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Full text of "Die slawische Liturgie in Böhmen und die altrussische Legende vom heiligen Wenzel"

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DIE 


SLAWISCHE 

LITURGIE  IN  BÖHMEN 


UND  DIE 


ALTKUSSISCHE 

LEGENDE  VOM  HEILIGEN  WENZEL 


VON 


W.  WATTENBACH, 


AUS  DEN  ABHANDLUNGEN  DER  HIST.  PHIL.  GESELLSCHAET  IN  BRESLAU.    I.  BAND- 


BEESLAÜ, 
VERLAG  VON  EDUARD  TEEWENDT. 

1857. 


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PG-105 


DIE  SLAWISCHE 


LITURGIE  IN  BÖHMEN 


UND  DIE  ALTBUSSISCHE 


LEGENDE  VOM  HEILIGEN  WENZEL 


VON 


W.    WATTEXBAi'H. 


Die  Scheidung  der  christlichen  Kirche  in  ein  östliches  und  ein  westliches 
Patriarchat  ist  für  die  ganze  Gestaltung  der  neueren  Staaten  von  der  gröss- 
ten  Wichtigkeit  gewesen.  Die  Gemeinschaft,  der  enge  Zusammenhang 
aller  abendländischen  Staaten  beruhen  vornehmlich  auf  der  ursprünglichen 
kirchlichen  Einheit,  welche  die  Gleichheit  der  gelehrten  Sprache,  ja  der 
ganzen  geistigen  Entwicklung  in  ihren  Grundzügen  zur  Folge  hatte. 
Ebenso  entscheidend  war  für  die  xVbsonderung  des  Ostens  die  Herrschaft 
der  griechischen  Kirche,  welche  den  Slawen  den  Gebrauch  ihrer  Volks- 
sprache beim  Gottesdienst  gestattete.  Aber  sie  vermochte  nicht  alle 
slawische  Stämme  zu  gewinnen,  und  daher  rührt  zum  grossen  Theile  die 
Zerrissenheit  derselben. 

Das  achte  Jahrhundert  gab  für  diese  weltgeschichtliche  Sonderung  die 
Entscheidung;  die  Lage  der  Dinge  im  Anfange  desselben  lässt  uns  den 
Ausgang  noch  völlig  unentschieden  erscheinen.  Wie  die  deutschen  Stämme 
in  das  römische,  so  waren  slawische  in  das  griechische  Reich  eingedrungen, 
und  verloren  allmählich  ihre  Nationalität  unter  dem  Uebergewicht  der 
fremden  überlegenen  Kultur;  die  zurückgebliebenen  Stämme  waren  noch 
heidnisch,  und  hatten  kaum  eine  Gemeinschaft  mit  den  übrigen.  Die 
Slawen  waren  vorgedrungen  bis  an  die  Elbe  und  Saale;  an  Böhmen  schloss 
sich  südwärts  das  slawische  Nieder- Oestreich,  Steiermark,  Kärnthen.  Das 
fränkische  Reich  begann  erst  eben  aus  dem  tiefsten  Verfall  sich  zu  erheben. 
Die  Kirche  war  völlig  entartet,  und  zeigte  kaum  noch  Spuren  von  innerem 
Leben;  mit  dem  römischen  Stuhle  war  fast  gar  keine  Verbindung  geblieben, 
an  eine  von  dort  ausgehende  Einwirkung,  eine  Neubelebung  von  Rom  aus 


^üb  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

war  nicht  zu  denken.  Nur  in  dem  fernsten  Winkel  der  abendländischen 
Christenheit  hatte  sich  ein  regeres  Leben  noch  erhalten;  von  Irland  gingen 
zahlreiche  Missionen  aus  und  blieben  auch  nicht  ohne  Erfolg,  aber  in  ihrer 
Vereinzelung,  ohne  organischen  Zusammenhang,  konnten  sie  doch  zu 
keinen  festen  Gründungen  führen,  und  waren  selbst  dem  raschesten  Ver- 
fall ausgesetzt.  Besseren  Erfolg  hatten,  angelehnt  an  die  wachsende  Macht 
der  Arnulfinger,  die  englischen  Missionen;  aber  wenn  auch  hierdurch 
bedeutend  vorgearbeitet,  der  Boden  vorbereitet  war,  so  ging  doch  die 
gänzliche  Neugestaltung  der  abendländischen  Kirche,  die  feste  Grundlage 
der  ganzen  späteren  Entwickelung,  einzig  und  allein  von  einem  Manne  aus, 
von  Bonifacius. 

Dieser  ausserordentliche  Mann  verstand  es,  aus  den  vereinzelten  kirch- 
lichen Stiftungen  in  Baiern,  Franken  und  Thüringen  einen  festen  Organis- 
mus zu  bilden,  die  alterschwache  Kirche  Frankreichs  zu  reformiren  und 
mit  demselben  Gebäude  zu  einem  Ganzen  unauflöslich  zu  verbinden,  und 
dieser  seiner  Schöpfung  verlieh  er  durch  den  Primat  Petri,  welcher  in  die- 
ser Gestalt  als  ein  ganz  neuer  Gedanke  anerkannt  werden  muss,  einen 
festen  Halt  und  Zusammenhang,  welcher  der  lateinischen  Kirche  bis  jetzt 
gefehlt  hatte.  Die  römischen  Päpste  gingen  mit  Eifer  und  Weisheit  auf 
seine  Auffassung  und  Absichten  ein,  aber  von  Bonifacius  ging  alles  aus, 
und  erst  durch  ihn  gewann  die  Idee  des  römischen  Primats,  welche  in  Eng- 
land aus  dem  von  Gregor  dem  Grossen  gelegten  Keime  entsprossen  war, 
eine  grossartige  Verwirklichung.  Das  neue  fränkische  Königsgeschlecht 
machte  sich  zum  Träger  dieser  Idee,  und  die  Ausbreitung  des  fränkischen 
Reiches  erweiterte  in  gleichem  Maasse  die  Herrschaft  der  römischen  Kirche. 
Durch  Karl  den  Grossen  wurde  die  Vereinigung  aller  deutschen  Stämme  in 
derselben  Kirche  entschieden,  während  er  zugleich  das  längst  gelockerte 
Verhältniss  des  römischen  Papstes  zum  Ostreich  vollends  zerriss.  Hätte 
sich  das  Reich  auf  dieser  Höhe  länger  erhalten,  so  würde  vielleicht  auch 
das  skandinavisch-slawische  Reich  der  Russen  für  die  Gemeinschaft  des 
Abendlandes  gewonnen  sein.  Wenn  es  aber  auch  dazu  nicht  gekommen  ist, 
so  wurde  doch  die  Hälfte  der  slawischen  Stämme  dem  Uebergewicht  der 
römischen  Kirche  unterworfen  und  ihren  Stammgenossen  entfremdet. 

Denkbar  wäre  auch  eine  ganz  entgegengesetzte  Entwickelung.  Unmög- 


Von  W.  Wattenbach.  207 

lieh  erscheint  es  nicht,  dass  aus  der  Mitte  der  slawischen  Stämme  im  Ost- 
reich sich  ein  Herrschergeschlecht  wie  die  arnulfingischen  Hausmeier  erho- 
ben hätte,  dass  auch  in  der  griechischen  Kirche  ein  Mann  wie  Bonifacius 
erstanden  wäre  und  sie  zu  neuem  Leben  erweckt  hätte.  Häufige  Beispiele 
haben  gezeigt,  wie  leicht  ein  kräftiger  Herrscher  unter  den  Slawen  seine 
Macht  auch  über  die  entferntesten  Stammgenossen  ausdehnte,  wie  leicht 
auch,  wenn  der  Herrscher  wollte,  das  Christenthum  unter  ihnen  sich  ein- 
führen liess.  Hätte  im  achten  Jahrhundert  ein  solcher  Aufschwung  unter 
den  Slawen  stattgefunden,  und  wären  dann  die  heidnischen  Sachsen  und 
Thüringer  in  ihrer  Vereinzelung  von  dieser  Seite  angegriffen  und  überwäl- 
tigt worden,  wären  sie  zur  griechischen  Kirche  bekehrt,  die  ihnen  nicht 
fremder  war,  wie  die  lateinische,  wie  ganz  anders  hätte  sich  dann  die 
neuere  Geschichte  gestaltet! 

Gewiss  war  es  kein  blosser  Zufall,  dass  es  eben  nicht  so  kam,  dass  nur 
aus  dem  deutschen  Volk  ein  solches  Fürstenhaus  erstand,  und  dass  von 
einem  andern  germanischen  Volk  die  Erneuerung  der  Kirche  ausging;  es 
würde  nicht  schwer  sein,  die  tiefer  liegenden  Ursachen  nachzuweisen:  nur 
auf  die  grosse  weltgeschichtliche  Bedeutung  dieser  Erhebung  der  Franken 
gerade  im  achten  Jahrhundert  sollte  durch  jene  Bemerkungen  hingewiesen 
werden.  Dass  der  griechischen  Kirche  die  Fähigkeit  sich  auszubreiten 
nicht  fehlte,  hat  sie  später  bewiesen,  aber  zu  einer  Zeit  da  die  abendlän- 
dische Christenheit  bereits  den  Vorsprung  gewonnen  hatte,  welcher  ihr  das 
Ueberge wicht  sicherte. 

Im  neunten  Jahrhundert,  als  der  Riss  zwischen  beiden  Kirchen  immer 
grösser  wurde,  begegneten  sich  beide  auf  dem  Gebiet  der  Mission.  Bei  den 
Bulgaren  trafen  sie  zusammen;  der  König  Bogoris  liess  sich  864  von  einem 
griechischen  Priester  taufen,  aber  schon  866  hatte  er  seinen  Sinn  gänzlich 
geändert,  jagte  die  gesammte  griechische  Geistlichkeit  aus  dem  Lande,  und 
bat  den  deutschen  König  Ludwig,  so  wie  den  römischen  Papst  um  Lehrer 
für  sein  Volk.  Papst  Nikolaus  zauderte  nicht  die  günstige  Gelegenheit  zu 
benutzen,  und  als  der  vom  König  Ludwig  entsandte  Bischof  Ermanrich  von 
Passau  ankam,  fand  er  den  Platz  bereits  besetzt  durch  die  Bischöfe  von 
Populonia  und  Portus,  die  Boten  des  Papstes.  Formosus  von  Porto  führte 
seine  Sache  gut,  Bogoris  wünschte  nichts  mehr,  als  ihn  zum  Erzbischof 


208  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

seines  Landes  zu  haben,  aber  Nikolaus  versagte  ihm  die  Bitte.  Er  erwie- 
derte,  dass  die  Kirchengesetze  nicht  verstatteten,  einBisthum  mit  dem  ande- 
ren zu  vertauschen,  und  Bogcris  wandte  sich  den  Griechen  wieder  zu1). 

Um  dieselbe  Zeit  begannen  die  Griechen  auch  im  mährischen  Reiche 
den  Rechten  und  Ansprüchen  der  römischen  Kirche  gefährlich  zu  werden. 
Dieses  seit  kurzer  Zeit  emporgekommene  Slawenreich  nahm  dadurch  eine 
doppelt  bedrohliche  Stellung  ein. 

Einst  hatten  die  Avaren  an  der  unteren  Donau  sich  festgesetzt,  und 
von  da  aus  das  Abendland  in  Schrecken  gesetzt;  länger  als  zwei  Jahrhun- 
derte erhielt  sich  ihre  Herrschaft,  aber  sie  bildete  sich  nie  zu  einem  eigent- 
lichen Staate  aus.  Die  Avaren  lagerten  wie  eine  Räuberbande  auf  den 
Puszten  zwischen  Theiss  und  Donau,  und  erhielten  durch  Schrecken  und 
Gewalt  die  slawischen  Stämme  in  Abhängigkeit.  Von  der  höheren  Kultur 
ihrer  Nachbarn  nahmen  sie  nur  auflösende  und  ihnen  selbst  verderbliche 
Elemente  auf2).  Die  westlichen  Slawen  hatten  schon  im  siebenten  Jahr- 
hundert unter  der  Führung  des  Franken  Samo  das  Joch  der  Avaren  abge- 
schüttelt, und  ein  selbst  den  Merowingern  gefährliches  Reich  aufgerichtet, 
aber  es  beruhte  nur  auf  der  Persönlichkeit  des  Samo  und  zerfiel  nach 
dessen  Tode. 

Als  nun  aber  Karl  der  Grosse  das  Reich  der  Avaren  vernichtet  hatte, 
da  gewannen  die  Slawen  Raum  zu  freier  Entfaltung;  sie  verbreiteten  sich 
über  die  verödeten  Länderstrecken,  und  gewannen  theils  unter  fränkischer 
Herrschaft,  theils  im  Verkehr  mit  dem  Westreich  an  Bildung  und  Gesit- 
tung, während  die  Uebermacht  der  Karolinger  im  raschen  Abnehmen  be- 
griffen war.  Schon  zu  Ludwigs  des  Frommen  Zeit  wusste  Moimar,  der 
Fürst  der  Mährer,  sich  eine  ansehnliche  Machtstellung  zu  gewinnen;  doch 
vermochte  er  die  Unabhängigkeit,  nach  der  er  bereits  strebte,  846  gegen 
Ludwig  den  Deutschen  nicht  zu  behaupten.  Der  König  setzte  an  Moimars 
Stelle  dessen  Neffen  Rastiz,  aber  dieser  trat  sehr  bald  in  die  Fusstapfen 


1)  Für  diese  und  die  in  den  folgenden  Abschnitten  berührten  Verhältnisse  verweise  ich  im 
Allgemeinen  auf  Dümmlers  Schriften:  Ueber  die  südöstlichen  Marken  des  fränkischen  Reiches, 
aus  dem  10.  Bande  des  von  der  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften  herausgegebenen  Archivs, 
die  pannonische  Legende  vom  h.  Methodius,  aus  dem  13.  Bande,  und  Piligrim  von  Passau.  Leipz. 
1854.  8.  Wattenbach,  Beiträge  zur  Geschichte  der  christlichen  Kirche  in  Mähren  und  Böhmen. 
Wien,  1849.  8. 

2)  Vergl.  Dümmler,  die  südöstlichen  Marken  S.  5—10.    Piligrim  S.  8 — 10. 


Von  W.  Wattenbach.  209 

seines  Oheims  und  verfolgte  dieselben  Pläne  mit  besserem  Erfolg.  Schon 
855  behauptete  er  sich  gegen  einen  Angriff  Ludwigs,  und  die  inneren  Zer- 
würfnisse im  fränkischen  Reiche,  so  wie  in  der  eigenen  Familie  des  Königs, 
wusste  er  mit  grosser  Gewandtheit  zur  Verstärkung  seiner  Macht  zu  be- 
nutzen. Andererseits  trat  er  auch  in  Verbindung  mit  dem  griechischen  Reiche. 

Schon  war  ein  grosser  Theil  der  Mährer  getauft T),  und  da  Rastiz  das 
Christenthum  begünstigte,  erfüllte  sich  das  Land  mit  Missionaren,  mit  Prie- 
stern aus  Deutschland,  Italien  und  Griechenland.  Natürlich  herrschte  Zwie- 
tracht unter  ihnen,  und  bei  dem  Mangel  einer  kirchlichen  Organisation, 
einer  oberen  Leitung,  entstand  die  grösste  Verwirrung.  Die  Geschichte  des 
Mittelalters  zeigt  uns  an  vielen  Beispielen,  dass  die  Bildung  einer  festeren 
Staatsgewalt  fast  immer  verbunden  war  mit  dem  Eindringen  des  Christen- 
thums;  ein  fähiger  Herrscher  konnte  bei  seinen  Bestrebungen  keine  besse- 
ren Rathgeber  und  Helfer  finden,  als  die  christlichen  Priester,  welche  aus 
Ländern  kamen,  die  bereits  auf  einer  höheren  Kulturstufe  standen,  und 
monarchisch  organisirt  waren.  Er  gewann  damit  zugleich  eine  Stütze 
durch  die  Anlehnung  an  die  Kaisermacht,  deren  Namen  in  der  Fremde 
auch  da  noch  sich  wirksam  erwies,  wohin  die  wirkliche  Macht  nicht  mehr 
reichte.  Nothwendig  war  es  aber  dazu,  sich  einem  bestimmten  kirchlichen 
Organismus  anzuschliessen,  vereinzelte  und  uneinige  Missionare  konnten 
wenig  Nutzen  bringen. 

Rastiz  empfand  dieses  Bedürfniss,  und  wie  die  Chazaren  und  Bulgaren, 
wie  später  die  Russen,  bemühte  er  sich  im  J.  863  um  Lehrer,  deren 
Autorität  einen  festen  Anhalt  gewähren  könnte.  Wenn  wir  uns  auf  das 
Schreiben  Hadrians  IL  in  der  pannonischen  Legende  verlassen  dürfen,  so 
sandte  er  deshalb  auch  nach  Rom,  wo  aber  die  Gelegenheit  fehlte  2),  seine 
Bitte  zu  erfüllen,  vermuthlich  weil  die  slawische  Sprache  hier  zu  wenig 
bekannt  war.  Denn  um  Lehrer,  welche  dieser  Sprache  kundig  wären,  bat 
er,  wie  uns  berichtet  wird,  gleichzeitig  den  Kaiser  Michael,  und  diesem 
standen  gerade  zwei  Männer  zu  Gebote,  welche  sich  vor  allen  zu  einer 
solchen  Sendung  eigneten,  die  Brüder  Konstantin  und  Method  aus  Thessa- 


2)  In  der  Mainzer  Synode  von  851  wird  die  rudis  christianitas  der  Mährer  erwähnt,   der 
kein  Anstoss  gegeben  werden  soll.   Mon.  Germ.  Leg.  I,  414. 

2)  Hie   misit  vobis  Constantinuni   una   cum  fratre,  cum  nobis  occasio  deesset,  nach  der 
Uebersetzung  von  Miklosich.   Bei  Erben  :  prius  quam  nos  approperaremus. 
Abhandl.  der  hist.  phil.  Gesellschaft  in  Breslau.  1.  Bd.  14 


^10  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

lonieh,  welche  so  eben  von  einer  ähnlichen  Mission  zu  den  Chazaren  zu- 
rückgekehrt waren.  Diese  forderte  der  Kaiser  auf,  dem  Gesuche  des  Rastiz 
Folge  zu  leisten,  und  mit  dem  grössten  und  ernstlichsten  Eifer  unternah- 
men sie  sogleich  ihre  neue  Aufgabe;  Konstantin  erfand  für  die  Sprache, 
welche  ihm  durch  die  um  Thessalonich  angesiedelten  Slawen  geläufig  war, 
ein  Alphabet1),  und  übersetzte  einen  Theil  der  heiligen  Schriften,  um  sich  da- 
durch eine  bessere  Grundlage  für  seine  Wirksamkeit  zubereiten.  In  kurzer  Zeit 
gewannen  die  Brüder  einen  ausserordentlichen  Wirkungskreis  im  mäh- 
rischen Reiche,  dessen  Bewohner  jetzt  zum  ersten  Mal  die  Lehren  des 
Christenthums  in  ihrer  eigenen  Sprache  erhielten,  und  im  Lesen  und 
Schreiben  derselben  unterwiesen  wurden.  Zahlreiche  Schüler  strömten  den 
neuen  Lehrern  zu,  aber  zu  einer  genügenden  Erfüllung  ihrer  Aufgabe  fehlte 
ihnen  doch  die  erforderliche  Autorität;  sie  waren  nicht  einmal  Bischöfe. 
Vermuthlich  beabsichtigten  sie  ursprünglich  nur  einen  vorübergehenden 
Aufenthalt  in  diesem  Lande,  so  wie  sie  ja  auch  bei  den  Chazaren  nicht 
lange  geblieben  waren.  Das  Gebiet  der  Kirche  von  Konstantinopel  hatte 
sich  niemals  bis  hieher  erstreckt,  so  dass  ein  tieferes  Eingreifen  in  die  Ver- 
hältnisse des  Landes  bedenklich  war,  und  wir  hören  auch  nicht  von  Be- 
mühungen des  Patriarchen,  die  günstige  Lage  der  Dinge  zur  Ausbreitung 
seines  Sprengeis  zu  benutzen.  Freilich  wurde  auch  gerade  im  Jahre  867 
der  Patriarch  Photius  abgesetzt,  so  wie  ihn  zehn  Jahre  früher  der  Wille 
des  Kaisers  erhoben  hatte.  Diese  Abhängigkeit  der  griechischen  Kirche 
vom  Hofe,  welche  sie  zu  keiner  selbständigen  Entwiekelung  kommen 
liess,  trug  ohne  Zweifel  viel  dazu  bei,  dass  sie  auch  in  der  Mission  so  weit 
hinter  der  römischen  zurückblieb.  Doch  darf  man  nicht  vergessen,  dass  in 
der  abendländischen  Kirche  die  regeste  Lebensthätigkeit  weniger  von  Rom 
als  von  den  verschiedensten  Punkten  innerhalb  ihres  weiten  Gebietes  aus- 
ging, und  dass  auch  der  tiefste  Verfall  des  Papstthums  dieselbe  kaum 
beeinträchtigte,  sondern  eher  vermehrte. 

Damals  aber  herrschte  in  Rom  gerade  der  gewaltige  Papst  Nikolaus, 
dessen  Uebergewicht  eben  jetzt  so  gross  war,  dass  auch  die  Bulgaren  sich 
im  August  866  wie  erwähnt  an  ihn  wandten,  und  die  griechischen  Priester 


l)  Oder  verbesserte  ein  schon  vorhandenes.    Die  schwierigen  Fragen,  welche  sich  an  diesen 
Gegenstand  knüpfen,  lassen  wir  hier  unberührt. 


Von  W.  Wattenbach.  21  1 

vertrieben.  Unmöglich  konnte  Nikolaus  es  ruhig  ansehen,  dass  fremde 
Priester  ohne  seine  Autorisation  eine  solche  Gewalt  ausübten  in  einem  Ge- 
biete, welches  seit  Karl  dem  Grossen  zum  fränkischen  Reiche,  und  folglich 
zur  abendländischen  Kirche  gerechnet  wurde,  in  dem  die  benachbarten 
Bischöfe  schon  Amtshandlungen  vorzunehmen  begonnen  hatten.  Er  berief 
die  Brüder  nach  Rom,  und  sie  folgten  willig  seinem  Rufe.  Als  sie  ankamen, 
war  Nikolaus  gestorben  (13.  Nov.  867)  und  Hadrian  IL  auf  ihn  gefolgt. 
Noch  beschränkte  sich  die  Spaltung  der  beiden  Kirchen  auf  Streitigkeiten 
über  einzelne  Glaubenssätze  und  die  Grenzen  ihrer  Sprengel;  ohne  Schwie- 
rigkeit gewannen  die  Brüder  vom  Papste  die  Billigung  ihres  Verfahrens, 
und  unterwarfen  sich  seiner  Autorität.  Konstantin  starb  in  Rom  am  14. 
Febr.  869,  nachdem  er  vorher  in  ein  Kloster  eingetreten  war  und  den  Na- 
men Kyrill  angenommen  hatte ;  Methodius  aber  wurde  auf  Bitten  Kozels, 
des  Fürsten  von  Pannonien,  zurückgesandt,  und  entweder  jetzt  gleich  oder, 
nach  der  pannonisclien  Legende,  bei  einer  zweiten  Anwesenheit  in  Rom. 
(870)  zum  Erzbischof  von  Mähren  geweiht.  Es  war  das  alte  Bisthum  von 
Sirmium,  welches  zu  seinen  Gunsten  erneuert  und  zum  Erzbisthum  für  das 
ganze  mährische  Reich  erhoben  wurde;  auch  Unterpannonien,  das  Gebiet 
des  Kozel,  wurde  der  Salzburger  Kirche,  der  es  durch  Karl  den  Grossen 
übergeben  war,  wieder  abgenommen,  und  der  heftige  Widerstand  der  bai- 
rischen  Bischöfe  sammt  dem  Könige  führte  ungeachtet  des  anfänglich 
glücklichen  Erfolgs  doch  zuletzt  nur  zu  ihrer  Unterwerfung  unter  den 
Willen  des  Papstes.  Der  874  mit  Swatopluk  geschlossene  Friede  bestätigte 
die  neue  Anordnung. 

Zu  gleicher  Zeit  wurde  dem  Methodius  die  Anwendung  der  slawi- 
schen Liturgie  gestattet,  ein  bisher  unerhörtes  Vorrecht.  Die  Thatsache 
freilich  war  nicht  ohne  Beispiel;  vielmehr  gewährt  das  Verfahren  des  Ulfila 
eine  sehr  merkwürdige  Parallele.  Denn  auch  dieser  erfand  für  sein  Volk 
ein  Alphabet,  übersetzte  die  heilige  Schrift,  und  führte  eine  Liturgie  in  der 
Landessprache  ein.  Dafür  spricht  nicht  nur  das  erhaltene  Fragment  eines 
Kalenders  in  gothischer  Sprache,  und  der  Umstand,  dass  ein  vandalischer 
Bischof  kein  Latein  verstand,  sondern  ganz  besonders  die  Forderung, 
welche  der  Vandalenkönig  Hunerieh  an  den  Kaiser  Zeno  stellte,  dass  er 
nämlich  den  arianischen  Bischöfen  in  seinem  Reiche  gestatten  möge,  in 
ihren    Kirchen    den    Gottesdienst    zu    halten,    in    welcher  Sprache    sie 


21z  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

wollten1).  Auf  die  Predigt  in  der  Landessprache  kann  sich  das  kaum 
beziehen,  weil  diese  niemals  verboten  war,  und  man  kann  daher  nicht  be- 
zweifeln, dass  die  arianischen  Gothen  und  Vandalen,  wo  sie  selbständig 
waren,  die  Liturgie  in  ihrer  eigenen  Sprache  hielten.  Aber  zugleich  sehen 
wir  auch  daraus,  dass  die  griechische  Kirche  ausser  der  dogmatischen  Ab- 
weichung auch  diese  Forderung  verwarf.  Es  war  also  nicht  eine  neue, 
sondern  eine  schon  früher  verweigerte  Begünstigung,  welche  Methodius 
jetzt  verlangte,  und  nur  durch  sehr  gewichtige  Gründe  kann  der  Papst  dazu 
bewogen  sein. 

Die  Veranlassung  dazu  vermuthet  nun  Dümmler  2)  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit in  dem  Umschwung  der  Dinge,  welcher  gerade  damals  bei 
den  Bulgaren  Statt  fand.  Diese  hatten  sich  nämlich  den  Griechen  wiederum 
in  die  Arme  geworfen,  und  die  lateinischen  Priester  hatten  870  das  Land 
räumen  müssen.  Die  Päpste  suchten  mit  grosser  Anstrengung,  aber  ver- 
geblich, dieses  Volk  wieder  zu  gewinnen;  die  Hoffnung  darauf,  der  Wunsch 
sich  wenigstens  das  mährische  Reich  zu  sichern,  mag  wohl  den  Papst  Ha- 
drian  zu  seinem  Verfahren  bewogen  haben,  und  Methodius  führte  nun 
wirklich  die  slawische  Liturgie  ein,  welche  ihm  sogleich  die  Herzen  des 
ganzen  Volkes,  sowohl  im  mährischen  Reiche,  wie  in  der  pannonischen 
Herrschaft  des  Kozel  gewann. 

Nicht  von  der  griechischen  Kirche,  sondern  von  der  römischen  ging 
also  die  Einführung  der  slawischen  Liturgie  aus.  und  wenn  man  auf  diesem 
Wege  geblieben  wäre,  so  hätte  sich  die  ganze  Zukunft  der  slawischen 
Völker  anders  gestalten  können.  Selbst  die  Russen,  welche  960  von  Otto  I. 
sich  Lehrer  ausbaten,  wie  einst  Rastiz  von  Kaiser  Michael,  wären  vielleicht 
für  die  abendländische  Kirche  gewonnen,  wenn  der  damals  abgesandte 
Adalbert  die  slawische  Liturgie  mitgebracht  hätte,  welche  die  Russen  988 

1)  Victor  Vit.  II,  2  ut  nostrae  religionis  episcopi  liberum  arbitrium  habeant  in  ecclesiis 
suis,  quibus  voluerint  Unguis  populo  traetare.  Den  Gottesdienst  in  der  eigenen  Sprache  folgert 
daraus  Papenoordt,  Geschichte  der  vandalischen  Herrschaft  in  Afrika  S.  295.  Ruinart  freilich 
bezieht  das  „populo  traetare"  dem  Sprachgebrauchs  gemäss  auf  die  Predigt;  wenn  diese  Erklä- 
rung richtig  ist,  so  ist  natürlich  an  die  Gestattung  einer  Liturgie  in  der  Landessprache  nur  um 
so  viel  weniger  zu  denken. 

*)  Pannon.  Legende  S.  38.  In  Bezug  auf  Johann  VIII.  spricht  diese  Vcrmuthung  auch 
Kopitar  aus,  Proleg.  bei  Miklosich,  Slaw.  Bibl.  1,  68. 


Von  W.  Wattenbach.  213 

von  der  griechischen  Kirche  empfingen.  Allein  die  von  Hadrian  IL  geübte 
Toleranz  nicht  allein  gegen  die  slawische  Liturgie,  sondern  auch  gegen 
die  abweichenden  Lehren  der  griechischen  Missionare,  namentlich  über  das 
Ausgehen  des  heiligen  Geistes  vom  Vater  allein,  stand  zu  sehr  im  Wider- 
spruch mit  dem  starren  und  unduldsamen  Geiste  der  Kirche,  als  dass  sie 
den  Nachfolgern  zum  Vorbild  hätte  dienen  können.  Die  deutschen 
Bischöfe  so  wie  die  fränkischen  Priester  in  Mähren  bekämpften  Methodius 
und  seinen  Anhang  mit  dem  erbittertsten  LIasse;  sie  gewannen  schon 
Johann  VIII.  für  sich,  vor  dem  sich  jedoch  Methodius  880  persönlich  noch 
einmal  rechtfertigte  und  die  Erneuerung  der  früheren  Zugeständnisse  er- 
hielt. Aber  im  mährischen  Reiche  selbst  hatte  Methodius  durch  den  Sturz 
und  Untergang  des  Rastiz  870  seinen  festesten  Halt  verloren;  je  näher  er 
dem  alten  Fürsten  gestanden  hatte,  um  so  viel  fremder  blieb  er  dem  Neffen 
und  Verräther  desselben,  dem  er  überdies  als  strenger  Sittenprediger  lästig 
gewesen  zu  sein  scheint,  und  Swatopluk  zog  deshalb  die  fränkischen  Prie- 
ster vor,  deren  Führer  seit  880  der  Bischof  Wiching  von  Neitra  war;  selbst 
die  slawische  Messe  war  ihm  zuwider.  Auch  Kozel,  der  slawische  Beherr- 
scher von  Pannonien,  Methodius  alter  Freund  und  Gönner,  war  872  oder 
873  gestorben,  und  sein  Gebiet  wurde  884  mit  Swatopluks  Reich  vereinigt. 
Die  Zwietracht  zwischen  Methodius  und  den  fränkischen  Priestern  wurde 
immer  heftiger:  es  kam  so  weit,  dass  Methodius  den  Bann  über  seine  Geg- 
ner aussprach;  diesen  aber  gelang  es,  vom  Papst  Stephan  V.  eine  Bulle  zu 
erwirken,  in  welcher  die  Lehren  des  Methodius  und  die  Anwendung  der 
slawischen  Liturgie  entschieden  verdammt  wurden.  Von  dem  Standpunkt 
und  dem  Verfahren  seiner  Vorgänger  scheint  Stephan  nichts  mehr  gewusst 
zu  haben,  und  Swatopluk  hatte  kein  Herz  für  die  slawischen  Priester,  die 
er  schutzlos  ihren  Feinden  überliess. 

Nach  dem  Tode  des  Methodius  (885  oder  886)  wurden  seine  Schüler 
aus  dem  mährischen  Reiche  vertrieben;  sie  fanden  willige  Aufnahme  bei 
den  Bulgaren,  und  die  griechische  Kirche,  mit  deren  Glaubenslehren  die 
Bischöfe  und  Priester  übereinstimmten,  scheint  niemals  an  der  slawischen 
Liturgie  Anstoss  genommen  zu  haben.  Als  Wladimir  von  Russland  im 
J.  988  der  griechischen  Kirche  sich  anschloss,  eröffnete  sich  hier  der  nun 
schon  völlig  befestigten  slawischen  Kirchensprache  ein  neues  weites  Feld; 


214  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

die  westlichen  Slawen  aber,  die  bereits  für  die  lateinische  Kirche  gewonnen 
waren,  entbehrten  dieser  Stütze  ihrer  Nationalität,  und  verfielen  deshalb  um 
so  leichter  der  Germanisirung. 

Das  Schicksal  der  slawischen  Liturgie  im  mährischen  Reiche  hatte  sich 
also,  wie  gesagt,  schon  vor  dem  Untergang  desselben  durch  innere  Zwie- 
tracht und  die  hereinbrechenden  Ungern  entschieden.  Doch  ist  es  nicht 
unwichtig  zu  untersuchen,  wie  weit  sie  während  der  15  Jahre  ihres  Beste- 
hens schon  vorgedrungen  war;  wie  tiefe  Wurzeln  sie  bereits  geschla- 
gen hatte. 

Der  König  Swatopluk  von  Mähren,  der  Nachfolger  des  Rastiz, 
erstreckte  seine  Gewalt  auch  über  Böhmen,  das  er  in  Abhängigkeit  brachte ; 
ja  die  Eibslawen  bis  zur  Saale  waren  nach  Thietmar  von  Merseburg 
(VI,  60)  von  ihm  abhängig.  Ob  nun  auch  hierhin,  ob  namentlich  in  Böh- 
men die  slawische  Liturgie  sich  verbreitet  habe,  ist  eine  viel  besprochene 
Frage.  Man  hat  einerseits  das  Bestehen  nicht  nur  slawischer  Liturgie,  son- 
dern auch  einer  unterdrückten  griechisch-slawischen  Kirche  im  Lande  be- 
hauptet, und  daraus  die  Entstehung  des  Hussitismus  abgeleitet1).  Anderer- 
seits haben  Dobrowsky,  Kopitar  und  neuerdings  Dümmler,  die  Existenz 
der  slawischen  Liturgie  in  Böhmen  völlig  bestritten2). 

Während  nämlich  die  seit  alter  Zeit  geltend  gemachten  positiven  Be- 
weise nur  schwach  waren,  stand  der  Annahme  entgegen,  dass  845  vierzehn 
böhmische  Fürsten  in  Regensburg  die  Taufe  erhalten  haben,  und  dass  von 
da  an  bis  zur  Errichtung  des  Bisthums  Prag  Böhmen  zum  Regensburger 
Sprengel  gehörte.  Die  Abneigung  der  lateinischen  Geistlichkeit  gegen  die 
slawische  Liturgie  aber  war  bekannt  genug;  es  schien  nicht  wahrschein- 
lich, dass  der  Bischof  von  Regensburg  sie  würde  geduldet  haben,  oder  dass, 
wenn  sie  stark  genug  gewesen  wäre,  um  sich  zu  behaupten,  nicht  deut- 
lichere Spuren  des  Kampfes  sich  sollten  erhalten  haben.  Die  Legenden 
von  S.  Wenzel  und  Adalbert  enthielten  nichts  der  Art.  Allein  diese  Lage 
der  Dinge  ist  seit  1827  völlig  verändert  durch  die  Entdeckung  einer  neuen 


1 )  »Schon  seit  dem  16.  Jahrh.  nach  Palacky  Dejiny  Ceske'  III,  1,  7,  wo  er  diese  Ansicht 
widerlegt. 

2)  E.  Dümmler,  De  Bohcmiae  condicione  Carolis  imperantibus.  Lips.  1854.  Dagegen: 
Wcnc.  Zelcny,  De  rcligionis  christianae  in  Bohemia  principiis.  Im  Progr.  des  k.  k.  Akad.  Staats- 
gymnas.  zu  Prag  1855. 


Von  W.  Wattenbach.  215 

Quelle,  der  altslovenisclien  Legende  vom  h.  Wenzel,  welche  bis  jetzt  weder 
von  Dümmlcr  noch  von  anderen  deutschen  Gelehrten  benutzt  oder  auch 
nur  berücksichtigt  ist,  aus  dem  Grunde,  weil  nur  in  russischer  und  böhmi- 
scher Sprache  darüber  geschrieben  ist.  Kopitar  ignorirte  sie  völlig; 
Palacky  freilich  benutzte  und  citirte  sie,  aber  diese  Anführungen  konnten 
den  Zweifel  nicht  beseitigen,  ob  sie  denn  auch  wirklich  für  so  alt  und 
glaubwürdig  zu  halten  sei,  ob  sie  sich  von  den  anderen  nicht  so  ganz  unan- 
stössigen  altslawischen  Quellen  wesentlich  unterscheide.  Deshalb  habe 
ich  es  für  nützlich  gehalten,  hier  von  dieser  Legende  Nachricht  zu  geben 
und  sie  in  Uebersetzung  mitzutheilen  !). 

Wostokow  entdeckte  die  Legende  vom  h.  Wenzel  in  einer  Handschrift 
vom  Ende  des  15.  Jahrhunderts  in  der  Bibliothek  des  Kanzlers  Grafen 
Rumjanzow,  und  gab  sie  1827  im  Moskovsky  Vjestnik  No.  17  heraus.  Im 
Jahre  1830  publicirte  auch  Hanka  eine  böhmische  Uebersetzung  derselben 
in  der  Zeitschrift  des  böhmischen  Museums  2);  1837  erschien  in  derselben 
Zeitschrift  eine  Untersuchung  von  Palacky  über  die  Legende  3). 

Sie  steht  in  einer  Sammlung  von  Heiligenleben  in  altrussischer 
Sprache.  Wer  gewohnt  ist,  sich  mit  Legenden  aus  dem  Gebiete  der  lateini- 
schen Kirche  zu  beschäftigen,  hat  mit  gutem  Recht  eine  Abneigung  gegen 
alle  Legenden  in  der  Landessprache,  denn  er  weiss,  dass  diese  späteren  Ur- 
sprungs sind,  und  neben  den  lateinischen  Originalen  für  geschichtliche 
Zwecke  völlig  unbrauchbar.  In  der  Regel  sind  sie  durch  Ungenauigkeit 
und  Fabeln  so  entstellt,  dass  auch  da,  wo  das  lateinische  Original  verloren 
ist,  doch  die  Bearbeitung  kaum  zu  brauchen  ist.  Allein  es  giebt  doch  auch 
hier  Ausnahmen,  wie  das  Leben  des  Landgrafen  Ludwig,  und  im  Gebiete 
der  slawischen  Kirchensprache  gewinnen  durch  die  höhere  Geltung  der 
Landessprachen  auch  die  Uebersetzungen  einen  höheren  Werth,  besonders 
da  das  Yerständniss  der  griechischen  Sprache  bald  in  vielen  Gegenden 


1)  Seitdem  dieses  geschrieben  ist,  hat  auch  M.  Büdinger  in  der  Schrift:  Zur  Kritik  altböh- 
mischer Geschichte,  besonders  abgedruckt  aus  der  Zeitschrift  für  die  österr.  Gymnasien  1857 
Heft  VII.  diese  Legende  kritisch  untersucht.  Die  von  ihm  benutzte  lateinische  Uebersetzung 
des  Herrn  Prof.  Miklosich  ist  auch  mir  zur  Benutzung  mitgetheilt  worden.  Hierfür,  sowie  für 
mannigfache  Belehrung,  bin  ich  dem  Herrn  Prof.  Miklosich  zu  lebhafter  Dankbarkeit  verpflichtet. 

2)  Casopis  Ceskeho  Museum  IV,  453—462. 

3)  0  umucenj  sw.  Wäclawa,  podle  legendy  slowanske,  üwaha  kritickä;  ib.  XI,  406 — 417. 


216  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

ganz  verschwand,  und  deshalb  auch  die  griechischen  Originale  der  Legen- 
den verloren  gingen.  Die  Uebersetzungen  aber  dienten  nun  unmittelbar 
zum  kirchlichen  Gebrauch,  und  mochten  dadurch  etwas  mehr  gegen  Ent- 
stellungen gesichert  sein.  So  gehört  jetzt  zu  unsern  wichtigsten  Quellen 
über  das  Leben  des  Methodius  eine  altrussische  Legende,  welche  Miklosich 
für  eine  Uebersetzung  aus  dem  Griechischen  hält  und  der  Sprache  nach 
erst  ins  14.  Jahrhundert  setzt.  Erhalten  ist  sie  nur  in  einer  Handschrift  des 
16.  Jahrhunderts;  dem  Inhalt  nach  aber  gehört  sie  ohne  allen  Zweifel  noch 
ins  neunte  Jahrhundert,  denn  sie  kann  nur  unter  den  pannonischen  Slovenen 
und  vor  dem  Sturze  des  mährischen  Reiches,  unmittelbar  nach  dem  Tode 
des  Methodius,  geschrieben  sein.  Ebenso  alt  ist  auch  ein  nur  in  altser- 
bischer Sprache  des  14.  Jahrhunderts  erhaltenes  Leben  Konstantins.  Von 
den  vertriebenen  Schülern  des  Methodius  müssen  diese  Legenden  nach 
Bulgarien  mitgenommen,  und  so  für  die  Nachwelt  gerettet  sein. 

Es  war  aber,  wo  die  slawische  Kirchensprache  Geltung  hatte,  auch 
von  Anfang  an  kein  Hinderniss  vorhanden,  die  Legenden  gleich  in  dieser 
Sprache  zu  schreiben,  und  nirgends  war,  wenn  die  slawische  Kirchen- 
sprache jemals  in  Böhmen  heimisch  gewesen  ist,  früher  Veranlassung  dazu 
wie  gerade  hier,  wo  die  griechische  Sprache  deren  man  sich  auch  in  den  sla- 
wischen Landen  Anfangs  noch  vorzugsweise  bediente,  gewiss  bald  in  Ver- 
gessenheit gerieth,  nachdem  die  Verbindung  mit  der  griechischen  Kirche 
abgeschnitten  war. 

An  sich  könnte  es  daher  durchaus  nicht  auffallen,  wenn  sich  eine  böh- 
mische Legende  aus  dem  zehnten  Jahrhundert  in  der  slawischen  Kirchen- 
sprache fände.  Dürften  wir  die  uns  vorliegende  als  eine  solche  betrachten,  so 
wäre  damit  auch  die  Existenz  der  slawischen  Liturgie  in  Böhmen  bewiesen, 
denn  ohne  diese  wäre  die  Kenntniss  und  der  Gebrauch  derKirchensprache 
nicht  zu  erklären,  am  wenigsten  aber  die  Abfassung  einer  für  den  Gebrauch 
der  Geistlichkeit  bestimmten  Legende  in  dieser  Sprache.  Schafarik  nun  hat  in 
der  That  geglaubt,  dieses  annehmen  zu  können;  er  fand  in  der  Sprache  der 
Legende  verschiedene  Bohemismen,  und  schloss  daraus,  dass  der  Verfasser 
ein  mit  derKirchensprache  nicht  völlig  vertrauter  Böhme  gewesen  sei1). 
Wostokow  dagegen  nahm  eine  Uebersetzung  aus  dem  Böhmischen  an,  und 


In  der  angeführten  Abhandlung  von  Palacky  S,  410.  411. 


Von  W.  Wattenback  217 

auch  Miklosich,  von  dem  eine  Ausgabe  des  Originaltextes  binnen  kurzem 
zu  erwarten  ist,  hält  denselben  für  eine  Uebersetzung;  mindestens  sei  es 
unmöglich  aus  der  Sprache  den  Beweis  zu  führen,  dass  die  Legende  nicht 
in  Russland  geschrieben  oder  verfasst  sei.  Und  sobald  man  diesen  Beweis 
nicht  mit  Sicherheit  führen  kann,  so  giebt  auch  die  Sprache  derselben  keine 
Entscheidung  mehr  für  das  Bestehen  der  slawischen  Kirchensprache  in 
Böhmen.  Wer  ein  böhmisch  geschriebenes  Original  annimmt,  macht  die 
Sache  nur  schlimmer,  denn  dadurch  wird  die  Annahme  einer  doppelten 
Uebersetzung  nothwendig.  Böhmisch  hat  man  im  zehnten  Jahrhundert 
sicherlich  nicht  geschrieben,  zumal  keine  Legende.  An  Bücher  für  das 
Volk  ist  in  dieser  Zeit  noch  nicht  zu  denken,  weil  das  überhaupt  nicht  las; 
wer  diese  Kunst  erwarb,  trat  wie  es  eben  unsere  Legende  von  Wenzel 
berichtet,  in  die  priesterliche  Bildung  ein,  und  eignete  sich  die  Kirchen- 
sprache an. 

Wir  werden  daher  die  Frage  nach  der  ursprünglichen  Sprache  der 
Legende  unentschieden  lassen  müssen,  allein  es  ist  doch  nicht  zu  verken- 
nen, dass  starke  Gründe  der  Wahrscheinlichkeit  für  die  Ursprünglichkeit 
des  slawischen  Textes  sprechen.  Denn  sehr  merkwürdig  bleibt  es  immer, 
dass  gerade  diese  Legende  ihren  Weg  nach  Russland  fand,  während  sie  in 
Böhmen  durch  das  Werk  des  lateinischen  Bischofs  fast  vollständig  ver- 
drängt wurde. 

Dass  aber  überhaupt  eine  Legende  vom  heiligen  Wenzel  gerade  in 
Russland  sich  erhalten  hat,  darf  nicht  auffallen.  Ungeachtet  der  kirch- 
lichen Trennuno;  fehlte  es  nicht  an  gegenseitigem  Verkehr,  und  so  wie  die 
lateinische  Kirche  sehr  viele  Legenden  aus  den  griechischen  Sammlungen 
herüber  genommen  hat,  wie  die  Böhmen  selbst  die  Legenden  von  Cyrill 
und  Method  von  den  Russen  entlehnten,  so  fand  auch  S.  Wenzel  schon 
früh  seinen  Weg  zu  den  Russen.  Schon  im  zwölften  Jahrhundert  sagt,  wie 
Wostokow  anführt,  der  Verfasser  der  Erzählung  von  den  heiligen  Mär- 
tyrern Boris  und  Gleb :  Denn  der  heilige  Boris  trug  Verlangen  in  Gott,  dem 
Martyrium  des  h.  Nicetas  und  dem  Leiden  des  h.  Fürsten  Wenzeslaus 
nachzufolgen.  Auch  erwähnt  Wostokow  in  der  Beschreibung  der  rus- 
sischen und  altslovenischen  Handschriften  des  Museums  Rumjanzow 
ausser  der  vorliegenden  noch  zwei  andere  Wenzellegenden.  Von  einer 
vierten,  welche  Preiss  in  einer  im  J.  1432  geschriebenen  Handschrift  der 


^lo  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

kaiserlichen  Bibliothek  in  Petersburg  entdeckte,  und  Palacky  in  den  Ab- 
handlungen der  böhmischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  V.  Folge 
2.  Band  S.  38  (1843)  herausgab,  theile  ich  im  Anhange  eine  lateinische 
Uebersetzung  von  Miklosich  mit. 

Böhmisch  geschriebene  Legenden  vom  h.  Wenzel  kannte  man  schon 
früher;  allein  diese  stehen  auf  einem  ganz  anderen  Boden,  sie  lassen  sich 
mit  den  deutschen  Bearbeitungen  lateinischer  Legenden  vergleichen.  Denn 
wie Dobrowsky  zur  Genüge  nachgewiesen  hat,  sind  dieseLegenden  alle  erst 
spät  entstanden,  und  beruhen  säinmtlich  auf  der  lateinischen  Legende  des 
Bischofs  Gumpold  von  Mantua.  Würde  die  von  Wostokow  entdeckte 
Legende  sich  diesen  anreihen,  so  hätte  sie  ebenso  wenig  Anspruch  auf  Be- 
achtung. Aber  sie  steht  vielmehr  ganz  selbständig  da;  von  Gumpolds 
Werk  ist  sie  völlig  unabhängig.  Dagegen  haben  Hanka  und  Palacky  ihr 
Alter  und  ihre  Glaubwürdigkeit  dadurch  bestätigt  gefunden,  dass  sie  eine 
grosse  Uebereinstimmung  mit  der  von  Laurentius,  Mönch  zu  Montecasino, 
wohl  im  elften  Jahrhundert  verfassten  Legende  nachwiesen.  Von  dieser 
war  damals  nur  eine  kurze  Inhaltsangabe  bekannt,  welche  Pertz  im 
Archive  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichtskunde  V,  137—143 
mitgetheilt  hatte;  jetzt  ist  sie  von  Dudik  in  seinem  Iter  Romanum  voll- 
ständig herausgegeben1).  Die  Vergleichung  beider  Schriften  ergiebt  aller- 
dings eine  nicht  unbedeutende  Uebereinstimmung  in  den  Grundzügen  und 
im  Gange  der  Erzählung,  während  im  Einzelnen  sich  Abweichungen  finden. 
Wenzels  Mutter  Dragomir,  welche  Gumpold  so  heftig  schmäht,  unser 
Autor  dagegen  so  auffallend  lobt,  wird  von  Laurentius  kaum  erwähnt,  aber 
doch  auch  nicht  getadelt.  Von  der  Ermordung  der  Liudmila  schweigen 
beide.  Es  erscheint  danach  nicht  unwahrscheinlich,  dass  Laurentius  durch 
seinen  böhmischen  Gewährsmann,  auf  den  er  sich  beruft,  von  unserer 
Legende  Kunde  erhalten  hat. 

In  Böhmen  selbst  findet  sich  kaum  eine  Spur  von  derselben,  nur  von 
dem  Compilator  des  vierzehnten  Jahrhunderts,  welcher  unter  der  Maske 
des  Christan,  des  Sohnes  ßoleslaws  I,  ein  Leben  Wenzels  schrieb,  hat 
Büdinger  es  wahrscheinlich  gemacht,  dass  sie  ihm  vorgelegen  hat. 


')  I,  304  —  318.     Der  Bischof  Adalhert  wird  darin  nicht  nur  erwähnt,  sondern  auch  mit 
einem  grossen  Anachronismus  ihm  die  Translation  Wenzels  zugeschrieben. 


Von  W.  Wattenbach.  219 

Prüfen  wir  nun  den  Inhalt  der  altslawischen  Legende,  so  zeigt  uns 
sogleich,  wie  in  dem  Leben  des  Methodius,  die  grosse  Einfachheit  der  Er- 
zählung, dass  die  Tradition  noch  nicht  Zeit  gehabt  hatte,  die  Begeben- 
heiten auszuschmücken.  Am  auffallendsten  aber  ist  der  Mangel  an 
Wundern.  Nur  eines  kommt  darin  vor;  freilich  ein  recht  kräftiges:  die 
Kirche  wandelt  über  den  Platz,  wo  Wenzel  erschlagen  war,  weil  man 
nämlich  das  Blut  an  ihren  Wänden  zeigte,  und  der  Mord  doch  draussen 
geschehen  war.  In  ihrer  Rohheit  hat  diese  Geschichte  etwas  alterthüin- 
liches,  welches  in  allen  übrigen  Legenden  durch  verschiedene  Wendungen 
verändert  ist.  Immer  aber  ist  es  nur  ein  einziges  Wunder,  und  der  Ver- 
fasser spricht  ausdrücklich  seine  Hoffnung  aus,  dass  ein  noch  grösseres 
Wunder  nicht  ausbleiben  werde.  Nun  wissen  nicht  nur  Laurentius  aus 
dem  elften  Jahrhundert,  und  Gumpold,  den  Otto  II.  zu  seiner  Arbeit  ver- 
anlasste !),  eine  Fülle  von  Wundern  zu  berichten,  sondern  auch  Widukind 
scheint  um  das  Jahr  967  schon  davon  gehört  zu  haben2).  In  demselben 
Jahre  967  starb  auch  Boleslaw,  bei  dessen  Lebenszeit  die  Legende  verfasst 
zu  sein  scheint,  denn  dieser  Fürst  wird  durchweg  geschont,  so  weit  es 
möglich  war;  die  eigentliche  Schuld  den  Rathgebern  und  vorzüglich  dem 
Teufel  zugeschoben.  In  den  übrigen  Legenden  wird  er  ganz  anders 
behandelt. 

Mit  noch  viel  grösserer  Rücksicht  wird  Wenzels  Mutter  Dragomir 
erwähnt.  Zwar  können  wir  jetzt  nicht  mehr  entscheiden,  welche  Darstel- 
lung richtig  ist,  und  namentlich  hat  Büdiuger  sie  gegen  alle  Mitschuld  an 
der  Ermordung  der  Liudmila  in  Schutz  genommen,  wovon  doch  schon 
Gumpold,  als  von  einer  sicheren  Thatsache  redet.  Wie  dem  aber  auch  sei, 
zufällig  kann  es  nicht  sein,  dass  von  der  Ermordung  der  Liudmila,  wenn 
man  sie  nicht  mit  Dümmler  für  ganz  erfunden  halten  will3),  in  unserer 


x)  Büdinger,  welcher  auch  diesen  Gumpold  als  Bischof  von  Mantua  nachgewiesen  hat,  führt 
sehr  beachtenswerthe  Gründe  dafür  an,  das  Gumpold  erst  um  981  geschrieben  hat.  Doch  bleibt 
es  immer  schwer  zu  erklären,  dass  er  die  Stiftung  des  Prager  Bisthums  nicht  sollte  gekannt  oder 
erwähnt  haben. 

2)  I,  35:  de  quo  quaedam  mirabilia  praedicantur,  quae  quia  non  probamus  (d.  h.  nach  dem 
durchgehenden  Sprachgebrauche  Widukinds:  weil  ich  die  Wahrheit  nicht  erprobt,  geprüft  habe) 
silentio  tegi  iudicamus. 

3)  Dümmler  hat  die  Stellen  c.  11.  12.  bei  Gumpold  (Mon.  Germ.  SS.  IV,  217)  übersehen; 
die  slawische  Legende  bietet  aber  neue  Stützen  für  seine  Behauptung. 


220  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

Legende  gar  kein  Wort  vorkommt;  man  muss  eine  äussere  Veranlassung 
dazu  annehmen.  Und  als  eine  solche  bietet  sich  uns  am  ungezwungensten 
die  grimmige  und  grausame  Natur,  welche  der  Dragomir  beigelegt  wird; 
auch  wenn  man  mit  Unrecht  ihr  den  Mord  Schuld  gab,  mochte  es  ihr  doch 
unangenehm  sein,  davon  zu  hören.  Auch  hierdurch  werden  wir  also  darauf 
geführt,  das  Werk  dahin  zu  setzen,  wohin  es  der  Verfasser  nach  den  Wor- 
ten am  Eingang  seiner  Erzählung  selbst  gesetzt  haben  will,  nämlich  nicht 
lange  nach  dem  Tode  Wenzels.  Auch  dürfen  wir  uns  wegen  des  Fehlens 
aller  Wunder  bei  und  nach  der  Uebertragung  nach  Prag  nicht  weit  von 
diesem  Zeitpunkt  entfernen,  denn  die  erwarteten  und  gehofften  Wunder 
haben  nicht  lange  auf  sich  warten  lassen.  Als  der  wahrscheinlichste  Zeit- 
punkt erscheint  demnach  eben  die  Uebertragung  der  Gebeine,  welche  so 
häufig  zu  Werken  dieser  Art  Veranlassung  gegeben  hat.  Sie  fand  aber 
Statt  am  vierten  März  *),  und  zwar  waren  nach  Gumpold  drei  Jahre  bis  da- 
hin vergangen.  Rechnen  wir  das  dritte  Jahr  nicht  voll,  so  ergiebt  sich  das 
Jahr  938,  in  welchem  auch  der  vierte  März  auf  einen  Sonntag  fiel. 

Ein  so  hohes  Alter  hat  Palacky  unserer  Legende  deshalb  nicht  bei- 
legen wollen,  weil  das  Todesjahr  Wenzels  falsch  angegeben  ist,  nämlich 
929  (eigentlich  829)  statt  935.  Allein  diese  Jahresangabe  lässt  sich  sehr 
leicht  als  ein  späterer  Zusatz  erklären,  zumal  da  sie  sich  ebenso  auch  bei 
Kosmas  und  in  den  Prager  Annalen  findet,  und  da  dieses  Jahr  aus  künst- 
licher Berechnung  hervorgegangen  ist.  Denn  auch  im  Jahre  929  fiel  Wen- 
zels Todestag  auf  einen  Montag.  Für  die  Uebertragung  der  Gebeine  nach 
Prag  giebt  die  Legende  gar  keine  Jahresbestimmung,  und  dem  ent- 
sprechend wird  auch  wohl  bei  der  Ermordung  ursprünglich  nur  der  Tag 
genannt  sein,  auf  den  es  für  den  kirchlichen  Gebrauch  allein  ankam. 

Müssen  wir  also  die  Entstehung  der  Legende  im  Jahre  938  oder  doch 
bald  nachher  annehmen,  so  ist  es  klar,  welche  grosse  Bedeutung  ihr  beizu- 
legen ist,  und  ihr  Zeugniss  für  das  Bestehen  der  slawischen  Liturgie  fällt 
schwer  ins  Gewicht.  Auch  die  anderen  Gründe,  welche  schon  früher  für 
diese   Behauptung   geltend   gemacht,    deren   Beweiskraft   aber   bestritten 


*)  Der  dritte  März  unserer  Legende  steht  im  Widerspruch  mit  dem  Tage  der  kirchlichen 
Feier,  den  man  wohl  als  überliefert  annehmen  muss. 


Von  W.  Wattenbach.  221 

wurde,  gewinnen  dadurch  an  Bedeutung,  und  wir  werden  daher  versuchen, 
den  Gegenstand  noch  einmal  von  diesem  Standpunkt  aus  zu  behandeln. 

"Wir  wissen,  dass  das  Gebiet  des  Rastiz,  obschon  es  zum  Passauer  und 
Salzburger  Missionssprengel  gehörte,  sich  doch  mit  Priestern  aus  verschie- 
denen Ländern  erfüllte,  und  dass  die  Jünger  des  Methodius  nach  der  Ein- 
führung der  slawischen  Liturgie  die  fränkischen  Priester  aus  den  slawischen 
Landen  mit  grosser  Leichtigkeit  verdrängten,  ungeachtet  der  von  Salzburg 
aus  erhobenen  Proteste.  Diesem  Verlaufe  der  Dinge  entsprechend  werden 
wir  auch  annehmen  können,  dass  nach  der  Errichtung  des  mährischen 
Erzbisthums  die  Schüler  des  Methodius  in  Böhmen  eindrangen,  welches 
durch  die  Taufe  jener  14  Fürsten  in  Beziehung  zu  Regensburg  getreten, 
aber  nur  zum  kleinsten  Theile  christlich  war.  Die  Streitfrage  über  die 
Nationalität  der  alten  Mährer  können  wir  unerörtert  lassen;  es  spricht  viel 
dafür,  dass  sie  zu  der  Familie  der  Südslawen  gehörten,  und  den  Böhmen 
nicht  stammverwandt  waren.  Die  Sprache  der  Kirche,  altslovenisch  nach 
Kopitar  und  Miklosich,  altbulgarisch  nach  Schafarik  und  Schleicher,  muss 
den  Böhmen  fremdartig  gewesen  sein,  während  die  Mährer  darin  vielleicht 
ihren  eigenen  Dialekt  hörten.  Aber  demungeachtet  ist  doch,  weil  die  Dia- 
lekte sich  damals  noch  nicht  so  weit  wie  in  späterer  Zeit,  von  einander 
geschieden  hatten,  (mit  Schleicher)  anzunehmen,  dass  auch  die  Böhmen 
diese  Sprache  verstanden  oder  leicht  verstehen  lernten;  sie  stand  ihnen 
wenigstens  viel  näher,  als  das  ganz  fremde  Latein,  und  die  slawischen 
Priester,  welche  sich  dieses  Ritus  bedienten,  werden  auch  die  Volks- 
sprache viel  leichter  wie  die  Deutschen  erlernt  haben. 

Auf  die  apokryphen  Einweihungsurkunden  der  Kirchen  zu  Brunn  und 
Olmütz,  welche  die  Spur  der  Slawenapostel  bis  in  die  Nähe  der  böh- 
mischen Grenze  verfolgen  lassen  würden,  lege  ich  freilich  kein  Gewicht r). 
Nicht  unerheblich  dagegen  ist  der  von  Palacky  hervorgehobene  Umstand, 
dass  die  erste  Kirche,  welche  von  Boriwoy  dem  ersten  christlichen  Herzog 


x)  Ich  habe  diese  Urkunden  früher,  so  sehr  ich  auch  schon  damals  die  Echtheit  bezwei- 
felte, doch  nicht  geradezu  zu  verwerfen  gewagt;  jetzt  theile  ich  unbedenklich  die  Ansicht  Kopi- 
tars,  Hesych.  p.  5-4.  Prolegorn.  in  Miklosich  Slaw.  Bibl.  I,  67,  und  Düminlers,  Pannon.  Leg.  S.  11. 
In  Erbens  Kegesten  sind  sie  neben  dem  Hildegard,  S.  Adalberts  Professionszettel,  der  herr- 
lichen Stiftungsurk.  der  Guhrauer  Kirche,  und  anderem  Trödel  der  Art  an  ihrem  richtigen  Platze. 


222  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

Böhmens  gebaut  sein  soll,  auf  der  herzoglichen  Burg  zu  Lewy  Hradek  am 
linken  Moldauufer,  anderthalb  Meilen  nördlich  von  Prag  gelegen,  dem  hei- 
ligen Clemens  gewidmet,  und  die  zweite,  welche  derselbe  Herzog  erbaut 
haben  soll  auf  dem  Wyschehrad,  ebenfalls  eine  Clemenskirche  ist1).  Die 
Gebeine  des  heiligen  Clemens  nämlich  hatten  Constantin  und  Method  zu 
Cherson  aufgefunden  und  mit  sich  nach  Rom  gebracht;  diesem  Heiligen 
widmeten  sie  eine  besondere  Verehrung.  Daher  lassen  sich  die  Clemens- 
kirchen in  derselben  Weise  für  eine  östliche  Einwirkung  geltend  machen, 
wie  auf  der  anderen  Seite  die  Emmeramskirche  in  Neitra,  die  von  Wenzel 
begründete  Kirche  des  h.  Veit  in  Prag,  für  den  Einfluss  der  deutschen 
Kirche. 

Jener  Herzog  Boriwoy  regierte  zu  Swatopluks  Zeit;  er  ist  der  erste 
aus  dem  Hause  der  Premisliden,  von  dem  sich  eine  hervorragende  Stellung 
in  Böhmen  wirklich  nachweisen  lässt,  und  dieser  Uebergang  von  freier  Un- 
gebundenheit  zu  einer  monarchischen  Verfassung  fällt,  wie  schon  erwähnt, 
mit  der  Annahme  des  Christenthums  in  der  Regel  zusammen.  Kosmas  frei- 
lich weiss  schon  vor  ihm  eine  Reihe  von  Landesfürsten  zu  nennen,  die  un- 
mittelbar an  den  Ahnherrn  Premisl  anknüpft.  Aber  mehr  als  die  Namen, 
das  sagt  er  selbst  ganz  oifen,  weiss  er  von  ihnen  nicht,  nur  von  Neklan 
hat  er  noch  eine  sagenhafte  Geschichte  zu  berichten;  und  wir  dürfen  es 
nach  Dümmlers  Untersuchung  wohl  als  eine  erwiesene  Thatsache  hin- 
stellen, dass  jene  Ahnenreihe  eben  nichts  anderes  ist  als  ein  Stammbaum 
der  Premisliden,  Böhmen  aber  bis  auf  Boriwoy  in  zahlreiche  Gaugemeinden 
getheilt  war,  über  welche  verschiedene  Herrengeschlechter  geboten,  bis  all- 
mählich das  Prager  Fürstenhaus  über  sie  alle  das  Uebergewicht  erlangte. 
Die  Zeugnisse  der  deutschen  Annalisten  lassen  keine  andere  Deutung  zu, 
und  auch  die  Analogie  der  übrigen  Völker  lässt  einen  solchen  Verlauf  der 
böhmischen  Urgeschichte  als  den  wahrscheinlichsten  erscheinen.  Auch 
Boriwoy  hatte  noch  andere  Fürsten  neben  sich,  aber  er  begründete,  ver- 
muthlich  im  Anschluss  an  Swatopluk,  der  sich  Böhmen  unterworfen  hatte, 
die  Machtstellung  seines  Hauses,  wie  denn  solche  Verhältnisse  für  die 
Bildung  einer  fürstlichen  Macht  immer  besonders  günstig  gewesen  sind, 


l)  Dejiny  Narodu  Ceskc'ho  I,  154,  Torack,  Geschichte  von  Prag  I,  8  gicht  die  freilich  sehr 
späten  Quellen  dafür  an. 


Von  W.  Wattenbach.  223 

und  nach  dem  Zeugniss  des  Kosmas  und  der  alten  Annalen  hat  Boriwoy 
auch  zuerst  die  Taufe  erhalten.  Gumpold,  der  seinen  Nachfolger  Spitignew 
für  den  ersten  christlichen  Fürsten  hält  und  die  Taufe  erst  in  König 
Heinrichs  Zeit  versetzt,  muss  hierin  gegen  das  einheimische  Zeugniss 
zurückstehen,  wie  er  denn  überhaupt  sehr  wenig  genau  unterrichtet  ist. 

Kosmas  aber  berichtet  ferner  *),  dass  Boriwoy  von  Methodius  getauft 
worden  sei;  er  giebt  dafür  (I,  14)  übereinstimmend  mit  den  alten  Annalen, 
die  damit  beginnen,  das  Jahr  894  an,  während  doch  Methodius  spätestens 
886  gestorben  ist.  Allein  auf  diese  Zahlen  ist  gar  nichts  zu  geben,  und  da 
die  übrigen  alle  falsch  sind,  dürfen  wir  an  dieser  einen  nicht  festhalten2); 
die  Thatsachen  aber  werden  durch  diesen  Umstand  gar  nicht  berührt.  Im 
folgenden  (15)  Kapitel  über  die  Taufe  sagt  nun  Kosmas:  Wie  Boriwoy  die 
Taufe  erlangt  habe,  wie  durch  seine  Nachfolger  der  christliche  Glaube 
zugenommen  habe,  welcher  Herzog  diese  oder  jene  Kirche  erbaut  habe, 
oder  wie  viele,  das  wolle  er  lieber  übergehen,  um  den  Lesern  keinen  Ueber- 
druss  zu  erregen,  da  schon  andere  darüber  geschrieben  hätten;  es  stehe 


*)  I,  10:  Borwoy  qui  primus  dux  baptizatus  est  a  vcncrabili  Mctudio  episcopo  in  Moravia. 

2)  Kosinas  sagt  in  der  Widmung-  an  Gervasius  ausdrücklich,  dass  er  bis  auf  Boriwoy  keine 
Jahreszahlen  angebe,  weil  er  keine  Chronik  habe  finden  können.  Von  da  an  hat  er  also  Annalen 
gehabt,  und  augenscheinlich  dieselben,  welche  in  den  Präger  Annalen,  Mon.  (renn.  SS.  III,  119, 
enthalten  sind,  vermischt  mit  Notizen,  die  sich  übereinstimmend  in  den  Annalen  von  Korvei  und 
Hildesheim  finden.  Nach  960  werden  die  Prager  Annalen  selbständig,  zuverlässig  aber  erst 
mit  Adalberts  Tod  997.  Die  früheren  Eintragungen  aus  der  böhmischen  Geschichte  müssen,  da 
Kosmas  nur  diese  hat,  abgesondert  vorhanden  gewesen  sein,  beruhen  aber  offenbar  auf  einer, 
vielleicht  um  das  Jahr  1000  angestellten  Berechnung,  nicht  auf  gleichzeitiger  Aufzeichnung.  Es 
sind  folgende: 

894.   Boriwoys  Taufe. 

929  (statt  935).  Wenzels  Tod,  wie  bei  Kosmas  und  in  der  Legende;  die  Einweihung  der 
Veitskirche  ist  daran  geknüpft. 

931  (st.  938).   Wenzels  Uebertragung  nach  Prag,  im  dritten  Jahr  nach  dem  Tode. 

966,  bei  Kosmas  967  (statt  974).   Errichtung  des  Prager  Bisthums. 

968  bei  Kosmas  969  (st.  982).   Adalbert  folgt  auf  Dethmar. 

Die  folgenden  Zahlen  entziehen  sich  unserer  Prüfung;  es  ist  aber  klar,  dass  unter  den  vor- 
stehenden keine  einzige  auf  Autorität  Anspruch  machen  kann.  Wir  haben  es  hier  nicht  mit 
Fehlern  eines  Abschreibers,  sondern  mit  einem  falschen  System  zu  thun,  wie  sich  besonders  aus 
dem  J.  929  ergiebt,  denn  es  ist  wohl  nicht  zufällig,  dass  auch  in  diesem  Jahr  der  Todestag  auf 
einen  Montag  fiel.  Vielleicht  ist  die  Zahl  hier  aus  der  Legende  genommen,  vielleicht  ist  auch 
das  Gegentheil  der  Fall.  894  war  das  Todesjahr  des  Swatopluk  und  vielleicht  auch  des  Boriwoy; 
dadurch  konnte  leicht  eine  Verwechselung  entstehen. 


224  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

etwas  darüber  in  dem  Privileg  der  mährischen  Kirche,  etwas  in  dem 
Epilogus  von  Mähren  und  Böhmen  I),  etwas  im  Leben  des  h.  Wenzel.  Von 
diesen  Schriften  sind  uns  die  beiden  ersten  nicht  bekannt  und  Dümmler  ist 
doch  wohl  zu  weit  gegangen,  wenn  er  sagt,  Kosmas  habe  durch  jene  Anfüh- 
rung: und  Verweisung  nur  seine  Unwissenheit  bemänteln  wollen.  Wie  dem 
aber  auch  sei,  erfunden  hat  Kosmas,  bei  dem  sich  kaum  ein  Motiv  dafür  den- 
ken lässt,  die  Thatsache  sicher  nicht,  und  es  ist  immer  schon  bedeutsam  ge- 
nug, wenn  man  sich  im  zwölften  Jahrhundert  in  Böhmen  erzählte,  Methodius 
habe  den  Boriwoy  getauft,  um  so  mehr,  da  sonst  fast  keine  Spuren  eine 
fortlebende  Erinnerung  an  Methodius  erkennen  lassen.  Gewiss  können  wir 
zuversichtlich  annehmen,  class  mit  dem  politischen  Uebergewicht  Swato- 
pluks,  der  Abhängigkeit  Böhmens,  auch  der  kirchliche  Einfluss  des  Metho- 
dius sich  auf  Böhmen  erstreckte,  und  dass  erst  nach  dem  Falle  des  mäh- 
rischen Reiches  die  Bischöfe  von  Regensburg  ihre  alten  Rechte  wieder  geltend 
zu  machen  vermochten.  Das  Christenthum  hatte  aber  nur  erst  schwache 
Wurzeln  in  Böhmen  geschlagen;  es  wird  lange  gedauert  haben,  bis  die  Zahl 
der  Priester  dem  kirchlichen  Bedürfnisse  einigermassen  genügte,  und 
daher  konnten  um  so  leichter  die  slawischen  Priester  aus  der  Schule  des 
Methodius  sich  neben  den  lateinischen  erhalten,  besonders  wenn  sie  an  der 
Familie  des  Flerzogs  eine  Stütze  fanden.  Diese  gewährte  ihnen  Liudmila, 
Boriwoy 's  Wittwe,  welche  mit  ihm  die  Taufe  empfangen  haben  soll.  Als 
ihr  Enkel  Wenzel  heranwuchs,  berichtet  unsere  Legende,  liess  sie  ihn  wie 
einen  Priester  in  slawischen  Büchern  unterrichten.  Darauf  sandte  sein 
Vater  Wratislaw  ihn  nach  Budetsch,  um  auch  Latein  zu  lernen.  Und  er 
machte  so  gute  Fortschritte,  dass  er  sowohl  lateinische,  als  slawische 
Bücher  ohne  Anstoss  zu  lesen  und  zu  verstehen  erlernte.  Die  Legende 
nennt  hier  auch  griechische,  was  wir  wohl  als  späteren  Zusatz  ansehen 
dürfen  2).  Hätten  wir  volle  Sicherheit,  dass  die  Nachricht  von  Wenzels 
Unterricht  im  Slawischen  wirklich  schon  in  der  ursprünglichen  Legende 
stand,  so  wäre  natürlich  das  damalige  Bestehen  slawischer  Liturgie  in 
Böhmen  unzweifelhaft.   Aber  diese  Sicherheit  fehlt  uns,  und  mehr  erfahren 


1 )  quaedam  in  privilcgio  Moraviensis  ecclesiac,  quaedam  in  epilogo  eiusdem  terrae  atqne 
Boemiae. 

2)  Palacky,  Dcj.  I,  235  läset  diese  ebenfalls  stillschweigend  fort. 


Von  W.  Wattenbach.  225 

wir  aus  der  Legende  nicht;  ein  Zwiespalt  zwischen  den  verschiedenen 
Priestern  scheint  nicht  stattgefunden  zu  haben,  da  ein  solcher,  besonders 
wenn  er  mit  den  folgenden  Zerwürfnissen  in  der  herzoglichen  Familie  zu- 
sammen gehangen  hätte,  doch  wohl  sicher  vom  Verfasser  erwähnt  wäre. 
Die  Verfolgung  des  Brudermörders  Boleslaw  traf  beide  ohne  Unterschied, 
und  seine  Reue  brachte  beide  wieder  zu  Ehren  und  Einfluss  l). 

Als  Beweis  der  Fortdauer  der  slawischen  Kirchensprache  wird  ferner 
das  alte  Kirchenlied  Ilospodin  pomiluy  ny  angeführt,  welches  sich  bis  auf 
die  Gegenwart  erhalten  hat,  und  in  den  Wortformen  nicht  böhmisch,  son- 
dern kirchenslawisch  sein  soll2).  Kosmas  freilich  erwähnt  es  nicht;  er 
nennt  nur  (I,  23.  42.  II,  4.  14.  III,  27)  das  Wort  Krilessu  d.  h.  Kyrie  eleison, 
dreimal  wiederholt,  als  den  Gesang  der  Gemeinde  bei  feierlichen  Gelegen- 
heiten. Die  häuiige  Anwendung  dieses  Ausrufes  bei  den  verschiedensten 
Anlässen  ist  bekannt  genug.  In  Otakars  Reimchronik  linden  wir  es  als  den 
gewöhnlichen  Schlachtruf;  ebenso  schon  bei  Thietmar  V,  21,  und  IV,  15 
als  Freudengeschrei.  Thietmar  (II,  23)  erzählt  auch  von  dem  Bischof  Boso 
von  Merseburg,  dass  dieser  sich  besondere  Mühe  gegeben  habe,  den 
Slawen  seines  Sprengeis  das  Kyrie  eleison  beizubringen,  sie  aber  es  höh- 
nisch verdrehten.  In  diesem  Ausruf  können  wir  also  eine  Frucht  der  Be- 
mühungen lateinischer  Priester  sehen,  und  bei  der  Einführung  des  ersten 
Bischofs  von  Prag  legt  Kosmas  (I,  23)  dem  Herzog  und  den  Vornehmen 
sogar  einen  deutschen  Zuruf  in  den  Mund.  Sie  sowohl,  wie  einst  Swato- 
pluk,  zogen  das  fremdländische  vor,  wie  sich  das  ja  bei  den  höheren  Stän- 
den häufig  wiederholt.  Wenn  nun  aber  Kosmas  II,  14  von  dem  süssen 
Liede  (cantilena  dulcis)  Kyrie  eleison  spricht,  so  scheint  es  doch,  als  ob 
etwas  mehr  als  dieser  unverstandene  Ausruf  gemeint  sei,  und  man  wird 
geneigt  Dobrowsky3)  beizustimmen,  der  darin  jenes  Kirchenlied  Hospodin 
pomiluy  ny  erkennt,  welches  mit  einem  dreimaligen  Krless  schliesst.  Aus- 
drücklich erwähnt  wird  es  von  den  Fortsetzern  des  Kosmas  1249  (Mon. 
Germ.  SS.  IX,  169)  und  1283  (p.  208);  und  1260  (p.  186)  in  der  Schlacht  an 


1)  Wostokows  Vermutliung,  dass  die  entgegengesetzte  Darstellung  der  Dragomir  in  ihrer 
Begünstigung  der  slawischen  Priester  begründet  sei,  wird  doch  sehr  zweifelhaft  dadurch,  dass  in 
beiderlei  Legenden  nicht  die  geringste  Hindeutung  darauf  sich  findet. 

2)  Palacky  I,  155. 

3)  Geschichte  der  böhmischen  Sprache,  1818.  S.  76. 

Abhandl.  der  bist.  phil.  Gesellschaft  in  Breslau.  I.  Bd.  15 


226  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

der  March  als  der  vom  h.  Adalbert  verfasste  Hymnus  bezeichnet,  den  das 
A7olk  an  Sonntagen  und  Feiertagen  bei  Prozessionen  zu  singen  pflege. 
Diese  Autorschaft  des  h.  Adalbert  wird  der  unböhmischen  Formen  wegen 
bezweifelt,  und  hat  auch  keine  andere  Begründung,  als  die  erst  spät  auf- 
tauchende Tradition. 

Dass  die  slawische  Kirchensprache  unvergessen  war,  zeigt  auch  der 
merkwürdige  Brief  des  Papstes  Johannes  XIII  (965—972)  bei  Kosmas  (I, 
22),  in  welchem  dieser  Papst  die  Errichtung  eines  Bisthums  in  Prag  und 
eines  Nonnenklosters  bei  S.  Georg  gestattet.  Aber,  heisst  es  da,  nicht  nach 
dem  Ritus  oder  der  Sekte  des  Bulgarischen  oder  Russischen  Volkes  oder 
der  Slawonischen  Sprache1),  sondern  es  solle  ein  lateinisch  gebildeter 
Priester  auserwählt  werden.  Dieser  Brief  gilt  für  unecht,  besonders  wegen 
der  Erwähnung  der  Russen,  welche  damals  noch  nicht  bekehrt  waren.  Aber 
es  bestanden  in  Russland  schon  lange  vor  der  Taufe  des  Zaren  christliche 
Gemeinden,  und  auf  das  Beispiel  der  Bulgaren  konnten  die  Böhmen  sich 
um  so  besser  beziehen,  weil  bei  diesen  auch  die  römische  Kirche  während 
der  Zeit  ihrer  Herrschaft  die  einmal  eingeführte  Liturgie  schwerlich  ange- 
tastet haben  wird.  Es  lag  nahe  hinzuzusetzen,  dass  eben  diese  Liturgie  der 
Bekehrung  der  Russen  sehr  förderlich  sei.  Unmöglich  scheint  es  mir  daher 
durchaus  nicht,  dass  ein  solches  päpstliches  Schreiben  der  wirklichen  Er- 
richtung des  Prager  Bisthums  im  J.  973  vorausgegangen  sein  könnte,  aber 
beweisen  lässt  sich  freilich  auch  die  Echtheit  nicht,  und  wir  müssen  es  also 
zweifelhaft  lassen,  ob  schon  damals  Bemühungen  stattgefunden  haben,  die 
slawische  Kirchensprache  einzuführen,  oder  ob  die  späteren  Bestrebungen 
Wratislaws  zu  der  Erfindung  dieses  Schreibens  geführt  haben.  Die  Bio- 
graphie S.  Adalberts  giebt  leider  keinen  Aufschluss  über  diese  Verhältnisse; 
ein  russischer  Chronograph  des  15.  Jahrhunderts2)  aber  meldet,  dass 
Adalbert  in  Böhmen,  Mähren  und  Polen  den  orthodoxen  Glauben  und  die 
russische  Schrift  verdrängt  und  Lehre  und  Schrift  der  Lateiner  an  die 
Stelle  gesetzt  habe.  Vielleicht  hat  sich  hierin  eine  Tradition  über  die  Be- 
kämpfung der  slawischen  Liturgie  durch  Adalbert  erhalten,  denn  durch  die 


1  j  Non  secundum  ritus  aut  sectam  Bulgariae  gentis  vel  Kuziae  aut  Sclavonicae  linguae. 
2)   [n  Pogodins  rassischer  Ueberaetzung  von  Dobrowskys  Cyrill  und  Method,  bei  Palacky 
Doj.  I,  264;  vergl.  Dtimmler,  Pannon.  Legende  ß.  LO. 


Von  W.  Wattenbach.  227 

kyrillischen  Schriften  erhielten  sich  vermuthlich  auch  die  abweichende 
Lehre  vom  Heiligen  Geist,  und  ein  vielfach  verschiedenes  Ritual.  Unbe- 
gründet scheint  es  jedoch  zu  sein,  wenn  man  später  einige  eigenthümliche 
Observanzen  im  Krakauer  Sprengel  auf  die  einstmalige  Herrschaft  des 
griechischen  Ritus  zurückführen  wollte,  während  sie  doch  nur  Ueber- 
bleibsel  älterer  Gewohnheiten  der  allgemeinen  Kirche  waren1);  und  es 
kann  auch  jene  russische  Nachricht  nur  aus  ähnlichen  Schlüssen  und 
Folgerungen  hervorgegangen  sein,  ohne  auf  geschichtlicher  Grundlage  zu 
beruhen. 

Wir  kommen  nun  zu  dem  iiauptzeugniss  für  das  Fortbestehen  der 
slawischen  Kirchensprache.  Ein  Mönch  des  Klosters  Sazawa  nämlich  be- 
richtet in  seinen  Zusätzen  zu  der  Chronik  des  Kosmas  von  dem  Stifter  des 
Klosters,  dem  h.  Prokop,  dass  dieser  in  der  kyrillischen  Schrift,  d.  h.  in 
allem  was  zum  Gottesdienst  nach  diesem  Ritus  gehörte,  vollkommen  unter- 
richtet gewesen  sei2).  Prokop  lebte  längere  Zeit  als  Einsiedler,  bis  sich 
eine  immer  zunehmende  Sehaar  von  Verehrern  um  ihn  sammelte,  und  1032 
durch  Herzog  Udalrich  die  Stiftung  des  Klosters  Sazawa  begonnen  wurde, 
welche  sein  Sohn  und  Nachfolger  Bracislaw  vollendete,  Prokop  wurde  der 
erste  Abt,  und  hier  herrschte  unbezweifelt  der  slawische  Ritus.  Um  dieses 
Zeugniss  zu  entkräften,  nahm  Dobrowsky  an,  dass  Prokopius  die  slawische 
Liturgie  von  fremden  aus  Kroatien  und  Dalmatien  vertriebenen  Mönchen 
keimen  gelernt  habe,  und  dass  sie  durch  ihn  zuerst  in  Böhmen  bekannt 
geworden  sei.  Er  musste  dieses  annehmen,  wreil  er  die  frühere  Existenz 
der  Liturgie  in  Böhmen  leugnete,  und  aus  demselben  Grunde  leitete  Kopitar 
die  Kenntnisse  Prokops  von  den  nach  Ungern  eingewanderten  Ruthenen 
ab.  Ein  anderer  Grund  oder  Beweis  ist  nicht  vorhanden.  Eben  so  wenig 
aber  lässt  sich  das  Gegentheil  beweisen.  Der  Mönch  von  Sazawa,  der  erst 
im  zwölften  Jahrhundert  schrieb,  konnte  den  fremden  Ursprung  vergessen 
haben,  er  kann  auch  nur  zufällig  unterlassen  haben  zu  erwähnen,  wo 
Prokop  seine  Kenntniss  erlangt  hatte3),  allein  am  natürlichsten  ist  es  doch 


*)  Herber,  Silesiae  Sacrae  Origines  p.  12. 

2j   Sclavonicis  litteris  a  sanctissinio  Quirillo  episcopo  quondani  inventis  et  statutis  canonice 
admodum  irnbutus.    Mon.  Germ.  SS.  IX,  149. 

3)  Dass  er  in  Wyschehrad  studirt  habe,  wird  erst  im  15.  Jahrhundert  gesagt,  und  kann 
nichts  beweisen. 

15* 


228  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

anzunehmen,  class  er  sie  in  Böhmen  selbst  erworben  hatte,  und  kein  Wort 
deutet  darauf,  dass  die  Einführung  dieser  Liturgie  durch  ihn  etwas  neues 
und  unerhörtes  war.  Neu  war  es  aber,  dass  dieser  Ritus  in  einem  ansehn- 
lichen Kloster  förmlich  zur  Geltung  kam.  Wie  wir  gesehen  haben,  zogen 
die  höheren  Stände  die  fremden  Sprachen  vor;  dass  hin  und  wieder  böh- 
mische Priester,  welche  des  Lateinischen  nicht  mächtig  waren ,  nach  altem 
Herkommen  für  das  Volk  slawisch  celebrirten,  fiel  niemandem  auf  und  gab 
keinen  Anstoss;  geschah  doch  ähnliches  auch  in  Dalmatien,  wo  sich  eben- 
falls der  slawische  Ritus  erhielt,  und  trotz  päpstlicher  Verbote  Jahrhun- 
derte lang  unbemerkt  und  unangefochten  fortbestand.  Aber  dem  Anspruch 
auf  eine  höhere  Geltung,  auf  Ausdehnung  zum  Nachtheil  des  lateinischen 
Ritus  trat  entschiedener  Widerspruch  entgegen.  In  Sazawa  war  nun  nicht 
allein  der  slawische  Ritus  zu  ungewohnter  Ehre  gekommen,  sondern  es 
verband  sich  auch  damit  ein  eifriges  Studium  der  kyrillischen  Schriften, 
deren  Inhalt  mit  den  Lehren  und  Gebräuchen  der  römischen  Kirche  jetzt 
noch  weniger  übereinstimmte,  wie  zur  Zeit  ihrer  Entstehung.  Prokops 
Ansehen  beim  Volke  und  bei  den  Herzogen  war  so  gross,  dass  Besorgnisse 
bei  der  vornehmeren  Geistlichkeit  rege  wurden,  und  so  erhob  sich  denn 
jetzt  eine  erbitterte  Opposition,  von  der  wir  bis  dahin  keine  sichere  Spuren 
gefunden  haben,  weder  in  den  altslawischen  noch  in  den  lateinischen 
Wenzellegenden,  noch  im  Leben  Adalberts.  Die  Mönche  von  Sazawa  wur- 
den beim  Herzog  Spitignew  beschuldigt,  dass  die  kyrillischen  Bücher  sie 
zur  Ketzerei  verführt  hätten1),  und  es  gelang  auch  wirklich,  den  Herzog 
gegen  sie  einzunehmen;  der  Abt  Veit,  welcher  1053  auf  seinen  Oheim 
Prokop  gefolgt  war,  wurde  sammt  seinem  Convent  vertrieben,  und  fand 
eine  Zuflucht  im  ungrischen  Reiche,  vermuthlich  unter  den  Slowaken. 
Dort  mochte  unbemerkt  noch  der  slawonische  Ritus  bestehen2);  er  be- 
stand ausserdem  auch  noch  in  Istrien  und  Dalmatien,  wo  aber  eben  jetzt 
wiederholte  scharfe  Verbote  dagegen  von  Rom  aus  erlassen  wurden3). 


')  Dicentes,  per  Sclavonicas  litteras  heresis  seeta,  ypochrisisque  esse  aperte  irretitos  ae 
omnino  perversos,  ib.  p.  151. 

2)  Nach  Palacky  Dej.  I,  359  erhielt  er  sich  wirklich  in  einigen  ungrischen  Klöstern  bis  ins 
13.  Jahrhundert.    Vcrgl.  Schafarik,  Glagolitische  Fragmente  S.  58. 

B)  Wattenbach,  Beiträge  S,  30.  Später,  im  J.  1248,  gestattete  Innocenz  IV.  den  Gebrauch 
der  slawischen  Liturgie  in  Istrien  und  Dalmatien,  jedoch  nur  mit  glagolitischer  Schrift  nach 
römischem  Ritus,  und  sie  hat  sieh  dort  bis  jetzt  erhalten. 


Von  W.  Wattenbach.  229 

Es  war  daher  ein  völlig  hoffnungsloses  Unternehmen,  dass  Herzog 
Wratislaw  noch  einen  Versuch  machte,  die  Gestattung  der  slawischen 
Liturgie  in  Böhmen  vom  Papste  zu  erlangen.  Wie  hätte  gerade  Gregor  VII.. 
der  rücksichtsloser  wie  je  zuvor  die  Einheit  und  Gleichförmigkeit  im  gan- 
zen Gebiete  der  römischen  Kirche  durchsetzte,  der  auch  in  Kastilien  den 
sogenannten  gothischen  Ritus  zerstörte,  eine  solche  Abweichung  vom 
römischen  Ritus  zugeben  sollen?  Wratislaw  hatte  die  Mönche  von  Sazawa 
zurückgerufen,  und  es  ist  möglich,  dass  sie  allein  den  Anlass  zu  jener  Peti- 
tiongaben; besser  begründet  aber  erscheint  Wratislaws  Anliegen,  wenn  man 
annehmen  darf,  dass  die  slawische  Liturgie  seit  alter  Zeit  in  Böhmen  bestan- 
den hatte,  und  auch  andere  Anhänger  zählte.  Leider  hat  sich  das  Schreiben 
Wratislaws  nicht  erhalten,  welches  wohl  ohne  Zweifel  hierüber  Auf- 
echluss  geben  würde;  wir  besitzen  nur  die  Antwort  Gregors  vom  2.  Januar 
1080,  und  auch  aus  dieser  geht  hervor,  dass  Wratislaw  sich  auf  die  frühere 
Duldung  dieser  Liturgie  berufen  hatte.  Gregor  aber  führt  dagegen  einen 
Grund  an,  der  in  der  älteren  Zeit  nicht  vorkommt,  und  der  auch  gegen  die 
Uebersetzung  der  heiligen  Schriften  gerichtet  ist,  die  früher  nicht  nur  ge- 
stattet, sondern  auch  empfohlen  wurde.     Es  schreibt  nämlich  !): 

„Weil  Du  aber  von  uns  verlangt  hast,  wir  möchten  gestatten,  dass  bei 
Euch  das  heilige  Amt  nach  slavonischer  Sprache  gefeiert  werde,  so  wisse, 
dass  wir  dieser  Deiner  Bitte  durchaus  nicht  beistimmen  können.  Denn  wer 
die  Sache  reiflich  erwägt,  der  erkennt,  dass  deshalb  es  dem  Allmächtigen 
nicht  mit  Unrecht  gefallen  hat,  dass  die  heilige  Schrift  an  einigen  Orten 
verborgen  sei,  damit  nicht,  wenn  sie  allen  vollständig  offen  stünde,  sie  viel- 
leicht missachtet  würde  und  in  Geringschätzung  verfiele,  oder  auch,  vom 


l)  Quia  vero  nobilitas  tua  postulavit,  quo  seeundum  Sclavonicam  linguam  apud  vos 
divinum  celebrari  annueremus  officium,  scias  nos  liuic  petitioni  tuae  nequaquam.  posse  fayere. 
Ex  hoc  nernpe  saepe  volventibus  liquet,  non  inmerito  sacram  scripturam  omnipotenti  deo  pla- 
cuisse  quibusdam  locis  esse  oecultam,  ne  si  ad  liquidum  eunetis  pateret,  forte  vilesceret  et 
subiaceret  despectui,  aut  prave  intellecta  a  medioeribus  in  errorem  induceret.  Neque  enim  ad 
excusationem  iuvat,  quod  quidam  religiosi  viri  hoc  quod  simpliciter  populus  quaerit,  patienter 
tulerunt  seu  incorrectum  dimiserunt;  cum  primitiva  ecclesia  multa  dissimulaverit,  quae  a  sanetis 
patribus  postmodum  finnata  christianitate  et  religione  crescentc,  subtili  examinatione  correeta 
sunt.  Unde  ne  id  fiat  quod  a  vestris  imprudenter  exposcitur,  auetoritate  beati  Petri  inhibemus, 
teque  ad  honorem  omnipotentis  dei  huic  vanae  temeritati  viribus  totis  resistere  praeeipimus.  — 
Selbst  die  Jesuiten  tadelten  diesen  Brief  und  Gregors  Eifer;  s.  Kopitar  Proleg.  1.  1.  p.  76. 


^oO  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

Volke  missverstanden,  zum  Irrthum  führte.  Denn  auch  das  kann  nicht  zur 
Entschuldigung  dienen,  dass  einige  fromme  Männer  dasjenige,  was  das 
Volk  in  Einfalt  erstrebt,  mit  Geduld  ertragen  oder  ungebessert  haben  hin- 
gehen lassen.  Denn  die  Kirche  hat  in  ihren  Anfängen  vieles  unbeachtet 
gelassen,  was  später,  nachdem  das  Christenthum  befestigt  war  und  die 
Frömmigkeit  wuchs,  von  den  heiligen  Vätern  nach  sorgsamer  Prüfung 
gebessert  ist.  Deshalb  verbieten  wir  kraft  der  Gewalt  des  heiligen  Petrus, 
dass  nicht  geschehe,  was  mit  Unverstand  von  Eurem  Volke  verlangt  wird, 
und  befehlen  Dir  zur  Ehre  des  allmächtigen  Gottes  dieser  eitlen  Thorheit 
mit  ganzer  Kraft  zu  widerstehen." 

Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  die  hier  ausdrücklich  erwähnte 
Nachsicht,  welche  fromme  Männer  in  der  früheren  Zeit  geübt  hatten,  sich 
allein  auf  das  Kloster  Sazawa  bezieht.  Hier  liess  Wratislaw  die  slawische 
Liturgie  auch  jetzt  noch  unangefochten,  aber  von  einer  weiteren  Ausdeh- 
nung, von  einer  Gleichstellung  mit  der  lateinischen  Liturgie  war  fürder 
nicht  mehr  die  Rede.  Und  auch  in  Sazawa  nahm  sie  bald  darauf  ein  Ende. 
Der  Abt  Bozetech  zeichnete  sich  hier  durch  seine  Liebe  zu  den  Künsten 
und  eigene  Geschicklichkeit  aus,  er  unternahm  einen  Neubau  der  Kirche, 
erregte  aber  dadurch  die  Unzufriedenheit  der  Mönche,  denen  ihre  Ein- 
künfte durch  den  kostspieligen  Bau  geschmälert  wurden;  es  wiederholten 
sich  hier  die  Auftritte,  welche  im  neunten  Jahrhundert  das  Kloster  Fulda 
heimgesucht  hatten.  Die  erbitterten  Mönche  verklagten  den  Abt  beim 
Herzog  Bracislaw;  dieser  setzte  ihn  ab,  und  seine  Ankläger  trieben  sich  eine 
Zeit  lang  zuchtlos  umher.  Diese  Vorfälle  brachten  das  Kloster  in  die 
Gewalt  der  Lateiner.  Der  Herzog  übergab  es  1097  dem  Propste  Diethard 
von  Brzewnow,  einem  strengen  und  eifrigen  Manne,  der  es  sich  vor  allem 
angelegen  sein  liess,  da  er  nur  slawisch  geschriebene  Bücher  vorfand,  für 
lateinische  zu  sorgen  l).  Jene  wurden  zertreut  und  zerstört,  und  die  sla- 
wische Kirchensprache  verstummte  in  Sazawa2).  Unter  jenen  slawischen 
Büchern  aber  mag  auch  wohl  unsere  Legende  gewesen  sein,    und  es  ist 


')  Idem  abbas  libro.s,  quos  non  iuvenil  in  loco  sibi  commisso  praeter  Sclavonicos,  ipscmet 
nocte  et  die  immenso  labörc  conscripsit,  quosdam  emit,  (juosdam  scriptores  scribere  conduxit,  et 
omnibua  modig  acquisivit.   Mon.  SS.  IX,  154. 

'2)  Et  libri  linguae  corum  deleti  omnino  ct.  disperditi,  nequaquam  ultorius  in  eoticm  loco 
recitabuntur. 


Von  W.  Wattenbach.  231 

durchaus  nicht  unwahrscheinlich,  class  sie  damals  durch  einen  flüchtigen 
böhmischen  Mönch   in  ein  anderes  Kloster  desselben  Ritus  gebracht  ist, 

wo  sie  ihren  Weg  in  ein  russisches  Legendarium  fand,  und  dadurch  uns 
erhalten  wurde.  Bekannt  scheint  sie,  wie  oben  erwähnt,  iu  Russland  schon 
im  zwölften  Jahrhundert  gewesen  zu  sein. 

Unter  diesen  Voraussetzungen  sind  ihre  Schicksale  leicht  zu  erklären. 
Freilich  fehlt  es  auch  sonst  nicht  an  Beispielen,  dass  eine  altere  Legende 
durch  eine  spätere,  rhetorisch  aufgeputzte  und  wunderreiche  verdrängt, 
und  dass  doch  irgend  ein  vereinzeltes  Exemplar  der  ursprünglichen  uns 
erhalten  ist.  Aber  am  nächsten  liegt  doch  die  Annahme,  dass  jene  alte 
Legende  sich  eben  dadurch  erhielt,  weil  sie  für  den  slawischen  Ritus 
bestimmt  war,  bei  diesem  gebraucht  und  in  Klöstern  slawischer  Mönche 
vorgelesen  und  abgeschrieben  wurde.  Und  dass  gerade  sie,  und  nicht  eine 
der  zahlreichen  Ueberarbeitungen  des  Gumpoldschen  Werkes  in  böh- 
mischer Sprache  zu  den  Russen  gelangte,  erklärt  sich  dann  auch  von  selbst. 

Zu  den  damals  im  Kloster  Sazawa  vernichteten  Büchern  des  sla- 
wischen Ritus  aber  mögen  auch  wohl  die  kürzlich  von  Llöfler  entdeckten 
o-lagolitischen  Fragmente  gehören,  welche  auf  den  Deckel  eines  latei- 
nischen  Kirchenbuches  geklebt  sind,  das  sich  in  der  Bibliothek  der  Prager 
Domkirche  befindet,  und  vielleicht  aus  dem  Kloster  Sazawa  herstammt l). 
Sollten  diese  Fragmente,  wie  Schafarik  zu  beweisen  versucht  hat.  wirklich 
älter  sein  als  die  Zeit  des  Abtes  Prokopius,  so  würden  sie  allerdings  ein 
neues  Moment  für  die  Wahrscheinlichkeit  des  Gebrauches  slawischer 
Liturgie  in  Böhmen  enthalten,  jedoch  nur  ein  sehr  schwaches.  Denn  wir 
wissen  nicht,  wo  sie  geschrieben  sind.  Nach  dialektischen  Eigentümlich- 
keiten nimmt  Schafarik  ihre  Entstehung  auf  böhmischem,  mährischem  oder 
slowakisch-pannonischem  Boden  an;  sie  weisen  uns  Welleicht  nach  dem  Orte 
wo  Prokop  seine  Studien  machte,  vielleicht  nach  dem  ungrischen  Kloster, 
in  welchem  die  Sazawer  Mönche  eine  Zufluchi  fanden.  Ein  Beweis  für  die 
Uebung  slawischer  Liturgie  in  Böhmen  liegt  daher  nicht  darin,  um  so 
weniger,  da  doch  die  Anhaltpunkte  für  die  Bestimmung  des  Alters  sehr 


l)  Glagolitische  Fragmente.   Herausgegeben  von  Hufler  und  Schafarik,    Ana  den    Abhand- 
lungen der  K.  Böhm.  Gesellschaft  der  Wi  isenschaften  V.  Folge,  10.  Band.   Prag  1857.    !. 


232  .  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

unzureichend  sind,  und  nicht  genügen,  um  die  so  nahe  liegende  Ver- 
rnuthung  zu  beseitigen,  die  Fragmente  seien  von  Sazawer  Mönchen  ge- 
schrieben. 


Ein  völlig  beweisendes  und  stichhaltiges  Argument  für  die  Existenz 
slawischer  Kirchensprache  in  Böhmen  vor  der  Gründung  des  Klosters 
Sazawa  haben  wir  demnach  nicht  aufzufinden  vermocht.  Wohl  aber  treffen 
vielerlei  Umstände  zusammen,  welche  dieselbe  wahrscheinlich  machen,  und 
mindestens  wird  man  wohl  zugestehen  müssen,  dass  die  Gründe  auf  beiden 
Seiten  sich  die  Wage  halten. 

Jenes  Gesuch  W^ratislaws  aber  war  die  letzte  Lebensregung  der  sla- 
wischen Liturgie  in  Böhmen  gewesen,  und  es  ist  merkwürdig  genug,  wenn 
sie  während  der  kurzen  Verbindung  Böhmens  mit  dem  mährischen  Reiche 
doch  so  festgewurzelt  war,  dass  sie  sich  zwei  Jahrhunderte  hindurch,  trotz 
der  ungünstigsten  Verhältnisse,  lebenskräftig  behaupten  konnte.  Doch 
muss  man  sich  hüten,  die  Bedeutung  der  Sache  zu  überschätzen.  Bei 
Kosmas  von  Prag,  der  am  Anfang  des  zwölften  Jahrhunderts  schrieb,  findet 
sich  gar  keine  Erwähnung  derselben;  nur  das  oben  angeführte  Schreiben 
Johannes  XIII.  theilt  er  mit,  und  daraus  sieht  man,  dass  er  nicht  etwa  aus 
irgend  einer  Ursache  es  vermieden  hat,  diesen  Gegenstand  zu  berühren.  Er 
weiss  und  beklagt,  dass  unter  dem  Volk  noch  viele  heidnische  Gebräuche 
sieb  erhalten  haben:  warum  sollte  er  es  unerwähnt  lassen,  wenn  damals 
noch  eine  an  die  slawische  Liturgie  sich  anlehnende  Opposition  gegen  die 
herrschende  Kirche  bestanden  hätte?  Kosmas  legte  vielmehr  so  wenig 
Gewicht  auf  die  längst  gescheiterten  und  vergessenen  Versuche,  dieser 
Liturgie  zur  förmlichen  Anerkennung  zu  verhelfen,  dass  er  kein  Wort 
davon  sagte.  Er  hatte  keine  Vorliebe  dafür,  aber  eben  so  wenig  hielt  er  es  für 
nöthig,  sie  noch  zu  bekämpfen;  es  war  eben  eine  ganz  verschollene  und 
vergessene  Sache.  Auch  der  Mönch  von  Sazawa,  dem  wir  die  Nachrichten 
über  Prokop  verdanken,  schreibt  mit  der  auffallendsten  Gleichgültigkeit 
und  Ruhe;  er  gehörte  zu  den  siegreichen  Lateinern,  und  scheint  deren 
Bücher  als  vornehmer  und  besser  zu  betrachten,  aber  von  Feindschaft 
gegen    den  slawischen  Ritus  lässt   er  auch  nichts  spüren.     Prokop  blieb 


Von  W.  Wattenbach.  233 

in  Sazawa  nach  wie  vor  hochverehrt,  und  wurde  1204  vom  Papste  kanoni- 
sirt;  es  kann  sich  also  unmöglich  eine  der  herrschenden  Kirche  feindliche 
Richtung  an  seinen  Namen  angeknüpft  haben.  Wenn  wir  daher  im  drei- 
zehnten Jahrhundert  Klagen  über  die  Menge  der  Ketzer  in  Böhmen  finden  x), 
die  von  da  an  immer  zunehmen,  so  liegt  doch  gar  kein  Grund  vor,  einen 
Zusammenhang  zwischen  diesen  Regungen  und  der  slawischen  Liturgie 
anzunehmen. 


*)  Palacky,  Dejiny  Ceskc  III,  1,  8.  Boczek,  Cod.  clipl.  Mor.  III,  238;  vergl.  Notizenblatt  der 
Wiener  Akademie  I,  384. 


Beilagen. 


I. 

Uebersetzung  der  altslawischen  Legende  vom  heiligen  Wenzel. 


Am  28.  September. 

Die  Ermordung  des  heiligen  Wenzeslaw,  des  Fürsten  der 

Böhmen. 

Siehe,  nun  hat  sich  erfüllt  das  prophetische  Wort,  welches  unser  Herr 
Jesus  Christus  gesprochen  hat.  Denn  es  wird  geschehen,  spricht  er,  in  den 
letzten  Tagen,  die,  wie  wir  meinen,  jetzt  gekommen  sind,  da  wird  aufstehen 
ein  Bruder  gegen  seinen  Bruder,  und  der  Sohn  gegen  seinen  Vater,  und  des 
Menschen  Feinde  werden  seine  Hausgenossen  sein,  denn  die  Menschen 
werden  mit  einander  kein  Mitleid  haben.  Gott  vergelte  ihnen  nach  ihren 
Thaten ! 

Es  lebte  aber  in  Böhmen  ein  Fürst  von  hohem  Ruhme,  mit  Namen 
Wratislaw,  und  seine  Gemahlin  hiess  Dragomir.  Und  sie  erzeugten  einen 
erstgeborenen  Sohn,  und  bei  der  Taufe  gaben  sie  ihm  den  Namen  Wenzes- 
law. Und  es  erwuchs  das  Kind  zu  den  Jahren,  da  man  den  Knaben  die 
Haare  abzuschneiden  pflegte.  Und  der  Fürst  Wratislaw  berief  einen 
Bischof  mit  der  ganzen  Geistlichkeit,  und  nachdem  sie  die  Liturgie  abge- 
sungen hatten  in  der  Kirche  der  heiligen  Maria,  nahm  der  Bischof  das 
Kind,  stellte  es  auf  die  Stufen  vor  dem  Altar,  und  segnete  es  mit  den  Wor- 
ten: Herr  Jesu  Christe  segne  dieses  Kind  mit  dem  Segen,  mit  welchem  du 


Von  W.  Wattenbach.  235 

gesegnet  hast  alle  deine  Gerechten.  Und  es  gehören  ihn  andere  Fürsten  !). 
Wir  also  glauben,  dass  durch  den  Segen  dieses  Bischofes  und  durch  die 
rechtgläubigen  Gebete  das  Kind  zu  wachsen  begann,  von  der  göttlichen 
Gnade  gehegt.  Und  es  liess  ihn  seine  Grossmutter  Liudmila  unterrichten 
in  slawischer  Schrift2)  wie  einen  Priester,  und  sein  Verstand  wurde  gut 
ausgebildet3).  Darauf  aber  sandte  ihn  Wratislaw  nach  Budetsch,  und  der 
Knabe  begann  lateinische  Schrift  zu  lernen,  und  lernte  gut. 

Um  diese  Zeit  aber  starb  Fürst  Wratislaw.  Und  sie  setzten  den  Fürsten 
Wenzeslaw  auf  den  Thron  seiner  Ahnen,  und  von  dieser  Zeit  an  begann 
Boleslaw  ihm  zu  gehorchen.  Es  waren  aber  beide  klein,  und  ihre  Mutter 
Dragomir  befestigte  das  Reich  und  regierte  ihr  Volk,  bis  sie  ihre  Söhne 
erzogen  hatte.  Da  begann  Wenzeslaw  sein  Volk  zu  regieren.  Er  hatte 
aber  vier  Schwestern,  und  sie  gaben  sie  weg  in  verschiedene  Fürsten- 
tümer und  statteten  sie  aus.  Und  Gott  legte  solche  Gnade  auf  den 
Fürsten  Wenzeslaw,  dass  er  begann  lateinische  Bücher  zu  verstehen,  wie 
ein  guter  Bischof  oder  Priester,  und  wenn  er  ein  griechisches  oder  sla- 
wisches Buch  aus  der  Handlegte,  sorecitirte  er  es  aus  dem  Gedächtnissohne 
Mühe.  Nicht  allein  aber  verstand  er  die  Bücher,  sondern  er  erfüllte  auch 
den  Glauben:  allen  Armen  that  er  wohl,  die  Elenden  speiste  er,  und  er 
that  nach  der  Lehre  des  Evangeliums;  die  Diener  Gottes  sättigte  er,  und 
liess  den  Wittvven  nicht  zu  nahe  treten;  alle  Menschen,  arme  und  reiche, 
liebte  er,  alle  Kirchen  schmückte  er  mit  Gold.  Er  glaubte  an  Gott  von 
ganzem  Herzen,  und  that  alles  Gute  in  seinem  Leben. 

Es  wurden  aber  hoifärtig  die  böhmischen  Männer  und  standen  auf 
gegeneinander,  denn  ihr  Fürst  war  ein  Kind;  achtzehn  Jahre  war  er  alt, 
als  sein  Vater  starb.  Als  aber  auch  sein  Bruder  heranwuchs  und  zu  Ver- 
stände kam,  da  ging  der  Teufel  ein  in  das  Flerz  seiner  (Wenzels)  bösen 
Räthe,  so  wie  einst  in  den  Verräther  Judas.    Denn  es  steht  geschrieben: 


*)  Hanka  spricht  hier  die  Verinuthung  aus,  dass  Laurentius  diese  slawische  Sitte  des  fest- 
lichen Beschneidens  der  Haare  beim  Eintritt  in  das  Jünglingsalter  missverstanden  habe,  da  er 
die  Taufe  erst  in  diese  Zeit  verlegt. 

2)  Nauciti  knigam  Slo-wenskym,  entsprechend  den  Sclavonicis  litteris,  welche  Prokop  lernte, 
nach  der  Bemerkung  von  Palack}r.  Dasselbe  Wort  knigami  entspricht  in  der  Uebersetzung  der 
Bibel  Luc.  23,  38  dem  griechischen  yQcciJLuaOLV. 

3)  Oder:  und  er  lernte  sie  gut  verstehen. 


236  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

Jeder  der  sich  auflehnt  gegen  seinen  Herren,  ist  dem  Judas  ähnlich.  Jene 
aber  redeten  dem  Wenzeslaw  zu  und  sprachen:  Boleslaw  hat  die  Absicht 
dich  zu  tödten,  im  Einverständniss  mit  der  Mutter  und  mit  seinen  Mannen. 
Böse  Hunde,  welche  den  Wenzeslaw  überredet  haben,  seine  Mutter  ohne 
Schuld  zu  Verstössen.  Wenzeslaw  aber,  da  er  die  Gottesfurcht  gelernt 
hatte,  gedachte  des  Wortes  des  Apostels  der  da  spricht:  Ehre  deinen 
Vater  und  deine  Mutter,  und  deinen  Nächsten  sollst  du  lieben  wie  dich 
selbst.  Da  er  die  Gebote  Gottes  ganz  erfüllen  wollte,  führte  er  seine 
Mutter  zurück,  und  weinte  sehr  und  voll  Kummer  spracli  er:  Herr  Gott, 
rechne  mir  diese  Sünde  nicht  an.  Er  gedachte  auch  an  das  Wort  des 
Propheten  David:  Der  Sünden  meiner  Jugend  und  meiner  Unwissenheit 
gedenke  mir  nicht,  Herr!  Und  deshalb  ehrte  er  seine  Mutter;  sie  aber 
erfreute  sich  an  dem  Glauben  ihres  Sohnes,  und  über  die  Barmherzigkeit, 
welche  er  den  Armen  erwies.  Wenn  er  einen  Elenden  fand,  so  speiste  er 
ihn;  war  irgendwo  eine  Waise,  so  Hess  er  ihr  nicht  zu  nahe  treten;  war  ein 
Fremdling  da,  so  that  er  ihm  wohl,  weil  geschrieben  steht:  Ich  bin  ein 
Fremdling  gewesen  und  du  hast  mich  beherbergt,  Wenn  er  Diener  Gottes, 
wenn  er  Flinheimische  oder  Fremde  fand,  die  Kälte  litten,  da  kleidete  und 
speiste  er  alle.  Wenn  aber  ein  verkaufter  Priester  zu  ihm  kam,  er  kaufte 
ihn  los  um  jeden  Preis.  Kirchen  aber  hatte  er  sehr  herrlich  in  allen 
Städten  errichtet.  Die  Diener  Gottes  versammelte  er  aus  allen  Völkern ; 
ohne  Unterbrechung  geschah  der  Gottesdienst  an  allen  Tagen,  so  wie  bei 
den  grossen  Völkern,  durch  die  Veranstaltung  des  guten  und  gerechten 
Herrschers  Wenzeslaw.  Und  Gott  legte  es  ihm  ins  Herz,  er  erbaute  die 
Kirche  des  heiligen  Veit,  nichts  arges  denkend.  Aber  der  Teufel  säete  es 
dem  Boleslaw  ins  Herz,  und  sie  reizten  ihn  auf  gegen  seinen  Bruder,  auf 
dass  seine  Seele  nicht  erlöst  würde  in  Ewigkeit. 

Es  kam  aber  der  Tag  des  heiligen  Emmeram  (935  Sept.  22.)  dem  der 
heilige  Wenzeslaw  sich  geweiht  hatte,  und  er  war  fröhlich  in  dem  Herrn. 
Jene  aber,  die  bösen  Teufel,  riefen  den  Boleslaw  zu  sich,  und  hielten  einen 
schlimmeriRathüber  Wenzeslaw,  so  wie  die  Juden  über  Christus  in  den  ersten 
Zeiten.  Es  war  aber  das  Fest  der  Kirchweihe  in  allen  Städten,  und  Wen- 
zeslaw ritt  durch  die  Städte.  Da  kam  er  nach  Boleslawia.  Am  Sonntag  (Sept.  27.) 
war  die  Liturgie  der  heiligen  Kosmas  und  Damianus,  und  als  Wenzeslaw 
die  Liturgie  gehört  hatte,  wollte  er  heimreiten  nach  Prag.   Boleslaw  liess 


Von  W.  Wattenbach.  237 

es  ihm  nicht  zu,  bittend  mit  Thränen,  verlangend,  und  sprechend:  Wie 
willst  du  doch  davon  reiten?  Ich  habe  ein  Gastmahl  zugerichtet.  Er  aber 
schlug  es  dem  Bruder  nicht  ab  und  ritt  nicht  nach  Haus.  Und  aufs  Pferd 
steigend  begann  er  es  zu  tummeln  und  sich  zu  ergötzen  mit  seinen  Gesellen 
im  Hause  des  Boleslaw.  Da  aber  meinen  wir,  dass  sie  zu  ihm  redeten  im 
Hause  und  sprachen:  Boleslaw  will  dich  tödten.  Und  er  gab  dem  keinen 
Glauben,  sondern  warf  es  auf  Gott.  In  derselben  Nacht  aber  versammelten 
sich  die  Feinde  im  Gehöfte  des  Gnjewisa,  und  sie  riefen  zu  sich  den 
Boleslaw  und  ordneten  dort  den  bösen  Mordplan;  wie  sich  auch  bei  Pilatus 
versammelten,  die  Christi  Feinde  waren,  so  hielten  auch  diese  bösen 
Hunde,  jenen  ähnlich,  einen  Rathschlag  wie  sie  ihren  Herrn  tödteten.  Sie 
sagten  aber:  Er  wird  zur  Frühmette  gehen,  da  werden  wir  ihn  erhaschen. 
Und  als  es  Morgen  wurde  (Sept.  28.)  läutete  man  zur  Mette.  Wenzeslaw 
aber,  als  er  das  Läuten  gehört  hatte,  sprach  er:  Ich  danke  dir,  Herr,  dass 
du  mich  diesen  Morgen  hast  erblicken  lassen.  Und  er  stand  auf  und  ging  zur 
Mette,  und  Boleslaw  erreichte  ihn  im  Thor.  Und  Wenzeslaw  sah  sich  um 
und  sprach:  Das  war  uns  ein  guter  Abend,  Herr!  Dem  Boleslaw  aber 
beugte  sich  der  Teufel  zum  Ohre  und  verkehrte  sein  Herz,  so  dass  er  sein 
Schwert  zog  und  antwortete:  So  will  ich  dein  Diener  sein!  Lud  er  traf  sein 
Haupt  mit  dem  Sehwerte.  Wenzeslaw  aber  wandte  sich  um  und  sprach: 
Was  hast  du  im  Sinn?  Und  ihn  ergreifend  warf  er  ihn  nieder,  und  stürzte 
sich  auf  ihn,  und  sprach:  Bei  Gott.  Bruder!  Tuza  sprang  hinzu  und  hieb 
ihn  auf  die  Hand.  Wenzeslaw  aber  liess  seinen  Bruder  los,  und  flüchtete 
zur  Kirche.  Die  beiden  Teufel  aber,  Tschesta  und  Tira,  tödteten  ihn  im 
Thore  der  Kirche  und  Gnjewisa  hinzuspringend  durchbohrte  ihm  die  Seite 
mit  dem  Schwerte.  Und  er  gab  seinen  Geist  auf,  mit  den  Worten:  In  deine 
Hände,  Herr,  befehle  ich  meinen  Geist.  Und  sie  tödteten  in  dieser  Stadt 
mit  ihm  auch  einen  gewissen  Mstina,  und  andere  Männer,  und  sie  ent- 
wichen eilig.  Einige  erschlugen  sie,  andere  flüchteten  nach  allen  Seiten 
durch  die  Lande.  Und  die  Knechte  zerbrachen  seinen  Leichnam,  und  die 
Diener  Gottes  beraubten  sie,  und  jagten  sie  aus  der  Stadt  und  ihre  Frauen 
gaben  sie  anderen  Männern  zur  Ehe.  Und  sie  vollbrachten  jedes  böse 
Gelüste,  nachdem  sie  ihren  Herren  erschlagen  hatten.  Tira  aber  sprach: 
Gehen  wir  gegen  die  Herrin,  damit  du  auf  einmal  deinen  Bruder  und  deine 
Mutter  vernichtest.    Boleslaw  aber  sprach:  Sie  wird  uns  nirgends  hin  ent- 


238  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

kommen,  wenn  wir  sie  durch  andere  verfolgen.  Nachdem  sie  aber  den 
Wenzeslaw  zerhauen  hatten,  gingen  sie  fort,  und  begruben  ihn  nicht. 
Aber  der  Priester  Krastjej  nahm  ihn  und  legte  ihn  vor  die  Kirche,  und 
bedeckte  ihn  mit  einem  feinen  Leintuch.  Da  aber  die  Mutter  vernommen 
hatte  die  Ermordung  ihres  Sohnes,  eilte  sie  herbei  und  suchte  ihn,  und  da 
sie  ihn  erblickt  hatte,  fiel  sie  an  sein  Herz,  und  weinend  sammelte  sie  die 
Glieder  ihres  Sohnes.  Nachdem  sie  sie  aber  gesammelt  hatte,  wagte  sie 
nicht  sie  in  ihr  Haus  zu  bringen,  sondern  in  des  Priesters  Kammer  sie 
abwaschend,  kleideten  sie  ihn  und  legten  ihn  mitten  in  dieKirche.  Aber  den 

Tod  fürchtend,  flüchtete  seine  Mutter  zu  den  Chorwaten ;  denn 

Boleslaw 

aber  schickte  nach  ihr  und  erreichte  sie  nicht.  Darauf  rief  er  den  Priester 
Paul,  damit  er  das  Gebet  über  ihn  verrichtete,  und  sie  begruben  seinen 
ehrwürdigen  Leib,  Wenzeslaws  des  guten  und  gerechten  Herrschers,  und 
des  Ehrers  Gottes  und  Liebhabers  Christi,  denn  er  diente  ihm  in  Frömmig- 
keit und  Gottesfurcht.  Da  aber  sein  Blut  drei  Tage  hindurch  nicht  in  die 
Erde  einziehen  wollte,  wandelte  am  dritten  Abend  vor  aller  Augen  die 
Kirche  über  ihn.  Und  es  verwunderten  sich  alle  darüber.  Und  noch  hoffen 
wir  zu  Gott,  dass  durch  die  Gebete  und  Rechtgläubigkeit  des  guten 
Wenzeslaw  ein  grösseres  Wunder  sich  offenbaren  werde.  Denn  in  Wahr- 
heit ist  seine  Marter  gleich  geworden  den  Martern  Christi  und  der  heiligen 
Märterer,  denn  sie  hielten  einen  Rath  gegen  ihn,  wie  die  Juden  gegen 
Christus;  sie  zerhieben  ihn,  und  die  Knechte  zerbrachen  seinen  Leib. 
Wahrlich  alles  Volk  der  Menschen  trauerte  und  weinte  sehr  um  ihn. 

Erschlagen  aber  wurde  der  Fürst  Wenzeslaw  im  Jahre  6337,  in  der 
zweiten  Indiktion,  dem  dritten  Cyclus,  am  28.  Tage  des  Septembers.  Und 
Gott  gebe  Ruhe  seiner  Seele  an  dem  Orte  der  ewigen  Ruhe  mit  allen,  die 
für  Ihn  obne  Schuld  gelitten  haben,  wo  alle  Gerechten  ausruhen  in  Deinem 
Lebenslicht,  o  Herr! 

Gott  aber  liess  nicht  seine  Auserwählten  in  der  ungläubigen  Verläste- 
rung,  sondern  suchte  sie  heim  mit  seiner  Gnade,  und  wandte  die  Versteine- 
rung ihres  Plerzens  zur  Busse  und  zur  Einsicht  ihrer  Sünden.  Boleslaw 
aber  wurde  inne,  wie  grosse  Sünde  er  begangen  habe;  er  betete  zu  Gott 
und  allen  Heiligen,  sandte  sein  Gesinde,  und  führte  den  Leib  seines  Bru- 
ders    Wenzeslaw     aus    Boleslawia    nach     der    ruhmvollen    Stadt    Prag, 


Von  W.  Wattenbach.  239 

sprechend:  Ich  habe  gesündigt,  und  ich  weiss  meine  Sünden  und  meine 
Ungerechtigkeit.  Und  sie  legten  ihn  in  der  Kirche  des  heiligen  Veit  an  die 
rechte  Seite  des  Altares  der  zwölf  Apostel,  wo  er  selbst  gesprochen  hatte: 
Hier  werde  ich  eine  Kirche  bauen.  Uebertragen  aber  wurde  Weuzeslaw 
der  Fürst  im  Monat  März,  am  dritten  Tage.  Gott  gebe  Ruhe  seiner  Seele 
im  Schoosse  Abrahams,  Isaaks  und  Jakobs,  wo  alle  Gerechten  ausruhen, 
erwartend  die  Auferweckung  durch  unsern  Pierren  Jesus  Christus,  dem 
Ehre  sei  in  Ewigkeit.    Amen. 


II. 

Die  kürzere  altslawische  Legende. 

Vergl.  oben  S.  218. 

Eadem  die  (XXVHI.  Septembris). 

Mors  saneti  Venceslai  prineipis  Bohemorum. 

Oportet  scire  primum  patriam  et  thronum  saneti  martyris  Venceslai. 
Hie  erat  filius  Vratislai  Bohemorum  prineipis,  habens  post  se  duos  fratres, 
Boleslaum  et  Spytignevum.  Mortuo  patre  eorum  aeeepit  Venceslaus 
thronum  patris.  Tum  male  volentes  proceres  coeperunt  discordiam  movere 
inter  fratres.  Primum  vero  induxerunt  Venceslaum,  ut  expelleret  matrem 
suam  diceutes:  occisura  te  est  cum  fratribus,  illa  enim  antea  oeeidit  etiam 
aviam  tuam  Ljudmilam.  Et  egit  matrem  suam  in  Budoc.  Et  paullo  post 
poenitens  reduxit  eam  ad  se.  Proceres  vero  miserunt  ad  fratrem  eius 
dicentes:  Nisi  nos  audiveris  et  anteverteris  occidendo  fratrem  tuum,  te 
oeeidet;  nos  tecum  stamus  et  te  malumus.  Et  convenit  cum  eis  Boleslaus 
persuasitque  Venceslao,  ut  veniret  ad  festivitatem  ecclesiae.  Et  venit 
Venceslaus  et  blande  excepit  eum  die  festivitatis.  Voluit  vero  Venceslaus 
abire  ab  urbe.  Et  persuasit  ei  Boleslaus,  ut  die  insequente  se  delectarent, 
erat  enim  lingua  fraudulenta  magis  quam  suam  vitam  amans  eum,  in  corde 
vero  suo  de  caede  eius  cogitans.  Et  cum  mansisset  Venceslaus  in  urbe  ea 
nocte  constituit  cum  proceribus  eius  Boleslaus  oeeidere  fratrem.  Et  cum 
mane  iret  in  ecclesiam  ad  officium  matutinum  consecutus  est  eum  cum  pro- 
ceribus Boleslaus  et  percussit  eius  caput   giadio.   Et  confugit  Venceslaus 


240  Die  slawische  Liturgie  in  Böhmen. 

ad  ecclesiam  et  consecuti  sunt  cum  duo  proceres  et  conciderunt  eum  in 
porta  eeclesiae;  alius  vero  transfodit  eius  latus  gladio.  Et  tradidit  sanctus 
Venceslaus  beatam  suam  animam  in  manus  Dei  die  lunae  illucescente. 
Sanguinem  vero  eius  non  abstersit  per  tres  dies  de  muris  eeclesiae,  clarna- 
bat  enim  sicuti  Abelis  ad  Deum  contra  Boleslaum.  Post  aliquot  vero  annos 
allatae  sunt  reliquiae  eius  in  claram  urbem  Pragam  et  positae  suntapud 
sanetum  Vitum. 


Druck  von  Robert  Nischkowsky  in  Breslau. 


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