartet. Zwar nahm er dieses Geständnis nicht als
einen Scherz, aber er war dumm genug, seine Geschichte zu
verbreiten; man schließe daraus, wie sehr er blamiert war. Er
handelte keineswegs wie jener vernünftige Gatte, dem seine Frau
nach seiner Rückkehr aus Amerika sechs hübsche Kinder prä-
sentierte; er fragt sie gelassen: „Wer sind diese Liebesgötter?"
— „Nun, dies sind unsere Kinder", antwortet ernsthaft die ehr-
bare Dame. — „Ich dachte nicht, eine so liebenswerte Familie
vorzufinden." Und einen Moment später: „O nein, meine
Liebe, wir werden keine anderen mehr machen, wir haben hier
genug, nicht wahr ?" — „Wie Du willst, mein Freund."
Dies war der wahre Held von einem französischen Gatten.
#
Der selige M. Duclos, Sekretär der Akademie, badete in der
Seine, nahe bei dem Schiff, das Poictevin eingerichtet hatte,
damit sich die Schönen erfrischen könnten. Es erscheint eine
reizende Dame in lustiger Equipage; der Kutscher übersieht
beim Wenden ein Loch im Weg, das Rad vergräbt sich darin,
der Wagen stürzt um und auf der einen Seite liegt im Schmutz
die reizende kleine Dame, auf der anderen die Lakaien.
Duclos springt ganz nackt aus dem Wasser und läuft auf sie zu.
Die junge Dame ist leicht erstaunt über das seltsame Aussehen
des pflichteifrigen Kavaliers. — „Ich bitte tausendmal um Ver-
zeihung," sagte er, ohne sich zu verwirren und ihr die Hand
bietend, „verzeihen Sie meine Unkorrektheit, entschuldigen Sie,
daß ich ohne Handschuhe bin."
*
Ein Königsgardist, der hinter einer Dame von hohem Rang
die Treppe zu Versailles heraufsteigt, wagt, seine Hand unter
ihren Rock zu führen. Die Dame ist erzürnt, aber der Schul-
dige sagt, ohne sich beirren zu lassen: „O, Madame, wenn Ihr
Herz ebenso hart ist wie Ihr Hinterteil, bin ich ein verlorener
Die Chronique Scandaleuse 43
Mann." Die Beleidigte konnte nicht umhin, über diesen Scherz
zu lachen, und verzieh die Indiskretion dem Kompliment
zuliebe.
*
Herr von B., ehemaliger Königsgar dist und Schwager des
Marquis von P., befand sich mit seiner Frau bei einem Souper.
Jemand erzählte Diebsgeschichten. Herr von B. ergreift das
Wort und sagt, daß dies ein weit verbreiteteres Laster sei als
man meinen möge, und daß man Beispiele hätte, daß selbst
junge Leute von Stand sich dazu verführen ließen.
Bei diesen Worten versucht Frau von B. ihren Mann zum
Schweigen zu bringen. Irgend jemand in der Gesellschaft er-
sucht, zweifellos um die Dame zu erzürnen, ihren Gatten, fort-
zufahren. Er ließ sich nicht lange bitten und sprach weiter- „Im
Anfang meiner Ehe schlief ich keineswegs bei meiner Frau. Als
sie eines Abends zu Bett ging, wollte ich ihr gute Nacht wün-
schen, als ich plötzlich ein Geräusch in ihrem Ankleidezimmer
wahrnehme; ich ergreife ein Licht, trete ein und sehe je-
manden, der sich unter einem Gewand zu verbergen sucht; ich
ziehe es fort und erblicke den denkbar schönsten jungen Mann.
Ich frage ihn, was er da sucht. Mein junger Mann antwortet
mir mit bebender Stimme: , Verzeihen Sie, ich schäme mich,
Ihnen einzugestehen, daß meine Absicht wary Ihnen ein Kleinod
zu rauben, das Sie zu sehr vernachlässigten/
Aber, sage ich ihm, schämen Sie sich nicht, ein so verächt-
liches Metier auszuüben ? Sie verdienten, daß ich Sie festnehmen
ließe. Seine Schönheit entwaffnete mich, und ich ließ ihn laufen.
Sie verstehen wohl, daß meine Frau vor Angst mehr tot als le-
bendig war. Wenige Tage darauf gehe ich zum König, öffne
die Kammertür, und siehe da, mein Dieb inmitten des Apparte-
ments. Ich sage zum Türhüter: ,Was macht hier solch ein
Schelm wie dieser da ?* Der Türhüter antwortet mir: ,Sie sagec,
gnädiger Herr ? Dies ist der Chevalier von B.' Nun wohl, mein
44 Die Chronique Scandaleuse
Freund, habe ich erwidert, der Chevalier von B. ist ein Dieb,
ich hätte ihn nur festzunehmen brauchen."
Man versteht wohl, daß eine derartige Geschichte die Gesell-
schaft auf Kosten des Erzählers amüsieren mußte, und daß er sie
selbst erzählen mußte, um die Lacher auf seiner Seite zu haben.
*
Der Bischof geht, zum Weltmann umgewandelt, zu einer lie-
benswürdigen Dame, die für die kleinen Vergnügungen des Pu-
blikums junge Damen beschäftigt. Er glaubte gut verkleidet zu
sein. Er ist noch nicht mit einer dieser jungen Huris einig ge-
worden, als sich ein großer Lärm erhebt. Ein brutaler Kerl will
absolut die Schönheit besitzen, die Monseigneur in seinen ge-
weihten Armen hält.
Schließlich geht seine Unzufriedenheit so weit, daß er die Tür
des Kabinetts erbricht. „Sie sind es, Abbe! — Sie, Monseigneur!"
rufen unsere beiden Heiligen aus..
„Ich hätte nie geglaubt, Monseigneur, Ihre Herrlichkeit an
diesem Ort zu treffen!"
„Und ich vermutete nicht, daß Sie Libertin genug sein könn-
ten ... "
„Ich bitte, Monseigneur, keine Vorwürfe, lassen Sie uns einig
werden : ich will Ihnen Mademoiselle überlassen, ich werde mich
mit einer weniger angenehmen Sultanin begnügen, — das wird
für einen Großvikar genügen. Darauf wollen wir fröhlich sou-
pieren, doch vermeiden wir jede Erörterung, Monseigneur. Ich
gebe zu, daß dies hier nicht der rechte Ort für uns ist, weder für
Sie, noch für mich : solange wir hier sind, wollen wir ausgelassen
sein, und morgen mag jeder seine Würde wieder aufnehmen."
Der Prälat sah ein, daß es am besten sein würde, zu lachen, und
das heilige Paar vergnügte sich nach Herzenslust.
Die Diskretion dieser Damen war der Lust, diese Geschichte
zu verbreiten, die tatsächlich nicht sehr erbaulich ist, nicht recht
gewachsen.
Die Chronique Scandalsuse 45
Ein Soldat des Regiments von *** verläßt ohne Einwilligung
seiner Vorgesetzten seine Garnison und kommt nach Paris zu
seinem Obersten, ihn um die vakante Stelle eines Unteroffiziers
zu bitten. Dieser leichtsinnige Schritt setzte ihn der Gefahr aus,
wie ein Deserteur bestraft zu werden. Kaum hat er das Haus
betreten, bemerkt ihn die Frau des Obersten und ist frappiert
von seinem Aussehen, seinem Wuchs, seinen Zügen.
Unser Soldat ist wie Herkules gebaut, und die Marquise ist
Liebhaberin.
Ein Diener teilt dem Hergereisten mit, daß Mlle Julie, die
erste Kammerfrau der Marquise, ihn zu sprechen wünscht und
ihn in dem Zimmer erwartet, in das man ihn geleitet.
Dort findet unser Soldat eine schwarzäugige Brünette, in
einem mehr als galanten Deshabille, die eine nicht wenig ein-
ladende Stellung angenommen hat.
„Was wünscht Ihr, mein Freund, was verlangt Ihr von Mon-
sieur ?"
Der Soldat erklärt den Zweck seiner Reise; man verspricht
ihm vollen Erfolg. „Setzt Euch zu mir, Ihr seid ein schmucker,
junger Bursch; es wäre schade gewesen, wenn eine so schöne
Gestalt nicht mit der Uniform geschmückt worden wäre. Aber
diese häßlichen Borten sollt Ihr nicht tragen, o, bald sollen sie
von silbernen ersetzt sein."
Der Soldat fühlt sich nicht mehr ganz frei und bemerkt bald,
daß ihm zwei gute Dinge auf einmal in den Schoß fallen sollen
Man zweifelt nicht daran, daß diese Festung, die sich so bereit-
willig erbot, gar bald genommen war.
Hier handelte es sich nicht um eine Blockade, es gab keine
Zeit zu verlieren, und die Truppen bemächtigten sich in zwei
Minuten der Stadt und der Zitadelle.
Als der Soldat eine Stunde der Eroberung genossen hatte,
dachte er wieder an sein Vorhaben; es war wichtig für ihn, daß
er am nächsten Morgen wieder bei seinem Korps exerziere.
46 Die Cbronique Scandaleuse
Man läßt ihn allein; eine halbe Stunde später ruft man ihn
zum Obersten. „Mann," sagt ihm der Marquis, „meine Frau
hat sich auf die Empfehlung eines Mädchens, dem ich ver-
traue, für Euch interessiert und mich verpflichtet, nicht nur
das Unerlaubte Eures Schrittes zu entschuldigen, sondern Euch
auch die Gunst, die Ihr fordert, zu gewähren. Verliert keinen
Augenblick, Euch wieder zu stellen, ich werde dem Major
schreiben, daß er einen Vorwand für Eure Abwesenheit finde,
aber ich kann nicht zugeben, daß sie noch länger dauere." Der
Soldat ist im Begriff aufzubrechen, nachdem er sich in Dankes-
beteuerungen erschöpft hat, als ihn der Marquis zurückruft.
„Wartet einen Moment, mein Freund, Ihr selbst sollt meine Be-
fehle überbringen, und indessen mein Schreiber sie verfaßt, will
ich Euch Eurer Wohltäterin vorstellen; folgt mir zu Madame."
Der Oberst und der neue Sergeant treten in das Appartement
der Marquise, die sich noch im weißen Deshabille befindet.
Kaum bemerkt sie der Soldat, ruft er aus : „Meine liebe Julie,
wie sehr bin ich Ihnen dankbar." Madames Verwirrung bei die-
sem seltsamen Ausbruch hätte wohl genügt, auch einem blin-
deren Mann als dem Obersten die Augen zu öffnen; die Zu-
fälle mehren sieh, ihn aufzuklären: die wirkliche Julie, die,
welche ihre Kammer, ihren Namen und ihre Schürze herge-
liehen hatte, tritt ein.
Der arme Ehemann befragt sie, und sie ist schwach genug, zu
beichten. — Im übrigen hat das Beispiel von Tausenden seiner
Schicksalsgenossen den Obersten bestimmt, sich ins Unvermeid-
liche zu schicken.
Man versichert, daß die Empfehlung dieser keuschen Gattin
noch immer seinen Geist beeinflußt.
#
Eine unserer wenig bekannten Fräuleins ließ es sich eines Tages
einfallen, sich für unberührt ausgeben zu wollen. Madame, ihre
Mutter, — denn diese jungen Damen sind niemals verwaist, —
Die Chronique Scandaleuse 47
wußte in der Gesellschaft gewisse kleine Mitteilungen zu ver-
breiten, in denen man der Öffentlichkeit ankündigte, daß eine
gewisse Dame sich noch ganz und gar ihrer Jungfräulichkeit er-
freue und daß sie nichts Besseres wünsche, als diese zu verlieren.
Ein Dirnenbetrüger läßt sich melden. Erst hat er eine politische
Unterhaltung mit der ehrenwerten Mutter und beschließt sie,
indem er zehn glänzende, wohlgezählte Louisdors funkeln läßt.
Man fragt den Galan nicht nach Rang noch Namen; ein glück-
licher Eigentümer von zehn Louis braucht keine solchen Beigaben
zu einer derartigen Verbindung. Endlich wird er angenommen;
er verbringt die Nacht mit dem Mädchen, die sich selbst zu
dem Geschick beglückwünscht, mit dem sie sich diesen Schein
der Unschuld gibt; der Liebhaber aber lachte seinerseits; er ge-
noß deshalb die ersehnten Freuden nicht geringer.
Der Galan läßt seine zehn Louis da und geht davon. Die beiden
ehrsamen Geschöpfe sind miteinander entzückt; eine Modistin
soll bezahlt werden, eine Schneiderin, ein Coiffeur; die Gläu-
biger, die schärfer sehen als unser Fräulein, bringen ihr das Geld
zurück mit der Begründung, daß sie mit falscher Münze nicht
zu bezahlen seien. Das Fräulein und ihre Mutter wüten; sie er-
kennen mit Schrecken, daß ein Betrüger sie hintergangen hat.
Die erstere trifft ihn auf einem Ball: „Ah, da haben wir Sie,
Herr Fälscher!" — „Ah, Fräulein Jungfrau! Jedem das Seine,
Sie haben mich betrogen. Glauben Sie mir, statt daß wir uns
die Augen auskratzen, täten wir besser, nun andere zu narren.
Ihre falsche Jungfräulichkeit war kaum mehr wert als meine
falschen Louis."
Das Fräulein nimmt das Abenteuer von der leichten Seite
und lacht. Nur die Mutter war es, die zwischen den Zähnen
brummte : „Weiß Gott, das hat die Mühe gelohnt, die Betrü-
gerin zu spielen ; das nächste Mal werde ich erst die Goldstucke
untersuchen, und dann mag die Jungfrauen haben, wer sie
immer mag." *
4 8 Die Chronique Scandaleuse
Trotz sichtbarer Fortschritte der philosophischen Moral sind
Menschen einer gewissen Klasse unter uns noch weit davon ent-
fernt, zu den Ehemännern zu gehören, die Boileau so scherzhaft
,, gutchristliche Gatten" taufte.
Ein wohlbeleibter Bürger, der auf seine hübsche junge Frau
sehr eifersüchtig war, hatte die seltsame Laune, über das, was
er seinen Fall nannte, den berühmten Grafen Cagliostro zu kon-
sultieren. Beim Arzte angekommen, erzählt er ihm, daß er von
der Krankheit der Eifersucht befallen sei, und daß er, da er von
seiner alles umfassenden Weisheit gehört habe, zu ihm gekommen
sei, ihn zu fragen, ob er betrogen würde oder nicht.
Graf Cagliostro, der sich über dies Original amüsieren will,
antwortet ihm, daß nichts leichter zu erfahren sei; daß er ihm
eine Phiole, eine gewisse Flüssigkeit enthaltend, mitgeben würde,
die er nach seiner Rückkehr in dem Moment trinken müsse, da
er sich anschicke, bei seiner Frau zu schlafen.
„Seid Ihr betrogen," sagt er ihm, „werdet Ihr Euch beim
Aufwachen in einen Kater verwandelt finden."
Der Mann erzählt nach seiner Rückkehr seiner Frau von den
hervorragenden Talenten des Grafen.
Sie wünscht den Zweck seiner Reise zu wissen, er läßt sich
bitten, endlich gibt er den heftigen Beschwörungen nach und
erklärt ihr das unfehlbare Mittel, das er hat, um ihre Treue fest-
zustellen. Sie lacht von Herzen über seine Gutgläubigkeit; ver-
sichert ihm, daß er nichts zu befürchten hat; er schluckte das
Gebräu, und da sind sie nun beide im Bett. Eine Stunde darauf
befindet er sich in einem Zustand, der ihn und seine zartere
Hälfte erfreulich überrascht, so wenig waren sie seit langem an
so gutes Glück gewöhnt. Dies wurde eine wahre Hochzeitsnacht.
Sie schliefen unter Lobsprüchen auf den Grafen und seinen Li-
kör sehr spät ein, und am Morgen erhob sich Madame als gute
Hausfrau zuerst und überließ ihren Gatten der Ruhe, deren er
bedurfte.
Die Chronique Scandaleuse 4.9
Um zehn Uhr jedoch, da er sich nicht erhebt, geht sie ihn zu
wecken; aber wie groß ist ihr Erstaunen! Sie erblickt einen großen
schwarzen Kater! Er ist tot. Sie stößt verzweifelte Schreie aus.
Niemand antwortet. Sie umarmt den Kater, und in der ersten
Wallung des Schmerzes spricht sie zu ihm so: „Soll ich denn
den besten aller Gatten verloren haben dafür, daß ich ihm nur
zweimal untreu war. O, verfluchter Advokat! Ich wollte nicht!
Ihr habt mich verführt ... O, zu gefährlicher Offizier! Mit
Eurer Heldenstirn, Euren Raufereien, Euren Schmeicheleien,
Euren Schwüren und Tränen ! Ihr wißt, wie sehr ich mich ge-
wehrt habe . . . Ihr habt mir den Kopf verdreht, Ihr habt einen
Augenblick der Schwäche ausgenutzt, um . . . O, mein armer
Mann ! Du bist tot ! Wer hätte wissen können, daß dies die letzte
Nacht war, die ich mit dir zubringen sollte! 0, Jammer, und
welcher Abschied! Die Erinnerung daran erhöht nur meine
Schmerzen!. . ."
Schließlich, da diese ganz außer sich geratene Dame so ihre
Verzweiflung austobt, kriecht der Gatte unter dem Bett hervor :
„Ah, Madame, ich bin also Euer teurer, Euer armer Gatte! —
Und der Advokat! — - Und der Leutnant! — Zwei haben Sie
also nötig gehabt ? ..."
Die so genarrte Frau hat all ihr Unrecht eingestanden und
gelobt, von nun an die Treue zu wahren. Man sagt jedoch, daß
diese Ehe noch immer ein wenig gestört ist. Das Abenteuer
hat viel von sich reden gemacht.
Unnötig zu sagen, daß der Ehemann einen Kater hatte töten
lassen, um ihn an seinen eigenen Platz zu legen. Vielleicht hatte
er auch die Reise nach Straßburg nur vorgetäuscht, um zu ent-
decken, was er nun ohne Zweifel lieber nicht wissen möchte,
denn er scheint nicht zu denen zu gehören, die da sagen:
„Weiß man es nicht, so ist es nichts,
Wenn man es weiß, so ist es wenig."
50 Die Chronique Scandaleuse
Herr Boncourt hat eine hübsche Frau, die das Vergnügen
und damit das Verschwenden ungeheuer liebt. Da sie nicht weiß,
wie sie zu Geld gelangen soll, das ihr der geizige Gatte ver-
weigert, hat sie eine Intrigantin ins Vertrauen gezogen. Diese
Frau hat sich bei dem Krösus als eine Dame von Stand ein-
geführt, die eine gewisse Summe brauche, um einen Prozeß fort-
zuführen, in dem ihr Vermögen involviert ist. Die Dame hat
Titel angegeben, um diesen Borg möglich zu machen, und er ist
ihr unter sehr hohen Bedingungen von dem Finanzier gewährt
worden. Der Zahlungstermin rückt heran, der Vorhang erhebt
sich über dem Abenteuer : Der reiche Mann findet in der Schuld-
nerin an Stelle der wohlbegüterten, prozeßführenden Dame seine
liebe Frau, die ihn auslacht. Herr Boncourt hatte Diamanten als
Sicherheit genommen. Seine geschickte Frau hatte sie sich bei
einem Juwelier verschafft, dem sie die ihrigen unter dem Vor-
wand einer Reparatur gegeben hatte.
„Monsieur," hat Madame Boncourt zu ihrem Mann gesagt,
als er ihr seine Unzufriedenheit ausdrückte, „ist es nicht mehr
wert, Ihnen diesen kleinen Streich gespielt, als einen anderen
Gläubiger zu haben ? Welche Summe auch immer gefordert wor-
den wäre, ich hätte nicht meine Diamanten zum Pfand gegeben,
— geben Sie mir zurück, was Sie empfangen haben." —
„Der Teufel, Madame, machen Sie mich zum Hahnrei, doch
bestehlen Sie mich nicht!"
Man sagt, die kleine Dame habe von dem Rat ihres Mannes
profitiert und sei nicht weniger gewandt gewesen, sich die
Taler ihrer Herrn anzueignen.
#
Beim Opernball hat sich eine Szene ereignet, die der Markt-
halle würdig gewesen wäre, doch hatte sie fröhlicheren Ausgang.
Zwei Kurtisanen, Rosalie und Sainte-Marie, haben sich ver-
uneinigt. Schimpfworte oder harte Wahrheiten, was unter diesen
beiden Damen dasselbe bedeutet, sind gewechselt worden.
Die Chronique Scandaleuse 51
Rosalie hat ihrer Gegnerin das Schlachtfeld räumen müssen;
sie zog sich ohnmächtig vor Wut zurück und schwor Rache. Am
nächsten Morgen findet sich ein junger Mann bei Sainte-Marie,
die noch im Bett liegt, ein; die Kammerfrau verwehrt ihm ein-
zutreten; er besteht darauf, und endlich dringt er in das Zim-
mer, in dem die Schöne in Morpheus' Armen ruht. Darauf ver-
riegelt er die Tür, öffnet geräuschvoll die Fensterladen und gibt
sich zu erkennen. Rosalie selbst war es, die sich ihr gutes Recht
bei der Feindin holen will. Sie bringt zwei Pistolen zum Vor-
schein und reicht sie Sainte-Marie, die noch ganz verschlafen
im Hemd aus dem Bett springt und Rosalie, um Gnade bittend,
zu Füßen fällt.
Diese bietet Stoßwaffen, die ebenso zurückgewiesen werden,
und Rosalie zieht, nachdem sie ihre Rivalin mit Schmähungen ge-
demütigt hat, aus ihrem Überrock eine Handvoll Ruten, zwingt
Sainte-Marie, sich selbst das Hemd zu heben, verhaut sie bis aufs
Blut und zieht sich, befriedigt, Rache geübt zu haben, zurück.
#
Unter der Zahl unserer Freudenmädchen finden sich unter
anderen auch zwei sehr schöne und sehr unverschämte, die man
auf sehr lustige Art zum Narren gehalten hat.
Man hat ihnen eingeredet, der Großherr habe einen Bevoll-
mächtigten geschickt, Damen für den Serail anzuwerben, und
daß sie sich in die Listen einschreiben sollten. Ein bedeutendes
Vermögen würde nach Ablauf der dreijährigen Dienstzeit aus-
gezahlt werden. Die beiden Schönen — Dumoulin und Viri-
ville — waren pünktlichst beim Stelldichein, das man ihnen,
um den Schein zu wahren, angegeben hatte. Husson und Du-
gazon, die beiden berühmtesten Witzbolde der Hauptstadt, tra-
fen sie dort, der eine als Bostangi, der andere als ,Probierer' Seiner
Hoheit. Man kann sich denken, daß eine ganze Menge zweiter
,Probierer' dabei nicht fehlte. Nachdem man alle nötigen For-
malitäten erledigt hat, werden die beiden Damen verabschiedet,
52 Die Chronique Scandaleuse
nicht ohne daß zuvor ihre Eigenliebe und Geldgier duich far-
benprächtiges Ausmalen einer glänzenden Zukunft aufs höchste
gereizt worden sind. Am Tag darauf erst, beim Morgenspazier-
gang im Palais-Royal, werden sie von Horden ihrer Freundinnen
und all den jungen Leuten, die man eingeweiht hatte, über den
Betrug aufgeklärt.
Der Marquis von L., der von den Reizen Mlle Fermels sehr
eingenommen ist, begibt sich eines Tages zu ihr und bittet sie
ohne viel Umschweife, ihm eine Nacht zu gewähren. Man ver-
steht, daß Mlle FermeJ zu höflich ist, um einen so scharmanten
jungen Herrn zurückzuweisen. Jedoch stellt sie eine Bedingung:
sie bittet um ein Kollier gefaßter Edelsteine (chatons = gefaßte
Edelsteine und chatons = junge Kätzchen. Anm. des Übers.),
das sie benötigt. Für einen Finanzier wäre dies nur eine Kleinig-
keit gewesen; aber für einen französischen Marquis, der ge-
wöhnt ist, mehr mit seiner Person als mit Geld zu zahlen, war
dies sehr viel; er zieht sich jedoch mit sehr viel Geist und
wenig Takt aus der Affäre. „Wie, mein Engel, nichts als das ?
O, nichts ist gerechter; aber im Moment ist es mir nicht mög-
lich; wenn es Ihnen recht ist, will ich Ihnen einen Schein dar-
über ausstellen; schnell, ein wenig Papier und Tinte." Er schreibt
und man geht zu Bett.
• Ins Hotel zurückgekehrt, läßt der Marquis alle kleinen Kätz-
chen des Quartiers holen, verknüpft sie untereinander mit rosen-
farbenen Schleifen und formt so ein entzückendes Katzenkollier.
Man legt sie in ein hübsches, gazegefüttertes Körbchen, das
außen mit blauen Bändern geschmückt ist; darauf trägt man es
zu Mlle Fermel, die, von der äußeren Eleganz der Gabe ent-
zückt, dem Überbringer des Marquis Schein aushändigt.
„Wie galant er ist", ruft sie, während sie die zahllosen Schlei-
fen löst, die den Korb schließen, sie entfernt die Gaze, und das
Lächeln befriedigter Gier erstirbt auf ihren Lippen über dem
Die Chronique Scandaleuse 53
Haß getäuschter Habsucht; sie überhäuft den Marquis mit gro-
ben Schimpfreden und eilt, bei dem Doyen der Marechaux de
France, Klage zu erheben.
,, Steht es in dem Billett vermerkt, woraus das Kollier bestehen
muß ?" fragt sie der alte Ehrenrichter mit schalkhafter Miene.
„Aus chatons, Monseigneur", antwortet die liebenswürdige
Nymphe.
„Mademoiselle, in diesem Fall hat der Marquis sein Wort
gehalten, und ich habe die Ehre, mich zu empfehlen."
#
Adeline Colombe, eine italienische Schauspielerin, die Car-
lines halber von dem Herzog von F. verlassen worden ist, fiel
in die Hände eines Maitre des requetes, den seine Bordellaben-
teuer schon berühmt gemacht haben. I** (so lautet sein Name)
wünscht zwei Mätressen, und Adeline zwei Freunde zu haben
(dies der Fachausdruck).
Eines Tages zerbricht I** in einem Anfall von Eifersucht alle
Spiegel in Colombes Wohnung. Colombe geht darauf kaltblütig
zu I** und zerschlägt die seinen, und beim Weggehen schreibt
sie auf eine Karte:
„Le beau cristal que j'ai rompu
T'a montre bien souvent un cul."
Am nächsten Morgen präsentiert ihr I** eine Rechnung über
2000 Taler.
#
Ein den Ausschweifungen sehr ergebener Abbe, steter Begleiter
des Marquis von *** bei dessen Eskapaden, beschloß eines Tages
auf Kosten vierer Frauenzimmer, die zu der Gefolgschaft der
Gourdan gehörten11, und der er Übles wollte, zu lachen. Er
geht nach Vauxhall, setzt sich leicht mit einigen ihm bekannten
Roues besserer Kreise ins Einvernehmen, um das Gerücht zu
verbreiten, der Marquis sei seit dem vorigen Abend von seinen
Gütern zurückgekehrt und befinde sich in Vauxhall; unsere
r^ Die Chronique Scandaleuse
Mädchen, von dieser Nachricht entzückt, fragen, ob er seine Frau
mitgebracht habe. —„Nein, sie ist dort geblieben." —„Herrlich."
Endlich sagt der Abbe den vier Erwählten, sie seien am wün-
schenswertesten, und der Marquis habe ihn beauftragt, sie zum
Souper zu bitten.
So war es an den Tagen von Vauxhall, vor der Heirat des Mar-
quis, immer getrieben worden.
„Nach Vauxhall", sagt er ihnen, „werden Sie also Ihre Wagen
nehmen und sich, Sie wissen wohin, begeben."
Die Urbain, die kleine Beze, Chouchou, alle Dirnen gleichen
Wesens, lassen sich nicht lange bitten: sie steigen ein und: „Vor-
wärts, Kutscher!"
Im Trab geht es davon; der Wagen hält vor dem Hotel des
Marquis von N**, die Diener klopfen: man öffnet. Die Frauen
fragen den Schweizer alle zugleich : „Ist der Marquis zu Haus ?"
— „Gewiß, meine Damen." An derartige Besucherinnen wenig
gewöhnt, hält er sie für Damen von Rang, die zum Souper ge-
beten sind. In wilder Hast eilen sie hinauf, durchqueren die
Gemächer und singen mit lauter Stimme: „De l'amour tout
subit le loi", und im Salon angekommen, rufen sie: „Marquis!"
indem sie der Tür einen heftigen Fußtritt versetzen ; diese gibt
nach, und eine sehr zahlreiche, sehr vornehme Gesellschaft er-
blickt die Gruppe der vier Damen, die im Bewußtsein ihrer
Rolle ein klägliches Bild bieten.
„Wir bitten tausendmal um Verzeihung, Messieurs, Mes-
dames" und mit erstickter Stimme: „Wir glaubten uns beim
Marquis von B*\"
Die Marquise von N** wußte nicht, „mit welcher Sauce den
Fisch essen", wie das Sprichwort lautet, weil es ihrem Gatten
einfiel, die Damen mit Respektsbezeugungen zu überhäufen,
um sich noch mehr an ihrer Verlegenheit zu belustigen. End-
lich entschließen sie sich, sich zu verabschieden, und kehren
eine jede nach Haus zurück, mit hungrigem Magen und dem
Die Chronique Scandaleuse 55
Weinen nahe. Man lachte viel über dies Abenteuer, das schon
am nächsten Morgen allgemein bekannt war. Der Abbe jedoch
wagt nicht mehr nach Vauxhall zurückzukehren, da die vier
Mädchen drohen, ihm die Augen auszukratzen.
#
Eines Tages kommt eine Dame zu Mlle Berbier, Modistin der
Königin, mehrere Hüte bei ihr zu bestellen, die nach der Pro-
vinz geschickt werden sollen.
Die Inhaberin, die in einer eleganten Corsage auf der Chaise-
longue liegt, geruht kaum die Dame durch eine sehr flüchtige
Neigung des Kopfes zu grüßen. Sie klingelt. Eine reizende Nym-
phe, namens Adelaide, erscheint. „Zeigen Sie Madame Hüte
vom vergangenen Monat." Die Dame hält ihr vor, daß sie die
neuesten zu sehen wünscht.
„Das ist nicht möglich, Madame", antwortet die Modistin, „als
ich das letztemal für die Königin lieferte, haben wir festgesetzt,
daß die modernsten nicht vor acht Tagen erscheinen werden."
Seit dieser Zeit nennt man die Mlle Bertier nur noch den
„Minister der Moden".
#
Ein Schöngeist, der Herr Palissot12, dessen lebhafte Spottsucht
seine Talente überwiegt, hatte gegen den Abbe de Voisenon eine
Satire voller Haß gerichtet. Bevor er sie zur Presse gab, wünschte
er sich zu vergewissern, wie der Abbe selbst sie aufnehmen würde,
um sich über den Eindruck, den sie auf ihn machen würde, klar
zu werden.
Er geht eines Tages zum Abbe und sagt zu ihm in heuch-
lerischem und spielerischem Ton, daß es doch in der Welt viel
schlechte Menschen gäbe, und daß ihm eine ungeheuerliche Sa-
tire in die Hände gefallen sei, deren Autor er nicht kenne, und
daß, obgleich man keinen Namen genannt, sich Züge darin
fänden, die direkt auf den Abbe hinzuzielen schienen.
„Ich werde Ihnen noch mehr sagen", fährt er fort; „da man
5 6 Die Chronique Scandaleuse
sich zweifellos unserer Verbindungen nicht bewußt ist, hat man
sie mir vor der Drucklegung meiner Kritik vorlegen wollen."
Ohne sich weiter bitten zu lassen, zieht der Spötter das Schrift-
stück aus seiner Tasche und liest ohne jede Scheu die Verse vor,
in denen der Abbe nicht besser wegkommt als seine Intelligenz.
Keinen einzigen Vers erspart er ihm und betont mit Vergnügen
alles, was besonders giftig klingt. Der Abbe de Voisenon hört ihn
geduldig bis zum Schluß mit an. Darauf ergreift er das Manu-
skript, lobt die besten Verse, kritisiert einzelne Redewendungen
und sagt zum Dichter: „Wollen Sie mir erlauben, einige Kor-
rekturen zu machen ?"
Der Dichter meint, nun würde er zum mindesten das Manu-
skript ins Feuer werfen; aber jener nähert sich seinem Bureau,
korrigiert ein Dutzend Verse, füllt die leeren Stellen mit seinem
Namen aus, reicht die Satire dem Autor, der keinen Augenblick
vermutet, daß er erkannt sei, mit demselben Phlegma zurück
und sagt : „Jetzt, lieber Freund, können Sie die Arbeit drucken
lassen, meine ich; es waren da einige kleine Mängel, die der
Arbeit geschadet hätten; sie ist voller Geist und Schärfe, und
ich glaube, daß sie vom Publikum günstig aufgenommen werden
wird." Der Dichter war von dieser Kaltblütigkeit derart über-
rascht, daß er seine Epistel zerriß, sie verbrannte, den Abbe um-
armte und ihm schwur, daß er auf immer vom Gelüst, Satiren
zu schreiben, geheilt sei. Man weiß, wie er seitdem Wort ge-
halten hat.
#
Vor einiger Zeit hat man die Verfügungen, Freudenmäd-
chen betreffend, erneuert, und die eiserne Strenge, mit der
sie im Anfang durchgeführt wurden, hatte einige Erregung ver-
ursacht.
Selbst auf den Straßen, auf den Brücken und Serails dieser
Stadt hielt man diese Unglücklichen an; man trieb sogar die
Barbarei soweit, sie am Ausgang der Boulevardtheater nach der
Die Chronique Scandaleuse 57
Vorstellung ohne Unterschied zu verhaften. Man führte sie zum
Kommissar des Viertels, der ihnen in seiner Anwesenheit den
Kopf scheren ließ, und von da aus brachte man sie ins Hospital
La Salpetriere. Man respektierte nur solche, die vermögend ge-
nug waren, um wenigstens den monatlichen Mietswagen zu be-
sitzen.
Bezugnehmend darauf erzählt man eine ziemlich amüsante
Anekdote, die der Marquise von S** zugestoßen ist, welche
auf dem Boulevard du Temple wohnt, und deren Haus eines
der beliebtesten Treffpunkte der Amateure ist.
Diese Dame, die ehemals Mademoiselle M** war, Tochter eines
Limonadenverkäufers, dann Tänzerin, dann ausgehaltene Ge-
liebte, dann Autor und endlich Marquise, maßt sich an, die Ehre
ihres Korps zu rächen. Zu diesem Zweck hat sie ihrem Lakaien
verboten, ihr zu folgen, und ihm geraten, sich in ziemlicher Ent-
fernung zu halten, damit sie zu einem Irrtum veranlassen könne,
als sie eines Abends, angetan mit der ganzen Eleganz dieser
Damen, auf dem Boulevard spazierengeht. Was sie wünscht,
tritt ein, und die Marquise wird zum Kommissar geführt und
ist bereit, geschoren zu werden. Man befragt sie: „Vorwärts,"
sagt der schwarze Mann, der vom Tisch aufsteht, „deinen Na-
men, deine Wohnung, und schnell." Die Marquise mit Geist :
„Ah, Herr Kommissar, Sie sind recht hart mit mir Armen!"
„Du machst Witze, glaube ich." „Nein, Herr Kommissar, aber
meinen Namen! Entbinden Sie mich davon!" „Was, ich soll
dich davon befreien ? Ich glauoe gar, sie macht sich lustig über
mich! Schnell, schert das Frauenzimmer."
Man schickt sich an, den Befehl auszuführen, doch die Mar-
quise gibt sich zu erkennen und beendet diese Szene, indem sie
dem Subalternbeamten empfiehlt, in der Ausübung seines Amtes
künftig mehr Umsicht, Scharfsinn und Nachsicht walten zu
lassen. Gott allein weiß, ob der Rat gewirkt hat.
c8 Die Chronique Scandaleuse
Die Frau des Akademikers Marmontel hat ihr erstes Kind tot
zur Welt gebracht. Die schlimmen Spötter bemerkten darauf,
daß dieser Autor nichts machen könne, das lebensfähig sei.13
*
Die Montensier, derzeit Leiterin der Comedie in Versailles,
hat sich einer Anzahl Vergehen schuldig gemacht; ein Befehl
des Königs hat sie ins Gefängnis gesperrt; das erste, was sie
geäußert hat, als man sie eingeschlossen hatte, war : „Werde ich
keinerlei Gesellschaft haben und befiehlt der König tatsächlich,
daß ich ganz allein schlafe ?"
Der König hat als Erster über diese dreisten Worte gelacht,
ebenso die Minister; man hat aber gemeint, die königliche Würde
wahren zu müssen, in dem man die lübrike Komödiantin noch
einige Tage zurückhielt; sie ist jedoch begnadigt worden und
hat ihren Platz als Direktrice zurückerhalten.
*
Ein ausländischer Gesandter hielt hier ein entzückendes Mäd-
chen aus, die mit den Reizen der Schönheit alle persönlichen
Qualitäten vereinigte. Der Gesandte war sehr reich und sehr
verliebt, und gegen jede Gewohnheit mißtraute diese Nymphe
weder seiner Liebe noch seinem Reichtum, Er war auch nie
glücklicher als in den Momenten, die er mit ihr verbrachte. In
einer schönen Sommernacht glänzten am Himmel die Gestirne,
und besonders Venus stellte all die anderen durch ihren Glanz
in den Schatten.
„O, mein Gott," sagt die Nymphe, „wie leuchtet dieser
Stern! Kein Diamant kann sich mit seinem Glänze messen." —
„O, meine teure Freundin," antwortet der Gesandte, „ich
bitte Sie zu Gnaden, rühmen Sie nicht zu sehr diesen Stern, ihn
kann ich Ihnen nicht geben."
#
Der Abbe P** begab sich nach der Besitzung eines seiner
Freunde im Limousinischen. Als er in einen Wald kommt, hört
Die Chronique Scandaleuse 59
er sich von einem Reiter, der hinter ihm galoppierte, also be-
grüßt: „Guten Tag, Mitbruder!"
Er wendet sich um und erblickt einen jungen, wohlgeklei-
deten und gutberittenen Geistlichen, mit dem er bis zu sinken-
der Nacht die Reise in angenehmster Weise fortsetzt. Dieser
vereinigte mit dem liebenswürdigsten Ton der guten Gesell-
schaft oberflächliche, aber unerschöpfliche Kenntnisse aller Art.
Er gab sich als einen Seminaristen und Unterdiakonus aus L**.
aus. Bei einer Herberge angekommen, beschließen die beiden,
die schon aufs beste miteinander stehen, gemeinsamen Tisch
und Bett zu machen.
Gegen Ende des Mahles beginnt der angebliche Seminarist
Verse aus der Pucelle zu zitieren.
„Mein Bruder," sagt der gute, keusche Abbe P**, „sind alle
Abbes aus Limousin so fröhlich wie Ihr ? Ihr scheint mir recht
lustig, um nichts Schlimmeres zu sagen!" Der vermeintliche
Abbe erhebt sich bei dieser Anrede in großem Zorn. „Sprich
doch, beschnittener Jude," ruft er aus, „glaubst du denn, ich
sei ein päderastischer Pfaffe ?" Und im gleichen Moment lösen
seine Hände halb eine kurze Jacke und lassen flüchtig die ver-
führerischsten Anzeichen eines Geschlechts sehen, das sein Ge-
fährte weit entfernt war, zu vermuten.
Der Abbe behauptet, er hätte sich nur mit den Augen von
der Wahrheit seiner Entdeckung überzeugt. Er ist bewunderungs-
würdig, wenn er mit Unschuldsmiene erzählt, wie er die Hand
der Schönen ergriff, die, verwirrt und bewegt von ihrem un-
besonnenen Streich, zu weinen begann, und daß er fraglos das
Opfer seines Entzückens geworden wäre, wenn er nicht be-
schlossen hätte, hinunterzugehen, ein besonderes Zimmer zu
bestellen und, wenn auch nicht ohne Kampf und Bedauern, ab-
zureisen, bevor noch die unbekannte Schöne erwacht war. Hier
sei übrigens erzählt, worum es sich handelte.
Fräulein von B**, dies ist der Mädchenname des angeblichen
60 Die Chronique Scandaleuse
Abbe, wurde 1757 zu A** geboren. Von der Natur wurde sie mit
allen Talenten begabt, die eine ausgezeichnete Erziehung später
entwickelt hat. Die Tugend, die den anderen Tugenden der Frau
ihren Glanz verleiht, gesteht sie, dem Namen nach gekannt zu
haben, ohne doch daran zu glauben. Junge Bewohner von Berri-
chons bocen sich, von ihrem wollüstigen Aussehen verführt, da-
zu an, sie in die Lehre zu nehmen ; die Schülerin gereichte ihnen
zur Ehre, denn, nachdem sie alle ihr geliehenen Romane ver-
schlungen hatte, ließ sie sich entführen und nach Paris bringen,
um dort den ihren zu erleben. Die Hauptstadt vervollkommnete
ihre schönen Anlagen. Sie wurde nacheinander Komtesse, Ba-
ronin, Marquise usw. Schließlich verflog alles eines Tages, nach-
dem sie einem Seigneur, der für ihre Ausgaben sorgte, einen
lärmenden Treubruch angetan hatte.
Die Prinzessin wurde, um diesen Titel zu behalten, genötigt,
zur Bühne zu gehen. Unglücklicherweise hatte die Debütantin
neben ihren erstaunlichen Talenten für die Kulissen gar keine
für die Szene selbst.
Verfolgt vom Johlen und Pfeifen der Pariser trat sie in eine
Provinztruppe ein, wo ihr hübsches Gesicht und ihre schöne
Stimme ihr großen Beifall eintrugen. Bald wurde sie die Heldin
einer Menge Abenteuer; sie hielt viele zum Narren und wurde
manchmal selbst genarrt.
Vom Theater degoutiert, trat sie in den Dienst Plutus' und
hatte die Kühnheit, endlich in ihr eigenes Vaterland zurückzu-
kehren.
Eine scheinbare Reform des Körpers und des Geistes bestrick-
ten Herrn Du**, einen Beamten des Hotel de la Monnaie von
A**, und er war töricht genug, sie zu heiraten.
Bald gingen die Wasser wieder ihren alten Lauf, und Hymen
gebot keineswegs der Liebe halt. Mme Du** erregte durch ihre
Tollheiten derartiges Aufsehen, daß es dem Gatten ein leichtes
wurde, einen Haftbefehl gegen sie zu erlangen.
Die Chronique Scandaleuse 61
Die Ungetreue ahnte dies und entfloh; der Dummkopf ver-
folgte sie an der Spitze einer Brigade; bald war sie angehalten
Ohne sich zu verwirren, spielte die Komödiantin ihre Rolle aufs
glänzendste, zeigte aufrichtigste Reue, warf sich vor diesem
Narren auf die Knie und wußte sein Herz derart zu rühren, daß
er sie in Gegenwart der Häscher heiß in die Arme schloß. Dieses
hatte seine Frau gewollt. „Um meine Rückkehr zur Tugend zu
verkündigen, wünsche ich an diesem Orte selbst ein Fest zu ver-
anstalten", sagte sie, „und ich verpflichte mich, die Kosten zu
tragen." Das opulenteste Souper wurde bestellt, und der von
ihren Händen geschickl verschwendete Wein tat seinen Zweck.
Ihr Mann, die Gendarmen, der Wirt und die Wirtin, alle bis
zur Herbergsdienerin lagen in tiefstem Schlaf.
Den Moment geschickt benützend, stiehlt sich die reuige Sün-
derin hinaus, besteigt ein Pferd der Brigade, reitet zwanzig Mei-
len und läßt ihre Kleider, die sie verraten können, zurück; ihre
fürstlichen und ehelichen Titel sind nicht mehr; sie wird nun
eine kleine Schäferin.
Es ist erwiesen, daß sie tatsächlich sechs Wochen lang die
Hammel eines limousinischen Bauern gehütet hat, daß sie dank
ihrer Geschicklichkeit, sich allen Situationen anzupassen .und
alle Rollen zu spielen, die Gunst der guten Dorfbewohner ge-
wann ; ihre weißen Hände kneteten ihr hartes Brot ; sie lernte es,
ihren Kindern vorzulesen, und lieh den langen Abenden Reiz, in-
dem sie lustige Geschichten erzählte, die sie für sie zurechtstutzte.
Indessen machte Herr Du**, ihr wenig begüterter Gatte (so sagt
man), einen Fehler in seinem Amt ; ungeschickt, wie er war, wurde
er überführt, und wenig protegiert, wurde er mit der ganzen
Strenge des Gesetzes, bestraft. Nach Paris gebracht, wo er sein
endgültiges Urteil empfangen sollte, sollte er gehangen werden.
Seine barmherzige Frau war nicht die letzte, die diese Nach-
richt empfing; sie hätte bedauert, daß ihr Gatte seinen letzten
Atemzug getan hätte, ohne diesem Schauspiel beizuwohnen.
62 Die Chronique Scandaleuse
Sie eilt nach Paris, und von da war sie zurückgekommen, als
der Abbe P** von ihr mit einem „Guten Tag, mein Bruder"
begrüßt wurde. Man sagt, sie habe behauptet, deshalb das geist-
liche Kleid gewählt zu haben, um so die Ehre zu erlangen, ihrem
armen Mann die letzte Beichte abzunehmen.
Jetzt lebt sie in Argenton mit der M . . . , beide als Schande
des einen Geschlechts, der Skandal des anderen und ewiger
Gegenstand des Stadtklatsches.
#
Die Oper Bacchus und Amor hat zu Anfang letzten Jahres eine
ihrer vorzüglichsten Priesterinnen verloren : Mlle La Guerre.14
Aus der Hefe des Volkes hervorgegangen, hatte diese berühmte
Kurtisane dessen Neigungen und Fehler in ihr aufblühendes Glück
hereingetragen. Sie fluchte und trank usw.; was soll man von
den Männern denken, die sie ruiniert, ausgeplündert, verfolgt
hat ? Sie hatte Talente, ein interessantes Gesicht, eine weiche,
volltönende Stimme; sie hat einige Rollen mit Erfolg gespielt,
wie die Eurydice und die Iphigenie.
Mlle La Guerre hat ein einziges Kind gehabt. Sie war zu
sehr über menschliche Schwächen erhaben, um sich mehr darum
zu kümmern, als wie etwa um ihren Vater oder ihre Mutter:
der erste, der seinen eigenen Namen über dem Spitznamen seiner
Tochter verloren hatte, verkaufte an den Straßenecken Bänkel-
lieder, die andere bot auf den Promenaden „Le plaisir des dames"
feil, ein Metier, in dem sie ebenso prosperieren mußte wie ihre
Tochter, indem die sich dem „Plaisir des hommes" widmete.
Das Schicksal hat Mlle La Guerre nach ihrem 27. Jahre einer
Karriere entrissen, die sie so glanzreich durchlief. Das Schicksal
ihres unglückseligen Kindes ist ebenso ungewiß wie der Vater,
dem es seine bedauernwerte Existenz verdankt.
*
Ein Abbe kam aus der unentgeltlichen Vorstellung von Co-
riolan; ein Mädchen spricht ihn an und macht ihm den üblichen
Die Chronigue Scandaleuse 63
Vorschlag. Er verdoppelt den Schritt, sie wird hartnäckig und
ergreift seinen Arm.
„So laß mich doch", sagt er ärgerlich. „Wie, Monsieur," er-
widert sie, „heute kommen Sie nicht aus, heut ist der Tag für
die Armen."
#
Frau von Mirabeau liebte es außerordentlich, zu prozessieren.
Ihr Gatte, der Verfasser des „Ami des Hommes", behandelte
seine Untergebenen auf seinem Landgut in Limousin sehr
schlecht. Einer von ihnen machte ihm folgende Grabschrift:
„Ci-git Mirabeau le brutal
qui jurait bien et payait mal."
Um die Manen ihres Gatten zu rächen, strengt die Witwe
einen Prozeß gegen den Autor der Grabschrift an; er wird zu
einer Geldstrafe verurteilt.
„Ich werde zahlen," sagte er, „aber am Morgen nach Ihrem
Tode werde ich auch Ihre Grabschrift machen; ich werde über
Ihr Grab schreiben:
„Ci-git aussi sa Mirabelle
qui ne fut ni bonne, ni belle."
*
Man fragte Mme von Murville nach dem Alter ihrer Mutter
(Mlle Arnoult). „Ich weiß es nicht mehr," antwortete sie,
„jedes Jahr glaubt sich meine Mutter um eines verjüngt; wenn
sie so fortfährt, werde ich bald die ältere sein."
#
Ein junger Gardeoffizier, der in der Gesellschaft debütierte,
toll verliebt in die Mlle Granville, eine berühmte und reiche
Kurtisane, hatte ein seltsames Mittel entdeckt, um die Gunst
dieser Schönen unentgeltlich zu genießen.
Da er die englische Sprache gut genug beherrschte, um sich
nicht zu blamieren, mietete er eine der elegantesten Equipagen
und folgte der Nymphe unter dem Namen eines Mylord Drakes
64 Die Chronique Scandaleuse
nach der Oper. Nach Schluß der Vorstellung bemühte er sich in
auffälliger Weise, ihr zu ihrem Wagen zu verhelfen, und bestieg
vor ihr, nach erfolgter Erlaubnis, ihr seine Aufwartung zu ma-
chen, seine sehr elegante Equipage. Die Sirene oder die Harpyie,
wenn man will, denn sie vereinigte beides, vermutete keinen
Augenblick den wahren Rang dieses Herrn, der seine Rolle aus-
gezeichnet spielte.
Am nächsten Morgen präsentiert sich Mylord: im englischen
Frack, mit einer Jockeymütze, Reitstiefeln, in der Hand eine
kleine Peitsche.
Da seine Erscheinung zu Hoffnungen berechtigt, wird er emp-
fangen und beglückt. Man bespricht für denselben Abend ein
Souper und eine sechsmonatliche Verlängerung dieser süßen
Trunkenheit in Paris, da die Dame diese Liaison für das größte
Glück ihres Lebens hält. Er ladet sie also zu einem glänzen-
den Souper ein, das er seinen Landsleuten in seinem Hotel in
der Rue Colombier gibt, wo er wohnt, und verläßt sie. Damen
ihrer Art lieben solche Ausländersoupers (dies ist der Terminus
technicus) bis zur Tollheit, weil sie wissen, daß sie Gelegenheit
bieten, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, das heißt,
wenn man einen Mißerfolg hat, sich wo anders festklammern
und mit vollen Händen nehmen kann. Sie ist ganz geschwollen
bei diesem Gedanken, spricht während des ganzen Tages von
nichts als diesem Souper, und nichts fehlt, um sie elegant und
geschmückt erscheinen zu lassen.
Die Stunde schlägt, sie verlangt nach ihrem Wagen, fährt fort
und kommt an. Aber welche Überraschung! Da ist kein Mylord
Drakes im Hotel (garnü). Niemand dieses Namens hat je dort
gewohnt; kein vorbereitetes Souper; niemand, den man er-
wartet. Sie versteht, daß sie von Mylord betrogen worden ist.
Man erzählt, daß sie, selbst sehr erfahren und solchen Scherzen
nicht abhold, diesen Streich sowie den Akteur so unterhaltend ge-
funden habe, sich dann selbst um ihn bemüht hätte, und schließ-
Die Chronique Scandaleuse 65
lieh, als sich Lord Drakes als armer, aber schöner junger Garde-
offizier entpuppte, der den Witz eines Engels besaß, nahm sie ihn
als zweiten Liebhaber, mit jenem anderen, der vor einigen Jahren
die Veranlassung zum Bruch mit Herrn von J** und ihrem Sich-
zurückziehen nach Sainte Pelagie war, nachdem sie ihm Briefe
erpreßt hatte, die zurückzugeben sie sich immer weigerte.
*
Die berühmte Kurtisane Longeau16 ist aus den Pariser B.
(Boudoirs, wenn Sie wollen) zum Theater in Bordeaux überge-
gangen, wo eine majestätische Erscheinung, ein bedeutendes Ge-
sicht, ein kraftvolles Organ und gewisse Liebenswürdigkeiten für
die entscheidenden Gottheiten des Parketts ihr zum Erfolg ver-
holfen haben. Ein Offizier, der heftig begehrte, die vielgerühm-
ten Eigenschaften dieser Schönen kennen zu lernen, bat sie in
einem sehr lakonischen Billet um eine Nacht, und schlug ihr
fünf Louis sowie fünf Küsse vor. Man sagt, Mlle Longeau habe
ihm seinen Liebesbrief mit folgender Randbemerkung retour-
niert: „Alles doppelt oder nichts!"
Der Offizier sagt zu, gibt sein Wort und schläft bei ihr.
„D'Armance etait Gascon; les gens de son pays
Ont la reflexion tres preste.
Pour ne pas demeurer en reste
Les ecus bien sonnants il charge dix louis
Sur un Aliboron d'une encolure forte,
Et le fait conduire ä la porte
De la gracieuse Lais.
Un billet doux, mais un peu leste,
Accompagnait encor le robuste etalon;
La belle l'ouvre et lit: Beaute Celeste,
Voici les dbc louis; si vous le trouvez bon
Le porteur est en bas, qui vous dira le reste."
*
Eines Tages schrieb der Präsident von S** einem Polizei-
inspektor folgenden Brief: „Ich bitte Sie, Monsieur, gegen eine
gewisse X vorzugehen, die meinem Jockey eine schändliche
66 Die Chronique Scandalense
Krankheit übertragen hat. Er ist ein charmanter Bursch, dessen
Dienste mir sehr lieb sind, und der Verlust seiner Gesundheit
kostet ihn ein Jahr im Hospital. Ich rechne darauf, daß Sie Ihre
Pflicht tun werden." Der Polizeiinspektor, ein Mann von Geist,
der weit über seinem Beruf steht, schreibt folgende Antwort:
„Mein Herr, wenn Sie mir beweisen können, daß die gewisse
X mit Vorbedacht die Gesundheit Ihres charmanten Jockeys
geschädigt hat, werde ich sie bestrafen lassen, wie es ihr gebührt;
aber ich schulde ihr keinerlei Züchtigung, wenn der Jockey sie
aus freien Stücken aufgesucht und eine Krankheit erworben hat,
die, wie Sie sehr gut wissen, die Folge eines Handels und eines
Tausches ist. Es gibt Meere, die man erst zu befahren wagt,
nachdem man sich entschlossen hat, allen Gefahren zu trotzen.
In Erwartung Ihrer Antwort werde ich mich um die Gesund-
heit dieser Unglücklichen kümmern; ich rate Ihnen, ein glei-
ches mit Ihrem Jockey zu tun, vvenn Sie wünschen, daß seine
Dienstleistungen Ihnen auch fernerhin angenehm sein sollen.
Ich hoffe, daß dieser Brief Sie davon überzeugen wird, daß ich
es verstehe, alle meine Pflichten zu erfüllen." Der Präsident hat
sich das hinter die Ohren geschrieben, aber die Nymphe hat die
Geschichte weitererzählt, und man hat ein wenig auf Kosten
des Präsidenten gelacht.
Vor einigen Jahren begegnete Frau von Boulainvilliers auf dem
Lande einem jungen Mädchen, das weinte; sie ist gerührt, ruft
die Betrübte zu sich und fragt sie aus. „Madame, meine Mutter
ist soeben in dieser Hütte verschieden; ich verliere meine einzige
Stütze und das einzige Wesen, das ich zärtlich liebte, ich bin
von der ganzen Welt verlassen ..."
„Wer sind Sie, mein schönes Kind, wer war Ihre Mutter?"
„Wir lebten im tiefsten Elend vom Ertrag unserer Hände;
mein Name ist Chivry; meine Mutter sagte mir oft, daß wir
von edler Herkunft wären, und daß die Ungerechtigkeit des
Die Ckronique Scandaleuse 67
Schicksals . . . Oh! Madame, mein Vater starb vor zwei Monaten
im Armenhaus; er hat meiner Mutter einen Pack alter Papiere
hinterlassen . . . ich werde sie holen."
Frau von Boulainvilliers, die aufs äußerste für diese junge
Person interessiert ist, zeigt ein Zartgefühl, das keine beson-
dere Erwähnung braucht; es genügt, die Tatsache zu berich-
ten. Sie nimmt MUe Chivry mit sich und läßt, nachdem sie je-
manden mit dem Begräbnis betraut hat, die Papiere holen; man
untersucht und bespricht sie mit größter Sorgfalt.
Herr und Frau von Boulainvilliers tun alle nötigen Schritte,
um die Wahrheit zu entdecken : Mlle de Chivry und einer ihrer
Verwandten, der in der Marine dient, sind die letzten Glieder
einer illustren Familie, die in direkter Linie von Henri de Saint-
Remy, dem legitimierten Bastard Henri IL, Königs von Frank-
reich, abstammte.16
#
Ein junger Herr von Rang, der kaum den Händen eines Er-
ziehers, der ihn in tugendhafter Unwissenheit bewahrte, ent-
schlüpft ist, hat sich in eine unserer kühnsten Abenteuerinnen
verliebt, und er belagert diese Festung sehr standhaft nach allen
Regeln der Kunst.
Vielleicht hätte er ebensoviel Zeit gebraucht wie die Spanier
vor Gibraltar, wenn nicht ein kleines Ereignis seinen Ernst ein
wenig verwirrt und ihm gezeigt hätte, daß seine bezauberten
Augen ganz ungeheure Breschen übersahen.
Er hatte ganz einfach geglaubt, eine Soubrette besiegen zu
müssen, und da er die äußerste Vorsicht anwenden mußte, weil
seine Eltern nicht die Leute waren, eine schöne Passion dieser
Art zu verzeihen, hatte er sich mit großen Unkosten einen Ver-
mittler für seine Briefe und Geschenke zu verschaffen gewußt.
Vorläufig hat er nur das Glück genossen, zu lorgnettieren und
lorgnettiert zu werden. Eine außerordentliche Schüchternheit
hatte ihn eine Anrede, die ihn zittern machte, nicht wagen las-
5*
68 Die Chronique Scandaleuu
sen; aber schließlich begannen die Antworten auf seine Briefe
so zärtlich und so ermutigend zu werden, daß er nach Schluß
der Vorstellung, kühner als sonst und stolz ob so viel Mutes, in
dem Glauben, erst jetzt wirklich ein Mann von Welt und Unter-
nehmungsgeist zu sein, sich einem seiner Diener eröffnete und ihn
beauftragte, dieser Dame nach ihrer Wohnung zu folgen, sie von
ihm zu grüßen und sie zu fragen, wann sie ihn empfangen wolle.
Der Lakai, ein schöner Junge, der eben erst nach Paris ver-
pflanzt ist, folgt ihrer Spur, kommt an, tritt ein, ahnt nicht, daß
er Schritt auf Schritt von seinem Herrn verfolgt ist, dem das
Herz ebensosehr vor Furcht wie vor Hoffnung schlägt. Jener
schleicht sich ins Haus, steigt die Treppe herauf und schmiegt
sich eng an die Tür, die die Schöne nach Eintritt des hübschen
Lakais hat schließen lassen. Wie oft beißt man sich nachher die
Finger blutig, weil man an fremden Türen gelauscht hat!
„Madame, der Herr Marquis beauftragt mich, Sie zu grüßen
und Sie zu fragen, wann er zu Ihnen kommen darf ..." „Wie ?
kommen ? und wann ? Wie heißt Er, mein Freund ?" „La Brie,
Madame." „Aber . . . , Julie, weißt du wohl, daß La Brie einer
der hübschesten Burschen ist, die ich jemals gesehen habe ? Diese
Haare! Diese Zähne! Dieser Wuchs! Und die Kraft eines Tür-
ken! Und diese Haut, wie Atlas! Julie, dreh den Türschlüssel
um! Euer Herr hat also große Eile? Aber, mein Kind, die Dia-
manten, die er mir gestern sandte, sind gar so klein; ich habe ihn
nicht zur Verzweiflung treiben wollen ... Er ist jener schlanke
junge Herr, nicht wahr?" — „Ja, Madame." — „Oh, um zu
sehen . . . schnür mich auf, mein Lieber; diese Julie verschwindet
immer, ich weiß nicht wohin. Und dein Auftrag ist also ein großes
Geheimnis?" — „Manhat mir strengste Diskretion anempfohlen."
— „Du weißt also ein Geheimnis zu wahren. Nun wohl, ich will
dir eins anvertrauen . . . Sehr gut, weiter so . . . La Brie ist ge-
schickt . . . Wie heiß es ist ! ... Löse mir diese Nadel . . . Nein,
diese hier . . . Stütze mich . . . Aber, ich werde mich lieber setzen
Die Chronique Scandaleuse 69
. . . Nur auf meinem Ruhebett ist mir wohl . . . Wie schön du
gewachsen bist . . . Komm, wir sind allein . . . Du bist erstaun-
lich . . . Der entzückende Junge . . . Oh, wie tüchtig du bist!"
Der Marquis, der nicht mehr an sich zu halten vermag
(man kann schon früher die Geduld verlieren), versucht einzu-
dringen, aber die Tür widersteht. Bei diesem Lärm stürzt Julie
von einer anderen Seite herbei, zieht ihn in ein getrenntes Ge-
mach, befragt ihn, antwortet, und unterdessen entschlüpft La
Brie. Es kungelt. „Was für ein Lärm ist denn dies ?" sagt eine
schleppende Stimme.
„Der Herr Marquis, der glaubt, daß sein Lakai hier sei, und
der einzutreten wünscht."
„Mein Gott, wünscht denn dieser Herr Graf mir gleich bei
der ersten Visite das Hemd zu reichen, mich ganz nackt zu
überrumpeln ? Laß ihn einen Augenblick warten."
Der junge Graf, der jemanden die Treppe hinuntereilen hört,
stürzt hinaus, läuft und erreicht La Brie vier Häuser weiter.
„Wie, Erzschelm! So also richtest du meine Bestellungen aus?
Ich habe alles gehört; du sollst meine Schläge fühlen."
„Oh, Herr Graf, versetzen Sie sich an meine Stelle . . .
Glauben Sie, auch trotz der zwei Louis, die man mir gegeben
hat, hier sind sie, hätte ich Ihnen aus Respekt alles anvertraut . . .
Ach, ich wußte nicht, wie ich anders handeln sollte."
„Ich bin wütend . . . Ein Lakai ... Ich werfe dich hinaus . . .
Aber nein, ich habe unrecht. Hier sind noch zwei andere Louis
. . . Nimm . . . Die Lektion ist mehr wert . . . Wo, zum Teufel,
hätte ich meine Liebe hingetragen! — Gib mir jeden Morgen
Nachricht über deine Gesundheit. Dies sind zwei Erfahrungen,
eine moralische und eine physische. Schließlich ziehe ich es vor,
daß du diese Erfahrung gemacht hast, als ich." Der Galan, die
lose Schöne und der hübsche Lakai erzählen alle drei dies Ge-
schichtchen mit viel Vergnügen.
70 Die Chronique Scandaleuse
Mlle Fanier17, die gerade die Rolle eines Offiziers gespielt
hatte, kam in die Kulissen zurück, indem sie rief: „Oh, sie haben
mich erkannt!" Der Bauchredner Desessart sagt ihr: „Sie sind
also nicht wie eine gewisse Londoner Schauspielerin", und der
Mann, dem die Natur seinen Geist in Form eines guten Ge-
dächtnisses geschenkt hat, erzählt, wie eine englische Komödian-
tin, deren Namen er leicht verstümmelt (es war Miß Woffing-
ton, von der er sprach), wie sie, nachdem sie soeben mit großem
Erfolg eine männliche Rolle gespielt hat, ins Foyer zurückkommt
und sagt :
„Ich wette, daß die Hälfte des Publikums mich für einen
Mann gehalten hat!" und wie einer ihrer Kollegen antwortet:
„Beunruhigen Sie sich nicht, die andere Hälfte ist vom Ge-
genteil durchaus überzeugt."
„Oh," bemerkt die schöne Fanier, „die Hälfte des Publikums ?
Das ist ein wenig stark."
Aber vielleicht war das Publikum an diesem Abend nur aus
etwa fünfzig Gaffern zusammengesetzt.
#
Die Annalen der komischen Bühne bieten mehr als eine
blutige Szene. Nicht immer ist die Bravour eine falsche Ziererei
der Theaterheroen. Der ausgezeichnete la Rive18 und sein Ver-
trauter Florence haben uns dieser Tage einen neuen Beweis da-
von geliefert.
Der erstere hatte die Wochenaufsicht. Im Begriff, auf die Bühne
zu gehen, bemerkt er, daß Florence noch nicht kostümiert ist,
und macht ihm vorerst freundschaftliche Vorhaltungen über
seine Nachlässigkeit. Der Vertraute antwortet schlecht gelaunt,
worauf der Aufsichthabende im Ton und mit der Geste seines
Amtes droht, ihn mit der Ordnungsstrafe zu belegen. Man er-
hitzt sich : La Rive schimpft seinen Kollegen Possenreißer. Nach
der Vorstellung fordert Florence Genugtuung für diese Belei-
digung; vergebens sucht man zu intervenieren: tragische Mimen
Die Chronique Scandalease 71
halten Reden, die Frauen kreischen; endlich erscheint der
oberste Gesetzgeber der Schmiere, macht seine Autorität gel-
tend und untersagt jegliche Gewalttat. Dieses Verbot hatte in
den Augen des Raufboldes Florence keine wesentliche Bedeu-
tung. Am nächsten Morgen suchte er seinen Gegner auf und
schleppte ihn zum Champ de Mars. Der Zweikampf war hart-
näckig. La Rive empfing eine leichte Wunde und entwaffnet
Florence. Mit dei Miene und der Würde eines Ritters Bayard
sagt er zu dem Unterlegenen : „Sie sehen, Ihr Leben ist in meiner
Hand; ich gebe es Ihnen mit Ihrem Degen zurück und wieder-
hole Ihnen, daß Sie nichts sind als ein Possenreißer." Und darauf
haben unsere Helden sich getrennt und ein jeder ist zu sich
nach Haus gegangen.
#
Der berühmte Generalpächter Bouret wird eines Morgens tot
in seinem Bett gefunden. Da er wenige Tage zuvor seinen Freun-
den sein baldiges Ende angekündigt hatte, glaubt man, er habe
sich vergiftet. Als ungeheuer reicher Mann hatte er es immer
verstanden, in Schulden zu leben, und stand kurz davor, im
Elend umzukommen; er hat fünf Millionen Schulden hinter-
lassen und ist fast zahlungsunfähig gestorben. Ein Luxus und
eine Verschwendung, von denen man sich keine Vorstellung
machen kann, haben ihn dazu gebracht; er trieb es so weit, eine
Kuh mit jungen Schoten, zu 150 Livres die Metze, zu füttern,
um einer Frau, die sich nur von Milch nährte, die beste Milch
bieten zu können. Derartige Züge erzählt man sich Tausende
von ihm.
#
Der berühmte Abbe Prevost soupierte einst mit einigen in-
timen Freunden, die wie er Schriftsteller waren. Nachdem man
die Politik, die Literatur, den Tagesklatsch erschöpft hat, kam
man unmerklich auf die Moral zu sprechen
Einer der Anwesenden bemerkte, wie der anständigste Mann
72 Die Chronique Scandaleuse
nicht dafür einstehen könne, daß er nicht eines Tages Strafen
unterliegen würde, wie sie Verbrechern reserviert sind.
„Fügen Sie hinzu," sagt der Abbe Prevost, „daß sie es auch
nicht verdienen würden."
Alle erhoben bei dieser letzten Behauptung lauten Einspruch.
„Gewiß, meine Herren," nahm der Abbe wieder das Wort, „ich
behaupte, daß sehr wohl jemand mit einem gutenjrlerzen, das
Unglück haben kann, ein Verbrechen zu begehen, das aufs Scha-
fott führt." Man sagte, dies sei unmöglich. — „Meine Herren,"
fuhr der Abbe fort, „Sie alle sind meine Freunde; ich kann auf
Ihre Verschwiegenheit rechnen und Ihnen in aller Sicherheit ein
Bekenntnis machen, das ich noch zu niemandem gewagt habe.
Sie halten mich alle für einen anständigen Menschen ?" Jeder
sagte, daß er keineswegs an seiner Rechtschaffenheit zweifle.
„Und dennoch," fährt der Abbe fort, „habe ich mich eines
der größten Frevel schuldig gemacht, und wenig hätte ge-
fehlt, daß ich eines schmachvollen Todes umgekommen wäre."
Ein jeder meinte zuerst, er scherze. — „Nichts", sagte er, „ist
ernsthafter." Man betrachtete sich mit Erstaunen.
„Also, ich habe meinen Vater getötet." Man weiß nicht, was
man glauben soll, und drängt, dies Rätsel zu erklären. Er fährt
in seiner Geschichte fort: „Als ich das College verließ, verliebte
ich mich, in eine kleine Nachbarin meines Alters; ich machte
sie in mich verliebt und erlangte alles, was ein Liebhaber sich
wünschen kann. Schließlich stellten sich auch die Folgen ihrer
Schwäche ein. Ich war trunken vor Liebe. Ich wünschte, ohne
Unterlaß ihr zur Seite zu sein. All meine Zeit verbrachte ich
mit ihr. Meine Eltern drängten mich, einen Beruf zu wählen.
Ich wünschte nichts als die Lust, im geheimen meine Mätresse
anzubeten. Jede andere Beschäftigung schien mir unerträglich.
Mein Vater, den einiger Argwohn über meine Gleichgültigkeit
erfaßte, spähte mir nach, folgte mir, und es gelang ihm, meine
Liebschaft zu entdecken. Eines Tages kam er zu meiner Mä-
Die Chronique Scandaleuse 73
tresse, die seit drei oder vier Monaten schwanger war, im selben
Moment, als ich dort weilte. In meiner Gegenwart machte er
ihr bittere Vorwürfe über die verbrecherische Liaison, die sie
mit mir unterhielt. Ich wahrte Schweigen. Er warf ihr auch
vor, daß sie mir ein Hemmnis zum Erfolge sei. Sie wollte sich
rechtfertigen. Er überhäufte sie mit Schmähungen; sie brach
in Tränejj aus. Ich verteidigte sie; mein Vater geriet in Wut
und erhitzte sich schließlich derart, daß er sich soweit vergaß,
die Unglückliche zu schlagen. Er versetzte ihr selbst einen Fuß-
tritt in den Leib; sie stürzte ohnmächtig zusammen. Bei diesem
Anblick verlor ich den Kopf und warf mich auf meinen Vater;
ich warf ihn die Treppe hinunter. Der Fall verletzte ihn so
schwer, daß er am selben Abend starb. Er war großmütig genug,
mich nicht zu denunzieren. Man nahm an, er sei von selber
gefallen. Man begrub ihn, und sein Schweigen rettete mich vor
Schande und qualvollem Tod. Dennoch fühlte ich nicht weniger
die Ungeheuerlichkeit meiner Schuld. Ich habe lange einen dum-
pfen und schweigsamen Schmerz bewahrt, den nichts zerstreuen
konnte. Ich beschloß, in der Einsamkeit eines Klosters meine
Trauer und Betrübnis zu begraben und ich wählte den Orden
zu Clugny. Vielleicht schulde ich der tiefen Melancholie, die diese
erste jugendliche Verirrung über den Rest meines Lebens ge-
breitet hat, den Hang zum tragischen Ereignis, zur schrecklichen
Situation, zum düsteren und unheimlichen Kolorit, das meine Ar-
beiten, die ich veröffentlicht habe, erfüllt. Die Freunde des Abbe
hörten dies Geständnis mit einer Spannung an, in der Schrecken
und Erstaunen sich mischten. Sie wollten sich von seiner Wahrheit
nicht überzeugen lassen. Sie bildeten sich ein, daß der Abbe Prevost
ihnen diese Begebenheit, die er in einem Romane verwenden wollte,
versuchsweise erzählt habe, um ihren Eindruck zu beurteilen.
Sie haben wiederholt auf Bestätigung dieses Erlebnisses bestanden.
Er hat ihnen immer von neuem dessen Wahrheit beteuert.
■ja Die Chronique Scandaleuse
Monsieur Linguet sieht einige Tage nach seiner Einlieferung
in die Bastille einen großen, mageren Mann in sein Zimmer
treten, der ihm leichte Furcht einflößte. Er fragt ihn, wer er
sei. — „Ich bin", antwortet der Unbekannte, „der Barbier der
Bastille." „Bei Gott," antwortet kurz Linguet, „Sie hätten die
Bastille rasieren sollen."
*
Ein Soldat, Sohn des Herrn de Case, des Generalpächters, hat
sich mit dem Sohn des Herrn de la Reyniere, eines anderen
Generalpächters, aus folgendem Grund geschlagen: Als Herr
de la Reyniere bei einer der letzten Vorstellungen der „Ar-
mida" im Parterre der Oper war, fühlte er sich von der Menge
außerordentlich bedrängt. „Wer ist es nur," ruft er aus, „der
hier in dieser Weise stößt; zweifellos ein Friseurlehrling." Herr
de Case, der luch da ist, antwortet ihm: „Ich bin es, der stößt;
gib mir deine Adresse, ich werde dir morgen einen Strich mit
dem Kamm geben." Sie treffen sich am nächsten Morgen, be-
geben sich nach den Champs Elysees und duellieren sich am
hellen Tag in Gegenwart von 3000 Personen mit der Pistole.
Der Soldat wird das Opfer dieses Zweikampfes; eine Kugel
durchbohrt ihm das Auge und spaltet ihm den Kopf; doch
stirbt er erst nach einigen Stunden.
#
Die nächtlichen Weihnachtszeremonien haben oft zu skan-
dalösen Szenen Anlaß gegeben.
Die Kirrhe zu Saint-Roch, die das Stelldichein unseres Ge-
sindels und unserer Dirnen zu sein scheint, hat endlich aufgehört,
das Theater von tausend Scheußlichkeiten zu sein, seit der be-
rühmte Balbätre auf der Orgel nicht mehr seine glänzenden
Harmonien ertönen läßt; aber die Gaunerstreiche sind von
Unanständigkeiten abgelöst worden, und jene, die man in der
Kirche Sainte-Sulpice ausgeführt hat, sind ebenso lustig wie
gewagt.
Die Chronique Scandaleuse 75
Der Geistliche machte nach altem Brauch die Sammlung; ein
Schweizer ging ihm voran, eine Nonne folgte ihm. Eine Gruppe
getreuer Apostel, die wie zufällig beieinander stehen, umdrängen
den Herrn Pfarrer, umarmen ihn und machen ihn derart strau-
cheln, daß er seinen Geldbeutel fallen läßt. Jeder scheint von
heiligem Eifer ergriffen, um die Taler des Herrn Pfarrer aufzu-
sammeln; die Schwester-Sammlerin, die ihm folgte, bückt sich
gleichfalls, um zu helfen. Ein Schelm benutzt die Gelegenheit,
um seine Hände unter ihren Rock gleiten zu lassen. Sie stößt
einen Schrei aus und läßt gleichfalls ihren Beutel fallen. Der
Schurke hatte damit gerechnet; er ergreift ihn und läuft da-
von. Diese Szene ruft große Erregung hervor, und ein jeder
der Diebe nimmt sie wahr, um mit den beim Herrn Pfarrer
geernteten Talern zu entkommen.
#
Ein junges, sehr hübsches Mädchen stand im Begriff, sich zu
verheiraten. Man konnte ihre jungfräuliche Miene gar nicht
genug bewundern. Ihr Verlobter soupiert mit ihr bei ihren Groß-
eltern. Sie schützt ein Unwohlsein vor und zieht sich in ihr
Zimmer zurück. Man glaubt ihrem Zukünftigen einen Vorge-
schmack kommender Freuden zu verschaffen, und führt ihn zu
seiner Liebsten, damit er sich selbst über eine Gesundheit ver-
gewissere, die einen Liebhaber, der im Begriff steht, den ehe-
lichen Knoten zu schürzen, interessieren muß. Vater und Mutter
treten zuerst hinein, gefolgt vom Verlobten.
Welch Schauspiel bietet sich ihren Augen! Die zarte Jungfrau
liegt im Bett zwischen zwei Mönchen . . . Man ist nicht neu-
gierig zu erfahren, was aus dem Hochzeitsbettkandidaten ge-
worden sein mag.
Das keusche Jungfräulein wurde in Sainte-Pelagie eingesperrt,
einem Kloster, in dem man Frauen, die gegen ihre eigene Sinnen-
lust ein wenig zu nachsichtig waren, einer strengen Klausur un-
terwirft.
j6 Die Chronique Scandaleuse
Ein Finanzier, der eine sehr galante Frau besaß, war auf Rei-
sen; sie profitierte von seiner Abwesenheit, um sich allen ihren
Gelüsten hinzugeben.
Das Maßlose ihres Benehmens nahm so überhand, daß es zu
Ohren ihrer Eltern kam, die ihr darüber Vorwürfe machten;
sie versprach ihnen, ihre Lebensweise zu ändern; doch tat sie
dies nur scheinbar. Sie mietete ein kleines Haus und veranstaltete
hier oft kleine, leichtsinnige Soupers, bei denen die Zügellosig-
keit regierte. Besonders liebte sie den Champagner, und sie wußte
wohl, daß ihr Mann besonders guten besaß. Wie aber sollte sie
den aus seinem Hause herbeischaffen, ohne den Hausverwalter
ins Vertrauen ziehen zu müssen ? Einer ihrer Freunde gab ihr
einen Rat. „Geben Sie vor," sagte er, „an einer dieser Unpäß-
lichkeiten zu leiden, denen Ihr Geschlecht leider unterworfen
ist. Schicken Sie nach mir als einem fremden Arzt. Ihre Leute
kennen mich kaum; ich werde mich verkleiden und übernehme
die Verantwortung für alles Weitere." Wie gesagt, so getan.
Man schickt nach dem Arzt ; nachdem er viel Worte gemacht
hat, schickt er nach dem ältesten und besten Champagner.
Er läßt ihn mit einem Pulver, dem er große Heilkraft nach-
rühmt, aufkochen, und verschreibt Madame jeden Tag ein sol-
ches Bad. Seine Vorschrift wird ausgeführt. Jeden Morgen bringt
der Maitre d'hotel für Madames Gesundheit drei Flaschen von
Monsieurs ausgezeichnetem Weine. Die Kammerzofe, die ein-
geweiht war, schickte sie in das bewußte kleine Haus; auf diese
Weise war der Keller bald geleert. Als der Gatte nach seiner
Rückkehr ein großes Souper gab, schickte er nach seinem guten
Weine. „Es ist keiner mehr da", ist die Antwort. „Wie," er-
widert er, „ich habe doch mehr als 200 Flaschen zurück-
gelassen!" — „Das ist wahr," antwortet der Maitre d'hotel
seinem Herrn, und indem er sich seinem Ohre nähert: „Aber
Madame benutzte ihn jeden Morgen während ihrer Krankheit
zu ihren Waschungen." „Bei Gott," ruft der Finanzier aus,
Die Chronique Scandaleuse 77
„nun bin ich nicht mehr erstaunt, daß er soviel Dummheiten
gemacht hat, wo er sich jeden Morgen betrank!"
#
Frau von ***, die seit kurzer Zeit verheiratet ist, gähnte viel
in Gegenwart ihres Mannes. Als dieser sie fragte, ob sie sich mit
ihm langweile, antwortete sie: „Nein Monsieur, aber Sie und
ich, wir bilden eine Person, und ich langweile mich, wenn ich
allein bin." Nur einer Frau kann eine so naive und gleichzeitig
so ingeniöse Antwort entschlüpfen.
#
Eine Arie aus Richard Löwenherz hat einer Unzahl boshafter
oder leichtfertiger Couplets zum Muster gedient, doch hat das
Vaudeville Figaro nichts von seinen Vorrechten dabei verloren.
Hier sind zwei neue Couplets zur Figaromelodie. Sie kritisieren
eine Gewohnheit, die seit einiger Zeit bei den Angehörigen des
schöneren Geschlechts erneuten Kredit gefunden hat. Da die
Vermehrung der Klubs die Männer aus der Damengesellschaft
entfernt hat, findet man, daß in gewisser Weise diese bizarren
und neuen, vielmehr von den Griechen her erneuerten Neigungen
gerechtfertigt werden.
II est des dames cruelles,
Et l'on s'en plaint chaque jour:
Savez-vous pourquoi ces belles
Sont si froides en amour?
Ces dames se fönt entre-elles,
Par un genereux retour,
Ce qu'on appelle un doigt de cour.
S'il est des dames cruelles
On en vaincrait chaque jour
Si les hommes pour les belies
Etaient fermes en amour;
Mais leur faiblesse aupres d'elles,
Promettant peu de retour,
Les reduit au doigt de cour.
78 Die Chronique Scandaleuse
Nachdem der Graf de Lauraguais während einiger Jahre mit
Mlle Arnoult gelebt hatte, setzte er ihr eine Rente von 20 000
Livres aus. Es ärgerte ihn eines Tages, immer den Fürsten
d'Henin bei seiner Mätresse zu finden, die selbst zugab, von
ihm belästigt zu werden. Um ihn loszuwerden, beschloß er, sich
bei mehreren Ärzten zu informieren, ob es möglich sei, an Lange-
weile zu sterben. Mehrere gaben dies zu. Mit diesen Schrift-
stücken versehen, begab sich der Graf zu einigen berühmten
Advokaten, um zu erfahren, ob eine Frau, die in Gefahr sei, an
Langerweile zu sterben, nicht das Recht habe, einen Mann hin-
auszuwerfen, der sie in jeder Minute des Tages gähnen mache.
Zwei Advokaten bestätigten schriftlich, daß ein gewaltsamer
Ausschluß in einem solchen Fall gerecht und natürlich wäre.
Darauf wurden die beiden Papiere dem Fürsten von Seiten des
Grafen zugesandt, der ihn in heller Wut auf der Stelle zum Duell
forderte und darauf seine Visiten bei der Schauspielerin nach
wie vor fortsetzte.
#
Man hat nirgendwo, glaube ich, einen geistreichen Ausspruch
des Malers Doyen aufgezeichnet, der wert ist, erhalten zu bleiben.
Er läßt sich eines Tages bei der Gräfin du Barry melden, die
sich gerade im Bad befindet. Sie läßt ihn eintreten; man spricht
vom Wetter, wie es so Sitte ist, wenn einem nichts Besseres
einfällt. „Vor ungefähr einem Jahre", erzählt Mme da Barry,
„war ich gerade im Bad, als ich einen entsetzlichen Donner-
schlag vernehme. Dies erschreckte mich derart, daß ich, ohne
auf meine momentane Verfassung zu achten, aufsprang und
durch das Zimmer eilte, um mich im letzten Winkel zu ver-
bergen." Doyen steht am Fenster und antwortet mit keiner
Silbe. „Was tun Sie da nur, Doyen?" „Frau Gräfin, ich schaue
nach, ob kein Gewitter aufzieht; das würde eine hübsche Szene
für ein Malerauge werden."
Die Chronique Scandaleuse 70
Eines Tages durchquert der, wie man weiß, starkknochige Abbe
Fürst Salm das Vorzimmer des Königs, l'oeil de bceuf genannt,
als einige Herren, die sich dort wärmten, laut genug, um es ihn
hören zu lassen, bemerkten: „Da ist ja der Äsop des Hofes."
Der Fürst antwortete ohne jede Verwirrung: „Meine Herren,
der Vergleich ist mir sehr schmeichelhaft, denn Äsop machte die
Tiere sprechen."
Die Geschichte, die man über das Exil des eleganten Virgil-
übersetzers erzählt, entbehrt jeder Begründung. Hier ist das
Motiv, das diesen Akademiker zu seiner Reise nach der Türkei
veranlaßte. Der Abbe Delille, der von zarter Gesundheit war,
pflegte immer mehr seinen Wünschen als seinen physischen
Möglichkeiten nachzugeben. Er und der Abbe de J** verliebten
sich in zwei Mädchen, die Schwestern des jungen Dichters Gruet,
eines Schülers des Abbe Delille. Den Marquis de Cham** und
einen seiner Freunde verlockte es, den beiden Abbes ihre Mä-
tressen zu rauben; dies sollte ohne Vorwissen der Liebhaber aus-
geführt werden. Aber ein unvorhergesehenes Ereignis zerstörte
alles. Eine der beiden jungen Damen, und gerade die Mätresse
des Abbe Delille, wurde schwanger. Man versuchte, ihm die
Vaterschaft zuzuschreiben, dessen er sich nach Kräften wehrte,
aber die ungetreue Schöne spielte ihre Rolle ausgezeichnet,
weinte und drohte, den Abbe anzuzeigen; dieser zog es vor, die
Geschichte mit Geld zu arrangieren. Der Marquis bekam die-
selben Vorwürfe zu hören und gab, da sein Gewissen nicht ganz
rem war, 40 000 Livres her. Wenn er auf seine Großmut in
dieser Beziehung stolz war, so übte er nicht die andere, das Ge-
heimnis zu wahren. Und der geschmähte, verspottete und lächer-
lich gemachte Abbe Delille war entzückt über die Gelegenheit,
die sich bot, mit Herrn de Choiseul-Gouffier verreisen zu können,
der sich nach der Konstantinopeler Gesandtschaft begab; so sollte
die Geschichte in Vergessenheit geraten.
So Die Chronique Scandaleuse
Mlle Arnoulds witzige Bemerkungen erfreuen sich großer Be-
rühmtheit.
Man erinnert sich, daß ihre Tochter einen jungen Schrift-
steller namens Murville geheiratet hat. Mme de Murville hat
den Geist ihrer Mutter geerbt und ist eine entzückende Blon-
dine. Obgleich diese beiden sich sehr lieben, spielen sie sich
dann und wann manch einen lustigen Schabernack. Mlle Ar-
noult hatte den Schauspieler Florence geliebt und ihm nach
einigen Monaten mit viel Eklat den Laufpaß gegeben. Mme
Murville war mit diesem Bruch, an dessen Aufrichtigkeit sie
glaubte, sehr einverstanden. Nun kommt sie vor einigen Tagen
des Morgens zu ihrer Mutter und findet sie im Tete-ä-tete mit
Florence. Nachdem dieser sich entfernt hat, drückt sie ihrer
Mutter ihr Befremden aus.
„Dieser Mann ist in Geschäften hergekommen, denn ich liebe
ihn nicht mehr", antwortet Mlle Arnould. „Oh, ich verstehe,"
erwidert Mme de Murville, , Sie schätzen ihn jetzt." Eine zarte
Andeutung auf die Erzählung, die mit den Versen endigt : „Wie
viele Male hat er sie geschätzt ?"
Einige Tage nach diesem Abenteuer, das Mlle Arnould nicht
vergessen hat, spricht einer ihrer Freunde mit ihr über ihre
Tochter und fragt sie, ob es wahr sei, daß ein Engländer in Mme
de Murville verliebt sei.
„Ich glaube es nicht," antwortet sie, „ich habe niemals ge-
hört, daß die Engländer das goldene Vließ nähmen."
#
Ein Engländer, der im Begriff stand, nach London abzureisen ,
schrieb folgende Sätze an die berühmte Gourdan : „Da ich habe
sagen hören, Madame, daß Sie all die Demoiselles von Paris
kennen, und daß man nichts Besseres tun könne, als sich an Sie
um eine hübsche Mätresse zu wenden, bitte ich Sie, mir eine
am Tage meiner Rückkehr, dies dürfte zwischen dem 15. und
20. Januar sein, bereit zu halten. Ich denke sie mir so: sechzehn
Die Chronique Scandaleuse 8l
Jahre alt, blond, fünf Fuß und sechs Daumen groß (dies schein-
bar ein englisches Größenmaß), von schlankem Wuchs, mit
blauen, schmachtenden Augen, kleinem Mund, hübscher Hand,
graziösem Bein und winzigem Füßchen. Wenn Sie mir so eine
finden, sollen Sie 50 Louis dafür erhalten. Schicken Sie mir Ihre
Antwort nach Calais an die Herberge von Dessein."
*
Der Marquis von Bievre lieferte bei Prault, dem Drucker, das
Manuskript seiner Komödie „Le Seducteur" ab, und Prault fiel
es ein, den Lehrmeister spielen zu wollen.
„Herr Marquis," sagte er zu ihm, „diese Arbeit wird Sie in
die ersten Reihen unserer dramatischen Autoren stellen, aber
beileibe keine Calembours mehr, denn ..." „Oh, was für eine
Lektion ! Da du die Dinge so nimmst, mein Lieber, werde ich
über dich und dein ganzes Haus welche machen. Du, du bist
ein Problem (Prault-blerne), deine Frau eine Profanee (Prault-
fanee) und deine Tochter eine Pronobis."
#
Man weiß, daß Herr le Mierre von der Academie Francaise
nicht gerade ein Narziß zu nennen ist, und daß Herr Palissot
sich über die groteske Erscheinung dieses Akademikers in dem
vierten Gesang seiner Dunciade lustig gemacht hat.
Nun befand sich le Mierre dieser Tage in einem Klub mit dem
Marquis de Sade, einem jener angenehmen Herren, deren Ruhm
darin besteht, daß sie die anderen mystifizieren und die Frauen
mit Erzählungen ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen Aben-
teuer langweilen. Der Marquis, der den Dichter zu persiflieren
wünschte, fragte ihn, wer der schönste Mann der Akademie sei.
„Ich habe niemals aufgepaßt," antwortet dieser boshaft, „und
ich glaubte, daß man sich nur in gewissen Kreisen, die in der
guten Gesellschaft nicht genannt werden, mit Männerschönheit
beschäftigt." Dieses Epigramm ist um so beißender, als der Mar-
quis de Sade im Ruf steht, nicht die Frauen allein zu lieben.
82 Die Chronique Scandaleuse
Die Theatereröffnung des Mgr. Grafen von Beaujolais fand
im Palais Royal am 23. Oktober 1784 statt. Alle Bewegungen
werden von Marionetten ausgeführt, während die Vortragenden
hinter dem Vorhang versteckt den Dialog sprechen.
Man debütierte mit drei Possen mit Gesang und Tanz, die das
Publikum wenig entzückten. Die Unternehmer hatten beabsich-
tigt, nacheinander die Dramen der Frau von Genlis und des Herrn
Berquinzu geben, und einen großen Vorrat sehr moralischer Stücke
angehäuft, mit der lobenswerten und schwierigen Absicht, gute
Sitten an einem Ort einzuführen, wo man sie nicht mehr findet.
Aber sie haben mit dieser edlen Absicht Schiffbruch erlitten : der
Eigensinn der Sünder und Sünderinnen, die ihre Sittenverderbnis
innerhalb dieses Gartens spazieren tragen, ist unbesiegbar ge-
wesen, und diese Ungläubigen hat es tief gekränkt, daß man es im
Gauklertheater wagte, sie mit „Ruth" zu langweilen, während
der unsterbliche „Figaro" sie im Theatre National entzückte.
Sie schmeicheln sich sogar, daß die Leiter dieser Bühne nun
bald ihre hölzernen Schauspieler einpacken und sie durch andere
aus Fleisch und Bein ersetzen werden, die dieser Bühne, einer
verkleinerten Wiedergabe der Oper, besser angepaßt sind.
Der berühmte Abbe Beaudeau19, der Hauptleiter dieser höl-
zernen Komödianten, hat der ersten Vorstellung eine viel amü-
santere Szene geliefert als seine Schauspieler. Man beobachtete
ihn in den Kulissen, wie er die nötigen Gesten mit einer seines
Berufes würdigen Wichtigkeit angab, wie er enthusiastisch ap-
plaudierte oder an den pathetischen Stellen in Tränen ausbrach.
Man versteht, daß diese Pantomime wahre Lachstürme hervor-
rief, daß der Herr Direktor ausgepfiffen wurde, und daß man
nicht verfehlt hat, ihn seither den Beichtiger der Marionetten
zu nennen. Diese Witze haben ihn derartig zur Verzweiflung
gebracht, daß er zugunsten der Herren Arnoult und d'Orvigny
von der Leitung zurückgetreten ist.
Die Chronique Scandaleuse 83
Man hat soeben eine neue Obszönität entdeckt, die bisher un-
bekannt war und die wert ist, unter die großen Erfindungen des
Jahrhunderts gezählt zu werden.
Dies sind die „Westen der petits soupers". Da es momentan
Sitte ist, den Anzug zuzuknöpfen, sieht man keineswegs den
oberen Teil der Weste, jedoch, bei Orgien gewisser Art, löst sich
der Frack und exponiert den Augen der Messalinen Malereien
und Stickereien, die mit dem Zweck des Festes in Einklang stehen
und ihrer ganzen Geilheit würdig sind.
#
Der talentierte Bildhauer Houdon hat die Büste des Prinzen
Heinrich von Preußen gemacht. Der Chevalier de Bouffiers, des-
sen poetisches Talent so wert ist, gewürdigt zu werden, hat die
vier folgenden Verse geliefert, die auf dem Sockel der inter-
essanten Büste stehen sollen:
Dans cette image auguste et chere,
Tout heros verra son rival,
Tout sage verra son egal,
Et tout homme verra son frere.
#
Herr von Maurepas hat sich bis zum Ende seiner Tage seine
Fröhlichkeit und seine galante Laune bewahrt. Ein Offizier von
Rang hatte vergeblich vom Kriegsminister einen Urlaub erbeten,
um nach Paris zu eilen, wohin ihn, wie er sagte, dringende Ge-
schäfte riefen. Indessen handelte es sich nur darum, mit einer
hübschen Frau zu schlafen, aber schließlich ist ein solches Ge-
schäft wohl einem anderen gleichwertig.
Auf wiederholte Weigerungen will der Oberst sich an Herrn
von Maurepas wenden, täuscht sich aber, da er gleichzeitig an
seine Göttin schreibt, in der Adressierung, und der alte Minister
erhält folgenden Brief: „Süßer Engel, Segur ist grausam genug,
mir zu verwehren, in Deine Arme zu eilen ; ich wäre verzweifelt,
erhoffte ich nicht eine günstigere Antwort von Maurepas: er
ist ein alter Wüstling, der sicher den Zweck meiner Bitte er-
84 Die Chronique Scandaleuse
raten und mehr als gern bereit sein wird, sie mir zu gewähren.
Er wird mir nachfühlen, daß man es in meinem Alter vorzieht,
in den Armen seiner Mätresse zu sterben als in einer trostlosen
Garnison zu leben. Könnte ich hier wenigstens Lorbeeren pflük-
ken, da die Myrten fehlen! Aber ich vegetiere hier, während
meine Kameraden draußen sich schlagen ; es ist ein schmutziges
Gewerbe, dieser Krieg im Frieden ! Ich sage Frieden, denn nicht
für mich ist es, daß die Kanonen donnern ! Adieu, süßestes Hunds-
gesicht; hielte ich dich in den Armen, Du weißt wohl, was Dir
geschehen würde. In der Erwartung, Dich baldigst zu über-
raschen, wie ich gern möchte, küsse ich Dich mit dem Worte ..."
Herr von Maurepas hat über dies Abenteuer herzlich gelacht,
dem Obersten einen scharmanten Brief geschrieben und ihm den
erbetenen Urlaub bewilligt.20
#
Es gibt verschie lene Klassen unter den Roues. Die lustigsten,
wenn auch nicht die wohlwollendsten, sind jene, die man My-
stifikatoren nennt. Einem dieser Herren hat es eines Tages ge-
fallen, die vornehmsten Mädchen der Oper zu einem Souper zu
laden und einige seiner Freunde als Kapuziner zu verkleiden,
die er ihnen als den General und die ersten Offiziere des Ka-
puzinerordens in Rom vorstellte. Während der Mahlzeit hat
man ihnen größten Respekt bezeigt, und schließlich ist der
peinlichen Anstrengung, mit der die Schönen ihre Rolle durch-
zuführen bestrebt waren, die Demütigung gefolgt, sich von den
angeblichen Kapuzinern mit der schlimmsten Mißachtung und
gewagtesten Zuchtlosigkeit behandelt zu sehen.
#
Der Magnetismus spielt seine Rolle bis zu den Zuckerbäckern
der Rue des Lombards herab. Zur Zeit der Neu Jahrsgeschenke
ist es Sitte, daß sie dem Publikum Teller anbieten, die figürlich
geschmückt sind und die interessanten Ereignisse des verflossenen
Jahres darstellen. Am Ersten des Jahres 1785 haben sie Szenen
Die Chronique Scandaleuse 85
aus dem „Figaro" und den „Docteurs modernes", besonders
die des „Baquet de sante" und der „Salles des crises" gewählt.
Man eilt in hellen Haufen, sie zu sehen. Gott weiß, welchen
Skandal, das für die Anhänger der neuen Doktrin bedeutet.
Zu einem Pamphlet, das ihren Kummer nicht geringer macht,
hat man folgende Anekdote benutzt :
Mlle Arnoult von der Oper hat ein Hündchen, an dem sie
zärtlich hing. Es wird krank, man trägt es zu Mesmer, der, um
den Einfluß der Ströme auf die Tiere zu beweisen, den Hund
magnetisiert. Der Kranke zeigt Krampfund Konvulsionserschei-
nungen, kurz die günstigsten Krisen. Er gesundet. Man bringt
ihn zu seiner Herrin, die frohen Herzens ein Zertifikat unter-
schreibt; aber am nächsten Morgen stirbt der Hund.
„Wenigstens", bemerkt maliziös Mlle Arnoult,. „wenigstens
habe ich mir nichts vorzuwerfen; das arme Tier ist bei ausge-
zeichneter Gesundheit gestorben."
#
Einer unserer liebenswürdigsten Galane, der ebenso gern auf
dem Parnasse, auf Cythere wie in Versailles gesehen wird, rächt
sich eines Tages mit einem blutdürstigen Epigramm an der Un-
treue einer schönen Marquise. Dieses wandert erst durch zwanzig
Salons, ehe es seinen Bestimmungsort erreicht. Die Marquise
schreibt augenblicklich an den Chevalier, um Verzeihung ihres
Unrechts zu erbitten, ihn anzuflehen, daß er jede Spur seines
Racheaktes vernichte, und ihn zu einer bestimmten Stunde zu
sich zu bitten, um eine aufrichtige Versöhnung zu besiegeln.
Der Chevalier kennt die Frauen zu gut, um sich ohne Miß-
trauen auf dies Rendezvous zu begeben. Er versieht sich mit
Pistolen. Kaum ist man über die ersten Erklärungen weg, als
vier starke Strolche erscheinen, ihn ergreifen, auf das Bett wer-
fen, ihn so weit entkleiden, als dies ihren Zwecken dienlich ist,
und ihm unter dem Oberbefehl von Madame im schönsten
Rhythmus je fünfzig Rutenstreiche verabfolgen.
86 Die Chronique Scandaleuse
Nach beendigter Zeremonie erhebt sich der Kavalier kalt-
blütig, richtet seine derangierte Toilette und wendet sich an die
Raufbolde, die beim Anblick seiner Pistolen zu zittern beginnen :
„Ihr habt Euren Auftrag nicht erledigt; Madame muß zufrieden
gestellt werden. Jetzt bin ich an der Reihe; ich werde euch allen
vieren das Gehirn ausblasen, wenn ihr nicht augenblicklich Ma-
dame wiedergebt, was ich soeben empfangen habe."
Dieser Befehl wurde mit solcher Sicherheit gegeben und Herr
von B. begleitete ihn mit zu bedeutungsvollen Gebärden, als daß
man gezögert hätte, ihn zu befolgen. Die Tränen der schönen
Dame vermochten nicht zu hindern, daß der Atlas ihrer Haut
von unbarmherzigen Schlägen zerrissen wurde.
Aber das war noch nicht alles. Herr von B. verlangte, daß die
Helden dieses Racheaktes sich nun gegenseitig derselben Strafe
unterzögen, und dann im Fortgehen:
„Adieu, Madame, möge nichts Sie verhindern, dies angeneh-
me Abenteuer zu veröffentlichen ; ich werde der Erste sein, die
Nichtstuer damit zu beglücken." Man sagt, die Marquise sei
ihm nachgestürzt, habe sich auf die Knie vor ihm geworfen und
ihn sc dringlich angefleht, das Geheimnis zu wahren, daß er
noch am selben Abend mit ihr speiste, um indiskrete Gerüchte
zu widerlegen. Man. fügt sogar hinzu, daß das Rezept so guten
Erfolg hatte, daß der Abend fröhlicher endete, als er begonnen
hatte.
*
Die schmutzige Geschichte der Präsidentin D*** ist bekannt.21
Man weiß, daß sie vor 15 Jahren aus Douai entführt und nach
Paris gebracht wurde.
Man brachte sie vorläufig bei der Gourdan unter, wo sie sich,
heißt es, besser fühlte als sonstwo je. Seit einigen Wochen ver-
witwet, kehrt sie nach Douai zurück und ergreift ihre alten
Rechte, nachdem sie lange Zeit der Nutznießung ihrer Besitz-
tümer beraubt worden war, die aus 25 000 Livres Renten be-
Die Chronique Scandaleuse 87
stehen, da ihr Gatte bewiesen hatte, daß sie noch weniger Spar-
samkeit als gute Sitten kannte. Sie ist von ihrer Verschwendungs-
sucht ganz geheilt. Heut ist sie die geizigste sowie die sitten-
loseste Frau.
Sie bewohnte den Faubourg Saint-Marceau, hatte 1000 Taler
Renten, lebte ohne andere Gesellschaft als die eines Lakaien,
den sie Tag und Nacht auf die Probe stellte, ehe sie ihn enga-
gierte, und dessen geringster Fehler einen Grund zur Entlassung
gab. Den letzten, den sie hier hatte, jagte sie fort, weil der Un-
vorsichtige eines Tages vergaß, die Wohnungstür zu schließen,
und man sie so beim flagrant delit mit ihm ertappte. Ohne sich
zu verwirren, fing sie Streit mit ihm an und entließ ihn wegen
mangelnder Sorgfalt.
Man schreibt ihr folgende Bemerkung zu : „Ich liebe das Geld;
ich verstehe nicht, welches Vergnügen man daran finden kann,'
es wegzugeben oder es auszuleihen; ich mag die Armen nicht . . ."
Sollte man glauben, daß es ein Wesen gibt, das so verabscheu-
ungswürdig ist, so verächtlich und auch so unverschämt ?
#
Auf der Place Dauphine hat sich kürzlich ein Abenteuer zu-
getragen, das dem des Frater Girard gleichen würde, wäre die
neue Cadiere liebenswürdiger.22
Törichte Eltern hatten ihre dreizehnjährige Tochter einer Art
Abbe anvertraut, damit er sie die Pflichten der Religion lehre;
dazu die Erlaubnis, die gegen alle Vorhaltungen Rebellische
nach Belieben zu strafen. Diese junge Person zeigte sich den
Lehren des Abbe keineswegs gefügiger, der sich deshalb damit
unterhielt, sie zu seinem Vergnügen ziemlich oft zu peitschen.
Das junge Mädchen, das sich den Züchtigungen dieses *Tar-
tüffs zu entziehen strebte, versuchte letzthin durch ein Fenster
der fünften Etage zu fliehen. Sie glitt aus und hätte einen ent-
setzlichen Fall getan, wenn sich ihr Kleid nicht in einem auf-
ragenden Gitter verwickelt hätte; sie blieb daran hängen, man
88 Die Chronique Scandaleuse
eilte auf ihr Schreien herbei und befreite sie mit gebrochenem
Arm. Sie wird glimpflich davonkommen, und diese unangenehme
Lektion wird den Eltern nicht umsonst gegeben sein.
Der Abbe ist flüchtig geworden, was sein Benehmen und seine
Absichten sehr verdächtig erscheinen läßt.
Ein Engländer hat kürzlich in der Oper eine seltsame Wette
verloren; er präsentierte sich immer auf dem Balkon mit kost-
baren Kleidern, die er unaufhörlich wechselte. Ein flämischer
Baron, den der Zufall sehr oft in seiner Nähe plazierte, verlor
eines Tages die Geduld über die Elogen, die man dem Luxus
des Engländers zollte.
„Morgen", sagte er zu einem Freunde, „werdet Ihr mich weit
prunkvoller sehen als ihn."
Rosbif, der dies anhörte, schwor, ihn trotz seiner Anstren-
gungen zu übertreffen.
Man stritt, zweifelte, wettete iooo Louis. Es wurde beschlos-
sen, daß Diamanten und andere kostbare Juwelen nicht ver-
wendet werden dürften. Am nächsten Tag erwartete man mit
unbeschreiblicher Ungeduld die Stunde des Schauspiels.
Rosbif erscheint in einem Gewand von so unerhörter Pracht,
daß man sich keinen Begriff davon machen konnte. Der Flame
kommt darauf in einem Kleid aus brauner Leinwand, dessen
Einfachheit zur Verzweiflung treiben konnte.
„Geh dich doch ankleiden", rufen ihm seine Freunde zu. „Ich
bin es, meine Herren." „Hast du den Kopf verloren ? Zahle, Un-
glücklicher, und verbirg dich." „Nein, meine Herren, beruhigen
Sie sich; ich habe nichts verloren. Da sehe ich die berühmten
Bilderhändler Donjeux und Le Brun; laßt sie holen." Sie kom-
men : mein Flame öffnet die Knöpfe und läßt sie das Futter seines
Anzugs untersuchen. Es war ein Rubens von hoher Schönheit.
Was gibt es Prachtvolleres als einen Anzug, der ein ähnliches
Kunstwerk als Futter trägt ! Der Engländer zahlt, und der Flame
Die Chronique Scandaleuse 89
h^däsGeldund die Lacher auf seiner Seite. Das Geld ist nichts,
wenn der Geist es nicht zur Geltung bringt.
*
Man kennt die verschiedentlichen Neigungen der Mlle Rau-
court; sie haben Anlaß zu folgendem Couplet gegeben, das zur
Melodie gesungen wird: On compterait les diamants :
„Pour te feter, belle Raucourt
Que n'ai-je obtenir la puissance
De changer vingt fois en un jour
Et de sexe et de jouissance?
Oui, je voudrais pour t'exprimer
Jusqu'ä quel degre tu m'es chere,
Etre jeune hoiume, pour t'aimer,
Et jeune fille, pour te plaire."23
#
Man kennt die Mode der Krinolinen, deren Volumen mehr oder
weniger den Umfang aller Damen gleich macht, indem sie dem
unteren Teil ihrer Kleidung ein glockenförmiges Aussehen ver-
leiht. Das Auge hat sich an diese bizarre Mode gewöhnt, die Maler
und Bildhauer mit Verzweiflung als grobe Geschmacksverwir-
rung zurückweisen müssen, da sie zu der Natur und den schönen
Überlieferungen Griechenlands und Roms in krassem Wider-
spruch steht. Aber wie jeder Mißbrauch Gutes und Böses ge-
biert, sei hier erzählt, was diese künstliche Rundung Frauen
des Volkes, die der Macht der Mode folgten, eingegeben hat.
Einige junge, sehr schlanke und habsüchtige Mädchen hatten
beschlossen, vier Schweinsblasen rundherum unter ihrer Klei-
dung zu befestigen, damit sie die modische Körperfülle gäben.
Diese Schweinsblasen waren mit Branntwein angefüllt, den sie
so über die Barriere schmuggelten. Dies Verfahren trug einer
jeden 20—25 Sols täglich ein. Die Häufigkeit ihres Kommens
ließ sie den Zollbeamten verdächtig erscheinen, und man nahm
sie aufs Korn; als man aber ihre Kleider abfühlen wollte, ver-
teidigten sie sich mit mutiger Keuschheit. Schließlich kam einer
oo Die Chronique Scandaleuse
der Beamten eines Tages darauf, die verdächtige Fülle der Pas-
santin zu sondieren, ohne daß sie es merkte. Er durchstach ihren
Rock mit einem zugespitzten Instrument: sogleich verriet ein
emporsprudelndes Brünnlein von Branntwein den Betrug, und
die von dem Abenteuer ganz verwirrte Schmugglerin wird fest-
genommen.
Seit dieser Entdeckung versichert man, daß Frauen an den
Barrieren postiert sind, die beauftragt sind, Passanten des schö-
neren Geschlechts anzuhalten und zu untersuchen, und daß sie
sich mit ebensoviel Eifer wie Scharfblick ihres Auftrags entledigen.
#
Ein Schelmenstreich der Mlle Rosalie von der Comedie Ita-
lienne hat zu einem recht seltsamen Urteil geführt.
Diese Schauspielerin, die unter dem Namen Antonio im Ri-
chard Löwenherz dem Blondel als Führer dient, hatte auf dem
Ärmel ihres Anzuges etliche Stecknadeln befestigt. Clerval sticht
sich daran bis aufs Blut, als er sich auf sie- stützt.
Kaum ist er in den Kulissen, macht er der Schauspielerin Vor-
würfe. Diese, die einstigen Beziehungen zu Clerval vergessend,
verfehlt nicht, ihn in ihren beleidigenden Antworten daran zu
erinnern, daß er einst Friseurlehrling gewesen sei. Er klagt bei
Richelieu, dem ersten Gentilhomme der Kammer. Der Wochen-
inspektor meint, Rosalie müsse zu einer Ordnungsstrafe von
ioo Talern verurteilt werden. „Nein, nein," antwortet Richelieu,
„sie würde jemand zu finden wissen, der für 25 Louis bei ihr
schliefe, und wäre mit einem Überschuß von 100 Talern noch
unverschämter als zuvor; ins Gefängnis mit ihr! Ich verstehe
mich darauf; ins Gefängnis." Und so geschah es.
Rosalie schlief allein und gratis in Hotel de la Force, aus
dem sie am nächsten Morgen entlassen wurde.24
#
Mlle Arnould hat sich nach einem Streit mit Mlle Raucourt26
mit dieser wieder versöhnt, woran der Komödiant Florence nicht
Die Chronique Scandaleuse 91
wenig beteiligt war. Diese Leutchen haben, obschon sie einander
sehr zugetan sind, keineswegs darauf verzichtet, pikante, aber
nicht abgeschmackte Situationen beim Schopf zu ergreifen. Ein
Fräulein Viehl, eine Freundin von Mlle Arnould, lag im Wo-
chenbett und ließ eben diese bitten, Patenstelle bei ihrem Kinde
zu vertreten. Sophie nahm diesen Vorschlag an, jedoch fehlte es
an einem männlichen Paten; die Wöchnerin glaubte etwas
Schmeichelhaftes zu tun, indem sie Florence vorschlug. Sophie
ließ sagen, daß sie ihn bei Tage nicht kenne. Große Verlegenheit .
man spricht von Sophies Schwiegersohn, Herrn von Murville,
als Stellvertreter. Er ist ein langweiliger Mensch, der jenen alten
Lakaien gleicht, die man La Jeunesse zu nennen pflegt. Man
streicht auch den zweiten vorgeschlagenen Paten. Schließlich
sagt Sophie nach einigem Nachdenken: „Aber warum suchen
wir denn in so weiter Ferne, wo wir doch den Paten in der Hand
haben: Raucourt wird Pate stehen." Da aber ein derartiger Pate
unmöglich angenommen worden wäre, hat Sophie ihren Sohn
namens de Veterville dazu verpflichtet.
#
Man erzählt über den verstorbenen Herrn Pompignan eine
Anekdote, die die jähzornige Veranlagung vieler Frommen kenn-
zeichnet.
Alle Welt weiß von der Feindseligkeit, die zwischen diesem
heiligen Akademiker und seinem profanen Kollegen Voltaire
herrschte. Als die Folgen eines schweren Schlaganfalls Herrn von
Pompignan an den Rand des Grabes brachten, versuchen seine
Freunde umsonst, ihn zum Bewußtsein zu bringen, damit man
die Pflichten, die die Religion vorschreibt, ausüben könne. Ver-
geblich läßt man vor seinen Ohren die Worte Luzifer und Hölle
erklingen. Der Sterbende ist von beunruhigender Unempfindlich-
keit. Das, was die in schreckliche Drohungen entarteten Teufels-
beschwörungen nicht konnten, vermochte der Name Voltaires
allein. Mme de Pompignan erscheint und sagt zu ihm, zitternd
92 Die Chronique Scandaleuse
um sein ewiges Seelenheil: „Oh, mein Freund, bedenkt, daß,
wenn Ihr unseren Bitten nicht nachgebt, Ihr ewig an der Seite
dieses Schurken Voltaire brennen werdet."
Bei diesen Worten erhebt Pompignan den Kopf und sammelt
seine letzten Kräfte, um im Jenseits einen Platz zu erlangen,
recht weit von dem, den gewisse Leute Voltaire zudiktiert haben.
Nach unseren Kabrioletts hat man sehr erhöhte Wagen ge-
baut, die Wiskis genannt wurden. Die Damen haben einer Laune
gefolgt, sie selbst zu lenken. In den letzten Tagen hat Mlle Rosalie,
die in der Comedie Italienne die Rolle Antonios in Richard Löwen-
herz spielt und Blondel erfolgreich unterstützt, die Idee gehabt,
schneller fahren zu wollen als irgendeine andere. Ein galanter
Reiter ritt voran und warnte die Menge mit lauten Zurufen.
Ein Grenzstein, der dieser Warnung nicht ausgewichen ist, wurde
vom Wiski überfahren, dies hat sich völlig überschlagen und die
entzückende Hippolyte zehn Schritte weiter auf die Straße ge-
schleudert. Glücklicherweise hat ein kräftiger junger Mann, der
zufällig vorüberging, den kleinen Antonio aufgefangen und ihn
so vor der drohenden Gefahr bewahrt, sein hübsches Köpfchen
zu zerbrechen; sie ist mit einigen verborgenen Kontusionen da-
vongekommen, die nur ihre Vertrauten erblicken werden.
#
Im Palais der Tuilerien hat man einen Riesenaerostat anfer-
tigen lassen, der ganz Paris auf die Beine gebracht hat. Ein
Kanonenschuß sollte den Aufstieg verkünden, aber als man ihn
durch eins der Fenster herunterlassen wollte, um ihn erst in den
Gärten zu zeigen, riß der Strick, der ihn fesselte, und die Ge-
schichte flog davon. Er war dreizehn Fuß hoch und nicht acht-
zehn, wie der Herr L'Homond, der diesen Apparat konstruiert
hat, zuerst angekündigt hatte. Er sollte ein Epigramm gegen
Mesmer sein. Er zeigte das Kostüm eines Winzers, trug einen
ungeheuren Packen auf dem Kopf, unter dem man sich Trauben
Die Chronique Scandaleuse 93
vorstellen sollte, und hielt in der Hand einen Streifen, auf dem
zu lesen stand: Adieu, baquet, vendanges sont faites.
Aber die Polizei hat Einspruch erhoben, und Herr Mesmer hat
Gold gesät, um diese lächerliche Posse zu hintertreiben. Gegen
Mittag ist der Riese aufgestiegen, hat sich ziemlich rasch zu einer
großen Höhe erhoben, immer noch mit dieser Art Ballon auf
dem Kopf, der ungefähr das Baguet der Gesundheit darstellen
sollte. Zwei Minuten später, sei es durch Zufall, sei es durch
Absicht, platzte der Kübel, und man sah, wie die Figur gegen
Vaugirard abstürzte; da ertönte von allen Seiten lautes Hände-
geklatsche. Das Wetter war klar, doch wehte ein scharfer Wind;
das verhinderte eine ungeheure Menge nicht, in den Tuilerien
zu erscheinen, wo man 24 Sols Eintrittsgeld zahlte. Die Frauen
waren reich geschmückt, so gab es ein wunderbares Bild. Dies
beweist, daß ihre Lust, gesehen zu werden, den Sieg über die
Launen des Wetters und die Nachteile der Kälte fortträgt.
#
In der vergangenen Woche ereignete sich im Palais Royal im
„Camp des Tartares", ein ziemlich heftiger Aufruhr.26
Mit ziemlich viel Recht sagt man, daß Paris einem Königreich
gleiche, in dem das Palais Royal die Hauptstadt sei. Tatsächlich
vereinigt sich dort alles; man findet sogar gewisse Erleichterun-
gen, die man anderswo vergebens suchen würde. Da gibt es
möblierte Appartements, wo alles, was der raffinierteste Luxus
bedingt, sich vereint, und die für einen halben Louis pro Stunde
vermietet werden : man zweifelt kaum, zu welchem Zweck. Man
erzählt sogar, die Anhänger der „Opposition" fänden die gleichen
Annehmlichkeiten in einer benachbarten Galerie, wo jedoch der
Preis auf einen Louis pro Stunde festgesetzt ist. Wie dem auch
sei, tausend ähnliche Beweggründe, die zur Entartung unserer
guten Sitten dienen, sind jeden Abend Anlaß zu einem unauf-
hörlichen Andrang unter der Galerie des Tartares. Da vereinigen
sich gegen Ende der Theatervorstellungen alle die Nymphen des
qa Die Chronique Scandaleuse
Stadtviertels, die zu elegant sind, um sich im Schmutz der Straße
zu besudeln.
Folgendes hat die fragliche Erregung hervorgerufen. Ein Abbe
im Habit, dem man nachsagt, daß er der Neffe eines Erzbischofs
sei, hatte eine sehr hübsche, leichtfertige Dame untergefaßt, als
es sich ein junger Herr einfallen läßt, den Abbe auf den Fuß zu
treten. Dieser erhebt heftige Klage und nennt den Angreifer einen
Schurken; der junge Herr bedenkt ihn mit ähnlichen Schmäh-
worten, der Abbe erhebt seinen Stock, ebenso der andere, und
ein ernstliches Handgemenge bricht zwischen ihnen und ihren
Freunden aus. Die erschreckten Frauen rufen um Hilfe. Einer
der Schweizer, der die Ordnung aufrechterhalten soll, erscheint
und weiß nichts Besseres, um die Streitenden zu trennen, als mit
der flachen Klinge dazwischen zu fahren. Dieser helvetische Ein-
fall empört das Publikum, man umringt den Schweizer, um ihn
zu entwaffnen, er stößt einen Pfiff aus, und drei seiner Kame-
raden eilen ihm zu Hilfe; sie stellen sich Rücken an Rücken mit
entblößtem Säbel auf und schlagen wahllos auf die ein, die sich
ihnen entgegenstellen.
Mehrere Personen sind verletzt worden, unter anderem ein
Offizier gesetzten Alters, ein Ritter des Ludwigordens, der sich
ganz gegen sein besseres Wollen von der Menge vorwärtsge-
drückt fand, und dessen Hut durchschnitten und Kopf gespalten
wurde. Die Rufe nach der Wache verdoppelten sich, aber sei es,
daß sie ohne besondere Erlaubnis des Gouverneurs nicht ein-
treten durfte, sei es, daß sie sich erst in größerer Stärke vereinigen
wollte, kurz sie blieb lange aus. Endlich sah man sieben oder
acht Rotten erscheinen, die Bajonette am Gewehrlauf befestigt;
da flohen die Schweizer. Man suchte sie zu verfolgen, und fand
sie in einem Haus, in dem sie sich in Sicherheit gebracht hatten.
Sie wurden entwaffnet, und unter dem Beifall des Publikums,
das schrie: „Fort! Ins Gefängnis, ins Loch!" sollten sie abgeführt
werden, als ein Schweizer Offizier erschien und seine Soldaten
Die Chronique Scandaleuse 95
verlangte. Man führte sie zum Gouverneur, und man sagt, daß sie
damit davonkamen, daß man sie im Kasernengefängnis einsperrte
Das Publikum ist sehr unzufrieden, keine bessere Genugtuung
erlangt zu haben, und daß am nächsten Tage zwei junge Leute,
die, wie es schien, an dem Aufruhr teilgenommen hatten und
sich am selben Ort davon unterhielten, festgenommen und ins
Hotel de la Force gebracht wurden.
Die Wache der Galerie ist stark vermehrt worden; tatsächlich
sind die Schweizer viel anständiger, sie sprechen und verstehen
Französisch und verhindern störende Ansammlungen.
Seit jenem Ereignis sieht man weit weniger Mädchen und
keinen einzigen Abbe mehr dort.
#
Der Chevalier de la Morliere, der im Jahre 1784 gestorben ist,
hatte sich sozusagen zum Arbiter Deuer Stücke und junger De-
bütanten im Theätre Francais aufgeschwungen.27 Er hat es, als
Leiter einer ziemlich großen Claque, die er geschickt im Parterre
versteckte, in der Gewalt, durch gewandte Manöver die öffent-
liche Meinung mit sich fortzureißen und zu beherrschen. Als
eine weise Polizei es untersagte, zu pfeifen oder zu johlen, er-
fand er eine Art, laut und anhaltend zu gähnen, die auf ver-
doppelte Weise Lachen machte und diesen Reiz dem Zwerch-
fell der Umsitzenden vermittelte.
Eines Tages ersucht ihn der Wachthabende, nicht so viel Lärm
zu machen.
„Wohl, mein Freund," sagt er ihm, „Ihr, die Ihr soviel guten
Menschenverstand zu haben scheint und ans Theater gewöhnt
seid, findet Ihr dies vielleicht etwa gut?" „Ich behaupte dies
nicht," antwortet der besänftigte Soldat, „aber haben Sie die
Güte, nicht mehr zu gähnen."
#
Ein Abenteuer, das sich soeben im Palais Royal ereignet hat
wird viel dazu beitragen, um die gefährlichen Priesterinnen der
o6 Die Chronique Scandaleuse
Cythere zurückzurufen, die das Handgemenge des letzten Mo-
nats von der Tartarenallee ferngehalten hatte.
Zwei polizeiliche Beobachterinnen, denn es gibt solche beiderlei
Geschlechts, kamen eines Abends, Quidor, den Polizeiinspektor,
zu benachrichtigen, daß zwei junge Mädchen im Garten säßen,
obgleich man ihnen verboten hatte, sich ohne männliche Beglei-
tung dort aufzuhalten. Quidor nimmt neben den beiden Damen,
die man ihm bezeichnet, einen Stuhl, leitet eine Unterhaltung
mit ihnen ein und schlägt ihnen nach einigen galanten Redens-
arten vor, sie nach Haus zu begleiten, was sie annehmen.
Kaum sind sie in der Nähe der Gartentür angekommen, als
der Inspektor ihnen im Namen des Gesetzes gebietet, ihm zu
folgen. „Man muß gehorchen", antworten sie.
Aber als sie heraustreten, wird der Polizeiagent grausam ent-
täuscht, als er erblicken muß, wie ein Haiduck und drei große
Lackaien sich nähern und die prächtige Equipage ihrer Herrinnen
vorfahren lassen. Er versucht zu verschwinden.
Die Damen jedoch zwingen ihn, in ihren Wagen zu steigen
und sie zu einem Kommissar zu begleiten, um Genugtuung für
die erlittene Unbill zu fordern.
Herr de Crosne hat ihnen versprochen, im Ministerium davon
zu sprechen, und der Inspektor wird wohl seine Stellung verlieren.
*
Hier eine lustige Anekdote, die gut aus Griechenland wieder
auferstanden sein könnte. Man erzählt, daß die Frau eines Bür-
germeisters in Tours sich auf der Terrasse zu Versailles in einer
prunkvollen, aber sehr alten Robe erging.
Eine Bande junger Leute geht vorüber; der leichtsinnigste
von' ihnen löst sich von der Gruppe und küßt den Saum ihres
Kleides. „Ist es tatsächlich neueste Mode, mein Herr, das Kleid
einer Frau zu küssen?" „Nein, Madame", antwortet der junge
Mann, „aber ich habe so viel Verehrung für die Antike, daß
ich gemeint habe, Ihnen Ehrerbietung zeigen zu müssen."
Die Chronique Scandaleuse 97
„Oh, warum sprachen Sie nicht eher, mein Freund," antwor-
tet die boshafte Provinzialin, „ich hätte Sie dann meinen Hin-
tern küssen lassen; er ist zwanzig Jahre älter."
#
Leute, die an Vorbedeutungen und Träume glauben, werden
mit Vergnügen diese ganz neue Anekdote lesen, für deren Wahr-
heit ein glaubwürdiger Mann garantiert :
Ein reicher Irländer hatte sich mit seiner Frau, die sehr schön
war und immer noch als hübsche Frau gelten konnte, nach Mont-
rouge bei Paris zurückgezogen. Sie wurde krank und starb nach
kurzer Zeit. Man sagt, daß die Koketterie den Frauen angeboren
sei; man könnte hinzufügen, daß sie sie überlebt. Mit einer ka-
priziösen Laune, die nicht vereinzelt dasteht, beschwor die Frau
des Irländers ihren Mann, sie angetan mit ihren schönsten Klei-
dern und ihrem Schmuck, der sie auch während ihrer Krankheit
nicht verlassen hatte, zu begraben. Der untröstliche Gatte ver-
sprach und hielt Wort. Am nächsten Morgen glaubt er im
Traum seine Frau zu sehen, die auf unanständigste Weise be-
leidigt worden ist und seine Hilfe anruft ; in heftigster Erregung
erwacht er, sucht seine üblen Empfindungen zu zerstreuen und
schläft wieder ein; dasselbe Bild erscheint ihm mit größerer Hef-
tigkeit wie beim ersten Male; er erwacht noch erregter, macht
erneute Anstrengungen, seine unruhige Einbildungskraft zu
beruhigen, und es gelingt ihm mit Anstrengung, den Schlaf
wiederzufinden. Diesmal ist er noch zerquälter von dem er-
schreckenden Schauspiel, das er zu hören und zu sehen ver-
meint hat.
Er erhebt sich, kleidet sich an, und auf die Gefahr hin, für
einen Nachtwandler zu gelten, geht er den Pfarrer um die Er-
laubnis bitten, das Grab seiner Frau zu besuchen.
Wie er an der Kirche vorbeikommt, erblickt er ein Licht; er
zittert vor Furcht seinen Traum verwirklicht zu sehen; er nähert
sich; des Verstandes beraubt, außer sich, vernimmt er Geräusche
o8 Die Chronique Scandaleuse
und schlägt Lärm; das Geräusch verstummt; er eilt zum Pfarrer,
heißt ihn aufstehen, schleppt ihn zur Kirche.
Sie erblicken noch das Licht, hören Geräusche; man sucht den
Kirchendiener, der die Schlüssel hat; er ist abwesend; bald sind
die Kirchentüren erbrochen.
Auf Stühlen ausgestreckt findet man die Tote, die ausgegraben
worden ist, vergewaltigt, beraubt und auf jegliche Weise ge-
schändet. Einer der Komplizen dieser Scheußlichkeit hat ent-
fliehen können, den anderen hat man aus besonderen Gründen
laufen lassen, um diese skandalöse Affäre zu vertuschen.
#
Gespräch Herrn Diderots mit der Marschallin von D***, von
ihm selbst erzählt :
„Ich hatte, ich weiß nicht mehr in welcher Angelegenheit,
mit dem Marschall D*** zu sprechen. Ich spreche bei ihm vor,
er ist abwesend; man führt mich zu Mme La Marechale. Sie ist
eine charmante Frau; sie ist schön, ist fromm wie ein Engel; die
Güte ist auf ihrem Gesicht geschrieben, sie hat die süßeste Stim-
me und eine Naivetät der Unterhaltung, die ihrer Physiognomie
entspricht. Sie war mit ihrer Toilette beschäftigt. Man schiebt
mir einen Sessel hin, ich setze mich, und wir plaudern.
Auf einige Bemerkungen von mir, die sie erstaunten und be-
lehrten, denn sie war der Meinung, daß jemand, der die heilige
Dreieinigkeit leugne, ein Erztaugenichts sei, den man eines Tages
hängen würde, sagt sie zu mir:
„Sind Sie nicht Monsieur Diderot ?" — „Ja, Madame."— „Sie
sind also der Ketzer ?" — „Gewiß, Madame." „Ihre Moral indes-
sen ist die eines Gläubigen." — „Warum nicht, wenn er ein anstän-
diger Mensch ist." — „Und befolgen Sie diese Moral ?" — „Nach
bestem Wissen und Wollen." — „Wie, Sie stehlen nicht, Sie töten
nicht, Sie plündern nicht ?" — „Sehr selten." — „Was haben Sie
denn davon, nichts zu glauben ?" — „Nichts; glaubt man denn,
weil es etwas dabei zu gewinnen gibt ?" — „Ich weiß es nicht, aber
Die Chronique Scandaleuse 99
der Eigennutz verdirbt nichts in den Dingen dieser oder jener an-
deren Welt." — „Das bedauere ich ein wenig für Ihre armselige,
menschliche Rasse." — „Sie stehlen also nie ?" — „Nein, auf Ehre."
— „Wenn Sie weder Dieb noch Mörder sind, geben Sie wenigstens
zu, daß Sie nicht konsequent sind ?" — „Warum denn ?" — „Weil
es mir scheint, daß ich, wenn ich nach meinem Tode nichts zu
fürchten noch zu hoffen hätte, ich mich in dem jetzigen Leben
so mancher Süßigkeit nicht enthalten würde; ich gebe zu, daß
ich Gott auf kurze Zeit und hohe Zinsen ausliehe." — „Sie bilden
sich das ein." — „Das ist keine Einbildung, das ist Tatsache."
— „Und darf man fragen, was für Dinge es sein würden, die
Sie sich erlaubten, wären Sie ungläubig ?" — „Das ist ein Teil
meiner Beichte." — „Ich meinerseits gäbe mich verloren." —
„Das ist die Zuflucht aller Lumpen." — „Würde ich Ihnen als
Wucherer lieber sein ?" — „Man kann mit Gott wuchern, so-
viel man will, man ruiniert ihn nicht. Ich weiß, daß dies nicht
sehr zartfühlend klingt,- aber was tut das ? Da es sich darum han-
delt, den Himmel durch Geschicklichkeit oder durch Kraft zu
gewinnen, muß man alles in Rechnung ziehen, keinen Vorteil
vernachlässigen. Wir haben gut reden; alles, was wir bieten kön-
nen, ist recht jämmerlich im Verhältnis zu der Aufnahme, die
wir erwarten. Und Sie erwarten also gar nichts ?" — „Nein." —
„Das ist traurig; geben Sie doch zu, daß Sie entweder sehr
schlecht oder sehr töricht sind." — „Ich gestehe, ich kann nichts
dergleichen zugeben, Madame." — „Welches Motiv kann ein
Ungläubiger haben, um gut zu sein, wenn er nicht ein Narr
ist ?" — „Ich werde es Ihnen sagen. Glauben Sie nicht, daß man
so glücklich geboren sein kann, daß man Freude daran findet,
Gutes zu tun ?" — „Ich glaube es." — „Daß man eine ausgezeich-
nete Erziehung empfangen haben kann, die eine natürliche Nei-
gung zur Wohltätigkeit unterstützt ?" — „Gewiß." — „Und daß
uns die Erfahrung in vorgeschrittenem Alter überzeugt haben
kann, daß es in dieser Welt zu unserem Glücke besser ist, ein
7*
ioo Die Chronique Scandaleuse
ehrlicher Mensch zu sein, als alles zu nehmen und ein Schelm
zu werden?" — „Jawohl, aber wie ist man ein anständiger
Mensch, wenn schlechte Prinzipien sich mit den Leidenschaften
vereinen, um zum Bösen fortzureißen ?" — „Man ist inkon-
sequent, und gibt es etwas, das allgemeiner wäre als Inkon-
sequenz?" — „Leider, nein; man glaubt und führt sich täg-
lich auf, als ob man nicht gläubig wäre." — „Und ohne Glau-
ben benimmt man sich ungefähr ebenso, als wenn man glaubte."
— „Was Sie nicht sagen! Aber welche Unbequemlichkeit
brächte es mit sich, hätte man einen Grund mehr, die Religion,
um Gutes zu tun, und einen Grund weniger, den Unglauben,
um schlecht zu sein ?" — „Keine, wenn die Religion ein Anlaß
wäre, Gutes zu tun, und der Unglauben ein Anlaß zum Töten."
— „Gibt es darüber irgendeinen Zweifel? ist es nicht das Wesen
der Religion ohne Unterlaß, diese häßliche, verderbte Natur
zu durchkreuzen, und das des Unglaubens, sie ihrer Schlechtig-
keit dadurch auszuliefern, daß sie sie von der Furcht befreit ?"
— „Dies, Madame, wird zu einer endlosen Diskussion führen."
— „Was tut das ? Der Marschall wird so bald nicht heimkommen,
und es ist besser, daß wir über vernünftige Dinge sprechen, als
zu klatschen." — „Ich muß also etwas höher beginnen." — „So
hoch, wie Sie wünschen, vorausgesetzt, daß ich Sie verstehen
kann." — „Wenn Sie mich nicht verstehen, wird es an mir lie-
gen." — „Das ist sehr höflich, aber Sie müssen wissen, daß ich
nie etwas anderes gelesen habe als mein Gebetbuch, und ich nie
anders beschäftigt war, als das Evangelium zu üben und Kinder
zu gebären." — „Dies sind zwei Pflichten, deren Sie sich gut
entledigt haben." — „Ach ja, was die Kinder anbetrifft, so habe
ich sechs lebendige und ein siebentes, das bald erscheinen wird,
aber fahren Sie fort." — „Madame, gibt es irgend etwas Gutes
auf dieser Welt, das ohne Nachteile ist.?" — „Nein." — „Und
irgend etwas Böses, das einen Vorteil hat ?" — „Nein."
■ — „Was nennen Sie denn ,Gut' und ,Böse' ?"
Die Chronique Scandaleuse 101
— „Das Böse ist das, was mehr Nach- als Vorteile, und das
Gute, was mehr Vorteile als Nachteile hat."
— „Würden Madame die Güte haben, sich der Definition von
Gut und Böse zu erinnern ?"
— „Ich erinnere mich daran."
— „Also sind Sie überzeugt, daß die Religion mehr Vor-
ais Nachteile hat, und deshalb nennen Sie sie einen Gewinn."
— „Gewiß."
— „Ich meinerseits zweifle nicht daran, daß Ihr Intendant Sie
nicht am Abend vor Ostern etwas weniger bestiehlt als am Mor-
gen nach einem Festtage, und daß die Religion von Zeit zu Zeit
eine gewisse Anzahl geringer Übel verhindert und manches Gute
erzeugt."
— „Wenig und wenig macht eine Summe."
— „Aber glauben Sie, daß die schrecklichen Verheerungen,
die sie in vergangenen Zeiten angerichtet hat und die sie in
kommenden Zeiten veranlassen wird, genügend durch jene
jammervollen Vorteile kompensiert seien ? Denken Sie daran,
daß sie heftigste Feindseligkeit zwischen den Nationen schuf
und erhält. Es gibt keinen Muselmann, der nicht vermeinte,
einen Gott und dem Propheten gefälligen Dienst damit zu tun.
daß er die Christen ausrottete, die ihrerseits nicht etwa tole-
ranter sind. Bedenken Sie, daß die Religion in einem Lande
Zwiste hervorgerufen und fortgeführt hat, die selten ohne Blut-
verlust beigelegt worden sind. Bedenken Sie, daß sie in der
Gesellschaft bei Bürgern und Familien, bei Verwandten ewigen
und unversöhnlichen Haß hervorgerufen und fortgezeugt hat.
Christus hat gesagt, daß er gekommen sei, um den Gatten vom
Weib zu trennen, die Mutter von ihren Kindern, den Bruder
von seiner Schwester, den Freund vom Freunde, und seine Ver-
kündigung hat sich nur zu gut bewahrheitet."
— „Dies sind Mißbräuche, aber nicht die Sache selbst."
— „Die Sache ist es, von der die Mißbräuche unlöslich sind."
102 Die Chronique Scandaleuse
— „Und wie wollen Sie mir beweisen, daß nichts in der Welt
diese Mißbräuche beseitigen könnte ?"
— „Sehr leicht. Wenn ein Misanthrop beschlossen hat, das
Menschengeschlecht unglücklich zu machen, was Besseres hätte
er erfinden können als den Glauben an ein unverständliches
Wesen, über das die Menschen sich nie haben einigen können
und dem sie mehr Bedeutung zugemessen haben als ihrem
eigenen Leben r Oder ist es möglich, von dem Begriff einer
Gottheit die größte Bedeutung und die tiefste Unbegreiflichkeit
zu trennen ?"
— „Nein."
— „Schlußfolgern Sie also."
— „Ich schließe daraus, daß sie eine Idee ist, die im Gehirn
eines Narren nicht ohne Folgen bleiben kann."
— „Und fügen Sie dazu, daß die Narren immer in der Über-
zahl waren und sein werden, und daß die gefährlichsten jene
sind, die die Religion selbst dazu gemacht hat, und aus denen
die Störenfriede der menschlichen Gesellschaft bei Gelegenheit
guten Nutzen ziehen werden."
— „Aber wir brauchen etwas, das den Menschen für seine
schlechten Handlungen, die der Strenge des Gesetzes entgehen,
bedrohe, und wenn Sie die Religion zerstören, was geben Sie uns
zum Ersatz ?"
— „Wenn ich auch nichts an ihrer Stelle zu geben wüßte,
wäre es immer ein schreckliches Vorurteil weniger und in Be-
tracht zu ziehen, daß die religiösen Meinungen nie als Basis
nationaler Sitten gedient haben, weder in irgendeinem Jahr-
hundert, noch bei irgendeiner Nation. Die Göttei, die von
jenen alten Griechen und Römern angebetet wurden, den ehr-
lichsten Menschen unter der Sonne, waren die verworfenste Ka-
naille: Ein Jupiter, der lebendig hätte verbrannt werden müssen;
eine Venus, reif für ein Hospital; ein Merkur, den man hätte ins
Zuchthaus einsperren müssen."
Die Cbronique Scandaleuse 103
— „Und Sie glauben, es sei ganz gleichgültig, ob wir Christen
oder Heiden seien ? Daß wir als Heiden nicht unwürdiger wären,
und als Christen nicht würdiger ?"
— „Wahrhaftig, das glaube ich."
— „Das ist unmöglich."
— „Aber, Madame, gibt es denn Christen ? Ich habe noch nie
welche gesehen."
— „Und mir sagen Sie das f Mir ?"
— „Nein, Madame, nicht Ihnen; einer Nachbarin, die anstän-
dig und fromm ist wie Sie und sich gläubigste Christin glaubt,
wie Sie."
— „Und zeigten ihr, daß sie unrecht habe ?"
— „In einem Augenblick."
— „Wie haben Sie das angefangen ?"
— „Ich öffnete ein Neues Testament, dessen sie sich oft be-
dient hatte, denn es war stark abgenutzt. Ich las ihr die Berg-
predigt vor, und bei jedem Abschnitt fragte ich sie: , Befolgen
Sie dieses, und dies hier, und auch das noch?' Ich ging noch
weiter. Sie ist schön und, ob sie auch gut und fromm ist, sich
dessen bewußt. Sie hat eine sehr weiße Haut, und obwohl sie
nicht sehr großen Wert auf diesen vergänglichen Vorzug legt,
ist sie nicht böse, wenn man ihr Schmeicheleien darüber sagt. Sie
hat den entzückendsten Busen, den man sich denken kann, und
obschon sehr bescheiden, gefällt es ihr, daß man dies bemerke."
— „Vorausgesetzt, daß es nur sie und ihr Mann ist, die das
wissen."
— „Ich glaube, daß ihr Mann es besser weiß als ein anderer,
aber für eine Frau, die sich großer Christlichkeit rühmt, genügt
das nicht. Ich sagte ihr: ,Steht es nicht im Evangelium ge-
schrieben, daß der, der die Frau eines anderen begehrt, Ehebruch
getrieben habe in seinem Herzen ?' "
— „Hat sie Ihnen ,jV geantwortet ?"
— „Ich sagte ihr: ,Und der Ehebruch des Gedankens, ver-
104 Die Chronique Scandaleuse
dämmt er nicht ebenso wie der best beschaffene wirkliche Ehe-
bruch?4"
— „Hat sie Ihnen wieder ,ja' geantwortet ?"
— „Ich sagte ihr: ,Und wenn der Mann verdammt wird, des
Ehebruches wegen, den er in seinem Herzen begangen hat, was
wird das Los der Frau, die alle, die sich ihr nähern, dazu ein-
lädt, dies Verbrechen zu begehen?' Diese letzte Frage ver-
wirrte sie."
— „Ich verstehe; das kam daher, daß sie diesen Busen, der
so schön war, als er irgend sein könnte, nicht gerade auffällig
verschleierte."
— „Das ist wahr; sie sagte mir, das wäre so Sitte, wie es
genau so Sitte ist, sich Christ oder nicht Christ zu nennen;
daß man sich nicht lächerlich kleiden könne, als wenn es irgend-
einen Vergleich zwischen einer kleinen Lächerlichkeit, ihrer ewi-
gen Verdammnis und der ihr Nächsten zu machen gäbe; daß ihre
Schneiderin sie anzöge, und ob es besser sei, von einer Gewohn-
heit abzugehen, als seiner Religion zu entsagen ; daß es die Laune
ihres Mannes sei, da ein Gatte unvernünftig genug sei, von seiner
Frau Schamlosigkeit und Pflichtvergessenheit zu verlangen, und
daß eine wahre Christin den Gehorsam für einen extravaganten
Mann bis zu diesem Opfer des göttlichen Willens treiben müsse,
selbst auf die Gefahr der Sühnung durch ihren Erlöser hin."
— „Ich wußte im voraus alle diese Albernheiten; vielleicht
hätte ich sie Ihnen ebenso wie Ihrer Nachbarin gesagt, aber sie
und ich wir hätten alle beide in schlechtem Glauben gehandelt.
Und welche Partei ergriff sie nach Ihren Vorhaltungen ?"
— „Am Morgen nach dieser Unterhaltung, es war ein Fest-
tag, kam ich nach Hause, und meine schöne und fromme Nach-
barin ging aus, um sich zur Messe zu begeben."
— „Wie stets gekleidet ?"
— „Wie stets gekleidet ; ich lächle, sie lächelt, und wir gehen
aneinander vorbei, ohne zu sprechen. Madame! Eine anständige
Die Chronique Scandalsuse 105
Frau! Eine Christin! Eine Fromme! Welch tatsächlichen Ein-
fluß kann ich der Religion aut die Sitten einräumen? Nach
diesem und tausend andern Exempeln derselben Gattung: Fast
keinen, und es ist besser so."
■ — „Wie denn, besser so ?"
— „Doch, Madame! Wenn 20000 Einwohner von Paris sich
plötzlich einfallen ließen, ihr Benehmen streng nach der Berg-
predigt zu richten ..."
— „Nun wohl, dann würden etliche schöne Brüste besser be-
deckt werden!"
— „Und es würde so viel Narren geben, daß der Herr Poli-
zeileutnant nicht wüßte, wohin damit, denn unsere Lusthäuser
würden nicht dazu genügen. Unsere Lehrbücher kennen zweierlei
Moral, die eine, die allen Nationen jeder Glaubensart gemein ist,
und die man ungefähr befolgt; und eine andere, die jede Nation
und jedes Glaubensbekenntnis für sich hat, an die man glaubt,
die man in den Kirchen predigt, die man zu Hause preist und die
man auf seine Weise ausübt."
— „Und woher kommt diese Ungereimtheit ?"
— „Daher, daß es unmöglich ist, ein ganzes Volk einer Regel
zu unterjochen, die nur für gewisse Melancholiker geeignet und
denen sie auf den Charakter geschrieben ist. Es ist mit den Reli-
gionen, wie mit monarchischen Konstitutionen, die alle mit der
Zeit ihre Spannkraft verlieren; sie sind ein Aberwitz, der der
konstanten Triebkraft der Natur, die uns unter ihre Gesetze
zurückzwingt, nicht standhalten kann. Man erreichte, daß das
Wohl des einzelnen Individuums so eng mit dem der großen
Allgemeinheit verknüpft ist, daß der einzelne Bürger kaum
imstande wäre, der Gesellschaft zu schaden, ohne sich selbst
in Mitleidenschaft zu ziehen; man sichere der Tugend eine
Belohnung, wie man der Bosheit eine Strafe gesichert hat; daß
ein Verdienst, gleichviel welcher Art es sei, ohne Unterschied
der Religion, zu einer hervorragenden Staatsanstellung führe;
io6 Die Chronique Scand&leuse
und man rechne nur mit der geringen Zahl schlechter Men-
schen, die von einer perversen Natur, die durch nichts gefesselt
werden kann, zum Laster getrieben werden. Frau Marschal-
lin, die Versuchung liegt zu nah, und die Hölle ist zu fern; er-
warten Sie nichts, das der Mühe lohnte, wenn eine weise Ge-
setzgebung sich der Religion annähme, eines Systems bizarrer
Meinungen, das nur für Kinder Bedeutung hat; das das Ver-
brechen dank der Bequemlichkeit seiner Bestrafung unterstützt,
das den Schuldigen hinsendet, Gott um Vergebung seines den
Menschen zugefügten Unrechtes zu bitten, und das die Grund-
lage unsere moralischen und natürlichen Pflichten herabwürdigt,
indem es sich einer Ordnung schimärischer Pflichten unterwirft."
— „Ich verstehe Sie nicht."
— „Ich will mich erklären; aber da ist, scheint mir, der
Wagen mit dem Marschall, der sehr zur rechten Gelegenheit
erscheint, um mich zu verhindern, eine Dummheit zu sagen."
— „Aber sagen Sie sie doch, sagen Sie Ihre Dummheit, ich
werde sie nicht hören, ich habe mich daran gewöhnt, nur das zu
verstehen, was mir paßt."
Ich näherte mich ihrem Ohr und sagte ganz leise: „Frau
Marschallin, fragen Sie den Vikar Ihrer Gemeinde nach diesen
beiden Verbrechen: in ein Weihwasserbecken pissen oder den
Ruf einer anständigen Frau schwärzen, was wohl das Schlim-
mere sei. Das erstere wird ihn vor Entsetzen zittern lassen, er
wird gegen dieses Sakrileg seine Stimme erheben, und das Ge-
setz, das von Verleumdung kaum Notiz nimmt, während es
Heiligtumsschändung mit dem Feuertod straft, wird die Geister
endgültig verwirren und vernünftige Gedanken zerstören.
— „Ich kenne mich als eine Frau, die sich ein Gewissen daraus
machen würde, am Freitag Fleisch zu essen und die . . . beinahe
hätte ich nun auch eine Dummheit gesagt; fahren Sie fort."
— „Aber, gnädige Frau, ich muß unbedingt mit dem Marschall
sprechen."
Die Chronique Scandaleuse 107
— „Noch einen Moment, und dann werden wir zusammen zu
ihm gehen. Ich weiß nicht ganz, wie ich Ihnen antworten soll,
und dennoch überzeugen Sie mich nicht."
— „Ich habe mir nicht vorgenommen, Sie zu überzeugen. Mit
der Religion ist es wie mit der Ehe : die Ehe, die das Unglück
Vieler herbeigeführt hat, hat Ihr und des Marschalls Glück ge-
macht. Sie haben beide gut daran getan, sich miteinander zu ver-
heiraten. Die Religion, die so viel schlechte Menschen geschaffen
hat, schafft und weiter schaffen wird, hat Sie selbst noch edler
gemacht, Sie tun gut daran, sie sich zu bewahren. Es ist Ihnen
ein süßer Trost, sich an Ihrer Seite, sich zu Ihren Häupten
ein erhabenes und mächtiges Wesen zu denken, das Ihr Erden-
wallen sieht, und dieser Gedanke festigt Ihren Schritt. Fahren
Sie fort, gnädige Frau, sich an dieser göttlichen Bürgschaft Ihrer
Gedanken, an diesem Beobachter, diesem überirdischen Vor-
bild Ihrer eigenen Handlungsweise zu erfreuen."
— „Ich soll aus dem, was Sie sagen, nicht schließen, daß Sie
eine Manie zum Proselytenmachen haben ?"
— „Keineswegs."
— „Desto mehr will ich Sie deshalb schätzen."
— „Ich erlaube jedem, auf seine eigene Weise zu denken, vor-
ausgesetzt, daß man mir die meine läßt; übrigens haben jene,
die geschaffen sind, sich von Vorurteilen frei zu machen, es durch-
aus nicht nötig, geschulmeistert zu werden."
— „Glauben Sie, daß der Mensch ohne Aberglauben existieren
kann ?"
— „Nein, nicht solange er unwissend und furchtsam bleibt."
— „Wohl denn, Aberglaube für Aberglaube: unserer ist
gleichwertig mit irgendeinem anderen."
— „Ich denke das nicht."
— „Seien Sie doch ehrlich; stößt Sie der Gedanke, daß Sie
nichts mehr nach Ihrem Tode sein werden, denn wirklich nicht
ab?"
I08 Die Chronique Scandaleuse
„Es würde mir lieber sein zu existieren, obschon ich nicht
wüßte, warum ein Wesen, das mich ohne Grund unglücklich
werden ließ, sich ein zweites Mal damit vergnügen sollte."
„Wenn Ihnen also trotz dieses Nachteils die Hoffnung auf
ein anderes Leben süß und köstlich erscheint, warum sich selbst
berauben ?"
— „Ich trage diese Hoffnung nicht, weil der Wunsch sie
keineswegs ihrer Unwirklichkeit entkleidet hat, aber ich nehme
sie niemandem; wenn man aber daran glauben könnte, daß man
einst ohne Augen sehen, ohne Ohren hören wird, ohne Gehirn
denken, ohne Herz lieben, ohne Sinne fühlen wird, nicht mehr
zu sein, und doch ohne Raum und Grenze zu existieren, so will
ich das zugeben."
— „Aber wer hat dann diese unsere Welt geschaffen ?"
— „Das frage ich Sie zurück."
— „Und was ist das: ,Gott' ?"
— „Ein Geist."
— „Wenn ein Geist eine Materie schafft, warum sollte eine
Materie nicht Geist schaffen können ?"
— „Und warum sollte sie das ?"
— „Weil ich es jeden Tag erlebe, wie sie es tut. Glauben Sie,
daß die Tiere Seelen haben ?"
— „Gewiß glaube ich das."
— „Und könnten Sie mir zum Beispiel sagen, was aus der Seele
einer peruanischen Schlange wird, während sie in einem Rauch-
fang während zweier Jahre aufgehängt und dem Rauche ausge-
setzt eintrocknet? Das ist es eben, daß die Frau Marschallin
nicht weiß, daß die geräucherte, vertrocknete Schlange in eine
neue Existenz übergeht."
— „Daran glaube ich nicht."
— „Und dennoch ist es ein geistvoller Mann, der dies be-
hauptet hat."
— „Ihr geistvoller Mann hat gelogen."
Die Chronique Scandaleuse 109
— „Und wenn er wahr gesprochen hätte ?"
— „Ich würde es damit abtun zu glauben, daß Tiere Ma-
schinen sind."
— „Und der Mensch, der nur ein Tier, doch vollkommener
als die anderen ist Aber der Herr Marschall ..."
— „Noch eine Frage, und dies ist die letzte. Sind Sie ganz ohne
innere Unruhe bei Ihrem Unglauben ?"
— „Niemand könnte ruhiger sein."
— „Wenn Sie sich aber dennoch täuschten ?"
— „Dies erst, wenn ich mich täusche."
— „Alles, was Sie falsch glauben, würde wahr sein, und Sie, mein
Herr Diderot, würden ewig verdammt werden : Es ist schmerzlich,
verdammt zu sein; eine ganze Ewigkeit zu brennen, das ist lang!"
— „La Fontaine meinte, daß wir uns wohl wie der Fisch im
Wasser dabei fühlen werden."
— „Gewiß, aber Ihr La Fontaine wurde im letzten Moment
recht ernsthaft, und das erwarte ich auch von Ihnen."
— „Ich stehe für nichts, wenn mein Kopf nicht mehr bei-
sammen sein wird; aber wenn ich an einer jener Krankheiten
sterben sollte, die dem Sterbenden noch seine Vernunft be-
wahren, werde ich in dem Moment, auf den Sie warten, nicht
unruhiger sein als in dem augenblicklichen."
— „Diese Unerschrockenheit bringt mich aus der Fassung."
— „Ich finde sie vielmehr bei dem Sterbenden, welcher an
einen gestrengen Richter glaubt, der noch unsere geheimsten
Gedanken abwägt, und in dessen Schätzung sich der gerechteste
Mann durch seine Nichtigkeit verlöre, wenn er nicht zitterte,
zu gering befunden zu werden, wenn eben dieser Sterbende noch
die Wahl hätte, vernichtet zu werden oder sich diesem Richter
zu stellen ; seine Unerschrockenheit würde mich noch mehr ver-
wirren, wenn er schwankte, das erstere zu erwählen, es sei denn,
er sei noch unvernünftiger als der Genosse des heiligen Bruno
oder trunkener von seinem eigenen Wert als Bohola."
HO Die Chronique Scandaleuse
— „Ich habe die Geschichte vom Genossen des heiligen
Bruno gelesen, aber niemals von Ihrem Bohola sprechen hören."
— „Das ist ein Jesuit aus dem Kollegium zu Prisch in Li-
tauen, der nach seinem Tode eine silbergefüllte Kassette und
ein von seiner Hand geschriebenes Billett hinterließ."
— „Und dies Billett ?"
— „War in folgenden Worten abgefaßt : ,Ich bitte meinen
lieben Bruder im Herrn, bei dem ich diese Kassette hinter-
lege, daß er sie öffne, sobald ich Wunder vollbracht haben werde.
Das Geld, das sie enthält, soll die Kosten meiner Seligspre-
chung bestreiten; ich habe einige authentische Memoiren bei-
gelegt, die meine Tugenden beweisen sollen und denjenigen,
die meinen Lebenslauf etwa beschreiben wollen, nützlich sein
werden.' "
— „Das ist zum Totlachen."
— „Für mich, gnädige Frau, aber nicht für Sie, denn Ihr
Gott versteht keinen Spott. Sie haben recht, Frau Marschallin,
es ist leicht, schwerwiegend gegen Ihr Gesetz zu predigen."
— Das Gesetz ist wahr."
— „Und wenn Sie die Wunder Ihrer Religion an der geringen
Zahl ihrer Erwählten glauben wollen, so wird wenig dabei heraus-
kommen."
— „Oh, ich bin nicht jansenistisch, ich sehe die Medaille nicht
nur von der tröstlichen Kehrseite; in meinen Augen deckt das
Blut Jesu Christi einen unendlichen Raum, und es würde mir
recht absonderlich erscheinen, daß der Teufel, der seinen Sohn
doch nicht dem Tode ausgeliefert hat, dennoch den besseren
Anteil haben sollte."
— „Verdammen Sie Sokrates, Phokion, Aristides, Cato und
Mark Aurel ?"
— „Pfui, nur wilde Tiere können so etwas denken. Der
heilige Paulus sagt, daß jeder nach dem Maß, das er gekannt
hat, gerichtet werde."
Die Chronique Scandaleuse m
— „Und der heilige Paulus hat recht. Und nach welchem
Gesetze soll der Zweifler gerichtet werden ?"
— „Ihr Fall ist ein wenig anders; Sie sind einer jener ver-
dammten Einwohner Corozains und Bethsaidas, die ihre Augen
dem Licht, das ihnen leuchtete, verschlossen und ihre Ohren
verstopften, um die Stimme der Wahrheit, die zu ihnen sprach,
nicht zu hören."
— „Frau Marschallin, diese Corozainer und Bethsaider waren
Männer, wie sie es vorher noch nie gegeben hatte, wenn sie
Herr darüber waren zu glauben oder nicht zu glauben."
— „Sie lebten als Entartete, die Sack und Asche zur Auktion
ausgeboten hätten, wären sie in Tyrus oder Sidon geboren
worden."
— „Das kommt daher, daß die Bewohner von Sidon und Ty-
rus Leute von Geist waren, und die von Corozain und Bethsaida
nur Dummköpfe. Wird derjenige, der Dummköpfe schuf, sie
dafür strafen, daß sie dumm gewesen sind? Ich habe Ihnen
eben eine Begebenheit erzählt, nun faßt mich die Lust, Ihnen
eine Geschichte zu berichten."
— „Erzählen Sie Ihre Geschichte."
— „Ein junger Mexikaner . . . aber der Herr Marschall ?"
— „Ich werde zu ihm schicken und ihn fragen lassen, ob er
zu sprechen ist. Ihr junger Mexikaner ?"
— „Seiner Arbeit müde, ging er eines Tages an der Meeres-
küste spazieren; er erblickte eine Planke, die mit dem einen
Ende in das Wasser tauchte, am anderen das Ufer berührte. Er
setzte sich auf diese Planke und sagte sich da, während er seinen
Blick über die weite Ferne sandte, die sich vor ihm ausbreitete :
,Nichts ist unwahrer als die Geschichte, von der meine Groß-
mutter immer schwatzt, von jenen ich weiß nicht welchen Ein-
wohnern, die, ich weiß nicht zu welchen Zeiten hier, ich weiß
nicht wo landeten, von weit her jenseits des Meeres. Es gibt einen
gesunden Menschenverstand; sehe ich nicht das Meer sich mit
H2 Die Chronique Scandalsuse
dem Himmel einen ? Und kann ich gegen die Zeugen meiner
Augen eine alte Fabel, deren Ursprung man nicht kennt, glauben,
eine Fabel, die jeder nach seiner Manier auslegt, und die nur ein
Gespinst absurder Zufälligkeiten ist, über die sie ihr Herz ver-
zehren und ihre Augen ausreißen ?' Während er so nachdachte,
wiegten ihn die bewegten Wasser auf seiner Planke und er
schlummerte ein. Während seines Schlafes schwillt der Wind, die
Flut erhebt sich und führt die Planke, auf der er ausgestreckt
liegt, mit sich, und unserer junger Denker tritt seine Reise an."
— „Ach, dies gleicht nur zu sehr unserem eigenen Bilde, ein
jeder von uns liegt auf der Planke, der Wind bläst, und die
Flut trägt uns davon."
— „Er war schon weit vom Festland, als er erwachte; wer
war sehr erstaunt, sich auf offenem Meer zu sehen ? Unser Mexi-
kaner. Wer war es noch mehr ? Wieder er, als ihm das Meer, nach-
dem ihm die Küste, auf der er vor einem Moment spazierte, aus
den Augen entschwunden war, sich nun von allen Seiten mit
dem Himmel einte. Da argwöhnte er, sich getäuscht zu haben,
und daß er, wenn der Wind sich nicht drehte, vielleicht an das
Ufer und zu jenen Ansiedlern getragen werden würde, von denen
ihm seine Großmutter erzählt hat."
— „Und von seiner Unruhe sagen Sie mir nichts ?"
— „Er fühlte keine; er sagte sich: ,Was ist mir dies alles, vor-
ausgesetzt, daß ich lande ? Ich habe wie ein Unbesonnener ge-
folgert, das gebe ich zu, aber ich war ehrlich gegen mich selbst,
und das ist alles, was man von mir verlangen darf. Wenn es keine
Tugend ist, Geist zu haben, so ist es kein Laster, ihn zu ent-
behren.' Unterdessen schwoll der Wind weiter an, der Mann
und die Planken schwammen auf den Wogen, und das unbe-
kannte Ufer begann zu erscheinen, er faßte Fuß, und da ist er
nun."
— „Wir werden uns eines Tages doch wiedersehen, Herr Di-
derot."
Die Chronique Scandaleuse 113
— „Ich wünsche es, gnädige Frau ; wo es auch immer sei, werde
ich stets entzückt sein, Ihnen aen Hof zu machen. Kaum hat
er das Land betreten und seinen Fuß auf den Strand gesetzt,
als er einen würdigen Greis an seiner Seite erblickte; er fragte
ihn, wo er sei und mit wem er die Ehre habe. ,Ich bin der
Herrscher dieses Landes', antwortete der Greis. Der junge Mann
stürzte ihm augenblicklich zu Füßen. ,Erheben Sie sich,' sagte
ihm der Alte, ,Sie haben meine Existenz geleugnet.' ,Das ist
wahr.' ,Ich vergebe Ihnen, weil ich jener bin, der bis auf den
geheimsten Grund des Herzens schaut, und ich habe in Ihrem
gelesen, daß Sie in gutem Glauben waren, doch was sonst noch
in Ihren Gedanken und Handlungen liegt, ist nicht gleich-
artig rein.' Und der Greis, der ihn am Ohr gefaßt hielt, er-
innerte ihn an all die Irrungen seines Lebens, und bei jedem
Abschnitt neigte sich der Jüngling, schlug sich die Brust und
bat um Vergebung. — Und nun, Frau Marschallin, versetzen
Sie sich einen Moment an die Stelle des Greises und sagen Sie
mir, was Sie getan hätten. Hätten Sie den jungen Unvernünf-
tigen an den Haaren gepackt und hätte es Ihnen gefallen, ihn
für alle Ewigkeit daran zu ziehen ?"
— „Wahrhaftig, nein."
— „Und wenn eines Ihrer hübschen Kinder, nachdem es von
Hause geflohen und viel dumme Streiche gemacht hätte, reu-
mütig dahin zurück käme ?"
— „Ich, ich würde ihm entgegeneilen, würde es in meine
Arme schließen und mit meinen Tränen benetzen; aber sein
Vater, der Marschall, würde die Sache nicht so leicht nehmen."
— „Der Herr Marschall ist kein Tiger."
— „Er muß es wohl."
— „Er ließe sich vielleicht ein wenig nötigen, aber er würde
doch verzeihen."
— „Gewiß."
— „Besonders wenn er vorher überlegt hätte, daß er, ehe er
1. 8
n.J. Die Chronique Scandaleuse
dies Kind in die Welt setzte, das ganze Leben kannte, und daß
die Bestrafung seiner Sünden weder für sich selbst, noch für den
Schuldigen, noch für seine Brüder von irgendeinem Nutzen sein
würde."
— „Der Greis und der Herr Marschall sind zwei verschiedene
Wesen."
— „Wollen Sie damit sagen, daß der Herr Marschall besser ist
als der Greis ?"
— ,,Gott bewahre mich davor ! Ich will sagen, daß, wenn meine
Auffassung von Gerechtigkeit nicht die des Marschalls ist, die
des Marschalls auch sehr gut von der des Alten abweichen
könne."
— „Ach, gnädige Frau, Sie ahnen nicht die Konsequenzen
dieser Antwort : entweder ist die allgemeine Definition der Ge-
rechtigkeit Ihnen, dem Marschall, mir, dem jungen Mexikaner
und dem Alten gleichbedeutend, oder ich weiß nicht mehr, was
sie ist und wie man letzterem gefallen oder mißfallen könnte."
Da waren wir angelangt, als man uns benachrichtigte, der
Herr Marschall erwarte uns; ich reichte der Frau Marschallin
die Hand und sie sagte: ,,Das ist die Tintenflasche, nicht
wahr?"
— ,,Das ist die Tintenflasche."
— „Schließlich ist es am einfachsten, sich so aufzuführen, als
ob der Alte existierte."
— „Selbst wenn man nicht daran glaubt."
— „Und wenn man daran glaubt, nicht zu sehr mit seiner
Barmherzigkeit zu rechnen. Heiliger Nikolas, schwimme immer
hin, aber traue nicht zu sehr."
— „Das ist am sichersten . . . A propos, wenn Sie unseren Ge-
setzgebern Zeugnis über ihre Prinzipien ablegen sollten, würden
Sie sie eingestehen ?"
— „Ich würde mein Bestes tun, ihnen eine abscheuliche Hand-
lungsweise zu ersparen."
Die Chronique Scandaleuse 115
— „Welch Feigling Sie sind ! Und wenn Ihr letztes Stündlein
nahte, würden Sie sich den Gebräuchen der Kirche unter-
werfen ?"
— „Ich würde nicht verfehlen!"
— „Pfui, Sie Heuchler!"
#
Ich habe von einer achtungswerten und glaubwürdigen Per-
sönlichkeit den unglaublichen Bericht der Abenteuer des Pfarrers
von Saint-Roch bekommen, der vor kurzem gestorben ist.
Der Abbe Marduel wurde zu Lyon im Jahre 1703 geboren;
seine Eltern bestimmten ihn der geistlichen Laufbahn; er wandte
sich dem Priesterstande zu und verließ ihn bald darauf, um
Kaufmann zu werden, verheiratete sich, hatte Geldverluste,
machte Bankerott und schiffte sich mit seiner Frau ein, sein
Glück in Amerika zu versuchen. Das Schiff scheiterte, ein Teil
der Mannschaft rettete sich, man glaubte, daß die anderen um-
gekommen seien.
Durch einen ziemlich seltsamen Zufall gelingt es dem Rest
der Bemannung, den man ertrunken wähnt, sich an eine ent-
gegengesetzte Küste zu retten ; dasselbe Spiel findet statt : Hier
läßt der Gatte, dort die Frau Totenmessen zur ewigen Seelen-
ruhe lesen. Marduel, der in Amerika nicht glücklicher war als
in Europa, reist nach Frankreich zurück. Aber, da er nicht wagt,
wieder nach Lyon zu gehen, -begibt er sich nach Paris, wendet
sich wiederum dem Priesterstande zu, empfängt die Weihe und
richtet sich in der Gemeinde zu Saint Louis-en-1'Ile ein, wo er
lange das Amt eines Vikars ausfüllt; sein Eifer und seine Be-
gabung verschaffen ihm schließlich die Pfarrei von Saint-Roch.
Seine Frau kehrt bei Gelegenheit nach Europa und zu ihren
Eltern nach Lyon zurück Geschäfte führen sie des öfteren nach
mehreren Jahren nach Paris, und sie begibt sich wie alle Pro-
vinzler zur Fronleichnamsprozession nach Saint-Roch; unend-
lich ist ihre Überraschung, in den Zügen des Geistlichen den
1 1 6 Die Chronique Scandaleuse
lang beweinten Gatten zu erkennen. Sie erkundigt sich nach
seinem Namen, und ihr Erstaunen wächst; man sagt ihr, er
stamme aus Lyon; bei dieser Nachricht verliert sie das Bewußt-
sein. Wieder zu sich gekommen, eilt sie dem Priester zu begegnen,
und ihr Herz überzeugt sie noch besser als ihre Augen nach zwan-
zigj ähriger Abwesenheit, daß sie ihren Gatten wiedergefunden hat.
Am nächsten Morgen läßt sie sich beim Pfarrer unter einem
falschen Namen melden, nennt sich darauf, ruft ihre einst-
maligen Beziehungen zurück und fällt ohnmächtig in seine Arme.
Der gefühllose Pfarrer kalkuliert mit Blitzeseile in seiner ge-
winnsüchtigen Seele die Vorteile, die ihm entgehen können,
wenn er seine Frau wiedererkennt; er behandelt sie wie eine
Geisterseherin; sie beharrt auf ihrer Behauptung, bringt Details,
die genügen, jeden Zweifel zu zerstreuen, fügt hinzu, daß sie in
ihrem Alter keineswegs die Absicht habe, ihn um seine Stelle zu
bringen, verlangt als einzige Güte, bei ihm als seine Schwester
leben zu dürfen, und verspricht ihm heiligste Geheimhaltung
ihrer wirklichen Beziehungen.
Der alte Priester, der vielleicht die Indiskretion seiner Frau
fürchtet, besteht darauf, sie nicht zu verstehen; er nennt sie eine
Närrin und droht, sie als Hochstaplerin einsperren zu lassen.
Von Schmerz überwältigt, zieht sich die verzweifelte Gattin zu-
rück. Sie war arm; der Überfluß, in dem ihr Gatte lebt, reizt
ihre Verzweiflung stärker, und da bald der Rachedurst an Stelle
der Zärtlichkeit tritt, läßt sie aus Lyon die notwendigen Papiere
kommen, um ihren undankbaren Gatten zu überführen, und
bringt sie zum ersten Parlamentsvorsitzenden, der den Pfarrer
vorladet; er gesteht sein Unrecht ein und ersucht um Gnade.
Der Erzbischof interveniert, sucht den Skandal zu vermeiden,
schiebt den Kuraten für zwei Wochen ins Seminar und ver-
pflichtet ihn auf das Geständnis seiner Frau hin, ihr eine Rente
von iooo Talern in irgendeinem Kloster, das sie selbst wählen
soll, zu geben.
Die Chronique Scandaleuse 117
Man weiß nicht, ob der Abbe Marduel jemals Kinder gehabt
hat, doch war er geschickt genug, seine Pfarre zu behalten und
sich seiner Frau, die vielleicht heute noch lebt, zu entledigen.
#
Im Journal de Paris' hat Dr. Retz veröffentlicht, daß er einen
Kutscher dafür zu belohnen wünscht, daß er ihn nicht über-
fahren habe. Man behauptet, dies sei ein boshafter Witz, und
daß der Kutscher, falls er sich zu dem Arzte begeben hätte, an-
statt mit einem Louis mit Peitschenhieben traktiert worden
wäre. Ein Ludwigsritter machte in der letzten Woche nicht so
viel Umstände ; da er sich in der Rue des Petits-Champs im Ge-
dränge und in Gefahr fand, von einer bürgerlichen Kalesche
überfahren zu werden, nachdem er verschiedentlich deren Kut-
scher angerufen hatte, anzuhalten, fegte er ihn mit einem Stock-
hieb von seinem Sitz herunter; man hielt den Wagen an, und
der Besitzer begann, den Kopf aus dem Wagenfenster gestreckt,
den energischen Fußgänger etwas heftig zu apostrophieren ; der
ihm jedoch, ohne seine Ruhe zu verlieren, antwortete: ,Das
Leben eines ehrlichen Bürgers, der seinem Vaterland nützlich
sein kann, kann auf keine Weise dem eines unverschämten Die-
ners, der gedungen ist, Passanten zu überfahren, gleichgestellt
werden. Ich habe geschworen, keinen zu verschonen, und wenn
Ihnen das mißfällt, mein Herr, so steigen Sie aus, und ich werde
Ihnen Genugtuung geben.' Als der Besitzer des Wagens sah,
mit wem er es zu tun ha tte, bot er dem Chevalier seine Ent-
schuldigungen ; der unverletzte Kutscher kletterte wieder auf
seinen Sitz, wurde gemaßregelt, und alles verlief in schönster
Höflichkeit.
Wenn ähnliches öfter vorkommen sollte, würde man es sel-
tener erleben, daß unnütze Frechlinge sich ein Spiel daraus
machen, alles, was ihnen in den Weg kommt, umzuwerfen und
zu überfahren.
u8 Die Chronique Scandaleuse
Hier ein Scherz, der zu lustig war, um nicht vollkommen ge-
lungen zu sein.
Er bezieht sich auf einen Unglücksfall, der sich neulich auf
dem Boulevard ereignet hat :
„Gesuch an den Herrn Baron von Breteuil. Monseigneur
wird mit größter Untergebenheit von Denis Topineau, Bürger
von Paris, wohnhaft in der Rue de Poitou im Marais, maison du
Chapelier, ersucht wie folgt :
Wie er gestern, etwa um I Uhr nachmittags, seinen Weg in
einer Seitenallee des Boulevard Saint-Honore zwischen der
Wache des Corps de Garde und dem Speicher der Madeleine
verfolgte, um nach Hause zum Essen zu seiner Frau zu gehen,
die die Töpfe auf dem Feuer hatte; wie er nichts ahnend da-
hingeht, als eine Karosse, die bis dahin in einer Seitenallee vor
einer Haustür gestanden hatte, plötzlich los und ihm mit der
Deichsel in die Rippen gefahren sei, so daß er, alle vier in der
Luft, hingestürzt wäre; er, der Bittsteller, habe schnell seine
Seele Gott empfohlen, denn er habe sich schon tot oder wenig-
stens verstümmelt gesehen. Mit großer Mühe habe er sich mit
Hilfe guter Leute aufgerichtet, die ihn dann unterstützt und
nach Hause geführt hätten. Als seine Frau ihn in diesem Zu-
stande habe heimkehien sehen, mit zerrissener und beschmutz-
ter Hose, habe sie angefangen laut zu schreien, und ein Un-
wohlsein habe sie überfallen. Man habe den Apotheker von
der Ecke nebenan gerufen, der ihn untersucht und eine dicke
Schwellung gefunden habe, auf die einer seiner Jungen einen
Umschlag schweizerischer Kräuter gelegt und ihm gesagt habe,
daß er während acht Wochen viel leiden würde, daß es aber
nichts auf sich habe.
Darauf habe sich Frau Topineau ein wenig beruhigt, die
Nachbarn und sie wünschten, daß er zur Ader gelassen würde,
aber er selbst habe es, ängstlich, wie er sei, nicht gewollt.
Der Bittsteller räumt ein, Monseigneur, daß es nicht Schuld
Die Chronique Scandaleuse 119
des Wagens sei, daß er nicht gerädert oder nicht verstümmelt
worden ist, und daß er Gott eine schöne Kerze schuldig ist.
Die guten Leute, die ihn heimgeführt hätten, haben ihm er-
zählt, wie der Kutscher und die Bürgersfrau, die drinnen, und
der rotlivrierte Lakai, der hintenauf saß, aus voller Kehle über
seinen Purzelbaum gelacht hätten. Daß eine andere Karosse und
zwei sehr hochsitzige Kabrioletts an der Haustür in der be-
sagten Seitenallee gestanden seien, deren Insassen vor Lachen
erstickt wären: daß eine Dame mit einem Mietswagen in diesem
Hause wohne; daß diese Dame ein Freudenmädchen namens
Rosalie sei, und daß die fragliche Karosse entweder die ihrige
oder die ihres Herrn gewesen sei; es sei wahr, daß an dieser Stelle
der Chaussee Steine für die neue Madeleinekirche aufgehäuft
gewesen seien, die den Verkehr etwas hinderten, aber doch den
Karossen genügend Platz zum Anfahren ließen, um die Seiten-
allee frei zu halten; daß es dem Überlebenden zweckmäßiger
scheine, wenn das bewußte Fräulein Rosalie sich die Mühe gäbe,
zu Fuß die Seitenallee und die Steine zu überschreiten, um ihre
Equipage am anderen Straßenende zu besteigen, als über den
Bauch guter Pariser Bürger zu fahren, die ihr Zwanzigstel und
ihre Kopfsteuer pünktlich zahlen und alle bereit wären, auch
für die Bodensteuer aufzukommen; daß dies nicht dei erste Un-
glücksfall ist, der vorgekommen wäre, zumal in anderen Seiten-
alleen, besonders an der Ecke der Rue Favart, bei der Comedie
Italienne, oder in einer anderen hinter der Oper, Boulevard
Saint-Martin, wo gleichfalls Freudenmädchen logierten; daß in-
dessen die Seitenallee des. Boulevards nur für Fußgänger be-
stimmt sei, und Equipagen, Kabrioletts und Pferde niemals dort
passierer dürften; daß man, bloß weil man ein Freudenmädchen
sei, nicht das Recht habe, jedermann zu überfahren; daß diese
Erlaubnis höchstwahrscheinlich vor gewissen Kommissären und
Polizeiinspektoren ausginge, da sie wortlos geduldet würde, daß
sie aber den Privilegien des Pariser Bürgers widerspräche; daß
120 Die Chronique Scandaleuse
jedoch die Fußgänger, wenn sie es darauf ankommen ließen, die
Stärkeren sein würden, daß man sich aber kompromittieren
würde, wenn man mit seinem Stock gegen Pferde oder andere
Tiere anginge; daß der König, wenn er dies wüßte, die Dinge
bald in Ordnung bringen würde."
Der Bittsteller, der glücklicherweise mit einigen Kontusionen
und einer verdorbenen und zerrissenen Hose davongekommen
ist, deren er hofft in sechs Wochen kuriert zu sein, ist zu zart-
fühlend, um Entschädigungen und Ersatz von der Demoiselle
Rosalie zu beanspruchen; da er aber fürchtet, ein anderes Mal
nicht so gut wegzukommen, schlägt er vor, Monseigneur, das,
was er aus diesen Ausführungen beliebte, dem König vorzu-
tragen, damit es den Karossen, Kabrioletts und Pferden, gleich-
gültig welcher Herkunft, verboten werde, die Bürger der guten
Stadt Paris unter ihre Füße zu treten; daß den besagten Ka-
rossen, Kabrioletts und Pferden geboten würde, sich auf der
Boulevardchaussee und nicht in der Seitenallee zu halten, so daß
sie unter keinem Vorwand besagte Seitenallee besetzen könnten,
um hier mit den Fußgängern, zu deren großem Nachteil, in
buntem Durcheinander herumzufahren; daß es gleichfalls an-
geordnet würde, die Straßen sauberer zu halten und daß Ge-
rechtigkeit geschaffen werde."
#
Der Karneval in Venedig dauert, wie man weiß, sechs Mo-
nate; die Mönche spazieren in Maske und Domino einher, und
auf einem Platz sieht man auf der einen Seite Komödianten,
die lustige, aber zügellos ausgelassene Farcen mimen, und auf
der anderen spielen Geistliche Farcen anderer Art und rufen
aus: „Meine Herren, kümmern Sie sich nicht um jene Stümper;
der Polichinell, der sie zusammentrommelt, ist nur ein Dumm-
kopf" ; und (hier zeigt er ein Kruzifix) : „Hier ist er, der wahre
Polichinell, der große Polichinell, hier ist er ..."
Die Chronique Scandaleuse 121
Eine Gesellschaft vornehmer und reicher Leute, aus zwanzig
Personen bestehend, Männern sowohl wie Frauen, hatte die
Güter und das Schloß von Ermenonville angekauft, wo sich
J. J. Rousseaus Grab befindet, und lebte aus gemeinsamer Kasse
im großen Stil, hatte eine eigene Jagd, empfing und sah niemanden
unter dem Vorwand, physikalische Untersuchungen zu machen,
sich mit Chemie und, wie man vermutet, sogar mit Alchimie zu
beschäftigen. Plötzlich verbreitet sich das Gerücht, daß die Ge-
sellschaft sich allen möglichen Scheußlichkeiten ergebe, wie man
sie den Templern, den Adamiten, den Albigensern usw. vorwirft.
Einige von ihnen sind in die Bastille geschickt worden. Man
sagt, der Anführer sei ein berühmter Alchimist, ein Portugiese.
#
Eine Anekdote, die man von Herrn von Calonne erzählt, läßt
hoffen, daß er sich leicht über ein Malheur trösten wird, das ihm
die Genugtuung verschafft, sich ohne Ablenkung seiner Vergnü-
gungslust hingeben zu können. Selbst zur Zeit, da er den Kopf
voll wichtiger Projekte hatte, arrangierte er zu Haus sehr aus-
gelassene Soupers und fröhlichste Orgien. Wie er eines Nachts
nicht schlafen konnte, klingelte er seinem Kammerdiener: „Rosa
soL herunterkommen!" (Dies war eine junge Person, die der
Kammerdiener seinem Herrn verschafft hatte, wobei er sich nach
üblicher Sitte das Recht des Beischlafes ausbedungen hatte.) —
„Aber, Monseigneur, haben mir befohlen, Sie um 4 Uhr Ihres
Vortrags an die Notabein halber zu wecken." — „HöV auf mit
deinen Überlegungen, Rosa soll gerufen werden!" Der Kammer-
diener gehorcht ; beim ersten Morgengrauen zieht sich Rosa zu-
rück. „Aus welcher Laune", fragt sie der Kammerdiener, „hat
unser Herr dich heut Nacht bei sich gewünscht ? Er hatte einen
wichtigen Vortrag durchzusehen." — „Da bin ich nicht er-
staunt," antwortet die hübsche Rosa, „daß er die ganze Nacht
mit Ausbesserungen von Fehlern verbracht hat."
122 Die Chronique Scandaleuse
Das Parlament beschäftigt sich mit einer Angelegenheit, die
viel von sich reden machen wird.
Ein gewisser La Roche, der sich in seiner Bittschrift beschei-
dentlich einen Bürger von Paris tituliert, vertraute vor einiger
Zeit, als er verreisen mußte, seine hübsche, trostlose, siebzehn-
jährige Tochter einer Frau an, die dies Vertrauen nicht ver-
diente. Kurz danach, man weiß nicht wie, fand sich das junge
Mädchen in den Armen des Herrn de Meaupou und bewohnte
mit ihm das Hotel de la Chancellerie. Als der Vater nach seiner
Rückkehr seine Tochter forderte, wurde sie ihm verleugnet und
verweigert. Er blieb hartnäckig. Man gab sie ihm zurück, doch
nackt und schwanger.
Dieser Vater meinte Entschädigungen beanspruchen zu kön-
nen, die ihm ebenso rücksichtslos verweigert wurden.
Darauf reichte er eine Bittschrift ein, in der er um die Be-
willigung bat, auf gewaltsame Verführung seiner Tochter klagen
zu können, und sein Gesuch wurde von der versammelten Kam-
mer angenommen. Mehrere Personen von Einfluß haben inter-
veniert, um Herrn de Meaupou zu veranlassen, eine so peinliche
Affäre wenigstens zu arrangieren; er gibt aber vor, authentische
Papiere von dem Einverständnis des Vaters zu haben; er hat
nichts hören wollen, so daß die Angelegenheit sich weiter hinaus-
ziehen wird. Man behauptet, daß Herr de Meaupou bei einer Zu-
sammenkunft mit dem La Roche gesagt habe: Wenn ich einen
Mietswagen nehme, so zahle ich ihn nur so lange, als ich ihn be-
nutze." . . . „Das ist richtig," entgegnete der Vater, „wenn Sie
aber Fenster zerbrechen, so müssen Sie sie auch bezahlen." Viel-
leicht ist diese Bemerkung erfunden, aber sie ist mindestens witzig.
Am Spieltisch einer Hofdame, die eine Art Spielhölle unter-
hält, trafen sich ebenso glückliche wie geschickte Spieler. In
den letzten Tagen haben nun fünf Spieler einen Brelan gemacht.
Vier von ihnen haben Brelan, sie setzen alles ein. Der, welcher
Die Chronique Scandaleuse 123
die Karten gab, hält ihn und zeigt einen Brelan in Karo, der
alles gewinnt. Einer der vier Verlierenden, der gereizter ist als
die anderen, erhebt sich mit einem Fluch und ruft: „Das ist
aber ein zu unvorteilhafter Zug!"
Der andere, der gegeben hatte, läßt den Zwischenruf, ohne
ihn zu achten vorübergehen und steckt das Geld ein, aber der
nun noch mehr gereizte Spieler wiederholt ihn mit noch lauterer
Stimme, so daß sich ein lebhafter Disput zwischen ihnen erhebt,
der von zwei Wachleuten des Tribunal des Marechaux de France
unterbrochen wurde, die sich ihrer annahmen. Man führt sie
zu dem Marschall von Richelieu, und dort plädiert jeder, so gut
er kann, für seine Sache.
Der Düpierte behauptet, daß er den anderen keines Wortes
gewürdigt hätte; der Geber versichert, daß der Zug durchaus
im Bereiche der Möglichkeit sei. Der Marechal läßt sie sich
den Versöhnungskuß geben ; der erstere geht, sein Schicksal be-
klagend, hinaus, um seine Wache zu entlohnen; der andere bleibt
und dankt dem Marschall für das weise Urteil. „Dieser Zug ist
immerhin recht seltsam", sagt Herr von Richelieu. — »Ge-
wiß, Monseigneur, aber er ist möglich." — „Gehen Sie," er-
widert der Doyen der Marechaux, „ich bin zu nachsichtig,
ich hätte Sie ins Gefängnis schicken sollen, in dem Sie so lange
verblieben wären, bis der Coup ein zweites Mal herausgekommen
wäre." Ein ingeniöses Wort, das beweist, was der alte Krieger
in seinem Innersten von dem Abenteuer hielt.
Man lacht viel über das Testament eines Engländers, dessen
Authentizität garantiert wird; hier eine seiner Klauseln:
„Ich gebe und vermache meiner Schwester N. N. fünf Guineen,
die ihr aber nicht während ihres irdischen Daseins ausgezahlt
werden sollen; sie sollen ihr sofort nach ihrem Tode eingehändigt
werden, damit sie sich standesgemäß begraben lassen kann."
124 Die Chronique Scandaleuse
Aus London schreibt man, daß unser berühmter Seiltänzer
Placide dort wunderbare Vorstellungen gibt, daß es ihm aber
teuer zu stehen gekommen ist, einem noch gewagteren Springer
begegnet zu sein. Dies ist ein Straßenräuber, der ihm, nach-
dem er ihm seine Börse entwendet hatte, freundschaftlich die
Hand a l'anglaise schüttelte und ihm sagte: „Kamerad Placide,
vielleicht werde ich bald einen viel gefährlicheren Sprung ma-
chen als die deinen, aber in der Zwischenzeit werde ich ein Glas
auf deine Gesundheit trinken."
#
Bei einem Souper wurde erzählt, Mme D. habe die Pocken.
„Das erstaunt mich nicht," antwortete jemand, „ich habe sie
immer als sehr anspruchslos gekannt." [Veröle = Syphilis ; Petite
Veröle = Pocken. Anm. d. U.]
*
Vor kurzem hat man drei Säbelduelle ausgefochten ; das eine
vom Chevalier de Cubieres gegen M. de Champcenets, der ihn
im „Almanach großer Männer" verachtungsvoll behandelt
hatte; das andere von einem Unbekannten gegen M. de Nar-
bonne als Entgegnung auf einen Peitschenhieb. Dieser, der ven-
tre-ä-terre Paris durchfuhr, hatte jenen Herrn umgeworfen.
Da sein Wisky im Gedränge angehalten wurde, war der letz-
tere auf den Wagen gesprungen, um Genugtuung zu fordern,
und das erledigte sich in zehn Sekunden. Das dritte hatte
lustigere Begleiterscheinungen. Der Bischof von Noyon hat die
Forderung von einem jungen Herrn erhalten, der in den Liebes-
gründen weidete, die der Prälat gepachtet hatte. Die beiden
kamen zu einem Zusammenstoß; man wechselte einige Reden,
und der Bischof gab dem Greluchon die Firmung.
Dieser, der für die Sakramente wenig übrig hatte, forderte
Genugtuung, und der Bischof de Novon war besonnen genug,
zu empfinden, daß ihm die Rolle eines Kirchenfürsten in dieser
Angelegenheit nicht gut zu Gesicht stehen würde.
Die Chronique Scandaleuse 125
Aus London hört man, daß es Herrn von la Motte -Valois
gelungen sei, sich wieder in Besitz eines Teils jenes berühm-
ten Colliers zu setzen, daß er gelegentlich seiner Flucht seiner
Tante in Bar-sur-Aube anvertraut hatte. Jene Diamanten be-
fanden sich in einem kleinen Fäßchen, dessen kostbaren Inhalt
er sorgsam verschwiegen hatte. Gleichzeitig hatte er ihr ein seiner
Frau gehörendes Schmuckkästchen und eine kostbare Kassette
anvertraut, die auf 1500 Livres eingeschätzt wurde.
Seit er in London war, hatte sich die Domäne im Namen des
Königs der Güter des Herrn und der Frau de la Motte be-
mächtigt; der Tante war es eingefallen, den Schmuckkasten in
eigener Person den Kommissären auszuhändigen, aber sie hatte
Sorge getragen, die Kassette und das Fäßchen zu bewahren, und
hatte sich sogar mehreren Boten gegenüber, die mit Briefen von
Herrn von la Motte zwecks Herausgabe der deponierten Sachen
kamen, geweigert, sie auszuliefern, und sich damit begnügt, zu
sagen, daß sie in Sicherheit seien, und sie sie nur demjenigen
geben würde, der sie ihr eingehändigt habe.
Der Herr de la Motte, der fürchtete, auch noch die letzten
Reste seines Raubes zu verlieren, schrieb dringend an seine Tante
und seinen Onkel, um sie zu einer Übersiedlung nach England
zu veranlassen. Vor dem Gerichtshof griff er seinen Onkel an;
es gelang ihm, ihn ins Gefängnis werfen zu lassen, aus dem er
erst frei geworden ist, nachdem seine Frau sich nach Bar-sur-
Aube begeben hatte, um das Fäßchen zu holen und dem Sieur
de la Motte zurückzuerstatten.
Es lohnt nicht, diese Angelegenheit mit viel Nachdenken zu
beschweren; wer jedoch eines neuen Leitfadens bedürfte, am
sich in diesem dunklen Labyrinth zurechtzufinden, könnte sich
ihn leicht verschaffen.
#
Man ist immer darauf gefaßt gewesen, daß die Bosheit sich
eines Tages in den berühmten Namen des verstorbenen Des-
126 Die Chronique Scandaleuse
brugnieres kleiden würde. Es zirkulieren Kopien eines angeb-
lichen Testamentes. Hier ein Auszug:
„Am 6. Juli, heutigen Tages, habe ich, Fiacre-Pancrace-Ho-
nore Desbrugnieres, Rat des Königs, Polizeiinspektor der guten
Stadt Paris, gesund an Geist und Körper, mein vorliegendes Te-
stament, so wie folgt, gemacht:
„Zu meinem gesetzlichen und Universalerben bestimme ich
meinen lieben und würdigen Kollegen D„ ohne daß er genötigt
sei, auf die Wohltaten des Gouvernements und auf die einträg-
lichen Schändlichkeiten zu verzichten; und für den Fall des Ab-
lebens seiner natürlichen männlichen Leibeserben, setze ich an
seiner Stelle seinen Herrn Bruder ein, weil er gelegentlich der Fest-
nahme des Kardinals von Rohan so große Hoffnungen erweckt
hat : alles dies unter der Bedingung, daß sie beide für den Zeit-
raum von sechs Monaten Trauer anlegen.
Ich vermache Herrn Piepape de Pieplat, Staatsrat, meine
Sammlung von Haftbefehlen, die sich in meinem Kleiderschrank
befindet.
Ich vermache Herrn Moreau, Historiographen von Frankreich,
eine Abhandlung von meiner Hand, dem Erzbischof von Sens
gewidmet — ,Sur l'usage legitime des lettres de cachet" — , mit
den geschichtlichen Angaben über alle, die ich exekutiert habe,
in zwölf Bänden in Quartformat.
Ich gebe und vermache dem Herrn B., Generalleutnant des
Gerichtssprengeis zu L., den Cordon noir, den man im Begriff
war, mir zu verleihen, um ihm die Achtung zu beweisen, die
ich ihm ob seiner geheimen Korrespondenz mit dem Siegelbe-
wahrer und ob seiner glücklichen Überredungskünste zolle.
Herrn Linguet vermache ich 12 (zwölf) Flaschen Galle, die
er in seine Tinte gießen mag, und 12 Schmiedehämmer, auf daß
er seinen Stil verbessere. Außerdem vermache ich ihm ein ge-
polstertes Kissen, das ihm auf mehr als eine Art nützlich sein
dürfte.
Die Chronique Scandaleuse 127
Ich vermache dem Abbe Morellet 24 Sous als Lohn für seine
letzte Schmähschrift gegen die Parlamente.
Ich vermache dem Redakteur des ,Courrier de l'Europe' all die
Stockschläge, die mir amTage meines Ablebens zugedacht werden.
Den Compilateuren des Journal de Paris' vermache ich
meinen Nekrolog, den ich selbst verfaßt habe, und der dessen-
ungeachtet von meinen Erben oder der Regierung bezahlt werden
wird.
Ich vermache dem Herrn B.-J. von P** ein Paar fester Reit-
stiefel, einen Sattel und eine Postillonspeitsche, damit er sich
schneller an all die Orte begeben könne, wo eine Schändlichkeit
ausgeübt oder etwas verdient werden kann.
Ich vermache Herrn von Mazirot, dem Berichterstatter der
Gnadengesuche, eine Lederhose für die Reise, denn er hat die seine
auf der Straße zu Rouen und der Straße von Moulins abgenützt.
Ich vermache Mme ** ein Exemplar von ,ParapihV mit Illu-
strationen in Kupferstich.28
Ich vermache der Frau Herzogin von G. eine Querpfeife
aus Elfenbein, damit sie zu ihrer kleinen süßen Stimme flöten
kann, wenn sie das Lob des ersten Ministers singt.
Zum Exekutor meines Testaments ernenne ich Herrn von ***
in der Hoffnung, daß er mir dieselbe Güte wie seinem Freunde
de B. erweisen wird, doch mit dem Bedauern, ihn nicht mit
einigen 800000 bis 900000 Livres entschädigen zu können; aber
ich hinterlasse ihm eine Dose mit meinem Bild, die mit Steinen,
falsch wie er selber, geschmückt ist, und die ich ihn bitte aus
Zuneigung zu mir anzunehmen."
*
Ein siebzehnjähriges Mädchen, das von einem alten Weib, dem
es ein wenig Geld schuldete, hart bedrängt war, entwendete
kürzlich ihrer Dienstherrin einen Überrock und einen Unter-
rock, die es verkaufen ging und die ihr 100 Sous einbrachten. Am
selben Tag noch bemerkte man den Diebstahl.
128 Die Chronique Scandaleuse
Die Bürgersfrau eilte ungeachtet des Alters ihrer Magd und
der Umstände, die sie zu diesem Vergehen veranlaßt hatten, sie
anzuzeigen. Wohlwollende Menschen, denen das junge Mäd-
chen seine Schuld gestand, kauften in Eile das gestohlene Gut
zurück und händigten es der Herrin ein; jedoch es war schon zu
spät, und die arme Unglückliche wurde festgenommen und ins
Gefängnis gebracht. Le Chatelet verfügte, daß sie ausgepeitscht
und in ein Zwangsarbeitshaus gesteckt werden solle. Beim
Appel ä minima verurteilte sie die Berufungskammer zum
Tode durch den Strang. Daraufhin wurde das Urteil vor zwölf
Tagen in ganz Paris veröffentlicht. Der Galgen war errichtet,
der Henker hatte sich schon seiner Beute bemächtigt, das
versammelte Volk erwartete schon ihr Erscheinen, als es plötz-
lich, wie sie die Stufen des Chatelet herabstieg, einer Amts-
person gelang, ihr zwei Worte ins Ohr zu flüstern. Augen-
blicklich stockte ihr Schritt; sie forderte, den Kriminalleutnant
zu sprechen und erklärte, daß sie durch Schuld ihres Dienst-
herrn schwanger sei. Nach diesen Worten wird alles ver-
schoben. Man führt sie ins Gefängnis zurück, um das Urteil der
Ärzte und der Hebammen zu hören; da es aber vorläufig un-
möglich ist, zu entscheiden, ob die Behauptung wahr oder falsch
ist, hofft man, dieser Aufschub würde ihr günstig sein und zur
Begnadigung verhelfen. Alles spricht zu ihren Gunsten, und ein
Beweis, daß sie nicht verderbt ist, besteht darin, daß, als jemand
ihr vorgeworfen hat, daß sie bei ihrem ersten Verhör alles ein-
gestanden habe, und dieser nun versucht, ihr zu beweisen, wie
leicht es ihr gewesen wäre, ihrer Strafe durch Leugnen zu ent-
gehen, sie ihn unterbricht : „Oh, mein Herr, man darf vor den
Gerichten nicht leugnen, ich würde lieber sterben, als der ewigen
Verdammnis anheimfallen."
Als das arme Kind den Strick um den Hals gefühlt hat, mag
es nicht ebenso gedacht haben; aber wer könnte ihr einen Vor-
wurf daraus machen ?
Die Chronique Scandaleuse 129
Der Abbe Prevost, der Almosenier bei einem sehr hohen Herrn
zu werden wünschte, bemühte die vornehmsten Leute für ihre
Verwendung. Als er dem Fürsten vorgestellt wurde, sagte ihm
dieser: „Sie scheinen ausgezeichnete Verbindungen zu haben,
ganz Paris spricht ja nur von Ihnen; aber, sagen Sie doch,
welchen Rang erstreben Sie ? Mein Almosenier ist einer meiner
Beamten, den ich am wenigsten benötige, da ich niemals zur
Messe gehe." — „Gerade deshalb bitte ich um die Stelle, die
wie für mich gemacht ist: Sie gehen nie zur Messe, und ich
lese nie die Messe."
#
Pousse, der berühmte Pariser Mediziner, hatte sich gelegent-
lich eines Pockenanfalls beim Dauphin große Verdienste er-
worben; er war Normanne und recht gewöhnlich; so sagte er
zur Königin : „Beunruhigen Sie sich nicht, ich werde Ihnen Ihren
Jungen zurückgeben." Dem König sagte er: „Diese kleine Frau
(die Dauphine) läuft immer hinter mir her, sie fürchtet, ihren
Gatten zu verlieren, aber wir werden ihn ihr erhalten."
*
Der Herzog von A***, der zur Friedenszeit, gelegentlich der
Reform, befragt wurde, was er davon hielte, gab dem König zur
Antwort :
„Sire, ich glaube, daß Sie die Taufe reformieren sollten, da-
mit wir dann in Frankreich weniger Commeres und Comperes
hätten."
Derselbe Herzog sah eines Tages Mme de B., eine Frau von
monströser Statur. Er fragte, wer diese Frau sei. „Monsieur, sie
ist eine Dame aus der Provinz." „Wie, eine Dame aus der Pro-
vinz? Sagen Sie doch lieber, sie ist eine ganze Provinz auf
einmal."
*
Ein junger Provinziale berichtet einem seiner Freunde über
die seltsame Art, auf die er sich seit einiger Zeit verheiratet findet :
9
130 Die Chronique Scandaleuse
„Am 2. des Monats begab ich mich in das Schloß von M.,
um an dem Vergnügen teilzunehmen, das er anläßlich der Hoch-
zeit seiner ältesten Tochter mit M. gab. Ich kam als einer der
letzten an, obschon ich seit langem eingeladen war, und fand
die Appartements alle besetzt. M. drückte mir sein lebhaftestes
Bedauern darüber aus, indem er mir versichert, er selbst würde
das Zimmer wechseln, um mir sein Bett zu überlassen. Nach
einem Moment des Nachdenkens sagt er mir : ,Ich überlege eine
gewisse Sache; Sie, der Sie ein Sohn des Mars sind, haben
sicher keine Gespensterfurcht; ich gestehe, daß sie mir selbst
schreckliche Angst einflößen. Ich hatte zuerst vor, Ihnen mein
Zimmer abzutreten und in einem anderen, das leer steht, weil
die Geister dort umgehen, zu schlafen. Wenn Sie das Risiko
wagen wollen, werde ich für Ihren Teil beruhigter sein als etwa
für meinen.4 Ich lachte laut auf, und ohne an der Wahrheit
meiner Antwort zu zweifeln, antwortete ich ihm, daß ich die
Gespenster bis zum Wahnsinn liebe ; die Folge davon war, daß
nach dem Souper zwei an allen Gliedern zitternde Domestiken
mich in diesem Zimmer einrichteten, das ich bald in Besitz
nahm, indem ich mich zur Ruhe legte.
Ich war schon halb im Schlaf, als ein leichtes Geräusch meine
Blicke nach der Tür lenkte; ich sah jemand, dessen Geschlecht
sich nicht erkennen ließ, aber den ich als ein Wesen von Fleisch
und Blut einschätzte, hereintreten; denn tatsächlich glaubten
meine Sinne nicht einmal an die Möglichkeit eines Phantoms.
Das Wesen näherte sich dem Feuer und schürte es auf; beim
Flammenschein, der aufloderte, sah ich deutlich, daß es eine
junge Frau war.
Nachdem sie die nötigen Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte,
um eine Feuersbrunst zu verhüten, näherte sie sich meinem Bett
und kroch unter die Decke.
Ich zog mich an die entgegengesetzte Wand zurück, und da
ich gewiß war, sie nicht zu stören, begnügte ich mich damit,
Die Chronique Scandaleuse I3I
mich äußerst ruhig zu verhalten, um sie nicht zu wecken; sie
streckte einen Arm nach mir aus, der mich glücklicherweise nicht
erreichte, aber da ich beim Schein des Feuers einen Ring an
ihrem Finger erblickt hatte, konnte ich der Versuchung nicht
widerstehen, mich seiner zu bemächtigen. Er saß lose und glitt
ohne die leiseste Anstrengung herab. Gegen 4 Uhr morgens hielt
es meine Gefährtin für gut, sich ohne Abschied zu entfernen;
sie ging zweimal um das Zimmer herum und schritt hinaus nach
dem ihren.
Was mich betrifft, verblieb ich in einem Zustand, der sich
schlecht beschreiben läßt. Sie werden meiner Versicherung gern
glauben, daß an Schlaf nicht zu denken war. Als am nächsten
Morgen die ganze Gesellschaft beim Frühstück versammelt war,
fragte man mich, ob ich irgendeine Erscheinung gesehen hätte!
Ich antwortete bejahend, daß ich aber, ehe ich fortfahren würde,
die anwesenden Damen bäte, mir zu sagen, ob keine unter ihnen
einen Ring verloren habe. Fräulein **, die jüngere Schwester der
jungen Frau, rief aus : ,Oh, wahrhaftig, ja, ich habe meinen Ring
verloren !< Da erhob ich mich, nahm sie bei der Hand und sagte:
,Hier ist das hübsche kleine Gespenst, das mir heut nacht Be-
such gemacht hat.*
Darauf erzählte ich die Geschichte mit dem Bett. Alle lachten
sehr, mit Ausnahme der charmanten kleinen Nachtwandlerin,
die in einer bemitleidenswerten Verfassung war. Darauf trat m'
zwischen uns, drückte unsere Hände in der seinigen und sagte
folgendes: ,Mein Freund, da meine Tochter in der vergangenen
Nacht indiskret genug gewesen ist, Ihren Schlaf zu stören, er-
laube ich Ihnen, den ihren in der kommenden Nacht aufzuhal-
ten/ Die Hochzeit wurde noch am selben Tage gefeiert, und
ich bin der Glücklichste aller Sterblichen.
#
Ein Mahre de requetes, von dem die Chronique scandaleuse
schon mehrmals berichtet hat, ging für einige Zeit seiner Frei-
9*
132 Die Chronique Scandaleuse •
heit verlustig, weil er am Verfalltag nicht die 400 000 Livres
bezahlte, die er Mlle Adeline schuldig war. Ein Arrangement
mit seinen Gläubigern hat ihn der Gesellschaft zurückgegeben.
Dieser Tage erblickte er in einer kleinen Loge der Comedie Ita-
lienne eine schöne Ausländerin, die er begehrte, und eilte zu ihr.
Adeline, die dies bemerkt hat, begibt sich wütend zu ihnen,
trennt sie mit Faustschlägen und droht ihrer Rivalin, sie zu
töten, wenn sie noch einmal wagen würde, nach ihrem Lieb-
haber zu trachten. Diese zärtliche Eifersucht, diese so delikate
Anhänglichkeit zeigen, wie sehr die vorsichtige Adeline damit
rechnete, daß die Geschäfte ihres Bittschriftenherrn sich noch
arrangieren könnten.
Aber ach, am Morgen nach diesem unerfreulichen Abenteuer
hat ihn ein geheimer Haftbefehl fünfzig Meilen weit von Paris
geschickt, und dank der Opfer, die seine Schulden bedingten,
ist er auf 6000 Livres Rente reduziert.
#
Man erzählt sich eine Anekdote, die einen der glühendsten Pro-
testantenfeinde und deren ehrenwerten Protektor charakterisiert.
Mme ** wünschte vor einiger Zeit, einen sterbenden Chri-
stus zu besitzen. Herr David, der Maler, zu dem sie geschickt
hatte, stellte ihr vor, daß sein Pinsel der Geschichte geweiht
sei, und daß seine geringen Neigungen für das fromme Genre ihn
fürchten ließen, dem Vorwurf nicht gerecht zu werden; immer
in dem Streben, sich von einem solchen Auftrag zu befreien,
fügte er hinzu, daß ihn das eine beträchliche Zeit kosten würde,
und daß er das Gemälde nicht unter 1000 Talern machen könne.
„Einverstanden!" antwortet Mme ** „Aber", sagt nun sei-
nerseits der Maler, von diesem letzten Argument in die Enge
getrieben, „ich weiß nicht, wie ich mir ein Modell verschaffen
soll." „Ich habe, was Ihnen fehlt," antwortet sie wiederum, „und
ich werde Ihnen einen Brief für den Pater Seraphin mitgeben;
nach seinem Ebenbild wünsche ich meinen Christus."
Die Chronique Scandaleuse 133
David präsentiert sich mit Mme *** Brief beim Pater Sera-
phin, der sich von der Pflicht, die man ihm auferlegt, sehr ge-
ehrt fühlt. Darauf läßt der Maler diesen Unglücklichen an einem
Pfah] befestigen;- in zwei Sitzungen schafft er den Kopf, und
aus Furcht, die Gefälligkeit des Kapuziners zu sehr in Anspruch
zu nehmen, malt er den Körper nach einem anderen Modell.
Als das Werk beendet ist, trägt David es zu Mme ***, die, als
sie das Haupt des Gekreuzigten erblickt, in eint Ekstase von
Freude und Devotion gerät, dann aber, sich über den Körper
beugend, ausruft : „Ah, Monsieur, was haben Sie da gemacht ?
Ich schwöre Ihnen, dies ist nicht Pater Seraphins Körper; er
ist nicht so fett."
Der Maler war gezwungen, zu gestehen, wie es sich verhielt.
„Nehmen Sie Ihr Bild wieder mit," sagt Mme ***, „den Pater
Seraphin wünschte ich zu haben, seinen Kopf und seine Gestalt."
David zog sich unwillig zurück, ohne sein Gemälde mit-
nehmen zu wollen. M**, der unter den lächerlichen Hand-
lungen seiner Frau leidet, beendete die Diskussion; er begab
sich zu Herrn David und zahlte ihm seine 2000 Taler.
#
Der Herr Marschall von Richelieu, den man einige Monate
vor seinem Ableben totgesagt hatr zeigte sich am selben Tage
in der Oper. Am nächsten Morgen lud er den Marschall von
Biron und den alten Thuret zu Gaste. Dieses Triumvirat, auf
dem Jahre, Myrten und Lorbeeren schwer lasteten, hat sich an
wechselseitigen Erzählungen aller Freuden und Erinnerungen
sehr vergnügt.
Galant bis zu den Pforten seines Grabes, hat der Marechal de Ri-
chelieu der Herzogin de Fronsac eine charmante Antwort gegeben ,
als sie ihn zu der Besserung seiner Gesundheit beglückwünschte :
„Papa, ich finde Sie frisch und mit ausgezeichneter Miene."
„Augenscheinlich", antwortete der Marechal, „halten Sie mein
Gesicht für einen Spiegel, der Ihre eigenen Züge widergibt/'
134 ^ie Ckronique Scandaleuse
Allgemeine Konsternation. Unsere Gesellschaften hallen von
Schmerzensrufen wieder. Und was ist ihr Gegenstand? Mlle
Contat. Aus Angst, dick zu werden, hatte sie seit einem Monat
jeden Morgen einen Viertelschoppen Essig getrunken. Diese
Unvorsichtigkeit hat sie in einen schrecklichen Zustand versetzt.
Gestern hatte man sie aufgegeben; der Kurat von Saint- Auspice
hat sie besucht und ihr gedroht, falls sie nicht dem Theater,
Mole und dem Grafen L. entsagen würde, ihr nach ihrem Tode
die Ehre zu verweigern, sie in seinem Kirchhof begraben zu
lassen.
Ihre Krankheit hat auch noch andere Ursachen : einen Streit
mit ihrem zärtlichen Liebhaber, der einige Kratzwunden mit
drei oder vier Faustschlägen auf ihr hübsches Gesichtchen beant-
wortet hat. Man versichert, daß die Art und Weise, mit der
Herr von M. seine Meinungsverschiedenheiten betonte, den
Damen stark mißfällt. So sehr sie auch an Neuigkeiten gewöhnt
sein mögen, so schwer dürfte es ihnen fallen, sich solchen an-
zupassen, die von den starken Burschen der Hallen der Öffent-
lichkeit gelehrt werden.
#
Der durch seine Bizarrerien bekannte Chevalier de Forges hat
all den anderen, mit denen sein Lebensweg dicht besät war,
noch eine letzte zugefügt, nämlich die, bei einem öffentlichen
Mädchen zu sterben. Als sehr reicher Mann verfiel Herr de
Forges der konträren Übertreibung unserer jungen Leute, die
sich mit unseren weiblichen Vampyren ruinieren : er gab wenig.
Bescheidentlich bot er dreimal in der Woche seinen kleinen
Taler einem Fräulein, das sich mit gewöhnlichen Wasserträgern
zufrieden gab und die ihn darin kannte, da er einer ihrer besten
Kunden war. In diesen letzten Tagen empfand er das dringende
Bedürfnis, in den Armen der Wollust zu sterben, und er begab
sich zu seiner Liebsten, wo er in einem Armsessel seine Seele
aufgab.
Die Chronique Scandaleuse 135
Es ist derselbe Chevalier, der den Titel eines „Marquis des
irdischen Paradieses, Vicomte der Hölle, Seigneur aller Teufel"
angenommen hatte, und der mit einem Vikar zu prozessieren
wünschte, weil der sich weigerte, diese Titel bei der Taufe eines
seiner Kinder ins Register einzuschreiben. Er war es auch; der
sich weigerte, ein Haus" zu verkaufen, das in dem Bezirk lag, der
zur Errichtung einer neuen Markthalle bestimmt wurde, und
aus diesem Anlaß einen Prozeß mit der Stadt anfing, ihn ge-
wann und die Stadt zwang, neue Pläne zu entwerfen. Auf
dieses Haus ließ er ein Bild malen, das noch heute zu sehen ist
und einen lebensgroßen Hammel darstellt, der einem Wolf eine
Grimasse schneidet. Er zwang die Mieter dieses Hauses zu einer
kontraktlichen Verpflichtung, in der verfügt wurde, daß sie für
Erhaltung dieses Bildes Sorge tragen müßten. Bizarr, wie er in
allem war, ging der Marquis des irdischen Paradieses in eigener
Person auf den Markt, mit einem alten Mantel angetan, den er
seinen Tausendtalerrock getauft hatte, weil, wie er sagte, dies
Kleidungsstück ihm diese Summe Ersparnis eingebracht habe.
Als ein Freund ihn beauftragte, ein gewisses Fräulein um ihre
Hand für ihn zu bitten, fand er diese nach seinem Geschmack,
hielt selbst um sie an, errang sie mühelos und vermählte sich
mit ihr. Darauf verliebte er sich in eine sehr hübsche Jüdin; er
verführte sie, entführte sie und richtete sie in einem kleinen
Appartement ein. Als er erfuhr, daß ihre Eltern eifrige Nach-
forschungen nach ihr anstellten, fand er es für gut, zu einem
Erzbischof zu gehen, ihm zu erzählen, daß ein ihm bekannter
Geistlicher eine junge Jüdin zum Katholizismus bekehrt habe,
und erlangte von dem Prälaten eine Ordre, dahin lautend, daß
sie in einem Kloster untergebracht werden solle, um so den
Tyranneien der Eltern, die sich einer Bekehrung widersetzten,
zu entgehen. Der Geistliche, der in diesem Fall dem Chevalier
Kupplerdienste leisten sollte, empfing ein Benefiz für sein gutes
Werk. Als die Mutter erfuhr, wo ihre Tochter untergebracht sei,
136 Die Chronique Scandaleuse
schlug, sie ungeheueren Lärm; die Gattin des Verführers verband
sich mit ihr und der „Seigneur de tous.les diables" verließ seine
Mätresse, die, um sich an ihren Eltern zu rächen, nichts Besseres zu
tun fand, als nun wirklich ihren Glauben abzuschwören und den
Schleier in eben diesem Kloster zu nehmen. Sie war gescheit
genug gewesen, aus ihrem Liebhaber eine beträchtliche Summe
zu ziehen, und entfloh zwei Jahre später mit dem ehrsamen
Geistlichen, dem der Chevalier sein Vertrauen geschenkt hatte.
*
Paris wird unvermerkt mit empfindsamen Frauen verseucht
— ich weiß nicht, ob man sich dieses so lächerlichen Epithe-
tons bedienen darf, das ein geschmackloser Esprit zur Tages-
mode gemacht hat. Es sind Frauen, die im Bestreben, Schärfe
des Geistes mit schönen Gefühlen zu paaren, sich nur noch in
sinnlosem Geschwätz ergehen. Ein leichtes wäre es, ein recht
pikantes und recht neuartiges Bändchen zusammenzustellen,
wenn man sich damit vergnügen wollte, all die Worte zu sam-
meln, die Mme de Stael, die Frau des schwedischen Gesandten,
seit 14 Tagen geäußert hat. Ihre Ausdrucksweise entlehnt viel
aus Herrn Neckers, ihres Vaters, geschraubtem und obskurem
Stil. Es ist wohl wahr, daß sie behaupten könnte, daß man ihr
viel zu viel jener dunklen Redewendungen zuschreibt- Man
könnte ihr aber auch das antworten, was Herr von Saint Lam-
bert vor der versammelten'Academie Francaise dem Abbe Voise-
non, der sich über die Lächerlichkeiten, die man ihm zuschrieb,
beklagte, entgegnete: „Man leiht nur den Reichen."
Ein einziger Satz genüge, um die Redeweise derMarquisevon
Condorcet, Gattin des gleichnamigen Akademikers, und ihre Ge-
fühle für die Nachwelt zu illustrieren. Spricht man ihr von
Schwangerschaft, so antwortet sie, „man bleibe mir ferne mit
solchen Gedanken; ein ähnliches Ereignis würde mir nur eine
große Pein bereiten. Der Gedanke, daß mein Sohn, wes Geistes
Kind er auch sei, im Verhältnis zu seinem Vater immer nur ein
Die Chronique Scandaleuse 1-37
Ignorant sein würde, wäre mir unerträgliche Qual. Die Natur,
die mit Wundern geizt, bringt niemals zwei hintereinander in
der gleichen Familie hervor."
Wenn man von schönen Gefühlen spricht, zitiert man auch
die Vicomtesse von D***, die kürzlich gefragt wurde, ob sie bald
niederkäme. „Um Gotteswillen, sprechen Sie mir nicht davon,
dehn ich zittere davor, nicht in dem Gedanken an die Schmer-
zen, die mir bevorstehen, sondern an die Verzweiflung, die mir
dadurch beschieden sein wird, daß mein Kind durch seine Ge-
burt mir und meinem Schoß entrissen wird."
Die Bemerkung der jungen Herzogin von L. ist viel naiver
und viel natürlicher. Sie hatte eine sehr schwere Niederkunft.
Mehrere Tage schwebte sie in Lebensgefahr. Als sie entbunden
war und man ihr sagte, das Kind sei ein Sohn, rief sie aus : „Wie
froh bin ich darüber, er wird nie niederzukommen brauchen."
#
Drei Dinge erregen neugierige Gemüter: 1. das Haus des Fiäu-
leins Dervieux. Es ist ein Tempel. Man hat nichts Ähnliches
weder bei den königlichen Gebäuden noch sonstwo gesehen,
das so prächtig und so bequem ist; um sich eine Idee davon
zu machen, lese man die Märchen aus Tausendundeiner Nacht.
2. Das unterirdische Interieur des inmitten der Gärten des Palais
Royal gelegenen Circus. Scharenweise strömen die Menschen
dorthin, aber alle verlassen es mit kritischen Gefühlen; man ist
sich nämlich nicht klar darüber, zu welchen Zwecken es dien-
lich sein könne. 3. Die Gemälde des Herrn de Calonne von Mme
Le Brun. Alles eilt dorthin, sie zu sehen, und alles ist verblüfft,
daß dieser Generalkontrolleur es verstanden hat, in so wenig
Zeit so viele Meisterwerke zu sammeln.
#
Während der zwei Osterwochen hat Mme Dugazon in Amiens
gespielt. Eines Morgens fand sich ein junger Mann bei ihr ein
und bot ihr alles, was er besaß: sein Herz und 25 Louis.
138 Die Chronique Scandaleuse
Die Schauspielerin maß ihn würdevoll von Kopf zu Füßen und
sagte mit imponierendem Tonfall: „Junger Mann, behalten Sie
Ihre Huldigung und Ihre 25 Louis; gefielen Sie mir, würde ich
Ihnen 100 geben."
*
Auszug aus einem von Mme Sophie an eine ihrer Freundin-
nen anläßlich der Feuersbrunst der „Menüs plaisirs de sa Ma-
jeste" gerichteten Brief:
Paris, am 26= Juni 1788.
„Sicherlich haben Sie in den Zeitungen von der schrecklichen
Feuersbrunst gelesen, die die Menüs plaisirs du roi ergriffen
hat; ich schulde Ihnen aber, liebe Freundin, einige Details über
die wichtigsten Verluste, deren. Folgen schwerer sind, als man
meinen will. Dieses schreckliche Feuer hat die Göttinnen der
Oper fast völlig entblößt. Das Feuer hat auf die Kostümmaga-
zine übergegriffen, und nur einem Wunder ist es zu verdanken,
daß man ihrer einige gerettet hat. Der verführerische Venus-
gürtel ist verbrannt ; die modernen Grazien werden schleierlos
schreiten, was ihnen wohl nicht so gut stehen wird wie einst
den antiken. Merkurs Helm, sein Schlangenstab, seine Flügel
sind vom Feuer verzehrt worden ; glücklicherweise hat man seine
Geldtasche retten können. Amor hatte schon langst nichts mehr
zu verlieren, es sei denn etliche Pfeile, die unbenutzt lagen und
die man nur mit Mühe gefunden hat, so unkenntlicn hatte sie
das Feuer gemacht; aber man versichert, daß Merkur, um ihn
über diesen Verlust zu entschädigen, sich entschlossen hat, fürder-
hin seine Börse mit ihm zu teilen, die ihm soviel angenehme
Glückszufälle eingebrächt hat. Was die kalte und traurige Pallas
anbetrifft, so sind auch ihre Rüstung, ihr Helm und der süperbe
Federbusch, der sie beschattete, zu Asche reduziert worden.
Einige Tage lang war sogar das Gerücht verbreitet, ihr Schild
sei gänzlich zerschmolzen; leider hat man ihn aber intakt wieder-
gefunden, und sie fährt fort, auf Finanziers, unverschämte Par-
mmm Die Chronique Scandaleuse i*q
venüs und Staatsbeamte zu wirken. So heftig, so gierig waren die
Flammen, daß sie die mannigfaltigen Objekte, die man ihnen
entrissen hat, ganz geschmolzen haben. Apollos Lyra hat man
nicht wiedergefunden, und seine Lorbeeren sind so versengt, daß
man befürchtet, es wird lange dauern, bis sie wiederBlättertreibeh.
Alcindors prächtige Gärten sind verschwunden und ebenso
König Ormus' Palast. Didon, Armida haben ihr Besitztum glück-
lich gerettet; alle Welt ist ob ihres Liebreizes entzückt. Aber der
Wagen, der der Sonne und der Natur diente, und der in dem
so naturgetreuen Prolog zum ,Tartaren so zierlich in der Luft
schwebte, ist nicht verschont geblieben, ebensowenig wie die
Berge von Linon, die die guten, dicken, recht fühlbaren Schatten
(ich sage nicht dazu viel gefühlten Schatten) drapierte: wozu
denn lästern? Wollte ich Ihnen alle Verluste aufzählen, meine
liebe Freundin, würde mein Brief nie enden. Man sagt, daß
sich mit Geld alles reparieren läßt ... Ah, ich glaube es!"
*
In den Osterwochen hat man auf die ambulanten Priesterin-
nen Cvtheres, die im Palais Royal herumwimmelten, Jagd ge-
macht; aber bald waren die Galerien und das ,Camp de Tar-
tares' verödet. Die Händler dieser einsamen Stätten haben Ge-
suche eingereicht, um der Verödung ein Ende zu bereiten. Die
Polizeiverf ügungen verschwanden, der Zulauf beginnt von neuem,
und der mannigfache Handel nimmt seinen alten Weg im Palais
Royal wieder auf.
#
Einige Fromme sind recht skandalisiert darüber gewesen, bei
der Promenade zu Longchamps hinten auf den Wiskies in Kutte
und Kapuze gekleidete Jockeis zu erblicken, die den Franziskaner-
mönchen glichen. Diese frommen Zensoren haben augenschein-
lich nicht bemerkt, daß die Maronenverkäufer des Palais Royal
seit mehreren Jahren dies geheiligte Kostüm adoptiert haben,
ohne bei den Kapuzinern irgendwelchen Anstoß zu erregen.
140 Die Chroniqus Scandalsuse
Der Tod des Herzogs von Richelieu hat Aufsehen gemacht.
Ein jeder zitiert einen galanten Zug dieses alten Seigneurs,
jeder spricht von seiner Liebenswürdigkeit und besonders von
seiner Gerissenheit. Er war erst 15 Jahre alt, als man ihn seiner
Streiche halber, begangen an der jungen Herzogin von Bur-
gund, in die Bastille schickte. Man überraschte ihn eines Tages
in den Falten des Betthimmels seiner Fürstin, wo er sich aber
einzig und allein versteckt hatte, um sie bei ihrem Schlafen-
gehen zu erschrecken. Als diese Prinzessin ein anderes Mal über
den Balkon zu Marly geneigt stand, griff er mit seiner Hand
leise unter ihre Röcke. Ohne Zweifel hätte man ihm verziehen,
aber andere hatten es gesehen, es wurde geklatscht, die Prin-
zessin war genötigt, Unwillen zu bezeigen, und der Leichtfuß
wurde in die Bastille geschickt. Im Jahre 171 5 wurde er dort
noch einmal für sechs Monate auf den Wunsch seines Vaters
untergebracht, Frau von Maintenons Bitten zum Trotz, die
seinen Geist bewunderte und sich über seine Streiche amüsierte.
Sein Vergehen bestand in diesem Fall darin, 20000 Franken im
Spiel verloren zu haben. Frau von Maintenon fand, daß die
anderen, die sie gewonnen, schuldiger wären als der Verlierer.
#
Vestris, der ehemalige „Gott des Tanzes", erschien, eine Bitt-
schrift tragend, vor einigen Tagen in Gesellschaft ausgedienter
Kameraden, zur Audienz beim Minister. Dieses Gesuch, das
einen detaillierten Bericht ihrer langen Verdienste um das Ballett
enthielt, hatte zum Zweck, den Baron de Breteuil um gütige
Intervention zu bitten, auf daß man ihre Pension nicht ein-
schränke. Der Minister sagte ihnen, daß die Regierung, die sich
in einer Notlage befand, ihnen keine Vergünstigung zugestehen
könne, die den Militärpersonen gleichfalls versagt worden wäre.
,,Aber, Monseigneur, große Talente verdienen berücksichtigt
zu werden." — „Die Staatsräson ist über die großen Talente er-
haben", antwortete der Minister, indem er die Bittschrift zerriß.
Die Chronique Scandaleuse 141
Vestris, der sehr verletzt war, daß man die Staatsräson großen
Talenten vorziehen könne, verließ diese Audienz, um zu ver-
künden, daß Frankreich verloren sei, weil der Minister sich nicht
für den Tanz begeistere.
#
Madame de S***, eine jener Frauen, die ihren Stolz nicht
darein setzen, ihrem Liebhaber treuer zu sein als ihrem Gatten,
hatte eines Nachts dem Chevalier de Bouffiers, einem neuen
Bewunderer ihrer Reize, Rendezvous gegeben, als ein lästiger
Mensch plötzlich dazukam und die Freuden störte, die sie im
Begriff waren, zu genießen. Wer war nun dieser Zudringliche ?
Der Gatte? Keineswegs^ denn zur Zeit befand der sich in
Amerika; es war ein ehemaliger Günstling, der Baron von V***,
der aber fast in Vergessenheit geraten war, denn seine Liebe war
schon vor acht Tagen. Die beiden Rivalen trafen sich lachend.
„Es wäre zu gewöhnlich," sagte der neue Ankömmling, „sich
unserer Mätresse halber die Kehle abzuschneiden."
„Suchen wir ein weniger abgebrauchtes Mittel, um zu be-
stimmen, wer von uns beiden die Nacht bei ihr zubringen wird."
Und nach manchem Scherzwort, das Mme de B** mit ruhiger
Miene anhörte, kamen der Baron und der Chevalier überein,
die Gunst dieser Frau in einer Partie Piquet auszuspielen.
Mme de B*** begab sich in dem sicheren Bewußtsein, nicht
allein zu bleiben, zu Bett, während ein glücklicher Zufall zu
ihrem Vorteil entscheiden sollte. Beim ersten Zuge hatte der
Baron 45 Points und rief jeden Moment, gleichwie als Paradox
auf die Szene Aldobrandins im „Magnifique" aus : „Schon habe
ich 45 Points auf das mir versprochene Glück voraus."
Doch lange dauerte dies Entzücken nicht. Ein Repic versetzte
den Chevalier an das Ziel seiner Wünsche und erkannte ihm
Mme de B*** zu, die aber am nächsten Morgen zu ihm sagte,
daß er gute Stiche nur beim Piquet zu machen verstehe.
142 Die Chronique Scandaleuse
Folgende Anekdote zeigt, bis zu welchem Exzeß eine Frau den
ehelichen Haß treiben kann. Eine Provinzlerin, die höchstwahr-
scheinlich eine größere Stadt bewohnte, empfand in kürzester
Zeit eine heftige Abneigung gegen den Mann, mit dem Hymen
sie soeben für immer verbunden hatte; schließlich wuchs ihre
Aversion gegen ihn derart, daß sie sich das scheußlichste Pro-
jekt ausdachte, um ihn zu verderben und sich auf immer von ihm
zu befreien. Der Zufall hatte sie entdecken lassen, daß ein gleich-
namiger Verbrecher die Aufmerksamkeit der Justiz erregt hatte,
und daran knüpfte sie ihr schwarzes Gespinst.
Um ihr verabscheuungswürdiges Vorhaben auszuführen, ver-
ließ sie zunächst heimlich ihren Wohnort und begab sich nach
Paris. Nach einigen dort verlebten Monaten schrieb sie dem
Manne, den sie zu so ungelegener Zeit verlassen hatte, einen
Entschuldigungsbrief and teilte ihm mit, daß sie in der Lotterie
eine beträchtliche Summe gewonnen habe, die sie ihm gleich-
zeitig anvertrauen wolle, da sie nicht genügend sparen könne.
Der gute Gatte, der sich schmeichelt, daß die Entflohene
ihre Irrwege eingesehen habe, begibt sich in Eile zu ihr. Wie
groß aber ist sein Erstaunen, als er, in der Hauptstadt angekom-
men, erleben muß, wie er in Gewahrsam genommen und in ein
dunkles Gefängnis geworfen wird, ganz wie ein gemeiner Ver-
brecher ! Beim Verhör fiel es ihm nicht schwer, den Irrtum auf-
zuklären, doch mit außerordentlichem Schmerze erfuhr er, daß
seine Frau, die er auf guten Wegen wähnte, einzig und allein
die Veranlassung dazu gewesen war, weil sie der Polizei sein
Signalement gegeben und sie benachrichtigt hatte, daß ein auf
Lebenszeit Verbannter diesen Bann gebrochen habe und in der
Haupts cadt weile. Der allzu vertrauensselige Gatte wurde bald in
Freiheit gesetzt und kehrte voll Schmerz und Trauer über seinen
arg getäuschten Glauben in seine Provinz zurück. Seine perfide
Frau war empört, daß es ihr mißlungen war, ihn im Gefängnis
umkommen zu sehen und entsagte keineswegs ihren Hoffnungen
Die Chronique Scandaleuse 143
auf Rache. Sie folgte ihm in die Stadt, in der sie gemeinsam ge-
wohnt hatten, und erhob dort eine Scheidungsklage gegen ihren
Mann unter dem hinterlistigen Vorwand, daß sie, unglück-
licherweise zu eilig verheiratet, erst später erfahren habe, daß
er auf der Schulter ein Brandmal der Justiz trage, daß er ge-
richtlich verurteilt und darauf gebührend ausgepeitscht, ge-
brandmarkt und zur Galeere verdammt worden sei.
Die Scheußlichkeit dieser neuen Anklage ward nur zu bald
entdeckt, immerhin aber erst, nachdem die Justiz ihre mannig-
fachen Formalitäten erledigt hatte; der Gatte wurde gezwungen,
sich von den Chirurgen visitieren zu lassen, die nach mehreren
Abreibungen mit Essig erklärten, daß er niemals von der Justiz
gebrandmarkt worden sei. Die verschiedentlichen Gerichtshöfe,
die mit diesem scheußlichen Prozeß beschäftigt waren, vermoch-
ten nur die heftigste Entrüstung über diese Frau zu empfinden.
Ich nehme jedoch an, daß meine Leser nur mit Erstaunen
vernehmen werden, daß sie nur zu einer ganz geringen Strafe
und zu den niedrigsten Prozeßkosten, 700 Livres, verurteilt
worden ist. Hätte nicht die Auflösung der Ehe entschieden
werden müssen ?
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Der Chevalier von N. stand in hoher Gunst bei der Präsidentin
von **, mit der er während der Abwesenheit des Präsidenten, der
sich auf einem seiner Güter zu einem achttägigen Aufenthalt
befand, eine lustvolle Nacht zu verbringen hoffte. Der Mann
aber kam zu unrechter Zeit zurück, wie es aUe Romane zu er-
zählen wissen. Das plötzliche Erscheinen des Gatten störte das
zärtliche Tete-a-tete.
Der Chevalier selbst erzählte das Abenteuer; denn wie viele
andere Leute kapriziert er sich nicht darauf, diskreter zu sein als
treu:
„Fortgerissen von den Wonnen, die die Liebe uns bot, waren
wir im Begriff, uns ihr zu überlassen. Die Kammerfrau servierte
Tj/j Die Chronique Scandaleuse
uns ein delikates Souper, das mit der Sorgfalt einer verliebten
Frau gewählt war. Kaum hatten wir uns niedergelassen, als wir
an der Haustür einen heftigen Lärm vernahmen. Welch Ärger-
nis ! Es war der verfluchte Ehemann I Ich mußte mich in einer
Garderobe verstecken. Meine Geliebte versicherte mir, daß sie
ihren Gatten verhindern würde, die Nacht bei ihr zu verbringen
und untersagte mir, eher aus meiner Nische herauszukommen,
als bis sie klingeln würde.
Die Schüsseln wurden versteckt und sie warf sich geradwegs
in ihr Bett. Der Mann erkundigte sich beim Eintreten ernsthaft
nach ihrer Gesundheit. Sie schützt eine Migräne vor, große Mü-
digkeit in den Beinen, kurz, all die kleinen Unannehmlichkeiten,
aus denen die Frauen bei gewissen Gelegenheiten so guten Nutzen
zu ziehen wissen. Unser Mann wünsch zur Nacht zu speisen.
Man bietet ihm ein schlechtes Essen. Wie er schließlich anfängt,
in seinem Fauteuil einzunicken, rät ihm seine Frau, sich schlafen
zu legen.
„Du hast recht," sagt er augenreibend, „klingele doch, ich
bitte."
Aber ach, grausames Mißverständnis! Meine Geliebte klingelt
mir, anstatt dem Mädchen.
Kühn trete ich in das Gemach. Sie erblickt mich und erzittert;
aber ohne den Kopf zu verlieren, stürzt sie sich auf die Kerzen,
die sie im Augenblick verlöscht, und ruft mit erschrockener Stim-
me aus: der Teufel sei da, sie habe den Teufel gesehen. Der
Mann, der mir den Rücken wendete, hatte mich nicht gesehen ;
ich ahnte, was die Folgen dieses Quiproquos sein könnten, und
da ich mich eiligst zurückziehen wollte, fiel ich mit schreck-
lichem Geräusch in die Garderobe.
Die Kammerfrau, die diesen Lärm hörte, eilt zitternd herbei.
„Was gibt es denn, Madame?" „Ah, liebe Frosine," sagt die
Präsidentin, „bring Licht und durchsuche alles genau; ich
habe an der Tür dieses Kabinetts mit Bestimmtheit eine Ge-
Die Chronique Scandaleuse iac
stalt gesehen, die mich so erschreckt hat, daß ich ihren Anblick
nicht ertragen konnte; ich habe mich in die Arme meines Man-
nes stürzen wollen und die Kerzen dabei umgeworfen/' Tat-
sächlich schmiegt sie sich bei diesen Worten eng an ihren Gat-
ten. Die gewandte Frosine brachte vorsichtig Licht, und als sie
sah, daß alles wieder in guter Ordnung war, half sie ihrer Herrin
aus der Situation.
„Ist es wahr, Madame," sagt sie, „daß man derartige Er-
scheinungen haben kann ? Schauen Sie her, sehen Sie jetzt, was
Ihnen so viel Furcht eingeflößt hat. Es ist der Holzstock, auf
den ich Ihre Hauben aufzuhängen pflege, und auf dem der
jüngste Lakai des Herrn Präsidenten Perücke befestigt hat."
„Ah, Frosine, welche Erleichterung," sagt die Schöne mit
einem langen Seufzer, „mein Entsetzen hat mich so erregt, daß
ich noch ganz verwirrt bin. Man muß den Jungen für seine
Streiche strafen."
„Indessen", kommt der Gatte, „habe ich doch ein Geräusch
hinter meinem Rücken gehört, das nicht natürlich war; vor-
sichtshalber wollen wir die Garderobe untersuchen."
„Das lohnt nicht der Mühe," sagt Frosine, ohne die Fassung
zu verlieren, „der Lärm, den Sie vernommen haben, kam von
einer Truhe, die ich ganz allein fortziehen wollte, und ich glaubte
mir ein Bein zu brechen, als ich Ihre Kleider einschloß."
Der Präsident, der seinerseits ängstlich war, fürchtete, seine
Furcht könne sich verraten; er fing also an, seiner Frau Vor-
würfe über ihre geringe Geistesgegenwart und ihren panischen
Schrecken zu machen. „Schlafen Sie Madame, schlafen Sie; der
Schlummer wird Sie heilen und Ihnen Ihre Vernunft wieder-
geben." Und endlich ging er und zog sich in sein eigenes Ge-
mach zurück. Und so war mein Glück nur verzögert."
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Eine junge Dame aus Versailles, die es amüsanter gefunden
hatte, die Zeit der Mitternachtsmesse bei ihrem Liebhaber zu
ij.6 Die Chronique Scandaleuse
verbringen, wo sie weniger von den Unannehmlichkeiten der
Kälte zu leiden hoffte, wurde plötzlich vom Tode überrascht.
Als der junge Mann, den die plötzliche Starrheit zuerst über-
raschte, sich überzeugt hatte, daß deren Ursache tragischer Na-
tur war, verlor er den Kopf und lief in seiner Ratlosigkeit zu
einem Polizeioffizier, um ihm sein trauriges Schicksal anzuver-
trauen. Man begab sich an Ort und Stelle und nahm dem Her-
kommen gemäß alles zu Protokoll; darauf wurde die Leiche dem
Gatten überwiesen, den dieser Verlust, obschon er in mehr als
einer Hinsicht peinlich war, nicht in lange Trauer versetzte.
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Die Londoner Blätter, die sich darin gefallen haben, sich lang
und breit über die Affäre des Herrn von Calonne und Frau von
La Motte zu ergehen, verschärfen heute wieder ihre Bosheit,
den angeblichen Streit betreffend, der zwischen dem Exminister
und jener zurückgezogenen Dame bestehen soll.
Seinen Ursprung hat er, so sagen die Zeitungen, darin, daß,
als Herr von Calonne mit ihr ein „Piquet ä ecrire" spielte, sie
ausrief, als das Glück sie mit guten Karten begünstigte : „Dieses
Mal ist das Spiel mir günstig." — „Trotz Ihres guten Spieles,
Madame, sollen Sie nicht weniger markiert werden", erwiderte
Calonne und legte eine quinte fine und vierzehn in Buben auf
den Tisch.
Beim Worte „markiert", das sie an all ihre Schmerzen er-
innerte, sprang Mme de la Motte wie eine Furie von ihrem
Sitz auf, behauptete, der Minister habe ihre gekränkte Unschuld
durch dies Epigramm insultieren wollen und verließ ihn, indem
sie sagte, daß sie sich rächen und den Exminister in ganz London
diffamieren werde.
DIE CHRONIQUE ARfiTINE
An Madame D.-R.-D.
Zueignung.
Mein Herz!
JT^ie Zueignung eines Werkes wird zu oft dem Mammon, den
i— ^Titeln, den hohen Stellungen prostituiert; ich will meine
Feder keineswegs profanieren, meine teure Freundin, indem ich
eine so sklavische Selbsterniedrigung bettlerischer Schriftsteller
wiederhole, die für ihre Werke einen Namen, der sie beschützen
soll, zu erwirken suchen.
Der Deine, meine alte Freundin, soll das Titelblatt dieser Bro^
schüre zieren; das ist ein Tribut, den ich der Freundschaft zolle;
das ist eine öffentliche Huldigung meiner Dankbarkeit, die ich
mich Dir zu zeigen bemühe.
Was schulde ich Dir nicht, meine liebe Freundin!
Ohne Dich, ohne diese vollkommene Erfahrenheit, die Dich
von den anderen Demoisellen unterscheidet, ohne diese Intimi-
tät, die Dich seit Ewigkeiten ihrer Gesellschaft vereint, endlich
ohne all die Erinnerungen, die Du mir mitgeteilt hast, wie hätte
ich je die Aufgabe unternehmen können, die ich jetzt erfülle ?
Ich gestehe es freimütig, die Kühnheit meines Unternehmens
hat mich erschreckt. Um meine Zaghaftigkeit zu besiegen, hat
es der ganzen Energie Deines Charakters bedurft, um mich zu
bestimmen, hat es der ganzen Macht bedurft, die Dir eine zwan-
zigjährige Liaison über mich gab; es hat der Trunkenheit einer
Erinnerung, die nichts mehr mit der Wirklichkeit gemein hat,
bedurft, damit ich Dir nichts refüsieren konnte.
Süße Illusion eines Gedenkens, das ist es, was uns jetzt bleibt,
o meine alte gute Freundin !
Doch, wenn auch der Blitz der Freuden für immer für uns
verzuckt ist, wenn die Natur uns verurteilt, auf verdorrten
148 Die Chronique Aretine
Myrten auszuruhen, laß uns doch unsere leeren Stunden ver-
zaubern, mein teures Herz, und einen Blick zurückwerfen — Du,
indem Du an die wichtigen Dienste denkst, die Du unaufhör-
lich Deinen zahlreichen Freundinnen erwiesen hast, indem Du
ihre Intrigen mit dem Mantel der Freundschaft bedecktest; ich,
indem ich Dir die Beweise der Dankbarkeit biete, die ich Dir
für die glanzvollen Eroberungen, die Freuden ohne Zahl, schul-
dig bin., die Du mir verschafft hast.
Aber, würden schließlich Deine erhabenen Zeitgenossinnen
berechtigt sein, uns darob zu zürnen, und würden sie es wollen ?
Nein, im innersten Herzen werden sie uns Dank dafür wissen,
daß wir sie dem Gedächtnis eines Publikums zurückrufen, das
sie seit Jahrhunderten begraben wähnt.
Welch ein Triumph für eine C-v-e, eine L-h-e, eine Cl-v-e, eine
L-b-e und so viele andere, ihre antiken und vergessenen Namen
neben den jungen und blühenden Schönheiten figurieren zu
sehen, deren Unternehmungen ich mir hier vornehme zu feiern !
Diese unerhörte Auferstehung wird verführerischste Hoffnun-
gen neu erstehen lassen. Deine Lektionen magischer Liebes-
künste werden ihren so lange unterbrochenen Lauf wieder auf-
nehmen. Die Leidenschaftsszenen, die dem Zinsfuß der Opfer-
gaben angepaßt waren, werden den Überfluß wiederbringen, den
man nicht mehr kannte, — kurz, Dein Reich wird sich mit hell-
stem Glanz erneuern. Oberpriesterin des Kults, den Du wieder-
herstellen, der Altäre, die Du wieder aufbauen willst, werden
Ruhm und Glück Dich in gegenseitigem Neide mit ihrer Gunst
überhäufen.
Eine dunkle Dachkammer soll nicht mehr Dein Teil sein. Du
sollst nicht mehr dazu erniedrigt werden, Dich zu untergeord-
neten und knechtischen Dienstleistungen herzugeben, die Dich
in den Augen derer, die nicht den Mut hatten, Dir auf den
Grund zu gehen, zu etwas gestempelt hatten, das Du nicht bist.
Man wird Dir auch endlich nicht mehr jene Bereitwilligkeit vor-
Die Chronique Aretine 14.9
werfen, die von unhöflichen Verleumdern so boshaft ausgelegt
worden ist, die gewagt haben, Dich anzuklagen, die dreifache
Liebe eines L-h-e mitgenossen und mit dem Mantel Deines
eigenen Rufes gedeckt zu haben, wie die ein wenig depravierten
Neigungen der antiken Sybille des Petits-Peres, für die Du, sagt
man, nicht errötet bist, Dich einige Male bloßzustellen, so daß
es bei einer jeden anderen als Dir unanständig erschienen wäre.
O, meine geschätzte Freundin, was hat sich nicht alles geändert !
Entsinnst Du Dich jener glücklichen Tage, da wir zu Bor-
deaux in Wollust schwelgten ? Du warst die Zier aller Bälle, die
Seele der stürmischsten Orgien, und, Herr Deines Herzens,
teilte ich Deine Triumphe.
Ach! Von soviel Glanz bleibt uns nur die verzweiflungsvolle
Erinnerung, laß alles dies „gewesen" ist.
Fünfunddreißig wohlgezählte Sommer, die auf unseren Häup-
tern lasten, Genüsse zu mannigfacher Art, vermitteln uns, ob-
schon wir noch leben, das Grauen vor dem Nichts.
Indem ich Dir diese Broschüre zueigne, die, um richtiger zu
sprechen, mehr Dein Verdienst als das meine ist, habe ich ver-
sucht, Dir einen letzten Beweis meiner Freundschaft zu geben ;
Du magst meine Zärtlichkeit, liebe Freundin, nach der Be-
schreibung ermessen, die ich von Dir in dieser Arbeit geben
will; Du selbst sollst Deinen Artikel redigieren, und ich wähle
mir nur das Vergnügen, Deiner Bescheidenheit widersprechen
zu dürfen, wenn sie Dich dazu führt, zu flüchtig über die ruhm-
reichen Ereignisse wegzugehen, die Deine lange und galante Kar-
riere ausgezeichnet haben.
MADEMOISELLE BONARD
Das Debüt dieser Kurtisane in der Lebewelt wollen wir zu-
nächst nur streifen; eingehendere Details zwängen uns, zu weit
zurückzugreifen, und böten der Neugier des Lesers keinerlei be-
150 Die Chronique Aretine
sondere Nahrung. Mit einem jungen Schreiner verheiratet,
empfand sie frühzeitig, daß sie zu einer glänzenderen Laufbahn
bestimmt war. als der, die der Zufall ihr gegeben zu haben
schien ; ihre ersten Intrigen verlieren sich in der Nacht der Zeiten.
Die Persönlichkeit, die ihr ein gewisses Ansehen unter den
Mädchen ihrer Gattung verschaffte, war ein Herr Moreau, ein
reicher Kreole, dem sie auch das Vermögen verdankt, dessen sie
sich jetzt erfreut. Diesem Parvenü folgte der Vicomte de Pons,
der jung, liebenswürdig und reich an all den Eigenschaften war,
welche die Frauen bezwingen. Aber der schlechte Stern dieses
Seigneurs ließ Madame Bonard einem der Laufdiener des Her-
zogs von Orleans, der damals noch Herzog von Chartres war, be-
gegnen; sie wurde von einer heftigen Leidenschaft für diesen
Diener ergriffen, der dem Vicomte mehr als einmal bei Tisch
servierte, nachdem er ihn vorher im Bett unserer Schönen ver-
treten hatte. Sie verheiratete diesen teuren Gegenstand ihrer
Wünsche mit einer jungen, liebenswürdigen Person, der sie zum
Unglück gereichte, da sie ihren schwachen Liebhaber zwang, die
Zärtlichkeiten seiner jungen Frau mit Gleichgültigkeit und
schlechter Behandlung zu erwidern, dieser Frau, die sie ihm ge-
geben hatte, um ihre eigene Intrige zu decken; sie wurde so
Anlaß, daß die junge Frau ihrerseits sich aus Verzweiflung der
Libertinage in die Arme wart und sich verlor.
Der Marquis de Saint-Blancard ersetzte kurz darauf Herrn
von Pons, den eine so entwürdigende Gemeinschaft durchaus
nicht & cörte. Rechtzeitig erschien M. Gabarus, um sie über die
Untreue des Marquis, der ihr soeben von Mademoiselle Contat
entführt worden war, zu trösten; dieser neue Liebhaber jedoch,
auf dessen Vermögen man die glänzendsten Erwartungen aufge-
baut hatte, genügte keineswegs den Vorstellungen, die man sich
von der spanischen Großmut gemacht hatte, es nützte nichts,
heftige Zärtlichkeit an den Tag zu legen oder ihm die Ehre der
Vaterschaft für ein kleines Wesen zu schenken: nichts konnte
__ Die Chronique Aretine lrl
diesen unerbittlichen Herrn bewegenTdenT^an^mit Mühe und
Not und nach heftigen VorsteUungen eine kümmerliche Pension
von 1500 Livres für das Kind und ein Heines MedaiUon für die
Mutter abzwang.
Gewisse Leute, die gut informiert zu sein scheinen, haben sogar
behauptet, daß Madame Bonard in jener Epoche schon außer-
stande gewesen sein muß, dem spanischen Bankier ein derartiges
Geschenk zu machen; andere behaupten sogar, die wirkliche
Mutter des kleinen Pasquito zu kennen. Einer von den Sabotto-
Langeac fiel für wenige Zeit in ihre Netze und konnte dem Ekel,
den die Launen dieser Dame ihm einflößten, nicht widerstehen,'
die in Augenblicken, in denen das Universum selbst über den
Köpfen zweier Liebenden zusammenstürzte, sich nachlässig da-
mit beschäftigte, die Haare ihres Helden um die Finger zu wickeln.
Diese Liaison hatte sogar für Madame Bonards Reputation
unangenehme Folgen, die, eine wahre Philosophin, der alle Vor-
urteile fremd sind, sich keinen Skrupel daraus machte, vor Ge-
richt zu erklären, daß ein dem Herrn von Langeac gehörendes
Kabriolett ihr persönliches Eigentum sei, und daß es sie nur
eine Handbewegung gekostet habe. Die Erklärung, die sie einer
ihrer intimen Freundinnen gab, der sie einzugestehen sich be-
wogen fühlte, daß das Kabriolett ihr nicht gehöre, lautete da-
hin, daß sie zu weit gegangen wäre und nicht gewußt hätte,
wie sich mit Anstand aus der Affäre ziehen.
Die glänzendste Epoche dieser Dirne zuckte auf und ver-
löschte wie ein Blitz: die Eroberung des Grafen von Busancais
und die des Herzogs von Choiseul waren ihr ein kurzer Ruhm,
trugen ihr aber nicht so viel ein, als sie sich hätte schmeicheln
dürfen. Die Dienste, die sie dem Herzog als Intendantin seiner
Debauchen leistete, brachten ihr ein Vermögen ein, das recht
beträchtlich gewesen sein muß, wenn man die Großmut dieses
prunkvollen Seigneurs bedenkt. Wir würden unseren Lesern
ein recht schwaches Büd dieser berühmten Dame geben, fügten
152 Die Chronique Aretine
wir zu den Einzelheiten nicht die Skizze ihres Charakters bei,
der sie unter ihren Gefährtinnen auszeichnete.
Mit der Last eines halben Jahrhunderts und mit hundert-
achtzig Pfund Fleisch behaftet, war Mme Bonard feinfühlig
genug, sich zu sagen, daß das Ende ihrer Triumphe gekommen
sei; jedoch hatte sie versucht, sich ein Reich zu schaffen, das, wenn
es auch weniger glänzend war, doch dadurch Sicherheiten bot,
daß sie, ohne die Leistungen der Frauen, bei denen sie sich
„impatronisiert" hatte, zu teilen, sich teilweise ihrer Liebesein-
künfte bemächtigte. Man könnte behaupten, daß Frau Bonard
unter allen Tieren der Schöpfung am liebsten dem Chamälton ge-
glichen hätte: ihre Redeweise, ihre Handlungen, alles an ihr
scheint die gute Frau, die aufrichtige Freundin und besonders
den „ehrlichen Menschen" anzukündigen. Da sie unaufhörlich
von der Furcht, erraten zu werden geplagt ist, vermag es die
gewandteste Kunst nicht, sie auch nur zu einer viertelstündigen
Konversation über dasselbe Thema zu bewegen; sie nennt sich
die Freundin aller Frauen und zerreißt sie alle aufs ärgste, was
schlimmer ist, da ihre Lippen von Honig fließen, während sie
Gift im Herzen trägt ; es kostet sie nichts, Personen, aus denen
sie Vorteile zu ziehen hofft, mit gewähltesten Aufmerksamkeiten
zu überschütten; dadurch ist es ihr gelungen, sich, wenn man
so sagen darf, mit den Mesdames Elliot, Furcy, H. .t. .7 usw.
zu identifizieren, für die sie, wenn man den uns zuteil gewor-
denen Mitteilungen Glauben schenken darf, sogar Gefühle ge-
hegt hat, deren Lebhaftigkeit nicht geteilt wurde, und die sie
besser an Mademoiselle Raucourt hätte richten sollen. Sie hält
sogar in Molandon-en-Brie ein dickes Mädchen aus Artois aus,
deren Ruf gemacht ist, und die, wie es scheint, ihr die Lange-
weile, die man manchmal in der Einsamkeit des Landlebens
empfindet, versüßt und vertreibt.
So also sieht das Geschöpf, mit dem wir uns soeben befaßt
haben, physisch und moralisch aus; bleibt uns, um dies kaum
Die Cbronique Aretine 153
skizzierte Bild zu beenden, einige Bemerkungen anzufügen, die auf
die soeben vernommenen Details hellstes Licht werfen werden.
Seit beinahe sechs Jahren teilt Mme Bonard treulich ihr
Lager mit einem Unglücklichen, den sie ernährt und unterhält,
während ihr Mann mit einer bescheidenen Pension von 600
Livres aus ihrer Nähe verbannt ist und am äußersten Ende der
Rue Saint- Antoine wohnen muß.
Der Herr Le Fevre, dieser so getreu besorgte Liebling, muß in
seinem Charakter manch analogen Zug mit dem dieser Kurtisane
haben.
Um eine so außergewöhnliche Ausdauer zu rechtfertigen, ge-
ben wir nur eine Geschichte, die von ihm bekannt ist.
Als der Herr Le Fevre durch Mme Bonard bei einer ihrer
intimen Freundinnen eingeführt wurde, erlaubte er sich, sei es,
aus wirklicher Not, sei es, weil er der Versuchung, die ihn quälte,
nicht widerstehen konnte, eine brillantengeschmückte Uhr an
sich zu nehmen, und sie, sicher auch nur aus Zerstreutheit, aufs
Pfandhaus zu bringen; all diese Zerstreutheiten entgingen je-
doch nicht den hellsehenden Augen der Kommis der Rue des
Blancs-Manteaux, die Verdacht schöpften und die Uhr behiel-
ten, ohne etwas dafür zu geben. Wozu aber lohnt es, Spitzbube
zu sein, wenn man keine Vorteile daraus gewinnen kann ? Der
sehr verwirrte Herr Le Fevre hält sich nicht auf und eilt nach
Pres-Saint-Gervais zurück, gesteht seine Zerstreutheit ein und
erhält dafür Verachtung und Vergebung. Aber, sollte man es
glauben ? Diese Handlung gewann ihm inniger denn je das Herz
unserer Heroine, seine Reue erschien ihr dem kleinen, kaum be-
gangenen Fehler weit überlegen, der ja nur eine Bagatelle war.
Ein Mädchen, das sie aus dem Findelhaus genommen und bei
sich erzogen hatte, hat der ihr bezeigten Sorgfalt vollkommen
entsprochen: kaum sechzehnjährig, hat sie sich ihrer Lehrerin,
die sie adoptiert hat, schon würdig erwiesen. Mme Bonard hatte
sich vorgenommen, sie mit dem Herrn Le Fevre zu verheiraten ;
154 Die Chronique Aretine
aber ein gewisser sechzigj ähriger Notar, dem sie noch dann und
wann kleine Gefälligkeiten erweist, hat den Tauben gespielt, als
man ihm vorschlug, dies so verdienstvolle Paar, das auch für die
Zukunft noch so viel verspricht, mit 1 5 000 Pfund zu bedenken.
Man ist fest davon überzeugt, daß dieser Öffentliche Beamte
über die Liaisons Mme Bonards mit Le Fevre wenig informiert
ist, sonst wäre es nicht möglich, daß eine genauere Kenntnis
ihn nicht veranlaßt haben würde, seine althergebrachten Hul-
digungen an eine andere Stelle zu tragen.
Wir schulden dem Publikum einige Aufklärungen über die in-
time Vertraute der illustren Bonard, der Dame du Mouli , die in
der Rue de Richelieu ein Modengeschäft hatte und allerhand Kram
verkaufte. Lange Zeit hindurch war sie Kammerfrau bei unserer
Heldin, der es nicht ohne Mühe endlich gelang, sie zu bilden,
denn die Natur hat sie stiefmütterlich behandelt, sowohl, was die
Form wie den Geist anbetrifft; doch ist sie eine jener Frauen aus
gutem Teig, aus der man formen kann, was man mag, und die
sich größtenteils aus Habsucht und ein weniges aus Freund-
schaft zu allem hergeben; sie ist ihrer Herrin außerordentlich
nützlich gewesen, die auch heute noch den größten Nutzen
aus ihr zieht, nachdem sie sie mit einem ehrlichen Arbeiter,
den sein Beruf immer fernhält, verheiratet hat. Sie ist es, der
es mit nie versagender Bereitwilligkeit obliegt, ihr Bericht über
alles zu erstatten, was sich in den Häusern, in die sie sich ein-
geführt hat, ereignet. Sie wäre eine ganz gute Frau, hätte sie
nicht die lächerliche Manie, immer in der Öffentlichkeit und
im Theater von hübschen Frauen umdrängt zu sein und sich mit
ihnen zu zeigen, wobei sie dann in amüsantem Kontrast zu ihnen
steht. Ein gewisses tantenhaftes Air, das sie im höchsten Grade
besitzt, hat sie oft recht unangenehmen Komplimenten ausge-
setzt. Übrigens ist ihr Haus äußerst bequem : da sie niemals an-
wesend ist, kann man dort, wenn einige hübsche Ladenmädchen
da sind, recht angenehme Stunden verbringen.
Die Chronique Aretine 155
CHOUCHOU-LEBLANC
Auch die genauesten Recherchen vermochten uns keinerlei
Aufklärung über die Anfänge dieser. Kurtisane zu verschaffen;
so wie schlammige und stagnierende Gewässer, deren Quellen
man nicht kennt, verdankt sie höchstwahrscheinlich ihre Existenz
ausschweifendster Verdorbenheit. Ihr bekannter Charakter, das
Laster, mit dem sie sich unausgesetzt besudelt, bestätigen das
Urteil, das wir uns notgedrungen über ihre Geburt bilden müssen.
Wir wollen unseren Lesern ekelhafte Details ersparen, zu denen
wir herabsteigen müßten, wollten wir wissen lassen, bis zu wel-
chem Grad Verworfenheit getrieben werden kann.
Nachdem sie mit Auszeichnung in allen den Trefforten des
Lasters gedient hatte, fiel Mlle Chouchou einem Manne zu,
der ihrer würdig war, und der unter dem Schutz einer Ehren-
medaille, die doch nur zur Belohnung hervorragender, dem
Staate geleisteter Dienste verliehen werden sollte, sich dieser
angesehenen Hülle bedient, um die Tugend zu überrumpeln, die
das Laster in seine Netze zieht. Es ist ihm sogar gelungen, das
Mädchen würdig zu machen, die Stelle eines Substituts des Comus
zu vertreten, den sie an Geschicklichkeit sogar noch übertraf.
Doch hat diese illustre Vereinigung dennoch ihre Rückfälle
durchzumachen gehabt. Ein Haftbefehl des Parlaments, polizei-
liche Verfügungen haben dies würdige Paar mit unauslöschlichen
Zeichen bedeckt.
MADEMOISELLE MARTIN GENANNT GRAND-
MAISON
Dieses Fräulein ist die Tochter eines ehrsamen Hundescherers,
der nahe bei der Porte Saint-Denis hauste : ihre Schönheit wurde
bald in den Händen ihres Vaters ein Handelsobjekt, der den ehr-
lichen Hervieux damit bedachte, bei dem diese charmante No-
156 Die C krönt que Aretint
vize ihre ersten Waffengänge übte; ihr Glücksstern führte in
das Serail, das sie bewohnte, einen gewissen Grandmaison, dem
sie glücklicherweise gefiel. Dieser Exkammerdiener der könig-
lichen Garderobe, der um seiner schlechten Handlungen halber
fortgejagt worden war, spekulierte auf unsere Nymphe, die er
sich aneignete. Er schickte sie auf einige Zeit in ein Kloster,
damit sie gewisse, ein wenig freie Angewohnheiten verliere, die
sie bei der liebenswürdigen Matrone erworben hatte. Darauf
heiratete er sie und trat sie dem Doktor Joub ... als dessen
Mätresse ab, der die Entschädigung bezahlte und für das körper-
liche und materielle Wohlbefinden dieser bequemen Eheleute
aufkam. Dem Doktor folgte der Sohn eines normannischen Ge-
richtsvollziehers, der Herr B . tv, Ber-n-s genannt, ein Parvenü
seltsamer Art, der sich als einen Mann von Stand ausgibt und
mit großer Frechheit seinen Degen mit der Oberstenquaste
schmückt, obschon er nie einen militärischen Posten ausgefüllt
hat, noch erhofft haben dürfte, einen ausfüllen zu können.
In den Händen dieses Menschen wurde Madame Grandmai-
son von neuem ein verkäuflicher Gegenstand, was keine sehr
hohe Meinung von den geistigen Qualitäten dieser Dame zu-
läßt, die, wollte sie selbst einen Moment darüber nachdenken,
einsehen würde, daß es Zeit ist, auf eigene Rechnung zu ar-
beiten und nicht für andere.
MADAME DE SAINTE-AMARANTHE
Nicht nur adlige Geburt, sondern auch eine außerordentlich
reizvolle Erscheinung zeichneten diese Dame aus: es ist bekla-
genswert, daß sie, zu jung und führerlos auf das schlüpfrige
Theater der großen Welt hinausgestoßen, sich durch die un-
würdigen Liaisons ihres Ehemannes zu Handlungen hinreißen
ließ, die sie schließlich für immer aus den Kreisen rissen, denen
sie die Vorsehung eigentlich bestimmt hatte. Der Urheber der
Die Chronique Aretine 157
ersten Seitensprünge dieser Dame, der unwürdige Mann, der
sie ins Verderben stürzte, hat die ersten Fehltritte seiner Frau
gebüßt. In Brüssel, wo er sich, um sein Leben zu fristen, dazu
reduziert fand, das Metier eines Fiakerkutschers zu ergreifen,
hat man ihn in der Misere umkommen sehen.
Ein gänzlich unbekannter Mensch, ein Herr Marot, wurde der
erste off izielle Liebhaber von Madame de Sainte-Amaranthe, aber
die Geckenhaftigkeit seiner Art degoutierte sie in kurzer Zeit.
Sie bewies dann einen Moment lang Neigungen ein wenig
höherer Art und brauchte über die Beziehungen, in die sie zum
Vicomte von P. trat, dem sie eine Tochter gebar, weniger zu
erröten. Man hätte sich damit begnügt, Mme de Sainte-A. nur
zu bedauern, hätte sie sich auf einen so liebenswerten Mann,
wie den Vicomte, beschränkt. Doch hat man ihr den Nach-
folger, den sie diesem Seigneur gab, nicht verzeihen wollen.
Tatsächlich war das Mißverhältnis ein wenig stark.
Der Herr Aue . . . , ein reicher Marseiller Bürger, konnte kei-
neswegs wagen, Parallelen ziehen zu wollen; als gewöhnlicher
Rat im Chätelet vermeinte er, daß die Stellung seiner Geliebten
eine glänzendere Karriere als die seine verdiene; folglich tauschte
er Robe und Bäffchen gegen den Federbusch und die roten Ab-
sätze. Dennoch imponierte diese Metamorphose dem Publikum,
dem die abscheuliche, aber wahrheitsgetreue Broschüre „Les
Joueurs", in der M. Dussault über die in mehr als einer Gat-
tung zu berühmten Talente des Herrn Aue . . . hellste Auf-
klärungen gegeben hat, auf keine Weise.29 Die letzte Auszeich-
nung, die er soeben erlistet hat, ist ein recht überzeugender
Beweis seiner Geschicklichkeit; denn jedermann weiß, daß es
kaum zehn Jahre her ist, wo dieser neugebackene Chevalier auf
den hohen Bänken des Chätelets thronte.
Mit Bedauern sehen wir uns dazu gezwungen, über diese Dame
zu berichten ; doch haben wir es nur getan, um sie als abschrek-
kendes Beispiel der Folgen und Gefahren für Personen ihres Ge-
158 Die Chronique Aretine
schlechts zu geben, die illustre Geburt scheinbar vor einem so
erniedrigenden und eklatanten Fall hatte bewahren sollen.
P. S. In dem Augenblick, wo wir dies zum Druck schicken,
empfangen wir von einem unserer Korrespondenten Details, die
wir eiligst veröffentlichen wollen, um uns über die peinliche
Ungenauigkeit unserer Recherchen zu verantworten.
In Di jon und nicht in Brüssel ist es gewesen, wo Herr von
Sainte-Amaranthe zu dem beklagenswerten Metier eines Drosch-
kenkutschers herabgesunken ist; er wurde in dieser Verkleidung
vom Comte de Be-z-es erkannt, und zu Paris ist dieser unglück-
selige Gatte im Elend gestorben, nachdem er das bescheidene Ge-
werbe eines Knopf machers ergriffen hatte und in eigener Person
Lohnarbeiter des Herrn Mi-q-e, seines Schneiders, geworden ist,
der, nachdem er selbst zu seinem Ruin beigetragen hatte, ihm
dennoch in seinen letzten Stunden eine hilfreiche Hand bot.
MESDEMOISELLES DU FRESNE
Diese beiden Dirnchen, deren vereinigte Lebensjahre ein oder
zwei Säkula bilden, haben die Provinz mit ihrem Ruf verseucht,
ehe sie zum erstenmal auf dem großen Theater der Hauptstadt
auftraten.
Als die Töchter eines Flickschusters zu Lyon, beschränkte sich
die Sphäre ihrer Belustigungen lange Zeit auf die Kreise der
Seidenarbeiter und der Matrosen. Da zwingende Gründe sie
nötigten, diese Stadt zu verlassen, kamen sie in die Hauptstadt,
um dort wieder neu zu werden. Ihr Debüt war ein recht glück-
liches; die ersten Anfänge schienen ihnen eine glänzende Zu-
kunft zu verheißen. Aber die Ereignisse entsprachen nicht den
Hoffnungen, in denen sie sich gewiegt hatten.
Ein damals mächtiger Minister, der später lange Zeit exiliert
worden war, und seitdem an den Stufen des Thrones gestorben
ist, hatte für die Jüngere ein gewisses Gefallen gezeigt. Dieser
Die Chronique Aretine 159
Blitzstrahl glücklichen Gedeihens wurde bald von elendigster
Obskurität ersetzt. Zu den traurigsten Auswegen reduziert, fan-
den sie einen Trost ihrer Misere in dem „Wöchentlichen Zehr-
pfennig", indem sie sich den Kohorten einreihten, die unter
Polizeiaufsicht standen; dieser Schutz sicherte ihnen eher Straf-
losigkeit als genügende Subsistenzmittel. Als sie „Bouillotteuses
avec privilege" geworden waren, gerieten sie in günstigere Um-
stände.
Die Neigungen des Herzogs von Berwick30, Neigungen, zu
denen die jüngere du Fresne sich mit der liebenswürdigsten
Bereitwilligkeit hergab, bildeten einen neuen Erwerbszweig, der
während einiger Zeit gute Einkünfte trug. Aber nicht alles ist
rosig auf dieser elenden Welt; von einer schrecklichen Krank-
heit verseucht, beschenkte der Patient damit seine Flamme, bei
der das Übel in kurzer Zeit entsetzliche Fortschritte machte.
Opier revoltierendster Depravation, bieten diese beiden, run-
zelbedeckten, abgelebten und unbußfertigen Schwestern das
Schauspiel des Lasters in seiner ganzen Häßlichkeit.
DIE KOMTESSE CRAFFTON
Der Titel, mit dem sich die Abenteuerin schmückt, deren
Existenz wir jetzt vorlegen wollen, gleicht jenen Irrlichtern, die,
weit davon entfernt, dem verirrten Wanderer den verlorenen
Weg wiederfinden zu helfen, im Gegenteil nur dazu dienen, den
Augenblick seiner Vernichtung zu beschleunigen, indem sie ihn
in den Abgrund stürzen, den er erst bemerkt, wenn er nur noch
die Reue als letzte Zuflucht kennt.
Diese ephemere Gräfin ist die Tochter einer Wäscherin der
Rue de la Mortellerie. Sie gewann sich, ganz jung als Kammerfrau
in Diensten einer Irländerin aus gutem Hause, die Gunst ihrer
Herrin, nach derem Tode sie den Rang wechselte, indem sie sich
deren Titel und Namen aneignete. Eine derart majestätische
!6o Die Chronique Aretine
Maskerade forderte Mittel, um mit gebührender Würde auf-
rechterhalten zu werden; unsere liebe Komtesse fand sie in der
Person des Sieur Craffton, eines verabschiedeten Garde du Corps,
der ihr seine Hand und Verschmelzung ihrer gegenseitigen Ta-
lente offerierte, um ihr gemeinsames Glück zu unterhalten.
Die Konvenance allein hat diesen so gut ausgerüsteten Bund
gebildet. Die Komtesse verteilte ihre Huld mit skrupulösester
Gleichmäßigkeit an all die Getreuen, die ihre Gaben unter der
dreifachen Fackel niederlegen, die den Altar ziert, an dem sie
sich täglich mästet; die geschröpften Opfer dieser Grotte haben
den süßen Trost, sich wenigstens nicht über die Strenge der
großen Priesterin beklagen zu brauchen, deren Priester sich mit
Blick und Geste ständig über ihr Verhalten zufrieden zu geben
scheint.
Diese illustren Gatten haben trotz ihrer wichtigen Dienste,
die mit edelstem Uneigennutz geleistet worden sind, dennoch
des öfteren schwerwiegenden Grund gehabt, sich über die Po-
lizei zu beklagen, die sich ihnen gegenüber in so wenig zartfüh-
lender Weise benommen hat, daß sogar weniger wohlanständige
Menschen wie sie decouragiert worden wären.
Madame la Comtesse hat eine Schwester, die sie nach der Um-
bildung ihrer eigenen Standesänderung zu sich nahm, die aber
aus Gründen, die bis jetzt dem Verfasser dieses Artikels noch
nicht zu Ohren gekommen sind, nicht an der Rangerhöhung
ihrer älteren Schwester teilnahm und sich weiterhin ganz ein-
fach Mademoiselle Pa-v-ille genannt hat.
Ihr Sohn, der glücklicher war, als sie selbst, und dem es frei-
steht, sich einen Vater und einen Namen zu wählen, die ihm
passend erscheinen, nennt sich Baron de M-m-ni; um von den
Prinzipien seiner erhabenen Eltern nicht abzuweichen, hat er
die Demoiselle de N-v-ille geheiratet, die ihren Artikel im Laute
dieses Werkes finden wird.
Die Chronique Aretine 161
MADEMOISELLE ZACHARIE
Diese mit außerordentlichen physischen Reizen begabte
Dame war teilweise von Mademoiselle Guimard31, die sich
damit befaßte, ihre Talente zu fördern, erzogen worden, und
außerdem von einer Tante, namens Madame Le Vr-i, die sie
bis zu dem Moment genauestens überwachte, wo diese ehr-
bare Verwandte die zarte Blüte, die soeben anfing, sich zu ent-
falten, dem Marquis de Si-n-y für die Summe von 60 000 Livres
anbot.
Die ersten Jahre dieser charmanten Nymphe sind für sie selbst
ein völliger Verlust gewesen. Der Zerberus, der diesen Schatz
bewachte, bemächtigte sich der Gaben und Geschenke, die ihrer
Nichte bestimmt waren, der es jedoch, wenn auch nicht ohne
Mühe, gelungen ist, das Joch abzuschütteln.
Der Sieur S-th-n-t, der unter den Mädchen als Objekt so
vieler Mystifikationen, deren ständiger Held er war, wohlbe-
kannt ist und der zu seinem eigenen Schaden immer auch noch
zahlen muß, trat in die Schranken und machte die glänzendsten
Anerbietungen, aber nichts auf der Welt vermochte sie nach-
giebig zu machen. Sogar das Gold, das so viele Hemmnisse weg-
räumt, hatte diesmal keinen Erfolg und konnte den wohlver-
dienten Widerwillen, den dieser ekelhafte Parvenü Mademoiselle
Zacharie einflößte, nicht besiegen.
Ein reicher Engländer trug den Sieg über mehrere Rivalen
davon, die sich präsentierten, um den Marquis de Si-n-y zu er-
setzen. Dieser freigebige Inselbewohner hat sich Mademoiselle
Zacharie so ernstlich attachiert, daß er ihr eine Lebensrente von
6000 Livres aussetzte, um sie zu bewegen, das Theater zu ver-
lassen. Seit ihren Beziehungen zu M. F-z-w-s hat Mademoiselle
Zacharie zwei charmanten Kindern das Leben geschenkt, mit
deren Vaterschaft sie Mylord beehrt; doch versichern wohlin-
formierte Leute, daß man die Mühen dieser Vaterschaft unter
i62 Die Chronique Aretine
ihn und die Herren Dest-11-es und Ni-v-n teilen könne, die,
heißt es, ein jeder für sich die Faconierung eines Ohres, eines
Armes usw. usw. usw. beanspruchen.
MADEMOISELLE MAILLARD
„Vater und Mutter unbekannt." Eine wohltätige Äbtissin aus
der Rue d'Orleans behütete die Kindheit dieser Sängerin, gab
ihr ihren Namen, und ließ ihr, was mehr wert war, Unterricht
von ersten Meistern erteilen, nachdem sie bei dieser Adoptiv-
tochter eine gewisse Begabung zum Gesang entdeckt hatte. Die-
sem Gewerbe einverleibt, debütierte sie mit einigem Erfolg.
Ein alter Herr, M. D., übernahm es, ihren Bankier zu spielen
und machte ihr ein Kind. Dieser erste Unterricht praktischer
Physik machte unsere Debütantin nicht glücklich, da das Kind
seinen Einzug in diese Welt nur in Bruchstücken hatte machen
können. Ein Generalpächter von der Place Vendome ersetzte
den alten Kinderfabrikanten und gründete auf solide Art ihr
Wohlergehen, ohne unsere Heldin den peinlichen Folgen einer
forcierten Niederkunft auszusetzen ; als praktischen Amtsgehilfen
zog sie den Herrn Ch-l-t, einen großen, kräftigen Polen, hinzu ;
dann ging sie in die Arme des venezianischen Gesandten über.
Diese neuen Liebesgeschichten schädigten ein wenig ihren Ruf,
doch schwand bald jeder Fleck dank der zärtlichen Anhänglich-
keit, die man sie dem Herrn Nivelon beweisen sah. Bald befreite
sich dieser liebenswürdige Tänzer, von dem Liebesfuror dieser
modernen Dido erschöpft, von ihr zugunsten des Grafen Mo-
r-ille.
Mademoiselle Maillard hat einen Moment lang den Sohn des
ehemaligen Direktors Lebreton gehabt, der sie ein zweites Mal
Mutter machte. Seit einiger Zeit ist sie dem Herrn Saint-Pri
des Francais liiert; man erwartet täglich zu hören, daß die Kirche
die Beständigkeit dieses verliebten Paares geheiligt habe.
Die Chronique Aretine 163
Die Chronisten der Opernkulissen versichern auch, daß Mlle
Maillard einem Herrn Rousseau einige kleine Dienste geleistet
habe.
Unsere Leser müssen bemerkt haben, daß wir uns bis jetzt
keinerlei Details über die Talente und Geistesgaben der von uns
besprochenen Kurtisanen erlaubten; wir haben uns darauf be-
schränkt, sachlich zu bleiben; doch verdient Mlle Maillard eine
Ausnahme, die unseren Lesern zur allgemeinen Schlußfolgerung
über den Geist dieser Dame dienen mag. Folgender Zug ist
ein Muster, nach dem man die Allgemeinheit beurteilen darf,
ohne eine Täuschung befürchten zu müssen.
Als Mademoiselle Maillards Wagen sich eines Abends, als sie
die Oper früher wie gewöhnlich verlassen wollte, nicht vorfand,
bot ihr ein Herr den seinen an, und er wurde nach einigen
Redensarten akzeptiert. Als der halbe Weg zurückgelegt ist,
wird der Unbekannte unternehmend und wenige Minuten darauf
glücklich. An Mademoiselle Maillards Tür angelangt, bittet der
improvisierte Liebhaber sie beim Abschiednehmen um die Erlaub-
nis, ihr am nächsten Morgen seine Aufwartung machen zu dürfen.
Mademoiselle Maillard antwortete ihm mit der entzückendsten
Unschuldsmiene, daß sie die angebotene Ehre zu schätzen wisse,
daß sie es aber nicht liebe, neue Bekanntschaften zu machen.
MADEMOISELLE LABORDE
Dieses Fräulein, dem eine dreißigjährige Dienstzeit einen her-
vorragenden Platz unter den Veteraninnen ihres erlauchten
Korps sichert, ist zu Dax im Jahre 1744 geboren. Zwanzigjährig
verließ sie ihre Heimat und wurde von einem Herrn L-l-de nach
Bordeaux gebracht, der ihrer nach 18 Monaten überdrüssig wurde
und sie, die schwanger war, verließ.
Der Grand-Prevot de Marechaussee de la Guyenne, dem sie
durch dies Verlassensein zufiel, vermochte sie nicht ungestraft
164 Die Chronique Aretine
anzusehen; er attachierte sich ihr, erwies ihr viele Wohltaten
und bot ihr einen Wohlstand, wie sie ihn bis zu dieser Zeit nie
gekannt hatte. Es ist nicht zu bezweifeln, daß dieser galante Herr
sie aus all den Nöten, denen sie nun oft ausgesetzt ist und die
nun noch zunehmen werden, befreit hätte, wäre sie seinen Be-
mühungen erkenntlicher gewesen. Aber ihre außerordentliche
Empfindlichkeit stellte ihr ganzes Leben lang dem Glück, das
sich ihr bot, große Hindernisse in den Weg; den Bemühungen
dieses ersten Wohltäters gesellten sich noch der Comte St.-Md.,
ein Offizier im Regiment des Königs, M. M. le-d'H-ze, vom
Regiment d'Orleans, der Jude A-v-o, der Sieur d'E-ch-t und die
bestgestelltesten Schauspieler des Theaters zu Bordeaux bei.
Auch der Vicomte de N-e folgte ihrem Triumphwagen; vom
Glänze dieses neuen Anbeters geblendet, verließ sie Herrn B-r-t,
folgte dem Vicomte nach Paris, wo neue Liebhaber sie die
anderen, in der Provinz gebliebenen, vergessen ließen.
Im Jahre 1774 richtete sich Mme Laborde für immer in Paris
ein. Herr von N-e hatte ihr viel versprochen und wenig ge-
halten; ihr zügelloses Begehren nach Luxus vereinbarte sich
keineswegs mit der reduzierten Lage, in der sie sich befand,
nachdem sie sich in den glänzendsten Träumen gewiegt hatte.
Ein bescheidenes Appartement in einem der bescheidendsten
Hotels der Rue Traversiere war der Tempel, wo unsere ver-
storbene kleine Komtesse diese neue Göttin ausgrub ; sie säumte
nicht lange, sich einer so berühmten Lehrerin würdig zu zeigen.
In jener Epoche trat Madame Laborde in ihr 30. Lebensjahr.
Da sie schön und gut gewachsen war, erregte sie eine Zeitlang
die Verzweiflung aller hübschen Frauen der Hauptstadt; da sie
aber mit wenig Geist begabt war, gelang es ihr, ihr ganzes Leben
lang, die guten Wünsche, die sie erweckte, nutzlos zu machen.
Ein spanischer Generalkonsul ersetzte bei ihr einen jungen Eng-
länder, der nur so viel Zeit hatte, ihr die ersten Diamanten zu
verehren. Die über eine derartige Liaison entsetzte Familie des
Die Chronique Aretine 165
jungen Mannes rief ihn nach England zurück. Da sich MUe L.
geweigert hatte, dem Konsul nach Spanien zu folgen, blieb sie
eine Zeitlang ohne bestimmten Pächter und teilte die Freuden
der kleinen Soupers im Temple zu Monceaux und dem Sanc-
tuarium ihrer ersten Beschützerin, die sie bis zum Tode dieser
ausgezeichneten Frau ständig besuchte.
Sie warf sich einer Reform in die Arme, als dies allzu heftige
Leben, das ihrem so empfindlichen Temperament nicht ent-
sprach, sie degoi tierte. Der Chevalier de R-q-e präsentierte sich
unterdessen, wurde erhört und ihr Ritter. Nicht einmal die Lieb-
haber von Lignons bieten ein vollkommneres Bild als dieses neue
Liebespaar während der ersten sechs Pachtmonate; die Lange-
weile folgte kurz darauf bei der Schönen an Stelle der Passion, die
sie entzündet hatte; das Vermögen ihres Liebhabers war unbe-
deutend; er war, um ihren Ausgaben zu genügen, gezwungen, zu
den ruinösesten Mitteln zu greifen. Da sie zu feinfühlig war,
um nicht zu versuchen, die Ausgaben des Chevaliers zu verrin-
gern, assozierte sie ihm Herrn de P-1-elles, dann Herrn de la
B-ll-ye und endlich Herrn G-b-d. Diese Gesellschaft ermög-
lichte ihr, ihre Phantasien und ihren Hang zum Luxus zu be-
friedigen, füllten aber trotzdem manche Lücken nicht aus, die
sie ebenso schwer empfand. Der Herr A-v-o weilte zwar in Paris,
doch teilte er sich zu sehr, man konnte nicht viel auf ihn rech-
nen. Ein Sekretär des Herrn von M-t-n, der so stark war, daß
er jeglichen Vergleich bestand, war gekostet worden, doch zog
es den Flatterhaften auch zu den Fräuleins L-h-e und C-v-e.
Der Comte de Ch-b-e war nur flüchtig vorübergezogen, die
Herren de D-l-n, de F-j-m, de M-r-y und tausend andere waren
dem gleichen Beispiel gefolgt : alle hatten sich bald abgewendet.
Einer dieser zweifellos indiskreten Herren hat sich über den
Verfall der geheimen Reize dieser Dame Details mitzuteilen er-
laubt, die, als sie in die Hände des Redakteurs der Geheim-
anekdoten der Literatur fielen, in einem der Bände des Jahres
166 Die Chronique Aretine
l779 gedruckt wurden und unserer Heldin größten Schaden zu-
fügten.
Aber sie ließ sich von so viel ärgerlichen Widerwärtigkeiten
keineswegs besiegen. Entschlossen, zu welchem Preis es auch sei,
von sich reden zu machen, hielt sie stand und erschien größer
denn je.
Als treue Historiker sind wir es der Nachwelt schuldig, eine
exakte Aufsteilung ihrer praktischen Liebhaber im Jahre 1786
zu geben. Die Herren de R-q-e, de la B-l-e, G-b-t, B-r-e, P-r-e,
N-v-n, C-l-d, G-D-l, le R. und Fleury, Florence, A-v-o ge-
nügten kaum, die uterinen Flammen, von denen sie sich ver-
zehrt fühlte, zu löschen.
Wir würden unserem Leser gern die schlechten Handlungen
verheimlichen, deren sie sich an Mme D-b-le, mit der sie in
größter Intimität lebte, schuldig machte, indem sie ihr einen
nach dem anderen, die Herren P-r-c und B-v-e entführte, und
Madame de F-r-y gegenüber, die ihr zärtlichste Freundschaft
bewies, und deren Besitztum sie auch angriff, indem sie Herrn
N-v-n, dessen erprobte Kälte und Undankbarkeit sie, nachdem
sie ihn mit Gunstbezeigungen überschüttet hatte, zur Verzweif-
lung brachten und krank machten. Die Alleen von Vincennes,
die des Bois de Boulogne, die Hälfte der Pariser Fiaker sind
ebenso viele diskrete Zeugen, als wir anrufen könnten, wenn
unsere Versicherungen noch andere Beweise benötigten als den
bekannten Charakter unserer Heldin.
Von soviel Triumphen ermüdet, wünschte sie sich auszuruhen;
der Chevalier de R-q-e, der von Schulden ruiniert war, hatte sich
gezwungen gesehen, sich ins Innerste des Languedoc zurückzu-
ziehen und seine zärtliche Penelope zu verlassen, der die Liebe
neue Triumphe in Gestalt des Chevalier de M-g-n bereitete, der
trotz des enormen Altersunterschiedes von der heftigsten Passion
zu ihr ergriffen wurde. Gefühle, selbst Tugenden wurden aus-
gespielt, denn nichts konnte gelegener kommen als dieser neue
Die Chronigue A retine 167
Anbeter, dessen feuriger Charakter und dessen Lebhaftigkeit
das Ihre taten, ihn über diese neue Dulzinea, der er ein wahrer
Don Quichotte wurde, zu verblenden. Die Gläubiger der Dame
wurden zum Nachteil seiner eigenen bezahlt; Geschenke aller
Art folgten einander täglich; die schönsten Diamanten bedeck-
ten die antiken Reize der Schönen und bildeten die Verzweiflung
ihrer Rivalinnen.
Aber dieser schöne Traum dauerte nur ein Jahr. Der Che-
valier, der durch den Tod seines Vaters und durch Vermögens-
schwierigkeiten in die Provinz zurückgerufen wurde, kehrte nicht
zurück; die Diamanten wanderten ins Leihhaus und wurden
dann verkauft; von so viel Glanz blieb nichts als eine traurige
Erinnerung. M. G-b-r, den man notgedrungen zurücknehmen
mußte, wurde mangelnder Freigebigkeit bezichtigt; dieser Gabe
vereinte er die der Eifersucht; es fiel ihm ein, es unrecht zu
finden, daß Mme Laborde ihr Lager mit einem breitschulterigen
wallonischen Offizier teilte. Es nützte nichts, ihm zu sagen,
daß dies der Chevalier de M-g-n sei, der Geschäfte halber nach
Paris zurückgekehrt war, und dem man ein Nachtlager nicht
hatte verweigern können; er wollte nichts davon glauben und
hatte die Brutalität, von diesem Moment an mit seiner Freundin
zu brechen.
Dies ist die Lebensgeschichte der Mademoiselle Laborde, die
ihr 44. Lebensjahr vollendet hat; sie bietet noch immer schöne
Reste, wenn die Kunst ihr Hilfe gewährt. Da sie im Heiligtum
ihrer Vergnügungen selbst von einer schrecklichen Krankheit be-
droht wird, führt sie seit einiger Zeit ein zurückgezogenes Da-
sein und erwartet vom Himmel und der heiligen Genoveva, die
sie innig verehrt und für die sie unausgesetzt neuntägige Gebete
liest, daß sie ihr einen barmherzigen Finanzier senden, der Ord-
nung in ihre Lage bringe.
Wir wiederholen, daß wohl wenig Frauen ebensoviel Mittel
gegeben waren, die Männer zu verführen, wie dieser charmanten
168 Die Chronique Aretine
>
Gascognerin, von der wir soeben berichtet haben; aber die Natur
gab ihr so anspruchsvolle Bedürfnisse, daß es ihr unmöglich war,
sie zu mäßigen oder zu unterdrücken.
Eine schwerere Beschuldigung zwingt uns, ihr einen außer-
ordentlichen Mangel an Takt in Geldangelegenheiten vorzu-
werfen, nicht nur ihren Liebhabern gegenüber, sondern auch
Leuten, die nichts von ihr erwarteten. Ihr Verhalten gegen
einen Grandseigneur, der nichts von ihr forderte, und aus dem
sie unter verschiedenen Vorwänden ziemlich beträchtliche Sum-
men gezogen hat, beweist eine Gleichgültigkeit gegen jede gute
Lebensart, die ihrem Charakter keine Ehre macht.
Mademoiselle ist Mutter einer fünfundzwanzigjährigen char-
manten, talentierten Tochter, der sie eine zu vortreffliche Er-
ziehung hat geben lassen, da sie schließlich nur ihre Tochter ist.
Sie verbirgt sie sorglich in einem Kloster, aus dem sie sie höchst-
wahrscheinlich erst dann holen wird, wenn sie eine Stütze für
ihr spätes Alter braucht.
Nach dem, was wir über den Charakter jener jungen Dame
wissen, zweifeln wir sehr, daß sie je mit den Anschauungen ihrer
Mutter übereinstimmen wird.
MADEMOISELLE D'HERVIEUX
Die Geschichte dieser Kurtisane ist wie ein unerschöpfliches
Bergwerk. Ihr Privatleben bietet eine Folge von Abenteuern,
aus denen wir ein mehrbändiges Werk machen könnten, hätten
wir es uns nicht bei Beginn dieser Arbeit zum Gesetz gemacht,
uns kurz zu fassen und über die Einzelheiten leicht hinwegzu-
gehen, die sonst den Geist unserer Leser mit angeekelten Re-
flexionen füllen würden, die .Schamlosigkeit und Laster, das
nicht errötet, nicht verfehlen würden, ihnen einzuflößen.
Mademoiselle d'Hervieux verdankt ihre Existenz einer ehr-
lichen Wäscherin aus der Sapience, die, als sie von ihrem Seifen-
Die Chronique Aretine 169
Verkäufer zu hart bedrängt wurde, sich nach dem Temple zu-
rückzog, um den Verfolgungen dieses unerbittlichen Gläubigers
zu entgehen. Der Bankrott hat die Lage dieser armen Familie
seltsam verändert.
Aber die knospende Schönheit Mademoiselle Hervieux' er-
oberte einen Protektor, der damals als sehr interessante Persön-
lichkeit galt; diesei glückliche Sterbliche, dem Amor es auf-
gespart hatte, diese köstliche Blume pflücken zu dürfen, ist
niemand anderes als der Herr Francois, der Läufer Ihrer ver-
storbenen Hoheit, des Prinzen von Conti. Der ehrliche Läufer
begnügte sich mit dem Versuchsrecht und trat die Jungfrau
seinem Herren ab.
Dies unerwartete Glück verschaffte der Demoiselle d'Her-
vieux einen Wohlstand, der ihr bis dahin fremd gewesen war.
Der erlauchte Protektor ließ sie in den Bureaus des Opern-
balletts einschreiben.
Diese Einweihung in die großen Mysterien verschafften Mlle
d'Hervieux die Eroberung eines reichen Kaufmannes aus Bor-
deaux, den sie mit einem polnischen Magnaten ersetzte, der
selbst den Sieur S-v-t für Unreraufträge hatte.
In dieser Epoche glänzte Mlle Hervieux, die sich durch die
Wohltaten ihrer soeben zitierten Liebhaber außerordentlich be-
reichert hatte, an erster Stelle unter ihren Rivalinnen. Dem
edlen Polen folgte, was die Börse anbetrifft Lord B-t-k, und
was das Herz, der Herr L-t-r; darauf der Chevalier de C-v-1,
dann Herr Th-n-t und endlich Herr de S-t-ines.
Wir bedürften ein Ries Papier, um das einfache Namensver-
zeichnis all der Glücklichen zu geben, die diese Schöne gekrönt
hat. Wir begnügen uns damit, zu konstatieren, daß der liebens-
würdige, elegante Herr Th-n-t die erste Nützung des schönen
Hauses der Chaussee d'Antin gehabt hat, in welchem, so ver-
sichert Mlle d'Hervieux, dieser glückliche Sterbliche der erste
Opferspendende gewesen ist. Personen, die den letzteren ein
170 Die Chronique Aretine
wenig kennen, können sich denken, daß diese schmeichelhaften
Erstlinge bezahlt worden sind.
Wir dürfen dem Leser die zärtlichen Liebesstürme nicht ver-
schweigen, die plötzlich Mlle Raucourt für sie verzehrten und
wie süß sie entlohnt worden sind. Dem Mysterium zum Trotz,
mit dem man sucht, diese seltsame Liebe zu verhüllen, haben
Neugierige die Dauer dieser Liaison nicht ignoriert; man hat
gesehen, wie Mademoiselle Raucourt jede Nacht heimlich den
Armen der charmanten d'Hervieux durch die kleine Bibliotheks-
tür, die auf die große Treppe geht, entschlüpfte, um ihren Wa-
gen, als Mann verkleidet, zu erreichen, nachdem sie sich in
dessen Rolle bei ihrer zärtlichen Mätresse versucht hatte.
Aber der Hauptheld, dem Mademoiselle d'Hervieux ihren
höchsten Glanz verdankt, ist ohne Widerspruch der Herr Poli-
zeichef Lenoir.
Unter dem Zepter dieses Liebhabers war Mlle Hervieux Spen-
derin aller Gnaden; die Polizei war ihr völlig untergeben; mä-
ßige Berechnungen lassen die Zinsen ohne Einlagekapital, die der
Liebhaber dieser Kurtisane ihr in den vom Magistrat eingeführ-
ten Spielbanken gewährte, bis zu 800 000 Pfund aufsteigen.
Die schlecht plazierte Strenge des Parlaments vernichtete die-
sen ausgezeichneten Erwerbszweig, der, hätte er noch einige Jahre
fortgedauert, Mlle d'Hervieux instand gesetzt hätte, ein Monu-
ment zu errichten, das mit dem der berühmten Kurtisane von
Memphis in Konkurrenz getreten wäre, die, wie man sagt, eine
Pyramide von 200 Klaftern Höhe errichtete, von der ein jeder
Stein von einem Liebhaber geliefert worden war.
Wenn dieser schamlose Luxus, dieser unerhörte Prunk, mit
dem dies schändliche Monument errichtet worden ist, das die
Dame momentan bewohnt, wenn dies Erzeugnis des Hazard-
spiels, des Trente-et-un, des Biribi und tausend anderer inferna-
lischer Erfindungen, ein Gegenstand des Skandals in den Augen
anständiger Leute ist, bitten wir Sie, sich zu erinnern, daß das
Die Chronique Aretine 171
Wohlergehen eines so unmoralischen Geschöpfes nur vorüber-
gehend sein kann, und daß der Moment vielleicht nicht fern ist,
wo Zucht und Sitte glänzend an dem in den Staub gefallenen
Laster gerächt werden.
Mlle d'Hervieux hat kein besseres Mittel gefunden, die voll-
endetsten Kunstwerke in ihr Hotel zu bringen, als sich mit dem
Architekten Bellanger zu vereinigen, dessen Ruf und Talente
gleichfalls bekannt sind und keines Kommentars bedürfen. Dieser
geschickte Architekt hat wie für sich gearbeitet. Es genüge an-
zudeuten, daß er früher oder später Besitzer werden wird, wo
er bis jetzt Befehlshaber war. Wohlunterrichtete Leute behaup-
ten, eine ingeniöse Anspielung in der Art und Weise zu finden,
mit der Herr Bellanger die Dächer von Mlle d'Hervieux' Haus
gedeckt hat. Man versichert, daß dieser Künstler, als er be-
merkt hatte, daß die Dame von einer gefährlichen Wassergosse
beunruhigt wurde, den Dachrand mit Kupfer hat einfassen
lassen, um sie vor etwaigen Unglücksfällen zu bewahren.
Der vorgebliche Vater Mlle d'Hervieux' hat etwas von dem
allmächtigen Einfluß seiner würdigen Progenitur auf den Sieur
Lenoir empfunden. Dieser ehrliche Bürger empfing nämlich die
Generalleitung jenes erschreckenden Halsabschneideorts, der
unter dem Namen Hotel d'Angleterre bekannt war. Der Tod
dieses ausgezeichneten Vaters eröffnete Mlle d'Hervieux ein
ziemlich beträchtliches Erbe, das jedoch von der berühmten
Äbtissin H-v-a angefochten wurde, die es ihrerseits reklamierte,
da sie behauptete, daß unsere Heldin, die übrigens schon selbst
reich genug sei, dank ihrer illegitimen Geburt kein Recht darauf
habe. Dieser Prozeß hätte einen Skandal veranlassen können, der
dem Ruf beider Damen geschadet hätte. Gemeinsame Freunde
bemühten sich um Kompromisse und stellten einen Ausgleich
her, der diese Sache auf immer erledigte.
172 Die Chronique Aretine
MADEMOISELLE JOLY
Dann:
MADEMOISELLE DEVILLE
Jetzt:
COMTESSE DE FERRARI
Das Alter und die zahlreichen Wanderungen dieser Demoi-
selle haben die eingezogenen Erkundigungen nach ihrem Ur-
sprung ergebnislos gemacht. Doch dehnt sich dieses Dunkel, das
unseren Lesern, die es leicht ausfüllen können, wenig bedeutet,
nicht auf die Handlungen aus, die ein dreißigjähriger Dienst
im Korps Cytheres illustriert hat, das diese Kurtisane soeben
verließ, um sich mit Leib und Seele der Religion in die Arme
zu werfen. Nachdem sie ihre Gunstbezeigungen zwanzig Jahre
lang in der Hauptstadt ausgeteilt hat, gedachte Madame De-
ville, da sie den Ort unmöglich fand, zu versuchen, ob fremde
Länder ihr günstiger sein würden. Ein Unterhändler, der sie
mit einigem Erfolg in Paris erstanden hatte, setzte es sich in
den Kopf, sie dem Erbprinzen eines Staates vorzustellen, dessen
Großartigkeit auf den Verdiensten seiner Souveräne aufgebaut
ist ; dieser respektable Agent ist der Herr de Croisil, der Gatte
einer berühmten Virtuosin des Haupttheaters der Capitale.
Dieser Mann, der alle Metiers versucht hatte, spielte in Berlin
die Kammerdienerrollen in dem minderwertigen Komödien-
theater dieser Stadt. Diese traurige Beschäftigung versorgte
ihn kaum mit Brot; doch das Auftauchen der Dame Deville
ließ Ideen in ihm erstehen, die er realisierte, und die schließlich
dem Glück ein gnädiges Lächeln ablockten. Der erlauchte Pro-
tektor schickte ihn, um sich eines solchen Zeugen seiner Schwä-
chen zu entledigen, nach Frankreich zurück und empfahl ihn so
günstig, daß dieser Ex-Pasquin mit einer Infanteriekompagnie
im Auslande bedacht wurde.
Die Chronique Aretine 173
Was Madame Deville anbetrifft, so hat die Vorsehung ihr
einen jener Zerknirschungsmomente geschenkt, den sie nur Aus-
erwählten beschert. Von ihren Irrwegen zurückgekehrt, hat diese
Dame eine exemplarische Buße tun wollen: die Heirat schien
ihren Ideen von Abstinenz und Demütigung zu entsprechen,
deren Gnade ihre Phantasie erfüllte; sie ist glücklich genug ge-
wesen, einem Mann zu begegnen, der, von den edlen Ent-
schlüssen dieser Schönen durchdrungen, an diesem guten Werk
hat teilhaftig werden wollen, indem er die teuere Büßerin mit
seinem Namen auszeichnete.
Man versichert, daß dies tugendsame Paar momentan zur Er-
bauung der ganzen Stadt beiträgt.
MADEMOISELLE COULON
Diese Nymphe, eine natürliche und adoptierte Tochter Ter-
psichores, verdankt ihre Geburt einem kleinen Tanzmeister der
Rue Mazarine. Ihre Mutter, eine ehrbare Frau, gab ihr eine
ziemlich gute Erziehung, doch zwang sie das Elend, mit den
knospenden Reizen ihrer Tochter zu spekulieren, um ihre Lage
zu erleichtern. Mademoiselle Coulon debütierte einigermaßen er-
folgreich im Ballett der Oper ; dort hatte sie das Glück von dem
verstorbenen Fürsten de S-b-e, einem geschmackssicheren Herrn,
bemerkt zu werden, der nun für ihre materiellen Ausgaben Sorge
trug; wenig später eroberte sich Mademoiselle derartig diesen
sechzigjährigen Liebhaber, daß er ihr eine große Pension aus-
setzte und sie zur Lieblingssultanin erwählte.
Soviel Wohlfahrt vermochte sie nicht hochmütig zu machen
und verhinderte sie nicht, sich recht menschlich mit dem Herrn
Dugazon zu zeigen, der von ihr für ein Lächeln erhielt, was sie
bis dahin nur den Lieblingen Plutus' gewährt hatte.
Mademoiselle Coulon attachierte sich aufrichtig diesem Lieb-
haber im zweiten Grade, jedoch hatte der Herr Dugazon das
174 ^e Ghronique Aretine
Unglück, in einen Dornenstrauch zu fallen, als er eine Rose zu
pflücken gedachte, und war zartfühlend genug, dies nicht Mlle
Coulon übermitteln zu wollen, und ihr tränenden Auges seine
Schuld zu beichten. Die irritierte Geliebte beschloß augenblick-
lich, sich an dem Ungetreuen zu rächen, dessen Reue selber da-
zu benutzt werden konnte.
Bei einer Frau bedeutet Entschluß und Ausführung ein und
dasselbe. Ein Diner im Bois de Boulogne, das von mehreren
ihrer Kameradinnen vorgeschlagen und von Mlle Coulon akzep-
tiert wurde, diente den Plänen dieses Fräuleins, die es unter-
haltend fand, sich auf dem Rasen des Bois de Boulogne an dem
Herrn Dugazon zu rächen. Mlle Coulon wählte den Herrn
Gardel zum Verbündeten, um ihre Rache auszuführen; die
interessante Kraft dieses Tänzers gefiel ihr unendlich, und sie
dachte sich Mittel und Wege aus, sich beide zu erhalten, den
einen zum Amüsement, den anderen für eine solidere Beschäf-
tigung.
Als sie gelegentlich gegen diese beiden Liebhaber verstimmt
war, hatte sie, um ihre Laune zu vertreiben, Begehr nach dem
Herrn Niv-n, der sich gerade mit Mlle L-f-d die Zeit vertrieb.
Diese letzte, von Natur wenig eifersüchtig, konnte die Wünsche
ihrer Freundin nicht refüsieren, doch verlangte sie auch ihren
Anteil an diesem Abenteuer. Um diese beiden Damen zu be-
friedigen, schlief der Sieur Ni-v-n zwischen den beiden bei Mlle
d'H-v-x.
Nach diesem Abenteuer attachierte sich Mlle Coulon ernst-
lich dem Herrn Gardel, und die Liebe, die sie zu diesem Tänzer
ergriff, ließ sie heroische Taten begehen. Sie verweigerte ihrem
Wohltäter jegliche Gunstbezeigung, der sie, erzürnt, ein- für
allemal verließ. Als damit die Pension aufhörte, verkaufte Mlle
Coulon, der es unmöglich war, irgend jemanden zu erhören,
nach und nach alles , was von der freigebigen Hand des Fürsten
herrührte. Von Herrn Gardel vernachlässigt, der nie eine be-
Die Chronique Aretine \nc
sonders heftige Vorliebe für sie empfunden hatte, und in größte
Armut geraten, fand sie sich plötzlich mit der Last zweier
Kinder, viel Liebe, gar keinem Geld und noch weniger Kredit.
Von den Eifersuchtsausbrüchen dieser modernen Juno verfolgt,
gelang es dem Herrn Gardel, sie zur Annahme eines Engage-
ments in London zu bewegen.
Mlle Coulon reiste, Verzweiflung im Herzen, nach England
ab. Doch wirkte die Zeit, diese trostreiche Göttin, ihre ge-
wohnten Wunder. Mlle Coulon wurde ein wenig ruhiger; dann
fand sie sich ganz allmählich so weit getröstet, daß sie das
Taschentuch aufhob, das der voraussichtliche Thronfolger des
britischen Reiches ihr hingeworfen hatte.
Als sie aus England zurückgekehrt war, wünschte Mlle Cou-
lon nicht, daß man ihr mangelnde Rücksichtnahme für irgend-
einen ihrer Kameraden vorwerfe. Man ersieht aus den soeben
gegebenen Einzelheiten, daß sie nacheinander die Herren Niv-n
und Gardel gehabt hatte. Der Herr Vestris hatte durch eine
Verkettung von Umständen noch nicht die Liste unserer Nym-
phe mit seinem Namen bereichert. Um das Equilibrium wieder-
herzustellen, das eine solche Unterlassungssünde zerstört hätte,
hat sich Mlle Coulon für einige Zeit dem berühmten Sohn des
Gottes der Tanzkunst gewährt, und zur Zeit, da wir unseren
Artikel vollenden, hören wir, daß Mlle Coulon vom Exbankier
Chevalier Lamb., dem wir alles erdenkliche Glück wünschen,
hart bedrängt wird.
MADEMOISELLE CONTAT
Wir haben lange mit der Entscheidung gezögert, ob wir den
Artikel dieser Demoiselle schreiben sollten, die uns durth ihre
Eleganz, ihren Luxus, den Platz, den sie sich in der Gesellschaft
ihrer Kameradinnen erworben hat, verdient zu haben scheint,
einer besonderen Kaste eingereiht zu werden.
176 Die Chronique Aretine
Wer vermöchte auch in dieser modernen Aspasia die Tochter
einer armen Fischhändlerin aus den Hallen zu erkennen ? Diese
Wahrheit muß aber den anderen Ereignissen beigefügt werden,
deren Wahrheit sonst eine Unmöglichkeit scheint.
Eine bessersituierte Tante übernahm die Erziehung einer
Nichte, der die schmeichelhaftesten Gaben zu schenken, der
Natur gefallen hatte.
Sie debütierte im Theätre Francais in Konkurrenz mit Mlle
Vade; die überlegeneren Talente dieser letzten vermochten nicht,
den überwiegenden Einfluß des Direktors Desentelles zu besiegen,
der Mlle Contat engagieren ließ, die seitdem nicht aufgehört hat,
ihrem Wohltäter alle Beweise ihrer Dankbarkeit zu liefern. Das
Publikum, das bis dahin nicht aufgefordert worden war, sich
gegen Herrn Desentelles zu äußern, rächte Mlle Vade, deren
Verdienste von den allmächtigen Reizen ihrer glücklichen Ri-
valin verdrängt wurden, durch Pfeifen.
M. de M-p-n attachierte sich darauf Mlle Contat, deren Joch
er so lange trug, bis sein Vermögen erschöpft und sie gezwungen
waren, sich zu trennen. Die ersten Ehren der Mutterschaft dankt
sie diesem Geliebten, doch sollte sie diese Erfahrung teuer zu
stehen kommen; bei allen späteren Entbindungen ist Mlle Con-
tat Unglücksfällen ausgesetzt gewesen, obschon sie alle Vorsichts-
maßregeln traf, dem Unheil zu begegnen, kaum, daß es sich ge-
zeigt hatte.
Unter der Regierung des Herrn de M-p-u gab eine Schau-
spielerintrige ihm einen Amtsgehilfen; der Herr Fleury hatte,
von den Reizen Mlle Luzys entzückt, ihr von Ehe gesprochen.
Die über einen derartigen Skandal entsetzten Schauspielerinnen
trafen zusammen, hielten Rat und es wurde beschlossen, daß sich
eine Deputation des erhabenen Areopags zu Mlle Contat begeben
und sie anflehen sollte, sich einer ähnlichen Indezenz zu wider-
setzen. Von der von ihren Rivalinnen bezeigten Huldigung der
Überlegenheit ihrer Reize geschmeichelt, begann Mlle Contat
Die Cbronique Aretine 177
kleine Vorstöße. Doch ergab sich der Herr Fleury erst, nachdem
ihm eine Entschädigung für sein Opfer zugesichert war.
Leider fing sich Mlle Contat selbst in der Falle, die sie einer
anderen gestellt zu haben meinte : die ein wenig allzu energischen
Abzeichen, die des Herr Fleurys Leidenschaft hinterließ, ernüch-
terten sie bald über die Liebe „ä la Russe".
Doch verfehlte der Marquis S. B-c-d nicht, sie die soeben ge-
trockneten Tränen vergessen zu machen ; dieser unsicheren Ruhe
folgte bald hellster Glanz; ein Göttersohn hatte geruht, einen
gütigen Blick auf diese Schülerin Thaliens zu werfen. Der Mar-
quis, der sich respektvoll zurückgezogen hatte, seufzte über das
Unglück, einen Rivalen zu haben. Von glänzendsten Hoffnungen
gewiegt, glaubte Mlle Contat alles wagen zu können, um ihr
Glück zu sichern und sich vor den Folgen der Flatterhaftigkeit des
erhabenen und leichtherzigen Liebhabers zu bewahren, den sie
nicht hoffen durfte, lange zu fesseln, denn in ihrem Schöße trug
sie unzweideutige Beweise von der Liebe des Marquis. Vom
Wunsche hingerissen, diesem teuren Embryo eine glänzende Zu-
kunft zu sichern, dessen Finanzverwaltung sie übernehmen würde,
huldigte sie mit dieser Vaterschaft dem Halbgott, der, vom
Zauber geheilt, der seine Augen verblendete, grausam genug
war, diese Ehre zurückzuweisen.
Um ihren Kummer zu zerstreuen, machte Mlle Contat eine
mehrtägige Reise nach Rouen.
Kurze Zeit vor dieser Reise hatte sie auf Bällen den Herrn
Nivelon, für den sie ein sehr zärtliches Interesse empfunden
hatte, ausgezeichnet; doch war es nicht möglich, diese Neigung
in Paris zu befriedigen, wo zu viel Aufpasser offene Augen für
sie hatten. Die Fahrt nach Rouen zog sie aus der Verlegenheit.
Der Herr Nivelon, der benachrichtigt wurde, fuhr am Abend
vor Mlle Contats Abreise nach Rouen; tagelang blieb er im
Hotel Vatel und verließ sein Zimmer nur, um sich in das seiner
zärtlichen Liebsten zu begeben, in das er jeden Abend, nachdem
178 Die Chronique Aretine
alles sich zur Ruhe begeben hatte, von ihrer Mutter eingelassen
wurde.
Ein vergnügliches Renkontre hätte beinahe dem Marquis,
der von zärtlichster Ungeduld gequält, Mlle Contat sogar
bis Saint-Denis gefolgt war, dies verliebte Geheimnis entdeckt.
Er fuhr sie in seinem Wagen zurück, als Herr Nivelon, der in
ganz geringer Entfernung folgte, sich mit dem Kabriolett des
Marquis verhakte und es beinahe zertrümmerte. Die trefflichen
Pferde und der außerordentlich leichte Wagen bewahrten Mlle
Contat vor der Unannehmlichkeit, in flagranti vom Marquis er-
tappt zu werden, der gezwungen war, sich mit einfachen Dro-
hungen gegen den unglücklichen Postillon zu ergehen, der ge-
wagt hatte, fast sein Kabriolett zu zerstören.
Mlle Contat hatte Mme B-d den Marquis de Saint B-d ge-
raubt, was diese ihr niemals verziehen hat ; Mlle Carline rächte
eben diese, indem sie sich Herrn Nivelon aneignete.
Seinerseits ernüchtert, zog sich der Marquis zurück und ließ
sich durch den Obersten Saint L-g-r vertreten, dessen Nach-
folger kurz darauf der Graf de Laudron wurde, dessen selt-
sames Abenteuer alle ehrbaren Leute heftig skandalisiert hat,
die den Scherz in dem blutigen Spaß nicht haben finden wollen,
mit dem dieser Fremde die besonderen Liebenswürdigkeiten,
mit denen Mlle Contal ihn überhäuft hatte, vergalt.
Doch dies kleine Vorkommnis ist jetzt in tiefstem Vergessen
begraben, und Mlle Raucourts uneigennütziges und großmüti-
ges Vorgehen hat die Leere, die der wenig ehrliche Graf ver-
anlaßte, zum großen Teil ausgefüllt.
Jedermann weiß, daß Mlle Raucourt, deren zarte Neigungen
bekannt sind, Mlle Contat 60 000 Livres als geringes Zeichen
ihrer Freundschaft überwies. Sie forderte als Entschädigung
nichts, als einige gewisse kleine Liebesdienste, die ihr mit größter
Nachgiebigkeit erwiesen worden sind; doch hat das Erscheinen
des Grafen de N-t-ne diesem Handel ein Ende gesetzt.
Die Chronique Aretine 179
Seitdem hat Mlle Contat mit diesem Herrn das erbaulichste
Dasein geführt. Um die Langeweile zu beleben, die sie befallen
würde, wenn ihr Liebhaber genötigt ist, sich zu seinem Regiment
zurückzubegeben, hat Mlle Contat ganz Frankreich und Eng-
land bereist.
Sie hat zwei Kinder von Herrn von N-b-ne, die Ergebnisse
unglückseliger Entbindungen, die sie mehr denn einmal an den
Rand des Grabes gebracht haben.
Wir wollen von den Talenten dieser berühmten Schauspiele-
rin nicht sprechen. Die Armut des Theätre Francais hat ihr zu
den höchsten Stellungen verholfen, von wo auch die ausgespro-
chensten Verdienste anderer sie nicht zu vertreiben vermöch-
ten. Eine jüngere Schwester, die sie erzogen hat, partizipiert von
der Gunst ihrer Schwester, die ihr, den Kollegen zum Trotz,
recht unverdiente Vorteile verschafft hat.32
MADAME FURCY
Mit Bedauern sehen wir uns gezwungen, diesen Namen un-
serem Kataloge einzuverleiben, in dem er sich, von verschiedenen
Gesichtspunkten aus, falsch am Platze befindet; wenn aber auch
Madame Furcys erste Lebensjahre unbedingt diesem Kataloge
zugehören, so müssen wir doch die Verirrungen, die wir ihr vor-
werfen müssen, ihrer großen Jugend und hauptsächlich den Ver-
führungen anrechnen.
Diese im Faubourg Saint-Antoine geborene Dame debütierte
sehr jung in der Welt und ihr Glück war in den Jahren gemacht,
in denen manch anderes Fräulein erst mit dem ihren beginnt.
Diesen kostbaren Vorteil, der so oft andere Seitensprünge ver-
hindert, verdankte sie dem Zartgefühl ihres Benehmens, das sie
Personen gegenüber bewies, die sich ihr attachierten, die sie dann
zu treuen Freunden machte und die ihr eine Anhänglichkeit und
eine Rücksichtnahme bewahrten, wie sie keine andere vor ihr
180 Die Chronique Aretine
verdient hat noch verdienen wird. Unsere Feder, die zu lange
von schlimmen Details des Lasters unserer modernen Hübsch-
lerinnen beschmutzt worden ist, wird sich mit Vergnügen bei den
köstlichen Eigenschaften dieser hübschen Frau ausruhen und
verbreiten, der sich alle attachierten, die das Vergnügen gehabt
haben, sie zu kennen. Dies ist eine geringe Genugtuung, die wir
ihr als Entgelt für den Schmerz schulden, den sie empfinden
könnte, wenn sie ihren Namen neben denen berühmter Kurti-
sanen, denen sie als Beispiel dienen könnte, vorfindet. Beglückt
wären wir, wenn wir letzteren das Gefühl des Ekels mitteilen
könnten, das der Exzeß ihrer Verderbtheit anständigen Menschen
einflößt, und sie zu ehrbaren und keuschen Prinzipien zurück-
zuführen vermöchten, die sie, scheint es, völlig vergessen haben.
Jung, schön, liebenswürdig, eint Madame Furcy mit ausge-
zeichneten Gaben der Natur einen ausgeglichenen Charakter,
einen Geist, der mit all den Eigenschaften geschmückt war, die
wenige besitzen und die sie das Glück hatte, alle in sich zu ver-
einigen. Niemals näherte sich ihr ein Mann, ohne ihr sogleich
zu huldigen.
Von ihren Geschlechtsgenossinnen wenig geliebt, deren Eifer-
sucht das harmloseste ihrer Verdienste bildet, hat sie wenig
Freundinnen, und trotz des schlechten Verhaltens, das ihr einige
Fräuleins, die sie schwach genug war, bei sich zu empfangen, er-
zeigt haben, hat sie es nicht vermeiden können, sich von der ge-
fährlichsten von ihnen allen unterjochen zu lassen, deren Cha-
rakter sie jedoch anfängt zu erkennen, seit ein grausamer Unfall
sie beinahe ihren Freunden entrissen hat, kaum, daß sie sich der
Gefahr, der sie entronnen, bewußt war.
Den Kreisen ehrbarer Frauen, denen sie immer hätte ange-
hören sollen, zurückgegeben, führt Mme Furcy seit fünf Jahren
das geachtetste Dasein; sie beschäftigt sich lediglich damit, den
liebenswerten Mann, dem ihr Herz gehört, glücklich zu machen.
Zwei reizende kleine Mädchen haben diesen Bund auf immer
Die Chronique Aretine 181
unlöslich gemacht ; vergebens hat Intrige versucht, dieses glück-
liche Heim mit Wolken zu umziehen.
Ungeheuere Anerbietungen, denen gewisse berühmte Schön-
heiten nicht zu widerstehen vermocht hätten, sind ihr umsonst
gemacht worden ; in ihrer Anhänglichkeit und ihren Entschlüssen
unbeugsam, hat Mme Furcy bewiesen, wie zartfühlend ihr Herz
ist. Es bleibt uns also nur, um diesen Artikel zu beenden, ihr all das
Glück, das sie verdient, zu wünschen, und sie, vergebens, all denen
als Muster zu bieten, die es ihr um so weniger jemals gleichtun
werden, als sie ihr weder an Körper noch an Geist ähnlich sind.
VICOMTESSE DE LINlERES
Aus Schweizer Boden ist diese berühmte Vicomtesse entspros-
sen, deren an Glücksgütern wenig gesegnete Familie kaum das
glänzende Schicksal geahnt hat, das ihr in den Schoß fallen würde.
Niemand ist Prophet in seinem eigenen Lande: so trivial dies
Sprichwort erscheint, so ist es doch von den Abenteuern der
Madame de Linieres vollauf bestätigt worden, die, als Tochter
eines Viehhändlers, sich momentan in Frankreich eines Schick-
sals erfreut, das, wenn es auch besser scheint als das, zu dem sie
eigentlich unter den ländlichen, aber tugendhaften Mitbürgern
berufen gewesen, dennoch weniger glücklich ist.
Auf irgendeine unsichere Art nach San Domingo verpflanzt,
schienen Mlle Pingons Anfänge keine glänzenden Versprechungen
zu machen. Fortuna entschied aber anders ; bei dieser Art Auf-
stieg sind die ersten Sprossen immer in diskretes Dunkel gehüllt.
Immerhin fängt man an, authentische Einzelheiten seit jener
Epoche zu vereinigen, in der Mlle Pingon Eigentümerin der be-
deutendsten Billardsäle von Port-au-Prince wurde, eines Billard-
salons, dem die Schönheit, das liebenswürdige Entgegenkommen
der Besitzerin und häuptsächlich die „Crabs" viel Kunden ver-
schafften. Um dies kaum gegründete Unternehmen zu festigen,
i82 Die Chronique Aretine
vereinigte sie sich mit der Negerin Ysabeau, deren Glück, Toll-
heiten und Ruf bekannt sind; eine Zeitlang bildete MmePingon
das Entzücken der Kolonien. Der Krieg, dessen riesiger Schau-
platz damals Amerika war, verschaffte ihr unzählige Liaisons
und Bekanntschaften; zu ihrem Lobe sei erwähnt, daß sie immer
zartfühlend genug war, keine Unterschiede zwischen Land- und
Seeoffizieren zu machen. Mit gleichem Wohlwollen empfing sie
die ihr gebotenen Huldigungen, ohne sich einer Parteilichkeit
hinzugeben, die ihrem Rufe, den sie immer vernünftig genug als
ihr Hauptinteresse betrachtete, geschadet hätte.
Ein Offizier aus Enghien teilte mit ihr die an den vom Schick-
sal grausam verfolgten Spaniern zu Domingo gemachte Beute,
denen ihre Hinterlist nicht zum Sieg über ihre freimütigen und
edlen Gegner verholfen hatte.
Nach dieser Liaison geschah es, daß die Sachlage sich änderte:
den flüchtigen Leidenschaften, die sie so oft und so abwechse-
lungsreich verfolgt hatten, folgte der Ehrgeiz im Herzen Mlle
Pingons.
Der Chevalier de Linieres, ein unverbesserlicher, zurzeit mit-
telloser Spieler, schlug Mlle Pingon eine Vereinigung vor, deren
Ehren sie und deren Profit er genießen sollte. Und nach ihrer
Zusage hätte die neue Vicomtesse mit ansehen dürfen, wie dies
mit so viel Mühe und Beschwerlichkeit angehäufte Vermögen
in kürzestei Zeit vergeudet worden wäre, hätte nicht der Tod
ein Hindernis gesetzt, indem er sich ganz zu rechter Zeit eines
Gatten bemächtigte, der tatsächlich nun zu nichts mehr taugte;
man hatte alles, was man wünschen konnte, von ihm gehabt.
Daß er, wie die Dinge lagen, so zur rechten Zeit starb, war eine
Handlung, die man ihm hoch anrechnen konnte. Ein längerer
Aufenthalt in San Domingo wurde unnütz, fast schädlich; die
Metamorphosen, die sich vollzogen hatten, waren keineswegs
mit schmeichelhaftem Interesse verfolgt worden. Paris schien
also ein geeigneterer Ort, und Mme de Linieres hat diese Wahl
Die Chronique Aretine 183
nicht zu bedauern gehabt. Neue Freuden ersetzten die bürger-
lichen Intrigen, die in einer anderen Hemisphäre die Blüte dieser
Schönheit aufgezehrt hatten und deren Herbst nun für einige
Zeit das Entzücken der Höchststehenden in Paris bildete.
Mme de Linieres hat das seltene und kostbare Glück genossen,
sich Freunde zu bewahren. Ein Minister, dessen Departe-
ment sie besonders interessierte, hat dieser Dame, seiner Schwe-
ster, seiner Freundin, die zärtlichste Anhänglichkeit bewiesen;
eine zweifellos ehrbare Industrie hat es dieser Dame ermöglicht,
bei sich eine Gesellschaft Freunde zu versammeln, die gegen
Entrichtung einer Abgabe, die kaum von den Beteiligten gefühlt
ward, ein ausgezeichnetes Souper bei ihr finden, dessen Ehren
dem Herrn Roque, einem Wechselagenten, der schon lange im
Amt ist, zukommen. Eine gewisse parlamentarische Schikane hat
dies ingeniöse Etablissement bedroht, doch hat man sich, dem
Himmel sei Dank, zu helfen gewußt, und die Komtesse hat sich
nichts vergeben.
Wir würden dem Publikum großes Unrecht tun, wollten wir
vernachlässigen, den beiden charmanten Gefährtinnen der Vi-
comtesse die gebührende Ehre zu erweisen. Ihre Tochter und
ihre Schwester verschönen den zahlreichen Hofstaat, den diese
liebenswürdige Witwe um sich versammelt. Ihre Tochter, die
einer im Aufbrechen begriffenen Rose gleicht, und die von einem
Schwärm von Schmetterlingen begehrt wird, ist hintereinander
auf die verschiedenste Art und zu recht verschiedenen Zwecken
angegriffen und entführt worden; es genügt, den Marquis de
G-l-s und Madame de Fl-r-y zu nennen, um in wenig Worten
von den Debüts und Neigungen dieser jungen Schönheit zu
berichten.
Was die Schwester der Vicomtesse anbetrifft, so ist dies eines
jener fremdartigen, chiffonierten Wesen, die niemandem glei-
chen und die die Männer närrisch machen. Ein Herzog, der durch
seine süperbe Nachkommenschaft bekannt ist, hat sich ihr eine
184 Die Chronique Aretine
Zeitlang attachiert; Graf de B-c-r ist momentan ihr General-
pächter.
Mau würde in hohem Maße einen Kaufmann, der nicht weit
vom Palais Royal wohnt, verdächtigen, der Herzensfreund der
liebenswürdigen Vicomtesse zu sein, vermutete man nicht ziem-
lich stark, daß dieser kühne Sterbliche nicht gleichzeitig der
wichtigste Mann dieser reizenden Dreieinigkeit sei.
Mit einem Wort, die Note, die wir geben, ist vielmehr ein
Lob als eine Zensur, und mit Vergnügen huldigen wir den mora-
lischen Qualitäten, dem Charme und dem Geist Mme de Li-
nieres, deren Liebenswürdigkeit ihr ebensoviel Freunde geben
wird, als sich gemachte Männer in ihrem Kreise finden. Was
die jungen Leute und die neu Ausgeschifften anbetrifft, so ist
das allerdings eine andere Sache.
MESDEMOISELLES VICTOIRE UND ADELAIDE
SIMON
Diese beiden liebenswürdigen Schwestern, die heftig verdäch-
tigt werden, ihre Geburt einem erlauchten Vater zu verdanken,
haben den kostbaren Vorteil genossen, vom verstorbenen Prinzen
von Soubise erzogen und gebildet worden zu sein, dessen be-
kannter wählerischer Geschmack zu ihrem Lobe gereicht.
Der Tod des prächtigen Beschützers nötigte die Demoisellen,
Sorge zu tragen, daß dem Verblichenen Nachfolger gegeben
würden, aber weder deren Freigebigkeit noch deren Mittel ver-
mochten sie über einen so folgenreichen Verlust zu trösten. Auch
die Ehren, ebensowenig die subalternen Einkünfte der Oper oder
die glücklichen Begegnungen im Foyer haben den beiden
Schwestern etwas Nennenswertes verschafft, obschon ihre Jugend
und Grazie ein besseres Schicksal verdienten.
Die älteste wurde, da die Situation es gebot, gezwungen, sich
den zärtlichen Beteuerungen des Chevalier Lamb. zu ergeben;
Die Chronique J retine 185
doch belohnte sie den schmutzigen Geiz dieses Exbankiers mit
absolutem Abschied, über den er sich, sagt man, schnellstens
tröstete. Mademoiselle gestattete sich darauf eine Unzahl von
Passaden. Eine unter ihnen, die glänzendste, schien ihr das herr-
lichste Geschick zu versprechen. Der Halbgott, der für kurze
Zeit den immensen Abgrund ebnete, den Mademoiselle Victoire
niemals zu überschreiten gehofft hatte, machte ihr i.ur einige
Visiten und das Ehrenvolle errang den Sieg über den Gewinn.
Diese fürstliche, wenn auch ephemere Eroberung brachte ihr
tatsächlich die Eifersucht ihrer Kameradinnen ein und erhöhte
den Wert unsrer Schönen in den Augen der Vulgären. Vicomte
de Langer., und all die Elegants des Foyers wünschten sie zu
kennen. Das brachte manche Annehmlichkeit mit sich, doch
hatte man etwas Solideres im Auge, und man glaubte dieses
so notwendige Objekt in der Person des Comte de Galitchof f
gefunden zu haben, dessen Debüt und Versprechungen einen
Moment die bestfundiertesten Hoffnungen zu rechtfertigen
schienen ; die Tatsachen haben aber dieser süßen Erwartung nicht
entsprochen.
Der Russe ist unter seinen eisigen Himmel zurückgekehrt,
und die Witwe rollte ein zweites Mal in die Arme des Grafen
de Morainville, mit dem sie schon vorher eine Pachtzeit ver-
bracht hatte, die aus Gründen, die uns nicht bekannt sind, auf-
gelöst wurde. Diese Wiederaufnahme selbst geschah nur infolge
einer Spekulation von Seiten des Grafen, der dringend dazu einer
Dame bedurfte, die die Honneurs des Hauses und der Tafel
machen mußte, was ihm aus Gründen, die ein jeder kennt, Not-
wendigkeit war.
Doch da Mlle Victoire sich zu sehr geeilt hat, ihre Möbel
zu verkaufen, um zu ihrem spekulativen Liebhaber überzusie-
deln, und das Gericht sich in einem schlechtlaunigen Moment
mit den Spekulanten veruneinigt hatte, hat Mlle Victoire den
zweiten Band zur „Laitiere" geliefert und nicht einmal den
186 Die Cbronique Aretine
traurigen Trost genossen, die Reste ihres teueren Milchtopfes
zu retten, da der Graf sich ihrer im voraus bedient hatte.
Was die jüngere der beiden Schwestern, Mlle Adelaide, an-
betrifft, scheint es, daß sie bis jetzt glücklicher gewesen ist als
die ältere. Nichts könnte hübscher sein als dieses junge Geschöpf,
das größte Unbesonnenheit noch pikanter macht. Wir ignorie-
ren den Namen des begünstigten Sterblichen, der als erster das
Glück gehabt hat, ihr die Augen zu öffnen.
Ein batavischer Gesandter hat weder Schritte noch Sorgfalt
gescheut, um sich einen Vorzug zu sichern, der ihm immer ent-
schlüpft ist; die ersten Diamanten, die diese Nymphe geschmückt
haben, sind eklatante Beweise von der großartigen Freigebigkeit
des Gesandten.
M. Dessen«., der die Schwäche dieses jungen Mädchens be-
merkt hatte, und der ihr die Unannehmlichkeiten der Elemen-
targrammatikstudien erleichtern wollte, ersann, um Mlle Ade-
laide zu gefallen, einen Entwurf zu ein m Alphabet aus Diaman-
ten, von dem er ihr vorläufig den ersten und kurz darauf den
zweiten Buchstaben geschenkt hatte. Doch hielt er mitten im
Kurse zu Mlle Adelaides großem Bedauern inne, die, von der
Kälte ihres Lehrers beleidigt, nun den Unterricht einem an-
deren übertrug.
Im übrigen hatte M. Dessentt. sich gewisse Dinge vorzu-
werfen; er wußte, daß der Eifer, mit dem er die Erziehung
dieser jungen Schülerin betrieben, den Dolch in das Herz einer
unendlich wertvolleren Person gestoßen hatte; sein Zartgefühl
zwang ihn, den Abschied, mit dem man seine Sorgfalt belohnte,
mit Resignation entgegenzunehmen. Die chronologische Folge
von Mlle Adelaides Liebhabern hat uns zu einer recht seltsamen
Entdeckung geführt : von ihrer bizarren Neigung zur Illegitimi-
tät wollen wir sprechen. Zeuge davon ist der letzte Liebhaber,
von dem wir soeben unseren Lesern sprachen, und der Nach-
folger, den sie ihm eiligst gab, der Chevalier de Lang-c, über
Die Chronique Aretine 187
den sie zwar ihre Meinung sattsam geändert zu haben scheint,
trotz des Geschenkes, mit dem sie ihn beehrt hat, als sie ihm die
Vaterschaft eines Kindes zuschrieb, auf das auch M. Dessentt.
und M. de Saint- Fargeau gut fundierte Ansprüche machen könn-
ten. Aber so groß ist die Nachsicht der Familie Sabatto-
Phellippeau-Lang-c, den Vaterschaftsartikel betreffend, daß der
gute Chevalier sich von dieser kostbaren Akquisition, auf die er
schon ein Wiederaufblühen seines erlauchten Hauses gesetzt hat,
bedrückt fühlt.
Aber, Scherz beiseite, die Vertreibung dieses argwöhnischen
und unnützen Liebhabers scheint bevorzustehen ; man bemerkt,
daß Herr Toy-t Annäherungsversuche begonnen hat, und man
erwartet jeden Moment zu hören, daß die Huldigungen, welche
die Bijoutiers, Goldschmiede, Notare usw. bieten, mit Gunst
aufgenommen worden seien.
P. S. Man würde den Redaktoren dieser kleinen Arbeit wenig
Gerechtigkeit widerfahrenlassen, wollte man annehmen, daß Bos-
heit allein über diesen Recherchen präsidiert Inbe, die dem wahr-
scheinlich im Prinzip nicht bestimmt waren. Viel ehrenwertere
Gesichtspunkte haben diese Sammlung mobilisiert, der das Gift
der Verleumdung immer sorgfältig ausgeschieden werden soll.
Weit davon, die Strenge zu einem lächerlichen Exzeß zu trei-
ben, zeigen wir stets wohlwollendste Nachsicht für die Schwä-
chen eines Geschlechts, das die Natur dazu bestimmt zu haben
scheint, unablässig zu unterliegen.
Doch sei das schamlose Laster, das Laster, das sich seiner Ex-
zesse brüstet, ohne Einschränkung enthüllt, und indem wir es in
seiner widerlichen Nacktheit zeigen, nehmen wir ihm all sein
Gift, und Verachtung und Entrüstung sollen sein Teil werden.
Wir gestehen mit Bedauern, daß in der zahllosen Menge, die
wir Revue passieren lassen wollen, nur wenige Individuen sind,
deren Schwächen und Erniedrigungen wir mit gesellschaftlichen
Tugenden ausbalancieren könnten, so daß man über ihre Fehler,
i88
Die Chronique Areüne
so wie es auch der gestrengste Zensor erstreben würde, leicht
hinweggehen könnte.
Doch das Vergnügen, mit dem wir uns bemühten, dem Ge-
dächtnis Mme Furcys unsere schmeichelhafteste Huldigung zu
bieten, indem wir ihr Grab noch von der Trauer ihrer zurück-
gebliebenen Freunde widertönen ließen, dies Vergnügen (nicht
zu oft können wir dies wiederholen), ist sichere Garantie für
den Eifer, mit dem wir ihren würdigeren Gefährtinnen Gerech-
tigkeit widerfahren lassen wollen. Ohne Zweifel gibt es deren
einige: die Damen Granville, Guimard, L-r-t dürfen ein Lob
beanspruchen, das nicht geringeres Anrecht hat, und indem wir
über ihre Schwäche berichten, zeigen wir andererseits ihre Tu-
genden, die guten Eigenschaften, die sie vor jener Depravation
bewahrt haben, die so allgemein und so gerecht ihren Kamera-
dinnen vorgeworfen wird.
Die letzte Lieferung wird Noten und Ergänzungen bringen,
die den Redakteuren mitgeteilt worden sind, um ihnen gelieferte
Aufklärungen zu geben; im Anschluß an diese Anmerkungen
wird man einen belehrenden Schlüssel finden, der bestimmt ist,
dem trägen Gedächtnis die Mühe zu ersparen, sich anzustren-
gen, um einen Namen zu entziffern, der sich ganz ausgeschrieber
in der angekündigten Tafel finden soll.
Liste der Demoisellen, deren Geschichte in der vorhergehen-
den Lieferung enthalten sind:
Mesdemoiselles :
Bonard
Coulon
d'Hervieux
Chouchou-Leblanc
Contat
Furcy
Martin
Craffton
Linieres
Sainte-Amaranthe
Zacharie
Victoire und
Dufresne
Maillard
Adelaide Simon
De Ville
Laborde
Die Chronique Aretine
189
Die folgenden Artikel sind in Druck und werden die zweite
Lieferung bilden, die im nächsten Aprilmond erscheinen soll.
Mesdemoiselles
Raucourt Racine
Adeline De Pame
Rosalie Arnoux
Smith Dugazon
Elliot Dubrieulle
Beauvillars | Clairville
Quincy
Dufayelle
Lahaye
d'Ambly
Die folgenden Lieferungen werden Biographien dieser ver-
merkten Damen bringen :
Grandval
Desmarques
Saint-Albin
Courville-la-Vieille
Vielge
Bonoeil
Lahaye
Lahaye-Courville
Riouville
Julie
Christ
Josephine
Huet
Savigny
Josephine
Binot
Durand
Duthe
Saint-Romain
Mesdemoiselles
Guimard
Desgravelles
Langlois, morte
Mignot
Rose
Saint-Huberty
Les trois Gavaudan
Courville Mont-B.
Lafond
Mezieres
Saulnier
Ligny
Vestris
MiUer
Joir
Prud'homme
La Chassaigue
Laurent
Lange
Petit
Lescaut
Sainval
Julien
Carline
Renaud
Gonthier
Victorine
Deshosses
Meyer
Lefevre
Grandville
Huntley
Desmailli
Surville
St. Hilaire
Perceval
Montelar
Pelou
190
Die Chronique Aretine
Flore Lebrun
Dalbert Boulogne
Theophile Malinguant
Flire Massieux
Villeneuve Sarron
Lemercier Murtin
Thevenin Melan
Michelot Adel-Veron
Labachante Mericourt
Daigleperse Leclerc
Diejenigen Damen, die dem Gedächtnis des Redakteurs dieser
Arbeit entschlüpft wären, sind gebeten, ein Versehen zu ent-
schuldigen, das nichts Beleidigendes für sie enthalten soll; man
wird eilen, ein Schweigen, das sie verletzen könnte, in dem Mo-
ment gutzumachen, in dem sichere Auskünfte uns mitgeteilt
worden sind.
Lady-Wortley
Colmar
Lady-Massareene
Nicolay
Jaucourt
Fleury
Violette
Montigny
Renard.
DER GAZETIER CUIRASSfi
VORREDE
Ich muß dem Publikum mitteilen, daß einige der Neuigkeiten,
die ich ihm als wahr berichte, zumindest sehr glaubwürdig sind,
und daß sich in der Menge einige finden werden, deren Ge-
fälschtheit in die Augen springt; ich werde mich nicht damit be-
fassen, das jeweils zu betonen : den Leuten von Welt, die Wahr-
heit und Lüge (dank des vielen Gebrauches, den sie von ihr
machen) kennen, steht es zu, zu urteilen und eine Auswahl zu
treffen. Je gestrenger sie ausfallen wird, desto weiser wird sie
sein. Ich glaube den Lesern, die mich mit ihrer Aufmerksam-
keit beehren werden, diesen Hinweis zu schulden.
Sollte dieser Versuch Anklang finden und das Publikum mei-
ner Eitelkeit durch seine Aufnahme ein wenig schmeicheln, werde
ich ihm meine Dankbarkeit dadurch beweisen, daß ich ihm eine
Abhandlung über die Verführung der Frauen geben will, die
ebenso den jungen Leuten, die gerade in die Welt treten, wie
den Alten, die bereit sind, sie zu vei lassen, dienlich sein soll; sie
soll die, die nichts mehr können, amüsieren, und sie soll den ent-
schlossensten Frauen beweisen, daß es keineswegs ihre Schuld
ist, wenn sie unterlegen sind, da ihre Niederlage auf unfehlbaren
Prinzipien begründet ist. Ehe ich diese Abhandlung wage, werde
ich meine besondere Korrespondenz mit dem Publikum mitteilen,
wobei ich von ihm Geheimhaltung dessen, was ich es nicht wissen
lasse, fordere. Nicht allen Nationen ist es gegeben, alles, was sie
denken, auszusprechen. Die Bastille, Mohammeds Paradies und
Sibirien sind zu starke Argumente, als daß man ihnen entgegnen
könnte. Doch gibt es ein weises Land, wo der Geist von den Frei-
heiten des Körpers profitieren darf, und keine seiner Erzeugnisse
zu fürchten braucht; in diesem Lande, in dem die Großen nur
die Gleichgestellten ihrer minderen Bürger sind, in dem der Fürst
192 Der Gaxetier Cuirasse
als Erster dem Gesetze unterworfen ist, in diesem Lande kann
man es wagen, ohne Furcht vor allen Mächten der Erde zu
sprechen, kann der Weise Narrheiten richten und ihrer lachen.
Man wird aus einigen in dieser Arbeit mitgeteilten Anekdoten
ersehen, daß ich sehr oft Gelegenheit hatte, in Schußweite zu
erblicken, was ich von sehr nah berichte.
Wenn ich manchmal der Wahrheit etwas angefügt habe, so
geschah es, um denen, die sie verletzen würde, eine Handhabe
zu bieten; manchmal ist es auch eine Dekoration, die ich be-
nötigte, ein Ornament, das vielleicht ein wenig gewagt er-
scheinen könnte, doch hat es einen neuen Charakter, und wird
einer Nation, die weise genug ist, noch frei zu sein, nicht miß-
fallen.
Zueignungsbrief an mich selbst.
Mein Teurer!
Genießen Sie Ihren Ruhm, ohne sich um irgendeine Gefahr
zu kümmern! Sie laufen diese zweifellos. Mit den Feinden Ihres
Vaterlandes, deren Wut Sie verschärfen und deren Grausamkeit
Sie verdoppeln werden; doch indem Sie Dinge enthüllen, die
sich im schwarzen Geheimsten ihrer Herzen verzehren, bedenken
Sie, mein Teurer, daß Sie Unschuldige rächen, und daß Sie
vielleicht Unglückliche, auf die der Blitz herabzufallen droht,
beschützen.
Wenn Sie das Opfer Ihres Eifers sind, seien Sie stolz darauf,
sich in diesen neuen Abgrund, der gefahrvoller and tausendmal
schrecklicher ist als jener, den der mutige Decius zuschloß, zu
stürzen. Möge sein Beispiel und die Verehrung, die er noch in
unseren Tagen genießt, Sie in dem Vorhaben stärken, daß des
Dankes wert ist, auf den Sie ein Recht haben. Trotzen Sie den
schuldvollen Mächten, die Sie nicht besiegen können! Machen
Sie, daß diese grausamen Ungeheuer, deren Existenz so hassens-
wert ist, und die der Menschheit so teuer zu stehen kommen,
Der Gazetier Cuirasse 193
zittern! Und sollten die Himmel zur Erde stürzen, damit sie
bereit sei, Sie zu verschlingen, erinnern Sie sich, daß Ihr bester
Freund, der Mann, den Sie am meisten schätzen, Ihnen das ge-
raten hat, was Sie tun müssen!
Erproben Sie mit Wollust seine Maxime und wagen Sie alles,
ohne etwas zu fürchten.
Si fractus illabatur orbis,
Impavidum ferient ruince
Ich kenne Sie zu gut, um ein Erlahmen Ihrer Prinzipien
fürchten zu müssen, da Ihre Entschlossenheit mir garantiert,
daß Sie sie niemals verraten werden. Dieser Überzeugung bin
ich, mein Teurer.
Ihr sehr ergebener und sehr gehorsamer Diener
Ich Selbst.
POLITISCHE NEUIGKEITEN
Alle Sekretäre der französischen Gesandten, die Kreaturen des
Herrn von Choiseul sind, sind auf Befehl des Kanzlers mit den
Papieren ihrer Herren inkognito nach Versailles abgereist. Man
versichert, daß es zur Ausführung kleiner Handstreiche am Hofe
von Frankreich viel geeignetere Leute gibt als im Walde von
Senart.
Der große Rat hat sich des Palastes, nachdem er ihn mit Ge-
heimbriefen belagert hatte, ohne Widerstand bemächtigt; die
cour des aides, die den Stoß hatte aushalten wollen, ist kräftig
zurückgestoßen worden und hat sich bis zu zehn Meilen von
Paris zurückgezogen, wo sie Quartier genommen hat.
Der Kanzler hat nach dem Prinzip des Kardinals Mazarin,
Divisez pour regner, die Mitglieder des alten Parlaments in den
entlegensten Dörfern Frankreichs verteilt und alles getan, um
ihre Verbannung noch empfindlicher zu machen; nach ihrer
Entfernung hat er geäußert, er hoffe sie bei ihrer Rückkehr viel
194 Der Gazetier Cuirasse
besser über die Not des Volkes informiert zu sehen als vorher,
wo sie ihre Beschwerden einbrachten.
Der Herzog de la Tremouille ist soeben heimlich zum Mi-
nister der auswärtigen Angelegenheiten ernannt und in dieser
Eigenschaft dem Könige durch Herrn Gabriel, Hofbaumeister
Seiner Majestät, vorgestellt worden.
Bei Eröffnung des neuen Parlaments an Stelle des alten hat
der Kanzler eine Rede gehalten, die besagt, daß alle Franzosen
Dummköpfe sind, daß er es weiß, daß er daraus Nutzen zieht,
und daß es sechs große Verbrecher in Frankreich gibt. Nach
seiner Rede hat Herr Isabeau drei Verordnungen verlesen, deren
erste einreden möchte, daß der König Lust habe, seine Schulden
zu bezahlen; die zweite trifft die „cour des aides" tödlich, weil
sie die Hand gegen das Allerheiligste erhoben hat; die dritte er-
setzt die schwankenden und altersschwachen Mitglieder des gro-
ßen Rates durch die flinken Beamten der alten Kammer. Diese
drei Verordnungen haben den sogenannten großen Gerichtstag
beendet.
Seit vier Monaten hat es einige Todesfälle in Paris gegeben,
die nicht allzu natürlich erschienen; aber ein jeder schweigt nach
dieser Richtung hin, ebenso wie über die heimlichen Gefangen-
nahmen, die für jedermann undurchdringlich bleiben, obwohl
sie sich täglich wiederholen.
Es ist dem neuen Parlament untersagt worden in wichtigen
Fällen irgend etwas ohne Anweisung der Kammer zu beschließen.
Man versichert, daß die Bastille und Vincennes so voll von
Menschen sind, daß man die Lagerstätten der Soldaten, die auf
diesen beiden Schlössern Wache halten, auf den Terrassen und
dem Turm unterbringen mußte.
Man hat eine Zählung der Lusthäuser Seiner Majestät ver-
anstaltet. Wenn man Versailles, die Bastille, Vincennes, Marli,
Bicetre usw. mitzählt, kommt man auf 900, nicht gerechnet die
Klöster, die als Speicher für die kleinen Lustbarkeiten des Königs
Der Gazetier Cuirasse 195
dienen. Es gibt eine sehr große Anzahl, in denen man beträcht-
liche Niederlagen von verkauftem oder geopfertem Menschen-
fleisch findet.
Die Prinzen von Geblüt haben vom König die Erlaubnis, sich
in nichts hineinzumischen und die Freiheit, von seinen Beratun-
gen fernbleiben zu dürfen, erhalten.
Der König, der des Rates des Herrn Maupeou nicht mehr be-
durfte, hat sich seiner entledigt — zum Vorteil der Allgemeinheit,
die in Zukunft gegen ihren Willen durch die Kreaturen des Hofes
oder die ihremStande ungetreuen Beamten gerichtet werden wird.
Man schafft gerade eine neue Kammer unter dem Namen
„Gewissenskammer", an deren Spitze der Marschall de Richelieu
sowie der Herzog d'Aiguillon stehen werden. Diese Kammer ist
zur Kontrolle des Vermögens der Finanzleute bestimmt, die der
Abbe Terray nicht geschröpft hat.
Die Kammern von Toulouse, Bordeaux und Rouen haben sich
gelobt, sich niemals zu veruneinigen, nicht einmal durch Ge-
heimbriefe, die (nach ihrer Meinung) nur eine entehrende Gnade
sein und dazu dienen sollen, diejenigen durch die Verbannung
oder das Gefängnis den Gesetzen zu entziehen, die man hatte
schonen wollen. Sie machen sich auf die höhere Gewalt gefaßt,
aber sie werden ihre Meinung um keinen Preis ändern. Das bringt
den Kanzler und seine Kreaturen sehr in Verlegenheit, da es viel
eher in seinem Interesse liegt, nach und nach Minen auszulegen,
als eine Revolution anzustiften, der sie mit Bestimmtheit zum
Opfer fallen würden.
Es geht ein Brief um, von dem man annimmt, daß ihn der Adel
an die Prinzen von Geblüt gerichtet hat. In ihm wird von der
Verwaltung und den Pflichten des Herrschers in sehr starken
Ausdrücken gesprochen. Der Bürgerstand streitet indessen dem
Adel die Ehre ab, ihn verfaßt zu haben; man glaubt ihn von
Herrn d'Alembert, der gerade ebenso gut schreibt, als wenn er
Edelmann wäre.
13*
196 Der Gazetier Cuirasse
Der König, der schon verschiedene Male nahe daran war, dem
AbbeTerray das Portefeuille zu entziehen (dabei hat dieser doch
nur die Kunst des Fischens im Trüben vervollkommnet), ließ
es soeben Herrn Foulon anbieten, der sehr geeignet sein soll,
das Königreich zu schröpfen.
Der Kanzler unterdrückt die Käuflichkeit der Ämter und er-
setzt sie durch die der Benefizien nach Übereinkunft mit dem
Papst Ganganelli, der dem König in aller Ruhe von den Gütern
der Kirche zu zehren erlaubt, wenn der Vatikan zur Hälfte be-
teiligt wird.
Alle Tage schieben sich Drohbriefe unter die Serviette des
Königs, ohne daß man weiß wie. Man hat mehrere Personen ver-
haftet, die man bei dieser Gelegenheit in Eisen gelegt hat. Der
König soll über diese Art von Widersetzlichkeit viel mehr be-
stürzt sein als über die seiner Parlamente. Vor einigen Tagen hat
man auf diese Weise eine auf beiden Seiten mit dicker Schrift
beschriebene Karte gefunden, die mit einer sehr außergewöhn-
lichen Drohung endigte : man kündigte dem König an, wenn er
nicht aufpasse bei dem, was er täte, so würde man ihn nach
Saint Lazare stecken und seine Mätresse ins Hospital. Der Chef
der Polizei hat sich die allergrößte Mühe gegeben, um den Ur-
heber zu entdecken, aber ohne Erfolg.
^or Abiauf des Monats wird man mit dem Bau eines neuen
Gefängnisses in der Ebene der Sablons beginnen. Dieses ist zur
Entlastung der Pariser Gefängnisse dringend nötig. Man wollte
mit den Unternehmern des Vauxhall, der Champs Elysees ver-
handeln, aber ihre Räume haben sich als zu dunkel und zu
schlecht verteilt herausgestellt.
Allnächtlich veranstalten die kurzröckigen Jesuitenfreunde Ver-
sammlungen, zu deren Zahl alles gehört, was gegen Choiseul in
Frankreich ist. Man fürchtet sehr, daß die Rückkehr der Gesell-
schaft bevorsteht, da Mme Dubarry es mit den Dissidenten hält,
deren Neigungen sie nach Behauptung böser Zungen haben soll.
Der Gazetier Cuirasse 197
Die Herren vom neuen Parlament, die den Auftrag erhalten
haben, gegen alle, die schlecht von der Verwaltung sprächen, das
Verfahren einzuleiten, haben sich nach Versailles begeben, wo sie
Seiner Majestät vorgehalten haben, daß sie gezwungen sein wür-
den, die gute Stadt Paris ganz und gar mit Mauern zu umgeben,
wenn sie die Verbreitung von Klagen und Schmähschriften ver-
hindern wolle usw. Diese Meinung hat den Beifall des Rates und
besonders des Herzogs de la Vrilliere gefunden, der den König
um die Kastellanstelle in diesem neuen Gefängnis gebeten hat.
Nächstens wird es eine allgemeine Beförderung zu Gefängnis-
wärtern geben. Die Keller des Observatoriums und die Stein-
brüche von Saint Marcel sind als Kerker vorgesehen.
Man versichert, daß Herr von Choiseul sich noch nicht eine
Viertelstunde in Chanteloup gelangweilt hat, da seine Gegner
so viel Dummheiten gemacht haben, daß er seit seiner Ankunft
aus dem Lachen nicht herausgekommen ist. Der Abbe de la
Ville und alle Bureauvorsteher aus dem Departement des Herrn
von Choiseul haben ihn seit seiner Verbannung schon mehrere
Male aufsuchen müssen, um lesen zu lernen.
Man hat an mehreren Stellen das Urteil des Pariser Parlaments
angeschlagen, das einen Preis auf den Kopf des Kardinals Ma-
zarin bot, dessen Namen man jedoch durch den Maupeous er-
setzte; man hat die von Boissi vorgeschlagene Einteilung der
Summe hinzugefügt, so- und soviel für das einzelne Glied, Ohr
usw. Das Gleiche ist nach demselben Tarif für die Herren d'Ai-
guillon und de la Vrilliere geschehen.
Der Kanzler, der sich die Vergebung des Vatikans für alle noch
zu begehenden Sünden warmhalten will, hat dem Papst Avignon
zurückerstatten lassen. Dieser schickt ihm zum Dank Ablaß und
geweihte Wachslämmchen für alle diejenigen Herren, die sich
ihren Glauben an solche Art Heiligtümer bewahrt haben. Der
Graf de Noailles hat eins für sich bestellt; die Herzöge de la
Vauguyon, de Bouillon und de Richelieu ebenso wie viele Leutt
io8 Der Gazetier Cuirasse
von Bedeutung sind durch diese päpstliche Würde ausgezeichnet
worden. Sie ist bis in die unteren Schichten gedrungen durch
ein Monopol dei Kanzleilakaien, die eine Kiste davon an ihren
Freund, den Marquis de Villette, abgetreten haben.
Der Herzog d'Harcourt hat den König, der ihm auftragen
wollte, das Parlament von Rouen zur Vernunft zu bringen, ge-
beten, über sein Herz und seine Hand in allem, was zu seinem
Dienst gehört, zu verfügen, aber ihn von der Aufgabe, seinem
Volk Schlechtes zu tun, zu entbinden. Der Herzog de Fitzjames
(der sich von seinem in Toulouse erlittenen Schreck wieder er-
holt hat) hat sich an seiner Stelle erbötig gemacht und wird mit
den Blitzen des Hofes abreisen, sobald der Kanzler den Augen-
blick, sie zu schleudern, für gekommen hält.
Dei Marschall von Richelieu hat den König davon überzeugt,
daß eine französische Militärkontribution die mildeste und
billigste Art sein wird, seine Revenuen zu heben. Der General-
kontrolleur soll mit den Richtern zusammen ermitteln, wie man
dabei vorzugehen hat. Der Marschall, der im letzten Kriege die
Gelderhebung im Kurfürstentum Hannover besorgt hat, er-
bietet sich, die Unternehmungen des ersten Feldzuges zu leiten.
Man wird dem Könige 60 000 Mann lassen, die bisher durch
die Pachten beschäftigt waren (durch dieses Mittel wird er sie
viel nützlicher verwenden können), und man wird ihm noch
einmal soviel Geld, als er jetzt erhält, verschaffen, ohne Ver-
wüstungen in der Verpachtung anzurichten.
Die Prinzen und Pairs haben sich gegenseitig feierlich gelobt,
niemals einen Sitz im königlichen Justizamt anzunehmen, das
der Kanzler soeben unter dem Namen „Parlament von Paris"
eingerichtet hat.
Es sollen vier Mann pro Kompagnie sämtlicher Truppen Frank-
reichs ausgewählt werden zur Bildung eines Janitscharenkorps,
dessen erster Aga der Graf du Barry sein wird. Das Korps ist
bestimmt, die Befehle des Königs in alle Provinzen des König-
Der Gazetier Cuirasse 199
reiches zu tragen; die „Stummen" zu begleiten, wenn sie mit
geheimen Aufträgen betraut sind, und unter Umständen mit
Bajonettstößen die zu bezeichnen, deren Träger sie sein wer-
den. Man glaubt, daß dieses Verfahren, das unter Ludwig XIV.
manchen bekehrt hat, unter der Regierung seines Enkels auch
nicht ohne Erfolg bleiben wird. Man druckt wieder die Ge-
schichte der „Dragonaden" zur Instruktion dieses neuen Korps,
in das alle die befördert werden sollen, die sich durch aufsehen-
erregende Taten auszeichnen. Außer mit den gewöhnlichen In-
fanteriewaffen wird dieser Truppenteil mit Taschenpistolen und
Dolchen ausgerüstet werden.
Ein alter unzufriedener Offizier ist in die Bastille gesteckt wor-
den, weil er vertraulich in einem Cafe gesagt hatte, der König
würde gezwungen werden, nachzugeben, der Kanzler sich auf-
zuhängen und der Herzog d'Aiguillon Gift zu nehmen.
Es bestätigt sich, daß der Herzog de Praslin sich beim Nägel-
knabbern in den Finger gebissen und hierauf einen Anfall von
Tollwut bekommen hat, der ihn innerhalb 24 Stunden von dieser
Erde hinwegnahm.
Als Herr de Monteynard dem Könige die Abgeordneten der
Insel Korsika vorstellte, verlangten diese von Seiner Majestät
die Erlaubnis, alljährlich vier Genueser hängen zu dürfen. Dies
ist ihnen durch Ratsbeschluß zugestanden worden.
Die Korsen haben dem Papst zwölf französische Offiziere ge-
schenkt, die sie vorher für den Dienst in seiner Kapelle geeignet
gemacht haben.
Am zehnten vergangenen Monats wurde das neue Parlament
im Palast eröffnet unter den Zurufen des Grafen de la Marche,
vierer von sechs Modistinnen ausgehaltener Herzöge und von
vierzig ins Vertrauen gezogener Lakaien, die auf Bezahlung
schreien mußten: Es lebe der König!
Der Herr Kanzler hat Netze an seinem Wagen anbringen
lassen, um den Folgen der Dankbarkeit des Volkes zu ent-
200 Der Gaze Her Cuirasse
gehen, das ihn mit Segenswünschen und Pflastersteinen über-
schüttet.
Der König brauchte zur Fußwaschung am Gründonnerstag
zwölf junge Bettler; man hat mit Vorliebe die Kinder von zwölf
Offizieren genommen, d^nen man, zum Dank für die Dienste,
die ihre Vater dem Staate erwiesen haben, das Doppelte der
gewöhnlich bei dieser Zeremonie verteilten Summe gegeben hat.
Diese Freigebigkeit ist das Werk des Herrn de Maupeou, der
nichts versäumt, um sich die Wertschätzung des Militärs zu ver-
schaffen.
Man hat eine geheime Verbindung zwischen dem Kanzler,
dem Herzog de la Vrilliere und dem Herzog d'Aiguillon ent-
deckt, die sich gegen alle Untertanen des Königs richtet, die
mehr Verstand und Redlichkeit besitzen als sie selbst ; man ver-
sichert auf Ehre, daß diese Verbindung gegen das ganze König-
reich gerichtet ist.
Man hat dem ersten Türsteher des alten Parlaments den Platz
des ersten Präsidenten im neuen angeboten. Er hat ihn abge-
lehnt.
Der Kanzler und der Herzog d'Aiguillon haben den König
derart umgarnt, daß sie ihm nichts gelassen haben, als die Er-
laubnis mit seiner Mätresse zu schlafen, seine Hunde zu strei-
cheln und Heiratskontrakte zu unterzeichnen.
Die Dirnen von Paris haben Mme du Barry so mit Bittschrif-
ten gegen den Polizeichef überhäuft, daß es ihm jetzt tatsächlich
verboten worden ist, den Fuß in ein Bordell zu setzen.
Herr de Sartines, dessen Aufgabe es ist, für die Beleuchtung
Sicherheit und Reinlichkeit von Paris zu sorgen, hat soeben nach
der Aufstellung von Straßenlaternen und der Verstärkung der
Nachtwachen eine dritte für die Einwohner sehr nützliche Ein-
richtung geschaffen: er hat Aborte an allen Straßenecken auf-
stellen lassen. Diese Neuerung wird die Geld- und Prügelstrafen
verhüten, denen man in allen Sackgassen und bei den wohlhaben-
Der Gazetier Cuirasse 201
den Leuten ausgesetzt ist, die unmenschlich genug sind, der Be-
völkerung einem königlichen Erlaß zufolge zu verbieten, ihre
natürlichen Bedürfnisse zu verrichten. Die Schuhputzer, die
häufig die Nützlichkeit dieser Aborte erfahren, erheben den hilf-
reichen Magistrat mit ihren Lobpreisungen bis in den Himmel.
Da der Kanzler sah, daß die früheren Advokaten und Anwälte
am Pariser Gericht ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen woll-
ten, hat er neue eingesetzt und ihnen den Tod durch den Strang
in Aussicht gestellt, wenn sie die Bevölkerung nicht bestehlen
würden.
Die Trottel, die der Kanzler unter dem ehrenwerten Namen
„Parlamentsmitglieder" herangezogen hat, hat er feierlich schwö-
ren lassen, niemals zu sehen noch zu hören, was der König will.
Er hat ihnen in zwei mit Sophismen gespickten Reden zu ver-
stehen gegeben, daß es, wenn der Fürst ihre Vorschläge nicht
lesen würde, genügte, wenn sie sie einreichten, um ihre Pflicht
zu erfüllen. Ferner mußten die Beamten die vorgesetzte Behörde
beim Rechtsprechen befragen und der Herrscher brauche sich
an das Recht nur zu halten, wenn es in seinem Interesse läge
und ihm Spaß machte. Er schloß damit, daß alle diese Absurdi-
täten im Herzen der neuen Parlamentarier schon eingegraben
sind und daß sie ihr Schweigen und ihre Blindheit zum Wohle
des Volkes für immer bewahren müßten.
Der Punsch ist in den lauschigen Gemächern von Versailles
so in Gunst, daß ihn weder der Burgunder noch der Champagner
noch die besten Weine der Welt verdrängen können. Man ver-
sichert, daß vier Personen, die sich der allergrößten Schätzung
erfreuen, vier Gallonen täglich vertilgen. Manchmal läßt man
bei diesem Getränk aus besonderer Gnade Champagner zu, aber
sehr selten. Dieselbe Dame, die den Punsch in Mode gebracht
hat, hat gleichzeitig die hölzernen Tischtücher und die Pfeifen
eingeführt. Man erwartet augenblicklich ein wenig Politik, die
dem Rat sehr notwendig erscheint. Man hat sich aus London
202 Der Gazetier Cuirasse
von einem der Teilhaber der Robinhood-Taverne einen Redner
und zwei Meister im Räsonnieren verschrieben, die den Staats-
beamten Stunden geben können.
Nachdem die Marschälle von Frankreich erklärt hatten, daß
zu ihrem Gerichtshof in Zukunft nur Ehrenmänner zugelassen
würden, haben sich bei Prüfung des Hochadels nur drei Pairs
mit Zulassungsberechtigung gefunden.
Es erscheint ein Edikt vom letzten 25. April, das die Schöpfung
einer neuen Steuer auf alle Vestalinnen von Paris in sich trägt;
mittels dieser Taxe, die zwei Sol pro Pfund betragen soll, werden
sie von den Beamten des Viertels nicht mehr übersteuert werden,
und werden direkt mit dem Marschall von Richelieu zu verhan-
deln haben, der mit der Generalaufsicht betraut worden ist.
Mme la Comtesse du Barry hat soeben einen neuen Orden
geschaffen, der sich Saint Nicolas nennen wird; die Bedingungen
für Frauen sind äußerst rigoros; man muß mit mindestens zehn
verschiedenen Personen gelebt haben und beweisen, daß man
dreimal in Quarantäne gewesen ist, um zugelassen zu werden.
Die Männer werden damit wegkommen, der Komtesse selbst
Beweise zu liefern, da sie sich die Oberhoheit reserviert. Die
Abzeichen des Ordens sind eine auf die Brust gestickte Gurke
mit zwei stark markierten Auswüchsen.
Obschon Mme du Barry versichert, daß sie nur die zu Rittern
ernennen werde, die sie für gut befunden hat, so glaubt man
dennoch, daß dieser Orden zahlreicher sein wird, als der des
heiligen Louis.
In Frankreich erstickt, erhängt und erschießt man sich mehr
denn je. Dies sind Freundschaftsdienste, die man sich gegen-
seitig in den Straßen ebenso wie auf den Chausseen des König-
reichs leistet, von denen behauptet wird, daß sie von Briganten
recht belebt werden, seit ihre Chefs im Amte sind.
M. le Duc de Villeroi, der von der vernichtenden Waffe des
Gatten seiner Mätresse bedroht worden war, hat, um in Zu-
Der Gazetier Cuirasse 2°3
kunft ohne Unruhe ihrer genießen zu dürfen, diesen Unglück-
lichen nach den Inseln von Sainte-Marguerite bringen lassen,
wo er ihm einen lebenslänglichen Wohnort gesichert hat.
Es ist all den Barrierebeamten von neuem ausdrücklich be-
fohlen worden, ein Eindringen der Syphilis zu verhindern,
und sei es in einer Karosse und in der Person einer Herzogin.
Andererseits haben die Polizeioffiziere Order, überall mit Chi-
rurgen einzutreten und alle, die im Verdacht stehen, sie bei sich
zu verstecken, aus der Hauptstadt zu vertreiben. Wenn der Be-
fehl des Königs mit Strenge durchgeführt wird, wird Paris, so
glaubt man, gar bald einer Wüste gleichen.
' Als der König über seine Finanznöte mit dem Marschall de
Biron sprach, sicherte ihm der Marschall drei Millionen ohne
irgendwelche Kosten in einem einzigen Tage und den Applaus
des Volkes zu, das ihm in hellen Haufen sein Geld anbringen
würde. Der König, der das Geheimnis sehr wichtig fand, wünschte
es zu erfahren, und vernahm mit großem Erstaunen, daß es sich
nur darum handeln würde, einen Pfahl inmitten der Sabloner
Ebene zu errichten, daran den Kanzler aufzuhängen und von
einem jeden Zuschauer einen Taler zu verlangen. Der Mar-
schall versicherte dem König, daß die Einnahme fast drei Mil-
lionen betragen würde.
Durch einen Haftbefehl des Gerichtes zu Rouen war der Duc
d'Aiguillon dazu verurteilt worden, einen Kopf kürzer gemacht
zu werden und der Duc de la Vrilliere, eine Hand abgehackt zu
bekommen. Der Duc d'Aiguillon empfand in einem Traum, in
dem er vermeinte, hingerichtet zu werden, so tödliche Angst,
daß ihm davon eine unheilbare Gelbsucht zurückgeblieben ist;
der Duc de la Vrilliere ist, um seinem Schicksal zuvorzukommen,
mutig genug gewesen, sich bei der Jagd die Hand abzuschießen.
Heutzutage ist es durch militärische Verfügungen untersagt,
einen Obersten in Frankreich zu empfangen, wenn er nicht rote
Absätze trägt, eine Mätresse in der Oper, ein englisches Gespann
204
Der Gazetier Cuirasse
und ioo ooo Dukaten Schulden hat. Findet man zwei Konkur-
rierende, von denen der eine die Allemande zu tanzen weiß, so
ist er der Erkorene.
Der Scharfrichter von Paris ist zu Bicetre dafür eingesperrt
worden, einem vom neuen Parlament gemachten Gefangenen
seine Dienste unter dem Vorwand verweigert zu haben, daß er
seinen alten Kameraden nichts antun dürfte, ohne seine eigne
Ehre zu verletzen. Sein Zartgefühl, sagt man, hat die Richter
zum Lachen gebracht, anstatt sie erröten zu lassen.
Man versichert, der Kanzler behandele die Frauen nicht so,
daß er sie lange an sich fesseln wird, da man ihn mit Jesuiten
überrascht hat, zu denen er laut Anklage skandalöse Beziehungen
unterhalten haben soll. Der Polizeivorsteher von Paris hat ihm
ins Gesicht gesagt, daß er im Laufe von drei Tagen mit fünf
Mitgliedern dieser Gesellschaft unlautere Dinge getrieben habe.
Wenn der Kanzler sich keine Kugel in den Kopf schießt oder
unterwegs aufgehängt wird, wird er viel mehr erreichen, als der
Kardinal de Richelieu, dessen Prinzipien er sich alle zu eigen
gemacht hat. Er ist falscher und gewandter als dieser Minister
und gleicht ihm mindestens an Wagemut.
Es geht das Gerücht, der junge Graf du Barry sei dafür in
Pierre -Ancise, daß er der Komtesse gleichen Namens gewisse
kleine Zweifel über ihren Gesundheitszustand gemacht habe, wie
sie sie gleichfalls dem König im Vertrauen mitgeteilt hat. Jeden
Tag begibt sich eine Deputation der Fakultät nach Bicetre, um
an Unglücklichen, die in derselben Lage sind, Versuche zu ma-
chen. Ein Erlaß des neuen Gerichts gestattet den Deputierten,
ihre Versuche selbst bis zum Sterbefalle auszudehnen.
Die königliche Familie, die gestern Mme Louise bei den Kar-
meliterinnen zu Saint-Denis, wo sie Nonne ist, besucht hat, emp-
fing vom Nuntius die Erlaubnis, sich gemeinsam geißeln zu
dürfen. Diese Gunst, die nur gekrönten Häuptern gewährt wird,
ist gleichfalls sechs vom König bestimmten Grandseigneurs er-
Der Gazetier Cuirasse 205
teilt worden, die manche Sünden zu büßen haben. Der Graf de
Noailles hat um die Erlaubnis ersucht, als Amateur zugelassen
zu werden, und sich von einem seiner vertrauten Diener die
Züchtigung zuerteilen zu lassen.
Da der Graf de Provence vor seiner Heirat die Erlaubnis er-
halten hatte, seine Übungen zu beginnen, machte er seinen ersten
Versuch im Hirschpark in Gegenwart des königlichen Bevoll-
mächtigten, Marschall de Richelieu, des Gesandten von Sardi-
nien und des Sachverständigen Herrn Tronchin. Nachdem dieser
letztere dem Rat seinen Bericht erstattet hat, wurde der Prinz
mannbar erklärt und erhielt in dieser Eigenschaft die Erlaubnis,
seine Lektionen bis zur Ankunft der Prinzessin fortzusetzen, die
ihn dann in allen Feinheiten des Ritus, in den man ihn einge-
weiht hatte, wohlversiert fand. Diese Versuche haben die Preise
für Jungfrauen ins Unerschwingliche getrieben, da der Marschall
von Richelieu und der Kanzler ein den jungen Prinzen be-
stimmtes Warenlager eingerichtet hatten, worauf sich der Groß-
vater nicht die Mühe hat nehmen lassen, sie für den Jungen
vorzubereiten, dem er Erleichterung zu verschaffen und gleich-
zeitig der ersten Anstrengungen zu beheben wünschte.
Der Kanzler hat den Prinzen Conti um eine Audienz ersuchen
lassen und der Prinz hat ihm sagen lassen, daß er ihn nur beim
Scharfrichter zu sehen wünsche.
Man hat verbreitet, daß die Marquise de Langeac, die Baronin
de New-N . . . , Madame de St . . d, die Prinzessin von Anhalt und
ihre Tochter die Ehre gehabt haben, ebenso wie die Marquise de
Trembl. . . am Auferstehungstage durch Mme Gourdan der
Mme du Barry vorgestellt worden zu sein.
Longchamp war dies Jahr glanzvoller denn je. Mme la Com-
tesse du Barry erschien in einer süperben, mit acht weißen Pfer-
den bespannten Kalesche, mit Madame de St. . D. . und ihrer
ehemaligen Rivalin Dorothee; der Herzog de Sevres diente ihr
als Kutscher, der Herzog de Luynes als Kurier, ihr Postillon war
2o6 Der Gazetier Cutrasse
der Herzog von Chevreuse mit einer englischen Mütze und einer
an allen Nähten galonnierten kurzen Jacke; als Lakaien fungier-
ten der Graf von Egmont, M. de l'Espinasse und Graf Deck, im
Verein mit den zwei Haiducken des Prinzen Louis und dem
Neger des Herzogs von Chartres; zwölf Stallknechte ritten der
Kalesche voran und folgten ihr; sie waren aus Rücksicht auf den
Herzog d'Aiguillon, der zu ihnen gehörte, maskiert.
Mlle Romans soll Herrn von Croismare, den Gouverneur der
Militärschule, ehelichen, der aus seiner ersten Klasse sechs Adju-
tanten aussuchen will, die den ehelichen Dienst an seiner Stelle
erfüllen sollen.
Man behauptet, der Pfarrer von Saint-Eustache sei in fla-
granti mit der Oberin des Wohltätigkeitsvereins seiner Gemeinde
ertappt worden; was ihnen allen beiden sehr zur Ehre gereichen
sollte, wenn man bedenkt, daß sie beide achtzigjährig sind.
Als der Herzog von Vauguyon dem Erzbischof von Paris einen
Brief geschrieben hatte, in dem er ihm mitteilte, daß er kommu-
nizieren wolle und um seinen Segen bitte, äußerte Mme de
Tesse, die in der Gesellschaft durch ihren scharfen Witz be-
rühmt ist, daß Gott sich recht viel Ehre erweisen würde, wenn
er sich enthalten könne, in den Leib dieses Heiligen einzugehen.
Als des Königs Beichtiger in Ungnade fiel, da man ihn mit den
Pagen scherzend fand, hat man einen Bewerb um diese Stelle
eröffnet, die demjenigen Geistlichen zuerteilt werden soll, der
am wenigsten auf Gewissen Wert legt. Der Erzbischof von Rouen
wurde vorgeschlagen, da er aber lange Zeit in skandalösen Be-
ziehungen zu einem seiner Großvikare gestanden hat, ist er ver-
worfen worden; die Herren Kardinäle de Gevres und de Luynes
sind seitdem dazu bestimmt worden, den Dienst semesterweise
auszufüllen. Da jedoch der eine nicht lesen kann und der andere
noch nicht seine Ohrfeige abgewaschen hat, ist man der Ent-
scheidung seiner Majestät ungewiß.
Als sich die gesamte Universität von Paris nach Versailles be-
Der Gazetier Cuirasse 207
geben hatte, um Vorhaltungen über die schlechten Zeiten zu ma-
chen, hat der Rektor, der ein von Wissen starrender Mann ist,
den König bei seinem Vortrag an all die Katastrophen erinnert,
die den Revolutionen in der alten sowohl wie der neuen Ge-
schichte gefolgt sind. Er hat die Gelehrsamkeit so weit getrieben,
40 Könige zu nennen, die von ihren Günstlingen geblendet oder
ins Unglück gestürzt worden sind usw. usw. Dieser beredte Vor-
trag, der in drei Teile zerfiel und hundert Unterabteilungen
hatte, hat damit geendet, daß der Rektor Tränen vergossen und
der König sich ein heftiges Kopfweh zugezogen hat; doch hat
er, der Nation zum Glück, in seinen Privatgemächern soupiert,
die er verlassen hat, um geruhig diese Abkanzlung zu verdauen.
Der Kanzler hat die ganze Deputation auspeitschen lassen, da-
mit sie recht oft wiederkehre.
Vor einiger Zeit hat man in einer Boulevardecke einen um-
gestürzten Wagen gefunden, der mit Fässern beladen war, die
eins über dem anderen lagen; an der Deichsel hingen drei cha-
rakteristisch gekleidete Puppen: die eine als Abbe, die andere im
Talar, die dritte im herzoglichen Mantel.
In derselben Nacht fand man das Reiterstandbild eines un-
serer Könige ganz mit Kot besudelt, der aus einem Faß
gestürzt war, das man bis zu den Schultern über ihn gestülpt
hatte.
Des Königs Anhänglichkeit an Madame du Barry verdankt
sie den außerordentlichen Anstrengungen, zu denen sie ihn mit-
tels eines internen Ambrabades zwingt, mit dem sie sich täglich
parfümiert. Man behauptet außerdem, daß sie auch ein anderes
Geheimmittel anwende, das man in guter Gesellschaft noch nicht
gebraucht.
Die französische Nation ist heutzutage so schlecht konstituiert,
daß robuste Leute unerschwinglich sind. Man versichert, daß
ein in Paris neuangekommener Lakei von den Frauen, die sich
seiner bedienen, ebenso teuer bezahlt wird, wie in England ein
208 Der Gazetür Cutrasse
Rassepferd. Wenn dies System in Aufnahme kommt, werden ein
oder zwei Generationen zur Auffrischung genügen.
Seit einiger Zeit erscheint ein Verbot des Priapismus vom
Bischof de Saint-Brieux, der seit seinem Abenteuer noch nicht
von dieser Krankheit geheilt ist. Das Erstaunlichste daran ist,
daß er dies einem Schrecken verdankt.
Die Fruchtbarkeit hat sich ins Kloster der Filles de la Con-
ception eingeschlichen ; dort hat der heilige Geist in einer Nacht
zehn Wunder vollbracht.
Um den Inzesten, die der Klerus in Frankreich begeht, zuvor-
zukommen, wird es in Zukunft den Priestern erlaubt sein, Frauen
zu nehmen, damit sie sich nicht ihrer Schwestern zu bedienen
brauchen.
Da der Prince de Clermont vermeinte, sein Gewissen spräche
in dem Handel mit, der zwischen ihm und Mlle Leduc (die
Marquise geworden ist) abgeschlossen ist, hat er plötzlich seine
Besuche bei ihr eingestellt, um sich einem fünfzehnjährigen
Mädchen zu attachieren, die sein Almosenier ihm verschafft hat,
weil dieser gute Priester dachte, daß in Gottes Augen die größ-
ten Vergehen die Gewohnheitssünden seien.
Der Herr Keiser hat die falschen Zähne in Frankreich so in
Mode gebracht, daß die Überzahl der Hofdamen sich durch ihn
welche verschafft hat, um die natürlichen, die er ihnen zum Aus-
fallen bringt, zu ersetzen.
Bei der Komtesse du Barry wird oft Komödie gespielt; man
versichert, der Kanzler sei ein so guter Schauspieler, daß er alle
erdenklichen Rollen übernimmt.
Prinz Louis de Rohan ist in einem Freudenhaus vom Kommis-
sar Formey und zwei Polizisten überrascht worden, die ihn ohne
Rücksicht auf seinen Stand das bei solchen Anlässen übliche For-
mular haben unterschreiben lassen: „Ich gebe zu, mit einer ge-
wissen Rosalie, Freudenmädchen, bis zur vollkommenen Auf-
lösung verkehrt zu haben und zeichne im Bewußtsein dessen ..."
Der Gazetier Cuirasse 209
Englische Moden werden heutzutage so allgemein in Paris
akzeptiert, daß alle Agreables ihre Morgenvisiten in englischer
Kleidung, die sie „Fracs ä la roast-beef" nennen, abstatten.
Ohne ihre Spitzen, ihre roten Stöckel, ihre fleischfarbenen Hand-
schuhe und den rostroten Puder wäre die Ähnlichkeit vollkommen.
Die Frau Marschallin de Mirepoix, die der Gräfin du Barry
drei Jahre gut gedient, ist unwiderruflich in Ungnade gefallen,
weil sie ihre Zärtlichkeit zwischen ihr und einer anderen Schü-
lerin teilen wollte, die sie heimlich im Hirschpark vorgestellt hat.
Die vier anständigsten Häuser von Paris sind nach denen der
Damen Gourdan und Brissault die der Damen. Prinzessin von
Anhalt, der Gräfin von Auxonne, der Madame de la Fournerie
und der Madame de Rochechouart. Alle Fremden werden hier
mit offenen Armen empfangen. Man sagt, die Gräfin de Nan-
crey, Madame de Buff . . . und die Damen Hardwi... fügen
dieser liebenswürdigen Aufnahme noch „soupers-couchers" hin-
zu, die den Unglücklichen recht tröstlich sind.
Die Tochter des Herzogs de Fleurus ist soeben bei den schwar-
zen Musketieren eingetreten, wo sie vom Marquis de la Riviero,
dem Fahnenträger dieser Kompagnie, empfangen worden ist,
der angesichts der Kirche die Erlaubnis erhalten hat, ihr Kinder
zu machen.
Da der König anfängt, einen Kalender zu machen, hat Ma-
dame du Barry zu seinen Stellvertretern den Grafen de Lugeac
und den jungen Marquis de Chabrillant erwählt, dessen Talente
sie vor ihrer Rangerhöhung gekannt hat; dies behauptet auch
der Marquis selber.
Der Marquis de Maiilebois hat sich, nachdem er sich erst be-
schneiden ließ, nach der Türkei begeben, um die dortige Armee
zu befehligen; dem Könige und dem Tribunal hat er vernich-
tende Briefe geschrieben. Sein Serail wird aus zwölf Frauen be-
stehen, die ihrerseits eine jede zwölf Frauen zu ihrer Bedienung,
zum nächtlichen Dessert dieses neuen Mohammedaners mit-
1. 14
210 Der Gazetier Cutrasse
führen werden; der Marquis nimmt als Obereunuchen den Prä-
sidenten von Perigny mit sich, der deshalb soeben von Keiser
operiert worden ist.
Mme du Barry hat Herrn von Bussy-Rabutin schon zwei- oder
dreimal um seinen berühmten Diamanten, den sie sehr begehrt,
bitten lassen; doch hat sie sich auf seine Refus hin, ihn zu ver-
kaufen und seine geringe Neigung, ihn ihr zu schenken, ent-
schlossen, sich des neuen Gerichtshofes und des Dezembererlas-
ses zu bedienen, um ihn zu ihrem eigenen Nutzen konfiszieren
zu lassen.
Beim Ball pare zu Versailles war gelegentlich der Hochzeit
des Grafen von Provence so gute Gesellschaft vereinigt, daß der
Prinz von Soubise seiner Börse und andere Personen ihrer Uhren
beraubt worden sind.
Herr Baumartin, Intendant zu Lille, hat soeben von Seiner
Majestät die Erlaubnis erhalten, den großen Orden des Heiligen
Ludwig zu tragen, um in höherer Gnade zu stehen, wenn er
sich zu den Freudenmädchen begibt, was oft bei ihm vorkommt,
obgleich er eine ständige Mätresse hält.
Der Abbe Messier hat am I. April dieses Jahres das Fegefeuer
entdeckt; ganz Paris hat sich nach dem Observatorium begeben,
um sich von dieser Entdeckung zu überzeugen, die der Sorbonne
zur Basierung ihrer Argumente und dem Klerus zu seiner Er-
hebung sehr nützlich ist.
M. de Valdahon, Musketär, hat soeben vom Gericht zu Metz
die Erlaubnis erhalten, mit Mademoiselle Lemon ... zu schlafen,
trotz seines Vaters, der verurteilt worden ist, 60 000 Pfund Ker-
zen zu bezahlen, um die Zeremonie zu beleuchten.
In Paris ist eine Truppe in der Kunst zu fegen sehr gewandter
Savoyarden angekommen; die Damen des Hofes haben sich vor-
genommen, ihren Nutzen daraus zu ziehen, um alte Krusten,
die die Schwäche französischer Schornsteinfeger in ihren Kaminen
gelassen hat, entfernen zu lassen.
Der Gazetier Cuirasse 211
Man hat einen Karthäuser entdeckt, der jede Nacht aus sei-
nem Kloster entwich, um die Oberin und die Oberlehrerin der
Novizen zu Port-Royal zu bedienen. Eine Nonne, die es nicht
gewohnt war, bedient zu werden, hat, als sie ihn erblickte, einen
Schrei ausgestoßen, der ihre Gefährtinnen herbeigelockt hat,
mit denen sie am nächsten Morgen am Gitter allen Leuten da-
von erzählte.
Der Marquis de Soyecourt, dem der König nicht das Recht
gelassen hatte, die Kaninchen zu töten, die seinen Park in Mai-
sons abgrasen, steht in Verkaufsunterhandlungen wegen dieses
süperben Schlosses mit Mme du Barry, die auf der Jagd zufällig
gestürzt ist, da die Hunde, die ein Stinktier verfolgten, von dessen
Fährte durch den Marquis, der in seinen Avenuen spazieren
ging, abgeleitet wurden.
Als man das Grab des Geschlechts der Matignon öffnete, hat
man einen Kiefer gefunden, der den Fürsten von Monaco und
die bei diesem Anlaß konsultierte Fakultät arg verwirrt; er
gleicht so außerordentlich einer Eselskinnbacke, daß man ihn
dafür halten könnte, wüßte man nicht mit Sicherheit, daß nur
Angehörige dieses Hauses in dem Grab beerdigt worden sind.
In Paris zählt man mehr als 2000 ausgehaltene Frauen und
Mädchen, die Einfluß genug haben, um ihre Väter, ihre Brüder
und ihre Gatten einsperren lassen zu können. Der Herzog de la
Vrilliere paraphrasierte selbst ehemals die Hafturkunden dieser
Unglücklichen, doch sind es heute seine Sekretäre, die sie ge-
meinsam mit einem Chevalier ausfertigen.
Man vernimmt, daß die Schultern des Herzogs de Villeroi sich
mit dem Stock des Herzogs de Fronsac ohne die Einmischung
der Marschälle von Frankreich versöhnt haben.
Der Hof von Frankreich hat, ermutigt durch das gute Ge-
lingen des vorjährigen Feuerwerks, ein anderes zu Versailles ver-
anstaltet, das glücklicherweise kein Menschenleben gekostet hat,
obschon man 100 000 Mal entladen hat und 10 000 Menschen
14*
212 Der Gazetier Cuirasse
zu Versailles waren, die der Überfluß an Lebensmitteln veran-
laßte, sich ohne Abendbrot schlafen zu legen.
Der Marschall von Richelieu hat den Preis des Elyseerennens
gewonnen, indem er vor dem Prinzen von Conti floh, der ihn
mit erhobenem Stock bis zu seiner Karosse verfolgt hat.
Man behauptet, „Conseil superieur" bedeute in gutem Fran-
zösisch „Assemblee mercenaire de gens vendus", die immer dem
Fürsten zu Willen handeln, wenn man es von ihnen fordert.
Man hat bemerkt, daß die V. . . M. . . von vier Prostituierten
abstammt, daß Katharina I. eine Soldatenfrau war und die Grä-
fin du Barry die Tochter eines Dienstmädchens und eines Mön-
ches ist.
Ein monarchischer Staat ist dem Kanzler de Maupeou zu-
folge ein Staat, in dem der Fürst das Recht über Tod und Leben
aller seiner Untertanen hat, wo er Besitzer alles Vermögens in
seinem Reiche ist, wo Ehre auf arbiträren Prinzipien fundiert
ist, ebenso wie Rechtlichkeit, die immer den Befehlen des Sou-
veräns gehorchen muß.
Die Pairie war ehemals in Frankreich eine Würde, die nicht die
leiseste Verunreinigung zuließ. Heute aber darf ein Pair vergiften,
eine Provinz ruinieren, Zeugen verführen, vorausgesetzt, daß er
geschickt genug ist, den Hof zu machen und gewandt zu lügen.
Der Name „Marquis" ist in Paris nicht immer wie anderswo
das Zeichen einer betitelten Besitzung (die das Recht verleiht,
den Namen zu tragen); in den meisten Fällen ist er die einge-
bildete Eigenschaft eines kleinen Edelmannes ohne Güter, der
nur ein Paar Schuhe mit roten Stöckeln, zwei Hemden und einen
Federbusch sein eigen nennt, worauf sein Marquisat gegrün-
det ist.
Unter all den französischen Generaloffizieren, deren es mehr
als 800 gibt, sind nicht 80, die den Rang ihren Verdiensten ver-
danken; in allen Ländern der Erde haben die militärischen
Grade den Preis ihrer Begabung oder hervorragender Hand-
Der Gazetier Cuirasse 213
■ —
lungen ; doch gibt es in Frankreich Korps, wo diese Grade kom-
men wie die weißen Haare. Man braucht nur zu warten.
Da die Mode sich in Frankreich eingebürgert hat, mit der
Frau zu erröten, sind die Frauen, um sich zu rächen, überein-
gekommen, mit ihren Liebhabern nicht mehr zu erröten.
Wenn der Sultan einigen Opfern den Strick schickt, beginnen
die Stummen zu plündern . Zwischen den türkischen Gebräuchen
und den sehr christlichen Sitten besteht kein großer Unterschied.
Ein Premierminister ist ein Mann, auf den die guten und die
schlechten Erfolge denselben Einfluß ausüben als den, den er
sich über die anderen Menschen anmaßt; das Schicksal zahlt ihm
oft seine Ungerechtigkeit und seine Blindheit mit gleicher Münze.
Die Existenz eines Mannes- der sich nicht achtet, ist eine lang-
same Qual, die ihn zerreißt, wenn er kein Monstrum ist; man
mutet dem Herzog d'Aiguillon diese Meinung zu, doch besteht
man nicht darauf
Es gibt Redlichkeitsfehler, die in der Welt keineswegs ent-
ehren; 100 000 Dukaten Schulden verhindern nicht, daß je-
mand empfangen werde, wenn man auch überzeugt davon ist,
daß er sie niemals zurückzahlen wird; Mangel an Mut schließt
ihn gewöhnlich unwiderruflich aus; nur der Marquis de Vill roy
bildet eine Ausnahme zu dieser Regel.
Paris ist ein tiefer Abgrund, in dem alle im Galopp ankom-
men und sich mit schrecklichem Getöse aufeinanderstürzen; die
Schnelligkeit der Gesten ist sehr verwirrend für einen Philo-
sophen, der genötigt ist, eine Brille zu benützen, wenn er nicht
schon in dies Chaos gerollt ist; heftige Bewegungen, glänzendes
Äußere, unvernünftige Eile und extravagante Ausgelassenheit
sind Sprungfedern, die er vermutet; nichts geht darüber. Hat
man in diesem Wirbel gelebt, so weiß man, daß Vergnügen, In-
teressiertheit und Eitelkeit die großen Ressorts dieser ganzen
Maschine sind; man weiß, daß Leute, die am meisten beschäftigt
scheinen, gar nichts zu tun haben, daß die schnellsten Pferde
214 ®er Gazetier Cuirasse
gar oft von dem Händler, der sie verkauft hat, angehalten wer-
den, daß die Stickereien, die die Liebenswürdigen tragen, Lohn-
arbeitern gehören, die im Gefängnis sitzen, um sie zu bezahlen.
Man weiß, daß die Frauen, die am meisten ihre vornehme Ge-
sinnung betonen, nur noch ein schwaches Erinnern ihrer ver-
gangenen Tugend besitzen; man weiß, daß fast alle Grandseig-
neurs gänzlich unwissend, wenn nicht wirkliche Dummköpfe
sind; daß die Abbes Schamlose und Verräter sind; endlich weiß
man, daß es Leute gibt, die kurz vor ihrer Erhöhung im Schlamm
gesteckt haben, und daß sie heute hoch oben auf dem Rade
schweben, auf dem sie hätten angebunden sein sollen, wenn es
eine Gerechtigkeit gäbe.
London ist eine Ansammlung von Kaufleuten und Philoso-
phen, die sich sehr gut untereinander verstehen; der Philosoph
bildet Systeme, wird schwindsüchtig und stirbt ohne das häus-
liche Equilibrium seines Nachbarn zu stören, der seiner Frau
Kinder macht, Roastbeef und Plumpudding verzehrt und mit
einer schlechten Verdauung endet.
Dasselbe Ungeheuer, das Stricke in Konstantinopel dreht,
taucht die Hemden in den Schwefel zu Lissabon, läßt die Hu-
ronen in Amerika rösten und destilliert die Cachets zu Versailles.
Es gibt Frauen, deren Angriff so anständig ist, daß es nichts
nutzt, sie zu insultieren : ihre Seelengüte und die Sanftmut ihrer
Sitten bewahren sie nicht vor der Achtung, die sie einflößen.
Ein unfehlbarer Erwerb in Paris für eine Frau, der ein wenig
Figur geblieben ist und die nicht zu dumm ist, um taktvoll zu
sein, ist es, der ganzen Welt die Tür zu öffnen ; so hat sie immer
neue Liebhaber, lebt auf diese Weise im Aufwand und langweilt
sich nicht so wie eine Prüde. Dreißig Jahre lang haben Mme de
Gramont und Mme de Rochechouart diese Moral in Praxis um-
gesetzt.
Ein Kardinal, der zu Rom Geistlicher ist, ist in Spanien und
in allen abergläubischen Ländern vom Papst bezahlt, in Frank-
Der Gazetier Cuirasse 215
reich ist es ein muskelstarker oder intriganter Abbe, der sich
seinen Hut durch Geschicklichkeit oder Kraftmittel verdient;
in England wäre dies ein seltsames Wundertier.
Das Menschenrecht ist ein allgemeines Gesetz der ganzen Welt,
das nur in London respektiert wird, wo es jedoch zeitweilig von
Schurken, die nichts zu verlieren hatten und alles wagen wollen,
auf scheußliche Weise vergewaltigt worden ist.
Der einzige Unterschied, der zwischen der Inquisition und
der Bastille besteht, ist der, den man zwischen einem wütigen
Hund und einem Wolfe findet.
Die Brahminen, Derwische und katholischen Mönche sind drei
Arten Schelme, von denen die einen Almosen entwenden, wäh-
rend die anderen die Dummköpfe, die sie verehren, ausplündern
und brandschatzen.
Die Academie Francaise hat eine außerordentliche Prämie
für Beredsamkeit gestiftet, die aus einer goldenen Medaille zu
1200 Livres bestehen soll und dem verliehen wird, der am klar-
sten beweisen kann, daß der Kanzler ein Ehrenmann, Madame
du Barry eine anständige Frau und daß der Herzog d'Aiguillon
unschuldig ist, daß der Marschall de Richelieu nicht übel riecht
und der Herzog de la Vrilliere ein Mann von Geist ist. Wenn
die Autoren nicht den Mut haben soJlten, sich zu nennen, so
wird der Preis an die von ihnen angegebene Adresse gesandt
.werden.
In Frankreich erscheint ein Buch betitelt: „Journal d'un
homme d'esprit ä l'usage des sots" (Journal eines geistreichen
Mannes zum Gebrauch für Dummköpfe) ; alle Einwohner haben
darauf abonniert.
Jeden Tag findet sich bei Mme Geoffrin eine Gesellschaft
Schöngeister ein, die aus dem Herzog de la Tremoille, dem
Herzog de Montmorency, dem Marquis de Beth. . .e, de Soye-
court und de Fouquieres usw. besteht. Als der Graf de Charo-
lais durch den Marquis d'Asnieres dort eingeführt wurde, hat er
2i6 Der Qazetier Cuirasse
eine Denkschrift über die günstigste Methode, Disteln zu ziehen,
vorgelesen, und die ganze Gesellschaft höchlichst entzückt.
Als der Marquis de Maillebois sich von der Akademie der Wis-
senschaften vor seiner Abreise nach der Türkei verabschieden
wollte, hat er eine Versammlung berufen, der er präsidiert hat.
Der Sieur Cadet, ein Akademiker und Kollege, hat ihm nach
einer Dissertation über das Wesen der Huris, ein Glas jungfräu-
licher Milch angeboten, die dieser General auf das Wohl der
Versammelten getrunken hat. Darauf ist er mit seiner Nacht-
mütze und seinen Schlafpantoffeln in der Tasche nach Konstan-
tinopel abgereist.
Das System von J. ]. Rousseau steht zurzeit bei Hof in größter
Gunst; die Grandseigneurs gewöhnen ihre Kinder, um sich in
ihnen wiederzuerkennen, daran, auf allen Vieren zu kriechen.
Nachdem der Abbe de l'Attaignant so viele Trinklieder ge-
schrieben hat, hat er sich ruhebedürftig zu den Paters der Dok-
trin zurückgezogen, wo er mit dem Bruder Küfer verabredet
hat, daß er betrunken sterben werde.
Zurzeit druckt man ein Alphabet überflüssiger Leute, auch
„Dictionnaire Musque" genannt, das eine enzyklopädische Auf-
zählung hochadeliger Persönlichkeiten sein soll. Die Artikel:
„Chenil, Toilette, Ecurie, Bonne Fortune" werden insbesonders
mit viel Sorgfalt als die Hauptbedingungen einer guten Er-
ziehung behandelt werden.
Der Chevalier de Choiseul hat soeben die Kunst erfunden,
zwanzig Pferde und zehn Dienstboten usw. mit einer Rente von
ioo Louis zu verköstigen; diese Arbeit wird auf Kosten der Ma-
demoiselle Fleurys gedruckt werden, die dem Verfasser 500 Louis
geliehen hat.
Der Herzog de Nivernais hat soeben seine Fables und die Ge-
schichte seiner armen Nerven drucken lassen. Man versichert,
daß dies Buch sehr geeignet sei, die, die am härtesten über ein-
gebildete Krankheiten denken, zu erweichen.
Der Gazetier Cuirasse 217
Der Abbe Joanet hat soeben ein Buch unter dem Titel „Les
betes mieux connues" herausgebracht, in dem er all diejenigen
definiert, die sich jetzt im Ministerium befinden.
Der Kanzler läßt mit größter Eile an einem Buche arbeiten,
das unter dem Titel „Le Dictionnaire des crimes" erscheinen wird,
das seine Untemenmungen rechtfertigen soll, indem er verglei-
chungsweise beweist, daß es in der Welt immer Schurken ge-
geben hat: jedes Jahrhundert liefert dem Kanzler ein oder zwei
Entschuldigungen.
M. Thomas bringt ein Essay über den Charakter, den Geist
und die Arbeit der Frauen, der beweist, daß sie immer geeigneter
gewesen sind, die Menschheit fortzusetzen, als sie vorwärts zu
bringen.
Die Literatur hat dies Jahr mehrere junge Mitarbeiter ver-
loren, die auf eine große Zukunft hoffen ließen ; unter anderen
Piron, M. de Moncrif, den Präsidenten Henault, Mme. de Go-
mez und die Abbes Alaric und des Maretz, die zusammen un-
gefähr fünfundeinhalbes Jahrhundert zählten; alle sind sie in der
Blüte ihrer Kindheit gestorben.
Mme Riccoboni fährt fort, die Aufmerksamkeit ihrer Leser
durch Gefühlsmätzchen zu unterhalten, die, sollte man zuviel
davon genießen, eine recht heftige Anstrengung würden. Bald
soll ein Roman von ihr erscheinen, der den Titel trägt: „Les
efforts". Man versichert, daß viel effort dazu gehören wird,
ihn von Anfang bis zu Ende zu lesen.
M. d'Alembert hat in der letzten Akademiesitzung ein Epistel
M. Saurins über die Gebrechen des Alters gelesen, die, dank der
sympathischen Salbung d'Alemberts der ganzen Versammlung
Tränen entlockten, als er die „Klage der Impotenz" verlas.
„Die Kunst, einen Liebhaber zum Bankrott zu bringen" von
Mlle Deschamps veröffentlicht, ist soeben von Mme de Monta-
lais durchgesehen und korrigiert worden ; diese hat auf Kosten
Herrn Fontanieux in ihrem kleinen Haus zu Bercy eine neue
21 8 Der Gazetier Cuirasse
Ausgabe herausgebracht. Man verspricht uns Studien über den
Charlatanismus des Hofes in Rom, den Unglauben der Priester,
die Schurkenhaftigkeit der Mönche und die Schrecken der In-
quisition; sie werden sehr dienlich sein der ganzen christlichen
Welt den Star zu stechen.
Der Chemiker Beaume hat soeben eine Abhandlung über die
Gifte herausgebracht, die er dem Herzog d'Aiguillon dediziert
hat; dieser Herzog hat ihm aus Dankbarkeit versprochen, ihm
in Zukunft seine tätige Unterstützung zu gewähren.
Die Oper „Circe" soll aufgeführt werden, und man will all
die Ähnlichkeiten bewahren, die das Gedicht erfordert: unter
anderem wird es einen Tanz grunzender Tiere geben, die man
ohne Not unter den Angestellten des Theaters finden kann;
sollte eine Gesangspartie im Stück enthalten sein, so haben sich
Durand und Muguet dazu erboten.
Man druckt die Tröstungen des Paters Drelincout über die
Schrecken des Todes neu; sie sind dem Kardinal de Luynes de-
diziert, der den Priesterstand ergriffen hat, um eines ganz natür-
lichen Todes zu sterben.
Man hat den Geschichtsschreiber des „Portier des Chartreux"
damit beauftragt, im gleichen Stil eine Geschichte der Madame
du Barry unter dem Titel „Memoires propres ä scandaliser le
public" zu verfassen.
Colardeau hat soeben die Werke Dorats in Verse gebracht;
dieser fährt fort, sich durch den Handel mit seinen Kupfer-
stichen zu bereichern.
Herr de Chamouset hat der Regierung eine Maschine einge-
reicht, mit der man hundert Mann auf einen Schlag zu töten
vermag; dieser würdige Mitbürger, der sich auf allen Gebieten
versucht, ist der Urheber des kleinen Postprojektes und der
Unternehmer der fliegenden Brücken, die dieses Jahr eingeführt
werden sollen ; die Regierung hat vier der bekanntesten Scharf-
richter kommen lassen, die ihre Meinung über die Hänge-
Der Gazetier Cuirasse 219
maschine abgeben sollen, die dem Ministerium sehr zustatten
kommen wird.
In Bedlam lebt ein Ingenieur, der behauptet, eine leinene
Brücke von Dover nach Calais spannen zu können, wo man dann
Wagen ohne Pferde vorfinden wird, die viel schneller sind als
sogar die Post.
In Paris wird ein Bureau zur Versicherung gegen die Untreue
aller Frauen eingerichtet, das laut verschiedenen Tarifen für
jedermann zugänglich ist.
Der Erzieher der Familie eines sehr hochstehenden Mannes,
Chevalier der königlichen Finanzen, Generalleutnant usw. hat
soeben einen Zaum für Ehemänner und einen Sattel für Frauen
erfunden, den alle Künstler bewunderungswürdig gefunden
haben.
Mlle Huß' Ruhebett ist in Frankreich derart in Mode ge-
kommen, daß die Frauen von anderen nichts wissen wollen; dies
ist eine Schaukel mit zwei Gewichten, die so wohlausgeglichen
funktionieren, daß die stolzeste Herzogin ihre Arbeit darauf
leisten kann, ohne sich zu demütigen.
Ein Pariser Tapezierer hat nach dem gleichen System eine Ber-
gere erfunden, die er „aide de camp" getauft hat; die Sprung
federn sind derart arrangiert, daß man immer Herr des Schlacht-
feldes bleibt und niemals das rechte Niveau verliert.
Fromme Damen haben das Geheimnis erfunden, das Bildnis
ihres Geliebten in einem mit einer Sprungfeder versehenen Kru-
zifix einzuschließen, das „ä la Hautefort" genannt wird; der
Marquise gleichen Namens verdankt man diese Erfindung und
der Oberin der Filles du Calvaire die Entdeckung.
Vor kurzem hat man einen Wagen konstruiert, den man nur
von hinten besteigt, und den die Agreables Wagen ä la Villette
nennen.
Dem Befehl Louis XIV. zum Trotz, der die Geographen be-
auftragte, die Höhe des Meridians auf der Insel Fer zu nehmen,
220 Der Gazetier Cuirasse
hat ihn der Prinz von Nassau, der die ganze Erde bereist hat,
unter die äquinoxiale Linie bestimmt, und hat sich, um diesen
Punkt zu fixieren, Mlle Fleurys Halbrund bedient.
Ein in England durch seine Begabung berühmter Mann hat
eine Laterne erfunden, um die Eingeweide zu beleuchten; sie
fängt an, sich in Europa einzuführen; man versichert, daß es nie
eine nützlichere noch eine appetitlichere Erfindung gegeben
habe.
Eine militärische Arbeit, betitelt „Les Lyonnaises" ist unter
großem Beifall erschienen : der Autor beweist klar den allgemei-
nen Frieden, indem er zeigt, wie unmöglich es sei, Krieg zu
führen, wenn man sich seiner Maschinen bedient.
DER ZYNISCHE PHILOSOPH ALS FOLGE DES
GAZETIER CUIRASSE
Einleitung
Die Ausländer, die Paris, die Franzosen, die Mädchen lie-
ben, werden in dieser Sammlung unterhaltende Anekdoten fin-
den, deren Akteure sie hätten sein können.
In diesem Lande gibt es zu viele Liebhaber, als daß Details,
die ich geben werde, gewissen Lesern nicht ebenso vertraut sein
sollten, wie mir selbst. Die unter ihnen, die nichts gesehen haben,
werden sich meiner Lektion bedienen, um sich über Kulissen-
geheimnisse zu instruieren, von denen ich den Vorhang lüften
will. Das Studium der völlig nackten Natur wird über manch
einen mehr Recht gewinnen als politische Neuigkeiten, die ihnen
wenig bedeuten.
Vielleicht glaubt man meinem Worte nicht, daß ich Philo-
soph bin, wenn ich aber ein Wunder wirke, indem ich berühmte
Schuldige entlarve, wenn ich gewisse Villettes und Marignys
tugendhaft mache; wenn ich gewisse schamlose Frauen, die ver-
Der Gazetter Cuirasse 221
gessen haben, was ihnen gebührt, keusch sein lasse, wenn ich
Ungerechte zwinge, gerecht zu sein (sei es auch nur ein einziges
Mal), hätte ich dann nicht das Ziel erfüllt, das sich ein wahrer
Mann setzen soll ? Und wäre ich selber nicht weise, was kann das
den Leuten machen, die von meiner Überzeugung profitieren
werden ?
Nur dadurch, daß man es erröten macht, vermag man das
Laster zu zwingen, daß es sich verstecke.
Ein tugendhafterer Mann als ich fände vielleicht nicht meinen
Mut.
ZUEIGNUNGSEPISTEL: DEN BALLETTCHÖREN
Meine Damen!
Hätte der Himmel Ihnen Tugenden gegeben, würde ich nicht
die Ehre haben, Sie zu kennen, da mein depravierter Geschmack
mich niemals anderen als verdorbenen Frauen zugeführt hat.
Ihre Schwächen waren nötig, um mir „den Vorteil" zu ver-
schaffen, Ihnen vorgestellt zu werden; empfangen Sie, meine
Damen, den Tribut meiner Dankbarkeit und die Huldigung,
die Ihnen mein Herz schuldet ; dies ist nicht der fade Weihrauch
eines Anbeters, den ich Ihnen biete; dies hieße mich entehren,
ohne Ihnen anders gefallen zu wollen, als Ihnen fälschlich andere
Eigenschaften zu geben, als die, so die Natur Ihnen verliehen
hat.
Mein Freimut würde dem widerstreben, wüßte ich nicht, daß
Sie es vorziehen, für das zu gelten, was Sie sind, und „im Preise
klingenden Goldes gewertet zu werden", und nicht den frivolen
Vorteil zu genießen, sich Dinge sagen zu lassen, deren Verdienst
Ihnen unwillkommen wäre.
Ich will, meine Damen, bis in Ihr innerstes Gewissen vor-
dringen und Einzelheiten Ihrer Galanterien geben, die das Pu-
222 Der Gazetier Cuirasse
blikum gefahrlos unterhalten und über jene unter Ihnen im
Voraus unterrichten werden, die man vielleicht fürchten dürfte.
Ich hoffe, ein Bild zu entwerfen, das ähnlich genug ist, da-
mit Sie alle, die ich kenne, darüber einig sind, daß ich Ihnen
Gerechtigkeit widerfahren lasse, und der Wahrheit nichts bei-
füge.
Genehmigen Sie die Versicherung der Achtung, die ich Ihnen
schulde, und halten Sie mich ohne Spott, meine Damen, für
Ihren sehr ergebenen und sehr gehorsamen Diener
Diogenes.
Man versichert dem Publikum, daß unter den Freudenmäd-
chen des Balletts eine Krankheit herrsche, die beginnt die Damen
des Hofes zu ergreifen, und sich endlich auch ihren Lakaien mit-
teilt. Diese Krankheit verlängert das Gesicht, bleicht den Teint,
verringert das Körpergewicht und veranlaßt schreckliche Ver-
heerungen, da, wo sie sich festsetzt. Zahnlose Frauen sieht man,
andere ohne Augenbrauen, auch paralytische usw. usw. Den
Liebhabern seien die Waschungen des Sieur Preval, Doktors der
Medizin, empfohlen, der mit Demonstrationen bewiesen hat,
daß man die ganze Oper Revue passieren lassen kann, ohne et-
was befürchten zu müssen, vorausgesetzt, daß man sein Wasser
tränke und von seiner Hand getauft würde.
Als Nicole Mademoiselle du Bois in Lebensgefahr sah3 ver-
sicherte er, daß er in ihr statt einer hundert Patientinnen ver-
lieren würde.
Nachdem Mademoiselle Beaumesnil einem Prinzen den Zu-
tritt in ihr Bett gestattet hatte, war sie gezwungen, von den
Direktoren einen sechswöchentlichen Urlaub zu erbitten, um
ch nach Bayern zu begeben, wo sie vom Herrn Keiser, dem
Großmarschall dieses Hofes, vorgestellt werden soll.
Mademoiselle Heinel hat einen spanischen Herzog und ein
englisches Gespann sowie ioo Louis monatlich und ein Haus
Der Gazetter Cuirasse 223
refüsiert, da man ihr vor einem Quiproquo von selten des Herzogs
Furcht gemacht hat, der ein wenig orientalische Neigungen
haben soll. Mademoiselle Heinel amüsiert sich unterdessen in
Erwartung von etwas Besserem mit dem Tänzer Fierville.
Mademoiselle Guimard ist in ihrer Gemeinde als Dame de
Charite aufgenommen worden und befindet sich sehr wohl bei
der frommen Ernte, die in diesem Jahre sehr reich gewesen ist.
Man meint, die Almosen brächten ihr doppelt so viel ein, als
ihre Gunstbezeigungen.
Mademoiselle Darcy macht keine glücklichen Reisen; im letz-
ten Winter hat sie eine nach Schweden unternommen, die sie
sechs Zähne und einen Postpächter kosteten, der sie ebenso
schnell verlassen hat, wie der gute Drogeski sie im letzten Herbst
im Bois de Boulogne verließ.
Mademoiselle Heinel hat alle ihre Freunde dank ihrer sechs-
wöchentlichen Abwesenheit, die sie auf dem Lande bei Keiser
verbracht hat, außer Gefahr gesetzt. Die Reinheit der Luft und
die Sorgfalt des Meisters haben sie von einer dauerhaften Krank-
heit geheilt, die sich auf alle ihre Bekannten ausbreitete.
Mademoiselle du Plan hat sich endlich mit dem saftreichen
Colin veruneinigt, der ihr seit sechs Jahren ruhmreich die Küche
ausstattete; ohne Abschied ist sie in die Dienste des veneziani-
schen Gesandten übergegangen, der sie nur ad honores zurück-
hält.
Man versichert, der Chevalier de Choiseul, der nicht einen
Sou besaß und Mademoiselle Heinel begehrte, habe sie zu einem
Ausflug aufs Land bewogen, wo er sie mittels Aushungerns zum
Kapitulieren gezwungen habe. Als er sah, daß das Gefühl sie
nicht zu besiegen vermochte, hat die Verzweiflung ihn fortge-
rissen und er hat gedroht, sie Hungers sterben zu lassen, wenn
sie ihn an Liebe sterben ließe. Dies schöne Mädchen ist so mensch-
lich gewesen, weder das eine noch das andere zu wollen, und hat
sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben.
224 Der Gazetür Cuirasse
Mademoiselle Pelin, die einen unnatürlichen Milcherguß ge-
habt hat, hat diesen dem Prinzen Conti mitgeteilt, der ihn
ahnungslos auf die Herzogin de B . . . übertragen hat, von der
man behauptet, daß sie fähig sei, ihn aller Welt weiterzu-
geben.
Mademoiselle Arnoult hat den Grafen de L . . . im Hotel der
grauen Musketiere, mit der Erlaubnis seiner Majestät, immer
eine Ordonnanz bei sich zu haben, ersetzt.
Als Mademoiselle Testard dem Marquis de Rome gesagt hat,
daß sie ihn niemals lieben würde, weil er häßlich, dumm und
feige sei, hat der Marquis, um ihr das Gegenteil zu beweisen,
zwei seiner Güter verkauft und ihr am nächsten Morgen den
Erlös geschickt.
Mademoiselle Beauvoisin, Mademoiselle d'Albigni und einige
andere Prinzessinnen gleicher Ordnung, die bei sich zu spielen
einluden, sind in die Salpetriere geschickt worden, wo sie auf
königlichen Befehl sechs Monate zu verbringen haben.
Mademoiselle Beaumesnil ist, wie man sagt, viel weniger groß-
artig logiert, als sie zu logieren vorgibt, obschon sie ein eigenes
Haus, einen großen Hof, eine Remise und zwei Stallungen be-
sitzt. Ein Geometer, der an Ort und Stelle gewesen ist, findet
ihr Haus viel zu eng für ihre Reize.
Mademoiselle Laurencin, die zehn Jahre lang unter den Pa-
riser Laternen spazieren gegangen ist, hat eine Karosse genom-
men, die der Graf von Bintem ziehen wird, dessen Bekanntschaft
sie zufällig machte, als sie ihren Dienst in den Tuilerien absol-
vierte.
Mademoiselle des Orages hat sich soeben durch zwei geschickte
Chirurgen als Frau erklären lassen, die auf Glauben und Treue
versichert haben, daß sie, dem Anschein zum Trotz, nicht das
sei, was man eigentlich „hermaphroditisch" nennt.
Unsere Musiker und die italienischen Musiker haben sich durch
einen Vermittler versöhnt, nachdem sie sich lange auf der lyri-
Der Gazetier Cutrasse 22c
sehen Bühne um den ersten Platz gestritten haben. Die fran-
zösische Musik bleibt dem Theater und der italienische Ge-
schmack beherrscht die gesamte königliche Akademie und die
Pariser Musiker.
Die Soupers, die Mademoiselle Guimard zu Pantin gibt, sind
immer noch sehr glanzvoll; sie empfängt die beste und die
schlechteste Gesellschaft Frankreichs. Die Prinzen begeben sich
aus Faulheit dorthin und die Demiseigneurs, um sich ein Air zu
geben. Man spricht davon, nach Pantin zu gehen, wie wenn man
von Versailles spräche.
Vestris fängt an, sich von einem Hochmutsanfall zu erholen,
der ihn beinahe erstickt hätte, als das Publikum ihn gezwungen
hat, sich bei Mademoiselle Heinel zu entschuldigen.
Herr Despinchal hat soeben dem Bischof von Arras eine Lek-
tion erteilt, deren unsere Prälaten bedürften, um zu lernen, daß
Kirchenleute sich nicht ebenso frei vergnügen können wie Leute
der großen Welt, und daß es ihre Pflicht ist, sich vor dem fla-
grant delit zu hüten. Herr de Gouzier hätte 12 000 Francs ge-
spart, wäre er weniger wollüstig gewesen und hätte er sich mit
einer Schäferin begnügt. Als M. Despinchal ihn mit seiner
Mätresse im Bett angetroffen hat, zwang er ihn, ihm die
500 Louis zurückzugeben, die sie ihn seit zwei Monaten kostete,
worauf er ihm alle seine Eigentumsrechte überließ; mit Hilfe
dieses Arrangements hat sich M. Despinchal zwei Monate lang
auf Kosten der Kirche vergnügt, was bis heute noch niemals vor-
gekommen ist.
Unter allen Mädchen, die in der Oper tanzen, ist Mademoi-
selle Guimard die einzige, die nicht mit einem Lakaien, einem
Soldaten oder einem Perückenmacher angefangen hat; dem
Tänzer Leger (der indiskret genug war, es zu erzählen) schuldet
sie ihre ersten Lektionen und ein Kind, das sie auf einem Dach-
boden im tiefsten Winter, ohne Feuer und ohne Spitzenstepp-
decke zur Welt gebracht hat. Seit jener Zeit hat sie sich Spitzen,
1.
15
226 Der Gazetier Cuirasse
Diamanten und eine Karosse verdient; dieser traurigen Situa-
tion dankt sie, sagt man, ihre Tugenden und ihre Menschlich-
keit.
In der königlichen Akademie für Musik gibt es eine Schule,
in der die Königinwitwen der Oper die Schülerinnen lehren,
nach Regeln zu erröten, ohne Schmerzen zu schreien und das
Gefühl in Kadenzen auszudrücken. Mittels dieses und der adstrin-
gierenden Pomade du Lac, hat die Mutter Mademoiselle Gran-
dis (die sich ihre Tante nennt) viele Male die Unschuld ihrer
Tochter verkauft, nachdem sie sie jedesmal wieder hergestellt
hatte.
Mademoiselle Beze, die vor vier Jahren mit einem Empfeh-
lungsschreiben des Herzogs de Villars angekommen ist, kennt
heute alle Grandseigneurs des Hofes. Unter anderem genießt
sie das intime Vertrauen des Herzogs de Bouillon, des Grafen
de Noailles und einiger anderer Herren, die zu ihren Gunsten
ihrer Aversion für das schönere Geschlecht entsagen.
Da Herr Brissard Mademoiselle Vestris eine Rente von 60 000
Livres ausgesetzt hatte, hat sich dies ehrenwerte Mädchen aus
Dankbarkeit dazu entschlossen, ihm nach seinem Ruin eine Pen-
sion von 1000 Dukaten zuzusichern.
Mademoiselle Grandi, die vor einiger Zeit beweisen wollte,
daß sie ihrem Liebhaber treu sei (mit dem sie einen häuslichen
Disput gehabt hatte), ließ ihrenPortier heraufkommen, der unter
Eid aussagte, daß während des ganzen Vormittags nur sechs ver-
dächtige Personen bei seiner Herrin Einlaß gefunden hätten.
Mademoiselle Fleury Hoquart wird heute vom Prinzen von
Nassau ausgehalten, der das erste Mal, als er mit ihr schlief, ver-
meinte, die Reise um die Welt von neuem zu beginnen.
Cremille, die vorsichtshalber hintereinander drei Quarantänen
durchgemacht hat, ist ins Karmeliterinnenkloster eingetreten,
wo sie ein Kind geboren haben soll, da sie mit dem Leiter dieses
Hauses zusammen arbeitete, um die Welt zu vergessen.
Der Gazetier Cuirasse 227
Der Graf de Sabran hat soeben seine Möbel den Fräuleins
Testard und l'Huilier sowie einigen weniger bekannten Mädchen
geschenkt, die die ihren verkauft hatten, um seine Schulden zu
bezahlen, was mehrere Male vorgekommen ist.
Der Akademie der Chirurgie ist es sehr seltsam vorgekom-
men, daß Mademoiselle de la Vaulx, die seit acht Monaten
schwanger war, beim Tanzen eine Fehlgeburt hatte, ohne es zu
bemerken.
Mademoiselle Vernier sieht sich gezwungen, ihre Arbeit ein-
zustellen, da sie schwanger ist, was sie mehr als zwanzig Personen
zuschreibt.
Dorothee du Barry, die bis heute für eine Luetische gehalten
wurde, ist in vierzig Tagen radikal durch ein Mittel, das die
ganze französische Familie kennt, deren Namen sie trägt, geheilt
worden.
Mademoiselle Lany und Mademoiselle Lyonnais, die von den
Direktoren für ihre allzu häufigen Indispositionen mit Vor-
würfen überhäuft worden sind, haben sich mit Mademoiselle
Caron zu Nicolet zurückgezogen, da die Schauspielerinnen dieses
Theaters das Privileg genießen, das ganze Jahr krank sein zu
dürfen.
Mademoiselle Contat, die vom Herrn Barois beschuldigt wor-
den ist, unstillbare uterine Gluten zu haben, ist vom Bruder
Almosenier der Karmeliter, der sich des Geheimnisses .seiner
Brüderschaft bei dieser mirakulösen Kur bediente, radikal ge-
heilt worden.
Mademoiselle Bon, Mesdemoiselles Bouscarrelle, de Lorme
und einige andere alte Grenadiere des Balletts haben Madame
Gourdans Beruf erwählt, als sie einsahen, daß es unmöglich war,
den ihren weiter auszufüllen.
Mesdemoiselles de Saint-Julien, Saint-Firmin, de Fresnay,
Beaupre, Beauvoisin usw., die dies Jahr nicht haben erreichen
können, angestellt zu werden, haben sich der Legion Madame
iS*
228 Der Gazetier Cuirasse
Gourdans angeschlossen, und man sagt, daß sie, während sie an-
dere Beschäftigung abwarten, dort Wunder leisten.
Mademoiselles Le Doux und Sarron, die vor vier Jahren aus
der Oper herausgeworfen wurden, da sie sich in den Kulissen
freundschaftliche Wahrheiten sagten, sind soeben aus Paris ver-
bannt worden, da sie eine phantastische Laune in Mode ge-
bracht haben, deren Geheimnis all ihre Freundinnen wissen.
Der zartfühlende Molet und die zärtliche Madame Preville
sind von den Ärzten verurteilt, höchst gefühlvoll an den Folgen
einer Liebe zu sterben, die sich ihnen auf die Brust geworfen
hat.
Mademoiselle Saint-Fal, deren Gesicht man genauestens auf
den Schreckensmasken wiederfindet, macht in diesem Genre so
erstaunliche Fortschritte, daß sie alle Zuschauer zittern macht,
sowie sie auf der Bühne erscheint.
Mme Favart, die den Marschall von Sachsen ebenso wie Fon-
tenoy ausgezeichnet hat, ist heute zu der traurigen Hilfsquelle
reduziert, sich mit ihrem Geist zu amüsieren. Man versichert,
daß sie noch immer alle Ansprüche der Fee Urgelle habe, ob-
schon ihr Geheimnis nur im Theater existiere.
Es heißt, Mlle du Fresne habe eine schöne Seele und einen
geräumigen Körper; ihre Schwester gilt für eine Maschine, deren
Proportionen ganz anders sind.
Mademoiselle de Saint-Martin hat M. de Bintem so ekelhaft
gefunden, daß sie sich gezwungen sah, ihn mit Pinzetten anzu-
fassen, die unglücklicherweise rotglühend waren.
Mademoiselle Allard, die mit Mademoiselle Pelin, ihrer Ri-
valin im Tanz, beleidigende Worte gewechselt hat. gedachte ihr
in einem Buffoballett einige Fußtritte zu versetzen, die wohl-
gezielt genug sein sollten, um vom Publikum nicht bemerkt zu
werden. Da Pelin nicht geschickt genug war, sie wiederzugeben,
hat sie sie mit geballter Faust auf die Nase geschlagen, was all
die Zuschauer empört hat: Trial le Breton und Joliveau, die
Der Gazetier Cuirasse 229
geborene Opernrichter sind, haben die beiden Amazonen dazu
verurteilt, dem ganzen Tribunal zu Diensten zu sein, die eine
sechs Monate lang, die andere während eines Jahres.
Der Prinz von Soubise, der die Administration des Hospitals
durch seine Fiakerunternehmungen derangiert hatte, beginnt
seine Geschäfte zu regeln, seit er Intendant der Menüs Mlle
Guimards ist.
Der Graf von Potocki, der dank der Unsauberkeit Mlle Du-
thes von Paris degoutiert war, ist nach einem parfümierten Bade,
das die Angst ihn nehmen ließ, von dieser Stadt abgereist, nach-
dem er sich in die Garderobe dieses schönen Mädchens, der Mä-
tresse des Herzogs du Dufort, der sie zusammen im Bett über-
raschte, stürzte. Der Herzog versichert, seinen Rivalen zwischen
den Trümmern eines Nachtstuhles schwimmend gefunden zu
haben, der seit 14 Tagen nicht entleert worden war. Um das
Unglück voll zu machen, hat der Polizeichef, der schlechte
Gerüche nicht liebt, dem einen Haftbefehl beigefügt, in dem
er ihm vorschlägt, sich außerhalb des Königreiches abtrocknen
und lüften lassen.
Der Brauch erlaubt es heutzutage unseren Theatermädchen,
drei offizielle Liebhaber zu haben, ohne den zu zählen, der sie
ruiniert. Haben sie mehr, betrachtet man sie mit Verachtung,
wie Mademoiselles Godeau, Delfevre, Beze und andere Pflicht-
vergessene. Haben sie weniger, verdächtigt man sie entweder
einer fehlerhaften Körperbildung, wie Mademoiselle Le Doux
oder großer Dummheit, wie Mademoiselle La Chanterie. Wenn
man ihnen nicht die Unaufrichtigkeit Mademoiselle Durancys
zuschreibt, die es vorzieht, sich lieber von ihrem Lakaien be-
dienen zu lassen, als eine Herzensaffäre zu haben.
In der Pariser Gesellschaft lebt ein Mann, der seine Hosen,
sein möbliertes Haus, eine Karosse, einen Namen und 10 000
Louis an einem Abend gewonnen hat : dieser glückliche Sterbliche
betitelt sich h2ute Marquis und genießt 50 000 Pfund Rente.
230 Der Gazetier Cuirasse
Die Regierung hat soeben den Sohn eines italienischen Kut-
schers aus Paris verjagt, der unter dem Namen eines Grafen die
Rolle eines päpstlichen Obersten, die eines Polizeispions und
die eines Zuhälters für die Bequemlichkeit seiner Freunde ge-
spielt hat.
Der Gesandte eines großen Kaiserreiches, der sich mit den
häuslichen Details eines republikanischen Ministers befaßt hatte,
hat soeben diesen Artikel von seinen Ausgaben gestrichen.
Am französischen Hofe lebt eine Marquise, die, da sie ihr Geld
und ihre Ehre verloren hat, gezwungen war, um ihre Schulden
zu zahlen, eine Stellung zu suchen, um ohne ihre Ehre weiter
leben zu können, aus der sich ihre Gläubiger nichts machen.
Wir haben einen Herzog, der einen der größten Namen Frank-
reichs trägt, dessen Vater auf dem Feld der Ehre gestorben ist,
der, obgleich er mit 400 000 Pfund Rente geboren und der Gatte
einer Frau ist, die 15 Jahre lang in allerhöchster Gunst gestanden
hat, dennoch von aller Welt gemieden worden ist. Dieser Herzog
trägt gewöhnlich zwanzig Löckchen an seiner Perücke. Gewisse
Leute behaupten, er besuche sehr viele Freudenmädchen, andere
sagen das genaue Gegenteil.
Der Marquis de Ne. . . D. . .1, ein Offizier der grauen Mus-
ketiere, hat einen dreimonatlichen Urlaub erhalten, um eine be-
nachbarte Äbtissin von ihrem Keuschheitsgelübde zu entbinden.
In Paris lebt ein frarzösischer Marschall gleichen Namens und
in der Champagne gibt es eine Stadt, die so wie ihre Abtei
heißt.
Einer unserer hübschesten Herzöge, der sich soeben zu seiner
Hochzeit „empaumieren" läßt, hat sich unter den Händen des
Erzbischofs von Paris einer allgemeinen Absolution unterzogen ;
der Prälat, der das Wasser auf ein Räucherbecken gegossen hat,
hat das „Veni creator" gesungen, um das Blut dieses Hauses,
das für seine Männer wie für seine Frauen gleich ansteckungs-
gefährlich ist, zu reinigen.
Der Gazetier Cutrasse 231
In Paris lebt ein kleiner fünf Fuß minus einen Daumen großer
Marquis, der sich allabendlich in den Tuilerien an verdächtigen
Stellen ergeht, sich dafür aber öffentlich mit Freudenmädchen
zeigt, der von aller Welt Böses redet, sich aber nicht erregt, wenn
solches von ihm (noch dazu ihm ins Gesicht) gesagt wird, der
Leute getötet, die er nie gesehen hat, doch die leben läßt, die
versuchten, ihn zu ermorden. Auf diesen Marquis deutet man,
wo er auch geht, mit dem Finger, und trotzdem besucht er
jeden; wenn man ihn fragt, warum, so ist es, weil er 50 000 Taler
Rente, einen guten Tisch, viel Frechheit und ein wenig Geist
besitzt.
Eine Frau aus ersten Kreisen, die ihrem Herrn lange wider-
standen hat, hat sich soeben einem Abbe schlechter Gesundheit
und schlechter Herkunft an den Hals geworfen, was sie schon zu
bereuen hat.
Man hat einen Mahnbrief veröffentlicht, um zu erfahren, was
aus dem Zepter und der Hand der Gerechtigkeit eines unserer
größten europäischen Könige geworden ist. Nach langen Nach-
forschungen fand man sie auf dem Toilettentisch einer hübschen
Frau, die den Titel einer Komtesse trug; dort dienen sie dazu,
ihre Katze zu unterhalten.
Man hat eine Medaille geprägt, auf der man eine Justizperson
erblickt, die eine Leiter erstiegen hat, um einen Nagel zu er-
reichen, an dem sie einen Strick befestigt; um dies Emblem steht
die Inschrift geschrieben: „Nobis hoec ascensio grata". Auf der
anderen Seite sieht man Frankreich zu Füßen eines von Schlangen,
Vipern und anderen giftigen Tiefen umgebenen Fürsten knien,
die sich auf sie stürzen, um sie zu zerreißen.
Als eine sehr wohlbeleibte Herzogin, die ungeheueren Ver-
brauch an Liebe aufweist, sich im Tete-a-tete mit einem hüb-
schen, kleinen Herzog befand, dessen Keuschheit sie zu lebhaft
attackierte, hat dieser tugendhafte junge Mann sich bei seinem
Vater beklagt, der auf der Stelle den Generalpiokurator instruiert
232 Der Gazetier Cuirasse
und ihn gezwungen hat, im Namen des Königs anzuklagen. Die
Frauen der Pairs müssen sich deshalb im Laufe des nächsten
Monats versammeln, um über diese große Affäre Bericht zu er-
statten, was die Schuldige wenig beunruhigt, da sie in ihre
Richter, die ihr fast alle zum Beispiel gedient haben, großes Ver-
trauen setzt.
Als eine Frau, die ebenso schwarze Zähne hat wie die Haare
ihres Vaters weiß sind, und nur ihren Gatten von der Zahl der
ihr angenehmen Menschen ausschließt, beim Spiel 100 Louis
von einem jungen Mann auslieh, der seit langem Prätentionen
hatte und, da er sie in Bedrängnis sah, den Respekt vergaß, fragte
sie ihn noncholant mit nachlässiger Stimme, was er wolle, was er
zu tun gedenke ? Da ein unverschämtes Schweigen die Absichten
des Leihers bewies, deutete die Gräfin durch Gesten halblaut
die Worte „Ehre" und „Tugend" an, worauf sie errötend, in-
dem sie ihrem Verführer seine geringe Seelengröße vorwarf, zu-
fügte: „Ich verstehe wohl, was Sie zu erreichen wünschen; Sie
wollen mich demütigen und mit mir quitt werden." „Nein, be-
ruhigen Sie sich," entgegnete ihr der Wucherer, „ich achte
Sie zu hoch, um dies zu tun, es wird sich nur um die Zinsen
handeln."
Eine junge und hübsche Frau, die einen Mann des Finanz-
wesens, dessen widerwärtiges Gesicht und gemeine Neigungen
sie abstießen, geheiratet hatte, ist soeben, um nach dreijähriger
Scheidung nicht unwürdigen Liebkosungen ausgesetzt zu sein,
glücklich von einem Sohn entbunden worden, den sie niemals
geboren haben würde, wäre sie ihrem Manne treu geblieben.
Die Frau eines Marschalls von Frankreich, der glaubt, schwind-
süchtig zu sein, findet einen Mann solcher Art zu zart für sich
und macht sich eine Gewissensfrage daraus, ihn zu menagieren;
sie hat sich großmütig dazu verurteilt, sich mit den gewöhn-
lichen Zärtlichkeiten ihres Maitre-d'hotel zufrieden zu geben,
der noch immer Lakai wäre, wäre er nicht robust gewesen.
Der Gazetier Cuirasse 233
Zum zweitenmal hat man bei Hof eine Komtesse vorgestellt,
die 15 Jahre in Versailles gelebt hat, ohne zu hoffen, weiter als
bis zur Marschallsküche zu kommen, wo sie zum erstenmal vor-
gestellt worden ist. Damals hatte sie als Frau des ersten könig-
lichen Kammerdieners nur das Recht, mit den Mundköchen
und den Küchenchefs der ganzen königlichen Familie zusammen
zu speisen, die sie nun verlassen hat, um sich ihrem Herrn zu
nähern.
Der Sieur Louis, der die schwierigsten Beweise unternimmt,
hat soeben der chirurgischen Akademie bewiesen, daß ein acht-
zehnjähriges Mädchen, die alle Tage mit einem gleichalterigen
jungen Manne schlafen würde, auf natürliche Weise schwanger
werden kann; diese Ausführung stützt er auf das Beispiel eines
Geschwisterpaares, das sich nach friedlichem, zweijährigem Zu-
sammenleben vergessen hat.
Man hatte behauptet, daß das Fortpflanzungsgeheimnis im
Hause eines Prinzen verloren gegangen sei, der sich stückweise
aus dieser Welt entfernt hat; doch hat die Tochter des Prinzen,
die mit ihrem Onkel verheiratet ist, auf Grund von Recherchen
und Versuchen soeben zum zweitenmal dies Geheimnis wieder-
gefunden, als sie mit dem Grafen Galard scherzte.
Ein Mann von Rang, der seine Frau mit der Pistole in der
Hand hat legitimieren lassen, hat soeben auf gleiche Weise seinen
Schwiegervater gezwungen, sein Testament zu machen.
Man zählt in Paris 150 Frauen, die als Komtessen und Mar-
quisen bekannt sind, denen Madame Gourdan ihre Tür des
öfteren verweigert haben will.
Eine gute alte Witwe, die sich aus Gesundheitsgründen mit
einem Grafen aus der Bretagne verheiratete, ist, nachdem sie
ihr Porzellan und ihre Diamanten verkauft hat, um seine Schul-
den zu zahlen, gezwungen gewesen, sich zwecks Befreiung von
ihren Wünschen an ihren Lakai zu wenden.
Eine unserer sehr fruchtbaren und sehr tugendsamen Her-
234 Der Gazetier Cuirasse
zoginnen hat soeben ihre Ohrgehänge verkauft, um ihren Mann,
der im Spiel sehr viel verloren hat, davor zu bewahren, daß ihm
die Ohren abgeschnitten würden.
Halb Paris nennt eine alte Herzogin Messalina, während die
andere Hälfte der Stadt sie als eine Heilige verehrt.
In der Gesellschaft leben drei junge, so züchtige und reser-
vierte Herzoginnen, daß sie nicht ehrbarer sein könnten, wären
sie ebenso häßlich wie die Herzogin d'Olonne.
Als die alte Frau, die am i. Januar all ihren Schützlingen ein
Paar Samthosen schenkt, die Rechnung des Schneiders forderte,
der für sie liefert, fand sie, daß er in ihrem Dienste beinahe
400 Samthosen in zwei Jahren angefertigt hatte.
Eine maritime Komtesse, die beim Arsenal wohnt, hat, nach-
dem sie die Flagge vor allen Nationen der Welt gestrichen hat,
endlich auf einer Sandbank Schiffbruch erlitten, und verliert
nach allen Seiten Wasser.
Eine dicke Holländerin, die in Frankreich Gräfin geworden
ist, hat unsere Sitten derart angenommen, daß sie täglich drei
Stunden bei ihrer Toilette verbringt, eine Stunde beim Essen,
sechs Stunden im Wagen und den Rest ihrer Zeit im Bett oder
auf ihrer Bergere, wo sie andere glücklich oder Handarbeiten
macht.
In der zweiten Magistratur befinden sich zwei Männer, die
dafür bekannt sind, daß sie nur solche zum Tode verurteilen, die
nicht die Mittel haben, ihnen das Recht zu leben zu bezahlen.
Als der Lykurg Frankreichs eines vielgewandten Mannes be-
durfte, um seine Projekte auszuführen und seinen Willen durch-
zusetzen, hat er sich die Listen der Kriminalkanzlei vorlegen
lassen, um unter den Schlauen, die ihre Geschicklichkeit gerettet
hatte, einen fähigen Sekretär zu seiner Hilfe auszusuchen.
Frankreich hat soeben einen Mann ersten Ranges verloren,
der, nachdem er von Dieben ausgeraubt worden ist, ohne Ge-
rechtigkeit zu erlangen, sich entschlossen hat, auf den Cordon
Der Gazetier Cuirasse 235
bleu zu verzichten, ebenso auf den Pairsstand und auf das Ballett
von Paris, um sieh frei beklagen zu können und die Franzosen
zu lehren, daß er denkt ohne Wortspiele zu machen.
Mademoiselle Durancy, die verdrossen war, daß ihr Labora-
torium so wenig besucht wurde, hat sich der Herzogin de Ville-
roy vorstellen lassen, die mit dem Debüt dieser neuen Virtuosin
sehr zufrieden war.
Der Erzbischof von Paris ist soeben zum drittenmal an einer
Fistel operiert worden. Dieser tugendhafte Prälat hat die Ope-
ration ertragen, ohne eine Silbe gegen einen Apotheker zu äu-
ßern, der daran schuld sein soll.
Zwei Drittel der Oper werden momentan zu den Soupers der
Herzogin de Villeroy, Madame de Savignans und Madame de
Portails zugelassen. Dies häßliche Trio ist betrübt, daß die übri-
gen ihnen bis jetzt entgangen sind, doch hoffen sie mit Geduld
und Geld auch dahin zu kommen.
Der Marquis de Villeroy, der es müde ist, sich den Bart aus-
zuzupfen, um jung zu erscheinen, hat soeben die Rolle eines
Greises angenommen, um sich in Zukunft diese Mühe zu er-
sparen.
Man behauptet, der Kardinal de Bernis, unser Gesandter in
Rom, sei dort von den Kardinälen Pallavicino und Acciaiolo,
die ihn in einer nächtlichen Sitzung des heiligen Kollegs als Chor-
knaben behandelt haben, als Römer naturalisiert worden.
Dem Marquis de Marignan, der aus Rom eine Statue des Ga-
nymed hat kommen lassen, die ihm 100 000 Taler gekostet hat,
wird nachgesagt, daß er von der Marquise, seiner Frau, zu Füßen
dieser Statue in Meditation überrascht worden wäre; sie sei ge-
schäftig mit einem Becher herbeigeeilt, um seine Essenz, die
sich auszubreiten begann, aufzufangen.
Mademoiselle Clairon ladet sehr oft die Marquise de Villeroy
und die Herzogin de Beau, ebenso wie die erste Präsidentin und
Madame de Portail zum Souper, die ihrerseits die Güte haben,
236 Der Gazetier Cuirasse
Mademoiselle d'Oligne und Mademoiselle Dervieux ebenso wie
einige andere amphibische Prinzessinnen, deren Gesellschaft ihnen
nützlich ist, zuzulassen. Der Herzog d'Aumont, der zwischen
Mlle Chiron und dem Marquis de Vilette wohnt, hat das Ge-
richt ersucht, sie alle beide auszulogieren. Da dieser gute Sei-
gneur immer das Feuer ein wenig fürchtet, meint er, daß er
Gefahr liefe, verkohlt zu werden, wenn das eine oder das andere
Bankett in Flammen aufginge.
Freron, der von Voltaire bezichtigt worden ist, in seiner Ge-
genwart eine scheußliche Sünde eingestanden zu haben, hat sich
dafür gerächt, indem er seinem Antagonisten vorgeworfen hat,
er habe mit dem Marquis de Villette und dessen vorgeblichem
Sekretär unter demselben Dach geschlafen.
Als sich der Graf de Noailles mit einem seiner Lakaien skan-
dalöse Freiheiten herausgenommen hatte, hat dieser Bauern-
bengel Monseigneur mit einer Ohrfeige umgeworfen, die Seine
Gnaden acht Tage lang ans Bett gefesselt hat. Trotz dieses Er-
eignisses, das viel von sich reden machte, fährt der heilige Mann
fort, seine kleinen Gaben zu verteilen und auf so komische Art
wohltätig zu sein. Man glaubt, Seiner Gnaden Verstand sei ein
wenig von den Segnungen des Volkes und von den Folgen seines
Eifers und seiner Versuchungen geschwächt. Der Lakai, mit dem
er diese Ohrfeigenaffäre gehabt hat, ist ein Pikarde aus erster
Hand, der noch nicht darauf vorbereitet war, den Dienst eines
spanischen Granden, der Chevalier des königlichen Ordens, Ge-
neralleutnant, Gouverneur von Versailles, Prince de Poix, Seig-
neur d'Arpajon, Ritter des Großkreuzes von Malta, Chevalier
de la Toison d'Or und Sekularmitglied der Gesellschaft Jesu usw.
usw. ist, zu versehen.
Ein ehemaliger Offizier der französischen Garde, der immer
die sittenlosen Frauen gehaßt hat, hat soeben ein kleines Haus
genommen, wo er sich mit einer sehr erfahrenen Mätresse ein-
schließt, die er als seinen Kammerdiener ausgibt.
Der Gazetier Cuirasse 237
Der Nuntius seiner Heiligkeit hat soeben vom heiligen Kolle-
gium ein Präsent von zwölf Pagen erhalten, die fähig sein sollen,
den schwierigsten Kardinal zu bedienen; der päpstliche Sou-
verän hat ihnen zwei schwarze Eunuchen beigefügt, die sie über-
wachen und die französischen Seigneurs verhindern sollen, die
Privilegien des römischen Hofes an sich zu reißen.
AUS DEN MEMOIREN
Auszug aus einem Brief aus Rennes vom 25. Januar 1767.
Der sehr lüsterne Bischof von S.-Brieux (Barreau de Girac),
den es sogar noch am Altar packen und der der hl. Jungfrau
davon erzählen würde, um sich die Langeweile des Kirchendien-
stes zu vertreiben, hat es unternommen, eine hübsche junge Da-
me, die noch dazu die Nichte eines seiner Brüder im Herrn ist,
zu erobern. Als er sich eines Tages auf der liebestollen Jagd, die
er vor keinem verheimlichte, tete-ä-tete mit dieser Dame fand,
bestürmt er sie, von seiner Leidenschaft fortgerissen, aufs hef-
tigste, und vergißt, vorsichtshalber den Riegel vorzuschieben ; der
Gatte kommt dazu und betritt den Raum just im entscheidenden
Moment ; die Dame verliert keineswegs den Kopf und gibt vor,
daß der Prälat versuchte, ihr Gewalt anzutun; sie stürzt sich auf
ihres Mannes Degen und stößt ihn in den Schenkel des Unbe-
sonnenen. Dies genügte wohl, um seine Gluten zu kühlen ; ver-
wirrt, gedemütigt, mit gesenktem Kopfe trat er seinen Rückzug
an, und hütet nun notgedrungen das Zimmer.
Diese Geschichte ist heute Gemeingut; man spricht von nichts
anderem, als von Madame de la M . . . Geschicklichkeit, die dem
Bischof de S. Brieux einen Degenstich in den Schenkel versetzt
hat, ohne seine Hose zu gefährden.
Man sagt, der Prinz von Conti habe den König damit erfreut,
doch hat es der Bischof von Orleans, der um den Ruf seines
Sprengeis sehr besorgt ist, für seine Pflicht gehalten, den ge-
samten Kirchenstaat davon zu benachrichtigen, der die Sachlage
richtig erfaßte und zurückschrieb : dies sei eine Verleumdung,
die aus Schadenfreude erfunden sei.
Bedauerlicherweise wird behauptet, daß Monseigneur die
Narbe sein ganzes Leben lang auf dem Schenkel behalten
wird.
Aus den Memoiren 239
Von Mund zu Mund kursiert ein sublimes Wort des Sieur Le
Kain, das alle Welt begeistert.33 Gegen Ende der dramatischen
Saison, in einem Foyer, wurde es geprägt. Man beglückwünschte
diesen Schauspieler zur Ruhe, die er nun genießen würde, zum
Ruhm und zu dem Geld, das er gewonnen hatte. „Was den Ruhm
anbetrifft," erwiderte Le Kain bescheiden, „so schmeichle ich
mir nicht, viel erworben zu haben. Diese Art Entschädigung wird
uns von zu vielen bestritten, und Sie selbst würden sie mir streitig
machen, wollte ich sie usurpieren. Was das Geld anbetrifft, so
habe ich nicht Grund, derart zufrieden zu sein, wie man annimmt ;
unser Anteil kommt dem der Schauspieler an der italienischen
Oper nicht gleich, und wären wir gerecht gegen uns selbst, würden
wir uns ein wenig höher einschätzen. Ein Anteil beim Theätre
des Italiens bringt 20 — 25 000 Livres ein, und der meine im
Höchstfalle 10 — 12000." „Wie denn," rief da ein Chevalier des
Sankt Ludwig-Ordens, der der Unterhaltung zuhörte, „wie denn !
ein elender Komödiant ist nicht mit 12000 Livres Rente zu-
frieden, und ich, der ich im Dienste des Königs stehe, auf einer
Kanone schlafe und mein Blut dem Vaterland opfere, ich bin
nur zu glücklich, 1000 Livres Pension zu erhalten."
„Ja, mein Herr," erwiderte Le Kain, „und rechnen Sie es denn
für nichts, daß Sie sich die Freiheit nehmen dürfen, in diesem
Ton zu mir zu sprechen ?"
Man erzählt sich ein Geschichtchen, das kürzlich Herrn von
Marmontel zugestoßen sein soll, und das er, wie billig, leugnet.
Dieser Autor hatte sich als Erster in das Landhaus einer Dame
begeben, deren Tochter soeben das Kloster verlassen hatte. Sie
war eine alleinstehende Witwe, die kein großes Haus führte. Als
der berühmte, unerwartete Mann ankommt, und ihr noch dazu
erzählt, daß Madame Gaulard mit ihrer Gesellschaft bald nach-
folgen werde, läßt sie ihn allein, um ihre Verfügungen zu treffen,
bittet ihn, sie einige Momente zu entschuldigen, und schärft ihrer
240 Aus den Memoiren
Tochter ein, den Herrn unterdessen zu unterhalten und möglichst
die Kosten des Gesprächs zu tragen. Das Fräulein ist hübsch und
eine heilige Unschuld, und dies zweifellos mehr, als man es von
Zöglingen der meisten Klöster erwartet.
Wie dem auch sei, der Herr Marmontel ermannt sich, vergißt
sich, profitiert von der Unschuld des jungen Mädchens und wird
außerordentlich unternehmend.
Darüber kommt die Mutter zurück, entschuldigt sich bei un-
serem Akademiker, versichert ihm, wie sehr sie bedauert habe,
ihn hat allein lassen zu müssen, und hofft, daß er sich nicht zu
sehr gelangweilt habe ; er beschwört das Gegenteil, und daß ihr
Fräulein Tochter den Esprit eines Engels habe und daß er sich
ausgezeichnet unterhalten hätte. Die Mutter wendet sich zu ihrer
Tochter und sagt, sie hoffe, daß diese Liebenswürdigkeit nicht
nur eine Höflichkeitsformel sei. Herr Marmontel entgegnet von
neuem, daß nichts wahrer sei, und daß er viel Vergnügen emp-
funden habe.
Die Kleine aber verliert die Geduld und entgegnet heftig : „Er
lügt, Mama, er lügt ! Welch zweifelhaftes Vergnügen, auf anderer
Leute Popo mit eiskalten Händen zu manipulieren." Es ist un-
möglich, den Zustand der Mutter und den des Herrn Marmontel
zu schildern. Er wartete das Kompliment, das ihm gebührte, erst
gar nicht ab, und rettete sich eiligst auf seinen Wagen.
#
Longchamps, diese in der Karwoche so beliebte Promenade,
ist gestern zum erstenmal mit all dem Zulauf, den der schöne
Tag versprach, eröffnet worden. Die Prinzen und die Großen
des Reiches haben sich in den prunkvollsten und schnellsten
Equipagen dahin begeben; die Freudenmädchen haben dort wie
gewöhnlich geglänzt. Aber Mlle Guimard, „La belle Damnee".
wie M. de Marmontel sie in seiner wenig katholischen „Epitre"
nennt, hat alle Blicke durch einen Wagen exquisitester Eleganz
auf sich gelenkt, der würdig war, die Reize dieser modernen
Aus den Memoiren 241
Terpsichore zu tragen. Was besonders die Aufmerksamkeit des
Publikums fesselte, war das beredte Wappen, das die berühmte
Kurtisane gewählt hat : inmitten des Schildes erblickt man einen
goldenen Pfennig, aus dem eine Eichel hervorragt. Die Grazien
sind die Wappenhälter und Amoretten krönen die Zierleiste.
Alles an diesem Emblem ist ingeniös.34
Man erzählt sich viel von den wunderbaren Vorstellungen, die
Mlle Guimard, die Prima ballerina der Oper, in ihrer herrlichen
Villa in Pantin gibt. Herr von Marmontel hat nicht befürchtet,
seine akademischen Fähigkeiten, noch seine Seelengröße zu de-
gradieren, als er dieser Kurtisane vor einem Jahre den weit und
breit bekannten Brief schrieb. Es scheint, als ob Herr Colle35 sein
„Theätre de Societe" dazu bestimmt habe, bei ihr gespielt zu
werden. Herr von Carmontel hat einen Band „Dramatischer
Sprüchwörter" geschrieben, gleichfalls dazu bestimmt. Sie sind
von de la Borde in Musik gesetzt worden, diesem Amateur, der
seine Begabung nicht besser verwenden zu können glaubt, als
sie in den Dienst der modernen Terpsichore zu stellen. Die
Schauspieler der verschiedenen Theater befreien sich, wenn es
ihnen irgend möglich ist, von ihren Verpflichtungen und eilen
in ihr Lusthaus, um dort zu spielen. Am Freitag, den 7., am
Tage der heiligen Jungfrau, hat man dort La Partie de Chasse
de Henri IV mit einem Proverbe von den ebengenannten Au-
toren als Beigabe aufgeführt. Das Publikum reißt sich um die
Ehre, zu diesen Vorstellungen zugelassen zu werden. Der Mar-
schall Prinz von Soubise beehrt sie oft mit seiner Gegenwart, und
steuert nicht wenig dazu bei, diese luxuriöse Ausgabe zu unter-
stützen. Manchmal spielt auch Mlle Guimard mit, doch ent-
spricht ihre Grabesstimme nicht ihren anderen Talenten. Diese
Kurtisane wird auf diese Weise und durch das Raffinement der
wollüstigen Orgien, die gar oft bei dieser Nymphe gefeiert wer-
den, und von denen man Wunderdinge berichtet, sicher Epoche
machen.
16
242 Aus den Memoiren
Vor einigen Tagen traf der Graf de Lauraguais36 in einer sehr
engen Gasse mit der Karosse des Generaladvokaten Herrn von
Barentin zusammen, der seine sehr häßliche Frau bei sich hatte.
Der Kutscher Lauraguais' versuchte vorwärts zu kommen; der
des anderen weigerte sich auszuweichen; darauf großer Disput
zwischen den Dienern. Der Generaladvokat streckt den Kopf
aus der Tür und äußert mit beamtendünkelhaftem Ton sein
Erstaunen, daß man ihn nicht passieren läßt; er bringt seinen
Rang zur Geltung und betont, wie der königliche Dienst nicht
verzögert werden dürfe.
Graf Lauraguais kümmert sich nicht im geringsten um den
Redeschwall des Generaladvokaten und befiehlt seinem Kut-
scher, vorbeizufahren. Darauf zeigt sich die ganz altenerte Frau
des Advokaten am Wagenschlag, fordert die Vorrechte ihres Ge-
schlechtes und äußert ihr Erstaunen, daß ein so vornehmer Herr
sie so wenig zu befolgen wisse.
,,Ah!" antwortete Graf Lauraguais, ,, warum haben Sie sich
denn nicht eher gezeigt, Madame ! Ich versichere Ihnen, daß ich,
mein Kutscher und meine Pferde schon weit wären, hätten wir
Sie früher gesehen !"
*
Eine wunderbar schöne Zeremonie, die seit undenklicher Zeit
in der Nacht vom Freitag zum heiligen Samstag in der Sainte-
Chapelle gefeiert wird, hat eine ungeheure Menge Zuschauer an-
gelockt. Um Mitternacht begeben sich alle Besessenen, die vom
Teufel, der sie quält, geheilt werden wollen, dorthin, um von
ihm befreit zu werden. Der Abbe de Sailly, der Großkantor
dieser Brüderschaft, berührt sie mit einem Splitter des heiligen
Kreuzes. Augenblicklich verstummt das Geheul, ihre Wut legt
sich, ihre Zuckungen beruhigen sich , und sie sind ihrem natür-
lichen Zustand zurückgegeben. Ungläubige behaupten, diese vom
Teufel besessenen seien Bettler, die dafür, daß sie diese Rolle
spielen, bezahlt und lange vorher eingeübt werden. Doch sollte
Aus den Memoiren 24.2
man nicht glauben, daß Geistliche sich zu einer so unwürdigen
Komödie hergeben könnten. Vielleicht bedient man sich dieser
frommen Methode höchstens deshalb, um mangels wahrer Be-
sessener den Glauben des wahren Frommen an dieses Mirakel,
das seit so vielen Jahren besteht, nicht zu zerstören, da es ge-
eignet ist, ihre heut so oft erschütterte Gläubigkeit zu festigen.
Glücklicherweise gibt es so viele Besessene, daß man nicht in die
Lage kommt, falsche einzuüben.
Mlle Beauvoisin, eine hübsche Kurtisane, die gewisse Reize
hatte, aber kurztaillig, klein und gedrungen war, hatte aus diesem
Grunde die Oper, an der sie als Tänzerin wirkte, verlassen müs-
sen. Seit einigen Jahren befaßte sie sich damit, ein Spielhaus zu lei-
ten; ihr Charme, ihr Luxus und der Zulauf vieler Spieler, die sich
da trafen, hatten ihr Haus berühmt gemacht; doch gab es, wie
immer, eine Menge eingeschmuggelter Betrüger. Szenen hatten
sich bei ihr abgespielt, die die Aufmerksamkeit der Polizei er-
regten: sie war zu Herrn von Sartines geschickt, und von ihm
mit strengen Vorhaltungen bedacht worden, auch hatte er ihr
anbefohlen, die Spielhöhle zu schließen oder aber wenigstens
jeden Eklat zu vermeiden, wenn sie einer strengeren Strafe ent-
gehen wolle.
Sie hatte gemeint, sich der polizeilichen Wachsamkeit dadurch
entziehen zu können, daß sie sich als überzählige Tänzerin bei den
in Versailles in Vorbereitung stehenden Festlichkeiten einzeich-
nete. \ui neue Bezichtigungen hin, daß das Haus dieser Dirne
ein erschreckendes Diebsnest sei, in dem sich junge Leute von
Stand träfen, ist sie heute festgenommen und nach Sainte-Pelagie
gebracht worden, einem Zufluchtsort gewisser Nymphen, die man
nicht ins Hospital stecken will. Diese Entführung hat Schrecken
unter die diesem Hause verbrüderten Spieler gesät, die sich nun
nach einer anderen Wirkungsstätte umsehen müssen.
16«
244 ^us ^en Memoiren
Man verbreitet eine skandalöse Anekdote über eine Prinzessin,
die zwar so erhaben, aber dennoch so öffentlich ist, daß man nicht
umhin kann, sie wiederzugeben.
Man weiß, daß der Chevalier de Coigny37 ein bei den Hofdamen
sehr beliebter und gern gesehener Herr ist; unter anderen nennt
man auch eine der hübschesten unter ihnen als eine seiner Erobe-
rungen, die Prinzessin d'Henin ; auch steigt er zu den Bürger-
lichen herab, und beehrt sie damit, sein Lager teilen zu dürfen;
so spricht man auch von einer Dame de Martinville, der Frau
eines Generalpächters. Endlich sagt man, daß er der Herzogin
von B***, die ihm Liebenswürdigkeiten erwies, die beiden anderen
geopfert habe. So geschah es, daß am Rosenmontag die bis zur
Unkenntlichkeit maskierte und von Eifersucht zerfressene Ma-
dame d'Henin ihn mit der ebenfalls maskierten Herzogin von B***
traf; sie erkannte sie sofort, gab aber vor, sie für Mme de Martin-
ville zu halten, und nach einem ironischen Kompliment über das
Opfer, das dieser Seigneur ihr (Mme d'Henin) für eine Bürger-
liche gebracht habe, fügt sie hinzu, daß sie das in Anbetracht ihrer
Jugend und ihrer Schönheit nicht erstaune, daß sie aber über
das Seltsame nicht wegkäme, daß er sie, die Martinville um eine
Grande Dame aufgäbe, die durch ihren Rang, ihre Geburt und
ihre Eigenschaften, ihren Esprit und Herzenstugenden gewürdigt
würde, deren Körper aber schwere Mängel aufweise, und damit
erging sie sich in einer demütigenden Aufzählung all ihrer körper-
lichen Schwächen, die sie naturgemäß übertrieb.
Die sehr verwirrte Prinzessin wollte sie einschüchtern, indem
sie beteuerte, gar nicht Madame de Martinville zu sein, daß es
sich um ein Mißverständnis handle, daß sie da Mitteilungen ma-
che, die ihr sehr gefährlich werden könnten; die andere jedoch
blieb hartnäckig, schwor, sich nicht zu täuschen, und entblödete
sich sogar nicht, im Eifer ihres Zornes sich selbst zu erniedrigen :
„Verstellen Sie sich doch nicht, schöne Maske," rief sie, „wir
Huren kennen einander ja alle!"
Aus den Memoiren 245
M. Fenouillot de Falbaire hat vor einem Jahr ein hübsches
Mädchen geheiratet, in die sich der Herr Beaujon, ein Hofban-
kier, solcher Art verliebte, daß er für das Paar alles tat, was in sei-
nen Kräften stand. Zuerst hat er ihnen eine königliche Domäne
verschafft, die den Titel einer Baronie de Quingey mit sich
brachte, den der junge Ehemann angenommen hat. Er hat ihnen
die Viertelstelle und Einnahme eines Generalpächters übermit-
telt. Er hat ihnen 2000 Livres Rente ausgesetzt. Ganz kürzlich
hat er der Frau, die soeben von einem Kinde genesen ist, Pferde
und eine Karosse zum Geschenk gemacht. Kurz, jeden Tag er-
weist er ihnen neue Wohltaten. Sie sind um so weniger teuer
für die Baronin, als der Liebhaber als impotent gilt, und den
Ehemann unmöglich nach allen Regeln der Kunst zum Hahnrei
machen kann; außerdem ist er derart eifersüchtig, daß er darüber
wacht, daß kein anderer es tue: so ist er eine Art sehr wachsamer
Eunuche, den der Baron de Quingey um seine Frau besorgt weiß.
Da endlich die auf diese Weise nie versiegenden Wünsche des
Finanziers sich sehr verdoppeln können, und sein außerordent-
licher Reichtum es ihm ermöglicht, sich alle Damen, die er be-
gehrt, zu kaufen, hält er sich deren mehrere, die er seine „ber-
ceuses" nennt, da sie ihn zu Bett bringen und mit Zärtlichkeiten
und Erzählungen einschläfern. Dabei ist der Bankier ein Bauer,
ohne Liebenswürdigkeit, ohne Reiz, keineswegs säuberlich, wie
die modernen Finanziers, und überhaupt sehr tölpelhaft.
Man möge sich auch erinnern, daß Herr Falbaire ein durch
sein Drama „L'Honnete Criminel" bekannter Autor ist.38 Sein
Reichtum verhindert ihn nicht zu arbeiten, und soeben hat er
ein neues Drama geschaffen, das er in Fontainebleau aufführen
lassen will.
Der Hofbankier Beaujon, der sich im Hotel der außerordent-
lichen Gesandten, dem ehemaligen Hotel d'Evreux und dem
nachmaligen Hotel de Pompadour schlecht logiert fand, hat dort
246 Aus den Memoiren
große Ausgaben gemacht, besonders für den Garten, den er arg
zurichtete. Bei dieser Gelegenheit spricht man viel von diesem
verschwenderischen Herrn, dessen Lebenslauf man sich also er-
zählt :
Um 7 Uhr früh erhebt er sich und arbeitet bis um 9. Darauf
kleidet er sich an, trinkt seine Schokolade, empfängt Visiten, hält
seine Audienzen ab, und so fort; des Abends diniert er mit vielen
Freunden zusammen und unterhält sich angeregt. Um 9 Uhr
geht er schlafen; wenn er im Bett ist, öffnen sich die Gardinen
und seine Vertrauten, besonders seine „berceuses", liebkosen ihn
bis neuneinhalb, dann schließen sie die Gardinen.
Darauf soupieren die anderen, tun nach ihrem eigenen Belie-
ben und ziehen sich je nach Gefallen zurück.
#
Ein seltsames Schauspiel hat die Freunde Long Champs erfreut
und strenge Mitbürger indigniert. Schon früher hat man Mlle
Du The mit einer glänzenden sechsspännigen Equipage brillieren
sehen. Mlle Cleophile39, die von Eifersucht geplagt wurde, hat
sich am Karfreitag auf dieselbe Art und Weise dahin begeben,
um mit der Pracht ihrer Rivalin zu konkurrieren. Man hat sich
nicht entscheiden können ; nicht was die körperliche Schönheit,
sondern den Luxus und die Eleganz der Kleidung, der Diamanten
und der Aufmachung anbetrifft ; ebensowenig über die Schönheit
der Pferde und die Ausstattung der Karossen. Mlle Cleophile
hat, obschon sie viel jünger ist, nur ein phantastisches Frätzchen
und kann mit der regelmäßigen, aber langweiligen Schönheit
ihrer Konkurrentin nicht rivalisieren. Die Cleophile gehört heute
dem Grafen Aranda, der ihr, wie man sagt, neunhundert Louis
monatliches Fixum gibt, was sie instand setzt, diese Würde kon-
venierend zu repräsentieren. Sie ist ein kleines Mädchen, das
ehemals bei Audinot war, und heute überzählige Tänzerin der
Oper ist.
Aus den Memoiren 247
Der „Pouff aux sentiments" ist eine Coiffure, die dem „que-
saco"4<> gefolgt und ihm durch die Unmenge verschiedenartiger
Dinge, die zu ihrer Komposition gehören, und durch die Phan-
tasie, die sie, um wechselvoll ausgeführt zu werden, erfordert,
unendlich überlegen ist. Man nennt sie „pouff", weil sie eine
Varietät vieler Gegenstände enthalten kann, und weiter „aux sen-
timents", weil sie sich auf das, was man selbst am meisten liebt,
beziehen müssen. Die Beschreibung des Pouff der Herzogin de
Chartres soll diese schwierige Definition dem Verständnis näher
bringen : In dem Pouff ihrer Hoheit erblickt man eine im Sessel
sitzende Frau, die einen Säugling wiegt, was Bezug auf den
Herzog von Valois und dessen Amme hat. Zur Rechten befindet
sich ein Papagei, der an einer Kirsche pickt, der Lieblingsvogel
der Prinzessin. Zur Linken ein kleiner Neger, das Abbild dessen,
den sie liebt; der Rest ist mit Haartuffs des Herzogs de Chartres,
ihres Gatten, des Herzogs de Penthievre, ihres Vaters, des Herzogs
von Orleans, ihres Schwiegervaters, und anderer garniert. Alle
Frauen wünschen einen Puff zu besitzen und schwärmen davon.
#
Gestern um 3 Uhr morgens hat Seine Majestät dem Herzog von
Duras befohlen, den Abbe Maudoux, seinen Beichtiger, rufen zu
lassen. Seine Majestät ist 15 oder 10 Minuten allein mit ihm ge-
blieben, dann hat sie mit dem Großalmosenier eine Privatkon-
ferenz gehalten; endlich hat sie das heilige Abendmahl empfan-
gen. Vorher hat der Kardinal de La Roche-Aymon im Namen
des Königs folgende Rede gehalten :
„Obgleich der König niemand anders als Gott Rechenschaft
über sein Gehaben schuldet, bedauerter, seine Untertanen skan-
dalisiert zu haben und erklärt : von jetzt ab nur der Religion, dem
Glauben und dem Wohlergehen seines Volkes leben zu wollen."
Die Reliquie der heiligen Genoveva ist anläßlich der Krankheit
Seiner Majestät enthüllt worden. Im übrigen haben die Mönche
ihr Möglichstes getan, um die Neugier des Publikums anzu-
248 Aus den Memoiren
stacheln; sie haben um die Reliquie eine Art schwarzer Kammer
gezogen, um den Glanz der bunten Glasarbeiten, die sie schmük-
ken, noch mehr hervorzuheben.
Sobald sich die Pockenkrankheit beim König deklarierte, erbot
sich ein zufällig in Paris weilender englischer Arzt namens Sutton,
ein Mitglied jener berühmten Familie, die eine besondere Inoku-
lationsmethode und ein spezielles Mittel gegen diese Krankheit
erfand, Seine Majestät zu behandeln; doch haben unsere franzö-
sischen Ärzte ihn zu verdrängen gewußt. Seitdem nun des Kö-
nigs Zustand hoffnungslos geworden ist, hat man den Ausländer
rufen lassen; der Herzog von Orleans und Madame Adelaide ha-
ben ihm 100 000 Taler für sein Geheimnis oder für die Erlaubnis
zu dessen Analyse vor der Anwendung beim König geboten. Er
hat darauf bestanden, daß dies ein Familiengeheimnis sei, dessen
Schlüssel er keineswegs habe, und daß es sowieso schon zu spät sei.
Die Leiche des Königs war derartig verpestet, daß kein Arzt
gewagt hat, die Autopsie zu machen. Man sagt, daß sie augen-
blicklich mit ungelöschtem Kalk bedeckt, dann in einen Sarg aus
Zedernholz und darauf in einen bleiernen gelegt worden wäre.
Das Palais ist zwiefach verseucht, erstens von der Leiche des
verstorbenen Königs und dann von den mannigfaltigen wohl-
riechenden Wassern und Parfüms, die seit zwölf Tagen ein jeder
Höfling gebrauchte; daraus ist ein Potpourri entstanden, schreck-
licher als die faulige Ausdünstung der pestilenzartigen Krank-
heit Seiner Majestät.
Nach dem Tode des Königs haben alle die Großen des Reichs,
die Seiner verstorbenen Majestät beistanden, sich der neuen Ma-
jestät dank der pestilenzartigen Krankheit, mit der sie sich voll-
gesogen hatten, nicht nähern können; deshalb haben sie sich, dem
Brauche gemäß, bei der neuen Majestät nur einschreiben lassen.
Der Herzog de la Vrilliere hat sich zu der ehemaligen Dau-
phine, der jetzigen Königin, begeben, — der er sich nähern durfte,
da diese Prinzessin die Pocken gehabt hat — , um die Befehle
Aus den Memoiren
249
Seiner Majestät oder die, die der König durch sie zu geben ge-
ruhen würde, entgegenzunehmen. Die Königin hat geantwortet,
daß sie ihm keine zu überliefern habe, weder von seinem Herr-
scher noch von ihrem erhabenen Gatten.
Der König hat sogleich eine Karosse bestiegen und alles hat
gerufen: „Es lebe der König!"
Obgleich keinerlei Befehl erteilt war, da der König es füi
nötig befunden hatte, daß die ganze Familie in diesen Tagen ge-
meinsamer Schmerzen miteinander versammelt sei, hat sich der
ganze Hof nach Choisy begeben. Die Damen befinden sich im
kleinen, der König und seine Brüder im großen Schlosse. Der
Herzog von Orleans, der unausgesetzt beim verstorbenen König
gewohnt hat, hat dem neuen König nicht huldigen können. Er
hält sich für die Dauer von neun Tagen zu Saint-Cloud auf. Aus
demselben Grunde haben sich alle Minister verstreut ; man glaubt
nicht, daß vor Ablauf dieser Zeit eine Ministersitzung statt-
finden werde.
*
Madame du Barry, von der man fälschlich berichtete, daß sie
Ruel verlassen habe, befindet sich noch immer dort; doch nimmt
man an, daß ihres Bleibens dort nicht mehr lange sein wird; man
vermutet, daß sie dort des Königs Befehle abwartet. Im übrigen
hat ihr Schmerz sie keineswegs dem Luxus und dem süßen Müs-
sigang entfremdet ; dies solcher Art, daß sie, da ihr das Bett der
Herzogin d'Aiguillon nicht bequem dünkte, nach Versailles ge-
schickt hat, um ihr eigenes holen zu lassen.
Da dieser Name, seit der Hof sich zurückgezogen hat, derartig
verrufen ist, hat die junge Marquise du Barry (Mlle de Fumel)41,
auf die sogar die öffentliche Verachtung zurückfiel, sich "ent-
schlossen, ihre Dienerschaft nicht mehr in ihre Livree zu kleiden.
Man weiß, welchen Widerwillen sie immer gegen diesen Hymen
empfand, dessen Opfer sie war; was sie wirklich beklagenswert
macht.
2 co Aus den Memoiren
Das Leichenbegängnis des Königs hat tatsächlich am ange-
gebenen Tage stattgefunden, und ist mit unanständiger Eile und
fast vollkommenem Außerachtlassen des Zeremoniells betrieben
worden. Die Wirtshäuser am Wege waren mit johlenden Men-
schen angefüllt. Unter anderen erwähnt man einen besonders
Schuldigen, der herausgeworfen werden sollte und dem man
schließlich den Wein verweigerte. Um sich seiner zu entledigen,
sagte man ihm, Louis XV Leichenzug würde vorbeikommen :
„Wie," schrie er in Delirium, „dieser Hurenkerl hat uns bei
seinen Lebzeiten Hungers sterben lassen und nach seinem Tode
sorgt er noch dafür, daß wir vor Durst umkommen."
*
Was die Gräfin du Barry bei Hofe noch verhaßter macht, ist
eine Anekdote, die als authentisch gilt, und sie die Ursache ^on
des Königs Tod werden läßt. Man behauptet, gelegentlich einer
Lustbarkeit zu Trianc n, die den König den plötzlichen Tod des
Marquis de Chauvelin, den des Marschalls d' Armentieres und
die folternden Gewissensbisse, die die Gründonnerstagspredigt
des Bischofs von Senez in ihm erweckt hatte, vergessen machen
sollte, habe man beobachtet, daß der Monarch ein wohlgefälliges
Auge auf die Tochter eines in der Nähe wohnenden Tischlers
geworfen habe; daß man dieses noch unschuldige Kind habe kom-
men, waschen und parfümieren lassen, und sie so in das Bett
Seiner Majestät geführt hätte, dem dieser leckere Bissen schlecht
bekommen wäre, hätte man ihn nicht mit sehr starken Kräfti-
gungsmitteln unterstützt, was ihm tatsächlich half und mehr
Vergnügen verschaffte als man füglich in diesem Alter empfindet.
Man behauptet ferner, daß dieses Kind, das sich schon krank
fühlte und sich nur mit Mühe dem lieh, was man verlangte, sich
nur von Drohungen eingeschüchtert, und in der Hoffnung, viel
Geld zu erwerben, ergab. Man ahnte nicht, daß sie den Keim der
Pockenkrankheit in sich hatte, die sie dem König übertrug und
an der sie noch frühei starb als er.
Aus den Memoiren 251
Man hat auf den verstorbenen König ein abscheuliches Epi-
taph gemacht, das in den Anekdoten als historisch bewahrt wird ;
es illustriert die Sittenverwahrlosung gegen Ende seiner Regie-
rung, sowie die Reinheit, die man von der aktuellen erhofft.
„Quittez la Cour; partez
Partez, M . . . et P . . . ;
Ci-git Louis, quinzieme du nom,
Dit le bien-aime par surnom,
Et de ce titre le deuxieme,
Dieu nous preserve du troisieme!"
Um dies Epitaph zu verstehen, muß man sich erinnern, da ß Cha r-
les ebenfalls vor seinem Wahnsinn „le bien-aime" genannt wurde.
#
Man schreibt aus Toulouse, daß der Pöbel, sowie die Nachricht
von Mme du Barrys Entfernung vom Hofe eintraf, und selbst vor
des Königs Tode, sich für die Unverschämtheiten ihres Gatten, des
Grafen Guillaume, gerächt hat, ihn mit Schmährufen beschimpft
und in den Schmutz warf; und man zweifelt nicht, daß diese Miß-
handlungen nach dem Tode des Königs fortgedauert hätten, wäre
dieser Unglückliche nicht vorsichtig genug gewesen, zu entfliehen.
#
Unlängst fielen im ersten Rang der Comedie eine Dame mit zwei
Fräuleins durch ihr bäuerisches ordinäres Wesen und den außer-
ordentlichen Schmuck, den sie trugen, auf. Man sah sie nachher
in eine Karosse steigen, süperb wie die eines Gesandten. Sechs
Lakaien waren um den Wagen herum. Einer fragte die Dame,
wohin man fahren solle, worauf er zur Antwort bekam : „Cheux
nous", worüber die ganze Valletaille lachte. Und einer der Die-
ner, den man nach der Dame fragte, erklärte : „Madame ist eine
Weißwäscherin, die, ohne sich zu verletzen, aus der vierten Etage
in einen eigenen Wagen gefallen ist."
#
Einer von den neuen Reichen bestellte beim besten Lieferan-
ten eine Berline allerfeinster Arbeit. „Und welches Wappen soll
252 Aus den Memoiren
ich draufmalen ?" fragte der Fabrikant. „Das Schönste, das es
gibt, mein Lieber," bekam er zur Antwort, „das Schönste, das Sie
auf Lager haben."
#
Die kleine Cartou vom Ballett sagte zum Grafen Arty: „Sag
ein bißchen deiner Frau und deinen Schwestern, wenn sie uns,
wie sie es tun, unsere Praktiken nachmachen und wegnehmen,
so sollen sie auch unsere Rollen spielen, denn es ist nicht ge-
recht, daß wir die Mühe haben sollen und sie den Profit."
#
Als der junge Grimod42 Fräulein Jarente geheiratet hatte und
diese in den ersten Tage der Ehe keine besonders gute Laune
zeigte, fragte Grimod seinen Schwager, den Herrn von Males-
herbes: „Glauben Sie, daß meine Frau mich glücklich machen
wird?" Worauf der sehr richtig antwortete: „Das hängt vom
ersten Liebhaber ab, den sie haben wird."
#
Der reich gewordene Bourvalais kam einmal in einer Finanz-
pächterversammlung mit dem reichgewordenen Thevenin in
Streit, der ihm schließlich sagte: „Weißt du denn nicht mehr,
daß du mein Lakai gewesen bist ?" Worauf Bourvalais, der wirk-
lich des andern Lakai gewesen war, sagte : „Ich weiß, aber wenn
du der meine gewesen wärst, wärst du es noch heute."43
#
Der reich gewordene Michel Bouret, der 1777 ganz verschuldet
starb, bewarb sich sehr um die Gunst einer Dame vom Hof und
bot ihr an, sein Vermögen mit ihr zu teilen. Sie lehnte sehr brüsk
ab. Einige Zeit darauf war sie in Not und schrieb Bouret um
10 000 Franks und lud ihn zum Souper ein. Bouret antwortete:
„Was ich von Ihnen verlangte, war ohne Preis, das, was Sie mir
anbieten, ist zu teuer."
#
Ein Gast im Hause des Generalpächters de Beaujon bemerkte
nach einem Rundgang in dem Prachthause : „Ohne das Gesicht
des Hausherrn wüßte man nicht, wohin spucken."
Aus den Memoiren 253
Mme de Groslier beichtete auf dem Sterbelager mit einer
Zeile: „Hochwürden, ich war jung, ich war hübsch, man hat es
mir gesagt, ich habe es geglaubt : denken Sie sich das übrige."
#
Lekain gab einem Amateur der Gesellschaft Unterricht. Dieser
packte in einer Liebesszene seine Partnerin beim Arm, wozu Le-
kain sagte : „Wenn Sie leidenschaftlich erscheinen wollen, müssen
Sie so aussehen, als wagten Sie nicht, das Kleid jener zu berühren,
die Sie anbeten."
#
Fontenelle sagte : „Das Vergnügen ist nicht solide genug, als
daß man es vertiefen könnte, man darf es nur entblättern."44
*
Der alt gewordene Prinz Conti45 sagte unlängst, man nehme
seine Liebeserklärungen als Komplimente, früher habe man seine
Komplimente für Liebeserklärungen genommen. Er schickte neu-
lich der Mme de Blot eine Miniatur ihres Kanarienvogels in
einem goldenen Büchschen, das mit einem großen Diamanten
verziert war. Mme de Blot schickte den Diamanten zurück, denn,
als sie den Wunsch nach der Miniatur geäußert habe, bedang sie
sich eine ganz einfache aus. Der Prinz Conti ließ den Diamanten zu
Pulver zerreiben und streute es auf ein Billett, das er an Frau von
Blot schrieb. Dieses Stäubchen Pulver kostete fünftausend Livres.
*
Die Komtesse von Forcalquier hatte von ihrem Gatten ohne
Zeugen eine Ohrfeige bekommen und wollte sich scheiden lassen.
Aber man sagte ihr, daß sie gar keine Aussicht hätte, die Schei-
dung zu erreichen. Mit diesem Bescheid kam sie nach Hause, be-
gab sich in das Zimmer ihres Gatten, gab ihm eine Ohrfeige und
sagte: „Hier haben Sie Ihre Ohrfeige zurück, ich kann damit
nichts anfangen."
Der sterbende Herzog von Ormont sagte zum Chevalier d'Ar-
ragues, der an seinem Lager stand : „Lieber Freund, ich bitte Sie
254 Aus den Memoiren
um Entschuldigung, daß ich in Ihrer Gegenwart sterbe." Der
andere wußte, ganz verwirrt von so viel Höflichkeit, nichts an-
deres zu sagen, als : „Um Gottes willen, genieren Sie sich nicht."
#
Ich sagte zu Herrn B***, einem Spötter und Misanthropen,
der mir einen jungen Mann seiner Bekanntschaft vorgestellt hat-
te : „Ihr Freund weiß noch nichts von der Welt, er hat noch gar
keinen Begriff von ihr." „Ja," antwortete er, „aber er ist schon
so traurig, als wüßte er alles."
#
Voltaire kam eines Tages durch Soissons und wurde von einer
Deputation der Akademie von Soissons begrüßt. Einer der Her-
ren hielt eine Rede und nannte darin die Akademie von Soissons
die älteste Tochter der Academie francaise. „Ja, meine Herren,"
antwortete Voltaire, „die älteste Tochter, die vernünftige Toch-
ter, die brave Tochter, die nie von sich reden gemacht hat."
•*
Ein Doktor der Sorbonne schimpfte auf das Systeme de la Na-
ture.46 Er sagte : ein entsetzliches, verabscheuungswürdiges Buch,
der bewiesene Atheismus !
#
Ich fragte Herrn ***, warum er sich durch sein eingezogenes
Leben für alles Gute unzugänglich mache, das man ihm erweisen
könnte. „Was mir auch die Menschen Gutes erweisen könnten,"
erwiderte er, „es wäre für mich nicht so wertvoll, wie die Tat-
sache, daß ich von ihnen nichts höre und nichts sehe."
#
Von dem Anti-Machiavel des Königs von Preußen sagte Vol-
taire . „Er spuckt in die Suppe, um den anderen den Appetit zu
verderben."
#
D'Alembert sprach mit einem berühmten Professor der Rechte
aus Genf über Voltaire. Der Professor rühmte das universelle
Wissen des Meisters und fügte hinzu : „Ich finde ihn nur im
Aus den Memoiren 255
öffentlichen Recht etwas schwach." — „Und ich in der Geome-
trie", sagte d'Alembert.
#
Der König von Preußen fand bei der Einnahme von Dresden
im Hanse des Grafen Brühl eine Menge Reitstiefel und Perücken.
„Genug Stiefel für einen, der nie reitet," sagte er, „und genug
Perücken für einen kopflosen Menschen."
#
Diderot hatte während seines Aufenthaltes in Rußland leib-
eigene Bauern, Muschiks, bemerkt, entsetzlich arm, von Ungeziefer
zerfressen. Er entwarf der Kaiserin ein schreckliches Bild ihres
Elendes. „Denken Sie denn, sie sollten sich um Häuser kümmern,
in denen sie doch nur zur Miete wohnen ?" antwortete Katharina.
#
Ein Advokat namens Marchand, ein geistvoller Mensch, tat
den Ausspruch: „Bei der Verwaltung, bei der Justiz und bei der
Küche soll man nicht hinter die Kulissen sehen, sonst kriegt man
den Ekel!"
#
Diderot hatte unter seinen Bekannten ein leichtsinniges Bürsch-
chen, das schließlich durch einen letzten Streich die Gunst seines
Onkels verscherzte. Der Onkel, ein reicher Prälat, wollte ihn
enterben. — Diderot besucht diesen, gibt sich sehr ernsthaft und
philosophisch und predigt zugunsten des Neffen in einem ergrei-
fenden und pathetischen Ton. Der Onkel erzählt darauf ein paar
Schandtaten des jungen Menschen. „Er hat noch viel Schlimme-
res verübt!" ruft Diderot. — „Und ?" — „Eines Tages wollte er
Sie nach der Messe in der Sakristei ermorden! Nur die Dazwi-
schenkunft einiger Leute ..." — „Verleumdung!" schrie der
Onkel, „das ist nicht wahr!" — „Gut," fuhr Diderot fort, „aber
selbst, wenn es wahr wäre, müßten Sie ihm in Anbetracht seiner
aufrichtigen Reue verzeihen und bei der unglücklichen Lage, die
seiner harrt, wenn Sie die Hand von ihm ziehen."
256 Aus den Memoiren
„Ein Schriftsteller", sagte Diderot, „kann eine Geliebte haben,
die Bücher schreibt aber seine Frau muß Hemden nähen können."
#
Ein Kanzelredner erzählte: „Der würdige Vater Bourdaloue
predigte in Rouen und richtete großen Unfug an : Die Hand-
werker liefen aus Ihren Werkstätten, die Ärzte von ihren Kranken
usw. Das Jahr darauf kam ich hin und predigte und brachte alles
wieder in Ordnung."
*
In einer Gesellschaft, zu der auch einige Bischöfe und mehrere
Abbes gehörten, sprach Herr von C*** einmal über die engli-
schen Regierungsformen und ihre Vorzüge. Einer von den Abbes,
ein Herr von Seguerand, erwiderte ihm: „Schon nach dem weni-
gen, das ich von England gehört habe, möchte ich durchaus nicht
dort leben. Ich würde mich in einem solchen Land ganz elend
fühlen." — „Aber sehen Sie, Abbe, gerade weil Sie sich dort un-
behaglich fühlen würden, ist das Land so ausgezeichnet", ant-
wortete Herr C*** in aller Unschuld.
#
Als Montazet, Erzbischof von Lyon, in sein Bistum einzog,
gratulierte ihm eine alte Stiftsdame, eine Schwester des Kardi-
nals Tencin zu seinem Glück bei den Damen und auch zu dem
Kind, das er von Madame Mazarin habe. Der Kirchenfürst stellt
alles in Abrede. „Aber meine Gnädige," sagte er, „auch Sie selbst
hat ja die Verleumdung nicht verschont! Meine Geschichte mit
Frau von Mazarin ist ebensowenig wahr, als das, was man sich
von Ihnen und dem Kardinal erzählt." — „So," erwiderte die
Stiftsdame ruhig, „dann haben Sie das Kind doch."
#
Als der Herzog von Richelieu in die Academie francaise auf-
genommen war, lobte man seine Rede außerordentlich. Man sagte
ihm eines Tages in einer großen Versammlung, daß besonders der
Ton seiner Rede vollendet gewesen sei. Schriftsteller von Fach
schrieben vielleicht korrekter, aber sie hätten nicht diese Grazie
Aus den Memoiren 257
und Leichtigkeit des Stils. „Ich danke Ihnen, meine Herren",
antwortete der junge Herzog. „Ich bin entzückt über das, was
Sie mir gesagt haben. Ich brauche Ihnen nur noch zu sagen, daß
meine Rede von Herrn Roy war, und ich werde ihm mein Kom-
pliment dafür machen, daß er den Hofton so gut traf."
#
D'Alembert und der Portier. Der Portier: Wohin, mein Herr ?
D'Alembert: Zu Herrn von ***. Der Portier: Warum fragen Sie
mich da nicht? D'Alembert: Mein Lieber, man fragt Sie,.wenn
man wissen will, ob Ihr Herr zu Hause ist. Der Portier: Also ?
D'Alembert: Ich weiß aber, daß er zu Hause ist, denn er bat mich,
um diese Zeit zu kommen. Der Portier: Das ist ganz einerlei, man
hat mich zu fragen. Wenn man mich nicht fragt, bin ich ja nichts !
Fontenelle wurde dreimal von der Akademie zurückgewiesen
und erzählte das gern. Er fügte immer hinzu : „Ich erzähle diese
Geschichte allen Leuten, die eine Abweisung ihres Gesuchs är-
gert, aber ich habe noch niemanden damit getröstet."
*
Als der Abbe Raynal47 noch jung und arm war, las er täglich
eine Messe für zwanzig Sous. Später kam er zu Geld und überließ
sie dem Abbe de la Porte, behielt aber von den zwanzig Sous acht
für sich. Als sich auch die Verhältnisse des Abbe de la Porte etwas
besserten, überließ er die Messe dem Abbe Dinouart — und zog
außerdem, was Raynal bekam, noch weitere vier Sous ab ... So
brachte diese armselige Messe, die mit doppelten Abgaben bela-
stet war, dem Abbe Dinouart nicht mehr als acht Sous ein.
#
An Frau von Crequi schrieb ein Geistlicher beim Tode des Herrn
de Crequi-Canaples, der ein ungläubiger Sonderling gewesen war :
„Ich bin um das Heil seiner Seele sehr besorgt, allein, da Gottes
Wege unerforschlich sind und der Verstorbene die Ehre hatte,
Ihrem Hause anzugehören, so . . ."
17
258 Aus den Memoiren
Ein Landpfarrer sagte zu seiner Gemeinde nach der Predigt :
„Bitten wir Gott für den Besitzer dieses Schlosses, der in Paris
seinen Wunden erlegen ist." Er war gerädert worden.
#
Als der Marschall Duras mit einem seiner Söhne unzufrieden
war, sagte er zu ihm: „Du elender Mensch! Wenn das so weiter
geht, lasse ich dich beim König zur Tafel laden." Der junge
Mann war zweimal in Marly beim Souper gewesen und hatte sich
zum Sterben gelangweilt.
#
Man kennt das Sprichwort : Niemand geht über den Pont Neuf,
ohne einen Mönch, einen Schimmel und eine Dirne zu sehen.
Zwei Hofdamen passierten die Brücke und sahen in den ersten
zwei Minuten einen Mönch und einen Schimmel. Da stieß die
erste die zweite mit dem Ellbogen und flüsterte : „Was die Dirne
angeht, so brauchen wir zwei nicht lange zu suchen."
#
Ein paar junge Herren vom Hofe waren bei Herrn von Coff-
lans zum Souper geladen. Man sang ein etwas schlüpfriges Lied,
das aber noch nicht eigentlich unanständig war. Gleich darauf
begann Herr von Fronsac so haarsträubende Couplets zu brül-
len, daß selbst seine Gesellschaft Augen machte. In das verlegene
Schweigen rief Herr von Cofflans: „Zum Teufel, lieber Fron-
sac, zwischen dem ersten Lied und diesem liegen zehn Flaschen
Champagner."
#
Einem jungen Mann aus Hofkreisen sagte man nach, er sei wie
toll hinter den Dirnen her. Da ein paar ehrbare und angesehene
Frauen dabei waren, die ihm dies übelnehmen konnten, so nahm
ihn ein gleichfalls anwesender Freund in Schutz. „Boshafte Über-
treibung!" rief er, „er hat auch anständige Damen!"
*
Ein Mann verbrachte seit dreißig Jahren jeden Abend bei
Frau ***. Seine Frau starb und man glaubte allgemein, er würde
nun die andere heiraten. Man riet ihm auch dazu, aber er wei-
Aus den Memoiren 259
gerte sich. „Wo würde ich denn nachher meine Abende verbrin-
gen ?" meinte er.
*
Die Gabrielli, eine berühmte Sängerin, verlangte von der Kai-
serin Katharina fünftausend Dukaten für zwei Monate, die sie in
Petersburg singen sollte. „Ich zahle keinen meiner Feldmar-
schälle so", antwortete die Kaiserin. „Dann brauchen Ihre Maje-
stät ja nur die Feldmarschälle singen zu lassen", antwortete die
Sängerin. Die Kaiserin zahlte die verlangte Summe.
*
Herr *** wurde oft in Gesellschaft gebeten, seine Verse vorzu-
tragen. Die Sache begann ihn zu langweilen und er sagte, als er
wieder einmal zu lesen begann, daß er oft an einen Gaukler von
Pont Neuf denken müsse, der einen Affen vorführe. „Lieber
Bertrand," pflegte dieser zu sagen, „uns soll die Sache ja gar keinen
Spaß machen, sondern dieser verehrungswürdigen Versammlung."
#
Duclos48 sprach einmal vom Paradies, das jeder sich auf seine
Art ausmalt. „Für Sie", sagte Frau von Rochefort,49 „wär's ein
Käsebrot, ein Glas Wein und die erste Beste."
#
Diderot machte die Entdeckung, daß ein Mensch, für den er
einiges Interesse gefaßt hatte, ihn und andere bestahl. Er riet ihm
daher zu einer Reise ins Ausland. Der Mensch befolgte den Rat.
Diderot hörte zehn Jahre lang nichts mehr von ihm. Da wird
eines Tages heftig bei ihm angeläutet. Diderot macht selbst auf,
erkennt seinen Mann wieder und ruft mit erstaunter Miene:
„Wie, was ? — Sie sind's ? ! — " „Ja," sagt der andere, „viel hat
nicht gefehlt." — Er begriff, daß Diderot sich wunderte, daß er
noch nicht gehängt war.
Ruiniere50 sagte eines Tages zuC***: „Ich habe meiner Leb-
tage nur eine Schlechtigkeit begangen." — „Wann wird die auf-
hören ?" fragte C***.
17*
260 Aus den Memoiren
Der König von Preußen plauderte eines Tages mit d'Alembert,
als ein Lakai eintrat, ein Mann von der schönsten Figur, die man
sehen konnte. D'Alembert drückte sein Erstaunen aus. „Es ist
wirklich der schönste Mann in meinem Staat," antwortete der
König, „er war eine Zeitlang mein Kutscher, und ich bin stark
in Versuchung, ihn als Gesandten nach Petersburg zu schicken."
*
Ein sehr armer Mann hatte ein Buch gegen die Regierung ge-
schrieben. Einige Zeit verging, ohne daß etwas geschah. „Zum
Teufel," rief er, „ich soll meine Wohnung bezahlen und kein
Mensch setzt mich in die Bastille."
#
Zur Zeit der Notabeln-Einberufung (1787) handelte es sich
um die Frage, welche Machtvollkommenheit den Intendanten
bei den Provinzialversammlungen eingeräumt werden solle. Eine
gewisse gewichtige Persönlichkeit neigte sehr auf die Seite der
Intendanten. Man wandte sich darum an einen geistvollen Herrn,
der mit dieser gewichtigen Person in Verbindung stand und der
versprach, den anderen umzustimmen. Es gelang ihm und als
man ihn fragte, wie ihm das geglückt sei, erwiderte er: „Es fiel
mir gar nicht ein, zu betonen, daß der Einfluß der Intendanten
zu tyrannischem Mißbrauch verlocken könnte, — aber er ist be-
kanntlich sehr adelsstolz und da habe ich ihm gesagt, daß Leute
von sehr altem Adel gezwungen wären, die Intendanten mit Mon-
seigneur anzureden. Er empfand das als eine Ungeheuerlichkeit
und trat deshalb auf unsere Seite."
#
Der Kanzler d'Aguesseau erteilte nie das Privileg zum Druck
eines neuen Romans und gab auch stillschweigend nur unter
ganz besonderen Bedingungen die Erlaubnis dazu. So durfte
der Abbe Prevost61 die ersten Bände von Cleveland nur unter der
Bedingung drucken lassen, daß Cleveland im letzten Bande katho-
lisch würde.
Aus den Memoiren 261
In einer Gesellschaft, der auch Schuwaloff, der frühere Lieb-
haber der Kaiserin Elisabeth, angehörte, wollte man über große
russische Angelegenheiten Aufschluß haben. „Herr von Schuwa-
loff," rief da der Amtmann de Chabrillant, „das müssen Sie ja
wissen, Sie waren ja die Pompadour dieses Landes; erzählen Sie !"
#
Der Regent wollte inkognito einen Maskenball besuchen. „Ich
weiß ein gutes Mittel", sagte der Abbe Dubois, und als sie den
Saal betraten, gab er Seiner Hoheit einige tüchtige Fußtritte in
den Hintern. „Abbe," brummte der Regent, dem sie etwas zu
stark waren, „du maskierst mich zu gut."
#
Man wunderte sich oft, daß der Herzog von Choiseul sich so
lange gegen Madame du Barry zu halten vermochte. Sein Ge-
heimnis war sehr einfach. So oft seine Stellung schwankend wur-
de, ließ er sich Audienz beim König geben. War er einmal vor-
gelassen, so erkundigte er sich regelmäßig, was er mit den fünf
oder sechs Millionen machen solle, die er im Kriegsdepartement
erspart hatte, wobei er jedesmal darauf aufmerksam machte, daß
es wohl nicht schicklich sei, sie direkt dem königlichen Schatz zu
überweisen. Der König begriff die Anspielung und sagte : „Spre-
chen Sie mit Bertin, geben Sie ihm drei Millionen in den und
den Papieren, den Rest schenke ich Ihnen." Der König teilte so
das Geld mit seinem Minister und da er nicht sicher war, daß ein
anderer ihm dies ebenso leicht machen würde, wie der Herzog
von Choiseul, behielt er ihn trotz aller Intrigen der du Barry.
*
In Breslau stahl ein Katholik in einer Kirche kleine Herzen aus
Gold und andere Votivgegenstände. Vor Gericht erklärte er, er
habe sie von der heiligen Jungfrau. Er wurde verurteilt. Die Er-
kenntnis wurde wie üblich dem König von Preußen zur Bestäti-
gung übergeben. Der König ließ Theologen kommen und legte
ihnen die Frage vor, ob die heilige Maria einem frommen Katho-
liken wirklich nicht kleine Geschenke machen könne. Sehr ver-
262 Aus den Memoiren
legen erklärten die Theologen schließlich, daß die Sache nicht
ganz von der Hand zu weisen sei. Darauf schrieb der König an
den Rand des Urteils : Ich begnadige K. ; aber ich verbiete ihm
bei Todesstrafe, von nun ab von der heiligen Jungfrau oder an-
deren Heiligen irgendwelche Geschenke anzunehmen.
*
Duclos, der fortwährend auf den Abbe d'Olivet schimpfte,
sagte von ihm : „Dieser Kerl ! — Ich kann ihm nachsagen, was ich
will, und er haßt mich nicht mehr, als ein anderer!"
*
Madame de la Popeliniere52 legte eines Tages vor ihren Freun-
den und Verehrern die Schuhe ab und wärmte sich die Füße. Ein
kleiner Hund leckte sie ihr. Unterdes unterhielt sich die Gesell-
schaft von Freundschaft und Freunden. „Ein Freund?" sagte
Madame de la Popeliniere, „da ist einer."
#
Die Herzogin von Chaulnes, die von ihrem Manne getrennt
gelebt, lag im Sterben. „Das heilige Sakrament ist da", meldet
man ihr. „Einen Augenblick noch." — „Durchlaucht, der Her-
zog von Chaulnes möchte Sie noch einmal sehen." — „Ist er
hier ?" — „Ja." — „Er soll warten, — er soll mit dem Sakrament
kommen."
*
Man fragte eine Herzogin von Rohan, wann sie ihre Entbin-
dung erwarte. „Ich hoffe, diese Ehre in zwei Monaten zu haben",
sagte sie. Die Ehre bestand darin einen Rohan zur Welt zu
bringen.
#
Als der Vicomte von Noailles die junge Frau von M*** ver-
lassen hatte, rief sie verzweifelt : „Ich werde wahrscheinlich noch
viele Liebhaber bekommen, aber ich werde keinen so lieben, wie
den Vicomte."
#
Ein Bischof von Saint-Brieux hielt nach dem Tode Maria The-
resias eine Trauerrede. Als er die Teilung Polens berühren mußte,
Aus den Memoiren 263
sagte er : „Frankreich hat nichts zu dieser Teilung gesagt, ich
mache es wie Frankreich und sage auch nichts."
#
In einer Gesellschaft sprach man von Herrn von Richelieu.53
Einer der Anwesenden machte darauf aufmerksam, daß er sehr
viel Liebesabenteuer gehabt habe, ohne eine Frau wirklich zu
lieben. „Ohne zu lieben," rief die Marquise de Saint-Pierre, „das
ist sehr leicht gesagt. Aber ich kenne einen Fall, wo er einen Weg
von dreihundert Meilen zurücklegte, um eine Frau zu sehen."
Bis hierher hatte sie die Geschichte in der dritten Person erzählt,
aber von ihrer Erzählung mitgerissen, fuhr sie fort : „Er kommt
an. Er trägt sie mit ungeheurer Leidenschaftlichkeit aufs Bett
und wir blieben drei Tage liegen."
*
Der König von Preußen fragte d'Alembert, ob er den König
von Frankreich gesehen habe. „Ja, Sire, als ich ihm meine An-
trittsrede in der Akademie überreichte." — „Nun," fuhr der
König fort, „was sagte er zu Ihnen ?" — „Er sprach gar nicht mit
mir, Sire." — „Wenn nicht mit Ihnen, mit wem spricht er dann?"
fragte der König.
#
Als Diderot zweiundsechzig Jahre alt war, verliebte er sich
noch immer in alle Frauen. Er beklagte sich einmal einem Freun-
de gegenüber : „Ich sage mir oft : Alter Narr, alter Lump, wirst
du denn nie aufhören, dich einer kränkenden Abweisung oder der
Lächerlichkeit auszusetzen ?"
*
Eines Tages sagte Duclos zu Frau von Rochefort und Frau von
Mirepoix, die Dirnen würden zimperlich und wollten keine ge-
wagten Geschichten mehr anhören. Sie seien jetzt ängstlicher,
meinte er, als die anständigen Frauen. Darauf begann er eine
recht lustige Geschichte zu erzählen, und dann eine noch stär-
kere. Bei einer dritten, die noch kräftiger einsetzte, fiel ihm Frau
von Rochefort ins Wort. „Haben Sie doch Nachsicht, Duclos,
Sie halten uns für zu anständig."
264 4us den Memoiren
Fox64 hatte ungeheure Summen bei den Juden geborgt und war-
tete auf die Erbschaft eines Onkels, um sie damit zu bezahlen.
Doch der Onkel heiratete und bekam einen Sohn. „Dieses Kind
ist der Messias," sagte Fox, „es kam auf die Welt, um die Juden
zu verderben."
*
Der Marschall de Broglie setzte sich einmal ganz unnützer-
weise einer Gefahr aus und wollte sich nicht zurückziehen; alle
seine Freunde bemühten sich vergeblich, ihn dazu zu bewegen.
Endlich flüsterte ihm Herr de Toncourt ins Ohr: „Bedenken Sie,
Herr Marschall, wenn Sie fallen, übernimmt Herr de Routhe das
Kommando." De Routhe war der dümmste Generalleutnant.
Herr de Broglie begriff betroffen, welcher Gefahr er die Armee
aussetzte, und zog sich zurück.
*
Der Marschall von Villars liebte selbst im hohen Alter noch
den Wein über alle Maßen. Als er im Kriege von 1734 nach Ita-
lien kam, um sich an die Spitze des Heeres zu stellen, machte er
dem König von Sardinien seine Aufwartung, war aber so betrun-
ken, daß er sich nicht auf den Beinen halten konnte und zu Bo-
den fiel. In seinem Zustand hatte er doch nicht den Kopf ver-
loren und meinte : „So befinde ich mich auf die allernatürlichste
Weise zu den Füßen Ihrer Majestät."
*
Der Marschall von Richelieu schlug eine hohe Dame — ich
habe vergessen, welche — als Maitresse für Ludwig XV. vor.
Doch der König sagte, sie würde zu viel kosten, wenn sie einmal
den Abschied bekäme und wollte darum nichts davon wissen.
*
Madame de Tencin56 behauptete, die geistvollen Menschen
machten mehr Fehler in ihrem Benehmen als andere, weil sie die
Welt nie für so dumm hielten, als sie ist.
*
Frau von *** hatte ein Verhältnis mit Herrn von Senevoi.
Eines Tages war ihr Mann bei ihrer Toilette zugegen, als ein
Aus den Memoiren 265
Soldat kam und sie um ihre Protektion bei Herrn Senevoi bat.
Herr Senevoi war sein Oberst und verweigerte ihm einen Urlaub,
um den der Soldat gebeten. Frau von*** geriet in Zorn, erklärte,
daß sie Herrn von Senevoi nicht besser kenne als andere Leute,
und hieß den frechen Menschen gehen. Herr von *** hielt ihn
jedoch zurück und sagte: „Richte deinem Oberst aus, daß ich
ihm für seinen Abschied sorgen werde, wenn er dir deinen Ur-
laub nicht gibt."
#
Eine hübsche Frau hatte einen Liebhaber, der sich so mürrisch
und gleichgültig benahm, als sei er mit ihr verheiratet. Sie sagte
zu ihm : „Mein Herr, wenn Sie in Gesellschaft mit meinem Mann
zusammentreffen, müssen Sie liebenswürdiger sein als er."
#
Madame de Montpensier 66 soll sich in Abwesenheit ihrer Frauen
manchmal von einem ihrer Pagen die Schuhe haben binden las-
sen, den sie dann zu fragen pflegte, ob er dabei heiße Anwand-
lungen gehabt. Bejahte der Page dies, so war sie viel zu ehrbar,
ein solches Geständnis auszubeuten. Sie gab ihm vielmehr Geld,
damit er bei irgendeinem Mädel die Erregung los werden könne,
deren Ursache sie war.
*
Die Herzogin von B. bemühte sich eifrig bei dem Minister von
Breteuil für einen Abbe von C***, der dann auch schließlich eine
Stelle bekam, welche Begabung erforderte. Alsbald hörte sie
von der allgemeinen Unzufriedenheit, die darüber herrsche, daß
jene Stelle nicht dem weitverdienteren Herrn L*** B*** über-
tragen worden. „Nun," sagte sie, „es ist mir ganz recht, daß mein
Schützling seiner Stellung nicht genügt. Um so besser sieht
man, wie weit mein Einfluß reicht."
#
Spricht Madame F. einen guten Gedanken in netter Form aus,
so meint sie, daß das völlig genügt. Wenn dann eine Freundin
für sie auch wirklich alles das ausführen würde, wovon sie meinte,
266 Aus den Memoiren
es müsse ausgeführt werden, so ergäben beide zusammen einen
Menschen von philosophischer Lebensführung. Herr X. sagte
von Madame F. : „Wenn sie etwas recht Nettes über das Brech-
mittel gesagt hat, so wundert sie sich sehr, daß es nicht wirkt."
#
Als Madame Brisard, welcher der Ruf ihrer galanten Aben-
teuer vorausging, nach Plombieres kam, wollten sie etliche Damen
am Hof nicht empfangen. Unter ihnen die Herzogin von Gisors.
Die Partei der Madame Brisard erkannte, daß die übrigen keine
Schwierigkeit mehr machen würden, wenn nur diese fromme
Dame sie empfangen möchte. Man leitete Verhandlungen ein.
Diese hatten Erfolg, und da Madame Brisard sehr liebenswürdig
war, so fand die fromme Dame bald Gefallen an ihr und sie
kamen dann in ein recht freundschaftliches Verhältnis. Eines
Tages gab nun Frau von Gisors zu verstehen, so sehr sie ja schließ-
lich eine kleine Schwachheit begreiflich finde, es wolle ihr nicht
in den Kopf, wie eine Frau die Anzahl ihrer Liebhaber über ein
gewisses Maß hinaus steigern möge: „O Gott," sagte Madame
Brisard, „ich glaubte jedesmal, es sei der letzte."
*
Madame de Tencin hatte eine zarte Art, sich zu geben, war
aber gänzlich charakterlos und zu allem fähig. Eines Tages rühmte
man ihre Sanftmut. „Ja", sagte der Abbe Trublet, „hätte sie In-
teresse daran, Sie zu vergiften, so würde sie sicherlich das wohl-
schmeckendste Gift wählen."
*
Herr von B. besuchte alle Tage Frau von L. Als das Gerücht
entstand, er würde sie heiraten, sagte er zu einem seiner Freunde :
„Es gibt wenig Männer, die sie nicht lieber heiraten möchte, als
mich und umgekehrt. Es wäre doch auch sonderbar, wenn wir
in einer fünfzehnjährigen Freundschaft nicht gemerkt hätten,
wie antipathisch wir uns sind."
#
Madame de Fourq. sagte zu ihrer Gesellschafterin : „Sie wissen
nie, was Sie zu mir bei bestimmten Gelegenheiten sagen müssen,
Jus den Memoiren 267
was zu meinem Charakter paßt usw. Zum Beispiel, es ist wahr-
scheinlich, daß ich meinen Gatten bald verlieren werde. Ich werde
untröstlich sein. Dann müssen Sie zu mir sagen usw «
#
Die Herzogin von Fronsac hatte noch keine Liebhaber gefun-
den, so jung und hübsch sie war. Eine Dame, die damit darauf
anspielen wollte, daß sie rotes Haar hatte und daß sie diesem Um-
stände wohl ihre Ruhe verdankte, meinte: „Ihre Kraft ist in
ihrem Haar — wie bei Simson."
#
Der Marschall von Noailles hatte vor dem Parlament mit einem
seiner Pächter Prozeß. Acht oder neun Räte traten zurück als
„Verwandte des Herrn von Noailles". Sie waren wirklich im acht-
zehnten Grad mit ihm verwandt. Ein Parlamentsrat, Herr Hur-
son, fand diese Eitelkeit lächerlich und stand gleichfaUs auf. „Ich
trete auch zurück", sagte er. — „In welcher Eigenschaft ?" fragte
der Präsident. —„Als Verwandter des Pächters", antwortete er.
#
Abbe de Fleury 67 war in die Frau Marschall de Noailles verhebt,
wurde aber sehr geringschätzig von ihr behandelt. Als er Premier-
minister geworden, bat sie ihn einmal um etwas und er erinnerte
sie an ihre Härte. „O, Monseigneur," antwortete sie naiv, „wer
hätte das damals wissen können."
#
Der Marschall de Biron» lag schwer krank und wollte beichten.
Er begann in Gegenwart einiger Freunde : „Was ich Gott schuldig
bin, was ich dem König schuldig bin, was ich dem Staat . . ."
„Schweig," unterbrach ihn einer, „du stirbst insolvent."
#
^ Madame de Talmont bemerkte, daß der Marschall de Riche-
lieu sich eifrig um Madame de Brionne bemühte, statt sich mit
ihr zu unterhalten. Madame de Brionne war zwar sehr schön, galt
aber keineswegs für besonders geistvoll. „Herr Marschall," sagte
Madame de Talmont, „Sie sind sicherlich nicht blind, aber ich
halte Sie für etwas taub."
268 Aus den Memoiren
Madame du Def fand hielt als kleines Mädchen vor ihren Alters-
genossinnen in der Klosterschule gottlose Reden. Der Abbe ließ
den berühmten Massillon69 kommen, dem die Kleine nun ihre
Überzeugung auseinandersetzte. Massillon fand sie ganz ent-
zückend. Als dann die Äbtissin, welche alles sehr ernst nahm, den
Bischof verzweifelt fragte, was man denn diesem Kinde zu lesen
geben solle, dachte Massillon einen Augenblick nach und ant-
wortete: „Einen Katechismus für fünf Sous." Es war nichts an-
deres aus ihm herauszubringen.
*
Der adelsnärrische Herr von Brisac sagt oft: „Der Adelige
da droben." Er meint damit den lieben Gott.
*
Es ist eine bekannte Tatsache, die auch von keinem Freunde
des Herrn d'Aiguillon geleugnet wird : Der König hatte ihn nie
zum Minister des Äußeren ernannt. Madame du Barry sagte zu
ihm eines Tages : „Das muß einmal aufhören, Sie gehen morgen
zum König und bedanken sich bei ihm für Ihre Ernennung."
Zum König sagte sie dann : „Herr d'Aiguillon wird morgen kom-
men und Ihnen für seine Ernennung als Minister des Äußeren
danken." Der König erwiderte kein Wort. Als d'Aiguillon am
nächsten Morgen nicht zur Audienz gehen wollte, da er Angst
hatte, befahl sie es ihm, und er ging. Der König sagte wieder
nichts und d'Aiguillon trat sofort seine neue Stelle an.
#
Der Ballettmeister Laval befand sich während einer Probe auf
der Bühne, als der Autor oder einer von dessen Freunden ihm
zweimal laut zurief: „Herr von Laval, Herr von Laval!" Laval
kam herbei und sagte : „Sie nennen mich nun schon zum zweiten-
mal Herr von Laval; das erstemal sagte ich nichts, aber das geht
doch zu weit ! Halten Sie mich denn für einen von jenen zwei oder
drei Herren von Laval, die nicht einmal einen ordentlichen Me-
nuettschritt machen können ?"
Aus den Memoiren 269
Der Vicomte von S. trat eines Tages auf Herrn de Vaines zu
und fragte ihn : „Ist es wahr, mein Herr, daß Sie einmal in einem
Hause, wo man die Güte hatte, mich geistreich zu finden, das
Gegenteil behauptet haben ?" Herr de Vaines antwortete: „Mein
Herr, an der ganzen Geschichte ist kein wahres Wort. Ich war
nie in einem Hause, wo man Sie geistreich fand und ich habe es
nie bestritten."
#
Herr *** sagte, er liebe über alles Frieden, Stille und Zurück-
gezogenheit. Man antwortete ihm: „Das ist ja ein Kranken-
zimmer!"
D'Alembert stand schon auf der Höhe seines Ruhmes, als er
eines Tages zusammen mit dem Präsidenten Henault und Herrn
de Pont de Veyle bei Frau du Deffand war. Ins Zimmer trat ein
Arzt namens Fournier. Er begrüßte Frau du Deffand mit den
Worten: „Gnädige Frau, ich habe die Ehre, Ihnen meine größte
Ergebenheit zu Füßen zu legen." Dann wandte er sich an den
Präsidenten Henault : „Mein Herr, ich habe die Ehre, Sie zu be-
grüßen." Vor Herrn de Pont de Veyle verneigte er sich mit den
Worten : „Mein Herr, Ihr ergebenster Diener", und schließlich
sagte er zu d'Alembert: „Guten Tag, mein Herr."
Als Fontenelle im Sterben lag, fragte man ihn „Wie geht's ?"
„Es geht überhaupt nicht mehr," antwortete er, „ich gehe."
#
Ein Kranker war von den Ärzten bereits aufgegeben und man
fragte Herrn Tronchin, ob man dem Patienten die letzte Weg-
zehrung bringen solle. „Ach, das Zeug ist so klebrig", sagte der.
#
Der Abbe de La Ville wollte einen anständigen, bescheidenen
Mann auf die politische Laufbahn bringen. Sein Schützling zwei-
felte an seinen Fähigkeiten und sträubte sich. „Aber mein Lieber,"
sagte der Abbe, „schlagen Sie doch mal den Almanach Royal auf."
270 Aus den Memoiren
Der Baron de la Houze hatte dem Papste Gangenelli einige
Dienste erwiesen, und dieser fragte ihn, wie er sich erkenntlich
zeigen könnte. Der Baron, ein schlauer Gascogner, bat, ihm eine
Reliquie zu überlassen. Der Papst war über diese Bitte eines Fran-
zosen nicht wenig erstaunt, gewährte sie jedoch. Der Baron be-
saß ein kleines Landgut in den Pyrenäen, das für seine Produkte
kein Absatzgebiet hatte und sehr geringe Einkünfte trug. Dort-
hin ließ er seinen beglaubigten Heiligen bringen. Da kam Kund-
schaft ! — Es geschahen Wunder, ein großes Dorf entstand in der
Nähe und die Erzeugnisse des Gutes fanden reißenden Absatz.
Die Einkünfte des Barons verdreifachten sich.
*
Der Chevalier de Montbarey hatte in irgendeiner Provinz-
stadt gelebt. Bei seiner Rückkehr wurde er von seinen Freunden
darob bedauert, daß er in so schlechter Gesellschaft habe leben
müssen. „Ihr irrt euch," sagte er, „die gute Gesellschaft ist dort
wie überall und die schlechte ausgezeichnet."
#
„Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" wählte
der Prediger zum Text bei einer Trauung des siebzigjährigen
Herrn d' Antique mit einem jungen Mädchen von siebzehn.
#
Man fragte Frau von Rochefort, ob sie Lust habe, die Zukunft
voraus zu wissen: „Bitte, nein," sagte sie, „die Zukunft sieht
immer wie die Vergangenheit aus."
#
Herr von L*** sagte zu der seit einiger Zeit verwitweten Frau
von B***, um sie von ihren neuerlichen Heiratsgedanken abzu-
bringen : „Sehen Sie, es ist doch so schön, den Namen eines Man-
nes zu tragen, der keine Dummheiten mehr machen kann."
#
Frau von Maurepos war mit dem Grafen von Löwendahl (dem
Sohn des Marschalls) sehr befreundet. Als dieser von St. Domingo
zurückkehrte, stieg er bei ihr ab. Er trat müde und in Reiseklei-
Aus den Memoiren 271
dern in ihren Salon. „Sind Sie da, lieber Graf," rief sie, „Sie
kommen gerade zurecht, uns fehlt ein Tänzer. Sie sind ganz un-
entbehrlich." Er hatte kaum Zeit, ein wenig Toilette zu machen
und tanzte.
#
Herr von Saint- Julien verlangte von seinem Sohn ein Verzeich-
nis seiner Schulden. Als ersten Posten setzte dieser sechzigtausend
Livres an für einen Sitz im Parlament von Bordeaux. Der Vater
ärgerte sich und machte ihm bittere Vorwürfe, denn er hielt das
für einen schlechten Witz. Der Sohn aber bestand darauf, er habe
diesen Sitz tatsächlich bezahlt. „Es war damals, als ich Frau
Tilaurier kennen lernte", erklärte er. „Sie wollte für ihren Mann
durchaus einen Sitz im Parlament. Anderenfalls hätte sie sich
niemals mit mir befreundet. Ich habe die Sache bezahlt. Also
sehen Sie, Vater, Sie haben gar keinen Grund, sich gegen mich
zu erzürnen und zu glauben, ich mache schlechte Witze!"
#
Frau von Nesles hatte ein Verhältnis mit Herrn von Soubise.
Herrn von Nesles war seine Frau zuwider und eines Tages, ge-
legentlich eines Gezänkes, bei dem auch der Hausfreund zugegen
war, sagte er zu ihr : „Bekanntermaßen lasse ich dir alles durch-
gehen, aber ich muß dir denn doch sagen, daß du Launen hast,
die zu entwürdigend sind, als daß ich sie dir hingehen lassen
könnte. So hast du z. B. Geschmack am Friseur meiner Bedienten
gefunden. Ich habe gesehen, wie du mit ihm gegangen und ge-
kommen bist." — Er stieß noch ein paar Drohungen aus und ließ
sie dann mit ihrem Geliebten allein. Was sie nun auch sagen
mochte half ihr nichts. Herr von Soubise gab ihr ein paar Ohr-
feigen. Ihr Mann erzählte dann überall seinen Streich und be-
merkte, die Geschichte mit dem Friseur sei gar nicht wahr!
Er machte sich über Herrn von Soubise lustig, der sie ge-
glaubt und über seine Frau, die deswegen Ohrfeigen bekommen
hatte.
272 Aus den Memoiren
Ein Mann machte sich an eine Frau, ohne ganz bereit zu sein.
Er sagte: „Madame, es ist Ihnen doch gleich, wenn Sie Ihre
Tugend noch eine Viertelstunde behalten ?"
*
Der König Stanislaus von Polen hatte eine Vorliebe für den
Abbe Porguet, und hatte noch nie etwas für ihn getan. Einmal
erlaubte sich der Abbe einige Vorstellungen. „Aber mein lieber
Abbe," sagte der König, „es ist Ihre eigene Schuld ! Sie reden zu
freimütig. Man behauptet sogar, daß Sie nicht an Gott glauben.
Mäßigen Sie sich, versuchen Sie an ihn zu glauben, ich lasse Ihnen
dazu ein Jahr Zeit."
*
Eine Frau hatte einen Prozeß vor dem Parlamente von Dijon.
Sie fuhr nach Paris und beschwor den Großsiegelbewahrer,
doch ein Wort zu ihren Gunsten einzulegen, damit sie ihre ge-
rechte Sache gewänne. Der Großsiegelbewahrer wies sie ab. Die
Gräfin vonTalleyrand wurde auf die Frau aufmerksam und nahm
ihretwegen mit dem Großsiegelbewahrer Rücksprache. Aber-
maliger Mißerfolg ! Frau von Talleyrand ließ die Sache der Köni-
gin zu Ohren bringen. Es half nichts! Es fällt ihr ein, daß ihr
Sohn, der Abbe dePerigord ein Liebling des Großsiegelbewahrers
ist. Der Sohn muß an ihn schreiben. Es erfolgt eine sehr höfliche
Abweisung. Die Frau will in ihrer Verzweiflung einen letzten
Versuch wagen und selbst nach Versailles gehen. Tags darauf
macht sie sich auf den Weg und da es ihr in der Postkutsche zu
unbequem wird, so steigt sie in Sevres aus, um den Rest des
Weges zu Fuß zurückzulegen. Da erbietet sich ein Herr, sie auf
einem bequemeren und kürzeren Weg nach Versailles zu führen.
Sie nimmt das Anerbieten an, erzählt ihm unterwegs ihre Ge-
schichte, und der unbekannte Herr sagt: „Gut, morgen haben
Sie, was Sie brauchen!" Ihr Besuch beim Großsiegelbewahrer
endigte mit einer abermaligen Abweisung. Sie will nach Hause
reisen, aber jener Herr veranlaßt sie, in Versailles über Nacht zu
Aus den Memoiren z*,«
bleiben und bringt ihr am anderen Morgen das gewünschte
Schriftstück. Er war der Gehilfe eines Unterbeamten, ein Herr
Etienne.
*
Madame de Prie, die Geliebte des Regenten, hatte auf den Rat
ihres Vaters, eines Händlers namens Pleneuf, glaube ich, eine sol-
che Menge Getreide aufgekauft, daß das Volk dadurch in die
äußerste Not und schließlich zum Aufstand getrieben wurde. Eine
Kompagnie Musketiere sollte den Aufruhr dämpfen. Ihr Haupt-
mann, Herr d'Avejan, hatte Befehl, auf die Canaille zu feuern.
D'Avejan machte sich aber als anständiger Mensch ein Gewissen
daraus, auf seine Mitbürger schießen zu lassen und führte seinen
Befehl folgendermaßen aus : Er Heß zur Salve fertigmachen, kom-
mandierte aber nicht „Feuer!", sondern trat vor die Menge hin,
in der einen Hand seinen Hut, in der anderen den schriftlichen
Befehl des Hofes. „Meine Herrschaften," rief er, „laut Befehl
soll ich auf die Canaille feuern. Ich bitte daher alle anständigen
Leute, sich zu entfernen, bevor ich Feuer geben lasse." Alle ver-
schwanden so rasch als möglich.
Herr von Mangiron hat folgende schauderhafte Tat begangen,
die man mir erzählt hat und die ich zuerst für ein Märchen hielt.'
Während er bei der Armee war, wurde sein Koch als Marodeur
aufgegriffen und man meldete es Ihm. „Mit meinem Koch bin
ich sehr zufrieden," sagte er ruhig, „aber ich habe einen schlech-
ten Kuchenjungen." Darauf ließ er den Burschen kommen und
schickte ihn mit einem Brief an den Profoß. Der Unglückliche
ging hin, wurde ergriffen, trotzdem er seine Unschuld beteuerte,
und ist gehängt worden.
«
Der Kardinal de la Roche-Aymon beichtete während seiner
letzten Krankheit irgendeinem Geistlichen, den man zu ihm ge-
bracht hatte. Als man ihn fragte, ob er mit ihm zufrieden gewesen
i3
274 -^us d-en Memoiren
sei, erwiderte er: „O, sehr! Er sprach von der Hölle wie ein
Engel!"
#
Man sagte jemandem, daß Herr ***, sein früherer Wohltäter,
ihn jetzt hasse. „Ich bitte," erwiderte er, „in dieser Beziehung
ein wenig ungläubig sein zu dürfen, denn ich hoffe, er wird mich
nicht zwingen, das einzige Gefühl, das ich mir für ihn erhalten
muß, in Achtung vor meiner eigenen Person umzuwandeln."
«
Die Herzogin du Maine verlangte einmal nach dem Abbe de
Vaubrun und befahl einem ihrer Kammerdiener, ihn herbeizu-
schaffen, wo immer er ihn fände. Der Diener macht sich auf und
hört zu seinem großen Erstaunen, der Abbe de Vaubrun läse in
der und der Kirche die Messe. Er kommt dort hin, findet ihn,
wie er gerade den Altar verläßt und richtet ihm seinen Auftrag
aus, nicht ohne sein Erstaunen darüber zu bezeigen, den Abbe
bei der Messe gefunden zu haben. Allein der — er war ein arger
Lebemann — sagte zu ihm : „Ich bitte Sie, sagen Sie der Frau Her-
zogin ja nicht, in welcher Verfassung Sie mich gefunden haben."
#
Ludwig XV. fragte den Herzog von Ayen, späteren Marschall
von Noailles, ob er sein Silberzeug in die Münze geschickt habe.
Der Herzog antwortete, er habe es nicht getan. „Ich", sagte der
König, „schickte das Meine". „Sire," antwortete der Herzog, „als
Jesus Christus am Freitag starb, wußte er auch, daß er am Sonn-
tag auferstehen würde."
#
Der Marschall von Noailles schimpfte über eine neue Tragödie.
Man sagte zu ihm ■ „Aber Herr d'Aumont erzählt doch, Sie seien
in seiner Loge gewesen und das Stück habe Sie zu Tränen ge-
rührt ?" — „Nicht im geringsten," antwortete der Marschall,
„aber da Herr d'Aumont selbst schon von der ersten Szene an
weinte, hielt ich es für anständig, seinen Schmerz zu teilen."
Aus den Memoiren 27C
Herr *** hatte ein Werk veröffentlicht, das sehr viel Anklang
fand und wurde gebeten, ein zweites drucken zu lassen, von dem
seine Freunde sich ebensoviel versprachen. „Nein," sagte er,
„man muß dem Neid Zeit lassen, sich den Geifer vom Mundl
zu wischen."
*
„Ich würde gern allen Böswilligen und allen Verleumdern einen
Vertrag vorschlagen", sagte Herr D***. „Zu diesen würde ich
sagen : Ihr könnt mich verleumden, soviel ihr wollt, vorausgesetzt,
daß ich selbst durch eine gleichgültige oder meinetwegen auch
lobenswerte Handlung den Grund zu der Verleumdung gelegt
habe. Ich möchte aber nicht, daß man den rohen Tatbestand mit
allen Umständen dazu erfände, -— mit einem Wort: Die Ver-
leumdung soll nicht für alles aufkommen, sondern mir auch etwas
zu tun übrig lassen. Zu den Böswilligen würde ich sagen: Ich
finde es sehr natürlich, daß man mir zu schaden sucht, aber wer
es tut, soll einen persönlichen Vorteil davon haben. Man soll mir
nicht bös mitspielen wegen nichts und wieder nichts, wie das vor-
kommt."
#
Der Herzog von Lauzun erzählte einmal: „Ich habe oft leb-
hafte Meinungsverschiedenheiten mit Herrn von Calonne, aber
da wir beide keinen Charakter haben, überbieten wir uns im Zu-
rücknehmen. Wer zuerst eine hübsche Art des Rückzuges findet,
gibt nach."
#
Ein englischer Gesandter in Neapel hatte ein herrliches Fest
gegeben, das aber nicht viel gekostet hatte. Das erfuhr man, und
so bekrittelte man hinterher das Ganze, so gut aUen die Veran-
staltungen zuerst gefallen. Die Genugtuung, die sich der Ge-
sandte leistete, war echt englisch und eines Mannes würdig, dem
es auf einpaarGuineen nicht anzukommen brauchte. Er kündigte
eine neue Festlichkeit an, und man glaubte nicht anders, als er
sei nun beschämt und das Fest werde ganz besonders glanzvoll.
276 Aus den Memoiren
So kam man in Haufen. Aber man fand keinerlei festliche Zu-
rüstung. Schließlich wurde eine Spirituslampe in den Saal ge-
tragen. Man erwartete irgendein Wunder. „Meine Herrschaften,"
sagte da der Gesandte, „Sie wollen ein kostspieliges, kein gemüt-
liches Fest. Nun geben Sie bitte recht schön acht !" — Er knöpft
seinen Rock auf und zeigt das Futter: „Das war ein Gemälde von
Domehichino im Wert von fünftausend Guineen. — Weiter!
Hier sind zehn Anweisungen auf je tausend Guineen, zahlbar
nach Sicht bei der Amsterdamer Bank." — Er rollt sie zusammen
und verbrennt sie über der Spiritusflamme. „Ich bin überzeugt,
meine Herrschaften, daß Ihnen die heutige Veranstaltung gefallen
hat, und daß Sie alle zufrieden sind. Leben Sie wohl, — mein
Fest ist zu Ende !"
Der Graf von Charolais überraschte Herrn von Brissac bei
seiner Geliebten und sagte : „Gehen Sie." „Monseigneur," ant-
wortete Brissac, „Ihre Ahnen hätten gesagt : Gehen wir."
#
Eine Frau hatte gerade ihren Mann verloren. Als ihr Beicht-
vater sie tags darauf besuchte, fand er sie mit einem sehr hüb-
schen jungen Mann Schach spielen. Sie sah seine empörte Miene
und entschuldigte sich: „Mein Herr, vor einer halben Stunde
noch hätten Sie mich in Tränen gefunden, aber ich habe meinen
Schmerz gegen diesen Herrn aufs Spiel gesetzt und ich verlor."
•
Ich sprach eines Tages mit Herrn von V**#, der offenbar keine
Illusionen mehr hat, trotzdem er noch in dem Alter steht, wo
man ihnen leicht verfällt. Ich drückte ihm mein Erstaunen über
seine Gleichgültigkeit aus. Er antwortete sehr ernst : „Man kann
nicht zugleich sein und gewesen sein. Zu meiner Zeit war auch
ich, wie jeder andere Mann, der Liebhaber einer galanten Dame,
das Spielzeug einer Koketten, der Zeitvertreib einer Frivolen
und das Werkzeug einer Intrigantin. Was kann man noch mehr
Aus den Memoiren
sein." —„Der Freund einer gefühlvollen Frau." — „O " sagte
er, „jetzt werden wir romantisch!"
*
Von der Prinzessin *** sagte Herr *** : „Diese Frau muß man
unbedingt betrügen, sie gehört nicht zu denen, die man verläßt."
#
Ein paar Lebemänner machten sich über einen jungen Mann
lustig, der in Liebessachen sehr ehrlich und etwas sentimental
war. „Meine Herren," antwortete er naiv, „ist es denn meine
Schuld, daß ich mehr die Frauen liebe, die ich liebe, als die, die
ich nicht liebe?"
*
Man drang in den Abbe Vatri, sich um eine offene Stelle am
College royal zu bemühen. „Wir werden sehen", antwortete er
und tat nichts weiter, um die Stelle zu bekommen. Sie wurde
einem andern gegeben. Ein Freund des Abbe lief sofort zu ihm:
„Da, da haben wir Sie wieder einmal! Sie wollten sich nicht be-
mühen, und nun ist der Platz vergeben." — „Vergeben ?" ant-
wortete der Abbe, „ich werde sofort alles Nötige veranlassen." —
„Sind Sie verrückt, ich sage Ihnen ja eben, daß die Stelle ver-
geben ist." — „Eben, früher hatte ich hundert Konkurrenten,
jetzt bleibt nur einer." Er bemühte sich um die Stelle und be-
kam sie.
•
Als Frau von B. trotz ihrer großen Verbindungen für ihren
Liebhaber, Herrn von C, der eben ein gar zu mittelmäßiger Kopf
war, nichts tun konnte, heiratete sie ihn. „Er gehörte nicht zu
den Leuten, mit denen man als Liebhaber Staat machen kann,
aber als Gatte geht alles."
Herr *** sagte einmal: „Ich weiß nicht, warum Frau von L.
an meinen Besuchen gar so viel liegt. Wenn ich seltener zu ihr
komme, verachte ich sie weniger." Man könnte das Gleiche von
der Welt im allgemeinen sagen.
278 Aus den Memoiren
„Frau von G.", sagte Herr ***, „ist viel zu geistvoll und ge-
wandt, um je so verachtet werden zu können wie weniger ver-
ächtliche Frauen."
*
Herr von M*** sagte zu mir : „Ein ganz gewöhnlicher Mensch
ist der sicher nicht, der zum Reichtum sagt : Ich will nichts mit
dir zu tun haben, es sei denn, du trägst die Fesseln, die ich dir
anlegen will." Und zum Ruhm: „Du bist eine Dirne, der ich
schon einige Freundlichkeit erweisen will. Erlaubst du dir aber
zuviel, was mir nicht paßt, so jage ich dich davon." Er schilderte
damit seinen eigenen Charakter, wie er in der Tat ist.
*
Am Tage, da Madame de Chateauroux60starb, schien Louis XV.
sehr niedergeschlagen. Der Ausspruch, wodurch er seine Stim-
mung bezeugte, ist sehr merkwürdig: „Vierzig Jahre lang un-
glücklich sein," rief er, „denn ich bin sicher, daß ich noch so-
lange leben werde !" Madame de Luxembourg hatte das selbst mit
angehört und ich hörte sie die Sache erzählen, wobei sie hinzu-
setzte: „Ich habe diesen Zug erst nach dem Tode des Königs
erzählt." Der Ausspruch ist in seiner einzigartigen Mischung von
Liebe und Egoismus immerhin bemerkenswert.
#
D'Alembert hatte Frau Denis einen Tag nach ihrer Hochzeit
mit Herrn du Vivier besucht. Er wurde gefragt, ob sie glücklich
aussehe. „Glücklich? "antwortete er, „ich versichere Sie, so glück-
lich, daß anderen dabei schlecht werden kann."
#
Der Marschall von Belle-Isle61 fand, daß-Choiseul ihm zu rasch
in die Höhe kam und ließ daher durch den Jesuiten Neuville eine
Eingabe gegen ihn aufsetzen. Er starb, bevor diese Eingabe an
den König gelangt war, und nun kamen seine Papiere in die
Hände des Herzogs von Choiseul, der die Eingabe fand. Er tat
alles, um den Verfasser aus der Handschrift zu erkennen, allein
umsonst. Er dachte schon nicht mehr an die Sache, als ihn ein
Aus den Memoiren 279
hoher Jesuit um die Erlaubnis bat, ihm die Lobsprüche auf Choi-
seul vorlesen zu dürfen, die in die Leichenrede auf den Marschall
von Belle-Isle eingeflochten seien. Der Pater Neuville habe diese
Rede verfaßt. Die Vorlesung geschah aus dem Manuskripte des
Verfassers, und nun erkannte Choiseul die Schrift. Seine einzige
Rache bestand darin, daß er dem Pater Neuville sagen ließ, Lei-
chenreden gelängen ihm besser als Eingaben.
#
Ludwig XV. weigerte sich, dem Kammerdiener Lebel aus sei-
ner Privatschatulle fünfundzwanzigtausend Franks zu vergüten,
die für seinen Hirschpark ausgegeben worden waren.62 Er verwies
Lebel mit seiner Forderung an die königliche Rechnungskammer.
Doch der Diener erwiderte : „Warum soll ich mich dort Placke-
reien und schließlich einer Abweisung aussetzen, wo Ew. Maje-
stät doch mehrere Millionen zur Hand haben." „Ich möchte
mich nicht gern verwirtschaften," antwortete der König, „man
muß immer etwas zum Leben haben."
#
Louxembourg, der Ausrufer, welcher beim Verlassen des Schau-
spielhauses die Herrschaften und die Wagen ausrief, sagte, als das
Theater nach dem Carrouselplatz verlegt wurde : „Die Komödie
wird hier nichts taugen, hier gibt's kein Echo."
#
Fontenelle hatte eine Oper geschrieben, in der ein Priesterchor
vorkam, der bei den Frommen Ärgernis erregte. Der Erzbischof
von Paris wollte diesen Chor verbieten lassen. „Er soll sich nicht
um meinen Klerus kümmern," sagte Fontenelle, „ich kümmere
mich ja auch nicht um seinen."
#
Der Prinz von Conti sieht in einem kleinen Absteigequartier
des Herzogs von Lauzun Licht. Er tritt ein und findet den Herzog
zwischen zwei Riesendamen vom Jahrmarkt. Er bleibt zum Nacht-
essen und schreibt an die Herzogin von Orleans, bei der man ihn
erwartete: „Ich opfere Sie zwei viel größeren Damen."
280 Aus den Memoiren
Christine von Schweden hatte den bekannten Naude, der ein
sehr gelehrtes Buch über die Tanzkunst der Griechen verfaßt
hatte und Meibomius, einen deutschen Gelehrten, der die sieben
griechischen Musikschriftsteller gesammelt und übersetzt hatte,
an ihren Hof gerufen. Ihr Leibarzt Bourdelot, eine Art Günst-
ling und Spaßmacher von Beruf, brachte die Königin auf den
Einfall, sie solle dem einen der Gelehrten befehlen, eine antike
Melodie zu singen, dem anderen, danach zu tanzen. Es geschah,
und die Posse gab die beiden Gelehrten, die dabei mitgewirkt,
der Lächerlichkeit preis. Naude beruhigte sich dabei, aber der
Gelehrte ereiferte sich und ging in seinem Zorn so weit, daß
er das Gesicht des Bourdelot mit Faustschlägen bearbeitete.
Darauf ging er nicht nur vom Hof, sondern verließ auch
Schweden.
Ein Herr sagte zu Voltaire, er arbeite zu viel und trinke auch
zu viel Kaffee, er werde sich damit umbringen. „Ach wo!"
erwiderte Voltaire. „Wir kommen ja schon umgebracht auf die
Welt."
#
Der Graf von Charolais hatte vier Jahre lang seinen Haushalt
nicht bezahlt, nicht einmal seine ersten Vasallen. Zwei von ihnen,
ein Herr von Laval und ein Herr von Choiseul kamen eines Tages
mit ihrem Personal zu ihmjind sagten : „Wenn Hoheit uns nicht
zahlen, wie sollen wir die Dienstboten zufriedenstellen ?" Der
Graf ließ seinen Schatzmeister rufen, zeigte auf Laval, Choiseul
und die Bedienten und sagte: „Zahlen Sie die Leute aus."
*
„Heute, am 15. März 1782," sagte Herr von **#, „habe ich
ein gutes Werk äußerst seltener Art getan. Ich habe einen ehren-
haften, tüchtigen Mann getröstet. Er ist gesund, geistvoll, hat
tausend Pfund Rente und einen vornehmen Namen. Ich selbst
bin arm, unbekannt und kränklich."
Aus den Memoiren 2 8 1
Man fragte den Diener des Grafen von Cagliostro63, ob sein
Herr wirklich dreihundert Jahre alt sei. Er antwortete, er könne
leider keine Auskunft geben, er sei selbst erst hundert Jahre in
seinen Diensten.
*
Als Voltaire in Potsdam war, entwarf er eines Abends nach
Tisch das Bild eines guten Königs, im Gegensatz zum Tyrannen.
Er kam immer mehr in Hitze und gab eine schreckliche Schilde-
rung des Elends, das auf den Völkern unter der Regierung despo-
tischer und eroberungssüchtiger Herrscher laste. Der König von
Preußen wurde davon gerührt und vergoß einige Tränen. „Seht,
seht," rief Voltaire, „er weint, der Tiger!"
#
Lord Hamilton, ein recht sonderbarer Herr, betrank sich ein-
mal in einem Wirtshaus, schlug den Kellner tot und kam nach
einer Weüe wieder, ohne daß ihm der Vorfall zu Bewußtsein ge-
kommen. Der Wirt stürzte voll Entsetzen auf ihn zu : „Aber My-
lord, Sie haben ja den Kellner getötet!" Der Lord antwortete
lallend: „Schreiben Sie ihn mir auf die Rechnung."
#
Die Salzsteuer ist in der unteren Bretagne nur dem Namen
nach bekannt, aber bei den Bauern sehr gefürchtet. Ein Edel-
mann schenkte einmal einem Dorfpfarrer dieser Gegend eine
Stutzuhr. Die Bauern wußten nicht, was das für ein Ding war
und einer von ihnen kam auf die Idee, es sei die Salzsteuer. Da
lasen sie Steine auf und wollten die Uhr zertrümmern, aber der
Pfarrer trat dazwischen und sagte, es sei keineswegs die Salz-
steuer, sondern das Ablaßjahr, das ihm der Papst geschickt habe.
Da beruhigten sie sich denn gleich.
#
Herr von *** bat den Bischof von *** um ein Landhaus, das
dieser ohnehin nie benutzte, aber der Bischof antwortete: „Sie
wissen doch, daß man immer einen Ort haben muß, an den man
nie hinkommt, von dem man aber glaubt, man würde dort glück-
282 Aus den Memoiren
licher sein ?" — Nach kurzem Schweigen antwortete Herr ***:
„Ja, so ist's, darum gilt ja auch das Paradies so viel."
*
Fontenelle war achtzig Jahre alt, als er einmal einer schönen,
jungen Dame den Fächer aufhob. Sie war ungezogen genug, seine
Höflichkeit verächtlich aufzunehmen, und Fontenelle sagte zu
ihr: „Aber Gnädige, wirklich! — Sie verschwenden Ihre Kälte!"
*
Als Herr von Silhouette seinen Abschied erhalten hatte, war er
von der Ungnade, in die er gefallen war, tiefgebeugt, undbesonders
in Angst wegen der Folgen, die sie haben konnte. Am meisten fürch-
tete er die -Gassenhauer, die man auf ihn machen würde. Eines
Tages trat er nach dem Essen, bei dem er kein Wort gesprochen
hatte, auf eine Dame zu, der er sein Vertrauen schenkte und sagte zu
ihr: „Sagen Sie mir aufrichtig, singt man wirklich noch nichts ?"
*
Der Abbe de Tencin stand unter der Anklage des Wuchers.
Aubri, der gegnerische Anwalt, hatte offenbar keine ausreichen-
den Belege und der Rechtsvertreter des Angeklagten erhub darob
ein lautes Geschrei. Aubri spielte den Verwirrten. Der Abbe
wohnte selbst der Verhandlung bei und glaubte nun den Augen-
blick gekommen, die schlimme Angelegenheit ein für allemal aus
dem Wege zu schaffen. Er erbot sich daher, seine Unschuld eid-
lich zu erhärten. Da fiel ihm Aubri ins Wort. Ein Eid sei nicht
nötig, meinte er und legte dem Gericht jetzt erst überführende
Belege vor. Hohngeschrei und Lärm ! Dem Abbe aber gelingt es,
sich aus dem Staub zu machen. Er geht als Gesandter nach Rom.
#
HerrR***hatte in einer Gesellschaft drei oder vier Epigramme
auf eben so viele Leute vorgelesen, die alle nicht mehr am Leben
waren. Man wandte sich darauf an HerrL *** und fragte ihn, ob
er nicht auch mit dergleichen zur Unterhaltung beisteuern wolle.
„Nein." sagte er in aller Unschuld — „ich kann Ihnen nichts
bieten, meine ganze Bande lebt noch."
Aus den Memoiren 283
Als man das Geschick des Herzogs von Choiseul als ganz bei-
spiellos pries, erwiderte er : „Ja, es ist beispiellos im Guten, wie
im Schlimmen! Ich habe z. B. die Dirnen immer gut behandelt,
aber eine habe ich vernachlässigt, und gerade die wird Königin
von Frankreich oder doch beinahe Königin. Den Inspektoren bin
ich entgegengekommen, so weit als möglich. Geld und Ehren
habe ich mit vollen Händen über sie ausgeschüttet. Nur einen,
der gar nichts unter ihnen galt, habe ich von oben herab be-
handelt, und gerade der wird Kriegs minister : Herr Montaynard.
Bekannt ist, wieviel ich für die Gesandten, ausnahmslos für alle
getan, — außer für einen. Es ist einer darunter, der langsam und
schwerfällig arbeitet, den alle anderen über die Schulter ansehen,
mit dem sie, da er eine lächerliche Ehe eingegangen, nicht ver-
kehren. Es ist Herr de Vergennes, und gerade er wird Minister
des Äußeren. Geben Sie mir nun recht, wenn ich behaupte,
mein Geschick sei im Guten wie im Schlimmen gleich außer-
ordentlich ?"
#
Herr ***, der sich der Gesellschaft als Mittel zu seinen Zwecken
bedienen konnte, wie er wollte, sagte zu mir, er verdanke dies
hauptsächlich dem Umstände, daß er es verstanden habe, bei
Gelegenheit mit Frauen von vierzig Jahren zu schlafen und Grei-
sen von achtzig geduldig zuzuhören.
#
Wie bekannt stand der verstorbene König in geheimem Brief-
wechsel mit dem Grafen von Broglie. Es handelte sich darum,
einen Gesandten für Schweden zu ernennen. Broglie brachte
Herrn de Vergennes in Vorschlag, der von Konstantinopel zurück-
kam und sich dann auf seine Güter zurückzog. Der König wollte
nicht, aber der Graf gab nicht nach. Es war üblich, an den König
auf einem in der Mitte gebrochenen Bogen zu schreiben und er
schrieb an den Rand des letzten Briefes, der ihm in dieser Sache
zuging: „Ich billige die Wahl des Herrn de Vergennes nicht. Sie
284 Aus den Memoiren
zwingen mich dazu. Meinetwegen mag er hingehen, aber ich ver-
biete, daß er seine häßliche Frau mitnimmt."
*
Zur Zeit des Streites um Diderot und Rousseau sagte Herr de
Castries mit gereizter Miene zu Herrn von R., der mir den Aus-
spruch wiederholt hat : „Unglaublich ! Von nichts spricht man,
als von diesen Leuten, diesen Menschen ohne Stand, die nicht
einmal ein Haus haben und auf dem Heuboden wohnen ! Daran
kann ich mich wirklich nicht gewöhnen."
#
In einer Gesellschaft, wo auch Frau von Egmont speiste, mel-
dete man einen Herrn namens du Gusclin. Dieser Name wirkte
stark auf sie. Sie läßt bei Tisch den Herrn an ihre Seite setzen,
erweist ihm große Aufmerksamkeit und bietet ihm schließlich
von einer Schüssel an, die vor ihr stand. — Es waren Trüffeln.
„Gnädige Frau," sagte der Dummkopf, „an Ihrer Seite braucht
man keine." „Bei dieser Tonart", sagte die Gräfin, als sie diese
Geschichte erzählte, „tat mir meine Liebenswürdigkeit leid. Ich
machte es wie jener Dauphin, der bei einem Schiffbruch meinte,
er habe einen Menschen gerettet. Er warf ihn wieder ins Meer,
als er sah, daß es ein Affe war."
#
Fräulein Duthe hatte einen ihrer Liebhaber verloren, ein Er-
eignis, das Aufsehen erregte. Ein Herr, der sie daraufhin besuchte,
fand sie beim Harfenspielen und äußerte in überraschtem Ton :
„Wie ? Ich war darauf gefaßt, Sie in Verzweiflung zu finden."
„O," sagte sie pathetisch, „Sie hätten mich gestern sehen sollen !"
*
Ehe die Chiron64 beim Theatre Francais historisch-getreue
Kostüme einführte, hatte man für die Tragödie immer nur ein
und dasselbe Kostüm, welches man das „Römische" nannte. Man
spielte alle Stücke dann griechische, amerikanische, spanische
usw. Lekain unterwarf sich zuerst der Neuerung und ließ sich für
den Orest in der „Andromache" ein griechisches Kostüm an-
Aus den Memoiren 285
fertigen. Dauberval kam in die Garderobe Lekains, als der The-
aterschneidergerade das n eue Orestkostüm brachte. Die Neuerung
fiel Dauberval auf und er fragte, was das sei. „Das ist ein griechi-
sches Kostüm", sagte Lekain. „Das ist ja sehr schön," erwiderte
Dauberval, „wenn ich wieder ein römisches Kostüm brauche,
lasse ich es mir griechisch machen."
#
Vierzehn Tage vor dem Attentat Damiens kam ein südfranzö-
sischer Geschäftsmann in eine kleine Stadt, sechs Meilen von
Lyon. Im Wirtshaus hörte er, wie man in einem Zimmer, das von
dem seinigen nur durch eine dünne Wand getrennt war, sagte,
ein gewisser Damiens werde den König ermorden. Der Geschäfts-
mann kommt nach Paris und will sich Herrn Beriyer vorstellen,
trifft ihn aber nicht und teilt ihm daher seine Wahrnehmung
schriftlich mit. Später kommt er noch einmal und stellt sich per-
sönlich vor. Wie er wieder nach seiner Heimat unterwegs ist, er-
folgt das Attentat. Beriyer sagt sich, der Geschäftsmann werde
sein Erlebnis erzählen und so seine — Berryers — Nachlässigkeit
an den Tag kommen. Er schickt daher ein Polizeipikett nach der
Lyoner Straße. Der Geschäftsmann wird verhaftet, gefesselt und
nach Paris gebracht. Man wirft ihn in die Bastille, wo er acht-
zehn Jahre lang gefangen bleibt. Herr von Malherbes, der im
Jahre 1775 einige Bastillegefangene befreite, erzählte diese Ge-
schichte in der ersten Aufwallung seiner Empörung.
•
Madame de H*** erzählte mir vom Tod des Herzogs von Au-
mont : „Es ging sehr rasch," sagte sie, „zwei Tage vorher hatte
ihm Herr Bouvard zu essen erlaubt und an seinem Todestag
zwei Stunden, bevor sich die Lähmungserscheinungen wiederhol-
ten, war er wie ein Dreißigjähriger, wie er sein Leben lang ge-
wesen. — Er ließ sich seinen Papagei bringen, sagte: „Bürstet
doch diesen Sessel aus! — Zeigt mir meine neuen Stickereien."
Kurzum, sein voller Geist, alle seine Ideen wie sonst auch"
286 Aus den Memoiren
Man veranstaltete bei der Akademie Francaise eine Sammlung.
Schließlich fehlten noch sechs Franks oder ein Louisdor. Man
hatte ein Mitglied, das wegen seines Geizes bekannt war, im Ver-
dacht, nichts beigesteuert zu haben, aber der Geizhals behaup-
tete fest und steif, er habe seinen Beitrag eingeschickt. „Ich habe
es zwar nicht gesehen," sagte der Veranstalter der Kollekte, „aber
ich glaube es!" Fontenelle setzte schließlich den Debatten über
den Fall ein Ziel, indem er bemerkte : „Nun, ich habe es gesehen,
aber ich glaub's nicht."
#
In einer Gesellschaft sprach man darüber, was angenehmer sei,
geben oder nehmen ? Die einen behaupteten geben, andere wie-
der meinten, daß bei vollkommener Freundschaft das Vergnügen
zu empfangen ebenso zart sei und vielleicht lebhafter. Ein geist-
reicher Mensch, den man um seine Meinung fragte, antwortete :
„Ich frage nicht, welches Vergnügen lebhafter ist, aber ich würde
lieber geben. Es scheint mir nämlich zum mindesten dauerhafter
und ich habe beobachtet, daß man sich daran am längsten er-
innert."
Als Herr von Turenne einmal bei Herrn von Lamoignon speiste,
fragte ihn dieser, ob seine Unerschrockenheit nicht bei Beginn
einer Schlacht doch ein wenig wanke. „Ja," sagte Turenne, „ich
empfinde dann eine starke Erregung, aber es gibt in der Armee
manchen Subalternoffizier und viele Soldaten, bei denen dies
nicht der Fall ist."
#
Bei den Lustbarkeiten am St. Lorenz-Jahrmarkt erschien auf
dem Theater ein Polichinell mit einem Buckel vorn und einem
Buckel hinten. Man rief ihm zu, was er denn in seinem Buckel
vorne habe. „Befehle!" — Und in dem Buckel hinten ? „Gegen-
befehle!" — Damals war unsere Regierung auf dem Höhepunkt
der Tollheit und Dummheit und der an sich treffliche Witz
brachte seinen Urheber nach Bicetre.
Aus den Memoiren 287
In einer Gesellschaft sann man auf Mittel, einen schlechten
Minister los zu werden, einen Mann, dessen Ehrenschild von
zahllosen Schandmalen übersät war. — Ein erklärter Feind von
ihm sagte plötzlich; „Könnte man ihn denn nicht dazu bringen,
irgend etwas Vernünftiges oder Anständiges zu tun, damit er da-
vongejagt wird?"
#
Herr von Choiseul-Gouffier wollte wegen der häufigen Feuers-
brünste auf eigene Kosten die Häuser seiner Bauern mit Ziegeln
eindecken lassen. Die Bauern dankten für seine Freundlichkeit
und baten ihn, es doch beim alten zu lassen. Würden ihre Häuser
mit Ziegeln gedeckt, anstatt mit Stroh, meinten sie, so würden
sie auch gleich höher besteuert werden.
*
Am Tag des Erdbebens von Lissabon befanden sich der König
und die Königin von Portugal in Belem, um einem Stiergefechte
beizuwohnen. Das war ihre Rettung. Dabei ist es eine Tatsache,
die mir von mehreren Franzosen, welche damals in Portugal leb-
ten, bestätigt wurde, daß der König niemals die Größe des Un-
glücks erfuhr. Zuerst meldete man ihm nur von einigen einge-
stürzten Häusern, dann von einigen Kirchen. Da er niemals wie-
der nach Lissabon kam, so kann man wohl behaupten, daß er der
einzige Mensch in Europa war, der keine richtige Vorstellung
von dem Unglück hatte. Und er war keine Meile von seinem
Schauplatz entfernt.
#
Madame de Bassompierre lebte am Hof des Königs Stanislaus
und war die Geliebte seines Kanzlers, des Herrn de La Galai
sefre. Eines Tags kam der König zu ihr und nahm sich Freiheiten
heraus, die jedoch zu nichts führten : „Ich schweige," sagte Stanis-
laus, „das übrige wird Ihnen mein Kanzler sagen."
#
Herr d'Espremenil lebte lange Zeit mit Madame Tilaurier, die
gerne von ihm geheiratet sein wollte. Sie steckte sich hinter
288 Aus den Memoiren
Cagliostro, dei Herrn d'Espremenil Hoffnung machte, er könne
den Stein der Weisen finden. Bekanntlich verquickte Cagliostro
mit seinen alchymistischen Narrheiten auch allerlei Fanatismus
und Aberglauben, und als nun d'Espremenil sich beklagte, eine
gewisse Formel habe nicht geholfen, der Stein der Weisen sei
nicht erschienen, da gab ihm Cagliostro zu verstehen, das komme
daher, weil er mit Madame Tilaurier in einem unsittlichen Ver-
hältnis lebe. „Wollen Sie Erfolg haben, so müssen Sie mit den
unsichtbaren Mächten und ihrem Herrn, dem höchsten Wesen,
im Einklang sein. Heiraten Sie Madame Tilaurier oder lassen Sie
von ihr ab!" Sie wurde noch einmal so kokett wie vorher und
d'Espremenil heiratete sie. Er hatte den Stein der Weisen nicht
efunden, wohl aber die Frau.
#
Herr von Legier hatte einen Erlaß veröffentlicht, auf Grund
dessen nur Edelleute ins Offizierkorps der Artillerie aufgenom-
men werden sollten. Da nun andererseits für diesen Dienst nur
gebildete Leute zu gebrauchen sind, so geschah etwas recht Selt-
sames : Abbe Bossut, welcher die Zöglinge examinierte, ließ nur
Bürgerliche bestehen und Cherin nur Adlige. Auf hundert Zög-
linge, die bestanden, kamen nur vier oder fünf, die beiden An-
forderungen zugleich genügten.
*
Ein Amerikaner sah sechs Engländer, die von ihrem Truppen-
teil abgekommen waren. Er war kühn genug, auf sie loszustürzen.
Zwei davon verwundete er, die anderen streckten die Waffen, und
der Amerikaner führte sie vor den General Washington. Dieser
fragte ihn, wie er es denn fertig gebracht habe, über die sechs
Mann Herr zu werden ? „Kaum hatte ich sie gesehen," erwiderte
der Tapfere, ,,so stürzte ich auf sie los und habe sie umzingelt."
#
Zwei junge Leute reisten mit der Post nach Paris. Der eine
erzählt dabei, er fahre zur Verehelichung mit der Tochter des
Aus den Memoiren 289
Herrn von ***. Er spricht von seinen Beziehungen, vom Stand
seiner Eltern usw. Beide übernachten im nämlichen Gasthaus.
Tags darauf stirbt der Heiratskandidat frühmorgens um 7 Uhr,
bevor er noch seinen Besuch gemacht. Statt seiner geht der an-
dere, ein Spaßmacher von Beruf, zu dem künftigen Schwieger-
vater und spielt die Rolle des Schwiegersohns. Er zeigt sich auch
als Mann von Geist und die ganze Familie ist von ihm entzückt,
bis er sich plötzlich empfiehlt mit dem Bemerken, er habe eine
Verabredung. Um sechs Uhr werde er nämlich beerdigt. Um
diese Zeit wurde in der Tat der junge Mann, der am Morgen
verstorben war, begraben. Der Diener, den man nach dem Gast-
hause des vermeintlichen Schwiegersohnes geschickt hatte, vei-
setzte den Schwiegervater und die ganze Familie in großes Er-
staunen. Sie glaubten, sie hätten einen Geist gesehen.
#
Der Marquis von C##* wollte mit seinen Freunden in ein
königliches Gebäude, vor dem eine Schweizerwache stand. Er
drängt die Menge beiseite und sagt zu dem Schweizer: „Machen
Sie Platz! — Die Herren hier gehören zu mir, die anderen da
nicht!" Die Wache macht Platz und C*** mit seinen Freunden
passiert. Jemand sieht, daß die drei jungen Leute lachen und
macht sich über den Schweizer lustig. Der läuft nun den Gästen
nach und ruft: „Herr Marquis, Ihre Eintrittskarte!" — „Hast
du einen Bleistift ?" — „Nein." — „Da ist einer", sagt einer der
jungen Leute. Der Marquis schreibt und sagt dabei: „Das sehe
ich gern, daß du deine Schuldigkeit tust und nach deiner Wach-
instruktion handelst!" Damit gibt er ihm einen Zettel, auf den er
geschrieben : „Eintritt für den Marquis von C*** und seine Gesell-
schaft." Der Schweizer nimmt den Zettel und ruft denen, die ihn
aufgehetzt hatten, triumphierend zu : „Da ist ja die Einlaßkarte I"
#
Als Herr *** dem Prinzen Heinrich in Neuchätel seine Auf-
wartung machte, sagte er zu ihm, die Bewohner von Neuchätel
290
Aus den Memoiren
seien für den König von Preußen begeistert. „Das ist doch klar,"
meinte der Prinz, „daß die Untertanen einen Herrn lieben, der
dreihundert Meilen von ihnen entfernt ist!"
*
In seiner Jugend kam Marmontel oft zu dem alten Boindin,
einem sehr geistreichen Freidenker. „Kommen Sie doch ins Cafe
Procope", sagte der Alte. „Ja so, dort können wir über nichts Phi-
losophisches reden, außer, wir verabreden eine Geheimsprache!"
Das geschah. Die Seel hieß Margot, die Religion Javotte, die
Freiheit Jeanetton und Gott- Vater Monsieur de l'Etre. So dispu-
tierten sie miteinander und unterhielten sich trefflich. Eines
Tages mischte sich ein schwarzgekleideter Herr, der nach nichts
Gutem aussah, in die Unterhaltung und sagte zu Boindin : „Darf
ich mich höflichst erkundigen, wer denn dieser Herr de l'Etre ist,
der sich so übel aufführt und mit dem Sie so unzufrieden sind ?"
„Zu dienen," erwiderte Boindin. „er ist ein Polizeispitzel!"
#
Der Arzt Lorry erzählte, Madame de Sully habe ihn bei einem
Unwohlsein rufen lassen und ihm von einer Ungezogenheit de
Bordeus berichtet. Er habe zu ihr gesagt: „Ihre Krankheit kommt
von Ihrer Unbef riedigung, Sie brauchen einen Mann ! — Hier — !"
Und er sei in einer sehr unschicklichen Weise vor ihr gestanden.
Lorry entschuldigte seinen Kollegen und sagte Madame de Sully
eine Menge achtungsvoller Artigkeiten. Als er die Geschichte er-
zählte, setzte er hinzu: „Ich weiß nicht, was inzwischen passiert
ist, aber sie ließ mich nur noch einmal rufen und nahm dann wie-
der de Bordeu."
#
Der Marschall de Broglie hatte die Tochter eines reichen Ge-
schäftsmannes geheiratet und hatte von ihr zwei Töchter. In
Anwesenheit der Madame de Broglie schlug man ihm einmal vor,
die eine Tochter in ein Stift zu tun. „Durch meine Heirat", sagte
er, „habe ich mir die Stifter verschlossen." „AberauchdasArmen-
haus!" setzte seine Frau hinzu.
Aus den Memoiren 291
Lord Marlborough stand mit einem Freund und einem seiner
Neffen im Laufgraben, als plötzlich eine Kanonenkugel dem
Freund den Schädel zerschmetterte, so daß dem jungen Manne
das Gehirn des Toten ins Gesicht spritzte. Der Neffe trat schau-
dernd zurück, aber Marlborough sagte kaltblütig : „Nun, das wun-
dert dich wohl ?" — „Ja," erwiderte er, und wischte sich das Ge-
sicht ab, „ich wundere mich, daß ein Mann von soviel Gehirn
willkürlich einer so unnützen Gefahr ausgesetzt wurde."
#
Man bezichtigte Herrn *** der Menschenfeirdschaft. „Ich
bin kein Menschenfeind," sagte er, „aber ich fürchte es zu werden
und habe ganz gute Vorkehrungen dagegen getroffen." „Welche
denn ?" — „Ich ward ein Einsiedler."
#
Der Graf d'Orsay, der Sohn eines Generalpächters, ein Mann,
der auf seine gesellschaftliche Stellung sehr eitel war, traf mit
Herrn von Choiseul-Gouffier beim Vorstand der Kaufmannschaft
zusammen. Choiseul wollte bei dieser Behörde die Herabsetzung
seiner Kopfsteuer durchsetzen, die beträchtlich erhöht worden
war. D'Orsay aber beklagte sich darüber, daß man die seine ver-
ringert habe. Er glaubte sich dadurch an seinem sozialen Wert
gekränkt.
#
Herr *** trug oft, wenn man von der Liebe sprach, sehr lebe-
männische Ansichten zur Schau. Dabei war er im Grund ein
feinfühliger, wenig leidenschaftlicher Mensch und darum sagte
jemand von ihm : „Er tut unanständig, um bei den Frauen Glück
zu haben."
*
Der Regent ließ dem Präsidenten Darou nahelegen, er möge
seine Stelle als erster Vorsitzender des Parlaments von Bordeaux
aufgeben. Darou antwortete, er werde nicht gehen, außer, man
mache ihm den Prozeß. Der Regent las seinen Brief und schrieb
darunter: „Kommt mir gar nicht darauf an!" — und schickte
19*
292 Aus den Memoiren
ihn als Antwort zurück. Darou wußte, mit wem er es zu tun hatte
und demittierte.
*
L'Ecluse, derselbe, der die Varietes Amüsantes geleitet, er-
zählte, als er jung und mittellos nach Lüneville gekommen, sei
er genau an dem Tag zum Zahnarzt des Königs Stanislaus er-
nannt worden, da dieser seinen letzten Zahn verlor.
*
Ein englischer Bankier namens Ser oder Stair war angeklagt,
er habe eine Verschwörung angezettelt, den König Georg III.
zu entführen und nach Philadelphia zu schaffen. Vor Gericht
sagte er : „Ich weiß schon, wozu ein König einen Bankier braucht,
aber was ein Bankier mit einem König tun soll, begreife ich nicht!"
#
Bei der Vorstellung des „Devin de village" in Fontainebleau
trat ein Hofmann auf Rousseau zu und sagte höflichen Tones zu
ihm : „Gestatten Sie, daß ich Ihnen mein Kompliment mache."
„Gewiß," sagte Rousseau, „wenn es gut ist!" Der Höfling ver-
schwand und man sagte zu Rousseau: „Aber was denken Sie
denn, was haben Sie da gesagt!" — „Etwas sehr Gutes," meinte
Rousseau, „gibt es denn etwas Schlimmeres, als ein ungeschicktes
Kompliment ?"
*
Herrn ***j Freunde wollten seinen Charakter gern nach ihren
phantastischen Anforderungen ummodeln. Es gelang ihnen je-
doch nicht, und so sagten sie, er sei unverbesserlich. „Wäre ich
nicht unverbesserlich," erwiderte ihnen Herrn ***, „so wäre ich
schon längst verdorben."
DIE POLIZEIBERICHTE FÜR DEN KÖNIG
Die Pamphletisten und Libellisten genossen bei manchen
Historikern keinen besonderen Kredit in Hinsicht auf ihre Zu-
verläßlichkeit ; bei anderen, wie bei Ch. Vatel, dem gelehrten Ver-
fasser des dreibändigen Hauptwerkes über die du Barry (Versailles,
Bernard, 1 883), sind sie „la plus authentique de toutes les sources",
und die Polizeiberichte für den König, die man in vier Bänden
vor einigen Jahren in extenso herausgab (Paris sous Louis XV. Rap-
ports des Inspecteurs de Police au Roi. Publies et annotes par
Camille Piton, Paris, Mercure de France), bestätigen das Urteil
Vatels: ganze Seiten aus diesen Berichten hat z. B. Imbert in
seine Chronique Scandaleuse aufgenommen, ohne ein Wort zu
ändern oder den Text zu arrangieren. Was den Pamphletisten
passieren kann und oft genug passiert, ist, daß sie die nicht er-
fundenen Fakten nicht mit den richtigen Personen zusammen-
bringen, etwas, das mit dem A geschehen ist, mit dem B ge-
schehen lassen. Oder absichtlich Geschehnisse mit einer unbe-
kannten Person auf eine bekannte übertragen, was für uns heute,
denen die Personen entweder gar nichts mehr oder sehr wenig
bedeuten, von geringer Wichtigkeit ist, jedenfalls von geringerer
als den betroffenen Zeitgenossen jener Pamphletisten.
Diese Berichte wurden von Polizeiinspektoren für einen einzigen
Leser geschrieben, der sich sehr langweilte und über das, was ihn
allein interessierte, die Libertinage der Pariser, beim alltäglichen
Frühstück unterrichtet sein wollte, gar nicht, um danach sitten-
polizeiliche Erlasse anzuregen, sondern um nichts sonst, als
sich zu amüsieren. Dieser Leser war Ludwig XV. und Vielge-
liebte. vSeiner Gelangweiltheit und seinem besonderen Interesse
danken wir die authentischen Dokumente über die Pariser Sitten
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; sie bestätigen mit
einer sauberen, präzisen Faktizität Bekanntes, stellen anderes
richtig und bringen sehr häufig ganz Neues, wie zur Geschichte
294 Die Polizeiberichte
der du Barry, das von historischem Wert ist. Die Berichte geben
den Steckbrief der Personen bis in ihre Gewohnheiten und Ver-
mögensverhältnisse hinein. Sie sind für das 18. Jahrhundert das,
was Brantome für das 16. und Tallemant des Reaux für das
17. Jahrhundert ist, und sind mehr als beide, denn sie sind ganz
frei von allen schriftstellerischen Absichten und von einer völlig
modernen Objektivität. Deren sich Meusnier, der sehr intelligente
erste Berichterstatter (von 1748 — 1757), anfangs vielleicht zu sehr
befleißigte, denn die Knappheit und kurzgefaßte Sachlichkeit
scheint nicht den Beifall seines königlichen Lesers gefunden zu ha-
ben, da Meusniers Berichte nach einiger Zeit ausführlicher werden,
ohne ins Schwatzen zu verfallen. Meusniers Nachfolger Marais,
der von 1757 — 1777 berichtet, erreicht nicht seinen Vorgänger,
besitzt nicht wie dieser die Gabe einer scharfen Beobachtung und
eines Witzes, der sich ganz unpersönlich im Stil äußert. Die Be-
richte von Marais fallen ins Monotone oft. Aber es ist nicht darauf
zu insistieren, wie die beiden Polizeileute ihren Stoff bringen,
so viel sie.auch hier darin leisten, indem sie keine zurechtgemachte
Sprache schreiben, sondern jene, die man wirklich sprach. In den
Berichten findet sich keines der Modeworte, die aus der Literatur
kommen, aber alle die Worte und Wendungen sind da, die sich
die sprechende Gesellschaft für die Dinge erfand, die sie auf dem
Gebiete der Libertinage beschäftigten. Nicht selten unterbricht
der Polizist seine Aufzählung der Fakten mit einem Porträt, für
deren Schärfe dieses, das den Herzog von Chartres, den künftigen
Philippe-Egalite zeichnet, zum Beispiel dienen möge : „Ce prince
extremement grossier dans ses caresses, n'ayant aucune delica-
tesse et jurant comme un charretier, avec son fond de libertinage
crapuleux et se servant de termes qui feraient rougir la plus vile
creature." Oder es schließt ein Bericht mit folgenden Sätzen:
,,Le mari est un bonhomme qui trouve tout bon. La paix sub-
siste dans le menage; ainsi tout va bien."
Die private Polizei des Königs stand nicht unter der Kontrolle
Die Polizeiberichte 295
des Polizeiministers Sartines : anders besäßen wir nur eine sehr
abgeblaßte offizielle Verarbeitung dieser sur le vif abgegebenen
Rapporte, deren häufige Einförmigkeit uns heute lebendiger an-
spricht, als eine ausgewählte Sammlung pointierter Anekdoten
von Chamfort, die den Kopf zeigen, aber nicht den Leib. Der
Polizeiminister hätte auch sicher die Namen der Personen ge-
strichen, mit denen er oft befreundet sein mochte, was die beiden
subalternen Herren Meusnier und Marais sicher nicht waren
und ihre Opfer daher mit allen Titeln, Namen und Würden nen-
nen, wie es wohl auch der König wünschte, der nicht nur wissen
wollte, was ein Herr von F. oder C. oder S. tat, sondern daß es
die Herren Fronsac, Conti und Soubise taten, nicht nur lesen
wollte, was man von einer Schauspielerin erzählt, sondern daß
man es von der Duthe erzählt.
In dem Folgenden sollen Auszüge aus den Rapporten ihren
dokumentarischen Wert sowohl wie ihren Geist belegen. Zuvor
seien noch einige technische Worte angemerkt und erklärt, deren
sich die Rapporte wie alle Welt bedienen. Wenn ein öffentliches
Mädchen von einem Fürsten oder sonst einer vorragenden Per-
sönlichkeit ausgezeichnet wurde, so hatte sie „den Sprung über
den Stock" gemacht (sauter le baton) und wurde eine „Demoi-
selle du bon ton". Sie ist dann „surlegandtrottoir", d.h. lanciert.
Der für alles aufkam, der erklärte Aushälter hieß „der Herr".
Genügte dieser der Demoiselle du bon ton nicht, so hatte sie noch
einen, den man den Greluchon nannte: er gab weniger als der
Herr (er war meist auch jünger), hatte Ermäßigungen im Tarif,
mußte aber jedenfalls zahlen. Nach dem Greluchon kam als drit-
ter der „Farfadet" : er bekam alles umsonst, wurde aber für nichts
bezahlt, denn der bezahlte Zuhälter, der vierte an der Leiter und
an der untersten Sprosse, war der „Qu'importe". Um es an einem
Beispiel deutlich zu machen, hatte die Tänzerin Deschamps am
25. April des Jahres 1754 folgenden Liebhaberkortege : in die
Ausgaben des „Herrn" teilten sich die Herren Coulandre und
296 Die Polizeiberichte
d'Epinay; der Greluchon war unbesetzt; Farfadet warder Herr
Marquis de Saulgeon, Oberst bei den Grenadieren, und den
Qu'importe machte Deschamps der Gatte.
*
'Herr Tessier, Generalpächter, mit seiner Frau verzankt, hält Frl.
Sidonie aus, die Herrn von Chabanon zum Greluchon hat. Herr von
Senac hat auch mit ihr gelebt und ist ihr Freund geblieben. Der
hat nichts eiligeres zu tun gehabt, als er erfuhr, daß sie den Herrr
Tessier habe, als es im Foyer der Oper zu erzählen und fügte
noch hinzu, daß man ihm erzählt habe, Tessier wolle die Dumm-
heit begehen, sich mit seiner Frau auszusöhnen. Wobei einer, der
dabeistand, zu Senac sagte: „Aber man sagt, daß Sie sich auch
mit Ihrer Fr?.u aussöhnen wollen*', worauf Senac wütend ant-
wortet, er sei nicht so blöde. Herr von Chabanon wußte, daß
Senac gesagt hatte, er sei der Greluchon, und sagte ihm, er finde
es sehr komisch, daß sich ein Hahnrei wie er über ihn unterhalte.
Worauf Senac sagte: „Man hat es mir erzählt." Einige Tage da-
rauf sagte Herr von Senac im Opernfoyer: „Ich will Ihnen was
Neues erzählen, meine Herren, meine Frau ist eine Hure. Und
wissen Sie, wo sie auf den Strich geht ? Vor der petite maison des
Herzogs von Chartres." Sie hat in der Tat die Nacht vorher in
Monceaux mit dem Herzog und seiner Gesellschaft soupiert.
Der Mann wußte es, weil er ihr nachgegangen war. Alle lach-
ten ihn aus.
*
Herr von Matowski hat Mme Montgantier genommen, die Herr
von Senac hatte. Sie wollte es sich mit allen beiden einrichten,
aber Herr von Senac erklärte, daß er nicht dazu da sei, von allen
Seiten zum Hahnrei gemacht zu werden. Mme Montgantiei
hat em Absteigequartier in dem Haus gemietet, in dem sie wohnt.
Wenn ihr Mann schläft, besucht sie den Fremden, und tagsüber
besucht sie den Tänzer Vestris.
Die Polizeiberichte 297
Man sagt, der Chevalier de Bafse habe die Frau von Gottville.
Man behauptet, er habe bei ihr, im Temple, die Nacht zuge-
bracht, und sie habe ihn um vier Uhr morgens zu Fuß und im
Regen weggeschickt, und ihm dabei gesagt, sie könne ihn nicht
länger bei sich behalten, weil eine anständige Frau Menagements
zu bewahren habe.
Der Gardeoffizier Tombeuf lebt seit langem mit der Mlle
Cremille. Er ist sehr aus auf die Mme Mars, besuchte sie und
schenkte ihr ein Kleid und eine goldene Dose. Mlle Cremille
wußte das, wartete in einem Wagen an der Haustür auf den Offi-
zier und gab ihm, wie er herunterkam, ein paar Ohrfeigen. Er war
ganz weg. Da es um vier Uhr nachmittags geschah, gab es viel
Zuschauer. Sie stieß ihn in ihren Wagen und fuhr zu ihr. Er ver-
sprach, nie mehr zur Mars zu gehen, was sie schriftlich von ihm
verlangte. Die Erklärung schickte sie der Mars, die darüber lachte.
Der Offizier stellt alles mögliche an, um die Mars wiederzusehen.
#
Der Engländer Turner, der mit Mme Beaulieu lebt, soupierte
mit ihr bei den ebenfalls von Engländern ausgehaltenen Damen
De Vasses und sagte, sie müßten froh sein, daß die Engländer
nach Paris kämen, denn mit den Franzosen stürben die Pariser
Huren Hungers. Mme Beaulieu antwortete, daß die Franzosen,
wenn sie auch schlecht bezahlten, zumindest höflicher mit ihren
Mätressen wären. Da stand Turner auf und gab ihr eine Ohr-
feige. Sie tat nichts dergleichen und wartete, bis sie mit ihm zu
Hause war. Da nahm sie den Feuerhaken, behandelte ihn als ein
Schwein und schmiß ihn hinaus. Er schrieb ihr anderen Tages
versöhnlich; aber sie erlaubte ihm das Wiederkommen nur, wenn
er ihr fünfzig Louis gebe. Die brachte er ihr.
#
Der Marquis von Fitz-James hatte vorgestern eine kleine Loge
in der Comedie mit Mme Senac. Man sagte, er affichiere sich
solcherart mit ihr offiziell.
298 Die Polizeiberichte
Herr von Genlis war mit Mlle Duthe im Vauxhall. Seine Frau
war auch dabei; aber ihn genierte das nicht. Er stellte sie ihr vor,
und Mme von Genlis fand die Duthe sehr hübsch. Sie tat nicht
so, als ob sie wüßte, daß die D. die Mätresse ihres Mannes ist.
#
Alle unsere jungen Herren fangen an, sehr eifersüchtig über
das Entgegenkommen zu werden, das unsere schönsten Frauen
dem Mylord Beauchamp bereiten, dem Sohn des englischen Ge-
sandten. Der junge Mann ist allerdings groß und gut gewachsen,
hat ein angenehmes Gesicht und zudem die ganze Politesse eines
Franzosen, der die beste Erziehung genossen hat. Da er außer-
dem nur kurze Zeit in Frankreich verweilt, so ist das ein Grund
mehr für seinen Erfolg bei den Damen, die immer geneigt sind,
in einer Art Vergessens die Schwächen ihres Herzens zu begraben
und hier leicht andere Liebschaften anfangen können, ohne die
Vorwürfe und Indiskretionen eines aufgegebenen Liebhabers zu
fürchten. So kann sich dieser Engländer auch der Klugheit un-
serer Damen rühmen. Einige streiten sich um seine Eroberung,
so auch Frau von Gueaclin und Frau von Montregard ; die letzte,
welche ein Finanzgeist immer etwas über ihre Möglichkeiten hin-
austreibt, scheint es mit dem Triumph über ihre Rivalin sehr
eilig zu haben. Sie versteckt das nicht einmal voi den Augen ihres
Gatten, der immer voll blödesten Vertrauens nicht verstehen
konnte, warum man über seine Frau so viel klatscht, da er sie für
vollkommen treu hält, was ihr sehr angenehm ist.
*
Der Baron von Talleyrand ist heute der erklärte, bevorzugte
Liebhaber der Prinzessin von Chimay. Diese Dame mußte im-
mer etwas für ihr Herz haben, denn vor ihrer Verheiratung war
es der Graf von Egreville und vor vier Jahren war es der Graf de
la Marche. Der Baron besucht sie um Mitternacht über eine
Hintertreppe und verläßt sie gegen vier Uhr morgens.
Die Polizeiberichte 299
Der Marschall d'Esteres beschäftigt sich trotz seiner Krüppel-
haftigkeit aus dem letzten Feldzug noch heute mit Liebessachen,
und die Marschallin (wer hätte das geglaubt ?) kommt in Eifer-
sucht und Unruhe; sie hat mir diese Woche einen Mann ge-
schickt, der mich auffordert, den Marschall zu beobachten. Er
macht seine verliebten Autwartungen bei der Marquise von Saint-
Chamand, der Frau des Generalleutnants, die bei Frau Preville
ein Absteigequartier hat, das ihr ein Ritter des Ludwigordens
bezahlt.
*
Die Frau Marquise von Saint- Simon kostet heute die
Frische der Jugend und es ist der kleine Herr von Mailly, der
sie ihr verschafft. Er ist sehr stolz darauf und rühmt sich dessen
vor aller Welt. Er schlägt alle Einladungen seiner Freunde aus
mit der Entschuldigung, seiner Dame verpflichtet zu sein.
#
Seit acht Tagen ist die Tänzerin Pages, die jüngere, genannt
Deschamps, der galanten Welt wiedergegeben. Vor fünf Jahren
lebte sie mit dem Marquis von Banderolle, bei dem sie es recht
hart hatte, da der Marquis wie von seinem Kammerdiener auch
von ihr Dinge verlangte, die gegen die Natur sind und wovor sie
einen großen Ekel empfand. Sie teilte das einer alten Gouver-
nante mit, die bei ihr war, und ein gottdienliches Werk zu tun
meinte, wenn sie davon zu ihrem Beichtvater sprach. Der eifrige
Priester erzählte davon der Herzogin von Nivernais, die für dieses
gute Werk alle Hilfe zusagte. Die kleine Deschamps wurde heim-
lich von all dem unterrichtet und lief von Banderolle davon in
das Kloster der Carmelitinnen im Faubourg Saint- Jacques. Herr
von Banderolle setzte Himmel und Erde in Bewegung, um sie
wiederzufinden und wandte sich an deu Polizeichef Bertin. Ich
wurde mit der Nachforschung beauftragt und erfuhr so, wo sich
das Mädchen aufhielt. Ich verständigte Herrn Bertin, der den
Standpunkt der Herzogin teilte und Herrn von Banderolle wissen
3<do Die Polizeiherichte
ließ, daß dieDeschamp den Schleier nehme. Aber da die Herzogin
des Herrn von Banderolle nicht sicher war, schickte sie das Mäd-
chen in ein anderes Kloster, zwölf Meilen weg von Paris, und
zwölf Monate später nach Ligny bei Bar-le-Duc. Da blieb sie
vier Jahre. Ein gewisser Le Page, früher Offizier im Regiment
Conflans, hatte da Zutritt in das Kloster. Die Demoiselle Des-
champs gefiel ihm, er verlangte sie zur Frau und man schrieb
an die Herzogin. Die war einverstanden mit der Hochzeit und
gab 8000 Franks Mitgift und eine Ausstattung. Aber die Heirat
kam doch nicht zustande. Die Deschamps, die sich im Kloster
langweilte, schrieb an die Herzogin, daß sie inständig bitte nach
Paris zurückgebracht und da beschäftigt zu werden. Die Herzogin
gab nach, ließ sie nach Paris kommen und schlug ihi drei Dinge
vor : entweder immer in einem Kloster zu bleiben, oder sich an-
ständig mit einer Arbeit das Leben zu verdienen, oder sie ihrem
unglücklichen Schicksal zu überlassen. Sie entschied sich füi eine
Arbeit, aber das war nur ein Vorwand, wie man bald sah. Die
Herzogin brachte sie in ein Spitzengeschäft und zahlte für sie
eine gute Pension. Aber die Deschamps hatte nach einem Monat
genug davon und lief im Nachthemd fort ohne ein Wort. Sie
logierte sich als Mlle Renaud in der Rue Saint-Sauveur ein, blieb
da, ohne was zu essen zu haben, ein paar Tage. Am fünften Tag
sah sie vom Fenster aus den Fechtmeister Donadieu vorbeigehn,
der sie erkannte. Er stieg zu ihr hinauf. Sie erzählte ihm ihre
Abenteuer und ihre gegenwärtige Situation Er sagte ihr, daß er
sofort den Generalpächter Brissard verständigen wolle, der mit
seiner Schwester ungeheure Gelder verbraucht habe und der
sicher helfen würde. Das geschah auch. Herr Brissard schickte
zwölf Louis und eine Schneiderin mit allem Nötigen an Kleidern,
Strümpfen, Schuhen und Wäsche. Er tat das ohne besondere Ab-
sichten. Die Deschamps hatte ihrerseits an Herrn von Normand,
den sie vor Banderolle gekannt hatte, geschrieben, der aber hatte
nicht darauf geantwortet und sich zu seinen Freunden über den
Die Polizeibericbte 301
Brief lustig gemacht. Inzwischen hat sich die Deschamps mit
Herrn Brissards Geld in der Rue Traversiere eingemietet, und
zeigt sich täglich in der italienischen Komödie. Sie hofft nach
Pfingsten wieder ins Opernballett einzutreten, wo sie früher
Figurantin war, und sie zählt bestimmt auf ihre Reize, um in der
galanten Welt ebensoviel Aufsehen zu machen wie ihre verstor-
bene ältere Schwester.
#
Der Graf Liechtenstein, ein Deutscher, hat sich endlich ent-
schlossen, für die Zeit seines Pariser Aufenthaltes die Demoiselle
Letoile auszuhalten, die ihm Brissault einmal als Passade ver-
schafft hat. Er gibt ihr 30 Louis im Monat, außer der Wäsche
und dem Tafelsilber. Trotzdem behält die Letoile den Herrn
Gastine als Greluchon.
#
Herr von Crafford, ein Engländer, hat gänzlich mit der Demoi-
selle Desforges, Tänzerin bei der italienischen Oper, gebrochen.
Er hat für sie in zwei Monaten mehr als 500 Louis ausgegeben.
Der Bruch kam, da der Engländer entdeckte, daß sie immer noch
mit dem kleinen Grenier, Tänzer am selben Theater und früher
ihr Farfadet, verkehrte, wo sie ihm versprochen hatte, das wäh-
rend der acht Monate seines Aufenthaltes in Paris nicht zu tun.
Für dieses Opfer versprach ihr der Engländer ferner 12000 Livres
bei seiner Abreise, damit sie, Zuneigung dann noch vorausgesetzt,
den Grenier heiraten könne. Die Demoiselle war von dieser Zu-
kunft sehr entzückt und schwor Treue. Aber heimlich trat sie
doch den Grenier. Der Engländer dachte sich aber so was und
ließ sie beobachten. Er überraschte sie mit dem Tänzer bei einer
Schneiderin und es ließ ihm die Situation keinen Zweifel. Ohuö
Aufregung sagte ihr Herr von Crafford : „Ich schätze Sie nicht
genug, um über Ihr Betragen empört zu sein. Ich bedaure auch
meine Geschenke. an Sie nicht; ein Mann wie ich ist dazu da,
ein Geschöpi wie Sie zu bezahlen; hier sind noch 25 Louis, da-
302 Die Polizeiberickte
mit Sie Zeit finden, einen andern aufzutreiben, den Sie viel-
leicht besser mit dem Schwein da betrügen können. Leben Sie
wohl." Und damit ging er. Wenige Franzosen wird man finden
mit einem solchen Phlegma, und ich habe mir sagen lassen, daß
die Desforges von der Mäßigkeit dieses Engländers viel verblüff-
ter war, als sie gewesen wäre, wenn er ihr zwanzig Ohrfeigen
gegeben hätte. Sie tat, was sie konnte, ihn zurückzuhalten,
aber er ging.
#
Die Summen, die der Graf Liechtenstein auf die Demoiselle
Letoile wendet, geben ihr ein erstaunliches Relief. Alle Welt will
es betasten. Die Herren von Rochechouart, von Rochefort, der
Stelzfuß Marquis von Bonnac, der Präsident von Salibery, Herr
von Morfontaine, der Graf von Usson, alle haben ihr seit acht
Tagen die kostbarsten Geschenke gemacht, die sie mit einem
herablassenden Air annimmt und an ihren Gastine weitergibt.
#
Die Demoiselle Favier, früher Figurantin bei der Oper, hat
zurzeit drei Liebhaber, die sie ganz gut bezahlen. Der Herr Du-
rand war Geschäftsführer beimverstorbenenErzbischofvonCam-
brai, der Herr Toquiny ist sogenannter Bankier; der erste gibt
ihr 15, der andere 20 Louis im Monat. Der dritte ist ein Herr von
Sully von den Musketieren, der ihr gut 10 Louis gibt, die Ge-
schenke aller drei nicht gerechnet. Aber was das Merkwürdige
ist: die drei sind im vollen Einverständnis; jeden Tag treffen sie
sich im Theater und machen aus, wer von ihnen die Nacht bei
der Favier verbringt. Die Demoiselle weiß nichts davon, und
die drei unterhalten sich sehr viel über die Mühe, die sie sich
gibt, um sie zu täuschen.
ORIGINAL-BRIEFE DER FRAU GRÄFIN DU
BARRY
I. Brief
AN HERRN BILLARD DU MONCEAU1
Aus dem Kloster St. Aure, den 10. Brachmon. 1758.
Mein Herr und vielgeliebter Pathe !
Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, um die Ehre zu haben, mich
nach Ihrer Gesundheit zu erkundigen, und Ihnen zu gleicher
Zeit zu sagen, daß alles, was man Ihnen von mir hinterbrachte,
mit Ihrer gütigen Erlaubniß, Ohnwahrheit ist. Die Frau Su-
periorin sagte Ihnen, daß ich garstige Bücher lese, und sie noch
denen übrigen Kostgängerinnen zu lesen gebe. Es ist gerade das
Gegentheil. Mademoisell Reville hatte dergleichen Bücher von
ihrem Vetter, die sie uns zeigte; ich wollte sie nicht lesen, und
sagte, daß es nicht hübsch Hesse. Indessen las ich sie doch, weil
alle meine Gespielinnen sie gelesen hatten und in mich setzten,
ein gleiches zu thun. Das ist das einzige Böse, das ich gethan
habe, mein lieber Pathe. In Ansehung der Figur aus der Therese
Philosophe, die zerrissen worden ist, so kann ich Sie versichern,
daß ich es nicht gethan habe : weiß aber auch nicht, welche von
meinen Gespielinnen es seyn möchte. Ich wünsche, daß Ihnen
der Höchste langes Leben in aller Wohlfahrt schenke, und daß
Sie mich besuchen. Ich sehe Sie für meinen 1. Vater an, und
liebe Sie auch eben so sehr.
Ich bin mit aller möglichen Hochachtung
Mein Herr und vielgeliebter Pathe
Ihre etc.
Marianeben Vaubernier.
1 Madam Du Barry ist eine Tochter des Herrn Gomart von Vaubernier, Steuer-
amts-Bedienter zu Vaucouleurs, wo sie im J. 1744 gebohren wurde. Herr Billard
304 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
IL Brief
VON ABE VON BONNAC1
Vitri, den 5. April 1759.
So bist du jetzt in Paris, meine kleine Göttin, und man sagt
mir, daß du diesen Abend von da wieder zurükkommen werdest;
aber da es mir lieb wäre, dich diesen Abend allein zu sehen, ohne
daß Herr Marcieu unsere Zusammenkunft, wie bisdahin, stören
könnte, so schike ich dir meinen Kammerdiener, um dich zu be-
reden, deine Abreise auf morgen zu verschieben. Diesen Abend
werde ich in Paris seyn, und sobald ich angekommen bin, wird
dich Dümont abholen. Ich freue mich, dich ohngestörtzu sehen.
Äussert dem Vergnügen, um dich zu seyn, habe ich dir tausend
Dinge zu erzehlen, die dir, wie ich denke, nicht mißfallen wer-
den. Es hängt nur von dir ab, eine glükliche Bestimmung zu ha-
ben. Ich möchte nichts von dir haben, als weniger Leichtsinn,
und die für meinen Stand erforderliche Vorsichtigkeit ; ich würde
dich dafür schadlos zu halten wissen. Auf Wiedersehn mein
kleines Marianchen : ich folge meinem Briefgen von ferne nach,
dann ich liebe dich zum Tollwerden. Abe von Bonnac.
du Monceau, der zu selbiger Zeit durchreißte, und Proviantmeister war, logirte
bey dem Direktor des Steueramts. Er ward nebst der Frau seines Gastwirths er-
sucht, das Kind des Herrn Gomart von Vaubernier über der Taufe zu halten, und
er nahm es an. Madam Du Bari/ empfieng die Namen Maria Johanna. Nach dem
Tod des Herrn Gomart gieng seine Frau, die ohne Unterhalt war, mit ihrer Toch-
ter nach Paris, in der Absicht, in irgend einem Haus als Köchin oder Haushälterin
unterzukommen. Ihr erster Schritt, den sie that, war, daß sie zu Herrn Du Mon-
ceau gieng, bey dem sie seine Pathin aufführte. Der Pathe gab nun der Mutter
Geld, und versorgte sein Pathenkind in dem Kloster St. Aure, das unter der Di-
rektion des Abe Grisel, Beichtvater des Herrn Billard, Postkaßier, Neffe des Herrn
Du Monceau, war. Es schien, daß sich das Mädchen daselbst nicht beym besten
aufführte, weil ihrem Pathen zum öftern Klagen über ihr Betragen einkamen.
1 Mademoisell Du Barry wohnte nicht mehr in dem Kloster St. Aure. Ihre
Mutter war seitdem Köchin auf einem Landguth zu Vitri geworden, und hatte
ihre Tochter bey sich. Herr Du Monceau that ihnen noch immer Gutes. Er gab
monatlich einen Neuen Louisd'or.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 305
III. Brief
AN ABE VON BONNAC
Paris, den 14. April 1759.
Mein Herr Abe !
Sie machten mir wohl viele Versprechungen, als Sie mich zu
lieben anfiengen. Ich war Ihr kleiner Engel, Ihr kleiner Schatz,
und Sie sagten mir, daß ich nur verlangen könnte. Ich forderte
Ihnen eine Robe von Taffet; Sie sagten mir immer, wenn Sie
hieher kämen, würden Sie mir selbige geben, und nun haben Sie
schon drey Reisen hieher gethan, ohne an mich zu gedenken.
Das ist nicht brav, mein Herr ! Sie haben mich angeführt. Wenn
ich den Werth von demjenigen gekannt hätte, so ich Ihnen hin-
gab, ich hätte mich nicht so leicht verleiten lassen. Sie wissen,
daß ich Ihnen den Vorzug vor Herrn Marcieu1 gab, und dieser,
glaube ich, wäre ehrlicher als Sie gewesen. Wenn Sie mir auf den
Sonntag meine Robe nicht geben, so werde ich Madam sagen,
was Sie mir gethan haben, und so lange weinen, bis sie mir ver-
zeiht und Sie auszankt. Leben Sie wohl, Herr Abe, ich bin
Ihre gehorsame Dienerin
Marianeben Vaubernier.
IV. Brief
AN IHRE MUTTER
Liebe Mutter!
Ich bin sehr gut in dem Haus, wo Sie mich hingethan haben.
Herr und Frau Labille erweisen mir viele Freundschaft. Es kom-
1 Herr von Marcieu war ein Obrist, der nebst dem Abe von Bonak in das Haus,
in welchem Mademoiselle Vaubernier war, gieng, und ihr auch den Hof zu ma-
chen schien.
306 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
men den ganzen Tag so viele vornehme Leute, daß ich der schö-
nen Sachen, die ich sehe, nicht satt werden kann. Alles was mir
zusetzt, ist, daß ich nicht so geputzt, wie meine Gespielinnen
seyn kann. Sie sagten mir, daß dieses ein sehr guter Gewerb
wäre, auch will ich mich waker angreifen, um Geld wie sie zu
verdienen.
Gestern kam eine grosse Dame1 in die Bude, um etwas zu
kaufen; ich glaube, daß ich ihr gefiel, denn sie intereßirte sich
für mich. Sie gab mir ihre Addresse, und sagte zu mir, zu ihr zu
kommen wenn ich könnte. Sie ist mir sicher gut, und gleich mor-
gen werde ich trachten, zu ihr hin zu gehen. Es hat Sie etwas
gekostet, mich hier unterzubringen ; aber es soll nichts verlohren
seyn. Ich bin versichert, wir werden nicht immer arm seyn; und
wenn ich reich werden kann, so sollen Sie's auch seyn. Leben
Sie wohl, liebe Mutter. Ich bin
Ihre Tochter
M. Lancon.2
V. Brief
AN HERRN ABE VON GONZIER3
Herr Abe !
Gestern sagte ich Ihnen meinen Namen und Zuschrift, ob-
schon mir's von Madam Gourdan verbotten war. Sie wollte mir
auch nicht sagen, wer Sie seyen; allein ich habe es durch einen
Zufall erfahren, denn Sie Hessen einen Brief fallen, den ich auf-
hob und in die Tasche stekte. Ich schike ihn durch diese Ge-
legenheit wieder zurük, um Sie meiner Hochachtung zu ver-
sichern, und Sie zu bitten, Ihre Gewogenheit gegen mich fort-
1 Madam Gourdan, eine berüchtigte Kupplerin zu Paris.
2 Bey dem Eintritt in das Haus des Herrn Labille, Modehändler, nahm Ma-
dam Du Barry den Namen, Mademoiselle Lancon an.
3 Jetziger Bischof von Arras.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 307
zusetzen. Du hast mir versprochen, mich zu unterhalten und
mir Gutes zu thun. Ich gehe auf dein Wort. Ich soll dir sagen,
daß du mir gestern recht wehe thatst; ich konnte heute nicht
gehen; ich glaube jedoch nicht, daß mich dieses abhalten werde,
dich auf den Donnerstag bey M. Gourdan zu sehen. Ich werde
meiner Frau sagen, daß ich zu meiner Mutter gehe. Du hast
mir eine Uhr versprochen, du wirst sie mir mitbringen. Ist's
nicht so ? Adieu mein schöner Abe, ich liebe Sie so sehr, als Sie
liebenswürdig sind, und das ist viel.
Lancon, bey H. Labille
Modenhändler, Strasse St. Honore.
VI. Brief
AN HERRN BILLARD DU MONCEAU, IHREN PATH
Paris, den 30. Christm. 1760.
Mein Herr u. vielgeliebter Pathe!
Seitdem wir einander bey Madam Gourdan1 antrafen, und
Sie so böse auf mich waren, mich daselbst zu sehen, war ich
immer im Kummer, weil ich sähe, daß ich Ihre Freundschaft
verlohren hatte ; allein ich kann Sie versichern, daß ich seitdem
nimmer hingegangen bin. Ich bin immer bey Herrn Labille, wo
man sehr wohl mit mir zufrieden ist. Erlauben Sie, daß ich Ihnen
1 Es war bey Madam Gourdan ein wunderbarer Auftritt zwischen dem Pathe
und der Tauftochter Er machte öfters bey der Frau Kupplerin mit, und diese
versprach ihm eines Tages ein frisches und hübsches Mädchen. Er versäumte die
verabredete Stunde nicht, fand aber seine Tauftochter. Voller Scham, sich an
einem solchen Ort vor diesem Mädchen zu sehen, schalt er sie aus, und gab ihr
derbe Verweise. „Aber mein Pathe, (sagt ihm gescheidter Weise die Kleine,) ist
es etwas schlimmes, sich an einem Ort zu befinden, wo Sie auch sind?" Der über
diese Antwort in die Wuth geratene Pathe kann sich nicht enthalten, und giebt
ihr Stockschläge. Madam Gourdan kömmt darzu, und setzt sie aus einander. Man
muß Madam Du Barry Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß sie seit diesem Zu-
fall nimmer zu der Kupplerin hingieng.
308 Original-Briefe der Frau Gräfin DU Barry
zum Neuen Jahr alles das, was zu Ihrer Glükseligkeit beytragen
kann, anwünsche. Auch bitte ich Sie, mir Ihre Freundschaft,
die mir so lieb ist, wieder zu schenken. Ich darf nicht selbst
zu Ihnen hinkommen, aus Forcht, Sie möchten es übel nehmen,
dahero Ihnen meine Mutter diesen Brief überbringen wird. Ich
wünsche Ihnen, mein Herr und werthester Pathe, ein gutes
und glükliches Jahr, nebst vielen folgenden, und bitte den Höch-
sten, daß er Sie gesund erhalten wolle. Ich bin mit der tiefsten
Ehrfurcht
Ihre etc.
M. Vaubernier.
VII. Brief
VON HR. DÜVAL, BEDIENTER AM SEEWESEN
den 6. Hornung, 1761.1
Warum wolltest du dann nicht, meine liebe Lancon, daß ich
mit dir zur höchsten Stuffe der Glükseligkeit gelangen sollte ?
Du sagtest mir, daß du mich liebtest, ich sagte dir das gleiche;
wir sind btyde frey. Die Stunde, der Ort alles war uns günstig,
und wir genoßen nur den Schatten des Vergnügens statt des
Wesentlichen. Du wärest nicht so ekel mit dem niderträchtigen
1 Der Zufall, der Herr Düval mit Mad. Du Barry bekannt gemacht hat, ist
sehr sonderbar. Dieser junge Mensch, von hübscher Gestalt, und hinlänglichem
Vermögen sich kostbar sehen zu lassen, wohnte in dem Haus des Hrn. Labüle. Er
gefiel der kleinen Lancon; und sie gieng ihm entgegen. Sehen sie wie sie sich dazu
anschikte. Die Modenhändlerin konnte malen, und gab zum Zeitvertreib ihren
Ladenmädchen Unterricht im Zeichnen. Mademoiselle Lancon, als sie etwelchen
Begrif davon hatte, amüsirte sich das Bildnis des Hrn. Düval mit Bleystift auf einen
Bogen Papier zu zeichnen, und heftete es hernach an seine Thür. Dem jungen
Menschen fiel beym Hereingehen gleich auf, er müßte einer von den Demoiselles,
des Hrn. Labille in die Augen gestochen haben. Das küzelt seine Eigenliebe. Er
glaubt, daß man in ihn verhebt seye, weiß aber nicht wer; — was Hegt daran. Er
thut das Portrait wieder wo er's genommen hat und schreibt darunter: Ich möchte
gern den Verfasser des Portraits kennen. Abends fand er sein Portrait, mit dem-
jenigen eines Mädchens bedekt, worunter die Worte stunden: Ich bins. Nun ist
er von seinem guten Geschike ganz bezaubert. Gleich den folgenden Morgen geht
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 309
Bonnac, von dem du mir sagtest, und doch waren die Umstände
weit delikater. Du hast mir versprochen, die Ursache deiner
Weigerung zu sagen. Ich erwarte es, und gestehe dir, daß ich sie
nicht begreif fen kan. Diese Nacht habe ich nichts geschlafen;
du warst mir immer vor Augen. Ich wälzte mich an den Rand
meines Beths, ich wähnte dich in der Mitte, glaubte mit dir zu
reden, dich zu fühlen, dich zu umarmen; aber alle das, meine
liebste Freundin gewährte mir nichts. Uebergieb meinem Be-
dienten deine Antwort, und erkläre dich. Ich erwarte es mit der
grösten Ungedult, glaub' es dem zärtlichsten Liebhaber
Düval.
VIII. Brief
AN HERRN DÜVAL
Ja mein lieber Freund, ich habe es dir gesagt, und wiederhole
es: ich liebe dich von Herzen. Du sagtest mir zwar das gleiche;
aber deiner Seits ist's nur Muthwillen: gleich nach dem Genuß
würdest du nicht mehr an mich denken. Ich fange an die Men-
schen zu kennen. Ich will dir sagen wie ich denke, horche:
Ich will kein Ladenmädchen mehr, sondern meiner selbst ein
wenig Meister seyn, und möchte dahero jemand finden, der
er in die Bude der Modenhändlerin, und besieht die Mädchen alle. Die kleine
Lancon lächelt. Er fängt auf der Stelle an für sie zu schmachten; denkt nur an
sie und schreibt Abends an seine Thüre : Wenn wäre es meinem Maler gelegen mich
bey Nahem auszumachen ? Mademoiselle Lancon liest es beym Schlaffengehen und
antwortet: Sonntag Morgens um 9 Uhr wird Ihr Maler bey Ihnen frühstüken
lassen Sie Ihre Thür halb offen. Düval läßt auf die bestimmte Stunde ein gutes
Frühstük zurüsten; schikt seinen Bedienten weg; läßt die Thüre halb offen; die
Heine Lancon geht hinein. Er schließt die Thüre zu. Der junge Mensch nimt'sich
Freyheiten mit seiner Geliebten aus, denen sie sich nicht entzieht. Er will weiter
vorschreiten, allein sie widersezt sich. Er fragt nach der Ursache; sie giebt ihm
schlechterdings zur Antwort, daß er sie nachwärts erfahren würde. Indessen ver-
schalt ihm die junge Lancon alle Freuden, die der junge Mensch nur hoffen kont,
bis auf jenen schlüpfrichten Punkt, den die kleine Grausame nicht zulassen will,'
bey so bewannten Um ständen schreibt er an sie um ihre Gesinnung zu vernehmen.
310 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
mich unterhielte. Wenn ich dich nicht Hebte, so würde ich dir
Geld heraus zu locken trachten; ich würde dir sagen, du solltest
den Anfang machen mir ein Zimmer zu miethen und es zu meu-
bliren; allein da du mir sagtest, daß du nicht reich wärest, so
kannst du mich zu dir nehmen. Es wird dich nicht mehr Haus-
zins, nicht mehr für deinen Tisch und das übrige deiner Wirt-
schaft kosten. Mein Unterhalt und mein Kopfputz sind der ein-
zige Aufwand, und für dieses gieb mir monatlich hundert Livres,
und mit dem soll alles gethan seyn. Durch dieses Mittel können
wir beyde zusammen glücklich leben, und du wirst dich nicht
mehr über Weigerung beklagen. Wenn du mich liebst, so nimm
diesen Vorschlag an ; wenn du mich aber nicht liebst, so laß uns
jedes sein Glük anderswo suchen. Guten Tag; ich umarme dich
herzlich.
Den 6. Hornung 1761.
Lancon.
IX. Brief
VON HERRN DÜVAI
Den 15. April 1761.
Du hast dich, meine Kleine, über die Abänderung meiner
Behausung nicht wenig wundern müssen, als du sie vernahmst.
Die Hartnäkigkeit, mit der du dich weigertest, mein Glük voll-
kommen zu machen, hat mich dahin verleitet, dir ein Frauen-
zimmer vorzuziehen, das ich dir, wenn du ein bisgen gefälliger
gewesen wärest, aufgeopfert hätte. Wisse nun, daß ich den Sieg
über eine Person erhalten habe, deren Herkunft meinen Stolz
nicht wenig küzelt, und daß ich nach unserer getroffenen Ein-
richtung, ein Zimmer in ihrem Haus nehmen werde. Sey ver-
sichert, mein Schäzgen, daß wenn jene Augenblike, die ich bey
dir zubrachte, nicht hinreichend genug gewesen sind, dir meine
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 311
Liebe zu schenken, so sind sie doch wenigstens angenehm genug
gewesen, um auf die Freundschaft zu zählen, die dir Zeit Lebens
widmet
Düval.
X. Brief
AN HERRN DÜVAL
Den 16. April 1761.
Du berichtest mich, daß du mich um einer vornehmen Person,
um einer grossen Dame willen, mit der du leben willst, verlassest.
Es dünkt mich, deine Eitelkeit thue sich was zu gut, mir diese
Neuigkeit wissen zu lassen. Ich weiß nicht, ob es der Hang deines
Herzens ist ; aber ich zweifle daran. Ich weiß, daß die Liebe kei-
nen solchen Unterscheid kennt; daß sie alle Frauenzimmer in
zwo Klassen eintheilt, die schönen und die garstigen. Ich weiß
auch, daß ein junges Mädchen von sechszehn Jahren immer
mehr werth war, und immer mehr werth seyn wird, als eine dike
Vettel von vierzig Jahren, wenn sie auch aus Bourbonischem Ge-
blüt abstammte. Ueberlege es, ich gebe dir vier und zwanzig
Stund Bedenkzeit, und sey versichert, daß du nicht zweymal das
gleiche Ding finden wirst. Glaube ja nicht, daß ich etwann ver-
legen seye. Ich habe einen andern Liebhaber, der dich an An-
sehn übertrift, und jünger und frischer ist, als du; er ist so schön
als Adonis. Pfui! wirst du sagen, wenn ich dir anzeige, daß es
mein Perükenmacher ist. Aber grosse Seelen, die sich rühmen,
daß sie zu leben wissen, geben öfters ihren Lakayen, vor ihren
Ehegatten den Vorzug. Frage deine Geliebte ; würdest du wohl,
hätte sie auf Rang gesehen, in ihrem Bette seyn ? Dieser will mich
heurathen; allein ich mag nicht, denn ich könnte in Versuchung
gerathen, ihn den folgenden Morgen zum Hanrey zu machen.
Nun ist er's auch zufrieden mir alles anzuschaffen, alles, was er
aufbringt, mit mir durchzubringen, und wir werden noch etwas
312 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
weiter hinaus sehen. So lange wir uns lieben, wird die Sache gut
gehen. Leb wohl, und überlege es; ich habe jezt etwelche
Schwachheit gegen dir; sie dürfte bald vorüber seyn, und ver-
gebens würdest du sie alsdann, wenn du deines vornehmen Frauen-
zimmers müde sein wirst, wieder haben wollen. Der Perüken-
macher wird dich ausgestochen haben, du wirst rasen, und ich
werde dich auslachen. Ich bin deine Dienerin
Lancon.
XI. Brief
AN LAMET, DER SICH IN LONDON AUFHÄLT1
Paris, den 30. Augstm. 1761.
Nun sind wir weit von einander entfernt, mein armer Freund,
und beyde in einer drekigten Lage! Du hast dich mit mir zu
Grunde gerichtet, ich weiß es. Du weist aber auch, daß, als wir
noch vollauf hatten, ich es ausschlug, mich von Herrn Monoye,2
der willens war, seine dike Madam Laurens um meinetwillen
aufzugeben, unterhalten zu lassen. Ich liebte dich recht sehr
und glaubte, daß unserer Glükseligkeit kein Ende wäre; aber
wenn wir uns noch so härmten, so wäre es doch wie es ist; laßt
uns also Mut fassen. Trachte in London brav Geld zu verdienen
und ich will sehen, wie ich hier einen alten Narren, der mich
unterhalten möchte, um das Seinige bringen kann; welches von
uns beiden sich alsdann am ersten bereichert, soll dem andern
helfen. Was halst du davon? Als eine Neuigkeit muß ich dir
sagen, daß ich wieder bey meiner Mutter bin, die eben nicht viel
1 Dieser Lamet ist der Perükenmacher, von welchem im vorhergehenden Brief
die Rede ist, der, wie es scheint, ohngefehr vier Monat mit Madam Du Barry
gelebt hat.
2 Herr Monoye, Prokurator im Parlament, unterhält seit zwanzig Jahren Ma-
dam Laurens, Silberhändlerin in der St. Honore Strasse. Er hat eine artige Tochter
von ihr, die jezt mannbar ist.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 313
zum Besten hat, und um uns durchzubringen, gehen wir alle
Abend in den Königlichen Pallast, und in die Thülleries. Bis-
weilen gewinnen wir unsere 17 bis 18 Livres, bisweilen auch we-
niger, indessen leben wir. Uebrigens hoffe ich, daß dieser Gewerb
nicht immer dauren werde, und wir dereinsten etwelche gute
Bekanntschaft machen werden, die uns für alle Mühseligkeiten
die wir ausstehen, schadlos halten wird. Lebe wohl mein lieber
Lamet, sey gedultig; liebe mich immer, und gieb mir Nachricht
von dir. Ich umarme dich, und bin zeitlebens deine gute Freun-
din Lancon.
XII. Brief
AN HR. LA GARDE, MAITRE DES REQUETES1
de la Cour neuve, den 11. Heum. 1764.
Sie wollen durchaus mein Herr, daß ich Ihnen mein Herz ent-
deke, und Ihnen frey heraus gestehe, ob Sie mir gefallen. Man
sagt, das dieses Geständnis schwer von einem Frauenzimmer zu
erhalten seye; aber in meinem Alter kennt man die Verstellungs-
kunst nicht. Ich will Ihnen also freymüthig sagen, daß ich Sie
schätze; und viel Vergnügen in Ihrem Umgang habe; allein ich
sehe einen so großen Abstand von Ihnen auf mich wegen Ge-
burt und Vermögen, daß mir dieses Geständnis schädlich seyn,
1 Pater Angelus Picpus, ward für den Schwager der Mutter, von Mad. Du
Barry gehalten. Im Jahr 1762. las er alle Sonn- und Feyertäge, ä la Cour neuve
bey der alten Madam la Garde, Wittwe eines sehr reichen Generalpächters, Meße.
Er fand Mittel und Wege seine angebliche Nichte, dieser Dame vorzustellen, die
sie als Gesellschaftsmädchen zu ihr nahm. Sie hatte zween Söhne, einer war Maitre
des Requetes, und der andere Generalpachter. Mad. Du Barry, welche beyde ihr
den Hof machten, verschmähte weder den einen noch den andern. Sie hebte den
Maitre des Requetes; allein der andere war reicher; jedoch konte sie niemals da-
zu gelangen, sich den eint- oder andern eigen zu machen. Diese kleine Intrigue,
die der Mutter zu Ohren kam, nöthigte sie, Mad. Du Barry wegzuschiken. Der
Maitre des Requetes, der das Glük hatte von ihr geliebt zu seyn, hat ihr zwar nie-
mals nichts zu Gute gethan.
314 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
und in der Folge Thränen kosten könte. Was ist der Endzwek
Ihrer Leidenschaft? Eine junge ehrbare und tugendhafte Per-
sohn, zu hintergehen, zu verführen, und sie hernach zu ver-
lassen, und was ist sie alsdann ? Der Fingerzeig und die Verach-
tung, aller die sie kennen. Ach ! mein Herr, glauben Sie mir, er-
stiken Sie eine aufkeimende Leidenschaft bey der Geburt. Ha-
ben Sie Achtung für mich und ich werde allzu glüklich seyn,
Ihren Beyfall und Ihre Gewogenheit zu verdienen. Ich werde
für alle Gütigkeit die Sie und Ihre Frau Mutter bis auf diese
Stunde für mich gehabt haben, den lebhaftesten Dank hegen.
Ich bitte mir selbige fortzusetzen, und zu glauben, daß ich mit
der grösten Hochachtung seye
Ihre etc.
von Vaubernier.
XIII. Brief
AN HERRN DE LA GARDE, GENERAL-PACHTER
de la Cour neuve, den 30. Heum. 1764.
Tausendfachen Dank, mein Herr, für die zierliche Repetier-
Uhr, die man mir übergeben hat, ohne zu sagen, von wem sie
herkomme; allein da ich Sie für den freygebigsten Mann von der
Welt kenne, so habe ich sie gleich Ihnen zugeschrieben, und ich
habe mich sicher nicht betrogen. Niemand als Sie kan so tref-
liche Geschenke machen; was mich aber kränkt, ist, daß ich
nicht darmit prangen kan. Jedermann würde mich drum be-
grüssen, und Ihre Frau Mutter würde die erste seyn, mich zu
fragen, von wem ich sie habe ? Ich werde mich dahero begnügen,
sie des Nachts oben an mein Bette zu hängen : dort kan ich sie,
so lange ich will, schlagen machen, und an Sie denken, ohne von
jemanden gestört zu werden. E9 ist ein wahres Vergnügen, seine
Gutthäter immer in Gedanken bey sich zu haben. Samstags wer-
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 315
den wir uns hier sehen; Sie haben es lnrer Frau Mutter ver-
sprochen, und ich für mich erwarte diesen Augenblik mit Freu-
den. Ich bin mit Erkenntlichkeit
Ihre etc.
von Vaubernier.
XIV. Brief
AN HERRN LA GARDE, MAITRE DES REQUETES
de la Cour neuve, den 11. Augstra. 1764.
Sie haben sich vergangenen Montag verstohlner Weise in
meine Kammer zu schleichen gewußt, und die Forcht, in der
ich sowohl wegen Ihnen als mir war, nahm mir beynahe alles
Vermögen, Sie wegzuschiken, oder Lerm zu machen. Ich mußte
Sie also in mein Beth aufnehmen. Welche Versprechungen mach-
ten Sie mir nicht in jenen Augenbliken! .... Aber das Blend-
werk ist verschwunden; mit Schmerzen sähe ich, daß Sie mich
den andern Tag nicht mehr ansahen. Sie machten der Frau Ge-
neralpachterin, einer Mutter von vier Kindern, die noch auf
eine lächerliche Weise die- Verliebte macht, eine sorgfältige Auf-
wartung. Sie sagten mir, daß es nur deßwegen war, um ihr Spiel
nicht zu verrathen. Ach! mein Herr, ich kenne das Ding; Sie
zeigten zu viel Lebhaftigkeit, zu heftige Begierde und allzu viel
Leidenschaft, als daß Ihr Betragen natürlich gewesen wäre. Sie
haben meine Schwachheit mißbraucht, um mich zu verführen
und hernach zu verlassen; wenigstens förchte ich es. Wenn es
nicht so ist, so ziehen Sie mich aus dem Irrthum, und Sie schen-
ken mir das Leben wieder. Morgen erwarte ich durch Ludwig
eine Antwort von Ihnen; wenn ich keine kriege, so werde ich
nach Paris gehen, blos um Sie zu sehen und Ihnen die derbsten
Vorwürfe zu machen. Indessen bin ich
Ihre etc.
von Vaubernier.
316 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
XV. Brief
AN LAMET IN LONDON
de la Cour neuve, den 12. Augstm. 1764.
So hast du nun, mein lieber Lamet, einen Platz bey einem
Lord, mit fünfzig Pfund Sterlings Gehalt. Ich wünsche dir Glük
darzu. Siehe zu, daß du daselbst bleibest, bis ich ein besseres
Glük habe. Ich bin jetzt bey Madam la Garde Generalpächterin,
um ihr Gesellschaft zu leisten. Ich fange an, wie du siehst, in die
grosse Welt zu tretten. Sie hat zween Söhne, einer bey Hof, der
andere an denen Finanzen : beyde machen mir die Aufwartung.
Ich weiß nicht, welcher der f reygebigste ist ; allein ich weise we-
der den einten noch den andern ab, sondern will, daß mich einer
von ihnen unterhalte. Ich mache ein bisgen die Tugendhafte,
um ihnen mehr Vergnügen zu verschaffen. Leb wohl, mein lieber
Freund, wenn was Wichtiges vorgeht, so werde ich dir's berich-
ten. Schreib mir öfters, und glaube, daß ich auf immer deine
beste Freundin bin.
Lancon de Vaubernier.
XVI. Brief
VOM GRAFEN DU BARRY1
Paris, den 30. Brachm. 1767.
Ich habe schon einige mal, mein schönes Frauenzimmer, mit
Ihnen allein gesprochen, um Sie zu bereden, daß Sie zu mir kom-
men und bey mir bleiben möchten ; allein ich habe Ihnen nicht
1 Hier ist in dem Leben der Madam Du Barry ein ziemlich langer Zwischen-
raum. Folgendes ist kürzlich, was man zuverläßiges davon weiß:
Sie kam 1765 zu Ende des Jenners, von Madam la Garde weg Sie blieb bey
ihrer Mutter, die damals mit einem gewissen Rancon, dem Madam la Garde einen
Plaz als Bedienter an der Maut von Paris verschafte, wieder verheurathet war.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 317
alle die Gründe, die Sie zur Einwilligung bringen sollten, noch
alle die Vortheile, die Sie davon ziehen könnten, fühlen lassen
können. Ich will mich also näher heraus lassen. — Sie sollen also-
bald die Gebieterin meines Herzens, und als eine solche die Be-
herrscherin meines Pallasts seyn, in welchem Sie meinen Leu-
ten, die von nun an die Ihrigen seyn werden, zu befehlen haben.
Da ich an den vornehmsten Stellen, sowohl bey Hof, als von
der Stadt Theil habe, so müssen Sie sich nicht wundern, wenn
Sie bey mir, oder vielmehr bey Ihnen, Marquis, Dücs und sogar
Prinzen sehen werden, die sich eine Ehre daraus machen werden,
Ihnen ihre Aufwartung zu machen. Sie müssen alsdann einen
gebieterischen Ton annehmen, vermittelst welchem es Ihnen
weder an Roben, noch an Diamanten, noch an allem dem, was
Sie mit den Damen vom ersten Rang in Gleichheit sezen kan,
fehlen wird. Ich halte wöchentlich zweymal eine glänzende Ge-
sellschaft bey mir. Sie sollen darinnen den Vorzug haben, die
Staatsdame machen, und die Ehrenbezeugungen und Anbetun-
gen aller derer, die sich an Sie wenden, erhalten. Wenn Sie ein-
mal bey mir sind, so will ich Ihnen die Art zeigen, die Sie an-
nehmen müssen, um die Segel nach dem Wind zu richten, dieses
ist aber die Sache eines Augenbliks für Sie. Mit Ihren Talenten,
und Ihrem Reiz, der Sie umgiebt, müssen sie allen, die Sie sehen,
gefallen. Ueberlegen Sie es und willigen Sie ein. Morgen gehe ich
zur Marquisin Düquesnoy, um eine Antwort von Ihnen zu er-
halten. Indessen bin ich mit ohnwandelbarer Ergebenheit
Mein schönes Frauenzimmer
Ihr etc.
Graf Du Barry.
Eilf Monat lang lebte sie so ziemlich eingezogen, ausgenommen einer kleinen In-
trigue, die sie mit einem Perükenmacher in der Bourbon Strasse, dem Nachbar
ihrer Mutter, hatte. Eine gewisse Marquisin Düquesnoy, die an der gleichen
Strasse wohnte, gab wöchentlich zweymal Spiel; um mehr Interessenten zu krie-
gen, nahm sie die junge Lancon zu sich, wordurch die Gesellschaft zahlreicher und
lebhafter ward. Sie blieb 18 Monat daselbst, nemlich das ganze Jahr 1766 und die
ersten Monat 1767; eine Epoche, in welcher sie zum Grafen Du Barry gieng.
31 8 Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry
XVII. Brief
AN MADAM RANCON
den 2. Augstm. 1767.
Mein Schweizer, meine liebe Mamma, sagte Ihnen gestern,
daß ich nicht bey Hause wäre. Dieses wäre nicht begegnet, wenn
ich gewußt hätte, daß Sie kämen; allein die ehegestrige Gesell-
schaft dauerte so lange in die Nacht hinein, daß ich gestern spä-
ter als gewöhnlich aufgestanden bin. Bis jezt kan ich mich meiner
neuen Unterkunft nicht genug rühmen: der Graf scheint sehr
anhänglich an mich zu seyn. Er schlägt mir nichts ab, sondern
bemüht sich, mir mein Verlangen zu erfüllen. Unsere Gesell-
schaften sind sehr glänzend. Die Art, wormit in denselben auf-
genommen werde, die Menge und der hohe Stand der Personen,
die ich darinnen sehe, alles läßt mich schliessen, daß, wenn den
Grafen die Laune ankommen sollte, sich wiederum mit derjeni-
gen, an deren Stelle ich kam, auszusöhnen, oder wenn auch ein
anderer Zufall unsere Eintracht störte, ich mit leichter Mühe,
ohne etwas beym Tausch zu verlieren, einen andern Plaz finden
könnte. Im übrigen mag ich nichts mit der Zukunft zu thun
haben; ich bin des Nachdenkens gleich überdrüßig, da ich von
nichts als vom Genuß des Gegenwärtigen weiß. Leben Sie wohl,
meine liebe Mamma, Ueberbringer dieses wird Ihnen sechs
Louisd'ors zustellen. Kommen Sie morgen um 11 Uhr zu mir;
sagen Sie nicht, daß Sie meine Mutter seyen; fragen Sie mir
unter den Namen der Fräulein Lange, den ich jezt angenommen
habe, nach. V aubernier Lange.
XVIII. Brief
AN HERRN RADIX VON ST. FOIX, OBER-SCHATZ-
MEISTER DES SEEWESENS
den 6. Christm. 1767.
Mein lieber St. Foix! ich bin in der grösten Verzweiflung. Sie
können sich nicht vorstellen, wie weit Du Barry sein schlechtes
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 319
Betragen gegen mich treibt. Ich bin's müde länger der Gegen-
stand seiner Hize, oder wohl gar Brutalität zu seyn. Wenn ich
etwelche Ergözlichkeiten bey ihm genossen habe, so waren sie
so sehr durch seine Wunderlichkeiten, worvon ich das Opfer bin,
verfinstert, daß ich jezt gänzlich entschlossen bin, mich davon
loszureissen, und mit ihm zu brechen. Sie sind unter denen vielen
Personen, die ich in seinem Haus sähe, einer von denen, den ich
am meisten vorgezogen habe; Sie schienen mir so sanft und von
einem gefälligen Umgang zu seyn. Wenn alle die schönen Sa-
chen, die Sie mir sagten, und die Vorschläge, die Sie mir thaten,
im Ernst gemevnt waren, so hätten Sie jezt eine hübsche Ge-
legenheit mir's zu zeigen. Aber merken Sie's, ich will die Sache
solid eingerichtet haben; ohne dieses soll keine Vertraulichkeit
mehr unter uns gelten. Sie wissen, daß mir blos die Wahl wehe
thut! aber ich liebe Sie, machen Sie sich's zu Nuze. Wir ge-
winnen bevde darbey, weil Sie das Vergnügen haben werden,
eine Maitresse, die für artig paßiren kan, einzig zu besizen, und
ich meines Orts werde die Zufriedenheit gemessen, keine Sclavin
meines Tyrannen mehr zu seyn. Leben Sie wohl, und seyn Sie
mit Ihrer Antwort so geschwind als mit Ihrer Ueberlegung. Ich
bin, wenn Sie wollen, ganz die Ihrige.
Lange.
XIX. Brief
AN MADAM RANCON
den 5. Brachmon. 1768.
Sie wissen, meine liebe Mamma, daß ich viele Gegenstände
von Kummer und Verdruß habe dulden müssen. Ich hätte nie-
mals geglaubt, daß ein Mann, den man nicht liebt, so viel Ge-
walt über uns haben könnte, als sich der Graf über mich aus-
genommen hat. Indessen sind die Sachen, seitdem ich Sie sähe,
so weit gekommen, daß ich entschlossen bin, mich von ihm zu'
320 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
trennen. Ich habe zu dem End jemand geschrieben, der mich zu
lieben schien. Dieser, obwohlen geneigt alles dem gegenwärtigen
Vergnügen aufzuopfern, stund wegen den Folgen einer förmlichen
Einlassung in Besorgnis, und war unschlüßig mich aufzunehmen.
Ich war wegen einer andern Wahl in Verlegenheit, als ein so
glüklicher als ojmerwarteter Zufall ir> einen Entschluß verrükte,
und das Band, welches mich mit Du Barry vereint, enger dann
jemals zusammen gezogen hat. Ich habe nicht Zeit, Ihnen eine
umständliche Erzehlung darüber zu machen. Ich soll Ihnen nur
sagen, daß Herr Le Bei, Kammerdiener des Königs und sein
Vertrauter, heute da zu Mittag speisen soll. Der Graf hat ihm
von mir gesprochen, und Sie können leicht erachten, was eigent-
lich der Gegenstand dieser Zusammenkunft seyn mag, und was
unsere Entwürfe sind. Indessen daß ich Hrn. Le Bei erwarte,
schreibe ich Ihnen. Laßt uns frölich seyn, meine liebe Mamma !
Qbwohlen noch nichts ausgemacht ist, so kan ich mich doch den
schmeicheisten Hofnungen nicht entziehen. Der Graf giebt mich
für seine Schwägerin aus, ich habe mich darauf versehen, meine
Rolle gut zu spielen. — Aber ich höre den Wagen des Herrn
Le Bei; ich verlasse Sie, um ihn zu empfangen. Leben Sie wohl,
liebe Mamma. Vaubernier Lange.
XX. Brief
AN LAMET IN LONDON
Compiegne, den 3. Herbstm. 1768-
Nun erhalte ich deinen Brief, mein lieber Lamet! Es ist ein
Wunder, daß er mir nach so vielen Veränderungen meiner Lage,
noch zugekommen ist. Zum Glük hat man ihn von Madam la
Garde, meiner Mutter zugeschickt, und diese hat mir ihn sicher
eingehändiget. Du thust mir den Vorschlag, nach London zu
gehen, allwo du mir Hofnung zu einer glänzenden Bestimmung
machst. Allein das Schiksal, das ich von denen Lords hätte er-
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 321
warten können, wäre gewiß dasjenige nicht werth gewesen, das
ich jezt geniesse, und das ich niemals hätte hoffen können. Du
hast dir, als wir noch mit einander lebten, nicht wohl einbilden
können, daß du eine Frau besizest, die auf dem Sprung ist, eine
vornehme Dame und Maitresse Seiner Allerchristlichsten Ma-
jestät zu werden. Es dünkt mich, ich sehe dich, indem du dieses
liesest, deine grossen Augen aufsperren und sie reiben, um sicher
zu seyn, daß du recht wach bist; indessen, mein guter Freund,
ist nichts gewissers. Ich habe zum Schein einen diken Grafen
Du Barry geheurathet, und bin jezt zu Compiegne, wo ich das
Amt einer Lieblingssultanin in seinem ganzen Umfang ausübe.
Ich habe nicht nöthig, dir das Stillschweigen aufzuerlegen; du
sollst selbst fühlen, wie wichtig es für dich und mich ist, nicht
zu plaudern. Um dich dahin anzuhalten, und für die tausend
Thaler, die ich dich kostete, zu entschädigen, wirst du bey-
liegend einen Wechselbrief von tausend Pfund Sterlings finden.
Er ist auf den Ueberbringer gestellt, und du hast nicht nöthig
dich zu erkennen zu geben, wenn du den Werth desselben be-
ziehst. Du siehst, daß ich ohnerachtet meiner Grösse gleichwohl
eine gute Frau bin. Schreib mir nimmer, bis ich dir die Mittel
darZu an die Hand gegeben habe. Ich zähle eben so auf deine
Bescheidenheit, als du auf meine Freundschaft zählen kanst, und
die Begierde, die ich habe, dir Proben davon zu geben.
Gräfin Du Barry.
XXI. Brief
VON DEM GRAFEN DU BARRY
Paris, den 9. Herbstm. 1768.
So sind Sie nun, meine werthe Schwägerin,1 auf der höchsten
Stuffe, nach welcher Sie verlangen konnten; aber um selbige zu
1 Madam Du Barry ward den I. Herbstmonat 1768 in der Gemeinde St. Lau-
renz an Wilhelm Du Barry, Bruder des Grafen der sie unterhielt, verheurathet.
322 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
behaupten, müssen Sie die gröste Vorsichtigkeit gebrauchen.
Mit dem König, wenn Sie einzig um ihn sind, müssen Sie immer
munter, frölich und scherzend seyn; aber öffentlich nehmen Sie
den Ton der Sittsamkeit, der Zurükhaltung, mit einem Wort
den Hofton an. Deßwegcn müssen Sie nicht stolz seyn, im Gegen-
theil müssen Sie höflich und leutselig gegen jedermann, beson-
ders aber gegen das Frauenzimmer seyn. Bedenken Sie, daß sie
alle Ihr Schiksal beneiden, und daß es keine einzige unter ihnen
giebt, die nicht, obschon Sie Ihnen viele Freundschaft bezeugt,
Ihr Fall wünsche. Sehen Sie, daß Sie auf alle mögliche Weise den
Düc de Choiseul in Ihr Spiel ziehen. Das ist ein großmächtiger
Minister, der mit seinem Herrn macht, was er will. Schreiben
Sie mir alle Tage. Um nicht die bestallten Personen zu verdun-
klen, will ich in Paris bleiben, und nur selten nach Hof gehen.
Sie wissen, daß Sie keinen andern Freund als mich haben ; mithin
geben Sie mir von den kleinsten Umständen, die Sie angehen,
Nachricht. Ich bin Ihr Schwager und Freund
Graf Du Barry.
XXII. Brief
AN GRAF DU BARRY
Den 15. Weinm. 1768.
Mein lieber Schwager! Se. Majestät haben noch immer die
gleiche Anhänglichkeit an mich. Er hat es gern, wenn man mir
den Hof macht; aber über den Düc de Choiseul bin ich recht
Le Bei, der sie dem König vorstellte, sagte ihm, daß sie an einen Mann von
Rang verheurathet wäre; allein er hätte nicht geglaubt, daß er im Ernst so anhäng-
lich seyn würde, als er's war. Weil er nun fürchtete, Seine Majestät möchten die
Wahrheit von andern erfahren, und seine Ungnade dardurch erfolgen, warf er sich
zu seinen Füssen, sagte dem König, daß er zuerst hintergangen worden, und daß
Madam Du Barry weder verheurathet noch von Rang sey. „Desto schlimmer, rief
der König aus, man verheurathe sie also schleunig, damit ich nicht im Fall seye,
eine Thorheit zu begehen." Nun ward die Heurath in Zeit acht Tagen richtig.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 323
ungehalten. Er scheint mir einen ausgezeichneten Haß zu haben •
die Duchesse seine. Schwester* ist ausser ihr mich zu sehen'
wenn sie mich ansieht, so hat sie die Augen voller Haß und Neid
O! ich glaube nimmer, daß ich diese Frau jemals werde lieben
können. Man sagt, daß der Bruder und die Schwester ein Lied-
gen auf mich machen werden. Muß ich mich darüber beym Kö-
nig beklagen? Sie wissen besser, was vorgeht. Was soll ich ma-
chen? Ich erwarte Ihre Antwort, um nichts ohne Ihren Rath
zu unternehmen. Ich bin, mein lieber Schwager, Ihre dankbare
Schwägerin und Freundin Gräfin m ßaffy
XXIII. Brief
VOM GRAFEN DU BARRY
Paris, den 16. Weinm. 1768.
Laßt uns, meine liebe Schwägerin, uns mit vieler Klugheit
betragen. Da wir die Choiseuls nicht gewinnen können, so laßt
uns auch nichts thun, wordurch wir sie uns auf den Hals richten
konnten. Wenn, nachdem wir alles angewandt haben ihre Gunst
zu erlangen, es uns nicht gelingt, alsdann wollen wir, um sie
heimlicher Weise zu Grunde zu richten, gegen ihnen thun, was
sie gegen uns thaten; allein wir müssen sehr behutsam seyn, um
1JHefImuG-~f • V°n Gramm°I» ™ die intriguanteste Hofdame Sie war
lW iv\ Uber.lhrfn B""^ hatte, mit dem sie maehte, was sie wollte
m Ä T 7 Atuthor se,bi8er Zeit> war ** **» »°*>™ Loh de;
ganzen Starke des Ansdrucks; nemlich entschlossen, frech, schamlos da sie die
fc,™ 'ur da, gememe Volk eingeführt, ansähe. Obschon sie allb reit 1 g
und HÜr "' «]a"b,eI,ileJnOCh d™ K°ri« » Sefaller,. Sie machte sich ihrenlt „d
und dem ,eh lte,vBn'dm » *"■«• »"d °™g "ch in die kleinen Zimme g n
und dem gehe.men Vergnügen des Monarchen anf. Um seinen guten und leichten
Wo uttr;„Se'Tßh r11"'", "" d3S SChÖM GeSchIecht -<i -inen Hang „r
Xseinen WiC' ,' 8 '".?, " ^ ^ **" mal in das B=» d« ^nigs
ET f g?' AUem da diese Gemeinschaft nur die Wirkung des
widtel MardamdnS,%dCn "T*™ » » ««» ^mal *■» ^
warn sie, als Madam Du Barry auftrat, ganz verflossen." Inde irae.
324 Original- Briefe der Frau Gräfin Dil Barrv
nichts das Aufsehen macht zu unternehmen, ehe wir eine Par-
they zusammen gebracht haben, die der inrigen das Gleich-
gewicht hält.
Ich schike Ihnen zwo Listen ; die Sie alle Augenblik zu Rathe
ziehen sollen. Aus der einten werden Sie alle Anhänger der Choi-
seuls kennen ; ihre Anzahl ist fürchterlich. Seyn Sie sehr vorsich-
tig, und indessen immer höflich gegen ihnen. Geben Sie keinen
Einblasungen, die ihnen von dieser Seite herkommen, und Sie
zu Schritten verleiten, die Sie zu Fall bringen könnten, Gehör.
Trachten Sie einige von ihren Creaturen mit unter die Deke
zu bringen; allein trauen Sie ihnen im Grund nicht ehender, als
bis wir recht versichert sind, daß man auf sie zählen kan. Die
zwote Verzeichniß enthält die unsichern Personen, oder heim-
lichen Feinde der Choiseuls. Ihre ganze Aussenseite zeige Ihre
Geneigtheit gegen ihnen, und Ihr ganzes Vermögen gehe nur
dahin, sich Freunde zu erwerben. Ich kan Ihnen nicht genug
wiederholen, daß Sie mir von allem dem, das Sie in Verlegenheit
sezen könnte, und worzu Sie Zeit haben meines Raths zu pflegen,
Nachricht ertheilen sollen. In sehr dringenden Vorfallenheiten
wird Ihnen meine Schwester Anleitung geben.
Ihre Erhöhung kommt so zu sagen von einem blossen Ohn-
gefehr her; aber bedenken Sie, daß Sie selbig nicht behaupten
können, ohne daß Sie sich blinder Weise dem Plan, den ich
Ihnen zu Ihrem Betragen vorzeichne, überlassen, und daß Sie
sich der grösten Gefahr aussezen würden, wenn Sie sich nur einen
einzigen Augenblik davon entfernten. Sie sollen also wissen, daß
ohnerachtet Ihrem Widerwillen gegen die Politik und Intriguen,
selbige dennoch Ihre einzigen Stützen sind. Das was Sie mir von
der Aufführung der Frau von Grammont gegen Ihnen sagen,
befremdet mich gar nicht; niemals hat ein Frauenzimmer der-
jenigen verziehen, die sie ausgestochen hat. Versichert, daß Sie
dem König gefallen, möchte ich wünschen, daß sie ihre Unver-
schämtheit noch weiter treibe, und ihr herrschsüchtiger Ka-
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 325
rakter würde sie zweifelsohn zu Ausschweifungen verleiten, die
eben so unglüklich für sie als günstig für uns seyn könnten, be-
sonders wenn ihr Bruder schwach genug ist, sich von ihr regieren
zu lassen. Wenn Sie Samstags nach Paris kommen, wie Sie es
willens waren, so will ich Ihnen mehr sagen, als ich Ihnen ge-
schrieben habe, obwohlen mein Brief schon lang genug ist. Ich
bin, meine werthe Schwägerin, Ihr Schwager und Freund
Graf Du Barry.
R. S. Ich habe vergessen Ihnen zu sagen, daß ich es wußte,
ehe man ein Liedgen auf Sie gemacht hat. Es ist ganz klar, daß
dieses ein Streich der Choiseul ist. Diesem ohnerachtet sagen
Sie dem König nichts darvon, denn Sie könnten, wenr er nichts
drum weiß, indem Sie ihm Genugthuung forderten, seine Auf-
merksamkeit rege machen, die gefährlich zu befriedigen seyn
wird.
XXIV. Brief
AN DEN DÜC VON COIGNY
Paris, den 11. Jenner 1769.
Ich habe Ihr Entschuldigungsschreiben,1 mein Herr Düc, er-
halten, und verzeihe Ihnen gerne. Ich bin gut, und behalte nie-
mals keinen Groll bey; jedoch lernen Sie gegen artigem Frauen-
zimmer vorsichtiger seyn; Sie verdienen etwelche Achtung. Ich
wünsche Ihnen einen guten Tag, und bin durchaus
Ihre etc.
Gräfin Du Barry.
1 Das, was zu diesem Schreiben Anlaß gab, ist sehr drolügt. Der Düc von
Coigny hatte Madam Du Barry unter dem Namen der Mademoiselle Lange ge-
kannt, als sie noch bey dem Grafen Du Barry war. Er gieng hernach nach Corsika,
und kam einige Zeit nach der Heurath der Madam Du Barry, wieder zurück. Da
er nun nicht wußte, daß sie die Maitresse des Königs war, suchte er sie bey dem
Grafen Du Barry. Man sagt ihm daß sie jezt in der Strasse des petits Champs
326 Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry
XXV. Brief
Den 17. April 1769.
Die Parthey der Choiseul, liebe Schwägerin, wird bis und so
lange Sie nicht dem Hof vorgestellt werden, die Oberhand ha-
ben. Sie müssen diese Gnade durchaus zu erlangen suchen. Die
Frau Gräfin von Bearn1 hat uns versprochen, Sie aufzuführen;
ihre kritische Lage macht, daß sie über alle Hindernisse, die
sich äussern könnten, weg ist. Wir sehen den Haß und die Eifer-
sucht der Choiseul nur allzu sehr. Sie haben nicht nur den Spöt-
tereyen, durch ohngebührliche Liedgens, die in der Stadt und
bey Hof herumgebotten werden, und worvon sie verstohlner
Weise die Urheber sind, aufgeholfen; sondern sind vertrauter
wohne. Er macht sich eilends dahin. Von ohngefehr war sie gerade in jenem Augen-
blik dorten. Gleich fängt er sie an zu duzen, will sie küssen, und sie mit einem
Wort als ein Frauenzimmer, das in der Welt mitgemacht hatte, behandlen. Diese,
um sich gegen seinen Ueberdrang zu stellen, nahm ein ernsthaftes Gesicht an, und
sagte ihm zulezt, daß sie geheurathet sey. „Desto besser, versezt ihr der Düc, wir
haben ein Vergnügen mehr, wenn wir einen zum Hanrey machen können." Ma-
dam Du Barry, da sie sähe, daß sie mit ihm nicht fertig werden konnte, war ge-
nöthigt zu läuten, ihren Leuten zu rufen, und ihnen zu sagen, daß sie den Do-
mestiquen des Dücs den Wink geben sollen, daß ihr Herr gehen wolle. Dieser über
eine solche Aufnahm ganz betretten, gieng zum Grafen Du Barry, dem ers er-
zehlte. Dieser sagte ihm, daß sie die Maitresse des Königs seye. Dieses nöthigte
den Düc, der Madam Du Barry zu schreiben, und ihr seine Entschuldigung zu
machen. Wir haben diesen Brief nicht finden können. Er befand sich nicht unter
den Schriften, derer man sich bemächtigte, als Madam Du Barry ins Kloster du
pont-aux-Dames verwiesen wurde. Er muß recht sonderbar seyn.
1 Madam de Bearn war eine Tochter vornehmen Standes, die nicht viel zum
Besten hatte, undWittwe eines von der Leibwache Kammerjunker des Perigords
war. Sie kam nach Paris, um einen Rechtshandel, den sie wider das Haus Salüces
hatte, und der für sie ein Gegenstand von 300 000 Livres war, fortzusezen. Da
sie bis Austrag der Sache eine beträchtüche Summe erhalten hatte, wandte sie das
Geld darzu an, um sich ihrem Stande gemäß sehen zu lassen, und Credit zu er-
langen. Sie war eine Befreundtin der Richelieu und derer von Aiguillon, die ihr
zu Gewinnung ihres Rechtshandels verhalfen, und sie hernach vermochten, Ma-
dam Du Barry bey Hof aufzuführen. Das Glük, das ihr dieser Schritt öfnete,
machte, daß sie sich über alle Vorurteile und alle das Lächerliche, das sie sich zu-
zöge, wegsezte.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry <$zy
dann jemals mit der Königl. Familie, die sie aus allen Kräften
wider Sie aufbringen, da sie Sie mit den schwärzesten Farben
der Lästerung und Verläumdung schildern. Da sie jezt mehr dann
jemals die Huld des Königs geniessen, so können Sie keine an-
dere Parthey ergreifen, als daß Sie sich weinend zu seinen Füssen
werfen, Ihn um aller Gewogenheit willen, die Er wohl für Sie
haben möchte, zu bitten, Sie nimmer länger denen Schmach-
reden Ihrer Feinde ausgesezt zu lassen, und die Vorstellung zu
erlauben, ja sogar zu befehlen. Lassen Sie alles, was Ihre eigenen
Vortheile, und Ihre Liebe zum König Ihnen alsdann eingeben
kan, mit einfliessen. Dieses letzte Hilfsmittel wird das wirksamste
seyn. Trachten Sie diesen Schritt noch vor Ende der Woche zu
bewerkstelligen. Thun Sie es mit aller der Wärme, deren Sie
fähig sind, um das Herz des Königs zu rühren. Ich wünsche, daß
die erste Nachricht, die ich von Hof erhalte, diejenige seye. Ich
bin ohnausgesezt Ihr Schwager, und der treuste Freund, den
Sie auf der Welt haben. Graf Du Barry.
XXVI. Brief
VON DEM GRAFEN DU BARRY
Paris, den 19. April 1769.
Reden, die Sie mit meiner Schwester führten, und die sie mir
hinterbrachte, erschreken mich. „Alle dieser Lerm da, sagten
„Sie, macht mich überdrüßig: was ist wohl das Schlimmste, das
„mir begegnen kan ? Wenn mich der König aufgiebt, so verlasse
„ich den Hof, und mit dem, das er mir geschenkt hat, und der
„Pension, die notwendiger Weise darauf erfolgen muß, habe
„ich genug, um mich in der Welt sehen zu lassen, und ein so
glüklich als fröhliches Leben zu führen." Ach! meine liebe
Schwägerin, wie wenig kennen Sie den Hof! Wissen Sie, daß das,
was Ihnen begegnen kan, ist, daß Sie auf Zeitlebens ins Kloster
328 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
gesperrt, mit dem Verbott, daß keine Seele zu Ihnen gelassen
werde. Noch eins, würden Sie wohl glüklich seyn, wenn man
Sie mit Gift vom Hals Schafte ? Ich sage Ihnen weiter nichts
mehr; dieses soll Ihnen Forcht einjagen. Verbrennen Sie diesen
Brief; ich verweise Sie auf meinen ehegestrigen. Befolgen Sie
meinen lezten Rath so schleunig als Sie können.
Graf DU Barry.
XXVII. Brief
VOM GRAFEN DU BARRY
Pans, den 23. April 1769.
Sie sehen nun, meine werthe Schwägerin, wie gut mein Rath
war, den ich Ihnen gab, durch die Wirkung, die er that. Nun
sind Sie ohnerachtet aller Ränke und Kabalen der Gegnern dem
Hof1 vorgestellt worden. Dieser Auftritt muß, da er die Macht,
die Sie auf das Herz des Königs haben, anzeigt, natürlicher Weise
unsere Feinde schreken, sie vorsichtiger machen, ihre Zahl ver-
mindern, und dieienige unserer Anhänger merklich vermehren.
Allein Sie müssen deßwegen nicht weniger auf Ihrer Hut seyn.
Behalten Sie immer die genaueste Aufmerksamkeit bey, hüten
Sie sich besonders wohl, daß Ihnen mit Ihrer gewöhnlichen
Offenherzigkeit keine anstößige Rede oder Spaß entwische, des-
sen man sich bedienen könne, um Ihnen an der Gesinnung des
Königs zu schaden. Wenn Sie etwas Unbesonnens von der Art
gemacht haben, so wählen Sie sich selbsten einen günstigen
Augenblik, um es Sr. Majestät mit dem Reiz und dem muntern
Wesen, das Ihnen so ganz eigen ist, und wordurch Sie Ihn feßlen,
zu hinterbringen. Wenn Sie sich so anschiken, so wird Er über
einer Sache lachen, die, wenn sie Ihm von Uebelgesinnten zu
Ohren käme, Ihn vielleicht gegen Sie aufbringen könnte. Wenn
1 Madam Du Barry ward den 22. April 1769 durch die Frau Gräfin von Bearn
vorgestellt.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 329
Sie ihnen also zuvorkommen, so werden jene sich selbst mehr als
Ihnen schaden, und nichts als ihre Abgeneigtheit zu erkennen
geben. Sie werden meine Anleitung sicher sehr geringfügig fin-
den; allein öfters können dem Anschein nach gleichgültige Dinge
die wichtigsten Folgen haben. Da Sie genöthigt sind, sich nicht
nur nach den gegenwärtigen Auftritten, sondern auch nach den
zukünftigen zu richten, so ist es möglich, daß Sie unter der
Menge von Räthen, die ich Ihnen gab, einen finden, von dem
Sie keinen Gebrauch machen können ; diesem ohnerachtet wandle
ich doch meinen Weg fort, weil es kein Schade ist, Ihnen zu viel
zu sagen, grosser hingegen entstehen könnte, wenn ich Ihnen zu
wenig, sagte. Ihre Lage, das Geräusch das Sie umgiebt, Ihre an-
erbohrne Flüchtigkeit, können Sie zuUnvorsichtigkeiten verleiten,
vor welchen es nöthig ist Sie zu warnen. Hinter dem Umhang ver-
stekt, kan ich besser von den Sachen als Sie selbst urtheilen, und
Ihre Erfahrung soll Sie überzeugen, daß ich gute Augen habe.
Ich bin, meine liebe Schwägerin, immer Ihr etc.
Graf Du Barry.
XXVIII. Brief
AN MADAM LA GARDE1
Versailles, den 30. May 1769.
Es ist mir leid, daß ich nicht bey Haus war, Madam, als Sie
die Mühe nahmen zu mir zu kommen. Sie haben nicht nöthig,
mich um meine Protektion anzusprechen, Sie haben sie schon
und können drauf zählen, so wie auf meine Hochachtung. Ich
bin ganz die Ihrige. Gräfin Du Barry.
1 Abends vorher erhielt Madam la Garde, bey der Madam Du Barry im Jahr
1764 war, einen Besuch von ihro mit dem glänzendsten Gepränge, sonder Zweifel
um den Stolz und die Eigenliebe dieser Närrin zu demüthigen, und dann auch ein
wenig aus Selbsteitelkeit. Madam la Garde gab der Gräfin Du Barry den Gegen-
besuch, und da sie sie nicht antraf, schrieb sie bey ihrem Schweizer, daß sie ge-
kommen seye, um sie um ihre Protektion zu bitten.
330 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
XXIX. Brief
AN DEN GRAFEN VON STAINVILLE
Den 31. May 1769.
Ich habe, mein Herr, Ihr Schreiben erhalten, und antworte
mit so viel grösserm Vergnügen darauf, da ich Ihnen zu gleicher
Zeit anzeigen kan, daß Seine Majestät Ihnen die Anwartschaft
auf das Gouvernement von Straßburg bewilliget, und daß ich es
selbst ausgewirkt habe. Sie sehen dardurch, daß ich weit ent-
fernt bin Ihnen übel zu wollen. Die Gesinnungen, die Sie gegen
mir äussern, sind sehr schmeichelhaft. Wenn der Herr Düc und
Ihre Frau Schwester so dächten wie Sie, so wären wir die be-
sten Freunde von der Welt; aber ich kan weiter nichts als das
Meinige beytragen. Ich bin ganz die Ihrige.
Gräfin Du Barry.
XXX. Brief
VOM KÖNIG1
Statt bis morgen zu warten, so kommen Sie diesen Abend, ich
habe Ihnen etwas zu sagen, das Sie freuen wird. Guten Tag, glau-
ben Sie mir, daß ich Sie liebe. Ludwig.
XXXI. Brief
AN DIE GRÄFIN VON BEARN
Den 2. Heumonat 1769.
Ich kan Ihnen, Madam, für Ihre Gütigkeit, Ihre Gefälligkeit
und Ihren Eifer nicht genug danken. Ich dächte, daß ich das
1 Dieser Brief war ohne Datum; allein er muß vom May 1769 seyn: denn das,
was der König Madam Du Barry sagen wollte, war, daß Er ihr das Schloß von Lu-
cienne zum Geschenk gab, welches diese Dame im Brachmonat gleichen Jahrs
inne hatte, weil sie schon daran arbeiten ließ.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
331
alles mißbrauchen würde, wenn ich Ihnen nicht ohngesäumt die
Freyheit schenkte, die Sie so sehr lieben, und deren ich Sie um
meinetwillen so lange beraubt habe, und es hiesse zulezt doch
Ihrer Freundschaft mißbrauchen. Sie sagten mir einige mal von
dem Mißvergnügen, das Sie in einem Land empfänden, für wel-
ches Sie eher dann ich geschaffen wären, und in welchem wir
doch auf eine gewisse Art mit einander den Anfang im Spiel ge-
macht haben. - Sie haben Geschäfte, die Sie nach Paris rufen-
nach der Reise von Marly bitte ich Sie um alles, thun Sie sich
keine Gewalt an; gehen Sie geradezu ins Luxemburg, seyn Sie
dann frey, und überlassen mich dem Geräusche von Versailles-
allein seyn Sie versichert, daß ich Sie niemalen daselbst ver-
gessen, sondern Zeitlebens seyn werde, Madame
Ihre etc.
Gräfin Du Barry.
XXXII. Brief
AN HERRN KANZLER VON MAUPEOU*
Den 6. Heuraon. 1760.
Mein Herr Kanzler!
Ich verstehe nichts von Ihren Gesezen. Sie, sind ungerecht
und grausam. Sie sind wider die Politik, wider die gesunde Ver-
K.mf Ste' uUp Wdcher VrS3Che Madam Dü *W diesen Brief an Herrn
m^l 'K f1T\ JUn§eS MädGhen V°n Li3nC0Ure in der Picard-, ward durch
K nd ni T T 1S°rg?' "*""*"> Und h3tte d3S Ul*lück> ™ Einern todten
fZt Z f A ™' t116 daß Sie V°rher die nach denen Verordnungen vor-
Se An-ge gethan Sie ward angeklagt, und von dem ersten Richter,
nach dem klaren Buchstaben der Geseze, als eine die die Leibesfrucht abgetrieben
LstäriT St;an§ Terurthellt- Di-« Urtheil, welches hernach vom Parlement
bestattgt wurde sollte nun vollzogen werden, als Herr von Mandeville, von den
schwar2en Muskeuers der diese Sache erzehlen hörte, sich des Mädchens so leb-
haft annahm, daß er gle.ch mit einem Memorial über dieses Geschäft nach Marly
Te^ ? rr,M eu'/^fU Madam DÜ Bar^' diG ihm unbekann< -r, begab!
*e mit solchem Nachdruk bat, Gnade für dieses Mädchen auszuwirken, daß sie
hm zusagte. In der Tat schrieb sie auf der Stelle diesen Brief an den Herrn Kanz-
ler, und Herr von Mandeville war der Überbringer desselben
332 Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry
nunft, wider die Menschlichkeit, wenn sie ein Mädchen, das ein
todtes Kind gebohren hat ohne es anzuzeigen, an den Galgen
bringen. Laut inliegendem Memorial befindet sich die Suppli-
kantin in diesem Fall. Es scheint, man habe sie nur deßwegen
verurtheilt, weil sie die Gebräuche nicht wußte, oder weil sie aus
ganz natürlicher Schamhaftigkeit ihnen nicht nachkam. Ich ver-
weise die Prüfung der Sache an Ihre Gerechtigkeitsliebe; aber
diese Unglückliche verdient Nachsicht. Ich ersuche Sie wenig-
stens um Linderung der Strafe. Ihre Weichherzigkeit wird Ihnen
das Uebrige eingeben. Ich habe die Ehre zu seyn etc.
Gräfin Du Barry.
XXXIII. Brief
VON HERRN VON MAUPEOU
Den 6. Heumon. 1769.
Madam und werthe Baase!1
Ich kan Ihnen nicht genug sagen, wie vielen Dank ich Ihnen
weiß, daß Sie mir eine Gelegenheit verschaft haben, wo ich
Ihnen meine vollkommene Ergebenheit bezeugen kan. Ich werde
alle Anlässe, die sich ereignen, mit einem solchen Eifer ergreifen,
daß Sie über alle Gesinnungen, worvon ich mir die höchste Ehre
mache, sie Ihnen gewidmet zu haben, nicht den mindesten Zwei-
fel hegen sollen. Ich habe über das Geschäft, dessen Sie sich an-
nehmen, einen Aufschub ordoniert, und sobald man mir die
Schriften zugestellt hat, werde ich machen, daß die Beklagte die
1 Herr von Maupeou, um sich je länger je mehr in die Gunst des Monarchen
zu sezen, hatte, als er wahrnahm, daß die Familie der Du Barry, sich denen Bari-
more in Engelland, die von sehr hoher Geburt sind, und mit denen sich Herr von
Maupeou für verwandt ausgab, anfliken wollte, diese Ansprache unterstüzt, und
betittelte Madam Du Barry als seine Baase; welches dem König ein wahres Ver-
gnügen war. Herr von Maupeou trieb diese Schmeicheley bis zur Ausschweifung.
Eines Tages, als er zu Madam Du Barry kam, um ihr seine Aufwartung zu machen,
stunden alle Anwesenden, aus Achtung für seinen Staatsrok, auf. „Bleiben Sie
sizen, meine Herren, sagte er ihnen, es ist hier nur ein Besuch unter Verwandten."
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 333
Gnade erhält. Es würde sich an die erste Magistratsperson nicht
allerdings schiken, Ihren Deklamationen gegen die Geseze, dessen
Stelle ihn in die Nothwendigkeit versezt, auf die Ausübung zu
dringen, durchaus Beyfall zu geben. Indessen, meine theure
Baase, muß ich gestehen, daß sie unendlich mehr Werth haben
würden, wenn sie von einem so aufgeklärten und so wohlthätigen
Genie, als das Ihrige, diktirt gewesen wären. Sie geben einen
sehr glänzenden Beweis, durch die Menschenliebe, die Sie heute
zu Tage legen, davon, und ich hätte dieses neuen Zugs Ihrer
gefühlvollen Seele nicht bedörfen, um überzeugt zu seyn, daß
unser Herr keine rühmlichere Wahl hätte treffen können. Leben
Sie wohl, meine verehrungswürdige Baase, erinnern Sie sich
immer, daß Ihre kleinsten Wünsche für mich Befehle sind.
Ich bin mit Ehrfurcht etc. von Maufeou.
XXXIV. Brief
VON HERRN VON MAUPEOU
Marly, den 8. Heumon. 1769.
Madam und werthe Baase!
Die Beklagte hat Ihre Gnade erhalten. Wie viel bin ich Ihnen
nicht schuldig, da ich mir schmeicheln kan, daß ich bey diesem
Anlaß von einer wohlthätigen Gottheit begeistert war. Ich bin
etc* von Maupeou.
XXXV. Brief
AN DEN GRAFEN DU BARRY
Den 20. Heumon. 1769.
Ich bin, mein Schwager, mehr dann jemals in Gunsten bey
dem König, und so sehr man es seyn kan, bey Hofe. Der Düc
334 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
von Richelieu ist auf Leib und Leben mein Freund. Der Kanzler,
der, wie Sie wissen, mein Vetter geworden ist, macht mir sehr
geflissentlich seine Aufwart. Herr von Choiseul hat nimmer so
viel sichtbaren Haß. Er begleitete mich gestern auf Triel, wel-
ches man mir zu kaufen geben möchte ; allein Düc von Richelieu
sagte mir, ich sollte nicht trauen ; er mache wider seinen Willen
den Gutherzigen. Die Düchesse von Grammont, fahrt, damit
sie mich nicht sehen müsse, in der Welt herum; man will, sie
seye wirklich in Holland. Glük zu ! ich mag nichts mehr von ihr
reden hören. Sind Ihnen die am Montag auf Herrn Beaujon an-
gewiesenen 200,000 Livres eingehändiget worden ? Sie melden
mir nichts davon. Morgen werde ich in Paris seyn; Sie werden
mich in der Oper antreffen.
Ich bin etc. Gräfin Du Barry.
XXXVI. Brief
AN DIE GRÄFIN VON MOYAN
Den 4. Augstmon. 1769.
Ich schike Ihnen einen Expressen, Madam, um Ihnen zu sa-
gen, daß wir für Herrn und Mademoiselle von Louerme1 Gnade
erlangt haben. Seine Majestät haben mir selbige auf die ver-
bindlichste Weise bewilliget. „Es freuet mich, sagte mir der Kö-
nig, daß die erste Gnadenbezeugung, die Sie mir abnöthigen,
eine menschenliebende Handlung ist." Kommen Sie morgen,
Ihren Dank dafür abzustatten, so werden Sie zu gleicher Zeit
Zeugen von dem Vergnügen seyn, das ich empfinde, Ihnen ge-
dient zu haben. Ich bin etc. Gräfin Du Barry.
1 Der Graf und die Gräfin von Louerme, beyde von sehr grosser Herkunft,
wurden wegen Aufruhr wider die Justiz zum Tode veurtheilt. Die Gräfin von
Moyan war ihre Tochter. Der Kanzler schlug ihnen die Gnade ab ; allein aus Po-
litik gestattete er einen Aufschub des Urtheils, um seiner Baase die Gelegenheit
aufzubehalten, sich auszeichnen zu können.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du R,„v
335
XXXVII. Brief
VON DER MARQUISIN VON MONTMORENCY
T„i, i. u -i-i Den 4- Augstmon. 1760.
Ich habe, meine hebenswürdige Gräfin, einen ganz besonderen
Gedanken im Kopf. Sie kennen einen gewissen Düe von Boute-
v.l e; er ist nimmer gar jnng, und hat zu allen Zeiten ziemlich
v.e Streiche gemacht; aber jezt ist er nach seiner Meynung ent-
schlossen, gescheht zu werden. Der erste Beweis, den er mir da-
von gtebt, >st daß er sich wieder heurathen will. Er hat mich um
eme Frau gefragt. Ich mußte über seinen Entschluß lachen; als
ich aber sähe, daß es im Ernst gemevnt war, sagte ich Ihm : „Sie
„müssen lne ü ftige umJ ^ ^ ^
„Mentor dient Ich kenne eine, die ganz für Sie taugt; allein ich
„we,ß mcht ob S1e Sie mag.» Er hat mich hierauf sehr ausge-
gefragt, und ich habe die Fräulein Du Barry, Ihre Schwester
und Freundin genannt. Wenn dieses, meine liebenswürdige Grä-
fin eme Unbedachtsamkeit ist, so soll das Verlangen, das ich
habe, Ihre Befreundtin zu werden, meine Entschuldigung sevm
Reden Sie immer mit Ihrer Fräulein Schwester darüber. Wenn
die Sache zu Stand kommt, so ist es gut, wo nicht, so werde ich
nichtsdestoweniger auf Zeitlebens Ihre Freundin seyn.
Marquisin von Montmorency.
XXXVIII. Brief
AN DIE GRÄFIN VON MONTMORENCY
rv T. . . . „ ^en 10. Augstmon. 1760.
Die Verbindung,- Madam, die Sie mir vorschlagen, ist für
meine Schwester und mich schmeichelhaft. Ich habe mit dem
Kn solche! 1t« 17 l ' -^T' ^ Schulden' und d™*™ * üblem Ruf '
• Sie ildtl \ d« F-ontm aut eine ausnehmende Weise ihre Aufwartung
Sie fand jedoch mcht statt, denn der Düc von Bouteville begehrte zum vor-
336 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
König daraus geredt, der es genehmiget. Sehen Sie, daß Sie die
Sachen auf das beste berichtigen, wir lassen alles gänzlich an
Sie. Seyn Sie versichert, daß ich eine so schmeichelhafte Ver-
bindung so sehr wünsche, als Sie, Ich umarme Sie, und bin Ihre
Freundin.
Gräfin Du Barry.
XXXIX. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON1
Sie sind, mein Herr Düc, zu sehr mein Freund, als daß ich
nicht alle Gelegenheit, Ihnen zu dienen, mit Eifer ergreife. Ich
habe nun bey dem König um die Genehmigung des Commando
der leichten Reuter, die Sie kaufen möchten, angehalten. „Ja,
„der Düc von Choiseul, sagte Er mir, hat es für den Vicomte
„von Choiseul begehrt. — In diesem Fall, antwortete ich Ihme,
„kömmt noch eine Ursache darzu, mir selbiges zu bewilligen,
„denn man muß ihn ein bisgen wegen seiner Feindseligkeit und
„Bosheit, die er gegen mich hat, züchtigen." Seine Majestät
lächelten, und sagten, daß Sie mir nichts abschlagen könnten.
Nun sind Sie zufrieden, und ich auch. Meine Empfehlung an
meine gute Freundin, Madam von Aiguillon. Ich wünsche Ihnen
einen guten Tag, mein Herr Commandant der leichten Reuter
von der Königl. Garde.
Gräfin Du Barry.
aus die Freyheit des Düc von Olonne seines Sohns, der auf Zeitlebens wegen seiner
Geburt eingesperrt war, sonst aber den Tod verwirkt hatte; allein man wollte sie
ihm niemals gestatten.
1 In dieser Sammlung sind zerschiedene Briefe an Madam Du Barry oder von
ihr selbst geschrieben, ohne Datum. Man hat sie so unter ihren Papieren ge-
funden, ohne daß man gewiß weiß, ob diese Weglassung mit Vorsaz oder aus blosser
Nachläßigkeit begangen worden ist. Dem seye wie ihm wolle, wir haben für gut
befunden, nichts beyzusezen, sondern sie dem Publikum so wie wir sie gesammelt
haben, unter Augen zu legen.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry m
XL. Brief
VON DEM DÜC VON RICHELIEU
Meine verehrungswürdige Gräfin !
Sie können der Ohn Verschämtheit des Grafen von Lauraguais
nicht geschwind genug abhelfen. Er hat ein Mägden aus der
St. Honore Strasse genommen, ihr ein meublirtes Haus gegeben,
und nun betitelt er sie öffentlich Gräfin Du Tonneau. Sie fühlen
den groben Einfall einer solchen Ungereimtheit. Wenn es noch
ein paar Tage dauert, so ist ganz Paris voll davon, man muß sie
also im Anfang unterdrüken.* Der Graf von Lauraguais ist ein
Freund des Düc von Choiseul, nun wissen Sie, von wem der
Streich herkommt. Ich bin, meine anbetungswürdige Gräfin der
gehorsamste Ihrer Diener. Düc von Richelieu.
XLI. Brief
AN MADAM VON MIREPOIX
Versailles, den I. Jenner 1770.
Meine liebe Marschallin! Ich bin diesen Morgen bevm König
gewesen, um Ihm, wie ich es Ihnen versprochen hatte, die Loges
von Nantes für Sie zu begehren.* Sie kriegen sie nicht; und
wissen Sie warum ? Weil sie Seine Majestät einem recht schlim-
men Weib zum Neujahrgeschenk bestimmt haben. Sie werden
leicht errathen, daß ich es bin. Seine Majestät wollen durchaus,
daß ich sie behalte. Nichts kan schmeichlender für mich seyn[
als die freundschaftliche Art, mit der mir der König dieses Ge-
1 Madam Du Barry hat sehr über diesen Spaß gelacht, allein die Regierung
war desto ernsthafter. Die gute Gräfin du Tonneau kam in die Salpetersiederev
und der Graf von Lauraguais ist, da er auf der Stelle nach London verreißte, einem
btekbnef entgangen.
r ;Pie_Loges von Nantes ein Gegenstand von ohngefehr 40000 Livres jähr-
licher Einkünften, gehörten vorher der verstorbenen Düchesse von Lauraguais
zwar nur lebenslänglich.
I.
22
338 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
schenk machte:1 allein noch schmeichjender würde es mir ge-
wesen seyn, wenn Er mir sie für Sie bewilliget hätte, denn ich
habe ein grösseres Vergnügen, Gefälligkeit zu erweisen als zu
empfangen. Geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen einen wichtigern
Dienst erweisen zu können, Sie werden sehen, mit welchem Ver-
gnügen ich es thun werde. Ich umarme Sie, meine liebe Mar-
schallin, von ganzem Herzen. Gräfin Du Barry.
XLII. Brief
AN DEN DÜC VON VILLEROI
Den I. Hornung 1770.
Ihr Schreiben, mein Herr Düc, weit entfernt Sie zu entschul-
digen, bringt mich wegen Ihrem schlechten Betragen und der
Niederträchtigkeit Ihrer Gesinnungen2 nur desto mehr gegen
Sie auf. Ich will Sie weder sehen, noch etwas von Ihnen hören.
Thun Sie keinen Schritt mehr zu mir. Gräfin Du Barry.
1 Man könnte leicht glauben, Madam Du Barry hätte dieses Geschenk, statt
für Madam Mirepoix zu begehren, für sich selbst begehrt; allein sie gieng gerade
zu Werk, und die Art, wormit sie ganz kurz in ihrem Brief Nachricht ertheilt,
ist nicht so sehr zu ihrem Vortheil, als was sonsten statt hat. Der König war damals
von seinen Höflingen umgeben. Madam Du Barry kam ganz freudig ins Zimmer
getretten, und nach den ersten gewöhnlichen Complimenten sagte sie: „Sire! ich
„komme Ihnen mein Neujahrgeschenk zu begehren, nemlich die Loges von Nan-
„tes, für meine gute Freundin die Madam von Mirepoix. Das kan nicht seyn, sagt
„ihr der König, ich habe darüber verfügt. Wohlan, erwiederte Madam Du Barry
„mürrisch, das ist nun die vierte Gunst, um die ich Sie bitte, und die Sie mir
„abschlagen. Der T soll mich holen, wenn ich Sie hinf uro mehr beunruhige !
„Der König verwies ihr, daß dieses das Jahr übel angefangen seye, wenn man murre.
„Und Sie noch übler, Sire, sagte Madam Du Barry. Machen Sie was Sie wollen,
„versezte der König, Sie werden mich nicht von meinem Entschluß abbringen.
„Ich bin froh, daß Sie sich mit so vieler Wärme für Ihre Freundin verwenden;
„allein wissen Sie, für wen ich dieses Geschenk bestimmt habe! Für Sie, Madam."
Und Er umarmte sie.
2 Der Düc von Villeroi war ein erz Libertin. Er war in eine Kammerjungfer
der Mädam Du Barry, die Sophie hieß, ausserordentlich verhebt, und nachdem er
sie überredt und geschwängert hatte, nahm er sie aus dem Dienst weg, und gab
ihr eigene Wirthschaft. Herr von ChoiseuL, der da wußte, daß er öfters zu Madam
Du Barry gieng, verwies ihm die niederträchtige und sclavische Aufwartung, die
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 339
XLIII. Brief
VON DEM ABE TERRAY, GENERAL-CONTROLEUR
DER FINANZEN1
Die Freundschaft, mit der Sie mich zu beehren, und alle das
Gefällige, das Sie Ihrem Erlauchten Liebhaber von mir zu sagen
belieben, machen es mir zur Pflicht, Ihnen meine Erkenntlich-
keit auf die überzeugendste Weise dafür zu bezeugen. Ich habe
ein Projekt auszuführen, das Sie, wie ich hoffe, nicht übel finden
werden. Dr König giebt Ihnen eine Pension von 30 000 Livres
monatlich, welches ohne Widerspruch für den ausserordentlichen
Aufwand, den Sie nach Ihrem Stand machen müssen, zu schmal
ist. Sie wissen es am besten, weil Sie auf den Hofbanquier ab-
geben müssen, welches ich in seiner Rechnung für baares Geld
annehme. Ich werde Sr. Majestät anrathen, Ihre Pension zu ver-
doppeln, zu dem Ende werde ich Ihm begreiflich machen, daß
dardurch erspart werde, indem alsdann Ihre kleinen Zedelgens
und Abgaben, die ich als sehr beträchtlich angeben will, auf-
gehoben werden könnten. Unter uns beyden sollen sie doch gel-
ten, und ich werde sie dem Hofbanquier gleichwohl in der
Rechnung annehmen. Sehen Sie, das ist alles, was ich jezt für
Sie thun kan, um Ihnen meinen Eifer und meine Ergebenheit,
die ich Ihnen Zeitlebens gewidmet habe, zu bezeugen. Ich bin
mit Ehrfurcht, Frau Gräfin etc. Terray.
er ihro mache. „Sie irren sich, antwortete ihm der Düc von Villeroi, ich habe
„niemals keinen Schritt zu dieser Creatur um ihrentwillen, sondern um Sophie
„ihrer Kammerjungfer willen gethan. Die Probe darüber ist, daß ich ihr eigene
„Wirthschaft gegeben habe, und sie förmlich zu meiner Maitresse mache." Ma-
dam Du Barry, der man diese Antwort hinterbrachte, schikte den Düc das erste
mal, als er zu ihr kam, wieder weg, und verbot ihm, ihr jemals wieder unter die
Augen zu kommen. Er hatte noch die Ohnverschämtheit, ihr zuzuschreiben, um
sich zu entschuldigen, erhielt aber obige Antwort.
1 Starb den 22. Hornung 1778 auf Seinem Schloß de la Motte.
2 Diese Einrichtung hatte in der That statt, und Madam Du Barry gab nicht
nur immer Anweisungen auf den Hofbanquier ab, sondern auch ihr Schwager that
das gleiche wenn er wollte.
34° Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
XLIV. Brief
AN DEN ABE TERRAY
Sie sind ein verehrungswürdiger, ein fürtreflicher, ein herr-
licher Mann, mein lieber Abe. Alles was Sie thun, ist wohl ge-
than, und kan nicht änderst, als Seiner Majestät und mir an-
genehm seyn. Ich mache Ihnen schon zum voraus meine Dank-
sagung. Glauben Sie nur, daß ich immer bereit seye, Ihnen alle
Dienste zu erweisen, deren ich fähig bin. Ich wünsche Ihnen
einen guten Tag. Gräfai Du Barry.
XLV. Brief
VON DEM DÜC VON RICHELIEU
Hüten Sie sich wohl, meine anbetungswürdige Gräfin, den
Gedanken auszuführen, den Ihnen der Düc von Noailles in den
Kopf gesetzt hat, nach dem Gesundbrunnen von Bareges ab-
zugehen, damit sie bey der Ankunft der Madam Dauphine nicht
zugegen seyen, unter dem Vorwand, daß Sie bey denen Lust-
barkeiten, die nur für sie sind, eine schlechte Figur machen wür-
den, und Ihnen die Prinzeßin Verdruß machen könnte. Der Düc
von Noailles, der Ihnen so gerathen hat, kan nicht Ihr Freund
seyn. Er ist ein Miethling des Düc von Choiseul, der sich Ihre
Abwesenheit zu Nuze machen möchte, um Sie aller Macht, die
Sie auf den König haben, verlustig zu machen. Sie sind seine
Gottheit; verlassen Sie ihn keinen Augenblik. Da Sie jung und
schön sind, so kennen Sie die Gefahren der Abwesenheit nicht.
Was würde man alsdann nicht anwenden, um Ihn von einer
Liebe abzubringen, die seine ganze Glükseligkeit ausmacht, und
die man Ihm in einem ganz andern Gesichtspunkt vorstellen
würde ? Das Alter schwächt die Begierde, wenn sie nicht immer
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 341
gereizt wird. Ich sage Ihnen weiter nichts, meine himmlische
Gräfin, aber wissen Sie, daß Sie alles zu verlieren haben, wenn
Sie weggehen.
Ich bin mit Ehrfurcht etc.
Düc von Richelieu.
XL VI. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Den 30. Augstmon. 1770.
ich danke Ihnen, mein lieber Düc, für Ihren Rath. Düc von
Richelieu ist auch Ihrer Meynung, und ich habe mich bey der
huldreichen Aufnahm, die mir Madam la Dauphine machte, sehr
wohl befunden. Was Sie betrift, so bin ich gestern, obwohlen ich
das Geschäft nicht verstehe, bey Herrn von Maupeou gewesen,
um Ihren Rechtshandel im Parlament aufzuheben. Ich habe dem
König nach unserer Verabredung gesagt, daß Choiseul Ihre Rich-
ter wider Sie aufgewiegelt habe, weil Sie meine Parthey ergrei-
fen. Se. Majestät ist entschlossen, alle Schriften Ihres Rechts-
handels zu seinen Händen zu nehmen, da Er Sie gegen alle Bey-
lagen, die Ihnen gemacht worden sind, durchaus als gerecht-
fertigt ansieht. Nun sollten Sie zufrieden seyn. Ich umarme
meine liebe Düchesse, und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Gräfin Du Barry.
XLVII. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Ich glaube nicht, mein lieber Düc, daß alle vereinten Künste
jemals ein vollkommeneres und prächtigeres Meisterstük hervor-
gebracht haben, als den zweysizigen Wagen, den ich von Ihnen
342 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
erhalte.1 Wenn ich nicht aufhören kan, alle Talente, die alle
Künstler darin gezeigt haben, zu bewundern, wie viele Lobes-
erhebungen bin ich nicht dem Geschmak desjenigen schuldig,
der es so angeordnet hat ! Ich werde ein wahres Vergnügen haben,
meine Bewunderung mit dem König zu theilen. Indessen da man
noch nichts so herrliches von dieser Art gesehen, so besorge ich,
Se. Majestät möchten sich meinem Verlangen das ich habe, mich
dieses Wagens zu bedienen, widersezen. Allein es begegne was da
wolle, so bitte ich Sie, von meiner Erkenntlichkeit eben so wie von
meiner Begierde, Ihnen bey allen Gelegenheiten Proben meiner
aufrichtigenErgebenheit,dieichIhnenlebenslanggewidmethabe,
immer versichert zu seyn. Ich bin etc. Gräfin Du Barry.
1 Nach dem Anhalten der Madam Du Barry zog der König selbst alle Schriften
des Rechtshandels des Düc von Aiguillon in sein Lit de Justice vom 30. Herbst-
mon. 1770 zurük. Dieser Heß aus Erkenn tlichkeit einen Wagen machen, in welchem
zwo Personen gegen einander über sizen können, (un vis-ä-vis) worvon in obigem
Brief Erwehnung geschieht, und sandte ihn seiner Wohlthäterin. Nichts war zu
selbiger Zeit eleganteres und prächtigeres. Ganz Paris gieng hin, ihn aus Neugier
zu sehen. Auf denen vier Hauptpanneaux war das Wappen der Du Barry im Gold-
grund mit dem famosen Kriegsgeschrey : Boutez en avant, d. i. Dringt hinein.
Auf denen Nebenpanneaux sähe man Körbgen mit Rosen gezieret, auf welchen
sich zwey Täubgen vollüstig schnäbelten, nebst einem von Fieilen durchbohrten
Herzgen und Amors Waffen. Dieser Wagen hat den Düc von Aiguillon 52 000
Livres gekostet. Das Publikum hat sich an dieser so ungereimten Pracht geärgert,
und ist hierüber folgendes Epigramm gemacht worden:
Pourquoi ce brillant vis-ä-vis ?
Est ce le char d'une Deesse,
Ou de quelque jeune princesse ?
S'ecrioit un badaud surpris.
Non ... de la foule curieuse
Lui repond un caustique, non;
C'est le char de la blanchisseuse
De cet infame d' Aiguillon.
d. i. „Warum dieses glänzende Vis-a-Vis? Ist es der Wagen einer Göttin, oder
irgend einer jungen Prinzeßin ? rief ein erstaunter Pariser aus. Nein — rief unter
der neugierigen Menge eine beissende Stimme, nein, es ist der Wagen der Wäsche-
rin, (muß aber hier nicht wörtlich, sondern durch die Periphrase : die den ehrlosen
Düc von Aiguillon bey dem König wiederum weiß gewaschen oder ehrlich ge-
macht hat, verstanden werden.)
Madam Du Barry hat sich auch wirklich dieses Wagens nicht bedient, denn
der König, der selbigen allzu prächtig fand, hatte es ihro verbotten.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 343
XL VIII. Brief
VON DEM DÜC VON NOAILLES
Frau Gräfin!
Ich habe von Madam la Düchesse von Grammont einen Auf-
trag an Sie, den ich mit so viel grösserm Vergnügen befolge, da
er mir den Vorzug verschaft, mich für einen Augenblik mit der
Gottheit zu unterhalten, die die Zierde des Hofes ausmacht.
Diese Dame kränkt sich, daß sie nicht bey Ihnen in Gunsten
stehen. Sie weiß nicht, wem sie das kaltsinnige Wesen, welches
sie zwischen Ihnen und ihro zu herrschen vermeynt, zuschreiben
soll. Sie hat vorzüglich viele Hochachtung tür Sie, und da sie
jez von ihren Reisen zurük ist, so wünscht sie mit grosser Be-
gierde, daß der Friede zwischen Ihnen beyden wieder herge-
stellt werden möchte. Sie hat mich dahero zu ihrem Mittelmann
erwählt. Kan ich mich guten Erfolgs schmeichlen ? Ich soll Ihnen
nur für mich sagen, daß es ihro leid ist, daß sie Ihnen bey et-
welchen Anlässen aus handen gegangen ist; allein ihr Geständniß,
und der Schritt, den Sie thut, sollen ihr zur Vergebung dienen,
besonders gegen Ihnen Madam, deren Güte sich schon bey so
manchem Anlaß ausgezeichnet hat. Ich bitte Sie also, auf ihre
Bitte zu merken, und mich einer kleinen Antwort zu würdigen.
Ich bin mit Hochachtung etc. Düc von Noailles.
XLIX. Brief
AN DEN DÜC VON NOAILLES
Wie, mein Herr Düc, Madam von Grammont weiß nicht, wie
sie sagt, wem sie die Feindschaft, die zwischen ihr und mir
herrscht, zuschreiben soll ? Ist ihr, ihr beleidigender Stolz, ihre
Verachtung und ihre ohnverschämten Reden unbekannt ? Weiß
344 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
sie nichts mehr von den Liedgens, die sie sowohl wider den Kö-
nig, der sie mit Wohlthaten überhäufte, als wider mich gemacht
hat ? Hat sie alle ihre heimlichen Ränke, alle ihre Intriguen und
alle ihre Kabalen, um mich in dem Herzen Sr. Majestät und der
Königl. Familie anzuschwärzen, vergessen ? Wenn alle diese ge-
häßigen Umtriebe aus ihrem Andenken verschwunden sind, so
sind sie noch dem meinigen eingeprägt; aber in Wahrheit nur
um sie zu verachten. Indessen behalte ich doch keinen Groll bey :
sagen Sie ihr, daß ich Ihrer gern nicht mehr gedenken will, mit
dem Beding, daß ich sie niemals wieder sehe. Diesem zufolg er-
scheine sie nimmer bey Hof, lebe ruhig in Paris, ich verspreche
es Ihnen und ihro, daß ich sie keineswegs beunruhigen werde.
Ich bin überzeugt, daß wenn sie mich noch zu Grunde richten
könnte, sie es thun würde. Großmüthiger als sie, begnüge ich
mich, sie zu bitten, mich mit ihrer Gleichgültigkeit zu beehren,
gleichwie ich ihr die meinige widme. Ich bin etc.
Gräfin Du Barry.
L. Brief
VON HERRN VON MAUPEOU
Den 5. Christmon. 1770.
Madam und werthe Baase!
Sie haben nicht weniger Einfluß in die Geschäfte des Staats,
als wenn Sie das Steuer führten, mithin da unser Interesse ge-
meinschaftlich ist, so müssen wir sehr einig seyn, und nichts als
für das allgemeine Wohl sorgen, in welchem wir als gute Köpfe
auch das unserige finden. Gestern gaben wir, wie Sie sehr hübsch
sagten, dem Parlement einen Filz, indem wir ihm den Zuspruch
machten, künftig vorsichtiger zu seyn; allein dieses stolze,
herrschsüchtige Korp, dessen Ehrgeiz so weit geht, daß es sich
die höchste Gewalt anmassen möchte, ist durch den Düc von
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 345
Choiseul seinen Beschüzer aufgebracht, sich, wider das neue Gesez
Seiner Majestät aufzulehnen. Ein Gesez, das jedoch nichts an-
ders, als die Erneuerung eines alten, welches schon vor mehr als
hundert Jahren eingetragen und ausgeübt worden ist. Da der
Düc von Choiseul, unser gemeinschaftlicher Feind, und noch
mehr der Ihrige als der meinige ist, so werden Sie, so lange er
den Posten beybehält, nicht sicher seyn, und da nun der Zeit-
punkt da ist, wo wir ihn auf immer vom Hals schaffen müssen, so
laßt uns, uns mit einander vereinigen.
Sie Ihrer Seits müssen dem König beständig zu Ohren liegen,
daß Choiseul das Parlement heimlicher Weise aufwiegle, seine
Obliegenheiten zu unterlassen, und sich gegen Seine Majestät
aufzulehnen. Wenn Sie nun dieses, ohne daß es den Anschein
hat, daß Ihnen weiters etwas daran gelegen seye, werden vor-
gebracht haben, so will ich dem König die stärksten Beweise da-
von geben; ich werde Ihm gleicher Weise, mit Schriften in der
Hand zeigen, daß die Düchesse von Grammont, unter dem Vor-
wand einer Lustreise, gesucht habe, die übrigen Parlementer
aufzuwieglen, um sie gegen Seine Befehle widerspänstig zu ma-
chen. Zulezt wird der Düc von Aiguillon, und Abe Terray, dem
König auf eine geschikte Weise beybringen, daß Düc von Choi-
seul, um all seyn Ansehn beyzubehalten, durch geheime Um-
triebe den Krieg zu reizen suche, obschon er sich vorwärts Mühe
giebt, den friedlichen Gesinnungen Sr. Majestät beyzustimmen.
Dieses ist mehr als genug, um einen in den Augen unsers Mo-
narchen ehrgeizigen Minister zu stürzen, der ihn nimmer liebt,
sondern so zu sagen nur noch aus Gewohnheit an ihm hängt,
weil er ihn fürchtet, und als einen nothwendigen Mann ansieht.
Dieses ist nun der Weg, den wir einschlagen müssen. Über Ihren
Scherz in Ansehung des Düc von Choiseuls1 bin ich ganz be-
1 Der Scherze waren von Madam Du Barry auf den Düc von Choiseul, zween,
nur weiß man nicht recht, von welchem Herr von Maupeou hier redt : dem seye
zwar wie ihm wolle, hier sind beyde. Eines Tags da Madam Du Barry bey dem Kö-
346 Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry
zaubert: dergleichen lustige Einfälle versezen Hiebe, man muß
aber so viel Wiz haben als Sie, um sie so gelegen zu erfinden. Es
ist nicht nöthig, Ihnen Verschwiegenheit in unserm Unterneh-
men zu empfehlen, es ist Ihnen so viel als mir daran gelegen, es
geheim zu halten,
Ich bin mit Hochachtung etc. von Maupeou.
LI. Brief
AN DEN DÜC VON VRILLIERE
Den 24. Christm. 1770 um 10 Uhr morgens.
Mein lieber Düc! Hier sind zween Befehlsbriefe,1 die der Kö-
nig unterzeichnet hat, mit dem Auftrag an Sie, selbige auf der
Stelle denen Herren von Choiseul und Praslin kund und wissen
zu lassen. Verlieren Sie keinen Augenblik. Ich bin etc.
Gräfin Du Barry.
nig war, hielt sie zwo Oranges, die sie in die Höhe warf, und darbey sagte : Springe
Choiseul! Springe Praslin!
Ein andermal begegnete ihr einer ihrer Köche, der viele Ähnlichkeit mit dem
Düc von Choiseul zu haben schien, auf der Treppe. „Seyd ihr in meinem Dienst ?
„sagte sie zu ihm. Ja Madam, antwortete er. „Wohlan, versezte Madam Du
„Barry, ihr habt ein allzu widriges Ansehen, sagt meinem Hausverwalter, daß ich
„euch nimmer sehen wolle, und daß er euch auf der Stelle wegschike." Dieses ge-
schähe. Den gleichen Abend erzehlte Madam Du Barry dem König, was sich zu-
getragen, mit dem Beyfügen: „Ich habe meinen Choiseul weggeschikt, wann wer-
„den Sie den Ihrigen wegschicken ?"
1 Hier sind die zween Befehlsbriefe. Der erste ist an den Düc von Choiseul.
Mein Vetter!
„Daß Mißvergnügen, welches mir ihre Dienste verursachen, nöthiget mich,
,sie nach Chanteloup zu verweisen, wohin sie sich in 24 Stunden begeben werden.
Ich hätte sie viel weiter geschikt, wenn es nicht wegen der Achtung, die ich für
„die Frau Düchesse von Choiseul trage, wäre, deren Gesundheit mir interessant
„ist. Nehmen sie sich in Acht, daß ihre Aufführung mich nicht auf einen andern
„Entschluß bringe. Indessen bitte ich Gott, daß er sie in seinen heiligen Schutz
„nehme." Ludwig.
Der zweyte an den Düc von Praslin :
„Ich brauche ihrer Dienste nimmer, und verweise sie daher nach Praslin, wohin
„sie sich in vier und zwanzig Stunden begeben werden." Ludwig.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 347
LH. Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON
Den 27. Christm. 1770.
Ich habe, Frau Gräfin, allzu viele Beweise Ihrer Güte erhal-
ten, als daß mich die neue Gewogenheit, mit der Sie mich be-
ehren, befremden sollte. Erlauben Sie mir, Ihnen unter Ver-
sicherung meiner Erkenntlichkeit, einige Anmerkungen über die
gegenwärtigen Umstände zu machen.
Die ausserordentliche Probe, die ich von der Protektion des
Königs, in meinem Geschäft erhalten habe, hat mir sehr viele
Feinde erwekt, und der Auftritt ist noch allzu neu, als daß es
klug gethan wäre, sogleich die Stelle anzunehmen, zu der Sie
Se. Majestät mich zu ernennen beredt haben.1 Überdas, Ma-
dam, hat das allgemeine Bedauren, worvon das ganze Publikum
unsern Fe nden in der Stunde ihres Exiliums, Beweise zu geben
bemüht war, ihnen eine Art von Triumph gewährt, der nicht
änderst als einen unangenehmen Einfluß auf diejenigen haben
kan, die an ihre Stelle kommen. Ich glaube also, ohne weit-
läufiger zu seyn, daß ich klüger handle, wenn ich noch etwas Zeit
hinter dem Umhang bleibe, und einen günstigem Zeitpunkt ab-
warte, um auf der Bühne aufzutretten. Alle Vorsichtigkeit, die
wir nehmen müssen, ist, daß in der Zwischenzeit solche Leute
hinkommen, die weder genügsame Selbstbeständigkeit noch hin-
längliche Talente haben, welche uns beförchten lassen, daß sie
ohne uns fortkommen können. Wenn sich alle Galle der Nation
über sie wird ergossen haben, und ihre Ohnerfahrenheit, eine
Abänderung erheischt, dann ist es Zeit, daß ich auftrette. Wenn
ich so zu sagen zum nothwendigen Manne werde, so wird es mir
leichter, Ihnen ächte Beweise von meiner Ergebenheit zu geben.
1 Hier ist die Rede von einem Minister des Seewesens, welche Stelle Madam
Du Barry für den Düc von Aiguillon vom König erhalten hatte, die er aber aus
weitaussehender Staatsklugheit nicht gleich den Augenblik annehmen wollte.
348 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Sie haben, Madam, Wiz genug, um einen Plan auszudenken, und
Geschiklichkeit genug, ihn mit mir ausführen zu helfen. Es giebt,
Sie wissen es, Anlässe, wo man, wie es im Sprüchwort heißt,
zurüktretten muß, um einen stärkeren Sprung zu thun.
Ich bin etc. Düc von Aiguillon.
LIII. Brief
AN DEN ABE TERRAY
Den 3. Jenner 1771.
Mein lieber Abe ! der König ist über die Wahl eines Ministers
des Seewesens immer ohnentschlossen. Ich habe Ihm von Ihnen
gesagt, und ich meynte, Herr Kanzler, der just zugegen war,
würde mich zu Gunsten Ihrer unterstüzen; allein er redte kein
Wort darzu. Se. Majestät sagten mir, daß man Ihm verschiedene
Personen darzu vorgeschlagen hätte, und daß Sie nicht wüßten,
wem Sie den Vorzug geben wollten. Indessen, damit die Ge-
schäfte des Seewesens durch die Ohnentschlossenheit des Kö-
nigs keinen Anstand leiden, so habe ich Ihm angerathen, Ihnen
beyläufig das Patent zuzustellen, welches Sie nemlich nach der
Ernennung eines andern Ministers wieder zurükgeT^en. Seine
Majestät haben es genehmiget: und nun sind Sie Minister vom
Seewesen, ad interim. Es liegt Ihnen ob, mein lieber Abe, sich
an diesem neuen Plaz alle Mühe zu geben, daß man Sie bey-
behalt. Da das Kriegs ministerium nicht für Sie taugte, so ließ
ich mirs nicht einmal beygehen, Sie vorzuschlagen. Prinz von
Conde hat sich sehr für einen Marquis von Monteynard, den ich
eben nicht kenne, verwandt, und der König gab seine Einwilli-
gung. Wir wollen sehen, wie er sich betragt, und ob wir mit
ihm zufrieden seyn können.1 Leben Sie wohl, und glauben Sie,
daß ich immer Ihre Freundin bin. Gräfin Du Barry.
1 Da alles nur aus Interesse geschieht, so hatte Prinz von Conde auch das sei-
nige in der Ernennung des Marquis von Monteynard. Er hatte schon lange ge-
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 349
LIV. Brief
VON HERRN VON MAUPEOU
Madam und werthe Baase!
Ich berge Ihnen nicht, daß weit entfernt den König zu be-
reden, daß er das Patent des Seewesens, dem Abe Terray be-
willige, ich selbiges für Herrn Bourgeois von Boynes begehrt
habe, und ich bitte Sie, daß wenn Sie Seine Majestät nicht zu
Gunsten dieses leztern intereßiren wollen, doch wenigstens nim-
mer zu Gunsten des Abe Terray anzuhalten. Sie wissen, daß ich
ihn zum Generalkontroleur gemacht habe: ich hofte, er würde
auf meiner Seite seyn und meine Absichten unterstüzen. Er hat
mich wohl dessen versichert, allein bey sich selbst beschlossen,
nichts zu thun. Weit entfernt mir die nöthigen Sachen anzu-
schaffen, um die Zerstörung des Parlements und der Choiseul
unserer Feinden verriegeln zu können, wollte er nicht einmal die
Hindernisse heben, die mir im Weg lagen. Niemand war ver-
trauter mit denen Geheimnissen der Magistratur, bekannter im
Parlament, wußte mehr von dem Karakter, den Gemüthern und
den Schlichen seiner alten Mitkollegen, als er. Mit dem allen
leistete er mir nicht die geringste Hilfe, stund mir mit keinem
einzigen Rat bey, sondern ließ mir die ganze Last meines Unter-
nehmens auf dem Naken. Er hat sich, glauben Sie mir's, gewiß
nicht aus irgend einer Absicht zum allgemeinen Besten so be-
wünscht, daß man ihm zu lieb die Stelle eines Generalfeldzeugmeisters von Frank-
reich, welche ihm jährlich 400 000 Livres abgeworfen hätte, wiederum einführte,
und dachte, daß weil der Kriegsminister seine Kreatur war, er der erste seyn, der
die Wiedererrichtung dieser Stelle für ihn vorschlagen würde; allein Marquis von
Monteynard stellte dem König, es seye um seine Einkünfte und sein Ansehen
nicht zu schmälern, oder aus wahrer Absicht zum Besten des Staats vor, daß ihm
der Zeitpunkt, in welchem der Zustand seiner Finanzen eine Einschränkung der
ausserordentlichen Kriegsunkosten erforderten, nicht derjenige zu seyn scheine,
einen so beträchtlichen Aufwand zu machen, als die Gnadenbezeugung, um welche
Prinz von Conde anhalte. Diesem zufolg ward nichts ans der Sache,
350 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
tragen. Nicht aus Freundschaft oder Großmuth gegen seine
alten Mitkollegen ist es geschehen, sondern weil er die gänzliche
Ausführung meiner Projekte für ohnmöglich hielt. Er hofte, daß
ich unter der Last erliegen würde, wo er alsdann vorsähe, daß
er als Chef der Magistratur an meine Stelle kommen, und einen
neuen, dem meinigen ganz entgegen gesezten Plan vorlegen
könnte. Zum Glük kam mir Herr Boynes zu Hülfe, theilte mir
seine Einsichten mit, unterstüzte mich in der Ausführung meiner
Absichten, und leistet mir noch immer die gleichen Dienste. Der
König kennt seine Verdienste und seine Talente, und ich denke,
daß Er ihn durch die Stelle eines Ministers des Seewesens be-
lohnen werde, um so viel mehr, da er an ihm einen ohnermüde-
ten Mann von gesunder Beurtheilung finden wird.1 Ich bitte
Sie dahero, Madam und werthe Baase, meine Arbeit, woraus
nichts als Gutes entstehen kan, nicht zu zerrütten. In Ansehung
des Abe Terray, muß man nicht gleich auf der Stelle mit ihm
abbinden, man muß ihm durch hübsche Versprechungen lieb-
kosen, und ihn so in einer beständigen Abhängigkeit zu unter-
halten suchen. Ich erwarte Sie, nach Ihrem Versprechen, mor-
gen aufs Mittagessen, und hoffe, daß Sie sich ohnerachtet unserer
Geschäften, wohl unterhalten werden. Ich habe die Ehre zu seyn
von Maupeou.
LV. Brief
AN DEN ABE TERRAY
Sie hätten Unrecht, mein lieber Abe, wenn Sie ungehalten
auf mich seyn wollten, weil Herr von Boynes das Seewesen er-
1 Dieser Herr von Boynes war nicht ehrlicher, als der Kanzler und Abe Terray,
sondern nur ein neuer Ränkverständiger, welcher, da er noch nicht so weit gekom-
men war als die andern zween, um zu steigen, sich dem Kanzler nothwendig
machte, und ihm auch redlich diente, wenigstens im ersten Anfall, damit er ins
Conseil komme, sich darin festsezen, hernach für sich selbst arbeiten, sich einen An-
hang erwerben, und auf Untergang derjenigen, deren Glük er beneidete, empor
schwingen möchte.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 351
halten hat. Sie können versichert seyn, daß ich mich nicht in
diese Ernennung gemischt habe, sondern böse bin, daß man
Ihnen nicht den Vorzug gegeben hat. Sie müssen sich deswegen
nicht so entrüsten, wie Sie es thun, noch Ihre Entlassung an-
tragen, denn Sie wären zuerst gestraft, wenn Sie der König an-
nähme. Seine Majestät, als ich Ihn fragte, warum er bey dieser
Stelle nicht an Sie gedacht habe, gab mir zur Antwort, daß Er
nur Sie hätte, der den jezigen Zustand Seiner Finanzen kenne,
und daß Sie Ihm an diesem Plaz nüzlicher als an einem andern
wären. Mithin lassen Sie den Muth nicht sinken, verrichten Sie
Ihre Obliegenheit zur allgemeinen Zufriedenheit, lassen Sie dem,
der an Ihre Stelle treten wird, einen gebahnten Weg, so sollen
Sie ein wichtigeres Amt bekleiden. Sie wissen, daß die Stelle
eines Ministers der auswärtigen Angelegenheiten ledig ist. Der
König will sie noch nicht besezen; es ist nicht ohnmöglich, daß
man Sie dahin zu bringen denkt.
Ich bin etc. Gräfin Du Barry.
LVI. Brief
AN DEN BARON VON BRETEUIL
Prinz Ludwig, mein Herr, läßt durch den Prinzen von Soubise
um die Gesandtschaft am Wiener Hof anhalten. Der König
konnte es nicht abschlagen. Allein da Sie für diese Gesandtschaft1
1 Herr Baron von Breteuil war ein Anhänger des Düc von Choiseul, und in
Ansehung der Negotiationen ein Mann von grossen Verdiensten. Allein man be-
förchtete, daß er sich bey der Kaiserin Königin einschleichen, und Sie dahin brin-
gen, daß Sie zu Gunsten des Düc von Choiseul nachdrücklich schreiben möchte.
Es war der Parthey der Du Barry daian gelegen, an dem Wiener Hof eine Person
zu haben, die ihnen zugethan war. Dieses war die Ursache, warum Prinz Ludwig
den Vorzug erhielt, in Beyseyn dessen in dem Kabinet zu Wien die Theilung von
Pohlen geschah, ohne daß er etwas darum wußte. Dahero auch der König, als er
diese Zeitung hörte, ganz verdrießlich sagte: „Wenn Choiseul geblieben wäre,
würde dieses nicht begegnet seyn." Allein er verfiel wieder in seine vorige Nach-
sicht, und vergaß diesen Verlust gar bald.
352 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
bestimmt waren, so habe ich den König beredt, Sie zu derjeni-
gen von Neapel, die in der That nicht so beträchtlich, aber doch
eben so ansehnlich ist, zu ernennen. Er hat sie Ihnen, da Er Ihre
Verdienste kennt, mit Vergnügen bewilliget. Ich bin, mein
Herr etc. Gräfin Dil Barry.
LVIL Brief
VON HERRN VON MAUPEOU
Madam und werthe Baase!
Ich sehe, Sie kennen den Karakter Ihres erlauchten Liebha-
bers eben so gut, als ich. Er ist zu gut, zu blöde, und der Ernst,
den Er gegen seine ungehorsamen Parlementsglieder zeigte, fängt
Ihm an allzu hart vorzukommen. Sein eigenes Interesse fordert,
daß Er nicht abändere, und das unserige hängt durch eine ganz
klare Folge ebenfalls davon ab, denn wir haben uns allzu frey
wider dieses Tribunal erklärt, als daß wir nicht alles von der
Wiedereinsezung desselben zu beförchten hätten. Man muß
also Seiner Majestät, im Fall Ihn seine Blödigkeit zur Milde ver-
leiten wollte, Forcht einjagen, und Ihn wider seinen Willen dreist
machen. Wir können zu dem End nicht Mittels genug brauchen.
Es zeigt sich eines, das man nicht aus der Acht lassen muß. Unter
den Gemälden, die aus dem Kabinet des verstorbenen Freyherrn
von Thiers zu verkaufen sind, befindet sich das Bildniß Karls I.
Königs von England, dem sein Parlement den Kopf abschlagen
lassen ; ziehen Sie es, um welchen Preis es wolle, unter dem Vor-
wand, daß es ein Familienstük seye, weil die Du Barry von dem
Hause Stuart sind, an sich. Hängen Sie es in Ihr Zimmer neben
das Portrait des Königs. Das traurige Ende des Englischen Mo-
narchen wird Seine Majestät schreken, und Sie können Ihm bey-
bringen, daß vielleicht das Parlement zur gleichen Gewalttätig-
keit geschritten wäre, wenn ich ihrem strafbaren Komplot, noch
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 353
ehe es zu seiner völligen Schwärze und Bosheit gekommen, nicht
Einhalt gethan hätte. Eine Forcht von dieser Art, durch Sie,
meine werthe Baase, dem König vorgestellt, wird Ihn gegen alle
Schritte und Versuchungen unserer Feinde ohnerbittlich ma-
chen.1 Verbrennen Sie diesen Brief; allein vergessen Sie den
Inhalt desselben nicht. Ich bin mit Hochachtung
von Maupeou.
LVIII. Brief
VOM GRAFEN DU BARRY
Den 23. May 1771.
Nun bin ich, meine liebe Schwägerin, von meiner Reise zurük,
und mit gröster Zufriedenheit sehe ich Sie auf dem höchsten
Gipfel. Meine Schwester hat Ihnen die Briefe zugestellt, die ich
ihr zu Ihrem Verhalt geschrieben hatte, und Sie sehen, daß Sie
sich wohl darbey befunden haben, nicht darvon abgewichen zu
seyn. -Nun sind Sie von Ihren gefährlichsten Feinden befreyt.
Alle Minister sind uns zugethan, der Kanzler, Herr von Boynes,
Abe Terray, Düc von Vrilliere und der Prinz von Soubise. Aber
dieses ist nicht alles, es bleibt noch eine Ministerstelle ledig, und
man muß einen hinsezen, der an unserer Kette ist. Unser Freund
Düc von Aiguillon, liegt uns beständig an, den König zu be-
wegen, daß Er ihn ernenne; er verdient es in aller Absicht: sein
Rechtshandel ist im Publikum vergessen, sechs Monat sind schon
seitdem verflossen, so daß er keine Hindernisse mehr gegen sich
hat. Er geht nebst dem Düc von Vrilliere von mir weg, und ich
habe ihnen versprochen, daß dieses geschehen würde. Betrach-
ten Sie, meine Schwägerin, daß man diesen Gegenstand nicht
aus der Acht lassen muß.
1 Madam Du Barry befolgte in der That den Rath des Herrn von Maupeou.
So ungereimt und verabscheuungswürdig auch diese Zulage war, so erhizte sie doch
im ersten Anfall den König. Die Wetterstrahlen trafen und zernichteten die Ma-
gistratur bis ins Innerste des Königreichs.
1. 23
354 Origijial-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Sie haben sich jüngst bei meiner Schwester beklagt, vermuth-
lich daß sie mirs wieder sage, daß ich zu viel auf den Hofban-
quier abgebe; allein man muß es grösser gemacht haben, als es
ist, denn ich habe erst zwo Millionen dreymal hundert tausend
Livres empfangen, und wenn ich auch mehreres bezogen hätte,
wer könnte sich darüber beklagen ? Gewiß nicht der König, denn
niemand ist so dreist, Ihm etwas davon zu sagen. Sie sind es auch
nicht, denn Sie haben mir Ihr Glük zu verdanken, und müssen
dahero die Erste seyn, die es zum Theil auch wieder auf mich
zurükbringt. Der Hofbanquier ist es auch nicht, weil man mein
Papier in seinen Rechnungen für baares Geld annimmt. Abe
Terray, der uns förchtet, und der, wenn Sie und ich das geringste
sagten, Verstössen würde, ist es auch nicht, und der Kanzler
unser Vetter, den wir an seinen Plaz haben, ist es eben so wenig.
Niemand kan uns also den mindesten Verweis geben; mithin
laßt uns, uns das Glük zu Nuze machen, so lange es uns günstig
ist. Ich umarme Sie, und bin Graf Dil Barry.
LIX. Brief
VON DER PRINZESSIN VON CONTI
Den : 3. May 1771
Sie sollten, Madam, gar nicht zweifeln, daß es allen Per-
sohnen der Königl. Familie höchst empfindlich fallen muß, die
Prinzen von Hof entfehrnt, und in der Ungnade des Königs zu
sehen. Diejenigen die um Sie sind, haben Sie verleitet, allen
Ihren Kredit zu verwenden, um zu diesem traurigen Auftritt
behülflich zu seyn. Ich will denken, Sie haben sich darum darzu
gebrauchen lassen, weil man Sie durch den Anschein eines gegen-
wärtigen Nuzens verblendet hat, und daß Sie die schlimmen Fol-
gen, die daraus entstehen müssen, nicht vorgesehen haben. Die
Sachen sind in eher solchen kritischen Laage, daß sie nicht lange
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 355
so bleiben können. Weichen Ruhm würden Sie sich nicht erwer-
ben, wenn Sie nehmlich Seine Majestät beredten, jene erlauch-
ten Exilirten wieder zu sich zu rufen, zu deren Bestrafung man
ihn zwang, da man sie ihme als Ungehorsame gegen seinen Willen
schilderte, mittlerweile sie sich dem Umsturz aller Gesetze, wie-
dersetzend, den stärksten Beweiß, ihrer ohnzerbrüchlichen An-
hänglichkeit, an das wahre Interesse des Königs gaben. Wenn die
Billigkeit einer solchen Sache nicht hinlänglich ist, Sie zu ver-
mögen, selbige zu vertheidigen, so werden es Ihnen Ihre eigene
Vortheile auferlegen. Fürwahr Madam, was würde Ihr Schiksahl
seyn, wenn wir den König verlöhren! Wenn Sie auch nicht ein
mal die fürchterlichste Katastrophe zu beförchten hätten, kön-
ten Sie wohl ohne Schauer, an die Zahl und Größe Ihrer Feinde,
die Sie sich machen, denken ? Jezt können Sie sich eben so viele
Beschützer machen. Es ist Ihnen ein Leichtes sich ein Recht
auf ihre Erkenntlichkeit zu erwerben, und sich ihre Achtung, so
wie die meinige, durch ein Betragen, daß Ihnen mit der Zeit
zur grösten Ehre gereicht, zuzueignen.
Ich bin etc. Prinzessin von Conti..
LX. Brief
VON HERRN VON MAUPEOU
den 1. Brachm. 177T.
Noch diesen Morgen, habe ich, meine werthe Baase., mit dem
Düc von Aiguillon, über das Projekt ihrer Vermählung mit dem
König geredt: wir haben die Sache nicht durchaus ohnmöglich
gefunden. Sie wissen, daß wir ein Beyspiel einer ähnlichen Heu-
rath zwischen Ludwig XIV. und der Madam von Maintenon
haben. Die Umstände sind richtig vortheilhafter für uns, als sie
es für diese Dame waren, die keine so grosse Macht auf ihren
Liebhaber hatte, als Sic über den König haben. Ueberdas hatte
23*
356 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Ludwig XIV. einen sehr stolzen ja sogar rohen Karakter. Der-
jenige seines Nachfolgers ist im Gegentheil biegsam bis zur Blö-
digkeit, und sehr leicht zum Nachgeben. Aber nun zum Zwek
zu gelangen, ist es sehr nöthig, daß die Zernichtung des Par-
lements, und die Entfehrnung der Prinzen, beybehalten werde.
Wenn sie wieder begnadigt würden, so können Sie wohl denken,
daß die Hofnung, die Sie von den Umständen schöpfen können,
alsdann nichts als eine blose Chimäre seyn würde. Es ist also
meine schöne Baase nothwendig, daß Sie mich aus allen Kräften
unterstützen. Seyn Sie versichert, daß ich meiner Seits nicht
müsig bleiben, und daß alle Bemühungen unserer Feinde ver-
gebens seyn werden, so lange wir die unsrigen wider sie vereinen.
Sie müssen sich jezt alles Ernstes bemühen, den Düc von
Aiguillon, zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu
machen; denn er kan in dieser Qualität ihnen nicht nur die an-
dern Mächte gewinnen, sondern auch noch bey dem Hol zu Rom
nachdrüklich, um die Dispensation, die Ihnen so nöthig ist, an-
halten.
Ich bin etc. von Maupeou.
LXI. Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON
den 30. Brachm. 1771.
Frau Gräfin!
Sie haben allzu vielen Antheil an meiner Ernennung zum Mi-
nister der auswärtigen Angelegenheiten gehabt, als daß Sie an
meinem Dank, und dem Verlangen, Ihnen Beweise davon zu
geben, zweifeln könten. Ich habe mit dem Päbstl. Nuntius, in
Ansehung der Dispensation, die Sie gerne haben möchten schon
eine Unterredung gepflogen, und er hat mir versprochen, Ihnen
in dieser Sache zu dienen. Um hierüber in eine förmliche Ne-
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
goziazion einzutretten, müssen Sie bevkommendes Memorial»
unterschreiben. Ich werde es dem Nuntius zustellen, der es auf
sich nimmt, selbiges dem h. Vater selbst zu übergeben. Ich mei-
ner Seits will es be7 dem Kardinal Bernis dahin bringen, daß er
den Erfolg betreibt. Ich bin etc.
Düc von Aiguillon.
LXII. Brief
VON ABE TERRAY
den 5. Augstm. 1771.
Ich bin von allen denen Freundschaftsbezeugungen, mit denen
Sie mich, Frau Gräfin, zu beehren belieben, so sehr durchdrun-
gen, um Ihnen nicht bey der ersten Gelegenheit meine Erkennt-
lichkeit dafür zu bezeugen. Hier ist eine, die Ihnen nicht än-
derst als angenehm seyn kan.
Der König hatte dem Grafen von Clermont, der jezt ge-
storben ist, 300000 Livres Leibrenten festgesezt; folglichen ge-
* Hier ist ein Auszug dieses Memorials, welches im ganzen Zusammenhang
allzu weitläufhg wäre: „Madam Du Barry stellt Sr. Heiligkeit vor, daß sie ohn
„erfahren m den kanonischen Vorschriften, erst seit ihrer Trauung mit dem Gra-
„fcn Wilhelm Du Barry, gewußt habe, daß es verbothen seye den Bruder eines
„Mannes zu heurathen, mit dem man gelebt hat. Sie gesteht mit allem dem
„bchmerz einer reuenden Sünderin, daß sie etwelche Schwachheit für den Grafen
„Johannes Du Barry Bruder ihres Mannes gehabt habe- daß sie zum Glük noch
'^ITrY011, f Blutschande> die sie ^gehen wollen, gewarnet worden seye,
„und daß ihr alsdann ihr Gewissensaufschluß, nicht zugelassen habe, mit ihrem
„neuen Gemahl beyzuwohnen; mithin das Verbrechen noch nicht begangen wor-
"zu Ve'fre' e?" " "' ^ HeiUgkeit' Sie VOn dner soIch ärgerlichen Vorbindung
Uebrigens war dieses Heurathsprojekt mit dem König, nichts als eine Lokspeise,
die der Kanzler, Düc von Aiguillon und Abe Terray Madam Du Barry gaben da-
mit sie sich immer bey dem Monarchen für sie verwenden, und ihnen alles was sie
wollten von ihm auswirkten möchte. Sie kannten die ganze Chimäre dieses Projekts
gar wohl, und da eine Sache von solcher Wichtigkeit nicht schnell von statten ge-
hen konte, so war die Aufzögerung alles was sie verlangten.
358 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
winnt der König auf ein mal 300 000 Livres ; allein da Sie noch
nicht auf Ihren Nutzen bedacht gewesen sind, so ist es billich,
daß Ihre Freunde, für Sie daran denken. Ich habe mich des-
wegen mit Sr. Majestät unterhalten, und ihme vorgestellt, daß
Ihre ohneigennüzige Anhänglichkeit an seine Persohn, Sie mit
nichts anders als mit den Mitteln beschäftige, ihm zu gefallen,
und ihm Ihren Dank, für seine Huld, wormit er Sie beehrt, zu
bezeugen, mithin es billich seye, daß er Ihnen etwas zugutthue,
und Ihnen einen Theil der Renten des Grafen von Clermont zu-
kommen lasse. Dieses könne um so viel ehnder geschehen, da
seinen Finanzen nichts benommen würde, auch sein Volk nichts
dadurch litte. Der König hat mir für meinen Einfall gedankt,
und Ihnen mit dem Drittheil dieser Summe ein Geschenk ge-
macht. Ich habe das lebhafste Vergnügen, Sie auf der Stelle da-
von,zu benachrichtigen, und Ihnen die Versicherungen der Ehr-
furcht mit deren ich bin zu wiederholen etc.
Terray.
LXIIL Brief
AN DEN ABE TERRAY
Den 5. Augstm. 1771.
Der König hat mir dasjenige, worvon Sie mir Nachricht ge-
geben haben, diesen Morgen bestätiget. Nehmen Sie meinen
Dank und zugleich die Anzeige dafür an, daß ich von den übrigen
200 oco Livres Leibrenten des verstorbenen Grafen von Cler-
mont, 50 000 Livres für Sie, als eine Erkenntlichkeit Ihrer
Dienste, begehrt habe, die Ihnen der König mit der grösten
Huld von der Welt bewilliget hat. Sehen Sie, wie ich Ihnen Ihre
Handlungen zu vergelten suche. Glauben Sie nur, daß ich Zeit-
lebens die gleichen Gesinnungen für Sie haben werde.
Gräfin Du Barry.
Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry 359
LXIV. Brief
AN HERRN VON MAUPEOU
Den 5. Augstmon. 1771.
Gestern, Herr Kanzler, war ich bey dem König. Abe Terray
kam auch, und dankte Sr. Majestät für die 50 000 Livres Renten,
die Er ihm in Betrachtung meiner, von denen 300 tausend Livres
Leibrenten, die Er durch den Tod des Grafen von Clermont
gewinnt, bewilliget, und worvon Er auch mich, auf die Vorstel-
lung des Generalkontroleurs, mit einem Drittheil beschenkt hat.
Se. Majestät fragten nun, was Sie mit den übrigen 150 000 Livres
machen sollten? „Sire, antwortete ich Ihm, mein Vetter der
„Kanzler verdient wohl eben so viel als der Abe, Sie kennen die
„wichtigen Dienste, die er Ihnen leistet. Nun ist die Gelegen-
heit da, ihn darfür zu belohnen. Ja, Sire, versezte sogleich Abe
„Terray, dieses wäre eine Entschädigung für den beträchtlichen
„Verlust, den er sowohl durch Aufhebung zerschiedener Stellen,
„die der seinigen grosse Benefizien abwarfen, als auch durch den
„Nachlaß, den er Ihren neuen Magistratspersonen, die Stellen zu
„erkaufen, erlitten hat. "Der Abe, der arme Teufel, ist darum nicht
so schlimm! Was halten Sie darvon, mein Vetter ? Er hält es mit
Ihrem Nuzen wie mit dem seinigen. Ich für mich bin ihm gut.1
Ich bin etc. Gräfin Du Barry.
LXV. Brief
AN HERRN VON MAUPEOU
Mein Herr Kanzler ! es ist mir endlich gelungen, ohnerachtet
aller dummen Vorstellungen des Marquis von Monteynard, die
1 Nach diesen Briefen sollte man glauben, der König hätte die noch übrig-
gebliebenen 100 000 Livres für sich behalten. Keineswegs. Graf de la Marche kam
zwischen ein, und wollte auch seinen Theil am Braten haben. Er stellte vor, daß
er der einzige Prinz vom Geblüt seye, der es mit dem König halte, und die Hand-
lungen des Kanzlers gutgeheissen hatte. Um seinen Eifer zu belohnen, gab man
ihm die hundert tausend Livres.
360 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Einwilligung des Königs für das Regiment zu erhalten, welches
Sie für Ihren Sohn verlangten. Ich beeile mich, Ihnen diese
Nachricht zu hinterbringen, und wünsche, daß Sie sie mit eben
so vielem Vergnügen vernehmen mögen, als ich sie Ihnen melde.
Ich bin etc.
Gräfin Du Barry.
LXVI. Brief
AN HERRN VON SARTINE, OBERSTEN POLIZEY-
RICHTER
Ich kan mich nicht enthalten, Ihnen meine Unzufriedenheit
über ein Buch zu äussern, welches seit wenig Tagen zum Vor-
schein gekommen ist, und worvon die Exemplarien nicht so rar
sind, als sie es seyn sollten. Es ist Ihnen bekannt, wie weit die
Unverschämtheit, auf Unkosten des Königs, seiner Minister,
des ganzen Hofs und besonders auf die meinige, in dieser Bro-
chüre, die den Titul, le Gazettier Cuirasse,1 d. i. der bepanzerte
Zeitungsschreiber, führt, getrieben wird. Ich zweifle keineswegs,
daß es Ihnen gelingen werde, wo nicht den Verfasser zu ent-
deken und nach aller Härte zu bestrafen, doch wenigstens alle
Exemplarien seiner schandbaren Arbeit zu unterdrüken. Ich bin
etc. .
Gräfin Du Barry.
1 Dieses ist eine, von allen Arten Deklamationen, Verleumdungen, Lügen und
Anspielungen auf den König und so zu sagen auf ganz Frankreich, zusammen-
gestoppelte Rapsodie. Das was Mad. Du Barry am meisten geärgert, sind gewisse
Stellen, die auf ihre Rechnung durchaus falsch sind, und sie auf alle Weis beschimp-
fen. Untei andern Ungereimtheiten, giebt man ihr den P, Angelus Picpus zum
Vater; man sagt, daß sie dem Marquis von Chabrillant jenes bekannte Uebel an-
gehängt; daß sie 15 Jahre die öffentliche H — zu Paris gemacht habe; daß sie die
Jesuiten wieder einsezen, weil ihr diese Nonkonformisten gut seyen; daß sie einen
neuen Orden, als den St. Niklaus-Orden (eine Anspielung auf einen Marktschreyer
Namens Nikiaus, der wegen Kurierung der Franzosen in Paris sehr bekannt war)
errichten wolle, und daß, obschon sie niemand als diejenigen, die es wohl mit ihr
konnten, darein ernennen würde, so würde dieser Orden dennoch weit zahlreicher
als der St. Ludwigs-Orden werden.
Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry 361
LXVII. Brief
VON DEM DÜC DE LA VRILLIERE
Nehmen Sie, Madam, ich bitte Sie, meine unterthänige Ent-
schuldigung über den Zufall, der mir gestern bey Ihnen be-
gegnete, an.1 Sie wissen, daß ich mich der Scene, die mich in
die Situation versezte, in der Sie mich sahen, nur deswegen bios-
stellte, weil ich mich mit allzu grosser Standhaftigkeit wider-
sezte, daß man ohne Ihre Theilnehmung oder Vorwissen keine
Gnadenbezeugungen ertheilen sollte. Seyn Sie versichert, daß
das Unangenehme, das ich dabey empfunden habe, meinen Eifer
nicht schwächen soll, und daß Sie mich immer bereit finden wer-
den, Ihnen Proben meiner ohnwandelbaren Ergebenheit zu
geben.
Ich bin etc.
Düc von Vrilliere.
1 Der König hatte Madam Du Barry versprochen, daß sie alle Pläze von dem
Haus Artois, welches man damals errichtete, zu vergeben hätte. Die Marquisin
von Mesmes, hatte Madam Sophie ersucht, um einen Plaz für ihren Sohn in diesem
Haus anzuhalten. Madam Sophie wandte sich ohnmittelbar an den König. Dieser
sagte ihr zu ; allein Düc von Vrilliere, aufgebracht, daß diese Gnade ohne sein Zu-
thun vergeben ward, beschwerte sich bey Madam Du Barry, und stellte ihr vor,
was für Mißbeliebigkeiten entstehen könnten, wenn der König so ohne ihr Vor-
wissen Stellen vergäbe; er bat sie dahero, mit dem König zu reden, und verschob
die Ausfertigung des Brevets an Herrn von Mesmes. Madam Sophie, welche von
diesem Pfif Wind hatte, ließ den Düc von Vrilliere zu sich kommen, und befahl
ihm, das Patent auszufertigen; auch verwies sie ihm bei dieser Gelegenheit das
ärgerliche Gewerbe, welches bey Madam von Langeac, seiner Maitresse, mit denen
von seinem Ministerium abhängenden Stellen getrieben würde. Der arme Düc
bekam diesen Auspuzer, nachdem er nach seiner Gewohnheit ziemlich wolü zu
Mittag gespeißt hatte. Er begab sich hierauf zu Madam Du Barry, allwo es ihm
mitten in der Erzehlung, die er ihr von dem, was vorging, machte, übel ward, so
daß er die Broken der Unverdaulichkeit von sich gab. Er war sinnlos, und man
mußte ihn in dem ekelhaftesten Zustand nach Hause tragen. Um sich auszuhelfen,
schrieb er obigen Brief.
362 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
LXVIII. Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON
Es geht mir sehr nahe, daß ich nicht zu Ihnen hinein konnte,
wo Sie ohnerachtet der Versicherungen Ihres Schweizers ver-
schlossen waren. Ich war gekommen, um zu versuchen, ob ich
Sie über den Verdruß, den Ihnen des Herrn Dauphin Königl.
Hoheit verursachten, trösten könnte. Wenn Ihnen etwas Gutes
wiederfahren wäre, so hätte ich sicher nicht so geschwind darum
gewußt. Dieser mißbeliebige Zufall rechtfertiget dasjenige nur
allzu sehr, was ich die Ehre hatte Ihnen zu sagen, als ich wußte,
daß Sie sich etwelchen Scherz1 über diesen Prinzen, dessen Ka-
rakter nicht vertragsam ist, erlaubt hätten. Neue Erinnerungen
wären jezt äussert der Zeit, weil Sie selbst fühlen werden, wie
zurükhaltend Sie in Ihren Reden seyn müssen. Ich glaube, daß
ein förmlicher Schritt zu Gutmachung der Sache vergeblich
seyn würde. Sie würden übel aufgenommen werden, und dieses
könnte Ihnen leicht eine neue Erniedrigung zuwegen bringen.
Halten Sie sich mehr dann jemals daran, die Oberhand über den
König zu kriegen. Die Huld, wormit Er Sie beehrt, wird wenig-
stens Ihre Feinde in den Schranken der Achtung halten. Ich
bin etc.
Düc von Aiguillon.
1 Madam Du Barry hatte die Unvorsichtigkeit, sich über die vermeynte Ohn-
vermögenheit des Dauphins lustig zu machen. Es kam ihm wieder zu Ohren. Ganz
aufgebracht, gieng er auf der Stelle zu ihr hin, und gab ihr auf eine derbe Weise zu
verstehen, daß es ihr nicht zukäme, sich auf Unkosten seiner so zu belustigen, und
weil damals die Rede von dem Vicomte Du Barry war, für welchen seine Tante,
Mad. Du Barry, um die Obrist-Stallmeisterstelle anhielt, sagte ihr der Dauphin:
„Wenn ihr Neffe diese Stelle bekömmt, so komme er mir nicht zu Leibe, oder
„ich schlage ihm den Stiefel ins Gesicht." Mad. Du Barry war über diesen Auf-
tritt so betretten, daß sie sich den ganzen Tag ins Zimmer verschloß, und niemand
vor sich kommen lassen wollte. Düc von Aiguillon, der sie nun nicht sehen konnte,
schrieb ihr hierauf diesen Brief.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 363
LXIX. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Ich fange an zu glauben, daß Sie recht hatten, mein Herr Düc,
mir Mißtrauen gegen den Kanzler beyzubringen. Ich habe nun
entdekt, daß er ohnerachtet aller seiner Protestationen, die
Obrist-Stallmeisterstelle für seinen Sohn zu erhalten suchte, ob-
wohlen er wußte, daß ich mich für den Vicomte Du Barry darum
bewarb. Ich glaube nicht, daß mir der König meine Bitte ge-
währen werde. Ich versichere Sie zwar, daß ich sie, nach dem,
was zwischen dem Dauphin und mir vorgefallen ist, auch nimmer
verlange; aber ich bin recht froh, daß ich Gelegenheit gehabt
habe, die Treue des Herrn Kanzlers zu prüfen. Ich werde mir
sicher Recht zu verschaffen wissen. Noch ein Wort: ich weiß
nicht, wer diesen Marigny, der gerade recht kömmt, um unsere
Anstalten, ihm seinen Plaz wegzukapern, zu vereitlen, aufgefor-
dert hat.1
LXX. Brief
VON DEM ABE TERRAY
Den 2. Christm. 1771.
Frau Gräfin!
Sie haben recht, wenn Sie begehren, daß die Stelle eines Ober-
aufsehers über die Königl. Gebäude Ihrem Herrn Bruder ge-
1 Marquis von Marigny war Oberaufseher der Königl. Gebäuden. Die Du Barry,
welche diese Stelle, als die natürliche Appanage der Familie, der erklärten Maitresse
St. Majestät ansahen, hielten schon lp.nge darum an, und diesem zufolg suchten sie
den Marquis bey dem König anzuschwärzen, und in Ungnade zu bringen. Allein
dieser erhielt von den geheimen Ränken, die wider ihn gespielt wurden, Nach-
richt, und begab sich nach Hof, um sich gegen das, was ihm zur Last gelegt wurde,
zu rechtfertigen. Der König konnte sich nur nicht entschliessen, ihm den Abschied
zu geben. Dem seye wie ihm wolle, Abe Tciray fand, indem er denen Du Barry
den Hof machte, ein Mittel, diesen Plaz an sich zu ziehen. Man sieht sein Projekt
im folgenden Brief.
364 Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry
geben werde. Allein um darzu zu gelangen, müssen Sie Klägden
wider den Marquis von Marigny ausfündig machen, und hier
ist nun, was ich entworfen habe.
Es ist schon lange, daß diesem Theil an Geld gebricht; die
Umstände berechtigen mich, ohne daß es den Anschein hat, als
wäre ich übel gesinnet, es. abzuschlagen, folglichen ist selbiger
sehr schlecht bestellt, welches dem König sehr mißfällt. Machen
Sie sich den Augenblik, wo Seine Majestät eine Arbeit verlangt,
die er noch nicht hat, zu Nuze; ich will zurükhaltender dann
jemals seyn, und dem Marquis von Marigny kein Geld hergeben.
Bringen Sie hernach dem König bey, daß er wohl thun würde,
mir diese Stelle aufzutragen, weil, da die Geldei in meiner
Disposition wären, so dürfte ich nicht gleich Auskunft wie mein
Vorfahr darüber geben, und könnte alles, was Seine Majestät
verlangten, bauen lassen. Wenn der Marquis auf diese Art ent-
sezt ist, werde ich dem Konig etwas Zeit hernach sagen, daß es
mir meine Geschäfte nicht zuliessen, neuen Verrichtungen vor-
zustehen, und ich will der Erste seyn, Ihme den Vorschlag zu
thun, daß er sie dem Grafen Du Barry auftrage.1 Dieses ist ein
Mittel, welches mii gut zu seyn scheint, und ich rathe Ihnen
Gebrauch darvon zu machen. Ich trage es blos deswegen an, um
Sie dardurch zu verbinden. Ich bin, Frau Gräfin etc.
Abe Terray.
LXXI. Brief
AN DEN HERRN VON SARTINE
den 18. Christm. 1771.
Die erste Pflicht an ihrem Platz, mein Herr, ist, dem Umlauf,
der des Königs Ehre verlezenden Pasquillen, Einhalt zu thun.
1 Dieses Projekt gelange sehr geschwind. Die Gelegenheit darzu ereignete sich
an dem Schloß von Bellevüe, welches der König gebaut haben wollte. Marquis
von Marigny ward das Opfer und Abe Terray erhielt den Posten.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 365
Indessen ist ihre Wachtsamkeit in einem so wichtigen Punkt,
immer mangelhaft. Hier ist wiederum eine ehrvergessene Ode1,
die, wie man sagt, in ganz Paris herumgetragen wird, und worvon
man mir eine Abschrift zugestellt hat. Suchen Sie den Verfasser
davon auf, hindern Sie, daß diese Ode nicht weiter herum-
gebotten werde ; wo nicht, so werde ich genöthiget seyn, sie Sr.
Majestät, vorzulegen, und ihn dahin zu bringen, eine ihm zu-
gethanere, und wachsamere Persohn an ihren Plaz zu sezen.
Gräfin Du Barry.
LXXII. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
den 8. Jenner 1772.
Mein lieber Düc, suchen Sie meinen Mann zu Gesichte zu
kriegen; er ist jezt zu Paris, um dem boßhafter Weise ausge-
streuten Gerücht, daß er Tod seye, ein Ende zu machen. Ra-
1 Diese Ode, hat die zur Zeit vorgegangenen Revoluzionen zum Augenmerk;
allein in zwo Strophen redte man sehr schimpflich von der Leidenschaft des Kö-
nigs für Mad Du Barry. Man redete den Monarchen darinnen also an:
Diane, Bacchus, & Cythere
De ta vie abregent le cours:
Renvoye, il en est temps encore,
L'impure qui te deshonore:
Chasse tes indignes amours.
Tu n'est plus qu'un tyran debile,
Qu'un vil automate imbecile,
Esclave de la Du Barry:
Du Gange jusqu'ä la Tamise,
On te honnit, on te meprise.
d. i. Jagd, Wein und Liebe, verkürzen dir deine Tage: Schike die Unzüchtige
die dich entehrt, weil es noch Zeit ist weg: Verbanne deine nichtswürdige Liebe
Du bist weiter nichts als ein entnervter Tyran, eine elende schwache
Maschine, ein Sclave der Du Barry, der vom Gangus bis zur Themse, verachtet
und beschimpfet wird.
366 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
then Sie ihm, ich bitte Sie, daß er sich während seinem kurzen
Aufenthalt in der Hauptstadt, anständig betrage.1 Sagen Sie
ihm noch darbey, daß, wenn die mindesten Klagen wieder ihn
einkämen, man ihn sogleich auf sein Lebetag ins Exilium schiken
würde. Ich umarme Sie von Herzen, mein werther Düc, und
bin Ihre Freun lin n ../•• n .. D
Grafin Du Barry.
LXXIII. Brief
AN DEN VORIGEN
Ich zweifle nicht, mein lieber Düc, daß der Kanzler nicht ein
arglistiger Mann seye. Er machte mir immer Hofnung, zur Gnade,
die ich für Billard2 begehrte, nicht aus Freundschaft für diesen
Unglüklichen, sondern zu Gunsten seines Oheims, den die Strafe
seines Nefen beschimpft. Er hat alles angewandt, um den König,
gegen mein Anhalten ohnerbittlich zu machen. O ! dieses ist ein
Mann von dem wir uns losmachen müssen. Ich ergreife Ihr Pro-
jekt in Absicht auf dieses.
Ich grüsse Sie mein lieber Düc und bin etc.
Gräfin Du Barry.
LXXIV. Brief
VON DEM GRAFEN WILHELM DU BARRY
Hochzuverehrende Frau Gemahlin!
Ich habe vorgestern die Dummheit begangen, Tausend Stük
neue Louisd'or gegen den Marquis von Chabrillant, im Spiel zu
J Dieser Wilhelm Du Barry, war ein Vollzapf, ein Schwein, welches sich Tag
und Nacht, in der garstigsten Schwelgerey herumwälzte.
- Her* Billard du Monceau, Ihr Taufpathe.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 367
verlieren Ich war bey meinem Bruder um ihm Geld zu fodern;
allein er ist so impertinent gewesen, mich zum Henker zu schiken,
und mir zu sagen, daß ich mich mit meiner Pension begnügen
sollte, mit dem Beyfügen, daß er Schulden genug, ohne die mei-
nigen zu bezahlen, hätte. Ich gestehe, daß dieses recht garstig
von ihm ist. Sie wissen, daß Spielschulden, Schulden sind, wo-
bey die Ehre verknüft ist; mithin bitte ich Sie mir diese Summe
anzuschaffen, oder ich darf mich nimmer sehen lassen. Ich werde
mich in meinem Anliegen, niemals mehr an meinen Bruder wen-
den, er hat keine Freundschaft für mich, und wirft doch so viel
Geld als er will, zum Fenster hinaus. Die Probe davon ist, daß
er mit seiner Dame von Mürat, ein Kind de ■ Mademoiselle
Beauvoisin1 über der Taufe hielt. Dieser einzige Bettel, welcher
mich nicht zehn Louisd'ors gekostet hätte, hat ihn über tausend,
die er ehender mir hätte geben können, gekostet. Ich verspreche
es Ihnen, daß ich nimmer Großspiel spielen, sondern im Gegen,
theil zu gewinnen trachten werde, um Ihnen nicht mehr be-
schwerlich zu fallen. Ich habe die Ehre zu seyn
Hochzuverehrende Frau Gemahlin
Ihr etc.
Graf Wilhelm Du Barry.
1 Der Uebermuth des Schwagers der Mad. Da Barry war auf den höchsten
Grad gestiegen. Er unterhielt ein Mädgen, welches den erdichteten Namen, von
Mürat angenommen hatte. Er verheuratbete selbiges an einen Kavalier vom St.
Ludwigs-Orden, der zufälliger Weise auch diesen Namen hatte, und gab ihm ein
Gehalt von zwey tausend Thaler, um seine Maitresse beyzubehalten, der er noch
über das den Tittul einer Marquisin beylegte. Dieser Du Barry gab dadurch eine
abscheuliche Aergernis, und trieb hernach die Ohnverschämtheit so weit, daß er
mit seiner Maitresse, das Kind einer berüchtigten H— , Namens Beauvoisin, öffent-
lich über der Taufe hielt. Der Taufaktus geschah mit gröster Pracht zu Mont-
martre, nächst Paris. Es war eine Suite von zwölf Kutschen, und da die Haupt-
kirche am höchsten Ort steht, so hatte der Pfarrer die Gefälligkeit, in eine
kleine Kapelle herunter zu kommen, wo die Feyerlichkeit vollzogen wurde.
Der Pathenpfennig und andere Geschenke kosteten den Grafen Du Barry bey
25 000 Livres, welcher noch über das dem jungen Bastard ein Gehalt von 1200
Livres festsezte.
368 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
LXXV. Brief
AN DEN GRAFEN WILHELM DU BARRY
Ich überschike Ihnen hier die tausend Louisd'or und eben so
viel, wieder abzureisen, damit Sie mir keine Schande machen.
Ich weiß, daß Ihre Aufführung in Paris die allergarstigste ist,
um daß sich jedermann über Sie lustig macht. Wenn Sie länger
als 8 Tage bleiben, so sehen Sie zu.
Gräfin Du Barry.
LXXVI. Brief
VON DEM ÄßE TERRAY
Der Gedanke, Sie als zwote Madam von Maintenon zu sehen,
ist in der That sehr hübsch ; niemand als ich wünschte mehr ihn
erfüllt zu sehen. Allein man muß mehr auf das Solide als aufs
Glänzende sehen. Wenn sich Ihre Lage veränderte, "es seye, daß
Sie bey dem König in Ungnade fielen, oder daß wir ihn verlier-
ten, wo geriethen Sie alsdann hin ? Durch Ihren Heurathsver-
trag ist das Vermögen zwischen Ihnen und dem Herrn Grafen
gemeinschaftlich. Dieser würde als Mann Hand darüber schla-
gen, und Sie müßten von ihm abhangen, welches Sie in eine
ziemlich harte Sclaverey versezen würde. Ich rathe Ihnen also,
vor allen Dingen sich gerichtlich mit Leib und Guth von ihm
scheiden zu lassen. Durch dieses ist Ihr Vermögen gesichert, und
Sie können frey darmit schalten und walten. Ich habe mit dem
Düc von Aiguillon in Betreff des Ihnen gegebenen Raths geredt,
und er heißt ihn sehr gut. Unterschreiben Sie also die Vollmacht,
und verlassen sich wegen der Sorge, dieses Geschäft zu beendigen,
auf mich, es kan Ihnen in der Folge an der Verbindung mit dem
König nicht hinderlich seyn.
X
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 369
LXXVII. Brief
VON DEM ABE TERRAY
Frau Gräfin!
Nichts war mir schmeichlender, als die Ehre, die Sie mir er-
wiesen, gestern bey mir zu Mittag zu speisen. Aber Madam Da-
merval1 war über Ihre huldreiche Aufnahm, wormit Sie sie be-
ehrten, ganz bezaubert. Sie wünscht sehnlich, daß Sie ihr einen
freundschaftlichen Plaz anweisen, und ihr erlauben möchten,
Ihnen öfters ihre Aufwartung zu machen. Sie hat keinen andern
Endzwek, als etwas zu Ihrem Vergnügen beyzutragen. Aber
dörfte ich Ihnen unter uns sagen, daß sie Ihnen nüzlich seyn
könnte. Das Alter des Königs und seine ohnmäßige Wollust, an
die Er schon seit langem gewöhnt ist, machen Ihm die Abände-
rung nothwendig. Ihre Reize, Ihre Anmuth können einen ohn-
beständigen und abgenuzten Liebhaber nicht binden. Wenn Er
durch einen andern Kanal, als den Ihrigen, eine junge und lie-
benswürdige Person findet, so dörfte sich sein ausschweifendes
Gemüth auf etwas Zeit an sie hängen, und man würde sich die-
sen Augenblik zu Nuze machen, um seine Blödigkeit zu miß-
brauchen, und Ihn von Ihnen abwendig zu machen suchen. Sie
wissen, daß Ihm jüngst die Prinzeßin von Lamballe2 sehr in die
1 Madam Damerval ist ein Bastard des Abe Terray und Madam von Clerci
seiner ersten Maitresse. Er verheurathete sie im zwölften Jahr an Herrn Damerval,
Bruder der Mad. la Garde seiner zwoten Maitresse. Dieser war ein betagter Mann,
ohne Vermögen, ohnfähig sich das Ansehen seines Schwiegervaters zu Nuze zu
machen, ein Thor, unsäuberlich, bäurisch grob, mit einem Wort, ein abscheulicher
Kerl. Er mißfiel seiner Gattin so sehr, daß man glaubt, die Pflichten der Ehe
seyen niemals, oder doch nicht so vollzogen worden, um dem Abe Terray einen
Weg zu bahnen, den er aus Gewohnheit dem Mühsamen vorzog. Mad. Damerval
verließ gar bald ihren Mann, und hieng sich an ihre Schwägerin, die sie nebst ihr
bey dem Generalkontroleur versorgte, und welche, da sie überzeugt war, daß es
nothwendig seye, dem physischen Ekel ihres Liebhabers vorzubeugen, lieber die
Oberaufseherin seines Vergnügens machen wollte.
2 Der König redte einige mal mit Freundschaft von der Prinzeßin von Lam-
balle, und erhob eines Tages in Beyseyn der Mad. Du Barry ihre Reize, die Ihm
I. 24
370 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Augen gestochen hat. Ich rathe Ihnen also als Freund, eine junge
Gesellschafterin zu sich zu nehmen, welche die Begierde des Mon-
archen reizen und sie befriedigen könne. Er würde Ihnen des-
wegen nicht weniger zugethan seyn, denn Er müßte Ihnen für
das Vergnügen, das Sie Ihm verschaffen, Dank wissen. Wenn Sie
sich zu diesem verstehen, so werden Sie sich immer in seinen
Gunsten erhalten. Madam von Pompadour begegnete dem ohn-
stäten Geschmak Seiner Majestät auf gleiche Art. Die junge
Damerval taugt fürtreflich zu dieser Rolle. Dieses ist ein Kind,
welches weder Geist noch Talente hat, dem König lange zu ge-
fallen, und nach diesem können Sie, wenn's nöthig ist, eine andere
anführen.1 Indessen ist dieses nur in den Wind geredt. Wenn
Sie es annehmen, so kan es zu Ihrem Vortheil gereichen, einzig
in dieser Absicht melde ich es Ihnen. Sie können eben so wenig
daran zweiflen, als an der Hochachtungsvollen Ergebenheit, mit
welcher ich bin etc. Terray.
LXXVIII. Brief
VON MICHAEL OULIF, EIN JUD
Frau Gräfin! Den 7. May 1772.
Man sagt mir, daß ein Stekbrief wider mich ausgegangen seye»
um mich wegen denen 66 tausend Livres, die Sie zuletzt unter-
schrieben haben, gefänglich einzuziehen. Ich bitte Sie, Madam,
mich nicht unglüklich zu machen. Sie wissen doch, daß ich Ihnen
deswegen Vorwürre machte, und sich beklagte, daß Er ausgestreut hätte, Er sey
willens sich mit dieser Prinzeßin zu vermählen. Der König, der sich durch diese
Rede betroffen fand, sagte ihr ganz ungehalten: „Madam! ich könnte etwas
„schlimmers thun." Madam Du Barry fühlte den Hieb, und brach in Weinen aus.
Der König, dem der Auftritt lange Weile machte, gieng weg.
1 Die Absicht des Abe Terray war, Mad. Damerval zur Maitresse des Königs,
zu machen, und Mad. Du Barry zu hintergehen. Da er aus feiner Politik sein Ba-
stard dem König nicht selbsten vorstellen konnte, so wollte er, daß die Gräfin die
Kupplerin seyn möchte. Allein sein Projekt scheiterte, und wenn der König je
von diesem Lekerbissen gekostet hat, so war's nur im Vorbeygehen ; denn Er be-
hielt immer die gleiche Anhänglichkeit an seine Favoritin.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 371
nicht unrecht gethan habe. Sie waren mir noch 60 000 Livres
altes, welches nebst denen 6000 Livres vom lezten Kauf die
66 000 Livres des Billets ausmachen. Da ich die Ehre hatte
Ihnen zu sagen, daß ich mein Geld höchst nothwendig brauche,
so haben Sie mir befohlen, den Zedel aufzusezen, den Sie die
Gewogenheit gehabt haben zu unterschreiben. Es ist wahr, Sie
glaubten nur für 6000 Livres zu unterschreiben, und ich habe
nicht recht gethan, daß ich Ihnen nicht gesagt habe, daß die
60 000 Livres mit inbegriffen seyen. Indessen bin ich doch, nicht
strafbar. Ich glaubte im Gegentheil, Ihnen etwas zu gute zu
thun, wenn ich Sie, ohne daß Sie's merkten, von einer Schuld
befreyte, die sonst immer auf Ihnen geblieben wäre; mithin hoffe
ich von Ihrer Gnade, daß wenn Befehl wider mich ergangen ist,
daß Sie selbigen werden zurük nehmen lassen. Ich werde den
Himmel ohnaufhörlich um die Erhaltung Ihrer theuren Tage
bitten. Ich bin mit der tiefsten Ehrfurcht, Frau Gräfin,
Ihr etc.
Michael Oulif.
LXXIX. Brief
AN MICHAEL OULIF
Den 7. May 1772.
Nein mein guter Oulif sey ruhig; weit entfernt, daß nur ein-
mal die Rede gewesen sey, dich einzusperren, habe ich im Gegen-
theil dem König deinen mir gespielten Possen1 erzehlt, welcher
sich lustig darüber gemacht hat. Mithin sey gutes Muths.
Gräfin Du Barry.
1 Madam Du Barry hatte diesen Streich durch den Hofbanquier Herrn Beau-
jon, auf welchen das Billet der 66 000 Livres gestellt war, und das er einlöste, er-
fahren. Dieser sagte ihr ganz troken, daß ihre Billets häufig einliefen; allein da sie
in der Beglaubigung stund, daß das lezte nur 6000 Livres seye, so hielt sie dieses
für eine Kleinigkeit, einen Bettel. Doch der dumme Banquier behauptet, daß
66 000 Livres keine Kleinigkeit seye. Man giebt Auskunft darüber. Mad. Du Barry
lacht und erzehlt's dem König.
24*
372 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
LXXX. Brief
AN HERRN MONTVALLIER, IHREN SACHWALTER
Gehen Sie, mein Herr, zum Notarius Pot. Dieser ohnver-
schämte Kerl hat den Tag, als er zu mir kam, um ein Kontrakt
von mir unterschreiben zu lassen, den Nuntius und den guten
Kardinal de la Roche-Aymond gesehen, wie mir jeder beym
Aufstehen aus dem Bett, einen Pantoffel darreichte. Man sagt
mir, daß er in ganz Paris darüber spotte. Verdeuten Sie ihm,
daß wenn ich noch etwas von ihm höre, ich ihm das Maul stopfen
und nach Verdienen zu züchtigen wissen werde. Geht's mit mei-
ner Absonderung1 brav von statten? Gehen Sie darüber mit
dem Abe Terray und mit dem Prokurator, den er mir gegeben
hat, zu Rath. Beendigen Sie diese Sache so viel immer möglich.
Ich bin ganz die Ihrige. Gräfin DU Barry.
LXXXI. Brief
VON HERRN MONTVALLIER
Frau Gräfin!
Ihre Separation ist geschehen. Sie können jez in Ihrem Na-
men kaufen was Sie wollen, ohne die geringste Gefahr zu laufen.
Das Marquisat von Genlis in der Picardie ist zu verkaufen. Dieses
ist ein herrliches Stük Land, ich rathe Ihnen, darauf zu denken;
wenn Sie wollen, so will ich einen Augenschein davon einneh-
men, und Ihnen einen aufrichtigen Bericht darüber abstatten.
1 Der Beweggrand, worauf man diese Absonderung stüzte, war sehr lächerlich.
Man weiß, daß man in einem solchen Fall Beweisthümer haben muß, daß der
Mann sein Weib mißhandelt habe: da dieser Umstand hier nicht statt finden
konnte, so mußte man eine Beschwerde ausfündig machen. Man sagte dem Gra-
fen Wilhelm Du Barry, die Gräfin in Beyseyn einiger Personen als eine Ehrver-
gessene zu behandlen. Diese sagten nun die Sache als Zeugen aus, und dieses war
genug zur Separation.
Original- Briefe der Frau Gräfin Dil Barry 373
Jezt haben Sie kein Geld, allein es giebt ein Mittel, daß Sie sich
verschaffen können. Bitten Sie den König, daß er Ihnen das Ka-
pital der hundert tausend Livres Leibrenten, die Sie auf die
Stadt haben, wieder eingehen mache, so haben Sie gleich eine
Million gefunden. Wenn Ihnen hernach die Besizung nicht
taugt, so werden sich andere eben so prächtige zeigen. Morgen
werde ich Ihre Befehle holen. Ich bin mit tiefer Hochachtung,
Frau Gräfin etc. ■,, „.
Montvalher.
LXXXII. Brief
VON DEM ABE TERRAY
Nachdem mir der König seine Gesinnungen zu wissen ge-
than hat, so habe ich, Madam, dem Herrn Certain Ihrem Rent-
meister in der Stadt, für die Rükgabe Ihrer 100 000 Livres Leib-
renten, Befehl erteilt. Es war sogar ein Gerichtszwang wider ihn,
und eine Anzeige auf den Einschreibbüchern nöthig, vermittelst
welcher die Abschreibung derselben geschehen könnte. Nun kan
heute Ihr Sachwalter Ihre Million beziehen; allein da Sie meine
Begierde, Ihnen bev allen Gelegenheiten nüzlich zu seyn, ken-
nen, so will ich die Sachen so einrichten, daß Sie ohnerachtet
der Rükgabe, die hundert tausend Livres Leibrenten dennoch
beybehalten sollen. Zweifeln Sie am Erfolg eben so wenig, als an
der vollkommenen Ergebenheit, mit der ich bin etc.
Terray,
LXXXIII. Brief
AN HERRN VON MONTVALLIER
Wir wollen sehen, daß wir mit der Zeit einige Landsize kaufen
können. Das was mir jezt am angelegensten ist, ist, daß ich jez
mein Gebäude von Lucienne geendigt sehen möchte. Sehen Sie
374 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
nach Malern, Bildhauern, und allen Arbeitern, die es meublie-
ren und auszieren sollen, um, und treiben Sie sie, daß sie es fertig
machen, und berichtigen Sie die Rechnungen durch den Herrn
Doux, dem Sie hundert tausend Livres, als den unter uns be-
dungenen Preis für seine Arbeit, zustellen. Ich wünsche Ihnen
einen guten Tag. Gräfin Du Barry,
LXXXIV. Brief
AN DEN GRAFEN WILHELM DU BARRY
Sie sind mit Ihren beständigen Forderungen ganz ohnerträg-
lich. Nichtsdestoweniger will Ihnen der König, um mich von
Ihrem Überdrang zu befreyen, 60 000 Livres Renten im Her-
zogthum Rolaqueure anweisen, mit dem Beding, daß Sie keinen
Fuß mehr nach Paris sezen, und man nichts mehr von Ihnen
reden höre. Abe Terray wird Ihnen diesem zufolg den Aufsaz
dieser Gratification zustellen. Gräfin Du Barry.
LXXXV. Brief
VON DEM ABE TERRAY
Bei Erneuerung der Pulver- Verpachtung habe ich ein Trink-
geld von 300 000 Livres begehrt. Es war für Sie bestimmt. Wenn
ich Ihnen nicht sogleich Nachricht gegeben habe, so ist es nur
um deswillen geschehen, weil ich mir das Vergnügen vorbehal-
ten habe, Ihnen diese Summe an Gold selbst zu überbringen.
Man versichert mich, daß die Pulver-Pächter dieses Trinkgeld
als eine Erpressung ansehen, und daß der Kanzler, an den sie
sich gewandt haben, ihre Klagen an den König bringen soll,
wenn es nicht schon geschehen ist. Wenn Se. Majestät mit Ihnen
darüber redt, so darf ich hoffen, daß Sie mich bey dem König
wohl rechtfertigen werden. Er wird bey diesem Anlaß sehen,
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 375
daß ich kein Mittel verabsäume, wo ich seine Huld über Sie
bringen kan, ohne daß es den Staat das mindeste koste. Ich bin
mit denen Hochachtungsvollen Gesinnungen, mit denen Sie
mich kennen, Madam etc. Terrav
LXXXVI. Brief
AN DEN ABE TERRAY
Sie hatten recht mein Herr Abe, wenn Sie dachten, daß Sie
der Kanzler in dem Herzen des Königs anzuschwärzen trachten
würde ; hat er nicht die Ohnverschämtheit gehabt, zu sagen, Sie
hätten das Trinkgeld von der Pulver- Verpachtung für sich be-
halten wollen ? Unter uns, es könnte wohl seyn, denn das was
er angibt, kömmt vollkommen mit demjenigen überein, was ich
von Persohnen, die um die Sache wissen, erfahren habe. Dem
seye wie ihm wolle, Ihr Betragen ist allzu höflich, als daß ich die
Sachen genau untersuche. Ich habe Ihnen nun als Freundin
gedieht, denn als mir Se. Majestät Ihre Unzufriedenheit bezeug-
ten, habe ich angefangen zu lachen, und Ihm gesagt, daß alle
widei Sie geführten Reden nichts als Verleumdungen und Boß-
heit seyen. Zum Beweiß dessen habe ich Ihm Ihren Brief ge-
wiesen, und Ihn dadurch überzeugt, daß Sie ein Mann voller
Hilfsmitteln wären.
LXXXVII. Brief
AN DEN GRAFEN DU BARRY
Ich sage Ihnen Herr Graf, daß wenn Sie im Fall gewesen
sind mir Lehren zu geben, so ist es jezt an Ihnen von mir an-
zunehmen. Sie nehmen eine Art an, die Ihnen gar nicht zusteht.
Alles in Paris murrt über Sie, und ich bin genöthiget, zu ge-
stehen, daß man nicht unrecht hat. Erstlich machen Sie sich
376 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
groß, daß Sie seitdem ich am Hof seye, schon auf Ihre fünfte
Million gekommen wären. Zweytens haben Sie die Thorheit be-
gangen, Ihre Maitresse an einen Kavalier von St. Ludwigs Orden
zu verheurathen, um Ihr einen Tittul zu geben, und sie bleibt
doch im Publicum, vor welchem Sie Parade mit Ihr machen,
hinten und vornen die gleiche. Drittens haben Sie im Hotel der
Pächter ein abscheulichen Lerm angefangen, um einen Ihrer
Anhänger eine Direktor-Stelle zu verschaffen. Die General-
Pächter haben sich bey mir, nicht nur über diesen Lerm, sondern
auch über dasjenige, dessen Sie sich in ganz Paris1 laut brüsten,
beklagt. Ich rathe Ihnen also, um alle diese nachtheiligen Ge-
rüchte zu erstiken, auf ein paar Monat nach dem Marquisat de
l'Isle, welches ich für Sie von dem König erhalten habe, ab-
zugehen. Lernen Sie Ihre Zunge sieben Mal im Mund umwen-
den, ehe Sie reden. Geben Sie zum Vorwand Ihrer Reise an,
daß Sie diese Herrschaft wollen kennen lernen; sie verdient auch
in der That, daß Sie sie sehen, indem sie wie man mich ver-
sichert über hunderttausend Livres werth ist. Nach etwas Zeit
kommen Sie wieder zurük. Ich hoffe man werde alsdenn Ihre
Ohnbesonnenheit vergessen haben. Denken Sie, daß ich Ihnen
diesen Rath als Freundin gebe, und um zu verhüten, daß der
1 Graf Du Barry war bey der Pachtkammer um für seinen Freund Herrn
Desanit die Direkzion von Paris, die durch die Beförderung des Herrn de la Pe-
riere, zum General-Pachter ledig war, zu begehren. Die Kammer stellte ihm vor,
daß er zu späth käme, indem diese Stelle bereits an Herrn Chomel vergeben worden
seye, und daß es ohnmöglich wäre, einen installirten Mann abzusezen, oder ihm
einen niedrigen Platz anzuweisen. Der Graf drang darauf an. und sagte: daß wenn
es nur um eine geringe Sache zu thun gewesen wäre, so hätte er die Mühe nicht
genommen zu diesen Herren zu kommen. Man machte ihm neue Schwierigkeiten,
und er fieng an in noch höherm Ton zu sprechen, und fragte ganz trozig, ob man
nicht wüßte, daß er die Ehre gehabt habe, dem König eine Maitresse zu geben;
daß er es seye, der den Düc von Aiguillon zum Minister der auswärtigen Ange-
legenheiten, und den Herrn von Boynes zum Minister des Seewesens gemacht
habe, und den Herrn Kanzler an seinem Platz erhalte etc. etc. ? Er fügte noch
hinzu, man möchte sich also wohl vorsehen, und ihn nicht ungehalten machen. Diese
ganz ohnerhörten Reden, brachten die General-Pachter ganz aus der Fassung,
und sie thaten was er wollte.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 377
König wenn Er Ihre Aufführung erfährt, sich nicht seines Ge-
walts bediene um Sie zu entfehrnen.
Ich bin immer mit der gleichen Anhänglichkeit etc.
Gräfin Du Barry.
LXXXVIII. Brief
AN DEN ABE TERRAY
Nun ist es beynahe ein Jahr, Herr Abe, daß Sie an dem Plaz
eines Oberaufsehers der Gebäude sizen, und es dünkt mich, Sie
denken nicht daran die Bedingnisse zu erfüllen, die wir, ehe ich
den König bewog Ihnen diese Stelle zu bewilligen, mit einander
machten. Die Art, mit der ich bis jezt gegen Sie gehandelt habe,
scheint mir nicht, daß sie verdient habe, mich ins Nez zu loken.
Ich habe einen Abscheu, Sie dessen fähig zu glauben, und Sie
verpflichten mich, wenn Sie mich je ehender je lieber in meinem
Begriff, den ich von Ihrer Redlichkeit haben soll, befestigen. Im
übrigen gestehe ich Ihnen, mein Herr, daß, je mehr ich in meinen
Sachen gerade zu Werke gehe, desto weniger bin ich geneigt zu-
zugeben, daß man mich hintergehe.
Gräfin Du Barry.
LXXXIX. Brief
VON ABE TERRAY
Frau Gräfin!
Ich werde Ihnen niemals Anlaß geben, daß Sie mit Recht an
meiner Redlichkeit zweiflen können. Sie wissen, daß ich immer
alle Gelegenheiten mit Nachdruk ergriffen habe, Ihnen Beweise
von meiner Ergebenheit ohne Ausnahm zu Tage zu legen. Ich
werde mich zu keinen Zeiten Lügen strafen. Es ist Ihnen nicht
unbekannt, in welchem Abgang alle Gebäude des Königs waren,
378 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
als Er mir die Oberaufsicht über selbige anvertraute. Nun dachte
ich demjenigen, den Sie an diesen Plaz bestimmen, ein angeneh-
meres und vollständigeres Geschenk zu machen, wenn ich sie ihm
erst nachdem alles wieder in den Stand gestellt ist, abtrette.
Seyn Sie versichert, daß diese einzige Betrachtung die Ursache
meiner Verzögerung ist, die nicht lange dauren soll. Erlauben
Sie, Madam, indessen auch, daß ich Sie, ich will nicht sagen an
Ihr Versprechen, aber doch an die Hofnung, die Sie mir zur
Stelle des Herrn von Maupeou machten, erinnere. Sie haben
sich schon seit langem über ihn zu beklagen, und sein Sturz ist
eben so interessant für Sie, als für mich. Wenn es Ihnen leichter
ist, ihn zu beschleunigen, so ist es Ihnen eben so leicht, Seine
Majestät dahin zu bringen, daß Er auf mich falle, um mich auf
seinen Plaz zu sezen. Seyn Sie überzeugt, daß Sie keine Person
dahin sezen können, die es aufrichtiger mit Ihrem Nuzen hält.
Ich bin etc. Terray.
XC. Brief
AN DEN DÜC VON DÜRAS
Als ein eigennüziger Höfling machen Sie mir öfters, mein
Herr Düc, schlechterweise Ihre Aufwartung; als ein schlauer
Mann suchen Sie mir das Herz des Königs zu stehlen, indem Sie
Ihm die Reize einer gewissen Madam Pater1, welche, wie man
sagt, vor zwölf oder fünfzehn Jahren erträglich gewesen seyen,
anpreisen; ja die böse Nachrede fügt noch hinzu, daß Sie als
Kammerherr, sie nicht nur dem König präsentirt, sondern noch
sogar mit dem Licht voran gegangen seyen. Ich gratuliere Ihnen
darzu, allein Sie haben noch nicht alle Eigenschaften eines äch-
1 Diese Madam Pater ist eine Holländerin, die zehn Jahre vorher viel Auf-
sehens zu Paris gemacht hatte. Sie nahm 1772, man weiß nicht warum, den Titel
einer Baroneßin von Neukerque an. Die Anekdote der Madam Du Barry ist mehr
als wahr, allein die Intrigue war von keiner Folge.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 379
ten Freunds des Monarchen; Sie sind nicht fein genug, Ihr Spiel
zu verbergen; die Probe darüber ist, daß ich, die zulezt von der
Sache hätte wissen sollen, von allen diesen hübschen Schlichen
noch vor ihrer Entwiklung Nachricht habe. Ich weiß auch, daß
mein werther Düc von Choiseul, von Chanteloup aus, Ihr gan-
zes Betragen anordnet, und den Nuzen davon zu haben ver-
meynt, gleich wie Ihnen die Schande ohnvermeidlich folgen
wird. Fahren Sie fort, Herr Düc, lassen Sie Ihre Talente schim-
mern, nur gehen Sie ein bisgen geheimer darmit um. Ich hoffe,
daß ich Sie von diesem Tage an nimmer bey mir sehen werde.
Übrigens bin ich mit aller Hochachtung, die Sie verdienen, mein
Herr, Ihre etc.
Gräfin Dil Barry.
XCI. Brief
VON FRAU CONSTANT
Frau Gräfin!
Ich bin Madam Constant, eine Kupferschmiedin zu Paris. Ich
sollte Ihnen wohl eingehen, dann zur Zeit, wo Sie mit meinem
guten Gevatter Lamet lebten, sähe ich alle Morgen nur Sie bey
mir, und wir haben den Salat öfters zusammen gegessen. Jezt da
Sie so schön wie ein Raritätenkasten sind, haben Sie vielleicht
Ihre alte Freundin vergessen ; aber das macht mir gerade so viel
als nichts. Wenn ich Ihnen schreibe, so ist es nicht, um eine
Gnade von Ihnen zu begehren, denn ich brauche keine, sondern
um Ihnen Ihre armen Verwandten zu empfehlen. Ihre Muhme,
Madam Cantini, die ein wakeres Weib ist, Sie können sich dessen
rühmen, ist unglüklicher als die Steine auf der Gasse. Ehe Sie
eine grosse Dame waren, lebte sie aus ihrem Gewerb als Trödel-
weib beym Nachttische, und gewann dardurch sich und ihren
380 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Kindern Brodt; aber seitdem Sie Wittwe geworden sind, oder
was Sie sonst so seyn mögen, Sie verstehen mich schon, haben
Sie ihr verbotten, sich Ihre Muhme zu nennen, und ihren Han-
del fortzutreiben, unter Versprechung 1200 Livres Jahrgehalt,
worvon sie doch nur die Hälfte kriegt, man sagt, daß das durch
die Hände Ihrer Gnaden des Herrn Abe Terray gehe. Wie wollen
Sie nun, daß sie mit diesem lebe, und ihre Kinder ernähre, die
nicht mehr Erziehung haben als ein Hund, und die nakend her-
um laufen ? Sie sollten sich so wahr Gott lebt schämen ! Und
wissen Sie worzu das verleitet, diese Armuth da ? Schauen Sie
einmal, dieser arme August, der jezt siebenzehn Jahre hat, gut;
dieser hat nebst einem andern kleinen Pürschgen, das eben so
flink ist wie er, eine junge Henne ab dem Laden eines Kochs
mitlaufen lassen. Er ist zum Kommissarius geführt worden, und
wenn er nicht gesagt, daß er Geschwister- Kind mit Ihnen wäre,
so hätte man ihn eingestekt, und dieser gute arme Mensch1
wäre gepeitscht und gebrandmarkt worden. Das ist mir ein hüb-
scher Vorsprung, mittlerweile Sie reich sind wie eine Jüdin, wür-
digen Sie nicht einmal Ihre nächsten Anverwandten mit einem
mitleidigen Auge anzusehen. Pfui ! das ist schlecht ! Nehmen Sie
sich in Acht, der Zorn Gottes wird über Sie kommen, und Sie
werden ganz ohnvermutet herunter kommen. Im übrigen, sehen
Sie, ich meyne es gut mit Ihnen; wenn Sie das, was ich Ihnen
sage, thun, so ist es gut für Sie, wenn Sie es nicht thun, desto
schlimmer für Sie. Ich für mich habe ein wehmüthiges Herz, und
sage Ihnen das mit nassen Augen, und bin mit Hochachtung,
Frau Gräfin, Ihre gehorsame Dienerin Constant.
1 Madam Du Barry, aus Forcht, daß dieser Vetter nicht neue Unfugen an-
stelle, gab Befehl, ihn einige Tage hernach von der Gasse wegzunehmen, und nach
St. Lazare zu sezen, von dannen er nun, weil er das Kostgeld nicht bezahlte, und
weil sich sein Taufpathe, der etwelches Ansehen hat, seiner annahm, wieder heraus
kam. Dieser hat die Du Barry so sehr durch diesen Auftritt beschämt, daß man
dem jungen Menschen eine Bedienstung in Indien verschafte, wohin man ihn
schikte.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 381
XCIL Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON
Nun sehen Sie, meine liebe Gräfin, den Monarchen, die Prin-
zen von Geblüt, die Ministers, mit einem Wort den ganzen Hof
zu Ihren Füssen. Damit Sie sich in einer so glänzenden Lage er-
halten, so müssen Sie im Ernst auf die Entsezung des Kanzlers
denken. Stolz auf die Macht, die er über den Grafen de la
Marche hat, und die er ebenfalls auch auf den Prinzen Conde1
1 Prinz Conde kam wieder nach Hof, und machte dem König durch die Ver-
mittlung des Grafen de la Marche seine Entschuldigung. Dieser Vorgang ist in
einem Neujahrsgedicht, welches damals herumgebotten wurde, also enthalten:
La Marche a le cceur loyal,
Conde fut le reconnaitre,
Et fervi par son egal
II va droit ä son maitre.
Ce moyen est en general
Le plus digne peut-etre.
d. i. La Marche hat ein rechtschaffenes Herz, Conde kannte es, bediente sich
dessen, und gieng durch ihn, als einen seines gleichen gerade zum König. Dieses
ist auch durchgehends wohl das beste Mittel.
_ Da Graf de la Marche die Anhänger des Herrn von Maupeou immer begün-
stigte, so glaubte er, Prinz von Conde würde auch beytretten. Düc von Orleans
kam durch die Vermittlung des Düc von Aiguillon wieder in die Gnade des Königs
Auch heißt es in dem gleichen Neu Jahrsgedicht, wo man sich an den Prinzen wendt:
Vous avez fort noblement
Combine la demarche,
En refusant constamment
Le Comte de la Marche :
D'Aiguillon vous a bien infiniment
Fourni cette autre marche.
Mais au fond l'honneur n'est rien,
II n'en faut tenir compte;
He ! que vous fait le moyen,
Si vous n'en avez la honte
Alle, d' Aiguillon vous dira bien,
Comment on la surmonte.
d. i. Sie haben den Schritt sehr artig ausgedacht, indem sie dem Grafen de la
Marche beständig ausschlugen. Düc von Aiguillon hat ihnen jenen andern Weg
schon gebahnt. Denn im Grund ist die Ehre nichts, man muß nicht drauf achten.
Ey! was hilft ein Mittel, wenn man Schande davon hat. — Wohlan, Düc von
A guillon wird ihnen schon sagen, wie man drüber hinaus seyn kan.
382 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
hatte, hoft er erster Minister zu werden, und glaubt, daß sich
ihm alles unterziehen würde. Es ist höchst nothwendig, seinen
Projekten zuvorzukommen, und ihn gleich dem Düc von Choi-
seul zu stürzen. Wenn dieses durch Ihren Beystand könnte er-
zielt werden, so würden Sie, meine werthe Gräfin, von allen
Prinzen vom Geblüt und von ganz Frankreich geliebt werden.
Das Parlement, welches hernach wiederum zurükberufen werden
würde, würde Sie verehren, und Sie würden mit Ruhm und
Ehre überhäuft werden.1 Dieses war der Gegenstand einer Kon-
ferenz, die ich diesen Morgen mit dem Düc d'Orleans, Düc de
Chartres und Prinz Conti gehabt habe. Wenn Sie nun so bey
Gelegenheit die Unterschrift des Königs zum Exilium des Kanz-
lers erhalten könnten, so würden Sie den folgenden Morgen die
Prinzen vom Geblüt kommen sehen, um Ihnen ihren Dank dar-
für abzustatten. Ich bin mit denen Gesinnungen, die Sie an mir
kennen, und die ich Ihnen Taglebens gewidmet habe, meine
werthe Gräfin, T,
' Ihr etc.
Düc von Aiguillon.
XCIII. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Ich liebe den Kanzler, mein lieber Düc, nicht mehr als Sie
ihn lieben. Aber alle diese Staatsabsichten und alle diese Ver-
1 Es scheint wunderbar, wenn man den Düc von Aiguillon ein Verlangen nach
der Wiedereinsetzung des Parlements tragen, und ihn darum anhalten sieht; er
der doch wohl wußte, wie geneigt es war, mit selbigem, bevor die Schriften seines
Rechtshandels zu Königl. Händen gezogen waren, nach der äussersten Strenge zu
verfahren. Allein die Verwunderung wird ganz wegfallen, wenn man weiß, daß
Herr von Ormesson, Oberrichter im Parlement, diesem Düc im Namen seiner
Gesellschaft, durch den Düc von Orleans das Versprechen thun lassen, daß wenn
das Parlement auf sein Vorwort würde eingesezt werden, man zur Entscheidung
seines Rechtshandels schreiten, und ihn durch Freysprechung der beschuldigten
Untreue schneeweiß machen würde. Nach diesem Versprechen hatte er bey Wie-
dereinsezung des Parlements am meisten zu gewinnen.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 383
Wendungen, gefallen mir nicht. Ich möchte, daß Herr von Mau-
peou wegkäme, ohne daß ich mich darin mischte. Die Ursache
davon ist ganz einfach. Der König hat nicht gern, wenn ich Ihm
darvon rede. Wenn ich je von ihm rede, so wird Er gleich
düstern und ernsthaft; nun fodert mein Interesse, Ihm nicht
lästig zu werden, sondern Ihn im Gegentheil in seiner Verlegen-
heit aufzumuntern. Indessen sage ich nicht, daß ich müßig blei-
ben werde : ich möchte, daß sich die Gelegenheit ereignete ohne
sie zu suchen, ich würde sie alsdann benuzen. Sie können meine
Gesinnungen dem Düc von Orleans wissen lassen. Ich bin, mein
lieber Düc, ganz die Ihrige.
Gräfin Du Barry.
XCIV. Brief
AN MADEMOISELLE RAUCOUX, SCHAUSPIELERIN
VON DER FRANZÖSIS. KOMÖDIE
Sie wissen, meine schöne Raucoux, was gestern zwischen dem
König, Ihnen und mir vorgieng. Beobachten Sie die gröste Ver-
schwiegenheit, und mißbrauchen die Gunst nicht, die ich Ihnen
verschaft habe.1 Wir haben uns beyde bezahlt gemacht, und es
wird, wie ich denke, nicht das letzte mal seyn. Ich werde noch
eine Zusammenkunft, die Ihnen nicht mißfallen soll, für Sie an-
stellen. Leben Sie wohl, meine schöne Raucoux, seyn Sie ferners
bescheiden. Dieses ist das einzige Mittel, daß man Sie schäzt und
daß es Ihnen gelingt.
Zählen Sie auf meine Freundschaft.
Gräfin Du Barry.
1 Mademoiselle Raucoux gieng, nachdem sie vor Sr. Majestät die Rolle der
Dido gespielt hatte, in das Puzzimmer, welches an die Loge des Königs stoßt und
in welchem er mit seiner Maitresse einzig war. Seine Majestät überliessen sich mit
diesem neuen Gegenstand, dem fleischlichen Vergnügen, und Mademoiselle Rau-
coux gieng, mit Wohlthaten von dem Herrn und seiner Favoritin ganz überhäuft
aus der königlichen Loge weg.
384 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
XCV. Brief
AN DIE MARQUISIN VON ROZEN
Verzeihen Sie meine schöne kleine Marquisin den Scherz1 der
sich die vorige Woche bey mir zugetragen hat. Ich soll Ihnen
sagen, daß der König der Erfinder, und ich nur die Vollzieherin
desselben war. Ich wünsche daß Sie darüber nicht ungehalten
gegen mich seyen, und daß wir in der gleichen Vertraulichkeit
mit einander leben mögen. Glauben Sie nur, daß ich Sie immer
ganz aufrichtig liebe, und daß ich mit diesen Gesinnungen bin
Gräfin Du Barry.
XCVI. Brief
AN MADAM LA DAUPHINE
Madam!
Ich habe mit Verdruß vernommen, daß man mich bey Ihnen
zu verkleinern suchte, indem man mir in Betreff des diamantnen
Haarsträüßgens, das ich machen lassen, und das Ihnen zu gefallen
schien, weil Sie es für Sich behielten, mürrische Reden zur Last
legte.2 Weit entfernt, das geringste Mißvergnügen über die
1 Madam von Rozen, jung und sehr hübsch, war genau mit der Madam Du
Barry bekannt, die sie in ihre Freundschaft aufnahm. Allein nachdem ihr die Frau
Gräfin von Artois, deren Hofdame sie war, Vorwürfe machte, daß sie so öfters
um die Favoritin seye, brach sie plözlich mit ihr ab, oder schien wenigstens kälter
gegen ihr zu seyn. Die andere war über diese Veränderung betretten, und bezeugte
ihren Verdruß dem König, welcher im Scherz sagte, daß Madam von Rozen ein
Kind wäre, der man die Ruthe geben sollte ; allein Madam Du Barry nahm es für
baar an, lud sie den folgenden Morgen aufs Frühstück ein, machte Mad. von
Rozen in ihr Puzzimmer tretten, allwo vier Kammerjungfern sich ihrer bemäch-
tigten, und sie nicht übel die Ruthe empfinden Hessen. Der König, bey dem sich
Madam von Rozen beklagte, konnte Madam Du Barry nichts darüber sagen, weil
sie Ihn erinnerte, daß es auf seinen Befehl geschehen seye.
2 Madam la Dauphine sollte gegen Madam Du Barry, wegen den ehrvergeßnen
Reden, die sie die Ohnverschämtheit hatte, gegen diese Prinzeßin auszustossen,
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 385
Entziehung dieses Kleinods zu äussern, war es mir leid, daß ich
nicht vorsehen konnte, daß selbiges nach Ihrem Geschmak seyn
könnte. Ich würde eben so viel Vergnügen gehabt haben, Ihrem
Verlangen bey diesem Anlas zuvorzukommen, als ich zu allen
Zeiten haben werde, um Ihnen zu zeigen, wie sehr ich wünsche,
die Ehre Ihrer Gewogenheit zu verdienen.
Ich bin mit tiefster Ehrfurcht etc. Gräfin Dil Barry.
XCVII. Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON
Man hat, meine werthe Gräfin! neue Verse1 über den König
gemacht, in welchen man zu verstehen giebt, daß ich das Glük
habe, Ihre Gunst zu gemessen, Ich weiß nicht, wie man sich
unsere Vertraulichkeit hat mögen einfallen lassen. Seyn Sie et-
wann nicht vorsichtig genug gewesen, oder ist es mit unsern
Vertrauten nicht ganz richtig ? Sie wissen, daß der geringste Blik
vor den Hofschranzen, eine Art von Beweis ist. Es ist Ihnen über-
ganz aufgebracht seyn; allein sie suchte sich durch einen ihrem Alter und ihrer
Lebhaftigkeit angemessenen Streich zu rächen.
Sie wußte, daß Mad. Du Barry bei einem Juwelierer ein sehr prächtiges dia-
mantnes Haarsträußgen bestellt hatte. Von dem Tag, den ihn der Künstler brin-
gen sollte, benachrichtiget, befihlt sie, daß man auf ihn passen und ihn, bevor
er zur Favoritin gehe, zu ihr führen soll. Ihr Befehl ward genau befolgt. £r kam,
und sie bestellte ihm ein sehr kostbares und elegantes Haarsträußgen. Der Ju-
welierer fragte, ob sie es haben wollte wie das, so er bey sich hätte ? Dieses war nun,
was Madam la Dauphine erwartete. Sie besieht dieses Kleinod, läßt es sich ihr.
durch ihre Damen aufsezen, findt, daß es ihr sehr gut läßt, und giebt ihm zu ver-
stehen, daß sie es behalten wolle. Dem Juwelierer wird nicht wohl bey der Sache,
die Prinzeßin nimmt es wahr, und will die Ursache davon wissen. Er gesteht sie.
Madam la Dauphine muntert ihn auf, und sagt ihm, daß sie es auf sich nehmen
wolle. Sie geht hernach mit ihrem diamantnen Kleinod zum König, und fragt Ihn,
wie er's finde? Er rühmt den Geschmak und die Kostbarkeit desselben, worauf
sie Ihm den Possen, den sie Mad. Du Barry spielte, erzehlt. Der Monarch giebt
ihr Beyfall, lacht, und geht selbst zu seiner Maitresse, um sie darüber zu neken.
1 Der Uebersetzer läßt diese, im Original befindlichen Verse mit Vorsaz weg,
weil gesittete Leser nichts darbey verlieren, und der schlüpfrigen Stellen ohnehin
schon hier und da vorkommen.
I. 25
386 Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry
das bekannt, daß unser Interesse das gröste Geheimniß erfordert ;
ich will daher lieber glauben, daß es ein von der Bosheit erdich-
teter Argwohn seye: allein es ist äusserst notwendig, daß wir
verhüten, daß diese Verse nicht vor den König kommen. Herr
de la Vrilliere hat zwo Personen, bey denen man Abschriften
darvon gefunden hat, gefänglich einziehen lassen, und dem
Herrn von Sartine die strengsten Befehle gegeben, damit keine
mehr in Paris herumgebotten werden. Leben Sie wohl, meine
theure Gräfin. Ich bin Zeitlebens Ihr etc.
Düc von Aiguillon.
XCVIII. Brief
AN DEN DÜC VON CHARTRES
Gestern habe ich mit dem König wegen der Großadmiral-
Stelle, die Sie gerne haben möchten, gesprochen. Ich habe Ihm
die schönsten Dinge von der Welt vorgesagt, um Ihn, Ihnen ge-
wogen zu machen.. Seine Majestät haben mich gefragt, ob Sie
die Genehmigung des Dücs von Penthievre hätten ? Ich erwie-
derte, daß ich es glaubte. Gestern hat Er diesen Prinzen, zu dem
Sie kein Wort gesagt hatten, und welcher über den Schritt, den
Sie mich thun lassen, ganz bestürzt schien, gefragt. Der König
hat mir nachher Verweise gemacht; meine Entschuldigung war,
daß ich nichts darvon gewußt, und nur geradehin meine Kom-
mißion ausgericht hätte. Stellen Sie künftig Ihre Anschläge bes-
ser an Meine Empfehlung an den diken Papa.1
Ich bin etc. Gräfin Dil Barry.
XCIX. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Gestern, mein lieber Düc, gieng ich sehr vergnügt zu Bette,
in der Hofnung, daß ich Ihnen diesen Morgen die Ungnade des
1 So nannte sie den Dü~ von Orleans.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 387
Marquis von Monteynard würde melden können. Der König
hatte endlich meinem Anhalten nachgegeben, und den Befehls-
brief, den ich Ihm vorlegte, unterschrieben, nachdem ich Ihn
auf den Punkt führte, wo ich Ihn gern haben wollte. Seine Ueber-
legungen, die Er die Nacht durch machte, haben meine Absicht
vereitelt, und sein Erstes beym Aufstehen war, daß Er seine
Unterschrift zurük nahm. Dieser Fall soll mir zur Warnung die-
nen; wenn ich so glüklich bin, wieder einen solchen Anlaß zu
erleben, so wird es mir obliegen, die Befehlsbriefe auf der Stelle
abgeben zu lassen, um es dem König ohnmöglich zu machen,
selbige zurük zu nehmen. Ich bin äussert mir, daß mir mein
Streich gegen diesen Mann, den ich seit seinen gegen AbeTerray l
ausgestossenen Reden und abschlägigen Antwort, die er mir
gab2, und wegen einer Vertraulichkeit3 mit dem Kanzler, nicht
ausstehen kan, mißlungen ist. Ich bin etc.
Gräfin Du Barry.
C. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Wenn ich, mein werther Düc, schon nicht das Vergnügen ge-
habt habe, den Marquis von Monteynard ganz zu vertreiben,
so hat mir doch der König, damit ich Ihm seine Schwachheit
1 Marquis von Monteynard gieng eines Tages zu Abe Terray, um ihm Geld in
sein Departement zu fordern; dieser sagte ihm ganz troken, daß er keines hätte.
Der Marquis antwortete ihm in harten Ausdrüken, daß er sich wundere, daß kein
Geld zum Dienst des Königs da wäre, mittlerweile man so viel für H— und
Kuppler verschwende.
2 Sie hatte das Dragoner -Regiment Baufremont für den. Herrn Dangets von
Orcay, ein Neffe des Generalpachters gleichen Namens von ihm begehrt. Der Mi-
nister schlug es ab, und gab es dem Prinzen von Lambesc.
3 Man wird sich vielleicht verwundern, daß Herr von Monteynard, der wakerste
Mann im Ministerium, sich so genau mit dem Kanzler eingelassen habe; allein als
man ihn nach der Ursache fragte, sagte er, daß er sich in Sachen, die er nicht ver-
stünde, immer nach dem Minister richte, an dessen Departement selbige im wei-
tern giengen. Er befolgte in diesem das System des Kardinal Fleuri.
251
388 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
bey diesem Anlaß nicht übel nehmen möchte, jene Gnade be-
williget, die Sie mir von Ihm zu begehren anriethen. Ich habe
mit Ihm über die abscheulichen Kontributionen geredt, die Ma-
dam von Langeac1 von denjenigen Personen, die durch sie Gna-
denbezeugungen erhalten haben, fodert. Seine Majestät waren
sehr ungehalten darüber, und haben mir den Vorschlag der Per-
sonen zu Errichtung des Hauses von Artois erfodert werden,
aufgetragen. Es soll diejenigen, die dahin kommen, nichts ko^
sten ; allein wir werden den Vorteil haben, lauter uns zugethane
Leute dorten zu sehen. Ritter Du Barry soll Kapitain der Hun-
dert Schweizer werden. In Ansehung der übrigen Stellen, sehen
Sie, mein werther Düc, wen Sie darzu haben möchten. Ich
werde dem König nur diejenigen vorschlagen, über die wir uns
verstanden haben. Heute werde ich Sie nicht sehen, der König
geht auf die Jagd, und ich werde ein Theil des Tages in dem
Kloster St. Elisabeth2 zubringen. Leben Sie wohl mein Lieber,
Sie wissen, wie sehr ich Sie liebe.
Gräfin Du Barry.
1 Jedermann hat von Madam von Langeac reden gehört, welche Anfangs in
Marseille einen Schuhfliker, Namens Sabathin, geheurathet hatte, und als sie nach-
her nach Paris kam, um zu jedermanns Bedienung zu leben, ward sie die förmliche
Maitresse des Dücs von Vrilliere. Dieser Minister, der einige Kinder von ihr hatte,
und sie adeln wollte, sezte Sabathin, ihr Mann, ins Zuchthaus, unter dem Vor-
wand, daß er einen falschen Todtenschein gemacht habe, und verheurathete seine
vermeynte Wittwe an den Marquis von Langeac, welcher sich als Vater von denen
Kindern angab.
2 Madam Du Barry besuchte ihre Mutter, welche unter dem Namen Madam
von Montrable, deren man anfieng den Titul Marquisin vorzusezen, in diesem
Kloster war. Die Aufführung der Madam Du Barry gegen ihre Mutter, macht
ihrem Herzen Ehre, weil sie ohnerachtet dem Taumel der königlichen Huld, und
der grossen Zerstreuung, in der sie lebte, selten vierzehn Tage vorbeygehen Heß,
daß sie nicht ihre Mutter besuchte, mit ihr zu Mittag speißte, und den grösten
Theil des Tages bey ihr zubrachte. Es ist anzumerken, daß die Superiorin dieses
Klosters, die Niederträchtigkeit so weit triebe, daß sie ihre Nichte, die tref-
lich sang, kommen ließ, um Madam Du Barry während dem Mittagessen zu
amüsieren.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 389
CI. Brief
VON DEM ABE TERRAY
Paris, den 10. April 1773.
Frau Gräfin!
Ihr Sachwalter hat mir sechsmal hundert tausend Livres für
Sie begehrt, ohne mir zu sagen, wohin Sie dieses Geld verwenden
wollen. Ich habe ihm gesagt, daß ich es ihm nicht auf der Stelle
geben könnte, sondern die Ehre haben würde, mit Ihnen dar-
über zu reden. Ich bin weit entfernt, Madam, Ihnen etwas ab-
zuschlagen, denn Sie wissen, wie sehr ich der Ihrige bin. Er-
lauben Sie mir jedoch, daß ich Ihnen einige Vorstellungen ma-
che, ich werde hernach thun, was Sie wollen- der königliche
Schaz ist nicht so ohnerschöpflich, wie Sie etwann glauben möch-
ten. Ohnerachtet aller Mittlen, deren ich mich bediene, um Zu-
fluß zu finden, so gestehe ich Ihnen, daß ich öfters und besonders
jezt, sehr verlegen bin. Seitdem ich Ihre Gewogenheit geniesse,
haben Sie achtzehn Millionen Teinaus bezogen, ohne einer Menge
geringfügiger Sachen zu erwehnen. Auf der andern Seite macht
der Kanzler zu Ergänzung des Parlements und Besoldung seiner
Spionen, einen abscheulichen Aufwand. Endlich richtet mich
Düc von Aiguillon zu Grunde, der sich an auswärtigen Höfen,
wo er, wie Sie wissen, übel angeschrieben steht, Freunde und
Anhänger machen will. Urteilen Sie selbst, Frau Gräfin, ob
meine Vorstellungen übel gegründet seyen, wenigstens muß ich
in einer grossen Verlegenheit seyn, weil ich mir selbige erlaubt
habe, da mir nichts so sehr am Herzen liegt, als alle Ihre Wün-
sche zu erfüllen, und ihnen sogar zuvorzukommen. Indessen
wenn Sie sich jezt mit dreymal hunderttausend Livres begnügen
können, so will ich sie Ihrem Sachwalter zustellen, sobald er sich
sehen läßt.
Ich bin mit Ehrfurcht etc. Terray.
390 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
CIL Brief
VON MADEMOISELLE DÜBOIS, SCHAUSPIELERIN
DER FRANZÖSIS. KOMÖDIE1
Paris, den 25. April 1773.
Madami2
Aus Gehorsam gegen Ihre Befehle, hatte ich mich entschlos-
sen, wiederum die Bühne zu besteigen, und meine schwachen
Talente zu Ihrer Belustigung zu vervollkommnen; aber ich habe
fataler Weise zu spät darzu gethan. Meine Rolle ist vergeben,
und meine Gespielinnen haben mir die Unordnung, die ich un-
ter ihnen anstellen würde, begreiflich gemacht. Sie haben mich
versichert, daß Ihnen die Kammerjunker ein Memorial vor-
legen, in welchem Sie Ihnen die Ohnmöglichkeit meiner gegen-
wärtigen Eintrettung, ganz klar zeigen würden. Möchten Sie,
Madam, hierdurch von dem Eifer meines Andringens, und von
der Begierde, die ich würde gehabt haben, überzeugt seyn, in
jenen kostbaren Augenbliken, wo Ihr Geist von denen wichtigen
Beschäftigungen, die ihn anstrengen, ausruht, etwas zu Ihrem
Vergnügen beyzutragen.
Aber Madam, Ihre Gewogenheit macht mich so kühn, Sie um
eine andere zu bitten. Erlauben Sie, daß ich mein Herz vor
Ihnen ausschütte, das Ihrige ist allzu empfindsam, als daß es für
die Schwachheiten der Liebe nicht Nachsicht hätte. Ich liebe
1 Die Originale von diesem und folgenden Brief, (sagt der Verfasser) haben wir
nicht gesehen. Wir rüken sie hier ein, weil Abschriften darvon in Paris und bey Hof
herum giengen, können aber für deren Aechtheit nicht Bürge seyn.
2 Um einen rechten Begriff von diesem Brief zu kriegen, ist zu bemerken, daß
Madam Du Barry viel auf Mademoiselle Dübois hielt, sie mit Gutthaten über-
häufte, und alles anwandte, um sie wieder auf die Bühne zu bringen. Diese ließ
sich bereden, allein da Umstände darzwischen kamen, die es ihr nicht gestatteten,
machte sie sich den Zutritt, den ihr diese Verwendung bey der Gräfin Du Barry
verschafte, zu Nuze, um sie zu bitten, es dahin zu bringen, daß sie Dauberval
Operntänzer, ihr erster Liebhaber, heurathe.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 391
schon seit mehr als zwölf Jahren, Dauberval: Glüklich, wenn
seine Zärtlichkeit gegen mich eben so ohnunterbrochen wie die
meinige gewesen ist! Gegen wie viele hat der Treulose seitdem
die gleichen Schwüre wie gegen mich gethan ! Indessen habe ich
ein theures Pfand unserer Vereinigung, ein Kind, der Gegen-
stand meiner mütterlichen Liebe. Ich kan ohne Schauer nicht
an seine uneheliche Geburt denken; ich möchte es durch die
Heurath gutmachen. Jezt bin ich reich, ich kan die Schulden
des Treulosen bezahlen, und will nichts, als daß er herumkomme,
und mir seine Hand gebe. Diese edle Handlung, Madam, ist
Ihrer würdig; denn obschon ich etwas ausschweifend gewesen
bin, so hat mein Herz doch immer ehrbare Gesinnungen gehabt.
Sie wissen, was die Jugendjahre eines Mädgens sind, welches
Reize hat, und welches seine Lage den Verführungen der Lie-
benswürdigsten am Hof aussezt. Je mehr sie sich widersezt, je
mehr hat sie Verführer. Indessen bin ich im Getümmel des
Theaters niemals glüklich gewesen; ein Begriff der Religion ist
mir geblieben; ich habe ein zartes Gewisses, welches sich leicht
empört. Die Furcht der Zukunft hat mich ohnaufhörlich im
Schoosse der Wollust geängstiget. Der Verlust meines lezten
Liebhabers hat mich in eine tiefe Traurigkeit versezt, und sein
unglükliches Ende, in der Blüthe seines Alters, für ihn zittern
gemacht. Sehen Sie, Madam, die Hauptursache, die mich be-
wogen hat, die Bühne zu verlassen. Sie trugen ein Verlangen, daß
ich wieder auftretten möchte, und ich überwand mein Gewissens-
scrupel, und meinen Widerwillen; aber die Umstände wider-
sezten sich Ihrem Willen. Geruhen Sie nun Madam, mein Glük
zu vervollkommnen, das ich habe, Sie einen Augenblik mit mir
beschäftiget zu sehen, indem Sie mir eine Protektion, oder besser
zu sagen, eine Autorität bewilligen, die niemals besser verwandt
werden kan. Ich bin mehr als versichert, Dauberval wird sich
einer, von Ihnen auferlegten Pflicht nicht entziehen können,
und ich werde eine Zufriedenheit mehr bey dieser Trauung
392 Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry
empfinden, nemlich diejenige, daß weil ich Sie im Theater Ihre
ganze edle Mussezeit durch, nicht ergözen kan, noch durch meine
zwote Hälfte, durch einen Mann, der sich der Bühne so lange
widmen wird, als er das Glük hat Ihnen zu gefallen, zu Ihrem
Vergnügen werde beytragen können.
Ich bin mit der tiefsten Ehrfurcht etc. Dübois.
CHI, Brief
VON DAUBERVAL OPERNTÄNZER1
Madam!
Ich kenne die Liebe nicht so gut als Mademoiselle Dübois;
allein wenn sie darin besteht, einen Mann im Beth aufzuneh-
men, so ist es richtig, daß Sie viel für mich hatte. Indessen da
ich nicht täglich mitmachen konte, und sie sonder Zweifel durch-
aus Liebe nöthig hatte, vergab sie den Platz gar öfters an andre,
und wir wechselten so der Reihe nach, vier, fünf und mehrere
mal ab. Aus dieser Mischung entstund ein kleiner Bube. Sie
hatte die Gewogenheit mich zum Vater darzu zu ernennen; ich
nahm es mit so viel grösserer Erkenntlichkeit an, da sie ihm einen
vornehmern es seye unter einigen Herren am Hof, oder unter
Magistratspersonen, der Geistlichkeit, oder unter den Mata-
dors der Finanzen hätte wählen können. Dem seye nun wie ihm
wolle, ich habe diese Ehre angenommen, und zugleich verspro-
chen, für das Kind zu sorgen ; allein seine Mutter die es, als ein
von der Vorsehung mit Fleis zu ihrem Zeitvertreib erschaffenes
Spielwerk ansähe, wollte es bey sich haben. Ich habe ihr da-
mals gesagt, daß ich es nicht so verstünde, und der Vaterstelle
1 Nach Empfang des Briefs von Madem. Dübois, lies Madam Du Barry Dau-
berval ruffen, und eröfnete ihm den Antrag der Schauspielerin, welcher darinnen
bestund, ihm vierzigtausend Livres baares Geld zu Bezahlung seiner Schulden zu
geben, ihre fahrende Haabe die zweymal hunderttausend Livres werth seyn mochte,
zu Geld zu machen, und ihm für seinen Antheil 15 000 Livres Leibrenten, die sie
hatte, anzuweisen. Auf dieses ganze Anerbieten machte Dauberval, nachdem ers
einige Tage ins Bedenken genommen, obige Antwort.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 393
entsagen wollte. Jezt da die Puppe nimmer so lustig, noch so
folgsam ist, da sie ihr Mühe macht, und ihr den Arm herunter-
zieht, möchte sie sich davon losmachen, und mir den Buben zu-
rükschiken. Allein sie hat den Nuzen gehabt, nun habe sie auch
den Unmus; um so mehr, da sie mit dem bürgerlichen Leben
daß sie führen will, mit den mütterlichen Gesinnungen, worvon
ihr Eingeweide hüpft, und mit denjenigen der Religion die sie
zu Markt trägt, vollkommen übereinkömmt. Auch weiß ich, daß
-sie einen sehr schwachen Kopf hat, und ich förchte das Übel
möchte mich auch ansteken und mir den meinigen verderben.
Sie förchtet den Teufel und ich auch. Das was mich zurükhält
sie zu heurathen, ist ein eingefleischter Teufel, welcher Vater,
Mutter, Bruder, Schwester, Liebhaber und alles zum Zorn reizt;
denken Sie also was aus dem guten Mann werden würde!
Sie haben mir erlaubt Madam, mich über diesen Gegenstand
ganz frey heraus lassen zu dörfen, und ich befolge Ihre Absicht.
Möchte Sie meine Offenherzigkeit auf einen Augenblik belusti-
gen. Ich vermuthe, daß dieses alles ist, was Sie bey dieser Unter-
handlung im Aug hatten, die wegen denjenigen die sie angeht,
so weit unter Ihnen; allein wegen der Güte des Herzens, die
alle Ihre Handlungen bezeichnet, bewundrungswürdig ist. Das
gröste Uebel der Mademoisell Dübois, ist ohne Zweifel dieses,
daß sie nichts mehr zu Ihrem Vergnügen beytragen kan. Was mich
betrift, so habe ich nicht nöthig sie zu heurathen, um Ihnen zu-
gethan zu seyn. Ich will alle das Verdienst einer ganz ohnge-
zwungenen Ehrfurcht einzig für mich haben.
In Ansehung der Mademoiselle von Raucoux, deren Heurath
Sie mir, mangel Mademoiselle Dübois vorzuschlagen beliebten
so ist es noch eine frisch ausgepakte Waare die erst feilgebotten
werden mus, es liegt mir aber wenig daran, ob ich der erste seye
der sie kauft, oder darvon hat. Wenn sie ein wenig herumge-
kommen ist, so wollen wir sehen, wie es mit ihr aussieht.
Ich bin mit der grösten Hochachtung etc. Dauberval.
394 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
CIV. Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON
Sie wissen meine schöne Gräfin, daß wir vieles über Ihren
Schwager zu klagen haben. Er hat schon wieder einen Streich ge-
macht, worüber ich ganz aufgebracht bin. Sie können selbst dar-
über urtheilen; ich hoffe, daß Sie mir helfen werden, ihm
Schranken zu sezen. Seit seiner Rükkunft de l'Isle, hat er sich
auf einige Tage ins Schloß von Triel verschlossen, um sich da-
selbst desto freyer, der vollen Raserey des Spiels zu überlassen.
Ueber das Geld, daß er bey sich hatte, hat er sieben tausend
Louisd'ors veriohren, und darfür nach seiner Gewohnheit ein
Billet auf den Abe Terray abgegeben. Der Abe hat es nach -un-
serer Verständnis nicht einlösen wollen. Ihr Schwager hat hier-
auf mit Feuer und Schwerdt um sich geschlagen; er hat Läste-
rungen wider uns alle ausgestossen, und hat sich groß gemacht,
daß er die Minister gesezt habe, und sie wieder wegthun könne.
Zulezt glaubte er eine grosse Ide von seiner Mäsigkeit und
Wirthschaft zu geben, wenn er sagte, daß er erst fünf Millionen
aus dem Königl. Schatz1 bezogen habe. Was mich am meisten
ärgert, ist, daß diejenige Persohn, die mir diese Reden hinter-
brachte, versicherte, daß sie bey einem Nachtessen geflossen
seyen, welches aus Leuten bestanden habe, die sich eine Freude
daraus machten, selbige zu verbreiten. Sie begreifen meine
theure Gräfin! wie schädlich sie uns seyn können, besonders in
betref der Leichtigkeit, aus dem Königl. Schatz Gelder zu he-
ben, welche man, um uns mehrere Feinde zu erweken, noch ver-
grössern wird. Ich rede über alle diese Gegenstände, wie mir's
ums Herz ist, weil ich weiß, daß Sie schon lange der Ueberlästig-
1 Er führte noch eine weit ohnverschämtere Rede. Wenn er viel im Spiel ver-
lohr, und man ihn zu bedauren anfieng. „Ey, meine Freunde, sagte er, seyd nur
ruhig, das Brüdergen wird mir schon geben." So nannte er Ludwig den Fünf-
zehnden.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 395
keit dieses Mannes, der sehr gefährlich ist, müde sind, und ich
hoffe, Sie werden mit mir trachten, daß er's unterlasse. Sein Ka-
rakte.r den er hat, wird ihn sicher zu einer Thorheit verleiten, die
uns einen Vorwand giebt, ihn zu entfernen, und ihn wenn er sich
weigern wollte, zu nöthigen, diese Parthey zu ergreifen. Leben
Sie wohl meine schöne Gräfin, Sie wissen wie schäzbar Sie mir
sind.
Düc von Aiguillon.
CV. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Fontainebleau, den 21. Weinm. 1773.
Ich bin mein lieber Düc in Todesangst; Sie wissen, daß der
König vorgestern unpäßlich war. La Martiniere muß bey ihm
im Zimmer schlafen. Ich weiß nicht was zwischen Ihnen vor-
gegangen ist, aber von diesem Augenblick an, ist Se. Majestät
merklich kaltsinniger worden. Ich förchte die Vorstellungen
dieses Esculaps1 entsezlich, und die Folgen, die sein Rath ha-
ben kan, machen mir die Haut schauern. Kommen Sie, sobald
Sie Zeit haben, zu mir ; ich werde den ganzen Abend allein seyn.
Es ist von der äussersten Konsequenz, daß wir uns mit einander
berathen, wie ich mich zu verhalten habe. Ich bin ganz die Ihrige.
Gräfin Dil Barry.
1 Der König, als er la Martiniere, seinem ersten Wundarzt, seine Verlegenheit
über seine zerrüttete Gesundheit äusserte, sagte ihm: „Ich sehe wohl, daß ich
„nimmer jung bin, ich werde mit dem Wagen zurükhalten müssen. — Sire, ver-
„sezte la Martiniere, Sie thäten noch besser, wenn Sie ausspannten." Der König
war eine Zeitlang sehr frostig mit seiner Maitresse, so daß er beym Anfall einer
üblen Laune, eine prächtige Kutsche, die sie auf die Revue bestellt hatte, deren
sie nicht bey wohnte, absagen ließ. Allein nach und nach gieng's mit seiner Ge-
sundheit wieder besser, und sein Kaltsinn gegen seine Favoritin verschwand
gänzlich.
396 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
CVI. Brief
VON DEM DÜC VON ORLEANS
Paris, den 24. Weinm. 1773.
Ich erwarte mit Ungedult den Erfolg Ihrer Bitte, die Sie,
meine reizende Gräfin, bey dem König für mich einzulegen mir
versprochen haben, um Ihn dahin zu bringen, daß Er seine Ein-
willigung zu meiner Vermählung mit Madam von Montesson
gebe. Der lebhafte Antheil, den Sie an dieser Sache zu nehmen
schienen, und die Macht, die Sie auf das Herz des Königs haben,
Hessen mich hoffen, daß ich auf eine baldige Genehmigung zäh-
len könnte. Sie wissen, daß Sie mich blos unter diesen Vorstel-
lungen dahin gebracht hatten, nach Hof zurük zu kehren. Seit-
dem ich diesen Schritt gethan habe, sind die Sachen immer in
der gleichen Lage, und es ist zuverläßig, daß Sie, meine schöne
Dame, nicht gethan haben, was Sie hätten thun können. Indes-
sen kan ich nicht glauben, daß ein so holder Mund, wie der
Ihrige, mir Versprechungen gethan habe, mit dem Entschluß,
sie nicht zu erfüllen. Dieses Betragen würde der liebenswüidigen
Offenherzigkeit, die Sie mir bey allen Gelegenheiten zeigten,
widersprechen, und ich sehe nicht ein, warum ich der Einzige
seyn sollte, mit dem Sie es nicht redlich meynten. Ich bin etc.
Ludwig P. Düc von Orleans.
CVII. Brief
AN DEN DÜC VON ORLEANS
Den 25. Weinm. 1773.
Monseigneur!
Ohnerachtet aller der Macht, die Sie glauben, daß ich auf das
Herz des Königs habe, ist es doch nicht so leicht als Sie denken,
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 397
Ihn zu einer Sache zu bringen, die Ihm ganz zuwider ist, und
ich sage Ihnen frey heraus, daß jene Vermählung eben eine solche
Sache ist. Ich bedaure Sie. Bis diese Stunde ist mein Anhalten
fruchtlos gewesen; allein es braucht nur einen guten Augenblik,
um Sie zu befriedigen. Wenn ist er da ? Das kan ich Ihnen nicht
sagen. Hier, diker Papa1, wollen Sie, daß ich Ihnen einen guten
Rath mittheile ? Heurathen Sie erst, wir wollen hernach sehen,
daß es für Sie besser geht; ich bin selbst sehr darfür eingenom-
men. Wenn der König nicht seine Einwilligung zu Ihrer Trau-
ung gibt, so kan Er sie in der Folge für gültig erklären ; es kömmt
auf das gleiche heraus. Seyn Sie versichert, daß ich Ihr Anliegen
nicht aus der Acht lassen, auch keine Gelegenheit versäumen
werde, Ihnen Gefälligkeiten zu erweisen. Ich bin etc.
Gräfin Dil Barry.
CVIII. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Ich schreibe Ihnen, mein lieber Düc, ganz mit Klagen von dem
Düc de la Vrilliere und dei Madam von Langeac überstimmt.
Aber nun ist es geschehen. Der Ritter d'Arcq wird nie keine
Stellen mehr verkaufen. Der Befehlsbrief, der ihn nach Tülle
verweißt, ist unterschrieben; dorten wird er nicht so leicht Ge-
legenheit finden, seine Talente zu verwenden, wie hier. Ich ver-
lasse mich immer auf das Versprechen, das Sie mir gethan haben,
morgen mit mir nach Paris zu kommen. Leben Sie wohl, ich bin
Ihre Freundin n .., ■ n .. „
Grafin Du Barry.
1 Dieses ist eine freye Art zu reden, besonders mit dem ersten Prinzen vom
Geblüt. Allein man wird sich nicht wundern, wenn man hört, daß Madam Du
Barry mit dem König selbst noch viel freyer redte. Eines Tags, als Se. Majestät,
zum Zeitvertreib, in dem Zimmer seiner Maitresse den Kaffe machte, sähe sie
den Kaffe überlaufen, worauf sie sagt: „Ey, Frankreich, nimm dich in Acht
dein Kaffe will zum „H— k— r."
398 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
CIX. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Sie hatten es wohl voraus gesehen, mein werther Düc. Die
Heurath des Vic mte Du Barry hat fehlgeschlagen. Mein An-
halten und meine Thränen sind fruchtlos gewesen. Der König
war standhafter als ich dachte. Marquis de la Tour-Dü-Pin-la-
Chorce, nimmt uns Mademoiselle von St. Andre1 weg. Man
muß im Ernst auf Mademoiselle von Tournon2 bedacht seyn.
Man sagt, sie seye sehr schön, und will mich sogar schreken, daß
sie meine Mitbuhlerin werde, allein es hat nichts zu sagen ; wenn
dieses geschieht, so werde ich wenigstens das Vergnügen haben,
daß der Plaz nicht aus der Familie kömmt. Ich bin immer ganz
die Ihrige. Gräfin DU Barry.
CX. Brief
VON DEM PRINZ VON SOUBISE
Gestern, meine liebenswürdige Gräfin, war die Zusammen-
kunft bey mir. Vicomte Du Barry ist von meiner schönen Baase,
1 Mademoiselle von St. Andre war eine natürliche Tochter Ludwigb des
Fünfzehenden. Sie war in dem Kloster der Präsentation zu Paris. Der König war
gesonnen, sie an den Vicomte Du Barry zu verheurathen. Er ließ Herr Yon, einen
vertrauten Mann, welcher bestellt war für die Erziehung und das Vermögen dieser
jungen Person zu wachen, vor sich kommen. Dieser hatte Muths genug, dem Kö-
nig die bündigsten Vorstellungen zu machen, um ihn von seinem Vorhaben ab-
zubringen. Der Monarch gab seinen Gründen Gehör, und verheurathete seine
Tochter an den Marquis de la Tour-Dü-Pinla-Chorce.
2 Mademoiselle von Tournon war eine Tochter von vornehmer Herkunft in der
Normandie, siebenzehn Jahr alt, sehr schön, und mit den Grösten am Hof be-
freundt, allein nicht reich. Sie war eine Verwandtin des Prinzen von Soubise, der
die Niederträchtigkeit hatte, diese Verbindung vorzuschlagen. Prinz Conde, Toch-
termann des Prinzen von Soubise, war auch mit in dieses Geschäft gezogen. Er
machte bey diesem Anlaß gewaltige Forderungen, die man ihm zum Theil be-
willigte, und die Trauung ward vollzogen.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 399
die ihrer Seits in alles, was ich zu ihrem Besten vornehmen werde,
ihre Einwilligung giebt, ganz bezaubert. Prinz Conde wirft diese
Verbindung nicht weit weg; allein ehe er seine förmliche Ge-
nehmigung darzu giebt, möchte er, daß ihm der König den Zu-
tritt in sein Conseil gestattete sein Hotel kaufte, und ihm fünf-
zehnmal hundert tausend Livres zu Bezahlung seiner Schulden
hergäbe. Er meynt, es seye Ihnen ein Leichtes, die Gnade von
Sr. Majestät zu erhalten. Ich für mich wünsche es sehr, in Rük-
sicht auf die Begierde die ich habe, eine Verbindung berichtiget
zu sehen, die unendlich schmeichlend für mich ist. Ich weiß, daß
wir gewisser massen die Einwilligung dieses Prinzen entbehren
könnten; allein es dörfte doch ein gewaltiger Unterscheid in der
allgemeinen Zufriedenheit machen, wo Sie im Gefrentheil, wenn
Prinz Conde das was er verlangt, durch Sie erhielte, Sie einen
grossen Anspruch auf seine Erkenntlichkeit erwerben könnten,
die Ihnen nicht undienlich seyn würde. Ich bin, meine liebens-
würdige Gräfin,
Prinz von Soubise.
CXI. Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON
Ich habe Ihnen, meine werthe Gräfin, über das, was Sie mir
gestern sagten, viele Anmerkungen zu machen. Obschon Sie die
kluge Besorgnis, die man Ihnen über die Folgen der bewußten
Heurath einflössen wollte, im Scherz aufnahmen, so glaube ich
dennoch, daß sie Ihre Ueberlegung verdiene. Ich förchte, daß
wenn ich Ihnen Luft mache, selbige zu Stande zu bringen, Sie
zu gleicher Zeit an Ihrem eigenen Untergang arbeiten möchten.
Könnte man nicht so etwas im Sinn haben, weil man Sie bittet,
400 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
sich dieser Sache so äusserst anzunehmen ? Ihr Schwager1 wäre
dessen wohl fähig, und vielleicht ist er nicht einzig. Überlegen
Sie es wohl, meine theure Gräfin. Mademoiselle v. Tournon kan
mit ihrer Schönheit dem König gefallen. Prinz Conde könnte
durch seine Geburt und seine Verwandtschaft, die gröste Macht
auf ihr Herz haben, und Sie kennen den Grafen Du Barry allzu
gut, um nicht zu beförchten, daß er sich die Herrschaft über
seine Sohnsfrau anmassen, und sie ohnfehlbar zu Ihrem Unter-
gang mißbrauchen werde, oder Sie wenigstens mehr denn jemals
unterm Daumen zu halten. Wenn Sie ohnerachtet aller dieser
Vorstellungen, dennoch die Gefahr laufen, und es drauf ankom-
men lassen wollen, «o ist es wenigstens höchst nöthig, dem Prinz
Conde den Eintritt ins Conseil zu verwehren. Ueberdas, daß er
dardurch die Vortheile, die er von dieser Heurath zieht, ver-
mehrt, sind wir nicht mehr über die Deliberationen Meister;
er würde allzu mächtig werden, und an die Spize der Verwaltung
des Königreichs gelangen. Um ihn nicht abzuweisen, so bereden
Sie Seine Majestät, daß Er ihm Hofnung mache, ihm diese
Gnade nach der Vermählung zu bewilligen, ohne jedoch die Zeit
zu bestimmen, oder sich durch ein ausdrükliches Versprechen
zu binden. Was die Bezahlung seiner Schulden und den Kauf
seines Hotels betrift, so können Sie ihm diese Gnade leicht be-
wirken. Sie kan ihn befriedigen, ohne irgend eine Folge für Sie
nach sich zu ziehen. Leben Sie wohl, meine schöne Gräfin, über-
legen Sie, daß ich Ihnen hier nichts anders als die Folgen von den
beyden Partheyen, die Sie ergreifen sollen, vorstelle, ohne Ihnen
zu rathen; mithin gehe es wie es wolle, so haben Sie mir keine
Vorwürfe zu machen. Ich bin immer mit der gleichen Freund-
schaft,
Ihr etc.
Düc von Aiguillon.
1 Der Vicomte Du Barry, von dem hier die Rede ist, ihn zu verheurathen, ist
der Sohn des Grafen Johannes, der mit Mad. Du Barry gelebt hatte.
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Original-Briefe der Frau Gräfin Du Kar™
CXIL Brief
AN PRINZ VON SOUBISE
Herr Prinz !
Ich bin so glüklich gewesen, den König dahin zu bringen, daß
er das Hotel des Prinzen von Conde gekauft, und fhm die
i Soo ooo Ltvres zu Bezahlung seiner Schulden bewilliget hat
Ich hatte gewünscht, daß es mir eben so gelungen wäre, ihm
aen Zutntt m den Conseil zu verschaffen; allein Se. Majestät
haben mir gesagt, daß Sie sehen würden, was Sie nach der Trau-
ung zu thun hätten, daß Sie ihm diese Gunst weder ab- noch
zusagten. Sehen Sie mein Herr alles was ich mit meiner dringen-
den Bitte ausgerichtet habe. Wenn Prinz von Conde darauf be-
harrt, die Heurath der Mademoiselle von Tournon mit dem Vi-
comte Du Barry nicht ehnder zu genehmigen, als bis er seinen
Zutntt ins Conse.1 hat, so soll es auch nimmer die Rede, weder
von Verbindung noch von irgend einer Gunst mehr seyn. Wir
wollen sehen, daß wir dem Vicomte eine Parthey finden die
uns keine solche Unmus macht. Alles was ich bedaure, ist: daß
ich Ihre Absicht nicht habe erreichen können. Im übrigen habe
ich gethan, was ich vermochte, und Sie können mir keine Vor-
wurfe machen. Ich bin etc. ~ .... „ „
Irrafm Du Barry.
CXIII. Brief
VON PRINZ VON CONDE
Es ist mir niemals eingefallen, Frau Gräfin, der Henrath des
Herrn Vicomte Du Barry, Bedingnisse vorzuschreiben; allein ich
dachte, daß weil er eine Befreundte von mir heurathen sollte
ich mir bey diesem Anlas, durch Ihr Vorwort Gunstbezeugen
ausbitten könnte, die mir so viel schmeichelhafter gewesen wä-
402 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
ren, weil ich sie Ihnen einzig zu verdanken gehabt hätte. Neh-
men Sie Madam meinen lebhaften Dank für die zwo Gnaden-
bezeugungen, die mir der König auf ihre Bitte bewilliget hat,
an.1 In Ansehung der dritten, hoffe ich, daß Sie solche nicht
aus der Acht lassen, sondern ferner Ihr Bestes beyzutragen, be-
lieben werden. Ich wünschte Sie über diesen Gegenstand zu
sprechen ; lassen Sie mich, ich bitte Sie, den Tag und die Stunde
wissen, wo ich die Ehre haben kan, Sie zu sehen.2
Ich bin etc. s L. de B.Prinz von Conde.
CXIV. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Mit Bedauren, muß ich Ihnen, mein lieber Düc melden, daß
eine Aussöhnung mit der Königl. Familie nicht so, wie ich mir
schmeichelte statt haben wird.3 Ich kan mich auf Madam von
Narbonne beruffen, welche die Unterhandlung die sie übernom-
men, sehr gut geführt hat. Sie hatte Madam Adelheid beredt.
Da diese ein mal auf der Seite war, zog sie auch ihre Schwester
an sich, und war so glüklich nicht nur die Frau Gräfin von Pro-
1 Prinz Conde, der sehr ehrgeizig ist, hatte in der That diejenigen Absichten,
die Düc von Aiguillon vermuthet hatte, und die er der Gräfin Du Barry offen-
bahrte ; allein ersterer war nachgebend, aus Forcht daß alles fehlschlagen möchte.
2 Man wird sich nimmer wundern, daß Prinz Conde, von der Gräfin eine ge-
legene Stunde verlangt hat, wenn man hört, daß er diese Ceremonie beym ersten
Besuch beobachtet hat, und daß, als er es beym zweyten unterlies, ihn die Gräfin,
damit er künftig wieder seine Schuldigkeit beobachten möchte, sehr lange warten
machte, ehe sie ihn vor sich kommen lies. Indessen hatte sie einen Groll gegen
ihm, weil er seine Aussöhnung durch den Grafen de la Marche, den der Kanzler
regierte, berichtigte, und seine beständige Herablassung, schien Madam Du Barry
zu Verdopplung ihrer Ohnverschämtheit gegen ihn aufzufodern.
3 Madam Du Barry, war wie man weiß, von dem Herrn Dauphin, seiner Ge-
mahlin und den Prinzessinnen sehr ungern gesehen. Um nun Madam von Nar-
bonne dahin zu bringen, daß sie eine Aussöhnung veranstalte, machte man ihr
Hofnung, ihr Mann zum Düc zu ernennen, und ihm sehr grosse Geldbelohnungen
zu bewilligen.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 403
vence, sondern auch sogar, noch Madam la Dauphine zu gewin-
nen. Aber Herr Dauphin stoßte dieses schöne Projekt über den
Hauffen, und zeigte sich so hartnäkig, daß man alle Hofnung
verlohren hat, ihn zu gewinnen. Sie wissen, daß ich die junge
Vicomtesse aufführen soll, ich muß sie zu Ihm bringen ; ich
förchte diesen Augenblik, und möchte mich dieser Aufführung
auf eine anständige Weise entheben. Noch eins, wie geht's mit
der Gräfin ? Hat man ihr diesen Morgen zu Ader gelassen ? Sie
können mir dies alles Morgen sagen. Ich erwarte Sie zum Mit-
tagessen wie Sie mir's versprochen haben. Ich umarme Sie von
Herzen' Gräfin Du Barry.
CXV. Brief
AN DEN OBIGEN
Wohlan! mein werther Düc, habe ich es Ihnen nicht gesagt,
daß ich Ursach hätte diese Aufführung zu förchten. Sie können
sich nicht vorstellen, wie weit dieser grosse ohngezogene Bub1
seine Ohnhöflichkeit getrieben hat. Als wir bey ihm waren, stund
er am Fenster, und that dergleichen, als wenn er mit Hinaus-
sehen beschäftiget wäre, und obschon man uns angemeldt hatte,
blieb er dennoch in dieser Positur btehen. Meine Nichte ist über
dieses Betragen sehr betretten gewesen; allein sie ist durch die
besondere Achtung, die der König für sie hat, hinlänglich schad-
los gehalten. Sie gefällt Ihm so sehr, daß es mir Unruhe macht.
Indessen lasse ich mich's nicht merken, aus Forcht Sr. Majestät
zu mißfallen. Ueberdas weiß ich, daß wenn ich üble Laune zeigte,
ich bey ihm einen Hang vermehren würde, der allem Anschein
nach vorübergehend seyn wird. Ich bin noch nicht gewiß, ob
nichts Ernsthaftes unter ihnen vorgegangen ist. Ich werde thun,
als wenn ich über alles durch die Finger sähe; ich hoffe aber,
mein lieber Düc, Sie werden mir helfen die Sachen geheim zu
1 Der Herr Dauphin.
26*
404 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
halten. Sie wissen, wie nothwendig dieses zu Beybehaltung mei-
nes Ansehens ist. Ich bin froh, daß die Düchesse wieder her-
gestellt ist; sagen Sie ihr, daß ich sie so sehr als Sie liebe.
Gräfin Du Barry.
CXVI. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
So eben vernehme ich, mein werther Düc, daß sich mein Mann
mit dem Parlement von Toulouse, bev Anlaß eines Aufstands, in
welchem er eine Rolle spielen wollen,1 abgeworfen habe. Ich
bin noch nicht recht von dem Hergang berichtet. Erkundigen
Sie sich, was daran ist, und machen Sie bey diesem Anlaß die
nöthigen Vorkehrungen. Wir haben ihn von hier entfernt, nur
damit seine garstige Aufführung nicht so auffalle. Er kan nicht
änderst, als uns allenthalben wo er ist, in Verlegenheit sezen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.
Gräfin Du Barry.
CXVII. Brief
VON HERRN VON BOYNES, MINISTER DES SEE-
WESENS
Frau Gräfin!
Die Unzufriedenheit, die mir der König gestern zeigte, macht
mich über alle Massen ohnruhig. Es war so zu sagen blos auf Be-
fehl des Herrn Dücs von Orleans, daß ich mich zu dem Schritt
1 Graf Wilhelm, der damals in Toulouse war, ließ sich's einfallen, bey dem
Aufstand, der daselbst über die Theure des Brods entstund, eine Rolle zu spielen.
Eines Tags, als die Gährung unter dem Volk sehr groß war, hielt er eine Rede an
selbiges, unterstund sich ohngeheissen, im Namen des Königs Versprechungen
auszutheilen, und mit den Meutmachern zu kapitulieren. Das Parlement nahm
dieses übel auf. Es giengen Stimmen, ihn in Verhaft zu nehmen; allein die Gunst
hatte die Oberhand. Man begnügte sich, ein Memorial über das was sich zugetra-
gen hatte, nach Hof zu schiken. Die Sachen waren von keinen Folgen.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 405
gebrauchen Hesse, welcher zu dem Auftritt,1 worvon Sie Zeuge
waren, Anlaß gab. Kan ich hoffen, Madam daß Sie Se. Majestät
dahin zu bringen geruhen, daß Er mir seine Huld, wormit Er
mich beehrte, wieder schenkt? Ich hoffe selbige wegen dem
Eifer, den ich immer für seinen Dienst hatte, zu verdienen. Mein
Dank soll eben so groß als meine Ehrfurcht sevn, mit welcher
ich bin etc. Bourgeois von Boynes.
CXVIII. Brief
VON DEM DÜC VON ORLEANS
Ich bin ganz sicher, Madam, wenn unsere lezte Zusammen-
kunft nicht gestört worden wäre, weit entfernt, zu sagen, daß
Sie sich nicht in das Parlementsgeschäft mischen wollen, wären
Sie vielmehr die Erste, selbiges zu schüzen, und seine Recht-
fertigung, nebst den Wünschen von ganz Frankreich, für seine
1 Düc von Orleans, hatte Herrn von Boynes den Auftrag gegeben, ein Me-
morial über die Wiedereinsezung des Parlements aufzusezen, welches notwendi-
ger Weise die Entfernung des Herrn von Maupeou, an dessen Stelle Herr von
Boynes trachtete, nach sich ziehen sollte. Er war geschikter als alle andere, zu die-
sem Geschäft, weil er mit Herrn Kanzler an dem Sturz dieser Magistratur arbeitete.
Als das Memorial fertig war, begaben sich beyde verstohlner Weise zu Madam Du
Barry, und trugen ihr an, den König um die Vollziehung eines Projekts zu bitten,
welches, wie sie sagten, jedermann angenehm seyn würde. Die Favoritin sagte, in-
dem sie Sr. Hoheit an den Bauch klopfte, in dem gewöhnlichen vertrauten Aus-
druk: „Diker Papa. Sie wissen, daß ich mich nicht in Staatssachen mische." Düc
von Orleans sezte in sie und fiel der Gräfin fast zu Fusse, welche endlich die Vor-
lesung des Memorials gestattete. Nun kam der König darzu, und Düc von Or-
leans riß dem Minister das Memorial sogleich aus den Händen, um es in die
Tasche zu schieben. Seine Majestät, da Er eine Veränderung auf dem Gesicht
seiner Maitresse wahrnahm, wollte die Ursache davon wissen, und sie gestund Ihm
alles, was vorgegangen war. Auf dieses hin sagte der Monarch zum Düc von Orle-
ans: „Mein Vetter! wenn sie wollen, daß wir gute Freunde bleiben, so mischen sie
„sich nicht in diese Händel." Hernach wandte er sich an den Minister: „Und sie,
„Herr von Boynes, mich wundert es, sie hier anzutreffen, das ist nicht ihr Ort,
„gehen sie hinaus. Was sie betrift, meine Hebe Freundin, sagte er zu Madam Du
„Barry, so bin ich ihnen für ihren Widerstand verbunden: ich sehe wohl, daß sie
„das Komplov mit keinem Finger berühren." Nach diesem Auftritt schrieb nun
Herr von Boynes an Mad. Du Barry, um die Ungnade, die ihm drohte, abzuwenden.
406 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Rükkehr vor den Thron zu bringen. Der Plan, den ich Ihnen
vorzulegen gedenke, soll alle Menschen befriedigen, ohne einen
einzigen ungehalten zu machen. Ein einziger Mann hätte bey
dieser Vermittlung zu verlieren, und dieser ist ein eben so grosser
Feind von Ihnen, als er ein Feind des Staats ist.1 Da es zu viel
Zeit wegnähme, Ihnen in diesem Brief Auskunft zu geben, so
würden Sie mich verpflichten, wenn Sie mir einen Tag bestimm-
ten, wo ich mit Herrn von Boynes zu Ihnen kommen, und einige
Augenblike über diesen Gegenstand raisonniren könnte. Ich bin
überzeugt, daß Sie nach dieser Zusammenkunft, nicht nur meine
Ideen annehmen, sondern mir noch sogar helffen werden, dem
König seinen Wahn zu benehmen. Es kann eine Zeit kommen,
Madam, wo Sie mir Dank wissen werden, daß ich Ihnen Ge-
legenheit verschafte, etwas zu einer Revolution beyzutragen,
wornach sich alle rechtschaffenen Einwohner sehnen, und deren
Erkenntlichkeit Ihnen schmeicheln, und Ihnen eben so wie die
Stüze der Tribunalien, die Ihnen Ihre Wiedereinsezung zu ver-
danken haben, nüzlich seyn wird. Ich bin etc.
Ludwig P. Düc von Orleans.
CXIX. Brief
AN DEN DÜC VON ORLEANS
Sie wissen, welche Abgeneigtheit ich habe, mich in solche Sa-
chen zu mischen, wie diejenigen sind, die Sie mir antragen. Ich
zweifle, ob Sie mich für die Sache so einnehmen werden, wie
Sie zu vermuthen scheinen. Allein da ich Sie nicht wider den
Kopf stossen will, so will ich Sie morgen um sechs Uhr erwarten.
Sie sehen, daß ich Euer Hoheit nichts abschlagen kan. Ich hoffe,
daß Sie meiner Gefälligkeit eingedenk seyn werden, und bin etc.
Gräfin Du Barry.
1 Herr Kanzler.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 407
CXX. Brief
AN DEN DÜC VON ORLEANS
Monseigneur !
Das was sich zugetragen hat, hat Ihnen sicher einen üblen
Begriff von meiner Aufrichtigkeit gemacht, und Sie denken viel-
leicht, daß mein Betragen bey diesem Anlaß, mit dem König
verabredet gewesen seye. Wenn meine Begierde, Sie mit Sr. Ma-
jestät auszusöhnen, nicht hinlänglich war, Ihren Zweifel zu he-
ben, so wird Ihnen die blosse Vorstellung von dem, was vor-
gegangen ist, keinen zurüklassen. Aus Flatterhaftigkeit einer mei-
ner Kammerfrauen, hat man die Ohngeschiklichkeit begangen,
mir Ihren Brief vor dem König zu übergeben. Da ich sähe, daß
er von Ihnen war, wollte ich ihn zu lesen verschieben; allein Se.
Majestät begehrte, Ihm selbigen zu zeigen. Er war sehr unge-
halten, als Er ihn gelesen hatte. Er befahl mir gleich, Ihnen die
begehrte Zusammenkunft abzuschlagen; allein nach einem lan-
gen Stillschweigen sagte Er mir : „Nach genauer Überlegung —
„gestatten Sie dem Düc von Orleans auf morgen den Besuch;
„ich werde darbey seyn ohne gesehen zu werden, und mich so
„placiren, daß ich das was er Ihnen zu sagen hat, verstehen kan.
„Antworten Sie ihm auf der Stelle, und melden ihm beyleibe
„nichts darvon." Ich konnte nicht änderst als gehorchen. Der
König hat mir selbst den Brief diktirt,1 und folglichen hat er
Ihnen einzig die Falle gelegt. Vergebens habe ich alles Mögliche
angewandt, um Sie heraus zu ziehen. Ich hoffe dahero, daß wir
nicht weniger gute Freunde seyn, und mir der dike Papa deßwegen
nicht übel an seyn werde. Ich bin etc.
Gräfin Dil Barry.
1 Der König kam, nachdem er den Diskurs des Dücs von Orleans mit angehört
hatte, zum Vorschein, bezeugte ihm seinen Unwillen, und bedrohte ihn sogar mit
der Ungnade, wenn er drauf bleiben würde, dergleichen Zeug in Bewegung zu
bringen. Der Düc antwortete dem Monarchen, daß diese Ungnade gewiß ein
408 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
CXXI. Brief
VOM GRAFEN DU BARRY
Ich hofte, meine liebe Schwägerin, daß Sie mir nach der
Trauung meines Sohns mit Mademoiselle von Tournon, die zehn-
tausend Louisd'ors, die ich von Ihnen begehrte, würden sehen
lassen; denn Sie wissen, daß die zwanzigtausend, die mir bewilli-
get wurden, nur zu Bezahlung der Spielschulden waren, und daß
mir nichts darvon übrig geblieben ist. Allein jezt muß man mir
eben so viel zum Hochzeitsgeschenk wegen der Heurath des Ka-
valiers1 mit Mademoiselle von Fümel geben, wenn sie wirklich
statt hat, denn ich förchte, es dörfte nichts daraus werden. Es
scheint, dieses Frauenzimmer wolle sich ohnerachtet aller Huld,
wormit sie der König überhäuft, sehr ungern darzu verstehen.
Die Verwandtschaft widersezt sich, daß der Kavalier den Na-
men und das Wapen der Fümel führe, und dieses war doch schon
unter ihnen ausgemacht; mit einem Wort, es dünkt mich, diese
Leute kommen nur deßwegen mit Schwierigkeiten hervor, um
Zeit zu gewinnen und um die Sache scheitern zu machen. Da
uns nun daran gelegen ist, daß sie zu Stand komme, so machen
Sie, daß der König, der sich schon in selbige gemischt hat, die
Beendigung derselben betreibe. Ein Wort von dem Monarchen
wird alle Hindernisse heben.2 Ich bin, meine liebe Schwägerin,
ganz der Ihrige. Graf Du Barry.
grosses Unglük wäre, allein daß er sie mit Standhaftigkeit ertragen würde, zu Ver-
fechtung des Publikums, das er nicht verlassen könnte. Es war ein Glük, daß Mad.
Du Barry so viel vermochte, daß sie zwischen Sr. Majestät und dem Prinzen gleich
wieder Frieden machen konnte.
1 Dieser Kavalier war der Bruder des Grafen Du Barry.
2 Der König hatte sich wirklich darein gemischt. Er hat dem Kavalier Du
Barry fünfmal hunderttausend Livres Aussteuer gegeben, um damit die liegenden
Güter von sechszigtausend Livres Einkünfte, die der Vater der Madem. von Fümel
seiner Tochter zum Brautschaz gab, von Schulden zu befreyen. Man gab noch
dem Bräutigam die Anwartschaft auf le Chateau-Trompette, welches Herr von
Fümel immer hatte. Der Kavalier ließ sich hernach Marquis Du Barry nennen.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 409
CXXII. Brief
AN DEN GRAFEN WILHELM DU BARRY
Die ganze schöne Erzehrung, die Sie uns machen, gleicht für-
wahr einer Fabe], die Sie selbst erfunden haben, um Ihre Rük-
kehr nach Paris ohnerachtet Ihrer Versprechungen und den er-
haltenen Befehlen, zu entschuldigen.1 Wenn ich nun über die-
sen Schritt durch die Finger sehe, so sollen Sie wissen, daß es nur
unter der Bedingniß ist, daß man nichts von Ihnen reden höre,
sonst würden Sie mich nöthigen, keine Rüksicht mehr zu haben.
Gräfin Du Barry.
CXXIII. Brief
VON HERRN VON VOLTAIRE
Ferney, den 3. Jenner 1774.
Madam!
Herr de la Borde sagte mir, Sie hätten ihm befohlen, mich in
Ihrem Namen auf beyde Wangen zu küssen.
Quoi ! deux baisers sur la fin de ma vie !
Quel passeport vous daignez m'envoyer.
Deux, c'en est trop ! Adorable Egerie ;
Je serais mort de plaisir au premier.
(d. i. Wie ! zween Küsse auf das Ende meines Lebens ! Was für einen Geleitsbrief
geruhen Sie mir nicht zu überschiken! Zween das ist zu viel, liebenswürdige
Egeria,2 ich wäre am ersten aus Wollust gestorben.)
1 Er hatte eine Geschichte, die er in der That selbst geschmiedet hatte, zum
Grund seiner Rükkehr angegeben. Er sagte, daß er einen Brandzettel erhalten, in
welchem man ihm verdeutet hätte, 500 000 Livres an einen gewissen bestimmten
Ort zu legen; daß da er auf diese Drohung gar nicht geachtet habe, wäre man ihm
noch nachdrükücher und umständlich darauf andringend gekommen, worauf er
nimmer länger zu Toulouse hätte bleiben können.
2 Die Nymphe Egeria inspirirte Numa, den weisen Gesezgeber der Römer, und
Herr von Voltaire giebt aus Fuchsschwänzerey, die man nicht zu benennen weiß,
zu verstehen, daß Mad. Du Barry auch den König in allem, was er über die Gesez-
gebung verfügte, inspirirt habe.
aio Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Er hat mir Ihr Portrait gewiesen. Zörnen Sie nicht, daß ich die
Freyheit genommen, und ihm die zween Küsse zurükgegeben habe.
Veras ne pouvez empecher cet hommage,
Faible tritrat de quiconque a des yeux.
C'est aux mortels d'adorer votre image,
L'original etait fait pour les Dieux.
(d. i. Sie können diese Huldigung, die ein schwacher Tribut eines jeglichen, der
sehen kan, ist, nicht hindern. Denen Sterblichen kömmt es zu, Ihr Bildniß zu
verehren, das Original war für die Götter geschaffen.)
Ich habe von Herrn de la Borde einige Stellen aus der Pandore
gehört. Sie scheinen mir Ihrer Protektion würdig zu seyn.1 Die
Talente huldreich aufzunehmen, ist das einzige, welches Ihr
Glanz, in dem Sie schimmern, erhöhen kan.
Geruhen Sie, Madam, die tiefe Ehrfurcht eines einsamen Grei-
sen anzunehmen, dessen Herz fast kein anderes Gefühl mehr als
dasjenige der Erkenntlichkeit hat etc. T. , .
J ö von Voltaire.
CXXIV. Brief
AN HERRN VON VOLTAIRE
Nichts ist hübscher und angenehmer, mein Herr, als der
Brief den ich von Ihnen erhalte. Ich dachte wohl, daß mir die
Komission, die ich Herrn de la Borde auftrug, diese schmeichelnde
Erhebung von Ihnen verschaffen würde. Ich will sie der Ver-
götterung du Roi Petaud2 (wird von dem gesagt, unter dem
1 Herr de la Borde, Kammerdiener des Königs, von welchem in diesem Brief
die Rede ist, hatte zum Text der Pandore, die Herrn von Voltaire zum Verfasser
hat, die Musik gemacht. Herr von Voltaire, der immer im Spiel seyn will, wollte
sie unter dem Schuz der Mad. Du Barry aufführen lassen.
2 Es ist zu wissen, daß Herr von Voltaire im Anfang der Erhöhung der Mad.
Du Barry eine Piece Vers machte, in welchem er in sehr höhnischen und unzüch-
tigen Ausdrüken von dem König und seiner Favoritin redte. Er mußte hernach
über den Brief an Mad. Du Barry, den ihm die allerniederträchtigste Schmeicheley
eingab, und über ihre Antwort nicht wenig gedemüthiget werden. — Derglei-
chen war der Alte von Jugend auf schon gewohnt, und hätte dahero ehender den
Namen der Ohnverschämte, statt der Philosoph von Ferney verdient.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 411
alles unordentlich zugeht, und man nicht weiß, wer Koch oder
Keller ist) beysezen. Diese beyden Stüke, miteinander vereint,
werden Ihnen in den Augen des Publikums und der Nachkom-
menschaft, zur Rechtfertigung der Vorwürfe dienen, die man
Ihnen durchgehends macht : daß Sie partheyisch seyen, und sich
widersprechen.
Ich bin etc. Gräfin Du Barry.
CXXV. Brief
AN HERRN VON MAUPEOU
Ich befremde mich sehr, daß das Patent für Zamore1 welches
schon seit gestern in Ihrem Büreaux liegt, noch nicht gesiegelt
ist. Ist diese Nachläsigkeit eine Wirkung des Eifers, womit Sie
für den Dienst des Königs prahlen ? Ich dachte Sie wären weit
eilfertiger, Ihren Herrn zu bedienen. Mein Herr, ich zähle dar-
auf, daß die Sachen heute beendiget werden, sonst würden Sie
mich nöthigen, Sie bey dem König zu verklagen.
Ich bin etc.
Gräfin Du Barry.
1 Dieser Zamore, war ein kleiner Neger, den Madam Du Barry sehr liebte.
Die Vertraulichkeit, die er sich durch die übertriebenen Liebkosungen seiner Ge-
bieterin, bey ihr herausnahm, machte, daß einige Bösgesinnten sagten, sie hätte ihn
mehr als zu einem Gebrauch. Dem seye wie ihm wolle, dieser Neger belustigte
öfters den König, welcher seiner Maitresse zu gefallen herablassend genug war,
um sich mit ihm abzugeben. Die Favoritin machte sich einsten die gute Laune des
Monarchen zu Nuze, um Ihm zu verdeuten, daß er diesem Bürschgen, in Rüksicht
auf das Vergnügen, das er Ihm mache, eine Gnade wiederfahren lassen sollte. „Es
bleibt dabey, versezte er, ich mache ihn zum Hofmeister vom Schloß und Pallast
zu Lucienne, nebst 600 Livres Gehalt." Se. Majestät Hessen das Patent sogleich
ausfertigen, und das was Mad. Du Barry am meisten darbey belustigte, war die
Notwendigkeit, in der sich der Kanzler befand, das Siegel darauf zu druken. Sie
nahm überdas durch seine Verzögerung Anlaß, ihm ihren ganzen Groll, den sie
gegen ihn hatte, empfinden zu lassen.
412 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
CXXVL Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Jezt, mein lieber Düc, ist der Marquis von Monteynard ein-
mal im Ernst weggeschikt worden.1 Der Befenlsbrief ist unter-
zeichnet, und er wird ihn in diesem Augenblik empfangen ; mit-
hin haben wir keine Rükkehr zu beförchten. Sie werden sehr
vergnügt seyn, und ich bin es auch selbst, daß es mir in einer
Sache gelungen ist, die Ihnen so angelegen war. Nur der Kanz-
ler bleibt uns noch zu vertreiben übrig; aber dieses wird weit
schwerer halten. Der König ist so vergnügt, daß Er nicht mehr
von denen Schwarzröken angegangen ist, daß Er sich mehr als
ich es gern sähe, an denjenigen attaschierte, der Ihn von ihren
Vorstellungen befreyt hat. Zeichnen Sie mir, mein lieber Düc,
den Plan vor, den ich befolgen muß, um den König von seinem
Wahn herum zu holen, und ich werde Ihren Rath blindlings be-
folgen. Aber allererst müssen wir uns mit etwas dringenderm
und wichtigerm abgeben, nemlich mit der Kriegsministerstelle.
Ich will durchaus, daß Sie selbige haben sollen, und werde da-
hero auch alle Mittel anwenden. Indessen umarme ich Sie, und
bin etc. Gräfin Du Barry.
CXXVII. Brief
VON DEM DÜC VON .AIGUILLON2
Ich sehe, meine werthe Gräfin, daß es ohnnöthig ist uns in den
Kopf zu sezen, den König von dem Mangelhaften in der Amts-
1 Man verwunderte sich, daß dieser Minister so lange aushielt. „Er muß wohl
„unterliegen, sagte einst der König, ich bin der einzige, der ihn hält." Düc von
Aiguillon war gleich hernach zum Kriegsminister ernannt.
2 Abe Terray arbeitete gemeinschaftlich, den Kanzler springen zu machen. In
Erwartung der Gelegenheit, ihn zu Boden zu drüken, entzog er ihm ohnvermerkt
seine Kreaturen, und drükte auf alles, was ihn umgab. Er hatte bereits eine Be-
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 413
Verrichtung des Kanzlers zu bereden; wir werden nicht aus-
langen. Es braucht eine andere Wendung, durch welche wir
ebenfalls zu unserm Zwek gelangen. Thun Sie dergleichen, als
wenn Sie sich für die Meynung Sr. Majestät begriffen hätten;
allein trachten Sie Ihm nach und nach beyzubringen, daß Er,
so lange Herr von Maupeou am Posten bleiben würde, niemals
aller Vortheile geniessen würde, die Er sonsten von seinen Ver-
richtungen ziehen könnte. Sie können einen Grund anführen,
dessen Beweis evident ist, nemlich der offenbare Haß, den alle
Prinzen, die Pairs und das Publikum gegen diesen Mann haben.
Ich meines Orts werde alle Gelegenheiten ergreifen, Sie zu unter-
stüzen, sein Betragen auszuspähn, und ihm so viele Fallstrike zu
legen, daß ich nicht zweifle, er werde uns bald neue Waffen
wider ihn in die Hände liefern.
Ich bin etc. Düc von Aiguillon.
stallung als Kammergüter-Inspektor, die der Kanzler für den le Brun, seinen Se-
kretair und Vertrauten, erhalten hatte, durch einen Spruch des Conseils unterdrükt.
Der Haß des Herrn von Maupeou, gegen diese beyden Minister brach so heftig
aus, daß niemand an der Mißhelligkeit, die sie uneins machte, zweifeln konnte.
Er suchte ihnen alles Verdrießliche, der durch ihn bewirkten Revolution über den
Hals zu richten. Wenn man ihn um die Entlassung oder Zurückberufung eines
Exilirten bat, schien er allen Antheil an ihrem Schiksal zu nehmen, und versicherte,
daß sein Rath gewesen seye, die Befehlsbriefe aufzuheben; zulezt sagte er, daß man
diesen Unstern, worüber man sich beklage, dem Abe Terray zuschreiben soll.
„Diesem Mandrin, der gerne die Pistole auf die Brust sezte, um die Finanzen zu
„vermehren." Und dem Düc von Aiguillon, diesem Despoten, der alles umbringen
„und alles fressen möchte." Da er sähe, daß es ohnmöglich war, diese beyden
nebst der Favoritin an sich zu ziehen, suchte er sich die Königl. Familie gewogen
zu machen. Zu diesem mußte er sich äusserlich als ein ehrlicher Mann stellen, und
bisweilen darnach handien. Er spielte diese Rolle, obschon sie ihm fremd war, sehr
gut, und trieb die Verstellung so weit, daß er um einen Zutritt bey Madam
Louise zu haben, der Fromme machte. Endlich zog er wider die Verdorbenheit
aller derer los, welche niederträchtiger Weise unter einem Weibsbild ohne Scham
und Sitten, die Kriechenden machten, durch diese beständigen Nekereyen gelang
es ihm, die Königl. Kinder mehr dann jemals wider die Favoritin und ihre An-
hänger zu erbittern. Die Sachen wurden so weit getrieben, daß der König, dem
ihre Verachtung zu Herzen gieng, vor Gram ausrief: „Ich sehe es wohl, meine
Kinder lieben mich nicht mehr!"
414 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
CXXVIII. Brief
AN HERRN VON BOYNES
Sie werden mich verpflichten, wenn Sie das Begehren des
Herrn von Abbadie,1 Überbringer dieses Billets, geneigt an-
hören. Sie haben zween seiner Mitbrüder das St. Ludwigs-Kreuz
gegeben; nun möchte er die gleiche Gunst gemessen, und ich
werde Ihnen Dank wissen, wenn Sie es ihm auf meine Empfeh-
lung hin bewilligen.
Ich bin etc. Gräfin Du Barry.
CXXIX. Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON
Ich weiß nicht, meine theure Gräfin, was Sie für einen Grund
haben, sich jezt mit solcher Wärme des Prinzen von Conde an-
zunehmen. Ich werde jedoch, weil Sie es verlangen, mich nicht
widersezen, daß der König ihm zu Gunsten die General-Feld-
zeugmeisterstelle der Artillerie wieder einführe, ja ich werde Sie
sogar bey Sr. Majestät, wenn Sie es nöthig finden, unterstüzen.
Nichtsdestoweniger zweifle ich sehr, ob Sie mit diesem Geschäft
aufkommen werden, denn ich weiß, daß der Herr Graf von Pro-
vence um diese gleiche Gnade angehalten hat.2 Ich bin etc.
Düc von Aiguillon.
1 Herr von Abbadie, Kommissarius des Seewesens, der niemals zur See ge-
dient hatte, ließ sich's einfallen, sich gleich vielen andern der Macht der Favori-
tin zu bedienen, um Gunstbezeugungen zu erlangen. Er kam mit einem Papageyen,
den er Mad. Du Barry überreichte, nach Paris. Sie fand den Vogel schön, und daß
er wohl ein St. Ludwig-Ordenskreuz verdiene. Die Leichtigkeit des Ministers,
diese Gunst zu bewilligen, ist ein Beweis, wie sehr er von der Favoritin abhieng.
2 Düc von Aiguillon hatte eben so wenig Lust, als der Marquis von Mon-
teynard, die Artillerie aus seinem Departement entwischen zu lassen. Allein da er
weit feiner als sein Vorfahr war, so vermochte er, um weder den König noch die
Favoritin wider ihn aufzubringen, den Grafen von Provence, diese Stelle für sich
auszubitten. Er kannte den ohnschlüßigen Karakter des Königs so gut, daß er
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 415
CXXX. Brief
VON HERRN DORAT
Madam!
Ich vernehme mit vielem Gram, daß man mir Verse zur Last
legt, über die ich nicht genug mein Mißfallen äussern kan. Man
versichert mich, daß Ihnen eine Piece zugekommen seye, die den
Titul führt : Epitre ä Margot, und daß man schwarz genug ge-
wesen sey, mich bey Ihnen als Verfasser darvon zu beschuldigen.1
Es seye wie ihm wolle, Madam, diese Schrift verdient Ihren gan-
zen Unwillen. Wenn ich als ein Gelehrter einige Ansprache auf
Ihre Gewogenheit hätte, so würde ich Sie bitten, allem auf-
zubieten, um den Strafbaren zu entdeken; Sie würden bald ge-
rochen, und meine Rechtfertigung vollkommen seyn. Ich bin etc.
DoraU
CXXXI. Brief
VON DEM CHEVALIER VON MORANDE
Madam!
Da ich nun in einem Land lebe, wo die Menschen keine Ver-
zicht auf das Denken gethan haben, und wo sie sich ohne die ge-
ringste Gefahr nach ihrem Gutdünken darinnen üben können,
so darf ich Ihnen frey heraus sagen, daß ich der Verfasser einer
kleinen Brochüre bin, die den Titul führt: Le Gazettier Cui-
sicher war, daß Se. Majestät in der Verlegenheit, in welche Ihn diese beyden Mit-
werber sezten, Er diese Stelle niemand geben würde. Die Sache gieng auch wie
sie der Düc vorsah, ohne daß ihm weder der König noch die Maitresse deßwegen
übel an seyn konnten.
1 Herr Dorat ist in der That Verfasser dieses Schreibens, an Margot, welcher
sich aber im französischen Original nicht befindet. Herr Dorat machte aus Forcht
vor der Bastille eine Widerrufung, die aber das Original nicht werth war.
41 6 Original-Briefe der Frau Gräfin Dil Barry
rasse. Wenn dieses Heft, welches Ihnen sicher zugekommen ist,
Sie auf einen Augenblik hat belustigen können, so kan ich mir
etwas darauf zu gut thun, selbiges herausgegeben zu haben. Ihr
Beyfall ist einer von denjenigen, die mich am meisten schmeich-
len sollen. Ich bin auf dem Sprung, eine andere Arbeit druken
zu lassen, welche zum Titul hat : Memoires secrets d'une Femme
publique, ou Essais sur les Avantures de Madame la Comtesse
Du Barry, depuis son berceau jusq'au lit d'honneur, d. i. Ge-
heime Nachrichten eines öffentlichen Weibsbilds, oder Ver-
suche über die Begebenheiten der Frau Gräfin Du Barry, von
der Wiege an, bis ins Bett der Ehren. Ich denke, Madam, daß
wenn ich schon nicht den zweyten Abschnitt dieses Tituls bey-
seze, es Ihnen ein Leichtes seyn werde, sich gleich am ersten zu
erkennen. Diesem seye wie ihm wolle, so dachte ich Ihnen Nach-
richt von meinem Vorhaben zu geben, ehe ich es ausführte; denn
Sie haben bey einigen Gelegenheiten einen entscheidenden Ge-
schmak für die Künste und Wissenschaften gezeigt, und da
könnte es wohl seyn, daß Sie einzig ein Manuscript besizen möch-
ten, welches ich interessant zu machen getrachtet habe, und
welches Ihnen von grossem Werth scheinen könnte. Dieser Ein-
fall würde Sie nicht mehr als fünfzig tausend Livres kosten. Es
dürfte Ihnen etwas theuer vorkommen, indessen ist dieses kein
übertriebener Preis; denn Sie können nicht glauben, Madam,
was für Unkosten ich mit Anschaffung aller nöthigen Subsidien
gehabt habe. Die lezten Anekdoten Ihres Lebens haben mich
hauptsächlich viel gekostet. Ich war genöthiget, die Auskunft
über Ihren geheimsten Zeitvertreib mit Sr. Allerchristl. Ma-
jestät; über die List, mit der Sie Ihre Aufseher zu hintergehen
wissen, um sich der Entnervung des Königs mittelst Ihres guten
Freunds Düc's von Aiguillon, zu entschädigen, oder Mangel
seiner, durch den kleinen Zamore, der Ihnen diente, die Ab-
handlungen Aretin's ins Werk zu sezen, und den erfinderischen
Geist dieses Italiänerszu übertreffen. Ich war genöthiget, sage
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 417
ich, die Auskunft oder das Detail über alles dieses mit schwerem
Geld zu bezahlen. Mit einem Wort, Madam, sind Sie versichert,
daß dieses Werk sehr vollständig ist, und daß es alle erforder-
lichen Eigenschaften hat, um des Abgangs sicher zu seyn. Wenn
Sie es an sich bringen wollen, so werde ich das Manuscript dem-
jenigen zustellen, der mir obige Summ von Ihnen einhändigen
wird; wenn Sie aber nicht gesonnen sind, diesen Einkauf zu ma-
chen, so erlauben Sie mir wenigstens, Madam, daß ich es unter
Ihrem Schuz erscheinen lasse; ich würde alsdann von der gün-
stigen Aufnahm des Publikums, dem Sie angehörten, vergewis-
sert seyn. Ich dachte diese lezte Gnade in Rüksicht auf die Be-
gierde, die ich habe, Sie zu verewigen, und wegen der Sorgfalt,
mit der ich mich an die allergenaueste Wahrheit gewandt habe,
zu verdienen.
Ich bin mit tiefer Ehrforcht etc.
Der Chevalier von Morande.
CXXXII. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Ich habe aus London, mein Herr Düc, einen Höllenbrief er-
halten. Sie können darvon urtheilen, ich füge ihn bey. Verlieren
Sie keinen Augenblik, allem aufzubieten, um den Druk dieser
verdammten Libell, der uns droht, abzuwenden. Sie sind eben
so wohl darinnen mitgenommen, als ich. Über das, was mir der
Verfasser in seinem Brief verdeutet, bin ich überzeugt, daß wenn
er nur den mindesten Verdacht von Ihrer Gemeinschaft mit der
Vicomtesse Du Barry hat, er dessen sicher, als eines Umstands,
der nicht der ohninteressanteste Ihres Lebens ist, erwehnen
wird.
Ich bin, mein Herr Düc, Ihre etc.
Gräfin Du Barry.
1. 27
41 8 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
CXXXIII. Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON
Ich habe, meine werthe Gräfin, den Englischen Gesandten be-
reden wollen, in Ansehung des Morande an seinen Hof zu
schreiben ; allein er hat mir verdeutet, daß es ohnnüz wäre, weil
der König gewiß nichts wider die Freiheiten der Englischen Na-
tion verfügen würde; überdas hat er mir sehr gut vorgestellt, daß
dieser Mann einem hungrigen Hund gleiche, dem man ein Bein
hinwerffen müsse, um ihn zu besänftigen. Indessen habe ich
mich zu etwas anderm entschlossen, und nebst einigen Gerichts-
bedienten einen Mann1 abgeschikt, den ich zu Erreichung mei-
ner Absichten, tauglich erachte. Ich wünsche daß es ihm gelinge.
Ich glaube daß Sie mir, meine schäzbare Gräfin, seit unserer
letsten Auskunft, keine Vorwürffe machen können. Seyn Sie ver-
sichert, daß das was Sie mein emsiges Bemühn, um die junge Vi-
comtesse heissen, sich immer auf die Wohlanständigkeit, und
1 Düc von Aiguillon, hatte den Herrn Bellanger, nach London abgesandt,
einer dieser Avantüriers, die, weil sie nichts zu verlieren haben, alles wagen, und
der in allen Spielgelaagen sehr wohl bekannt war. Seine Spiesgesellen waren Ge-
richtsschergen, als Receveur, Cambert und Finet etc. Diese Hinderlistigen, such-
ten mit Morande Vertraulichkeit, um sich seiner zu bemächtigen, und ihn mit
List nach Frankreich zu liefern. Dieser aber der feiner als sie war, und sie kante,
stellte sich an, als ob er nichts von ihrer Absicht merkte. Er erwies ihnen Freund-
schaft und entlehnte von einem jeden 30 Neue Louisd'ores. Hernach zog er die
Sturmgloke wider sie an, und diese Spionen, die unter dem Englischen Pöbel grossen
Verdacht erwekten, waren genöthiget sich sorgfältig zu verbergen, und die erste
beste Gelegenheit zu ergreifen, um wieder das Meer zu passiren.
Düc von Aiguillon, sandte nachher Herr Predau von Chemilli Schazmeister der
Marechaussees, unter dem Vorwand Pferde aufzukaufen, nach England ab. Er
hatte den Auftrag 40 000 Livres für das Manuscript, anzubieten ; allein es ward
nichts aus dem Handel. Endüch nahm es Caron von Beaumarchais auf sich, und
berichtigte es vermittelst grossen Aufwands. Er gab Morande 50 000 Livres baar,
und sezte ihm im Namen der Franz. Regierung unter Gewährleistung, des Che-
valier von Vandek Banquier in London ein Jahrgehalt von 200 Pfund Sterlings
vest; wovon die Hälfte nach seinem Tod, auf sein Weib kommen sollte.
Durch dieses Mittel kam das Werk nicht zum Vorschein, und man versichert
sogar, daß es niemals ganz gedrukt worden seye.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 419
Hochachtung beziehn wird, die ich ihrem Rang den sie hier be-
kleidet, der Verbindung die sie geschlossen hat, und der Huld,
womit sie der König beehrt, schuldig bin.
Ich bin stets etc.
Düc von Aiguillon.
CXXXIV. Brief
VON HERRN VON BEAUMONT, ERZBISCHOF VON
PARIS
_, , Den 15. Jenner 1774.
Madam! "*
Es ist meine Amtspflicht, die meiner Sorge anvertrauten Per-
sonen zu erleuchten, und alle Mittel zu versuchen, welche eine
von der Klugheit geführte Liebe einflössen kan, um die von dem
Weg der Wahrheit Abgewichenen, wiederum in selbigen zu lei-
ten. Sie können nicht denken, Madam, daß ich der Einzige seye,
dem das Aergerniß, welches leider nur allzu offenbar ist, ohn-
bekannt seye. Wenn mich die Abweichungen eines privat Men-
schen kränken, urtheilen Sie, wie groß mein Schmerz seyn müsse,
wenn ich an diejenigen denke, zu welchen sie einen Fürsten ver-
leiten, der wegen seinen in allen Absichten grossen Eigenschaf-
ten preißwürdig ist. Ihr Triumph ist in den Augen der Welt ohn-
streitig sehr schmeichelnd, ja ich gestehe sogar, daß es wenige
Personen giebt, deren Tugend standhaft genug ist, nicht dar-
durch geblendet zu werden, und die heldenmüthig genug sind,
ihm frey willig zu entsagen. Aber soll ich glauben, daß dieser er-
habene Muth über Ihr Vermögen gehe ? Wenn Ihre Liebe zum
König aufrichtig wäre, würden Sie Ihm nicht einen auffallenden
Beweis darvon, dardurch geben, wenn Sie Ihre auf Ihn habende
Macht dahin verwenden würden, Ihn auf den Weg des Heils zu
leiten, und Ihn darinnen durch Ihr Beyspiel aufzumuntern?
Könnten Sie eine ohngezwungene Absonderung von der Welt,
27*
420 Original- Briefe der Frau Gräfin Dil Barry
welche da Sie sie mit dem Himmel aussöhnte, Sie die reinsten
Freuden, die man hieniden schmeken kan, des Friedens mit sich
selbst, und der Achtung aller Rechtschaffenen, gemessen Hesse,
könnten Sie wohl diese als eine schimpfliche Entfernung an-
sehen ? Sie hätten diese mit allem Recht verdient, weil Sie dem
Staat seinen König, der Religion ein Christ und einen Beschüzer
wieder geschenkt haben würden. Das Verderben des Getümmels,
das Sie umgiebt, Madam, mag seyn wie es will, so kan ich mir
nicht vorstellen, daß es alles Gefühl der Religion in Ihrem Her-
zen gänzlich habe erstiken können. Gehen Sie einen Augenblik
in selbiges zurük, und wenn Sie bey der Stimme, die sich in selbi-
gem muß hören lassen, nicht taub sind, so zweifle ich nicht, das
meine Wünsche bald erfüllt seyn werden, und daß ich zum Mu-
ster einen König seinem Volk vorstellen könne, der an meiner
Ehrfurcht und an meiner Ergebenheit an seiner Person nicht
zweiflen kan. Ich bin etc. t Ch. von Beaumont.
CXXXV. Brief
AN HERRN ERZBISCHOF VON PARIS
Den 16. Jenner 1774.
Monseigneur!
Mit Vergnügen sehe ich Ihre Liebe zum König; allein ich
halte die meinige ohnerachtet dessen, das Sie mir sagen, tür eben
so acht. Es ist wahr, daß ich sie ihm auf eine ganz andere Art
zeige, die vielleicht tauglicher ist, Ihn zu bereden. Ich hätte nie-
mals deuten können, daß Sie sich an mich wenden würden, um
die Revolution, die Sie gern sähen, zu orzielen. Ihr Eifer würde
ohnstreitig das gröste Lob verdienen, wenn er f rey von Menschen-
tand wäre. Allein ich kan um so viel begründeter ihn für nicht
ganz ohneigennüzig halten, als ich die Absicht weiß, die Sie ha-
ben, den König mit einer Erzherzogin zu verheuratnen; und
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 421
wenn diese Verbindung durch Ihre Vermittlung zu Stand käme,
so ist mir bekannt, daß Sie Ihnen sicher grosse Vortheile ver-
schaffen würde. Wenn ich schon noch nicht den nöthigen Muth
besize, um Ihre frommen Absichten zu unterstüzen, so will ich
Ihnen, Monseigneur, wenigstens gestehen, daß Ihr Brief einen
tiefen Eindruck auf mich gemacht hat, diejenigen, denen ich ihn
zeigte, mochten mir sagen, was sie wollten. Um mein geängstig-
tes Gewissen zu beruhigen, und um mich zu versichern, daß ich
nicht so lasterhaft seye, als ich's vermeyne, will man mich glau-
ben machen, daß meine grösten Uebertrettungen nur geringe
Fehlergen gewesen wären, wenn ich das Glük gehabt hätte, wie
Sie Monseigneur, durch Einen jener erleuchteten Gottesgelahr-
ten1 geleitet zu werden, welcher vermittelst einer gewissen Di-
rektion des Vorsazes Sie auf die artigste Weise von der Welt mit
Madam von Moiran sündigen zu machen gewußt, ohne daß deß-
wegen Ihre Apostolische Seele, an der Beflekung des Körpers den
mindesten Antheil nahm. Mit einem Wort, Monseigneur, ob-
schon ich bey weitem nicht alles verstanden habe, was man mir
in Ansehung dieses gesagt hat, so dünkt es mich jedoch, dardurch
wahrgenommen zu haben, daß es ein leichteres und meiner
Schwachheit angemesseneres Mittel giebt, um den Weg des Heils
anzutretten, als das so Sie mir vorgeschlagen haben. Wenn dem
so ist, so werden Sie mich verbinden, wenn Sie mir's anzuzeigen
belieben, und Sie sollen sehen, daß ich mich alsdann im Ernst mit
meiner Bekehrung beschäftigen werde.
Ich bin mit Ehrfurcht, Monseigneur etc. 2
Gräfin Du Barry.
1 Die Jesuiten.
2 Diejenigen Personen, welchen Madam Du Barry, wie sie hier sagt, den Brief
des Herrn Erzbischof von Paris gewiesen hat, sind vermuthlich eben die, die ihr
den Stoff zu ihrer Antwort geliefert haben. Wir sind ganz überzeugt, daß sich bey
dem vertrauten Umgang, welcher in der That zwischen Herrn von Beaumont und
Mad. von Moiran, Vorsteherin des Spithals der Salpetersiederey, statt hatte, nichts
ohnehrbares zugetragen hat. Es ist wahr, daß die Welt sehr arg ist, und änderst
darüber geurtheilt hat. Allein wenn's auch Grund hätte, so ist es schon so lange,
422 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
CXXXVI. Brief
VON HERRN VON MAUPEOU
Paris den I. Hornung 1774.
Frau Gräfin !
Obschon ich zu allen Zeiten alle mögliche Ehrf orcht, die gröste
Achtung, und die aufrichtigste Ergebenheit, für Sie gehabt
habe; weit entfernt, jemals etwas wider Ihren Nuzen unter-
nommen zu haben, hatte ich mir's im Gegentheil zur Pflicht ge-
macht, bey allen Gelegenheiten Ihrem Verlangen zuvorzukom-
men; nichts destoweniger ist man so weit geschritten, mich sol-
chergestalten in Ihrem Herzen anzuschwärzen, um Sie zu ver-
mögen, mich als einen gefährlichen Feind anzusehen, und es zu
versuchen, den König dahin zu bringen, daß Er mir das Zu-
trauen, wormit Er mich beehrt, entziehe. Ich weiß es, Madam,
und habe deßwegen keinen Haß auf Sie, denn Sie sind hinter-
gangen worden ; allein das was mich über alle massen kränkt, ist,
daß ich sehen muß, wie Sie blinder Weise Ihr Vertraue a und
Ihre Achtung, Personen geschenkt haben, die dessen unwürdig
sind. Düc von Aiguillon, der Ihnen alles zu danken hat, verräth
Sie; er will Sie stürzen, und die Freyherrin von Neukerque1 an
Ihre Stelle bringen. Um dieser Dame den Plaz, den er ihr be-
stimmt, zu versichern, hat er das Projekt gefaßt, sie durch eine
geheime Trauung mit dem König zu verbinden. Da ich von
dieser Arglistigkeit Nachricht hatte, und mir wohl vorstellen
konnte, daß Sie einer so schwarzen Verrätherey keinen Glau-
ben zustellen würden, wenn ich meiner Anzeige nicht einen ohn-
ckß man es hätte vergessen sollen. Das Schreiben Sr. Hochwürden verdiente sicher
keine so beissende Antwort, und wir haben erfahren, daß sie diesen frommen
Mann ungemein gewankt hat.
1 Diese Freyherrin von Neukerque, ist die gleiche Madam Pater, von welcher
schon im XC. Brief die Rede war. Damit sie der König neurathen könnte, hatte
Düc von Düras nebst dem Düc von Aiguillon ihre Ehescheidung nach protestan-
tischem Gebrauch, mit vereinten Kräften bewirkt.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 423
verwerflichen Beweis beyfügte, so habe ich allem aufgebotten,
um einen solchen zur Hand zu bringen, und ich war so glüklich,
daß es mir gelang. Der Brief von dem Düc von Aiguillon, den
Sie angeschlossen finden, wird Ihnen mehr sagen, als Sie werden
wissen wollen. Ich wünsche, Madam, daß Sie treuere Freunde
finden möchten. Ich bin etc. von Maupeou.
Beylag zu obigem Brief
VON DEM DÜC VON AIGUILLON AN DIE FREY-
HERRIN VON NEUKERQUE
Sie erlauben mir, ja Sie fordern mich sogar auf, Madam, Ihnen
Rath mitzutheilen. Durch das Zutrauen, daß Sie mir bescheinen,
gekizelt, werde ich Ihnen mit aller möglichen Aufrichtigkeit ant-
worten.
Das Schiksal einer Maitresse des Königs ist ohnstreitig sehr
glänzend; allein glauben Sie mir, Madam, daß so groß auch die
Annehmlichkeiten seyn mögen, so sind sie doch nicht harmlos,
und immer mehr oder weniger dem traurigsten Ungemach aus-
gesezt. Ich bin überzeugt, daß mit der Huld, womit Sie der Kö-
nig beehrt, die Hindernisse, die Sie zu überwinden haben wer-
den, um es dahin zu bringen, daß er sich durch eine geheime
Trauung mit Ihnen verbinde, vielleicht nicht so stark seyn wer-
den, als diejenigen, die sich in den Weg legen werden, um die
jezige Favoritin schlechterdings zu verdrängen. Gesezt aber, Sie
fänden sehr häufige Schwierigkeiten, der Unterschied dieser bey-
den Situationen soll Sie nicht zaudern lassen. Errichten Sie sich
also einen Verhaltungsplan, der auf dieses abziele, und gehen Sie
nimmer davon ab. Ich sehe es nicht gerne, daß Sie gestern bey
der geheimen Zusammenkunft, allzu gefällig gegen den König
gewesen sind. Ein allzu leicht erhaltener Genuß, kan bey diesem
durch die Wollust erschöpften Fürsten, selbst den feurigsten
424 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Hang schwächen. Um seine anerbohrne Wankelmuth zu fes-
seln, so ist es nothwendig, seine Begierden durch eine Wider-
sezung rege zu machen, welche mit genügsamer Kunst begleitet
ist, um Ihm nicht die Lust zu benehmen. Ich glaube sogar, daß
Er im Fall jener alten Schwelger ist, die in ihren alten Tag noch
fromm werden, sich leicht entrüsten, und bisweilen Unruhe und
Gewissensscrupel empfinden, über welche man sie alsdann trö-
sten muß. Sie können, Madam, von dieser lezten Blosse mit nicht
geringem Erfolg Gebrauch machen, damit Ihre Seele an die sei-
nige gleichsam wie geleimt seye, so stellen Sie sich, als hätten Sie
die gleiche Forcht, und die Gewissensbisse, die Er sicher hat; die-
ses ist ein fast ohntriegliches Mittel, Ihre Absicht zu erreichen.
Morgen um 5 Uhr werde ich Sie sehen. Ich gehe zuvor zum König,
vielleicht sind Sie der Gegenstand des Gesprächs. Wenn es sich
zuträgt, so werde ich Ihnen gewiß nichts verderben. Ich bin etc.
Düc von Aiguillon.
CXXXVII. Brief
AN DEN DÜC VON AIGUILLON
Den 2. Hornung 1774.
Wie ! Herr Düc, Ihnen muß ich die bittersten Vorwürffe ma-
chen! Ihnen, die ich Sie vom Galgen errettet habe. Ihnen, die
ich die Schwachheit gehabt habe, Ihrer Leidenschaft Gehör zu
geben! Ihnen, die ich Sie mit Wohlthaten, mit Ehre und An-
sehen überhäuft habe! Sie die meine Fußtritte küssen sollten,
Sie haben die Abscheulichkeit gehabt, mich zu hintergehen, Sie
führen dem König ein Weibsbild zu, um Ihre Gutthäterin zu
verdrängen ! Ich weiß es, ich habe den von Ihrer Hand geschrie-
benen Beweiß, und kan es doch kaum glauben, so unerhört körnt
mir diser Streich vor! Das Ungeheuer, welches mir au3 dem
innersten seinei Hole in Londen die Ehre abschneidt, mich ver-
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 425
leumdet, ist in Vergleich mit Ihnen ein Gott. Die Verzweiflung,
die Wuth bemächtigen sich meiner Seele ! ich brenne vor
Rache ich bin in diesem Augenblik so verwirrt, daß ich
noch nicht weiß, welche Wafen ergreifen. Ich will in mei-
nem vollen Zorn zum König lauffen, Ihm Ihr Verbrechen und
das meinige gestehen, Ihme Ihren Brief an die Freyherrin von
Neakerque zeigen, Ihn bitten uns beyde zu straffen. Bis in die
Hölle will ich Sie verfolgen, und wenn es Furien für Ungeheuer
gibt, Sie ihnen überliefern. Mit einem Wort stellen Sie sich vor,
daß ich allem aufbieten werde, dessen ein beschimpftes Frauen-
zimmer fähig ist.1
Gräfin Dil Barry.
CXXXVIII. Brief
AN HERRN ABE VON BEAUVAIS, DAMALS CHORHERR
VON NOYON, PREDIGER DES KÖNIGS, WIRKLICHER
BISCHOF VON SENEZ2
Am Hohen Donnerstag Abends 1774.
Sie haben, Herr Abe, heute mit einer ausserordentlichen Ohn-
verschämtheit gepredigt. Statt sich in Ihrer Rede, der Sanft-
muth, der Liebe und der Mäßigung zu bedienen, haben Sie die
1 Düc von Aiguillon, welcher die fürchterlichen Folgen vorsähe, die die Wuth
der Madame Du Barry haben könte, lief zu ihr hin, warf sich zu ihren Füssen, ge-
stund seinen Fehler, den er nicht in Abred seyn konte, entschuldigte sich so gut
er konte, und war noch so glüklich diejenige zu besänftigen, die er so greulich be-
leidigt hatte. Genug er erlangte Vergebung, unter dem Versprechen, Mad. von
Neukerque zu verlassen, und sich nimmer in diese Sachen zu mischen. Er hielt
auch wirklich Wort.
2 Abe von Beauvais, der von einer dunklen Herkunft war, hatte beschlossen,
auf seiner Station Fortun zu machen, ein Bischofthum zu erlangen, oder in die
Bastille zu gerathen. Er nahm zu dem End einen ganz ausserordentlichen Weg; er
unterstund sich, wider das ärgerliche Leben Ludwig des Fünfzehnden zu predigen.
Er schilderte hauptsächlich seine Leidenschaft für Mad. Du Barry, in einem Kraft-
426 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Frechheit gehabt, das Leben unsers Monarchen in den Augen
seines Volks anzuschwärzen. Nur Ihn haben Sie angegriffen, ob-
schon Er der einzige war, dessen Sie hätten schonen, und einiger
massen seine Fehler vor seinen Unterthanen entschuldigen sollen.
Sie waren, glauben Sie mir's, nicht von der christlichen Liebe
beseelt. Der Ehrgeiz, und die Begierde empor zu kommen, wa-
ren die einzigen Triebfedern Ihres Betragens. An der Stelle Sr.
Majestät, würde ich Sie auf ein entferntes Dorf verweisen, da-
mit Sie daselbst lernen möchten, vorsichtiger zu handeln, und
das Volk nimmer gegen seine Fürsten, die von Gott es zu re-
gieren gesezt sind, aufzuwieglen suchen möchten. Ich weiß nicht,
was der König thun wird, aber Sie haben seiner Güte zu viel zu-
gegeben. Sie hätten nicht erwartet, Vorschriften, wie Sie sich
betragen sollen, die aus dem Christenthum und der Moral ge-
nommen sind, von mir zu erhalten : nun trachten Sie sie zu Ihren,
Heil zu benuzen. Hier haben Sie meine Predigt, ich wünsche,
daß Sie Ihnen wohl bekomme, und bin etc.
Gräfin Du Barry.
vollen Gemälde von den Sitten Salomons, worvon das Gleichniß sehr empfind-
lich war. „Dieser Monarch, sagte er, der Wollust satt, und müde alle Arten des
„Vergnügens, die den Thron umgeben, erschöpft zu haben, um seine welke Sinn-
„lichkeit wieder zu erfrischen, endigte damit, daß er sich eine neue Art unter dem
„garstigen Überbleibsel der öffentlichen Verdorbenheit aussuchte." — Madam
Du Barry kannte sich allzu wohl in dieser Schilderung, als daß sie nicht drüber
betretten war. Sie schrieb noch selbigen Abend diesen Brief an den Prediger. Sie
wollte hernach den König wider ihn aufbringen. Allein Ludwig der Fünfzehende
war gut, Er erzörnte sich nicht, Er entschuldigte ihn sogar, sagende, er hätte sein
Amt verrichtet.
Man erzehlt, daß eines Tages, wo der Abe mit Heftigkeit wider die alten Sün-
der, die mitten in ihren eißkalten Tagen noch unreine Flammen der fleischlichen
Lüste beybehielten, geredt habe, Se. Majestät sich nach der Predig an den Mar-
schall von Richelieu gewandt, und ihm gesagt hätte: „Wohlan! Richelieu, mich
„dünkt, der Prediger habe brav Steine in Euern Garten geworfen." „Ja
„Sire, erwiederte der Marschall, es sind darvon widerprellt, und bis in den Parc
„zu Versailles geflogen."
Dieser Abe erhielt was er verlangte, das Bischofthum von Senez war ledig, und
er ward dahin ernannt.
Original-Briefe der Tran Gräfin Du Barry 427
CXXXIX. Brief
VON DAUBERVAL OPERNTÄNZER
Paris den 10. April 1774.
Madam!1
Wie viel bin ich Ihnen nicht schuldig, und wie es vergelten!
Von Ihren Gutthaten über und überhäuft, erhalte ich noch von
Ihnen eine Gunst, die einzig ist, und worvon Frankreich gegen
einen gemeinen von seiner Kunst lebenden Mann kein Beyspiel
aufzuweisen hat. Ich stekte in Schulden bis über die Ohren: die
Ohnenthaltsamkeit, die unserm Stand so gewöhnlich ist, die Zer-
streuung, in der wir leben, der Luxus, zu dem uns die glänzende
Gesellschaft, die uns sucht, verleitet, das zur Notwendigkeit
gewordene grosse Spiel, waren die natürlichen Folgen meines
Verfalls. Dieses gab mir wenig Anspruch auf die öffentliche
Nachsicht. Von meinen Gläubigern geplagt, und nicht wissend,
wie sie befriedigen, hatte ich den Entschluß gefaßt, mich äussert
Lands zu begeben, und nach Rußland zu gehen, wohin ich ge-
rufen war, und wo der Himmelsstrich, so rauh er auch ist, we-
niger ohnbarmherzig gegen mich würde gewesen seyn. Sie ha-
ben nicht wollen, Madam, daß sich ein fremdes Land durch einen
Verlust bereichere, der freylich sehr gering ist, den Sie aber zu
vergrössern geruht haben. Sie haben behauptet, daß es schimpf-
lich seyn würde, einen so treflichen Tänzer um fünfzigtausend
Livres willen, wegzulassen. (Dieses sind Ihre Ausdrüke, und ich
1 Dauberval, der zu Grunde gerichtet war, drohete seinen Gläubigern und
dem Publikum, nach Rußland zu gehen. Madam Du Barry ließ sich's einfallen
ein so nüzliches Sujet nicht wegzulassen. Sie fragte ihn, wie viel erfodert würde'
um seine Sachen zu berichtigen? Er sagte, daß er 50 000 Livres darzu vonnöthen
hatte. Diesem zufolg errichtete sie eine Art Kollekte bey Hof, und sie Selbsten
sammelte die Steuer nach eines jeden Vermögen ein. Man durfte nicht weniger
als fünf Lomsd'ors einlegen, allein sie forderte bisweilen 10, 15, 20 bis 25. Ver-
mittelst dieser Wendung war die Summe gar bald vollzählig, und das Bedauren
der Liebhaber legte sich.
428 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
würde erröthen selbige zu wiederholen, wenn man bey der Ehre
eines Beyfalls, wie der Ihrige, bescheiden seyn könnte.) Aber das,
was einem stärkern Kopf den Schwindel machen könnte, ist Ihr
Eifer, den ganzen Hof zur Wiederherstellung meiner Glüksum-
ständen in Kontribution zu sezen. Sie hätten mich sicher einzig
vom Schiffbruch retten können. Es wäre ein Tropfen Wasser
aus einem grossen Fluß, hingegen aber meinem Herzen weit sanf-
ter gewesen, nur eine einzige Beschüzerin zu haben. Wie ? was
sage ich! Ich habe auch in der That nur Eine, und Ihnen muß
ich die Gutthaten so vieler erlauchten Personen verdanken. Sie
haben wollen, daß weil alle meine Bewunderer seyn, auch alle
zu meiner Beybehaltung bey tragen sollen. Sie haben eine Kol-
lekte errichtet, und Sie schienen Ihre Thüre nur nach Verhält-
niß des Beytrags zu öfnen. Das war eine wirkliche Auflage, mit
der Sie alle, die Ihnen ihre Aufwartung machten, beschwerten.
Ehedem ließ Madam la Marquise von Pompadour, dieses rei-
zende Frauenzimmer, die Ihnen auf der glänzenden Laufbahn,
die Sie betretten, vorgieng, welche die Künste verewigt haben,
weil sie sie begünstigte und unterstüzte, eine Lotterie für Gel-
liotte errichten.1 Man gab Bälle für Granval,2 eine Repräsen-
tation für Mole3. Alles grosse Männer, unendlich weit über
mir, sowohl wegen ihren Talenten, als wegen. der Vollkommen-
heit zu der sie selbige gebracht haben. Sie waren bestimmt
Madam, mein Verlust als ein allgemeiner Jammer anzusehen,
und um mich zurükzuhalten, Ihre Zuflucht zu jener ausser-
ordentlichen Schazung zu nehmen,- die der erhizte Patriotis-
mus sich ereifert um die Wette zu bezahlen. Mich mehr denn
jemals ohne alle Ausnahm, Ihren Ergözlichkeiten widmen, ist
die einzige Art, wormit ich Ihnen mein Dank bezeugen kan.
Ich überlasse es denen Gelehrten und Künstlern Sie würdiger zu
1 Ehemaliger Opernsänger.
2 Ehemaliger Schauspieler in der franz. Komödie.
3 Wirklicher Schauspieler in der franz. Komödie.
Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry 429
erheben. Was hat das Genie nicht von einer solchen Schuzgöttin
zu erwarten, wenn sie so vieles für einen Mann nur von bloßen
Naturgaben thun, der sich einzig deswegen empfihlt, weil er das
Glük hat, etwas zu Ihrem Vergnügen beyzutragen. Die Maler,
Bildhauer- und Kupferstecherkunst haben sich bereits um den
Ruhm gezankt, dem erstaunten Europa, die verführerischen Reize
Ihres Urbilds zu überreichen. Schon haben die Musen Ihre
Schläfe mit ihren Kränzen umwunden. Schon ist der Patriarch
der Litteratur, der König unserer Dichter und Philosophen, der
Alte von Ferney zu Ihren Füssen gekrochen; und hat Ihnen für
seine Persohn, sowohl die Verehrungen des Parnaß als des Porti-
cus gebracht. Möchte sein Beyspiel diejenigen ermuntern, die
aus lauter Hochachtung stum waren! Es müsse sich ein allge-
meines Concert zu Ihrem Ruhm anheben, und der den Händen
der liebenswürdigen Marquisin entfallene Zepter der Künsten
und der Philosophie, die sie noch beweinen, in die Ihrigen über-
gehen, und selbige in Ihnen eine zwote Minerva schenken. Ich
bin mit der allertiefsten Ehrforcht.
Dauberval.
CXL. Brief
VON DEM DÜC VON NIVERNOIS*
Paris, den 12. April 1774.
Ich habe Frau Gräfin auf Ihr Anhalten die Fünf und zwanzig
Neue Louisd'ors, die Sie mir für meinen Antheil an der Steuer
begehrten, die Sie für Dauberval sammeln, nicht abschlagen
können. Indessen kan ich Ihnen nicht bergen, daß diese kleine
1 Madam Du Barry, die das Gewicht eines Begehrens von dieser Art bey einem
solchen Anlas fühlte, nahm das Memorial mit bestem Willen auf sich. Dieser Edel-
mann, der ohne die feine Wendung seines Wohlthäters vergebens geflehet hätte,
kehrt nun wieder in den Schoos seiner Familie zurük, der er Freude und mehrere
Gemächlichkeit mitbrachte.
430 Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry
Summe einem armen Edelmann, der ein abgedankter mit Kin-
dern gesegneter Officier ist, und seit vielen Jahren um ein ge-
ringes Gehalt gebätten hat, gewiedmet war. Da sie ihm die kleine
Beyhülfe, die ich für ihn beyseits legte, entziehn, so liegt es Ihnen
ob, ihn zu entschädigen. Ich lege sein Memorial meinem Brief
bey, und zweifle keineswegs Sie werden darvon gerührt werden,
und Ihre bey so vielen Anlässen gezeigte Menschenliebe, werde
Sie dahin bringen, ihn zu unterstüzen und ihm einen erwünsch-
ten Erfolg zu verschaffen.
Ich bin etc. Düc von Nivernois.
CXLI. Brief
AN DIE MARQUISIN VON MONTRABLE
Morgen kan ich meine liebe Mamma nicht zu Ihnen kommen,
wie ich es Ihnen versprochen hatte. Die Situation des Königs er-
laubt es mir nicht ihn zu verlassen. Seit dem Tod des Marquis
von Chauvelin, und des Marschall von Armentieres, ist Er so
schwermüthig, daß es mir viel zu schaffen macht, und durch die
verwünschte Predig des Abe von Beauvais ist sie noch vermehrt
worden. Wenn es von mir abgehangen hätte, so hätten Se. Ma-
jestät diese Ohn Verschämtheit bestraft. Ich habe eine Reise nach
Trianon1 vorgeschlagen. Wir werden uns alle Mühe geben, das
1 Eben diese unglükliche Reise nach Trianon brachte dem König den Tod.
Mit Bewunderung und heisser Begierde hatte Er die Tochter eines Tischlers ge-
sehen. Mad. Du Barry glaubte, daß wenn sie Ihm Gelegenheit machte, seine Be-
gierde zu befriedigen, man Ihm vielleicht sein finsteres Wesen benehmen könte.
Diesem zufolg lies man dieses junge Mädgen kommen, das man aber nicht änderst
als durch Drohungen und Versprechungen eines grossen Vermögens zum Bey-
schlaf mit. dem König bringen konte. Se Majestät hätten des zubereiteten Ver-
gnügens nicht vollkommen gemessen können, wenn man Ihm nicht mit ausser-
ordentlich stärkenden Mitteln aufgeholffen hätte. Dieser Genuß, war für beyde
traurig. Das Mädgen war schon von den Pokken angestekt, ohne daß sie es wußte,
und die Symptomata dieser Krankheit, zeigten sich am folgenden Morgen mit
vieler Heftigkeit bey ihr, so daß sie am dritten Tag daran starb. Da das Gift auch
den König ansteckte, so ward Er krank, ohne daß man noch wissen konnte, was Jür
eine Art Krankheit Er hatte.
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 431
Gemütli des Königs zu beruhigen, und Ihn wieder fröhlicher zu
machen. Ich werde Sie meine liebe Mamma, besuchen, so bald
ich kam Sie kennen alle das Vergnügen, daß ich habe, Ihnen die
Versicherungen meiner wahren Ergebenheit zu erneuern.
Gräfin Du Barry.
CXLII. Brief
AN DIE MARQUISIN VON MONTRABLE
Der König, meine Hebe Mamma, hat nun ganz zuverläßig die
Pokken. Ich hatte alles angewandt, um Ihn zu vermögen, daß
Er in Trianon bleibe; allein la Martiniere, der sich die Macht,
die Ihm die Schwachheit des Monarchen gab, zu Nuze machen
wollte, hat Ihn dahin gebracht, daß Er nach Versailles zurük-
kehrt. Ich weiche Ihm nicht vom Bett weg. Sein Zustand dünkt
mich noch nicht gefährlich, weil Er selbst nicht angegriffen ist.
Allein in seinem Alter können sich die Sachen alle Augenblik
ändern, besonders in einer Krankheit von solcher Beschaffenheit.
Ich bin so glüklich gewesen, Ihm Zutrauen für meinen Arzt
Bordeu beyzubringen. Dieser besorgt Ihn hauptsächlich nebst
le Monnier. Man wollte Ihm gleich die heil. Sakramente reichen;
es war mir aber alles daran gelegen, daß es nicht geschehe. Bor-
deu hat sich sehr widersezt, und es ist ihm gelungen, es abzu-
wenden, indem er sagte, daß dieser Apparatus für die Kranken
öfters von traurigen Folgen wäre. Leben Sie wohl meine liebe
Mamma; ich verlasse Sie, um wieder zum König zu gehen. Ich
Gräfin Du Barry.
CXLIII. Brief
AN DIE MARQUISIN VON MONTRABLE
Der Streich ist versezt meine liebe, Mamma, der König, der
sich sehr übel befindet, hat der Düchesse von Aiguillon sagen
432 Original- Briefe der Frau Gräfin Du Barry
lassen, daß es Ihm lieb seyn würde, wenn sie mich zu Ihm hin-
führte. Diesem zufolg sind wir nach Ruelle abgegangen, von wo
aus ich Ihnen schreibe. Se. Majestät hat, bevor Er das Viaticum
empfieng, sich durch den Mund seines Geistlichen erklärt, daß
es Ihm leid seye, seinen Unterthanen Aergerniß gegeben zu ha-
ben; daß Er hinfüro nur zur Stüze des Glaubens, der Religion
und zum Glük seines Volks leben wolle. Um die Versprechungen
eines Sterbenden soll man sich nicht bekümmern. Sie sind alle
gleich, bis sie wieder gesund sind. Wenn der König so glüklich
ist, so bin ich versichert, daß sich meine Lage nicht verändert.
Leben Sie wohl, liebe Mamma. Ich bin etc.
Gräfin Du Barry.
N. S. Als ich diesen Brief an Sie abschiken will, vernehme ich,
daß es um den Kranken nicht mehr so gefährlich steht.
CXLIV. Brief
AN DIE VORIGE
Ich fange an, meine liebe Mamma, von der Situation des Kö-
nigs übel zu urtheilen. Gestern waren die Besuche den ganzen
Tag ohne Unterlaß, heute habe ich blos zween empfangen. Über-
das hat Abe Terray, von dem ich dreymal hundert tausend Livres
begehrte, mir selbige trozig abgeschlagen. Wenn der König wie-
der aufkömmt, so werde ich für diese Ohnverschämtheit Genng-
thuung verlangen. — Ich höre eine Kutsche, ich will sehen, was
es ist.
Es ist geschehen, meine theure Mamma. Der König ist nicht
mehr. Dieser garstige Düc de la Vrilliere ist gekommen, mir's
anzusagen, und mir einen Befehlsbrief einzuhändigen, der mich
Original-Briefe der Frau Gräfin Du Barry 433
in das Kloster von Pontaux-Dames bey Meaux1 verweißt. Ich
bin ihm mit dem grösten Stolz begegnet. Dieser Ohnverschämte,
der gestern noch kriechend vor mich kam, scheint heute über
meine Ungnade zu triumphieren. Ich bin über den Aufenthalt,
zu dem ich verurtheilt bin, ausser mir, noch mehr aber über die
Art, wie ich darinnen leben soll. Man erlaubt mir nicht mehr als
eine einzige Kammerfrau; ich darf niemand sehen, und von
niemand keine Briefe annehmen oder abschiken, die Superiorin
habe sie dann gesehen. Ich habe nach meinem Sachwalter ge-
schikt, um ihm Befehle zu geben, über die er Ihnen Bericht ge-
ben muß. Wachen Sie, ich bitte Sie, über das was er thut, u nd
daß man mich so wenig als möglich plündere. Ich werde Ihnen
schreiben, wenn ich kan, sobald ich in jenem Kerker bin. Gott
erhalte Sie, meine liebe Mamma ; ich habe so viele Vorkehrungen
zu treffen, und bin so voller Zorn, daß ich förchte, ich werde
abreisen, ohne an etwas denken zu können.
Gräfin Du Barry.
Bis hieher geht im französischen Original die Sammlung der
Briefen der Madam Du Barry. Es heißt in selbigem, daß dem
Verfasser noch eint und andere Briefe seit ihrer Verweisung zu
Händen gekommen seyen; allein da sie nur häusliche Angele-
genheiten enthielten, wären sie des Druks ohnwürdig erachtet
worden.
1 Madam Dii Barry war über den Verweisungsbefehl wie vom Bliz getroffen.
Sie rief mit ihrer anerbohrnen Energie aus : „Die hübsche Scheiß-Regierung, die
mit einem Verweisungsbrief anfängt." Sie machte dem Düc de la Vrilliere die
derbsten Verweise, daß er diese Kommißion übernommen habe, und behandelte ihn
mit der äussersten Verachtung. Der Verweis ungsbrief war indessen nicht hart.
Madam Du Barry wußte das Staatsgeheimniß, und es war klug gehandelt, zu ver-
hüten, daß ein so leichtsinniges Frauenzimmer selbiges nicht ausbriefe. Per König
sagte in diesem Brief, daß Ihn Staatsgründe nöthigten, ihr zu befehlen, sich ins
Kloster zu verfügen; daß Ihm die Gewogenheit, wormit sie von seinem Großvater
beehrt worden seye, wohl bekannt wäre, und daß man bey nächstem darauf be-
dacht seyn werde, ihre Entfernung zu lindern, und ihr ein anständiges Gehalt zu
geben, wenn ihre Situation es erfodere.
I- 28
D
ANMERKUNGEN
ie Compilation der Chronique Scandaleuse, deren erster Band im Jahre 1783
erschien, hat einen davongelaufenen Benediktiner zum Verfasser, Guillaume
Imbert aus Bordeaux. Er lebte in Paris, wo er hörte, was man erzählte: all-
wöchentlich schickte er, was er zusammengebracht hatte, nach Neuwied, wo man
es unter dem Titel Correspondance secxete, politique et litteraire druckte; es
oab 52 Hefte im Jahr. Diese Correspondance sollten die Nouvelles ä la main
Bachaumonts ersetzen, die sehr schwer nach Frankreich zu bringen waren. Immer-
hin saß auch Imbert des öfteren in der Bastille. Er hat seine Heftchen gesammelt,
die in achtzehn Bänden bis zum Jahre 1784 reichten; die Heftchen setzte er
fort bis zum Jahre 1793. Aus der Masse dieser Bände wählte er selbst eine Zu-
sammenstellung in einem Bande aus, der 1783 erschien, und der sich in den fol-
genden Jahren mehrte bis auf fünf Bände im Jahre 1791. Aus diesen fünf Bänden
ist im vorliegenden Texte eine Auswahl getroffen worden. Die Übersetzung
besorgte F. Neufeld.
Die Chronique Aretine, ou recherches pour servir ä l'histoire de la generation
presente, erschien unter dem fingierten Druckort Capree in Paris 1789. Es blieb
bei dem einen Hefte; die an dessen Schluß angekündigte Fortsetzung ist nie
erschienen. Der Verfasser blieb unbekannt.
Der Gazetier cuirasse, ou anecdotes scandaleuses de la cour de France im-
prime ä cent lieus de la Bastille ä l'enseigne de la liberte, erschien 1771. Ver-
fasser ist Charles Thevenot der sich Chevalier de Morande nannte; er saß wegen
Diebstahls einer goldenen Tabatiere — er stahl sie in einem Freudenhaus — im
Gefängnis. Er stahl auch nachher noch öfter und floh nach England. Hier ver-
öffentlichte er den Gepanzerten Gazetier, ein Pamphlet gegen die Dubarry,
den Kanzler Maupeou und den Grafen Saint-Florentin, geherzogten Vrilliere.
Louis XV. kapitulierte vor dem Revolvermann. Thevenot ist der erste französische
Journalist, der mit seinem Gewerbe Erpressung trieb. Holländische und eng-
lische Journalisten waren die ersten, die mit dem Opfer ihrer Angriffe vor der
Veröffentlichung verhandelten. Von den 180 Seiten des Thevenotschen Pam-
phletes gehen 100 auf die Dubarry, worin Wahres mit Legendärem und frei
Erfundenem abwechseln. Als etwas später Thevenot der Komtesse ein neues
Libell gleicher Gattung zu schreiben ankündigte, beeilte sich die Dubarry, es um
jeden Preis anzukaufen. Mme Roland sah den Journalisten in England und
schreibt über ihn: „Morande a ete l'auteur du Gazetier cuirasse et d'un autre
ouvrage contre madame du Barry. II connait beaueoup les grands et les filles
et dit que tous ces gens-lä sont faits pour aller ensemble, et lui-meme a grosse
figure et gros cou, donnant des coups de patte tres serres, se moquant de tout,
parait aussi assez propre ä faire bände avec eux." Für das zweite angekündigte
Libell, das schon gedruckt war, zahlte die Dubarry dem Verfasser 32 000 Livres
Anmerkungen *■, r
und eine Pension von 4800 Livres. Die Exemplare wurden bis auf eines ver-
nichtet, das durchschnitten und zu einem Teü der Dubarry ausgeliefert wurde
zum andern der Verfasser behielt. Pidansat de Mairobert, ein Konkurrent
des Gazetier cuirasse,-war so sehr erbost über das gelungene Geschäft Theve-
nots, daß er ihn heftigst angriff und sehr genau alle Stellen des Buches ko-
pierte und in seinem Espion abdruckte, also eine billige Ausgabe davon machte.
Er gibt im ,Diable dam un benitier' dieses Porträt von Thevenot: „Imaginez'
lecteur, une face large et plate, dont les traits sont formes avec une graisse livide
et flottante, des yeux couverts et hagards exprimant la frayeur et la perfidie,
un nez aplati, des nazeaux larges et soyeux, qui semblent respirer la luxure la
plus effrontee. On sait, qu'il ecrivait sans esprit et sans ordre le G. C. ouvrage
dont une dame de Courcelles, avec laquelle il est encore en correspondance'
lui fourmt les anecdotes. Cette rapsodie etait si degoutante qu'elle ne rapporta
presque rien ä son auteur. Mais la comtesse ayant par un de ces jeux de la for-
tune, qui ne sont par rares en France, partage la couche de l'imbecile Louis, le
gazetier recueillit quelques anecdotes dont ü composa un volume qu'il vendit
plus d'argent que Rousseau n'en a jamais retire de tous ses ouvrages." Es war
am Todestage des Königs, daß Beaumarchais nach London mit dem Gelde
für Thevenot kam. Dieser diente dann irgendwie in der französischen Polizei
und wurde 1792 guillotiniert.
Die unter dem Titel „Aus den kleinen Memoiren" zusammengestellten Ar-
tikel sind den Memoirenwerken von Bachaumont, Pidansat de Mairobert, Moufle
d'Angerville, d'Argenson, Chamfort und anderen entnommen.
Anm. 1. Die Familie Vestris stammte aus Italien; sie bestand, als sie sich um
1749 m Paris niederließen, aus den Eltern, den Söhnen Angiolo, Francesco, Jean
Baptiste, Gaetano, den Töchtern Teresina und Violante. „Die Familie Vestris
lebt m der allerzärtlichsten Einheit. Während die schöne Teresina Vestris mit
ihrem Liebhaber für Geld schläft, betet die Mutter fromm wie eine Heilige
im Nebenzimmer ihren Rosenkranz; ihr Bruder Jean Baptiste, den man den
Koch nennt, bereitet das Essen, das Gaetano, Angiolo, Francesco, Teresina mit
ihrem Liebhaber, Violante mit dem ihren in größter Eintracht verzehren "
(Grimm, Corr. Lit., Tome VIII, S. 262.) Wenn Gaetano und Teresina in der
Oper tanzten, war immer die ganze Familie Vestris im Parkett, um den Beifall
anzufeuern. Hier rief einmal der Bruder Koch: „Gaetano est le dieu de la danse«
und das Wort blieb dem vergötterten, insolenten Tänzer, von dem man als dem
„homme ä la belle Jambe" sprach, welches Bein er einmal königlich auf offener
Szene einem begeisterten jungen Balletteleven zum Küssen hinstreckte. Gaetano
sagte: „Es gibt nur drei große Männer in Europa, den König von Preußen
Herrn von Voltaire und mich.« Ein anderes Mal: „Glauben Sie mir, es ist nicht
alles rosig in meinem Beruf. Manchmal möchte ich wirklich mit einem einfachen
Kavallenekapitän tauschen.« Außer Gaetano, der mit seiner Schwester in der
Oper tanzte, war sein Bruder Angiolo nach einem längeren Engagement bei Karl
28*
43 6 Anmerkungen
Eugen von Württemberg in der Comedie Italienne als Tänzer berühmt; dessen
Frau spielte Tragödie in der Comedie Francaise. Ein Sohn, den Gaetano mit
Mlle Allard hatte, debütierte 12 jährig im Jahre 1772 in der Academie Royale
de musique als Tänzer, wo ihn sein Vater mit großartigen Worten dem Publikum
vorstellte und zu seinem Sohne sagte: „Allons, mon fils, montrez votre talent
au public, votre pere vous regarde." (Grimm, Tome XII, S. 234 Anm.) Der
„Diou de la danse" wußte sich beim Ballettkorps und besonders bei den Damen
durch seine große Grobheit in Respekt zu halten. — Mlle Heinel war aus Bayreuth
(geb. 1753) und debütierte in Paris 1768 mit großem Erfolg, d<r ihr auch in der
Libertinage treu blieb. Trotz ihrer Dummheit. Als sie ein Verhältnis mit dem
Prinzen Conti hatte, fragte sie einmal die wegen ihres Witzes berühmte Arnould,
weshalb sie so traurig und ob sie mit dem Prinzen nicht zufrieden sei. „Non,
mon amie," sagte die Heinel, „je ne veux plus de commerce avec lui, il m'a joue
un tour perfide. Imaginez vous, qu'il a voulu en user avec moi d'une maniere
forte extraordinaire; enfin comme on se sert ä Rome des petits . . . vous jugez
bien que j'ai du souffrir des douleurs affreuses. — Ah! ma pauvre enfant, reprit
Mlle Arnould, j'entre dans ta peine, et je ne doute pas que cela n'ait ete tres
difficile, car on est jamais si petit qu'aupres des grands." (Metra, Corr. Secr.,
Tome I, S. 35.) Aber sie muß sich daran gewöhnt haben, denn das Verhältnis
mit Conti dauerte bis 1771. Man nannte die Heinel die , reine de la danse', und
der ,diou' wurde eifersüchtig. Er beschimpfte sie vor allen Leuten, wenn sie Er-
folg hatte. Nannte sie eine Hure. Als sich die Heinel bei ihrer Freundin Arnould
darüber beschwerte, tröstete die sie: „Was willst du, meine Liebe, die Leute sind
heute so grob, daß sie die Dinge bei ihrem Namen nennen." Vestris wollte nicht
mehr zusammen mit der Heinel auftreten, es gab Parteien im Publikum, die Oper
war in Aufruhr : da reiste Mlle Heinel nach London tanzen, um im nächsten Jahr
zurückzukommen. Vestris hat sie übrigens nicht jetzt geheiratet; die beiden lebten
zusammen und heirateten erst 1792, um einen Sohn zu legitimieren, der ein
Jahr vorher auf die Welt gekommen war. Gaetano starb 79 jährig 1808, einige
Monate vorher war Mlle Heinel gestorben. Über die Familie: Gaston Capon,
Les Vestris, 1730 — 1808. Paris, Mercure de France 1908.
Anm. 2. Bachaumont spricht in den Memoires Secr. von Fierville als einem
Schauspieler, der mit einer Truppe und als deren Direktor 1768 aus Berlin ge-
kommen sei. Er rühmt sein großes Talent und stellte es über das des Lekain.
Anm. 3. In einem seiner Romane läßt Andrea de Nerciat eine Mme de Con-
banal auf einem elektrischen Bett sterben, und sagt von dem Bett: es sei eine Nach-
ahmung jenes berühmten Bettes des Doktor Graham. Les Aphrodites, 1793,
T. III, p. 115, Anm.
Anm. 4. Poinsinet de Sivry schrieb kleine Theaterstücke und war das immer
hereinfallende Opfer vieler Streiche seiner Freunde. Casanova erzählt von ihm
und der Komtesse Limore ein Abenteuer, das in Neapel passierte (Band 5,
Kap. 11).
Anmerkungen aij
Anm. 5. Der Chevalier de Mouhy war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller in
der Art seines Freundes, des Chevalier de la Morliere. Seine lesbarste Erzählung
,La Mouche' (1736) hat man damals unter dem Titel ,Der Spion* auch ins Deutsche
übersetzt. Rivarol macht sich in seinem Almanach des grands hommes über Mouhy
lustig, und der Kritiker Palissot nennt ihn den „fruchtbarsten und langweiligsten
Schriftsteller" Er war ein armer Teufel, hinkte und hatte einen Buckel. Er pumpte
mit Erfolg Voltaire an und starb 1784 im Alter von 83 Jahren. Er trug immer
Bücher von sich für gelegentliche Käufer in der Tasche und ließ sein Porträt
stechen, auf dem er sich als Kavallerieleutnant darstellte.
Anm. 6. Der Polizeiinspektor Receveur wurde 1774 nach London geschickt,
um von dort den Verfasser des Gazetier cuirasse, Thevenot de Morande, nach
Frankreich zurückzubringen, was aber nicht gelang.
Anm. 7. Les petits soupers et les nuits de l'hötel Bouillon, Lettre de Milord •••
ä Milord ***, 1783, ist eine Satire auf die Prinzessin von Bouillon und den Mar-
quis de Castries. Der Verfasser ist der Marquis de Pellepore.
Anm. 8. Der Schauspieler Dugazon von der Comedie war ein Bruder der
Mme Vestris, der Gattin Angiolos, die sich 1775 trennten. Dieser seiner Schwester
dankt er sein Engagement. Von ihm ist auch in der Chronique Aretine die Rede.
Seine Frau kreierte die Soubretten im Theätre italien. Die Memoires secrets be-
richten unterm 2. April 1784 von einem unangenehmen Abenteuer, das Mme
Dugazon mit dem älteren Herrn Astley bestand und das in zwei Nächten erfolgte,
die sich Herr Asteley bei Madame kaufte. „II lui a fait courir vingt-deux postes!
'aurait ete surcroit de plaisir, si le cavalier, monstrueusement conforme, ne lui
eut fait prendre un ecart terrible et renouvele une descente de matrice qu'elle
avait autrefois eue: en Sorte qu'elle dans le cas ou eile guerirait, ne pouvait faire
le moindre effort, Sans craindre un pareil accident. Le sieur Dugazon, son mari,
est le premier ä conter l'aventure dans les foyers et dans les cercles; il en plai-
sante, il dit que sa femme est une gourmande qui avale les morceaux trop gros."
Anm. 9. Die Marchande de modes, Mlle Marguerite Stock, heiratete einen
Capitaine general des Fermes, M. Gourdan, und errichtete bald nach dessen
Tod 1759 ein sehr besuchtes öffentliches Haus. Sie schickte eine Mlle Martin
dem Grafen Dubarry auf Rechnung des Herzogs von Richelieu und legte damit
den Grundstein zu Ruhm und Vermögen. Sie vermittelte sowohl für Männer wie
für Frauen. Sie war einige Male eingesperrt. Ein Journalist, Pidansat de Mairobert,
hat ihr luxuriöses Etablissement besucht und beschrieben (L'Espion anglais, 1776,
T. II, p. 402—418). Sie starb 1783. Die Dubuisson, wie sich Mme Francoise
Bailot nannte, hatte besonders eine klerikale Klientel; die Aufmerksamkeit der
Polizei genoß sie aber weniger deshalb, als der hohen Spiele wegen, die bei ihr
gehalten wurden.
Anm. 10. Catherine-Rosalie Gerard, genannt Duthe, war Surnummeraire im
Ballettchor der Oper, die eine Art Asyl war, ein „brevet d'emancipation accorde
ä toute fille innocente, voulant vivre dans l'independance et sans etre chargee ä
438 Anmerkungen
ses parents". Die Duthe hatte gewissermaßen offizielle Missionen. Als der junge
König Christian VIIL nach Paris kam, war Rosalie ein Programmpunkt. In ihren
Memoiren sagt sie darüber : „Je fus discrete touchant l'honneur' qui m'etait fait."
Der Herzog von Orleans suchte für seinen sechzehnjährigen Sohn, den Herzog
von Chartres, in erster väterlicher Sorge, eine Mätresse (Mme de Genlis, Souven.)
und gab ihm die Duthe. Viel später ließ sich die Duthe diese ihre Talente, junge
Herren von Rang in die Liebe einzuführen, vom Herzog von Orleans bestätigen.
Sie konnte ihre Zertifikate zeigen. Als der Prinz Conde seinen fünzehnjährigen
Sohn, den Herzog Bourbon, verheiraten wollte und ihm wichtig war, „qu'il ne
fut etranger ä rien," wandte er sich an die Duthe, die bemerkte: „Monseigneur,
Sie lassen ihn sehr jung debütieren," worauf der künftige General der Emigranten
sagte: „Oui, sans doute, si on abandonnait ä lui-meme; mais sous ma surveillance
et avec de bons procedes . . .", worauf die Duthe in ihren Memoiren fortfährt:
„Je souris, et ma reponse prouva au prince mon profond devouement et ma sou-
mission extreme ä tout ce qui viendrait de sa part. J'ai toujours ete royaliste,
j'ai toujours aime les Bourbons d'abord ä cause de leur qualites, puis par recon-
naisance, enfin parce que je ne leur suis pas etrangere." In den Polizeiberichten
ist von Mlle Duthe sehr häufig die Rede.
Anm. II. Über die Gourdan siehe Anm. 9.
Anm. 12. Palissot de Montenoy (1730 — 1814) machte sich in einem satirischen
Lustspiel mit wenig Witz über Rousseau lustig und glaubte die Angriffe der Enzy-
klopädisten, die ihm das eintrug, mit einem anderen Lustspiel „Les Philosophes"
auf die Mühle seines Ruhmes leiten zu können. — Der Abbe de Voisenon (1708
bis 1775) schickte als elfjähriger Junge an Voltaire eine gereimte Epistel und be-
kam zur Antwort: „Vous aimez les vers; je vous le predis, vous en ferez de char-
mants. Soyez mon eleve et venez me voir." Ein witziger Herr, der bald sein Glück
in den Salons machte. Der Prinz vonPolignac nannte ihn „petite poignee de puces".
Ein Duell, das für seinen Gegner schlimm ausging, machte ihn nachdenklich und
führte ihn ins Seminar. Er wurde Vikar beim Bischof von Pologne und hätte, so
beliebt war er bei der Gemeinde, dessen Nachfolger werden können, aber er kam
beim Kardinal Fleury doch nicht um den Bischofsstab ein, denn „wie wollt ihr,"
sagte er zu seiner Gemeinde, „daß ich euch leite, wo ich mich mit Mühe selber
leiten kann". Er blieb Abbe und zog nach Paris, wo er ebenso im Salon der Mme
Chätelet verkehrte wie bei der Mlle Quinault, bei der es etwas freier herging. Und
schrieb seine leichten Geschichten und kleinen Komödien. Casanova stellte seinem
Geiste und seiner Liebenswürdigkeit das beste Zeugnis aus. Seine Schriften er-
schienen 1781 in fünf Banaen gesammelt und wurden viel nach- und neugedruckt.
Am bekanntesten ist die Geschichte „Tant mieux pour eile" ; am lesenswertesten
seine „Anecdotes litteraires", die den 5. Band seiner Oeuvres complets bilden.
Anm. 13. Marmontel (1723 — 1800) war ein vielfach und mit Erfolg tätiger
Literat, dessen Memoiren allein heute noch lesbar sind, da sie angenehm erzählen
und von vielem aus der Zeit berichten.
Anmerkungen aiq
Anm. 14. Der Herzog von Bouillon gab für die Tänzerin La Guerre 800 000
Livres aus und sagte, als man ihm das vorhielt, daß er lieber bei seiner Freundin
schlafe als bei der Königin selber. Er mußte ins Exil, als er das in Versailles wie-
derholte.
Anm. 15. Die Memoires Secrets berichten unterm 19. Dezember 1781 vom
Debüt der Mlle Longeau als Klytämnestra in Glucks Iphigenie in Aulis. L'habi-
tude de jouer les roles d'amoureuses, sagt Bachaumont, a pu lui nuire dans celui
de Clytemnestre.
Anm. 16. Siehe die Memoires de la Comtesse de la Motte- Valois.
^ Anm. 17. Mlle Fanier von der Comedie Francaise hatte „le nez retrousse
d'une suivante fine, exercee, et faite pour tromper a la fois trois ou quatre amants"
Bachaumont, Mem. Secr. 7. Okt. 1767. „On assure, que la petite Fanier est
en partie cause des nouvelles douleurs de goutte dont le duc de Duras est attaque
depuis peu" Rapports de Police, 4. Januar 1765.
Anm. 18 La Rive war der Lieblingsschüler der Clairon. Der Schauspieler
Florence war als Komödiant weniger berühmt als als Liebhaber der Mlle Arnould.
Siehe Mem. Secr., 26. August 1781.
Anm. 19. Der „berühmte" Abbe Beaudeau gehörte zur Partei der von Quesnay
und dem älteren Mirabeau ausgehenden Partei der Ökonomisten; er verfaßte,
wie noch einige andere, eine Gegenschrift gegen Galianis Dialogues sur le commerce
des bleds. Vgl. Galiani, Correspondance, passim.
Anm. 20. Von Maurepas verdient seine Definition des Autors auf die Heutigen
zu kommen: „Der Autor ist ein Mensch, der aus den Büchern alles nimmt, was
ihm durch den Kopf geht." Maurepas war der typische Politiker des ancien regime :
geschickt, geistreich, frivol, mokant, ohne jeden Glauben an Dinge oder Personen.
Anm. zi. Bei der schmutzigen Geschichte der Präsidentin D*** handelt es
sich wahrscheinlich um jene Madame d'Oppy, die Frau eines hohen Magistrates
von Douai, welche in den Bordellen der Gou/dan und anderer Befriedigung ihrer
starken Appetite suchte. Der Gatte überraschte sie einmal hier und Heß sie wegen
Ehebruchs einsperren. Auch die Kupplerinnen wurden verklagt und bis auf die
Gourdan, die sich hoher Protektion erfreute, verurteilt zur Eselpromenade: die
Verurteilte mußte verkehrt auf einem Esel sitzend und mit dem Plakat „Maqua-
relle" auf der Brust durch die Stadt reiten. Die Kupplerin Montigny kaufte sich
von dieser Strafe mit 300 000 Livres los, was ihren Ruin bedeutete.
Anm. 22. Im Jahre 1730 verführte der Jesuitenpater Girard ein Fräulein
von Cadiere unter Mißbrauch ihrer religiösen Schwärmerei. Aus diesem Anlaß
schrieb der Marquis d'Argens, der Freund Friedrich des Großen, die „Therese
Philosophe ou Memoires pour servir ä l'histoire de Docteur Dirrag et de Mlle
Eradice (2 parts, avec 14 estampes obscens. A la Haye 1748), ein oft gedrucktes
pornographisches Machwerk, um das es eine ganze Literatur gibt.
Anm. 23. Mem. Secr., 11. Juli 1774: „La vice des Tribades devient fort ä la
mode parmi nos demoiselles d'opera: elles n'en fönt point mystere et traitent
44° Anmerkungen
de gentillesse cette peccadille. La Dem. Arnould, quoique ayant fait ses preuves
dans un autre genre, puis qu'elle a plusieurs enfants, sur le retour, donne dans
ce plaisir; eile avait une autre fille nommee Virginie, dont eile se servait a cet
usage. Celle-ci a change de condition, et est passee ä Mlle Raucourt de la Comedie
Francaise, qui raffole de son sexe et a renonce au Marquis de Bievre pour s'y
livrer plus ä son aise." — „Mlle Raucourt, amant de Mlle Arnould, lui ecrit
la lettre la plus pressante pour engager a venir passer une nuit avec eile. Je ne
le puis, repond Mlle Arnould, j'ai des affaires cette semaine, et vous savez qu'une
nuit de bonheur me condamne ä huit jours de repos" (Almanach des honnetes
femmes pour l'annee 1790). In einem Pamphlet Suite de la vision du Prophete
Daniel (1780) ist die Raucourt die „Große Babylonische". Über einen wohl von
Pamphletisten erfundenen Klub der „Anandrynes" berichtet ausführlich Pidansat
de Mairobert in seinem Espion anglais (1784, T. X).
Anm. 24. Nach den Mem. Secr. (5. März 1785) sagte die Rosalie: „Ja, so
angenehm wie ein Kamm ist es nicht." Über diese Rosalie: Journal des Inspec-
teurs, p. 155. Eine andere Mlle Rosalie war Sängerin an der Oper; von ihr
berichtet 1772 die Polizei, daß der Graf Georg Adam von Starhemberg, Ge-
sandter des Kaisers, ihr monatlich 1000 Taler gebe, sich ein baignoire in der
Oper habe machen lassen, um sie immer bequem sehen zu können, daß sie aber
immer noch den Herrn Baroy zum Greluchon habe. Diese Rosalie heiratete später
den Grafen Mercy-Argenteau. — Clairval war ein von Frauen viel begehrter
und dadurch berühmter Schauspieler (1735 — 1795). Siehe Rapports de Police,
November 1772.
Anm. 25. Mlle Arnould, die berühmte Sophie Arnould, war Primadonna
der Oper, la plus pathetique qui ait peutetre jamais paru (Mem. Secr. 1762).
Sie ist 1740 in Paris geboren und starb 1802. Aus ihrem Verhältnis mit dem
in den Polizeiberichten oft erwähnten, wegen seiner Liebesgeschichten und
seines extravaganten Witzes berühmten Grafen Lauraguais, späterem Herzog
von Brancas, hatte sie drei Kinder. Ed. et J. de Goncourt, Sophie Arnould,
Paris 1877.
Anm. 26. Seit der Zeit des Regenten war das Palais Royal die beliebteste
Promenade der Prostituierten. „Comme ces entours sont occupes par des filles
d'opera, par d'autres entretenues, par les courtisanes les plus celebres et par des
femmes galantes qui profitent volontiers de la faveur de l'incognito pour se livrer
impunement aux aimables folies qu'il pennet, il resulte beaucoup d'aventures,
dont les unes restent ensevelies dans l'ombre du mystere, dont les autres percent
et fönt l'entretien de lendemain." (L'Espion anglais, T. I, p. 140.)
Anm. 27. Morliere starb 1785. Über ihn: Literatur des Rokoko.
Anm. 28. Parapilla, poeme erotique en cinq chants, traduit ou plutot imite
par de Bordes. 1776.
Anm. 29. Les Joueurs et M. d'Ussaulx, Paris 1781. Siehe Corr. Secr. 18. Mai
1781 und Manuel, La Police de Paris devoil<§e, T. II, p. 78.
Anmerkungen 441
Anm. 30. „La Dem. Dufresne, Lyonnaise, vient de perdre M. le duc de
Berwick qui lui faisait beaucoup de bien. II s'est apercu que malgre ses defences
eile continuait touiours de voir le sieur Auge. Elle parait inconsolable de cette
perte que difficilement eile reparera. Elle est assez bien de figure, mais eile est
courte et grasse, ce qui lui donne un air fort commun. — La dem. Dufresne
a fait lundi dernier une passade avec M. le comte Affiglio moyennant 20 Louis.
Cet etranger perd ä jeu, depuis son arrivee a Paris, 85000 livres, c'est-ä-dire de-
puis environ trois mois, et cela sans avoir gagne une seule fois. Le Marquis de
Prie, son ami, offre ä la susdite Dufresne, pour vivre avec eile, 25 louis par mois,
mais ä condition qu'elle viendra tous les jours coucher chez lui. Elle l'a refuse
parce qu'elle espere que M. le comte Affiglio l'entretiendra, mais eile se trompe,
son intention n'etant pas de se charger d'une femme." Rapports de Police, 1. und
8. Februar 1765. „La dem. Dufresne s'amuse ä ruiner le sieur de Liniere, offi-
cier de marine, et guerluchonne avec le sieur d'Estat, qui est, en tout, malgre
sa croix de Saint-Louis et son embonpoint, un fort mince subject et mauvais
bavard, n'ayant autre merke que d'etre tres complaisant pour sa femme, mais
aussi il faut convenir que dans un repas quatre bons estomacs auraient de la
peine ä digerer ce qu'il mange, et que personne ne decoupe les viandes plus vite,
ni plus proprement." Rapport, 15. Februar 1765. „JLa petite Dufresne a remis
dans ses chaines le duc de Berwick. II lui donne 50 louis par mois usw." Rapport,
14. Juni 1765.
Anm. 31. Mem. Secr., 24. Januar 1784: „Mlle Zacharie, danseuse d'Opera
cousine et eleve de Mlle Guimard."
Anm. 32. Zwei Schwestern Contat waren an der Comedie Francaise. Die
Mem. Secr. vom 31. Dezember 1779 geben in Form einer angeblichen Auktion
von Bildern, Möbeln und Gegenständen von der berühmteren Louise Francoise
Contat dieses Bild: „Mme Venus, aux belies fesses en marbre blanc, representant
Mlle Contat, d'un beau genre, et pouvant servir de modele si les pieds et les
mains etaint du meme auteur." Mlle Contat hatte nämlich häßüche Hände und
Füße. Außer diesen beiden Contats, der Louise Francoise (1760 — 1803) und der
weniger berühmten Emilie (1769 — 1846) gab es noch die Tochter Amalrie der
letzteren. Vielleicht ist die im Text genannte Contat die Mutter der beiden
Schwestern. Die Rapports de Police erwähnen unterm 22. Oktober 1759 eine
Mlle Contat, bei der hoch gespielt wird.
Anm. 33. Henri-Louis le Kain (1728 — 1778) debütierte am 14. September
1750. Sein Talent war sehr diskutiert und wurde bestritten von Colle (Journal,
ed. de 1868, T. I, S. 232 und 233). Er hat Memoiren hinterlassen, die 1801 ver-
öffentlicht wurden. An die Comedie wurde Le Kain von Voltaire gebracht, dessen
Helden zu spielen seine Spezialität war.
Anm. 34. Marie Madelaine Guimard, die Tänzerin (1743 — 1816). Sie debü-
tierte mit sechzehn Jahren im Corps de ballet der Comedie und kam 1761 an die
Academie royale de Musique et de Danse; hier wurde sie bald die Favoritin dieses
4.42 Anmerkungen
Harems, das damals die Oper war, ein Gyneceum für die Fürsten, ein Bordell
für die Adeligen und Reichen. (Vgl. Capon, Les Theätres clandestins, Paris 1905,
S. 206.) Die Erfolge der Guimard waren im Tanze und in der Liebe gleich be-
deutend. Ihr Verhältnis mit dem reichen Generalpächter de la Borde trug ihr
monatlich 2000 Taler ein, und dabei war de la Borde nur der Greluchon. Der
Monsieur war der Prinz von Soubise, der der Guimard das Haus in Pantin gab,
dessen einer Flügel als Miniaturtheater eingerichtet wurde. Über die Guimard:
Edmond de Goncourt, La Guimard, Paris 1893.
Anm. 35. Charles Colle (1709 — 1783). Seine Possen und Paraden u. d. T.
Theätre de societe 1777. Seine Chansons in zwei Bänden 1807. Sein Journal
Historique 1805 — 1807 in drei Bänden. Lettres inedites, 1864. Es verdient her-
vorgehoben zu werden, daß er seiner Frau durchaus treu war. — Louis Carrogis,
genannt de Carmontel (1707 — 1806) war Vorleser beim Herzog von Chatres.
Seine witzigen ,Proverbes Dramatiques' erschienen in acht Bänden 1768 — 1781.
Seine Bleistiftzeichnungen, 561 Porträts von Zeitgenossen, bewahrt das Musee
Conde in Chantilly. Anatole Gruyer hat sie herausgegeben — Zu der Epitre de
M. Marmontel ä Mlle Guimard: Die Guimard hatte in einem Vorort ein Rendez-
vous und wurde hier so sehr vom Elend des Volkes ergriffen, daß sie das Erträgnis
des Rendezvous, 2000 Taler, dem Pfarrer von Saint-Roch zur Verteilung an die
Armen gab. Grimm erzählt eine andere Version dieser Generosität der Tänzerin.
Die Geschichte wurde so bekannt, daß bald ein anonymer Stich erschien : Ter-
psychore charitable ou Mlle Guimard visitant les Pauvres. Die pedantisch-galante
gereimte Epistel Marmontels, die in Goncourts Guimard-Buch abgedruckt ist, be-
ginnt mit den Versen:
Est-il bien vrai, jeune et belle damnee,
Que du theätre embelli par tes pas,
Tu vas chercher dans de froids galetas
L'humanite plaintive abandonnee . . .
Anm. 36. Louis-Leon Felicite, Comte de Lauraguais, nachher Herzog von
Brancas (1733 — 1824), war ein vielseitig tätiges Mitglied der Academie des sciences.
Außer Abhandlungen über das Impfen, über das französische Recht gab er 1802
sehr wertvolle und ungenierte Memoiren heraus unter dem Titel: Lettres de
L.-L. de Lauraguais ä Mme ***.
Anm. 37, Jean-Philippe Franquetot, Chevalier de Coigny (1743 — 1806), der
jüngste Sohn des Grafen Coigny. Er wurde „Mimi" genannt und hat niemals,
wie er sagt, gewußt, warum. (Siehe Mme de Genlis, Memoires, T. I, S. 403.) —
Die Herzogin von Berry war eine Tochter des Regenten und hatte mit ihm ein
Verhältnis.
Anm. 38. L'Honnete criminel ist ein äußerst langweiliges Stück von
Fenouillot de Falbaire, -das auf Gesellschaftstheatern gespielt wurde. Über die
sentimentale Anekdote, die dem Stück zugrunde liegt, viel bei Grimm, Corr. Lit.,
Januar 1768.
Anmerkungen 443
Anm. 39. MUe Cleophile war eine Kurtisane. In den Polizeiberichten : „Herr
Dutrey hat die MUe Clerofille genommen, die bei Audinot war und wieder in
die Oper eintritt. Er hat ihr in bar und in Geschenken ungefähr 200 Louis ge-
geben."
Anm. 40. Ques-ä-co ? heißt im Provenzalischen „Was ist das ?" Die Dauphine
las das Wort in einem Memoire von Beaumarchais März 1774, und es gefiel ihr
so gut, daß sie es immer gebrauchte. Davon profitierte eine Modistin, indem sie
eine Coiffüre Quesaco nannte. Es war ein Federnpanache, der hinten am Kopf
getragen wurde. Die Dubarry und die Prinzessinnen goutierten diesen Quesaco
sehr. (Siehe Vatel, Histoire de Madame Du Barry, T. II, S. 303 ff.)
Anm. 41. Jean du Barry, ,der Roue', wie man ihn nannte, schrieb im Auftrag
des Königs an seinen Bruder Guillaume, einen armen Marineoffizier, der mit
seiner Mutter in Toulouse lebte, nach Paris zu kommen, um hier Jeanne Bequs des
Jean D. Mätresse und nunmehrige Favoritin des Königs, zu heiraten. Aus der
Bequs (oder Becu) wurde, um die Heirat standesgemäßer zu machen, eine Mlle
de Vaubernier, die man auch, statt wie riehtig 1743, im Jahre 1746 geboren sein
ließ. Die Heirat fand am 23. Juli 1768 statt, und wurde die Ehe am 2. April 1772
geschieden. Über Mme Dubarry: Das Rokoko, Dritter Teil: Die Frauen. Über
Jean Comte Du Barry die Polizeirapporte, 18. März 1765: „M. Le Gue, l'un
des premiers commis de la marine, fait une cour tres assidue a la demoiselle Vau-
bernier, maitresse du sieur Dubary, qui lui abandonne volontiers ses coudes fran-
ches parce que cela achalande sa maison." 12. April 1765: „La demoiselle Vau-
bernier et le sieur Dubary vivent toujours ensemble en bonne intelligence, ou
pour mieux dire Du Bary ne se sert de cette demoiselle que comme une terre
qu'il afferme au premier venu en etat de bien payer, se reservant cependant le
droit d'aubaine, car il couche tous les jours avec eile. Pour les journees, il les lui
abandonne tout entiere pourvu toutefois qu'elle se conduise par ses conseils et
que le produit s'en rapporte ä la masse. Aujourd'hui, c'est ä M. le duc de Riche-
lieu et ä M. le marquis de Villeroy qu'il a sous-ferme les charmes de cette demoi-
selle, pour le jour seulement. Le premier la fait venir chez lui et trouve que
cette jeune poulette conserve en lui un reste de chaleur naturelle etc." 27. Sep-
tember 1765: „La vie que mene le comte du Barry avec la demoiselle Vaubernier
est infame. C'est exactement sa vache ä lait etc." 6. Dezember 1765: „La demoi-
selle Vaubernier a enfin quitte le sieur du Barry, eile s'est trouvee fatiguee de
servir de pierre d'aimant ä ses parties de jeu clandestines etc." 7. Februar 1766:
„La demoiselle Vaubernier s'est raccommodee avec le sieur Dubary ä la charge
qu'il supportera non seulement toutes les affaires qui se presenteront pour son
interest, mais encore tous ses caprices et qu'il se contentera qu'elle ne decouche
pas, ä moins qu'il ne fut question de sommes considerables, qu'elle serait alors
obligee de rapporter ä la communaute etc." — Mlle de Fumel war die Gattin
des Elie du Barry, des dritten Bruders, der für die Kupplerdienste, die er Richelieu
und Duras erwiesen hat, Oberst beim Regimente der Königin wurde.
444 Anmerkungen
Anm. 42. Über Grifnod de la Reyniere: Die Literatur des Rokoko.
Anm. 43. „Bald wird man in Frankreich nur mehr drei Stände kennen: den
König, die Finanzleute und die Sklaven." Über die Finanzleute: Thirion, La Vie
privee des financiers de XVIIIe siecle. Um 1770 sprach man vom „Bataillon sacre
des fermes generales', deren bekannteste Führer Bourte, Puissant, Douet, Gigault
de Crisenoy und Saint-Amant waren. Von einem von ihnen sagte Diderot, daß
er zwei Millionen ausgegeben habe sans faire un bon mot ni une bonne action.
Mit Fermes Generales bezeichnete man eine Finanzgesellschaft, chargee a for-
fait du recouvrement de la plupart des contributions indirectes. (Delahante, Une
Familie de finance au XVIIIe siecle.) Das System war für den König das einzige
Mittel, sicher und prompt zu seinen Einnahmen zu kommen; und er wurde außer-
dem die Inpopularität, welche die Steuereintreiber genießen, auf die Fermier
los, die ihrerseits für den äußeren Dienst ihre Strohmänner hatten.
Anm. 44. Bernard le Bouvier de Fontenelle (1657 — I7S7)- Mit Bayle der Er-
zieher der Enzyklopädisten. „C'est de cervelle que vous avez ä place du cceur"
sagte Madame de Tencin zu ihm. Die Wahrheit ist vielleicht zu erreichen, aber sie
ist von aristokratischer Art und der Menge nicht mitteilbar und außerdem ist
sie unnütz: dies ist etwa der mondäne schöngeistige Skeptizismus des 100 Jahre
alt gewordenen Fontenelle, der ohne besondere Talente alles machte, Philoso-
phien, Dramen, Gedichte, Historie und vor allem Bonmots.
Anm. 45. Senac de Meilhan zitiert in seinen Considerations sur l'Esprit et
les Mceurs einen Gatten, der zu seiner Frau sagt: „Ich erlaube dir alles, nur nicht
Prinzen und Lakaien. Die beiden Extreme entehren durch den Skandal." De Meil-
han zitiert hier, ohne ihn zu nennen, seinen Bruder, den Generalpächter Meilhan,
dessen Frau sich aber nicht daran hielt, sondern den Grafen de la Marche, nach-
herigen Prinzen Conti, zum Liebhaber nahm. Der Prinz Conti war es, der Beau-
marchais veranlaßte, nach dem Barbier de Seville den Barbier nochmals vorzu-
nehmen, worauf Beaumarchais Le Mariage de Figaro schrieb. Der Prinz Conti
hatte wie der Prinz Soubise „einen Serail" (Polizeirapporte) und starb 46 jährig
1776.
Anm. 46. Paul Heinrich Dietrich Freiherr von Holbach (1723— 1789). Die
beiden Bände seines Hauptwerkes, des Systeme de la nature erschienen in Amster-
dam 1770.
Anm. 47. Guillaume Thomas Francois Raynal (1713 — 1796). Verfasser der
Histoire philosophique et politique des etablissements et du commerce des Euro-
peens dans les deux Indes, 7 Bände, Amsterdam 1771, an dem auch Diderot mit-
arbeitete. Wegen Angriffe auf die Religion in der zehnbändigen Ausgabe von
1781 wurde das Werk vom Henker verbrannt und Raynal aus Frankreich auf ein
Jahr verbannt.
Anm. 48. Charles Pinot Duclos (1704 — 1772), ein mäßig talentierter Schrift-
steller mit einer gemachten zynischen Allüre. Schrieb, wie Brunetiere sagt, Ge-
schichten, ebenso indezent, langweilig und wahrscheinlich falsch wie* der jüngere
Anmerkungen aac
Crebillon. Wertvolle Beobachtungen sind in seinen Considerations sur les moeurs
de ce siecle. 1750.
Anm. 49. Madame de Rochefort, eine geborene Brancas, war 40 Jahre lang die
intime Freundin der Herzogin von Nivernais und die Geliebte des Herzogs von
Nivernais gewesen, der sie nach dem Tode seiner Gattin heiratete. Horace Wal-
pole schreibt über sie: „Ihre Intelligenz ist echt und fein, ja mit einer gewissen
Finesse des Geistes, einem Resultat der Reflexion. Ihre Manieren sind süß und
weiblich, und trotzdem sie eine femme savante ist, affichiert sie nicht die gering-
sten Pretensionen. Sie ist die ,dezente' Freundin des Herrn von Nivernais, denn
in diesem Lande ist die Intimität nicht anders als unter dem Schleier der Freund-
schaft erlaubt."
Anm. 50. Ruiniere (1735— 1791). Sainte-Beuve stellt diesen mokanten Geist
neben Chamfort und Rivarol. Er besaß etwas in diesem Zeitalter allgemein Feh-
lendes: historischen Sinn. Madame Necker sagt von ihm: „II laissait percer dans
sa conversation une nuance de son etat d'historien, qui visait ä la pedanterie; il
mettait une trop grande importance ä l'examen d'un petit fait et ä toutes ses
circonstances; il ne voulait jamais voir l'opera que derriere les coulisses." Ruiniere
war diplomatisch in Petersburg tätig, dann Sekretär beim Bruder Ludwigs XVI
dem späteren Ludwig XVIII. Er schrieb eine Geschichte des Edikts von Nantes
und wurde 1787 Mitglied der Akademie. Seine eigenen Verse sind besser als jene,
die der Kritiker La Harpe auf ihn gemacht hat:
Connaissez-vous Chamfort, ce maigre bel-esprit?
Connaissez-vous Ruiniere, ä mine rebondie?
Tous deux se nourrissent d'envie:
Mais l'un en meurt, et l'autre en vit.
^ Anm. 51. Über Antoine-Francois Prevost d'Exiles (1697— 1763) siehe: Die
Literatur des Rokoko. Sein Roman Cleveland erschien 173 1, im gleichen Jahre
wie Mahon Lescaut.
Anm. 52. Madame de la Popeliniere war eine geborene Therese Desnayes
Der Skandal, den ihr Verhältnis mit dem Herzog von Richelieu hervorrief, führte
zur Trennung der Ehe. Die Detaüs darüber in den Memoiren von Marmontel,
T. I, S. 304 ff. und in dem Journal de Barbier, T. IV, S. 326. In den Polizei-
rapporten unter dem 19. April 1765: „Der Herzog von Duras tut sein Bestes
Madame de la Popeliniere zu zerstreuen. Er besucht sie täglich, wie auch der
Herr Du Barv und der dicke Favier, ihre Complaisants, nicht verfehlen, sich ein-
zustellen. Aber es scheint entschieden, daß der Herr Herzog die guten Reize dieser
schonen Witwe genießt." (Herr von Popeliniere war 1762 gestorben.)
Anm. 53. Der Marschall Herzog von Richelieu wurde mit fünfzehn Jahren in
die Bastille gesteckt, weil er seine Hand unter das Kleid der jungen Herzogin von
Bourgogne gleiten Heß, während sie sich über den Balkon beugte. Er rühmte sich,
niemals mit 'seiner Frau, die ihm aufgezwungen wurde und die ihn hebte, die Ehe'
vollzogen zu haben. Um ihn duellierten sich im Bois de Boulogne die Marquise
446 Anmerkungen
von Nesles und Madame de Polignac, und die verwundete Marquise erklärt, ihr
Blut bis zum letzten Tropfen für ihn zu geben, denn er sei der Erstgeborene von
Mars und Venus. „Er ist ein großer Poltron, faul, ohne Herz und ohne Seele"
(Duchesse d'Orleans, Corr. I. Oktober 1719). Er bekommt jeden Tag ein Paket
Liebesbriefe, wirft einen großen Teil ungelesen fort, nachdem er auf den Um-
schlag geschrieben: Briefe, die zu lesen ich keine Zeit fand. Die Madame de la
Popeliniere schreibt an ihn : „Mon eher amant, mon eher cceur, pourquoi m'ecris-
tu si froidement, moi qui ne respire que pour toi, qui- t'adore, mon coeur, je suis
injuste, je le sens bien, tu as trop d'affaires et qui ne te laissant pas la liberte de
m'ecrire . . . mais je n'ai trouve dans ta lettre ces expressions et ces sentiments
qui partent de l'äme et qui fönt autant de plaisir ä ecrire qu'ä lire. Je sens une
emotion en t'ecrivant, mon eher amant, qui me donne presque la fievre, qui
m'agite de meme . . ."etc. (Lettres autogr. de Mme de la Popeliniere a Richelieu,
Biblioth. de Rouen.) Er heiratete mit 84 Jahren eine Madame Rooth, eine junge
Frau von 35, macht ihr ein Kind, wie allerdings nur er erzählt, und ist ihr un-
treu. Er starb 1788 und war 1696 geboren. Über ihn: Noel Williams, The Fasci-
nating Duc de Richelieu. London 1910.
Die Memoires du Duc de Richelieu, ouvrage compose dans la bibliotheque
et sous les yeux du marechal, Paris 1790 — 1793, sind von Soulavie, der in des
Herzogs letzten Jahren sein Sekretär war, geschrieben und wohl mit Benutzung
authentischer Aktenstücke und Mitteilungen. Aber die Absicht einer Art Satire
auf das ancien regime ist bei dem Verfasser zu deutlich, und so steht neben Wah-
rem sehr viel Erfundenes. Die Vie privee du Marechal de Richelieu, contenant
ses amours et intrigues, Paris 1791, 3 volumes, ist zumeist Erfindung.
Anm. 54. Charles James Fox (1749 — 1806), der oppositionelle englische Staats-
mann und begeisterter Bewunderer der französischen Revolution.
Anm. 55. Madame de Tencin wollte ihren Bruder Kardinal ins Ministerium
bringen und vermochte nichts über die Apathie Ludwigs XV. Sie wandte sich
deshalb an Richelieu, daß dieser an Mme de la Tournelle schreibe, die als Mä-
tresse Ludwigs XV. Herzogin von Chateauroux hieß, damit sie den König aus
seiner Gleichgültigkeit politischen Dingen gegenüber bringe. Der Salon der Mme
de Tencin diente Marivaux als Modell in „Vie de Marianne" (1731 — 1741).
Anm. 56. Duchesse de Montpensier, La Grande Mademoiselle, Nichte Lud-
wigs XIII., Cousine-germaine Ludwigs XIV. Eine der originellsten, bizarrsten
Gestalten des großen Jahrhunderts. Es gibt interessante Memoiren von ihr.
Anm. 57. Der Kardinal Fleury war Minister Ludwigs XV., dessen Erzieher er
auch war. Une lente et coriace tenäcite, un doux et cälin acharnement au pouvoir
caracterise le Cardinal. (Sainte Beuve, Causeries du Lundi, T. XIV, S. 380.) Vgl.
Memoires du Duc de Luynes sur la cour de Louis XV. 6 Vols., Paris 1860 bis 1862.
Anm. 58. Biron war Marschall unter Heinrich III.
Anm. 59. Jean-Baptiste Massillon (1663 — 1724), Hofprediger Ludwigs XIV.,
auf den er die Trauerrede, seine berühmteste Leistung, hielt.
Anmerkungen 447
Anm. 60. Zu Lebzeiten Fleurys, der den fünfzehnten Ludwig in Schüler-
abhängigkeit hielt, in der Politik wie in der Liebe, hatte der König irgend Lieb-
schaften, aber keine Mätresse. Die Gegner Fleurys setzten auf eine wirkliche Mä-
tresse die größten Hoffnungen, und als Fleury gestorben war, brauchte der König,
wie auf einem königlichen Anstand, nur abzudrücken, um das aufgestellte Wild
zur Strecke zu bringen. Es waren nacheinander die drei Schwestern, Töchter der
Mme de Nesles, die zu Geliebten des Königs wurden. Die bedeutendste von ihnen
war Mme de Chateauroux, die den König auch veranlaßte, sich ins Feld zu seinen
Truppen zu begeben, was dem König gar nicht einleuchtete. Als er es tat, war er
für eine Weile wirklich das Idol der Nation. Wenn Mme de Chateauroux ihm
von Politik sprach, klagte er: „Vous me tuez!", worauf die Geliebte sagte: „Tant
mieux! II faut qu'un roi ressuscite." Sie starb plötzlich und in jungen Jahren.
Mme d'Etioles, die Madame de Pompadour wurde, nahm ihren Platz ein.
Anm. 61. Der kranke Bernis schlug Ludwig XV. — und der Pompadour —
den Marschall von Belle-Isle als seinen Nachfolger vor, der aber Choiseul wurde.
Der Herzog von Belle-Isle (1684— 1761) führte im österreichischen Erbfolgekrieg
ein französisches Heer nach Deutschland und erstürmte 1741 Prag. Von 1757
bis zu seinem Tode war er Kriegsminister.
Anm. 62. Die Hoffnung der Pompadour, daß die Tochter, die sie vom König
hatte, sie bei ihm ersetzen würde, erfüllte sich nicht, da das Mädchen, noch nicht
zehn Jahre alt, starb. Ihre eigene nachlassende Gesundheit und die schwindende
Macht über den König ließen sie sich zur „Surintendante des plaisirs du roi" er-
nennen, in welcher Eigenschaft sie ihrem Herrn eine Art Serail einrichtete, und
dies war der Ursprung des Hirschparkes, der 1755 seine Pforten auftat. So wenig-
stens wird die Geschichte in einem Pamphlet erzählt, das 1790 erschienen ist
(Le Parc-aux-Cerfs, ou Porigine de l'affreux deficit). In Wirklichkeit war der
Hirschpark keineswegs ein besonders luxuriös eingerichtetes Etablissement, son-
dern ein abgelegenes Viertel in Versailles mit einigen kleinen unbedeutenden
Häuschen, von Ludwig XIII. für seine Jäger errichtet und unter Ludwig XIV. zu
einem bewohnten Quartier erweitert. Eines dieser Häuschen kaufte Ludwig XV.
von einem gewissen Cremer für einen gewissen Valet, das heißt für sich unter dem
Namen dieses Beamten im Kriegsministerium, im Jahre 1755, freute sich seiner
bis zum Jahre 1771, wo er es für 16 000 Livres an einen Herrn Sevin verkaufte.
In dem Hause ließ der König in diesen Jahren angeblich, d. h. nach den Gerüch-
ten, eine nicht geringe Zahl neun- und zehnjähriger Mädchen erziehen, was nach
den neuesten Forschungen monatliche Ausgaben von 170 000 Franks nötig machte.
Über das Personal des Hauses schreibt ausführlich Madame Du Hausset in ihren
Memoiren (Ed. Barriere, 1855, S. 77 ff.). Die Rekrutierung erfolgte entweder
durch den Kammerdiener Le Bei selber oder freiwillig von Seiten der Eltern. (Peu-
chet, Memoires tires des Archives de la Police de Paris. Paris 1838, T. II, S. 197.)
D'Argenson, der fünfzehn Tagereisen vom Hirschpark entfernt wohnte, schreibt
in seinen Memoiren: „L'on m'a conti ces amours de notre monarque, oü l'on
448 Anmerkungen
verra qu'il tombe de plus en plus de la houlette ä la chaumine. Madame d'fitioles,
devenue marquise de Pompadour, etait une grande dame au prix des deux der-
nieres amourettes. Cet hiver, il a joui 15 jours d'une petite fille qui servait de
modele ä des peintres. A present il a une maitresse en regle d'un ordre encore
inferieur ä celle-lä s'il se peut: eile est de l'ordre de putains par famille et par
etat. La nommee Morfi etait revendeuse et tenait une petite boutique au Palais-
Royal, il a dix ans; mere de 4 füles, eile a vendu leurs pucelages Tun apres l'autre,
quand ils sont venus en maturite. La cadette, qui est aujourd'hui sultane favorite,
a travaille chez une couturiere nomme Fleuret qui procure des amants ä ses
ouvriers. Elle les eleve en regle, et, celle-ci venant de faire sa premiere communion
dans un couvent, cela a fait croire qu'elle etait plus sure qu'une autre. Or le roi
craint la veröle avec grande raison; lasse de la marquise, il a resolu de se servir
de petites filles, les plus neuves qu'on pourra trouver, et il a envoyer son premier
valet de charobre Le Bei ä Paris, pour y marchander un nouveau pucelage.
Celui-ci a ete ä la dame Fleuret, qui l'a abouche avec la dame Morfi; il a vu
la petite Morfi qui a 14 ans et qu'il a trouvee bien. II a dit que c'etait pour un
seigneur de Versailles; il l'a envoyer. II a donne 1000 Ecus ä la mere et 100 Louis
ä la couturiere. La petite fille a de l'esprit et a plus beaucoup au monarque;
eile a actuellement une jolie maison au Parc-aux-Cerfs, une gouvernante, une
Yemme de chambre, une cuisiniere et deux laquais." (Journal et Memoires du
Marquis d'Argenson, I. April 1753.) Jenes Pamphlet zählt eine große Reihe Pen-
sionärinnen des Hirschparkes auf, unter ihnen eine Miss Witier, eine Engländerin,
welche die Herzogin von Devonshire aus London mitgebracht und dem König
gegen eine diamantenverzierte Büchse und 30000 Livres abgetreten hat. Eine
Baronin Salis, Frau eines jungen Schweizer Offiziers, wurde mit Gewalt genom-
men und tötete sich. Eine Marquise d'Eslignac war sechs Monate im Park. Die
Römerin Grandi kostete eine sechsspännige Karosse, die mit 130000 Franks in
Gold gefüllt war. Die Komtesse Egmont, Richelieus Tochter, die mit 23 Jahren
starb, ist auch unter den Damen, die jenes Pamphlet aufzählt, doch vergißt es,
was die „Anecdotes de la cour de France pendant la faveur de madame de Pom-
padour" (Paris 1802, S. 238) berichten: daß der König, den neun- und zehn-
jährigen Mädchen selber Unterricht im Schreiben und Lesen gab, mit ihnen betete,
sie väterlich züchtigte und ermahnte, bevor er sich mit ihnen zum letzten Zwecke
zurückzog.
Anm. 63. Die Memoires authentiques de Comte Cagliostro sind apokryph.
Das am besten dokumentierte Buch über C. ist: Cagliostro, by W. R. H. Trow-
bridge, London 1910.
Anm. 64. Claire-Joseph Lerys de Tude-Clairon (1723— 1803), Heroine an der
Comedie Francaise. Über sie: Edm. de Goncourt, Mlle Clairon, Paris 1888.
Sie war nicht sonderlich gesund und trat deshalb selten auf. Als ihr das einmal ihre
Kameraden sagten, gab sie die Antwort: „Es ist wahr, daß ich nur selten spiele,
aber wenn ich einmal spiele, läßt euch das einen Monat lang leben."
Anmerkungen 449
Die Dubarry. — Den Geburtsschein der Dubarry haben E. und J. de Goncourt
erstmalig 1859 veröffentlicht : „Jeanne, fille naturelle d'Anne Bequs dite Quantiny,
est nee le 19. aoüt de l'an 1734, et a ete babtise le meme jour; eile a eu pour
parain Joseph Desmange et pour maraine Jeanne Birabin, qui ont signe avec
moi. L. Galon, Vicaire de Vaucouleurs. Jenanne Birabin. Joseph Demange.
(E. et J. de Goncourt, La Du Barry, p. 6.) Die zahlreiche Literatur des 18. Jahr-
hunderts über die Dubarry kopiert und paraphiasiert die im Jahre 1775 ä Londres
(Paris) erschienenen ,Anecdotes sur Mme la comtesse Du Barri', welche ihrerseits
wieder einen reichlichen Gebrauch von den Memoires secrets machen. Die Me-
moires authentiques . . . par le chevalier Fr. N. Londres 1772 sind ein kleiner
Roman ohne geringste Beziehung zur D. Das gleiche ist von den Plaisirs de la
ville et de la cour, cu Refutation etc Londres 1778 zu sagen. Die historisch
wertvolle Literatur über Mme beginnt erst 1858 mit J. R. Le Roy's Broschüre
,Madame du Barry 1768 bis 1793'. Die umfangreichste historische Darstellung
nach den Archiven gab 1865 Vatel in seiner dreibändigen Biographie. Die in
unserm Text gegebenen Briete sind wortgetreuer Abdruck einer gleichzeitigen
deutschen Übersetzung der Lettres de madame la comtesse du Barry avec Celles
des princes, seigneurs, ministres et auties qui lui ont ecrit et qu'on a pu recuellir,
Londres 1779. Die natürlich apokryphen Briefe sind kein historisch brauch-
bares, aber ein sittengeschichtliches Dokument wie die andern hier mitgeteilten
Pamphlete.
Die sechsunddreißig Tafeln dieses Buches sind Reproduktionen nach dem
großen Werke, Le Tableau de la vie ou les Mceurs du dix-huitieme siecle, auf
das Prault 1773 eine Subskription auflegte und das von ihm gedruckt und von
Eberts herausgegeben wurde. Das erste Heft enthält nur Stiche nach dem in
Paris lebenden Schweizer Sigmund Freudeberg (1745— 1801), einem Schüler von
Wille und Boucher. Der Herausgeber, mit Freudebergs Arbeiten nicht zufrieden,
kündigte eine neue Serie für 1775 an, mit welcher er seinen Schwiegersohn, den
jungen Moreau, beauftragte. Dieses zweite Heft erschien aber erst 1777. Es nimmt
die Folge der Blätter aus dem Leben einer jungen, dem Vergnügen lebenden
Frau, womit der Schweizer begonnen, dort auf, wo die junge Dame Mutter
wird, und führt sie bis zur Geburt des Sprößlings in zwölf Blättern. Die dritte,
ebenfalls von Moreau gezeichnete Serie von zwölf Blättern, führt das Leben eines
Elegant vor. Ihr schließt sich die Serie des ländlichen Lebens auf dem Schlosse
an. Die erste Subskriptionsausgabe, Neuwied, bekam auch einen die Blätter be-
schreibenden, sehr selten gewordenen Text, der nicht identisch ist mit dem, den
Retif de la Bretonne für die Neuausgabe des Werkes mit dem Titel Monument
du costume 1789 geschrieben hat. Trotz Moreaus Neigung zu bourgeoisem Sen-
timentalismus und trotzdem er schon eine große Vorliebe für die Linie Louis XVI.
I. 29
450
Anmerkungen
zeigt — er geriet gegen Ende seiner Laufbahn ganz in Davids Klassizismus —
konnte doch die Wahl des illustrativen Teiles dieses Buches nur auf ihn und sein
Hauptwerk fallen, denn er hat, wie er immer unter seine Arbeiten schreibt, alles
„nach dem Leben" gezeichnet, bis auf den letzten Knopf eines Rockes: diese Treue
kam hier vor allem in Betracht, wo nicht von der Kunst, sondern von den Moden
und Sitten des Rokoko gehandelt wird. Im Folgenden sind die Unterschriften
der Stiche wiedergegeben, die sie im Originale tragen.
Die zwölf ersten Blätter sind von Freudeberg.
La Soiree d'hiver .
La Promenade du soir
Les Confidences .
L'Evenement du bal .
Le Boudoir
L'Occupation .
Die vierundzwanzig folgenden
Les Adieux .... vor S.
L'Accord parfait . . „ ,,
La Rencontre au bois de Boulogne
La Dame du Palais de la Reine .
Le Rendezvous pour Marly .
Le declaration de la grossesse
N'ayez pas peur, ma bonne amie
J'en accepte l'heureuse presage .
Les Precautions
C'est un fils, Monsieur .
Les petits parrains ....
Les delices de la maternite .
K 17
, 33
> 4i
» 49
1 57
, 65
Blätter
H5
161
177
193
209
225
241
257
273
289
305
321
La Toilette
La Visite inattendue
Le Coucher .
Le Lever .
Le Bain
La Promenade du Matin
sind von Moreau.
Le Lever du petit maitre i
La petite toilette .
La grande toilette
La course des chevaux
La petite löge
Le souper fin .
Oui ou Non ....
La sortie de l'Opera .
Le Seigneur chez son fermier
Le pari gagne ....
La partie de whist
Le vrai Bonheur .
81
89
97
"3
129
137
337
345
353
369
377
385
393
401
409
417
425
433
REGISTER
d'Aiguillon, Herzog von
199, 213, 268,336, 341 f.,
347, 356, 362 f., 365,381,
385, 387, 394> 397, 399,
402, 412, 417, 424.
d'Aguesseau 266.
d'Alembert 195, 217, 257,
260, 263, 269, 278.
Arnoud, Abbe 6.
Arnould, Mlle 63, 78, 80,
90, 214.
Bassompierre, Mme de
287.
Bearn, Gräfin 330.
Beauchamps, Lord 298.
Beaudeau, Abbe 82.
Beaujolais, Graf 82.
Beaujour 245.
Beaumont, Erzbischof
4i9ff.
Beauvoisin, Mlle 243.
Belle Isle, Marschall 278.
Bernis, Kardinal 235.
Berwick, Herzog 159.
Bievre, Marquis 81.
Biron, Marschall 267.
Bonnac, Abbe 304 f.
Bouffiers XV.
Boullainvilliers, Mme 6\.
Bourdaloue 256.
Breteuil 118, 351.
Broglie, Marschall 264,
283, 290.
Brühl, Graf 255.
Cagliostro 48, 281, 288.
Calonne 121, 137, 146.
Champcenets 124.
Charolais 215, 276, 280.
Chartres, Herzog 247, 295,
386, 396 f., 405.
Chateauroux, Mme de
278.
Chimay, Prinzessin 298.
Choiseul, Herzog 15 1, 193,
197, 216, 261, 278, 280,
283.
Choiseul-Gouf f ier 79, 2 2 3 ,
287, 291.
Chouchou-Leblanc, Mlle
Christine von Schweden
280.
Clairon, Mlle 235, 284.
Cleophile, Mlle 246.
Clermont, Prinz 208,
Coigny, Herzog 244, 325.
Colardeau 218.
Colle XV.
Conde, Prinz 401.
Condorcet 136.
Constant, Comtesse 379.
Constant, Mlle 175, 227.
Conti, Prinz 238, 253, 279,
295, 354-
Coudray 7.
Coulon, Mlle 173.
Crafford 301.
Craffton, Gräfin 159.
Crebillon XIV.
Damiens 285.
Dauberval 255, 392, 427.
Dechamps, Mlle 217, 295,
299.
Delille 79.
Desfarges, Mlle 300.
DiderotVH,XI,XII, 98,
255> 256, 259, 284.
Dorat 218 415.
Dubarry, Mme 78, 196,
200, 202, 207, 249, 261,
303 ff-
Dubarry, Graf 204, 316,
321 ff., 327, 333, 353,
360, 408.
Dubois, Mlle 261, 390.
Duclos 42, 259, 262, 263.
Dudeffand, Mme 268,269.
Dufresne, Mlle 158.
Dugazon, Mlle 11, 137.
Duras, Herzog 379.
Duthe, Mlle 36, 229, 246,
284, 295, 298.
d'Esteres, Marschall 299.
Fanies, Mlle 70.
Favier, Mlle 302.
Ferrari, Gräfin 172.
Fitz -James, Herzog 98,
297.
Fleury XI, 267.
Fontenelle 253, 257, 269,
279, 282, 286.
Forges, de 134.
Fox 264.
Fragonard VII.
Freron 256.
Friedrichll. 255, 260, 261,
263, 281.
Fronsac, Herzogin 267.
Furcy, Mme 179.
Gabrielli, Mlle 259.
Ganganelli, Papst 196, 270.
Geoffrin, Mme 215.
Georg III. 196.
Girard, Abbe 87.
Goethe VII.
Goncin, Abbe 306.
Gourdan, Mme 53 f., 80,
86, 209.
Graham, Dr. 3.
Granville, Mlle 63.
Grimod 252.
Guimard, Mlle 161, 225,
240.
Hamilton 275, 281.
d'Harcourt, Herzog 198
452
Register
Heinel, Mlle 223.
Heinrich von Preußen 83,
289.
Henault 269.
d'Hervieux, Mlle 168.
Houdon 83.
Huss, Mlle 219.
Katharina II. 259.
Laborde, Mlle 163.
Laclos XIV.
Laguerre, Mlle 60.
Larive 70.
Lauraguais 240.
Lauzun 275.
Laval 268, 280.
Lebel 279.
Legier, de 288.
Lekain 239, 285.
Le Mierre 81.
Lessing VII.
Liechtenstein, Graf 301,
302.
Linieres, Vicomtesse 181.
Longeau, Mlle 65.
Luxembourg, Mme de
278.
Maillard, Mlle 162.
Maine, Herzogin 274.
Mangiron, de 273.
Marat IX.
Marlborough, Lord 291.
Marmontel 58, 239, 790.
M-rtin, Miie 155.
Maurepas 83.
Mayan, Gräfin 334.
Mazarin, Kardinal 97.
Meaupou 122, 212, 331,
344> 349> 352, 355, 359<
411, 422.
Mesmer 93
Mirabeau, Mme 63.
Montaynard 283.
Montensier, Mlle 58.
Montgantier 296.
Montmorency,Gräfin335«
Montpensier, Mme 265.
Montrable, Ivlarqui^c 430.
Montvaiiier 372.
Morande 415.
Morliere 95.
Mouhy 7.
Naude 280.
Nesles, Mme de 271.
Nivernois, Herzog ^29.
Noaiiies 274, 343.
Orleans 279.
Ormont, Herzog 253.
d'Orsay, Graf 291.
Oulif, Michael 370.
Palissot 55.
Penthievre, Herzog 247.
Philidor 9.
Poinsinet 6.
Pompignan 91.
Pont de Veyle 269.
Potozky, Graf 229.
Pousse, Dr. 129.
Praslin, Herzog 199.
Prevost, Abbe 71, 260.
Prie, Mme de 243.
Raucourt, Mlle 89, 152,
383-
Raynal, Abbe 257.
Riccoboni. Mme 217.
Richelieu, Marschall 10,
12, 133, 140, 198, 256,
263, 264, 267, 340.
Robespierre IV
La Roche-Aymon, Kardi-
nal 273.
Rochefort, Mme 170.
Rohan, Herzogin 262.
Rosalie, Mlle 90.
Rousseau V, VII, IX, XVI,
121, 2l6, 284, 292.
Rozen, Marquise 384.
Ruiniere 259.
Sabian, Graf .427.
Säle 81.
Saint-Lambert 136.
Saint-Simon, Mme de
299.
Sainte Amaranthc, Mme
de 156.
Salm, Türst 79.
Sartine 200, 360, 364.
Schuwaloff 261.
Simon, Mlles 184.
Soubise, Prinz 229, 271,
398, 401.^
Stanislaus, König 272, 287.
Sully, Mme de 290.
Talleyrand 298.
Taylor 6.
Tencin, Abbe 282.
Tencin, Mme 264, 266.
Terray,Abbei95,i96,339,
348> 350, 363, 368, 373,
377. 389-
Tessier 296.
Tombeuf 297. [215.
Tremouille, Herzog 194,
Tronchin, Dr. 269.
Turenne 286.
Turner 297.
Vatri, Abbe 277.
Vergtnnes 283.
Vestris i, 140.
Villars, Marschall 264.
Villereis, Herzog 21 1, 338.
Voisenon 136.
Voltaire XI, XII, 92, 236,
254, 280, 281, 296,409.
VriBiSre, Herzog 200,211,
346, 361.
Watteau VII.
Zacharie, Mlle 161.
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung V-XVI. Die Polizeiberichte für den
Die Chronique Scandaleuse König 293—302.
1— 146. Originalbriefe der Fr. Gräfin
DieChroniquearetinei47 190. Du Barry 303—433.
Der Gazettier Cuirasse 191 bis Anmerkungen 434—450.
237. Personenregister 45 1— 452.
Aus den Memoiren 238—292.
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