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Full text of "Die Sozialisierung der Landwirtschaft, mit einem Anhang von A. Hofer, Der Bauer als Erzieher"

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AUTSKY 


DIE  SOZIALISIERUNG  DER 
LANDWIRTSCHAFT 


Die     S  o  z  i  a  1  i  s  i  e  r  u  n  g     der     Landwirtschaft 


, 


KARL  KAUTSKY 


DIE  SOZIALISIERUNG 
DER  LANDWIRTSCHAFT 


MIT   EINEM  ANHANG  VON  A.  HOFER 
DER    BAUER    ALS    ERZIEHER 


VERLEGT  BEI  PAUL   CASSIRER  /  BERLIN 

19  2  1 


Zweite    unveränderte    Auflage    (6.-10.  Tausend) 


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DEC  1 4  1966 


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Alle  Rechte    vorbehalten 
Copyright    1919    by    Paul    Ca  s  sirer,    Berlin 


Inhaltsverzeichnis. 

Vorwort 7 

I.  Landwirtschaft  und  Kapitalismus.     .     .  13 
IL  Die  landwirtschaftlichen.  Arbeitsmittel: 

1.  Die   ländliche   Arbeiterfrage 35 

2.  Die  Maschine  in  der  Landwirtschaft 42 

3.  Großbetrieb  und  Kleinbetrieb 48 

4.  Die  Landwirtschaft  der  Dorfgemeinde 54 

5.  Städtische  Landwirtschaft 65 

III.  Landwirtschaft   und   Sozialismus      ...  70 

Anhang 

Der  Bauer  als  Erzieher  von  A.  Hof  er 

Vorbemerkung 87 

1.  Die  Ausrüstung  der  Wirtschaft 89 

2.  Die  Bodenbestellung        94 

3.  Die  Viehweide 99 

4.  Die  Ernte 101 

5.  Die  intensive  Viehzucht 117 

6.  Die  Beschäftigung  der  Landarbeiter  im  Winter  .     .  121 

7.  Kleinbauer  und  Sozialismus 125 

8.  Der  Großbetrieb  der  Zukunft 130 


Vorwort  zur  ersten  Auflage 


Der  wesentlichste  Teil  der  hier  vorliegenden  Ausführungen 
wurde  vor  bald  zehn  Jahren  niedergeschrieben  und  erschien 
1910  in  der  Form  zweier  Kapitel  meines  Buches  über  die  Be- 
völkerungsfrage, das  den  Titel  trägt:  „Vermehrung  und  Ent- 
wicklung in  Natur  und  Gesellschaft."  (Stuttgart,  J.  H.  W.  Dietz.) 
Ich  sah  damals  schon,  im  Gegensatz  zu  vielen  meiner  Freunde, 
die  soziale  Revolution  kommen,  doch  rechnete  ich  nicht  damit, 
daß  ich  sie  selbst  noch  erleben  würde. 

Erheblich  näher  erschien  sie  mir,  als  ich  die  zweite  Schrift 
abfaßte,  aus  der  hier  ein  Kapitel  abgedruckt  ist,  die  „Sozial- 
demokratischen Bemerkungen  zur  Uebergangswirtschaft"  (Leip- 
zig, Leipziger  Buchdruckerei),  doch  wurde  ich  auch  da  durch 
die  Tatsachen  insofern  überholt,  als  ich  zur  Zeit  der  Nieder- 
schrift noch  nicht  erwartete,  daß  sie  bei  ihrem  Erscheinen  die 
Revolution  als  fertige  Tatsache  vorfinden  würde. 

Ich  verfaßte  die  Schrift  im  Winter  1917/18.  Technische 
Schwierigkeiten  bewirkten,  daß  sie  erst  im  Juli  druckfertig  vor- 
lag. Mit  Rücksicht  auf  die  Zensur  hatte  ich  mich  so  vorsichtig 
als   möglich   ausgedrückt.     Immerhin   erklärte   ich   im   Vorwort: 

Der  Krieg  kann,  wenn  er  noch  lange  dauert,  in  einer  Weise  enden, 
die  die  kapitalistische  Basis  aufs  tiefste  erschüttert  und  dem  Proletariat 
den  Weg  zur  Macht  eröffnet!" 

Meine  Vorsicht  nützte  nichts.  Die  Zensur  verhinderte  das 
Erscheinen  meiner  Schrift  bis  zum  November  1918.  Sie  kam  in 
die  Hände  der  Leser  erst,  als  meine  Erwartung  der  Revolution 
bereits  zur  Erfüllung  geworden  war. 

Ungeheure  Wandlungen  haben  sich  seitdem  vollzogen,  aber 
doch  nicht  so  große,  daß  die  Ausführungen,  die  ich  ein  Jahr  vor 


der  Revolution  geschrieben,  und  die  Forderungen,  die  ich  dort 
entwickelt,  gegenstandslos  geworden  wären.  Das  gilt  von  den 
Forderungen  an  Staat  und  Gemeinde  und  —  leider!  —  auch 
von  denen  an  das  Proletariat.  Ich  schrieb  im  Juli  in  meinem 
Vorwort: 

„Das  Proletariat  darf  in  der  Uebergangswirtschaft  wie  auch  sonst 
nicht  an  sich  allein  denken.  Seine  geschichtliche  Bedeutung 
beruht  darauf,  daß  sein  Klasseninteresse  zusammenfällt  mit  dem  Ge- 
samtinteresse der  Gesellschaft.  So  ist  es  seine  Pflicht,  in  der  Ueber- 
gangswirtschaft, die  so  chaotisch  sein,  so  sehr  nach  neuen  Formen  ringen 
wird,  nicht  nur  seine  eigenen  augenblicklichen  Interessen,  sondern  auch 
die  der  gesellschaftlichen  Entwicklung  aufs  kräftigste  zu  vertreten, 
möglichst  viel  Ansätze  in  sozialistischem  Sinne  zu  schaffen  und  jede 
der  Fragen  der  Uebergangswirtschaft  nicht  für  sich  allein,  sondern  in 
ihrem  Zusammenhange  mit  der  Gesamtheit  der  ökonomischen  und  ge- 
sellschaftlichen Erscheinungen  zu  betrachten." 

Nie  war  diese  Mahnung  notwendiger  als  jetzt,  denn  nie  war 
die  Gefahr  größer,  daß,  dank  dem  neu  gewonnenen  Kraftgefühl, 
kurzsichtiger  Klassen-,  ja  Berufsegoismus  in  den  kampffähigen 
und  kampflustigen  Teilen  des  Proletariats  die  allgemeinen  ge- 
sellschaftlichen Rücksichten  zurückgedrängt  und  die  gesellschaft- 
liche Entwicklung,  damit  aber  auch  den  Aufstieg  zu  einer  dem 
Kapitalismus  überlegenen  und  ihn  dauernd  überwindenden  Form 
des  Sozialismus  schädigt. 

Der  Gegenstand  der  hier  abgedruckten  Kapitel  wird  durch 
sie  natürlich  nicht  erschöpft.  Ausführlicher  habe  ich  ihn  in 
meinem  Buche  über  die  „Agrarfrage"  (Stuttgart,  J.  W.  Dietz, 
1899)  behandelt.  Das  Werk  ist  längst  vergriffen,  ich  hinderte 
bisher  eine  Neuauflage,  weil  ich  es  gänzlich  umarbeiten  wollte. 
Nicht  deshalb,  weil  sich  mein  Standpunkt  gewandelt  hätte:  er  ist 
der  gleiche  geblieben.  Sondern  deshalb,  weil  die  Verhältnisse 
der  Landwirtschaft  sich  seit  seiner  Abfassung  gänzlich  änderten. 
Als  ich  mein  Buch  schrieb,  befand  sie  sich  noch  im  Stadium 
der  durch  die  überseeische  Konkurrenz  gedrückten  Preise  von 
Nahrungsmitteln.  Bald  darauf  aber  setzte  die  Aera  des  Steigens 
der  Lebensmittelpreise,  die  Aera  wachsender  Teuerung  ein.  Das 
gab  der  Agrarfrage  in  manchen  Dingen  ein  neues  Gesicht. 

Andere  Arbeiten  hinderten  mich,  die  Umarbeitung  zu  voll- 
ziehen, und  nun  ist  durch  den  Krieg  und  die  Revolution  die 
Landwirtschaft  abermals  in  ein  neues  Stadium  mit  neuen  Auf- 


8 


gaben  und  Bedürfnissen  eingetreten.  Die  Bearbeitung  hätte  da 
ein  ganz  neues  Werk  zu  schaffen.  Es  ist  fraglich,  ob  mir  dazu 
noch  Zeit  und  Kraft  bleiben.  Ich  werde  wohl  meine  „Agrar- 
frage" als  historisches  Dokument  der  Zeit,  in  der  sie  verfaßt 
wurde,  betrachten  und  unverändert  zu  neuem  Abdruck  gelangen 
lassen  müssen. 

In  den  letzten  Jahrzehnten  des  vorigen  Jahrhunderts  galt 
die  überseeische  Landwirtschaft  als  eine  Gefahr  für  Europa, 
dessen  Grundbesitz  seinen  Ruin  fürchtete.  Heute  bildet  jene 
Landwirtschaft  unsere  Rettung.  Ohne  die  Vereinigten  Staaten, 
Kanada,  Australien,  Argentinien  sind  wir  dem  Hungertode  aus- 
geliefert, und  zwar  nicht  bloß  Deutschland,  sondern  fast  ganz 
Europa,  seine  ehemaligen  Kornkammern  inbegriffen,  wie  Ruß- 
land und  Rumänien.  Weit  entfernt,  zu  versuchen,  die  über- 
seeischen Nahrungsmittel  durch  Zollschutz  fernzuhalten,  müssen 
die  Staaten  unseres  Kontinents  alles  aufbieten,  recht  viel  von 
ihnen  hereinzubekommen  und  zwar  so  billig  wie  möglich. 

Dabei  soll  jedoch  die  inländische  Landwirtschaft  nicht  ge- 
schädigt werden.  Im  Gegenteil,  auch  ihr  Gedeihen  ist  gerade 
jetzt  besonders  unerläßlich.  Das  drängt  aber  bei  starker  aus- 
wärtiger Konkurrenz  und  Fehlen  von  Zollschutz  zu  der  ratio- 
nellsten Methode,  einen  Produktionszweig  konkurrenzfähig  zu 
gestalten:  zu  technischen  Verbesserungen,  die  seine  Produktivi- 
tät steigern.  Indes  kann  man  das  in  der  Landwirtschaft  noch 
weniger  als  in  der  Industrie,  und  am  allerwenigsten  bei  der 
heutigen  Notlage,  dem  Zufall  der  privaten  Initiative  überlassen. 
Der  Staat  muß  aufs  kräftigste  eingreifen  durch  Methoden,  die 
eine  weitgehende   Sozialisierung   in   sich   schließen. 

Angesichts  des  vorherrschenden  Kleinbetriebs  wird  diese 
allerdings  zunächst  mehr  auf  eine  Regelung  des  Zirkula- 
tionsprozesses zwischen  Stadt  und  Land  bedacht  sein 
müssen,  als  auf  eine  Organisierung  der  Produktion.  Doch 
lassen  sich  auch  für  letztere  schon  Ansätze  schaffen  durch 
Förderung  genossenschaftlichen  und  kommunalen  Eingreifens  in 
die  bäuerliche  Produktion  und  durch  Uebergang  der  größten 
Güter  in  den  Besitz  des  Staates  oder  städtischer  Gemeinden 
und  durch  Anteilnahme  der  Landarbeiter  an  der  Gestaltung  des 
Betriebs. 


Für  die  großen  Betriebe,  die  erhalten  bleiben  müssen  und 
nicht  zerschlagen  werden  dürfen,  soll  nicht  die  Technik  unserer 
Landwirtschaft  tief  herabgedrückt  werden,  wird  diese  Soziali- 
sierung um  so  dringender  notwendig  werden,  als  sie  das  sicherste 
Mittel  ist,  die  Landarbeiter  an  der  Arbeit  zu  erhalten  und  den 
großen  Gütern  neue  vermehrte  Arbeitskräfte  zuzuführen,  deren 
sie  in  hohem  Maße  bedürfen,  sollen  sie  ihre  volle  Produktivität 
entfalten. 

Die  Revolution  in  den  Städten  ist  an  den  Arbeitern  auf  dem 
flachen  Lande  nicht  spurlos  vorübergegangen.  Es  gäbe  unsäg- 
liches Unheil,  würden  auch  sie  vom  Streikfieber  ergriffen  oder 
versuchten  sie  gar  die  Sozialisierung  durch  direkte  Aktion,  da- 
durch, daß  sie  die  großen  Güter  unter  sich  aufteilten,  was  ohne 
Zerstörungen  und  Plünderungen  nicht  abginge. 

Davor  schützen  nicht  Handgranaten  und  Maschinengewehre, 
davor  schützt  bloß  eine  energische  und  planmäßige  Soziali- 
sierungsaktion  der  Regierung,  die  der  wilden  direkten  Aktion 
zuvorkommt  und  deren  sonst  zerstörende  Kraft  in  geregelte 
Bahnen  leitet  und  dadurch  fruchtbringend  gestaltet. 

Die  deutsche  Sozialisierungskommission  war  eben  daran, 
die  Bedingungen  und  Formen  landwirtschaftlicher  Sozialisie- 
rung ihrer  Prüfung  zu  unterziehen,  da  wurde  sie  zum  Rück- 
tritt gedrängt.  Glaubt  die  Bürokratie  des  Reichswirtschaftsamts 
die  Aufgabe  der  Sozialisierung  rascher  oder  zweckmäßiger 
lösen  zu  können  als  die  Kommission:  nur  zu!  Auf  keinen 
Fall  darf  der  Staat  die  Landwirtschaft  lange  sich  selbst 
überlassen  oder  sich  darauf  beschränken,  mit  dem  bisherigen 
bürokratischen  Apparat  der  Erfassung  und  Verteilung  von 
Lebensmitteln  weiterzuwursteln.  Die  Sozialisierungsaktion  darf 
freilich  nicht  nach  bolschewistischem  Muster  geschehen.  Die 
Bolschewiks  errichteten  eine  straffe  Diktatur  in  den  Städten 
und  gaben  den  Bauern  freie  Hand,  auf  dem  Lande  zu 
hausen,  wie  sie  wollten.  Das  war  bei  der  ökonomischen  Zu- 
rückgebliebenheit Rußlands  unvermeidlich,  hatte  aber  das  Re- 
sultat, daß  der  Versuch  einer  sozialistischen  Revolution  in 
den  Städten  zusammenfiel  mit  einer  bürgerlichen  Revolution 
auf  dem  Lande,  das  die  ungeheure  Mehrheit  der  Bevölkerung 
umfaßt. 


ie 


Dieser  innere  Widerspruch  führte  um  so  eher  zu  unhalt- 
baren Zuständen,  als  bei  der  Rückständigkeit  der  Masse  der 
russischen  Proletarier  der  Sozialismus  der  Städte  immer  mehr 
seinen  demokratischen  Charakter  verlor,  den  er  anfangs  haben 
sollte,  und  immer  bürokratischer  wurde.  Die  Arbeiterräte  sind 
heute  in  Rußland  nur  noch  eine  kraftlose  Dekoration,  hinter  der 
sich  die  Allmacht  einer  neuen  Bürokratie  verbirgt. 

Unter  diesen  Umständen  nimmt  das  Verhältnis  zwischen 
Stadt  und  Land  eigenartige  Formen  an.  Unter  dem  industriellen 
Kapitalismus  entwickelt  sich  die  ständige  Flucht  der  Land- 
bevölkerung in  die  industriellen  Zentren.  Zu  den  Aufgaben 
des  Sozialismus  gehört  es,  die  Industrie  wieder  zu  dezentrali- 
sieren, sie  aufs  flache  Land  zu  verlegen,  was  freilich  in  großem 
Maßstab  nur  dann  ökonomisch  zweckmäßig  wird,  wenn  das 
Verkehrswesen  hoch  entwickelt  ist.  In  Rußland  aber  finden 
wir  jetzt  nicht  die  Verlegung  der  Industrie  aufs  flache  Land, 
was  bei  seinen  elenden  Verkehrsmitteln  auch  höchst  unzweck- 
mäßig wäre,  sondern  die  Flucht  der  Arbeiter  von  der  Industrie 
weg  zur  Landwirtschaft,  wo  ihnen  weniger  elende  Lebens- 
bedingungen winken  wie  in  den  Städten.  Während  so  die 
städtischen  Arbeiter  in  zunehmendem  Maße  die  sozialisierte 
Industrie  fliehen,  erhebt  sich  gegen  diese  Industrie  gleichzeitig 
aber  auch  die  wachsende  Empörung  der  Bauern.  Sie  hatten 
das  bolschewistische  Regime  bei  seinem  Beginn  1917  freudig 
begrüßt,  das  ihnen  den  großen  Grundbesitz  auslieferte.  Jetzt 
aber  ist  der  aufgeteilt,  und  hinfort  vermag  ihnen  die  bolsche- 
wistische Regierung  nichts  mehr  zu  bieten.  Gleichzeitig  aber 
hat  die  Unterwerfung  der  Industrie  unter  die  neue  bolsche- 
wistische Staatsbürokratie  die  Leistungsfähigkeit  der  städti- 
schen Produktion  gemindert.  Sie  reicht  kaum  aus  zur  Deckung 
der  Bedürfnisse  der  großen  Armee,  deren  der  Bolschewismus 
bedarf,  um  sich  zu  behaupten,  und  die  fast  alle  Industrie- 
produkte an  sich  zieht.  Für  Bauern  und  Industriearbeiter  — 
ausgenommen  einige  privilegierte  Schichten  —  bleibt  so  gut  wie 
nichts.  Dabei  aber  soll  der  Bauer  mit  seinen  Ueberschüssen 
die  Städter  und  die  Armee  erhalten.  Wo  er  das  nicht  gutwillig 
tut,  wird  ihm  das  Erforderliche  mit  Gewalt  genommen.  So  finden 
wir  wieder,  wie  in  den  Zeiten  des  Zarismus,  Rußland  erfüllt 
von  Bauernaufständen. 

11 


Diese  Art  Lösung  der  Agrarfrage  kann  natürlich  nicht  die 
westeuropäische  sein. 

Für  uns  ist  das  agrarische  Problem  das  komplizierteste, 
aber  auch  das  wichtigste  der  Revolution.  Es  erheischt  das  in- 
nigste Zusammenwirken  von  Stadt  und  Land,  von  Theoretikern 
und  Praktikern.  Aber  auch  das  innigste  Zusammenwirken  der 
verschiedenen  Länder  der  ganzen  Welt.  Denn  das  agrarische 
Problem  ist  ein  eminent  internationales  geworden,  seitdem  der 
landwirtschaftliche  Betrieb  aufgehört  hat,  ein  sich  selbst  ge- 
nügender zu  sein  und  auf  den  Zukauf  von  Rohmaterialien,  wie 
Dünge-  und  Futtermitteln,  angewiesen  ist,  die  aus  allen  Teilen 
der  Welt  zu  holen  sind.  Ebenso  wenig  wie  die  Großindustrie 
vermag  die  moderne  Landwirtschaft  die  Abschließung  der  Län- 
der voneinander  zu  ertragen.  Mögen  die  Lebensbedingungen 
des  Bauern  seinen  Blick  noch  so  sehr  lokal  beschränken.  Seine 
Produktionsbedingungen  weisen  ihn  auf  die  Weltwirtschaft  hin. 

Nicht  minder  wie  die  Industrie  bedarf  die  Landwirtschaft 
vollster  Internationalität.  Nur  in  diesem  Zeichen  kann  sie, 
können  wir  gedeihen. 

Charlottenburg,  Mai  1919 

K.  Kautsky 


12 


I. 

Landwirtschaft  und  Kapitalismus 


Betrachten  wir  die  heutigen  Bedingungen  einer  Weiterent- 
wicklung der  Landwirtschaft,  so  kommen  wir  zu  sehr  ver- 
schiedenen Ergebnissen,  je  nachdem  wir  ihre  Technik  oder 
ihre  Oekonomie  ins  Auge  fassen:  Die  Technik,  das  heißt, 
wie  schon  erwähnt,  das  Maß  der  Beherrschung  der  Naturkräfte 
durch  den  Menschen,  und  die  Oekonomie,  das  heißt  die  Ver- 
hältnisse, welche  die  beim  Prozeß  der  Produktion  —  das 
Wort  im  weitesten  Sinne  genommen  —  beteiligten  Menschen 
untereinander  zu  dessen  Betreibung  eingehen.  Wir  bekommen 
hier  wieder  ein  Beispiel  davon,  wie  unerläßlich  die  Unterschei- 
dung zwischen  Technik  und  Oekonomie  ist. 

Die  Technik  der  Landwirtschaft  ist  in  raschestem  Fort- 
schreiten begriffen.  Nicht  nur  das  Maschinenwesen  sowie  die 
Technik  der  landwirtschaftlichen  Bauten  und  Meliorationen, 
sondern  auch  die  wissenschaftliche  Erkenntnis  der  Lebens- 
bedingungen der  Organismen.  Jedes  Jahr  bringt  große  und 
erstaunliche  Fortschritte,  deren  Anwendung  die  Produktivität 
der  landwirtschaftlichen  Arbeit  enorm  steigern  muß. 

Aber  diese  Anwendung  hält  keineswegs  gleichen 
Schritt  mit  dem  raschen  Fortgang  der  Erfindungen  und  Ent- 
deckungen. Ganz  anders  als  in  der  Industrie  finden  wir  in  der 
Landwirtschaft,  daß  die  fortgeschrittene  Technik  sich  des  Pro- 
duktionsprozesses nur  langsam,  zögernd  und  unvollständig  be- 
mächtigt. Der  Unterschied  zwischen  der  möglichen  und 
der  wirklichen  Produktivität  der  Arbeit  wird  in  der  Land- 
wirtschaft immer   gewaltiger.     In   diesem   Sinne  wird   sie,   trotz 

13 


aller  Fortschritte,  immer  rückständiger.  Nicht  absolut,  aber 
relativ,  im  Verhältnis  zum  Stand  von  Naturwissenschaft  und 
Technik. 

Das  liegt  nicht,  wie  manche  glauben,  an  der  Natur  der 
landwirtschaftlichen  Arbeit  an  sich,  sondern  an  den  ökonomi- 
schen Verhältnissen,  die  der  Kapitalismus  in  der  Landwirt- 
schaft hervorbringt.  Kein  Gesetz  der  Natur  liegt  hier  vor, 
sondern  eines  der  Gesellschaft.  Es  ist  das  Privateigen- 
tum am  Boden  und  die  Lohnarbeit,  was  die  zu- 
nehmende technische  Rückständigkeit  der  Landwirtschaft  ver- 
schuldet. 

Wir  wissen  bereits,  wie  im  Laufe  der  Entwicklung  der 
Bauernschaft  eine  Aristokratie  aufkommt.  Mit  ihr  ersteht  die 
Staatsgewalt.  Beide  reißen  von  den  Ueberschüssen  der  arbeiten- 
den Bevölkerung  auf  dem  Lande  möglichst  viel  an  sich,  wodurch 
sie  die  technische  Vervollkommnung  der  Landwirtschaft  hemmen, 
zeitweise  in  einen  Rückschritt  verwandeln. 

Auch  die  letzte  Periode  des  Feudalismus  führte  einen  der- 
artigen Niedergang  herbei.  Seine  Ueberwindung,  die  in  Frank- 
reich durch  die  große  Revolution  erfolgte,  brachte  einen  raschen 
Aufschwung  der  Landwirtschaft.  Aber  bald  setzte  eine  neue 
Aera  der  Ausbeutung  der  ländlichen  Arbeit  ein.  Jetzt,  unter 
der  Aera  der  kapitalistischen  Warenproduktion,  ist  es  das  mit 
ihr  unzertrennlich  verbundene  Privateigentum  an  den  Produk- 
tionsmitteln, also  auch  am  Boden,  was  diese  Ausbeutung  be- 
gründet. Nicht  mehr  Fronden  und  Naturalabgaben  hat  der 
Landmann  zu  leisten,  wohl  aber  eine  Grundrente  in 
Geld.  Das  tritt  offen  zutage  beim  Pachtsystem.  Der  Pächter 
muß  dem  Grundbesitzer  für  die  Erlaubnis,  seinen  Boden  zu 
bebauen,  eine  Pachtsumme  entrichten,  die  den  ganzen  Ueber- 
schuß  umfaßt,  den  die  Arbeit  des  Pächters  oder  seiner  Lohn- 
arbeiter über  die  Löhne  sowie  die  Erstattung  des  herkömm- 
lichen Profits  vom  angewandten  Kapital  hinaus  abwirft.  Diese 
Pachtsumme  ist  höher  bei  fruchtbarem  oder  günstig  gelegenem 
Boden  als  bei  unfruchtbarem  oder  ungünstigem.  Sie  wächst, 
wenn  bei  gleichbleibenden  Produktionskosten  die  Preise  der 
Bodenprodukte  wachsen. 

Es  sind  kolossale  Summen,  die  auf  diese  Weise  die  Pächter 
eines    Landes    jahraus,     jahrein    den    Grundbesitzern    abliefern, 

14 


von  denen  sie  vielfach  entweder  vergeudet  oder  in  Industrie- 
papieren angelegt,  statt  zur  Verbesserung  der  Landwirtschaft 
angewendet  werden-  Aber  das  Pachtsystem  raubt  der  Land- 
wirtschaft nicht  nur  reiche  Mittel,  die  der  Vermehrung  ihrer 
produktiven  Kräfte  dienen  könnten,  es  lähmt  auch  den  Antrieb 
zur  Vermehrung  dieser  Kräfte. 

Den  Hauptantrieb  in  der  kapitalistischen  Industrie  zur  Ent- 
wicklung der  Produktivkräfte  bietet  der  Extraprofit,  den  ein 
Unternehmer  dadurch  macht,  daß  er  die  Technik  seines  Betriebs 
über  das  durchschnittliche  Maß  hinaus  verbessert.  In  der  Land- 
wirtschaft wird  beim  Abschluß  eines  Pachtvertrages  jeder  Extra- 
profit, den  der  Betrieb  über  die  durchschnittliche  Profitrate 
hinaus  zu  liefern  vermag,  als  Grundrente  betrachtet,  die  dem 
Grundbesitzer  zufällt.  Der  Pächter  hat  also  gar  keine  Ursache, 
mit  großen  Unkosten  Verbesserungen  vorzunehmen,  deren  Vor- 
teile bei  der  Erneuerung  des  Pachtvertrags  nicht  ihm,  sondern 
dem  Grundbesitzer  zufallen. 

Man  sollte  meinen,  die  Sache  liege  günstiger  bei  jenen 
Grundbesitzern,  die  selbst  Landwirtschaft  betreiben.  Da  ver- 
bleibt ja  die  Grundrente  dem  Landwirt  und  ebenso  alle  even- 
tuellen Extraprofite.  Tatsächlich  wirkt  aber  hier  das  Privat- 
eigentum am  Boden  ebenso  hemmend  auf  die  technische  Ent- 
wicklung, wenn  auch  in  anderen  Formen  und  mehr  versteckt. 
Es  ist  richtig,  die  Grundrente  bleibt  hier  zunächst  dem 
Landwirt.  Aber  nur  bis  zum  nächsten  Besitzwechsel,  und  der 
muß  spätestens  mit  dem  Ableben  des  bisherigen  Besitzers 
eintreten.  Im  preußischen  Staate  wechseln  im  Jahre  über 
6  Prozent  (im  letzten  Jahrzehnt  fast  regelmäßig  6,6  Prozent) 
der  Grundstücke  den  Besitzer,  also  im  Durchschnitt  jedes 
Grundstück  alle  15  Jahre.  Der  neue  Landwirt  hat  beim  Be- 
sitzantritt entweder  den  Erbanteil  der  Miterben  oder  den  ge- 
samten „Wert"  des  gekauften  Gutes  zu  bezahlen.  Dieser 
sogenannte  Wert  ist  aber  nichts  als  die  kapitalisierte  Grund- 
rente; je  mehr  die  Grundrente  steigt,  desto  höher  bei  gleichem 
Zinsfuß  die  Geldsumme,  die  der  neue  Landwirt  für  die  Er- 
werbung seines  Betriebs  zu  zahlen  hat.  Er  kann  sie  auf  zweier- 
lei Art  erlegen.  Entweder  besitzt  er  das  nötige  Bargeld  und 
gibt  es  dem  bisherigen  Besitzer  hin;  dann  verkürzt  er  um  den- 
selben Betrag  die  Kapitalmenge,  die  zur  Ausstattung  und  Ver- 


besserung  des  Betriebs  aufzuwenden  wäre.  Das  ist  aber  ein 
Ausnahmefall.  Meist  besitzt  er  nicht  genügende  Mittel,  er 
nimmt  eine  Hypothek  auf  und  zahlt  nun  die  Grundrente 
jahraus,  jahrein  in  der  Form  von  Hypothekenzinsen  an  den 
Wucherer  oder  die  Bank,  die  jetzt  die  wahren  Grundbesitzer 
sind  und  der  Landwirtschaft  um  so  mehr  Geld  im  Jahre  ab- 
pressen, je  mehr  die  Grundrente  steigt.  Ein  Steigen  der  Preise 
der  Bodenprodukte,  das  die  Grundrente  erhöht,  bedeutet  stets 
nur  eine  vorübergehende  Besserstellung  der  Landwirte.  Beim 
ersten  Besitzwechsel  schlägt  sie  in  ihr  Gegenteil  um. 

Steigende  Grundrenten  wirken  um  so  belastender  auf  die 
Landwirtschaft  beim  Eigenbetrieb  des  Grundbesitzers,  da  bei 
einem  Besitzwechsel  als  „Wert"  des  Gutes  nicht  bloß  die 
augenblickliche,  sondern  auch  die  noch  zu  erwar- 
tende Grundrente  in  Rechnung  gestellt  wird.  Alle  etwa  in 
Aussicht  stehenden  Extraprofite  werden  bei  dieser  Berech- 
nung schon  vorweggenommen.  So  erfordert  die  Verzinsung 
der  Kaufsumme  oft  mehr,  als  die  Grundrente  wirklich  ausmacht, 
der  Käufer  kann  in  eine  wirkliche  Notlage  kommen,  wenn  die 
erwarteten  Preissteigerungen  sich  nicht  bald  einstellen.  Die 
Extraprofite,  die  einen  so  starken  Ansporn  der  technischen  Ent- 
wicklung in  der  Industrie  bilden,  haben  also  in  der  Landwirt- 
schaft nicht  bloß  beim  Pachtsystem,  sondern  auch  beim  Eigen- 
betrieb wegen  ihres  Zusammenwerfens  mit  der  Grundrente  die 
Tendenz,  die  Betriebe  zu  schädigen  und  ihre  technische  Ent- 
wicklung zu  hemmen. 

Noch  auf  andere  Weise  lähmt  in  der  Landwirtschaft  das 
Privateigentum  den  technischen  Aufschwung.  Wir  haben  ge- 
sehen, wie  sich  bei  jeder  Betriebsweise  eine  bestimmte  Größe 
des  einzelnen  Betriebs  als  die  produktivste  herausstellt.  Auch 
hier  tritt  der  Unterschied  zwischen  Technik  und  Oekonomte 
zutage.  Die  Ausdehnung  des  Kapitals,  das  heißt  des  durch 
das  Privateigentum  an  den  Produktionsmitteln  bewirkten  Aus- 
beutungsverhältnisses der  Lohnarbeit,  kann  ins  Endlose  fort- 
gehen, und  stets  wird  dabei  das  größere  Kapital  dem  kleineren 
überlegen  sein.  Dagegen  gibt  es  für  jeden  einzelnen  Betrieb 
ein  Maximum  seiner  Größe,  über  das  hinaus  man  ihn  nicht 
ausdehnen  kann,  ohne  seine  Produktivität  zu  verringern.  Diese 
Größe  ist  für  die  verschiedenen  Produktionszweige  und  zu  ver- 

16 


schiedenen  Zeiten  sehr  verschieden,  sie  hat  überall  die  Tendenz, 
mit  dem  Fortschritt  der  Technik  zu  wachsen,  wenigstens  in 
bezug  auf  die  Menge  der  von  dem  einzelnen  Be- 
trieb erzeugten  Produkte  und  die  Menge  des  von 
ihm  angewandten  konstanten  Kapitals  (Rohstoffe, 
Maschinen  usw.) ;  dagegen  nicht  immer  in  bezug  auf  die  An- 
zahl der  beschäftigten  Arbeiter  und  noch  weniger 
in  bezug  auf  die  eingenommene  Bodenfläche. 

Soll  eine  Gesellschaft  das  Maximum  der  mit  den  gegebenen 
Produktionsmitteln  erreichbaren  Produktivität  erreichen,  dann 
muß  sie  dafür  sorgen,  daß  alle  Betriebe  die  durch  die  jeweilige 
Höhe  der  Technik  ihres  Produktionszweigs  als  zweckmäßig 
gegebene  Maximalgröße  erlangen. 

Das  ist  in  der  kapitalistischen  Produktionsweise,  die  auf 
der  Grundlage  des  Privateigentums  an  den  Produktionsmitteln 
beruht,  nirgends  allgemein  durchzusetzen.  Wohl  wird  dauernd 
über  die  Maximalgröße  nirgends  hinausgegangen,  wo  die  Un- 
zweckmäßigkeit  ihrer  Ueberschreitung  zutage  tritt.  Dagegen 
nutzt  es  einem  Unternehmer  nicht  das  geringste,  zu  erkennen, 
daß  sein  Betrieb  zu  klein  ist,  um  die  größte  Produktivität  ent- 
wickeln zu  können.  Wenn  es  ihm  an  Kapital  fehlt,  kann  er 
ihn  doch  nicht  erweitern. 

Das  ist  einer  der  Gründe,  warum  in  der  kapitalistischen 
Produktionsweise  die  theoretisch  jeweilig  erreichbare  größte 
Produktivität  der  Arbeit  nie  wirklich  erreicht  wird,  warum 
eine  große  Zahl,  ja  die  überwiegende  Zahl  der  Betriebe  unter 
der  Grenze  dieser  Produktivität  bleiben,  nicht  wenige  ganz 
unzureichend  sind.  So  energisch  die  kapitalistische  Produktions- 
weise den  Fortschritt  der  Technik  anstachelt,  sie  kann  ihn  nie 
vollständig  zur  Geltung  bringen. 

Aber  weit  mehr  noch  als  in  der  Industrie  gilt  das  in  der 
Landwirtschaft.  Nicht  nur,  weil  in  ihr  die  Akkumulation  von 
Kapital  langsamer  vor  sich  geht  als  in  der  Industrie,  indes 
gleichzeitig  der  Antrieb  zu  Verbesserungen  geringer  ist,  son- 
dern auch,  weil  das  Privateigentum  an  Boden  jeder  Erweiterung 
des  einzelnen  Betriebs  ganz  andere  Schranken  entgegenstellt 
wie  in  der  Industrie.  Der  Boden  ist  in  der  Landwirtschaft 
das  hauptsächlichste  Produktionsmittel,  die  Größe  des  Betriebs 
hängt  wohl  nicht  einzig,  aber  in  hohem  Grade  von  der  Boden- 

Kautsky,    Landwirtschalt  2  n 


fläche  ab.  Nun  ist  es  sicher  sehr  leicht,  dort,  wo  eine  Betriebs- 
fläche sich  beim  Uebergang  zu  einer  höheren  Betriebsform  als 
zu  groß  herausstellt,  sie  zu  verkleinern.  Schwerer  ist  aber  der 
umgekehrte  Fall,  und  er  ist  derjenige,  der  häufiger  notwendig 
wird.  Nur  die  größten  Betriebe  haben  mitunter  die  Tendenz, 
einige  Außengrundstücke  abzugeben.  Bei  den  meisten  Betrieben 
sind  die  Praktiker  ganz  anderer  Ansicht  als  jene  Doktoren,  die 
sich  als  die  praktischsten  der  praktischen  Landwirte  gebärden 
und  das  Lob  des  kleinsten  Betriebs  singen.  Die  wirklichen 
Praktiker  entwickeln  einen  wahren  Hunger  nach  Land,  um 
ihren  Betrieb  möglichst  groß  zu  gestalten.  Aber  der  Boden 
ist  nicht,  wie  etwa  Maschinen,  beliebig'  vermehrbar.  Die 
Bodenfläche  des  eigenen  Betriebs  kann  der  Landmann  nur 
erweitern  auf  Kosten  der  Nachbarn,  die  alle  die  gleiche  Tendenz 
nach  Vergrößerung  ihres  Grundbesitzes  haben,  die  alle  dank 
dem  Privateigentum  fest  auf  ihrer  Scholle  sitzen  und  von  ihr 
nicht  zu  weichen  brauchen,  solange  sie  nicht  bankrott  sind. 

Eine  Verbesserung  des  Betriebs  durch  Ausdehnung  seiner 
Bodenfläche  findet  da  meist  unübersteigliche  Hindernisse. 
Selbst  die  bloße  zweckmäßigere  Gestaltung  der  Betriebsfläche, 
die  doch  weniger  schwierig  sein  sollte,  findet  noch  oft  an  der 
historisch  überlieferten  Zersplitterung  der  Bodenparzellen  und 
an  der  durch  Besitzwechsel  immer  wieder  erneuten  Mengung 
solcher  Parzellen  in  verschiedenster  Lage  ein  schweres 
Hindernis. 

Zu  allen  diesen  Hemmungen,  die  aus  dem  Privateigen- 
tum hervorgehen,  gesellen  sich  noch  jene,  die  der  Lohn- 
arbeit entspringen. 

Die  ursprünglichste  Art  der  Arbeit  ist  die  genossen- 
schaftliche. Der  isolierte  Urmensch,  der  Robinson,  der 
am  Beginn  des  Aufstiegs  der  Menschheit  stehen  soll,  ist  eine 
Erfindung  moderner  bürgerlicher  Auffassung.  Nur  durch  gesell- 
schaftliche Arbeit,  durch  Zusammenarbeiten  mit  anderen  konnte 
sich  der  Urmensch  behaupten  und  entwickeln. 

Je  weniger  furchtbar  die  Waffen  der  ersten  Menschen 
waren,  desto  mehr  mußten  sie  sich  zusammentun,  um  der  großen 
Raubtiere  und  Huftiere  Herr  zu  werden  und  durch  Anlegung 
von  Gruben,  in  denen  sie  sie  fingen,  oder  durch  offenen  Kampf, 
den  sie  gegen  den  Bären  und  den  Büffel  nur  bestehen  konnten* 

13 


■wenn  einige  von  vorne  ihm  standhielten  und  andere  ihn  von 
rückwärts  angriffen;  endlich  durch  Treibjagden,  bei  denen  man 
auch  des  flüchtigen  Wildes  habhaft  wurde,  indem  die  einen 
es  versteckt  erwarteten  und  andere  es  den  Lauernden  zujagten. 

Und  ebenso  wie  die  Jagd  war  auch  der  Haushalt  ursprüng- 
lich gesellschaftlich-  Die  Frauen  konnten  ihren  mannigfachen 
Aufgaben  nur  gerecht  werden,  wenn  sie  sich  gegenseitig  dabei 
unterstützten. 

Auch  im  nomadischen  Stadium  finden  wir  noch  den  Haus- 
halt wie  die  Arbeit  der  Männer  gesellschaftlich.  Einer  allein 
konnte  unmöglich  die  Herden  zusammenhalten  und  gegen  ihre 
mannigfaltigen  Feinde  verteidigen. 

Nicht  minder  finden  wir  im  Beginn  des  Ackerbaus  genossen- 
schaftlichen Haushalt  und  genossenschaftliche  Männerarbeit. 
Wenn  es  heute  Agrartheoretiker  gibt,  die  behaupten,  die  Land- 
wirtschaft vertrage  ihrer  ganzen  Natur  nach  nicht  genossen- 
schaftlichen Betrieb,  so  beweisen  sie  damit  nur,  daß  sie  mit 
ihrem  Empfinden  wie  ihrem  Denken  und  Wissen  über  die  Ge- 
sellschaft der  Warenproduktion  nicht  hinaussehen.  Selbst  in 
manchen  Teilen  Europas  herrschte,  zum  Beispiel  bei  den  süd- 
slawischen Völkern,  im  neunzehnten  Jahrhundert  noch  die 
Hausgenossenschaft  als  Form  des  landwirtschaftlichen 
Betriebs.  Eine  Reihe  von  Brüdern,  unter  der  Leitung  des 
ältesten,  bildeten  da  mit  Kindern  und  Kindeskindern  eine  Ge- 
nossenschaft mit  gemeinsamem  Haushalt  und  gemeinsamer 
Landwirtschaft. 

Wenn  man  von  einer  Form  der  Arbeit  behaupten  könnte, 
daß  sie  die  der  menschlichen  Natur  entsprechendste  sei,  dann 
wäre  es  die  genossenschaftliche,  die  bis  zum  Aufkommen  einer 
höher  entwickelten  Warenproduktion  allgemein  herrscht  und 
deren  Bestehen  wir  auf  Hunderttausende  von  Jahren  ansetzen 
dürfen. 

Mit  der  Warenproduktion  aber  und  dem  damit  zusammen- 
hängenden Privateigentum  an  den  Produktionsmitteln  verliert 
die  genossenschaftliche  Arbeit  ihren  Boden.  Nur  noch  zwei 
Formen  der  Arbeit  können  da  dauernd  bestehen:  entweder 
arbeiten  die  Besitzer  der  Produktionsmittel  selbst.  Dies  können 
sie  unter  der  Herrschaft  des  Privateigentums  bloß  als  isolierte 
Arbeiter  im   kleinsten  Beirieb  tun.     Ein    größerer    Betrieb    ist 

2-  19 


unter  dieser  Eigentumsform  nur  in  der  Weise  möglich,  daß 
neben  dem  Besitzer  der  Produktionsmittel  oder,  wenn  die 
Betriebsgröße  es  erlaubt,  ohne  seine  Mitarbeit,  Arbeiter  durch 
irgendeine  Art  des  Zwanges  getrieben  werden,  für  ihn  zu  ar- 
beiten. Diese  Arbeit  der  Zwangsarbeiter  ist  für  den  Besitzer 
natürlich  nur  dann  von  Vorteil,  wenn  sie  einen  Ueberschuß  von 
Produkten  über  ihre  eigenen  Erhaltungskosten  hinaus  für  ihn 
produzieren.  Den  sucht  er  also  mit  allen  Mitteln  zu  erpressen. 
In  der  kapitalistischen  Produktionsweise  ersteht  ihm  die  nötige 
Zwangsgewalt  aus  der  Notlage  der  besitzlosen  Arbeiter,  die 
keine  andere  Ware  auf  den  Markt  zu  bringen  haben  als  ihre 
eigene  Arbeitskraft. 

Wo  immer  sich  im  Rahmen  dieser  Produktionsweise  Pro- 
duktionsgenossenschaften bilden  oder  von  früher  her  erhalten, 
können  sie  keinen  dauernden  Bestand  haben.  Das  Privateigen- 
tum einzelner  an  ihren  Produktionsmitteln  setzt  sich  immer 
wieder  durch,  und  nach  kurzer  Zeit  tritt  unfehlbar  innerhalb  der 
Genossenschaft  die  Teilung  zwischen  Besitzern  der  Produktions- 
mittel und  besitzlosen  Arbeitern  ein. 

Die  Ursachen  dieser  Teilung  mögen  mannigfache  sein: 
Glück  der  einen  und  Unglück  der  anderen;  Verschiedenheit 
der  Charaktere:  hier  filzige  Asketen,  dort  leichtlebige  Genuß- 
menschen; hier  rücksichtslose  Egoisten,  dort  gutmütige  und  ver- 
trauenselige Altruisten;  Verschiedenheiten  der  geistigen  oder 
körperlichen  Kräfte  usw.  Die  Teilung  selbst  tritt  unvermeidlich 
ein.  Nicht  als  Naturgesetz  aller  Gesellschaft,  wie  das  bürger- 
liche Denken  meint,  wohl  aber  als  unerbittliches  Gesetz  der 
entwickelten  Warenproduktion.  Nicht  die  Unmöglichkeit  soziali- 
stischer Produktion  überhaupt  wird  dadurch  erwiesen,  wohl  aber 
die  Unmöglichkeit  sozialistischer  Produktion  auf  Grundlage  der 
Warenproduktion. 

Je  mehr  die  Warenproduktion  in  die  Landwirtschaft  ein- 
dringt, desto  mehr  löst  sie  die  ursprüngliche  genossenschaft- 
liche Produktion  auf.  Die  Industrieprodukte,  die  ursprünglich 
die  landwirtschaftliche  Genossenschaft  selbst  lieferte,  werden 
jetzt  vom  städtischen  Handwerk  weit  vollkommener  mit  ge- 
ringerem Arbeitsaufwand  geliefert.  Damit  werden  Arbeitskräfte 
in  der  landwirtschaftlichen  Genossenschaft  überflüssig.  Anderer- 
seits bietet  das  städtische  Handwerk  das  Bild  von  Betrieben,  in 


20 


denen  jeder  erwachsene  Mann  sein  eigener  Herr  ist.  Das  lockt 
die  jüngeren  Brüder  in  der  landwirtschaftlichen  Genossenschaft, 
sich  der  Oberherrschaft  des  älteren  Bruders  zu  entziehen,  in  der 
Stadt  ihr  Fortkommen  zu  suchen. 

Die  Warenproduktion  macht  es  notwendig,  daß  der  Pro- 
duzent frei  über  Produkte  und  Produktionsmittel  verfügt.  Zu- 
nächst im  städtischen  Handwerk,  Je  mehr  der  Bauer  für  den 
Markt  produziert,  je  inniger  seine  Berührung  mit  dem  städtischen 
Handwerk,  je  weniger  von  seinen  Produkten  im  eigenen  Haus- 
halt verbraucht  werden,  je  mehr  sie  die  Form  von  Geld  an- 
nehmen, das  vom  Haupte  der  Genossenschaft  besessen  und  ver- 
waltet wird,  desto  mehr  fühlt  sich  dies  Haupt  als  Eigentümer, 
nicht  bloß  Verwalter  des  Familienguts,  desto  mehr  drückt  er 
seine  jüngeren  Geschwister,  soweit  sie  noch  auf  dem  Hofe 
bleiben,  zu  Lohnarbeitern  herab,  denen  am  Familiengut  kein 
Anrecht  zusteht.  Jetzt  dürfen  seine  jüngeren  Geschwister,  die 
er  in  seinem  Betrieb  behält,  auch  nicht  mehr  heiraten.  Die  Er- 
zeugung legitimer  Erben  wird  sein  Monopol. 

Die  bäuerlichen  Großbetriebe  werden  nun  ähnlich  jenen 
der  Aristokraten,  die  ihre  Betriebe  von  vornherein  mit  Zwangs- 
arbeitern, Sklaven  oder  Leibeigenen  im  Gange  hielten.  An 
Stelle  von  Zwangsarbeit  dieser  Art  tritt  auch  bei  den  Betrieben 
der  feudalen  Aristokraten  früher  oder  später  Lohnarbeit,  sobald 
die  Besitzlosigkeit  von  Arbeitskräften  eine  Massenerscheinung 
geworden  ist. 

Der  bäuerliche  Großbetrieb  erhält  sich  am  leichtesten  dort, 
wo  Viehzucht  vorherrscht,  die  mehr  Arbeit  erfordert,  als  der 
Bauer  und  seine  Frau  allein  leisten  können;  in  Gebirgstälern, 
in  denen  die  Menschen  fern  auseinanderwohnen,  ein  Bauernhof 
oft  stundenweit  vom  anderen  getrennt,  fast  ganz  auf  sich  an- 
gewiesen ist. 

In  fruchtbaren  Ebenen,  in  denen  der  Getreidebau  große 
Ueberschüsse  erzielt,  eine  dichtere  Bevölkerung  möglich  ist,  die 
sich  leicht  in  Dörfern  zusammenschließt,  wo  einer  dem  anderen 
helfen  kann,  muß  die  Auflösung  der  ländlichen  Genossenschaft 
nicht  zum  Großbetrieb  mit  Lohnarbeit  führen.  Zum  Betrieb 
des  Ackerbaus  reicht  zur  Not  ein  Mann  aus,  namentlich  in 
Gegenden  und  zu  Zeiten,  wo  nur  oberflächlich  gepflügt  wird, 
der    Pflug   keine    großen    Spannkräfte   erheischt.      Schlecht    und 

21 


recht  kann  da  auch  eine  Kuh  den  Pflug  ziehen-  Eine  Züchtung 
von  Großvieh  ist  in  einer  Wirtschaft  mit  nur  einer  erwachsenen 
männlichen  und  weiblichen  Arbeitskraft  schwer  möglich.  Aber 
das  ist  auch  bei  entwickelter  Warenproduktion  nicht  nötig. 
Die  viehzüchtenden  Großbauern  können  mit  den  Kleinbauern 
ihren  Ueberschuß  an  Vieh  gegen  deren  Ueberschuß  an  Getreide 
austauschen.  Der  Kleinbauer  muß  natürlich  dabei  den  Besitz 
seines  Großviehs  auf  ein  oder  zwei  Stück  beschränken,  die  er 
zum  Zuge  oder  zur  Milchbeschaffung  braucht.  Seine  Fleisch- 
nahrung wird  möglichst  reduziert. 

Das  sind  die  beiden  einzigen  Formen  des  Betriebs,  die  in 
der  kapitalistischen  Gesellschaft  für  die  Landwirtschaft  weiteste 
Verbreitung  finden:  entweder  der  größere  Betrieb  mit  Lohn- 
arbeitern oder  der  Zwergbetrieb,  den  der  einzelne  Bauer  mit 
den  Kräften  seiner  Person,  seiner  Frau  und  seiner  Kinder  be- 
treibt. Der  genossenschaftliche  Betrieb  bleibt  auf  Ausnahmen 
beschränkt. 

Es  ist  von  vornherein  ausgeschlossen,  daß  ein  bäuerlicher 
Zwergbetrieb  sich  aller  Mittel  der  modernen  Wissenschaft  und 
Technik  bemächtigt.  Von  Wissenschaft  kann  bei  den  Klein- 
bauern gar  keine  Rede  sein,  kaum  von  guter  Schulbildung. 
Der  Betrieb  des  Kleinbauern  stellt  die  größten  Anforderungen 
an  die  Arbeitskraft  seines  Besitzers.  Dieser  muß  unermüdlich 
tätig  sein,  soll  nicht  das  Räderwerk  ins  Stocken  kommen.  War 
der  Bauer  der  Hausgenossenschaft  ein  genußfroher  Mensch,  der 
sich  nicht  gern  übermäßig  plagte,  so  wird  jetzt  der  Kleinbauer 
zum  rastlosesten  aller  Arbeitstiere.  Gerade  wegen  der  Arbeits- 
wut, die  er  bei  seinen  Besitzern  und  deren  Nachkommen  er- 
zwingt und  schließlich  zur  zweiten  Natur  macht,  ist  der  bäuer- 
liche Kleinbetrieb  stets  ein  Liebling  der  bürgerlichen  Oekonomie 
gewesen;  nicht  minder  allerdings  wegen  der  politisch  reak- 
tionären Gesinnung,  die  er  leicht  überall  entwickelt,  wo  die 
feudale  Ausbeutungsweise  überwunden  ist. 

Der  Kleinbauer  bedarf  seiner  Kinder  dringend  irn  Beirieb. 
Sie  verfügen  nicht  über  die  Zeit  und  schon  gar  nicht  über 
das  Geld,  höhere  Schulen  zu  besuchen  —  und  wenn  eines  trotz 
alldem  Glück  und  Energie  genug  hat,  auf  eine  solche  zu 
kommen  und  etwas  zu  lernen,  dann  geht  es  erst  recht  der  klein- 
bäuerlichen Wirtschaft  verloren,   in  der   es  nicht   die   geringste 

22 


Gelegenheit  findet,  sein  höheres  Wissen  zu  betätigen  und  eine 
Lebenshaltung  zu  erlangen,  die  auf  gleicher  Stufe  mit  der  der 
Masse  der  Gebildeten  steht. 

Selbst  die  primitivste  Arbeitsleistung  ist  in  einem  Betrieb 
mit  nur  einem  Mann  und  einer  Frau  unmöglich.  Auch  für  das 
Vieh  ist  eine  solche  ausgeschlossen,  wenn  nur  ein  Stück  Groß- 
vieh im  Hause  ist. 

Maschinen  anzuschaffen,  fehlt  meist  das  Geld.  Der  Bauer 
wählt  ja  die  Kleinheit  seines  Betriebs  nicht  deswegen,  weil 
er  darin  die  rationellste  Betriebsgröße  sieht,  sondern  sie  ist 
Folge  seiner  Armut.  Gelingt  es  ihm  einmal,  Geld  zu  sparen, 
dann  ist  sein  erstes,  mehr  Land  zu  kaufen.  Die  Aus- 
dehnung seines  Betriebs,  nicht  seine  Verbesserung  auf 
der  gegebenen  Bodenfläche,  ist  seine  erste  Sorge.  Er  weiß  eben, 
daß  auf  der  Grundlage  des  Zwergbetriebs  kein  rationelles  Wirt- 
schaften möglich  ist.  Die  meisten  und  besten  Maschinen  sind 
im  Rahmen  des  Kleinbetriebs  unverwendbar.  Es  gibt  kaum  eine, 
die  in  diesem  Rahmen  voll  ausgenutzt  werden  und  ihre  ganze 
Wirksamkeit  entfalten  könnte. 

Der  bäuerliche  Kleinbetrieb  erweist  sich  als  das  mächtigste 
Hindernis  jedes  technischen  Fortschritts  in  der  Landwirtschaft. 
Je  länger  diese  Betriebsweise  besteht  und  je  schneller  der 
Fortschritt  der  Technik  und  Wissenschaft  in  der  Gesellschaft 
vor  sich  geht,  desto  größer  muß  der  Unterschied  zwischen  der 
möglichen  und  der  wirklichen  Höhe  der  Produktivität 
in  der  Landwirtschaft  werden. 

Aber  die  andere  Alternative,  die  Lohnarbeit,  ist  in  der  Land- 
wirtschaft dem  technischen  Fortschritt  nicht  viel  günstiger. 

In  dem  Maße,  wie  die  Arbeit  monotoner  wird,  wirkt  sie 
auch  abstoßender.  Gehörten  in  den  Anfängen  der  Kultur  viele 
Arbeiten  zu  den  Genüssen  des  Daseins,  so  verringert  sich  die 
Zahl  und  Ausdehnung  solcher  Arbeiten  auf  dem  Gebiet  der 
materiellen  Produktion  zusehends  mit  dem  gesellschaftlichen 
Fortschritt.  Immer  mehr  wird  auf  diesem  Gebiet  der  wirk- 
samste Ansporn  zur  Arbeit  deren  Produkt.  Das  bleibt  dem 
Arbeiter  aber  nur  dort,  wo  er  Besitzer  des  Produktionsmittels 
ist,  also  nur  im  Kleinbetrieb,  wenn  sich  genossenschaftlicher 
Betrieb  nicht  behaupten  kann.     Der   Kleinbetrieb  besitzt   damit 

23 


einen  Antrieb  zur  Arbeit,  aber  auch  zur  Sparsamkeit,  zur 
Schonung  der  Werkzeuge  und  Nutztiere,  zu  sparsamer  Ver- 
wendung von  Rohstoffen  und  Hilfsmaterialien,  der  der  Arbeit 
im  fremden  Betrieb,  also  im  Großbetrieb  fehlt  (wenn  genossen- 
schaftliche Arbeit  unmöglich),  am  meisten  bei  der  Zwangsarbeit, 
zum  Beispiel  Arbeit  von  Sklaven  und  Leibeigenen,  aber  auch  der 
von  Lohnarbeitern.  Technische  Fortschritte  werden  aber  vom 
Kapitalisten  heute  nicht  dort  eingeführt,  wo  sie  Arbeit  er- 
sparen —  der  Kapitalist  arbeitet  selbst  nicht,  und  die  Arbeits- 
zeit seiner  Ausgebeuteten  ist  ihm  gleichgültig  — ,  sondern  nur 
dort,  wo  sie  Profit  bringen.  Die  Arbeit  im  eigenen  Betrieb 
pumpt  aus  dem  Arbeiter  mehr  und  bessere  Arbeit  heraus  als  die 
im  fremden.  Soll  letztere  die  erstere  verdrängen,  dann  muß  sie 
technisch  nicht  nur  etwas,  sondern  sehr  viel  Vollkommeneres 
zu  leisten  vermögen.  Technische  Ueberlegenheit  bedeutet  da 
noch  nicht  ökonomische  Ueberlegenheit.  Die  Einführung  tech- 
nischer Neuerungen  wird  dadurch  sehr  verlangsamt;  auch  dies 
ist  einer  der  Gründe,  warum  in  der  kapitalistischen  Produktions- 
weise die  wirkliche  Produktivität  der  gesamten  gesellschaftlichen 
Arbeit  immer  hinter  ihrer  technisch  möglichen  zurückbleibt  und 
zurückbleiben  muß. 

Dies  Hindernis  wirkt  in  der  Industrie  wie  in  der  Landwirt- 
schaft, aber  in  letzterer  in  weit  höherem  Grade.  In  einem 
industriellen  Betrieb  sind  die  Arbeiten  auf  einem  engen  Räume 
zusammengedrängt;  der  Arbeiter  bleibt  in  der  Regel  ständig  bei 
einer  Hantierung,  an  einem  Orte.  Alles  das  erleichtert  seine 
Ueberwachung.  Andererseits  tritt  vielfach  der  Erfolg  einer 
bestimmten  Arbeit  sofort  genau  meßbar  in  Erscheinung  — 
soundsoviel  Meter  Garn,  soundsoviel  Tonnen  Kohlen  usw. 

Man  kann  da  durch  das  Akkordsystem  zu  rascher  Arbeit 
anspornen,  fehlerhafte  Arbeit  bestimmter  Arbeiter  oder  Ar- 
beitergruppen leicht  herausfinden,  was  dem  Kapitalisten  Anlaß 
zu  den  profitabelsten  Strafsystemen  gibt. 

In  der  Landwirtschaft  sind  die  Arbeiten  über  eine  große 
Fläche  ausgedehnt,  der  Arbeiter  wechselt  häufig  die  Arbeit 
und  den  Arbeitsplatz.  Seine  Ueberwachung  wird  dadurch 
schwierig  und  kostspielig.  Nur  selten,  wie  etwa  beim  Mähen 
oder  Dreschen,  tritt  der  Erfolg  bestimmter  Arbeiten  genau  meß- 
bar in   Erscheinung;    Akkordlohn   und    ähnliche   Mittel    des   An- 

24 


triebs  zu  schneller  Arbeit  oder  der  Verhinderung  fehlerhafter 
Arbeit  finden  daher  in  der  Landwirtschaft  weit  weniger  An- 
wendung als  in  der  Industrie. 

Dazu  gesellt  sich  noch  ein  anderes  hemmendes  Moment. 
Der  technische  Fortschritt,  namentlich  die  Anwendung  von 
Maschinen,  hat  wohl  die  Tendenz,  die  Arbeit  zu  vereinfachen, 
dies  gilt  jedoch  nur  für  die  Masse  der  angewandten  Arbeiter. 
Neben  diesen  braucht  er  eine  Reihe  intelligenter  und  geschulter 
Arbeitskräfte.  In  der  Industriestadt  sind  solche  Elemente 
massenhaft  zu  finden.  Sie  fehlen  auf  dem  flachen  Lande  und 
fehlen  dort  immer  mehr. 

In  Stadt  und  Land  wächst  mit  der*  kapitalistischen  Pro- 
duktionsweise die  Arbeitswut  der  Besitzer  der  Kleinbetriebe 
sowie  die  Anpeilschung  der  Arbeiter  durch  die  Besitzer  der 
Großbetriebe.  In  Stadt  und  Land  wächst  das  Streben  nach 
Verlängerung  der  Arbeitszeit  oder,  wo  dies  nicht  möglich,  nach 
vermehrter  Intensität  der  Arbeit.  In  den  Städten  schließen 
sich  jedoch  die  Arbeiter  zusammen,  gewinnen  sie  am  ehesten 
Kraft,  dieses  Drängen  des  Kapitals  zurückzuweisen  und  die 
Arbeitszeit  zu  verkürzen,  Zeit  zum  Genießen  des  Lebens  zu 
gewinnen. 

Die  Stadt  bietet  auch  die  mannigfachsten  Mittel  dazu  — 
höhere  Genüsse,  wie  die  des  politischen  Kampfes,  wissenschaft- 
licher oder  künstlerischer  Vorführungen,  freilich  auch  gröbere 
aller  Art. 

Dem  Landarbeiter,  isoliert  und  leicht  zu  überwachen,  ist 
es  weit  schwerer,  seine  Arbeitszeit  zu  verkürzen,  und  noch 
schwerer,  seine  freie  Zeit  zur  Abwechslung  seines  einförmigen 
Lebens  zu  benützen.  Außer  der  Kirche  und  Kneipe  unter- 
bricht kaum  etwas  die  Trübseligkeit  seines  Daseins;  politische 
Versammlungen  sind  fast  unmöglich,  die  zugängliche  Literatur 
höchst  dürftig,  künstlerische  Darstellungen  gibt  es  gar  keine 
oder  im  besten  Falle  alle  paar  Jahre  einmal  eine  Schmiere 
für  einige  Tage.  Wohl  steht  ihm  die  Natur  nahe,  aber  alles 
will  gelernt  sein,  auch  das  Genießen.  Nicht  etwa,  daß  nur 
der  Städter  für  die  Schönheiten  der  Natur  Sinn  hätte.  Sie 
entzückt  jeden,  der  Gelegenheit  hat,  ihre  Mannigfaltigkeit  zu 
studieren,  nicht  nur  Künstler  und  städtische  Naturenthusiasten, 
sondern  auch   Jäger,  Aelpler,   Seeleute,   deren   Beruf   ein   stetes 

25 


und  aufmerksames  Studium  der  freien  Natur  bedingt.  Beim 
Ackerbauer  ist  das  nur  wenig  der  Fall.  Bei  Tage  absorbiert 
ihn  die  Arbeit,  und  bei  Nacht  sieht  man  nichts  von  der  Natur. 
Ein  sentimentaler  Mondscheinschwärmer  ist  der  Landmann 
nicht. 

Die  Nähe  der  freien  Natur  entschädigt  ihn  also  nicht  für 
das  Fehlen  fast  aller  gesellschaftlichen  Genüsse  oder  doch  Er- 
regungen und  Abwechslungen,  die  die  Stadt  in  so  reichem  Maße 
entfaltet. 

Kein  Wunder,  daß  die  Sehnsucht  nach  der  Stadt  wächst 
und  mit  der  Verbesserung  der  Verkehrsmittel  die  Abwanderung 
zur  Stadt  zunimmt,  die  schon  im  Mittelalter  begann. 

Sie  bietet  nicht  bloß  größere  Aussichten  zum  Fortkommen, 
größere  Freiheit  der  Bewegung,  sondern  auch  größere  Ab- 
wechslung, nicht  bei  der  Arbeit,  aber  außer  der  Arbeit. 

Gerade  die  Besten,  die  Energischsten  und  Intelligentesien 
unter  den  ärmeren  Bewohnern  des  flachen  Landes  wandern 
in  die  Städte,  am  ehesten  natürlich  jene,  die  ihr  Besitz  am 
wenigsten  beschwert.  Das  ist  ein  großes  Hindernis  der  sozia- 
listischen Propaganda  auf  dem  Lande,  aber  auch  ein  großes 
Hindernis  der  Einführung  neuer  technischer  Fortschritte. 
Was  nützen  die  Erfindungen,  wenn  die  gebildeten  Arbeiter 
fehlen,  die  erheischt  sind,  ihre  Anwendung  möglich  zu 
machen! 

Um  das  Abwandern  ihrer  Lohnarbeiter  zu  hindern,  trachten 
die  großen  Landwirte,  ihre  Arbeiter  künstlich  an  die  Scholle 
zu  fesseln  durch  kleine  Gütchen,  die  man  ihnen  käuflich  oder 
pachtweise  überläßt.  So  werden  vom  Großbetrieb  in  der 
Landwirtschaft  selbst  Zwergbetriebe  geschaffen,  die  technisch 
völlig  unzureichend  sind,  aber  auch  nicht  dem  Zwecke  dienen, 
Ueberschüsse  an  Lebensmitteln  zu  produzieren,  sondern  Ueber- 
schüsse  an  Arbeitskräften,  die  dem  Großbetrieb  zur  Ver- 
fügung stehen. 

Die  Lohnarbeiter  selbst,  die  auf  dem  Lande  bleiben,  ver- 
langen nach  einem  Gütchen.  Die  schlimmsten  Geißeln  des 
Arbeiters  sind  die  Schwankungen  des  Marktes.  Die  des  Nah- 
rungsmittelmarktes, die  ihm  Teuerung  bringen,  und  noch  mehr 
die  des  Arbeitsmarktes,  die  ihn  mit  dem  ärgsten  Uebel  für  den 
Lohnarbeiter   bedrohen,    mit   Arbeitslosigkeit.      Besitzt    der    Ar- 


26 


beiter  ein  Gütchen,  das  ihm  die  wichtigsten  Nahrungsmittel 
sichert,  etwa  Kartoffeln  und  die  Milch  einer  Ziege,  so  fühlt  er 
sich  vor  diesen  Schwankungen  gesichert;  er  kann  die  Teuerung 
wie  die  Arbeitslosigkeit  leichter  überdauern.  Er  verlangt  nach 
einem  solchen  Gütchen  nicht  um  der  Grundrente  willen,  nicht 
einmal  auf  den  Profit  macht  er  Anspruch,  ja  selbst  nicht  darauf, 
daß  ihm  dessen  Ertrag  den  Lohn  für  die  darauf  verwendete  Ar- 
beit ersetze.  Seine  Arbeitskräfte  sind  Frau  und  Kinder,  denen 
er  nichts  zahlt,  und  seine  ökonomische  Sicherstellung  und  grö- 
ßere Unabhängigkeit  scheinen  ihm  ein  Opfer  wert.  So  ist  er 
bereit,  für  sein  Gütchen  Summen  zu  zahlen,  die  der  Kapitalist 
für  die  gleiche  Bodenfläche  nie  bewilligen  würde,  der  Arbeits- 
löhne  zu   zahlen   hat  und  einen   tüchtigen   Profit   machen  will. 

Der  Großgrundbesitzer,  der  von  seinem  Gute  einzelne 
Gütchen  abtrennt,  um  sie  an  Lohnarbeiter  zu  verkaufen  oder  zu 
verpachten,  macht  also  ein  doppeltes  Geschäft;  er  fesselt  nicht 
nur  Arbeiter  an  seine  Scholle,  sondern  erhält  auch  von  diesen 
weit  höhere  Preise  als  den  Betrag  der  kapitalisierten  Grund- 
rente. 

So  erstehen  noch  heute  gerade  in  den  Bezirken  des  Groß- 
betriebs und  zu  dessen  Förderung  und  Stützung  immer  wieder 
neue  Zwergbetriebe,  die  technisch  miserabel  ausgestattet  sind 
und  niemals  imstande  sein  werden,  auch  nur  einigermaßen  eine 
höhere  Produktivität  zu  entfalten,  indes  gleichzeitig  in  den  Ge- 
genden vorwiegenden  Kleinbetriebs  dieser  sich  durch  die  Hem- 
mungen, die  das  Privateigentum  übt,  gleichfalls  erhält  und  oft 
durch  Erbteilungen  noch  weiter  parzelliert  wird. 

Alle  diese  der  technischen  Entwicklung  feindlichen  Ein- 
wirkungen des  Privateigentums  am  Boden  und  der  Lohnarbeit 
werden  noch  verstärkt  durch  die  wachsenden  Kriegsrüstungen, 
die  heute  in  letzter  Linie  dem  kapitalistischen  Konkurrenzkampf 
entspringen. 

Der  Krieg  und  die  Rüstung  zum  Kriege  bildete  stets  ein 
Hindernis  für  die  Entwicklung  der  Produktivkräfte.  Dies  Hinder- 
nis wächst  mit  dem  modernen  Verkehrswesen  und  der  Herrschaft 
des  Menschen  über  die  Naturkräfle.  Mit  den  Motiven  und  Mit- 
teln der  Massenproduktion  wachsen  auch  die  des  Massenmordes 
und  wächst  die  Verschwendung  von  Kräften,  die  sonst  Mittel  des 

27 


Konsums  oder  Mittel  der  Produktion  schaffen  könnten.  Die 
Produktion  in  ihrer  Gesamtheit  betrachtet,  wird  die  Vermehrung 
der  Produktivkräfte  durch  Militarismus  und  Marinismus  in  wach- 
sendem Maße  behindert.  Aber  nicht  alle  Produktionszweige 
leiden  darunter  in  gleicher  Weise.  Manche,  die  als  Lieferanten 
für  Armee  und  Marine  fungieren,  namentlich  die  Eisenindustrie, 
können  ihre  Produktivkräfte  dadurch  steigern.  Aber  nur  auf 
Kosten  der  anderen  Produktionszweige,  die  um  so  mehr  darunter 
leiden.  Keiner  mehr  als  die  Landwirtschaft.  Die  Industrie 
leidet  nicht  Mangel  an  Arbeitskräften,  wohl  aber  die  Landwirt- 
schaft. Der  Militarismus  steigert  diesen  Mangel.  Und  die  Akku- 
mulation von  Kapital  bei  den  Landwirten  wird  nicht  dadurch  ge- 
fördert, wenn  zu  den  wachsenden  Lasten  der  Grundrente  noch 
die  der  Kriegsrüstungen  kommen,  alle  Ersparnisse  nicht  nur  für 
steigende  Bodenpreise,  Pacht-  und  Hypothekenzinsen,  sondern 
auch  für  steigende  Steuern  hinzugeben  sind. 

Die  Sache  wird  nicht  besser  dadurch,  daß  die  herrschenden 
Klassen  im  Bauern  und  Grundbesitz  überhaupt  ein  Gegengewicht 
gegen  die  steigende  Flut  des  revolutionären  Proletariats  der 
Städte  erblicken  und  ihn  daher  durch  alle  möglichen  Begünsti- 
gungen und  Privilegien  auf  Kosten  der  Städte  zu  stützen  suchen. 
Der  Grundbesitz,  das  heißt  der  wirkliche  Nutznießer  der 
Grundrente,  sei  er  Pachtherr  oder  Hypothekengläubiger,  kann 
dabei  dick  und  fett  werden,  die  landwirtschaftliche  Technik 
gewinnt  höchsten  vorübergehend  dadurch.  Auch  hier  tritt  wieder 
der  Unterschied  zwischen  Technik  und  Oekonomie  zutage. 

Was  als  ökonomische  Förderung  des  Grundbesitzes  ge- 
dacht ist,  wird  schließlich  immer  wieder  ein  Hemmnis  der  tech- 
nischen Entwicklung  der  Landwirtschaft.  Alle  jene  Privilegien 
haben  ja  keinen  anderen  Zweck,  als  gerade  solche  Verhältnisse 
künstlich  zu  stützen,  die  den  technischen  Fortschritt  in  der  Land- 
wirtschaft hemmen.  Sie  bedeuten  entweder  eine  Erhaltung  und 
Belebung  des  technisch  rückständigen  Kleinbetriebs  in  Gegen- 
den, wo  er  sonst  unhaltbar  wäre,  oder  eine  Erhöhung  der  Grund- 
rente, die  nur  vorübergehend  den  Landwirten  und  der  Ver- 
besserung ihres  Betriebs  dient,  früher  oder  später  ihren  Aus- 
beutern höhere  Einnahmen  verschafft,  Pachtherren  und  Hypo- 
thekengläubigern. 

28 


Immerhin,  die  Landwirte  sind  eine  für  die  herrschenden 
Klassen  zu  wichtige  Klasse  in  den  Industriestaaten,  als  daß  die 
Ausbeuter  ihre  ökonomische  Uebermacht  jenen  gegenüber  völlig 
ausnützten.  Andererseits  sind  die  Fortschritte  der  Naturwissen- 
schaften und  der  Technik  in  den  alten  Kulturstaaten  zu  gewal- 
tige, als  daß  sie  einer  Bevölkerung  völlig  vorenthalten  bleiben 
könnten,  die  dicht  an  den  Stätten  der  Produzierung  dieser 
Wissenschaft  und  Technik  wohnt. 

Der  technische  Fortschritt  der  Landwirtschaft  wird  durch 
die  eben  erwähnten  Faktoren  gehemmt,  die  Differenz  zwischen 
möglicher  und  wirklicher  Produktivität  stetig  vergrößert,  aber 
in  den  kapitalistischen  Industriestaaten  wird  der  Fortschritt  da- 
durch in  der  Regel  nicht  aufgehoben,  sondern  nur  verlangsamt. 

Anders  als  in  den  Industriestaaten  steht  es  in  den  agra- 
rischen Staaten.  Diese  kann  man  in  zwei  große  Gruppen  schei- 
den, von  denen  die  einen  am  besten  durch  die  überseeischen 
angelsächsischen  Gemeinwesen,  Vereinigte  Staaten,  Kanada, 
Australien,  die  anderen  durch  die  Staaten  des  orientalischen 
Despotismus  —  Rußland,  Türkei,  Persien,  Indien,  China  — 
repräsentiert  werden,  die  eben  im  Begriffe  sind,  sich  dem  über- 
kommenen Despotismus  zu  entwinden. 

Die  Staaten  des  ersteren  Typus  sind  Kolonien,  gegründet 
auf  einem  Boden,  der  zur  Zeit  seiner  Entdeckung  und  Er- 
schließung eine  Bevölkerung  trug,  die  über  Jagd  und  primi- 
tivste Bodenkultur  noch  nicht  hinausgekommen  war.  Die  Ein- 
führung der  Pflugkultur  auf  der  Grundlage  der  modernen 
Technik  bedeutet  da  einen  enormen  technischen  Fortschritt. 
Die  Landwirtschaft  kann  sich  um  so  rascher  entfalten  und  die 
modernen  Werkzeuge  ausnutzen,  als  sie  zunächst  durch  Privat- 
eigentum am  Boden  und  Lohnarbeit  nicht  gehemmt  wird.  Die 
ursprünglichen  Besitzer  des  Bodens,  die  Eingeborenen,  werden 
als  rechtlos  betrachtet  und  expropriiert,  so  hat  der  Boden  der 
neuen  Staaten  zunächst  keine  Besitzer,  und  er  ist  in  solcher 
Fülle  vorhanden,  daß  die  Besitznahme  einzelner  Stücke  durch 
einwandernde  Landwirte  noch  kein  Monopol  begründet.  Es 
gibt  keine  Grundrente,  keinen  Bodenpreis  von  Belang,  sein 
ganzes  Geld  kann  der  Landwirt  auf  die  Ausstattung  seines  Be- 
triebs verwenden. 


29 


Lohnarbeit  in  der  Landwirtschaft  ist  unter  diesen  Bedin- 
gungen kaum  möglich,  da  jeder  gesunde  Mensch  mit  geringen 
Mitteln  leicht  einen  eigenen  Betrieb  beginnen  kann.  Also  ist 
auch  Großbetrieb  unmöglich,  da  Warenproduktion  herrscht. 
Aber  gerade  auf  ihrer  Grundlage  kann  der  Kleinbetrieb  in  der 
Kolonie  eine  höhere  technische  Grundlage  erreichen  als  im 
Mutterland,  wo  die  bäuerliche  Wirtschaft  noch  in  den  Tra- 
ditionen der  Produktion  für  den  Selbstbedarf  steckt  und  daher 
höchst  vielseitig  sein  muß.  In  der  Kolonie  kann  der  Landmann 
sofort  für  den  Verkauf  produzieren,  kann  seinen  Betrieb  ein- 
seitig auf  eine  bestimmte  Spezialität,  etwa  Weizen,  einrichten, 
wodurch  er  an  Produktionsmitteln  spart  und  seine  Arbeitskräfte 
besser  ausnutzen  kann. 

Indes  ist  die  Vielseitigkeit  der  bäuerlichen  Wirtschaft  in 
Europa  nur  zum  Teil  dem  Umstand  geschuldet,  daß  sie  ur- 
sprünglich darauf  angelegt  war,  im  wesentlichen  alles  selbst 
zu  produzieren,  was  die  Familie  ihres  Besitzers  konsumierte. 
Zum  Teil  wird  diese  Vielseitigkeit  durch  die  Notwendigkeit  er- 
zeugt, die  Bedingungen  der  dauernden  Fortführung  des  Betriebs 
zu  schaffen,  die  Aussaugung  des  Bodens  zu  vermeiden  durch 
Fruchtwechsel,  Produktion  von  Stallmist  und  dergleichen. 

Das  hat  die  bäuerliche  Wirtschaft  in  den  Kolonien  zunächst 
nicht  notwendig,  da  ja  so  reichlicher  Boden  vorhanden  ist. 
Liefert  er  an  der  einen  Stelle  keinen  Ertrag  mehr,  dann  sucht 
der  Bauer  eben  eine  andere  Stelle  auf,  die  er  urbar  macht.  Er 
ist  also  noch  ein  halber  Nomade. 

Damit  wird  aber  diese  Wirtschaft  zum  reinen  Raubbau,  der 
rasch  den  Boden  erschöpft. 

Die  Bodenerschöpfung  wird  um  so  verderblicher,  da  sie  mit 
schonungsloser  Waldverwüstung  Hand  in  Hand  geht.  Man  hat 
berechnet,  daß  in  den  Vereinigten  Staaten  im  Jahre  durch- 
schnittlich 110  000  Quadratkilometer  Wald  vernichtet  werden  — 
das  macht  mehr  als  ein  Hundertstel  der  ganzen  Bodenfläche  des 
Landes  aus  (Oppel,  Natur  und  Arbeit,  1904,  II,  S.  82). 

Kein  Wunder,  daß  die  schlimmsten  Befürchtungen  wegen 
dieser  wahnsinnigen  Waldwirtschaft  laut  werden.  Aber  was 
vermögen  theoretische  Befürchtungen  gegenüber  kapitalistischer 
Profitgier! 

30 


Natürlich  muß  eine  derartige  Raubwirtschaft  das  Land 
rasch  erschöpfen  und  ihre  eigene  Fortsetzung  in  dem  Maße  un- 
möglicher machen,  in  dem  die  Reserven  noch  nicht  in  Besitz 
genommenen  Bodens  verschwinden.  In  den  Vereinigten  Staaten 
ist  schon  der  Anbau  mancher  Körnerfrüchte,  vor  allem  des 
Weizens,  ins  Stocken  gekommen. 

Eine  stete  rasche  Zunahme  der  Weizenproduktion  im  ersten 
Vierteljahrhundert  nach  dem  Bürgerkrieg,  von  1866  bis  1891; 
im  nächsten  Jahrzehnt  eine  Verlangsamung  der  Zunahme,  von 
gelegentlichem  Rückgang  unterbrochen;  seit  1901  Stillstand.  Die 
letzte  Ernte  von  1909  war  eine  außergewöhnlich  gute,  erzielte 
80  Millionen  Bushel  mehr  als  die  von  1908,  blieb  aber  immer 
noch  um  24  Millionen  hinter  der  von  1901  zurück. 

Die  gleiche  Erscheinung  zeigt  in  den  letzten  Jahren  das 
Rindvieh  mit  Ausnahme  der  Milchkühe. 

Also  seit  1907  nicht  nur  keine  Zunahme,  sondern  sogar  Ab- 
nahme der  Zahl  der  Rinder. 

Man  sieht,  der  Raubbau  fängt  bereits  an,  seine  Wirkungen 
geltend  zu  machen. 

Die  amerikanische  Landwirtschaft  kann  auf  die  bisherige 
Weise  nicht  mehr  weiter  wirtschaften,  sie  kann  den  extensiven 
nomadischen  Raubbau,  wo  er  noch  besteht,  nicht  mehr  aufrecht 
halten  und  muß  eine  intensive  bodenständige  Kultur  allgemein 
durchführen,  die  auf  Erhaltung  und  Mehrung  der  Bodenkräfte 
bedacht  ist.  Vielfach  ist  der  Anfang  dazu  gemacht.  Damit 
gerät  sie  aber  in  ähnliche  Bedingungen  wie  in  Europa.  Und 
gleichzeitig  beginnen  nun  auch  die  hemmenden  Einflüsse  des 
Privateigentums  am  Boden,  der  Grundrente  und  der  Alternative 
zwischen  Großbetrieb  mit  unwilliger  Lohnarbeit  oder  Zwerg- 
betrieb ohne  Wissen  und  ohne  höhere  Technik  sich  geltend  zu 
machen. 

Wie  das  auf  die  Bauern  wirkt,  zeigt  die  rasche  Zunahme 
des  Pachtsystems.  Von  den  Farmen  der  Vereinigten 
Staaten  wurden  bewirtschaftet 

1880  1890  1900 

■vom    Besitzer 74,5  Prozent     71,6  Prozent     64,7  Prozent 

von   Pächtern 25,5        „  28,4         „  35,3 

31 


Die  Erschließung  der  Länder,  die  von  Wilden  bewohnt 
werden,  durch  europäische  Ansiedlungen  und  dann  Eisenbahnen, 
bedeutet  also  zunächst  eine  enorme  Erweiterung  des  Nahrungs- 
spielraums, die  aber  unter  der  Herrschaft  kapitalistischer 
Warenproduktion  die  Formen  rücksichtslosesten  Raubbaus 
annimmt,  der  die  urwüchsige  Fruchtbarkeit  dieser  Länder  rasch 
erschöpft  und  nach  einem  kurzen  Uebergangsstadium  für  ihre 
Landwirtschaft  die  gleiche,  ja  infolge  von  Raubbau  und  Wald- 
verwüstung leicht  eine  noch  ungünstigere  Position  schafft  wie  in 
Europa. 

Noch  schlimmer  ergeht  es  der  Landwirtschaft  in  den  Agrar- 
ländern des  zweiten,  des  orientalischen  Typus.  Sie  haben  be- 
leits  eine  bäuerliche  Wirtschaft  entwickelt,  jedoch  eine  rück- 
ständige, die  oft  noch  das  dörfliche  Gemeineigentum  am  Boden 
bewahrt. 

In  diesen  Ländern  tritt  der  Kapitalismus  zunächst  als 
der  Vernichter  der  bäuerlichen  Industrie  und  der  bäuerlichen 
Produktion  für  den  Selbstgebrauch  auf.  Er  zwingt  sie,  ein- 
seitig bloß  Bodenprodukte  zu  produzieren  und  auf  die  häus- 
liche Industrie  zu  verzichten.  Er  zwingt  sie,  ihre  Produkte  auf 
dem  Markte  zu  verkaufen  und  Industrieprodukte  dort  zu  kaufen. 
Er  gebraucht  dabei  die  mannigfachsten  Mittel,  vor  allem  aber 
wirkt  er  durch  Geldsteuern,  die  er  in  Kolonialländern 
deren  Bewohnern  direkt  auferlegt,  in  ,, selbständigen"  Staaten 
nach  Auferlegung  von  Staatsschulden  durch  deren  nominelle  Be- 
herrscher für  sich  erpressen  läßt,  mögen  sie  Zar,  Sultan,  Sohn 
des  Himmels  oder  sonstwie  heißen. 

Die  Ausdehnung  und  damit  die  Lebensfähigkeit  des  indu- 
striellen Kapitalismus  hängt  davon  ab,  daß  die  Ueberschüsse 
an  Nahrungsmitteln  und  Rohstoffen  stets  wachsen,  die  ihm  die 
agrarischen  Länder  im  Austausch  gegen  seine  Industrieprodukte 
zuführen.  Es  gibt  zwei  Methoden,  diese  Ueberschüsse  zu  ver- 
mehren, so  wie  es  zwei  Methoden  der  Vergrößerung  des  Mehr- 
wertes unter  dem  System  der  Lohnarbeit  gibt,  die  des  absoluten 
und  des  relativen  Mehrwertes. 

Man  kann  den  Mehrwert  und  das  Mehrprodukt  dadurch 
steigern,  daß  man  die  Produktivität  der  Arbeit  durch  Ein- 
führung technischer  Verbesserungen  erhöht.  Der  gewaltige 
technische  Fortschritt  der   Industrie  beruht  auf   dieser  Methode. 


32 


Aber  schon  in  der  Landwirtschaft  der  Industrieländer  ist  sie 
viel  weniger  wirksam  als  in  der  Industrie,  wie  wir  gesehen 
haben.  Noch  weniger  wirksam  in  den  rein  oder  überwiegend 
agrarischen,  vom  Kapital  unterjochten  Ländern.  Wohl  wird 
sie  nicht  völlig  außer  acht  gelassen  —  wir  erinnern  zum  Bei- 
spiel an  die  gewaltigen  Bewässerungsbauten  der  Engländer  in 
Aegypten  — ,  aber  im  allgemeinen  wird  die  andere  Methode 
vorgezogen,  das  Mehrprodukt  oder  den  Mehrwert  nicht  dadurch 
zu  steigern,  daß  dieselbe  Arbeit  mehr  Produkt  liefert,  sondern 
dadurch,  daß  aus  den  Arbeitern  mehr  unbezahlte  Arbeit  heraus- 
geschunden wird,  was  in  den  Ländern  der  Lohnarbeit  durch 
Ausdehnung  der  Intensivierung  der  Arbeitszeit  und  Herab- 
drückung  des  Reallohns  —  nicht  immer  des  Geldlohns  —  er- 
reicht wird.  In  den  agrarischen  Ländern  kommen  daneben  noch 
andere  Methoden  in  Betracht,  namentlich  Erhöhung  von  Steuern 
und  zunehmende  Verschuldung  des  Landwirtes  und  damit  Ver- 
mehrung seiner  Schuldenzinsen. 

Alle  diese  Methoden  der  Erhöhung  des  absoluten  Mehr- 
produktes sind  weitaus  bequemer,  billiger  und  rascher  wirksam 
wie  die  der  Vermehrung  des  relativen  Mehrproduktes.  Freilich 
führen  jene  zu  vorzeitiger  Erschöpfung  und  schließlich  völliger 
Ruinierung  der  Kräfte  der  Arbeiter  und  des  Bodens  —  der 
beiden  Quellen  aller  Produktivkraft.  Aber  die  kapitalistische 
Produktionsweise  gehört  nicht  zu  jenen,  in  denen  die  Menschen 
glauben,  für  die  Ewigkeit  zu  schaffen,  noch  auch  zu  jenen,  in 
denen  die  einzelnen  das  Gefühl  haben,  für  die  Gesamtheit  zu 
schaffen.  Da  ist  jeder  für  sich  im  allgemeinen  Konkurrenz- 
kampf, jeder  nur  darauf  bedacht,  so  viel  für  sich  aus  der  gemein- 
samen Beute  herauszuschlagen  als  möglich,  und  zwar  so  rasch 
als  möglich,  denn  alle  technischen  und  gesellschaftlichen  Ver- 
hältnisse sind  in  steter  Umwälzung  begriffen  und  nur  das  Heute 
sicher.  Das  ist  die  richtige  Produktionsweise  des  allgemeinen 
und  ständigen  Raubbaus. 

Der  Empörung  des  Proletariats  in  den  Industrieländern  ist 
es  zu  danken,  daß  diese  Tendenz  zur  Ruinierung  von  Land  und 
Leuten  sich  dort  nicht  völlig  durchsetzt  und  immer  stärkeren 
Widerstand  findet.  Ohne  den  Klassenkampf  des  Proletariats 
hätte  das  industrielle  Kapital  die  modernen  Industrieländer  be- 
reits völlig  erschöpft  und  ruiniert.      Je  kraftvoller   der  Wider- 

Kautsky,  Landwirtschaft     3  33 


stand  des  Proletariats,  desto  mehr  werden  aber  nicht  bloß  die 
zerstörenden  Raubbautendenzen  des  Kapitalismus  eingeengt, 
desto  mehr  wird  er  auch  gedrängt,  die  andere  Methode  der  Er- 
höhung des  Mehrwertes  anzuwenden,  die  Vermehrung  der  Pro- 
duktivkraft der  menschlichen  Arbeit  durch  den  technischen  Fort- 
schritt. Die  so  hervorgerufene  technische  Revolution  ist  die 
glänzendste  Seite  in  der  Geschichte  des  Kapitalismus.  Aber 
ihren  mächtigsten  Antrieb  bildet  der  Klassenkampf  des  Prole- 
tariats. 

Man  wirft  uns  Sozialdemokraten  vor,  wir  wüßten  nur  den 
Klassenhaß  zu  schüren  und  keine  positive  Politik  zu  treiben.  In 
Wirklichkeit  treibt  niemand  mehr  und  erfolgreicher  positive 
Politik  wie  jene,  die  den  Klassenkampf  des  Proletariats  einheit- 
licher, kraftvoller,  erfolgreicher  zu  gestalten  suchen.  Ohne  diesen 
Klassenkampf  wäre  heute  schon  keine  Kultur  mehr  möglich. 

In  den  agrarischen  Ländern  des  orientalischen  Typus  fehlt 
bisher  ein  industrielles  Proletariat,  das  stark  genug  wäre,  durch 
seinen  Klassenkampf  der  kapitalistischen  Ausbeutung  im  ganzen 
Lande  Beschränkung  aufzulegen,  und  es  fehlt  damit  das  stärkste 
Hindernis  für  den  Kapitalismus,  seine  Politik  des  Raubbaus  frei 
zu  entwickeln,  sowie  der  stärkste  Antrieb,  die  Produktivität  der 
Arbeit  durch  kostspielige  und  langwierige  technische  Verbesse- 
rungen zu  vermehren.  Da  überwiegt  die  erstere  Methode,  die 
des  absoluten  Mehrwertes,  weit  über  die  letztere,  die  des  rela- 
tiven Mehrwertes;  da  führt  der  Kapitalismus  zu  unaufhaltsamer 
nicht  bloß  relativer,  sondern  absoluter  Verelendung  des  Bodens 
und  vielfach  auch  der  Bevölkerung. 


34 


IL 
Die  landwirtschaftlichen  Arbeitsmittel 

1.  Die  ländliche  Arbeiterfrage 

Die  Landwirtschaft  hat  in  vielen  Punkten  ihre  eigenen,  von 
denen  der  Industrie  verschiedenen  ökonomischen  Gesetze. 
Das  wird  auch  in  der  Uebergangswirtschaft  zutage  treten. 
Sie  erzeugt  den  größten  Teil  ihres  Rohmaterials  selbst, 
Saatgut,  Vieh,  Dünger.  Ihr  wichtigster  Arbeitsgegenstand  ist 
gleichzeitig  auch  ihr  wichtigstes  Arbeitsmittel,  die  Erde.  Diese 
wird  weder  im  Arbeitsprozeß  verbraucht,  wie  Rohstoffe,  noch 
abgenutzt,  wie  Maschinen.  Andererseits  ist  der  kulturfähige, 
wie  der  in  Kultur  genommene  Boden,  nicht  beliebig,  in  alten 
Kulturländern  überhaupt  nicht  mehr  nennenswert  vermehrbar. 
Doch  nimmt  er  auch  selten  ab.  Der  Krieg  hat  die  Rohstoffe  und 
Arbeitsmittel  vieler  Industrien  auf  ein  Minimum  reduziert,  auch 
in  Gegenden,  die  fern  von  den  Kriegsschauplätzen  lagen.  Da- 
gegen hat  er  selbst  dort,  wo  er  am  verwüstendsten  wirkte,  in  den 
Gebieten  des  Stellungskrieges,  die  Erdoberfläche  nicht  verringere . 
Er  hat  sie  dort  nur  vielfach  auf  die  Stufe  des  jungfräulichen 
Bodens  zurückgebracht,  der,  so  wie  er  ist,  nicht  in  Anbau  ge- 
nommen werden  kann,  sondern  erst  wieder  urbar  gemacht  werden 
muß.  Solcher  Boden  ist  nicht  sofort  Arbeitsmittel,  wohl  aber 
Arbeitsgegenstand.  Er  ist  das  Rohmaterial,  aus  dem  Kulturboden 
zu  schaffen  ist. 

Abgesehen  aber  von  den  umgewühlten  Lokalitäten  des  Stel- 
lungskrieges hat  die  Ackerfläche  auch  auf  den  Kriegsschau- 
plätzen nicht  aufgehört,  Kulturboden  zu  sein.     Freilich,  als  Ar- 

r  35 


beitsmittel  hat  er  sich  überall  verschlechtert  und  seine  Pro- 
duktivität hat  abgenommen,  denn  er  wurde  wegen  Mangels  an 
Arbeitern,  Geräten  und  Zugvieh  schlechter  bestellt  und  die 
Düngermassen  nahmen  ab,  die  ihm  zugeführt  wurden. 

Durch  alles  das  wurde  jedoch  die  Arbeitsgelegenheit  auf 
dem  Lande  nicht  vermindert,  eher  vermehrt.  Schon  vor  dem 
Kriege  unterschied  sich  die  Landwirtschaft  von  der  Industrie 
dadurch,  daß  jene  keine  Arbeitslosigkeit  kannte,  vielmehr  an 
Arbeitskräften  Mangel  litt.  Dieser  Unterschied  wird  nach  dem 
Kriege  in  noch  erhöhtem  Maße  wieder  eintreten.  Sie  wird  eben- 
soviel Arbeiter  brauchen  wie  vorher.  Sie  hat  aber  viele  verloren, 
die  teils  vor  dem  Feinde  gefallen,  teils  Verwundungen  oder  Er- 
krankungen erlegen  sind,  teils  so  verstümmelt  oder  in  ihrer  Ge- 
sundheit geschwächt  wurden,  daß  sie  zur  landwirtschaftlichen 
Arbeit  untauglich  wurden,  die  robuste  Menschen  erheischt,  deren 
Sinne  und  Muskeln  alle  intakt  sind. 

Man  könnte  meinen,  die  Arbeitslosigkeit  in  den  Städten 
werde  viele  ihrer  Arbeiter  wieder  der  Landwirtschaft  zuführen, 
aber  das  ist  nicht  zu  erwarten.  Die  Arbeiternot  auf  dem  Lande 
rührt  hauptsächlich  daher,  weil  dort  die  Einförmigkeit  des  Da- 
seins und  die  Abhängigkeit  der  Lebensführung  auch  außerhalb 
der  Arbeitszeit  in  immer  drückenderen  Gegensatz  zu  den  städ- 
tischen Lebensbedingungen  gerät.  Solange  dieser  Gegensatz  nicht 
überwunden  ist,  wird  auch  weitgehende  Arbeitslosigkeit  in 
den  Städten  die  Landflucht  nicht  in  eine  Flucht  aus  der 
Stadt  umkehren,  sondern  höchstens  die  Abwanderung  vom 
fiachen  Lande  zeitweise  zum  Stillstand  bringen  können.  Ganz 
abgesehen  davon,  daß  diejenigen  kräftigen  Leute  in  der  Stadt, 
die  zur  Landwirtschaft  taugen  würden,  am  ehesten  in  der  Stadt 
Arbeit  finden.  Die  Alten  und  Schwachen,  die  die  ersten  Opfer 
der  Arbeitslosigkeit  sind,  eignen  sich  nicht  für  die  Landarbeit, 
namentlich  dann  nicht,  wenn  sie  ihrer  schon  längere  Zeit  ent- 
wöhnt waren.  Und  wer  nicht  von  Jugend  auf  landwirtschaft- 
liche Arbeit  betrieb,  findet  sich  später  überhaupt  nicht  mehr 
hinein. 

Von  den  Städten  hat  also  die  Landwirtschaft  keinen  Zu- 
zug zu  erwarten.  Darf  sie  auf  das  Ausland  rechnen?  Es  gab 
Gebiete,  namentlich  in  Ost-  und  Südeuropa,  vor  dem  Kriege, 
die  einen  Ueberschuß  an  ländlichen  Arbeitskräften  produzierten 

36 


und  dabei  eine  so  langsame  Entwicklung  der  Industrie  auf- 
wiesen, daß  diese  nicht  imstande  war,  den  ganzen  Ueberschuß 
aufzusaugen.  Ein  erheblicher  Teil  davon  zog  in  Länder,  die  an 
ländlichen  Arbeitskräften  Mangel  litten,  sei  es,  weil  ihre  In- 
dustrie stark  wuchs,  sei  es,  weil  ihre  Landwirtschaft  sich  rasch 
ausdehnte,  wie  in  manchen  Gebieten  Amerikas.  Zu  den  Län- 
dern ersterer  Art  zählte  Deutschland.  Im  Jahre  1912/13  wur- 
den im  Deutschen  Reiche  an  767  000  ausländische  Wander- 
arbeiter Legitimationskarten  ausgefertigt,  darunter  421  000  für 
die  Landwirtschaft.  Von  diesen  ausländischen  Wanderarbeitern 
kamen  317  000  aus  Rußland,   281000   aus   Oesterreich. 

Nach  dem  Kriege  ist  dieser  Zuzug  nicht  mehr  zu  erwarten. 
Jene  agrarischen  Gebiete  haben  selbst  große  Menschenverluste 
erlitten  und  zunächst  keinen  Ueberschuß  abzugeben.  Es  ist 
fraglich,  ob  sie  je  wieder  einen  solchen  zur  Wanderarbeit  ins 
Ausland  entsenden  werden.  Denn  ihre  politischen  Verhältnisse 
haben  sich  im  Kriege  gründlich  gewandelt,  ihre  industrielle 
Entwicklung  dürfte  im  Frieden  ein  rasches  Tempo  einschlagen. 
Der  Druck,  der  dort  auf  den  arbeitenden  Klassen  in  Stadt  und 
Land  lastete,  ist  gewichen,  die  Verhältnisse  bei  ihren  Nachbarn 
dürften  eher  abschreckend  wie  anziehend  auf  sie  wirken.  Die 
deutsche  Landwirtschaft  hat  weder  auf  polnische,  noch  auf 
sonstige  Landarbeiter  aus  dem  Osten  zu  rechnen.  Sie  muß 
sogar,  wenn  der  benachbarte  polnische  Staat  gedeiht,  auf  eine 
Massenabwanderung  landloser  Polen  gefaßt  sein,  eine  Lösung 
der  preußischen  Polenfrage,  die  unseren  Hakatisten  die  un- 
erwünschteste sein  dürfte,  obwohl  sie  ihrem  Ideal  der  mög- 
lichsten Verminderung  der  polnisch  redenden  Elemente  in 
Deutschland  am  nächsten  käme. 

Der  Mangel  an  Arbeitskräften  wird  also  in  vielen  Industrie- 
siaaten  eine  große  Gefahr  für  die  Landwirtschaft  und  damit 
auch  für  die  Bevölkerung  überhaupt  werden.  Wohl  wäre  es 
lächerlich,  irgendeinem  der  großen  Arbeitszweige  den  Vorzug 
vor  allen  anderen  zusprechen  zu  wollen.  In  der  modernen  Ar- 
beitsteilung sind  sie  alle  gleich  wichtig,  keiner  zu  entbehren. 
Aber  manche  können  doch  vorübergehend  aussetzen,  ohne  daß 
wir  gleich  zugrunde  gehen,  andere  nicht.  Zu  den  Arbeits- 
zweigen, die  unter  den  gegebenen  Produktionsverhältnissen 
nicht  stillgesetzt  werden  können,  ohne  sofort  das  ganze  menscli- 

37 


liehe  Leben  in  ihr  zu  gefährden,  gehört  neben  dem  Kohlenberg- 
bau und  den  Eisenbahnen  die  Landwirtschaft. 

Das  ist  freilich  anders  zu  verstehen,  als  die  Agrarier  meinen, 
die  unter  den  Interessen  der  Landwirtschaft  die  ihres  Grund- 
besitzes und  ihrer  Grundrente  verstehen.  Unentbehr- 
lich ist  die  landwirtschaftliche  Arbeit,  nicht  der  landwirt- 
schaftliche Besitz.  Eine  Form  des  Grundbesitzes,  die  die 
Arbeiter  von  der  Landwirtschaft  abstößt,  ist  für  diese  direkt 
verderblich,  und  das  hohe  Interesse  der  gesamten  Gesellschaft 
an  der  landwirtschaftlichen  Produktion  gebietet  nicht  die  Er- 
haltung, sondern  die  Abschaffung  eines  derartigen  Grund- 
besitzes. 

Das  soll  kein  Plädoyer  für  Zerschlagung  des  großen  Grund- 
besitzes in  kleine  Gütchen  sein.  Gewiß  haften  dem  kleinen 
Grundbesitz  nicht  die  Nachteile  des  großen  an,  vor  allem  nicht 
die  der  Lohnarbeit,  die  in  der  Landwirtschaft  größere  Hemm- 
nisse der  Produktivität  der  Produktionsmittel  entwickelt,  als 
in  der  Industrie.  Aber  der  kleine  Grundbesitz  entwickelt 
andere,  noch  größere  Hemmnisse  der  Produktivität  der  Pro- 
duktionsmittel und  verurteilt  überdies  seine  Arbeitskräfte  noch 
mehr  zu  Ueberarbeit  und  geistiger  Verödung  als  der  Groß- 
betrieb. Er  wirkt  daher  nicht  minder  abstoßend  auf  sie 
wie  dieser. 

Im  Deutschen  Reiche  haben  alle  Staaten  und  Provinze» 
in  der  Zeit  von  1895  bis  1907  einen  nicht  bloß  relativen,  son- 
dern sogar  absoluten  Rückgang  in  der  Zahl  der  Berufszuge- 
hörigen der  Landwirtschaft  zu  verzeichnen,  mit  nur  zwei 
größeren  Ausnahmen:  Südbayern,  wo  die  Zahl  der  Berufs- 
zugehörigen von  1  201  496  auf  1  233  045,  also  um  31  549  stieg,  — 
auch  noch  ein  relativer  Rückgang  bei  einer  Zunahme  der  Ge- 
samtbevölkerung des  Gebietes  um  318  649,  und  Posen,  wo 
die  landwirtschaftliche  Bevölkerung  1895  1  053  351  Personen 
zählte  und  1907  1  062  147,  eine  Zunahme  um  ganze  8796  bei 
einer  Zunahme  der  entsprechenden  Gesamtbevölkerung  um 
190  760.  Ein  sehr  mageres  Ergebnis  der  mit  Hunderten  von 
Millionen  geförderten  Ansiedlungspolitik.  Badens  landwirt- 
schaftliche Bevölkerung,  729  187,  verminderte  sich  um  56  242, 
Württemberg  verlor  51155  von  933  576,  Elsaß  -  Lothringen 
47  917  von  616  074,  Hessen  30  020,  fast  ein  Zehntel  seiner  land- 


38 


wirtschaftlichen  Bevölkerung  von  371  919!  So  Gebiete  über- 
wiegenden Kleinbetriebes.  Dagegen  verlor  von  den  Gebieten 
des  Großbetriebes  Pommern  von  790  983  nur  27  678, 
Westpreußen  9313  von  822  666,  Mecklenburg-Schwerin  9634 
von  295  299,  Ostpreußen  allerdings  105  289  von  1  171300,  Bran- 
denburg 76  900  von  962  789. 

Es  ist  ganz  unmöglich  zu  sagen,  welche  Betriebsart  in  der 
Landwirtschaft  auf  ihre  Arbeitskräfte  mehr  abstoßend  wirkt, 
der  Großbetrieb  oder  der  Kleinbetrieb.  Und  es  will  mich  schier 
bedünken,  daß  in  dieser  Beziehung  beide  stinken. 

Die  künstliche  Schaffung  kleinbäuerlicher  Stellen  hilft  nicht, 
der  Landwirtschaft  ihre  Arbeitskräfte  zu  erhalten.  Will  man 
gar  den  Zug  in  die  Stadt  in  einen  Rückstrom  auf  das  Land 
verwandeln,  dann  muß  man  schon  zum  Sozialismus  greifen.  Er 
allein  vermag  auf  dem  flachen  Lande  kulturelle  und  soziale 
Einrichtungen  zu  schaffen,  die  imstande  sind,  zusammen  mit 
den  sanitären  und  ästhetischen  Vorzügen  der  innigeren  Ver- 
bindung mit  der  Natur  die  Anziehungskraft  der  Stadt  zu  über- 
winden. 

Aber  wir  handeln  ja  nicht  von  dem  großen  Thema  des 
Ueberganges  vom  Kapitalismus  zum  Sozialismus,  sondern  von 
dem  viel  kleineren,  doch  einstweilen  näherliegenden  des  Ueber- 
ganges vom  Kriegszustand  in  den  Friedenszustand  auf  kapi- 
talistischer Grundlage. 

Auf  dieser  Grundlage  läßt  sich  verhältnismäßig  wenig  tun, 
um  die  Anziehungskraft  des  flachen  Landes  gegenüber  der 
Stadt  zu  steigern.  Immerhin  noch  weit  mehr,  als  tatsächlich 
geschieht.  Doch  die  meisten  der  Maßnahmen  zur  Verbesserung 
der  Lage  der  Landbevölkerung  erheischen  Zeit,  um  zur  Wirk- 
samkeit zu  kommen,  fallen  also  nicht  in  das  Bereich  der  kurz- 
lebigen Uebergangswirtschaft. 

Zum  mindesten  aber  müßte  man  die  gesetzlichen  Be- 
stimmungen beseitigen,  durch  die  heute  noch  die  ländlichen 
Arbeiter  in  bezug  auf  Koalitionsrecht,  Kontrakt- 
bruch, Schutz  vor  Mißhandlungen  schlechter  ge- 
stellt sind  als  die  industriellen.  Die  Beseitigung  dieser  Ueber- 
bleibsel  der  feudalen  Hörigkeit  könnte  und  müßte  sofort  ge- 
schehen.    Die    Agrarier    scheinen    freilich    eher    Lust    zu    haben, 

39 


die  Fesseln  dieser  Hörigkeit  noch  stärker  anzuspannen,  gerade 
wegen  des  Arbeitermangels,  den  sie  befürchten,  wenn  ihnen  die 
Kriegsgefangenen  fortziehen.  Ihre  ganze  innere  und  äußere 
Politik  beruht  ja  auf  Methoden  der  Gewalt  und  des  Zwanges. 
Daß  sie  damit  den  Antrieb  der  Landflucht  nur  verstärken,  ver- 
mögen sie  nicht  einzusehen,  wie  sie  überhaupt  Argumente  schwer 
einzusehen  vermögen.  Das  einzige,  wovor  sie  selbst  Respekt 
haben  und  Respekt  bei  anderen  voraussetzen,  ist  die  Macht 
überlegener  Gewalt. 

Neben  den  gesetzlichen  Fesseln,  die  dem  Landarbeiter  ge- 
ringere Freiheit  lassen  als  dem  städtischen,  wird  ihm  diese  noch 
eingeengt  durch  das  Wohnungswesen. 

Gewiß,  die  Wohnungsverhältnisse  der  städtischen  Arbeiter- 
schaft sind  auch  alles  andere  eher  als  erfreulich.  Auf  diesem 
Gebiete  treten  die  Verelendungstendenzen  des  Kapitalismus  am 
krassesten  zutage.  Doch  schlimmere  Löcher  als  die  Behausungen 
der  ländlichen  Arbeiter  sind  die  der  städtischen  auch  nicht. 
In  einem  aber  zeigen  die  städtischen  Arbeiterwohnungen  einen 
ausgesprochenen  Vorzug  vor  den  ländlichen:  Der  Vermieter, 
mit  dem  der  städtische  Arbeiter  zu  tun  hat,  ist  ein  anderes  In- 
dividuum als  der  Unternehmer,  der  ihn  beschäftigt.  Vermieter 
und  Unternehmer  sind  in  der  Stadt  ohne  jeden  gesellschaft- 
lichen Zusammenhang,  und  die  Zahl  der  Arbeiterwohnungen 
eine  so  große,  daß  es  unmöglich  ist,  jeden  Arbeiter  in  seiner 
Wohnung  zu  kontrollieren.  Wie  abhängig  er  auch  in  seiner 
Fabrik  sein  mag,  sobald  er  sie  verlassen  hat,  ist  er  ein  relativ 
freier  Mann. 

Ganz  anders  der  Landarbeiter.  Er  findet  eine  Wohnung 
nur  entweder  bei  dem  Unternehmer,  der  ihn  beschäftigt,  oder 
bei  einem  ihm  nahestehenden  Klassengenossen.  Diese  können 
jeden  seiner  Schritte  auch  außerhalb  seines  Arbeitsverhältnisses, 
seinen  gesellschaftlichen  Verkehr,  seine  Lektüre  usw.  über- 
wachen. Keine  Minute  wird  da  der  Arbeiter  die  Abhängigkeit 
von   seinen   Herren   los. 

Um  ihr  zu  entgehen,  trachtet  mancher,  so  viel  von  seinem 
armseligen  Lohn  abzuknapsen,  daß  er  schließlich  eine  elende 
Hütte  sein  Eigen  nennen  kann.  Doch  damit  kommt  er  aus 
dem  Regen  in  die  Traufe,  denn  er  verliert  nun  seine  Freizügig- 

40 


keit,  die  Möglichkeit,  abzuwandern,  um  anderswo  eine  andere 
Arbeit  zu  suchen.  Seine  Abhängigkeit  wird  dadurch  noch 
vermehrt. 

Sie  erheblich  zu  mildern,  gibt  es  nur  einen  Weg:  die  Er- 
richtung ausreichender  Mietwohnungen  für  die  Landarbeiter 
durch  eine  Gemeinschaft,  die  unabhängig  von  den  Grund- 
besitzern ist,  mit  ihren  Sympathien  auf  Seite  der  Landarbeiter 
steht;  eine  öffentlich-rechtliche  Körperschaft,  die  mit  öffent- 
lichen Mitteln  arbeitet  und  nach  allgemeinem  und  gleichem  so- 
wie geheimem  Wahlrecht  gewählt  ist  und  wirkliche  Selbstver- 
waltungsbefugnisse besitzt.  Entweder  die  Gemeinde  —  oder 
noch  besser,  da  in  dieser  die  Einflüsse  der  lokalen  großen 
Grundbesitzer  leicht  überwiegen,  der  Kreis  oder  die  Provinz  — , 
aber  freilich  nicht  die  heutige  Kreis-  oder  Provinzialvertretung 
preußischer  Art,   sondern  eine   völlig   demokratische. 

In  England  hat  man  die  Wichtigkeit  der  Wohnungsfürsorge 
für  die  Landarbeiter  bereits  anerkannt  und  sie  zu  einer  der 
Aufgaben  der  Uebergangswirtschaft  gemacht.  Daneben  sollen 
staatlich  festgesetzte  Minimallöhne  die  Anziehungskraft 
der  Landarbeit  erhöhen. 

Für  sich  allein  bedeuten  Minimallöhne  ebenso  wie  Preis- 
taxen wenig.  Es  finden  sich  immer  Mittel,  sie  zu  umgehen, 
wenn  das  Spiel  von  Nachfrage  und  Angebot  auf  dem  Arbeits- 
markt für  die  Arbeiter  ungünstig  ist.  Staatlich  vorgeschriebene 
Minimallöhne  können  sogar  schädlich  wirken,  wenn  sie  in  der 
Arbeiterschaft,  für  die  sie  gelten,  das  Gefühl  der  Sicherung 
hervorrufen  und  sie  ihre  gewerkschaftliche  Organisation  ver- 
nachlässigen lassen. 

Dagegen  können  sie  gute  Erfolge  erzielen  bei  einer  Ar- 
beiterschaft, die  gewillt  und  imstande  ist,  sich  eine  bessere 
Position  zu  erkämpfen,  aber  noch  des  nötigen  Selbstgefühls 
ermangelt.  Da  mag  ein  Minimallohn  als  moralische  Unter- 
stützung sehr  günstig  wirken  und  die  gewerkschaftliche  Or- 
ganisation fördern,  als  Mittel,  die  Durchführung  des  Minimal- 
lohns zu  überwachen  und  zu  erzwingen, 

Alle  diese  Maßregeln  zugunsten  der  Landarbeiter  fordern 
wir  natürlich  nicht  als  vorübergehende,  sondern  als  dauernde. 
Sie  sollen  nicht  bloß  für  die  Zeit  der  Uebergangswirtschaft 
gelten.      Sie    werden    aber    doppelt    notwendig    in    dieser    Zeit, 

41 


nicht  bloß  im  besonderen  proletarischen,  sondern  auch  im  all- 
gemeinen Interesse,  weil  da  die  größte  Produktivität  der  Land- 
wirtschaft noch  wichtiger  ist  als  sonst.  Diese  Produktivität 
ei  heischt  zahlreiche,  leistungsfähige  und  willige  Arbeitskräfte. 
Zwangsarbeit  ist   die   unproduktivste  Arbeit. 

2.  Die  Maschine  in  der  Landwirtschaft 

Was  immer  man  aber  für  die  Landarbeiter  tun  mag,  inner- 
halb der  kapitalistischen  Produktionsweise  wird  es  nicht  aus- 
reichend sein,  die  Landflucht  in  eine  Stadtflucht  zu  wandeln. 
Es  wird  den  Mangel  an  Landarbeitern  vermindern,  man  darf 
jedoch  nicht  damit  rechnen,   daß   es   ihn  beseitigt. 

Um  so  notwendiger  wird  die  vermehrte  Anwendung  der 
Maschine  in  der  Landwirtschaft.  Man  braucht  nicht  zu  fürch- 
ten, daß  die  Arbeiter  dadurch  geschädigt  werden.  Die  Ma- 
schine wirkt  in  der  Landwirtschaft  ganz  anders  als  in  der 
Industrie.  In  letzterer  degradiert  sie  oft  den  Arbeiter,  er- 
möglicht sie  die  Ersetzung  qualifizierter  Arbeiter  durch  un- 
gelernte, männlicher  Erwachsener  durch  Frauen  und  Kinder, 
vieler  Arbeiter  durch  eine  geringe  Anzahl.  Ganz  anders  in 
der  Landwirtschaft.  In  der  Industrie  ist  die  Maschine  an  einen 
Platz  gebannt,  den  sie  nicht  verläßt;  sie  ist  dort  tagaus,  tagein 
tätig,  derselbe  Arbeiter  hat  stets  dieselbe  Maschine  zu  be- 
dienen. Die  Arbeiter  sind  auf  einem  Flecke  konzentriert  und 
leicht  zu  überwachen.  Die  landwirtschaftlichen  Maschinen  da- 
gegen wirken,  soweit  sie  Feldarbeit  verrichten,  in  beständiger 
Ortsveränderung  auf  wechselndem  Gelände;  sie  werden  nur 
zeitweise  angewandt  von  Arbeitern,  die  noch  zahlreiche  andere 
Hantierungen  daneben  zu  verrichten  haben.  Die  Arbeiter  ver- 
richten ihre  Arbeiten,  auf  weiten  Flächen  zerstreut,  in  kleinen 
Gruppen  oder  jeder  für  sich  allein.  Ihre  Ueberwachung  ist 
schwierig.  Nur  intelligente,  geübte  Arbeiter  vermögen  die 
Maschinen  in  der  Landwirtschaft  zweckmäßig  anzuwenden. 
Wenn  die  Maschine  in  der  Industrie  die  Zahl  der  Arbeitskräfte 
vermehrt,  die  im  Arbeitsprozeß  anwendbar  sind,  so  scheitert 
die  Anwendung  der  Maschine  in  der  Landwirtschaft  oft  viel- 
mehr daran,  daß  sie  nicht  genug  Arbeiter  vorfindet,  die  im- 
stande   sind,    sie    anzuwenden,    da    die    bisherigen    Lebens-    und 

42 


Arbeitsbedingungen  auf  dem  flachen  Lande  bei  den  Arbeitera 
Intelligenz  und  Sorgsamkeit  schwer  aufkommen  lassen.  Ver- 
mehrung der  Maschinen  in  der  Landwirtschaft  bedeutet  nicht 
Verdrängung  qualifizierter,  reifer  Arbeitskräfte  durch  un- 
qualifizierte, unreife,  sondern  zwingt  vielmehr  die  Landwirte, 
auf  die  Hebung  der  Intelligenz  und  der  Sorgsamkeit  ihrer  Ar- 
beiter bedacht  zu  sein,  diese  also  nicht  herabzudrücken,  son- 
dern zu  heben. 

Dabei  bewirkt  die  Maschine  in  der  Landwirtschaft  in  der 
Regel  geringere  Arbeitsersparnis  als  in  der  Industrie,  schon 
deshalb,  weil  sie  meist  nicht  ständig,  sondern  nur  für  gewisse, 
vorübergehende  Gelegenheiten,  Pflügen,  Säen,  Ernten,  Dreschen 
in  Verwendung  kommt.  Ein  Produkt  des  Mangels  an  Arbeits- 
kräften daher  am  massenhaftesten  in  Verwendung  gekommen 
in  den  Vereinigten  Staaten,  hat  sie  noch  nirgends  diesen  Mangel 
in  einen  Ueberfluß  verwandelt,  sondern  nur  bewirkt,  daß  die 
vorhandenen  Arbeitskräfte  wirksamer  angewandt  werden 
konnten,  die  landwirtschaftliche  Arbeit  intensiver  betrieben 
wurde. 

Zur  Illustrierung  der  Wirkungen  der  Maschine  auf  die 
Arbeiterverhältnisse  in  der  Landwirtschaft  mögen  folgende 
Daten  dienen,  die  einer  Untersuchung  des  amerikanischen 
Arbeitskommissars  (commissioner  of  labor)  über  Hand-  und 
Maschinenarbeit  entnommen  sind.  Zur  Bearbeitung  eines 
Acres  Weizenbodens  (Pflügen,  Säen,  Eggen)  waren  1829  drei 
Tagelöhner  beschäftigt,  deren  jeder  50  Cents  (2  Mark)  Tage- 
lohn erhielt.  Bei  Anwendung  des  Dampf pfluges  wurden  1895 
für  die  gleiche  Fläche  auch  drei  Arbeiter  beschäftigt,  ein 
Maschinist,  ein  Heizer,  ein  Kutscher.  Der  Lohn  eines  Tage- 
löhners war  inzwischen  auf  1  Dollar  50  Cents  (6  Mark)  ge- 
stiegen, doch  der  Lohn  jedes  der  drei  beim  Dampfpflug  tätigen 
Arbeiter  stand  noch  höher.  Der  Maschinist  bekam  4  Dollars 
(16  Mark),  der  Heizer  2,50  Dollars  (10  Mark),  der  Kutscher 
2  Dollars  (8  Mark).  Trotzdem  war  die  Maschinenarbeit  billiger, 
weil  sie  sich  viel  rascher  vollzog.  Bei  der  Handarbeit  brauchte 
der  Pflüger  6  Stunden  40  Minuten,  der  Säemann  1  Stunde 
25  Minuten,  der  Egger  2  Stunden  50  Minuten.  Dagegen  ver- 
richtete die  Maschine  alle  diese  Arbeiten  zusammen  in  einer 
Viertelstunde. 


43 


Ein  weiterer  Vorteil  mancher  landwirtschaftlichen  Maschine 
ist,  nebenbei  gesagt,  der,  daß  sie  nicht  bloß  menschliche  Ar- 
beit spart,  sondern  auch  Material.  So  geht  beim  Handsäen 
viel  Saatgut  verloren.  Die  Drillmaschine  erzielt  bessere  Re- 
sultate mit  weniger  Saatgetreide.  Ebenso  kann  durch  die 
Düngerstreumaschine  die  Zufuhr  des  Düngers  genau  geregelt 
werden,  so  daß  nicht  mehr  Dünger  verbraucht  wird,  als  not- 
wendig ist,  und  die  Pflanzen  gerade  jene  Menge  erhalten,  die 
sie  brauchen. 

Die  Anwendung  von  Maschinen  in  der  Landwirtschaft  zu 
fördern,  wird  eine  wichtige  Aufgabe  der  Uebergangswirt- 
schaft  sein. 

Doch  nicht  bloß  der  Mangel  an  Arbeitern  und  Material 
wird  dies  notwendig  machen,  sondern  ebensosehr  der  Mangel 
an  Zugvieh,  das  bisher  als  bewegende  Kraft  im  Ackerbau  die 
größte  Rolle  spielte.  Der  Ackerbau  im  heutigen  Sinne  des 
Wortes  datiert  erst  von  der  Zeit,  als  das  Rind  vor  den  Pflug 
gespannt  wurde.  Spät  gesellt  sich  zum  Rind  das  Pferd  als 
Zugtier  der  Landwirtschaft.  Lange  hat  das  Pferd  nur  den 
Zwecken  des  Krieges,  der  Jagd  und  des  Luxus  gedient.  Im 
Kriege  ist  es  heute  noch  unentbehrlich.  Die  Bedeutung  und 
Stärke  der  Kavallerie  ist  relativ  freilich  sehr  zurückgegangen, 
im  Verhältnis  zu  der  Gesamtzahl  des  Heeres,  aber  absolut  hat 
sie  an  Zahl  nicht  abgenommen.  Im  Jahre  1880  betrug  in  der 
deutschen  Armee  die  Zahl  der  Dienstpferde  der  Kavallerie 
63  000,  1914  (nach  dem  Friedensvoranschlag)  dagegen  81000. 
Erheblich  vermehrt  wurde  die  Artillerie,  damit  auch  ihr  Pferde- 
bestand. Er  belief  sich  1880  auf  15  000  Pferde,  1914  dagegen 
nach  dem  Friedensvoranschlag  auf  61  000.  Endlich  ist  auch  der 
Train  sehr  vermehrt  worden.  Wohl  werden  durch  Automobile 
und  Feldeisenbahnen  viele  seiner  Aufgaben  erfüllt,  die  ehedem 
dem  Pferdegespann  zufielen.  Aber  die  Aufgaben  des  Trans- 
portwesens sind  so  enorm  gewachsen,  daß  die  Anzahl  der  Pferde 
beim  Train  doch  bedeutend  zugenommen  hat.  Im  Jahre  1880 
zählte  man  bloß  2500  Pferde  beim  Train  des  deutschen  Heeres, 
1914  dagegen  8000.  Die  gesamte  Zahl  der  Armeepferde  des 
Friedensstandes  ist  von  1880  bis  1914  von  80  000  auf  160  000 
gestiegen,   sie  hat  sich  gerade  verdoppelt. 

44 


„Alles  in  allem  ist  die  Zahl  der  bespannten  Fahrzeuge,  einschließ- 
lich der  Geschütze,  bei  einem  deutschen  Armeekorps  heute  ungefähr 
doppelt  so  groß,  wie  die  eines  an  Infanterie  und  Kavallerie  ebenso 
starken  preußischen  Armeekorps  im  Kriege  1866  war."  (W.  v.  Blume, 
Strategie,  Berlin  1912,  S.  97.) 

Das   galt   im   Frieden. 

Im  Kriege  wächst  mit  der  Armee  natürlich  auch  die  Menge 
ihres  Pferdematerials.  Wenn  die  deutsche  Armee  1880  80  000 
Pferde  im  Dienst  hatte,  so  wurde  ihr  Pferdebestand  im  August 
1870  auf  250  000  berechnet.  Man  kann  danach  ermessen,  welche 
Pferdemengen   der   jetzige  Krieg   in  Anspruch  nimmt. 

Wie  die  angewandte  Pferdemenge  wird  auch  der  Verlust  an 
Pferden  bei  der  langen  Dauer  des  Krieges  und  dem  Futtermangel 
bei  jeder  der  kriegführenden  Mächte  ungeheuer  groß  sein.  Der 
, siebentägige  Krieg"  von  1866  kostete  die  preußische  Armee 
4500  tote  Soldaten,  die  auf  dem  Schlachtfelde  fielen  oder  ihren 
Verwundungen  erlagen,  und  6500  Pferde,  die  verloren  gingen. 
Verglichen  mit  dem  jetzigen,  erscheint  dieser  Krieg  geradezu 
idyllisch.  Kein  Wunder,  daß  er  bei  seiner  Kürze  und  seinen 
großen  Erfolgen  mehr  fröhliche  als  düstere  Nachwirkungen  zu- 
rückließ. 

Wenn  in  dem  jetzigen  Kriege  die  Pferdeverluste  zu  den 
Menschenverlusten  in  einem  ähnlichen  Verhältnis  stehen  sollten 
wie  1866,  muß  man  auf  eine  ungeheure  Verringerung  des  Reich- 
tums an  Pferden  gefaßt  sein. 

Gleichzeitig  wird  das  Rindvieh  an  Zahl  zurückgegangen 
sein,  da  der  Welthandel  unterbunden  ist,  so  daß  die  Industrie- 
staaten von  außen  weder  die  Futterstoffe,  noch  die  Fleisch- 
mengen bekommen,  die  sie  im  Frieden  bezogen,  und  daher  ge- 
zwungen sind,  mehr  Rindvieh  zu  schlachten,  als  dem  normalen 
Zuwachs  entspricht.  Man  spart  dadurch  an  Futter  für  das  Vieh 
und  schafft  vermehrte  Nahrung  für  die  Menschen  —  aber  auf 
Kosten    der   Zukunft.      Der   Viehbestand   wird   verringert. 

Nach  dem  Kriege  wird  also  die  Landwirtschaft  viel  ärmer 
an  Zugtieren  sein  wie  vor  ihm.  Allerdings  reicher,  als  sie 
während  des  Krieges  war.  Die  Demobilisierung  wird  viele 
Pferde  frei  machen,  aber  längst  nicht  so  viele,  als  an  das  Heer 
abgegeben  wurden. 

45 


Mehr  als  jeder  andere  Erwerbszweig  verwendet  die  Land- 
wirtschaft Pferde.  Im  Jahre  1917  zählte  man  im  Deutschen 
Reich  4  345  000  Pferde,  davon  in  der  Landwirtschaft  3  491  000. 
Soll  die  Landwirtschaft  so  schnell  wie  möglich  wieder  ihre  alte 
Produktivkraft  gewinnen,  müssen  ihr  an  Stelle  der  tierischen 
Zugkräfte  möglichst  viele  mechanische  Motoren  geliefert  wer- 
den. Die  moderne  Technik  ist  so  weit,  die  tierische  Zugkraft 
durch  mechanische  in  der  Landwirtschaft  völlig  zu  ersetzen, 
und  Motoren  sind  schneller  gebaut,  als  Pferde  und  Rinder 
großgezogen. 

Noch  von  einem  anderen  Gesichtspunkt  aus  ist  die  größt- 
mögliche Ersetzung  des  Zugtieres  durch  den  Motor  in  der  Land- 
wirtschaft wie  im  Transportgewerbe  wünschbar. 

Frachtraumnot  und  andere  Umstände  drohen  die  Zufuhr 
von  Lebensmitteln  nach  dem  Kriege  sehr  einzuengen.  Deren 
Hauptmasse  wird  überall  zunächst  so  nahe  wie  möglieb  von 
den  Konsumenten,  also  im  eigenen  Lande  gewonnen  werden 
müssen.  Jedoch  die  Produktivität  der  Landwirtschaft  wird  ge- 
mindert sein.  Sollen  die  Menschen  mehr  Lebensmittel  für 
sich  aus  der  gleichen  Bodenfläche  bei  gleichem  oder  gar  ge- 
mindertem Bodenertrag  ziehen  können,  müssen  sie  trachten,  die 
Kulturfläche  zu  vermehren,  die  dem  Anbau  solcher  Lebens- 
mittel gewidmet  wird,  was  bei  gleichbleibender  Bodenfläche 
nur  möglich  ist  durch  Verminderung  des  anderen  Zwecken 
dienenden  Areals.  Zu  diesen  anderen  Zwecken  gehört  der 
Anbau  von  Handelspflanzen,  vornehmlich  Rohmaterialien,  und 
von  Viehfutter. 

Der  Anbau  von  Handelspflanzen  wird  sich  nicht  einschrän- 
ken lassen,  er  wird  vielmehr  ebenfalls  nach  Ausdehnung  streben, 
weil  die  Zufuhr  von  Rohmaterialien  aus  dem  Auslande  zu- 
nächst ebenso  wie  die  von  Lebensmitteln  gehemmt  sein  wird. 
Auch  da  wird  es  gelten,  den  Ausfall  möglichst  im  eigenen  Lande 
zu  decken. 

So  bleibt  nur  die  Einschränkung  der  dem  Anbau  von  Vieh- 
futter gewidmeten  Fläche  übrig.  Die  der  Erhaltung  des 
Fleisch-  und  Milch  viehes  dienende  Fläche  darf  aber 
ebenfalls  nicht  verringert  werden.  Die  Verminderung  des 
Zug  viehes,  seine  Ersetzung  durch  Motoren,  bietet  die  einzige 
Möglichkeit,    die    Leistungen    der    Landwirtschaft    für    die    Er- 

46 


nährung  und  industrielle  Beschäftigung  der  Menschen  rasch  zu 
steigern,  auch  wenn  die  Produktivität  der  landwirtschaftlichen 
Arbeit  nicht  wächst. 

Es  handelt  sich  dabei  um  sehr  erhebliche  Bodenflächen, 
Im  Deutschen  Reich  waren  1913  bebaut  mit  Brotgetreide: 

Roggen     6  414  000  Hektar 

Weizen     1  974  000 

Zusammen     8  388  000  Hektar 

Dagegen  mit  Viehfutter: 

Hafer 4  438  000  Hektar 

Wiesenheu     5  924  000 

Zusammen  10  362  000  Hektar 

Ein  erheblicher  Teil  der  dem  Viehfutter  gewidmeten 
Bodenfläche  könnte  dem  Anbau  von  Nahrungsmitteln  für 
Menschen  entweder  direkt  oder  indirekt  durch  Verfütterung 
der  Produkte  an  Fleisch-  und  Milchvieh,  statt  an  Zugvieh  zu- 
geführt werden,  wenn  in  Landwirtschaft  und  Transportwesen 
die  tierische  Zugkraft  durch  mechanische  ersetzt  würde.  Der 
jetzige  Krieg  bietet  dazu  den  stärksten  Anstoß,  er  macht  diese 
Umwandlung  geradezu  unerläßlich. 

Die  technischen  Bedingungen  dafür  sind  gegeben.  Die  Land- 
wirtschaft vermag  sich  der  Dampfkraft  wie  der  Verbrennungs- 
motoren, der  Elektrizität,  die  in  Zentralen  erzeugt  wird,  sowie 
der  Wasserkraft  und  der  Windkraft  zu  bedienen.  Letztere  wird 
noch  viel  zu  wenig  beachtet. 

„Uneingeschränkt  und  bei  weitem  mehr,  als  man  für  gewöhnlich 
denkt,  kann  die  Windkraft  in  der  Landwirtschaft  vorteilhaft  ausgenutzt 
werden:  zum  Schrot-  und  Häkseischneiden,  zur  Ent-  und  Bewässerung 
landwirtschaftlicher  Grundstücke  usw.,  vor  allem  zur  Wasserversorgung 
der  Güter  und  ländlicher  Ortschaften.  Es  ist  eine  alte  Erfahrung,  daß 
die  hygienischen  Verhältnisse  auf  dem  Lande  durch  die  Gruppen- 
Wasserversorgung  erheblich  verbessert  werden  .  .  .  Die  Milchergiebig- 
keit hat  immer  ganz  erheblich  zugenommen,  wenn  die  Wasserversorgung 
unabhängig  von  menschlicher  und  tierischer  Arbeitsleistung  der  mecha- 
nischen Arbeit  überlassen  worden  ist.  Auch  Elektrizität  .  .  .  kann 
durch  Wind  erzeugt  werden  .  .  .  Die  Elektrizitätsversorgung  durch 
Windkraft  stellt  sich  in  der  Regel  billiger  als  der  Anschluß  an  eine 
Ueberlandzentrale."  (Dr.  W.  B  u  s  s  e  1  b  e  r  g ',  Die  Technik  in  der  Land- 
wirtschaft, Technik   und   Wirtschaft.     Oktober   1917.) 

47 


3.  Großbetrieb  und  Kleinbetrieb 

Natürlich  kommt  es  nicht  bloß  darauf  an,  daß  der  Land- 
wirtschaft so  viel  Maschinen  und  Motoren  als  nur  möglich 
zugeführt  werden,  sondern  auch  darauf,  daß  jede  Maschine, 
jeder  Motor  volle  Ausnutzung  findet.  Und  da  kommen  wir 
wieder  zu   der  alten   Frage:   Kleinbetrieb   oder   Großbetrieb? 

Diese  ist  jedoch  nur  eine  ökonomische  Streitfrage,  keine 
technische.  Man  kann  streiten  vom  Standpunkte  des  Pro- 
fits, welche  Betriebsform  die  rentablere  sei.  Merkwürdiger- 
weise wird  dieser  Gesichtspunkt  nicht  nur  von  den  bürger- 
lichen, für  die  er  wohl  begreiflich  ist,  sondern  auch  von  den 
sozialdemokratischen  Verfechtern  des  Kleinbetriebs  einge- 
nommen. Und  doch  sollte  für  uns  der  Standpunkt  der  Ar- 
beit der  entscheidende  sein;  sollte  die  Frage  für  uns  die 
sein,  welche  Betriebsform  bei  gleichem  Arbeitsauf- 
wand das  größere  Produkt  liefert.  Die  Antwort  auf  diese 
Frage  ist  aber  nicht  zweifelhaft.  Der  Großbetrieb  ist  darin 
dem  Kleinbetrieb  entschieden  überlegen,  namentlich  im  Feld- 
bau, in  dem  die  meisten  landwirtschaftlichen  Maschinen  zur 
Anwendung  kommen;  weniger  in  der  Viehhaltung,  dem  Ge- 
müsebau, der  Obstzucht,  obgleich  auch  hier  die  größere  Be- 
herrschung der  Wissenschaft,  die  größere  Arbeitsteilung,  die  Er- 
sparnisse an  Bauten  und  Wegen  und  ähnliches  dem  Großbetrieb 
die  Möglichkeit  technischer  Ueberlegenheit  bieten. 

Ein  Verfechter  des  Kleinbetriebs,  Professor  Sering,  gibt  in 
seiner  Schrift  über  „Die  Verteilung  des  Grundbesitzes  und  die 
Abwanderung  vom  Lande"   (Berlin   1910,  S.  32)   zu: 

„Man  wendet  ein,  die  Bauernkolonisation  bedeutet  einen  tech- 
nischen Rückschritt,  sie  führt  zur  Arbeitsverschwendung.  Es  ist  in  der 
Tat  wohl  anzunehmen,  daß  der  Großbetrieb  auf  den  Kopf  des 
Personals  größere  Rohstoffmengen  dem  Boden  abzugewinnen  pflegt. 
Ballod  hat  berechnet,  daß  in  den  Jahren  1904  bis  1908  auf  100  land- 
wirtschaftliche Erwerbstätige  in  Westdeutschland,  also  in  bäuerlichen 
Gegenden,  274  Tonnen  Getreide  geerntet  wurden,  in  Mitteldeutschland 
438  Tonnen,  in  Pommern  499,  in  den  beiden  Mecklenburg  573  Tonnen. 
Aehnlich  verhält  es  sich  mit  der  Kartoffelernte:  Auf  100  landwirtschaft- 
liche Erwerbstätige  gewann  man  in  Westdeutschland  436  Tonnen,  in 
Mitteldeutschland  590  Tonnen,  in  den  beiden  Mecklenburg  666  Tonnen, 
in  Pommern  944  Tonnen." 

48 


Die  Ueberlegenheit  des  Großbetriebs  erscheint  geringer, 
wenn  man  nicht  von  der  Arbeit  ausgeht,  sondern  vom 
Besitz,  von  der  Bodenfläche,  da  der  Kleinbetrieb  weit  mehr 
Arbeitskräfte  auf  die  gleiche  Bodenfläche  verwendet,  als  der 
Großbetrieb.  Man  zählte  im  Deutschen  Reich  1907  in  den  land- 
wirtschaftlichen Betrieben: 

G..  o       it  Auf  100  Hektar  landwirtschaftl.  benutzter 

roUeoKlaSSe  Fläche  landwirtsrhaftl.  beschäftigte  Pers. 

unter  0,5  Hektar  , 560,2 

0,5  bis        2  , 170,5     .  . 

2       „  5  „        88,2 

5       „         20  44,1 

20       „       100  , 22,2 

über  100  „        17,5 

darunter  über  200  „        16,9 


Wir  können  absehen  von  den  Betrieben  unter  2  Hektar. 
Diese  sind  überwiegend  Nebenbe  triebe,  ihre  Arbeitskräfte 
widmen  nur  einen  Teil  ihrer  Zeit  der  Landwirtschaft.  Aber 
auch,  wenn  wir  nur  die  Betriebe  mit  mehr  als  2  Hektar  in 
Betracht  ziehen,  finden  wir  ebenfalls,  daß  die  kleineren  auf 
gleicher  Fläche  weit  mehr  Arbeitskräfte  aufwenden  wie  die 
großen,    die   kleinsten   fünfmal    soviel   wie    die    größten. 

Trotzdem  produzieren  die  kleinsten  nicht  mehr  Getreide 
auf  der  gleichen  Bodengröße,  sondern  eher  weniger.  Bei  der 
Vergleichung  der  Ernteerträge  verschiedener  Gegenden  muß 
man  natürlich  in  Betracht  ziehen,  daß  d:e  Bodenfruchtbarkeit 
nicht  überall  dieselbe  ist.  Das  erschwert  die  Vergleichung 
der  Ernteerträge.  Je  nach  der  Auswahl  der  Gegenden  kar 
man  dann  eine  Ueberlegenheit  des  Kleinbetriebs  oder  Groß- 
betriebs konstatieren.  So  hob  der  Verfechter  des  Kleinbetrieb 
der  jüngst  verstorbene  A.  Schulz,  1911  in  einer  Polemik  gegen 
mich  hervor,  daß  die  sechs  östlichen  Provinzen  Preußens  im 
Durchschnitt  des  Jahrzehnts  1899/1908  nur  15  Doppelzentner 
Roggen  pro  Hektar  ernteten,  dagegen  die  kleinbäuerlichen 
Gegenden  v;el  mehr,  so  Rheinland  18,  Hessen  und  das  links- 
rheinische Bayern  19,  Braunschweig  20.  Ich  konnte  ihm  aber 
zeigen,  daß  sich  das  Bild  ändert,  wenn  rm:n  andere  Gegenden 
in   Vergleich   setzt.      Ich   stellte   ihm   folgende  Tabelle   entgegen. 

Kautsky,  Landwirtschaft     4  <*q 


Von  100  Hektar  land- 
wirtschaftlich benutzter 
Fläche  entfallen  auf 
Betriebe  mit  100  und 
mehr  Hektar 


Roggenertrag 

pro  Hektar  1899/ 1C08 

Doppelzentner 


Gegenden  mit  stärkstem  Großbetrieb: 


Mecklenburg-Strelitz  .  . 
Mecklenburg-Schwerin  . 
Anhalt 


60,0 
59,7 
38,2 


Gegenden  mit  schwächstem  Großbetrieb: 


Württemberg 
Bayern.  .  .  . 
Oldenburg.  . 


1,7 
2,2 
2,8 


15,8 
17,0 
18,0 

13,9 

15,7 
15,5 


Man  sieht,  auch  nach  der  Fläche  berechnet  liefert  der 
Kleinbetrieb  nicht  mehr  Ertrag.  Er  liefert  weit  weniger  pro 
Arbeitskraft.  Nur  der  Großbetrieb  liefert  einen  erheblichen 
Ueberschuß  an  Getreide  über  den  Konsum  seiner  Arbeitskräfte 
hinaus.  Der  Kleinbetrieb  muß  so  viel  mehr  Arbeit  aufwenden, 
um  das  gleiche  Resultat  zu  erreichen,  wie  der  Großbetrieb,  weil 
er  die  Maschinen  nur  unvollkommen  ausnutzen  kann.  Dies 
im  Verein  mit  der  Armut  und  Unwissenheit  des  Bauern  bildet 
das  große  Hindernis  der  Maschinenarbeit  in  der  Landwirtschaft. 

Trotzdem  eine  Reihe  von  Maschinen  auch  dem  Klein- 
betriebe zugänglich  sind,  ist  er  in  ihrer  Anwendung  weit  zurück- 
geblieben. 

Man  zählte    1907: 


Größenklasse 

Betriebe 
überhaupt 

Betriebe,  welche 

irgendwelche  der 

gezähltenMaschinen 

benutzten 

VonjelOOOBetrieben 
der  betr.  Größen- 
klasse   benutzten 
Maschinen 

unter  0,5  Hektar 

2  084  060 

18  466 

9 

0,5  bis      2  Hektar    .  .  . 

1  294  449 

114  986 

89 

2    „        5       „ 

1  006  277 

325  665 

324 

5    „      20       „      •     .  .  . 

1  065  539 

772  536 

725 

20    „    100       

262  191 

243  365 

928 

100  und  darüber 

23  566 

22  957 

974 

darunter  200  und  darüber 

12  887 

12  652 

982 

So  gering  die  Zahl  der  Großbetriebe  ist,  der  Fläche  nach 
spielen  sie  für  die  Landwirtschaft  eine  wichtige  Rolle.  Die 
nicht  ganz  23  000  Großbetriebe  über  100  Hektar  umfaßten  über 


7  Millionen  Hektar,  die  mehr  als  4  Millionen  kleinster  Betriebe 
(unter  5  Hektar)   dagegen  nur  5  Millionen  Hektar. 

Je  kleiner  der  Betrieb,  desto  weniger  Maschinen  wendet 
er  an.  Und  wie  langsam  ist  die  Zunahme  dieser  Anwendung 
im  Kleinbetrieb!  Man  kann  die  Gesamtzahlen  von  1907  nicht 
mit  denen  von  1895  vergleichen,  weil  früher  nicht  so  viele 
Maschinengattungen  gezählt  wurden  wie  das  letztemal.  Wir 
geben  die  vergleichenden  Zahlen  für  drei  wichtige  Maschinen- 
arten, in  denen  der  Kleinbetrieb  auffallend  weit  zurück  ist. 
Es  benutzten  unter  1000  landwirtschaftlichen  Betrieben  jeder 
Größenklasse: 


Größenklasse 


Dampfpflüge 

1895     I     1907 


Dampfdresch- 
maschinen 


1895 


1907 


unter  0,5  Hektar 

0,5  bis    2  Hektar 

2  „    5   

5  „    20   

20  „   100   

über  100    

darunter  über  200  Hektar 


1 
53 
75 


1 
108 
164 


1 

7 

69 

318 

344 


1 
7 
129 
519 
824 
849 


3 
21 
52 
109 
166 
612 
736 


5 
47 
127 
191 
263 
741 
832 


Diese  Zahlen  bezeugen  deutlich,  welches  Hindernis  für  die 
Einführung  der  Maschine  in  den  Landbau  der  Kleinbetrieb 
bedeutet.  Es  wäre  daher  ganz  verkehrt,  wenn  die  Uebergangs- 
wirtschaft  versuchen  würde,  wie  es  schon  die  Friedenswirtschaft 
getan,  den  Kleinbetrieb  in  der  Landwirtschaft  künstlich  zu 
fördern,  Hunderte  von  Millionen  zur  Zerschlagung  großer  Güter 
und  Schaffung  kleiner  Bauernstellen  zu  verausgaben,  zu  Zwecken 
der  sogenannten  „inneren  Kolonisation".  Das  heißt  jetzt,  in 
Zeiten  der  Not,  nicht  nur  Geld  verschwenden,  sondern  es  zur 
Verminderung  der  Produktivität  der  Landarbeit  verausgaben, 
also  direkt  zu  einem  schädlichen  Zweck  verwenden. 

Hierher  gehören  auch  manche  Experimente,  die  man  mit 
den  Kriegsinvaliden  anstellen  will,  den  „Kriegsbeschädigten", 
wie  das  Kriegsdeutsch  sie  nennt,  um  der  Gefahr  zu  entgehen, 
einen  Ausdruck  des  internationalen  —  oder  zwischen- 
volklichen?  —  Wortschatzes   anzuwenden.     Ich   weiß   nicht,   ob 


51 


man  auch  die  „Invalidenversicherung"  künftig  in  „Beschädigten- 
versicherung" umtaufen  will. 

Es  wurde  der  Wunsch  ausgesprochen,  die  Ansiedlung  der 
Kriegsinvaliden  auf  Zwerggütchen  zu  begünstigen.  Den  In- 
validen wie  der  Produktivität  der  Landwirtschaft  würde  da- 
durch kein  Dienst  erwiesen.  Denn,  wie  schon  bemerkt,  sie 
erheischt  einen  robusten,  vollkräftigen  Körper.  Sie  kann  auch 
einem  Invaliden  sehr  heilsam  sein  als  Nebenbeschäftigung,  wenn 
er  eine  auskömmliche  Rente  bezieht  und  daneben  noch  zu  ihrer 
Aufbesserung  etwas  Gartenarbeit,  Obstbau  und  Geflügelzucht 
treibt.  Aber  einen  Invaliden  ausschließlich  auf  die  Landarbeit 
als  Erwerbsquelle  anzuweisen,  legt  ihm  zu  harte  Fron  auf,  und 
hunderttausend  kleiner  Gütchen  schaffen,  auf  denen  die  Land- 
arbeit nur  mit  halber  Kraft  geleistet  wird,  hieße  die  Produk- 
tivität der  Landwirtschaft  arg  herabdrücken. 

In  der  Praxis  liefe  das  Experiment  darauf  hinaus,  daß  der 
Invalide  gedrängt  würde,  Weib  und  Kind  aufs  äußerste  im  Land- 
bau anzuspannen,  daß  die  Last  seiner  Erhaltung  seiner  Familie 
aufgehalst  wird. 

Bisher  schon  überwogen  im  ländlichen  Kleinbetrieb  die 
weiblichen  Arbeitskräfte.  Von  je  1000  beschäftigten  Personen 
waren  1907: 

Größenklasse 

unter  0,5  Hektar 741  weibliche  Personen 

0,5  bis         2  657 

2       „  5  „        543 

5       „         20  „        494 

20      „       100  „       449 

über  100  , 412 

darunter  über  200  „        405 

Je  größer  der  Betrieb,  desto  mehr  überwiegen  die  männ- 
lichen Arbeiter.  In  den  Kleinbetrieben  sind  dagegen  die  weib- 
lichen Arbeitskräfte  in  der  Ueberzahl,  am  meisten  in  jenen 
Betrieben,  die  nicht  nur  der  Bodenfläche,  sondern  auch  der 
Personenzahl  nach  zu  den  kleinen  gehören.  Das  sind  jene,  die 
ständig  nur  eine  Person  beschäftigen.  Ueber  diese  finden  wir 
folgende  Zahlen  in  der  Statistik  von  1907. 

52 


Größenklasse 

Zahl  der  Betriebe 
mit   einer  Person 

Von  je   1000  Personen 
waren  weibi.  Personen 

0,5  bis  2           

1  060  700 

492  565 

93  154 

14  227 

860 
877 

2        „5           „        

752 

5        „20           „        

410 

Anderthalb  Millionen  landwirtschaftlicher  Zwergbetriebe 
(unter  2  Hektar)  beruhen  also  fast  ausschließlich  auf  der  Ar- 
beit der  Frauen,  die  86  bis  88  Prozent  ihrer  Arbeitskräfte 
ausmachen.  Die  Männer  dieser  Frauen  sind  natürlich  nicht 
untätig.  Sie  verrichten  Lohnarbeit,  zum  nicht  geringen  Teil 
industrieller  Art.  Von  den  Inhabern  der  Kleinbetriebe  bis 
5   Hektar  waren   Unselbständige   in   der 


Größenklasse                           Landwirtschaft 

Industrie 

im  Verkehr 

0,5  bis  2           „         

2       „5           „         

367  024 

160  099 

17  169 

752  278 

305  102 

65  004 

104  011 
32  454 

8  2S6 

Zusammen 

544  292 

1  122  384 

141751 

Nebenbei  gesagt,  nimmt  die  Zahl  der  Kleinbetriebe  in  der 
Landwirtschaft  nur  zu  dank  der  nebenberuflichen  Tätigkeit  der 
Industriearbeiter  in  ihr.  Die  Zahl  der  Inhaber  oder  Leiter  land- 
wirtschaftlicher Betriebe,  die  in  ihrem  Hauptberuf  Landwirt- 
schaft betreiben,  hat  von  1895  bis  1907  um  245  125  abge- 
nommen, darunter  74  710  Selbständige.  Dagegen  ist  die  Zahl 
der  Inhaber  landwirtschaftlicher  Betriebe,  die  in  der  Industrie, 
beziehungsweise  dem  Verkehr  als  Unselbständige  tätig  waren, 
in  dem  genannten  Zeitraum  um  337  046  und  44  096  gewachsen, 
zusammen  um  381  142. 

Will  man  die  Invaliden  aufs  Land  versetzen,  nicht  damit 
sie  selbständige  Landwirtschaft  treiben,  sondern  als  billige  Lohn- 
arbeiter den  verschiedenen  Unternehmungen  auf  dem  Lande  zur 
Verfügung  stehen? 

Wir  haben  nicht  den  mindesten  Grund,  die  Vermehrung 
der  Kleinbetriebe  auf  dem  Lande  zu  fördern.  Wir  haben  auch 
keinen  Grund,  es  verhindern  zu  wollen,  daß  einzelne  Güter 
ihre  Fläche  vergrößern,  was  nach  dem  Kriege  vielfach  vor  sich 
gehen  dürfte. 


53 


Wohl  ist  durch  ihn  der  Bauernstand  nicht  in  der  Weise 
ökonomisch  ruiniert  worden  wie  das  Handwerk.  Aber  immer- 
hin sind  viele  Tausende  von  Inhabern  kleiner  Landwirtschafts- 
betriebe gefallen,  andere  Tausende  so  verstümmelt  oder  ge- 
schwächt, daß  sie  harte  Landarbeit  aufgeben  und  einen  leichteren 
Beruf  suchen  müssen.  Wer  soll  die  verwaisten  Gütchen  über- 
nehmen? Landarbeiter,  die  mit  Hilfe  ihrer  Ersparnisse  sich 
zu  Grundbesitzern  aufschwingen  wollen?  Aber  den  Land- 
arbeitern, den  feldgrauen  wie  den  zurückbleibenden,  brachte  der 
Krieg  nicht   reichlichen    Gewinn. 

Wohl  aber  den  Grundbesitzern,  namentlich  den  großen,  die 
er  mit  billigen  Arbeitskräften  versah,  den  Kriegsgefangenen, 
und  denen  er  hohe  Preise  für  ihre  Produkte  brachte.  Sie  sind 
im  Kriege  ihre  Hypothekenschulden  losgeworden,  sie  haben 
noch  Ersparnisse  in  Genossenschaften  und  Banken  angehäuft. 
Sie  werden  jede  Gelegenheit  benutzen,  ihre  Betriebe  durch  An- 
kauf freiwerdenden  Grundbesitzes  zu   erweitern. 

Es  liegt  nicht  im  Interesse  der  Produktivität  der  Landwirt- 
schaft,  diesen  Prozeß   zu  stören. 

4.  Die  Landwirtschaft  der  Dorfgemeinde 

Welche  Ausdehnung  das  Wachstum  einzelner  Güter  ge- 
winnen wird,  ist  natürlich  nicht  abzusehen.  Indes  ist  nicht 
anzunehmen,  es  werde  so  weit  gehen,  daß  die  Bedeutung  des 
Kleinbetriebes  für  die  Landwirtschaft  fühlbar  eingeschränkt 
würde.  Die  Betriebe  unter  20  Hektar  umfaßten  in  Deutsch- 
land 1907  beinahe  die  Hälfte  der  landwirtschaftlich  benutzten 
Fläche  —  48,5  Prozent  — ,  die  Betriebe  von  5  bis  20  Hektar 
fast  ein  Drittel  —  32,7  Prozent. 

In  der  Landwirtschaft  geht  es  aber  nicht  so  wie  in  der 
Industrie,  daß  man  die  Produktivität  eines  Produktionszweiges 
durch  Stillegung  der  rückständigen  Betriebe  und  Konzentrierung 
der  Produktion  auf  die  höchstentwickelten  steigern  kann.  Der 
Grund  und  Boden  ist  für  die  Landwirtschaft  das  wichtigste 
Produktionsmittel,  auch  nicht  das  kleinste  benutzbare  Stück 
seiner  Fläche  darf  ungenutzt  bleiben.  Und  ein  schlecht  kul- 
tivierter Boden  liefert  immer  noch  mehr,  als  ein  gar  nicht 
kultivierter. 


54 


Weit  entfernt,  landwirtschaftliche  Betriebe  stillzulegen, 
wird  man  vielmehr  trachten  müssen,  die  Kulturfläche  noch 
auszudehnen. 

Vor  dem  Kriege  war  sie  merkwürdigerweise  im  Deutschen 
Reiche  im  Abnehmen  statt  im  Zunehmen,  trotz  der  Kultivierung 
von  Mooren  und  Heiden,  der  Trockenlegung  von  Sümpfen  und 
anderen  Meliorationen.  Die  landwirtschaftlich  benutzte  Fläche 
hat  sich  im  Zeitraum  von  1895  bis  1907  von  32  518  000  auf 
31  835  000,   also  um  683  000   Hektar  vermindert. 

Die  zusammenfassende  Darstellung  der  Ergebnisse  der  land- 
wirtschaftlichen Betriebsstatistik,  herausgegeben  vom  Kaiser- 
lichen Statistischen  Amt  (1912),  betrachtet  diese  Minderung 
zum  Teil  als  bloß  formale,  da  1907  die  „reichen  Weiden" 
schärfer  definiert  wurden  als  1895.  Doch  kann  das  keine  große 
Verschiebung  der  Zahlen  bedeutet  haben.  Die  Darstellung 
fährt  fort: 

„Weiter  dürfte  neben  diesem  formalen  Grund  auch  die  seit  1895 
bedeutend  gewachsene  Vergrößerung  der  Städte,  die  umfangreichen 
Anlagen  von  gewerblichen  Betrieben  auf  dem  Lande,  Bahn-  und 
Wegebauten,  die  Anlage  von  Militärschießplätzen  und  die 
Aufforstung  von  im  Jahre  1895  landwirtschaftlich  benutzten 
Flächen  die  Verminderung  der  landwirtschaftlichen  Fläche  verursacht 
haben."      (Seite   10.) 

Das  Wachsen,  im  statistischen  Amtsdeutsch  ,,die  gewachsene 
Vergrößerung"  der  Städte,  der  Bahnbauten,  der  Industrie  auf 
•dem  Lande  läßt  sich  nicht  verhindern. 

Anders  steht  es  mit  der  Verringerung  der  Anbaufläche 
durch  militärische  Zwecke  —  Schießplätze,  Exerzierplätze, 
Festungsbauten  und  dergleichen  —  sowie  der  Aufforstung  von 
Kulturboden,  um  den  Reichsten  der  Reichen  die  Gebiete  ihres 
Jagdvergnügens   zu   vergrößern. 

Letzteres  scheint  die  Hauptursache  der  Verminderung  des 
landwirtschaftlich  benutzten  Bodens  zu  sein,  denn  die  anderen 
hier  genannten  Faktoren  mußten  nicht  nur  diesen,  sondern 
die  Gesamtfläche  der  Landwirtschaftsbetriebe  einschränken. 
Deren  Gesamtfläche  nahm  jedoch  weit  weniger  ab,  als  die 
Kulturfläche.  Jene  um  178  000  Hektar,  diese  um  683  000 
Hektar.     Es    gab    Gegenden,    in    denen    die    von    den    Betrieben 

55 


eingenommene  Gesamtfläche  wuchs  und  trotzdem  die  von  ihnen 
landwirtschaftlich  benutzte   Fläche   abnahm.      So   finden   wir   in 


Zunahme 

Abnahme 

der 

der 

Gesamtfläche 

Kulturfläche 

Hektar 

Hektar 

33  135 

388  000 

152  184 

32  570 

3  679 

7  432 

9  829 

14  878 

46  270 

20  211 

9  268 

5  796 

4  296 

366 

Preußen  

Baden  

Hessen 

Schwarzwaldkreis  (Württemberg) 

Mecklenburg-Schwerin 

Braunschweig 

Unter-Elsaß 


Eine  allgemeine  Abrüstung  würde  die  Beanspruchung  des 
Kulturbodens  durch  den  Militarismus  sehr  einschränken.  Vor 
allem  aber  hätte  die  Uebergangswirtschaft  Ursache,  alle  land- 
wirtschaftlich nutzbare  Fläche,  die  der  Jagdlust  hoher  Herren 
zum  Opfer  fiel,  der  Lebensmittelproduktion  wieder  zuzuführen» 
Das  geht  freilich  nicht  ohne  starke  Demokratie. 

Muß  man  trachten,  allen  verfügbaren  Kulturboden  der 
Bodenkultur  zuzuführen,  so  muß  man  andererseits  auch  alles 
aufbieten,  daß  diesem  Boden  die  höchstmöglichen  Erträge  ab- 
gewonnen werden.  Mögen  auch  die  Kleinbetriebe  der  Land- 
wirtschaft in  der  Ausnutzung  der  Maschinen  noch  so  sehr  hinter 
den  Großbetrieben  zurückstehen,  die  Staatsgewalt  wird  die 
Aufgabe  haben,  sie  soviel  wie  möglich  mit  Maschinen  zu  ver- 
sorgen. 

Es  wäre  jedoch  technisch  ebenso  unmöglich  wie  wider- 
sinnig, wollte  man  jeden  Kleinbauern  mit  den  Maschinen  ver- 
sehen, die  er  anwenden  kann  und  soll  und  ihn  zu  ihrem  Privat- 
eigentümer machen. 

Wir  haben  schon  darauf  hingewiesen,  daß  die  meisten 
Maschinen  der  Landwirtschaft,  namentlich  die  dem  Feldbau 
dienenden,  nicht  an  einen  Ort  gefesselt  sind,  sondern  zur  Orts- 
veränderung  geeignet  sein  müssen.  Auch  werden  sie  meist 
nicht  ständig,  sondern  nur  zu  gewissen  Zeiten  gebraucht.  Es 
besteht  daher  im  Gegensatz  zur  Industrie  in  der  Landwirtschaft 
die     Möglichkeit,     dieselbe     Maschine     nacheinander     in     ver- 


56 


sclnedenen  Betrieben  funktionieren  zu  lassen.  Von  dieser 
Möglichkeit  wird  auch  reichlich  Gebrauch  gemacht,  namentlich 
bei  den  Dampfdreschmaschinen  und  den  Dampfpflügen.  Erstere 
wurden  1907  in  488  900  Betrieben  angewandt,  von  denen  aber 
nur  19  800  eigene  Dampfdreschmaschinen  besaßen.  Letztere 
fanden  in  2995  Betrieben  Anwendung,  aber  nur  415  von  diesen 
verfügten,  über  eigene  Dampfpflüge.  Darunter  ein  Betrieb  aus 
der  Größenklasse  zwischen  5  bis  20  Ar,  der  den  eigenen  Dampf- 
pflug sicher  nicht  anzuwenden  vermochte.  Ferner  verzeichnet 
die  Statistik  drei  Betriebe  in  der  Größenklasse  von  1  bis  2 
Hektar  mit  vier  Dampfpflügen,  also  einen  mit  zweien  dieser 
Ungetüme,  ebenso  in  der  Größenklasse  von  3  bis  4  Hektar 
zwei  Betriebe  mit  drei,  in  der  Klasse  von  4  bis  5  Hektar  drei 
Betriebe  mit  vier  Dampfpflügen.  Daß  diese  alle  ihre  Pflug- 
maschinen nur  deshalb  erworben  hatten,  um  fremde  Felder  da- 
mit zu  pflügen,   ist  klar. 

Allgemeine  Anwendung  wird  der  Dampfpflug  nicht  finden, 
auch  nicht  im  Großbetrieb.  Nicht  überall  sind  seine  Vor- 
bedingungen gegeben.  Naben  ihm  kommt  der  elektrische  Pflug 
dort  in  Betracht,  wo  elektrische  Ueberlandzentralen  einge- 
richtet sind.  Doch  hat  er  sich  noch  wenig  eingebürgert.  Da- 
gegen findet  raschen  Eingang  der  von  einem  Verbrennungs- 
motor gezogene  Pflug,  der  auch  auf  kleineren  Flächen  anwend- 
bar ist.  In  Amerika  hat  er  schon  vor  dem  Kriege  weite  Ver- 
breitung gefunden.  Der  Arbeiter-  und  Pferdemangel  verhilft  ihm 
zu  raschem  Vordringen  auch  in  Deutschland. 

So  berichtet  z.  B.  die  „Zeitschrift  des  Vereins  deutscher 
Ingenieure"    (1915): 

„Bei  der  Feldbestellung  Ostpreußens  nach  Vertreibung  der 
Russen  wurden  in  großem  Umfang  Motorpflüge  verwendet.  Nur  da- 
durch wurde  es  möglich,  die  Gegenden  zu  bestellen,  in  denen  Men- 
schen, Wagen  und  Pferde  fehlten.  Mit  Hilfe  eines  beträchtlichen 
Staatsdarlehns  wurden  deshalb  123  Motor-  und  12  Dampfpflüge  an- 
gcschafit,  die  den  Landwirten  gegen  jährliche  Ratenrückzahlung  ge- 
geben wurden.  Außerdem  wurden  durch  die  Militärverwaltung  mit 
29  Motorpflügen  die  ganz  verlassenen  Gegenden  beackert.  Bisher 
sind  von  den  für  derartige  Zwecke  zur  Verfügung  stehenden  5,8  Mil- 
lionen Mark  3,5  Millionen  Mark  verausgabt  worden.  Es  steht  zu 
erwarten,  daß  sich  in  den  nächsten  Jahren  Motorpilüge  in  der  Land- 
wirtschaft  weiter   einbürgern   werden."     (Seite    1047.) 

57 


Aus  Frankreich  berichtet  dieselbe  Zeitschrift   (März   1917): 

„Der  französische  Landwirtschaftsminister  hat  einen  Ausschuß 
ernannt,  der  die  Aufgabe  hat,  zu  untersuchen,  wie  die  aus  dem 
Heeresdienst  ausgeschiedenen  Motorwagen  am  zweckmäßigsten  zur 
Förderung  der  Bodenkultur  verwendet  werden  können.  Man  schlug 
vor,  namentlich  von  Wagen  mit  beschädigtem  Untergestell  die  Mo- 
toren den  Landwirten  zum  Betrieb  ihrer  Maschinen  zur  Verfügung 
zu  stellen.  Um  diesen  Bestrebungen  bei  der  Landbevölkerung  in 
möglichst  großem  Umfang  Eingang  zu  verschaffen,  ist  durch  Erlaß 
des  Präsidenten  in  Noisy-le-Grand  auf  einem  130  Hektar  großen 
Landgut  eine  Schule  geschaffen  ....  Die  Schüler  werden  als  Me- 
chaniker ausgebildet  und  erhalten  Unterricht  im  Bedienen  landwirt- 
schaftlicher Maschinen  und  Motoren.  Außerdem  soll  die  Anstalt  Ver- 
suche mit  neuen  Maschinen  anstellen  und  Musterkurse  zum  Bekannt- 
machen und  Fördern  der  Motorkultur  bei  den  Landwirten  veran- 
stalten. Hierbei  sind  drei  Gesichtspunkte  maßgebend:  die  fehlenden 
menschlichen  und  tierischen  Arbeitskräfte  sollen  durch  mechanische 
Kraft  ersetzt,  die  ausgemusterten  Heereskraftfahrzeuge  nach  Möglich- 
keit ausgenützt  und  Kriegsbeschädigte  für  derartige  Arbeiten  ausge- 
bildet werden."     (Seite  300.) 

Zurzeit  ist  freilich  die  Zahl  der  Motorpflüge  in  Frank- 
reich noch  gering.  Im  April  1918  fand  in  Noisly-le-Grand  ein 
staatlicher  Motorkulturwettkampf  statt,  bei  dem  Angaben  über 
den  Stand  der  französischen  Motorkultur  gemacht  wurden. 
Es  wurde  berechnet,  daß  Frankreich  17  000  bis  20  000  Motor- 
pflüge nötig  hätte,  daß  aber  nur  1000  vorhanden  sind,  von 
denen  die  eine  Hälfte  in  staatlichem,  die  andere  in  privatem 
Besitz. 

Für  Deutschland  ist  mir  eine  derartige  Statistik  nicht 
bekannt. 

Nach  dem  Kriege  wird  man  mechanische  Pflüge  in  großen 
Mengen  brauchen.  In  dem  Sammelwerk  über  ,, Arbeitsziele  der 
deutschen  Landwirtschaft  nach  dem  Kriege"  (Berlin  1918)  sagt 
Prof,  Gust.  Fischer: 

„Wenn  die  mechanischen  Pflüge  schon  im  Frieden  in  größeren 
Betrieben  nicht  zu  entbehren  waren,  um  die  Ackerung  gut  und  recht- 
zeitig auszuführen,  so  kann  man  sagen,  daß  unsere  Ernährung  im  Kriege 
ohne  die  Dampf-  und  Motorpflüge  ganz  undurchführbar  gewesen  wäre. 
Sobald  in  ruhigeren  Zeiten  die  Schwierigkeiten  in  der  Herstellung  der 
mechanischen  Pflüge  und  in  der  Beschaffung  ihrer  Betriebsmittel  wieder 
verschwinden,  muß  die  Benutzung  der  Dampf-  und  Motorpflüge  noch 
weit  mehr  gesteigert  werden,  um  dem  Mangel  an  Zugtieren  und  Men- 
schen abzuhelfen."    (Seite  754.) 

58 


Nachdem  er  dann  ausgeführt,  ,,daß  das  eigentliche  An- 
wendungsgebiet des  Dampfpfluges  der  Großbetrieb  ist"  (S.  755) 
und  daß  ,, weder  die  elektrischen  noch  die  Motorpflüge  bisher 
die  leichten  Antriebsmaschinen  für  Ackerarbeiten  haben  bringen 
können,  die  für  kleinere  Wirtschaften  gewünscht  werden" 
(S.763),  fährt  er  fort: 

„Die  Unentbehrlichkeit  der  Motor-  und  Dampfpflüge  hat  sich  im 
Kriege,  besonders  aber  im  Frühjahr  1917,  aufs  deutlichste  erwiesen. 
.  .  .  Wo  keine  Kraftpflüge  zur  Verfügung  stehen,  ist  es  unvermeidlich, 
daß  die  Bodenkultur  unter  dem  Mangel  an  Arbeitskräften  leidet,  daß 
der  Acker  verqueckt  und  nicht  tief  genug  gelockert  wird.  Ohne  Zweifel 
ist  während  des  Krieges  in  dieser  Hinsicht  manches  versäumt  worden, 
und  es  bedarf  einiger  Jahre  energischer  Arbeit,  um  nur  den  alten 
Kulturzustand,  der  außerdem  durch  mangelhafte  Düngung  gelitten  hat, 
wiederherzustellen.  Um  ihn  darüber  hinaus  noch  auf  eine  höhere 
Stufe  zu  bringen,  wird  erst  recht  die  Heranziehung  der  Kraftpflüge 
notwendig  sein."      (Seite  763,  764.) 

Natürlich  wäre  es  unmöglich,  jedem  Bauern  einen  Motor- 
pflug zuzuweisen.  Und  selbst  wenn  es  ermöglicht  würde,  be- 
deutete es  eine  sinnlose  Verschwendung,  die  man  sich  gerade 
nach  dem  Kriege  am  wenigsten  gestatten   darf. 

Wohl  gibt  es  bereits  solche  Pflüge  für  kleine  Betriebe,  aber 
die  größeren  sind  weit  wirksamer.  Diese  vermögen  4  bis  6, 
die  kleineren  nur  1,5  bis  2,5  Hektar  im  Tage  zu  pflügen. 
Ein  Pflug  mit  zwei  Pferden  freilich  im  Durchschnitt  nur  ein 
halbes   Hektar. 

Außerdem  aber  erheischt  der  Motorpflug  einen  geschulten 
Führer.  In  einem  Artikel  über  Motorpflüge  in  der  nun  schon 
mehrfach  zitierten  ,, Zeitschrift  des  Vereins  deutscher  Ingenieure" 
(Januar  1916)   sagt  Professor  Fischer: 

„Die  Benutzung  der  Motorpflüge  setzt  voraus,  daß  der  Führer  die 
Kenntnisse  für  ihre  Führung  und  Wirkung  erworben  hat.  Aber  das  ist 
auch  bei  anderen  landwirtschaftlichen  Maschinen  der  Fall  und  wird 
dazu  beitragen,  daß  die  Landwirte  immer  mehr  die  Notwendigkeit  der 
Einstellung  eines  tüchtigen  Maschinisten  einsehen,  der  in  einem  größeren 
Betriebe  kaum  noch  entbehrt  werden  kann."      (Seite  72.) 

Wo  der  Motorpflug  von  kleineren  Betrieben  angewandt 
wird,  geschieht  es  am  besten  von  einer  Vereinigung  solcher 
Betriebe.  Wie  für  andere  landwirtschaftliche  Maschinen  haben 
sich   auch   für    die   Motorpflüge    Genossenschaften   gebildet,    die 

59 


sie  anschaffen  und  an  ihre  Mitglieder  verleihen.  Indessen  sollte 
man  dort,  wo  man  von  Staats  wegen  die  Verbreitung  der  Motor- 
kultur fördern  will,  nicht  von  solchen  privaten,  zufälligen 
Vereinigungen  ausgehen,  sondern  die  Pflüge  einzelnen  Ge- 
meinden zuweisen,  in  denen  die  nötigen  Vorbedingungen 
für  ihre  Anwendung  zu  finden  sind.  Die  Gemeinde  könnte 
dann  die  gesamte  Feldflur  ihres  Gebietes  mit  dem  Motor  be- 
ackern, wie  heute  schon  arme  Bauern,  die  über  kein  eigenes 
Gespann  verfügen,  ihre  kleinen  Felder  von  einem  Nachbar 
pflügen  lassen,  der  ein  oder  zwei  Pferde  besitzt,  oder  wie 
größere   Grundbesitzer  einen  fremden  Dampfpflug   leihen. 

Wo  aber  die  Gemeinde  den  einzelnen  Bauern  bei  der  Pflug- 
arbeit ausschaltet  und  diese  für  ihr  ganzes  Gebiet  besorgt,  da 
liegt  es  nahe,  daß  es  so  kommt,  wie  Genosse  Hofer  im  preußi- 
schen Abgeordnetenhaus  schon  vor  dem  Kriege  (30,  Januar  1914) 
ausführte: 

„Wenn  die  Motorpflüge  erst  in  Tätigkeit  treten,  dann  sehen  die 
Bauern  auch  bald,  daß  ihre  kleinen  Felder,  ihre  Grenzen  zu  eng  ge- 
worden sind.  Sie  stoßen  überall  an  den  Ecken  an,  und  sie  werden 
überall  auf  diesem  Wege  dahin  kommen,  daß  sie  ihre  Flächen  zu- 
sammenlegen." 

Jedes  Wenden  bedeutet  für  den  Motorpflug  einen  Zeit- 
verlust, einen  Kraftverlust.  Die  Raine  bedeuten  einen  Verlust 
an  Boden  sowie  an  Saatgut,  das  auf  sie  fällt.  Die  Ecken  machen 
ein  Nachhelfen  mit  Handarbeit  erforderlich.  Je  größer  die  zu- 
sammenhängende Fläche,  die  zu  pflügen  ist,  desto  besser  kann 
der  Motorpflug  ausgenutzt  werden. 

Im  Interesse  der  Produktivität  der  landwirtschaftlichen  Ar- 
beit wird  also  die  Uebergangswirtschaft  die  Zusammenlegung 
der  Flächen  zu  fördern  haben.  Es  wäre  jedoch  höchst  un- 
zweckmäßig, wenn  jeder  einzelne  Bauer  nach  vollzogener 
Pflügung  wieder  sein  Feldstück  abgrenzen  und  für  sich  be- 
pflanzen wollte.  Die  logische  Folge  der  Zusammenlegung  der 
Fläche  ist  nicht  bloß  ihre  gemeinsame  Beackerung,  sondern 
ihre  Bewirtschaftung  überhaupt  nach  einem  gemeinsamen  kom- 
munalen Plan. 

In  gewissem  Sinne  wäre  das  gar  nichts  Neues.  In  der  alten 
Markgenossenschaft  galt  schon  für  alle  auf  gleicher  Flur  lie- 
genden Felder  der  Dorfgenossen  der  Flurzwang,   das  heißt  die 

60 


Pflicht,  die  gleiche  Frucht  anzubauen.  Wohl  bewirtschaftete 
dabei  jeder  Bauer  sein  Feld  für  sich,  aber  nach  der  Ernte  wurden 
alle  Grenzen  zwischen  ihnen  aufgehoben  und  ihre  zusammen- 
hängende Fläche  in  gemeinsame  Weide  verwandelt. 

Nun  gilt  es,  diese  markgenossenschaftliche  Wirtschaft  den 
modernen  Verhältnissen,  dem  Maschinenbetrieb,  anzupassen.  Das 
Endergebnis  wäre,  daß  Haus,  Hof  und  Garten  von  Bauern  wohl 
privat  bewirtschaftet  würden,  wie  sie  auch  in  der  Mark- 
genossenschaft volles  Privateigentum  waren,  der  Feldbau  da- 
gegen mit  den  Arbeitskräften  der  Gemeinde  gemeinsam  be- 
trieben würde.  Sein  Produkt  oder  der  Erlös  dafür  könnte  dann 
unter  die  einzelnen  Bauern  je  nach  dem  Anteil,  den  ihre  Arbeit 
oder  ihr  Boden  an  dem  Ertrag  hatte,  verteilt  werden. 

Selbst  bürgerlichen  Autoren  drängt  der  Zwang  der  Not  ähn- 
liche Vorschläge  auf. 

Wir  haben  bereits  auf  das  Sammelwerk  über  „Arbeitsziele 
der  deutschen  Landwirtschaft  nach  dem  Kriege"  hingewiesen. 
Dort  fordert  Friedrich  v.  Braun,  Präsident  des  Kriegsernährungs- 
amts, zwingende  staatliche  Vorschriften  für  die  Düngung,  die 
Saatgutwahl  und  die  Bekämpfung  der  Pflanzenkrankheiten  (S.  7). 

„Die  Herstellung  von  Stickstoff  geschieht  jetzt  unter  staatlicher 
Führung,  und  eine  ähnliche  Entwicklung  ist  bei  der  Kaliindustrie  vor- 
gezeichnet.  Von  da  bis  zur  öffentlichen  Zuweisung  des  festgestellten 
Bedarfs  an  künstlichem  Dünger  für  alle  landwirtschaftlich  benutzten 
Grundstücke  unter  Einziehung  der  Kosten  als  öffentliche  Last  des 
Grundstücks  ist  kein  weiter  Weg."    (S.  8,  9.) 

,,Es  erscheint  die  Frage  berechtigt,  warum  man  nicht  bei  der  Aus- 
wahl des  Saatguts  dieselbe  staatliche  Einwirkung  anwenden  soll  wie 
bei  der  Körung  der  Zuchttiere.  Sie  ist  für  die  Volkswirtschaft  zum 
mindesten  von  der  gleichen  Wichtigkeit  und  die  Vorbedingung  für  den 
raschen  Erfolg  .  .  .  Man  kann  sich  die  Entwicklung  so  denken,  daß  für 
den  Bezirk  jeder  unteren  Verwaltungsbehörde  ein  Körausschuß  unter 
dem  Vorsitz  des  Landwirtschaftslehrers  oder  des  Saatgutinspektors  ge- 
bildet wird,  der  nicht  nur  die  Auswahl  des  für  die  Gegend  geeigneten 
Saatguts  vorzunehmen,  sondern  auch  für  die  kleineren  Betriebe  das 
Saatgut  gemeinschaftlich  zu  schaffen  und  vor  der  Ausgabe  gemeinsam 
zu  behandeln  hätte."   (S.  9,  10.) 

Endlich  die  staatliche  Bekämpfung  der  Pflanzenschädlinge 
sei  schon  begonnen,  brauche  nur  energischer  ausgebaut  zu 
werden,    wie    es    in    anderen    Ländern    schon    geschähe,    wie    in 

61 


den  Vereinigten  Staaten,  wo  man  Felder,  die  nicht  von  Un- 
kräutern rein  gehalten  werden,  rücksichtslos  von  Staats  wegen 
umpflügt. 

In  der  früher  schon  zitierten,  von  der  ,, Gesellschaft  für 
soziale  Reform"  herausgegebenen  Schrift  über  „Soziale  Fragen 
der  Uebergangswirtschaft",  betitelt:  ,,Der  Tag  der  Heimkehr", 
berichtet  Dr.  W.  Bisselberg  über  „Die  Bereitstellung  von  Arbeit 
durch  Intensivierung  und  Mechanisierung  der  Landwirtschaft", 
da  fordert  er  unter  anderem: 

„Wie  für  die  anderen  Gewerbe,  müssen  für  die  Landwirtschaft 
schon  jetzt  zur  Verteilung  der  Arbeiter  Wirtschaftspläne  auf- 
gestellt werden  ,  .  . 

Die  Wirtschaftspläne  sind  von  den  Kriegswirtschaftsämtern  mit 
den  Kommunalverwaltungen  oder  doch  wenigstens  durch 
deren   Vermittlung   und   unter   ihrer   Verantwortung   festzusetzen. 

Die  kleinen  landwirtschaftlichen  Besitzer  sind  unter  der  Führung 
der  Kreisverwaltungen,  am  besten  in  Anlehnung  an  Großbetriebe,  ge- 
nossenschaftlich   zusammenzuschließen. 

Das  Wort  Produktionszwang  klingt  zwar  auch  nichtland- 
wirtschaftlichen Ohren  noch  unheimlich,  aber  auch  praktische  Land- 
wirte glauben,  daß  wir  im  öffentlichen  Interesse  ohne  eine  planmäßige 
Regelung  der  Düngung  und  der  Bewirtschaftung  (was  übrigens  im 
Interesse  der  Besitzer  liegen  würde,  wie  auch  die  Erfahrungen  der 
brandenburgischen  Ritterschaft  gezeigt  haben),  unter  Umständen  selbst 
auf  dem  Zwangswege,  nicht  mehr  auskommen  können."     (Seite  14,   15.) 

Das  wäre  immer  noch  keine  sozialistische  Wirtschaft.  Der 
besitzende  Bauer  bekäme  mehr  als  der  besitzlose  Landarbeiter. 
Die  Produktion  geschähe  immer  noch  zum  Verkauf,  für  den 
Markt.  Die  Triebkraft  der  Produktion  wäre  immer  noch  der 
Mehrwert,  in  den  beiden  Erscheinungsformen  des  Profits  und 
der  Grundrente. 

Diese  Regelungen  bedeuten  noch  nicht  Uebergang  zum 
Sozialismus,  sie  gehören  noch  in  das  Gebiet  der  Uebergangs- 
wirtschaft, die  wir  hier  behandeln.  Sie  sind  ein  Mittel,  ohne 
Veränderung  der  Grundlagen  der  bestehenden  Gesellschaft  die 
Produktivkraft  der  bäuerlichen  Landwirtschaft  aufs  höchste  zu 
steigern,  ihr  eine  Reihe  von  Vorteilen  des  Großbetriebes  zu- 
gänglich zu  machen. 

Immerhin  bedeuten  aber  diese  Regelungen  einen  erheblichen 
Schritt   in    der   Richtung    zu    sozialistischer    Landwirtschaft,    die 

62 


auf  der  Basis  des  Kleinbetriebes  unmöglich  ist.  Zwei  weitere 
Schritte  wären  dann  noch  notwendig,  um  die  Dorfwirtschaft  in 
sozialistische  Wirtschaft  zu  verwandeln:  Einmal  die  Ver- 
staatlichung der  Feldflur,  der  Ankauf  der  Anteile 
der  einzelnen  Bauerngüter  an  dieser  Flur  durch  den  Staat.  Haus, 
Kof  und  Garten  könnnten  auch  dabei  noch  Privateigentum 
bleiben.  Der  moderne  Kommunismus  ist  nicht  der  urchristliche. 
Er  verlangt  die  Gemeinschaft  der  Produktionsmittel,  die  der 
kapitalistischen  Warenproduktion  dienen,  nicht  die  Gemeinschaft 
der  Haushaltungen. 

Der  Ankauf  des  Ackerlandes  durch  den  Staat  brauchte  kein 
gewaltsamer,  er  könnte  ein  allmählicher  sein.  Die  Festsetzung 
des  Vorkaufsrechts  des  Staates  bei  jedem  Besitzwechsel  würde 
genügen. 

Je  größer  der  Anteil  des  Staates  an  der  Bodenfläche  wird, 
desto  mehr  fällt  ihm  alles  weitere  Wachstum  der  Grundrente 
zu,  desto  mehr  wird  der  Anteil  des  einzelnen  Gemeindegenossen 
am  Gemeindeprodukt  bloß  nach  der  Arbeit  bemessen  werden, 
die  er  dabei  aufgewandt  hat,  und  nicht  nach  der  Größe  seines 
Besitzes. 

Der  andere  Schritt  in  der  Richtung  zur  Sozialisierung  der 
Landwirtschaft,  der  noch  zu  tun  wäre,  bestände  darin,  daß  die 
Gemeinde  nicht  mehr  für  den  Markt  zu  produzieren  hätte,  son- 
dern für  die  Gemeinschaft,  für  den  Bedarf  der  Bevölkerung, 
durch  Vermittlung  der  Staatsverwaltung. 

Auch  das  könnte  bereits  durch  die  Uebergangswirtschaft 
vorbereitet  werden. 

Schon  während  des  Krieges  wäre  es  dringend  nötig  gewesen, 
die  landwirtschaftliche  Produktion  direkt  in  den  Dienst  der  Ge- 
samtheit zu  stellen.  Es  ist  das,  trotz  der  Not  der  Zeit,  nirgends 
gelungen,  dank  der  Macht  der  Agrarier  —  nicht  der  Landwirt- 
schaft, sondern  des  Grundbesitzes,  des  Privateigentums  am 
Boden,  was  etwas  ganz  anderes  ist.  Aber  auch  ohne  dieses  so- 
ziale Moment  wäre  die  Leitung  der  landwirtschaftlichen  Pro- 
duktion durch  Organe  der  Gemeinschaft  aus  technischen  Grün- 
den dort  gescheitert,  wo  der  Kleinbetrieb  vorherrscht.  Die  4621 
größten  Betriebe  (über  100  Hektar)  mit  1  930  000  Hektar  Land 
in  Pommern  könnte  man  durch  Organe  des  Staates  oder  der 
Provinz  überwachen,  aber  doch  nicht  die  538  000  kleineren  Be- 


63 


triebe   (unter  100  Hektar)   der  Rheinprovinz  mit  ihren  1300  000 
Hektar  landwirtschaftlicher  Fläche. 

Zu  den  stärksten  Eingriffen  des  Staates  in  den  landwirt- 
schaftlichen Betrieb  (der  wohl  zu  unterscheiden  ist  vom  land- 
wirtschaftlichen Besitz)  während  des  Krieges  ist  es  nicht  in 
Rußland  gekommen,  dem  Lande  der  proletarischen  Revolution, 
aber  auch  eines  riesenhaften  zahlenmäßigen  Uebergewichts  der 
Bauernschaft.  Auch  nicht  im  Deutschen  Reich,  dessen  staatliche 
Organisation  und  dessen  Unterordnung  aller  privaten  Bedürf- 
nisse unter  die  Forderungen  der  Kriegführung  so  sehr  erhoben 
wird,  sondern  in  England,  dem  Lande  des  Freihandels,  des 
,,Manchestertums",  aber  auch  des  zahlenmäßig  überwiegendsten 
Großgrundbesitzes  und  Großbetriebes  auf  der  einen  Seite 
und  der  —  wenn  sie  nur  will!  —  stärksten  Arbeiterklasse 
und  der  größten  Ueberzahl  der  städtischen  über  die  ländliche 
Bevölkerung  auf  der  anderen  Seite.  Im  Deutschen  Reiche  macht 
diese  noch  40  Prozent  der  Bevölkerung  aus,  in  England  nur 
mehr  22. 

Die  Engländer  schrecken  nicht  davor  zurück,  durch  das 
Landwirtschaftsministerium  (Board  of  agriculture)  Betriebs- 
inspektoren  einsetzen  zu  lassen,  die  die  einzelnen  landwirtschaft- 
lichen Betriebe  zu  überwachen  haben.  Das  würde  an  sich  noch 
wenig  bedeuten.  Doch  sollen  sie  das  Recht  bekommen,  bei 
unwirtschaftlich  arbeitenden  Betrieben  die  Leitung  selbst  in  die 
Hand  zu  nehmen.  Der  private  Unternehmer  ist  dadurch  noch 
nicht  ausgeschaltet,  aber  nur  der  tüchtig  gebildete  und  ge- 
wissenhafte Unternehmer  soll  künftighin  in  der  Landwirtschaft 
geduldet  werden. 

Derartiges  muß  ebenfalls  bei  uns  im  Interesse  der  größt- 
möglichen Produktivität  der  Landwirtschaft  gefordert,  es  müssen 
ihr  auch  die  Produkte,  die  sie  zu  erzeugen  hat,  vorgeschrieben 
werden.  Daß  läßt  sich  unschwer  bei  dem  Großbetriebe  durch- 
führen, nicht  aber  bei  den  unzähligen  Kleinbetrieben.  Auch  da 
würde  der  kommunale  Landbau  die  Aufgaben  der  Uebergangs- 
wirtschaft   sehr  erleichtern. 

Der  Satz,  daß  die  Ueberwachung  und  Leitung  der  Land- 
wirtschaft beim  Großbetrieb  unschwer  durchzuführen  sei,  ist 
natürlich  nur  in  technischem,  nicht  sozialem  oder  politischem 
Sinne  gemeint.     Da  wird  ein  verzweifelter  Widerstand  des  agra- 

64 


Tischen  Interesses  zu  überwinden  sein.  Aber  hier  untersuchen 
wir  nicht  die  Aussichten  der  Uebergangswirtschaft,  die  noch 
ganz  unberechenbar  sind,  sondern  die  Forderungen,  die 
im  Interesse  des  Proletariats  und  der  Gesamtheit  an  sie  zu 
stellen  sind,  für  die  wir  zu  kämpfen  haben. 

Mit  Recht  weisen  die  Agrarier  darauf  hin,  daß  die  Land- 
wirtschaft die  Grundlage  des  ganzen  gesellschaftlichen  Ge- 
bäudes, der  wichtigste  aller  Produktionszweige  ist.  Aber  es  ist 
ganz  widersinnig,  wenn  sie  daraus  schließen,  die  Gesellschaft 
habe  den  heutigen  Herren  dieses  Produktionszweiges  nun  die 
ausschweifendsten  Privilegien  zu  gewähren,  ihnen  Arbeitskräfte 
zwangsweise  zuzuführen  und  die  fettesten  Profite  zu  sichern, 
um  sie  an  der  Versorgung  ihrer  Wirtschaft  zu  interessieren.  Diese 
Methode  entspricht  den  Interessen  der  für  die  Gesellschaft  un- 
nützen Privateigentümer  am  Boden,  nicht  dem  Interesse  der 
Gesellschaft  selbst.  Dieses  Interesse  erheischt  vielmehr  aufs 
dringendste,  gerade  wegen  der  Bedeutung  der  Landwirtschaft, 
daß  sie  unabhängig  wird  von  der  Willkür  des  Privateigentums 
und  direkt  unter  gesellschaftliche  Kontrolle  kommt,  und  daß 
an  Stelle  unproduktiver  Zwangsarbeit  die  produktive  gern  ge- 
leistete Arbeit  tritt. 


5.  Städtische  Landwirtschaft 

Neben  der  Landwirtschaft  der  Dorfgemeinden  kommt  noch 
eine  andere  Art  kommunaler  Landwirtschaft  in  Betracht,  die 
der  Stadtgemeinden,  die  auch  in  der  Uebergangswirtschaft  an 
Bedeutung  gewinnen  dürfte  als  Mittel,  die  Ernährung  der  städti- 
schen Bevölkerung  zu  erleichtern,  ihr  die  Vorteile  des  ,, Selbst- 
versorgers" bis  zu  einem  gewissen  Grade  zugänglich  zu  machen. 

Schon  vor  dem  Kriege  waren  Ansätze  zu  solcher  Art  Land- 
wirtschaft vorhanden.  Auf  der  einen  Seite  mußten  die  Stadt- 
gemeinden Grund  und  Boden  aus  technischen  Gründen,  z.  B. 
Rieselfelder,  erwerben,  den  sie  nicht  brach  liegen  lassen  wollten. 
Anderseits  drängte  das  Steigen  der  Lebensmittelpreise  und  das 
Wachsen  der  Ernährungsschwierigkeiten  der  Stadtgemeinden  da- 
zu, wenigstens  einem  Teil  ihrer  Bevölkerung  gute  und  billige 
Nahrungsmittel    zuzuführen,    entweder    durch    Verträge    mit    den 

Kautsky,  Landwirtschaft     5  ^5 


Produzenten  oder  durch  eigene  Produktion.  In  der  Zeit  der 
Uebergangswirtschaft  wird  der  Antrieb  zu  solchem  Vorgehen 
durch  die  hohen  Preise  und  die  gesteigerte  monopolistische 
Stellung  des  Grundbesitzes  sehr  verstärkt  werden. 

Diese  städtische  Landwirtschaft  wird  sich  von  jener  der 
Dorfgemeinden  schon  nach  den  Hauptobjekten  ihrer  Produktion 
unterscheiden.  Es  wird  sich  da  das  Thünensche  Gesetz  geltend 
machen,  mit  den  Modifikationen,  die  die  moderne  Technik  des 
Transports  und  der  Konservierung  an  ihm  hervorbringt. 

Die  städtische  Landwirtschaft  muß  ihr  Schwergewicht  auf 
die  Erzeugung  von  Produkten  legen,  die  weiten  Transport  schwer 
vertragen  und  die  von  der  Landwirtschaft  ohne  jede  Zwischen- 
stufe in  den  Haushalt  übergehen,  also  vor  allem  Milch  und  Ge- 
müse. Die  Dorfgemeinde  wird  eher  Produkte  herstellen,  die 
einen  längeren  Transport  sowohl  technisch  wie  ökonomisch  sehr 
wohl  vertragen  und  die  nicht  direkt  vom  Produzenten  in  den 
Haushalt  eingehen,  sondern  noch  eine  oder  mehrere  Zwischen- 
stufen passieren  müssen,  also  vor  allem  Getreide,  Milch,  die  in 
Butter  und  Käse  verwandelt  wird,  Magervieh,  Gemüse  für  Kon- 
servenfabriken, Rüben  für  Zuckerfabriken  usw. 

Doch  nicht  nur  in  den  Objekten  der  Produktion  unter- 
scheidet sich  die  Landwirtschaft  der  bäuerlichen  von  der  der 
Stadtgemeinde,  sondern  auch  in  ihrer  sozialen  Bedeutung.  Kann 
die  Landwirtschaft  der  Dorfkommune  noch  Warenproduktion, 
getrieben  von  dem  Streben  nach  Mehrwert,  das  heißt  Profit  und 
Grundrente,  bleiben,  so  ist  die  Landwirtschaft  der  Stadt- 
gemeinde, soweit  sie  nicht  fiskalischen  Zwecken  dient,  direkt  auf 
die  Befriedigung  des  Bedarfs  ihrer  Bewohner  gerichtet,  ohne  jede 
Absicht  auf  Profit.  Sie  gewinnt  damit  bereits  sozialistischen 
Charakter. 

Beide  Arten  der  Landwirtschaft  sind  von  der  Uebergangs- 
wirtschaft zu  fördern.  Soweit  sie  sich  durchsetzen,  werden  sie 
aber  solche  Vorteile  bieten,  daß  sie  mit  dem  Stadium  des  Ueber- 
ganges  nicht  wieder  verschwinden,  sondern  sich  über  dieses  hin- 
aus erhalten  und  weiterentwickeln  werden.  Sie  liegen  in  der 
Linie  der  Entwicklung.  Ihre  größten  Schwierigkeiten  finden  sie 
im  Anfang. 

Die  Uebergangswirtschaft  wirft  so  vieles  Alte  und  Her- 
kömmliche über  den  Haufen,  mehr  noch,  als  es  der  Krieg  selbst 

66 


bewirkt,  weil  sie  mit  diesem  den  Notstand  teilt,  gleichzeitig  aber 
den  Kampf  der  Klassen  im  Innern  in  voller  Macht,  ohne  jede 
Ablenkung  durch  äußere  Bedrängnis,  wirken  läßt.  Sie  kann  am 
ehesten  den  Anstoß  geben,  diese  schwersten  ersten  Schritte  zu 
wagen.  Für  die  Landwirtschaft  würde  so  die  Zeit  der  Ueber- 
gangswirtschaft  eine  Zeit,  die  nicht  nur  den  Uebergang  vom 
Kriegszustand  in  den  Friedenszustand  vollzöge,  sondern  auch 
den  Uebergang  von  privater  zu  gesellschaftlicher  Landwirtschaft 
anbahnte. 

Daran  ist  heute,  nach  den  Erfahrungen  der  letzten  Jahr- 
zehnte, nicht  mehr  zu  zweifeln,  daß  die  Entwicklung  der  Land- 
wirtschaft eine  andere  ist,  als  die  der  Industrie.  Wenn  wir 
Marxisten  im  Verein  mit  einem  großen  Teil  der  bürgerlichen 
Oekonomie  ehedem  annahmen,  der  Großbetrieb  werde  in  der 
Landwirtschaft  den  gleichen  Siegeszug  antreten  wie  in  der  In- 
dustrie, so  beruhte  das  auf  wohl  beobachteten  Tatsachen,  deren 
Bedeutung  wir  jedoch  überschätzten.  Das  habe  ich  bereits  vor 
20  Jahren  in  meiner  ,, Agrarfrage"  anerkannt.  Ich  habe  dort  je- 
doch auch  schon  die  entgegengesetzte  Anschauung  zurück- 
gewiesen, als  gingen  wir  dem  Ende  des  landwirtschaftlichen 
Großbetriebes,   dem  Siege  des  Kleinbetriebes  entgegen: 

„So  wenig  wir  in  der  Landwirtschaft  auf  eine  rasche  Aufsaugung 
der  Kleinbetriebe  durch  die  Großbetriebe  rechnen  dürfen,  so  haben 
wir  noch  weniger  Ursache,  den  entgegengesetzten  Prozeß  zu  erwarten." 
(Seite  298.) 

Eine  Reihe  von  Sozialisten  haben  daraus,  daß  der  Groß- 
betrieb in  der  Landwirtschaft  nicht  vorschreitet,  geschlossen, 
eine  sozialistische  Landwirtschaft  sei  unmöglich,  der  Sozialis- 
mus werde  bloß  in  der  Industrie  zur  Herrschaft  kommen  —  und 
sie  nehmen  an,  auch  da  erst  nach  ein  paar  hundert  Jahren.  In 
Wirklichkeit  folgt  aus  dem  verschiedenen  Gange  der  Entwick- 
lung in  Landwirtschaft  und  Industrie  nur,  daß  der  Weg  zum 
Sozialismus  hier  ein  anderer  sein  wird  als  dort. 

In  der  Stadt  wird  er  vorbereitet  und  unerläßlich  gemacht 
durch  das  Vorschreiten  des  Großbetriebes,  der  das  Proletariat 
immer  mehr  zur  zahlreichsten  Klasse  macht,  zugleich  aber  das 
Streben  des  einzelnen  Proletariers,  sich  zum  Privateigentümer 
eines  Kleinbetriebes  emporzuarbeiten,  immer  aussichtsloser  und 
sinnloser  erscheinen  läßt.  Seine  Kraft  entwickelt  das  industrielle 


67 


Proletariat  im  Klassenkampf,  dessen  Ausgangspunkt  der  Kampf 
um  die  Arbeitsbedingungen  ist,  dessen  Ziel  die  Enteignung  der 
Kapitalisten  durch  die  Gesellschaft  wird. 

Auf  dem  flachen  Lande  nimmt  der  proletarische  Klassen- 
kampf nicht  die  gleiche  Ausdehnung  und  Intensität  an.  Die 
Zahl  der  Proletarier  nimmt  da  nicht  auffallend  zu,  und  dem 
Proletarier  erscheint  das  Streben  nach  Erringung  eines  Klein- 
betriebes nicht  so  aussichtslos  und  sinnlos  wie  in  der  Industrie. 
Sein  Kampf  gegen  den  großen  Grundbesitz  geht  da  weniger  auf 
dessen  Verstaatlichung  als  auf  dessen  Verteilung  aus,  also 
auf  Vermehrung  und  Verstärkung  des  Privateigentums  am 
Boden,  nicht  auf  Verdrängung  dieses  Eigentums  durch  gesell- 
schaftliches. 

Diesem  Streben  wirkt  entgegen  die  fortschreitende  In- 
dustrialisierung der  Landwirtschaft  in  ihren  beiden  Formen,  der 
einen,  die  einen  landwirtschaftlichen  Betrieb  in  Verbindung  mit 
einem  industriellen  bringt,  und  der  anderen,  die  kleine  Land- 
wirte in  Lohnarbeiter  einer  auf  dem  Lande  erwachsenden  In- 
dustrie verwandelt.  Damit  werden  die  sozialistischen  Tendenzen 
der  Industrie  dem  flachen  Lande  nähergebracht. 

Darauf  wies  ich  schon  in  meiner  „Agrarfrage"  hin.  Seit- 
dem ist  aber  noch  ein  neuer,  gewaltiger  Faktor  aufgetreten.  Da- 
mals lebten  wir  in  einer  Zeit  sinkender  Lebensmittelpreise.  Das 
hörte  bald  danach  auf.  Wir  traten  in  eine  Periode  stetig  stei- 
gender Lebensmittelpreise  ein,  die  die  Not  der  städtischen 
Massen  immer  mehr  steigerte  und  schon  vor  dem  Kriege  sie 
stetig  radikalisierte.  Damit  wuchs  ihr  Gegensatz  nicht  nur 
gegen  die  industriellen  Unternehmer,  sondern  auch  gegen  den 
Grundbesitz.  Die  Vergesellschaftlichung  der  Landwirtschaft 
wurde  nun  ein  ebenso  dringendes  Interesse  der  städtischen 
Proletarier,  wie  die  Vergesellschaftlichung  der  Industrie.  Und 
jene  blieb  nicht  ein  proletarisches  Interesse,  sie  wurde  ein 
Interesse  der  gesamten  städtischen  Bevölkerung.  Dabei  ist  die 
Sozialisierung  der  Landwirtschaft  aber  sehr  wohl  vereinbar  mit 
dem  Interesse  der  großen  Mehrheit  der  Landbevölkerung,  die 
von  ihrer  Hände  Arbeit,  nicht  von  dem  Einstecken  von  Grund- 
rente lebt. 

So  wirkt  die  ökonomische  Entwicklung  ebenso  auf  dem 
Lande  wie  in  der  Stadt  in   der  Richtung   auf   den   Sozialismus, 


68 


wenn  auch  hier  mit  anderen  Methoden  als  dort.  Die  Uebergangs- 
wirtschaft,  in  der  die  Not  an  Lebensmitteln  auf  die  Spitze  ge- 
trieben sein  wird,  ist  berufen,  diesem  Entwicklungsgang  einen 
gewaltigen  Stoß  nach  vorwärts  zu  versetzen  —  vorausgesetzt, 
daß  das  industrielle  Proletariat  seine  Schuldigkeit  tut. 


69 


III. 

Landwirtschaft  und  Sozialismus 

Alle  die  gewaltigen  Hemmnisse,  die  der  Kapitalismus  der  Ent- 
wicklung der  Landwirtschaft  in  den  Weg  legt,  werden  durch 
dessen  Ueberwindung  beseitigt,  sowohl  das  Privateigentum  am 
Boden  wie  die  Lohnarbeit  und  die  koloniale  Eroberungs-  und 
Erpressungspolitik.  Damit  ersteht  die  Möglichkeit,  den  heute 
schon  sehr  hohen  und  immer  noch  steigenden  Gegensatz  zwischen 
der  möglichen  und  der  wirklichen  Produktivkraft  der  Landwirt- 
schaft zu  überwinden,  in  dieser  alle  die  enormen  Produktiv- 
kräfte zu  entwickeln,  die  ihr  der  Stand  der  theoretischen  Natur- 
erkenntnis und  der  praktischen  Technik  schon  bietet  und  zur 
Zeit  der  Eroberung  der  politischen  Macht  durch  das  Proletariat 
sicher  in  noch  höherem  Maße  bieten  wird.  Denn  Wissenschaft 
und  Technik  rasten  nicht. 

Die  Ueberwindung  des  Kapitalismus  durch  das  Proletariat 
bietet  aber  damit  nicht  nur  die  Möglichkeit,  die  Produk- 
tivkräfte der  Landwirtschaft  aufs  höchste  so  schnell  zu  entfalten, 
als  es  die  Produktivkräfte  der  Industrie  gestatten,  die  ja  der 
Landwirtschaft  die  Mittel  ihres  Aufschwunges  zu  liefern  hat; 
sie  bringt  auch  die  Notwendigkeit  mit  sich,  diesen  Auf- 
schwung möglichst  zu  beschleunigen,  weil  das  siegreiche  Prole- 
tariat trachten  muß,  mit  allen  Mitteln  die  Summe  von  Nahrung 
und  Muße  zu  vermehren,  die  für  die  Bevölkerung  erreich- 
bar ist. 

Ehe  wir  das  näher  erläutern,  sei  einem  möglichen  Mißver- 
ständnis vorgebeugt.  Wir  haben  darauf  hingewiesen,  daß  das 
Regime  des  siegreichen  Proletariats  zur  Aufhebung  des  Privat- 
eigentums am  Boden   führen  wird.     Dies  ist  nur  in  der   Weise 

70 


aufzufassen,  daß  wir  erwarten  müssen,  diese  Aufhebung  werde 
schließlich  im  Laufe  der  Entwicklung  eintreten,  die  mit  dem 
Siege  des  Proletariats  anhebt.  Keineswegs  soll  damit  gesagt 
sein,  daß  wir  forderten,  das  Proletariat  solle,  sobald  es  zur 
Macht  gelangt,  sie  sofort  dazu  benutzen,  alle  Bauern  zu  expro- 
priieren oder  gar  ihr  Land  zu  konfiszieren. 

Daran  denkt  niemand  in  der  Sozialdemokratie.  Das  allein 
wäre  indes  noch  keine  Gewähr  dafür,  daß  es  zu  einer  derartigen 
Expropriation  nicht  käme.  Wir  können  ja  nur  für  uns 
sprechen,  wissen  aber  nicht,  wer  von  uns  den  Sieg  des  Pro- 
letariats erlebt,  unter  welchen  Bedingungen  er  eintritt,  welche 
Anschauungen  die  Sieger  leiten  werden.  Es  gibt  jedoch  noch 
einen  anderen  Faktor  als  das  Wollen  und  Wünschen  der  heute 
lebenden  Sozialdemokraten,  einen  Faktor,  der  eine  viel  bessere 
Gewähr  dafür  bietet,  daß  es  zu  einer  Expropriation  der  Bauern- 
schaft nicht  kommen  wird,  und  das  ist  die  einfache  Tat- 
sache, daß  dem  Interesse  des  Proletariats  diese  Expro- 
priation nicht  nur  nicht  entspricht,  sondern  vielmehr  ent- 
gegensteht. 

Das  siegreiche  Proletariat  hat  alle  Ursache,  dafür  zu  sorgen, 
daß  die  Nahrungsmittelproduktion  ungestört  fortgeht.  Eine 
Expropriation  der  Bauern  würde  diesen  ganzen  Produktions- 
zweig in  die  tollste  Unordnung  bringen  und  das  neue  Regime 
mit  Hungersnot  bedrohen.  Die  Bauern  mögen  also  unbesorgt 
sein.  Ihre  ökonomische  Unentbehrlichkeit  wird  jede  Expro- 
priation verhüten,  ganz  abgesehen  davon,  daß  schon  die  ein- 
fachste Regel  der  Klugheit  gebietet,  sich  ohne  Not  nicht  eine  so 
starke  Bevölkerungsschicht  zu  Feinden  zu  machen. 

Die  Kleinbauern  werden  durch  den  Sieg  des  Sozialismus 
nichts  verlieren,  sie  können  dadurch  nur  gewinnen.  Erst  durch 
ihn  werden  die  Gegensätze  der  kapitalistischen  Nationen  aus 
dem  Wege  geräumt,  die  die  wachsenden  Kriegsrüstungen  und 
Kriegsdrohungen  erzeugen;  erst  durch  ihn  werden  die  Bedin- 
gungen der  Abrüstung  und  des  so  heiß  ersehnten  ewigen  Frie- 
dens geschaffen.  Dadurch  wird  niemand  so  sehr  entlastet  wie 
der  Bauer,  denn  keine  andere  Bevölkerungsschicht  leidet  so  sehr 
unter  dem  Militarismus  wie  er. 

Das  siegreiche  Proletariat  wird  aber  auch  die  Mittel  und 
das    Interesse   haben,    den    Bauer   bei    der   technischen   Vervoll- 

71 


kommnung  seines  Betriebes  zu  unterstützen,  ihm  Dünger,  Ar- 
beitsvieh, verbesserte  Werkzeuge  zugänglich  zu  machen  und  da- 
durch die  Menge  seiner  Produkte  zu  steigern. 

Wenn  wir  erwarten,  daß  dies  nicht  zu  einer  neuerlichen 
Befestigung  der  kleinbäuerlichen  Produktionsweise  führen  wird, 
so  folgt  dies  daraus,  daß  wir  annehmen,  auch  die  größte  Ent- 
lastung und  Unterstützung  sei  nicht  imstande,  dem  bäuerlichen 
Kleinbetrieb  die  ganze  moderne  Technik  im  vollsten  Ausmaß 
zugänglich  zu  machen,  und  die  Kleinbauern  werden  dafür  früher 
oder  später,  sobald  die  sozialistische  Produktionsweise  sich  be- 
festigt hat,  selbst  freiwillig  ihre  Betriebsform  verlassen,  die 
für  sie  eine  Fessel  des  weiteren  sozialen  Aufsteigens  wird.  Die 
sozialistische  Gesellschaft  wird  alle  Ursache  haben,  ihnen  beim 
Uebergang  zu  einer  höheren  Betriebsweise  zu  helfen,  da  sie  ja 
einer  Vermehrung  ihrer  Nahrungsmittel  und  Rohstoffe  bedarf 
und  daher  dabei  aufs  stärkste  interessiert  ist. 

Dieser  Umwandlungsprozeß  wird  noch  in  anderer  Weise 
beschleunigt  werden. 

Das  sozialistische  Regime  hat  es  nicht  allein  mit  den  Klein- 
bauern zu  tun,  sondern  auch  mit  den  zahlreichen  Lohnarbeitern 
der  Landwirtschaft.  Wie  wird  es  sich  zu  jenen  Betrieben  stellen, 
die  Lohnarbeiter  im  Gange  halten? 

Die  Verehrer  des  bäuerlichen  Betriebs  um  jeden  Preis 
nehmen  an,  die  ländlichen  Lohnarbeiter  seien  wahre  Fanatiker 
des  Privateigentums  am  Boden  und  verlangten  nichts  sehnsüch- 
tiger, als  Zwergbauern  zu  werden.  Die  soziale  Revolution  sei 
für  sie  gleichbedeutend  mit  der  Zerschlagung  der  großen  Be- 
triebe und  der  Verteilung  der  daraus  gebildeten  kleinen  Betriebe 
an  die  bisherigen  Lohnarbeiter. 

Daß  heute  noch  viele  Landarbeiter  so  denken,  unterliegt 
keinem  Zweifel.  Dieses  Bedürfnis  bildet  einen  der  Gründe  der 
fortschreitenden  Zersplitterung  des  Bodens  in  manchen  Gegenden 
und  der  hohen  Preise,  die  gerade  für  kleine  Parzellen  gezahlt 
werden.  Aber  selbst  heute  schon,  wo  noch  Teuerung  und  Ar- 
beitslosigkeit den  Proletarier  bedrohen,  übt  der  eigene  Grund- 
besitz nicht  mehr  jenen  überwältigenden  Zauber  auf  den  Land- 
arbeiter aus  wie  ehedem.  Wir  sehen  es,  daß  selbst  Bauern- 
kinder lieber  in  die  Stadt  ziehen,  um  der  Oede  des  bäuerlichen 

72 


Daseins  zu  entgehen,  als  daß  sie  das  eigene  Gütchen  weiter  be- 
wirtschaften. 

In  einer  sozialistischen  Gesellschaft  wird  sich  aber,  das 
kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  die  Lage  des  industriellen  Ar- 
beiters noch  weit  günstiger  gestalten  als  die  eines  Kleinbauern, 
wieviel  sie  auch  diesem  bieten  mag. 

Das  allgemeine  Sehnen  der  heutigen  Arbeiterklasse  geht 
nicht  bloß  nach  mehr  Nahrung,  nach  besserer  Wohnung  und 
Kleidung,  sondern  auch  nach  Verringerung  der  eintönigen  Ar- 
beit der  modernen  Massenproduktion,  nach  mehr  Muße  und 
Freiheit.  Die  Muße  ist  heute  nicht  minder  ein  unentbehrliches 
Lebensmittel  geworden  wie  Fleisch  und  Brot. 

Soll  die  Produktion  gesteigert  und  gleichzeitig  die  Arbeits- 
zeit erheblich  verkürzt  werden,  dann  ist  es  unerläßlich,  nur 
die  produktivsten  Produktionsmittel  anzuwenden,  alle  weniger 
produktiven  möglichst  außer  Gebrauch  zu  setzen.  Das  wird  in 
der  Industrie  geringe  Schwierigkeiten  machen.  Auch  hier,  nicht 
bloß  in  der  Landwirtschaft,  gibt  es  noch  zahlreiche  höchst  un- 
rationelle, oft  geradezu  parasitische  kleine  Betriebe,  Sie  ver- 
schwinden nicht  innerhalb  des  Kapitalismus,  sondern  haben  die 
Tendenz,  an  Zahl  zu  wachsen,  trotz  des  siegreichen  Vordringens 
des  Großbetriebs,  ja  durch  ihn,  weil  sie  immer  mehr  zu  einer 
Erscheinungsform  der  industriellen  Reservearmee,  zu  einer  Zu- 
fluchtsstätte von  Existenzen  werden,  die  der  Großbetrieb  ar- 
beitslos macht.  Die  ungeheure  Mehrheit  dieser  zwerghaften  Be- 
triebe kann  ohne  jede  Störung  für  die  Produktion  mit  einem 
Schlage  aufgegeben  werden,  und  sie  wird  aufgegeben  in  dem 
Moment,  in  dem  in  den  großen  Betrieben  die  besten  Arbeits- 
bedingungen, reicher  Lohn  und  Sicherheit  der  Beschäftigung 
winken.  Führt  man  etwa  in  den  produktivsten  Betrieben  eine 
Verdreifachung  der  Arbeiterzahl  ein,  einen  dreimaligen  Schicht- 
wechsel im  Tage  mit  fünfstündiger  Arbeitszeit  für  jede  Schicht, 
und  vielleicht  im  Sommer  drei  Monate  lang  zweimaligen 
Schichtwechsel  im  Tage  und  Beurlaubung  der  dritten  Schicht  für 
einen  Monat,  so  daß  jeder  Arbeiter  im  Betrieb  so  lange  Ferien 
erhält  —  wer  der  kleinen  Handwerker  und  Krämer  wollte  da 
nicht  Arbeiter  in  solchem  Betrieb  sein,  wer  wollte  sich  noch 
mit  Rezepten  zur  Rettung  des  Kleinbetriebs  abgeben?  Auf  die 
schmerzloseste    Weise    wird    dieser    in    Handel    und    Industrie 


73 


verschwinden,  unter  dem  freudigen  Aufatmen  aller  kleinen,  bis- 
her anscheinend  „selbständigen"  Meister  und  Ladenbesitzer; 

Nicht  minder  aber  werden  bei  einer  derartigen  Gestaltung 
der  Industrie  auch  die  Arbeiter  vom  Lande  ihr  zuströmen,  nicht 
nur  bisherige  Lohnarbeiter,  sondern  auch  die  selbständigen  Klein- 
bauern, die  nun  jeglichen  Eigentumsfanatismus  loswerden  und 
auf  ihr  Eigentum  pfeifen,  wenn  sie  dafür  so  herrliches  Leben  ein- 
tauschen können. 

So  erwünscht  es  sein  wird,  daß  die  kleinen  Händler,  Bu- 
diker, Handwerker  ihre  für  die  Gesellschaft  zwecklosen  Betriebe 
aufgeben  und  die  Zahl  der  Arbeitskräfte  in  den  produktivsten 
Großbetrieben  der  Industrie,  und  des  Verkehrs  vermehren,  so 
gefährlich  würde  es  für  das  neue  Regime,  wenn  sich  dazu  eine 
Massenfluchl  der  landwirtschaftlichen  Bevölkerung  vom  Lande 
weg  zur  Industrie  gesellte.  Die  Ausstattung  der  ländlichen 
Lohnarbeiter  mit  Eigenbetrieben  würde  diese  Gefahr  nicht 
bannen. 

Selbst  wenn  sich  das  sozialistische  Regime  nicht  von  vorn- 
herein, wie  es  wahrscheinlich  ist,  daran  machen  sollte,  den 
Betrieb  der  Landwirtschaft  möglichst  anziehend  zu  gestalten, 
würde  es  bald  durch  die  Landflucht  gezwungen  werden,  dies  zu 
bewirken. 

Das  ist  aber  in  der  Landwirtschaft  weniger  einfach  als  in 
der  Industrie.  In  dieser  schafft  die  kapitalistische  Entwick- 
lung bereits  technisch  höchst  vollkommene  Betriebe,  Die  neue 
sozialistische  Gesellschaft  wird  in  der  Industrie  zunächst  weniger 
die  Aufgabe  haben,  neue,  höhere  Betriebe  zu  schaffen  als  die, 
überlebte  stillzusetzen  und  die  Arbeitskräfte  in  den  vollkom- 
menen zu  konzentrieren. 

In  der  Landwirtschaft  gibt  es  nur  wenige  Betriebe,  die  man 
als  vollkommene  bezeichnen  darf,  in  denen  das  Maximum 
dessen  erreicht  wird,  was  bei  dem  heutigen  Stande  der  Technik 
und  des  Wissens  geleistet  werden  könnte.  Und  diese  wenigen 
Betriebe  wären  bei  Weitem  unzureichend,  den  gesellschaftlichen 
Bedarf  an  Bodenprodukten  zu  decken.  Es  wird  heißen,  die 
ganze  Landwirtschaft  neu  zu  organisieren  und  auf  eine  höhere 
Stufe  zu  heben.  Hier  hat  die  ökonomische  Entwicklung  dem 
Sozialismus   nur   wenig    vorgearbeitet,    hier   wird   er    sich    seine 

74 


technische  Basis  erst  selbst  schaffen  müssen  —  mit  Hilfe  der 
Naturerkenntnis  und  der  Technik,  die  der  Kapitalismus  in  der 
Stadt  entwickelt  hat.  Die  technische  Umwälzung  der  städti- 
schen Industrie  durch  den  Kapitalismus,  aus  der  sich  der  So- 
zialismus erheben  wird,  kann  und  wird  ihm  die  Mittel  geben,  die 
Landwirschaft  technisch  umzuwälzen. 

Vor  allem  wird  es  wichtig  sein,  um  der  Landwirtschaft  die 
größtmöglichste  Produktivität  zu  gewähren,  den  einzelnen  Be- 
trieben jene  Maximalgröße  zu  geben,  bei  der  sie  alle  ihnen  zu 
Gebote  stehenden  Mittel  am  vollkommensten  auszunützen  ver- 
mögen. Diese  Maximalgröße  wird  nicht  für  alle  Gegenden  und 
Betriebsarten,  so  wenig  wie  für  alle  Zeiten,  die  gleiche  sein  kön- 
nen. Wir  wissen  bereits,  daß  der  Marxismus  keineswegs  be- 
hauptet, der  größere  Betrieb  sei  unter  allen  Umständen  dem 
kleineren  überlegen.  Er  behauptet  das  nicht  von  den  Betrieben 
sondern  von  den  Kapitalien. 

Es  ist  aber  kaum  anzunehmen,  daß  jemals  und  irgendwo 
für  irgendwelchen  größeren  Produktionszweig  das  Ausmaß  des 
Eigenbetriebs  eines  Ehepaars  als  die  rationellste  Maximalgröße 
oder  überhaupt  als  einigermaßen  leistungsfähige  Größe  in  Be- 
tracht kommen  könne.  Mag  das  heute  noch  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  möglich  sein,  so  nur  deshalb,  weil  es  dem 
bürgerlichen  Hirn  als  selbstverständlich  gilt,  daß  der  Arbeiter 
ein  Arbeitstier  ist  und  ausschließlich  seiner  Arbeit  lebt.  Der 
kleinbäuerliche  Familienbetrieb  verliert  seine  Lebensfähigkeit  in 
dem  Moment,  in  dem  die  Massen  der  Landbevölkerung  an- 
fangen, die  Muße  zu  den  für  sie  unentbehrlichen  Lebensmitteln 
zu  rechnen. 

Ebensowenig  wie  eine  Arbeitsteilung  erlaubt  der  klein- 
bäuerliche Familienbetrieb  einen  Schichtwechsel  —  oder  gar 
Ferien,  ein  längeres  Aussetzen  von  der  Arbeit.  Ununterbrochen, 
tagaus,  tagein,  vom  Morgen  bis  in  die  Nacht  müssen  der  Zwerg- 
bauer und  seine  Gattin  sich  schinden;  niemand  ist  da,  sie  ab- 
zulösen. 

Wenn  sich  neben  seinem  Zwergbetrieb  eine  große  land- 
wirtschaftliche Produktionsgenossenschaft  erhebt,  in  der  etwa 
während  des  Frühjahrs,  Sommers  und  Herbstes  in  drei  Schich- 
ten von  je  fünf  Stunden  gearbeitet  wird,  während  der  drei 
Wintermonate    in    zwei    Schichten,    indes    in    jedem    Monat    eine 

75 


Schicht  Ferien  hat,  wer  wollte  glauben,  daß  da  der  Kleinbauer 
daneben  noch  das  Evangelium  der  Herrlichkeit  des  bäuerlichen 
Familienbetriebs  nachbeten  wird,  das  uns  jetzt  einige  Sozialisten 
predigen?  Er  wird  alles  aufbieten,  Mitglied  der  Produktions- 
genossenschaft zu  werden. 

So  wird  das  Privateigentum  am  Boden  aufhören.  Zuerst 
für  die  großen  Betriebe,  dann  ohne  jeden  Zwang  auch  für  die 
kleinen,  die  in  den  großen  aufgehen. 

K  Mit  der  Organisierung  mehr  oder  weniger  großer  Pro- 
duktivgenossenschaften für  die  Landwirtschaft  und  der  Herab- 
setzung ihrer  Arbeitszeit  wäre  es  natürlich  noch  nicht  getan. 
Sollen  sie  ihr  Vollkommenstes  leisten,  müssen  intelligente  und 
wissenschaftlich  gebildete  Arbeitskräfte  aufs  Land,  muß  die 
Arbeit  auf  dem  Lande  für  geistig  regsame  und  gebildete  Leute 
erträglich  gemacht  werden.  Bessere  und  höhere  Schulen  sind 
dort  zu  gründen,  Bibliotheken  und  Lesezimmer,  Stätten  ge- 
selligen Kunstgenusses.  Damit  wird  das  Bedürfnis  nach 
Kirche  und  Gottesdienst  auch  auf  dem  flachen  Lande  ver- 
schwinden. 

Natürlich  müssen  die  neuen  Betriebe  aufs  beste  ausgestattet 
werden  mit  allen  Behelfen  der  modernen  Wissenschaft  und 
Technik,  was  wieder  die  Beschaffung  zahlreicher  motorischer 
Kräfte  erheischt,  die  teils  durch  Dampf,  teils  durch  Wasser- 
bauten zu  liefern  sind.  Sollen  diese  Kraftanlagen  völlig  aus- 
genutzt werden,  dann  erfordert  dies  seinerseits  eine  Verbindung 
von  Industrie  und  Landwirtschaft,  da  diese  nicht  das  ganze 
Jahr  in  gleichem  Ausmaß  motorischer  Kräfte  bedarf.  Das  gleiche 
gilt  von  den  menschlichen  Kräften.  Auch  diese  können  beim 
Vorhandensein  eines  industriellen  Betriebs  neben  dem  landwirt- 
schaftlichen gleichmäßiger  beschäftigt  werden. 

Die  Verlegung  der  Industrie  aufs  flache  Land,  die  im  Inter- 
esse der  Steigerung  der  Produktivität  der  gesellschaftlichen  Ar- 
beit liegt,  wird  aber  auch  den  geistigen  Bedürfnissen  der  länd- 
lichen wie  der  industriellen  Arbeiter  entsprechen.  Diese  kommen 
dadurch  leichter  in  Verbindung  mit  der  Natur,  für  jene  wird  mit 
der  Verdichtung  der  Bevölkerung  auf  dem  Lande  die  Möglich- 
keit mannigfaltigerer  Geselligkeit  und  freien  Genießens  und 
Produzierens  in  Kunst  und  Wissenschaft  vermehrt. 


76 


Es  wird  eine  gewaltige  Umwälzung  der  Landwirtschaft  sein, 
die  der  Sozialismus  auf  diese  Weise  bewirkt.  Sie  wird  nicht 
ausschließlich  die  Erzeugung  der  Bodenprodukte  erhöhen;  weit 
mehr  wird  sie  für  die  landwirtschaftliche  Bevölkerung  das  Aus- 
maß ihrer  Muße  vergrößern,  sie  wird  sie  aus  Lasttieren,  die  sie 
heute  sind,  zu  freien  Menschen  machen. 

Allenthalben  wird  diese  Umwälzung  der  Landwirtschaft  eine 
tiefgehende  sein.  Aber  noch  riesenhafter  als  in  den  Industrie- 
ländern wird  die  umwälzende  Wirkung  des  Sozialismus  in  den 
primitiven  Agrarländern  auftreten,  weil  dort  der  Unterschied 
zwischen  der  wirklichen  und  der  möglichen  Produktivität  der  Ar- 
beit ein  viel  größerer  ist,  der  Sprung  von  jener  zu  dieser  also  ein 
noch  weit  mächtigerer. 

Ebensosehr  wie  die  kapitalistische  muß  die  sozialistische 
Gesellschaft  trachten,  die  Ueberschüsse  an  Bodenproduktion  zu 
erhöhen,  die  die  Landwirtschaft  liefert.  Aber  sie  kann  nur  noch 
die  Methoden  der  Produzierung  des  relativen,  nicht  mehr  die 
der  Produzierung  des  absoluten  Mehrproduktes  anwenden.  Sie 
befreit  die  Bewohner  der  Agrarländer  von  der  auf  ihnen  lasten- 
den und  sie  ruinierenden  kapitalistischen  Ausbeutung,  um  ihrer 
Landwirtschaft  neues  Leben  einzuflößen  und  sie  auf  die  höchste 
Stufe  der  Vollkommenheit  durch  Zuführung  des  modernen 
Wissens  und  der  modernen  Technik  zu  bringen. 

Dazu  bedarf  es  keiner  Kolonialpolitik,  keiner  Eroberung, 
keines  Zwanges.  Mittel  zur  Vermehrung  der  Produktion  und 
zur  Ersparnis  der  Arbeit  nimmt  jeder  gern  entgegen;  die  rück- 
ständigen Völker  wenden  sich  gegen  die  modernen  Produktions- 
mittel nur  dort,  wo  sie  ihnen  als  Mittel  der  Ausbeutung  und 
Knechtung  entgegentreten.  Gerade  die  Aufhebung  jeden  Zwan- 
ges ist  die  erste  Vorbedingung,  den  modernen  Produktionsmitteln 
raschen  Zugang  in  den  agrarischen  Ländern  zu  eröffnen.  In 
einer  sozialistischen  Gesellschaft  wird  die  Ausbreitung  der  mo- 
dernen Produktionsmethoden  innerhalb  der  agrarischen  Länder 
in  demselben  Tempo  vor  sich  gehen  können,  in  dem  die  Industrie 
der  Industrieländer  die  erforderlichen  Produktionsbehelfe  sowie 
die  Mittel  ihres  Transportes  beschafft,  und  in  dem  die  geistige 
Bildung  der  Bevölkerung  in  den  Agrarstaaten  die  zur  Anwen- 
dung dieser  Produktionsbehelfe  erforderliche  Höhe  erreicht.  Wir 


77 


haben  keine  Ursache,  anzunehmen,  daß  der  zweite  Faktor  lang- 
samer fortschreiten  wird  als  der  erstere. 

Die  überlegene  Klugheit  irgendeines  weisen  Realpolitikers 
wird  auch  hier  wieder  meine  „Phantasien"  mit  der  Bemerkung 
verspotten  wollen,  ich  erwartete,  daß  die  sozialistische  Gesell- 
schaft ohne  weiteres  den  Kongonegern  Dampfpflüge  zur  Ver- 
fügung stellen  werde,  um  damit  den  Urwald  zu  pflügen. 

Solche  erhabene  Kritiker  mögen  bedenken,  daß  zu  den 
Agrarländern,  die  hier  in  erster  Linie  in  Betracht  kommen, 
Länder  gehören,  in  denen  modernes  Wissen  heute  schon  nicht 
ganz  unbekannt  ist:  Irland  wie  Spanien,  Süditalien  wie  Ungarn, 
Rumänien  und  Rußland,  die  Balkanländer,  Kleinasien,  Persien, 
Aegypten,  Ostindien,  die  tropischen  und  subtropischen  Länder 
Amerikas.  Bis  es  gelungen  ist,  in  allen  diesen  Ländern  die 
kulturfähige  Fläche  auf  die  Höhe  moderner  Produktivität  zu 
bringen,  bis  nur  alle  die  Anlagen  der  Entwässerung  hier  und  der 
Bewässerung  dort  vollendet  sind,  die  Aufforstung  in  den  einen 
und  die  Rodung  von  Urwald  in  anderen,  und  ihre  allgemeine 
Ausstattung  mit  den  besten  Produktionsbehelfen  und  aus- 
giebigen motorischen  Kräften  vollzogen  ist  —  bis  wir  so  weit 
sind,  wird  wohl  einige  Zeit  vergehen,  die  vielleicht  genügen 
wird,  auch  bei  den  Kongonegern  die  Bedingungen  zur  Anwen- 
dung des  Dampfpflugs  zu  schaffen  —  wenn  es  bis  dahin  noch 
einen  solchen  geben  und  nicht  ein  weit  wirksamerer  und  ein- 
facherer Apparat  ihn  verdrängt  haben  sollte.  Jedenfalls  liegt 
nicht  die  mindeste  Notwendigkeit  vor,  mit  der  Verbreitung  des 
Dampfpflugs  in  agrarischen  Gebieten  gerade  bei  den  Kongo- 
negern zu  beginnen. 

Das  Tempo  des  ungeheuren  Prozesses  der  Umwälzung  und 
Modernisierung  der  Landwirtschaft  in  der  sozialistischen  Ge- 
sellschaft hängt  von  der  Masse  der  Produktionsbehelfe  ab,  die 
die  Industrie  für  die  Landwirtschaft  zu  liefern  vermag.  Der 
größte  Teil  der  Arbeitskräfte  der  Metallindustrie  und  des  Bau- 
gewerbes, die  heute  der  Erweiterung  der  Großstädte  sowie  dem 
Kriegswesen  dienen,  sie  werden  dann  dazu  verwendet  werden, 
Bauten,  Maschinen,  Werkzeuge  für  die  Landwirtschaft  zu 
schaffen.  Der  Sieg  des  industriellen  Proletariats,  er  wird  schließ- 
lich am  meisten  der  Landwirtschaft  zugute  kommen  und  der  land- 
wirtschaftlichen Bevölkerung  ein  höheres  Dasein  bringen. 


78 


Der  Kapitalismus  hat  im  neunzehnten  Jahrhundert  vor  allem 
und  fast  ausschließlich  Industrie  und  Verkehr  umgewälzt;  der 
Sozialismus,  dem  hoffentlich  noch  der  größte  Teil  des  zwan- 
zigsten Jahrhunderts  gehören  wird,  muß  viel  mehr  die  Land- 
wirtschaft als  die  Industrie  umwälzen. 

Nichts  verkehrter,  als  der  Sozialdemokratie  Feindseligkeit 
oder  auch  nur  Gleichgültigkeit  gegenüber  der  Landwirtschaft  an- 
zudichten. Nicht  der  Landwirtschaft  gilt  unsere  Gegnerschaft, 
sondern  der  Grundrente,  die  von  müßigen  Grundbesitzern  und 
Wucherkapitalisten  eingesackt  wird.  Nicht  gegen  den  Klein- 
bauernstand wenden  wir  uns,  wohl  aber  gegen  jene,  die  den 
Landarbeitern  einreden  wollen,  ihr  Endziel  habe  die  Existenz 
des  Kleinbauern  zu  bilden;  darauf  hin  sollten  sie  mit  aller 
Macht  streben  und  alle  ihre  Kraft  konzentrieren.  Das  heißt 
ihnen  die  ewige  Arbeitsfron  zum  Endziel  setzen,  es  heißt  aber 
auch,  ihre  Widerstandskraft  gegenüber  ihren  Ausbeutern  in  der 
Gegenwart  herabsetzen,  denn  ihre  wirksamste  Waffe  ist  die 
drohende  Versagung  der  Arbeit  durch  Auswanderung,  und  diese 
Waffe  legen  sie  aus  der  Hand,  sobald  sie  sich  an  die  Scholle 
binden. 

Der  Prozeß  der  Umwälzung  der  Landwirtschaft  durch  die 
Industrie,  der  mit  dem  Siege  des  Proletariats  beginnen  muß,  ist 
ein  so  riesenhafter,  daß  er  nicht  so  bald  zu  einem  Abschluß,  ja 
nicht  einmal  zur  Verlangsamung  kommen  kann.  Sein  Tempo 
hängt  in  erster  Linie  von  der  Menge  Arbeitskräfte  ab,  die  der 
Industrie  zur  Verfügung  stehen.  Je  rascher  diese  wachsen,  desto 
rascher  werden  sich  die  Produktivkräfte  der  Landwirtschaft 
entfalten.  Auch  wenn  die  heute  schon  in  Anbau  genommene 
Kulturfläche  der  Welt  nicht  erweitert  würde,  wenn  hygienische, 
technische,  ästhetische  Rücksichten  nicht  erlauben  würden,  sie 
auf  Kosten  des  Waldes  im  ganzen  weiter  auszudehnen,  wenn 
dieser  hier  gewinnen  sollte,  was  er  dort  verliert;  und  auch 
wenn  der  Drang  nach  Muße  die  allgemeine  Arbeitszeit  für  die 
notwendigen  Arbeiten  weit  unter  deren  jetzige  Ausdehnung 
herabsetzen  wird;  auch  dann  wird  die  Lebensmittelproduktion 
rasch  zunehmen,  denn  im  Vergleich  zu  der  heute  schon  möglichen 
Produktivität  der  landwirtschaftlichen  Arbeit  ist  deren  wirkliche 
Produktivität  in  fast  allen  Ländern,  außer  den  alten  kapita- 
listischen Industrieländern  noch  winzig.     Solange  dieser  Unter- 

79 


schied  zwischen  wirklicher  und  möglicher  Produktivität  der 
landwirtschaftlichen  Arbeit  nicht  ausgeglichen  ist,  wird  jede 
neue  Arbeitskraft,  die  der  Industrie  hinzugefügt  wird,  eine  Ver- 
mehrung der  Produktivkräfte  für  die  Landwirtschaft,  eine  Ver- 
mehrung ihrer  Produktivität  und  ihrer  Ueberschüsse,  also  auch 
des  Nahrungsspielraums  bedeuten  können.  Wie  sehr  sich  dieser 
noch  ausdehnen  läßt,  dafür  nur  einige  Andeutungen. 

Niemand  wird  behaupten  wollen,  daß  die  deutsche  Land- 
wirtschaft auf  der  Höhe  der  Vollkommenheit  stehe.  Eine  jüngst 
veröffentlichte  Untersuchung  der  Frage,  ob  „die  deutsche  Land- 
wirtschaft unter  dem  Drucke  des  Gesetzes  vom  abnehmenden 
Bodenertrag  steht",  schließt  der  Verfasser,  Dr.  J.  Rybark,  mit 
den  Worten: 

„Wer  Land  und  Leute  kennt  und  weiß,  wie  viele  Bauernhöfe,  ja 
selbst  größere  Güter  es  gibt,  wo  noch  kein  Körnchen  künstlicher  Dünger 
hineingekommen  ist,  wo  seit  Großvaters  Zeiten  dieselbe  Getreide-  und 
Kartoffelsorte  gebaut  wird,  wo  die  Ackergeräte  dürftig,  die  Boden- 
bearbeitung mangelhaft  ist,  wo  Stallmistpflege,  Fruchtfolge  und  son- 
stige technische  und  wirtschaftliche  Maßnahmen  an  Rationalität  noch 
viel  zu  wünschen  übrig  lassen,  der  ist  sich  darüber  klar,  daß  die 
deutsche  Landwirtschaft  als  Ganzes  trotz  aller 
Fortschritte  noch  lange  nicht  auf  dem  Punkte  an- 
gelangt ist,  wo  größere  Erträge  nur  mit  unverhält- 
nismäßig höheren  Kosten  erzielt  werden  könne n." 
(Zeitschrift  für  Sozialwissenschaft,  S.  445,  1909,) 

Das  gleiche  gilt  von  England: 

„Vom  englischen  Landwirt  wird  .  .  .  gesagt,  daß  er  ein  guter  Vieh- 
züchter sei,  aber  im  eigentlichen  Ackerbau  nicht  ganz  mit  der  Zeit 
fortgeschritten  und  im  Gebrauch  des  Kunstdüngers  noch  wenig  erfahren 
ist.  Dies  kommt  wohl  zum  Teil  von  der  Rückständigkeit  des  landwirt- 
schaftlichen Unterrichtes,  dürfte  aber  auch  mit  .  .  .  den  kurzen  und 
unsicheren  Pachtverträgen,  durch  welche  angebrachte  Meliorationen 
nicht  ausreichend  vergütet  werden,  in  Zusammenhang  stehen."  (Ad. 
Mayer,  Ueber  den  Erfolg  der  Reform  der  Pachtgesetzgebung  in  Eng- 
land, Zeitschrift  für  Sozialwissenschaft,  S.  660,   1909.) 

Wie  weit  zurück  noch  die  europäische  Landwirtschaft  is{, 
wie  wenig  sie  sich  noch  von  den  technischen  Fortschritten  an- 
geeignet hat,  bezeugt  uns  unter  anderem  ein  Vortrag,  den  Dr. 
Ed.  v.  Seidl  am  16.  Februar  1910  an  der  Wiener  Hochschule 
für  Bodenkultur  gehalten  hat.  Er  hat  seit  1889  einen  Guts- 
komplex in  Mähren  gepachtet,  der  2135  Hektar  umfaßt,  und  be- 

80 


wirtschaftet  ihn  mit  ausreichendem  Kapital  nach  modernen  Prin- 
zipien, ohne  dabei  alle  Neuerungen  einzuführen.  Die  Elektri- 
zität zum  Beispiel  spielt  bei  ihm  noch  keine  Rolle,  Der  Boden 
des  Gutes  ist  nicht  besonders  günstig,  zum  Teil  sumpfig,  zum 
Teil  stark  geneigt,  die  Ackerflächen  mit  vielen  Parzellen  anderer 
Besitzer  gemischt,  oft  klein  und  unregelmäßig.  Die  Arbeiter, 
zum  Teil  slowakische  Wanderarbeiter,  deren  Arbeit  gering- 
wertig, die  Nachbarn  jedem  Fortschritt  feindlich,  was  zum  Bei- 
spiel die  Dränage  sehr  erschwert.  Und  doch  gelang  es  Seidl, 
seit  1890  durch  Anwendung  von  Maschinen  und  Ergebnissen  der 
modernen  Chemie  und  Biologie  die  Produktivität  des  Gutes  ge- 
waltig zu  steigern. 

Wie  eine  einzige  Verbesserung  wirken  kann,  zeigt  der  Er- 
folg der  Trocknung  der  Rübenschnitte,  die  als  Viehfutter 
dienen: 

„Die  Rübenschnittrocknung  allein  gibt  mir  aus  derselben 
Rübenmenge  Schnittfutter  für  1000  Mastochsen  im  Jahre  mehr 
als  früher,  wo  ich  nur  nasse  Schnitte  verfütterte." 

Hätten  alle  200  Zuckerfabriken  Oesterreichs  diese  Methode 
eingeführt,  so  könnten  sie  an  200  000  Ochsen  im  Jahre  mehr  mit 
denselben  Erträgnissen  füttern.  Aber  erst  etwa  ein  Dutzend  Fa- 
briken wendet  das  Verfahren  an. 

Nicht  minder  wichtig  ist  ein  Verfahren  der  Strohaufschlie- 
ßung, das  nicht  nur  jede  Art  Stroh  sondern  auch  Kartoffelkraut 
in  gutes  Viehfutter  verwandelt.  Seidl  führte  die  Methode  1905 
ein  und  konnte  seitdem  die  dem  Futterbau  gewidmete  Fläche 
von  430  Hektar  auf  250  reduzieren. 

Nicht  minder  bedeutend  wie  in  der  Produktion  von  Vieh- 
futter waren  Seidls  Erfolge  auf  dem  des  Körnerbaus: 

„Düngung,  zeitgemäße  Bodenbearbeitung  (für  80  000  Kronen 
Dampfpflüge!)  und  richtige  Sortenauswahl  ermöglichten  es  mir,  .  .  .  die 
Gelreideproduktion  von  9000  Meterzentner  auf  27  000  Meterzentner 
pro   Jahr,   also   auf   das   Dreifache,   zu   steigern. 

Ich  ließ  aber  auch  die  Fortschritte  auf  dem  neu  erschlossenen  Ge- 
biete der  Pflanzenzüchtung  keineswegs  außer  acht  ...  Es  ist  gelungen, 
aus  einer  Landrasse  von  Winterroggen  ein  Saatkorn  zu  erzielen,  das 
im  Vorjahr  auf  5  Hektar  33  Meterzentner  und  im  letzten  Jahre  im 
feldmäßigen  Anbau  sogar  37  Meterzentner  pro  Hektar  ergab." 

Kautsky,  Landwirtschaft     6  gl 


Dabei  war  im  Vorjahr  im  allgemeinen  die  Ernte  keine 
gute. 

Im  Durchschnitt  wurden  in  Mähren  während  des  letzten 
Jahrfünfts  jährlich  13,4  Meterzentner  pro  Hektar  geerntet!  Im 
Deutschen  Reiche  im  Durchschnitt  der  Jahre  von  1899  bis  1907 
auch  nur  15,5  Meterzentner. 

Die  Erzielung  dieser  hohen  Erträge  war  keineswegs  eine 
kostspielige  Spielerei.  Herr  Seidl  ist  ein  guter  Geschäftsmann. 
Die  Höhe  seiner  Profite  freilich  verschweigt  er.  Aber  er  sagt 
uns  doch,  daß  seine  jährlichen  Einnahmen  von  1889  bis  1909  von 
420  000  Kronen  auf  798  000  stiegen,  die  Ausgaben  für  Arbeits- 
löhne dagegen  nur  von  100  000  auf  157  000.  Sie  waren  bis  1906 
auf  189  000  Kronen  gewachsen,  seitdem  durch  Einführung  von 
Maschinen  um  32  000  Kronen  herabgedrückt  wordenl 

Aber  freilich,  Kapital  mußte  in  das  Gut  hineingesteckt  wer- 
den. Mit  den  Mitteln  bäuerlicher  Wirtschaft  wäre  die  Steige- 
rung nicht  zu  erzielen  gewesen. 

Betriebe  wie  der  Seidische  sind  nicht  das  letzte  Wort  der 
modernen  landwirtschaftlichen  Technik.  Trotzdem  bilden  auch 
sie  noch  sehr  vereinzelte  Erscheinungen. 

Wie  weit  stehen  aber  noch  andere  Länder,  die  Korn- 
kammern der  Welt,  hinter  Deutschland  und  England  zurück! 

Nach  der  Statistik  des  englischen  landwirtschaftlichen  Amtes 
betrug  im  Durchschnitt  der  letzten  fünf  Jahre  (bis  1907)  der 
Weizenertrag  pro  Acre  in  Busheis  in: 

Großbritannien 31,32 

Deutschland 29,59 

Belgien     34,09 

Dagegen: 

Vereinigte   Staaten     13,57 

Argentinien 10,58 

Australien     8,76                    i 

Europäisches  Rußland  (ohne  Polen)  .  .  9,72 

Indien    , 11,44 

Der  Ertrag  der  letztgenannten  Länder  ließe  sich,  nach 
diesen  Zahlen  zu  urteilen,  also  schon  verdreifachen,  auch  wenn 
man  sie  bloß  mit  jenen  Hilfsmitteln  ausstattete,  die  heute  schon 
in  England  und  Deutschland  allgemein  angewandt  werden.  Die 
technisch    mögliche    Steigerung    ginge    weit    darüber    hinaus, 

82 


Andererseits  könnte  man  die  für  menschliche  Nahrungs- 
mittel bereitstehende  Bodenfläche  erheblich  vermehren,  wenn 
man  das  Pferd  durch  mechanische  motorische  Kräfte  ersetzte. 
Im  Deutschen  Reiche  sind  nicht  ganze  zwei  Millionen  Hektar 
mit  Weizen  bebaut,  dagegen  über  vier  Millionen  mit  Hafer, 
in  Rußland  mit  diesem  fast  siebzehn  Millionen,  in  den  Vereinig- 
ten Staaten  dreizehn  Millionen. 

Wieviel  Boden  durch  Entwässerungs-  und  Bewässerungs- 
anlagen gewonnen  werden  kann,  dafür  nur  einige  Angaben,  Im 
Deutschen  Reiche  umfassen  die  Hochmoore  allein  27  500  Qua- 
dratkilometer —  mehr  als  das  Rheinland,  mehr  als  der  Weizen- 
boden des  ganzen  Reiches.  Das  Sumpfland  der  Vereinigten 
Staaten  umfaßte  1900  75  Millionen  Acres,  dagegen  der  mit 
Weizen  besäte  Boden  bloß  50  Millionen. 

Ueber  das  Terrain,  das  durch  künstliche  Bewässerung  in  den 
Vereinigten  Staaten  zu  gewinnen  ist,  zitiert  Simons  aus  dem  Be- 
richt einer  Kommission  des  Senats: 

„Mehr  als  zwei  Fünftel  des  Gebiets  der  Vereinigten  Staaten,  ab- 
gesehen von  Alaska,  erfordern  Bewässerungsanlagen,  sollen  sie  regel- 
mäßige Ernten  liefern,  und  in  wenigstens  vier  Fünfteln  dieser  Land- 
striche ist  die  künstliche  Bewässerung  Vorbedingung  jeglicher  Pro- 
duktion auf  ihnen.  Die  dürre  Region  umfaßt  1  200  000  bis  1  300  000 
(englische)  Quadratmeilen,  sie  ist  um  ein  Drittel  größer  als  Britisch- 
indien und  diesem  im  allgemeinen  Charakter  sehr  ähnlich  .  .  .  Die 
Zeugen  sind  einig  in  der  Erklärung,  daß  ein  Acre  Boden  in  Montana 
unter  Bewässerung  an  Produktivkraft  ebensoviel  besitzt  wie  drei  bis 
fünf  Acres  in  den  feuchten,   dem  Regen  ausgesetzten  Staaten." 

Dieses  Gebiet  umfaßt  rund  1000  Millionen  Acres  —  gegen- 
über den  rund  50  Millionen  Weizenboden  der  Vereinigten 
Staaten;  es  liefert  schon  bei  den  jetzt  dort  üblichen  Methoden 
des  Anbaus  im  Durchschnitt  35  Bushel  Weizen  pro  Acre,  gegen- 
über dem  Durchschnitt  der  Vereinigten  Staaten  von  13%  Bushel. 
Man  kann  sich  vorstellen,  welch  ungeheure  Erweiterung  des  Nah- 
rungsspielraums die  Bewässerung  dieses  Gebiets  ergeben  muß. 
1899  waren  davon  rund  7  Millionen  Acres  unter  Bewässerung. 
Die  Bewässerungsbauten  hatten  64  Millionen  Dollars,  etwas  über 
250  Millionen  Mark,  gekostet,  der  jährliche  Wert  der  Ernten 
belief  sich  auf  84  Millionen  Dollars,  fast  350  Millionen  Mark. 
(Vergleiche  darüber  A.  M.  Simons,  The  American  Farmer, 
5.  176  ff.,  Chicago  1902.) 


6* 


83 


Und  ähnliches  kann  in  den  Mittelmeerländern  erreich i 
werden  sowie  in  Mesopotamien,  im  tropischen  Afrika  und 
Amerika. 

Solange  dieser  Prozeß  fortdauert,  kann  von  einer  Ueber- 
völkerung  keine  Rede  sein,  wie  rasch  auch  die  Bevölkerung  an- 
wachsen mag.  Es  ist  aber  sicher  nicht  übertrieben,  wenn  wir 
erwarten,  dieser  ganze  riesenhafte  Prozeß  der  Umwälzung  der 
Landwirtschaft  der  gesamten  Erde  durch  den  Sozialismus  werde 
auch  nach  einem  Jahrhundert  noch  nicht  beendet  sein. 


84 


Der  Bauer  als  Erzieher 


Vorbemerkung 


Den  allgemeinen  theoretischen  Darlegungen  Kautskys  lassen 
wir  einige  praktisch  polemische  Ausführungen  folgen,   die 
der   sozialistische    Gutsbesitzer   A.    Hofer    vor     Jahren    in     der 
„Neuen  Zeit"  (27.  Jahrgang,  2.  Band)  veröffentlichte. 

Die  mehr  parteipolitischen  Auseinandersetzungen  aus  dieser 
Artikelserie  haben  wir  fortgelassen. 

Bei  der  heutigen  wirtschaftlichen  Lage  Deutschlands  ist  die 
Entscheidung,  ob  Groß-  oder  Kleinbetrieb,  von  weittragender 
praktischer  Bedeutung.  Die  Darstellung  Hofers,  die  Gegenüber- 
stellung des  Groß-  und  Kleinbetriebes  bei  der  Ausführung  der 
landwirtschaftlichen  Arbeiten  im  Wandel  des  Jahres  erläutert 
anschaulicher  als  alles  Theoretisieren  did  technische  Ueber- 
legenheit  des  ländlichen  Großbetriebes,  die  durch  den  Krieg 
eher  noch  gesteigert  als  verringert  wurde.  Mögen  die  ange- 
führten Zahlen  heute  nicht  mehr  zutreffen,  so  ändert  das  nichts 
an  dem  technisch-wirtschaftlichen  Verhältnis  von  Groß-  und 
Kleinbetrieb,  da  die  Ausgaben  bei  beiden  gleichmäßig  gestiegen 
sind.  Die  Sozialisierung  hingegen  wird  eine  Reihe  von  Schranken 
hinwegräumen,  die  es  bisher  verhinderten,  daß  die  technischen 
Vorteile  des  ländlichen  Großbetriebes  sich  in  vollem  Maße  wirt- 
schaftlich geltend  machten.  Bei  der  erklärlichen  Unkenntnis 
großstädtischer  Leser  über  die  Einzelheiten  des  ländlichen  Be- 
triebes und  über  die  wissenschaftlichen  Errungenschaften  der 
Agrikultur-Chemie  und  der  Agrartechnik  und  bei  dem  begreif- 
lichen Hang  der  Kleinstadt-  und  Landbewohner  zur  romantischen 
Betrachtung  der  bäuerlichen  Wirtschaft  sind  diese  nüchtern 
sachkundigen  Ausführungen    eines    praktischen    Landwirts    mit 

87 


nationalökonomischer  Bildung  und  praktisch  politischer  Schu- 
lung heute  von  besonderem  Interesse  als  ein  wichtiger  Beitrag 
zur  Kernfrage  unserer  landwirtschaftlichen  Entwicklung.  So- 
zialisierung landwirtschaftlicher  Großbetriebe  oder  Zerschlagung 
vorhandener  Großwirtschaften  in  Mittel-  und  Kleinbetriebe.  Ge- 
rade der  lebhaft  polemische  Charakter  der  Hoferschen  Ausfüh- 
rungen ergänzt  Kautskys  Schrift  sehr  glücklich,  und  viele  Punkte, 
die  Kautsky  nur  flüchtig  berührt,  werden  hier  ausführlicher  be- 
handelt. Hofer  stellt  einen  Großbetrieb  von  3000  Morgen  einer 
Anzahl  Kleinbetriebe  von  gleichem  Flächenumfang  gegenüber 
und  untersucht,  wie  sich  die  Bearbeitung  des  Bodens  von  der 
Aussaat  bis  zur  Ernte  nun  praktisch  gestaltet. 


88 


Der  Bauer  als  Erzieher 

Von  A.  H  o  f  er 


1.  Die  Ausrüstung  der  Wirtschaft 

Wir  wollen  uns  die  Sache  an  der  Hand  eines  Beispieles  aus 
der  heutigen  kapitalistischen  Gesellschaft  klarzumachen 
versuchen.  Nehmen  wir  eine  Fläche  von  750  Hektar  oder 
3000  Morgen.  Diese  Fläche  kann  unter  den  heutigen  Verhält- 
nissen mit  Pferdebetrieb  in  Großwirtschaft  noch  rationell  be- 
wirtschaftet werden,  vorausgesetzt,  daß  die  Besitzung  gut  arron- 
diert ist,  das  heißt  daß  das  Gutsgehöft  von  allen  Grenzpunkten 
möglichst  gleichmäßig  entfernt  liegt. 

Nehmen  wir  also  an,  diese  3000  Morgen  wären  kahles  Land, 
meinetwegen  von  einer  noch  viel  größeren  Besitzung  oder  von 
einer  Staatsdomäne  abgetrennt,  und  ständen  zum  Verkauf.  Nun 
kauft  ein  einzelner  Geldbesitzer  diesen  Landkomplex,  um  ihn  im 
Großbetrieb  zu  bewirtschaften. 

Er  wird  zunächst  möglichst  in  der  Mitte  dieser  750  Hektar 
die  passendste  Stelle  für  das  zu  errichtende  Gehöft  aussuchen. 
Natürlich  hat  er  die  Baugrundverhältnisse,  Höhenlage  und 
Wasserverhältnisse  zu  berücksichtigen.  Ein  gewisser  Spielraum 
ist  ihm  in  der  Auswahl  der  Hofstelle  gegeben.  Nun  beginnt  das 
Bauen.  Es  werden  gebaut  3  Ställe  ä  20  000  Mark,  3  Scheunen 
a  15  000  Mark,  ferner  10  Wohnhäuser  mit  allem  Zubehör,  und 
zwar  9  Vierfamilienhäuser  und  ein  Wohnhaus  für  den  Besitzer. 
Die    Baukosten    dieser    10    Wohnhäuser    berechnen    wir    durch- 


89 


schnittlich  mit  je  10O00  Mark.  Wir  haben  jetzt  im  ganzen  für 
den  Gehöftaufbau  die  Summe  von  205  000  Mark  verwendet.  Nun 
fehlen  noch  Schmiede,  Speichereinrichtung  und  vielleicht  noch 
ein  paar  Schuppen  für  Geräteaufbewahrung  usw.  Dazu  soll  unser 
Großbesitzer  noch  weitere  45  000  Mark  verwenden.  Er  hat  jetzt 
250  000  Mark  hineingesteckt  und  sein  Gehöft  in  modernster 
Weise  allen  Erfordernissen  entsprechend  aufgebaut. 

Nun  wird  an  geeigneter  Stelle  der  Brunnen  angelegt  und 
zugleich  Wasserleitung  eingerichtet  nach  sämtlichen  Ställen,  nach 
dem  Herrenhaus  und  zu  den  Leutewohnungen.  Diese  Einrich- 
tungen nebst  den  Kosten  für  den  Brunnen  dürften  5000  Mark  be- 
tragen. Ein  guter  Weg  bis  zur  nächsten  öffentlichen  Straße  wird 
ebenfalls  an  geeigneter  Stelle  angelegt.  Für  seine  Hofstelle  und 
zu  dem  Wege  hat  unser  Besitzer  etwa  15  Morgen  seines  Landes 
opfern  müssen.  Nehmen  wir  an,  der  Preis  beträgt  pro  Morgen 
Land  200  Mark,  so  muß  er  sich  3000  Mark  für  diesen  Zweck  zur 
Last  schreiben.  Jetzt  mietet  er  sich  36  Arbeiterfamilien,  mit 
diesen  kann  er  unter  moderner  Anwendung  von  Maschinen  seine 
3000  Morgen  bearbeiten,  60  Arbeitspferde  dürften  für  diesen 
Landkomplex  ebenfalls  vollkommen  genügen.  Er  wird  die 
Pferde  pro  Stück  mit  400  Mark  durchschnittlich  bezahlen,  also 
24  000  Mark  für  diesen  Zweck  aufwenden.  Für  diese  60  Pferde 
braucht  er  eine  entsprechende  Anzahl  Geschirre.  Das  wird  pro 
Pferd  eine  Ausgabe  von  20  Mark  bedeuten.  Nun  muß  er  sich 
20  Arbeitswagen  ä  100  Mark  besorgen  und  für  den  Winter 
30  Arbeitsschlitten,  die  etwa  25  Mark  pro  Stück  kosten.  Für 
Wagen  und  Schlitten  zum  persönlichen  Bedarf  opfert  unser 
Großbesitzer  ebenfalls  3000  Mark. 

Nun  kommen  die  Ackergerätschaften  an  die  Reihe.  Unser 
Großbesitzer  braucht  für  15  Gespanne  Eggen  und  Pflüge,  er 
braucht  3  bis  4  Ackerwalzen,  ein  paar  Häufelzöche,  2  Drill- 
maschinen, 1  Düngerstreumaschine,  2  Kleesämaschinen,  5  bis 
6  Pferderechen,  1  Heuwender,  4  bis  5  Grasmähmaschinen,  eben- 
soviel Getreidemäher,  1  Kartoffelaushebemaschine  und  noch 
manche  andere.  Für  diese  Gerätschaften  und  Maschinen  werden 
etwa  15  000  Mark  aufzuwenden  sein. 

Nun  fehlen  noch  die  Maschinen,  die  auf  dem  Hofe  Verwen- 
dung finden.  Da  ist  zunächst  der  Dampfdreschsatz,  Lokomobile 
mit  Dreschmaschine,    die   zusammen   etwa    10  000    Mark   kosten 


90 


dürften,  Häckselmaschine,  ebenfalls  durch  die  Lokomobile  zu 
treiben,  500  Mark  und  Einrichtung  zur  Mahlmühle  etwa  1000 
Mark.  Für  Maschinen  und  Geräte,  die  auf  dem  Speicher  und 
zur  eigenen  Reinigung  des  Getreides,  speziell  Saatgetreides,  Ver- 
wendung finden,  können  wir  ebenfalls  noch  1000  Mark  an- 
setzen. 

Nun  ist  noch  die  Dunggrube  an  geeigneter  Stelle  auf  dem 
Hofe  anzulegen;  die  Herstellung  derselben  dürfte  ebenfalls  noch 
500  Mark  erfordern,  dann  ist  das  nötige  Nutzinventarium  anzu- 
schaffen, und  der  Betrieb  kann  beginnen. 

Rechnen  wir  nun  zusammen,  welches  Kapital  gebraucht  wird 
für  Gebäude,  lebendes  und  totes  Arbeitsinventar,  bis  der  Be- 
sitzer dieser  3000  Morgen  den  Betrieb  in  der  Großwirtschaft  auf- 
nehmen kann,  so  erhalten  wir  die  Summe  von  316  900  Mark. 

Nehmen  wir  jetzt  den  anderen  Fall.  Die  in  Betracht  kom- 
menden 750  Hektar  resp.  3000  Morgen  Land  würden  nicht  von 
einem  einzelnen  Kapitalbesitzer,  der  im  Großbetrieb  wirtschaften 
will,  sondern  von  kleinen  Leuten  gekauft.  Diese  Leute  wollen 
aber  nur  so  viel  Land,  wie  sie,  das  heißt  Mann  und  Frau,  zu- 
sammen bearbeiten  können  ohne  fremde  Hilfskraft.  71/.,  Hektar 
resp.  30  Morgen  dürften  die  Höchstgrenze  darstellen.  Ohne 
Mitarbeit  ihrer  Kinder  können  sie  diese  30  Morgen  schon  gar 
nicht  mehr  beschicken.  Um  zu  richtigen  Vergleichsgrößen  zu 
kommen,  müßten  wir  die  Größe  der  Fläche  für  den  Familien- 
betrieb eigentlich  kleiner  annehmen,  denn  die  36  Familien  des 
Großbesitzers  stellen  nur  Mann  und  Frau  zur  Arbeit.  Der  Ein- 
fachheit halber  nehmen  wir  aber  die  Größe  von  30  Morgen  an. 
Es  treten  in  unserem  Falle  also  100  Familien  als  Käufer  an, 
denen  die  750  Hektar  aufgeteilt  werden. 

Selbstverständlich  muß  nun  jeder  dieser  kleinen  Leute  mög- 
lichst mitten  in  seinen  30  Morgen  Land  das  Gehöft  erbauen, 
sonst  geht  den  Leuten  der  einzige  Vorteil  des  Kleinbetriebs, 
nämlich  die  nahe  Entfernung  des  Landes,  verloren.  In  der  Aus- 
wahl des  Bauplatzes  ist  ihm  durch  die  Lage  der  Dinge  wenig 
Spielraum  gelassen.  Jeder  dieser  Besitzer  muß  sich  nun  ein 
Wohnhaus,  einen  Stall,  eine  Scheune  und  einen  Keller  bauen. 
Unter  3000  Mark  ist  das  Wohnhaus  selbst  bei  den  bescheidensten 
Ansprüchen  nicht  herzustellen.  Für  die  anderen  Gebäude  wollen 
wir  nur  zusammen  2000  Mark  auswerfen,  so  kostet  die  Einrich- 

91 


tung  des  Gehöftes  immerhin  5000  Mark.  Wir  haben  da  sehr 
niedrige  Zahlen  angenommen.  Unsere  100  Kleinbesitzer  brauchen 
also  500  000  Mark,  um  die  Gehöfte  aufzubauen.  Jedes  Gehöft 
muß  einen  Brunnen  haben.  Es  gibt  Gegenden,  in  denen  die 
Herstellung  von  Brunnen  ungeheure  Kosten  verursacht.  Wir 
nehmen  hier  nur  an,  daß  die  Fertigstellung  jedes  Brunnens 
300  Mark  kostet.  Das  belastet  die  100  Kleinbesitzer  mit  30  000 
Mark.  Jeder  dieser  Besitzer  braucht  einen  Weg  bis  zur  nächsten 
öffentlichen  Landstraße.  Nehmen  wir  jetzt  an,  Hofstelle  und 
Weg  beanspruchen  bei  jedem  der  Kleinbesitzer  nur  vi  Morgen 
Land,  so  gehen  unseren  100  Kleinbesitzern  immerhin  75  Morgen 
verloren.  Wenn  wir,  wie  vorhin,  den  Kaufpreis  pro  Morgen  mit 
200  Mark  annehmen,  so  kommt  trotzdem  ein  Betrag  von  15  000 
Mark  heraus. 

Auf  den  30  Morgen  braucht  schon  jeder  der  Besitzer  2  Pferde. 
Er  wird  leichtere  Pferde  kaufen  wie  unser  Großbesitzer.  Setzen 
wir  hier  einen  Durchschnittspreis  pro  Pferd  von  300  Mark,  so 
erhalten  wir  bei  200  Pferden,  die  erforderlich  sind,  die  Summe 
von  60  000  Mark.  Die  Geschirre  für  diese  Pferde  werden  eben- 
falls schwächer  ausfallen  können.  Rechnen  wir  pro  Pferd 
15  Mark  für  das  Geschirr,  so  müssen  wir  3000  Mark  in  Anrech- 
nung bringen.  Ferner  muß  jeder  unserer  100  Kleinwirte  einen 
Arbeitswagen,  sagen  wir  ä  60  Mark,  und  einen  Arbeitsschlitten 
ä  15  Mark,  wie  auch  je  einen  halbwegs  anständigen  Spazier- 
wagen respektive  Schlitten  haben,  die  zusammen  200  Mark  kosten 
mögen.  Dabei  müssen  wir  das  Konto  unserer  Kleinbesitzer  mit 
27  500  Mark  belasten. 

Nun  kommen  die  Ackergerätschaften  an  die  Reihe.  Jeder 
Besitzer  braucht  wenigstens  2  Pflüge,  außerdem  1  Häufelpflug, 
2  Sorten  Eggen,  1  Walze,  1  Pferderechen.  Die  Anschaffung 
dieser  Gerätschaften  kostet  jeden  einzelnen,  ganz  minimal  ge- 
rechnet, 200  Mark,  zusammen  20  000  Mark. 

Bleiben  noch  die  auf  dem  Hofe  notwendig  gebrauchten  Ma- 
schinen: nämlich  1  Roßwerk  mit  Göpelbetrieb,  1  Dreschmaschine, 
1  Häckselmaschine,  1  Puntzmühle,  Getreidehechel,  Schaufeln, 
Siebe  usw.  Die  Kosten  für  die  Anschaffung  dieser  Maschinen 
und  Geräte  dürften  auf  500  Mark  zu  stehen  kommen.  Für  sämt- 
liche 100  Kleinbesitzer  käme  die  Summe  von  50  000  Mark  her- 
aus.    Die  Anlage  einer  richtigen   Dunggrube   würde   auch  etwa 

92 


40  Mark  in  Anspruch  nehmen,  so  daß  wir  nochmals  4000  Mark 
dem  Kleinbesitzerkonto  zur  Last  schreiben  müßten. 

Nehmen  wir  nun  die  Gesamtsumme  zusammen,  die  unsere 
100  Kleinbesitzer  nötig  hätten,  um  ihr  Gehöft  aufzubauen  und 
die  nötigen  Anschaffungen  von  Arbeitsinventar  zu  machen,  so 
ergibt  sich  als  Resultat  das  nette  Kapital  von  706  500  Mark. 

Unser  Großbesitzer  hat,  um  ebensoweit  zu  kommen  wie 
unsere  100  Kleinbesitzer,  nur  316  900  Mark  Kapital  gebraucht. 
Das  ergibt  eine  Differenz  von  389  600  Mark.  Diese  Summe 
brauchen  die  100  Kleinbesitzer  von  vornherein  mehr,  um  zunächst 
ebensoweit  dazustehen  wie  der  Großwirtschafter.  Für  jeden 
unserer  100  Kleinbesitzer  beträgt  diese  größere  Kapitalslast 
3896  Mark.  Wenn  wir  den  Zinsfuß  zu  4  Prozent  annehmen, 
dann  hat  jeder  der  Kleinbesitzer  von  seinen  30  Morgen  jährlich 
155,84  Mark  mehr  herauszuwirtschaften  wie  von  entsprechender 
Größe  der  Großgrundbesitzer,  oder  wenn  wir  für  den  Morgen 
umrechnen,  dann  hat  der  Kleinbesitzer  5,19  Mark  pro  Morgen 
jährlich  mehr  aufzubringen. 

Wir  werden  nachher  gleich  untersuchen,  ob  wenigstens  durch 
den  Betrieb  selbst  der  Kleinbesitzer  in  der  Lage  ist,  diesen  großen 
Vorsprung,  den  der  Großwirtschafter  errungen  hat,  wieder  wett- 
zumachen. —  Um  überhaupt  mit  dem  Betrieb  beginnen  zu  kön- 
nen, ist  es  nötig,  die  Hypotheken  zu  regeln. 

Zugegeben,  daß  Landschaft  oder  ähnliche  gemeinnützige  In- 
stitute einen  gewissen  Prozentsatz  Geld  dem  Großbesitzer  wie 
den  kleinen  Leuten  zu  gleichen  Bedingungen  gewähren.  Es  wird 
aber  wahrscheinlich  noch  Geld  gebraucht  werden,  das  von  Pri- 
vatleuten geliehen  werden  muß  und  das  diese  eintragen  lassen. 
Der  Großbesitzer  braucht  eine  Summe,  die  in  die  Hundert- 
tausende geht.  Unter  normalen  Verhältnissen  wird  er  leicht 
einen  Geldgeber  finden,  der  gern  bereit  ist,  dafür,  daß  er  eine  so 
große  Summe  sicher  an  einer  Stelle  unterbringen  kann,  den  Zins- 
fuß um  1  Prozent  zu  ermäßigen. 

Dem  kleinen  Besitzer  geht  dieser  Vorteil  verloren.  Er  muß 
das  Geld  von  kleinen  Leuten  nehmen,  denen  selbst  um  jeden 
Pfennig  Zins  zu  tun  ist,  oder  aber  er  muß  sich  an  Geldleute  wen- 
den, die  dafür,  daß  sie  ihr  Geld  in  kleinen  Posten  anlegen  und  ab 
und  zu  Verluste  haben,  aucli  entsprechend  höhere  Zinsen  be- 
rechnen. 

93 


2.  Die  Bodenbestellung 

Wenden  wir  uns  jetzt  der  Wirtschaftsführung  zu,  um  zu 
sehen,  wie  Licht  und  Schatten  da  zwischen  groß  und  klein  ver- 
teilt ist. 

Es  ist  endlich  Frühling  geworden.  Frost,  Regen  und  Wind 
haben  im  langen  Winter  die  Gebäude  arg  mitgenommen.  Auf 
dem  Felde  ist  es  für  die  Bestellungsarbeiten  noch  zu  naß  und 
daher  die  passende  Zeit,  Zäune  und  Gebäude  in  Ordnung  zu 
bringen.  Der  Großbesitzer  mit  seinen  3000  Morgen  hat  seine 
17  bis  18  Gebäude  auszubessern.  Die  100  Kleinbesitzer  aber 
haben  es  mit  300  Gebäuden  und  Zäunen  zu  tun.  Wieviel  Kalk, 
Ziegel,  Dachpfannen,  Zement,  wieviel  Zaundraht,  Pfähle  und 
Nägel  werden  wohl  die  100  Kleinbesitzer  mehr  brauchen  wie  der 
eine  Großbesitzer? 

Aendern  wir  jetzt  aber  der  leichteren  Darstellung  wegen 
unser  Beispiel  ein  wenig  und  nehmen  an,  neben  dem  Großgut 
von  3000  Morgen  befänden  sich  die  verstreut  wohnenden  100 
Kleinbesitzer,  die  je  30  Morgen  Land  ihr  eigen  nennen. 

Die  Frühjahrssaatbestellung  rückt  heran.  Es  muß  künst- 
licher Dünger  auf  den  Acker  gestreut  werden.  Der  Großbesitzer 
hat  sich  je  nach  Bedarf  ein  paar  Eisenbahnwaggons  Kunstdünger 
kommen  lassen,  bespannt  seine  Arbeitswagen  mit  je  4  Pferden 
und  ladet  auf  jede  Fuhre  50  bis  60  Zentner,  so  daß  jedes  Pferd 
12  bis  15  Zentner  Gewicht  nach  Hause  zieht. 

Die  Kleinbesitzer  haben,  um  den  teuren  Preisen  des  Höker- 
kaufmanns auf  dem  Lande  zu  entgehen,  sich  vielleicht  auch  ge- 
meinsam ein  paar  Waggons  Kunstdünger  kommen  lassen.  Zur 
Frühjahrsbestellung  braucht  jeder  von  ihnen  vielleicht  5  Zentner. 
Der  Dünger  ist  angekommen,  und  alle  Reflektanten  werden  zur 
Verteilung  zum  Bahnhof  bestellt.  Nun  holt  der  Besitzer  mit 
seinem  Fuhrwerk  ganze  5  Zentner  nach  Hause.  Der  Guts- 
kutscher schaffte  50  bis  60  Zentner.  Ist  der  Bahnhof  vielleicht 
etwas  abgelegen,  dann  fällt  der  Kleinbesitzer  von  vornherein  dem 
näher  wohnenden  Kaufmann  und  seinen  höheren  Preisen  in  die 
Hände. 

Der  Kunstdünger  ist  nun  glücklich  ausgestreut.  Leider  hat 
dabei  der  Wind  einen  gewissen  Prozentsatz  gerade  auf  das  Feld 
der  bösen  Nachbarn   getrieben.     Der   Gutsbesitzer  nebenan   hat 

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mit   seiner   Maschine    den   teuren    Kunstdünger   in    tadellosester 
Weise  gleichmäßig  ausgestreut. 

Nun  beginnt  die  Saatbestellung.  Mit  seinen  von  4  kräftigen 
Pferden  gezogenen  schweren  Kultivatoren,  denen  entsprechende 
vierspännige  Eggen  folgen,  arbeitet  der  Großbesitzer  seinen 
Acker  in  tadellosester  Weise  vor.  Zwei-  bis  dreimaliges  Ueber- 
arbeiten  mit  den  schweren  Apparaten  haben  genügt,  den  Boden 
so  durchzuarbeiten,  daß  die  Einsaat  mit  der  Drillmaschine  vor- 
genommen werden  kann.  Bei  den  langen  Streifen  bringt  die 
Drillarbeit  ungemein  viel  Nutzen.  Gegenüber  der  früher  üblichen 
Handsäerei  respektive  dem  Arbeiten  mit  der  Breitsäemaschine 
wird  durch  die  Drillmaschine,  die  jedes  Korn  in  die  Erde  bringt, 
ein  Drittel  an  Saatgut  gespart.  Außerdem  kommt  die  Saat  in 
die  vorschriftsmäßige  Tiefe,  was  ein  sicheres  und  gleichmäßiges 
Aufgehen  verbürgt. 

Der  Kleinbesitzer  nebenan  hat  auch  mit  der  Saatbestellung 
begonnen.  Statt  des  teuren  Kultivators  hat  er  zum  Voreggen  so- 
genannte Schareggen,  die  Zinken  mit  sogenannten  Gänsefüßchen 
haben  oder  etwas  Aehnliches.  Der  Apparat  muß  seinen  beiden 
schwachen  Pferdchen  angepaßt  sein,  ebenso  die  anderen  Eggen. 
Nach  dem  mechanischen  Prinzip,  ,,was  am  Wege  verloren  geht, 
wird  an  Kraft  gewonnen",  arbeitet  er  um  so  öfter  über  dieselbe 
Stelle,  und  erzielt  doch  nicht  die  nötige  tiefgründige  Lockerung 
und  Herausbringung  von  Quecke  usw.  Dafür  stampfen  die 
Pferdehufe  durch  das  oftmalige  Herumdrehen  auf  derselben 
Stelle  den  Acker  tüchtig  fest,  namentlich  wenn  der  Boden  noch 
nicht  so  richtig  trocken  ist. 

Dann  kommt  das  Säen  selbst.  Eine  Drillmaschine  ist  für 
30  Morgen  zu  teuer.  Der  Kleinbauer  sät  mit  der  Hand.  Das 
ist  natürlich  immer  mehr  oder  weniger  unvollkommen.  Damit 
überall  wenigstens  die  Minimalzahl  von  Körnern  hinfällt,  wird 
auf  vier  Fünftel  des  Ackers  Saatgut  verschwendet.  Ein  im  Ver- 
hältnis zur  Fläche  sehr  großer  Prozentsatz  an  Saatgut  fällt  auf 
die  Grenzraine  und  Grabenkränze. 

Ebenso  ist  es  mit  dem  Aussäen  der  teuren  Kleesaat.  Der 
Großbesitzer  hat  auch  für  diesen  Zweck  eine  tadellos  funktio- 
nierende Maschine.  Der  Kleinbesitzer  kann  sich  nicht  allerhand 
derartige  Maschinen  anschaffen,  die  er  nur  ein  paar  Stunden 
im  ganzen   Jahre  braucht.     Auch   eine   genossenschaftliche  An- 

95 


Schaffung  solcher  Maschinen  ist  schwer  möglich,  denn  wenn  die 
Zeit  da  ist  und  das  Wetter  günstig,  muß  vor  allem  gesät  werden. 
Oft  werden  die  frühen  Morgenstunden,  solange  ein  etwaiger 
Nachtfrost  das  Betreten  der  Winterfelder,  ohne  dort  Schaden  an- 
zurichten, noch  möglich  macht,  zur  Aussaat  von  Klee  und  Säme- 
reien benutzt.  Bei  diesen  teuren  Sämereien  wird  der  Bauer  durch 
seinen  rückständigen  Handbetrieb  empfindlich  geschädigt.  Jeder 
plötzliche  Windstoß  treibt  diese  bekanntlich  nur  mit  drei  Fingern 
gestreute  teure  Saat  an  die  falsche  Stelle, 

Doch  noch  etwas  anderes.  Unter  den  100  Kleinbesitzern  be- 
finden sich  sicher  einige,  die  das  Talent  haben,  Saatgetreide  als 
Spezialität  zu  züchten.  Durch  Auslese  der  Getreidestauden 
respektive  der  Aehren,  durch  Kreuzung  verschiedener  Getreide- 
sorten miteinander,  durch  Auswahl  passenden  Bodens,  durch 
vergleichende  Beobachtung  des  Wachstums  und  der  Erträge  ver- 
schiedener Getreidesorten  unter  denselben  Saat-,  Düngungs-  und 
Bodenverhältnissen  würden  diese  Leute  ihre  speziellen  Kennt- 
nisse und  Veranlagungen  zum  Segen  für  sich  und  andere  ent- 
falten können,  wenn  sie  nur  mehr  Bewegungsfreiheit  hätten. 
30  Morgen  ist  eine  kleine  Fläche.  Verschiedene  Sorten  der- 
selben Getreideart  lassen  sich  da  nicht  sehr  gut  anbauen  und 
namentlich  nicht  ein  Weiterzüchten.  Schon  von  den  Grund- 
stücken der  vielen  kleinen  Nachbarn  treibt  bei  den  Windblütlern 
die  Luft  den  Blütenstaub  an  den  verkehrten  Ort. 

Aber  auch  bei  den  Insektenblütlern,  zum  Beispiel  den  Legu- 
minosen, wird  bei  nahe  beieinanderliegenden  Pflanzensorten  der- 
selben Art  eine  ewige  Kreuzung  stattfinden. 

Unsere  Kleinbesitzer  werden  ihre  Spezialität  nicht  entfalten 
können.  Auch  der  Mangel  an  genügend  getrennten  Aufbewah- 
rungsorten auf  dem  Gehöft  verbietet  es. 

Sie  werden  das  dem  großen  Nachbarn  nebenan  überlassen 
müssen,  der  bei  seinen  Versuchen  die  zu  beobachtenden  Ge- 
treidesorten so  weit  voneinander  entfernt  anbauen  kann,  daß 
eine  nicht  gewollte  Vermischung  tunlichst  vermieden  werden 
wird. 

Nun  nebenbei  sei  erwähnt,  wie  diesen  Kleinbesitzern  immer 
die  Gefahr  droht,  daß,  wenn  sie  mit  vieler  Mühe  und  Arbeit 
ihren  Acker  von  Unkraut  möglichst  befreit  zu  haben  glauben, 
durch  nachlässige  Nachbarn  diese  Hoffnung  illusorisch  gemacht 

96 


wird.  Sie  haben  ihr  Feld  gut  bestellt  und  für  reines,  unkraut- 
freies Saatgut  gesorgt;  da  betrachten  sie  eines  Tages  ihr  Feld 
und  sehen,  wie  das  Unkraut  lustig  in  die  Höhe  schießt.  Der  böse 
Nachbar  trägt  die  Schuld.  Der  Großbesitzer  riskiert  in  dieser 
Hinsicht  immer  nur  einen  für  seine  Verhältnisse  kurzen,  schmalen 
Streifen  an  irgendeiner  Grenze. 

Nun  kommt  das  Kartoffelsetzen  an  die  Reihe.  Zu  diesem 
Zwecke  muß  der  für  die  Kartoffeln  bestimmte  Acker  gründlich 
und  recht  tiefgründig  durchgearbeitet  werden.  Bei  dieser  Arbeit 
ist  unser  Großbesitzer  mit  seinen  schweren  Gerätschaften  und 
Pferden  dem  Kleinen  natürlich  wieder  überlegen.  Beim  Setzen 
selbst  dürfte  Wind  und  Sonne  zwischen  groß  und  klein  eben- 
falls ungünstig  verteilt  sein.  Das  Setzen  mit  dem  Spaten  hat 
der  Kleinbauer  in  der  Hauptsache  aufgegeben,  weil  die  Rein- 
haltung der  Kartoffeln  mittels  Handhacke  gar  zu  viel  Arbeit  ver- 
ursacht und  mittels  Häufelpflug  ebensogut  besorgt  werden  kann. 
Auch  der  Kleinbauer  setzt  heutzutage  die  Kartoffeln  hinterm 
Pflug  in  langen  Reihen.  Der  Unterschied  ist  auch  da  wieder  der, 
daß  die  Arbeit  bei  den  längeren  Reihen  des  Großbesitzers  besser 
schafft  und  bei  dem  selteneren  Kehren  nicht  so  viel  Saatgut  zer- 
stört wird.  Der  Großbesitzer  schafft  sich  oft  auch  ein  Pflug- 
gerät an,  mittels  dessen  der  Kartoffelacker  gerillt  oder  gekämmt 
wird.  In  die  Rillen  werden  die  Kartoffeln  gelegt  und  die  Rillen 
einfach  zugeschleppt.  Derselbe  mehrscharige  Apparat  wird  nach- 
her auch  zur  Lockerung  und  Reinhaltung  benutzt.  Der  Klein- 
besitzer kann  sich  nicht  für  jeden  Zweck  verschiedene  Geräte 
anschaffen. 

Beim  Behäufeln  gereichen  die  kurzen  Reihen  dem  Klein- 
bauern wiederum  zum  Nachteil.  Zeit  und  Kraft  gehen  verloren, 
und  viele  Stauden  werden  beim  Kehren  geschädigt. 

Bei  der  Kartoffelernte  nun  ist  heute  der  Großgrundbesitzer 
dem  Kleinbauern  weit  überlegen.  Ersterer  bespannt  seine  Kar- 
toffelaushebemaschine, die  sehr  viel  Arbeit  spart.  Der  Klein- 
bauer kann  diese  Maschine  nicht  anwenden.  Einmal  verhindern 
dieses  die  kurzen  Reihen,  und  dann  sind  für  diese  Maschine  vier 
recht  kräftige  Pferde  nötig,  die  je  zwei  und  zwei  voneinander 
gespannt  werden  müssen.  Der  Kleinbauer  wird  verdammt  sein, 
im  Schweiße  seines  Angesichts  ewig  seine  Kartoffeln  mit  der 
Handhacke  aus  der  Erde  zu  buddeln. 

Kautsky,  Landwirtschaft     7  0,7 


Bei  günstigem  Wetter  beginnt  nun  auch  bald  das  Rüben- 
setzen. Der  Kleinbauer  besetzt  gemeinhin  einen  weit  größeren 
Prozentsatz  seiner  Fläche  mit  Futterrüben  "wie  der  Groß- 
besitzer. 

Finden  wir  vielleicht  hierbei  eine  Ueberlegenheit  des  Klein- 
betriebs über  den  Großbetrieb? 

Das  Setzen  der  Rüben  bereitet  viel  Arbeit.  Die  Pflanzen, 
werden  in  der  Regel  auf  besonders  kräftig  gedüngten  und  ge- 
schützt liegenden  Beeten  herangezogen.  Schon  hier  müssen  die 
Setzpflanzen  reingehalten  und  womöglich  öfter  gegossen  werden. 
Sind  sie  groß  genug  geworden,  dann  werden  sie  abgezogen,  um 
auf  dem  Rübenacker  wieder  eingepflanzt  zu  werden.  Unter  Um- 
ständen muß  bei  ungünstiger  Witterung  jede  gesetzte  Rüben- 
pflanze angegossen  und  womöglich  auch  noch  später  wiederholt 
gegossen  werden.  Nachher  kommt  das  wiederholte  Behacken 
und  Reinhalten  der  Pflanzen,  was  sehr  viel  Arbeit  ver- 
ursacht. 

Sehen  wir  einmal  näher  zu. 

Der  Großbesitzer  benutzt,  wenn  er  großen  Rübenbau  treiben 
will,  unter  Umständen  seine  Drillmaschine  und  drillt  die  Rüben- 
kerne, dann  fällt  die  Aufzucht  der  jungen  Pflanzen  auf  be- 
sonderen Beeten,  ihr  Versehen  und  eventuelles  Gießen  weg. 
Allerdings  wird  dabei  viel  mehr  Saatgut  gebraucht  und  die  auf- 
gehenden Pflanzen  müssen  verzogen  werden,  was  ebenfalls  große 
Arbeit  verursacht.  Indes  kann  hinterher  der  Großbesitzer 
mit  geeigneten  Rübenhackmaschinen  die  gröbste  Arbeit  des 
Bodeniockerns  und  Reinhaltens  besorgen.  Doch  Rüben  vertragen 
kein  Behäufeln,  wie  es  die  Kartoffeln  lieben;  die  Haupt- 
arbeit des  Reinhaltens  und  Hackens  wird  hier  Handarbeit 
bleiben. 

Beim  Rübenbau  ist  fraglos  der  Kleinbesitzer  seinem  großen 
Nachbarn  überlegen.  Während  der  Kleinbesitzer  von  seinen 
30  Morgen  einen  bis  zwei  Morgen  Rüben,  also  den  dreißigsten 
bis  fünfzehnten  Teil  seines  Areals  setzen  und  bearbeiten  kann, 
wird  der  Großbesitzer  von  3000  Morgen  reichlich  zu  tun  haben, 
wenn  er  50  Morgen,  also  den  sechzigsten  Teil  seines  Besitzes 
mit  Rüben  bepflanzen  und  diese  von  seinen  Leuten  bearbeiten 
lc.ssen  will. 


98 


Also  der  Kleinbesitz  wäre  hier  dem  Großbesitz  überlegen, 
wenn  —  ja  wenn  die  Kartoffelaushebemaschine  nicht  gekommen 
wäre  und  wenn  die  Kartoffel  nicht  einen  viel  höheren  Ertrag 
vom  Boden  geben  würde. 

Das  einzige  Argument,  das  der  Kleinbesitz  zuungunsten  des 
Großbesitzes  in  die  Wagschale  werfen  konnte,  nämlich  den 
Anbau  von  Hackfrüchten,  das  hat  die  Kartoffelaushebemaschine 
über  den  Haufen  geworfen. 

Von  einem  Morgen  respektive  einem  Viertel  Hektar  erzielt 
man,  hochgerechnet,  einen  Durchschnittsertrag  von  300  Zentner 
Rüben.  Rechnet  man  pro  Zentner  Futterrübe  50  Pfennig,  so  würde 
das  also  einen  Bruttoertrag  von   150  Mark  pro  Morgen  geben. 

Beim  Kartoffelbau  erzielt  man  pro  Morgen  einen  Ertrag  von 
100  Zentnern,  das  ist  nicht  besonders  hoch  gegriffen,  aber  wenn 
man  die  Kartoffeln  auf  einem  Acker  bauen  würde  mit  ent- 
sprechendem Dünger,  wie  ihn  die  Rübe,  um  überhaupt  zu  ge- 
deihen, notwendig  braucht,  dann  müßten  wir  Erträge  von 
120 — 130  Zentner  pro  Morgen  annehmen. 

Berechnen  wir  die  Kartoffeln  pro  Zentner  mit  1,50  Mark, 
was  nicht  sonderlich  hoch  gegriffen,  ist,  dann  beträgt  der 
Ertrag  pro  Morgen  150 — 195  Mark.  Dieser  Ertrag  ist 
aber  erzielt  mit  verhältnismäßig  geringem  Arbeitsaufwand,  wäh- 
rend die  Rüben,  um  300  Zentner  zu  geben,  ungeheure  Arbeit 
erfordern. 

Der  Großbesitzer  wird  also  seinen  Kleinnachbar  ruhig  seine 
teuren  Rüben  bauen  lassen,  während  er  selber  mit  Hilfe  der  Kar- 
toffelaushebemaschine   zum    rentableren    Kartoffelbau    übergeht. 

Gewiß  hat  der  Bauer  von  den  Rüben,  deren  Blätter  er  täg- 
lich bricht,  den  ganzen  Sommer  hindurch  Vorteil,  aber  die  Rüben 
quittieren  diese  Behandlung  dann  natürlich  durch  entsprechend 
geringeren  Ertrag  bei   der   Ernte. 

3.  Die  Viehweide 

Nun  ist  mittlerweise  das  Nutzvieh  auf  die  Weide  gejagt. 
Der  Großbesitzer  nebenan  hat  seine  Kühe  und  sein  Jungvieh 
in  eingezäunte  große  Weidegärten  getrieben,  die  an  passenden 
Stellen  angelegt  sind,  oder  er  hat  vorhandene  Wiesenflächen 
benutzt.  Geeignete  Tränkteiche,  falls  keine  natürlichen  Wasser- 
läufe   bei    Anlage    der    Gärten    berücksichtigt    werden    konnten, 

r  99 


sind  gegraben.  Hier  können  die  Tiere  nach  Belieben  ihren 
Durst  stillen.  Einfache  Schuppen  können  errichtet  werden, 
in  welchen  die  Tiere  zur  Nacht,  bei  ungünstiger  Witterung  oder 
gegen  die  sengenden  Strahlen  der  Mittagsonne  Schutz  suchen 
können. 

Jedes  Tier,  sei  es  Milchkuh  oder  Jungvieh,  kann  sich  hier 
in  diesen  weiten  Gärten  das  ihm  am  meisten  zusagende  Futter 
auswählen  oder  an  der  Stelle  fressen,  wo  dasselbe  Futtergras 
infolge  anders  zusammengesetzten  Bodens  einen  anderen  Ge- 
schmack angenommen  hat.  Jedes  Tier  kann  ganz  nach  Be- 
lieben die  ihm  zum  Fressen  am  meisten  zusagende  Zeit  aus- 
wählen, ebenso  entsprechend  sein  Trink-  und  Ruhebedürfnis  be- 
friedigen. Selbstredend  wird  die  Milchkuh  dafür  durch  erhöhte 
Milchproduktion  dankbar  sein,  ebenso  wie  Jungvieh  durch 
schnelleres  Wachstum  respektive  vermehrten  Fleisch-  und  Fett- 
ansatz diese  Weidegärten  lohnt.  Auf  dieser  Erfahrung  fußend, 
sind  heutzutage  die  Gutsbesitzer  allgemein  bestrebt,  sich  ent- 
sprechende Weidegärten  anzulegen.  Die  Ersparnis  der  Arbeits- 
kraft zum  Hüten  wird  nebenbei  natürlich  auch  noch  gerne  mit- 
genommen. 

Der  Kleinbauer  hat  keine  Auswahl  zur  Anlegung  passender 
Weidegärten.  Er  kann  auch  sowieso  keine  anlegen,  denn  sonst 
bleibt  ihm  ein  zu  geringer  Teil  des  Ackers  für  den  Frucht- 
wechsel. Feldfrüchte,  die  er  in  gewisser  Menge  notwendig 
anbauen  muß,  würden  zu  oft  auf  dieselbe  Stelle  kommen.  Für 
wenige  Stücke  Vieh  einen  Garten  mit  Zaun  zu  machen  und  zu 
unterhalten,  ist  auch  verhältnismäßig  teuer.  Zwischen  Zaun  und 
Acker  geht  außerdem  wieder  ein  Streifen  Land  verloren;  kurz, 
er  muß  seine  Kühe  und  sein  Jungvieh  auf  der  Wiese  anbinden. 

Da  bekommt  nun  jedes  Stück,  ob  Milchkuh,  Jungvieh  oder 
Schaf,  seinen  besonderen  Wirkungskreis  angewiesen.  Sparsam 
muß  umgegangen  werden  mit  der  Weide.  Soweit  die  Leine 
reicht,  ist  innerhalb  des  Kreises  alles  kahl  abgefressen,  und  die 
Tiere  haben  gewöhnlich  einen  sichtbaren  Steg  in  Halbkreis- 
form an  der  Grenze  zwischen  neuer  Weide  und  der  ab- 
gefressenen ausgestrampelt.  Welche  Tantalusqualen  mögen  die 
Tiere  da  oftmals  ausstehen  auf  dürrer  Heide,  von  bösen  Verhält- 
nissen im  Kreise  herumgeführt,  und  ringsherum  ist  schöne  grüne 
Weide!  » 


100 


Den  Besitzern  der  Tiere  hinwieder  erwächst  eine  stete 
Arbeit  mit  ihnen.  Beim  Großbesitzer  hat  die  Erfahrung  ge- 
gezeigt, daß  die  Tiere  am  besten  gedeihen,  wenn  sie  so  wenig 
wie  möglich  gestört  werden;  wohl  müssen  die  Kühe  natürlich 
gemelkt  werden,  aber  im  übrigen  ist  es  am  zweckmäßigsten, 
so  selten  wie  möglich  in  den  Weidegarten  hineinzugehen,  man 
kann  die  Tiere  sehr  gut  durch  ein  Glas  beobachten.  Dagegen 
muß  unser  Kleinbauer  immerwährend  hin  und  her  laufen.  Da 
muß  der  Pflock  aus  der  Erde  gezogen  und  an  anderer  Stelle 
wieder  einhämmert  werden;  da  hat  sich  ein  Tier  in  der  Leine 
verwickelt  oder  die  Kreise  des  anderen  gestört;  da  muß  Trink- 
wasser getragen  werden;  da  müssen  die  Tiere  zur  Nacht  in  den 
Stall  und  am  Morgen  auf  die  Weide  geführt  werden.  Zur  Nacht 
dürfen  sie  nicht  draußen  bleiben,  weil  sie  sich  losreißen  könn- 
ten. Ein  andermal  wiederum  hat  sich  die  Zentrifugalkraft  des 
Hungers  stärker  erwiesen  als  die  Zentripetalkraft  der  halb- 
verfaulten Leine;  das  Tier  steht  plötzlich  mitten  in  einem  Ge- 
treidefeld, woselbst  es  ihm  so  behagt,  daß  es  sich,  als  der  un- 
erlaubte Seitensprung  endlich  bemerkt  wurde,  durchaus  nicht 
greifen  lassen  will  und  durch  sein  Laufen  mit  dem  nach- 
schleppenden Ende  der  Leine  die  ärgsten  Verwüstungen  an- 
richtet und  schließlich  die  anderen  Tiere  auch  in  Aufregung  und 
Rebellion  bringt.  Auch  die  Tiere  wollen  sich  nicht  an  die  Scholle 
fesseln  lassen.  Besonders  Schafe,  die  bekanntlich  nicht  sonder- 
lich intelligent  sind,  pflegen  die  geringste  ihnen  unerwartete  Er- 
scheinung damit  zu  quittieren,  daß  sie  mit  einem  mächtigen  An- 
lauf den  Erdpflock  lösen  oder  die  Leine  zerreißen  und  sich  auf 
dem  Hofe  in  Sicherheit  bringen. 

Wem  wurde  nicht  schon  ein  verzweifelter  oder  wütender 
Blick  von  ehrsamen  Bauersleuten  nachgesandt,  wenn  sein  un- 
schuldiges Hündchen,  das  er  spazieren  führte,  die  angebundenen 
Bauernschafe  in  die  wildeste  Flucht  trieb! 

4.  Die  Ernte 

Mittlerweile  ist  die  Zeit  der  Futterernte  herangerückt. 
Der  Großbesitzer  bespannt  seine  Mähmaschinen,  und  je  nach  der 
Anzahl  der  Mähmaschinen,  die  er  arbeiten  läßt,  hat  er  es 
ganz    in    der    Hand,    die    Futterernte    zu    beschleunigen.     Heu- 

101 


wender,  Pferderechen  und  neuerdings  sogar  eine  verbesserte 
Harkmaschine,  die  das  Futler  gleich  in  reguläre  kleine  runde 
Kaufen  zusammenbringt,  wirken  überaus  arbeitersparend. 

Unser  Kleinbesitzer  kann  die  Mähmaschine  nicht  so  ver- 
wenden. Auf  seinen  vielleicht  je  1  Hektar  großen  beiden 
Futterschlägen,  die  vielleicht  noch  durch  ein  Getreidefeld  ge- 
trennt sind,  lohnt  es  nicht,  die  Maschine  anzuspannen,  abge- 
sehen von  den  für  ihn  unerschwinglichen  Anschaffungskosten. 
Er  müßte,  um  mit  der  Maschine  beginnen  zu  können,  sowieso 
erst  mit  der  Sense  rings  um  die  Fläche  einen  Strich  vorhauen. 
In  die  Ecken  kommt  die  Maschine  ebenfalls  nicht  hinein,  und 
überhaupt  bei  den  scharfen  Kurven,  die  die  kleine  Fläche  der 
Maschine  gleich  bietet,  arbeitet  dieselbe  nicht  besonders,  es  muß 
immer  mit  der  Hand  nachgeholfen  werden.  Eine  Harkmaschine 
kann  auch  unser  Kleinbesitzer  anwenden,  er  kann  diese  aber 
nicht  kleiner  oder  billiger  kaufen  wie  der  Großbesitzer.  Er 
müßte  eine  Harkmaschine  für  30  Morgen  haben,  während 
5 — 6  Pferderechen  unserem  Großbesitzer  für  3000  Morgen  reich- 
lich genügen.  Eine  genossenschaftliche  Anschaffung  all  dieser 
Maschinen  findet  ihre  Verhinderung  darin,  daß  diese  Maschinen, 
wenn  sie  überhaupt  in  Arbeit  treten,  von  allen  Besitzern  zu 
gleicher  Zeit  gebraucht  werden. 

Nun  beginnt  das  Einbringen  des  trockenen  Futters.  Der 
Großbesitzer  richtet  seine  richtig  besetzte  Partie  ein,  wie  hier 
der  Ausdruck  dafür  lautet.  Je  nach  der  Entfernung  des  Futter- 
schlags werden  3,  4  oder  auch  5  und  mehr  möglichst  lange  Leiter- 
wagen bespannt.  2  Staker  neben  dem  Wagen,  2  Lader  auf  dem- 
selben, 1  Weiterfahrer  und  1  Pferderechen  hinter  dem  Wagen 
bilden  die  Arbeitskräfte  draußen  auf  dem  Futterschlag.  Ist  der 
erste  Wagen  vollgeladen,  so  steht  schon  der  zweite  bereit,  um 
an  seine  Stelle  zu  rücken  usw.  Das  erste  Fuder  ist  mittlerweile 
auf  den  Gutshof  gelangt  und  vor  den  Schuppen  gefahren.  Der 
Kutscher  spannt  sofort  die  Pferde  ab  und  bespannt  einen  bereit- 
stehenden weiteren  Wagen,  den  sogenannten  Wechselwagen,  und 
fährt  wieder  aufs  Feld.  Zwei  Staker  haben  mittlerweile  schon 
begonnen,  das  Fuder  leerzumachen.  Das  Futter  wird  durch  die 
Schuppenluken  auf  den  Stall  gereicht.  Dortselbst  befinden  sich 
je  nach   der   Breite   des    Schuppens,    6,   8,    10   oder   noch   mehr 

102 


Menschen,  die  das  Futter,  wie  es  von  den  Stakern  gereicht  wird, 
weiterbefördern  und  sachverständig  aufschichten. 

Bei  diesem  Betrieb  gibt  es  kaum  einen  Augenblick  des 
Müßigseins  für  Mensch  und  Pferd.  Es  ist  wie  ein  Uhrwerk,  das, 
einmal  in  Betrieb  gesetzt,  wie  von  selber  weiterläuft  und  vor 
allem  sich  selber  immer  wieder  den  Antrieb  gibt,  in  gleicher 
Gangart  weiterzulaufen.  Der  Herr  respektive  der  Inspektor  hat 
seine  Tätigkeit  in  der  Hauptsache  darauf  zu  beschränken,  jedes 
Hindernis  sozusagen  vor  dem  Entstehen  hinwegzuräumen.  Für 
einen  Wagen,  der  schadhaft  zu  werden  beginnt,  muß  vor  seinem 
Zusammenbrechen  ein  anderer  einrangiert  werden.  Wenn  in  der 
einen  Ecke  des  Feldes  die  letzten  Fuder  geladen  werden,  dann 
muß  der  Inspektor  taxieren  können  und  achtgeben,  daß  schon 
das  vorletzte  Fuder  breiter  und  voller  geladen  wird,  damit  nicht 
noch  ein  dritter  Wagen,  vielleicht  nur  halbvoll  nach  dem  Hofe 
gefahren  werden  muß  usw. 

Und  unser  Kleinbäuerlein!  Auch  er  spannt  seine  beiden 
Pferdchen  an  den  entsprechend  kleinen  Wagen  zum  Futter- 
holen. Mit  seiner  Frau  allein  kommt  er  dabei  schon  gar  nicht 
zurecht.  Seine  Kinder  müssen  mithelfen.  Nun  fährt  die  ganze 
Gesellschaft  auf  den  Futterschlag.  Der  Bauer  reicht  das  Futter 
auf  das  Wägelchen,  die  Frau  ladet,  ein  Kind  harkt  nach  und 
ein  anderes  fährt  weiter.  Endlich  ist  das  Fuder  vollgeladen, 
und  die  kleine  Karawane  begibt  sich  zurück  auf  den  Hof.  Frau 
und  Kinder  erklettern  auf  einer  Hühnerstiege  den  Schuppen, 
bei  dem  infolge  seiner  Kleinheit  die  Ecken,  der  Dachfirst  und 
die  sogenannten  Okeln,  die  sich  schlecht  und  beschwerlich  voll- 
stopfen lassen,  einen  viel  größeren  Prozentsatz  ausmachen  wie 
auf  dem  geräumigen  Schuppen  des  Großbesitzers.  Unser  Bäuer- 
lein  erklettert  das  Fuder  und  reicht  das  Futter  nach  oben,  wäh- 
rend die  Pferdchen  derweilen  in  der  Sonne  träumen.  Endlich  ist 
das  Fuder  leer.  Frau  Bäuerlein  und  die  Kinder  klimmen  die  ge- 
fährliche Hühnerstiege  wieder  nach  unten,  und  das  gesamte 
lebendige  Arbeitsinventarium  unseres  Kleinbetriebs  pilgert  wieder 
aufs  Feld  usw. 

Das  ist  hier  im  kleinen  das,  was  Fritz  Reuter  in  seinem  ,,Ut 
mine  Stromtid"  bei  Fritz  Triddelfitz  verspottet  hat. 

Wenn  nun  gar  die  Bäuerin  Mutterfreuden  erwartet?  Die 
Arbeit  muß  gemacht  werden.    Aber  wie  leicht  ist  da  ein  Unglück 


103 


geschehen.  Das  Fuder  rutscht  oder  kippt  beim  Auf-  und  Ab- 
steigen vom  Wagen  oder  vom  Schuppen,  ein  kleiner  Fehltritt, 
und  dauerndes  Siechtum  kann  die  Folge  sein. 

Nebenan  beim  einsichtigen  Großbesitzer,  dessen  Einsicht 
eventuell  entsprechende  Gesetze  noch  erhöht  haben,  wird  eine 
Frau,  die  ihrer  Entbindung  entgegensieht,  solche  gefährliche  Ar- 
beit nicht  machen,  unter  den  36  Arbeiterfrauen  ist  Auswahl  ge- 
nug vorhanden. 

Die  Futterernte  ist  jetzt  beendet,  die  Getreideernte  hat 
noch  nicht  begonnen.  Der  Bauer  hackt  seine  Rüben,  der  Groß- 
besitzer häufelt  die  Kartoffeln,  irgendwo  haben  beide  ein  Stück 
Schwarzbrache  gelassen,  welches  besonders  verunkrautet  und 
verqueckt  war.    Es  ist  jetzt  Zeit,  das  in  Ordnung  zu  bringen. 

Der  Großbesitzer  geht  vielleicht  mit  einer  Scheibenegge,  die 
recht  teuer  ist,  und  hinterher  wieder  mit  seinen  schweren  Appa- 
raten dem  Unkraut  zu  Leibe  und  hat  es  bald  unterbekommen. 
Unser  Bäuerlein  arbeilet  sich  mit  seinen  leichten  Geräten  ab  und 
bekommt  doch  die  Quecke  nicht  aus  den  tieferen  Acker  schichten. 
Nun  wird  die  Brache  tiefgepflügt.  Es  ist  vorher  starker  Regen 
gekommen.  Eine  tiefliegende  naßgründige  Stelle  ist  nach  dem 
Pflügen  vom  Sonnenbrand  zusammengetrocknet,  beim  Eggen 
gibt  es  Kluten  wie  Kinderköpfe  groß.  So  darf  das  nicht  bleiben, 
der  Acker  wird  nicht  gar.  Der  Großbesitzer  spannt  seine  schwere 
Walze  respektive  Kroskel  oder  Schollenbrecher  an  und  zermürbt 
die  Erdschollen  durch  ein-  bis  zweimaliges  Ueberwalzen  zu 
Beutelmehl.  Unser  Bäuerlein  wills  nachmachen.  Auch  er  be- 
spannt seine  Walze.  Vergebliche  Mühe.  Die  für  2  Pferdchen 
berechnete  leichte  Walze  macht  auf  die  Kluten  keinen  Eindruck, 
er  muß  zum  Schlägel  greifen  und  im  Schweiße  seines  Angesichts 
noch  arbeiten,  während  der  Kutscher  des  Großbesitzers  nebenan 
nach  schnell  vollbrachter  Arbeit  ein  Liedchen  trällernd  davon- 
fährt. 

Mittlerweile  ist  die  Getreideernte  herangerückt.  Hier 
wiederholt  sich  das  Spiel,  das  wir  schon  bei  der  Futterernte  be- 
schrieben haben.  Getreidemähmaschinen  der  verschiedensten 
Sorten  arbeiten  beim  Großbesitzer.  Lagerstellen  müssen  aller- 
dings auch  da  noch  mit  der  Sense  genommen  werden.  Mäh- 
maschinen, die  in  stark  gelagertem  Getreide  arbeiten,  werden 
wohl   schon  in  verschiedenen  Formen   auf  den  Markt  gebracht, 

104 


sie  haben  sich  aber  meines  Wissens  bis  jetzt  noch  nicht  bewährt. 
Das  will  aber  nicht  viel  besagen;  in  der  Hauptsache  arbeiten  die 
Mähmaschinen. 

Diese  verhältnismäßig  teuren  und  schwerfälligen  Maschinen 
kann  der  Kleinbauer  selbstredend  niemals  anwenden,  auch  nicht 
auf  dem  Wege  der  Genossenschaft.  Mit  der  Hand  muß  er  sein 
Getreide  mähen,  binden  und  harken. 

Während  bei  schönem  Erntewetter  die  Einfahrtpartien  auf 
dem  Gutshof  wieder  in  Gang  gebracht  werden  und  ohne  Zeit- 
verlust und  unnötige  Kraftverschwendung  Fuder  auf  Fuder  in 
die  geräumigen  Scheunen  rattern,  pendelt  die  gesamte 
Bauernhofsbevölkerung  wieder  hin  und  her  zwischen  Feld  und 
Scheune. 

Wenn  Ziegel  möglichst  schnell  in  eine  höhere  Etage  eines 
Baues  befördert  werden  sollen,  oder  Pfannen  auf  das  Dach  ge- 
bracht, und  keine  besonderen  mechanischen  Vorrichtungen  da- 
für vorhanden  sind,  dann  bilden  die  Arbeiter  auf  der  Leiter  eine 
Kette,  und  es  wandert  nicht  jeder  einzelne  mit  ein  paar  Ziegeln 
die  Leiter  auf  und  ab.  Wenns  wo  brennt  und  Eile  nottut,  muß 
ebenfalls  der  Eimer  von  Hand  zu  Hand  durch  die  Menschenkette 
fliegen,  und  in  der  Erntezeit  brennts. 

Dem  Großbesitzer  stehen  nun  20  und  mehr  verschiedene 
Scheunenfächer  und  Tennen  zur  Verfügung,  in  die  er  seine 
diversen  Getreidesorten  fahren  und  namentlich  das  zur  Saat 
und  zum  Verkauf  bestimmte  Getreide  gesondert  aufbewahren 
kann. 

Unser  Kleinbesitzer  hat  im  besten  Falle  4 — 5  voneinander 
getrennte  Gelasse  in  seiner  Scheune.  Wie  soll  er  da  nun  die  ver- 
schiedenen Getreidesorten,  wie  Erbsen,  Wicken,  Roggen,  Weizen, 
Hafer,  Gerste,  Bohnen,  Timothysaat,  Menggetreide,  Saatklee  usw. 
so  aufbewahren,  daß  die  verschiedenen  Getreidearten  sich  nicht 
vermischen,  ganz  abgesehen  davon,  daß  schon  beim  Säen  an  den 
Grenzflächen  zweier  Getreidefelderchen  die  verschiedenen  Sorten 
durcheinandergelaufen  sind. 

Die  Ernte  ist  nun  glücklich  vorbei,  das  Getreide  in  den 
Scheunen  geborgen.  Der  Großbesitzer  hat  eine  Zeit  des  bestän- 
digen Wetters  während  der  Ernte  benützt,  um  gleich  vom  Fuder 
zu  dreschen.  Er  hat  seinen  Dampfdreschapparat  an  geeignetem 
Platze  aufgestellt,  und  statt  in  die   Scheune   sind   die  Getreide- 

105 


fuder  an  den  Dreschkasten  gefahren,  und  die  Staker  haben 
das  Getreide  den  Einlegern,  die  auf  dem  Dreschkasten  hantieren, 
zugereicht.  Welche  mannigfachen  Vorteile  erwachsen  allein 
daraus  dem  Großbesitzer.  Einmal  spart  er  bei  einer  be- 
sonders reichlichen  Ernte  Scheunenraum.  Er  läßt  das  ausge- 
droschene Stroh,  das  der  von  der  Lokomobile  gleichfalls  ge- 
triebene Elevator  zu  Haufen  türmt,  natürlich  draußen  stehen 
und  kann  anderes  Getreide  dafür  in  die  Scheune  bringen,  dann 
erspart  er  tüchtig  an  Arbeit;  denn  um  das  jetzt  schon  vom 
Fuder  gedroschene  Getreide  später  zu  dreschen,  hätte  es  wieder 
aus  dem  Scheunenfach  hinausbewegt  werden  müssen,  nachdem 
es  vorher  mit  Mühe  und  Not  eingebracht  war.  Dann  aber  hat 
er  gleich  sein  Saatgut  zur  Bestellung  der  Wintersaat  fix  und 
fertig.  Aus  dem  Dreschkasten  läuft  das  Getreide,  wenn  der 
Zylinder  etwas  enger  gestellt  wird,  zur  Saat  beinahe  brauchbar 
in  die  Säcke. 

Aber  mehr  noch!  Kurz  vor  der  neuen  Ernte  sind  gewöhn- 
lich die  höchsten  Getreidepreise.  Bald  nachdem  frisches  Ge- 
treide auf  den  Markt  gebracht  ist,  pflegen  die  Preise  zu  sinken. 
Der  Großbesitzer  hat  schon  verschiedene  Eisenbahnwagen  mit 
Getreide  befrachtet  zur  Stadt  geschickt  und  hat  schon  auf 
seine  Annoncen  für  den  teuersten  Preis  Saatgetreide  verkauft, 
dann  erst  kommt  der  Kleinbauer  dazu,  seine  Dreschmaschine 
aufzustellen  und  zu  dreschen.  Natürlich  kommt  der  Erdrusch 
dann  noch  nicht  Verkaufs-  oder  gar  saatfähig  aus  der  Maschine 
zum  Vorschein,  sondern  muß  erst  noch  durch  die  Putzmühle 
wandern. 

Nach  der  Getreideernte  kommt  die  Kartoffel-  und  Rüben- 
ernte an  die  Reihe.  Dieses  Gebiet  haben  wir  schon  oben  be- 
handelt. Unser  Bäuerlein  gräbt  im  Schweiße  seines  Angesichts, 
der  Großbesitzer  läßt  seine  Maschine  arbeiten.  Bei  der  Rüben- 
ernte, die  im  allgemeinen  wohl  dem  Groß-  wie  dem  Kleinbesitzer 
dieselbe  Arbeit  verursacht,  kommt  höchstens  zugunsten  des 
Großbesitzers  in  Betracht,  daß  4  Pferde  den  im  selben  Verhält- 
nis beladenen  Wagen  leichter  ziehen  als  2,  schon  weil  das  Ge- 
wicht des  Wagens  mit  all  dem  Schmutze,  der  im  nassen  Herbste 
von  den  ausgefahrenen  Wegen  den  Rädern  usw.  mitgegeben 
wird,  sich  auf  4  Pferde  verteilt.  Entsprechend  kann  mehr  auf- 
geladen  werden.      Belastend   für   den   Kleinbauern   ist   natürlich 

106 


auch  hier  wieder,  daß  er  mit  seiner  ganzen  Karawane  vom  Hofe 
zum  Felde  und  umgekehrt  wandern  muß.  Dasselbe  gilt  auch  für 
das  Nachhauseschaffen  der  Kartoffeln. 

Inzwischen  ist  natürlich  größtenteils  die  Bestellung  der 
Winterfelder  geschehen.  Auch  für  die  Wintersaat  hatte  unser 
Bäuerlein  seine  5  Zentner  Kunstdünger  ein  paar  Kilometer  weit 
nach  Hause  fahren  müssen;  auch  bei  der  Wintersaat  hat  er  mehr 
Saatgut  verwenden  müssen,  wie  nötig  gewesen  wäre. 

Nun  wird  Stalldung  gefahren.  Der  Großbesitzer  richtet  auch 
dabei  seine  Partie  ein,  das  heißt  eine  Anzahl  Menschen  laden 
im  Stalle  oder  auf  der  Dunggrube  den  Dünger  auf,  ein  paar 
vierspännig  bespannte  Wagen  fahren,  und  auf  dem  Felde  be- 
finden sich  wieder  Menschen,  die  den  Dünger  vom  Wagen  ab- 
haken, respektive  gleich  ausbreiten.  Unser  Bäuerlein  muß  mit 
seiner  einen  Fuhre  und  mit  seiner  gesamten  Mannschaft  natür- 
lich wieder  hin  und  her.  Streut  er  den  eben  auf  dem  Felde  in 
kleinen  Haufen  abgehakten  Dünger  gleich  aus,  dann  versäumen 
die  Pferde,  läßt  er  den  Dung  in  den  kleinen  Haufen  vorläufig 
noch  liegen,  um  erst  einmal  denselben  schnell  vom  Hofe  zu 
bringen,  dann  trocknet  der  Dünger  auf  dem  Felde  zusammen  und 
streut  sich  viel  schlechter  aus. 

Nun  wird  Stalldung  gefahren.  Der  Großbesitzer  richtet  auch 
Stoppelpflügen;  das  ist  die  Vorbereitung  des  Ackers  für  die 
nächstjährige  Frühlingssaat.  Natürlich  ist  der  Großbesitzer  da 
seinen  kleinen  Nachbarn  weit  überlegen.  Mit  seinen  für 
4  Pferde  berechneten  Pflügen  kann  er  natürlich  viel  tief- 
gründiger und  eigener  diese  Arbeit  besorgen  wie  die  Klein- 
besitzer mit  ihren  für  2  Pferdchen  berechneten  Pflügen.  Ist  der 
Boden  sehr  bündig  und,  was  bei  uns  auch  keine  Seltenheit  ist, 
lange  Zeit  kein  Regen  gefallen,  dann  wird  unser  Bäuerlein  über- 
haupt das  Pflügen  einstellen  müssen.  Kommt  es  doch  sogar  vor, 
daß  die  für  4  Pferde  ganz  besonders  stark  gearbeiteten 
Pflüge  zerbrechen  und  verbiegen,  weil  die  festgetrocknete  Erde 
einen  zu  großen  Widerstand  bietet.  „Sommerfrost"  nennen  es 
die  Bauern. 

Welcher  Besitzer  von  schwerem  Boden  hat  das  nicht  schon 
öfter  durchgemacht  und  sich  dann  sehnsüchtig  einen  Retter 
herbeigewünscht  in  Gestalt  eines  Dampfpflugs!  Oft  genug 
kommt  es  vor,  daß  Ackerflächen  mit  schwerem  Boden  im  Herbste 

107 


ungepflügt  bleiben,  weil  die  Trockenheit  ein  Pflügen  unmöglich 
machte.  Der  im  Frühjahr  gepflügte  strenge  Boden  gibt  in  der 
Regel  keinen  Ertrag. 

Doch  nehmen  wir  an,  das  Pflügen  geht  in  einem  gut  durch- 
näßten Boden  vorwärts.  Großbesitzer  wie  Kleinbauer  halten 
sich  tüchtig  daran.  Da  geht  beim  Großbesitzer  auf  dem  Felde 
mitten  in  der  Arbeit  ein  Pflug  entzwei.  Ein  im  Acker  ver- 
borgener Stein  hat  die  Spitze  des  Pflugeisens  verbogen  oder  ab- 
gebrochen. Der  Großbesitzer  hat  für  diesen  Fall  schon  einen 
Reservepflug  auf  dem  Acker  bereit  liegen.  Die  Arbeit  erleidet 
nur  geringe  Unterbrechung.  Nach  Schluß  der  Tagesarbeit  nimmt 
der  betreffende  Gespannfahrer  den  beschädigten  Pflug  mit  nach 
Hause,  der  Gutsschmied  bringt  ihn  in  Ordnung,  am  nächsten 
Tage  wird  er  wieder  aufs  Feld  mitgenommen,  um  als  Reserve- 
pflug zu  dienen. 

Unser  Kleinbauer  könnte  ja  auch  seinen  Reservepflug  auf 
dem  Felde  bei  der  Hand  haben,  oder  da  seine  Felder  nicht  zu 
weit  vom  Hofe  abliegen,  holt  er  sich  von  da  einen  Ersatzpflug; 
doch  er  hat  keine  Schmiede  zu  Hause.  Er  muß  den  beschädigten 
Pflug  baldmöglichst  auf  den  Wagen  laden  und  zu  der  vielleicht 
recht  weit  entfernten  Schmiede  fahren.  Derartiges  Malheur 
kann  unserem  Kleinbesitzer  natürlich  nicht  nur  beim  Pflügen 
passieren,  sondern  in  ungezählten  anderen  Fällen  ebenfalls.  Da 
verliert  ein  Pferd  ein  Hufeisen  respektive  muß  umgeschlagen 
werden,  da  geht  eine  Egge  entzwei  oder  es  bricht  ein  Rad- 
reifen usw. 

Die  Arbeiten  auf  dem  Felde  sind  nun  beendet,  respektive 
der  eingetretene  Winterfrost  hat  dem  Hantieren  mit  Pflug  und 
Spaten  ein  Halt  geboten.  Es  beginnen  die  Winterarbeiten  auf 
dem  Hofe. 

Das  Vieh  ist  schon  sämtlich  eingestallt.  Der  Großbesitzer 
spannt  seine  Lokomobile  an  den  Dreschkasten  und  treibt  das 
Getreide  aus  der  Scheune  hindurch.  Der  Dreschkasten  enthält 
zugleich  die  Reinigungsmaschinen,  Putzmühle,  Siebe  und  Fächel. 
Das  Getreide  läuft  verkaufsmäßig  in  die  Verladesäcke  und  wird 
direkt  von  der  Maschine  zum  Bahnhof  gefahren  und  waggon- 
weise zur  Stadt  geschickt.  Der  Preis  ist  mit  dem  Getreide- 
händler vorher  schon  vereinbart.  Der  Gutsbesitzer  liest  die 
Börsenberichte  und  weiß,  welchen  Preis  das  Getreide  hat.  Dem 


108 


Getreidekaufmann  ist  es  natürlich  sehr  lieb,  waggonweise  das 
Getreide  auf  einer  Stelle  zu  kaufen.  Er  kann  in  diesem  Falle 
höhere  Preise  zahlen.  Der  Großbesitzer  hat  außerdem  ein 
größeres  Absatzgebiet  für  sein  Getreide.  Er  kann  das  im 
Eisenbahnwaggon  verfrachtete  Getreide  eventuell  auch  zur 
nächsten  Großstadt  schicken,  wenn  er  glaubt,  trotz  der  höheren 
Frachtkosten  dort  durch  höhere  Preise  noch  einen  Gewinn  zu 
erzielen. 

Der  Kleinbesitzer  setzt  seine  durch  die  Pferde  getriebene 
Dreschmaschine  in  Gang,  muß  hinterher  noch  putzen,  fächeln 
und  sieben  und  erhält  doch  keine  reine  Ware,  weil  das  Ge- 
treide in  der  Scheune  nicht  genügend  getrennt  gehalten  werden 
konnte. 

Bei  einer  sehr  guten  Ernte  hat  er  nun  auch  einiges  zum 
Verkauf  übrig.  Er  bespannt  sein  Fuhrwerk,  ladet  ein  paar 
Zentner  auf  und  fährt  mitunter  meilenweit  zur  nächsten  Stadt. 
Wenn  möglich,  wird  er  diese  Fahrt  natürlich  mit  einem  Markt- 
tag verbinden,  der  in  der  Stadt  abgehalten  wird,  und  sich  viel- 
leicht Ferkel  oder  sonst  was  kaufen,  um  wenigstens  nicht  leer 
nach  Hause  zu  fahren. 

Kaum  ist  er  in  der  Stadt,  so  überfallen  ihn  schon  die  Vor- 
käufer oder  Deichselspringer,  behandeln  sein  Getreide  und 
suchen  dem  unwissenden  Bäuerlein  mit  allen  Kniffen  möglichst 
billig  die  Ware  abzukaufen.  Billiger  wie  die  Ware  des  Groß- 
besitzers muß  dies  Getreide  sein,  denn  das  Heer  der  Vorkäufer 
arbeitet  im  Auftrage  desselben  Großhändlers,  an  den  auch  unser 
Großbesitzer  seine  Getreidewaggons  sendet,  und  alle  diese 
Zwischenhändler  zweiter  und  dritter  Größe  wollen  auch  leben. 

Praktischer  ist  es  denn  schon,  wenn  der  Großhändler  viel- 
leicht in  einem  Dorfe  in  der  Nähe  unserer  Kleinbesitzer  einen 
Aufkäufer  hinsetzt,  der  dann  von  den  Bauern  Getreide  zusam- 
menkauft, bis  er  einen  Waggon  voll  hat  und  es  dann  verladet  und 
zur  Stadt  schickt.  Die  Bauern  sparen  dann  wenigstens  den 
Weg  zur  Stadt,  aber  die  größeren  Unkosten  bleiben  doch  be- 
stehen, und  das  so  zusammengekaufte  Getreide  bildet  keine  ein- 
heitliche Ware,  kann  also  nur  minderwertige  Preise  erzielen, 
selbst  wenn  wir  schon  nicht  annehmen  wollen,  daß  irgendein  ge- 
wissenloser Besitzer  vielleicht  schlechtes  Getreide  dazwischen 
schmuggelt  und  so   die  ganze  Sendung   damit  verdirbt. 

109 


Nun  ist  Saatklee  zu  dreschen  und  reinzumachen.  Das 
letztere  ist  eine  überaus  schwierige  Arbeit.  Das  Kleekorn  will 
sich  durchaus  nicht  aus  den  Hüllen,  in  denen  es  steckt,  befreien 
lassen.  Da  muß  zehn-  und  zwanzigmal  gedroschen,  gerieben  und 
gearbeitet  werden,  und  trotzdem  bleibt  noch  ein  großer  Teil  der 
Kleesaat  in  den  Hülsen. 

Dieser  schwierigen  Reinigungsarbeit  wegen  haben  früher  die 
Gutsbesitzer  vielfach  auf  den  Saatbau  der  verschiedenen  Klee- 
sorten verzichtet,  sich  die  Saat  fertig  gekauft  und  den  kleinen 
Besitzern  den  Anbau  von  Saatklee  überlassen.  Auch  das  ist 
jetzt  anders  geworden.  Es  ist  eine  Kleereinigungsmaschine  kon- 
struiert, hier  bekannt  unter  dem  Namen  Viktor,  die  immer  grö- 
ßere Verwendung  findet  und  die  Schwierigkeit  des  Saatklee- 
reinigens  vollständig  behoben  hat.  Die  Gutsbesitzer  schreiten 
jetzt  wieder  zum  Saatkleebau.  Der  Kleinbauer  wird  sich  nach 
wie  vor  mit  seiner  veralteten  Methode  quälen  können,  denn  die 
Maschine,  die  ebenfalls  durch  die  Lokomobile  getrieben  und  von 
einem  Unternehmer  von  Gut  zu  Gut  gesandt  wird,  kann  nur  dort 
aufgestellt  werden,  wo  ihr  eine  gewisse  Minimalarbeitsdauer 
garantiert  wird. 

Die  Winterszeit  wird  ferner  benutzt,  um  Holz  zu  fahren. 
Auch  der  Vorrat  für  den  Sommer  wird  herbeigeschafft.  Der 
Forst  ist  oft  eine  oder  gar  mehrere  Meilen  vom  Besitzer  ent- 
fernt. Der  Großbesitzer  richtet  wieder  seine  Vierspänner  und 
ladet  seine  5 — 6  Meter  auf  den  Wagen. 

Unser  Kleinbesitzer  kann  da  wieder  nicht  mitkonkurrieren. 
Im  Winter  hat  er  allerdings  Zeit.  Da  kauft  er  denn,  um  nicht 
zuviel  Geld  ausgeben  zu  müssen,  den  Abfall,  die  Aeste,  soge- 
nannten Sprak,  und  bringt  dann  mit  jeder  Fuhre  Brennwerk  nach 
Hause,  das  einen  Wert  von  40 — 50  Pfennig  hat. 

Wie  steht  es  nun  mit  der  Viehhaltung  und  Pflege  im 
Winter? 

Der  Großbesitzer  hat  das  Vieh  beim  Einstallen  entsprechend 
gesondert.  Hier  ist  der  Stall  für  die  Kühe,  da  ist  das  Jungvieh 
nach  Größe  oder  sonstwie  gesondert  untergebracht,  im  anderen 
Stalle  befinden  sich  die  Schafe  respektive  das  andere  Inven- 
tarium.  Ueberall  sind  die  saubersten  und  bequemsten  Fütter- 
einrichtungen   gemacht.      Das    Wasser    wird    durch    maschinelle 

110 


Einrichtungen  in  das  Bassin  gepumpt,  ein  Röhrenwerk,  das  in 
jeder  Krippe  seine  Ausmündung  hat,  ermöglicht  das  bequemste 
Tränken. 

Diese  Einrichtungen  sind  vielfach  schon  wieder  verbessert. 
In  Verbindung  mit  der  Wasserleitung  werden  automatisch  funk- 
tionierende Tränkeinrichtungen  angelegt,  die  es  jedem  Tiere  er- 
möglichen, ganz  nach  Belieben  zu  jeder  Zeit  sein  Wasserbedürf- 
nis zu  befriedigen.  Das  Wasser  hat  in  diesem  Falle  immer  eine 
angemessene  Temperatur.  In  vollkommenerer  Weise  kann  dem 
individuellen  Verlangen  der  einzelnen  Tiere  in  dieser  Richtung 
nicht  mehr  Rechnung  getragen  werden. 

Mag  unser  Kleinbauer,  der  sich  natürlich  für  seine  paar 
Stück  Vieh  keine  Wasserleitung  anlegen  kann,  noch  so  oft  durch 
Vorhalten  des  gefüllten  Tränkeimers  die  Kuh  stören,  die  auto- 
matische Tränkvorrichtung  ist  jedenfalls  die  vollkommenste  und 
trägt  zum  Wohlbefinden  des  Tieres  ganz  erheblich  bei. 

Die  sonst  auf  vielen  Gütern  schon  bestehenden  Einrichtun- 
gen für  schnelles  und  arbeitsparendes  Füttern  übergehe  ich, 
jedenfalls  können  bei  unserem  Großbesitzer  zwei  Menschen  mit 
Leichtigkeit  120 — 150  Stück  Jungvieh  besorgen;  dabei  setze  ich 
allerdings  voraus,  daß  zum  Bürsten  und  Putzen  des  Viehes 
noch  eine  Hilfskraft  tätig  ist.  Gewöhnlich  werden  auf  den 
Gütern  für  diesen  Zweck  ältere  Arbeiter  verwendet,  die  schwere 
Arbeit  draußen  oder  in  der  Scheune  nicht  mehr  verrichten 
können. 

Bei  Kühen  rechnet  man  auf  je  20  Stück  eine  Arbeitskraft. 
Bei  einer  Herde  von  100  Kühen  zum  Beispiel  übernimmt  der 
Kuhmeister  mit  vier  Gehilfen  die  ganze  Arbeil,  das  heißt  füttern, 
melken,  den  Dung  aus  dem  Stalle  schaffen,  putzen  und  auch  noch 
die  Kälberaufzucht. 

Unser  Kleinbauer  von  30  Morgen  hat  im  ganzen  aller- 
böchstens  10  Stück  Inventarium.  Er  hat  2  Pferde  und  dann  viel- 
leicht noch  2  Kühe,  3  Stück  Jungvieh,  1  Mutterschaf  und 
2  Schweine.  Jedenfalls  muß  Herr  und  Frau  Bauer  sich  mit 
diesen  10  Hofgenossen  den  Winter  über  durchschlagen.  Ja,  kann 
unser  Kleinbäuerlein  aus  diesen  10  Stück  Inventarium  nun  wenig- 
stens etwas  Besonderes  erzielen,  mehr  erzielen  verhältnismäßig 
als  der  Gutsnachbar  nebenan?     Sehen  wir  zu. 


111 


Der  Gutsnachbar  nebenan  hat  100  und  mehr  Kühe.  Er  hat 
für  diese  Kühe  Stallschweizer,  also  qualifizierte  Arbeiter,  Leute, 
die  dieses  Fach  als  Spezialfach  erlernt  haben. 

Die  Kühe  werden  an  den  einzelnen  Futtergängen  sachgemäß 
verteilt.  Frischmilchende  Kühe  respektive  solche,  die  besonders 
gute  Futterverwerter  sind,  kommen  an  den  ersten  Gang,  und 
nun  stuft  sich  die  Aufstellung  nach  dieser  Tendenz  der  Reihe 
nach  an  den  weiteren  Futtergängen  ab.  Für  die  Gänge  mit  den 
besseren  Futterverwertern  wird  nun  natürlich  entsprechend  mehr 
Kraftfutter  vom  Speicher,  respektive  Rauhfutter  vom  Schuppen 
gegeben. 

Aber  damit  allein  wird  sich  der  Großbesitzer  auch  noch  nicht 
begnügen,  sondern  von  seinem  Kuhmeister  verlangen,  daß  er 
innerhalb  dieser  verschiedenen  Futtergänge  die  Kühe  noch  indi- 
viduell behandelt,  der  einen  mehr  zusteckt  wie  der  anderen.  Ein 
guter  Kuhmeister  macht  das  schon  von  selber.  Was  kann  unser 
Bäuerlein  in  der  Beziehung  mehr  tun? 

In  einem  kürzlich  erschienenen  Artikel  der  „Monatshefte" 
Nr.  7  zeigt  Genosse  Schulz  an  der  Hand  der  Veröffentlichungen 
der  Milchkontrollvereine,  daß  die  Produktionskosten  pro  Kilo- 
gramm Milch  beim  bäuerlichen  Besitz  sich  etwas  niedriger  stellen 
wie  bei  Großbetrieb.  Dabei  spricht  meines  Erachtens  die  Fütte- 
rung sicher  die  allergeringste  Rolle  mit.  In  der  Hauptsache 
dürfte  dieser  Unterschied,  wenn  der  weitere  Ausbau  der  Milch- 
kontrollvereine diese  bisher  doch  nur  im  kleinen  gewonnene 
Erfahrung  bestätigen  sollte,  zurückzuführen  sein  auf  das  bessere 
Melken.  Ich  gebe  unumwunden  zu,  daß  im  kleinen  bäuerlichen 
Betrieb,  wo  die  Bäuerin  «eiber  das  Melken  beaufsichtigt  oder 
gar  mitmelkt,  zum  mindesten  die  Kühe  zur  Kontrolle  nachmelkt, 
oder  gar  in  den  bäuerlichen  Familienbetrieben,  wo  die  Frau  ihre 
beiden  Kühe  ganz  allein  besorgt,  daß  da  die  Kuh  bis  zum  letzten 
Tropfen  Milch  ausgestrippt  und  zu  größerer  Milcherzeugung  an- 
geregt wird,  während  im  Großbetrieb,  der  nur  mit  fremden  Ar- 
beitskräften melken  und  fremde  Arbeitskräfte  das  Melken  beauf- 
sichtigen lassen  kann,  vielmals  nicht  so  rein  ausgemolken  werden 
wird.  Das  sind  natürlich  kleine  Nachteile  für  den  Großbesitzer, 
aber  dafür  melkt  beim  Großbesitzer  auch  ein  Melker  15  und 
mehr  Kühe,  während  unsere  Kleinbauersfrau  ihre  Arbeitskraft 
nur  an  2  Kühen  betätigen  kann. 

112 


Etwas  mehr  gärend  Drachengift  des  Sozialismus  und  etwas 
weniger  Milch  der  frommen  Denkart,  mein  verehrter  Genosse, 
dann  werden  Sie  sich  sagen,  daß  das,  was  die  Kühe  geben, 
nicht  das  Alleinseligmachende  für  die  Menschheit  ist.  Für  den 
Säugling  mag  die  Milchproduktion  der  Güter  Höchstes  und  Ein- 
ziges sein,  die  Menschheit  an  sich  braucht  aber  noch  manches 
andere.  Wenn  4  oder  5  Menschen  100  Kühe  vollständig  be- 
sorgen, das  heißt  füttern,  melken,  reinhalien  und  die  entsprechen- 
den Kälber  aufziehen,  dann  wird  die  Milch,  wenn  sie  auch 
scheinbar  um  einen  halben  Pfennig  teurer  produziert  würde,  in 
Wirklichkeit  doch  viel  billiger  sein,  und  für  die  Allgemeinheit 
würde  dabei  ein  viel  größerer  Nutzen  herausspringen,  als  wenn 
2  Menschen  ihre  Arbeitskraft  an  2  Kühe  sozusagen  verschwen- 
den müssen. 

Um  überhaupt  zu  einem  richtigen  Resultat  zu  kommen, 
müßten  die  Milchkontrollvereine  für  den  Großbetrieb  natürlich 
auch  andere  Preise  für  das  Rauhfutter  und  Stroh  annehmen,  denn 
die  Gewinnung  dieser  Materialien  gestaltet  sich  im  Großbetrieb 
billiger  wie  im  Kleinbetrieb.  Ebenso  ist  der  Bezug  und  Einkauf 
der  Kraftfuttermittel  im  großen  wesentlich  billiger. 

Der  Kuhmeister  in  seiner  Eigenschaft  als  Spezialarbeiter 
auf  seinem  Gebiet  wird  in  vielen  Fällen,  zum  Beispiel  beim 
Kalben,  wobei  häufig  genug  Komplikationen  vorkommen,  durch 
sofortiges  sachgemäßes  Eingreifen  viel  Schaden  verhüten. 
Unserem  Bäuerlein  gehen  diese  Spezialkenntnisse  ab.  Der 
Kuhmeister  vom  großen  Nachbargut  wird  oft  genug  von  unseren 
100  Kleinbesitzern  in  Anspruch  genommen,  um  Rat  gefragt  und 
herausgeholt,  viel  mehr,  als  es  unserem  Gutsbesitzer  vielleicht 
lieb  ist. 

Der  Großbesitzer  kauft  sich  nun  einen  Bullen.  Für  seine 
weit  über  100  Häupter  starke  Herde  kann  er  sich  den  aller- 
besten Bullen  aussuchen.  Ein  paar  hundert  Mark  mehr  oder 
weniger  spielen  dabei  keine  Rolle.  Er  kann  sich  aber  auch  den 
Bullen  aussuchen,  der  speziell  für  seine  Herde  am  besten  paßt. 
Das  eine  Mal  braucht  er  einen  Stier  aus  einer  besonders  milch- 
ergiebigen Herde,  das  andere  Mal  sieht  er  vornehmlich  auf 
Körperformen,  einmal  wieder  auf  besonders  starke  Knochen, 
oder  er  will   die   häßlichen  Kopfformen   aus   seiner  Herde  her- 

Kautsky,  Landwirtschaft    8  113 


auszüchten  und  sucht  einen  Bullen  mit  besonders  schönem  Kopf 
und  feiner  Hornbildung. 

Diese  freie  Auswahl  des  Vatertieres  ist  bei  der  Viehzucht 
dem  Kleinbauern  versagt.  Für  seine  beiden  Kühe  kann  er  sich 
keinen  Bullen  kaufen.  Gewöhnlich  geht  er  mit  seiner  Kuh  zum 
benachbarten  Gutshof,  und  gegen  Bezahlung  respektive  Ver- 
pflichtung zu  einem  Tag  Arbeit  in  der  Erntezeit  wird  die  Kuh 
belegt.  Natürlich  nicht  mit  dem  besten  Bullen.  Der  Gutsbesitzer 
wird  nicht  riskieren,  sich  womöglich  durch  die  fremden  Bauern- 
kühe Seuchen  in  seine  Herde  einzuschleppen.  Für  die  Bauern 
und  Leutekühe  hat  er  einen  billigeren  und  auch  minderwertigeren 
Bullen  bereitstehen. 

Nehmen  wir  nun  auch  schon  an,  unsere  100  Kleinbauern 
v/ären  so  weit  vorgeschritten,  daß  sie  sich  zusammentun  und  auf 
genossenschaftlichem  Wege  einen  guten  Bullen  kaufen.  Dann 
sind  sie  trotzdem  noch  viel  schlechter  daran  wie  der  Groß- 
besitzer. 

Erstens  einmal  haben  sie  den  Stier  nicht  auf  dem  Hofe 
stehen,  sondern  müssen  mit  der  Kuh,  die  rindert,  oft  einen 
längeren  Weg  machen,  was  im  Winter  bei  Sqhnee  und  Eis  oft 
üble  Folgen  haben  dürfte.  Doch  davon  abgesehen,  kann  bei  der 
Auswahl  des  Genossenschaftsbullen  wohl  auf  die  Kühe  aller 
100  Kleinbesitzer  Rücksicht  genommen  werden?  Man  muß  im 
Auge  behalten,  daß  die  Kühe  dieser  Kleinbesitzer  nicht  wie  die 
Herde  des  Großbesitzers  von  vornherein  nach  einheitlichen  Prin- 
zipien gezüchtet  worden  sind,  sondern  ganz  verschiedenartige 
Eigenschaften  besitzen. 

Wir  haben  schon  oft  erwähnt,  daß  es  unserem  Kleinbäuer- 
lein  schwer  fallen  dürfte,  seine  etwaigen  besonderen  Fähigkeiten 
zu  verwerten  und  zum  Beispiel  Saatgetreide  zu  züchten. 

Aehnlich  liegt  die  Sache  auch  bei  der  Rindvieh-,  Schweine- 
und  Schafzucht.  Die  eigentliche  Tierzucht  kann  am  besten  der 
Großbesitzer  besorgen.  Sicherlich  werden  unter  unseren 
IOC  Kleinbesitzern  auch  welche  vorhanden  sein,  die  besondere 
Fähigkeiten  zum  Züchter  haben.  Aber  kann  der  beste  Feldherr 
und  Stratege  seine  Fähigkeiten  wohl  verwerten  und  ausbilden, 
wenn  er  weder  ein  Schlachtfeld  noch  genügend  Soldaten  zur  Ver- 
fügung hat?  Kann  der  beste  Spezialarzl  seine  Fähigkeiten  aus- 
nutzen und  vor  allem  weiterentwickeln,  wenn  er  nicht  genügend 

114 


Kranke  mit  dem  immer  wieder  verschiedenen  Auftreten  der 
Krankheiten  zur  Behandlung  und  Beobachtung  bekommt? 

Ein  guter  Tierzüchter  muß  nicht  nur  ein  feiner  Tierkenner 
und  Beobachter  sein,  nein,  er  muß  auch  das  Tiermaterial  in  ge- 
nügender Menge  zur  Verfügung  haben,  er  muß  die  verschiedenen 
Tiere  miteinander  vergleichen  können. 

Was  wird  unser  Bäuerlein  anfangen  können,  wenn  bei 
einem  der  beiden  Lämmer  seines  Mutterschafes  eine  Variation 
auftritt?  Als  guter  Beobachter  und  Kenner  wird  er  das  be- 
merken, er  wird  auch  erkennen,  daß  diese  Variation  weiter- 
gezüchtet, verstärkt  und  konstant  gemacht,  irgendwelchen  be- 
sonderen Nutzen  gewähren  würde.  Wie  soll  er  aber  mit  diesem 
einen  Lamm  die  Variation  weiterzüchten?  Er  müßte  vielleicht 
zu  sämtlichen  99  Besitzern  der  Nachbarstadt  laufen,  um  fest- 
zustellen, ob  da  auch  irgendwo  dieselbe  Variation  aufgetreten 
ist,  und  dann  ist  es  noch  fraglich,  ob  er  dieses  Tier  zu  kaufen 
bekommt,  oder  der  andere  hat  diese  gute  Variation  nicht  er- 
kannt und  das  Tier  als  mißraten  längst  geschlachtet  und  ver- 
zehrt. 

Anders  steht  es  in  dieser  Hinsicht  bei  unserem  Groß- 
besitzer. Der  hat  vielleicht  eine  Herde  von  300  Mutterschafen. 
Wenn  da  nun  eine  Variation  auftritt,  die  eine  Weiterzucht  in 
dieser  Richtung  wünschenswert  erscheinen  läßt,  dann  ist  die 
Möglichkeit  dazu  auch  leichter  gegeben.  Falls  unter  seinen 
vielen  hundert  Lämmern  nur  wenige  Fälle  dieser  Varietät  auf- 
treten, dann  fährt  er  zum  Nachbar,  der  ebenfalls  Schafzüchter 
ist,  und  findet  in  dessen  großer  Herde  das  Gewünschte  und 
tauscht  diese  Tiere  vielleicht  ein  gegen  andere  aus  seiner 
Herde,  die  der  Nachbar  zu  seinen  Züchtungsversuchen  brauchen 
kann. 

Das  Züchten  von  Artbullen,  Ebern  und  Böcken  liegt  tat- 
sächlich doch  auch  beinahe  ausschließlich  in  der  Hand  von 
Großbesitzern. 

Auf  die  Schweinezucht  will  ich  hier  nicht  weiter  eingehen, 
um  nicht  zu  wiederholen,  was  ich  in  Nr.  26  der  „Neuen  Zeit" 
geschrieben  habe. 

Mit  dem  Verkauf  der  aufgezogenen  Tiere  im  Groß-  resp. 
im  Kleinbetrieb  steht  es  ähnlich  wie  mit  dem  Verkauf  von  Ge- 


115 


treide  bei  Groß-  beziehungsweise  Kleinbetrieb.  Beim  Groß- 
besitzer findet  der  Händler  gleichmäßiges  Vieh  in  einer  Menge, 
daß  er  gleich  einen,  respektive  ein  paar  Eisenbahnwaggons, 
damit  befrachten  kann.  Natürlich  zahlt  er  dann  den  höchsten 
Preis.  Will  er  dieselbe  Menge  Vieh  von  Kleinbesitzern  zu- 
sammenkaufen, ja,  wieviel  Tage  muß  er  da  unterwegs  sein  und 
von  Ort  zu  Ort,  von  Gehöft  zu  Gehöft  reisen,  und  schließlich 
hat  er  doch  nur  bunt  zusammengewürfteltes    Zeug    aufgekauft. 

Der  Großbesitzer  hat  unmittelbar  an  seinem  Viehstall  auch 
die  Viehwage  stehen,  zum  Aerger  der  Händler,  die  behaupten, 
die  Viehwage  habe  ihren  ganzen  Verdienst  vernichtet.  Dar 
Kleinbesitzer  kann  sich  nicht  eine  eigene  Viehwage  anschaffen. 
Er  ist  darauf  angewiesen,  sein  Vieh  nach  ,, Sicht"  zu  verkaufen, 
wobei  der  routinierte  Händler  ihm  immer  über  ist.  Im  anderen 
Falle  muß  er  erst  wer  weiß  wie  weit  sein  Vieh  auf  die  Wage 
treiben,  womit  große  Gewichtsverluste  verbunden  sind. 

Der  Großbesitzer  hat  seine  eigene  durch  die  Lokomobile 
getriebene  Schrotmühle  stehen.  Für  seinen  Betrieb  lohnt  selbst- 
redend diese  Einrichtung.  Die  Tiere  verwerten  das  gemahlene 
Getreide  besser.  Unser  Kleinbauer  kann  sich  für  die  paar 
Zentner,  die  er  zu  vermählen  hat,  natürlich  keine  eigene 
Mühleneinrichtung  machen.  Er  muß  entweder  das  Getreide  ganz 
verfüttern  oder  seine  paar  Scheffelchen  zur  Mühle  hin-  und 
herschaffen. 

Setzen  wir  einen  anderen  Fall.  Unser  Kleinbäuerlein 
braucht  einen  Tierarzt.  Er  setzt  seinen  sogenannten  Gala-  oder 
Kirchenwagen  in  Bewegung  und  holt  den  Mann  heraus  aus  dem 
vielleicht  zwei  Meilen  entfernten  Orte.  Der  Tierarzt  behandelt 
den  Fall,  das  Bäuerlein  bezahlt  wehmütig  die  Taxe  und  fährt 
den  Tierarzt  wieder  nach  Hause.  Dort  wartet  vielleicht  schon 
ein  zweites  Fuhrwerk,  das  einem  anderen  unserer  100  Klein- 
besitzer gehört,  und  der  Tierarzt  muß  den  Weg  wieder  machen. 
Mit  dem  Menschenarzt  kann  es  ebenso  gehen. 

Wird  der  Arzt  zum  Großbesitzer  geholt,  dann  werden  da 
immer  gleich  soundsoviel  Fälle  mit  abgemacht.  Auch  hierbei 
wird  das  Konto  unserer  100  Kleinbesitzer  nicht  unwesentlich 
gegenüber  dem  einen  Großbesitzer  belastet  werden. 

116 


5.  Die  intensive  Viehzucht 

Haben  wir  nun  im  vorhergehenden  sozusagen  die  Entstehung 
und  den  Lebenslauf  der  großen  und  der  kleinen  Besitzer  zu 
schildern  versucht,  haben  wir  da  gezeigt,  wie  ungleich  Licht  und 
Schatten  zwischen  groß  und  klein  auch  im  Agrarbetrieb  ver- 
teilt sind,  so  wollen  wir  jetzt  noch  auf  Fragen  allgemeiner  Natur 
eingehen. 

Die  Verfechter  der  landwirtschaftlichen  Kleinbetriebs- 
form stellen  sich  triumphierend  auf  den  Sockel  der  Statistik 
und  verkünden:  „Der  Kleinbetrieb  kann  auf  derselben  land- 
wirtschaftlichen Fläche  mehr  Vieh  produzieren  wie  der  Groß- 
betrieb." 

Nach  der  Bibel  erschlug  der  ackerbautreibende  Kain  den 
nomadisierenden  Abel;  jetzt  soll  der  angeblich  mehr  Vieh  pro- 
duzierende Kleinbauer  Abel  den  ackerbautreibenden  Großbesitzer 
Kain  erschlagen. 

Wenn  also  der  Fortschritt  heute  in  der  entgegengesetzten 
Richtung  liegen  mag  wie  in  früheren  Tagen,  so  bestreiten  wir 
ganz  entschieden,  daß  der  Großbetrieb  weniger  Vieh  produzieren 
kann  wie  der  Kleinbetrieb.   2X2  ist  4  und  nicht  5. 

Wir  haben  oben  nachgewiesen,  wieviel,  im  Verhältnis  zum 
Großbetrieb,  der  Kleinbesitz  mehr  an  Land  durch  Höfe,  Wege, 
Gräben,  Grenzraine  verliert.  Trotzdem  soll  sich  auf  weniger 
Land  mehr  Vieh  ernähren  können. 

Gewiß,  die  Statistik  führt  uns  vor  Augen,  daß  vom  bäuer- 
lichen Betrieb  pro  Hektar  soundsoviel  Schweine  mehr  geliefert 
werden  wie  vom  Großbetrieb  von  derselben  Fläche. 

Allerdings,  die  Bauern  verkaufen  wenig  oder  gar  kein  Ge- 
treide; der  Transport  ihrer  paar  Zentner  ist  ihnen  eben  zu  be- 
schwerlich; außerdem  können  sie,  wie  wir  oben  gesehen  haben, 
nicht  den  Preis  erzielen  wie  der  Großgrundbesitzer.  Aus  diesem 
Grunde  verfüttern  sie  ihr  Getreide  in  der  Hauptsache  an 
Schweine. 

Wenn  unser  Großbesitzer  es  ebenso  machen  wollte,  das 
heißt,  sein  sämtliches  Getreide  an  Schweine  verfüttern,  dann 
würde  er  sicherlich  beträchtlich  mehr  Schweinefleisch  produ- 
zieren können  wie  unsere  sämtlichen  100  Kleinbesitzer  zu- 
sammengenommen.     Er   würde   absolut    schon   bedeutend   mehr 

117 


produzieren,  und  gar  relativ  betrachtet  würde  er  ein  ganz  ge- 
waltig größeres  Quantum  auf  den  Markt  werfen  können.  Warum 
tut  er  es  nicht?  Er  könnte  es  tun,  nichts  hindert  ihn  daran, 
heute  nicht  einmal  mehr  die  Seuchenfurcht.  Nun,  er  tut  es 
nicht,  weil  er  sich  dabei  keinen  genügenden  Verdienst  ausrechnet. 
Er  überläßt  es  den  Kleinbauern,  sich  für  einen  Hundeverdienst 
zu  quälen  und  zu  schuften. 

Wie  steht  es  übrigens  mit  den  Schweinen,  die  die  landwirt- 
schaftlichen Gutsarbeiter  produzieren  und  verkaufen? 

Die  landwirtschaftlichen  Arbeiter  figurieren  bei  der  Be- 
rufszählung sozusagen  als  Kleinbetriebsbesitzer,  sofern  sie  Land 
zur  eigenen  Nutzung  erhalten,  was  heute  noch  allgemein  der 
Fall  ist,  wie  zum  Beispiel  die  Gewährung  von  Kartoffelacker 
und  Gartenland.  Wenn  die  ungeheure  Menge  Schweine,  die 
diese  Leute  umsetzen,  dem  Kleinbetrieb  zugute  gerechnet  wird, 
so  kommt  ein  ganz  schiefes  Bild  zutage.  Diese  Schweine  müssen 
ganz  selbstverständlich  dem  entsprechenden  Gutsbesitz  zugute 
gerechnet  werden,  denn  der  Gutsbesitz  liefert  die  Materialien 
zu  ihrer  Aufzucht. 

Nun  soll  der  Kleinbesitz,  wenn  auch  lange  nicht  in  dem 
Verhältnis  wie  bei  der  Schweinezucht,  so  doch  auch  von  der- 
selben Fläche  mehr  Rindvieh  produzieren  wie  der  Großbesitz. 
Um  darüber  ein  richtiges  Bild  zu  gewinnen,  müßten  unbedingt 
die  Verhältniszahlen  in  Gewichtsmengen  zum  Ausdruck  kom- 
men. Das  ist  aber  unseres  Erachtens  unmöglich  richtig  zu 
machen.  Die  Bauern  verkaufen  in  den  allerseltensten  Fällen 
ihr  Vieh  nach  Gewicht.  Um  zu  Gewichtszahlen  zu  kommen, 
können  also  nur  Durchschnittsgewichte  der  einzelnen  Rinder- 
kategorien angenommen  werden  oder  gar  dem  von  den  Bauern 
verkauften  Vieh  dasjenige  Durchschnittsgewicht  unterstellt 
werden,  welches  das  vom  Großbesitzer  verhandelte  Vieh  be- 
sitzt. Dabei  kann  unmöglich  ein  wahrheitsgetreues  Bild  ge- 
wonnen werden. 

Man  dürfte  kaum  wesentlich  zu  hoch  greifen,  wenn  man 
annimmt,  daß  das  von  den  Gutsbesitzern  verkaufte  Vieh,  wenig- 
stens Jungvieh,  beinahe  doppelt  so  schwer  ist  wie  das  von  den 
Bauern  verkaufte. 

Die  Bauern  halten  ihr  Vieh  gewöhnlich  ja  gar  nicht,  bis 
es  ausgewachsen  oder  gar  schlachtreif  ausgemästet  ist.     Sie  ver- 


!18 


kaufen  es  schon  sehr  jung-  Man  braucht  ja  nur  auf  irgendeinen 
Viehmarkt  zu  gehen,  um  das  zu  erkennen.  Die  Gutsbesitzer 
kaufen  dies  unreife  Bauernvieh  entweder  direkt  oder  indirekt 
durch  Vermittlung  des  Händlers  und  machen  es  erst  schlacht- 
reif. Der  Großbesitzer,  zumal  wenn  er  technische  Neben- 
betriebe, wie  Brennerei,  Stärkefabrik,  Molkerei,  Zuckerfabrik 
usw.  hat,  kann  das  Vieh  ja  auch  viel  billiger  aufmästen  wie 
der  Kleinbesitzer.  Der  Bezug  von  Kraftfuttermitteln  im  großen 
befördert  hierin  ebenfalls  seine  Ueberlegenheit  über  den 
Bauern. 

Auch  bei  der  Rindviehzucht  müssen  wir  die  Frage  auf- 
werfen, ob  in  der  Statistik  nicht  etwa  die  Kuh,  die  dem  Land- 
arbeiter gehört,  dem  Kleinbesiiz  zugerechnet  wird;  das  wäre 
natürlich  ebenfalls  unstatthaft. 

Würden  also  einwandfreie  Gewichtszahlen  für  das  vom 
Groß-  respektive  Kleinbesitz  verkaufte  Vieh  vorliegen,  so 
müßte  unseres  Erachtens  die  Statistik  schon  ein  ganz  anderes 
Bild  ergeben,  das  sich  bedeutend  zugunsten  des  Grundbesitzes 
verschieben  würde. 

Aber  noch  ein  anderes  kommt  hinzu. 

Ein  gewisser  Prozentsatz  des  von  dem  Kleinbesitzer  groß- 
gezogenen Viehes  hat  das  Futter  gefressen,  welches  der  Groß- 
besitz produziert  hat. 

Die  Kleinbauern  leisten  heutzutage  vielfach  dem  Groß- 
besitzer Handdienste  in  der  Erntezeit,  um  dafür  vom  Groß- 
besitzer  Spanndienste  und   Viehfutter   in   Anspruch   zu   nehmen 

Vor  Jahren,  als  die  Mähmaschinen  noch  nicht  so  vollkommen 
waren,  wie  sie  es  heute  sind,  als  das  Mähen  des  Futters  noch 
mit  der  Hand  vorgenommen  wurde,  da  war  es  sehr  verbreitet, 
daß  der  zweite  Futterschnitt  der  Grummet,  von  den  Gutsbesitzern 
an  die  Bauern  auf  Anteil  vergeben  wurde. 

Die  Bauern  mähten  den  Grummet  ab  mußten  ihn  trocken 
machen  und  in  kleinen  Haufen  zusammenbringen.  Dann  kam 
der  Gutsbesitzer,  fuhr  seinen  Löwenanteil  nach  Hause  und  ließ 
je  nach  der  Quantität  des  Futters  den  dritten,  vierten,  fünften 
oder  gar  nur  den  sechsten  Haufen  für  die  Bauern  stehen.  Die 
Bauern  können  auf  diese  Weise  Futter  gewinnen,  und  der  Guts- 
besitzer hatte   den  Vorteil,   ohne  Mühe  bei   dem   oft  unsicheren 

119 


Herbstwetter  den  größeren  Teil  seines  Grummets  einzubekommen. 
Außerdem  verpflichteten  sich  die  Kleinbauern  noch,  pro  Hektar 
der  vergebenen  Futterfläche  soundsoviel  Tage  andere  Arbeit  bei 
dem  Gutsbesitzer  zu  verrichten. 

Heute  gestatten  die  Maschinen  dem  Gutsbesitzer,  mühelos 
seinen  Grummet  selber  zu  gewinnen;  wenn  dennoch  viele 
Gutsbesitzer  dieses  System  beibehalten  haben,  so  nur,  um 
Arbeitstage  zu  gewinnen.  Andere  wieder  mähen  mit  Hilfe  der 
Maschinen  meinetwegen  etwa  drei  Viertel  ihres  Grummets 
selber  und  vergeben  den  Rest  ganz  an  Kleinbesitzer  gegen 
Ab  arbeit. 

Ebenso  werden  Grabenränder  oder  Wiesenschlanken,  die  für 
den  Großbesitzer  zum  Ernten  zu  unbequem  sind,  gegen  Arbeits- 
tage oder,  wo  Arbeitskräfte  genügend  vorhanden,  auch  gegen 
Entgelt  an  Kleinbesitzer  vergeben.  Vereinzelt  kommt  es  sogar 
vor,  daß  Gutsbesitzer  einen  Teil  ihres  Getreides  den  Bauern 
auf  Anteil  zu  ernten  geben. 

Gewinnen  also  die  Kleinbesitzer  vom  Großbesitz  Futter, 
um  im  Winter  ihr  Vieh  durchhalten  zu  können,  so  ernähren 
sie  außerdem  gewöhnlich  auch  noch  im  Sommer  mit  Hilfe  des 
Großbesitzes  einen  Teil  ihres  Viehstandes.  Gegen  Arbeitstage 
wird  ihnen  vielfach  auf  den  Gütern  Weide  für  Rindvieh  oder 
Schafe  gegeben.  Die  fleißigen,  die  arbeiten  wollen,  binden  er- 
laubterweise ihr  Vieh  an  den  Grenzen  auf  der  Weide  des  Groß- 
besitzers an;  aber  in  der  Nacht,  die  ihren  Fittich  über  vieles 
breitet,  weiß  oftmals  das  Inventarium  mancher  bäuerlichen  Be- 
sitzer die  Grenzraine  des  Großbesitzers  nicht  zu  erkennen.  Bei- 
nahe jeder  Großbesitzer  erhält  auf  diese  Weise  eine  Anzahl 
kleinerer  Besitzer  existenzfähig. 

Genosse  Schulz  wird  aus,  seiner  „Tilsiter  Niederungszeit" 
her  gewiß  noch  im  Gedächtnis  haben,  daß  es  dort  große  Wiesen- 
güter gibt,  ich  nenne  nur  „Kruvertshof",  auf  denen  die  Haupt- 
arbeit des  Besitzers  sich  darauf  beschränkt,  seine  Wiesen  par- 
zellenweise zur  Futterernte  kleinen  Besitzern  zu  verpachten. 

Diejenigen  Kleinbesitzer  nun,  die  vom  Gutsbesitzer  kein 
Futter  erhalten  oder  nehmen  wollen,  wandern  vielfach  in  die 
Forsten,  um  in  den  Waldwiesen  gegen  Geld  Futter  zu  holen. 
Der  Forstfiskus  hat  durch  Anwendung  künstlicher  Düngemittel 
in  letzter  Zeit   die  Quantität  und   Qualität   der  Waldwiesen  er- 


120 


heblich  gebessert,  und  die  Bauern  holen  mitunter  meilenweit  aus 
den  Forsten  Futter  nach  Hause. 

Nun  kann  man  doch  das  Vieh,  welches  durch  dieses  vom 
Großbesitz  respektive  von  Forstwiesen  produzierte  Futter  auf 
dem  Bauernhof  großgezogen  wird,  unmöglich  der  vom  Klein- 
bauern besessenen  Fläche  zurechnen,  indem  man  etwa  sagt,  der 
Kleinbauer  könne  aus  seinem  Landbesitz  heraus  mehr  Vieh 
produzieren.  Das  hängt  in  diesem  Falle  absolut  nicht  mit  dem 
Kleinbesitz  zusammen,  sondern  nur  mit  dem  Kleinbesitzer. 
Weil  letzterer  durch  vergrößerte  Ausbeutung  seiner  eigenen 
und  seiner  Familie  Arbeitskraft,  indem  er  von  den  Graben- 
rändern der  Gutsgetreidefelder  mühsam  das  Futter  heraus- 
trägt oder  meilenweit  nach  dem  Forst  pilgert,  sich  unabhängig 
von  seinem  Boden  die  Materialien  zur  Produktion  von  Fleisch 
beschafft. 

Die  Zahlen,  die  uns  die  Statistik  über  die  Fleischproduktion 
auf  Groß-  respektive  Kleinbesitz  liefert,  können  wir  also  nichts 
weniger  wie   einwandfrei  nennen. 

6.  Die  Beschäftigung  der  Landarbeiter  im  Winter 

Der  Kleinbesitzer  hält  sich  eben  wirtschaftlich  am  Leben 
durch  die  ungeheure  Ausbeutung  seiner  respektive  seiner  Fa- 
milie Arbeitskraft  während  des  Sommers.  Dafür  kann  er  aller- 
dings im  Winter  auf  der  Ofenbank  liegen,  weil  ihm  Arbeit 
mangelt. 

Wenn  auf  dem  Mond  der  Tag  anbricht,  dann  steigt  dort 
die  Temperatur  rasch  bis  zu  ein  paar  hundert  Grad  Wärme  an, 
um  in  der  Mondnacht  in  das  Extrem  zu  fallen  und  beinahe  bis 
auf  den  absoluten  Nullpunkt  zu  sinken.  Wird  ein  vernünftiger 
Mensch  das  als  einen  zweckentsprechenden  Temperaturausgleich 
bezeichnen? 

Wenn  der  Kleinbesitzer  sich  im  Sommer  mit  seiner  Fa- 
milie beinahe  zuschanden  arbeitet,  um  dafür  den  langen  Winter 
mit  Nichtstun  verbringen  zu  müssen,  ist  das  etwa  ein  zweck- 
entsprechender Ausgleich?     So  liegen  aber  die  Dinge. 

Greifen  wir  wieder  auf  unser  Beispiel  zurück.  Unser  Groß- 
besitzer auf  seinen  750  Hektar  hat  36  Arbeiterfamilien,  mit 
denen  er  unter  Benutzung  von  Maschinen  im  Sommer  auskommen 


121 


kann.  Doch  im  Winter  hat  er  schon  die  größte  Mühe,  diese 
36  Familien  zweckmäßig  zu  beschäftigen. 

Arbeit  ist  die  Tätigkeit,  die  sich  mit  Herstellung  von  nütz- 
lichen Dingen  für  die  Menschheit  beschäftigt.  Wir  kennen  einen 
Pfarrer,  der  gab  dem  reisenden  Handwerksburschen  erst  dann 
etwas  zu  essen,  wenn  er  einen  Steinhaufen  an  einen  anderen 
Ort  getragen  hatte,  der  nächste  Kunde  mußte  dann  diesen 
Steinhaufen  wieder  zurück  an  seinen  alten  Ort  schaffen  und 
so  fort.  Das  ist  natürlich  Arbeit  für  den  Handwerksburschen, 
für  ihn  sogar  nutzbringende  Arbeit,  denn  er  bekam  nachher  zu 
essen,  aber  der  Allgemeinheit  wird  durch  diese  Arbeit  absolut 
kein  Nutzen  gebracht. 

Würde  der  Pfarrer  dem  Handwerksburschen  aufgeben,  die 
Steine  vielleicht  ein  paar  hundert  Meter  weit  zu  tragen,  wo- 
selbst sie  für  einen  Chausseebau  Verwendung  finden  sollen,  so 
wäre  das  schon  eine  für  die  Allgemeinheit  nutzbringende  Ar- 
beit, aber  immerhin  noch  recht  unzweckmäßig.  Richtig  zweck- 
mäßig würde  diese  Arbeit  erst  sein,  wenn  der  Pfarrer  einen 
Wagen  bespannen  ließe,  auf  den  der  Handwerksbursche  die 
Steine  aufzuladen,  an  die  projektierte  Chaussee  zu  rücken  und 
dort  abzuladen  hätte. 

Unser  Großbesitzer  mit  seinen  36  Familien  wird  natürlich 
im  Winter  seine  Leute  niemals  so  beschäftigen  wie  der  Pfarrer, 
der  den  bewußten  Steinhaufen  hin-  und  her  tragen  ließ,  aber  er 
wird  sie  aus  Mangel  an  genügender  Arbeit  auch  nicht  sehr 
produktiv  ausnutzen,  sondern  vielfach  den  Mittelweg  wählen. 
Es  ist  eben  in  der  Landwirtschaft  im  langen  Winter  Mangel 
an  Arbeitsgelegenheit.  Immerhin  hat  unser  Großbesitzer  doch 
nur  für  seine  36  Familien  nach  halbwegs  lohnender  Arbeit  zu 
suchen. 

Wenn  nun  aber  statt  dieses  Großbesitzers  mit  seinen  36 
Familien  auf  den  3000  Morgen  100  Kleinbesitzer  säßen,  also 
beinahe  dreimal  so  viel  Arbeitskräfte  vorhanden  wären,  oder 
wenn  wir  im  Sinne  des  Genossen  Schulz  gleich  verallgemeinern 
und  annehmen  wollten,  daß  nur  Kleinbesitzer,  die  keine  fremden 
Arbeitskräfte  anwenden,  überhaupt  in  der  Landwirtschaft  vor- 
handen wären,  wenn  also  das  flache  Land,  soweit  Groß-  respek- 
tive Mittelbetrieb  in  Frage  käme,  seine  Einwohnerzahl  beinahe 
verdreifachte?     Wenn  diese  Umwandlung,  wie   Genosse   Schulz 


122 


prophezeit,  in  wenigen  Jahrfünften  vor  sich  gehen  sollte,  dann 
würde  zunächst  unsere  Industrie  eine  gewaltige  Krisis  durch- 
zumachen haben;  denn  der  Zuzug  vom  Lande  zur  Industrie 
würde  nicht  nur  ausbleiben  müssen,  sondern  wahrscheinlich 
müßte  die  Industrie  noch  Arbeitskräfte  abgeben.  In  verdrei- 
fachter Zahl  müßte  unsere  Industrie  Ausländer  heranziehen,  die 
unsere  heimischen  Arbeiter  doch  nicht  überall  vollwertig  er- 
setzen könnten. 

Aber  nun  denke  man  der  Frage  nach,  diese  dreimal  so 
starke  Bevölkerung  im  nördlichen  und  nordöstlichen  Deutschland 
trete  in  den  Winter. 

Bis  zum  Oktober  etwa  würden  diese  Kleinbauern  mit  der 
Ernte  und  den  Feldarbeiten  fertig  sein.  Der  November  pflegt 
Frost  zu  bringen,  und  bis  in  den  April  hinein  ruft  der  Winter 
den  eigentlich  produktiven  Arbeiten  auf  dem  Felde  sein  Halt 
entgegen.  In  diesem  Jahre,  das  allerdings  als  Ausnahme  zu 
betrachten  ist,  stießen  Arbeiter,  die  auf  der  Besitzung  des  Ver- 
fassers drainierten,  am  12.  Mai  teilweise  noch  auf  Frost  im 
Boden.  Bis  zum  Anfang  des  Mai  waren  Feldarbeiten  nicht  aus- 
zuführen. 

Jedenfalls  können  wir  annehmen,  daß  unsere  verdreifachte 
Bevölkerung  hier  im  Norden  ein  halbes  Jahr  auf  dem  Lande 
mit  ihrer  Arbeitskraft  sozusagen  brach  liegt.  Im  Süden  und 
Westen  Deutschlands  liegen  in  dieser  Beziehung  die  Verhält- 
nisse wohl  wesentlich  anders. 

Im  Winter  hat  bei  uns  der  Kleinbauer  beim  besten  Willen 
nichts  zu  tun.  Das  bißchen  Getreide  ist  bald  ausgedroschen, 
und  nun  raucht  er  seinen,  erschrick  nicht,  Leser,  womöglich 
selbstgebauten  Tabak  auf  der  Ofenbank  oder  verfällt  in  den 
Winterschlaf,  und  anstatt  ein  produktiver  Vermehrer  des  Volks- 
wohlstandes zu  sein,  ist  er  verurteilt,  ein  halbes  Jahr  nur  als 
Zehrer  zu  fungieren. 

Welchen  Einfluß  wird  diese  wirtschaftsbetriebliche  Verän- 
derung auf  dem  flachen  Lande  noch  sonst  auf  die  Industrie 
üben?  Die  gesamte  Produktion  von  Maschinen,  die  der  land- 
wirtschaftliche Großbetrieb  heute  in  immer  steigenderem  Maße 
in  Anwendung  nimmt,  wäre  vernichtet,  die  Rückwirkung  auf 
die  Kohlengewinnung  und  Hüttenindustrie  unausbleiblich.     Wir 

123 


haben  oben  schon  ausgeführt,  daß  die  hundert  Kleinbesitzer 
für  Gerätschaften  und  Maschinen  (Dreschmaschinen,  Häcksel- 
maschinen, Göpelwerk)  ein  beträchtlich  größeres  Kapital  auf- 
wenden müssen  wie  der  eine  Großbesitzer,  das  steht  aber  mit 
dem  eben  vorher  angeführten  Satze  in  keinem  Widerspruch; 
denn  was  die  Kleinbesitzer  sich  an  Maschinen  anschaffen,  sind 
einmalige  Aufwendungen;  diese  Maschinen,  weil  sie  gewöhnlich 
rasten,  vererben  vom  Großvater  auf  den  Enkel.  Der  Groß- 
besitz jedoch  braucht  gerade  auch  solche  Maschinen,  die  schnell 
verschleißen,  wie  zum  Beispiel  Mähmaschinen  usw.  In  drei 
Jahren  pflegt  eine  Mähmaschine  verarbeitet  zu  sein. 

Aber  noch  etwas  anderes.  Diese  Millionen  von  Kleinbauern 
würden  schließlich,  um  ihre  Arbeitskraft  auch  im  Winter  etwas 
betätigen  zu  können,  unabweislich  dazu  übergehen,  wie  in 
früheren  Zeiten  möglichst  alles,  was  sie  brauchen,  selbst  zu 
verfertigen.  Der  selbstgewebte  Rock,  der  vom  Großvater  bis 
auf  den  Urenkel  vererbt  und  von  Generation  zu  Generation 
wärmer  und  schwerer  wurde,  dürfte  die  Textilindustrie  gewaltig 
in  Mitleidenschaft  ziehen,  analog  würde  es  mit  ungezählten 
anderen  Industrieartikeln  gehen.  Der  Flachsbau  würde  wieder 
aufgenommen  werden,  um  zum  Weben  von  Leinenzeug  für  den 
Winter  Material  zu  liefern. 

Wie  auf  einem  Gelände,  das  früher  einmal  in  Kultur  ge- 
wesen und  dann  durch  Verfall  der  Entwässerungen  von  neuem 
Sumpfland  geworden  ist,  hier  und  da  die  Irrlichter  wieder  ihr 
spukhaftes  Wesen  zu  treiben  beginnen,  so  würden  aus  der  Lein- 
saat die  flackernden  Oellämpchen  in  den  Bauernstuben  zu  neuem 
Leben  erstehen. 

Der  leuchtende  Zeuge  dafür,  daß  der  sieghafte  Menschen- 
geist die  Natur  bezwungen  hat,  indem  er  den  verheerenden  Blitz 
sich  zum  Sklaven  gemacht,  der  elektrische  Funke,  der  strahlend 
auch  dem  flachen  Lande  zu  leuchten  begann,  ihm  würde  ein 
„Rückwärts"  zugerufen.  Die  Volksschulen  blieben  mehr  oder 
weniger  in  ihrem  alten  Elend.  Theater,  Kunst  und  sonstige  Bil- 
dungsstätten, den  Millionen  von  Kleinbesitzern  werden  sie  ewig 
unerreicht  bleiben.  Geschieden  bleibt  der  Menschheit  Heer  in 
Barbaren  und  Hellenen. 

Die  sozialistische  Kultur  der  Städte  und  die  Rückständig- 
st auf  dem  Lande  stehen  sich  gegenüber.    Der  Preis  der  Lebens- 


124 


mittel  wird  die  Sphinx  jener  Zeit  werden.  Ein  tiefer  Spalt  zer- 
reißt unser  Volk  in  zwei  Teile,  was  kann  hineingeworfen  werden, 
um  ihn  zu  schließen? 

Die  nägelbeschlagenen  Schuhe  werden  nach  wie  vor  die 
Marmorfliesen  der  Städte  in  Stücke  zu  trampeln  suchen. 

7.  Kleinbauer  und  Sozialismus 

Genosse  Schulz  erachtet  in  seinem  Buche  das  Kommen  des 
Sozialismus  in  der  Industrie  für  gegeben  und  leugnet  nur  die 
Möglichkeit  des  Sozialismus  für  das  Land,  woselbst  er  als  Er- 
satz die  landwirtschaftlichen  Selbstbewirtschafter  haben  will.  Wie 
denkt  er  sich  dabei  die  Möglichkeit  der  Durchführung  des  So- 
zialismus? 

Abgesehen  davon,  daß  bei  landwirtschaftlichem  selbstwirt- 
schaftenden Familienbetrieb  auch  ohne  Beschäftigung  fremder 
Arbeitskräfte  die  Ausbeutung  nicht  aufgehoben,  sondern  in 
schärfster  Weise  bei  den  Familiengliedern  fortbestehen  kann,  — 
wie  wird  das  Fortbestehen  der  Familienbetriebe  gesichert? 
Der  eine  Kleinbesitzer  wirtschaftet  vielleicht  schlecht  oder  er 
hat  ungünstige  Verhältnisse  im  Boden  oder  in  der  Lage  ge- 
troffen, oder  er  hat  auch  nur  besonderes  Pech  in  der  Wirt- 
schaft. Er  braucht  Geld.  Er  findet  es  bei  einem  besonders 
tüchtigen  oder  sonst  irgendwie  begünstigten  Berufsgenossen. 
Der  will  natürlich  Sicherheit  haben.  Die  Hypothek  und  somit 
die  Schuldknechtschaft  ist  wieder  da.  Nun  wird  der  Geld- 
braucher  schließlich  bankerott,  und  der  Geldgeber  muß  das  Land 
mit  übernehmen. 

Und  was  wird  aus  der  ruinierten  Existenz?  Darf  der  Mann 
jetzt  wenigstens  als  Arbeiter  bei  seinem  vorherigen  Geldgeber 
tätig  sein?  Oder  wird  er  ausgestoßen  aus  der  Gemeinde  der 
Selbstwirtschafter? 

So  wird  es  sein!  Ich  sehe  mit  Seheraugen  in  die  Zukunft 
und  sehe  den  Genossen  Schulz  bewaffnet  mit  einem  Schwerte, 
wie  er  den  Unwürdigen,  der  es  wagt,  pleite  zu  gehen  in  der 
Gemeinschaft  der  Heiligen,  hinausstößt  aus  dem  Paradies  des 
Privateigentums  und  ihn,  o  so  sei  verflucht,  hinabstößt  in  den 
Sozialismus  der  industriellen  Genossenschaften. 


125 


Vielleicht  wird  aber  Genosse  Schulz  gar  nicht  nötig  haben, 
mit  dem  Schwerte  hinauszujagen?  Vielleicht  wird  er  umgekehrt 
sich  vor  den  Ausgang  stellen  müssen,  um  zu  verhindern,  daß  die 
Gemeinde  der  Heiligen  nicht  samt  und  sonders  von  dem  Teufel 
der  Landflucht  gepackt  wird  und  mit  klingendem  Spiele  in  die 
Städte,   in   das   Lager   des   Feindes   zum   Sozialismus   zieht? 

Dann  stehen  Sie,  werter  Genosse,  wie  Hannibal  auf  den 
Trümmern  von  Karthago.     Und  was  werden  Sie  dann  beginnen? 

Dann  krähen  auf  den  bäuerlichen  Höfen  noch  einmal  recht 
kläglich  die  Hähne,  und  der  Spuk  ist  vorbei. 

Nein,  verehrter  Genosse,  wenn  Sie  sagen,  Sozialismus  in 
der  Landwirtschaft  ist  nicht  möglich,  dann  sagen  wir  mit  min- 
destens mehr  Berechtigung,  landwirtschaftlicher  Kleinbetrieb  ist 
unmöglich,  wenn  Sozialismus  einmal  das  herrschende  Prinzip 
in  der  Industrie  geworden  ist. 

Wie  wollen  Sie  zum  Beispiel  auch  die  Erbfolge  regeln? 
Darf  nur  das  Einkindersystem  herrschen?  Wenn  nicht,  so  wollen 
diejenigen,  die  nicht  zum  Thronerben  prädestiniert  sind,  doch 
auch  was  haben,  entweder  in  Bargeld  ausgezahlt  oder  durch  ver- 
zinsliche Hypotheken. 

Und  was  machen  diejenigen,  die  durchaus  nicht  zur  Industrie 
übertreten  wollen,  aus  Lust  und  Liebe  zur  Landwirtschaft  durch- 
aus draußen  bleiben  wollen,  wenn  die  Erde  nun  vergeben  ist? 
Sind  vielleicht  doch  einige  Großgüter  gestattet,  woselbst  solche 
Käuze  Unterkunft  finden  können? 

Nach  unserer  Auffassung  würden  es  wirklich  sonderbare 
Käuze  sein,  die  bei  dem  stupiden,  elenden  kleinbäuerlichen 
Familienbetrieb  bleiben  wollten,  während  die  Sonne  des  So- 
zialismus die  industrielle  Produktion  durchleuchtet  und  Kunst, 
Bildung,  Wissenschaft,  Technik,  Freude  und  Genuß  zum  Reifen 
bringt. 

Aber  diese  unter  den  vom  Genossen  Schulz  angestrebten 
Verhältnissen  „sonderbaren  Käuze"  würden  sicherlich  massen- 
haft vorhanden  sein,  dann  aber  nicht  mehr  „sonderbare  Käuze" 
vorstellen,  wenn  der  sozialistisch-genossenschaftliche  Großbetrieb 
in   der  Landwirtschaft  Platz   gegriffen  hat. 

Wir  haben  in  unserer  Schilderung  des  landwirtschaftlichen 
Großbetriebs  nur  die  allernüchternsten,  alltäglichsten  Formen 
vor  Augen  gehabt.     Wir  hätten,  ohne  dafür  utopistisch  genannt 

126 


werden  zu  dürfen,  indem  wir  uns  immer  noch  an  Tatsachen  ge- 
halten hätten,  schon  ganz  andere  Bilder  aufmarschieren  lassen 
können. 

Auf  der  anderen  Seite  dagegen  haben  wir  den  heutigen 
Xleinbesitz  in  viel  zu  rosigem  Lichte  erscheinen  lassen.  In  Wirk- 
lichkeit liegen  die  Verhältnisse  bei  den  Kleinbauern  vielfach  ja 
geradezu  trostlos. 

Man  möge  herumfahren  im  Sommer  und  Vergleiche  an- 
stellen zwischen  den  bestandenen  Feldern  auf  den  Gütern  und 
den  Bauernfeldern.  Was  wir  unter  Berücksichtigung  der  Acker- 
gerätschaften, der  Art  der  Bestellung  usw.  theoretisch  erwartet 
naben,  wird  von  der  Wirklichkeit  noch  weit  in  den  Schatten 
gestellt. 

Man  möge  die  Kleinbauernhöfe  besuchen  und  die  vom  Ge- 
nossen Schulz  so  gelobte  Viehhaltung  ansehen  und  dann  auf 
den  Gutshöfen  Umschau  halten  und  Vergleiche  anstellen. 

In  dem  Bestreben,  eine  möglichst  große  Anzahl  von 
Häuptern  aufzuziehen,  wird  den  Bauern  häufig  bald  Streu  und 
Futter  knapp,  die  Tiere,  namentlich  das  Jungvieh,  werden  unter- 
ernährt, bekommen  Ungeziefer,  und  schließlich  muß  der  Bauer 
sie  für  jeden  Preis  verkaufen. 

Der  Bauer  bekommt  dann  häufig  für  solch  ein  verkrätztes, 
ein  Jahr  und  darüber  altes  Tier  kaum  das  ersetzt,  was  er  dem- 
selben in  der  ersten  Zeit  an  Milch  vertränkt  hat.  Auf  den 
Gütern  werden  diese  Tiere  dann  erst  wieder  in  Ordnung  ge- 
bracht. Es  ist  häufig  genug  kein  erfreulicher  Anblick,  den  so 
ein  Bauernhof  bietet.  Das  Vieh  verkommt  aus  Mangel  an 
Streu  und  da  entsprechende  Einrichtungen  fehlen,  die  die 
Streu  entbehrlich  machen,  liegt  es  oft  förmlich  in  Dung  und 
Jauche.  Wenn  dann  der  Winter  einmal  tüchtig  einsetzt  und 
der  Wind  aus  Nordost  mit  vollen  Backen  bläst,  wie  soll  da  das 
Vieh  gedeihen? 

Der  Gutsbesitzer  hat  oftmals  100  Kühe  in  einem  gemein- 
samen Viehstall  untergebracht;  da  wirkt  jedes  Tier  gewisser- 
maßen als  Ofen,  und  die  Stalltemperatur  bleibt  erträglich;  außer- 
dem muß  der  Stall  des  Großbesitzers  schon  des  großen  Schup- 
pens wegen  mit  recht  starken  Mauern  ausgerüstet  sein. 

Beim  Bauern,  der  nur  eine  geringe  Anzahl  von  Tieren  im 
Stalle  hat,  dessen  Stall  außerdem  selbstredend  auch  schwächer 

127 


gebaut  ist,  da  müssen  die  Tiere  oftmals  erbärmlich  frieren,  und 
ein  großer  Prozentsatz  des  Futters,  das  sich  sonst  in  Milch  oder 
Fleisch  umwandeln  würde,  muß  den  Tieren  als  Heizmaterial  zur 
Wärmeerzeugung  dienen. 

Wenn  zum  Beispiel  Ostpreußen  in  den  letzten  Jahrzehnten 
in  landwirtschaftlicher  Beziehung,  sowohl  in  Ackerbau  wie  vor 
allem  in  Viehzucht,  einen  gewaltigen  Aufschwung  genommen 
hat,  so  ist  das  nicht  den  Bauern,  sondern  allein  den  Guts- 
besitzern zuzuschreiben,  die  auf  allen  Gebieten  wegweisend  vor- 
gegangen sind. 

Die  Bauern  sind  sehr  schwer  zu  Aenderungen  zu  bewegen, 
selbst  wenn  diese  handgreifliche  Verbesserungen  vorstellen.  Man 
muß  es  am  eigenen  Leibe  erfahren  haben,  auf  welche  Schwierig- 
keiten es  stößt,  wenn  man  die  Bauern  zum  Beispiel  für  Melio- 
rationsgenossenschaften usw.  gewinnen  will.  Mit  allen  erdenk- 
lichen Mitteln  von  Zahlenbeweisen,  zwingenden  Vernunftgründen 
und  Ueberredungskünsten  glaubt  man  die  Leute  endlich  über- 
zeugt zu  haben,  sie  können  keine  Einwände  mehr  machen.  Schnell 
wird  das  schon  vorher  fertig  ausgearbeitete  Schriftstück  her- 
vorgeholt, dem  Intelligentesten  wird  es  zuerst  zur  Unterschrift 
vorgelegt.  Unterschreiben  —  nein,  das  tun  wir  nicht,  und  dabei 
bleibt  es  dann. 

Wenn  die  Bauern  trotzdem  in  landwirtschaftlicher  Beziehung 
sich  langsam  modernisieren,  so  ist  das  allein  dem  aufklärenden 
Beispiel   der   Gutsbesitzer   zu   verdanken. 

Wie  es  in  dieser  Beziehung  in  Bayern  oder  West-  und 
Süddeutschland  aussieht,  darüber  kann  ich  aus  eigener  An- 
schauung kein  Urteil  fällen.  Ich  will  nicht  jenem  biederen 
Deutschen  gleichen,  der  eine  Reise  nach  England  antrat,  gleich 
am  ersten  Tage  im  Hotel  auf  einen  Kellner  stieß,  der  rote 
Haare  hatte,  grob  war  und  unseren  Reisenden  übervorteilte.  Der 
Deutsche  reiste  flugs  nach  Hause  und  erzählte,  alle  Engländer 
hätten  rote  Haare  und  Sommersprossen,  wären  saugrob  und 
insgesamt  Betrüger. 

Doch  was  ich  anläßlich  des  Nürnberger  Parteitags  als 
Teilnehmer  eines  Ausflugs  in  einem  bayerischen  Bauerndorf  in 
landwirtschaftlicher  Hinsicht  gesehen  habe,  war  nicht  gerade 
sehr   imponierend.     Ich  erblickte   dort   noch   Einrichtungen  und 

128 


Instrumente,   die  in  Ostpreußen  allenfalls  noch  im  Museum  für 
Völkerkunde   zu  sehen   sind. 

Daß  in  einem  Distrikt  mit  rein  kleinbäuerlicher  Bevölke- 
rung jeder  Fortschritt  viel  langsamer  vor  sich  geht  wie  in 
Gegenden  mit  Großbesitz,  ist  ja  doch  auch  ganz  erklärlich.  Die 
Bauern  können  sich  keine  weiten  Reisen  leisten,  um  andere 
Eindrücke  und  Wirtschaftsformen  mit  nach  Hause  zu  bringen, 
ihr  kleines  Grundstück  verträgt  außerdem  Experimente  in 
keiner  Weise. 

Würden  wir  auf  der  einen  Seite  den  rein  kleinbäuerlichen 
Betrieb  sich  selbst  überlassen,  auf  der  anderen  Seite  dagegen 
Großbetriebswirtschaften  haben,  so  würden  unsere  Nachfahren 
in  nationalökonomischer  Hinsicht  dieselben  Entwicklungsstudien 
machen  können,  die  die  Naturwissenschaft  gemacht  hat,  als  sie 
Vergleiche  anstellen  konnte  zwischen  der  Fauna  der  großen 
Kontinente  und  der  Tierwelt  Australiens  und  mancher  Inseln. 
Während  auf  den  großen  Kontinenten  das  Gesetz  der  Entwick- 
lung voll  zur  Entfaltung  kam,  finden  wir  in  Australien  in  der 
Weiterentwicklung  stehengebliebene  Tierformen,  die  dem  Forscher 
Zeugnis  geben,  aus  welchen  primitiven  Formen  sich  die  höheren 
Tiere  herausgebildet  haben. 

Sagte  ich  oben,  ich  hätte  die  Betriebsverhältnisse  des 
Großguts  nur  aus  den  alltäglichsten  allgemein  gebräuchlichsten 
Formen  heraus  geschildert,  so  habe  ich  nicht  zuviel  gesagt. 
In  Wirklichkeit  sind  ja  schon  auf  den  Großgütern  in  wirt- 
schaftstechnischer Hinsicht  sehr  häufig  viel  höhere  Formen  in 
Uebung. 

Besonders  gebaute  Scheunen,  in  die  das  Getreide  mit 
mechanischen  Abladevorrichtungen  von  oben  hereingebracht 
wird,  ermöglichen  eine  große  Menschenersparnis.  Sogar  eine 
Maschine,  die  den  Stalldung  gleich  vom  Wagen  gleichmäßig 
auf  dem  Felde  ausbreitet,  ist  hier  und  da  schon  in  Anwendung. 
Der  Dampfpflug  erobert  sich,  und  zwar  jetzt  in  schnellerem 
Tempo  als  je,  ein  immer  größeres  Feld..  Noch  vor  wenigen 
Jahren  war  seine  Anwendung  nur  in  beschränktem  Maße 
möglich,  weil  er  selber  noch  sehr  unvollkommen  war.  Es  konnte 
früher  mit  dem  Dampfpflug  nicht  flach  gepflügt  werden.  Für 
den  Zuckerrübenbau  und  speziell  in  sehr  hochkultivierten 
Gegenden   mit   sehr   tiefer   Ackerkrume     war   seine    Anwendung 

Kautsky,  Landwirtschaft     9  1 29 


auch  damals  gegeben;  doch  zum  Getreidebau  ist  es  nicht  jedes- 
mal erforderlich,  gar  zu  tief  zu  pflügen;  auf  Ländereien,  die 
eine  nicht  zu  tiefe  Ackerkrume  hatten,  war  früher  das  Pflügen 
mit  dem  Dampfpflug  unmöglich,  weil  zuviel  tote  Erde  nach  oben 
gebracht  wurde. 

Das  ist  jetzt  anders  geworden.  Heute  kann  man  auch  mit 
dem  Dampfpflug  den  Acker  flach  umbrechen  und  dafür  mehr 
Pflugscharen  einsetzen,  wodurch  das  Dampfpflügen  wesentlich 
billiger  geworden  ist. 

Zur  Dampfpfluganwendung  ist  auch  gewöhnlich  drainierter 
Acker  notwendig,  um  durch  Gräben  nicht  unterbrochene,  mög- 
lichst lange  Züge  zu  haben. 

Noch  vor  wenigen  Jahren  waren  selbst  die  Großgüter  nur 
selten  drainiert.  Das  ist  jetzt  alles  anders  geworden,  und  der 
Dampfpflug  schickt  sich,  entsprechend  seiner  Schwerfälligkeit 
natürlich  in  behäbigem  Tempo,  zu  seinem  Siegeszug  an. 

Ob  er  die  Palme  erringen  wird  in  dem  Wettlauf,  der  be- 
ginnen wird  zwischen  ihm  und  dem  elektrisch  betriebenen  Pfluge? 
Wohl  schwerlich!  Der  elektrische  Konkurrent  ist  ein  gar  zu 
schnellfüßiger  und  gewandter  Partner.  Die  Elektrizität,  diese 
geradezu  wie  für  den  landwirtschaftlichen  Großbetrieb  geschaf- 
fene Betriebskraft,  dringt  langsam,  aber  um  so  sicherer  vor. 
Wie  ein  Prozeß,  der  kürzlich  gegen  einen  Herrn  v.  Plitzewitz 
in  Pommern  angestrengt  war,  gezeigt  hat,  sind  auch  dort  schon 
große  elektrische  Zentralen  für  den  landwirtschaftlichen  Betrieb 
errichtet. 

Gerade  weil  im  landwirtschaftlichen  Betrieb  das  Arbeits- 
feld ein  räumlich  so  weit  ausgedehntes  ist  und  die  Arbeits- 
leistung bald  hier,  bald  da  an  den  verschiedensten  Stellen  ein- 
zusetzen hat,  eignet  sich  die  leicht  überallhin  zu  leitende  Kraft 
so  besonders  gut  für  die  Landwirtschaft. 

8.  Der  Großbetrieb  der  Zukunft 

Nachdem  ich  bislang,  wie  zugegeben  werden  muß, 
mich  vollständig  bloß  an  die  allernackteste  Wirklichkeit  ge- 
halten habe,  möge  es  mir  verstattet  sein,  endlich  auch  ein 
klein  wenig  dem  Zuge  meines  Herzens  zu  folgen,  zumal  ich 
den   Genossen    Schulz    auch    einige    Male     beim     Prophezeien 

130 


ertappt  habe.  Man  kann  sich  jedenfalls  den  landwirtschaftlichen 
Großbetrieb  sehr  schön  unter  den  höchsten  technischen  Formen 
betrieben  vorstellen. 

Riesige  elektrische  Zentralen  an  geeigneten  Stellen  angelegt, 
leiten  durch  ein  Netz  von  Drähten  die  Kraft  zu  den  landwirt- 
schaftlichen Großbetrieben.  Ein  zweites,  sekundäres  Drahtnetz 
leitet  vom  Gutshof  die  elektrische  Kraft  wieder  nach  den  be- 
nötigten Arbeitsstellen.  Natürlich  ist  auf  dem  Gutshof  wie  auf 
dem  dazugehörigen  Acker  alles  dem  elektrischen  Betrieb  ange- 
paßt. Die  Felder,  sämtlich  drainiert,  sind  in  regelrechte  Quadrate 
oder  Rechtecke  eingeteilt.  Feste  Gleisanlagen  begrenzen  die  ein- 
zelnen Felder. 

Auf  diesen  Gleisen  bewegen  sich  die  elektrisch  getriebenen 
Kraftmaschinen,  die  den  Pflug  hin-  und  zurückziehen;  dem 
Pfluge  folgt  die  ebenfalls  durch  elektrische  Kraft  gezogene  Egge, 
die  Drillmaschine  und  Walze.  Zwischen  den  Getreidereihen 
gehen  später  Bodenlockerungsmaschinen  hindurch,  die  Unkraut 
zerstören  und  Luft  den  Pflanzenwurzeln  zuführen. 

Neuerdings  hat  man  durch  praktische  Versuche  bestätigt  ge- 
funden, daß  Elektrizität  eine  erhebliche  Beförderung  des 
Pflanzenwuchses  bewirkt.  Auch  diese  Erscheinung  wird  in  den 
Dienst  der  Landwirtschaft  gestellt. 

Ist  die  Ernte  da,  tritt  die  Mähmaschine  mit  Selbstbinder 
in  Tätigkeit,  immer  durch  die  Kraft  derselben  elektrischen 
Maschinen  bewegt.  Auch  die  Stoppelharkmaschine  wird  durch 
dieselbe  Kraft  gezogen.  Das  durch  die  Maschinen  in  Garben  ge- 
bundene Getreide  ist  durch  Menschenhand  in  langen  Reihen  auf- 
gestellt worden,  natürlich  in  einer  Weise,  die  den  möglichsten 
Schutz  gegen  Witterungsunbill  gewährt. 

Nun  werden  entsprechend  konstruierte  Wagen  in  An- 
wendung genommen,  die  von  den  Kraftmaschinen  die  Getreide- 
reihen entlang  gezogen  werden.  Das  Getreide  wird  auf  diese 
Wagen  geladen,  bis  an  den  Schienenstrang  gezogen,  und  fort  geht 
es  durch  elektrische  Kraft,  hinauf  in  die  Scheune,  woselbst 
durch  mechanische  Abladevorrichtungcu  die  Wagen  entleert 
werden. 

Elektrische  Bogenlampen  respektive  Scheinwerfer  auf  dem 
Hofe,  respektive  an    der  Arbeitsstelle    auf    dem    Felde,    ermög- 

9'  131 


liehen,  wenn  es  nottut,  ein  Hineinarbeiten  bis  in  die  späte 
Sommernacht. 

Ist  die  Getreide-  und  Futterernte  beendet,  so  tritt  die 
ebenfalls  durch  elektrische  Kraft  gezogene  Kartoffelaushebe- 
maschine in  Tätigkeit.  Die  Keller  sind  natürlich  auch  so  ein- 
gerichtet, daß  die  Loren  auf  dem  Mittelgang  der  Länge  nach 
durch  sie  hindurchfahren  können,  Kartoffeln  wie  Rüben  werden 
auf  Loren  vom  Felde  in  die  Keller  befördert.  Die  Wintersaat 
ist  mittlerweile  auch  in  den  Boden  gebracht,  und  der  elektrische 
Pflug  hat  jetzt  nur  noch  die  zweite  Furche  zu  graben,  für  die 
Felder,  die  im  nächsten  Jahre  die  Sommersaat  aufnehmen 
sollen% 

Nun  beginnt  die  Winterarbeit.  Natürlich  ist  auf  dem  Hofe 
ebenfalls  alles  dem  elektrischen  Betrieb  angepaßt.  Da  wird  ge- 
droschen, Stroh  zu  Häcksel  geschnitten,  Getreide  geschrotet, 
Futterrüben  gemahlen  und  Wasser  gepumpt.  Da  sind  auf  den 
Speichern  allerhand  Reinigungsmaschinen  in  Bewegung,  ebenso 
wird  das  dort  lagernde  Getreide  auf  entsprechende  Weise  ge- 
lüftet. Selbstredend  kann  des  Abends  alles  elektrisch 
beleuchtet  werden. 

Um  den  Stalldung  auch  im  Winter  auf  das  Feld  zu  schaffen, 
werden  wieder  die  Schienengeleise  benutzt. 

Durch  Betreiben  geeigneter  technischer  Nebenbetriebe  wird 
Sorge  getragen,  daß  auch  im  Winter  die  elektrische  Kraft  mög- 
lichst Verwendung  findet.  Stärke-,  Hefe-  und  Zuckerfabriken 
sind  eingerichtet.  Ebenso  arbeiten  Konservenfabriken  auf  dem 
Lande.  Große  Mahlmühlen,  die  das  Getreide  zu  Mehl  ver- 
arbeiten, verbilligen  den  Transport  desselben.  Kleie  bleibt  zu 
Futterzwecken  gleich  an  Ort  und  Stelle.  Vielleicht  wird  es  auch 
angezeigt  sein,  den  Bedarf  der  Landwirtschaft  an  Stickstoff- 
dünger, welch  letzterer  jetzt  in  Gegenden  mit  billiger  Wasser- 
kraft hergestellt  wird,  auf  dem  platten  Lande  selbst  zu  fabri- 
zieren. Jedenfalls  wird  man  auch  im  Winter  tunlichst  für  Aus- 
nutzung der  elektrischen  Kraft  Sorge  tragen. 

Man  muß  berücksichtigen,  daß  infolge  der  technischen  Be- 
triebseinrichtungen auch  im  Sommer  ganz  bedeutend  viel  weniger 
Arbeitskräfte  auf  dem  Lande  gebraucht  würden.  Sollte  trotzdem 
nicht  die  ganze  Arbeitskraft  aller  Genossen  im  Winter  Verwen- 
dung finden  können,  dann  um  so  besser,  dann  kann  ein  Teil  der 

132 


Genossen  sich  abwechselnd  auf  Reisen  befinden,  oder  sich  in 
den  Städten  künstlerischen  und  wissenschaftlichen  Genüssen  hin- 
geben. 

Dann  wird  aber  die  sozialistische  Gesellschaft  keine  Flucht 
vom  Lande  zur  Stadt  zu  verzeichnen  haben,  umgekehrt  dürfte 
wahrscheinlicher  eine  Stadtflucht  werden  und  alles  auf  das  platte 
Land  hinausdrängen. 

Zum  mindesten  hätte  dieser  sozialistische  Großbetrieb  gegen- 
über dem  Schulzschen  Kleinbetrieb  den  Vorzug,  daß  unverhältnis- 
mäßig weniger  Arbeitskräfte  gebraucht  werden,  die  die  notwen- 
digsten Lebensmittel  erzeugen  müssen,  und  daß  ungezählte  Hände 
frei  werden  zur  Erzeugung  anderer  notwendiger  Güter,  und  nicht 
nur  Hände  frei  werden,  sondern  auch  Köpfe,  die  grübeln  und 
denken  können  und  Pioniere  sind,  die  der  Menschheit  zu  höheren 
Zielen  die  Wege  ebnen. 

Bis  dermaleinst  sich  die  Zeit  wieder  erfüllet  hat  und  die 
Wissenschaft,  speziell  die  Chemie,  ein  gewichtiges  Wort  ge- 
sprochen haben  wird  und  die  Erde  umgewandelt  werden  kann  in 
einen  blühenden  Villenpark,  in  dem  die  Nachtigallen  schlagen 
und  die  Rosen  duften.  Dann  wird  auch  Genosse  Schulz  sein  Erz- 
engelschwert in  die  Scheide  stecken  und  unter  duftendem  Jasmin 
die  letzten,  natürlich  in  Esperanto  abgefaßten,  Lichtdepeschen 
von  benachbarten  Planeten  studieren. 


133 


Adler,  Friedrich.  Friedrich  Adler  vor  dem  Ausnahme- 
Gericht  Die  Verhandlungen  vor  dem  §  14-Gericht  am 
18.  und  19.  Mai  1917  nach  dem  stenographischen  Proto- 
koll.    8  Mark.     Gebunden  10  Mark. 

Bernstein,   Eduard.  Ferdinand  Lasalle.  Eine  Würdi- 
gung des  Lehrers  und  Kämpfers.     15  Mark.    Pappband 
18  Mark.     Halblederband  27  Mark. 
Völkerbund    oder    Staatenbund.      Eine    Untersuchung. 
Zweite  Auflage   1,50  Mark. 

Völkerrecht  und  Völkerpolitik.  Wesen,  Fragen  und 
Zukunft  des  Völkerrechts.  Gemeinverständlich  erläutert 
von  Ed.  Bernstein.     8  Mark.     In  Pappband  10  Mark. 

Eisner,  Klirt.' Die  Götterprüfung.  Eine  weltgeschicht- 
liche Posse  in  fünf  Akten  und  einer  Zwischenakts- 
pantomime.    10  Mark.     In  Pappband  13  Mark. 

Graf,  G.  Engelbert.  Die  Landkarte  Europas  gestern 
und  morgen.     10  Mark.     In  Pappband  12,50  Mark. 

Kautsky,  Karl.  Demokratie  oder  Diktatur.  11.  bis 
15.  Tausend.     3,50  Mark. 

Sozialisierung  der  Landwirtschaft.  6.— 10.  Tausend. 
Mit  einem  Anhang :  Der  Bauer  als  Erzieher  von  A.  Hof  er. 
10  Mark. 

Wie  der  Weltkrieg  entstand.  Dargestellt  nach  dem  Akten- 
material  des  Deutschen  Auswärtigen  Amtes.    6  Mark. 

Landauer,  Gustav.  Aufruf  zum  Sozialismus.     11.  bis 
15.  Tausend      10  Mark.     • 
Rechenschaft.  8  Mark.  In  Pappband  gebunden  11  Mark. 

Seidel,  Richard.  Klassenarmee  und  Volkswehr. 
3,50  Mark. 

StrÖbel,  Heinrich.  Die  erste  Milliarde  der  zweiten 
Billion.  Die  Gesellschaft  der  Zukunft.  10  Mark.  In 
Pappband  12,50  Mark. 

Zepler,  Wally.    Sozialismus u. Frauenfrage.  3,50 Mark. 


Paul  Cassirer,   Verlag,   Berlin   W 10 


WEGE  ZUM   SOZIALIS 

Eine    Schriftenreihe 


In    dieser    Sammlung     erschienen     bisher: 

H  e  i  n  r  i  c  h  H  e  ine  und  der  Sozia- 
lismus. Ausgewählt  und  eingeleitet  von 
Hermann  Wendel  4  Mark 

Robert  Owen  und  der  Sozialis- 
mus. Ausgewählt  und  eingeleitet  von 
HeleneSimon  6  Mark 

Saint-Simon  und  der  Sozialis- 
mus. Ausgewählt  und  eingeleitet  von 
Gottfried    Salomon  4  Mark 

Kant,  Fichte,  Hegel  und  der 
Sozialismus.  Ausgewählt  und  einge- 
leitet von  Karl  Vorländer  4  Mark 

Marx  als  Geschichtsphilosoph. 
Von  Alfred   Braunthal  6  Mark 

Lassalle  und  der  Sozialismus. 
Ausgewählt  und  eingeleitet  von  Eduard 
Bernstein  4  Mark 

Proudhon  und  der  Sozialismus. 
Ausgewählt  und  eingeleitet  von  Gottfried 
Salomon  6  Mark 

Fourier  und  der  Sozialismus. 
Ausgewählt  und  eingeleitet  von  Käthe 
Morgenroth  6  Mark 


PAUL  CASSIRER  /  VERLAG  /  BERLIN  W  10 


Sozm/'DINAND    LASSALLE 

=^jesammelte  Reden  und  Schriften 

,ß  r  In  12  Bänden  herausgegeben  von 

EDUARD     BERNSTEIN 

Jeder  Band  geheftet  20  M.,   in  Pappband  27  M.,  in  Halblederband  40  M. 

* 

EINTEILUNG   DER   12   BÄNDE 
Band  I: 
Italienischer  Krieg.    Franz 
von  Sickingen.  Band  II:  Verfassungsreden. 
Das  Arbeiterprogramm  und  die  anschließenden 
Verteidigungreden.  Band  III:  Die  Agitation  für  den  Allgemei- 
nen  Deutschen  Arbeiterverein.    Das  Jahr  1863.    Polemik. 
Band  IV:  Das  Jahr  1864.  Aktenstücke.  Band  V:  Lassalles 
ökonomisches  Hauptwerk:  Herr  Bastiat-Schulze  v.  Delitzsch 
und  die  anschließenden  Kontroversen.  Band  VI: 
Philosophisch-literarische  Streifzüge.  Band 
VII  u.  VIII:  Herakleitos.  Band  IX-XII: 
System  der  erworbenen  Rechte. 


LASSALLE  hatdas  Interesse  der  deutschen  Öffentlichkeit  für  die  Bedeutung 
des  sozialen  Problems  wachgerüttelt  und  mit  Impulsen  versehen,  die  un- 
vergänglich fortwirken.  Die  Kenntnis  seiner  klassisch  geformten  Streit- 
schriften und  Verteidigungsreden  ist  in  dieser  Zeit  notwendig,  ihre  Lektüre 
für  jeden  Gebildeten  auch  ein  hoher  geistiger  Genuß.  In  ihnen  offenbart 
sich  der  unermüdliche  Kämpfer  für  die  Erneuerung  der  Gesellschaftsordnung, 
der  größte  sozialistische  Agitator  Deutschlands.  Jedoch  kennzeichnen  diese 
Werke  nur  einen  Teil  der  geschichtlichen  Bedeutung  Lassalles.  Auch  auf 
den  Gebieten  der  Philosophie  und  der  Rechtswissenschaft  hat  er  Wertvolles 
geleistet,  und  seine  „Philosophie  des  Herakleitos  von  Ephesos"  und  sein 
„System  der  erworbenen  Rechte"  erscheinen  als  Meister-  und  Musterstücke 
gelehrter  Deutscher   Prosa. 

DIE    AUSGABE   zeichnet  sich  durch  ein  handliches  Oktavformat,  eine 
große,  sehr  klare  Antiquatype  und   besten  Druck   auf   eigens    dafür   ange- 
fertigtem,   bestem    holzfreien    Papier,    sowie    sorgfältig   hergestellte 
geschmackvolle  Einbände  aus. 


PAUL  CASSIRER  /  VERLAG  /  BERLIN  W  10 


Druck:  Busch  &  Gartmann,  Berlin  W  30  —  Stendal 


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HD  Kautsky,  Karl 
14.11  Die  Sozialisierung  der 

K38  Landwirtschaft     c2. 

1921  unveränderte  Aufl,3 


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UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 


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