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Full text of "Die Sitten des Rokoko"

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CO 


Presented  to  the 
library  ofthe 

UNIVERSITY  OF  TORONTO 

by 
Eckhard  Cafholy 


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DIE    SITTEN     DES     ROKOKO 


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Ö-I-E  Si.TTE'N 
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HERAUSGEGEBEN  VON 


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GEOfZG MÜjLLJSjFL  V£&IJ£GSJUr&JV-Ci?£'N 


3.  bis  5.  Tausend 


EINLEITUNG 

Das  achtzehnte  Jahrhundert  hat  —  vielleicht  aus  einen*  Über- 
fluß an  Dokumenten  —  in  der  heutigen  Kenntnis  unter  dem 
Abgestorbenen  und  in  seiner  Zeit  Verbrauchten  mehr  als  irgend- 
eine Zeit  in  der  Schätzung  zu  leiden,  so  sehr,  daß  diese  Zeit  uns 
ferner  erscheint  als  irgendeine  vor  ihr.  Die  Revolution  dünkt  uns 
so  sehr  definitive  Endigung  des  Alten  und  Ausgang  unserer  ver- 
meintlich ganz  neuen  Geschichte  zu  sein,  daß  wir  ein  Besonderes 
in  dem  Allgemeinen  gar  nicht  mehr  wahrnehmen  und  in  einem 
bloßen  Schlagwort  jene  Zeit  verdichten  und  erledigen,  wo  wir 
uns  in  allem  Wesentlichen  noch  immer  mit  den  Dingen  aus- 
einandersetzen und  auf  die  Fragen  Antworten  suchen,  welche 
eben  dieses  achtzehnte  Jahrhundert  zum  ersten  Male  gestellt  hat. 
Die  sichtbaren  Wirkungen  markieren  in  der  Geschichte  keines- 
wegs. Das  tun  die  Ursachen.  Die  Revolution,  von  der  wir  uns  so 
neu  datieren,  ist  früheren  Datums  als  1789,  wovon  das  heutige 
Bürgertum  Zeuge  ist,  dessen  Geburtsstunde  zusammenfällt  mit 
jener  von  Rousseaus  Literatur,  deren  träumerisch- verlogene 
Sprache  dieses  Bürgertum  bis  auf  heute  nicht  zu  seinem  Vorteil 
redet,  wenn  immer  es  sich  auf  der  Tribüne  äußert.  Im  Kontor 
spricht  es  zu  seinem  Glücke  ja  englisch,  und  auch  dieses  Englisch 
bekam  seine  Faktur  im  achtzehnten  Jahrhundert. 

Es  gefällt  sich  unsere  Zeit  darin,  zu  der  Kultur  des  ancien 
regime,  der  letzten,  welche  die  Menschengeschichte  zusammen- 
gebracht hat,  sich  gegensätzlich  zu  charakterisieren  und  die  sehr 
mißverstandenen  Werte  jener  mit  einem  negativen  Vorzeichen 
zu  versehen,  und  das  um  so  mehr,  als  sie  die  eigenen  dafür  ein- 
besorgten oder  bloß  so  behaupteten  Werte  positiv  einstellt.  Man 
vermeint  jene  Zeit  oberflächlich  und  äußerlich,  weil  man  sich 
selber  tief  und  intensiv  vorkommt:  daß  diese  Tiefe  und  Inten- 
sität sich  noch  keinerlei  Form  geschaffen,  es  zu  keinen  kulturellen 
Werten  gebracht  haben,  das  läßt  die  Menschen  dieser  Zeit  nicht 


VI  Einleitung 

etwa  an  demVorhandensein  dieser  Qualitäten  zweifeln,  sondern  soll 
sogar  ihr  ganz  außerordentlich  starkes  Vorhandensein  bestätigen. 
Daß  man  heute  alles  auch  in  seinem  polaren  Gegensatze  denken  und 
meinen  kann,  daß  man  von  Wahrheiten  redet,  aber  nicht  von  der 
Wahrheit,  daß  keinerlei  bindende  Lebensformen  da  sind,  das  hält 
man  heute  für  die  Form  dieser  Zeit.  Und  achtet  nicht,  daß  sie, 
soweit  sie  es  überhaupt  zu  einer  alle  verbindenden  Form  bringt, 
bestenfalls  nichts  sonst  tut,  als  Formen  jener  alten  Zeit  unbewußt 
parodieren,  und  eben  nichts  anderes  kann  als  dieses,  da  ihr  eben 
weder  die  Tiefe  noch  die  Intensität  jener  alten  Zeit  eignet,  aus 
der  heraus  jene  Oberfläche  wurde,  die  wir  gesellige  Kultur  nennen. 
Unsere  Zeit  verbraucht  das  Erbe  des   chtzehnten  Jahrhunderts 
und  tut  es  mit  wenig  Talent,  aber  mit  einem  schlechten  Gewissen. 
Deshalb  möchte  es  sich  in  einem  Gegensatz  zu  dem  achtzehnten 
Jahrhundert  gesehen  wünschen,  dem  es  aber  im  Wesentlichen 
denkerischer  und  ethischer  Einstellungen  viel  näher  ist  als  etwa 
dem  achtzehnten  das  siebzehnte  Jahrhundert,  so  daß  man  eine 
bestimmt  zu  charakterisierende  Periode  von  1730  bis  auf  heute 
datieren  kann,  welcher  durchaus  gemeinsame  Tendenzen  eignen 
und  die  nur  durch  den  Mangel  der  formbildenden  Kräfte  im 
neunzehnten  Jahrhundert  voneinander  unterschieden  sind.  Die 
Formen,  die  sich  das  ancien  regime  noch  geben  konnte,  haben  in 
der  neueren  Zeit  nur  mehr  in  der  leblosen  Konvention  eine  dis- 
kutierte Existenz,  in  ihrer  toten  Nachahmung  und  Parodie,  aber 
sie  sind  nicht  mehr  ein  Ganzes  bindend  und  Hintergrund  schaf- 
fend. Die  Leichtigkeit  und  scheinbare  Voraussetzungslosigkeit 
der  Formen  des  Rokokos  —  der  Zeit  von  1740  bis  1790  —  gelten 
heute  als  Wesen  und  Gesetz  für  alle  Form,  in  der  man  nichts  als 
ein  sogenanntes  Äußerliches  sieht,  das  man  ganz  eklektisch  wählen 
könne.  Die  neue  Zeit  hat  alle  Formen  kopiert,  aber  keine  aus 
sich  geschaffen,  unter  Formen  gesellschaftliche  Bindungen  ver- 
standen,  nicht  nur  Formen  der  Künste.  Das  Rokoko  verbarg 
Zweck,  Konstruktion  und  Elemente  hinter  dem  Ornament;  man 


Einleitung  VII 

hob  scheinbar  alle  statischen  Gesetze  auf  und  gefiel  sich  im  Illu- 
sionismus ;  man  vermengte  Plastik  und  Architektur  so  oft,  indem 
man  beides  malte.  Kirchen  machte  man  wie  Theater,  Schlaf- 
zimmer wie  Altäre,  Bäume  und  Sträucher  schnitt  man  nach  Tier- 
formen, Kaskaden  ließ  man  scheinbar  aufwärtsfließen,  die  Liebe 
reklamierte  man  für  den  Verstand,  und  den  einzigen  Zweck  der 
Ehe  sah  man  im  Ehebruch.  Das  Gespräch  und  der  Brief  wurden 
die  beliebtesten  Ausdrucksformen  auch  für  gelehrteste  Dinge, 
denn  man  liebte  den  belebten  Reichtum  der  Oberfläche  und  die 
Sinnlichkeit  des  Geselligen  aus  einer  Tiefe  heraus,  die  sich  nicht 
an  sich  selbst  begnügte :  in  der  Musik  hatte  das  Rokoko  sein  Ge- 
nie. Ja,  dieses  „oberflächliche"  Jahrhundert  kultivierte,  an  die 
Vis  superba  formae  glaubend  und  sie  zu  schaffen  begabt,  seine 
Oberfläche  um  so  intensiver,  je  mehr  Kräfte  von  unten  sich  rühr- 
ten, welche  die  Formen  dieses  Lebens  in  Zweifel  stellten,  weil 
sie  dieses  Leben  selber  verwarfen.  So  stark  war  die  Kraft  zur 
Form  und  die  kulturelle  Verpflichtung  zur  Oberfläche,  daß  sich 
die  Tiefen  und  Neuen  selber  darein  begeben  mußten:  Diderot 
wie  Rousseau,  Lessing  wie  Goethe,  Händel  wie  Mozart,  Watteau 
wie  Fragonard:  im  Besten  wie  im  Schlimmsten  lebt  das  neun- 
zehnte Jahrhundert  von  diesen  größten  Energien  des  Rokokos, 
was  das  Griechentum  Hölderlins,  Beethovens  letzte  Quartette, 
die  Episode  der  deutschen  Romantik,  was  Die  natürliche  Tochter 
nicht  zu  ändern  vermochten  bis  auf  heute. 

Was  sich  im  Komplexe  des  Gefühls  am  stärksten  gegen  seine 
Zeit  stellte  —  ohne  sich  aus  ihr  heraus  zu  stellen  — ,  wurde  unser 
verzweifeltes  Erbe:  Rousseau.  In  Tolstoi  verbrauchten  wir  dieses 
letzte  Stück.  Rousseaus  lyrischer  Sentimentalismus  wandelte  sich 
in  den  Spleen,  dieser  in  den  Pessimismus,  der  in  seiner  letzten 
Wandlung  einen  anarchischen  Individualismus  und  seinen  Zwil- 
lingsbruder, den  protestantischen  Sozialismus,  zeugte.  Dies  sind 
die  aus  dem  Rokoko  zu  datierenden  Etappen  im  Geiste  des  neun- 
zehnten Jahrhunderts.  Wir  sind  dabei,  uns  mit  den  letzten  ge- 


VIII  Einleitung 

bliebenen  Resten  auseinanderzusetzen.  Noch  ist  nicht  ganz  deut- 
lich, ob  wir  eine  neue  Einstellung  haben,  die  sich  jedenfalls  durch 
eine  distinkte  Form  nicht  deutlich  gemacht  hat.  Im  allgemeinen 
lebt  die  heutige  Zeit  mehr  als  je  in  der  Vernünftigkeit,  der  sie 
in  einem  angeblichen  Wissen  um  ihre  nicht  einzige  oder  gar  letzte 
Bedeutung  die  engere  Determination  des  Zweckhaften  gegeben 
hat.  Die  auf  Zwecke  gerichtete  Vernunft  ist  das  ordnende  Prinzip 
heutigen  Verhaltens.  Gewissermaßen  inoffiziell  drohen  Inunda- 
tionen  von  allerlei  Mystik  an  die  Biberbaue. 

Die  Aufklärung  inthronisierte  die  Vernunft  —  man  mußte  über 
den  Abgrund  Pascal  wegspringen  —  und  machte  die  Welt  nach 
ihrem  Bilde  vernünftig.  Sie  entkleidete  die  Religion,  und  das 
Gefühl  stand  nackt  und  fror :  da  wurde  es  zu  der  „Ungenauigkeit 
des  Herzens"  leidvoller  Menschen,  wie  Gebsattel  den  Sentimen- 
talismus sehr  richtig  nennt,  und  verklagte  die  vernünftige  Welt. 
Rousseau  gab  dieser  Anklage  das  eindringlichste  Wort,  denn  in 
ihm  war  die  Leidenschaft  stark  genug,  daß  er  das  einzelne  gene- 
ralisieren konnte  und  sagen :  „Der  denkende  Mensch  ist  ein  dege- 
neriertes Tier."  Was  hundert  Jahre  später  wiederholt  heißt :  Der 
Mensch  ist  ein  heraufgekommenes  Tier.  Rousseau  sagte  von  sich : 
„Ich  bin  anders  als  alle,  die  ich  gesehen  habe;  ich  wage  es,  zu 
glauben,  daß  ich  anders  bin  als  irgendeiner."  Oder :  „Je  suis  un 
etre  ä  part."  Dieser  leidenschaftliche  Glaube  an  sich  selber,  diese 
Dissoziierung  von  der  Menschheit  mußte  nur  noch  stärker  wer- 
den aus  der  Einsicht  in  den  Widerspruch  zwischen  Leben  und 
Predigt  dieses  ganz  unsozial  Empfindenden.  Er  predigte  die  Liebe 
als  christlich  und  gab  seine  fünf  Kinder  ins  Findelhaus;  er  sprach 
gegen  Rang  und  Verschwendung  und  lebte  auf  Kosten  großer 
Herreu ;  er  eiferte  für  die  Demokratie  und  hing  an  den  Schleppen 
der  Aristokraten;  er  weinte  über  den  Reizen  der  Reinheit  und 
bewies  sie  nur  als  Ausnahme  von  der  Regel  der  Nicht-Reinheit. 
Unsozial  stellte  er  der  Gesellschaft  das  Gesetz,  Rückkehr  zur  Na- 
tur verlangte  der  Unnatürlichste  seiner  Zeit.  Er  war  ein  Schrift- 


Einleitung 


IX 


steller,  den  seine  Worte  trunken  machten;  und  diese  Trunken- 
heit seiner  Worte  schuf  seinen  Zeitgenossen  die  Erregung,  nicht 
seine  Ideen,  die  keinerlei  Bestürzung  hervorriefen.  Rousseau  or- 
ganisierte die  deliranten  Worte  zu  einem  Sklavenaufstand  des 
Ungenauen,  Undeutlichen:  Gefühle  zu  schwach,  um  Aktionen 
zu  zeugen.  Gedanken,  nicht  stark  genug,  um  elementare  Ereig- 
nisse zu  sein,  zwei  Unzulänglichkeiten,  die,  zusammengetan,  ein 
schwer  zu  benennendes  Drittes  bilden,  als  welches  das  Ferment 
ist  des  Verhaltens  bis  auf  unsere  Zeit. 

Es  ist  gewiß  nicht  schwer,  zu  beweisen,  daß  Rousseau  nicht 
hatte,  was  man  Überzeugungen  nennt.  In  seiner  Preisschrift  war 
er  für  die  Künste  als  Förderer  der  Menschheit.  Diderot  riet  ihm, 
journalistisch  aufgelegt,  den  entgegengesetzten  Standpunkt  als 
den  interessanteren,  und  Rousseau  schrieb  gegen  die  Künste  als 
die  Verderber  der  Menschheit.  Einer,  dem  die  Erhitztheit  nur  aus 
den  Vokabeln  kommt,  der  kann  so  und  das  Gegenteil.  Er  war  ein 
journalistisches  Genie,  das  nicht  besser  als  von  Marat,  Saint-Just 
und  Robespierre  zitiert  werden  konnte.  Und  war  ein  Dichter  und 
Literat  dazu,  aber  an  der  Einsicht,  wie  er  sich  mit  allen  diesen 
Talenten  zu  irgendetwas  in  sich  in  geheimen  Widerspruch  setzte, 
nährte  sich  die  Leidenschaft  dieses  Mannes  und  trieb  ihn  ins 
Grenzenlose.  Er  liebte  die  Menschheit  und  konnte  mit  keinem 
Menschen  in  einem  einfachen  Frieden  leben;  und  war  ein  Selbst- 
gerechter. „Es  gibt  keinen  besseren  Menschen  als  mich",  schrieb 
er  _  wie  oft!  Und  ist  dies  nicht  sein  einziges  Thema  ?  Er  weinte 
mit  seinen  Zuhörerinnen  über  sich,  vor  sich,  seine  Weste  hin- 
unter. Ganz  Genfer  Protestant  sagt  er:  „Ich  war  ein  Sklave  in 
meinen  Lastern,  aber  in  meinen  Gewissensbissen  bin  ich  ein 
Freier."  Also:  das  Motiv  ist  mehr  als  die  Tat  —  diese  Praxis  der 
Quietisten  brachte  Rousseau  in  die  Literatur,  und  sie  hat  davon 
ihren  Charakter  bis  auf  den  heutigen  Tag,  dessen  Psychologis- 
mus soeben  im  Sterben  liegt.  Und  diese  Praxis  bedeutet  im  Ethi- 
schen eine  Vereinfachung  des  moralischen  Mittels,  welche  den 


X  Einleitung 

Reichtum  der  Oberfläche  so  mindert  wie  die  Lust  dazu.  Und 
dies  bleibt  Versuch  und  Forderung  die  ganze  Zeit  bis  auf  Tol- 
stoi. Die  Umkehrung,  die  Nietzsche  Bifrons,  der  nach  vorwärts 
und  rückwärts  Gewandte,  zwischen  den  Zeiten  stehende,  dem 
Satze  gab :  Ich  bin  frei  in  meinen  Lastern  und  ein  Sklave  in  mei- 
nen Gewissensbissen,  diese  Umkehrung  sagt  den  Satz  Rousseaus 
noch  einmal,  denn  Rousseaus  Erlebnis  ist  auch  das  Nietzsches 
und  ist  ein  Schrei  aus  persönlicher  Not :  ob  das  Wort  so  ist  oder 
so,  ist  keine  Unterscheidung  im  wesentlichen.  Nietzsche  sah  nur 
als  erster  das  Ende  einer  Zeit,  ahnte  in  Qual  und  Sehnsucht  die 
neue  und  suchte  doch,  ganz  in  der  Gewöhnung  der  alten  ver- 
nünftigen Zeit,  das  Leben  zu  beweisen,  um  es  zu  leben. 

Entblößt  von  aller  Form,  die  es  sich  im  Werden  gab,  lebte  das 
Geistige  der  alten  Zeit  chaotisch  in  der  neuen  zu  Ende.  Im  Un- 
verständnis aller  Form  hielt  die  neue  Zeit  die  Form  für  Spiel  und 
Laune,  war  „Natur",  wie  sie  meinte,  und  nahm  Formen  vor 
wie  Masken,  lächelnd,  ohne  Glauben,  ganz  problematisch.  Voll 
Erschütterungen  und  Skurrilitäten  war  diese  Zeit,  in  die  noch 
unsere  Jugend  fiel.  Sie  schreibt  Zero,  nun  da  sie  die  Bilanz  zieht. 
Wie  von  einem  Vergangenen  möchte  man  schon  von  ihr  sprechen 
und  die  auflebende  neue  erinnern,  daß  wir  in  den  Bildungen  des 
Rokokos  stärkere  Ressourcen  haben  für  die  Haltung,  die  uns  bei 
Gott  nötiger  ist  als  „Stil"  und  „Geist"  und  „Fortschritt".  Nicht 
daß  man  sie,  wie  es  bisher  geschieht,  weiter  kopiert,  sondern  daß 
man  den  Begriff  dieser  Haltung  bekomme:  das  ist,  was  dieser 
auch  in  ihren  Sozialismen  bourgeoisen  Zeit  not  tut,  wenn  anders 
sie  ihren  Reichtum  äquilibrieren  will,  wonach  doch  ihre  Sehn- 
sucht steht.  Ein  aristokratischer  Bekannter  erzählte:  „In  dem 
Städtchen  läßt  die  Frau  Bürgermeister,  wenn  sie  ausgeht,  ihr 
Stubenmädchen  acht  Schritt  hinter  sich  hertraben.  Sie  hält  das 
für  fein.  Aber  sie  will  vor  allem  damit  auch  vermeiden,  daß  man 
ihre  Köchin  für  ihre  Schwester  hält.  Glauben  Sie,  daß  man 
meinen  Chauffeur  mit  mir  verwechselt  ?" 


Einleitung  XI 

Der  Titel  , Rokoko'  soll  nur  eine  formale,  keine  historische 
Einheit  begreifen.   Auch  eine  moralische  Abgrenzung  ist  da- 
mit nicht  gemeint.  Will  man  die  differenten  Perioden  an  dem 
Musterlande,  an  Frankreich,  aufweisen,  so  unterscheidet  man 
etwa  die  Periode  von   171 5  bis  1723,  die  Zeit  des  Regenten, 
die  Zeit  der  „Singularite  effrontee"  neubegierig,  wild  persön- 
lich in  allem  sittlichen  Tun  und  mit  einem  intellektuellen  Zynis- 
mus unsittlich.  Da  auf  die  Zeit  des  Ministeriums  Fleury  von 
1723  bis  1743:   ein  geschickter  ^Machiavellismus  bändigt  noch 
die  auseinanderstrebenden  Elemente  der  Zeit,  die  alsbald  nach 
des  Kardinals  Tode  und  nach  dem  Frieden  von  Aix-la-Chapelle 
als  Opposition  herrschend  werden.   Mit  1774  beginnt  die  Pe- 
riode der  Illusionen  und  Hoffnungen,  der  verspäteten  Reformen 
und   permanenten  Aufstände.   Das   ruinierte  Land   treibt  das 
städtische  kaufmännische  Bürgertum  in  die  Revolution.  Was 
diese  Kultur  auflöste,  bildete  sie  aus  sich  selber:  die  öffentliche 
Meinung,  die  zur  Demokratie  tendiert  bis  auf  heute.  Sie  bestand 
schon,  bevor  Voltaire,  Diderot  und  Rousseau  ihr  ihr  mächtiges 
Wort  liehen.  Sie  bestand  in  den  Chansons,  in  den  Pamphleten, 
in  den  Memoiren  und  Korrespondenzen.   Dieser  öffentlichen 
Meinung  bediente  sich  die  Philosophia  militans,  die  materiali- 
stische wie  die  spiritualistische,  und  gab  ihr  die  Macht  aus  der 
Zersetzung  alles  dessen,  was  bisher  Macht  war :  Königtum,  Staat, 
Kirche,  Adel.  Eine  absolute  Monarchie  mit  allen  Formen,  doch 
ohne  Prestige  und  ihre  gesetzliche  Macht  nur  zwischen  Willkür 
und  Schwäche  schwankend  äußernd.  Ein  Adel,  den  weder  Pflicht 
noch  Selbstbewußtsein  halten  und  der  aus  Spaß  zur  Opposition 
geht.  Ein  Parlament,  dessen  Widerspruch  kein  Gedanke  frucht- 
bar macht.  Eine  Kirche  ganz  im  Weltlichen  versunken.  Da  kein 
geistiges  Gesetz  ist  und  kein  für  alle  gültiges  Gebot,  hat  jeder 
eine  Meinung  und  ist  Richter  und  Urteiler  in  allem.  Wie  ein 
Barbier  um  1760  sagte  zu  seinem  Klienten:  ,,Ich  bin  ein  ganz 
armseliger  Mensch,  aber  ich  glaube  nicht  so  viel  an  Gott." 


XII  Einleitung 

Aus  dieser  Zersetzung  der  alten  Mächte  bildete  sich  eine  neue 
Macht,  die  einzig  herrschende  bis  auf  unsere  Zeit:  die  öffent- 
liche Meinung.  Sie  ist  nicht  zu  fassen  und  zur  Rechenschaft  zu 
ziehen,  sie  ist  da  und  verschwunden,  starr  unbeweglich  und  im- 
mer flüchtig,  unfaßbar  überall  und  nirgends,  formlos  und  alle 
Form  zerstörend.  Wer  sie  zu  beherrschen  meint,  der  endet  als 
ihr  Diener,  und  wer  ihr  dienen  will,  den  zermalmt  sie  oft,  denn 
sie  hat  Launen,  die  in  kein  Kalkül  zu  bringen  sind.  An  nichts 
gebunden,  verbindet  sie  sich  alles.  Ihre  Wahrheit  von  heute  nennt 
sie  morgen  Lüge,  ihre  Götter  von  heute  morgen  Götzen,  ihre 
verehrten  Talente  lächerliche  Narren.  Ihr  Kultus  veneriert  die 
Untreue,  die  Unbeständigkeit,  den  permanenten  Verrat ;  das  dop- 
pelte Gesicht,  das  allem  eigentümlich  ist,  was  um  die  Mitte  des 
achtzehnten  Jahrhunderts  ans  Licht  kommt,  hat  es  von  der  öffent- 
lichen Meinung,  die  sich  eine  Literatur  improvisiert,  welche  der 
Vorläufer  der  Zeitung  ist:  die  geschriebene  Konversation,  das 
Pamphlet,  die  Chronik.  Sie  bringt  in  Voltaire,  in  Diderot  diese 
journalistische  Aktivität,  in  die  Gelehrsamkeit  den  amüsierenden 
Vortrag,  in  den  Montesquieu  des  Esprit  des  lois  den  Montes- 
quieu der  Lettres  Persanes.  Sie  favorisiert  den  Witz,  das  Epi- 
gramm, die  Karikatur.  Sie  gibt  jedem  das  Recht,  von  allem  zu 
reden,  und  erfindet  sich  aus  ihrer  Vielhaftigkeit  die  idealistische 
Einheit  des  Homme  selon  la  nature,  um  sich  einen  seriösen  Fond 
zu  geben,  der  zu  nichts  verpflichtet,  um  ihrer  Kritik  der  Zeit 
etwas  wie  einen  moralischen  Standpunkt  außer  der  Zeit  zu  geben, 
um  für  sich  selber  die  Geste  der  Entschuldigung  zu  haben,  daß 
sie  eben  auch  in  dieser  Zeit  lebend  ihr  erliegen  muß  und  den 
Homme  selon  la  nature  also  nicht  verwirklichen  kann.  Jedes  Ge- 
sicht dieser  Zeit  hat  zwei  Profile:  ein  mit  Krampf  ernstes  und 
das  andere,  das  sich  über  den  Ernst  mokiert;  ein  gefühlvolles  und 
eines,  das  darüber  zynische  Witze  macht.  Diese  Doppeltheit  war 
in  einer  Form  nicht  zu  halten  und  daran  zerbrach  sie  endlich. 
Diese  Doppeltheit  war  nur  mit  äußerster  Anstrengung  eine  Zeit- 


Einleitung XIII 

lang  zu  halten  gewesen,  und  diese  äußerste  Anstrengung  zur 
Formbehauptung  ist  das  Rokoko.  Ein  unbewußter  Wille  belebt 
unausgesetzt  die  glückliche  Form,  die  der  Geist  unausgesetzt  be- 
droht :  das  ist  die  Geschichte  des  Rokoko. 

Die  Sitten  des  Rokokos :  man  zitiert  sie  als  das  offenkundigste 
Beispiel  der  Unsittlichkeit.  Nun  will  es  uns  aber  scheinen,  als  ob 
sich  das  Quantum  dessen,  was,  sagen  wir  im  Sittlichen  des  Liebes- 
komplexes geschieht,  sich  in  den  Zeiten  wenig  ändert;  es  wird 
sich  immer  oder  meistens  an  der  Grenze  des  gerade  noch  Mög- 
lichen halten.  Man  tat  wohl  immer  nur,  was  man  konnte,  nicht 
mehr;  ich  meine,  man  vernichtete  sich  nicht,  erschöpfte  sich 
kaum.  Man  hat  in  der  Zeit  des  ancien  regime  gewiß  nicht  unsitt- 
licher gejebt  als  heute,     enn  wir  das  allein  Vergleichbare  nach 
Ort  und  Milieu  vergleichen:  Paris  mit  heutigen  großen  Städten, 
die  Reichen  oder  Reichgewordenen  von  damals  mit  denen  von 
heute.  Was  sich  geändert  hat,  ist  die  Haltung  zu  dem  Phänomen 
des  Sittlichen,  das  für  sich  selber  ganz  gleichgeblieben  ist.  Das 
achtzehnte  Jahrhundert  moralisierte  außerordentlich  viel  mehr, 
als  es  unsere  Zeit  tut,  und  es  moralisierte  leichter,  mit  einem 
leichteren  Gewissen,  möchte  man  sagen.  Das  heutige  Urteil  über 
jene  Zeit  äußert  sich  etwa  so,  daß  man  sich  heute  entrüstet  dar- 
über und  daß  man  sich  damals  nicht  entrüstete;  man  ist  verblüfft 
von  einer  anders  sich  äußernden  Konvenienz;  man  ist  erstaunt, 
daß  damals  der  Geist  sich  auf  eine  andere  Weise  mit  den  Dingen 
abfand,  als  er  es  heute  zu  tun  beliebt;  man  vermißt  bei  den 
Sittenrichtern  jener  Zeit  den  Ernst  eines  Standpunktes;  man 
weiß,  daß  die  kleinen  Pamphlet isten,  die  über  Skandal  schrien, 
allzuoft  silberne  Löffel  stahlen;  aber  es  dürfte  an  dem  ethischen 
Ideal  gelegen  haben,  das  sich  jene  Zeit  aus  ihrer  Vernünftigkeit 
konstruierte,  daß  es  zu  keinen  anderen  moralischen  Reaktionen 
führte  als  solchen,  die  sich  nur  rhetorisch  äußerten.  Der  Homme 
selon  la  nature  war  ein  Wechselbalg.  Und  brachte  der  Zufall  eines 
auf  der  Landstraße  zerbrochenen  Wagens  die  für  die  einfachen 


XIV  Einleitung 

Sitten  des  Landvolkes  schwärmenden  Pariser  an  das  wirkliche 
Landvolk,  dann  konnte  praktisch  von  der  Schwärmerei  nur  eine 
Arabeske  übrigbleiben  oder  ein  dichterisches  Spiel,  an  das  man 
nicht  glaubte.  Man  hatte  bei  den  Geistigen,  bei  den  Führern 
keine  „laxe"  Anschauung  über  das  „Sittliche",  aber  wohl  allzu 
vernunfthafte  Idealitäten,  denen  im  Leben  nichts  irgend,  ent- 
sprach. Aber  es  wäre  falsch,  den  Geist  jener  Zeit  anzuklagen,  daß 
er  nicht  strenger  gewesen  sei  und  so  das  Sittenlose  gefördert  hätte. 
Der  eine  Rousseau  wiegt  wohl  die  hundert  Crebillons  und  Ge- 
nossen auf,  über  die  Laclos  wie  ein  Strafgericht  kam,  da  die  Zeit 
sich  für  die  Herrschenden  ihrem  Ende  zuneigte.  Aber  Laclos 
richtet  nicht  die  sinnliche  Entfesselung,  sondern  die  Vergewal- 
tigung des  Sinnlichen  durch  den  Verstand.  Jene  deutschen  Jüng- 
linge, die  in  Rousseau  ihren  Meister  verehrten,  waren  des  Sinn- 
lichen wahrhaft  voll  und  gaben  unverstellte  Kunde  davon  wie 
Glühende  vom  Gotte,  ohne  daß  sie  ihn  in  Madrigalen  variierten 
wie  die  vorige  Generation,  die  in  ihrer  verständigen  Eiskühle  eine 
Erwärmung  darin  fand,  daß  sie  „galant"  war.  Man  kann  sagen : 
Kinderzeugend  in  den  Betten  lagen  die  Burschen,  denen  später, 
als  sie  beim  Klange  der  Sturmtrommel  auf  die  Straße  gingen,  die 
Hosen  zu  eng  wurden  für  ihre  Muskeln,  daß  sie  sie  auszogen,  wenn 
sie  nicht  schon,  von  den  durchwühlten  Frauen  weg,  halb  nackt 
auf  die  Gasse  sprangen.  Solche  Burschen,  kleine  Offiziere,  Hand- 
werker, Nichtstuer,  Gaffer,  waren  die  Amants  du  cceur  aller  der 
ausgehaltenen  Mädchen,  von  deren  Namen  die  Berichte  voll  sind. 
Die  sie  aushielten,  waren  reichgewordene  Steuerpächter,  die  der 
Ehrgeiz  und  meist  nichts  sonst  plagte,  eine  bekannte  Mätresse  zu 
haben;  alte  Generale  der  Armee,  die  wenigstens  in  der  Liebe 
noch  Schlachten  schlagen  wollten;  Kleriker,  die  ihre  Messen  in 
den  Schlafzimmern  lesen  mußten,  dasienurTitularkleriker  wegen 
der  Einkünfte  waren;  Tuchhändler  mit  Geld  und  einer  lang- 
weiligen Gattin;  Krautjunker  vom  Lande,  die  in  Paris  den  ver- 
fluchten Kerl  spielen  wollten  —  eine  Gesellschaft  wie  die  heu- 


Einleitung  XV 

tige,  und  ihr  entsprach,  was  ihr  heute  entspricht :  das  kleine  Heer 
der  Zuhälter  und  ausgehaltenen  hübschen  Jungen, 

Was  das  ancien  regime  dichtete,  ist  kein  Dokument  unbedingten 
Wertes  für  das,  was  es  lebte.  Die  Dichtung  ist  mitnichten  „der 
Spiegel  der  Zeit".  Sie  ist  auch  Übertreibung.  Besonders,  wenn  sie 
wie  im  Rokoko  nichts  als  ein  Gesellschaftsspiel  des  Witzes  und  der 
Laune  ist.  Es  gab  eine  Art  zerebraler  Debauche,  die  von  bravsten 
Leuten  mitgemacht  wurde:  der  Dichter  der  unanständigsten 
Liedchen  und  Operetten,  Colle,  war  der  allertreueste  Gatte,  der 
Chevalier  Bouffiers  der  hingehendste  treueste  Geliebte,  und  solche 
Beispiele  scheinbaren  Widerspruchs  ließen  sich  Hunderte  an- 
führen zur  Bestätigung,  daß  die  Zeit  nicht  unsittlicher  gelebt 
hat  als  irgendeine  andere.  Daß  sie  unsittlicher  gedacht  hat,  das 
lag  daran,  daß  sie  eben  nichts  sonst  als  gedacht  hat  in  diesen  An- 
gelegenheiten des  Sinnlichen,  und  daß  sie  mit  einer  Vernunft 
gedacht  hat,  die,  schnell  erschöpft,  zu  immer  steigenderem  Raffi- 
nement treibt,  um  sich  zu  behaupten.  Was  dem  Liebeskomplexe 
durch  die  Vernunft  an  Blut  entzogen  wurde,  das  mußte,  zur 
Wahrung  des  Bestandes  überhaupt,  ihm  in  irgendeiner  anderen 
Materie  von  wo  anders  her  wieder  zugeführt  werden.  Prompt 
eignet  sich  das  Vokabular  der  Liebe  alles  Neue  an  und  bildet  es 
im  Sinne  seines  galanten  Gesamtcharakters  um:  das  Wort  Sen- 
timent  z.  B. 

Neben  die  sittengeschichtlichen  Dokumente,  die  hier  folgend 
das  Gesagte  illustrieren  sollen,  stelle  man  zum  Vergleiche  das,  was 
heute  geschieht  und  die  „Ausschweifung"  jener  Zeit  wird  uns 
sehr  armselig  vorkommen.  Vergleicht  man  aber  die  Entrüstung 
diesei  Pamphletäre  mit  der  Entrüstung,  die  unsere  durch  die 
Öffentlichkeit  hypokrit  gewordene  und  polizeilich  versittlichte 
Zeit  aufbringt,  dann  ist  unsere  Zeit  jener  alten  weit  überlegen. 
Die  öffentliche  Moralität  war  damals  gering,  wo  man  nicht  zu 
repräsentieren  brauchte,  da  man  irgendwie  war.  Die  öffentliche 
Moralität  ist  heute  außerordentlich  groß,  weil  man  repräsentiert 


XVI  Einleitung 

und  nichts  als  das  tut,  da  man  nicht  ist.  Die  Verstaatlichung 
der  Moralität  machte  den  Einzelunternehmer  überflüssig  oder 
verdächtig.  Von  Staats  wegen  unsittlich  ist  heute  das  meiste  Sitt- 
liche. Je  stärker  es  bei  einem  nötig  ist,  daß  er  seine  Sitten  heim- 
lich betreibt,  desto  mehr  wird  er  an  dem  Bestand  der  öffentlichen 
Moral  interessiert  sein.  Je  sittlicher  es  heute  einer  will  und  tut, 
desto  gegnerischer  wird  er  sich  zur  öffentlichen  Moral  stellen. 
Dieser  Widerspruch,  der  heute  das  öffentliche  Leben  beherrscht, 
war  das  auflösende  Element  des  Rokokos;  das  erste  europäische 
Parlament  der  Revolution  machte  ihn  definitiv.  Ihn  aufzuheben, 
schickt  sich  die  Zeit  an.  Aber  nicht,  wie  gleich  bemerkt  sei,  in 
dem  Hör-  und  Sehbaren  dieser  Zeit,  in  ihren  Revolutionen  und 
Konterrevolutionen,  in  ihren  Kriegen  und  Pazifismen,  in  ihren 
Krämpfen  und  Fiebern !  Oder  gar  in  ihren  Gegnerschaften,  den 
vermeinten,  der  Klassen  und  Parteien!  Alle  diese  Phänomene 
leben  vom  Widerspruch,  lieben  ihn,  weil  sie  von  ihm  leben,  und 
haben  keinen  intensiveren  Wunsch,  als  daß  er  ihnen  erhalten 
bleibe.  Was  sich  hör-  und  sehbar  heute  vollzieht,  hat  seine  Frage- 
stellungen immer  noch  im  ancien  regime  bekommen  und  sucht 
auch  im  Bannkreise  von  dessen  Geist  die  Antworten  auf  diese 
Fragen  so,  wie  sie  jenem  Geiste  entsprechen  mögen.  Darüber 
kann  eine  beliebte  „Wissenschaftlichkeit"  nicht  täuschen,  die 
ja  in  dieser  sittlichen  Kategorie  gar  nicht  in  Betracht  kommt. 

Die  den  Widerspruch  aufzuheben  bestimmten  Keime  liegen 
tiefer  in  der  Erde  als  Rousseaus  Appell  an  die  Natur  oder  als 
Tolstois  Aufruf  zum  evangelischen  Christentum:  was  aus  diesen 
Keimzeilen  aufblühte,  ist  längst  schon  wieder  abgeblüht  in  der 
Treibhaus  wärme  ihrer  Züchtung,  nachdem  es  als  aparter  Zimmer- 
schmuck im  bourgeoisen  Hause  seine  Stunde  gehabt  hat.  Was 
aber  den  Widerspruch  aufzuheben  und  die  noch  währende  Zeit 
des  Rokoko  zu  beschließen  bestimmt  ist,  das  lebt  in  der  tiefsten 
Katakombe. 

FRANZ  BLEI 


DIE  CHRONIQUE  SCANDALEUSE 

Vestris,  der  Gott  des  Tanzes,  hat  in  der  Tat  das  getan,  was 
unsere  Weltleute  ein  Ende  machen  nennen:  das  heißt  — 
er  hat  sich  verheiratet.  Das  Fräulein  Heinel1  trug  ihn  seit  langer 
Zeit  im  Herzen.  Tat  es  das,  weil  er  es,  vor  mehreren  Jahren,  im 
Theater  vor  aller  Welt  geohrfeigt  hatte  ?  Geschah  es,  weil  er  sich 
deshalb  verschmäht  gesehen  hatte  ?  Wie  dem  auch  sei :  Vestris 
konnte  das  Fräulein  nicht  in  den  Armen  eines  Rivalen  liegen 
sehen.   Dieser  Rivale  war  Fierville2,    der  zweite  französische 
Tänzer.   Er  wurde  seit  geraumer  Zeit  in  London  zurückge- 
halten, und  dort  haben  sein  Talent,  besonders  aber  seine  exal- 
tierte Art,  ihm  Ansehen  und  Reichtum  eingebracht.  Das  Fräu- 
lein Heinel,  das  sich  auch  nach  London  begeben  hatte,  erregte 
die  Bewunderung  der  Engländer  dermaßen,  daß  mehrere  Lords 
eine  Begeisterung  zeigten,  ihr  zwei-  bis  dreitausend  Guinees  an- 
zubieten, um  mit  ihr  zu  schlafen;  das  Fräulein  wies  das  Anerbieten 
geringschätzig  zurück.  An  Stelle  der  Guinees  bot  Fierville  dieser 
modernen  Lais  sein  Herz  an,  und  sein  Anerbieten  wurde  ange- 
nommen. Aber  es  war  keine  einfache  Liebschaft:  die  Heirat 
wurde  vor  dem  Altar  geschlossen.  Einige  Jahre  verfließen  und 
die  Übersättigung  tritt  ein.  Vestris  kommt  nach  London  und 
macht  seine  Beleidigung  durch  die  Unterwürfigkeit  seiner  Liebe 
vergessen.  Frau  Fierville  (Fräulein  Heinel)  trifft  ihre  Anord- 
nungen in  England  und  kommt  nach  Paris,  um  hier  mit  ihrem 
neuen  Liebhaber  sich  wieder  zu  vereinigen;  und  hier  hat  sie  ihm, 
im  Angesicht  unserer  Altäre,  ihre  eheliche  Treue  geschworen, 
ohne  Zweifel  erwartend,  daß  ein  neuer  Verführer  sie  Vestris' 
Armen  entreißen  werde.  Daß  eine  Frau  treulos  und  verräterisch 
ist,  habe  nichts  zu  bedeuten,  werden  unsere  Leute  von  Welt 
sagen.  Aber  daß  sie  eine  Rabenmutter  ist,  was  werden  sie  darauf 
antworten  ?  Und  so  liegt  der  Fall  des  Fräulein  Heinel  durch  ihre 
Scheidung  von  Fierville.  Sie  hat  ein  Kind  verlassen,  die  Frucht 


Die  Chronique  Scandaleuse 


dieser  Ehe,  das  durch  das  Mißgeschick  dieser  Umstände  ohne 
sichere  Stellung  in  der  Gesellschaft  ist.  Es  ist  gut  für  dieses  Kind 
und  für  seinesgleichen,  daß  eine  kluge  und  wohlwollende  Philoso- 
phie es  in  den  Augen  dieser  freien  und  aufgeklärten  Nation  für 
legitim  hält.  O  Frankreich,  wann  wirst  du  geruhen,  einem  so 
schönen  Beispiel  zu  folgen  ? 

Ein  entsetzlicher  Vorgang  hat  sich  gegen  Ende  des  Jahres  1783 
in  der  rue  Michel-le-Comte  abgespielt.  Eine  Art  Mönch,  aus 
dem  Orden  ausgetreten,  sucht  einen  Pförtner  seiner  Bekannt- 
schaft auf,  begleitet  von  einem  jungen  Savoyarden,  der  ihm 
ein  kleines  Paket  trägt.  Er  bittet  um  die  Erlaubnis,  in  irgend- 
einem Zimmer  des  Hauses  einen  Brief  schreiben  zu  dürfen.  Man 
gibt  ihm  einen  Schlüssel,  und  sein  Begleiter  folgt  ihm.  In  das 
Zimmer  eingetreten,  ist  seine  erste  Sorge,  die  Tür  fest  zu  ver- 
schließen, damit  er  den  abscheulichen  Plan  ausführen  kann,  den 
er  ersonnen  hatte,  um  seine  Begierde  an  diesem  jungen  Manne 
zu  befriedigen.  Er  findet  Widerstand,  und  seine  Erregung  wird 
Wut,  Wahnsinn,  Raserei;  er  bringt  diesem  Unglücklichen  meh- 
rere Messerstiche  bei  und  verübt  dann  noch  die  empörende 
Grausamkeit,  dieses  blutende  Opfer  zu  vergewaltigen.  Er  tut 
mehr :  um  das  Maß  vollzumachen,  begeht  er  die  Ruchlosigkeit, 
diesem  Armen  38  Sous  zu  stehlen,  die  er  in  seiner  Tasche  fand. 
Aber  solche  Missetaten  gehen  über  die  menschliche  Kraft.  Sein 
Kopf  wird  unklar,  er  steigt  die  Treppe  hinab,  zu  der  Pfört- 
nerin, um  von  seinen  Händen  das  Blut  abzuwaschen.  Sein  ver- 
störtes Aussehen  beunruhigt,  erschreckt.  Er  will  fliehen,  aber 
er  wird  festgehalten.  Man  überführt  ihn  seiner  Verbrechen, 
seine  Strafe  folgt  dicht  darauf.  Aber,  großer  Gott!  welche 
Strafen  könnten  dem  allgemeinen  Rechtsempfinden  gegen  sol- 
che Ungeheuer  genügen  und  ihnen  genügend  Scnrecken  ein- 
flößen ? 


Die  Chronique  Scandaleuse 


Es  ist  schwer  zu  sagen,  ob  mehr  Geist  oder  Narrheit  in  dem 
ist,  was  der  Doktor  Graham  eben  in  London  ausführt.  Jedenfalls : 
seine  geheimnisvolle  Art  hat  die  Neugierde  angestachelt,  und 
seine  Sonderbarkeit  hat  Lobpreiser  unter  allen  Zeitgenossen  ge- 
funden. Man  darf  daher  vermuten,  daß  dieses  Unternehmen  ihm 
ein  großes  Vermögen  sichern  wird.  Hier  ist  die  Beschreibung 
seiner  Anstalt: 

Der  Doktor  Graham  hat  mit  dem  Namen  „Tempel  der  Ge- 
sundheit" ein  großes  Gebäude  dekoriert,  das  in  der  Pall  Mall 
hegt,  neben  dem  königlichen  Palast.  Das  Gesims  ist  mit  drei 
Figuren  geschmückt :  Venus,  ihr  zu  Seiten  Minerva  und  Juno. 
Darunter  liest  man  die  folgenden  Inschriften.  Der  Tempel 
der  Gesundheit,  Das  Heil  der  Monarchen,  Der  Reichtum  der 
Armen.  Etwas  tiefer  bemerkt  man  eine  Statue,  die  er  Äskulap 
geweiht  hat,  und  endlich  liest  man  über  der  Tür :  Keine  Wache 
wacht  an  dieser  Tür,  damit  der  Reiche  wie  der  Arme  ein- 
trete. Trotz  dieser  Inschrift  lassen  zwei  riesengroße  Männer, 
die  mit  einer  langen  Robe  bekleidet  und  mit  einem  Panzer  ver- 
sehen sind,  auf  dem  geschrieben  ist:  Tempel  der  Gesund- 
heit, niemand  herein,  der  nicht  sechs  Pfund  Sterling  bezahlt 
hat. 

Kaum  hat  man  den  rechten  Fuß  auf  die  erste  Stufe  der  Treppe 
gesetzt,  hört  man,  aus  Blasinstrumenten,  eine  harmonische  Musik ; 
sie  dringt  aus  Öffnungen,  die  in  der  Treppe  verborgen  ange- 
bracht sind.  Die  lieblichsten  Düfte,  die  den  Geruch  aufs  ange- 
nehmste berühren,  steigen  auf,  bis  an  den  Eingang  zu  einem 
prächtigen  Empfangszimmer.  Es  ist  für  Vorträge  bestimmt,  in 
denen  der  Doktor  behauptet,  jede  Unfruchtbarkeit  aufzuheben, 
obgleich  er  selbst  niemals  Kinder  haben  konnte.  Er  verschleiert 
in  keiner  Weise  die  Worte  in  diesem  Zweig  der  Wissenschaft  und 
dennoch  strömen  die  Damen  wie  die  Herren  in  Menge  zu  ihm 
und  hören  ihm  ohne  Bedenken  zu. 

Das  Innere  der  Feenpalaste  hat  niemals  Ausgesuchteres  und 


Die  Chronique  Scandaleuse 


Majestätischeres  gezeigt.  Die  Blumengewinde,  die  Spiegel,  die 
Kristalle,  die  vergoldeten  und  versilberten  Metalle  sind  hier  im 
Überfluß  angebracht  und  werfen  von  allen  Seiten  ein  blendendes 
Licht  zurück. 

Musik  geht  jeder  Sitzung  voraus,  von  fünf  Uhr  bis  sieben  Uhr; 
dann  stellt  sich  der  Doktor  Graham  vor,  in  seiner  Robe  und  in 
einem  gelehrten  Ton.  Im  Augenblick  tritt  Stille  ein,  die  nur 
zu  Ende  der  Sitzung  durch  einen  elektrischen  Schlag  unterbro- 
chen wird,  der  sich  der  ganzen  Gesellschaft  mitteilt  (mit  Hilfe 
der  Leitungen,  die  unter  den  Tüchern,  die  alle  Bänke  bedecken, 
verborgen  sind).  Während  noch  die  einen  über  das  Erstaunen 
der  anderen  spotten,  sieht  man  einen  Geist,  der  durch  den  Fuß- 
boden in  den  Saal  eintritt,  erscheinen.  Es  ist  ein  magerer  und 
leichenblasser  Mann,  von  riesenhafter  Figur,  der,  ohne  ein  Wort 
zu  sagen,  dem  Doktor  eine  Flasche  Likör  überreicht.  Nachdem 
der  Doktor  der  Gesellschaft  davon  angeboten  hat,  verschwindet 
er  mit  dem  Geist. 

Auf  diese  seltsame  Erscheinung  folgt,  in  der  Gestalt  der  Göttin 
der  Musik,  eine  hübsche  Frau,  die,  nachdem  sie  einige  Stücke  ge- 
sungen hat,  mit  einem  Male  unsichtbar  wird.  Der  Doktor  Gra- 
ham hat  damit  seine  Sitzung  beendet,  und  die  Bezahler  ziehen 
sich  zurück,  ohne  die  sechs  Guinees,  die  sie  einem  so  außer- 
gewöhnlichen Schauspiel  geopfert  haben,  zu  bedauern. 

Nach  den  Sitzungen  bietet  der  Doktor  dem  Publikum  an,  die 
Schwermut  und  die  übermäßige  Heiterkeit  verschwinden  zu 
machen.  Es  ist  die  Elektrizität,  die  den  Ruf  des  Doktors  Gra- 
ham seit  mehreren  Jahren  begründet.  Man  kann  nicht  leug- 
nen, daß  er  Erfolge  gehabt  hat. 

Aber  alle  diese  Einzelheiten  sind  nur  Nebensachen  in  seiner 
Anstalt :  eines  der  prächtigsten  Betten,  in  dunklem  Damast,  auf 
vier  gewundenen  Säulen  ruhend,  überladen  mit  Blumengehängen 
aus  vergoldetem  Metall,  bildet  den  Hauptbestandteil.  Für  fünf- 
zig Louis  versichert  der  Doktor  Graham  den  jungen  Leuten  wie 


Die  Chronique  Scandaleuse  5 

den  alten  Gatten,  daß  sie  darin  einen  Nachkommen  ihres  Namens 
zuwege  bringen  werden. 

Von  welcher  Seite  man  auch  in  das  Bett  steigt,  das  das  gött- 
liche Bett  genannt  wird,  immer  hört  man  eine  Orgel,  die  in 
Verbindung  mit  drei  anderen  steht,  in  einer  angenehmen  Musik 
ertönen,  deren  Melodien  die  Gatten  in  die  Arme  des  Morpheus 
tragen.  Während  einer  Stunde,  — so  lange  dauert  dieses  Konzert, 
—  bemerkt  man  in  dem  Bett  Ströme  von  Licht,  die  abwech- 
selnd die  Säulen  erleuchten.  Zur  Stunde  des  Erwachens  kommt 
unser  Zauberer,  um  den  Puls  der  Gläubiger  zu  fühlen,  gibt  ihnen 
zu  frühstücken  und  entläßt  sie,  erfüllt  von  Hoffnung,  indem  er 
ihnen  empfiehlt,  ihm  Anhänger  zu  werben.3 

# 

Wenn  die  Leidenschaften  die  Quelle  der  Tugenden  sind,  so 
haben  sie  doch  noch  öfter  schreckliche  Wirkungen  und  verderb- 
liche Folgen.  Ein  reicher  Landwirt   aus   der  Umgebung  von 
Meaux  gibt  davon  ein  neues  und  sehr  trauriges  Beispiel.  Nach- 
dem er  mehrere  Jahre  lang  in  einem  besonders  zärtlichen  Ver- 
hältnis zu  einer  Frau  dieser  Gegend  stand,  haben  eifersüchtige 
Regungen  in  ihm  den  schwärzesten  und  rohesten  Racheplan  ent- 
stehen lassen.  Eines  Tages  lockt  er  die  Frau  in  die  Felder;  dort 
bricht  er  einen  scharfen  Dornzweig  ab,  schneidet  ihn  zurecht 
und  schärft  ihn  noch  für  seinen  Zweck.  Die  Einsamkeit,  in  der 
er  sich  mit  ihr  fand,  und  die  Willfährigkeit,  mit  der  sie  seinen 
verstellten  und  hinterlistigen  Zärtlichkeiten  sich  hingab,  aus- 
nützend, läßt  er  sie  statt  der  Wonnen  der  Liebe  die  Qualen  des 
grausamsten  Todes  fühlen  und  spießt  sie  auf.  Dieses  unglück- 
liche Geschöpf  hat,  als  man  sie  vier  Stunden  später  in  den  letzten 
Todeszuckungen  fand,  zu  keinem  Beweis  gegen  seinen  Mörder 
verhelfen  können;  aber  man  hegte  Verdacht  gegen  ihn.  Ver- 
haftet und  verhört,  bekannte  er  sein  Verbrechen  und  büßte  es 
auf  dem  Schafott.  Vergebens  hat  seine  Familie  große  Summen 
angeboten,  um  ihn  der  Strafe  zu  entziehen;  das  Geld  hat  dieses- 


Die  Chronique  Scandaleuse 


mal  weder  über  die  Gesetze  noch  über  das  öffentliche  Urteil 
siegen  können. 

Die  Zeitungen  von  England  haben,  als  sie  den  ungeheueren 
Zusammenbruch  von  Taylor,  des  Direktors  der  Oper  in  Lon- 
don, meldeten,  der  ziemlich  kraftvollen  Haltung,  die  unsere 
Theodora  in  dieser  Lage  gezeigt  hat,  Erwähnung  getan.  Sie  be- 
fand sich  bei  der  Nachricht  vor;  diesem  unglücklichen  Ereignis, 
das  ihr  in  einem  Augenblick  jede  Frucht  ihrer  Hoffnungen  raubte, 
in  den  Kulissen:  sie  stieß  zunächst  einige  Verwünschungen  gegen 
Taylor  aus,  dann  faßte  sie  den  Entschluß,  eine  Ansprache  an  das 
Publikum  zu  halten,  und  schickte  sich  gerade  dazu  an.  Der  König, 
der  anwesend  war,  fürchtete,  daß  dieses  Benehmen  Anlaß  zur 
Unruhe  im  Publikum  geben  könne  und  Heß  der  Tänzerin  be- 
fehlen, davon  abzulassen.  Ihre  Antwort  war,  „daß  sie  Frank- 
reich nur  verlassen  habe,  um  den  Befehlen  des  Königs  sich  zu 
entziehen;  daß  sie  aber,  in  dem  Lande  der  Freiheit,  ihre  Vor- 
rechte genießen  wolle".  „Im  übrigen",  sprach  sie  weiter  zu  dem 
Überbringer  des  Befehls,  „sagen  Sie  Georg,  daß  er  mich  bezahle, 
und  ich  verpflichte  mich  zu  schweigen."  Dieser  Vorschlag  wurde 
nicht  angenommen ;  Theodora  konnte  zum  Publikum  reden,  und 
sie  bekam,  obgleich  sie  ein  sehr  schlechtes  Englisch  sprach,  viel 
Beifall  und  Zustimmung. 

Die  ernsthaftesten  Leute  von  Rang  vergnügen  sich  in  Paris 
damit,  ein  Gesellschaftsspiel  zu  veranstalten,  das  man  Mysti- 
fikationen nennt,  seitdem  Poinsinet4  unschuldigen  Andenkens 
das  Ziel  davon  gewesen  ist.  Der  Abbe  Arnaud  von  der  Aka- 
demie hat  verbreitet,  daß  ein  junger  Mann  aus  der  Provinz, 
mit  dem  er  in  Briefwechsel  stehe,  nach  Paris  kommen  würde, 
um  hier  seine  literarischen  Kenntnisse  zu  vervollkommnen ;  daß 
er  sich  demgemäß  vornehme,  die  bedeutendesten  Künstler 
kennen  zu  lernen,   unter  anderen  den  Chevalier   de   Mouhy, 


Die  Chronique  Scandaleuse 


denn  er  habe  von  ihm  den  größten  Eindruck  bei  der  Lektüre 
seiner  Romane  empfangen.  Sie  kennen,  dem  Namen  nach,  den 
Chevalier  de  Mouhy5;  er  ist,  nach  dem  Chevalier  Coudray,  als 
Autor  das  lächerlichste  Wesen  Der  vorgebliche  junge  Mann 
habe,  um  die  Bekanntschaft  einzuleiten,  dem  Abbe  Arnaud  Stro- 
phen zum  Lobe  des  Chevaliers  geschickt.  Sie  folgen  hier.  Der 
Abbe  Arnaud  selbst  hat  sie  natürlich  verfaßt  und  sie  dem  ver- 
götterten Idol  vorgelesen. 

Eine  der  allergrößten  Gaben, 
die  uns  diese  Zeit  gewährt, 
ist,  gelesen  zu  haben 
die  Werke  des  Herrn  Mouhy. 

(Hierin  findet  der  Chevalier  eine  gewisse  Leichtigkeit  des  Aus- 
drucks.) 

Aus  ihm  strömet  die  Noblesse. 
O,  wie  blendend  ist  sein  Geist! 
Nein,  kein  Autor  flößt  Interesse 
ein  wie  Chevalier  Mouhy. 

„Ah !"  sagt  der  Chevalier,  indem  er  sich  bescheiden  in  die  Brust 
wirft,  „Ihr  junger  Mann  ist  sehr,  sehr  begabt!" 

Man  nimmt  an,  es  gäbe  keinen, 
der  des  öfteren  nicht  log. 
Aber  niemals  hört  man  einen 
lügen  wie  Herrn  de  Mouhy. 

„Wie  ?  Was  soll  das  heißen  ?  Spottet  er  über  mich  ?"  —  „Ge- 
duld, Herr  Chevalier!"  —  „Nein,  Herr  Abbe,  ich  will  diese  Un- 
verschämtheit nicht  weiter  anhören." 

Sein  Geschmack,  und  sein  Gebahren, 
das  ein  jedes  Wort  erfüllt, 
lassen  vorziehn  selbst  dem  Wahren 
diese  Lügen  vor.  Mouhy. 

„Was  höre  ich?  Das  ist  entzückend!  Welches  ausgesuchte  Lob 
und  welche  Geschicklichkeit,  es  auszudrücken !  Das  Ansehen  zu 


8  Die  Chronique  Scandaleuse 

haben,  eine  Beleidigung  zu  sagen  und  ein  Kompliment  zu 
machen  ...  — " 

Land,  das  mich  zuerst  gesehen, 
niemals  noch  verließ  ich  dich; 
aber  jetzt  nun  muß  ich  gehen 
zu  dem  Chevalier  Mouhy. 

„Ah,  er  soll  sich  keine  Mühe  machen.  Er  kennt  mich  von  Re- 
nomme  —  das  genügt.  Ich  werde  dennoch  entzückt  sein,  diesen 
jungen  Mann  kennen  zu  lernen.  Er  verspricht  zu  kommen  ?" 

Edle  Haltung,  schlanke  Beine, 
Augen  glänzend  und  entzückt! 
So  muß  aussehen,  wie  ich  meine, 
Der  Herr  Chevalier  Mouhy. 

(Hier  sagt  der  Chevalier  kein  Wort,  denn  er  ist  alt,  lahm  und 

bucklig.) 

Seine  Schönheit  macht  Alarm 
bei  dem  Liebsten  und  dem  Gatten. 
Denn  wer  widersteht  dem  Charme 
Des  Herrn  Chevalier  Mouhy  ? 

Hier  endet  die  Mystifikation,  über  die  auf  Kosten  dieses  guten 
Herrn  von  Mouhy  viel  gelacht  wurde. 

# 
Der  Chevalier  Receveur6kam  im  März  des  Jahres  1783  in  Lon- 
don an  und  glaubte  aus  dem  Geist  der  Einigkeit,  der  aller  Köpfe 
an  den  Ufern  der  Themse  sich  bemächtigt  hatte,  Nutzen 
ziehen  2u  können:  er  wendet  sich  an  einen,  den  er  hatte  vor 
zehn  Jahren  in  Haft  nehmen  wollen  (an  den  Autor  des  „Ga- 
zetier cuirasse").  „Reichen  wir  uns  die  Hand,"  sagte  er  zu  ihm, 
„es  gibt  hier  Schlingel  von  Schreibern,  die  Ihr  Beispiel  verlockt 
hat.  Spannen  wir  unsere  Netze  gemeinsam  aus,  damit  alle  diese 
sauberen  Vögel,  die  uns  jetzt  belästigen,  sich  darin  fangen!" 
„Ich  bin  gern  bereit  dazu,"  antwortet  der  Gepanzerte,  „aber 
ich  muß  Ihnen  zuvor  mitteilen,  daß  man  im  Begriff  ist,  mich  zu 
verhaften,  weil  ich  einem  Tapetenhändler  sechzig  Guinees  schul- 


Die  Chronique  Scandaleuse 


dig  bin."  „Das  soll  uns  nicht  aufhalten,"  sagt  der  andere,  „gehen 
wir  zu  meinem  Bankier.  Wir  werden  auf  meinen  Kreditbrief 
das  nehmen,  was  diesen  Lästigen  schweigen  macht.  Aber  vor 
allem:  sagen  Sie  mir,  wer  ist  der  Autor  dieser  Zoten:  ,Petits 
soupers  im  Hause  de  Bouillon*?7  Dieser  Kerl  hat  zwei  Briefe 
nach  Paris  geschrieben;  ich  habe  diese  Briefe  gesehen.  Man  muß 
sich  Schriftstücke  verschaffen  von  allen  französischen  Verdäch- 
tigen hier,  um  zu  vergleichen."  Der  erste,  den  mar  festnahm, 
war  ein  Mann  namens  Mauricon,  der,  nachdem  er  verschiedenen 
Behörden  in  Paris  Streiche  gespielt  hatte,  nach  London  ge- 
kommen war,  um  die  Leute  zu  einer  Art  von  komischen  Oper 
zu  einer  halben  Guinee  für  die  Person  einzuladen.  Der  „ge- 
panzerte Zeitungsschreiber",  der  nicht  wußte,  wie  er  es  anfangen 
sollte,  seine  Handschrift  zu  bekommen,  sagte  zu  einem  gewissen 
La  Fite,  einem  gewissen  Jombert  zu  sagen,  daß  es  fünf  Guinees 
zu  verdienen  gäbe  für  denjenigen,  der  Antwort  zurückbrächte 
auf  einen  Brief,  den  man  ihm  für  Mauricon  geben  würde. 
Jombert  erzählt  den  Fall  einem  gewissen  Dupuis,  der  es  sich  in 
den  Kopf  setzt,  die  fünf  Guinees  zu  verdienen  und  das  ge- 
wünschte Schriftstück  ohne  Bedenken  selbst  anfertigt.  Der  alte 
Goudar,  der  Begleiter  Receveurs,  argwöhnt  den  Betrug;  als  eines 
Tages  der  berühmte  Philidor,  ein  Freund  Mauricons,  zurück- 
kehrt, schlägt  er  das  Geschäft  ihm  vor,  überzeugt,  daß  dieser  Weg 
der  sicherste  sei.  „Gern",  sagt  der  Musiker  zu  ihm,  „ich  werde 
Mauricon  suchen;  er  wird  nach  meinem  Diktat  schreiben."  — 
„O  nein,"  erwiderte  Goudar,  „es  ist  nicht  nötig,  daß  Mauricon 
weiß,  worum  es  sich  handelt."  „Lassen  Sie  mich  nur  machen," 
sagt  Philidor  und  macht  sich  im  stillen  über  ihn  lustig,  „ich 
werde  es  Ihnen  herbeischaffen."  In  dieser  Zeit  verteilte  man 
in  den  Straßen  Londons  Blätter  und  schlug  sie  überall  an, 
um  das  Volk  auf  die  besonderen  Kennzeichen  des  Polizeiinspek- 
tors von  Paris  aufmerksam  zu  machen.  Dieses  Blatt  war  so  ab- 
gefaßt : 


io  Die  Chronique  Scandaleuse 


,Gift  gegen  die  französischen  Spione  und  Ankündigung  für 
die  Fremden,  die  nicht  gern  auf  die  Bastille  gehen  wollen,  um 
dort  zu  verfaulen. 

Die  tapferen  und  edlen  Briten  seien  benachrichtigt,  daß  es 
hier  Inspektoren  der  Pariser  Polizei  gibt,  die  sich  in  der  Stadt 
festgesetzt  haben;  einige  ihrer  Leute  sind  einquartiert  in  der 
Gegend  von  Saint  James.  Sie  stehen  dort  Wache,  Tag  und  Nacht, 
versehen  mit  Knebeln,  Handschellen  und  Dolchen,  in  der  Ab- 
sicht, die  Autoren  und  Herausgeber  der  drei  folgenden  Werke 
zu  ergreifen  und  nach  Frankreich  zu  transportieren  .  .  . 

Nachdem  einige  Zeit  erfolglos  vorübergegangen  war,  kam  der 
Graf  d'Adhemar  nach  London  und  ließ  Receveur  rufen.  „Hast 
du  gefunden,  was  du  suchtest?"  fragte  ihn  der  Botschafter. 
„Nein,  Herr  Graf."  —„Dann  sieh  zu,  daß  du  übermorgen  nicht 

mehr  in  London  bist!" 

# 

Der  Marschall  von  Richelieu  wohnte  einem  dieser  kleinen 
Abendessen  bei,  die  jetzt  in  Paris  so  häufig  sind.  Er  fängt  an  laut 
zu  lachen.  Die  vier  Damen,  die  dabei  waren,  wollten  die  Ur- 
sache des  Gelächters  wissen:  Der  sollte  sie  erfahren,  der  sie  er- 
raten würde.  Man  hatte  tausend  Vermutungen  und  alle  waren 
falsch.  Der  Marschall  lehnte  durchaus  ab,  sich  zu  erklären;  er 
habe  schon  wiederholt  erfahren,  daß  diese  Damen  ihm  die  Ver- 
traulichkeit niemals  verziehen  hätten.  Die  weibliche  Neugier 
wird  um  so  größer.  Der  Herzog  gibt  endlich  nach,  indem  er 
um  Gnade  für  sich  bittet,  die  die  Damen  ihm  versprechen.  — 
„Also,"  sagt  der  Achtzigjährige,  „man  muß  Ihnen  gehorchen: 
die  Galanterie  geziemt  jedem  Alter.  Eine  entzückende  Erinne- 
rung reizte  mein  Lachen;  ich  erinnerte,  daß  ich  einstmals 
die  Ehre  gehabt  habe,  von  einer  jeden  von  Ihnen  im  Bett 
empfangen  zu  werden.  Heute  kann  ich  zu  Ihnen  nur  davon 
sprechen." 


Die  Chronique  Scandaleuse n 


Frau  Dugazon,  Schauspielerin  an  der  Comedie  Italienne,  war 
höchstens  bei  ihrem  fünfzehnten  oder  sechzehnten  Liebhaber 
seit  sechs  Monaten  (so  lange  lebte  sie  von  ihrem  Gatten  ge- 
trennt), als  dieser  es  sich  einfallen  ließ,  ihr  Verhalten  unrecht 
zu  finden.  Der  Graf  von  ***  war  an  der  Reihe  bei  der  Schönen, 
als  Dugazon  eintritt.  Nach  einer  kleinen  Pause  sagt  er  zu  seiner 
Frau:  „Gnädige  Frau,  wünschen  Sie  dem  Herrn  Grafen  einen 
guten  Abend.  Heute  bleibe  ich  hier."  Die  Schöne  stammelt 
zitternd  dem  Grafen  einige  Worte  des  Abschieds  und  winkt  ihm 
zu  gehen,  um  Streitigkeiten  auszuweichen.  So  bleibt  der  Gatte 
Sieger  auf  dem  Schlachtfeld,  aber  der  Graf  war  sehr  schlechter 
Laune.  Am  nächsten  Tag   am  übernächsten  Tag  geht  er  über- 
all herum  und  erzählt,  daß  Dugazon  ein  liederlicher  Bursche, 
ein  durchtriebener  Kerl  sei  und  daß  er  ihm  die  Ohren  abschnei- 
den werde.  Da  die  Ohren  von  Dugazon  noch  nicht  abgeschnitten 
waren,  so  wurden  sie  heiß  von  allen  diesen  Dingen,  die.  ihm 
hinterbracht  wurden.  Der  Zufall  wollte  es,  daß  er  einige  Tage 
später  mit  dem  Grafen  zusammentraf,  der  dieselben  Reden  vor 
ihm  wieder  anfing.  Dugazon,  der  einer  der  tapfersten  Komö- 
dianten dieser  Zeit  ist,  deutet  ihm  an,  daß  er  solche  Beschimp- 
fungen nicht  dulden  könne.  Diese  Erklärung  zieht  eine  andere 
nach  sich:  der  Graf  gibt  ihm  eine  tüchtige  Ohrfeige,  und  in  der 
nächsten  Sekunde  gibt  sie  ihm  der  andere  aus  aller  Kraft  zurück. 
Die  beiden  Gegner  brennen  darauf,  sich  zu  schlagen;  man  trennt 
sie,  man  bewacht  sie.  Dugazon  wird  von  der  Polizei  gemaßregelt, 
und  seiner  Frau,  mit  allen  ihren  Talenten,  wird  mit  dem  Zucht- 
haus gedroht.  Das  ist  das  Ergebnis  der  Ohrfeigen  der  beiden 
Herren.  Im  Palais-Royal  ist  man  sehr  neugierig,  die  Wendung 
zu  erfahren,  die  die  große  Angelegenheit  nehmen  wird.  Man 
fragt  sich  im  Caveau,  wie  das  enden  und  was  der  Graf  mit  der 
Ohrfeige  tun  werde,  die  er  bekommen  habe.  „Wer  weiß,"  ant- 
wortet ein  Spaßvogel,  „vielleicht  wird  er  sie  zu  den  übrigen 
legen."  Die  Prophezeiung  hat  sich  bewahrheitet.8 


12  Die  Chronique  Scandaleuse 

Der  Herr  Graf  von  A**,  Generalleutnant  der  Armeen  des 
Königs,  ist  ins  Gefängnis  gebracht  worden,  weil  er  das  Feld- 
gericht beleidigt  hat.  Des  Gefängnisses  und  der  Ordnung,  die  er 
beobachten  muß,  müde,  läßt  er  dem  alten  Marschall  von  Riche- 
lieu eines  Tages  sagen,  daß  er  nicht  mehr  von  seiner  Frau  ge- 
trennt leben  könne,  daß  er  gefoltert  werde  von  den  ungestümen 
Wünschen,  die  die  Natur  in  ihm  mit  einer  zu  gebieterischen 
Stimme  sprechen  lasse,  als  daß  er  sie  zum  Schweigen  bringen 
könne.  Mit  der  entzückenden  Heiterkeit,  die  er  sich  bewahrt 
hat,  rief  der  Marschall  von  Richelieu  aus :  „Ah,  sagen  Sie  Herrn 
von  A  .  .  .,  daß  er  nur  aus  dem  Gefängnis  herausgelassen  würde, 
nachdem  er  mich  sein  geheimes  Mittel  habe  wissen  lassen." 

# 

Einige  junge  Offiziere  hatten  einen  Streit  mit  der  Wache  bei 
Nicolet.  Die  Sache  wurde  bekannt  und  vor  das  Gericht  der 
Marschälle  gebracht.  Der  alte  Herzog  besinnt  sich,  daß  er  jung 
und  Soldat  gewesen  war.  Seine  ritterliche  Art  läßt  ihn  den  Über- 
mut der  jungen  Offiziere  billigen,  und  er  tadelt  die  Leute  der 
WTache.  Einer  dieser  jungen  Adligen  ruft  laut:  „Herr  Marschall, 
ein  Soldat  hat  die  Unverschämtheit  gehabt  zu  sagen,  daß  er  sich 
den  Teufel  um  Sie  schere!"  —  „Das  mag  sein,  aber  da  er  Sie, 
mein  Herr,  nicht  gebeten  hat,  es  mir  wiederzusagen,  haben  Sie 
die  Güte,  sich  nach  dem  Gefängnis  zurückzubegeben." 

Der  Herzog  von  ***  überraschte  eines  Tages  seine  teure  Hälfte 
in  den  Armen  des  Erziehers  seines  Sohnes.  Die  würdige  Gattin 
sagt  zu  ihm  mit  herzoglicher  Unverschämtheit :  „Warum  waren 
Sie  nicht  da  ?  Wenn  ich  meinen  Kutscher  nicht  habe,  nehme 
ich  den  Arm  meines  Lakaien." 

Der  Chevalier  von  ***  war  zum  Souper  bei  dem  Fräulein 
Theophile.  Sie  sprachen  von  den  süßen  Freuden  und  waren 
voll  der  Hoffnung,  sie  bald  zu  genießen.  Das  Fräulein  läßt,  in- 


Die  Chronique  Scandaleuse 13 


mitten  ihres  verliebten  Rausches,  einige  Seufzer  entfliehen.  „Was 
haben  Sie,  mein  schöner  Engel  ?"  „Mein  Freund,  ich  muß  dir 
etwas  bekennen,  ich  brauche  zwölf  Louis  äußerst  notwendig." 
„Göttliche,  ich  bin  in  Verzweiflung:  ich  habe  keinen  Pfennig, 
nicht  das  geringste.  Welches  Vergnügen  würde  es  mir  gewesen 
sein,  dir  diese  Kleinigkeit  zu  schenken."  „Schenken  ? !  Ah,  mein 
Freund,  ich  kenne  deine  Lage.  Es  war  ein  einfaches  Darlehen, 
das  ich  wünschte  und  nur  für  wenige  Tage.  Ich  verkaufe  meinem 
guten  Freunde  meine  Gunst  nicht."  Darauf  folgt  ein  Erguß  der 
zärtlichsten  Gefühle.  Man  setzt  sich  zu  Tisch,  und  bald  wirft 
man  sich  in  die  Arme  der  Liebe,  um  für  die  Härten  dieses  ver- 
wünschten Schicksals  sich  zu  entschädigen.  Man  hört  an  die  Tür 
klopfen.  Der  Chevalier  weiß  nicht  was  tun.  „Ah,  das  ist  er", 
sagt  das  Fräulein  erschrocken.  „Er"  war  ein  reicher  Finanzmann, 
der  die  großen  Ausgaben  des  Fräuleins  bestritt,  indes  der  Che- 
valier statt  seiner  geliebt  wurde.  Der  Chevalier  flüchtet  in  ein 
Nebenzimmer.  Der  Finanzmann  läuft,  mit  seinen  beiden  krum- 
men Beinen,  auf  seine  Geliebte  zu :  „Endlich,  meine  Königin, 
habe  ich  mich  frei  gemacht  von  diesem  unglücklichen  grünen 
Tisch,  an  den  ich  genagelt  war.  Verdammt,  die  Geschäfte  gehen 
ganz  und  gar  nicht.  Die  Steuerpachten  sind  des  Teufels;  es 
gibt  nur  dreißig  für  hundert,  und  bald  gibt  es  nur  noch  Wasser 
zu  trinken."  „Ah,  mein  Herr!  ich  bitte  Sie,  lassen  Sie  mich  mit 
Ihren  Geschäften.  Meine  Migräne  wird  stärker.  O,  guter  Gott, 
guter  Gott!  Das  sind  Schläge  auf  meinen  Kopf!  O,  o,  o!"  — 
„Aber,  meine  Liebe,  das  ist  ein  dummes  Kopfweh,  ganz  außer 
der  Zeit,  zum  Teufel  mit  dieser  Migräne!  Ich  komme  .  .  ."  „O, 
mein  Herr,  gehen  Sie,  gehen  Sie!"  „Ich  soll  nicht  mit  dir  zu 
Abend  essen?  Und  hier  ist  schon  ein  Gedeck  bereit!"  —  „Ja, 
ganz  richtig  —  ich  wollte  gerade  etwas  essen,  als  dieses  un- 
glückliche Kopfweh  mich  überraschte.  Um  Gottes  willen,  lassen 
Sie  mich,  lassen  Sie  mich,  das  sind  unerhörte  Qualen.  Ich  hoffe, 
daß  die  Ruhe  mich  wieder  herstellen  wird."  —  „Ruhe  ?  aber 


ia  Die  Chronique  Scandaleuse 

ich  ?  was  habe  ich  für  mein  Geld  ?"  —  „Für  mein  Geld  —  hören 
Sie  —  haben  Sie  zwölf  Louis,  die  Sie  mir  geben  können  ?  Ich 
bin  in  einer  Hundelaune.  Es  ist  für  eine  Putzmacherin,  die  mich 
nicht  atmen  läßt."  —  „Was  soll  das  heißen  mit  deiner  Putz- 
macherin' ?  Unter  uns,  meine  liebe  Freundin,  weißt  du,  wieviel 
du  mich  kostest  ?  0,  ich  kann  rechnen !"  —  „Pfui  bezahlt  man 
seine  Freuden  ?  Ich  muß  diese  zwölf  Louis  augenblicklich  haben. 
Bekomme  ich  sie  nicht  sofort,  kratze  ich  Ihnen  die  Augen  aus !"  — 
„Zieh'  die  Krallen  ein,  meine  Katze,  kratze  nicht  —  ich  sage  dir, 
daß  ich  kein  Geld  habe.  Morgen."  —  „In  dieser  Minute  muß  ich 
es  haben.  Man  hat  wirklich  was  an  diesen  Herren  der  Steuer- 
pacht —  sie  sind  von  einer  Knauserei!"  —  „Willst  du  mir  nicht 
einen  Kuß  geben  ?"  —  „Ich  Sie  küssen  ?  Ich  würde  lieber  . .  . 
Spaßhafter  Herr!"  —  Während  der  Finanzmann  das  Fräulein 
umarmt,  legt  er  geschickt  zwölf  Louis  auf  deD  Kamin  und  ent- 
schließt sich,  seine  Lukretia  zu  verlassen,  mit  ihrer  Migräne,  die 
sie  quält.  Sie  begleitet  ihren  Krösus  bis  an  die  Tür,  ohne  seine 
Aufmerksamkeit  bemerkt  zu  haben.  Das  Fräulein  kommt  zurück 
und  beklagt  sich  über  den  unbeugsamen  Geiz  dieser  Geldleute. 
„Meine  Liebe,"  sagt  der  Chevalier  zu  ihr,  „ich  gebe  dem  Ver- 
langen nach,  Ihnen  zu  Diensten  zu  sein ;  ich  verhehle  nicht,  daß 
ich  gezaudert  habe,  aber  die  Liebe  reißt  mich  hin.  Nehmen  Sie 
diese  zwölf  Louis.  Sie  sind,  meiner  Treu,  mein  ganzes  Vermögen." 
Die  Geliebte  ist  entzückt  und  verspricht,  diese  Summe  gut  an- 
zuwenden. Sie  essen  in  heiterer  Laune  zu  Abend  und  die  Nacht 
vergeht  noch  angenehmer.  Am  nächsten  Morgen  eilt  der  Finanz- 
mann zu  seiner  Treuen;  er  stirbt  vor  Verlangen  zu  erfahren, 
welche  Empfindung  sein  Angebinde  hervorgebracht  hat.  Er  er- 
wartet Dankesbezeugungen,  Zärtlichkeiten.  Man  empfängt  ihn 
mit  häßlichen  Schimpfworten;  man  erklärt  ihm  sogar,  daß  er 
seinen  Abschied  nehmen  könne.  „Aber",  schreit  der  Finanz- 
mann „meine  Kleine,  Sie  sind  undankbar.  Habe  ich  Ihnen 
gestern  nicht  diese  zwölf  Louis  gegeben,  um  die  Sie  mich  in  so 


Die  Chronique  Scandaleuse i£ 


übler  Laune  gebeten  haben  ?"  —  „Sie  haben  mir  diese  zwölf 
Louis  gegeben  ?  Sie  ?"  —  „Ja,  ja,  ich  selbst.  Ich  habe  sie  auf  Ihren 
Kamin  gelegt."  Streitigkeiten,  Vorhaltungen,  Weigerungen,  dem 
Herrn  zu  glauben.  Er  leistet  alle  Eide,  er  schwört  bei  Plutus.  Man 
läßt  sich  endlich  überreden.  „Ich  muß  annehmen,"  sagt  das  Fräu- 
lein, „daß  ich  bestohlen  worden  bin."  Das  Geschenk  wird  noch 
einmal  gemacht.  —  Kaum  hat  das  Fräulein  den  Chevalier  wieder 
gesehen,  als  es  lachend  zu  ihm  sagt :  „Ich  glaube,  mein  Herr  Spitz- 
bube, daß  ich  Ihnen  diese  zwölf  Louis  nicht  zurückzugeben  brau- 
che. Komm:  man  verzeiht  der  Liebe  alles.  Wir  werden  zusammen 
essen,  auf  die  Freigebigkeit  dieses  Herrn."  Der  Chevalier  be- 
kannte alles,  lachte  selbst  darüber,  und  die  beiden  Verliebten 
waren  noch  eifriger,  den  Finanzmann  zu  betrügen. 


Liguria  trat  eines  Tages  plötzlich  in  mein  Zimmer.  Die  Un- 
sicherheit ihres  Blickes,  die  Hast  ihrer  Bewegungen,  die  Unord- 
nung ihrer  Haartracht  und  ihrer  Kleidung,  alles  kündigte  eine 
Verwirrung  und  eine  außergewöhnliche  Erschütterung  in  ihr 
an.  Ich  war  noch  im  Bett.  Sie  setzte  sich  zu  mir,  sie  küßte 
mich,  sie  wollte  sprechen;  aber  sie  war  zu  bewegt;  ihr  Mund 
stieß  nur  unartikulierte  Laute  aus.  Ich  hebe  dieses  sanfte  Kind 
zärtlich.  Ich  glaubte,  daß  sie  irgendein  Unglück  erfahren  habe. 
Ich  versuchte,  sie  durch  meine  Zärtlichkeiten  zu  beruhigen;  nach 
und  nach  kam  sie  zu  sich  und,  sobald  sie  den  Gebrauch  der 
Worte  wieder  erlangt  hatte,  rief  sie  aus :  „Ah,  meine  liebe  Leu- 
cosia,  was  habe  ich  Ihnen  alles  zu  sagen!  Gestern,  beim  Unter- 
gang der  Sonne,  dünkte  mich,  sah  ich  Biblis :  sie  näherte  sich  mir 
mit  einer  geheimnisvollen  Miene;  sie  hüllte  meinen  Kopf  in  einen 
weißen  Schleier  und  befahl  mir,  ihr  zu  folgen.  Ich  gehorchte  ohne 
Zaudern.  Sie  wissen,  wie  ich  dieser  Frau  vertraue.  Wir  schritten 
durch  die  Stadt  bis  zu  der  Stelle,  wo  mein  Vormund  wohnt; 


i6  Die  Chronique  Scandaleuse 

dann  traten  wir  in  eine  schmale  und  abgelegene  Straße.  Das 
wenige  des  Tages,  das  uns  bis  dahin  geleuchtet  hatte,  verließ  uns 
gänzlich.  Die  Stille,  die  Biblis  beobachtete,  die  Unkenntnis  des 
Ortes,  die  entsetzliche  Nacht,  die  mich  umgab,  durchdrangen 
mich  mit  einem  geheimen  Schrecken,  dessen  ich  mich  nicht  er- 
wehren konnte.  ,0,  wohin  führen  Sie  mich,  meine  liebe  Biblis  ?* 
fragte  ich  sie.  Sie  antwortet  mir  nicht.  Eine  Tür  öffnet  sich, 
und  wir  steigen  in  einen  dunklen,  unterirdischen  Gang  hinab, 
über  eine  gewundene  Treppe. 

Stellen  Sie  sich  vor,  meine  liebe  Leucosia,  von  welchem 
Schrecken  ich  erfüllt  war.  Nachdem  mich  Biblis  einige  Zeit 
in  der  Dunkelheit  geführt  hatte,  verließ  sie  mich  plötzlich. 
,Sie  sind',  sagte  sie,  ,in  dem  Tempel  eines  Gottes !  Hüten  Sie 
sich,  was  immer  sich  ereigne,  die  Weihe  der  Mysterien  durch 
Ihre  Rufe  zu  stören.'  Als  sie  diese  Worte  beendet  hatte,  ent- 
fernte sie  sich. 

Die  Überraschung  machte  mich  starr.  Ich  wußte  nicht,  was 
ich  denken  sollte.  Von  welcher  Art  sind  denn  diese  Mysterien, 
die  hier  feierlich  begangen  werden,  sagte  ich  zu  mir  selbst.  War- 
um sie  mit  einer  so  dichten  Nacht  bedecken  ?  Aber  die  Götter 
sprechen  nicht  aus,  auf  welche  Art  sie  angebetet  sein  wollen.  Es 
ist  nicht  an  uns,  in  ihr  Geheimnis  zu  dringen,  denn  sie  hüten  es 
eifersüchtig.  Es  genügt  zu  wissen,  daß  ich  in  ihrem  Tempel  bin. 
Ohne  Zweifel  achtet  man  die  Unschuld  hier,  und  Biblis  liebt 
mich  zu  sehr,  um  mich  irgendwelchen  Gefahren  auszusetzen. 
Diese  kurzen  Überlegungen  haben  mich  beruhigt.  Ich  habe  die 
Hände  ausgestreckt,  rings  um  mich  her,  um  mich  zu  versichern, 
daß  ich  keinen  Gefährten  meines  Abenteuers  habe,  den  ich  um 
Aufklärungen  bitten  könne,  und  ich  habe  mit  größter  Aufmerk- 
samkeit nach  jedem  Geräusch  gehorcht,  das  dienen  könne,  meine 
Schritte  zu  lenken. 

Aus  der  tiefen  Stille,  die  rings  um  mich  herrschte,  entflohen 
von  Zeit  zu  Zeit  Seufzer,  aber  nicht  von  jenen  schmerzvollen 


Die  Chronique  Scandaleuse  ij 

Seufzern,  die  uns  ein  quälendes  Gefühl  entlockt.  Sie  drangen  bis 
an  mein  Herz,  aber  sie  erregten  dort  weniger  Mitleid  als  eine 
gewisse  süße  Empfindung,  die  durch  meine  Adern  ein  zartes 
Feuei  rinnen  ließ.  Ich  empfand  ein  nie  gekanntes  Gefühl.  Ich 
war  außer  mir;  ich  wünschte,  ich  fürchtete,  ohne  die  Ursache 
meiner  Wünsche  und  meiner  Ängste  zu  kennen.  Ein  leises  Ge- 
räusch, das  sich  hören  ließ,  zwang  mich,  meine  Aufmerksamkeit 
zu  verdoppeln.  Es  war  das  eines  leichten  und  zögernden  Schrittes. 
Das  Geräusch  schien  sich  mir  zu  nähern :  in  dem  Augenblick  er- 
griff man  eine  meiner  Hände.  Sie  kennen  meine  Schüchternheit, 
meine  liebe  Leucosia.  Allein  an  einem  Ort,  an  dem  alles  mir  un- 
begreiflich schien,  da  habe  ich  gefühlt,  daß  eine  fremde  Hand 
die  meine  ergriff  —  sollte  ich  nicht  aufschreien  ?  —  Ich  habe  An- 
strengungen gemacht,  um  mich  zu  befreien.  ,Warum  fürchten 
Sie  mich,  entzückende  Liguria  V  sagte  eine  tiefe  Stimme  zu  mir, 
zu  stark,  um  die  einer  Frau  zu  sein;  aber  so  wohlklingend,  so 
sanft,  so  rührend,  daß  sie  nicht  die  eines  Sterblichen  sein  konnte. 
,Warum  ängstigen  Sie  sich  ?  Warum  fürchten  Sie  meine  Zärtlich- 
keiten und  mein  Entzücken  ?  Ich  bin  der  Gott,  den  man  an  dieser 
Stätte  verehrt.  Ach,  was  nützen  mir  Weihrauch,  die  Opfer,  die 
man  mir  bringt,  die  Ehren,  die  mich  niederdrücken,  wenn  ich 
nur  nach  dem  Glück  atme,  geliebt  zu  werden,  ohne  es  erlangen 
zu  können  ?'  ,Sie  sind  ein  Gott  ?'  habe  ich  noch  erschreckter  ge- 
antwortet. ,Was  fordern  Sie  von  mir,  außer  der  Scheu  und  der 
Furcht  r"  ,Wenn  sie  mir  gebühren,  so  fordere  ich  sie  nicht  von 
Ihnen;  von  Ihnen,  von  der  mein  Glück  abhäng  ;  Sie,  deren  Be- 
sitz mich  tausendmal  glücklicher  machen  würde  als  selbst  die  Un- 
sterblichkeit. Halten  Sie  die  Glückseligkeit  eines  Gottes  fest, 
liebenswürdige  Liguria,  verscheuchen  Sie  sie  nicht  durch  Ihre 
Kälte.  Dieser  Gott  wird  Ihnen  nach  bestem  Vermögen  dienen, 
um  Sie  glücklich  zu  machen,  wenn  Sie  der  Gegenstand  seiner 
Liebe  sein  wollen.' 

Stellen  Sie  sich  meine  Verwirrung  vor,  meine  liebe  Leucosia. 


l8  Die  Chronique  Scandaleuse 

Was  konnte  ein  Mädchen  ohne  Erfahrung  einem  mächtigen  Gott 
antworten,  der  in  sie  drang  ?  Denn  ich  zweifele  nicht,  daß  dieser 
ein  Gott  war.  Es  gibt  nichts  Menschliches  in  meinem  Abenteuer. 
, Glauben  Sie  denn,'  habe  ich  geantwortet,  ,daß  ich  mich  so  über 
das  schwache  Vermögen  meiner  Reize  täusche  ?  Sie  sind  ein  Gott, 
mein  Herz  sagt  es  mir.  Niemals  hat  die  Nähe  eines  Sterblichen 
mir  eine  solche  Bestürzung  verursacht,  wie  ich  sie  jetzt  fühle. 
Aber  Ihre  Macht  erschreckt  mich  mehr,  als  daß  sie  mich  be- 
ruhige. Was  habe  ich  zu  erwarten,  wenn  ich  mich  Ihren  Zärtlich- 
keiten hingebe  ?  Bin  ich  der  Spielball  einer  vergänglichen  Laune, 
heute  die  Ursache  Ihrer  Wünsche,  morgen  die  Ihrer  Gleichgül- 
tigkeit, vielleicht  Ihrer  Verachtung,  wenn  ich  einwillige,  Ihnen 
zu  gehören  ?  Und  wenn  sich  die  Liebe  meiner  bemächtigt  — 
welcher  schrecklichen  Verzweiflung  werde  ich  ausgeliefert  sein  ? 
Weiß  ich,  wie  Götter  lieben  ?  Verpflichten  ihre  Liebesschwüre 
mehr  als  die  der  Menschen  ?*  ,Ah,'  hat  mir  die  Stimme  geant- 
wortet, ,beurteilen  Sie  meine  Gefühle  nicht  nach  denen  der  an- 
deren. Zwingen  Sie  mich  nicht,  die  Erhabenheit  zu  verabscheuen, 
die  mir  den  Weg  zu  Ihrem  Herzen  versperrt.  Die  Glut,  die  ick 
empfinde,  meine  liebe  Liguria,  hat  niemals  ihresgleichen  gehabt, 
weder  in  den  Himmeln  noch  auf  der  Erde.  Fordern  Sie  Beweise ! 
Ah,  was  würde  ich  nicht  tun,  um  mich  Ihres  Besitzes  zu  ver- 
sichern ?  Ja,  ich  schwöre,  bei  Ihren  Reizen,  bei  dem  feurigen  und 
heftigen  Verlangen,  das  mich  fortreißt,  bei  der  brennenden  Glut, 
die  mich  verzehrt:  Sie  allein  können  mein  Glück  ausmachen. 
Und  wenn  Ihr  Herz  meine  Empfindungen  nur  etwas  erwidern 
würde,  mein  Glück  würde  keine  Grenzen  kennen.  Aber  Sie  sind 
stumm,  und  meine  flammende  Liebe  selbst  vermag  nicht,  Sie 
zu  rühren.  Ah,  grausames  Geschick,  ich  sehe  mein  Unglück  nur 
zu  klar.  Ich  habe  bis  zu  diesem  Tag  gekämpft,  um  Ihnen  eine 
vergebliche  Neigung  nicht  zu  zeigen;  aber  meine  Leidenschaft 
erklärte  sich  endlich  besiegt  durch  ihre  ungeheure  Stärke.  Juno 
begünstigt  mich;  sie  selbst  hat  sie  in  der  Erscheinung  der  Biblis 


Die  Chronique  Scandaleuse  19 

an  diesen  Ort  geführt,  der  meiner  Liebe  so  günstig  schien;  an 
diesen  Ort,  der  für  Sie  und  für  mich  der  Schauplatz  der  reinsten 
Freuden  sein  könnte,  und  an  dem  ich  nur  meine  Qualen  ver- 
größert fühle.  0,  meine  Göttin!  Sehen  Sie  den  Zustand,  dem 
Sie  mein  Herz  unterworfen  haben,  und  wenn  das  Ihre  der  Liebe 
verschlossen  ist,  öffnen  Sie  es  wenigstens  dem  Mitleid/ 

Als  der  Gott  zu  mir  sprach,  hielt  er  mich  unmerklich  um- 
schlungen; ich  dachte  nicht,  mich  zu  wehren.  Ein  Kuß,  den  er 
mir  gab,  riß  mich  aus  meiner  Zerstreutheit.  Ich  wollte  seinen 
Armen  entschlüpfen,  aber  das  Feuer  seiner  glühenden  Lippen 
war  schon  in  meine  Seele  gedrungen.  Ich  zwang  mich,  mich 
seinen  Umarmungen  zu  entziehen,  und  ich  fand  nur  die  Kraft, 
sie  zu  erwidern.  Bezaubert  durch  eine  Unruhe,  die  noch  größer 
wurde  durch  das  Ungestüm  seiner  Zärtlichkeiten,  hat  er  mir  sein 
Entzücken  durch  tausend  neue  Küsse"  bezeigt,  die  aus  Nektar 
und  Ambrosia  gemischt  waren.  Nein,  die  Liebe  selbst  würde  sie 
nicht  besser  geben  können.  Ich  will  es  dir  nicht  verbergen.  Wenn 
das  Verlangen  meines  Liebhabers,  mit  seinem  Erfolg  zufrieden, 
auf  meinen  Lippen  hingeschwunden  und  nicht  größer  geworden 
wäre,  meine  Arme  hätten  niemals  die  Kraft  gehabt,  um  ihn  zu- 
rückzuhalten. Aber  seine  unbesonnenen  Aufwallungen  haben 
mich  bald  zu  mir  selbst  gebracht.  ,  Grausamer',  habe  ich  zu  ihm 
gesagt,  zusammenraffend,  was  mir  an  Kräften  blieb,  um  mich 
zu  verteidigen  und  zu  ihm  zu  sprechen,  ,was  versuchen  Sie  zu 
tun  ?  Sie  können  ohne  Zweifel  Schwäche  einflößen,  wollen  Sie 
daraus  Nutzen  ziehen,  um  mich  zu  verführen  ?  Ich  bin  unschul- 
dig, Sie  sind  ein  Gott,  achten  Sie  mich,  achten  Sie  sich  selbst, 
lassen  Sie  mich  fliehen  .  .   '  ,Sie  fliehen,  —  Undankbare/  ant- 
wortete er  mir,  ,da  ich  die  Himmel  für  Sie  verlassen  habe!  Ist 
Ihnen  dieses  Opfer  nichts  wert  ?  Kann  ich  größere  bringen  ?  Und 
verdiene  ich  Ihre  zärtlichsten  Gefühle  nicht  ?  Welche  ist,  außer 
Ihnen,  die  Sterbliche,  die  sie  mir  verweigern  würde  V  ,Ah,'  habe 
ich  ausgerufen,  , lassen  Sie  sich  an  meiner  Zärtlichkeit  genügen! 


20  Die  Chronique  Scandaleuse 

Welche  andere  könnte  Sie  mehr  lieben  als  ich  ?  Ich  rufe  die 
Götter,  die  ich  fürchte,  zu  Zeugen  an :  ich  habe  niemals,  was  ich 
für  Sie  empfinde,  je  gefühlt.  Das  ist  genug,  um  Ihnen  zu  sagen, 
daß  in  der  Verwirrung,  in  der  ich  bin,  ich  keine  Kraft  mehr  habe, 
um  mich  zu  wehren.*  ,Sie  Heben  mich,  Liguria  ?'  hat  mein  Lieb- 
haber erwidert.  ,0,  Bekenntnis,  das  mich  entzückt.  Sie  lieben 
mich,  o,  sagen  Sie  es  mir  noch  einmal .  .  .  Sie  lieben  mich  ?  .  .  .' 
Der  Gott,  durch  das  Übermaß  seiner  Dankbarkeit  hingerissen, 
hat  mich  mit  einerneuen  Flut  seiner  Zärtlichkeiten  überschüttet, 
die  meine  Vorwürfe  zurückgehalten  hatten.  Ich  habe  alles  getan, 
was  ich  konnte,  um  ihm  zu  widerstehen,  aber  endlich :  was  konnte 
ich  tun  ?  Er  ist  ein  Gott,  und  ich  bin  nur  eine  schwache  Sterbliche. 

Wie  soll  ich  dir  alles  schildern,  meine  liebe  Leucosia  ?  Diese 
brennenden  Liebkosungen,  diese  zärtlichen  Bekenntnisse  meines 
Geliebten  ?  ,Süße  Liguria,4  sagte  er  zu  mir,  ,ich  schwöre  es  beim 
Styx,  ich  werde  Sie  immer  Heben.  Aber  was  soll  aus  mir  werden, 
wenn  ich  Sie  verlieren  müßte  ?  Welche  Marter  für  mich !  Schlie- 
ßen Sie  auf  meine  künftige  Verzweiflung  aus  meinem  gegen- 
wärtigen Entzücken.  Würde  ich  nicht  beklagen,  nicht  mit  Ihnen 
sterben  zu  können  ?  Meine  Ruhe  ist  mir  genommen.  Die  Götter 
werden  mir  diese  Gnade  nicht  verweigern:  Sie  werden  Ihnen 
UnsterbHchkeit  verleihen,  denn  Ihr  Liebreiz  hat  Sie  dessen  wür- 
dig gemacht/ 

,Wie,  ich  werde  unsterbHch  sein  ?'  habe  ich,  außer  mir  vor 
Freude,  zu  ihm  gesagt.  ,Ah,  mein  süßer  GeHebter,  ich  werde  Sie 
docl*  immer  lieben.'  —  Als  ich  diese  Worte  aussprach,  ließ  sich 
ein  dumpfes  Geräusch  hören,  der  Gott  entwand  sich  meinen 
Armen.  ,Ich  verlasse  Sie,'  sagte  er  zu  mir,  ,aber  nur,  um  Sie  bald 
wiederzusehen  und  Sie  unsterblich  zu  machen.  Ich  werde  mit 
Jupiter  sprechen.'  Und  im  Augenblick  hat  er  sich  zurückgezogen. 

Welche  Trennung !  Was  habe  ich  gelitten,  meine  teure  Leuco- 
sia! Alle  Freuden  haben  mich  mit  meinem  Geliebten  verlassen. 
Sie  haben  in  meinem  Herzen  nur  eine  schreckliche  Leere  ge- 


Die  Chronique  Scandaleuse  21 


lassen.  Das  Entsetzen  der  Finsternis,  die  mich  umgab,  hat  sich 
verdoppelt,  und  um  meine  Verzweiflung  aufs  äußerste  zu  steigern, 
haben  Gewissensbisse  sich  fühlbar  gemacht.  Denn,  obgleich  ich 
schuldlos  war,  fand  ich  nichts,  um  mich  von  ihnen  zu  befreien. 
Zweifellos  beklagt  die  Tugend  immer,  daß  irgendwelche  Rück- 
sicht genommen  wurde,  um  sie  zu  stützen,  und  die  Schamhaftig- 
keit  beunruhigt  sich  sogar  über  den  Genuß  erlaubter  Freuden. 
Wie  dem  auch  sei:  jetzt  mache  ich  mir  keine  Vorwürfe.  Wenn 
ich  den  Zärtlichkeiten  des  Gottes  mich  ergab,  sc  ergab  ich  mich 
ihm  nur  als  Gattin;  ich  habe  als  Gewähr  seiner  Treue  seine 
Schwüre,  ich  kenne  seine  Aufrichtigkeit  und  seine  Liebe.  —  Er 
hatte  mich  kaum  verlassen,  als  eine  unbekannte  Stimme  mich  mit 
meinem  Namen  anrief.  Ich  habe  mich  nach  der  Seite  vorwärts 
bewegt,  von  der  sie  kam.  Man  hat  meine  Hand  ergriffen,  und 
ich  bin  aus  dem  Tempel  durch  die  Tür  hinausgegangen,  durch 
die  man  mich  hereingeführt  hatte  .  .  ." 

Liguria  ist  keine  andere  als  ein  Fräulein  Forestier,  eine  hüb- 
sche Putzmacherin  von  vierzehn  bis  fünfzehn  Jahren,  in  die  der 
Herzog  D .  .  .  heftig  verliebt  war.  Biblis  ist  die  Dubuisson,  eines 
der  geschicktesten  Werkzeuge,  die  die  berühmte  Göurdan  je  ge- 
habt hat.9  Leucosia  ist  eine  gute  Freundin  der  kleinen  Forestier. 
Der  Tempel  ist  nur  ein  Zimmer  des  kleinen  herzoglichen  Hauses. 
Kaum  hatte  Liguria,  oder,  um  unverhüllt  zu  sprechen:  Fräulein 
Forestier,  aufgehört  zu  erzählen,  als  sie  in  den  Augen  ihrer  Ge- 
fährtin suchte,  was  jene  über  dieses  erstaunliche  Abenteuer  denke. 
Als  jene  eben  anfing,  ihr  ihre  Gedanken  darüber  mitzuteilen, 
hörte  man  wiederholt  an  die  Tür  klopfen.  Die  Gefährtin  öffnete 
zitternd  ...  Es  war  die  Dubuisson,  die  sich  selbst  durch  Hände- 
klatschen und  durch  schallendes,  unbändiges  Gelächter  ankün- 
digte. Sie  flog  der  jungen  Liebhaberin  um  den  Hals.  „Ja",  sagt 
sie  zu  ihr,  „wir  haben  in  Ihnen  eine  Göttin  mehr:  jener  gewisse 
Olymp  konnte  keine  bessere  Erwerbung  machen.  Treten  Sie  ein, 
entzückender  Gott,"  rief  sie  dem  Herzog,  der  ihr  folgte,  zu, 


22  Die  Chronique  Scandaleuse 

„ kommen  Sie,  um  Ihrer  Göttin  neue  Versicherungen  Ihrer  Liebe, 
die  Sie  ihr  geschworen  haben,  zu  geben  und  um  ihr  das  Geschenk 
der  Unsterblichkeit  zu  bestätigen."  Der  Herzog  fällt  der  ge- 
täuschten Schönen  zu  Füßen,  die  endlich  begreift,  daß  man  sie 
zum  Narren  gehalten  hat.  Die  Scham  und  die  Schande  bedecken 
ihre  Wangen  mit  tiefer  Röte,  und  vor  Verdruß  ist  sie  in  Tränen 
gebadet.  Sie  will  ihrem  Liebhabersich  entziehen,  aber  ihre  Kräfte 
verlassen  sie.  „Bestrafen  Sie  mich!  Nehmen  Sie  mein  Leben," 
sagt  der  Herzog,  sie  fest  in  seinen  Armen  haltend,  „ich  bin  ein 
Unverschämter,  ich  bekenne  es.  Aber  verzeihen  Sie:  wenn  ich 
Sie  für  wenige  Augenblicke  getäuscht  habe,  so  geschah  es,  um 
Sie  nie  mehr  zu  täuschen.  Die  Liebe,  die  mich  verzehrt,  sei  meine 
einzige  Entschuldigung.  Kann  sie  mir  Verzeihung  erwirken  ?  .  .  " 
Der  Herzog  sprach  voll  Anmut ;  er  ist  gut  gewachsen,  jung,  galant. 
Er  seufzte,  er  vergoß  selbst  Tränen,  die  ganz  ehrlich  schienen. 
Schließlich  war  er  so,  wie  man  sein  muß,  um  die  Frauen  zu  ge- 
winnen; zudem  war  seine  Schöne  verliebt,  ohne  Erfahrung,  und 
der  Zorn  dauert  in  den  Herzen  der  jungen  Mädchen  nicht  lange. 
Der  Herzog  benahm  sich  so  gut,  daß  die  Tränen  des  jungen  Mäd- 
chens nach  und  nach  versiegten.  Sie  können  sich  denken,  daß 
man  nicht  gezögert  hat,  die  kleine  List  zu  verzeihen  und  daß 
man  die  Vergebung  durch  so  leidenschaftliche  Zärtlichkeiten  be- 
kräftigt hat,  daß  die  alte  Dubuisson,  die  Zeugin  davon  war,  leb- 
haft bewegt  schien,  sc  abgestumpft  sie  sonst  ist.  Seit  dieser  Zeit 
hat  die  junge  Putzmacherin  einen  Wagen,  Spitzen,  Diamanten 
und  ein  hübsches,  gut  ausgestattetes  Haus. 

# 

Herr  de  la  Blinaye,  ein  bretagnischer  Edelmann,  wohnte  auf 
seinem  Landgut,  und  hatte  ein  gutes  Einkommen;  es  war  jedoch 
zu  gering,  um  davon  in  der  Hauptstadt  oder  den  großen  Städten 
der  Provinz  zu  leben.  Derselbe  Grund  hatte  ihn  verhindert,  sich 
zu  verheiraten.  Da  er  indessen  ein  hinreichend  lebhaftes  Tem- 
perament besaß,  war  er  genötigt  gewesen,  sich  an  seine  Bäuerinnen 


Die  Chronique  Scandalsuse  23 

zu  halten,  die  durch  sein  Bett  sich  geehrt  fühlten;  oder  an  die 
Frauen  einiger  Krautjunker,  seiner  Nachbarn,  denen  er  Hörner 
aufgesetzt  hatte.  Er  war  mehr  als  sechzig  Jahre  alt,  als  er  durch 
beträchtliche,  ihm  zufallende  Erbschaften  über  eine  Rente  von 
hunderttausend  Livres  verfügen  konnte.  Der  Augenblick,  um  zu 
genießen,  war  gekommen;  und  da  er  durch  seine  Jahre  zur  Eile 
sich  getrieben  fand,  begab  er  sich  ungesäumt  nach  Paris,  dem 
Mittelpunkt  der  Freuden,  und  konnte  da  leicht,  infolge  ihrer 
Vielfältigkeit  und  ihrer  ununterbrochenen  Dauer,  wieder  gewin- 
nen, was  er  notwendigerweise  in  den  Zeiten  der  Dürre  hatte  ver- 
lieren müssen.  Er  nimmt  ein  prächtiges  Haus;  er  stattet  es  in  der 
vornehmsten  Art  aus  und  schwimmt  in  Wonnen.  Er  mietet  eine 
Loge  für  das  ganze  Jahr  in  allen  Theatern.  Am  besten  gefällt 
ihm  die  Oper.  Seine  Sinne,  in  dieser  Hinsicht  unverbraucht,  ver- 
mitteln ihm  beinahe  die  lebhaften  Eindrücke  seiner  Jugend;  er 
zögert  nicht,  den  Tribut  zu  zollen,  das  heißt  sich  in  eine  Nymphe 
dieses  bezaubernden  Reiches  zu  verlieben.  Seine  Liebe  traf  das 
Fräulein  Beaumesnil.  Die  Feinheit  ihres  Gesichtes,  das  Pikante 
ihres  Spieles,  die  Leichtigkeit  und  die  Lieblichkeit  ihrer  Stimme 
verführten  ihn;  er  fand  sich  gefangen,  ohne  es  zu  bemerken,  und 
konnte  die  Oper  nicht  einen  Tag  entbehren,  an  dem  sie  spielte. 
Wenn  sie  nicht  erschien,  war  er  in  äußerster  Ungeduld:  sie  kam 
ihm  immer  zu  spät  auf  die  Bühne  und  ging  viel  zu  früh  wieder 
weg.  Er  hatte  genügend  Erfahrung,  um  einzusehen,  was  das  be- 
deute;  glücklicherweise  setzte  sein  Reichtum  ihn  in  die  Lage,  keine 
Zurückweisung  befürchten  zu  müssen.  Außerdem  war  der  Augen- 
blick günstig:  er  hörte,  daß  die  Sängerin  weder  einen,  der  sie 
aushalte,  noch  einen  Liebhaber  habe;  daß  sie  also  ungehemmt 
seine  Mätresse  werden  könne.  Er  ergreift  die  Gelegenheit  und 
sucht  sie  auf.  Er  erklärt  ihr,  daß  er  ein  Provinzler  und  ein  alter 
plumper  Mensch  und  im  Umgang  mit  Frauen  des  Theaters 
ganz  linkisch  sei;  daß  er  sie  indessen,  geführt  von  seinem  guten 
Instinkt,  aus  hunder  t  anderen  herausgefunden  und  gewählt  habe ; 


24  Die  Chronique  Scandaleuse 

daß  sie  ihm  außerordentlich  gefalle,  daß  er  in  sie  vernarrt  sei 
und  daß  er  50  000  Livres  im  Jahr  mit  ihr  zu  verzehren  habe :  wo- 
fern er  so  begünstigt  sei,  daß  seine  Huldigungen  angenehm  seien. 
Hinter  diesem  groben  Ton,  der  ihr  wenig  vertraut  war,  ent- 
deckt das  Fräulein  Beaumesnil  eine  Art  sehr  anziehender  Bered- 
samkeit. Die  Originalität  dieses  Mannes  schreckt  sie  nicht  ab, 
und  sie  scheint  geneigt,  seinen  Plänen  näherzutreten.  Man  zau- 
dert nicht,  über  die  Vertragsbestimmungen  zu  beschließen.  Die 
wichtigste  war  schon  angekündigt  und  mußte  alle  anderen  er- 
leichtern; er  gibt  ihr  als  erstes  Ehegeschenk  tausend  Louis  und 
weiterhin  tausend  Taler  monatlich.  Er  fordert  dafür  keine  Liebe, 
er  weiß,  daß  diese  sich  nicht  gebieten  läßt;  sie  ist  nicht  mehr 
genötigt,  ihn  zu  lieben  als  er,  sie  nicht  zu  lieben;  aber  er  verlangt 
Rücksichten,  Zärtlichkeiten,  alles,  was  ihm  Liebe  vortäuschen  oder 
ersetzen  könnte.  Er  wünscht,  in  zweiter  Linie,  daß  sie  alle  diese 
Laffen,  diese  Stutzer,  diese  vornehmen  Herren,  deren  Schwärm 
um  sie  herumflattert,  entferne  Endlich  fordert  er  die  größte 
Verschwiegenheit:  er  fürchtet  die  Lächerlichkeit,  die  auf  ihn 
durch  eine  so  späte  Leidenschaft  fallen  könnte.  Eine  einzige  ver- 
traute Zofe  muß  ihn  in  der  Nacht  einlassen;  während  des  Tages 
müssen  seine  Besuche  denen  einer  Menge  anderer  ernsthafter 
Leute,  vernünftiger  Herren  gleichen,  die  kommen,  um  sie  zu 
sehen. 

Die  Schauspielerin  hatte  sich  den  Wünschen  des  Herrn  de  la 
Biinaye  so  genau  gefügt,  daß  er  sehr  zufrieden  war.  Ihre  Vereini- 
gung währte  schon  mehrere  Monate,  und  die  Dankbarkeit  des 
Fräuleins  Beaumesnil  war  so  lebhaft,  so  eifrig,  so  glühend,  daß 
sie  vor  aller  Augen  den  Eindruck  einer  wahren  Leidenschaft  er- 
weckt hätte,  ohne  das  Alter  des  Liebhabers  und  diese  Art  der 
Aushaltung,  die  beide  unverträglich  mit  Liebe  sind.  Wie  dem 
auch  sei :  die  weitere  Vorsichtsmaßregel,  die  Herr  de  la  Biinaye 
ergriffen  hatte,  um  sich  des  Besitzes  dieser  verborgenen  Schatz- 
kammer zu  versichern,  widersprach  seinen  Absichten  und  verur- 


Die  Chronique  Scandaleuse  25 


sachte  wahrscheinlich  das,  was  ihm  seine  Ruhe  und  sein  Glück 
störte. 

Er  hatte  einen  Neffen,  den  Chevalier  de  la  Royerie,  einen  jun- 
gen Gardeoffizier,  in  sein  Haus  genommen,  den  er  sehr  liebte 
und  den  er  zu  seinem  Erben  zu  machen  dachte.  Sein  Ziel  war, 
ihn  eilig  zu  verheiraten.  Bis  dahin  wachte  er  mit  Aufmerksam- 
keit über  ihn,  und  dieser  junge  Soldat  wurde  nicht  im  geringsten 
in  die  Gründe  eingeweiht,  die  ihn  seine  Neigung  oder  vielmehr 
seine  Schwäche  für  eine  Courtisane  verborgen  halten  ließen. 
Er  fühlte  richtig,  daß  seine  Reden  dann  keine  Gewalt  mehr 
über  sein  Mündel  haben  und  daß  sein  Beispiel  jede  Wirkung 
seiner  Lehren  zerstört  haben  würde.  Um  ihn  besser  bewachen 
zu  können,  führte  er  ihn  immer  mit  sich  in  die  Schauspiele  und 
in  die  Oper,  in  die  er  am  meisten  ging.  Dort,  wenn  sie  zusammen 
in  der  Loge  waren,  verfehlte  er  nicht,  sich  über  seine  Geliebte  in 
Ausdrücken  der  Bewunderung  zu  verbreiten,  und  fesselte  so,  ohne 
es  zu  wollen,  die  Augen  seines  Neffen  fortwährend  an  das  Fräu- 
lein Beaumesnil,  und  kraft  seiner  dauernden  Auszeichnungen, 
kraft  seiner  Lobeserhebungen  brachte  er  es  dazu,  diesen  jungen 
Mann  für  sie  zu  entflammen,  der  unter  den  gleichen  Umstän- 
den für  jede  andere  ebenso  sich  begeistert  hätte.  Man  beur- 
teile die  Verheerungen,  die  in  einem  so  unerfahrenen  Herzen 
eine  Leidenschaft  verursachen  muß,  die  durch  die  Gegenwart 
der  Geliebten  täglich  emporwächst,  die  genährt  wird  von  den 
immerzu  wiederholten  Lobreden,  die  sich  verschließt,  sich  zu- 
rückhält infolge  der  Anwesenheit  eines  strengen  Erziehers.  Man 
kann  sich  leicht  denken,  bis  zu  welchem  Grad  der  Unbesonnen- 
heit sie  gedeihen  mußte.  Zunächst  mußte  der  Chevalier,  ge- 
trieben von  dem  Bedürfnis,  alles,  was  er  fühlte,  auszudrücken, 
sich  begnügen,  dem  Fräulein  Beaumesnil  einen  sehr  brünstigen, 
sehr  hitzigen  Brief  zu  schreiben,  in  dem  er  ihr,  da  er  sie  nach 
den  Frauen  ihrer  Art  einschätzte,  vorschlug  sie  zu  bezahlen  und 
ihr  ungeheure  Summen  anbot. 


26  Die  Chronique  Scandaleuse 

Diese  Erklärung  blieb  unbeantwortet.  Die  Leidenschaft  des 
jungen  Mannes  wurde  dadurch  nur  noch  heftiger,  und  erhielt 
bald  den  Charakter  einer  wahrhaften  Liebe.  Er  bereute  die 
Form  seines  Briefes ;  da  er  vor  dem  Gegenstand  seiner  Neigung 
Achtung  zu  empfinden  begann,  entschloß  er  sich  zu  Vorschlägen, 
die  den  ersten  ganz  entgegengesetzt  waren.  Eines  Tages,  nach 
der  Oper,  nachdem  er  seinen  Onkel  unter  irgendeinem  Vorwand 
verlassen  hat,  läßt  er  sich  bei  dem  Fräulein  Beaumesnil  melden; 
er  tritt  ein ;  da  er  noch  unbekannt  ist,  ist  er  genötigt,  sich  durch 
die  Erwähnung  seines  Briefes  einzuführen  .  .  .  Bei  diesen  Worten 
nimmt  die  Theaterheldin  eine  würdevolle  Miene  an  und  läßt  ihn 
sich  nicht  weiter  erklären;  sie  fragt  ihn,  wie  er  es  wagen  könne, 
sie  unter  einem  derartigen  Vorwand  aufzusuchen ;  sagt  ihm,  daß 
dieser  Grund  für  sie  genüge,  ihn  nicht  zu  empfangen;  sie  bitte 
ihn,  sich  zurückzuziehen.  Verwirrt,  durchdrungen  von  Schmerz, 
bleibt  er  und  will  sich  entschuldigen :  das  Wort  erstirbt  auf  seinen 
Lippen.  Die  Schauspielerin,  die  seinen  Widerstand  falsch  auslegt, 
ruft  ihre  Zofe  und  droht,  sich  Hilfe  kommen  zu  lassen,  wenn  er 
weiter  darauf  bestehe,  sie  zu  belästigen.  Da  hält  er  sich  nicht 
mehr :  seine  Tränen  fließen  unaufhaltsam,  er  schluchzt,  er  wirft 
sich  der  Geliebten  in  der  Haltung  der  Reue  und  Verzweiflung 
zu  Füßen  und  sagt,  daß  er  lieber  sterben  wolle  als  ihre  Ungnade 
sich  zuziehen  in  dem  Augenblick,  in  dem  er  zum  ersten  Male  das 
Glück  habe,  sich  ihr  nähern  zu  dürfen.  Er  verwirft  die  Sprache 
der  Leidenschaft,  er  schwört  ihr  die  reinste  und  ehrfurchtsvollste 
Liebe ;  er  wünscht  keine  andere  Freiheit  als  die :  ihr  huldigen  zu 
dürfen,  ihre  Gunst  zu  erwerben  durch  seine  Ehrerbietung.  End- 
lich will  er  (oder  vielmehr :  sein  Herz  will)  die  dauerhafteste  und 
heiligste  Verbindung,  und  er  schlägt  sie  ihr  vor;  kraft  seiner  Be- 
mühungen werde  er  zuversichtlich  dahin  gelangen,  daß  man  ihn 
mit  günstigeren  Augen  betrachte.  Eine  solche  Änderung  der  Ge- 
sinnung, so  ungewöhnliche  und  so  schlecht  hervorgebrachte  An- 
erbietungen hießen  das  Fräulein  Beaumesnil  leicht  einsehen,  daß 


Die  Chronique  Scandaleuse 27 


sie  einen  vor  Liebe  verdrehten  Menschen  vor  sich  habe.  Sie  hatte 
Mitleid  mit  diesem  Unglücklichen;  da  sie  ihm  in  diesem  Augen- 
blick nicht  die  Erklärung  geben  kann,  die  diese  unerwartete  Szene 
fordert,  wird  sie  milder;  sie  sagt  ihm,  daß  er  zu  einer  gelegeneren 
Zeit  eine  Unterhaltung,  die  so  viele  Einzelheiten  habe,  wieder 
aufnehmen  könne;  daß  sie  ihn  am  folgenden  Dienstag  erwarte, 
wenn  sie  nicht  spiele ;  sonst  könne  sie  ihn  mit  Leichtigkeit  wäh- 
rend der  Vorstellung  sprechen.  Diese  wenigen  Worte  gaben  dem 
Chevalier  das  Leben  zurück  oder  vielmehr :  er  verließ  ihr  Zim- 
mer als  der  glücklichste  aller  Menschen.. Sein  Gesicht  erschien 
einigen  seiner  Kameraden,  als  er  zu  ihnen  zurückkehrte,  so  strah- 
lend, daß  sie  ihm  Komplimente  machten  und  ihm  Glück  wünsch- 
ten zu  seinen  guten  Aussichten.  Er  war  von  einer  zu  großen  Ver- 
ehrung für  sein  Idol  erfüllt,  um  darüber  zu  scherzen;  er  beschäf- 
tigte sich  unaufhörlich  mit  ihm  bis  zu  dem  Augenblick  der  Zu- 
sammenkunft; er  überließ  sich  allen  Trugbildern,  die  ihm  Er- 
eignisse, die  in  einer  gleichen  Situation  sich  abspielen  könnten, 
vortäuschen  sollten.  Endlich  sah  er  den  erwünschten  Tag  er- 
scheinen. Das  Fräulein  Beaumesnil  hatte  alle  notwendigen  Vor- 
sichtsmaßregeln ergriffen,  damit  das  Zusammensein  nicht  ge- 
stört werde  und  man  die  Angelegenheit  gründlich  besprechen 
könne. 

Herr  de  la  Royerie  begann,  nachdem  er  seine  Versicherungen 
der  Ehrerbietung,  der  Zuneigung,  der  gewaltigen  Leidenschaft 
und  alle  anderen  Gemeinplätze  Verliebter  erneut  hatte,  die  Rein- 
heit seiner  Absichten,  die  Legitimität  der  Verbindung,  nach  der 
er  trachte,  umständlich  zu  beteuern;  mit  einem  Wort :  er  machte 
dem  Fräulein  Beaumesnil  einen  richtigen  Heiratsantrag.  Er  ging 
sodann  auf  die  wesentlichen  Einzelheiten  ein :  auf  seinen  Namen, 
sein  Herkommen,  seinen  Rang,  sein  Vermögen,  auf  die  beträcht- 
lichen Hoffnungen,  die  er  in  seinen  Onkel,  Herrn  de  la  Blinaye, 
setze.  Bei  diesem  Namen  wird  das  Fräulein  Beaumesnil  betroffen 
durch  die  Sonderbarkeit  dieser  Zusammenhänge ;  ohne  daß  er  es 


28  Die  Chronique  Scandaleuse 


merkt,  fragt  sie  ihn  aus,  um  sich  zu  unterrichten,  ob  dieser  Onkel 
derselbe  sei,  der  sie  aushalte.  Nachdem  sie  daran  nicht  mehr  zwei- 
feln kann,  läßt  sie  sich  durchaus  nichts  anmerken  und  wird  nur 
fester  in  ihren  Beschlüssen ;  sie  läßt  ihn  den  Faden  seiner  Rede 
wieder  aufnehmen  und  als  er  aufgehört  hat  zu  sprechen,  ant- 
worte- sie  ihm: 

„Das  scheinbar  verführende  Anerbieten,  das  Sie  mir  gemacht 
haben,  mein  Herr,  würde  viele  andere  blenden.  Es  gibt  zweifellos 
wenige  unter  meinen  Kolleginnen,  welche  da  widerstehen  wür- 
den :  Ich  finde  in  allem,  was  Sie  mir  sagen,  nur  'einen  Grund 
mehr,  Sie  abzuweisen  und  Sie  zu  bekämpfen.  Sie  sind  ein  Mann 
von  Stellung,  im  Dienst;  Sie  erwarten  ein  beträchtliches  Ver- 
mögen eines  Onkels,  und  Sie  wollen,  durch  eine  unpassende  Hei- 
rat, sich  in  den  Fall  bringen,  aus  der  Gesellschaft  sich  ausge- 
schlossen zu  sehen,  Ihren  Beruf  aufgeben  zu  müssen,  enterbt  zu 
werden.  Ich  weiß,  daß  Heiraten  dieser  Art  so  allgemein  werden, 
daß  man  vielleicht  bald  nicht  mehr  Aufmerksamkeit  dafür  haben 
wird  als  für  andere  Mißheiraten.  Ich  sehe  alle  Tage  Offiziere, 
die  dergleichen  getan  haben  und  die  nichtsdestoweniger  bei  ihren 
Regimentern  oder  in  ihrem  Rang  bleiben.  Endlich  gibt  es  zweifel- 
los Wendungen,  Mittel,  Ihr  Vergehen  geheim  zu  halten,  es  dem 
guten  Mann  zu  verbergen,  um  Ihnen  die  Hoffnung  zu  lassen, 
die  Erbschaft  ungekürzt  antreten  zu  können.  Ich  habe  diese 
Schwierigkeiten  weniger  zu  fürchten  als  Sie  selbst :  Sie  sind  in  der 
Blüte  Ihres  Alters,  im  Feuer  der  Leidenschaft,  Sie  brennen  vor 
Liebe,  und  wenn  Sie  immer  in  demselben  Rausche  bleiben  könn- 
ten, würde  ich  Ihr  Glück  sein,  mein  Besitz  würde  Ihnen  genügen, 
Sie  würden  keinen  anderen  nötig  haben.  Aber  wenn  Ihre  Augen 
sich  öffnen,  wenn  der  Schleier  fällt,  werde  ich  Ihnen  ebenso  ver- 
haßt sein  wie  ich  Ihnen  Heb  gewesen  bin,  ebenso  verächtlich  wie 
ich  Ihnen  bewundernswert  erschien.  Sie  werden  mir  Ihre  Schädi- 
gungen anrechnen;  Ihre  Torheit,  die  Wirkung  einer  unfreiwilli- 
gen Verführung  meinerseits,  werden  Sie  mir  zuschreiben.  Ich 


Die  Chronique  Scandaleuse  29 


wäre  es  gewesen,  die  die  verborgene  Schlinge  auswarf,  um  Sie 
einzufangen!  Ich  wäre  eine  treulose,  schreckliche,  verabscheu- 
ungswürdige  Frau !  Nein,  mein  Herr,  Sie  werden  mir  niemals  der- 
artige Vorwürfe  machen;  ich  kann  mich  Ihrer  Anerbietungen 
nur  würdig  erweisen,  wenn  ich  Sie  zurückweise  und  stärker  bin 
als  Sie,  indem  ich  mich  weigere,  auf  diese  sehr  ehrenhafte  Ver- 
bindung einzugehen.  Jede  weitere  Erklärung  würde  überflüssig 
sein.  Danken  Sie  mir,  daß  ich  Sie  von  einem  verzweifelten  Ent- 
schluß abbringe.  Dieser  ist  der  erste  und  letzte  Besuch,  den  Sie 
mir  machen.  Und  ich  werde  an  meiner  Tür  die  Anweisung  geben 
Sie  niemals  mehr  vor  zu  lassen." 

Dieser  Befehl  wurde  weder  widerrufen  noch  aufgehoben,  was 
auch  der  Chevalier  sagen  mochte,  um  die  Drohung  rückgängig 
zu  machen;  er  zog  sich  zurück.  Das  Fräulein  Beaumesnil  be- 
zweifelte, daß  er  nicht  versuchen  werde,  wiederzukommen;  sie 
traf  Vorkehrungen,  damit  er  nicht  irgend  eine  neue  Unbesonnen- 
heit begehen  könne.  Sie  hoffte,  daß  er,  abgeschreckt  durch  ihr 
Benehmen,  seine  Huldigungen  anderswo  anbringen  werde,  da  er 
zu  ihr  nicht  einzudringen  vermochte.  Es  kam  nicht  so;  denn  der 
Chevalier,  nachdem  er  mehreren  Abweisungen  sich  ausgesetzt 
hatte,  nahm  zu  einem  dieser  außergewöhnlichen  Mittel  seine  Zu- 
flucht, die  man  nur  noch  in  Romanen  kennt.  Man  wird  weniger 
davon  überrascht  sein,  wenn  man  wissen  wird,  daß  sie  seine  ge- 
wöhnliche Lektüre  geworden  waren.  Diese  Art  von  Büchern,  die 
seiner  Lage  am  ähnlichsten  waren,  war  die  einzige,  die  ihm  ge- 
fiel. In  einer  schönen  Nacht  ließ  er  eine  Leiter  an  das  Fenster 
seiner  Geliebten  legen.  Unter  dem  Beistand  zweier  Lastträger, 
die  die  Leiter  hielten,  nach  dem  Lichte  sich  richtend,  das  er  sah, 
(seine  Geliebte  war  noch  nicht  eingeschlafen),  steigt  er  hinauf 
zu  ihr  und  klopft  an  die  Fenster.  Glücklicherweise  war  das  Fräu- 
lein Beaumesnil  allein;  sie  erwartete  Herrn  de  la  Blinaye,  der 
zum  Abendessen  auf  dem  Lande  war  und  erst  sehr  spät  zurück- 
kommen wollte.  Als  sie  das  Geräusch  hört,  ist  sie  zuerst  starr  vor 


30  Die  Chronique  Scandaleuse 

Schreck;  aber  bald  läßt  sie  eine  klägliche  Stimme  erkennen,  daß 
es  de  la  Royerie  ist.  Sie  ist  in  der  größten  Ratlosigkeit,  was  sie 
tun  soll.  Sie  fürchtet,  daß  er,  wenn  sie  ihn  in  dieser  Stellung  ver- 
harren läßt,  mit  Absicht  oder  durch  Zufall,  sich  den  Hals  brechen 
werde.  Andererseits :  Welche  Szene,  wenn  der  Onkel  ihn  bei  ihr 
überraschte!  Sie  sucht  der  dringendsten  Gefahr  vorzubeugen: 
sie  öffnet  ihm ;  aber  kaum  ist  er  vor  ihr  auf  den  Knien,  als  sie  ihre 
ganze  Macht  über  ihn  aufbietet  und  ihm  befiehlt,  sich  zurück- 
zuziehen. Sie  erklärt  ihm,  daß  sie  unabänderlich  auf  ihrem  Ent- 
schluß bestehe;  außerdem  erwarte  sie  jemand,  der  die  Nacht  mit 
ihr  verbringen  werde ;  wenn  ihr  Liebhaber  ihn  in  ihrem  Zimmer 
anträfe,  würde  das  für  sie  die  schrecklichste  Katastrophe  zur 
Folge  haben.  Diese  Mitteilung  macht  mehr  Eindruck  auf  ihn 
als  alle  die  Vorstellungen,  Bitten,  Drohungen.  Sie  ist  ein  Dolch- 
stich für  den  unglücklichen  Liebhaber.  Die  Eifersucht  gesellt  sich 
zu  seinen  anderen  Qualen,  ihn  ergreift  das  Entsetzen,  einen  glück- 
licheren Sterblichen,  als  er  es  selbst  ist,  zu  sehen;  er  verzweifelt 
vollkommen  und  schießt  wie  ein  Blitzstrahl  hinaus.  Er  hatte  ge- 
rade den  „Grafen  de  Cominge",  diese  Tragödie  von  Herrn  d'Ar- 
naud,  gelesen;  dort  spielt  die  Szene  sich  auf  der  Abtei  der  Trap- 
pisten  ab.  Er  sieht  nur  diesen  Ort  für  geeignet  an,  um  seine 
Scham  und  seine  Verzweiflung  zu  begraben.  Er  geht,  unter  dem 
Vorwand,  in  Versailles  Dienst  zu  haben,  reist  mit  der  Extrapost 
ab  und  begibt  sich  in  dieses  Kloster. 

Herr  de  la  Blinaye  war  inzwischen  zurückgekommen  und  hatte 
nach  seiner  Gewohnheit  seinen  Wagen  weggeschickt.  Er  kommt 
näher,  und  sieht  von  weitem  zwei  Männer,  die  eine  Leiter  ent- 
fernen und  sie  auf  ihn  zu  tragen;  er  hält  sie  an,  fragt  sie  aus 
und  vermag  nichts  aus  ihnen  herauszulocken,  als  daß  ein  junger, 
liebenswert  aussehender  Herr  ihnen  an  der  Straßenecke  begegnet 
ist,  sie  gefragt  hat,  ob  sie  ihm  diese  Leiter  zu  gegebener  Stunde 
bringen  wollten;  er  hat  sie  im  voraus  entlohnt  und  ihnen  eine 
weitere  Entschädigung  versprochen;  daß  er  durch  das  Fenster 


Die  Chronique  Scandaleuse  31 


bei  einem  dort  wohnenden  Mädchen,  das  zur  Oper  gehört,  ein- 
gestiegen ist;  daß  er  sie  gebührend  entschädigt  hat  und  daß  sie 
die  nun  überflüssig  gewordene  Leiter  zurücktragen. 

Der  Alte,  der  aus  dieser  Erzählung  unschwer  erraten  kann, 
daß  der  heimliche  Galan  sich  nur  bei  Mlle  Beaumesnil  einge- 
schlichen haben  kann,  wird  von  grausamsten  Zweifeln  erregt  und 
eilt  beflügelten  Schrittes,  Klarheit  zu  erlangen.  Sie  ist  noch  ganz 
bewegt  von  dem,  was  sich  mit  dem  Neffen  zugetragen  hat,  und 
der  Überraschung,   sich  plötzlich  ihrem  Herrn  gegenüber  zu 
sehen,  zu  hören,  das  zu  hören,  daß  er  die  Leiter  und  das  ganze 
Einsteigmanöver  mit  angesehen  hat,   trägt  nur  dazu  bei,  ihre 
Verwirrung  zu  steigern.  Der  Eifersüchtige  sieht  darin  eine  Be- 
stätigung und  wünscht  über  dies  Abenteuer  informiert  zu  wer- 
den. Mlle  Beaumesnils  Zartgefühl  empört  sich  dagegen;  die  Wut 
des  Liebhabers  verdoppelt  sich.  Er  reizt  auf  empfindlichste  Weise 
ihr  Ehrgefühl,  durch  beleidigende  Vorwürfe,  durch  verächtliche 
Ausdrucksweise.  Und  nun  antwortet  sie  ihm  mit  der  Entschie- 
denheit der  Unschuld  und  dem  Bewußtsein  einer  guten  Tat, 
die  sie  selbst  verherrlicht,  daß  sie  in  diesem  Moment  gewichtige 
Gründe  habe,  um  ihn  nicht  befriedigen  zu  können;  daß  er  eines 
Tages  bitten  solle;  daß  sie  von  ihm  verlange,  daß  er  deshalb  an 
ihre  Ehrlichkeit  glaube;  daß  sie  ihm  schwöre,  daß  nichts  sich 
bei  diesem  Zusammensein  ereignet  habe,   das  seine  Liebe  be- 
unruhigen oder  ihm  mißfallen  könne;  daß  sie  nach  dieser  Be- 
teuerung jede  weitere  Frage  beleidigen  würde,  und  sie  bäte 
wohlweislich  darauf  nicht  zu  bestehen.  In  den  Augen  eines  be- 
herrschten, menschlich  denkenden  Beobachters  wären  diese  ihre 
Worte,  die  mit  Ruhe  nach  der  vorangegangenen  Erregung,  die 
sie  bewegt  hatte,  ausgesprochen  wurden,  ein  Beweis  von  der 
Wahrheit  ihrer  Entschuldigungen  gewesen;  aber  der  Alte  war 
zu  außer  sich,  um  richtige  Schlüsse  zu  ziehen. 

Seine  Wut  entzündet  sich  daran;  und  indem  er  das  Fräulein 
mit  Vorwürfen,  Beleidigungen  und  all  den  Schmähungen,  die 


32  Die  Chronique  Scandaleuse 

ein  so  grausam  getäuschter  Mann  ausspeit,  überhäuft,  kündigt 
er  ihr  den  definitiven  Bruch  an. 

Wie  ein  Rasender  geht  er  von  ihr  und  versteckt  sich  zu  Haus. 
Nach  einer  Nacht,  in  all  den  Zweifeln  verbracht,  wie  sie  jeder 
Liebhaber  empfunden  hat,  der  sich  gezwungen  sieht,  eine  noch 
geliebte  Mätresse  zu  verlassen,  verfällt  er  in  tiefe  Träumerei; 
am  nächsten  Morgen  läßt  er  sein  Haus  schließen  und  findet  kein 
anderes  Mittel  seine  Melancholie  zu  heilen,  als  die  Zurückge- 
zogenheit des  Landlebens.  Es  liegt  ihm  nichts  daran,  in  seinem 
jetzigen  Zustand  seinen  Neffen  zu  sehen  und,  davon  unterrich- 
tet, daß  dieser  sich  in  Versailles  befindet,  befiehlt  er  nur,  daß 
man  ihn,  wenn  er  von  der  Wache  abgelöst  werde,  von  der 
Abreise  seines  Onkels  und  dessen  Wunsch,  ihm  zu  folgen,  ver- 
ständige. 

Die  Besitzung,  auf  die  sich  M.  de  la  Blinaye  zurückgezogen 
hatte,  lag  fast  in  der  Perche,  unweit  von  La  Trappe.  Eines  Tages 
bestimmt  er  diese  Abtei  zum  Ziel  seines  Spazierganges.  Die 
Mönche  waren  mit  Gartenarbeit  beschäftigt.  Als  er  sie  einen 
nach  dem  anderen  betrachtet,  fällt  ihm  einer  auf,  dessen  Gestalt 
ihn  frappiert,  da  er  seinem  Neffen  seltsam  ähnlich  sieht.  Er  be- 
schäftigt sich  nicht  eingehender  damit  und  verläßt  das  Kloster. 

Nach  wenigen  Tagen  empfängt  er  Briefe  aus  Paris,  die  ihm 
mitteilen,  daß  Herrn  de  la  Royeries  Verbleib  unbekannt  ist,  daß 
er  keineswegs,  wie  er  behauptet  hatte,  in  Versailles  sei,  daß  er 
verschwunden  sei,  ohne  daß  man  mit  den  gewöhnlichen  Aus- 
kunftsmitteln habe  in  Erfahrung  bringen  können,  was  aus  ihm 
geworden  ist. 

Nun  ei  innert  er  sich  des  Zusammentreffens  mit  dem  jungen 
Mönche,  dessen  Anblick  ihn  bewegt  hat;  mit  Eilpost  begibt  er 
sich  nach  der  Abtei.  Er  verlangt  Auskunft  und  zweifelt  aus  Ant- 
worten über  den  Novizen  nicht,  daß  dies  sein  Neffe  sei.  Man 
läßt  ihn  kommen;  beim  Anblick  seines  Onkels  wird  er  bewußt- 
los; zu  sich  gekommen,  fragt  man  ihn  aus.  Fasten  und  Kastei- 


Die  Chronique.  Scandaleuse 33 


ungen  haben  die  Wallungen  seines  Blutes  beruhigt  und  die  Hef- 
tigkeit seiner  Leidenschaft  gemäßigt.  Seine  Gedanken  haben  sich 
geklärt  und  da  sein  Gelübde  mehr  die  Folge  von  Liebesgram 
als  ein  Wunsch  nach  göttlicher  Gnade  war,  war  ihm  diese  Ge- 
legenheit, seiner  Abgeschiedenheit  zu  entgehen,  für  die  er  nicht 
geschaffen  war,  nicht  unlieb.  Er  erzählt  seine  Tollheiten.  Bei 
seiner  Erzählung  kostet  es  Herrn  de  la  Blinaye  Mühe,  an  sich 
zu  halten. 

Doch  ist  er  so  entzückt,  seine  Mätresse  unschuldig  zu  finden, 
ihre  Vorsicht,  ihre  Reserve  und  den  Edelmut  ihres  Vorgehens 
zu  bewundern,  daß  er  dem  Chevalier  billig  vergibt. 

Der  Abt  drängt  als  erster  den  Novizen,  in  die  Welt  zurück- 
zukehren und  seinem  Onkel  zu  folgen,  der  ihn  in  Güte  wieder 
aufnehmen  würde.  Bald  finden  sich  beide  wieder  in  der  Stadt. 
Nachdem  sich  Herr  de  la  Blinaye  über  die  Absichten  seines 
Neffen  vergewissert  und  überzeugt  hat,  daß  dieser  dank  seiner 
kurzen  aber  heilsamen  Weltflucht  von  einem  Delirium,  das  in 
seiner  Heftigkeit  allein  seine  Schnelle  Heilung  trug,  befreit  ist, 
sagt  er  ihm,  daß  er  ihn  als  einzige  Strafe  verwirrt  zu  den  Füßen 
seiner  Angebeteten  zu  sehen  wünscht;  und  ohne  sie  zu  benach- 
richtigen, führt  er  ihn  zu  ihr. 

Diese  Anekdote  verwirrt  durch  ihre  Seltsamkeit. 
Das  Erstaunen  der  Schauspielerin  beim  Anblick  der  versöhn- 
ten Rivalen  war  ungeheuer:  „Madame,  sagt  Herr  de  la  Blinaye, 
hier  sehen  Sie  zwei  reuige  Sünder,  die  desto  würdiger  ihres  Ver- 
zeihens  sind,  weil  Liebe  ihre  Sünde  war." 

Dann,  zu  seinem  Neffen  gewendet:  „Ja,"  fährt  er  fort,  „ich 
bin  es,  der  Ihnen  vorgezogen  worden  ist;  ein  siebzigjähriger  Greis 
hat  den  Sieg  über  alle  Reize  der  Jugend  davongetragen,  und 
ich  bin  es,  der  gewagt  hat,  eine  Frau  zu  verdächtigen,  der  man 
Altäre  errichten  sollte."  Darauf  ergeht  man  sich  in  Erklärungen 
aller  Art  über  alles,  was  sich  zugetragen  hat.  Die  beiden  Lieb- 
haber verlassen  sie  endlich,  nicht  ohne  ihre  Heldin  mit  Lobes- 
i.  3 


34  Die  Chronique  Scandaleuse 

beteuerungen  überschüttet  zu  haben  und  ihren  Ruhm  zu  singen 
und  ganz  Paris  zu  erzählen,  daß  Anstand  und  Tugend  noch 

leben  und  sogar  in  den  Foyers  der  Oper. 

# 

Zwei  Damen  von  Rang,  die  von  einer  Ausländerin  gehört 
hatten,  daß  sie  die  Zukunft  besser  weissagen  sollte  als  die 
glaubwürdigsten  Geschichtschreiber  Vergangenes  berichten,  be- 
schlossen, sie  aufzusuchen.  Sie  kommen  auf  dem  Weg  zum  Thea- 
ter in  großer  Toilette,  juwelengeschmückt,  zu  der  Zigeunerin. 
„Meine  Damen,"  sagt  die  alte  Zauberin,  „wenn  Sie  auf  Ihrer 
Absicht  bestehen,  so  seien  Sie  mutig  auf  alles  gefaßt.  Jeder  Mensch 
wird  von  seinem  verwandten  Geist  gefolgt,  der  sich  allen  seinen 
Schritten  anheftet  und  sich  ihm  nicht  zu  erkennen  gibt,  es  sei 
denn,  daß  er  durch  höhere  Macht  dazu  gezwungen  werde.  Diese 
Macht  ist  mir  gegeben,  und  ich  kann  einer  jeden  von  Ihnen  zu 
einer  Verständigung  mit  Ihrem  verwandten  Geist  verhelfen;  ei 
wird  Ihnen  alles,  was  Sie  zu  wissen  wünschen,  sei  es  aus  der  Ver- 
gangenheit, der  Gegenwart  oder  der  Zukunft  sagen,  aber  nur 
unter  gewissen  Bedingungen  kann  er  sich  sichtbar  machen ..." 
Was  auch  diese  Bedingungen  sein  mögen,  was  tut's,  man  wird 
sich  ihnen  unterwerfen ;  man  wünscht  diesen  Geist  zu  sehen,  ihn 
zu  sprechen,  eine  Unzahl  von  Dingen  zu  wissen;  Gefahr  ist 
nicht  vorhanden  ? 

Nein,  diese  Geister  sind  wohlgesinnt ;  ihr  Ziel  ist,  sich  mit  dem 
Wesen  in  Einklang  zu  bringen,  das  sie  zu  behüten  bestimmt 
sind. 

„Laß  uns  unsere  Wagen  fortschicken,  meine  Liebe,  dies  ist 
bessere  Unterhaltung  als  Kunst,  ich  will  nach  Herzenslust  mit 
-  m  braven  Geist  schwatzen,  der  mir  so  freundschaftlich  zu- 
getan ist,  und  der  mir  zweifellos  die  interessantesten  Dinge  er- 
zählen wird  . . .  Gute  Frau,  schnell,  was  sollen  wir  tun  ?" 

„Sie  müssen  sich  allen  Schmuckes  entledigen,  der  die  mensch- 
liche Würde  verschleiert,  der  Ansichten  und  Gedanken  materiell- 


Die  Chronique  Scandaleuse  35 


ster  Natur  verrät.  Als  Adam  mit  den  Geistern  sprach,  war  er  in 
völliger  Nacktheit;  dieser  Zustand  kommt  ihnen  näher,  er. . ." 
„Wie,  nackt  ?  Wir  müssen  nackt  sein  wie  Adam  ?"  —  „Ja,  meine 
Damen,  nicht  das  mindeste  fremde  Kleid  darf  Sie  entstellen, 
Sie  müssen  völlig  entblößt  von  irdischen  Dingen  sein.  Und 
dann,  was  fürchten  Sie?  Niemand  als  ihr  verwandter  Geist 
wird  Sie  erblicken;  hier  sind  Sie  sicher." 

Meine  schönen  Damen  entkleiden  sich  gedankenschwer  ob 
dieser  seltsamen  Zeremonie.  Kleider,  Wäsche,  Schmuck  und  Putz 
werden  in  einer  Kammer  aufbewahrt;  als  sie  in  einfacher  Nackt- 
heit dastehen,  führt  man  jede  in  ein  getrenntes  Kabinett,  dessen 
Tür  man  sorgfältig  verschließt . . .  „An  mir  ist  es  nun,  das  übrige 
zu  tun,"  sagt  die  Zauberin,  „warten  Sie  nun  auf  den  Erfolg 
meiner  Beschwörungen,  Sie  werden  ihn  in  kürzester  Zeit  ver- 
spüren." Schon  nach  Ablauf  einer  Sekunde  hatten  die  entkleideten 
Schönen  Mühe,  ihre  Ungeduld  zu  beherrschen;  diese  steigerte  sich, 
als  nach  einer  halben  Stunde,  einer  Stunde,  endlich  zwei  Stunden, 
noch  immer  dasselbe  Schweigen,  dieselbe  Öde  um  sie  herrschte. 

Gleichzeitig,  im  Moment,  wo  ihnen  beiden  der  Gedanke 
kommt,  daß  sie  getäuscht  seien  könnten,  brechen  sie  aus;  mit 
aller  Kraft  fangen  sie  an  zu  rufen,  um  endlich  vor  Angst  ohn- 
mächtig zusammenzubrechen.  Nachbarn  eilen  herbei;  alles  war 
verschlossen:  man  mußte  einen  Kommissar  holen;  mit  seinen 
Helfern  eilt  ei  herbei,  man  drückt  die  Türen  ein,  und  man  er- 
blickt zwei  Frauen,  die  wohl  dem  Auge  ein  recht  angenehmes 
Bild  bieten,  die  aber  das  Bewußtsein  verloren  haben. 

Schnelle  Hilfe  bringt  sie  dazu  zurück:  aber  Beschämung  er- 
greift sie,  sich  in  diesem  Zustand  zu  wissen  und  den  Augen  der 
Menge  ausgesetzt  zu  sein.  Bald  gesellt  sich  dazu  die  Verzweif- 
lung, beraubt  und  schmählich  ausgenutzt  worden  zu  sein. 

Die  Alte  hat,  nachdem  sie  sie  eingeschlossen  hatte,  das  möb- 
lierte Haus  verlassen,  indem  sie  gewohnt,  und  nachdem  sie  ihre 
Miete  unter  dem  Vorviand  einer  plötzlichen  Abreise  bezahlt 

3* 


3  6  Die  Chronique  Scandaleuse 


hat,  ohne  die  geringste  Schwierigkeit  all  den  Tand  dieser  neu- 
gierigen Damen  mit  fortgetragen. 

So  lernten  sie  also  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als  daß  man 
eher  an  Schelme  denn  an  Geister  und  Zauberer  glauben  soll. 

# 

Das  Haus,  das  Herr  von  Cahouet  bewohnte,  als  es  ihm  noch 
gut  ging,  überblickte  den  Garten  der  Jakobiner.  Dieser  Finanzier 
hatte  eine  sehr  hübsche  Nichte,  der  zwei  Kammerfrauen  zu- 
geteilt waren,  die  an  Schönheit  vor  ihrer  Herrin  in  nichts  zu- 
rückstanden. 

Den  drei  jungen  Wesen  gefiel  es  nun,  die  jugendlichen  Jako- 
biner zu  lorgnettieren,  die,  nicht  im  Zweifel  über  die  Art  dieses 
Augenspiels,  die  Mauern  überkletterten  und  durch  das  Fenster 
der  jungen  Dame  einstiegen.  Drei  Tage  dauerten  die  verliebten 
Orgien.  Der  Herr  des  Hauses,  der  wie  alle  ^Reichen  ängstlich  und 
mißtrauisch  ist,  glaubt  in  der  Nacht  ein  Geräusch  zu  hören,  läßt 
den  Pförtner  kommen,  wirft  ihm  seine  Nachlässigkeit  vor  und 
vertraut  ihm  seine  Befürchtungen  an.  Man  forscht  nach  und 
entdeckt  alles.  Die  Nichte  wird  in  ein  Kloster  eingeschlossen, 
die  Dienerinnen  in  ein  Hospital  geschleppt  und  die  Novizen 
sind   nun  vielleicht  desto  würdiger,  Mönche  zu  werden.  Ihr 

Schicksal  ist  unbekannt. 

# 

Mademoiselle  Duthe10,  die  Heldin  unserer  galanten  Mädchen, 
mußte  eines  Tages  eine  Strafe  über  sich  ergehen  lassen,  die  sie 
nicht  wenig  demütigte.  Eine  prächtige  Equipage  hält  vor  ihrer 
Tür;  ein  junger  Herr,  von  reich  gekleideten  Dienern  umgeben, 
entsteigt  ihr;  der  junge  Herr  läßt  sich  als  Fremder  von  höchster 
Distinktion  bei  ihr  melden;  er  wagt  ein  zärtliches  Geständnis 
und  unterstützt  es  mit  einer  verführerischen  Versprechung.  Die 
Schöne,  durch  das  Ungewohnte  des  Abenteuers  und  mehr  noch 
von  der  Höhe  der  angebotenen  Summe  bewegt,  schenkt  den 
liebevollen  Bitten  des  Fremden  Gehör,  der,  ehe  er  sich  von  ihr 


Die  Chronique  Scandaleuse  37 

trennt,  Sorge  trägt,  eine  reich  gefüllte  Börse  auf  dem  Toiletten- 
tisch zu  deponieren.  Kaum  ist  er  gegangen,  öffnet  Mlie  Duthe 
die  Börse  und  findet  nichts  darin  als  Kupfermünzen. 

Am  nächsten  Morgen  erfährt  man,  daß  der  angebliche  fremde 
Grandseigneur  niemand  anders  als  ein  Kammerdiener  war,  der 
sich  Karosse  und  Livreen  seines  Herrn  verschafft  und  seine 
Kameraden  veranlaßt  hatte,  ihm  bei  diesem  galanten  Betrug  zu 
dienen.  Mlle  Duthe  ist  über  das  Abenteuer  verzweifelt  und 
schwört,  sagt  man,  nie  wieder  einen  Handel  abzuschließen,  ohne 
vorher  die  Börse  zu  öffnen  und  ohne  die  näher  kennen  zu  lernen, 
die  nach  ihren  Gunstbezeigungen  schmachten. 

* 

Ein  junger  Mann  begab  sich  auf  die  Besitzungen,  die  ihm  kürz- 
lich durch  Erbschaft  zugefallen  waren.  Mit  sich  führte  er  ein 
Fräulein  der  lustigen  Sitten;  unterwegs  wird  sein  Wagen  in  der 
Nähe  eines  Schlosses  schadhaft;  er  ist  gezwungen,  sich  dort  zu 
melden,  um  Gastfreundschaft  zu  erbitten.  Als  man  ihn  in  den 
Salon  führt,  erkennt  er  mehrere  Damen  von  Rang,  mit  denen  er 
in  der  Pariser  Gesellschaft  verkehrt.  Er  stellt  seine  Begleiterin 
als  eine  Dame  von  Stand  vor,  die  ein  ihm  benachbartes  Schloß 
bewohne,  und  flüstert  ihr  ins  Ohr,  ihre  Rolle  gut  zu  spielen. 

Während  der  Wagen  ausgebessert  wird,  schlägt  man  den  Rei- 
senden eine  Partie  Brelan  vor.  Die  vorgebliche  Dame  hätte  ein 
anderes  Spiel  lieber  gesehen,  jedoch  entschließt  sie  sich  zum  Bre- 
lan, das  sie  schlecht  und  recht  versteht.  Gelegentlich  eines  beson- 
ders guten  Blattes,  das  sie  hält,  schlägt  die  Schloßdame  Brelan. 
„Ich  pfeife  darauf,"  ruft  die  Dame,  „ich  habe  einen  weit  besseren." 
Ihr  Ritter  wirft  ihr  einen  verweisenden  Blick  zu.  Um  das  Ver- 
sehen wieder  gutzumachen,  sagt  sie  ohne  sich  beirren  zu  lassen : 
„Ich  bitte  um  Verzeihung,  Madame,  ich  pfeife  nicht  darauf." 

# 

Ist  ein  junges  Mädchen  nicht  stark  genug,  ihre  Natur  und 
eine  Leidenschaft,  die  mitunter  nichts  Sträfliches  birgt,  zu  be- 


gg  Die  Chronique  Scandaleuse 

kämpfen,  so  geschieht  es  selten,  daß  sie  kein  Mittel  fände,  die 
Folgen  ihrer  Schwäche  zu  zerstören.  Ist  das  Unglück  einmal 
geschehen,  sollten  vorsichtige  und  weise  Eltern  für  das  Opfer 
von  Liebe  und  Konvention  Partei  nehmen :  man  muß  warten, 
bis  der  Rausch  verflogen  ist,  ehe  man  dem  Manne  Vorhaltungen 
macht,  der  sich  dem  Wein  zu  sehr  ergibt,  und  da  nichts  einer 
Herzensaffäre  mehr  schadet  als  Öffentlichkeit,  sind  zornige  und 
aufbrausende  Eltern,  die  ihr  nicht  helfen,  ihre  Schuld  zu  ver- 
heimlichen, viel  mehr  zu  tadeln,  als  das  empfindsame  Mädchen, 
dem  es  an  Erfahrung  fehlt. 

So  denkt  auch  Mme  B.,  eine  ehrenhafte,  von  ihren  Kindern 
vergötterte  Frau,  doch  ist  sie  mit  einem  Manne  vereint,  dessen 
Prinzipien  weit  anders  lauten. 

Eines  Tages  kam  sie  einem  Geheimnis  auf  die  Spur,  das  ihre 
Tochter  ihr  vergeblich  hatte  verstecken  wollen;  sie  empfing 
ihr  Geständnis;  ein  einfaches,  unschuldsvolles  Herz  vermag 
einer  zärtlichen  und  geliebten  Mutter  nichts  lange  zu  verheim- 
lichen. 

Mme  B.  trocknet  die  Tränen  ihrer  Tochter  und  verspricht 
ihren  Beistand,  um  einem  gefürchteten  Vatei  dies  Abenteuer 
zu  verbergen.  Die  unvergleichliche  Mutter  gibt  vor,  selbst 
schwanger  zu  sein,  und  der  Gewohnheit  gemäß,  die  sie  bei  sich 
eingeführt  hat,  verwehrt  sie  ihrem  Mann  ihr  Schlafgemach  zu 
all  den  Stunden,  die  ihm  das  Geheimnis  hätten  enthüllen  kön- 
nen; geschickt  benutzte  Kleidungsstücke,  tausend  kleine  ge- 
sundheitliche Sorgen  und  Bemühungen  aller  Art  lassen  die  Welt 
von  Mme  B.s  Schwangerschaft  wissen.  Der  fatale  Moment 
nähert  sich;  diese  bewunderungswürdige  Mutter  findet  es  wün- 
schenswert, daß  ihre  Tochter  Zeugin  der  Entbindung  sei,  gleich- 
sam, um  ihr  eine  nützliche  Lektion  zu  geben;  der  Chirurg  ist 
Mitwisser.  Als  der  Vater  eintreten  darf,  sieht  er  ohne  Erstaunen 
im  Bett  neben  der  vermeintlichen  Wöchnerin  seine  Tochter, 
die  angibt,  durch  das  aufregende  Schauspiel,  dem  sie  beigewohnt 


Die  Chronique  Scandaleuse  39 


hat,  krank  geworden  zu  sein;  er  erweist  seinem  Enkelkind,  das 
er  für  sein  eigenes  hält,  tausend  Zärtlichkeiten;  seine  wirkliche 
Mutter  erfreut  sich  wenigstens  des  Trostes,  ihr  Kind  als  ihren 
Bruder  herzen  zu  dürfen. 

Heute  darf  sie  es  betrachten,  ohne  erröten  zu  müssen,  da 
sie  mit  dem  vereint  ist,  der  ihm  das  Leben  gab.  Sie  ist  tugend- 
haft geblieben,  obschon  sie  ein  Verbrechen  gegen  die  Tugend 
begangen  hat.  Wie  schrecklich  hätten  aber  die  Folgen  einer  in 
so  mancher  Hinsicht  entschuldbaren  Torheit  werden  können, 
wenn  sie  eine  andere,  weniger  nachsichtige  Mutter  gehabt  hätte ! 

* 

Mademoiselle  Quincy,  eine  recht  hübsche  Kurtisane,  gibt  eines 
Tages,  sei  es  aus  Malice,  sei  es  aus  Leichtsinn,  drei  verschiedenen 
Männern  ein  abendliches  Rendezvous.  Die  drei  Galane  treffen 
sich;  im  Moment,  in  dem  sie  sich  besprechen  und  über  die  Groß- 
mut der  Schönen,  die  so  viele  auf  einmal  beglücken  wolle,  be- 
klagen, erscheint  ein  vierter,  der  sie  an  der  Hand  führt,  und 
sagt  den  anderen  ganz  lustig: 

„Meine  Herren,  ich  bin  der  wahre  Amphitryon ;  in  zwei  Stun- 
den werde  ich  Ihnen  Mademoiselle  wieder  zuführen  können. 
Unterdessen  empfehle  ich  Ihnen,  über  das  Bizarre  der  Situation 
und  über  die  Treue  der  Frauen  zu  meditieren." 

Es  genügt  zu  bemerken,  daß  der  Unglücklichen  einer  ein  Abbe 
war,  der  andere  ein  Kammerherr,  und  der  dritte  ein  Finanzier; 
der,  der  so  kühn  sprach,  war  ein  breitschultriger  Offizier  von 
22  Jahren,  der  nichts  Besseres  wünschte,  als  die  Verwirrung  die- 
ser Herren  zu  erhöhen. 

* 

Um  die  Ungläubigen  zu  überzeugen,  die  meinen,  daß  unsere 
galanten  Damen  nicht  die  .Macht  der  Gefühle  kennen,  sei  fol- 
gende kleine  Anekdote  berichtet. 

Eine  dieser  Damen,  die  in  Ansehen  stand,  hatte  einen  schönen 
Papagei,  der  ihr  teurer  als  ihr  Leben  war.  Für  diesen  geliebten 


4.o  Die  Chronique  Scandaleuse 


Vogel  hätte  sie  all  ihre  Anbeter  hergegeben;  da  fliegt  er  ihr  eines 
Tages  davon.  Ein  Schöngeist,  der  aus  der  Situation  Nutzen 
ziehen  wollte,  würde  behaupten,  daß  dies  von  böser  Vorbedeu- 
tung für  die  Dame  sei,  und  daß  es  ihr  ankündige,  wie  die  Liebe 
mit  dem  Papagei  entfliegen  könne.  Wie  dem  auch  sei :  diese  neue 
Lesbia  weint  und  rauft  sich  das  Haar,  und  in  ihrem  Schmerz 
ruft  6ie  aus :  „Ach,  mein  armer  Papagei,  was  würde  ich  nicht  alles 
geben,  um  dich  wieder  zu  haben;  meiner  Treu,  der  ihn  mir  zu- 
rückbrächte, sollte  bei  mir  schlafen." 

So  verspricht  Venus  einen  Kuß  dem,  der  den  Sohn  zurückbringt. 

Am  Morgen  nach  diesem  Gelübde  erscheint  ein  großer,  mus- 
kulöser Wasserträger,  der  den  Papagei  auf  der  Hand  trägt. 

„Mademoiselle,  ich  war  gestern  in  Ihrer  Küche,  ich  habe  Ihr 
Versprechen  gehört,  das  hat  mir  das  Herz  in  den  Bauch  getrie- 
ben, kurz,  hier  ist  Ihr  Vogel,  den  ich  wiedergefunden  habe.  Sie 
sind  ein  zu  ehrliches  Fräulein,  um  mich  um  meine  Belohnung 
zu  bringen."  Wer  aber  ein  wenig  verwirrt  wurde,  war  die  Herrin 
des  Papageis.  Wie,  ein  Wasserträger  sollte  das  Lager  besudeln, 
auf  dem  man  den  Herrn  Herzog,  den  Herrn  Bischof,  den  Herrn 
Präsidenten  zu  empfangen  gewohnt  war?  Sie  bot  als  Entschä- 
digung eine  ziemlich  gewichtige  Summe. 

„Aber  Mademoiselle,  ich  will  gar  kein  Geld,  sondern  die 
Ehre  haben,  mit  einer  so  hübschen  Frau,  wie  Sie  es  sind,  zu 
schlafen;  ich  bin  kein  vornehmer  Herr,  aber,  glauben  Sie  mir, 
Jacques  vermag  als  Liebhaber  sich  mit  jedem  zu  messen."  Die 
Demoiselle,  die  ihren  Stolz  darein  setzt,  groß  zu  handeln,  be- 
siegt mit  einem  langen  Seufzer  den  Widerstreit  ihrer  ehrgeizigen 
Gefühle,  und  gewährt  ohne  Einschränkungen  dem  Wasserträger 
die  versprochene  Belohnung. 

Scherzend  sagt  sie,  als  sie  Entschädigung  gewährt  hat:  „Es 
tut  mir  nicht  leid,  Jacques  ist  ein  Mann  wie  jeder  andere",  und 
läuft,  bei  ihrem  Papagei  zu  vergessen,  was  er  sie  gekostet  hat. 


Die  Chronique  Scandaleuse  41 

Ein  Generalpächter  liebte  seine  Frau  und  glaubte  sich  von 
ihr  angebetet.  Es  war  ihm  grausame,  beispiellose  Lust,  über  an- 
dere Frauen  Böses  zu  schwatzen.  Er  insultierte  die  Opfer  ihrer 
Galanterien,  und  nach  seinen  vielen  Schimpfreden  gegen  beide 
Geschlechter,  pflegte  er  sein  eigenes  Schicksal  zu  rühmen :  „Ich, 
für  meinen  Teil,"  sagte  er,  „daß  mir  das  Glück  aller  anderen  zu- 
fällt, ich  liebe  meine  Frau  sehr  und  sie  ist  aus  Liebe  zu  mir 
ganz  toll."  Unser  Finanzier  schlief  ganz  friedvoll  über  diesem 
glücklichen  Gedanken.  Da  empfängt  er  ein  Billett,  das  diese 
Worte  enthält: 

„Sie  sind  ein  Frechling  mit  ihrem  ewigen  Glück,  das  Sie  uns 
unter  die  Nase  reiben,  mein  Freund.  Sie  sind  ein  Hahnrei,  wie 
jeder  andere  auch,  und  wenn  Sie  sich  morgen  früh  mit  eigenen 
Augen  davon  überzeugen  wollen,  so  steigen  Sie  gegen  neun  Uhr 
auf  Ihren  Boden,  und  Sie  werden  Madame  in  einer  unzwei- 
deutigen Situation  treffen." 

Der  Finanzier  zerreißt  das  Billett  in  Fetzen  und  bleibt  fest 
davon  überzeugt,  daß  diese  Nachricht  nichts  weiter  als  eine  ihm 
zugedachte  Beleidigung  sei.  Dennoch  entschließt  er  sich,  das 
Abenteuer  zu  wagen.  Am  nächsten  Morgen  steigt  er  zur  an- 
gegebenen Stunde  zum  Boden  herauf,  und  noch  ehe  er  sieht, 
hört  er  sehr  deutlich  diese  Worte:  „O,  Guillaume,  laß  doch 
deine  Pferde  und  kuriere  mich  lieber,  denn  ich  habe  es  mehr 
als  nötig.  Dieser  Tölpel,  mein  Mann  ..." 

Der  wütende  Gatte  läßt  sie  nicht  vollenden,  und  stürzt  sich 
nach  der  Richtung,  aus  der  diese  galante  Unterhaltung  tönt. 
Seine  Frau  erblickt  ihn  und  zieht  sich  majestätisch  zurück;  er 
will  sie  schlagen;  sie  darauf  wie  ein  neuer  The  mistokles :  „Schlage, 
aber  höre  mich  an;  ich  habe  eine  tolle  Lust  danach  gehabt,  und 
dein  Kutscher  erschien  mir  ein  unbedeutender  Mensch;  glaube 
mir,  ich  liebte  dich  deshalb  nicht  weniger;  wir  wollen  uns  über 
solche  Bagatellen  des  Temperaments  nicht  erzürnen,  mein 
Freund,  das  Herz  allein  ist  alles."  Der  Finanzier  war  vor  Staunen 


Die  Chronique  Scandaleuse 


unbeweglich  und  verblüfft;  diese  Kühnheit  seiner  Frau  hatte 
er  nicht  erwartet.  Zwar  nahm  er  dieses  Geständnis  nicht  als 
einen  Scherz,  aber  er  war  dumm  genug,  seine  Geschichte  zu 
verbreiten;  man  schließe  daraus,  wie  sehr  er  blamiert  war.  Er 
handelte  keineswegs  wie  jener  vernünftige  Gatte,  dem  seine  Frau 
nach  seiner  Rückkehr  aus  Amerika  sechs  hübsche  Kinder  prä- 
sentierte; er  fragt  sie  gelassen:  „Wer  sind  diese  Liebesgötter?" 
—  „Nun,  dies  sind  unsere  Kinder",  antwortet  ernsthaft  die  ehr- 
bare Dame.  —  „Ich  dachte  nicht,  eine  so  liebenswerte  Familie 
vorzufinden."  Und  einen  Moment  später:  „O  nein,  meine 
Liebe,  wir  werden  keine  anderen  mehr  machen,  wir  haben  hier 
genug,  nicht  wahr  ?"  —  „Wie  Du  willst,  mein  Freund." 
Dies  war  der  wahre  Held  von  einem  französischen  Gatten. 

# 

Der  selige  M.  Duclos,  Sekretär  der  Akademie,  badete  in  der 
Seine,  nahe  bei  dem  Schiff,  das  Poictevin  eingerichtet  hatte, 
damit  sich  die  Schönen  erfrischen  könnten.  Es  erscheint  eine 
reizende  Dame  in  lustiger  Equipage;  der  Kutscher  übersieht 
beim  Wenden  ein  Loch  im  Weg,  das  Rad  vergräbt  sich  darin, 
der  Wagen  stürzt  um  und  auf  der  einen  Seite  liegt  im  Schmutz 
die  reizende  kleine  Dame,  auf  der  anderen  die  Lakaien. 

Duclos  springt  ganz  nackt  aus  dem  Wasser  und  läuft  auf  sie  zu. 
Die  junge  Dame  ist  leicht  erstaunt  über  das  seltsame  Aussehen 
des  pflichteifrigen  Kavaliers.  —  „Ich  bitte  tausendmal  um  Ver- 
zeihung," sagte  er,  ohne  sich  zu  verwirren  und  ihr  die  Hand 
bietend,  „verzeihen  Sie  meine  Unkorrektheit,  entschuldigen  Sie, 

daß  ich  ohne  Handschuhe  bin." 

* 

Ein  Königsgardist,  der  hinter  einer  Dame  von  hohem  Rang 
die  Treppe  zu  Versailles  heraufsteigt,  wagt,  seine  Hand  unter 
ihren  Rock  zu  führen.  Die  Dame  ist  erzürnt,  aber  der  Schul- 
dige sagt,  ohne  sich  beirren  zu  lassen:  „O,  Madame,  wenn  Ihr 
Herz  ebenso  hart  ist  wie  Ihr  Hinterteil,  bin  ich  ein  verlorener 


Die  Chronique  Scandaleuse  43 


Mann."  Die  Beleidigte  konnte  nicht  umhin,  über  diesen  Scherz 
zu  lachen,   und  verzieh    die    Indiskretion    dem   Kompliment 

zuliebe. 

* 

Herr  von  B.,  ehemaliger  Königsgar dist  und  Schwager  des 
Marquis  von  P.,  befand  sich  mit  seiner  Frau  bei  einem  Souper. 
Jemand  erzählte  Diebsgeschichten.  Herr  von  B.  ergreift  das 
Wort  und  sagt,  daß  dies  ein  weit  verbreiteteres  Laster  sei  als 
man  meinen  möge,  und  daß  man  Beispiele  hätte,  daß  selbst 
junge  Leute  von  Stand  sich  dazu  verführen  ließen. 

Bei  diesen  Worten  versucht  Frau  von  B.  ihren  Mann  zum 
Schweigen  zu  bringen.  Irgend  jemand  in  der  Gesellschaft  er- 
sucht, zweifellos  um  die  Dame  zu  erzürnen,  ihren  Gatten,  fort- 
zufahren. Er  ließ  sich  nicht  lange  bitten  und  sprach  weiter-  „Im 
Anfang  meiner  Ehe  schlief  ich  keineswegs  bei  meiner  Frau.  Als 
sie  eines  Abends  zu  Bett  ging,  wollte  ich  ihr  gute  Nacht  wün- 
schen, als  ich  plötzlich  ein  Geräusch  in  ihrem  Ankleidezimmer 
wahrnehme;  ich  ergreife  ein  Licht,  trete  ein  und  sehe  je- 
manden, der  sich  unter  einem  Gewand  zu  verbergen  sucht;  ich 
ziehe  es  fort  und  erblicke  den  denkbar  schönsten  jungen  Mann. 
Ich  frage  ihn,  was  er  da  sucht.  Mein  junger  Mann  antwortet 
mir  mit  bebender  Stimme:  ,  Verzeihen  Sie,  ich  schäme  mich, 
Ihnen  einzugestehen,  daß  meine  Absicht  wary  Ihnen  ein  Kleinod 
zu  rauben,  das  Sie  zu  sehr  vernachlässigten/ 

Aber,  sage  ich  ihm,  schämen  Sie  sich  nicht,  ein  so  verächt- 
liches Metier  auszuüben  ?  Sie  verdienten,  daß  ich  Sie  festnehmen 
ließe.  Seine  Schönheit  entwaffnete  mich,  und  ich  ließ  ihn  laufen. 
Sie  verstehen  wohl,  daß  meine  Frau  vor  Angst  mehr  tot  als  le- 
bendig war.  Wenige  Tage  darauf  gehe  ich  zum  König,  öffne 
die  Kammertür,  und  siehe  da,  mein  Dieb  inmitten  des  Apparte- 
ments. Ich  sage  zum  Türhüter:  ,Was  macht  hier  solch  ein 
Schelm  wie  dieser  da  ?*  Der  Türhüter  antwortet  mir:  ,Sie  sagec, 
gnädiger  Herr  ?  Dies  ist  der  Chevalier  von  B.'  Nun  wohl,  mein 


44  Die  Chronique  Scandaleuse 

Freund,  habe  ich  erwidert,  der  Chevalier  von  B.  ist  ein  Dieb, 
ich  hätte  ihn  nur  festzunehmen  brauchen." 

Man  versteht  wohl,  daß  eine  derartige  Geschichte  die  Gesell- 
schaft auf  Kosten  des  Erzählers  amüsieren  mußte,  und  daß  er  sie 

selbst  erzählen  mußte,  um  die  Lacher  auf  seiner  Seite  zu  haben. 

* 

Der  Bischof  geht,  zum  Weltmann  umgewandelt,  zu  einer  lie- 
benswürdigen Dame,  die  für  die  kleinen  Vergnügungen  des  Pu- 
blikums junge  Damen  beschäftigt.  Er  glaubte  gut  verkleidet  zu 
sein.  Er  ist  noch  nicht  mit  einer  dieser  jungen  Huris  einig  ge- 
worden, als  sich  ein  großer  Lärm  erhebt.  Ein  brutaler  Kerl  will 
absolut  die  Schönheit  besitzen,  die  Monseigneur  in  seinen  ge- 
weihten Armen  hält. 

Schließlich  geht  seine  Unzufriedenheit  so  weit,  daß  er  die  Tür 
des  Kabinetts  erbricht.  „Sie  sind  es,  Abbe!  —  Sie,  Monseigneur!" 
rufen  unsere  beiden  Heiligen  aus.. 

„Ich  hätte  nie  geglaubt,  Monseigneur,  Ihre  Herrlichkeit  an 
diesem  Ort  zu  treffen!" 

„Und  ich  vermutete  nicht,  daß  Sie  Libertin  genug  sein  könn- 
ten ... " 

„Ich  bitte,  Monseigneur,  keine  Vorwürfe,  lassen  Sie  uns  einig 
werden :  ich  will  Ihnen  Mademoiselle  überlassen,  ich  werde  mich 
mit  einer  weniger  angenehmen  Sultanin  begnügen,  —  das  wird 
für  einen  Großvikar  genügen.  Darauf  wollen  wir  fröhlich  sou- 
pieren, doch  vermeiden  wir  jede  Erörterung,  Monseigneur.  Ich 
gebe  zu,  daß  dies  hier  nicht  der  rechte  Ort  für  uns  ist,  weder  für 
Sie,  noch  für  mich :  solange  wir  hier  sind,  wollen  wir  ausgelassen 
sein,  und  morgen  mag  jeder  seine  Würde  wieder  aufnehmen." 

Der  Prälat  sah  ein,  daß  es  am  besten  sein  würde,  zu  lachen,  und 
das  heilige  Paar  vergnügte  sich  nach  Herzenslust. 

Die  Diskretion  dieser  Damen  war  der  Lust,  diese  Geschichte 
zu  verbreiten,  die  tatsächlich  nicht  sehr  erbaulich  ist,  nicht  recht 
gewachsen. 


Die  Chronique  Scandalsuse  45 

Ein  Soldat  des  Regiments  von  ***  verläßt  ohne  Einwilligung 
seiner  Vorgesetzten  seine  Garnison  und  kommt  nach  Paris  zu 
seinem  Obersten,  ihn  um  die  vakante  Stelle  eines  Unteroffiziers 
zu  bitten.  Dieser  leichtsinnige  Schritt  setzte  ihn  der  Gefahr  aus, 
wie  ein  Deserteur  bestraft  zu  werden.  Kaum  hat  er  das  Haus 
betreten,  bemerkt  ihn  die  Frau  des  Obersten  und  ist  frappiert 
von  seinem  Aussehen,  seinem  Wuchs,  seinen  Zügen. 

Unser  Soldat  ist  wie  Herkules  gebaut,  und  die  Marquise  ist 
Liebhaberin. 

Ein  Diener  teilt  dem  Hergereisten  mit,  daß  Mlle  Julie,  die 
erste  Kammerfrau  der  Marquise,  ihn  zu  sprechen  wünscht  und 
ihn  in  dem  Zimmer  erwartet,  in  das  man  ihn  geleitet. 

Dort  findet  unser  Soldat  eine  schwarzäugige  Brünette,  in 
einem  mehr  als  galanten  Deshabille,  die  eine  nicht  wenig  ein- 
ladende Stellung  angenommen  hat. 

„Was  wünscht  Ihr,  mein  Freund,  was  verlangt  Ihr  von  Mon- 
sieur ?" 

Der  Soldat  erklärt  den  Zweck  seiner  Reise;  man  verspricht 
ihm  vollen  Erfolg.  „Setzt  Euch  zu  mir,  Ihr  seid  ein  schmucker, 
junger  Bursch;  es  wäre  schade  gewesen,  wenn  eine  so  schöne 
Gestalt  nicht  mit  der  Uniform  geschmückt  worden  wäre.  Aber 
diese  häßlichen  Borten  sollt  Ihr  nicht  tragen,  o,  bald  sollen  sie 
von  silbernen  ersetzt  sein." 

Der  Soldat  fühlt  sich  nicht  mehr  ganz  frei  und  bemerkt  bald, 
daß  ihm  zwei  gute  Dinge  auf  einmal  in  den  Schoß  fallen  sollen 
Man  zweifelt  nicht  daran,  daß  diese  Festung,  die  sich  so  bereit- 
willig erbot,  gar  bald  genommen  war. 

Hier  handelte  es  sich  nicht  um  eine  Blockade,  es  gab  keine 
Zeit  zu  verlieren,  und  die  Truppen  bemächtigten  sich  in  zwei 
Minuten  der  Stadt  und  der  Zitadelle. 

Als  der  Soldat  eine  Stunde  der  Eroberung  genossen  hatte, 
dachte  er  wieder  an  sein  Vorhaben;  es  war  wichtig  für  ihn,  daß 
er  am    nächsten  Morgen  wieder   bei  seinem  Korps  exerziere. 


46  Die  Cbronique  Scandaleuse 


Man  läßt  ihn  allein;  eine  halbe  Stunde  später  ruft  man  ihn 
zum  Obersten.  „Mann,"  sagt  ihm  der  Marquis,  „meine  Frau 
hat  sich  auf  die  Empfehlung  eines  Mädchens,  dem  ich  ver- 
traue, für  Euch  interessiert  und  mich  verpflichtet,  nicht  nur 
das  Unerlaubte  Eures  Schrittes  zu  entschuldigen,  sondern  Euch 
auch  die  Gunst,  die  Ihr  fordert,  zu  gewähren.  Verliert  keinen 
Augenblick,  Euch  wieder  zu  stellen,  ich  werde  dem  Major 
schreiben,  daß  er  einen  Vorwand  für  Eure  Abwesenheit  finde, 
aber  ich  kann  nicht  zugeben,  daß  sie  noch  länger  dauere."  Der 
Soldat  ist  im  Begriff  aufzubrechen,  nachdem  er  sich  in  Dankes- 
beteuerungen erschöpft  hat,  als  ihn  der  Marquis  zurückruft. 
„Wartet  einen  Moment,  mein  Freund,  Ihr  selbst  sollt  meine  Be- 
fehle überbringen,  und  indessen  mein  Schreiber  sie  verfaßt,  will 
ich  Euch  Eurer  Wohltäterin  vorstellen;  folgt  mir  zu  Madame." 

Der  Oberst  und  der  neue  Sergeant  treten  in  das  Appartement 
der  Marquise,  die  sich  noch  im  weißen  Deshabille  befindet. 
Kaum  bemerkt  sie  der  Soldat,  ruft  er  aus :  „Meine  liebe  Julie, 
wie  sehr  bin  ich  Ihnen  dankbar."  Madames  Verwirrung  bei  die- 
sem seltsamen  Ausbruch  hätte  wohl  genügt,  auch  einem  blin- 
deren Mann  als  dem  Obersten  die  Augen  zu  öffnen;  die  Zu- 
fälle mehren  sieh,  ihn  aufzuklären:  die  wirkliche  Julie,  die, 
welche  ihre  Kammer,  ihren  Namen  und  ihre  Schürze  herge- 
liehen hatte,  tritt  ein. 

Der  arme  Ehemann  befragt  sie,  und  sie  ist  schwach  genug,  zu 
beichten.  —  Im  übrigen  hat  das  Beispiel  von  Tausenden  seiner 
Schicksalsgenossen  den  Obersten  bestimmt,  sich  ins  Unvermeid- 
liche zu  schicken. 

Man  versichert,  daß  die  Empfehlung  dieser  keuschen  Gattin 

noch  immer  seinen  Geist  beeinflußt. 

# 

Eine  unserer  wenig  bekannten  Fräuleins  ließ  es  sich  eines  Tages 
einfallen,  sich  für  unberührt  ausgeben  zu  wollen.  Madame,  ihre 
Mutter,  —  denn  diese  jungen  Damen  sind  niemals  verwaist,  — 


Die  Chronique  Scandaleuse  47 


wußte  in  der  Gesellschaft  gewisse  kleine  Mitteilungen  zu  ver- 
breiten, in  denen  man  der  Öffentlichkeit  ankündigte,  daß  eine 
gewisse  Dame  sich  noch  ganz  und  gar  ihrer  Jungfräulichkeit  er- 
freue und  daß  sie  nichts  Besseres  wünsche,  als  diese  zu  verlieren. 
Ein  Dirnenbetrüger  läßt  sich  melden.  Erst  hat  er  eine  politische 
Unterhaltung  mit  der  ehrenwerten  Mutter  und  beschließt  sie, 
indem  er  zehn  glänzende,  wohlgezählte  Louisdors  funkeln  läßt. 
Man  fragt  den  Galan  nicht  nach  Rang  noch  Namen;  ein  glück- 
licher Eigentümer  von  zehn  Louis  braucht  keine  solchen  Beigaben 
zu  einer  derartigen  Verbindung.  Endlich  wird  er  angenommen; 
er  verbringt  die  Nacht  mit  dem  Mädchen,  die  sich  selbst  zu 
dem  Geschick  beglückwünscht,  mit  dem  sie  sich  diesen  Schein 
der  Unschuld  gibt;  der  Liebhaber  aber  lachte  seinerseits;  er  ge- 
noß deshalb  die  ersehnten  Freuden  nicht  geringer. 

Der  Galan  läßt  seine  zehn  Louis  da  und  geht  davon.  Die  beiden 
ehrsamen  Geschöpfe  sind  miteinander  entzückt;  eine  Modistin 
soll  bezahlt  werden,  eine  Schneiderin,  ein  Coiffeur;  die  Gläu- 
biger, die  schärfer  sehen  als  unser  Fräulein,  bringen  ihr  das  Geld 
zurück  mit  der  Begründung,  daß  sie  mit  falscher  Münze  nicht 
zu  bezahlen  seien.  Das  Fräulein  und  ihre  Mutter  wüten;  sie  er- 
kennen mit  Schrecken,  daß  ein  Betrüger  sie  hintergangen  hat. 
Die  erstere  trifft  ihn  auf  einem  Ball:  „Ah,  da  haben  wir  Sie, 
Herr  Fälscher!"  —  „Ah,  Fräulein  Jungfrau!  Jedem  das  Seine, 
Sie  haben  mich  betrogen.  Glauben  Sie  mir,  statt  daß  wir  uns 
die  Augen  auskratzen,  täten  wir  besser,  nun  andere  zu  narren. 
Ihre  falsche  Jungfräulichkeit  war  kaum  mehr  wert  als  meine 
falschen  Louis." 

Das  Fräulein  nimmt  das  Abenteuer  von  der  leichten  Seite 
und  lacht.  Nur  die  Mutter  war  es,  die  zwischen  den  Zähnen 
brummte :  „Weiß  Gott,  das  hat  die  Mühe  gelohnt,  die  Betrü- 
gerin zu  spielen ;  das  nächste  Mal  werde  ich  erst  die  Goldstucke 
untersuchen,  und  dann  mag  die  Jungfrauen  haben,  wer  sie 
immer  mag."  * 


4  8  Die  Chronique  Scandaleuse 

Trotz  sichtbarer  Fortschritte  der  philosophischen  Moral  sind 
Menschen  einer  gewissen  Klasse  unter  uns  noch  weit  davon  ent- 
fernt, zu  den  Ehemännern  zu  gehören,  die  Boileau  so  scherzhaft 
,, gutchristliche  Gatten"  taufte. 

Ein  wohlbeleibter  Bürger,  der  auf  seine  hübsche  junge  Frau 
sehr  eifersüchtig  war,  hatte  die  seltsame  Laune,  über  das,  was 
er  seinen  Fall  nannte,  den  berühmten  Grafen  Cagliostro  zu  kon- 
sultieren. Beim  Arzte  angekommen,  erzählt  er  ihm,  daß  er  von 
der  Krankheit  der  Eifersucht  befallen  sei,  und  daß  er,  da  er  von 
seiner  alles  umfassenden  Weisheit  gehört  habe,  zu  ihm  gekommen 
sei,  ihn  zu  fragen,  ob  er  betrogen  würde  oder  nicht. 

Graf  Cagliostro,  der  sich  über  dies  Original  amüsieren  will, 
antwortet  ihm,  daß  nichts  leichter  zu  erfahren  sei;  daß  er  ihm 
eine  Phiole,  eine  gewisse  Flüssigkeit  enthaltend,  mitgeben  würde, 
die  er  nach  seiner  Rückkehr  in  dem  Moment  trinken  müsse,  da 
er  sich  anschicke,  bei  seiner  Frau  zu  schlafen. 

„Seid  Ihr  betrogen,"  sagt  er  ihm,  „werdet  Ihr  Euch  beim 
Aufwachen  in  einen  Kater  verwandelt  finden." 

Der  Mann  erzählt  nach  seiner  Rückkehr  seiner  Frau  von  den 
hervorragenden  Talenten  des  Grafen. 

Sie  wünscht  den  Zweck  seiner  Reise  zu  wissen,  er  läßt  sich 
bitten,  endlich  gibt  er  den  heftigen  Beschwörungen  nach  und 
erklärt  ihr  das  unfehlbare  Mittel,  das  er  hat,  um  ihre  Treue  fest- 
zustellen. Sie  lacht  von  Herzen  über  seine  Gutgläubigkeit;  ver- 
sichert ihm,  daß  er  nichts  zu  befürchten  hat;  er  schluckte  das 
Gebräu,  und  da  sind  sie  nun  beide  im  Bett.  Eine  Stunde  darauf 
befindet  er  sich  in  einem  Zustand,  der  ihn  und  seine  zartere 
Hälfte  erfreulich  überrascht,  so  wenig  waren  sie  seit  langem  an 
so  gutes  Glück  gewöhnt.  Dies  wurde  eine  wahre  Hochzeitsnacht. 
Sie  schliefen  unter  Lobsprüchen  auf  den  Grafen  und  seinen  Li- 
kör sehr  spät  ein,  und  am  Morgen  erhob  sich  Madame  als  gute 
Hausfrau  zuerst  und  überließ  ihren  Gatten  der  Ruhe,  deren  er 
bedurfte. 


Die  Chronique  Scandaleuse  4.9 


Um  zehn  Uhr  jedoch,  da  er  sich  nicht  erhebt,  geht  sie  ihn  zu 
wecken;  aber  wie  groß  ist  ihr  Erstaunen!  Sie  erblickt  einen  großen 
schwarzen  Kater!  Er  ist  tot.  Sie  stößt  verzweifelte  Schreie  aus. 
Niemand  antwortet.  Sie  umarmt  den  Kater,  und  in  der  ersten 
Wallung  des  Schmerzes  spricht  sie  zu  ihm  so:  „Soll  ich  denn 
den  besten  aller  Gatten  verloren  haben  dafür,  daß  ich  ihm  nur 
zweimal  untreu  war.  O,  verfluchter  Advokat!  Ich  wollte  nicht! 
Ihr  habt  mich  verführt  ...  O,  zu  gefährlicher  Offizier!  Mit 
Eurer  Heldenstirn,  Euren  Raufereien,  Euren  Schmeicheleien, 
Euren  Schwüren  und  Tränen !  Ihr  wißt,  wie  sehr  ich  mich  ge- 
wehrt habe  . . .  Ihr  habt  mir  den  Kopf  verdreht,  Ihr  habt  einen 
Augenblick  der  Schwäche  ausgenutzt,  um  . . .  O,  mein  armer 
Mann !  Du  bist  tot !  Wer  hätte  wissen  können,  daß  dies  die  letzte 
Nacht  war,  die  ich  mit  dir  zubringen  sollte!  0,  Jammer,  und 
welcher  Abschied!  Die  Erinnerung  daran  erhöht  nur  meine 
Schmerzen!. . ." 

Schließlich,  da  diese  ganz  außer  sich  geratene  Dame  so  ihre 
Verzweiflung  austobt,  kriecht  der  Gatte  unter  dem  Bett  hervor : 
„Ah,  Madame,  ich  bin  also  Euer  teurer,  Euer  armer  Gatte!  — 
Und  der  Advokat!  — -  Und  der  Leutnant!  —  Zwei  haben  Sie 
also  nötig  gehabt ?  ..." 

Die  so  genarrte  Frau  hat  all  ihr  Unrecht  eingestanden  und 
gelobt,  von  nun  an  die  Treue  zu  wahren.  Man  sagt  jedoch,  daß 
diese  Ehe  noch  immer  ein  wenig  gestört  ist.  Das  Abenteuer 
hat  viel  von  sich  reden  gemacht. 

Unnötig  zu  sagen,  daß  der  Ehemann  einen  Kater  hatte  töten 
lassen,  um  ihn  an  seinen  eigenen  Platz  zu  legen.  Vielleicht  hatte 
er  auch  die  Reise  nach  Straßburg  nur  vorgetäuscht,  um  zu  ent- 
decken, was  er  nun  ohne  Zweifel  lieber  nicht  wissen  möchte, 
denn  er  scheint  nicht  zu  denen  zu  gehören,  die  da  sagen: 

„Weiß  man  es  nicht,  so  ist  es  nichts, 
Wenn  man  es  weiß,  so  ist  es  wenig." 


50  Die  Chronique  Scandaleuse 

Herr  Boncourt  hat  eine  hübsche  Frau,  die  das  Vergnügen 
und  damit  das  Verschwenden  ungeheuer  liebt.  Da  sie  nicht  weiß, 
wie  sie  zu  Geld  gelangen  soll,  das  ihr  der  geizige  Gatte  ver- 
weigert, hat  sie  eine  Intrigantin  ins  Vertrauen  gezogen.  Diese 
Frau  hat  sich  bei  dem  Krösus  als  eine  Dame  von  Stand  ein- 
geführt, die  eine  gewisse  Summe  brauche,  um  einen  Prozeß  fort- 
zuführen, in  dem  ihr  Vermögen  involviert  ist.  Die  Dame  hat 
Titel  angegeben,  um  diesen  Borg  möglich  zu  machen,  und  er  ist 
ihr  unter  sehr  hohen  Bedingungen  von  dem  Finanzier  gewährt 
worden.  Der  Zahlungstermin  rückt  heran,  der  Vorhang  erhebt 
sich  über  dem  Abenteuer :  Der  reiche  Mann  findet  in  der  Schuld- 
nerin an  Stelle  der  wohlbegüterten,  prozeßführenden  Dame  seine 
liebe  Frau,  die  ihn  auslacht.  Herr  Boncourt  hatte  Diamanten  als 
Sicherheit  genommen.  Seine  geschickte  Frau  hatte  sie  sich  bei 
einem  Juwelier  verschafft,  dem  sie  die  ihrigen  unter  dem  Vor- 
wand einer  Reparatur  gegeben  hatte. 

„Monsieur,"  hat  Madame  Boncourt  zu  ihrem  Mann  gesagt, 
als  er  ihr  seine  Unzufriedenheit  ausdrückte,  „ist  es  nicht  mehr 
wert,  Ihnen  diesen  kleinen  Streich  gespielt,  als  einen  anderen 
Gläubiger  zu  haben  ?  Welche  Summe  auch  immer  gefordert  wor- 
den wäre,  ich  hätte  nicht  meine  Diamanten  zum  Pfand  gegeben, 
—  geben  Sie  mir  zurück,  was  Sie  empfangen  haben."  — 

„Der  Teufel,  Madame,  machen  Sie  mich  zum  Hahnrei,  doch 
bestehlen  Sie  mich  nicht!" 

Man  sagt,  die  kleine  Dame  habe  von  dem  Rat  ihres  Mannes 
profitiert  und  sei  nicht  weniger  gewandt  gewesen,  sich  die 
Taler  ihrer  Herrn  anzueignen. 

# 

Beim  Opernball  hat  sich  eine  Szene  ereignet,  die  der  Markt- 
halle würdig  gewesen  wäre,  doch  hatte  sie  fröhlicheren  Ausgang. 

Zwei  Kurtisanen,  Rosalie  und  Sainte-Marie,  haben  sich  ver- 
uneinigt. Schimpfworte  oder  harte  Wahrheiten,  was  unter  diesen 
beiden  Damen  dasselbe  bedeutet,  sind  gewechselt  worden. 


Die  Chronique  Scandaleuse  51 

Rosalie  hat  ihrer  Gegnerin  das  Schlachtfeld  räumen  müssen; 
sie  zog  sich  ohnmächtig  vor  Wut  zurück  und  schwor  Rache.  Am 
nächsten  Morgen  findet  sich  ein  junger  Mann  bei  Sainte-Marie, 
die  noch  im  Bett  liegt,  ein;  die  Kammerfrau  verwehrt  ihm  ein- 
zutreten; er  besteht  darauf,  und  endlich  dringt  er  in  das  Zim- 
mer, in  dem  die  Schöne  in  Morpheus'  Armen  ruht.  Darauf  ver- 
riegelt er  die  Tür,  öffnet  geräuschvoll  die  Fensterladen  und  gibt 
sich  zu  erkennen.  Rosalie  selbst  war  es,  die  sich  ihr  gutes  Recht 
bei  der  Feindin  holen  will.  Sie  bringt  zwei  Pistolen  zum  Vor- 
schein und  reicht  sie  Sainte-Marie,  die  noch  ganz  verschlafen 
im  Hemd  aus  dem  Bett  springt  und  Rosalie,  um  Gnade  bittend, 
zu  Füßen  fällt. 

Diese  bietet  Stoßwaffen,  die  ebenso  zurückgewiesen  werden, 
und  Rosalie  zieht,  nachdem  sie  ihre  Rivalin  mit  Schmähungen  ge- 
demütigt hat,  aus  ihrem  Überrock  eine  Handvoll  Ruten,  zwingt 
Sainte-Marie,  sich  selbst  das  Hemd  zu  heben,  verhaut  sie  bis  aufs 
Blut  und  zieht  sich,  befriedigt,  Rache  geübt  zu  haben,  zurück. 

# 

Unter  der  Zahl  unserer  Freudenmädchen  finden  sich  unter 
anderen  auch  zwei  sehr  schöne  und  sehr  unverschämte,  die  man 
auf  sehr  lustige  Art  zum  Narren  gehalten  hat. 

Man  hat  ihnen  eingeredet,  der  Großherr  habe  einen  Bevoll- 
mächtigten geschickt,  Damen  für  den  Serail  anzuwerben,  und 
daß  sie  sich  in  die  Listen  einschreiben  sollten.  Ein  bedeutendes 
Vermögen  würde  nach  Ablauf  der  dreijährigen  Dienstzeit  aus- 
gezahlt werden.  Die  beiden  Schönen  —  Dumoulin  und  Viri- 
ville  —  waren  pünktlichst  beim  Stelldichein,  das  man  ihnen, 
um  den  Schein  zu  wahren,  angegeben  hatte.  Husson  und  Du- 
gazon,  die  beiden  berühmtesten  Witzbolde  der  Hauptstadt,  tra- 
fen sie  dort,  der  eine  als  Bostangi,  der  andere  als  ,Probierer'  Seiner 
Hoheit.  Man  kann  sich  denken,  daß  eine  ganze  Menge  zweiter 
,Probierer'  dabei  nicht  fehlte.  Nachdem  man  alle  nötigen  For- 
malitäten erledigt  hat,  werden  die  beiden  Damen  verabschiedet, 


52  Die  Chronique  Scandaleuse 

nicht  ohne  daß  zuvor  ihre  Eigenliebe  und  Geldgier  duich  far- 
benprächtiges Ausmalen  einer  glänzenden  Zukunft  aufs  höchste 
gereizt  worden  sind.  Am  Tag  darauf  erst,  beim  Morgenspazier- 
gang im  Palais-Royal,  werden  sie  von  Horden  ihrer  Freundinnen 
und  all  den  jungen  Leuten,  die  man  eingeweiht  hatte,  über  den 
Betrug  aufgeklärt. 

Der  Marquis  von  L.,  der  von  den  Reizen  Mlle  Fermels  sehr 
eingenommen  ist,  begibt  sich  eines  Tages  zu  ihr  und  bittet  sie 
ohne  viel  Umschweife,  ihm  eine  Nacht  zu  gewähren.  Man  ver- 
steht, daß  Mlle  FermeJ  zu  höflich  ist,  um  einen  so  scharmanten 
jungen  Herrn  zurückzuweisen.  Jedoch  stellt  sie  eine  Bedingung: 
sie  bittet  um  ein  Kollier  gefaßter  Edelsteine  (chatons  =  gefaßte 
Edelsteine  und  chatons  =  junge  Kätzchen.  Anm.  des  Übers.), 
das  sie  benötigt.  Für  einen  Finanzier  wäre  dies  nur  eine  Kleinig- 
keit gewesen;  aber  für  einen  französischen  Marquis,  der  ge- 
wöhnt ist,  mehr  mit  seiner  Person  als  mit  Geld  zu  zahlen,  war 
dies  sehr  viel;  er  zieht  sich  jedoch  mit  sehr  viel  Geist  und 
wenig  Takt  aus  der  Affäre.  „Wie,  mein  Engel,  nichts  als  das  ? 
O,  nichts  ist  gerechter;  aber  im  Moment  ist  es  mir  nicht  mög- 
lich; wenn  es  Ihnen  recht  ist,  will  ich  Ihnen  einen  Schein  dar- 
über ausstellen;  schnell,  ein  wenig  Papier  und  Tinte."  Er  schreibt 
und  man  geht  zu  Bett. 

•  Ins  Hotel  zurückgekehrt,  läßt  der  Marquis  alle  kleinen  Kätz- 
chen des  Quartiers  holen,  verknüpft  sie  untereinander  mit  rosen- 
farbenen  Schleifen  und  formt  so  ein  entzückendes  Katzenkollier. 
Man  legt  sie  in  ein  hübsches,  gazegefüttertes  Körbchen,  das 
außen  mit  blauen  Bändern  geschmückt  ist;  darauf  trägt  man  es 
zu  Mlle  Fermel,  die,  von  der  äußeren  Eleganz  der  Gabe  ent- 
zückt, dem  Überbringer  des  Marquis  Schein  aushändigt. 

„Wie  galant  er  ist",  ruft  sie,  während  sie  die  zahllosen  Schlei- 
fen löst,  die  den  Korb  schließen,  sie  entfernt  die  Gaze,  und  das 
Lächeln  befriedigter  Gier  erstirbt  auf  ihren  Lippen  über  dem 


Die  Chronique  Scandaleuse  53 

Haß  getäuschter  Habsucht;  sie  überhäuft  den  Marquis  mit  gro- 
ben Schimpfreden  und  eilt,  bei  dem  Doyen  der  Marechaux  de 
France,  Klage  zu  erheben. 

,, Steht  es  in  dem  Billett  vermerkt,  woraus  das  Kollier  bestehen 
muß  ?"  fragt  sie  der  alte  Ehrenrichter  mit  schalkhafter  Miene. 

„Aus  chatons,  Monseigneur",  antwortet  die  liebenswürdige 
Nymphe. 

„Mademoiselle,  in  diesem  Fall  hat  der  Marquis  sein  Wort 
gehalten,  und  ich  habe  die  Ehre,  mich  zu  empfehlen." 

# 

Adeline  Colombe,  eine  italienische  Schauspielerin,  die  Car- 
lines halber  von  dem  Herzog  von  F.  verlassen  worden  ist,  fiel 
in  die  Hände  eines  Maitre  des  requetes,  den  seine  Bordellaben- 
teuer schon  berühmt  gemacht  haben.  I**  (so  lautet  sein  Name) 
wünscht  zwei  Mätressen,  und  Adeline  zwei  Freunde  zu  haben 
(dies  der  Fachausdruck). 

Eines  Tages  zerbricht  I**  in  einem  Anfall  von  Eifersucht  alle 
Spiegel  in  Colombes  Wohnung.  Colombe  geht  darauf  kaltblütig 
zu  I**  und  zerschlägt  die  seinen,  und  beim  Weggehen  schreibt 
sie  auf  eine  Karte: 

„Le  beau  cristal  que  j'ai  rompu 
T'a  montre  bien  souvent  un  cul." 

Am  nächsten  Morgen  präsentiert  ihr  I**  eine  Rechnung  über 

2000  Taler. 

# 

Ein  den  Ausschweifungen  sehr  ergebener  Abbe,  steter  Begleiter 
des  Marquis  von  ***  bei  dessen  Eskapaden,  beschloß  eines  Tages 
auf  Kosten  vierer  Frauenzimmer,  die  zu  der  Gefolgschaft  der 
Gourdan  gehörten11,  und  der  er  Übles  wollte,  zu  lachen.  Er 
geht  nach  Vauxhall,  setzt  sich  leicht  mit  einigen  ihm  bekannten 
Roues  besserer  Kreise  ins  Einvernehmen,  um  das  Gerücht  zu 
verbreiten,  der  Marquis  sei  seit  dem  vorigen  Abend  von  seinen 
Gütern  zurückgekehrt   und  befinde   sich   in  Vauxhall;   unsere 


r^  Die  Chronique  Scandaleuse 


Mädchen,  von  dieser  Nachricht  entzückt,  fragen,  ob  er  seine  Frau 
mitgebracht  habe. —„Nein,  sie  ist  dort  geblieben." —„Herrlich." 

Endlich  sagt  der  Abbe  den  vier  Erwählten,  sie  seien  am  wün- 
schenswertesten, und  der  Marquis  habe  ihn  beauftragt,  sie  zum 
Souper  zu  bitten. 

So  war  es  an  den  Tagen  von  Vauxhall,  vor  der  Heirat  des  Mar- 
quis, immer  getrieben  worden. 

„Nach  Vauxhall",  sagt  er  ihnen,  „werden  Sie  also  Ihre  Wagen 
nehmen  und  sich,  Sie  wissen  wohin,  begeben." 

Die  Urbain,  die  kleine  Beze,  Chouchou,  alle  Dirnen  gleichen 
Wesens,  lassen  sich  nicht  lange  bitten:  sie  steigen  ein  und:  „Vor- 
wärts, Kutscher!" 

Im  Trab  geht  es  davon;  der  Wagen  hält  vor  dem  Hotel  des 
Marquis  von  N**,  die  Diener  klopfen:  man  öffnet.  Die  Frauen 
fragen  den  Schweizer  alle  zugleich :  „Ist  der  Marquis  zu  Haus  ?" 
—  „Gewiß,  meine  Damen."  An  derartige  Besucherinnen  wenig 
gewöhnt,  hält  er  sie  für  Damen  von  Rang,  die  zum  Souper  ge- 
beten sind.  In  wilder  Hast  eilen  sie  hinauf,  durchqueren  die 
Gemächer  und  singen  mit  lauter  Stimme:  „De  l'amour  tout 
subit  le  loi",  und  im  Salon  angekommen,  rufen  sie:  „Marquis!" 
indem  sie  der  Tür  einen  heftigen  Fußtritt  versetzen ;  diese  gibt 
nach,  und  eine  sehr  zahlreiche,  sehr  vornehme  Gesellschaft  er- 
blickt die  Gruppe  der  vier  Damen,  die  im  Bewußtsein  ihrer 
Rolle  ein  klägliches  Bild  bieten. 

„Wir  bitten  tausendmal  um  Verzeihung,  Messieurs,  Mes- 
dames"  und  mit  erstickter  Stimme:  „Wir  glaubten  uns  beim 
Marquis  von  B*\" 

Die  Marquise  von  N**  wußte  nicht,  „mit  welcher  Sauce  den 
Fisch  essen",  wie  das  Sprichwort  lautet,  weil  es  ihrem  Gatten 
einfiel,  die  Damen  mit  Respektsbezeugungen  zu  überhäufen, 
um  sich  noch  mehr  an  ihrer  Verlegenheit  zu  belustigen.  End- 
lich entschließen  sie  sich,  sich  zu  verabschieden,  und  kehren 
eine  jede  nach  Haus  zurück,  mit  hungrigem  Magen  und  dem 


Die  Chronique  Scandaleuse  55 


Weinen  nahe.  Man  lachte  viel  über  dies  Abenteuer,  das  schon 
am  nächsten  Morgen  allgemein  bekannt  war.  Der  Abbe  jedoch 
wagt  nicht  mehr  nach  Vauxhall  zurückzukehren,  da  die  vier 
Mädchen  drohen,  ihm  die  Augen  auszukratzen. 

# 

Eines  Tages  kommt  eine  Dame  zu  Mlle  Berbier,  Modistin  der 
Königin,  mehrere  Hüte  bei  ihr  zu  bestellen,  die  nach  der  Pro- 
vinz geschickt  werden  sollen. 

Die  Inhaberin,  die  in  einer  eleganten  Corsage  auf  der  Chaise- 
longue liegt,  geruht  kaum  die  Dame  durch  eine  sehr  flüchtige 
Neigung  des  Kopfes  zu  grüßen.  Sie  klingelt.  Eine  reizende  Nym- 
phe, namens  Adelaide,  erscheint.  „Zeigen  Sie  Madame  Hüte 
vom  vergangenen  Monat."  Die  Dame  hält  ihr  vor,  daß  sie  die 
neuesten  zu  sehen  wünscht. 

„Das  ist  nicht  möglich,  Madame",  antwortet  die  Modistin,  „als 
ich  das  letztemal  für  die  Königin  lieferte,  haben  wir  festgesetzt, 
daß  die  modernsten  nicht  vor  acht  Tagen  erscheinen  werden." 

Seit  dieser  Zeit  nennt  man  die  Mlle  Bertier  nur  noch  den 

„Minister  der  Moden". 

# 

Ein  Schöngeist,  der  Herr  Palissot12,  dessen  lebhafte  Spottsucht 
seine  Talente  überwiegt,  hatte  gegen  den  Abbe  de  Voisenon  eine 
Satire  voller  Haß  gerichtet.  Bevor  er  sie  zur  Presse  gab,  wünschte 
er  sich  zu  vergewissern,  wie  der  Abbe  selbst  sie  aufnehmen  würde, 
um  sich  über  den  Eindruck,  den  sie  auf  ihn  machen  würde,  klar 
zu  werden. 

Er  geht  eines  Tages  zum  Abbe  und  sagt  zu  ihm  in  heuch- 
lerischem und  spielerischem  Ton,  daß  es  doch  in  der  Welt  viel 
schlechte  Menschen  gäbe,  und  daß  ihm  eine  ungeheuerliche  Sa- 
tire in  die  Hände  gefallen  sei,  deren  Autor  er  nicht  kenne,  und 
daß,  obgleich  man  keinen  Namen  genannt,  sich  Züge  darin 
fänden,  die  direkt  auf  den  Abbe  hinzuzielen  schienen. 

„Ich  werde  Ihnen  noch  mehr  sagen",  fährt  er  fort;  „da  man 


5 6  Die  Chronique  Scandaleuse 


sich  zweifellos  unserer  Verbindungen  nicht  bewußt  ist,  hat  man 
sie  mir  vor  der  Drucklegung  meiner  Kritik  vorlegen  wollen." 
Ohne  sich  weiter  bitten  zu  lassen,  zieht  der  Spötter  das  Schrift- 
stück aus  seiner  Tasche  und  liest  ohne  jede  Scheu  die  Verse  vor, 
in  denen  der  Abbe  nicht  besser  wegkommt  als  seine  Intelligenz. 
Keinen  einzigen  Vers  erspart  er  ihm  und  betont  mit  Vergnügen 
alles,  was  besonders  giftig  klingt.  Der  Abbe  de  Voisenon  hört  ihn 
geduldig  bis  zum  Schluß  mit  an.  Darauf  ergreift  er  das  Manu- 
skript, lobt  die  besten  Verse,  kritisiert  einzelne  Redewendungen 
und  sagt  zum  Dichter:  „Wollen  Sie  mir  erlauben,  einige  Kor- 
rekturen zu  machen  ?" 

Der  Dichter  meint,  nun  würde  er  zum  mindesten  das  Manu- 
skript ins  Feuer  werfen;  aber  jener  nähert  sich  seinem  Bureau, 
korrigiert  ein  Dutzend  Verse,  füllt  die  leeren  Stellen  mit  seinem 
Namen  aus,  reicht  die  Satire  dem  Autor,  der  keinen  Augenblick 
vermutet,  daß  er  erkannt  sei,  mit  demselben  Phlegma  zurück 
und  sagt :  „Jetzt,  lieber  Freund,  können  Sie  die  Arbeit  drucken 
lassen,  meine  ich;  es  waren  da  einige  kleine  Mängel,  die  der 
Arbeit  geschadet  hätten;  sie  ist  voller  Geist  und  Schärfe,  und 
ich  glaube,  daß  sie  vom  Publikum  günstig  aufgenommen  werden 
wird."  Der  Dichter  war  von  dieser  Kaltblütigkeit  derart  über- 
rascht, daß  er  seine  Epistel  zerriß,  sie  verbrannte,  den  Abbe  um- 
armte und  ihm  schwur,  daß  er  auf  immer  vom  Gelüst,  Satiren 
zu  schreiben,  geheilt  sei.  Man  weiß,  wie  er  seitdem  Wort  ge- 
halten hat. 

# 

Vor  einiger  Zeit  hat  man  die  Verfügungen,  Freudenmäd- 
chen betreffend,  erneuert,  und  die  eiserne  Strenge,  mit  der 
sie  im  Anfang  durchgeführt  wurden,  hatte  einige  Erregung  ver- 
ursacht. 

Selbst  auf  den  Straßen,  auf  den  Brücken  und  Serails  dieser 
Stadt  hielt  man  diese  Unglücklichen  an;  man  trieb  sogar  die 
Barbarei  soweit,  sie  am  Ausgang  der  Boulevardtheater  nach  der 


Die  Chronique  Scandaleuse  57 

Vorstellung  ohne  Unterschied  zu  verhaften.  Man  führte  sie  zum 
Kommissar  des  Viertels,  der  ihnen  in  seiner  Anwesenheit  den 
Kopf  scheren  ließ,  und  von  da  aus  brachte  man  sie  ins  Hospital 
La  Salpetriere.  Man  respektierte  nur  solche,  die  vermögend  ge- 
nug waren,  um  wenigstens  den  monatlichen  Mietswagen  zu  be- 
sitzen. 

Bezugnehmend  darauf  erzählt  man  eine  ziemlich  amüsante 
Anekdote,  die  der  Marquise  von  S**  zugestoßen  ist,  welche 
auf  dem  Boulevard  du  Temple  wohnt,  und  deren  Haus  eines 
der  beliebtesten  Treffpunkte  der  Amateure  ist. 

Diese  Dame,  die  ehemals  Mademoiselle  M**  war,  Tochter  eines 
Limonadenverkäufers,  dann  Tänzerin,  dann  ausgehaltene  Ge- 
liebte, dann  Autor  und  endlich  Marquise,  maßt  sich  an,  die  Ehre 
ihres  Korps  zu  rächen.  Zu  diesem  Zweck  hat  sie  ihrem  Lakaien 
verboten,  ihr  zu  folgen,  und  ihm  geraten,  sich  in  ziemlicher  Ent- 
fernung zu  halten,  damit  sie  zu  einem  Irrtum  veranlassen  könne, 
als  sie  eines  Abends,  angetan  mit  der  ganzen  Eleganz  dieser 
Damen,  auf  dem  Boulevard  spazierengeht.  Was  sie  wünscht, 
tritt  ein,  und  die  Marquise  wird  zum  Kommissar  geführt  und 
ist  bereit,  geschoren  zu  werden.  Man  befragt  sie:  „Vorwärts," 
sagt  der  schwarze  Mann,  der  vom  Tisch  aufsteht,  „deinen  Na- 
men, deine  Wohnung,  und  schnell."  Die  Marquise  mit  Geist : 
„Ah,  Herr  Kommissar,  Sie  sind  recht  hart  mit  mir  Armen!" 
„Du  machst  Witze,  glaube  ich."  „Nein,  Herr  Kommissar,  aber 
meinen  Namen!  Entbinden  Sie  mich  davon!"  „Was,  ich  soll 
dich  davon  befreien  ?  Ich  glauoe  gar,  sie  macht  sich  lustig  über 
mich!  Schnell,  schert  das  Frauenzimmer." 

Man  schickt  sich  an,  den  Befehl  auszuführen,  doch  die  Mar- 
quise gibt  sich  zu  erkennen  und  beendet  diese  Szene,  indem  sie 
dem  Subalternbeamten  empfiehlt,  in  der  Ausübung  seines  Amtes 
künftig  mehr  Umsicht,  Scharfsinn  und  Nachsicht  walten  zu 
lassen.  Gott  allein  weiß,  ob  der  Rat  gewirkt  hat. 


c8  Die  Chronique  Scandaleuse 

Die  Frau  des  Akademikers  Marmontel  hat  ihr  erstes  Kind  tot 
zur  Welt  gebracht.  Die  schlimmen  Spötter  bemerkten  darauf, 
daß  dieser  Autor  nichts  machen  könne,  das  lebensfähig  sei.13 

* 

Die  Montensier,  derzeit  Leiterin  der  Comedie  in  Versailles, 
hat  sich  einer  Anzahl  Vergehen  schuldig  gemacht;  ein  Befehl 
des  Königs  hat  sie  ins  Gefängnis  gesperrt;  das  erste,  was  sie 
geäußert  hat,  als  man  sie  eingeschlossen  hatte,  war :  „Werde  ich 
keinerlei  Gesellschaft  haben  und  befiehlt  der  König  tatsächlich, 
daß  ich  ganz  allein  schlafe  ?" 

Der  König  hat  als  Erster  über  diese  dreisten  Worte  gelacht, 
ebenso  die  Minister;  man  hat  aber  gemeint,  die  königliche  Würde 
wahren  zu  müssen,  in  dem  man  die  lübrike  Komödiantin  noch 
einige  Tage  zurückhielt;  sie  ist  jedoch  begnadigt  worden  und 
hat  ihren  Platz  als  Direktrice  zurückerhalten. 

* 

Ein  ausländischer  Gesandter  hielt  hier  ein  entzückendes  Mäd- 
chen aus,  die  mit  den  Reizen  der  Schönheit  alle  persönlichen 
Qualitäten  vereinigte.  Der  Gesandte  war  sehr  reich  und  sehr 
verliebt,  und  gegen  jede  Gewohnheit  mißtraute  diese  Nymphe 
weder  seiner  Liebe  noch  seinem  Reichtum,  Er  war  auch  nie 
glücklicher  als  in  den  Momenten,  die  er  mit  ihr  verbrachte.  In 
einer  schönen  Sommernacht  glänzten  am  Himmel  die  Gestirne, 
und  besonders  Venus  stellte  all  die  anderen  durch  ihren  Glanz 
in  den  Schatten. 

„O,  mein  Gott,"  sagt  die  Nymphe,  „wie  leuchtet  dieser 
Stern!  Kein  Diamant  kann  sich  mit  seinem  Glänze  messen."  — 
„O,  meine  teure  Freundin,"  antwortet  der  Gesandte,  „ich 
bitte  Sie  zu  Gnaden,  rühmen  Sie  nicht  zu  sehr  diesen  Stern,  ihn 

kann  ich  Ihnen  nicht  geben." 

# 

Der  Abbe  P**  begab  sich  nach  der  Besitzung  eines  seiner 
Freunde  im  Limousinischen.  Als  er  in  einen  Wald  kommt,  hört 


Die  Chronique  Scandaleuse  59 


er  sich  von  einem  Reiter,  der  hinter  ihm  galoppierte,  also  be- 
grüßt: „Guten  Tag,  Mitbruder!" 

Er  wendet  sich  um  und  erblickt  einen  jungen,  wohlgeklei- 
deten  und  gutberittenen  Geistlichen,  mit  dem  er  bis  zu  sinken- 
der Nacht  die  Reise  in  angenehmster  Weise  fortsetzt.  Dieser 
vereinigte  mit  dem  liebenswürdigsten  Ton  der  guten  Gesell- 
schaft oberflächliche,  aber  unerschöpfliche  Kenntnisse  aller  Art. 
Er  gab  sich  als  einen  Seminaristen  und  Unterdiakonus  aus  L**. 
aus.  Bei  einer  Herberge  angekommen,  beschließen  die  beiden, 
die  schon  aufs  beste  miteinander  stehen,  gemeinsamen  Tisch 
und  Bett  zu  machen. 

Gegen  Ende  des  Mahles  beginnt  der  angebliche  Seminarist 
Verse  aus  der  Pucelle  zu  zitieren. 

„Mein  Bruder,"  sagt  der  gute,  keusche  Abbe  P**,  „sind  alle 
Abbes  aus  Limousin  so  fröhlich  wie  Ihr  ?  Ihr  scheint  mir  recht 
lustig,  um  nichts  Schlimmeres  zu  sagen!"  Der  vermeintliche 
Abbe  erhebt  sich  bei  dieser  Anrede  in  großem  Zorn.  „Sprich 
doch,  beschnittener  Jude,"  ruft  er  aus,  „glaubst  du  denn,  ich 
sei  ein  päderastischer  Pfaffe  ?"  Und  im  gleichen  Moment  lösen 
seine  Hände  halb  eine  kurze  Jacke  und  lassen  flüchtig  die  ver- 
führerischsten Anzeichen  eines  Geschlechts  sehen,  das  sein  Ge- 
fährte weit  entfernt  war,  zu  vermuten. 

Der  Abbe  behauptet,  er  hätte  sich  nur  mit  den  Augen  von 
der  Wahrheit  seiner  Entdeckung  überzeugt.  Er  ist  bewunderungs- 
würdig, wenn  er  mit  Unschuldsmiene  erzählt,  wie  er  die  Hand 
der  Schönen  ergriff,  die,  verwirrt  und  bewegt  von  ihrem  un- 
besonnenen Streich,  zu  weinen  begann,  und  daß  er  fraglos  das 
Opfer  seines  Entzückens  geworden  wäre,  wenn  er  nicht  be- 
schlossen hätte,  hinunterzugehen,  ein  besonderes  Zimmer  zu 
bestellen  und,  wenn  auch  nicht  ohne  Kampf  und  Bedauern,  ab- 
zureisen, bevor  noch  die  unbekannte  Schöne  erwacht  war.  Hier 
sei  übrigens  erzählt,  worum  es  sich  handelte. 

Fräulein  von  B**,  dies  ist  der  Mädchenname  des  angeblichen 


60  Die  Chronique  Scandaleuse 

Abbe,  wurde  1757  zu  A**  geboren.  Von  der  Natur  wurde  sie  mit 
allen  Talenten  begabt,  die  eine  ausgezeichnete  Erziehung  später 
entwickelt  hat.  Die  Tugend,  die  den  anderen  Tugenden  der  Frau 
ihren  Glanz  verleiht,  gesteht  sie,  dem  Namen  nach  gekannt  zu 
haben,  ohne  doch  daran  zu  glauben.  Junge  Bewohner  von  Berri- 
chons  bocen  sich,  von  ihrem  wollüstigen  Aussehen  verführt,  da- 
zu an,  sie  in  die  Lehre  zu  nehmen ;  die  Schülerin  gereichte  ihnen 
zur  Ehre,  denn,  nachdem  sie  alle  ihr  geliehenen  Romane  ver- 
schlungen hatte,  ließ  sie  sich  entführen  und  nach  Paris  bringen, 
um  dort  den  ihren  zu  erleben.  Die  Hauptstadt  vervollkommnete 
ihre  schönen  Anlagen.  Sie  wurde  nacheinander  Komtesse,  Ba- 
ronin, Marquise  usw.  Schließlich  verflog  alles  eines  Tages,  nach- 
dem sie  einem  Seigneur,  der  für  ihre  Ausgaben  sorgte,  einen 
lärmenden  Treubruch  angetan  hatte. 

Die  Prinzessin  wurde,  um  diesen  Titel  zu  behalten,  genötigt, 
zur  Bühne  zu  gehen.  Unglücklicherweise  hatte  die  Debütantin 
neben  ihren  erstaunlichen  Talenten  für  die  Kulissen  gar  keine 
für  die  Szene  selbst. 

Verfolgt  vom  Johlen  und  Pfeifen  der  Pariser  trat  sie  in  eine 
Provinztruppe  ein,  wo  ihr  hübsches  Gesicht  und  ihre  schöne 
Stimme  ihr  großen  Beifall  eintrugen.  Bald  wurde  sie  die  Heldin 
einer  Menge  Abenteuer;  sie  hielt  viele  zum  Narren  und  wurde 
manchmal  selbst  genarrt. 

Vom  Theater  degoutiert,  trat  sie  in  den  Dienst  Plutus'  und 
hatte  die  Kühnheit,  endlich  in  ihr  eigenes  Vaterland  zurückzu- 
kehren. 

Eine  scheinbare  Reform  des  Körpers  und  des  Geistes  bestrick- 
ten Herrn  Du**,  einen  Beamten  des  Hotel  de  la  Monnaie  von 
A**,  und  er  war  töricht  genug,  sie  zu  heiraten. 

Bald  gingen  die  Wasser  wieder  ihren  alten  Lauf,  und  Hymen 
gebot  keineswegs  der  Liebe  halt.  Mme  Du**  erregte  durch  ihre 
Tollheiten  derartiges  Aufsehen,  daß  es  dem  Gatten  ein  leichtes 
wurde,  einen  Haftbefehl  gegen  sie  zu  erlangen. 


Die  Chronique  Scandaleuse  61 

Die  Ungetreue  ahnte  dies  und  entfloh;  der  Dummkopf  ver- 
folgte sie  an  der  Spitze  einer  Brigade;  bald  war  sie  angehalten 
Ohne  sich  zu  verwirren,  spielte  die  Komödiantin  ihre  Rolle  aufs 
glänzendste,  zeigte  aufrichtigste  Reue,  warf  sich  vor  diesem 
Narren  auf  die  Knie  und  wußte  sein  Herz  derart  zu  rühren,  daß 
er  sie  in  Gegenwart  der  Häscher  heiß  in  die  Arme  schloß.  Dieses 
hatte  seine  Frau  gewollt.  „Um  meine  Rückkehr  zur  Tugend  zu 
verkündigen,  wünsche  ich  an  diesem  Orte  selbst  ein  Fest  zu  ver- 
anstalten", sagte  sie,  „und  ich  verpflichte  mich,  die  Kosten  zu 
tragen."  Das  opulenteste  Souper  wurde  bestellt,  und  der  von 
ihren  Händen  geschickl  verschwendete  Wein  tat  seinen  Zweck. 
Ihr  Mann,  die  Gendarmen,  der  Wirt  und  die  Wirtin,  alle  bis 
zur  Herbergsdienerin  lagen  in  tiefstem  Schlaf. 

Den  Moment  geschickt  benützend,  stiehlt  sich  die  reuige  Sün- 
derin hinaus,  besteigt  ein  Pferd  der  Brigade,  reitet  zwanzig  Mei- 
len und  läßt  ihre  Kleider,  die  sie  verraten  können,  zurück;  ihre 
fürstlichen  und  ehelichen  Titel  sind  nicht  mehr;  sie  wird  nun 
eine  kleine  Schäferin. 

Es  ist  erwiesen,  daß  sie  tatsächlich  sechs  Wochen  lang  die 
Hammel  eines  limousinischen  Bauern  gehütet  hat,  daß  sie  dank 
ihrer  Geschicklichkeit,  sich  allen  Situationen  anzupassen  .und 
alle  Rollen  zu  spielen,  die  Gunst  der  guten  Dorfbewohner  ge- 
wann ;  ihre  weißen  Hände  kneteten  ihr  hartes  Brot ;  sie  lernte  es, 
ihren  Kindern  vorzulesen,  und  lieh  den  langen  Abenden  Reiz,  in- 
dem sie  lustige  Geschichten  erzählte,  die  sie  für  sie  zurechtstutzte. 

Indessen  machte  Herr  Du**,  ihr  wenig  begüterter  Gatte  (so  sagt 
man),  einen  Fehler  in  seinem  Amt ;  ungeschickt,  wie  er  war,  wurde 
er  überführt,  und  wenig  protegiert,  wurde  er  mit  der  ganzen 
Strenge  des  Gesetzes,  bestraft.  Nach  Paris  gebracht,  wo  er  sein 
endgültiges  Urteil  empfangen  sollte,  sollte  er  gehangen  werden. 

Seine  barmherzige  Frau  war  nicht  die  letzte,  die  diese  Nach- 
richt empfing;  sie  hätte  bedauert,  daß  ihr  Gatte  seinen  letzten 
Atemzug  getan  hätte,  ohne  diesem  Schauspiel  beizuwohnen. 


62  Die  Chronique  Scandaleuse 


Sie  eilt  nach  Paris,  und  von  da  war  sie  zurückgekommen,  als 
der  Abbe  P**  von  ihr  mit  einem  „Guten  Tag,  mein  Bruder" 
begrüßt  wurde.  Man  sagt,  sie  habe  behauptet,  deshalb  das  geist- 
liche Kleid  gewählt  zu  haben,  um  so  die  Ehre  zu  erlangen,  ihrem 
armen  Mann  die  letzte  Beichte  abzunehmen. 

Jetzt  lebt  sie  in  Argenton  mit  der  M . . . ,  beide  als  Schande 
des  einen  Geschlechts,  der  Skandal  des  anderen  und  ewiger 

Gegenstand  des  Stadtklatsches. 

# 

Die  Oper  Bacchus  und  Amor  hat  zu  Anfang  letzten  Jahres  eine 
ihrer  vorzüglichsten  Priesterinnen  verloren :  Mlle  La  Guerre.14 
Aus  der  Hefe  des  Volkes  hervorgegangen,  hatte  diese  berühmte 
Kurtisane  dessen  Neigungen  und  Fehler  in  ihr  aufblühendes  Glück 
hereingetragen.  Sie  fluchte  und  trank  usw.;  was  soll  man  von 
den  Männern  denken,  die  sie  ruiniert,  ausgeplündert,  verfolgt 
hat  ?  Sie  hatte  Talente,  ein  interessantes  Gesicht,  eine  weiche, 
volltönende  Stimme;  sie  hat  einige  Rollen  mit  Erfolg  gespielt, 
wie  die  Eurydice  und  die  Iphigenie. 

Mlle  La  Guerre  hat  ein  einziges  Kind  gehabt.  Sie  war  zu 
sehr  über  menschliche  Schwächen  erhaben,  um  sich  mehr  darum 
zu  kümmern,  als  wie  etwa  um  ihren  Vater  oder  ihre  Mutter: 
der  erste,  der  seinen  eigenen  Namen  über  dem  Spitznamen  seiner 
Tochter  verloren  hatte,  verkaufte  an  den  Straßenecken  Bänkel- 
lieder,  die  andere  bot  auf  den  Promenaden  „Le  plaisir  des  dames" 
feil,  ein  Metier,  in  dem  sie  ebenso  prosperieren  mußte  wie  ihre 
Tochter,  indem  die  sich  dem  „Plaisir  des  hommes"  widmete. 

Das  Schicksal  hat  Mlle  La  Guerre  nach  ihrem  27.  Jahre  einer 
Karriere  entrissen,  die  sie  so  glanzreich  durchlief.  Das  Schicksal 
ihres  unglückseligen  Kindes  ist  ebenso  ungewiß  wie  der  Vater, 
dem  es  seine  bedauernwerte  Existenz  verdankt. 

* 

Ein  Abbe  kam  aus  der  unentgeltlichen  Vorstellung  von  Co- 
riolan;  ein  Mädchen  spricht  ihn  an  und  macht  ihm  den  üblichen 


Die  Chronigue  Scandaleuse  63 


Vorschlag.  Er  verdoppelt  den  Schritt,  sie  wird  hartnäckig  und 
ergreift  seinen  Arm. 

„So  laß  mich  doch",  sagt  er  ärgerlich.  „Wie,  Monsieur,"  er- 
widert sie,  „heute  kommen  Sie  nicht  aus,  heut  ist  der  Tag  für 
die  Armen." 

# 

Frau  von  Mirabeau  liebte  es  außerordentlich,  zu  prozessieren. 
Ihr  Gatte,  der  Verfasser  des  „Ami  des  Hommes",  behandelte 
seine  Untergebenen  auf  seinem  Landgut  in  Limousin  sehr 
schlecht.  Einer  von  ihnen  machte  ihm  folgende  Grabschrift: 

„Ci-git  Mirabeau  le  brutal 
qui  jurait  bien  et  payait  mal." 

Um  die  Manen  ihres  Gatten  zu  rächen,  strengt  die  Witwe 
einen  Prozeß  gegen  den  Autor  der  Grabschrift  an;  er  wird  zu 
einer  Geldstrafe  verurteilt. 

„Ich  werde  zahlen,"  sagte  er,  „aber  am  Morgen  nach  Ihrem 
Tode  werde  ich  auch  Ihre  Grabschrift  machen;  ich  werde  über 
Ihr  Grab  schreiben: 

„Ci-git  aussi  sa  Mirabelle 

qui  ne  fut  ni  bonne,  ni  belle." 

* 

Man  fragte  Mme  von  Murville  nach  dem  Alter  ihrer  Mutter 
(Mlle  Arnoult).  „Ich  weiß  es  nicht  mehr,"  antwortete  sie, 
„jedes  Jahr  glaubt  sich  meine  Mutter  um  eines  verjüngt;  wenn 
sie  so  fortfährt,  werde  ich  bald  die  ältere  sein." 

# 

Ein  junger  Gardeoffizier,  der  in  der  Gesellschaft  debütierte, 
toll  verliebt  in  die  Mlle  Granville,  eine  berühmte  und  reiche 
Kurtisane,  hatte  ein  seltsames  Mittel  entdeckt,  um  die  Gunst 
dieser  Schönen  unentgeltlich  zu  genießen. 

Da  er  die  englische  Sprache  gut  genug  beherrschte,  um  sich 
nicht  zu  blamieren,  mietete  er  eine  der  elegantesten  Equipagen 
und  folgte  der  Nymphe  unter  dem  Namen  eines  Mylord  Drakes 


64  Die  Chronique  Scandaleuse 

nach  der  Oper.  Nach  Schluß  der  Vorstellung  bemühte  er  sich  in 
auffälliger  Weise,  ihr  zu  ihrem  Wagen  zu  verhelfen,  und  bestieg 
vor  ihr,  nach  erfolgter  Erlaubnis,  ihr  seine  Aufwartung  zu  ma- 
chen, seine  sehr  elegante  Equipage.  Die  Sirene  oder  die  Harpyie, 
wenn  man  will,  denn  sie  vereinigte  beides,  vermutete  keinen 
Augenblick  den  wahren  Rang  dieses  Herrn,  der  seine  Rolle  aus- 
gezeichnet spielte. 

Am  nächsten  Morgen  präsentiert  sich  Mylord:  im  englischen 
Frack,  mit  einer  Jockeymütze,  Reitstiefeln,  in  der  Hand  eine 
kleine  Peitsche. 

Da  seine  Erscheinung  zu  Hoffnungen  berechtigt,  wird  er  emp- 
fangen und  beglückt.  Man  bespricht  für  denselben  Abend  ein 
Souper  und  eine  sechsmonatliche  Verlängerung  dieser  süßen 
Trunkenheit  in  Paris,  da  die  Dame  diese  Liaison  für  das  größte 
Glück  ihres  Lebens  hält.  Er  ladet  sie  also  zu  einem  glänzen- 
den Souper  ein,  das  er  seinen  Landsleuten  in  seinem  Hotel  in 
der  Rue  Colombier  gibt,  wo  er  wohnt,  und  verläßt  sie.  Damen 
ihrer  Art  lieben  solche  Ausländersoupers  (dies  ist  der  Terminus 
technicus)  bis  zur  Tollheit,  weil  sie  wissen,  daß  sie  Gelegenheit 
bieten,  zwei  Fliegen  mit  einer  Klappe  zu  schlagen,  das  heißt, 
wenn  man  einen  Mißerfolg  hat,  sich  wo  anders  festklammern 
und  mit  vollen  Händen  nehmen  kann.  Sie  ist  ganz  geschwollen 
bei  diesem  Gedanken,  spricht  während  des  ganzen  Tages  von 
nichts  als  diesem  Souper,  und  nichts  fehlt,  um  sie  elegant  und 
geschmückt  erscheinen  zu  lassen. 

Die  Stunde  schlägt,  sie  verlangt  nach  ihrem  Wagen,  fährt  fort 
und  kommt  an.  Aber  welche  Überraschung!  Da  ist  kein  Mylord 
Drakes  im  Hotel  (garnü).  Niemand  dieses  Namens  hat  je  dort 
gewohnt;  kein  vorbereitetes  Souper;  niemand,  den  man  er- 
wartet. Sie  versteht,  daß  sie  von  Mylord  betrogen  worden  ist. 
Man  erzählt,  daß  sie,  selbst  sehr  erfahren  und  solchen  Scherzen 
nicht  abhold,  diesen  Streich  sowie  den  Akteur  so  unterhaltend  ge- 
funden habe,  sich  dann  selbst  um  ihn  bemüht  hätte,  und  schließ- 


Die  Chronique  Scandaleuse 65 


lieh,  als  sich  Lord  Drakes  als  armer,  aber  schöner  junger  Garde- 
offizier entpuppte,  der  den  Witz  eines  Engels  besaß,  nahm  sie  ihn 
als  zweiten  Liebhaber,  mit  jenem  anderen,  der  vor  einigen  Jahren 
die  Veranlassung  zum  Bruch  mit  Herrn  von  J**  und  ihrem  Sich- 
zurückziehen nach  Sainte  Pelagie  war,  nachdem  sie  ihm  Briefe 
erpreßt  hatte,  die  zurückzugeben  sie  sich  immer  weigerte. 

* 

Die  berühmte  Kurtisane  Longeau16  ist  aus  den  Pariser  B. 
(Boudoirs,  wenn  Sie  wollen)  zum  Theater  in  Bordeaux  überge- 
gangen, wo  eine  majestätische  Erscheinung,  ein  bedeutendes  Ge- 
sicht, ein  kraftvolles  Organ  und  gewisse  Liebenswürdigkeiten  für 
die  entscheidenden  Gottheiten  des  Parketts  ihr  zum  Erfolg  ver- 
holfen  haben.  Ein  Offizier,  der  heftig  begehrte,  die  vielgerühm- 
ten Eigenschaften  dieser  Schönen  kennen  zu  lernen,  bat  sie  in 
einem  sehr  lakonischen  Billet  um  eine  Nacht,  und  schlug  ihr 
fünf  Louis  sowie  fünf  Küsse  vor.  Man  sagt,  Mlle  Longeau  habe 
ihm  seinen  Liebesbrief  mit  folgender  Randbemerkung  retour- 
niert:  „Alles  doppelt  oder  nichts!" 

Der  Offizier  sagt  zu,  gibt  sein  Wort  und  schläft  bei  ihr. 

„D'Armance  etait  Gascon;  les  gens  de  son  pays 

Ont  la  reflexion  tres  preste. 

Pour  ne  pas  demeurer  en  reste 
Les  ecus  bien  sonnants  il  charge  dix  louis 
Sur  un  Aliboron  d'une  encolure  forte, 

Et  le  fait  conduire  ä  la  porte 

De  la  gracieuse  Lais. 
Un  billet  doux,  mais  un  peu  leste, 
Accompagnait  encor  le  robuste  etalon; 

La  belle  l'ouvre  et  lit:  Beaute  Celeste, 

Voici  les  dbc  louis;  si  vous  le  trouvez  bon 
Le  porteur  est  en  bas,  qui  vous  dira  le  reste." 

* 
Eines  Tages  schrieb  der  Präsident  von  S**  einem  Polizei- 
inspektor folgenden  Brief:  „Ich  bitte  Sie,  Monsieur,  gegen  eine 
gewisse  X  vorzugehen,   die   meinem  Jockey  eine  schändliche 


66  Die  Chronique  Scandalense 

Krankheit  übertragen  hat.  Er  ist  ein  charmanter  Bursch,  dessen 
Dienste  mir  sehr  lieb  sind,  und  der  Verlust  seiner  Gesundheit 
kostet  ihn  ein  Jahr  im  Hospital.  Ich  rechne  darauf,  daß  Sie  Ihre 
Pflicht  tun  werden."  Der  Polizeiinspektor,  ein  Mann  von  Geist, 
der  weit  über  seinem  Beruf  steht,  schreibt  folgende  Antwort: 
„Mein  Herr,  wenn  Sie  mir  beweisen  können,  daß  die  gewisse 
X  mit  Vorbedacht  die  Gesundheit  Ihres  charmanten  Jockeys 
geschädigt  hat,  werde  ich  sie  bestrafen  lassen,  wie  es  ihr  gebührt; 
aber  ich  schulde  ihr  keinerlei  Züchtigung,  wenn  der  Jockey  sie 
aus  freien  Stücken  aufgesucht  und  eine  Krankheit  erworben  hat, 
die,  wie  Sie  sehr  gut  wissen,  die  Folge  eines  Handels  und  eines 
Tausches  ist.  Es  gibt  Meere,  die  man  erst  zu  befahren  wagt, 
nachdem  man  sich  entschlossen  hat,  allen  Gefahren  zu  trotzen. 
In  Erwartung  Ihrer  Antwort  werde  ich  mich  um  die  Gesund- 
heit dieser  Unglücklichen  kümmern;  ich  rate  Ihnen,  ein  glei- 
ches mit  Ihrem  Jockey  zu  tun,  vvenn  Sie  wünschen,  daß  seine 
Dienstleistungen  Ihnen  auch  fernerhin  angenehm  sein  sollen. 
Ich  hoffe,  daß  dieser  Brief  Sie  davon  überzeugen  wird,  daß  ich 
es  verstehe,  alle  meine  Pflichten  zu  erfüllen."  Der  Präsident  hat 
sich  das  hinter  die  Ohren  geschrieben,  aber  die  Nymphe  hat  die 
Geschichte  weitererzählt,  und  man  hat  ein  wenig  auf  Kosten 
des  Präsidenten  gelacht. 

Vor  einigen  Jahren  begegnete  Frau  von  Boulainvilliers  auf  dem 
Lande  einem  jungen  Mädchen,  das  weinte;  sie  ist  gerührt,  ruft 
die  Betrübte  zu  sich  und  fragt  sie  aus.  „Madame,  meine  Mutter 
ist  soeben  in  dieser  Hütte  verschieden;  ich  verliere  meine  einzige 
Stütze  und  das  einzige  Wesen,  das  ich  zärtlich  liebte,  ich  bin 
von  der  ganzen  Welt  verlassen ..." 

„Wer  sind  Sie,  mein  schönes  Kind,  wer  war  Ihre  Mutter?" 

„Wir  lebten  im  tiefsten  Elend  vom  Ertrag  unserer  Hände; 

mein  Name  ist  Chivry;  meine  Mutter  sagte  mir  oft,  daß  wir 

von  edler  Herkunft  wären,  und  daß  die  Ungerechtigkeit  des 


Die  Ckronique  Scandaleuse  67 


Schicksals  . . .  Oh!  Madame,  mein  Vater  starb  vor  zwei  Monaten 
im  Armenhaus;  er  hat  meiner  Mutter  einen  Pack  alter  Papiere 
hinterlassen  . . .  ich  werde  sie  holen." 

Frau  von  Boulainvilliers,  die  aufs  äußerste  für  diese  junge 
Person  interessiert  ist,  zeigt  ein  Zartgefühl,  das  keine  beson- 
dere Erwähnung  braucht;  es  genügt,  die  Tatsache  zu  berich- 
ten. Sie  nimmt  MUe  Chivry  mit  sich  und  läßt,  nachdem  sie  je- 
manden mit  dem  Begräbnis  betraut  hat,  die  Papiere  holen;  man 
untersucht  und  bespricht  sie  mit  größter  Sorgfalt. 

Herr  und  Frau  von  Boulainvilliers  tun  alle  nötigen  Schritte, 
um  die  Wahrheit  zu  entdecken :  Mlle  de  Chivry  und  einer  ihrer 
Verwandten,  der  in  der  Marine  dient,  sind  die  letzten  Glieder 
einer  illustren  Familie,  die  in  direkter  Linie  von  Henri  de  Saint- 
Remy,  dem  legitimierten  Bastard  Henri  IL,  Königs  von  Frank- 
reich, abstammte.16 

# 

Ein  junger  Herr  von  Rang,  der  kaum  den  Händen  eines  Er- 
ziehers, der  ihn  in  tugendhafter  Unwissenheit  bewahrte,  ent- 
schlüpft ist,  hat  sich  in  eine  unserer  kühnsten  Abenteuerinnen 
verliebt,  und  er  belagert  diese  Festung  sehr  standhaft  nach  allen 
Regeln  der  Kunst. 

Vielleicht  hätte  er  ebensoviel  Zeit  gebraucht  wie  die  Spanier 
vor  Gibraltar,  wenn  nicht  ein  kleines  Ereignis  seinen  Ernst  ein 
wenig  verwirrt  und  ihm  gezeigt  hätte,  daß  seine  bezauberten 
Augen  ganz  ungeheure  Breschen  übersahen. 

Er  hatte  ganz  einfach  geglaubt,  eine  Soubrette  besiegen  zu 
müssen,  und  da  er  die  äußerste  Vorsicht  anwenden  mußte,  weil 
seine  Eltern  nicht  die  Leute  waren,  eine  schöne  Passion  dieser 
Art  zu  verzeihen,  hatte  er  sich  mit  großen  Unkosten  einen  Ver- 
mittler für  seine  Briefe  und  Geschenke  zu  verschaffen  gewußt. 
Vorläufig  hat  er  nur  das  Glück  genossen,  zu  lorgnettieren  und 
lorgnettiert  zu  werden.  Eine  außerordentliche  Schüchternheit 
hatte  ihn  eine  Anrede,  die  ihn  zittern  machte,  nicht  wagen  las- 

5* 


68  Die  Chronique  Scandaleuu 


sen;  aber  schließlich  begannen  die  Antworten  auf  seine  Briefe 
so  zärtlich  und  so  ermutigend  zu  werden,  daß  er  nach  Schluß 
der  Vorstellung,  kühner  als  sonst  und  stolz  ob  so  viel  Mutes,  in 
dem  Glauben,  erst  jetzt  wirklich  ein  Mann  von  Welt  und  Unter- 
nehmungsgeist zu  sein,  sich  einem  seiner  Diener  eröffnete  und  ihn 
beauftragte,  dieser  Dame  nach  ihrer  Wohnung  zu  folgen,  sie  von 
ihm  zu  grüßen  und  sie  zu  fragen,  wann  sie  ihn  empfangen  wolle. 

Der  Lakai,  ein  schöner  Junge,  der  eben  erst  nach  Paris  ver- 
pflanzt ist,  folgt  ihrer  Spur,  kommt  an,  tritt  ein,  ahnt  nicht,  daß 
er  Schritt  auf  Schritt  von  seinem  Herrn  verfolgt  ist,  dem  das 
Herz  ebensosehr  vor  Furcht  wie  vor  Hoffnung  schlägt.  Jener 
schleicht  sich  ins  Haus,  steigt  die  Treppe  herauf  und  schmiegt 
sich  eng  an  die  Tür,  die  die  Schöne  nach  Eintritt  des  hübschen 
Lakais  hat  schließen  lassen.  Wie  oft  beißt  man  sich  nachher  die 
Finger  blutig,  weil  man  an  fremden  Türen  gelauscht  hat! 

„Madame,  der  Herr  Marquis  beauftragt  mich,  Sie  zu  grüßen 
und  Sie  zu  fragen,  wann  er  zu  Ihnen  kommen  darf  ..."  „Wie  ? 
kommen  ?  und  wann  ?  Wie  heißt  Er,  mein  Freund  ?"  „La  Brie, 
Madame."  „Aber  . . . ,  Julie,  weißt  du  wohl,  daß  La  Brie  einer 
der  hübschesten  Burschen  ist,  die  ich  jemals  gesehen  habe  ?  Diese 
Haare!  Diese  Zähne!  Dieser  Wuchs!  Und  die  Kraft  eines  Tür- 
ken! Und  diese  Haut,  wie  Atlas!  Julie,  dreh  den  Türschlüssel 
um!  Euer  Herr  hat  also  große  Eile?  Aber,  mein  Kind,  die  Dia- 
manten, die  er  mir  gestern  sandte,  sind  gar  so  klein;  ich  habe  ihn 
nicht  zur  Verzweiflung  treiben  wollen  ...  Er  ist  jener  schlanke 
junge  Herr,  nicht  wahr?"  —  „Ja,  Madame."  —  „Oh,  um  zu 
sehen  . . .  schnür  mich  auf,  mein  Lieber;  diese  Julie  verschwindet 
immer,  ich  weiß  nicht  wohin.  Und  dein  Auftrag  ist  also  ein  großes 
Geheimnis?" — „Manhat  mir  strengste  Diskretion  anempfohlen." 
—  „Du  weißt  also  ein  Geheimnis  zu  wahren.  Nun  wohl,  ich  will 
dir  eins  anvertrauen  . . .  Sehr  gut,  weiter  so  . . .  La  Brie  ist  ge- 
schickt . . .  Wie  heiß  es  ist !  ...  Löse  mir  diese  Nadel  . . .  Nein, 
diese  hier  . . .  Stütze  mich  . . .  Aber,  ich  werde  mich  lieber  setzen 


Die  Chronique  Scandaleuse  69 

. . .  Nur  auf  meinem  Ruhebett  ist  mir  wohl  . . .  Wie  schön  du 
gewachsen  bist  . . .  Komm,  wir  sind  allein  . . .  Du  bist  erstaun- 
lich . . .  Der  entzückende  Junge  . . .  Oh,  wie  tüchtig  du  bist!" 
Der  Marquis,  der  nicht  mehr  an  sich  zu  halten  vermag 
(man  kann  schon  früher  die  Geduld  verlieren),  versucht  einzu- 
dringen, aber  die  Tür  widersteht.  Bei  diesem  Lärm  stürzt  Julie 
von  einer  anderen  Seite  herbei,  zieht  ihn  in  ein  getrenntes  Ge- 
mach, befragt  ihn,  antwortet,  und  unterdessen  entschlüpft  La 
Brie.  Es  kungelt.  „Was  für  ein  Lärm  ist  denn  dies  ?"  sagt  eine 
schleppende  Stimme. 

„Der  Herr  Marquis,  der  glaubt,  daß  sein  Lakai  hier  sei,  und 
der  einzutreten  wünscht." 

„Mein  Gott,  wünscht  denn  dieser  Herr  Graf  mir  gleich  bei 
der  ersten  Visite  das  Hemd  zu  reichen,  mich  ganz  nackt  zu 
überrumpeln  ?  Laß  ihn  einen  Augenblick  warten." 

Der  junge  Graf,  der  jemanden  die  Treppe  hinuntereilen  hört, 
stürzt  hinaus,  läuft  und  erreicht  La  Brie  vier  Häuser  weiter. 
„Wie,  Erzschelm!  So  also  richtest  du  meine  Bestellungen  aus? 
Ich  habe  alles  gehört;  du  sollst  meine  Schläge  fühlen." 

„Oh,  Herr  Graf,  versetzen  Sie  sich  an  meine  Stelle  . . . 
Glauben  Sie,  auch  trotz  der  zwei  Louis,  die  man  mir  gegeben 
hat,  hier  sind  sie,  hätte  ich  Ihnen  aus  Respekt  alles  anvertraut . . . 
Ach,  ich  wußte  nicht,  wie  ich  anders  handeln  sollte." 

„Ich  bin  wütend  . . .  Ein  Lakai  ...  Ich  werfe  dich  hinaus  . . . 
Aber  nein,  ich  habe  unrecht.  Hier  sind  noch  zwei  andere  Louis 
. . .  Nimm  . . .  Die  Lektion  ist  mehr  wert  . . .  Wo,  zum  Teufel, 
hätte  ich  meine  Liebe  hingetragen!  —  Gib  mir  jeden  Morgen 
Nachricht  über  deine  Gesundheit.  Dies  sind  zwei  Erfahrungen, 
eine  moralische  und  eine  physische.  Schließlich  ziehe  ich  es  vor, 
daß  du  diese  Erfahrung  gemacht  hast,  als  ich."  Der  Galan,  die 
lose  Schöne  und  der  hübsche  Lakai  erzählen  alle  drei  dies  Ge- 
schichtchen mit  viel  Vergnügen. 


70  Die  Chronique  Scandaleuse 

Mlle  Fanier17,  die  gerade  die  Rolle  eines  Offiziers  gespielt 
hatte,  kam  in  die  Kulissen  zurück,  indem  sie  rief:  „Oh,  sie  haben 
mich  erkannt!"  Der  Bauchredner  Desessart  sagt  ihr:  „Sie  sind 
also  nicht  wie  eine  gewisse  Londoner  Schauspielerin",  und  der 
Mann,  dem  die  Natur  seinen  Geist  in  Form  eines  guten  Ge- 
dächtnisses geschenkt  hat,  erzählt,  wie  eine  englische  Komödian- 
tin, deren  Namen  er  leicht  verstümmelt  (es  war  Miß  Woffing- 
ton,  von  der  er  sprach),  wie  sie,  nachdem  sie  soeben  mit  großem 
Erfolg  eine  männliche  Rolle  gespielt  hat,  ins  Foyer  zurückkommt 
und  sagt : 

„Ich  wette,  daß  die  Hälfte  des  Publikums  mich  für  einen 
Mann  gehalten  hat!"  und  wie  einer  ihrer  Kollegen  antwortet: 

„Beunruhigen  Sie  sich  nicht,  die  andere  Hälfte  ist  vom  Ge- 
genteil durchaus  überzeugt." 

„Oh,"  bemerkt  die  schöne  Fanier,  „die  Hälfte  des  Publikums  ? 
Das  ist  ein  wenig  stark." 

Aber  vielleicht  war  das  Publikum  an  diesem  Abend  nur  aus 
etwa  fünfzig  Gaffern  zusammengesetzt. 

# 

Die  Annalen  der  komischen  Bühne  bieten  mehr  als  eine 
blutige  Szene.  Nicht  immer  ist  die  Bravour  eine  falsche  Ziererei 
der  Theaterheroen.  Der  ausgezeichnete  la  Rive18  und  sein  Ver- 
trauter Florence  haben  uns  dieser  Tage  einen  neuen  Beweis  da- 
von geliefert. 

Der  erstere  hatte  die  Wochenaufsicht.  Im  Begriff,  auf  die  Bühne 
zu  gehen,  bemerkt  er,  daß  Florence  noch  nicht  kostümiert  ist, 
und  macht  ihm  vorerst  freundschaftliche  Vorhaltungen  über 
seine  Nachlässigkeit.  Der  Vertraute  antwortet  schlecht  gelaunt, 
worauf  der  Aufsichthabende  im  Ton  und  mit  der  Geste  seines 
Amtes  droht,  ihn  mit  der  Ordnungsstrafe  zu  belegen.  Man  er- 
hitzt sich :  La  Rive  schimpft  seinen  Kollegen  Possenreißer.  Nach 
der  Vorstellung  fordert  Florence  Genugtuung  für  diese  Belei- 
digung; vergebens  sucht  man  zu  intervenieren:  tragische  Mimen 


Die  Chronique  Scandalease  71 


halten  Reden,  die  Frauen  kreischen;  endlich  erscheint  der 
oberste  Gesetzgeber  der  Schmiere,  macht  seine  Autorität  gel- 
tend und  untersagt  jegliche  Gewalttat.  Dieses  Verbot  hatte  in 
den  Augen  des  Raufboldes  Florence  keine  wesentliche  Bedeu- 
tung. Am  nächsten  Morgen  suchte  er  seinen  Gegner  auf  und 
schleppte  ihn  zum  Champ  de  Mars.  Der  Zweikampf  war  hart- 
näckig. La  Rive  empfing  eine  leichte  Wunde  und  entwaffnet 
Florence.  Mit  dei  Miene  und  der  Würde  eines  Ritters  Bayard 
sagt  er  zu  dem  Unterlegenen :  „Sie  sehen,  Ihr  Leben  ist  in  meiner 
Hand;  ich  gebe  es  Ihnen  mit  Ihrem  Degen  zurück  und  wieder- 
hole Ihnen,  daß  Sie  nichts  sind  als  ein  Possenreißer."  Und  darauf 
haben  unsere  Helden  sich  getrennt  und  ein  jeder  ist  zu  sich 

nach  Haus  gegangen. 

# 

Der  berühmte  Generalpächter  Bouret  wird  eines  Morgens  tot 
in  seinem  Bett  gefunden.  Da  er  wenige  Tage  zuvor  seinen  Freun- 
den sein  baldiges  Ende  angekündigt  hatte,  glaubt  man,  er  habe 
sich  vergiftet.  Als  ungeheuer  reicher  Mann  hatte  er  es  immer 
verstanden,  in  Schulden  zu  leben,  und  stand  kurz  davor,  im 
Elend  umzukommen;  er  hat  fünf  Millionen  Schulden  hinter- 
lassen und  ist  fast  zahlungsunfähig  gestorben.  Ein  Luxus  und 
eine  Verschwendung,  von  denen  man  sich  keine  Vorstellung 
machen  kann,  haben  ihn  dazu  gebracht;  er  trieb  es  so  weit,  eine 
Kuh  mit  jungen  Schoten,  zu  150  Livres  die  Metze,  zu  füttern, 
um  einer  Frau,  die  sich  nur  von  Milch  nährte,  die  beste  Milch 
bieten  zu  können.  Derartige  Züge  erzählt  man  sich  Tausende 

von  ihm. 

# 

Der  berühmte  Abbe  Prevost  soupierte  einst  mit  einigen  in- 
timen Freunden,  die  wie  er  Schriftsteller  waren.  Nachdem  man 
die  Politik,  die  Literatur,  den  Tagesklatsch  erschöpft  hat,  kam 
man  unmerklich  auf  die  Moral  zu  sprechen 

Einer  der  Anwesenden  bemerkte,  wie  der  anständigste  Mann 


72  Die  Chronique  Scandaleuse 

nicht  dafür  einstehen  könne,  daß  er  nicht  eines  Tages  Strafen 
unterliegen  würde,  wie  sie  Verbrechern  reserviert  sind. 

„Fügen  Sie  hinzu,"  sagt  der  Abbe  Prevost,  „daß  sie  es  auch 
nicht  verdienen  würden." 

Alle  erhoben  bei  dieser  letzten  Behauptung  lauten  Einspruch. 

„Gewiß,  meine  Herren,"  nahm  der  Abbe  wieder  das  Wort,  „ich 
behaupte,  daß  sehr  wohl  jemand  mit  einem  gutenjrlerzen,  das 
Unglück  haben  kann,  ein  Verbrechen  zu  begehen,  das  aufs  Scha- 
fott führt."  Man  sagte,  dies  sei  unmöglich.  —  „Meine  Herren," 
fuhr  der  Abbe  fort,  „Sie  alle  sind  meine  Freunde;  ich  kann  auf 
Ihre  Verschwiegenheit  rechnen  und  Ihnen  in  aller  Sicherheit  ein 
Bekenntnis  machen,  das  ich  noch  zu  niemandem  gewagt  habe. 
Sie  halten  mich  alle  für  einen  anständigen  Menschen  ?"  Jeder 
sagte,  daß  er  keineswegs  an  seiner  Rechtschaffenheit  zweifle. 

„Und  dennoch,"  fährt  der  Abbe  fort,  „habe  ich  mich  eines 
der  größten  Frevel  schuldig  gemacht,  und  wenig  hätte  ge- 
fehlt, daß  ich  eines  schmachvollen  Todes  umgekommen  wäre." 
Ein  jeder  meinte  zuerst,  er  scherze.  —  „Nichts",  sagte  er,  „ist 
ernsthafter."  Man  betrachtete  sich  mit  Erstaunen. 

„Also,  ich  habe  meinen  Vater  getötet."  Man  weiß  nicht,  was 
man  glauben  soll,  und  drängt,  dies  Rätsel  zu  erklären.  Er  fährt 
in  seiner  Geschichte  fort:  „Als  ich  das  College  verließ,  verliebte 
ich  mich,  in  eine  kleine  Nachbarin  meines  Alters;  ich  machte 
sie  in  mich  verliebt  und  erlangte  alles,  was  ein  Liebhaber  sich 
wünschen  kann.  Schließlich  stellten  sich  auch  die  Folgen  ihrer 
Schwäche  ein.  Ich  war  trunken  vor  Liebe.  Ich  wünschte,  ohne 
Unterlaß  ihr  zur  Seite  zu  sein.  All  meine  Zeit  verbrachte  ich 
mit  ihr.  Meine  Eltern  drängten  mich,  einen  Beruf  zu  wählen. 
Ich  wünschte  nichts  als  die  Lust,  im  geheimen  meine  Mätresse 
anzubeten.  Jede  andere  Beschäftigung  schien  mir  unerträglich. 
Mein  Vater,  den  einiger  Argwohn  über  meine  Gleichgültigkeit 
erfaßte,  spähte  mir  nach,  folgte  mir,  und  es  gelang  ihm,  meine 
Liebschaft  zu  entdecken.   Eines  Tages  kam  er  zu  meiner  Mä- 


Die  Chronique  Scandaleuse  73 


tresse,  die  seit  drei  oder  vier  Monaten  schwanger  war,  im  selben 
Moment,  als  ich  dort  weilte.  In  meiner  Gegenwart  machte  er 
ihr  bittere  Vorwürfe  über  die  verbrecherische  Liaison,  die  sie 
mit  mir  unterhielt.   Ich  wahrte  Schweigen.  Er  warf  ihr  auch 
vor,  daß  sie  mir  ein  Hemmnis  zum  Erfolge  sei.  Sie  wollte  sich 
rechtfertigen.  Er  überhäufte  sie  mit  Schmähungen;   sie  brach 
in  Tränejj  aus.  Ich  verteidigte  sie;  mein  Vater  geriet  in  Wut 
und  erhitzte  sich  schließlich  derart,  daß  er  sich  soweit  vergaß, 
die  Unglückliche  zu  schlagen.  Er  versetzte  ihr  selbst  einen  Fuß- 
tritt in  den  Leib;  sie  stürzte  ohnmächtig  zusammen.  Bei  diesem 
Anblick  verlor  ich  den  Kopf  und  warf  mich  auf  meinen  Vater; 
ich  warf  ihn  die  Treppe  hinunter.  Der  Fall  verletzte  ihn  so 
schwer,  daß  er  am  selben  Abend  starb.  Er  war  großmütig  genug, 
mich  nicht  zu  denunzieren.   Man  nahm  an,  er  sei  von  selber 
gefallen.  Man  begrub  ihn,  und  sein  Schweigen  rettete  mich  vor 
Schande  und  qualvollem  Tod.  Dennoch  fühlte  ich  nicht  weniger 
die  Ungeheuerlichkeit  meiner  Schuld.  Ich  habe  lange  einen  dum- 
pfen und  schweigsamen  Schmerz  bewahrt,  den  nichts  zerstreuen 
konnte.  Ich  beschloß,  in  der  Einsamkeit  eines  Klosters  meine 
Trauer  und  Betrübnis  zu  begraben  und  ich  wählte  den  Orden 
zu  Clugny.  Vielleicht  schulde  ich  der  tiefen  Melancholie,  die  diese 
erste  jugendliche  Verirrung  über  den  Rest  meines  Lebens  ge- 
breitet hat,  den  Hang  zum  tragischen  Ereignis,  zur  schrecklichen 
Situation,  zum  düsteren  und  unheimlichen  Kolorit,  das  meine  Ar- 
beiten, die  ich  veröffentlicht  habe,  erfüllt.    Die  Freunde  des  Abbe 
hörten  dies  Geständnis  mit  einer  Spannung  an,  in  der  Schrecken 
und  Erstaunen  sich  mischten.  Sie  wollten  sich  von  seiner  Wahrheit 
nicht  überzeugen  lassen.  Sie  bildeten  sich  ein,  daß  der  Abbe  Prevost 
ihnen  diese  Begebenheit,  die  er  in  einem  Romane  verwenden  wollte, 
versuchsweise  erzählt  habe,  um  ihren  Eindruck  zu  beurteilen. 
Sie  haben  wiederholt  auf  Bestätigung  dieses  Erlebnisses  bestanden. 
Er  hat  ihnen  immer  von  neuem  dessen  Wahrheit  beteuert. 


■ja  Die  Chronique  Scandaleuse 


Monsieur  Linguet  sieht  einige  Tage  nach  seiner  Einlieferung 
in  die  Bastille  einen  großen,  mageren  Mann  in  sein  Zimmer 
treten,  der  ihm  leichte  Furcht  einflößte.  Er  fragt  ihn,  wer  er 
sei.  —  „Ich  bin",  antwortet  der  Unbekannte,  „der  Barbier  der 
Bastille."  „Bei  Gott,"  antwortet  kurz  Linguet,  „Sie  hätten  die 
Bastille  rasieren  sollen." 


* 


Ein  Soldat,  Sohn  des  Herrn  de  Case,  des  Generalpächters,  hat 
sich  mit  dem  Sohn  des  Herrn  de  la  Reyniere,  eines  anderen 
Generalpächters,  aus  folgendem  Grund  geschlagen:  Als  Herr 
de  la  Reyniere  bei  einer  der  letzten  Vorstellungen  der  „Ar- 
mida" im  Parterre  der  Oper  war,  fühlte  er  sich  von  der  Menge 
außerordentlich  bedrängt.  „Wer  ist  es  nur,"  ruft  er  aus,  „der 
hier  in  dieser  Weise  stößt;  zweifellos  ein  Friseurlehrling."  Herr 
de  Case,  der  luch  da  ist,  antwortet  ihm:  „Ich  bin  es,  der  stößt; 
gib  mir  deine  Adresse,  ich  werde  dir  morgen  einen  Strich  mit 
dem  Kamm  geben."  Sie  treffen  sich  am  nächsten  Morgen,  be- 
geben sich  nach  den  Champs  Elysees  und  duellieren  sich  am 
hellen  Tag  in  Gegenwart  von  3000  Personen  mit  der  Pistole. 
Der  Soldat  wird  das  Opfer  dieses  Zweikampfes;  eine  Kugel 
durchbohrt  ihm  das  Auge  und  spaltet  ihm  den  Kopf;  doch 
stirbt  er  erst  nach  einigen  Stunden. 

# 

Die  nächtlichen  Weihnachtszeremonien  haben  oft  zu  skan- 
dalösen Szenen  Anlaß  gegeben. 

Die  Kirrhe  zu  Saint-Roch,  die  das  Stelldichein  unseres  Ge- 
sindels und  unserer  Dirnen  zu  sein  scheint,  hat  endlich  aufgehört, 
das  Theater  von  tausend  Scheußlichkeiten  zu  sein,  seit  der  be- 
rühmte Balbätre  auf  der  Orgel  nicht  mehr  seine  glänzenden 
Harmonien  ertönen  läßt;  aber  die  Gaunerstreiche  sind  von 
Unanständigkeiten  abgelöst  worden,  und  jene,  die  man  in  der 
Kirche  Sainte-Sulpice  ausgeführt  hat,  sind  ebenso  lustig  wie 
gewagt. 


Die  Chronique  Scandaleuse  75 


Der  Geistliche  machte  nach  altem  Brauch  die  Sammlung;  ein 
Schweizer  ging  ihm  voran,  eine  Nonne  folgte  ihm.  Eine  Gruppe 
getreuer  Apostel,  die  wie  zufällig  beieinander  stehen,  umdrängen 
den  Herrn  Pfarrer,  umarmen  ihn  und  machen  ihn  derart  strau- 
cheln, daß  er  seinen  Geldbeutel  fallen  läßt.  Jeder  scheint  von 
heiligem  Eifer  ergriffen,  um  die  Taler  des  Herrn  Pfarrer  aufzu- 
sammeln; die  Schwester-Sammlerin,  die  ihm  folgte,  bückt  sich 
gleichfalls,  um  zu  helfen.  Ein  Schelm  benutzt  die  Gelegenheit, 
um  seine  Hände  unter  ihren  Rock  gleiten  zu  lassen.  Sie  stößt 
einen  Schrei  aus  und  läßt  gleichfalls  ihren  Beutel  fallen.  Der 
Schurke  hatte  damit  gerechnet;  er  ergreift  ihn  und  läuft  da- 
von. Diese  Szene  ruft  große  Erregung  hervor,  und  ein  jeder 
der  Diebe  nimmt  sie  wahr,  um  mit  den  beim  Herrn  Pfarrer 
geernteten  Talern  zu  entkommen. 

# 

Ein  junges,  sehr  hübsches  Mädchen  stand  im  Begriff,  sich  zu 
verheiraten.  Man  konnte  ihre  jungfräuliche  Miene  gar  nicht 
genug  bewundern.  Ihr  Verlobter  soupiert  mit  ihr  bei  ihren  Groß- 
eltern. Sie  schützt  ein  Unwohlsein  vor  und  zieht  sich  in  ihr 
Zimmer  zurück.  Man  glaubt  ihrem  Zukünftigen  einen  Vorge- 
schmack kommender  Freuden  zu  verschaffen,  und  führt  ihn  zu 
seiner  Liebsten,  damit  er  sich  selbst  über  eine  Gesundheit  ver- 
gewissere, die  einen  Liebhaber,  der  im  Begriff  steht,  den  ehe- 
lichen Knoten  zu  schürzen,  interessieren  muß.  Vater  und  Mutter 
treten  zuerst  hinein,  gefolgt  vom  Verlobten. 

Welch  Schauspiel  bietet  sich  ihren  Augen!  Die  zarte  Jungfrau 
liegt  im  Bett  zwischen  zwei  Mönchen  . . .  Man  ist  nicht  neu- 
gierig zu  erfahren,  was  aus  dem  Hochzeitsbettkandidaten  ge- 
worden sein  mag. 

Das  keusche  Jungfräulein  wurde  in  Sainte-Pelagie  eingesperrt, 
einem  Kloster,  in  dem  man  Frauen,  die  gegen  ihre  eigene  Sinnen- 
lust ein  wenig  zu  nachsichtig  waren,  einer  strengen  Klausur  un- 
terwirft. 


j6  Die  Chronique  Scandaleuse 


Ein  Finanzier,  der  eine  sehr  galante  Frau  besaß,  war  auf  Rei- 
sen; sie  profitierte  von  seiner  Abwesenheit,  um  sich  allen  ihren 
Gelüsten  hinzugeben. 

Das  Maßlose  ihres  Benehmens  nahm  so  überhand,  daß  es  zu 
Ohren  ihrer  Eltern  kam,  die  ihr  darüber  Vorwürfe  machten; 
sie  versprach  ihnen,  ihre  Lebensweise  zu  ändern;  doch  tat  sie 
dies  nur  scheinbar.  Sie  mietete  ein  kleines  Haus  und  veranstaltete 
hier  oft  kleine,  leichtsinnige  Soupers,  bei  denen  die  Zügellosig- 
keit  regierte.  Besonders  liebte  sie  den  Champagner,  und  sie  wußte 
wohl,  daß  ihr  Mann  besonders  guten  besaß.  Wie  aber  sollte  sie 
den  aus  seinem  Hause  herbeischaffen,  ohne  den  Hausverwalter 
ins  Vertrauen  ziehen  zu  müssen  ?  Einer  ihrer  Freunde  gab  ihr 
einen  Rat.  „Geben  Sie  vor,"  sagte  er,  „an  einer  dieser  Unpäß- 
lichkeiten zu  leiden,  denen  Ihr  Geschlecht  leider  unterworfen 
ist.  Schicken  Sie  nach  mir  als  einem  fremden  Arzt.  Ihre  Leute 
kennen  mich  kaum;  ich  werde  mich  verkleiden  und  übernehme 
die  Verantwortung  für  alles  Weitere."  Wie  gesagt,  so  getan. 
Man  schickt  nach  dem  Arzt ;  nachdem  er  viel  Worte  gemacht 
hat,  schickt  er  nach  dem  ältesten  und  besten  Champagner. 
Er  läßt  ihn  mit  einem  Pulver,  dem  er  große  Heilkraft  nach- 
rühmt, aufkochen,  und  verschreibt  Madame  jeden  Tag  ein  sol- 
ches Bad.  Seine  Vorschrift  wird  ausgeführt.  Jeden  Morgen  bringt 
der  Maitre  d'hotel  für  Madames  Gesundheit  drei  Flaschen  von 
Monsieurs  ausgezeichnetem  Weine.  Die  Kammerzofe,  die  ein- 
geweiht war,  schickte  sie  in  das  bewußte  kleine  Haus;  auf  diese 
Weise  war  der  Keller  bald  geleert.  Als  der  Gatte  nach  seiner 
Rückkehr  ein  großes  Souper  gab,  schickte  er  nach  seinem  guten 
Weine.  „Es  ist  keiner  mehr  da",  ist  die  Antwort.  „Wie,"  er- 
widert er,   „ich  habe  doch  mehr  als  200    Flaschen    zurück- 
gelassen!" —  „Das  ist  wahr,"  antwortet  der  Maitre  d'hotel 
seinem  Herrn,  und  indem  er  sich  seinem  Ohre  nähert:  „Aber 
Madame  benutzte  ihn  jeden  Morgen  während  ihrer  Krankheit 
zu  ihren  Waschungen."  „Bei   Gott,"  ruft  der   Finanzier  aus, 


Die  Chronique  Scandaleuse  77 


„nun  bin  ich  nicht  mehr  erstaunt,  daß  er  soviel  Dummheiten 
gemacht  hat,  wo  er  sich  jeden  Morgen  betrank!" 


# 


Frau  von  ***,  die  seit  kurzer  Zeit  verheiratet  ist,  gähnte  viel 
in  Gegenwart  ihres  Mannes.  Als  dieser  sie  fragte,  ob  sie  sich  mit 
ihm  langweile,  antwortete  sie:  „Nein  Monsieur,  aber  Sie  und 
ich,  wir  bilden  eine  Person,  und  ich  langweile  mich,  wenn  ich 
allein  bin."  Nur  einer  Frau  kann  eine  so  naive  und  gleichzeitig 
so  ingeniöse  Antwort  entschlüpfen. 

# 

Eine  Arie  aus  Richard  Löwenherz  hat  einer  Unzahl  boshafter 
oder  leichtfertiger  Couplets  zum  Muster  gedient,  doch  hat  das 
Vaudeville  Figaro  nichts  von  seinen  Vorrechten  dabei  verloren. 
Hier  sind  zwei  neue  Couplets  zur  Figaromelodie.  Sie  kritisieren 
eine  Gewohnheit,  die  seit  einiger  Zeit  bei  den  Angehörigen  des 
schöneren  Geschlechts  erneuten  Kredit  gefunden  hat.  Da  die 
Vermehrung  der  Klubs  die  Männer  aus  der  Damengesellschaft 
entfernt  hat,  findet  man,  daß  in  gewisser  Weise  diese  bizarren 
und  neuen,  vielmehr  von  den  Griechen  her  erneuerten  Neigungen 
gerechtfertigt  werden. 

II  est  des  dames  cruelles, 

Et  l'on  s'en  plaint  chaque  jour: 

Savez-vous  pourquoi  ces  belles 

Sont  si  froides  en  amour? 

Ces  dames  se  fönt  entre-elles, 

Par  un  genereux  retour, 

Ce  qu'on  appelle  un  doigt  de  cour. 

S'il  est  des  dames  cruelles 
On  en  vaincrait  chaque  jour 
Si  les  hommes  pour  les  belies 
Etaient  fermes  en  amour; 
Mais  leur  faiblesse  aupres  d'elles, 
Promettant  peu  de  retour, 
Les  reduit  au  doigt  de  cour. 


78  Die  Chronique  Scandaleuse 

Nachdem  der  Graf  de  Lauraguais  während  einiger  Jahre  mit 
Mlle  Arnoult  gelebt  hatte,  setzte  er  ihr  eine  Rente  von  20  000 
Livres  aus.  Es  ärgerte  ihn  eines  Tages,  immer  den  Fürsten 
d'Henin  bei  seiner  Mätresse  zu  finden,  die  selbst  zugab,  von 
ihm  belästigt  zu  werden.  Um  ihn  loszuwerden,  beschloß  er,  sich 
bei  mehreren  Ärzten  zu  informieren,  ob  es  möglich  sei,  an  Lange- 
weile zu  sterben.  Mehrere  gaben  dies  zu.  Mit  diesen  Schrift- 
stücken versehen,  begab  sich  der  Graf  zu  einigen  berühmten 
Advokaten,  um  zu  erfahren,  ob  eine  Frau,  die  in  Gefahr  sei,  an 
Langerweile  zu  sterben,  nicht  das  Recht  habe,  einen  Mann  hin- 
auszuwerfen, der  sie  in  jeder  Minute  des  Tages  gähnen  mache. 

Zwei  Advokaten  bestätigten  schriftlich,  daß  ein  gewaltsamer 
Ausschluß  in  einem  solchen  Fall  gerecht  und  natürlich  wäre. 

Darauf  wurden  die  beiden  Papiere  dem  Fürsten  von  Seiten  des 
Grafen  zugesandt,  der  ihn  in  heller  Wut  auf  der  Stelle  zum  Duell 
forderte  und  darauf  seine  Visiten  bei  der  Schauspielerin  nach 

wie  vor  fortsetzte. 

# 

Man  hat  nirgendwo,  glaube  ich,  einen  geistreichen  Ausspruch 
des  Malers  Doyen  aufgezeichnet,  der  wert  ist,  erhalten  zu  bleiben. 

Er  läßt  sich  eines  Tages  bei  der  Gräfin  du  Barry  melden,  die 
sich  gerade  im  Bad  befindet.  Sie  läßt  ihn  eintreten;  man  spricht 
vom  Wetter,  wie  es  so  Sitte  ist,  wenn  einem  nichts  Besseres 
einfällt.  „Vor  ungefähr  einem  Jahre",  erzählt  Mme  da  Barry, 
„war  ich  gerade  im  Bad,  als  ich  einen  entsetzlichen  Donner- 
schlag vernehme.  Dies  erschreckte  mich  derart,  daß  ich,  ohne 
auf  meine  momentane  Verfassung  zu  achten,  aufsprang  und 
durch  das  Zimmer  eilte,  um  mich  im  letzten  Winkel  zu  ver- 
bergen." Doyen  steht  am  Fenster  und  antwortet  mit  keiner 
Silbe.  „Was  tun  Sie  da  nur,  Doyen?"  „Frau  Gräfin,  ich  schaue 
nach,  ob  kein  Gewitter  aufzieht;  das  würde  eine  hübsche  Szene 
für  ein  Malerauge  werden." 


Die  Chronique  Scandaleuse  70 


Eines  Tages  durchquert  der,  wie  man  weiß,  starkknochige  Abbe 
Fürst  Salm  das  Vorzimmer  des  Königs,  l'oeil  de  bceuf  genannt, 
als  einige  Herren,  die  sich  dort  wärmten,  laut  genug,  um  es  ihn 
hören  zu  lassen,  bemerkten:  „Da  ist  ja  der  Äsop  des  Hofes." 

Der  Fürst  antwortete  ohne  jede  Verwirrung:  „Meine  Herren, 
der  Vergleich  ist  mir  sehr  schmeichelhaft,  denn  Äsop  machte  die 
Tiere  sprechen." 

Die  Geschichte,  die  man  über  das  Exil  des  eleganten  Virgil- 
übersetzers  erzählt,  entbehrt  jeder  Begründung.   Hier  ist  das 
Motiv,  das  diesen  Akademiker  zu  seiner  Reise  nach  der  Türkei 
veranlaßte.  Der  Abbe  Delille,  der  von  zarter  Gesundheit  war, 
pflegte  immer   mehr  seinen  Wünschen   als   seinen   physischen 
Möglichkeiten  nachzugeben.  Er  und  der  Abbe  de  J**  verliebten 
sich  in  zwei  Mädchen,  die  Schwestern  des  jungen  Dichters  Gruet, 
eines  Schülers  des  Abbe  Delille.  Den  Marquis  de  Cham**  und 
einen  seiner  Freunde  verlockte  es,  den  beiden  Abbes  ihre  Mä- 
tressen zu  rauben;  dies  sollte  ohne  Vorwissen  der  Liebhaber  aus- 
geführt werden.  Aber  ein  unvorhergesehenes  Ereignis  zerstörte 
alles.  Eine  der  beiden  jungen  Damen,  und  gerade  die  Mätresse 
des  Abbe  Delille,  wurde  schwanger.   Man  versuchte,  ihm  die 
Vaterschaft  zuzuschreiben,  dessen  er  sich  nach  Kräften  wehrte, 
aber  die   ungetreue   Schöne   spielte   ihre   Rolle  ausgezeichnet, 
weinte  und  drohte,  den  Abbe  anzuzeigen;  dieser  zog  es  vor,  die 
Geschichte  mit  Geld  zu  arrangieren.  Der  Marquis  bekam  die- 
selben Vorwürfe  zu  hören  und  gab,  da  sein  Gewissen  nicht  ganz 
rem  war,  40  000  Livres  her.   Wenn  er  auf  seine  Großmut  in 
dieser  Beziehung  stolz  war,  so  übte  er  nicht  die  andere,  das  Ge- 
heimnis zu  wahren.  Und  der  geschmähte,  verspottete  und  lächer- 
lich gemachte  Abbe  Delille  war  entzückt  über  die  Gelegenheit, 
die  sich  bot,  mit  Herrn  de  Choiseul-Gouffier  verreisen  zu  können, 
der  sich  nach  der  Konstantinopeler  Gesandtschaft  begab;  so  sollte 
die  Geschichte  in  Vergessenheit  geraten. 


So  Die  Chronique  Scandaleuse 

Mlle  Arnoulds  witzige  Bemerkungen  erfreuen  sich  großer  Be- 
rühmtheit. 

Man  erinnert  sich,  daß  ihre  Tochter  einen  jungen  Schrift- 
steller namens  Murville  geheiratet  hat.  Mme  de  Murville  hat 
den  Geist  ihrer  Mutter  geerbt  und  ist  eine  entzückende  Blon- 
dine. Obgleich  diese  beiden  sich  sehr  lieben,  spielen  sie  sich 
dann  und  wann  manch  einen  lustigen  Schabernack.  Mlle  Ar- 
noult  hatte  den  Schauspieler  Florence  geliebt  und  ihm  nach 
einigen  Monaten  mit  viel  Eklat  den  Laufpaß  gegeben.  Mme 
Murville  war  mit  diesem  Bruch,  an  dessen  Aufrichtigkeit  sie 
glaubte,  sehr  einverstanden.  Nun  kommt  sie  vor  einigen  Tagen 
des  Morgens  zu  ihrer  Mutter  und  findet  sie  im  Tete-ä-tete  mit 
Florence.  Nachdem  dieser  sich  entfernt  hat,  drückt  sie  ihrer 
Mutter  ihr  Befremden  aus. 

„Dieser  Mann  ist  in  Geschäften  hergekommen,  denn  ich  liebe 
ihn  nicht  mehr",  antwortet  Mlle  Arnould.  „Oh,  ich  verstehe," 
erwidert  Mme  de  Murville,  ,  Sie  schätzen  ihn  jetzt."  Eine  zarte 
Andeutung  auf  die  Erzählung,  die  mit  den  Versen  endigt :  „Wie 
viele  Male  hat  er  sie  geschätzt  ?" 

Einige  Tage  nach  diesem  Abenteuer,  das  Mlle  Arnould  nicht 
vergessen  hat,  spricht  einer  ihrer  Freunde  mit  ihr  über  ihre 
Tochter  und  fragt  sie,  ob  es  wahr  sei,  daß  ein  Engländer  in  Mme 
de  Murville  verliebt  sei. 

„Ich  glaube  es  nicht,"  antwortet  sie,  „ich  habe  niemals  ge- 
hört, daß  die  Engländer  das  goldene  Vließ  nähmen." 

# 

Ein  Engländer,  der  im  Begriff  stand,  nach  London  abzureisen , 
schrieb  folgende  Sätze  an  die  berühmte  Gourdan :  „Da  ich  habe 
sagen  hören,  Madame,  daß  Sie  all  die  Demoiselles  von  Paris 
kennen,  und  daß  man  nichts  Besseres  tun  könne,  als  sich  an  Sie 
um  eine  hübsche  Mätresse  zu  wenden,  bitte  ich  Sie,  mir  eine 
am  Tage  meiner  Rückkehr,  dies  dürfte  zwischen  dem  15.  und 
20.  Januar  sein,  bereit  zu  halten.  Ich  denke  sie  mir  so:  sechzehn 


Die  Chronique  Scandaleuse  8l 

Jahre  alt,  blond,  fünf  Fuß  und  sechs  Daumen  groß  (dies  schein- 
bar ein  englisches  Größenmaß),  von  schlankem  Wuchs,  mit 
blauen,  schmachtenden  Augen,  kleinem  Mund,  hübscher  Hand, 
graziösem  Bein  und  winzigem  Füßchen.  Wenn  Sie  mir  so  eine 
finden,  sollen  Sie  50  Louis  dafür  erhalten.  Schicken  Sie  mir  Ihre 

Antwort  nach  Calais  an  die  Herberge  von  Dessein." 

* 

Der  Marquis  von  Bievre  lieferte  bei  Prault,  dem  Drucker,  das 
Manuskript  seiner  Komödie  „Le  Seducteur"  ab,  und  Prault  fiel 
es  ein,  den  Lehrmeister  spielen  zu  wollen. 

„Herr  Marquis,"  sagte  er  zu  ihm,  „diese  Arbeit  wird  Sie  in 
die  ersten  Reihen  unserer  dramatischen  Autoren  stellen,  aber 
beileibe  keine  Calembours  mehr,  denn  ..."  „Oh,  was  für  eine 
Lektion !  Da  du  die  Dinge  so  nimmst,  mein  Lieber,  werde  ich 
über  dich  und  dein  ganzes  Haus  welche  machen.  Du,  du  bist 
ein  Problem  (Prault-blerne),  deine  Frau  eine  Profanee  (Prault- 

fanee)  und  deine  Tochter  eine  Pronobis." 

# 

Man  weiß,  daß  Herr  le  Mierre  von  der  Academie  Francaise 
nicht  gerade  ein  Narziß  zu  nennen  ist,  und  daß  Herr  Palissot 
sich  über  die  groteske  Erscheinung  dieses  Akademikers  in  dem 
vierten  Gesang  seiner  Dunciade  lustig  gemacht  hat. 

Nun  befand  sich  le  Mierre  dieser  Tage  in  einem  Klub  mit  dem 
Marquis  de  Sade,  einem  jener  angenehmen  Herren,  deren  Ruhm 
darin  besteht,  daß  sie  die  anderen  mystifizieren  und  die  Frauen 
mit  Erzählungen  ihrer  vermeintlichen  oder  tatsächlichen  Aben- 
teuer langweilen.  Der  Marquis,  der  den  Dichter  zu  persiflieren 
wünschte,  fragte  ihn,  wer  der  schönste  Mann  der  Akademie  sei. 
„Ich  habe  niemals  aufgepaßt,"  antwortet  dieser  boshaft,  „und 
ich  glaubte,  daß  man  sich  nur  in  gewissen  Kreisen,  die  in  der 
guten  Gesellschaft  nicht  genannt  werden,  mit  Männerschönheit 
beschäftigt."  Dieses  Epigramm  ist  um  so  beißender,  als  der  Mar- 
quis de  Sade  im  Ruf  steht,  nicht  die  Frauen  allein  zu  lieben. 


82  Die  Chronique  Scandaleuse 

Die  Theatereröffnung  des  Mgr.  Grafen  von  Beaujolais  fand 
im  Palais  Royal  am  23.  Oktober  1784  statt.  Alle  Bewegungen 
werden  von  Marionetten  ausgeführt,  während  die  Vortragenden 
hinter  dem  Vorhang  versteckt  den  Dialog  sprechen. 

Man  debütierte  mit  drei  Possen  mit  Gesang  und  Tanz,  die  das 
Publikum  wenig  entzückten.  Die  Unternehmer  hatten  beabsich- 
tigt, nacheinander  die  Dramen  der  Frau  von  Genlis  und  des  Herrn 
Berquinzu  geben,  und  einen  großen  Vorrat  sehr  moralischer  Stücke 
angehäuft,  mit  der  lobenswerten  und  schwierigen  Absicht,  gute 
Sitten  an  einem  Ort  einzuführen,  wo  man  sie  nicht  mehr  findet. 
Aber  sie  haben  mit  dieser  edlen  Absicht  Schiffbruch  erlitten :  der 
Eigensinn  der  Sünder  und  Sünderinnen,  die  ihre  Sittenverderbnis 
innerhalb  dieses  Gartens  spazieren  tragen,  ist  unbesiegbar  ge- 
wesen, und  diese  Ungläubigen  hat  es  tief  gekränkt,  daß  man  es  im 
Gauklertheater  wagte,  sie  mit  „Ruth"  zu  langweilen,  während 
der  unsterbliche  „Figaro"  sie  im  Theatre  National  entzückte. 

Sie  schmeicheln  sich  sogar,  daß  die  Leiter  dieser  Bühne  nun 
bald  ihre  hölzernen  Schauspieler  einpacken  und  sie  durch  andere 
aus  Fleisch  und  Bein  ersetzen  werden,  die  dieser  Bühne,  einer 
verkleinerten  Wiedergabe  der  Oper,  besser  angepaßt  sind. 

Der  berühmte  Abbe  Beaudeau19,  der  Hauptleiter  dieser  höl- 
zernen Komödianten,  hat  der  ersten  Vorstellung  eine  viel  amü- 
santere Szene  geliefert  als  seine  Schauspieler.  Man  beobachtete 
ihn  in  den  Kulissen,  wie  er  die  nötigen  Gesten  mit  einer  seines 
Berufes  würdigen  Wichtigkeit  angab,  wie  er  enthusiastisch  ap- 
plaudierte oder  an  den  pathetischen  Stellen  in  Tränen  ausbrach. 
Man  versteht,  daß  diese  Pantomime  wahre  Lachstürme  hervor- 
rief, daß  der  Herr  Direktor  ausgepfiffen  wurde,  und  daß  man 
nicht  verfehlt  hat,  ihn  seither  den  Beichtiger  der  Marionetten 
zu  nennen.  Diese  Witze  haben  ihn  derartig  zur  Verzweiflung 
gebracht,  daß  er  zugunsten  der  Herren  Arnoult  und  d'Orvigny 
von  der  Leitung  zurückgetreten  ist. 


Die  Chronique  Scandaleuse  83 


Man  hat  soeben  eine  neue  Obszönität  entdeckt,  die  bisher  un- 
bekannt war  und  die  wert  ist,  unter  die  großen  Erfindungen  des 
Jahrhunderts  gezählt  zu  werden. 

Dies  sind  die  „Westen  der  petits  soupers".  Da  es  momentan 
Sitte  ist,  den  Anzug  zuzuknöpfen,  sieht  man  keineswegs  den 
oberen  Teil  der  Weste,  jedoch,  bei  Orgien  gewisser  Art,  löst  sich 
der  Frack  und  exponiert  den  Augen  der  Messalinen  Malereien 
und  Stickereien,  die  mit  dem  Zweck  des  Festes  in  Einklang  stehen 
und  ihrer  ganzen  Geilheit  würdig  sind. 

# 

Der  talentierte  Bildhauer  Houdon  hat  die  Büste  des  Prinzen 
Heinrich  von  Preußen  gemacht.  Der  Chevalier  de  Bouffiers,  des- 
sen poetisches  Talent  so  wert  ist,  gewürdigt  zu  werden,  hat  die 
vier  folgenden  Verse  geliefert,  die  auf  dem  Sockel  der  inter- 
essanten Büste  stehen  sollen: 

Dans  cette  image  auguste  et  chere, 
Tout  heros  verra  son  rival, 
Tout  sage  verra  son  egal, 
Et  tout  homme  verra  son  frere. 
# 

Herr  von  Maurepas  hat  sich  bis  zum  Ende  seiner  Tage  seine 
Fröhlichkeit  und  seine  galante  Laune  bewahrt.  Ein  Offizier  von 
Rang  hatte  vergeblich  vom  Kriegsminister  einen  Urlaub  erbeten, 
um  nach  Paris  zu  eilen,  wohin  ihn,  wie  er  sagte,  dringende  Ge- 
schäfte riefen.  Indessen  handelte  es  sich  nur  darum,  mit  einer 
hübschen  Frau  zu  schlafen,  aber  schließlich  ist  ein  solches  Ge- 
schäft wohl  einem  anderen  gleichwertig. 

Auf  wiederholte  Weigerungen  will  der  Oberst  sich  an  Herrn 
von  Maurepas  wenden,  täuscht  sich  aber,  da  er  gleichzeitig  an 
seine  Göttin  schreibt,  in  der  Adressierung,  und  der  alte  Minister 
erhält  folgenden  Brief:  „Süßer  Engel,  Segur  ist  grausam  genug, 
mir  zu  verwehren,  in  Deine  Arme  zu  eilen ;  ich  wäre  verzweifelt, 
erhoffte  ich  nicht  eine  günstigere  Antwort  von  Maurepas:  er 
ist  ein  alter  Wüstling,  der  sicher  den  Zweck  meiner  Bitte  er- 


84  Die  Chronique  Scandaleuse 

raten  und  mehr  als  gern  bereit  sein  wird,  sie  mir  zu  gewähren. 
Er  wird  mir  nachfühlen,  daß  man  es  in  meinem  Alter  vorzieht, 
in  den  Armen  seiner  Mätresse  zu  sterben  als  in  einer  trostlosen 
Garnison  zu  leben.  Könnte  ich  hier  wenigstens  Lorbeeren  pflük- 
ken,  da  die  Myrten  fehlen!  Aber  ich  vegetiere  hier,  während 
meine  Kameraden  draußen  sich  schlagen ;  es  ist  ein  schmutziges 
Gewerbe,  dieser  Krieg  im  Frieden !  Ich  sage  Frieden,  denn  nicht 
für  mich  ist  es,  daß  die  Kanonen  donnern !  Adieu,  süßestes  Hunds- 
gesicht; hielte  ich  dich  in  den  Armen,  Du  weißt  wohl,  was  Dir 
geschehen  würde.  In  der  Erwartung,  Dich  baldigst  zu  über- 
raschen, wie  ich  gern  möchte,  küsse  ich  Dich  mit  dem  Worte ..." 
Herr  von  Maurepas  hat  über  dies  Abenteuer  herzlich  gelacht, 
dem  Obersten  einen  scharmanten  Brief  geschrieben  und  ihm  den 

erbetenen  Urlaub  bewilligt.20 

# 

Es  gibt  verschie  lene  Klassen  unter  den  Roues.  Die  lustigsten, 
wenn  auch  nicht  die  wohlwollendsten,  sind  jene,  die  man  My- 
stifikatoren  nennt.  Einem  dieser  Herren  hat  es  eines  Tages  ge- 
fallen, die  vornehmsten  Mädchen  der  Oper  zu  einem  Souper  zu 
laden  und  einige  seiner  Freunde  als  Kapuziner  zu  verkleiden, 
die  er  ihnen  als  den  General  und  die  ersten  Offiziere  des  Ka- 
puzinerordens in  Rom  vorstellte.  Während  der  Mahlzeit  hat 
man  ihnen  größten  Respekt  bezeigt,  und  schließlich  ist  der 
peinlichen  Anstrengung,  mit  der  die  Schönen  ihre  Rolle  durch- 
zuführen bestrebt  waren,  die  Demütigung  gefolgt,  sich  von  den 
angeblichen  Kapuzinern  mit  der  schlimmsten  Mißachtung  und 
gewagtesten  Zuchtlosigkeit  behandelt  zu  sehen. 

# 

Der  Magnetismus  spielt  seine  Rolle  bis  zu  den  Zuckerbäckern 
der  Rue  des  Lombards  herab.  Zur  Zeit  der  Neu  Jahrsgeschenke 
ist  es  Sitte,  daß  sie  dem  Publikum  Teller  anbieten,  die  figürlich 
geschmückt  sind  und  die  interessanten  Ereignisse  des  verflossenen 
Jahres  darstellen.  Am  Ersten  des  Jahres  1785  haben  sie  Szenen 


Die  Chronique  Scandaleuse  85 


aus  dem  „Figaro"  und  den  „Docteurs  modernes",  besonders 
die  des  „Baquet  de  sante"  und  der  „Salles  des  crises"  gewählt. 
Man  eilt  in  hellen  Haufen,  sie  zu  sehen.  Gott  weiß,  welchen 
Skandal,  das  für  die  Anhänger  der  neuen  Doktrin  bedeutet. 

Zu  einem  Pamphlet,  das  ihren  Kummer  nicht  geringer  macht, 
hat  man   folgende  Anekdote  benutzt  : 

Mlle  Arnoult  von  der  Oper  hat  ein  Hündchen,  an  dem  sie 
zärtlich  hing.  Es  wird  krank,  man  trägt  es  zu  Mesmer,  der,  um 
den  Einfluß  der  Ströme  auf  die  Tiere  zu  beweisen,  den  Hund 
magnetisiert.  Der  Kranke  zeigt  Krampfund  Konvulsionserschei- 
nungen, kurz  die  günstigsten  Krisen.  Er  gesundet.  Man  bringt 
ihn  zu  seiner  Herrin,  die  frohen  Herzens  ein  Zertifikat  unter- 
schreibt; aber  am  nächsten  Morgen  stirbt  der  Hund. 

„Wenigstens",  bemerkt  maliziös  Mlle  Arnoult,.  „wenigstens 
habe  ich  mir  nichts  vorzuwerfen;  das  arme  Tier  ist  bei  ausge- 
zeichneter Gesundheit  gestorben." 

# 

Einer  unserer  liebenswürdigsten  Galane,  der  ebenso  gern  auf 
dem  Parnasse,  auf  Cythere  wie  in  Versailles  gesehen  wird,  rächt 
sich  eines  Tages  mit  einem  blutdürstigen  Epigramm  an  der  Un- 
treue einer  schönen  Marquise.  Dieses  wandert  erst  durch  zwanzig 
Salons,  ehe  es  seinen  Bestimmungsort  erreicht.  Die  Marquise 
schreibt  augenblicklich  an  den  Chevalier,  um  Verzeihung  ihres 
Unrechts  zu  erbitten,  ihn  anzuflehen,  daß  er  jede  Spur  seines 
Racheaktes  vernichte,  und  ihn  zu  einer  bestimmten  Stunde  zu 
sich  zu  bitten,  um  eine  aufrichtige  Versöhnung  zu  besiegeln. 

Der  Chevalier  kennt  die  Frauen  zu  gut,  um  sich  ohne  Miß- 
trauen auf  dies  Rendezvous  zu  begeben.  Er  versieht  sich  mit 
Pistolen.  Kaum  ist  man  über  die  ersten  Erklärungen  weg,  als 
vier  starke  Strolche  erscheinen,  ihn  ergreifen,  auf  das  Bett  wer- 
fen, ihn  so  weit  entkleiden,  als  dies  ihren  Zwecken  dienlich  ist, 
und  ihm  unter  dem  Oberbefehl  von  Madame  im  schönsten 
Rhythmus  je  fünfzig  Rutenstreiche  verabfolgen. 


86  Die  Chronique  Scandaleuse 

Nach  beendigter  Zeremonie  erhebt  sich  der  Kavalier  kalt- 
blütig, richtet  seine  derangierte  Toilette  und  wendet  sich  an  die 
Raufbolde,  die  beim  Anblick  seiner  Pistolen  zu  zittern  beginnen : 
„Ihr  habt  Euren  Auftrag  nicht  erledigt;  Madame  muß  zufrieden 
gestellt  werden.  Jetzt  bin  ich  an  der  Reihe;  ich  werde  euch  allen 
vieren  das  Gehirn  ausblasen,  wenn  ihr  nicht  augenblicklich  Ma- 
dame wiedergebt,  was  ich  soeben  empfangen  habe." 

Dieser  Befehl  wurde  mit  solcher  Sicherheit  gegeben  und  Herr 
von  B.  begleitete  ihn  mit  zu  bedeutungsvollen  Gebärden,  als  daß 
man  gezögert  hätte,  ihn  zu  befolgen.  Die  Tränen  der  schönen 
Dame  vermochten  nicht  zu  hindern,  daß  der  Atlas  ihrer  Haut 
von  unbarmherzigen  Schlägen  zerrissen  wurde. 

Aber  das  war  noch  nicht  alles.  Herr  von  B.  verlangte,  daß  die 
Helden  dieses  Racheaktes  sich  nun  gegenseitig  derselben  Strafe 
unterzögen,  und  dann  im  Fortgehen: 

„Adieu,  Madame,  möge  nichts  Sie  verhindern,  dies  angeneh- 
me Abenteuer  zu  veröffentlichen ;  ich  werde  der  Erste  sein,  die 
Nichtstuer  damit  zu  beglücken."  Man  sagt,  die  Marquise  sei 
ihm  nachgestürzt,  habe  sich  auf  die  Knie  vor  ihm  geworfen  und 
ihn  sc  dringlich  angefleht,  das  Geheimnis  zu  wahren,  daß  er 
noch  am  selben  Abend  mit  ihr  speiste,  um  indiskrete  Gerüchte 
zu  widerlegen.  Man.  fügt  sogar  hinzu,  daß  das  Rezept  so  guten 
Erfolg  hatte,  daß  der  Abend  fröhlicher  endete,  als  er  begonnen 

hatte. 

* 

Die  schmutzige  Geschichte  der  Präsidentin  D***  ist  bekannt.21 
Man  weiß,  daß  sie  vor  15  Jahren  aus  Douai  entführt  und  nach 
Paris  gebracht  wurde. 

Man  brachte  sie  vorläufig  bei  der  Gourdan  unter,  wo  sie  sich, 
heißt  es,  besser  fühlte  als  sonstwo  je.  Seit  einigen  Wochen  ver- 
witwet, kehrt  sie  nach  Douai  zurück  und  ergreift  ihre  alten 
Rechte,  nachdem  sie  lange  Zeit  der  Nutznießung  ihrer  Besitz- 
tümer beraubt  worden  war,  die  aus  25  000  Livres  Renten  be- 


Die  Chronique  Scandaleuse  87 


stehen,  da  ihr  Gatte  bewiesen  hatte,  daß  sie  noch  weniger  Spar- 
samkeit als  gute  Sitten  kannte.  Sie  ist  von  ihrer  Verschwendungs- 
sucht ganz  geheilt.  Heut  ist  sie  die  geizigste  sowie  die  sitten- 
loseste Frau. 

Sie  bewohnte  den  Faubourg  Saint-Marceau,  hatte  1000  Taler 
Renten,  lebte  ohne  andere  Gesellschaft  als  die  eines  Lakaien, 
den  sie  Tag  und  Nacht  auf  die  Probe  stellte,  ehe  sie  ihn  enga- 
gierte, und  dessen  geringster  Fehler  einen  Grund  zur  Entlassung 
gab.  Den  letzten,  den  sie  hier  hatte,  jagte  sie  fort,  weil  der  Un- 
vorsichtige eines  Tages  vergaß,  die  Wohnungstür  zu  schließen, 
und  man  sie  so  beim  flagrant  delit  mit  ihm  ertappte.  Ohne  sich 
zu  verwirren,  fing  sie  Streit  mit  ihm  an  und  entließ  ihn  wegen 
mangelnder  Sorgfalt. 

Man  schreibt  ihr  folgende  Bemerkung  zu :  „Ich  liebe  das  Geld; 
ich  verstehe  nicht,  welches  Vergnügen  man  daran  finden  kann,' 
es  wegzugeben  oder  es  auszuleihen;  ich  mag  die  Armen  nicht . . ." 
Sollte  man  glauben,  daß  es  ein  Wesen  gibt,  das  so  verabscheu- 
ungswürdig  ist,  so  verächtlich  und  auch  so  unverschämt  ? 

# 

Auf  der  Place  Dauphine  hat  sich  kürzlich  ein  Abenteuer  zu- 
getragen, das  dem  des  Frater  Girard  gleichen  würde,  wäre  die 
neue  Cadiere  liebenswürdiger.22 

Törichte  Eltern  hatten  ihre  dreizehnjährige  Tochter  einer  Art 
Abbe  anvertraut,  damit  er  sie  die  Pflichten  der  Religion  lehre; 
dazu  die  Erlaubnis,  die  gegen  alle  Vorhaltungen  Rebellische 
nach  Belieben  zu  strafen.  Diese  junge  Person  zeigte  sich  den 
Lehren  des  Abbe  keineswegs  gefügiger,  der  sich  deshalb  damit 
unterhielt,  sie  zu  seinem  Vergnügen  ziemlich  oft  zu  peitschen. 
Das  junge  Mädchen,  das  sich  den  Züchtigungen  dieses  *Tar- 
tüffs  zu  entziehen  strebte,  versuchte  letzthin  durch  ein  Fenster 
der  fünften  Etage  zu  fliehen.  Sie  glitt  aus  und  hätte  einen  ent- 
setzlichen Fall  getan,  wenn  sich  ihr  Kleid  nicht  in  einem  auf- 
ragenden Gitter  verwickelt  hätte;  sie  blieb  daran  hängen,  man 


88  Die  Chronique  Scandaleuse 

eilte  auf  ihr  Schreien  herbei  und  befreite  sie  mit  gebrochenem 
Arm.  Sie  wird  glimpflich  davonkommen,  und  diese  unangenehme 
Lektion  wird  den  Eltern  nicht  umsonst  gegeben  sein. 

Der  Abbe  ist  flüchtig  geworden,  was  sein  Benehmen  und  seine 
Absichten  sehr  verdächtig  erscheinen  läßt. 

Ein  Engländer  hat  kürzlich  in  der  Oper  eine  seltsame  Wette 
verloren;  er  präsentierte  sich  immer  auf  dem  Balkon  mit  kost- 
baren Kleidern,  die  er  unaufhörlich  wechselte.  Ein  flämischer 
Baron,  den  der  Zufall  sehr  oft  in  seiner  Nähe  plazierte,  verlor 
eines  Tages  die  Geduld  über  die  Elogen,  die  man  dem  Luxus 
des  Engländers  zollte. 

„Morgen",  sagte  er  zu  einem  Freunde,  „werdet  Ihr  mich  weit 
prunkvoller  sehen  als  ihn." 

Rosbif,  der  dies  anhörte,  schwor,  ihn  trotz  seiner  Anstren- 
gungen zu  übertreffen. 

Man  stritt,  zweifelte,  wettete  iooo  Louis.  Es  wurde  beschlos- 
sen, daß  Diamanten  und  andere  kostbare  Juwelen  nicht  ver- 
wendet werden  dürften.  Am  nächsten  Tag  erwartete  man  mit 
unbeschreiblicher  Ungeduld  die  Stunde  des  Schauspiels. 

Rosbif  erscheint  in  einem  Gewand  von  so  unerhörter  Pracht, 
daß  man  sich  keinen  Begriff  davon  machen  konnte.  Der  Flame 
kommt  darauf  in  einem  Kleid  aus  brauner  Leinwand,  dessen 
Einfachheit  zur  Verzweiflung  treiben  konnte. 

„Geh  dich  doch  ankleiden",  rufen  ihm  seine  Freunde  zu.  „Ich 
bin  es,  meine  Herren."  „Hast  du  den  Kopf  verloren  ?  Zahle,  Un- 
glücklicher, und  verbirg  dich."  „Nein,  meine  Herren,  beruhigen 
Sie  sich;  ich  habe  nichts  verloren.  Da  sehe  ich  die  berühmten 
Bilderhändler  Donjeux  und  Le  Brun;  laßt  sie  holen."  Sie  kom- 
men :  mein  Flame  öffnet  die  Knöpfe  und  läßt  sie  das  Futter  seines 
Anzugs  untersuchen.  Es  war  ein  Rubens  von  hoher  Schönheit. 

Was  gibt  es  Prachtvolleres  als  einen  Anzug,  der  ein  ähnliches 
Kunstwerk  als  Futter  trägt !  Der  Engländer  zahlt,  und  der  Flame 


Die  Chronique  Scandaleuse        89 


h^däsGeldund  die  Lacher  auf  seiner  Seite.  Das  Geld  ist  nichts, 
wenn  der  Geist  es  nicht  zur  Geltung  bringt. 

* 
Man  kennt  die  verschiedentlichen  Neigungen  der  Mlle  Rau- 
court;  sie  haben  Anlaß  zu  folgendem  Couplet  gegeben,  das  zur 
Melodie  gesungen  wird:  On  compterait  les  diamants  : 

„Pour  te  feter,  belle  Raucourt 

Que  n'ai-je  obtenir  la  puissance 

De  changer  vingt  fois  en  un  jour 

Et  de  sexe  et  de  jouissance? 

Oui,  je  voudrais  pour  t'exprimer 

Jusqu'ä  quel  degre  tu  m'es  chere, 

Etre  jeune  hoiume,  pour  t'aimer, 

Et  jeune  fille,  pour  te  plaire."23 
# 

Man  kennt  die  Mode  der  Krinolinen,  deren  Volumen  mehr  oder 
weniger  den  Umfang  aller  Damen  gleich  macht,  indem  sie  dem 
unteren  Teil  ihrer  Kleidung  ein  glockenförmiges  Aussehen  ver- 
leiht. Das  Auge  hat  sich  an  diese  bizarre  Mode  gewöhnt,  die  Maler 
und  Bildhauer  mit  Verzweiflung  als  grobe  Geschmacksverwir- 
rung zurückweisen  müssen,  da  sie  zu  der  Natur  und  den  schönen 
Überlieferungen  Griechenlands  und  Roms  in  krassem  Wider- 
spruch steht.  Aber  wie  jeder  Mißbrauch  Gutes  und  Böses  ge- 
biert, sei  hier  erzählt,  was   diese  künstliche  Rundung  Frauen 
des  Volkes,  die  der  Macht  der  Mode  folgten,  eingegeben  hat. 
Einige  junge,  sehr  schlanke  und  habsüchtige  Mädchen  hatten 
beschlossen,  vier  Schweinsblasen  rundherum  unter  ihrer  Klei- 
dung zu  befestigen,  damit  sie  die  modische  Körperfülle  gäben. 
Diese  Schweinsblasen  waren  mit  Branntwein  angefüllt,  den  sie 
so  über  die  Barriere  schmuggelten.  Dies  Verfahren  trug  einer 
jeden  20—25  Sols  täglich  ein.  Die  Häufigkeit  ihres  Kommens 
ließ  sie  den  Zollbeamten  verdächtig  erscheinen,  und  man  nahm 
sie  aufs  Korn;  als  man  aber  ihre  Kleider  abfühlen  wollte,  ver- 
teidigten sie  sich  mit  mutiger  Keuschheit.  Schließlich  kam  einer 


oo  Die  Chronique  Scandaleuse 


der  Beamten  eines  Tages  darauf,  die  verdächtige  Fülle  der  Pas- 
santin zu  sondieren,  ohne  daß  sie  es  merkte.  Er  durchstach  ihren 
Rock  mit  einem  zugespitzten  Instrument:  sogleich  verriet  ein 
emporsprudelndes  Brünnlein  von  Branntwein  den  Betrug,  und 
die  von  dem  Abenteuer  ganz  verwirrte  Schmugglerin  wird  fest- 
genommen. 

Seit  dieser  Entdeckung  versichert  man,  daß  Frauen  an  den 
Barrieren  postiert  sind,  die  beauftragt  sind,  Passanten  des  schö- 
neren Geschlechts  anzuhalten  und  zu  untersuchen,  und  daß  sie 
sich  mit  ebensoviel  Eifer  wie  Scharfblick  ihres  Auftrags  entledigen. 

# 

Ein  Schelmenstreich  der  Mlle  Rosalie  von  der  Comedie  Ita- 
lienne  hat  zu  einem  recht  seltsamen  Urteil  geführt. 

Diese  Schauspielerin,  die  unter  dem  Namen  Antonio  im  Ri- 
chard Löwenherz  dem  Blondel  als  Führer  dient,  hatte  auf  dem 
Ärmel  ihres  Anzuges  etliche  Stecknadeln  befestigt.  Clerval  sticht 
sich  daran  bis  aufs  Blut,  als  er  sich  auf  sie- stützt. 

Kaum  ist  er  in  den  Kulissen,  macht  er  der  Schauspielerin  Vor- 
würfe. Diese,  die  einstigen  Beziehungen  zu  Clerval  vergessend, 
verfehlt  nicht,  ihn  in  ihren  beleidigenden  Antworten  daran  zu 
erinnern,  daß  er  einst  Friseurlehrling  gewesen  sei.  Er  klagt  bei 
Richelieu,  dem  ersten  Gentilhomme  der  Kammer.  Der  Wochen- 
inspektor meint,  Rosalie  müsse  zu  einer  Ordnungsstrafe  von 
ioo  Talern  verurteilt  werden.  „Nein,  nein,"  antwortet  Richelieu, 
„sie  würde  jemand  zu  finden  wissen,  der  für  25  Louis  bei  ihr 
schliefe,  und  wäre  mit  einem  Überschuß  von  100  Talern  noch 
unverschämter  als  zuvor;  ins  Gefängnis  mit  ihr!  Ich  verstehe 
mich  darauf;  ins  Gefängnis."  Und  so  geschah  es. 

Rosalie  schlief  allein  und  gratis  in  Hotel  de  la  Force,  aus 
dem  sie  am  nächsten  Morgen  entlassen  wurde.24 

# 

Mlle  Arnould  hat  sich  nach  einem  Streit  mit  Mlle  Raucourt26 
mit  dieser  wieder  versöhnt,  woran  der  Komödiant  Florence  nicht 


Die  Chronique  Scandaleuse  91 

wenig  beteiligt  war.  Diese  Leutchen  haben,  obschon  sie  einander 
sehr  zugetan  sind,  keineswegs  darauf  verzichtet,  pikante,  aber 
nicht  abgeschmackte  Situationen  beim  Schopf  zu  ergreifen.  Ein 
Fräulein  Viehl,  eine  Freundin  von  Mlle  Arnould,  lag  im  Wo- 
chenbett und  ließ  eben  diese  bitten,  Patenstelle  bei  ihrem  Kinde 
zu  vertreten.  Sophie  nahm  diesen  Vorschlag  an,  jedoch  fehlte  es 
an  einem  männlichen  Paten;  die  Wöchnerin  glaubte  etwas 
Schmeichelhaftes  zu  tun,  indem  sie  Florence  vorschlug.  Sophie 
ließ  sagen,  daß  sie  ihn  bei  Tage  nicht  kenne.  Große  Verlegenheit . 
man  spricht  von  Sophies  Schwiegersohn,  Herrn  von  Murville, 
als  Stellvertreter.  Er  ist  ein  langweiliger  Mensch,  der  jenen  alten 
Lakaien  gleicht,  die  man  La  Jeunesse  zu  nennen  pflegt.  Man 
streicht  auch  den  zweiten  vorgeschlagenen  Paten.  Schließlich 
sagt  Sophie  nach  einigem  Nachdenken:  „Aber  warum  suchen 
wir  denn  in  so  weiter  Ferne,  wo  wir  doch  den  Paten  in  der  Hand 
haben:  Raucourt  wird  Pate  stehen."  Da  aber  ein  derartiger  Pate 
unmöglich  angenommen  worden  wäre,  hat  Sophie  ihren  Sohn 
namens  de  Veterville  dazu  verpflichtet. 

# 

Man  erzählt  über  den  verstorbenen  Herrn  Pompignan  eine 
Anekdote,  die  die  jähzornige  Veranlagung  vieler  Frommen  kenn- 
zeichnet. 

Alle  Welt  weiß  von  der  Feindseligkeit,  die  zwischen  diesem 
heiligen  Akademiker  und  seinem  profanen  Kollegen  Voltaire 
herrschte.  Als  die  Folgen  eines  schweren  Schlaganfalls  Herrn  von 
Pompignan  an  den  Rand  des  Grabes  brachten,  versuchen  seine 
Freunde  umsonst,  ihn  zum  Bewußtsein  zu  bringen,  damit  man 
die  Pflichten,  die  die  Religion  vorschreibt,  ausüben  könne.  Ver- 
geblich läßt  man  vor  seinen  Ohren  die  Worte  Luzifer  und  Hölle 
erklingen.  Der  Sterbende  ist  von  beunruhigender  Unempfindlich- 
keit.  Das,  was  die  in  schreckliche  Drohungen  entarteten  Teufels- 
beschwörungen nicht  konnten,  vermochte  der  Name  Voltaires 
allein.  Mme  de  Pompignan  erscheint  und  sagt  zu  ihm,  zitternd 


92  Die  Chronique  Scandaleuse 

um  sein  ewiges  Seelenheil:  „Oh,  mein  Freund,  bedenkt,  daß, 
wenn  Ihr  unseren  Bitten  nicht  nachgebt,  Ihr  ewig  an  der  Seite 
dieses  Schurken  Voltaire  brennen  werdet." 

Bei  diesen  Worten  erhebt  Pompignan  den  Kopf  und  sammelt 
seine  letzten  Kräfte,  um  im  Jenseits  einen  Platz  zu  erlangen, 
recht  weit  von  dem,  den  gewisse  Leute  Voltaire  zudiktiert  haben. 

Nach  unseren  Kabrioletts  hat  man  sehr  erhöhte  Wagen  ge- 
baut, die  Wiskis  genannt  wurden.  Die  Damen  haben  einer  Laune 
gefolgt,  sie  selbst  zu  lenken.  In  den  letzten  Tagen  hat  Mlle  Rosalie, 
die  in  der  Comedie  Italienne  die  Rolle  Antonios  in  Richard  Löwen- 
herz spielt  und  Blondel  erfolgreich  unterstützt,  die  Idee  gehabt, 
schneller  fahren  zu  wollen  als  irgendeine  andere.  Ein  galanter 
Reiter  ritt  voran  und  warnte  die  Menge  mit  lauten  Zurufen. 
Ein  Grenzstein,  der  dieser  Warnung  nicht  ausgewichen  ist,  wurde 
vom  Wiski  überfahren,  dies  hat  sich  völlig  überschlagen  und  die 
entzückende  Hippolyte  zehn  Schritte  weiter  auf  die  Straße  ge- 
schleudert. Glücklicherweise  hat  ein  kräftiger  junger  Mann,  der 
zufällig  vorüberging,  den  kleinen  Antonio  aufgefangen  und  ihn 
so  vor  der  drohenden  Gefahr  bewahrt,  sein  hübsches  Köpfchen 
zu  zerbrechen;  sie  ist  mit  einigen  verborgenen  Kontusionen  da- 
vongekommen, die  nur  ihre  Vertrauten  erblicken  werden. 

# 

Im  Palais  der  Tuilerien  hat  man  einen  Riesenaerostat  anfer- 
tigen lassen,  der  ganz  Paris  auf  die  Beine  gebracht  hat.  Ein 
Kanonenschuß  sollte  den  Aufstieg  verkünden,  aber  als  man  ihn 
durch  eins  der  Fenster  herunterlassen  wollte,  um  ihn  erst  in  den 
Gärten  zu  zeigen,  riß  der  Strick,  der  ihn  fesselte,  und  die  Ge- 
schichte flog  davon.  Er  war  dreizehn  Fuß  hoch  und  nicht  acht- 
zehn, wie  der  Herr  L'Homond,  der  diesen  Apparat  konstruiert 
hat,  zuerst  angekündigt  hatte.  Er  sollte  ein  Epigramm  gegen 
Mesmer  sein.  Er  zeigte  das  Kostüm  eines  Winzers,  trug  einen 
ungeheuren  Packen  auf  dem  Kopf,  unter  dem  man  sich  Trauben 


Die  Chronique  Scandaleuse  93 

vorstellen  sollte,  und  hielt  in  der  Hand  einen  Streifen,  auf  dem 
zu  lesen  stand:  Adieu,  baquet,  vendanges  sont  faites. 

Aber  die  Polizei  hat  Einspruch  erhoben,  und  Herr  Mesmer  hat 
Gold  gesät,  um  diese  lächerliche  Posse  zu  hintertreiben.  Gegen 
Mittag  ist  der  Riese  aufgestiegen,  hat  sich  ziemlich  rasch  zu  einer 
großen  Höhe  erhoben,  immer  noch  mit  dieser  Art  Ballon  auf 
dem  Kopf,  der  ungefähr  das  Baguet  der  Gesundheit  darstellen 
sollte.  Zwei  Minuten  später,  sei  es  durch  Zufall,  sei  es  durch 
Absicht,  platzte  der  Kübel,  und  man  sah,  wie  die  Figur  gegen 
Vaugirard  abstürzte;  da  ertönte  von  allen  Seiten  lautes  Hände- 
geklatsche.  Das  Wetter  war  klar,  doch  wehte  ein  scharfer  Wind; 
das  verhinderte  eine  ungeheure  Menge  nicht,  in  den  Tuilerien 
zu  erscheinen,  wo  man  24  Sols  Eintrittsgeld  zahlte.  Die  Frauen 
waren  reich  geschmückt,  so  gab  es  ein  wunderbares  Bild.  Dies 
beweist,  daß  ihre  Lust,  gesehen  zu  werden,  den  Sieg  über  die 
Launen  des  Wetters  und  die  Nachteile  der  Kälte  fortträgt. 

# 

In  der  vergangenen  Woche  ereignete  sich  im  Palais  Royal  im 
„Camp  des  Tartares",  ein  ziemlich  heftiger  Aufruhr.26 

Mit  ziemlich  viel  Recht  sagt  man,  daß  Paris  einem  Königreich 
gleiche,  in  dem  das  Palais  Royal  die  Hauptstadt  sei.  Tatsächlich 
vereinigt  sich  dort  alles;  man  findet  sogar  gewisse  Erleichterun- 
gen, die  man  anderswo  vergebens  suchen  würde.  Da  gibt  es 
möblierte  Appartements,  wo  alles,  was  der  raffinierteste  Luxus 
bedingt,  sich  vereint,  und  die  für  einen  halben  Louis  pro  Stunde 
vermietet  werden :  man  zweifelt  kaum,  zu  welchem  Zweck.  Man 
erzählt  sogar,  die  Anhänger  der  „Opposition"  fänden  die  gleichen 
Annehmlichkeiten  in  einer  benachbarten  Galerie,  wo  jedoch  der 
Preis  auf  einen  Louis  pro  Stunde  festgesetzt  ist.  Wie  dem  auch 
sei,  tausend  ähnliche  Beweggründe,  die  zur  Entartung  unserer 
guten  Sitten  dienen,  sind  jeden  Abend  Anlaß  zu  einem  unauf- 
hörlichen Andrang  unter  der  Galerie  des  Tartares.  Da  vereinigen 
sich  gegen  Ende  der  Theatervorstellungen  alle  die  Nymphen  des 


qa  Die  Chronique  Scandaleuse 


Stadtviertels,  die  zu  elegant  sind,  um  sich  im  Schmutz  der  Straße 
zu  besudeln. 

Folgendes  hat  die  fragliche  Erregung  hervorgerufen.  Ein  Abbe 
im  Habit,  dem  man  nachsagt,  daß  er  der  Neffe  eines  Erzbischofs 
sei,  hatte  eine  sehr  hübsche,  leichtfertige  Dame  untergefaßt,  als 
es  sich  ein  junger  Herr  einfallen  läßt,  den  Abbe  auf  den  Fuß  zu 
treten.  Dieser  erhebt  heftige  Klage  und  nennt  den  Angreifer  einen 
Schurken;  der  junge  Herr  bedenkt  ihn  mit  ähnlichen  Schmäh- 
worten, der  Abbe  erhebt  seinen  Stock,  ebenso  der  andere,  und 
ein  ernstliches  Handgemenge  bricht  zwischen  ihnen  und  ihren 
Freunden  aus.  Die  erschreckten  Frauen  rufen  um  Hilfe.  Einer 
der  Schweizer,  der  die  Ordnung  aufrechterhalten  soll,  erscheint 
und  weiß  nichts  Besseres,  um  die  Streitenden  zu  trennen,  als  mit 
der  flachen  Klinge  dazwischen  zu  fahren.  Dieser  helvetische  Ein- 
fall empört  das  Publikum,  man  umringt  den  Schweizer,  um  ihn 
zu  entwaffnen,  er  stößt  einen  Pfiff  aus,  und  drei  seiner  Kame- 
raden eilen  ihm  zu  Hilfe;  sie  stellen  sich  Rücken  an  Rücken  mit 
entblößtem  Säbel  auf  und  schlagen  wahllos  auf  die  ein,  die  sich 
ihnen  entgegenstellen. 

Mehrere  Personen  sind  verletzt  worden,  unter  anderem  ein 
Offizier  gesetzten  Alters,  ein  Ritter  des  Ludwigordens,  der  sich 
ganz  gegen  sein  besseres  Wollen  von  der  Menge  vorwärtsge- 
drückt fand,  und  dessen  Hut  durchschnitten  und  Kopf  gespalten 
wurde.  Die  Rufe  nach  der  Wache  verdoppelten  sich,  aber  sei  es, 
daß  sie  ohne  besondere  Erlaubnis  des  Gouverneurs  nicht  ein- 
treten durfte,  sei  es,  daß  sie  sich  erst  in  größerer  Stärke  vereinigen 
wollte,  kurz  sie  blieb  lange  aus.  Endlich  sah  man  sieben  oder 
acht  Rotten  erscheinen,  die  Bajonette  am  Gewehrlauf  befestigt; 
da  flohen  die  Schweizer.  Man  suchte  sie  zu  verfolgen,  und  fand 
sie  in  einem  Haus,  in  dem  sie  sich  in  Sicherheit  gebracht  hatten. 
Sie  wurden  entwaffnet,  und  unter  dem  Beifall  des  Publikums, 
das  schrie:  „Fort!  Ins  Gefängnis,  ins  Loch!"  sollten  sie  abgeführt 
werden,  als  ein  Schweizer  Offizier  erschien  und  seine  Soldaten 


Die  Chronique  Scandaleuse  95 

verlangte.  Man  führte  sie  zum  Gouverneur,  und  man  sagt,  daß  sie 
damit  davonkamen,  daß  man  sie  im  Kasernengefängnis  einsperrte 

Das  Publikum  ist  sehr  unzufrieden,  keine  bessere  Genugtuung 
erlangt  zu  haben,  und  daß  am  nächsten  Tage  zwei  junge  Leute, 
die,  wie  es  schien,  an  dem  Aufruhr  teilgenommen  hatten  und 
sich  am  selben  Ort  davon  unterhielten,  festgenommen  und  ins 
Hotel  de  la  Force  gebracht  wurden. 

Die  Wache  der  Galerie  ist  stark  vermehrt  worden;  tatsächlich 
sind  die  Schweizer  viel  anständiger,  sie  sprechen  und  verstehen 
Französisch  und  verhindern  störende  Ansammlungen. 

Seit  jenem  Ereignis  sieht  man  weit  weniger  Mädchen  und 
keinen  einzigen  Abbe  mehr  dort. 

# 

Der  Chevalier  de  la  Morliere,  der  im  Jahre  1784  gestorben  ist, 
hatte  sich  sozusagen  zum  Arbiter  Deuer  Stücke  und  junger  De- 
bütanten im  Theätre  Francais  aufgeschwungen.27  Er  hat  es,  als 
Leiter  einer  ziemlich  großen  Claque,  die  er  geschickt  im  Parterre 
versteckte,  in  der  Gewalt,  durch  gewandte  Manöver  die  öffent- 
liche Meinung  mit  sich  fortzureißen  und  zu  beherrschen.  Als 
eine  weise  Polizei  es  untersagte,  zu  pfeifen  oder  zu  johlen,  er- 
fand er  eine  Art,  laut  und  anhaltend  zu  gähnen,  die  auf  ver- 
doppelte Weise  Lachen  machte  und  diesen  Reiz  dem  Zwerch- 
fell der  Umsitzenden  vermittelte. 

Eines  Tages  ersucht  ihn  der  Wachthabende,  nicht  so  viel  Lärm 
zu  machen. 

„Wohl,  mein  Freund,"  sagt  er  ihm,  „Ihr,  die  Ihr  soviel  guten 
Menschenverstand  zu  haben  scheint  und  ans  Theater  gewöhnt 
seid,  findet  Ihr  dies  vielleicht  etwa  gut?"  „Ich  behaupte  dies 
nicht,"  antwortet  der  besänftigte  Soldat,  „aber  haben  Sie  die 
Güte,  nicht  mehr  zu  gähnen." 

# 

Ein  Abenteuer,  das  sich  soeben  im  Palais  Royal  ereignet  hat 
wird  viel  dazu  beitragen,  um  die  gefährlichen  Priesterinnen  der 


o6  Die  Chronique  Scandaleuse 


Cythere  zurückzurufen,  die  das  Handgemenge  des  letzten  Mo- 
nats von  der  Tartarenallee  ferngehalten  hatte. 

Zwei  polizeiliche  Beobachterinnen,  denn  es  gibt  solche  beiderlei 
Geschlechts,  kamen  eines  Abends,  Quidor,  den  Polizeiinspektor, 
zu  benachrichtigen,  daß  zwei  junge  Mädchen  im  Garten  säßen, 
obgleich  man  ihnen  verboten  hatte,  sich  ohne  männliche  Beglei- 
tung dort  aufzuhalten.  Quidor  nimmt  neben  den  beiden  Damen, 
die  man  ihm  bezeichnet,  einen  Stuhl,  leitet  eine  Unterhaltung 
mit  ihnen  ein  und  schlägt  ihnen  nach  einigen  galanten  Redens- 
arten vor,  sie  nach  Haus  zu  begleiten,  was  sie  annehmen. 

Kaum  sind  sie  in  der  Nähe  der  Gartentür  angekommen,  als 
der  Inspektor  ihnen  im  Namen  des  Gesetzes  gebietet,  ihm  zu 
folgen.  „Man  muß  gehorchen",  antworten  sie. 

Aber  als  sie  heraustreten,  wird  der  Polizeiagent  grausam  ent- 
täuscht, als  er  erblicken  muß,  wie  ein  Haiduck  und  drei  große 
Lackaien  sich  nähern  und  die  prächtige  Equipage  ihrer  Herrinnen 
vorfahren  lassen.  Er  versucht  zu  verschwinden. 

Die  Damen  jedoch  zwingen  ihn,  in  ihren  Wagen  zu  steigen 
und  sie  zu  einem  Kommissar  zu  begleiten,  um  Genugtuung  für 
die  erlittene  Unbill  zu  fordern. 

Herr  de  Crosne  hat  ihnen  versprochen,  im  Ministerium  davon 
zu  sprechen,  und  der  Inspektor  wird  wohl  seine  Stellung  verlieren. 

* 

Hier  eine  lustige  Anekdote,  die  gut  aus  Griechenland  wieder 
auferstanden  sein  könnte.  Man  erzählt,  daß  die  Frau  eines  Bür- 
germeisters in  Tours  sich  auf  der  Terrasse  zu  Versailles  in  einer 
prunkvollen,  aber  sehr  alten  Robe  erging. 

Eine  Bande  junger  Leute  geht  vorüber;  der  leichtsinnigste 
von' ihnen  löst  sich  von  der  Gruppe  und  küßt  den  Saum  ihres 
Kleides.  „Ist  es  tatsächlich  neueste  Mode,  mein  Herr,  das  Kleid 
einer  Frau  zu  küssen?"  „Nein,  Madame",  antwortet  der  junge 
Mann,  „aber  ich  habe  so  viel  Verehrung  für  die  Antike,  daß 
ich  gemeint  habe,  Ihnen  Ehrerbietung  zeigen  zu  müssen." 


Die  Chronique  Scandaleuse  97 


„Oh,  warum  sprachen  Sie  nicht  eher,  mein  Freund,"  antwor- 
tet die  boshafte  Provinzialin,  „ich  hätte  Sie  dann  meinen  Hin- 
tern küssen  lassen;  er  ist  zwanzig  Jahre  älter." 

# 

Leute,  die  an  Vorbedeutungen  und  Träume  glauben,  werden 
mit  Vergnügen  diese  ganz  neue  Anekdote  lesen,  für  deren  Wahr- 
heit ein  glaubwürdiger  Mann  garantiert : 

Ein  reicher  Irländer  hatte  sich  mit  seiner  Frau,  die  sehr  schön 
war  und  immer  noch  als  hübsche  Frau  gelten  konnte,  nach  Mont- 
rouge  bei  Paris  zurückgezogen.  Sie  wurde  krank  und  starb  nach 
kurzer  Zeit.  Man  sagt,  daß  die  Koketterie  den  Frauen  angeboren 
sei;  man  könnte  hinzufügen,  daß  sie  sie  überlebt.  Mit  einer  ka- 
priziösen Laune,  die  nicht  vereinzelt  dasteht,  beschwor  die  Frau 
des  Irländers  ihren  Mann,  sie  angetan  mit  ihren  schönsten  Klei- 
dern und  ihrem  Schmuck,  der  sie  auch  während  ihrer  Krankheit 
nicht  verlassen  hatte,  zu  begraben.  Der  untröstliche  Gatte  ver- 
sprach und  hielt  Wort.  Am  nächsten  Morgen  glaubt  er  im 
Traum  seine  Frau  zu  sehen,  die  auf  unanständigste  Weise  be- 
leidigt worden  ist  und  seine  Hilfe  anruft ;  in  heftigster  Erregung 
erwacht  er,  sucht  seine  üblen  Empfindungen  zu  zerstreuen  und 
schläft  wieder  ein;  dasselbe  Bild  erscheint  ihm  mit  größerer  Hef- 
tigkeit wie  beim  ersten  Male;  er  erwacht  noch  erregter,  macht 
erneute  Anstrengungen,  seine  unruhige  Einbildungskraft  zu 
beruhigen,  und  es  gelingt  ihm  mit  Anstrengung,  den  Schlaf 
wiederzufinden.  Diesmal  ist  er  noch  zerquälter  von  dem  er- 
schreckenden Schauspiel,  das  er  zu  hören  und  zu  sehen  ver- 
meint hat. 

Er  erhebt  sich,  kleidet  sich  an,  und  auf  die  Gefahr  hin,  für 
einen  Nachtwandler  zu  gelten,  geht  er  den  Pfarrer  um  die  Er- 
laubnis bitten,  das  Grab  seiner  Frau  zu  besuchen. 

Wie  er  an  der  Kirche  vorbeikommt,  erblickt  er  ein  Licht;  er 
zittert  vor  Furcht  seinen  Traum  verwirklicht  zu  sehen;  er  nähert 
sich;  des  Verstandes  beraubt,  außer  sich,  vernimmt  er  Geräusche 


o8  Die  Chronique  Scandaleuse 


und  schlägt  Lärm;  das  Geräusch  verstummt;  er  eilt  zum  Pfarrer, 
heißt  ihn  aufstehen,  schleppt  ihn  zur  Kirche. 

Sie  erblicken  noch  das  Licht,  hören  Geräusche;  man  sucht  den 
Kirchendiener,  der  die  Schlüssel  hat;  er  ist  abwesend;  bald  sind 
die  Kirchentüren  erbrochen. 

Auf  Stühlen  ausgestreckt  findet  man  die  Tote,  die  ausgegraben 
worden  ist,  vergewaltigt,  beraubt  und  auf  jegliche  Weise  ge- 
schändet. Einer  der  Komplizen  dieser  Scheußlichkeit  hat  ent- 
fliehen können,  den  anderen  hat  man  aus  besonderen  Gründen 
laufen  lassen,  um  diese  skandalöse  Affäre  zu  vertuschen. 

# 

Gespräch  Herrn  Diderots  mit  der  Marschallin  von  D***,  von 
ihm  selbst  erzählt : 

„Ich  hatte,  ich  weiß  nicht  mehr  in  welcher  Angelegenheit, 
mit  dem  Marschall  D***  zu  sprechen.  Ich  spreche  bei  ihm  vor, 
er  ist  abwesend;  man  führt  mich  zu  Mme  La  Marechale.  Sie  ist 
eine  charmante  Frau;  sie  ist  schön,  ist  fromm  wie  ein  Engel;  die 
Güte  ist  auf  ihrem  Gesicht  geschrieben,  sie  hat  die  süßeste  Stim- 
me und  eine  Naivetät  der  Unterhaltung,  die  ihrer  Physiognomie 
entspricht.  Sie  war  mit  ihrer  Toilette  beschäftigt.  Man  schiebt 
mir  einen  Sessel  hin,  ich  setze  mich,  und  wir  plaudern. 

Auf  einige  Bemerkungen  von  mir,  die  sie  erstaunten  und  be- 
lehrten, denn  sie  war  der  Meinung,  daß  jemand,  der  die  heilige 
Dreieinigkeit  leugne,  ein  Erztaugenichts  sei,  den  man  eines  Tages 
hängen  würde,  sagt  sie  zu  mir: 

„Sind  Sie  nicht  Monsieur  Diderot  ?"  —  „Ja,  Madame."— „Sie 
sind  also  der  Ketzer  ?"  —  „Gewiß,  Madame."  „Ihre  Moral  indes- 
sen ist  die  eines  Gläubigen."  — „Warum  nicht,  wenn  er  ein  anstän- 
diger Mensch  ist."  —  „Und  befolgen  Sie  diese  Moral  ?"  —  „Nach 
bestem  Wissen  und  Wollen."  — „Wie,  Sie  stehlen  nicht,  Sie  töten 
nicht,  Sie  plündern  nicht  ?"  —  „Sehr  selten."  —  „Was  haben  Sie 
denn  davon,  nichts  zu  glauben  ?"  —  „Nichts;  glaubt  man  denn, 
weil  es  etwas  dabei  zu  gewinnen  gibt  ?"  —  „Ich  weiß  es  nicht,  aber 


Die  Chronique  Scandaleuse  99 


der  Eigennutz  verdirbt  nichts  in  den  Dingen  dieser  oder  jener  an- 
deren Welt."  —  „Das  bedauere  ich  ein  wenig  für  Ihre  armselige, 
menschliche  Rasse."  — „Sie  stehlen  also  nie  ?"  — „Nein,  auf  Ehre." 
— „Wenn  Sie  weder  Dieb  noch  Mörder  sind,  geben  Sie  wenigstens 
zu,  daß  Sie  nicht  konsequent  sind  ?"  — „Warum  denn  ?"  — „Weil 
es  mir  scheint,  daß  ich,  wenn  ich  nach  meinem  Tode  nichts  zu 
fürchten  noch  zu  hoffen  hätte,  ich  mich  in  dem  jetzigen  Leben 
so  mancher  Süßigkeit  nicht  enthalten  würde;  ich  gebe  zu,  daß 
ich  Gott  auf  kurze  Zeit  und  hohe  Zinsen  ausliehe."  —  „Sie  bilden 
sich  das  ein."  —  „Das  ist  keine  Einbildung,  das  ist  Tatsache." 
—  „Und  darf  man  fragen,  was  für  Dinge  es  sein  würden,  die 
Sie  sich  erlaubten,  wären  Sie  ungläubig  ?"  —  „Das  ist  ein  Teil 
meiner  Beichte."  —  „Ich  meinerseits  gäbe  mich  verloren."  — 
„Das  ist  die  Zuflucht  aller  Lumpen."  —  „Würde  ich  Ihnen  als 
Wucherer  lieber  sein  ?"  —  „Man  kann  mit  Gott  wuchern,  so- 
viel man  will,  man  ruiniert  ihn  nicht.  Ich  weiß,  daß  dies  nicht 
sehr  zartfühlend  klingt,-  aber  was  tut  das  ?  Da  es  sich  darum  han- 
delt, den  Himmel  durch  Geschicklichkeit  oder  durch  Kraft  zu 
gewinnen,  muß  man  alles  in  Rechnung  ziehen,  keinen  Vorteil 
vernachlässigen.  Wir  haben  gut  reden;  alles,  was  wir  bieten  kön- 
nen, ist  recht  jämmerlich  im  Verhältnis  zu  der  Aufnahme,  die 
wir  erwarten.  Und  Sie  erwarten  also  gar  nichts  ?"  —  „Nein."  — 
„Das  ist  traurig;  geben  Sie  doch  zu,  daß  Sie  entweder  sehr 
schlecht  oder  sehr  töricht  sind."  — „Ich  gestehe,  ich  kann  nichts 
dergleichen  zugeben,  Madame."  —  „Welches  Motiv  kann  ein 
Ungläubiger  haben,  um  gut  zu  sein,  wenn  er  nicht  ein  Narr 
ist  ?"  —  „Ich  werde  es  Ihnen  sagen.  Glauben  Sie  nicht,  daß  man 
so  glücklich  geboren  sein  kann,  daß  man  Freude  daran  findet, 
Gutes  zu  tun  ?"  —  „Ich  glaube  es."  —  „Daß  man  eine  ausgezeich- 
nete Erziehung  empfangen  haben  kann,  die  eine  natürliche  Nei- 
gung zur  Wohltätigkeit  unterstützt  ?"  — „Gewiß."  — „Und  daß 
uns  die  Erfahrung  in  vorgeschrittenem  Alter  überzeugt  haben 
kann,  daß  es  in  dieser  Welt  zu  unserem  Glücke  besser  ist,  ein 

7* 


ioo  Die  Chronique  Scandaleuse 

ehrlicher  Mensch  zu  sein,  als  alles  zu  nehmen  und  ein  Schelm 
zu  werden?"  —  „Jawohl,  aber  wie  ist  man  ein  anständiger 
Mensch,  wenn  schlechte  Prinzipien  sich  mit  den  Leidenschaften 
vereinen,  um  zum  Bösen  fortzureißen  ?"  —  „Man  ist  inkon- 
sequent, und  gibt  es  etwas,  das  allgemeiner  wäre  als  Inkon- 
sequenz?" —  „Leider,  nein;  man  glaubt  und  führt  sich  täg- 
lich auf,  als  ob  man  nicht  gläubig  wäre."  —  „Und  ohne  Glau- 
ben benimmt  man  sich  ungefähr  ebenso,  als  wenn  man  glaubte." 

—  „Was  Sie  nicht  sagen!  Aber  welche  Unbequemlichkeit 
brächte  es  mit  sich,  hätte  man  einen  Grund  mehr,  die  Religion, 
um  Gutes  zu  tun,  und  einen  Grund  weniger,  den  Unglauben, 
um  schlecht  zu  sein  ?"  —  „Keine,  wenn  die  Religion  ein  Anlaß 
wäre,  Gutes  zu  tun,  und  der  Unglauben  ein  Anlaß  zum  Töten." 

—  „Gibt  es  darüber  irgendeinen  Zweifel?  ist  es  nicht  das  Wesen 
der  Religion  ohne  Unterlaß,  diese  häßliche,  verderbte  Natur 
zu  durchkreuzen,  und  das  des  Unglaubens,  sie  ihrer  Schlechtig- 
keit dadurch  auszuliefern,  daß  sie  sie  von  der  Furcht  befreit  ?" 

—  „Dies,  Madame,  wird  zu  einer  endlosen  Diskussion  führen." 

—  „Was  tut  das  ?  Der  Marschall  wird  so  bald  nicht  heimkommen, 
und  es  ist  besser,  daß  wir  über  vernünftige  Dinge  sprechen,  als 
zu  klatschen."  — „Ich  muß  also  etwas  höher  beginnen."  — „So 
hoch,  wie  Sie  wünschen,  vorausgesetzt,  daß  ich  Sie  verstehen 
kann."  — „Wenn  Sie  mich  nicht  verstehen,  wird  es  an  mir  lie- 
gen." —  „Das  ist  sehr  höflich,  aber  Sie  müssen  wissen,  daß  ich 
nie  etwas  anderes  gelesen  habe  als  mein  Gebetbuch,  und  ich  nie 
anders  beschäftigt  war,  als  das  Evangelium  zu  üben  und  Kinder 
zu  gebären."  —  „Dies  sind  zwei  Pflichten,  deren  Sie  sich  gut 
entledigt  haben."  —  „Ach  ja,  was  die  Kinder  anbetrifft,  so  habe 
ich  sechs  lebendige  und  ein  siebentes,  das  bald  erscheinen  wird, 
aber  fahren  Sie  fort."  —  „Madame,  gibt  es  irgend  etwas  Gutes 
auf  dieser  Welt,  das  ohne  Nachteile  ist.?"  —  „Nein."  —  „Und 
irgend  etwas  Böses,  das  einen  Vorteil  hat  ?"  —  „Nein." 

■ —  „Was  nennen  Sie  denn  ,Gut'  und  ,Böse'  ?" 


Die  Chronique  Scandaleuse  101 

—  „Das  Böse  ist  das,  was  mehr  Nach-  als  Vorteile,  und  das 
Gute,  was  mehr  Vorteile  als  Nachteile  hat." 

—  „Würden  Madame  die  Güte  haben,  sich  der  Definition  von 
Gut  und  Böse  zu  erinnern  ?" 

—  „Ich  erinnere  mich  daran." 

—  „Also  sind  Sie  überzeugt,  daß  die  Religion  mehr  Vor- 
ais Nachteile  hat,  und  deshalb  nennen  Sie  sie  einen  Gewinn." 

—  „Gewiß." 

—  „Ich  meinerseits  zweifle  nicht  daran,  daß  Ihr  Intendant  Sie 
nicht  am  Abend  vor  Ostern  etwas  weniger  bestiehlt  als  am  Mor- 
gen nach  einem  Festtage,  und  daß  die  Religion  von  Zeit  zu  Zeit 
eine  gewisse  Anzahl  geringer  Übel  verhindert  und  manches  Gute 
erzeugt." 

—  „Wenig  und  wenig  macht  eine  Summe." 

—  „Aber  glauben  Sie,  daß  die  schrecklichen  Verheerungen, 
die  sie  in  vergangenen  Zeiten  angerichtet  hat  und  die  sie  in 
kommenden  Zeiten  veranlassen  wird,  genügend  durch  jene 
jammervollen  Vorteile  kompensiert  seien  ?  Denken  Sie  daran, 
daß  sie  heftigste  Feindseligkeit  zwischen  den  Nationen  schuf 
und  erhält.  Es  gibt  keinen  Muselmann,  der  nicht  vermeinte, 
einen  Gott  und  dem  Propheten  gefälligen  Dienst  damit  zu  tun. 
daß  er  die  Christen  ausrottete,  die  ihrerseits  nicht  etwa  tole- 
ranter sind.  Bedenken  Sie,  daß  die  Religion  in  einem  Lande 
Zwiste  hervorgerufen  und  fortgeführt  hat,  die  selten  ohne  Blut- 
verlust beigelegt  worden  sind.  Bedenken  Sie,  daß  sie  in  der 
Gesellschaft  bei  Bürgern  und  Familien,  bei  Verwandten  ewigen 
und  unversöhnlichen  Haß  hervorgerufen  und  fortgezeugt  hat. 
Christus  hat  gesagt,  daß  er  gekommen  sei,  um  den  Gatten  vom 
Weib  zu  trennen,  die  Mutter  von  ihren  Kindern,  den  Bruder 
von  seiner  Schwester,  den  Freund  vom  Freunde,  und  seine  Ver- 
kündigung hat  sich  nur  zu  gut  bewahrheitet." 

—  „Dies  sind  Mißbräuche,  aber  nicht  die  Sache  selbst." 

—  „Die  Sache  ist  es,  von  der  die  Mißbräuche  unlöslich  sind." 


102  Die  Chronique  Scandaleuse 


—  „Und  wie  wollen  Sie  mir  beweisen,  daß  nichts  in  der  Welt 
diese  Mißbräuche  beseitigen  könnte  ?" 

—  „Sehr  leicht.  Wenn  ein  Misanthrop  beschlossen  hat,  das 
Menschengeschlecht  unglücklich  zu  machen,  was  Besseres  hätte 
er  erfinden  können  als  den  Glauben  an  ein  unverständliches 
Wesen,  über  das  die  Menschen  sich  nie  haben  einigen  können 
und  dem  sie  mehr  Bedeutung  zugemessen  haben  als  ihrem 
eigenen  Leben  r  Oder  ist  es  möglich,  von  dem  Begriff  einer 
Gottheit  die  größte  Bedeutung  und  die  tiefste  Unbegreiflichkeit 
zu  trennen  ?" 

—  „Nein." 

—  „Schlußfolgern  Sie  also." 

—  „Ich  schließe  daraus,  daß  sie  eine  Idee  ist,  die  im  Gehirn 
eines  Narren  nicht  ohne  Folgen  bleiben  kann." 

—  „Und  fügen  Sie  dazu,  daß  die  Narren  immer  in  der  Über- 
zahl waren  und  sein  werden,  und  daß  die  gefährlichsten  jene 
sind,  die  die  Religion  selbst  dazu  gemacht  hat,  und  aus  denen 
die  Störenfriede  der  menschlichen  Gesellschaft  bei  Gelegenheit 
guten  Nutzen  ziehen  werden." 

—  „Aber  wir  brauchen  etwas,  das  den  Menschen  für  seine 
schlechten  Handlungen,  die  der  Strenge  des  Gesetzes  entgehen, 
bedrohe,  und  wenn  Sie  die  Religion  zerstören,  was  geben  Sie  uns 
zum  Ersatz  ?" 

—  „Wenn  ich  auch  nichts  an  ihrer  Stelle  zu  geben  wüßte, 
wäre  es  immer  ein  schreckliches  Vorurteil  weniger  und  in  Be- 
tracht zu  ziehen,  daß  die  religiösen  Meinungen  nie  als  Basis 
nationaler  Sitten  gedient  haben,  weder  in  irgendeinem  Jahr- 
hundert, noch  bei  irgendeiner  Nation.  Die  Göttei,  die  von 
jenen  alten  Griechen  und  Römern  angebetet  wurden,  den  ehr- 
lichsten Menschen  unter  der  Sonne,  waren  die  verworfenste  Ka- 
naille: Ein  Jupiter,  der  lebendig  hätte  verbrannt  werden  müssen; 
eine  Venus,  reif  für  ein  Hospital;  ein  Merkur,  den  man  hätte  ins 
Zuchthaus  einsperren  müssen." 


Die  Cbronique  Scandaleuse  103 

—  „Und  Sie  glauben,  es  sei  ganz  gleichgültig,  ob  wir  Christen 
oder  Heiden  seien  ?  Daß  wir  als  Heiden  nicht  unwürdiger  wären, 
und  als  Christen  nicht  würdiger  ?" 

—  „Wahrhaftig,  das  glaube  ich." 

—  „Das  ist  unmöglich." 

—  „Aber,  Madame,  gibt  es  denn  Christen  ?  Ich  habe  noch  nie 
welche  gesehen." 

—  „Und  mir  sagen  Sie  das  f  Mir  ?" 

—  „Nein,  Madame,  nicht  Ihnen;  einer  Nachbarin,  die  anstän- 
dig und  fromm  ist  wie  Sie  und  sich  gläubigste  Christin  glaubt, 
wie  Sie." 

—  „Und  zeigten  ihr,  daß  sie  unrecht  habe  ?" 

—  „In  einem  Augenblick." 

—  „Wie  haben  Sie  das  angefangen  ?" 

—  „Ich  öffnete  ein  Neues  Testament,  dessen  sie  sich  oft  be- 
dient hatte,  denn  es  war  stark  abgenutzt.  Ich  las  ihr  die  Berg- 
predigt vor,  und  bei  jedem  Abschnitt  fragte  ich  sie:  , Befolgen 
Sie  dieses,  und  dies  hier,  und  auch  das  noch?'  Ich  ging  noch 
weiter.  Sie  ist  schön  und,  ob  sie  auch  gut  und  fromm  ist,  sich 
dessen  bewußt.  Sie  hat  eine  sehr  weiße  Haut,  und  obwohl  sie 
nicht  sehr  großen  Wert  auf  diesen  vergänglichen  Vorzug  legt, 
ist  sie  nicht  böse,  wenn  man  ihr  Schmeicheleien  darüber  sagt.  Sie 
hat  den  entzückendsten  Busen,  den  man  sich  denken  kann,  und 
obschon  sehr  bescheiden,  gefällt  es  ihr,  daß  man  dies  bemerke." 

— „Vorausgesetzt,  daß  es  nur  sie  und  ihr  Mann  ist,  die  das 
wissen." 

—  „Ich  glaube,  daß  ihr  Mann  es  besser  weiß  als  ein  anderer, 
aber  für  eine  Frau,  die  sich  großer  Christlichkeit  rühmt,  genügt 
das  nicht.  Ich  sagte  ihr:  ,Steht  es  nicht  im  Evangelium  ge- 
schrieben, daß  der,  der  die  Frau  eines  anderen  begehrt,  Ehebruch 
getrieben  habe  in  seinem  Herzen  ?'  " 

—  „Hat  sie  Ihnen  ,jV  geantwortet  ?" 

—  „Ich  sagte  ihr:  ,Und  der  Ehebruch  des  Gedankens,  ver- 


104  Die  Chronique  Scandaleuse 


dämmt  er  nicht  ebenso  wie  der  best  beschaffene  wirkliche  Ehe- 
bruch?4" 

—  „Hat  sie  Ihnen  wieder  ,ja'  geantwortet  ?" 

—  „Ich  sagte  ihr:  ,Und  wenn  der  Mann  verdammt  wird,  des 
Ehebruches  wegen,  den  er  in  seinem  Herzen  begangen  hat,  was 
wird  das  Los  der  Frau,  die  alle,  die  sich  ihr  nähern,  dazu  ein- 
lädt, dies  Verbrechen  zu  begehen?'  Diese  letzte  Frage  ver- 
wirrte sie." 

—  „Ich  verstehe;  das  kam  daher,  daß  sie  diesen  Busen,  der 
so  schön  war,  als  er  irgend  sein  könnte,  nicht  gerade  auffällig 
verschleierte." 

—  „Das  ist  wahr;  sie  sagte  mir,  das  wäre  so  Sitte,  wie  es 
genau  so  Sitte  ist,  sich  Christ  oder  nicht  Christ  zu  nennen; 
daß  man  sich  nicht  lächerlich  kleiden  könne,  als  wenn  es  irgend- 
einen Vergleich  zwischen  einer  kleinen  Lächerlichkeit,  ihrer  ewi- 
gen Verdammnis  und  der  ihr  Nächsten  zu  machen  gäbe;  daß  ihre 
Schneiderin  sie  anzöge,  und  ob  es  besser  sei,  von  einer  Gewohn- 
heit abzugehen,  als  seiner  Religion  zu  entsagen ;  daß  es  die  Laune 
ihres  Mannes  sei,  da  ein  Gatte  unvernünftig  genug  sei,  von  seiner 
Frau  Schamlosigkeit  und  Pflichtvergessenheit  zu  verlangen,  und 
daß  eine  wahre  Christin  den  Gehorsam  für  einen  extravaganten 
Mann  bis  zu  diesem  Opfer  des  göttlichen  Willens  treiben  müsse, 
selbst  auf  die  Gefahr  der  Sühnung  durch  ihren  Erlöser  hin." 

—  „Ich  wußte  im  voraus  alle  diese  Albernheiten;  vielleicht 
hätte  ich  sie  Ihnen  ebenso  wie  Ihrer  Nachbarin  gesagt,  aber  sie 
und  ich  wir  hätten  alle  beide  in  schlechtem  Glauben  gehandelt. 
Und  welche  Partei  ergriff  sie  nach  Ihren  Vorhaltungen  ?" 

—  „Am  Morgen  nach  dieser  Unterhaltung,  es  war  ein  Fest- 
tag, kam  ich  nach  Hause,  und  meine  schöne  und  fromme  Nach- 
barin ging  aus,  um  sich  zur  Messe  zu  begeben." 

—  „Wie  stets  gekleidet  ?" 

—  „Wie  stets  gekleidet ;  ich  lächle,  sie  lächelt,  und  wir  gehen 
aneinander  vorbei,  ohne  zu  sprechen.  Madame!  Eine  anständige 


Die  Chronique  Scandalsuse  105 


Frau!  Eine  Christin!  Eine  Fromme!  Welch  tatsächlichen  Ein- 
fluß kann  ich  der  Religion  aut  die  Sitten  einräumen?   Nach 
diesem  und  tausend  andern  Exempeln  derselben  Gattung:  Fast 
keinen,  und  es  ist  besser  so." 
■ —  „Wie  denn,  besser  so  ?" 

—  „Doch,  Madame!  Wenn  20000  Einwohner  von  Paris  sich 
plötzlich  einfallen  ließen,  ihr  Benehmen  streng  nach  der  Berg- 
predigt zu  richten  ..." 

—  „Nun  wohl,  dann  würden  etliche  schöne  Brüste  besser  be- 
deckt werden!" 

—  „Und  es  würde  so  viel  Narren  geben,  daß  der  Herr  Poli- 
zeileutnant nicht  wüßte,  wohin  damit,  denn  unsere  Lusthäuser 
würden  nicht  dazu  genügen.  Unsere  Lehrbücher  kennen  zweierlei 
Moral,  die  eine,  die  allen  Nationen  jeder  Glaubensart  gemein  ist, 
und  die  man  ungefähr  befolgt;  und  eine  andere,  die  jede  Nation 
und  jedes  Glaubensbekenntnis  für  sich  hat,  an  die  man  glaubt, 
die  man  in  den  Kirchen  predigt,  die  man  zu  Hause  preist  und  die 
man  auf  seine  Weise  ausübt." 

—  „Und  woher  kommt  diese  Ungereimtheit  ?" 

—  „Daher,  daß  es  unmöglich  ist,  ein  ganzes  Volk  einer  Regel 
zu  unterjochen,  die  nur  für  gewisse  Melancholiker  geeignet  und 
denen  sie  auf  den  Charakter  geschrieben  ist.  Es  ist  mit  den  Reli- 
gionen, wie  mit  monarchischen  Konstitutionen,  die  alle  mit  der 
Zeit  ihre  Spannkraft  verlieren;  sie  sind  ein  Aberwitz,  der  der 
konstanten  Triebkraft  der  Natur,  die  uns  unter  ihre  Gesetze 
zurückzwingt,  nicht  standhalten  kann.  Man  erreichte,  daß  das 
Wohl  des  einzelnen  Individuums  so  eng  mit  dem  der  großen 
Allgemeinheit  verknüpft  ist,  daß  der  einzelne  Bürger  kaum 
imstande  wäre,  der  Gesellschaft  zu  schaden,  ohne  sich  selbst 
in  Mitleidenschaft  zu  ziehen;  man  sichere  der  Tugend  eine 
Belohnung,  wie  man  der  Bosheit  eine  Strafe  gesichert  hat;  daß 
ein  Verdienst,  gleichviel  welcher  Art  es  sei,  ohne  Unterschied 
der  Religion,  zu  einer  hervorragenden  Staatsanstellung  führe; 


io6  Die  Chronique  Scand&leuse 


und  man  rechne  nur  mit  der  geringen  Zahl  schlechter  Men- 
schen, die  von  einer  perversen  Natur,  die  durch  nichts  gefesselt 
werden  kann,  zum  Laster  getrieben  werden.  Frau  Marschal- 
lin, die  Versuchung  liegt  zu  nah,  und  die  Hölle  ist  zu  fern;  er- 
warten Sie  nichts,  das  der  Mühe  lohnte,  wenn  eine  weise  Ge- 
setzgebung sich  der  Religion  annähme,  eines  Systems  bizarrer 
Meinungen,  das  nur  für  Kinder  Bedeutung  hat;  das  das  Ver- 
brechen dank  der  Bequemlichkeit  seiner  Bestrafung  unterstützt, 
das  den  Schuldigen  hinsendet,  Gott  um  Vergebung  seines  den 
Menschen  zugefügten  Unrechtes  zu  bitten,  und  das  die  Grund- 
lage unsere  moralischen  und  natürlichen  Pflichten  herabwürdigt, 
indem  es  sich  einer  Ordnung  schimärischer  Pflichten  unterwirft." 

—  „Ich  verstehe  Sie  nicht." 

—  „Ich  will  mich  erklären;  aber  da  ist,  scheint  mir,  der 
Wagen  mit  dem  Marschall,  der  sehr  zur  rechten  Gelegenheit 
erscheint,  um  mich  zu  verhindern,  eine  Dummheit  zu  sagen." 

—  „Aber  sagen  Sie  sie  doch,  sagen  Sie  Ihre  Dummheit,  ich 
werde  sie  nicht  hören,  ich  habe  mich  daran  gewöhnt,  nur  das  zu 
verstehen,  was  mir  paßt." 

Ich  näherte  mich  ihrem  Ohr  und  sagte  ganz  leise:  „Frau 
Marschallin,  fragen  Sie  den  Vikar  Ihrer  Gemeinde  nach  diesen 
beiden  Verbrechen:  in  ein  Weihwasserbecken  pissen  oder  den 
Ruf  einer  anständigen  Frau  schwärzen,  was  wohl  das  Schlim- 
mere sei.  Das  erstere  wird  ihn  vor  Entsetzen  zittern  lassen,  er 
wird  gegen  dieses  Sakrileg  seine  Stimme  erheben,  und  das  Ge- 
setz, das  von  Verleumdung  kaum  Notiz  nimmt,  während  es 
Heiligtumsschändung  mit  dem  Feuertod  straft,  wird  die  Geister 
endgültig  verwirren  und  vernünftige  Gedanken  zerstören. 

—  „Ich  kenne  mich  als  eine  Frau,  die  sich  ein  Gewissen  daraus 
machen  würde,  am  Freitag  Fleisch  zu  essen  und  die  . . .  beinahe 
hätte  ich  nun  auch  eine  Dummheit  gesagt;  fahren  Sie  fort." 
—  „Aber,  gnädige  Frau,  ich  muß  unbedingt  mit  dem  Marschall 
sprechen." 


Die  Chronique  Scandaleuse  107 

—  „Noch  einen  Moment,  und  dann  werden  wir  zusammen  zu 
ihm  gehen.  Ich  weiß  nicht  ganz,  wie  ich  Ihnen  antworten  soll, 
und  dennoch  überzeugen  Sie  mich  nicht." 

—  „Ich  habe  mir  nicht  vorgenommen,  Sie  zu  überzeugen.  Mit 
der  Religion  ist  es  wie  mit  der  Ehe :  die  Ehe,  die  das  Unglück 
Vieler  herbeigeführt  hat,  hat  Ihr  und  des  Marschalls  Glück  ge- 
macht. Sie  haben  beide  gut  daran  getan,  sich  miteinander  zu  ver- 
heiraten. Die  Religion,  die  so  viel  schlechte  Menschen  geschaffen 
hat,  schafft  und  weiter  schaffen  wird,  hat  Sie  selbst  noch  edler 
gemacht,  Sie  tun  gut  daran,  sie  sich  zu  bewahren.  Es  ist  Ihnen 
ein  süßer  Trost,  sich  an  Ihrer  Seite,  sich  zu  Ihren  Häupten 
ein  erhabenes  und  mächtiges  Wesen  zu  denken,  das  Ihr  Erden- 
wallen sieht,  und  dieser  Gedanke  festigt  Ihren  Schritt.  Fahren 
Sie  fort,  gnädige  Frau,  sich  an  dieser  göttlichen  Bürgschaft  Ihrer 
Gedanken,  an  diesem  Beobachter,  diesem  überirdischen  Vor- 
bild Ihrer  eigenen  Handlungsweise  zu  erfreuen." 

—  „Ich  soll  aus  dem,  was  Sie  sagen,  nicht  schließen,  daß  Sie 
eine  Manie  zum  Proselytenmachen  haben  ?" 

—  „Keineswegs." 

—  „Desto  mehr  will  ich  Sie  deshalb  schätzen." 

—  „Ich  erlaube  jedem,  auf  seine  eigene  Weise  zu  denken,  vor- 
ausgesetzt, daß  man  mir  die  meine  läßt;  übrigens  haben  jene, 
die  geschaffen  sind,  sich  von  Vorurteilen  frei  zu  machen,  es  durch- 
aus nicht  nötig,  geschulmeistert  zu  werden." 

—  „Glauben  Sie,  daß  der  Mensch  ohne  Aberglauben  existieren 
kann  ?" 

—  „Nein,  nicht  solange  er  unwissend  und  furchtsam  bleibt." 

—  „Wohl  denn,  Aberglaube  für  Aberglaube:  unserer  ist 
gleichwertig  mit  irgendeinem  anderen." 

—  „Ich  denke  das  nicht." 

—  „Seien  Sie  doch  ehrlich;  stößt  Sie  der  Gedanke,  daß  Sie 
nichts  mehr  nach  Ihrem  Tode  sein  werden,  denn  wirklich  nicht 
ab?" 


I08  Die  Chronique  Scandaleuse 


„Es  würde  mir  lieber  sein  zu  existieren,  obschon  ich  nicht 

wüßte,  warum  ein  Wesen,  das  mich  ohne  Grund  unglücklich 
werden  ließ,  sich  ein  zweites  Mal  damit  vergnügen  sollte." 

„Wenn  Ihnen  also  trotz  dieses  Nachteils  die  Hoffnung  auf 

ein  anderes  Leben  süß  und  köstlich  erscheint,  warum  sich  selbst 
berauben  ?" 

—  „Ich  trage  diese  Hoffnung  nicht,  weil  der  Wunsch  sie 
keineswegs  ihrer  Unwirklichkeit  entkleidet  hat,  aber  ich  nehme 
sie  niemandem;  wenn  man  aber  daran  glauben  könnte,  daß  man 
einst  ohne  Augen  sehen,  ohne  Ohren  hören  wird,  ohne  Gehirn 
denken,  ohne  Herz  lieben,  ohne  Sinne  fühlen  wird,  nicht  mehr 
zu  sein,  und  doch  ohne  Raum  und  Grenze  zu  existieren,  so  will 
ich  das  zugeben." 

—  „Aber  wer  hat  dann  diese  unsere  Welt  geschaffen  ?" 

—  „Das  frage  ich  Sie  zurück." 

—  „Und  was  ist  das:  ,Gott'  ?" 

—  „Ein  Geist." 

—  „Wenn  ein  Geist  eine  Materie  schafft,  warum  sollte  eine 
Materie  nicht  Geist  schaffen  können  ?" 

—  „Und  warum  sollte  sie  das  ?" 

—  „Weil  ich  es  jeden  Tag  erlebe,  wie  sie  es  tut.  Glauben  Sie, 
daß  die  Tiere  Seelen  haben  ?" 

—  „Gewiß  glaube  ich  das." 

—  „Und  könnten  Sie  mir  zum  Beispiel  sagen,  was  aus  der  Seele 
einer  peruanischen  Schlange  wird,  während  sie  in  einem  Rauch- 
fang während  zweier  Jahre  aufgehängt  und  dem  Rauche  ausge- 
setzt eintrocknet?  Das  ist  es  eben,  daß  die  Frau  Marschallin 
nicht  weiß,  daß  die  geräucherte,  vertrocknete  Schlange  in  eine 
neue  Existenz  übergeht." 

—  „Daran  glaube  ich  nicht." 

—  „Und  dennoch  ist  es  ein  geistvoller  Mann,  der  dies  be- 
hauptet hat." 

—  „Ihr  geistvoller  Mann  hat  gelogen." 


Die  Chronique  Scandaleuse  109 

—  „Und  wenn  er  wahr  gesprochen  hätte  ?" 

—  „Ich  würde  es  damit  abtun  zu  glauben,  daß  Tiere  Ma- 
schinen sind." 

—  „Und  der  Mensch,  der  nur  ein  Tier,  doch  vollkommener 
als  die  anderen  ist Aber  der  Herr  Marschall  ..." 

—  „Noch  eine  Frage,  und  dies  ist  die  letzte.  Sind  Sie  ganz  ohne 
innere  Unruhe  bei  Ihrem  Unglauben  ?" 

—  „Niemand  könnte  ruhiger  sein." 

—  „Wenn  Sie  sich  aber  dennoch  täuschten  ?" 

—  „Dies  erst,  wenn  ich  mich  täusche." 

—  „Alles,  was  Sie  falsch  glauben,  würde  wahr  sein,  und  Sie,  mein 
Herr  Diderot,  würden  ewig  verdammt  werden :  Es  ist  schmerzlich, 
verdammt  zu  sein;  eine  ganze  Ewigkeit  zu  brennen,  das  ist  lang!" 

—  „La  Fontaine  meinte,  daß  wir  uns  wohl  wie  der  Fisch  im 
Wasser  dabei  fühlen  werden." 

—  „Gewiß,  aber  Ihr  La  Fontaine  wurde  im  letzten  Moment 
recht  ernsthaft,  und  das  erwarte  ich  auch  von  Ihnen." 

—  „Ich  stehe  für  nichts,  wenn  mein  Kopf  nicht  mehr  bei- 
sammen sein  wird;  aber  wenn  ich  an  einer  jener  Krankheiten 
sterben  sollte,  die  dem  Sterbenden  noch  seine  Vernunft  be- 
wahren, werde  ich  in  dem  Moment,  auf  den  Sie  warten,  nicht 
unruhiger  sein  als  in  dem  augenblicklichen." 

—  „Diese  Unerschrockenheit  bringt  mich  aus  der  Fassung." 

—  „Ich  finde  sie  vielmehr  bei  dem  Sterbenden,  welcher  an 
einen  gestrengen  Richter  glaubt,  der  noch  unsere  geheimsten 
Gedanken  abwägt,  und  in  dessen  Schätzung  sich  der  gerechteste 
Mann  durch  seine  Nichtigkeit  verlöre,  wenn  er  nicht  zitterte, 
zu  gering  befunden  zu  werden,  wenn  eben  dieser  Sterbende  noch 
die  Wahl  hätte,  vernichtet  zu  werden  oder  sich  diesem  Richter 
zu  stellen ;  seine  Unerschrockenheit  würde  mich  noch  mehr  ver- 
wirren, wenn  er  schwankte,  das  erstere  zu  erwählen,  es  sei  denn, 
er  sei  noch  unvernünftiger  als  der  Genosse  des  heiligen  Bruno 
oder  trunkener  von  seinem  eigenen  Wert  als  Bohola." 


HO  Die  Chronique  Scandaleuse 

—  „Ich  habe  die  Geschichte  vom  Genossen  des  heiligen 
Bruno  gelesen,  aber  niemals  von  Ihrem  Bohola  sprechen  hören." 

—  „Das  ist  ein  Jesuit  aus  dem  Kollegium  zu  Prisch  in  Li- 
tauen, der  nach  seinem  Tode  eine  silbergefüllte  Kassette  und 
ein  von  seiner  Hand  geschriebenes  Billett  hinterließ." 

—  „Und  dies  Billett  ?" 

—  „War  in  folgenden  Worten  abgefaßt :  ,Ich  bitte  meinen 
lieben  Bruder  im  Herrn,  bei  dem  ich  diese  Kassette  hinter- 
lege, daß  er  sie  öffne,  sobald  ich  Wunder  vollbracht  haben  werde. 
Das  Geld,  das  sie  enthält,  soll  die  Kosten  meiner  Seligspre- 
chung bestreiten;  ich  habe  einige  authentische  Memoiren  bei- 
gelegt, die  meine  Tugenden  beweisen  sollen  und  denjenigen, 
die  meinen  Lebenslauf  etwa  beschreiben  wollen,  nützlich  sein 
werden.' " 

—  „Das  ist  zum  Totlachen." 

—  „Für  mich,  gnädige  Frau,  aber  nicht  für  Sie,  denn  Ihr 
Gott  versteht  keinen  Spott.  Sie  haben  recht,  Frau  Marschallin, 
es  ist  leicht,  schwerwiegend  gegen  Ihr  Gesetz  zu  predigen." 

—  Das  Gesetz  ist  wahr." 

—  „Und  wenn  Sie  die  Wunder  Ihrer  Religion  an  der  geringen 
Zahl  ihrer  Erwählten  glauben  wollen,  so  wird  wenig  dabei  heraus- 
kommen." 

—  „Oh,  ich  bin  nicht  jansenistisch,  ich  sehe  die  Medaille  nicht 
nur  von  der  tröstlichen  Kehrseite;  in  meinen  Augen  deckt  das 
Blut  Jesu  Christi  einen  unendlichen  Raum,  und  es  würde  mir 
recht  absonderlich  erscheinen,  daß  der  Teufel,  der  seinen  Sohn 
doch  nicht  dem  Tode  ausgeliefert  hat,  dennoch  den  besseren 
Anteil  haben  sollte." 

—  „Verdammen  Sie  Sokrates,  Phokion,  Aristides,  Cato  und 
Mark  Aurel  ?" 

—  „Pfui,  nur  wilde  Tiere  können  so  etwas  denken.  Der 
heilige  Paulus  sagt,  daß  jeder  nach  dem  Maß,  das  er  gekannt 
hat,  gerichtet  werde." 


Die  Chronique  Scandaleuse  m 


—  „Und  der  heilige  Paulus  hat  recht.  Und  nach  welchem 
Gesetze  soll  der  Zweifler  gerichtet  werden  ?" 

—  „Ihr  Fall  ist  ein  wenig  anders;  Sie  sind  einer  jener  ver- 
dammten Einwohner  Corozains  und  Bethsaidas,  die  ihre  Augen 
dem  Licht,  das  ihnen  leuchtete,  verschlossen  und  ihre  Ohren 
verstopften,  um  die  Stimme  der  Wahrheit,  die  zu  ihnen  sprach, 
nicht  zu  hören." 

—  „Frau  Marschallin,  diese  Corozainer  und  Bethsaider  waren 
Männer,  wie  sie  es  vorher  noch  nie  gegeben  hatte,  wenn  sie 
Herr  darüber  waren  zu  glauben  oder  nicht  zu  glauben." 

—  „Sie  lebten  als  Entartete,  die  Sack  und  Asche  zur  Auktion 
ausgeboten  hätten,  wären  sie  in  Tyrus  oder  Sidon  geboren 
worden." 

—  „Das  kommt  daher,  daß  die  Bewohner  von  Sidon  und  Ty- 
rus Leute  von  Geist  waren,  und  die  von  Corozain  und  Bethsaida 
nur  Dummköpfe.  Wird  derjenige,  der  Dummköpfe  schuf,  sie 
dafür  strafen,  daß  sie  dumm  gewesen  sind?  Ich  habe  Ihnen 
eben  eine  Begebenheit  erzählt,  nun  faßt  mich  die  Lust,  Ihnen 
eine  Geschichte  zu  berichten." 

—  „Erzählen  Sie  Ihre  Geschichte." 

—  „Ein  junger  Mexikaner  . . .  aber  der  Herr  Marschall  ?" 

—  „Ich  werde  zu  ihm  schicken  und  ihn  fragen  lassen,  ob  er 
zu  sprechen  ist.  Ihr  junger  Mexikaner  ?" 

—  „Seiner  Arbeit  müde,  ging  er  eines  Tages  an  der  Meeres- 
küste spazieren;  er  erblickte  eine  Planke,  die  mit  dem  einen 
Ende  in  das  Wasser  tauchte,  am  anderen  das  Ufer  berührte.  Er 
setzte  sich  auf  diese  Planke  und  sagte  sich  da,  während  er  seinen 
Blick  über  die  weite  Ferne  sandte,  die  sich  vor  ihm  ausbreitete  : 
,Nichts  ist  unwahrer  als  die  Geschichte,  von  der  meine  Groß- 
mutter immer  schwatzt,  von  jenen  ich  weiß  nicht  welchen  Ein- 
wohnern, die,  ich  weiß  nicht  zu  welchen  Zeiten  hier,  ich  weiß 
nicht  wo  landeten,  von  weit  her  jenseits  des  Meeres.  Es  gibt  einen 
gesunden  Menschenverstand;  sehe  ich  nicht  das  Meer  sich  mit 


H2  Die  Chronique  Scandalsuse 

dem  Himmel  einen  ?  Und  kann  ich  gegen  die  Zeugen  meiner 
Augen  eine  alte  Fabel,  deren  Ursprung  man  nicht  kennt,  glauben, 
eine  Fabel,  die  jeder  nach  seiner  Manier  auslegt,  und  die  nur  ein 
Gespinst  absurder  Zufälligkeiten  ist,  über  die  sie  ihr  Herz  ver- 
zehren und  ihre  Augen  ausreißen  ?'  Während  er  so  nachdachte, 
wiegten  ihn  die  bewegten  Wasser  auf  seiner  Planke  und  er 
schlummerte  ein.  Während  seines  Schlafes  schwillt  der  Wind,  die 
Flut  erhebt  sich  und  führt  die  Planke,  auf  der  er  ausgestreckt 
liegt,  mit  sich,  und  unserer  junger  Denker  tritt  seine  Reise  an." 

—  „Ach,  dies  gleicht  nur  zu  sehr  unserem  eigenen  Bilde,  ein 
jeder  von  uns  liegt  auf  der  Planke,  der  Wind  bläst,  und  die 
Flut  trägt  uns  davon." 

—  „Er  war  schon  weit  vom  Festland,  als  er  erwachte;  wer 
war  sehr  erstaunt,  sich  auf  offenem  Meer  zu  sehen  ?  Unser  Mexi- 
kaner. Wer  war  es  noch  mehr  ?  Wieder  er,  als  ihm  das  Meer,  nach- 
dem ihm  die  Küste,  auf  der  er  vor  einem  Moment  spazierte,  aus 
den  Augen  entschwunden  war,  sich  nun  von  allen  Seiten  mit 
dem  Himmel  einte.  Da  argwöhnte  er,  sich  getäuscht  zu  haben, 
und  daß  er,  wenn  der  Wind  sich  nicht  drehte,  vielleicht  an  das 
Ufer  und  zu  jenen  Ansiedlern  getragen  werden  würde,  von  denen 
ihm  seine  Großmutter  erzählt  hat." 

—  „Und  von  seiner  Unruhe  sagen  Sie  mir  nichts  ?" 

—  „Er  fühlte  keine;  er  sagte  sich:  ,Was  ist  mir  dies  alles,  vor- 
ausgesetzt, daß  ich  lande  ?  Ich  habe  wie  ein  Unbesonnener  ge- 
folgert, das  gebe  ich  zu,  aber  ich  war  ehrlich  gegen  mich  selbst, 
und  das  ist  alles,  was  man  von  mir  verlangen  darf.  Wenn  es  keine 
Tugend  ist,  Geist  zu  haben,  so  ist  es  kein  Laster,  ihn  zu  ent- 
behren.' Unterdessen  schwoll  der  Wind  weiter  an,  der  Mann 
und  die  Planken  schwammen  auf  den  Wogen,  und  das  unbe- 
kannte Ufer  begann  zu  erscheinen,  er  faßte  Fuß,  und  da  ist  er 
nun." 

—  „Wir  werden  uns  eines  Tages  doch  wiedersehen,  Herr  Di- 
derot." 


Die  Chronique  Scandaleuse  113 

—  „Ich  wünsche  es,  gnädige  Frau ;  wo  es  auch  immer  sei,  werde 
ich  stets  entzückt  sein,  Ihnen  aen  Hof  zu  machen.  Kaum  hat 
er  das  Land  betreten  und  seinen  Fuß  auf  den  Strand  gesetzt, 
als  er  einen  würdigen  Greis  an  seiner  Seite  erblickte;  er  fragte 
ihn,  wo  er  sei  und  mit  wem  er  die  Ehre  habe.  ,Ich  bin  der 
Herrscher  dieses  Landes',  antwortete  der  Greis.  Der  junge  Mann 
stürzte  ihm  augenblicklich  zu  Füßen.  ,Erheben  Sie  sich,'  sagte 
ihm  der  Alte,  ,Sie  haben  meine  Existenz  geleugnet.'  ,Das  ist 
wahr.'  ,Ich  vergebe  Ihnen,  weil  ich  jener  bin,  der  bis  auf  den 
geheimsten  Grund  des  Herzens  schaut,  und  ich  habe  in  Ihrem 
gelesen,  daß  Sie  in  gutem  Glauben  waren,  doch  was  sonst  noch 
in  Ihren  Gedanken  und  Handlungen  liegt,  ist  nicht  gleich- 
artig rein.'  Und  der  Greis,  der  ihn  am  Ohr  gefaßt  hielt,  er- 
innerte ihn  an  all  die  Irrungen  seines  Lebens,  und  bei  jedem 
Abschnitt  neigte  sich  der  Jüngling,  schlug  sich  die  Brust  und 
bat  um  Vergebung.  —  Und  nun,  Frau  Marschallin,  versetzen 
Sie  sich  einen  Moment  an  die  Stelle  des  Greises  und  sagen  Sie 
mir,  was  Sie  getan  hätten.  Hätten  Sie  den  jungen  Unvernünf- 
tigen an  den  Haaren  gepackt  und  hätte  es  Ihnen  gefallen,  ihn 
für  alle  Ewigkeit  daran  zu  ziehen  ?" 

—  „Wahrhaftig,  nein." 

—  „Und  wenn  eines  Ihrer  hübschen  Kinder,  nachdem  es  von 
Hause  geflohen  und  viel  dumme  Streiche  gemacht  hätte,  reu- 
mütig dahin  zurück  käme  ?" 

—  „Ich,  ich  würde  ihm  entgegeneilen,  würde  es  in  meine 
Arme  schließen  und  mit  meinen  Tränen  benetzen;  aber  sein 
Vater,  der  Marschall,  würde  die  Sache  nicht  so  leicht  nehmen." 

—  „Der  Herr  Marschall  ist  kein  Tiger." 

—  „Er  muß  es  wohl." 

—  „Er  ließe  sich  vielleicht  ein  wenig  nötigen,  aber  er  würde 
doch  verzeihen." 

—  „Gewiß." 

—  „Besonders  wenn  er  vorher  überlegt  hätte,  daß  er,  ehe  er 
1.  8 


n.J.  Die  Chronique  Scandaleuse 

dies  Kind  in  die  Welt  setzte,  das  ganze  Leben  kannte,  und  daß 
die  Bestrafung  seiner  Sünden  weder  für  sich  selbst,  noch  für  den 
Schuldigen,  noch  für  seine  Brüder  von  irgendeinem  Nutzen  sein 
würde." 

—  „Der  Greis  und  der  Herr  Marschall  sind  zwei  verschiedene 
Wesen." 

—  „Wollen  Sie  damit  sagen,  daß  der  Herr  Marschall  besser  ist 
als  der  Greis  ?" 

—  ,,Gott  bewahre  mich  davor !  Ich  will  sagen,  daß,  wenn  meine 
Auffassung  von  Gerechtigkeit  nicht  die  des  Marschalls  ist,  die 
des  Marschalls  auch  sehr  gut  von  der  des  Alten  abweichen 
könne." 

—  „Ach,  gnädige  Frau,  Sie  ahnen  nicht  die  Konsequenzen 
dieser  Antwort :  entweder  ist  die  allgemeine  Definition  der  Ge- 
rechtigkeit Ihnen,  dem  Marschall,  mir,  dem  jungen  Mexikaner 
und  dem  Alten  gleichbedeutend,  oder  ich  weiß  nicht  mehr,  was 
sie  ist  und  wie  man  letzterem  gefallen  oder  mißfallen  könnte." 

Da  waren  wir  angelangt,  als  man  uns  benachrichtigte,  der 
Herr  Marschall  erwarte  uns;  ich  reichte  der  Frau  Marschallin 
die  Hand  und  sie  sagte:  ,,Das  ist  die  Tintenflasche,  nicht 
wahr?" 

—  ,,Das  ist  die  Tintenflasche." 

—  „Schließlich  ist  es  am  einfachsten,  sich  so  aufzuführen,  als 
ob  der  Alte  existierte." 

—  „Selbst  wenn  man  nicht  daran  glaubt." 

—  „Und  wenn  man  daran  glaubt,  nicht  zu  sehr  mit  seiner 
Barmherzigkeit  zu  rechnen.  Heiliger  Nikolas,  schwimme  immer 
hin,  aber  traue  nicht  zu  sehr." 

—  „Das  ist  am  sichersten  .  .  .  A  propos,  wenn  Sie  unseren  Ge- 
setzgebern Zeugnis  über  ihre  Prinzipien  ablegen  sollten,  würden 
Sie  sie  eingestehen  ?" 

—  „Ich  würde  mein  Bestes  tun,  ihnen  eine  abscheuliche  Hand- 
lungsweise zu  ersparen." 


Die  Chronique  Scandaleuse  115 

—  „Welch  Feigling  Sie  sind !  Und  wenn  Ihr  letztes  Stündlein 
nahte,  würden  Sie  sich  den  Gebräuchen  der  Kirche  unter- 
werfen ?" 

—  „Ich  würde  nicht  verfehlen!" 

—  „Pfui,  Sie  Heuchler!" 

# 

Ich  habe  von  einer  achtungswerten  und  glaubwürdigen  Per- 
sönlichkeit den  unglaublichen  Bericht  der  Abenteuer  des  Pfarrers 
von  Saint-Roch  bekommen,  der  vor  kurzem  gestorben  ist. 

Der  Abbe  Marduel  wurde  zu  Lyon  im  Jahre  1703  geboren; 
seine  Eltern  bestimmten  ihn  der  geistlichen  Laufbahn;  er  wandte 
sich  dem  Priesterstande  zu  und  verließ  ihn  bald  darauf,  um 
Kaufmann  zu  werden,  verheiratete  sich,  hatte  Geldverluste, 
machte  Bankerott  und  schiffte  sich  mit  seiner  Frau  ein,  sein 
Glück  in  Amerika  zu  versuchen.  Das  Schiff  scheiterte,  ein  Teil 
der  Mannschaft  rettete  sich,  man  glaubte,  daß  die  anderen  um- 
gekommen seien. 

Durch  einen  ziemlich  seltsamen  Zufall  gelingt  es  dem  Rest 
der  Bemannung,  den  man  ertrunken  wähnt,  sich  an  eine  ent- 
gegengesetzte Küste  zu  retten ;  dasselbe  Spiel  findet  statt :  Hier 
läßt  der  Gatte,  dort  die  Frau  Totenmessen  zur  ewigen  Seelen- 
ruhe lesen.  Marduel,  der  in  Amerika  nicht  glücklicher  war  als 
in  Europa,  reist  nach  Frankreich  zurück.  Aber,  da  er  nicht  wagt, 
wieder  nach  Lyon  zu  gehen,  -begibt  er  sich  nach  Paris,  wendet 
sich  wiederum  dem  Priesterstande  zu,  empfängt  die  Weihe  und 
richtet  sich  in  der  Gemeinde  zu  Saint  Louis-en-1'Ile  ein,  wo  er 
lange  das  Amt  eines  Vikars  ausfüllt;  sein  Eifer  und  seine  Be- 
gabung verschaffen  ihm  schließlich  die  Pfarrei  von  Saint-Roch. 
Seine  Frau  kehrt  bei  Gelegenheit  nach  Europa  und  zu  ihren 
Eltern  nach  Lyon  zurück  Geschäfte  führen  sie  des  öfteren  nach 
mehreren  Jahren  nach  Paris,  und  sie  begibt  sich  wie  alle  Pro- 
vinzler zur  Fronleichnamsprozession  nach  Saint-Roch;  unend- 
lich ist  ihre  Überraschung,  in  den  Zügen  des  Geistlichen  den 


1 1 6  Die  Chronique  Scandaleuse 

lang  beweinten  Gatten  zu  erkennen.  Sie  erkundigt  sich  nach 
seinem  Namen,  und  ihr  Erstaunen  wächst;  man  sagt  ihr,  er 
stamme  aus  Lyon;  bei  dieser  Nachricht  verliert  sie  das  Bewußt- 
sein. Wieder  zu  sich  gekommen,  eilt  sie  dem  Priester  zu  begegnen, 
und  ihr  Herz  überzeugt  sie  noch  besser  als  ihre  Augen  nach  zwan- 
zigj  ähriger  Abwesenheit,  daß  sie  ihren  Gatten  wiedergefunden  hat. 

Am  nächsten  Morgen  läßt  sie  sich  beim  Pfarrer  unter  einem 
falschen  Namen  melden,  nennt  sich  darauf,  ruft  ihre  einst- 
maligen Beziehungen  zurück  und  fällt  ohnmächtig  in  seine  Arme. 
Der  gefühllose  Pfarrer  kalkuliert  mit  Blitzeseile  in  seiner  ge- 
winnsüchtigen Seele  die  Vorteile,  die  ihm  entgehen  können, 
wenn  er  seine  Frau  wiedererkennt;  er  behandelt  sie  wie  eine 
Geisterseherin;  sie  beharrt  auf  ihrer  Behauptung,  bringt  Details, 
die  genügen,  jeden  Zweifel  zu  zerstreuen,  fügt  hinzu,  daß  sie  in 
ihrem  Alter  keineswegs  die  Absicht  habe,  ihn  um  seine  Stelle  zu 
bringen,  verlangt  als  einzige  Güte,  bei  ihm  als  seine  Schwester 
leben  zu  dürfen,  und  verspricht  ihm  heiligste  Geheimhaltung 
ihrer  wirklichen  Beziehungen. 

Der  alte  Priester,  der  vielleicht  die  Indiskretion  seiner  Frau 
fürchtet,  besteht  darauf,  sie  nicht  zu  verstehen;  er  nennt  sie  eine 
Närrin  und  droht,  sie  als  Hochstaplerin  einsperren  zu  lassen. 
Von  Schmerz  überwältigt,  zieht  sich  die  verzweifelte  Gattin  zu- 
rück. Sie  war  arm;  der  Überfluß,  in  dem  ihr  Gatte  lebt,  reizt 
ihre  Verzweiflung  stärker,  und  da  bald  der  Rachedurst  an  Stelle 
der  Zärtlichkeit  tritt,  läßt  sie  aus  Lyon  die  notwendigen  Papiere 
kommen,  um  ihren  undankbaren  Gatten  zu  überführen,  und 
bringt  sie  zum  ersten  Parlamentsvorsitzenden,  der  den  Pfarrer 
vorladet;  er  gesteht  sein  Unrecht  ein  und  ersucht  um  Gnade. 
Der  Erzbischof  interveniert,  sucht  den  Skandal  zu  vermeiden, 
schiebt  den  Kuraten  für  zwei  Wochen  ins  Seminar  und  ver- 
pflichtet ihn  auf  das  Geständnis  seiner  Frau  hin,  ihr  eine  Rente 
von  iooo  Talern  in  irgendeinem  Kloster,  das  sie  selbst  wählen 
soll,  zu  geben. 


Die  Chronique  Scandaleuse  117 

Man  weiß  nicht,  ob  der  Abbe  Marduel  jemals  Kinder  gehabt 
hat,  doch  war  er  geschickt  genug,  seine  Pfarre  zu  behalten  und 
sich  seiner  Frau,  die  vielleicht  heute  noch  lebt,  zu  entledigen. 

# 

Im  Journal  de  Paris'  hat  Dr.  Retz  veröffentlicht,  daß  er  einen 
Kutscher  dafür  zu  belohnen  wünscht,  daß  er  ihn  nicht  über- 
fahren habe.  Man  behauptet,  dies  sei  ein  boshafter  Witz,  und 
daß  der  Kutscher,  falls  er  sich  zu  dem  Arzte  begeben  hätte,  an- 
statt mit  einem  Louis  mit  Peitschenhieben  traktiert  worden 
wäre.  Ein  Ludwigsritter  machte  in  der  letzten  Woche  nicht  so 
viel  Umstände ;  da  er  sich  in  der  Rue  des  Petits-Champs  im  Ge- 
dränge und  in  Gefahr  fand,  von  einer  bürgerlichen  Kalesche 
überfahren  zu  werden,  nachdem  er  verschiedentlich  deren  Kut- 
scher angerufen  hatte,  anzuhalten,  fegte  er  ihn  mit  einem  Stock- 
hieb von  seinem  Sitz  herunter;  man  hielt  den  Wagen  an,  und 
der  Besitzer  begann,  den  Kopf  aus  dem  Wagenfenster  gestreckt, 
den  energischen  Fußgänger  etwas  heftig  zu  apostrophieren ;  der 
ihm  jedoch,  ohne  seine  Ruhe  zu  verlieren,  antwortete:  ,Das 
Leben  eines  ehrlichen  Bürgers,  der  seinem  Vaterland  nützlich 
sein  kann,  kann  auf  keine  Weise  dem  eines  unverschämten  Die- 
ners, der  gedungen  ist,  Passanten  zu  überfahren,  gleichgestellt 
werden.  Ich  habe  geschworen,  keinen  zu  verschonen,  und  wenn 
Ihnen  das  mißfällt,  mein  Herr,  so  steigen  Sie  aus,  und  ich  werde 
Ihnen  Genugtuung  geben.'  Als  der  Besitzer  des  Wagens  sah, 
mit  wem  er  es  zu  tun  ha  tte,  bot  er  dem  Chevalier  seine  Ent- 
schuldigungen ;  der  unverletzte  Kutscher  kletterte  wieder  auf 
seinen  Sitz,  wurde  gemaßregelt,  und  alles  verlief  in  schönster 
Höflichkeit. 

Wenn  ähnliches  öfter  vorkommen  sollte,  würde  man  es  sel- 
tener erleben,  daß  unnütze  Frechlinge  sich  ein  Spiel  daraus 
machen,  alles,  was  ihnen  in  den  Weg  kommt,  umzuwerfen  und 
zu  überfahren. 


u8  Die  Chronique  Scandaleuse 


Hier  ein  Scherz,  der  zu  lustig  war,  um  nicht  vollkommen  ge- 
lungen zu  sein. 

Er  bezieht  sich  auf  einen  Unglücksfall,  der  sich  neulich  auf 
dem  Boulevard  ereignet  hat : 

„Gesuch  an  den  Herrn  Baron  von  Breteuil.  Monseigneur 
wird  mit  größter  Untergebenheit  von  Denis  Topineau,  Bürger 
von  Paris,  wohnhaft  in  der  Rue  de  Poitou  im  Marais,  maison  du 
Chapelier,  ersucht  wie  folgt : 

Wie  er  gestern,  etwa  um  I  Uhr  nachmittags,  seinen  Weg  in 
einer  Seitenallee  des  Boulevard  Saint-Honore  zwischen  der 
Wache  des  Corps  de  Garde  und  dem  Speicher  der  Madeleine 
verfolgte,  um  nach  Hause  zum  Essen  zu  seiner  Frau  zu  gehen, 
die  die  Töpfe  auf  dem  Feuer  hatte;  wie  er  nichts  ahnend  da- 
hingeht, als  eine  Karosse,  die  bis  dahin  in  einer  Seitenallee  vor 
einer  Haustür  gestanden  hatte,  plötzlich  los  und  ihm  mit  der 
Deichsel  in  die  Rippen  gefahren  sei,  so  daß  er,  alle  vier  in  der 
Luft,  hingestürzt  wäre;  er,  der  Bittsteller,  habe  schnell  seine 
Seele  Gott  empfohlen,  denn  er  habe  sich  schon  tot  oder  wenig- 
stens verstümmelt  gesehen.  Mit  großer  Mühe  habe  er  sich  mit 
Hilfe  guter  Leute  aufgerichtet,  die  ihn  dann  unterstützt  und 
nach  Hause  geführt  hätten.  Als  seine  Frau  ihn  in  diesem  Zu- 
stande habe  heimkehien  sehen,  mit  zerrissener  und  beschmutz- 
ter Hose,  habe  sie  angefangen  laut  zu  schreien,  und  ein  Un- 
wohlsein habe  sie  überfallen.  Man  habe  den  Apotheker  von 
der  Ecke  nebenan  gerufen,  der  ihn  untersucht  und  eine  dicke 
Schwellung  gefunden  habe,  auf  die  einer  seiner  Jungen  einen 
Umschlag  schweizerischer  Kräuter  gelegt  und  ihm  gesagt  habe, 
daß  er  während  acht  Wochen  viel  leiden  würde,  daß  es  aber 
nichts  auf  sich  habe. 

Darauf  habe  sich  Frau  Topineau  ein  wenig  beruhigt,  die 
Nachbarn  und  sie  wünschten,  daß  er  zur  Ader  gelassen  würde, 
aber  er  selbst  habe  es,  ängstlich,  wie  er  sei,  nicht  gewollt. 

Der  Bittsteller  räumt  ein,  Monseigneur,  daß  es  nicht  Schuld 


Die  Chronique  Scandaleuse  119 

des  Wagens  sei,  daß  er  nicht  gerädert  oder  nicht  verstümmelt 
worden  ist,  und  daß  er  Gott  eine  schöne  Kerze  schuldig  ist. 

Die  guten  Leute,  die  ihn  heimgeführt  hätten,  haben  ihm  er- 
zählt, wie  der  Kutscher  und  die  Bürgersfrau,  die  drinnen,  und 
der  rotlivrierte  Lakai,  der  hintenauf  saß,  aus  voller  Kehle  über 
seinen  Purzelbaum  gelacht  hätten.  Daß  eine  andere  Karosse  und 
zwei  sehr  hochsitzige  Kabrioletts  an  der  Haustür  in  der  be- 
sagten Seitenallee  gestanden  seien,  deren  Insassen  vor  Lachen 
erstickt  wären:  daß  eine  Dame  mit  einem  Mietswagen  in  diesem 
Hause  wohne;  daß  diese  Dame  ein  Freudenmädchen  namens 
Rosalie  sei,  und  daß  die  fragliche  Karosse  entweder  die  ihrige 
oder  die  ihres  Herrn  gewesen  sei;  es  sei  wahr,  daß  an  dieser  Stelle 
der  Chaussee  Steine  für  die  neue  Madeleinekirche  aufgehäuft 
gewesen  seien,  die  den  Verkehr  etwas  hinderten,  aber  doch  den 
Karossen  genügend  Platz  zum  Anfahren  ließen,  um  die  Seiten- 
allee frei  zu  halten;  daß  es  dem  Überlebenden  zweckmäßiger 
scheine,  wenn  das  bewußte  Fräulein  Rosalie  sich  die  Mühe  gäbe, 
zu  Fuß  die  Seitenallee  und  die  Steine  zu  überschreiten,  um  ihre 
Equipage  am  anderen  Straßenende  zu  besteigen,  als  über  den 
Bauch  guter  Pariser  Bürger  zu  fahren,  die  ihr  Zwanzigstel  und 
ihre  Kopfsteuer  pünktlich  zahlen  und  alle  bereit  wären,  auch 
für  die  Bodensteuer  aufzukommen;  daß  dies  nicht  dei  erste  Un- 
glücksfall ist,  der  vorgekommen  wäre,  zumal  in  anderen  Seiten- 
alleen, besonders  an  der  Ecke  der  Rue  Favart,  bei  der  Comedie 
Italienne,  oder  in  einer  anderen  hinter  der  Oper,  Boulevard 
Saint-Martin,  wo  gleichfalls  Freudenmädchen  logierten;  daß  in- 
dessen die  Seitenallee  des.  Boulevards  nur  für  Fußgänger  be- 
stimmt sei,  und  Equipagen,  Kabrioletts  und  Pferde  niemals  dort 
passierer  dürften;  daß  man,  bloß  weil  man  ein  Freudenmädchen 
sei,  nicht  das  Recht  habe,  jedermann  zu  überfahren;  daß  diese 
Erlaubnis  höchstwahrscheinlich  vor  gewissen  Kommissären  und 
Polizeiinspektoren  ausginge,  da  sie  wortlos  geduldet  würde,  daß 
sie  aber  den  Privilegien  des  Pariser  Bürgers  widerspräche;  daß 


120  Die  Chronique  Scandaleuse 

jedoch  die  Fußgänger,  wenn  sie  es  darauf  ankommen  ließen,  die 
Stärkeren  sein  würden,  daß  man  sich  aber  kompromittieren 
würde,  wenn  man  mit  seinem  Stock  gegen  Pferde  oder  andere 
Tiere  anginge;  daß  der  König,  wenn  er  dies  wüßte,  die  Dinge 
bald  in  Ordnung  bringen  würde." 

Der  Bittsteller,  der  glücklicherweise  mit  einigen  Kontusionen 
und  einer  verdorbenen  und  zerrissenen  Hose  davongekommen 
ist,  deren  er  hofft  in  sechs  Wochen  kuriert  zu  sein,  ist  zu  zart- 
fühlend, um  Entschädigungen  und  Ersatz  von  der  Demoiselle 
Rosalie  zu  beanspruchen;  da  er  aber  fürchtet,  ein  anderes  Mal 
nicht  so  gut  wegzukommen,  schlägt  er  vor,  Monseigneur,  das, 
was  er  aus  diesen  Ausführungen  beliebte,  dem  König  vorzu- 
tragen, damit  es  den  Karossen,  Kabrioletts  und  Pferden,  gleich- 
gültig welcher  Herkunft,  verboten  werde,  die  Bürger  der  guten 
Stadt  Paris  unter  ihre  Füße  zu  treten;  daß  den  besagten  Ka- 
rossen, Kabrioletts  und  Pferden  geboten  würde,  sich  auf  der 
Boulevardchaussee  und  nicht  in  der  Seitenallee  zu  halten,  so  daß 
sie  unter  keinem  Vorwand  besagte  Seitenallee  besetzen  könnten, 
um  hier  mit  den  Fußgängern,  zu  deren  großem  Nachteil,  in 
buntem  Durcheinander  herumzufahren;  daß  es  gleichfalls  an- 
geordnet würde,  die  Straßen  sauberer  zu  halten  und  daß  Ge- 
rechtigkeit geschaffen  werde." 

# 

Der  Karneval  in  Venedig  dauert,  wie  man  weiß,  sechs  Mo- 
nate; die  Mönche  spazieren  in  Maske  und  Domino  einher,  und 
auf  einem  Platz  sieht  man  auf  der  einen  Seite  Komödianten, 
die  lustige,  aber  zügellos  ausgelassene  Farcen  mimen,  und  auf 
der  anderen  spielen  Geistliche  Farcen  anderer  Art  und  rufen 
aus:  „Meine  Herren,  kümmern  Sie  sich  nicht  um  jene  Stümper; 
der  Polichinell,  der  sie  zusammentrommelt,  ist  nur  ein  Dumm- 
kopf" ;  und  (hier  zeigt  er  ein  Kruzifix) :  „Hier  ist  er,  der  wahre 
Polichinell,  der  große  Polichinell,  hier  ist  er  ..." 


Die  Chronique  Scandaleuse  121 


Eine  Gesellschaft  vornehmer  und  reicher  Leute,  aus  zwanzig 
Personen  bestehend,  Männern  sowohl  wie  Frauen,  hatte  die 
Güter  und  das  Schloß  von  Ermenonville  angekauft,  wo  sich 
J.  J.  Rousseaus  Grab  befindet,  und  lebte  aus  gemeinsamer  Kasse 
im  großen  Stil,  hatte  eine  eigene  Jagd,  empfing  und  sah  niemanden 
unter  dem  Vorwand,  physikalische  Untersuchungen  zu  machen, 
sich  mit  Chemie  und,  wie  man  vermutet,  sogar  mit  Alchimie  zu 
beschäftigen.  Plötzlich  verbreitet  sich  das  Gerücht,  daß  die  Ge- 
sellschaft sich  allen  möglichen  Scheußlichkeiten  ergebe,  wie  man 
sie  den  Templern,  den  Adamiten,  den  Albigensern  usw.  vorwirft. 
Einige  von  ihnen  sind  in  die  Bastille  geschickt  worden.  Man 
sagt,  der  Anführer  sei  ein  berühmter  Alchimist,  ein  Portugiese. 

# 

Eine  Anekdote,  die  man  von  Herrn  von  Calonne  erzählt,  läßt 
hoffen,  daß  er  sich  leicht  über  ein  Malheur  trösten  wird,  das  ihm 
die  Genugtuung  verschafft,  sich  ohne  Ablenkung  seiner  Vergnü- 
gungslust hingeben  zu  können.  Selbst  zur  Zeit,  da  er  den  Kopf 
voll  wichtiger  Projekte  hatte,  arrangierte  er  zu  Haus  sehr  aus- 
gelassene Soupers  und  fröhlichste  Orgien.  Wie  er  eines  Nachts 
nicht  schlafen  konnte,  klingelte  er  seinem  Kammerdiener:  „Rosa 
soL  herunterkommen!"  (Dies  war  eine  junge  Person,  die  der 
Kammerdiener  seinem  Herrn  verschafft  hatte,  wobei  er  sich  nach 
üblicher  Sitte  das  Recht  des  Beischlafes  ausbedungen  hatte.)  — 
„Aber,  Monseigneur,  haben  mir  befohlen,  Sie  um  4  Uhr  Ihres 
Vortrags  an  die  Notabein  halber  zu  wecken."  —  „HöV  auf  mit 
deinen  Überlegungen,  Rosa  soll  gerufen  werden!"  Der  Kammer- 
diener gehorcht ;  beim  ersten  Morgengrauen  zieht  sich  Rosa  zu- 
rück. „Aus  welcher  Laune",  fragt  sie  der  Kammerdiener,  „hat 
unser  Herr  dich  heut  Nacht  bei  sich  gewünscht  ?  Er  hatte  einen 
wichtigen  Vortrag  durchzusehen."  —  „Da  bin  ich  nicht  er- 
staunt," antwortet  die  hübsche  Rosa,  „daß  er  die  ganze  Nacht 
mit  Ausbesserungen  von  Fehlern  verbracht  hat." 


122  Die  Chronique  Scandaleuse 

Das  Parlament  beschäftigt  sich  mit  einer  Angelegenheit,  die 
viel  von  sich  reden  machen  wird. 

Ein  gewisser  La  Roche,  der  sich  in  seiner  Bittschrift  beschei- 
dentlich  einen  Bürger  von  Paris  tituliert,  vertraute  vor  einiger 
Zeit,  als  er  verreisen  mußte,  seine  hübsche,  trostlose,  siebzehn- 
jährige Tochter  einer  Frau  an,  die  dies  Vertrauen  nicht  ver- 
diente. Kurz  danach,  man  weiß  nicht  wie,  fand  sich  das  junge 
Mädchen  in  den  Armen  des  Herrn  de  Meaupou  und  bewohnte 
mit  ihm  das  Hotel  de  la  Chancellerie.  Als  der  Vater  nach  seiner 
Rückkehr  seine  Tochter  forderte,  wurde  sie  ihm  verleugnet  und 
verweigert.  Er  blieb  hartnäckig.  Man  gab  sie  ihm  zurück,  doch 
nackt  und  schwanger. 

Dieser  Vater  meinte  Entschädigungen  beanspruchen  zu  kön- 
nen, die  ihm  ebenso  rücksichtslos  verweigert  wurden. 

Darauf  reichte  er  eine  Bittschrift  ein,  in  der  er  um  die  Be- 
willigung bat,  auf  gewaltsame  Verführung  seiner  Tochter  klagen 
zu  können,  und  sein  Gesuch  wurde  von  der  versammelten  Kam- 
mer angenommen.  Mehrere  Personen  von  Einfluß  haben  inter- 
veniert, um  Herrn  de  Meaupou  zu  veranlassen,  eine  so  peinliche 
Affäre  wenigstens  zu  arrangieren;  er  gibt  aber  vor,  authentische 
Papiere  von  dem  Einverständnis  des  Vaters  zu  haben;  er  hat 
nichts  hören  wollen,  so  daß  die  Angelegenheit  sich  weiter  hinaus- 
ziehen wird.  Man  behauptet,  daß  Herr  de  Meaupou  bei  einer  Zu- 
sammenkunft mit  dem  La  Roche  gesagt  habe:  Wenn  ich  einen 
Mietswagen  nehme,  so  zahle  ich  ihn  nur  so  lange,  als  ich  ihn  be- 
nutze." .  . .  „Das  ist  richtig,"  entgegnete  der  Vater,  „wenn  Sie 
aber  Fenster  zerbrechen,  so  müssen  Sie  sie  auch  bezahlen."  Viel- 
leicht ist  diese  Bemerkung  erfunden,  aber  sie  ist  mindestens  witzig. 

Am  Spieltisch  einer  Hofdame,  die  eine  Art  Spielhölle  unter- 
hält, trafen  sich  ebenso  glückliche  wie  geschickte  Spieler.  In 
den  letzten  Tagen  haben  nun  fünf  Spieler  einen  Brelan  gemacht. 
Vier  von  ihnen  haben  Brelan,  sie  setzen  alles  ein.  Der,  welcher 


Die  Chronique  Scandaleuse  123 


die  Karten  gab,  hält  ihn  und  zeigt  einen  Brelan  in  Karo,  der 
alles  gewinnt.  Einer  der  vier  Verlierenden,  der  gereizter  ist  als 
die  anderen,  erhebt  sich  mit  einem  Fluch  und  ruft:  „Das  ist 
aber  ein  zu  unvorteilhafter  Zug!" 

Der  andere,  der  gegeben  hatte,  läßt  den  Zwischenruf,  ohne 
ihn  zu  achten  vorübergehen  und  steckt  das  Geld  ein,  aber  der 
nun  noch  mehr  gereizte  Spieler  wiederholt  ihn  mit  noch  lauterer 
Stimme,  so  daß  sich  ein  lebhafter  Disput  zwischen  ihnen  erhebt, 
der  von  zwei  Wachleuten  des  Tribunal  des  Marechaux  de  France 
unterbrochen  wurde,  die  sich  ihrer  annahmen.  Man  führt  sie 
zu  dem  Marschall  von  Richelieu,  und  dort  plädiert  jeder,  so  gut 
er  kann,  für  seine  Sache. 

Der  Düpierte  behauptet,  daß  er  den  anderen  keines  Wortes 
gewürdigt  hätte;  der  Geber  versichert,  daß  der  Zug  durchaus 
im  Bereiche  der  Möglichkeit  sei.  Der  Marechal  läßt  sie  sich 
den  Versöhnungskuß  geben ;  der  erstere  geht,  sein  Schicksal  be- 
klagend, hinaus,  um  seine  Wache  zu  entlohnen;  der  andere  bleibt 
und  dankt  dem  Marschall  für  das  weise  Urteil.  „Dieser  Zug  ist 
immerhin  recht  seltsam",  sagt  Herr  von  Richelieu.  —  »Ge- 
wiß, Monseigneur,  aber  er  ist  möglich."  —  „Gehen  Sie,"  er- 
widert der  Doyen  der  Marechaux,  „ich  bin  zu  nachsichtig, 
ich  hätte  Sie  ins  Gefängnis  schicken  sollen,  in  dem  Sie  so  lange 
verblieben  wären,  bis  der  Coup  ein  zweites  Mal  herausgekommen 
wäre."  Ein  ingeniöses  Wort,  das  beweist,  was  der  alte  Krieger 
in  seinem  Innersten  von  dem  Abenteuer  hielt. 

Man  lacht  viel  über  das  Testament  eines  Engländers,  dessen 
Authentizität  garantiert  wird;  hier  eine  seiner  Klauseln: 

„Ich  gebe  und  vermache  meiner  Schwester  N.  N.  fünf  Guineen, 
die  ihr  aber  nicht  während  ihres  irdischen  Daseins  ausgezahlt 
werden  sollen;  sie  sollen  ihr  sofort  nach  ihrem  Tode  eingehändigt 
werden,  damit  sie  sich  standesgemäß  begraben  lassen  kann." 


124  Die  Chronique  Scandaleuse 

Aus  London  schreibt  man,  daß  unser  berühmter  Seiltänzer 
Placide  dort  wunderbare  Vorstellungen  gibt,  daß  es  ihm  aber 
teuer  zu  stehen  gekommen  ist,  einem  noch  gewagteren  Springer 
begegnet  zu  sein.  Dies  ist  ein  Straßenräuber,  der  ihm,  nach- 
dem er  ihm  seine  Börse  entwendet  hatte,  freundschaftlich  die 
Hand  a  l'anglaise  schüttelte  und  ihm  sagte:  „Kamerad  Placide, 
vielleicht  werde  ich  bald  einen  viel  gefährlicheren  Sprung  ma- 
chen als  die  deinen,  aber  in  der  Zwischenzeit  werde  ich  ein  Glas 

auf  deine  Gesundheit  trinken." 

# 

Bei  einem  Souper  wurde  erzählt,  Mme  D.  habe  die  Pocken. 
„Das  erstaunt  mich  nicht,"  antwortete  jemand,  „ich  habe  sie 
immer  als  sehr  anspruchslos  gekannt."  [Veröle  =  Syphilis ;  Petite 

Veröle  =  Pocken.   Anm.  d.  U.] 

* 

Vor  kurzem  hat  man  drei  Säbelduelle  ausgefochten ;  das  eine 
vom  Chevalier  de  Cubieres  gegen  M.  de  Champcenets,  der  ihn 
im  „Almanach  großer  Männer"  verachtungsvoll  behandelt 
hatte;  das  andere  von  einem  Unbekannten  gegen  M.  de  Nar- 
bonne  als  Entgegnung  auf  einen  Peitschenhieb.  Dieser,  der  ven- 
tre-ä-terre  Paris  durchfuhr,  hatte  jenen  Herrn  umgeworfen. 
Da  sein  Wisky  im  Gedränge  angehalten  wurde,  war  der  letz- 
tere auf  den  Wagen  gesprungen,  um  Genugtuung  zu  fordern, 
und  das  erledigte  sich  in  zehn  Sekunden.  Das  dritte  hatte 
lustigere  Begleiterscheinungen.  Der  Bischof  von  Noyon  hat  die 
Forderung  von  einem  jungen  Herrn  erhalten,  der  in  den  Liebes- 
gründen weidete,  die  der  Prälat  gepachtet  hatte.  Die  beiden 
kamen  zu  einem  Zusammenstoß;  man  wechselte  einige  Reden, 
und  der  Bischof  gab  dem  Greluchon  die  Firmung. 

Dieser,  der  für  die  Sakramente  wenig  übrig  hatte,  forderte 
Genugtuung,  und  der  Bischof  de  Novon  war  besonnen  genug, 
zu  empfinden,  daß  ihm  die  Rolle  eines  Kirchenfürsten  in  dieser 
Angelegenheit  nicht  gut  zu  Gesicht  stehen  würde. 


Die  Chronique  Scandaleuse  125 


Aus  London  hört  man,  daß  es  Herrn  von  la  Motte -Valois 
gelungen  sei,  sich  wieder  in  Besitz  eines  Teils  jenes  berühm- 
ten Colliers  zu  setzen,  daß  er  gelegentlich  seiner  Flucht  seiner 
Tante  in  Bar-sur-Aube  anvertraut  hatte.  Jene  Diamanten  be- 
fanden sich  in  einem  kleinen  Fäßchen,  dessen  kostbaren  Inhalt 
er  sorgsam  verschwiegen  hatte.  Gleichzeitig  hatte  er  ihr  ein  seiner 
Frau  gehörendes  Schmuckkästchen  und  eine  kostbare  Kassette 
anvertraut,  die  auf  1500  Livres  eingeschätzt  wurde. 

Seit  er  in  London  war,  hatte  sich  die  Domäne  im  Namen  des 
Königs  der  Güter  des  Herrn  und  der  Frau  de  la  Motte  be- 
mächtigt; der  Tante  war  es  eingefallen,  den  Schmuckkasten  in 
eigener  Person  den  Kommissären  auszuhändigen,  aber  sie  hatte 
Sorge  getragen,  die  Kassette  und  das  Fäßchen  zu  bewahren,  und 
hatte  sich  sogar  mehreren  Boten  gegenüber,  die  mit  Briefen  von 
Herrn  von  la  Motte  zwecks  Herausgabe  der  deponierten  Sachen 
kamen,  geweigert,  sie  auszuliefern,  und  sich  damit  begnügt,  zu 
sagen,  daß  sie  in  Sicherheit  seien,  und  sie  sie  nur  demjenigen 
geben  würde,  der  sie  ihr  eingehändigt  habe. 

Der  Herr  de  la  Motte,  der  fürchtete,  auch  noch  die  letzten 
Reste  seines  Raubes  zu  verlieren,  schrieb  dringend  an  seine  Tante 
und  seinen  Onkel,  um  sie  zu  einer  Übersiedlung  nach  England 
zu  veranlassen.  Vor  dem  Gerichtshof  griff  er  seinen  Onkel  an; 
es  gelang  ihm,  ihn  ins  Gefängnis  werfen  zu  lassen,  aus  dem  er 
erst  frei  geworden  ist,  nachdem  seine  Frau  sich  nach  Bar-sur- 
Aube  begeben  hatte,  um  das  Fäßchen  zu  holen  und  dem  Sieur 
de  la  Motte  zurückzuerstatten. 

Es  lohnt  nicht,  diese  Angelegenheit  mit  viel  Nachdenken  zu 
beschweren;  wer  jedoch  eines  neuen  Leitfadens  bedürfte,  am 
sich  in  diesem  dunklen  Labyrinth  zurechtzufinden,  könnte  sich 
ihn  leicht  verschaffen. 

# 

Man  ist  immer  darauf  gefaßt  gewesen,  daß  die  Bosheit  sich 
eines  Tages  in  den  berühmten  Namen  des  verstorbenen  Des- 


126  Die  Chronique  Scandaleuse 


brugnieres  kleiden  würde.   Es  zirkulieren  Kopien  eines  angeb- 
lichen Testamentes.  Hier  ein  Auszug: 

„Am  6.  Juli,  heutigen  Tages,  habe  ich,  Fiacre-Pancrace-Ho- 
nore  Desbrugnieres,  Rat  des  Königs,  Polizeiinspektor  der  guten 
Stadt  Paris,  gesund  an  Geist  und  Körper,  mein  vorliegendes  Te- 
stament, so  wie  folgt,  gemacht: 

„Zu  meinem  gesetzlichen  und  Universalerben  bestimme  ich 
meinen  lieben  und  würdigen  Kollegen  D„  ohne  daß  er  genötigt 
sei,  auf  die  Wohltaten  des  Gouvernements  und  auf  die  einträg- 
lichen Schändlichkeiten  zu  verzichten;  und  für  den  Fall  des  Ab- 
lebens seiner  natürlichen  männlichen  Leibeserben,  setze  ich  an 
seiner  Stelle  seinen  Herrn  Bruder  ein,  weil  er  gelegentlich  der  Fest- 
nahme des  Kardinals  von  Rohan  so  große  Hoffnungen  erweckt 
hat :  alles  dies  unter  der  Bedingung,  daß  sie  beide  für  den  Zeit- 
raum von  sechs  Monaten  Trauer  anlegen. 

Ich  vermache  Herrn  Piepape  de  Pieplat,  Staatsrat,  meine 
Sammlung  von  Haftbefehlen,  die  sich  in  meinem  Kleiderschrank 
befindet. 

Ich  vermache  Herrn  Moreau,  Historiographen  von  Frankreich, 
eine  Abhandlung  von  meiner  Hand,  dem  Erzbischof  von  Sens 
gewidmet  —  ,Sur  l'usage  legitime  des  lettres  de  cachet"  — ,  mit 
den  geschichtlichen  Angaben  über  alle,  die  ich  exekutiert  habe, 
in  zwölf  Bänden  in  Quartformat. 

Ich  gebe  und  vermache  dem  Herrn  B.,  Generalleutnant  des 
Gerichtssprengeis  zu  L.,  den  Cordon  noir,  den  man  im  Begriff 
war,  mir  zu  verleihen,  um  ihm  die  Achtung  zu  beweisen,  die 
ich  ihm  ob  seiner  geheimen  Korrespondenz  mit  dem  Siegelbe- 
wahrer und  ob  seiner  glücklichen  Überredungskünste  zolle. 

Herrn  Linguet  vermache  ich  12  (zwölf)  Flaschen  Galle,  die 
er  in  seine  Tinte  gießen  mag,  und  12  Schmiedehämmer,  auf  daß 
er  seinen  Stil  verbessere.  Außerdem  vermache  ich  ihm  ein  ge- 
polstertes Kissen,  das  ihm  auf  mehr  als  eine  Art  nützlich  sein 
dürfte. 


Die  Chronique  Scandaleuse  127 


Ich  vermache  dem  Abbe  Morellet  24  Sous  als  Lohn  für  seine 
letzte  Schmähschrift  gegen  die  Parlamente. 

Ich  vermache  dem  Redakteur  des  ,Courrier  de  l'Europe'  all  die 
Stockschläge,  die  mir  amTage  meines  Ablebens  zugedacht  werden. 

Den  Compilateuren  des  Journal  de  Paris'  vermache  ich 
meinen  Nekrolog,  den  ich  selbst  verfaßt  habe,  und  der  dessen- 
ungeachtet von  meinen  Erben  oder  der  Regierung  bezahlt  werden 
wird. 

Ich  vermache  dem  Herrn  B.-J.  von  P**  ein  Paar  fester  Reit- 
stiefel, einen  Sattel  und  eine  Postillonspeitsche,  damit  er  sich 
schneller  an  all  die  Orte  begeben  könne,  wo  eine  Schändlichkeit 
ausgeübt  oder  etwas  verdient  werden  kann. 

Ich  vermache  Herrn  von  Mazirot,  dem  Berichterstatter  der 
Gnadengesuche,  eine  Lederhose  für  die  Reise,  denn  er  hat  die  seine 
auf  der  Straße  zu  Rouen  und  der  Straße  von  Moulins  abgenützt. 

Ich  vermache  Mme  **  ein  Exemplar  von  ,ParapihV  mit  Illu- 
strationen in  Kupferstich.28 

Ich  vermache  der  Frau  Herzogin  von  G.  eine  Querpfeife 
aus  Elfenbein,  damit  sie  zu  ihrer  kleinen  süßen  Stimme  flöten 
kann,  wenn  sie  das  Lob  des  ersten  Ministers  singt. 

Zum  Exekutor  meines  Testaments  ernenne  ich  Herrn  von  *** 
in  der  Hoffnung,  daß  er  mir  dieselbe  Güte  wie  seinem  Freunde 
de  B.  erweisen  wird,  doch  mit  dem  Bedauern,  ihn  nicht  mit 
einigen  800000  bis  900000  Livres  entschädigen  zu  können;  aber 
ich  hinterlasse  ihm  eine  Dose  mit  meinem  Bild,  die  mit  Steinen, 
falsch  wie  er  selber,  geschmückt  ist,  und  die  ich  ihn  bitte  aus 
Zuneigung  zu  mir  anzunehmen." 


* 


Ein  siebzehnjähriges  Mädchen,  das  von  einem  alten  Weib,  dem 
es  ein  wenig  Geld  schuldete,  hart  bedrängt  war,  entwendete 
kürzlich  ihrer  Dienstherrin  einen  Überrock  und  einen  Unter- 
rock, die  es  verkaufen  ging  und  die  ihr  100  Sous  einbrachten.  Am 
selben  Tag  noch  bemerkte  man  den  Diebstahl. 


128  Die  Chronique  Scandaleuse 


Die  Bürgersfrau  eilte  ungeachtet  des  Alters  ihrer  Magd  und 
der  Umstände,  die  sie  zu  diesem  Vergehen  veranlaßt  hatten,  sie 
anzuzeigen.  Wohlwollende  Menschen,  denen  das  junge  Mäd- 
chen seine  Schuld  gestand,  kauften  in  Eile  das  gestohlene  Gut 
zurück  und  händigten  es  der  Herrin  ein;  jedoch  es  war  schon  zu 
spät,  und  die  arme  Unglückliche  wurde  festgenommen  und  ins 
Gefängnis  gebracht.  Le  Chatelet  verfügte,  daß  sie  ausgepeitscht 
und  in  ein  Zwangsarbeitshaus  gesteckt  werden  solle.  Beim 
Appel  ä  minima  verurteilte  sie  die  Berufungskammer  zum 
Tode  durch  den  Strang.  Daraufhin  wurde  das  Urteil  vor  zwölf 
Tagen  in  ganz  Paris  veröffentlicht.  Der  Galgen  war  errichtet, 
der  Henker  hatte  sich  schon  seiner  Beute  bemächtigt,  das 
versammelte  Volk  erwartete  schon  ihr  Erscheinen,  als  es  plötz- 
lich, wie  sie  die  Stufen  des  Chatelet  herabstieg,  einer  Amts- 
person gelang,  ihr  zwei  Worte  ins  Ohr  zu  flüstern.  Augen- 
blicklich stockte  ihr  Schritt;  sie  forderte,  den  Kriminalleutnant 
zu  sprechen  und  erklärte,  daß  sie  durch  Schuld  ihres  Dienst- 
herrn schwanger  sei.  Nach  diesen  Worten  wird  alles  ver- 
schoben. Man  führt  sie  ins  Gefängnis  zurück,  um  das  Urteil  der 
Ärzte  und  der  Hebammen  zu  hören;  da  es  aber  vorläufig  un- 
möglich ist,  zu  entscheiden,  ob  die  Behauptung  wahr  oder  falsch 
ist,  hofft  man,  dieser  Aufschub  würde  ihr  günstig  sein  und  zur 
Begnadigung  verhelfen.  Alles  spricht  zu  ihren  Gunsten,  und  ein 
Beweis,  daß  sie  nicht  verderbt  ist,  besteht  darin,  daß,  als  jemand 
ihr  vorgeworfen  hat,  daß  sie  bei  ihrem  ersten  Verhör  alles  ein- 
gestanden habe,  und  dieser  nun  versucht,  ihr  zu  beweisen,  wie 
leicht  es  ihr  gewesen  wäre,  ihrer  Strafe  durch  Leugnen  zu  ent- 
gehen, sie  ihn  unterbricht :  „Oh,  mein  Herr,  man  darf  vor  den 
Gerichten  nicht  leugnen,  ich  würde  lieber  sterben,  als  der  ewigen 
Verdammnis  anheimfallen." 

Als  das  arme  Kind  den  Strick  um  den  Hals  gefühlt  hat,  mag 
es  nicht  ebenso  gedacht  haben;  aber  wer  könnte  ihr  einen  Vor- 
wurf daraus  machen  ? 


Die  Chronique  Scandaleuse  129 


Der  Abbe  Prevost,  der  Almosenier  bei  einem  sehr  hohen  Herrn 
zu  werden  wünschte,  bemühte  die  vornehmsten  Leute  für  ihre 
Verwendung.  Als  er  dem  Fürsten  vorgestellt  wurde,  sagte  ihm 
dieser:  „Sie  scheinen  ausgezeichnete  Verbindungen  zu  haben, 
ganz  Paris  spricht  ja  nur  von  Ihnen;  aber,  sagen  Sie  doch, 
welchen  Rang  erstreben  Sie  ?  Mein  Almosenier  ist  einer  meiner 
Beamten,  den  ich  am  wenigsten  benötige,  da  ich  niemals  zur 
Messe  gehe."  —  „Gerade  deshalb  bitte  ich  um  die  Stelle,  die 
wie  für  mich  gemacht  ist:  Sie  gehen  nie  zur  Messe,  und  ich 
lese  nie  die  Messe." 

# 

Pousse,  der  berühmte  Pariser  Mediziner,  hatte  sich  gelegent- 
lich eines  Pockenanfalls  beim  Dauphin  große  Verdienste  er- 
worben; er  war  Normanne  und  recht  gewöhnlich;  so  sagte  er 
zur  Königin :  „Beunruhigen  Sie  sich  nicht,  ich  werde  Ihnen  Ihren 
Jungen  zurückgeben."  Dem  König  sagte  er:  „Diese  kleine  Frau 
(die  Dauphine)  läuft  immer  hinter  mir  her,  sie  fürchtet,  ihren 
Gatten  zu  verlieren,  aber  wir  werden  ihn  ihr  erhalten." 

* 

Der  Herzog  von  A***,  der  zur  Friedenszeit,  gelegentlich  der 
Reform,  befragt  wurde,  was  er  davon  hielte,  gab  dem  König  zur 
Antwort : 

„Sire,  ich  glaube,  daß  Sie  die  Taufe  reformieren  sollten,  da- 
mit wir  dann  in  Frankreich  weniger  Commeres  und  Comperes 
hätten." 

Derselbe  Herzog  sah  eines  Tages  Mme  de  B.,  eine  Frau  von 
monströser  Statur.  Er  fragte,  wer  diese  Frau  sei.  „Monsieur,  sie 
ist  eine  Dame  aus  der  Provinz."  „Wie,  eine  Dame  aus  der  Pro- 
vinz? Sagen  Sie  doch  lieber,  sie  ist  eine  ganze  Provinz  auf 
einmal." 

* 

Ein  junger  Provinziale  berichtet  einem  seiner  Freunde  über 
die  seltsame  Art,  auf  die  er  sich  seit  einiger  Zeit  verheiratet  findet : 

9 


130  Die  Chronique  Scandaleuse 

„Am  2.  des  Monats  begab  ich  mich  in  das  Schloß  von  M., 
um  an  dem  Vergnügen  teilzunehmen,  das  er  anläßlich  der  Hoch- 
zeit seiner  ältesten  Tochter  mit  M.  gab.  Ich  kam  als  einer  der 
letzten  an,  obschon  ich  seit  langem  eingeladen  war,  und  fand 
die  Appartements  alle  besetzt.  M.  drückte  mir  sein  lebhaftestes 
Bedauern  darüber  aus,  indem  er  mir  versichert,  er  selbst  würde 
das  Zimmer  wechseln,  um  mir  sein  Bett  zu  überlassen.  Nach 
einem  Moment  des  Nachdenkens  sagt  er  mir :  ,Ich  überlege  eine 
gewisse  Sache;  Sie,  der  Sie  ein  Sohn  des  Mars  sind,  haben 
sicher  keine  Gespensterfurcht;  ich  gestehe,  daß  sie  mir  selbst 
schreckliche  Angst  einflößen.  Ich  hatte  zuerst  vor,  Ihnen  mein 
Zimmer  abzutreten  und  in  einem  anderen,  das  leer  steht,  weil 
die  Geister  dort  umgehen,  zu  schlafen.  Wenn  Sie  das  Risiko 
wagen  wollen,  werde  ich  für  Ihren  Teil  beruhigter  sein  als  etwa 
für  meinen.4  Ich  lachte  laut  auf,  und  ohne  an  der  Wahrheit 
meiner  Antwort  zu  zweifeln,  antwortete  ich  ihm,  daß  ich  die 
Gespenster  bis  zum  Wahnsinn  liebe ;  die  Folge  davon  war,  daß 
nach  dem  Souper  zwei  an  allen  Gliedern  zitternde  Domestiken 
mich  in  diesem  Zimmer  einrichteten,  das  ich  bald  in  Besitz 
nahm,  indem  ich  mich  zur  Ruhe  legte. 

Ich  war  schon  halb  im  Schlaf,  als  ein  leichtes  Geräusch  meine 
Blicke  nach  der  Tür  lenkte;  ich  sah  jemand,  dessen  Geschlecht 
sich  nicht  erkennen  ließ,  aber  den  ich  als  ein  Wesen  von  Fleisch 
und  Blut  einschätzte,  hereintreten;  denn  tatsächlich  glaubten 
meine  Sinne  nicht  einmal  an  die  Möglichkeit  eines  Phantoms. 
Das  Wesen  näherte  sich  dem  Feuer  und  schürte  es  auf;  beim 
Flammenschein,  der  aufloderte,  sah  ich  deutlich,  daß  es  eine 
junge  Frau  war. 

Nachdem  sie  die  nötigen  Vorsichtsmaßregeln  getroffen  hatte, 
um  eine  Feuersbrunst  zu  verhüten,  näherte  sie  sich  meinem  Bett 
und  kroch  unter  die  Decke. 

Ich  zog  mich  an  die  entgegengesetzte  Wand  zurück,  und  da 
ich  gewiß  war,  sie  nicht  zu  stören,  begnügte  ich  mich  damit, 


Die  Chronique  Scandaleuse  I3I 


mich  äußerst  ruhig  zu  verhalten,  um  sie  nicht  zu  wecken;  sie 
streckte  einen  Arm  nach  mir  aus,  der  mich  glücklicherweise  nicht 
erreichte,  aber  da  ich  beim  Schein  des  Feuers  einen  Ring  an 
ihrem  Finger  erblickt  hatte,  konnte  ich  der  Versuchung  nicht 
widerstehen,  mich  seiner  zu  bemächtigen.  Er  saß  lose  und  glitt 
ohne  die  leiseste  Anstrengung  herab.  Gegen  4  Uhr  morgens  hielt 
es  meine  Gefährtin  für  gut,  sich  ohne  Abschied  zu  entfernen; 
sie  ging  zweimal  um  das  Zimmer  herum  und  schritt  hinaus  nach 
dem  ihren. 

Was  mich  betrifft,  verblieb  ich  in  einem  Zustand,  der  sich 
schlecht  beschreiben  läßt.  Sie  werden  meiner  Versicherung  gern 
glauben,  daß  an  Schlaf  nicht  zu  denken  war.  Als  am  nächsten 
Morgen  die  ganze  Gesellschaft  beim  Frühstück  versammelt  war, 
fragte  man  mich,  ob  ich  irgendeine  Erscheinung  gesehen  hätte! 
Ich  antwortete  bejahend,  daß  ich  aber,  ehe  ich  fortfahren  würde, 
die  anwesenden  Damen  bäte,  mir  zu  sagen,  ob  keine  unter  ihnen 
einen  Ring  verloren  habe.  Fräulein  **,  die  jüngere  Schwester  der 
jungen  Frau,  rief  aus :  ,Oh,  wahrhaftig,  ja,  ich  habe  meinen  Ring 
verloren !<  Da  erhob  ich  mich,  nahm  sie  bei  der  Hand  und  sagte: 
,Hier  ist  das  hübsche  kleine  Gespenst,  das  mir  heut  nacht  Be- 
such gemacht  hat.* 

Darauf  erzählte  ich  die  Geschichte  mit  dem  Bett.  Alle  lachten 
sehr,  mit  Ausnahme  der  charmanten  kleinen  Nachtwandlerin, 
die  in  einer  bemitleidenswerten  Verfassung  war.  Darauf  trat  m' 
zwischen  uns,  drückte  unsere  Hände  in  der  seinigen  und  sagte 
folgendes:  ,Mein  Freund,  da  meine  Tochter  in  der  vergangenen 
Nacht  indiskret  genug  gewesen  ist,  Ihren  Schlaf  zu  stören,  er- 
laube ich  Ihnen,  den  ihren  in  der  kommenden  Nacht  aufzuhal- 
ten/ Die  Hochzeit  wurde  noch  am  selben  Tage  gefeiert,  und 
ich  bin  der  Glücklichste  aller  Sterblichen. 

# 
Ein  Mahre  de  requetes,  von  dem  die  Chronique  scandaleuse 
schon  mehrmals  berichtet  hat,  ging  für  einige  Zeit  seiner  Frei- 

9* 


132  Die  Chronique  Scandaleuse  • 

heit  verlustig,  weil  er  am  Verfalltag  nicht  die  400  000  Livres 
bezahlte,  die  er  Mlle  Adeline  schuldig  war.  Ein  Arrangement 
mit  seinen  Gläubigern  hat  ihn  der  Gesellschaft  zurückgegeben. 
Dieser  Tage  erblickte  er  in  einer  kleinen  Loge  der  Comedie  Ita- 
lienne  eine  schöne  Ausländerin,  die  er  begehrte,  und  eilte  zu  ihr. 

Adeline,  die  dies  bemerkt  hat,  begibt  sich  wütend  zu  ihnen, 
trennt  sie  mit  Faustschlägen  und  droht  ihrer  Rivalin,  sie  zu 
töten,  wenn  sie  noch  einmal  wagen  würde,  nach  ihrem  Lieb- 
haber zu  trachten.  Diese  zärtliche  Eifersucht,  diese  so  delikate 
Anhänglichkeit  zeigen,  wie  sehr  die  vorsichtige  Adeline  damit 
rechnete,  daß  die  Geschäfte  ihres  Bittschriftenherrn  sich  noch 
arrangieren  könnten. 

Aber  ach,  am  Morgen  nach  diesem  unerfreulichen  Abenteuer 

hat  ihn  ein  geheimer  Haftbefehl  fünfzig  Meilen  weit  von  Paris 

geschickt,  und  dank  der  Opfer,  die  seine  Schulden  bedingten, 

ist  er  auf  6000  Livres  Rente  reduziert. 

# 

Man  erzählt  sich  eine  Anekdote,  die  einen  der  glühendsten  Pro- 
testantenfeinde und  deren  ehrenwerten  Protektor  charakterisiert. 

Mme  **  wünschte  vor  einiger  Zeit,  einen  sterbenden  Chri- 
stus zu  besitzen.  Herr  David,  der  Maler,  zu  dem  sie  geschickt 
hatte,  stellte  ihr  vor,  daß  sein  Pinsel  der  Geschichte  geweiht 
sei,  und  daß  seine  geringen  Neigungen  für  das  fromme  Genre  ihn 
fürchten  ließen,  dem  Vorwurf  nicht  gerecht  zu  werden;  immer 
in  dem  Streben,  sich  von  einem  solchen  Auftrag  zu  befreien, 
fügte  er  hinzu,  daß  ihn  das  eine  beträchliche  Zeit  kosten  würde, 
und  daß  er  das  Gemälde  nicht  unter  1000  Talern  machen  könne. 

„Einverstanden!"  antwortet  Mme  **  „Aber",  sagt  nun  sei- 
nerseits der  Maler,  von  diesem  letzten  Argument  in  die  Enge 
getrieben,  „ich  weiß  nicht,  wie  ich  mir  ein  Modell  verschaffen 
soll."  „Ich  habe,  was  Ihnen  fehlt,"  antwortet  sie  wiederum,  „und 
ich  werde  Ihnen  einen  Brief  für  den  Pater  Seraphin  mitgeben; 
nach  seinem  Ebenbild  wünsche  ich  meinen  Christus." 


Die  Chronique  Scandaleuse  133 


David  präsentiert  sich  mit  Mme  ***  Brief  beim  Pater  Sera- 
phin, der  sich  von  der  Pflicht,  die  man  ihm  auferlegt,  sehr  ge- 
ehrt fühlt.  Darauf  läßt  der  Maler  diesen  Unglücklichen  an  einem 
Pfah]  befestigen;-  in  zwei  Sitzungen  schafft  er  den  Kopf,  und 
aus  Furcht,  die  Gefälligkeit  des  Kapuziners  zu  sehr  in  Anspruch 
zu  nehmen,  malt  er  den  Körper  nach  einem  anderen  Modell. 

Als  das  Werk  beendet  ist,  trägt  David  es  zu  Mme  ***,  die,  als 
sie  das  Haupt  des  Gekreuzigten  erblickt,  in  eint  Ekstase  von 
Freude  und  Devotion  gerät,  dann  aber,  sich  über  den  Körper 
beugend,  ausruft :  „Ah,  Monsieur,  was  haben  Sie  da  gemacht  ? 
Ich  schwöre  Ihnen,  dies  ist  nicht  Pater  Seraphins  Körper;  er 
ist  nicht  so  fett." 

Der  Maler  war  gezwungen,  zu  gestehen,  wie  es  sich  verhielt. 

„Nehmen  Sie  Ihr  Bild  wieder  mit,"  sagt  Mme  ***,  „den  Pater 
Seraphin  wünschte  ich  zu  haben,  seinen  Kopf  und  seine  Gestalt." 

David  zog  sich  unwillig  zurück,  ohne  sein  Gemälde  mit- 
nehmen zu  wollen.  M**,  der  unter  den  lächerlichen  Hand- 
lungen seiner  Frau  leidet,  beendete  die  Diskussion;  er  begab 
sich  zu  Herrn  David  und  zahlte  ihm  seine  2000  Taler. 

# 

Der  Herr  Marschall  von  Richelieu,  den  man  einige  Monate 
vor  seinem  Ableben  totgesagt  hatr  zeigte  sich  am  selben  Tage 
in  der  Oper.  Am  nächsten  Morgen  lud  er  den  Marschall  von 
Biron  und  den  alten  Thuret  zu  Gaste.  Dieses  Triumvirat,  auf 
dem  Jahre,  Myrten  und  Lorbeeren  schwer  lasteten,  hat  sich  an 
wechselseitigen  Erzählungen  aller  Freuden  und  Erinnerungen 
sehr  vergnügt. 

Galant  bis  zu  den  Pforten  seines  Grabes,  hat  der  Marechal  de  Ri- 
chelieu der  Herzogin  de  Fronsac  eine  charmante  Antwort  gegeben , 
als  sie  ihn  zu  der  Besserung  seiner  Gesundheit  beglückwünschte : 
„Papa,  ich  finde  Sie  frisch  und  mit  ausgezeichneter  Miene." 

„Augenscheinlich",  antwortete  der  Marechal,  „halten  Sie  mein 
Gesicht  für  einen  Spiegel,  der  Ihre  eigenen  Züge  widergibt/' 


134  ^ie  Ckronique  Scandaleuse 


Allgemeine  Konsternation.  Unsere  Gesellschaften  hallen  von 
Schmerzensrufen  wieder.  Und  was  ist  ihr  Gegenstand?  Mlle 
Contat.  Aus  Angst,  dick  zu  werden,  hatte  sie  seit  einem  Monat 
jeden  Morgen  einen  Viertelschoppen  Essig  getrunken.  Diese 
Unvorsichtigkeit  hat  sie  in  einen  schrecklichen  Zustand  versetzt. 
Gestern  hatte  man  sie  aufgegeben;  der  Kurat  von  Saint- Auspice 
hat  sie  besucht  und  ihr  gedroht,  falls  sie  nicht  dem  Theater, 
Mole  und  dem  Grafen  L.  entsagen  würde,  ihr  nach  ihrem  Tode 
die  Ehre  zu  verweigern,  sie  in  seinem  Kirchhof  begraben  zu 
lassen. 

Ihre  Krankheit  hat  auch  noch  andere  Ursachen :  einen  Streit 
mit  ihrem  zärtlichen  Liebhaber,  der  einige  Kratzwunden  mit 
drei  oder  vier  Faustschlägen  auf  ihr  hübsches  Gesichtchen  beant- 
wortet hat.  Man  versichert,  daß  die  Art  und  Weise,  mit  der 
Herr  von  M.  seine  Meinungsverschiedenheiten  betonte,  den 
Damen  stark  mißfällt.  So  sehr  sie  auch  an  Neuigkeiten  gewöhnt 
sein  mögen,  so  schwer  dürfte  es  ihnen  fallen,  sich  solchen  an- 
zupassen, die  von  den  starken  Burschen  der  Hallen  der  Öffent- 
lichkeit gelehrt  werden. 

# 

Der  durch  seine  Bizarrerien  bekannte  Chevalier  de  Forges  hat 
all  den  anderen,  mit  denen  sein  Lebensweg  dicht  besät  war, 
noch  eine  letzte  zugefügt,  nämlich  die,  bei  einem  öffentlichen 
Mädchen  zu  sterben.  Als  sehr  reicher  Mann  verfiel  Herr  de 
Forges  der  konträren  Übertreibung  unserer  jungen  Leute,  die 
sich  mit  unseren  weiblichen  Vampyren  ruinieren :  er  gab  wenig. 
Bescheidentlich  bot  er  dreimal  in  der  Woche  seinen  kleinen 
Taler  einem  Fräulein,  das  sich  mit  gewöhnlichen  Wasserträgern 
zufrieden  gab  und  die  ihn  darin  kannte,  da  er  einer  ihrer  besten 
Kunden  war.  In  diesen  letzten  Tagen  empfand  er  das  dringende 
Bedürfnis,  in  den  Armen  der  Wollust  zu  sterben,  und  er  begab 
sich  zu  seiner  Liebsten,  wo  er  in  einem  Armsessel  seine  Seele 
aufgab. 


Die  Chronique  Scandaleuse  135 


Es  ist  derselbe  Chevalier,  der  den  Titel  eines  „Marquis  des 
irdischen  Paradieses,  Vicomte  der  Hölle,  Seigneur  aller  Teufel" 
angenommen  hatte,  und  der  mit  einem  Vikar  zu  prozessieren 
wünschte,  weil  der  sich  weigerte,  diese  Titel  bei  der  Taufe  eines 
seiner  Kinder  ins  Register  einzuschreiben.  Er  war  es  auch;  der 
sich  weigerte,  ein  Haus"  zu  verkaufen,  das  in  dem  Bezirk  lag,  der 
zur  Errichtung  einer  neuen  Markthalle  bestimmt  wurde,  und 
aus  diesem  Anlaß  einen  Prozeß  mit  der  Stadt  anfing,  ihn  ge- 
wann und  die  Stadt  zwang,   neue  Pläne   zu  entwerfen.    Auf 
dieses  Haus  ließ  er  ein  Bild  malen,  das  noch  heute  zu  sehen  ist 
und  einen  lebensgroßen  Hammel  darstellt,  der  einem  Wolf  eine 
Grimasse  schneidet.  Er  zwang  die  Mieter  dieses  Hauses  zu  einer 
kontraktlichen  Verpflichtung,  in  der  verfügt  wurde,  daß  sie  für 
Erhaltung  dieses  Bildes  Sorge  tragen  müßten.  Bizarr,  wie  er  in 
allem  war,  ging  der  Marquis  des  irdischen  Paradieses  in  eigener 
Person  auf  den  Markt,  mit  einem  alten  Mantel  angetan,  den  er 
seinen  Tausendtalerrock  getauft  hatte,  weil,  wie  er  sagte,  dies 
Kleidungsstück  ihm  diese  Summe  Ersparnis  eingebracht  habe. 
Als  ein  Freund  ihn  beauftragte,  ein  gewisses  Fräulein  um  ihre 
Hand  für  ihn  zu  bitten,  fand  er  diese  nach  seinem  Geschmack, 
hielt  selbst  um  sie  an,  errang  sie  mühelos  und  vermählte  sich 
mit  ihr.  Darauf  verliebte  er  sich  in  eine  sehr  hübsche  Jüdin;  er 
verführte  sie,  entführte  sie  und  richtete  sie  in  einem  kleinen 
Appartement  ein.  Als  er  erfuhr,  daß  ihre  Eltern  eifrige  Nach- 
forschungen nach  ihr  anstellten,  fand  er  es  für  gut,  zu  einem 
Erzbischof  zu  gehen,  ihm  zu  erzählen,  daß  ein  ihm  bekannter 
Geistlicher  eine  junge  Jüdin  zum  Katholizismus  bekehrt  habe, 
und  erlangte  von  dem  Prälaten  eine  Ordre,  dahin  lautend,  daß 
sie  in  einem  Kloster  untergebracht  werden  solle,  um  so  den 
Tyranneien  der  Eltern,  die  sich  einer  Bekehrung  widersetzten, 
zu  entgehen.  Der  Geistliche,  der  in  diesem  Fall  dem  Chevalier 
Kupplerdienste  leisten  sollte,  empfing  ein  Benefiz  für  sein  gutes 
Werk.  Als  die  Mutter  erfuhr,  wo  ihre  Tochter  untergebracht  sei, 


136  Die  Chronique  Scandaleuse 

schlug,  sie  ungeheueren  Lärm;  die  Gattin  des  Verführers  verband 
sich  mit  ihr  und  der  „Seigneur  de  tous.les  diables"  verließ  seine 
Mätresse,  die,  um  sich  an  ihren  Eltern  zu  rächen,  nichts  Besseres  zu 
tun  fand,  als  nun  wirklich  ihren  Glauben  abzuschwören  und  den 
Schleier  in  eben  diesem  Kloster  zu  nehmen.  Sie  war  gescheit 
genug  gewesen,  aus  ihrem  Liebhaber  eine  beträchtliche  Summe 
zu  ziehen,  und  entfloh  zwei  Jahre  später  mit  dem  ehrsamen 
Geistlichen,  dem  der  Chevalier  sein  Vertrauen  geschenkt  hatte. 

* 

Paris  wird  unvermerkt  mit  empfindsamen  Frauen  verseucht 
—  ich  weiß  nicht,  ob  man  sich  dieses  so  lächerlichen  Epithe- 
tons bedienen  darf,  das  ein  geschmackloser  Esprit  zur  Tages- 
mode gemacht  hat.  Es  sind  Frauen,  die  im  Bestreben,  Schärfe 
des  Geistes  mit  schönen  Gefühlen  zu  paaren,  sich  nur  noch  in 
sinnlosem  Geschwätz  ergehen.  Ein  leichtes  wäre  es,  ein  recht 
pikantes  und  recht  neuartiges  Bändchen  zusammenzustellen, 
wenn  man  sich  damit  vergnügen  wollte,  all  die  Worte  zu  sam- 
meln, die  Mme  de  Stael,  die  Frau  des  schwedischen  Gesandten, 
seit  14  Tagen  geäußert  hat.  Ihre  Ausdrucksweise  entlehnt  viel 
aus  Herrn  Neckers,  ihres  Vaters,  geschraubtem  und  obskurem 
Stil.  Es  ist  wohl  wahr,  daß  sie  behaupten  könnte,  daß  man  ihr 
viel  zu  viel  jener  dunklen  Redewendungen  zuschreibt-  Man 
könnte  ihr  aber  auch  das  antworten,  was  Herr  von  Saint  Lam- 
bert vor  der  versammelten'Academie  Francaise  dem  Abbe  Voise- 
non,  der  sich  über  die  Lächerlichkeiten,  die  man  ihm  zuschrieb, 
beklagte,  entgegnete:  „Man  leiht  nur  den  Reichen." 

Ein  einziger  Satz  genüge,  um  die  Redeweise  derMarquisevon 
Condorcet,  Gattin  des  gleichnamigen  Akademikers,  und  ihre  Ge- 
fühle für  die  Nachwelt  zu  illustrieren.  Spricht  man  ihr  von 
Schwangerschaft,  so  antwortet  sie,  „man  bleibe  mir  ferne  mit 
solchen  Gedanken;  ein  ähnliches  Ereignis  würde  mir  nur  eine 
große  Pein  bereiten.  Der  Gedanke,  daß  mein  Sohn,  wes  Geistes 
Kind  er  auch  sei,  im  Verhältnis  zu  seinem  Vater  immer  nur  ein 


Die  Chronique  Scandaleuse  1-37 

Ignorant  sein  würde,  wäre  mir  unerträgliche  Qual.  Die  Natur, 
die  mit  Wundern  geizt,  bringt  niemals  zwei  hintereinander  in 
der  gleichen  Familie  hervor." 

Wenn  man  von  schönen  Gefühlen  spricht,  zitiert  man  auch 
die  Vicomtesse  von  D***,  die  kürzlich  gefragt  wurde,  ob  sie  bald 
niederkäme.  „Um  Gotteswillen,  sprechen  Sie  mir  nicht  davon, 
dehn  ich  zittere  davor,  nicht  in  dem  Gedanken  an  die  Schmer- 
zen, die  mir  bevorstehen,  sondern  an  die  Verzweiflung,  die  mir 
dadurch  beschieden  sein  wird,  daß  mein  Kind  durch  seine  Ge- 
burt mir  und  meinem  Schoß  entrissen  wird." 

Die  Bemerkung  der  jungen  Herzogin  von  L.  ist  viel  naiver 
und  viel  natürlicher.  Sie  hatte  eine  sehr  schwere  Niederkunft. 
Mehrere  Tage  schwebte  sie  in  Lebensgefahr.  Als  sie  entbunden 
war  und  man  ihr  sagte,  das  Kind  sei  ein  Sohn,  rief  sie  aus :  „Wie 
froh  bin  ich  darüber,  er  wird  nie  niederzukommen  brauchen." 

# 

Drei  Dinge  erregen  neugierige  Gemüter:  1.  das  Haus  des  Fiäu- 
leins  Dervieux.  Es  ist  ein  Tempel.  Man  hat  nichts  Ähnliches 
weder  bei  den  königlichen  Gebäuden  noch  sonstwo  gesehen, 
das  so  prächtig  und  so  bequem  ist;  um  sich  eine  Idee  davon 
zu  machen,  lese  man  die  Märchen  aus  Tausendundeiner  Nacht. 
2.  Das  unterirdische  Interieur  des  inmitten  der  Gärten  des  Palais 
Royal  gelegenen  Circus.  Scharenweise  strömen  die  Menschen 
dorthin,  aber  alle  verlassen  es  mit  kritischen  Gefühlen;  man  ist 
sich  nämlich  nicht  klar  darüber,  zu  welchen  Zwecken  es  dien- 
lich sein  könne.  3.  Die  Gemälde  des  Herrn  de  Calonne  von  Mme 
Le  Brun.  Alles  eilt  dorthin,  sie  zu  sehen,  und  alles  ist  verblüfft, 
daß  dieser  Generalkontrolleur  es  verstanden  hat,  in  so  wenig 

Zeit  so  viele  Meisterwerke  zu  sammeln. 

# 

Während  der  zwei  Osterwochen  hat  Mme  Dugazon  in  Amiens 
gespielt.  Eines  Morgens  fand  sich  ein  junger  Mann  bei  ihr  ein 
und  bot  ihr  alles,  was  er  besaß:  sein  Herz  und  25  Louis. 


138  Die  Chronique  Scandaleuse 


Die  Schauspielerin  maß  ihn  würdevoll  von  Kopf  zu  Füßen  und 
sagte  mit  imponierendem  Tonfall:  „Junger  Mann,  behalten  Sie 
Ihre  Huldigung  und  Ihre  25  Louis;  gefielen  Sie  mir,  würde  ich 

Ihnen  100  geben." 

* 

Auszug  aus  einem  von  Mme  Sophie  an  eine  ihrer  Freundin- 
nen anläßlich  der  Feuersbrunst  der  „Menüs  plaisirs  de  sa  Ma- 
jeste"  gerichteten  Brief: 

Paris,  am  26=  Juni  1788. 

„Sicherlich  haben  Sie  in  den  Zeitungen  von  der  schrecklichen 
Feuersbrunst  gelesen,  die  die  Menüs  plaisirs  du  roi  ergriffen 
hat;  ich  schulde  Ihnen  aber,  liebe  Freundin,  einige  Details  über 
die  wichtigsten  Verluste,  deren.  Folgen  schwerer  sind,  als  man 
meinen  will.  Dieses  schreckliche  Feuer  hat  die  Göttinnen  der 
Oper  fast  völlig  entblößt.  Das  Feuer  hat  auf  die  Kostümmaga- 
zine übergegriffen,  und  nur  einem  Wunder  ist  es  zu  verdanken, 
daß  man  ihrer  einige  gerettet  hat.  Der  verführerische  Venus- 
gürtel ist  verbrannt ;  die  modernen  Grazien  werden  schleierlos 
schreiten,  was  ihnen  wohl  nicht  so  gut  stehen  wird  wie  einst 
den  antiken.    Merkurs  Helm,  sein  Schlangenstab,  seine  Flügel 
sind  vom  Feuer  verzehrt  worden ;  glücklicherweise  hat  man  seine 
Geldtasche  retten  können.  Amor  hatte  schon  langst  nichts  mehr 
zu  verlieren,  es  sei  denn  etliche  Pfeile,  die  unbenutzt  lagen  und 
die  man  nur  mit  Mühe  gefunden  hat,  so  unkenntlicn  hatte  sie 
das  Feuer  gemacht;  aber  man  versichert,  daß  Merkur,  um  ihn 
über  diesen  Verlust  zu  entschädigen,  sich  entschlossen  hat,  fürder- 
hin  seine  Börse  mit  ihm  zu  teilen,  die  ihm  soviel  angenehme 
Glückszufälle  eingebrächt  hat.  Was  die  kalte  und  traurige  Pallas 
anbetrifft,  so  sind  auch  ihre  Rüstung,  ihr  Helm  und  der  süperbe 
Federbusch,  der  sie  beschattete,  zu  Asche  reduziert  worden. 
Einige  Tage  lang  war  sogar  das  Gerücht  verbreitet,  ihr  Schild 
sei  gänzlich  zerschmolzen;  leider  hat  man  ihn  aber  intakt  wieder- 
gefunden, und  sie  fährt  fort,  auf  Finanziers,  unverschämte  Par- 


mmm Die  Chronique  Scandaleuse  i*q 

venüs  und  Staatsbeamte  zu  wirken.  So  heftig,  so  gierig  waren  die 
Flammen,  daß  sie  die  mannigfaltigen  Objekte,  die  man  ihnen 
entrissen  hat,  ganz  geschmolzen  haben.  Apollos  Lyra  hat  man 
nicht  wiedergefunden,  und  seine  Lorbeeren  sind  so  versengt,  daß 
man  befürchtet,  es  wird  lange  dauern,  bis  sie  wiederBlättertreibeh. 
Alcindors  prächtige  Gärten  sind  verschwunden  und  ebenso 
König  Ormus'  Palast.  Didon,  Armida  haben  ihr  Besitztum  glück- 
lich gerettet;  alle  Welt  ist  ob  ihres  Liebreizes  entzückt.  Aber  der 
Wagen,  der  der  Sonne  und  der  Natur  diente,  und  der  in  dem 
so  naturgetreuen  Prolog  zum  ,Tartaren   so  zierlich  in  der  Luft 
schwebte,  ist  nicht  verschont  geblieben,  ebensowenig  wie  die 
Berge  von  Linon,  die  die  guten,  dicken,  recht  fühlbaren  Schatten 
(ich  sage  nicht  dazu  viel  gefühlten  Schatten)  drapierte:  wozu 
denn  lästern?  Wollte  ich  Ihnen  alle  Verluste  aufzählen,  meine 
liebe  Freundin,  würde  mein  Brief  nie  enden.  Man  sagt,  daß 
sich  mit  Geld  alles  reparieren  läßt  ...  Ah,  ich  glaube  es!" 

* 

In  den  Osterwochen  hat  man  auf  die  ambulanten  Priesterin- 
nen Cvtheres,  die  im  Palais  Royal  herumwimmelten,  Jagd  ge- 
macht; aber  bald  waren  die  Galerien  und  das  ,Camp  de  Tar- 
tares'  verödet.  Die  Händler  dieser  einsamen  Stätten  haben  Ge- 
suche eingereicht,  um  der  Verödung  ein  Ende  zu  bereiten.  Die 
Polizeiverf  ügungen  verschwanden,  der  Zulauf  beginnt  von  neuem, 
und  der  mannigfache  Handel  nimmt  seinen  alten  Weg  im  Palais 
Royal  wieder  auf. 

# 

Einige  Fromme  sind  recht  skandalisiert  darüber  gewesen,  bei 
der  Promenade  zu  Longchamps  hinten  auf  den  Wiskies  in  Kutte 
und  Kapuze  gekleidete  Jockeis  zu  erblicken,  die  den  Franziskaner- 
mönchen glichen.  Diese  frommen  Zensoren  haben  augenschein- 
lich nicht  bemerkt,  daß  die  Maronenverkäufer  des  Palais  Royal 
seit  mehreren  Jahren  dies  geheiligte  Kostüm  adoptiert  haben, 
ohne  bei  den  Kapuzinern  irgendwelchen  Anstoß  zu  erregen. 


140  Die  Chroniqus  Scandalsuse 

Der  Tod  des  Herzogs  von  Richelieu  hat  Aufsehen  gemacht. 
Ein  jeder  zitiert  einen  galanten  Zug  dieses  alten  Seigneurs, 
jeder  spricht  von  seiner  Liebenswürdigkeit  und  besonders  von 
seiner  Gerissenheit.  Er  war  erst  15  Jahre  alt,  als  man  ihn  seiner 
Streiche  halber,  begangen  an  der  jungen  Herzogin  von  Bur- 
gund,  in  die  Bastille  schickte.  Man  überraschte  ihn  eines  Tages 
in  den  Falten  des  Betthimmels  seiner  Fürstin,  wo  er  sich  aber 
einzig  und  allein  versteckt  hatte,  um  sie  bei  ihrem  Schlafen- 
gehen zu  erschrecken.  Als  diese  Prinzessin  ein  anderes  Mal  über 
den  Balkon  zu  Marly  geneigt  stand,  griff  er  mit  seiner  Hand 
leise  unter  ihre  Röcke.  Ohne  Zweifel  hätte  man  ihm  verziehen, 
aber  andere  hatten  es  gesehen,  es  wurde  geklatscht,  die  Prin- 
zessin war  genötigt,  Unwillen  zu  bezeigen,  und  der  Leichtfuß 
wurde  in  die  Bastille  geschickt.  Im  Jahre  171 5  wurde  er  dort 
noch  einmal  für  sechs  Monate  auf  den  Wunsch  seines  Vaters 
untergebracht,  Frau  von  Maintenons  Bitten  zum  Trotz,  die 
seinen  Geist  bewunderte  und  sich  über  seine  Streiche  amüsierte. 
Sein  Vergehen  bestand  in  diesem  Fall  darin,  20000  Franken  im 
Spiel  verloren  zu  haben.  Frau  von  Maintenon  fand,  daß  die 
anderen,  die  sie  gewonnen,  schuldiger  wären  als  der  Verlierer. 

# 

Vestris,  der  ehemalige  „Gott  des  Tanzes",  erschien,  eine  Bitt- 
schrift tragend,  vor  einigen  Tagen  in  Gesellschaft  ausgedienter 
Kameraden,  zur  Audienz  beim  Minister.  Dieses  Gesuch,  das 
einen  detaillierten  Bericht  ihrer  langen  Verdienste  um  das  Ballett 
enthielt,  hatte  zum  Zweck,  den  Baron  de  Breteuil  um  gütige 
Intervention  zu  bitten,  auf  daß  man  ihre  Pension  nicht  ein- 
schränke. Der  Minister  sagte  ihnen,  daß  die  Regierung,  die  sich 
in  einer  Notlage  befand,  ihnen  keine  Vergünstigung  zugestehen 
könne,  die  den  Militärpersonen  gleichfalls  versagt  worden  wäre. 

,,Aber,  Monseigneur,  große  Talente  verdienen  berücksichtigt 
zu  werden."  —  „Die  Staatsräson  ist  über  die  großen  Talente  er- 
haben", antwortete  der  Minister,  indem  er  die  Bittschrift  zerriß. 


Die  Chronique  Scandaleuse  141 

Vestris,  der  sehr  verletzt  war,  daß  man  die  Staatsräson  großen 
Talenten  vorziehen  könne,  verließ  diese  Audienz,  um  zu  ver- 
künden, daß  Frankreich  verloren  sei,  weil  der  Minister  sich  nicht 

für  den  Tanz  begeistere. 

# 

Madame  de  S***,  eine  jener  Frauen,  die  ihren  Stolz  nicht 
darein  setzen,  ihrem  Liebhaber  treuer  zu  sein  als  ihrem  Gatten, 
hatte  eines  Nachts  dem  Chevalier  de  Bouffiers,  einem  neuen 
Bewunderer  ihrer  Reize,  Rendezvous  gegeben,  als  ein  lästiger 
Mensch  plötzlich  dazukam  und  die  Freuden  störte,  die  sie  im 
Begriff  waren,  zu  genießen.  Wer  war  nun  dieser  Zudringliche  ? 
Der  Gatte?  Keineswegs^  denn  zur  Zeit  befand  der  sich  in 
Amerika;  es  war  ein  ehemaliger  Günstling,  der  Baron  von  V***, 
der  aber  fast  in  Vergessenheit  geraten  war,  denn  seine  Liebe  war 
schon  vor  acht  Tagen.  Die  beiden  Rivalen  trafen  sich  lachend. 

„Es  wäre  zu  gewöhnlich,"  sagte  der  neue  Ankömmling,  „sich 
unserer  Mätresse  halber  die  Kehle  abzuschneiden." 

„Suchen  wir  ein  weniger  abgebrauchtes  Mittel,  um  zu  be- 
stimmen, wer  von  uns  beiden  die  Nacht  bei  ihr  zubringen  wird." 

Und  nach  manchem  Scherzwort,  das  Mme  de  B**  mit  ruhiger 
Miene  anhörte,  kamen  der  Baron  und  der  Chevalier  überein, 
die  Gunst  dieser  Frau  in  einer  Partie  Piquet  auszuspielen. 

Mme  de  B***  begab  sich  in  dem  sicheren  Bewußtsein,  nicht 
allein  zu  bleiben,  zu  Bett,  während  ein  glücklicher  Zufall  zu 
ihrem  Vorteil  entscheiden  sollte.  Beim  ersten  Zuge  hatte  der 
Baron  45  Points  und  rief  jeden  Moment,  gleichwie  als  Paradox 
auf  die  Szene  Aldobrandins  im  „Magnifique"  aus :  „Schon  habe 
ich  45  Points  auf  das  mir  versprochene  Glück  voraus." 

Doch  lange  dauerte  dies  Entzücken  nicht.  Ein  Repic  versetzte 
den  Chevalier  an  das  Ziel  seiner  Wünsche  und  erkannte  ihm 
Mme  de  B***  zu,  die  aber  am  nächsten  Morgen  zu  ihm  sagte, 
daß  er  gute  Stiche  nur  beim  Piquet  zu  machen  verstehe. 


142  Die  Chronique  Scandaleuse 


Folgende  Anekdote  zeigt,  bis  zu  welchem  Exzeß  eine  Frau  den 
ehelichen  Haß  treiben  kann.  Eine  Provinzlerin,  die  höchstwahr- 
scheinlich eine  größere  Stadt  bewohnte,  empfand  in  kürzester 
Zeit  eine  heftige  Abneigung  gegen  den  Mann,  mit  dem  Hymen 
sie  soeben  für  immer  verbunden  hatte;  schließlich  wuchs  ihre 
Aversion  gegen  ihn  derart,  daß  sie  sich  das  scheußlichste  Pro- 
jekt ausdachte,  um  ihn  zu  verderben  und  sich  auf  immer  von  ihm 
zu  befreien.  Der  Zufall  hatte  sie  entdecken  lassen,  daß  ein  gleich- 
namiger Verbrecher  die  Aufmerksamkeit  der  Justiz  erregt  hatte, 
und  daran  knüpfte  sie  ihr  schwarzes  Gespinst. 

Um  ihr  verabscheuungswürdiges  Vorhaben  auszuführen,  ver- 
ließ sie  zunächst  heimlich  ihren  Wohnort  und  begab  sich  nach 
Paris.  Nach  einigen  dort  verlebten  Monaten  schrieb  sie  dem 
Manne,  den  sie  zu  so  ungelegener  Zeit  verlassen  hatte,  einen 
Entschuldigungsbrief  and  teilte  ihm  mit,  daß  sie  in  der  Lotterie 
eine  beträchtliche  Summe  gewonnen  habe,  die  sie  ihm  gleich- 
zeitig anvertrauen  wolle,  da  sie  nicht  genügend  sparen  könne. 

Der  gute  Gatte,  der  sich  schmeichelt,  daß  die  Entflohene 
ihre  Irrwege  eingesehen  habe,  begibt  sich  in  Eile  zu  ihr.  Wie 
groß  aber  ist  sein  Erstaunen,  als  er,  in  der  Hauptstadt  angekom- 
men, erleben  muß,  wie  er  in  Gewahrsam  genommen  und  in  ein 
dunkles  Gefängnis  geworfen  wird,  ganz  wie  ein  gemeiner  Ver- 
brecher !  Beim  Verhör  fiel  es  ihm  nicht  schwer,  den  Irrtum  auf- 
zuklären, doch  mit  außerordentlichem  Schmerze  erfuhr  er,  daß 
seine  Frau,  die  er  auf  guten  Wegen  wähnte,  einzig  und  allein 
die  Veranlassung  dazu  gewesen  war,  weil  sie  der  Polizei  sein 
Signalement  gegeben  und  sie  benachrichtigt  hatte,  daß  ein  auf 
Lebenszeit  Verbannter  diesen  Bann  gebrochen  habe  und  in  der 
Haupts  cadt  weile.  Der  allzu  vertrauensselige  Gatte  wurde  bald  in 
Freiheit  gesetzt  und  kehrte  voll  Schmerz  und  Trauer  über  seinen 
arg  getäuschten  Glauben  in  seine  Provinz  zurück.  Seine  perfide 
Frau  war  empört,  daß  es  ihr  mißlungen  war,  ihn  im  Gefängnis 
umkommen  zu  sehen  und  entsagte  keineswegs  ihren  Hoffnungen 


Die  Chronique  Scandaleuse  143 


auf  Rache.  Sie  folgte  ihm  in  die  Stadt,  in  der  sie  gemeinsam  ge- 
wohnt hatten,  und  erhob  dort  eine  Scheidungsklage  gegen  ihren 
Mann  unter  dem  hinterlistigen  Vorwand,  daß  sie,  unglück- 
licherweise zu  eilig  verheiratet,  erst  später  erfahren  habe,  daß 
er  auf  der  Schulter  ein  Brandmal  der  Justiz  trage,  daß  er  ge- 
richtlich verurteilt  und  darauf  gebührend  ausgepeitscht,  ge- 
brandmarkt und  zur  Galeere  verdammt  worden  sei. 

Die  Scheußlichkeit  dieser  neuen  Anklage  ward  nur  zu  bald 
entdeckt,  immerhin  aber  erst,  nachdem  die  Justiz  ihre  mannig- 
fachen Formalitäten  erledigt  hatte;  der  Gatte  wurde  gezwungen, 
sich  von  den  Chirurgen  visitieren  zu  lassen,  die  nach  mehreren 
Abreibungen  mit  Essig  erklärten,  daß  er  niemals  von  der  Justiz 
gebrandmarkt  worden  sei.  Die  verschiedentlichen  Gerichtshöfe, 
die  mit  diesem  scheußlichen  Prozeß  beschäftigt  waren,  vermoch- 
ten nur  die  heftigste  Entrüstung  über  diese  Frau  zu  empfinden. 
Ich  nehme  jedoch  an,  daß  meine  Leser  nur  mit  Erstaunen 
vernehmen  werden,  daß  sie  nur  zu  einer  ganz  geringen  Strafe 
und  zu  den  niedrigsten  Prozeßkosten,  700  Livres,   verurteilt 
worden  ist.   Hätte  nicht  die  Auflösung  der  Ehe  entschieden 
werden  müssen  ? 

# 

Der  Chevalier  von  N.  stand  in  hoher  Gunst  bei  der  Präsidentin 
von  **,  mit  der  er  während  der  Abwesenheit  des  Präsidenten,  der 
sich  auf  einem  seiner  Güter  zu  einem  achttägigen  Aufenthalt 
befand,  eine  lustvolle  Nacht  zu  verbringen  hoffte.  Der  Mann 
aber  kam  zu  unrechter  Zeit  zurück,  wie  es  aUe  Romane  zu  er- 
zählen wissen.  Das  plötzliche  Erscheinen  des  Gatten  störte  das 
zärtliche  Tete-a-tete. 

Der  Chevalier  selbst  erzählte  das  Abenteuer;  denn  wie  viele 
andere  Leute  kapriziert  er  sich  nicht  darauf,  diskreter  zu  sein  als 
treu: 

„Fortgerissen  von  den  Wonnen,  die  die  Liebe  uns  bot,  waren 
wir  im  Begriff,  uns  ihr  zu  überlassen.  Die  Kammerfrau  servierte 


Tj/j  Die  Chronique  Scandaleuse 

uns  ein  delikates  Souper,  das  mit  der  Sorgfalt  einer  verliebten 
Frau  gewählt  war.  Kaum  hatten  wir  uns  niedergelassen,  als  wir 
an  der  Haustür  einen  heftigen  Lärm  vernahmen.  Welch  Ärger- 
nis !  Es  war  der  verfluchte  Ehemann  I  Ich  mußte  mich  in  einer 
Garderobe  verstecken.  Meine  Geliebte  versicherte  mir,  daß  sie 
ihren  Gatten  verhindern  würde,  die  Nacht  bei  ihr  zu  verbringen 
und  untersagte  mir,  eher  aus  meiner  Nische  herauszukommen, 
als  bis  sie  klingeln  würde. 

Die  Schüsseln  wurden  versteckt  und  sie  warf  sich  geradwegs 
in  ihr  Bett.  Der  Mann  erkundigte  sich  beim  Eintreten  ernsthaft 
nach  ihrer  Gesundheit.  Sie  schützt  eine  Migräne  vor,  große  Mü- 
digkeit in  den  Beinen,  kurz,  all  die  kleinen  Unannehmlichkeiten, 
aus  denen  die  Frauen  bei  gewissen  Gelegenheiten  so  guten  Nutzen 
zu  ziehen  wissen.  Unser  Mann  wünsch  zur  Nacht  zu  speisen. 
Man  bietet  ihm  ein  schlechtes  Essen.  Wie  er  schließlich  anfängt, 
in  seinem  Fauteuil  einzunicken,  rät  ihm  seine  Frau,  sich  schlafen 
zu  legen. 

„Du  hast  recht,"  sagt  er  augenreibend,  „klingele  doch,  ich 
bitte." 

Aber  ach,  grausames  Mißverständnis!  Meine  Geliebte  klingelt 
mir,  anstatt  dem  Mädchen. 

Kühn  trete  ich  in  das  Gemach.  Sie  erblickt  mich  und  erzittert; 
aber  ohne  den  Kopf  zu  verlieren,  stürzt  sie  sich  auf  die  Kerzen, 
die  sie  im  Augenblick  verlöscht,  und  ruft  mit  erschrockener  Stim- 
me aus:  der  Teufel  sei  da,  sie  habe  den  Teufel  gesehen.  Der 
Mann,  der  mir  den  Rücken  wendete,  hatte  mich  nicht  gesehen ; 
ich  ahnte,  was  die  Folgen  dieses  Quiproquos  sein  könnten,  und 
da  ich  mich  eiligst  zurückziehen  wollte,  fiel  ich  mit  schreck- 
lichem Geräusch  in  die  Garderobe. 

Die  Kammerfrau,  die  diesen  Lärm  hörte,  eilt  zitternd  herbei. 
„Was  gibt  es  denn,  Madame?"  „Ah,  liebe  Frosine,"  sagt  die 
Präsidentin,  „bring  Licht  und  durchsuche  alles  genau;  ich 
habe  an  der  Tür  dieses  Kabinetts  mit  Bestimmtheit  eine  Ge- 


Die  Chronique  Scandaleuse  iac 


stalt  gesehen,  die  mich  so  erschreckt  hat,  daß  ich  ihren  Anblick 
nicht  ertragen  konnte;  ich  habe  mich  in  die  Arme  meines  Man- 
nes stürzen  wollen  und  die  Kerzen  dabei  umgeworfen/'  Tat- 
sächlich schmiegt  sie  sich  bei  diesen  Worten  eng  an  ihren  Gat- 
ten. Die  gewandte  Frosine  brachte  vorsichtig  Licht,  und  als  sie 
sah,  daß  alles  wieder  in  guter  Ordnung  war,  half  sie  ihrer  Herrin 
aus  der  Situation. 

„Ist  es  wahr,  Madame,"  sagt  sie,  „daß  man  derartige  Er- 
scheinungen haben  kann  ?  Schauen  Sie  her,  sehen  Sie  jetzt,  was 
Ihnen  so  viel  Furcht  eingeflößt  hat.  Es  ist  der  Holzstock,  auf 
den  ich  Ihre  Hauben  aufzuhängen  pflege,  und  auf  dem  der 
jüngste  Lakai  des  Herrn  Präsidenten  Perücke  befestigt  hat." 

„Ah,  Frosine,  welche  Erleichterung,"  sagt  die  Schöne  mit 
einem  langen  Seufzer,  „mein  Entsetzen  hat  mich  so  erregt,  daß 
ich  noch  ganz  verwirrt  bin.  Man  muß  den  Jungen  für  seine 
Streiche  strafen." 

„Indessen",  kommt  der  Gatte,  „habe  ich  doch  ein  Geräusch 
hinter  meinem  Rücken  gehört,  das  nicht  natürlich  war;  vor- 
sichtshalber wollen  wir  die  Garderobe  untersuchen." 

„Das  lohnt  nicht  der  Mühe,"  sagt  Frosine,  ohne  die  Fassung 
zu  verlieren,  „der  Lärm,  den  Sie  vernommen  haben,  kam  von 
einer  Truhe,  die  ich  ganz  allein  fortziehen  wollte,  und  ich  glaubte 
mir  ein  Bein  zu  brechen,  als  ich  Ihre  Kleider  einschloß." 

Der  Präsident,  der  seinerseits  ängstlich  war,  fürchtete,  seine 
Furcht  könne  sich  verraten;  er  fing  also  an,  seiner  Frau  Vor- 
würfe über  ihre  geringe  Geistesgegenwart  und  ihren  panischen 
Schrecken  zu  machen.  „Schlafen  Sie  Madame,  schlafen  Sie;  der 
Schlummer  wird  Sie  heilen  und  Ihnen  Ihre  Vernunft  wieder- 
geben." Und  endlich  ging  er  und  zog  sich  in  sein  eigenes  Ge- 
mach zurück.  Und  so  war  mein  Glück  nur  verzögert." 

# 

Eine  junge  Dame  aus  Versailles,  die  es  amüsanter  gefunden 
hatte,  die  Zeit  der  Mitternachtsmesse  bei  ihrem  Liebhaber  zu 


ij.6  Die  Chronique  Scandaleuse 


verbringen,  wo  sie  weniger  von  den  Unannehmlichkeiten  der 
Kälte  zu  leiden  hoffte,  wurde  plötzlich  vom  Tode  überrascht. 
Als  der  junge  Mann,  den  die  plötzliche  Starrheit  zuerst  über- 
raschte, sich  überzeugt  hatte,  daß  deren  Ursache  tragischer  Na- 
tur war,  verlor  er  den  Kopf  und  lief  in  seiner  Ratlosigkeit  zu 
einem  Polizeioffizier,  um  ihm  sein  trauriges  Schicksal  anzuver- 
trauen. Man  begab  sich  an  Ort  und  Stelle  und  nahm  dem  Her- 
kommen gemäß  alles  zu  Protokoll;  darauf  wurde  die  Leiche  dem 
Gatten  überwiesen,  den  dieser  Verlust,  obschon  er  in  mehr  als 
einer  Hinsicht  peinlich  war,  nicht  in  lange  Trauer  versetzte. 

# 

Die  Londoner  Blätter,  die  sich  darin  gefallen  haben,  sich  lang 
und  breit  über  die  Affäre  des  Herrn  von  Calonne  und  Frau  von 
La  Motte  zu  ergehen,  verschärfen  heute  wieder  ihre  Bosheit, 
den  angeblichen  Streit  betreffend,  der  zwischen  dem  Exminister 
und  jener  zurückgezogenen  Dame  bestehen  soll. 

Seinen  Ursprung  hat  er,  so  sagen  die  Zeitungen,  darin,  daß, 
als  Herr  von  Calonne  mit  ihr  ein  „Piquet  ä  ecrire"  spielte,  sie 
ausrief,  als  das  Glück  sie  mit  guten  Karten  begünstigte :  „Dieses 
Mal  ist  das  Spiel  mir  günstig."  —  „Trotz  Ihres  guten  Spieles, 
Madame,  sollen  Sie  nicht  weniger  markiert  werden",  erwiderte 
Calonne  und  legte  eine  quinte  fine  und  vierzehn  in  Buben  auf 
den  Tisch. 

Beim  Worte  „markiert",  das  sie  an  all  ihre  Schmerzen  er- 
innerte, sprang  Mme  de  la  Motte  wie  eine  Furie  von  ihrem 
Sitz  auf,  behauptete,  der  Minister  habe  ihre  gekränkte  Unschuld 
durch  dies  Epigramm  insultieren  wollen  und  verließ  ihn,  indem 
sie  sagte,  daß  sie  sich  rächen  und  den  Exminister  in  ganz  London 
diffamieren  werde. 


DIE   CHRONIQUE  ARfiTINE 

An  Madame  D.-R.-D. 
Zueignung. 
Mein  Herz! 
JT^ie  Zueignung  eines  Werkes  wird  zu  oft  dem  Mammon,  den 
i— ^Titeln,  den  hohen  Stellungen  prostituiert;  ich  will  meine 
Feder  keineswegs  profanieren,  meine  teure  Freundin,  indem  ich 
eine  so  sklavische  Selbsterniedrigung  bettlerischer  Schriftsteller 
wiederhole,  die  für  ihre  Werke  einen  Namen,  der  sie  beschützen 
soll,  zu  erwirken  suchen. 

Der  Deine,  meine  alte  Freundin,  soll  das  Titelblatt  dieser  Bro^ 
schüre  zieren;  das  ist  ein  Tribut,  den  ich  der  Freundschaft  zolle; 
das  ist  eine  öffentliche  Huldigung  meiner  Dankbarkeit,  die  ich 
mich  Dir  zu  zeigen  bemühe. 
Was  schulde  ich  Dir  nicht,  meine  liebe  Freundin! 
Ohne  Dich,  ohne  diese  vollkommene  Erfahrenheit,  die  Dich 
von  den  anderen  Demoisellen  unterscheidet,  ohne  diese  Intimi- 
tät, die  Dich  seit  Ewigkeiten  ihrer  Gesellschaft  vereint,  endlich 
ohne  all  die  Erinnerungen,  die  Du  mir  mitgeteilt  hast,  wie  hätte 
ich  je  die  Aufgabe  unternehmen  können,  die  ich  jetzt  erfülle  ? 
Ich  gestehe  es  freimütig,  die  Kühnheit  meines  Unternehmens 
hat  mich  erschreckt.  Um  meine  Zaghaftigkeit  zu  besiegen,  hat 
es  der  ganzen  Energie  Deines  Charakters  bedurft,  um  mich  zu 
bestimmen,  hat  es  der  ganzen  Macht  bedurft,  die  Dir  eine  zwan- 
zigjährige Liaison  über  mich  gab;  es  hat  der  Trunkenheit  einer 
Erinnerung,  die  nichts  mehr  mit  der  Wirklichkeit  gemein  hat, 
bedurft,  damit  ich  Dir  nichts  refüsieren  konnte. 

Süße  Illusion  eines  Gedenkens,  das  ist  es,  was  uns  jetzt  bleibt, 
o  meine  alte  gute  Freundin ! 

Doch,  wenn  auch  der  Blitz  der  Freuden  für  immer  für  uns 
verzuckt  ist,  wenn   die  Natur  uns  verurteilt,  auf  verdorrten 


148  Die  Chronique  Aretine 

Myrten  auszuruhen,  laß  uns  doch  unsere  leeren  Stunden  ver- 
zaubern, mein  teures  Herz,  und  einen  Blick  zurückwerfen  — Du, 
indem  Du  an  die  wichtigen  Dienste  denkst,  die  Du  unaufhör- 
lich Deinen  zahlreichen  Freundinnen  erwiesen  hast,  indem  Du 
ihre  Intrigen  mit  dem  Mantel  der  Freundschaft  bedecktest;  ich, 
indem  ich  Dir  die  Beweise  der  Dankbarkeit  biete,  die  ich  Dir 
für  die  glanzvollen  Eroberungen,  die  Freuden  ohne  Zahl,  schul- 
dig bin.,  die  Du  mir  verschafft  hast. 

Aber,  würden  schließlich  Deine  erhabenen  Zeitgenossinnen 
berechtigt  sein,  uns  darob  zu  zürnen,  und  würden  sie  es  wollen  ? 

Nein,  im  innersten  Herzen  werden  sie  uns  Dank  dafür  wissen, 
daß  wir  sie  dem  Gedächtnis  eines  Publikums  zurückrufen,  das 
sie  seit  Jahrhunderten  begraben  wähnt. 

Welch  ein  Triumph  für  eine  C-v-e,  eine  L-h-e,  eine  Cl-v-e,  eine 
L-b-e  und  so  viele  andere,  ihre  antiken  und  vergessenen  Namen 
neben  den  jungen  und  blühenden  Schönheiten  figurieren  zu 
sehen,  deren  Unternehmungen  ich  mir  hier  vornehme  zu  feiern ! 

Diese  unerhörte  Auferstehung  wird  verführerischste  Hoffnun- 
gen neu  erstehen  lassen.  Deine  Lektionen  magischer  Liebes- 
künste werden  ihren  so  lange  unterbrochenen  Lauf  wieder  auf- 
nehmen. Die  Leidenschaftsszenen,  die  dem  Zinsfuß  der  Opfer- 
gaben angepaßt  waren,  werden  den  Überfluß  wiederbringen,  den 
man  nicht  mehr  kannte,  —  kurz,  Dein  Reich  wird  sich  mit  hell- 
stem Glanz  erneuern.  Oberpriesterin  des  Kults,  den  Du  wieder- 
herstellen, der  Altäre,  die  Du  wieder  aufbauen  willst,  werden 
Ruhm  und  Glück  Dich  in  gegenseitigem  Neide  mit  ihrer  Gunst 
überhäufen. 

Eine  dunkle  Dachkammer  soll  nicht  mehr  Dein  Teil  sein.  Du 
sollst  nicht  mehr  dazu  erniedrigt  werden,  Dich  zu  untergeord- 
neten und  knechtischen  Dienstleistungen  herzugeben,  die  Dich 
in  den  Augen  derer,  die  nicht  den  Mut  hatten,  Dir  auf  den 
Grund  zu  gehen,  zu  etwas  gestempelt  hatten,  das  Du  nicht  bist. 
Man  wird  Dir  auch  endlich  nicht  mehr  jene  Bereitwilligkeit  vor- 


Die  Chronique  Aretine  14.9 


werfen,  die  von  unhöflichen  Verleumdern  so  boshaft  ausgelegt 
worden  ist,  die  gewagt  haben,  Dich  anzuklagen,  die  dreifache 
Liebe  eines  L-h-e  mitgenossen  und  mit  dem  Mantel  Deines 
eigenen  Rufes  gedeckt  zu  haben,  wie  die  ein  wenig  depravierten 
Neigungen  der  antiken  Sybille  des  Petits-Peres,  für  die  Du,  sagt 
man,  nicht  errötet  bist,  Dich  einige  Male  bloßzustellen,  so  daß 
es  bei  einer  jeden  anderen  als  Dir  unanständig  erschienen  wäre. 

O,  meine  geschätzte  Freundin,  was  hat  sich  nicht  alles  geändert ! 

Entsinnst  Du  Dich  jener  glücklichen  Tage,  da  wir  zu  Bor- 
deaux in  Wollust  schwelgten  ?  Du  warst  die  Zier  aller  Bälle,  die 
Seele  der  stürmischsten  Orgien,  und,  Herr  Deines  Herzens, 
teilte  ich  Deine  Triumphe. 

Ach!  Von  soviel  Glanz  bleibt  uns  nur  die  verzweiflungsvolle 
Erinnerung,    laß  alles  dies  „gewesen"  ist. 

Fünfunddreißig  wohlgezählte  Sommer,  die  auf  unseren  Häup- 
tern lasten,  Genüsse  zu  mannigfacher  Art,  vermitteln  uns,  ob- 
schon  wir  noch  leben,  das  Grauen  vor  dem  Nichts. 

Indem  ich  Dir  diese  Broschüre  zueigne,  die,  um  richtiger  zu 
sprechen,  mehr  Dein  Verdienst  als  das  meine  ist,  habe  ich  ver- 
sucht, Dir  einen  letzten  Beweis  meiner  Freundschaft  zu  geben ; 
Du  magst  meine  Zärtlichkeit,  liebe  Freundin,  nach  der  Be- 
schreibung ermessen,  die  ich  von  Dir  in  dieser  Arbeit  geben 
will;  Du  selbst  sollst  Deinen  Artikel  redigieren,  und  ich  wähle 
mir  nur  das  Vergnügen,  Deiner  Bescheidenheit  widersprechen 
zu  dürfen,  wenn  sie  Dich  dazu  führt,  zu  flüchtig  über  die  ruhm- 
reichen Ereignisse  wegzugehen,  die  Deine  lange  und  galante  Kar- 
riere ausgezeichnet  haben. 

MADEMOISELLE  BONARD 

Das  Debüt  dieser  Kurtisane  in  der  Lebewelt  wollen  wir  zu- 
nächst nur  streifen;  eingehendere  Details  zwängen  uns,  zu  weit 
zurückzugreifen,  und  böten  der  Neugier  des  Lesers  keinerlei  be- 


150  Die  Chronique  Aretine 


sondere  Nahrung.  Mit  einem  jungen  Schreiner  verheiratet, 
empfand  sie  frühzeitig,  daß  sie  zu  einer  glänzenderen  Laufbahn 
bestimmt  war.  als  der,  die  der  Zufall  ihr  gegeben  zu  haben 
schien ;  ihre  ersten  Intrigen  verlieren  sich  in  der  Nacht  der  Zeiten. 

Die  Persönlichkeit,  die  ihr  ein  gewisses  Ansehen  unter  den 
Mädchen  ihrer  Gattung  verschaffte,  war  ein  Herr  Moreau,  ein 
reicher  Kreole,  dem  sie  auch  das  Vermögen  verdankt,  dessen  sie 
sich  jetzt  erfreut.  Diesem  Parvenü  folgte  der  Vicomte  de  Pons, 
der  jung,  liebenswürdig  und  reich  an  all  den  Eigenschaften  war, 
welche  die  Frauen  bezwingen.  Aber  der  schlechte  Stern  dieses 
Seigneurs  ließ  Madame  Bonard  einem  der  Laufdiener  des  Her- 
zogs von  Orleans,  der  damals  noch  Herzog  von  Chartres  war,  be- 
gegnen; sie  wurde  von  einer  heftigen  Leidenschaft  für  diesen 
Diener  ergriffen,  der  dem  Vicomte  mehr  als  einmal  bei  Tisch 
servierte,  nachdem  er  ihn  vorher  im  Bett  unserer  Schönen  ver- 
treten hatte.  Sie  verheiratete  diesen  teuren  Gegenstand  ihrer 
Wünsche  mit  einer  jungen,  liebenswürdigen  Person,  der  sie  zum 
Unglück  gereichte,  da  sie  ihren  schwachen  Liebhaber  zwang,  die 
Zärtlichkeiten  seiner  jungen  Frau  mit  Gleichgültigkeit  und 
schlechter  Behandlung  zu  erwidern,  dieser  Frau,  die  sie  ihm  ge- 
geben hatte,  um  ihre  eigene  Intrige  zu  decken;  sie  wurde  so 
Anlaß,  daß  die  junge  Frau  ihrerseits  sich  aus  Verzweiflung  der 
Libertinage  in  die  Arme  wart  und  sich  verlor. 

Der  Marquis  de  Saint-Blancard  ersetzte  kurz  darauf  Herrn 
von  Pons,  den  eine  so  entwürdigende  Gemeinschaft  durchaus 
nicht  & cörte.  Rechtzeitig  erschien  M.  Gabarus,  um  sie  über  die 
Untreue  des  Marquis,  der  ihr  soeben  von  Mademoiselle  Contat 
entführt  worden  war,  zu  trösten;  dieser  neue  Liebhaber  jedoch, 
auf  dessen  Vermögen  man  die  glänzendsten  Erwartungen  aufge- 
baut hatte,  genügte  keineswegs  den  Vorstellungen,  die  man  sich 
von  der  spanischen  Großmut  gemacht  hatte,  es  nützte  nichts, 
heftige  Zärtlichkeit  an  den  Tag  zu  legen  oder  ihm  die  Ehre  der 
Vaterschaft  für  ein  kleines  Wesen  zu  schenken:  nichts  konnte 


__ Die  Chronique  Aretine  lrl 

diesen  unerbittlichen  Herrn  bewegenTdenT^an^mit  Mühe  und 
Not  und  nach  heftigen  VorsteUungen  eine  kümmerliche  Pension 
von  1500  Livres  für  das  Kind  und  ein  Heines  MedaiUon  für  die 
Mutter  abzwang. 

Gewisse  Leute,  die  gut  informiert  zu  sein  scheinen,  haben  sogar 
behauptet,  daß  Madame  Bonard  in  jener  Epoche  schon  außer- 
stande gewesen  sein  muß,  dem  spanischen  Bankier  ein  derartiges 
Geschenk  zu  machen;  andere  behaupten  sogar,  die  wirkliche 
Mutter  des  kleinen  Pasquito  zu  kennen.  Einer  von  den  Sabotto- 
Langeac  fiel  für  wenige  Zeit  in  ihre  Netze  und  konnte  dem  Ekel, 
den  die  Launen  dieser  Dame  ihm  einflößten,  nicht  widerstehen,' 
die  in  Augenblicken,  in  denen  das  Universum  selbst  über  den 
Köpfen  zweier  Liebenden  zusammenstürzte,  sich  nachlässig  da- 
mit beschäftigte,  die  Haare  ihres  Helden  um  die  Finger  zu  wickeln. 
Diese  Liaison  hatte  sogar  für  Madame  Bonards  Reputation 
unangenehme  Folgen,  die,  eine  wahre  Philosophin,  der  alle  Vor- 
urteile fremd  sind,  sich  keinen  Skrupel  daraus  machte,  vor  Ge- 
richt zu  erklären,  daß  ein  dem  Herrn  von  Langeac  gehörendes 
Kabriolett  ihr  persönliches  Eigentum  sei,  und  daß  es  sie  nur 
eine  Handbewegung  gekostet  habe.  Die  Erklärung,  die  sie  einer 
ihrer  intimen  Freundinnen  gab,  der  sie  einzugestehen  sich  be- 
wogen fühlte,  daß  das  Kabriolett  ihr  nicht  gehöre,  lautete  da- 
hin, daß  sie  zu  weit  gegangen  wäre  und  nicht  gewußt  hätte, 
wie  sich  mit  Anstand  aus  der  Affäre  ziehen. 

Die  glänzendste  Epoche  dieser  Dirne  zuckte  auf  und  ver- 
löschte wie  ein  Blitz:  die  Eroberung  des  Grafen  von  Busancais 
und  die  des  Herzogs  von  Choiseul  waren  ihr  ein  kurzer  Ruhm, 
trugen  ihr  aber  nicht  so  viel  ein,  als  sie  sich  hätte  schmeicheln 
dürfen.  Die  Dienste,  die  sie  dem  Herzog  als  Intendantin  seiner 
Debauchen  leistete,  brachten  ihr  ein  Vermögen  ein,  das  recht 
beträchtlich  gewesen  sein  muß,  wenn  man  die  Großmut  dieses 
prunkvollen  Seigneurs  bedenkt.  Wir  würden  unseren  Lesern 
ein  recht  schwaches  Büd  dieser  berühmten  Dame  geben,  fügten 


152  Die  Chronique  Aretine      

wir  zu  den  Einzelheiten  nicht  die  Skizze  ihres  Charakters  bei, 
der  sie  unter  ihren  Gefährtinnen  auszeichnete. 

Mit  der  Last  eines  halben  Jahrhunderts  und  mit  hundert- 
achtzig Pfund  Fleisch  behaftet,  war  Mme  Bonard  feinfühlig 
genug,  sich  zu  sagen,  daß  das  Ende  ihrer  Triumphe  gekommen 
sei;  jedoch  hatte  sie  versucht,  sich  ein  Reich  zu  schaffen,  das,  wenn 
es  auch  weniger  glänzend  war,  doch  dadurch  Sicherheiten  bot, 
daß  sie,  ohne  die  Leistungen  der  Frauen,  bei  denen  sie  sich 
„impatronisiert"  hatte,  zu  teilen,  sich  teilweise  ihrer  Liebesein- 
künfte bemächtigte.  Man  könnte  behaupten,  daß  Frau  Bonard 
unter  allen  Tieren  der  Schöpfung  am  liebsten  dem  Chamälton  ge- 
glichen hätte:  ihre  Redeweise,  ihre  Handlungen,  alles  an  ihr 
scheint  die  gute  Frau,  die  aufrichtige  Freundin  und  besonders 
den  „ehrlichen  Menschen"  anzukündigen.  Da  sie  unaufhörlich 
von  der  Furcht,  erraten  zu  werden  geplagt  ist,  vermag  es  die 
gewandteste  Kunst  nicht,  sie  auch  nur  zu  einer  viertelstündigen 
Konversation  über  dasselbe  Thema  zu  bewegen;  sie  nennt  sich 
die  Freundin  aller  Frauen  und  zerreißt  sie  alle  aufs  ärgste,  was 
schlimmer  ist,  da  ihre  Lippen  von  Honig  fließen,  während  sie 
Gift  im  Herzen  trägt ;  es  kostet  sie  nichts,  Personen,  aus  denen 
sie  Vorteile  zu  ziehen  hofft,  mit  gewähltesten  Aufmerksamkeiten 
zu  überschütten;  dadurch  ist  es  ihr  gelungen,  sich,  wenn  man 
so  sagen  darf,  mit  den  Mesdames  Elliot,  Furcy,  H.  .t.  .7  usw. 
zu  identifizieren,  für  die  sie,  wenn  man  den  uns  zuteil  gewor- 
denen Mitteilungen  Glauben  schenken  darf,  sogar  Gefühle  ge- 
hegt hat,  deren  Lebhaftigkeit  nicht  geteilt  wurde,  und  die  sie 
besser  an  Mademoiselle  Raucourt  hätte  richten  sollen.  Sie  hält 
sogar  in  Molandon-en-Brie  ein  dickes  Mädchen  aus  Artois  aus, 
deren  Ruf  gemacht  ist,  und  die,  wie  es  scheint,  ihr  die  Lange- 
weile, die  man  manchmal  in  der  Einsamkeit  des  Landlebens 
empfindet,  versüßt  und  vertreibt. 

So  also  sieht  das  Geschöpf,  mit  dem  wir  uns  soeben  befaßt 
haben,  physisch  und  moralisch  aus;  bleibt  uns,  um  dies  kaum 


Die  Cbronique  Aretine  153 

skizzierte  Bild  zu  beenden,  einige  Bemerkungen  anzufügen,  die  auf 
die  soeben  vernommenen  Details  hellstes  Licht  werfen  werden. 

Seit  beinahe  sechs  Jahren  teilt  Mme  Bonard  treulich  ihr 
Lager  mit  einem  Unglücklichen,  den  sie  ernährt  und  unterhält, 
während  ihr  Mann  mit  einer  bescheidenen  Pension  von  600 
Livres  aus  ihrer  Nähe  verbannt  ist  und  am  äußersten  Ende  der 
Rue  Saint- Antoine  wohnen  muß. 

Der  Herr  Le  Fevre,  dieser  so  getreu  besorgte  Liebling,  muß  in 
seinem  Charakter  manch  analogen  Zug  mit  dem  dieser  Kurtisane 
haben. 

Um  eine  so  außergewöhnliche  Ausdauer  zu  rechtfertigen,  ge- 
ben wir  nur  eine  Geschichte,  die  von  ihm  bekannt  ist. 

Als  der  Herr  Le  Fevre  durch  Mme  Bonard  bei  einer  ihrer 
intimen  Freundinnen  eingeführt  wurde,  erlaubte  er  sich,  sei  es, 
aus  wirklicher  Not,  sei  es,  weil  er  der  Versuchung,  die  ihn  quälte, 
nicht  widerstehen  konnte,  eine  brillantengeschmückte  Uhr  an 
sich  zu  nehmen,  und  sie,  sicher  auch  nur  aus  Zerstreutheit,  aufs 
Pfandhaus  zu  bringen;  all  diese  Zerstreutheiten  entgingen  je- 
doch nicht  den  hellsehenden  Augen  der  Kommis  der  Rue  des 
Blancs-Manteaux,  die  Verdacht  schöpften  und  die  Uhr  behiel- 
ten, ohne  etwas  dafür  zu  geben.  Wozu  aber  lohnt  es,  Spitzbube 
zu  sein,  wenn  man  keine  Vorteile  daraus  gewinnen  kann  ?  Der 
sehr  verwirrte  Herr  Le  Fevre  hält  sich  nicht  auf  und  eilt  nach 
Pres-Saint-Gervais  zurück,  gesteht  seine  Zerstreutheit  ein  und 
erhält  dafür  Verachtung  und  Vergebung.  Aber,  sollte  man  es 
glauben  ?  Diese  Handlung  gewann  ihm  inniger  denn  je  das  Herz 
unserer  Heroine,  seine  Reue  erschien  ihr  dem  kleinen,  kaum  be- 
gangenen Fehler  weit  überlegen,  der  ja  nur  eine  Bagatelle  war. 

Ein  Mädchen,  das  sie  aus  dem  Findelhaus  genommen  und  bei 
sich  erzogen  hatte,  hat  der  ihr  bezeigten  Sorgfalt  vollkommen 
entsprochen:  kaum  sechzehnjährig,  hat  sie  sich  ihrer  Lehrerin, 
die  sie  adoptiert  hat,  schon  würdig  erwiesen.  Mme  Bonard  hatte 
sich  vorgenommen,  sie  mit  dem  Herrn  Le  Fevre  zu  verheiraten ; 


154  Die  Chronique  Aretine 

aber  ein  gewisser  sechzigj ähriger  Notar,  dem  sie  noch  dann  und 
wann  kleine  Gefälligkeiten  erweist,  hat  den  Tauben  gespielt,  als 
man  ihm  vorschlug,  dies  so  verdienstvolle  Paar,  das  auch  für  die 
Zukunft  noch  so  viel  verspricht,  mit  1 5  000  Pfund  zu  bedenken. 
Man  ist  fest  davon  überzeugt,  daß  dieser  Öffentliche  Beamte 
über  die  Liaisons  Mme  Bonards  mit  Le  Fevre  wenig  informiert 
ist,  sonst  wäre  es  nicht  möglich,  daß  eine  genauere  Kenntnis 
ihn  nicht  veranlaßt  haben  würde,  seine  althergebrachten  Hul- 
digungen an  eine  andere  Stelle  zu  tragen. 

Wir  schulden  dem  Publikum  einige  Aufklärungen  über  die  in- 
time Vertraute  der  illustren  Bonard,  der  Dame  du  Mouli  ,  die  in 
der  Rue  de  Richelieu  ein  Modengeschäft  hatte  und  allerhand  Kram 
verkaufte.  Lange  Zeit  hindurch  war  sie  Kammerfrau  bei  unserer 
Heldin,  der  es  nicht  ohne  Mühe  endlich  gelang,  sie  zu  bilden, 
denn  die  Natur  hat  sie  stiefmütterlich  behandelt,  sowohl,  was  die 
Form  wie  den  Geist  anbetrifft;  doch  ist  sie  eine  jener  Frauen  aus 
gutem  Teig,  aus  der  man  formen  kann,  was  man  mag,  und  die 
sich  größtenteils  aus  Habsucht  und  ein  weniges  aus  Freund- 
schaft zu  allem  hergeben;  sie  ist  ihrer  Herrin  außerordentlich 
nützlich  gewesen,  die  auch  heute  noch  den  größten  Nutzen 
aus  ihr  zieht,  nachdem  sie  sie  mit  einem  ehrlichen  Arbeiter, 
den  sein  Beruf  immer  fernhält,  verheiratet  hat.  Sie  ist  es,  der 
es  mit  nie  versagender  Bereitwilligkeit  obliegt,  ihr  Bericht  über 
alles  zu  erstatten,  was  sich  in  den  Häusern,  in  die  sie  sich  ein- 
geführt hat,  ereignet.  Sie  wäre  eine  ganz  gute  Frau,  hätte  sie 
nicht  die  lächerliche  Manie,  immer  in  der  Öffentlichkeit  und 
im  Theater  von  hübschen  Frauen  umdrängt  zu  sein  und  sich  mit 
ihnen  zu  zeigen,  wobei  sie  dann  in  amüsantem  Kontrast  zu  ihnen 
steht.  Ein  gewisses  tantenhaftes  Air,  das  sie  im  höchsten  Grade 
besitzt,  hat  sie  oft  recht  unangenehmen  Komplimenten  ausge- 
setzt. Übrigens  ist  ihr  Haus  äußerst  bequem :  da  sie  niemals  an- 
wesend ist,  kann  man  dort,  wenn  einige  hübsche  Ladenmädchen 
da  sind,  recht  angenehme  Stunden  verbringen. 


Die  Chronique  Aretine  155 

CHOUCHOU-LEBLANC 

Auch  die  genauesten  Recherchen  vermochten  uns  keinerlei 
Aufklärung  über  die  Anfänge  dieser. Kurtisane  zu  verschaffen; 
so  wie  schlammige  und  stagnierende  Gewässer,  deren  Quellen 
man  nicht  kennt,  verdankt  sie  höchstwahrscheinlich  ihre  Existenz 
ausschweifendster  Verdorbenheit.  Ihr  bekannter  Charakter,  das 
Laster,  mit  dem  sie  sich  unausgesetzt  besudelt,  bestätigen  das 
Urteil,  das  wir  uns  notgedrungen  über  ihre  Geburt  bilden  müssen. 
Wir  wollen  unseren  Lesern  ekelhafte  Details  ersparen,  zu  denen 
wir  herabsteigen  müßten,  wollten  wir  wissen  lassen,  bis  zu  wel- 
chem Grad  Verworfenheit  getrieben  werden  kann. 

Nachdem  sie  mit  Auszeichnung  in  allen  den  Trefforten  des 
Lasters  gedient  hatte,  fiel  Mlle  Chouchou  einem  Manne  zu, 
der  ihrer  würdig  war,  und  der  unter  dem  Schutz  einer  Ehren- 
medaille, die  doch  nur  zur  Belohnung  hervorragender,  dem 
Staate  geleisteter  Dienste  verliehen  werden  sollte,  sich  dieser 
angesehenen  Hülle  bedient,  um  die  Tugend  zu  überrumpeln,  die 
das  Laster  in  seine  Netze  zieht.  Es  ist  ihm  sogar  gelungen,  das 
Mädchen  würdig  zu  machen,  die  Stelle  eines  Substituts  des  Comus 
zu  vertreten,  den  sie  an  Geschicklichkeit  sogar  noch  übertraf. 
Doch  hat  diese  illustre  Vereinigung  dennoch  ihre  Rückfälle 
durchzumachen  gehabt.  Ein  Haftbefehl  des  Parlaments,  polizei- 
liche Verfügungen  haben  dies  würdige  Paar  mit  unauslöschlichen 
Zeichen  bedeckt. 

MADEMOISELLE  MARTIN  GENANNT  GRAND- 

MAISON 

Dieses  Fräulein  ist  die  Tochter  eines  ehrsamen  Hundescherers, 
der  nahe  bei  der  Porte  Saint-Denis  hauste :  ihre  Schönheit  wurde 
bald  in  den  Händen  ihres  Vaters  ein  Handelsobjekt,  der  den  ehr- 
lichen Hervieux  damit  bedachte,  bei  dem  diese  charmante  No- 


156  Die  C krönt que  Aretint 

vize  ihre  ersten  Waffengänge  übte;  ihr  Glücksstern  führte  in 
das  Serail,  das  sie  bewohnte,  einen  gewissen  Grandmaison,  dem 
sie  glücklicherweise  gefiel.  Dieser  Exkammerdiener  der  könig- 
lichen Garderobe,  der  um  seiner  schlechten  Handlungen  halber 
fortgejagt  worden  war,  spekulierte  auf  unsere  Nymphe,  die  er 
sich  aneignete.  Er  schickte  sie  auf  einige  Zeit  in  ein  Kloster, 
damit  sie  gewisse,  ein  wenig  freie  Angewohnheiten  verliere,  die 
sie  bei  der  liebenswürdigen  Matrone  erworben  hatte.  Darauf 
heiratete  er  sie  und  trat  sie  dem  Doktor  Joub ...  als  dessen 
Mätresse  ab,  der  die  Entschädigung  bezahlte  und  für  das  körper- 
liche und  materielle  Wohlbefinden  dieser  bequemen  Eheleute 
aufkam.  Dem  Doktor  folgte  der  Sohn  eines  normannischen  Ge- 
richtsvollziehers, der  Herr  B .  tv,  Ber-n-s  genannt,  ein  Parvenü 
seltsamer  Art,  der  sich  als  einen  Mann  von  Stand  ausgibt  und 
mit  großer  Frechheit  seinen  Degen  mit  der  Oberstenquaste 
schmückt,  obschon  er  nie  einen  militärischen  Posten  ausgefüllt 
hat,  noch  erhofft  haben  dürfte,  einen  ausfüllen  zu  können. 

In  den  Händen  dieses  Menschen  wurde  Madame  Grandmai- 
son von  neuem  ein  verkäuflicher  Gegenstand,  was  keine  sehr 
hohe  Meinung  von  den  geistigen  Qualitäten  dieser  Dame  zu- 
läßt, die,  wollte  sie  selbst  einen  Moment  darüber  nachdenken, 
einsehen  würde,  daß  es  Zeit  ist,  auf  eigene  Rechnung  zu  ar- 
beiten und  nicht  für  andere. 

MADAME  DE  SAINTE-AMARANTHE 

Nicht  nur  adlige  Geburt,  sondern  auch  eine  außerordentlich 
reizvolle  Erscheinung  zeichneten  diese  Dame  aus:  es  ist  bekla- 
genswert, daß  sie,  zu  jung  und  führerlos  auf  das  schlüpfrige 
Theater  der  großen  Welt  hinausgestoßen,  sich  durch  die  un- 
würdigen Liaisons  ihres  Ehemannes  zu  Handlungen  hinreißen 
ließ,  die  sie  schließlich  für  immer  aus  den  Kreisen  rissen,  denen 
sie  die  Vorsehung  eigentlich  bestimmt  hatte.  Der  Urheber  der 


Die  Chronique  Aretine  157 

ersten  Seitensprünge  dieser  Dame,  der  unwürdige  Mann,  der 
sie  ins  Verderben  stürzte,  hat  die  ersten  Fehltritte  seiner  Frau 
gebüßt.  In  Brüssel,  wo  er  sich,  um  sein  Leben  zu  fristen,  dazu 
reduziert  fand,  das  Metier  eines  Fiakerkutschers  zu  ergreifen, 
hat  man  ihn  in  der  Misere  umkommen  sehen. 

Ein  gänzlich  unbekannter  Mensch,  ein  Herr  Marot,  wurde  der 
erste  off izielle  Liebhaber  von  Madame  de  Sainte-Amaranthe,  aber 
die  Geckenhaftigkeit  seiner  Art  degoutierte  sie  in  kurzer  Zeit. 
Sie  bewies  dann  einen  Moment  lang  Neigungen  ein  wenig 
höherer  Art  und  brauchte  über  die  Beziehungen,  in  die  sie  zum 
Vicomte  von  P.  trat,  dem  sie  eine  Tochter  gebar,  weniger  zu 
erröten.  Man  hätte  sich  damit  begnügt,  Mme  de  Sainte-A.  nur 
zu  bedauern,  hätte  sie  sich  auf  einen  so  liebenswerten  Mann, 
wie  den  Vicomte,  beschränkt.  Doch  hat  man  ihr  den  Nach- 
folger, den  sie  diesem  Seigneur  gab,  nicht  verzeihen  wollen. 
Tatsächlich  war  das  Mißverhältnis  ein  wenig  stark. 

Der  Herr  Aue . . . ,  ein  reicher  Marseiller  Bürger,  konnte  kei- 
neswegs wagen,  Parallelen  ziehen  zu  wollen;  als  gewöhnlicher 
Rat  im  Chätelet  vermeinte  er,  daß  die  Stellung  seiner  Geliebten 
eine  glänzendere  Karriere  als  die  seine  verdiene;  folglich  tauschte 
er  Robe  und  Bäffchen  gegen  den  Federbusch  und  die  roten  Ab- 
sätze. Dennoch  imponierte  diese  Metamorphose  dem  Publikum, 
dem  die  abscheuliche,  aber  wahrheitsgetreue  Broschüre  „Les 
Joueurs",  in  der  M.  Dussault  über  die  in  mehr  als  einer  Gat- 
tung zu  berühmten  Talente  des  Herrn  Aue . . .  hellste  Auf- 
klärungen gegeben  hat,  auf  keine  Weise.29  Die  letzte  Auszeich- 
nung, die  er  soeben  erlistet  hat,  ist  ein  recht  überzeugender 
Beweis  seiner  Geschicklichkeit;  denn  jedermann  weiß,  daß  es 
kaum  zehn  Jahre  her  ist,  wo  dieser  neugebackene  Chevalier  auf 
den  hohen  Bänken  des  Chätelets  thronte. 

Mit  Bedauern  sehen  wir  uns  dazu  gezwungen,  über  diese  Dame 
zu  berichten ;  doch  haben  wir  es  nur  getan,  um  sie  als  abschrek- 
kendes  Beispiel  der  Folgen  und  Gefahren  für  Personen  ihres  Ge- 


158  Die  Chronique  Aretine 

schlechts  zu  geben,  die  illustre  Geburt  scheinbar  vor  einem  so 
erniedrigenden  und  eklatanten  Fall  hatte  bewahren  sollen. 

P.  S.  In  dem  Augenblick,  wo  wir  dies  zum  Druck  schicken, 
empfangen  wir  von  einem  unserer  Korrespondenten  Details,  die 
wir  eiligst  veröffentlichen  wollen,  um  uns  über  die  peinliche 
Ungenauigkeit  unserer  Recherchen  zu  verantworten. 

In  Di jon  und  nicht  in  Brüssel  ist  es  gewesen,  wo  Herr  von 
Sainte-Amaranthe  zu  dem  beklagenswerten  Metier  eines  Drosch- 
kenkutschers herabgesunken  ist;  er  wurde  in  dieser  Verkleidung 
vom  Comte  de  Be-z-es  erkannt,  und  zu  Paris  ist  dieser  unglück- 
selige Gatte  im  Elend  gestorben,  nachdem  er  das  bescheidene  Ge- 
werbe eines  Knopf machers  ergriffen  hatte  und  in  eigener  Person 
Lohnarbeiter  des  Herrn  Mi-q-e,  seines  Schneiders,  geworden  ist, 
der,  nachdem  er  selbst  zu  seinem  Ruin  beigetragen  hatte,  ihm 
dennoch  in  seinen  letzten  Stunden  eine  hilfreiche  Hand  bot. 

MESDEMOISELLES  DU  FRESNE 

Diese  beiden  Dirnchen,  deren  vereinigte  Lebensjahre  ein  oder 
zwei  Säkula  bilden,  haben  die  Provinz  mit  ihrem  Ruf  verseucht, 
ehe  sie  zum  erstenmal  auf  dem  großen  Theater  der  Hauptstadt 
auftraten. 

Als  die  Töchter  eines  Flickschusters  zu  Lyon,  beschränkte  sich 
die  Sphäre  ihrer  Belustigungen  lange  Zeit  auf  die  Kreise  der 
Seidenarbeiter  und  der  Matrosen.  Da  zwingende  Gründe  sie 
nötigten,  diese  Stadt  zu  verlassen,  kamen  sie  in  die  Hauptstadt, 
um  dort  wieder  neu  zu  werden.  Ihr  Debüt  war  ein  recht  glück- 
liches; die  ersten  Anfänge  schienen  ihnen  eine  glänzende  Zu- 
kunft zu  verheißen.  Aber  die  Ereignisse  entsprachen  nicht  den 
Hoffnungen,  in  denen  sie  sich  gewiegt  hatten. 

Ein  damals  mächtiger  Minister,  der  später  lange  Zeit  exiliert 
worden  war,  und  seitdem  an  den  Stufen  des  Thrones  gestorben 
ist,  hatte  für  die  Jüngere  ein  gewisses  Gefallen  gezeigt.  Dieser 


Die  Chronique  Aretine  159 

Blitzstrahl  glücklichen  Gedeihens  wurde  bald  von  elendigster 
Obskurität  ersetzt.  Zu  den  traurigsten  Auswegen  reduziert,  fan- 
den sie  einen  Trost  ihrer  Misere  in  dem  „Wöchentlichen  Zehr- 
pfennig", indem  sie  sich  den  Kohorten  einreihten,  die  unter 
Polizeiaufsicht  standen;  dieser  Schutz  sicherte  ihnen  eher  Straf- 
losigkeit als  genügende  Subsistenzmittel.  Als  sie  „Bouillotteuses 
avec  privilege"  geworden  waren,  gerieten  sie  in  günstigere  Um- 
stände. 

Die  Neigungen  des  Herzogs  von  Berwick30,  Neigungen,  zu 
denen  die  jüngere  du  Fresne  sich  mit  der  liebenswürdigsten 
Bereitwilligkeit  hergab,  bildeten  einen  neuen  Erwerbszweig,  der 
während  einiger  Zeit  gute  Einkünfte  trug.  Aber  nicht  alles  ist 
rosig  auf  dieser  elenden  Welt;  von  einer  schrecklichen  Krank- 
heit verseucht,  beschenkte  der  Patient  damit  seine  Flamme,  bei 
der  das  Übel  in  kurzer  Zeit  entsetzliche  Fortschritte  machte. 

Opier  revoltierendster  Depravation,  bieten  diese  beiden,  run- 
zelbedeckten, abgelebten  und  unbußfertigen  Schwestern  das 
Schauspiel  des  Lasters  in  seiner  ganzen  Häßlichkeit. 

DIE  KOMTESSE  CRAFFTON 

Der  Titel,  mit  dem  sich  die  Abenteuerin  schmückt,  deren 
Existenz  wir  jetzt  vorlegen  wollen,  gleicht  jenen  Irrlichtern,  die, 
weit  davon  entfernt,  dem  verirrten  Wanderer  den  verlorenen 
Weg  wiederfinden  zu  helfen,  im  Gegenteil  nur  dazu  dienen,  den 
Augenblick  seiner  Vernichtung  zu  beschleunigen,  indem  sie  ihn 
in  den  Abgrund  stürzen,  den  er  erst  bemerkt,  wenn  er  nur  noch 
die  Reue  als  letzte  Zuflucht  kennt. 

Diese  ephemere  Gräfin  ist  die  Tochter  einer  Wäscherin  der 
Rue  de  la  Mortellerie.  Sie  gewann  sich,  ganz  jung  als  Kammerfrau 
in  Diensten  einer  Irländerin  aus  gutem  Hause,  die  Gunst  ihrer 
Herrin,  nach  derem  Tode  sie  den  Rang  wechselte,  indem  sie  sich 
deren  Titel  und  Namen  aneignete.  Eine  derart  majestätische 


!6o  Die  Chronique  Aretine 


Maskerade  forderte  Mittel,  um  mit  gebührender  Würde  auf- 
rechterhalten zu  werden;  unsere  liebe  Komtesse  fand  sie  in  der 
Person  des  Sieur  Craffton,  eines  verabschiedeten  Garde  du  Corps, 
der  ihr  seine  Hand  und  Verschmelzung  ihrer  gegenseitigen  Ta- 
lente offerierte,  um  ihr  gemeinsames  Glück  zu  unterhalten. 

Die  Konvenance  allein  hat  diesen  so  gut  ausgerüsteten  Bund 
gebildet.  Die  Komtesse  verteilte  ihre  Huld  mit  skrupulösester 
Gleichmäßigkeit  an  all  die  Getreuen,  die  ihre  Gaben  unter  der 
dreifachen  Fackel  niederlegen,  die  den  Altar  ziert,  an  dem  sie 
sich  täglich  mästet;  die  geschröpften  Opfer  dieser  Grotte  haben 
den  süßen  Trost,  sich  wenigstens  nicht  über  die  Strenge  der 
großen  Priesterin  beklagen  zu  brauchen,  deren  Priester  sich  mit 
Blick  und  Geste  ständig  über  ihr  Verhalten  zufrieden  zu  geben 
scheint. 

Diese  illustren  Gatten  haben  trotz  ihrer  wichtigen  Dienste, 
die  mit  edelstem  Uneigennutz  geleistet  worden  sind,  dennoch 
des  öfteren  schwerwiegenden  Grund  gehabt,  sich  über  die  Po- 
lizei zu  beklagen,  die  sich  ihnen  gegenüber  in  so  wenig  zartfüh- 
lender Weise  benommen  hat,  daß  sogar  weniger  wohlanständige 
Menschen  wie  sie  decouragiert  worden  wären. 

Madame  la  Comtesse  hat  eine  Schwester,  die  sie  nach  der  Um- 
bildung ihrer  eigenen  Standesänderung  zu  sich  nahm,  die  aber 
aus  Gründen,  die  bis  jetzt  dem  Verfasser  dieses  Artikels  noch 
nicht  zu  Ohren  gekommen  sind,  nicht  an  der  Rangerhöhung 
ihrer  älteren  Schwester  teilnahm  und  sich  weiterhin  ganz  ein- 
fach Mademoiselle  Pa-v-ille  genannt  hat. 

Ihr  Sohn,  der  glücklicher  war,  als  sie  selbst,  und  dem  es  frei- 
steht, sich  einen  Vater  und  einen  Namen  zu  wählen,  die  ihm 
passend  erscheinen,  nennt  sich  Baron  de  M-m-ni;  um  von  den 
Prinzipien  seiner  erhabenen  Eltern  nicht  abzuweichen,  hat  er 
die  Demoiselle  de  N-v-ille  geheiratet,  die  ihren  Artikel  im  Laute 
dieses  Werkes  finden  wird. 


Die  Chronique  Aretine  161 

MADEMOISELLE  ZACHARIE 

Diese  mit  außerordentlichen  physischen  Reizen  begabte 
Dame  war  teilweise  von  Mademoiselle  Guimard31,  die  sich 
damit  befaßte,  ihre  Talente  zu  fördern,  erzogen  worden,  und 
außerdem  von  einer  Tante,  namens  Madame  Le  Vr-i,  die  sie 
bis  zu  dem  Moment  genauestens  überwachte,  wo  diese  ehr- 
bare Verwandte  die  zarte  Blüte,  die  soeben  anfing,  sich  zu  ent- 
falten, dem  Marquis  de  Si-n-y  für  die  Summe  von  60  000  Livres 
anbot. 

Die  ersten  Jahre  dieser  charmanten  Nymphe  sind  für  sie  selbst 
ein  völliger  Verlust  gewesen.  Der  Zerberus,  der  diesen  Schatz 
bewachte,  bemächtigte  sich  der  Gaben  und  Geschenke,  die  ihrer 
Nichte  bestimmt  waren,  der  es  jedoch,  wenn  auch  nicht  ohne 
Mühe,  gelungen  ist,  das  Joch  abzuschütteln. 

Der  Sieur  S-th-n-t,  der  unter  den  Mädchen  als  Objekt  so 
vieler  Mystifikationen,  deren  ständiger  Held  er  war,  wohlbe- 
kannt ist  und  der  zu  seinem  eigenen  Schaden  immer  auch  noch 
zahlen  muß,  trat  in  die  Schranken  und  machte  die  glänzendsten 
Anerbietungen,  aber  nichts  auf  der  Welt  vermochte  sie  nach- 
giebig zu  machen.  Sogar  das  Gold,  das  so  viele  Hemmnisse  weg- 
räumt, hatte  diesmal  keinen  Erfolg  und  konnte  den  wohlver- 
dienten Widerwillen,  den  dieser  ekelhafte  Parvenü  Mademoiselle 
Zacharie  einflößte,  nicht  besiegen. 

Ein  reicher  Engländer  trug  den  Sieg  über  mehrere  Rivalen 
davon,  die  sich  präsentierten,  um  den  Marquis  de  Si-n-y  zu  er- 
setzen. Dieser  freigebige  Inselbewohner  hat  sich  Mademoiselle 
Zacharie  so  ernstlich  attachiert,  daß  er  ihr  eine  Lebensrente  von 
6000  Livres  aussetzte,  um  sie  zu  bewegen,  das  Theater  zu  ver- 
lassen. Seit  ihren  Beziehungen  zu  M.  F-z-w-s  hat  Mademoiselle 
Zacharie  zwei  charmanten  Kindern  das  Leben  geschenkt,  mit 
deren  Vaterschaft  sie  Mylord  beehrt;  doch  versichern  wohlin- 
formierte Leute,  daß  man  die  Mühen  dieser  Vaterschaft  unter 


i62  Die  Chronique  Aretine 

ihn  und  die  Herren  Dest-11-es  und  Ni-v-n  teilen  könne,  die, 
heißt  es,  ein  jeder  für  sich  die  Faconierung  eines  Ohres,  eines 
Armes  usw.  usw.  usw.  beanspruchen. 

MADEMOISELLE  MAILLARD 

„Vater  und  Mutter  unbekannt."  Eine  wohltätige  Äbtissin  aus 
der  Rue  d'Orleans  behütete  die  Kindheit  dieser  Sängerin,  gab 
ihr  ihren  Namen,  und  ließ  ihr,  was  mehr  wert  war,  Unterricht 
von  ersten  Meistern  erteilen,  nachdem  sie  bei  dieser  Adoptiv- 
tochter eine  gewisse  Begabung  zum  Gesang  entdeckt  hatte.  Die- 
sem Gewerbe  einverleibt,  debütierte  sie  mit  einigem  Erfolg. 

Ein  alter  Herr,  M.  D.,  übernahm  es,  ihren  Bankier  zu  spielen 
und  machte  ihr  ein  Kind.  Dieser  erste  Unterricht  praktischer 
Physik  machte  unsere  Debütantin  nicht  glücklich,  da  das  Kind 
seinen  Einzug  in  diese  Welt  nur  in  Bruchstücken  hatte  machen 
können.  Ein  Generalpächter  von  der  Place  Vendome  ersetzte 
den  alten  Kinderfabrikanten  und  gründete  auf  solide  Art  ihr 
Wohlergehen,  ohne  unsere  Heldin  den  peinlichen  Folgen  einer 
forcierten  Niederkunft  auszusetzen ;  als  praktischen  Amtsgehilfen 
zog  sie  den  Herrn  Ch-l-t,  einen  großen,  kräftigen  Polen,  hinzu ; 
dann  ging  sie  in  die  Arme  des  venezianischen  Gesandten  über. 
Diese  neuen  Liebesgeschichten  schädigten  ein  wenig  ihren  Ruf, 
doch  schwand  bald  jeder  Fleck  dank  der  zärtlichen  Anhänglich- 
keit, die  man  sie  dem  Herrn  Nivelon  beweisen  sah.  Bald  befreite 
sich  dieser  liebenswürdige  Tänzer,  von  dem  Liebesfuror  dieser 
modernen  Dido  erschöpft,  von  ihr  zugunsten  des  Grafen  Mo- 
r-ille. 

Mademoiselle  Maillard  hat  einen  Moment  lang  den  Sohn  des 
ehemaligen  Direktors  Lebreton  gehabt,  der  sie  ein  zweites  Mal 
Mutter  machte.  Seit  einiger  Zeit  ist  sie  dem  Herrn  Saint-Pri 
des  Francais  liiert;  man  erwartet  täglich  zu  hören,  daß  die  Kirche 
die  Beständigkeit  dieses  verliebten  Paares  geheiligt  habe. 


Die  Chronique  Aretine  163 


Die  Chronisten  der  Opernkulissen  versichern  auch,  daß  Mlle 
Maillard  einem  Herrn  Rousseau  einige  kleine  Dienste  geleistet 
habe. 

Unsere  Leser  müssen  bemerkt  haben,  daß  wir  uns  bis  jetzt 
keinerlei  Details  über  die  Talente  und  Geistesgaben  der  von  uns 
besprochenen  Kurtisanen  erlaubten;  wir  haben  uns  darauf  be- 
schränkt, sachlich  zu  bleiben;  doch  verdient  Mlle  Maillard  eine 
Ausnahme,  die  unseren  Lesern  zur  allgemeinen  Schlußfolgerung 
über  den  Geist  dieser  Dame  dienen  mag.  Folgender  Zug  ist 
ein  Muster,  nach  dem  man  die  Allgemeinheit  beurteilen  darf, 
ohne  eine  Täuschung  befürchten  zu  müssen. 

Als  Mademoiselle  Maillards  Wagen  sich  eines  Abends,  als  sie 
die  Oper  früher  wie  gewöhnlich  verlassen  wollte,  nicht  vorfand, 
bot  ihr  ein  Herr  den  seinen  an,  und  er  wurde  nach  einigen 
Redensarten  akzeptiert.  Als  der  halbe  Weg  zurückgelegt  ist, 
wird  der  Unbekannte  unternehmend  und  wenige  Minuten  darauf 
glücklich.  An  Mademoiselle  Maillards  Tür  angelangt,  bittet  der 
improvisierte  Liebhaber  sie  beim  Abschiednehmen  um  die  Erlaub- 
nis, ihr  am  nächsten  Morgen  seine  Aufwartung  machen  zu  dürfen. 
Mademoiselle  Maillard  antwortete  ihm  mit  der  entzückendsten 
Unschuldsmiene,  daß  sie  die  angebotene  Ehre  zu  schätzen  wisse, 
daß  sie  es  aber  nicht  liebe,  neue  Bekanntschaften  zu  machen. 

MADEMOISELLE  LABORDE 

Dieses  Fräulein,  dem  eine  dreißigjährige  Dienstzeit  einen  her- 
vorragenden Platz  unter  den  Veteraninnen  ihres  erlauchten 
Korps  sichert,  ist  zu  Dax  im  Jahre  1744  geboren.  Zwanzigjährig 
verließ  sie  ihre  Heimat  und  wurde  von  einem  Herrn  L-l-de  nach 
Bordeaux  gebracht,  der  ihrer  nach  18  Monaten  überdrüssig  wurde 
und  sie,  die  schwanger  war,  verließ. 

Der  Grand-Prevot  de  Marechaussee  de  la  Guyenne,  dem  sie 
durch  dies  Verlassensein  zufiel,  vermochte  sie  nicht  ungestraft 


164  Die  Chronique  Aretine 


anzusehen;  er  attachierte  sich  ihr,  erwies  ihr  viele  Wohltaten 
und  bot  ihr  einen  Wohlstand,  wie  sie  ihn  bis  zu  dieser  Zeit  nie 
gekannt  hatte.  Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  daß  dieser  galante  Herr 
sie  aus  all  den  Nöten,  denen  sie  nun  oft  ausgesetzt  ist  und  die 
nun  noch  zunehmen  werden,  befreit  hätte,  wäre  sie  seinen  Be- 
mühungen erkenntlicher  gewesen.  Aber  ihre  außerordentliche 
Empfindlichkeit  stellte  ihr  ganzes  Leben  lang  dem  Glück,  das 
sich  ihr  bot,  große  Hindernisse  in  den  Weg;  den  Bemühungen 
dieses  ersten  Wohltäters  gesellten  sich  noch  der  Comte  St.-Md., 
ein  Offizier  im  Regiment  des  Königs,  M.  M.  le-d'H-ze,  vom 
Regiment  d'Orleans,  der  Jude  A-v-o,  der  Sieur  d'E-ch-t  und  die 
bestgestelltesten  Schauspieler  des  Theaters  zu  Bordeaux  bei. 
Auch  der  Vicomte  de  N-e  folgte  ihrem  Triumphwagen;  vom 
Glänze  dieses  neuen  Anbeters  geblendet,  verließ  sie  Herrn  B-r-t, 
folgte  dem  Vicomte  nach  Paris,  wo  neue  Liebhaber  sie  die 
anderen,  in  der  Provinz  gebliebenen,  vergessen  ließen. 

Im  Jahre  1774  richtete  sich  Mme  Laborde  für  immer  in  Paris 
ein.  Herr  von  N-e  hatte  ihr  viel  versprochen  und  wenig  ge- 
halten; ihr  zügelloses  Begehren  nach  Luxus  vereinbarte  sich 
keineswegs  mit  der  reduzierten  Lage,  in  der  sie  sich  befand, 
nachdem  sie  sich  in  den  glänzendsten  Träumen  gewiegt  hatte. 
Ein  bescheidenes  Appartement  in  einem  der  bescheidendsten 
Hotels  der  Rue  Traversiere  war  der  Tempel,  wo  unsere  ver- 
storbene kleine  Komtesse  diese  neue  Göttin  ausgrub ;  sie  säumte 
nicht  lange,  sich  einer  so  berühmten  Lehrerin  würdig  zu  zeigen. 

In  jener  Epoche  trat  Madame  Laborde  in  ihr  30.  Lebensjahr. 
Da  sie  schön  und  gut  gewachsen  war,  erregte  sie  eine  Zeitlang 
die  Verzweiflung  aller  hübschen  Frauen  der  Hauptstadt;  da  sie 
aber  mit  wenig  Geist  begabt  war,  gelang  es  ihr,  ihr  ganzes  Leben 
lang,  die  guten  Wünsche,  die  sie  erweckte,  nutzlos  zu  machen. 
Ein  spanischer  Generalkonsul  ersetzte  bei  ihr  einen  jungen  Eng- 
länder, der  nur  so  viel  Zeit  hatte,  ihr  die  ersten  Diamanten  zu 
verehren.  Die  über  eine  derartige  Liaison  entsetzte  Familie  des 


Die  Chronique  Aretine  165 


jungen  Mannes  rief  ihn  nach  England  zurück.  Da  sich  MUe  L. 
geweigert  hatte,  dem  Konsul  nach  Spanien  zu  folgen,  blieb  sie 
eine  Zeitlang  ohne  bestimmten  Pächter  und  teilte  die  Freuden 
der  kleinen  Soupers  im  Temple  zu  Monceaux  und  dem  Sanc- 
tuarium  ihrer  ersten  Beschützerin,  die  sie  bis  zum  Tode  dieser 
ausgezeichneten  Frau  ständig  besuchte. 

Sie  warf  sich  einer  Reform  in  die  Arme,  als  dies  allzu  heftige 
Leben,  das  ihrem  so  empfindlichen  Temperament  nicht  ent- 
sprach, sie  degoi  tierte.  Der  Chevalier  de  R-q-e  präsentierte  sich 
unterdessen,  wurde  erhört  und  ihr  Ritter.  Nicht  einmal  die  Lieb- 
haber von  Lignons  bieten  ein  vollkommneres  Bild  als  dieses  neue 
Liebespaar  während  der  ersten  sechs  Pachtmonate;  die  Lange- 
weile folgte  kurz  darauf  bei  der  Schönen  an  Stelle  der  Passion,  die 
sie  entzündet  hatte;  das  Vermögen  ihres  Liebhabers  war  unbe- 
deutend; er  war,  um  ihren  Ausgaben  zu  genügen,  gezwungen,  zu 
den  ruinösesten  Mitteln  zu  greifen.  Da  sie  zu  feinfühlig  war, 
um  nicht  zu  versuchen,  die  Ausgaben  des  Chevaliers  zu  verrin- 
gern, assozierte  sie  ihm  Herrn  de  P-1-elles,  dann  Herrn  de  la 
B-ll-ye  und  endlich  Herrn  G-b-d.  Diese  Gesellschaft  ermög- 
lichte ihr,  ihre  Phantasien  und  ihren  Hang  zum  Luxus  zu  be- 
friedigen, füllten  aber  trotzdem  manche  Lücken  nicht  aus,  die 
sie  ebenso  schwer  empfand.  Der  Herr  A-v-o  weilte  zwar  in  Paris, 
doch  teilte  er  sich  zu  sehr,  man  konnte  nicht  viel  auf  ihn  rech- 
nen. Ein  Sekretär  des  Herrn  von  M-t-n,  der  so  stark  war,  daß 
er  jeglichen  Vergleich  bestand,  war  gekostet  worden,  doch  zog 
es  den  Flatterhaften  auch  zu  den  Fräuleins  L-h-e  und  C-v-e. 
Der  Comte  de  Ch-b-e  war  nur  flüchtig  vorübergezogen,  die 
Herren  de  D-l-n,  de  F-j-m,  de  M-r-y  und  tausend  andere  waren 
dem  gleichen  Beispiel  gefolgt :  alle  hatten  sich  bald  abgewendet. 
Einer  dieser  zweifellos  indiskreten  Herren  hat  sich  über  den 
Verfall  der  geheimen  Reize  dieser  Dame  Details  mitzuteilen  er- 
laubt, die,  als  sie  in  die  Hände  des  Redakteurs  der  Geheim- 
anekdoten der  Literatur  fielen,  in  einem  der  Bände  des  Jahres 


166  Die  Chronique  Aretine 


l779  gedruckt  wurden  und  unserer  Heldin  größten  Schaden  zu- 
fügten. 

Aber  sie  ließ  sich  von  so  viel  ärgerlichen  Widerwärtigkeiten 
keineswegs  besiegen.  Entschlossen,  zu  welchem  Preis  es  auch  sei, 
von  sich  reden  zu  machen,  hielt  sie  stand  und  erschien  größer 
denn  je. 

Als  treue  Historiker  sind  wir  es  der  Nachwelt  schuldig,  eine 
exakte  Aufsteilung  ihrer  praktischen  Liebhaber  im  Jahre  1786 
zu  geben.  Die  Herren  de  R-q-e,  de  la  B-l-e,  G-b-t,  B-r-e,  P-r-e, 
N-v-n,  C-l-d,  G-D-l,  le  R.  und  Fleury,  Florence,  A-v-o  ge- 
nügten kaum,  die  uterinen  Flammen,  von  denen  sie  sich  ver- 
zehrt fühlte,  zu  löschen. 

Wir  würden  unserem  Leser  gern  die  schlechten  Handlungen 
verheimlichen,  deren  sie  sich  an  Mme  D-b-le,  mit  der  sie  in 
größter  Intimität  lebte,  schuldig  machte,  indem  sie  ihr  einen 
nach  dem  anderen,  die  Herren  P-r-c  und  B-v-e  entführte,  und 
Madame  de  F-r-y  gegenüber,  die  ihr  zärtlichste  Freundschaft 
bewies,  und  deren  Besitztum  sie  auch  angriff,  indem  sie  Herrn 
N-v-n,  dessen  erprobte  Kälte  und  Undankbarkeit  sie,  nachdem 
sie  ihn  mit  Gunstbezeigungen  überschüttet  hatte,  zur  Verzweif- 
lung brachten  und  krank  machten.  Die  Alleen  von  Vincennes, 
die  des  Bois  de  Boulogne,  die  Hälfte  der  Pariser  Fiaker  sind 
ebenso  viele  diskrete  Zeugen,  als  wir  anrufen  könnten,  wenn 
unsere  Versicherungen  noch  andere  Beweise  benötigten  als  den 
bekannten  Charakter  unserer  Heldin. 

Von  soviel  Triumphen  ermüdet,  wünschte  sie  sich  auszuruhen; 
der  Chevalier  de  R-q-e,  der  von  Schulden  ruiniert  war,  hatte  sich 
gezwungen  gesehen,  sich  ins  Innerste  des  Languedoc  zurückzu- 
ziehen und  seine  zärtliche  Penelope  zu  verlassen,  der  die  Liebe 
neue  Triumphe  in  Gestalt  des  Chevalier  de  M-g-n  bereitete,  der 
trotz  des  enormen  Altersunterschiedes  von  der  heftigsten  Passion 
zu  ihr  ergriffen  wurde.  Gefühle,  selbst  Tugenden  wurden  aus- 
gespielt, denn  nichts  konnte  gelegener  kommen  als  dieser  neue 


Die  Chronigue  A  retine  167 


Anbeter,  dessen  feuriger  Charakter  und  dessen  Lebhaftigkeit 
das  Ihre  taten,  ihn  über  diese  neue  Dulzinea,  der  er  ein  wahrer 
Don  Quichotte  wurde,  zu  verblenden.  Die  Gläubiger  der  Dame 
wurden  zum  Nachteil  seiner  eigenen  bezahlt;  Geschenke  aller 
Art  folgten  einander  täglich;  die  schönsten  Diamanten  bedeck- 
ten die  antiken  Reize  der  Schönen  und  bildeten  die  Verzweiflung 
ihrer  Rivalinnen. 

Aber  dieser  schöne  Traum  dauerte  nur  ein  Jahr.  Der  Che- 
valier, der  durch  den  Tod  seines  Vaters  und  durch  Vermögens- 
schwierigkeiten in  die  Provinz  zurückgerufen  wurde,  kehrte  nicht 
zurück;  die  Diamanten  wanderten  ins  Leihhaus  und  wurden 
dann  verkauft;  von  so  viel  Glanz  blieb  nichts  als  eine  traurige 
Erinnerung.  M.  G-b-r,  den  man  notgedrungen  zurücknehmen 
mußte,  wurde  mangelnder  Freigebigkeit  bezichtigt;  dieser  Gabe 
vereinte  er  die  der  Eifersucht;  es  fiel  ihm  ein,  es  unrecht  zu 
finden,  daß  Mme  Laborde  ihr  Lager  mit  einem  breitschulterigen 
wallonischen  Offizier  teilte.  Es  nützte  nichts,  ihm  zu  sagen, 
daß  dies  der  Chevalier  de  M-g-n  sei,  der  Geschäfte  halber  nach 
Paris  zurückgekehrt  war,  und  dem  man  ein  Nachtlager  nicht 
hatte  verweigern  können;  er  wollte  nichts  davon  glauben  und 
hatte  die  Brutalität,  von  diesem  Moment  an  mit  seiner  Freundin 
zu  brechen. 

Dies  ist  die  Lebensgeschichte  der  Mademoiselle  Laborde,  die 
ihr  44.  Lebensjahr  vollendet  hat;  sie  bietet  noch  immer  schöne 
Reste,  wenn  die  Kunst  ihr  Hilfe  gewährt.  Da  sie  im  Heiligtum 
ihrer  Vergnügungen  selbst  von  einer  schrecklichen  Krankheit  be- 
droht wird,  führt  sie  seit  einiger  Zeit  ein  zurückgezogenes  Da- 
sein und  erwartet  vom  Himmel  und  der  heiligen  Genoveva,  die 
sie  innig  verehrt  und  für  die  sie  unausgesetzt  neuntägige  Gebete 
liest,  daß  sie  ihr  einen  barmherzigen  Finanzier  senden,  der  Ord- 
nung in  ihre  Lage  bringe. 

Wir  wiederholen,  daß  wohl  wenig  Frauen  ebensoviel  Mittel 
gegeben  waren,  die  Männer  zu  verführen,  wie  dieser  charmanten 


168  Die  Chronique  Aretine 

> 

Gascognerin,  von  der  wir  soeben  berichtet  haben;  aber  die  Natur 
gab  ihr  so  anspruchsvolle  Bedürfnisse,  daß  es  ihr  unmöglich  war, 
sie  zu  mäßigen  oder  zu  unterdrücken. 

Eine  schwerere  Beschuldigung  zwingt  uns,  ihr  einen  außer- 
ordentlichen Mangel  an  Takt  in  Geldangelegenheiten  vorzu- 
werfen, nicht  nur  ihren  Liebhabern  gegenüber,  sondern  auch 
Leuten,  die  nichts  von  ihr  erwarteten.  Ihr  Verhalten  gegen 
einen  Grandseigneur,  der  nichts  von  ihr  forderte,  und  aus  dem 
sie  unter  verschiedenen  Vorwänden  ziemlich  beträchtliche  Sum- 
men gezogen  hat,  beweist  eine  Gleichgültigkeit  gegen  jede  gute 
Lebensart,  die  ihrem  Charakter  keine  Ehre  macht. 

Mademoiselle  ist  Mutter  einer  fünfundzwanzigjährigen  char- 
manten, talentierten  Tochter,  der  sie  eine  zu  vortreffliche  Er- 
ziehung hat  geben  lassen,  da  sie  schließlich  nur  ihre  Tochter  ist. 
Sie  verbirgt  sie  sorglich  in  einem  Kloster,  aus  dem  sie  sie  höchst- 
wahrscheinlich erst  dann  holen  wird,  wenn  sie  eine  Stütze  für 
ihr  spätes  Alter  braucht. 

Nach  dem,  was  wir  über  den  Charakter  jener  jungen  Dame 
wissen,  zweifeln  wir  sehr,  daß  sie  je  mit  den  Anschauungen  ihrer 
Mutter  übereinstimmen  wird. 

MADEMOISELLE  D'HERVIEUX 

Die  Geschichte  dieser  Kurtisane  ist  wie  ein  unerschöpfliches 
Bergwerk.  Ihr  Privatleben  bietet  eine  Folge  von  Abenteuern, 
aus  denen  wir  ein  mehrbändiges  Werk  machen  könnten,  hätten 
wir  es  uns  nicht  bei  Beginn  dieser  Arbeit  zum  Gesetz  gemacht, 
uns  kurz  zu  fassen  und  über  die  Einzelheiten  leicht  hinwegzu- 
gehen, die  sonst  den  Geist  unserer  Leser  mit  angeekelten  Re- 
flexionen füllen  würden,  die  .Schamlosigkeit  und  Laster,  das 
nicht  errötet,  nicht  verfehlen  würden,  ihnen  einzuflößen. 

Mademoiselle  d'Hervieux  verdankt  ihre  Existenz  einer  ehr- 
lichen Wäscherin  aus  der  Sapience,  die,  als  sie  von  ihrem  Seifen- 


Die  Chronique  Aretine  169 

Verkäufer  zu  hart  bedrängt  wurde,  sich  nach  dem  Temple  zu- 
rückzog, um  den  Verfolgungen  dieses  unerbittlichen  Gläubigers 
zu  entgehen.  Der  Bankrott  hat  die  Lage  dieser  armen  Familie 
seltsam  verändert. 

Aber  die  knospende  Schönheit  Mademoiselle  Hervieux'  er- 
oberte einen  Protektor,  der  damals  als  sehr  interessante  Persön- 
lichkeit galt;  diesei  glückliche  Sterbliche,  dem  Amor  es  auf- 
gespart hatte,  diese  köstliche  Blume  pflücken  zu  dürfen,  ist 
niemand  anderes  als  der  Herr  Francois,  der  Läufer  Ihrer  ver- 
storbenen Hoheit,  des  Prinzen  von  Conti.  Der  ehrliche  Läufer 
begnügte  sich  mit  dem  Versuchsrecht  und  trat  die  Jungfrau 
seinem  Herren  ab. 

Dies  unerwartete  Glück  verschaffte  der  Demoiselle  d'Her- 
vieux  einen  Wohlstand,  der  ihr  bis  dahin  fremd  gewesen  war. 
Der  erlauchte  Protektor  ließ  sie  in  den  Bureaus  des  Opern- 
balletts  einschreiben. 

Diese  Einweihung  in  die  großen  Mysterien  verschafften  Mlle 
d'Hervieux  die  Eroberung  eines  reichen  Kaufmannes  aus  Bor- 
deaux, den  sie  mit  einem  polnischen  Magnaten  ersetzte,  der 
selbst  den  Sieur  S-v-t  für  Unreraufträge  hatte. 

In  dieser  Epoche  glänzte  Mlle  Hervieux,  die  sich  durch  die 
Wohltaten  ihrer  soeben  zitierten  Liebhaber  außerordentlich  be- 
reichert hatte,  an  erster  Stelle  unter  ihren  Rivalinnen.  Dem 
edlen  Polen  folgte,  was  die  Börse  anbetrifft  Lord  B-t-k,  und 
was  das  Herz,  der  Herr  L-t-r;  darauf  der  Chevalier  de  C-v-1, 
dann  Herr  Th-n-t  und  endlich  Herr  de  S-t-ines. 

Wir  bedürften  ein  Ries  Papier,  um  das  einfache  Namensver- 
zeichnis all  der  Glücklichen  zu  geben,  die  diese  Schöne  gekrönt 
hat.  Wir  begnügen  uns  damit,  zu  konstatieren,  daß  der  liebens- 
würdige, elegante  Herr  Th-n-t  die  erste  Nützung  des  schönen 
Hauses  der  Chaussee  d'Antin  gehabt  hat,  in  welchem,  so  ver- 
sichert Mlle  d'Hervieux,  dieser  glückliche  Sterbliche  der  erste 
Opferspendende  gewesen  ist.  Personen,  die  den  letzteren  ein 


170  Die  Chronique  Aretine 

wenig  kennen,  können  sich  denken,  daß  diese  schmeichelhaften 
Erstlinge  bezahlt  worden  sind. 

Wir  dürfen  dem  Leser  die  zärtlichen  Liebesstürme  nicht  ver- 
schweigen, die  plötzlich  Mlle  Raucourt  für  sie  verzehrten  und 
wie  süß  sie  entlohnt  worden  sind.  Dem  Mysterium  zum  Trotz, 
mit  dem  man  sucht,  diese  seltsame  Liebe  zu  verhüllen,  haben 
Neugierige  die  Dauer  dieser  Liaison  nicht  ignoriert;  man  hat 
gesehen,  wie  Mademoiselle  Raucourt  jede  Nacht  heimlich  den 
Armen  der  charmanten  d'Hervieux  durch  die  kleine  Bibliotheks- 
tür, die  auf  die  große  Treppe  geht,  entschlüpfte,  um  ihren  Wa- 
gen, als  Mann  verkleidet,  zu  erreichen,  nachdem  sie  sich  in 
dessen  Rolle  bei  ihrer  zärtlichen  Mätresse  versucht  hatte. 

Aber  der  Hauptheld,  dem  Mademoiselle  d'Hervieux  ihren 
höchsten  Glanz  verdankt,  ist  ohne  Widerspruch  der  Herr  Poli- 
zeichef Lenoir. 

Unter  dem  Zepter  dieses  Liebhabers  war  Mlle  Hervieux  Spen- 
derin aller  Gnaden;  die  Polizei  war  ihr  völlig  untergeben;  mä- 
ßige Berechnungen  lassen  die  Zinsen  ohne  Einlagekapital,  die  der 
Liebhaber  dieser  Kurtisane  ihr  in  den  vom  Magistrat  eingeführ- 
ten Spielbanken  gewährte,  bis  zu  800  000  Pfund  aufsteigen. 

Die  schlecht  plazierte  Strenge  des  Parlaments  vernichtete  die- 
sen ausgezeichneten  Erwerbszweig,  der,  hätte  er  noch  einige  Jahre 
fortgedauert,  Mlle  d'Hervieux  instand  gesetzt  hätte,  ein  Monu- 
ment zu  errichten,  das  mit  dem  der  berühmten  Kurtisane  von 
Memphis  in  Konkurrenz  getreten  wäre,  die,  wie  man  sagt,  eine 
Pyramide  von  200  Klaftern  Höhe  errichtete,  von  der  ein  jeder 
Stein  von  einem  Liebhaber  geliefert  worden  war. 

Wenn  dieser  schamlose  Luxus,  dieser  unerhörte  Prunk,  mit 
dem  dies  schändliche  Monument  errichtet  worden  ist,  das  die 
Dame  momentan  bewohnt,  wenn  dies  Erzeugnis  des  Hazard- 
spiels,  des  Trente-et-un,  des  Biribi  und  tausend  anderer  inferna- 
lischer Erfindungen,  ein  Gegenstand  des  Skandals  in  den  Augen 
anständiger  Leute  ist,  bitten  wir  Sie,  sich  zu  erinnern,  daß  das 


Die  Chronique  Aretine  171 

Wohlergehen  eines  so  unmoralischen  Geschöpfes  nur  vorüber- 
gehend sein  kann,  und  daß  der  Moment  vielleicht  nicht  fern  ist, 
wo  Zucht  und  Sitte  glänzend  an  dem  in  den  Staub  gefallenen 
Laster  gerächt  werden. 

Mlle  d'Hervieux  hat  kein  besseres  Mittel  gefunden,  die  voll- 
endetsten Kunstwerke  in  ihr  Hotel  zu  bringen,  als  sich  mit  dem 
Architekten  Bellanger  zu  vereinigen,  dessen  Ruf  und  Talente 
gleichfalls  bekannt  sind  und  keines  Kommentars  bedürfen.  Dieser 
geschickte  Architekt  hat  wie  für  sich  gearbeitet.  Es  genüge  an- 
zudeuten, daß  er  früher  oder  später  Besitzer  werden  wird,  wo 
er  bis  jetzt  Befehlshaber  war.  Wohlunterrichtete  Leute  behaup- 
ten, eine  ingeniöse  Anspielung  in  der  Art  und  Weise  zu  finden, 
mit  der  Herr  Bellanger  die  Dächer  von  Mlle  d'Hervieux'  Haus 
gedeckt  hat.  Man  versichert,  daß  dieser  Künstler,  als  er  be- 
merkt hatte,  daß  die  Dame  von  einer  gefährlichen  Wassergosse 
beunruhigt  wurde,  den  Dachrand  mit  Kupfer  hat  einfassen 
lassen,  um  sie  vor  etwaigen  Unglücksfällen  zu  bewahren. 

Der  vorgebliche  Vater  Mlle  d'Hervieux'  hat  etwas  von  dem 
allmächtigen  Einfluß  seiner  würdigen  Progenitur  auf  den  Sieur 
Lenoir  empfunden.  Dieser  ehrliche  Bürger  empfing  nämlich  die 
Generalleitung  jenes  erschreckenden  Halsabschneideorts,  der 
unter  dem  Namen  Hotel  d'Angleterre  bekannt  war.  Der  Tod 
dieses  ausgezeichneten  Vaters  eröffnete  Mlle  d'Hervieux  ein 
ziemlich  beträchtliches  Erbe,  das  jedoch  von  der  berühmten 
Äbtissin  H-v-a  angefochten  wurde,  die  es  ihrerseits  reklamierte, 
da  sie  behauptete,  daß  unsere  Heldin,  die  übrigens  schon  selbst 
reich  genug  sei,  dank  ihrer  illegitimen  Geburt  kein  Recht  darauf 
habe.  Dieser  Prozeß  hätte  einen  Skandal  veranlassen  können,  der 
dem  Ruf  beider  Damen  geschadet  hätte.  Gemeinsame  Freunde 
bemühten  sich  um  Kompromisse  und  stellten  einen  Ausgleich 
her,  der  diese  Sache  auf  immer  erledigte. 


172  Die  Chronique  Aretine 

MADEMOISELLE  JOLY 

Dann: 

MADEMOISELLE  DEVILLE 

Jetzt: 

COMTESSE  DE  FERRARI 

Das  Alter  und  die  zahlreichen  Wanderungen  dieser  Demoi- 
selle  haben  die  eingezogenen  Erkundigungen  nach  ihrem  Ur- 
sprung ergebnislos  gemacht.  Doch  dehnt  sich  dieses  Dunkel,  das 
unseren  Lesern,  die  es  leicht  ausfüllen  können,  wenig  bedeutet, 
nicht  auf  die  Handlungen  aus,  die  ein  dreißigjähriger  Dienst 
im  Korps  Cytheres  illustriert  hat,  das  diese  Kurtisane  soeben 
verließ,  um  sich  mit  Leib  und  Seele  der  Religion  in  die  Arme 
zu  werfen.  Nachdem  sie  ihre  Gunstbezeigungen  zwanzig  Jahre 
lang  in  der  Hauptstadt  ausgeteilt  hat,  gedachte  Madame  De- 
ville,  da  sie  den  Ort  unmöglich  fand,  zu  versuchen,  ob  fremde 
Länder  ihr  günstiger  sein  würden.  Ein  Unterhändler,  der  sie 
mit  einigem  Erfolg  in  Paris  erstanden  hatte,  setzte  es  sich  in 
den  Kopf,  sie  dem  Erbprinzen  eines  Staates  vorzustellen,  dessen 
Großartigkeit  auf  den  Verdiensten  seiner  Souveräne  aufgebaut 
ist ;  dieser  respektable  Agent  ist  der  Herr  de  Croisil,  der  Gatte 
einer  berühmten  Virtuosin  des  Haupttheaters  der  Capitale. 
Dieser  Mann,  der  alle  Metiers  versucht  hatte,  spielte  in  Berlin 
die  Kammerdienerrollen  in  dem  minderwertigen  Komödien- 
theater dieser  Stadt.  Diese  traurige  Beschäftigung  versorgte 
ihn  kaum  mit  Brot;  doch  das  Auftauchen  der  Dame  Deville 
ließ  Ideen  in  ihm  erstehen,  die  er  realisierte,  und  die  schließlich 
dem  Glück  ein  gnädiges  Lächeln  ablockten.  Der  erlauchte  Pro- 
tektor schickte  ihn,  um  sich  eines  solchen  Zeugen  seiner  Schwä- 
chen zu  entledigen,  nach  Frankreich  zurück  und  empfahl  ihn  so 
günstig,  daß  dieser  Ex-Pasquin  mit  einer  Infanteriekompagnie 
im  Auslande  bedacht  wurde. 


Die  Chronique  Aretine  173 

Was  Madame  Deville  anbetrifft,  so  hat  die  Vorsehung  ihr 
einen  jener  Zerknirschungsmomente  geschenkt,  den  sie  nur  Aus- 
erwählten beschert.  Von  ihren  Irrwegen  zurückgekehrt,  hat  diese 
Dame  eine  exemplarische  Buße  tun  wollen:  die  Heirat  schien 
ihren  Ideen  von  Abstinenz  und  Demütigung  zu  entsprechen, 
deren  Gnade  ihre  Phantasie  erfüllte;  sie  ist  glücklich  genug  ge- 
wesen, einem  Mann  zu  begegnen,  der,  von  den  edlen  Ent- 
schlüssen dieser  Schönen  durchdrungen,  an  diesem  guten  Werk 
hat  teilhaftig  werden  wollen,  indem  er  die  teuere  Büßerin  mit 
seinem  Namen  auszeichnete. 

Man  versichert,  daß  dies  tugendsame  Paar  momentan  zur  Er- 
bauung der  ganzen  Stadt  beiträgt. 

MADEMOISELLE  COULON 

Diese  Nymphe,  eine  natürliche  und  adoptierte  Tochter  Ter- 
psichores,  verdankt  ihre  Geburt  einem  kleinen  Tanzmeister  der 
Rue  Mazarine.  Ihre  Mutter,  eine  ehrbare  Frau,  gab  ihr  eine 
ziemlich  gute  Erziehung,  doch  zwang  sie  das  Elend,  mit  den 
knospenden  Reizen  ihrer  Tochter  zu  spekulieren,  um  ihre  Lage 
zu  erleichtern.  Mademoiselle  Coulon  debütierte  einigermaßen  er- 
folgreich im  Ballett  der  Oper ;  dort  hatte  sie  das  Glück  von  dem 
verstorbenen  Fürsten  de  S-b-e,  einem  geschmackssicheren  Herrn, 
bemerkt  zu  werden,  der  nun  für  ihre  materiellen  Ausgaben  Sorge 
trug;  wenig  später  eroberte  sich  Mademoiselle  derartig  diesen 
sechzigjährigen  Liebhaber,  daß  er  ihr  eine  große  Pension  aus- 
setzte und  sie  zur  Lieblingssultanin  erwählte. 

Soviel  Wohlfahrt  vermochte  sie  nicht  hochmütig  zu  machen 
und  verhinderte  sie  nicht,  sich  recht  menschlich  mit  dem  Herrn 
Dugazon  zu  zeigen,  der  von  ihr  für  ein  Lächeln  erhielt,  was  sie 
bis  dahin  nur  den  Lieblingen  Plutus'  gewährt  hatte. 

Mademoiselle  Coulon  attachierte  sich  aufrichtig  diesem  Lieb- 
haber im  zweiten  Grade,  jedoch  hatte  der  Herr  Dugazon  das 


174  ^e  Ghronique  Aretine 


Unglück,  in  einen  Dornenstrauch  zu  fallen,  als  er  eine  Rose  zu 
pflücken  gedachte,  und  war  zartfühlend  genug,  dies  nicht  Mlle 
Coulon  übermitteln  zu  wollen,  und  ihr  tränenden  Auges  seine 
Schuld  zu  beichten.  Die  irritierte  Geliebte  beschloß  augenblick- 
lich, sich  an  dem  Ungetreuen  zu  rächen,  dessen  Reue  selber  da- 
zu benutzt  werden  konnte. 

Bei  einer  Frau  bedeutet  Entschluß  und  Ausführung  ein  und 
dasselbe.  Ein  Diner  im  Bois  de  Boulogne,  das  von  mehreren 
ihrer  Kameradinnen  vorgeschlagen  und  von  Mlle  Coulon  akzep- 
tiert wurde,  diente  den  Plänen  dieses  Fräuleins,  die  es  unter- 
haltend fand,  sich  auf  dem  Rasen  des  Bois  de  Boulogne  an  dem 
Herrn  Dugazon  zu  rächen.  Mlle  Coulon  wählte  den  Herrn 
Gardel  zum  Verbündeten,  um  ihre  Rache  auszuführen;  die 
interessante  Kraft  dieses  Tänzers  gefiel  ihr  unendlich,  und  sie 
dachte  sich  Mittel  und  Wege  aus,  sich  beide  zu  erhalten,  den 
einen  zum  Amüsement,  den  anderen  für  eine  solidere  Beschäf- 
tigung. 

Als  sie  gelegentlich  gegen  diese  beiden  Liebhaber  verstimmt 
war,  hatte  sie,  um  ihre  Laune  zu  vertreiben,  Begehr  nach  dem 
Herrn  Niv-n,  der  sich  gerade  mit  Mlle  L-f-d  die  Zeit  vertrieb. 
Diese  letzte,  von  Natur  wenig  eifersüchtig,  konnte  die  Wünsche 
ihrer  Freundin  nicht  refüsieren,  doch  verlangte  sie  auch  ihren 
Anteil  an  diesem  Abenteuer.  Um  diese  beiden  Damen  zu  be- 
friedigen, schlief  der  Sieur  Ni-v-n  zwischen  den  beiden  bei  Mlle 
d'H-v-x. 

Nach  diesem  Abenteuer  attachierte  sich  Mlle  Coulon  ernst- 
lich dem  Herrn  Gardel,  und  die  Liebe,  die  sie  zu  diesem  Tänzer 
ergriff,  ließ  sie  heroische  Taten  begehen.  Sie  verweigerte  ihrem 
Wohltäter  jegliche  Gunstbezeigung,  der  sie,  erzürnt,  ein-  für 
allemal  verließ.  Als  damit  die  Pension  aufhörte,  verkaufte  Mlle 
Coulon,  der  es  unmöglich  war,  irgend  jemanden  zu  erhören, 
nach  und  nach  alles ,  was  von  der  freigebigen  Hand  des  Fürsten 
herrührte.  Von  Herrn  Gardel  vernachlässigt,  der  nie  eine  be- 


Die  Chronique  Aretine  \nc 


sonders  heftige  Vorliebe  für  sie  empfunden  hatte,  und  in  größte 
Armut  geraten,  fand  sie  sich  plötzlich  mit  der  Last  zweier 
Kinder,  viel  Liebe,  gar  keinem  Geld  und  noch  weniger  Kredit. 
Von  den  Eifersuchtsausbrüchen  dieser  modernen  Juno  verfolgt, 
gelang  es  dem  Herrn  Gardel,  sie  zur  Annahme  eines  Engage- 
ments in  London  zu  bewegen. 

Mlle  Coulon  reiste,  Verzweiflung  im  Herzen,  nach  England 
ab.  Doch  wirkte  die  Zeit,  diese  trostreiche  Göttin,  ihre  ge- 
wohnten Wunder.  Mlle  Coulon  wurde  ein  wenig  ruhiger;  dann 
fand  sie  sich  ganz  allmählich  so  weit  getröstet,  daß  sie  das 
Taschentuch  aufhob,  das  der  voraussichtliche  Thronfolger  des 
britischen  Reiches  ihr  hingeworfen  hatte. 

Als  sie  aus  England  zurückgekehrt  war,  wünschte  Mlle  Cou- 
lon nicht,  daß  man  ihr  mangelnde  Rücksichtnahme  für  irgend- 
einen ihrer  Kameraden  vorwerfe.  Man  ersieht  aus  den  soeben 
gegebenen  Einzelheiten,  daß  sie  nacheinander  die  Herren  Niv-n 
und  Gardel  gehabt  hatte.  Der  Herr  Vestris  hatte  durch  eine 
Verkettung  von  Umständen  noch  nicht  die  Liste  unserer  Nym- 
phe mit  seinem  Namen  bereichert.  Um  das  Equilibrium  wieder- 
herzustellen, das  eine  solche  Unterlassungssünde  zerstört  hätte, 
hat  sich  Mlle  Coulon  für  einige  Zeit  dem  berühmten  Sohn  des 
Gottes  der  Tanzkunst  gewährt,  und  zur  Zeit,  da  wir  unseren 
Artikel  vollenden,  hören  wir,  daß  Mlle  Coulon  vom  Exbankier 
Chevalier  Lamb.,  dem  wir  alles  erdenkliche  Glück  wünschen, 
hart  bedrängt  wird. 

MADEMOISELLE  CONTAT 

Wir  haben  lange  mit  der  Entscheidung  gezögert,  ob  wir  den 
Artikel  dieser  Demoiselle  schreiben  sollten,  die  uns  durth  ihre 
Eleganz,  ihren  Luxus,  den  Platz,  den  sie  sich  in  der  Gesellschaft 
ihrer  Kameradinnen  erworben  hat,  verdient  zu  haben  scheint, 
einer  besonderen  Kaste  eingereiht  zu  werden. 


176  Die  Chronique  Aretine 

Wer  vermöchte  auch  in  dieser  modernen  Aspasia  die  Tochter 
einer  armen  Fischhändlerin  aus  den  Hallen  zu  erkennen  ?  Diese 
Wahrheit  muß  aber  den  anderen  Ereignissen  beigefügt  werden, 
deren  Wahrheit  sonst  eine  Unmöglichkeit  scheint. 

Eine  bessersituierte  Tante  übernahm  die  Erziehung  einer 
Nichte,  der  die  schmeichelhaftesten  Gaben  zu  schenken,  der 
Natur  gefallen  hatte. 

Sie  debütierte  im  Theätre  Francais  in  Konkurrenz  mit  Mlle 
Vade;  die  überlegeneren  Talente  dieser  letzten  vermochten  nicht, 
den  überwiegenden  Einfluß  des  Direktors  Desentelles  zu  besiegen, 
der  Mlle  Contat  engagieren  ließ,  die  seitdem  nicht  aufgehört  hat, 
ihrem  Wohltäter  alle  Beweise  ihrer  Dankbarkeit  zu  liefern.  Das 
Publikum,  das  bis  dahin  nicht  aufgefordert  worden  war,  sich 
gegen  Herrn  Desentelles  zu  äußern,  rächte  Mlle  Vade,  deren 
Verdienste  von  den  allmächtigen  Reizen  ihrer  glücklichen  Ri- 
valin verdrängt  wurden,  durch  Pfeifen. 

M.  de  M-p-n  attachierte  sich  darauf  Mlle  Contat,  deren  Joch 
er  so  lange  trug,  bis  sein  Vermögen  erschöpft  und  sie  gezwungen 
waren,  sich  zu  trennen.  Die  ersten  Ehren  der  Mutterschaft  dankt 
sie  diesem  Geliebten,  doch  sollte  sie  diese  Erfahrung  teuer  zu 
stehen  kommen;  bei  allen  späteren  Entbindungen  ist  Mlle  Con- 
tat Unglücksfällen  ausgesetzt  gewesen,  obschon  sie  alle  Vorsichts- 
maßregeln traf,  dem  Unheil  zu  begegnen,  kaum,  daß  es  sich  ge- 
zeigt hatte. 

Unter  der  Regierung  des  Herrn  de  M-p-u  gab  eine  Schau- 
spielerintrige ihm  einen  Amtsgehilfen;  der  Herr  Fleury  hatte, 
von  den  Reizen  Mlle  Luzys  entzückt,  ihr  von  Ehe  gesprochen. 
Die  über  einen  derartigen  Skandal  entsetzten  Schauspielerinnen 
trafen  zusammen,  hielten  Rat  und  es  wurde  beschlossen,  daß  sich 
eine  Deputation  des  erhabenen  Areopags  zu  Mlle  Contat  begeben 
und  sie  anflehen  sollte,  sich  einer  ähnlichen  Indezenz  zu  wider- 
setzen. Von  der  von  ihren  Rivalinnen  bezeigten  Huldigung  der 
Überlegenheit  ihrer  Reize  geschmeichelt,  begann  Mlle  Contat 


Die  Cbronique  Aretine  177 

kleine  Vorstöße.  Doch  ergab  sich  der  Herr  Fleury  erst,  nachdem 
ihm  eine  Entschädigung  für  sein  Opfer  zugesichert  war. 

Leider  fing  sich  Mlle  Contat  selbst  in  der  Falle,  die  sie  einer 
anderen  gestellt  zu  haben  meinte :  die  ein  wenig  allzu  energischen 
Abzeichen,  die  des  Herr  Fleurys  Leidenschaft  hinterließ,  ernüch- 
terten sie  bald  über  die  Liebe  „ä  la  Russe". 

Doch  verfehlte  der  Marquis  S.  B-c-d  nicht,  sie  die  soeben  ge- 
trockneten Tränen  vergessen  zu  machen ;  dieser  unsicheren  Ruhe 
folgte  bald  hellster  Glanz;  ein  Göttersohn  hatte  geruht,  einen 
gütigen  Blick  auf  diese  Schülerin  Thaliens  zu  werfen.  Der  Mar- 
quis, der  sich  respektvoll  zurückgezogen  hatte,  seufzte  über  das 
Unglück,  einen  Rivalen  zu  haben.  Von  glänzendsten  Hoffnungen 
gewiegt,  glaubte  Mlle  Contat  alles  wagen  zu  können,  um  ihr 
Glück  zu  sichern  und  sich  vor  den  Folgen  der  Flatterhaftigkeit  des 
erhabenen  und  leichtherzigen  Liebhabers  zu  bewahren,  den  sie 
nicht  hoffen  durfte,  lange  zu  fesseln,  denn  in  ihrem  Schöße  trug 
sie  unzweideutige  Beweise  von  der  Liebe  des  Marquis.  Vom 
Wunsche  hingerissen,  diesem  teuren  Embryo  eine  glänzende  Zu- 
kunft zu  sichern,  dessen  Finanzverwaltung  sie  übernehmen  würde, 
huldigte  sie  mit  dieser  Vaterschaft  dem  Halbgott,  der,  vom 
Zauber  geheilt,  der  seine  Augen  verblendete,  grausam  genug 
war,  diese  Ehre  zurückzuweisen. 

Um  ihren  Kummer  zu  zerstreuen,  machte  Mlle  Contat  eine 
mehrtägige  Reise  nach  Rouen. 

Kurze  Zeit  vor  dieser  Reise  hatte  sie  auf  Bällen  den  Herrn 
Nivelon,  für  den  sie  ein  sehr  zärtliches  Interesse  empfunden 
hatte,  ausgezeichnet;  doch  war  es  nicht  möglich,  diese  Neigung 
in  Paris  zu  befriedigen,  wo  zu  viel  Aufpasser  offene  Augen  für 
sie  hatten.  Die  Fahrt  nach  Rouen  zog  sie  aus  der  Verlegenheit. 

Der  Herr  Nivelon,  der  benachrichtigt  wurde,  fuhr  am  Abend 
vor  Mlle  Contats  Abreise  nach  Rouen;  tagelang  blieb  er  im 
Hotel  Vatel  und  verließ  sein  Zimmer  nur,  um  sich  in  das  seiner 
zärtlichen  Liebsten  zu  begeben,  in  das  er  jeden  Abend,  nachdem 


178  Die  Chronique  Aretine 

alles  sich  zur  Ruhe  begeben  hatte,  von  ihrer  Mutter  eingelassen 
wurde. 

Ein  vergnügliches  Renkontre  hätte  beinahe  dem  Marquis, 
der  von  zärtlichster  Ungeduld  gequält,  Mlle  Contat  sogar 
bis  Saint-Denis  gefolgt  war,  dies  verliebte  Geheimnis  entdeckt. 
Er  fuhr  sie  in  seinem  Wagen  zurück,  als  Herr  Nivelon,  der  in 
ganz  geringer  Entfernung  folgte,  sich  mit  dem  Kabriolett  des 
Marquis  verhakte  und  es  beinahe  zertrümmerte.  Die  trefflichen 
Pferde  und  der  außerordentlich  leichte  Wagen  bewahrten  Mlle 
Contat  vor  der  Unannehmlichkeit,  in  flagranti  vom  Marquis  er- 
tappt zu  werden,  der  gezwungen  war,  sich  mit  einfachen  Dro- 
hungen gegen  den  unglücklichen  Postillon  zu  ergehen,  der  ge- 
wagt hatte,  fast  sein  Kabriolett  zu  zerstören. 

Mlle  Contat  hatte  Mme  B-d  den  Marquis  de  Saint  B-d  ge- 
raubt, was  diese  ihr  niemals  verziehen  hat ;  Mlle  Carline  rächte 
eben  diese,  indem  sie  sich  Herrn  Nivelon  aneignete. 

Seinerseits  ernüchtert,  zog  sich  der  Marquis  zurück  und  ließ 
sich  durch  den  Obersten  Saint  L-g-r  vertreten,  dessen  Nach- 
folger kurz  darauf  der  Graf  de  Laudron  wurde,  dessen  selt- 
sames Abenteuer  alle  ehrbaren  Leute  heftig  skandalisiert  hat, 
die  den  Scherz  in  dem  blutigen  Spaß  nicht  haben  finden  wollen, 
mit  dem  dieser  Fremde  die  besonderen  Liebenswürdigkeiten, 
mit  denen  Mlle  Contal  ihn  überhäuft  hatte,  vergalt. 

Doch  dies  kleine  Vorkommnis  ist  jetzt  in  tiefstem  Vergessen 
begraben,  und  Mlle  Raucourts  uneigennütziges  und  großmüti- 
ges Vorgehen  hat  die  Leere,  die  der  wenig  ehrliche  Graf  ver- 
anlaßte,  zum  großen  Teil  ausgefüllt. 

Jedermann  weiß,  daß  Mlle  Raucourt,  deren  zarte  Neigungen 
bekannt  sind,  Mlle  Contat  60  000  Livres  als  geringes  Zeichen 
ihrer  Freundschaft  überwies.  Sie  forderte  als  Entschädigung 
nichts,  als  einige  gewisse  kleine  Liebesdienste,  die  ihr  mit  größter 
Nachgiebigkeit  erwiesen  worden  sind;  doch  hat  das  Erscheinen 
des  Grafen  de  N-t-ne  diesem  Handel  ein  Ende  gesetzt. 


Die  Chronique  Aretine  179 


Seitdem  hat  Mlle  Contat  mit  diesem  Herrn  das  erbaulichste 
Dasein  geführt.  Um  die  Langeweile  zu  beleben,  die  sie  befallen 
würde,  wenn  ihr  Liebhaber  genötigt  ist,  sich  zu  seinem  Regiment 
zurückzubegeben,  hat  Mlle  Contat  ganz  Frankreich  und  Eng- 
land bereist. 

Sie  hat  zwei  Kinder  von  Herrn  von  N-b-ne,  die  Ergebnisse 
unglückseliger  Entbindungen,  die  sie  mehr  denn  einmal  an  den 
Rand  des  Grabes  gebracht  haben. 

Wir  wollen  von  den  Talenten  dieser  berühmten  Schauspiele- 
rin nicht  sprechen.  Die  Armut  des  Theätre  Francais  hat  ihr  zu 
den  höchsten  Stellungen  verholfen,  von  wo  auch  die  ausgespro- 
chensten Verdienste  anderer  sie  nicht  zu  vertreiben  vermöch- 
ten. Eine  jüngere  Schwester,  die  sie  erzogen  hat,  partizipiert  von 
der  Gunst  ihrer  Schwester,  die  ihr,  den  Kollegen  zum  Trotz, 
recht  unverdiente  Vorteile  verschafft  hat.32 


MADAME  FURCY 

Mit  Bedauern  sehen  wir  uns  gezwungen,  diesen  Namen  un- 
serem Kataloge  einzuverleiben,  in  dem  er  sich,  von  verschiedenen 
Gesichtspunkten  aus,  falsch  am  Platze  befindet;  wenn  aber  auch 
Madame  Furcys  erste  Lebensjahre  unbedingt  diesem  Kataloge 
zugehören,  so  müssen  wir  doch  die  Verirrungen,  die  wir  ihr  vor- 
werfen müssen,  ihrer  großen  Jugend  und  hauptsächlich  den  Ver- 
führungen anrechnen. 

Diese  im  Faubourg  Saint-Antoine  geborene  Dame  debütierte 
sehr  jung  in  der  Welt  und  ihr  Glück  war  in  den  Jahren  gemacht, 
in  denen  manch  anderes  Fräulein  erst  mit  dem  ihren  beginnt. 
Diesen  kostbaren  Vorteil,  der  so  oft  andere  Seitensprünge  ver- 
hindert, verdankte  sie  dem  Zartgefühl  ihres  Benehmens,  das  sie 
Personen  gegenüber  bewies,  die  sich  ihr  attachierten,  die  sie  dann 
zu  treuen  Freunden  machte  und  die  ihr  eine  Anhänglichkeit  und 
eine  Rücksichtnahme  bewahrten,  wie  sie  keine  andere  vor  ihr 


180  Die  Chronique  Aretine 


verdient  hat  noch  verdienen  wird.  Unsere  Feder,  die  zu  lange 
von  schlimmen  Details  des  Lasters  unserer  modernen  Hübsch- 
lerinnen  beschmutzt  worden  ist,  wird  sich  mit  Vergnügen  bei  den 
köstlichen  Eigenschaften  dieser  hübschen  Frau  ausruhen  und 
verbreiten,  der  sich  alle  attachierten,  die  das  Vergnügen  gehabt 
haben,  sie  zu  kennen.  Dies  ist  eine  geringe  Genugtuung,  die  wir 
ihr  als  Entgelt  für  den  Schmerz  schulden,  den  sie  empfinden 
könnte,  wenn  sie  ihren  Namen  neben  denen  berühmter  Kurti- 
sanen, denen  sie  als  Beispiel  dienen  könnte,  vorfindet.  Beglückt 
wären  wir,  wenn  wir  letzteren  das  Gefühl  des  Ekels  mitteilen 
könnten,  das  der  Exzeß  ihrer  Verderbtheit  anständigen  Menschen 
einflößt,  und  sie  zu  ehrbaren  und  keuschen  Prinzipien  zurück- 
zuführen vermöchten,  die  sie,  scheint  es,  völlig  vergessen  haben. 

Jung,  schön,  liebenswürdig,  eint  Madame  Furcy  mit  ausge- 
zeichneten Gaben  der  Natur  einen  ausgeglichenen  Charakter, 
einen  Geist,  der  mit  all  den  Eigenschaften  geschmückt  war,  die 
wenige  besitzen  und  die  sie  das  Glück  hatte,  alle  in  sich  zu  ver- 
einigen. Niemals  näherte  sich  ihr  ein  Mann,  ohne  ihr  sogleich 
zu  huldigen. 

Von  ihren  Geschlechtsgenossinnen  wenig  geliebt,  deren  Eifer- 
sucht das  harmloseste  ihrer  Verdienste  bildet,  hat  sie  wenig 
Freundinnen,  und  trotz  des  schlechten  Verhaltens,  das  ihr  einige 
Fräuleins,  die  sie  schwach  genug  war,  bei  sich  zu  empfangen,  er- 
zeigt haben,  hat  sie  es  nicht  vermeiden  können,  sich  von  der  ge- 
fährlichsten von  ihnen  allen  unterjochen  zu  lassen,  deren  Cha- 
rakter sie  jedoch  anfängt  zu  erkennen,  seit  ein  grausamer  Unfall 
sie  beinahe  ihren  Freunden  entrissen  hat,  kaum,  daß  sie  sich  der 
Gefahr,  der  sie  entronnen,  bewußt  war. 

Den  Kreisen  ehrbarer  Frauen,  denen  sie  immer  hätte  ange- 
hören sollen,  zurückgegeben,  führt  Mme  Furcy  seit  fünf  Jahren 
das  geachtetste  Dasein;  sie  beschäftigt  sich  lediglich  damit,  den 
liebenswerten  Mann,  dem  ihr  Herz  gehört,  glücklich  zu  machen. 
Zwei  reizende  kleine  Mädchen  haben  diesen  Bund  auf  immer 


Die  Chronique  Aretine  181 

unlöslich  gemacht ;  vergebens  hat  Intrige  versucht,  dieses  glück- 
liche Heim  mit  Wolken  zu  umziehen. 

Ungeheuere  Anerbietungen,  denen  gewisse  berühmte  Schön- 
heiten nicht  zu  widerstehen  vermocht  hätten,  sind  ihr  umsonst 
gemacht  worden ;  in  ihrer  Anhänglichkeit  und  ihren  Entschlüssen 
unbeugsam,  hat  Mme  Furcy  bewiesen,  wie  zartfühlend  ihr  Herz 
ist.  Es  bleibt  uns  also  nur,  um  diesen  Artikel  zu  beenden,  ihr  all  das 
Glück,  das  sie  verdient,  zu  wünschen,  und  sie,  vergebens,  all  denen 
als  Muster  zu  bieten,  die  es  ihr  um  so  weniger  jemals  gleichtun 
werden,  als  sie  ihr  weder  an  Körper  noch  an  Geist  ähnlich  sind. 

VICOMTESSE  DE  LINlERES 

Aus  Schweizer  Boden  ist  diese  berühmte  Vicomtesse  entspros- 
sen, deren  an  Glücksgütern  wenig  gesegnete  Familie  kaum  das 
glänzende  Schicksal  geahnt  hat,  das  ihr  in  den  Schoß  fallen  würde. 
Niemand  ist  Prophet  in  seinem  eigenen  Lande:  so  trivial  dies 
Sprichwort  erscheint,  so  ist  es  doch  von  den  Abenteuern  der 
Madame  de  Linieres  vollauf  bestätigt  worden,  die,  als  Tochter 
eines  Viehhändlers,  sich  momentan  in  Frankreich  eines  Schick- 
sals erfreut,  das,  wenn  es  auch  besser  scheint  als  das,  zu  dem  sie 
eigentlich  unter  den  ländlichen,  aber  tugendhaften  Mitbürgern 
berufen  gewesen,  dennoch  weniger  glücklich  ist. 

Auf  irgendeine  unsichere  Art  nach  San  Domingo  verpflanzt, 
schienen  Mlle  Pingons  Anfänge  keine  glänzenden  Versprechungen 
zu  machen.  Fortuna  entschied  aber  anders ;  bei  dieser  Art  Auf- 
stieg sind  die  ersten  Sprossen  immer  in  diskretes  Dunkel  gehüllt. 
Immerhin  fängt  man  an,  authentische  Einzelheiten  seit  jener 
Epoche  zu  vereinigen,  in  der  Mlle  Pingon  Eigentümerin  der  be- 
deutendsten Billardsäle  von  Port-au-Prince  wurde,  eines  Billard- 
salons, dem  die  Schönheit,  das  liebenswürdige  Entgegenkommen 
der  Besitzerin  und  häuptsächlich  die  „Crabs"  viel  Kunden  ver- 
schafften. Um  dies  kaum  gegründete  Unternehmen  zu  festigen, 


i82  Die  Chronique  Aretine 

vereinigte  sie  sich  mit  der  Negerin  Ysabeau,  deren  Glück,  Toll- 
heiten und  Ruf  bekannt  sind;  eine  Zeitlang  bildete  MmePingon 
das  Entzücken  der  Kolonien.  Der  Krieg,  dessen  riesiger  Schau- 
platz damals  Amerika  war,  verschaffte  ihr  unzählige  Liaisons 
und  Bekanntschaften;  zu  ihrem  Lobe  sei  erwähnt,  daß  sie  immer 
zartfühlend  genug  war,  keine  Unterschiede  zwischen  Land-  und 
Seeoffizieren  zu  machen.  Mit  gleichem  Wohlwollen  empfing  sie 
die  ihr  gebotenen  Huldigungen,  ohne  sich  einer  Parteilichkeit 
hinzugeben,  die  ihrem  Rufe,  den  sie  immer  vernünftig  genug  als 
ihr  Hauptinteresse  betrachtete,  geschadet  hätte. 

Ein  Offizier  aus  Enghien  teilte  mit  ihr  die  an  den  vom  Schick- 
sal grausam  verfolgten  Spaniern  zu  Domingo  gemachte  Beute, 
denen  ihre  Hinterlist  nicht  zum  Sieg  über  ihre  freimütigen  und 
edlen  Gegner  verholfen  hatte. 

Nach  dieser  Liaison  geschah  es,  daß  die  Sachlage  sich  änderte: 
den  flüchtigen  Leidenschaften,  die  sie  so  oft  und  so  abwechse- 
lungsreich verfolgt  hatten,  folgte  der  Ehrgeiz  im  Herzen  Mlle 
Pingons. 

Der  Chevalier  de  Linieres,  ein  unverbesserlicher,  zurzeit  mit- 
telloser Spieler,  schlug  Mlle  Pingon  eine  Vereinigung  vor,  deren 
Ehren  sie  und  deren  Profit  er  genießen  sollte.  Und  nach  ihrer 
Zusage  hätte  die  neue  Vicomtesse  mit  ansehen  dürfen,  wie  dies 
mit  so  viel  Mühe  und  Beschwerlichkeit  angehäufte  Vermögen 
in  kürzestei  Zeit  vergeudet  worden  wäre,  hätte  nicht  der  Tod 
ein  Hindernis  gesetzt,  indem  er  sich  ganz  zu  rechter  Zeit  eines 
Gatten  bemächtigte,  der  tatsächlich  nun  zu  nichts  mehr  taugte; 
man  hatte  alles,  was  man  wünschen  konnte,  von  ihm  gehabt. 
Daß  er,  wie  die  Dinge  lagen,  so  zur  rechten  Zeit  starb,  war  eine 
Handlung,  die  man  ihm  hoch  anrechnen  konnte.  Ein  längerer 
Aufenthalt  in  San  Domingo  wurde  unnütz,  fast  schädlich;  die 
Metamorphosen,  die  sich  vollzogen  hatten,  waren  keineswegs 
mit  schmeichelhaftem  Interesse  verfolgt  worden.  Paris  schien 
also  ein  geeigneterer  Ort,  und  Mme  de  Linieres  hat  diese  Wahl 


Die  Chronique  Aretine  183 

nicht  zu  bedauern  gehabt.  Neue  Freuden  ersetzten  die  bürger- 
lichen Intrigen,  die  in  einer  anderen  Hemisphäre  die  Blüte  dieser 
Schönheit  aufgezehrt  hatten  und  deren  Herbst  nun  für  einige 
Zeit  das  Entzücken  der  Höchststehenden  in  Paris  bildete. 

Mme  de  Linieres  hat  das  seltene  und  kostbare  Glück  genossen, 
sich  Freunde  zu  bewahren.  Ein  Minister,  dessen  Departe- 
ment sie  besonders  interessierte,  hat  dieser  Dame,  seiner  Schwe- 
ster, seiner  Freundin,  die  zärtlichste  Anhänglichkeit  bewiesen; 
eine  zweifellos  ehrbare  Industrie  hat  es  dieser  Dame  ermöglicht, 
bei  sich  eine  Gesellschaft  Freunde  zu  versammeln,  die  gegen 
Entrichtung  einer  Abgabe,  die  kaum  von  den  Beteiligten  gefühlt 
ward,  ein  ausgezeichnetes  Souper  bei  ihr  finden,  dessen  Ehren 
dem  Herrn  Roque,  einem  Wechselagenten,  der  schon  lange  im 
Amt  ist,  zukommen.  Eine  gewisse  parlamentarische  Schikane  hat 
dies  ingeniöse  Etablissement  bedroht,  doch  hat  man  sich,  dem 
Himmel  sei  Dank,  zu  helfen  gewußt,  und  die  Komtesse  hat  sich 
nichts  vergeben. 

Wir  würden  dem  Publikum  großes  Unrecht  tun,  wollten  wir 
vernachlässigen,  den  beiden  charmanten  Gefährtinnen  der  Vi- 
comtesse  die  gebührende  Ehre  zu  erweisen.  Ihre  Tochter  und 
ihre  Schwester  verschönen  den  zahlreichen  Hofstaat,  den  diese 
liebenswürdige  Witwe  um  sich  versammelt.  Ihre  Tochter,  die 
einer  im  Aufbrechen  begriffenen  Rose  gleicht,  und  die  von  einem 
Schwärm  von  Schmetterlingen  begehrt  wird,  ist  hintereinander 
auf  die  verschiedenste  Art  und  zu  recht  verschiedenen  Zwecken 
angegriffen  und  entführt  worden;  es  genügt,  den  Marquis  de 
G-l-s  und  Madame  de  Fl-r-y  zu  nennen,  um  in  wenig  Worten 
von  den  Debüts  und  Neigungen  dieser  jungen  Schönheit  zu 
berichten. 

Was  die  Schwester  der  Vicomtesse  anbetrifft,  so  ist  dies  eines 
jener  fremdartigen,  chiffonierten  Wesen,  die  niemandem  glei- 
chen und  die  die  Männer  närrisch  machen.  Ein  Herzog,  der  durch 
seine  süperbe  Nachkommenschaft  bekannt  ist,  hat  sich  ihr  eine 


184  Die  Chronique  Aretine 


Zeitlang  attachiert;  Graf  de  B-c-r  ist  momentan  ihr  General- 
pächter. 

Mau  würde  in  hohem  Maße  einen  Kaufmann,  der  nicht  weit 
vom  Palais  Royal  wohnt,  verdächtigen,  der  Herzensfreund  der 
liebenswürdigen  Vicomtesse  zu  sein,  vermutete  man  nicht  ziem- 
lich stark,  daß  dieser  kühne  Sterbliche  nicht  gleichzeitig  der 
wichtigste  Mann  dieser  reizenden  Dreieinigkeit  sei. 

Mit  einem  Wort,  die  Note,  die  wir  geben,  ist  vielmehr  ein 
Lob  als  eine  Zensur,  und  mit  Vergnügen  huldigen  wir  den  mora- 
lischen Qualitäten,  dem  Charme  und  dem  Geist  Mme  de  Li- 
nieres,  deren  Liebenswürdigkeit  ihr  ebensoviel  Freunde  geben 
wird,  als  sich  gemachte  Männer  in  ihrem  Kreise  finden.  Was 
die  jungen  Leute  und  die  neu  Ausgeschifften  anbetrifft,  so  ist 
das  allerdings  eine  andere  Sache. 

MESDEMOISELLES  VICTOIRE  UND  ADELAIDE 

SIMON 

Diese  beiden  liebenswürdigen  Schwestern,  die  heftig  verdäch- 
tigt werden,  ihre  Geburt  einem  erlauchten  Vater  zu  verdanken, 
haben  den  kostbaren  Vorteil  genossen,  vom  verstorbenen  Prinzen 
von  Soubise  erzogen  und  gebildet  worden  zu  sein,  dessen  be- 
kannter wählerischer  Geschmack  zu  ihrem  Lobe  gereicht. 

Der  Tod  des  prächtigen  Beschützers  nötigte  die  Demoisellen, 
Sorge  zu  tragen,  daß  dem  Verblichenen  Nachfolger  gegeben 
würden,  aber  weder  deren  Freigebigkeit  noch  deren  Mittel  ver- 
mochten sie  über  einen  so  folgenreichen  Verlust  zu  trösten.  Auch 
die  Ehren,  ebensowenig  die  subalternen  Einkünfte  der  Oper  oder 
die  glücklichen  Begegnungen  im  Foyer  haben  den  beiden 
Schwestern  etwas  Nennenswertes  verschafft,  obschon  ihre  Jugend 
und  Grazie  ein  besseres  Schicksal  verdienten. 

Die  älteste  wurde,  da  die  Situation  es  gebot,  gezwungen,  sich 
den  zärtlichen  Beteuerungen  des  Chevalier  Lamb.  zu  ergeben; 


Die  Chronique  J  retine  185 

doch  belohnte  sie  den  schmutzigen  Geiz  dieses  Exbankiers  mit 
absolutem  Abschied,  über  den  er  sich,  sagt  man,  schnellstens 
tröstete.  Mademoiselle  gestattete  sich  darauf  eine  Unzahl  von 
Passaden.  Eine  unter  ihnen,  die  glänzendste,  schien  ihr  das  herr- 
lichste Geschick  zu  versprechen.  Der  Halbgott,  der  für  kurze 
Zeit  den  immensen  Abgrund  ebnete,  den  Mademoiselle  Victoire 
niemals  zu  überschreiten  gehofft  hatte,  machte  ihr  i.ur  einige 
Visiten  und  das  Ehrenvolle  errang  den  Sieg  über  den  Gewinn. 
Diese  fürstliche,  wenn  auch  ephemere  Eroberung  brachte  ihr 
tatsächlich  die  Eifersucht  ihrer  Kameradinnen  ein  und  erhöhte 
den  Wert  unsrer  Schönen  in  den  Augen  der  Vulgären.  Vicomte 
de  Langer.,  und  all  die  Elegants  des  Foyers  wünschten  sie  zu 
kennen.  Das  brachte  manche  Annehmlichkeit  mit  sich,  doch 
hatte  man  etwas  Solideres  im  Auge,  und  man  glaubte  dieses 
so  notwendige  Objekt  in  der  Person  des  Comte  de  Galitchof f 
gefunden  zu  haben,  dessen  Debüt  und  Versprechungen  einen 
Moment  die  bestfundiertesten  Hoffnungen  zu  rechtfertigen 
schienen ;  die  Tatsachen  haben  aber  dieser  süßen  Erwartung  nicht 
entsprochen. 

Der  Russe  ist  unter  seinen  eisigen  Himmel  zurückgekehrt, 
und  die  Witwe  rollte  ein  zweites  Mal  in  die  Arme  des  Grafen 
de  Morainville,  mit  dem  sie  schon  vorher  eine  Pachtzeit  ver- 
bracht hatte,  die  aus  Gründen,  die  uns  nicht  bekannt  sind,  auf- 
gelöst wurde.  Diese  Wiederaufnahme  selbst  geschah  nur  infolge 
einer  Spekulation  von  Seiten  des  Grafen,  der  dringend  dazu  einer 
Dame  bedurfte,  die  die  Honneurs  des  Hauses  und  der  Tafel 
machen  mußte,  was  ihm  aus  Gründen,  die  ein  jeder  kennt,  Not- 
wendigkeit war. 

Doch  da  Mlle  Victoire  sich  zu  sehr  geeilt  hat,  ihre  Möbel 
zu  verkaufen,  um  zu  ihrem  spekulativen  Liebhaber  überzusie- 
deln, und  das  Gericht  sich  in  einem  schlechtlaunigen  Moment 
mit  den  Spekulanten  veruneinigt  hatte,  hat  Mlle  Victoire  den 
zweiten  Band   zur  „Laitiere"  geliefert  und  nicht  einmal  den 


186  Die  Cbronique  Aretine 


traurigen  Trost  genossen,  die  Reste  ihres  teueren  Milchtopfes 
zu  retten,  da  der  Graf  sich  ihrer  im  voraus  bedient  hatte. 

Was  die  jüngere  der  beiden  Schwestern,  Mlle  Adelaide,  an- 
betrifft, scheint  es,  daß  sie  bis  jetzt  glücklicher  gewesen  ist  als 
die  ältere.  Nichts  könnte  hübscher  sein  als  dieses  junge  Geschöpf, 
das  größte  Unbesonnenheit  noch  pikanter  macht.  Wir  ignorie- 
ren den  Namen  des  begünstigten  Sterblichen,  der  als  erster  das 
Glück  gehabt  hat,  ihr  die  Augen  zu  öffnen. 

Ein  batavischer  Gesandter  hat  weder  Schritte  noch  Sorgfalt 
gescheut,  um  sich  einen  Vorzug  zu  sichern,  der  ihm  immer  ent- 
schlüpft ist;  die  ersten  Diamanten,  die  diese  Nymphe  geschmückt 
haben,  sind  eklatante  Beweise  von  der  großartigen  Freigebigkeit 
des  Gesandten. 

M.  Dessen«.,  der  die  Schwäche  dieses  jungen  Mädchens  be- 
merkt hatte,  und  der  ihr  die  Unannehmlichkeiten  der  Elemen- 
targrammatikstudien erleichtern  wollte,  ersann,  um  Mlle  Ade- 
laide zu  gefallen,  einen  Entwurf  zu  ein  m  Alphabet  aus  Diaman- 
ten, von  dem  er  ihr  vorläufig  den  ersten  und  kurz  darauf  den 
zweiten  Buchstaben  geschenkt  hatte.  Doch  hielt  er  mitten  im 
Kurse  zu  Mlle  Adelaides  großem  Bedauern  inne,  die,  von  der 
Kälte  ihres  Lehrers  beleidigt,  nun  den  Unterricht  einem  an- 
deren übertrug. 

Im  übrigen  hatte  M.  Dessentt.  sich  gewisse  Dinge  vorzu- 
werfen; er  wußte,  daß  der  Eifer,  mit  dem  er  die  Erziehung 
dieser  jungen  Schülerin  betrieben,  den  Dolch  in  das  Herz  einer 
unendlich  wertvolleren  Person  gestoßen  hatte;  sein  Zartgefühl 
zwang  ihn,  den  Abschied,  mit  dem  man  seine  Sorgfalt  belohnte, 
mit  Resignation  entgegenzunehmen.  Die  chronologische  Folge 
von  Mlle  Adelaides  Liebhabern  hat  uns  zu  einer  recht  seltsamen 
Entdeckung  geführt :  von  ihrer  bizarren  Neigung  zur  Illegitimi- 
tät wollen  wir  sprechen.  Zeuge  davon  ist  der  letzte  Liebhaber, 
von  dem  wir  soeben  unseren  Lesern  sprachen,  und  der  Nach- 
folger, den  sie  ihm  eiligst  gab,  der  Chevalier  de  Lang-c,  über 


Die  Chronique  Aretine  187 

den  sie  zwar  ihre  Meinung  sattsam  geändert  zu  haben  scheint, 
trotz  des  Geschenkes,  mit  dem  sie  ihn  beehrt  hat,  als  sie  ihm  die 
Vaterschaft  eines  Kindes  zuschrieb,  auf  das  auch  M.  Dessentt. 
und  M.  de  Saint- Fargeau  gut  fundierte  Ansprüche  machen  könn- 
ten. Aber  so  groß  ist  die  Nachsicht  der  Familie  Sabatto- 
Phellippeau-Lang-c,  den  Vaterschaftsartikel  betreffend,  daß  der 
gute  Chevalier  sich  von  dieser  kostbaren  Akquisition,  auf  die  er 
schon  ein  Wiederaufblühen  seines  erlauchten  Hauses  gesetzt  hat, 
bedrückt  fühlt. 

Aber,  Scherz  beiseite,  die  Vertreibung  dieses  argwöhnischen 
und  unnützen  Liebhabers  scheint  bevorzustehen ;  man  bemerkt, 
daß  Herr  Toy-t  Annäherungsversuche  begonnen  hat,  und  man 
erwartet  jeden  Moment  zu  hören,  daß  die  Huldigungen,  welche 
die  Bijoutiers,  Goldschmiede,  Notare  usw.  bieten,  mit  Gunst 
aufgenommen  worden  seien. 

P.  S.  Man  würde  den  Redaktoren  dieser  kleinen  Arbeit  wenig 
Gerechtigkeit  widerfahrenlassen,  wollte  man  annehmen,  daß  Bos- 
heit allein  über  diesen  Recherchen  präsidiert  Inbe,  die  dem  wahr- 
scheinlich im  Prinzip  nicht  bestimmt  waren.  Viel  ehrenwertere 
Gesichtspunkte  haben  diese  Sammlung  mobilisiert,  der  das  Gift 
der  Verleumdung  immer  sorgfältig  ausgeschieden  werden  soll. 

Weit  davon,  die  Strenge  zu  einem  lächerlichen  Exzeß  zu  trei- 
ben, zeigen  wir  stets  wohlwollendste  Nachsicht  für  die  Schwä- 
chen eines  Geschlechts,  das  die  Natur  dazu  bestimmt  zu  haben 
scheint,  unablässig  zu  unterliegen. 

Doch  sei  das  schamlose  Laster,  das  Laster,  das  sich  seiner  Ex- 
zesse brüstet,  ohne  Einschränkung  enthüllt,  und  indem  wir  es  in 
seiner  widerlichen  Nacktheit  zeigen,  nehmen  wir  ihm  all  sein 
Gift,  und  Verachtung  und  Entrüstung  sollen  sein  Teil  werden. 

Wir  gestehen  mit  Bedauern,  daß  in  der  zahllosen  Menge,  die 
wir  Revue  passieren  lassen  wollen,  nur  wenige  Individuen  sind, 
deren  Schwächen  und  Erniedrigungen  wir  mit  gesellschaftlichen 
Tugenden  ausbalancieren  könnten,  so  daß  man  über  ihre  Fehler, 


i88 


Die  Chronique  Areüne 


so  wie  es  auch  der  gestrengste  Zensor  erstreben  würde,  leicht 
hinweggehen  könnte. 

Doch  das  Vergnügen,  mit  dem  wir  uns  bemühten,  dem  Ge- 
dächtnis Mme  Furcys  unsere  schmeichelhafteste  Huldigung  zu 
bieten,  indem  wir  ihr  Grab  noch  von  der  Trauer  ihrer  zurück- 
gebliebenen Freunde  widertönen  ließen,  dies  Vergnügen  (nicht 
zu  oft  können  wir  dies  wiederholen),  ist  sichere  Garantie  für 
den  Eifer,  mit  dem  wir  ihren  würdigeren  Gefährtinnen  Gerech- 
tigkeit widerfahren  lassen  wollen.  Ohne  Zweifel  gibt  es  deren 
einige:  die  Damen  Granville,  Guimard,  L-r-t  dürfen  ein  Lob 
beanspruchen,  das  nicht  geringeres  Anrecht  hat,  und  indem  wir 
über  ihre  Schwäche  berichten,  zeigen  wir  andererseits  ihre  Tu- 
genden, die  guten  Eigenschaften,  die  sie  vor  jener  Depravation 
bewahrt  haben,  die  so  allgemein  und  so  gerecht  ihren  Kamera- 
dinnen vorgeworfen  wird. 

Die  letzte  Lieferung  wird  Noten  und  Ergänzungen  bringen, 
die  den  Redakteuren  mitgeteilt  worden  sind,  um  ihnen  gelieferte 
Aufklärungen  zu  geben;  im  Anschluß  an  diese  Anmerkungen 
wird  man  einen  belehrenden  Schlüssel  finden,  der  bestimmt  ist, 
dem  trägen  Gedächtnis  die  Mühe  zu  ersparen,  sich  anzustren- 
gen, um  einen  Namen  zu  entziffern,  der  sich  ganz  ausgeschrieber 
in  der  angekündigten  Tafel  finden  soll. 

Liste  der  Demoisellen,  deren  Geschichte  in  der  vorhergehen- 
den Lieferung  enthalten  sind: 

Mesdemoiselles : 


Bonard 

Coulon 

d'Hervieux 

Chouchou-Leblanc 

Contat 

Furcy 

Martin 

Craffton 

Linieres 

Sainte-Amaranthe 

Zacharie 

Victoire  und 

Dufresne 

Maillard 

Adelaide  Simon 

De  Ville 

Laborde 

Die  Chronique  Aretine 


189 


Die  folgenden  Artikel  sind  in  Druck  und  werden  die  zweite 
Lieferung  bilden,  die  im  nächsten  Aprilmond  erscheinen  soll. 

Mesdemoiselles 
Raucourt  Racine 

Adeline  De  Pame 

Rosalie  Arnoux 

Smith  Dugazon 

Elliot  Dubrieulle 

Beauvillars  |    Clairville 


Quincy 
Dufayelle 
Lahaye 
d'Ambly 


Die  folgenden  Lieferungen  werden  Biographien  dieser  ver- 
merkten Damen  bringen : 


Grandval 

Desmarques 

Saint-Albin 

Courville-la-Vieille 

Vielge 

Bonoeil 

Lahaye 

Lahaye-Courville 

Riouville 

Julie 

Christ 

Josephine 

Huet 

Savigny 

Josephine 

Binot 

Durand 

Duthe 

Saint-Romain 


Mesdemoiselles 

Guimard 

Desgravelles 

Langlois,  morte 

Mignot 

Rose 

Saint-Huberty 

Les  trois  Gavaudan 

Courville  Mont-B. 

Lafond 

Mezieres 

Saulnier 

Ligny 

Vestris 

MiUer 

Joir 

Prud'homme 

La  Chassaigue 

Laurent 

Lange 

Petit 

Lescaut 

Sainval 

Julien 

Carline 

Renaud 

Gonthier 

Victorine 

Deshosses 

Meyer 

Lefevre 

Grandville 

Huntley 

Desmailli 

Surville 

St.  Hilaire 

Perceval 

Montelar 

Pelou 

190 


Die  Chronique  Aretine 


Flore  Lebrun 

Dalbert  Boulogne 

Theophile  Malinguant 

Flire  Massieux 

Villeneuve  Sarron 

Lemercier  Murtin 

Thevenin  Melan 

Michelot  Adel-Veron 

Labachante  Mericourt 

Daigleperse  Leclerc 

Diejenigen  Damen,  die  dem  Gedächtnis  des  Redakteurs  dieser 
Arbeit  entschlüpft  wären,  sind  gebeten,  ein  Versehen  zu  ent- 
schuldigen, das  nichts  Beleidigendes  für  sie  enthalten  soll;  man 
wird  eilen,  ein  Schweigen,  das  sie  verletzen  könnte,  in  dem  Mo- 
ment gutzumachen,  in  dem  sichere  Auskünfte  uns  mitgeteilt 
worden  sind. 


Lady-Wortley 

Colmar 

Lady-Massareene 

Nicolay 

Jaucourt 

Fleury 

Violette 

Montigny 

Renard. 


DER  GAZETIER  CUIRASSfi 

VORREDE 

Ich  muß  dem  Publikum  mitteilen,  daß  einige  der  Neuigkeiten, 
die  ich  ihm  als  wahr  berichte,  zumindest  sehr  glaubwürdig  sind, 
und  daß  sich  in  der  Menge  einige  finden  werden,  deren  Ge- 
fälschtheit in  die  Augen  springt;  ich  werde  mich  nicht  damit  be- 
fassen, das  jeweils  zu  betonen :  den  Leuten  von  Welt,  die  Wahr- 
heit und  Lüge  (dank  des  vielen  Gebrauches,  den  sie  von  ihr 
machen)  kennen,  steht  es  zu,  zu  urteilen  und  eine  Auswahl  zu 
treffen.  Je  gestrenger  sie  ausfallen  wird,  desto  weiser  wird  sie 
sein.  Ich  glaube  den  Lesern,  die  mich  mit  ihrer  Aufmerksam- 
keit beehren  werden,  diesen  Hinweis  zu  schulden. 

Sollte  dieser  Versuch  Anklang  finden  und  das  Publikum  mei- 
ner Eitelkeit  durch  seine  Aufnahme  ein  wenig  schmeicheln,  werde 
ich  ihm  meine  Dankbarkeit  dadurch  beweisen,  daß  ich  ihm  eine 
Abhandlung  über  die  Verführung  der  Frauen  geben  will,  die 
ebenso  den  jungen  Leuten,  die  gerade  in  die  Welt  treten,  wie 
den  Alten,  die  bereit  sind,  sie  zu  vei lassen,  dienlich  sein  soll;  sie 
soll  die,  die  nichts  mehr  können,  amüsieren,  und  sie  soll  den  ent- 
schlossensten Frauen  beweisen,  daß  es  keineswegs  ihre  Schuld 
ist,  wenn  sie  unterlegen  sind,  da  ihre  Niederlage  auf  unfehlbaren 
Prinzipien  begründet  ist.  Ehe  ich  diese  Abhandlung  wage,  werde 
ich  meine  besondere  Korrespondenz  mit  dem  Publikum  mitteilen, 
wobei  ich  von  ihm  Geheimhaltung  dessen,  was  ich  es  nicht  wissen 
lasse,  fordere.  Nicht  allen  Nationen  ist  es  gegeben,  alles,  was  sie 
denken,  auszusprechen.  Die  Bastille,  Mohammeds  Paradies  und 
Sibirien  sind  zu  starke  Argumente,  als  daß  man  ihnen  entgegnen 
könnte.  Doch  gibt  es  ein  weises  Land,  wo  der  Geist  von  den  Frei- 
heiten des  Körpers  profitieren  darf,  und  keine  seiner  Erzeugnisse 
zu  fürchten  braucht;  in  diesem  Lande,  in  dem  die  Großen  nur 
die  Gleichgestellten  ihrer  minderen  Bürger  sind,  in  dem  der  Fürst 


192  Der  Gaxetier  Cuirasse 


als  Erster  dem  Gesetze  unterworfen  ist,  in  diesem  Lande  kann 
man  es  wagen,  ohne  Furcht  vor  allen  Mächten  der  Erde  zu 
sprechen,  kann  der  Weise  Narrheiten  richten  und  ihrer  lachen. 
Man  wird  aus  einigen  in  dieser  Arbeit  mitgeteilten  Anekdoten 
ersehen,  daß  ich  sehr  oft  Gelegenheit  hatte,  in  Schußweite  zu 
erblicken,  was  ich  von  sehr  nah  berichte. 

Wenn  ich  manchmal  der  Wahrheit  etwas  angefügt  habe,  so 
geschah  es,  um  denen,  die  sie  verletzen  würde,  eine  Handhabe 
zu  bieten;  manchmal  ist  es  auch  eine  Dekoration,  die  ich  be- 
nötigte, ein  Ornament,  das  vielleicht  ein  wenig  gewagt  er- 
scheinen könnte,  doch  hat  es  einen  neuen  Charakter,  und  wird 
einer  Nation,  die  weise  genug  ist,  noch  frei  zu  sein,  nicht  miß- 
fallen. 

Zueignungsbrief  an  mich  selbst. 
Mein  Teurer! 

Genießen  Sie  Ihren  Ruhm,  ohne  sich  um  irgendeine  Gefahr 
zu  kümmern!  Sie  laufen  diese  zweifellos.  Mit  den  Feinden  Ihres 
Vaterlandes,  deren  Wut  Sie  verschärfen  und  deren  Grausamkeit 
Sie  verdoppeln  werden;  doch  indem  Sie  Dinge  enthüllen,  die 
sich  im  schwarzen  Geheimsten  ihrer  Herzen  verzehren,  bedenken 
Sie,  mein  Teurer,  daß  Sie  Unschuldige  rächen,  und  daß  Sie 
vielleicht  Unglückliche,  auf  die  der  Blitz  herabzufallen  droht, 
beschützen. 

Wenn  Sie  das  Opfer  Ihres  Eifers  sind,  seien  Sie  stolz  darauf, 
sich  in  diesen  neuen  Abgrund,  der  gefahrvoller  and  tausendmal 
schrecklicher  ist  als  jener,  den  der  mutige  Decius  zuschloß,  zu 
stürzen.  Möge  sein  Beispiel  und  die  Verehrung,  die  er  noch  in 
unseren  Tagen  genießt,  Sie  in  dem  Vorhaben  stärken,  daß  des 
Dankes  wert  ist,  auf  den  Sie  ein  Recht  haben.  Trotzen  Sie  den 
schuldvollen  Mächten,  die  Sie  nicht  besiegen  können!  Machen 
Sie,  daß  diese  grausamen  Ungeheuer,  deren  Existenz  so  hassens- 
wert  ist,  und  die  der  Menschheit  so  teuer  zu  stehen  kommen, 


Der  Gazetier  Cuirasse  193 

zittern!  Und  sollten  die  Himmel  zur  Erde  stürzen,  damit  sie 
bereit  sei,  Sie  zu  verschlingen,  erinnern  Sie  sich,  daß  Ihr  bester 
Freund,  der  Mann,  den  Sie  am  meisten  schätzen,  Ihnen  das  ge- 
raten hat,  was  Sie  tun  müssen! 

Erproben  Sie  mit  Wollust  seine  Maxime  und  wagen  Sie  alles, 
ohne  etwas  zu  fürchten. 

Si  fractus  illabatur  orbis, 
Impavidum  ferient  ruince 

Ich  kenne  Sie  zu  gut,  um  ein  Erlahmen  Ihrer  Prinzipien 
fürchten  zu  müssen,  da  Ihre  Entschlossenheit  mir  garantiert, 
daß  Sie  sie  niemals  verraten  werden.  Dieser  Überzeugung  bin 
ich,  mein  Teurer. 

Ihr  sehr  ergebener  und  sehr  gehorsamer  Diener 

Ich  Selbst. 


POLITISCHE  NEUIGKEITEN 

Alle  Sekretäre  der  französischen  Gesandten,  die  Kreaturen  des 
Herrn  von  Choiseul  sind,  sind  auf  Befehl  des  Kanzlers  mit  den 
Papieren  ihrer  Herren  inkognito  nach  Versailles  abgereist.  Man 
versichert,  daß  es  zur  Ausführung  kleiner  Handstreiche  am  Hofe 
von  Frankreich  viel  geeignetere  Leute  gibt  als  im  Walde  von 
Senart. 

Der  große  Rat  hat  sich  des  Palastes,  nachdem  er  ihn  mit  Ge- 
heimbriefen belagert  hatte,  ohne  Widerstand  bemächtigt;  die 
cour  des  aides,  die  den  Stoß  hatte  aushalten  wollen,  ist  kräftig 
zurückgestoßen  worden  und  hat  sich  bis  zu  zehn  Meilen  von 
Paris  zurückgezogen,  wo  sie  Quartier  genommen  hat. 

Der  Kanzler  hat  nach  dem  Prinzip  des  Kardinals  Mazarin, 
Divisez  pour  regner,  die  Mitglieder  des  alten  Parlaments  in  den 
entlegensten  Dörfern  Frankreichs  verteilt  und  alles  getan,  um 
ihre  Verbannung  noch  empfindlicher  zu  machen;  nach  ihrer 
Entfernung  hat  er  geäußert,  er  hoffe  sie  bei  ihrer  Rückkehr  viel 


194  Der  Gazetier  Cuirasse 

besser  über  die  Not  des  Volkes  informiert  zu  sehen  als  vorher, 
wo  sie  ihre  Beschwerden  einbrachten. 

Der  Herzog  de  la  Tremouille  ist  soeben  heimlich  zum  Mi- 
nister der  auswärtigen  Angelegenheiten  ernannt  und  in  dieser 
Eigenschaft  dem  Könige  durch  Herrn  Gabriel,  Hofbaumeister 
Seiner  Majestät,  vorgestellt  worden. 

Bei  Eröffnung  des  neuen  Parlaments  an  Stelle  des  alten  hat 
der  Kanzler  eine  Rede  gehalten,  die  besagt,  daß  alle  Franzosen 
Dummköpfe  sind,  daß  er  es  weiß,  daß  er  daraus  Nutzen  zieht, 
und  daß  es  sechs  große  Verbrecher  in  Frankreich  gibt.  Nach 
seiner  Rede  hat  Herr  Isabeau  drei  Verordnungen  verlesen,  deren 
erste  einreden  möchte,  daß  der  König  Lust  habe,  seine  Schulden 
zu  bezahlen;  die  zweite  trifft  die  „cour  des  aides"  tödlich,  weil 
sie  die  Hand  gegen  das  Allerheiligste  erhoben  hat;  die  dritte  er- 
setzt die  schwankenden  und  altersschwachen  Mitglieder  des  gro- 
ßen Rates  durch  die  flinken  Beamten  der  alten  Kammer.  Diese 
drei  Verordnungen  haben  den  sogenannten  großen  Gerichtstag 
beendet. 

Seit  vier  Monaten  hat  es  einige  Todesfälle  in  Paris  gegeben, 
die  nicht  allzu  natürlich  erschienen;  aber  ein  jeder  schweigt  nach 
dieser  Richtung  hin,  ebenso  wie  über  die  heimlichen  Gefangen- 
nahmen, die  für  jedermann  undurchdringlich  bleiben,  obwohl 
sie  sich  täglich  wiederholen. 

Es  ist  dem  neuen  Parlament  untersagt  worden  in  wichtigen 
Fällen  irgend  etwas  ohne  Anweisung  der  Kammer  zu  beschließen. 

Man  versichert,  daß  die  Bastille  und  Vincennes  so  voll  von 
Menschen  sind,  daß  man  die  Lagerstätten  der  Soldaten,  die  auf 
diesen  beiden  Schlössern  Wache  halten,  auf  den  Terrassen  und 
dem  Turm  unterbringen  mußte. 

Man  hat  eine  Zählung  der  Lusthäuser  Seiner  Majestät  ver- 
anstaltet. Wenn  man  Versailles,  die  Bastille,  Vincennes,  Marli, 
Bicetre  usw.  mitzählt,  kommt  man  auf  900,  nicht  gerechnet  die 
Klöster,  die  als  Speicher  für  die  kleinen  Lustbarkeiten  des  Königs 


Der  Gazetier  Cuirasse  195 

dienen.  Es  gibt  eine  sehr  große  Anzahl,  in  denen  man  beträcht- 
liche Niederlagen  von  verkauftem  oder  geopfertem  Menschen- 
fleisch findet. 

Die  Prinzen  von  Geblüt  haben  vom  König  die  Erlaubnis,  sich 
in  nichts  hineinzumischen  und  die  Freiheit,  von  seinen  Beratun- 
gen fernbleiben  zu  dürfen,  erhalten. 

Der  König,  der  des  Rates  des  Herrn  Maupeou  nicht  mehr  be- 
durfte, hat  sich  seiner  entledigt  — zum  Vorteil  der  Allgemeinheit, 
die  in  Zukunft  gegen  ihren  Willen  durch  die  Kreaturen  des  Hofes 
oder  die  ihremStande  ungetreuen  Beamten  gerichtet  werden  wird. 

Man  schafft  gerade  eine  neue  Kammer  unter  dem  Namen 
„Gewissenskammer",  an  deren  Spitze  der  Marschall  de  Richelieu 
sowie  der  Herzog  d'Aiguillon  stehen  werden.  Diese  Kammer  ist 
zur  Kontrolle  des  Vermögens  der  Finanzleute  bestimmt,  die  der 
Abbe  Terray  nicht  geschröpft  hat. 

Die  Kammern  von  Toulouse,  Bordeaux  und  Rouen  haben  sich 
gelobt,  sich  niemals  zu  veruneinigen,  nicht  einmal  durch  Ge- 
heimbriefe, die  (nach  ihrer  Meinung)  nur  eine  entehrende  Gnade 
sein  und  dazu  dienen  sollen,  diejenigen  durch  die  Verbannung 
oder  das  Gefängnis  den  Gesetzen  zu  entziehen,  die  man  hatte 
schonen  wollen.  Sie  machen  sich  auf  die  höhere  Gewalt  gefaßt, 
aber  sie  werden  ihre  Meinung  um  keinen  Preis  ändern.  Das  bringt 
den  Kanzler  und  seine  Kreaturen  sehr  in  Verlegenheit,  da  es  viel 
eher  in  seinem  Interesse  liegt,  nach  und  nach  Minen  auszulegen, 
als  eine  Revolution  anzustiften,  der  sie  mit  Bestimmtheit  zum 
Opfer  fallen  würden. 

Es  geht  ein  Brief  um,  von  dem  man  annimmt,  daß  ihn  der  Adel 
an  die  Prinzen  von  Geblüt  gerichtet  hat.  In  ihm  wird  von  der 
Verwaltung  und  den  Pflichten  des  Herrschers  in  sehr  starken 
Ausdrücken  gesprochen.  Der  Bürgerstand  streitet  indessen  dem 
Adel  die  Ehre  ab,  ihn  verfaßt  zu  haben;  man  glaubt  ihn  von 
Herrn  d'Alembert,  der  gerade  ebenso  gut  schreibt,  als  wenn  er 
Edelmann  wäre. 

13* 


196  Der  Gazetier  Cuirasse 


Der  König,  der  schon  verschiedene  Male  nahe  daran  war,  dem 
AbbeTerray  das  Portefeuille  zu  entziehen  (dabei  hat  dieser  doch 
nur  die  Kunst  des  Fischens  im  Trüben  vervollkommnet),  ließ 
es  soeben  Herrn  Foulon  anbieten,  der  sehr  geeignet  sein  soll, 
das  Königreich  zu  schröpfen. 

Der  Kanzler  unterdrückt  die  Käuflichkeit  der  Ämter  und  er- 
setzt sie  durch  die  der  Benefizien  nach  Übereinkunft  mit  dem 
Papst  Ganganelli,  der  dem  König  in  aller  Ruhe  von  den  Gütern 
der  Kirche  zu  zehren  erlaubt,  wenn  der  Vatikan  zur  Hälfte  be- 
teiligt wird. 

Alle  Tage  schieben  sich  Drohbriefe  unter  die  Serviette  des 
Königs,  ohne  daß  man  weiß  wie.  Man  hat  mehrere  Personen  ver- 
haftet, die  man  bei  dieser  Gelegenheit  in  Eisen  gelegt  hat.  Der 
König  soll  über  diese  Art  von  Widersetzlichkeit  viel  mehr  be- 
stürzt sein  als  über  die  seiner  Parlamente.  Vor  einigen  Tagen  hat 
man  auf  diese  Weise  eine  auf  beiden  Seiten  mit  dicker  Schrift 
beschriebene  Karte  gefunden,  die  mit  einer  sehr  außergewöhn- 
lichen Drohung  endigte :  man  kündigte  dem  König  an,  wenn  er 
nicht  aufpasse  bei  dem,  was  er  täte,  so  würde  man  ihn  nach 
Saint  Lazare  stecken  und  seine  Mätresse  ins  Hospital.  Der  Chef 
der  Polizei  hat  sich  die  allergrößte  Mühe  gegeben,  um  den  Ur- 
heber zu  entdecken,  aber  ohne  Erfolg. 

^or  Abiauf  des  Monats  wird  man  mit  dem  Bau  eines  neuen 
Gefängnisses  in  der  Ebene  der  Sablons  beginnen.  Dieses  ist  zur 
Entlastung  der  Pariser  Gefängnisse  dringend  nötig.  Man  wollte 
mit  den  Unternehmern  des  Vauxhall,  der  Champs  Elysees  ver- 
handeln, aber  ihre  Räume  haben  sich  als  zu  dunkel  und  zu 
schlecht  verteilt  herausgestellt. 

Allnächtlich  veranstalten  die  kurzröckigen  Jesuitenfreunde  Ver- 
sammlungen, zu  deren  Zahl  alles  gehört,  was  gegen  Choiseul  in 
Frankreich  ist.  Man  fürchtet  sehr,  daß  die  Rückkehr  der  Gesell- 
schaft bevorsteht,  da  Mme  Dubarry  es  mit  den  Dissidenten  hält, 
deren  Neigungen  sie  nach  Behauptung  böser  Zungen  haben  soll. 


Der  Gazetier  Cuirasse  197 


Die  Herren  vom  neuen  Parlament,  die  den  Auftrag  erhalten 
haben,  gegen  alle,  die  schlecht  von  der  Verwaltung  sprächen,  das 
Verfahren  einzuleiten,  haben  sich  nach  Versailles  begeben,  wo  sie 
Seiner  Majestät  vorgehalten  haben,  daß  sie  gezwungen  sein  wür- 
den, die  gute  Stadt  Paris  ganz  und  gar  mit  Mauern  zu  umgeben, 
wenn  sie  die  Verbreitung  von  Klagen  und  Schmähschriften  ver- 
hindern wolle  usw.  Diese  Meinung  hat  den  Beifall  des  Rates  und 
besonders  des  Herzogs  de  la  Vrilliere  gefunden,  der  den  König 
um  die  Kastellanstelle  in  diesem  neuen  Gefängnis  gebeten  hat. 
Nächstens  wird  es  eine  allgemeine  Beförderung  zu  Gefängnis- 
wärtern geben.  Die  Keller  des  Observatoriums  und  die  Stein- 
brüche von  Saint  Marcel  sind  als  Kerker  vorgesehen. 

Man  versichert,  daß  Herr  von  Choiseul  sich  noch  nicht  eine 
Viertelstunde  in  Chanteloup  gelangweilt  hat,  da  seine  Gegner 
so  viel  Dummheiten  gemacht  haben,  daß  er  seit  seiner  Ankunft 
aus  dem  Lachen  nicht  herausgekommen  ist.  Der  Abbe  de  la 
Ville  und  alle  Bureauvorsteher  aus  dem  Departement  des  Herrn 
von  Choiseul  haben  ihn  seit  seiner  Verbannung  schon  mehrere 
Male  aufsuchen  müssen,  um  lesen  zu  lernen. 

Man  hat  an  mehreren  Stellen  das  Urteil  des  Pariser  Parlaments 
angeschlagen,  das  einen  Preis  auf  den  Kopf  des  Kardinals  Ma- 
zarin  bot,  dessen  Namen  man  jedoch  durch  den  Maupeous  er- 
setzte; man  hat  die  von  Boissi  vorgeschlagene  Einteilung  der 
Summe  hinzugefügt,  so-  und  soviel  für  das  einzelne  Glied,  Ohr 
usw.  Das  Gleiche  ist  nach  demselben  Tarif  für  die  Herren  d'Ai- 
guillon  und  de  la  Vrilliere  geschehen. 

Der  Kanzler,  der  sich  die  Vergebung  des  Vatikans  für  alle  noch 
zu  begehenden  Sünden  warmhalten  will,  hat  dem  Papst  Avignon 
zurückerstatten  lassen.  Dieser  schickt  ihm  zum  Dank  Ablaß  und 
geweihte  Wachslämmchen  für  alle  diejenigen  Herren,  die  sich 
ihren  Glauben  an  solche  Art  Heiligtümer  bewahrt  haben.  Der 
Graf  de  Noailles  hat  eins  für  sich  bestellt;  die  Herzöge  de  la 
Vauguyon,  de  Bouillon  und  de  Richelieu  ebenso  wie  viele  Leutt 


io8  Der  Gazetier  Cuirasse 

von  Bedeutung  sind  durch  diese  päpstliche  Würde  ausgezeichnet 
worden.  Sie  ist  bis  in  die  unteren  Schichten  gedrungen  durch 
ein  Monopol  dei  Kanzleilakaien,  die  eine  Kiste  davon  an  ihren 
Freund,  den  Marquis  de  Villette,  abgetreten  haben. 

Der  Herzog  d'Harcourt  hat  den  König,  der  ihm  auftragen 
wollte,  das  Parlament  von  Rouen  zur  Vernunft  zu  bringen,  ge- 
beten, über  sein  Herz  und  seine  Hand  in  allem,  was  zu  seinem 
Dienst  gehört,  zu  verfügen,  aber  ihn  von  der  Aufgabe,  seinem 
Volk  Schlechtes  zu  tun,  zu  entbinden.  Der  Herzog  de  Fitzjames 
(der  sich  von  seinem  in  Toulouse  erlittenen  Schreck  wieder  er- 
holt hat)  hat  sich  an  seiner  Stelle  erbötig  gemacht  und  wird  mit 
den  Blitzen  des  Hofes  abreisen,  sobald  der  Kanzler  den  Augen- 
blick, sie  zu  schleudern,  für  gekommen  hält. 

Dei  Marschall  von  Richelieu  hat  den  König  davon  überzeugt, 
daß  eine  französische  Militärkontribution  die  mildeste  und 
billigste  Art  sein  wird,  seine  Revenuen  zu  heben.  Der  General- 
kontrolleur soll  mit  den  Richtern  zusammen  ermitteln,  wie  man 
dabei  vorzugehen  hat.  Der  Marschall,  der  im  letzten  Kriege  die 
Gelderhebung  im  Kurfürstentum  Hannover  besorgt  hat,  er- 
bietet sich,  die  Unternehmungen  des  ersten  Feldzuges  zu  leiten. 
Man  wird  dem  Könige  60  000  Mann  lassen,  die  bisher  durch 
die  Pachten  beschäftigt  waren  (durch  dieses  Mittel  wird  er  sie 
viel  nützlicher  verwenden  können),  und  man  wird  ihm  noch 
einmal  soviel  Geld,  als  er  jetzt  erhält,  verschaffen,  ohne  Ver- 
wüstungen in  der  Verpachtung  anzurichten. 

Die  Prinzen  und  Pairs  haben  sich  gegenseitig  feierlich  gelobt, 
niemals  einen  Sitz  im  königlichen  Justizamt  anzunehmen,  das 
der  Kanzler  soeben  unter  dem  Namen  „Parlament  von  Paris" 
eingerichtet  hat. 

Es  sollen  vier  Mann  pro  Kompagnie  sämtlicher  Truppen  Frank- 
reichs ausgewählt  werden  zur  Bildung  eines  Janitscharenkorps, 
dessen  erster  Aga  der  Graf  du  Barry  sein  wird.  Das  Korps  ist 
bestimmt,  die  Befehle  des  Königs  in  alle  Provinzen  des  König- 


Der  Gazetier  Cuirasse  199 


reiches  zu  tragen;  die  „Stummen"  zu  begleiten,  wenn  sie  mit 
geheimen  Aufträgen  betraut  sind,  und  unter  Umständen  mit 
Bajonettstößen  die  zu  bezeichnen,  deren  Träger  sie  sein  wer- 
den. Man  glaubt,  daß  dieses  Verfahren,  das  unter  Ludwig  XIV. 
manchen  bekehrt  hat,  unter  der  Regierung  seines  Enkels  auch 
nicht  ohne  Erfolg  bleiben  wird.  Man  druckt  wieder  die  Ge- 
schichte der  „Dragonaden"  zur  Instruktion  dieses  neuen  Korps, 
in  das  alle  die  befördert  werden  sollen,  die  sich  durch  aufsehen- 
erregende Taten  auszeichnen.  Außer  mit  den  gewöhnlichen  In- 
fanteriewaffen wird  dieser  Truppenteil  mit  Taschenpistolen  und 
Dolchen  ausgerüstet  werden. 

Ein  alter  unzufriedener  Offizier  ist  in  die  Bastille  gesteckt  wor- 
den, weil  er  vertraulich  in  einem  Cafe  gesagt  hatte,  der  König 
würde  gezwungen  werden,  nachzugeben,  der  Kanzler  sich  auf- 
zuhängen und  der  Herzog  d'Aiguillon  Gift  zu  nehmen. 

Es  bestätigt  sich,  daß  der  Herzog  de  Praslin  sich  beim  Nägel- 
knabbern in  den  Finger  gebissen  und  hierauf  einen  Anfall  von 
Tollwut  bekommen  hat,  der  ihn  innerhalb  24  Stunden  von  dieser 
Erde  hinwegnahm. 

Als  Herr  de  Monteynard  dem  Könige  die  Abgeordneten  der 
Insel  Korsika  vorstellte,  verlangten  diese  von  Seiner  Majestät 
die  Erlaubnis,  alljährlich  vier  Genueser  hängen  zu  dürfen.  Dies 
ist  ihnen  durch  Ratsbeschluß  zugestanden  worden. 

Die  Korsen  haben  dem  Papst  zwölf  französische  Offiziere  ge- 
schenkt, die  sie  vorher  für  den  Dienst  in  seiner  Kapelle  geeignet 
gemacht  haben. 

Am  zehnten  vergangenen  Monats  wurde  das  neue  Parlament 
im  Palast  eröffnet  unter  den  Zurufen  des  Grafen  de  la  Marche, 
vierer  von  sechs  Modistinnen  ausgehaltener  Herzöge  und  von 
vierzig  ins  Vertrauen  gezogener  Lakaien,  die  auf  Bezahlung 
schreien  mußten:  Es  lebe  der  König! 

Der  Herr  Kanzler  hat  Netze  an  seinem  Wagen  anbringen 
lassen,  um  den   Folgen   der  Dankbarkeit  des  Volkes   zu   ent- 


200  Der  Gaze  Her  Cuirasse 

gehen,  das  ihn  mit  Segenswünschen  und  Pflastersteinen  über- 
schüttet. 

Der  König  brauchte  zur  Fußwaschung  am  Gründonnerstag 
zwölf  junge  Bettler;  man  hat  mit  Vorliebe  die  Kinder  von  zwölf 
Offizieren  genommen,  d^nen  man,  zum  Dank  für  die  Dienste, 
die  ihre  Vater  dem  Staate  erwiesen  haben,  das  Doppelte  der 
gewöhnlich  bei  dieser  Zeremonie  verteilten  Summe  gegeben  hat. 
Diese  Freigebigkeit  ist  das  Werk  des  Herrn  de  Maupeou,  der 
nichts  versäumt,  um  sich  die  Wertschätzung  des  Militärs  zu  ver- 
schaffen. 

Man  hat  eine  geheime  Verbindung  zwischen  dem  Kanzler, 
dem  Herzog  de  la  Vrilliere  und  dem  Herzog  d'Aiguillon  ent- 
deckt, die  sich  gegen  alle  Untertanen  des  Königs  richtet,  die 
mehr  Verstand  und  Redlichkeit  besitzen  als  sie  selbst ;  man  ver- 
sichert auf  Ehre,  daß  diese  Verbindung  gegen  das  ganze  König- 
reich gerichtet  ist. 

Man  hat  dem  ersten  Türsteher  des  alten  Parlaments  den  Platz 
des  ersten  Präsidenten  im  neuen  angeboten.  Er  hat  ihn  abge- 
lehnt. 

Der  Kanzler  und  der  Herzog  d'Aiguillon  haben  den  König 
derart  umgarnt,  daß  sie  ihm  nichts  gelassen  haben,  als  die  Er- 
laubnis mit  seiner  Mätresse  zu  schlafen,  seine  Hunde  zu  strei- 
cheln und  Heiratskontrakte  zu  unterzeichnen. 

Die  Dirnen  von  Paris  haben  Mme  du  Barry  so  mit  Bittschrif- 
ten gegen  den  Polizeichef  überhäuft,  daß  es  ihm  jetzt  tatsächlich 
verboten  worden  ist,  den  Fuß  in  ein  Bordell  zu  setzen. 

Herr  de  Sartines,  dessen  Aufgabe  es  ist,  für  die  Beleuchtung 
Sicherheit  und  Reinlichkeit  von  Paris  zu  sorgen,  hat  soeben  nach 
der  Aufstellung  von  Straßenlaternen  und  der  Verstärkung  der 
Nachtwachen  eine  dritte  für  die  Einwohner  sehr  nützliche  Ein- 
richtung geschaffen:  er  hat  Aborte  an  allen  Straßenecken  auf- 
stellen lassen.  Diese  Neuerung  wird  die  Geld-  und  Prügelstrafen 
verhüten,  denen  man  in  allen  Sackgassen  und  bei  den  wohlhaben- 


Der  Gazetier  Cuirasse  201 

den  Leuten  ausgesetzt  ist,  die  unmenschlich  genug  sind,  der  Be- 
völkerung einem  königlichen  Erlaß  zufolge  zu  verbieten,  ihre 
natürlichen  Bedürfnisse  zu  verrichten.  Die  Schuhputzer,  die 
häufig  die  Nützlichkeit  dieser  Aborte  erfahren,  erheben  den  hilf- 
reichen Magistrat  mit  ihren  Lobpreisungen  bis  in  den  Himmel. 

Da  der  Kanzler  sah,  daß  die  früheren  Advokaten  und  Anwälte 
am  Pariser  Gericht  ihre  Tätigkeit  nicht  wieder  aufnehmen  woll- 
ten, hat  er  neue  eingesetzt  und  ihnen  den  Tod  durch  den  Strang 
in  Aussicht  gestellt,  wenn  sie  die  Bevölkerung  nicht  bestehlen 
würden. 

Die  Trottel,  die  der  Kanzler  unter  dem  ehrenwerten  Namen 
„Parlamentsmitglieder"  herangezogen  hat,  hat  er  feierlich  schwö- 
ren lassen,  niemals  zu  sehen  noch  zu  hören,  was  der  König  will. 
Er  hat  ihnen  in  zwei  mit  Sophismen  gespickten  Reden  zu  ver- 
stehen gegeben,  daß  es,  wenn  der  Fürst  ihre  Vorschläge  nicht 
lesen  würde,  genügte,  wenn  sie  sie  einreichten,  um  ihre  Pflicht 
zu  erfüllen.  Ferner  mußten  die  Beamten  die  vorgesetzte  Behörde 
beim  Rechtsprechen  befragen  und  der  Herrscher  brauche  sich 
an  das  Recht  nur  zu  halten,  wenn  es  in  seinem  Interesse  läge 
und  ihm  Spaß  machte.  Er  schloß  damit,  daß  alle  diese  Absurdi- 
täten im  Herzen  der  neuen  Parlamentarier  schon  eingegraben 
sind  und  daß  sie  ihr  Schweigen  und  ihre  Blindheit  zum  Wohle 
des  Volkes  für  immer  bewahren  müßten. 

Der  Punsch  ist  in  den  lauschigen  Gemächern  von  Versailles 
so  in  Gunst,  daß  ihn  weder  der  Burgunder  noch  der  Champagner 
noch  die  besten  Weine  der  Welt  verdrängen  können.  Man  ver- 
sichert, daß  vier  Personen,  die  sich  der  allergrößten  Schätzung 
erfreuen,  vier  Gallonen  täglich  vertilgen.  Manchmal  läßt  man 
bei  diesem  Getränk  aus  besonderer  Gnade  Champagner  zu,  aber 
sehr  selten.  Dieselbe  Dame,  die  den  Punsch  in  Mode  gebracht 
hat,  hat  gleichzeitig  die  hölzernen  Tischtücher  und  die  Pfeifen 
eingeführt.  Man  erwartet  augenblicklich  ein  wenig  Politik,  die 
dem  Rat  sehr  notwendig  erscheint.  Man  hat  sich  aus  London 


202  Der  Gazetier  Cuirasse 

von  einem  der  Teilhaber  der  Robinhood-Taverne  einen  Redner 
und  zwei  Meister  im  Räsonnieren  verschrieben,  die  den  Staats- 
beamten Stunden  geben  können. 

Nachdem  die  Marschälle  von  Frankreich  erklärt  hatten,  daß 
zu  ihrem  Gerichtshof  in  Zukunft  nur  Ehrenmänner  zugelassen 
würden,  haben  sich  bei  Prüfung  des  Hochadels  nur  drei  Pairs 
mit  Zulassungsberechtigung  gefunden. 

Es  erscheint  ein  Edikt  vom  letzten  25.  April,  das  die  Schöpfung 
einer  neuen  Steuer  auf  alle  Vestalinnen  von  Paris  in  sich  trägt; 
mittels  dieser  Taxe,  die  zwei  Sol  pro  Pfund  betragen  soll,  werden 
sie  von  den  Beamten  des  Viertels  nicht  mehr  übersteuert  werden, 
und  werden  direkt  mit  dem  Marschall  von  Richelieu  zu  verhan- 
deln haben,  der  mit  der  Generalaufsicht  betraut   worden  ist. 

Mme  la  Comtesse  du  Barry  hat  soeben  einen  neuen  Orden 
geschaffen,  der  sich  Saint  Nicolas  nennen  wird;  die  Bedingungen 
für  Frauen  sind  äußerst  rigoros;  man  muß  mit  mindestens  zehn 
verschiedenen  Personen  gelebt  haben  und  beweisen,  daß  man 
dreimal  in  Quarantäne  gewesen  ist,  um  zugelassen  zu  werden. 
Die  Männer  werden  damit  wegkommen,  der  Komtesse  selbst 
Beweise  zu  liefern,  da  sie  sich  die  Oberhoheit  reserviert.  Die 
Abzeichen  des  Ordens  sind  eine  auf  die  Brust  gestickte  Gurke 
mit  zwei  stark  markierten  Auswüchsen. 

Obschon  Mme  du  Barry  versichert,  daß  sie  nur  die  zu  Rittern 
ernennen  werde,  die  sie  für  gut  befunden  hat,  so  glaubt  man 
dennoch,  daß  dieser  Orden  zahlreicher  sein  wird,  als  der  des 
heiligen  Louis. 

In  Frankreich  erstickt,  erhängt  und  erschießt  man  sich  mehr 
denn  je.  Dies  sind  Freundschaftsdienste,  die  man  sich  gegen- 
seitig in  den  Straßen  ebenso  wie  auf  den  Chausseen  des  König- 
reichs leistet,  von  denen  behauptet  wird,  daß  sie  von  Briganten 
recht  belebt  werden,  seit  ihre  Chefs  im  Amte  sind. 

M.  le  Duc  de  Villeroi,  der  von  der  vernichtenden  Waffe  des 
Gatten  seiner  Mätresse  bedroht  worden  war,  hat,  um  in  Zu- 


Der  Gazetier  Cuirasse  2°3 


kunft  ohne  Unruhe  ihrer  genießen  zu  dürfen,  diesen  Unglück- 
lichen nach  den  Inseln  von  Sainte-Marguerite  bringen  lassen, 
wo  er  ihm  einen  lebenslänglichen  Wohnort  gesichert  hat. 

Es  ist  all  den  Barrierebeamten  von  neuem  ausdrücklich  be- 
fohlen  worden,   ein  Eindringen   der  Syphilis   zu    verhindern, 
und  sei  es  in  einer  Karosse  und  in  der  Person  einer  Herzogin. 
Andererseits  haben  die  Polizeioffiziere  Order,  überall  mit  Chi- 
rurgen einzutreten  und  alle,  die  im  Verdacht  stehen,  sie  bei  sich 
zu  verstecken,  aus  der  Hauptstadt  zu  vertreiben.  Wenn  der  Be- 
fehl des  Königs  mit  Strenge  durchgeführt  wird,  wird  Paris,  so 
glaubt  man,  gar  bald  einer  Wüste  gleichen. 
'  Als  der  König  über  seine  Finanznöte  mit  dem  Marschall  de 
Biron  sprach,  sicherte  ihm  der  Marschall  drei  Millionen  ohne 
irgendwelche  Kosten  in  einem  einzigen  Tage  und  den  Applaus 
des  Volkes  zu,  das  ihm  in  hellen  Haufen  sein  Geld  anbringen 
würde.  Der  König,  der  das  Geheimnis  sehr  wichtig  fand,  wünschte 
es  zu  erfahren,  und  vernahm  mit  großem  Erstaunen,  daß  es  sich 
nur  darum  handeln  würde,  einen  Pfahl  inmitten  der  Sabloner 
Ebene  zu  errichten,  daran  den  Kanzler  aufzuhängen  und  von 
einem  jeden  Zuschauer  einen  Taler  zu  verlangen.   Der  Mar- 
schall versicherte  dem  König,  daß  die  Einnahme  fast  drei  Mil- 
lionen betragen  würde. 

Durch  einen  Haftbefehl  des  Gerichtes  zu  Rouen  war  der  Duc 
d'Aiguillon  dazu  verurteilt  worden,  einen  Kopf  kürzer  gemacht 
zu  werden  und  der  Duc  de  la  Vrilliere,  eine  Hand  abgehackt  zu 
bekommen.  Der  Duc  d'Aiguillon  empfand  in  einem  Traum,  in 
dem  er  vermeinte,  hingerichtet  zu  werden,  so  tödliche  Angst, 
daß  ihm  davon  eine  unheilbare  Gelbsucht  zurückgeblieben  ist; 
der  Duc  de  la  Vrilliere  ist,  um  seinem  Schicksal  zuvorzukommen, 
mutig  genug  gewesen,  sich  bei  der  Jagd  die  Hand  abzuschießen. 
Heutzutage  ist  es  durch  militärische  Verfügungen  untersagt, 
einen  Obersten  in  Frankreich  zu  empfangen,  wenn  er  nicht  rote 
Absätze  trägt,  eine  Mätresse  in  der  Oper,  ein  englisches  Gespann 


204 


Der  Gazetier  Cuirasse 


und  ioo  ooo  Dukaten  Schulden  hat.  Findet  man  zwei  Konkur- 
rierende, von  denen  der  eine  die  Allemande  zu  tanzen  weiß,  so 
ist  er  der  Erkorene. 

Der  Scharfrichter  von  Paris  ist  zu  Bicetre  dafür  eingesperrt 
worden,  einem  vom  neuen  Parlament  gemachten  Gefangenen 
seine  Dienste  unter  dem  Vorwand  verweigert  zu  haben,  daß  er 
seinen  alten  Kameraden  nichts  antun  dürfte,  ohne  seine  eigne 
Ehre  zu  verletzen.  Sein  Zartgefühl,  sagt  man,  hat  die  Richter 
zum  Lachen  gebracht,  anstatt  sie  erröten  zu  lassen. 

Man  versichert,  der  Kanzler  behandele  die  Frauen  nicht  so, 
daß  er  sie  lange  an  sich  fesseln  wird,  da  man  ihn  mit  Jesuiten 
überrascht  hat,  zu  denen  er  laut  Anklage  skandalöse  Beziehungen 
unterhalten  haben  soll.  Der  Polizeivorsteher  von  Paris  hat  ihm 
ins  Gesicht  gesagt,  daß  er  im  Laufe  von  drei  Tagen  mit  fünf 
Mitgliedern  dieser  Gesellschaft  unlautere  Dinge  getrieben  habe. 

Wenn  der  Kanzler  sich  keine  Kugel  in  den  Kopf  schießt  oder 
unterwegs  aufgehängt  wird,  wird  er  viel  mehr  erreichen,  als  der 
Kardinal  de  Richelieu,  dessen  Prinzipien  er  sich  alle  zu  eigen 
gemacht  hat.  Er  ist  falscher  und  gewandter  als  dieser  Minister 
und  gleicht  ihm  mindestens  an  Wagemut. 

Es  geht  das  Gerücht,  der  junge  Graf  du  Barry  sei  dafür  in 
Pierre -Ancise,  daß  er  der  Komtesse  gleichen  Namens  gewisse 
kleine  Zweifel  über  ihren  Gesundheitszustand  gemacht  habe,  wie 
sie  sie  gleichfalls  dem  König  im  Vertrauen  mitgeteilt  hat.  Jeden 
Tag  begibt  sich  eine  Deputation  der  Fakultät  nach  Bicetre,  um 
an  Unglücklichen,  die  in  derselben  Lage  sind,  Versuche  zu  ma- 
chen. Ein  Erlaß  des  neuen  Gerichts  gestattet  den  Deputierten, 
ihre  Versuche  selbst  bis  zum  Sterbefalle  auszudehnen. 

Die  königliche  Familie,  die  gestern  Mme  Louise  bei  den  Kar- 
meliterinnen zu  Saint-Denis,  wo  sie  Nonne  ist,  besucht  hat,  emp- 
fing vom  Nuntius  die  Erlaubnis,  sich  gemeinsam  geißeln  zu 
dürfen.  Diese  Gunst,  die  nur  gekrönten  Häuptern  gewährt  wird, 
ist  gleichfalls  sechs  vom  König  bestimmten  Grandseigneurs  er- 


Der  Gazetier  Cuirasse  205 


teilt  worden,  die  manche  Sünden  zu  büßen  haben.  Der  Graf  de 
Noailles  hat  um  die  Erlaubnis  ersucht,  als  Amateur  zugelassen 
zu  werden,  und  sich  von  einem  seiner  vertrauten  Diener  die 
Züchtigung  zuerteilen  zu  lassen. 

Da  der  Graf  de  Provence  vor  seiner  Heirat  die  Erlaubnis  er- 
halten hatte,  seine  Übungen  zu  beginnen,  machte  er  seinen  ersten 
Versuch  im  Hirschpark  in  Gegenwart  des  königlichen  Bevoll- 
mächtigten, Marschall  de  Richelieu,  des  Gesandten  von  Sardi- 
nien und  des  Sachverständigen  Herrn  Tronchin.  Nachdem  dieser 
letztere  dem  Rat  seinen  Bericht  erstattet  hat,  wurde  der  Prinz 
mannbar  erklärt  und  erhielt  in  dieser  Eigenschaft  die  Erlaubnis, 
seine  Lektionen  bis  zur  Ankunft  der  Prinzessin  fortzusetzen,  die 
ihn  dann  in  allen  Feinheiten  des  Ritus,  in  den  man  ihn  einge- 
weiht hatte,  wohlversiert  fand.  Diese  Versuche  haben  die  Preise 
für  Jungfrauen  ins  Unerschwingliche  getrieben,  da  der  Marschall 
von  Richelieu  und  der  Kanzler  ein  den  jungen  Prinzen  be- 
stimmtes Warenlager  eingerichtet  hatten,  worauf  sich  der  Groß- 
vater nicht  die  Mühe  hat  nehmen  lassen,  sie  für  den  Jungen 
vorzubereiten,  dem  er  Erleichterung  zu  verschaffen  und  gleich- 
zeitig der  ersten  Anstrengungen  zu  beheben  wünschte. 

Der  Kanzler  hat  den  Prinzen  Conti  um  eine  Audienz  ersuchen 
lassen  und  der  Prinz  hat  ihm  sagen  lassen,  daß  er  ihn  nur  beim 
Scharfrichter  zu  sehen  wünsche. 

Man  hat  verbreitet,  daß  die  Marquise  de  Langeac,  die  Baronin 
de  New-N .  . . ,  Madame  de  St . .  d,  die  Prinzessin  von  Anhalt  und 
ihre  Tochter  die  Ehre  gehabt  haben,  ebenso  wie  die  Marquise  de 
Trembl. . .  am  Auferstehungstage  durch  Mme  Gourdan  der 
Mme  du  Barry  vorgestellt  worden  zu  sein. 

Longchamp  war  dies  Jahr  glanzvoller  denn  je.  Mme  la  Com- 
tesse  du  Barry  erschien  in  einer  süperben,  mit  acht  weißen  Pfer- 
den bespannten  Kalesche,  mit  Madame  de  St. .  D. .  und  ihrer 
ehemaligen  Rivalin  Dorothee;  der  Herzog  de  Sevres  diente  ihr 
als  Kutscher,  der  Herzog  de  Luynes  als  Kurier,  ihr  Postillon  war 


2o6  Der  Gazetier  Cutrasse 

der  Herzog  von  Chevreuse  mit  einer  englischen  Mütze  und  einer 
an  allen  Nähten  galonnierten  kurzen  Jacke;  als  Lakaien  fungier- 
ten der  Graf  von  Egmont,  M.  de  l'Espinasse  und  Graf  Deck,  im 
Verein  mit  den  zwei  Haiducken  des  Prinzen  Louis  und  dem 
Neger  des  Herzogs  von  Chartres;  zwölf  Stallknechte  ritten  der 
Kalesche  voran  und  folgten  ihr;  sie  waren  aus  Rücksicht  auf  den 
Herzog  d'Aiguillon,  der  zu  ihnen  gehörte,  maskiert. 

Mlle  Romans  soll  Herrn  von  Croismare,  den  Gouverneur  der 
Militärschule,  ehelichen,  der  aus  seiner  ersten  Klasse  sechs  Adju- 
tanten aussuchen  will,  die  den  ehelichen  Dienst  an  seiner  Stelle 
erfüllen  sollen. 

Man  behauptet,  der  Pfarrer  von  Saint-Eustache  sei  in  fla- 
granti mit  der  Oberin  des  Wohltätigkeitsvereins  seiner  Gemeinde 
ertappt  worden;  was  ihnen  allen  beiden  sehr  zur  Ehre  gereichen 
sollte,  wenn  man  bedenkt,  daß  sie  beide  achtzigjährig  sind. 

Als  der  Herzog  von  Vauguyon  dem  Erzbischof  von  Paris  einen 
Brief  geschrieben  hatte,  in  dem  er  ihm  mitteilte,  daß  er  kommu- 
nizieren wolle  und  um  seinen  Segen  bitte,  äußerte  Mme  de 
Tesse,  die  in  der  Gesellschaft  durch  ihren  scharfen  Witz  be- 
rühmt ist,  daß  Gott  sich  recht  viel  Ehre  erweisen  würde,  wenn 
er  sich  enthalten  könne,  in  den  Leib  dieses  Heiligen  einzugehen. 

Als  des  Königs  Beichtiger  in  Ungnade  fiel,  da  man  ihn  mit  den 
Pagen  scherzend  fand,  hat  man  einen  Bewerb  um  diese  Stelle 
eröffnet,  die  demjenigen  Geistlichen  zuerteilt  werden  soll,  der 
am  wenigsten  auf  Gewissen  Wert  legt.  Der  Erzbischof  von  Rouen 
wurde  vorgeschlagen,  da  er  aber  lange  Zeit  in  skandalösen  Be- 
ziehungen zu  einem  seiner  Großvikare  gestanden  hat,  ist  er  ver- 
worfen worden;  die  Herren  Kardinäle  de  Gevres  und  de  Luynes 
sind  seitdem  dazu  bestimmt  worden,  den  Dienst  semesterweise 
auszufüllen.  Da  jedoch  der  eine  nicht  lesen  kann  und  der  andere 
noch  nicht  seine  Ohrfeige  abgewaschen  hat,  ist  man  der  Ent- 
scheidung seiner  Majestät  ungewiß. 

Als  sich  die  gesamte  Universität  von  Paris  nach  Versailles  be- 


Der  Gazetier  Cuirasse  207 


geben  hatte,  um  Vorhaltungen  über  die  schlechten  Zeiten  zu  ma- 
chen, hat  der  Rektor,  der  ein  von  Wissen  starrender  Mann  ist, 
den  König  bei  seinem  Vortrag  an  all  die  Katastrophen  erinnert, 
die  den  Revolutionen  in  der  alten  sowohl  wie  der  neuen  Ge- 
schichte gefolgt  sind.  Er  hat  die  Gelehrsamkeit  so  weit  getrieben, 
40  Könige  zu  nennen,  die  von  ihren  Günstlingen  geblendet  oder 
ins  Unglück  gestürzt  worden  sind  usw.  usw.  Dieser  beredte  Vor- 
trag, der  in  drei  Teile  zerfiel  und  hundert  Unterabteilungen 
hatte,  hat  damit  geendet,  daß  der  Rektor  Tränen  vergossen  und 
der  König  sich  ein  heftiges  Kopfweh  zugezogen  hat;  doch  hat 
er,  der  Nation  zum  Glück,  in  seinen  Privatgemächern  soupiert, 
die  er  verlassen  hat,  um  geruhig  diese  Abkanzlung  zu  verdauen. 
Der  Kanzler  hat  die  ganze  Deputation  auspeitschen  lassen,  da- 
mit sie  recht  oft  wiederkehre. 

Vor  einiger  Zeit  hat  man  in  einer  Boulevardecke  einen  um- 
gestürzten Wagen  gefunden,  der  mit  Fässern  beladen  war,  die 
eins  über  dem  anderen  lagen;  an  der  Deichsel  hingen  drei  cha- 
rakteristisch gekleidete  Puppen:  die  eine  als  Abbe,  die  andere  im 
Talar,  die  dritte  im  herzoglichen  Mantel. 

In  derselben  Nacht  fand  man  das  Reiterstandbild  eines  un- 
serer Könige  ganz  mit  Kot  besudelt,  der  aus  einem  Faß 
gestürzt  war,  das  man  bis  zu  den  Schultern  über  ihn  gestülpt 

hatte. 

Des  Königs  Anhänglichkeit  an  Madame  du  Barry  verdankt 
sie  den  außerordentlichen  Anstrengungen,  zu  denen  sie  ihn  mit- 
tels eines  internen  Ambrabades  zwingt,  mit  dem  sie  sich  täglich 
parfümiert.  Man  behauptet  außerdem,  daß  sie  auch  ein  anderes 
Geheimmittel  anwende,  das  man  in  guter  Gesellschaft  noch  nicht 

gebraucht. 

Die  französische  Nation  ist  heutzutage  so  schlecht  konstituiert, 
daß  robuste  Leute  unerschwinglich  sind.  Man  versichert,  daß 
ein  in  Paris  neuangekommener  Lakei  von  den  Frauen,  die  sich 
seiner  bedienen,  ebenso  teuer  bezahlt  wird,  wie  in  England  ein 


208  Der  Gazetür  Cutrasse 

Rassepferd.  Wenn  dies  System  in  Aufnahme  kommt,  werden  ein 
oder  zwei  Generationen  zur  Auffrischung  genügen. 

Seit  einiger  Zeit  erscheint  ein  Verbot  des  Priapismus  vom 
Bischof  de  Saint-Brieux,  der  seit  seinem  Abenteuer  noch  nicht 
von  dieser  Krankheit  geheilt  ist.  Das  Erstaunlichste  daran  ist, 
daß  er  dies  einem  Schrecken  verdankt. 

Die  Fruchtbarkeit  hat  sich  ins  Kloster  der  Filles  de  la  Con- 
ception  eingeschlichen ;  dort  hat  der  heilige  Geist  in  einer  Nacht 
zehn  Wunder  vollbracht. 

Um  den  Inzesten,  die  der  Klerus  in  Frankreich  begeht,  zuvor- 
zukommen, wird  es  in  Zukunft  den  Priestern  erlaubt  sein,  Frauen 
zu  nehmen,  damit  sie  sich  nicht  ihrer  Schwestern  zu  bedienen 
brauchen. 

Da  der  Prince  de  Clermont  vermeinte,  sein  Gewissen  spräche 
in  dem  Handel  mit,  der  zwischen  ihm  und  Mlle  Leduc  (die 
Marquise  geworden  ist)  abgeschlossen  ist,  hat  er  plötzlich  seine 
Besuche  bei  ihr  eingestellt,  um  sich  einem  fünfzehnjährigen 
Mädchen  zu  attachieren,  die  sein  Almosenier  ihm  verschafft  hat, 
weil  dieser  gute  Priester  dachte,  daß  in  Gottes  Augen  die  größ- 
ten Vergehen  die  Gewohnheitssünden  seien. 

Der  Herr  Keiser  hat  die  falschen  Zähne  in  Frankreich  so  in 
Mode  gebracht,  daß  die  Überzahl  der  Hofdamen  sich  durch  ihn 
welche  verschafft  hat,  um  die  natürlichen,  die  er  ihnen  zum  Aus- 
fallen bringt,  zu  ersetzen. 

Bei  der  Komtesse  du  Barry  wird  oft  Komödie  gespielt;  man 
versichert,  der  Kanzler  sei  ein  so  guter  Schauspieler,  daß  er  alle 
erdenklichen  Rollen  übernimmt. 

Prinz  Louis  de  Rohan  ist  in  einem  Freudenhaus  vom  Kommis- 
sar Formey  und  zwei  Polizisten  überrascht  worden,  die  ihn  ohne 
Rücksicht  auf  seinen  Stand  das  bei  solchen  Anlässen  übliche  For- 
mular haben  unterschreiben  lassen:  „Ich  gebe  zu,  mit  einer  ge- 
wissen Rosalie,  Freudenmädchen,  bis  zur  vollkommenen  Auf- 
lösung verkehrt  zu  haben  und  zeichne  im  Bewußtsein  dessen  ..." 


Der  Gazetier  Cuirasse  209 

Englische  Moden  werden  heutzutage  so  allgemein  in  Paris 
akzeptiert,  daß  alle  Agreables  ihre  Morgenvisiten  in  englischer 
Kleidung,  die  sie  „Fracs  ä  la  roast-beef"  nennen,  abstatten. 
Ohne  ihre  Spitzen,  ihre  roten  Stöckel,  ihre  fleischfarbenen  Hand- 
schuhe und  den  rostroten  Puder  wäre  die  Ähnlichkeit  vollkommen. 

Die  Frau  Marschallin  de  Mirepoix,  die  der  Gräfin  du  Barry 
drei  Jahre  gut  gedient,  ist  unwiderruflich  in  Ungnade  gefallen, 
weil  sie  ihre  Zärtlichkeit  zwischen  ihr  und  einer  anderen  Schü- 
lerin teilen  wollte,  die  sie  heimlich  im  Hirschpark  vorgestellt  hat. 

Die  vier  anständigsten  Häuser  von  Paris  sind  nach  denen  der 
Damen  Gourdan  und  Brissault  die  der  Damen.  Prinzessin  von 
Anhalt,  der  Gräfin  von  Auxonne,  der  Madame  de  la  Fournerie 
und  der  Madame  de  Rochechouart.  Alle  Fremden  werden  hier 
mit  offenen  Armen  empfangen.  Man  sagt,  die  Gräfin  de  Nan- 
crey,  Madame  de  Buff . . .  und  die  Damen  Hardwi...  fügen 
dieser  liebenswürdigen  Aufnahme  noch  „soupers-couchers"  hin- 
zu, die  den  Unglücklichen  recht  tröstlich  sind. 

Die  Tochter  des  Herzogs  de  Fleurus  ist  soeben  bei  den  schwar- 
zen Musketieren  eingetreten,  wo  sie  vom  Marquis  de  la  Riviero, 
dem  Fahnenträger  dieser  Kompagnie,  empfangen  worden  ist, 
der  angesichts  der  Kirche  die  Erlaubnis  erhalten  hat,  ihr  Kinder 
zu  machen. 

Da  der  König  anfängt,  einen  Kalender  zu  machen,  hat  Ma- 
dame du  Barry  zu  seinen  Stellvertretern  den  Grafen  de  Lugeac 
und  den  jungen  Marquis  de  Chabrillant  erwählt,  dessen  Talente 
sie  vor  ihrer  Rangerhöhung  gekannt  hat;  dies  behauptet  auch 
der  Marquis  selber. 

Der  Marquis  de  Maiilebois  hat  sich,  nachdem  er  sich  erst  be- 
schneiden ließ,  nach  der  Türkei  begeben,  um  die  dortige  Armee 
zu  befehligen;  dem  Könige  und  dem  Tribunal  hat  er  vernich- 
tende Briefe  geschrieben.  Sein  Serail  wird  aus  zwölf  Frauen  be- 
stehen, die  ihrerseits  eine  jede  zwölf  Frauen  zu  ihrer  Bedienung, 
zum  nächtlichen  Dessert  dieses  neuen  Mohammedaners  mit- 
1.  14 


210  Der  Gazetier  Cutrasse 

führen  werden;  der  Marquis  nimmt  als  Obereunuchen  den  Prä- 
sidenten von  Perigny  mit  sich,  der  deshalb  soeben  von  Keiser 
operiert  worden  ist. 

Mme  du  Barry  hat  Herrn  von  Bussy-Rabutin  schon  zwei-  oder 
dreimal  um  seinen  berühmten  Diamanten,  den  sie  sehr  begehrt, 
bitten  lassen;  doch  hat  sie  sich  auf  seine  Refus  hin,  ihn  zu  ver- 
kaufen und  seine  geringe  Neigung,  ihn  ihr  zu  schenken,  ent- 
schlossen, sich  des  neuen  Gerichtshofes  und  des  Dezembererlas- 
ses zu  bedienen,  um  ihn  zu  ihrem  eigenen  Nutzen  konfiszieren 
zu  lassen. 

Beim  Ball  pare  zu  Versailles  war  gelegentlich  der  Hochzeit 
des  Grafen  von  Provence  so  gute  Gesellschaft  vereinigt,  daß  der 
Prinz  von  Soubise  seiner  Börse  und  andere  Personen  ihrer  Uhren 
beraubt  worden  sind. 

Herr  Baumartin,  Intendant  zu  Lille,  hat  soeben  von  Seiner 
Majestät  die  Erlaubnis  erhalten,  den  großen  Orden  des  Heiligen 
Ludwig  zu  tragen,  um  in  höherer  Gnade  zu  stehen,  wenn  er 
sich  zu  den  Freudenmädchen  begibt,  was  oft  bei  ihm  vorkommt, 
obgleich  er  eine  ständige  Mätresse  hält. 

Der  Abbe  Messier  hat  am  I.  April  dieses  Jahres  das  Fegefeuer 
entdeckt;  ganz  Paris  hat  sich  nach  dem  Observatorium  begeben, 
um  sich  von  dieser  Entdeckung  zu  überzeugen,  die  der  Sorbonne 
zur  Basierung  ihrer  Argumente  und  dem  Klerus  zu  seiner  Er- 
hebung sehr  nützlich  ist. 

M.  de  Valdahon,  Musketär,  hat  soeben  vom  Gericht  zu  Metz 
die  Erlaubnis  erhalten,  mit  Mademoiselle  Lemon ...  zu  schlafen, 
trotz  seines  Vaters,  der  verurteilt  worden  ist,  60  000  Pfund  Ker- 
zen zu  bezahlen,  um  die  Zeremonie  zu  beleuchten. 

In  Paris  ist  eine  Truppe  in  der  Kunst  zu  fegen  sehr  gewandter 
Savoyarden  angekommen;  die  Damen  des  Hofes  haben  sich  vor- 
genommen, ihren  Nutzen  daraus  zu  ziehen,  um  alte  Krusten, 
die  die  Schwäche  französischer  Schornsteinfeger  in  ihren  Kaminen 
gelassen  hat,  entfernen  zu  lassen. 


Der  Gazetier  Cuirasse  211 


Man  hat  einen  Karthäuser  entdeckt,  der  jede  Nacht  aus  sei- 
nem Kloster  entwich,  um  die  Oberin  und  die  Oberlehrerin  der 
Novizen  zu  Port-Royal  zu  bedienen.  Eine  Nonne,  die  es  nicht 
gewohnt  war,  bedient  zu  werden,  hat,  als  sie  ihn  erblickte,  einen 
Schrei  ausgestoßen,  der  ihre  Gefährtinnen  herbeigelockt  hat, 
mit  denen  sie  am  nächsten  Morgen  am  Gitter  allen  Leuten  da- 
von erzählte. 

Der  Marquis  de  Soyecourt,  dem  der  König  nicht  das  Recht 
gelassen  hatte,  die  Kaninchen  zu  töten,  die  seinen  Park  in  Mai- 
sons  abgrasen,  steht  in  Verkaufsunterhandlungen  wegen  dieses 
süperben  Schlosses  mit  Mme  du  Barry,  die  auf  der  Jagd  zufällig 
gestürzt  ist,  da  die  Hunde,  die  ein  Stinktier  verfolgten,  von  dessen 
Fährte  durch  den  Marquis,  der  in  seinen  Avenuen  spazieren 
ging,  abgeleitet  wurden. 

Als  man  das  Grab  des  Geschlechts  der  Matignon  öffnete,  hat 
man  einen  Kiefer  gefunden,  der  den  Fürsten  von  Monaco  und 
die  bei  diesem  Anlaß  konsultierte  Fakultät  arg  verwirrt;  er 
gleicht  so  außerordentlich  einer  Eselskinnbacke,  daß  man  ihn 
dafür  halten  könnte,  wüßte  man  nicht  mit  Sicherheit,  daß  nur 
Angehörige  dieses  Hauses  in  dem  Grab  beerdigt  worden  sind. 

In  Paris  zählt  man  mehr  als  2000  ausgehaltene  Frauen  und 
Mädchen,  die  Einfluß  genug  haben,  um  ihre  Väter,  ihre  Brüder 
und  ihre  Gatten  einsperren  lassen  zu  können.  Der  Herzog  de  la 
Vrilliere  paraphrasierte  selbst  ehemals  die  Hafturkunden  dieser 
Unglücklichen,  doch  sind  es  heute  seine  Sekretäre,  die  sie  ge- 
meinsam mit  einem  Chevalier  ausfertigen. 

Man  vernimmt,  daß  die  Schultern  des  Herzogs  de  Villeroi  sich 
mit  dem  Stock  des  Herzogs  de  Fronsac  ohne  die  Einmischung 
der  Marschälle  von  Frankreich  versöhnt  haben. 

Der  Hof  von  Frankreich  hat,  ermutigt  durch  das  gute  Ge- 
lingen des  vorjährigen  Feuerwerks,  ein  anderes  zu  Versailles  ver- 
anstaltet, das  glücklicherweise  kein  Menschenleben  gekostet  hat, 
obschon  man  100  000  Mal  entladen  hat  und  10  000  Menschen 

14* 


212  Der  Gazetier  Cuirasse 

zu  Versailles  waren,  die  der  Überfluß  an  Lebensmitteln  veran- 
laßte,  sich  ohne  Abendbrot  schlafen  zu  legen. 

Der  Marschall  von  Richelieu  hat  den  Preis  des  Elyseerennens 
gewonnen,  indem  er  vor  dem  Prinzen  von  Conti  floh,  der  ihn 
mit  erhobenem  Stock  bis  zu  seiner  Karosse  verfolgt  hat. 

Man  behauptet,  „Conseil  superieur"  bedeute  in  gutem  Fran- 
zösisch „Assemblee  mercenaire  de  gens  vendus",  die  immer  dem 
Fürsten  zu  Willen  handeln,  wenn  man  es  von  ihnen  fordert. 

Man  hat  bemerkt,  daß  die  V. . .  M. . .  von  vier  Prostituierten 
abstammt,  daß  Katharina  I.  eine  Soldatenfrau  war  und  die  Grä- 
fin du  Barry  die  Tochter  eines  Dienstmädchens  und  eines  Mön- 
ches ist. 

Ein  monarchischer  Staat  ist  dem  Kanzler  de  Maupeou  zu- 
folge ein  Staat,  in  dem  der  Fürst  das  Recht  über  Tod  und  Leben 
aller  seiner  Untertanen  hat,  wo  er  Besitzer  alles  Vermögens  in 
seinem  Reiche  ist,  wo  Ehre  auf  arbiträren  Prinzipien  fundiert 
ist,  ebenso  wie  Rechtlichkeit,  die  immer  den  Befehlen  des  Sou- 
veräns gehorchen  muß. 

Die  Pairie  war  ehemals  in  Frankreich  eine  Würde,  die  nicht  die 
leiseste  Verunreinigung  zuließ.  Heute  aber  darf  ein  Pair  vergiften, 
eine  Provinz  ruinieren,  Zeugen  verführen,  vorausgesetzt,  daß  er 
geschickt  genug  ist,  den  Hof  zu  machen  und  gewandt  zu  lügen. 

Der  Name  „Marquis"  ist  in  Paris  nicht  immer  wie  anderswo 
das  Zeichen  einer  betitelten  Besitzung  (die  das  Recht  verleiht, 
den  Namen  zu  tragen);  in  den  meisten  Fällen  ist  er  die  einge- 
bildete Eigenschaft  eines  kleinen  Edelmannes  ohne  Güter,  der 
nur  ein  Paar  Schuhe  mit  roten  Stöckeln,  zwei  Hemden  und  einen 
Federbusch  sein  eigen  nennt,  worauf  sein  Marquisat  gegrün- 
det ist. 

Unter  all  den  französischen  Generaloffizieren,  deren  es  mehr 
als  800  gibt,  sind  nicht  80,  die  den  Rang  ihren  Verdiensten  ver- 
danken; in  allen  Ländern  der  Erde  haben  die  militärischen 
Grade  den  Preis  ihrer  Begabung  oder  hervorragender  Hand- 


Der  Gazetier  Cuirasse  213 

■  — 

lungen ;  doch  gibt  es  in  Frankreich  Korps,  wo  diese  Grade  kom- 
men wie  die  weißen  Haare.  Man  braucht  nur  zu  warten. 

Da  die  Mode  sich  in  Frankreich  eingebürgert  hat,  mit  der 
Frau  zu  erröten,  sind  die  Frauen,  um  sich  zu  rächen,  überein- 
gekommen, mit  ihren  Liebhabern  nicht  mehr  zu  erröten. 

Wenn  der  Sultan  einigen  Opfern  den  Strick  schickt,  beginnen 
die  Stummen  zu  plündern .  Zwischen  den  türkischen  Gebräuchen 
und  den  sehr  christlichen  Sitten  besteht  kein  großer  Unterschied. 

Ein  Premierminister  ist  ein  Mann,  auf  den  die  guten  und  die 
schlechten  Erfolge  denselben  Einfluß  ausüben  als  den,  den  er 
sich  über  die  anderen  Menschen  anmaßt;  das  Schicksal  zahlt  ihm 
oft  seine  Ungerechtigkeit  und  seine  Blindheit  mit  gleicher  Münze. 

Die  Existenz  eines  Mannes-  der  sich  nicht  achtet,  ist  eine  lang- 
same Qual,  die  ihn  zerreißt,  wenn  er  kein  Monstrum  ist;  man 
mutet  dem  Herzog  d'Aiguillon  diese  Meinung  zu,  doch  besteht 
man  nicht  darauf 

Es  gibt  Redlichkeitsfehler,  die  in  der  Welt  keineswegs  ent- 
ehren; 100  000  Dukaten  Schulden  verhindern  nicht,  daß  je- 
mand empfangen  werde,  wenn  man  auch  überzeugt  davon  ist, 
daß  er  sie  niemals  zurückzahlen  wird;  Mangel  an  Mut  schließt 
ihn  gewöhnlich  unwiderruflich  aus;  nur  der  Marquis  de  Vill  roy 
bildet  eine  Ausnahme  zu  dieser  Regel. 

Paris  ist  ein  tiefer  Abgrund,  in  dem  alle  im  Galopp  ankom- 
men und  sich  mit  schrecklichem  Getöse  aufeinanderstürzen;  die 
Schnelligkeit  der  Gesten  ist  sehr  verwirrend  für  einen  Philo- 
sophen, der  genötigt  ist,  eine  Brille  zu  benützen,  wenn  er  nicht 
schon  in  dies  Chaos  gerollt  ist;  heftige  Bewegungen,  glänzendes 
Äußere,  unvernünftige  Eile  und  extravagante  Ausgelassenheit 
sind  Sprungfedern,  die  er  vermutet;  nichts  geht  darüber.  Hat 
man  in  diesem  Wirbel  gelebt,  so  weiß  man,  daß  Vergnügen,  In- 
teressiertheit und  Eitelkeit  die  großen  Ressorts  dieser  ganzen 
Maschine  sind;  man  weiß,  daß  Leute,  die  am  meisten  beschäftigt 
scheinen,  gar  nichts  zu  tun  haben,  daß  die  schnellsten  Pferde 


214  ®er  Gazetier  Cuirasse 


gar  oft  von  dem  Händler,  der  sie  verkauft  hat,  angehalten  wer- 
den, daß  die  Stickereien,  die  die  Liebenswürdigen  tragen,  Lohn- 
arbeitern gehören,  die  im  Gefängnis  sitzen,  um  sie  zu  bezahlen. 
Man  weiß,  daß  die  Frauen,  die  am  meisten  ihre  vornehme  Ge- 
sinnung betonen,  nur  noch  ein  schwaches  Erinnern  ihrer  ver- 
gangenen Tugend  besitzen;  man  weiß,  daß  fast  alle  Grandseig- 
neurs  gänzlich  unwissend,  wenn  nicht  wirkliche  Dummköpfe 
sind;  daß  die  Abbes  Schamlose  und  Verräter  sind;  endlich  weiß 
man,  daß  es  Leute  gibt,  die  kurz  vor  ihrer  Erhöhung  im  Schlamm 
gesteckt  haben,  und  daß  sie  heute  hoch  oben  auf  dem  Rade 
schweben,  auf  dem  sie  hätten  angebunden  sein  sollen,  wenn  es 
eine  Gerechtigkeit  gäbe. 

London  ist  eine  Ansammlung  von  Kaufleuten  und  Philoso- 
phen, die  sich  sehr  gut  untereinander  verstehen;  der  Philosoph 
bildet  Systeme,  wird  schwindsüchtig  und  stirbt  ohne  das  häus- 
liche Equilibrium  seines  Nachbarn  zu  stören,  der  seiner  Frau 
Kinder  macht,  Roastbeef  und  Plumpudding  verzehrt  und  mit 
einer  schlechten  Verdauung  endet. 

Dasselbe  Ungeheuer,  das  Stricke  in  Konstantinopel  dreht, 
taucht  die  Hemden  in  den  Schwefel  zu  Lissabon,  läßt  die  Hu- 
ronen  in  Amerika  rösten  und  destilliert  die  Cachets  zu  Versailles. 

Es  gibt  Frauen,  deren  Angriff  so  anständig  ist,  daß  es  nichts 
nutzt,  sie  zu  insultieren :  ihre  Seelengüte  und  die  Sanftmut  ihrer 
Sitten  bewahren  sie  nicht  vor  der  Achtung,  die  sie  einflößen. 

Ein  unfehlbarer  Erwerb  in  Paris  für  eine  Frau,  der  ein  wenig 
Figur  geblieben  ist  und  die  nicht  zu  dumm  ist,  um  taktvoll  zu 
sein,  ist  es,  der  ganzen  Welt  die  Tür  zu  öffnen ;  so  hat  sie  immer 
neue  Liebhaber,  lebt  auf  diese  Weise  im  Aufwand  und  langweilt 
sich  nicht  so  wie  eine  Prüde.  Dreißig  Jahre  lang  haben  Mme  de 
Gramont  und  Mme  de  Rochechouart  diese  Moral  in  Praxis  um- 
gesetzt. 

Ein  Kardinal,  der  zu  Rom  Geistlicher  ist,  ist  in  Spanien  und 
in  allen  abergläubischen  Ländern  vom  Papst  bezahlt,  in  Frank- 


Der  Gazetier  Cuirasse  215 


reich  ist  es  ein  muskelstarker  oder  intriganter  Abbe,  der  sich 
seinen  Hut  durch  Geschicklichkeit  oder  Kraftmittel  verdient; 
in  England  wäre  dies  ein  seltsames  Wundertier. 

Das  Menschenrecht  ist  ein  allgemeines  Gesetz  der  ganzen  Welt, 
das  nur  in  London  respektiert  wird,  wo  es  jedoch  zeitweilig  von 
Schurken,  die  nichts  zu  verlieren  hatten  und  alles  wagen  wollen, 
auf  scheußliche  Weise  vergewaltigt  worden  ist. 

Der  einzige  Unterschied,  der  zwischen  der  Inquisition  und 
der  Bastille  besteht,  ist  der,  den  man  zwischen  einem  wütigen 
Hund  und  einem  Wolfe  findet. 

Die  Brahminen,  Derwische  und  katholischen  Mönche  sind  drei 
Arten  Schelme,  von  denen  die  einen  Almosen  entwenden,  wäh- 
rend die  anderen  die  Dummköpfe,  die  sie  verehren,  ausplündern 
und  brandschatzen. 

Die  Academie  Francaise  hat  eine  außerordentliche  Prämie 
für  Beredsamkeit  gestiftet,  die  aus  einer  goldenen  Medaille  zu 
1200  Livres  bestehen  soll  und  dem  verliehen  wird,  der  am  klar- 
sten beweisen  kann,  daß  der  Kanzler  ein  Ehrenmann,  Madame 
du  Barry  eine  anständige  Frau  und  daß  der  Herzog  d'Aiguillon 
unschuldig  ist,  daß  der  Marschall  de  Richelieu  nicht  übel  riecht 
und  der  Herzog  de  la  Vrilliere  ein  Mann  von  Geist  ist.  Wenn 
die  Autoren  nicht  den  Mut  haben  soJlten,  sich  zu  nennen,  so 
wird  der  Preis  an  die  von  ihnen  angegebene  Adresse  gesandt 
.werden. 

In  Frankreich  erscheint  ein  Buch  betitelt:  „Journal  d'un 
homme  d'esprit  ä  l'usage  des  sots"  (Journal  eines  geistreichen 
Mannes  zum  Gebrauch  für  Dummköpfe) ;  alle  Einwohner  haben 
darauf  abonniert. 

Jeden  Tag  findet  sich  bei  Mme  Geoffrin  eine  Gesellschaft 
Schöngeister  ein,  die  aus  dem  Herzog  de  la  Tremoille,  dem 
Herzog  de  Montmorency,  dem  Marquis  de  Beth. .  .e,  de  Soye- 
court  und  de  Fouquieres  usw.  besteht.  Als  der  Graf  de  Charo- 
lais  durch  den  Marquis  d'Asnieres  dort  eingeführt  wurde,  hat  er 


2i6  Der  Qazetier  Cuirasse 

eine  Denkschrift  über  die  günstigste  Methode,  Disteln  zu  ziehen, 
vorgelesen,  und  die  ganze  Gesellschaft  höchlichst  entzückt. 

Als  der  Marquis  de  Maillebois  sich  von  der  Akademie  der  Wis- 
senschaften vor  seiner  Abreise  nach  der  Türkei  verabschieden 
wollte,  hat  er  eine  Versammlung  berufen,  der  er  präsidiert  hat. 
Der  Sieur  Cadet,  ein  Akademiker  und  Kollege,  hat  ihm  nach 
einer  Dissertation  über  das  Wesen  der  Huris,  ein  Glas  jungfräu- 
licher Milch  angeboten,  die  dieser  General  auf  das  Wohl  der 
Versammelten  getrunken  hat.  Darauf  ist  er  mit  seiner  Nacht- 
mütze und  seinen  Schlafpantoffeln  in  der  Tasche  nach  Konstan- 
tinopel abgereist. 

Das  System  von  J.  ].  Rousseau  steht  zurzeit  bei  Hof  in  größter 
Gunst;  die  Grandseigneurs  gewöhnen  ihre  Kinder,  um  sich  in 
ihnen  wiederzuerkennen,  daran,  auf  allen  Vieren  zu  kriechen. 

Nachdem  der  Abbe  de  l'Attaignant  so  viele  Trinklieder  ge- 
schrieben hat,  hat  er  sich  ruhebedürftig  zu  den  Paters  der  Dok- 
trin zurückgezogen,  wo  er  mit  dem  Bruder  Küfer  verabredet 
hat,  daß  er  betrunken  sterben  werde. 

Zurzeit  druckt  man  ein  Alphabet  überflüssiger  Leute,  auch 
„Dictionnaire  Musque"  genannt,  das  eine  enzyklopädische  Auf- 
zählung hochadeliger  Persönlichkeiten  sein  soll.  Die  Artikel: 
„Chenil,  Toilette,  Ecurie,  Bonne  Fortune"  werden  insbesonders 
mit  viel  Sorgfalt  als  die  Hauptbedingungen  einer  guten  Er- 
ziehung behandelt  werden. 

Der  Chevalier  de  Choiseul  hat  soeben  die  Kunst  erfunden, 
zwanzig  Pferde  und  zehn  Dienstboten  usw.  mit  einer  Rente  von 
ioo  Louis  zu  verköstigen;  diese  Arbeit  wird  auf  Kosten  der  Ma- 
demoiselle  Fleurys  gedruckt  werden,  die  dem  Verfasser  500  Louis 
geliehen  hat. 

Der  Herzog  de  Nivernais  hat  soeben  seine  Fables  und  die  Ge- 
schichte seiner  armen  Nerven  drucken  lassen.  Man  versichert, 
daß  dies  Buch  sehr  geeignet  sei,  die,  die  am  härtesten  über  ein- 
gebildete Krankheiten  denken,  zu  erweichen. 


Der  Gazetier  Cuirasse  217 


Der  Abbe  Joanet  hat  soeben  ein  Buch  unter  dem  Titel  „Les 
betes  mieux  connues"  herausgebracht,  in  dem  er  all  diejenigen 
definiert,  die  sich  jetzt  im  Ministerium  befinden. 

Der  Kanzler  läßt  mit  größter  Eile  an  einem  Buche  arbeiten, 
das  unter  dem  Titel  „Le  Dictionnaire  des  crimes"  erscheinen  wird, 
das  seine  Untemenmungen  rechtfertigen  soll,  indem  er  verglei- 
chungsweise  beweist,  daß  es  in  der  Welt  immer  Schurken  ge- 
geben hat:  jedes  Jahrhundert  liefert  dem  Kanzler  ein  oder  zwei 
Entschuldigungen. 

M.  Thomas  bringt  ein  Essay  über  den  Charakter,  den  Geist 
und  die  Arbeit  der  Frauen,  der  beweist,  daß  sie  immer  geeigneter 
gewesen  sind,  die  Menschheit  fortzusetzen,  als  sie  vorwärts  zu 
bringen. 

Die  Literatur  hat  dies  Jahr  mehrere  junge  Mitarbeiter  ver- 
loren, die  auf  eine  große  Zukunft  hoffen  ließen ;  unter  anderen 
Piron,  M.  de  Moncrif,  den  Präsidenten  Henault,  Mme.  de  Go- 
mez  und  die  Abbes  Alaric  und  des  Maretz,  die  zusammen  un- 
gefähr fünfundeinhalbes  Jahrhundert  zählten;  alle  sind  sie  in  der 
Blüte  ihrer  Kindheit  gestorben. 

Mme  Riccoboni  fährt  fort,  die  Aufmerksamkeit  ihrer  Leser 
durch  Gefühlsmätzchen  zu  unterhalten,  die,  sollte  man  zuviel 
davon  genießen,  eine  recht  heftige  Anstrengung  würden.  Bald 
soll  ein  Roman  von  ihr  erscheinen,  der  den  Titel  trägt:  „Les 
efforts".  Man  versichert,  daß  viel  effort  dazu  gehören  wird, 
ihn  von  Anfang  bis  zu  Ende  zu  lesen. 

M.  d'Alembert  hat  in  der  letzten  Akademiesitzung  ein  Epistel 
M.  Saurins  über  die  Gebrechen  des  Alters  gelesen,  die,  dank  der 
sympathischen  Salbung  d'Alemberts  der  ganzen  Versammlung 
Tränen  entlockten,  als  er  die  „Klage  der  Impotenz"  verlas. 

„Die  Kunst,  einen  Liebhaber  zum  Bankrott  zu  bringen"  von 
Mlle  Deschamps  veröffentlicht,  ist  soeben  von  Mme  de  Monta- 
lais  durchgesehen  und  korrigiert  worden ;  diese  hat  auf  Kosten 
Herrn  Fontanieux  in  ihrem  kleinen  Haus  zu  Bercy  eine  neue 


21 8  Der  Gazetier  Cuirasse 

Ausgabe  herausgebracht.  Man  verspricht  uns  Studien  über  den 
Charlatanismus  des  Hofes  in  Rom,  den  Unglauben  der  Priester, 
die  Schurkenhaftigkeit  der  Mönche  und  die  Schrecken  der  In- 
quisition; sie  werden  sehr  dienlich  sein  der  ganzen  christlichen 
Welt  den  Star  zu  stechen. 

Der  Chemiker  Beaume  hat  soeben  eine  Abhandlung  über  die 
Gifte  herausgebracht,  die  er  dem  Herzog  d'Aiguillon  dediziert 
hat;  dieser  Herzog  hat  ihm  aus  Dankbarkeit  versprochen,  ihm 
in  Zukunft  seine  tätige  Unterstützung  zu  gewähren. 

Die  Oper  „Circe"  soll  aufgeführt  werden,  und  man  will  all 
die  Ähnlichkeiten  bewahren,  die  das  Gedicht  erfordert:  unter 
anderem  wird  es  einen  Tanz  grunzender  Tiere  geben,  die  man 
ohne  Not  unter  den  Angestellten  des  Theaters  finden  kann; 
sollte  eine  Gesangspartie  im  Stück  enthalten  sein,  so  haben  sich 
Durand  und  Muguet  dazu  erboten. 

Man  druckt  die  Tröstungen  des  Paters  Drelincout  über  die 
Schrecken  des  Todes  neu;  sie  sind  dem  Kardinal  de  Luynes  de- 
diziert, der  den  Priesterstand  ergriffen  hat,  um  eines  ganz  natür- 
lichen Todes  zu  sterben. 

Man  hat  den  Geschichtsschreiber  des  „Portier  des  Chartreux" 
damit  beauftragt,  im  gleichen  Stil  eine  Geschichte  der  Madame 
du  Barry  unter  dem  Titel  „Memoires  propres  ä  scandaliser  le 
public"  zu  verfassen. 

Colardeau  hat  soeben  die  Werke  Dorats  in  Verse  gebracht; 
dieser  fährt  fort,  sich  durch  den  Handel  mit  seinen  Kupfer- 
stichen zu  bereichern. 

Herr  de  Chamouset  hat  der  Regierung  eine  Maschine  einge- 
reicht, mit  der  man  hundert  Mann  auf  einen  Schlag  zu  töten 
vermag;  dieser  würdige  Mitbürger,  der  sich  auf  allen  Gebieten 
versucht,  ist  der  Urheber  des  kleinen  Postprojektes  und  der 
Unternehmer  der  fliegenden  Brücken,  die  dieses  Jahr  eingeführt 
werden  sollen ;  die  Regierung  hat  vier  der  bekanntesten  Scharf- 
richter kommen  lassen,  die  ihre  Meinung  über  die  Hänge- 


Der  Gazetier  Cuirasse  219 

maschine  abgeben  sollen,  die  dem  Ministerium  sehr  zustatten 
kommen  wird. 

In  Bedlam  lebt  ein  Ingenieur,  der  behauptet,  eine  leinene 
Brücke  von  Dover  nach  Calais  spannen  zu  können,  wo  man  dann 
Wagen  ohne  Pferde  vorfinden  wird,  die  viel  schneller  sind  als 
sogar  die  Post. 

In  Paris  wird  ein  Bureau  zur  Versicherung  gegen  die  Untreue 
aller  Frauen  eingerichtet,  das  laut  verschiedenen  Tarifen  für 
jedermann  zugänglich  ist. 

Der  Erzieher  der  Familie  eines  sehr  hochstehenden  Mannes, 
Chevalier  der  königlichen  Finanzen,  Generalleutnant  usw.  hat 
soeben  einen  Zaum  für  Ehemänner  und  einen  Sattel  für  Frauen 
erfunden,  den  alle  Künstler  bewunderungswürdig  gefunden 
haben. 

Mlle  Huß'  Ruhebett  ist  in  Frankreich  derart  in  Mode  ge- 
kommen, daß  die  Frauen  von  anderen  nichts  wissen  wollen;  dies 
ist  eine  Schaukel  mit  zwei  Gewichten,  die  so  wohlausgeglichen 
funktionieren,  daß  die  stolzeste  Herzogin  ihre  Arbeit  darauf 
leisten  kann,  ohne  sich  zu  demütigen. 

Ein  Pariser  Tapezierer  hat  nach  dem  gleichen  System  eine  Ber- 
gere  erfunden,  die  er  „aide  de  camp"  getauft  hat;  die  Sprung 
federn  sind  derart  arrangiert,  daß  man  immer  Herr  des  Schlacht- 
feldes bleibt  und  niemals  das  rechte  Niveau  verliert. 

Fromme  Damen  haben  das  Geheimnis  erfunden,  das  Bildnis 
ihres  Geliebten  in  einem  mit  einer  Sprungfeder  versehenen  Kru- 
zifix einzuschließen,  das  „ä  la  Hautefort"  genannt  wird;  der 
Marquise  gleichen  Namens  verdankt  man  diese  Erfindung  und 
der  Oberin  der  Filles  du  Calvaire  die  Entdeckung. 

Vor  kurzem  hat  man  einen  Wagen  konstruiert,  den  man  nur 
von  hinten  besteigt,  und  den  die  Agreables  Wagen  ä  la  Villette 
nennen. 

Dem  Befehl  Louis  XIV.  zum  Trotz,  der  die  Geographen  be- 
auftragte, die  Höhe  des  Meridians  auf  der  Insel  Fer  zu  nehmen, 


220  Der  Gazetier  Cuirasse 


hat  ihn  der  Prinz  von  Nassau,  der  die  ganze  Erde  bereist  hat, 
unter  die  äquinoxiale  Linie  bestimmt,  und  hat  sich,  um  diesen 
Punkt  zu  fixieren,  Mlle  Fleurys  Halbrund  bedient. 

Ein  in  England  durch  seine  Begabung  berühmter  Mann  hat 
eine  Laterne  erfunden,  um  die  Eingeweide  zu  beleuchten;  sie 
fängt  an,  sich  in  Europa  einzuführen;  man  versichert,  daß  es  nie 
eine  nützlichere  noch  eine  appetitlichere  Erfindung  gegeben 
habe. 

Eine  militärische  Arbeit,  betitelt  „Les  Lyonnaises"  ist  unter 
großem  Beifall  erschienen :  der  Autor  beweist  klar  den  allgemei- 
nen Frieden,  indem  er  zeigt,  wie  unmöglich  es  sei,  Krieg  zu 
führen,  wenn  man  sich  seiner  Maschinen  bedient. 


DER   ZYNISCHE  PHILOSOPH  ALS  FOLGE  DES 
GAZETIER  CUIRASSE 

Einleitung 

Die  Ausländer,  die  Paris,  die  Franzosen,  die  Mädchen  lie- 
ben, werden  in  dieser  Sammlung  unterhaltende  Anekdoten  fin- 
den, deren  Akteure  sie  hätten  sein  können. 

In  diesem  Lande  gibt  es  zu  viele  Liebhaber,  als  daß  Details, 
die  ich  geben  werde,  gewissen  Lesern  nicht  ebenso  vertraut  sein 
sollten,  wie  mir  selbst.  Die  unter  ihnen,  die  nichts  gesehen  haben, 
werden  sich  meiner  Lektion  bedienen,  um  sich  über  Kulissen- 
geheimnisse zu  instruieren,  von  denen  ich  den  Vorhang  lüften 
will.  Das  Studium  der  völlig  nackten  Natur  wird  über  manch 
einen  mehr  Recht  gewinnen  als  politische  Neuigkeiten,  die  ihnen 
wenig  bedeuten. 

Vielleicht  glaubt  man  meinem  Worte  nicht,  daß  ich  Philo- 
soph bin,  wenn  ich  aber  ein  Wunder  wirke,  indem  ich  berühmte 
Schuldige  entlarve,  wenn  ich  gewisse  Villettes  und  Marignys 
tugendhaft  mache;  wenn  ich  gewisse  schamlose  Frauen,  die  ver- 


Der  Gazetter  Cuirasse  221 

gessen  haben,  was  ihnen  gebührt,  keusch  sein  lasse,  wenn  ich 
Ungerechte  zwinge,  gerecht  zu  sein  (sei  es  auch  nur  ein  einziges 
Mal),  hätte  ich  dann  nicht  das  Ziel  erfüllt,  das  sich  ein  wahrer 
Mann  setzen  soll  ?  Und  wäre  ich  selber  nicht  weise,  was  kann  das 
den  Leuten  machen,  die  von  meiner  Überzeugung  profitieren 
werden  ? 

Nur  dadurch,  daß  man  es  erröten  macht,  vermag  man  das 
Laster  zu  zwingen,  daß  es  sich  verstecke. 

Ein  tugendhafterer  Mann  als  ich  fände  vielleicht  nicht  meinen 
Mut. 


ZUEIGNUNGSEPISTEL:    DEN    BALLETTCHÖREN 

Meine  Damen! 

Hätte  der  Himmel  Ihnen  Tugenden  gegeben,  würde  ich  nicht 
die  Ehre  haben,  Sie  zu  kennen,  da  mein  depravierter  Geschmack 
mich  niemals  anderen  als  verdorbenen  Frauen  zugeführt  hat. 
Ihre  Schwächen  waren  nötig,  um  mir  „den  Vorteil"  zu  ver- 
schaffen, Ihnen  vorgestellt  zu  werden;  empfangen  Sie,  meine 
Damen,  den  Tribut  meiner  Dankbarkeit  und  die  Huldigung, 
die  Ihnen  mein  Herz  schuldet ;  dies  ist  nicht  der  fade  Weihrauch 
eines  Anbeters,  den  ich  Ihnen  biete;  dies  hieße  mich  entehren, 
ohne  Ihnen  anders  gefallen  zu  wollen,  als  Ihnen  fälschlich  andere 
Eigenschaften  zu  geben,  als  die,  so  die  Natur  Ihnen  verliehen 
hat. 

Mein  Freimut  würde  dem  widerstreben,  wüßte  ich  nicht,  daß 
Sie  es  vorziehen,  für  das  zu  gelten,  was  Sie  sind,  und  „im  Preise 
klingenden  Goldes  gewertet  zu  werden",  und  nicht  den  frivolen 
Vorteil  zu  genießen,  sich  Dinge  sagen  zu  lassen,  deren  Verdienst 
Ihnen  unwillkommen  wäre. 

Ich  will,  meine  Damen,  bis  in  Ihr  innerstes  Gewissen  vor- 
dringen und  Einzelheiten  Ihrer  Galanterien  geben,  die  das  Pu- 


222  Der  Gazetier  Cuirasse 

blikum  gefahrlos  unterhalten  und  über  jene  unter  Ihnen  im 
Voraus  unterrichten  werden,  die  man  vielleicht  fürchten  dürfte. 

Ich  hoffe,  ein  Bild  zu  entwerfen,  das  ähnlich  genug  ist,  da- 
mit Sie  alle,  die  ich  kenne,  darüber  einig  sind,  daß  ich  Ihnen 
Gerechtigkeit  widerfahren  lasse,  und  der  Wahrheit  nichts  bei- 
füge. 

Genehmigen  Sie  die  Versicherung  der  Achtung,  die  ich  Ihnen 
schulde,  und  halten  Sie  mich  ohne  Spott,  meine  Damen,  für 
Ihren  sehr  ergebenen  und  sehr  gehorsamen  Diener 

Diogenes. 

Man  versichert  dem  Publikum,  daß  unter  den  Freudenmäd- 
chen des  Balletts  eine  Krankheit  herrsche,  die  beginnt  die  Damen 
des  Hofes  zu  ergreifen,  und  sich  endlich  auch  ihren  Lakaien  mit- 
teilt. Diese  Krankheit  verlängert  das  Gesicht,  bleicht  den  Teint, 
verringert  das  Körpergewicht  und  veranlaßt  schreckliche  Ver- 
heerungen, da,  wo  sie  sich  festsetzt.  Zahnlose  Frauen  sieht  man, 
andere  ohne  Augenbrauen,  auch  paralytische  usw.  usw.  Den 
Liebhabern  seien  die  Waschungen  des  Sieur  Preval,  Doktors  der 
Medizin,  empfohlen,  der  mit  Demonstrationen  bewiesen  hat, 
daß  man  die  ganze  Oper  Revue  passieren  lassen  kann,  ohne  et- 
was befürchten  zu  müssen,  vorausgesetzt,  daß  man  sein  Wasser 
tränke  und  von  seiner  Hand  getauft  würde. 

Als  Nicole  Mademoiselle  du  Bois  in  Lebensgefahr  sah3  ver- 
sicherte er,  daß  er  in  ihr  statt  einer  hundert  Patientinnen  ver- 
lieren würde. 

Nachdem  Mademoiselle  Beaumesnil  einem  Prinzen  den  Zu- 
tritt in  ihr  Bett  gestattet  hatte,  war  sie  gezwungen,  von  den 
Direktoren  einen  sechswöchentlichen  Urlaub  zu  erbitten,  um 
ch  nach  Bayern  zu  begeben,  wo  sie  vom  Herrn  Keiser,  dem 
Großmarschall  dieses  Hofes,  vorgestellt  werden  soll. 

Mademoiselle  Heinel  hat  einen  spanischen  Herzog  und  ein 
englisches  Gespann  sowie  ioo  Louis  monatlich  und  ein  Haus 


Der  Gazetter  Cuirasse  223 


refüsiert,  da  man  ihr  vor  einem  Quiproquo  von  selten  des  Herzogs 
Furcht  gemacht  hat,  der  ein  wenig  orientalische  Neigungen 
haben  soll.  Mademoiselle  Heinel  amüsiert  sich  unterdessen  in 
Erwartung  von  etwas  Besserem  mit  dem  Tänzer  Fierville. 

Mademoiselle  Guimard  ist  in  ihrer  Gemeinde  als  Dame  de 
Charite  aufgenommen  worden  und  befindet  sich  sehr  wohl  bei 
der  frommen  Ernte,  die  in  diesem  Jahre  sehr  reich  gewesen  ist. 
Man  meint,  die  Almosen  brächten  ihr  doppelt  so  viel  ein,  als 
ihre  Gunstbezeigungen. 

Mademoiselle  Darcy  macht  keine  glücklichen  Reisen;  im  letz- 
ten Winter  hat  sie  eine  nach  Schweden  unternommen,  die  sie 
sechs  Zähne  und  einen  Postpächter  kosteten,  der  sie  ebenso 
schnell  verlassen  hat,  wie  der  gute  Drogeski  sie  im  letzten  Herbst 
im  Bois  de  Boulogne  verließ. 

Mademoiselle  Heinel  hat  alle  ihre  Freunde  dank  ihrer  sechs- 
wöchentlichen Abwesenheit,  die  sie  auf  dem  Lande  bei  Keiser 
verbracht  hat,  außer  Gefahr  gesetzt.  Die  Reinheit  der  Luft  und 
die  Sorgfalt  des  Meisters  haben  sie  von  einer  dauerhaften  Krank- 
heit geheilt,  die  sich  auf  alle  ihre  Bekannten  ausbreitete. 

Mademoiselle  du  Plan  hat  sich  endlich  mit  dem  saftreichen 
Colin  veruneinigt,  der  ihr  seit  sechs  Jahren  ruhmreich  die  Küche 
ausstattete;  ohne  Abschied  ist  sie  in  die  Dienste  des  veneziani- 
schen Gesandten  übergegangen,  der  sie  nur  ad  honores  zurück- 
hält. 

Man  versichert,  der  Chevalier  de  Choiseul,  der  nicht  einen 
Sou  besaß  und  Mademoiselle  Heinel  begehrte,  habe  sie  zu  einem 
Ausflug  aufs  Land  bewogen,  wo  er  sie  mittels  Aushungerns  zum 
Kapitulieren  gezwungen  habe.  Als  er  sah,  daß  das  Gefühl  sie 
nicht  zu  besiegen  vermochte,  hat  die  Verzweiflung  ihn  fortge- 
rissen und  er  hat  gedroht,  sie  Hungers  sterben  zu  lassen,  wenn 
sie  ihn  an  Liebe  sterben  ließe.  Dies  schöne  Mädchen  ist  so  mensch- 
lich gewesen,  weder  das  eine  noch  das  andere  zu  wollen,  und  hat 
sich  ihm  auf  Gnade  und  Ungnade  ergeben. 


224  Der  Gazetür  Cuirasse 

Mademoiselle  Pelin,  die  einen  unnatürlichen  Milcherguß  ge- 
habt hat,  hat  diesen  dem  Prinzen  Conti  mitgeteilt,  der  ihn 
ahnungslos  auf  die  Herzogin  de  B .  . .  übertragen  hat,  von  der 
man  behauptet,  daß  sie  fähig  sei,  ihn  aller  Welt  weiterzu- 
geben. 

Mademoiselle  Arnoult  hat  den  Grafen  de  L .  . .  im  Hotel  der 
grauen  Musketiere,  mit  der  Erlaubnis  seiner  Majestät,  immer 
eine  Ordonnanz  bei  sich  zu  haben,  ersetzt. 

Als  Mademoiselle  Testard  dem  Marquis  de  Rome  gesagt  hat, 
daß  sie  ihn  niemals  lieben  würde,  weil  er  häßlich,  dumm  und 
feige  sei,  hat  der  Marquis,  um  ihr  das  Gegenteil  zu  beweisen, 
zwei  seiner  Güter  verkauft  und  ihr  am  nächsten  Morgen  den 
Erlös  geschickt. 

Mademoiselle  Beauvoisin,  Mademoiselle  d'Albigni  und  einige 
andere  Prinzessinnen  gleicher  Ordnung,  die  bei  sich  zu  spielen 
einluden,  sind  in  die  Salpetriere  geschickt  worden,  wo  sie  auf 
königlichen  Befehl  sechs  Monate  zu  verbringen  haben. 

Mademoiselle  Beaumesnil  ist,  wie  man  sagt,  viel  weniger  groß- 
artig logiert,  als  sie  zu  logieren  vorgibt,  obschon  sie  ein  eigenes 
Haus,  einen  großen  Hof,  eine  Remise  und  zwei  Stallungen  be- 
sitzt. Ein  Geometer,  der  an  Ort  und  Stelle  gewesen  ist,  findet 
ihr  Haus  viel  zu  eng  für  ihre  Reize. 

Mademoiselle  Laurencin,  die  zehn  Jahre  lang  unter  den  Pa- 
riser Laternen  spazieren  gegangen  ist,  hat  eine  Karosse  genom- 
men, die  der  Graf  von  Bintem  ziehen  wird,  dessen  Bekanntschaft 
sie  zufällig  machte,  als  sie  ihren  Dienst  in  den  Tuilerien  absol- 
vierte. 

Mademoiselle  des  Orages  hat  sich  soeben  durch  zwei  geschickte 
Chirurgen  als  Frau  erklären  lassen,  die  auf  Glauben  und  Treue 
versichert  haben,  daß  sie,  dem  Anschein  zum  Trotz,  nicht  das 
sei,  was  man  eigentlich  „hermaphroditisch"  nennt. 

Unsere  Musiker  und  die  italienischen  Musiker  haben  sich  durch 
einen  Vermittler  versöhnt,  nachdem  sie  sich  lange  auf  der  lyri- 


Der  Gazetier  Cutrasse  22c 


sehen  Bühne  um  den  ersten  Platz  gestritten  haben.  Die  fran- 
zösische Musik  bleibt  dem  Theater  und  der  italienische  Ge- 
schmack beherrscht  die  gesamte  königliche  Akademie  und  die 
Pariser  Musiker. 

Die  Soupers,  die  Mademoiselle  Guimard  zu  Pantin  gibt,  sind 
immer  noch  sehr  glanzvoll;  sie  empfängt  die  beste  und  die 
schlechteste  Gesellschaft  Frankreichs.  Die  Prinzen  begeben  sich 
aus  Faulheit  dorthin  und  die  Demiseigneurs,  um  sich  ein  Air  zu 
geben.  Man  spricht  davon,  nach  Pantin  zu  gehen,  wie  wenn  man 
von  Versailles  spräche. 

Vestris  fängt  an,  sich  von  einem  Hochmutsanfall  zu  erholen, 
der  ihn  beinahe  erstickt  hätte,  als  das  Publikum  ihn  gezwungen 
hat,  sich  bei  Mademoiselle  Heinel  zu  entschuldigen. 

Herr  Despinchal  hat  soeben  dem  Bischof  von  Arras  eine  Lek- 
tion erteilt,  deren  unsere  Prälaten  bedürften,  um  zu  lernen,  daß 
Kirchenleute  sich  nicht  ebenso  frei  vergnügen  können  wie  Leute 
der  großen  Welt,  und  daß  es  ihre  Pflicht  ist,  sich  vor  dem  fla- 
grant delit  zu  hüten.  Herr  de  Gouzier  hätte  12  000  Francs  ge- 
spart, wäre  er  weniger  wollüstig  gewesen  und  hätte  er  sich  mit 
einer  Schäferin  begnügt.  Als  M.  Despinchal  ihn  mit  seiner 
Mätresse  im  Bett  angetroffen  hat,  zwang  er  ihn,  ihm  die 
500  Louis  zurückzugeben,  die  sie  ihn  seit  zwei  Monaten  kostete, 
worauf  er  ihm  alle  seine  Eigentumsrechte  überließ;  mit  Hilfe 
dieses  Arrangements  hat  sich  M.  Despinchal  zwei  Monate  lang 
auf  Kosten  der  Kirche  vergnügt,  was  bis  heute  noch  niemals  vor- 
gekommen ist. 

Unter  allen  Mädchen,  die  in  der  Oper  tanzen,  ist  Mademoi- 
selle Guimard  die  einzige,  die  nicht  mit  einem  Lakaien,  einem 
Soldaten  oder  einem  Perückenmacher  angefangen  hat;  dem 
Tänzer  Leger  (der  indiskret  genug  war,  es  zu  erzählen)  schuldet 
sie  ihre  ersten  Lektionen  und  ein  Kind,  das  sie  auf  einem  Dach- 
boden im  tiefsten  Winter,  ohne  Feuer  und  ohne  Spitzenstepp- 
decke zur  Welt  gebracht  hat.  Seit  jener  Zeit  hat  sie  sich  Spitzen, 

1. 

15 


226  Der  Gazetier  Cuirasse 


Diamanten  und  eine  Karosse  verdient;  dieser  traurigen  Situa- 
tion dankt  sie,  sagt  man,  ihre  Tugenden  und  ihre  Menschlich- 
keit. 

In  der  königlichen  Akademie  für  Musik  gibt  es  eine  Schule, 
in  der  die  Königinwitwen  der  Oper  die  Schülerinnen  lehren, 
nach  Regeln  zu  erröten,  ohne  Schmerzen  zu  schreien  und  das 
Gefühl  in  Kadenzen  auszudrücken.  Mittels  dieses  und  der  adstrin- 
gierenden  Pomade  du  Lac,  hat  die  Mutter  Mademoiselle  Gran- 
dis  (die  sich  ihre  Tante  nennt)  viele  Male  die  Unschuld  ihrer 
Tochter  verkauft,  nachdem  sie  sie  jedesmal  wieder  hergestellt 
hatte. 

Mademoiselle  Beze,  die  vor  vier  Jahren  mit  einem  Empfeh- 
lungsschreiben des  Herzogs  de  Villars  angekommen  ist,  kennt 
heute  alle  Grandseigneurs  des  Hofes.  Unter  anderem  genießt 
sie  das  intime  Vertrauen  des  Herzogs  de  Bouillon,  des  Grafen 
de  Noailles  und  einiger  anderer  Herren,  die  zu  ihren  Gunsten 
ihrer  Aversion  für  das  schönere  Geschlecht  entsagen. 

Da  Herr  Brissard  Mademoiselle  Vestris  eine  Rente  von  60  000 
Livres  ausgesetzt  hatte,  hat  sich  dies  ehrenwerte  Mädchen  aus 
Dankbarkeit  dazu  entschlossen,  ihm  nach  seinem  Ruin  eine  Pen- 
sion von  1000  Dukaten  zuzusichern. 

Mademoiselle  Grandi,  die  vor  einiger  Zeit  beweisen  wollte, 
daß  sie  ihrem  Liebhaber  treu  sei  (mit  dem  sie  einen  häuslichen 
Disput  gehabt  hatte), ließ  ihrenPortier  heraufkommen, der  unter 
Eid  aussagte,  daß  während  des  ganzen  Vormittags  nur  sechs  ver- 
dächtige Personen  bei  seiner  Herrin  Einlaß  gefunden  hätten. 

Mademoiselle  Fleury  Hoquart  wird  heute  vom  Prinzen  von 
Nassau  ausgehalten,  der  das  erste  Mal,  als  er  mit  ihr  schlief,  ver- 
meinte, die  Reise  um  die  Welt  von  neuem  zu  beginnen. 

Cremille,  die  vorsichtshalber  hintereinander  drei  Quarantänen 
durchgemacht  hat,  ist  ins  Karmeliterinnenkloster  eingetreten, 
wo  sie  ein  Kind  geboren  haben  soll,  da  sie  mit  dem  Leiter  dieses 
Hauses  zusammen  arbeitete,  um  die  Welt  zu  vergessen. 


Der  Gazetier  Cuirasse  227 

Der  Graf  de  Sabran  hat  soeben  seine  Möbel  den  Fräuleins 
Testard  und  l'Huilier  sowie  einigen  weniger  bekannten  Mädchen 
geschenkt,  die  die  ihren  verkauft  hatten,  um  seine  Schulden  zu 
bezahlen,  was  mehrere  Male  vorgekommen  ist. 

Der  Akademie  der  Chirurgie  ist  es  sehr  seltsam  vorgekom- 
men, daß  Mademoiselle  de  la  Vaulx,  die  seit  acht  Monaten 
schwanger  war,  beim  Tanzen  eine  Fehlgeburt  hatte,  ohne  es  zu 
bemerken. 

Mademoiselle  Vernier  sieht  sich  gezwungen,  ihre  Arbeit  ein- 
zustellen, da  sie  schwanger  ist,  was  sie  mehr  als  zwanzig  Personen 
zuschreibt. 

Dorothee  du  Barry,  die  bis  heute  für  eine  Luetische  gehalten 
wurde,  ist  in  vierzig  Tagen  radikal  durch  ein  Mittel,  das  die 
ganze  französische  Familie  kennt,  deren  Namen  sie  trägt,  geheilt 
worden. 

Mademoiselle  Lany  und  Mademoiselle  Lyonnais,  die  von  den 
Direktoren  für  ihre  allzu  häufigen  Indispositionen  mit  Vor- 
würfen überhäuft  worden  sind,  haben  sich  mit  Mademoiselle 
Caron  zu  Nicolet  zurückgezogen,  da  die  Schauspielerinnen  dieses 
Theaters  das  Privileg  genießen,  das  ganze  Jahr  krank  sein  zu 
dürfen. 

Mademoiselle  Contat,  die  vom  Herrn  Barois  beschuldigt  wor- 
den ist,  unstillbare  uterine  Gluten  zu  haben,  ist  vom  Bruder 
Almosenier  der  Karmeliter,  der  sich  des  Geheimnisses  .seiner 
Brüderschaft  bei  dieser  mirakulösen  Kur  bediente,  radikal  ge- 
heilt worden. 

Mademoiselle  Bon,  Mesdemoiselles  Bouscarrelle,  de  Lorme 
und  einige  andere  alte  Grenadiere  des  Balletts  haben  Madame 
Gourdans  Beruf  erwählt,  als  sie  einsahen,  daß  es  unmöglich  war, 
den  ihren  weiter  auszufüllen. 

Mesdemoiselles  de  Saint-Julien,  Saint-Firmin,  de  Fresnay, 
Beaupre,  Beauvoisin  usw.,  die  dies  Jahr  nicht  haben  erreichen 
können,  angestellt  zu  werden,  haben  sich  der  Legion  Madame 

iS* 


228  Der  Gazetier  Cuirasse 


Gourdans  angeschlossen,  und  man  sagt,  daß  sie,  während  sie  an- 
dere Beschäftigung  abwarten,  dort  Wunder  leisten. 

Mademoiselles  Le  Doux  und  Sarron,  die  vor  vier  Jahren  aus 
der  Oper  herausgeworfen  wurden,  da  sie  sich  in  den  Kulissen 
freundschaftliche  Wahrheiten  sagten,  sind  soeben  aus  Paris  ver- 
bannt worden,  da  sie  eine  phantastische  Laune  in  Mode  ge- 
bracht haben,  deren  Geheimnis  all  ihre  Freundinnen  wissen. 

Der  zartfühlende  Molet  und  die  zärtliche  Madame  Preville 
sind  von  den  Ärzten  verurteilt,  höchst  gefühlvoll  an  den  Folgen 
einer  Liebe  zu  sterben,  die  sich  ihnen  auf  die  Brust  geworfen 
hat. 

Mademoiselle  Saint-Fal,  deren  Gesicht  man  genauestens  auf 
den  Schreckensmasken  wiederfindet,  macht  in  diesem  Genre  so 
erstaunliche  Fortschritte,  daß  sie  alle  Zuschauer  zittern  macht, 
sowie  sie  auf  der  Bühne  erscheint. 

Mme  Favart,  die  den  Marschall  von  Sachsen  ebenso  wie  Fon- 
tenoy  ausgezeichnet  hat,  ist  heute  zu  der  traurigen  Hilfsquelle 
reduziert,  sich  mit  ihrem  Geist  zu  amüsieren.  Man  versichert, 
daß  sie  noch  immer  alle  Ansprüche  der  Fee  Urgelle  habe,  ob- 
schon  ihr  Geheimnis  nur  im  Theater  existiere. 

Es  heißt,  Mlle  du  Fresne  habe  eine  schöne  Seele  und  einen 
geräumigen  Körper;  ihre  Schwester  gilt  für  eine  Maschine,  deren 
Proportionen  ganz  anders  sind. 

Mademoiselle  de  Saint-Martin  hat  M.  de  Bintem  so  ekelhaft 
gefunden,  daß  sie  sich  gezwungen  sah,  ihn  mit  Pinzetten  anzu- 
fassen, die  unglücklicherweise  rotglühend  waren. 

Mademoiselle  Allard,  die  mit  Mademoiselle  Pelin,  ihrer  Ri- 
valin im  Tanz,  beleidigende  Worte  gewechselt  hat.  gedachte  ihr 
in  einem  Buffoballett  einige  Fußtritte  zu  versetzen,  die  wohl- 
gezielt genug  sein  sollten,  um  vom  Publikum  nicht  bemerkt  zu 
werden.  Da  Pelin  nicht  geschickt  genug  war,  sie  wiederzugeben, 
hat  sie  sie  mit  geballter  Faust  auf  die  Nase  geschlagen,  was  all 
die  Zuschauer  empört  hat:  Trial  le  Breton  und  Joliveau,  die 


Der  Gazetier  Cuirasse  229 

geborene  Opernrichter  sind,  haben  die  beiden  Amazonen  dazu 
verurteilt,  dem  ganzen  Tribunal  zu  Diensten  zu  sein,  die  eine 
sechs  Monate  lang,  die  andere  während  eines  Jahres. 

Der  Prinz  von  Soubise,  der  die  Administration  des  Hospitals 
durch  seine  Fiakerunternehmungen  derangiert  hatte,  beginnt 
seine  Geschäfte  zu  regeln,  seit  er  Intendant  der  Menüs  Mlle 
Guimards  ist. 

Der  Graf  von  Potocki,  der  dank  der  Unsauberkeit  Mlle  Du- 
thes  von  Paris  degoutiert  war,  ist  nach  einem  parfümierten  Bade, 
das  die  Angst  ihn  nehmen  ließ,  von  dieser  Stadt  abgereist,  nach- 
dem er  sich  in  die  Garderobe  dieses  schönen  Mädchens,  der  Mä- 
tresse des  Herzogs  du  Dufort,  der  sie  zusammen  im  Bett  über- 
raschte, stürzte.  Der  Herzog  versichert,  seinen  Rivalen  zwischen 
den  Trümmern  eines  Nachtstuhles  schwimmend  gefunden  zu 
haben,  der  seit  14  Tagen  nicht  entleert  worden  war.  Um  das 
Unglück  voll  zu  machen,  hat  der  Polizeichef,  der  schlechte 
Gerüche  nicht  liebt,  dem  einen  Haftbefehl  beigefügt,  in  dem 
er  ihm  vorschlägt,  sich  außerhalb  des  Königreiches  abtrocknen 
und  lüften  lassen. 

Der  Brauch  erlaubt  es  heutzutage  unseren  Theatermädchen, 
drei  offizielle  Liebhaber  zu  haben,  ohne  den  zu  zählen,  der  sie 
ruiniert.  Haben  sie  mehr,  betrachtet  man  sie  mit  Verachtung, 
wie  Mademoiselles  Godeau,  Delfevre,  Beze  und  andere  Pflicht- 
vergessene. Haben  sie  weniger,  verdächtigt  man  sie  entweder 
einer  fehlerhaften  Körperbildung,  wie  Mademoiselle  Le  Doux 
oder  großer  Dummheit,  wie  Mademoiselle  La  Chanterie.  Wenn 
man  ihnen  nicht  die  Unaufrichtigkeit  Mademoiselle  Durancys 
zuschreibt,  die  es  vorzieht,  sich  lieber  von  ihrem  Lakaien  be- 
dienen zu  lassen,  als  eine  Herzensaffäre  zu  haben. 

In  der  Pariser  Gesellschaft  lebt  ein  Mann,  der  seine  Hosen, 
sein  möbliertes  Haus,  eine  Karosse,  einen  Namen  und  10  000 
Louis  an  einem  Abend  gewonnen  hat :  dieser  glückliche  Sterbliche 
betitelt  sich  h2ute  Marquis  und  genießt  50  000  Pfund  Rente. 


230  Der  Gazetier  Cuirasse 

Die  Regierung  hat  soeben  den  Sohn  eines  italienischen  Kut- 
schers aus  Paris  verjagt,  der  unter  dem  Namen  eines  Grafen  die 
Rolle  eines  päpstlichen  Obersten,  die  eines  Polizeispions  und 
die  eines  Zuhälters  für  die  Bequemlichkeit  seiner  Freunde  ge- 
spielt hat. 

Der  Gesandte  eines  großen  Kaiserreiches,  der  sich  mit  den 
häuslichen  Details  eines  republikanischen  Ministers  befaßt  hatte, 
hat  soeben  diesen  Artikel  von  seinen  Ausgaben  gestrichen. 

Am  französischen  Hofe  lebt  eine  Marquise,  die,  da  sie  ihr  Geld 
und  ihre  Ehre  verloren  hat,  gezwungen  war,  um  ihre  Schulden 
zu  zahlen,  eine  Stellung  zu  suchen,  um  ohne  ihre  Ehre  weiter 
leben  zu  können,  aus  der  sich  ihre  Gläubiger  nichts  machen. 

Wir  haben  einen  Herzog,  der  einen  der  größten  Namen  Frank- 
reichs trägt,  dessen  Vater  auf  dem  Feld  der  Ehre  gestorben  ist, 
der,  obgleich  er  mit  400  000  Pfund  Rente  geboren  und  der  Gatte 
einer  Frau  ist,  die  15  Jahre  lang  in  allerhöchster  Gunst  gestanden 
hat,  dennoch  von  aller  Welt  gemieden  worden  ist.  Dieser  Herzog 
trägt  gewöhnlich  zwanzig  Löckchen  an  seiner  Perücke.  Gewisse 
Leute  behaupten,  er  besuche  sehr  viele  Freudenmädchen,  andere 
sagen  das  genaue  Gegenteil. 

Der  Marquis  de  Ne. . .  D. .  .1,  ein  Offizier  der  grauen  Mus- 
ketiere, hat  einen  dreimonatlichen  Urlaub  erhalten,  um  eine  be- 
nachbarte Äbtissin  von  ihrem  Keuschheitsgelübde  zu  entbinden. 
In  Paris  lebt  ein  frarzösischer  Marschall  gleichen  Namens  und 
in  der  Champagne  gibt  es  eine  Stadt,  die  so  wie  ihre  Abtei 
heißt. 

Einer  unserer  hübschesten  Herzöge,  der  sich  soeben  zu  seiner 
Hochzeit  „empaumieren"  läßt,  hat  sich  unter  den  Händen  des 
Erzbischofs  von  Paris  einer  allgemeinen  Absolution  unterzogen ; 
der  Prälat,  der  das  Wasser  auf  ein  Räucherbecken  gegossen  hat, 
hat  das  „Veni  creator"  gesungen,  um  das  Blut  dieses  Hauses, 
das  für  seine  Männer  wie  für  seine  Frauen  gleich  ansteckungs- 
gefährlich ist,  zu  reinigen. 


Der  Gazetier  Cutrasse 231 

In  Paris  lebt  ein  kleiner  fünf  Fuß  minus  einen  Daumen  großer 
Marquis,  der  sich  allabendlich  in  den  Tuilerien  an  verdächtigen 
Stellen  ergeht,  sich  dafür  aber  öffentlich  mit  Freudenmädchen 
zeigt,  der  von  aller  Welt  Böses  redet,  sich  aber  nicht  erregt,  wenn 
solches  von  ihm  (noch  dazu  ihm  ins  Gesicht)  gesagt  wird,  der 
Leute  getötet,  die  er  nie  gesehen  hat,  doch  die  leben  läßt,  die 
versuchten,  ihn  zu  ermorden.  Auf  diesen  Marquis  deutet  man, 
wo  er  auch  geht,  mit  dem  Finger,  und  trotzdem  besucht  er 
jeden;  wenn  man  ihn  fragt,  warum,  so  ist  es,  weil  er  50 000 Taler 
Rente,  einen  guten  Tisch,  viel  Frechheit  und  ein  wenig  Geist 
besitzt. 

Eine  Frau  aus  ersten  Kreisen,  die  ihrem  Herrn  lange  wider- 
standen hat,  hat  sich  soeben  einem  Abbe  schlechter  Gesundheit 
und  schlechter  Herkunft  an  den  Hals  geworfen,  was  sie  schon  zu 
bereuen  hat. 

Man  hat  einen  Mahnbrief  veröffentlicht,  um  zu  erfahren,  was 
aus  dem  Zepter  und  der  Hand  der  Gerechtigkeit  eines  unserer 
größten  europäischen  Könige  geworden  ist.  Nach  langen  Nach- 
forschungen fand  man  sie  auf  dem  Toilettentisch  einer  hübschen 
Frau,  die  den  Titel  einer  Komtesse  trug;  dort  dienen  sie  dazu, 
ihre  Katze  zu  unterhalten. 

Man  hat  eine  Medaille  geprägt,  auf  der  man  eine  Justizperson 
erblickt,  die  eine  Leiter  erstiegen  hat,  um  einen  Nagel  zu  er- 
reichen, an  dem  sie  einen  Strick  befestigt;  um  dies  Emblem  steht 
die  Inschrift  geschrieben:  „Nobis  hoec  ascensio  grata".  Auf  der 
anderen  Seite  sieht  man  Frankreich  zu  Füßen  eines  von  Schlangen, 
Vipern  und  anderen  giftigen  Tiefen  umgebenen  Fürsten  knien, 
die  sich  auf  sie  stürzen,  um  sie  zu  zerreißen. 

Als  eine  sehr  wohlbeleibte  Herzogin,  die  ungeheueren  Ver- 
brauch an  Liebe  aufweist,  sich  im  Tete-a-tete  mit  einem  hüb- 
schen, kleinen  Herzog  befand,  dessen  Keuschheit  sie  zu  lebhaft 
attackierte,  hat  dieser  tugendhafte  junge  Mann  sich  bei  seinem 
Vater  beklagt,  der  auf  der  Stelle  den  Generalpiokurator  instruiert 


232  Der  Gazetier  Cuirasse 

und  ihn  gezwungen  hat,  im  Namen  des  Königs  anzuklagen.  Die 
Frauen  der  Pairs  müssen  sich  deshalb  im  Laufe  des  nächsten 
Monats  versammeln,  um  über  diese  große  Affäre  Bericht  zu  er- 
statten, was  die  Schuldige  wenig  beunruhigt,  da  sie  in  ihre 
Richter,  die  ihr  fast  alle  zum  Beispiel  gedient  haben,  großes  Ver- 
trauen setzt. 

Als  eine  Frau,  die  ebenso  schwarze  Zähne  hat  wie  die  Haare 
ihres  Vaters  weiß  sind,  und  nur  ihren  Gatten  von  der  Zahl  der 
ihr  angenehmen  Menschen  ausschließt,  beim  Spiel  100  Louis 
von  einem  jungen  Mann  auslieh,  der  seit  langem  Prätentionen 
hatte  und,  da  er  sie  in  Bedrängnis  sah,  den  Respekt  vergaß,  fragte 
sie  ihn  noncholant  mit  nachlässiger  Stimme,  was  er  wolle,  was  er 
zu  tun  gedenke  ?  Da  ein  unverschämtes  Schweigen  die  Absichten 
des  Leihers  bewies,  deutete  die  Gräfin  durch  Gesten  halblaut 
die  Worte  „Ehre"  und  „Tugend"  an,  worauf  sie  errötend,  in- 
dem sie  ihrem  Verführer  seine  geringe  Seelengröße  vorwarf,  zu- 
fügte: „Ich  verstehe  wohl,  was  Sie  zu  erreichen  wünschen;  Sie 
wollen  mich  demütigen  und  mit  mir  quitt  werden."  „Nein,  be- 
ruhigen Sie  sich,"  entgegnete  ihr  der  Wucherer,  „ich  achte 
Sie  zu  hoch,  um  dies  zu  tun,  es  wird  sich  nur  um  die  Zinsen 
handeln." 

Eine  junge  und  hübsche  Frau,  die  einen  Mann  des  Finanz- 
wesens, dessen  widerwärtiges  Gesicht  und  gemeine  Neigungen 
sie  abstießen,  geheiratet  hatte,  ist  soeben,  um  nach  dreijähriger 
Scheidung  nicht  unwürdigen  Liebkosungen  ausgesetzt  zu  sein, 
glücklich  von  einem  Sohn  entbunden  worden,  den  sie  niemals 
geboren  haben  würde,  wäre  sie  ihrem  Manne  treu  geblieben. 

Die  Frau  eines  Marschalls  von  Frankreich,  der  glaubt,  schwind- 
süchtig zu  sein,  findet  einen  Mann  solcher  Art  zu  zart  für  sich 
und  macht  sich  eine  Gewissensfrage  daraus,  ihn  zu  menagieren; 
sie  hat  sich  großmütig  dazu  verurteilt,  sich  mit  den  gewöhn- 
lichen Zärtlichkeiten  ihres  Maitre-d'hotel  zufrieden  zu  geben, 
der  noch  immer  Lakai  wäre,  wäre  er  nicht  robust  gewesen. 


Der  Gazetier  Cuirasse  233 


Zum  zweitenmal  hat  man  bei  Hof  eine  Komtesse  vorgestellt, 
die  15  Jahre  in  Versailles  gelebt  hat,  ohne  zu  hoffen,  weiter  als 
bis  zur  Marschallsküche  zu  kommen,  wo  sie  zum  erstenmal  vor- 
gestellt worden  ist.  Damals  hatte  sie  als  Frau  des  ersten  könig- 
lichen Kammerdieners  nur  das  Recht,  mit  den  Mundköchen 
und  den  Küchenchefs  der  ganzen  königlichen  Familie  zusammen 
zu  speisen,  die  sie  nun  verlassen  hat,  um  sich  ihrem  Herrn  zu 
nähern. 

Der  Sieur  Louis,  der  die  schwierigsten  Beweise  unternimmt, 
hat  soeben  der  chirurgischen  Akademie  bewiesen,  daß  ein  acht- 
zehnjähriges Mädchen,  die  alle  Tage  mit  einem  gleichalterigen 
jungen  Manne  schlafen  würde,  auf  natürliche  Weise  schwanger 
werden  kann;  diese  Ausführung  stützt  er  auf  das  Beispiel  eines 
Geschwisterpaares,  das  sich  nach  friedlichem,  zweijährigem  Zu- 
sammenleben vergessen  hat. 

Man  hatte  behauptet,  daß  das  Fortpflanzungsgeheimnis  im 
Hause  eines  Prinzen  verloren  gegangen  sei,  der  sich  stückweise 
aus  dieser  Welt  entfernt  hat;  doch  hat  die  Tochter  des  Prinzen, 
die  mit  ihrem  Onkel  verheiratet  ist,  auf  Grund  von  Recherchen 
und  Versuchen  soeben  zum  zweitenmal  dies  Geheimnis  wieder- 
gefunden, als  sie  mit  dem  Grafen  Galard  scherzte. 

Ein  Mann  von  Rang,  der  seine  Frau  mit  der  Pistole  in  der 
Hand  hat  legitimieren  lassen,  hat  soeben  auf  gleiche  Weise  seinen 
Schwiegervater  gezwungen,  sein  Testament  zu  machen. 

Man  zählt  in  Paris  150  Frauen,  die  als  Komtessen  und  Mar- 
quisen  bekannt  sind,  denen  Madame  Gourdan  ihre  Tür  des 
öfteren  verweigert  haben  will. 

Eine  gute  alte  Witwe,  die  sich  aus  Gesundheitsgründen  mit 
einem  Grafen  aus  der  Bretagne  verheiratete,  ist,  nachdem  sie 
ihr  Porzellan  und  ihre  Diamanten  verkauft  hat,  um  seine  Schul- 
den zu  zahlen,  gezwungen  gewesen,  sich  zwecks  Befreiung  von 
ihren  Wünschen  an  ihren  Lakai  zu  wenden. 

Eine  unserer  sehr  fruchtbaren  und  sehr  tugendsamen  Her- 


234  Der  Gazetier  Cuirasse 

zoginnen  hat  soeben  ihre  Ohrgehänge  verkauft,  um  ihren  Mann, 
der  im  Spiel  sehr  viel  verloren  hat,  davor  zu  bewahren,  daß  ihm 
die  Ohren  abgeschnitten  würden. 

Halb  Paris  nennt  eine  alte  Herzogin  Messalina,  während  die 
andere  Hälfte  der  Stadt  sie  als  eine  Heilige  verehrt. 

In  der  Gesellschaft  leben  drei  junge,  so  züchtige  und  reser- 
vierte Herzoginnen,  daß  sie  nicht  ehrbarer  sein  könnten,  wären 
sie  ebenso  häßlich  wie  die  Herzogin  d'Olonne. 

Als  die  alte  Frau,  die  am  i.  Januar  all  ihren  Schützlingen  ein 
Paar  Samthosen  schenkt,  die  Rechnung  des  Schneiders  forderte, 
der  für  sie  liefert,  fand  sie,  daß  er  in  ihrem  Dienste  beinahe 
400  Samthosen  in  zwei  Jahren  angefertigt  hatte. 

Eine  maritime  Komtesse,  die  beim  Arsenal  wohnt,  hat,  nach- 
dem sie  die  Flagge  vor  allen  Nationen  der  Welt  gestrichen  hat, 
endlich  auf  einer  Sandbank  Schiffbruch  erlitten,  und  verliert 
nach  allen  Seiten  Wasser. 

Eine  dicke  Holländerin,  die  in  Frankreich  Gräfin  geworden 
ist,  hat  unsere  Sitten  derart  angenommen,  daß  sie  täglich  drei 
Stunden  bei  ihrer  Toilette  verbringt,  eine  Stunde  beim  Essen, 
sechs  Stunden  im  Wagen  und  den  Rest  ihrer  Zeit  im  Bett  oder 
auf  ihrer  Bergere,  wo  sie  andere  glücklich  oder  Handarbeiten 
macht. 

In  der  zweiten  Magistratur  befinden  sich  zwei  Männer,  die 
dafür  bekannt  sind,  daß  sie  nur  solche  zum  Tode  verurteilen,  die 
nicht  die  Mittel  haben,  ihnen  das  Recht  zu  leben  zu  bezahlen. 

Als  der  Lykurg  Frankreichs  eines  vielgewandten  Mannes  be- 
durfte, um  seine  Projekte  auszuführen  und  seinen  Willen  durch- 
zusetzen, hat  er  sich  die  Listen  der  Kriminalkanzlei  vorlegen 
lassen,  um  unter  den  Schlauen,  die  ihre  Geschicklichkeit  gerettet 
hatte,  einen  fähigen  Sekretär  zu  seiner  Hilfe  auszusuchen. 

Frankreich  hat  soeben  einen  Mann  ersten  Ranges  verloren, 
der,  nachdem  er  von  Dieben  ausgeraubt  worden  ist,  ohne  Ge- 
rechtigkeit zu  erlangen,  sich  entschlossen  hat,  auf  den  Cordon 


Der  Gazetier  Cuirasse  235 

bleu  zu  verzichten,  ebenso  auf  den  Pairsstand  und  auf  das  Ballett 
von  Paris,  um  sieh  frei  beklagen  zu  können  und  die  Franzosen 
zu  lehren,  daß  er  denkt  ohne  Wortspiele  zu  machen. 

Mademoiselle  Durancy,  die  verdrossen  war,  daß  ihr  Labora- 
torium so  wenig  besucht  wurde,  hat  sich  der  Herzogin  de  Ville- 
roy vorstellen  lassen,  die  mit  dem  Debüt  dieser  neuen  Virtuosin 
sehr  zufrieden  war. 

Der  Erzbischof  von  Paris  ist  soeben  zum  drittenmal  an  einer 
Fistel  operiert  worden.  Dieser  tugendhafte  Prälat  hat  die  Ope- 
ration ertragen,  ohne  eine  Silbe  gegen  einen  Apotheker  zu  äu- 
ßern, der  daran  schuld  sein  soll. 

Zwei  Drittel  der  Oper  werden  momentan  zu  den  Soupers  der 
Herzogin  de  Villeroy,  Madame  de  Savignans  und  Madame  de 
Portails  zugelassen.  Dies  häßliche  Trio  ist  betrübt,  daß  die  übri- 
gen ihnen  bis  jetzt  entgangen  sind,  doch  hoffen  sie  mit  Geduld 
und  Geld  auch  dahin  zu  kommen. 

Der  Marquis  de  Villeroy,  der  es  müde  ist,  sich  den  Bart  aus- 
zuzupfen, um  jung  zu  erscheinen,  hat  soeben  die  Rolle  eines 
Greises  angenommen,  um  sich  in  Zukunft  diese  Mühe  zu  er- 
sparen. 

Man  behauptet,  der  Kardinal  de  Bernis,  unser  Gesandter  in 
Rom,  sei  dort  von  den  Kardinälen  Pallavicino  und  Acciaiolo, 
die  ihn  in  einer  nächtlichen  Sitzung  des  heiligen  Kollegs  als  Chor- 
knaben behandelt  haben,  als  Römer  naturalisiert  worden. 

Dem  Marquis  de  Marignan,  der  aus  Rom  eine  Statue  des  Ga- 
nymed  hat  kommen  lassen,  die  ihm  100  000  Taler  gekostet  hat, 
wird  nachgesagt,  daß  er  von  der  Marquise,  seiner  Frau,  zu  Füßen 
dieser  Statue  in  Meditation  überrascht  worden  wäre;  sie  sei  ge- 
schäftig mit  einem  Becher  herbeigeeilt,  um  seine  Essenz,  die 
sich  auszubreiten  begann,  aufzufangen. 

Mademoiselle  Clairon  ladet  sehr  oft  die  Marquise  de  Villeroy 
und  die  Herzogin  de  Beau,  ebenso  wie  die  erste  Präsidentin  und 
Madame  de  Portail  zum  Souper,  die  ihrerseits  die  Güte  haben, 


236  Der  Gazetier  Cuirasse 

Mademoiselle  d'Oligne  und  Mademoiselle  Dervieux  ebenso  wie 
einige  andere  amphibische  Prinzessinnen,  deren  Gesellschaft  ihnen 
nützlich  ist,  zuzulassen.  Der  Herzog  d'Aumont,  der  zwischen 
Mlle  Chiron  und  dem  Marquis  de  Vilette  wohnt,  hat  das  Ge- 
richt ersucht,  sie  alle  beide  auszulogieren.  Da  dieser  gute  Sei- 
gneur  immer  das  Feuer  ein  wenig  fürchtet,  meint  er,  daß  er 
Gefahr  liefe,  verkohlt  zu  werden,  wenn  das  eine  oder  das  andere 
Bankett  in  Flammen  aufginge. 

Freron,  der  von  Voltaire  bezichtigt  worden  ist,  in  seiner  Ge- 
genwart eine  scheußliche  Sünde  eingestanden  zu  haben,  hat  sich 
dafür  gerächt,  indem  er  seinem  Antagonisten  vorgeworfen  hat, 
er  habe  mit  dem  Marquis  de  Villette  und  dessen  vorgeblichem 
Sekretär  unter  demselben  Dach  geschlafen. 

Als  sich  der  Graf  de  Noailles  mit  einem  seiner  Lakaien  skan- 
dalöse Freiheiten  herausgenommen  hatte,  hat  dieser  Bauern- 
bengel  Monseigneur  mit  einer  Ohrfeige  umgeworfen,  die  Seine 
Gnaden  acht  Tage  lang  ans  Bett  gefesselt  hat.  Trotz  dieses  Er- 
eignisses, das  viel  von  sich  reden  machte,  fährt  der  heilige  Mann 
fort,  seine  kleinen  Gaben  zu  verteilen  und  auf  so  komische  Art 
wohltätig  zu  sein.  Man  glaubt,  Seiner  Gnaden  Verstand  sei  ein 
wenig  von  den  Segnungen  des  Volkes  und  von  den  Folgen  seines 
Eifers  und  seiner  Versuchungen  geschwächt.  Der  Lakai,  mit  dem 
er  diese  Ohrfeigenaffäre  gehabt  hat,  ist  ein  Pikarde  aus  erster 
Hand,  der  noch  nicht  darauf  vorbereitet  war,  den  Dienst  eines 
spanischen  Granden,  der  Chevalier  des  königlichen  Ordens,  Ge- 
neralleutnant, Gouverneur  von  Versailles,  Prince  de  Poix,  Seig- 
neur  d'Arpajon,  Ritter  des  Großkreuzes  von  Malta,  Chevalier 
de  la  Toison  d'Or  und  Sekularmitglied  der  Gesellschaft  Jesu  usw. 
usw.  ist,  zu  versehen. 

Ein  ehemaliger  Offizier  der  französischen  Garde,  der  immer 
die  sittenlosen  Frauen  gehaßt  hat,  hat  soeben  ein  kleines  Haus 
genommen,  wo  er  sich  mit  einer  sehr  erfahrenen  Mätresse  ein- 
schließt, die  er  als  seinen  Kammerdiener  ausgibt. 


Der  Gazetier  Cuirasse  237 


Der  Nuntius  seiner  Heiligkeit  hat  soeben  vom  heiligen  Kolle- 
gium ein  Präsent  von  zwölf  Pagen  erhalten,  die  fähig  sein  sollen, 
den  schwierigsten  Kardinal  zu  bedienen;  der  päpstliche  Sou- 
verän hat  ihnen  zwei  schwarze  Eunuchen  beigefügt,  die  sie  über- 
wachen und  die  französischen  Seigneurs  verhindern  sollen,  die 
Privilegien  des  römischen  Hofes  an  sich  zu  reißen. 


AUS  DEN  MEMOIREN 

Auszug  aus  einem  Brief  aus  Rennes  vom  25.  Januar  1767. 
Der  sehr  lüsterne  Bischof  von  S.-Brieux  (Barreau  de  Girac), 
den  es  sogar  noch  am  Altar  packen  und  der  der  hl.  Jungfrau 
davon  erzählen  würde,  um  sich  die  Langeweile  des  Kirchendien- 
stes zu  vertreiben,  hat  es  unternommen,  eine  hübsche  junge  Da- 
me, die  noch  dazu  die  Nichte  eines  seiner  Brüder  im  Herrn  ist, 
zu  erobern.  Als  er  sich  eines  Tages  auf  der  liebestollen  Jagd,  die 
er  vor  keinem  verheimlichte,  tete-ä-tete  mit  dieser  Dame  fand, 
bestürmt  er  sie,  von  seiner  Leidenschaft  fortgerissen,  aufs  hef- 
tigste, und  vergißt,  vorsichtshalber  den  Riegel  vorzuschieben ;  der 
Gatte  kommt  dazu  und  betritt  den  Raum  just  im  entscheidenden 
Moment ;  die  Dame  verliert  keineswegs  den  Kopf  und  gibt  vor, 
daß  der  Prälat  versuchte,  ihr  Gewalt  anzutun;  sie  stürzt  sich  auf 
ihres  Mannes  Degen  und  stößt  ihn  in  den  Schenkel  des  Unbe- 
sonnenen. Dies  genügte  wohl,  um  seine  Gluten  zu  kühlen ;  ver- 
wirrt, gedemütigt,  mit  gesenktem  Kopfe  trat  er  seinen  Rückzug 
an,  und  hütet  nun  notgedrungen  das  Zimmer. 

Diese  Geschichte  ist  heute  Gemeingut;  man  spricht  von  nichts 
anderem,  als  von  Madame  de  la  M  . . .  Geschicklichkeit,  die  dem 
Bischof  de  S.  Brieux  einen  Degenstich  in  den  Schenkel  versetzt 
hat,  ohne  seine  Hose  zu  gefährden. 

Man  sagt,  der  Prinz  von  Conti  habe  den  König  damit  erfreut, 
doch  hat  es  der  Bischof  von  Orleans,  der  um  den  Ruf  seines 
Sprengeis  sehr  besorgt  ist,  für  seine  Pflicht  gehalten,  den  ge- 
samten Kirchenstaat  davon  zu  benachrichtigen,  der  die  Sachlage 
richtig  erfaßte  und  zurückschrieb :  dies  sei  eine  Verleumdung, 
die  aus  Schadenfreude  erfunden  sei. 

Bedauerlicherweise  wird  behauptet,  daß  Monseigneur  die 
Narbe  sein  ganzes  Leben  lang  auf  dem  Schenkel  behalten 
wird. 


Aus  den  Memoiren  239 


Von  Mund  zu  Mund  kursiert  ein  sublimes  Wort  des  Sieur  Le 
Kain,  das  alle  Welt  begeistert.33  Gegen  Ende  der  dramatischen 
Saison,  in  einem  Foyer,  wurde  es  geprägt.  Man  beglückwünschte 
diesen  Schauspieler  zur  Ruhe,  die  er  nun  genießen  würde,  zum 
Ruhm  und  zu  dem  Geld,  das  er  gewonnen  hatte.  „Was  den  Ruhm 
anbetrifft,"  erwiderte  Le  Kain  bescheiden,  „so  schmeichle  ich 
mir  nicht,  viel  erworben  zu  haben.  Diese  Art  Entschädigung  wird 
uns  von  zu  vielen  bestritten,  und  Sie  selbst  würden  sie  mir  streitig 
machen,  wollte  ich  sie  usurpieren.  Was  das  Geld  anbetrifft,  so 
habe  ich  nicht  Grund,  derart  zufrieden  zu  sein,  wie  man  annimmt ; 
unser  Anteil  kommt  dem  der  Schauspieler  an  der  italienischen 
Oper  nicht  gleich,  und  wären  wir  gerecht  gegen  uns  selbst,  würden 
wir  uns  ein  wenig  höher  einschätzen.  Ein  Anteil  beim  Theätre 
des  Italiens  bringt  20 — 25  000  Livres  ein,  und  der  meine  im 
Höchstfalle  10 — 12000."  „Wie  denn,"  rief  da  ein  Chevalier  des 
Sankt  Ludwig-Ordens,  der  der  Unterhaltung  zuhörte,  „wie  denn ! 
ein  elender  Komödiant  ist  nicht  mit  12000  Livres  Rente  zu- 
frieden, und  ich,  der  ich  im  Dienste  des  Königs  stehe,  auf  einer 
Kanone  schlafe  und  mein  Blut  dem  Vaterland  opfere,  ich  bin 
nur  zu  glücklich,  1000  Livres  Pension  zu  erhalten." 

„Ja,  mein  Herr,"  erwiderte  Le  Kain,  „und  rechnen  Sie  es  denn 
für  nichts,  daß  Sie  sich  die  Freiheit  nehmen  dürfen,  in  diesem 
Ton  zu  mir  zu  sprechen  ?" 

Man  erzählt  sich  ein  Geschichtchen,  das  kürzlich  Herrn  von 
Marmontel  zugestoßen  sein  soll,  und  das  er,  wie  billig,  leugnet. 

Dieser  Autor  hatte  sich  als  Erster  in  das  Landhaus  einer  Dame 
begeben,  deren  Tochter  soeben  das  Kloster  verlassen  hatte.  Sie 
war  eine  alleinstehende  Witwe,  die  kein  großes  Haus  führte.  Als 
der  berühmte,  unerwartete  Mann  ankommt,  und  ihr  noch  dazu 
erzählt,  daß  Madame  Gaulard  mit  ihrer  Gesellschaft  bald  nach- 
folgen werde,  läßt  sie  ihn  allein,  um  ihre  Verfügungen  zu  treffen, 
bittet  ihn,  sie  einige  Momente  zu  entschuldigen,  und  schärft  ihrer 


240  Aus  den  Memoiren 


Tochter  ein,  den  Herrn  unterdessen  zu  unterhalten  und  möglichst 
die  Kosten  des  Gesprächs  zu  tragen.  Das  Fräulein  ist  hübsch  und 
eine  heilige  Unschuld,  und  dies  zweifellos  mehr,  als  man  es  von 
Zöglingen  der  meisten  Klöster  erwartet. 

Wie  dem  auch  sei,  der  Herr  Marmontel  ermannt  sich,  vergißt 
sich,  profitiert  von  der  Unschuld  des  jungen  Mädchens  und  wird 
außerordentlich  unternehmend. 

Darüber  kommt  die  Mutter  zurück,  entschuldigt  sich  bei  un- 
serem Akademiker,  versichert  ihm,  wie  sehr  sie  bedauert  habe, 
ihn  hat  allein  lassen  zu  müssen,  und  hofft,  daß  er  sich  nicht  zu 
sehr  gelangweilt  habe ;  er  beschwört  das  Gegenteil,  und  daß  ihr 
Fräulein  Tochter  den  Esprit  eines  Engels  habe  und  daß  er  sich 
ausgezeichnet  unterhalten  hätte.  Die  Mutter  wendet  sich  zu  ihrer 
Tochter  und  sagt,  sie  hoffe,  daß  diese  Liebenswürdigkeit  nicht 
nur  eine  Höflichkeitsformel  sei.  Herr  Marmontel  entgegnet  von 
neuem,  daß  nichts  wahrer  sei,  und  daß  er  viel  Vergnügen  emp- 
funden habe. 

Die  Kleine  aber  verliert  die  Geduld  und  entgegnet  heftig :  „Er 
lügt,  Mama,  er  lügt !  Welch  zweifelhaftes  Vergnügen,  auf  anderer 
Leute  Popo  mit  eiskalten  Händen  zu  manipulieren."  Es  ist  un- 
möglich, den  Zustand  der  Mutter  und  den  des  Herrn  Marmontel 
zu  schildern.  Er  wartete  das  Kompliment,  das  ihm  gebührte,  erst 
gar  nicht  ab,  und  rettete  sich  eiligst  auf  seinen  Wagen. 

# 

Longchamps,  diese  in  der  Karwoche  so  beliebte  Promenade, 
ist  gestern  zum  erstenmal  mit  all  dem  Zulauf,  den  der  schöne 
Tag  versprach,  eröffnet  worden.  Die  Prinzen  und  die  Großen 
des  Reiches  haben  sich  in  den  prunkvollsten  und  schnellsten 
Equipagen  dahin  begeben;  die  Freudenmädchen  haben  dort  wie 
gewöhnlich  geglänzt.  Aber  Mlle  Guimard,  „La  belle  Damnee". 
wie  M.  de  Marmontel  sie  in  seiner  wenig  katholischen  „Epitre" 
nennt,  hat  alle  Blicke  durch  einen  Wagen  exquisitester  Eleganz 
auf  sich  gelenkt,  der  würdig  war,  die  Reize  dieser  modernen 


Aus  den  Memoiren  241 


Terpsichore  zu  tragen.  Was  besonders  die  Aufmerksamkeit  des 
Publikums  fesselte,  war  das  beredte  Wappen,  das  die  berühmte 
Kurtisane  gewählt  hat :  inmitten  des  Schildes  erblickt  man  einen 
goldenen  Pfennig,  aus  dem  eine  Eichel  hervorragt.  Die  Grazien 
sind  die  Wappenhälter  und  Amoretten  krönen  die  Zierleiste. 
Alles  an  diesem  Emblem  ist  ingeniös.34 

Man  erzählt  sich  viel  von  den  wunderbaren  Vorstellungen,  die 
Mlle  Guimard,  die  Prima  ballerina  der  Oper,  in  ihrer  herrlichen 
Villa  in  Pantin  gibt.  Herr  von  Marmontel  hat  nicht  befürchtet, 
seine  akademischen  Fähigkeiten,  noch  seine  Seelengröße  zu  de- 
gradieren, als  er  dieser  Kurtisane  vor  einem  Jahre  den  weit  und 
breit  bekannten  Brief  schrieb.  Es  scheint,  als  ob  Herr  Colle35  sein 
„Theätre  de  Societe"  dazu  bestimmt  habe,  bei  ihr  gespielt  zu 
werden.  Herr  von  Carmontel  hat  einen  Band  „Dramatischer 
Sprüchwörter"  geschrieben,  gleichfalls  dazu  bestimmt.  Sie  sind 
von  de  la  Borde  in  Musik  gesetzt  worden,  diesem  Amateur,  der 
seine  Begabung  nicht  besser  verwenden  zu  können  glaubt,  als 
sie  in  den  Dienst  der  modernen  Terpsichore  zu  stellen.  Die 
Schauspieler  der  verschiedenen  Theater  befreien  sich,  wenn  es 
ihnen  irgend  möglich  ist,  von  ihren  Verpflichtungen  und  eilen 
in  ihr  Lusthaus,  um  dort  zu  spielen.  Am  Freitag,  den  7.,  am 
Tage  der  heiligen  Jungfrau,  hat  man  dort  La  Partie  de  Chasse 
de  Henri  IV  mit  einem  Proverbe  von  den  ebengenannten  Au- 
toren als  Beigabe  aufgeführt.  Das  Publikum  reißt  sich  um  die 
Ehre,  zu  diesen  Vorstellungen  zugelassen  zu  werden.  Der  Mar- 
schall Prinz  von  Soubise  beehrt  sie  oft  mit  seiner  Gegenwart,  und 
steuert  nicht  wenig  dazu  bei,  diese  luxuriöse  Ausgabe  zu  unter- 
stützen. Manchmal  spielt  auch  Mlle  Guimard  mit,  doch  ent- 
spricht ihre  Grabesstimme  nicht  ihren  anderen  Talenten.  Diese 
Kurtisane  wird  auf  diese  Weise  und  durch  das  Raffinement  der 
wollüstigen  Orgien,  die  gar  oft  bei  dieser  Nymphe  gefeiert  wer- 
den, und  von  denen  man  Wunderdinge  berichtet,  sicher  Epoche 
machen. 


16 


242  Aus  den  Memoiren 


Vor  einigen  Tagen  traf  der  Graf  de  Lauraguais36  in  einer  sehr 
engen  Gasse  mit  der  Karosse  des  Generaladvokaten  Herrn  von 
Barentin  zusammen,  der  seine  sehr  häßliche  Frau  bei  sich  hatte. 
Der  Kutscher  Lauraguais'  versuchte  vorwärts  zu  kommen;  der 
des  anderen  weigerte  sich  auszuweichen;  darauf  großer  Disput 
zwischen  den  Dienern.  Der  Generaladvokat  streckt  den  Kopf 
aus  der  Tür  und  äußert  mit  beamtendünkelhaftem  Ton  sein 
Erstaunen,  daß  man  ihn  nicht  passieren  läßt;  er  bringt  seinen 
Rang  zur  Geltung  und  betont,  wie  der  königliche  Dienst  nicht 
verzögert  werden  dürfe. 

Graf  Lauraguais  kümmert  sich  nicht  im  geringsten  um  den 
Redeschwall  des  Generaladvokaten  und  befiehlt  seinem  Kut- 
scher, vorbeizufahren.  Darauf  zeigt  sich  die  ganz  altenerte  Frau 
des  Advokaten  am  Wagenschlag,  fordert  die  Vorrechte  ihres  Ge- 
schlechtes und  äußert  ihr  Erstaunen,  daß  ein  so  vornehmer  Herr 
sie  so  wenig  zu  befolgen  wisse. 

,,Ah!"  antwortete  Graf  Lauraguais,  ,, warum  haben  Sie  sich 
denn  nicht  eher  gezeigt,  Madame !  Ich  versichere  Ihnen,  daß  ich, 
mein  Kutscher  und  meine  Pferde  schon  weit  wären,  hätten  wir 

Sie  früher  gesehen !" 

* 

Eine  wunderbar  schöne  Zeremonie,  die  seit  undenklicher  Zeit 
in  der  Nacht  vom  Freitag  zum  heiligen  Samstag  in  der  Sainte- 
Chapelle  gefeiert  wird,  hat  eine  ungeheure  Menge  Zuschauer  an- 
gelockt. Um  Mitternacht  begeben  sich  alle  Besessenen,  die  vom 
Teufel,  der  sie  quält,  geheilt  werden  wollen,  dorthin,  um  von 
ihm  befreit  zu  werden.  Der  Abbe  de  Sailly,  der  Großkantor 
dieser  Brüderschaft,  berührt  sie  mit  einem  Splitter  des  heiligen 
Kreuzes.  Augenblicklich  verstummt  das  Geheul,  ihre  Wut  legt 
sich,  ihre  Zuckungen  beruhigen  sich ,  und  sie  sind  ihrem  natür- 
lichen Zustand  zurückgegeben.  Ungläubige  behaupten,  diese  vom 
Teufel  besessenen  seien  Bettler,  die  dafür,  daß  sie  diese  Rolle 
spielen,  bezahlt  und  lange  vorher  eingeübt  werden.  Doch  sollte 


Aus  den  Memoiren  24.2 


man  nicht  glauben,  daß  Geistliche  sich  zu  einer  so  unwürdigen 
Komödie  hergeben  könnten.  Vielleicht  bedient  man  sich  dieser 
frommen  Methode  höchstens  deshalb,  um  mangels  wahrer  Be- 
sessener den  Glauben  des  wahren  Frommen  an  dieses  Mirakel, 
das  seit  so  vielen  Jahren  besteht,  nicht  zu  zerstören,  da  es  ge- 
eignet ist,  ihre  heut  so  oft  erschütterte  Gläubigkeit  zu  festigen. 
Glücklicherweise  gibt  es  so  viele  Besessene,  daß  man  nicht  in  die 
Lage  kommt,  falsche  einzuüben. 

Mlle  Beauvoisin,  eine  hübsche  Kurtisane,  die  gewisse  Reize 
hatte,  aber  kurztaillig,  klein  und  gedrungen  war,  hatte  aus  diesem 
Grunde  die  Oper,  an  der  sie  als  Tänzerin  wirkte,  verlassen  müs- 
sen. Seit  einigen  Jahren  befaßte  sie  sich  damit,  ein  Spielhaus  zu  lei- 
ten; ihr  Charme,  ihr  Luxus  und  der  Zulauf  vieler  Spieler,  die  sich 
da  trafen,  hatten  ihr  Haus  berühmt  gemacht;  doch  gab  es,  wie 
immer,  eine  Menge  eingeschmuggelter  Betrüger.  Szenen  hatten 
sich  bei  ihr  abgespielt,  die  die  Aufmerksamkeit  der  Polizei  er- 
regten: sie  war  zu  Herrn  von  Sartines  geschickt,  und  von  ihm 
mit  strengen  Vorhaltungen  bedacht  worden,  auch  hatte  er  ihr 
anbefohlen,  die  Spielhöhle  zu  schließen  oder  aber  wenigstens 
jeden  Eklat  zu  vermeiden,  wenn  sie  einer  strengeren  Strafe  ent- 
gehen wolle. 

Sie  hatte  gemeint,  sich  der  polizeilichen  Wachsamkeit  dadurch 
entziehen  zu  können,  daß  sie  sich  als  überzählige  Tänzerin  bei  den 
in  Versailles  in  Vorbereitung  stehenden  Festlichkeiten  einzeich- 
nete. \ui  neue  Bezichtigungen  hin,  daß  das  Haus  dieser  Dirne 
ein  erschreckendes  Diebsnest  sei,  in  dem  sich  junge  Leute  von 
Stand  träfen,  ist  sie  heute  festgenommen  und  nach  Sainte-Pelagie 
gebracht  worden,  einem  Zufluchtsort  gewisser  Nymphen,  die  man 
nicht  ins  Hospital  stecken  will.  Diese  Entführung  hat  Schrecken 
unter  die  diesem  Hause  verbrüderten  Spieler  gesät,  die  sich  nun 
nach  einer  anderen  Wirkungsstätte  umsehen  müssen. 


16« 


244  ^us  ^en  Memoiren 


Man  verbreitet  eine  skandalöse  Anekdote  über  eine  Prinzessin, 
die  zwar  so  erhaben,  aber  dennoch  so  öffentlich  ist,  daß  man  nicht 
umhin  kann,  sie  wiederzugeben. 

Man  weiß,  daß  der  Chevalier  de  Coigny37  ein  bei  den  Hofdamen 
sehr  beliebter  und  gern  gesehener  Herr  ist;  unter  anderen  nennt 
man  auch  eine  der  hübschesten  unter  ihnen  als  eine  seiner  Erobe- 
rungen, die  Prinzessin  d'Henin ;  auch  steigt  er  zu  den  Bürger- 
lichen herab,  und  beehrt  sie  damit,  sein  Lager  teilen  zu  dürfen; 
so  spricht  man  auch  von  einer  Dame  de  Martinville,  der  Frau 
eines  Generalpächters.  Endlich  sagt  man,  daß  er  der  Herzogin 
von  B***,  die  ihm  Liebenswürdigkeiten  erwies,  die  beiden  anderen 
geopfert  habe.  So  geschah  es,  daß  am  Rosenmontag  die  bis  zur 
Unkenntlichkeit  maskierte  und  von  Eifersucht  zerfressene  Ma- 
dame d'Henin  ihn  mit  der  ebenfalls  maskierten  Herzogin  von  B*** 
traf;  sie  erkannte  sie  sofort,  gab  aber  vor,  sie  für  Mme  de  Martin- 
ville zu  halten,  und  nach  einem  ironischen  Kompliment  über  das 
Opfer,  das  dieser  Seigneur  ihr  (Mme  d'Henin)  für  eine  Bürger- 
liche gebracht  habe,  fügt  sie  hinzu,  daß  sie  das  in  Anbetracht  ihrer 
Jugend  und  ihrer  Schönheit  nicht  erstaune,  daß  sie  aber  über 
das  Seltsame  nicht  wegkäme,  daß  er  sie,  die  Martinville  um  eine 
Grande  Dame  aufgäbe,  die  durch  ihren  Rang,  ihre  Geburt  und 
ihre  Eigenschaften,  ihren  Esprit  und  Herzenstugenden  gewürdigt 
würde,  deren  Körper  aber  schwere  Mängel  aufweise,  und  damit 
erging  sie  sich  in  einer  demütigenden  Aufzählung  all  ihrer  körper- 
lichen Schwächen,  die  sie  naturgemäß  übertrieb. 

Die  sehr  verwirrte  Prinzessin  wollte  sie  einschüchtern,  indem 
sie  beteuerte,  gar  nicht  Madame  de  Martinville  zu  sein,  daß  es 
sich  um  ein  Mißverständnis  handle,  daß  sie  da  Mitteilungen  ma- 
che, die  ihr  sehr  gefährlich  werden  könnten;  die  andere  jedoch 
blieb  hartnäckig,  schwor,  sich  nicht  zu  täuschen,  und  entblödete 
sich  sogar  nicht,  im  Eifer  ihres  Zornes  sich  selbst  zu  erniedrigen : 
„Verstellen  Sie  sich  doch  nicht,  schöne  Maske,"  rief  sie,  „wir 
Huren  kennen  einander  ja  alle!" 


Aus  den  Memoiren  245 


M.  Fenouillot  de  Falbaire  hat  vor  einem  Jahr  ein  hübsches 
Mädchen  geheiratet,  in  die  sich  der  Herr  Beaujon,  ein  Hofban- 
kier, solcher  Art  verliebte,  daß  er  für  das  Paar  alles  tat,  was  in  sei- 
nen Kräften  stand.  Zuerst  hat  er  ihnen  eine  königliche  Domäne 
verschafft,  die  den  Titel  einer  Baronie  de  Quingey  mit  sich 
brachte,  den  der  junge  Ehemann  angenommen  hat.  Er  hat  ihnen 
die  Viertelstelle  und  Einnahme  eines  Generalpächters  übermit- 
telt. Er  hat  ihnen  2000  Livres  Rente  ausgesetzt.  Ganz  kürzlich 
hat  er  der  Frau,  die  soeben  von  einem  Kinde  genesen  ist,  Pferde 
und  eine  Karosse  zum  Geschenk  gemacht.  Kurz,  jeden  Tag  er- 
weist er  ihnen  neue  Wohltaten.  Sie  sind  um  so  weniger  teuer 
für  die  Baronin,  als  der  Liebhaber  als  impotent  gilt,  und  den 
Ehemann  unmöglich  nach  allen  Regeln  der  Kunst  zum  Hahnrei 
machen  kann;  außerdem  ist  er  derart  eifersüchtig,  daß  er  darüber 
wacht,  daß  kein  anderer  es  tue:  so  ist  er  eine  Art  sehr  wachsamer 
Eunuche,  den  der  Baron  de  Quingey  um  seine  Frau  besorgt  weiß. 

Da  endlich  die  auf  diese  Weise  nie  versiegenden  Wünsche  des 
Finanziers  sich  sehr  verdoppeln  können,  und  sein  außerordent- 
licher Reichtum  es  ihm  ermöglicht,  sich  alle  Damen,  die  er  be- 
gehrt, zu  kaufen,  hält  er  sich  deren  mehrere,  die  er  seine  „ber- 
ceuses"  nennt,  da  sie  ihn  zu  Bett  bringen  und  mit  Zärtlichkeiten 
und  Erzählungen  einschläfern.  Dabei  ist  der  Bankier  ein  Bauer, 
ohne  Liebenswürdigkeit,  ohne  Reiz,  keineswegs  säuberlich,  wie 
die  modernen  Finanziers,  und  überhaupt  sehr  tölpelhaft. 

Man  möge  sich  auch  erinnern,  daß  Herr  Falbaire  ein  durch 
sein  Drama  „L'Honnete  Criminel"  bekannter  Autor  ist.38  Sein 
Reichtum  verhindert  ihn  nicht  zu  arbeiten,  und  soeben  hat  er 
ein  neues  Drama  geschaffen,  das  er  in  Fontainebleau  aufführen 
lassen  will. 

Der  Hofbankier  Beaujon,  der  sich  im  Hotel  der  außerordent- 
lichen Gesandten,  dem  ehemaligen  Hotel  d'Evreux  und  dem 
nachmaligen  Hotel  de  Pompadour  schlecht  logiert  fand,  hat  dort 


246  Aus  den  Memoiren 


große  Ausgaben  gemacht,  besonders  für  den  Garten,  den  er  arg 
zurichtete.  Bei  dieser  Gelegenheit  spricht  man  viel  von  diesem 
verschwenderischen  Herrn,  dessen  Lebenslauf  man  sich  also  er- 
zählt : 

Um  7  Uhr  früh  erhebt  er  sich  und  arbeitet  bis  um  9.  Darauf 
kleidet  er  sich  an,  trinkt  seine  Schokolade,  empfängt  Visiten,  hält 
seine  Audienzen  ab,  und  so  fort;  des  Abends  diniert  er  mit  vielen 
Freunden  zusammen  und  unterhält  sich  angeregt.  Um  9  Uhr 
geht  er  schlafen;  wenn  er  im  Bett  ist,  öffnen  sich  die  Gardinen 
und  seine  Vertrauten,  besonders  seine  „berceuses",  liebkosen  ihn 
bis  neuneinhalb,  dann  schließen  sie  die  Gardinen. 

Darauf  soupieren  die  anderen,  tun  nach  ihrem  eigenen  Belie- 
ben und  ziehen  sich  je  nach  Gefallen  zurück. 

# 

Ein  seltsames  Schauspiel  hat  die  Freunde  Long  Champs  erfreut 
und  strenge  Mitbürger  indigniert.  Schon  früher  hat  man  Mlle 
Du  The  mit  einer  glänzenden  sechsspännigen  Equipage  brillieren 
sehen.  Mlle  Cleophile39,  die  von  Eifersucht  geplagt  wurde,  hat 
sich  am  Karfreitag  auf  dieselbe  Art  und  Weise  dahin  begeben, 
um  mit  der  Pracht  ihrer  Rivalin  zu  konkurrieren.  Man  hat  sich 
nicht  entscheiden  können ;  nicht  was  die  körperliche  Schönheit, 
sondern  den  Luxus  und  die  Eleganz  der  Kleidung,  der  Diamanten 
und  der  Aufmachung  anbetrifft ;  ebensowenig  über  die  Schönheit 
der  Pferde  und  die  Ausstattung  der  Karossen.  Mlle  Cleophile 
hat,  obschon  sie  viel  jünger  ist,  nur  ein  phantastisches  Frätzchen 
und  kann  mit  der  regelmäßigen,  aber  langweiligen  Schönheit 
ihrer  Konkurrentin  nicht  rivalisieren.  Die  Cleophile  gehört  heute 
dem  Grafen  Aranda,  der  ihr,  wie  man  sagt,  neunhundert  Louis 
monatliches  Fixum  gibt,  was  sie  instand  setzt,  diese  Würde  kon- 
venierend zu  repräsentieren.  Sie  ist  ein  kleines  Mädchen,  das 
ehemals  bei  Audinot  war,  und  heute  überzählige  Tänzerin  der 
Oper  ist. 


Aus  den  Memoiren  247 


Der  „Pouff  aux  sentiments"  ist  eine  Coiffure,  die  dem  „que- 
saco"4<>  gefolgt  und  ihm  durch  die  Unmenge  verschiedenartiger 
Dinge,  die  zu  ihrer  Komposition  gehören,  und  durch  die  Phan- 
tasie, die  sie,  um  wechselvoll  ausgeführt  zu  werden,  erfordert, 
unendlich  überlegen  ist.  Man  nennt  sie  „pouff",  weil  sie  eine 
Varietät  vieler  Gegenstände  enthalten  kann,  und  weiter  „aux  sen- 
timents", weil  sie  sich  auf  das,  was  man  selbst  am  meisten  liebt, 
beziehen  müssen.  Die  Beschreibung  des  Pouff  der  Herzogin  de 
Chartres  soll  diese  schwierige  Definition  dem  Verständnis  näher 
bringen :  In  dem  Pouff  ihrer  Hoheit  erblickt  man  eine  im  Sessel 
sitzende  Frau,  die  einen  Säugling  wiegt,  was  Bezug  auf  den 
Herzog  von  Valois  und  dessen  Amme  hat.  Zur  Rechten  befindet 
sich  ein  Papagei,  der  an  einer  Kirsche  pickt,  der  Lieblingsvogel 
der  Prinzessin.  Zur  Linken  ein  kleiner  Neger,  das  Abbild  dessen, 
den  sie  liebt;  der  Rest  ist  mit  Haartuffs  des  Herzogs  de  Chartres, 
ihres  Gatten,  des  Herzogs  de  Penthievre,  ihres  Vaters,  des  Herzogs 
von  Orleans,  ihres  Schwiegervaters,  und  anderer  garniert.  Alle 
Frauen  wünschen  einen  Puff  zu  besitzen  und  schwärmen  davon. 

# 

Gestern  um  3  Uhr  morgens  hat  Seine  Majestät  dem  Herzog  von 
Duras  befohlen,  den  Abbe  Maudoux,  seinen  Beichtiger,  rufen  zu 
lassen.  Seine  Majestät  ist  15  oder  10  Minuten  allein  mit  ihm  ge- 
blieben, dann  hat  sie  mit  dem  Großalmosenier  eine  Privatkon- 
ferenz gehalten;  endlich  hat  sie  das  heilige  Abendmahl  empfan- 
gen. Vorher  hat  der  Kardinal  de  La  Roche-Aymon  im  Namen 
des  Königs  folgende  Rede  gehalten : 

„Obgleich  der  König  niemand  anders  als  Gott  Rechenschaft 
über  sein  Gehaben  schuldet,  bedauerter,  seine  Untertanen  skan- 
dalisiert  zu  haben  und  erklärt :  von  jetzt  ab  nur  der  Religion,  dem 
Glauben  und  dem  Wohlergehen  seines  Volkes  leben  zu  wollen." 

Die  Reliquie  der  heiligen  Genoveva  ist  anläßlich  der  Krankheit 
Seiner  Majestät  enthüllt  worden.  Im  übrigen  haben  die  Mönche 
ihr  Möglichstes  getan,  um  die  Neugier  des  Publikums  anzu- 


248  Aus  den  Memoiren 


stacheln;  sie  haben  um  die  Reliquie  eine  Art  schwarzer  Kammer 
gezogen,  um  den  Glanz  der  bunten  Glasarbeiten,  die  sie  schmük- 
ken,  noch  mehr  hervorzuheben. 

Sobald  sich  die  Pockenkrankheit  beim  König  deklarierte,  erbot 
sich  ein  zufällig  in  Paris  weilender  englischer  Arzt  namens  Sutton, 
ein  Mitglied  jener  berühmten  Familie,  die  eine  besondere  Inoku- 
lationsmethode und  ein  spezielles  Mittel  gegen  diese  Krankheit 
erfand,  Seine  Majestät  zu  behandeln;  doch  haben  unsere  franzö- 
sischen Ärzte  ihn  zu  verdrängen  gewußt.  Seitdem  nun  des  Kö- 
nigs Zustand  hoffnungslos  geworden  ist,  hat  man  den  Ausländer 
rufen  lassen;  der  Herzog  von  Orleans  und  Madame  Adelaide  ha- 
ben ihm  100  000  Taler  für  sein  Geheimnis  oder  für  die  Erlaubnis 
zu  dessen  Analyse  vor  der  Anwendung  beim  König  geboten.  Er 
hat  darauf  bestanden,  daß  dies  ein  Familiengeheimnis  sei,  dessen 
Schlüssel  er  keineswegs  habe,  und  daß  es  sowieso  schon  zu  spät  sei. 

Die  Leiche  des  Königs  war  derartig  verpestet,  daß  kein  Arzt 
gewagt  hat,  die  Autopsie  zu  machen.  Man  sagt,  daß  sie  augen- 
blicklich mit  ungelöschtem  Kalk  bedeckt,  dann  in  einen  Sarg  aus 
Zedernholz  und  darauf  in  einen  bleiernen  gelegt  worden  wäre. 
Das  Palais  ist  zwiefach  verseucht,  erstens  von  der  Leiche  des 
verstorbenen  Königs  und  dann  von  den  mannigfaltigen  wohl- 
riechenden Wassern  und  Parfüms,  die  seit  zwölf  Tagen  ein  jeder 
Höfling  gebrauchte;  daraus  ist  ein  Potpourri  entstanden,  schreck- 
licher als  die  faulige  Ausdünstung  der  pestilenzartigen  Krank- 
heit Seiner  Majestät. 

Nach  dem  Tode  des  Königs  haben  alle  die  Großen  des  Reichs, 
die  Seiner  verstorbenen  Majestät  beistanden,  sich  der  neuen  Ma- 
jestät dank  der  pestilenzartigen  Krankheit,  mit  der  sie  sich  voll- 
gesogen hatten,  nicht  nähern  können;  deshalb  haben  sie  sich,  dem 
Brauche  gemäß,  bei  der  neuen  Majestät  nur  einschreiben  lassen. 

Der  Herzog  de  la  Vrilliere  hat  sich  zu  der  ehemaligen  Dau- 
phine,  der  jetzigen  Königin,  begeben,  — der  er  sich  nähern  durfte, 
da  diese  Prinzessin  die  Pocken  gehabt  hat  — ,  um  die  Befehle 


Aus  den  Memoiren 


249 


Seiner  Majestät  oder  die,  die  der  König  durch  sie  zu  geben  ge- 
ruhen würde,  entgegenzunehmen.  Die  Königin  hat  geantwortet, 
daß  sie  ihm  keine  zu  überliefern  habe,  weder  von  seinem  Herr- 
scher noch  von  ihrem  erhabenen  Gatten. 

Der  König  hat  sogleich  eine  Karosse  bestiegen  und  alles  hat 
gerufen:  „Es  lebe  der  König!" 

Obgleich  keinerlei  Befehl  erteilt  war,  da  der  König  es  füi 
nötig  befunden  hatte,  daß  die  ganze  Familie  in  diesen  Tagen  ge- 
meinsamer Schmerzen  miteinander  versammelt  sei,  hat  sich  der 
ganze  Hof  nach  Choisy  begeben.  Die  Damen  befinden  sich  im 
kleinen,  der  König  und  seine  Brüder  im  großen  Schlosse.  Der 
Herzog  von  Orleans,  der  unausgesetzt  beim  verstorbenen  König 
gewohnt  hat,  hat  dem  neuen  König  nicht  huldigen  können.  Er 
hält  sich  für  die  Dauer  von  neun  Tagen  zu  Saint-Cloud  auf.  Aus 
demselben  Grunde  haben  sich  alle  Minister  verstreut ;  man  glaubt 
nicht,  daß  vor  Ablauf  dieser  Zeit  eine  Ministersitzung  statt- 
finden werde. 

* 

Madame  du  Barry,  von  der  man  fälschlich  berichtete,  daß  sie 
Ruel  verlassen  habe,  befindet  sich  noch  immer  dort;  doch  nimmt 
man  an,  daß  ihres  Bleibens  dort  nicht  mehr  lange  sein  wird;  man 
vermutet,  daß  sie  dort  des  Königs  Befehle  abwartet.  Im  übrigen 
hat  ihr  Schmerz  sie  keineswegs  dem  Luxus  und  dem  süßen  Müs- 
sigang  entfremdet ;  dies  solcher  Art,  daß  sie,  da  ihr  das  Bett  der 
Herzogin  d'Aiguillon  nicht  bequem  dünkte,  nach  Versailles  ge- 
schickt hat,  um  ihr  eigenes  holen  zu  lassen. 

Da  dieser  Name,  seit  der  Hof  sich  zurückgezogen  hat,  derartig 
verrufen  ist,  hat  die  junge  Marquise  du  Barry  (Mlle  de  Fumel)41, 
auf  die  sogar  die  öffentliche  Verachtung  zurückfiel,  sich  "ent- 
schlossen, ihre  Dienerschaft  nicht  mehr  in  ihre  Livree  zu  kleiden. 
Man  weiß,  welchen  Widerwillen  sie  immer  gegen  diesen  Hymen 
empfand,  dessen  Opfer  sie  war;  was  sie  wirklich  beklagenswert 
macht. 


2 co  Aus  den  Memoiren 


Das  Leichenbegängnis  des  Königs  hat  tatsächlich  am  ange- 
gebenen Tage  stattgefunden,  und  ist  mit  unanständiger  Eile  und 
fast  vollkommenem  Außerachtlassen  des  Zeremoniells  betrieben 
worden.  Die  Wirtshäuser  am  Wege  waren  mit  johlenden  Men- 
schen angefüllt.  Unter  anderen  erwähnt  man  einen  besonders 
Schuldigen,  der  herausgeworfen  werden  sollte  und  dem  man 
schließlich  den  Wein  verweigerte.  Um  sich  seiner  zu  entledigen, 
sagte  man  ihm,  Louis  XV  Leichenzug  würde  vorbeikommen : 
„Wie,"  schrie  er  in  Delirium,  „dieser  Hurenkerl  hat  uns  bei 
seinen  Lebzeiten  Hungers  sterben  lassen  und  nach  seinem  Tode 

sorgt  er  noch  dafür,  daß  wir  vor  Durst  umkommen." 

* 

Was  die  Gräfin  du  Barry  bei  Hofe  noch  verhaßter  macht,  ist 
eine  Anekdote,  die  als  authentisch  gilt,  und  sie  die  Ursache  ^on 
des  Königs  Tod  werden  läßt.  Man  behauptet,  gelegentlich  einer 
Lustbarkeit  zu  Trianc  n,  die  den  König  den  plötzlichen  Tod  des 
Marquis  de  Chauvelin,  den  des  Marschalls  d' Armentieres  und 
die  folternden  Gewissensbisse,  die  die  Gründonnerstagspredigt 
des  Bischofs  von  Senez  in  ihm  erweckt  hatte,  vergessen  machen 
sollte,  habe  man  beobachtet,  daß  der  Monarch  ein  wohlgefälliges 
Auge  auf  die  Tochter  eines  in  der  Nähe  wohnenden  Tischlers 
geworfen  habe;  daß  man  dieses  noch  unschuldige  Kind  habe  kom- 
men, waschen  und  parfümieren  lassen,  und  sie  so  in  das  Bett 
Seiner  Majestät  geführt  hätte,  dem  dieser  leckere  Bissen  schlecht 
bekommen  wäre,  hätte  man  ihn  nicht  mit  sehr  starken  Kräfti- 
gungsmitteln unterstützt,  was  ihm  tatsächlich  half  und  mehr 
Vergnügen  verschaffte  als  man  füglich  in  diesem  Alter  empfindet. 
Man  behauptet  ferner,  daß  dieses  Kind,  das  sich  schon  krank 
fühlte  und  sich  nur  mit  Mühe  dem  lieh,  was  man  verlangte,  sich 
nur  von  Drohungen  eingeschüchtert,  und  in  der  Hoffnung,  viel 
Geld  zu  erwerben,  ergab.  Man  ahnte  nicht,  daß  sie  den  Keim  der 
Pockenkrankheit  in  sich  hatte,  die  sie  dem  König  übertrug  und 
an  der  sie  noch  frühei  starb  als  er. 


Aus  den  Memoiren  251 


Man  hat  auf  den  verstorbenen  König  ein  abscheuliches  Epi- 
taph gemacht,  das  in  den  Anekdoten  als  historisch  bewahrt  wird ; 
es  illustriert  die  Sittenverwahrlosung  gegen  Ende  seiner  Regie- 
rung, sowie  die  Reinheit,  die  man  von  der  aktuellen  erhofft. 

„Quittez  la  Cour;  partez 
Partez,  M  .  . .  et  P  . . . ; 
Ci-git  Louis,  quinzieme  du  nom, 
Dit  le  bien-aime  par  surnom, 
Et  de  ce  titre  le  deuxieme, 
Dieu  nous  preserve  du  troisieme!" 

Um  dies  Epitaph  zu  verstehen,  muß  man  sich  erinnern,  da  ß  Cha  r- 
les  ebenfalls  vor  seinem  Wahnsinn  „le  bien-aime"  genannt  wurde. 

# 

Man  schreibt  aus  Toulouse,  daß  der  Pöbel,  sowie  die  Nachricht 
von  Mme  du  Barrys  Entfernung  vom  Hofe  eintraf,  und  selbst  vor 
des  Königs  Tode,  sich  für  die  Unverschämtheiten  ihres  Gatten,  des 
Grafen  Guillaume,  gerächt  hat,  ihn  mit  Schmährufen  beschimpft 
und  in  den  Schmutz  warf;  und  man  zweifelt  nicht,  daß  diese  Miß- 
handlungen nach  dem  Tode  des  Königs  fortgedauert  hätten,  wäre 

dieser  Unglückliche  nicht  vorsichtig  genug  gewesen,  zu  entfliehen. 

# 

Unlängst  fielen  im  ersten  Rang  der  Comedie  eine  Dame  mit  zwei 
Fräuleins  durch  ihr  bäuerisches  ordinäres  Wesen  und  den  außer- 
ordentlichen Schmuck,  den  sie  trugen,  auf.  Man  sah  sie  nachher 
in  eine  Karosse  steigen,  süperb  wie  die  eines  Gesandten.  Sechs 
Lakaien  waren  um  den  Wagen  herum.  Einer  fragte  die  Dame, 
wohin  man  fahren  solle,  worauf  er  zur  Antwort  bekam :  „Cheux 
nous",  worüber  die  ganze  Valletaille  lachte.  Und  einer  der  Die- 
ner, den  man  nach  der  Dame  fragte,  erklärte :  „Madame  ist  eine 
Weißwäscherin,  die,  ohne  sich  zu  verletzen,  aus  der  vierten  Etage 
in  einen  eigenen  Wagen  gefallen  ist." 

# 

Einer  von  den  neuen  Reichen  bestellte  beim  besten  Lieferan- 
ten eine  Berline  allerfeinster  Arbeit.  „Und  welches  Wappen  soll 


252  Aus  den  Memoiren 


ich  draufmalen  ?"  fragte  der  Fabrikant.  „Das  Schönste,  das  es 
gibt,  mein  Lieber,"  bekam  er  zur  Antwort,  „das  Schönste,  das  Sie 

auf  Lager  haben." 

# 

Die  kleine  Cartou  vom  Ballett  sagte  zum  Grafen  Arty:  „Sag 
ein  bißchen  deiner  Frau  und  deinen  Schwestern,  wenn  sie  uns, 
wie  sie  es  tun,  unsere  Praktiken  nachmachen  und  wegnehmen, 
so  sollen  sie  auch  unsere  Rollen  spielen,  denn  es  ist  nicht  ge- 
recht, daß  wir  die  Mühe  haben  sollen  und  sie  den  Profit." 

# 

Als  der  junge  Grimod42  Fräulein  Jarente  geheiratet  hatte  und 
diese  in  den  ersten  Tage  der  Ehe  keine  besonders  gute  Laune 
zeigte,  fragte  Grimod  seinen  Schwager,  den  Herrn  von  Males- 
herbes: „Glauben  Sie,  daß  meine  Frau  mich  glücklich  machen 
wird?"  Worauf  der  sehr  richtig  antwortete:  „Das  hängt  vom 

ersten  Liebhaber  ab,  den  sie  haben  wird." 

# 

Der  reich  gewordene  Bourvalais  kam  einmal  in  einer  Finanz- 
pächterversammlung mit  dem  reichgewordenen  Thevenin  in 
Streit,  der  ihm  schließlich  sagte:  „Weißt  du  denn  nicht  mehr, 
daß  du  mein  Lakai  gewesen  bist  ?"  Worauf  Bourvalais,  der  wirk- 
lich des  andern  Lakai  gewesen  war,  sagte :  „Ich  weiß,  aber  wenn 

du  der  meine  gewesen  wärst,  wärst  du  es  noch  heute."43 

# 

Der  reich  gewordene  Michel  Bouret,  der  1777  ganz  verschuldet 
starb,  bewarb  sich  sehr  um  die  Gunst  einer  Dame  vom  Hof  und 
bot  ihr  an,  sein  Vermögen  mit  ihr  zu  teilen.  Sie  lehnte  sehr  brüsk 
ab.  Einige  Zeit  darauf  war  sie  in  Not  und  schrieb  Bouret  um 
10 000  Franks  und  lud  ihn  zum  Souper  ein.  Bouret  antwortete: 
„Was  ich  von  Ihnen  verlangte,  war  ohne  Preis,  das,  was  Sie  mir 

anbieten,  ist  zu  teuer." 

# 

Ein  Gast  im  Hause  des  Generalpächters  de  Beaujon  bemerkte 
nach  einem  Rundgang  in  dem  Prachthause :  „Ohne  das  Gesicht 
des  Hausherrn  wüßte  man  nicht,  wohin  spucken." 


Aus  den  Memoiren  253 


Mme  de  Groslier  beichtete  auf  dem  Sterbelager  mit  einer 
Zeile:  „Hochwürden,  ich  war  jung,  ich  war  hübsch,  man  hat  es 

mir  gesagt,  ich  habe  es  geglaubt :  denken  Sie  sich  das  übrige." 

# 

Lekain  gab  einem  Amateur  der  Gesellschaft  Unterricht.  Dieser 
packte  in  einer  Liebesszene  seine  Partnerin  beim  Arm,  wozu  Le- 
kain sagte :  „Wenn  Sie  leidenschaftlich  erscheinen  wollen,  müssen 
Sie  so  aussehen,  als  wagten  Sie  nicht,  das  Kleid  jener  zu  berühren, 

die  Sie  anbeten." 

# 

Fontenelle  sagte :  „Das  Vergnügen  ist  nicht  solide  genug,  als 

daß  man  es  vertiefen  könnte,  man  darf  es  nur  entblättern."44 

* 

Der  alt  gewordene  Prinz  Conti45  sagte  unlängst,  man  nehme 
seine  Liebeserklärungen  als  Komplimente,  früher  habe  man  seine 
Komplimente  für  Liebeserklärungen  genommen.  Er  schickte  neu- 
lich der  Mme  de  Blot  eine  Miniatur  ihres  Kanarienvogels  in 
einem  goldenen  Büchschen,  das  mit  einem  großen  Diamanten 
verziert  war.  Mme  de  Blot  schickte  den  Diamanten  zurück,  denn, 
als  sie  den  Wunsch  nach  der  Miniatur  geäußert  habe,  bedang  sie 
sich  eine  ganz  einfache  aus.  Der  Prinz  Conti  ließ  den  Diamanten  zu 
Pulver  zerreiben  und  streute  es  auf  ein  Billett,  das  er  an  Frau  von 

Blot  schrieb.  Dieses  Stäubchen  Pulver  kostete  fünftausend  Livres. 

* 

Die  Komtesse  von  Forcalquier  hatte  von  ihrem  Gatten  ohne 
Zeugen  eine  Ohrfeige  bekommen  und  wollte  sich  scheiden  lassen. 
Aber  man  sagte  ihr,  daß  sie  gar  keine  Aussicht  hätte,  die  Schei- 
dung zu  erreichen.  Mit  diesem  Bescheid  kam  sie  nach  Hause,  be- 
gab sich  in  das  Zimmer  ihres  Gatten,  gab  ihm  eine  Ohrfeige  und 
sagte:  „Hier  haben  Sie  Ihre  Ohrfeige  zurück,  ich  kann  damit 
nichts  anfangen." 

Der  sterbende  Herzog  von  Ormont  sagte  zum  Chevalier  d'Ar- 
ragues,  der  an  seinem  Lager  stand :  „Lieber  Freund,  ich  bitte  Sie 


254  Aus  den  Memoiren 


um  Entschuldigung,  daß  ich  in  Ihrer  Gegenwart  sterbe."  Der 
andere  wußte,  ganz  verwirrt  von  so  viel  Höflichkeit,  nichts  an- 
deres zu  sagen,  als :  „Um  Gottes  willen,  genieren  Sie  sich  nicht." 

# 

Ich  sagte  zu  Herrn  B***,  einem  Spötter  und  Misanthropen, 
der  mir  einen  jungen  Mann  seiner  Bekanntschaft  vorgestellt  hat- 
te :  „Ihr  Freund  weiß  noch  nichts  von  der  Welt,  er  hat  noch  gar 
keinen  Begriff  von  ihr."  „Ja,"  antwortete  er,  „aber  er  ist  schon 

so  traurig,  als  wüßte  er  alles." 

# 

Voltaire  kam  eines  Tages  durch  Soissons  und  wurde  von  einer 
Deputation  der  Akademie  von  Soissons  begrüßt.  Einer  der  Her- 
ren hielt  eine  Rede  und  nannte  darin  die  Akademie  von  Soissons 
die  älteste  Tochter  der  Academie  francaise.  „Ja,  meine  Herren," 
antwortete  Voltaire,  „die  älteste  Tochter,  die  vernünftige  Toch- 
ter, die  brave  Tochter,  die  nie  von  sich  reden  gemacht  hat." 

•* 

Ein  Doktor  der  Sorbonne  schimpfte  auf  das  Systeme  de  la  Na- 
ture.46  Er  sagte :  ein  entsetzliches,  verabscheuungswürdiges  Buch, 

der  bewiesene  Atheismus ! 

# 

Ich  fragte  Herrn  ***,  warum  er  sich  durch  sein  eingezogenes 
Leben  für  alles  Gute  unzugänglich  mache,  das  man  ihm  erweisen 
könnte.  „Was  mir  auch  die  Menschen  Gutes  erweisen  könnten," 
erwiderte  er,  „es  wäre  für  mich  nicht  so  wertvoll,  wie  die  Tat- 
sache, daß  ich  von  ihnen  nichts  höre  und  nichts  sehe." 

# 

Von  dem  Anti-Machiavel  des  Königs  von  Preußen  sagte  Vol- 
taire .  „Er  spuckt  in  die  Suppe,  um  den  anderen  den  Appetit  zu 

verderben." 

# 

D'Alembert  sprach  mit  einem  berühmten  Professor  der  Rechte 
aus  Genf  über  Voltaire.  Der  Professor  rühmte  das  universelle 
Wissen  des  Meisters  und  fügte  hinzu :   „Ich  finde  ihn  nur  im 


Aus  den  Memoiren  255 


öffentlichen  Recht  etwas  schwach."  —  „Und  ich  in  der  Geome- 
trie", sagte  d'Alembert. 

# 

Der  König  von  Preußen  fand  bei  der  Einnahme  von  Dresden 
im  Hanse  des  Grafen  Brühl  eine  Menge  Reitstiefel  und  Perücken. 
„Genug  Stiefel  für  einen,  der  nie  reitet,"  sagte  er,  „und  genug 

Perücken  für  einen  kopflosen  Menschen." 

# 

Diderot  hatte  während  seines  Aufenthaltes  in  Rußland  leib- 
eigene Bauern,  Muschiks,  bemerkt,  entsetzlich  arm,  von  Ungeziefer 
zerfressen.  Er  entwarf  der  Kaiserin  ein  schreckliches  Bild  ihres 
Elendes.  „Denken  Sie  denn,  sie  sollten  sich  um  Häuser  kümmern, 

in  denen  sie  doch  nur  zur  Miete  wohnen  ?"  antwortete  Katharina. 

# 

Ein  Advokat  namens  Marchand,  ein  geistvoller  Mensch,  tat 
den  Ausspruch:  „Bei  der  Verwaltung,  bei  der  Justiz  und  bei  der 
Küche  soll  man  nicht  hinter  die  Kulissen  sehen,  sonst  kriegt  man 

den  Ekel!" 

# 

Diderot  hatte  unter  seinen  Bekannten  ein  leichtsinniges  Bürsch- 
chen,  das  schließlich  durch  einen  letzten  Streich  die  Gunst  seines 
Onkels  verscherzte.  Der  Onkel,  ein  reicher  Prälat,  wollte  ihn 
enterben.  — Diderot  besucht  diesen,  gibt  sich  sehr  ernsthaft  und 
philosophisch  und  predigt  zugunsten  des  Neffen  in  einem  ergrei- 
fenden und  pathetischen  Ton.  Der  Onkel  erzählt  darauf  ein  paar 
Schandtaten  des  jungen  Menschen.  „Er  hat  noch  viel  Schlimme- 
res verübt!"  ruft  Diderot.  —  „Und  ?"  —  „Eines  Tages  wollte  er 
Sie  nach  der  Messe  in  der  Sakristei  ermorden!  Nur  die  Dazwi- 
schenkunft  einiger  Leute  ..."  —  „Verleumdung!"  schrie  der 
Onkel,  „das  ist  nicht  wahr!"  —  „Gut,"  fuhr  Diderot  fort,  „aber 
selbst,  wenn  es  wahr  wäre,  müßten  Sie  ihm  in  Anbetracht  seiner 
aufrichtigen  Reue  verzeihen  und  bei  der  unglücklichen  Lage,  die 
seiner  harrt,  wenn  Sie  die  Hand  von  ihm  ziehen." 


256  Aus  den  Memoiren 


„Ein  Schriftsteller",  sagte  Diderot,  „kann  eine  Geliebte  haben, 

die  Bücher  schreibt  aber  seine  Frau  muß  Hemden  nähen  können." 

# 

Ein  Kanzelredner  erzählte:  „Der  würdige  Vater  Bourdaloue 
predigte  in  Rouen  und  richtete  großen  Unfug  an :  Die  Hand- 
werker liefen  aus  Ihren  Werkstätten,  die  Ärzte  von  ihren  Kranken 
usw.  Das  Jahr  darauf  kam  ich  hin  und  predigte  und  brachte  alles 

wieder  in  Ordnung." 

* 

In  einer  Gesellschaft,  zu  der  auch  einige  Bischöfe  und  mehrere 
Abbes  gehörten,  sprach  Herr  von  C***  einmal  über  die  engli- 
schen Regierungsformen  und  ihre  Vorzüge.  Einer  von  den  Abbes, 
ein  Herr  von  Seguerand,  erwiderte  ihm:  „Schon  nach  dem  weni- 
gen, das  ich  von  England  gehört  habe,  möchte  ich  durchaus  nicht 
dort  leben.  Ich  würde  mich  in  einem  solchen  Land  ganz  elend 
fühlen."  —  „Aber  sehen  Sie,  Abbe,  gerade  weil  Sie  sich  dort  un- 
behaglich fühlen  würden,  ist  das  Land  so  ausgezeichnet",  ant- 
wortete Herr  C***  in  aller  Unschuld. 

# 

Als  Montazet,  Erzbischof  von  Lyon,  in  sein  Bistum  einzog, 
gratulierte  ihm  eine  alte  Stiftsdame,  eine  Schwester  des  Kardi- 
nals Tencin  zu  seinem  Glück  bei  den  Damen  und  auch  zu  dem 
Kind,  das  er  von  Madame  Mazarin  habe.  Der  Kirchenfürst  stellt 
alles  in  Abrede.  „Aber  meine  Gnädige,"  sagte  er,  „auch  Sie  selbst 
hat  ja  die  Verleumdung  nicht  verschont!  Meine  Geschichte  mit 
Frau  von  Mazarin  ist  ebensowenig  wahr,  als  das,  was  man  sich 
von  Ihnen  und  dem  Kardinal  erzählt."  —  „So,"  erwiderte  die 

Stiftsdame  ruhig,  „dann  haben  Sie  das  Kind  doch." 

# 

Als  der  Herzog  von  Richelieu  in  die  Academie  francaise  auf- 
genommen war,  lobte  man  seine  Rede  außerordentlich.  Man  sagte 
ihm  eines  Tages  in  einer  großen  Versammlung,  daß  besonders  der 
Ton  seiner  Rede  vollendet  gewesen  sei.  Schriftsteller  von  Fach 
schrieben  vielleicht  korrekter,  aber  sie  hätten  nicht  diese  Grazie 


Aus  den  Memoiren  257 


und  Leichtigkeit  des  Stils.  „Ich  danke  Ihnen,  meine  Herren", 
antwortete  der  junge  Herzog.  „Ich  bin  entzückt  über  das,  was 
Sie  mir  gesagt  haben.  Ich  brauche  Ihnen  nur  noch  zu  sagen,  daß 
meine  Rede  von  Herrn  Roy  war,  und  ich  werde  ihm  mein  Kom- 
pliment dafür  machen,  daß  er  den  Hofton  so  gut  traf." 

# 

D'Alembert  und  der  Portier.  Der  Portier:  Wohin,  mein  Herr  ? 
D'Alembert:  Zu  Herrn  von  ***.  Der  Portier:  Warum  fragen  Sie 
mich  da  nicht?  D'Alembert:  Mein  Lieber,  man  fragt  Sie,.wenn 
man  wissen  will,  ob  Ihr  Herr  zu  Hause  ist.  Der  Portier:  Also  ? 
D'Alembert:  Ich  weiß  aber,  daß  er  zu  Hause  ist,  denn  er  bat  mich, 
um  diese  Zeit  zu  kommen.  Der  Portier:  Das  ist  ganz  einerlei,  man 
hat  mich  zu  fragen.  Wenn  man  mich  nicht  fragt,  bin  ich  ja  nichts ! 

Fontenelle  wurde  dreimal  von  der  Akademie  zurückgewiesen 
und  erzählte  das  gern.  Er  fügte  immer  hinzu :  „Ich  erzähle  diese 
Geschichte  allen  Leuten,  die  eine  Abweisung  ihres  Gesuchs  är- 
gert, aber  ich  habe  noch  niemanden  damit  getröstet." 

* 

Als  der  Abbe  Raynal47  noch  jung  und  arm  war,  las  er  täglich 
eine  Messe  für  zwanzig  Sous.  Später  kam  er  zu  Geld  und  überließ 
sie  dem  Abbe  de  la  Porte,  behielt  aber  von  den  zwanzig  Sous  acht 
für  sich.  Als  sich  auch  die  Verhältnisse  des  Abbe  de  la  Porte  etwas 
besserten,  überließ  er  die  Messe  dem  Abbe  Dinouart  —  und  zog 
außerdem,  was  Raynal  bekam,  noch  weitere  vier  Sous  ab  ...  So 
brachte  diese  armselige  Messe,  die  mit  doppelten  Abgaben  bela- 
stet war,  dem  Abbe  Dinouart  nicht  mehr  als  acht  Sous  ein. 

# 

An  Frau  von  Crequi  schrieb  ein  Geistlicher  beim  Tode  des  Herrn 
de  Crequi-Canaples,  der  ein  ungläubiger  Sonderling  gewesen  war : 
„Ich  bin  um  das  Heil  seiner  Seele  sehr  besorgt,  allein,  da  Gottes 
Wege  unerforschlich  sind  und  der  Verstorbene  die  Ehre  hatte, 
Ihrem  Hause  anzugehören,  so  .  .  ." 


17 


258  Aus  den  Memoiren 


Ein  Landpfarrer  sagte  zu  seiner  Gemeinde  nach  der  Predigt : 
„Bitten  wir  Gott  für  den  Besitzer  dieses  Schlosses,  der  in  Paris 

seinen  Wunden  erlegen  ist."  Er  war  gerädert  worden. 

# 

Als  der  Marschall  Duras  mit  einem  seiner  Söhne  unzufrieden 
war,  sagte  er  zu  ihm:  „Du  elender  Mensch!  Wenn  das  so  weiter 
geht,  lasse  ich  dich  beim  König  zur  Tafel  laden."  Der  junge 
Mann  war  zweimal  in  Marly  beim  Souper  gewesen  und  hatte  sich 

zum  Sterben  gelangweilt. 

# 

Man  kennt  das  Sprichwort :  Niemand  geht  über  den  Pont  Neuf, 
ohne  einen  Mönch,  einen  Schimmel  und  eine  Dirne  zu  sehen. 
Zwei  Hofdamen  passierten  die  Brücke  und  sahen  in  den  ersten 
zwei  Minuten  einen  Mönch  und  einen  Schimmel.  Da  stieß  die 
erste  die  zweite  mit  dem  Ellbogen  und  flüsterte :  „Was  die  Dirne 

angeht,  so  brauchen  wir  zwei  nicht  lange  zu  suchen." 

# 

Ein  paar  junge  Herren  vom  Hofe  waren  bei  Herrn  von  Coff- 
lans  zum  Souper  geladen.  Man  sang  ein  etwas  schlüpfriges  Lied, 
das  aber  noch  nicht  eigentlich  unanständig  war.  Gleich  darauf 
begann  Herr  von  Fronsac  so  haarsträubende  Couplets  zu  brül- 
len, daß  selbst  seine  Gesellschaft  Augen  machte.  In  das  verlegene 
Schweigen  rief  Herr  von  Cofflans:  „Zum  Teufel,  lieber  Fron- 
sac, zwischen  dem  ersten  Lied  und  diesem  liegen  zehn  Flaschen 

Champagner." 

# 

Einem  jungen  Mann  aus  Hofkreisen  sagte  man  nach,  er  sei  wie 
toll  hinter  den  Dirnen  her.  Da  ein  paar  ehrbare  und  angesehene 
Frauen  dabei  waren,  die  ihm  dies  übelnehmen  konnten,  so  nahm 
ihn  ein  gleichfalls  anwesender  Freund  in  Schutz.  „Boshafte  Über- 
treibung!" rief  er,  „er  hat  auch  anständige  Damen!" 

* 

Ein  Mann  verbrachte  seit  dreißig  Jahren  jeden  Abend  bei 
Frau  ***.  Seine  Frau  starb  und  man  glaubte  allgemein,  er  würde 
nun  die  andere  heiraten.  Man  riet  ihm  auch  dazu,  aber  er  wei- 


Aus  den  Memoiren  259 


gerte  sich.  „Wo  würde  ich  denn  nachher  meine  Abende  verbrin- 
gen ?"  meinte  er. 

* 

Die  Gabrielli,  eine  berühmte  Sängerin,  verlangte  von  der  Kai- 
serin Katharina  fünftausend  Dukaten  für  zwei  Monate,  die  sie  in 
Petersburg  singen  sollte.  „Ich  zahle  keinen  meiner  Feldmar- 
schälle so",  antwortete  die  Kaiserin.  „Dann  brauchen  Ihre  Maje- 
stät ja  nur  die  Feldmarschälle  singen  zu  lassen",  antwortete  die 

Sängerin.  Die  Kaiserin  zahlte  die  verlangte  Summe. 

* 

Herr  ***  wurde  oft  in  Gesellschaft  gebeten,  seine  Verse  vorzu- 
tragen. Die  Sache  begann  ihn  zu  langweilen  und  er  sagte,  als  er 
wieder  einmal  zu  lesen  begann,  daß  er  oft  an  einen  Gaukler  von 
Pont  Neuf  denken  müsse,  der  einen  Affen  vorführe.  „Lieber 
Bertrand,"  pflegte  dieser  zu  sagen,  „uns  soll  die  Sache  ja  gar  keinen 

Spaß  machen,  sondern  dieser  verehrungswürdigen  Versammlung." 

# 

Duclos48  sprach  einmal  vom  Paradies,  das  jeder  sich  auf  seine 
Art  ausmalt.  „Für  Sie",  sagte  Frau  von  Rochefort,49  „wär's  ein 

Käsebrot,  ein  Glas  Wein  und  die  erste  Beste." 

# 

Diderot  machte  die  Entdeckung,  daß  ein  Mensch,  für  den  er 
einiges  Interesse  gefaßt  hatte,  ihn  und  andere  bestahl.  Er  riet  ihm 
daher  zu  einer  Reise  ins  Ausland.  Der  Mensch  befolgte  den  Rat. 
Diderot  hörte  zehn  Jahre  lang  nichts  mehr  von  ihm.  Da  wird 
eines  Tages  heftig  bei  ihm  angeläutet.  Diderot  macht  selbst  auf, 
erkennt  seinen  Mann  wieder  und  ruft  mit  erstaunter  Miene: 
„Wie,  was  ?  —  Sie  sind's  ? !  — "  „Ja,"  sagt  der  andere,  „viel  hat 
nicht  gefehlt."  —  Er  begriff,  daß  Diderot  sich  wunderte,  daß  er 
noch  nicht  gehängt  war. 

Ruiniere50  sagte  eines  Tages  zuC***:  „Ich  habe  meiner  Leb- 
tage nur  eine  Schlechtigkeit  begangen."  —  „Wann  wird  die  auf- 
hören ?"  fragte  C***. 

17* 


260  Aus  den  Memoiren 


Der  König  von  Preußen  plauderte  eines  Tages  mit  d'Alembert, 
als  ein  Lakai  eintrat,  ein  Mann  von  der  schönsten  Figur,  die  man 
sehen  konnte.  D'Alembert  drückte  sein  Erstaunen  aus.  „Es  ist 
wirklich  der  schönste  Mann  in  meinem  Staat,"  antwortete  der 
König,  „er  war  eine  Zeitlang  mein  Kutscher,  und  ich  bin  stark 

in  Versuchung,  ihn  als  Gesandten  nach  Petersburg  zu  schicken." 

* 

Ein  sehr  armer  Mann  hatte  ein  Buch  gegen  die  Regierung  ge- 
schrieben. Einige  Zeit  verging,  ohne  daß  etwas  geschah.  „Zum 
Teufel,"  rief  er,  „ich  soll  meine  Wohnung  bezahlen  und  kein 

Mensch  setzt  mich  in  die  Bastille." 

# 

Zur  Zeit  der  Notabeln-Einberufung  (1787)  handelte  es  sich 
um  die  Frage,  welche  Machtvollkommenheit  den  Intendanten 
bei  den  Provinzialversammlungen  eingeräumt  werden  solle.  Eine 
gewisse  gewichtige  Persönlichkeit  neigte  sehr  auf  die  Seite  der 
Intendanten.  Man  wandte  sich  darum  an  einen  geistvollen  Herrn, 
der  mit  dieser  gewichtigen  Person  in  Verbindung  stand  und  der 
versprach,  den  anderen  umzustimmen.  Es  gelang  ihm  und  als 
man  ihn  fragte,  wie  ihm  das  geglückt  sei,  erwiderte  er:  „Es  fiel 
mir  gar  nicht  ein,  zu  betonen,  daß  der  Einfluß  der  Intendanten 
zu  tyrannischem  Mißbrauch  verlocken  könnte,  —  aber  er  ist  be- 
kanntlich sehr  adelsstolz  und  da  habe  ich  ihm  gesagt,  daß  Leute 
von  sehr  altem  Adel  gezwungen  wären,  die  Intendanten  mit  Mon- 
seigneur  anzureden.  Er  empfand  das  als  eine  Ungeheuerlichkeit 

und  trat  deshalb  auf  unsere  Seite." 

# 

Der  Kanzler  d'Aguesseau  erteilte  nie  das  Privileg  zum  Druck 
eines  neuen  Romans  und  gab  auch  stillschweigend  nur  unter 
ganz  besonderen  Bedingungen  die  Erlaubnis  dazu.  So  durfte 
der  Abbe  Prevost61  die  ersten  Bände  von  Cleveland  nur  unter  der 
Bedingung  drucken  lassen,  daß  Cleveland  im  letzten  Bande  katho- 
lisch würde. 


Aus  den  Memoiren  261 


In  einer  Gesellschaft,  der  auch  Schuwaloff,  der  frühere  Lieb- 
haber der  Kaiserin  Elisabeth,  angehörte,  wollte  man  über  große 
russische  Angelegenheiten  Aufschluß  haben.  „Herr  von  Schuwa- 
loff," rief  da  der  Amtmann  de  Chabrillant,  „das  müssen  Sie  ja 

wissen,  Sie  waren  ja  die  Pompadour  dieses  Landes;  erzählen  Sie !" 

# 

Der  Regent  wollte  inkognito  einen  Maskenball  besuchen.  „Ich 
weiß  ein  gutes  Mittel",  sagte  der  Abbe  Dubois,  und  als  sie  den 
Saal  betraten,  gab  er  Seiner  Hoheit  einige  tüchtige  Fußtritte  in 
den  Hintern.  „Abbe,"  brummte  der  Regent,  dem  sie  etwas  zu 
stark  waren,  „du  maskierst  mich  zu  gut." 

# 

Man  wunderte  sich  oft,  daß  der  Herzog  von  Choiseul  sich  so 
lange  gegen  Madame  du  Barry  zu  halten  vermochte.  Sein  Ge- 
heimnis war  sehr  einfach.  So  oft  seine  Stellung  schwankend  wur- 
de, ließ  er  sich  Audienz  beim  König  geben.  War  er  einmal  vor- 
gelassen, so  erkundigte  er  sich  regelmäßig,  was  er  mit  den  fünf 
oder  sechs  Millionen  machen  solle,  die  er  im  Kriegsdepartement 
erspart  hatte,  wobei  er  jedesmal  darauf  aufmerksam  machte,  daß 
es  wohl  nicht  schicklich  sei,  sie  direkt  dem  königlichen  Schatz  zu 
überweisen.  Der  König  begriff  die  Anspielung  und  sagte :  „Spre- 
chen Sie  mit  Bertin,  geben  Sie  ihm  drei  Millionen  in  den  und 
den  Papieren,  den  Rest  schenke  ich  Ihnen."  Der  König  teilte  so 
das  Geld  mit  seinem  Minister  und  da  er  nicht  sicher  war,  daß  ein 
anderer  ihm  dies  ebenso  leicht  machen  würde,  wie  der  Herzog 

von  Choiseul,  behielt  er  ihn  trotz  aller  Intrigen  der  du  Barry. 

* 

In  Breslau  stahl  ein  Katholik  in  einer  Kirche  kleine  Herzen  aus 
Gold  und  andere  Votivgegenstände.  Vor  Gericht  erklärte  er,  er 
habe  sie  von  der  heiligen  Jungfrau.  Er  wurde  verurteilt.  Die  Er- 
kenntnis wurde  wie  üblich  dem  König  von  Preußen  zur  Bestäti- 
gung übergeben.  Der  König  ließ  Theologen  kommen  und  legte 
ihnen  die  Frage  vor,  ob  die  heilige  Maria  einem  frommen  Katho- 
liken wirklich  nicht  kleine  Geschenke  machen  könne.  Sehr  ver- 


262  Aus  den  Memoiren 


legen  erklärten  die  Theologen  schließlich,  daß  die  Sache  nicht 
ganz  von  der  Hand  zu  weisen  sei.  Darauf  schrieb  der  König  an 
den  Rand  des  Urteils :  Ich  begnadige  K. ;  aber  ich  verbiete  ihm 
bei  Todesstrafe,  von  nun  ab  von  der  heiligen  Jungfrau  oder  an- 
deren Heiligen  irgendwelche  Geschenke  anzunehmen. 

* 

Duclos,  der  fortwährend  auf  den  Abbe  d'Olivet  schimpfte, 

sagte  von  ihm :  „Dieser  Kerl !  —  Ich  kann  ihm  nachsagen,  was  ich 

will,  und  er  haßt  mich  nicht  mehr,  als  ein  anderer!" 

* 

Madame  de  la  Popeliniere52  legte  eines  Tages  vor  ihren  Freun- 
den und  Verehrern  die  Schuhe  ab  und  wärmte  sich  die  Füße.  Ein 
kleiner  Hund  leckte  sie  ihr.  Unterdes  unterhielt  sich  die  Gesell- 
schaft von  Freundschaft  und  Freunden.  „Ein  Freund?"  sagte 

Madame  de  la  Popeliniere,  „da  ist  einer." 

# 

Die  Herzogin  von  Chaulnes,  die  von  ihrem  Manne  getrennt 
gelebt,  lag  im  Sterben.  „Das  heilige  Sakrament  ist  da",  meldet 
man  ihr.  „Einen  Augenblick  noch."  —  „Durchlaucht,  der  Her- 
zog von  Chaulnes  möchte  Sie  noch  einmal  sehen."  —  „Ist  er 
hier  ?"  —  „Ja."  —  „Er  soll  warten,  —  er  soll  mit  dem  Sakrament 

kommen." 

* 

Man  fragte  eine  Herzogin  von  Rohan,  wann  sie  ihre  Entbin- 
dung erwarte.  „Ich  hoffe,  diese  Ehre  in  zwei  Monaten  zu  haben", 
sagte  sie.  Die  Ehre  bestand  darin    einen  Rohan  zur  Welt  zu 

bringen. 

# 

Als  der  Vicomte  von  Noailles  die  junge  Frau  von  M***  ver- 
lassen hatte,  rief  sie  verzweifelt :  „Ich  werde  wahrscheinlich  noch 
viele  Liebhaber  bekommen,  aber  ich  werde  keinen  so  lieben,  wie 

den  Vicomte." 

# 

Ein  Bischof  von  Saint-Brieux  hielt  nach  dem  Tode  Maria  The- 
resias eine  Trauerrede.  Als  er  die  Teilung  Polens  berühren  mußte, 


Aus  den  Memoiren  263 


sagte  er :  „Frankreich  hat  nichts  zu  dieser  Teilung  gesagt,  ich 

mache  es  wie  Frankreich  und  sage  auch  nichts." 

# 

In  einer  Gesellschaft  sprach  man  von  Herrn  von  Richelieu.53 
Einer  der  Anwesenden  machte  darauf  aufmerksam,  daß  er  sehr 
viel  Liebesabenteuer  gehabt  habe,  ohne  eine  Frau  wirklich  zu 
lieben.  „Ohne  zu  lieben,"  rief  die  Marquise  de  Saint-Pierre,  „das 
ist  sehr  leicht  gesagt.  Aber  ich  kenne  einen  Fall,  wo  er  einen  Weg 
von  dreihundert  Meilen  zurücklegte,  um  eine  Frau  zu  sehen." 
Bis  hierher  hatte  sie  die  Geschichte  in  der  dritten  Person  erzählt, 
aber  von  ihrer  Erzählung  mitgerissen,  fuhr  sie  fort :  „Er  kommt 
an.  Er  trägt  sie  mit  ungeheurer  Leidenschaftlichkeit  aufs  Bett 

und  wir  blieben  drei  Tage  liegen." 

* 

Der  König  von  Preußen  fragte  d'Alembert,  ob  er  den  König 
von  Frankreich  gesehen  habe.  „Ja,  Sire,  als  ich  ihm  meine  An- 
trittsrede in  der  Akademie  überreichte."  —  „Nun,"  fuhr  der 
König  fort,  „was  sagte  er  zu  Ihnen  ?"  —  „Er  sprach  gar  nicht  mit 
mir,  Sire." — „Wenn  nicht  mit  Ihnen,  mit  wem  spricht  er  dann?" 

fragte  der  König. 

# 

Als  Diderot  zweiundsechzig  Jahre  alt  war,  verliebte  er  sich 
noch  immer  in  alle  Frauen.  Er  beklagte  sich  einmal  einem  Freun- 
de gegenüber :  „Ich  sage  mir  oft :  Alter  Narr,  alter  Lump,  wirst 
du  denn  nie  aufhören,  dich  einer  kränkenden  Abweisung  oder  der 

Lächerlichkeit  auszusetzen  ?" 

* 

Eines  Tages  sagte  Duclos  zu  Frau  von  Rochefort  und  Frau  von 
Mirepoix,  die  Dirnen  würden  zimperlich  und  wollten  keine  ge- 
wagten Geschichten  mehr  anhören.  Sie  seien  jetzt  ängstlicher, 
meinte  er,  als  die  anständigen  Frauen.  Darauf  begann  er  eine 
recht  lustige  Geschichte  zu  erzählen,  und  dann  eine  noch  stär- 
kere. Bei  einer  dritten,  die  noch  kräftiger  einsetzte,  fiel  ihm  Frau 
von  Rochefort  ins  Wort.  „Haben  Sie  doch  Nachsicht,  Duclos, 
Sie  halten  uns  für  zu  anständig." 


264  4us  den  Memoiren 


Fox64  hatte  ungeheure  Summen  bei  den  Juden  geborgt  und  war- 
tete auf  die  Erbschaft  eines  Onkels,  um  sie  damit  zu  bezahlen. 
Doch  der  Onkel  heiratete  und  bekam  einen  Sohn.  „Dieses  Kind 
ist  der  Messias,"  sagte  Fox,  „es  kam  auf  die  Welt,  um  die  Juden 

zu  verderben." 

* 

Der  Marschall  de  Broglie  setzte  sich  einmal  ganz  unnützer- 
weise einer  Gefahr  aus  und  wollte  sich  nicht  zurückziehen;  alle 
seine  Freunde  bemühten  sich  vergeblich,  ihn  dazu  zu  bewegen. 
Endlich  flüsterte  ihm  Herr  de  Toncourt  ins  Ohr:  „Bedenken  Sie, 
Herr  Marschall,  wenn  Sie  fallen,  übernimmt  Herr  de  Routhe  das 
Kommando."  De  Routhe  war  der  dümmste  Generalleutnant. 
Herr  de  Broglie  begriff  betroffen,  welcher  Gefahr  er  die  Armee 

aussetzte,  und  zog  sich  zurück. 

* 

Der  Marschall  von  Villars  liebte  selbst  im  hohen  Alter  noch 
den  Wein  über  alle  Maßen.  Als  er  im  Kriege  von  1734  nach  Ita- 
lien kam,  um  sich  an  die  Spitze  des  Heeres  zu  stellen,  machte  er 
dem  König  von  Sardinien  seine  Aufwartung,  war  aber  so  betrun- 
ken, daß  er  sich  nicht  auf  den  Beinen  halten  konnte  und  zu  Bo- 
den fiel.  In  seinem  Zustand  hatte  er  doch  nicht  den  Kopf  ver- 
loren und  meinte :  „So  befinde  ich  mich  auf  die  allernatürlichste 

Weise  zu  den  Füßen  Ihrer  Majestät." 

* 

Der  Marschall  von  Richelieu  schlug  eine  hohe  Dame  —  ich 
habe  vergessen,  welche  —  als  Maitresse  für  Ludwig  XV.  vor. 
Doch  der  König  sagte,  sie  würde  zu  viel  kosten,  wenn  sie  einmal 

den  Abschied  bekäme  und  wollte  darum  nichts  davon  wissen. 

* 

Madame  de  Tencin56  behauptete,  die  geistvollen  Menschen 
machten  mehr  Fehler  in  ihrem  Benehmen  als  andere,  weil  sie  die 

Welt  nie  für  so  dumm  hielten,  als  sie  ist. 

* 

Frau  von  ***  hatte  ein  Verhältnis  mit  Herrn  von  Senevoi. 
Eines  Tages  war  ihr  Mann  bei  ihrer  Toilette  zugegen,  als  ein 


Aus  den  Memoiren  265 


Soldat  kam  und  sie  um  ihre  Protektion  bei  Herrn  Senevoi  bat. 
Herr  Senevoi  war  sein  Oberst  und  verweigerte  ihm  einen  Urlaub, 
um  den  der  Soldat  gebeten.  Frau  von***  geriet  in  Zorn,  erklärte, 
daß  sie  Herrn  von  Senevoi  nicht  besser  kenne  als  andere  Leute, 
und  hieß  den  frechen  Menschen  gehen.  Herr  von  ***  hielt  ihn 
jedoch  zurück  und  sagte:  „Richte  deinem  Oberst  aus,  daß  ich 
ihm  für  seinen  Abschied  sorgen  werde,  wenn  er  dir  deinen  Ur- 
laub nicht  gibt." 

# 

Eine  hübsche  Frau  hatte  einen  Liebhaber,  der  sich  so  mürrisch 
und  gleichgültig  benahm,  als  sei  er  mit  ihr  verheiratet.  Sie  sagte 
zu  ihm :  „Mein  Herr,  wenn  Sie  in  Gesellschaft  mit  meinem  Mann 

zusammentreffen,  müssen  Sie  liebenswürdiger  sein  als  er." 

# 

Madame  de  Montpensier 66  soll  sich  in  Abwesenheit  ihrer  Frauen 
manchmal  von  einem  ihrer  Pagen  die  Schuhe  haben  binden  las- 
sen, den  sie  dann  zu  fragen  pflegte,  ob  er  dabei  heiße  Anwand- 
lungen gehabt.  Bejahte  der  Page  dies,  so  war  sie  viel  zu  ehrbar, 
ein  solches  Geständnis  auszubeuten.  Sie  gab  ihm  vielmehr  Geld, 
damit  er  bei  irgendeinem  Mädel  die  Erregung  los  werden  könne, 

deren  Ursache  sie  war. 

* 

Die  Herzogin  von  B.  bemühte  sich  eifrig  bei  dem  Minister  von 
Breteuil  für  einen  Abbe  von  C***,  der  dann  auch  schließlich  eine 
Stelle  bekam,  welche  Begabung  erforderte.  Alsbald  hörte  sie 
von  der  allgemeinen  Unzufriedenheit,  die  darüber  herrsche,  daß 
jene  Stelle  nicht  dem  weitverdienteren  Herrn  L***  B***  über- 
tragen worden.  „Nun,"  sagte  sie,  „es  ist  mir  ganz  recht,  daß  mein 
Schützling  seiner  Stellung  nicht  genügt.  Um  so  besser  sieht 

man,  wie  weit  mein  Einfluß  reicht." 

# 

Spricht  Madame  F.  einen  guten  Gedanken  in  netter  Form  aus, 
so  meint  sie,  daß  das  völlig  genügt.  Wenn  dann  eine  Freundin 
für  sie  auch  wirklich  alles  das  ausführen  würde,  wovon  sie  meinte, 


266  Aus  den  Memoiren 


es  müsse  ausgeführt  werden,  so  ergäben  beide  zusammen  einen 
Menschen  von  philosophischer  Lebensführung.  Herr  X.  sagte 
von  Madame  F. :  „Wenn  sie  etwas  recht  Nettes  über  das  Brech- 
mittel gesagt  hat,  so  wundert  sie  sich  sehr,  daß  es  nicht  wirkt." 

# 

Als  Madame  Brisard,  welcher  der  Ruf  ihrer  galanten  Aben- 
teuer vorausging,  nach  Plombieres  kam,  wollten  sie  etliche  Damen 
am  Hof  nicht  empfangen.  Unter  ihnen  die  Herzogin  von  Gisors. 
Die  Partei  der  Madame  Brisard  erkannte,  daß  die  übrigen  keine 
Schwierigkeit  mehr  machen  würden,  wenn  nur  diese  fromme 
Dame  sie  empfangen  möchte.  Man  leitete  Verhandlungen  ein. 
Diese  hatten  Erfolg,  und  da  Madame  Brisard  sehr  liebenswürdig 
war,  so  fand  die  fromme  Dame  bald  Gefallen  an  ihr  und  sie 
kamen  dann  in  ein  recht  freundschaftliches  Verhältnis.  Eines 
Tages  gab  nun  Frau  von  Gisors  zu  verstehen,  so  sehr  sie  ja  schließ- 
lich eine  kleine  Schwachheit  begreiflich  finde,  es  wolle  ihr  nicht 
in  den  Kopf,  wie  eine  Frau  die  Anzahl  ihrer  Liebhaber  über  ein 
gewisses  Maß  hinaus  steigern  möge:  „O  Gott,"  sagte  Madame 

Brisard,  „ich  glaubte  jedesmal,  es  sei  der  letzte." 

* 

Madame  de  Tencin  hatte  eine  zarte  Art,  sich  zu  geben,  war 
aber  gänzlich  charakterlos  und  zu  allem  fähig.  Eines  Tages  rühmte 
man  ihre  Sanftmut.  „Ja",  sagte  der  Abbe  Trublet,  „hätte  sie  In- 
teresse daran,  Sie  zu  vergiften,  so  würde  sie  sicherlich  das  wohl- 
schmeckendste Gift  wählen." 

* 

Herr  von  B.  besuchte  alle  Tage  Frau  von  L.  Als  das  Gerücht 
entstand,  er  würde  sie  heiraten,  sagte  er  zu  einem  seiner  Freunde : 
„Es  gibt  wenig  Männer,  die  sie  nicht  lieber  heiraten  möchte,  als 
mich  und  umgekehrt.  Es  wäre  doch  auch  sonderbar,  wenn  wir 
in  einer  fünfzehnjährigen  Freundschaft  nicht  gemerkt  hätten, 

wie  antipathisch  wir  uns  sind." 

# 

Madame  de  Fourq.  sagte  zu  ihrer  Gesellschafterin :  „Sie  wissen 
nie,  was  Sie  zu  mir  bei  bestimmten  Gelegenheiten  sagen  müssen, 


Jus  den  Memoiren  267 


was  zu  meinem  Charakter  paßt  usw.  Zum  Beispiel,  es  ist  wahr- 
scheinlich, daß  ich  meinen  Gatten  bald  verlieren  werde.  Ich  werde 

untröstlich  sein.  Dann  müssen  Sie  zu  mir  sagen  usw « 

# 

Die  Herzogin  von  Fronsac  hatte  noch  keine  Liebhaber  gefun- 
den, so  jung  und  hübsch  sie  war.  Eine  Dame,  die  damit  darauf 
anspielen  wollte,  daß  sie  rotes  Haar  hatte  und  daß  sie  diesem  Um- 
stände wohl  ihre  Ruhe  verdankte,  meinte:  „Ihre  Kraft  ist  in 
ihrem  Haar  —  wie  bei  Simson." 

# 

Der  Marschall  von  Noailles  hatte  vor  dem  Parlament  mit  einem 
seiner  Pächter  Prozeß.  Acht  oder  neun  Räte  traten  zurück  als 
„Verwandte  des  Herrn  von  Noailles".  Sie  waren  wirklich  im  acht- 
zehnten Grad  mit  ihm  verwandt.  Ein  Parlamentsrat,  Herr  Hur- 
son,  fand  diese  Eitelkeit  lächerlich  und  stand  gleichfaUs  auf.  „Ich 
trete  auch  zurück",  sagte  er.  —  „In  welcher  Eigenschaft  ?"  fragte 

der  Präsident.  —„Als  Verwandter  des  Pächters",  antwortete  er. 

# 

Abbe  de  Fleury 67  war  in  die  Frau  Marschall  de  Noailles  verhebt, 
wurde  aber  sehr  geringschätzig  von  ihr  behandelt.  Als  er  Premier- 
minister geworden,  bat  sie  ihn  einmal  um  etwas  und  er  erinnerte 
sie  an  ihre  Härte.  „O,  Monseigneur,"  antwortete  sie  naiv,  „wer 
hätte  das  damals  wissen  können." 

# 

Der  Marschall  de  Biron»  lag  schwer  krank  und  wollte  beichten. 
Er  begann  in  Gegenwart  einiger  Freunde :  „Was  ich  Gott  schuldig 
bin,  was  ich  dem  König  schuldig  bin,  was  ich  dem  Staat  .  .  ." 

„Schweig,"  unterbrach  ihn  einer,  „du  stirbst  insolvent." 

# 
^  Madame  de  Talmont  bemerkte,  daß  der  Marschall  de  Riche- 
lieu sich  eifrig  um  Madame  de  Brionne  bemühte,  statt  sich  mit 
ihr  zu  unterhalten.  Madame  de  Brionne  war  zwar  sehr  schön,  galt 
aber  keineswegs  für  besonders  geistvoll.  „Herr  Marschall,"  sagte 
Madame  de  Talmont,  „Sie  sind  sicherlich  nicht  blind,  aber  ich 
halte  Sie  für  etwas  taub." 


268  Aus  den  Memoiren 


Madame  du  Def  fand  hielt  als  kleines  Mädchen  vor  ihren  Alters- 
genossinnen in  der  Klosterschule  gottlose  Reden.  Der  Abbe  ließ 
den  berühmten  Massillon69  kommen,  dem  die  Kleine  nun  ihre 
Überzeugung  auseinandersetzte.  Massillon  fand  sie  ganz  ent- 
zückend. Als  dann  die  Äbtissin,  welche  alles  sehr  ernst  nahm,  den 
Bischof  verzweifelt  fragte,  was  man  denn  diesem  Kinde  zu  lesen 
geben  solle,  dachte  Massillon  einen  Augenblick  nach  und  ant- 
wortete: „Einen  Katechismus  für  fünf  Sous."  Es  war  nichts  an- 
deres aus  ihm  herauszubringen. 

* 

Der  adelsnärrische  Herr  von  Brisac  sagt  oft:  „Der  Adelige 

da  droben."  Er  meint  damit  den  lieben  Gott. 

* 

Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  die  auch  von  keinem  Freunde 
des  Herrn  d'Aiguillon  geleugnet  wird :  Der  König  hatte  ihn  nie 
zum  Minister  des  Äußeren  ernannt.  Madame  du  Barry  sagte  zu 
ihm  eines  Tages :  „Das  muß  einmal  aufhören,  Sie  gehen  morgen 
zum  König  und  bedanken  sich  bei  ihm  für  Ihre  Ernennung." 
Zum  König  sagte  sie  dann :  „Herr  d'Aiguillon  wird  morgen  kom- 
men und  Ihnen  für  seine  Ernennung  als  Minister  des  Äußeren 
danken."  Der  König  erwiderte  kein  Wort.  Als  d'Aiguillon  am 
nächsten  Morgen  nicht  zur  Audienz  gehen  wollte,  da  er  Angst 
hatte,  befahl  sie  es  ihm,  und  er  ging.  Der  König  sagte  wieder 

nichts  und  d'Aiguillon  trat  sofort  seine  neue  Stelle  an. 

# 

Der  Ballettmeister  Laval  befand  sich  während  einer  Probe  auf 
der  Bühne,  als  der  Autor  oder  einer  von  dessen  Freunden  ihm 
zweimal  laut  zurief:  „Herr  von  Laval,  Herr  von  Laval!"  Laval 
kam  herbei  und  sagte :  „Sie  nennen  mich  nun  schon  zum  zweiten- 
mal Herr  von  Laval;  das  erstemal  sagte  ich  nichts,  aber  das  geht 
doch  zu  weit !  Halten  Sie  mich  denn  für  einen  von  jenen  zwei  oder 
drei  Herren  von  Laval,  die  nicht  einmal  einen  ordentlichen  Me- 
nuettschritt machen  können  ?" 


Aus  den  Memoiren  269 


Der  Vicomte  von  S.  trat  eines  Tages  auf  Herrn  de  Vaines  zu 
und  fragte  ihn :  „Ist  es  wahr,  mein  Herr,  daß  Sie  einmal  in  einem 
Hause,  wo  man  die  Güte  hatte,  mich  geistreich  zu  finden,  das 
Gegenteil  behauptet  haben  ?"  Herr  de  Vaines  antwortete:  „Mein 
Herr,  an  der  ganzen  Geschichte  ist  kein  wahres  Wort.  Ich  war 
nie  in  einem  Hause,  wo  man  Sie  geistreich  fand  und  ich  habe  es 

nie  bestritten." 

# 

Herr  ***  sagte,  er  liebe  über  alles  Frieden,  Stille  und  Zurück- 
gezogenheit. Man  antwortete  ihm:  „Das  ist  ja  ein  Kranken- 
zimmer!" 

D'Alembert  stand  schon  auf  der  Höhe  seines  Ruhmes,  als  er 
eines  Tages  zusammen  mit  dem  Präsidenten  Henault  und  Herrn 
de  Pont  de  Veyle  bei  Frau  du  Deffand  war.  Ins  Zimmer  trat  ein 
Arzt  namens  Fournier.  Er  begrüßte  Frau  du  Deffand  mit  den 
Worten:  „Gnädige  Frau,  ich  habe  die  Ehre,  Ihnen  meine  größte 
Ergebenheit  zu  Füßen  zu  legen."  Dann  wandte  er  sich  an  den 
Präsidenten  Henault :  „Mein  Herr,  ich  habe  die  Ehre,  Sie  zu  be- 
grüßen." Vor  Herrn  de  Pont  de  Veyle  verneigte  er  sich  mit  den 
Worten :  „Mein  Herr,  Ihr  ergebenster  Diener",  und  schließlich 
sagte  er  zu  d'Alembert:  „Guten  Tag,  mein  Herr." 

Als  Fontenelle  im  Sterben  lag,  fragte  man  ihn  „Wie  geht's  ?" 

„Es  geht  überhaupt  nicht  mehr,"  antwortete  er,  „ich  gehe." 

# 

Ein  Kranker  war  von  den  Ärzten  bereits  aufgegeben  und  man 
fragte  Herrn  Tronchin,  ob  man  dem  Patienten  die  letzte  Weg- 
zehrung bringen  solle.  „Ach,  das  Zeug  ist  so  klebrig",  sagte  der. 

# 

Der  Abbe  de  La  Ville  wollte  einen  anständigen,  bescheidenen 
Mann  auf  die  politische  Laufbahn  bringen.  Sein  Schützling  zwei- 
felte an  seinen  Fähigkeiten  und  sträubte  sich.  „Aber  mein  Lieber," 
sagte  der  Abbe,  „schlagen  Sie  doch  mal  den  Almanach  Royal  auf." 


270  Aus  den  Memoiren 


Der  Baron  de  la  Houze  hatte  dem  Papste  Gangenelli  einige 
Dienste  erwiesen,  und  dieser  fragte  ihn,  wie  er  sich  erkenntlich 
zeigen  könnte.  Der  Baron,  ein  schlauer  Gascogner,  bat,  ihm  eine 
Reliquie  zu  überlassen.  Der  Papst  war  über  diese  Bitte  eines  Fran- 
zosen nicht  wenig  erstaunt,  gewährte  sie  jedoch.  Der  Baron  be- 
saß ein  kleines  Landgut  in  den  Pyrenäen,  das  für  seine  Produkte 
kein  Absatzgebiet  hatte  und  sehr  geringe  Einkünfte  trug.  Dort- 
hin ließ  er  seinen  beglaubigten  Heiligen  bringen.  Da  kam  Kund- 
schaft !  —  Es  geschahen  Wunder,  ein  großes  Dorf  entstand  in  der 
Nähe  und  die  Erzeugnisse  des  Gutes  fanden  reißenden  Absatz. 

Die  Einkünfte  des  Barons  verdreifachten  sich. 

* 

Der  Chevalier  de  Montbarey  hatte  in  irgendeiner  Provinz- 
stadt gelebt.  Bei  seiner  Rückkehr  wurde  er  von  seinen  Freunden 
darob  bedauert,  daß  er  in  so  schlechter  Gesellschaft  habe  leben 
müssen.  „Ihr  irrt  euch,"  sagte  er,  „die  gute  Gesellschaft  ist  dort 

wie  überall  und  die  schlechte  ausgezeichnet." 

# 

„Vater  vergib  ihnen,  denn  sie  wissen  nicht,  was  sie  tun"  wählte 
der  Prediger  zum  Text  bei  einer  Trauung  des  siebzigjährigen 

Herrn  d' Antique  mit  einem  jungen  Mädchen  von  siebzehn. 

# 

Man  fragte  Frau  von  Rochefort,  ob  sie  Lust  habe,  die  Zukunft 
voraus  zu  wissen:  „Bitte,  nein,"  sagte  sie,  „die  Zukunft  sieht 

immer  wie  die  Vergangenheit  aus." 

# 

Herr  von  L***  sagte  zu  der  seit  einiger  Zeit  verwitweten  Frau 
von  B***,  um  sie  von  ihren  neuerlichen  Heiratsgedanken  abzu- 
bringen :  „Sehen  Sie,  es  ist  doch  so  schön,  den  Namen  eines  Man- 
nes zu  tragen,  der  keine  Dummheiten  mehr  machen  kann." 

# 

Frau  von  Maurepos  war  mit  dem  Grafen  von  Löwendahl  (dem 
Sohn  des  Marschalls)  sehr  befreundet.  Als  dieser  von  St.  Domingo 
zurückkehrte,  stieg  er  bei  ihr  ab.  Er  trat  müde  und  in  Reiseklei- 


Aus  den  Memoiren  271 


dern  in  ihren  Salon.  „Sind  Sie  da,  lieber  Graf,"  rief  sie,  „Sie 
kommen  gerade  zurecht,  uns  fehlt  ein  Tänzer.  Sie  sind  ganz  un- 
entbehrlich." Er  hatte  kaum  Zeit,  ein  wenig  Toilette  zu  machen 

und  tanzte. 

# 

Herr  von  Saint- Julien  verlangte  von  seinem  Sohn  ein  Verzeich- 
nis seiner  Schulden.  Als  ersten  Posten  setzte  dieser  sechzigtausend 
Livres  an  für  einen  Sitz  im  Parlament  von  Bordeaux.  Der  Vater 
ärgerte  sich  und  machte  ihm  bittere  Vorwürfe,  denn  er  hielt  das 
für  einen  schlechten  Witz.  Der  Sohn  aber  bestand  darauf,  er  habe 
diesen  Sitz  tatsächlich  bezahlt.  „Es  war  damals,  als  ich  Frau 
Tilaurier  kennen  lernte",  erklärte  er.  „Sie  wollte  für  ihren  Mann 
durchaus  einen  Sitz  im  Parlament.  Anderenfalls  hätte  sie  sich 
niemals  mit  mir  befreundet.  Ich  habe  die  Sache  bezahlt.  Also 
sehen  Sie,  Vater,  Sie  haben  gar  keinen  Grund,  sich  gegen  mich 
zu  erzürnen  und  zu  glauben,  ich  mache  schlechte  Witze!" 

# 

Frau  von  Nesles  hatte  ein  Verhältnis  mit  Herrn  von  Soubise. 
Herrn  von  Nesles  war  seine  Frau  zuwider  und  eines  Tages,  ge- 
legentlich eines  Gezänkes,  bei  dem  auch  der  Hausfreund  zugegen 
war,  sagte  er  zu  ihr :  „Bekanntermaßen  lasse  ich  dir  alles  durch- 
gehen, aber  ich  muß  dir  denn  doch  sagen,  daß  du  Launen  hast, 
die  zu  entwürdigend  sind,  als  daß  ich  sie  dir  hingehen  lassen 
könnte.  So  hast  du  z.  B.  Geschmack  am  Friseur  meiner  Bedienten 
gefunden.  Ich  habe  gesehen,  wie  du  mit  ihm  gegangen  und  ge- 
kommen bist."  — Er  stieß  noch  ein  paar  Drohungen  aus  und  ließ 
sie  dann  mit  ihrem  Geliebten  allein.  Was  sie  nun  auch  sagen 
mochte  half  ihr  nichts.  Herr  von  Soubise  gab  ihr  ein  paar  Ohr- 
feigen. Ihr  Mann  erzählte  dann  überall  seinen  Streich  und  be- 
merkte, die  Geschichte  mit  dem  Friseur  sei  gar  nicht  wahr! 
Er  machte  sich  über  Herrn  von  Soubise  lustig,  der  sie  ge- 
glaubt und  über  seine  Frau,  die  deswegen  Ohrfeigen  bekommen 
hatte. 


272  Aus  den  Memoiren 


Ein  Mann  machte  sich  an  eine  Frau,  ohne  ganz  bereit  zu  sein. 
Er  sagte:  „Madame,  es  ist  Ihnen  doch  gleich,  wenn  Sie  Ihre 
Tugend  noch  eine  Viertelstunde  behalten  ?" 

* 

Der  König  Stanislaus  von  Polen  hatte  eine  Vorliebe  für  den 
Abbe  Porguet,  und  hatte  noch  nie  etwas  für  ihn  getan.  Einmal 
erlaubte  sich  der  Abbe  einige  Vorstellungen.  „Aber  mein  lieber 
Abbe,"  sagte  der  König,  „es  ist  Ihre  eigene  Schuld !  Sie  reden  zu 
freimütig.  Man  behauptet  sogar,  daß  Sie  nicht  an  Gott  glauben. 
Mäßigen  Sie  sich,  versuchen  Sie  an  ihn  zu  glauben,  ich  lasse  Ihnen 

dazu  ein  Jahr  Zeit." 

* 

Eine  Frau  hatte  einen  Prozeß  vor  dem  Parlamente  von  Dijon. 
Sie  fuhr  nach  Paris  und  beschwor  den  Großsiegelbewahrer, 
doch  ein  Wort  zu  ihren  Gunsten  einzulegen,  damit  sie  ihre  ge- 
rechte Sache  gewänne.  Der  Großsiegelbewahrer  wies  sie  ab.  Die 
Gräfin  vonTalleyrand  wurde  auf  die  Frau  aufmerksam  und  nahm 
ihretwegen  mit  dem  Großsiegelbewahrer  Rücksprache.  Aber- 
maliger Mißerfolg !  Frau  von  Talleyrand  ließ  die  Sache  der  Köni- 
gin zu  Ohren  bringen.  Es  half  nichts!  Es  fällt  ihr  ein,  daß  ihr 
Sohn,  der  Abbe  dePerigord  ein  Liebling  des  Großsiegelbewahrers 
ist.  Der  Sohn  muß  an  ihn  schreiben.  Es  erfolgt  eine  sehr  höfliche 
Abweisung.  Die  Frau  will  in  ihrer  Verzweiflung  einen  letzten 
Versuch  wagen  und  selbst  nach  Versailles  gehen.  Tags  darauf 
macht  sie  sich  auf  den  Weg  und  da  es  ihr  in  der  Postkutsche  zu 
unbequem  wird,  so  steigt  sie  in  Sevres  aus,  um  den  Rest  des 
Weges  zu  Fuß  zurückzulegen.  Da  erbietet  sich  ein  Herr,  sie  auf 
einem  bequemeren  und  kürzeren  Weg  nach  Versailles  zu  führen. 
Sie  nimmt  das  Anerbieten  an,  erzählt  ihm  unterwegs  ihre  Ge- 
schichte, und  der  unbekannte  Herr  sagt:  „Gut,  morgen  haben 
Sie,  was  Sie  brauchen!"  Ihr  Besuch  beim  Großsiegelbewahrer 
endigte  mit  einer  abermaligen  Abweisung.  Sie  will  nach  Hause 
reisen,  aber  jener  Herr  veranlaßt  sie,  in  Versailles  über  Nacht  zu 


Aus  den  Memoiren  z*,« 


bleiben  und  bringt  ihr  am  anderen  Morgen  das  gewünschte 
Schriftstück.  Er  war  der  Gehilfe  eines  Unterbeamten,  ein  Herr 
Etienne. 

* 

Madame  de  Prie,  die  Geliebte  des  Regenten,  hatte  auf  den  Rat 
ihres  Vaters,  eines  Händlers  namens  Pleneuf,  glaube  ich,  eine  sol- 
che Menge  Getreide  aufgekauft,  daß  das  Volk  dadurch  in  die 
äußerste  Not  und  schließlich  zum  Aufstand  getrieben  wurde.  Eine 
Kompagnie  Musketiere  sollte  den  Aufruhr  dämpfen.  Ihr  Haupt- 
mann, Herr  d'Avejan,  hatte  Befehl,  auf  die  Canaille  zu  feuern. 
D'Avejan  machte  sich  aber  als  anständiger  Mensch  ein  Gewissen 
daraus,  auf  seine  Mitbürger  schießen  zu  lassen  und  führte  seinen 
Befehl  folgendermaßen  aus :  Er  Heß  zur  Salve  fertigmachen,  kom- 
mandierte aber  nicht  „Feuer!",  sondern  trat  vor  die  Menge  hin, 
in  der  einen  Hand  seinen  Hut,  in  der  anderen  den  schriftlichen 
Befehl  des  Hofes.  „Meine  Herrschaften,"  rief  er,  „laut  Befehl 
soll  ich  auf  die  Canaille  feuern.  Ich  bitte  daher  alle  anständigen 
Leute,  sich  zu  entfernen,  bevor  ich  Feuer  geben  lasse."  Alle  ver- 
schwanden so  rasch  als  möglich. 

Herr  von  Mangiron  hat  folgende  schauderhafte  Tat  begangen, 
die  man  mir  erzählt  hat  und  die  ich  zuerst  für  ein  Märchen  hielt.' 
Während  er  bei  der  Armee  war,  wurde  sein  Koch  als  Marodeur 
aufgegriffen  und  man  meldete  es  Ihm.  „Mit  meinem  Koch  bin 
ich  sehr  zufrieden,"  sagte  er  ruhig,  „aber  ich  habe  einen  schlech- 
ten Kuchenjungen."  Darauf  ließ  er  den  Burschen  kommen  und 
schickte  ihn  mit  einem  Brief  an  den  Profoß.  Der  Unglückliche 
ging  hin,  wurde  ergriffen,  trotzdem  er  seine  Unschuld  beteuerte, 
und  ist  gehängt  worden. 

« 

Der  Kardinal  de  la  Roche-Aymon  beichtete  während  seiner 
letzten  Krankheit  irgendeinem  Geistlichen,  den  man  zu  ihm  ge- 
bracht hatte.  Als  man  ihn  fragte,  ob  er  mit  ihm  zufrieden  gewesen 


i3 


274  -^us  d-en  Memoiren 


sei,  erwiderte  er:  „O,  sehr!  Er  sprach  von  der  Hölle  wie  ein 

Engel!" 

# 

Man  sagte  jemandem,  daß  Herr  ***,  sein  früherer  Wohltäter, 
ihn  jetzt  hasse.  „Ich  bitte,"  erwiderte  er,  „in  dieser  Beziehung 
ein  wenig  ungläubig  sein  zu  dürfen,  denn  ich  hoffe,  er  wird  mich 
nicht  zwingen,  das  einzige  Gefühl,  das  ich  mir  für  ihn  erhalten 
muß,  in  Achtung  vor  meiner  eigenen  Person  umzuwandeln." 

« 

Die  Herzogin  du  Maine  verlangte  einmal  nach  dem  Abbe  de 
Vaubrun  und  befahl  einem  ihrer  Kammerdiener,  ihn  herbeizu- 
schaffen, wo  immer  er  ihn  fände.  Der  Diener  macht  sich  auf  und 
hört  zu  seinem  großen  Erstaunen,  der  Abbe  de  Vaubrun  läse  in 
der  und  der  Kirche  die  Messe.  Er  kommt  dort  hin,  findet  ihn, 
wie  er  gerade  den  Altar  verläßt  und  richtet  ihm  seinen  Auftrag 
aus,  nicht  ohne  sein  Erstaunen  darüber  zu  bezeigen,  den  Abbe 
bei  der  Messe  gefunden  zu  haben.  Allein  der  —  er  war  ein  arger 
Lebemann  —  sagte  zu  ihm :  „Ich  bitte  Sie,  sagen  Sie  der  Frau  Her- 
zogin ja  nicht,  in  welcher  Verfassung  Sie  mich  gefunden  haben." 

# 

Ludwig  XV.  fragte  den  Herzog  von  Ayen,  späteren  Marschall 
von  Noailles,  ob  er  sein  Silberzeug  in  die  Münze  geschickt  habe. 
Der  Herzog  antwortete,  er  habe  es  nicht  getan.  „Ich",  sagte  der 
König,  „schickte  das  Meine".  „Sire,"  antwortete  der  Herzog,  „als 
Jesus  Christus  am  Freitag  starb,  wußte  er  auch,  daß  er  am  Sonn- 
tag auferstehen  würde." 

# 

Der  Marschall  von  Noailles  schimpfte  über  eine  neue  Tragödie. 
Man  sagte  zu  ihm  ■  „Aber  Herr  d'Aumont  erzählt  doch,  Sie  seien 
in  seiner  Loge  gewesen  und  das  Stück  habe  Sie  zu  Tränen  ge- 
rührt ?"  —  „Nicht  im  geringsten,"  antwortete  der  Marschall, 
„aber  da  Herr  d'Aumont  selbst  schon  von  der  ersten  Szene  an 
weinte,  hielt  ich  es  für  anständig,  seinen  Schmerz  zu  teilen." 


Aus  den  Memoiren  27C 


Herr  ***  hatte  ein  Werk  veröffentlicht,  das  sehr  viel  Anklang 
fand  und  wurde  gebeten,  ein  zweites  drucken  zu  lassen,  von  dem 
seine  Freunde  sich  ebensoviel  versprachen.  „Nein,"  sagte  er, 
„man  muß  dem  Neid  Zeit  lassen,  sich  den  Geifer  vom  Mundl 
zu  wischen." 

* 

„Ich  würde  gern  allen  Böswilligen  und  allen  Verleumdern  einen 
Vertrag  vorschlagen",  sagte  Herr  D***.  „Zu  diesen  würde  ich 
sagen :  Ihr  könnt  mich  verleumden,  soviel  ihr  wollt,  vorausgesetzt, 
daß  ich  selbst  durch  eine  gleichgültige  oder  meinetwegen  auch 
lobenswerte  Handlung  den  Grund  zu  der  Verleumdung  gelegt 
habe.  Ich  möchte  aber  nicht,  daß  man  den  rohen  Tatbestand  mit 
allen  Umständen  dazu  erfände,  -—  mit  einem  Wort:  Die  Ver- 
leumdung soll  nicht  für  alles  aufkommen,  sondern  mir  auch  etwas 
zu  tun  übrig  lassen.  Zu  den  Böswilligen  würde  ich  sagen:  Ich 
finde  es  sehr  natürlich,  daß  man  mir  zu  schaden  sucht,  aber  wer 
es  tut,  soll  einen  persönlichen  Vorteil  davon  haben.  Man  soll  mir 
nicht  bös  mitspielen  wegen  nichts  und  wieder  nichts,  wie  das  vor- 
kommt." 

# 

Der  Herzog  von  Lauzun  erzählte  einmal:  „Ich  habe  oft  leb- 
hafte Meinungsverschiedenheiten  mit  Herrn  von  Calonne,  aber 
da  wir  beide  keinen  Charakter  haben,  überbieten  wir  uns  im  Zu- 
rücknehmen. Wer  zuerst  eine  hübsche  Art  des  Rückzuges  findet, 
gibt  nach." 

# 

Ein  englischer  Gesandter  in  Neapel  hatte  ein  herrliches  Fest 
gegeben,  das  aber  nicht  viel  gekostet  hatte.  Das  erfuhr  man,  und 
so  bekrittelte  man  hinterher  das  Ganze,  so  gut  aUen  die  Veran- 
staltungen zuerst  gefallen.  Die  Genugtuung,  die  sich  der  Ge- 
sandte leistete,  war  echt  englisch  und  eines  Mannes  würdig,  dem 
es  auf  einpaarGuineen  nicht  anzukommen  brauchte.  Er  kündigte 
eine  neue  Festlichkeit  an,  und  man  glaubte  nicht  anders,  als  er 
sei  nun  beschämt  und  das  Fest  werde  ganz  besonders  glanzvoll. 


276  Aus  den  Memoiren 


So  kam  man  in  Haufen.  Aber  man  fand  keinerlei  festliche  Zu- 
rüstung.  Schließlich  wurde  eine  Spirituslampe  in  den  Saal  ge- 
tragen. Man  erwartete  irgendein  Wunder.  „Meine  Herrschaften," 
sagte  da  der  Gesandte,  „Sie  wollen  ein  kostspieliges,  kein  gemüt- 
liches Fest.  Nun  geben  Sie  bitte  recht  schön  acht !"  —  Er  knöpft 
seinen  Rock  auf  und  zeigt  das  Futter:  „Das  war  ein  Gemälde  von 
Domehichino  im  Wert  von  fünftausend  Guineen.  —  Weiter! 
Hier  sind  zehn  Anweisungen  auf  je  tausend  Guineen,  zahlbar 
nach  Sicht  bei  der  Amsterdamer  Bank."  — Er  rollt  sie  zusammen 
und  verbrennt  sie  über  der  Spiritusflamme.  „Ich  bin  überzeugt, 
meine  Herrschaften,  daß  Ihnen  die  heutige  Veranstaltung  gefallen 
hat,  und  daß  Sie  alle  zufrieden  sind.  Leben  Sie  wohl,  —  mein 
Fest  ist  zu  Ende !" 

Der  Graf  von  Charolais  überraschte  Herrn  von  Brissac  bei 
seiner  Geliebten  und  sagte :  „Gehen  Sie."  „Monseigneur,"  ant- 
wortete Brissac,  „Ihre  Ahnen  hätten  gesagt :  Gehen  wir." 

# 

Eine  Frau  hatte  gerade  ihren  Mann  verloren.  Als  ihr  Beicht- 
vater sie  tags  darauf  besuchte,  fand  er  sie  mit  einem  sehr  hüb- 
schen jungen  Mann  Schach  spielen.  Sie  sah  seine  empörte  Miene 
und  entschuldigte  sich:  „Mein  Herr,  vor  einer  halben  Stunde 
noch  hätten  Sie  mich  in  Tränen  gefunden,  aber  ich  habe  meinen 
Schmerz  gegen  diesen  Herrn  aufs  Spiel  gesetzt  und  ich  verlor." 

• 

Ich  sprach  eines  Tages  mit  Herrn  von  V**#,  der  offenbar  keine 
Illusionen  mehr  hat,  trotzdem  er  noch  in  dem  Alter  steht,  wo 
man  ihnen  leicht  verfällt.  Ich  drückte  ihm  mein  Erstaunen  über 
seine  Gleichgültigkeit  aus.  Er  antwortete  sehr  ernst :  „Man  kann 
nicht  zugleich  sein  und  gewesen  sein.  Zu  meiner  Zeit  war  auch 
ich,  wie  jeder  andere  Mann,  der  Liebhaber  einer  galanten  Dame, 
das  Spielzeug  einer  Koketten,  der  Zeitvertreib  einer  Frivolen 
und  das  Werkzeug  einer  Intrigantin.  Was  kann  man  noch  mehr 


Aus  den  Memoiren 

sein."  —„Der  Freund  einer  gefühlvollen  Frau."  —  „O  "  sagte 
er,  „jetzt  werden  wir  romantisch!" 

* 

Von  der  Prinzessin  ***  sagte  Herr  *** :  „Diese  Frau  muß  man 

unbedingt  betrügen,  sie  gehört  nicht  zu  denen,  die  man  verläßt." 

# 

Ein  paar  Lebemänner  machten  sich  über  einen  jungen  Mann 
lustig,  der  in  Liebessachen  sehr  ehrlich  und  etwas  sentimental 
war.  „Meine  Herren,"  antwortete  er  naiv,  „ist  es  denn  meine 
Schuld,  daß  ich  mehr  die  Frauen  liebe,  die  ich  liebe,  als  die,  die 
ich  nicht  liebe?" 

* 

Man  drang  in  den  Abbe  Vatri,  sich  um  eine  offene  Stelle  am 
College  royal  zu  bemühen.  „Wir  werden  sehen",  antwortete  er 
und  tat  nichts  weiter,  um  die  Stelle  zu  bekommen.  Sie  wurde 
einem  andern  gegeben.  Ein  Freund  des  Abbe  lief  sofort  zu  ihm: 
„Da,  da  haben  wir  Sie  wieder  einmal!  Sie  wollten  sich  nicht  be- 
mühen, und  nun  ist  der  Platz  vergeben."  —  „Vergeben  ?"  ant- 
wortete der  Abbe,  „ich  werde  sofort  alles  Nötige  veranlassen."  — 
„Sind  Sie  verrückt,  ich  sage  Ihnen  ja  eben,  daß  die  Stelle  ver- 
geben ist."  —  „Eben,  früher  hatte  ich  hundert  Konkurrenten, 
jetzt  bleibt  nur  einer."  Er  bemühte  sich  um  die  Stelle  und  be- 
kam sie. 

• 

Als  Frau  von  B.  trotz  ihrer  großen  Verbindungen  für  ihren 
Liebhaber,  Herrn  von  C,  der  eben  ein  gar  zu  mittelmäßiger  Kopf 
war,  nichts  tun  konnte,  heiratete  sie  ihn.  „Er  gehörte  nicht  zu 
den  Leuten,  mit  denen  man  als  Liebhaber  Staat  machen  kann, 
aber  als  Gatte  geht  alles." 

Herr  ***  sagte  einmal:  „Ich  weiß  nicht,  warum  Frau  von  L. 
an  meinen  Besuchen  gar  so  viel  liegt.  Wenn  ich  seltener  zu  ihr 
komme,  verachte  ich  sie  weniger."  Man  könnte  das  Gleiche  von 
der  Welt  im  allgemeinen  sagen. 


278  Aus  den  Memoiren 


„Frau  von  G.",  sagte  Herr  ***,  „ist  viel  zu  geistvoll  und  ge- 
wandt, um  je  so  verachtet  werden  zu  können  wie  weniger  ver- 
ächtliche Frauen." 

* 

Herr  von  M***  sagte  zu  mir :  „Ein  ganz  gewöhnlicher  Mensch 
ist  der  sicher  nicht,  der  zum  Reichtum  sagt :  Ich  will  nichts  mit 
dir  zu  tun  haben,  es  sei  denn,  du  trägst  die  Fesseln,  die  ich  dir 
anlegen  will."  Und  zum  Ruhm:  „Du  bist  eine  Dirne,  der  ich 
schon  einige  Freundlichkeit  erweisen  will.  Erlaubst  du  dir  aber 
zuviel,  was  mir  nicht  paßt,  so  jage  ich  dich  davon."  Er  schilderte 

damit  seinen  eigenen  Charakter,  wie  er  in  der  Tat  ist. 

* 

Am  Tage,  da  Madame  de  Chateauroux60starb,  schien  Louis  XV. 
sehr  niedergeschlagen.  Der  Ausspruch,  wodurch  er  seine  Stim- 
mung bezeugte,  ist  sehr  merkwürdig:  „Vierzig  Jahre  lang  un- 
glücklich sein,"  rief  er,  „denn  ich  bin  sicher,  daß  ich  noch  so- 
lange leben  werde !"  Madame  de  Luxembourg  hatte  das  selbst  mit 
angehört  und  ich  hörte  sie  die  Sache  erzählen,  wobei  sie  hinzu- 
setzte: „Ich  habe  diesen  Zug  erst  nach  dem  Tode  des  Königs 
erzählt."  Der  Ausspruch  ist  in  seiner  einzigartigen  Mischung  von 

Liebe  und  Egoismus  immerhin  bemerkenswert. 

# 

D'Alembert  hatte  Frau  Denis  einen  Tag  nach  ihrer  Hochzeit 
mit  Herrn  du  Vivier  besucht.  Er  wurde  gefragt,  ob  sie  glücklich 
aussehe.  „Glücklich? "antwortete er,  „ich versichere  Sie,  so  glück- 
lich, daß  anderen  dabei  schlecht  werden  kann." 

# 

Der  Marschall  von  Belle-Isle61  fand,  daß-Choiseul  ihm  zu  rasch 
in  die  Höhe  kam  und  ließ  daher  durch  den  Jesuiten  Neuville  eine 
Eingabe  gegen  ihn  aufsetzen.  Er  starb,  bevor  diese  Eingabe  an 
den  König  gelangt  war,  und  nun  kamen  seine  Papiere  in  die 
Hände  des  Herzogs  von  Choiseul,  der  die  Eingabe  fand.  Er  tat 
alles,  um  den  Verfasser  aus  der  Handschrift  zu  erkennen,  allein 
umsonst.  Er  dachte  schon  nicht  mehr  an  die  Sache,  als  ihn  ein 


Aus  den  Memoiren  279 


hoher  Jesuit  um  die  Erlaubnis  bat,  ihm  die  Lobsprüche  auf  Choi- 
seul  vorlesen  zu  dürfen,  die  in  die  Leichenrede  auf  den  Marschall 
von  Belle-Isle  eingeflochten  seien.  Der  Pater  Neuville  habe  diese 
Rede  verfaßt.  Die  Vorlesung  geschah  aus  dem  Manuskripte  des 
Verfassers,  und  nun  erkannte  Choiseul  die  Schrift.  Seine  einzige 
Rache  bestand  darin,  daß  er  dem  Pater  Neuville  sagen  ließ,  Lei- 
chenreden gelängen  ihm  besser  als  Eingaben. 

# 

Ludwig  XV.  weigerte  sich,  dem  Kammerdiener  Lebel  aus  sei- 
ner Privatschatulle  fünfundzwanzigtausend  Franks  zu  vergüten, 
die  für  seinen  Hirschpark  ausgegeben  worden  waren.62  Er  verwies 
Lebel  mit  seiner  Forderung  an  die  königliche  Rechnungskammer. 
Doch  der  Diener  erwiderte :  „Warum  soll  ich  mich  dort  Placke- 
reien und  schließlich  einer  Abweisung  aussetzen,  wo  Ew.  Maje- 
stät doch  mehrere  Millionen  zur  Hand  haben."  „Ich  möchte 
mich  nicht  gern  verwirtschaften,"  antwortete  der  König,  „man 
muß  immer  etwas  zum  Leben  haben." 

# 

Louxembourg,  der  Ausrufer,  welcher  beim  Verlassen  des  Schau- 
spielhauses die  Herrschaften  und  die  Wagen  ausrief,  sagte,  als  das 
Theater  nach  dem  Carrouselplatz  verlegt  wurde :  „Die  Komödie 
wird  hier  nichts  taugen,  hier  gibt's  kein  Echo." 

# 

Fontenelle  hatte  eine  Oper  geschrieben,  in  der  ein  Priesterchor 
vorkam,  der  bei  den  Frommen  Ärgernis  erregte.  Der  Erzbischof 
von  Paris  wollte  diesen  Chor  verbieten  lassen.  „Er  soll  sich  nicht 
um  meinen  Klerus  kümmern,"  sagte  Fontenelle,  „ich  kümmere 
mich  ja  auch  nicht  um  seinen." 

# 

Der  Prinz  von  Conti  sieht  in  einem  kleinen  Absteigequartier 
des  Herzogs  von  Lauzun  Licht.  Er  tritt  ein  und  findet  den  Herzog 
zwischen  zwei  Riesendamen  vom  Jahrmarkt.  Er  bleibt  zum  Nacht- 
essen und  schreibt  an  die  Herzogin  von  Orleans,  bei  der  man  ihn 
erwartete:  „Ich  opfere  Sie  zwei  viel  größeren  Damen." 


280  Aus  den  Memoiren 


Christine  von  Schweden  hatte  den  bekannten  Naude,  der  ein 
sehr  gelehrtes  Buch  über  die  Tanzkunst  der  Griechen  verfaßt 
hatte  und  Meibomius,  einen  deutschen  Gelehrten,  der  die  sieben 
griechischen  Musikschriftsteller  gesammelt  und  übersetzt  hatte, 
an  ihren  Hof  gerufen.  Ihr  Leibarzt  Bourdelot,  eine  Art  Günst- 
ling und  Spaßmacher  von  Beruf,  brachte  die  Königin  auf  den 
Einfall,  sie  solle  dem  einen  der  Gelehrten  befehlen,  eine  antike 
Melodie  zu  singen,  dem  anderen,  danach  zu  tanzen.  Es  geschah, 
und  die  Posse  gab  die  beiden  Gelehrten,  die  dabei  mitgewirkt, 
der  Lächerlichkeit  preis.  Naude  beruhigte  sich  dabei,  aber  der 
Gelehrte  ereiferte  sich  und  ging  in  seinem  Zorn  so  weit,  daß 
er  das  Gesicht  des  Bourdelot  mit  Faustschlägen  bearbeitete. 
Darauf  ging  er  nicht  nur  vom  Hof,  sondern  verließ  auch 
Schweden. 

Ein  Herr  sagte  zu  Voltaire,  er  arbeite  zu  viel  und  trinke  auch 
zu  viel  Kaffee,  er  werde  sich  damit  umbringen.  „Ach  wo!" 
erwiderte  Voltaire.  „Wir  kommen  ja  schon  umgebracht  auf  die 

Welt." 

# 

Der  Graf  von  Charolais  hatte  vier  Jahre  lang  seinen  Haushalt 
nicht  bezahlt,  nicht  einmal  seine  ersten  Vasallen.  Zwei  von  ihnen, 
ein  Herr  von  Laval  und  ein  Herr  von  Choiseul  kamen  eines  Tages 
mit  ihrem  Personal  zu  ihmjind  sagten :  „Wenn  Hoheit  uns  nicht 
zahlen,  wie  sollen  wir  die  Dienstboten  zufriedenstellen  ?"  Der 
Graf  ließ  seinen  Schatzmeister  rufen,  zeigte  auf  Laval,  Choiseul 
und  die  Bedienten  und  sagte:  „Zahlen  Sie  die  Leute  aus." 

* 

„Heute,  am  15.  März  1782,"  sagte  Herr  von  **#,  „habe  ich 
ein  gutes  Werk  äußerst  seltener  Art  getan.  Ich  habe  einen  ehren- 
haften, tüchtigen  Mann  getröstet.  Er  ist  gesund,  geistvoll,  hat 
tausend  Pfund  Rente  und  einen  vornehmen  Namen.  Ich  selbst 
bin  arm,  unbekannt  und  kränklich." 


Aus  den  Memoiren  2  8 1 


Man  fragte  den  Diener  des  Grafen  von  Cagliostro63,  ob  sein 
Herr  wirklich  dreihundert  Jahre  alt  sei.  Er  antwortete,  er  könne 
leider  keine  Auskunft  geben,  er  sei  selbst  erst  hundert  Jahre  in 
seinen  Diensten. 

* 

Als  Voltaire  in  Potsdam  war,  entwarf  er  eines  Abends  nach 
Tisch  das  Bild  eines  guten  Königs,  im  Gegensatz  zum  Tyrannen. 
Er  kam  immer  mehr  in  Hitze  und  gab  eine  schreckliche  Schilde- 
rung des  Elends,  das  auf  den  Völkern  unter  der  Regierung  despo- 
tischer und  eroberungssüchtiger  Herrscher  laste.  Der  König  von 
Preußen  wurde  davon  gerührt  und  vergoß  einige  Tränen.  „Seht, 
seht,"  rief  Voltaire,  „er  weint,  der  Tiger!" 

# 

Lord  Hamilton,  ein  recht  sonderbarer  Herr,  betrank  sich  ein- 
mal in  einem  Wirtshaus,  schlug  den  Kellner  tot  und  kam  nach 
einer  Weüe  wieder,  ohne  daß  ihm  der  Vorfall  zu  Bewußtsein  ge- 
kommen. Der  Wirt  stürzte  voll  Entsetzen  auf  ihn  zu :  „Aber  My- 
lord,  Sie  haben  ja  den  Kellner  getötet!"  Der  Lord  antwortete 
lallend:  „Schreiben  Sie  ihn  mir  auf  die  Rechnung." 


# 


Die  Salzsteuer  ist  in  der  unteren  Bretagne  nur  dem  Namen 
nach  bekannt,  aber  bei  den  Bauern  sehr  gefürchtet.  Ein  Edel- 
mann schenkte  einmal  einem  Dorfpfarrer  dieser  Gegend  eine 
Stutzuhr.  Die  Bauern  wußten  nicht,  was  das  für  ein  Ding  war 
und  einer  von  ihnen  kam  auf  die  Idee,  es  sei  die  Salzsteuer.  Da 
lasen  sie  Steine  auf  und  wollten  die  Uhr  zertrümmern,  aber  der 
Pfarrer  trat  dazwischen  und  sagte,  es  sei  keineswegs  die  Salz- 
steuer, sondern  das  Ablaßjahr,  das  ihm  der  Papst  geschickt  habe. 
Da  beruhigten  sie  sich  denn  gleich. 

# 

Herr  von  ***  bat  den  Bischof  von  ***  um  ein  Landhaus,  das 
dieser  ohnehin  nie  benutzte,  aber  der  Bischof  antwortete:  „Sie 
wissen  doch,  daß  man  immer  einen  Ort  haben  muß,  an  den  man 
nie  hinkommt,  von  dem  man  aber  glaubt,  man  würde  dort  glück- 


282  Aus  den  Memoiren 


licher  sein  ?"  —  Nach  kurzem  Schweigen  antwortete  Herr  ***: 

„Ja,  so  ist's,  darum  gilt  ja  auch  das  Paradies  so  viel." 

* 

Fontenelle  war  achtzig  Jahre  alt,  als  er  einmal  einer  schönen, 
jungen  Dame  den  Fächer  aufhob.  Sie  war  ungezogen  genug,  seine 
Höflichkeit  verächtlich  aufzunehmen,  und  Fontenelle  sagte  zu 

ihr:  „Aber  Gnädige,  wirklich!  —  Sie  verschwenden  Ihre  Kälte!" 

* 

Als  Herr  von  Silhouette  seinen  Abschied  erhalten  hatte,  war  er 
von  der  Ungnade,  in  die  er  gefallen  war,  tiefgebeugt,  undbesonders 
in  Angst  wegen  der  Folgen,  die  sie  haben  konnte.  Am  meisten  fürch- 
tete er  die -Gassenhauer,  die  man  auf  ihn  machen  würde.  Eines 
Tages  trat  er  nach  dem  Essen,  bei  dem  er  kein  Wort  gesprochen 
hatte,  auf  eine  Dame  zu,  der  er  sein  Vertrauen  schenkte  und  sagte  zu 

ihr:  „Sagen  Sie  mir  aufrichtig,  singt  man  wirklich  noch  nichts  ?" 

* 

Der  Abbe  de  Tencin  stand  unter  der  Anklage  des  Wuchers. 
Aubri,  der  gegnerische  Anwalt,  hatte  offenbar  keine  ausreichen- 
den Belege  und  der  Rechtsvertreter  des  Angeklagten  erhub  darob 
ein  lautes  Geschrei.  Aubri  spielte  den  Verwirrten.  Der  Abbe 
wohnte  selbst  der  Verhandlung  bei  und  glaubte  nun  den  Augen- 
blick gekommen,  die  schlimme  Angelegenheit  ein  für  allemal  aus 
dem  Wege  zu  schaffen.  Er  erbot  sich  daher,  seine  Unschuld  eid- 
lich zu  erhärten.  Da  fiel  ihm  Aubri  ins  Wort.  Ein  Eid  sei  nicht 
nötig,  meinte  er  und  legte  dem  Gericht  jetzt  erst  überführende 
Belege  vor.  Hohngeschrei  und  Lärm !  Dem  Abbe  aber  gelingt  es, 

sich  aus  dem  Staub  zu  machen.  Er  geht  als  Gesandter  nach  Rom. 

# 

HerrR***hatte  in  einer  Gesellschaft  drei  oder  vier  Epigramme 
auf  eben  so  viele  Leute  vorgelesen,  die  alle  nicht  mehr  am  Leben 
waren.  Man  wandte  sich  darauf  an  HerrL  ***  und  fragte  ihn,  ob 
er  nicht  auch  mit  dergleichen  zur  Unterhaltung  beisteuern  wolle. 
„Nein."  sagte  er  in  aller  Unschuld  —  „ich  kann  Ihnen  nichts 
bieten,  meine  ganze  Bande  lebt  noch." 


Aus  den  Memoiren  283 


Als  man  das  Geschick  des  Herzogs  von  Choiseul  als  ganz  bei- 
spiellos pries,  erwiderte  er :  „Ja,  es  ist  beispiellos  im  Guten,  wie 
im  Schlimmen!  Ich  habe  z.  B.  die  Dirnen  immer  gut  behandelt, 
aber  eine  habe  ich  vernachlässigt,  und  gerade  die  wird  Königin 
von  Frankreich  oder  doch  beinahe  Königin.  Den  Inspektoren  bin 
ich  entgegengekommen,  so  weit  als  möglich.  Geld  und  Ehren 
habe  ich  mit  vollen  Händen  über  sie  ausgeschüttet.  Nur  einen, 
der  gar  nichts  unter  ihnen  galt,  habe  ich  von  oben  herab  be- 
handelt, und  gerade  der  wird  Kriegs  minister :  Herr  Montaynard. 
Bekannt  ist,  wieviel  ich  für  die  Gesandten,  ausnahmslos  für  alle 
getan,  —  außer  für  einen.  Es  ist  einer  darunter,  der  langsam  und 
schwerfällig  arbeitet,  den  alle  anderen  über  die  Schulter  ansehen, 
mit  dem  sie,  da  er  eine  lächerliche  Ehe  eingegangen,  nicht  ver- 
kehren. Es  ist  Herr  de  Vergennes,  und  gerade  er  wird  Minister 
des  Äußeren.  Geben  Sie  mir  nun  recht,  wenn  ich  behaupte, 
mein  Geschick  sei  im  Guten  wie  im  Schlimmen  gleich  außer- 
ordentlich ?" 

# 

Herr  ***,  der  sich  der  Gesellschaft  als  Mittel  zu  seinen  Zwecken 
bedienen  konnte,  wie  er  wollte,  sagte  zu  mir,  er  verdanke  dies 
hauptsächlich  dem  Umstände,  daß  er  es  verstanden  habe,  bei 
Gelegenheit  mit  Frauen  von  vierzig  Jahren  zu  schlafen  und  Grei- 
sen von  achtzig  geduldig  zuzuhören. 

# 

Wie  bekannt  stand  der  verstorbene  König  in  geheimem  Brief- 
wechsel mit  dem  Grafen  von  Broglie.  Es  handelte  sich  darum, 
einen  Gesandten  für  Schweden  zu  ernennen.  Broglie  brachte 
Herrn  de  Vergennes  in  Vorschlag,  der  von  Konstantinopel  zurück- 
kam und  sich  dann  auf  seine  Güter  zurückzog.  Der  König  wollte 
nicht,  aber  der  Graf  gab  nicht  nach.  Es  war  üblich,  an  den  König 
auf  einem  in  der  Mitte  gebrochenen  Bogen  zu  schreiben  und  er 
schrieb  an  den  Rand  des  letzten  Briefes,  der  ihm  in  dieser  Sache 
zuging:  „Ich  billige  die  Wahl  des  Herrn  de  Vergennes  nicht.  Sie 


284  Aus  den  Memoiren 


zwingen  mich  dazu.  Meinetwegen  mag  er  hingehen,  aber  ich  ver- 
biete, daß  er  seine  häßliche  Frau  mitnimmt." 

* 

Zur  Zeit  des  Streites  um  Diderot  und  Rousseau  sagte  Herr  de 
Castries  mit  gereizter  Miene  zu  Herrn  von  R.,  der  mir  den  Aus- 
spruch wiederholt  hat :  „Unglaublich !  Von  nichts  spricht  man, 
als  von  diesen  Leuten,  diesen  Menschen  ohne  Stand,  die  nicht 
einmal  ein  Haus  haben  und  auf  dem  Heuboden  wohnen !  Daran 

kann  ich  mich  wirklich  nicht  gewöhnen." 

# 

In  einer  Gesellschaft,  wo  auch  Frau  von  Egmont  speiste,  mel- 
dete man  einen  Herrn  namens  du  Gusclin.  Dieser  Name  wirkte 
stark  auf  sie.  Sie  läßt  bei  Tisch  den  Herrn  an  ihre  Seite  setzen, 
erweist  ihm  große  Aufmerksamkeit  und  bietet  ihm  schließlich 
von  einer  Schüssel  an,  die  vor  ihr  stand.  —  Es  waren  Trüffeln. 
„Gnädige  Frau,"  sagte  der  Dummkopf,  „an  Ihrer  Seite  braucht 
man  keine."  „Bei  dieser  Tonart",  sagte  die  Gräfin,  als  sie  diese 
Geschichte  erzählte,  „tat  mir  meine  Liebenswürdigkeit  leid.  Ich 
machte  es  wie  jener  Dauphin,  der  bei  einem  Schiffbruch  meinte, 
er  habe  einen  Menschen  gerettet.  Er  warf  ihn  wieder  ins  Meer, 

als  er  sah,  daß  es  ein  Affe  war." 

# 

Fräulein  Duthe  hatte  einen  ihrer  Liebhaber  verloren,  ein  Er- 
eignis, das  Aufsehen  erregte.  Ein  Herr,  der  sie  daraufhin  besuchte, 
fand  sie  beim  Harfenspielen  und  äußerte  in  überraschtem  Ton : 
„Wie  ?  Ich  war  darauf  gefaßt,  Sie  in  Verzweiflung  zu  finden." 

„O,"  sagte  sie  pathetisch,  „Sie  hätten  mich  gestern  sehen  sollen !" 

* 

Ehe  die  Chiron64  beim  Theatre  Francais  historisch-getreue 
Kostüme  einführte,  hatte  man  für  die  Tragödie  immer  nur  ein 
und  dasselbe  Kostüm,  welches  man  das  „Römische"  nannte.  Man 
spielte  alle  Stücke  dann  griechische,  amerikanische,  spanische 
usw.  Lekain  unterwarf  sich  zuerst  der  Neuerung  und  ließ  sich  für 
den  Orest  in  der  „Andromache"  ein  griechisches  Kostüm  an- 


Aus  den  Memoiren  285 


fertigen.  Dauberval  kam  in  die  Garderobe  Lekains,  als  der  The- 
aterschneidergerade das  n  eue  Orestkostüm  brachte.  Die  Neuerung 
fiel  Dauberval  auf  und  er  fragte,  was  das  sei.  „Das  ist  ein  griechi- 
sches Kostüm",  sagte  Lekain.  „Das  ist  ja  sehr  schön,"  erwiderte 
Dauberval,  „wenn  ich  wieder  ein  römisches  Kostüm  brauche, 

lasse  ich  es  mir  griechisch  machen." 

# 

Vierzehn  Tage  vor  dem  Attentat  Damiens  kam  ein  südfranzö- 
sischer Geschäftsmann  in  eine  kleine  Stadt,  sechs  Meilen  von 
Lyon.  Im  Wirtshaus  hörte  er,  wie  man  in  einem  Zimmer,  das  von 
dem  seinigen  nur  durch  eine  dünne  Wand  getrennt  war,  sagte, 
ein  gewisser  Damiens  werde  den  König  ermorden.  Der  Geschäfts- 
mann kommt  nach  Paris  und  will  sich  Herrn  Beriyer  vorstellen, 
trifft  ihn  aber  nicht  und  teilt  ihm  daher  seine  Wahrnehmung 
schriftlich  mit.  Später  kommt  er  noch  einmal  und  stellt  sich  per- 
sönlich vor.  Wie  er  wieder  nach  seiner  Heimat  unterwegs  ist,  er- 
folgt das  Attentat.  Beriyer  sagt  sich,  der  Geschäftsmann  werde 
sein  Erlebnis  erzählen  und  so  seine  —  Berryers  —  Nachlässigkeit 
an  den  Tag  kommen.  Er  schickt  daher  ein  Polizeipikett  nach  der 
Lyoner  Straße.  Der  Geschäftsmann  wird  verhaftet,  gefesselt  und 
nach  Paris  gebracht.  Man  wirft  ihn  in  die  Bastille,  wo  er  acht- 
zehn Jahre  lang  gefangen  bleibt.  Herr  von  Malherbes,  der  im 
Jahre  1775  einige  Bastillegefangene  befreite,  erzählte  diese  Ge- 
schichte in  der  ersten  Aufwallung  seiner  Empörung. 

• 

Madame  de  H***  erzählte  mir  vom  Tod  des  Herzogs  von  Au- 
mont :  „Es  ging  sehr  rasch,"  sagte  sie,  „zwei  Tage  vorher  hatte 
ihm  Herr  Bouvard  zu  essen  erlaubt  und  an  seinem  Todestag 
zwei  Stunden,  bevor  sich  die  Lähmungserscheinungen  wiederhol- 
ten, war  er  wie  ein  Dreißigjähriger,  wie  er  sein  Leben  lang  ge- 
wesen. —  Er  ließ  sich  seinen  Papagei  bringen,  sagte:  „Bürstet 
doch  diesen  Sessel  aus!  —  Zeigt  mir  meine  neuen  Stickereien." 
Kurzum,  sein  voller  Geist,  alle  seine  Ideen  wie  sonst  auch" 


286  Aus  den  Memoiren 


Man  veranstaltete  bei  der  Akademie  Francaise  eine  Sammlung. 
Schließlich  fehlten  noch  sechs  Franks  oder  ein  Louisdor.  Man 
hatte  ein  Mitglied,  das  wegen  seines  Geizes  bekannt  war,  im  Ver- 
dacht, nichts  beigesteuert  zu  haben,  aber  der  Geizhals  behaup- 
tete fest  und  steif,  er  habe  seinen  Beitrag  eingeschickt.  „Ich  habe 
es  zwar  nicht  gesehen,"  sagte  der  Veranstalter  der  Kollekte,  „aber 
ich  glaube  es!"  Fontenelle  setzte  schließlich  den  Debatten  über 
den  Fall  ein  Ziel,  indem  er  bemerkte :  „Nun,  ich  habe  es  gesehen, 

aber  ich  glaub's  nicht." 

# 

In  einer  Gesellschaft  sprach  man  darüber,  was  angenehmer  sei, 
geben  oder  nehmen  ?  Die  einen  behaupteten  geben,  andere  wie- 
der meinten,  daß  bei  vollkommener  Freundschaft  das  Vergnügen 
zu  empfangen  ebenso  zart  sei  und  vielleicht  lebhafter.  Ein  geist- 
reicher Mensch,  den  man  um  seine  Meinung  fragte,  antwortete : 
„Ich  frage  nicht,  welches  Vergnügen  lebhafter  ist,  aber  ich  würde 
lieber  geben.  Es  scheint  mir  nämlich  zum  mindesten  dauerhafter 
und  ich  habe  beobachtet,  daß  man  sich  daran  am  längsten  er- 
innert." 

Als  Herr  von  Turenne  einmal  bei  Herrn  von  Lamoignon  speiste, 
fragte  ihn  dieser,  ob  seine  Unerschrockenheit  nicht  bei  Beginn 
einer  Schlacht  doch  ein  wenig  wanke.  „Ja,"  sagte  Turenne,  „ich 
empfinde  dann  eine  starke  Erregung,  aber  es  gibt  in  der  Armee 
manchen  Subalternoffizier  und  viele  Soldaten,  bei  denen  dies 

nicht  der  Fall  ist." 

# 

Bei  den  Lustbarkeiten  am  St.  Lorenz-Jahrmarkt  erschien  auf 
dem  Theater  ein  Polichinell  mit  einem  Buckel  vorn  und  einem 
Buckel  hinten.  Man  rief  ihm  zu,  was  er  denn  in  seinem  Buckel 
vorne  habe.  „Befehle!"  —  Und  in  dem  Buckel  hinten  ?  „Gegen- 
befehle!" —  Damals  war  unsere  Regierung  auf  dem  Höhepunkt 
der  Tollheit  und  Dummheit  und  der  an  sich  treffliche  Witz 
brachte  seinen  Urheber  nach  Bicetre. 


Aus  den  Memoiren  287 


In  einer  Gesellschaft  sann  man  auf  Mittel,  einen  schlechten 
Minister  los  zu  werden,  einen  Mann,  dessen  Ehrenschild  von 
zahllosen  Schandmalen  übersät  war.  —  Ein  erklärter  Feind  von 
ihm  sagte  plötzlich;  „Könnte  man  ihn  denn  nicht  dazu  bringen, 
irgend  etwas  Vernünftiges  oder  Anständiges  zu  tun,  damit  er  da- 
vongejagt wird?" 

# 

Herr  von  Choiseul-Gouffier  wollte  wegen  der  häufigen  Feuers- 
brünste auf  eigene  Kosten  die  Häuser  seiner  Bauern  mit  Ziegeln 
eindecken  lassen.  Die  Bauern  dankten  für  seine  Freundlichkeit 
und  baten  ihn,  es  doch  beim  alten  zu  lassen.  Würden  ihre  Häuser 
mit  Ziegeln  gedeckt,  anstatt  mit  Stroh,  meinten  sie,  so  würden 

sie  auch  gleich  höher  besteuert  werden. 

* 

Am  Tag  des  Erdbebens  von  Lissabon  befanden  sich  der  König 
und  die  Königin  von  Portugal  in  Belem,  um  einem  Stiergefechte 
beizuwohnen.  Das  war  ihre  Rettung.  Dabei  ist  es  eine  Tatsache, 
die  mir  von  mehreren  Franzosen,  welche  damals  in  Portugal  leb- 
ten, bestätigt  wurde,  daß  der  König  niemals  die  Größe  des  Un- 
glücks erfuhr.  Zuerst  meldete  man  ihm  nur  von  einigen  einge- 
stürzten Häusern,  dann  von  einigen  Kirchen.  Da  er  niemals  wie- 
der nach  Lissabon  kam,  so  kann  man  wohl  behaupten,  daß  er  der 
einzige  Mensch  in  Europa  war,  der  keine  richtige  Vorstellung 
von  dem  Unglück  hatte.  Und  er  war  keine  Meile  von  seinem 
Schauplatz  entfernt. 

# 

Madame  de  Bassompierre  lebte  am  Hof  des  Königs  Stanislaus 
und  war  die  Geliebte  seines  Kanzlers,  des  Herrn  de  La  Galai 
sefre.  Eines  Tags  kam  der  König  zu  ihr  und  nahm  sich  Freiheiten 
heraus,  die  jedoch  zu  nichts  führten :  „Ich  schweige,"  sagte  Stanis- 
laus, „das  übrige  wird  Ihnen  mein  Kanzler  sagen." 

# 

Herr  d'Espremenil  lebte  lange  Zeit  mit  Madame  Tilaurier,  die 
gerne  von  ihm  geheiratet  sein  wollte.   Sie  steckte  sich  hinter 


288  Aus  den  Memoiren 


Cagliostro,  dei  Herrn  d'Espremenil  Hoffnung  machte,  er  könne 
den  Stein  der  Weisen  finden.  Bekanntlich  verquickte  Cagliostro 
mit  seinen  alchymistischen  Narrheiten  auch  allerlei  Fanatismus 
und  Aberglauben,  und  als  nun  d'Espremenil  sich  beklagte,  eine 
gewisse  Formel  habe  nicht  geholfen,  der  Stein  der  Weisen  sei 
nicht  erschienen,  da  gab  ihm  Cagliostro  zu  verstehen,  das  komme 
daher,  weil  er  mit  Madame  Tilaurier  in  einem  unsittlichen  Ver- 
hältnis lebe.  „Wollen  Sie  Erfolg  haben,  so  müssen  Sie  mit  den 
unsichtbaren  Mächten  und  ihrem  Herrn,  dem  höchsten  Wesen, 
im  Einklang  sein.  Heiraten  Sie  Madame  Tilaurier  oder  lassen  Sie 
von  ihr  ab!"  Sie  wurde  noch  einmal  so  kokett  wie  vorher  und 
d'Espremenil  heiratete  sie.  Er  hatte  den  Stein  der  Weisen  nicht 

efunden,  wohl  aber  die  Frau. 

# 

Herr  von  Legier  hatte  einen  Erlaß  veröffentlicht,  auf  Grund 
dessen  nur  Edelleute  ins  Offizierkorps  der  Artillerie  aufgenom- 
men werden  sollten.  Da  nun  andererseits  für  diesen  Dienst  nur 
gebildete  Leute  zu  gebrauchen  sind,  so  geschah  etwas  recht  Selt- 
sames :  Abbe  Bossut,  welcher  die  Zöglinge  examinierte,  ließ  nur 
Bürgerliche  bestehen  und  Cherin  nur  Adlige.  Auf  hundert  Zög- 
linge, die  bestanden,  kamen  nur  vier  oder  fünf,  die  beiden  An- 
forderungen zugleich  genügten. 

* 

Ein  Amerikaner  sah  sechs  Engländer,  die  von  ihrem  Truppen- 
teil abgekommen  waren.  Er  war  kühn  genug,  auf  sie  loszustürzen. 
Zwei  davon  verwundete  er,  die  anderen  streckten  die  Waffen,  und 
der  Amerikaner  führte  sie  vor  den  General  Washington.  Dieser 
fragte  ihn,  wie  er  es  denn  fertig  gebracht  habe,  über  die  sechs 
Mann  Herr  zu  werden  ?  „Kaum  hatte  ich  sie  gesehen,"  erwiderte 

der  Tapfere,  ,,so  stürzte  ich  auf  sie  los  und  habe  sie  umzingelt." 

# 

Zwei  junge  Leute  reisten  mit  der  Post  nach  Paris.  Der  eine 
erzählt  dabei,  er  fahre  zur  Verehelichung  mit  der  Tochter  des 


Aus  den  Memoiren  289 


Herrn  von  ***.  Er  spricht  von  seinen  Beziehungen,  vom  Stand 
seiner  Eltern  usw.  Beide  übernachten  im  nämlichen  Gasthaus. 
Tags  darauf  stirbt  der  Heiratskandidat  frühmorgens  um  7  Uhr, 
bevor  er  noch  seinen  Besuch  gemacht.  Statt  seiner  geht  der  an- 
dere, ein  Spaßmacher  von  Beruf,  zu  dem  künftigen  Schwieger- 
vater und  spielt  die  Rolle  des  Schwiegersohns.  Er  zeigt  sich  auch 
als  Mann  von  Geist  und  die  ganze  Familie  ist  von  ihm  entzückt, 
bis  er  sich  plötzlich  empfiehlt  mit  dem  Bemerken,  er  habe  eine 
Verabredung.  Um  sechs  Uhr  werde  er  nämlich  beerdigt.  Um 
diese  Zeit  wurde  in  der  Tat  der  junge  Mann,  der  am  Morgen 
verstorben  war,  begraben.  Der  Diener,  den  man  nach  dem  Gast- 
hause des  vermeintlichen  Schwiegersohnes  geschickt  hatte,  vei- 
setzte  den  Schwiegervater  und  die  ganze  Familie  in  großes  Er- 
staunen. Sie  glaubten,  sie  hätten  einen  Geist  gesehen. 

# 

Der  Marquis  von  C##*  wollte  mit  seinen  Freunden  in  ein 
königliches  Gebäude,  vor  dem  eine  Schweizerwache  stand.  Er 
drängt  die  Menge  beiseite  und  sagt  zu  dem  Schweizer:  „Machen 
Sie  Platz!  —  Die  Herren  hier  gehören  zu  mir,  die  anderen  da 
nicht!"  Die  Wache  macht  Platz  und  C***  mit  seinen  Freunden 
passiert.  Jemand  sieht,  daß  die  drei  jungen  Leute  lachen  und 
macht  sich  über  den  Schweizer  lustig.  Der  läuft  nun  den  Gästen 
nach  und  ruft:  „Herr  Marquis,  Ihre  Eintrittskarte!"  —  „Hast 
du  einen  Bleistift  ?"  —  „Nein."  —  „Da  ist  einer",  sagt  einer  der 
jungen  Leute.  Der  Marquis  schreibt  und  sagt  dabei:  „Das  sehe 
ich  gern,  daß  du  deine  Schuldigkeit  tust  und  nach  deiner  Wach- 
instruktion handelst!"  Damit  gibt  er  ihm  einen  Zettel,  auf  den  er 
geschrieben :  „Eintritt  für  den  Marquis  von  C***  und  seine  Gesell- 
schaft." Der  Schweizer  nimmt  den  Zettel  und  ruft  denen,  die  ihn 
aufgehetzt  hatten,  triumphierend  zu :  „Da  ist  ja  die  Einlaßkarte  I" 

# 

Als  Herr  ***  dem  Prinzen  Heinrich  in  Neuchätel  seine  Auf- 
wartung machte,  sagte  er  zu  ihm,  die  Bewohner  von  Neuchätel 


290 


Aus  den  Memoiren 


seien  für  den  König  von  Preußen  begeistert.  „Das  ist  doch  klar," 

meinte  der  Prinz,  „daß  die  Untertanen  einen  Herrn  lieben,  der 

dreihundert  Meilen  von  ihnen  entfernt  ist!" 

* 

In  seiner  Jugend  kam  Marmontel  oft  zu  dem  alten  Boindin, 
einem  sehr  geistreichen  Freidenker.  „Kommen  Sie  doch  ins  Cafe 
Procope",  sagte  der  Alte.  „Ja  so,  dort  können  wir  über  nichts  Phi- 
losophisches reden,  außer,  wir  verabreden  eine  Geheimsprache!" 
Das  geschah.  Die  Seel  hieß  Margot,  die  Religion  Javotte,  die 
Freiheit  Jeanetton  und  Gott- Vater  Monsieur  de  l'Etre.  So  dispu- 
tierten sie  miteinander  und  unterhielten  sich  trefflich.  Eines 
Tages  mischte  sich  ein  schwarzgekleideter  Herr,  der  nach  nichts 
Gutem  aussah,  in  die  Unterhaltung  und  sagte  zu  Boindin :  „Darf 
ich  mich  höflichst  erkundigen,  wer  denn  dieser  Herr  de  l'Etre  ist, 
der  sich  so  übel  aufführt  und  mit  dem  Sie  so  unzufrieden  sind  ?" 

„Zu  dienen,"  erwiderte  Boindin.  „er  ist  ein  Polizeispitzel!" 

# 

Der  Arzt  Lorry  erzählte,  Madame  de  Sully  habe  ihn  bei  einem 
Unwohlsein  rufen  lassen  und  ihm  von  einer  Ungezogenheit  de 
Bordeus  berichtet.  Er  habe  zu  ihr  gesagt:  „Ihre  Krankheit  kommt 
von  Ihrer  Unbef  riedigung,  Sie  brauchen  einen  Mann !  — Hier — !" 
Und  er  sei  in  einer  sehr  unschicklichen  Weise  vor  ihr  gestanden. 
Lorry  entschuldigte  seinen  Kollegen  und  sagte  Madame  de  Sully 
eine  Menge  achtungsvoller  Artigkeiten.  Als  er  die  Geschichte  er- 
zählte, setzte  er  hinzu:  „Ich  weiß  nicht,  was  inzwischen  passiert 
ist,  aber  sie  ließ  mich  nur  noch  einmal  rufen  und  nahm  dann  wie- 
der de  Bordeu." 

# 

Der  Marschall  de  Broglie  hatte  die  Tochter  eines  reichen  Ge- 
schäftsmannes geheiratet  und  hatte  von  ihr  zwei  Töchter.  In 
Anwesenheit  der  Madame  de  Broglie  schlug  man  ihm  einmal  vor, 
die  eine  Tochter  in  ein  Stift  zu  tun.  „Durch  meine  Heirat",  sagte 
er,  „habe  ich  mir  die  Stifter  verschlossen."  „AberauchdasArmen- 
haus!"  setzte  seine  Frau  hinzu. 


Aus  den  Memoiren  291 


Lord  Marlborough  stand  mit  einem  Freund  und  einem  seiner 
Neffen  im  Laufgraben,  als  plötzlich  eine  Kanonenkugel  dem 
Freund  den  Schädel  zerschmetterte,  so  daß  dem  jungen  Manne 
das  Gehirn  des  Toten  ins  Gesicht  spritzte.  Der  Neffe  trat  schau- 
dernd zurück,  aber  Marlborough  sagte  kaltblütig :  „Nun,  das  wun- 
dert dich  wohl  ?"  —  „Ja,"  erwiderte  er,  und  wischte  sich  das  Ge- 
sicht ab,  „ich  wundere  mich,  daß  ein  Mann  von  soviel  Gehirn 

willkürlich  einer  so  unnützen  Gefahr  ausgesetzt  wurde." 

# 

Man  bezichtigte  Herrn  ***  der  Menschenfeirdschaft.  „Ich 
bin  kein  Menschenfeind,"  sagte  er,  „aber  ich  fürchte  es  zu  werden 
und  habe  ganz  gute  Vorkehrungen  dagegen  getroffen."  „Welche 
denn  ?"  —  „Ich  ward  ein  Einsiedler." 

# 

Der  Graf  d'Orsay,  der  Sohn  eines  Generalpächters,  ein  Mann, 
der  auf  seine  gesellschaftliche  Stellung  sehr  eitel  war,  traf  mit 
Herrn  von  Choiseul-Gouffier  beim  Vorstand  der  Kaufmannschaft 
zusammen.  Choiseul  wollte  bei  dieser  Behörde  die  Herabsetzung 
seiner  Kopfsteuer  durchsetzen,  die  beträchtlich  erhöht  worden 
war.  D'Orsay  aber  beklagte  sich  darüber,  daß  man  die  seine  ver- 
ringert habe.  Er  glaubte  sich  dadurch  an  seinem  sozialen  Wert 
gekränkt. 

# 

Herr  ***  trug  oft,  wenn  man  von  der  Liebe  sprach,  sehr  lebe- 
männische Ansichten  zur  Schau.  Dabei  war  er  im  Grund  ein 
feinfühliger,  wenig  leidenschaftlicher  Mensch  und  darum  sagte 
jemand  von  ihm :  „Er  tut  unanständig,  um  bei  den  Frauen  Glück 
zu  haben." 

* 

Der  Regent  ließ  dem  Präsidenten  Darou  nahelegen,  er  möge 
seine  Stelle  als  erster  Vorsitzender  des  Parlaments  von  Bordeaux 
aufgeben.  Darou  antwortete,  er  werde  nicht  gehen,  außer,  man 
mache  ihm  den  Prozeß.  Der  Regent  las  seinen  Brief  und  schrieb 
darunter:  „Kommt  mir  gar  nicht  darauf  an!"  —  und  schickte 

19* 


292  Aus  den  Memoiren 


ihn  als  Antwort  zurück.  Darou  wußte,  mit  wem  er  es  zu  tun  hatte 

und  demittierte. 

* 

L'Ecluse,  derselbe,  der  die  Varietes  Amüsantes  geleitet,  er- 
zählte, als  er  jung  und  mittellos  nach  Lüneville  gekommen,  sei 
er  genau  an  dem  Tag  zum  Zahnarzt  des  Königs  Stanislaus  er- 
nannt worden,  da  dieser  seinen  letzten  Zahn  verlor. 

* 

Ein  englischer  Bankier  namens  Ser  oder  Stair  war  angeklagt, 
er  habe  eine  Verschwörung  angezettelt,  den  König  Georg  III. 
zu  entführen  und  nach  Philadelphia  zu  schaffen.  Vor  Gericht 
sagte  er :  „Ich  weiß  schon,  wozu  ein  König  einen  Bankier  braucht, 
aber  was  ein  Bankier  mit  einem  König  tun  soll,  begreife  ich  nicht!" 

# 

Bei  der  Vorstellung  des  „Devin  de  village"  in  Fontainebleau 
trat  ein  Hofmann  auf  Rousseau  zu  und  sagte  höflichen  Tones  zu 
ihm :  „Gestatten  Sie,  daß  ich  Ihnen  mein  Kompliment  mache." 
„Gewiß,"  sagte  Rousseau,  „wenn  es  gut  ist!"  Der  Höfling  ver- 
schwand und  man  sagte  zu  Rousseau:  „Aber  was  denken  Sie 
denn,  was  haben  Sie  da  gesagt!"  — „Etwas  sehr  Gutes,"  meinte 
Rousseau,  „gibt  es  denn  etwas  Schlimmeres,  als  ein  ungeschicktes 

Kompliment  ?" 

* 

Herrn  ***j  Freunde  wollten  seinen  Charakter  gern  nach  ihren 
phantastischen  Anforderungen  ummodeln.  Es  gelang  ihnen  je- 
doch nicht,  und  so  sagten  sie,  er  sei  unverbesserlich.  „Wäre  ich 
nicht  unverbesserlich,"  erwiderte  ihnen  Herrn  ***,  „so  wäre  ich 
schon  längst  verdorben." 


DIE  POLIZEIBERICHTE  FÜR   DEN    KÖNIG 

Die  Pamphletisten  und  Libellisten  genossen  bei  manchen 
Historikern  keinen  besonderen  Kredit  in  Hinsicht  auf  ihre  Zu- 
verläßlichkeit ;  bei  anderen,  wie  bei  Ch.  Vatel,  dem  gelehrten  Ver- 
fasser des  dreibändigen  Hauptwerkes  über  die  du  Barry  (Versailles, 
Bernard,  1 883),  sind  sie  „la  plus  authentique  de  toutes  les  sources", 
und  die  Polizeiberichte  für  den  König,  die  man  in  vier  Bänden 
vor  einigen  Jahren  in  extenso  herausgab  (Paris  sous  Louis  XV.  Rap- 
ports des  Inspecteurs  de  Police  au  Roi.  Publies  et  annotes  par 
Camille  Piton,  Paris,  Mercure  de  France),  bestätigen  das  Urteil 
Vatels:  ganze  Seiten  aus  diesen  Berichten  hat  z.  B.  Imbert  in 
seine  Chronique  Scandaleuse  aufgenommen,  ohne  ein  Wort  zu 
ändern  oder  den  Text  zu  arrangieren.  Was  den  Pamphletisten 
passieren  kann  und  oft  genug  passiert,  ist,  daß  sie  die  nicht  er- 
fundenen Fakten  nicht  mit  den  richtigen  Personen  zusammen- 
bringen, etwas,  das  mit  dem  A  geschehen  ist,  mit  dem  B  ge- 
schehen lassen.  Oder  absichtlich  Geschehnisse  mit  einer  unbe- 
kannten Person  auf  eine  bekannte  übertragen,  was  für  uns  heute, 
denen  die  Personen  entweder  gar  nichts  mehr  oder  sehr  wenig 
bedeuten,  von  geringer  Wichtigkeit  ist,  jedenfalls  von  geringerer 
als  den  betroffenen  Zeitgenossen  jener  Pamphletisten. 

Diese  Berichte  wurden  von  Polizeiinspektoren  für  einen  einzigen 
Leser  geschrieben,  der  sich  sehr  langweilte  und  über  das,  was  ihn 
allein  interessierte,  die  Libertinage  der  Pariser,  beim  alltäglichen 
Frühstück  unterrichtet  sein  wollte,  gar  nicht,  um  danach  sitten- 
polizeiliche Erlasse  anzuregen,  sondern  um  nichts  sonst,  als 
sich  zu  amüsieren.  Dieser  Leser  war  Ludwig  XV.  und  Vielge- 
liebte. vSeiner  Gelangweiltheit  und  seinem  besonderen  Interesse 
danken  wir  die  authentischen  Dokumente  über  die  Pariser  Sitten 
in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts;  sie  bestätigen  mit 
einer  sauberen,  präzisen  Faktizität  Bekanntes,  stellen  anderes 
richtig  und  bringen  sehr  häufig  ganz  Neues,  wie  zur  Geschichte 


294  Die  Polizeiberichte 


der  du  Barry,  das  von  historischem  Wert  ist.  Die  Berichte  geben 
den  Steckbrief  der  Personen  bis  in  ihre  Gewohnheiten  und  Ver- 
mögensverhältnisse hinein.  Sie  sind  für  das  18.  Jahrhundert  das, 
was  Brantome  für  das  16.  und  Tallemant  des  Reaux  für  das 
17.  Jahrhundert  ist,  und  sind  mehr  als  beide,  denn  sie  sind  ganz 
frei  von  allen  schriftstellerischen  Absichten  und  von  einer  völlig 
modernen  Objektivität.  Deren  sich  Meusnier,  der  sehr  intelligente 
erste  Berichterstatter  (von  1748 — 1757),  anfangs  vielleicht  zu  sehr 
befleißigte,  denn  die  Knappheit  und  kurzgefaßte  Sachlichkeit 
scheint  nicht  den  Beifall  seines  königlichen  Lesers  gefunden  zu  ha- 
ben, da  Meusniers  Berichte  nach  einiger  Zeit  ausführlicher  werden, 
ohne  ins  Schwatzen  zu  verfallen.  Meusniers  Nachfolger  Marais, 
der  von  1757 — 1777  berichtet,  erreicht  nicht  seinen  Vorgänger, 
besitzt  nicht  wie  dieser  die  Gabe  einer  scharfen  Beobachtung  und 
eines  Witzes,  der  sich  ganz  unpersönlich  im  Stil  äußert.  Die  Be- 
richte von  Marais  fallen  ins  Monotone  oft.  Aber  es  ist  nicht  darauf 
zu  insistieren,  wie  die  beiden  Polizeileute  ihren  Stoff  bringen, 
so  viel  sie.auch  hier  darin  leisten,  indem  sie  keine  zurechtgemachte 
Sprache  schreiben,  sondern  jene,  die  man  wirklich  sprach.  In  den 
Berichten  findet  sich  keines  der  Modeworte,  die  aus  der  Literatur 
kommen,  aber  alle  die  Worte  und  Wendungen  sind  da,  die  sich 
die  sprechende  Gesellschaft  für  die  Dinge  erfand,  die  sie  auf  dem 
Gebiete  der  Libertinage  beschäftigten.  Nicht  selten  unterbricht 
der  Polizist  seine  Aufzählung  der  Fakten  mit  einem  Porträt,  für 
deren  Schärfe  dieses,  das  den  Herzog  von  Chartres,  den  künftigen 
Philippe-Egalite  zeichnet,  zum  Beispiel  dienen  möge :  „Ce  prince 
extremement  grossier  dans  ses  caresses,  n'ayant  aucune  delica- 
tesse  et  jurant  comme  un  charretier,  avec  son  fond  de  libertinage 
crapuleux  et  se  servant  de  termes  qui  feraient  rougir  la  plus  vile 
creature."  Oder  es  schließt  ein  Bericht  mit  folgenden  Sätzen: 
,,Le  mari  est  un  bonhomme  qui  trouve  tout  bon.  La  paix  sub- 
siste  dans  le  menage;  ainsi  tout  va  bien." 

Die  private  Polizei  des  Königs  stand  nicht  unter  der  Kontrolle 


Die  Polizeiberichte  295 


des  Polizeiministers  Sartines :  anders  besäßen  wir  nur  eine  sehr 
abgeblaßte  offizielle  Verarbeitung  dieser  sur  le  vif  abgegebenen 
Rapporte,  deren  häufige  Einförmigkeit  uns  heute  lebendiger  an- 
spricht, als  eine  ausgewählte  Sammlung  pointierter  Anekdoten 
von  Chamfort,  die  den  Kopf  zeigen,  aber  nicht  den  Leib.  Der 
Polizeiminister  hätte  auch  sicher  die  Namen  der  Personen  ge- 
strichen, mit  denen  er  oft  befreundet  sein  mochte,  was  die  beiden 
subalternen  Herren  Meusnier  und  Marais  sicher  nicht  waren 
und  ihre  Opfer  daher  mit  allen  Titeln,  Namen  und  Würden  nen- 
nen, wie  es  wohl  auch  der  König  wünschte,  der  nicht  nur  wissen 
wollte,  was  ein  Herr  von  F.  oder  C.  oder  S.  tat,  sondern  daß  es 
die  Herren  Fronsac,  Conti  und  Soubise  taten,  nicht  nur  lesen 
wollte,  was  man  von  einer  Schauspielerin  erzählt,  sondern  daß 
man  es  von  der  Duthe  erzählt. 

In  dem  Folgenden  sollen  Auszüge  aus  den  Rapporten  ihren 
dokumentarischen  Wert  sowohl  wie  ihren  Geist  belegen.  Zuvor 
seien  noch  einige  technische  Worte  angemerkt  und  erklärt,  deren 
sich  die  Rapporte  wie  alle  Welt  bedienen.  Wenn  ein  öffentliches 
Mädchen  von  einem  Fürsten  oder  sonst  einer  vorragenden  Per- 
sönlichkeit ausgezeichnet  wurde,  so  hatte  sie  „den  Sprung  über 
den  Stock"  gemacht  (sauter  le  baton)  und  wurde  eine  „Demoi- 
selle  du  bon  ton".  Sie  ist  dann  „surlegandtrottoir",  d.h.  lanciert. 
Der  für  alles  aufkam,  der  erklärte  Aushälter  hieß  „der  Herr". 
Genügte  dieser  der  Demoiselle  du  bon  ton  nicht,  so  hatte  sie  noch 
einen,  den  man  den  Greluchon  nannte:  er  gab  weniger  als  der 
Herr  (er  war  meist  auch  jünger),  hatte  Ermäßigungen  im  Tarif, 
mußte  aber  jedenfalls  zahlen.  Nach  dem  Greluchon  kam  als  drit- 
ter der  „Farfadet" :  er  bekam  alles  umsonst,  wurde  aber  für  nichts 
bezahlt,  denn  der  bezahlte  Zuhälter,  der  vierte  an  der  Leiter  und 
an  der  untersten  Sprosse,  war  der  „Qu'importe".  Um  es  an  einem 
Beispiel  deutlich  zu  machen,  hatte  die  Tänzerin  Deschamps  am 
25.  April  des  Jahres  1754  folgenden  Liebhaberkortege :  in  die 
Ausgaben  des  „Herrn"  teilten  sich  die  Herren  Coulandre  und 


296  Die  Polizeiberichte 


d'Epinay;  der  Greluchon  war  unbesetzt;  Farfadet  warder  Herr 
Marquis  de  Saulgeon,  Oberst  bei  den  Grenadieren,  und  den 
Qu'importe  machte  Deschamps  der  Gatte. 

* 

'Herr  Tessier,  Generalpächter,  mit  seiner  Frau  verzankt,  hält  Frl. 
Sidonie  aus,  die  Herrn  von  Chabanon  zum  Greluchon  hat.  Herr  von 
Senac  hat  auch  mit  ihr  gelebt  und  ist  ihr  Freund  geblieben.  Der 
hat  nichts  eiligeres  zu  tun  gehabt,  als  er  erfuhr,  daß  sie  den  Herrr 
Tessier  habe,  als  es  im  Foyer  der  Oper  zu  erzählen  und  fügte 
noch  hinzu,  daß  man  ihm  erzählt  habe,  Tessier  wolle  die  Dumm- 
heit begehen,  sich  mit  seiner  Frau  auszusöhnen.  Wobei  einer,  der 
dabeistand,  zu  Senac  sagte:  „Aber  man  sagt,  daß  Sie  sich  auch 
mit  Ihrer  Fr?.u  aussöhnen  wollen*',  worauf  Senac  wütend  ant- 
wortet, er  sei  nicht  so  blöde.  Herr  von  Chabanon  wußte,  daß 
Senac  gesagt  hatte,  er  sei  der  Greluchon,  und  sagte  ihm,  er  finde 
es  sehr  komisch,  daß  sich  ein  Hahnrei  wie  er  über  ihn  unterhalte. 
Worauf  Senac  sagte:  „Man  hat  es  mir  erzählt."  Einige  Tage  da- 
rauf sagte  Herr  von  Senac  im  Opernfoyer:  „Ich  will  Ihnen  was 
Neues  erzählen,  meine  Herren,  meine  Frau  ist  eine  Hure.  Und 
wissen  Sie,  wo  sie  auf  den  Strich  geht  ?  Vor  der  petite  maison  des 
Herzogs  von  Chartres."  Sie  hat  in  der  Tat  die  Nacht  vorher  in 
Monceaux  mit  dem  Herzog  und  seiner  Gesellschaft  soupiert. 

Der  Mann  wußte  es,  weil  er  ihr  nachgegangen  war.  Alle  lach- 
ten ihn  aus. 

* 

Herr  von  Matowski  hat  Mme  Montgantier  genommen,  die  Herr 
von  Senac  hatte.  Sie  wollte  es  sich  mit  allen  beiden  einrichten, 
aber  Herr  von  Senac  erklärte,  daß  er  nicht  dazu  da  sei,  von  allen 
Seiten  zum  Hahnrei  gemacht  zu  werden.  Mme  Montgantiei 
hat  em  Absteigequartier  in  dem  Haus  gemietet,  in  dem  sie  wohnt. 
Wenn  ihr  Mann  schläft,  besucht  sie  den  Fremden,  und  tagsüber 
besucht  sie  den  Tänzer  Vestris. 


Die  Polizeiberichte  297 


Man  sagt,  der  Chevalier  de  Bafse  habe  die  Frau  von  Gottville. 
Man  behauptet,  er  habe  bei  ihr,  im  Temple,  die  Nacht  zuge- 
bracht, und  sie  habe  ihn  um  vier  Uhr  morgens  zu  Fuß  und  im 
Regen  weggeschickt,  und  ihm  dabei  gesagt,  sie  könne  ihn  nicht 
länger  bei  sich  behalten,  weil  eine  anständige  Frau  Menagements 
zu  bewahren  habe. 

Der  Gardeoffizier  Tombeuf  lebt  seit  langem  mit  der  Mlle 
Cremille.  Er  ist  sehr  aus  auf  die  Mme  Mars,  besuchte  sie  und 
schenkte  ihr  ein  Kleid  und  eine  goldene  Dose.  Mlle  Cremille 
wußte  das,  wartete  in  einem  Wagen  an  der  Haustür  auf  den  Offi- 
zier und  gab  ihm,  wie  er  herunterkam,  ein  paar  Ohrfeigen.  Er  war 
ganz  weg.  Da  es  um  vier  Uhr  nachmittags  geschah,  gab  es  viel 
Zuschauer.  Sie  stieß  ihn  in  ihren  Wagen  und  fuhr  zu  ihr.  Er  ver- 
sprach, nie  mehr  zur  Mars  zu  gehen,  was  sie  schriftlich  von  ihm 
verlangte.  Die  Erklärung  schickte  sie  der  Mars,  die  darüber  lachte. 

Der  Offizier  stellt  alles  mögliche  an,  um  die  Mars  wiederzusehen. 

# 

Der  Engländer  Turner,  der  mit  Mme  Beaulieu  lebt,  soupierte 
mit  ihr  bei  den  ebenfalls  von  Engländern  ausgehaltenen  Damen 
De  Vasses  und  sagte,  sie  müßten  froh  sein,  daß  die  Engländer 
nach  Paris  kämen,  denn  mit  den  Franzosen  stürben  die  Pariser 
Huren  Hungers.  Mme  Beaulieu  antwortete,  daß  die  Franzosen, 
wenn  sie  auch  schlecht  bezahlten,  zumindest  höflicher  mit  ihren 
Mätressen  wären.  Da  stand  Turner  auf  und  gab  ihr  eine  Ohr- 
feige. Sie  tat  nichts  dergleichen  und  wartete,  bis  sie  mit  ihm  zu 
Hause  war.  Da  nahm  sie  den  Feuerhaken,  behandelte  ihn  als  ein 
Schwein  und  schmiß  ihn  hinaus.  Er  schrieb  ihr  anderen  Tages 
versöhnlich;  aber  sie  erlaubte  ihm  das  Wiederkommen  nur,  wenn 

er  ihr  fünfzig  Louis  gebe.  Die  brachte  er  ihr. 

# 

Der  Marquis  von  Fitz-James  hatte  vorgestern  eine  kleine  Loge 
in  der  Comedie  mit  Mme  Senac.  Man  sagte,  er  affichiere  sich 
solcherart  mit  ihr  offiziell. 


298  Die  Polizeiberichte 


Herr  von  Genlis  war  mit  Mlle  Duthe  im  Vauxhall.  Seine  Frau 
war  auch  dabei;  aber  ihn  genierte  das  nicht.  Er  stellte  sie  ihr  vor, 
und  Mme  von  Genlis  fand  die  Duthe  sehr  hübsch.  Sie  tat  nicht 
so,  als  ob  sie  wüßte,  daß  die  D.  die  Mätresse  ihres  Mannes  ist. 

# 

Alle  unsere  jungen  Herren  fangen  an,  sehr  eifersüchtig  über 
das  Entgegenkommen  zu  werden,  das  unsere  schönsten  Frauen 
dem  Mylord  Beauchamp  bereiten,  dem  Sohn  des  englischen  Ge- 
sandten. Der  junge  Mann  ist  allerdings  groß  und  gut  gewachsen, 
hat  ein  angenehmes  Gesicht  und  zudem  die  ganze  Politesse  eines 
Franzosen,  der  die  beste  Erziehung  genossen  hat.  Da  er  außer- 
dem nur  kurze  Zeit  in  Frankreich  verweilt,  so  ist  das  ein  Grund 
mehr  für  seinen  Erfolg  bei  den  Damen,  die  immer  geneigt  sind, 
in  einer  Art  Vergessens  die  Schwächen  ihres  Herzens  zu  begraben 
und  hier  leicht  andere  Liebschaften  anfangen  können,  ohne  die 
Vorwürfe  und  Indiskretionen  eines  aufgegebenen  Liebhabers  zu 
fürchten.  So  kann  sich  dieser  Engländer  auch  der  Klugheit  un- 
serer Damen  rühmen.  Einige  streiten  sich  um  seine  Eroberung, 
so  auch  Frau  von  Gueaclin  und  Frau  von  Montregard ;  die  letzte, 
welche  ein  Finanzgeist  immer  etwas  über  ihre  Möglichkeiten  hin- 
austreibt, scheint  es  mit  dem  Triumph  über  ihre  Rivalin  sehr 
eilig  zu  haben.  Sie  versteckt  das  nicht  einmal  voi  den  Augen  ihres 
Gatten,  der  immer  voll  blödesten  Vertrauens  nicht  verstehen 
konnte,  warum  man  über  seine  Frau  so  viel  klatscht,  da  er  sie  für 
vollkommen  treu  hält,  was  ihr  sehr  angenehm  ist. 

* 

Der  Baron  von  Talleyrand  ist  heute  der  erklärte,  bevorzugte 
Liebhaber  der  Prinzessin  von  Chimay.  Diese  Dame  mußte  im- 
mer etwas  für  ihr  Herz  haben,  denn  vor  ihrer  Verheiratung  war 
es  der  Graf  von  Egreville  und  vor  vier  Jahren  war  es  der  Graf  de 
la  Marche.  Der  Baron  besucht  sie  um  Mitternacht  über  eine 
Hintertreppe  und  verläßt  sie  gegen  vier  Uhr  morgens. 


Die  Polizeiberichte  299 


Der  Marschall  d'Esteres  beschäftigt  sich  trotz  seiner  Krüppel- 
haftigkeit  aus  dem  letzten  Feldzug  noch  heute  mit  Liebessachen, 
und  die  Marschallin  (wer  hätte  das  geglaubt  ?)  kommt  in  Eifer- 
sucht und  Unruhe;  sie  hat  mir  diese  Woche  einen  Mann  ge- 
schickt, der  mich  auffordert,  den  Marschall  zu  beobachten.  Er 
macht  seine  verliebten  Autwartungen  bei  der  Marquise  von  Saint- 
Chamand,  der  Frau  des  Generalleutnants,  die  bei  Frau  Preville 
ein  Absteigequartier  hat,  das  ihr  ein  Ritter  des  Ludwigordens 

bezahlt. 

* 

Die  Frau  Marquise  von  Saint- Simon  kostet  heute  die 
Frische  der  Jugend  und  es  ist  der  kleine  Herr  von  Mailly,  der 
sie  ihr  verschafft.  Er  ist  sehr  stolz  darauf  und  rühmt  sich  dessen 
vor  aller  Welt.  Er  schlägt  alle  Einladungen  seiner  Freunde  aus 
mit  der  Entschuldigung,  seiner  Dame  verpflichtet  zu  sein. 

# 

Seit  acht  Tagen  ist  die  Tänzerin  Pages,  die  jüngere,  genannt 
Deschamps,  der  galanten  Welt  wiedergegeben.  Vor  fünf  Jahren 
lebte  sie  mit  dem  Marquis  von  Banderolle,  bei  dem  sie  es  recht 
hart  hatte,  da  der  Marquis  wie  von  seinem  Kammerdiener  auch 
von  ihr  Dinge  verlangte,  die  gegen  die  Natur  sind  und  wovor  sie 
einen  großen  Ekel  empfand.  Sie  teilte  das  einer  alten  Gouver- 
nante mit,  die  bei  ihr  war,  und  ein  gottdienliches  Werk  zu  tun 
meinte,  wenn  sie  davon  zu  ihrem  Beichtvater  sprach.  Der  eifrige 
Priester  erzählte  davon  der  Herzogin  von  Nivernais,  die  für  dieses 
gute  Werk  alle  Hilfe  zusagte.  Die  kleine  Deschamps  wurde  heim- 
lich von  all  dem  unterrichtet  und  lief  von  Banderolle  davon  in 
das  Kloster  der  Carmelitinnen  im  Faubourg  Saint- Jacques.  Herr 
von  Banderolle  setzte  Himmel  und  Erde  in  Bewegung,  um  sie 
wiederzufinden  und  wandte  sich  an  deu  Polizeichef  Bertin.  Ich 
wurde  mit  der  Nachforschung  beauftragt  und  erfuhr  so,  wo  sich 
das  Mädchen  aufhielt.  Ich  verständigte  Herrn  Bertin,  der  den 
Standpunkt  der  Herzogin  teilte  und  Herrn  von  Banderolle  wissen 


3<do  Die  Polizeiherichte 


ließ,  daß  dieDeschamp  den  Schleier  nehme.  Aber  da  die  Herzogin 
des  Herrn  von  Banderolle  nicht  sicher  war,  schickte  sie  das  Mäd- 
chen in  ein  anderes  Kloster,  zwölf  Meilen  weg  von  Paris,  und 
zwölf  Monate  später  nach  Ligny  bei  Bar-le-Duc.  Da  blieb  sie 
vier  Jahre.  Ein  gewisser  Le  Page,  früher  Offizier  im  Regiment 
Conflans,  hatte  da  Zutritt  in  das  Kloster.  Die  Demoiselle  Des- 
champs  gefiel  ihm,  er  verlangte  sie  zur  Frau  und  man  schrieb 
an  die  Herzogin.  Die  war  einverstanden  mit  der  Hochzeit  und 
gab  8000  Franks  Mitgift  und  eine  Ausstattung.  Aber  die  Heirat 
kam  doch  nicht  zustande.  Die  Deschamps,  die  sich  im  Kloster 
langweilte,  schrieb  an  die  Herzogin,  daß  sie  inständig  bitte  nach 
Paris  zurückgebracht  und  da  beschäftigt  zu  werden.  Die  Herzogin 
gab  nach,  ließ  sie  nach  Paris  kommen  und  schlug  ihi  drei  Dinge 
vor :  entweder  immer  in  einem  Kloster  zu  bleiben,  oder  sich  an- 
ständig mit  einer  Arbeit  das  Leben  zu  verdienen,  oder  sie  ihrem 
unglücklichen  Schicksal  zu  überlassen.  Sie  entschied  sich  füi  eine 
Arbeit,  aber  das  war  nur  ein  Vorwand,  wie  man  bald  sah.  Die 
Herzogin  brachte  sie  in  ein  Spitzengeschäft  und  zahlte  für  sie 
eine  gute  Pension.  Aber  die  Deschamps  hatte  nach  einem  Monat 
genug  davon  und  lief  im  Nachthemd  fort  ohne  ein  Wort.  Sie 
logierte  sich  als  Mlle  Renaud  in  der  Rue  Saint-Sauveur  ein,  blieb 
da,  ohne  was  zu  essen  zu  haben,  ein  paar  Tage.  Am  fünften  Tag 
sah  sie  vom  Fenster  aus  den  Fechtmeister  Donadieu  vorbeigehn, 
der  sie  erkannte.  Er  stieg  zu  ihr  hinauf.  Sie  erzählte  ihm  ihre 
Abenteuer  und  ihre  gegenwärtige  Situation  Er  sagte  ihr,  daß  er 
sofort  den  Generalpächter  Brissard  verständigen  wolle,  der  mit 
seiner  Schwester  ungeheure  Gelder  verbraucht  habe  und  der 
sicher  helfen  würde.  Das  geschah  auch.  Herr  Brissard  schickte 
zwölf  Louis  und  eine  Schneiderin  mit  allem  Nötigen  an  Kleidern, 
Strümpfen,  Schuhen  und  Wäsche.  Er  tat  das  ohne  besondere  Ab- 
sichten. Die  Deschamps  hatte  ihrerseits  an  Herrn  von  Normand, 
den  sie  vor  Banderolle  gekannt  hatte,  geschrieben,  der  aber  hatte 
nicht  darauf  geantwortet  und  sich  zu  seinen  Freunden  über  den 


Die  Polizeibericbte  301 


Brief  lustig  gemacht.  Inzwischen  hat  sich  die  Deschamps  mit 
Herrn  Brissards  Geld  in  der  Rue  Traversiere  eingemietet,  und 
zeigt  sich  täglich  in  der  italienischen  Komödie.  Sie  hofft  nach 
Pfingsten  wieder  ins  Opernballett  einzutreten,  wo  sie  früher 
Figurantin  war,  und  sie  zählt  bestimmt  auf  ihre  Reize,  um  in  der 
galanten  Welt  ebensoviel  Aufsehen  zu  machen  wie  ihre  verstor- 
bene ältere  Schwester. 

# 

Der  Graf  Liechtenstein,  ein  Deutscher,  hat  sich  endlich  ent- 
schlossen, für  die  Zeit  seines  Pariser  Aufenthaltes  die  Demoiselle 
Letoile  auszuhalten,  die  ihm  Brissault  einmal  als  Passade  ver- 
schafft hat.  Er  gibt  ihr  30  Louis  im  Monat,  außer  der  Wäsche 
und  dem  Tafelsilber.  Trotzdem  behält  die  Letoile  den  Herrn 
Gastine  als  Greluchon. 

# 

Herr  von  Crafford,  ein  Engländer,  hat  gänzlich  mit  der  Demoi- 
selle Desforges,  Tänzerin  bei  der  italienischen  Oper,  gebrochen. 
Er  hat  für  sie  in  zwei  Monaten  mehr  als  500  Louis  ausgegeben. 
Der  Bruch  kam,  da  der  Engländer  entdeckte,  daß  sie  immer  noch 
mit  dem  kleinen  Grenier,  Tänzer  am  selben  Theater  und  früher 
ihr  Farfadet,  verkehrte,  wo  sie  ihm  versprochen  hatte,  das  wäh- 
rend der  acht  Monate  seines  Aufenthaltes  in  Paris  nicht  zu  tun. 
Für  dieses  Opfer  versprach  ihr  der  Engländer  ferner  12000  Livres 
bei  seiner  Abreise,  damit  sie,  Zuneigung  dann  noch  vorausgesetzt, 
den  Grenier  heiraten  könne.  Die  Demoiselle  war  von  dieser  Zu- 
kunft sehr  entzückt  und  schwor  Treue.  Aber  heimlich  trat  sie 
doch  den  Grenier.  Der  Engländer  dachte  sich  aber  so  was  und 
ließ  sie  beobachten.  Er  überraschte  sie  mit  dem  Tänzer  bei  einer 
Schneiderin  und  es  ließ  ihm  die  Situation  keinen  Zweifel.  Ohuö 
Aufregung  sagte  ihr  Herr  von  Crafford :  „Ich  schätze  Sie  nicht 
genug,  um  über  Ihr  Betragen  empört  zu  sein.  Ich  bedaure  auch 
meine  Geschenke. an  Sie  nicht;  ein  Mann  wie  ich  ist  dazu  da, 
ein  Geschöpi  wie  Sie  zu  bezahlen;  hier  sind  noch  25  Louis,  da- 


302  Die  Polizeiberickte 


mit  Sie  Zeit  finden,  einen  andern  aufzutreiben,  den  Sie  viel- 
leicht besser  mit  dem  Schwein  da  betrügen  können.  Leben  Sie 
wohl."  Und  damit  ging  er.  Wenige  Franzosen  wird  man  finden 
mit  einem  solchen  Phlegma,  und  ich  habe  mir  sagen  lassen,  daß 
die  Desforges  von  der  Mäßigkeit  dieses  Engländers  viel  verblüff- 
ter war,  als  sie  gewesen  wäre,  wenn  er  ihr  zwanzig  Ohrfeigen 
gegeben  hätte.    Sie  tat,   was  sie  konnte,   ihn  zurückzuhalten, 

aber  er  ging. 

# 

Die  Summen,  die  der  Graf  Liechtenstein  auf  die  Demoiselle 
Letoile  wendet,  geben  ihr  ein  erstaunliches  Relief.  Alle  Welt  will 
es  betasten.  Die  Herren  von  Rochechouart,  von  Rochefort,  der 
Stelzfuß  Marquis  von  Bonnac,  der  Präsident  von  Salibery,  Herr 
von  Morfontaine,  der  Graf  von  Usson,  alle  haben  ihr  seit  acht 
Tagen  die  kostbarsten  Geschenke  gemacht,  die  sie  mit  einem 
herablassenden  Air  annimmt  und  an  ihren  Gastine  weitergibt. 

# 

Die  Demoiselle  Favier,  früher  Figurantin  bei  der  Oper,  hat 
zurzeit  drei  Liebhaber,  die  sie  ganz  gut  bezahlen.  Der  Herr  Du- 
rand war  Geschäftsführer  beimverstorbenenErzbischofvonCam- 
brai,  der  Herr  Toquiny  ist  sogenannter  Bankier;  der  erste  gibt 
ihr  15,  der  andere  20  Louis  im  Monat.  Der  dritte  ist  ein  Herr  von 
Sully  von  den  Musketieren,  der  ihr  gut  10  Louis  gibt,  die  Ge- 
schenke aller  drei  nicht  gerechnet.  Aber  was  das  Merkwürdige 
ist:  die  drei  sind  im  vollen  Einverständnis;  jeden  Tag  treffen  sie 
sich  im  Theater  und  machen  aus,  wer  von  ihnen  die  Nacht  bei 
der  Favier  verbringt.  Die  Demoiselle  weiß  nichts  davon,  und 
die  drei  unterhalten  sich  sehr  viel  über  die  Mühe,  die  sie  sich 
gibt,  um  sie  zu  täuschen. 


ORIGINAL-BRIEFE  DER  FRAU  GRÄFIN  DU 

BARRY 

I.  Brief 
AN  HERRN  BILLARD  DU  MONCEAU1 

Aus  dem  Kloster  St.  Aure,  den  10.  Brachmon.  1758. 

Mein  Herr  und  vielgeliebter  Pathe ! 

Ich  schreibe  Ihnen  diese  Zeilen,  um  die  Ehre  zu  haben,  mich 
nach  Ihrer  Gesundheit  zu  erkundigen,  und  Ihnen  zu  gleicher 
Zeit  zu  sagen,  daß  alles,  was  man  Ihnen  von  mir  hinterbrachte, 
mit  Ihrer  gütigen  Erlaubniß,  Ohnwahrheit  ist.  Die  Frau  Su- 
periorin  sagte  Ihnen,  daß  ich  garstige  Bücher  lese,  und  sie  noch 
denen  übrigen  Kostgängerinnen  zu  lesen  gebe.  Es  ist  gerade  das 
Gegentheil.  Mademoisell  Reville  hatte  dergleichen  Bücher  von 
ihrem  Vetter,  die  sie  uns  zeigte;  ich  wollte  sie  nicht  lesen,  und 
sagte,  daß  es  nicht  hübsch  Hesse.  Indessen  las  ich  sie  doch,  weil 
alle  meine  Gespielinnen  sie  gelesen  hatten  und  in  mich  setzten, 
ein  gleiches  zu  thun.  Das  ist  das  einzige  Böse,  das  ich  gethan 
habe,  mein  lieber  Pathe.  In  Ansehung  der  Figur  aus  der  Therese 
Philosophe,  die  zerrissen  worden  ist,  so  kann  ich  Sie  versichern, 
daß  ich  es  nicht  gethan  habe :  weiß  aber  auch  nicht,  welche  von 
meinen  Gespielinnen  es  seyn  möchte.  Ich  wünsche,  daß  Ihnen 
der  Höchste  langes  Leben  in  aller  Wohlfahrt  schenke,  und  daß 
Sie  mich  besuchen.  Ich  sehe  Sie  für  meinen  1.  Vater  an,  und 
liebe  Sie  auch  eben  so  sehr. 

Ich  bin  mit  aller  möglichen  Hochachtung 

Mein  Herr  und  vielgeliebter  Pathe 
Ihre  etc. 
Marianeben  Vaubernier. 

1  Madam  Du  Barry  ist  eine  Tochter  des  Herrn  Gomart  von  Vaubernier,  Steuer- 
amts-Bedienter  zu  Vaucouleurs,  wo  sie  im  J.  1744  gebohren  wurde.  Herr  Billard 


304  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

IL  Brief 
VON  ABE  VON  BONNAC1 

Vitri,  den  5.  April  1759. 

So  bist  du  jetzt  in  Paris,  meine  kleine  Göttin,  und  man  sagt 
mir,  daß  du  diesen  Abend  von  da  wieder  zurükkommen  werdest; 
aber  da  es  mir  lieb  wäre,  dich  diesen  Abend  allein  zu  sehen,  ohne 
daß  Herr  Marcieu  unsere  Zusammenkunft,  wie  bisdahin,  stören 
könnte,  so  schike  ich  dir  meinen  Kammerdiener,  um  dich  zu  be- 
reden, deine  Abreise  auf  morgen  zu  verschieben.  Diesen  Abend 
werde  ich  in  Paris  seyn,  und  sobald  ich  angekommen  bin,  wird 
dich  Dümont  abholen.  Ich  freue  mich,  dich  ohngestörtzu  sehen. 
Äussert  dem  Vergnügen,  um  dich  zu  seyn,  habe  ich  dir  tausend 
Dinge  zu  erzehlen,  die  dir,  wie  ich  denke,  nicht  mißfallen  wer- 
den. Es  hängt  nur  von  dir  ab,  eine  glükliche  Bestimmung  zu  ha- 
ben. Ich  möchte  nichts  von  dir  haben,  als  weniger  Leichtsinn, 
und  die  für  meinen  Stand  erforderliche  Vorsichtigkeit ;  ich  würde 
dich  dafür  schadlos  zu  halten  wissen.  Auf  Wiedersehn  mein 
kleines  Marianchen :  ich  folge  meinem  Briefgen  von  ferne  nach, 
dann  ich  liebe  dich  zum  Tollwerden.  Abe  von  Bonnac. 

du  Monceau,  der  zu  selbiger  Zeit  durchreißte,  und  Proviantmeister  war,  logirte 
bey  dem  Direktor  des  Steueramts.  Er  ward  nebst  der  Frau  seines  Gastwirths  er- 
sucht, das  Kind  des  Herrn  Gomart  von  Vaubernier  über  der  Taufe  zu  halten,  und 
er  nahm  es  an.  Madam  Du  Bari/  empfieng  die  Namen  Maria  Johanna.  Nach  dem 
Tod  des  Herrn  Gomart  gieng  seine  Frau,  die  ohne  Unterhalt  war,  mit  ihrer  Toch- 
ter nach  Paris,  in  der  Absicht,  in  irgend  einem  Haus  als  Köchin  oder  Haushälterin 
unterzukommen.  Ihr  erster  Schritt,  den  sie  that,  war,  daß  sie  zu  Herrn  Du  Mon- 
ceau gieng,  bey  dem  sie  seine  Pathin  aufführte.  Der  Pathe  gab  nun  der  Mutter 
Geld,  und  versorgte  sein  Pathenkind  in  dem  Kloster  St.  Aure,  das  unter  der  Di- 
rektion des  Abe  Grisel,  Beichtvater  des  Herrn  Billard,  Postkaßier,  Neffe  des  Herrn 
Du  Monceau,  war.  Es  schien,  daß  sich  das  Mädchen  daselbst  nicht  beym  besten 
aufführte,  weil  ihrem  Pathen  zum  öftern  Klagen  über  ihr  Betragen  einkamen. 
1  Mademoisell  Du  Barry  wohnte  nicht  mehr  in  dem  Kloster  St.  Aure.  Ihre 
Mutter  war  seitdem  Köchin  auf  einem  Landguth  zu  Vitri  geworden,  und  hatte 
ihre  Tochter  bey  sich.  Herr  Du  Monceau  that  ihnen  noch  immer  Gutes.  Er  gab 
monatlich  einen  Neuen  Louisd'or. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  305 

III.  Brief 

AN  ABE  VON  BONNAC 

Paris,  den  14.  April  1759. 

Mein  Herr  Abe ! 
Sie  machten  mir  wohl  viele  Versprechungen,  als  Sie  mich  zu 
lieben  anfiengen.  Ich  war  Ihr  kleiner  Engel,  Ihr  kleiner  Schatz, 
und  Sie  sagten  mir,  daß  ich  nur  verlangen  könnte.  Ich  forderte 
Ihnen  eine  Robe  von  Taffet;  Sie  sagten  mir  immer,  wenn  Sie 
hieher  kämen,  würden  Sie  mir  selbige  geben,  und  nun  haben  Sie 
schon  drey  Reisen  hieher  gethan,  ohne  an  mich  zu  gedenken. 
Das  ist  nicht  brav,  mein  Herr !  Sie  haben  mich  angeführt.  Wenn 
ich  den  Werth  von  demjenigen  gekannt  hätte,  so  ich  Ihnen  hin- 
gab, ich  hätte  mich  nicht  so  leicht  verleiten  lassen.  Sie  wissen, 
daß  ich  Ihnen  den  Vorzug  vor  Herrn  Marcieu1  gab,  und  dieser, 
glaube  ich,  wäre  ehrlicher  als  Sie  gewesen.  Wenn  Sie  mir  auf  den 
Sonntag  meine  Robe  nicht  geben,  so  werde  ich  Madam  sagen, 
was  Sie  mir  gethan  haben,  und  so  lange  weinen,  bis  sie  mir  ver- 
zeiht und  Sie  auszankt.  Leben  Sie  wohl,  Herr  Abe,  ich  bin 

Ihre  gehorsame  Dienerin 
Marianeben  Vaubernier. 

IV.  Brief 

AN  IHRE  MUTTER 

Liebe  Mutter! 

Ich  bin  sehr  gut  in  dem  Haus,  wo  Sie  mich  hingethan  haben. 
Herr  und  Frau  Labille  erweisen  mir  viele  Freundschaft.  Es  kom- 

1  Herr  von  Marcieu  war  ein  Obrist,  der  nebst  dem  Abe  von  Bonak  in  das  Haus, 
in  welchem  Mademoiselle  Vaubernier  war,  gieng,  und  ihr  auch  den  Hof  zu  ma- 
chen schien. 


306  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

men  den  ganzen  Tag  so  viele  vornehme  Leute,  daß  ich  der  schö- 
nen Sachen,  die  ich  sehe,  nicht  satt  werden  kann.  Alles  was  mir 
zusetzt,  ist,  daß  ich  nicht  so  geputzt,  wie  meine  Gespielinnen 
seyn  kann.  Sie  sagten  mir,  daß  dieses  ein  sehr  guter  Gewerb 
wäre,  auch  will  ich  mich  waker  angreifen,  um  Geld  wie  sie  zu 
verdienen. 

Gestern  kam  eine  grosse  Dame1  in  die  Bude,  um  etwas  zu 
kaufen;  ich  glaube,  daß  ich  ihr  gefiel,  denn  sie  intereßirte  sich 
für  mich.  Sie  gab  mir  ihre  Addresse,  und  sagte  zu  mir,  zu  ihr  zu 
kommen  wenn  ich  könnte.  Sie  ist  mir  sicher  gut,  und  gleich  mor- 
gen werde  ich  trachten,  zu  ihr  hin  zu  gehen.  Es  hat  Sie  etwas 
gekostet,  mich  hier  unterzubringen ;  aber  es  soll  nichts  verlohren 
seyn.  Ich  bin  versichert,  wir  werden  nicht  immer  arm  seyn;  und 
wenn  ich  reich  werden  kann,  so  sollen  Sie's  auch  seyn.  Leben 
Sie  wohl,  liebe  Mutter.  Ich  bin 

Ihre  Tochter 
M.  Lancon.2 

V.  Brief 
AN  HERRN  ABE  VON  GONZIER3 

Herr  Abe ! 

Gestern  sagte  ich  Ihnen  meinen  Namen  und  Zuschrift,  ob- 
schon  mir's  von  Madam  Gourdan  verbotten  war.  Sie  wollte  mir 
auch  nicht  sagen,  wer  Sie  seyen;  allein  ich  habe  es  durch  einen 
Zufall  erfahren,  denn  Sie  Hessen  einen  Brief  fallen,  den  ich  auf- 
hob und  in  die  Tasche  stekte.  Ich  schike  ihn  durch  diese  Ge- 
legenheit wieder  zurük,  um  Sie  meiner  Hochachtung  zu  ver- 
sichern, und  Sie  zu  bitten,  Ihre  Gewogenheit  gegen  mich  fort- 

1  Madam  Gourdan,  eine  berüchtigte  Kupplerin  zu  Paris. 

2  Bey  dem  Eintritt  in  das  Haus  des  Herrn  Labille,  Modehändler,  nahm  Ma- 
dam Du  Barry  den  Namen,  Mademoiselle  Lancon  an. 

3  Jetziger  Bischof  von  Arras. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  307 

zusetzen.  Du  hast  mir  versprochen,  mich  zu  unterhalten  und 
mir  Gutes  zu  thun.  Ich  gehe  auf  dein  Wort.  Ich  soll  dir  sagen, 
daß  du  mir  gestern  recht  wehe  thatst;  ich  konnte  heute  nicht 
gehen;  ich  glaube  jedoch  nicht,  daß  mich  dieses  abhalten  werde, 
dich  auf  den  Donnerstag  bey  M.  Gourdan  zu  sehen.  Ich  werde 
meiner  Frau  sagen,  daß  ich  zu  meiner  Mutter  gehe.  Du  hast 
mir  eine  Uhr  versprochen,  du  wirst  sie  mir  mitbringen.  Ist's 
nicht  so  ?  Adieu  mein  schöner  Abe,  ich  liebe  Sie  so  sehr,  als  Sie 
liebenswürdig  sind,  und  das  ist  viel. 

Lancon,  bey  H.  Labille 
Modenhändler,  Strasse  St.  Honore. 


VI.  Brief 
AN  HERRN  BILLARD  DU  MONCEAU,  IHREN  PATH 

Paris,  den  30.  Christm.  1760. 

Mein  Herr  u.  vielgeliebter  Pathe! 

Seitdem  wir  einander  bey  Madam  Gourdan1  antrafen,  und 
Sie  so  böse  auf  mich  waren,  mich  daselbst  zu  sehen,  war  ich 
immer  im  Kummer,  weil  ich  sähe,  daß  ich  Ihre  Freundschaft 
verlohren  hatte ;  allein  ich  kann  Sie  versichern,  daß  ich  seitdem 
nimmer  hingegangen  bin.  Ich  bin  immer  bey  Herrn  Labille,  wo 
man  sehr  wohl  mit  mir  zufrieden  ist.  Erlauben  Sie,  daß  ich  Ihnen 

1  Es  war  bey  Madam  Gourdan  ein  wunderbarer  Auftritt  zwischen  dem  Pathe 
und  der  Tauftochter  Er  machte  öfters  bey  der  Frau  Kupplerin  mit,  und  diese 
versprach  ihm  eines  Tages  ein  frisches  und  hübsches  Mädchen.  Er  versäumte  die 
verabredete  Stunde  nicht,  fand  aber  seine  Tauftochter.  Voller  Scham,  sich  an 
einem  solchen  Ort  vor  diesem  Mädchen  zu  sehen,  schalt  er  sie  aus,  und  gab  ihr 
derbe  Verweise.  „Aber  mein  Pathe,  (sagt  ihm  gescheidter  Weise  die  Kleine,)  ist 
es  etwas  schlimmes,  sich  an  einem  Ort  zu  befinden,  wo  Sie  auch  sind?"  Der  über 
diese  Antwort  in  die  Wuth  geratene  Pathe  kann  sich  nicht  enthalten,  und  giebt 
ihr  Stockschläge.  Madam  Gourdan  kömmt  darzu,  und  setzt  sie  aus  einander.  Man 
muß  Madam  Du  Barry  Gerechtigkeit  wiederfahren  lassen,  daß  sie  seit  diesem  Zu- 
fall nimmer  zu  der  Kupplerin  hingieng. 


308  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  DU  Barry 

zum  Neuen  Jahr  alles  das,  was  zu  Ihrer  Glükseligkeit  beytragen 
kann,  anwünsche.  Auch  bitte  ich  Sie,  mir  Ihre  Freundschaft, 
die  mir  so  lieb  ist,  wieder  zu  schenken.  Ich  darf  nicht  selbst 
zu  Ihnen  hinkommen,  aus  Forcht,  Sie  möchten  es  übel  nehmen, 
dahero  Ihnen  meine  Mutter  diesen  Brief  überbringen  wird.  Ich 
wünsche  Ihnen,  mein  Herr  und  werthester  Pathe,  ein  gutes 
und  glükliches  Jahr,  nebst  vielen  folgenden,  und  bitte  den  Höch- 
sten, daß  er  Sie  gesund  erhalten  wolle.  Ich  bin  mit  der  tiefsten 

Ehrfurcht 

Ihre  etc. 

M.  Vaubernier. 

VII.  Brief 
VON  HR.  DÜVAL,  BEDIENTER  AM  SEEWESEN 

den  6.  Hornung,  1761.1 

Warum  wolltest  du  dann  nicht,  meine  liebe  Lancon,  daß  ich 
mit  dir  zur  höchsten  Stuffe  der  Glükseligkeit  gelangen  sollte  ? 
Du  sagtest  mir,  daß  du  mich  liebtest,  ich  sagte  dir  das  gleiche; 
wir  sind  btyde  frey.  Die  Stunde,  der  Ort  alles  war  uns  günstig, 
und  wir  genoßen  nur  den  Schatten  des  Vergnügens  statt  des 
Wesentlichen.  Du  wärest  nicht  so  ekel  mit  dem  niderträchtigen 

1  Der  Zufall,  der  Herr  Düval  mit  Mad.  Du  Barry  bekannt  gemacht  hat,  ist 
sehr  sonderbar.  Dieser  junge  Mensch,  von  hübscher  Gestalt,  und  hinlänglichem 
Vermögen  sich  kostbar  sehen  zu  lassen,  wohnte  in  dem  Haus  des  Hrn.  Labüle.  Er 
gefiel  der  kleinen  Lancon;  und  sie  gieng  ihm  entgegen.  Sehen  sie  wie  sie  sich  dazu 
anschikte.  Die  Modenhändlerin  konnte  malen,  und  gab  zum  Zeitvertreib  ihren 
Ladenmädchen  Unterricht  im  Zeichnen.  Mademoiselle  Lancon,  als  sie  etwelchen 
Begrif  davon  hatte,  amüsirte  sich  das  Bildnis  des  Hrn.  Düval  mit  Bleystift  auf  einen 
Bogen  Papier  zu  zeichnen,  und  heftete  es  hernach  an  seine  Thür.  Dem  jungen 
Menschen  fiel  beym  Hereingehen  gleich  auf,  er  müßte  einer  von  den  Demoiselles, 
des  Hrn.  Labille  in  die  Augen  gestochen  haben.  Das  küzelt  seine  Eigenliebe.  Er 
glaubt,  daß  man  in  ihn  verhebt  seye,  weiß  aber  nicht  wer;  —  was  Hegt  daran.  Er 
thut  das  Portrait  wieder  wo  er's  genommen  hat  und  schreibt  darunter:  Ich  möchte 
gern  den  Verfasser  des  Portraits  kennen.  Abends  fand  er  sein  Portrait,  mit  dem- 
jenigen eines  Mädchens  bedekt,  worunter  die  Worte  stunden:  Ich  bins.  Nun  ist 
er  von  seinem  guten  Geschike  ganz  bezaubert.  Gleich  den  folgenden  Morgen  geht 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  309 

Bonnac,  von  dem  du  mir  sagtest,  und  doch  waren  die  Umstände 
weit  delikater.  Du  hast  mir  versprochen,  die  Ursache  deiner 
Weigerung  zu  sagen.  Ich  erwarte  es,  und  gestehe  dir,  daß  ich  sie 
nicht  begreif fen  kan.  Diese  Nacht  habe  ich  nichts  geschlafen; 
du  warst  mir  immer  vor  Augen.  Ich  wälzte  mich  an  den  Rand 
meines  Beths,  ich  wähnte  dich  in  der  Mitte,  glaubte  mit  dir  zu 
reden,  dich  zu  fühlen,  dich  zu  umarmen;  aber  alle  das,  meine 
liebste  Freundin  gewährte  mir  nichts.  Uebergieb  meinem  Be- 
dienten deine  Antwort,  und  erkläre  dich.  Ich  erwarte  es  mit  der 
grösten  Ungedult,  glaub'  es  dem  zärtlichsten  Liebhaber 

Düval. 

VIII.  Brief 

AN  HERRN  DÜVAL 

Ja  mein  lieber  Freund,  ich  habe  es  dir  gesagt,  und  wiederhole 
es:  ich  liebe  dich  von  Herzen.  Du  sagtest  mir  zwar  das  gleiche; 
aber  deiner  Seits  ist's  nur  Muthwillen:  gleich  nach  dem  Genuß 
würdest  du  nicht  mehr  an  mich  denken.  Ich  fange  an  die  Men- 
schen zu  kennen.  Ich  will  dir  sagen  wie  ich  denke,  horche: 

Ich  will  kein  Ladenmädchen  mehr,  sondern  meiner  selbst  ein 
wenig  Meister  seyn,  und  möchte  dahero  jemand  finden,  der 

er  in  die  Bude  der  Modenhändlerin,  und  besieht  die  Mädchen  alle.  Die  kleine 
Lancon  lächelt.  Er  fängt  auf  der  Stelle  an  für  sie  zu  schmachten;  denkt  nur  an 
sie  und  schreibt  Abends  an  seine  Thüre :  Wenn  wäre  es  meinem  Maler  gelegen  mich 
bey  Nahem  auszumachen  ?  Mademoiselle  Lancon  liest  es  beym  Schlaffengehen  und 
antwortet:  Sonntag  Morgens  um  9  Uhr  wird  Ihr  Maler  bey  Ihnen  frühstüken 
lassen  Sie  Ihre  Thür  halb  offen.  Düval  läßt  auf  die  bestimmte  Stunde  ein  gutes 
Frühstük  zurüsten;  schikt  seinen  Bedienten  weg;  läßt  die  Thüre  halb  offen;  die 
Heine  Lancon  geht  hinein.  Er  schließt  die  Thüre  zu.  Der  junge  Mensch  nimt'sich 
Freyheiten  mit  seiner  Geliebten  aus,  denen  sie  sich  nicht  entzieht.  Er  will  weiter 
vorschreiten,  allein  sie  widersezt  sich.  Er  fragt  nach  der  Ursache;  sie  giebt  ihm 
schlechterdings  zur  Antwort,  daß  er  sie  nachwärts  erfahren  würde.  Indessen  ver- 
schalt ihm  die  junge  Lancon  alle  Freuden,  die  der  junge  Mensch  nur  hoffen  kont, 
bis  auf  jenen  schlüpfrichten  Punkt,  den  die  kleine  Grausame  nicht  zulassen  will,' 
bey  so  bewannten  Um  ständen  schreibt  er  an  sie  um  ihre  Gesinnung  zu  vernehmen. 


310  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

mich  unterhielte.  Wenn  ich  dich  nicht  Hebte,  so  würde  ich  dir 
Geld  heraus  zu  locken  trachten;  ich  würde  dir  sagen,  du  solltest 
den  Anfang  machen  mir  ein  Zimmer  zu  miethen  und  es  zu  meu- 
bliren;  allein  da  du  mir  sagtest,  daß  du  nicht  reich  wärest,  so 
kannst  du  mich  zu  dir  nehmen.  Es  wird  dich  nicht  mehr  Haus- 
zins, nicht  mehr  für  deinen  Tisch  und  das  übrige  deiner  Wirt- 
schaft kosten.  Mein  Unterhalt  und  mein  Kopfputz  sind  der  ein- 
zige Aufwand,  und  für  dieses  gieb  mir  monatlich  hundert  Livres, 
und  mit  dem  soll  alles  gethan  seyn.  Durch  dieses  Mittel  können 
wir  beyde  zusammen  glücklich  leben,  und  du  wirst  dich  nicht 
mehr  über  Weigerung  beklagen.  Wenn  du  mich  liebst,  so  nimm 
diesen  Vorschlag  an ;  wenn  du  mich  aber  nicht  liebst,  so  laß  uns 
jedes  sein  Glük  anderswo  suchen.  Guten  Tag;  ich  umarme  dich 
herzlich. 

Den  6.  Hornung  1761. 

Lancon. 


IX.  Brief 
VON  HERRN  DÜVAI 

Den  15.  April  1761. 

Du  hast  dich,  meine  Kleine,  über  die  Abänderung  meiner 
Behausung  nicht  wenig  wundern  müssen,  als  du  sie  vernahmst. 
Die  Hartnäkigkeit,  mit  der  du  dich  weigertest,  mein  Glük  voll- 
kommen zu  machen,  hat  mich  dahin  verleitet,  dir  ein  Frauen- 
zimmer vorzuziehen,  das  ich  dir,  wenn  du  ein  bisgen  gefälliger 
gewesen  wärest,  aufgeopfert  hätte.  Wisse  nun,  daß  ich  den  Sieg 
über  eine  Person  erhalten  habe,  deren  Herkunft  meinen  Stolz 
nicht  wenig  küzelt,  und  daß  ich  nach  unserer  getroffenen  Ein- 
richtung, ein  Zimmer  in  ihrem  Haus  nehmen  werde.  Sey  ver- 
sichert, mein  Schäzgen,  daß  wenn  jene  Augenblike,  die  ich  bey 
dir  zubrachte,  nicht  hinreichend  genug  gewesen  sind,  dir  meine 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 311 

Liebe  zu  schenken,  so  sind  sie  doch  wenigstens  angenehm  genug 

gewesen,  um  auf  die  Freundschaft  zu  zählen,  die  dir  Zeit  Lebens 

widmet 

Düval. 

X.  Brief 
AN  HERRN  DÜVAL 

Den  16.  April  1761. 

Du  berichtest  mich,  daß  du  mich  um  einer  vornehmen  Person, 
um  einer  grossen  Dame  willen,  mit  der  du  leben  willst,  verlassest. 
Es  dünkt  mich,  deine  Eitelkeit  thue  sich  was  zu  gut,  mir  diese 
Neuigkeit  wissen  zu  lassen.  Ich  weiß  nicht,  ob  es  der  Hang  deines 
Herzens  ist ;  aber  ich  zweifle  daran.  Ich  weiß,  daß  die  Liebe  kei- 
nen solchen  Unterscheid  kennt;  daß  sie  alle  Frauenzimmer  in 
zwo  Klassen  eintheilt,  die  schönen  und  die  garstigen.  Ich  weiß 
auch,  daß  ein  junges  Mädchen  von  sechszehn  Jahren  immer 
mehr  werth  war,  und  immer  mehr  werth  seyn  wird,  als  eine  dike 
Vettel  von  vierzig  Jahren,  wenn  sie  auch  aus  Bourbonischem  Ge- 
blüt abstammte.  Ueberlege  es,  ich  gebe  dir  vier  und  zwanzig 
Stund  Bedenkzeit,  und  sey  versichert,  daß  du  nicht  zweymal  das 
gleiche  Ding  finden  wirst.  Glaube  ja  nicht,  daß  ich  etwann  ver- 
legen seye.  Ich  habe  einen  andern  Liebhaber,  der  dich  an  An- 
sehn übertrift,  und  jünger  und  frischer  ist,  als  du;  er  ist  so  schön 
als  Adonis.  Pfui!  wirst  du  sagen,  wenn  ich  dir  anzeige,  daß  es 
mein  Perükenmacher  ist.  Aber  grosse  Seelen,  die  sich  rühmen, 
daß  sie  zu  leben  wissen,  geben  öfters  ihren  Lakayen,  vor  ihren 
Ehegatten  den  Vorzug.  Frage  deine  Geliebte ;  würdest  du  wohl, 
hätte  sie  auf  Rang  gesehen,  in  ihrem  Bette  seyn  ?  Dieser  will  mich 
heurathen;  allein  ich  mag  nicht,  denn  ich  könnte  in  Versuchung 
gerathen,  ihn  den  folgenden  Morgen  zum  Hanrey  zu  machen. 
Nun  ist  er's  auch  zufrieden  mir  alles  anzuschaffen,  alles,  was  er 
aufbringt,  mit  mir  durchzubringen,  und  wir  werden  noch  etwas 


312  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

weiter  hinaus  sehen.  So  lange  wir  uns  lieben,  wird  die  Sache  gut 
gehen.  Leb  wohl,  und  überlege  es;  ich  habe  jezt  etwelche 
Schwachheit  gegen  dir;  sie  dürfte  bald  vorüber  seyn,  und  ver- 
gebens würdest  du  sie  alsdann,  wenn  du  deines  vornehmen  Frauen- 
zimmers müde  sein  wirst,  wieder  haben  wollen.  Der  Perüken- 
macher  wird  dich  ausgestochen  haben,  du  wirst  rasen,  und  ich 
werde  dich  auslachen.  Ich  bin  deine  Dienerin 

Lancon. 


XI.  Brief 
AN  LAMET,  DER  SICH  IN  LONDON  AUFHÄLT1 

Paris,  den  30.  Augstm.  1761. 

Nun  sind  wir  weit  von  einander  entfernt,  mein  armer  Freund, 
und  beyde  in  einer  drekigten  Lage!  Du  hast  dich  mit  mir  zu 
Grunde  gerichtet,  ich  weiß  es.  Du  weist  aber  auch,  daß,  als  wir 
noch  vollauf  hatten,  ich  es  ausschlug,  mich  von  Herrn  Monoye,2 
der  willens  war,  seine  dike  Madam  Laurens  um  meinetwillen 
aufzugeben,  unterhalten  zu  lassen.  Ich  liebte  dich  recht  sehr 
und  glaubte,  daß  unserer  Glükseligkeit  kein  Ende  wäre;  aber 
wenn  wir  uns  noch  so  härmten,  so  wäre  es  doch  wie  es  ist;  laßt 
uns  also  Mut  fassen.  Trachte  in  London  brav  Geld  zu  verdienen 
und  ich  will  sehen,  wie  ich  hier  einen  alten  Narren,  der  mich 
unterhalten  möchte,  um  das  Seinige  bringen  kann;  welches  von 
uns  beiden  sich  alsdann  am  ersten  bereichert,  soll  dem  andern 
helfen.  Was  halst  du  davon?  Als  eine  Neuigkeit  muß  ich  dir 
sagen,  daß  ich  wieder  bey  meiner  Mutter  bin,  die  eben  nicht  viel 

1  Dieser  Lamet  ist  der  Perükenmacher,  von  welchem  im  vorhergehenden  Brief 
die  Rede  ist,  der,  wie  es  scheint,  ohngefehr  vier  Monat  mit  Madam  Du  Barry 
gelebt  hat. 

2  Herr  Monoye,  Prokurator  im  Parlament,  unterhält  seit  zwanzig  Jahren  Ma- 
dam Laurens,  Silberhändlerin  in  der  St.  Honore  Strasse.  Er  hat  eine  artige  Tochter 
von  ihr,  die  jezt  mannbar  ist. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  313 

zum  Besten  hat,  und  um  uns  durchzubringen,  gehen  wir  alle 
Abend  in  den  Königlichen  Pallast,  und  in  die  Thülleries.  Bis- 
weilen gewinnen  wir  unsere  17  bis  18  Livres,  bisweilen  auch  we- 
niger, indessen  leben  wir.  Uebrigens  hoffe  ich,  daß  dieser  Gewerb 
nicht  immer  dauren  werde,  und  wir  dereinsten  etwelche  gute 
Bekanntschaft  machen  werden,  die  uns  für  alle  Mühseligkeiten 
die  wir  ausstehen,  schadlos  halten  wird.  Lebe  wohl  mein  lieber 
Lamet,  sey  gedultig;  liebe  mich  immer,  und  gieb  mir  Nachricht 
von  dir.  Ich  umarme  dich,  und  bin  zeitlebens  deine  gute  Freun- 
din  Lancon. 

XII.  Brief 
AN  HR.  LA  GARDE,  MAITRE  DES  REQUETES1 

de  la  Cour  neuve,  den  11.  Heum.  1764. 
Sie  wollen  durchaus  mein  Herr,  daß  ich  Ihnen  mein  Herz  ent- 
deke,  und  Ihnen  frey  heraus  gestehe,  ob  Sie  mir  gefallen.  Man 
sagt,  das  dieses  Geständnis  schwer  von  einem  Frauenzimmer  zu 
erhalten  seye;  aber  in  meinem  Alter  kennt  man  die  Verstellungs- 
kunst nicht.  Ich  will  Ihnen  also  freymüthig  sagen,  daß  ich  Sie 
schätze;  und  viel  Vergnügen  in  Ihrem  Umgang  habe;  allein  ich 
sehe  einen  so  großen  Abstand  von  Ihnen  auf  mich  wegen  Ge- 
burt und  Vermögen,  daß  mir  dieses  Geständnis  schädlich  seyn, 

1  Pater  Angelus  Picpus,  ward  für  den  Schwager  der  Mutter,  von  Mad.  Du 
Barry  gehalten.  Im  Jahr  1762.  las  er  alle  Sonn-  und  Feyertäge,  ä  la  Cour  neuve 
bey  der  alten  Madam  la  Garde,  Wittwe  eines  sehr  reichen  Generalpächters,  Meße. 
Er  fand  Mittel  und  Wege  seine  angebliche  Nichte,  dieser  Dame  vorzustellen,  die 
sie  als  Gesellschaftsmädchen  zu  ihr  nahm.  Sie  hatte  zween  Söhne,  einer  war  Maitre 
des  Requetes,  und  der  andere  Generalpachter.  Mad.  Du  Barry,  welche  beyde  ihr 
den  Hof  machten,  verschmähte  weder  den  einen  noch  den  andern.  Sie  hebte  den 
Maitre  des  Requetes;  allein  der  andere  war  reicher;  jedoch  konte  sie  niemals  da- 
zu gelangen,  sich  den  eint-  oder  andern  eigen  zu  machen.  Diese  kleine  Intrigue, 
die  der  Mutter  zu  Ohren  kam,  nöthigte  sie,  Mad.  Du  Barry  wegzuschiken.  Der 
Maitre  des  Requetes,  der  das  Glük  hatte  von  ihr  geliebt  zu  seyn,  hat  ihr  zwar  nie- 
mals nichts  zu  Gute  gethan. 


314  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

und  in  der  Folge  Thränen  kosten  könte.  Was  ist  der  Endzwek 
Ihrer  Leidenschaft?  Eine  junge  ehrbare  und  tugendhafte  Per- 
sohn, zu  hintergehen,  zu  verführen,  und  sie  hernach  zu  ver- 
lassen, und  was  ist  sie  alsdann  ?  Der  Fingerzeig  und  die  Verach- 
tung, aller  die  sie  kennen.  Ach !  mein  Herr,  glauben  Sie  mir,  er- 
stiken  Sie  eine  aufkeimende  Leidenschaft  bey  der  Geburt.  Ha- 
ben Sie  Achtung  für  mich  und  ich  werde  allzu  glüklich  seyn, 
Ihren  Beyfall  und  Ihre  Gewogenheit  zu  verdienen.  Ich  werde 
für  alle  Gütigkeit  die  Sie  und  Ihre  Frau  Mutter  bis  auf  diese 
Stunde  für  mich  gehabt  haben,  den  lebhaftesten  Dank  hegen. 
Ich  bitte  mir  selbige  fortzusetzen,  und  zu  glauben,  daß  ich  mit 
der  grösten  Hochachtung  seye 

Ihre  etc. 
von  Vaubernier. 


XIII.  Brief 
AN  HERRN  DE  LA  GARDE,  GENERAL-PACHTER 

de  la  Cour  neuve,  den  30.  Heum.  1764. 

Tausendfachen  Dank,  mein  Herr,  für  die  zierliche  Repetier- 
Uhr,  die  man  mir  übergeben  hat,  ohne  zu  sagen,  von  wem  sie 
herkomme;  allein  da  ich  Sie  für  den  freygebigsten  Mann  von  der 
Welt  kenne,  so  habe  ich  sie  gleich  Ihnen  zugeschrieben,  und  ich 
habe  mich  sicher  nicht  betrogen.  Niemand  als  Sie  kan  so  tref- 
liche  Geschenke  machen;  was  mich  aber  kränkt,  ist,  daß  ich 
nicht  darmit  prangen  kan.  Jedermann  würde  mich  drum  be- 
grüssen,  und  Ihre  Frau  Mutter  würde  die  erste  seyn,  mich  zu 
fragen,  von  wem  ich  sie  habe  ?  Ich  werde  mich  dahero  begnügen, 
sie  des  Nachts  oben  an  mein  Bette  zu  hängen :  dort  kan  ich  sie, 
so  lange  ich  will,  schlagen  machen,  und  an  Sie  denken,  ohne  von 
jemanden  gestört  zu  werden.  E9  ist  ein  wahres  Vergnügen,  seine 
Gutthäter  immer  in  Gedanken  bey  sich  zu  haben.  Samstags  wer- 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  315 

den  wir  uns  hier  sehen;  Sie  haben  es  lnrer  Frau  Mutter  ver- 
sprochen, und  ich  für  mich  erwarte  diesen  Augenblik  mit  Freu- 
den. Ich  bin  mit  Erkenntlichkeit 

Ihre  etc. 
von  Vaubernier. 

XIV.  Brief 
AN  HERRN  LA  GARDE,  MAITRE  DES  REQUETES 

de  la  Cour  neuve,  den  11.  Augstra.  1764. 

Sie  haben  sich  vergangenen  Montag  verstohlner  Weise  in 
meine  Kammer  zu  schleichen  gewußt,  und  die  Forcht,  in  der 
ich  sowohl  wegen  Ihnen  als  mir  war,  nahm  mir  beynahe  alles 
Vermögen,  Sie  wegzuschiken,  oder  Lerm  zu  machen.  Ich  mußte 
Sie  also  in  mein  Beth  aufnehmen.  Welche  Versprechungen  mach- 
ten Sie  mir  nicht  in  jenen  Augenbliken!  ....  Aber  das  Blend- 
werk ist  verschwunden;  mit  Schmerzen  sähe  ich,  daß  Sie  mich 
den  andern  Tag  nicht  mehr  ansahen.  Sie  machten  der  Frau  Ge- 
neralpachterin,  einer  Mutter  von  vier  Kindern,  die  noch  auf 
eine  lächerliche  Weise  die- Verliebte  macht,  eine  sorgfältige  Auf- 
wartung. Sie  sagten  mir,  daß  es  nur  deßwegen  war,  um  ihr  Spiel 
nicht  zu  verrathen.  Ach!  mein  Herr,  ich  kenne  das  Ding;  Sie 
zeigten  zu  viel  Lebhaftigkeit,  zu  heftige  Begierde  und  allzu  viel 
Leidenschaft,  als  daß  Ihr  Betragen  natürlich  gewesen  wäre.  Sie 
haben  meine  Schwachheit  mißbraucht,  um  mich  zu  verführen 
und  hernach  zu  verlassen;  wenigstens  förchte  ich  es.  Wenn  es 
nicht  so  ist,  so  ziehen  Sie  mich  aus  dem  Irrthum,  und  Sie  schen- 
ken mir  das  Leben  wieder.  Morgen  erwarte  ich  durch  Ludwig 
eine  Antwort  von  Ihnen;  wenn  ich  keine  kriege,  so  werde  ich 
nach  Paris  gehen,  blos  um  Sie  zu  sehen  und  Ihnen  die  derbsten 
Vorwürfe  zu  machen.  Indessen  bin  ich 

Ihre  etc. 
von  Vaubernier. 


316  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

XV.  Brief 

AN  LAMET  IN  LONDON 

de  la  Cour  neuve,  den  12.  Augstm.  1764. 

So  hast  du  nun,  mein  lieber  Lamet,  einen  Platz  bey  einem 
Lord,  mit  fünfzig  Pfund  Sterlings  Gehalt.  Ich  wünsche  dir  Glük 
darzu.  Siehe  zu,  daß  du  daselbst  bleibest,  bis  ich  ein  besseres 
Glük  habe.  Ich  bin  jetzt  bey  Madam  la  Garde  Generalpächterin, 
um  ihr  Gesellschaft  zu  leisten.  Ich  fange  an,  wie  du  siehst,  in  die 
grosse  Welt  zu  tretten.  Sie  hat  zween  Söhne,  einer  bey  Hof,  der 
andere  an  denen  Finanzen :  beyde  machen  mir  die  Aufwartung. 
Ich  weiß  nicht,  welcher  der  f reygebigste  ist ;  allein  ich  weise  we- 
der den  einten  noch  den  andern  ab,  sondern  will,  daß  mich  einer 
von  ihnen  unterhalte.  Ich  mache  ein  bisgen  die  Tugendhafte, 
um  ihnen  mehr  Vergnügen  zu  verschaffen.  Leb  wohl,  mein  lieber 
Freund,  wenn  was  Wichtiges  vorgeht,  so  werde  ich  dir's  berich- 
ten. Schreib  mir  öfters,  und  glaube,  daß  ich  auf  immer  deine 
beste  Freundin  bin. 

Lancon  de  Vaubernier. 

XVI.  Brief 

VOM  GRAFEN  DU  BARRY1 

Paris,  den  30.  Brachm.  1767. 

Ich  habe  schon  einige  mal,  mein  schönes  Frauenzimmer,  mit 
Ihnen  allein  gesprochen,  um  Sie  zu  bereden,  daß  Sie  zu  mir  kom- 
men und  bey  mir  bleiben  möchten ;  allein  ich  habe  Ihnen  nicht 

1  Hier  ist  in  dem  Leben  der  Madam  Du  Barry  ein  ziemlich  langer  Zwischen- 
raum. Folgendes  ist  kürzlich,  was  man  zuverläßiges  davon  weiß: 

Sie  kam  1765  zu  Ende  des  Jenners,  von  Madam  la  Garde  weg  Sie  blieb  bey 
ihrer  Mutter,  die  damals  mit  einem  gewissen  Rancon,  dem  Madam  la  Garde  einen 
Plaz  als  Bedienter  an  der  Maut  von  Paris  verschafte,  wieder  verheurathet  war. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  317 

alle  die  Gründe,  die  Sie  zur  Einwilligung  bringen  sollten,  noch 
alle  die  Vortheile,  die  Sie  davon  ziehen  könnten,  fühlen  lassen 
können.  Ich  will  mich  also  näher  heraus  lassen.  —  Sie  sollen  also- 
bald  die  Gebieterin  meines  Herzens,  und  als  eine  solche  die  Be- 
herrscherin meines  Pallasts  seyn,  in  welchem  Sie  meinen  Leu- 
ten, die  von  nun  an  die  Ihrigen  seyn  werden,  zu  befehlen  haben. 
Da  ich  an  den  vornehmsten  Stellen,  sowohl  bey  Hof,  als  von 
der  Stadt  Theil  habe,  so  müssen  Sie  sich  nicht  wundern,  wenn 
Sie  bey  mir,  oder  vielmehr  bey  Ihnen,  Marquis,  Dücs  und  sogar 
Prinzen  sehen  werden,  die  sich  eine  Ehre  daraus  machen  werden, 
Ihnen  ihre  Aufwartung  zu  machen.  Sie  müssen  alsdann  einen 
gebieterischen  Ton  annehmen,  vermittelst  welchem  es  Ihnen 
weder  an  Roben,  noch  an  Diamanten,  noch  an  allem  dem,  was 
Sie  mit  den  Damen  vom  ersten  Rang  in  Gleichheit  sezen  kan, 
fehlen  wird.  Ich  halte  wöchentlich  zweymal  eine  glänzende  Ge- 
sellschaft bey  mir.  Sie  sollen  darinnen  den  Vorzug  haben,  die 
Staatsdame  machen,  und  die  Ehrenbezeugungen  und  Anbetun- 
gen aller  derer,  die  sich  an  Sie  wenden,  erhalten.  Wenn  Sie  ein- 
mal bey  mir  sind,  so  will  ich  Ihnen  die  Art  zeigen,  die  Sie  an- 
nehmen müssen,  um  die  Segel  nach  dem  Wind  zu  richten,  dieses 
ist  aber  die  Sache  eines  Augenbliks  für  Sie.  Mit  Ihren  Talenten, 
und  Ihrem  Reiz,  der  Sie  umgiebt,  müssen  sie  allen,  die  Sie  sehen, 
gefallen.  Ueberlegen  Sie  es  und  willigen  Sie  ein.  Morgen  gehe  ich 
zur  Marquisin  Düquesnoy,  um  eine  Antwort  von  Ihnen  zu  er- 
halten. Indessen  bin  ich  mit  ohnwandelbarer  Ergebenheit 

Mein  schönes  Frauenzimmer 

Ihr  etc. 

Graf  Du  Barry. 

Eilf  Monat  lang  lebte  sie  so  ziemlich  eingezogen,  ausgenommen  einer  kleinen  In- 
trigue,  die  sie  mit  einem  Perükenmacher  in  der  Bourbon  Strasse,  dem  Nachbar 
ihrer  Mutter,  hatte.  Eine  gewisse  Marquisin  Düquesnoy,  die  an  der  gleichen 
Strasse  wohnte,  gab  wöchentlich  zweymal  Spiel;  um  mehr  Interessenten  zu  krie- 
gen, nahm  sie  die  junge  Lancon  zu  sich,  wordurch  die  Gesellschaft  zahlreicher  und 
lebhafter  ward.  Sie  blieb  18  Monat  daselbst,  nemlich  das  ganze  Jahr  1766  und  die 
ersten  Monat  1767;  eine  Epoche,  in  welcher  sie  zum  Grafen  Du  Barry  gieng. 


31 8  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry 

XVII.  Brief 
AN  MADAM  RANCON 

den  2.  Augstm.  1767. 
Mein  Schweizer,  meine  liebe  Mamma,  sagte  Ihnen  gestern, 
daß  ich  nicht  bey  Hause  wäre.  Dieses  wäre  nicht  begegnet,  wenn 
ich  gewußt  hätte,  daß  Sie  kämen;  allein  die  ehegestrige  Gesell- 
schaft dauerte  so  lange  in  die  Nacht  hinein,  daß  ich  gestern  spä- 
ter als  gewöhnlich  aufgestanden  bin.  Bis  jezt  kan  ich  mich  meiner 
neuen  Unterkunft  nicht  genug  rühmen:  der  Graf  scheint  sehr 
anhänglich  an  mich  zu  seyn.  Er  schlägt  mir  nichts  ab,  sondern 
bemüht  sich,  mir  mein  Verlangen  zu  erfüllen.  Unsere  Gesell- 
schaften sind  sehr  glänzend.  Die  Art,  wormit  in  denselben  auf- 
genommen werde,  die  Menge  und  der  hohe  Stand  der  Personen, 
die  ich  darinnen  sehe,  alles  läßt  mich  schliessen,  daß,  wenn  den 
Grafen  die  Laune  ankommen  sollte,  sich  wiederum  mit  derjeni- 
gen, an  deren  Stelle  ich  kam,  auszusöhnen,  oder  wenn  auch  ein 
anderer  Zufall  unsere  Eintracht  störte,  ich  mit  leichter  Mühe, 
ohne  etwas  beym  Tausch  zu  verlieren,  einen  andern  Plaz  finden 
könnte.  Im  übrigen  mag  ich  nichts  mit  der  Zukunft  zu  thun 
haben;  ich  bin  des  Nachdenkens  gleich  überdrüßig,  da  ich  von 
nichts  als  vom  Genuß  des  Gegenwärtigen  weiß.  Leben  Sie  wohl, 
meine  liebe  Mamma,  Ueberbringer  dieses  wird  Ihnen  sechs 
Louisd'ors  zustellen.  Kommen  Sie  morgen  um  11  Uhr  zu  mir; 
sagen  Sie  nicht,  daß  Sie  meine  Mutter  seyen;  fragen  Sie  mir 
unter  den  Namen  der  Fräulein  Lange,  den  ich  jezt  angenommen 
habe,  nach.  V aubernier  Lange. 

XVIII.  Brief 
AN  HERRN  RADIX  VON  ST.  FOIX,  OBER-SCHATZ- 
MEISTER DES  SEEWESENS 

den  6.  Christm.  1767. 

Mein  lieber  St.  Foix!  ich  bin  in  der  grösten  Verzweiflung.  Sie 

können  sich  nicht  vorstellen,  wie  weit  Du  Barry  sein  schlechtes 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  319 


Betragen  gegen  mich  treibt.  Ich  bin's  müde  länger  der  Gegen- 
stand seiner  Hize,  oder  wohl  gar  Brutalität  zu  seyn.  Wenn  ich 
etwelche  Ergözlichkeiten  bey  ihm  genossen  habe,  so  waren  sie 
so  sehr  durch  seine  Wunderlichkeiten,  worvon  ich  das  Opfer  bin, 
verfinstert,  daß  ich  jezt  gänzlich  entschlossen  bin,  mich  davon 
loszureissen,  und  mit  ihm  zu  brechen.  Sie  sind  unter  denen  vielen 
Personen,  die  ich  in  seinem  Haus  sähe,  einer  von  denen,  den  ich 
am  meisten  vorgezogen  habe;  Sie  schienen  mir  so  sanft  und  von 
einem  gefälligen  Umgang  zu  seyn.  Wenn  alle  die  schönen  Sa- 
chen, die  Sie  mir  sagten,  und  die  Vorschläge,  die  Sie  mir  thaten, 
im  Ernst  gemevnt  waren,  so  hätten  Sie  jezt  eine  hübsche  Ge- 
legenheit mir's  zu  zeigen.  Aber  merken  Sie's,  ich  will  die  Sache 
solid  eingerichtet  haben;  ohne  dieses  soll  keine  Vertraulichkeit 
mehr  unter  uns  gelten.  Sie  wissen,  daß  mir  blos  die  Wahl  wehe 
thut!  aber  ich  liebe  Sie,  machen  Sie  sich's  zu  Nuze.  Wir  ge- 
winnen bevde  darbey,  weil  Sie  das  Vergnügen  haben  werden, 
eine  Maitresse,  die  für  artig  paßiren  kan,  einzig  zu  besizen,  und 
ich  meines  Orts  werde  die  Zufriedenheit  gemessen,  keine  Sclavin 
meines  Tyrannen  mehr  zu  seyn.  Leben  Sie  wohl,  und  seyn  Sie 
mit  Ihrer  Antwort  so  geschwind  als  mit  Ihrer  Ueberlegung.  Ich 
bin,  wenn  Sie  wollen,  ganz  die  Ihrige. 

Lange. 
XIX.  Brief 
AN  MADAM  RANCON 

den  5.  Brachmon.  1768. 

Sie  wissen,  meine  liebe  Mamma,  daß  ich  viele  Gegenstände 
von  Kummer  und  Verdruß  habe  dulden  müssen.  Ich  hätte  nie- 
mals geglaubt,  daß  ein  Mann,  den  man  nicht  liebt,  so  viel  Ge- 
walt über  uns  haben  könnte,  als  sich  der  Graf  über  mich  aus- 
genommen hat.  Indessen  sind  die  Sachen,  seitdem  ich  Sie  sähe, 
so  weit  gekommen,  daß  ich  entschlossen  bin,  mich  von  ihm  zu' 


320  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

trennen.  Ich  habe  zu  dem  End  jemand  geschrieben,  der  mich  zu 
lieben  schien.  Dieser,  obwohlen  geneigt  alles  dem  gegenwärtigen 
Vergnügen  aufzuopfern,  stund  wegen  den  Folgen  einer  förmlichen 
Einlassung  in  Besorgnis,  und  war  unschlüßig  mich  aufzunehmen. 
Ich  war  wegen  einer  andern  Wahl  in  Verlegenheit,  als  ein  so 
glüklicher  als  ojmerwarteter  Zufall  ir>  einen  Entschluß  verrükte, 
und  das  Band,  welches  mich  mit  Du  Barry  vereint,  enger  dann 
jemals  zusammen  gezogen  hat.  Ich  habe  nicht  Zeit,  Ihnen  eine 
umständliche  Erzehlung  darüber  zu  machen.  Ich  soll  Ihnen  nur 
sagen,  daß  Herr  Le  Bei,  Kammerdiener  des  Königs  und  sein 
Vertrauter,  heute  da  zu  Mittag  speisen  soll.  Der  Graf  hat  ihm 
von  mir  gesprochen,  und  Sie  können  leicht  erachten,  was  eigent- 
lich der  Gegenstand  dieser  Zusammenkunft  seyn  mag,  und  was 
unsere  Entwürfe  sind.  Indessen  daß  ich  Hrn.  Le  Bei  erwarte, 
schreibe  ich  Ihnen.  Laßt  uns  frölich  seyn,  meine  liebe  Mamma ! 
Qbwohlen  noch  nichts  ausgemacht  ist,  so  kan  ich  mich  doch  den 
schmeicheisten  Hofnungen  nicht  entziehen.  Der  Graf  giebt  mich 
für  seine  Schwägerin  aus,  ich  habe  mich  darauf  versehen,  meine 
Rolle  gut  zu  spielen.  —  Aber  ich  höre  den  Wagen  des  Herrn 
Le  Bei;  ich  verlasse  Sie,  um  ihn  zu  empfangen.  Leben  Sie  wohl, 
liebe  Mamma.  Vaubernier  Lange. 

XX.  Brief 
AN  LAMET  IN  LONDON 

Compiegne,  den  3.  Herbstm.  1768- 

Nun  erhalte  ich  deinen  Brief,  mein  lieber  Lamet!  Es  ist  ein 
Wunder,  daß  er  mir  nach  so  vielen  Veränderungen  meiner  Lage, 
noch  zugekommen  ist.  Zum  Glük  hat  man  ihn  von  Madam  la 
Garde,  meiner  Mutter  zugeschickt,  und  diese  hat  mir  ihn  sicher 
eingehändiget.  Du  thust  mir  den  Vorschlag,  nach  London  zu 
gehen,  allwo  du  mir  Hofnung  zu  einer  glänzenden  Bestimmung 
machst.  Allein  das  Schiksal,  das  ich  von  denen  Lords  hätte  er- 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  321 

warten  können,  wäre  gewiß  dasjenige  nicht  werth  gewesen,  das 
ich  jezt  geniesse,  und  das  ich  niemals  hätte  hoffen  können.  Du 
hast  dir,  als  wir  noch  mit  einander  lebten,  nicht  wohl  einbilden 
können,  daß  du  eine  Frau  besizest,  die  auf  dem  Sprung  ist,  eine 
vornehme  Dame  und  Maitresse  Seiner  Allerchristlichsten  Ma- 
jestät zu  werden.  Es  dünkt  mich,  ich  sehe  dich,  indem  du  dieses 
liesest,  deine  grossen  Augen  aufsperren  und  sie  reiben,  um  sicher 
zu  seyn,  daß  du  recht  wach  bist;  indessen,  mein  guter  Freund, 
ist  nichts  gewissers.  Ich  habe  zum  Schein  einen  diken  Grafen 
Du  Barry  geheurathet,  und  bin  jezt  zu  Compiegne,  wo  ich  das 
Amt  einer  Lieblingssultanin  in  seinem  ganzen  Umfang  ausübe. 
Ich  habe  nicht  nöthig,  dir  das  Stillschweigen  aufzuerlegen;  du 
sollst  selbst  fühlen,  wie  wichtig  es  für  dich  und  mich  ist,  nicht 
zu  plaudern.  Um  dich  dahin  anzuhalten,  und  für  die  tausend 
Thaler,  die  ich  dich  kostete,  zu  entschädigen,  wirst  du  bey- 
liegend  einen  Wechselbrief  von  tausend  Pfund  Sterlings  finden. 
Er  ist  auf  den  Ueberbringer  gestellt,  und  du  hast  nicht  nöthig 
dich  zu  erkennen  zu  geben,  wenn  du  den  Werth  desselben  be- 
ziehst. Du  siehst,  daß  ich  ohnerachtet  meiner  Grösse  gleichwohl 
eine  gute  Frau  bin.  Schreib  mir  nimmer,  bis  ich  dir  die  Mittel 
darZu  an  die  Hand  gegeben  habe.  Ich  zähle  eben  so  auf  deine 
Bescheidenheit,  als  du  auf  meine  Freundschaft  zählen  kanst,  und 
die  Begierde,  die  ich  habe,  dir  Proben  davon  zu  geben. 

Gräfin  Du  Barry. 

XXI.  Brief 
VON  DEM  GRAFEN  DU  BARRY 

Paris,  den  9.  Herbstm.  1768. 

So  sind  Sie  nun,  meine  werthe  Schwägerin,1  auf  der  höchsten 
Stuffe,  nach  welcher  Sie  verlangen  konnten;  aber  um  selbige  zu 

1   Madam  Du  Barry  ward  den  I.  Herbstmonat  1768  in  der  Gemeinde  St.  Lau- 
renz an  Wilhelm  Du  Barry,  Bruder  des  Grafen  der  sie  unterhielt,  verheurathet. 


322  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

behaupten,  müssen  Sie  die  gröste  Vorsichtigkeit  gebrauchen. 
Mit  dem  König,  wenn  Sie  einzig  um  ihn  sind,  müssen  Sie  immer 
munter,  frölich  und  scherzend  seyn;  aber  öffentlich  nehmen  Sie 
den  Ton  der  Sittsamkeit,  der  Zurükhaltung,  mit  einem  Wort 
den  Hofton  an.  Deßwegcn  müssen  Sie  nicht  stolz  seyn,  im  Gegen- 
theil  müssen  Sie  höflich  und  leutselig  gegen  jedermann,  beson- 
ders aber  gegen  das  Frauenzimmer  seyn.  Bedenken  Sie,  daß  sie 
alle  Ihr  Schiksal  beneiden,  und  daß  es  keine  einzige  unter  ihnen 
giebt,  die  nicht,  obschon  Sie  Ihnen  viele  Freundschaft  bezeugt, 
Ihr  Fall  wünsche.  Sehen  Sie,  daß  Sie  auf  alle  mögliche  Weise  den 
Düc  de  Choiseul  in  Ihr  Spiel  ziehen.  Das  ist  ein  großmächtiger 
Minister,  der  mit  seinem  Herrn  macht,  was  er  will.  Schreiben 
Sie  mir  alle  Tage.  Um  nicht  die  bestallten  Personen  zu  verdun- 
klen, will  ich  in  Paris  bleiben,  und  nur  selten  nach  Hof  gehen. 
Sie  wissen,  daß  Sie  keinen  andern  Freund  als  mich  haben ;  mithin 
geben  Sie  mir  von  den  kleinsten  Umständen,  die  Sie  angehen, 
Nachricht.  Ich  bin  Ihr  Schwager  und  Freund 

Graf  Du  Barry. 

XXII.  Brief 
AN  GRAF  DU  BARRY 

Den  15.  Weinm.   1768. 

Mein  lieber  Schwager!  Se.  Majestät  haben  noch  immer  die 
gleiche  Anhänglichkeit  an  mich.  Er  hat  es  gern,  wenn  man  mir 
den  Hof  macht;  aber  über  den  Düc  de  Choiseul  bin  ich  recht 

Le  Bei,  der  sie  dem  König  vorstellte,  sagte  ihm,  daß  sie  an  einen  Mann  von 
Rang  verheurathet  wäre;  allein  er  hätte  nicht  geglaubt,  daß  er  im  Ernst  so  anhäng- 
lich seyn  würde,  als  er's  war.  Weil  er  nun  fürchtete,  Seine  Majestät  möchten  die 
Wahrheit  von  andern  erfahren,  und  seine  Ungnade  dardurch  erfolgen,  warf  er  sich 
zu  seinen  Füssen,  sagte  dem  König,  daß  er  zuerst  hintergangen  worden,  und  daß 
Madam  Du  Barry  weder  verheurathet  noch  von  Rang  sey.  „Desto  schlimmer,  rief 
der  König  aus,  man  verheurathe  sie  also  schleunig,  damit  ich  nicht  im  Fall  seye, 
eine  Thorheit  zu  begehen."  Nun  ward  die  Heurath  in  Zeit  acht  Tagen  richtig. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  323 


ungehalten.  Er  scheint  mir  einen  ausgezeichneten  Haß  zu  haben  • 
die  Duchesse  seine.  Schwester*  ist  ausser  ihr  mich  zu  sehen' 
wenn  sie  mich  ansieht,  so  hat  sie  die  Augen  voller  Haß  und  Neid 
O!  ich  glaube  nimmer,  daß  ich  diese  Frau  jemals  werde  lieben 
können.  Man  sagt,  daß  der  Bruder  und  die  Schwester  ein  Lied- 
gen auf  mich  machen  werden.  Muß  ich  mich  darüber  beym  Kö- 
nig beklagen?  Sie  wissen  besser,  was  vorgeht.  Was  soll  ich  ma- 
chen? Ich  erwarte  Ihre  Antwort,  um  nichts  ohne  Ihren  Rath 
zu  unternehmen.  Ich  bin,  mein  lieber  Schwager,  Ihre  dankbare 
Schwägerin  und  Freundin  Gräfin  m  ßaffy 

XXIII.  Brief 
VOM  GRAFEN  DU  BARRY 

Paris,  den  16.  Weinm.  1768. 

Laßt  uns,  meine  liebe  Schwägerin,  uns  mit  vieler  Klugheit 
betragen.  Da  wir  die  Choiseuls  nicht  gewinnen  können,  so  laßt 
uns  auch  nichts  thun,  wordurch  wir  sie  uns  auf  den  Hals  richten 
konnten.  Wenn,  nachdem  wir  alles  angewandt  haben  ihre  Gunst 
zu  erlangen,  es  uns  nicht  gelingt,  alsdann  wollen  wir,  um  sie 
heimlicher  Weise  zu  Grunde  zu  richten,  gegen  ihnen  thun,  was 
sie  gegen  uns  thaten;  allein  wir  müssen  sehr  behutsam  seyn,  um 
1JHefImuG-~f  •  V°n  Gramm°I»  ™  die  intriguanteste  Hofdame  Sie  war 
lW  iv\  Uber.lhrfn  B""^  hatte,  mit  dem  sie  maehte,  was  sie  wollte 

m  Ä  T  7  Atuthor  se,bi8er  Zeit> war  **  **»  »°*>™  Loh  de; 

ganzen  Starke  des  Ansdrucks;  nemlich  entschlossen,  frech,  schamlos  da  sie  die 
fc,™  'ur  da,  gememe  Volk  eingeführt,  ansähe.  Obschon  sie  allb  reit  1 g 
und HÜr  "'  «]a"b,eI,ileJnOCh  d™  K°ri«  »  Sefaller,.  Sie  machte  sich  ihrenlt „d 
und  dem  ,eh  lte,vBn'dm  »  *"■«•  »"d  °™g  "ch  in  die  kleinen  Zimme g n 
und  dem  gehe.men  Vergnügen  des  Monarchen  anf.  Um  seinen  guten  und  leichten 

Wo  uttr;„Se'Tßh  r11"'",  ""  d3S  SChÖM  GeSchIecht  -<i  -inen  Hang  „r 
Xseinen  WiC'  ,'  8  '".?, "  ^  ^  **"  mal  in  das  B=»  d«  ^nigs 
ET  f     g?'  AUem  da  diese  Gemeinschaft  nur  die  Wirkung  des 

widtel  MardamdnS,%dCn  "T*™  »  »  ««»  ^mal  *■»  ^ 
warn  sie,  als  Madam  Du  Barry  auftrat,  ganz  verflossen."  Inde  irae. 


324  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barrv 

nichts  das  Aufsehen  macht  zu  unternehmen,  ehe  wir  eine  Par- 
they zusammen  gebracht  haben,  die  der  inrigen  das  Gleich- 
gewicht hält. 

Ich  schike  Ihnen  zwo  Listen ;  die  Sie  alle  Augenblik  zu  Rathe 
ziehen  sollen.  Aus  der  einten  werden  Sie  alle  Anhänger  der  Choi- 
seuls  kennen ;  ihre  Anzahl  ist  fürchterlich.  Seyn  Sie  sehr  vorsich- 
tig, und  indessen  immer  höflich  gegen  ihnen.  Geben  Sie  keinen 
Einblasungen,  die  ihnen  von  dieser  Seite  herkommen,  und  Sie 
zu  Schritten  verleiten,  die  Sie  zu  Fall  bringen  könnten,  Gehör. 
Trachten  Sie  einige  von  ihren  Creaturen  mit  unter  die  Deke 
zu  bringen;  allein  trauen  Sie  ihnen  im  Grund  nicht  ehender,  als 
bis  wir  recht  versichert  sind,  daß  man  auf  sie  zählen  kan.  Die 
zwote  Verzeichniß  enthält  die  unsichern  Personen,  oder  heim- 
lichen Feinde  der  Choiseuls.  Ihre  ganze  Aussenseite  zeige  Ihre 
Geneigtheit  gegen  ihnen,  und  Ihr  ganzes  Vermögen  gehe  nur 
dahin,  sich  Freunde  zu  erwerben.  Ich  kan  Ihnen  nicht  genug 
wiederholen,  daß  Sie  mir  von  allem  dem,  das  Sie  in  Verlegenheit 
sezen  könnte,  und  worzu  Sie  Zeit  haben  meines  Raths  zu  pflegen, 
Nachricht  ertheilen  sollen.  In  sehr  dringenden  Vorfallenheiten 
wird  Ihnen  meine  Schwester  Anleitung  geben. 

Ihre  Erhöhung  kommt  so  zu  sagen  von  einem  blossen  Ohn- 
gefehr  her;  aber  bedenken  Sie,  daß  Sie  selbig  nicht  behaupten 
können,  ohne  daß  Sie  sich  blinder  Weise  dem  Plan,  den  ich 
Ihnen  zu  Ihrem  Betragen  vorzeichne,  überlassen,  und  daß  Sie 
sich  der  grösten  Gefahr  aussezen  würden,  wenn  Sie  sich  nur  einen 
einzigen  Augenblik  davon  entfernten.  Sie  sollen  also  wissen,  daß 
ohnerachtet  Ihrem  Widerwillen  gegen  die  Politik  und  Intriguen, 
selbige  dennoch  Ihre  einzigen  Stützen  sind.  Das  was  Sie  mir  von 
der  Aufführung  der  Frau  von  Grammont  gegen  Ihnen  sagen, 
befremdet  mich  gar  nicht;  niemals  hat  ein  Frauenzimmer  der- 
jenigen verziehen,  die  sie  ausgestochen  hat.  Versichert,  daß  Sie 
dem  König  gefallen,  möchte  ich  wünschen,  daß  sie  ihre  Unver- 
schämtheit noch  weiter  treibe,  und  ihr  herrschsüchtiger  Ka- 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  325 

rakter  würde  sie  zweifelsohn  zu  Ausschweifungen  verleiten,  die 
eben  so  unglüklich  für  sie  als  günstig  für  uns  seyn  könnten,  be- 
sonders wenn  ihr  Bruder  schwach  genug  ist,  sich  von  ihr  regieren 
zu  lassen.  Wenn  Sie  Samstags  nach  Paris  kommen,  wie  Sie  es 
willens  waren,  so  will  ich  Ihnen  mehr  sagen,  als  ich  Ihnen  ge- 
schrieben habe,  obwohlen  mein  Brief  schon  lang  genug  ist.  Ich 
bin,  meine  werthe  Schwägerin,  Ihr  Schwager  und  Freund 

Graf  Du  Barry. 

R.  S.  Ich  habe  vergessen  Ihnen  zu  sagen,  daß  ich  es  wußte, 
ehe  man  ein  Liedgen  auf  Sie  gemacht  hat.  Es  ist  ganz  klar,  daß 
dieses  ein  Streich  der  Choiseul  ist.  Diesem  ohnerachtet  sagen 
Sie  dem  König  nichts  darvon,  denn  Sie  könnten,  wenr  er  nichts 
drum  weiß,  indem  Sie  ihm  Genugthuung  forderten,  seine  Auf- 
merksamkeit rege  machen,  die  gefährlich  zu  befriedigen  seyn 
wird. 


XXIV.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  COIGNY 

Paris,  den  11.  Jenner  1769. 

Ich  habe  Ihr  Entschuldigungsschreiben,1  mein  Herr  Düc,  er- 
halten, und  verzeihe  Ihnen  gerne.  Ich  bin  gut,  und  behalte  nie- 
mals keinen  Groll  bey;  jedoch  lernen  Sie  gegen  artigem  Frauen- 
zimmer vorsichtiger  seyn;  Sie  verdienen  etwelche  Achtung.  Ich 
wünsche  Ihnen  einen  guten  Tag,  und  bin  durchaus 

Ihre  etc. 
Gräfin  Du  Barry. 

1  Das,  was  zu  diesem  Schreiben  Anlaß  gab,  ist  sehr  drolügt.  Der  Düc  von 
Coigny  hatte  Madam  Du  Barry  unter  dem  Namen  der  Mademoiselle  Lange  ge- 
kannt, als  sie  noch  bey  dem  Grafen  Du  Barry  war.  Er  gieng  hernach  nach  Corsika, 
und  kam  einige  Zeit  nach  der  Heurath  der  Madam  Du  Barry,  wieder  zurück.  Da 
er  nun  nicht  wußte,  daß  sie  die  Maitresse  des  Königs  war,  suchte  er  sie  bey  dem 
Grafen  Du  Barry.  Man  sagt  ihm   daß  sie  jezt  in  der  Strasse  des  petits  Champs 


326  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry 


XXV.  Brief 

Den  17.  April  1769. 

Die  Parthey  der  Choiseul,  liebe  Schwägerin,  wird  bis  und  so 
lange  Sie  nicht  dem  Hof  vorgestellt  werden,  die  Oberhand  ha- 
ben. Sie  müssen  diese  Gnade  durchaus  zu  erlangen  suchen.  Die 
Frau  Gräfin  von  Bearn1  hat  uns  versprochen,  Sie  aufzuführen; 
ihre  kritische  Lage  macht,  daß  sie  über  alle  Hindernisse,  die 
sich  äussern  könnten,  weg  ist.  Wir  sehen  den  Haß  und  die  Eifer- 
sucht der  Choiseul  nur  allzu  sehr.  Sie  haben  nicht  nur  den  Spöt- 
tereyen,  durch  ohngebührliche  Liedgens,  die  in  der  Stadt  und 
bey  Hof  herumgebotten  werden,  und  worvon  sie  verstohlner 
Weise  die  Urheber  sind,  aufgeholfen;  sondern  sind  vertrauter 

wohne.  Er  macht  sich  eilends  dahin.  Von  ohngefehr  war  sie  gerade  in  jenem  Augen- 
blik  dorten.  Gleich  fängt  er  sie  an  zu  duzen,  will  sie  küssen,  und  sie  mit  einem 
Wort  als  ein  Frauenzimmer,  das  in  der  Welt  mitgemacht  hatte,  behandlen.  Diese, 
um  sich  gegen  seinen  Ueberdrang  zu  stellen,  nahm  ein  ernsthaftes  Gesicht  an,  und 
sagte  ihm  zulezt,  daß  sie  geheurathet  sey.  „Desto  besser,  versezt  ihr  der  Düc,  wir 
haben  ein  Vergnügen  mehr,  wenn  wir  einen  zum  Hanrey  machen  können."  Ma- 
dam Du  Barry,  da  sie  sähe,  daß  sie  mit  ihm  nicht  fertig  werden  konnte,  war  ge- 
nöthigt  zu  läuten,  ihren  Leuten  zu  rufen,  und  ihnen  zu  sagen,  daß  sie  den  Do- 
mestiquen  des  Dücs  den  Wink  geben  sollen,  daß  ihr  Herr  gehen  wolle.  Dieser  über 
eine  solche  Aufnahm  ganz  betretten,  gieng  zum  Grafen  Du  Barry,  dem  ers  er- 
zehlte.  Dieser  sagte  ihm,  daß  sie  die  Maitresse  des  Königs  seye.  Dieses  nöthigte 
den  Düc,  der  Madam  Du  Barry  zu  schreiben,  und  ihr  seine  Entschuldigung  zu 
machen.  Wir  haben  diesen  Brief  nicht  finden  können.  Er  befand  sich  nicht  unter 
den  Schriften,  derer  man  sich  bemächtigte,  als  Madam  Du  Barry  ins  Kloster  du 
pont-aux-Dames  verwiesen  wurde.  Er  muß  recht  sonderbar  seyn. 
1  Madam  de  Bearn  war  eine  Tochter  vornehmen  Standes,  die  nicht  viel  zum 
Besten  hatte,  undWittwe  eines  von  der  Leibwache  Kammerjunker  des  Perigords 
war.  Sie  kam  nach  Paris,  um  einen  Rechtshandel,  den  sie  wider  das  Haus  Salüces 
hatte,  und  der  für  sie  ein  Gegenstand  von  300  000  Livres  war,  fortzusezen.  Da 
sie  bis  Austrag  der  Sache  eine  beträchtüche  Summe  erhalten  hatte,  wandte  sie  das 
Geld  darzu  an,  um  sich  ihrem  Stande  gemäß  sehen  zu  lassen,  und  Credit  zu  er- 
langen. Sie  war  eine  Befreundtin  der  Richelieu  und  derer  von  Aiguillon,  die  ihr 
zu  Gewinnung  ihres  Rechtshandels  verhalfen,  und  sie  hernach  vermochten,  Ma- 
dam Du  Barry  bey  Hof  aufzuführen.  Das  Glük,  das  ihr  dieser  Schritt  öfnete, 
machte,  daß  sie  sich  über  alle  Vorurteile  und  alle  das  Lächerliche,  das  sie  sich  zu- 
zöge, wegsezte. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  <$zy 

dann  jemals  mit  der  Königl.  Familie,  die  sie  aus  allen  Kräften 
wider  Sie  aufbringen,  da  sie  Sie  mit  den  schwärzesten  Farben 
der  Lästerung  und  Verläumdung  schildern.  Da  sie  jezt  mehr  dann 
jemals  die  Huld  des  Königs  geniessen,  so  können  Sie  keine  an- 
dere Parthey  ergreifen,  als  daß  Sie  sich  weinend  zu  seinen  Füssen 
werfen,  Ihn  um  aller  Gewogenheit  willen,  die  Er  wohl  für  Sie 
haben  möchte,  zu  bitten,  Sie  nimmer  länger  denen  Schmach- 
reden Ihrer  Feinde  ausgesezt  zu  lassen,  und  die  Vorstellung  zu 
erlauben,  ja  sogar  zu  befehlen.  Lassen  Sie  alles,  was  Ihre  eigenen 
Vortheile,  und  Ihre  Liebe  zum  König  Ihnen  alsdann  eingeben 
kan,  mit  einfliessen.  Dieses  letzte  Hilfsmittel  wird  das  wirksamste 
seyn.  Trachten  Sie  diesen  Schritt  noch  vor  Ende  der  Woche  zu 
bewerkstelligen.  Thun  Sie  es  mit  aller  der  Wärme,  deren  Sie 
fähig  sind,  um  das  Herz  des  Königs  zu  rühren.  Ich  wünsche,  daß 
die  erste  Nachricht,  die  ich  von  Hof  erhalte,  diejenige  seye.  Ich 
bin  ohnausgesezt  Ihr  Schwager,  und  der  treuste  Freund,  den 
Sie  auf  der  Welt  haben.  Graf  Du  Barry. 


XXVI.  Brief 
VON  DEM  GRAFEN  DU  BARRY 

Paris,  den  19.  April  1769. 

Reden,  die  Sie  mit  meiner  Schwester  führten,  und  die  sie  mir 
hinterbrachte,  erschreken  mich.  „Alle  dieser  Lerm  da,  sagten 
„Sie,  macht  mich  überdrüßig:  was  ist  wohl  das  Schlimmste,  das 
„mir  begegnen  kan  ?  Wenn  mich  der  König  aufgiebt,  so  verlasse 
„ich  den  Hof,  und  mit  dem,  das  er  mir  geschenkt  hat,  und  der 
„Pension,  die  notwendiger  Weise  darauf  erfolgen  muß,  habe 
„ich  genug,  um  mich  in  der  Welt  sehen  zu  lassen,  und  ein  so 
glüklich  als  fröhliches  Leben  zu  führen."  Ach!  meine  liebe 
Schwägerin,  wie  wenig  kennen  Sie  den  Hof!  Wissen  Sie,  daß  das, 
was  Ihnen  begegnen  kan,  ist,  daß  Sie  auf  Zeitlebens  ins  Kloster 


328  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

gesperrt,  mit  dem  Verbott,  daß  keine  Seele  zu  Ihnen  gelassen 
werde.  Noch  eins,  würden  Sie  wohl  glüklich  seyn,  wenn  man 
Sie  mit  Gift  vom  Hals  Schafte  ?  Ich  sage  Ihnen  weiter  nichts 
mehr;  dieses  soll  Ihnen  Forcht  einjagen.  Verbrennen  Sie  diesen 
Brief;  ich  verweise  Sie  auf  meinen  ehegestrigen.  Befolgen  Sie 
meinen  lezten  Rath  so  schleunig  als  Sie  können. 

Graf  DU  Barry. 

XXVII.  Brief 
VOM  GRAFEN  DU  BARRY 

Pans,  den  23.  April  1769. 

Sie  sehen  nun,  meine  werthe  Schwägerin,  wie  gut  mein  Rath 
war,  den  ich  Ihnen  gab,  durch  die  Wirkung,  die  er  that.  Nun 
sind  Sie  ohnerachtet  aller  Ränke  und  Kabalen  der  Gegnern  dem 
Hof1  vorgestellt  worden.  Dieser  Auftritt  muß,  da  er  die  Macht, 
die  Sie  auf  das  Herz  des  Königs  haben,  anzeigt,  natürlicher  Weise 
unsere  Feinde  schreken,  sie  vorsichtiger  machen,  ihre  Zahl  ver- 
mindern, und  dieienige  unserer  Anhänger  merklich  vermehren. 
Allein  Sie  müssen  deßwegen  nicht  weniger  auf  Ihrer  Hut  seyn. 
Behalten  Sie  immer  die  genaueste  Aufmerksamkeit  bey,  hüten 
Sie  sich  besonders  wohl,  daß  Ihnen  mit  Ihrer  gewöhnlichen 
Offenherzigkeit  keine  anstößige  Rede  oder  Spaß  entwische,  des- 
sen man  sich  bedienen  könne,  um  Ihnen  an  der  Gesinnung  des 
Königs  zu  schaden.  Wenn  Sie  etwas  Unbesonnens  von  der  Art 
gemacht  haben,  so  wählen  Sie  sich  selbsten  einen  günstigen 
Augenblik,  um  es  Sr.  Majestät  mit  dem  Reiz  und  dem  muntern 
Wesen,  das  Ihnen  so  ganz  eigen  ist,  und  wordurch  Sie  Ihn  feßlen, 
zu  hinterbringen.  Wenn  Sie  sich  so  anschiken,  so  wird  Er  über 
einer  Sache  lachen,  die,  wenn  sie  Ihm  von  Uebelgesinnten  zu 
Ohren  käme,  Ihn  vielleicht  gegen  Sie  aufbringen  könnte.  Wenn 

1  Madam  Du  Barry  ward  den  22.  April  1769  durch  die  Frau  Gräfin  von  Bearn 
vorgestellt. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  329 

Sie  ihnen  also  zuvorkommen,  so  werden  jene  sich  selbst  mehr  als 
Ihnen  schaden,  und  nichts  als  ihre  Abgeneigtheit  zu  erkennen 
geben.  Sie  werden  meine  Anleitung  sicher  sehr  geringfügig  fin- 
den; allein  öfters  können  dem  Anschein  nach  gleichgültige  Dinge 
die  wichtigsten  Folgen  haben.  Da  Sie  genöthigt  sind,  sich  nicht 
nur  nach  den  gegenwärtigen  Auftritten,  sondern  auch  nach  den 
zukünftigen  zu  richten,  so  ist  es  möglich,  daß  Sie  unter  der 
Menge  von  Räthen,  die  ich  Ihnen  gab,  einen  finden,  von  dem 
Sie  keinen  Gebrauch  machen  können ;  diesem  ohnerachtet  wandle 
ich  doch  meinen  Weg  fort,  weil  es  kein  Schade  ist,  Ihnen  zu  viel 
zu  sagen,  grosser  hingegen  entstehen  könnte,  wenn  ich  Ihnen  zu 
wenig,  sagte.  Ihre  Lage,  das  Geräusch  das  Sie  umgiebt,  Ihre  an- 
erbohrne  Flüchtigkeit,  können  Sie  zuUnvorsichtigkeiten  verleiten, 
vor  welchen  es  nöthig  ist  Sie  zu  warnen.  Hinter  dem  Umhang  ver- 
stekt,  kan  ich  besser  von  den  Sachen  als  Sie  selbst  urtheilen,  und 
Ihre  Erfahrung  soll  Sie  überzeugen,  daß  ich  gute  Augen  habe. 
Ich  bin,  meine  liebe  Schwägerin,  immer  Ihr  etc. 

Graf  Du  Barry. 

XXVIII.  Brief 
AN  MADAM  LA  GARDE1 

Versailles,  den  30.  May  1769. 

Es  ist  mir  leid,  daß  ich  nicht  bey  Haus  war,  Madam,  als  Sie 
die  Mühe  nahmen  zu  mir  zu  kommen.  Sie  haben  nicht  nöthig, 
mich  um  meine  Protektion  anzusprechen,  Sie  haben  sie  schon 
und  können  drauf  zählen,  so  wie  auf  meine  Hochachtung.  Ich 
bin  ganz  die  Ihrige.  Gräfin  Du  Barry. 

1  Abends  vorher  erhielt  Madam  la  Garde,  bey  der  Madam  Du  Barry  im  Jahr 
1764  war,  einen  Besuch  von  ihro  mit  dem  glänzendsten  Gepränge,  sonder  Zweifel 
um  den  Stolz  und  die  Eigenliebe  dieser  Närrin  zu  demüthigen,  und  dann  auch  ein 
wenig  aus  Selbsteitelkeit.  Madam  la  Garde  gab  der  Gräfin  Du  Barry  den  Gegen- 
besuch, und  da  sie  sie  nicht  antraf,  schrieb  sie  bey  ihrem  Schweizer,  daß  sie  ge- 
kommen seye,  um  sie  um  ihre  Protektion  zu  bitten. 


330  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

XXIX.  Brief 
AN  DEN  GRAFEN  VON  STAINVILLE 

Den  31.  May  1769. 

Ich  habe,  mein  Herr,  Ihr  Schreiben  erhalten,  und  antworte 
mit  so  viel  grösserm  Vergnügen  darauf,  da  ich  Ihnen  zu  gleicher 
Zeit  anzeigen  kan,  daß  Seine  Majestät  Ihnen  die  Anwartschaft 
auf  das  Gouvernement  von  Straßburg  bewilliget,  und  daß  ich  es 
selbst  ausgewirkt  habe.  Sie  sehen  dardurch,  daß  ich  weit  ent- 
fernt bin  Ihnen  übel  zu  wollen.  Die  Gesinnungen,  die  Sie  gegen 
mir  äussern,  sind  sehr  schmeichelhaft.  Wenn  der  Herr  Düc  und 
Ihre  Frau  Schwester  so  dächten  wie  Sie,  so  wären  wir  die  be- 
sten Freunde  von  der  Welt;  aber  ich  kan  weiter  nichts  als  das 
Meinige  beytragen.  Ich  bin  ganz  die  Ihrige. 

Gräfin  Du  Barry. 

XXX.  Brief 

VOM  KÖNIG1 

Statt  bis  morgen  zu  warten,  so  kommen  Sie  diesen  Abend,  ich 
habe  Ihnen  etwas  zu  sagen,  das  Sie  freuen  wird.  Guten  Tag,  glau- 
ben Sie  mir,  daß  ich  Sie  liebe.  Ludwig. 

XXXI.  Brief 

AN  DIE  GRÄFIN  VON  BEARN 

Den  2.  Heumonat  1769. 

Ich  kan  Ihnen,  Madam,  für  Ihre  Gütigkeit,  Ihre  Gefälligkeit 
und  Ihren  Eifer  nicht  genug  danken.  Ich  dächte,  daß  ich  das 

1  Dieser  Brief  war  ohne  Datum;  allein  er  muß  vom  May  1769  seyn:  denn  das, 
was  der  König  Madam  Du  Barry  sagen  wollte,  war,  daß  Er  ihr  das  Schloß  von  Lu- 
cienne  zum  Geschenk  gab,  welches  diese  Dame  im  Brachmonat  gleichen  Jahrs 
inne  hatte,  weil  sie  schon  daran  arbeiten  ließ. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


331 


alles  mißbrauchen  würde,  wenn  ich  Ihnen  nicht  ohngesäumt  die 
Freyheit  schenkte,  die  Sie  so  sehr  lieben,  und  deren  ich  Sie  um 
meinetwillen  so  lange  beraubt  habe,  und  es  hiesse  zulezt  doch 
Ihrer  Freundschaft  mißbrauchen.  Sie  sagten  mir  einige  mal  von 
dem  Mißvergnügen,  das  Sie  in  einem  Land  empfänden,  für  wel- 
ches Sie  eher  dann  ich  geschaffen  wären,  und  in  welchem  wir 
doch  auf  eine  gewisse  Art  mit  einander  den  Anfang  im  Spiel  ge- 
macht haben.  -  Sie  haben  Geschäfte,  die  Sie  nach  Paris  rufen- 
nach  der  Reise  von  Marly  bitte  ich  Sie  um  alles,  thun  Sie  sich 
keine  Gewalt  an;  gehen  Sie  geradezu  ins  Luxemburg,  seyn  Sie 
dann  frey,  und  überlassen  mich  dem  Geräusche  von  Versailles- 
allein  seyn  Sie  versichert,  daß  ich  Sie  niemalen  daselbst  ver- 
gessen, sondern  Zeitlebens  seyn  werde,  Madame 

Ihre  etc. 
Gräfin  Du  Barry. 

XXXII.  Brief 
AN  HERRN  KANZLER  VON  MAUPEOU* 

Den  6.  Heuraon.  1760. 
Mein  Herr  Kanzler! 

Ich  verstehe  nichts  von  Ihren  Gesezen.  Sie,  sind  ungerecht 
und  grausam.  Sie  sind  wider  die  Politik,  wider  die  gesunde  Ver- 

K.mf  Ste'  uUp  Wdcher  VrS3Che  Madam  Dü  *W  diesen  Brief  an  Herrn 
m^l  'K  f1T\ JUn§eS  MädGhen  V°n  Li3nC0Ure  in  der  Picard-,  ward  durch 
K  nd  ni  T  T  1S°rg?'  "*""*">  Und  h3tte  d3S  Ul*lück>  ™  Einern  todten 
fZt Z f      A  ™'  t116  daß  Sie  V°rher  die  nach  denen  Verordnungen  vor- 

Se  An-ge  gethan  Sie  ward  angeklagt,  und  von  dem  ersten  Richter, 
nach  dem  klaren  Buchstaben  der  Geseze,  als  eine  die  die  Leibesfrucht  abgetrieben 
LstäriT  St;an§  Terurthellt-  Di-«  Urtheil,  welches  hernach  vom  Parlement 
bestattgt  wurde  sollte  nun  vollzogen  werden,  als  Herr  von  Mandeville,  von  den 
schwar2en  Muskeuers  der  diese  Sache  erzehlen  hörte,  sich  des  Mädchens  so  leb- 
haft annahm,  daß  er  gle.ch  mit  einem  Memorial  über  dieses  Geschäft  nach  Marly 

Te^  ?  rr,M  eu'/^fU  Madam  DÜ  Bar^'  diG  ihm  unbekann<  -r,  begab! 
*e  mit  solchem  Nachdruk  bat,  Gnade  für  dieses  Mädchen  auszuwirken,  daß sie 
hm  zusagte.  In  der  Tat  schrieb  sie  auf  der  Stelle  diesen  Brief  an  den  Herrn  Kanz- 
ler, und  Herr  von  Mandeville  war  der  Überbringer  desselben 


332  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry 

nunft,  wider  die  Menschlichkeit,  wenn  sie  ein  Mädchen,  das  ein 
todtes  Kind  gebohren  hat  ohne  es  anzuzeigen,  an  den  Galgen 
bringen.  Laut  inliegendem  Memorial  befindet  sich  die  Suppli- 
kantin in  diesem  Fall.  Es  scheint,  man  habe  sie  nur  deßwegen 
verurtheilt,  weil  sie  die  Gebräuche  nicht  wußte,  oder  weil  sie  aus 
ganz  natürlicher  Schamhaftigkeit  ihnen  nicht  nachkam.  Ich  ver- 
weise die  Prüfung  der  Sache  an  Ihre  Gerechtigkeitsliebe;  aber 
diese  Unglückliche  verdient  Nachsicht.  Ich  ersuche  Sie  wenig- 
stens um  Linderung  der  Strafe.  Ihre  Weichherzigkeit  wird  Ihnen 
das  Uebrige  eingeben.  Ich  habe  die  Ehre  zu  seyn  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

XXXIII.  Brief 
VON  HERRN  VON  MAUPEOU 

Den  6.  Heumon.  1769. 

Madam  und  werthe  Baase!1 

Ich  kan  Ihnen  nicht  genug  sagen,  wie  vielen  Dank  ich  Ihnen 
weiß,  daß  Sie  mir  eine  Gelegenheit  verschaft  haben,  wo  ich 
Ihnen  meine  vollkommene  Ergebenheit  bezeugen  kan.  Ich  werde 
alle  Anlässe,  die  sich  ereignen,  mit  einem  solchen  Eifer  ergreifen, 
daß  Sie  über  alle  Gesinnungen,  worvon  ich  mir  die  höchste  Ehre 
mache,  sie  Ihnen  gewidmet  zu  haben,  nicht  den  mindesten  Zwei- 
fel hegen  sollen.  Ich  habe  über  das  Geschäft,  dessen  Sie  sich  an- 
nehmen, einen  Aufschub  ordoniert,  und  sobald  man  mir  die 
Schriften  zugestellt  hat,  werde  ich  machen,  daß  die  Beklagte  die 

1  Herr  von  Maupeou,  um  sich  je  länger  je  mehr  in  die  Gunst  des  Monarchen 
zu  sezen,  hatte,  als  er  wahrnahm,  daß  die  Familie  der  Du  Barry,  sich  denen  Bari- 
more  in  Engelland,  die  von  sehr  hoher  Geburt  sind,  und  mit  denen  sich  Herr  von 
Maupeou  für  verwandt  ausgab,  anfliken  wollte,  diese  Ansprache  unterstüzt,  und 
betittelte  Madam  Du  Barry  als  seine  Baase;  welches  dem  König  ein  wahres  Ver- 
gnügen war.  Herr  von  Maupeou  trieb  diese  Schmeicheley  bis  zur  Ausschweifung. 
Eines  Tages,  als  er  zu  Madam  Du  Barry  kam,  um  ihr  seine  Aufwartung  zu  machen, 
stunden  alle  Anwesenden,  aus  Achtung  für  seinen  Staatsrok,  auf.  „Bleiben  Sie 
sizen,  meine  Herren,  sagte  er  ihnen,  es  ist  hier  nur  ein  Besuch  unter  Verwandten." 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  333 

Gnade  erhält.  Es  würde  sich  an  die  erste  Magistratsperson  nicht 
allerdings  schiken,  Ihren  Deklamationen  gegen  die  Geseze,  dessen 
Stelle  ihn  in  die  Nothwendigkeit  versezt,  auf  die  Ausübung  zu 
dringen,  durchaus  Beyfall  zu  geben.  Indessen,  meine  theure 
Baase,  muß  ich  gestehen,  daß  sie  unendlich  mehr  Werth  haben 
würden,  wenn  sie  von  einem  so  aufgeklärten  und  so  wohlthätigen 
Genie,  als  das  Ihrige,  diktirt  gewesen  wären.  Sie  geben  einen 
sehr  glänzenden  Beweis,  durch  die  Menschenliebe,  die  Sie  heute 
zu  Tage  legen,  davon,  und  ich  hätte  dieses  neuen  Zugs  Ihrer 
gefühlvollen  Seele  nicht  bedörfen,  um  überzeugt  zu  seyn,  daß 
unser  Herr  keine  rühmlichere  Wahl  hätte  treffen  können.  Leben 
Sie  wohl,  meine  verehrungswürdige  Baase,  erinnern  Sie  sich 
immer,  daß  Ihre  kleinsten  Wünsche  für  mich  Befehle  sind. 
Ich  bin  mit  Ehrfurcht  etc.  von  Maufeou. 

XXXIV.  Brief 

VON  HERRN  VON  MAUPEOU 

Marly,  den  8.  Heumon.  1769. 

Madam  und  werthe  Baase! 

Die  Beklagte  hat  Ihre  Gnade  erhalten.  Wie  viel  bin  ich  Ihnen 
nicht  schuldig,  da  ich  mir  schmeicheln  kan,  daß  ich  bey  diesem 
Anlaß  von  einer  wohlthätigen  Gottheit  begeistert  war.  Ich  bin 
etc*  von  Maupeou. 

XXXV.  Brief 

AN  DEN  GRAFEN  DU  BARRY 

Den  20.  Heumon.  1769. 

Ich  bin,  mein  Schwager,  mehr  dann  jemals  in  Gunsten  bey 
dem  König,  und  so  sehr  man  es  seyn  kan,  bey  Hofe.  Der  Düc 


334  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


von  Richelieu  ist  auf  Leib  und  Leben  mein  Freund.  Der  Kanzler, 
der,  wie  Sie  wissen,  mein  Vetter  geworden  ist,  macht  mir  sehr 
geflissentlich  seine  Aufwart.  Herr  von  Choiseul  hat  nimmer  so 
viel  sichtbaren  Haß.  Er  begleitete  mich  gestern  auf  Triel,  wel- 
ches man  mir  zu  kaufen  geben  möchte ;  allein  Düc  von  Richelieu 
sagte  mir,  ich  sollte  nicht  trauen ;  er  mache  wider  seinen  Willen 
den  Gutherzigen.  Die  Düchesse  von  Grammont,  fahrt,  damit 
sie  mich  nicht  sehen  müsse,  in  der  Welt  herum;  man  will,  sie 
seye  wirklich  in  Holland.  Glük  zu !  ich  mag  nichts  mehr  von  ihr 
reden  hören.  Sind  Ihnen  die  am  Montag  auf  Herrn  Beaujon  an- 
gewiesenen 200,000  Livres  eingehändiget  worden  ?  Sie  melden 
mir  nichts  davon.  Morgen  werde  ich  in  Paris  seyn;  Sie  werden 
mich  in  der  Oper  antreffen. 

Ich  bin  etc.  Gräfin  Du  Barry. 

XXXVI.  Brief 
AN  DIE  GRÄFIN  VON  MOYAN 

Den  4.  Augstmon.  1769. 

Ich  schike  Ihnen  einen  Expressen,  Madam,  um  Ihnen  zu  sa- 
gen, daß  wir  für  Herrn  und  Mademoiselle  von  Louerme1  Gnade 
erlangt  haben.  Seine  Majestät  haben  mir  selbige  auf  die  ver- 
bindlichste Weise  bewilliget.  „Es  freuet  mich,  sagte  mir  der  Kö- 
nig, daß  die  erste  Gnadenbezeugung,  die  Sie  mir  abnöthigen, 
eine  menschenliebende  Handlung  ist."  Kommen  Sie  morgen, 
Ihren  Dank  dafür  abzustatten,  so  werden  Sie  zu  gleicher  Zeit 
Zeugen  von  dem  Vergnügen  seyn,  das  ich  empfinde,  Ihnen  ge- 
dient zu  haben.  Ich  bin  etc.  Gräfin  Du  Barry. 

1  Der  Graf  und  die  Gräfin  von  Louerme,  beyde  von  sehr  grosser  Herkunft, 
wurden  wegen  Aufruhr  wider  die  Justiz  zum  Tode  veurtheilt.  Die  Gräfin  von 
Moyan  war  ihre  Tochter.  Der  Kanzler  schlug  ihnen  die  Gnade  ab ;  allein  aus  Po- 
litik gestattete  er  einen  Aufschub  des  Urtheils,  um  seiner  Baase  die  Gelegenheit 
aufzubehalten,  sich  auszeichnen  zu  können. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  R,„v 


335 


XXXVII.  Brief 
VON  DER  MARQUISIN  VON  MONTMORENCY 

T„i,  i.   u  -i-i  Den  4-  Augstmon.  1760. 

Ich  habe,  meine  hebenswürdige  Gräfin,  einen  ganz  besonderen 
Gedanken  im  Kopf.  Sie  kennen  einen  gewissen  Düe  von  Boute- 
v.l  e;  er  ist  nimmer  gar  jnng,  und  hat  zu  allen  Zeiten  ziemlich 
v.e  Streiche  gemacht;  aber  jezt  ist  er  nach  seiner  Meynung  ent- 
schlossen, gescheht  zu  werden.  Der  erste  Beweis,  den  er  mir  da- 
von gtebt,  >st  daß  er  sich  wieder  heurathen  will.  Er  hat  mich  um 
eme  Frau  gefragt.  Ich  mußte  über  seinen  Entschluß  lachen;  als 
ich  aber  sähe,  daß  es  im  Ernst  gemevnt  war,  sagte  ich  Ihm :  „Sie 
„müssen    lne         ü  ftige  umJ  ^  ^  ^ 

„Mentor  dient  Ich  kenne  eine,  die  ganz  für  Sie  taugt;  allein  ich 
„we,ß  mcht  ob  S1e  Sie  mag.»  Er  hat  mich  hierauf  sehr  ausge- 
gefragt,  und  ich  habe  die  Fräulein  Du  Barry,  Ihre  Schwester 
und  Freundin  genannt.  Wenn  dieses,  meine  liebenswürdige  Grä- 
fin eme  Unbedachtsamkeit  ist,  so  soll  das  Verlangen,  das  ich 
habe,  Ihre  Befreundtin  zu  werden,  meine  Entschuldigung  sevm 
Reden  Sie  immer  mit  Ihrer  Fräulein  Schwester  darüber.  Wenn 
die  Sache  zu  Stand  kommt,  so  ist  es  gut,  wo  nicht,  so  werde  ich 
nichtsdestoweniger  auf  Zeitlebens  Ihre  Freundin  seyn. 

Marquisin  von  Montmorency. 

XXXVIII.  Brief 
AN  DIE  GRÄFIN  VON  MONTMORENCY 

rv     T.     .  .     .  „  ^en  10.  Augstmon.  1760. 

Die  Verbindung,-  Madam,  die  Sie  mir  vorschlagen,  ist  für 

meine  Schwester  und  mich  schmeichelhaft.  Ich  habe  mit  dem 

Kn  solche! 1t«  17     l  '  -^T'  ^  Schulden'  und  d™*™  *  üblem  Ruf  ' 

•   Sie  ildtl  \  d«  F-ontm  aut  eine  ausnehmende  Weise  ihre  Aufwartung 
Sie  fand  jedoch  mcht  statt,  denn  der  Düc  von  Bouteville  begehrte  zum  vor- 


336  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

König  daraus  geredt,  der  es  genehmiget.  Sehen  Sie,  daß  Sie  die 
Sachen  auf  das  beste  berichtigen,  wir  lassen  alles  gänzlich  an 
Sie.  Seyn  Sie  versichert,  daß  ich  eine  so  schmeichelhafte  Ver- 
bindung so  sehr  wünsche,  als  Sie,  Ich  umarme  Sie,  und  bin  Ihre 
Freundin. 

Gräfin  Du  Barry. 


XXXIX.  Brief 

AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON1 

Sie  sind,  mein  Herr  Düc,  zu  sehr  mein  Freund,  als  daß  ich 
nicht  alle  Gelegenheit,  Ihnen  zu  dienen,  mit  Eifer  ergreife.  Ich 
habe  nun  bey  dem  König  um  die  Genehmigung  des  Commando 
der  leichten  Reuter,  die  Sie  kaufen  möchten,  angehalten.  „Ja, 
„der  Düc  von  Choiseul,  sagte  Er  mir,  hat  es  für  den  Vicomte 
„von  Choiseul  begehrt.  —  In  diesem  Fall,  antwortete  ich  Ihme, 
„kömmt  noch  eine  Ursache  darzu,  mir  selbiges  zu  bewilligen, 
„denn  man  muß  ihn  ein  bisgen  wegen  seiner  Feindseligkeit  und 
„Bosheit,  die  er  gegen  mich  hat,  züchtigen."  Seine  Majestät 
lächelten,  und  sagten,  daß  Sie  mir  nichts  abschlagen  könnten. 
Nun  sind  Sie  zufrieden,  und  ich  auch.  Meine  Empfehlung  an 
meine  gute  Freundin,  Madam  von  Aiguillon.  Ich  wünsche  Ihnen 
einen  guten  Tag,  mein  Herr  Commandant  der  leichten  Reuter 
von  der  Königl.  Garde. 

Gräfin  Du  Barry. 

aus  die  Freyheit  des  Düc  von  Olonne  seines  Sohns,  der  auf  Zeitlebens  wegen  seiner 
Geburt  eingesperrt  war,  sonst  aber  den  Tod  verwirkt  hatte;  allein  man  wollte  sie 
ihm  niemals  gestatten. 

1  In  dieser  Sammlung  sind  zerschiedene  Briefe  an  Madam  Du  Barry  oder  von 
ihr  selbst  geschrieben,  ohne  Datum.  Man  hat  sie  so  unter  ihren  Papieren  ge- 
funden, ohne  daß  man  gewiß  weiß,  ob  diese  Weglassung  mit  Vorsaz  oder  aus  blosser 
Nachläßigkeit  begangen  worden  ist.  Dem  seye  wie  ihm  wolle,  wir  haben  für  gut 
befunden,  nichts  beyzusezen,  sondern  sie  dem  Publikum  so  wie  wir  sie  gesammelt 
haben,  unter  Augen  zu  legen. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  m 

XL.  Brief 

VON  DEM  DÜC  VON  RICHELIEU 

Meine  verehrungswürdige  Gräfin ! 
Sie  können  der  Ohn Verschämtheit  des  Grafen  von  Lauraguais 
nicht  geschwind  genug  abhelfen.  Er  hat  ein  Mägden  aus  der 
St.  Honore  Strasse  genommen,  ihr  ein  meublirtes  Haus  gegeben, 
und  nun  betitelt  er  sie  öffentlich  Gräfin  Du  Tonneau.  Sie  fühlen 
den  groben  Einfall  einer  solchen  Ungereimtheit.  Wenn  es  noch 
ein  paar  Tage  dauert,  so  ist  ganz  Paris  voll  davon,  man  muß  sie 
also  im  Anfang  unterdrüken.*  Der  Graf  von  Lauraguais  ist  ein 
Freund  des  Düc  von  Choiseul,  nun  wissen  Sie,  von  wem  der 
Streich  herkommt.  Ich  bin,  meine  anbetungswürdige  Gräfin  der 
gehorsamste  Ihrer  Diener.  Düc  von  Richelieu. 

XLI.  Brief 
AN  MADAM  VON  MIREPOIX 

Versailles,  den  I.  Jenner  1770. 

Meine  liebe  Marschallin!  Ich  bin  diesen  Morgen  bevm  König 
gewesen,  um  Ihm,  wie  ich  es  Ihnen  versprochen  hatte,  die  Loges 
von  Nantes  für  Sie  zu  begehren.*  Sie  kriegen  sie  nicht;  und 
wissen  Sie  warum  ?  Weil  sie  Seine  Majestät  einem  recht  schlim- 
men Weib  zum  Neujahrgeschenk  bestimmt  haben.  Sie  werden 
leicht  errathen,  daß  ich  es  bin.  Seine  Majestät  wollen  durchaus, 
daß  ich  sie  behalte.  Nichts  kan  schmeichlender  für  mich  seyn[ 
als  die  freundschaftliche  Art,  mit  der  mir  der  König  dieses  Ge- 

1  Madam  Du  Barry  hat  sehr  über  diesen  Spaß  gelacht,  allein  die  Regierung 
war  desto  ernsthafter.  Die  gute  Gräfin  du  Tonneau  kam  in  die  Salpetersiederev 
und  der  Graf  von  Lauraguais  ist,  da  er  auf  der  Stelle  nach  London  verreißte,  einem 
btekbnef  entgangen. 

r  ;Pie_Loges  von  Nantes   ein  Gegenstand  von  ohngefehr  40000  Livres  jähr- 
licher Einkünften,  gehörten  vorher  der  verstorbenen  Düchesse  von  Lauraguais 
zwar  nur  lebenslänglich. 
I. 

22 


338  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

schenk  machte:1  allein  noch  schmeichjender  würde  es  mir  ge- 
wesen seyn,  wenn  Er  mir  sie  für  Sie  bewilliget  hätte,  denn  ich 
habe  ein  grösseres  Vergnügen,  Gefälligkeit  zu  erweisen  als  zu 
empfangen.  Geben  Sie  mir  Gelegenheit,  Ihnen  einen  wichtigern 
Dienst  erweisen  zu  können,  Sie  werden  sehen,  mit  welchem  Ver- 
gnügen ich  es  thun  werde.  Ich  umarme  Sie,  meine  liebe  Mar- 
schallin, von  ganzem  Herzen.  Gräfin  Du  Barry. 

XLII.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  VILLEROI 

Den  I.  Hornung  1770. 
Ihr  Schreiben,  mein  Herr  Düc,  weit  entfernt  Sie  zu  entschul- 
digen, bringt  mich  wegen  Ihrem  schlechten  Betragen  und  der 
Niederträchtigkeit  Ihrer  Gesinnungen2  nur  desto  mehr  gegen 
Sie  auf.  Ich  will  Sie  weder  sehen,  noch  etwas  von  Ihnen  hören. 
Thun  Sie  keinen  Schritt  mehr  zu  mir.  Gräfin  Du  Barry. 

1  Man  könnte  leicht  glauben,  Madam  Du  Barry  hätte  dieses  Geschenk,  statt 
für  Madam  Mirepoix  zu  begehren,  für  sich  selbst  begehrt;  allein  sie  gieng  gerade 
zu  Werk,  und  die  Art,  wormit  sie  ganz  kurz  in  ihrem  Brief  Nachricht  ertheilt, 
ist  nicht  so  sehr  zu  ihrem  Vortheil,  als  was  sonsten  statt  hat.  Der  König  war  damals 
von  seinen  Höflingen  umgeben.  Madam  Du  Barry  kam  ganz  freudig  ins  Zimmer 
getretten,  und  nach  den  ersten  gewöhnlichen  Complimenten  sagte  sie:  „Sire!  ich 
„komme  Ihnen  mein  Neujahrgeschenk  zu  begehren,  nemlich  die  Loges  von  Nan- 
„tes,  für  meine  gute  Freundin  die  Madam  von  Mirepoix.  Das  kan  nicht  seyn,  sagt 
„ihr  der  König,  ich  habe  darüber  verfügt.  Wohlan,  erwiederte  Madam  Du  Barry 
„mürrisch,  das  ist  nun  die  vierte  Gunst,  um  die  ich  Sie  bitte,  und  die  Sie  mir 

„abschlagen.  Der  T soll  mich  holen,  wenn  ich  Sie  hinf uro  mehr  beunruhige ! 

„Der  König  verwies  ihr,  daß  dieses  das  Jahr  übel  angefangen  seye,  wenn  man  murre. 
„Und  Sie  noch  übler,  Sire,  sagte  Madam  Du  Barry.  Machen  Sie  was  Sie  wollen, 
„versezte  der  König,  Sie  werden  mich  nicht  von  meinem  Entschluß  abbringen. 
„Ich  bin  froh,  daß  Sie  sich  mit  so  vieler  Wärme  für  Ihre  Freundin  verwenden; 
„allein  wissen  Sie,  für  wen  ich  dieses  Geschenk  bestimmt  habe!  Für  Sie,  Madam." 
Und  Er  umarmte  sie. 

2  Der  Düc  von  Villeroi  war  ein  erz  Libertin.  Er  war  in  eine  Kammerjungfer 
der  Mädam  Du  Barry,  die  Sophie  hieß,  ausserordentlich  verhebt,  und  nachdem  er 
sie  überredt  und  geschwängert  hatte,  nahm  er  sie  aus  dem  Dienst  weg,  und  gab 
ihr  eigene  Wirthschaft.  Herr  von  ChoiseuL,  der  da  wußte,  daß  er  öfters  zu  Madam 
Du  Barry  gieng,  verwies  ihm  die  niederträchtige  und  sclavische  Aufwartung,  die 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  339 

XLIII.  Brief 

VON  DEM  ABE  TERRAY,  GENERAL-CONTROLEUR 

DER  FINANZEN1 

Die  Freundschaft,  mit  der  Sie  mich  zu  beehren,  und  alle  das 
Gefällige,  das  Sie  Ihrem  Erlauchten  Liebhaber  von  mir  zu  sagen 
belieben,  machen  es  mir  zur  Pflicht,  Ihnen  meine  Erkenntlich- 
keit auf  die  überzeugendste  Weise  dafür  zu  bezeugen.  Ich  habe 
ein  Projekt  auszuführen,  das  Sie,  wie  ich  hoffe,  nicht  übel  finden 
werden.  Dr  König  giebt  Ihnen  eine  Pension  von  30  000  Livres 
monatlich,  welches  ohne  Widerspruch  für  den  ausserordentlichen 
Aufwand,  den  Sie  nach  Ihrem  Stand  machen  müssen,  zu  schmal 
ist.  Sie  wissen  es  am  besten,  weil  Sie  auf  den  Hofbanquier  ab- 
geben müssen,  welches  ich  in  seiner  Rechnung  für  baares  Geld 
annehme.  Ich  werde  Sr.  Majestät  anrathen,  Ihre  Pension  zu  ver- 
doppeln, zu  dem  Ende  werde  ich  Ihm  begreiflich  machen,  daß 
dardurch  erspart  werde,  indem  alsdann  Ihre  kleinen  Zedelgens 
und  Abgaben,  die  ich  als  sehr  beträchtlich  angeben  will,  auf- 
gehoben werden  könnten.  Unter  uns  beyden  sollen  sie  doch  gel- 
ten, und  ich  werde  sie  dem  Hofbanquier  gleichwohl  in  der 
Rechnung  annehmen.  Sehen  Sie,  das  ist  alles,  was  ich  jezt  für 
Sie  thun  kan,  um  Ihnen  meinen  Eifer  und  meine  Ergebenheit, 
die  ich  Ihnen  Zeitlebens  gewidmet  habe,  zu  bezeugen.  Ich  bin 
mit  Ehrfurcht,  Frau  Gräfin  etc.  Terray. 

er  ihro  mache.  „Sie  irren  sich,  antwortete  ihm  der  Düc  von  Villeroi,  ich  habe 
„niemals  keinen  Schritt  zu  dieser  Creatur  um  ihrentwillen,  sondern  um  Sophie 
„ihrer  Kammerjungfer  willen  gethan.  Die  Probe  darüber  ist,  daß  ich  ihr  eigene 
„Wirthschaft  gegeben  habe,  und  sie  förmlich  zu  meiner  Maitresse  mache."  Ma- 
dam Du  Barry,  der  man  diese  Antwort  hinterbrachte,  schikte  den  Düc  das  erste 
mal,  als  er  zu  ihr  kam,  wieder  weg,  und  verbot  ihm,  ihr  jemals  wieder  unter  die 
Augen  zu  kommen.  Er  hatte  noch  die  Ohnverschämtheit,  ihr  zuzuschreiben,  um 
sich  zu  entschuldigen,  erhielt  aber  obige  Antwort. 

1  Starb  den  22.  Hornung  1778  auf  Seinem  Schloß  de  la  Motte. 

2  Diese  Einrichtung  hatte  in  der  That  statt,  und  Madam  Du  Barry  gab  nicht 
nur  immer  Anweisungen  auf  den  Hofbanquier  ab,  sondern  auch  ihr  Schwager  that 
das  gleiche  wenn  er  wollte. 


34°  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

XLIV.  Brief 

AN  DEN  ABE  TERRAY 

Sie  sind  ein  verehrungswürdiger,  ein  fürtreflicher,  ein  herr- 
licher Mann,  mein  lieber  Abe.  Alles  was  Sie  thun,  ist  wohl  ge- 
than,  und  kan  nicht  änderst,  als  Seiner  Majestät  und  mir  an- 
genehm seyn.  Ich  mache  Ihnen  schon  zum  voraus  meine  Dank- 
sagung. Glauben  Sie  nur,  daß  ich  immer  bereit  seye,  Ihnen  alle 
Dienste  zu  erweisen,  deren  ich  fähig  bin.  Ich  wünsche  Ihnen 
einen  guten  Tag.  Gräfai  Du  Barry. 

XLV.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  RICHELIEU 

Hüten  Sie  sich  wohl,  meine  anbetungswürdige  Gräfin,  den 
Gedanken  auszuführen,  den  Ihnen  der  Düc  von  Noailles  in  den 
Kopf  gesetzt  hat,  nach  dem  Gesundbrunnen  von  Bareges  ab- 
zugehen, damit  sie  bey  der  Ankunft  der  Madam  Dauphine  nicht 
zugegen  seyen,  unter  dem  Vorwand,  daß  Sie  bey  denen  Lust- 
barkeiten, die  nur  für  sie  sind,  eine  schlechte  Figur  machen  wür- 
den, und  Ihnen  die  Prinzeßin  Verdruß  machen  könnte.  Der  Düc 
von  Noailles,  der  Ihnen  so  gerathen  hat,  kan  nicht  Ihr  Freund 
seyn.  Er  ist  ein  Miethling  des  Düc  von  Choiseul,  der  sich  Ihre 
Abwesenheit  zu  Nuze  machen  möchte,  um  Sie  aller  Macht,  die 
Sie  auf  den  König  haben,  verlustig  zu  machen.  Sie  sind  seine 
Gottheit;  verlassen  Sie  ihn  keinen  Augenblik.  Da  Sie  jung  und 
schön  sind,  so  kennen  Sie  die  Gefahren  der  Abwesenheit  nicht. 
Was  würde  man  alsdann  nicht  anwenden,  um  Ihn  von  einer 
Liebe  abzubringen,  die  seine  ganze  Glükseligkeit  ausmacht,  und 
die  man  Ihm  in  einem  ganz  andern  Gesichtspunkt  vorstellen 
würde  ?  Das  Alter  schwächt  die  Begierde,  wenn  sie  nicht  immer 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  341 


gereizt  wird.  Ich  sage  Ihnen  weiter  nichts,  meine  himmlische 
Gräfin,  aber  wissen  Sie,  daß  Sie  alles  zu  verlieren  haben,  wenn 
Sie  weggehen. 
Ich  bin  mit  Ehrfurcht  etc. 

Düc  von  Richelieu. 

XL  VI.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Den  30.  Augstmon.  1770. 

ich  danke  Ihnen,  mein  lieber  Düc,  für  Ihren  Rath.  Düc  von 
Richelieu  ist  auch  Ihrer  Meynung,  und  ich  habe  mich  bey  der 
huldreichen  Aufnahm,  die  mir  Madam  la  Dauphine  machte,  sehr 
wohl  befunden.  Was  Sie  betrift,  so  bin  ich  gestern,  obwohlen  ich 
das  Geschäft  nicht  verstehe,  bey  Herrn  von  Maupeou  gewesen, 
um  Ihren  Rechtshandel  im  Parlament  aufzuheben.  Ich  habe  dem 
König  nach  unserer  Verabredung  gesagt,  daß  Choiseul  Ihre  Rich- 
ter wider  Sie  aufgewiegelt  habe,  weil  Sie  meine  Parthey  ergrei- 
fen. Se.  Majestät  ist  entschlossen,  alle  Schriften  Ihres  Rechts- 
handels zu  seinen  Händen  zu  nehmen,  da  Er  Sie  gegen  alle  Bey- 
lagen,  die  Ihnen  gemacht  worden  sind,  durchaus  als  gerecht- 
fertigt ansieht.  Nun  sollten  Sie  zufrieden  seyn.  Ich  umarme 
meine  liebe  Düchesse,  und  wünsche  Ihnen  einen  guten  Morgen. 

Gräfin  Du  Barry. 

XLVII.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Ich  glaube  nicht,  mein  lieber  Düc,  daß  alle  vereinten  Künste 
jemals  ein  vollkommeneres  und  prächtigeres  Meisterstük  hervor- 
gebracht haben,  als  den  zweysizigen  Wagen,  den  ich  von  Ihnen 


342  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

erhalte.1  Wenn  ich  nicht  aufhören  kan,  alle  Talente,  die  alle 
Künstler  darin  gezeigt  haben,  zu  bewundern,  wie  viele  Lobes- 
erhebungen bin  ich  nicht  dem  Geschmak  desjenigen  schuldig, 
der  es  so  angeordnet  hat !  Ich  werde  ein  wahres  Vergnügen  haben, 
meine  Bewunderung  mit  dem  König  zu  theilen.  Indessen  da  man 
noch  nichts  so  herrliches  von  dieser  Art  gesehen,  so  besorge  ich, 
Se.  Majestät  möchten  sich  meinem  Verlangen  das  ich  habe,  mich 
dieses  Wagens  zu  bedienen,  widersezen.  Allein  es  begegne  was  da 
wolle,  so  bitte  ich  Sie,  von  meiner  Erkenntlichkeit  eben  so  wie  von 
meiner  Begierde,  Ihnen  bey  allen  Gelegenheiten  Proben  meiner 
aufrichtigenErgebenheit,dieichIhnenlebenslanggewidmethabe, 
immer  versichert  zu  seyn.  Ich  bin  etc.  Gräfin  Du  Barry. 

1  Nach  dem  Anhalten  der  Madam  Du  Barry  zog  der  König  selbst  alle  Schriften 
des  Rechtshandels  des  Düc  von  Aiguillon  in  sein  Lit  de  Justice  vom  30.  Herbst- 
mon.  1770  zurük.  Dieser  Heß  aus  Erkenn tlichkeit  einen  Wagen  machen,  in  welchem 
zwo  Personen  gegen  einander  über  sizen  können,  (un  vis-ä-vis)  worvon  in  obigem 
Brief  Erwehnung  geschieht,  und  sandte  ihn  seiner  Wohlthäterin.  Nichts  war  zu 
selbiger  Zeit  eleganteres  und  prächtigeres.  Ganz  Paris  gieng  hin,  ihn  aus  Neugier 
zu  sehen.  Auf  denen  vier  Hauptpanneaux  war  das  Wappen  der  Du  Barry  im  Gold- 
grund mit  dem  famosen  Kriegsgeschrey :  Boutez  en  avant,  d.  i.  Dringt  hinein. 
Auf  denen  Nebenpanneaux  sähe  man  Körbgen  mit  Rosen  gezieret,  auf  welchen 
sich  zwey  Täubgen  vollüstig  schnäbelten,  nebst  einem  von  Fieilen  durchbohrten 
Herzgen  und  Amors  Waffen.  Dieser  Wagen  hat  den  Düc  von  Aiguillon  52  000 
Livres  gekostet.  Das  Publikum  hat  sich  an  dieser  so  ungereimten  Pracht  geärgert, 
und  ist  hierüber  folgendes  Epigramm  gemacht  worden: 
Pourquoi  ce  brillant  vis-ä-vis  ? 
Est  ce  le  char  d'une  Deesse, 
Ou  de  quelque  jeune  princesse  ? 
S'ecrioit  un  badaud  surpris. 
Non  ...  de  la  foule  curieuse 
Lui  repond  un  caustique,  non; 
C'est  le  char  de  la  blanchisseuse 
De  cet  infame  d' Aiguillon. 
d.  i.  „Warum  dieses  glänzende  Vis-a-Vis?  Ist  es  der  Wagen  einer  Göttin,  oder 
irgend  einer  jungen  Prinzeßin  ?  rief  ein  erstaunter  Pariser  aus.  Nein  —  rief  unter 
der  neugierigen  Menge  eine  beissende  Stimme,  nein,  es  ist  der  Wagen  der  Wäsche- 
rin, (muß  aber  hier  nicht  wörtlich,  sondern  durch  die  Periphrase :  die  den  ehrlosen 
Düc  von  Aiguillon  bey  dem  König  wiederum  weiß  gewaschen  oder  ehrlich  ge- 
macht hat,  verstanden  werden.) 

Madam  Du  Barry  hat  sich  auch  wirklich  dieses  Wagens  nicht  bedient,  denn 
der   König,  der  selbigen  allzu  prächtig  fand,  hatte  es  ihro  verbotten. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  343 


XL VIII.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  NOAILLES 

Frau  Gräfin! 

Ich  habe  von  Madam  la  Düchesse  von  Grammont  einen  Auf- 
trag an  Sie,  den  ich  mit  so  viel  grösserm  Vergnügen  befolge,  da 
er  mir  den  Vorzug  verschaft,  mich  für  einen  Augenblik  mit  der 
Gottheit  zu  unterhalten,  die  die  Zierde  des  Hofes  ausmacht. 
Diese  Dame  kränkt  sich,  daß  sie  nicht  bey  Ihnen  in  Gunsten 
stehen.  Sie  weiß  nicht,  wem  sie  das  kaltsinnige  Wesen,  welches 
sie  zwischen  Ihnen  und  ihro  zu  herrschen  vermeynt,  zuschreiben 
soll.  Sie  hat  vorzüglich  viele  Hochachtung  tür  Sie,  und  da  sie 
jez  von  ihren  Reisen  zurük  ist,  so  wünscht  sie  mit  grosser  Be- 
gierde, daß  der  Friede  zwischen  Ihnen  beyden  wieder  herge- 
stellt werden  möchte.  Sie  hat  mich  dahero  zu  ihrem  Mittelmann 
erwählt.  Kan  ich  mich  guten  Erfolgs  schmeichlen  ?  Ich  soll  Ihnen 
nur  für  mich  sagen,  daß  es  ihro  leid  ist,  daß  sie  Ihnen  bey  et- 
welchen  Anlässen  aus  handen  gegangen  ist;  allein  ihr  Geständniß, 
und  der  Schritt,  den  Sie  thut,  sollen  ihr  zur  Vergebung  dienen, 
besonders  gegen  Ihnen  Madam,  deren  Güte  sich  schon  bey  so 
manchem  Anlaß  ausgezeichnet  hat.  Ich  bitte  Sie  also,  auf  ihre 
Bitte  zu  merken,  und  mich  einer  kleinen  Antwort  zu  würdigen. 
Ich  bin  mit  Hochachtung  etc.  Düc  von  Noailles. 

XLIX.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  NOAILLES 

Wie,  mein  Herr  Düc,  Madam  von  Grammont  weiß  nicht,  wie 
sie  sagt,  wem  sie  die  Feindschaft,  die  zwischen  ihr  und  mir 
herrscht,  zuschreiben  soll  ?  Ist  ihr,  ihr  beleidigender  Stolz,  ihre 
Verachtung  und  ihre  ohnverschämten  Reden  unbekannt  ?  Weiß 


344  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


sie  nichts  mehr  von  den  Liedgens,  die  sie  sowohl  wider  den  Kö- 
nig, der  sie  mit  Wohlthaten  überhäufte,  als  wider  mich  gemacht 
hat  ?  Hat  sie  alle  ihre  heimlichen  Ränke,  alle  ihre  Intriguen  und 
alle  ihre  Kabalen,  um  mich  in  dem  Herzen  Sr.  Majestät  und  der 
Königl.  Familie  anzuschwärzen,  vergessen  ?  Wenn  alle  diese  ge- 
häßigen  Umtriebe  aus  ihrem  Andenken  verschwunden  sind,  so 
sind  sie  noch  dem  meinigen  eingeprägt;  aber  in  Wahrheit  nur 
um  sie  zu  verachten.  Indessen  behalte  ich  doch  keinen  Groll  bey : 
sagen  Sie  ihr,  daß  ich  Ihrer  gern  nicht  mehr  gedenken  will,  mit 
dem  Beding,  daß  ich  sie  niemals  wieder  sehe.  Diesem  zufolg  er- 
scheine sie  nimmer  bey  Hof,  lebe  ruhig  in  Paris,  ich  verspreche 
es  Ihnen  und  ihro,  daß  ich  sie  keineswegs  beunruhigen  werde. 
Ich  bin  überzeugt,  daß  wenn  sie  mich  noch  zu  Grunde  richten 
könnte,  sie  es  thun  würde.  Großmüthiger  als  sie,  begnüge  ich 
mich,  sie  zu  bitten,  mich  mit  ihrer  Gleichgültigkeit  zu  beehren, 
gleichwie  ich  ihr  die  meinige  widme.  Ich  bin  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 


L.  Brief 
VON  HERRN  VON  MAUPEOU 

Den  5.  Christmon.  1770. 

Madam  und  werthe  Baase! 
Sie  haben  nicht  weniger  Einfluß  in  die  Geschäfte  des  Staats, 
als  wenn  Sie  das  Steuer  führten,  mithin  da  unser  Interesse  ge- 
meinschaftlich ist,  so  müssen  wir  sehr  einig  seyn,  und  nichts  als 
für  das  allgemeine  Wohl  sorgen,  in  welchem  wir  als  gute  Köpfe 
auch  das  unserige  finden.  Gestern  gaben  wir,  wie  Sie  sehr  hübsch 
sagten,  dem  Parlement  einen  Filz,  indem  wir  ihm  den  Zuspruch 
machten,  künftig  vorsichtiger  zu  seyn;  allein  dieses  stolze, 
herrschsüchtige  Korp,  dessen  Ehrgeiz  so  weit  geht,  daß  es  sich 
die  höchste  Gewalt  anmassen  möchte,  ist  durch  den  Düc  von 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  345 

Choiseul  seinen  Beschüzer  aufgebracht,  sich,  wider  das  neue  Gesez 
Seiner  Majestät  aufzulehnen.  Ein  Gesez,  das  jedoch  nichts  an- 
ders, als  die  Erneuerung  eines  alten,  welches  schon  vor  mehr  als 
hundert  Jahren  eingetragen  und  ausgeübt  worden  ist.  Da  der 
Düc  von  Choiseul,  unser  gemeinschaftlicher  Feind,  und  noch 
mehr  der  Ihrige  als  der  meinige  ist,  so  werden  Sie,  so  lange  er 
den  Posten  beybehält,  nicht  sicher  seyn,  und  da  nun  der  Zeit- 
punkt da  ist,  wo  wir  ihn  auf  immer  vom  Hals  schaffen  müssen,  so 
laßt  uns,  uns  mit  einander  vereinigen. 

Sie  Ihrer  Seits  müssen  dem  König  beständig  zu  Ohren  liegen, 
daß  Choiseul  das  Parlement  heimlicher  Weise  aufwiegle,  seine 
Obliegenheiten  zu  unterlassen,  und  sich  gegen  Seine  Majestät 
aufzulehnen.  Wenn  Sie  nun  dieses,  ohne  daß  es  den  Anschein 
hat,  daß  Ihnen  weiters  etwas  daran  gelegen  seye,  werden  vor- 
gebracht haben,  so  will  ich  dem  König  die  stärksten  Beweise  da- 
von geben;  ich  werde  Ihm  gleicher  Weise,  mit  Schriften  in  der 
Hand  zeigen,  daß  die  Düchesse  von  Grammont,  unter  dem  Vor- 
wand einer  Lustreise,  gesucht  habe,  die  übrigen  Parlementer 
aufzuwieglen,  um  sie  gegen  Seine  Befehle  widerspänstig  zu  ma- 
chen. Zulezt  wird  der  Düc  von  Aiguillon,  und  Abe  Terray,  dem 
König  auf  eine  geschikte  Weise  beybringen,  daß  Düc  von  Choi- 
seul, um  all  seyn  Ansehn  beyzubehalten,  durch  geheime  Um- 
triebe den  Krieg  zu  reizen  suche,  obschon  er  sich  vorwärts  Mühe 
giebt,  den  friedlichen  Gesinnungen  Sr.  Majestät  beyzustimmen. 

Dieses  ist  mehr  als  genug,  um  einen  in  den  Augen  unsers  Mo- 
narchen ehrgeizigen  Minister  zu  stürzen,  der  ihn  nimmer  liebt, 
sondern  so  zu  sagen  nur  noch  aus  Gewohnheit  an  ihm  hängt, 
weil  er  ihn  fürchtet,  und  als  einen  nothwendigen  Mann  ansieht. 
Dieses  ist  nun  der  Weg,  den  wir  einschlagen  müssen.  Über  Ihren 
Scherz  in  Ansehung  des  Düc  von  Choiseuls1  bin  ich  ganz  be- 

1  Der  Scherze  waren  von  Madam  Du  Barry  auf  den  Düc  von  Choiseul,  zween, 
nur  weiß  man  nicht  recht,  von  welchem  Herr  von  Maupeou  hier  redt :  dem  seye 
zwar  wie  ihm  wolle,  hier  sind  beyde.  Eines  Tags  da  Madam  Du  Barry  bey  dem  Kö- 


346  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry 

zaubert:  dergleichen  lustige  Einfälle  versezen  Hiebe,  man  muß 
aber  so  viel  Wiz  haben  als  Sie,  um  sie  so  gelegen  zu  erfinden.  Es 
ist  nicht  nöthig,  Ihnen  Verschwiegenheit  in  unserm  Unterneh- 
men zu  empfehlen,  es  ist  Ihnen  so  viel  als  mir  daran  gelegen,  es 
geheim  zu  halten, 

Ich  bin  mit  Hochachtung  etc.  von  Maupeou. 


LI.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  VRILLIERE 

Den  24.  Christm.  1770  um  10  Uhr  morgens. 

Mein  lieber  Düc!  Hier  sind  zween  Befehlsbriefe,1  die  der  Kö- 
nig unterzeichnet  hat,  mit  dem  Auftrag  an  Sie,  selbige  auf  der 
Stelle  denen  Herren  von  Choiseul  und  Praslin  kund  und  wissen 
zu  lassen.  Verlieren  Sie  keinen  Augenblik.  Ich  bin  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

nig  war,  hielt  sie  zwo  Oranges,  die  sie  in  die  Höhe  warf,  und  darbey  sagte :  Springe 
Choiseul!  Springe  Praslin! 

Ein  andermal  begegnete  ihr  einer  ihrer  Köche,  der  viele  Ähnlichkeit  mit  dem 
Düc  von  Choiseul  zu  haben  schien,  auf  der  Treppe.  „Seyd  ihr  in  meinem  Dienst  ? 
„sagte  sie  zu  ihm.  Ja  Madam,  antwortete  er.  „Wohlan,  versezte  Madam  Du 
„Barry,  ihr  habt  ein  allzu  widriges  Ansehen,  sagt  meinem  Hausverwalter,  daß  ich 
„euch  nimmer  sehen  wolle,  und  daß  er  euch  auf  der  Stelle  wegschike."  Dieses  ge- 
schähe. Den  gleichen  Abend  erzehlte  Madam  Du  Barry  dem  König,  was  sich  zu- 
getragen, mit  dem  Beyfügen:  „Ich  habe  meinen  Choiseul  weggeschikt,  wann  wer- 
„den  Sie  den  Ihrigen  wegschicken  ?" 

1  Hier  sind  die  zween  Befehlsbriefe.  Der  erste  ist  an  den  Düc  von  Choiseul. 
Mein  Vetter! 

„Daß  Mißvergnügen,  welches  mir  ihre  Dienste  verursachen,  nöthiget  mich, 
,sie  nach  Chanteloup  zu  verweisen,  wohin  sie  sich  in  24  Stunden  begeben  werden. 
Ich  hätte  sie  viel  weiter  geschikt,  wenn  es  nicht  wegen  der  Achtung,  die  ich  für 
„die  Frau  Düchesse  von  Choiseul  trage,  wäre,  deren  Gesundheit  mir  interessant 
„ist.  Nehmen  sie  sich  in  Acht,  daß  ihre  Aufführung  mich  nicht  auf  einen  andern 
„Entschluß  bringe.  Indessen  bitte  ich  Gott,  daß  er  sie  in  seinen  heiligen  Schutz 
„nehme."  Ludwig. 

Der  zweyte  an  den  Düc  von  Praslin : 

„Ich  brauche  ihrer  Dienste  nimmer,  und  verweise  sie  daher  nach  Praslin,  wohin 
„sie  sich  in  vier  und  zwanzig  Stunden  begeben  werden."  Ludwig. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  347 

LH.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON 

Den  27.  Christm.  1770. 

Ich  habe,  Frau  Gräfin,  allzu  viele  Beweise  Ihrer  Güte  erhal- 
ten, als  daß  mich  die  neue  Gewogenheit,  mit  der  Sie  mich  be- 
ehren, befremden  sollte.  Erlauben  Sie  mir,  Ihnen  unter  Ver- 
sicherung meiner  Erkenntlichkeit,  einige  Anmerkungen  über  die 
gegenwärtigen  Umstände  zu  machen. 

Die  ausserordentliche  Probe,  die  ich  von  der  Protektion  des 
Königs,  in  meinem  Geschäft  erhalten  habe,  hat  mir  sehr  viele 
Feinde  erwekt,  und  der  Auftritt  ist  noch  allzu  neu,  als  daß  es 
klug  gethan  wäre,  sogleich  die  Stelle  anzunehmen,  zu  der  Sie 
Se.  Majestät  mich  zu  ernennen  beredt  haben.1  Überdas,  Ma- 
dam, hat  das  allgemeine  Bedauren,  worvon  das  ganze  Publikum 
unsern  Fe  nden  in  der  Stunde  ihres  Exiliums,  Beweise  zu  geben 
bemüht  war,  ihnen  eine  Art  von  Triumph  gewährt,  der  nicht 
änderst  als  einen  unangenehmen  Einfluß  auf  diejenigen  haben 
kan,  die  an  ihre  Stelle  kommen.  Ich  glaube  also,  ohne  weit- 
läufiger zu  seyn,  daß  ich  klüger  handle,  wenn  ich  noch  etwas  Zeit 
hinter  dem  Umhang  bleibe,  und  einen  günstigem  Zeitpunkt  ab- 
warte, um  auf  der  Bühne  aufzutretten.  Alle  Vorsichtigkeit,  die 
wir  nehmen  müssen,  ist,  daß  in  der  Zwischenzeit  solche  Leute 
hinkommen,  die  weder  genügsame  Selbstbeständigkeit  noch  hin- 
längliche Talente  haben,  welche  uns  beförchten  lassen,  daß  sie 
ohne  uns  fortkommen  können.  Wenn  sich  alle  Galle  der  Nation 
über  sie  wird  ergossen  haben,  und  ihre  Ohnerfahrenheit,  eine 
Abänderung  erheischt,  dann  ist  es  Zeit,  daß  ich  auftrette.  Wenn 
ich  so  zu  sagen  zum  nothwendigen  Manne  werde,  so  wird  es  mir 
leichter,  Ihnen  ächte  Beweise  von  meiner  Ergebenheit  zu  geben. 

1  Hier  ist  die  Rede  von  einem  Minister  des  Seewesens,  welche  Stelle  Madam 
Du  Barry  für  den  Düc  von  Aiguillon  vom  König  erhalten  hatte,  die  er  aber  aus 
weitaussehender  Staatsklugheit  nicht  gleich  den  Augenblik  annehmen  wollte. 


348  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

Sie  haben,  Madam,  Wiz  genug,  um  einen  Plan  auszudenken,  und 
Geschiklichkeit  genug,  ihn  mit  mir  ausführen  zu  helfen.  Es  giebt, 
Sie  wissen  es,  Anlässe,  wo  man,  wie  es  im  Sprüchwort  heißt, 
zurüktretten  muß,  um  einen  stärkeren  Sprung  zu  thun. 

Ich  bin  etc.  Düc  von  Aiguillon. 

LIII.  Brief 
AN  DEN  ABE  TERRAY 

Den  3.  Jenner  1771. 
Mein  lieber  Abe !  der  König  ist  über  die  Wahl  eines  Ministers 
des  Seewesens  immer  ohnentschlossen.  Ich  habe  Ihm  von  Ihnen 
gesagt,  und  ich  meynte,  Herr  Kanzler,  der  just  zugegen  war, 
würde  mich  zu  Gunsten  Ihrer  unterstüzen;  allein  er  redte  kein 
Wort  darzu.  Se.  Majestät  sagten  mir,  daß  man  Ihm  verschiedene 
Personen  darzu  vorgeschlagen  hätte,  und  daß  Sie  nicht  wüßten, 
wem  Sie  den  Vorzug  geben  wollten.  Indessen,  damit  die  Ge- 
schäfte des  Seewesens  durch  die  Ohnentschlossenheit  des  Kö- 
nigs keinen  Anstand  leiden,  so  habe  ich  Ihm  angerathen,  Ihnen 
beyläufig  das  Patent  zuzustellen,  welches  Sie  nemlich  nach  der 
Ernennung  eines  andern  Ministers  wieder  zurükgeT^en.  Seine 
Majestät  haben  es  genehmiget:  und  nun  sind  Sie  Minister  vom 
Seewesen,  ad  interim.  Es  liegt  Ihnen  ob,  mein  lieber  Abe,  sich 
an  diesem  neuen  Plaz  alle  Mühe  zu  geben,  daß  man  Sie  bey- 
behalt.  Da  das  Kriegs ministerium  nicht  für  Sie  taugte,  so  ließ 
ich  mirs  nicht  einmal  beygehen,  Sie  vorzuschlagen.  Prinz  von 
Conde  hat  sich  sehr  für  einen  Marquis  von  Monteynard,  den  ich 
eben  nicht  kenne,  verwandt,  und  der  König  gab  seine  Einwilli- 
gung. Wir  wollen  sehen,  wie  er  sich  betragt,  und  ob  wir  mit 
ihm  zufrieden  seyn  können.1  Leben  Sie  wohl,  und  glauben  Sie, 
daß  ich  immer  Ihre  Freundin  bin.  Gräfin  Du  Barry. 

1  Da  alles  nur  aus  Interesse  geschieht,  so  hatte  Prinz  von  Conde  auch  das  sei- 
nige in  der  Ernennung  des  Marquis  von  Monteynard.  Er  hatte  schon  lange  ge- 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  349 


LIV.  Brief 
VON  HERRN  VON  MAUPEOU 

Madam  und  werthe  Baase! 

Ich  berge  Ihnen  nicht,  daß  weit  entfernt  den  König  zu  be- 
reden, daß  er  das  Patent  des  Seewesens,  dem  Abe  Terray  be- 
willige, ich  selbiges  für  Herrn  Bourgeois  von  Boynes  begehrt 
habe,  und  ich  bitte  Sie,  daß  wenn  Sie  Seine  Majestät  nicht  zu 
Gunsten  dieses  leztern  intereßiren  wollen,  doch  wenigstens  nim- 
mer zu  Gunsten  des  Abe  Terray  anzuhalten.  Sie  wissen,  daß  ich 
ihn  zum  Generalkontroleur  gemacht  habe:  ich  hofte,  er  würde 
auf  meiner  Seite  seyn  und  meine  Absichten  unterstüzen.  Er  hat 
mich  wohl  dessen  versichert,  allein  bey  sich  selbst  beschlossen, 
nichts  zu  thun.  Weit  entfernt  mir  die  nöthigen  Sachen  anzu- 
schaffen, um  die  Zerstörung  des  Parlements  und  der  Choiseul 
unserer  Feinden  verriegeln  zu  können,  wollte  er  nicht  einmal  die 
Hindernisse  heben,  die  mir  im  Weg  lagen.  Niemand  war  ver- 
trauter mit  denen  Geheimnissen  der  Magistratur,  bekannter  im 
Parlament,  wußte  mehr  von  dem  Karakter,  den  Gemüthern  und 
den  Schlichen  seiner  alten  Mitkollegen,  als  er.  Mit  dem  allen 
leistete  er  mir  nicht  die  geringste  Hilfe,  stund  mir  mit  keinem 
einzigen  Rat  bey,  sondern  ließ  mir  die  ganze  Last  meines  Unter- 
nehmens auf  dem  Naken.  Er  hat  sich,  glauben  Sie  mir's,  gewiß 
nicht  aus  irgend  einer  Absicht  zum  allgemeinen  Besten  so  be- 
wünscht, daß  man  ihm  zu  lieb  die  Stelle  eines  Generalfeldzeugmeisters  von  Frank- 
reich, welche  ihm  jährlich  400  000  Livres  abgeworfen  hätte,  wiederum  einführte, 
und  dachte,  daß  weil  der  Kriegsminister  seine  Kreatur  war,  er  der  erste  seyn,  der 
die  Wiedererrichtung  dieser  Stelle  für  ihn  vorschlagen  würde;  allein  Marquis  von 
Monteynard  stellte  dem  König,  es  seye  um  seine  Einkünfte  und  sein  Ansehen 
nicht  zu  schmälern,  oder  aus  wahrer  Absicht  zum  Besten  des  Staats  vor,  daß  ihm 
der  Zeitpunkt,  in  welchem  der  Zustand  seiner  Finanzen  eine  Einschränkung  der 
ausserordentlichen  Kriegsunkosten  erforderten,  nicht  derjenige  zu  seyn  scheine, 
einen  so  beträchtlichen  Aufwand  zu  machen,  als  die  Gnadenbezeugung,  um  welche 
Prinz  von  Conde  anhalte.  Diesem  zufolg  ward  nichts  ans  der  Sache, 


350  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

tragen.  Nicht  aus  Freundschaft  oder  Großmuth  gegen  seine 
alten  Mitkollegen  ist  es  geschehen,  sondern  weil  er  die  gänzliche 
Ausführung  meiner  Projekte  für  ohnmöglich  hielt.  Er  hofte,  daß 
ich  unter  der  Last  erliegen  würde,  wo  er  alsdann  vorsähe,  daß 
er  als  Chef  der  Magistratur  an  meine  Stelle  kommen,  und  einen 
neuen,  dem  meinigen  ganz  entgegen  gesezten  Plan  vorlegen 
könnte.  Zum  Glük  kam  mir  Herr  Boynes  zu  Hülfe,  theilte  mir 
seine  Einsichten  mit,  unterstüzte  mich  in  der  Ausführung  meiner 
Absichten,  und  leistet  mir  noch  immer  die  gleichen  Dienste.  Der 
König  kennt  seine  Verdienste  und  seine  Talente,  und  ich  denke, 
daß  Er  ihn  durch  die  Stelle  eines  Ministers  des  Seewesens  be- 
lohnen werde,  um  so  viel  mehr,  da  er  an  ihm  einen  ohnermüde- 
ten  Mann  von  gesunder  Beurtheilung  finden  wird.1  Ich  bitte 
Sie  dahero,  Madam  und  werthe  Baase,  meine  Arbeit,  woraus 
nichts  als  Gutes  entstehen  kan,  nicht  zu  zerrütten.  In  Ansehung 
des  Abe  Terray,  muß  man  nicht  gleich  auf  der  Stelle  mit  ihm 
abbinden,  man  muß  ihm  durch  hübsche  Versprechungen  lieb- 
kosen, und  ihn  so  in  einer  beständigen  Abhängigkeit  zu  unter- 
halten suchen.  Ich  erwarte  Sie,  nach  Ihrem  Versprechen,  mor- 
gen aufs  Mittagessen,  und  hoffe,  daß  Sie  sich  ohnerachtet  unserer 
Geschäften,  wohl  unterhalten  werden.  Ich  habe  die  Ehre  zu  seyn 

von  Maupeou. 

LV.  Brief 

AN  DEN  ABE  TERRAY 

Sie  hätten  Unrecht,  mein  lieber  Abe,  wenn  Sie  ungehalten 
auf  mich  seyn  wollten,  weil  Herr  von  Boynes  das  Seewesen  er- 

1  Dieser  Herr  von  Boynes  war  nicht  ehrlicher,  als  der  Kanzler  und  Abe  Terray, 
sondern  nur  ein  neuer  Ränkverständiger,  welcher,  da  er  noch  nicht  so  weit  gekom- 
men war  als  die  andern  zween,  um  zu  steigen,  sich  dem  Kanzler  nothwendig 
machte,  und  ihm  auch  redlich  diente,  wenigstens  im  ersten  Anfall,  damit  er  ins 
Conseil  komme,  sich  darin  festsezen,  hernach  für  sich  selbst  arbeiten,  sich  einen  An- 
hang erwerben,  und  auf  Untergang  derjenigen,  deren  Glük  er  beneidete,  empor 
schwingen  möchte. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  351 

halten  hat.  Sie  können  versichert  seyn,  daß  ich  mich  nicht  in 
diese  Ernennung  gemischt  habe,  sondern  böse  bin,  daß  man 
Ihnen  nicht  den  Vorzug  gegeben  hat.  Sie  müssen  sich  deswegen 
nicht  so  entrüsten,  wie  Sie  es  thun,  noch  Ihre  Entlassung  an- 
tragen, denn  Sie  wären  zuerst  gestraft,  wenn  Sie  der  König  an- 
nähme. Seine  Majestät,  als  ich  Ihn  fragte,  warum  er  bey  dieser 
Stelle  nicht  an  Sie  gedacht  habe,  gab  mir  zur  Antwort,  daß  Er 
nur  Sie  hätte,  der  den  jezigen  Zustand  Seiner  Finanzen  kenne, 
und  daß  Sie  Ihm  an  diesem  Plaz  nüzlicher  als  an  einem  andern 
wären.  Mithin  lassen  Sie  den  Muth  nicht  sinken,  verrichten  Sie 
Ihre  Obliegenheit  zur  allgemeinen  Zufriedenheit,  lassen  Sie  dem, 
der  an  Ihre  Stelle  treten  wird,  einen  gebahnten  Weg,  so  sollen 
Sie  ein  wichtigeres  Amt  bekleiden.  Sie  wissen,  daß  die  Stelle 
eines  Ministers  der  auswärtigen  Angelegenheiten  ledig  ist.  Der 
König  will  sie  noch  nicht  besezen;  es  ist  nicht  ohnmöglich,  daß 
man  Sie  dahin  zu  bringen  denkt. 

Ich  bin  etc.  Gräfin  Du  Barry. 


LVI.  Brief 
AN  DEN  BARON  VON  BRETEUIL 

Prinz  Ludwig,  mein  Herr,  läßt  durch  den  Prinzen  von  Soubise 
um  die  Gesandtschaft  am  Wiener  Hof  anhalten.  Der  König 
konnte  es  nicht  abschlagen.  Allein  da  Sie  für  diese  Gesandtschaft1 

1  Herr  Baron  von  Breteuil  war  ein  Anhänger  des  Düc  von  Choiseul,  und  in 
Ansehung  der  Negotiationen  ein  Mann  von  grossen  Verdiensten.  Allein  man  be- 
förchtete,  daß  er  sich  bey  der  Kaiserin  Königin  einschleichen,  und  Sie  dahin  brin- 
gen, daß  Sie  zu  Gunsten  des  Düc  von  Choiseul  nachdrücklich  schreiben  möchte. 
Es  war  der  Parthey  der  Du  Barry  daian  gelegen,  an  dem  Wiener  Hof  eine  Person 
zu  haben,  die  ihnen  zugethan  war.  Dieses  war  die  Ursache,  warum  Prinz  Ludwig 
den  Vorzug  erhielt,  in  Beyseyn  dessen  in  dem  Kabinet  zu  Wien  die  Theilung  von 
Pohlen  geschah,  ohne  daß  er  etwas  darum  wußte.  Dahero  auch  der  König,  als  er 
diese  Zeitung  hörte,  ganz  verdrießlich  sagte:  „Wenn  Choiseul  geblieben  wäre, 
würde  dieses  nicht  begegnet  seyn."  Allein  er  verfiel  wieder  in  seine  vorige  Nach- 
sicht, und  vergaß  diesen  Verlust  gar  bald. 


352  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

bestimmt  waren,  so  habe  ich  den  König  beredt,  Sie  zu  derjeni- 
gen von  Neapel,  die  in  der  That  nicht  so  beträchtlich,  aber  doch 
eben  so  ansehnlich  ist,  zu  ernennen.  Er  hat  sie  Ihnen,  da  Er  Ihre 
Verdienste  kennt,  mit  Vergnügen  bewilliget.  Ich  bin,  mein 
Herr  etc.  Gräfin  Dil  Barry. 


LVIL  Brief 
VON  HERRN  VON  MAUPEOU 

Madam  und  werthe  Baase! 

Ich  sehe,  Sie  kennen  den  Karakter  Ihres  erlauchten  Liebha- 
bers eben  so  gut,  als  ich.  Er  ist  zu  gut,  zu  blöde,  und  der  Ernst, 
den  Er  gegen  seine  ungehorsamen  Parlementsglieder  zeigte,  fängt 
Ihm  an  allzu  hart  vorzukommen.  Sein  eigenes  Interesse  fordert, 
daß  Er  nicht  abändere,  und  das  unserige  hängt  durch  eine  ganz 
klare  Folge  ebenfalls  davon  ab,  denn  wir  haben  uns  allzu  frey 
wider  dieses  Tribunal  erklärt,  als  daß  wir  nicht  alles  von  der 
Wiedereinsezung  desselben  zu  beförchten  hätten.  Man  muß 
also  Seiner  Majestät,  im  Fall  Ihn  seine  Blödigkeit  zur  Milde  ver- 
leiten wollte,  Forcht  einjagen,  und  Ihn  wider  seinen  Willen  dreist 
machen.  Wir  können  zu  dem  End  nicht  Mittels  genug  brauchen. 
Es  zeigt  sich  eines,  das  man  nicht  aus  der  Acht  lassen  muß.  Unter 
den  Gemälden,  die  aus  dem  Kabinet  des  verstorbenen  Freyherrn 
von  Thiers  zu  verkaufen  sind,  befindet  sich  das  Bildniß  Karls  I. 
Königs  von  England,  dem  sein  Parlement  den  Kopf  abschlagen 
lassen ;  ziehen  Sie  es,  um  welchen  Preis  es  wolle,  unter  dem  Vor- 
wand, daß  es  ein  Familienstük  seye,  weil  die  Du  Barry  von  dem 
Hause  Stuart  sind,  an  sich.  Hängen  Sie  es  in  Ihr  Zimmer  neben 
das  Portrait  des  Königs.  Das  traurige  Ende  des  Englischen  Mo- 
narchen wird  Seine  Majestät  schreken,  und  Sie  können  Ihm  bey- 
bringen,  daß  vielleicht  das  Parlement  zur  gleichen  Gewalttätig- 
keit geschritten  wäre,  wenn  ich  ihrem  strafbaren  Komplot,  noch 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  353 

ehe  es  zu  seiner  völligen  Schwärze  und  Bosheit  gekommen,  nicht 
Einhalt  gethan  hätte.  Eine  Forcht  von  dieser  Art,  durch  Sie, 
meine  werthe  Baase,  dem  König  vorgestellt,  wird  Ihn  gegen  alle 
Schritte  und  Versuchungen  unserer  Feinde  ohnerbittlich  ma- 
chen.1 Verbrennen  Sie  diesen  Brief;  allein  vergessen  Sie  den 
Inhalt  desselben  nicht.  Ich  bin  mit  Hochachtung 

von  Maupeou. 

LVIII.  Brief 
VOM  GRAFEN  DU  BARRY 

Den  23.  May  1771. 
Nun  bin  ich,  meine  liebe  Schwägerin,  von  meiner  Reise  zurük, 
und  mit  gröster  Zufriedenheit  sehe  ich  Sie  auf  dem  höchsten 
Gipfel.  Meine  Schwester  hat  Ihnen  die  Briefe  zugestellt,  die  ich 
ihr  zu  Ihrem  Verhalt  geschrieben  hatte,  und  Sie  sehen,  daß  Sie 
sich  wohl  darbey  befunden  haben,  nicht  darvon  abgewichen  zu 
seyn. -Nun  sind  Sie  von  Ihren  gefährlichsten  Feinden  befreyt. 
Alle  Minister  sind  uns  zugethan,  der  Kanzler,  Herr  von  Boynes, 
Abe  Terray,  Düc  von  Vrilliere  und  der  Prinz  von  Soubise.  Aber 
dieses  ist  nicht  alles,  es  bleibt  noch  eine  Ministerstelle  ledig,  und 
man  muß  einen  hinsezen,  der  an  unserer  Kette  ist.  Unser  Freund 
Düc  von  Aiguillon,  liegt  uns  beständig  an,  den  König  zu  be- 
wegen, daß  Er  ihn  ernenne;  er  verdient  es  in  aller  Absicht:  sein 
Rechtshandel  ist  im  Publikum  vergessen,  sechs  Monat  sind  schon 
seitdem  verflossen,  so  daß  er  keine  Hindernisse  mehr  gegen  sich 
hat.  Er  geht  nebst  dem  Düc  von  Vrilliere  von  mir  weg,  und  ich 
habe  ihnen  versprochen,  daß  dieses  geschehen  würde.  Betrach- 
ten Sie,  meine  Schwägerin,  daß  man  diesen  Gegenstand  nicht 
aus  der  Acht  lassen  muß. 

1  Madam  Du  Barry  befolgte  in  der  That  den  Rath  des  Herrn  von  Maupeou. 
So  ungereimt  und  verabscheuungswürdig  auch  diese  Zulage  war,  so  erhizte  sie  doch 
im  ersten  Anfall  den  König.  Die  Wetterstrahlen  trafen  und  zernichteten  die  Ma- 
gistratur bis  ins  Innerste  des  Königreichs. 

1.  23 


354  Origijial-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

Sie  haben  sich  jüngst  bei  meiner  Schwester  beklagt,  vermuth- 
lich  daß  sie  mirs  wieder  sage,  daß  ich  zu  viel  auf  den  Hofban- 
quier  abgebe;  allein  man  muß  es  grösser  gemacht  haben,  als  es 
ist,  denn  ich  habe  erst  zwo  Millionen  dreymal  hundert  tausend 
Livres  empfangen,  und  wenn  ich  auch  mehreres  bezogen  hätte, 
wer  könnte  sich  darüber  beklagen  ?  Gewiß  nicht  der  König,  denn 
niemand  ist  so  dreist,  Ihm  etwas  davon  zu  sagen.  Sie  sind  es  auch 
nicht,  denn  Sie  haben  mir  Ihr  Glük  zu  verdanken,  und  müssen 
dahero  die  Erste  seyn,  die  es  zum  Theil  auch  wieder  auf  mich 
zurükbringt.  Der  Hofbanquier  ist  es  auch  nicht,  weil  man  mein 
Papier  in  seinen  Rechnungen  für  baares  Geld  annimmt.  Abe 
Terray,  der  uns  förchtet,  und  der,  wenn  Sie  und  ich  das  geringste 
sagten,  Verstössen  würde,  ist  es  auch  nicht,  und  der  Kanzler 
unser  Vetter,  den  wir  an  seinen  Plaz  haben,  ist  es  eben  so  wenig. 
Niemand  kan  uns  also  den  mindesten  Verweis  geben;  mithin 
laßt  uns,  uns  das  Glük  zu  Nuze  machen,  so  lange  es  uns  günstig 
ist.  Ich  umarme  Sie,  und  bin  Graf  Dil  Barry. 


LIX.  Brief 
VON  DER  PRINZESSIN  VON  CONTI 

Den  :  3.  May  1771 

Sie  sollten,  Madam,  gar  nicht  zweifeln,  daß  es  allen  Per- 
sohnen  der  Königl.  Familie  höchst  empfindlich  fallen  muß,  die 
Prinzen  von  Hof  entfehrnt,  und  in  der  Ungnade  des  Königs  zu 
sehen.  Diejenigen  die  um  Sie  sind,  haben  Sie  verleitet,  allen 
Ihren  Kredit  zu  verwenden,  um  zu  diesem  traurigen  Auftritt 
behülflich  zu  seyn.  Ich  will  denken,  Sie  haben  sich  darum  darzu 
gebrauchen  lassen,  weil  man  Sie  durch  den  Anschein  eines  gegen- 
wärtigen Nuzens  verblendet  hat,  und  daß  Sie  die  schlimmen  Fol- 
gen, die  daraus  entstehen  müssen,  nicht  vorgesehen  haben.  Die 
Sachen  sind  in  eher  solchen  kritischen  Laage,  daß  sie  nicht  lange 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  355 

so  bleiben  können.  Weichen  Ruhm  würden  Sie  sich  nicht  erwer- 
ben, wenn  Sie  nehmlich  Seine  Majestät  beredten,  jene  erlauch- 
ten Exilirten  wieder  zu  sich  zu  rufen,  zu  deren  Bestrafung  man 
ihn  zwang,  da  man  sie  ihme  als  Ungehorsame  gegen  seinen  Willen 
schilderte,  mittlerweile  sie  sich  dem  Umsturz  aller  Gesetze,  wie- 
dersetzend, den  stärksten  Beweiß,  ihrer  ohnzerbrüchlichen  An- 
hänglichkeit, an  das  wahre  Interesse  des  Königs  gaben.  Wenn  die 
Billigkeit  einer  solchen  Sache  nicht  hinlänglich  ist,  Sie  zu  ver- 
mögen, selbige  zu  vertheidigen,  so  werden  es  Ihnen  Ihre  eigene 
Vortheile  auferlegen.  Fürwahr  Madam,  was  würde  Ihr  Schiksahl 
seyn,  wenn  wir  den  König  verlöhren!  Wenn  Sie  auch  nicht  ein 
mal  die  fürchterlichste  Katastrophe  zu  beförchten  hätten,  kön- 
ten  Sie  wohl  ohne  Schauer,  an  die  Zahl  und  Größe  Ihrer  Feinde, 
die  Sie  sich  machen,  denken  ?  Jezt  können  Sie  sich  eben  so  viele 
Beschützer  machen.  Es  ist  Ihnen  ein  Leichtes  sich  ein  Recht 
auf  ihre  Erkenntlichkeit  zu  erwerben,  und  sich  ihre  Achtung,  so 
wie  die  meinige,  durch  ein  Betragen,  daß  Ihnen  mit  der  Zeit 
zur  grösten  Ehre  gereicht,  zuzueignen. 

Ich  bin  etc.  Prinzessin  von  Conti.. 


LX.  Brief 
VON  HERRN  VON  MAUPEOU 

den  1.  Brachm.  177T. 
Noch  diesen  Morgen,  habe  ich,  meine  werthe  Baase.,  mit  dem 
Düc  von  Aiguillon,  über  das  Projekt  ihrer  Vermählung  mit  dem 
König  geredt:  wir  haben  die  Sache  nicht  durchaus  ohnmöglich 
gefunden.  Sie  wissen,  daß  wir  ein  Beyspiel  einer  ähnlichen  Heu- 
rath  zwischen  Ludwig  XIV.  und  der  Madam  von  Maintenon 
haben.  Die  Umstände  sind  richtig  vortheilhafter  für  uns,  als  sie 
es  für  diese  Dame  waren,  die  keine  so  grosse  Macht  auf  ihren 
Liebhaber  hatte,  als  Sic  über  den  König  haben.  Ueberdas  hatte 

23* 


356  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


Ludwig  XIV.  einen  sehr  stolzen  ja  sogar  rohen  Karakter.  Der- 
jenige seines  Nachfolgers  ist  im  Gegentheil  biegsam  bis  zur  Blö- 
digkeit, und  sehr  leicht  zum  Nachgeben.  Aber  nun  zum  Zwek 
zu  gelangen,  ist  es  sehr  nöthig,  daß  die  Zernichtung  des  Par- 
lements,  und  die  Entfehrnung  der  Prinzen,  beybehalten  werde. 
Wenn  sie  wieder  begnadigt  würden,  so  können  Sie  wohl  denken, 
daß  die  Hofnung,  die  Sie  von  den  Umständen  schöpfen  können, 
alsdann  nichts  als  eine  blose  Chimäre  seyn  würde.  Es  ist  also 
meine  schöne  Baase  nothwendig,  daß  Sie  mich  aus  allen  Kräften 
unterstützen.  Seyn  Sie  versichert,  daß  ich  meiner  Seits  nicht 
müsig  bleiben,  und  daß  alle  Bemühungen  unserer  Feinde  ver- 
gebens seyn  werden,  so  lange  wir  die  unsrigen  wider  sie  vereinen. 
Sie  müssen  sich  jezt  alles  Ernstes  bemühen,  den  Düc  von 
Aiguillon,  zum  Minister  der  auswärtigen  Angelegenheiten  zu 
machen;  denn  er  kan  in  dieser  Qualität  ihnen  nicht  nur  die  an- 
dern Mächte  gewinnen,  sondern  auch  noch  bey  dem  Hol  zu  Rom 
nachdrüklich,  um  die  Dispensation,  die  Ihnen  so  nöthig  ist,  an- 
halten. 

Ich  bin  etc.  von  Maupeou. 


LXI.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON 

den  30.  Brachm.  1771. 

Frau  Gräfin! 
Sie  haben  allzu  vielen  Antheil  an  meiner  Ernennung  zum  Mi- 
nister der  auswärtigen  Angelegenheiten  gehabt,  als  daß  Sie  an 
meinem  Dank,  und  dem  Verlangen,  Ihnen  Beweise  davon  zu 
geben,  zweifeln  könten.  Ich  habe  mit  dem  Päbstl.  Nuntius,  in 
Ansehung  der  Dispensation,  die  Sie  gerne  haben  möchten  schon 
eine  Unterredung  gepflogen,  und  er  hat  mir  versprochen,  Ihnen 
in  dieser  Sache  zu  dienen.  Um  hierüber  in  eine  förmliche  Ne- 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


goziazion  einzutretten,  müssen  Sie  bevkommendes  Memorial» 
unterschreiben.  Ich  werde  es  dem  Nuntius  zustellen,  der  es  auf 
sich  nimmt,  selbiges  dem  h.  Vater  selbst  zu  übergeben.  Ich  mei- 
ner Seits  will  es  be7  dem  Kardinal  Bernis  dahin  bringen,  daß  er 
den  Erfolg  betreibt.  Ich  bin  etc. 

Düc  von  Aiguillon. 


LXII.  Brief 
VON  ABE  TERRAY 

den  5.  Augstm.  1771. 

Ich  bin  von  allen  denen  Freundschaftsbezeugungen,  mit  denen 
Sie  mich,  Frau  Gräfin,  zu  beehren  belieben,  so  sehr  durchdrun- 
gen, um  Ihnen  nicht  bey  der  ersten  Gelegenheit  meine  Erkennt- 
lichkeit dafür  zu  bezeugen.  Hier  ist  eine,  die  Ihnen  nicht  än- 
derst als  angenehm  seyn  kan. 

Der  König  hatte  dem  Grafen  von  Clermont,  der  jezt  ge- 
storben ist,  300000  Livres  Leibrenten  festgesezt;  folglichen  ge- 
*  Hier  ist  ein  Auszug  dieses  Memorials,  welches  im  ganzen  Zusammenhang 
allzu  weitläufhg  wäre:  „Madam  Du  Barry  stellt  Sr.  Heiligkeit  vor,  daß  sie  ohn 
„erfahren  m  den  kanonischen  Vorschriften,  erst  seit  ihrer  Trauung  mit  dem  Gra- 
„fcn  Wilhelm  Du  Barry,  gewußt  habe,  daß  es  verbothen  seye  den  Bruder  eines 
„Mannes  zu  heurathen,  mit  dem  man  gelebt  hat.  Sie  gesteht  mit  allem  dem 
„bchmerz  einer  reuenden  Sünderin,  daß  sie  etwelche  Schwachheit  für  den  Grafen 
„Johannes  Du  Barry  Bruder  ihres  Mannes  gehabt  habe-  daß  sie  zum  Glük  noch 
'^ITrY011,  f  Blutschande>  die  sie  ^gehen  wollen,  gewarnet  worden  seye, 
„und  daß  ihr  alsdann  ihr  Gewissensaufschluß,  nicht  zugelassen  habe,  mit  ihrem 
„neuen  Gemahl  beyzuwohnen;  mithin  das  Verbrechen  noch  nicht  begangen  wor- 
"zu  Ve'fre'  e?"  "  "'  ^  HeiUgkeit' Sie  VOn  dner  soIch  ärgerlichen  Vorbindung 

Uebrigens  war  dieses  Heurathsprojekt  mit  dem  König,  nichts  als  eine  Lokspeise, 
die  der  Kanzler,  Düc  von  Aiguillon  und  Abe  Terray  Madam  Du  Barry  gaben  da- 
mit sie  sich  immer  bey  dem  Monarchen  für  sie  verwenden,  und  ihnen  alles  was  sie 
wollten  von  ihm  auswirkten  möchte.  Sie  kannten  die  ganze  Chimäre  dieses  Projekts 
gar  wohl,  und  da  eine  Sache  von  solcher  Wichtigkeit  nicht  schnell  von  statten  ge- 
hen konte,  so  war  die  Aufzögerung  alles  was  sie  verlangten. 


358  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

winnt  der  König  auf  ein  mal  300  000  Livres ;  allein  da  Sie  noch 
nicht  auf  Ihren  Nutzen  bedacht  gewesen  sind,  so  ist  es  billich, 
daß  Ihre  Freunde,  für  Sie  daran  denken.  Ich  habe  mich  des- 
wegen mit  Sr.  Majestät  unterhalten,  und  ihme  vorgestellt,  daß 
Ihre  ohneigennüzige  Anhänglichkeit  an  seine  Persohn,  Sie  mit 
nichts  anders  als  mit  den  Mitteln  beschäftige,  ihm  zu  gefallen, 
und  ihm  Ihren  Dank,  für  seine  Huld,  wormit  er  Sie  beehrt,  zu 
bezeugen,  mithin  es  billich  seye,  daß  er  Ihnen  etwas  zugutthue, 
und  Ihnen  einen  Theil  der  Renten  des  Grafen  von  Clermont  zu- 
kommen lasse.  Dieses  könne  um  so  viel  ehnder  geschehen,  da 
seinen  Finanzen  nichts  benommen  würde,  auch  sein  Volk  nichts 
dadurch  litte.  Der  König  hat  mir  für  meinen  Einfall  gedankt, 
und  Ihnen  mit  dem  Drittheil  dieser  Summe  ein  Geschenk  ge- 
macht. Ich  habe  das  lebhafste  Vergnügen,  Sie  auf  der  Stelle  da- 
von,zu  benachrichtigen,  und  Ihnen  die  Versicherungen  der  Ehr- 
furcht mit  deren  ich  bin  zu  wiederholen  etc. 

Terray. 

LXIIL  Brief 
AN  DEN  ABE  TERRAY 

Den  5.  Augstm.  1771. 

Der  König  hat  mir  dasjenige,  worvon  Sie  mir  Nachricht  ge- 
geben haben,  diesen  Morgen  bestätiget.  Nehmen  Sie  meinen 
Dank  und  zugleich  die  Anzeige  dafür  an,  daß  ich  von  den  übrigen 
200  oco  Livres  Leibrenten  des  verstorbenen  Grafen  von  Cler- 
mont, 50  000  Livres  für  Sie,  als  eine  Erkenntlichkeit  Ihrer 
Dienste,  begehrt  habe,  die  Ihnen  der  König  mit  der  grösten 
Huld  von  der  Welt  bewilliget  hat.  Sehen  Sie,  wie  ich  Ihnen  Ihre 
Handlungen  zu  vergelten  suche.  Glauben  Sie  nur,  daß  ich  Zeit- 
lebens die  gleichen  Gesinnungen  für  Sie  haben  werde. 

Gräfin  Du  Barry. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry  359 

LXIV.  Brief 
AN  HERRN  VON  MAUPEOU 

Den  5.  Augstmon.  1771. 

Gestern,  Herr  Kanzler,  war  ich  bey  dem  König.  Abe  Terray 
kam  auch,  und  dankte  Sr.  Majestät  für  die  50  000  Livres  Renten, 
die  Er  ihm  in  Betrachtung  meiner,  von  denen  300  tausend  Livres 
Leibrenten,  die  Er  durch  den  Tod  des  Grafen  von  Clermont 
gewinnt,  bewilliget,  und  worvon  Er  auch  mich,  auf  die  Vorstel- 
lung des  Generalkontroleurs,  mit  einem  Drittheil  beschenkt  hat. 
Se.  Majestät  fragten  nun,  was  Sie  mit  den  übrigen  150  000  Livres 
machen  sollten?  „Sire,  antwortete  ich  Ihm,  mein  Vetter  der 
„Kanzler  verdient  wohl  eben  so  viel  als  der  Abe,  Sie  kennen  die 
„wichtigen  Dienste,  die  er  Ihnen  leistet.  Nun  ist  die  Gelegen- 
heit da,  ihn  darfür  zu  belohnen.  Ja,  Sire,  versezte  sogleich  Abe 
„Terray,  dieses  wäre  eine  Entschädigung  für  den  beträchtlichen 
„Verlust,  den  er  sowohl  durch  Aufhebung  zerschiedener  Stellen, 
„die  der  seinigen  grosse  Benefizien  abwarfen,  als  auch  durch  den 
„Nachlaß,  den  er  Ihren  neuen  Magistratspersonen,  die  Stellen  zu 
„erkaufen,  erlitten  hat.  "Der  Abe,  der  arme  Teufel,  ist  darum  nicht 
so  schlimm!  Was  halten  Sie  darvon,  mein  Vetter  ?  Er  hält  es  mit 
Ihrem  Nuzen  wie  mit  dem  seinigen.  Ich  für  mich  bin  ihm  gut.1 

Ich  bin  etc.  Gräfin  Du  Barry. 

LXV.  Brief 

AN  HERRN  VON  MAUPEOU 

Mein  Herr  Kanzler !  es  ist  mir  endlich  gelungen,  ohnerachtet 
aller  dummen  Vorstellungen  des  Marquis  von  Monteynard,  die 

1  Nach  diesen  Briefen  sollte  man  glauben,  der  König  hätte  die  noch  übrig- 
gebliebenen 100 000  Livres  für  sich  behalten.  Keineswegs.  Graf  de  la  Marche  kam 
zwischen  ein,  und  wollte  auch  seinen  Theil  am  Braten  haben.  Er  stellte  vor,  daß 
er  der  einzige  Prinz  vom  Geblüt  seye,  der  es  mit  dem  König  halte,  und  die  Hand- 
lungen des  Kanzlers  gutgeheissen  hatte.  Um  seinen  Eifer  zu  belohnen,  gab  man 
ihm  die  hundert  tausend  Livres. 


360  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

Einwilligung  des  Königs  für  das  Regiment  zu  erhalten,  welches 

Sie  für  Ihren  Sohn  verlangten.  Ich  beeile  mich,  Ihnen  diese 

Nachricht  zu  hinterbringen,  und  wünsche,  daß  Sie  sie  mit  eben 

so  vielem  Vergnügen  vernehmen  mögen,  als  ich  sie  Ihnen  melde. 

Ich  bin  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

LXVI.  Brief 

AN    HERRN    VON    SARTINE,    OBERSTEN   POLIZEY- 

RICHTER 

Ich  kan  mich  nicht  enthalten,  Ihnen  meine  Unzufriedenheit 
über  ein  Buch  zu  äussern,  welches  seit  wenig  Tagen  zum  Vor- 
schein gekommen  ist,  und  worvon  die  Exemplarien  nicht  so  rar 
sind,  als  sie  es  seyn  sollten.  Es  ist  Ihnen  bekannt,  wie  weit  die 
Unverschämtheit,  auf  Unkosten  des  Königs,  seiner  Minister, 
des  ganzen  Hofs  und  besonders  auf  die  meinige,  in  dieser  Bro- 
chüre,  die  den  Titul,  le  Gazettier  Cuirasse,1  d.  i.  der  bepanzerte 
Zeitungsschreiber,  führt,  getrieben  wird.  Ich  zweifle  keineswegs, 
daß  es  Ihnen  gelingen  werde,  wo  nicht  den  Verfasser  zu  ent- 
deken  und  nach  aller  Härte  zu  bestrafen,  doch  wenigstens  alle 
Exemplarien  seiner  schandbaren  Arbeit  zu  unterdrüken.  Ich  bin 

etc.  . 

Gräfin  Du  Barry. 

1  Dieses  ist  eine,  von  allen  Arten  Deklamationen,  Verleumdungen,  Lügen  und 
Anspielungen  auf  den  König  und  so  zu  sagen  auf  ganz  Frankreich,  zusammen- 
gestoppelte Rapsodie.  Das  was  Mad.  Du  Barry  am  meisten  geärgert,  sind  gewisse 
Stellen,  die  auf  ihre  Rechnung  durchaus  falsch  sind,  und  sie  auf  alle  Weis  beschimp- 
fen. Untei  andern  Ungereimtheiten,  giebt  man  ihr  den  P,  Angelus  Picpus  zum 
Vater;  man  sagt,  daß  sie  dem  Marquis  von  Chabrillant  jenes  bekannte  Uebel  an- 
gehängt; daß  sie  15  Jahre  die  öffentliche  H —  zu  Paris  gemacht  habe;  daß  sie  die 
Jesuiten  wieder  einsezen,  weil  ihr  diese  Nonkonformisten  gut  seyen;  daß  sie  einen 
neuen  Orden,  als  den  St.  Niklaus-Orden  (eine  Anspielung  auf  einen  Marktschreyer 
Namens  Nikiaus,  der  wegen  Kurierung  der  Franzosen  in  Paris  sehr  bekannt  war) 
errichten  wolle,  und  daß,  obschon  sie  niemand  als  diejenigen,  die  es  wohl  mit  ihr 
konnten,  darein  ernennen  würde,  so  würde  dieser  Orden  dennoch  weit  zahlreicher 
als  der  St.  Ludwigs-Orden  werden. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry  361 

LXVII.  Brief 
VON  DEM  DÜC  DE  LA  VRILLIERE 

Nehmen  Sie,  Madam,  ich  bitte  Sie,  meine  unterthänige  Ent- 
schuldigung über  den  Zufall,  der  mir  gestern  bey  Ihnen  be- 
gegnete, an.1  Sie  wissen,  daß  ich  mich  der  Scene,  die  mich  in 
die  Situation  versezte,  in  der  Sie  mich  sahen,  nur  deswegen  bios- 
stellte, weil  ich  mich  mit  allzu  grosser  Standhaftigkeit  wider- 
sezte,  daß  man  ohne  Ihre  Theilnehmung  oder  Vorwissen  keine 
Gnadenbezeugungen  ertheilen  sollte.  Seyn  Sie  versichert,  daß 
das  Unangenehme,  das  ich  dabey  empfunden  habe,  meinen  Eifer 
nicht  schwächen  soll,  und  daß  Sie  mich  immer  bereit  finden  wer- 
den, Ihnen  Proben  meiner  ohnwandelbaren  Ergebenheit  zu 
geben. 

Ich  bin  etc. 

Düc  von  Vrilliere. 

1  Der  König  hatte  Madam  Du  Barry  versprochen,  daß  sie  alle  Pläze  von  dem 
Haus  Artois,  welches  man  damals  errichtete,  zu  vergeben  hätte.  Die  Marquisin 
von  Mesmes,  hatte  Madam  Sophie  ersucht,  um  einen  Plaz  für  ihren  Sohn  in  diesem 
Haus  anzuhalten.  Madam  Sophie  wandte  sich  ohnmittelbar  an  den  König.  Dieser 
sagte  ihr  zu ;  allein  Düc  von  Vrilliere,  aufgebracht,  daß  diese  Gnade  ohne  sein  Zu- 
thun  vergeben  ward,  beschwerte  sich  bey  Madam  Du  Barry,  und  stellte  ihr  vor, 
was  für  Mißbeliebigkeiten  entstehen  könnten,  wenn  der  König  so  ohne  ihr  Vor- 
wissen Stellen  vergäbe;  er  bat  sie  dahero,  mit  dem  König  zu  reden,  und  verschob 
die  Ausfertigung  des  Brevets  an  Herrn  von  Mesmes.  Madam  Sophie,  welche  von 
diesem  Pfif  Wind  hatte,  ließ  den  Düc  von  Vrilliere  zu  sich  kommen,  und  befahl 
ihm,  das  Patent  auszufertigen;  auch  verwies  sie  ihm  bei  dieser  Gelegenheit  das 
ärgerliche  Gewerbe,  welches  bey  Madam  von  Langeac,  seiner  Maitresse,  mit  denen 
von  seinem  Ministerium  abhängenden  Stellen  getrieben  würde.  Der  arme  Düc 
bekam  diesen  Auspuzer,  nachdem  er  nach  seiner  Gewohnheit  ziemlich  wolü  zu 
Mittag  gespeißt  hatte.  Er  begab  sich  hierauf  zu  Madam  Du  Barry,  allwo  es  ihm 
mitten  in  der  Erzehlung,  die  er  ihr  von  dem,  was  vorging,  machte,  übel  ward,  so 
daß  er  die  Broken  der  Unverdaulichkeit  von  sich  gab.  Er  war  sinnlos,  und  man 
mußte  ihn  in  dem  ekelhaftesten  Zustand  nach  Hause  tragen.  Um  sich  auszuhelfen, 
schrieb  er  obigen  Brief. 


362  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


LXVIII.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON 

Es  geht  mir  sehr  nahe,  daß  ich  nicht  zu  Ihnen  hinein  konnte, 
wo  Sie  ohnerachtet  der  Versicherungen  Ihres  Schweizers  ver- 
schlossen waren.  Ich  war  gekommen,  um  zu  versuchen,  ob  ich 
Sie  über  den  Verdruß,  den  Ihnen  des  Herrn  Dauphin  Königl. 
Hoheit  verursachten,  trösten  könnte.  Wenn  Ihnen  etwas  Gutes 
wiederfahren  wäre,  so  hätte  ich  sicher  nicht  so  geschwind  darum 
gewußt.  Dieser  mißbeliebige  Zufall  rechtfertiget  dasjenige  nur 
allzu  sehr,  was  ich  die  Ehre  hatte  Ihnen  zu  sagen,  als  ich  wußte, 
daß  Sie  sich  etwelchen  Scherz1  über  diesen  Prinzen,  dessen  Ka- 
rakter  nicht  vertragsam  ist,  erlaubt  hätten.  Neue  Erinnerungen 
wären  jezt  äussert  der  Zeit,  weil  Sie  selbst  fühlen  werden,  wie 
zurükhaltend  Sie  in  Ihren  Reden  seyn  müssen.  Ich  glaube,  daß 
ein  förmlicher  Schritt  zu  Gutmachung  der  Sache  vergeblich 
seyn  würde.  Sie  würden  übel  aufgenommen  werden,  und  dieses 
könnte  Ihnen  leicht  eine  neue  Erniedrigung  zuwegen  bringen. 
Halten  Sie  sich  mehr  dann  jemals  daran,  die  Oberhand  über  den 
König  zu  kriegen.  Die  Huld,  wormit  Er  Sie  beehrt,  wird  wenig- 
stens Ihre  Feinde  in  den  Schranken  der  Achtung  halten.  Ich 

bin  etc. 

Düc  von  Aiguillon. 

1  Madam  Du  Barry  hatte  die  Unvorsichtigkeit,  sich  über  die  vermeynte  Ohn- 
vermögenheit  des  Dauphins  lustig  zu  machen.  Es  kam  ihm  wieder  zu  Ohren.  Ganz 
aufgebracht,  gieng  er  auf  der  Stelle  zu  ihr  hin,  und  gab  ihr  auf  eine  derbe  Weise  zu 
verstehen,  daß  es  ihr  nicht  zukäme,  sich  auf  Unkosten  seiner  so  zu  belustigen,  und 
weil  damals  die  Rede  von  dem  Vicomte  Du  Barry  war,  für  welchen  seine  Tante, 
Mad.  Du  Barry,  um  die  Obrist-Stallmeisterstelle  anhielt,  sagte  ihr  der  Dauphin: 
„Wenn  ihr  Neffe  diese  Stelle  bekömmt,  so  komme  er  mir  nicht  zu  Leibe,  oder 
„ich  schlage  ihm  den  Stiefel  ins  Gesicht."  Mad.  Du  Barry  war  über  diesen  Auf- 
tritt so  betretten,  daß  sie  sich  den  ganzen  Tag  ins  Zimmer  verschloß,  und  niemand 
vor  sich  kommen  lassen  wollte.  Düc  von  Aiguillon,  der  sie  nun  nicht  sehen  konnte, 
schrieb  ihr  hierauf  diesen  Brief. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  363 

LXIX.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Ich  fange  an  zu  glauben,  daß  Sie  recht  hatten,  mein  Herr  Düc, 
mir  Mißtrauen  gegen  den  Kanzler  beyzubringen.  Ich  habe  nun 
entdekt,  daß  er  ohnerachtet  aller  seiner  Protestationen,  die 
Obrist-Stallmeisterstelle  für  seinen  Sohn  zu  erhalten  suchte,  ob- 
wohlen  er  wußte,  daß  ich  mich  für  den  Vicomte  Du  Barry  darum 
bewarb.  Ich  glaube  nicht,  daß  mir  der  König  meine  Bitte  ge- 
währen werde.  Ich  versichere  Sie  zwar,  daß  ich  sie,  nach  dem, 
was  zwischen  dem  Dauphin  und  mir  vorgefallen  ist,  auch  nimmer 
verlange;  aber  ich  bin  recht  froh,  daß  ich  Gelegenheit  gehabt 
habe,  die  Treue  des  Herrn  Kanzlers  zu  prüfen.  Ich  werde  mir 
sicher  Recht  zu  verschaffen  wissen.  Noch  ein  Wort:  ich  weiß 
nicht,  wer  diesen  Marigny,  der  gerade  recht  kömmt,  um  unsere 
Anstalten,  ihm  seinen  Plaz  wegzukapern,  zu  vereitlen,  aufgefor- 
dert hat.1 

LXX.  Brief 
VON  DEM  ABE  TERRAY 

Den  2.  Christm.  1771. 
Frau  Gräfin! 
Sie  haben  recht,  wenn  Sie  begehren,  daß  die  Stelle  eines  Ober- 
aufsehers über  die  Königl.  Gebäude  Ihrem  Herrn  Bruder  ge- 

1  Marquis  von  Marigny  war  Oberaufseher  der  Königl.  Gebäuden.  Die  Du  Barry, 
welche  diese  Stelle,  als  die  natürliche  Appanage  der  Familie,  der  erklärten  Maitresse 
St.  Majestät  ansahen,  hielten  schon  lp.nge  darum  an,  und  diesem  zufolg  suchten  sie 
den  Marquis  bey  dem  König  anzuschwärzen,  und  in  Ungnade  zu  bringen.  Allein 
dieser  erhielt  von  den  geheimen  Ränken,  die  wider  ihn  gespielt  wurden,  Nach- 
richt, und  begab  sich  nach  Hof,  um  sich  gegen  das,  was  ihm  zur  Last  gelegt  wurde, 
zu  rechtfertigen.  Der  König  konnte  sich  nur  nicht  entschliessen,  ihm  den  Abschied 
zu  geben.  Dem  seye  wie  ihm  wolle,  Abe  Tciray  fand,  indem  er  denen  Du  Barry 
den  Hof  machte,  ein  Mittel,  diesen  Plaz  an  sich  zu  ziehen.  Man  sieht  sein  Projekt 
im  folgenden  Brief. 


364  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry 

geben  werde.  Allein  um  darzu  zu  gelangen,  müssen  Sie  Klägden 
wider  den  Marquis  von  Marigny  ausfündig  machen,  und  hier 
ist  nun,  was  ich  entworfen  habe. 

Es  ist  schon  lange,  daß  diesem  Theil  an  Geld  gebricht;  die 
Umstände  berechtigen  mich,  ohne  daß  es  den  Anschein  hat,  als 
wäre  ich  übel  gesinnet,  es.  abzuschlagen,  folglichen  ist  selbiger 
sehr  schlecht  bestellt,  welches  dem  König  sehr  mißfällt.  Machen 
Sie  sich  den  Augenblik,  wo  Seine  Majestät  eine  Arbeit  verlangt, 
die  er  noch  nicht  hat,  zu  Nuze;  ich  will  zurükhaltender  dann 
jemals  seyn,  und  dem  Marquis  von  Marigny  kein  Geld  hergeben. 
Bringen  Sie  hernach  dem  König  bey,  daß  er  wohl  thun  würde, 
mir  diese  Stelle  aufzutragen,  weil,  da  die  Geldei  in  meiner 
Disposition  wären,  so  dürfte  ich  nicht  gleich  Auskunft  wie  mein 
Vorfahr  darüber  geben,  und  könnte  alles,  was  Seine  Majestät 
verlangten,  bauen  lassen.  Wenn  der  Marquis  auf  diese  Art  ent- 
sezt  ist,  werde  ich  dem  Konig  etwas  Zeit  hernach  sagen,  daß  es 
mir  meine  Geschäfte  nicht  zuliessen,  neuen  Verrichtungen  vor- 
zustehen, und  ich  will  der  Erste  seyn,  Ihme  den  Vorschlag  zu 
thun,  daß  er  sie  dem  Grafen  Du  Barry  auftrage.1  Dieses  ist  ein 
Mittel,  welches  mii  gut  zu  seyn  scheint,  und  ich  rathe  Ihnen 
Gebrauch  darvon  zu  machen.  Ich  trage  es  blos  deswegen  an,  um 
Sie  dardurch  zu  verbinden.  Ich  bin,  Frau  Gräfin  etc. 

Abe  Terray. 

LXXI.  Brief 
AN  DEN  HERRN  VON  SARTINE 

den  18.  Christm.  1771. 

Die  erste  Pflicht  an  ihrem  Platz,  mein  Herr,  ist,  dem  Umlauf, 
der  des  Königs  Ehre  verlezenden  Pasquillen,  Einhalt  zu  thun. 

1  Dieses  Projekt  gelange  sehr  geschwind.  Die  Gelegenheit  darzu  ereignete  sich 
an  dem  Schloß  von  Bellevüe,  welches  der  König  gebaut  haben  wollte.  Marquis 
von  Marigny  ward  das  Opfer  und  Abe  Terray  erhielt  den  Posten. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  365 

Indessen  ist  ihre  Wachtsamkeit  in  einem  so  wichtigen  Punkt, 
immer  mangelhaft.  Hier  ist  wiederum  eine  ehrvergessene  Ode1, 
die,  wie  man  sagt,  in  ganz  Paris  herumgetragen  wird,  und  worvon 
man  mir  eine  Abschrift  zugestellt  hat.  Suchen  Sie  den  Verfasser 
davon  auf,  hindern  Sie,  daß  diese  Ode  nicht  weiter  herum- 
gebotten  werde ;  wo  nicht,  so  werde  ich  genöthiget  seyn,  sie  Sr. 
Majestät,  vorzulegen,  und  ihn  dahin  zu  bringen,  eine  ihm  zu- 
gethanere,  und  wachsamere  Persohn  an  ihren  Plaz  zu  sezen. 

Gräfin  Du  Barry. 

LXXII.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

den  8.  Jenner  1772. 

Mein  lieber  Düc,  suchen  Sie  meinen  Mann  zu  Gesichte  zu 
kriegen;  er  ist  jezt  zu  Paris,  um  dem  boßhafter  Weise  ausge- 
streuten Gerücht,  daß  er  Tod  seye,  ein  Ende  zu  machen.  Ra- 

1  Diese  Ode,  hat  die  zur  Zeit  vorgegangenen  Revoluzionen  zum  Augenmerk; 
allein  in  zwo  Strophen  redte  man  sehr  schimpflich  von  der  Leidenschaft  des  Kö- 
nigs für  Mad    Du  Barry.  Man  redete  den  Monarchen  darinnen  also  an: 

Diane,  Bacchus,  &  Cythere 
De  ta  vie  abregent  le  cours: 
Renvoye,  il  en  est  temps  encore, 
L'impure  qui  te  deshonore: 
Chasse  tes  indignes  amours. 


Tu  n'est  plus  qu'un  tyran  debile, 
Qu'un  vil  automate  imbecile, 
Esclave  de  la  Du  Barry: 
Du  Gange  jusqu'ä  la  Tamise, 
On  te  honnit,  on  te  meprise. 

d.  i.  Jagd,  Wein  und  Liebe,  verkürzen  dir  deine  Tage:  Schike  die  Unzüchtige 
die  dich  entehrt,  weil  es  noch  Zeit  ist  weg:  Verbanne  deine  nichtswürdige  Liebe 

Du  bist  weiter  nichts  als  ein  entnervter  Tyran,  eine  elende  schwache 

Maschine,  ein  Sclave  der  Du  Barry,  der  vom  Gangus  bis  zur  Themse,  verachtet 
und  beschimpfet  wird. 


366  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

then  Sie  ihm,  ich  bitte  Sie,  daß  er  sich  während  seinem  kurzen 

Aufenthalt  in  der  Hauptstadt,  anständig  betrage.1    Sagen  Sie 

ihm  noch  darbey,  daß,  wenn  die  mindesten  Klagen  wieder  ihn 

einkämen,  man  ihn  sogleich  auf  sein  Lebetag  ins  Exilium  schiken 

würde.  Ich  umarme  Sie  von  Herzen,  mein  werther  Düc,  und 

bin  Ihre  Freun  lin  n   ../••     n  ..  D 

Grafin  Du  Barry. 


LXXIII.  Brief 
AN  DEN  VORIGEN 

Ich  zweifle  nicht,  mein  lieber  Düc,  daß  der  Kanzler  nicht  ein 
arglistiger  Mann  seye.  Er  machte  mir  immer  Hofnung,  zur  Gnade, 
die  ich  für  Billard2  begehrte,  nicht  aus  Freundschaft  für  diesen 
Unglüklichen,  sondern  zu  Gunsten  seines  Oheims,  den  die  Strafe 
seines  Nefen  beschimpft.  Er  hat  alles  angewandt,  um  den  König, 
gegen  mein  Anhalten  ohnerbittlich  zu  machen.  O !  dieses  ist  ein 
Mann  von  dem  wir  uns  losmachen  müssen.  Ich  ergreife  Ihr  Pro- 
jekt in  Absicht  auf  dieses. 

Ich  grüsse  Sie  mein  lieber  Düc  und  bin  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

LXXIV.  Brief 
VON  DEM  GRAFEN  WILHELM  DU  BARRY 

Hochzuverehrende  Frau  Gemahlin! 

Ich  habe  vorgestern  die  Dummheit  begangen,  Tausend  Stük 
neue  Louisd'or  gegen  den  Marquis  von  Chabrillant,  im  Spiel  zu 

J    Dieser  Wilhelm  Du  Barry,  war  ein  Vollzapf,  ein  Schwein,  welches  sich  Tag 
und  Nacht,  in  der  garstigsten  Schwelgerey  herumwälzte. 
-  Her*  Billard  du  Monceau,  Ihr  Taufpathe. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  367 

verlieren  Ich  war  bey  meinem  Bruder  um  ihm  Geld  zu  fodern; 
allein  er  ist  so  impertinent  gewesen,  mich  zum  Henker  zu  schiken, 
und  mir  zu  sagen,  daß  ich  mich  mit  meiner  Pension  begnügen 
sollte,  mit  dem  Beyfügen,  daß  er  Schulden  genug,  ohne  die  mei- 
nigen zu  bezahlen,  hätte.  Ich  gestehe,  daß  dieses  recht  garstig 
von  ihm  ist.  Sie  wissen,  daß  Spielschulden,  Schulden  sind,  wo- 
bey  die  Ehre  verknüft  ist;  mithin  bitte  ich  Sie  mir  diese  Summe 
anzuschaffen,  oder  ich  darf  mich  nimmer  sehen  lassen.  Ich  werde 
mich  in  meinem  Anliegen,  niemals  mehr  an  meinen  Bruder  wen- 
den, er  hat  keine  Freundschaft  für  mich,  und  wirft  doch  so  viel 
Geld  als  er  will,  zum  Fenster  hinaus.  Die  Probe  davon  ist,  daß 
er  mit  seiner  Dame  von  Mürat,  ein  Kind  de  ■  Mademoiselle 
Beauvoisin1  über  der  Taufe  hielt.  Dieser  einzige  Bettel,  welcher 
mich  nicht  zehn  Louisd'ors  gekostet  hätte,  hat  ihn  über  tausend, 
die  er  ehender  mir  hätte  geben  können,  gekostet.  Ich  verspreche 
es  Ihnen,  daß  ich  nimmer  Großspiel  spielen,  sondern  im  Gegen, 
theil  zu  gewinnen  trachten  werde,  um  Ihnen  nicht  mehr  be- 
schwerlich zu  fallen.  Ich  habe  die  Ehre  zu  seyn 

Hochzuverehrende  Frau  Gemahlin 

Ihr  etc. 
Graf  Wilhelm  Du  Barry. 

1  Der  Uebermuth  des  Schwagers  der  Mad.  Da  Barry  war  auf  den  höchsten 
Grad  gestiegen.  Er  unterhielt  ein  Mädgen,  welches  den  erdichteten  Namen,  von 
Mürat  angenommen  hatte.  Er  verheuratbete  selbiges  an  einen  Kavalier  vom  St. 
Ludwigs-Orden,  der  zufälliger  Weise  auch  diesen  Namen  hatte,  und  gab  ihm  ein 
Gehalt  von  zwey  tausend  Thaler,  um  seine  Maitresse  beyzubehalten,  der  er  noch 
über  das  den  Tittul  einer  Marquisin  beylegte.  Dieser  Du  Barry  gab  dadurch  eine 
abscheuliche  Aergernis,  und  trieb  hernach  die  Ohnverschämtheit  so  weit,  daß  er 
mit  seiner  Maitresse,  das  Kind  einer  berüchtigten  H— ,  Namens  Beauvoisin,  öffent- 
lich über  der  Taufe  hielt.  Der  Taufaktus  geschah  mit  gröster  Pracht  zu  Mont- 
martre, nächst  Paris.  Es  war  eine  Suite  von  zwölf  Kutschen,  und  da  die  Haupt- 
kirche am  höchsten  Ort  steht,  so  hatte  der  Pfarrer  die  Gefälligkeit,  in  eine 
kleine  Kapelle  herunter  zu  kommen,  wo  die  Feyerlichkeit  vollzogen  wurde. 
Der  Pathenpfennig  und  andere  Geschenke  kosteten  den  Grafen  Du  Barry  bey 
25  000  Livres,  welcher  noch  über  das  dem  jungen  Bastard  ein  Gehalt  von  1200 
Livres  festsezte. 


368  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

LXXV.  Brief 
AN  DEN  GRAFEN  WILHELM  DU  BARRY 

Ich  überschike  Ihnen  hier  die  tausend  Louisd'or  und  eben  so 
viel,  wieder  abzureisen,  damit  Sie  mir  keine  Schande  machen. 
Ich  weiß,  daß  Ihre  Aufführung  in  Paris  die  allergarstigste  ist, 
um  daß  sich  jedermann  über  Sie  lustig  macht.  Wenn  Sie  länger 
als  8  Tage  bleiben,  so  sehen  Sie  zu. 

Gräfin  Du  Barry. 

LXXVI.  Brief 
VON  DEM  ÄßE  TERRAY 

Der  Gedanke,  Sie  als  zwote  Madam  von  Maintenon  zu  sehen, 
ist  in  der  That  sehr  hübsch ;  niemand  als  ich  wünschte  mehr  ihn 
erfüllt  zu  sehen.  Allein  man  muß  mehr  auf  das  Solide  als  aufs 
Glänzende  sehen.  Wenn  sich  Ihre  Lage  veränderte,  "es  seye,  daß 
Sie  bey  dem  König  in  Ungnade  fielen,  oder  daß  wir  ihn  verlier- 
ten,  wo  geriethen  Sie  alsdann  hin  ?  Durch  Ihren  Heurathsver- 
trag ist  das  Vermögen  zwischen  Ihnen  und  dem  Herrn  Grafen 
gemeinschaftlich.  Dieser  würde  als  Mann  Hand  darüber  schla- 
gen, und  Sie  müßten  von  ihm  abhangen,  welches  Sie  in  eine 
ziemlich  harte  Sclaverey  versezen  würde.  Ich  rathe  Ihnen  also, 
vor  allen  Dingen  sich  gerichtlich  mit  Leib  und  Guth  von  ihm 
scheiden  zu  lassen.  Durch  dieses  ist  Ihr  Vermögen  gesichert,  und 
Sie  können  frey  darmit  schalten  und  walten.  Ich  habe  mit  dem 
Düc  von  Aiguillon  in  Betreff  des  Ihnen  gegebenen  Raths  geredt, 
und  er  heißt  ihn  sehr  gut.  Unterschreiben  Sie  also  die  Vollmacht, 
und  verlassen  sich  wegen  der  Sorge,  dieses  Geschäft  zu  beendigen, 
auf  mich,  es  kan  Ihnen  in  der  Folge  an  der  Verbindung  mit  dem 
König  nicht  hinderlich  seyn. 


X 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  369 


LXXVII.  Brief 
VON  DEM  ABE  TERRAY 

Frau  Gräfin! 
Nichts  war  mir  schmeichlender,  als  die  Ehre,  die  Sie  mir  er- 
wiesen, gestern  bey  mir  zu  Mittag  zu  speisen.  Aber  Madam  Da- 
merval1  war  über  Ihre  huldreiche  Aufnahm,  wormit  Sie  sie  be- 
ehrten, ganz  bezaubert.  Sie  wünscht  sehnlich,  daß  Sie  ihr  einen 
freundschaftlichen  Plaz  anweisen,  und  ihr  erlauben  möchten, 
Ihnen  öfters  ihre  Aufwartung  zu  machen.  Sie  hat  keinen  andern 
Endzwek,  als  etwas  zu  Ihrem  Vergnügen  beyzutragen.  Aber 
dörfte  ich  Ihnen  unter  uns  sagen,  daß  sie  Ihnen  nüzlich  seyn 
könnte.  Das  Alter  des  Königs  und  seine  ohnmäßige  Wollust,  an 
die  Er  schon  seit  langem  gewöhnt  ist,  machen  Ihm  die  Abände- 
rung nothwendig.  Ihre  Reize,  Ihre  Anmuth  können  einen  ohn- 
beständigen  und  abgenuzten  Liebhaber  nicht  binden.  Wenn  Er 
durch  einen  andern  Kanal,  als  den  Ihrigen,  eine  junge  und  lie- 
benswürdige Person  findet,  so  dörfte  sich  sein  ausschweifendes 
Gemüth  auf  etwas  Zeit  an  sie  hängen,  und  man  würde  sich  die- 
sen Augenblik  zu  Nuze  machen,  um  seine  Blödigkeit  zu  miß- 
brauchen, und  Ihn  von  Ihnen  abwendig  zu  machen  suchen.  Sie 
wissen,  daß  Ihm  jüngst  die  Prinzeßin  von  Lamballe2  sehr  in  die 

1  Madam  Damerval  ist  ein  Bastard  des  Abe  Terray  und  Madam  von  Clerci 
seiner  ersten  Maitresse.  Er  verheurathete  sie  im  zwölften  Jahr  an  Herrn  Damerval, 
Bruder  der  Mad.  la  Garde  seiner  zwoten  Maitresse.  Dieser  war  ein  betagter  Mann, 
ohne  Vermögen,  ohnfähig  sich  das  Ansehen  seines  Schwiegervaters  zu  Nuze  zu 
machen,  ein  Thor,  unsäuberlich,  bäurisch  grob,  mit  einem  Wort,  ein  abscheulicher 
Kerl.  Er  mißfiel  seiner  Gattin  so  sehr,  daß  man  glaubt,  die  Pflichten  der  Ehe 
seyen  niemals,  oder  doch  nicht  so  vollzogen  worden,  um  dem  Abe  Terray  einen 
Weg  zu  bahnen,  den  er  aus  Gewohnheit  dem  Mühsamen  vorzog.  Mad.  Damerval 
verließ  gar  bald  ihren  Mann,  und  hieng  sich  an  ihre  Schwägerin,  die  sie  nebst  ihr 
bey  dem  Generalkontroleur  versorgte,  und  welche,  da  sie  überzeugt  war,  daß  es 
nothwendig  seye,  dem  physischen  Ekel  ihres  Liebhabers  vorzubeugen,  lieber  die 
Oberaufseherin  seines  Vergnügens  machen  wollte. 

2  Der  König  redte  einige  mal  mit  Freundschaft  von  der  Prinzeßin  von  Lam- 
balle, und  erhob  eines  Tages  in  Beyseyn  der  Mad.  Du  Barry  ihre  Reize,  die  Ihm 
I.  24 


370  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


Augen  gestochen  hat.  Ich  rathe  Ihnen  also  als  Freund,  eine  junge 
Gesellschafterin  zu  sich  zu  nehmen,  welche  die  Begierde  des  Mon- 
archen reizen  und  sie  befriedigen  könne.  Er  würde  Ihnen  des- 
wegen nicht  weniger  zugethan  seyn,  denn  Er  müßte  Ihnen  für 
das  Vergnügen,  das  Sie  Ihm  verschaffen,  Dank  wissen.  Wenn  Sie 
sich  zu  diesem  verstehen,  so  werden  Sie  sich  immer  in  seinen 
Gunsten  erhalten.  Madam  von  Pompadour  begegnete  dem  ohn- 
stäten  Geschmak  Seiner  Majestät  auf  gleiche  Art.  Die  junge 
Damerval  taugt  fürtreflich  zu  dieser  Rolle.  Dieses  ist  ein  Kind, 
welches  weder  Geist  noch  Talente  hat,  dem  König  lange  zu  ge- 
fallen, und  nach  diesem  können  Sie,  wenn's  nöthig  ist,  eine  andere 
anführen.1  Indessen  ist  dieses  nur  in  den  Wind  geredt.  Wenn 
Sie  es  annehmen,  so  kan  es  zu  Ihrem  Vortheil  gereichen,  einzig 
in  dieser  Absicht  melde  ich  es  Ihnen.  Sie  können  eben  so  wenig 
daran  zweiflen,  als  an  der  Hochachtungsvollen  Ergebenheit,  mit 
welcher  ich  bin  etc.  Terray. 

LXXVIII.  Brief 
VON  MICHAEL  OULIF,  EIN  JUD 

Frau  Gräfin!  Den  7.  May  1772. 

Man  sagt  mir,  daß  ein  Stekbrief  wider  mich  ausgegangen  seye» 
um  mich  wegen  denen  66  tausend  Livres,  die  Sie  zuletzt  unter- 
schrieben haben,  gefänglich  einzuziehen.  Ich  bitte  Sie,  Madam, 
mich  nicht  unglüklich  zu  machen.  Sie  wissen  doch,  daß  ich  Ihnen 

deswegen  Vorwürre  machte,  und  sich  beklagte,  daß  Er  ausgestreut  hätte,  Er  sey 
willens  sich  mit  dieser  Prinzeßin  zu  vermählen.  Der  König,  der  sich  durch  diese 
Rede  betroffen  fand,  sagte  ihr  ganz  ungehalten:  „Madam!  ich  könnte  etwas 
„schlimmers  thun."  Madam  Du  Barry  fühlte  den  Hieb,  und  brach  in  Weinen  aus. 
Der  König,  dem  der  Auftritt  lange  Weile  machte,  gieng  weg. 
1  Die  Absicht  des  Abe  Terray  war,  Mad.  Damerval  zur  Maitresse  des  Königs, 
zu  machen,  und  Mad.  Du  Barry  zu  hintergehen.  Da  er  aus  feiner  Politik  sein  Ba- 
stard dem  König  nicht  selbsten  vorstellen  konnte,  so  wollte  er,  daß  die  Gräfin  die 
Kupplerin  seyn  möchte.  Allein  sein  Projekt  scheiterte,  und  wenn  der  König  je 
von  diesem  Lekerbissen  gekostet  hat,  so  war's  nur  im  Vorbeygehen ;  denn  Er  be- 
hielt immer  die  gleiche  Anhänglichkeit  an  seine  Favoritin. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  371 


nicht  unrecht  gethan  habe.  Sie  waren  mir  noch  60  000  Livres 
altes,  welches  nebst  denen  6000  Livres  vom  lezten  Kauf  die 
66  000  Livres  des  Billets  ausmachen.  Da  ich  die  Ehre  hatte 
Ihnen  zu  sagen,  daß  ich  mein  Geld  höchst  nothwendig  brauche, 
so  haben  Sie  mir  befohlen,  den  Zedel  aufzusezen,  den  Sie  die 
Gewogenheit  gehabt  haben  zu  unterschreiben.  Es  ist  wahr,  Sie 
glaubten  nur  für  6000  Livres  zu  unterschreiben,  und  ich  habe 
nicht  recht  gethan,  daß  ich  Ihnen  nicht  gesagt  habe,  daß  die 
60  000  Livres  mit  inbegriffen  seyen.  Indessen  bin  ich  doch,  nicht 
strafbar.  Ich  glaubte  im  Gegentheil,  Ihnen  etwas  zu  gute  zu 
thun,  wenn  ich  Sie,  ohne  daß  Sie's  merkten,  von  einer  Schuld 
befreyte,  die  sonst  immer  auf  Ihnen  geblieben  wäre;  mithin  hoffe 
ich  von  Ihrer  Gnade,  daß  wenn  Befehl  wider  mich  ergangen  ist, 
daß  Sie  selbigen  werden  zurük  nehmen  lassen.  Ich  werde  den 
Himmel  ohnaufhörlich  um  die  Erhaltung  Ihrer  theuren  Tage 
bitten.  Ich  bin  mit  der  tiefsten  Ehrfurcht,  Frau  Gräfin, 

Ihr  etc. 
Michael  Oulif. 

LXXIX.  Brief 
AN  MICHAEL  OULIF 

Den  7.  May  1772. 
Nein  mein  guter  Oulif  sey  ruhig;  weit  entfernt,  daß  nur  ein- 
mal die  Rede  gewesen  sey,  dich  einzusperren,  habe  ich  im  Gegen- 
theil dem  König  deinen  mir  gespielten  Possen1  erzehlt,  welcher 
sich  lustig  darüber  gemacht  hat.  Mithin  sey  gutes  Muths. 

Gräfin  Du  Barry. 

1  Madam  Du  Barry  hatte  diesen  Streich  durch  den  Hofbanquier  Herrn  Beau- 
jon,  auf  welchen  das  Billet  der  66  000  Livres  gestellt  war,  und  das  er  einlöste,  er- 
fahren. Dieser  sagte  ihr  ganz  troken,  daß  ihre  Billets  häufig  einliefen;  allein  da  sie 
in  der  Beglaubigung  stund,  daß  das  lezte  nur  6000  Livres  seye,  so  hielt  sie  dieses 
für  eine  Kleinigkeit,  einen  Bettel.  Doch  der  dumme  Banquier  behauptet,  daß 
66  000  Livres  keine  Kleinigkeit  seye.  Man  giebt  Auskunft  darüber.  Mad.  Du  Barry 
lacht  und  erzehlt's  dem  König. 

24* 


372  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

LXXX.  Brief 
AN  HERRN  MONTVALLIER,   IHREN   SACHWALTER 

Gehen  Sie,  mein  Herr,  zum  Notarius  Pot.  Dieser  ohnver- 
schämte  Kerl  hat  den  Tag,  als  er  zu  mir  kam,  um  ein  Kontrakt 
von  mir  unterschreiben  zu  lassen,  den  Nuntius  und  den  guten 
Kardinal  de  la  Roche-Aymond  gesehen,  wie  mir  jeder  beym 
Aufstehen  aus  dem  Bett,  einen  Pantoffel  darreichte.  Man  sagt 
mir,  daß  er  in  ganz  Paris  darüber  spotte.  Verdeuten  Sie  ihm, 
daß  wenn  ich  noch  etwas  von  ihm  höre,  ich  ihm  das  Maul  stopfen 
und  nach  Verdienen  zu  züchtigen  wissen  werde.  Geht's  mit  mei- 
ner Absonderung1  brav  von  statten?  Gehen  Sie  darüber  mit 
dem  Abe  Terray  und  mit  dem  Prokurator,  den  er  mir  gegeben 
hat,  zu  Rath.  Beendigen  Sie  diese  Sache  so  viel  immer  möglich. 
Ich  bin  ganz  die  Ihrige.  Gräfin  DU  Barry. 

LXXXI.  Brief 
VON  HERRN  MONTVALLIER 

Frau  Gräfin! 

Ihre  Separation  ist  geschehen.  Sie  können  jez  in  Ihrem  Na- 
men kaufen  was  Sie  wollen,  ohne  die  geringste  Gefahr  zu  laufen. 
Das  Marquisat  von  Genlis  in  der  Picardie  ist  zu  verkaufen.  Dieses 
ist  ein  herrliches  Stük  Land,  ich  rathe  Ihnen,  darauf  zu  denken; 
wenn  Sie  wollen,  so  will  ich  einen  Augenschein  davon  einneh- 
men, und  Ihnen  einen  aufrichtigen  Bericht  darüber  abstatten. 

1  Der  Beweggrand,  worauf  man  diese  Absonderung  stüzte,  war  sehr  lächerlich. 
Man  weiß,  daß  man  in  einem  solchen  Fall  Beweisthümer  haben  muß,  daß  der 
Mann  sein  Weib  mißhandelt  habe:  da  dieser  Umstand  hier  nicht  statt  finden 
konnte,  so  mußte  man  eine  Beschwerde  ausfündig  machen.  Man  sagte  dem  Gra- 
fen Wilhelm  Du  Barry,  die  Gräfin  in  Beyseyn  einiger  Personen  als  eine  Ehrver- 
gessene zu  behandlen.  Diese  sagten  nun  die  Sache  als  Zeugen  aus,  und  dieses  war 
genug  zur  Separation. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry  373 

Jezt  haben  Sie  kein  Geld,  allein  es  giebt  ein  Mittel,  daß  Sie  sich 
verschaffen  können.  Bitten  Sie  den  König,  daß  er  Ihnen  das  Ka- 
pital der  hundert  tausend  Livres  Leibrenten,  die  Sie  auf  die 
Stadt  haben,  wieder  eingehen  mache,  so  haben  Sie  gleich  eine 
Million  gefunden.  Wenn  Ihnen  hernach  die  Besizung  nicht 
taugt,  so  werden  sich  andere  eben  so  prächtige  zeigen.  Morgen 
werde  ich  Ihre  Befehle  holen.  Ich  bin  mit  tiefer  Hochachtung, 

Frau  Gräfin  etc.  ■,,         „. 

Montvalher. 

LXXXII.  Brief 
VON  DEM  ABE  TERRAY 

Nachdem  mir  der  König  seine  Gesinnungen  zu  wissen  ge- 
than  hat,  so  habe  ich,  Madam,  dem  Herrn  Certain  Ihrem  Rent- 
meister in  der  Stadt,  für  die  Rükgabe  Ihrer  100  000  Livres  Leib- 
renten, Befehl  erteilt.  Es  war  sogar  ein  Gerichtszwang  wider  ihn, 
und  eine  Anzeige  auf  den  Einschreibbüchern  nöthig,  vermittelst 
welcher  die  Abschreibung  derselben  geschehen  könnte.  Nun  kan 
heute  Ihr  Sachwalter  Ihre  Million  beziehen;  allein  da  Sie  meine 
Begierde,  Ihnen  bev  allen  Gelegenheiten  nüzlich  zu  seyn,  ken- 
nen, so  will  ich  die  Sachen  so  einrichten,  daß  Sie  ohnerachtet 
der  Rükgabe,  die  hundert  tausend  Livres  Leibrenten  dennoch 
beybehalten  sollen.  Zweifeln  Sie  am  Erfolg  eben  so  wenig,  als  an 
der  vollkommenen  Ergebenheit,  mit  der  ich  bin  etc. 

Terray, 

LXXXIII.  Brief 
AN  HERRN  VON  MONTVALLIER 

Wir  wollen  sehen,  daß  wir  mit  der  Zeit  einige  Landsize  kaufen 
können.  Das  was  mir  jezt  am  angelegensten  ist,  ist,  daß  ich  jez 
mein  Gebäude  von  Lucienne  geendigt  sehen  möchte.  Sehen  Sie 


374  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

nach  Malern,  Bildhauern,  und  allen  Arbeitern,  die  es  meublie- 
ren  und  auszieren  sollen,  um,  und  treiben  Sie  sie,  daß  sie  es  fertig 
machen,  und  berichtigen  Sie  die  Rechnungen  durch  den  Herrn 
Doux,  dem  Sie  hundert  tausend  Livres,  als  den  unter  uns  be- 
dungenen Preis  für  seine  Arbeit,  zustellen.  Ich  wünsche  Ihnen 
einen  guten  Tag.  Gräfin  Du  Barry, 

LXXXIV.  Brief 
AN  DEN  GRAFEN  WILHELM  DU  BARRY 

Sie  sind  mit  Ihren  beständigen  Forderungen  ganz  ohnerträg- 
lich.  Nichtsdestoweniger  will  Ihnen  der  König,  um  mich  von 
Ihrem  Überdrang  zu  befreyen,  60  000  Livres  Renten  im  Her- 
zogthum  Rolaqueure  anweisen,  mit  dem  Beding,  daß  Sie  keinen 
Fuß  mehr  nach  Paris  sezen,  und  man  nichts  mehr  von  Ihnen 
reden  höre.  Abe  Terray  wird  Ihnen  diesem  zufolg  den  Aufsaz 
dieser  Gratification  zustellen.  Gräfin  Du  Barry. 

LXXXV.  Brief 
VON  DEM  ABE  TERRAY 

Bei  Erneuerung  der  Pulver- Verpachtung  habe  ich  ein  Trink- 
geld von  300  000  Livres  begehrt.  Es  war  für  Sie  bestimmt.  Wenn 
ich  Ihnen  nicht  sogleich  Nachricht  gegeben  habe,  so  ist  es  nur 
um  deswillen  geschehen,  weil  ich  mir  das  Vergnügen  vorbehal- 
ten habe,  Ihnen  diese  Summe  an  Gold  selbst  zu  überbringen. 
Man  versichert  mich,  daß  die  Pulver-Pächter  dieses  Trinkgeld 
als  eine  Erpressung  ansehen,  und  daß  der  Kanzler,  an  den  sie 
sich  gewandt  haben,  ihre  Klagen  an  den  König  bringen  soll, 
wenn  es  nicht  schon  geschehen  ist.  Wenn  Se.  Majestät  mit  Ihnen 
darüber  redt,  so  darf  ich  hoffen,  daß  Sie  mich  bey  dem  König 
wohl  rechtfertigen  werden.   Er  wird  bey  diesem  Anlaß  sehen, 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  375 


daß  ich  kein  Mittel  verabsäume,  wo  ich  seine  Huld  über  Sie 
bringen  kan,  ohne  daß  es  den  Staat  das  mindeste  koste.  Ich  bin 
mit  denen  Hochachtungsvollen  Gesinnungen,  mit  denen  Sie 
mich  kennen,  Madam  etc.  Terrav 

LXXXVI.  Brief 
AN  DEN  ABE  TERRAY 

Sie  hatten  recht  mein  Herr  Abe,  wenn  Sie  dachten,  daß  Sie 
der  Kanzler  in  dem  Herzen  des  Königs  anzuschwärzen  trachten 
würde ;  hat  er  nicht  die  Ohnverschämtheit  gehabt,  zu  sagen,  Sie 
hätten  das  Trinkgeld  von  der  Pulver- Verpachtung  für  sich  be- 
halten wollen  ?  Unter  uns,  es  könnte  wohl  seyn,  denn  das  was 
er  angibt,  kömmt  vollkommen  mit  demjenigen  überein,  was  ich 
von  Persohnen,  die  um  die  Sache  wissen,  erfahren  habe.  Dem 
seye  wie  ihm  wolle,  Ihr  Betragen  ist  allzu  höflich,  als  daß  ich  die 
Sachen  genau  untersuche.  Ich  habe  Ihnen  nun  als  Freundin 
gedieht,  denn  als  mir  Se.  Majestät  Ihre  Unzufriedenheit  bezeug- 
ten, habe  ich  angefangen  zu  lachen,  und  Ihm  gesagt,  daß  alle 
widei  Sie  geführten  Reden  nichts  als  Verleumdungen  und  Boß- 
heit  seyen.  Zum  Beweiß  dessen  habe  ich  Ihm  Ihren  Brief  ge- 
wiesen, und  Ihn  dadurch  überzeugt,  daß  Sie  ein  Mann  voller 
Hilfsmitteln  wären. 

LXXXVII.  Brief 
AN  DEN  GRAFEN  DU  BARRY 

Ich  sage  Ihnen  Herr  Graf,  daß  wenn  Sie  im  Fall  gewesen 
sind  mir  Lehren  zu  geben,  so  ist  es  jezt  an  Ihnen  von  mir  an- 
zunehmen. Sie  nehmen  eine  Art  an,  die  Ihnen  gar  nicht  zusteht. 
Alles  in  Paris  murrt  über  Sie,  und  ich  bin  genöthiget,  zu  ge- 
stehen, daß  man  nicht  unrecht  hat.  Erstlich  machen  Sie  sich 


376  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


groß,  daß  Sie  seitdem  ich  am  Hof  seye,  schon  auf  Ihre  fünfte 
Million  gekommen  wären.  Zweytens  haben  Sie  die  Thorheit  be- 
gangen, Ihre  Maitresse  an  einen  Kavalier  von  St.  Ludwigs  Orden 
zu  verheurathen,  um  Ihr  einen  Tittul  zu  geben,  und  sie  bleibt 
doch  im  Publicum,  vor  welchem  Sie  Parade  mit  Ihr  machen, 
hinten  und  vornen  die  gleiche.  Drittens  haben  Sie  im  Hotel  der 
Pächter  ein  abscheulichen  Lerm  angefangen,  um  einen  Ihrer 
Anhänger  eine  Direktor-Stelle  zu  verschaffen.  Die  General- 
Pächter  haben  sich  bey  mir,  nicht  nur  über  diesen  Lerm,  sondern 
auch  über  dasjenige,  dessen  Sie  sich  in  ganz  Paris1  laut  brüsten, 
beklagt.  Ich  rathe  Ihnen  also,  um  alle  diese  nachtheiligen  Ge- 
rüchte zu  erstiken,  auf  ein  paar  Monat  nach  dem  Marquisat  de 
l'Isle,  welches  ich  für  Sie  von  dem  König  erhalten  habe,  ab- 
zugehen. Lernen  Sie  Ihre  Zunge  sieben  Mal  im  Mund  umwen- 
den, ehe  Sie  reden.  Geben  Sie  zum  Vorwand  Ihrer  Reise  an, 
daß  Sie  diese  Herrschaft  wollen  kennen  lernen;  sie  verdient  auch 
in  der  That,  daß  Sie  sie  sehen,  indem  sie  wie  man  mich  ver- 
sichert über  hunderttausend  Livres  werth  ist.  Nach  etwas  Zeit 
kommen  Sie  wieder  zurük.  Ich  hoffe  man  werde  alsdenn  Ihre 
Ohnbesonnenheit  vergessen  haben.  Denken  Sie,  daß  ich  Ihnen 
diesen  Rath  als  Freundin  gebe,  und  um  zu  verhüten,  daß  der 

1  Graf  Du  Barry  war  bey  der  Pachtkammer  um  für  seinen  Freund  Herrn 
Desanit  die  Direkzion  von  Paris,  die  durch  die  Beförderung  des  Herrn  de  la  Pe- 
riere,  zum  General-Pachter  ledig  war,  zu  begehren.  Die  Kammer  stellte  ihm  vor, 
daß  er  zu  späth  käme,  indem  diese  Stelle  bereits  an  Herrn  Chomel  vergeben  worden 
seye,  und  daß  es  ohnmöglich  wäre,  einen  installirten  Mann  abzusezen,  oder  ihm 
einen  niedrigen  Platz  anzuweisen.  Der  Graf  drang  darauf  an.  und  sagte:  daß  wenn 
es  nur  um  eine  geringe  Sache  zu  thun  gewesen  wäre,  so  hätte  er  die  Mühe  nicht 
genommen  zu  diesen  Herren  zu  kommen.  Man  machte  ihm  neue  Schwierigkeiten, 
und  er  fieng  an  in  noch  höherm  Ton  zu  sprechen,  und  fragte  ganz  trozig,  ob  man 
nicht  wüßte,  daß  er  die  Ehre  gehabt  habe,  dem  König  eine  Maitresse  zu  geben; 
daß  er  es  seye,  der  den  Düc  von  Aiguillon  zum  Minister  der  auswärtigen  Ange- 
legenheiten, und  den  Herrn  von  Boynes  zum  Minister  des  Seewesens  gemacht 
habe,  und  den  Herrn  Kanzler  an  seinem  Platz  erhalte  etc.  etc.  ?  Er  fügte  noch 
hinzu,  man  möchte  sich  also  wohl  vorsehen,  und  ihn  nicht  ungehalten  machen.  Diese 
ganz  ohnerhörten  Reden,  brachten  die  General-Pachter  ganz  aus  der  Fassung, 
und  sie  thaten  was  er  wollte. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  377 

König  wenn  Er  Ihre  Aufführung  erfährt,  sich  nicht  seines  Ge- 
walts bediene  um  Sie  zu  entfehrnen. 

Ich  bin  immer  mit  der  gleichen  Anhänglichkeit  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

LXXXVIII.  Brief 
AN  DEN  ABE  TERRAY 

Nun  ist  es  beynahe  ein  Jahr,  Herr  Abe,  daß  Sie  an  dem  Plaz 
eines  Oberaufsehers  der  Gebäude  sizen,  und  es  dünkt  mich,  Sie 
denken  nicht  daran  die  Bedingnisse  zu  erfüllen,  die  wir,  ehe  ich 
den  König  bewog  Ihnen  diese  Stelle  zu  bewilligen,  mit  einander 
machten.  Die  Art,  mit  der  ich  bis  jezt  gegen  Sie  gehandelt  habe, 
scheint  mir  nicht,  daß  sie  verdient  habe,  mich  ins  Nez  zu  loken. 
Ich  habe  einen  Abscheu,  Sie  dessen  fähig  zu  glauben,  und  Sie 
verpflichten  mich,  wenn  Sie  mich  je  ehender  je  lieber  in  meinem 
Begriff,  den  ich  von  Ihrer  Redlichkeit  haben  soll,  befestigen.  Im 
übrigen  gestehe  ich  Ihnen,  mein  Herr,  daß,  je  mehr  ich  in  meinen 
Sachen  gerade  zu  Werke  gehe,  desto  weniger  bin  ich  geneigt  zu- 
zugeben, daß  man  mich  hintergehe. 

Gräfin  Du  Barry. 

LXXXIX.  Brief 
VON  ABE  TERRAY 

Frau  Gräfin! 

Ich  werde  Ihnen  niemals  Anlaß  geben,  daß  Sie  mit  Recht  an 
meiner  Redlichkeit  zweiflen  können.  Sie  wissen,  daß  ich  immer 
alle  Gelegenheiten  mit  Nachdruk  ergriffen  habe,  Ihnen  Beweise 
von  meiner  Ergebenheit  ohne  Ausnahm  zu  Tage  zu  legen.  Ich 
werde  mich  zu  keinen  Zeiten  Lügen  strafen.  Es  ist  Ihnen  nicht 
unbekannt,  in  welchem  Abgang  alle  Gebäude  des  Königs  waren, 


378  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

als  Er  mir  die  Oberaufsicht  über  selbige  anvertraute.  Nun  dachte 
ich  demjenigen,  den  Sie  an  diesen  Plaz  bestimmen,  ein  angeneh- 
meres und  vollständigeres  Geschenk  zu  machen,  wenn  ich  sie  ihm 
erst  nachdem  alles  wieder  in  den  Stand  gestellt  ist,  abtrette. 
Seyn  Sie  versichert,  daß  diese  einzige  Betrachtung  die  Ursache 
meiner  Verzögerung  ist,  die  nicht  lange  dauren  soll.  Erlauben 
Sie,  Madam,  indessen  auch,  daß  ich  Sie,  ich  will  nicht  sagen  an 
Ihr  Versprechen,  aber  doch  an  die  Hofnung,  die  Sie  mir  zur 
Stelle  des  Herrn  von  Maupeou  machten,  erinnere.  Sie  haben 
sich  schon  seit  langem  über  ihn  zu  beklagen,  und  sein  Sturz  ist 
eben  so  interessant  für  Sie,  als  für  mich.  Wenn  es  Ihnen  leichter 
ist,  ihn  zu  beschleunigen,  so  ist  es  Ihnen  eben  so  leicht,  Seine 
Majestät  dahin  zu  bringen,  daß  Er  auf  mich  falle,  um  mich  auf 
seinen  Plaz  zu  sezen.  Seyn  Sie  überzeugt,  daß  Sie  keine  Person 
dahin  sezen  können,  die  es  aufrichtiger  mit  Ihrem  Nuzen  hält. 
Ich  bin  etc.  Terray. 


XC.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  DÜRAS 

Als  ein  eigennüziger  Höfling  machen  Sie  mir  öfters,  mein 
Herr  Düc,  schlechterweise  Ihre  Aufwartung;  als  ein  schlauer 
Mann  suchen  Sie  mir  das  Herz  des  Königs  zu  stehlen,  indem  Sie 
Ihm  die  Reize  einer  gewissen  Madam  Pater1,  welche,  wie  man 
sagt,  vor  zwölf  oder  fünfzehn  Jahren  erträglich  gewesen  seyen, 
anpreisen;  ja  die  böse  Nachrede  fügt  noch  hinzu,  daß  Sie  als 
Kammerherr,  sie  nicht  nur  dem  König  präsentirt,  sondern  noch 
sogar  mit  dem  Licht  voran  gegangen  seyen.  Ich  gratuliere  Ihnen 
darzu,  allein  Sie  haben  noch  nicht  alle  Eigenschaften  eines  äch- 

1  Diese  Madam  Pater  ist  eine  Holländerin,  die  zehn  Jahre  vorher  viel  Auf- 
sehens zu  Paris  gemacht  hatte.  Sie  nahm  1772,  man  weiß  nicht  warum,  den  Titel 
einer  Baroneßin  von  Neukerque  an.  Die  Anekdote  der  Madam  Du  Barry  ist  mehr 
als  wahr,  allein  die  Intrigue  war  von  keiner  Folge. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 379 

ten  Freunds  des  Monarchen;  Sie  sind  nicht  fein  genug,  Ihr  Spiel 
zu  verbergen;  die  Probe  darüber  ist,  daß  ich,  die  zulezt  von  der 
Sache  hätte  wissen  sollen,  von  allen  diesen  hübschen  Schlichen 
noch  vor  ihrer  Entwiklung  Nachricht  habe.  Ich  weiß  auch,  daß 
mein  werther  Düc  von  Choiseul,  von  Chanteloup  aus,  Ihr  gan- 
zes Betragen  anordnet,  und  den  Nuzen  davon  zu  haben  ver- 
meynt,  gleich  wie  Ihnen  die  Schande  ohnvermeidlich  folgen 
wird.  Fahren  Sie  fort,  Herr  Düc,  lassen  Sie  Ihre  Talente  schim- 
mern, nur  gehen  Sie  ein  bisgen  geheimer  darmit  um.  Ich  hoffe, 
daß  ich  Sie  von  diesem  Tage  an  nimmer  bey  mir  sehen  werde. 
Übrigens  bin  ich  mit  aller  Hochachtung,  die  Sie  verdienen,  mein 

Herr,  Ihre  etc. 

Gräfin  Dil  Barry. 


XCI.  Brief 
VON  FRAU  CONSTANT 

Frau  Gräfin! 

Ich  bin  Madam  Constant,  eine  Kupferschmiedin  zu  Paris.  Ich 
sollte  Ihnen  wohl  eingehen,  dann  zur  Zeit,  wo  Sie  mit  meinem 
guten  Gevatter  Lamet  lebten,  sähe  ich  alle  Morgen  nur  Sie  bey 
mir,  und  wir  haben  den  Salat  öfters  zusammen  gegessen.  Jezt  da 
Sie  so  schön  wie  ein  Raritätenkasten  sind,  haben  Sie  vielleicht 
Ihre  alte  Freundin  vergessen ;  aber  das  macht  mir  gerade  so  viel 
als  nichts.  Wenn  ich  Ihnen  schreibe,  so  ist  es  nicht,  um  eine 
Gnade  von  Ihnen  zu  begehren,  denn  ich  brauche  keine,  sondern 
um  Ihnen  Ihre  armen  Verwandten  zu  empfehlen.  Ihre  Muhme, 
Madam  Cantini,  die  ein  wakeres  Weib  ist,  Sie  können  sich  dessen 
rühmen,  ist  unglüklicher  als  die  Steine  auf  der  Gasse.  Ehe  Sie 
eine  grosse  Dame  waren,  lebte  sie  aus  ihrem  Gewerb  als  Trödel- 
weib beym  Nachttische,  und  gewann  dardurch  sich  und  ihren 


380  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

Kindern  Brodt;  aber  seitdem  Sie  Wittwe  geworden  sind,  oder 
was  Sie  sonst  so  seyn  mögen,  Sie  verstehen  mich  schon,  haben 
Sie  ihr  verbotten,  sich  Ihre  Muhme  zu  nennen,  und  ihren  Han- 
del fortzutreiben,  unter  Versprechung  1200  Livres  Jahrgehalt, 
worvon  sie  doch  nur  die  Hälfte  kriegt,  man  sagt,  daß  das  durch 
die  Hände  Ihrer  Gnaden  des  Herrn  Abe  Terray  gehe.  Wie  wollen 
Sie  nun,  daß  sie  mit  diesem  lebe,  und  ihre  Kinder  ernähre,  die 
nicht  mehr  Erziehung  haben  als  ein  Hund,  und  die  nakend  her- 
um laufen  ?  Sie  sollten  sich  so  wahr  Gott  lebt  schämen !  Und 
wissen  Sie  worzu  das  verleitet,  diese  Armuth  da  ?  Schauen  Sie 
einmal,  dieser  arme  August,  der  jezt  siebenzehn  Jahre  hat,  gut; 
dieser  hat  nebst  einem  andern  kleinen  Pürschgen,  das  eben  so 
flink  ist  wie  er,  eine  junge  Henne  ab  dem  Laden  eines  Kochs 
mitlaufen  lassen.  Er  ist  zum  Kommissarius  geführt  worden,  und 
wenn  er  nicht  gesagt,  daß  er  Geschwister- Kind  mit  Ihnen  wäre, 
so  hätte  man  ihn  eingestekt,  und  dieser  gute  arme  Mensch1 
wäre  gepeitscht  und  gebrandmarkt  worden.  Das  ist  mir  ein  hüb- 
scher Vorsprung,  mittlerweile  Sie  reich  sind  wie  eine  Jüdin,  wür- 
digen Sie  nicht  einmal  Ihre  nächsten  Anverwandten  mit  einem 
mitleidigen  Auge  anzusehen.  Pfui !  das  ist  schlecht !  Nehmen  Sie 
sich  in  Acht,  der  Zorn  Gottes  wird  über  Sie  kommen,  und  Sie 
werden  ganz  ohnvermutet  herunter  kommen.  Im  übrigen,  sehen 
Sie,  ich  meyne  es  gut  mit  Ihnen;  wenn  Sie  das,  was  ich  Ihnen 
sage,  thun,  so  ist  es  gut  für  Sie,  wenn  Sie  es  nicht  thun,  desto 
schlimmer  für  Sie.  Ich  für  mich  habe  ein  wehmüthiges  Herz,  und 
sage  Ihnen  das  mit  nassen  Augen,  und  bin  mit  Hochachtung, 
Frau  Gräfin,  Ihre  gehorsame  Dienerin  Constant. 

1  Madam  Du  Barry,  aus  Forcht,  daß  dieser  Vetter  nicht  neue  Unfugen  an- 
stelle, gab  Befehl,  ihn  einige  Tage  hernach  von  der  Gasse  wegzunehmen,  und  nach 
St.  Lazare  zu  sezen,  von  dannen  er  nun,  weil  er  das  Kostgeld  nicht  bezahlte,  und 
weil  sich  sein  Taufpathe,  der  etwelches  Ansehen  hat,  seiner  annahm,  wieder  heraus 
kam.  Dieser  hat  die  Du  Barry  so  sehr  durch  diesen  Auftritt  beschämt,  daß  man 
dem  jungen  Menschen  eine  Bedienstung  in  Indien  verschafte,  wohin  man  ihn 
schikte. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  381 


XCIL  Brief 

VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON 

Nun  sehen  Sie,  meine  liebe  Gräfin,  den  Monarchen,  die  Prin- 
zen von  Geblüt,  die  Ministers,  mit  einem  Wort  den  ganzen  Hof 
zu  Ihren  Füssen.  Damit  Sie  sich  in  einer  so  glänzenden  Lage  er- 
halten, so  müssen  Sie  im  Ernst  auf  die  Entsezung  des  Kanzlers 
denken.  Stolz  auf  die  Macht,  die  er  über  den  Grafen  de  la 
Marche  hat,  und  die  er  ebenfalls  auch  auf  den  Prinzen  Conde1 

1   Prinz  Conde  kam  wieder  nach  Hof,  und  machte  dem  König  durch  die  Ver- 
mittlung des  Grafen  de  la  Marche  seine  Entschuldigung.  Dieser  Vorgang  ist  in 
einem  Neujahrsgedicht,  welches  damals  herumgebotten  wurde,  also  enthalten: 
La  Marche  a  le  cceur  loyal, 
Conde  fut  le  reconnaitre, 
Et  fervi  par  son  egal 
II  va  droit  ä  son  maitre. 
Ce  moyen  est  en  general 
Le  plus  digne  peut-etre. 
d.  i.  La  Marche  hat  ein  rechtschaffenes  Herz,  Conde  kannte  es,  bediente  sich 
dessen,  und  gieng  durch  ihn,  als  einen  seines  gleichen  gerade  zum  König.  Dieses 
ist  auch  durchgehends  wohl  das  beste  Mittel. 

_  Da  Graf  de  la  Marche  die  Anhänger  des  Herrn  von  Maupeou  immer  begün- 
stigte, so  glaubte  er,  Prinz  von  Conde  würde  auch  beytretten.  Düc  von  Orleans 
kam  durch  die  Vermittlung  des  Düc  von  Aiguillon  wieder  in  die  Gnade  des  Königs 
Auch  heißt  es  in  dem  gleichen  Neu  Jahrsgedicht,  wo  man  sich  an  den  Prinzen  wendt: 
Vous  avez  fort  noblement 
Combine  la  demarche, 
En  refusant  constamment 
Le  Comte  de  la  Marche : 
D'Aiguillon  vous  a  bien  infiniment 

Fourni  cette  autre  marche. 
Mais  au  fond  l'honneur  n'est  rien, 

II  n'en  faut  tenir  compte; 
He !  que  vous  fait  le  moyen, 
Si  vous  n'en  avez  la  honte 
Alle,  d' Aiguillon  vous  dira  bien, 
Comment  on  la  surmonte. 
d.  i.  Sie  haben  den  Schritt  sehr  artig  ausgedacht,  indem  sie  dem  Grafen  de  la 
Marche  beständig  ausschlugen.  Düc  von  Aiguillon  hat  ihnen  jenen  andern  Weg 
schon  gebahnt.  Denn  im  Grund  ist  die  Ehre  nichts,  man  muß  nicht  drauf  achten. 
Ey!  was  hilft  ein  Mittel,  wenn  man  Schande  davon  hat.  —  Wohlan,  Düc  von 
A  guillon  wird  ihnen  schon  sagen,  wie  man  drüber  hinaus  seyn  kan. 


382  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


hatte,  hoft  er  erster  Minister  zu  werden,  und  glaubt,  daß  sich 
ihm  alles  unterziehen  würde.  Es  ist  höchst  nothwendig,  seinen 
Projekten  zuvorzukommen,  und  ihn  gleich  dem  Düc  von  Choi- 
seul  zu  stürzen.  Wenn  dieses  durch  Ihren  Beystand  könnte  er- 
zielt werden,  so  würden  Sie,  meine  werthe  Gräfin,  von  allen 
Prinzen  vom  Geblüt  und  von  ganz  Frankreich  geliebt  werden. 
Das  Parlement,  welches  hernach  wiederum  zurükberufen  werden 
würde,  würde  Sie  verehren,  und  Sie  würden  mit  Ruhm  und 
Ehre  überhäuft  werden.1  Dieses  war  der  Gegenstand  einer  Kon- 
ferenz, die  ich  diesen  Morgen  mit  dem  Düc  d'Orleans,  Düc  de 
Chartres  und  Prinz  Conti  gehabt  habe.  Wenn  Sie  nun  so  bey 
Gelegenheit  die  Unterschrift  des  Königs  zum  Exilium  des  Kanz- 
lers erhalten  könnten,  so  würden  Sie  den  folgenden  Morgen  die 
Prinzen  vom  Geblüt  kommen  sehen,  um  Ihnen  ihren  Dank  dar- 
für abzustatten.  Ich  bin  mit  denen  Gesinnungen,  die  Sie  an  mir 
kennen,  und  die  ich  Ihnen  Taglebens  gewidmet  habe,  meine 

werthe  Gräfin,  T, 

'  Ihr  etc. 

Düc  von  Aiguillon. 

XCIII.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Ich  liebe  den  Kanzler,  mein  lieber  Düc,  nicht  mehr  als  Sie 
ihn  lieben.  Aber  alle  diese  Staatsabsichten  und  alle  diese  Ver- 

1  Es  scheint  wunderbar,  wenn  man  den  Düc  von  Aiguillon  ein  Verlangen  nach 
der  Wiedereinsetzung  des  Parlements  tragen,  und  ihn  darum  anhalten  sieht;  er 
der  doch  wohl  wußte,  wie  geneigt  es  war,  mit  selbigem,  bevor  die  Schriften  seines 
Rechtshandels  zu  Königl.  Händen  gezogen  waren,  nach  der  äussersten  Strenge  zu 
verfahren.  Allein  die  Verwunderung  wird  ganz  wegfallen,  wenn  man  weiß,  daß 
Herr  von  Ormesson,  Oberrichter  im  Parlement,  diesem  Düc  im  Namen  seiner 
Gesellschaft,  durch  den  Düc  von  Orleans  das  Versprechen  thun  lassen,  daß  wenn 
das  Parlement  auf  sein  Vorwort  würde  eingesezt  werden,  man  zur  Entscheidung 
seines  Rechtshandels  schreiten,  und  ihn  durch  Freysprechung  der  beschuldigten 
Untreue  schneeweiß  machen  würde.  Nach  diesem  Versprechen  hatte  er  bey  Wie- 
dereinsezung  des  Parlements  am  meisten  zu  gewinnen. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  383 


Wendungen,  gefallen  mir  nicht.  Ich  möchte,  daß  Herr  von  Mau- 
peou  wegkäme,  ohne  daß  ich  mich  darin  mischte.  Die  Ursache 
davon  ist  ganz  einfach.  Der  König  hat  nicht  gern,  wenn  ich  Ihm 
darvon  rede.  Wenn  ich  je  von  ihm  rede,  so  wird  Er  gleich 
düstern  und  ernsthaft;  nun  fodert  mein  Interesse,  Ihm  nicht 
lästig  zu  werden,  sondern  Ihn  im  Gegentheil  in  seiner  Verlegen- 
heit aufzumuntern.  Indessen  sage  ich  nicht,  daß  ich  müßig  blei- 
ben werde :  ich  möchte,  daß  sich  die  Gelegenheit  ereignete  ohne 
sie  zu  suchen,  ich  würde  sie  alsdann  benuzen.  Sie  können  meine 
Gesinnungen  dem  Düc  von  Orleans  wissen  lassen.  Ich  bin,  mein 
lieber  Düc,  ganz  die  Ihrige. 

Gräfin  Du  Barry. 

XCIV.  Brief 

AN  MADEMOISELLE   RAUCOUX,   SCHAUSPIELERIN 
VON  DER  FRANZÖSIS.  KOMÖDIE 

Sie  wissen,  meine  schöne  Raucoux,  was  gestern  zwischen  dem 
König,  Ihnen  und  mir  vorgieng.  Beobachten  Sie  die  gröste  Ver- 
schwiegenheit, und  mißbrauchen  die  Gunst  nicht,  die  ich  Ihnen 
verschaft  habe.1  Wir  haben  uns  beyde  bezahlt  gemacht,  und  es 
wird,  wie  ich  denke,  nicht  das  letzte  mal  seyn.  Ich  werde  noch 
eine  Zusammenkunft,  die  Ihnen  nicht  mißfallen  soll,  für  Sie  an- 
stellen. Leben  Sie  wohl,  meine  schöne  Raucoux,  seyn  Sie  ferners 
bescheiden.  Dieses  ist  das  einzige  Mittel,  daß  man  Sie  schäzt  und 
daß  es  Ihnen  gelingt. 

Zählen  Sie  auf  meine  Freundschaft. 

Gräfin  Du  Barry. 
1  Mademoiselle  Raucoux  gieng,  nachdem  sie  vor  Sr.  Majestät  die  Rolle  der 
Dido  gespielt  hatte,  in  das  Puzzimmer,  welches  an  die  Loge  des  Königs  stoßt  und 
in  welchem  er  mit  seiner  Maitresse  einzig  war.  Seine  Majestät  überliessen  sich  mit 
diesem  neuen  Gegenstand,  dem  fleischlichen  Vergnügen,  und  Mademoiselle  Rau- 
coux gieng,  mit  Wohlthaten  von  dem  Herrn  und  seiner  Favoritin  ganz  überhäuft 
aus  der  königlichen  Loge  weg. 


384  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

XCV.  Brief 
AN  DIE  MARQUISIN  VON  ROZEN 

Verzeihen  Sie  meine  schöne  kleine  Marquisin  den  Scherz1  der 
sich  die  vorige  Woche  bey  mir  zugetragen  hat.  Ich  soll  Ihnen 
sagen,  daß  der  König  der  Erfinder,  und  ich  nur  die  Vollzieherin 
desselben  war.  Ich  wünsche  daß  Sie  darüber  nicht  ungehalten 
gegen  mich  seyen,  und  daß  wir  in  der  gleichen  Vertraulichkeit 
mit  einander  leben  mögen.  Glauben  Sie  nur,  daß  ich  Sie  immer 
ganz  aufrichtig  liebe,  und  daß  ich  mit  diesen  Gesinnungen  bin 

Gräfin  Du  Barry. 

XCVI.  Brief 
AN  MADAM  LA  DAUPHINE 

Madam! 

Ich  habe  mit  Verdruß  vernommen,  daß  man  mich  bey  Ihnen 
zu  verkleinern  suchte,  indem  man  mir  in  Betreff  des  diamantnen 
Haarsträüßgens,  das  ich  machen  lassen,  und  das  Ihnen  zu  gefallen 
schien,  weil  Sie  es  für  Sich  behielten,  mürrische  Reden  zur  Last 
legte.2   Weit  entfernt,   das   geringste  Mißvergnügen  über  die 

1  Madam  von  Rozen,  jung  und  sehr  hübsch,  war  genau  mit  der  Madam  Du 
Barry  bekannt,  die  sie  in  ihre  Freundschaft  aufnahm.  Allein  nachdem  ihr  die  Frau 
Gräfin  von  Artois,  deren  Hofdame  sie  war,  Vorwürfe  machte,  daß  sie  so  öfters 
um  die  Favoritin  seye,  brach  sie  plözlich  mit  ihr  ab,  oder  schien  wenigstens  kälter 
gegen  ihr  zu  seyn.  Die  andere  war  über  diese  Veränderung  betretten,  und  bezeugte 
ihren  Verdruß  dem  König,  welcher  im  Scherz  sagte,  daß  Madam  von  Rozen  ein 
Kind  wäre,  der  man  die  Ruthe  geben  sollte ;  allein  Madam  Du  Barry  nahm  es  für 
baar  an,  lud  sie  den  folgenden  Morgen  aufs  Frühstück  ein,  machte  Mad.  von 
Rozen  in  ihr  Puzzimmer  tretten,  allwo  vier  Kammerjungfern  sich  ihrer  bemäch- 
tigten, und  sie  nicht  übel  die  Ruthe  empfinden  Hessen.  Der  König,  bey  dem  sich 
Madam  von  Rozen  beklagte,  konnte  Madam  Du  Barry  nichts  darüber  sagen,  weil 
sie  Ihn  erinnerte,  daß  es  auf  seinen  Befehl  geschehen  seye. 

2  Madam  la  Dauphine  sollte  gegen  Madam  Du  Barry,  wegen  den  ehrvergeßnen 
Reden,  die  sie  die  Ohnverschämtheit  hatte,  gegen  diese  Prinzeßin  auszustossen, 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  385 


Entziehung  dieses  Kleinods  zu  äussern,  war  es  mir  leid,  daß  ich 
nicht  vorsehen  konnte,  daß  selbiges  nach  Ihrem  Geschmak  seyn 
könnte.  Ich  würde  eben  so  viel  Vergnügen  gehabt  haben,  Ihrem 
Verlangen  bey  diesem  Anlas  zuvorzukommen,  als  ich  zu  allen 
Zeiten  haben  werde,  um  Ihnen  zu  zeigen,  wie  sehr  ich  wünsche, 
die  Ehre  Ihrer  Gewogenheit  zu  verdienen. 

Ich  bin  mit  tiefster  Ehrfurcht  etc.  Gräfin  Dil  Barry. 

XCVII.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON 

Man  hat,  meine  werthe  Gräfin!  neue  Verse1  über  den  König 
gemacht,  in  welchen  man  zu  verstehen  giebt,  daß  ich  das  Glük 
habe,  Ihre  Gunst  zu  gemessen,  Ich  weiß  nicht,  wie  man  sich 
unsere  Vertraulichkeit  hat  mögen  einfallen  lassen.  Seyn  Sie  et- 
wann  nicht  vorsichtig  genug  gewesen,  oder  ist  es  mit  unsern 
Vertrauten  nicht  ganz  richtig  ?  Sie  wissen,  daß  der  geringste  Blik 
vor  den  Hofschranzen,  eine  Art  von  Beweis  ist.  Es  ist  Ihnen  über- 
ganz aufgebracht  seyn;  allein  sie  suchte  sich  durch  einen  ihrem  Alter  und  ihrer 
Lebhaftigkeit  angemessenen  Streich  zu  rächen. 

Sie  wußte,  daß  Mad.  Du  Barry  bei  einem  Juwelierer  ein  sehr  prächtiges  dia- 
mantnes  Haarsträußgen  bestellt  hatte.  Von  dem  Tag,  den  ihn  der  Künstler  brin- 
gen sollte,  benachrichtiget,  befihlt  sie,  daß  man  auf  ihn  passen  und  ihn,  bevor 
er  zur  Favoritin  gehe,  zu  ihr  führen  soll.  Ihr  Befehl  ward  genau  befolgt.  £r  kam, 
und  sie  bestellte  ihm  ein  sehr  kostbares  und  elegantes  Haarsträußgen.  Der  Ju- 
welierer fragte,  ob  sie  es  haben  wollte  wie  das,  so  er  bey  sich  hätte  ?  Dieses  war  nun, 
was  Madam  la  Dauphine  erwartete.  Sie  besieht  dieses  Kleinod,  läßt  es  sich  ihr. 
durch  ihre  Damen  aufsezen,  findt,  daß  es  ihr  sehr  gut  läßt,  und  giebt  ihm  zu  ver- 
stehen, daß  sie  es  behalten  wolle.  Dem  Juwelierer  wird  nicht  wohl  bey  der  Sache, 
die  Prinzeßin  nimmt  es  wahr,  und  will  die  Ursache  davon  wissen.  Er  gesteht  sie. 
Madam  la  Dauphine  muntert  ihn  auf,  und  sagt  ihm,  daß  sie  es  auf  sich  nehmen 
wolle.  Sie  geht  hernach  mit  ihrem  diamantnen  Kleinod  zum  König,  und  fragt  Ihn, 
wie  er's  finde?  Er  rühmt  den  Geschmak  und  die  Kostbarkeit  desselben,  worauf 
sie  Ihm  den  Possen,  den  sie  Mad.  Du  Barry  spielte,  erzehlt.  Der  Monarch  giebt 
ihr  Beyfall,  lacht,  und  geht  selbst  zu  seiner  Maitresse,  um  sie  darüber  zu  neken. 
1  Der  Uebersetzer  läßt  diese,  im  Original  befindlichen  Verse  mit  Vorsaz  weg, 
weil  gesittete  Leser  nichts  darbey  verlieren,  und  der  schlüpfrigen  Stellen  ohnehin 
schon  hier  und  da  vorkommen. 
I.  25 


386  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry 


das  bekannt,  daß  unser  Interesse  das  gröste  Geheimniß  erfordert ; 
ich  will  daher  lieber  glauben,  daß  es  ein  von  der  Bosheit  erdich- 
teter Argwohn  seye:  allein  es  ist  äusserst  notwendig,  daß  wir 
verhüten,  daß  diese  Verse  nicht  vor  den  König  kommen.  Herr 
de  la  Vrilliere  hat  zwo  Personen,  bey  denen  man  Abschriften 
darvon  gefunden  hat,  gefänglich  einziehen  lassen,  und  dem 
Herrn  von  Sartine  die  strengsten  Befehle  gegeben,  damit  keine 
mehr  in  Paris  herumgebotten  werden.  Leben  Sie  wohl,  meine 
theure  Gräfin.  Ich  bin  Zeitlebens  Ihr  etc. 

Düc  von  Aiguillon. 

XCVIII.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  CHARTRES 

Gestern  habe  ich  mit  dem  König  wegen  der  Großadmiral- 
Stelle,  die  Sie  gerne  haben  möchten,  gesprochen.  Ich  habe  Ihm 
die  schönsten  Dinge  von  der  Welt  vorgesagt,  um  Ihn,  Ihnen  ge- 
wogen zu  machen.. Seine  Majestät  haben  mich  gefragt,  ob  Sie 
die  Genehmigung  des  Dücs  von  Penthievre  hätten  ?  Ich  erwie- 
derte,  daß  ich  es  glaubte.  Gestern  hat  Er  diesen  Prinzen,  zu  dem 
Sie  kein  Wort  gesagt  hatten,  und  welcher  über  den  Schritt,  den 
Sie  mich  thun  lassen,  ganz  bestürzt  schien,  gefragt.  Der  König 
hat  mir  nachher  Verweise  gemacht;  meine  Entschuldigung  war, 
daß  ich  nichts  darvon  gewußt,  und  nur  geradehin  meine  Kom- 
mißion ausgericht  hätte.  Stellen  Sie  künftig  Ihre  Anschläge  bes- 
ser an   Meine  Empfehlung  an  den  diken  Papa.1 

Ich  bin  etc.  Gräfin  Dil  Barry. 

XCIX.  Brief 

AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Gestern,  mein  lieber  Düc,  gieng  ich  sehr  vergnügt  zu  Bette, 
in  der  Hofnung,  daß  ich  Ihnen  diesen  Morgen  die  Ungnade  des 

1  So  nannte  sie  den  Dü~  von  Orleans. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  387 

Marquis  von  Monteynard  würde  melden  können.  Der  König 
hatte  endlich  meinem  Anhalten  nachgegeben,  und  den  Befehls- 
brief, den  ich  Ihm  vorlegte,  unterschrieben,  nachdem  ich  Ihn 
auf  den  Punkt  führte,  wo  ich  Ihn  gern  haben  wollte.  Seine  Ueber- 
legungen,  die  Er  die  Nacht  durch  machte,  haben  meine  Absicht 
vereitelt,  und  sein  Erstes  beym  Aufstehen  war,  daß  Er  seine 
Unterschrift  zurük  nahm.  Dieser  Fall  soll  mir  zur  Warnung  die- 
nen; wenn  ich  so  glüklich  bin,  wieder  einen  solchen  Anlaß  zu 
erleben,  so  wird  es  mir  obliegen,  die  Befehlsbriefe  auf  der  Stelle 
abgeben  zu  lassen,  um  es  dem  König  ohnmöglich  zu  machen, 
selbige  zurük  zu  nehmen.  Ich  bin  äussert  mir,  daß  mir  mein 
Streich  gegen  diesen  Mann,  den  ich  seit  seinen  gegen  AbeTerray l 
ausgestossenen  Reden  und  abschlägigen  Antwort,  die  er  mir 
gab2,  und  wegen  einer  Vertraulichkeit3  mit  dem  Kanzler,  nicht 
ausstehen  kan,  mißlungen  ist.  Ich  bin  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

C.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Wenn  ich,  mein  werther  Düc,  schon  nicht  das  Vergnügen  ge- 
habt habe,  den  Marquis  von  Monteynard  ganz  zu  vertreiben, 
so  hat  mir  doch  der  König,  damit  ich  Ihm  seine  Schwachheit 

1  Marquis  von  Monteynard  gieng  eines  Tages  zu  Abe  Terray,  um  ihm  Geld  in 
sein  Departement  zu  fordern;  dieser  sagte  ihm  ganz  troken,  daß  er  keines  hätte. 
Der  Marquis  antwortete  ihm  in  harten  Ausdrüken,  daß  er  sich  wundere,  daß  kein 
Geld  zum  Dienst  des  Königs  da  wäre,  mittlerweile  man  so  viel  für  H—  und 
Kuppler  verschwende. 

2  Sie  hatte  das  Dragoner -Regiment  Baufremont  für  den. Herrn  Dangets  von 
Orcay,  ein  Neffe  des  Generalpachters  gleichen  Namens  von  ihm  begehrt.  Der  Mi- 
nister schlug  es  ab,  und  gab  es  dem  Prinzen  von  Lambesc. 

3  Man  wird  sich  vielleicht  verwundern,  daß  Herr  von  Monteynard,  der  wakerste 
Mann  im  Ministerium,  sich  so  genau  mit  dem  Kanzler  eingelassen  habe;  allein  als 
man  ihn  nach  der  Ursache  fragte,  sagte  er,  daß  er  sich  in  Sachen,  die  er  nicht  ver- 
stünde, immer  nach  dem  Minister  richte,  an  dessen  Departement  selbige  im  wei- 
tern giengen.  Er  befolgte  in  diesem  das  System  des  Kardinal  Fleuri. 


251 


388  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

bey  diesem  Anlaß  nicht  übel  nehmen  möchte,  jene  Gnade  be- 
williget, die  Sie  mir  von  Ihm  zu  begehren  anriethen.  Ich  habe 
mit  Ihm  über  die  abscheulichen  Kontributionen  geredt,  die  Ma- 
dam von  Langeac1  von  denjenigen  Personen,  die  durch  sie  Gna- 
denbezeugungen erhalten  haben,  fodert.  Seine  Majestät  waren 
sehr  ungehalten  darüber,  und  haben  mir  den  Vorschlag  der  Per- 
sonen zu  Errichtung  des  Hauses  von  Artois  erfodert  werden, 
aufgetragen.  Es  soll  diejenigen,  die  dahin  kommen,  nichts  ko^ 
sten ;  allein  wir  werden  den  Vorteil  haben,  lauter  uns  zugethane 
Leute  dorten  zu  sehen.  Ritter  Du  Barry  soll  Kapitain  der  Hun- 
dert Schweizer  werden.  In  Ansehung  der  übrigen  Stellen,  sehen 
Sie,  mein  werther  Düc,  wen  Sie  darzu  haben  möchten.  Ich 
werde  dem  König  nur  diejenigen  vorschlagen,  über  die  wir  uns 
verstanden  haben.  Heute  werde  ich  Sie  nicht  sehen,  der  König 
geht  auf  die  Jagd,  und  ich  werde  ein  Theil  des  Tages  in  dem 
Kloster  St.  Elisabeth2  zubringen.  Leben  Sie  wohl  mein  Lieber, 
Sie  wissen,  wie  sehr  ich  Sie  liebe. 

Gräfin  Du  Barry. 


1  Jedermann  hat  von  Madam  von  Langeac  reden  gehört,  welche  Anfangs  in 
Marseille  einen  Schuhfliker,  Namens  Sabathin,  geheurathet  hatte,  und  als  sie  nach- 
her nach  Paris  kam,  um  zu  jedermanns  Bedienung  zu  leben,  ward  sie  die  förmliche 
Maitresse  des  Dücs  von  Vrilliere.  Dieser  Minister,  der  einige  Kinder  von  ihr  hatte, 
und  sie  adeln  wollte,  sezte  Sabathin,  ihr  Mann,  ins  Zuchthaus,  unter  dem  Vor- 
wand, daß  er  einen  falschen  Todtenschein  gemacht  habe,  und  verheurathete  seine 
vermeynte  Wittwe  an  den  Marquis  von  Langeac,  welcher  sich  als  Vater  von  denen 
Kindern  angab. 

2  Madam  Du  Barry  besuchte  ihre  Mutter,  welche  unter  dem  Namen  Madam 
von  Montrable,  deren  man  anfieng  den  Titul  Marquisin  vorzusezen,  in  diesem 
Kloster  war.  Die  Aufführung  der  Madam  Du  Barry  gegen  ihre  Mutter,  macht 
ihrem  Herzen  Ehre,  weil  sie  ohnerachtet  dem  Taumel  der  königlichen  Huld,  und 
der  grossen  Zerstreuung,  in  der  sie  lebte,  selten  vierzehn  Tage  vorbeygehen  Heß, 
daß  sie  nicht  ihre  Mutter  besuchte,  mit  ihr  zu  Mittag  speißte,  und  den  grösten 
Theil  des  Tages  bey  ihr  zubrachte.  Es  ist  anzumerken,  daß  die  Superiorin  dieses 
Klosters,  die  Niederträchtigkeit  so  weit  triebe,  daß  sie  ihre  Nichte,  die  tref- 
lich  sang,  kommen  ließ,  um  Madam  Du  Barry  während  dem  Mittagessen  zu 
amüsieren. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  389 

CI.  Brief 
VON  DEM  ABE  TERRAY 

Paris,  den  10.  April  1773. 
Frau  Gräfin! 

Ihr  Sachwalter  hat  mir  sechsmal  hundert  tausend  Livres  für 
Sie  begehrt,  ohne  mir  zu  sagen,  wohin  Sie  dieses  Geld  verwenden 
wollen.  Ich  habe  ihm  gesagt,  daß  ich  es  ihm  nicht  auf  der  Stelle 
geben  könnte,  sondern  die  Ehre  haben  würde,  mit  Ihnen  dar- 
über zu  reden.  Ich  bin  weit  entfernt,  Madam,  Ihnen  etwas  ab- 
zuschlagen, denn  Sie  wissen,  wie  sehr  ich  der  Ihrige  bin.  Er- 
lauben Sie  mir  jedoch,  daß  ich  Ihnen  einige  Vorstellungen  ma- 
che, ich  werde  hernach  thun,  was  Sie  wollen-  der  königliche 
Schaz  ist  nicht  so  ohnerschöpflich,  wie  Sie  etwann  glauben  möch- 
ten. Ohnerachtet  aller  Mittlen,  deren  ich  mich  bediene,  um  Zu- 
fluß zu  finden,  so  gestehe  ich  Ihnen,  daß  ich  öfters  und  besonders 
jezt,  sehr  verlegen  bin.  Seitdem  ich  Ihre  Gewogenheit  geniesse, 
haben  Sie  achtzehn  Millionen  Teinaus  bezogen,  ohne  einer  Menge 
geringfügiger  Sachen  zu  erwehnen.  Auf  der  andern  Seite  macht 
der  Kanzler  zu  Ergänzung  des  Parlements  und  Besoldung  seiner 
Spionen,  einen  abscheulichen  Aufwand.  Endlich  richtet  mich 
Düc  von  Aiguillon  zu  Grunde,  der  sich  an  auswärtigen  Höfen, 
wo  er,  wie  Sie  wissen,  übel  angeschrieben  steht,  Freunde  und 
Anhänger  machen  will.  Urteilen  Sie  selbst,  Frau  Gräfin,  ob 
meine  Vorstellungen  übel  gegründet  seyen,  wenigstens  muß  ich 
in  einer  grossen  Verlegenheit  seyn,  weil  ich  mir  selbige  erlaubt 
habe,  da  mir  nichts  so  sehr  am  Herzen  liegt,  als  alle  Ihre  Wün- 
sche zu  erfüllen,  und  ihnen  sogar  zuvorzukommen.  Indessen 
wenn  Sie  sich  jezt  mit  dreymal  hunderttausend  Livres  begnügen 
können,  so  will  ich  sie  Ihrem  Sachwalter  zustellen,  sobald  er  sich 
sehen  läßt. 

Ich  bin  mit  Ehrfurcht  etc.  Terray. 


390  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

CIL  Brief 

VON    MADEMOISELLE    DÜBOIS,    SCHAUSPIELERIN 
DER  FRANZÖSIS.  KOMÖDIE1 

Paris,  den  25.  April  1773. 

Madami2 

Aus  Gehorsam  gegen  Ihre  Befehle,  hatte  ich  mich  entschlos- 
sen, wiederum  die  Bühne  zu  besteigen,  und  meine  schwachen 
Talente  zu  Ihrer  Belustigung  zu  vervollkommnen;  aber  ich  habe 
fataler  Weise  zu  spät  darzu  gethan.  Meine  Rolle  ist  vergeben, 
und  meine  Gespielinnen  haben  mir  die  Unordnung,  die  ich  un- 
ter ihnen  anstellen  würde,  begreiflich  gemacht.  Sie  haben  mich 
versichert,  daß  Ihnen  die  Kammerjunker  ein  Memorial  vor- 
legen, in  welchem  Sie  Ihnen  die  Ohnmöglichkeit  meiner  gegen- 
wärtigen Eintrettung,  ganz  klar  zeigen  würden.  Möchten  Sie, 
Madam,  hierdurch  von  dem  Eifer  meines  Andringens,  und  von 
der  Begierde,  die  ich  würde  gehabt  haben,  überzeugt  seyn,  in 
jenen  kostbaren  Augenbliken,  wo  Ihr  Geist  von  denen  wichtigen 
Beschäftigungen,  die  ihn  anstrengen,  ausruht,  etwas  zu  Ihrem 
Vergnügen  beyzutragen. 

Aber  Madam,  Ihre  Gewogenheit  macht  mich  so  kühn,  Sie  um 
eine  andere  zu  bitten.  Erlauben  Sie,  daß  ich  mein  Herz  vor 
Ihnen  ausschütte,  das  Ihrige  ist  allzu  empfindsam,  als  daß  es  für 
die  Schwachheiten  der  Liebe  nicht  Nachsicht  hätte.  Ich  liebe 

1  Die  Originale  von  diesem  und  folgenden  Brief,  (sagt  der  Verfasser)  haben  wir 
nicht  gesehen.  Wir  rüken  sie  hier  ein,  weil  Abschriften  darvon  in  Paris  und  bey  Hof 
herum  giengen,  können  aber  für  deren  Aechtheit  nicht  Bürge  seyn. 

2  Um  einen  rechten  Begriff  von  diesem  Brief  zu  kriegen,  ist  zu  bemerken,  daß 
Madam  Du  Barry  viel  auf  Mademoiselle  Dübois  hielt,  sie  mit  Gutthaten  über- 
häufte, und  alles  anwandte,  um  sie  wieder  auf  die  Bühne  zu  bringen.  Diese  ließ 
sich  bereden,  allein  da  Umstände  darzwischen  kamen,  die  es  ihr  nicht  gestatteten, 
machte  sie  sich  den  Zutritt,  den  ihr  diese  Verwendung  bey  der  Gräfin  Du  Barry 
verschafte,  zu  Nuze,  um  sie  zu  bitten,  es  dahin  zu  bringen,  daß  sie  Dauberval 
Operntänzer,  ihr  erster  Liebhaber,  heurathe. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  391 

schon  seit  mehr  als  zwölf  Jahren,  Dauberval:  Glüklich,  wenn 
seine  Zärtlichkeit  gegen  mich  eben  so  ohnunterbrochen  wie  die 
meinige  gewesen  ist!  Gegen  wie  viele  hat  der  Treulose  seitdem 
die  gleichen  Schwüre  wie  gegen  mich  gethan !  Indessen  habe  ich 
ein  theures  Pfand  unserer  Vereinigung,  ein  Kind,  der  Gegen- 
stand meiner  mütterlichen  Liebe.  Ich  kan  ohne  Schauer  nicht 
an  seine  uneheliche  Geburt  denken;  ich  möchte  es  durch  die 
Heurath  gutmachen.  Jezt  bin  ich  reich,  ich  kan  die  Schulden 
des  Treulosen  bezahlen,  und  will  nichts,  als  daß  er  herumkomme, 
und  mir  seine  Hand  gebe.  Diese  edle  Handlung,  Madam,  ist 
Ihrer  würdig;  denn  obschon  ich  etwas  ausschweifend  gewesen 
bin,  so  hat  mein  Herz  doch  immer  ehrbare  Gesinnungen  gehabt. 
Sie  wissen,  was  die  Jugendjahre  eines  Mädgens  sind,  welches 
Reize  hat,  und  welches  seine  Lage  den  Verführungen  der  Lie- 
benswürdigsten am  Hof  aussezt.  Je  mehr  sie  sich  widersezt,  je 
mehr  hat  sie  Verführer.  Indessen  bin  ich  im  Getümmel  des 
Theaters  niemals  glüklich  gewesen;  ein  Begriff  der  Religion  ist 
mir  geblieben;  ich  habe  ein  zartes  Gewisses,  welches  sich  leicht 
empört.  Die  Furcht  der  Zukunft  hat  mich  ohnaufhörlich  im 
Schoosse  der  Wollust  geängstiget.  Der  Verlust  meines  lezten 
Liebhabers  hat  mich  in  eine  tiefe  Traurigkeit  versezt,  und  sein 
unglükliches  Ende,  in  der  Blüthe  seines  Alters,  für  ihn  zittern 
gemacht.  Sehen  Sie,  Madam,  die  Hauptursache,  die  mich  be- 
wogen hat,  die  Bühne  zu  verlassen.  Sie  trugen  ein  Verlangen,  daß 
ich  wieder  auftretten  möchte,  und  ich  überwand  mein  Gewissens- 
scrupel,  und  meinen  Widerwillen;  aber  die  Umstände  wider- 
sezten  sich  Ihrem  Willen.  Geruhen  Sie  nun  Madam,  mein  Glük 
zu  vervollkommnen,  das  ich  habe,  Sie  einen  Augenblik  mit  mir 
beschäftiget  zu  sehen,  indem  Sie  mir  eine  Protektion,  oder  besser 
zu  sagen,  eine  Autorität  bewilligen,  die  niemals  besser  verwandt 
werden  kan.  Ich  bin  mehr  als  versichert,  Dauberval  wird  sich 
einer,  von  Ihnen  auferlegten  Pflicht  nicht  entziehen  können, 
und  ich  werde  eine  Zufriedenheit  mehr  bey  dieser  Trauung 


392  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry 

empfinden,  nemlich  diejenige,  daß  weil  ich  Sie  im  Theater  Ihre 
ganze  edle  Mussezeit  durch,  nicht  ergözen  kan,  noch  durch  meine 
zwote  Hälfte,  durch  einen  Mann,  der  sich  der  Bühne  so  lange 
widmen  wird,  als  er  das  Glük  hat  Ihnen  zu  gefallen,  zu  Ihrem 
Vergnügen  werde  beytragen  können. 

Ich  bin  mit  der  tiefsten  Ehrfurcht  etc.  Dübois. 

CHI,  Brief 
VON  DAUBERVAL  OPERNTÄNZER1 

Madam! 
Ich  kenne  die  Liebe  nicht  so  gut  als  Mademoiselle  Dübois; 
allein  wenn  sie  darin  besteht,  einen  Mann  im  Beth  aufzuneh- 
men, so  ist  es  richtig,  daß  Sie  viel  für  mich  hatte.  Indessen  da 
ich  nicht  täglich  mitmachen  konte,  und  sie  sonder  Zweifel  durch- 
aus Liebe  nöthig  hatte,  vergab  sie  den  Platz  gar  öfters  an  andre, 
und  wir  wechselten  so  der  Reihe  nach,  vier,  fünf  und  mehrere 
mal  ab.  Aus  dieser  Mischung  entstund  ein  kleiner  Bube.  Sie 
hatte  die  Gewogenheit  mich  zum  Vater  darzu  zu  ernennen;  ich 
nahm  es  mit  so  viel  grösserer  Erkenntlichkeit  an,  da  sie  ihm  einen 
vornehmern  es  seye  unter  einigen  Herren  am  Hof,  oder  unter 
Magistratspersonen,  der  Geistlichkeit,  oder  unter  den  Mata- 
dors der  Finanzen  hätte  wählen  können.  Dem  seye  nun  wie  ihm 
wolle,  ich  habe  diese  Ehre  angenommen,  und  zugleich  verspro- 
chen, für  das  Kind  zu  sorgen ;  allein  seine  Mutter  die  es,  als  ein 
von  der  Vorsehung  mit  Fleis  zu  ihrem  Zeitvertreib  erschaffenes 
Spielwerk  ansähe,  wollte  es  bey  sich  haben.  Ich  habe  ihr  da- 
mals gesagt,  daß  ich  es  nicht  so  verstünde,  und  der  Vaterstelle 

1  Nach  Empfang  des  Briefs  von  Madem.  Dübois,  lies  Madam  Du  Barry  Dau- 
berval  ruffen,  und  eröfnete  ihm  den  Antrag  der  Schauspielerin,  welcher  darinnen 
bestund,  ihm  vierzigtausend  Livres  baares  Geld  zu  Bezahlung  seiner  Schulden  zu 
geben,  ihre  fahrende  Haabe  die  zweymal  hunderttausend  Livres  werth  seyn  mochte, 
zu  Geld  zu  machen,  und  ihm  für  seinen  Antheil  15  000  Livres  Leibrenten,  die  sie 
hatte,  anzuweisen.  Auf  dieses  ganze  Anerbieten  machte  Dauberval,  nachdem  ers 
einige  Tage  ins  Bedenken  genommen,  obige  Antwort. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  393 


entsagen  wollte.  Jezt  da  die  Puppe  nimmer  so  lustig,  noch  so 
folgsam  ist,  da  sie  ihr  Mühe  macht,  und  ihr  den  Arm  herunter- 
zieht, möchte  sie  sich  davon  losmachen,  und  mir  den  Buben  zu- 
rükschiken.  Allein  sie  hat  den  Nuzen  gehabt,  nun  habe  sie  auch 
den  Unmus;  um  so  mehr,  da  sie  mit  dem  bürgerlichen  Leben 
daß  sie  führen  will,  mit  den  mütterlichen  Gesinnungen,  worvon 
ihr  Eingeweide  hüpft,  und  mit  denjenigen  der  Religion  die  sie 
zu  Markt  trägt,  vollkommen  übereinkömmt.  Auch  weiß  ich,  daß 
-sie  einen  sehr  schwachen  Kopf  hat,  und  ich  förchte  das  Übel 
möchte  mich  auch  ansteken  und  mir  den  meinigen  verderben. 
Sie  förchtet  den  Teufel  und  ich  auch.  Das  was  mich  zurükhält 
sie  zu  heurathen,  ist  ein  eingefleischter  Teufel,  welcher  Vater, 
Mutter,  Bruder,  Schwester,  Liebhaber  und  alles  zum  Zorn  reizt; 
denken  Sie  also  was  aus  dem  guten  Mann  werden  würde! 

Sie  haben  mir  erlaubt  Madam,  mich  über  diesen  Gegenstand 
ganz  frey  heraus  lassen  zu  dörfen,  und  ich  befolge  Ihre  Absicht. 
Möchte  Sie  meine  Offenherzigkeit  auf  einen  Augenblik  belusti- 
gen. Ich  vermuthe,  daß  dieses  alles  ist,  was  Sie  bey  dieser  Unter- 
handlung im  Aug  hatten,  die  wegen  denjenigen  die  sie  angeht, 
so  weit  unter  Ihnen;  allein  wegen  der  Güte  des  Herzens,  die 
alle  Ihre  Handlungen  bezeichnet,  bewundrungswürdig  ist.  Das 
gröste  Uebel  der  Mademoisell  Dübois,  ist  ohne  Zweifel  dieses, 
daß  sie  nichts  mehr  zu  Ihrem  Vergnügen  beytragen  kan.  Was  mich 
betrift,  so  habe  ich  nicht  nöthig  sie  zu  heurathen,  um  Ihnen  zu- 
gethan  zu  seyn.  Ich  will  alle  das  Verdienst  einer  ganz  ohnge- 
zwungenen  Ehrfurcht  einzig  für  mich  haben. 

In  Ansehung  der  Mademoiselle  von  Raucoux,  deren  Heurath 
Sie  mir,  mangel  Mademoiselle  Dübois  vorzuschlagen  beliebten 
so  ist  es  noch  eine  frisch  ausgepakte  Waare  die  erst  feilgebotten 
werden  mus,  es  liegt  mir  aber  wenig  daran,  ob  ich  der  erste  seye 
der  sie  kauft,  oder  darvon  hat.  Wenn  sie  ein  wenig  herumge- 
kommen ist,  so  wollen  wir  sehen,  wie  es  mit  ihr  aussieht. 

Ich  bin  mit  der  grösten  Hochachtung  etc.  Dauberval. 


394  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

CIV.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON 

Sie  wissen  meine  schöne  Gräfin,  daß  wir  vieles  über  Ihren 
Schwager  zu  klagen  haben.  Er  hat  schon  wieder  einen  Streich  ge- 
macht, worüber  ich  ganz  aufgebracht  bin.  Sie  können  selbst  dar- 
über urtheilen;  ich  hoffe,  daß  Sie  mir  helfen  werden,  ihm 
Schranken  zu  sezen.  Seit  seiner  Rükkunft  de  l'Isle,  hat  er  sich 
auf  einige  Tage  ins  Schloß  von  Triel  verschlossen,  um  sich  da- 
selbst desto  freyer,  der  vollen  Raserey  des  Spiels  zu  überlassen. 
Ueber  das  Geld,  daß  er  bey  sich  hatte,  hat  er  sieben  tausend 
Louisd'ors  veriohren,  und  darfür  nach  seiner  Gewohnheit  ein 
Billet  auf  den  Abe  Terray  abgegeben.  Der  Abe  hat  es  nach  -un- 
serer Verständnis  nicht  einlösen  wollen.  Ihr  Schwager  hat  hier- 
auf mit  Feuer  und  Schwerdt  um  sich  geschlagen;  er  hat  Läste- 
rungen wider  uns  alle  ausgestossen,  und  hat  sich  groß  gemacht, 
daß  er  die  Minister  gesezt  habe,  und  sie  wieder  wegthun  könne. 
Zulezt  glaubte  er  eine  grosse  Ide  von  seiner  Mäsigkeit  und 
Wirthschaft  zu  geben,  wenn  er  sagte,  daß  er  erst  fünf  Millionen 
aus  dem  Königl.  Schatz1  bezogen  habe.  Was  mich  am  meisten 
ärgert,  ist,  daß  diejenige  Persohn,  die  mir  diese  Reden  hinter- 
brachte, versicherte,  daß  sie  bey  einem  Nachtessen  geflossen 
seyen,  welches  aus  Leuten  bestanden  habe,  die  sich  eine  Freude 
daraus  machten,  selbige  zu  verbreiten.  Sie  begreifen  meine 
theure  Gräfin!  wie  schädlich  sie  uns  seyn  können,  besonders  in 
betref  der  Leichtigkeit,  aus  dem  Königl.  Schatz  Gelder  zu  he- 
ben, welche  man,  um  uns  mehrere  Feinde  zu  erweken,  noch  ver- 
grössern  wird.  Ich  rede  über  alle  diese  Gegenstände,  wie  mir's 
ums  Herz  ist,  weil  ich  weiß,  daß  Sie  schon  lange  der  Ueberlästig- 

1  Er  führte  noch  eine  weit  ohnverschämtere  Rede.  Wenn  er  viel  im  Spiel  ver- 
lohr,  und  man  ihn  zu  bedauren  anfieng.  „Ey,  meine  Freunde,  sagte  er,  seyd  nur 
ruhig,  das  Brüdergen  wird  mir  schon  geben."  So  nannte  er  Ludwig  den  Fünf- 
zehnden. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  395 

keit  dieses  Mannes,  der  sehr  gefährlich  ist,  müde  sind,  und  ich 

hoffe,  Sie  werden  mit  mir  trachten,  daß  er's  unterlasse.  Sein  Ka- 

rakte.r  den  er  hat,  wird  ihn  sicher  zu  einer  Thorheit  verleiten,  die 

uns  einen  Vorwand  giebt,  ihn  zu  entfernen,  und  ihn  wenn  er  sich 

weigern  wollte,  zu  nöthigen,  diese  Parthey  zu  ergreifen.  Leben 

Sie  wohl  meine  schöne  Gräfin,  Sie  wissen  wie  schäzbar  Sie  mir 

sind. 

Düc  von  Aiguillon. 


CV.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Fontainebleau,  den  21.  Weinm.  1773. 

Ich  bin  mein  lieber  Düc  in  Todesangst;  Sie  wissen,  daß  der 
König  vorgestern  unpäßlich  war.  La  Martiniere  muß  bey  ihm 
im  Zimmer  schlafen.  Ich  weiß  nicht  was  zwischen  Ihnen  vor- 
gegangen ist,  aber  von  diesem  Augenblick  an,  ist  Se.  Majestät 
merklich  kaltsinniger  worden.  Ich  förchte  die  Vorstellungen 
dieses  Esculaps1  entsezlich,  und  die  Folgen,  die  sein  Rath  ha- 
ben kan,  machen  mir  die  Haut  schauern.  Kommen  Sie,  sobald 
Sie  Zeit  haben,  zu  mir ;  ich  werde  den  ganzen  Abend  allein  seyn. 
Es  ist  von  der  äussersten  Konsequenz,  daß  wir  uns  mit  einander 
berathen,  wie  ich  mich  zu  verhalten  habe.  Ich  bin  ganz  die  Ihrige. 

Gräfin  Dil  Barry. 

1  Der  König,  als  er  la  Martiniere,  seinem  ersten  Wundarzt,  seine  Verlegenheit 
über  seine  zerrüttete  Gesundheit  äusserte,  sagte  ihm:  „Ich  sehe  wohl,  daß  ich 
„nimmer  jung  bin,  ich  werde  mit  dem  Wagen  zurükhalten  müssen.  —  Sire,  ver- 
„sezte  la  Martiniere,  Sie  thäten  noch  besser,  wenn  Sie  ausspannten."  Der  König 
war  eine  Zeitlang  sehr  frostig  mit  seiner  Maitresse,  so  daß  er  beym  Anfall  einer 
üblen  Laune,  eine  prächtige  Kutsche,  die  sie  auf  die  Revue  bestellt  hatte,  deren 
sie  nicht  bey  wohnte,  absagen  ließ.  Allein  nach  und  nach  gieng's  mit  seiner  Ge- 
sundheit wieder  besser,  und  sein  Kaltsinn  gegen  seine  Favoritin  verschwand 
gänzlich. 


396  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


CVI.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  ORLEANS 

Paris,  den  24.  Weinm.  1773. 

Ich  erwarte  mit  Ungedult  den  Erfolg  Ihrer  Bitte,  die  Sie, 
meine  reizende  Gräfin,  bey  dem  König  für  mich  einzulegen  mir 
versprochen  haben,  um  Ihn  dahin  zu  bringen,  daß  Er  seine  Ein- 
willigung zu  meiner  Vermählung  mit  Madam  von  Montesson 
gebe.  Der  lebhafte  Antheil,  den  Sie  an  dieser  Sache  zu  nehmen 
schienen,  und  die  Macht,  die  Sie  auf  das  Herz  des  Königs  haben, 
Hessen  mich  hoffen,  daß  ich  auf  eine  baldige  Genehmigung  zäh- 
len könnte.  Sie  wissen,  daß  Sie  mich  blos  unter  diesen  Vorstel- 
lungen dahin  gebracht  hatten,  nach  Hof  zurük  zu  kehren.  Seit- 
dem ich  diesen  Schritt  gethan  habe,  sind  die  Sachen  immer  in 
der  gleichen  Lage,  und  es  ist  zuverläßig,  daß  Sie,  meine  schöne 
Dame,  nicht  gethan  haben,  was  Sie  hätten  thun  können.  Indes- 
sen kan  ich  nicht  glauben,  daß  ein  so  holder  Mund,  wie  der 
Ihrige,  mir  Versprechungen  gethan  habe,  mit  dem  Entschluß, 
sie  nicht  zu  erfüllen.  Dieses  Betragen  würde  der  liebenswüidigen 
Offenherzigkeit,  die  Sie  mir  bey  allen  Gelegenheiten  zeigten, 
widersprechen,  und  ich  sehe  nicht  ein,  warum  ich  der  Einzige 
seyn  sollte,  mit  dem  Sie  es  nicht  redlich  meynten.  Ich  bin  etc. 

Ludwig  P.  Düc  von  Orleans. 


CVII.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  ORLEANS 

Den  25.  Weinm.  1773. 
Monseigneur! 
Ohnerachtet  aller  der  Macht,  die  Sie  glauben,  daß  ich  auf  das 
Herz  des  Königs  habe,  ist  es  doch  nicht  so  leicht  als  Sie  denken, 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  397 


Ihn  zu  einer  Sache  zu  bringen,  die  Ihm  ganz  zuwider  ist,  und 
ich  sage  Ihnen  frey  heraus,  daß  jene  Vermählung  eben  eine  solche 
Sache  ist.  Ich  bedaure  Sie.  Bis  diese  Stunde  ist  mein  Anhalten 
fruchtlos  gewesen;  allein  es  braucht  nur  einen  guten  Augenblik, 
um  Sie  zu  befriedigen.  Wenn  ist  er  da  ?  Das  kan  ich  Ihnen  nicht 
sagen.  Hier,  diker  Papa1,  wollen  Sie,  daß  ich  Ihnen  einen  guten 
Rath  mittheile  ?  Heurathen  Sie  erst,  wir  wollen  hernach  sehen, 
daß  es  für  Sie  besser  geht;  ich  bin  selbst  sehr  darfür  eingenom- 
men. Wenn  der  König  nicht  seine  Einwilligung  zu  Ihrer  Trau- 
ung gibt,  so  kan  Er  sie  in  der  Folge  für  gültig  erklären ;  es  kömmt 
auf  das  gleiche  heraus.  Seyn  Sie  versichert,  daß  ich  Ihr  Anliegen 
nicht  aus  der  Acht  lassen,  auch  keine  Gelegenheit  versäumen 
werde,  Ihnen  Gefälligkeiten  zu  erweisen.  Ich  bin  etc. 

Gräfin  Dil  Barry. 

CVIII.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Ich  schreibe  Ihnen,  mein  lieber  Düc,  ganz  mit  Klagen  von  dem 
Düc  de  la  Vrilliere  und  dei  Madam  von  Langeac  überstimmt. 
Aber  nun  ist  es  geschehen.  Der  Ritter  d'Arcq  wird  nie  keine 
Stellen  mehr  verkaufen.  Der  Befehlsbrief,  der  ihn  nach  Tülle 
verweißt,  ist  unterschrieben;  dorten  wird  er  nicht  so  leicht  Ge- 
legenheit finden,  seine  Talente  zu  verwenden,  wie  hier.  Ich  ver- 
lasse mich  immer  auf  das  Versprechen,  das  Sie  mir  gethan  haben, 
morgen  mit  mir  nach  Paris  zu  kommen.  Leben  Sie  wohl,  ich  bin 

Ihre  Freundin  n  ..,  ■     n  ..  „ 

Grafin  Du  Barry. 

1  Dieses  ist  eine  freye  Art  zu  reden,  besonders  mit  dem  ersten  Prinzen  vom 
Geblüt.  Allein  man  wird  sich  nicht  wundern,  wenn  man  hört,  daß  Madam  Du 
Barry  mit  dem  König  selbst  noch  viel  freyer  redte.  Eines  Tags,  als  Se.  Majestät, 
zum  Zeitvertreib,  in  dem  Zimmer  seiner  Maitresse  den  Kaffe  machte,  sähe  sie 
den  Kaffe  überlaufen,  worauf  sie  sagt:  „Ey,  Frankreich,  nimm  dich  in  Acht 
dein  Kaffe  will  zum  „H— k— r." 


398  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

CIX.  Brief 

AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Sie  hatten  es  wohl  voraus  gesehen,  mein  werther  Düc.  Die 
Heurath  des  Vic  mte  Du  Barry  hat  fehlgeschlagen.  Mein  An- 
halten und  meine  Thränen  sind  fruchtlos  gewesen.  Der  König 
war  standhafter  als  ich  dachte.  Marquis  de  la  Tour-Dü-Pin-la- 
Chorce,  nimmt  uns  Mademoiselle  von  St.  Andre1  weg.  Man 
muß  im  Ernst  auf  Mademoiselle  von  Tournon2  bedacht  seyn. 
Man  sagt,  sie  seye  sehr  schön,  und  will  mich  sogar  schreken,  daß 
sie  meine  Mitbuhlerin  werde,  allein  es  hat  nichts  zu  sagen ;  wenn 
dieses  geschieht,  so  werde  ich  wenigstens  das  Vergnügen  haben, 
daß  der  Plaz  nicht  aus  der  Familie  kömmt.  Ich  bin  immer  ganz 
die  Ihrige.  Gräfin  DU  Barry. 

CX.  Brief 

VON  DEM  PRINZ  VON  SOUBISE 

Gestern,  meine  liebenswürdige  Gräfin,  war  die  Zusammen- 
kunft bey  mir.  Vicomte  Du  Barry  ist  von  meiner  schönen  Baase, 

1  Mademoiselle  von  St.  Andre  war  eine  natürliche  Tochter  Ludwigb  des 
Fünfzehenden.  Sie  war  in  dem  Kloster  der  Präsentation  zu  Paris.  Der  König  war 
gesonnen,  sie  an  den  Vicomte  Du  Barry  zu  verheurathen.  Er  ließ  Herr  Yon,  einen 
vertrauten  Mann,  welcher  bestellt  war  für  die  Erziehung  und  das  Vermögen  dieser 
jungen  Person  zu  wachen,  vor  sich  kommen.  Dieser  hatte  Muths  genug,  dem  Kö- 
nig die  bündigsten  Vorstellungen  zu  machen,  um  ihn  von  seinem  Vorhaben  ab- 
zubringen. Der  Monarch  gab  seinen  Gründen  Gehör,  und  verheurathete  seine 
Tochter  an  den  Marquis  de  la  Tour-Dü-Pinla-Chorce. 

2  Mademoiselle  von  Tournon  war  eine  Tochter  von  vornehmer  Herkunft  in  der 
Normandie,  siebenzehn  Jahr  alt,  sehr  schön,  und  mit  den  Grösten  am  Hof  be- 
freundt,  allein  nicht  reich.  Sie  war  eine  Verwandtin  des  Prinzen  von  Soubise,  der 
die  Niederträchtigkeit  hatte,  diese  Verbindung  vorzuschlagen.  Prinz  Conde,  Toch- 
termann des  Prinzen  von  Soubise,  war  auch  mit  in  dieses  Geschäft  gezogen.  Er 
machte  bey  diesem  Anlaß  gewaltige  Forderungen,  die  man  ihm  zum  Theil  be- 
willigte, und  die  Trauung  ward  vollzogen. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  399 

die  ihrer  Seits  in  alles,  was  ich  zu  ihrem  Besten  vornehmen  werde, 
ihre  Einwilligung  giebt,  ganz  bezaubert.  Prinz  Conde  wirft  diese 
Verbindung  nicht  weit  weg;  allein  ehe  er  seine  förmliche  Ge- 
nehmigung darzu  giebt,  möchte  er,  daß  ihm  der  König  den  Zu- 
tritt in  sein  Conseil  gestattete  sein  Hotel  kaufte,  und  ihm  fünf- 
zehnmal hundert  tausend  Livres  zu  Bezahlung  seiner  Schulden 
hergäbe.  Er  meynt,  es  seye  Ihnen  ein  Leichtes,  die  Gnade  von 
Sr.  Majestät  zu  erhalten.  Ich  für  mich  wünsche  es  sehr,  in  Rük- 
sicht  auf  die  Begierde  die  ich  habe,  eine  Verbindung  berichtiget 
zu  sehen,  die  unendlich  schmeichlend  für  mich  ist.  Ich  weiß,  daß 
wir  gewisser  massen  die  Einwilligung  dieses  Prinzen  entbehren 
könnten;  allein  es  dörfte  doch  ein  gewaltiger  Unterscheid  in  der 
allgemeinen  Zufriedenheit  machen,  wo  Sie  im  Gefrentheil,  wenn 
Prinz  Conde  das  was  er  verlangt,  durch  Sie  erhielte,  Sie  einen 
grossen  Anspruch  auf  seine  Erkenntlichkeit  erwerben  könnten, 
die  Ihnen  nicht  undienlich  seyn  würde.  Ich  bin,  meine  liebens- 
würdige Gräfin, 

Prinz  von  Soubise. 


CXI.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON 

Ich  habe  Ihnen,  meine  werthe  Gräfin,  über  das,  was  Sie  mir 
gestern  sagten,  viele  Anmerkungen  zu  machen.  Obschon  Sie  die 
kluge  Besorgnis,  die  man  Ihnen  über  die  Folgen  der  bewußten 
Heurath  einflössen  wollte,  im  Scherz  aufnahmen,  so  glaube  ich 
dennoch,  daß  sie  Ihre  Ueberlegung  verdiene.  Ich  förchte,  daß 
wenn  ich  Ihnen  Luft  mache,  selbige  zu  Stande  zu  bringen,  Sie 
zu  gleicher  Zeit  an  Ihrem  eigenen  Untergang  arbeiten  möchten. 
Könnte  man  nicht  so  etwas  im  Sinn  haben,  weil  man  Sie  bittet, 


400  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


sich  dieser  Sache  so  äusserst  anzunehmen  ?  Ihr  Schwager1  wäre 
dessen  wohl  fähig,  und  vielleicht  ist  er  nicht  einzig.  Überlegen 
Sie  es  wohl,  meine  theure  Gräfin.  Mademoiselle  v.  Tournon  kan 
mit  ihrer  Schönheit  dem  König  gefallen.  Prinz  Conde  könnte 
durch  seine  Geburt  und  seine  Verwandtschaft,  die  gröste  Macht 
auf  ihr  Herz  haben,  und  Sie  kennen  den  Grafen  Du  Barry  allzu 
gut,  um  nicht  zu  beförchten,  daß  er  sich  die  Herrschaft  über 
seine  Sohnsfrau  anmassen,  und  sie  ohnfehlbar  zu  Ihrem  Unter- 
gang mißbrauchen  werde,  oder  Sie  wenigstens  mehr  denn  jemals 
unterm  Daumen  zu  halten.  Wenn  Sie  ohnerachtet  aller  dieser 
Vorstellungen,  dennoch  die  Gefahr  laufen,  und  es  drauf  ankom- 
men lassen  wollen,  «o  ist  es  wenigstens  höchst  nöthig,  dem  Prinz 
Conde  den  Eintritt  ins  Conseil  zu  verwehren.  Ueberdas,  daß  er 
dardurch  die  Vortheile,  die  er  von  dieser  Heurath  zieht,  ver- 
mehrt, sind  wir  nicht  mehr  über  die  Deliberationen  Meister; 
er  würde  allzu  mächtig  werden,  und  an  die  Spize  der  Verwaltung 
des  Königreichs  gelangen.  Um  ihn  nicht  abzuweisen,  so  bereden 
Sie  Seine  Majestät,  daß  Er  ihm  Hofnung  mache,  ihm  diese 
Gnade  nach  der  Vermählung  zu  bewilligen,  ohne  jedoch  die  Zeit 
zu  bestimmen,  oder  sich  durch  ein  ausdrükliches  Versprechen 
zu  binden.  Was  die  Bezahlung  seiner  Schulden  und  den  Kauf 
seines  Hotels  betrift,  so  können  Sie  ihm  diese  Gnade  leicht  be- 
wirken. Sie  kan  ihn  befriedigen,  ohne  irgend  eine  Folge  für  Sie 
nach  sich  zu  ziehen.  Leben  Sie  wohl,  meine  schöne  Gräfin,  über- 
legen Sie,  daß  ich  Ihnen  hier  nichts  anders  als  die  Folgen  von  den 
beyden  Partheyen,  die  Sie  ergreifen  sollen,  vorstelle,  ohne  Ihnen 
zu  rathen;  mithin  gehe  es  wie  es  wolle,  so  haben  Sie  mir  keine 
Vorwürfe  zu  machen.  Ich  bin  immer  mit  der  gleichen  Freund- 
schaft, 

Ihr  etc. 

Düc  von  Aiguillon. 

1  Der  Vicomte  Du  Barry,  von  dem  hier  die  Rede  ist,  ihn  zu  verheurathen,  ist 
der  Sohn  des  Grafen  Johannes,  der  mit  Mad.  Du  Barry  gelebt  hatte. 


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Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Kar™ 


CXIL  Brief 
AN  PRINZ  VON  SOUBISE 
Herr  Prinz ! 

Ich  bin  so  glüklich  gewesen,  den  König  dahin  zu  bringen,  daß 
er  das  Hotel  des  Prinzen  von  Conde  gekauft,  und  fhm  die 
i  Soo  ooo  Ltvres  zu  Bezahlung  seiner  Schulden  bewilliget  hat 
Ich  hatte  gewünscht,  daß  es  mir  eben  so  gelungen  wäre,  ihm 
aen  Zutntt  m  den  Conseil  zu  verschaffen;  allein  Se.  Majestät 
haben  mir  gesagt,  daß  Sie  sehen  würden,  was  Sie  nach  der  Trau- 
ung zu  thun  hätten,  daß  Sie  ihm  diese  Gunst  weder  ab-  noch 
zusagten.  Sehen  Sie  mein  Herr  alles  was  ich  mit  meiner  dringen- 
den Bitte  ausgerichtet  habe.  Wenn  Prinz  von  Conde  darauf  be- 
harrt, die  Heurath  der  Mademoiselle  von  Tournon  mit  dem  Vi- 
comte Du  Barry  nicht  ehnder  zu  genehmigen,  als  bis  er  seinen 
Zutntt  ins  Conse.1  hat,  so  soll  es  auch  nimmer  die  Rede,  weder 
von  Verbindung  noch  von  irgend  einer  Gunst  mehr  seyn.  Wir 
wollen  sehen,  daß  wir  dem  Vicomte  eine  Parthey  finden    die 
uns  keine  solche  Unmus  macht.  Alles  was  ich  bedaure,  ist:  daß 
ich  Ihre  Absicht  nicht  habe  erreichen  können.  Im  übrigen  habe 
ich  gethan,  was  ich  vermochte,  und  Sie  können  mir  keine  Vor- 
wurfe machen.  Ich  bin  etc.  ~  ....    „     „ 

Irrafm  Du  Barry. 

CXIII.  Brief 
VON  PRINZ  VON  CONDE 

Es  ist  mir  niemals  eingefallen,  Frau  Gräfin,  der  Henrath  des 
Herrn  Vicomte  Du  Barry,  Bedingnisse  vorzuschreiben;  allein  ich 
dachte,  daß  weil  er  eine  Befreundte  von  mir  heurathen  sollte 
ich  mir  bey  diesem  Anlas,  durch  Ihr  Vorwort  Gunstbezeugen 
ausbitten  könnte,  die  mir  so  viel  schmeichelhafter  gewesen  wä- 


402  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

ren,  weil  ich  sie  Ihnen  einzig  zu  verdanken  gehabt  hätte.  Neh- 
men Sie  Madam  meinen  lebhaften  Dank  für  die  zwo  Gnaden- 
bezeugungen, die  mir  der  König  auf  ihre  Bitte  bewilliget  hat, 
an.1  In  Ansehung  der  dritten,  hoffe  ich,  daß  Sie  solche  nicht 
aus  der  Acht  lassen,  sondern  ferner  Ihr  Bestes  beyzutragen,  be- 
lieben werden.  Ich  wünschte  Sie  über  diesen  Gegenstand  zu 
sprechen ;  lassen  Sie  mich,  ich  bitte  Sie,  den  Tag  und  die  Stunde 
wissen,  wo  ich  die  Ehre  haben  kan,  Sie  zu  sehen.2 

Ich  bin  etc.     s  L.  de  B.Prinz  von  Conde. 


CXIV.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Mit  Bedauren,  muß  ich  Ihnen,  mein  lieber  Düc  melden,  daß 
eine  Aussöhnung  mit  der  Königl.  Familie  nicht  so,  wie  ich  mir 
schmeichelte  statt  haben  wird.3  Ich  kan  mich  auf  Madam  von 
Narbonne  beruffen,  welche  die  Unterhandlung  die  sie  übernom- 
men, sehr  gut  geführt  hat.  Sie  hatte  Madam  Adelheid  beredt. 
Da  diese  ein  mal  auf  der  Seite  war,  zog  sie  auch  ihre  Schwester 
an  sich,  und  war  so  glüklich  nicht  nur  die  Frau  Gräfin  von  Pro- 

1  Prinz  Conde,  der  sehr  ehrgeizig  ist,  hatte  in  der  That  diejenigen  Absichten, 
die  Düc  von  Aiguillon  vermuthet  hatte,  und  die  er  der  Gräfin  Du  Barry  offen- 
bahrte ;  allein  ersterer  war  nachgebend,  aus  Forcht  daß  alles  fehlschlagen  möchte. 

2  Man  wird  sich  nimmer  wundern,  daß  Prinz  Conde,  von  der  Gräfin  eine  ge- 
legene Stunde  verlangt  hat,  wenn  man  hört,  daß  er  diese  Ceremonie  beym  ersten 
Besuch  beobachtet  hat,  und  daß,  als  er  es  beym  zweyten  unterlies,  ihn  die  Gräfin, 
damit  er  künftig  wieder  seine  Schuldigkeit  beobachten  möchte,  sehr  lange  warten 
machte,  ehe  sie  ihn  vor  sich  kommen  lies.  Indessen  hatte  sie  einen  Groll  gegen 
ihm,  weil  er  seine  Aussöhnung  durch  den  Grafen  de  la  Marche,  den  der  Kanzler 
regierte,  berichtigte,  und  seine  beständige  Herablassung,  schien  Madam  Du  Barry 
zu  Verdopplung  ihrer  Ohnverschämtheit  gegen  ihn  aufzufodern. 

3  Madam  Du  Barry,  war  wie  man  weiß,  von  dem  Herrn  Dauphin,  seiner  Ge- 
mahlin und  den  Prinzessinnen  sehr  ungern  gesehen.  Um  nun  Madam  von  Nar- 
bonne dahin  zu  bringen,  daß  sie  eine  Aussöhnung  veranstalte,  machte  man  ihr 
Hofnung,  ihr  Mann  zum  Düc  zu  ernennen,  und  ihm  sehr  grosse  Geldbelohnungen 
zu  bewilligen. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  403 

vence,  sondern  auch  sogar,  noch  Madam  la  Dauphine  zu  gewin- 
nen. Aber  Herr  Dauphin  stoßte  dieses  schöne  Projekt  über  den 
Hauffen,  und  zeigte  sich  so  hartnäkig,  daß  man  alle  Hofnung 
verlohren  hat,  ihn  zu  gewinnen.  Sie  wissen,  daß  ich  die  junge 
Vicomtesse  aufführen  soll,  ich  muß  sie  zu  Ihm  bringen ;  ich 
förchte  diesen  Augenblik,  und  möchte  mich  dieser  Aufführung 
auf  eine  anständige  Weise  entheben.  Noch  eins,  wie  geht's  mit 
der  Gräfin  ?  Hat  man  ihr  diesen  Morgen  zu  Ader  gelassen  ?  Sie 
können  mir  dies  alles  Morgen  sagen.  Ich  erwarte  Sie  zum  Mit- 
tagessen wie  Sie  mir's  versprochen  haben.  Ich  umarme  Sie  von 
Herzen'  Gräfin  Du  Barry. 

CXV.  Brief 
AN  DEN  OBIGEN 

Wohlan!  mein  werther  Düc,  habe  ich  es  Ihnen  nicht  gesagt, 
daß  ich  Ursach  hätte  diese  Aufführung  zu  förchten.  Sie  können 
sich  nicht  vorstellen,  wie  weit  dieser  grosse  ohngezogene  Bub1 
seine  Ohnhöflichkeit  getrieben  hat.  Als  wir  bey  ihm  waren,  stund 
er  am  Fenster,  und  that  dergleichen,  als  wenn  er  mit  Hinaus- 
sehen beschäftiget  wäre,  und  obschon  man  uns  angemeldt  hatte, 
blieb  er  dennoch  in  dieser  Positur  btehen.  Meine  Nichte  ist  über 
dieses  Betragen  sehr  betretten  gewesen;  allein  sie  ist  durch  die 
besondere  Achtung,  die  der  König  für  sie  hat,  hinlänglich  schad- 
los gehalten.  Sie  gefällt  Ihm  so  sehr,  daß  es  mir  Unruhe  macht. 
Indessen  lasse  ich  mich's  nicht  merken,  aus  Forcht  Sr.  Majestät 
zu  mißfallen.  Ueberdas  weiß  ich,  daß  wenn  ich  üble  Laune  zeigte, 
ich  bey  ihm  einen  Hang  vermehren  würde,  der  allem  Anschein 
nach  vorübergehend  seyn  wird.  Ich  bin  noch  nicht  gewiß,  ob 
nichts  Ernsthaftes  unter  ihnen  vorgegangen  ist.  Ich  werde  thun, 
als  wenn  ich  über  alles  durch  die  Finger  sähe;  ich  hoffe  aber, 
mein  lieber  Düc,  Sie  werden  mir  helfen  die  Sachen  geheim  zu 

1  Der  Herr  Dauphin. 

26* 


404  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

halten.  Sie  wissen,  wie  nothwendig  dieses  zu  Beybehaltung  mei- 
nes Ansehens  ist.  Ich  bin  froh,  daß  die  Düchesse  wieder  her- 
gestellt ist;  sagen  Sie  ihr,  daß  ich  sie  so  sehr  als  Sie  liebe. 

Gräfin  Du  Barry. 

CXVI.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

So  eben  vernehme  ich,  mein  werther  Düc,  daß  sich  mein  Mann 
mit  dem  Parlement  von  Toulouse,  bev  Anlaß  eines  Aufstands,  in 
welchem  er  eine  Rolle  spielen  wollen,1  abgeworfen  habe.  Ich 
bin  noch  nicht  recht  von  dem  Hergang  berichtet.  Erkundigen 
Sie  sich,  was  daran  ist,  und  machen  Sie  bey  diesem  Anlaß  die 
nöthigen  Vorkehrungen.  Wir  haben  ihn  von  hier  entfernt,  nur 
damit  seine  garstige  Aufführung  nicht  so  auffalle.  Er  kan  nicht 
änderst,  als  uns  allenthalben  wo  er  ist,  in  Verlegenheit  sezen. 
Ich  wünsche  Ihnen  einen  guten  Abend. 

Gräfin  Du  Barry. 

CXVII.  Brief 

VON  HERRN  VON  BOYNES,  MINISTER  DES  SEE- 
WESENS 

Frau  Gräfin! 
Die  Unzufriedenheit,  die  mir  der  König  gestern  zeigte,  macht 
mich  über  alle  Massen  ohnruhig.  Es  war  so  zu  sagen  blos  auf  Be- 
fehl des  Herrn  Dücs  von  Orleans,  daß  ich  mich  zu  dem  Schritt 

1  Graf  Wilhelm,  der  damals  in  Toulouse  war,  ließ  sich's  einfallen,  bey  dem 
Aufstand,  der  daselbst  über  die  Theure  des  Brods  entstund,  eine  Rolle  zu  spielen. 
Eines  Tags,  als  die  Gährung  unter  dem  Volk  sehr  groß  war,  hielt  er  eine  Rede  an 
selbiges,  unterstund  sich  ohngeheissen,  im  Namen  des  Königs  Versprechungen 
auszutheilen,  und  mit  den  Meutmachern  zu  kapitulieren.  Das  Parlement  nahm 
dieses  übel  auf.  Es  giengen  Stimmen,  ihn  in  Verhaft  zu  nehmen;  allein  die  Gunst 
hatte  die  Oberhand.  Man  begnügte  sich,  ein  Memorial  über  das  was  sich  zugetra- 
gen hatte,  nach  Hof  zu  schiken.  Die  Sachen  waren  von  keinen  Folgen. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  405 

gebrauchen  Hesse,  welcher  zu  dem  Auftritt,1  worvon  Sie  Zeuge 
waren,  Anlaß  gab.  Kan  ich  hoffen,  Madam  daß  Sie  Se.  Majestät 
dahin  zu  bringen  geruhen,  daß  Er  mir  seine  Huld,  wormit  Er 
mich  beehrte,  wieder  schenkt?  Ich  hoffe  selbige  wegen  dem 
Eifer,  den  ich  immer  für  seinen  Dienst  hatte,  zu  verdienen.  Mein 
Dank  soll  eben  so  groß  als  meine  Ehrfurcht  sevn,  mit  welcher 
ich  bin  etc.  Bourgeois  von  Boynes. 

CXVIII.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  ORLEANS 

Ich  bin  ganz  sicher,  Madam,  wenn  unsere  lezte  Zusammen- 
kunft nicht  gestört  worden  wäre,  weit  entfernt,  zu  sagen,  daß 
Sie  sich  nicht  in  das  Parlementsgeschäft  mischen  wollen,  wären 
Sie  vielmehr  die  Erste,  selbiges  zu  schüzen,  und  seine  Recht- 
fertigung, nebst  den  Wünschen  von  ganz  Frankreich,  für  seine 

1  Düc  von  Orleans,  hatte  Herrn  von  Boynes  den  Auftrag  gegeben,  ein  Me- 
morial über  die  Wiedereinsezung  des  Parlements  aufzusezen,  welches  notwendi- 
ger Weise  die  Entfernung  des  Herrn  von  Maupeou,  an  dessen  Stelle  Herr  von 
Boynes  trachtete,  nach  sich  ziehen  sollte.  Er  war  geschikter  als  alle  andere,  zu  die- 
sem Geschäft,  weil  er  mit  Herrn  Kanzler  an  dem  Sturz  dieser  Magistratur  arbeitete. 
Als  das  Memorial  fertig  war,  begaben  sich  beyde  verstohlner  Weise  zu  Madam  Du 
Barry,  und  trugen  ihr  an,  den  König  um  die  Vollziehung  eines  Projekts  zu  bitten, 
welches,  wie  sie  sagten,  jedermann  angenehm  seyn  würde.  Die  Favoritin  sagte,  in- 
dem sie  Sr.  Hoheit  an  den  Bauch  klopfte,  in  dem  gewöhnlichen  vertrauten  Aus- 
druk:  „Diker  Papa.  Sie  wissen,  daß  ich  mich  nicht  in  Staatssachen  mische."  Düc 
von  Orleans  sezte  in  sie  und  fiel  der  Gräfin  fast  zu  Fusse,  welche  endlich  die  Vor- 
lesung des  Memorials  gestattete.  Nun  kam  der  König  darzu,  und  Düc  von  Or- 
leans riß  dem  Minister  das  Memorial  sogleich  aus  den  Händen,  um  es  in  die 
Tasche  zu  schieben.  Seine  Majestät,  da  Er  eine  Veränderung  auf  dem  Gesicht 
seiner  Maitresse  wahrnahm,  wollte  die  Ursache  davon  wissen,  und  sie  gestund  Ihm 
alles,  was  vorgegangen  war.  Auf  dieses  hin  sagte  der  Monarch  zum  Düc  von  Orle- 
ans: „Mein  Vetter!  wenn  sie  wollen,  daß  wir  gute  Freunde  bleiben,  so  mischen  sie 
„sich  nicht  in  diese  Händel."  Hernach  wandte  er  sich  an  den  Minister:  „Und  sie, 
„Herr  von  Boynes,  mich  wundert  es,  sie  hier  anzutreffen,  das  ist  nicht  ihr  Ort, 
„gehen  sie  hinaus.  Was  sie  betrift,  meine  Hebe  Freundin,  sagte  er  zu  Madam  Du 
„Barry,  so  bin  ich  ihnen  für  ihren  Widerstand  verbunden:  ich  sehe  wohl,  daß  sie 
„das  Komplov  mit  keinem  Finger  berühren."  Nach  diesem  Auftritt  schrieb  nun 
Herr  von  Boynes  an  Mad.  Du  Barry,  um  die  Ungnade,  die  ihm  drohte,  abzuwenden. 


406  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

Rükkehr  vor  den  Thron  zu  bringen.  Der  Plan,  den  ich  Ihnen 
vorzulegen  gedenke,  soll  alle  Menschen  befriedigen,  ohne  einen 
einzigen  ungehalten  zu  machen.  Ein  einziger  Mann  hätte  bey 
dieser  Vermittlung  zu  verlieren,  und  dieser  ist  ein  eben  so  grosser 
Feind  von  Ihnen,  als  er  ein  Feind  des  Staats  ist.1  Da  es  zu  viel 
Zeit  wegnähme,  Ihnen  in  diesem  Brief  Auskunft  zu  geben,  so 
würden  Sie  mich  verpflichten,  wenn  Sie  mir  einen  Tag  bestimm- 
ten, wo  ich  mit  Herrn  von  Boynes  zu  Ihnen  kommen,  und  einige 
Augenblike  über  diesen  Gegenstand  raisonniren  könnte.  Ich  bin 
überzeugt,  daß  Sie  nach  dieser  Zusammenkunft,  nicht  nur  meine 
Ideen  annehmen,  sondern  mir  noch  sogar  helffen  werden,  dem 
König  seinen  Wahn  zu  benehmen.  Es  kann  eine  Zeit  kommen, 
Madam,  wo  Sie  mir  Dank  wissen  werden,  daß  ich  Ihnen  Ge- 
legenheit verschafte,  etwas  zu  einer  Revolution  beyzutragen, 
wornach  sich  alle  rechtschaffenen  Einwohner  sehnen,  und  deren 
Erkenntlichkeit  Ihnen  schmeicheln,  und  Ihnen  eben  so  wie  die 
Stüze  der  Tribunalien,  die  Ihnen  Ihre  Wiedereinsezung  zu  ver- 
danken haben,  nüzlich  seyn  wird.  Ich  bin  etc. 

Ludwig  P.  Düc  von  Orleans. 


CXIX.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  ORLEANS 

Sie  wissen,  welche  Abgeneigtheit  ich  habe,  mich  in  solche  Sa- 
chen zu  mischen,  wie  diejenigen  sind,  die  Sie  mir  antragen.  Ich 
zweifle,  ob  Sie  mich  für  die  Sache  so  einnehmen  werden,  wie 
Sie  zu  vermuthen  scheinen.  Allein  da  ich  Sie  nicht  wider  den 
Kopf  stossen  will,  so  will  ich  Sie  morgen  um  sechs  Uhr  erwarten. 
Sie  sehen,  daß  ich  Euer  Hoheit  nichts  abschlagen  kan.  Ich  hoffe, 
daß  Sie  meiner  Gefälligkeit  eingedenk  seyn  werden,  und  bin  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

1  Herr  Kanzler. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  407 

CXX.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  ORLEANS 

Monseigneur ! 

Das  was  sich  zugetragen  hat,  hat  Ihnen  sicher  einen  üblen 
Begriff  von  meiner  Aufrichtigkeit  gemacht,  und  Sie  denken  viel- 
leicht, daß  mein  Betragen  bey  diesem  Anlaß,  mit  dem  König 
verabredet  gewesen  seye.  Wenn  meine  Begierde,  Sie  mit  Sr.  Ma- 
jestät auszusöhnen,  nicht  hinlänglich  war,  Ihren  Zweifel  zu  he- 
ben, so  wird  Ihnen  die  blosse  Vorstellung  von  dem,  was  vor- 
gegangen ist,  keinen  zurüklassen.  Aus  Flatterhaftigkeit  einer  mei- 
ner Kammerfrauen,  hat  man  die  Ohngeschiklichkeit  begangen, 
mir  Ihren  Brief  vor  dem  König  zu  übergeben.  Da  ich  sähe,  daß 
er  von  Ihnen  war,  wollte  ich  ihn  zu  lesen  verschieben;  allein  Se. 
Majestät  begehrte,  Ihm  selbigen  zu  zeigen.  Er  war  sehr  unge- 
halten, als  Er  ihn  gelesen  hatte.  Er  befahl  mir  gleich,  Ihnen  die 
begehrte  Zusammenkunft  abzuschlagen;  allein  nach  einem  lan- 
gen Stillschweigen  sagte  Er  mir :  „Nach  genauer  Überlegung  — 
„gestatten  Sie  dem  Düc  von  Orleans  auf  morgen  den  Besuch; 
„ich  werde  darbey  seyn  ohne  gesehen  zu  werden,  und  mich  so 
„placiren,  daß  ich  das  was  er  Ihnen  zu  sagen  hat,  verstehen  kan. 
„Antworten  Sie  ihm  auf  der  Stelle,  und  melden  ihm  beyleibe 
„nichts  darvon."  Ich  konnte  nicht  änderst  als  gehorchen.  Der 
König  hat  mir  selbst  den  Brief  diktirt,1  und  folglichen  hat  er 
Ihnen  einzig  die  Falle  gelegt.  Vergebens  habe  ich  alles  Mögliche 
angewandt,  um  Sie  heraus  zu  ziehen.  Ich  hoffe  dahero,  daß  wir 
nicht  weniger  gute  Freunde  seyn,  und  mir  der  dike  Papa  deßwegen 

nicht  übel  an  seyn  werde.  Ich  bin  etc. 

Gräfin  Dil  Barry. 

1  Der  König  kam,  nachdem  er  den  Diskurs  des  Dücs  von  Orleans  mit  angehört 
hatte,  zum  Vorschein,  bezeugte  ihm  seinen  Unwillen,  und  bedrohte  ihn  sogar  mit 
der  Ungnade,  wenn  er  drauf  bleiben  würde,  dergleichen  Zeug  in  Bewegung  zu 
bringen.  Der  Düc  antwortete  dem  Monarchen,  daß  diese  Ungnade  gewiß  ein 


408  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

CXXI.  Brief 
VOM  GRAFEN  DU  BARRY 

Ich  hofte,  meine  liebe  Schwägerin,  daß  Sie  mir  nach  der 
Trauung  meines  Sohns  mit  Mademoiselle  von  Tournon,  die  zehn- 
tausend Louisd'ors,  die  ich  von  Ihnen  begehrte,  würden  sehen 
lassen;  denn  Sie  wissen,  daß  die  zwanzigtausend,  die  mir  bewilli- 
get wurden,  nur  zu  Bezahlung  der  Spielschulden  waren,  und  daß 
mir  nichts  darvon  übrig  geblieben  ist.  Allein  jezt  muß  man  mir 
eben  so  viel  zum  Hochzeitsgeschenk  wegen  der  Heurath  des  Ka- 
valiers1 mit  Mademoiselle  von  Fümel  geben,  wenn  sie  wirklich 
statt  hat,  denn  ich  förchte,  es  dörfte  nichts  daraus  werden.  Es 
scheint,  dieses  Frauenzimmer  wolle  sich  ohnerachtet  aller  Huld, 
wormit  sie  der  König  überhäuft,  sehr  ungern  darzu  verstehen. 
Die  Verwandtschaft  widersezt  sich,  daß  der  Kavalier  den  Na- 
men und  das  Wapen  der  Fümel  führe,  und  dieses  war  doch  schon 
unter  ihnen  ausgemacht;  mit  einem  Wort,  es  dünkt  mich,  diese 
Leute  kommen  nur  deßwegen  mit  Schwierigkeiten  hervor,  um 
Zeit  zu  gewinnen  und  um  die  Sache  scheitern  zu  machen.  Da 
uns  nun  daran  gelegen  ist,  daß  sie  zu  Stand  komme,  so  machen 
Sie,  daß  der  König,  der  sich  schon  in  selbige  gemischt  hat,  die 
Beendigung  derselben  betreibe.  Ein  Wort  von  dem  Monarchen 
wird  alle  Hindernisse  heben.2  Ich  bin,  meine  liebe  Schwägerin, 
ganz  der  Ihrige.  Graf  Du  Barry. 

grosses  Unglük  wäre,  allein  daß  er  sie  mit  Standhaftigkeit  ertragen  würde,  zu  Ver- 
fechtung des  Publikums,  das  er  nicht  verlassen  könnte.  Es  war  ein  Glük,  daß  Mad. 
Du  Barry  so  viel  vermochte,  daß  sie  zwischen  Sr.  Majestät  und  dem  Prinzen  gleich 
wieder  Frieden  machen  konnte. 

1  Dieser  Kavalier  war  der  Bruder  des  Grafen  Du  Barry. 

2  Der  König  hatte  sich  wirklich  darein  gemischt.  Er  hat  dem  Kavalier  Du 
Barry  fünfmal  hunderttausend  Livres  Aussteuer  gegeben,  um  damit  die  liegenden 
Güter  von  sechszigtausend  Livres  Einkünfte,  die  der  Vater  der  Madem.  von  Fümel 
seiner  Tochter  zum  Brautschaz  gab,  von  Schulden  zu  befreyen.  Man  gab  noch 
dem  Bräutigam  die  Anwartschaft  auf  le  Chateau-Trompette,  welches  Herr  von 
Fümel  immer  hatte.  Der  Kavalier  ließ  sich  hernach  Marquis  Du  Barry  nennen. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  409 

CXXII.  Brief 
AN  DEN  GRAFEN  WILHELM  DU  BARRY 

Die  ganze  schöne  Erzehrung,  die  Sie  uns  machen,  gleicht  für- 
wahr einer  Fabe],  die  Sie  selbst  erfunden  haben,  um  Ihre  Rük- 
kehr  nach  Paris  ohnerachtet  Ihrer  Versprechungen  und  den  er- 
haltenen Befehlen,  zu  entschuldigen.1  Wenn  ich  nun  über  die- 
sen Schritt  durch  die  Finger  sehe,  so  sollen  Sie  wissen,  daß  es  nur 
unter  der  Bedingniß  ist,  daß  man  nichts  von  Ihnen  reden  höre, 
sonst  würden  Sie  mich  nöthigen,  keine  Rüksicht  mehr  zu  haben. 

Gräfin  Du  Barry. 

CXXIII.  Brief 
VON  HERRN  VON  VOLTAIRE 

Ferney,  den  3.  Jenner  1774. 
Madam! 

Herr  de  la  Borde  sagte  mir,  Sie  hätten  ihm  befohlen,  mich  in 
Ihrem  Namen  auf  beyde  Wangen  zu  küssen. 

Quoi !  deux  baisers  sur  la  fin  de  ma  vie ! 

Quel  passeport  vous  daignez  m'envoyer. 

Deux,  c'en  est  trop !  Adorable  Egerie ; 

Je  serais  mort  de  plaisir  au  premier. 
(d.  i.  Wie !  zween  Küsse  auf  das  Ende  meines  Lebens !  Was  für  einen  Geleitsbrief 
geruhen  Sie  mir  nicht  zu  überschiken!   Zween  das  ist  zu  viel,  liebenswürdige 
Egeria,2  ich  wäre  am  ersten  aus  Wollust  gestorben.) 

1  Er  hatte  eine  Geschichte,  die  er  in  der  That  selbst  geschmiedet  hatte,  zum 
Grund  seiner  Rükkehr  angegeben.  Er  sagte,  daß  er  einen  Brandzettel  erhalten,  in 
welchem  man  ihm  verdeutet  hätte,  500  000  Livres  an  einen  gewissen  bestimmten 
Ort  zu  legen;  daß  da  er  auf  diese  Drohung  gar  nicht  geachtet  habe,  wäre  man  ihm 
noch  nachdrükücher  und  umständlich  darauf  andringend  gekommen,  worauf  er 
nimmer  länger  zu  Toulouse  hätte  bleiben  können. 

2  Die  Nymphe  Egeria  inspirirte  Numa,  den  weisen  Gesezgeber  der  Römer,  und 
Herr  von  Voltaire  giebt  aus  Fuchsschwänzerey,  die  man  nicht  zu  benennen  weiß, 
zu  verstehen,  daß  Mad.  Du  Barry  auch  den  König  in  allem,  was  er  über  die  Gesez- 
gebung  verfügte,  inspirirt  habe. 


aio  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

Er  hat  mir  Ihr  Portrait  gewiesen.  Zörnen  Sie  nicht,  daß  ich  die 

Freyheit  genommen,  und  ihm  die  zween  Küsse  zurükgegeben  habe. 

Veras  ne  pouvez  empecher  cet  hommage, 
Faible  tritrat  de  quiconque  a  des  yeux. 
C'est  aux  mortels  d'adorer  votre  image, 
L'original  etait  fait  pour  les  Dieux. 

(d.  i.  Sie  können  diese  Huldigung,  die  ein  schwacher  Tribut  eines  jeglichen,  der 
sehen  kan,  ist,  nicht  hindern.  Denen  Sterblichen  kömmt  es  zu,  Ihr  Bildniß  zu 
verehren,  das  Original  war  für  die  Götter  geschaffen.) 

Ich  habe  von  Herrn  de  la  Borde  einige  Stellen  aus  der  Pandore 
gehört.  Sie  scheinen  mir  Ihrer  Protektion  würdig  zu  seyn.1  Die 
Talente  huldreich  aufzunehmen,  ist  das  einzige,  welches  Ihr 
Glanz,  in  dem  Sie  schimmern,  erhöhen  kan. 

Geruhen  Sie,  Madam,  die  tiefe  Ehrfurcht  eines  einsamen  Grei- 
sen anzunehmen,  dessen  Herz  fast  kein  anderes  Gefühl  mehr  als 

dasjenige  der  Erkenntlichkeit  hat  etc.  T.  ,     . 

J      ö  von  Voltaire. 


CXXIV.  Brief 
AN  HERRN  VON  VOLTAIRE 

Nichts  ist  hübscher  und  angenehmer,  mein  Herr,  als  der 
Brief  den  ich  von  Ihnen  erhalte.  Ich  dachte  wohl,  daß  mir  die 
Komission,  die  ich  Herrn  de  la  Borde  auftrug,  diese  schmeichelnde 
Erhebung  von  Ihnen  verschaffen  würde.  Ich  will  sie  der  Ver- 
götterung du  Roi  Petaud2  (wird  von  dem  gesagt,  unter  dem 

1  Herr  de  la  Borde,  Kammerdiener  des  Königs,  von  welchem  in  diesem  Brief 
die  Rede  ist,  hatte  zum  Text  der  Pandore,  die  Herrn  von  Voltaire  zum  Verfasser 
hat,  die  Musik  gemacht.  Herr  von  Voltaire,  der  immer  im  Spiel  seyn  will,  wollte 
sie  unter  dem  Schuz  der  Mad.  Du  Barry  aufführen  lassen. 

2  Es  ist  zu  wissen,  daß  Herr  von  Voltaire  im  Anfang  der  Erhöhung  der  Mad. 
Du  Barry  eine  Piece  Vers  machte,  in  welchem  er  in  sehr  höhnischen  und  unzüch- 
tigen Ausdrüken  von  dem  König  und  seiner  Favoritin  redte.  Er  mußte  hernach 
über  den  Brief  an  Mad.  Du  Barry,  den  ihm  die  allerniederträchtigste  Schmeicheley 
eingab,  und  über  ihre  Antwort  nicht  wenig  gedemüthiget  werden.  —  Derglei- 
chen war  der  Alte  von  Jugend  auf  schon  gewohnt,  und  hätte  dahero  ehender  den 
Namen  der  Ohnverschämte,  statt  der  Philosoph  von  Ferney  verdient. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  411 

alles  unordentlich  zugeht,  und  man  nicht  weiß,  wer  Koch  oder 
Keller  ist)  beysezen.  Diese  beyden  Stüke,  miteinander  vereint, 
werden  Ihnen  in  den  Augen  des  Publikums  und  der  Nachkom- 
menschaft, zur  Rechtfertigung  der  Vorwürfe  dienen,  die  man 
Ihnen  durchgehends  macht :  daß  Sie  partheyisch  seyen,  und  sich 
widersprechen. 

Ich  bin  etc.  Gräfin  Du  Barry. 


CXXV.  Brief 
AN  HERRN  VON  MAUPEOU 

Ich  befremde  mich  sehr,  daß  das  Patent  für  Zamore1  welches 
schon  seit  gestern  in  Ihrem  Büreaux  liegt,  noch  nicht  gesiegelt 
ist.  Ist  diese  Nachläsigkeit  eine  Wirkung  des  Eifers,  womit  Sie 
für  den  Dienst  des  Königs  prahlen  ?  Ich  dachte  Sie  wären  weit 
eilfertiger,  Ihren  Herrn  zu  bedienen.  Mein  Herr,  ich  zähle  dar- 
auf, daß  die  Sachen  heute  beendiget  werden,  sonst  würden  Sie 
mich  nöthigen,  Sie  bey  dem  König  zu  verklagen. 

Ich  bin  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

1  Dieser  Zamore,  war  ein  kleiner  Neger,  den  Madam  Du  Barry  sehr  liebte. 
Die  Vertraulichkeit,  die  er  sich  durch  die  übertriebenen  Liebkosungen  seiner  Ge- 
bieterin, bey  ihr  herausnahm,  machte,  daß  einige  Bösgesinnten  sagten,  sie  hätte  ihn 
mehr  als  zu  einem  Gebrauch.  Dem  seye  wie  ihm  wolle,  dieser  Neger  belustigte 
öfters  den  König,  welcher  seiner  Maitresse  zu  gefallen  herablassend  genug  war, 
um  sich  mit  ihm  abzugeben.  Die  Favoritin  machte  sich  einsten  die  gute  Laune  des 
Monarchen  zu  Nuze,  um  Ihm  zu  verdeuten,  daß  er  diesem  Bürschgen,  in  Rüksicht 
auf  das  Vergnügen,  das  er  Ihm  mache,  eine  Gnade  wiederfahren  lassen  sollte.  „Es 
bleibt  dabey,  versezte  er,  ich  mache  ihn  zum  Hofmeister  vom  Schloß  und  Pallast 
zu  Lucienne,  nebst  600  Livres  Gehalt."  Se.  Majestät  Hessen  das  Patent  sogleich 
ausfertigen,  und  das  was  Mad.  Du  Barry  am  meisten  darbey  belustigte,  war  die 
Notwendigkeit,  in  der  sich  der  Kanzler  befand,  das  Siegel  darauf  zu  druken.  Sie 
nahm  überdas  durch  seine  Verzögerung  Anlaß,  ihm  ihren  ganzen  Groll,  den  sie 
gegen  ihn  hatte,  empfinden  zu  lassen. 


412  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

CXXVL  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Jezt,  mein  lieber  Düc,  ist  der  Marquis  von  Monteynard  ein- 
mal im  Ernst  weggeschikt  worden.1  Der  Befenlsbrief  ist  unter- 
zeichnet, und  er  wird  ihn  in  diesem  Augenblik  empfangen ;  mit- 
hin haben  wir  keine  Rükkehr  zu  beförchten.  Sie  werden  sehr 
vergnügt  seyn,  und  ich  bin  es  auch  selbst,  daß  es  mir  in  einer 
Sache  gelungen  ist,  die  Ihnen  so  angelegen  war.  Nur  der  Kanz- 
ler bleibt  uns  noch  zu  vertreiben  übrig;  aber  dieses  wird  weit 
schwerer  halten.  Der  König  ist  so  vergnügt,  daß  Er  nicht  mehr 
von  denen  Schwarzröken  angegangen  ist,  daß  Er  sich  mehr  als 
ich  es  gern  sähe,  an  denjenigen  attaschierte,  der  Ihn  von  ihren 
Vorstellungen  befreyt  hat.  Zeichnen  Sie  mir,  mein  lieber  Düc, 
den  Plan  vor,  den  ich  befolgen  muß,  um  den  König  von  seinem 
Wahn  herum  zu  holen,  und  ich  werde  Ihren  Rath  blindlings  be- 
folgen. Aber  allererst  müssen  wir  uns  mit  etwas  dringenderm 
und  wichtigerm  abgeben,  nemlich  mit  der  Kriegsministerstelle. 
Ich  will  durchaus,  daß  Sie  selbige  haben  sollen,  und  werde  da- 
hero  auch  alle  Mittel  anwenden.  Indessen  umarme  ich  Sie,  und 
bin  etc.  Gräfin  Du  Barry. 

CXXVII.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  .AIGUILLON2 

Ich  sehe,  meine  werthe  Gräfin,  daß  es  ohnnöthig  ist  uns  in  den 
Kopf  zu  sezen,  den  König  von  dem  Mangelhaften  in  der  Amts- 

1  Man  verwunderte  sich,  daß  dieser  Minister  so  lange  aushielt.  „Er  muß  wohl 
„unterliegen,  sagte  einst  der  König,  ich  bin  der  einzige,  der  ihn  hält."  Düc  von 
Aiguillon  war  gleich  hernach  zum  Kriegsminister  ernannt. 

2  Abe  Terray  arbeitete  gemeinschaftlich,  den  Kanzler  springen  zu  machen.  In 
Erwartung  der  Gelegenheit,  ihn  zu  Boden  zu  drüken,  entzog  er  ihm  ohnvermerkt 
seine  Kreaturen,  und  drükte  auf  alles,  was  ihn  umgab.  Er  hatte  bereits  eine  Be- 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  413 

Verrichtung  des  Kanzlers  zu  bereden;  wir  werden  nicht  aus- 
langen. Es  braucht  eine  andere  Wendung,  durch  welche  wir 
ebenfalls  zu  unserm  Zwek  gelangen.  Thun  Sie  dergleichen,  als 
wenn  Sie  sich  für  die  Meynung  Sr.  Majestät  begriffen  hätten; 
allein  trachten  Sie  Ihm  nach  und  nach  beyzubringen,  daß  Er, 
so  lange  Herr  von  Maupeou  am  Posten  bleiben  würde,  niemals 
aller  Vortheile  geniessen  würde,  die  Er  sonsten  von  seinen  Ver- 
richtungen ziehen  könnte.  Sie  können  einen  Grund  anführen, 
dessen  Beweis  evident  ist,  nemlich  der  offenbare  Haß,  den  alle 
Prinzen,  die  Pairs  und  das  Publikum  gegen  diesen  Mann  haben. 
Ich  meines  Orts  werde  alle  Gelegenheiten  ergreifen,  Sie  zu  unter- 
stüzen,  sein  Betragen  auszuspähn,  und  ihm  so  viele  Fallstrike  zu 
legen,  daß  ich  nicht  zweifle,  er  werde  uns  bald  neue  Waffen 
wider  ihn  in  die  Hände  liefern. 

Ich  bin  etc.  Düc  von  Aiguillon. 


stallung  als  Kammergüter-Inspektor,  die  der  Kanzler  für  den  le  Brun,  seinen  Se- 
kretair und  Vertrauten,  erhalten  hatte,  durch  einen  Spruch  des  Conseils  unterdrükt. 
Der  Haß  des  Herrn  von  Maupeou,  gegen  diese  beyden  Minister  brach  so  heftig 
aus,  daß  niemand  an  der  Mißhelligkeit,  die  sie  uneins  machte,  zweifeln  konnte. 
Er  suchte  ihnen  alles  Verdrießliche,  der  durch  ihn  bewirkten  Revolution  über  den 
Hals  zu  richten.  Wenn  man  ihn  um  die  Entlassung  oder  Zurückberufung  eines 
Exilirten  bat,  schien  er  allen  Antheil  an  ihrem  Schiksal  zu  nehmen,  und  versicherte, 
daß  sein  Rath  gewesen  seye,  die  Befehlsbriefe  aufzuheben;  zulezt  sagte  er,  daß  man 
diesen  Unstern,  worüber  man  sich  beklage,  dem  Abe  Terray  zuschreiben  soll. 
„Diesem  Mandrin,  der  gerne  die  Pistole  auf  die  Brust  sezte,  um  die  Finanzen  zu 
„vermehren."  Und  dem  Düc  von  Aiguillon,  diesem  Despoten,  der  alles  umbringen 
„und  alles  fressen  möchte."  Da  er  sähe,  daß  es  ohnmöglich  war,  diese  beyden 
nebst  der  Favoritin  an  sich  zu  ziehen,  suchte  er  sich  die  Königl.  Familie  gewogen 
zu  machen.  Zu  diesem  mußte  er  sich  äusserlich  als  ein  ehrlicher  Mann  stellen,  und 
bisweilen  darnach  handien.  Er  spielte  diese  Rolle,  obschon  sie  ihm  fremd  war,  sehr 
gut,  und  trieb  die  Verstellung  so  weit,  daß  er  um  einen  Zutritt  bey  Madam 
Louise  zu  haben,  der  Fromme  machte.  Endlich  zog  er  wider  die  Verdorbenheit 
aller  derer  los,  welche  niederträchtiger  Weise  unter  einem  Weibsbild  ohne  Scham 
und  Sitten,  die  Kriechenden  machten,  durch  diese  beständigen  Nekereyen  gelang 
es  ihm,  die  Königl.  Kinder  mehr  dann  jemals  wider  die  Favoritin  und  ihre  An- 
hänger zu  erbittern.  Die  Sachen  wurden  so  weit  getrieben,  daß  der  König,  dem 
ihre  Verachtung  zu  Herzen  gieng,  vor  Gram  ausrief:  „Ich  sehe  es  wohl,  meine 
Kinder  lieben  mich  nicht  mehr!" 


414  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 


CXXVIII.  Brief 
AN  HERRN  VON  BOYNES 

Sie  werden  mich  verpflichten,  wenn  Sie  das  Begehren  des 
Herrn  von  Abbadie,1  Überbringer  dieses  Billets,  geneigt  an- 
hören. Sie  haben  zween  seiner  Mitbrüder  das  St.  Ludwigs-Kreuz 
gegeben;  nun  möchte  er  die  gleiche  Gunst  gemessen,  und  ich 
werde  Ihnen  Dank  wissen,  wenn  Sie  es  ihm  auf  meine  Empfeh- 
lung hin  bewilligen. 

Ich  bin  etc.  Gräfin  Du  Barry. 

CXXIX.  Brief 

VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON 

Ich  weiß  nicht,  meine  theure  Gräfin,  was  Sie  für  einen  Grund 
haben,  sich  jezt  mit  solcher  Wärme  des  Prinzen  von  Conde  an- 
zunehmen. Ich  werde  jedoch,  weil  Sie  es  verlangen,  mich  nicht 
widersezen,  daß  der  König  ihm  zu  Gunsten  die  General-Feld- 
zeugmeisterstelle der  Artillerie  wieder  einführe,  ja  ich  werde  Sie 
sogar  bey  Sr.  Majestät,  wenn  Sie  es  nöthig  finden,  unterstüzen. 
Nichtsdestoweniger  zweifle  ich  sehr,  ob  Sie  mit  diesem  Geschäft 
aufkommen  werden,  denn  ich  weiß,  daß  der  Herr  Graf  von  Pro- 
vence um  diese  gleiche  Gnade  angehalten  hat.2   Ich  bin  etc. 

Düc  von  Aiguillon. 

1  Herr  von  Abbadie,  Kommissarius  des  Seewesens,  der  niemals  zur  See  ge- 
dient hatte,  ließ  sich's  einfallen,  sich  gleich  vielen  andern  der  Macht  der  Favori- 
tin zu  bedienen,  um  Gunstbezeugungen  zu  erlangen.  Er  kam  mit  einem  Papageyen, 
den  er  Mad.  Du  Barry  überreichte,  nach  Paris.  Sie  fand  den  Vogel  schön,  und  daß 
er  wohl  ein  St.  Ludwig-Ordenskreuz  verdiene.  Die  Leichtigkeit  des  Ministers, 
diese  Gunst  zu  bewilligen,  ist  ein  Beweis,  wie  sehr  er  von  der  Favoritin  abhieng. 

2  Düc  von  Aiguillon  hatte  eben  so  wenig  Lust,  als  der  Marquis  von  Mon- 
teynard,  die  Artillerie  aus  seinem  Departement  entwischen  zu  lassen.  Allein  da  er 
weit  feiner  als  sein  Vorfahr  war,  so  vermochte  er,  um  weder  den  König  noch  die 
Favoritin  wider  ihn  aufzubringen,  den  Grafen  von  Provence,  diese  Stelle  für  sich 
auszubitten.   Er  kannte  den  ohnschlüßigen  Karakter  des  Königs  so  gut,  daß  er 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  415 

CXXX.  Brief 
VON  HERRN  DORAT 

Madam! 

Ich  vernehme  mit  vielem  Gram,  daß  man  mir  Verse  zur  Last 
legt,  über  die  ich  nicht  genug  mein  Mißfallen  äussern  kan.  Man 
versichert  mich,  daß  Ihnen  eine  Piece  zugekommen  seye,  die  den 
Titul  führt :  Epitre  ä  Margot,  und  daß  man  schwarz  genug  ge- 
wesen sey,  mich  bey  Ihnen  als  Verfasser  darvon  zu  beschuldigen.1 
Es  seye  wie  ihm  wolle,  Madam,  diese  Schrift  verdient  Ihren  gan- 
zen Unwillen.  Wenn  ich  als  ein  Gelehrter  einige  Ansprache  auf 
Ihre  Gewogenheit  hätte,  so  würde  ich  Sie  bitten,  allem  auf- 
zubieten, um  den  Strafbaren  zu  entdeken;  Sie  würden  bald  ge- 
rochen, und  meine  Rechtfertigung  vollkommen  seyn.  Ich  bin  etc. 

DoraU 

CXXXI.  Brief 
VON  DEM  CHEVALIER  VON  MORANDE 

Madam! 

Da  ich  nun  in  einem  Land  lebe,  wo  die  Menschen  keine  Ver- 
zicht auf  das  Denken  gethan  haben,  und  wo  sie  sich  ohne  die  ge- 
ringste Gefahr  nach  ihrem  Gutdünken  darinnen  üben  können, 
so  darf  ich  Ihnen  frey  heraus  sagen,  daß  ich  der  Verfasser  einer 
kleinen  Brochüre  bin,  die  den  Titul  führt:  Le  Gazettier  Cui- 

sicher  war,  daß  Se.  Majestät  in  der  Verlegenheit,  in  welche  Ihn  diese  beyden  Mit- 
werber sezten,  Er  diese  Stelle  niemand  geben  würde.  Die  Sache  gieng  auch  wie 
sie  der  Düc  vorsah,  ohne  daß  ihm  weder  der  König  noch  die  Maitresse  deßwegen 
übel  an  seyn  konnten. 

1  Herr  Dorat  ist  in  der  That  Verfasser  dieses  Schreibens,  an  Margot,  welcher 
sich  aber  im  französischen  Original  nicht  befindet.  Herr  Dorat  machte  aus  Forcht 
vor  der  Bastille  eine  Widerrufung,  die  aber  das  Original  nicht  werth  war. 


41 6  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry 

rasse.  Wenn  dieses  Heft,  welches  Ihnen  sicher  zugekommen  ist, 
Sie  auf  einen  Augenblik  hat  belustigen  können,  so  kan  ich  mir 
etwas  darauf  zu  gut  thun,  selbiges  herausgegeben  zu  haben.  Ihr 
Beyfall  ist  einer  von  denjenigen,  die  mich  am  meisten  schmeich- 
len  sollen.  Ich  bin  auf  dem  Sprung,  eine  andere  Arbeit  druken 
zu  lassen,  welche  zum  Titul  hat :  Memoires  secrets  d'une  Femme 
publique,  ou  Essais  sur  les  Avantures  de  Madame  la  Comtesse 
Du  Barry,  depuis  son  berceau  jusq'au  lit  d'honneur,  d.  i.  Ge- 
heime Nachrichten  eines  öffentlichen  Weibsbilds,  oder  Ver- 
suche über  die  Begebenheiten  der  Frau  Gräfin  Du  Barry,  von 
der  Wiege  an,  bis  ins  Bett  der  Ehren.  Ich  denke,  Madam,  daß 
wenn  ich  schon  nicht  den  zweyten  Abschnitt  dieses  Tituls  bey- 
seze,  es  Ihnen  ein  Leichtes  seyn  werde,  sich  gleich  am  ersten  zu 
erkennen.  Diesem  seye  wie  ihm  wolle,  so  dachte  ich  Ihnen  Nach- 
richt von  meinem  Vorhaben  zu  geben,  ehe  ich  es  ausführte;  denn 
Sie  haben  bey  einigen  Gelegenheiten  einen  entscheidenden  Ge- 
schmak  für  die  Künste  und  Wissenschaften  gezeigt,  und  da 
könnte  es  wohl  seyn,  daß  Sie  einzig  ein  Manuscript  besizen  möch- 
ten, welches  ich  interessant  zu  machen  getrachtet  habe,  und 
welches  Ihnen  von  grossem  Werth  scheinen  könnte.  Dieser  Ein- 
fall würde  Sie  nicht  mehr  als  fünfzig  tausend  Livres  kosten.  Es 
dürfte  Ihnen  etwas  theuer  vorkommen,  indessen  ist  dieses  kein 
übertriebener  Preis;  denn  Sie  können  nicht  glauben,  Madam, 
was  für  Unkosten  ich  mit  Anschaffung  aller  nöthigen  Subsidien 
gehabt  habe.  Die  lezten  Anekdoten  Ihres  Lebens  haben  mich 
hauptsächlich  viel  gekostet.  Ich  war  genöthiget,  die  Auskunft 
über  Ihren  geheimsten  Zeitvertreib  mit  Sr.  Allerchristl.  Ma- 
jestät; über  die  List,  mit  der  Sie  Ihre  Aufseher  zu  hintergehen 
wissen,  um  sich  der  Entnervung  des  Königs  mittelst  Ihres  guten 
Freunds  Düc's  von  Aiguillon,  zu  entschädigen,  oder  Mangel 
seiner,  durch  den  kleinen  Zamore,  der  Ihnen  diente,  die  Ab- 
handlungen Aretin's  ins  Werk  zu  sezen,  und  den  erfinderischen 
Geist  dieses  Italiänerszu  übertreffen.  Ich  war  genöthiget,  sage 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  417 

ich,  die  Auskunft  oder  das  Detail  über  alles  dieses  mit  schwerem 
Geld  zu  bezahlen.  Mit  einem  Wort,  Madam,  sind  Sie  versichert, 
daß  dieses  Werk  sehr  vollständig  ist,  und  daß  es  alle  erforder- 
lichen Eigenschaften  hat,  um  des  Abgangs  sicher  zu  seyn.  Wenn 
Sie  es  an  sich  bringen  wollen,  so  werde  ich  das  Manuscript  dem- 
jenigen zustellen,  der  mir  obige  Summ  von  Ihnen  einhändigen 
wird;  wenn  Sie  aber  nicht  gesonnen  sind,  diesen  Einkauf  zu  ma- 
chen, so  erlauben  Sie  mir  wenigstens,  Madam,  daß  ich  es  unter 
Ihrem  Schuz  erscheinen  lasse;  ich  würde  alsdann  von  der  gün- 
stigen Aufnahm  des  Publikums,  dem  Sie  angehörten,  vergewis- 
sert seyn.  Ich  dachte  diese  lezte  Gnade  in  Rüksicht  auf  die  Be- 
gierde, die  ich  habe,  Sie  zu  verewigen,  und  wegen  der  Sorgfalt, 
mit  der  ich  mich  an  die  allergenaueste  Wahrheit  gewandt  habe, 
zu  verdienen. 

Ich  bin  mit  tiefer  Ehrforcht  etc. 

Der  Chevalier  von  Morande. 


CXXXII.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Ich  habe  aus  London,  mein  Herr  Düc,  einen  Höllenbrief  er- 
halten. Sie  können  darvon  urtheilen,  ich  füge  ihn  bey.  Verlieren 
Sie  keinen  Augenblik,  allem  aufzubieten,  um  den  Druk  dieser 
verdammten  Libell,  der  uns  droht,  abzuwenden.  Sie  sind  eben 
so  wohl  darinnen  mitgenommen,  als  ich.  Über  das,  was  mir  der 
Verfasser  in  seinem  Brief  verdeutet,  bin  ich  überzeugt,  daß  wenn 
er  nur  den  mindesten  Verdacht  von  Ihrer  Gemeinschaft  mit  der 
Vicomtesse  Du  Barry  hat,  er  dessen  sicher,  als  eines  Umstands, 
der  nicht  der  ohninteressanteste  Ihres  Lebens  ist,  erwehnen 
wird. 

Ich  bin,  mein  Herr  Düc,  Ihre  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 
1.  27 


41 8  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

CXXXIII.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON 

Ich  habe,  meine  werthe  Gräfin,  den  Englischen  Gesandten  be- 
reden wollen,  in  Ansehung  des  Morande  an  seinen  Hof  zu 
schreiben ;  allein  er  hat  mir  verdeutet,  daß  es  ohnnüz  wäre,  weil 
der  König  gewiß  nichts  wider  die  Freiheiten  der  Englischen  Na- 
tion verfügen  würde;  überdas  hat  er  mir  sehr  gut  vorgestellt,  daß 
dieser  Mann  einem  hungrigen  Hund  gleiche,  dem  man  ein  Bein 
hinwerffen  müsse,  um  ihn  zu  besänftigen.  Indessen  habe  ich 
mich  zu  etwas  anderm  entschlossen,  und  nebst  einigen  Gerichts- 
bedienten einen  Mann1  abgeschikt,  den  ich  zu  Erreichung  mei- 
ner Absichten,  tauglich  erachte.  Ich  wünsche  daß  es  ihm  gelinge. 
Ich  glaube  daß  Sie  mir,  meine  schäzbare  Gräfin,  seit  unserer 
letsten  Auskunft,  keine  Vorwürffe  machen  können.  Seyn  Sie  ver- 
sichert, daß  das  was  Sie  mein  emsiges  Bemühn,  um  die  junge  Vi- 
comtesse  heissen,  sich  immer  auf  die  Wohlanständigkeit,  und 

1  Düc  von  Aiguillon,  hatte  den  Herrn  Bellanger,  nach  London  abgesandt, 
einer  dieser  Avantüriers,  die,  weil  sie  nichts  zu  verlieren  haben,  alles  wagen,  und 
der  in  allen  Spielgelaagen  sehr  wohl  bekannt  war.  Seine  Spiesgesellen  waren  Ge- 
richtsschergen, als  Receveur,  Cambert  und  Finet  etc.  Diese  Hinderlistigen,  such- 
ten mit  Morande  Vertraulichkeit,  um  sich  seiner  zu  bemächtigen,  und  ihn  mit 
List  nach  Frankreich  zu  liefern.  Dieser  aber  der  feiner  als  sie  war,  und  sie  kante, 
stellte  sich  an,  als  ob  er  nichts  von  ihrer  Absicht  merkte.  Er  erwies  ihnen  Freund- 
schaft und  entlehnte  von  einem  jeden  30  Neue  Louisd'ores.  Hernach  zog  er  die 
Sturmgloke  wider  sie  an,  und  diese  Spionen,  die  unter  dem  Englischen  Pöbel  grossen 
Verdacht  erwekten,  waren  genöthiget  sich  sorgfältig  zu  verbergen,  und  die  erste 
beste  Gelegenheit  zu  ergreifen,  um  wieder  das  Meer  zu  passiren. 

Düc  von  Aiguillon,  sandte  nachher  Herr  Predau  von  Chemilli  Schazmeister  der 
Marechaussees,  unter  dem  Vorwand  Pferde  aufzukaufen,  nach  England  ab.  Er 
hatte  den  Auftrag  40  000  Livres  für  das  Manuscript,  anzubieten ;  allein  es  ward 
nichts  aus  dem  Handel.  Endüch  nahm  es  Caron  von  Beaumarchais  auf  sich,  und 
berichtigte  es  vermittelst  grossen  Aufwands.  Er  gab  Morande  50  000  Livres  baar, 
und  sezte  ihm  im  Namen  der  Franz.  Regierung  unter  Gewährleistung,  des  Che- 
valier von  Vandek  Banquier  in  London  ein  Jahrgehalt  von  200  Pfund  Sterlings 
vest;  wovon  die  Hälfte  nach  seinem  Tod,  auf  sein  Weib  kommen  sollte. 

Durch  dieses  Mittel  kam  das  Werk  nicht  zum  Vorschein,  und  man  versichert 
sogar,  daß  es  niemals  ganz  gedrukt  worden  seye. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  419 

Hochachtung  beziehn  wird,  die  ich  ihrem  Rang  den  sie  hier  be- 
kleidet, der  Verbindung  die  sie  geschlossen  hat,  und  der  Huld, 
womit  sie  der  König  beehrt,  schuldig  bin. 
Ich  bin  stets  etc. 

Düc  von  Aiguillon. 

CXXXIV.  Brief 

VON  HERRN  VON   BEAUMONT,   ERZBISCHOF  VON 

PARIS 

_,    ,  Den  15.  Jenner  1774. 

Madam!  "* 

Es  ist  meine  Amtspflicht,  die  meiner  Sorge  anvertrauten  Per- 
sonen zu  erleuchten,  und  alle  Mittel  zu  versuchen,  welche  eine 
von  der  Klugheit  geführte  Liebe  einflössen  kan,  um  die  von  dem 
Weg  der  Wahrheit  Abgewichenen,  wiederum  in  selbigen  zu  lei- 
ten. Sie  können  nicht  denken,  Madam,  daß  ich  der  Einzige  seye, 
dem  das  Aergerniß,  welches  leider  nur  allzu  offenbar  ist,  ohn- 
bekannt  seye.  Wenn  mich  die  Abweichungen  eines  privat  Men- 
schen kränken,  urtheilen  Sie,  wie  groß  mein  Schmerz  seyn  müsse, 
wenn  ich  an  diejenigen  denke,  zu  welchen  sie  einen  Fürsten  ver- 
leiten, der  wegen  seinen  in  allen  Absichten  grossen  Eigenschaf- 
ten preißwürdig  ist.  Ihr  Triumph  ist  in  den  Augen  der  Welt  ohn- 
streitig  sehr  schmeichelnd,  ja  ich  gestehe  sogar,  daß  es  wenige 
Personen  giebt,  deren  Tugend  standhaft  genug  ist,  nicht  dar- 
durch  geblendet  zu  werden,  und  die  heldenmüthig  genug  sind, 
ihm  frey willig  zu  entsagen.  Aber  soll  ich  glauben,  daß  dieser  er- 
habene Muth  über  Ihr  Vermögen  gehe  ?  Wenn  Ihre  Liebe  zum 
König  aufrichtig  wäre,  würden  Sie  Ihm  nicht  einen  auffallenden 
Beweis  darvon,  dardurch  geben,  wenn  Sie  Ihre  auf  Ihn  habende 
Macht  dahin  verwenden  würden,  Ihn  auf  den  Weg  des  Heils  zu 
leiten,  und   Ihn  darinnen  durch  Ihr  Beyspiel  aufzumuntern? 
Könnten  Sie  eine  ohngezwungene  Absonderung  von  der  Welt, 

27* 


420  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Dil  Barry 

welche  da  Sie  sie  mit  dem  Himmel  aussöhnte,  Sie  die  reinsten 
Freuden,  die  man  hieniden  schmeken  kan,  des  Friedens  mit  sich 
selbst,  und  der  Achtung  aller  Rechtschaffenen,  gemessen  Hesse, 
könnten  Sie  wohl  diese  als  eine  schimpfliche  Entfernung  an- 
sehen ?  Sie  hätten  diese  mit  allem  Recht  verdient,  weil  Sie  dem 
Staat  seinen  König,  der  Religion  ein  Christ  und  einen  Beschüzer 
wieder  geschenkt  haben  würden.  Das  Verderben  des  Getümmels, 
das  Sie  umgiebt,  Madam,  mag  seyn  wie  es  will,  so  kan  ich  mir 
nicht  vorstellen,  daß  es  alles  Gefühl  der  Religion  in  Ihrem  Her- 
zen gänzlich  habe  erstiken  können.  Gehen  Sie  einen  Augenblik 
in  selbiges  zurük,  und  wenn  Sie  bey  der  Stimme,  die  sich  in  selbi- 
gem muß  hören  lassen,  nicht  taub  sind,  so  zweifle  ich  nicht,  das 
meine  Wünsche  bald  erfüllt  seyn  werden,  und  daß  ich  zum  Mu- 
ster einen  König  seinem  Volk  vorstellen  könne,  der  an  meiner 
Ehrfurcht  und  an  meiner  Ergebenheit  an  seiner  Person  nicht 
zweiflen  kan.  Ich  bin  etc.  t  Ch.  von  Beaumont. 


CXXXV.  Brief 
AN  HERRN  ERZBISCHOF  VON  PARIS 

Den  16.  Jenner  1774. 

Monseigneur! 
Mit  Vergnügen  sehe  ich  Ihre  Liebe  zum  König;  allein  ich 
halte  die  meinige  ohnerachtet  dessen,  das  Sie  mir  sagen,  tür  eben 
so  acht.  Es  ist  wahr,  daß  ich  sie  ihm  auf  eine  ganz  andere  Art 
zeige,  die  vielleicht  tauglicher  ist,  Ihn  zu  bereden.  Ich  hätte  nie- 
mals deuten  können,  daß  Sie  sich  an  mich  wenden  würden,  um 
die  Revolution,  die  Sie  gern  sähen,  zu  orzielen.  Ihr  Eifer  würde 
ohnstreitig  das  gröste  Lob  verdienen,  wenn  er  f  rey  von  Menschen- 
tand wäre.  Allein  ich  kan  um  so  viel  begründeter  ihn  für  nicht 
ganz  ohneigennüzig  halten,  als  ich  die  Absicht  weiß,  die  Sie  ha- 
ben, den  König  mit  einer  Erzherzogin  zu  verheuratnen;  und 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  421 


wenn  diese  Verbindung  durch  Ihre  Vermittlung  zu  Stand  käme, 
so  ist  mir  bekannt,  daß  Sie  Ihnen  sicher  grosse  Vortheile  ver- 
schaffen würde.  Wenn  ich  schon  noch  nicht  den  nöthigen  Muth 
besize,  um  Ihre  frommen  Absichten  zu  unterstüzen,  so  will  ich 
Ihnen,  Monseigneur,  wenigstens  gestehen,  daß  Ihr  Brief  einen 
tiefen  Eindruck  auf  mich  gemacht  hat,  diejenigen,  denen  ich  ihn 
zeigte,  mochten  mir  sagen,  was  sie  wollten.  Um  mein  geängstig- 
tes Gewissen  zu  beruhigen,  und  um  mich  zu  versichern,  daß  ich 
nicht  so  lasterhaft  seye,  als  ich's  vermeyne,  will  man  mich  glau- 
ben machen,  daß  meine  grösten  Uebertrettungen  nur  geringe 
Fehlergen  gewesen  wären,  wenn  ich  das  Glük  gehabt  hätte,  wie 
Sie  Monseigneur,  durch  Einen  jener  erleuchteten  Gottesgelahr- 
ten1 geleitet  zu  werden,  welcher  vermittelst  einer  gewissen  Di- 
rektion des  Vorsazes  Sie  auf  die  artigste  Weise  von  der  Welt  mit 
Madam  von  Moiran  sündigen  zu  machen  gewußt,  ohne  daß  deß- 
wegen  Ihre  Apostolische  Seele,  an  der  Beflekung  des  Körpers  den 
mindesten  Antheil  nahm.  Mit  einem  Wort,  Monseigneur,  ob- 
schon  ich  bey  weitem  nicht  alles  verstanden  habe,  was  man  mir 
in  Ansehung  dieses  gesagt  hat,  so  dünkt  es  mich  jedoch,  dardurch 
wahrgenommen  zu  haben,  daß  es  ein  leichteres  und  meiner 
Schwachheit  angemesseneres  Mittel  giebt,  um  den  Weg  des  Heils 
anzutretten,  als  das  so  Sie  mir  vorgeschlagen  haben.  Wenn  dem 
so  ist,  so  werden  Sie  mich  verbinden,  wenn  Sie  mir's  anzuzeigen 
belieben,  und  Sie  sollen  sehen,  daß  ich  mich  alsdann  im  Ernst  mit 
meiner  Bekehrung  beschäftigen  werde. 
Ich  bin  mit  Ehrfurcht,  Monseigneur  etc. 2 

Gräfin  Du  Barry. 

1  Die  Jesuiten. 

2  Diejenigen  Personen,  welchen  Madam  Du  Barry,  wie  sie  hier  sagt,  den  Brief 
des  Herrn  Erzbischof  von  Paris  gewiesen  hat,  sind  vermuthlich  eben  die,  die  ihr 
den  Stoff  zu  ihrer  Antwort  geliefert  haben.  Wir  sind  ganz  überzeugt,  daß  sich  bey 
dem  vertrauten  Umgang,  welcher  in  der  That  zwischen  Herrn  von  Beaumont  und 
Mad.  von  Moiran,  Vorsteherin  des  Spithals  der  Salpetersiederey,  statt  hatte,  nichts 
ohnehrbares  zugetragen  hat.  Es  ist  wahr,  daß  die  Welt  sehr  arg  ist,  und  änderst 
darüber  geurtheilt  hat.  Allein  wenn's  auch  Grund  hätte,  so  ist  es  schon  so  lange, 


422  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

CXXXVI.  Brief 
VON  HERRN  VON  MAUPEOU 

Paris  den  I.  Hornung  1774. 

Frau  Gräfin ! 

Obschon  ich  zu  allen  Zeiten  alle  mögliche  Ehrf orcht,  die  gröste 
Achtung,  und  die  aufrichtigste  Ergebenheit,  für  Sie  gehabt 
habe;  weit  entfernt,  jemals  etwas  wider  Ihren  Nuzen  unter- 
nommen zu  haben,  hatte  ich  mir's  im  Gegentheil  zur  Pflicht  ge- 
macht, bey  allen  Gelegenheiten  Ihrem  Verlangen  zuvorzukom- 
men; nichts  destoweniger  ist  man  so  weit  geschritten,  mich  sol- 
chergestalten  in  Ihrem  Herzen  anzuschwärzen,  um  Sie  zu  ver- 
mögen, mich  als  einen  gefährlichen  Feind  anzusehen,  und  es  zu 
versuchen,  den  König  dahin  zu  bringen,  daß  Er  mir  das  Zu- 
trauen, wormit  Er  mich  beehrt,  entziehe.  Ich  weiß  es,  Madam, 
und  habe  deßwegen  keinen  Haß  auf  Sie,  denn  Sie  sind  hinter- 
gangen worden ;  allein  das  was  mich  über  alle  massen  kränkt,  ist, 
daß  ich  sehen  muß,  wie  Sie  blinder  Weise  Ihr  Vertraue  a  und 
Ihre  Achtung,  Personen  geschenkt  haben,  die  dessen  unwürdig 
sind.  Düc  von  Aiguillon,  der  Ihnen  alles  zu  danken  hat,  verräth 
Sie;  er  will  Sie  stürzen,  und  die  Freyherrin  von  Neukerque1  an 
Ihre  Stelle  bringen.  Um  dieser  Dame  den  Plaz,  den  er  ihr  be- 
stimmt, zu  versichern,  hat  er  das  Projekt  gefaßt,  sie  durch  eine 
geheime  Trauung  mit  dem  König  zu  verbinden.  Da  ich  von 
dieser  Arglistigkeit  Nachricht  hatte,  und  mir  wohl  vorstellen 
konnte,  daß  Sie  einer  so  schwarzen  Verrätherey  keinen  Glau- 
ben zustellen  würden,  wenn  ich  meiner  Anzeige  nicht  einen  ohn- 

ckß  man  es  hätte  vergessen  sollen.  Das  Schreiben  Sr.  Hochwürden  verdiente  sicher 
keine  so  beissende  Antwort,  und  wir  haben  erfahren,  daß  sie  diesen  frommen 
Mann  ungemein  gewankt  hat. 

1  Diese  Freyherrin  von  Neukerque,  ist  die  gleiche  Madam  Pater,  von  welcher 
schon  im  XC.  Brief  die  Rede  war.  Damit  sie  der  König  neurathen  könnte,  hatte 
Düc  von  Düras  nebst  dem  Düc  von  Aiguillon  ihre  Ehescheidung  nach  protestan- 
tischem Gebrauch,  mit  vereinten  Kräften  bewirkt. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  423 

verwerflichen  Beweis  beyfügte,  so  habe  ich  allem  aufgebotten, 
um  einen  solchen  zur  Hand  zu  bringen,  und  ich  war  so  glüklich, 
daß  es  mir  gelang.  Der  Brief  von  dem  Düc  von  Aiguillon,  den 
Sie  angeschlossen  finden,  wird  Ihnen  mehr  sagen,  als  Sie  werden 
wissen  wollen.  Ich  wünsche,  Madam,  daß  Sie  treuere  Freunde 
finden  möchten.  Ich  bin  etc.  von  Maupeou. 


Beylag  zu  obigem  Brief 

VON  DEM  DÜC  VON  AIGUILLON  AN  DIE  FREY- 
HERRIN VON  NEUKERQUE 

Sie  erlauben  mir,  ja  Sie  fordern  mich  sogar  auf,  Madam,  Ihnen 
Rath  mitzutheilen.  Durch  das  Zutrauen,  daß  Sie  mir  bescheinen, 
gekizelt,  werde  ich  Ihnen  mit  aller  möglichen  Aufrichtigkeit  ant- 
worten. 

Das  Schiksal  einer  Maitresse  des  Königs  ist  ohnstreitig  sehr 
glänzend;  allein  glauben  Sie  mir,  Madam,  daß  so  groß  auch  die 
Annehmlichkeiten  seyn  mögen,  so  sind  sie  doch  nicht  harmlos, 
und  immer  mehr  oder  weniger  dem  traurigsten  Ungemach  aus- 
gesezt.  Ich  bin  überzeugt,  daß  mit  der  Huld,  womit  Sie  der  Kö- 
nig beehrt,  die  Hindernisse,  die  Sie  zu  überwinden  haben  wer- 
den, um  es  dahin  zu  bringen,  daß  er  sich  durch  eine  geheime 
Trauung  mit  Ihnen  verbinde,  vielleicht  nicht  so  stark  seyn  wer- 
den, als  diejenigen,  die  sich  in  den  Weg  legen  werden,  um  die 
jezige  Favoritin  schlechterdings  zu  verdrängen.  Gesezt  aber,  Sie 
fänden  sehr  häufige  Schwierigkeiten,  der  Unterschied  dieser  bey- 
den  Situationen  soll  Sie  nicht  zaudern  lassen.  Errichten  Sie  sich 
also  einen  Verhaltungsplan,  der  auf  dieses  abziele,  und  gehen  Sie 
nimmer  davon  ab.  Ich  sehe  es  nicht  gerne,  daß  Sie  gestern  bey 
der  geheimen  Zusammenkunft,  allzu  gefällig  gegen  den  König 
gewesen  sind.  Ein  allzu  leicht  erhaltener  Genuß,  kan  bey  diesem 
durch  die  Wollust  erschöpften  Fürsten,  selbst  den  feurigsten 


424  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

Hang  schwächen.  Um  seine  anerbohrne  Wankelmuth  zu  fes- 
seln, so  ist  es  nothwendig,  seine  Begierden  durch  eine  Wider- 
sezung  rege  zu  machen,  welche  mit  genügsamer  Kunst  begleitet 
ist,  um  Ihm  nicht  die  Lust  zu  benehmen.  Ich  glaube  sogar,  daß 
Er  im  Fall  jener  alten  Schwelger  ist,  die  in  ihren  alten  Tag  noch 
fromm  werden,  sich  leicht  entrüsten,  und  bisweilen  Unruhe  und 
Gewissensscrupel  empfinden,  über  welche  man  sie  alsdann  trö- 
sten muß.  Sie  können,  Madam,  von  dieser  lezten  Blosse  mit  nicht 
geringem  Erfolg  Gebrauch  machen,  damit  Ihre  Seele  an  die  sei- 
nige gleichsam  wie  geleimt  seye,  so  stellen  Sie  sich,  als  hätten  Sie 
die  gleiche  Forcht,  und  die  Gewissensbisse,  die  Er  sicher  hat;  die- 
ses ist  ein  fast  ohntriegliches  Mittel,  Ihre  Absicht  zu  erreichen. 
Morgen  um  5  Uhr  werde  ich  Sie  sehen.  Ich  gehe  zuvor  zum  König, 
vielleicht  sind  Sie  der  Gegenstand  des  Gesprächs.  Wenn  es  sich 
zuträgt,  so  werde  ich  Ihnen  gewiß  nichts  verderben.  Ich  bin  etc. 

Düc  von  Aiguillon. 


CXXXVII.  Brief 
AN  DEN  DÜC  VON  AIGUILLON 

Den  2.  Hornung  1774. 

Wie !  Herr  Düc,  Ihnen  muß  ich  die  bittersten  Vorwürffe  ma- 
chen! Ihnen,  die  ich  Sie  vom  Galgen  errettet  habe.  Ihnen,  die 
ich  die  Schwachheit  gehabt  habe,  Ihrer  Leidenschaft  Gehör  zu 
geben!  Ihnen,  die  ich  Sie  mit  Wohlthaten,  mit  Ehre  und  An- 
sehen überhäuft  habe!  Sie  die  meine  Fußtritte  küssen  sollten, 
Sie  haben  die  Abscheulichkeit  gehabt,  mich  zu  hintergehen,  Sie 
führen  dem  König  ein  Weibsbild  zu,  um  Ihre  Gutthäterin  zu 
verdrängen !  Ich  weiß  es,  ich  habe  den  von  Ihrer  Hand  geschrie- 
benen Beweiß,  und  kan  es  doch  kaum  glauben,  so  unerhört  körnt 
mir  diser  Streich  vor!  Das  Ungeheuer,  welches  mir  au3  dem 
innersten  seinei  Hole  in  Londen  die  Ehre  abschneidt,  mich  ver- 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  425 

leumdet,  ist  in  Vergleich  mit  Ihnen  ein  Gott.  Die  Verzweiflung, 

die  Wuth  bemächtigen  sich  meiner  Seele ! ich  brenne  vor 

Rache ich  bin  in  diesem  Augenblik  so  verwirrt,  daß  ich 

noch  nicht  weiß,  welche  Wafen  ergreifen. Ich  will  in  mei- 
nem vollen  Zorn  zum  König  lauffen,  Ihm  Ihr  Verbrechen  und 
das  meinige  gestehen,  Ihme  Ihren  Brief  an  die  Freyherrin  von 
Neakerque  zeigen,  Ihn  bitten  uns  beyde  zu  straffen.  Bis  in  die 
Hölle  will  ich  Sie  verfolgen,  und  wenn  es  Furien  für  Ungeheuer 
gibt,  Sie  ihnen  überliefern.  Mit  einem  Wort  stellen  Sie  sich  vor, 
daß  ich  allem  aufbieten  werde,  dessen  ein  beschimpftes  Frauen- 
zimmer fähig  ist.1 

Gräfin  Dil  Barry. 


CXXXVIII.  Brief 

AN  HERRN  ABE  VON  BEAUVAIS,  DAMALS  CHORHERR 

VON  NOYON,  PREDIGER  DES  KÖNIGS,  WIRKLICHER 

BISCHOF  VON  SENEZ2 

Am  Hohen  Donnerstag  Abends  1774. 

Sie  haben,  Herr  Abe,  heute  mit  einer  ausserordentlichen  Ohn- 
verschämtheit  gepredigt.  Statt  sich  in  Ihrer  Rede,  der  Sanft- 
muth,  der  Liebe  und  der  Mäßigung  zu  bedienen,  haben  Sie  die 

1  Düc  von  Aiguillon,  welcher  die  fürchterlichen  Folgen  vorsähe,  die  die  Wuth 
der  Madame  Du  Barry  haben  könte,  lief  zu  ihr  hin,  warf  sich  zu  ihren  Füssen,  ge- 
stund seinen  Fehler,  den  er  nicht  in  Abred  seyn  konte,  entschuldigte  sich  so  gut 
er  konte,  und  war  noch  so  glüklich  diejenige  zu  besänftigen,  die  er  so  greulich  be- 
leidigt hatte.  Genug  er  erlangte  Vergebung,  unter  dem  Versprechen,  Mad.  von 
Neukerque  zu  verlassen,  und  sich  nimmer  in  diese  Sachen  zu  mischen.  Er  hielt 
auch  wirklich  Wort. 

2  Abe  von  Beauvais,  der  von  einer  dunklen  Herkunft  war,  hatte  beschlossen, 
auf  seiner  Station  Fortun  zu  machen,  ein  Bischofthum  zu  erlangen,  oder  in  die 
Bastille  zu  gerathen.  Er  nahm  zu  dem  End  einen  ganz  ausserordentlichen  Weg;  er 
unterstund  sich,  wider  das  ärgerliche  Leben  Ludwig  des  Fünfzehnden  zu  predigen. 
Er  schilderte  hauptsächlich  seine  Leidenschaft  für  Mad.  Du  Barry,  in  einem  Kraft- 


426  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

Frechheit  gehabt,  das  Leben  unsers  Monarchen  in  den  Augen 
seines  Volks  anzuschwärzen.  Nur  Ihn  haben  Sie  angegriffen,  ob- 
schon  Er  der  einzige  war,  dessen  Sie  hätten  schonen,  und  einiger 
massen  seine  Fehler  vor  seinen  Unterthanen  entschuldigen  sollen. 
Sie  waren,  glauben  Sie  mir's,  nicht  von  der  christlichen  Liebe 
beseelt.  Der  Ehrgeiz,  und  die  Begierde  empor  zu  kommen,  wa- 
ren die  einzigen  Triebfedern  Ihres  Betragens.  An  der  Stelle  Sr. 
Majestät,  würde  ich  Sie  auf  ein  entferntes  Dorf  verweisen,  da- 
mit Sie  daselbst  lernen  möchten,  vorsichtiger  zu  handeln,  und 
das  Volk  nimmer  gegen  seine  Fürsten,  die  von  Gott  es  zu  re- 
gieren gesezt  sind,  aufzuwieglen  suchen  möchten.  Ich  weiß  nicht, 
was  der  König  thun  wird,  aber  Sie  haben  seiner  Güte  zu  viel  zu- 
gegeben. Sie  hätten  nicht  erwartet,  Vorschriften,  wie  Sie  sich 
betragen  sollen,  die  aus  dem  Christenthum  und  der  Moral  ge- 
nommen sind,  von  mir  zu  erhalten :  nun  trachten  Sie  sie  zu  Ihren, 
Heil  zu  benuzen.  Hier  haben  Sie  meine  Predigt,  ich  wünsche, 
daß  Sie  Ihnen  wohl  bekomme,  und  bin  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

vollen  Gemälde  von  den  Sitten  Salomons,  worvon  das  Gleichniß  sehr  empfind- 
lich war.  „Dieser  Monarch,  sagte  er,  der  Wollust  satt,  und  müde  alle  Arten  des 
„Vergnügens,  die  den  Thron  umgeben,  erschöpft  zu  haben,  um  seine  welke  Sinn- 
„lichkeit  wieder  zu  erfrischen,  endigte  damit,  daß  er  sich  eine  neue  Art  unter  dem 
„garstigen  Überbleibsel  der  öffentlichen  Verdorbenheit  aussuchte."  —  Madam 
Du  Barry  kannte  sich  allzu  wohl  in  dieser  Schilderung,  als  daß  sie  nicht  drüber 
betretten  war.  Sie  schrieb  noch  selbigen  Abend  diesen  Brief  an  den  Prediger.  Sie 
wollte  hernach  den  König  wider  ihn  aufbringen.  Allein  Ludwig  der  Fünfzehende 
war  gut,  Er  erzörnte  sich  nicht,  Er  entschuldigte  ihn  sogar,  sagende,  er  hätte  sein 
Amt  verrichtet. 

Man  erzehlt,  daß  eines  Tages,  wo  der  Abe  mit  Heftigkeit  wider  die  alten  Sün- 
der, die  mitten  in  ihren  eißkalten  Tagen  noch  unreine  Flammen  der  fleischlichen 
Lüste  beybehielten,  geredt  habe,  Se.  Majestät  sich  nach  der  Predig  an  den  Mar- 
schall von  Richelieu  gewandt,  und  ihm  gesagt  hätte:  „Wohlan!  Richelieu,  mich 

„dünkt,  der  Prediger  habe  brav  Steine  in  Euern  Garten  geworfen." „Ja 

„Sire,  erwiederte  der  Marschall,  es  sind  darvon  widerprellt,  und  bis  in  den  Parc 
„zu  Versailles  geflogen." 

Dieser  Abe  erhielt  was  er  verlangte,  das  Bischofthum  von  Senez  war  ledig,  und 
er  ward  dahin  ernannt. 


Original-Briefe  der  Tran  Gräfin  Du  Barry  427 


CXXXIX.  Brief 
VON  DAUBERVAL  OPERNTÄNZER 

Paris  den  10.  April  1774. 


Madam!1 


Wie  viel  bin  ich  Ihnen  nicht  schuldig,  und  wie  es  vergelten! 
Von  Ihren  Gutthaten  über  und  überhäuft,  erhalte  ich  noch  von 
Ihnen  eine  Gunst,  die  einzig  ist,  und  worvon  Frankreich  gegen 
einen  gemeinen  von  seiner  Kunst  lebenden  Mann  kein  Beyspiel 
aufzuweisen  hat.  Ich  stekte  in  Schulden  bis  über  die  Ohren:  die 
Ohnenthaltsamkeit,  die  unserm  Stand  so  gewöhnlich  ist,  die  Zer- 
streuung, in  der  wir  leben,  der  Luxus,  zu  dem  uns  die  glänzende 
Gesellschaft,  die  uns  sucht,  verleitet,  das  zur  Notwendigkeit 
gewordene  grosse  Spiel,  waren  die  natürlichen  Folgen  meines 
Verfalls.  Dieses  gab  mir  wenig  Anspruch  auf  die  öffentliche 
Nachsicht.  Von  meinen  Gläubigern  geplagt,  und  nicht  wissend, 
wie  sie  befriedigen,  hatte  ich  den  Entschluß  gefaßt,  mich  äussert 
Lands  zu  begeben,  und  nach  Rußland  zu  gehen,  wohin  ich  ge- 
rufen war,  und  wo  der  Himmelsstrich,  so  rauh  er  auch  ist,  we- 
niger ohnbarmherzig  gegen  mich  würde  gewesen  seyn.  Sie  ha- 
ben nicht  wollen,  Madam,  daß  sich  ein  fremdes  Land  durch  einen 
Verlust  bereichere,  der  freylich  sehr  gering  ist,  den  Sie  aber  zu 
vergrössern  geruht  haben.  Sie  haben  behauptet,  daß  es  schimpf- 
lich seyn  würde,  einen  so  treflichen  Tänzer  um  fünfzigtausend 
Livres  willen,  wegzulassen.  (Dieses  sind  Ihre  Ausdrüke,  und  ich 

1  Dauberval,  der  zu  Grunde  gerichtet  war,  drohete  seinen  Gläubigern  und 
dem  Publikum,  nach  Rußland  zu  gehen.  Madam  Du  Barry  ließ  sich's  einfallen 
ein  so  nüzliches  Sujet  nicht  wegzulassen.  Sie  fragte  ihn,  wie  viel  erfodert  würde' 
um  seine  Sachen  zu  berichtigen?  Er  sagte,  daß  er  50  000  Livres  darzu  vonnöthen 
hatte.  Diesem  zufolg  errichtete  sie  eine  Art  Kollekte  bey  Hof,  und  sie  Selbsten 
sammelte  die  Steuer  nach  eines  jeden  Vermögen  ein.  Man  durfte  nicht  weniger 
als  fünf  Lomsd'ors  einlegen,  allein  sie  forderte  bisweilen  10,  15,  20  bis  25.  Ver- 
mittelst dieser  Wendung  war  die  Summe  gar  bald  vollzählig,  und  das  Bedauren 
der  Liebhaber  legte  sich. 


428  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

würde  erröthen  selbige  zu  wiederholen,  wenn  man  bey  der  Ehre 
eines  Beyfalls,  wie  der  Ihrige,  bescheiden  seyn  könnte.)  Aber  das, 
was  einem  stärkern  Kopf  den  Schwindel  machen  könnte,  ist  Ihr 
Eifer,  den  ganzen  Hof  zur  Wiederherstellung  meiner  Glüksum- 
ständen  in  Kontribution  zu  sezen.  Sie  hätten  mich  sicher  einzig 
vom  Schiffbruch  retten  können.  Es  wäre  ein  Tropfen  Wasser 
aus  einem  grossen  Fluß,  hingegen  aber  meinem  Herzen  weit  sanf- 
ter gewesen,  nur  eine  einzige  Beschüzerin  zu  haben.  Wie  ?  was 
sage  ich!  Ich  habe  auch  in  der  That  nur  Eine,  und  Ihnen  muß 
ich  die  Gutthaten  so  vieler  erlauchten  Personen  verdanken.  Sie 
haben  wollen,  daß  weil  alle  meine  Bewunderer  seyn,  auch  alle 
zu  meiner  Beybehaltung  bey  tragen  sollen.  Sie  haben  eine  Kol- 
lekte errichtet,  und  Sie  schienen  Ihre  Thüre  nur  nach  Verhält- 
niß  des  Beytrags  zu  öfnen.  Das  war  eine  wirkliche  Auflage,  mit 
der  Sie  alle,  die  Ihnen  ihre  Aufwartung  machten,  beschwerten. 
Ehedem  ließ  Madam  la  Marquise  von  Pompadour,  dieses  rei- 
zende Frauenzimmer,  die  Ihnen  auf  der  glänzenden  Laufbahn, 
die  Sie  betretten,  vorgieng,  welche  die  Künste  verewigt  haben, 
weil  sie  sie  begünstigte  und  unterstüzte,  eine  Lotterie  für  Gel- 
liotte  errichten.1  Man  gab  Bälle  für  Granval,2  eine  Repräsen- 
tation für  Mole3.  Alles  grosse  Männer,  unendlich  weit  über 
mir,  sowohl  wegen  ihren  Talenten,  als  wegen. der  Vollkommen- 
heit zu  der  sie  selbige  gebracht  haben.  Sie  waren  bestimmt 
Madam,  mein  Verlust  als  ein  allgemeiner  Jammer  anzusehen, 
und  um  mich  zurükzuhalten,  Ihre  Zuflucht  zu  jener  ausser- 
ordentlichen Schazung  zu  nehmen,-  die  der  erhizte  Patriotis- 
mus sich  ereifert  um  die  Wette  zu  bezahlen.  Mich  mehr  denn 
jemals  ohne  alle  Ausnahm,  Ihren  Ergözlichkeiten  widmen,  ist 
die  einzige  Art,  wormit  ich  Ihnen  mein  Dank  bezeugen  kan. 
Ich  überlasse  es  denen  Gelehrten  und  Künstlern  Sie  würdiger  zu 

1  Ehemaliger  Opernsänger. 

2  Ehemaliger  Schauspieler  in  der  franz.  Komödie. 

3  Wirklicher  Schauspieler  in  der  franz.  Komödie. 


Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  429 

erheben.  Was  hat  das  Genie  nicht  von  einer  solchen  Schuzgöttin 
zu  erwarten,  wenn  sie  so  vieles  für  einen  Mann  nur  von  bloßen 
Naturgaben  thun,  der  sich  einzig  deswegen  empfihlt,  weil  er  das 
Glük  hat,  etwas  zu  Ihrem  Vergnügen  beyzutragen.  Die  Maler, 
Bildhauer-  und  Kupferstecherkunst  haben  sich  bereits  um  den 
Ruhm  gezankt,  dem  erstaunten  Europa,  die  verführerischen  Reize 
Ihres  Urbilds  zu  überreichen.   Schon  haben  die  Musen  Ihre 
Schläfe  mit  ihren  Kränzen  umwunden.  Schon  ist  der  Patriarch 
der  Litteratur,  der  König  unserer  Dichter  und  Philosophen,  der 
Alte  von  Ferney  zu  Ihren  Füssen  gekrochen;  und  hat  Ihnen  für 
seine  Persohn,  sowohl  die  Verehrungen  des  Parnaß  als  des  Porti- 
cus  gebracht.  Möchte  sein  Beyspiel  diejenigen  ermuntern,  die 
aus  lauter  Hochachtung  stum  waren!  Es  müsse  sich  ein  allge- 
meines Concert  zu  Ihrem  Ruhm  anheben,  und  der  den  Händen 
der  liebenswürdigen  Marquisin  entfallene  Zepter  der  Künsten 
und  der  Philosophie,  die  sie  noch  beweinen,  in  die  Ihrigen  über- 
gehen, und  selbige  in  Ihnen  eine  zwote  Minerva  schenken.  Ich 
bin  mit  der  allertiefsten  Ehrforcht. 

Dauberval. 


CXL.  Brief 
VON  DEM  DÜC  VON  NIVERNOIS* 

Paris,  den  12.  April  1774. 

Ich  habe  Frau  Gräfin  auf  Ihr  Anhalten  die  Fünf  und  zwanzig 
Neue  Louisd'ors,  die  Sie  mir  für  meinen  Antheil  an  der  Steuer 
begehrten,  die  Sie  für  Dauberval  sammeln,  nicht  abschlagen 
können.  Indessen  kan  ich  Ihnen  nicht  bergen,  daß  diese  kleine 

1  Madam  Du  Barry,  die  das  Gewicht  eines  Begehrens  von  dieser  Art  bey  einem 
solchen  Anlas  fühlte,  nahm  das  Memorial  mit  bestem  Willen  auf  sich.  Dieser  Edel- 
mann, der  ohne  die  feine  Wendung  seines  Wohlthäters  vergebens  geflehet  hätte, 
kehrt  nun  wieder  in  den  Schoos  seiner  Familie  zurük,  der  er  Freude  und  mehrere 
Gemächlichkeit  mitbrachte. 


430  Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

Summe  einem  armen  Edelmann,  der  ein  abgedankter  mit  Kin- 
dern gesegneter  Officier  ist,  und  seit  vielen  Jahren  um  ein  ge- 
ringes Gehalt  gebätten  hat,  gewiedmet  war.  Da  sie  ihm  die  kleine 
Beyhülfe,  die  ich  für  ihn  beyseits  legte,  entziehn,  so  liegt  es  Ihnen 
ob,  ihn  zu  entschädigen.  Ich  lege  sein  Memorial  meinem  Brief 
bey,  und  zweifle  keineswegs  Sie  werden  darvon  gerührt  werden, 
und  Ihre  bey  so  vielen  Anlässen  gezeigte  Menschenliebe,  werde 
Sie  dahin  bringen,  ihn  zu  unterstüzen  und  ihm  einen  erwünsch- 
ten Erfolg  zu  verschaffen. 

Ich  bin  etc.  Düc  von  Nivernois. 

CXLI.  Brief 
AN  DIE  MARQUISIN  VON  MONTRABLE 

Morgen  kan  ich  meine  liebe  Mamma  nicht  zu  Ihnen  kommen, 
wie  ich  es  Ihnen  versprochen  hatte.  Die  Situation  des  Königs  er- 
laubt es  mir  nicht  ihn  zu  verlassen.  Seit  dem  Tod  des  Marquis 
von  Chauvelin,  und  des  Marschall  von  Armentieres,  ist  Er  so 
schwermüthig,  daß  es  mir  viel  zu  schaffen  macht,  und  durch  die 
verwünschte  Predig  des  Abe  von  Beauvais  ist  sie  noch  vermehrt 
worden.  Wenn  es  von  mir  abgehangen  hätte,  so  hätten  Se.  Ma- 
jestät diese  Ohn Verschämtheit  bestraft.  Ich  habe  eine  Reise  nach 
Trianon1  vorgeschlagen.  Wir  werden  uns  alle  Mühe  geben,  das 

1  Eben  diese  unglükliche  Reise  nach  Trianon  brachte  dem  König  den  Tod. 
Mit  Bewunderung  und  heisser  Begierde  hatte  Er  die  Tochter  eines  Tischlers  ge- 
sehen. Mad.  Du  Barry  glaubte,  daß  wenn  sie  Ihm  Gelegenheit  machte,  seine  Be- 
gierde zu  befriedigen,  man  Ihm  vielleicht  sein  finsteres  Wesen  benehmen  könte. 
Diesem  zufolg  lies  man  dieses  junge  Mädgen  kommen,  das  man  aber  nicht  änderst 
als  durch  Drohungen  und  Versprechungen  eines  grossen  Vermögens  zum  Bey- 
schlaf  mit.  dem  König  bringen  konte.  Se  Majestät  hätten  des  zubereiteten  Ver- 
gnügens nicht  vollkommen  gemessen  können,  wenn  man  Ihm  nicht  mit  ausser- 
ordentlich stärkenden  Mitteln  aufgeholffen  hätte.  Dieser  Genuß,  war  für  beyde 
traurig.  Das  Mädgen  war  schon  von  den  Pokken  angestekt,  ohne  daß  sie  es  wußte, 
und  die  Symptomata  dieser  Krankheit,  zeigten  sich  am  folgenden  Morgen  mit 
vieler  Heftigkeit  bey  ihr,  so  daß  sie  am  dritten  Tag  daran  starb.  Da  das  Gift  auch 
den  König  ansteckte,  so  ward  Er  krank,  ohne  daß  man  noch  wissen  konnte,  was  Jür 
eine  Art  Krankheit  Er  hatte. 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  431 


Gemütli  des  Königs  zu  beruhigen,  und  Ihn  wieder  fröhlicher  zu 
machen.  Ich  werde  Sie  meine  liebe  Mamma,  besuchen,  so  bald 
ich  kam  Sie  kennen  alle  das  Vergnügen,  daß  ich  habe,  Ihnen  die 
Versicherungen  meiner  wahren  Ergebenheit  zu  erneuern. 

Gräfin  Du  Barry. 

CXLII.  Brief 

AN  DIE  MARQUISIN  VON  MONTRABLE 

Der  König,  meine  Hebe  Mamma,  hat  nun  ganz  zuverläßig  die 
Pokken.  Ich  hatte  alles  angewandt,  um  Ihn  zu  vermögen,  daß 
Er  in  Trianon  bleibe;  allein  la  Martiniere,  der  sich  die  Macht, 
die  Ihm  die  Schwachheit  des  Monarchen  gab,  zu  Nuze  machen 
wollte,  hat  Ihn  dahin  gebracht,  daß  Er  nach  Versailles  zurük- 
kehrt.  Ich  weiche  Ihm  nicht  vom  Bett  weg.  Sein  Zustand  dünkt 
mich  noch  nicht  gefährlich,  weil  Er  selbst  nicht  angegriffen  ist. 
Allein  in  seinem  Alter  können  sich  die  Sachen  alle  Augenblik 
ändern,  besonders  in  einer  Krankheit  von  solcher  Beschaffenheit. 
Ich  bin  so  glüklich  gewesen,  Ihm  Zutrauen  für  meinen  Arzt 
Bordeu  beyzubringen.  Dieser  besorgt  Ihn  hauptsächlich  nebst 
le  Monnier.  Man  wollte  Ihm  gleich  die  heil.  Sakramente  reichen; 
es  war  mir  aber  alles  daran  gelegen,  daß  es  nicht  geschehe.  Bor- 
deu hat  sich  sehr  widersezt,  und  es  ist  ihm  gelungen,  es  abzu- 
wenden, indem  er  sagte,  daß  dieser  Apparatus  für  die  Kranken 
öfters  von  traurigen  Folgen  wäre.  Leben  Sie  wohl  meine  liebe 
Mamma;  ich  verlasse  Sie,  um  wieder  zum  König  zu  gehen.  Ich 

Gräfin  Du  Barry. 

CXLIII.  Brief 

AN  DIE  MARQUISIN  VON  MONTRABLE 

Der  Streich  ist  versezt  meine  liebe,  Mamma,  der  König,  der 
sich  sehr  übel  befindet,  hat  der  Düchesse  von  Aiguillon  sagen 


432  Original- Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry 

lassen,  daß  es  Ihm  lieb  seyn  würde,  wenn  sie  mich  zu  Ihm  hin- 
führte. Diesem  zufolg  sind  wir  nach  Ruelle  abgegangen,  von  wo 
aus  ich  Ihnen  schreibe.  Se.  Majestät  hat,  bevor  Er  das  Viaticum 
empfieng,  sich  durch  den  Mund  seines  Geistlichen  erklärt,  daß 
es  Ihm  leid  seye,  seinen  Unterthanen  Aergerniß  gegeben  zu  ha- 
ben; daß  Er  hinfüro  nur  zur  Stüze  des  Glaubens,  der  Religion 
und  zum  Glük  seines  Volks  leben  wolle.  Um  die  Versprechungen 
eines  Sterbenden  soll  man  sich  nicht  bekümmern.  Sie  sind  alle 
gleich,  bis  sie  wieder  gesund  sind.  Wenn  der  König  so  glüklich 
ist,  so  bin  ich  versichert,  daß  sich  meine  Lage  nicht  verändert. 
Leben  Sie  wohl,  liebe  Mamma.    Ich  bin  etc. 

Gräfin  Du  Barry. 

N.  S.  Als  ich  diesen  Brief  an  Sie  abschiken  will,  vernehme  ich, 
daß  es  um  den  Kranken  nicht  mehr  so  gefährlich  steht. 


CXLIV.  Brief 
AN  DIE  VORIGE 

Ich  fange  an,  meine  liebe  Mamma,  von  der  Situation  des  Kö- 
nigs übel  zu  urtheilen.  Gestern  waren  die  Besuche  den  ganzen 
Tag  ohne  Unterlaß,  heute  habe  ich  blos  zween  empfangen.  Über- 
das  hat  Abe  Terray,  von  dem  ich  dreymal  hundert  tausend  Livres 
begehrte,  mir  selbige  trozig  abgeschlagen.  Wenn  der  König  wie- 
der aufkömmt,  so  werde  ich  für  diese  Ohnverschämtheit  Genng- 
thuung  verlangen.  —  Ich  höre  eine  Kutsche,  ich  will  sehen,  was 
es  ist. 

Es  ist  geschehen,  meine  theure  Mamma.  Der  König  ist  nicht 
mehr.  Dieser  garstige  Düc  de  la  Vrilliere  ist  gekommen,  mir's 
anzusagen,  und  mir  einen  Befehlsbrief  einzuhändigen,  der  mich 


Original-Briefe  der  Frau  Gräfin  Du  Barry  433 

in  das  Kloster  von  Pontaux-Dames  bey  Meaux1  verweißt.  Ich 
bin  ihm  mit  dem  grösten  Stolz  begegnet.  Dieser  Ohnverschämte, 
der  gestern  noch  kriechend  vor  mich  kam,  scheint  heute  über 
meine  Ungnade  zu  triumphieren.  Ich  bin  über  den  Aufenthalt, 
zu  dem  ich  verurtheilt  bin,  ausser  mir,  noch  mehr  aber  über  die 
Art,  wie  ich  darinnen  leben  soll.  Man  erlaubt  mir  nicht  mehr  als 
eine  einzige  Kammerfrau;  ich  darf  niemand  sehen,  und  von 
niemand  keine  Briefe  annehmen  oder  abschiken,  die  Superiorin 
habe  sie  dann  gesehen.  Ich  habe  nach  meinem  Sachwalter  ge- 
schikt,  um  ihm  Befehle  zu  geben,  über  die  er  Ihnen  Bericht  ge- 
ben muß.  Wachen  Sie,  ich  bitte  Sie,  über  das  was  er  thut,  u  nd 
daß  man  mich  so  wenig  als  möglich  plündere.  Ich  werde  Ihnen 
schreiben,  wenn  ich  kan,  sobald  ich  in  jenem  Kerker  bin.  Gott 
erhalte  Sie,  meine  liebe  Mamma ;  ich  habe  so  viele  Vorkehrungen 
zu  treffen,  und  bin  so  voller  Zorn,  daß  ich  förchte,  ich  werde 
abreisen,  ohne  an  etwas  denken  zu  können. 

Gräfin  Du  Barry. 

Bis  hieher  geht  im  französischen  Original  die  Sammlung  der 
Briefen  der  Madam  Du  Barry.  Es  heißt  in  selbigem,  daß  dem 
Verfasser  noch  eint  und  andere  Briefe  seit  ihrer  Verweisung  zu 
Händen  gekommen  seyen;  allein  da  sie  nur  häusliche  Angele- 
genheiten enthielten,  wären  sie  des  Druks  ohnwürdig  erachtet 
worden. 

1  Madam  Dii  Barry  war  über  den  Verweisungsbefehl  wie  vom  Bliz  getroffen. 
Sie  rief  mit  ihrer  anerbohrnen  Energie  aus :  „Die  hübsche  Scheiß-Regierung,  die 
mit  einem  Verweisungsbrief  anfängt."  Sie  machte  dem  Düc  de  la  Vrilliere  die 
derbsten  Verweise,  daß  er  diese  Kommißion  übernommen  habe,  und  behandelte  ihn 
mit  der  äussersten  Verachtung.  Der  Verweis ungsbrief  war  indessen  nicht  hart. 
Madam  Du  Barry  wußte  das  Staatsgeheimniß,  und  es  war  klug  gehandelt,  zu  ver- 
hüten, daß  ein  so  leichtsinniges  Frauenzimmer  selbiges  nicht  ausbriefe.  Per  König 
sagte  in  diesem  Brief,  daß  Ihn  Staatsgründe  nöthigten,  ihr  zu  befehlen,  sich  ins 
Kloster  zu  verfügen;  daß  Ihm  die  Gewogenheit,  wormit  sie  von  seinem  Großvater 
beehrt  worden  seye,  wohl  bekannt  wäre,  und  daß  man  bey  nächstem  darauf  be- 
dacht seyn  werde,  ihre  Entfernung  zu  lindern,  und  ihr  ein  anständiges  Gehalt  zu 
geben,  wenn  ihre  Situation  es  erfodere. 

I-  28 


D 


ANMERKUNGEN 

ie  Compilation  der  Chronique  Scandaleuse,  deren  erster  Band  im  Jahre  1783 
erschien,  hat  einen  davongelaufenen  Benediktiner  zum  Verfasser,  Guillaume 
Imbert  aus  Bordeaux.  Er  lebte  in  Paris,  wo  er  hörte,  was  man  erzählte:  all- 
wöchentlich schickte  er,  was  er  zusammengebracht  hatte,  nach  Neuwied,  wo  man 
es  unter  dem  Titel  Correspondance  secxete,  politique  et  litteraire  druckte;  es 
oab  52  Hefte  im  Jahr.  Diese  Correspondance  sollten  die  Nouvelles  ä  la  main 
Bachaumonts  ersetzen,  die  sehr  schwer  nach  Frankreich  zu  bringen  waren.  Immer- 
hin saß  auch  Imbert  des  öfteren  in  der  Bastille.  Er  hat  seine  Heftchen  gesammelt, 
die  in  achtzehn  Bänden  bis  zum  Jahre  1784  reichten;  die  Heftchen  setzte  er 
fort  bis  zum  Jahre  1793.  Aus  der  Masse  dieser  Bände  wählte  er  selbst  eine  Zu- 
sammenstellung in  einem  Bande  aus,  der  1783  erschien,  und  der  sich  in  den  fol- 
genden Jahren  mehrte  bis  auf  fünf  Bände  im  Jahre  1791.  Aus  diesen  fünf  Bänden 
ist  im  vorliegenden  Texte  eine  Auswahl  getroffen  worden.  Die  Übersetzung 
besorgte  F.  Neufeld. 

Die  Chronique  Aretine,  ou  recherches  pour  servir  ä  l'histoire  de  la  generation 
presente,  erschien  unter  dem  fingierten  Druckort  Capree  in  Paris  1789.  Es  blieb 
bei  dem  einen  Hefte;  die  an  dessen  Schluß  angekündigte  Fortsetzung  ist  nie 
erschienen.    Der  Verfasser  blieb  unbekannt. 

Der  Gazetier  cuirasse,  ou  anecdotes  scandaleuses  de  la  cour  de  France  im- 
prime  ä  cent  lieus  de  la  Bastille  ä  l'enseigne  de  la  liberte,  erschien  1771.    Ver- 
fasser ist  Charles  Thevenot  der  sich  Chevalier  de  Morande  nannte;  er  saß  wegen 
Diebstahls  einer  goldenen  Tabatiere  —  er  stahl  sie  in  einem  Freudenhaus  —  im 
Gefängnis.    Er  stahl  auch  nachher  noch  öfter  und  floh  nach  England.   Hier  ver- 
öffentlichte  er  den  Gepanzerten  Gazetier,   ein  Pamphlet  gegen   die  Dubarry, 
den  Kanzler  Maupeou  und  den  Grafen  Saint-Florentin,  geherzogten  Vrilliere. 
Louis  XV.  kapitulierte  vor  dem  Revolvermann.  Thevenot  ist  der  erste  französische 
Journalist,  der  mit  seinem  Gewerbe  Erpressung  trieb.    Holländische  und  eng- 
lische Journalisten  waren  die  ersten,  die  mit  dem  Opfer  ihrer  Angriffe  vor  der 
Veröffentlichung  verhandelten.    Von  den  180  Seiten  des  Thevenotschen  Pam- 
phletes gehen  100  auf  die  Dubarry,  worin  Wahres  mit  Legendärem  und  frei 
Erfundenem  abwechseln.    Als  etwas  später  Thevenot  der  Komtesse  ein  neues 
Libell  gleicher  Gattung  zu  schreiben  ankündigte,  beeilte  sich  die  Dubarry,  es  um 
jeden  Preis  anzukaufen.    Mme  Roland    sah    den  Journalisten  in  England  und 
schreibt  über  ihn:  „Morande  a  ete  l'auteur  du  Gazetier  cuirasse  et  d'un  autre 
ouvrage  contre  madame  du  Barry.    II  connait  beaueoup  les  grands  et  les  filles 
et  dit  que  tous  ces  gens-lä  sont  faits  pour  aller  ensemble,  et  lui-meme  a  grosse 
figure  et  gros  cou,  donnant  des  coups  de  patte  tres  serres,  se  moquant  de  tout, 
parait  aussi  assez  propre  ä  faire  bände  avec  eux."   Für  das  zweite  angekündigte 
Libell,  das  schon  gedruckt  war,  zahlte  die  Dubarry  dem  Verfasser  32  000  Livres 


Anmerkungen  *■,  r 

und  eine  Pension  von  4800  Livres.    Die  Exemplare  wurden  bis  auf  eines  ver- 
nichtet, das  durchschnitten  und  zu  einem  Teü  der  Dubarry  ausgeliefert  wurde 
zum   andern   der   Verfasser   behielt.    Pidansat  de   Mairobert,  ein   Konkurrent 
des  Gazetier  cuirasse,-war  so  sehr  erbost  über  das  gelungene  Geschäft  Theve- 
nots,  daß  er  ihn  heftigst  angriff  und  sehr  genau  alle  Stellen  des   Buches  ko- 
pierte und  in  seinem  Espion  abdruckte,  also  eine  billige  Ausgabe  davon  machte. 
Er  gibt  im  ,Diable  dam  un  benitier'  dieses  Porträt  von  Thevenot:   „Imaginez' 
lecteur,  une  face  large  et  plate,  dont  les  traits  sont  formes  avec  une  graisse  livide 
et  flottante,  des  yeux  couverts  et  hagards  exprimant  la  frayeur  et  la  perfidie, 
un  nez  aplati,  des  nazeaux  larges  et  soyeux,  qui  semblent  respirer  la  luxure  la 
plus  effrontee.   On  sait,  qu'il  ecrivait  sans  esprit  et  sans  ordre  le  G.  C.  ouvrage 
dont  une  dame  de  Courcelles,  avec  laquelle  il  est  encore  en  correspondance' 
lui  fourmt  les  anecdotes.    Cette  rapsodie  etait  si  degoutante  qu'elle  ne  rapporta 
presque  rien  ä  son  auteur.   Mais  la  comtesse  ayant  par  un  de  ces  jeux  de  la  for- 
tune,  qui  ne  sont  par  rares  en  France,  partage  la  couche  de  l'imbecile  Louis,  le 
gazetier  recueillit  quelques  anecdotes  dont  ü  composa  un  volume  qu'il  vendit 
plus  d'argent  que  Rousseau  n'en  a  jamais  retire  de  tous  ses  ouvrages."   Es  war 
am  Todestage  des   Königs,   daß  Beaumarchais  nach  London  mit  dem  Gelde 
für  Thevenot  kam.   Dieser  diente  dann  irgendwie  in  der  französischen  Polizei 
und  wurde  1792  guillotiniert. 

Die  unter  dem  Titel  „Aus  den  kleinen  Memoiren"  zusammengestellten  Ar- 
tikel sind  den  Memoirenwerken  von  Bachaumont,  Pidansat  de  Mairobert,  Moufle 
d'Angerville,  d'Argenson,  Chamfort  und  anderen  entnommen. 

Anm.  1.    Die  Familie  Vestris  stammte  aus  Italien;  sie  bestand,  als  sie  sich  um 
1749  m  Paris  niederließen,  aus  den  Eltern,  den  Söhnen  Angiolo,  Francesco,  Jean 
Baptiste,  Gaetano,  den  Töchtern  Teresina  und  Violante.  „Die  Familie  Vestris 
lebt  m  der  allerzärtlichsten  Einheit.    Während  die  schöne  Teresina  Vestris  mit 
ihrem  Liebhaber  für  Geld  schläft,  betet  die  Mutter  fromm  wie  eine  Heilige 
im  Nebenzimmer  ihren  Rosenkranz;  ihr  Bruder  Jean  Baptiste,  den  man  den 
Koch  nennt,  bereitet  das  Essen,  das  Gaetano,  Angiolo,  Francesco,  Teresina  mit 
ihrem   Liebhaber,   Violante  mit  dem  ihren  in  größter  Eintracht  verzehren  " 
(Grimm,  Corr.  Lit.,  Tome  VIII,  S.  262.)    Wenn  Gaetano  und  Teresina  in  der 
Oper  tanzten,  war  immer  die  ganze  Familie  Vestris  im  Parkett,  um  den  Beifall 
anzufeuern.  Hier  rief  einmal  der  Bruder  Koch:  „Gaetano  est  le  dieu  de  la  danse« 
und  das  Wort  blieb  dem  vergötterten,  insolenten  Tänzer,  von  dem  man  als  dem 
„homme  ä  la  belle  Jambe"  sprach,  welches  Bein  er  einmal  königlich  auf  offener 
Szene  einem  begeisterten  jungen  Balletteleven  zum  Küssen  hinstreckte.   Gaetano 
sagte:    „Es  gibt  nur  drei  große  Männer  in  Europa,  den  König  von  Preußen 
Herrn  von  Voltaire  und  mich.«  Ein  anderes  Mal:  „Glauben  Sie  mir,  es  ist  nicht 
alles  rosig  in  meinem  Beruf.   Manchmal  möchte  ich  wirklich  mit  einem  einfachen 
Kavallenekapitän  tauschen.«    Außer  Gaetano,  der  mit  seiner  Schwester  in  der 
Oper  tanzte,  war  sein  Bruder  Angiolo  nach  einem  längeren  Engagement  bei  Karl 

28* 


43  6  Anmerkungen 

Eugen  von  Württemberg  in  der  Comedie  Italienne  als  Tänzer  berühmt;  dessen 
Frau  spielte  Tragödie  in  der  Comedie  Francaise.  Ein  Sohn,  den  Gaetano  mit 
Mlle  Allard  hatte,  debütierte  12 jährig  im  Jahre  1772  in  der  Academie  Royale 
de  musique  als  Tänzer,  wo  ihn  sein  Vater  mit  großartigen  Worten  dem  Publikum 
vorstellte  und  zu  seinem  Sohne  sagte:  „Allons,  mon  fils,  montrez  votre  talent 
au  public,  votre  pere  vous  regarde."  (Grimm,  Tome  XII,  S.  234  Anm.)  Der 
„Diou  de  la  danse"  wußte  sich  beim  Ballettkorps  und  besonders  bei  den  Damen 
durch  seine  große  Grobheit  in  Respekt  zu  halten.  —  Mlle  Heinel  war  aus  Bayreuth 
(geb.  1753)  und  debütierte  in  Paris  1768  mit  großem  Erfolg,  d<r  ihr  auch  in  der 
Libertinage  treu  blieb.  Trotz  ihrer  Dummheit.  Als  sie  ein  Verhältnis  mit  dem 
Prinzen  Conti  hatte,  fragte  sie  einmal  die  wegen  ihres  Witzes  berühmte  Arnould, 
weshalb  sie  so  traurig  und  ob  sie  mit  dem  Prinzen  nicht  zufrieden  sei.  „Non, 
mon  amie,"  sagte  die  Heinel,  „je  ne  veux  plus  de  commerce  avec  lui,  il  m'a  joue 
un  tour  perfide.  Imaginez  vous,  qu'il  a  voulu  en  user  avec  moi  d'une  maniere 
forte  extraordinaire;  enfin  comme  on  se  sert  ä  Rome  des  petits  .  .  .  vous  jugez 
bien  que  j'ai  du  souffrir  des  douleurs  affreuses.  —  Ah!  ma  pauvre  enfant,  reprit 
Mlle  Arnould,  j'entre  dans  ta  peine,  et  je  ne  doute  pas  que  cela  n'ait  ete  tres 
difficile,  car  on  est  jamais  si  petit  qu'aupres  des  grands."  (Metra,  Corr.  Secr., 
Tome  I,  S.  35.)  Aber  sie  muß  sich  daran  gewöhnt  haben,  denn  das  Verhältnis 
mit  Conti  dauerte  bis  1771.  Man  nannte  die  Heinel  die  , reine  de  la  danse',  und 
der  ,diou'  wurde  eifersüchtig.  Er  beschimpfte  sie  vor  allen  Leuten,  wenn  sie  Er- 
folg hatte.  Nannte  sie  eine  Hure.  Als  sich  die  Heinel  bei  ihrer  Freundin  Arnould 
darüber  beschwerte,  tröstete  die  sie:  „Was  willst  du,  meine  Liebe,  die  Leute  sind 
heute  so  grob,  daß  sie  die  Dinge  bei  ihrem  Namen  nennen."  Vestris  wollte  nicht 
mehr  zusammen  mit  der  Heinel  auftreten,  es  gab  Parteien  im  Publikum,  die  Oper 
war  in  Aufruhr :  da  reiste  Mlle  Heinel  nach  London  tanzen,  um  im  nächsten  Jahr 
zurückzukommen.  Vestris  hat  sie  übrigens  nicht  jetzt  geheiratet;  die  beiden  lebten 
zusammen  und  heirateten  erst  1792,  um  einen  Sohn  zu  legitimieren,  der  ein 
Jahr  vorher  auf  die  Welt  gekommen  war.  Gaetano  starb  79 jährig  1808,  einige 
Monate  vorher  war  Mlle  Heinel  gestorben.  Über  die  Familie:  Gaston  Capon, 
Les  Vestris,  1730 — 1808.    Paris,  Mercure  de  France  1908. 

Anm.  2.  Bachaumont  spricht  in  den  Memoires  Secr.  von  Fierville  als  einem 
Schauspieler,  der  mit  einer  Truppe  und  als  deren  Direktor  1768  aus  Berlin  ge- 
kommen sei.    Er  rühmt  sein  großes  Talent  und  stellte  es  über  das  des  Lekain. 

Anm.  3.  In  einem  seiner  Romane  läßt  Andrea  de  Nerciat  eine  Mme  de  Con- 
banal  auf  einem  elektrischen  Bett  sterben,  und  sagt  von  dem  Bett:  es  sei  eine  Nach- 
ahmung jenes  berühmten  Bettes  des  Doktor  Graham.  Les  Aphrodites,  1793, 
T.  III,  p.  115,  Anm. 

Anm.  4.  Poinsinet  de  Sivry  schrieb  kleine  Theaterstücke  und  war  das  immer 
hereinfallende  Opfer  vieler  Streiche  seiner  Freunde.  Casanova  erzählt  von  ihm 
und  der  Komtesse  Limore  ein  Abenteuer,  das  in  Neapel  passierte  (Band  5, 
Kap.  11). 


Anmerkungen  aij 

Anm.  5.  Der  Chevalier  de  Mouhy  war  ein  sehr  fruchtbarer  Schriftsteller  in 
der  Art  seines  Freundes,  des  Chevalier  de  la  Morliere.  Seine  lesbarste  Erzählung 
,La  Mouche'  (1736)  hat  man  damals  unter  dem  Titel  ,Der  Spion*  auch  ins  Deutsche 
übersetzt.  Rivarol  macht  sich  in  seinem  Almanach  des  grands  hommes  über  Mouhy 
lustig,  und  der  Kritiker  Palissot  nennt  ihn  den  „fruchtbarsten  und  langweiligsten 
Schriftsteller"  Er  war  ein  armer  Teufel,  hinkte  und  hatte  einen  Buckel.  Er  pumpte 
mit  Erfolg  Voltaire  an  und  starb  1784  im  Alter  von  83  Jahren.  Er  trug  immer 
Bücher  von  sich  für  gelegentliche  Käufer  in  der  Tasche  und  ließ  sein  Porträt 
stechen,  auf  dem  er  sich  als  Kavallerieleutnant  darstellte. 

Anm.  6.  Der  Polizeiinspektor  Receveur  wurde  1774  nach  London  geschickt, 
um  von  dort  den  Verfasser  des  Gazetier  cuirasse,  Thevenot  de  Morande,  nach 
Frankreich  zurückzubringen,  was  aber  nicht  gelang. 

Anm.  7.  Les  petits  soupers  et  les  nuits  de  l'hötel  Bouillon,  Lettre  de  Milord  ••• 
ä  Milord  ***,  1783,  ist  eine  Satire  auf  die  Prinzessin  von  Bouillon  und  den  Mar- 
quis de  Castries.  Der  Verfasser  ist  der  Marquis  de  Pellepore. 

Anm.  8.    Der  Schauspieler  Dugazon  von  der  Comedie  war  ein  Bruder  der 
Mme  Vestris,  der  Gattin  Angiolos,  die  sich  1775  trennten.  Dieser  seiner  Schwester 
dankt  er  sein  Engagement.  Von  ihm  ist  auch  in  der  Chronique  Aretine  die  Rede. 
Seine  Frau  kreierte  die  Soubretten  im  Theätre  italien.  Die  Memoires  secrets  be- 
richten unterm  2.  April  1784  von  einem  unangenehmen  Abenteuer,  das  Mme 
Dugazon  mit  dem  älteren  Herrn  Astley  bestand  und  das  in  zwei  Nächten  erfolgte, 
die  sich  Herr  Asteley  bei  Madame  kaufte.  „II  lui  a  fait  courir  vingt-deux  postes! 
'aurait  ete  surcroit  de  plaisir,  si  le  cavalier,  monstrueusement  conforme,  ne  lui 
eut  fait  prendre  un  ecart  terrible  et  renouvele  une  descente  de  matrice  qu'elle 
avait  autrefois  eue:  en  Sorte  qu'elle  dans  le  cas  ou  eile  guerirait,  ne  pouvait  faire 
le  moindre  effort,  Sans  craindre  un  pareil  accident.  Le  sieur  Dugazon,  son  mari, 
est  le  premier  ä  conter  l'aventure  dans  les  foyers  et  dans  les  cercles;  il  en  plai- 
sante,  il  dit  que  sa  femme  est  une  gourmande  qui  avale  les  morceaux  trop  gros." 
Anm.  9.    Die  Marchande  de  modes,  Mlle  Marguerite  Stock,  heiratete  einen 
Capitaine  general  des  Fermes,  M.  Gourdan,  und  errichtete   bald  nach   dessen 
Tod  1759  ein  sehr  besuchtes  öffentliches  Haus.  Sie  schickte  eine  Mlle  Martin 
dem  Grafen  Dubarry  auf  Rechnung  des  Herzogs  von  Richelieu  und  legte  damit 
den  Grundstein  zu  Ruhm  und  Vermögen.  Sie  vermittelte  sowohl  für  Männer  wie 
für  Frauen.  Sie  war  einige  Male  eingesperrt.  Ein  Journalist,  Pidansat  de  Mairobert, 
hat  ihr  luxuriöses  Etablissement  besucht  und  beschrieben  (L'Espion  anglais,  1776, 
T.  II,  p.  402—418).   Sie  starb   1783.   Die  Dubuisson,  wie  sich  Mme  Francoise 
Bailot  nannte,  hatte  besonders  eine  klerikale  Klientel;  die  Aufmerksamkeit  der 
Polizei  genoß  sie  aber  weniger  deshalb,  als  der  hohen  Spiele  wegen,  die  bei  ihr 
gehalten  wurden. 

Anm.  10.  Catherine-Rosalie  Gerard,  genannt  Duthe,  war  Surnummeraire  im 
Ballettchor  der  Oper,  die  eine  Art  Asyl  war,  ein  „brevet  d'emancipation  accorde 
ä  toute  fille  innocente,  voulant  vivre  dans  l'independance  et  sans  etre  chargee  ä 


438  Anmerkungen 

ses  parents".  Die  Duthe  hatte  gewissermaßen  offizielle  Missionen.  Als  der  junge 
König  Christian  VIIL  nach  Paris  kam,  war  Rosalie  ein  Programmpunkt.  In  ihren 
Memoiren  sagt  sie  darüber :  „Je  fus  discrete  touchant  l'honneur'  qui  m'etait  fait." 
Der  Herzog  von  Orleans  suchte  für  seinen  sechzehnjährigen  Sohn,  den  Herzog 
von  Chartres,  in  erster  väterlicher  Sorge,  eine  Mätresse  (Mme  de  Genlis,  Souven.) 
und  gab  ihm  die  Duthe.  Viel  später  ließ  sich  die  Duthe  diese  ihre  Talente,  junge 
Herren  von  Rang  in  die  Liebe  einzuführen,  vom  Herzog  von  Orleans  bestätigen. 
Sie  konnte  ihre  Zertifikate  zeigen.  Als  der  Prinz  Conde  seinen  fünzehnjährigen 
Sohn,  den  Herzog  Bourbon,  verheiraten  wollte  und  ihm  wichtig  war,  „qu'il  ne 
fut  etranger  ä  rien,"  wandte  er  sich  an  die  Duthe,  die  bemerkte:  „Monseigneur, 
Sie  lassen  ihn  sehr  jung  debütieren,"  worauf  der  künftige  General  der  Emigranten 
sagte:  „Oui,  sans  doute,  si  on  abandonnait  ä  lui-meme;  mais  sous  ma  surveillance 
et  avec  de  bons  procedes  .  . .",  worauf  die  Duthe  in  ihren  Memoiren  fortfährt: 
„Je  souris,  et  ma  reponse  prouva  au  prince  mon  profond  devouement  et  ma  sou- 
mission  extreme  ä  tout  ce  qui  viendrait  de  sa  part.  J'ai  toujours  ete  royaliste, 
j'ai  toujours  aime  les  Bourbons  d'abord  ä  cause  de  leur  qualites,  puis  par  recon- 
naisance,  enfin  parce  que  je  ne  leur  suis  pas  etrangere."  In  den  Polizeiberichten 
ist  von  Mlle  Duthe  sehr  häufig  die  Rede. 

Anm.  II.    Über  die  Gourdan  siehe  Anm.  9. 

Anm.  12.  Palissot  de  Montenoy  (1730 — 1814)  machte  sich  in  einem  satirischen 
Lustspiel  mit  wenig  Witz  über  Rousseau  lustig  und  glaubte  die  Angriffe  der  Enzy- 
klopädisten, die  ihm  das  eintrug,  mit  einem  anderen  Lustspiel  „Les  Philosophes" 
auf  die  Mühle  seines  Ruhmes  leiten  zu  können.  —  Der  Abbe  de  Voisenon  (1708 
bis  1775)  schickte  als  elfjähriger  Junge  an  Voltaire  eine  gereimte  Epistel  und  be- 
kam zur  Antwort:  „Vous  aimez  les  vers;  je  vous  le  predis,  vous  en  ferez  de  char- 
mants.  Soyez  mon  eleve  et  venez  me  voir."  Ein  witziger  Herr,  der  bald  sein  Glück 
in  den  Salons  machte.  Der  Prinz  vonPolignac  nannte  ihn  „petite  poignee  de  puces". 
Ein  Duell,  das  für  seinen  Gegner  schlimm  ausging,  machte  ihn  nachdenklich  und 
führte  ihn  ins  Seminar.  Er  wurde  Vikar  beim  Bischof  von  Pologne  und  hätte,  so 
beliebt  war  er  bei  der  Gemeinde,  dessen  Nachfolger  werden  können,  aber  er  kam 
beim  Kardinal  Fleury  doch  nicht  um  den  Bischofsstab  ein,  denn  „wie  wollt  ihr," 
sagte  er  zu  seiner  Gemeinde,  „daß  ich  euch  leite,  wo  ich  mich  mit  Mühe  selber 
leiten  kann".  Er  blieb  Abbe  und  zog  nach  Paris,  wo  er  ebenso  im  Salon  der  Mme 
Chätelet  verkehrte  wie  bei  der  Mlle  Quinault,  bei  der  es  etwas  freier  herging.  Und 
schrieb  seine  leichten  Geschichten  und  kleinen  Komödien.  Casanova  stellte  seinem 
Geiste  und  seiner  Liebenswürdigkeit  das  beste  Zeugnis  aus.  Seine  Schriften  er- 
schienen 1781  in  fünf  Banaen  gesammelt  und  wurden  viel  nach-  und  neugedruckt. 
Am  bekanntesten  ist  die  Geschichte  „Tant  mieux  pour  eile" ;  am  lesenswertesten 
seine  „Anecdotes  litteraires",  die  den  5.  Band  seiner  Oeuvres  complets  bilden. 

Anm.  13.  Marmontel  (1723 — 1800)  war  ein  vielfach  und  mit  Erfolg  tätiger 
Literat,  dessen  Memoiren  allein  heute  noch  lesbar  sind,  da  sie  angenehm  erzählen 
und  von  vielem  aus  der  Zeit  berichten. 


Anmerkungen  aiq 

Anm.  14.  Der  Herzog  von  Bouillon  gab  für  die  Tänzerin  La  Guerre  800  000 
Livres  aus  und  sagte,  als  man  ihm  das  vorhielt,  daß  er  lieber  bei  seiner  Freundin 
schlafe  als  bei  der  Königin  selber.  Er  mußte  ins  Exil,  als  er  das  in  Versailles  wie- 
derholte. 

Anm.  15.  Die  Memoires  Secrets  berichten  unterm  19.  Dezember  1781  vom 
Debüt  der  Mlle  Longeau  als  Klytämnestra  in  Glucks  Iphigenie  in  Aulis.  L'habi- 
tude  de  jouer  les  roles  d'amoureuses,  sagt  Bachaumont,  a  pu  lui  nuire  dans  celui 
de  Clytemnestre. 

Anm.  16.  Siehe  die  Memoires  de  la  Comtesse  de  la  Motte- Valois. 
^  Anm.  17.  Mlle  Fanier  von  der  Comedie  Francaise  hatte  „le  nez  retrousse 
d'une  suivante  fine,  exercee,  et  faite  pour  tromper  a  la  fois  trois  ou  quatre  amants" 
Bachaumont,  Mem.  Secr.  7.  Okt.  1767.  „On  assure,  que  la  petite  Fanier  est 
en  partie  cause  des  nouvelles  douleurs  de  goutte  dont  le  duc  de  Duras  est  attaque 
depuis  peu"  Rapports  de  Police,  4.  Januar  1765. 

Anm.  18  La  Rive  war  der  Lieblingsschüler  der  Clairon.  Der  Schauspieler 
Florence  war  als  Komödiant  weniger  berühmt  als  als  Liebhaber  der  Mlle  Arnould. 
Siehe  Mem.  Secr.,  26.  August  1781. 

Anm.  19.  Der  „berühmte"  Abbe  Beaudeau  gehörte  zur  Partei  der  von  Quesnay 
und  dem  älteren  Mirabeau  ausgehenden  Partei  der  Ökonomisten;  er  verfaßte, 
wie  noch  einige  andere,  eine  Gegenschrift  gegen  Galianis  Dialogues  sur  le  commerce 
des  bleds.  Vgl.  Galiani,  Correspondance,  passim. 

Anm.  20.  Von  Maurepas  verdient  seine  Definition  des  Autors  auf  die  Heutigen 
zu  kommen:  „Der  Autor  ist  ein  Mensch,  der  aus  den  Büchern  alles  nimmt,  was 
ihm  durch  den  Kopf  geht."  Maurepas  war  der  typische  Politiker  des  ancien  regime : 
geschickt,  geistreich,  frivol,  mokant,  ohne  jeden  Glauben  an  Dinge  oder  Personen. 
Anm.  zi.  Bei  der  schmutzigen  Geschichte  der  Präsidentin  D***  handelt  es 
sich  wahrscheinlich  um  jene  Madame  d'Oppy,  die  Frau  eines  hohen  Magistrates 
von  Douai,  welche  in  den  Bordellen  der  Gou/dan  und  anderer  Befriedigung  ihrer 
starken  Appetite  suchte.  Der  Gatte  überraschte  sie  einmal  hier  und  Heß  sie  wegen 
Ehebruchs  einsperren.  Auch  die  Kupplerinnen  wurden  verklagt  und  bis  auf  die 
Gourdan,  die  sich  hoher  Protektion  erfreute,  verurteilt  zur  Eselpromenade:  die 
Verurteilte  mußte  verkehrt  auf  einem  Esel  sitzend  und  mit  dem  Plakat  „Maqua- 
relle"  auf  der  Brust  durch  die  Stadt  reiten.  Die  Kupplerin  Montigny  kaufte  sich 
von  dieser  Strafe  mit  300  000  Livres  los,  was  ihren  Ruin  bedeutete. 

Anm.  22.  Im  Jahre  1730  verführte  der  Jesuitenpater  Girard  ein  Fräulein 
von  Cadiere  unter  Mißbrauch  ihrer  religiösen  Schwärmerei.  Aus  diesem  Anlaß 
schrieb  der  Marquis  d'Argens,  der  Freund  Friedrich  des  Großen,  die  „Therese 
Philosophe  ou  Memoires  pour  servir  ä  l'histoire  de  Docteur  Dirrag  et  de  Mlle 
Eradice  (2  parts,  avec  14  estampes  obscens.  A  la  Haye  1748),  ein  oft  gedrucktes 
pornographisches  Machwerk,  um  das  es  eine  ganze  Literatur  gibt. 

Anm.  23.  Mem.  Secr.,  11.  Juli  1774:  „La  vice  des  Tribades  devient  fort  ä  la 
mode  parmi  nos  demoiselles  d'opera:  elles  n'en  fönt  point  mystere  et  traitent 


44°  Anmerkungen 

de  gentillesse  cette  peccadille.  La  Dem.  Arnould,  quoique  ayant  fait  ses  preuves 
dans  un  autre  genre,  puis  qu'elle  a  plusieurs  enfants,  sur  le  retour,  donne  dans 
ce  plaisir;  eile  avait  une  autre  fille  nommee  Virginie,  dont  eile  se  servait  a  cet 
usage.  Celle-ci  a  change  de  condition,  et  est  passee  ä  Mlle  Raucourt  de  la  Comedie 
Francaise,  qui  raffole  de  son  sexe  et  a  renonce  au  Marquis  de  Bievre  pour  s'y 
livrer  plus  ä  son  aise."  —  „Mlle  Raucourt,  amant  de  Mlle  Arnould,  lui  ecrit 
la  lettre  la  plus  pressante  pour  engager  a  venir  passer  une  nuit  avec  eile.  Je  ne 
le  puis,  repond  Mlle  Arnould,  j'ai  des  affaires  cette  semaine,  et  vous  savez  qu'une 
nuit  de  bonheur  me  condamne  ä  huit  jours  de  repos"  (Almanach  des  honnetes 
femmes  pour  l'annee  1790).  In  einem  Pamphlet  Suite  de  la  vision  du  Prophete 
Daniel  (1780)  ist  die  Raucourt  die  „Große  Babylonische".  Über  einen  wohl  von 
Pamphletisten  erfundenen  Klub  der  „Anandrynes"  berichtet  ausführlich  Pidansat 
de  Mairobert  in  seinem  Espion  anglais  (1784,  T.  X). 

Anm.  24.  Nach  den  Mem.  Secr.  (5.  März  1785)  sagte  die  Rosalie:  „Ja,  so 
angenehm  wie  ein  Kamm  ist  es  nicht."  Über  diese  Rosalie:  Journal  des  Inspec- 
teurs,  p.  155.  Eine  andere  Mlle  Rosalie  war  Sängerin  an  der  Oper;  von  ihr 
berichtet  1772  die  Polizei,  daß  der  Graf  Georg  Adam  von  Starhemberg,  Ge- 
sandter des  Kaisers,  ihr  monatlich  1000  Taler  gebe,  sich  ein  baignoire  in  der 
Oper  habe  machen  lassen,  um  sie  immer  bequem  sehen  zu  können,  daß  sie  aber 
immer  noch  den  Herrn  Baroy  zum  Greluchon  habe.  Diese  Rosalie  heiratete  später 
den  Grafen  Mercy-Argenteau.  —  Clairval  war  ein  von  Frauen  viel  begehrter 
und  dadurch  berühmter  Schauspieler  (1735 — 1795).  Siehe  Rapports  de  Police, 
November  1772. 

Anm.  25.  Mlle  Arnould,  die  berühmte  Sophie  Arnould,  war  Primadonna 
der  Oper,  la  plus  pathetique  qui  ait  peutetre  jamais  paru  (Mem.  Secr.  1762). 
Sie  ist  1740  in  Paris  geboren  und  starb  1802.  Aus  ihrem  Verhältnis  mit  dem 
in  den  Polizeiberichten  oft  erwähnten,  wegen  seiner  Liebesgeschichten  und 
seines  extravaganten  Witzes  berühmten  Grafen  Lauraguais,  späterem  Herzog 
von  Brancas,  hatte  sie  drei  Kinder.  Ed.  et  J.  de  Goncourt,  Sophie  Arnould, 
Paris  1877. 

Anm.  26.  Seit  der  Zeit  des  Regenten  war  das  Palais  Royal  die  beliebteste 
Promenade  der  Prostituierten.  „Comme  ces  entours  sont  occupes  par  des  filles 
d'opera,  par  d'autres  entretenues,  par  les  courtisanes  les  plus  celebres  et  par  des 
femmes  galantes  qui  profitent  volontiers  de  la  faveur  de  l'incognito  pour  se  livrer 
impunement  aux  aimables  folies  qu'il  pennet,  il  resulte  beaucoup  d'aventures, 
dont  les  unes  restent  ensevelies  dans  l'ombre  du  mystere,  dont  les  autres  percent 
et  fönt  l'entretien  de  lendemain."  (L'Espion  anglais,  T.  I,  p.  140.) 

Anm.  27.    Morliere  starb  1785.  Über  ihn:  Literatur  des  Rokoko. 

Anm.  28.  Parapilla,  poeme  erotique  en  cinq  chants,  traduit  ou  plutot  imite 
par  de  Bordes.  1776. 

Anm.  29.  Les  Joueurs  et  M.  d'Ussaulx,  Paris  1781.  Siehe  Corr.  Secr.  18.  Mai 
1781  und  Manuel,  La  Police  de  Paris  devoil<§e,  T.  II,  p.  78. 


Anmerkungen  441 

Anm.  30.  „La  Dem.  Dufresne,  Lyonnaise,  vient  de  perdre  M.  le  duc  de 
Berwick  qui  lui  faisait  beaucoup  de  bien.  II  s'est  apercu  que  malgre  ses  defences 
eile  continuait  touiours  de  voir  le  sieur  Auge.  Elle  parait  inconsolable  de  cette 
perte  que  difficilement  eile  reparera.  Elle  est  assez  bien  de  figure,  mais  eile  est 
courte  et  grasse,  ce  qui  lui  donne  un  air  fort  commun.  —  La  dem.  Dufresne 
a  fait  lundi  dernier  une  passade  avec  M.  le  comte  Affiglio  moyennant  20  Louis. 
Cet  etranger  perd  ä  jeu,  depuis  son  arrivee  a  Paris,  85000  livres,  c'est-ä-dire  de- 
puis  environ  trois  mois,  et  cela  sans  avoir  gagne  une  seule  fois.  Le  Marquis  de 
Prie,  son  ami,  offre  ä  la  susdite  Dufresne,  pour  vivre  avec  eile,  25  louis  par  mois, 
mais  ä  condition  qu'elle  viendra  tous  les  jours  coucher  chez  lui.  Elle  l'a  refuse 
parce  qu'elle  espere  que  M.  le  comte  Affiglio  l'entretiendra,  mais  eile  se  trompe, 
son  intention  n'etant  pas  de  se  charger  d'une  femme."  Rapports  de  Police,  1.  und 
8.  Februar  1765.  „La  dem.  Dufresne  s'amuse  ä  ruiner  le  sieur  de  Liniere,  offi- 
cier  de  marine,  et  guerluchonne  avec  le  sieur  d'Estat,  qui  est,  en  tout,  malgre 
sa  croix  de  Saint-Louis  et  son  embonpoint,  un  fort  mince  subject  et  mauvais 
bavard,  n'ayant  autre  merke  que  d'etre  tres  complaisant  pour  sa  femme,  mais 
aussi  il  faut  convenir  que  dans  un  repas  quatre  bons  estomacs  auraient  de  la 
peine  ä  digerer  ce  qu'il  mange,  et  que  personne  ne  decoupe  les  viandes  plus  vite, 
ni  plus  proprement."  Rapport,  15.  Februar  1765.  „JLa  petite  Dufresne  a  remis 
dans  ses  chaines  le  duc  de  Berwick.  II  lui  donne  50  louis  par  mois  usw."  Rapport, 
14.  Juni  1765. 

Anm.  31.  Mem.  Secr.,  24.  Januar  1784:  „Mlle  Zacharie,  danseuse  d'Opera 
cousine  et  eleve  de  Mlle  Guimard." 

Anm.  32.  Zwei  Schwestern  Contat  waren  an  der  Comedie  Francaise.  Die 
Mem.  Secr.  vom  31.  Dezember  1779  geben  in  Form  einer  angeblichen  Auktion 
von  Bildern,  Möbeln  und  Gegenständen  von  der  berühmteren  Louise  Francoise 
Contat  dieses  Bild:  „Mme  Venus,  aux  belies  fesses  en  marbre  blanc,  representant 
Mlle  Contat,  d'un  beau  genre,  et  pouvant  servir  de  modele  si  les  pieds  et  les 
mains  etaint  du  meme  auteur."  Mlle  Contat  hatte  nämlich  häßüche  Hände  und 
Füße.  Außer  diesen  beiden  Contats,  der  Louise  Francoise  (1760 — 1803)  und  der 
weniger  berühmten  Emilie  (1769 — 1846)  gab  es  noch  die  Tochter  Amalrie  der 
letzteren.  Vielleicht  ist  die  im  Text  genannte  Contat  die  Mutter  der  beiden 
Schwestern.  Die  Rapports  de  Police  erwähnen  unterm  22.  Oktober  1759  eine 
Mlle  Contat,  bei  der  hoch  gespielt  wird. 

Anm.  33.  Henri-Louis  le  Kain  (1728 — 1778)  debütierte  am  14.  September 
1750.  Sein  Talent  war  sehr  diskutiert  und  wurde  bestritten  von  Colle  (Journal, 
ed.  de  1868,  T.  I,  S.  232  und  233).  Er  hat  Memoiren  hinterlassen,  die  1801  ver- 
öffentlicht wurden.  An  die  Comedie  wurde  Le  Kain  von  Voltaire  gebracht,  dessen 
Helden  zu  spielen  seine  Spezialität  war. 

Anm.  34.  Marie  Madelaine  Guimard,  die  Tänzerin  (1743 — 1816).  Sie  debü- 
tierte mit  sechzehn  Jahren  im  Corps  de  ballet  der  Comedie  und  kam  1761  an  die 
Academie  royale  de  Musique  et  de  Danse;  hier  wurde  sie  bald  die  Favoritin  dieses 


4.42  Anmerkungen 

Harems,  das  damals  die  Oper  war,  ein  Gyneceum  für  die  Fürsten,  ein  Bordell 
für  die  Adeligen  und  Reichen.  (Vgl.  Capon,  Les  Theätres  clandestins,  Paris  1905, 
S.  206.)  Die  Erfolge  der  Guimard  waren  im  Tanze  und  in  der  Liebe  gleich  be- 
deutend. Ihr  Verhältnis  mit  dem  reichen  Generalpächter  de  la  Borde  trug  ihr 
monatlich  2000  Taler  ein,  und  dabei  war  de  la  Borde  nur  der  Greluchon.  Der 
Monsieur  war  der  Prinz  von  Soubise,  der  der  Guimard  das  Haus  in  Pantin  gab, 
dessen  einer  Flügel  als  Miniaturtheater  eingerichtet  wurde.  Über  die  Guimard: 
Edmond  de  Goncourt,  La  Guimard,  Paris  1893. 

Anm.  35.  Charles  Colle  (1709 — 1783).  Seine  Possen  und  Paraden  u.  d.  T. 
Theätre  de  societe  1777.  Seine  Chansons  in  zwei  Bänden  1807.  Sein  Journal 
Historique  1805 — 1807  in  drei  Bänden.  Lettres  inedites,  1864.  Es  verdient  her- 
vorgehoben zu  werden,  daß  er  seiner  Frau  durchaus  treu  war.  —  Louis  Carrogis, 
genannt  de  Carmontel  (1707 — 1806)  war  Vorleser  beim  Herzog  von  Chatres. 
Seine  witzigen  ,Proverbes  Dramatiques'  erschienen  in  acht  Bänden  1768 — 1781. 
Seine  Bleistiftzeichnungen,  561  Porträts  von  Zeitgenossen,  bewahrt  das  Musee 
Conde  in  Chantilly.  Anatole  Gruyer  hat  sie  herausgegeben  —  Zu  der  Epitre  de 
M.  Marmontel  ä  Mlle  Guimard:  Die  Guimard  hatte  in  einem  Vorort  ein  Rendez- 
vous und  wurde  hier  so  sehr  vom  Elend  des  Volkes  ergriffen,  daß  sie  das  Erträgnis 
des  Rendezvous,  2000  Taler,  dem  Pfarrer  von  Saint-Roch  zur  Verteilung  an  die 
Armen  gab.  Grimm  erzählt  eine  andere  Version  dieser  Generosität  der  Tänzerin. 
Die  Geschichte  wurde  so  bekannt,  daß  bald  ein  anonymer  Stich  erschien :  Ter- 
psychore  charitable  ou  Mlle  Guimard  visitant  les  Pauvres.  Die  pedantisch-galante 
gereimte  Epistel  Marmontels,  die  in  Goncourts  Guimard-Buch  abgedruckt  ist,  be- 
ginnt mit  den  Versen: 

Est-il  bien  vrai,  jeune  et  belle  damnee, 
Que  du  theätre  embelli  par  tes  pas, 
Tu  vas  chercher  dans  de  froids  galetas 
L'humanite  plaintive  abandonnee  . . . 

Anm.  36.  Louis-Leon  Felicite,  Comte  de  Lauraguais,  nachher  Herzog  von 
Brancas  (1733 — 1824),  war  ein  vielseitig  tätiges  Mitglied  der  Academie  des  sciences. 
Außer  Abhandlungen  über  das  Impfen,  über  das  französische  Recht  gab  er  1802 
sehr  wertvolle  und  ungenierte  Memoiren  heraus  unter  dem  Titel:  Lettres  de 
L.-L.  de  Lauraguais  ä  Mme  ***. 

Anm.  37,  Jean-Philippe  Franquetot,  Chevalier  de  Coigny  (1743 — 1806),  der 
jüngste  Sohn  des  Grafen  Coigny.  Er  wurde  „Mimi"  genannt  und  hat  niemals, 
wie  er  sagt,  gewußt,  warum.  (Siehe  Mme  de  Genlis,  Memoires,  T.  I,  S.  403.)  — 
Die  Herzogin  von  Berry  war  eine  Tochter  des  Regenten  und  hatte  mit  ihm  ein 
Verhältnis. 

Anm.  38.  L'Honnete  criminel  ist  ein  äußerst  langweiliges  Stück  von 
Fenouillot  de  Falbaire,  -das  auf  Gesellschaftstheatern  gespielt  wurde.  Über  die 
sentimentale  Anekdote,  die  dem  Stück  zugrunde  liegt,  viel  bei  Grimm,  Corr.  Lit., 
Januar  1768. 


Anmerkungen  443 

Anm.  39.  MUe  Cleophile  war  eine  Kurtisane.  In  den  Polizeiberichten :  „Herr 
Dutrey  hat  die  MUe  Clerofille  genommen,  die  bei  Audinot  war  und  wieder  in 
die  Oper  eintritt.  Er  hat  ihr  in  bar  und  in  Geschenken  ungefähr  200  Louis  ge- 
geben." 

Anm.  40.  Ques-ä-co  ?  heißt  im  Provenzalischen  „Was  ist  das  ?"  Die  Dauphine 
las  das  Wort  in  einem  Memoire  von  Beaumarchais  März  1774,  und  es  gefiel  ihr 
so  gut,  daß  sie  es  immer  gebrauchte.  Davon  profitierte  eine  Modistin,  indem  sie 
eine  Coiffüre  Quesaco  nannte.  Es  war  ein  Federnpanache,  der  hinten  am  Kopf 
getragen  wurde.  Die  Dubarry  und  die  Prinzessinnen  goutierten  diesen  Quesaco 
sehr.  (Siehe  Vatel,  Histoire  de  Madame  Du  Barry,  T.  II,  S.  303  ff.) 

Anm.  41.  Jean  du  Barry,  ,der  Roue',  wie  man  ihn  nannte,  schrieb  im  Auftrag 
des  Königs  an  seinen  Bruder  Guillaume,  einen  armen  Marineoffizier,  der  mit 
seiner  Mutter  in  Toulouse  lebte,  nach  Paris  zu  kommen,  um  hier  Jeanne  Bequs  des 
Jean  D.  Mätresse  und  nunmehrige  Favoritin  des  Königs,  zu  heiraten.  Aus  der 
Bequs  (oder  Becu)  wurde,  um  die  Heirat  standesgemäßer  zu  machen,  eine  Mlle 
de  Vaubernier,  die  man  auch,  statt  wie  riehtig  1743,  im  Jahre  1746  geboren  sein 
ließ.  Die  Heirat  fand  am  23.  Juli  1768  statt,  und  wurde  die  Ehe  am  2.  April  1772 
geschieden.  Über  Mme  Dubarry:  Das  Rokoko,  Dritter  Teil:  Die  Frauen.  Über 
Jean  Comte  Du  Barry  die  Polizeirapporte,  18.  März  1765:  „M.  Le  Gue,  l'un 
des  premiers  commis  de  la  marine,  fait  une  cour  tres  assidue  a  la  demoiselle  Vau- 
bernier, maitresse  du  sieur  Dubary,  qui  lui  abandonne  volontiers  ses  coudes  fran- 
ches  parce  que  cela  achalande  sa  maison."  12.  April  1765:  „La  demoiselle  Vau- 
bernier et  le  sieur  Dubary  vivent  toujours  ensemble  en  bonne  intelligence,  ou 
pour  mieux  dire  Du  Bary  ne  se  sert  de  cette  demoiselle  que  comme  une  terre 
qu'il  afferme  au  premier  venu  en  etat  de  bien  payer,  se  reservant  cependant  le 
droit  d'aubaine,  car  il  couche  tous  les  jours  avec  eile.  Pour  les  journees,  il  les  lui 
abandonne  tout  entiere  pourvu  toutefois  qu'elle  se  conduise  par  ses  conseils  et 
que  le  produit  s'en  rapporte  ä  la  masse.  Aujourd'hui,  c'est  ä  M.  le  duc  de  Riche- 
lieu et  ä  M.  le  marquis  de  Villeroy  qu'il  a  sous-ferme  les  charmes  de  cette  demoi- 
selle, pour  le  jour  seulement.  Le  premier  la  fait  venir  chez  lui  et  trouve  que 
cette  jeune  poulette  conserve  en  lui  un  reste  de  chaleur  naturelle  etc."  27.  Sep- 
tember 1765:  „La  vie  que  mene  le  comte  du  Barry  avec  la  demoiselle  Vaubernier 
est  infame.  C'est  exactement  sa  vache  ä  lait  etc."  6.  Dezember  1765:  „La  demoi- 
selle Vaubernier  a  enfin  quitte  le  sieur  du  Barry,  eile  s'est  trouvee  fatiguee  de 
servir  de  pierre  d'aimant  ä  ses  parties  de  jeu  clandestines  etc."  7.  Februar  1766: 
„La  demoiselle  Vaubernier  s'est  raccommodee  avec  le  sieur  Dubary  ä  la  charge 
qu'il  supportera  non  seulement  toutes  les  affaires  qui  se  presenteront  pour  son 
interest,  mais  encore  tous  ses  caprices  et  qu'il  se  contentera  qu'elle  ne  decouche 
pas,  ä  moins  qu'il  ne  fut  question  de  sommes  considerables,  qu'elle  serait  alors 
obligee  de  rapporter  ä  la  communaute  etc."  —  Mlle  de  Fumel  war  die  Gattin 
des  Elie  du  Barry,  des  dritten  Bruders,  der  für  die  Kupplerdienste,  die  er  Richelieu 
und  Duras  erwiesen  hat,  Oberst  beim  Regimente  der  Königin  wurde. 


444  Anmerkungen 


Anm.  42.    Über  Grifnod  de  la  Reyniere:  Die  Literatur  des  Rokoko. 

Anm.  43.  „Bald  wird  man  in  Frankreich  nur  mehr  drei  Stände  kennen:  den 
König,  die  Finanzleute  und  die  Sklaven."  Über  die  Finanzleute:  Thirion,  La  Vie 
privee  des  financiers  de  XVIIIe  siecle.  Um  1770  sprach  man  vom  „Bataillon  sacre 
des  fermes  generales',  deren  bekannteste  Führer  Bourte,  Puissant,  Douet,  Gigault 
de  Crisenoy  und  Saint-Amant  waren.  Von  einem  von  ihnen  sagte  Diderot,  daß 
er  zwei  Millionen  ausgegeben  habe  sans  faire  un  bon  mot  ni  une  bonne  action. 
Mit  Fermes  Generales  bezeichnete  man  eine  Finanzgesellschaft,  chargee  a  for- 
fait  du  recouvrement  de  la  plupart  des  contributions  indirectes.  (Delahante,  Une 
Familie  de  finance  au  XVIIIe  siecle.)  Das  System  war  für  den  König  das  einzige 
Mittel,  sicher  und  prompt  zu  seinen  Einnahmen  zu  kommen;  und  er  wurde  außer- 
dem die  Inpopularität,  welche  die  Steuereintreiber  genießen,  auf  die  Fermier 
los,  die  ihrerseits  für  den  äußeren  Dienst  ihre  Strohmänner  hatten. 

Anm.  44.  Bernard  le  Bouvier  de  Fontenelle  (1657 — I7S7)-  Mit  Bayle  der  Er- 
zieher der  Enzyklopädisten.  „C'est  de  cervelle  que  vous  avez  ä  place  du  cceur" 
sagte  Madame  de  Tencin  zu  ihm.  Die  Wahrheit  ist  vielleicht  zu  erreichen,  aber  sie 
ist  von  aristokratischer  Art  und  der  Menge  nicht  mitteilbar  und  außerdem  ist 
sie  unnütz:  dies  ist  etwa  der  mondäne  schöngeistige  Skeptizismus  des  100  Jahre 
alt  gewordenen  Fontenelle,  der  ohne  besondere  Talente  alles  machte,  Philoso- 
phien, Dramen,  Gedichte,  Historie  und  vor  allem  Bonmots. 

Anm.  45.  Senac  de  Meilhan  zitiert  in  seinen  Considerations  sur  l'Esprit  et 
les  Mceurs  einen  Gatten,  der  zu  seiner  Frau  sagt:  „Ich  erlaube  dir  alles,  nur  nicht 
Prinzen  und  Lakaien.  Die  beiden  Extreme  entehren  durch  den  Skandal."  De  Meil- 
han zitiert  hier,  ohne  ihn  zu  nennen,  seinen  Bruder,  den  Generalpächter  Meilhan, 
dessen  Frau  sich  aber  nicht  daran  hielt,  sondern  den  Grafen  de  la  Marche,  nach- 
herigen Prinzen  Conti,  zum  Liebhaber  nahm.  Der  Prinz  Conti  war  es,  der  Beau- 
marchais veranlaßte,  nach  dem  Barbier  de  Seville  den  Barbier  nochmals  vorzu- 
nehmen, worauf  Beaumarchais  Le  Mariage  de  Figaro  schrieb.  Der  Prinz  Conti 
hatte  wie  der  Prinz  Soubise  „einen  Serail"  (Polizeirapporte)  und  starb  46 jährig 
1776. 

Anm.  46.  Paul  Heinrich  Dietrich  Freiherr  von  Holbach  (1723— 1789).  Die 
beiden  Bände  seines  Hauptwerkes,  des  Systeme  de  la  nature  erschienen  in  Amster- 
dam 1770. 

Anm.  47.  Guillaume  Thomas  Francois  Raynal  (1713 — 1796).  Verfasser  der 
Histoire  philosophique  et  politique  des  etablissements  et  du  commerce  des  Euro- 
peens  dans  les  deux  Indes,  7  Bände,  Amsterdam  1771,  an  dem  auch  Diderot  mit- 
arbeitete. Wegen  Angriffe  auf  die  Religion  in  der  zehnbändigen  Ausgabe  von 
1781  wurde  das  Werk  vom  Henker  verbrannt  und  Raynal  aus  Frankreich  auf  ein 
Jahr  verbannt. 

Anm.  48.  Charles  Pinot  Duclos  (1704 — 1772),  ein  mäßig  talentierter  Schrift- 
steller mit  einer  gemachten  zynischen  Allüre.  Schrieb,  wie  Brunetiere  sagt,  Ge- 
schichten, ebenso  indezent,  langweilig  und  wahrscheinlich  falsch  wie* der  jüngere 


Anmerkungen  aac 

Crebillon.  Wertvolle  Beobachtungen  sind  in  seinen  Considerations  sur  les  moeurs 
de  ce  siecle.  1750. 

Anm.  49.  Madame  de  Rochefort,  eine  geborene  Brancas,  war  40  Jahre  lang  die 
intime  Freundin  der  Herzogin  von  Nivernais  und  die  Geliebte  des  Herzogs  von 
Nivernais  gewesen,  der  sie  nach  dem  Tode  seiner  Gattin  heiratete.  Horace  Wal- 
pole schreibt  über  sie:  „Ihre  Intelligenz  ist  echt  und  fein,  ja  mit  einer  gewissen 
Finesse  des  Geistes,  einem  Resultat  der  Reflexion.  Ihre  Manieren  sind  süß  und 
weiblich,  und  trotzdem  sie  eine  femme  savante  ist,  affichiert  sie  nicht  die  gering- 
sten Pretensionen.  Sie  ist  die  ,dezente'  Freundin  des  Herrn  von  Nivernais,  denn 
in  diesem  Lande  ist  die  Intimität  nicht  anders  als  unter  dem  Schleier  der  Freund- 
schaft erlaubt." 

Anm.  50.  Ruiniere  (1735— 1791).  Sainte-Beuve  stellt  diesen  mokanten  Geist 
neben  Chamfort  und  Rivarol.  Er  besaß  etwas  in  diesem  Zeitalter  allgemein  Feh- 
lendes: historischen  Sinn.  Madame  Necker  sagt  von  ihm:  „II  laissait  percer  dans 
sa  conversation  une  nuance  de  son  etat  d'historien,  qui  visait  ä  la  pedanterie;  il 
mettait  une  trop  grande  importance  ä  l'examen  d'un  petit  fait  et  ä  toutes  ses 
circonstances;  il  ne  voulait  jamais  voir  l'opera  que  derriere  les  coulisses."  Ruiniere 
war  diplomatisch  in  Petersburg  tätig,  dann  Sekretär  beim  Bruder  Ludwigs  XVI 
dem  späteren  Ludwig  XVIII.  Er  schrieb  eine  Geschichte  des  Edikts  von  Nantes 
und  wurde  1787  Mitglied  der  Akademie.  Seine  eigenen  Verse  sind  besser  als  jene, 
die  der  Kritiker  La  Harpe  auf  ihn  gemacht  hat: 

Connaissez-vous  Chamfort,  ce  maigre  bel-esprit? 
Connaissez-vous  Ruiniere,  ä  mine  rebondie? 
Tous  deux  se  nourrissent  d'envie: 
Mais  l'un  en  meurt,  et  l'autre  en  vit. 
^  Anm.  51.    Über  Antoine-Francois  Prevost  d'Exiles  (1697— 1763)  siehe:  Die 
Literatur  des  Rokoko.  Sein  Roman  Cleveland  erschien  173 1,  im  gleichen  Jahre 
wie  Mahon  Lescaut. 

Anm.  52.  Madame  de  la  Popeliniere  war  eine  geborene  Therese  Desnayes 
Der  Skandal,  den  ihr  Verhältnis  mit  dem  Herzog  von  Richelieu  hervorrief,  führte 
zur  Trennung  der  Ehe.  Die  Detaüs  darüber  in  den  Memoiren  von  Marmontel, 
T.  I,  S.  304  ff.  und  in  dem  Journal  de  Barbier,  T.  IV,  S.  326.  In  den  Polizei- 
rapporten unter  dem  19.  April  1765:  „Der  Herzog  von  Duras  tut  sein  Bestes 
Madame  de  la  Popeliniere  zu  zerstreuen.  Er  besucht  sie  täglich,  wie  auch  der 
Herr  Du  Barv  und  der  dicke  Favier,  ihre  Complaisants,  nicht  verfehlen,  sich  ein- 
zustellen. Aber  es  scheint  entschieden,  daß  der  Herr  Herzog  die  guten  Reize  dieser 
schonen  Witwe  genießt."  (Herr  von  Popeliniere  war  1762  gestorben.) 

Anm.  53.  Der  Marschall  Herzog  von  Richelieu  wurde  mit  fünfzehn  Jahren  in 
die  Bastille  gesteckt,  weil  er  seine  Hand  unter  das  Kleid  der  jungen  Herzogin  von 
Bourgogne  gleiten  Heß,  während  sie  sich  über  den  Balkon  beugte.  Er  rühmte  sich, 
niemals  mit 'seiner  Frau,  die  ihm  aufgezwungen  wurde  und  die  ihn  hebte,  die  Ehe' 
vollzogen  zu  haben.  Um  ihn  duellierten  sich  im  Bois  de  Boulogne  die  Marquise 


446  Anmerkungen 

von  Nesles  und  Madame  de  Polignac,  und  die  verwundete  Marquise  erklärt,  ihr 
Blut  bis  zum  letzten  Tropfen  für  ihn  zu  geben,  denn  er  sei  der  Erstgeborene  von 
Mars  und  Venus.  „Er  ist  ein  großer  Poltron,  faul,  ohne  Herz  und  ohne  Seele" 
(Duchesse  d'Orleans,  Corr.  I.  Oktober  1719).  Er  bekommt  jeden  Tag  ein  Paket 
Liebesbriefe,  wirft  einen  großen  Teil  ungelesen  fort,  nachdem  er  auf  den  Um- 
schlag geschrieben:  Briefe,  die  zu  lesen  ich  keine  Zeit  fand.  Die  Madame  de  la 
Popeliniere  schreibt  an  ihn :  „Mon  eher  amant,  mon  eher  cceur,  pourquoi  m'ecris- 
tu  si  froidement,  moi  qui  ne  respire  que  pour  toi,  qui-  t'adore,  mon  coeur,  je  suis 
injuste,  je  le  sens  bien,  tu  as  trop  d'affaires  et  qui  ne  te  laissant  pas  la  liberte  de 
m'ecrire  .  . .  mais  je  n'ai  trouve  dans  ta  lettre  ces  expressions  et  ces  sentiments 
qui  partent  de  l'äme  et  qui  fönt  autant  de  plaisir  ä  ecrire  qu'ä  lire.  Je  sens  une 
emotion  en  t'ecrivant,  mon  eher  amant,  qui  me  donne  presque  la  fievre,  qui 
m'agite  de  meme . .  ."etc.  (Lettres  autogr.  de  Mme  de  la  Popeliniere  a  Richelieu, 
Biblioth.  de  Rouen.)  Er  heiratete  mit  84  Jahren  eine  Madame  Rooth,  eine  junge 
Frau  von  35,  macht  ihr  ein  Kind,  wie  allerdings  nur  er  erzählt,  und  ist  ihr  un- 
treu. Er  starb  1788  und  war  1696  geboren.  Über  ihn:  Noel  Williams,  The  Fasci- 
nating  Duc  de  Richelieu.  London  1910. 

Die  Memoires  du  Duc  de  Richelieu,  ouvrage  compose  dans  la  bibliotheque 
et  sous  les  yeux  du  marechal,  Paris  1790 — 1793,  sind  von  Soulavie,  der  in  des 
Herzogs  letzten  Jahren  sein  Sekretär  war,  geschrieben  und  wohl  mit  Benutzung 
authentischer  Aktenstücke  und  Mitteilungen.  Aber  die  Absicht  einer  Art  Satire 
auf  das  ancien  regime  ist  bei  dem  Verfasser  zu  deutlich,  und  so  steht  neben  Wah- 
rem sehr  viel  Erfundenes.  Die  Vie  privee  du  Marechal  de  Richelieu,  contenant 
ses  amours  et  intrigues,  Paris  1791,  3  volumes,  ist  zumeist  Erfindung. 

Anm.  54.  Charles  James  Fox  (1749 — 1806),  der  oppositionelle  englische  Staats- 
mann und  begeisterter  Bewunderer  der  französischen  Revolution. 

Anm.  55.  Madame  de  Tencin  wollte  ihren  Bruder  Kardinal  ins  Ministerium 
bringen  und  vermochte  nichts  über  die  Apathie  Ludwigs  XV.  Sie  wandte  sich 
deshalb  an  Richelieu,  daß  dieser  an  Mme  de  la  Tournelle  schreibe,  die  als  Mä- 
tresse Ludwigs  XV.  Herzogin  von  Chateauroux  hieß,  damit  sie  den  König  aus 
seiner  Gleichgültigkeit  politischen  Dingen  gegenüber  bringe.  Der  Salon  der  Mme 
de  Tencin  diente  Marivaux  als  Modell  in  „Vie  de  Marianne"  (1731 — 1741). 

Anm.  56.  Duchesse  de  Montpensier,  La  Grande  Mademoiselle,  Nichte  Lud- 
wigs XIII.,  Cousine-germaine  Ludwigs  XIV.  Eine  der  originellsten,  bizarrsten 
Gestalten  des  großen  Jahrhunderts.  Es  gibt  interessante  Memoiren  von  ihr. 

Anm.  57.  Der  Kardinal  Fleury  war  Minister  Ludwigs  XV.,  dessen  Erzieher  er 
auch  war.  Une  lente  et  coriace  tenäcite,  un  doux  et  cälin  acharnement  au  pouvoir 
caracterise  le  Cardinal.  (Sainte  Beuve,  Causeries  du  Lundi,  T.  XIV,  S.  380.)  Vgl. 
Memoires  du  Duc  de  Luynes  sur  la  cour  de  Louis  XV.  6  Vols.,  Paris  1860  bis  1862. 

Anm.  58.    Biron  war  Marschall  unter  Heinrich  III. 

Anm.  59.  Jean-Baptiste  Massillon  (1663 — 1724),  Hofprediger  Ludwigs  XIV., 
auf  den  er  die  Trauerrede,  seine  berühmteste  Leistung,  hielt. 


Anmerkungen  447 


Anm.  60.  Zu  Lebzeiten  Fleurys,  der  den  fünfzehnten  Ludwig  in  Schüler- 
abhängigkeit hielt,  in  der  Politik  wie  in  der  Liebe,  hatte  der  König  irgend  Lieb- 
schaften, aber  keine  Mätresse.  Die  Gegner  Fleurys  setzten  auf  eine  wirkliche  Mä- 
tresse die  größten  Hoffnungen,  und  als  Fleury  gestorben  war,  brauchte  der  König, 
wie  auf  einem  königlichen  Anstand,  nur  abzudrücken,  um  das  aufgestellte  Wild 
zur  Strecke  zu  bringen.  Es  waren  nacheinander  die  drei  Schwestern,  Töchter  der 
Mme  de  Nesles,  die  zu  Geliebten  des  Königs  wurden.  Die  bedeutendste  von  ihnen 
war  Mme  de  Chateauroux,  die  den  König  auch  veranlaßte,  sich  ins  Feld  zu  seinen 
Truppen  zu  begeben,  was  dem  König  gar  nicht  einleuchtete.  Als  er  es  tat,  war  er 
für  eine  Weile  wirklich  das  Idol  der  Nation.  Wenn  Mme  de  Chateauroux  ihm 
von  Politik  sprach,  klagte  er:  „Vous  me  tuez!",  worauf  die  Geliebte  sagte:  „Tant 
mieux!  II  faut  qu'un  roi  ressuscite."  Sie  starb  plötzlich  und  in  jungen  Jahren. 
Mme  d'Etioles,  die  Madame  de  Pompadour  wurde,  nahm  ihren  Platz  ein. 

Anm.  61.  Der  kranke  Bernis  schlug  Ludwig  XV.  —  und  der  Pompadour  — 
den  Marschall  von  Belle-Isle  als  seinen  Nachfolger  vor,  der  aber  Choiseul  wurde. 
Der  Herzog  von  Belle-Isle  (1684— 1761)  führte  im  österreichischen  Erbfolgekrieg 
ein  französisches  Heer  nach  Deutschland  und  erstürmte  1741  Prag.  Von  1757 
bis  zu  seinem  Tode  war  er  Kriegsminister. 

Anm.  62.  Die  Hoffnung  der  Pompadour,  daß  die  Tochter,  die  sie  vom  König 
hatte,  sie  bei  ihm  ersetzen  würde,  erfüllte  sich  nicht,  da  das  Mädchen,  noch  nicht 
zehn  Jahre  alt,  starb.  Ihre  eigene  nachlassende  Gesundheit  und  die  schwindende 
Macht  über  den  König  ließen  sie  sich  zur  „Surintendante  des  plaisirs  du  roi"  er- 
nennen, in  welcher  Eigenschaft  sie  ihrem  Herrn  eine  Art  Serail  einrichtete,  und 
dies  war  der  Ursprung  des  Hirschparkes,  der  1755  seine  Pforten  auftat.  So  wenig- 
stens wird  die  Geschichte  in  einem  Pamphlet  erzählt,  das  1790  erschienen  ist 
(Le  Parc-aux-Cerfs,  ou  Porigine  de  l'affreux  deficit).  In  Wirklichkeit  war  der 
Hirschpark  keineswegs  ein  besonders  luxuriös  eingerichtetes  Etablissement,  son- 
dern ein  abgelegenes  Viertel  in  Versailles  mit  einigen  kleinen  unbedeutenden 
Häuschen,  von  Ludwig  XIII.  für  seine  Jäger  errichtet  und  unter  Ludwig  XIV.  zu 
einem  bewohnten  Quartier  erweitert.  Eines  dieser  Häuschen  kaufte  Ludwig  XV. 
von  einem  gewissen  Cremer  für  einen  gewissen  Valet,  das  heißt  für  sich  unter  dem 
Namen  dieses  Beamten  im  Kriegsministerium,  im  Jahre  1755,  freute  sich  seiner 
bis  zum  Jahre  1771,  wo  er  es  für  16  000  Livres  an  einen  Herrn  Sevin  verkaufte. 
In  dem  Hause  ließ  der  König  in  diesen  Jahren  angeblich,  d.  h.  nach  den  Gerüch- 
ten, eine  nicht  geringe  Zahl  neun-  und  zehnjähriger  Mädchen  erziehen,  was  nach 
den  neuesten  Forschungen  monatliche  Ausgaben  von  170  000  Franks  nötig  machte. 
Über  das  Personal  des  Hauses  schreibt  ausführlich  Madame  Du  Hausset  in  ihren 
Memoiren  (Ed.  Barriere,  1855,  S.  77  ff.).  Die  Rekrutierung  erfolgte  entweder 
durch  den  Kammerdiener  Le  Bei  selber  oder  freiwillig  von  Seiten  der  Eltern.  (Peu- 
chet,  Memoires  tires  des  Archives  de  la  Police  de  Paris.  Paris  1838,  T.  II,  S.  197.) 
D'Argenson,  der  fünfzehn  Tagereisen  vom  Hirschpark  entfernt  wohnte,  schreibt 
in  seinen  Memoiren:  „L'on  m'a  conti  ces  amours  de  notre  monarque,  oü  l'on 


448  Anmerkungen 

verra  qu'il  tombe  de  plus  en  plus  de  la  houlette  ä  la  chaumine.  Madame  d'fitioles, 
devenue  marquise  de  Pompadour,  etait  une  grande  dame  au  prix  des  deux  der- 
nieres  amourettes.  Cet  hiver,  il  a  joui  15  jours  d'une  petite  fille  qui  servait  de 
modele  ä  des  peintres.  A  present  il  a  une  maitresse  en  regle  d'un  ordre  encore 
inferieur  ä  celle-lä  s'il  se  peut:  eile  est  de  l'ordre  de  putains  par  famille  et  par 
etat.  La  nommee  Morfi  etait  revendeuse  et  tenait  une  petite  boutique  au  Palais- 
Royal,  il  a  dix  ans;  mere  de  4  füles,  eile  a  vendu  leurs  pucelages  Tun  apres  l'autre, 
quand  ils  sont  venus  en  maturite.  La  cadette,  qui  est  aujourd'hui  sultane  favorite, 
a  travaille  chez  une  couturiere  nomme  Fleuret  qui  procure  des  amants  ä  ses 
ouvriers.  Elle  les  eleve  en  regle,  et,  celle-ci  venant  de  faire  sa  premiere  communion 
dans  un  couvent,  cela  a  fait  croire  qu'elle  etait  plus  sure  qu'une  autre.  Or  le  roi 
craint  la  veröle  avec  grande  raison;  lasse  de  la  marquise,  il  a  resolu  de  se  servir 
de  petites  filles,  les  plus  neuves  qu'on  pourra  trouver,  et  il  a  envoyer  son  premier 
valet  de  charobre  Le  Bei  ä  Paris,  pour  y  marchander  un  nouveau  pucelage. 
Celui-ci  a  ete  ä  la  dame  Fleuret,  qui  l'a  abouche  avec  la  dame  Morfi;  il  a  vu 
la  petite  Morfi  qui  a  14  ans  et  qu'il  a  trouvee  bien.  II  a  dit  que  c'etait  pour  un 
seigneur  de  Versailles;  il  l'a  envoyer.  II  a  donne  1000  Ecus  ä  la  mere  et  100  Louis 
ä  la  couturiere.  La  petite  fille  a  de  l'esprit  et  a  plus  beaucoup  au  monarque; 
eile  a  actuellement  une  jolie  maison  au  Parc-aux-Cerfs,  une  gouvernante,  une 
Yemme  de  chambre,  une  cuisiniere  et  deux  laquais."  (Journal  et  Memoires  du 
Marquis  d'Argenson,  I.  April  1753.)  Jenes  Pamphlet  zählt  eine  große  Reihe  Pen- 
sionärinnen des  Hirschparkes  auf,  unter  ihnen  eine  Miss  Witier,  eine  Engländerin, 
welche  die  Herzogin  von  Devonshire  aus  London  mitgebracht  und  dem  König 
gegen  eine  diamantenverzierte  Büchse  und  30000  Livres  abgetreten  hat.  Eine 
Baronin  Salis,  Frau  eines  jungen  Schweizer  Offiziers,  wurde  mit  Gewalt  genom- 
men und  tötete  sich.  Eine  Marquise  d'Eslignac  war  sechs  Monate  im  Park.  Die 
Römerin  Grandi  kostete  eine  sechsspännige  Karosse,  die  mit  130000  Franks  in 
Gold  gefüllt  war.  Die  Komtesse  Egmont,  Richelieus  Tochter,  die  mit  23  Jahren 
starb,  ist  auch  unter  den  Damen,  die  jenes  Pamphlet  aufzählt,  doch  vergißt  es, 
was  die  „Anecdotes  de  la  cour  de  France  pendant  la  faveur  de  madame  de  Pom- 
padour" (Paris  1802,  S.  238)  berichten:  daß  der  König,  den  neun-  und  zehn- 
jährigen Mädchen  selber  Unterricht  im  Schreiben  und  Lesen  gab,  mit  ihnen  betete, 
sie  väterlich  züchtigte  und  ermahnte,  bevor  er  sich  mit  ihnen  zum  letzten  Zwecke 
zurückzog. 

Anm.  63.  Die  Memoires  authentiques  de  Comte  Cagliostro  sind  apokryph. 
Das  am  besten  dokumentierte  Buch  über  C.  ist:  Cagliostro,  by  W.  R.  H.  Trow- 
bridge,  London  1910. 

Anm.  64.  Claire-Joseph  Lerys  de  Tude-Clairon  (1723— 1803),  Heroine  an  der 
Comedie  Francaise.  Über  sie:  Edm.  de  Goncourt,  Mlle  Clairon,  Paris  1888. 
Sie  war  nicht  sonderlich  gesund  und  trat  deshalb  selten  auf.  Als  ihr  das  einmal  ihre 
Kameraden  sagten,  gab  sie  die  Antwort:  „Es  ist  wahr,  daß  ich  nur  selten  spiele, 
aber  wenn  ich  einmal  spiele,  läßt  euch  das  einen  Monat  lang  leben." 


Anmerkungen  449 


Die  Dubarry.  —  Den  Geburtsschein  der  Dubarry  haben  E.  und  J.  de  Goncourt 
erstmalig  1859  veröffentlicht :  „Jeanne,  fille  naturelle  d'Anne  Bequs  dite  Quantiny, 
est  nee  le  19.  aoüt  de  l'an  1734,  et  a  ete  babtise  le  meme  jour;  eile  a  eu  pour 
parain  Joseph  Desmange  et  pour  maraine  Jeanne  Birabin,  qui  ont  signe  avec 
moi.  L.  Galon,  Vicaire  de  Vaucouleurs.  Jenanne  Birabin.  Joseph  Demange. 
(E.  et  J.  de  Goncourt,  La  Du  Barry,  p.  6.)  Die  zahlreiche  Literatur  des  18.  Jahr- 
hunderts über  die  Dubarry  kopiert  und  paraphiasiert  die  im  Jahre  1775  ä  Londres 
(Paris)  erschienenen  ,Anecdotes  sur  Mme  la  comtesse  Du  Barri',  welche  ihrerseits 
wieder  einen  reichlichen  Gebrauch  von  den  Memoires  secrets  machen.  Die  Me- 
moires  authentiques  .  .  .  par  le  chevalier  Fr.  N.  Londres  1772  sind  ein  kleiner 
Roman  ohne  geringste  Beziehung  zur  D.  Das  gleiche  ist  von  den  Plaisirs  de  la 
ville  et  de  la  cour,  cu  Refutation  etc  Londres  1778  zu  sagen.  Die  historisch 
wertvolle  Literatur  über  Mme  beginnt  erst  1858  mit  J.  R.  Le  Roy's  Broschüre 
,Madame  du  Barry  1768  bis  1793'.  Die  umfangreichste  historische  Darstellung 
nach  den  Archiven  gab  1865  Vatel  in  seiner  dreibändigen  Biographie.  Die  in 
unserm  Text  gegebenen  Briete  sind  wortgetreuer  Abdruck  einer  gleichzeitigen 
deutschen  Übersetzung  der  Lettres  de  madame  la  comtesse  du  Barry  avec  Celles 
des  princes,  seigneurs,  ministres  et  auties  qui  lui  ont  ecrit  et  qu'on  a  pu  recuellir, 
Londres  1779.  Die  natürlich  apokryphen  Briefe  sind  kein  historisch  brauch- 
bares, aber  ein  sittengeschichtliches  Dokument  wie  die  andern  hier  mitgeteilten 
Pamphlete. 


Die  sechsunddreißig  Tafeln  dieses  Buches  sind  Reproduktionen  nach  dem 
großen  Werke,  Le  Tableau  de  la  vie  ou  les  Mceurs  du  dix-huitieme  siecle,  auf 
das  Prault  1773  eine  Subskription  auflegte  und  das  von  ihm  gedruckt  und  von 
Eberts  herausgegeben  wurde.  Das  erste  Heft  enthält  nur  Stiche  nach  dem  in 
Paris  lebenden  Schweizer  Sigmund  Freudeberg  (1745— 1801),  einem  Schüler  von 
Wille  und  Boucher.  Der  Herausgeber,  mit  Freudebergs  Arbeiten  nicht  zufrieden, 
kündigte  eine  neue  Serie  für  1775  an,  mit  welcher  er  seinen  Schwiegersohn,  den 
jungen  Moreau,  beauftragte.  Dieses  zweite  Heft  erschien  aber  erst  1777.  Es  nimmt 
die  Folge  der  Blätter  aus  dem  Leben  einer  jungen,  dem  Vergnügen  lebenden 
Frau,  womit  der  Schweizer  begonnen,  dort  auf,  wo  die  junge  Dame  Mutter 
wird,  und  führt  sie  bis  zur  Geburt  des  Sprößlings  in  zwölf  Blättern.  Die  dritte, 
ebenfalls  von  Moreau  gezeichnete  Serie  von  zwölf  Blättern,  führt  das  Leben  eines 
Elegant  vor.  Ihr  schließt  sich  die  Serie  des  ländlichen  Lebens  auf  dem  Schlosse 
an.  Die  erste  Subskriptionsausgabe,  Neuwied,  bekam  auch  einen  die  Blätter  be- 
schreibenden, sehr  selten  gewordenen  Text,  der  nicht  identisch  ist  mit  dem,  den 
Retif  de  la  Bretonne  für  die  Neuausgabe  des  Werkes  mit  dem  Titel  Monument 
du  costume  1789  geschrieben  hat.  Trotz  Moreaus  Neigung  zu  bourgeoisem  Sen- 
timentalismus und  trotzdem  er  schon  eine  große  Vorliebe  für  die  Linie  Louis  XVI. 
I.  29 


450 


Anmerkungen 


zeigt  —  er  geriet  gegen  Ende  seiner  Laufbahn  ganz  in  Davids  Klassizismus  — 
konnte  doch  die  Wahl  des  illustrativen  Teiles  dieses  Buches  nur  auf  ihn  und  sein 
Hauptwerk  fallen,  denn  er  hat,  wie  er  immer  unter  seine  Arbeiten  schreibt,  alles 
„nach  dem  Leben"  gezeichnet,  bis  auf  den  letzten  Knopf  eines  Rockes:  diese  Treue 
kam  hier  vor  allem  in  Betracht,  wo  nicht  von  der  Kunst,  sondern  von  den  Moden 
und  Sitten  des  Rokoko  gehandelt  wird.  Im  Folgenden  sind  die  Unterschriften 
der  Stiche  wiedergegeben,  die  sie  im  Originale  tragen. 
Die  zwölf  ersten  Blätter  sind  von  Freudeberg. 


La  Soiree  d'hiver  . 
La  Promenade  du  soir 
Les  Confidences    . 
L'Evenement  du  bal  . 
Le  Boudoir 
L'Occupation  . 

Die  vierundzwanzig  folgenden 
Les  Adieux  ....  vor  S. 
L'Accord  parfait  .      .  „     ,, 

La  Rencontre  au  bois  de  Boulogne 
La  Dame  du  Palais  de  la  Reine    . 
Le  Rendezvous  pour  Marly    . 
Le  declaration  de  la  grossesse 
N'ayez  pas  peur,  ma  bonne  amie 
J'en  accepte  l'heureuse  presage     . 

Les  Precautions 

C'est  un  fils,  Monsieur     . 

Les  petits  parrains      .... 

Les  delices  de  la  maternite     . 


K     17 

,  33 

>  4i 

»  49 

1  57 

,  65 

Blätter 

H5 

161 

177 
193 
209 
225 
241 
257 

273 
289 

305 
321 


La  Toilette 

La  Visite  inattendue 

Le  Coucher     . 

Le  Lever  . 

Le  Bain 

La  Promenade  du  Matin 

sind  von  Moreau. 

Le  Lever  du  petit  maitre     i 

La  petite  toilette . 

La  grande  toilette 

La  course  des  chevaux 

La  petite  löge 

Le  souper  fin  . 

Oui  ou  Non    .... 

La  sortie  de  l'Opera   . 

Le  Seigneur  chez  son  fermier 

Le  pari  gagne .... 

La  partie  de  whist 

Le  vrai  Bonheur   . 


81 
89 

97 
"3 
129 

137 


337 
345 
353 
369 
377 
385 
393 
401 
409 

417 
425 

433 


REGISTER 


d'Aiguillon,  Herzog  von 
199, 213, 268,336, 341  f., 
347, 356, 362  f.,  365,381, 

385,  387,  394>  397,  399, 

402,  412,  417,  424. 
d'Aguesseau  266. 
d'Alembert  195,  217,  257, 

260,  263,  269,  278. 
Arnoud,  Abbe  6. 
Arnould,  Mlle  63,  78,  80, 

90,  214. 

Bassompierre,  Mme  de 
287. 

Bearn,  Gräfin  330. 

Beauchamps,  Lord  298. 

Beaudeau,  Abbe  82. 

Beaujolais,  Graf  82. 

Beaujour  245. 

Beaumont,  Erzbischof 
4i9ff. 

Beauvoisin,  Mlle  243. 
Belle  Isle,  Marschall  278. 
Bernis,  Kardinal  235. 
Berwick,  Herzog  159. 
Bievre,  Marquis  81. 
Biron,  Marschall  267. 
Bonnac,  Abbe  304 f. 
Bouffiers  XV. 
Boullainvilliers,  Mme  6\. 
Bourdaloue  256. 
Breteuil  118,  351. 
Broglie,    Marschall    264, 

283,  290. 
Brühl,  Graf  255. 

Cagliostro  48,   281,  288. 
Calonne  121,  137,  146. 
Champcenets  124. 
Charolais  215,  276,  280. 
Chartres,  Herzog  247, 295, 

386,  396  f.,  405. 
Chateauroux,     Mme     de 

278. 


Chimay,  Prinzessin   298. 
Choiseul,  Herzog  15 1, 193, 

197,  216,  261,  278,  280, 

283. 
Choiseul-Gouf  f  ier  79, 2  2  3 , 

287,    291. 
Chouchou-Leblanc,  Mlle 

Christine   von  Schweden 

280. 
Clairon,  Mlle  235,  284. 
Cleophile,  Mlle  246. 
Clermont,  Prinz  208, 
Coigny,  Herzog  244,  325. 
Colardeau  218. 
Colle  XV. 
Conde,  Prinz  401. 
Condorcet  136. 
Constant,  Comtesse  379. 
Constant,  Mlle  175,  227. 
Conti,  Prinz  238, 253, 279, 

295,  354- 
Coudray  7. 
Coulon,  Mlle  173. 
Crafford  301. 
Craffton,  Gräfin  159. 
Crebillon  XIV. 

Damiens  285. 
Dauberval  255,  392,  427. 
Dechamps,  Mlle  217,  295, 

299. 
Delille  79. 
Desfarges,  Mlle  300. 
DiderotVH,XI,XII,  98, 

255>  256,  259,  284. 
Dorat  218    415. 
Dubarry,    Mme  78,  196, 

200,  202,  207,  249,  261, 

303  ff- 
Dubarry,  Graf  204,  316, 

321  ff.,   327,   333,   353, 

360,  408. 
Dubois,   Mlle    261,  390. 


Duclos  42,  259,  262,  263. 
Dudeffand,  Mme  268,269. 
Dufresne,  Mlle  158. 
Dugazon,  Mlle  11,  137. 
Duras,  Herzog  379. 
Duthe,  Mlle  36,  229,  246, 
284,  295,  298. 

d'Esteres,  Marschall  299. 

Fanies,  Mlle  70. 
Favier,  Mlle  302. 
Ferrari,  Gräfin   172. 
Fitz -James,    Herzog   98, 

297. 
Fleury  XI,  267. 
Fontenelle  253,  257,  269, 

279,  282,  286. 
Forges,  de  134. 
Fox  264. 
Fragonard  VII. 
Freron  256. 
Friedrichll.  255, 260, 261, 

263,  281. 
Fronsac,  Herzogin  267. 
Furcy,  Mme  179. 

Gabrielli,  Mlle  259. 
Ganganelli,  Papst  196, 270. 
Geoffrin,  Mme  215. 
Georg  III.  196. 
Girard,  Abbe  87. 
Goethe  VII. 
Goncin,  Abbe  306. 
Gourdan,  Mme  53  f.,  80, 

86,  209. 
Graham,  Dr.  3. 
Granville,  Mlle  63. 
Grimod  252. 
Guimard,  Mlle  161,  225, 

240. 

Hamilton  275,  281. 
d'Harcourt,  Herzog  198 


452 


Register 


Heinel,  Mlle  223. 
Heinrich  von  Preußen  83, 

289. 
Henault  269. 
d'Hervieux,  Mlle  168. 
Houdon  83. 
Huss,  Mlle  219. 

Katharina  II.  259. 

Laborde,  Mlle  163. 
Laclos  XIV. 
Laguerre,  Mlle  60. 
Larive  70. 
Lauraguais  240. 
Lauzun  275. 
Laval  268,  280. 
Lebel  279. 
Legier,  de  288. 
Lekain  239,  285. 
Le  Mierre  81. 
Lessing  VII. 
Liechtenstein,  Graf  301, 

302. 
Linieres,  Vicomtesse  181. 
Longeau,  Mlle  65. 
Luxembourg,     Mme    de 

278. 

Maillard,  Mlle  162. 
Maine,  Herzogin  274. 
Mangiron,  de  273. 
Marat  IX. 

Marlborough,  Lord  291. 
Marmontel  58,  239,  790. 
M-rtin,  Miie  155. 
Maurepas  83. 
Mayan,  Gräfin  334. 
Mazarin,  Kardinal  97. 
Meaupou  122,  212,  331, 

344>  349>  352, 355, 359< 

411,  422. 
Mesmer  93 
Mirabeau,  Mme  63. 
Montaynard  283. 
Montensier,  Mlle  58. 


Montgantier  296. 
Montmorency,Gräfin335« 
Montpensier,  Mme  265. 
Montrable,  Ivlarqui^c  430. 
Montvaiiier  372. 
Morande  415. 
Morliere  95. 
Mouhy  7. 

Naude  280. 
Nesles,  Mme  de  271. 
Nivernois,  Herzog   ^29. 
Noaiiies  274,  343. 

Orleans  279. 
Ormont,  Herzog  253. 
d'Orsay,  Graf  291. 
Oulif,  Michael  370. 

Palissot  55. 

Penthievre,  Herzog    247. 
Philidor  9. 
Poinsinet  6. 
Pompignan  91. 
Pont  de  Veyle  269. 
Potozky,  Graf  229. 
Pousse,  Dr.  129. 
Praslin,  Herzog  199. 
Prevost,  Abbe  71,  260. 
Prie,  Mme  de  243. 

Raucourt,  Mlle    89,  152, 

383- 

Raynal,  Abbe  257. 

Riccoboni.  Mme  217. 

Richelieu,  Marschall  10, 
12,  133,  140,  198,  256, 
263,  264,  267,  340. 

Robespierre  IV 

La  Roche-Aymon,  Kardi- 
nal 273. 

Rochefort,  Mme  170. 

Rohan,  Herzogin  262. 

Rosalie,  Mlle  90. 

Rousseau  V,  VII,  IX,  XVI, 

121,   2l6,    284,   292. 


Rozen,  Marquise  384. 
Ruiniere  259. 

Sabian,  Graf  .427. 
Säle  81. 

Saint-Lambert  136. 
Saint-Simon,     Mme     de 

299. 
Sainte  Amaranthc,  Mme 

de  156. 
Salm,  Türst  79. 
Sartine  200,  360,  364. 
Schuwaloff  261. 
Simon,  Mlles  184. 
Soubise,  Prinz  229,  271, 

398,  401.^ 
Stanislaus,  König  272, 287. 
Sully,  Mme  de  290. 

Talleyrand  298. 
Taylor  6. 

Tencin,  Abbe  282. 
Tencin,  Mme  264,  266. 
Terray,Abbei95,i96,339, 
348>  350,  363,  368,  373, 

377.  389- 

Tessier  296. 

Tombeuf     297.        [215. 
Tremouille,  Herzog  194, 
Tronchin,  Dr.  269. 
Turenne  286. 
Turner  297. 

Vatri,  Abbe  277. 
Vergtnnes  283. 
Vestris  i,  140. 
Villars,  Marschall  264. 
Villereis,  Herzog  21 1,  338. 
Voisenon  136. 
Voltaire  XI,  XII,  92,  236, 

254,  280,  281,  296,409. 
VriBiSre,  Herzog  200,211, 

346,  361. 

Watteau  VII. 
Zacharie,  Mlle  161. 


INHALTSVERZEICHNIS 

Einleitung  V-XVI.  Die    Polizeiberichte    für    den 
Die     Chronique     Scandaleuse  König  293—302. 

1— 146.  Originalbriefe   der  Fr.  Gräfin 
DieChroniquearetinei47    190.  Du  Barry  303—433. 

Der  Gazettier  Cuirasse  191  bis  Anmerkungen  434—450. 

237.  Personenregister  45 1—  452. 
Aus  den  Memoiren  238—292. 


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