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Full text of "Die St. Gallische Glaubensbewegung zur Zeit der Fürstäbte Franz und Kilian (1520-1530)"

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THE  UNIVERSITY  LIBRARY 

UNIVERSITY  Or  CALIFORNIA,  SAN  DIEGO 

LA  JOLLA.  CALIFORNIA 


Die  St.  Gallische  Olaubensbewepng 

zur  Zeit  der  Fürstäbte  Franz  und  Kiiian  (1520-1530) 


Von  Theodor  Müller. 


St.  Gallen. 

Druck  der  Buchdruckerei  Zollikofer  &  Cie. 

1910. 


Meinen  lieben  Eltern. 


Einleitung. 


In  unserem  nüchternen  Zeitalter,  wo  die  idealen  Güter  des 
Menschen  so  wenig  mehr  zu  gelten  scheinen,  lenkt  wohl  mancher 
Unbefriedigte  seinen  Blick  gern  in  jene  Zeiten  zurück,  in  denen 
Männer  auftraten,  die  für  die  Erreichung  eines  hohen,  grossen 
Ziels  ihr  Leben  lang  kämpften  und  litten.  Das  Reformations- 
zeitalter namentlich  ist  reich  an  solchen  Gestalten.  Eine  der  mar- 
kantesten und  bedeutendsten  ist  Ulrich  Zwingli;  sein  Zeitgenosse 
ist  Joachim  von  Watt  in  St.  Gallen.  Beiden  gemeinsam  ist  der 
ideale  Drang,  ihre  Mitmenschen  sittlich  und  intellektuell  zu  heben. 

Unser  Thema  bietet  Gelegenheit,  die  reformatorische  Tätig- 
keit Vadians,  dieses  nächst  Zwingli  bedeutendsten  Förderers  der 
deutsch-schweizerischen  Reformation,  genauer  kennen  zu  lernen. 
Aber  auch  auf  Zwingiis  gewaltiges  Wirken  fällt  dabei  reiches 
Licht,  da  unter  Zürichs  dominierendem  Einfluss  jene  Begeben- 
heiten sich  abspielten,  von  denen  im  folgenden  die  Rede  sein  wird. 

Dass  die  vorliegende  Arbeit  nicht  überflüssig  ist,  ergibt  sich 
schon  daraus,  dass  die  einzige  nennenswerte  gedruckte  Dar- 
stellung des  von  uns  behandelten  Zeitabschnitts  im  Jahre  1811 
erschienen  ist:  „J.  v.  Arx,  Geschichten  des  Kantons  St.  Gallen", 
2.  Band,  S.  472  ff.,  vorzüglich  zwar  für  jene  Zeit,  nunmehr  aber 
begreiflicherweise  vielfach  veraltet.  Zudem  sind  manche  Ab- 
schnitte, so  die  Reformationsbewegung  in  der  Stadt  St.  Gallen, 
recht  dürftig  behandelt,  das  Ganze  durchaus  vom  katholischen 
Standpunkt  aus  geschrieben.  Wir  hoffen,  auch  durch  andere 
Anordnung  des  Stoffes  ein  übersichtlicheres  Bild  der  Ereignisse 
gegeben  zu  haben. 

Für  unsere  Arbeit  fanden  wir  manches  da  und  dort  in  ge- 
druckten Abhandlungen  verstreut.  So  zogen  wir  die  betreffenden 
Abschnitte  von  Wegelins  Geschichte  des  Toggenburgs  zu  Rate, 
wo  wir  es  für  nötig  erachteten,  auf  die  Geschichte  der  Graf- 
schaft einzutreten,  ferner  die  Arbeiten  Presseis,  Stähelins  und 
Götzingers  über  Vadian,  Eglis  Schrift  über  die  St.  Galler  Täufer, 
diverse    St.  Galler    Neujahrsblätter,    Haenes    Klosterbruch,    die 


VI 

Bauernbewegung  in  der  Ostschweiz  von  H.  Nabholz,  Eschers 
Glaubensparteien,  den  3.  Band  von  Dierauers  Geschichte  der 
Schweizerischen  Eidgenossenschaft  etc.,  alles  in  den  Anmerkungen 
zum  Texte  an  gebührendem  Orte  mit  wörtlicher  Titelangabe  er- 
wähnt. 

Von  gedruckten  Quellen  lagen  uns  vor: 

1.  Eidgenössische  Abschiede,  Band  IV,  1  a  und  IV,  1  b,  be- 
arbeitet von  Joh.  Strickler; 

2.  Aktensammlung  zur  Schweizer.  Reformationsgeschichte 
von  Joh.  Strickler,  Zürich  1878  und  1879,  Band  I  und  II; 

3.  die  Vadianische  Briefsammlung,  Band  III  und  IV  und 
Nachträge  in  den  St.  Galler  Mitteilungen,  Band  27  und  28 ; 

4.  Kesslers  Sabbata  in  der  gediegenen  Neuausgabe  (St.  Gallen 
1902); 

5.  Joachim  von  Watt,  Deutsche  historische  Schriften,  heraus- 
gegeben von  Ernst  Götzinger,  Band  II  und  III,  St.  Gallen 
1877  und  1879; 

6.  die  Chroniken  von  Fridolin  Sicher  und  Hermann  Miles  in 
den  St.  Galler  Mitteilungen,  Band  20  und  28; 

7.  Heinrich  Bulhngers  Reformationsgeschichte,  Bd.  II,  Frauen- 
feld 1838; 

8.  Valentin  Tschudis  Chronik  der  Reformationsjahre  1521 
bis  1533,  herausgegeben   von  Joh.  Strickler,  Glarus  1888. 

Was  die  ungedruckten  Quellen  anbelangt,  so  war  zu  er- 
warten, dass  sie  nur  noch  spärlich  fliessen  würden  in  Anbetracht 
der  durch  Strickler  ausgezeichnet  redigierten  Abschiede  und  der 
nicht  minder  umsichtig  angelegten  Aktensammlung  zur  Refor- 
mationsgeschichte. 

Trotzdem  gaben  wir  uns  Mühe,  persönlich  die  einschlägigen 
Archive  abzusuchen.  Doch  fanden  wir  in  Schwyz  und  Einsiedeln 
zwar  sehr  freundlichen  Empfang,  aber  nichts  für  unser  Thema. 
Nicht  anders  ging  es  uns  in  Glarus.  In  Luzern  wurde  uns  von 
Staatsarchivar  Dr.  Th.  von  Liebenau  mitgeteilt,  dass  im  dortigen 
Archiv  für  unsere  Arbeit  sich  nichts  finde,  was  nicht  schon  in 
den  Abschieden  und  der  Aktensammlung  Stricklers  enthalten 
sei.  Ahnlich  lautete  die  schriftliche  Antwort  aus  dem  Staatsarchiv 
Bern.  Einiges  wenige  fanden  wir  im  Statthaltereiarchiv  von  Inns- 
bruck; wenn  wir  aber  gehofft  hatten,  aus  den  dortigen  Kopial- 
büchern   nähern  Aufschluss   über   die  Tätigkeit  Kilians   im  Exil 


VII 

zu  gewinnen,  so  wurden  wir  gänzlich  getäuscht.  In  Zürich  lag 
zwar  ein  reiches  Aktenmaterial  vor;  doch  hatte  glücklicherweise 
der  ehemalige  Zürcher  Staatsarchivar  Joh.  Strickler  dasselbe  zum 
grössten  Teil  seiner  „Aktensammlung"  einverleibt,  was  uns  manche 
Stunde  mühseligen  Aktenabschreibens  erspart  hat.  Dagegen  bot 
das  Stadtarchiv  St.  Gallen  noch  manches;  namentlich  enthielten 
die  Ratsprotokolle  eine  Reihe  wichtiger  Notizen.  Herr  Stadt- 
archivar Dr.  T.  Schiess  stellte  uns  auch  in  freundlichster  Weise 
ein  Manuskript  Karl  Leders  zur  Verfügung,  betitelt:  „Die  Be- 
ziehungen der  Stadt  St.  Gallen  zur  Fürstabtei  vom  Beginn  der 
Reformation  bis  zur  völligen  Scheidung  der  beidseitigen  Gebiete"; 
diese  Abhandlung  diente  uns  für  die  Stadt  St.  Gallischen  Ver- 
hältnisse vielfach  als  Wegweiser.  Ferner  ist  zu  nennen  das 
Wiler  Archiv.  Das  meiste  Material  aber  fand  sich  natürlich  im 
Stiftsarchiv  St.  Gallen  vor;  so  schöpften  wir  aus  dem  dort  befind- 
lichen Band  Nr.  102  manches  Interessante  über  Leben  und  Wirk- 
samkeit Kilians.  ^) 

Es  bleibt  uns  noch  die  angenehme  Pflicht,  den  Herren,  welche 
wir  bei  unsern  Studien  in  Anspruch  nehmen  mussten,  herzlich  zu 
danken.  Es  sind  dies  vor  allem  die  tit.  Vorstände  des  St.  Galler 
Stadt-  und  Stiftsarchivs,  Dr.  T.  Schiess  und  J.  Müller,  welche  uns 
in  liebenswürdigster  und  zuvorkommendster  Weise  beim  Sammeln 
des  in  ihren  Archiven  enthaltenen  Materials  mit  Rat  und  Tat 
beistanden.  Für  die  Durchsicht  der  Korrekturbogen  sind  wir 
Herrn  Dr.  Schiess  noch  zu  ganz  besonderem  Dank  verpflichtet. 
Im  fernem  danken  wir  den  Herren  vom  Staatsarchiv  und  der 
Stadtbibliothek  Zürich,  dem  Direktor  des  Innsbrucker  Statthalterei- 
archivs und  Herrn  Landesarchivar  Kleiner  in  Bregenz  für  ihre 
uns  erwiesenen  Gefälligkeiten.  Endlich  sei  auch  den  Herren 
Pfarrer  Dr.  Bächtold  und  Dr.  H.  Herzog,  Bibliothekaren  zu  Schaff- 
hausen und  Aarau,  wie  auch  den  Herren  Dr.  R.  und  E.  Bertsch 
in  Zürich  für  ihr  freundliches  Entgegenkommen  warm  gedankt. 


^)  Siehe  über  diesen  Band  Beilage  VI. 


Abkürzungen. 


1.  Eidgenössische  Abschiede,  Bd.  IV  1  a  und  IV  1  b,  zitiert  E.  A.,  IV  1  a  und 
IV  Ib. 

(Die  Ziffern  dahinter  bedeuten  die  Nummern,  niclit  die  Seitenzalüen.) 

2.  Aktensammlung    zur    Schweizerischen    Reformationsgeschichte    von    Joh. 
Strickler,  zitiert  A.-S. 

(Die  arabischen  Zahlen  hinter  den  römischen,  weh'li  letztere  den  Band  bezeichnen, 
bedeuten  die  Numinern,  nicht  die  Seitenzahlen.) 

3.  Vadianische  Briefsammlung,  zitiert  V.-B.-S. 

4.  Kesslers  Sabbata,  zitiert  Sabb. 

(Die  Seitenzahlen  nur  nach  der  neuen  Ausgabe.) 

5.  Joach.  V.  Watt,  Deutsche  historische  Schriften,  zitiert  Vad. 

6.  Fridolin  Sichers  Chronik,  zitiert  Sicher,  I,  II  (I.,  II.  Bearbeitung). 

7.  Chronik  des  Hermann  Miles,  zitiert  Miles. 

8.  BuUingers  Reformationsgeschichte,  Band  II,  zitiert  Bull.  II. 

9.  Stiftsarchiv  St.  Gallen,  zitiert  St.-A. 
10.  Stadtarchiv  St.  Gallen,  zitiert  Sta. 

n.  St.  Galler  RatsprotokoUe  im  Stadtai-chiv,  zitiert  R.-P, 


1.  ABSCHNITT. 


Stadt  und  Abtei  St.  Gallen  unter  dem  Einfluss  der 
Reformation  bis  zum  Tode  des  Abtes  Franz  Geissberg. 


VORGESCHICHTE. 

Das  Kloster  St.  Gallen  hatte  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
zu  verschwinden  gedroht,  so  sehr  war  es,  namentlich  durch  die 
Appenzellerkriege ,  herabgekommen.  1412  bildeten  noch  zwei 
Mönche  den  Konvent;  der  eine  wählte  den  andern  zum  Abte! 
Seinen  Neuaufschwung,  seine  „völlige  Regeneration"  verdankte 
das  Stift  dem  energischen  und  klugen  Ulrich  Rösch.  ^) 

1458  wurde  nämlich  dem  verschwenderischen  Abt  Kaspar 
durch  einen  päpstlichen  Schiedsrichter  die  Verwaltung  des  Klosters 
entzogen  und  Ulrich  Rösch,  dem  Grosskeller  des  Stifts,  übertragen. 
Als  der  nominelle  Abt  starb,  erhielt  Rösch  auch  die  Abtswürde. 
Er  nannte  sich  Ulrich  VIII.  Diesen  Mann,  der  sich  vermöge  seiner 
geistigen  Fähigkeit  vom  Küchenjungen  zur  ersten  Stelle  in  der 
Abtei  emporgeschwungen,  hielt  man  in  Rom  für  den  geeigneten 
Mann,  das  verwahrloste  Stift  zu  reorganisieren.  Mit  fieberhaftem 
Eifer  machte  sich  auch  der  neue  Abt  an  die  schwere  Aufgabe. 
Der  Abtei  entfremdete  Gebiete  wurden  wieder  herangezogen,  dazu 
neue  Erwerbungen  gemacht:  1468  kaufte  Ulrich  zum  Beispiel  von 
den  Raron  um  14,500  rheinische  Gulden  das  Toggenburg.  ^)  Den 
Gotteshausleuten  wurde  ihre  untertänige  Stellung  sehr  deutlich 
klar  gemacht,  da  tüchtige  Beamte  des  Abtes  für  die  richtige  und 


^)  Näheres  über  diese  „grossangelegte,  kraftvolle  Persönlichkeit"  siehe  bei 
Scheiwiler:  „Abt  Ulrich  Rösch",  im  Neujahrsblatt  des  Historischen  Vereins  des 
Kantons  St.  Gallen  für  1903. 

-)  Allerdings  hatte  das  Kloster  schon  vorher  ansehnliche  Besitzungen  in 
der  Grafschaft. 

St.  Galler  Mittlgn.  z.  vaterländ.  Gesch.  XXXIII.  1 


pünktliche  Einlieferung  der  Steuern  und  Abgaben  sorgten.  Auf 
diese  Weise  wurde  auch  der  finanziellen  Zerrüttung  —  dem  Haupt- 
übel, an  welchem  das  Kloster  litt  —  erfolgreich  gesteuert.  Ja, 
der  Abt  war  mit  der  Zeit  imstande,  seine  Finanzen  so  in  die 
Höhe  zu  bringen,  dass  er  aus  ihnen  nicht  bloss  die  auf  dem  Stift 
liegenden  Schulden  bezahlen,  sondern  auch  seine  sehr  zahlreichen 
Landkäufe  bestreiten  konnte. 

Sodann  schloss  Ulrich  1479  mit  den  vier  eidgenössischen  Orten 
Zürich,  Luzern,  Schwyz  und  Glarus  den  sogenannten  „Hauptmann- 
schaftsvertrag" ab.  Die  vier  Orte  übernahmen  laut  des  Abkommens 
den  Schutz  und  Schirm  der  Rechte  und  Gebiete  des  Gotteshauses, 
und  zwar  sandte  jeweils  einer  der  vier  „Schirmorte"  in  regel- 
mässigem Turnus  seinen  Vertreter,  den  Schirmhauptmann,  für 
zwei  Jahre  ins  Kloster:  die  Schirmorte  sollten  auf  diese  "Weise 
die  Interessen  des  Stifts  besser  fördern  können.  Der  Hauptmann- 
schaftsvertrag war  vor  allem  gegen  die  Stadt  St.  Gallen  gerichtet: 
ihren  Expansionsgelüsten  sollte  damit  ein  Ende  gemacht  werden. 

St.  Gallen,  das  sich  im  Laufe  der  Jahrhunderte  von  der  Abtei 
beinahe  ganz  frei  gemacht  hatte,  konnte  sich  nämlich,  weil  rings 
von  äbtischem  Gebiet  umschlossen,  nur  auf  Kosten  des  Gottes- 
hauses ausdehnen.  Unter  Abt  Kaspar  ^)  wäre  es  der  Stadt  bei- 
nahe gelungen,  grössere  Teile  des  äbtischen  Gebietes  käufhch  zu 
erwerben.  Aber  die  Konventualen,  an  ihrer  Spitze  Ulrich  Rösch, 
weigerten  sich,  den  Kaufvertrag  anzuerkennen,  worauf  ihn  schliess- 
lich die  Vni  Orte  der  damaligen  Eidgenossenschaft  für  ungültig 
erklärten.  Diese  und  andere  Händel  mit  der  Stadt  boten  dem 
Nachfolger  Abt  Kaspars,  Ulrich  VHL,  den  Vorwand  zu  der  Er- 
klärung, er  habe  im  Sinne,  unter  Beibehaltung  des  „wesen  zu 
Sant  Gallen",  sein  Kloster  nach  Rorschach  zu  verlegen.  Der 
Hauptgrund  für  den  Abt  war  aber,  das  Zentrum  seiner  Herr- 
schaft aus  einer  Stadt,  die  ihm,  seit  sie  fast  unabhängig  war, 
feindselig  gegenüberstand,  in  die  Landschaft  seines  Gotteshauses 
zu  verlegen.  Konvent,  Papst  und  Kaiser  gaben  ihre  EinwilHgung, 
und  da  auch  die  äbtischen  Untertanen  nichts  dagegen  einwandten, 
wurde  der  Bau  begonnen  und  machte  rasche  Fortschritte. 


^)  Vgl.  hierüber  wie  über  die  nachstehend  skizzierten  Ereignisse  der  Jahre 
1489  — 1490  Joh.  Häne:  ,Der  Klosterbruch  in  Rorschach  und  der  St.  Galler 
Krieg"  (in  den  Mitteilungen  zur  vaterländischen  Geschichte,  herausg.  vom 
Histor.  Verein  St.  Gallen,  Bd.  XXVI). 


Aber  nun  trat  St.  Gallen  dem  Klosterbau  scharf  entgegen. 
Mochte  auch  einerseits  die  Selbständigkeit  und  Unabhängigkeit 
der  Stadt  dadurch  gewinnen,  dass  der  Abt  seinen  Hauptsitz  von 
dort  weg  verlegte,  so  war  doch  anderseits  der  kommerzielle 
Nachteil,  den  sie  dabei  erleiden  mußte,  ausserordentlich  gross. 
Denn  St.  Gallens  Markt  verdankte  seine  Blüte  vor  allem  dem  Um- 
stand, dass  die  Stadt  der  anerkannte  Mittelpunkt  der  äbtischen 
Gebiete  war.  Das  musste  sich  völlig  ändern,  sobald  der  Abt  seine 
Residenz  nach  Rorschach  verlegte  und  dort,  wie  er  beabsichtigte, 
einen  Konkurrenzmarkt  errichtete,  mit  dem  er  den  St.  Gallischen 
vernichten  zu  können  hoffte.  Zudem  lag  die  Gefahr  nahe,  Ror- 
schach könnte  der  Haupthafen  für  die  Stiftslandschaft  werden 
und  damit  dem  der  Stadt  gehörigen  Steinach  den  Rang  ablaufen. 

Mit  den  St.  Gallern  verbanden  sich  die  Appenzeller.  Sie  fürch- 
teten, der  Abt  möchte  von  Rorschach  aus  die  Hand  über  ihr 
Herrschaftsgebiet  im  Rheintal  schlagen,  auf  das  der  geistliche 
Herr  schon  lange  ein  Auge  geworfen  hatte. 

St.  Galler  und  Appenzeller  beschlossen  darum,  das  im  Ent- 
stehen begriffene  äbtische  Kloster  zu  Rorschach  zu  vernichten. 
Die  Seele  des  Widerstandes  gegen  den  Abt  war  der  St.  Galler 
Ulrich  Farnbüler,  der  die  Gelegenheit  benutzen  wollte,  um  der 
Stadt  jenes  äbtische  Territorium  zu  gewinnen,  das  St.  Gallen  durch 
den  Kaufvertrag  von  1455  bereits  in  den  Händen  zu  haben  ge- 
glaubt hatte.  ^)  Farnbüler,  der  von  1480 — 1490  stets  die  höchsten 
Ämter  der  Stadt  bekleidete,  verstand  es,  durch  einen  engern 
Kreis  von  Vertrauten  innerhalb  des  Rates  „die  ganze  Stadt  nach 
seinem  Kopfe  zu  regieren". 

Am  28.  Juh  1489  zerstörten  1200  Appenzeller,  350  St.  Galler 
und  650  Rheintaler  das  im  Bau  begriffene  Kloster,  nachdem  sie 
vorher  vergeblich  vom  Abte  verlangt  hatten,  dass  er  die  Arbeiten 
daran  einstelle.  Die  Abtei  erlitt  einen  Schaden  von  etwa  16,000 
Gulden. 

Trotzdem  sich  nun  Abt  Ulrich  eifrig  bei  den  eidgenössischen 
Orten  verwandte,  um  Sühne  für  den  Frevel  zu  erlangen,  richtete 
er  anfangs  wenig  aus.  Nach  verschiedenen,  resultatlos  verlaufenen 
Tagsatzungen  suchte  schliesslich  eine  Botschaft  eidgenössischer 
Orte  (ohne  Zürich,  Luzern,  Schwyz  und  Glarus)  zu  vermitteln. 
Doch  der  Versuch  missglückte :  Appenzell  wollte  ohne  St.  Gallen 

^)  Siehe  oben. 


nicht  unterhandeln,  und  dieses  glaubte,  die  Lage  sei  günstig; 
denn  bereits  hatte  sich  ein  grosser  Teil  der  Gotteshausleute  gegen 
den  Abt  erhoben. 

Seitdem  Ulrich  VIII.  die  Zügel  der  äbtischen  Regierung  in 
seine  starke  Hand  genommen,  waren  bei  seinen  Untertanen  wieder 
die  alten  Klagen  über  hartes,  geistliches  Regiment  aufgekommen. 
An  der  Zerstörung  des  halbvollendeten  Rorschacher  Klosters 
scheinen  sich  die  Gotteshausleute  zwar  nicht  beteiligt  zu  haben. 
Aber  ihr  passives  Verhalten  während  des  Gewaltstreiches  zeigt 
uns  doch,  dass  das  Verhältnis  des  Abtes  zu  seinen  Untertanen 
ein  wenig  günstiges  war.  In  der  Umgebung  von  Rorschach  hatte 
niemand  Miene  gemacht,  die  Gewalttat  zu  verhindern,  trotzdem 
die  äbtischen  Untertanen  sich  mit  dem  Bau  des  neuen  Klosters 
einverstanden  erklärt  hatten.  Einzig  die  Toggenburger  und  Wiler 
erwiesen  sich  als  zuverlässig. 

In  eine  dem  Abt  geradezu  feindliche  Stellung  wurden  aber 
die  unzufriedenen  Elemente  der  Gotteshausleute  nach  dem  „Kloster- 
bruch", d.  h.  der  Zerstörung  des  Klosterbaues,  gedrängt  durch  die 
agitatorische  Tätigkeit  des  Otmar  Gerster  von  Lömmiswil,  ge- 
wöhnlich wegen  seiner  roten  Haare  ,,Fuchs"  Gerster  genannt. 
Eine  Landsgemeinde  zu  Waldkirch  brachte  die  von  ihm  ange- 
strebte Annäherung  der  Gotteshausleute  an  Appenzell  und  die 
Stadt  St.  Gallen  zustande,  und  bei  den  Verhandlungen  wegen 
des  Klosterbruches  auf  der  Tagsatzung  zu  Baden  im  Oktober  1489 
benahm  sich  die  Gesandtschaft  der  Gotteshausleute  so,  wie  wenn 
das  Fürstenland  schon  im  Bunde  mit  den  Appenzellem  und 
St.  Gallern  stünde. 

Auf  dem  Tag  zu  Waldkirch  vom  21.  Oktober  1489  schlössen 
jetzt  sämtliche  Gemeinden  der  Gotteshauslandschaft,  ausgenommen 
Wil  und  dessen  nächste  Umgebung,  mit  den  St.  Gallern  und  Appen- 
zellem ein  Bündnis.  Abt  und  Konvent,  hiess  es  in  einem  Artikel 
des  Bundesvertrages,  sollen  versprechen,  alle  Mauerungen  und 
Beschwerden  abzustellen.  —  Die  Verhältnisse  in  den  äbtischen 
Landen  trieben  immer  mehr  der  offenen  Revolution  zu.  Dazu 
kam  nun  noch,  dass  in  St.  Gallen  im  Dezember  1489  Ulrich  Farn- 
büler  zum  Amtsbürgermeister  ^)  für  das  folgende  Jahr  gewählt 
wurde,  womit  die  Stadt  erklärte,  dass  sie  Farnbülers  Politik  billige. 


^)  Heisst  soviel  als  regierender  Bürgermeister. 


Nun  aber  beschlossen  die  vier  Schirmorte  der  Abtei  nach 
fruchtlosen  Vermittlungsversuchen  durch  unbeteiligte  eidgenös- 
sische Stände,  mit  Waffengewalt  dem  Abt  Genugtuung  zu  ver- 
schaffen und  die  Erhebung  niederzuwerfen.  Sie  hatten  um  so 
mehr  Aussicht  auf  Erfolg,  da  ihre  Gegner  durchaus  nicht  einig 
waren :  der  Bund  von  Waldkirch,  welcher  Städter,  freie  Bauern 
und  Untertanen  verband,  erwies  sich  bald  genug  als  zu  locker 
gefügt. 

Dem  von  Wil  gegen  Gossau  vorrückenden  schirraörtischen 
Heere  leisteten  die  Gotteshausleute  keinen  Widerstand.  Sie 
schwuren  den  vier  Schirmorten  Gehorsam  und  versprachen,  die 
Urheber  der  Empörung  anzugeben. 

Auch  die  Appenzeller  krochen  ohne  Schwertstreich  zu  Kreuz, 
nachdem  sie  die  Gotteshausleute  und  St.  Gallen  ohne  militärische 
Unterstützung  gelassen  und  ruhig  den  Verlauf  der  Dinge  hinter 
ihrer  Letzi  bei  Herisau  abgewartet  hatten.  Sie  bezahlten  ihre 
abtfeindliche  Haltung  mit  dem  Verlust  des  Rheintals. 

Noch  leistete  St.  Gallen  Widerstand.  Doch  nicht  unter  Farn- 
büler;  denn  dieser  war,  bevor  das  vierörtische  Heer  am  12.  Februar 
1490  vor  den  Mauern  erschien,  aus  der  Stadt  geflohen.  Trotzdem 
gedachte  die  wohlbefestigte  Stadt  dem  Belagerungsheer  ener- 
gischen Widerstand  zu  leisten.  Dadurch  entging  sie  zwar  der 
Schmach  einer  Kapitulation,  da  ihre  Gegner  es  nicht  auf  einen 
Belagerungskrieg  ankommen  lassen  wollten.  Aber  die  schliess- 
lichen  Friedensbedingungen  waren  für  die  Stadt  doch  sehr  hart. 
Wohl  rettete  St.  Gallen  unter  Beistand  Zürichs  seine  Selbständig- 
keit, verlor  aber  seine  auswärtigen  Besitzungen:  Schloss  Ober- 
berg, die  zwei  Gerichte  Oberberg  und  Andwil,  sowie  das  Gred- 
haus  (Lagerhaus)  zu  Steinach.  Diese  Abtretungen  wurden  später 
für  nur  8000  gl.  von  den  Schirmorten  dem  Abt  überlassen.  Ferner 
hatte  die  Stadt  an  die  vier  Schirmorte  10,000  gl.,  an  Abt  Ulrich 
4000  gl.  zu  zahlen.  Das  Schlimmste  aber  war,  dass  sie  ihre  Aus- 
burger ^)  entlassen  und  keine  neuen  mehr  aufnehmen  durfte. 
Damit  war  St.  Gallen  die  Erwerbung  einer  Territorialherrschaft 
verun  möglicht. 

Die  Gotteshausleute  wurden  als  Verführte  behandelt  und  milde 
bestraft.   Sie  durften  in  Zukunft  ohne  Erlaubnis  ihres  Herrn,  des 


0  Leute,  die  Bürger  der  Stadt  sind,  aber  nicht  dort  wohnen  müssen. 


6 

Abtes  von  St.  Gallen,  keine  Versammlungen  abhalten,  und  was 
besonders  empfindlich  für  sie  war:  der  Erb-,  Todes-  oder  Sterbe- 
fall wurde  wieder  eingeführt.  Endlich  hatten  sie  den  Schirmorten 
für  die  bewaffnete  Intervention  4000  gl.  und  dem  Abt  an  seinen 
erlittenen  Schaden  3000  gl.  zu  zahlen. 

Aber  mochte  auch  Ulrich  VIII.  triumphieren,  er  hatte  einen 
Pyrrhussieg  errungen.  Die  siegreichen  Schirraorte  benützten 
nämlich  die  Gelegenheit,  ihm  einen  neuen  Hauptmannschafts- 
vertrag aufzunötigen  (1490).  Dieser  sollte  zwar  nur  eine  „bessre 
erlüterung  und  verstendnus"  des  Hauptmannschaftsvertrages  von 
1479  sein,  drückte  aber  die  Gotteshauslandschaft  tatsächlich  zur 
gemeinen  Herrschaft  herab.  Nach  dem  neuen  Vorkommnis  durfte 
z.  B.  kein  Abt  von  den  Besitzungen  der  Abtei  etwas  versetzen 
oder  verkaufen,  und  die  Gotteshausleute  hatten  in  Kriegszeiten 
der  Mehrheit  der  Schirmorte  zuzuziehen,  wohin  diese  wollten, 
und  zwar  auf  eigene  Kosten. 

Den  Anstiftern  hatte  der  „Klosterbruch"  allerdings  nur  Schaden 
gebracht.  Jedoch  das  Zentrum  der  äbtischen  Regierung  blieb  auch 
in  Zukunft  in  St.  Gallen,  obwohl  der  Gegensatz  zwischen  Abtei 
und  Stadt  fortdauerte.  Die  rebellischen  Untertanen  waren  wieder 
unter  den  Krummstab  des  Abtes  von  St.  Gallen  gebeugt  worden; 
aber  die  Empörung  hatte  gezeigt,  was  für  ein  trotziges,  selbst- 
bewusstes  Wesen  unter  den  Bauern  der  Ostschweiz  vorhanden  war. 

Diese  Erhebung  steht  jedoch  nicht  vereinzelt  da,  sondern 
bildet  nur  das  Glied  einer  Kette  von  ähnlichen  Erscheinungen  in 
Süddeutschland  und  in  der  Eidgenossenschaft:  1462  hatten  sich 
die  salzburgischen  Bauern  erhoben,  1491/1492  empörten  sich  die- 
jenigen des  Stifts  von  Kempten,  und  gleich  der  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts bringt  uns  Erhebungen  im  Bernischen,  Luzernischen  und 
Solothurnischen. 

Es  sind  darum  die  Bauernrevolutionen,  die  sich  in  den  zwan- 
ziger Jahren  des  16.  Jahrhunderts  abspielten,  im  Grunde  genommen 
nichts  Neues.  Sie  sind  nur  unter  dem  Einfluss  der  reformatorischen 
Ideen  für  die  bestehende  Ordnung  sehr  viel  gefährlicher  geworden 
als  frühere;  denn  die  Reformation  gab  der  ganzen  Bewegung  eine 
sittlich-religiöse  Grundlage.  Wenn  der  untertänige  Bauer  diesseits 
wie  jenseits  des  Rheines  die  evangelische  Freiheit  und  Gleichheit 
der  Menschen  wörtlich  und  äusserlich  auffasste,  so  war  das  wohl 
zu  begreifen;  denn  hier  wie  dort  war  seine  materielle  Lage  eine 


keineswegs  beneidenswerte,  ^)  und  mochte  er  auch  diesseits  des 
Rheines  durchschnitthch  besser  gestellt  sein  als  sein  deutscher 
Nachbar,  so  herrschte  doch  auch  hier  manchenorts  eine  revo- 
lutionäre Stimmung. 

Dies  war  namentlich  wieder  bei  den  bäuerlichen  Untertanen 
des  Abtes  von  St.  Gallen  der  Fall,  und  zwar  arbeiteten  diese,  was 
für  den  geistlichen  Herrn  besonders  gefährlich  war,  nicht  nur  auf 
soziale,  sondern  vor  allem  auch  auf  politische  Besserstellung  hin. 
Ja,  im  Grunde  genommen  war  es  nichts  mehr  und  nichts  weniger 
als  die  Ablösung  vom  Stifte,  was  sie  anstrebten,  wie  das  schon 
der  Rorschacher  Klosterbruch  wenigstens  für  die  nördlichen  Ge- 
biete der  äbtischen  Lande  deutlich  genug  bewiesen  hatte.  Seit 
jener  Zeit  hörten  die  Händel  der  Untertanen  mit  ihrem  geist- 
lichen Herrn  nie  mehr  ganz  auf.  '^)  Fortwährend  hatte  der  Prälat 
mit  seinen  Untertanen  Späne  wegen  Zehntenverweigerung  aus- 
zufechten.  Und  dass  das  Streben  nach  politischer  Unabhängigkeit 
in  seinem  Herrschaftsgebiet  nicht  erlosch,  dafür  sorgten  die  Toggen- 
burger,  deren  Selbstgefühl  durch  die  grossen,  im  Verein  mit  den 
Eidgenossen  bestandenen  Kämpfe  wach  geworden  war.  ^)  Wenn 
bei  diesen  steten  Reibereien  zwischen  Abt  und  Untertanen  Miss- 
trauen und  Erbitterung  gegenseitig  fortwährend  wuchsen,  so  war 
das  nicht  verwunderlich.  Und  nun  war  vollends  durch  die  Refor- 
mation dem  Bauer  die  Bibel  in  die  Hand  gegeben  worden.  Wo 
stand  da  etwas  von  der  masslosen  und  ewigen  Belastung  des 
Armen  durch  geistliche  und  weltliche  Herren,  wo  ein  Wort  von 
geistlicher  Hierarchie?  Der  Bauer  musste  auf  den  Glauben  kommen, 
dass  er  es  sei,  der  für  das  Christentum  fechte,  für  eine  gute  Sache. 
Während  bisher  bei  den  Bauernunruhen  vorwiegend  soziale  und 
politische  Motive  gewirkt  hatten,  kam  nun  noch  das  religiöse 
Moment  hinzu  und  damit  der  Fanatismus.  Alle  drei  wirkten  zu- 
sammen, um  im  Sommer  1525  die  Revolution  der  süddeutschen 


^)  So  heisst  es  in  dem  eidg.  Glaubenskonkordat  von  1525,  dass  der  , ge- 
meine arme  Mann  eben  merklich  von  geistlichen  Prälaten  und  Gotteshäusern, 
auch  von  edeln  und  unedeln  Gerichtsherren  allenthalben  mit  der  Eigenschaft 
(Leibeigenschaft)  hart  und  streng  gehalten  worden"  sei.  (Oechsli,  „Das  eidg. 
Glaubenseoncordat  von  1525",  Jahrb.  für  Schweiz.  Gesch.,  Bd.  14.) 

2)  H.  Nabholz:  „Die  Bauernbewegung  in  der  Ostschweiz,  1524  — 1525", 
S.  13.    (Inaug.-Diss.,  Bülach  1898.) 

^)  J.  Dierauer:  „Das  Toggepburg  unter  äbtischer  Herrschaft."  (St.  Galler 
Neuj.-Bl.  1875.) 


8 

Bauern  hervorzurufen.  Da  sich  diese  grossenteils  in  nächster 
Nähe  der  eidgenössischen  Grenze  abspielte,  so  machte  sich  die 
Bewegung  auch  bei  den  Untertanen  des  Abtes  von  St.  Gallen 
wohl  bemerkbar;  standen  doch  die  äbtischen  Untertanen  in  Ver- 
bindung mit  den  aufständischen  süddeutschen  Bauern.  Doch  kam 
es  unter  den  Gotteshausleuten  nicht  zu  einer  eigentlichen  Er- 
hebung. Die  Stiftsbauern  begnügten  sich  vorderhand  damit,  ins- 
gesamt bei  den  Schirmorten  über  unbillige  Abgaben  zu  klagen, 
die  sie  dem  Kloster  zu  entrichten  hätten,  worauf  diese  dem  Abt 
und  seinen  Anklägern  einen  Rechtstag  nach  Rapperswil  auf  den 
29.  März  1525  ansetzten.  Der  Tag  verhef  jedoch  resultatlos,  da 
nur  ein  Teil  der  Gotteshausleute  Gesandte  geschickt  hatte,  und 
die  Schirmorte  verlangten,  dass  die  äbtischen  Untertanen  ihre 
Klagen  in  einem  gemeinsamen  Programm  ihnen  vorlegen  sollten.  ^) 
Bis  das  aber  geschah,  war  der  Aufstand  unter  den  deutschen 
Bauern  mächtig  angewachsen,  und  unter  dessen  Einfluss  nahm 
auch  die  Bewegung  im  Gebiet  der  Abtei  St.  Gallen  eine  drohende 
Wendung,  so  dass  Abt  Franz  es  für  nötig  erachtete,  eine  Be- 
satzung ins  Schloss  Rorschach  zu  legen. 

Die  am  1.  Mai  1525  zu  Lömmiswil  zusammentretende  Ge- 
meinde der  Gotteshausleute,  welche  sich  über  die  Beschwerde- 
punkte gegen  den  Abt  einigen  sollte,  durchwehte  ein  recht  revo- 
lutionärer Geist,  der  in  den  Forderungen  der  versammelten  Land- 
leute beredten  Ausdruck  fand:  neben  bedeutenden  materiellen 
Erleichterungen  sollte  der  Abt  urkundlich  versprechen,  ohne  Wissen 
und  Willen  der  Gotteshausleute  keine  Verfügung  zu  treffen !  Er 
wurde  denn  auch  von  diesem  und  den  andern  Beschlüssen  der 
abgehaltenen  Gemeinde  in  Kenntnis  gesetzt  und  aufgefordert,  sie 
anzunehmen.  Sehr  begreiflich,  dass  der  geistliche  Herr  darauf 
nicht  einging.  Dabei  fand  er  Hilfe  bei  seinen  Schirmorten,  welche 
nunmehr  von  den  Gotteshausleuten  die  Absendung  von  Bevoll- 
mächtigten forderten.  Diese  sollten  den  Abgeordneten  der  vier 
Stände  die  Beschwerden  des  Fürstenlandes  vortragen,  worauf 
dann  die  Boten  der  Schirmherren,  wenn  nötig,  einen  Spruch 
fällen  würden,  falls  mit  gütlicher  Verhandlung  nichts  auszurichten 
wäre.  Einen  hierfür  angesetzten  Tag  besuchten  aber  die  Unter- 
tanen  des   Stiftes  nicht,   unwilhg   über   das  gestellte  Verlangen 


')  E.  A.,  IV,  la,  S.  603  p  und  S.  610  ff. 


9 

der  Schirmorte.  Sie  versprachen  sich  von  einem  Paktieren  mit 
den  Regierungen  der  einzelnen  Schirmorte  mehr  als  von  einem 
Rechtstag,  wo  sie  ihre  Forderungen  begründen  mussten,  und  hofften 
ganz  besonders,  dass  Zürich  ihnen  seinen  Beistand  nicht  versagen 
werde,  da  es  ja  auch  die  Verbreitung  der  Zwingiischen  Lehre 
im  äbtischen  Gebiete  in  jeder  Weise  unterstützte.  Kommunistische 
Ideen,  von  Wiedertäufern  unter  ihnen  verbreitet,  taten  das  Ihrige, 
die  Untertanen  des  Abtes  im  Widerstände  gegen  ihren  Herrn  zu 
ermutigen.  Doch  machte  schliesslich  die  blutige  Unterdrückung 
derdeutschen  Bauernbewegung  auch  die  äbtischen  Widerspenstigen 
mürbe,  so  dass  sie  endlich  einen  neuen  Tag  (10.  Juli  1525)  zu 
Rapperswil  beschickten  und  hier  der  Rechtshandel  zwischen  dem 
Abt  und  den  Bevollmächtigten  seiner  Untertanen  beginnen  konnte. 

Wie  vorauszusehen  war,  endigten  die  Verhandlungen  völlig 
zu  Ungunsten  der  Gotteshausleute:  beinahe  mit  allen  ihren  For- 
derungen wurden  sie  abgewiesen,  da  ihre  Bevollmächtigten  eben 
fast  immer  den  genügenden  Beweis  für  die  Unrechtmässigkeit  der 
von  ihnen  beanstandeten  Lasten  schuldig  blieben.  ^)  Demütigend 
für  die  Stiftsbauern  war  auch,  dass  am  28.  Juli,  ebenfalls  zu 
Rapperswil,  der  energische,  aber  den  Gotteshausleuten  verhasste 
Verfechter  der  äbtischen  Rechte,  Dr.  Christoph  Winkler,  ^)  den 
die  Tablater  gefangen  genommen,  freigesprochen  und  diesen 
eine  Busse  von  100  Gulden  auferlegt  wurde.  ^)  Der  Abt  erhielt 
zudem  die  Erlaubnis,  die  Rädelsführer  zu  bestrafen,  worauf  er 
sie  aus  dem  Lande  jagte. 

So  hatte  der  Prälat,  vor  allem  durch  die  Wendung,  welche 
der  Bauernkrieg  in  Süddeutschland  genommen  —  allerdings  unter 
bedeutenden  Geldopfern,  welche  ihn  der  lange  Prozess  kostete,*)  — 
vollständig  gesiegt.  Aber  die  Ruhe  kam  für  ihn  nicht  wieder. 
Schon  hatten  sich  nämlich  die  reformatorischen  Ideen  Luthers 
und  Zwingiis  im  äbtischen  Gebiete  so  stark  verbreitet,  dass  die 
sozialen  und  politischen  Fragen,  die  bisher  in  dem  Streite  mass- 
gebend gewesen,  anfingen,  von  den  rehgiösen  Gesichtspunkten 
ganz  in  den  Hintergrund  gedrängt  zu  werden;  ja,  die  politisch- 
sozialen Fragen  gingen  nunmehr  in  den  religiösen  auf,  und  dieser 


^)  Näheres  bei  Nabholz,  Bauernbewegung,  S.  90. 

2)  über  seine  Tüchtigkeit  siehe  Vad.  II,  S.  402  12. 

^)  Über  den  Handel  siehe  Sabb.,  S.  196/197. 

^)  Sicher,  I,  S.  64io,  berechnet  die  Kosten  des  Abtes  auf  mehr  als  1500  gl. 


10 

neue  Gegensatz  bedeutete  für  Abt  Franz  wie  für  so  manchen 
andern  Prälaten  eine  Gefahr,  die  unter  Umständen  seine  ganze 
Macht  in  geistlichen  und  weltlichen  Dingen  in  Frage  stellen  konnte. 

Auf  dem  oben  genannten  Rechtstage  war  die  religiöse  Frage 
bereits  von  den  Gotteshausleuten  gestreift,  aber  vom  Abt  geschickt 
umgangen  worden.  In  sehr  kluger  Weise  wollte  er  nämlich  zuerst 
mit  den  sozialen  und  politischen  Forderungen  seiner  Untertanen 
ins  Reine  kommen,  ehe  er  die  viel  gefährlichere  religiöse  Frage 
angriff. 

Wie  sehr  aber  die  letztere  bereits  in  der  Eidgenossenschaft 
überhaupt  in  den  Vordergrund  gerückt  war,  zeigte  sich  noch  im 
Jahre  1525.  Boten  aus  denjenigen  Gebieten  des  Rheintales,  in 
denen  der  Abt  von  St.  Gallen  die  niedere  Gerichtsbarkeit  besass, 
klagten  gleich  nach  Abschluss  des  Rechtstages  zu  Rappers wil 
vor  den  Boten  der  im  Rheintal  regierenden  Orte  über  ungerechte 
Abgaben,  die  sie  dem  Abte  entrichten  müssten.  Eine  Vermittlung 
der  Tagherren  in  dem  Streit  verhinderten  aber  die  im  Rheintal 
mitregierenden  Urner,  indem  sie  erklärten,  dass  sie  neben  dem 
ketzerischen  Zürich  nicht  mehr  tagen  wollten.  Erst  im  Juli  1526 
konnte  zu  Rorschach  ein  Vergleich  zwischen  Abt  Franz  und  den 
Rheintalern  zustande  gebracht  werden.  ^) 

Auch  im  Toggenburg  hatte  sich  unter  dem  Einfluss  der  neuen 
Lehre  der  Geist  des  Ungehorsams  gegen  den  Abt  von  neuem 
geregt,  und  in  der  Stadt  St.  Gallen  huldigte  bereits  die  Mehrheit 
der  Bürger  dem  neuen  Glauben. 

So  tritt  immer  mächtiger,  alle  andern  Fragen  weit  zurück- 
drängend, das  religiöse  Moment  in  den  Vordergrund.  Deswegen 
haben  wir  nun  die  reformatorische  Bewegung  in  der  Stadt  und 
auf  dem  Gebiete  der  Abtei  eingehend  darzustellen  und  verfolgen 
vorerst  die  Vorgänge  in  St.  Gallen,  da  von  hier  aus  die  neue  Lehre 
auch  in  der  Landschaft  des  Gotteshauses  verbreitet  wurde. 


1)  E.  A.,  IV,  1  a,  S. 


11 


I.  Kapitel. 


Die  Einführung  der  Reformation  in  der  Stadt  St.  Gallen. 

Beim  Rorschacher  Klosterbruch  und  St.  Galler  Krieg  konnten 
wir  sehen,  welch  schroffe  Gegensätze  zwischen  Kloster  und  Stadt 
St.  Gallen  vorhanden  waren.  ')  An  diesem  misslichen  Verhältnis 
hatten  die  folgenden  Jahre  wenig  geändert,  lag  doch  das  Zentrum 
der  äbtischen  Herrschaft  nach  wie  vor  in  der  Stadt  St.  Gallen. 
Gerade  das  bewirkte  aber,  dass  man  an  der  Steinach  der  Auf- 
nahme reformatorischer  Ideen  günstig  gesinnt  war. 

„Der  hauptsächliche  Urheber  und  der  massgebende  Leiter",-) 
die  eigentliche  Seele  der  Reformationsbewegung  in  der  Stadt 
St.  Gallen  ist  Vadian  gewesen,  d.  h.  die  leitende  Persönlichkeit  in 
der  Glaubensänderung  war  hier  —  im  Gegensatz  zu  Zürich  — 
ein  Laie,  der  sich  aber  als  Vorkämpfer  für  die  neue  Lehre  dem 
Theologen  näherte. 

Joachim  von  Watt  ^)   stammte    aus    einer   gut   bürgerlichen 


^)  Siehe  oben. 

^)  Stähelin,  Yadian,  S.  213,  siehe  folgende  Anmerkung. 

^)  Leider  besitzen  wir  bis  zum  heutigen  Tage  keine  Vadianbiographie,  die 
den  modernen  wissenschaftlichen  Anforderungen  genügte  und  uns  ein  vollstän- 
diges Bild  vom  Leben  und  der  Tätigkeit  dieses  hochbedeutenden  und  persönlich 
so  ansprechenden  Mannes  zu  geben  imstande  wäre.  Von  bedeutenderen  älteren 
Arbeiten  über  ihn  nenne  ich  diejenige  von  Theod.  Pressel  (in  dem  Sammelwerk 
„  Leben  und  ausgewählte  Schriften  der  Väter  und  Begründer  der  reformatorischen 
Kirche",  Bd.  IX,  Elberfeld  1861).  Für  die  damalige  Zeit  eine  recht  gute  Ar- 
beit, ist  sie  heutzutage  zum  grossen  Teil  veraltet.  Die  Vad.-Briefsamml.  und 
die  Sabbata  wurden  ungenügend  ausgenützt.  Der  ganzen  Arbeit  merkt  man  an, 
dass  sie  von  einem  Theologen  geschrieben  wurde.  —  Ferner  sei  die  in  ihrer  Art 
ausgezeichnete  Arbeit  Rudolf  Stähelins:  ,Die  reformatorische  Wirksamkeit  des 
St.  Galler  Humanisten  Vadian",  genannt  (in  den  Beiträgen  zur  vaterl.  Gesch., 
herausgeg.  von  der  Hist.-antiquar.  Gesellschaft  Basel.  Neue  Folge,  Bd.  1,  der 
ganzen  Reihe  XI.  Bd.,  1882).  Wie  der  Titel  andeutet  und  auch  der  Verfasser 
selbst  sagt,  will  dieses  Buch  keine  eigentliche  Biographie  sein  (Stäh.,  S.  196). 
Trotzdem  sich  aber  Stähelin  auf  die  Darstellung  der  reformatorischen  Tätigkeit 
Vadians  beschränkt,  müssen  wir  es   als  einen  grossen  Mangel  des  Buches  be- 


12 

Familie  St.  Gallens,  die  im  14.  Jahrhundert  zu  Stand  und  Ver- 
mögen gelangt  war.  Ihre  Glieder  gehörten  vornehmlich  dem  Kauf- 
mannsstande an.  Als  Sohn  des  Handelsmannes  und  Ratsherrn 
Leonhard  von  Watt  und  der  Magdalena  Talmann  wurde  der 
spätere  Reformator  St.  Gallens  am  28.  Dezember  1484  geboren. 
Der  Vater,  ein  Freund  der  schönen  Künste  und  Wissenschaften, 
bestimmte  den  Sohn  für  die  gelehrten  Studien.  Ein  sorgfältiger 
Privatunterricht  ward  ihm  zuteil;  ein  Vater  voll  Würde  und  eine 
Mutter  voller  Frömmigkeit  gaben  ihm  das  Beispiel  einer  feinen  und 
religiösen  Lebensführung.  Damit  verband  sich  die  glückliche, 
harmonische  Anlage  des  strebsamen  Jünglings. 

Dennoch  blieben  auch  ihm  die  Versuchungen  eines  freien 
Lebens  nicht  ferne,  als  er  zu  Wien  studierte.  Aber  ein  väter- 
licher Freund  gab  ihn  sich  selbst  zurück,  und  bald  finden  wir 
ihn  in  der  fremden  Stadt  als  angesehensten  Humanisten  und 
Professor  der  alten  Sprachen.  Als  solchem  fehlte  es  ihm  nicht 
an  Ehrenbezeugungen  noch  an  einem  Kreise  von  Gleichgesinnten 
und  Freunden,  und  schon  damals  traten  jene  beiden  Züge  seines 
sympathischen  Wesens  hervor,  die  ihn  über  das  Mittel  seiner  Zeit- 
und  Gesinnungsgenossen  hinausheben :  mildes  Menschentum  und 
unaussprechlicher  Trieb  nach  innerer  Wahrheit. 

Als  Humanist  und  Gottesgelehrter,  der  seine  theologischen 
Studien  vornehmlich  im  Lichte  der  Geschichte  und  seine  historischen 
Anschauungen  im  Lichte  des  Gottesreiches  klärte,  kam  er  1518 
nach  St.  Gallen:  eine  abgeschlossene,  abgerundete,  seltene  Er- 
scheinung. Was  ihn  von  Wien  forttrieb,  wissen  wir  nicht  genau. 
Neben  der  Pest  war  es  jedenfalls  das  Streben,  seiner  Vaterstadt 
zu  dienen,  damit  „auch  die  Nachwelt  einstimmig  sagen  sollte, 
dass  er  nichts  unterlassen  habe,  worin  er  seiner  Geburtsstadt, 
seinen  Angehörigen  und  jedem  Rechtschaffenen  sich  nach  Kräften 
habe  dienstbar  erweisen  können''. 


zeichnen,  dass  die  Yad.-Briefsamml.  der  Stadtbibliothek  St.  Gallen  nicht  benützt 
worden  ist,  wie  Stähelin  übrigens  ausdrücklich  bemei'kt  (S.  196).  —  Endlich 
ist  noch  der  neuesten  Arbeit  über  Vadian  zu  gedenken,  die  Ernst  Götzinger 
verfasst  hat  (in  den  Schriften  des  Vereins  für  Ref.-Gesch.,  Heft  50:  ,  Joachim 
Vadian,  der  Reformator  und  Geschichtschreiber  von  St.  Gallen",  Halle  1895). 
Vergleichen  wir  diese  Schrift  mit  derjenigen  Presseis,  so  müssen  wir  sagen, 
dass  Götzinger  über  Pressel  eigentlich  nicht  hinausgekommen  ist,  ausser  was  die 
Angaben  über  die  von  ihm  herausgegebenen  Deutschen  histor.  Schriften  Vadians 
betrifft :  auch  las:  ihm  die  Vad.-Briefsamml.  nur  zum  kleinsten  Teile  gedruckt  vor. 


13 

Er  hatte  nämlich  nach  seinen  philologischen,  theologischen 
und  juristischen  Studien,  und  nachdem  er  zum  Dichter  gekrönt 
worden  war,  im  Jahre  1517  auch  den  Grad  eines  Doktors  der 
Medizin  sich  erworben,  und  gleich  nach  seiner  Rückkehr  nahm 
der  Rat  von  St.  Gallen  den  berühmten  Mann  als  Arzt  in  den 
Dienst  der  Stadt.  Und  sie  durfte  stolz  darauf  sein ;  hoffte  man 
in  Wien  doch  immer  noch  auf  seine  Rückkehr,  und  auch  Zürich 
bewarb  sich  um  ihn.  1519  ehelichte  er  Martha  Grebel  von  Zürich. 
So  treu  er  in  Zukunft  den  humanistischen  Studien  auch  blieb, 
so  können  wir  doch  in  den  nächsten  Jahren  eine  entschiedene 
Neigung  zu  kirchlichen  Fragen  hin  erkennen,  wie  auch  deutlich 
der  Umstand  beweist,  dass  er  in  Reuchlins  Kampf  mit  den  Dunkel- 
männern lebhaft  Partei  für  diesen  ergriff.  Wir  treffen  ihn  jetzt 
in  einem  unausgesetzten  Studium  der  Bibel  und  der  Reformations- 
schriften und  in  regem  brieflichem  Verkehr  mit  seinem  Freunde 
Zwingli '),  seit  1520  auch  mit  Luther,  und  finden  ihn  mit  Plänen 
für  die  Reformation  seiner  Vaterstadt  beschäftigt. 

Aber  noch  mehr  als  in  Zürich  stellten  sich  in  St.  Gallen  der 
Ausbreitung  der  neuen  Lehre  grosse  Hindernisse  in  den  Weg. 
Wie  ein  Pfahl  im  Fleisch  lag  das  Kloster  St.  Gallen  innerhalb 
der  Stadtmauern  und  schloss  mit  seinem  grossen  Territorialbesitz 
die  Reichsstadt  völlig  ein.  Sie  war  dadurch  in  ihrem  Streben 
nach  Entwicklung  lahmgelegt,  hatte  auch,  wie  wir  wissen,  ihren 
Versuch,  den  Ring  zu  sprengen  und  sich  auszudehnen,  teuer  be- 
zahlen müssen.  ^)  Dazu  kam,  dass  unter  den  Bürgern  der  Stadt 
selbst  eine  starke  Oppositionspartei  vorhanden  war,  die  der  ge- 
planten religiösen  Neuerung  ablehnend  gegenüberstand.  Zu  ihr 
gehörten  einmal,  wie  anderswo  auch,  jene  Leute,  die  gern  gegen- 
über den  kirchlichen  Missbräuchen  ein  Auge  zudrückten,  wenn 
dafür  ihre  äussere  Sicherheit  und  Ruhe  nicht  gefährdet  wurde. 
Bedenklicher  war,  dass  auch  vor  allem  die  im  Kleinen  Rate  sitzen- 
den reichen  Kaufleute  zu  den  Gegnern  der  Reform  gehörten.  Sie 
erblickten  nämlich  in  solchen  durchgreifenden  Änderungen,  wie 
sie  die  neue  Lehre  für  die  Stadt  mit  sich  bringen  musste,  eine 
grosse  Gefahr  für  den  St,  Gallischen  Handel;  denn  in  der  Eid- 


^)  Schon  1513  beklagte  sich  Zwingli  in  einem  Briefe  an  Vadian,  dass  er 
ihn  in  seinem  brieflichen  Verkehr  vernachlässige,  Glarus,  23.  Februar  1513. 
(V.-B.-S.,  Nachträge  1509—25,  Nr.  7,  St.  Galler  Mitteilungen,  Bd.  XXVII.) 

^)  Siehe  oben. 


14 

genossenschaft,  zu  deren  zugewandten  Orten  St.  Gallen  seit  dem 
13.  Juni  1454  gehörte,  war  vorderhand  nur  Zürich  den  kirchlichen 
Reformen  günstig  gesinnt,  und  die  dortige  Regierung  hatte  genug 
zu  tun.  um  in  ihrem  Machtbereiche  der  neuen  geistigen  Richtung 
zum  Durchbruch  zu  verhelfen.  Eine  allfällige  militärische  Unter- 
stützung von  dieser  Seite  war  für  St.  Gallen  vorderhand  voll- 
ständig ausgeschlossen.  Im  Deutschen  Reiche  aber  herrschte  da- 
mals Karl  V.,  dem  die  Einheit  des  Glaubens  —  und  unter  diesem 
verstand  der  Habsburger  natürlich  den  Katholizismus  —  für  ein 
Reich  ein  unbedingtes  Erfordernis  schien;  daher  die  aus  politischen 
Erwägungen  hervorgehende  antilutherische  Gesinnung  des  Kaisers. 
—  Unter  solchen  Verhältnissen  St.  Gallen  zu  reformieren,  ohne 
dadurch  die  äussere  Stellung  der  Reichsstadt  schwer  zu  gefährden, 
dazu  gehörte  eine  bedeutende  Persönlichkeit.  Vadian  hat  die 
Aufgabe  glänzend  gelöst. 

Der  erste  Widerstand  gegen  die  Einführung  der  neuen  Lehre 
war  natürlich  vom  Kloster  zu  erwarten.  Dessen  Abt,  Franz  Geiss- 
berg, war  ein  gewandter  und  geschickter  Verteidiger  der  Rechte 
seiner  Abtei,  wie  wir  bereits  bei  Gelegenheit  der  sozialen  Un- 
ruhen unter  seinen  bäuerlichen  Untertanen  (1525)  konstatieren 
konnten.  ^)  Die  Rechte  des  Klosters  zu  verteidigen,  zu  behaupten 
und  wenn  möglich  zu  vermehren,  das  bildete  das  Hauptziel  seines 
Lebens.  ^) 

„Von  erheben,  riehen  vater  und  müter  bürtig",  war  er  an- 
fänglich gegen  den  Willen  seiner  Eltern  ins  Kloster  St.  Gallen 
eingetreten.  Bald  wurde  er  wegen  seines  guten  Betragens  und 
seiner  Geschicklichkeit  in  geistlichen  Geschäften  Novizenmeister, 
dann  Superior,  und  als  1504  Abt  Gotthard  starb,  ging  bei  der 
Neuwahl  Franz  Geissberg  aus  dem  Dreiervorschlag  als  Sieger 
hervor,  indem  besonders  die  jungen  Konventualen  für  ihn  stimmten.^) 

In  religiösen  Dingen  scheint  er,  wie  der  Durchschnitt  der 
Kleriker  zu  jener  Zeit,  ein  recht  äusserlicher  und  oberflächlicher 
Herr  gewesen  zu  sein,  dem  vor  allem  daran  lag,  die  äussere 
Pracht  des  Gottesdienstes  zu  steigern :  ')   Die  Orgel  im  Münster 


^)  Siehe  oben. 

^)  Kessler  bezeichnetihn  als  „fürtreffenlich  geschwind  und  verständig  .  . .  uf 
des  clausters  bruch  und  zütragenlicher  hushaltung".   (Sabb.,  S.  314  22—23.) 
3)  Sicher,  I,  S.  100  f. 
'^)  „ein  grosser  cerimonier"  wird  er  von  Vadian  (II,  S.  413  ii)  genannt. 


15 

wurde  restauriert,  was  den  Abt  mehr  als  1500  Gulden  kostete;^) 
für  prachtvolle  Messgewänder  -)  und  Verschönerungen  im  Münster 
wurden  tausende  von  Gulden  ausgegeben.  ^)  In  Essen  und  Trinken 
aber  war  Abt  Franz  gegen  sich  und  die  Konventualen  sehr  spar- 
sam. ^)  Charakteristisch  für  seine  einseitige  Sparsamkeit  ist  die 
Bemerkung  Vadians:'')  „seine  konventzbrüder  vielend  in  schwäre 
krankheiten  von  wegen  des  säursten  weins,  den  sie  trinken  müss- 
tend,  sie  trunkend  in  gern  oder  nit",  obwohl  dem  Abt  jährlich 
bis  400  Fuder  Wein  eingingen,-')  worunter  mancher  gute  Tropfen. 
1520,  nachdem  Papst  Leo  X.  Notker  I.  kanonisiert  hatte,  be- 
stimmte Abt  Franz  einen  besondern  Feiertag  für  diesen  Spezial- 
heiligen des  Klosters. ')  Der  äusserlichen  Auffassung  des  Christen- 
tums entsprechend,  war  auch  die  Ausbildung,  die  der  Abt  Jüngern 
Mönchen  angedeihen  liess,  recht  gering.  Sein  Konvent  war  ihm 
gelehrt  genug,  wenn  er  singen,  lesen,  Messe  halten  und  andere 
Kirchendienste  verrichten  konnte.  -)  Nicht  höher  war  wohl  auch 
seine  eigene  Bildungsstufe.  Doch  besass  der  Abt  Eigenschaften, 
die  ihn  über  den  Durchschnitt  der  damaligen  Geistlichen  empor- 
hoben :  neben  seiner  grossen  Wohltätigkeit  gegen  die  Armen,  ^) 
die  an  diesem  Manne  besonders  zu  schätzen  ist,  mussten  auch 
seine  Gegner  anerkennen,  dass  er  sich  sein  ganzes  Leben  lang 
keine  Fleischessünden  zuschulden  kommen  liess.  ^^')  Ausserlich 
war  der  Abt  von  kleiner  Statur,  ^^)  in  früherer  Zeit  auch  von  recht 
gesundem  Aussehen,  aber  seit  einer  Reise  nach  Rom,  wo  er  seine 


1)  Sicher,  I,  S.  102i5-i(;. 

2)  Sabb.,  S.  44/45. 

^)  Siehe  Sicher,  I,  S.  102. 

■*)  Sabb.,  S.  314  23. 

^)  Vad.,  II,  S.  4139-u. 

6)  Vad.,  II,  S.  412  4M-44. 

^)  Vad.,  II,  S.  40016-19. 

^)  Vad.,  II,  S.  412  40-41.  Vadian  bemerkt  an  dieser  Stelle,  Abt  Franz  habe 
gelehrte  Leute  nicht  hoch  geachtet.  Trotzdem  stand  er  mit  ihm  in  Korrespon- 
denz und  widmete  dem  Prälaten  auch  seine  1517  verfasste  Avisgabe  des  Pom- 
ponius  Mela.  Dass  das  Vei-hältnis  Vad.s  zum  Abte  noch  Ende  1520  ein  günstiges 
genannt  werden  kann,  beweisen  uns  die  Bitten  zweier  Freunde  Vad.s,  sie  dem 
Abte  zu  empfehlen.  (V.-B.-S.,  II,  No.  145,  150,152,  165,  216.  Das  letzte  dieser 
Empfehlungsgesuche  stammt  vom  17.  Sept.  1520.) 

■•)  Sicher,  I,  S.  104  e. 

10)  Vad.,  II,  S.  412  33-37;  Sabb.,  S.  314  27-28. 

11)  Sabb.,  S.  314  30. 


16 

Konfirmation  holte,  leidend,  wie  Sicher  berichtet,  infolge  einer 
Vergiftung,  ^)  so  dass  er  in  den  spätem  Jahren  hinfällig  aussah 
„und  ganz  gelb  von  Angesicht".-) 

Der  feste  Wille  des  Abtes,  sich  nirgends  in  seinen  Rechten 
antasten  zu  lassen,  seine  entschieden  anti-reformatorische  Ge- 
sinnung, für  die  ihm  Papst  Adrian  VI.  in  einem  besondern 
Breve  grossen  Dank  wusste,  als  einem  „ernstlichen  Widerf echter" 
lutherischer  Lehre,  ^)  die  anfängliche  Opposition  in  der  Stadt 
St.  Gallen  selbst,  dazu  die  bereits  berührte,  sehr  ungünstige 
äussere  politische  Lage,  erforderte  den  ganzen  Takt  und  die 
grosse  politische  Begabung  Vadians  für  die  Einführung  der 
neuen  Lehre  in  seiner  Vaterstadt.  Planmässig,  den  richtigen 
Moment  ruhig  abwartend,  wie  Zwingli  in  Zürich,  „ohne  leiden- 
schaftliche Überstürzung,  aber  auch  ohne  Menschenfurcht,  mit 
Kraft  und  Weisheit"  ^)  führte  der  grosse  St.  Galler  die  Refor- 
mation in  seiner  Vaterstadt  durch.  Ohne  irgendwie  vorderhand 
an  den  bestehenden  staatlichen  Einrichtungen  zu  rütteln,  be- 
gnügte sich  Vadian  zunächst  damit,  ihm  geneigte  Geistliche  in 
der  Stadt  in  reformfreundlichem  Sinne  zu  belehren.  Dann  folgten 
unter  seinem  Einfluss  Berufungen  auswärtiger,  der  Reformation 
günstig  gesinnter  Geistlicher.  Zu  den  ersten  gehörte  sein  früherer 
Schüler,  Benedikt  Burgauer,  der  an  die  durch  die  Pest  erledigte 
Stelle  eines  Pfarrers  zu  St.  Laurenzen  '")  berufen  wurde  und  im 
Verein  mit  seinem  Helfer  Wolfgang  Wetter,  genannt  Jufli,  die 
neue  Lehre  in  lutherischem  Sinne  '')  unter  der  Bürgerschaft  zu 
verbreiten  begann.  ')  Einen  weiteren  Fortschritt  der  neuen  Rich- 
tung bedeutete  die  Ernennung  eines  der  Reformation  günstig 
gesinnten  lateinischen  Schullehrers,  Dominikus  Zili,  die  ebenfalls 


1)  Sicher,  I,  S.  1015-11. 

2)  Sabb.,  S.  314  31-33. 

^)  Vad.,  II,  S.  402  15.  In  einem  Brief  vom  19.  Okt.  1528  an  Ambrosius 
Blaurer  nennt  Vadian  den  Abt  einen  Mann  „perniciosae  et  jjrodigae  diligentiae". 
(V-B.-S.,  IV,  ^0.  540.) 

^)  Dierauer,  Gesch.  d.  Schweiz.  Eidgenossenschaft,  Bd.  III,  S.  68. 

'"')  Es  war  die  eigentliche  Stadtkirche,  während  über  St.  Mangen  und  die 
Klosterkirche  der  Abt  verfügte. 

«)  Sabb.,  S.  105  f. 

')  Burgauer  wurde  am  30.  Sept.  1519  als  Leutpriester  zu  St.  Laurenzen 
angestellt,  Wetter  am  18.  Okt.  des  gleichen  Jahres  an  die  ,HeliFery"  daselbst 
berufen.   (R.-P.  1519.)  Vgl.  über  beide  Egli  im  Komm,  zur  Sabbata,  S.  551. 


17 

unter  dem  Einfliiss  Vadians  im  Frühjahr  1521  ^)  erfolgt  war.  Die  Zahl 
der  Neugläubigen  in  der  Stadt  war  in  fortwährendem  Wachsen 
begriffen.  ^)  Darauf  gestützt  fing  der  reformfreundiiche  Grosse 
Rat  an,  die  in  St.  Gallen  vorhandenen  Mönchsorden  der  Augustiner, 
Franziskaner  und  Dominikaner  streng  zu  überwachen  und  ihnen 
zu  verbieten,  die  „Widerwärtigen"  in  der  Stadt  gegen  das  Evan- 
gelium aufzureizen,  oder  man  würde  mit  ihnen  so  handeln,  dass 
sie  ihr  Unrecht  einsehen  müssten.  •^)  Er  beklagte  sich  auch  im 
August  1523  bei  der  Tagsatzung  zu  Luzern  wegen  Belästigung 
der  Bürger  durch  Priester,  welche  die  Städter  fortwährend  mit 
Zitationen  vor  den  Bischof  .von  Konstanz  und  mit  geistlichen 
Gerichten  beschwerten.^)  Der  Streit  zwischen  den  Alt-  und  Neu- 
gläubigen zu  St.  Gallen  hatte  sich  auch  bereits  auf  die  Kanzeln 
verpflanzt,  indem  besonders  der  Münsterprediger  Dr.  Wendelin 
Oswald  von  Sommeri  ■')  seinem  Abscheu  vor  der  ketzerischen 
Lehre  scharfen  Ausdruck  gab,  weshalb  er  hinwiederum  von  den 
Reformierten  angegriffen  wurde, ")  und  schon  war  der  Abt  von 
einem  Gerücht,  das  im  Lande  herumging,  in  Kenntnis  gesetzt 
worden,  als  ob  St.  Galler  Bürger  die  Alte  Landschaft  gegen  ihn 
aufzureizen  versuchten,  Grund  genug  für  den  Prälaten,  bei  der 
Stadt  vorstelhg  zu  werden.  ') 

Unterdessen  scheinen  Burgauer  und  Wetter  nicht  das  ge- 
leistet zu  haben,  was  man  von  ihnen  erwartete.  So  wurden  der 
bedächtige  und  zurückhaltende  Burgauer,  ,,der  gern  seine  eigenen 


1)  R.-P.  1521:  Donnerstag  nach  Ostern  (4.  April).  Vgl.  über  ihn  Egli, 
a.  a.  0.,  S.  554. 

^)  Dass  St.  Gallen  noch  1522  dem  Bündnis  der  XII  Orte  (ohne  Zürich)  mit 
Frankreich  beitrat,  geschah  aus  Rücksicht  auf  den  St.  Gallischen  Handel.  (Vgl. 
T.  Schiess,  ,Drei  St.  Gallische  Reisläufer",  St.  Galler  Neujahrsblatt  1906,  S.  25  f.) 

3)  R.-P.  1523,  Jan.  29. 

^)  E.  A.,  IV,  la,  S.  322  n. 

■^)  Siehe  über  ihn  Pressel,  S.  56  ff.  Wendelin,  wenn  auch  von  wenig  ein- 
wandfreiem Lebenswandel,  war  ein  gewandter  Verteidiger  des  alten  Glaubens. 
Er  erklärte  z.  B.,  man  dürfe  das  Neue  Testament  wegen  Missverständnissen  den 
,, Einfältigen"  nicht  in  die  Hand  geben.  Der  Zank  der  neugläubigen  Theologen 
unter  einander  sei  der  beste  Beweis  dafür,  wie  schief  es  mit  dem  neuen  Glauben 
stehe  etc. 

^)  R.-P.  1523,  fol.  60b.  Siehe  auch  den  Brief  Zwingiis  an  Wendelin,  d.d. 
23.  Feb.  1524.  (H.  Zwingiis  Werke,  ed.  Schulerund  Schulthess,  Bd.  VII,  S.  324 
bis  326.) 

')  R.-P.  1523,  fol.  61a. 

St.  GaUer  Mittlgn.  z.  vaterländ.  Gesch.  XXXIII.  2 


18 

Wege  ging",  ')  und  der  geistig  wenig  bedeutende  Wetter  eine 
Zeitlang  sehr  in  den  Hintergrund  gedrängt  von  dem  Pfarrer  von 
Memmingen,  Christoph  Schappeler,  einem  geborenen  St.  Galler, 
der  vorübergehend  in  seiner  Vaterstadt  predigte  und,  wie  Kessler 
erzählt,  -)  Wendelin  öffentlich  Lügnerei  vorwarf  und  ihn  ver- 
gebens zum  Disputieren  aufforderte.  Noch  viel  grössern  Eindruck 
machten  aber  auf  die  Bürger  die  Predigten  des  Waldshuter 
Pfarrers  und  spätem  Wiedertäufers  Dr.  Balthasar  Friedberger 
oder  Hubmeier,  ^)  der,  „mit  lieblichem  und  hellem  gsprech  be- 
gäbet",^) die  Masse  zu  begeistern  und  mit  sich  fortzureissen 
wusste.  ■')  Seine  baldige  Abreise  wjiirde  sehr  bedauert. ")  Auch 
Vadian  hatte  den  Gast  gern  gesehen,  und  er  lud  ihn  noch  im 
Juni  1524  ein,  wieder  nach  St,  Gallen  zu  kommen. '') 

Wenn  so  bis  ins  Jahr  1523  die  neue  Lehre  sich  schon  kräftig 
in  der  Stadt  ausgebreitet  hatte,  so  dass  Vadian  gegen  einen  Be- 
kannten seiner  Freude  darüber  Ausdruck  geben  konnte,^)  so 
erhielt  sie  mit  Beginn  des  Jahres  1524  durch  den  „milden" ") 
Johannes  Kessler  neue,  mächtige  Förderung.  ^'^)  Aus  einer  bis 
auf  den  heutigen  Tag  nachweisbaren  St.  Galler  Familie  gebürtig, 
hatte  er  sich  zum  Studium  der  heihgen  Schrift  anfangs  1522  nach 
Wittenberg  begeben,  wo  er  zu  den  Füssen  Luthers  sass.  Auch 
Melanchthon  und  Bugenhagen  hörte  er.  Als  dann  Kessler,  nach 
dreisemestrigem  Studium  in  Wittenberg,  am  9.  Dezember  1523 
nach  St.  Gallen  zurückkehrte,  wurde  er  schon  auf  Neujahr  1524  von 
Anhängern  der  neuen  Lehre  ersucht,  mit  ihnen  die  heilige  Schrift 
zu  lesen  und  sie  ihnen  zu  erklären.  ^^)  Zwei  Tage  darauf  begann 


1)  Arbenz,  St.  Galler  Neujahrsbl.  1905,  S.  10  ;  Egli,  Reform.-Gesch.,  S.  345 f. 

2)  Sabb.,  S.  10710-16. 

3)  Siehe  E.  Egli,  Die  St.  Galler  Täufer  (Zürich  1887),  S.  12;  Kommentar 
zur  Sabbata,  S.  552. 

^)  Sabb.,  S.  107  1. 

•^)  Sicher,  I,  S.  6l2iif. 

^)  Sabb,  S.  107  6-9. 

"')  V.-B.-S.:  Nachträge  1509—1525  (St.  Galler  Mitteil.  XXVII),  Nr.  92. 

«)  V.-B.-S.,  II,  Nr.  354. 

■')  Dierauer,  III,  S.  68. 

^^)  Das  Leben  und  Wirken  dieses  um  die  St.  Galler  Reformation  so  hoch- 
verdienten Mannes  hat  von  berufenster  Hand,  durch  E.  Egli,  in  der  Einleitung 
zur  Sabbata  (S.  VII  bis  XXIV)  und  durch  die  prächtige  Neuausgabe  der  Kessler- 
schen  Chronik  selbst  seine  gebührende  Würdigung  erhalten. 
11)  Sabb.,  S.  107  17  ff. 


19 

Kessler  mit  seinen  „Lektionen"  zuerst  in  einem  Privathaus;  dann 
setzte  er,  wegen  der  stets  wachsenden  Zuhörerschaft,  in  dem 
Zunfthaus  der  Schneider  und  schliesshch  in  dem  grossen  Saal 
der  Weberzunft  diesen  Privatgottesdienst  fort.  Versuche  der 
katholischen  Bürger,  Kesslers  fortwährend  im  Steigen  begriffenes 
Ansehen  zu  schwächen  und  seinem  „Lesen"  Einhalt  zu  tun,  ^) 
hatten  keinen  Erfolg,  besonders  weil  der  Rat  seine  Wirksamkeit 
sichtlich  billigte,  -)  obschon  der  Prediger  nur  ein  Laie  war.  Kessler 
hatte  nämlich  aus  Überzeugung  auf  die  Ordination  zum  Priester 
verzichtet.  Bald  erlangte  er  eine  solche  Bedeutung,  und  seine 
Zuhörerschaft  wuchs  derart,  „dass  seine  Privatversammlungen 
einige  Zeit  hindurch  von  grösserm  Einfluss  auf  die  reformatorische 
Entwicklung  geworden  sind,  als  die  offizielle  Predigt  der  Kirche".'^) 
Was  Kessler  trotz  mancher  Mängel,  die  seinen  Lektionen  an- 
hafteten, den  Erfolg  sicherte,  lag  neben  der  treuherzigen  und 
anschaulichen  Art  seiner  Darstellung  vor  allem  darin,  dass  er 
ein  Schüler  Luthers  war  und  seine  Reformationsideen  direkt  von 
der  Quelle  stammten.  „So  ist,  soweit  es  die  religiöse  Erweckung 
durch  populäre  Verkündigung  des  Evangeliums  betrifft,  unser 
Kessler  der  Mann,  der  vor  allen  andern  als  Anfänger  der  St.  Galler 
Kirche  vor  uns  steht  und  dem  neben  Vadian,  dem  geistigen  Haupt 
und  Leiter  des  Gemeinwesens,  der  Name  des  Reformators  zuer- 
kannt werden  darf."  *) 

Aber  auch  der  Grosse  Rat,  dem  Vadian  seit  seines  Vaters 
Tode  angehörte,  beschäftigte  sich  nunmehr  eingehend  mit  der  kirch- 
lichen Reform.  Lange  Sitzungen  dieser  Behörde  fanden  deshalb 
statt,  in  denen  man  auf  Mittel  und  Wege  sann,  den  Widerstand, 
dem  die  neue  Lehre  besonders  noch  von  selten  des  Kleinen  Rates 
begegnete,  zu  brechen.  Daneben  suchte  der  Rat  aber  dem  wegen 
des  Glaubens  bereits  heftig  entbrannten  Streit  unter  den  Bürgern 
nach  Möglichkeit  zu  steuern.  Er  verbot  am  1.  April  1524,  dass 
sich  jemand  ,,parthyen"  dürfe,  und  erliess  am  4.  eine  Straford- 
nung, nach  welcher  derjenige,  der  einen  andern  „ketzert,  hübet, 
schelmet",  zwei  Pfund  Busse  bezahlen  sollte.  ^) 


^)  Sabb.,  S.  108  39—109  5. 

2)  R.-P.  1524,  fol.  82  b. 

3)  Egli,  Täufer,  S.  14. 
1)  Egli,  Sabb.,  S.  XI. 

^)  R.-P.  1524,  fol.  82  b. 


20 

Schon  setzte  aber  auch  der  offene  Konfhkt  der  Stadt  mit 
dem  Abte  ein.  Auf  der  Tagsatzung  zu  Luzern,  im  Mai  1524,  Hess 
Franz  durch  seinen  Kanzler  Klage  führen,  dass  einige  in  der 
Stadt  St.  Gallen  Drohungen  gegen  ihn  ausgestossen  hätten.  Die 
Tagherren  forderten  den  Abt  nun  auf,  sich  genau  zu  erkundigen, 
wer  es  gewesen  sei,  und  auf  der  Jahrrechnung  zu  Baden  darüber 
Bericht  zu  erstatten ;  gehe  ihm  dies  zu  lang,  so  solle  er  den 
IV  Schirmorten  einen  Tag  nach  Einsiedeln  ansetzen.  ^) 

Die  kathoüschen  Elemente  in  der  Schweiz  und  vor  allem  der 
Kern  derselben,  die  V  Orte,  waren  fest  entschlossen,  dem  geist- 
lichen Herrn  gegen  die  von  der  Ketzerei  angesteckte  Stadt  zu 
helfen,  wie  sie  überhaupt  durchaus  noch  daran  festhielten,  die 
Neugläubigen  in  der  Schweiz  zu  rekatholisieren,  wenn  nötig,  mit 
Waffengewalt.  An  der  Spitze  der  anti-reformatorischen  Bewegung 
stand  Luzern,  unter  dessen  Führung  die  V  Orte  den  Feldzug 
gegen  das  im  Glauben  abtrünnige  Zürich  eröffnet  hatten,  ^)  In 
schärfster  Form  hatten  ihre  Vertreter  auf  einem  Tage  zu  Beggen- 
ried  (8.  April  1524)  den  Grundsatz  aufgestellt,  dass  sie  beim  alten 
Glauben  bleiben  und,  soweit  es  in  ihrer  Macht  hege,  den  neuen 
nicht  aufkommen  lassen  oder  da,  wo  er  schon  vorhanden,  wieder 
ausrotten  wollten.  ^)  Indessen  war  in  St.  Gallen  ein  eidgenös- 
sisches Schreiben  eingelaufen,  worin  stand,  es  sei  der  „ainhelhg" 
Wille  der  Tagherren,  dass  der  Rat  ,, diesen  vertribnen  Pfaffen" 
ausweise,  weil  er  gegen  christlichen  Brauch  in  einer  Trinkstube 
predige,  in  der  sich  nicht  gebühre,  über  Gottes  Wort  zu  reden. 
Dieses  Schreiben  deutete  man  auf  Georg  Gügi,^)  gewesenen  Pfarrer 
zu  Kleinrickenbach,  der  damals,  wegen  seiner  evangelischen  Ge- 
sinnung vom  Landvogt  im  Thurgau  verjagt,  nach  St.  Gallen  ge- 
kommen war,  und  der  Rat  ersuchte,  um  weitern  Misshelligkeiten 
mit  den  Eidgenossen  vorzubeugen,  den  Pfarrer,  er  möchte  „an  zit 
lang  ussert  die  statt  tretten";  er  könne,  wenn  er  wolle,  in  Monats- 
fristwiederkommen. Daraufhin  verliessGügi  die  Stadt."^)  Kessler  war 
diesmal  noch  dem  Angriff  der  katholischen  Eidgenossen  entgangen. 


1)  E.  A.,  IV,  la,  S.  419pi. 

2)  Dierauer,  III,  S.  59. 

^)  S.  das  Nähere  darüber  bei  Dierauer,  III,  S.  59/60;  E.  A.,  IV,  1  a.  Nr.  175. 
^)  Gügi  steht  neben  Kessler  in  der  Hochschulmatrikel  von  Wittenberg  vom 
Jahre  1522  (Sabb.,  S.  VIII);  siehe  A.-S.,  I,  777.  Kommentar  z.  Sabb.,  S.  553. 
■^)  Sabb.,  S.  109  18-22;   ebenda  Kommentar,  S.  553  f. 


21 

Der  Rat  hatte  nachgegeben,  da  die  überwiegende  Mehrheit 
der  eidgenössischen  Stände  noch  kathohsch  war  und  man  es  nicht 
mit  diesen  verderben  wollte,  ohne  sich  aber  von  dem  einmal  ein- 
geschlagenen Wege  abbringen  zu  lassen.  Schon  am  4.  April  ^) 
1524  war  ein  Erlass  der  Obrigkeit  erfolgt,  der  einen  Markstein 
bildet  in  der  St.  Gallischen  Reformationsgeschichte.  Es  sei  der 
Wille  des  Grossen  Rates,  heisst  es  in  diesem  Reformationsmandat, 
„das  ir  Seelsorger  und  predicanten  in  irer  pfarrkirchen  nun  fürhin 
an  den  canzlen  gar  nichts  predigend  und  dem  volk  verkündigend 
dann  das  hailig  evangelion  hell,  dar  und  nach  rechtem  cristen- 
lichen  verstand,  one  inmischung  menschlichs  züsatz,  der  uss  bib- 
lischer gschrift  nit  gegründt  ist  und  sy  nit  mit  dem  evangelio  und 
biblischer  gschrift  erhalten  und  bewisen  mögend".^)  Für  Zwiste 
unter  den  Bürgern  in  religiösen  Dingen  war  eine  Kommission 
von  vier  Mann  eingesetzt  worden.  Gegenseitige  Schmähungen, 
Gotteslästerungen  und  Zutrinken  wurden  bei  strengen  Strafen 
verboten.  ^)  Der  Rat  hatte  also  in  seiner  vorsichtigen  Art  die 
Kultus-  und  Verfassungsfragen  wohlweislich  nicht  berührt.  Am 
8.  Juni  1524  folgte  eine  städtische  Armenordnung.  ^)  In  schöner 
Weise  fügte  der  Rat  dem  Erlass  bei,  dass  nicht  äusserliche  Zere- 
monien Gott  wohlgefällig  seien,  sondern  Barmherzigkeit. 

Dass  Zwingii  zu  dem  kräftigen  Fortschreiten  der  Reformation 
in  St.  Gallen  sein  Teil  beitrug,  ist  selbstverständlich.  Besonders 
liess  er  sich's  angelegen  sein,  Vadian  aufzumuntern  und  anzu- 
spornen. Nachdem  er  den  St.  Galler  Reformator  in  einem  Briefe 
vom  24.  Februar  1524  wegen  seines  Eifers  für  die  Sache  des 
Evangeliums  gelobt,^)  schrieb  er  ihm  im  Mai  des  gleichen  Jahres: 
.  .  .  „carissime  Vadiane !  Neque  nunc  a  diligentie  tue  in  evangelio 
Christi  commendatione  temperare  possum,  quam  ita  vigilem  et 
inexhaustam  video,  ut  tales  nobis  multos  precer  episcopos,  qui 
Vadiani  more  vadere  ac  promovere  nunquam  desistant"  .  .  .  .^) 
Und   dem   St.  Galler   Reformator    ahmte   der   Grosse   Rat   nach. 


1)  R.-P.  1524,  fol.  82  b,  Kessler  nimmt  den  5.  d.  M.  an  (S.  114 20). 

2)  Sabb.,  S.  II234-.39;  vgl.  Egli,  Reform. -Gesch.,  S.  349. 
^)  Sabb.,  S.  113/114. 

*)  Sabb.,    S.    114 — 116.    Vgl.   über  diese   Armenordnung  die  Notiz   bei 
Stähelin,  Vad.,  S.  216,  Anm.  1;  Egli,  a.  a.  0.,  S.  351  f. 
">)  V.-B.-S,  III,  Nr.  382. 
6)  V.-B.-S.,  III,  Nr.  393,  Zwgl.  an  Vad.,  Zürich  16.  Mai  1524. 


22 

Langsam,  vorsichtig  abwägend,  aber  unaufhaltsam  rückte  er  auf 
der  Bahn  der  kirchhchen  Reformen  vorwärts.  Willkommen  war 
ihm  der  Besuch  der  beiden  angesehenen  Prediger  Sebastian  Hof- 
meister aus  Schaffhausen  und  Leo  Jud  aus  Zürich,  die  im  Sommer 
1524,  von  einer  vergeblichen  Glaubensreise  nach  Appenzell  heim- 
kehrend, von  Wolfgang  Wetter  und  einigen  andern  St.  Galler 
Bürgern  aufgefordert  wurden,  in  der  Gallusstadt  abzusteigen  und 
dem  Volke  zu  predigen.  Gerne  leisteten  sie  der  Aufforderung 
Folge  und  halfen  mit,  der  neuen  Richtung  die  Wege  zu  ebnen.  ^) 
Wie  sehr  sich  die  Reformation  in  dieser  Zeit  schon  in  der  Stadt 
eingebürgert  hatte,  ergibt  sich  aus  dem  Umstand,  dass  mit  Wissen 
und  Willen  der  Obrigkeit  zwei  Kirchenpfleger  damit  beginnen 
durften,  die  Bilder  aus  der  Stadtkirche  St.  Laurenzen  zu  ent- 
fernen, wodurch  nun  der  Bruch  mit  der  katholischen  Kirche  auch 
äusserlich  eingeleitet  wurde,  nachdem  er  innerlich  schon  lange 
begonnen  hatte.  Um  aber  jedes  Ärgernis  oder  allfällige  An- 
feindungen von  Seiten  der  Katholiken  zu  vermeiden,  wurden  die 
Bilder  nur  teilweise  und  auch  diese  ganz  allmählich  und  bei 
Nacht  aus  der  Kirche  entfernt,  -)  ohne  dass  der  Rat  sonst  mit 
dem  bisherigen  Zustand  gebrochen  hätte.  So  liess  er  auch  weiter 
zu  St.  Laurenzen  Messe  lesen.  Doch  das  Vorgehen  der  Obrigkeit 
fand  Anklang,  indem  nun  einzelne  Bürger  anfingen,  in  ihren 
Häusern  die  Heiligenbilder  zu  entfernen.  ■^)  Schon  vorher  hatten 
Beda  Miles  und  einige  andere  stürmische  Gesellen  einen  kleinen 
Bildersturm  veranlasst,  indem  sie  nächtlicherweile  „an  gross  bild- 
hus"  unfern  der  St.  Laurenzenkirche  leerten,  wobei  die  Bilder  in 
Brüche  gingen.  Ob  letzteres  absichthch  oder  zufällig  ^)  geschah, 
lassen  wir  dahingestellt.  Da  sich  die  katholischen  Bürger  durch 
die  Tat  verletzt  fühlten,  und  besonders  weil  sie  in  eigenmäch- 
tiger Weise  verübt  worden,  wurden  die  Bilderstürmer  um  5  Pfund 
gestraft.  ^)  Das  verhinderte  aber  nicht,  dass  die  anti-katholische 
Bewegung  in  der  Stadt  immer  mehr  zunahm :  als  am  29.  Mai 
1524  der  Abt  seine  übliche  Fronleichnamsprozession  abhielt,  hatten 
einige  Neugläubige  in  der  Webergasse,  wo  der  Zug  durchging, 


1)  Sabb.,  S.  111/112. 

2)  Sabb.,  S.  116/117.    Vgl.  zum  folgenden  Egli,  a.  a.  0.,  S.  350  f. 
•^)  Sabb.,  S.  117  27-29. 

*)  Sabb.,  S.  117  21-22. 

5)  Ib.  24—  26 ;  R.-P.  1524,  fol.  85  a,  hier  auch  die  Namen  der  Schuldigen. 


23 

ihre  Ablassbriefe  an  Stangen  vor  ihren  Häusern  aufgehängt  und 
beim  Passieren  der  Prozession  gerufen:  „Lössend  ab  den  ablass, 
lössend  ab  den  ablass!"  ^)  Der  Vorfall  machte  peinliches  Auf- 
sehen, wie  denn  auch  der  Abt  nachträglich  lieber  gesehen  hätte, 
dass  unter  solchen  Umständen  die  Prozession  unterblieben  wäre.^) 
Wieder  aber  schritt  die  Obrigkeit  gegen  den  begangenen  Unfug 
ein,  indem  sie  die  Schuldigen  je  um  2  Pfund  büsste.  '') 

Die  immer  entschiedener  hervortretende  Stellungnahme 
St.  Gallens  für  die  Reformation  ^)  verschlechterte  aber  natürUcher- 
weise  die  Beziehungen  der  Stadt  zu  den  katholischen  Ständen 
fortwährend.  Wie  gereizt  man  —  vor  allem  in  der  Innerschweiz  — 
schon  über  die  Neuerungen  in  St.  Gallen  war,  trat  auf  der  im 
Juli  1524  stattfindenden  Tagsatzung  in  Zug  mit  einer  Deuthch- 
keit  zutage,  die  nichts  zu  wünschen  übrig  Hess.  Vadian,  neben 
dem  Unterbürgermeister  Andres  Müller  ^)  Vertreter  St.  Gallens, 
wurde  von  den  Gesandten  von  Luzern  und  Uri  in  heftigster  Weise 
geschmäht  und  fand  für  gut,  sich  heimlich  aus  dem  Staube  zu 
machen.  ^)  Schon  längst  war  er  bei  den  Katholiken  als  „hopt- 
ketzer"  verschrieen  "')  und  nicht  mit  Unrecht  als  die  Seele  der 
Reformationsbewegung  in  St.  Gallen  angesehen  worden.  Auch 
hatte  man  ihm  nicht  vergessen,  dass  er  an  der  Zürcher  Dispu- 
tation im  Oktober  des  vergangenen  Jahres  (1523)  den  Vorsitz 
geführt.  ^)  Im  folgenden  Monat  ging  auch  das  Gerücht  herum, 
dass  der  Abt  auf  Vadian,  den  Stadtschreiber  Augustin  Fechter, 
Wolfgang  Wetter  und  drei  andere  im  ganzen  600  Gulden  „potten 
hab".'0 

Doch  die  Wellen  der  neuen  Bewegung  gingen  unter  dem 
mächtigen  Einfluss  Zürichs  höher  und  höher.  Von  hier,  „dem 
klassischen  Reformationsgebiet  der  deutschen  Schweiz",  aus,  ver- 


1)  Chronik  des  Herrn.  Miles  (St.  Galler  Mitteü.,  Bd.  28,  S.  319). 

2)  Vad.,  II,  S.  40412-14. 

=')  R.-P.  1524,  fol.  87  a,  ibid.  die  Namen  der  Missetäter. 
^)  Der  Rat  hatte  bereits  beschlossen,  die  Nonnen  zu  St.  Katharina  (und  zu 
St.Leonhard)  zu  bevogten.  (R.-P.  1524,  fol.  87  a  und  88  b.) 

5)  R.-P.  1524,  fol.  90b. 

6)  Sabb.,  S.  117/118. 

^)  Doch  vergleiche  dazu  die  ehrenden  Worte,  die  der  Luzerner  Schultheiss 
Zukäs  noch  im  Dez.  1524  über  Vadian  verlauten  Hess.   (V.-B.-S.,  III,  Nr.  410.) 
«)  Siehe  Dierauer,  III,  S.  36. 
^)  R.-P.  1524,  fol.  91b,  „uff  6  mann". 


24 

breitete  sich,  durchaus  im  Sinne  Zwinghs,  der  auf  „eine  wahr- 
hafte Regeneration  der  ganzen  Eidgenossenschaft"  hoffte,  ^)  die 
neue  Geistesrichtung  strahlenförmig  nach  allen  Seiten  hin.  Sie 
zeigte  aber  schon  früh,  gleich  wie  die  lutherische  Lehre,  Aus- 
wüchse, veranlasst  von  radikalen  Schwärmern,  die  bewiesen,  Avie 
staatsgefährlich  der  neue  Glaube  werden  konnte,  wenn  man  daran 
ging,  die  letzten  Konsequenzen  zu  ziehen.  Die  Wiedertäuferei 
und  die  Erhebungen  unter  den  Bauern,  vorderhand  nur  jenseits 
des  Rheines,  lehrten  das  zur  Genüge. 

Noch  waren  aber  die  streng  katholischen  eidgenössischen 
Stände  fest  entschlossen,  der  wachsenden  religiösen  Bewegung 
nicht  nur  Einhalt  zu  gebieten,  sondern  sie  wieder  auszurotten. 
Die  V  Orte,  die  seit  dem  Tag  von  Beggenried,  im  April  1524, 
geschlossen  gegen  die  neue  Religion  Stellung  genommen,  äusserten, 
unterstützt  von  Freiburg,  im  Juni  dieses  Jahres  auf  dem  Tag  zu 
Baden  die  Absicht,  Zürich  aus  dem  Bunde  zu  stossen  und  mit 
Gewalt  gegen  die  neugläubigen  Zürcher  vorzugehen;  doch  konnte 
auf  dem  schon  genannten  Tag  zu  Zug  (11.  Juni  1524)  Bern,  unter- 
stützt von  Glarus,  Solothurn  und  Basel,  die  von  den  übrigen  Orten 
geplanten  gewalttätigen  Schritte  gegen  die  Limraatstadt  verhin- 
dern. ^)  Auch  St.  Gallen  bekam  diese  drohende  Haltung  der  Mehr- 
heit der  Orte  gegenüber  dem  Evangelium  bald  zu  spüren.  Seinen 
Gesandten  wurde  anfangs  September  1524  auf  einem  Tag  zu 
Baden  erklärt,  die  St.  Galler  seien  als  Eidgenossen  verpflichtet, 
wie  die  andern  Orte  die  Gebräuche  der  Väter  zu  halten;  die 
Eidgenossen  seien  entschlossen ,  in  ihrem  Gebiete  den  neuen 
Glauben  gänzlich  auszurotten  und  Leib  und  Gut  daran  zu  setzen ; 
die  St.  Galler  Regierung  solle  „ihren  Kessler"  dazu  anhalten,  von 
seinem  Predigen  und  Vorlesen  auf  den  Stuben  abzustehen.  ') 
Ein  drohendes  Schreiben,  von  den  [VI  oder]  VII  Orten  (V  Orte 
mit  Freiburg  und  Solothurn)  an  St.  Gallen  geschickt,  ^)  sollte  den 
an  dessen  Gesandte  gerichteten  mündlichen  Ermahnungen  den 
nötigen  Nachdruck  verleihen.  Wie  Kessler  selbst  berichtet,  •') 
berief  ihn   daraufhin  der  Rat  vor  sich  und  verbot  ihm,   weiter 


1)  Dierauer,  III,  S.  56. 

-)  Dierauer,  III,  S.  60. 

3)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  2071,  k;  A.-S.,  I,  904. 

^)  Sabb.,  S.  10932—33.  Vgl.  zum  folgenden  Egli,  Reform. -Gesch.,  S.  353. 

^)  Sabb.  109/110,  siehe  auch  R.-P.  1518—28,  fol.  95  a. 


25 

Lektionen  zu  halten,  nachdem  die  Regierung  vergebens  versucht 
hatte,  ihn  durch  einen  Ratsfreund  zu  bewegen,  dass  er  güthch 
davon  abstehe. 

Doch  der  Stein  war  ins  Rollen  geraten  und  Hess  sich  nicht 
mehr  aufhalten.  Der  Nachfolger  Kesslers,  Wolfgang  Schorant, 
genannt  Ulimann,  ^)  konnte  die  Lektionen  mit  grossem  Erfolg 
fortsetzen,  und  der  Prediger  Dominikus  Zili  und  die  Neugläubigen 
erlangten  sogar  durch  einstimmiges  Mehr  des  Grossen  Rates  die 
Erlaubnis,  fortan  in  der  Stadtkirche  zu  St.  Laurenzen  ihre  „Lesenen" 
abhalten  zu  dürfen,  was  natürlich  das  Ansehen  dieser  Betstunden 
bedeutend  erhöhte,  da  viele  St.  Galler  den  Versammlungen  nur 
deshalb  ferngeblieben,  weil  sie  bisher  nicht  in  einem  Gotteshaus 
abgehalten  worden  waren.  -)  Am  14.  November  1524  folgte  dann 
ein  äusserst  wichtiger  obrigkeitlicher  Erlass,  der  die  Laienpredigt 
gestattete,  ^)  ohne  dass  der  Rat  ausdrücklich  Stellung  zu  ihren 
Gunsten  genommen  hätte. 

Der  Abt  suchte  dem  allem  nach  Möglichkeit  entgegenzu- 
treten. Er  beklagte  sich  am  26.  Januar  1525  im  besondern  beim 
Rat  0  über  die  Lektionen  Zilis,  nachdem  er  schon  anfangs  De- 
zember 1524  auf  der  Tagsatzung  zu  Luzern  über  St.  Gallen  Klage 
geführt  und  die  Tagherren  seine  Beschwerden  in  den  Abschied 
genommen  hatten.  •') 

Bei  der  seit  dem  Ittingersturm  äusserst  gespannten  Lage ") 
fassten  nun  die  VI  Orte  den  Beschluss,  eine  Botschaft  an  die 
übrigen  eidgenössischen  Stände  ausser  Zürich  zu  senden  und 
ebenso   zu  den   Gotteshausleuten   und   der   Stadt  St.  Gallen,  um 


^)  Über  ihn  siehe  Egli,  Täufer,  8.19  und  Carl  Pestalozzi :  Die  St.  Magnus- 
Kirche  in  St.  Gallen  während  tausend  Jahren,  898 — 1898  (St.  Gallen,  1898), 
S.  76  —  78,   ferner  Eglis  ausführlichere  Darstellung  Reform. -Gesch.,  S.  354  f. 

^)  Sabb.,  S.  111,  Sonntag  d.  2.  Feb.  versammelten  sich  zum  ersten  Mal 
die  Teilnehmer  an  den  „Lesenen"  in  der  ihnen  zugewiesenen  Kirche. 

''')  R.-P.,  fol.  97  a,  „Gross  rat  mentag  vor  Othmari  anno  1524  :  uff  anbringen 
ainer  grossen  mengi  von  burgern  und  gotzhuslüten,  och  der  underthonen  oder 
pfleger  zu  S(ant)  M(angen)  sind  m(ine)  h(erren)  rettig  worden,  das  man  in  kainer 
kilchen  solle  lassen  lesen  dann  priester,  die  dartzü  geordnet  sind,  aber  ze  lesen 
usserhalb  den  kilchen  wollend  inen  m(ine)  herren  nüt  abgeschlagen  noch  nüt 
erlobet  haben,  aber  sich  aller  gehorsame  unnd  guten  zu  inen  versehen." 

4)  R.-P.  1525,  fol.  100  a. 

^)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  227  g. 

ö)  Siehe  Dierauer,  III,  S.  61— 65. 


26 

sich  über  deren  Stellung  zur  Glaubensfrage  Gewissheit  zu  ver- 
schaffen. 0  So  erschienen  denn  um  2  Uhr  nachmittags  des  6.  Januar 
1525  2)  die  Boten  der  Orte  auch  vor  dem  St.  Galhschen  Grossen 
Rate.  Auf  ihren  Vortrag  erklärte  dieser,  er  sei  entschlossen, 
den  Bund,  den  die  Stadt  mit  einigen  Orten  habe,  treuhch  zu 
halten  und  Leib  und  Leben  zu  ihnen  zu  setzen ;  der  Verwirrung 
wegen  des  „ungleichen  Predigens"  in  der  Stadt  habe  man  in  der 
Weise  gesteuert,  dass  der  Rat  in  einem  Mandat  den  Priestern 
und  Prädikanten  befohlen  habe,  nichts  als  das  klare  Wort  Gottes, 
wie  sie  es  aus  der  heiligen  Schrift  erweisen  könnten,  zu  predigen. 
Zum  Schluss  ersuchte  der  Rat  die  Boten  noch,  ihre  Obern  zu 
bitten,  sie  möchten  nicht  ohne  weiteres  den  Verleumdungen  gegen 
St.  Gallen  Glauben  schenken,  sondern  darüber  schriftUch  Nach- 
richt geben  und  die  gebührende  Antwort  abwarten.  Eine  Frage 
wegen  Beteiligung  der  Stadt  an  einer  Disputation  hatte  der  Rat 
ausweichend  beantwortet,  gab  darüber  auch  seinen  Gesandten  auf 
den  Tag  von  Luzern  (27.  und  28.  Januar  1525)  keine  Vollmacht, 
um  dann  am  6.  Februar  1525  daran  festzuhalten  und  durch  seine 
Boten  auf  einem  weitern  Luzerner  Tag  erklären  zu  lassen,  er 
halte  sich  für  „zu  siecht"  für  die  Beurteilung  von  religiösen 
Fragen !  ■^) 

Bei  dieser  für  die  kathohschen  Stände  wenig  tröstlichen 
Haltung  der  Stadt  St.  Gallen  war  der  scharfe  Ton,  der  gegen 
dessen  Gesandte  auf  der  Luzerner  Tagsatzung  im  Februar  1525 
angeschlagen  wurde,  sehr  begreiflich.  Man  habe,  hiess  es  da, 
schon  früher  St.  Gallen  aufgefordert,  einen  gewissen  weltlichen 
Prädikanten,  der  in  Trinkstuben  und  Tanzlauben  predige,  abzu- 
stellen; nun  aber  habe  der  „lutherische  Bub"  neulich  wieder  in 
der  St.  Laurenzenkirche  gepredigt;  das  befremde  die  IX  Orte  sehr, 
und  man  begehre  darum  nochmals  ernstlich,  dass  die  Stadt  die 
lutherischen  Prädikanten  und  besonders  jenen  „laischen  Buben 
oder  Schulmeister"  abstehe  und  nur  geweihte  Personen  predigen 
lasse;  man  könne  diesem  Unwesen  nicht  mehr  länger  zusehen.^) 
Doch  scheinen  die  katholischen  Orte  wenig  genau  über  die  Ver- 
hältnisse in  der  Stadt  St.GaUen  unterrichtet  gewesen  zu  sein,  da  sie 


1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  228  t. 

^)  R.-P.  1525,  fol.  99  a;  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  235. 

■^)  R.-P.  1525,  fol.  100  b. 

^)  E.  A.,  IV,  1  a.  Nr.  247  b. 


27 

in  ihren  Angriffen  Kessler  mit  Zili  verwechselten.  Der  Rat  zu 
St.  Gallen  zeigte  sich  ihnen  auch  wenig  willfährig,  indem  er  am 
17.  Februar  beschloss:  „die  lection  in  der  kilchen  lassen  beliben, 
wie  die  vormals  angesehen  ist".  ') 

Die  immer  entschiedenere  Stellungnahme  des  Grossen  Rates 
gegen  den  Katholizismus  trug  das  Ihrige  dazu  bei,  die  Spannung 
zwischen  den  Katholiken  in  der  Stadt,  vor  allem  den  Klerikern 
des  Abtes,  und  der  in  ihrer  grossen  Mehrheit  reformfreundlichen 
Bürgerschaft  zu  vergrössern.  Hüben  und  trüben  fehlten  zudem 
die  Elemente  nicht,  welche  durch  ihre  extreme  Haltung  die 
Situation  im  Laufe  des  Jahres  1525  immer  unerquicklicher  ge- 
stalteten. Am  9.  März  1525  beklagte  sich  der  Abt  durch  seinen 
Hofmeister  vor  dem  Rat  über  eine  vergangene  Nacht  ihm  zu- 
gefügte Beleidigung  mit  dem  Ersuchen,  dem  Fall  nachzugehen 
und  die  Übeltäter  zu  bestrafen,  da  er  sich  sonst  anderwärts 
Schutz  suchen  müsste.  Der  Rat  antwortete  darauf,  er  hätte  der 
Sache  nachgeforscht,  aber  nichts  Gründliches  erfahren  können ; 
er  wolle  übrigens  tun,  was  sich  gebühre,  hätte  auch  bereits  ein 
Mandat  erlassen,  damit  solches  und  ähnliches  in  Zukunft  unter- 
bleibe. -)  Dieser  Erlass  des  Rates  scheint  aber  wenig  gefruchtet 
zu  haben ;  denn  am  Palmsonntagabend  verursachten  mehr  als 
300  St.  Galler,  an  ihrer  Spitze  Zunftmeister  Christian  Appenzeller,^) 
im  Feldnonnenstift  St.  Leonhard  einen  wüsten  Tumult,  so  dass 
die  Klosterfrauen  Sturm  läuteten,  bis  schliesslich  Vadian  durch 
sein  persönliches  Erscheinen  die  Ruhe  wieder  herstellte,  *)  Aber 
auch  auf  katholischer  Seite  steigerte  man  die  gegenseitige  Er- 
bitterung, indem  der  uns  bereits  bekannte  Pfarrer  am  Münster, 
Wendelin  Oswald,  von  der  Kanzel  herunter  seine  Angriffe  in 
heftigster  Weise  fortsetzte. 

Doch  viel  gefährlicher  als  dieses  Vorgehen  von  katholischer 
Seite   war  für   St.  Gallen    der  Feind,   der   im   Schosse    der   neu- 


1)  R.-P.  1525,  fol.  101b. 

2)  R.-P.  1525,  fol.  103  b. 

^)  Er  wurde  zur  Strafe  seines  Amts  beraubt. 

^)  Vgl.  das  St.  Galler  Neujahrsblatt  1868:  „Die  Feldnonnen  bei  St.  Leon- 
hard", von  E.  Götzinger  (S.  5/6),  auf  das  hier  ein  für  allemal  verwiesen  sei. 
Wir  machen  speziell  noch  auf  die  darin  enthaltenen  Tagebuchnotizen  der  Vor- 
steherin aufmerksam,  welche  uns  zeigen,  wie  hart  die  konsequente  Durchführung 
der  Reformation  manche  Altgläubigen  treffen  mochte. 


28 

gläubigen  Partei  selbst  entstanden  war:  Die  Wiedertäiiferei.  ^) 
Von  Zürich  aus  war  die  Sekte  auch  in  St.  Gallen  eingedrungen,-) 
wo  sie  gewissermassen  den  Boden  schon  vorbereitet  fand  durch 
die  uns  bekannten  Lektionen  Kesslers.  War  doch  dieser  ein  Laie 
und  jedem  Teilnehmer  erlaubt  gewesen,  zu  fragen  und  zu  wider- 
legen. Die  neue  Sekte  erhielt  in  St.  Gallen  mächtigen  Vorschub, 
als  ihr  schweizerisches  Haupt,  Konrad  Grebel,  „ein  sehr  begabter, 
aber  innerlich  haltloser"  ■*)  Mann,  einige  Wochen  vor  Ostern  1525 
in  St.  Gallen  erschien.  Gewaltige  Scharen  aus  Stadt  und  Land 
zogen  am  Palmsonntag  an  die  Sitter,  um  sich  taufen  zu  lassen. 
Der  Sieg  der  einen  oder  andern  neuen  Glaubenslehre  stand  zu 
St.  Gallen  eine  Zeitlang  auf  der  Wage.  Die  Stadtobrigkeit  kam 
bald  in  eine  bitterböse  Lage,  zeigte  aber  unter  der  Führung 
Vadians  wieder  die  grösste  Klugheit  im  Vorgehen  gegen  die 
Sektierer.  Das  Haupt  der  Wiedertäufer,  nach  der  Abreise  Grebels 
war  es  der  uns  schon  durch  seine  „Lesenen"  bekannte  Ulimann, 
wurde  wegen  Störung  der  Lektionen  in  der  Kirche  vor  den  Rat 
zitiert  und  ihm  befohlen,  vorderhand  in  seinen  wiedertäuferischen 
Verrichtungen  stillzustehen  bis  zum  Austrag  der  Angelegen- 
heit, bei  Strafe  der  Ausweisung  aus  Stadt  und  Gerichten.  Das 
gleiche  Verfahren  wurde  auch  gegen  zahlreiche  andere  Wieder- 
täufer angewendet  und  damit  die  Sekte  zum  Stillstand  verurteilt, 
ohne  dass  man  an  dem  Vorgehen  des  Rates  etwas  aussetzen 
konnte.  Vadian  schrieb  nun  selbst  gegen  die  Wiedertäufer  und 
fand  auch  die  gewünschte  Unterstützung  bei  Zwingli,  dessen 
bedeutendste  Schrift  gegen  den  Wiedertauf  St.  Gallen  gewidmet 
ist.  Anderseits  suchte  Grebel  durch  einen  Brief,  dessen  Inhalt 
wie  eine  „Beschwörung"  klang,  für  seine  Anhänger  zu  wirken, 
indem  er  ihn  an  den  einflussreichsten  Mann  in  St.  Gallen,  an  Vadian. 


^)  Wir  geben  hier  nur  das  Allern ötig.ste  über  die  Wiedertäuferei  zu 
St.  Gallen,  verweisen  im  übrigen  auf  die  schon  mehrfach  zitierte  Arbeit  Eglis: 
„Die  St.  Galler  Täufer". 

^)  Es  war  der  gegen  den  Willen  Zwingiis  aus  Zürich  vertriebene  Lorenz 
Hochreutiner,  der  die  Sekte  in  St.  Gallen  aufbrachte.  Zwingli  und  Konr.  Grebel 
empfahlen  Vadian  den  Mann.  (V.-B.-S.,  III,  Nr.  368  und  369,  11.  und  12.  Nov. 
1523.) 

^)  Götzinger,  Vadian,  S.  24;  siehe  auch  das  von  Emil  Arbeuz  verfasste 
St.  Galler  Neujahrsblatt  1886:  „Aus  dem  Briefwechsel  Vadians",  das  über 
Konr.  Grebel  interessante  Aufschlüsse  gibt. 


29 

richtete,  der  ja  sein  Verwandter  war.  ^)  Die  Erregung  in  der 
Stadt  war  gross.  Aber  eine  Disputation  anfangs  Juni  1525  ver- 
lief ungünstig  für  die  Täufer,  und  daran  anschliessend  erschien 
am  8.  Juni  ein  Mandat  der  Obrigkeit,  das  die  Täuferei  endgültig 
verbot.  Um  jeden  allfälligen  Tumult  in  der  Stadt  im  Keime  zu 
ersticken,  Hess  der  Rat  200  Bürger  schwören,  sobald  es  verlangt 
werde,  sich  bewaffnet  auf  dem  Rathause  einzufinden,  um  die 
öffentliche  Ordnung  handhaben  zu  helfen.  -)  Die  strenge  Bestrafung, 
die  bald  erfolgte,  zeigte,  dass  sich  der  Rat  des  Ernstes  der 
Lage  wohl  bewusst  war,  und  sinnlose  Taten,  ^)  von  Wiedertäufern 
begangen,  bewiesen  bald,  wie  sehr  die  Obrigkeit  mit  ihrem  Vor- 
gehen im  Rechte  war.  So  kehrte  die  Ruhe  rasch  wieder  in  die 
neugläubige  Bürgerschaft  zurück,  wenn  auch  noch  längere  Zeit 
hindurch  wiedertäuferische  Regungen  an  die  so  gefährliche 
Situation  erinnerten,  in  welche  die  Stadt  St.  Gallen  durch  die 
radikalen  Schwärmer  gebracht  worden  war.  Die  evangelische 
Gemeinde  war  siegreich  und  gefestigt  aus  dem  Kampfe  hervor- 
gegangen. ■*) 

Ausser  wegen  der  täuferischen  Bewegung  war  das  Jahr  1525 
besonders  durch  die  von  uns  schon  skizzierten  Bauernaufstände 
ein  sehr  unruhiges  und  für  die  Stadt  gefährliches  gewesen.  Trotz 
der  verlockenden  Aussicht,  welche  sich  damals  für  die  Stadt 
auftat,  sich  für  die  1490  erlittene  schwere  Einbusse  am  Stift 
schadlos  zu  halten,  blieb  sie  aus  triftigen  Gründen  neutral:  durch 
die  Wiedertäuferei  bereits  in  eine  schwierige  Lage  gebracht, 
konnte  sich  St.  Gallen  die  grosse  Gefahr,  die  ein  Anschluss  der 
Stadt  an  die  Bauern  unter  Umständen  mit  sich  bringen  musste, 
nicht  verhehlen.  Dabei  wirkte  sehr  abschreckend  die  Erinnerung 
an  den  so  ungünstig  verlaufenen  Rorschacher  Klosterkrieg,  der 
vor  allem  gerade  durch  den  Verrat  der  Gotteshausleute  so  jämmer- 
lich für  St.  Gallen  geendet  hatte. 

Auch  der  vollständige  Sieg,  den  der  Abt  durch  den  Rappers- 
wiler  Rechtstag  im  Juli  1525  über  seine  Gotteshausleute  errang 


1)  Konr.  Grebel  an  Vad.  d.  d.  30.  Mai  1525  (V.-B.-S.,  III,  Nr.  430).  Der 
St.  Galler  Reformator  mag  in  dieser  Zeit  bittere  Stmiden  durchgemacht  haben, 
da  er  in  seinem  eigenen  Schwager  das  Haupt  der  Wiedertäufer  bekämpfen  musste. 

2)  R.-P.  1525,  fol.  113a. 

3)  Siehe  Sabb.,  S.  154  ff. 

'^)  Götzinger,  Vadian,  S.  27. 


30 

und  der  eine  Neubefestigung  seiner  Macht  bedeutete,  machte 
sich  sehr  bald  der  Stadt  St.  Gallen  äusserst  unangenehm  fühlbar. 
Die  schroffe  Stellung  der  VI  katholischen  Orte  gegen  den  neuen 
Glauben,  welche  bereits  Ende  1524  derart  gewesen  war,  dass 
vorübergehend  ein  Krieg  zwischen  Zürich  und  den  VI  Orten  un- 
vermeidlich geschienen,  ^)  kam  dem  Abt  dabei  zustatten.  Anfangs 
September  1525  traf  ein  sehr  scharfes  Schreiben  von  der  Tag- 
satzung zu  Luzern  im  Namen  der  XII  Orte  ein,  das  wichtig 
genug  war,  um  unter  dem  8.  September  in  extenso  ins  Ratsbuch 
aufgenommen  zu  werden.-)  „Der  vergifft  lutherisch  und,  bas  ze 
reden,  tufehsch  missglob",  heisst  es  in  dem  Schreiben,  sei  so 
stark  in  St.  Gallen  aufgetreten,  dass  man  den  christlichen  Gottes- 
dienst abgestellt  habe  und  verachte,  und  dass  es  „gantz  grob" 
in  St.  Gallen  zugehe;  das  missfalle  den  Orten  sehr;  es  sei  darum 
ihr  „ernstUch  beger  und  bitt",  dass  die  Stadt  die  Neuerung  bei 
Strafe  verbiete  und  beim  alten  Glauben  bleibe,  wie  sie  das  Gott 
schuldig  sei,  laut  heihger  Schrift  und  Kirchenordnung;  man  be- 
gehre in  der  Sache  auf  den  nächsten  Tag,  der  in  Baden  statt- 
finde, mündhche  oder  schriftliche  Antwort.  Eine  Konferenz  der 
kathohschen  Orte,  die  vor  diesem  Termin  zu  Schwyz  am  11.  Sep- 
tember stattfand,  beschloss  ferner,  dass  die  Boten  der  VI  Orte, 
welche  bei  den  im  Glauben  noch  unentschiedenen  eidgenössischen 
Ständen  herumzureisen  Befehl  hätten,  sich  auch  nach  St,  Gallen 
begeben  und  dort  „allerlei  erzählen"  sollten,  weil  die  Stadt  ver- 
triebene Täufer  und  Prediger  beherberge;  die  Boten  sollten  die 
Stadt  ermahnen,  diesen  den  Schirm  aufzusagen  und  sich  den 
VI  Orten  im  Glauben  gleichförmig  zu  machen,  ^)  Als  drei  Tage 
später  der  Tag  von  Baden  stattfand,  Hess  St.  Gallen  durch  seine 
Gesandten  eine  lange  Instruktion  vortragen  als  Erwiderung  auf 
das  Schreiben  der  eidgenössischen  Orte  vom  Luzerner  Tag.   Den 


^)  Siehe  Dierauer,  III,  S.  65  f. 

2)  R.-P.  1525,  fol.  118b;  E.  A.,  IV,  1  a,  S.  766.  Ob  es  wirklich  die 
XII  Orte  waren,  in  deren  Namen  das  Schreiben  abgesandt  wurde,  wie  das  R.-P. 
angibt,  möchten  wir  bezweifeln.  Kessler  (Sabb.,  S.  227)  spricht  ausdrücklich 
nur  von  VII  Orten,  verlegt  aber  das  Schreiben  ins  Jahr  1526.  Doch  ist  die 
Tagangabe  des  Schreibens  im  R.-P.  und  in  der  Sabb.  die  gleiche  (1.  Sept.),  und 
die  von  Kessler  in  extenso  wiedergegebene  Missive  stimmt,  wenige  ganz  neben- 
sächliche Abweichungen  ausgenommen,  mit  den  Angaben  im  Ratsbuch  überein, 
so  dass  es  sich  also  nicht  um  zwei  verschiedene  Schreiben  handeln  kann. 

3)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  302  a. 


31 

katholischen  Ständen  aber  gefiel  diese  Antwort  „nicht  zum  besten", 
und  man  schrieb  der  Stadt  nochmals  ernstlich,  sie  solle  von  „et- 
hchen  Artikeln"  abstehen  und  sich  im  Glauben  von  den  „andern" 
Eidgenossen  nicht  absondern.  ') 

Die  Drohungen  und  Mahnungen  der  kathohschen  Orte  fruch- 
teten aber  wenig.  Schon  am  20.  September  nahmen  Boten  der 
V  Orte  und  von  Glarus  zu  Tobel  in  den  Abschied,  dass  der  Haupt- 
mann zu  St.  Gallen  einen  in  Schwyz  freigelassenen  „lutherischen 
Buben"  in  der  Stadt  St.  Gallen  gefunden,  wo  er  gotteslästerhche 
Reden  ausstosse.  Zudem  scheine  dem  Hauptmann  die  Sekte  dort 
eher  zu-  als  abzunehmen;  das  Volk  benehme  sich  daselbst  je 
länger  je  ungeschickter.  -) 

Dass  unter  solchen  Umständen  das  Verhältnis  des  Abtes  zur 
Stadt  immer  bedenklicher  wurde,  ist  klar.  Schon  gingen  Gerüchte 
um  von  Rüstungen  des  Abtes  und  einem  geplanten  Angriffe  auf 
St.  Gallen.  ■■')  Mochten  vielleicht  diese  Gerüchte  wenig  begründet 
sein,  die  Situation  war  doch  so  ernst,  dass  der  Rat  beschloss,  alle 
innerhalb  der  Stadtgerichte  wohnenden  Personen  einen  Treueid 
leisten  zu  lassen. ')  Auf  den  18.  Dezember  1525  zitierte  man  darum 
die  Priester  vor  den  Rat.  In  freundlichen  Worten  erläuterte  der 
Bih-germeister  den  Geistlichen  den  ausserordentlichen  Beschluss 
des  Rates  und  erklärte,  dieser  sei  „um  bessers  friden  willen, 
und  darniit  mengklich  wisse,  was  sich  ainer  zu  dem  anderen  ver- 
sehen solle",  gefasst  worden;  man  werde  ihnen  dafür  auch  Schutz 
und  Schirm  angedeihen  lassen  wie  andern  Bürgern.  Darauf  for- 
derte er  auch  von  ihnen  den  Bürgereid,  oder  man  würde  sie  als 
Fremde  ansehen  und  behandeln.  ■')  Die  von  der  Stadt  ernannten 
Geisthchen  leisteten  den  Eid  sofort,  die  vom  Abt  eingesetzten 
Priester  verlangten  Bedenkzeit.  Sie  legten  aber  am  kommenden 
Freitag  (22.  Dezember)  ebenfalls  der  Stadt  den  Treueid  ab,  da 
ihnen  der  Rat  keine  andere  Wahl  Hess,  als  zu  schwören  oder 
St.  Gallen  zu  verlassen. '')  Der  Abt  musste  in  dieser  „ongehorten 
änderung"  ')  wohl  deutlich  das   Misstrauen    erkennen,   das   man 

1)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  304  d,  Baden  14.  Sept. 

2)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  307  e. 

3)  R.-P.  1.525,  fol.  122  b. 

4)  R.-P.  1525,  fol.  126  a. 
ö)  Sicher,  II,  S.  206  f. 

'')  R.-P.  1525,  fol.  127. 
^)  Sicher,  II,  S.  206  21-22. 


32 

dem  Stift  entgegenbrachte.  So  wurde  die  Kluft  immer  grösser, 
besonders  auch,  da  die  Reformation  in  der  Stadt  ihren  Fortgang 
nahm.  Im  Januar  1526  hörte  Wolfgang  Wetter  auf,  Messe  zu 
lesen,  und  der  Stadtpfarrer  Burgauer  wurde  durch  ein  warnendes 
.,Zedeli"  dazu  gebracht,  das  Gleiche  zu  tun.  ^)  Die  Obrigkeit  liess 
dies  geschehen,  ohne  sich  direkt  für  oder  gegen  die  Abschaffung 
der  Messe  zu  erklären.  -)  Diese  Beseitigung  der  Messe  „samt 
andren  überflüssigen  ceremonien"  an  der  städtischen  Kirche  machte 
aber  eine  neue  gottesdienstliche  Ordnung  nötig.  Deren  Aufstellung 
wurde  vom  Rate  einer  Kommission  übertragen,  welcher  auch  Vadian 
angehörte.  Sie  stellte  die  Vorschriften  für  den  Kirchendienst  fest. 
In  echt  christlicher  Weise  wird  in  der  Liturgie  die  Barmherzig- 
keit gegenüber  Armen  empfohlen,  und  der  Rat  machte  seine 
Prädikanten  noch  speziell  darauf  aufmerksam.  ■^) 

Wenig  später  ereignete  sich  ein  Vorfall,  der  ein  grelles  Licht 
wirft  auf  das  damals  waltende  Missverhältnis  zwischen  Stadt  und 
Kloster.  In  der  Nacht  vom  Samstag  auf  den  Ostersonntag  wurde 
aus  der  Sakristei  des  Münsters  eine  Anzahl  kostbarer  Chormäntel 
und  Messgewänder  gestohlen.  ^)  Im  Kloster  hielt  man  den  Dieb 
für  einen  St.  Galler,  trotzdem  die  Stadt  eine  strenge,  aber  erfolg- 
lose Untersuchung  in  ihrem  Gebiete  angeordnet  hatte.  Wendelin 
gab  von  der  Kanzel  herab  deutlich  zu  verstehen,  dass  der  Dieb 
unter  den  Bürgern  zu  suchen  sei,  und  .auf  einem  Tage  zu  Ein- 
siedeln, im  April  1526,  liess  der  Abt  den  Tagherren  die  Sache 
ebenfalls  mitteilen,  ohne  aber  jemanden  des  Diebstahls  zu  be- 
schuldigen. ■')  Schliesslich  wurde,  viele  Wochen  später,  nachdem 
der  Handel  viel  Aufsehen  erregt,  der  Missetäter  ausfindig  ge- 
macht. Es  war  ein  Gotteshausmann,  der  lange  im  Kloster  gedient 
hatte  und  keine  weiteren  Mitschuldigen  gehabt  zu  haben  schien. 
Er  büsste  den  Kirchenfrevel  mit  dem  Tode.  Der  Diebstahl  und 
seine  Folgen  zogen  natürlich  eine  weitere  Verstimmung  gegen 
den  Abt  und  besonders  gegen  seinen  Geistlichen  Wendelin  nach 
sich,  welchen  man   wegen   seiner  vorlauten  Äusserung  beschul- 


1)  Sabb.,  S.  205  1-6. 

-)  Sicher,  I,  S.  69io-]8. 

3)  Sabb.,  S.  204  —  207. 

^)  Mttl.  z.  vaterl.  Gescb.,  Bd.  14,  S.  132—136. 

•^)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  3.57  p. 


33 

digte,  er  habe  öffentlich  in  der  Kirche  gelogen. ')  Das  Misstrauen 
aber,  das  der  Abt  während  dieser  Zeit  gegenüber  der  Stadt  an 
den  Tag  legte,  hatte  eine  gewisse  Berechtigung,  wenn  wir  die 
sehr  milde  Bestrafung  von  Kirchenräubern  kurz  vor  der  genannten 
Affäre  ins  Auge  fassen.  Unter  anderm  waren  Hans  Friedrich  und 
Heinrich  Wissman  ins  „bainhus"  eingebrochen  und  hatten  dort 
Altartücher  und  anderes  entwendet.  Durch  Bitten  liess  sich  nun 
der  Rat  zu  dem  milden  Urteil  bewegen,  dass  die  Haft  als  Ge- 
fängnisstrafe gelten  sollte,  und  dass  die  Übeltäter  ein  ganzes 
Jahr  nach  „fürgloggen"  nicht  mehr  aus  dem  Hause  gehen  dürften; 
falls  jemand  Schadenersatz  verlange,  sollten  sie  den  gerichtlichen 
Entscheid  über  sich  ergehen  lassen.  '') 

Unterdessen  war  der  Tag  der  Badener  Disputation  gekommen. 
Es  war  wohl  nicht  zufällig,  dass  der  Hofmeister  des  Abtes, 
Ritter  Jakob  Stapf  er,  als  einer  der  vier  Präsidenten  fungierte,  ^) 
sondern  sollte  die  Antwort  darauf  sein,  dass  Vadian  im  Jahre 
1523  der  sogenannten  zweiten  Disputation  zu  Zürich  präsidiert 
hatte.  An  die  Stadt  St.  Gallen  war  die  Einladung  der  XH  Orte 
zur  Disputation  ebenfalls  ergangen.  Der  Rat  beschloss  aber  am 
14.  Mai,  keine  „gelerten'"  hin  zu  schicken,  sondern  nur  eine  Ge- 
sandtschaft, bestehend  aus  einem  Mitglied  des  Grossen  und  einem 
des  Kleinen  Rates.  Sie  erhielt  die  geschmeidige  Instruktion,  dass 
St.  Gallen  den  Beschlüssen  der  Disputation  nachleben  wolle,  sofern 
sie  Gottes  Wort  gemäss  seien.  ^)  Erst  auf  die  direkte  Aufforderung 
der  Eidgenossen  hin,  ebenfalls  „Gelehrte"  zu  senden,  wurden  die 
Prädikanten  Burgauer,  Wetter,  Zih  und  Jakob  Riner-^)  samt  den 
beiden  schon  erwähnten  Gesandten  nach  Baden  beordert;  aber  man 
schärfte  der  Abordnung  ein,  beim  Gotteswort  zu  bleiben  und  nichts 
„meren"  zu  helfen,  was  gegen  dasselbe  sei.*^)  Als  „Gelehrten"  hatte 
der  Abt  seinen  Münsterprediger  Wendehn  gesandt,  welcher  zu  Baden 


1)  Vad.,  II,  S.  410  2-8. 

^)  R.-P.  1526,  fol.  134a. 

^)  E.  A.,  IV,  la,  S.  931. 

^)  R.-P.  1526,  fol.  136  a. 

'^)  Ibid.  137  a.  Über  Einer  vgl.  Egli,  Komm.  z.  Sabb.,  S.  566. 

'^)  Vadian  befand  sich  nicht  unter  den  Gesandten.  Den  Hass  der  Katholiken 
gegen  ihn  hatte  er  auf  dem  obenerwähnten  Tag  zu  Zug  (Juli  1524)  deutlich 
genug  erkennen  können.  Es  waren  also  ungefähr  die  gleichen  Gründe  für  Vadian 
wie  für  Zwingli  massgebend,  welche  die  beiden  Reformatoren  von  Baden  fern- 
hielten. 

St.  Galler  Mittlgii.  z.  vaterläiid.  Gesch.   XXXIll.  3 


34 

von  Eck  und  Murner  aufgefordert  wurde,  sich  mit  den  St.  Galler 
Prädikanten  in  eine  Disputation  einzulassen;  letztere  waren  dazu 
bereit;  doch  verbot  der  Hofmeister  Stapfer  Wendelin,  darauf  ein- 
zugehen. Bei  seiner  Rückkehr  nach  St.  Gallen  aber  verkündete 
dieser  triumphierend,  er  sei  zu  Baden  nicht  widerlegt  worden. 
Die  Disputation  zu  Baden,  die  vom  21.  Mai  bis  28.  Juni  1525 
gedauert  hatte,  ^)  vermochte  trotz  ihres  für  die  Katholiken  so 
günstigen  Verlaufes  die  Reformationsbewegung  in  der  Stadt 
St.  Gallen  nicht  zum  Stillstand  zu  bringen,  geschweige  sie  rück- 
gängig zu  machen;  im  Gegenteil  war  der  völlige  Übertritt  der 
Stadt  zur  neuen  Lehre  nur  noch  eine  Frage  der  Zeit,  seitdem 
Vadian  1526  zum  Bürgermeister  seiner  Vaterstadt  gewählt  worden 
war.  Schon  seine  Wahl  bewies,  dass  nunmehr  die  neugläubige 
Partei  zu  St.  Gallen  völlig  dominierte.  Gross  war  darüber  die 
Freude  bei  den  Häuptern  der  schweizerischen  Reformationspartei, 
vor  allem  natürlich  bei  Zwingli,  der  in  einer  uns  fast  überschwäng- 
lich  klingenden  Weise  dem  neuen  Bürgermeister  zur  Wahl  seine 
Glückwünsche  übersandte.  -)  Unter  Führung  Vadians  wurde  im 
Grossen  Rat  am  15.  Juni,  kurz  nach  der  ungünstigen  Badener 
Disputation,  beschlossen:  die  Prädikanten  sollten  das  Evangelium 
laut  Mandat  der  Obrigkeit  vom  4.  April  1524  weiter  verkünden.  ^) 
Damit  wurde  das  Festhalten  an  dem  neuen  Glauben  ausdrücklich 
geboten.  Ferner  gestattete  man  durch  den  gleichen  Ratsbeschluss 
dem  Dr.  Christoph  Schappeler,  in  der  Stadt  zu  predigen.  Schon 
früher  war  er,  wie  wir  oben  gehört,  erfolgreich  in  St.  Gallen  auf- 
getreten und  hatte  auch  aus  seinem  entschieden  neugläubigen 
Standpunkt  kein  Hehl  gemacht.  Vorher  Prädikant  zu  Memmingen, 
hatte  er  während  der  Bauernunruhen  im  Jahre  1525  fliehen  müssen 
und  war  nach  St.  Gallen  gekommen.^)  Endlich  besagte  jener  Rats- 
beschluss vom  15.  Juni,  dass  man  Dr.  Wendelins  Sache,  weil  er 
die  Ehre  der  Obrigkeit  am  Ostermontag  von  der  Kanzel  herab 
angetastet  habe,  anstehen  lassen  wolle.  Es  waren  energische  Be- 
schlüsse, die  von  derUnerschrockenheit  und  Festigkeit  des  leitenden 


1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  362. 

^)  V.-B.-S.,  Bd.  IV,  Nr.  441.  Ähnliche  Glückwunschschreiben  von  Georg 
Binder,  Lehrer  ana  Grossmünster,  und  Wolfgang  Joner  (Nr.  438,  439);  aus 
Wien  (Nr.  460). 

^)  R.-P.  1526.   Ratsbeschluss  „uff  Viti%  1526. 

^)  Über  dessen  weitere  Schicksale  s.  Pestalozzi,  St.  Mangenkirche,  S.  89  ff. 


35 

Hauptes  zeugten.  St.  Gallen  gehörte  auch  zu  den  Orten,  welche, 
wie  vor  allem  Bern,  die  Veröffentlichung  der  Disputationsakten 
verlangten,  damit  der  Handel  „ussgienge''  und  man  daraus  er- 
sehen könne,  was  laut  der  Schrift  zu  tun  und  zu  lassen  sei.  ^) 
Am  6.  Juli  wurde  ferner  den  beiden  Prädikanten  Burgauer  und 
Wetter,  sowie  dem  Schulmeister  Zili  auf  ihre  Anfrage  vom  Rate 
neuerdings  eingeschärft,  laut  Mandat  der  Obrigkeit  zu  predigen, 
ihnen   aber  zugleich  Milde  in  der  Ausdrucksweise   empfohlen.  ^) 

Dieses  Auftreten  St.  Gallens  entfremdete  der  Stadt  die  katho- 
lischen Orte  noch  mehr,  wie  das  bei  der  Frage  der  Neubeschwörung 
der  eidgenössischen  Bünde  klar  hervortrat.  Als  die  Angelegen- 
heit auf  einem  Tag  zu  Luzern  Mitte  Juli  1526  erörtert  wurde, 
erklärten  die  VH  Orte  [V  Orte,  Freiburg  und  Solothurn],  dass  sie 
mit  Zürich,  Basel  und  der  Stadt  St.  Gallen  die  Bünde  nicht  neu 
beschwören  würden.  Von  St.  Gallen  hiess  es  im  besondern,  dort 
sei  der  „Missglaube"  schon  so  stark  eingewurzelt,  dass  man  die 
heilige  Messe  beseitigt  habe;  ja  es  stehe  daselbst  in  Glaubens- 
sachen eher  noch  schlimmer  als  in  Zürich;  die  Stadt  solle  vom 
neuen  Glauben  abstehen  und  die  ketzerischen  Priester  verjagen, 
so  werde  man  auch  mit  ihr  die  Bünde  neu  beschwören.  ^)  Die 
Folge  davon  war,  dass  der  Rat  am  13.  Juli  den  Gesandten  von 
Zürich  und  Bern  auf  deren  Begehren,  die  Bünde  mit  der  Stadt 
neu  zu  beschwören,  erklären  musste,  er  könne  darauf  nicht  ein- 
gehen, weil  die  Neubeschwörung  nicht  von  der  Mehrheit  der  VI  mit 
St.  Gallen  verbündeten  Orte  gewünscht  worden  sei;  doch  bitte  man 
die  Boten  dringend,  diesen  Abschlag  in  Anbetracht  der  zwingen- 
den Umstände  in  bester  Meinung  aufzunehmen.  ^)  St.  Gallen  sei 
auch  fernerhin  bereit,  die  Bündnisse  treu  zu  halten  und  Leib  und 
Gut  daran  zu  setzen.  So  schrieben  denn  die  Zürcher  am  8.  August 
wiederum  an  St.  Gallen,  man  habe  volles  Vertrauen,  dass  es  auch 
ohne  Beschwörung  der  Bünde  nach  wie  vor  in  treuer  Freund- 
schaft zu  Zürich  verharren  werde. '') 

Dieses  Freundschaftsverhältnis,  das  anlässlich  eines  Schützen- 
festes zu  Zürich  im  August  dieses  Jahres  eine  weitere  Kräftigung 


')  R.-P.  1526,  18.  Juni. 

^)  R.-P.  1526,  fol.  141a. 

3)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  377  b (5). 

-*)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  3814-5. 

^)E.  A.,  IV,  la,  Nr.  381  (Anm.). 


36 

erfuhr,  ^)  ermöglichte  es  auch  dem  Rate,  ruhig  auf  der  Bahn  der 
Reformen  weiter  zu  schreiten.  Schon  1524  hatte  man,  wie  oben 
erzählt,  begonnen,  die  Bilder  aus  der  Stadtkirche  St.  Laurenzen 
wenigstens  teilweise  zu  entfernen.  Nun  beschloss  der  Rat  am 
St.  Nikolausabend,  die  Bilder  zu  St.  Laurenzen  ganz  von  dannen 
zu  tun,  desgleichen  die  Wand  beim  St.  Sebastiansaltar  daselbst, 
damit  man  in  den  Chor  sehen  könne,  und  ein  Gitter  davor  zu 
machen.  -)  Der  Rat  hatte  sich  dafür  der  Mehrheit  der  Kirch- 
genossen von  St.  Laurenzen  versichert,  so  auch  der  Gemeinden 
Speicher,  Tablat,  Wittenbach  und  Straubenzell,  welche  zu  diesem 
Kirchsprengel  gehörten.  Ohne  viel  Umstände  wurde  der  Be- 
schluss  bis  zum  8.  Dezember  ausgeführt,  „alle  taflen,  alle  bilder, 
alle  elter  [Altäre],  usgenomen  der  fronalter  nit,  zerbrochen,  mit 
sampt  dem  grossen  Hergot,  und  die  bilder  zerschitet  und  hinweg- 
tün,  usgenomen  was  vergult  was".  Letzteres  wurde  auf  die  „kilchen- 
tili"  gebracht,  schon  zwei  Jahre  später  aber,  jedenfalls  auf  Ge- 
heiss  der  Obrigkeit,  vom  Messner  wieder  heruntergenommen  und 
verbrannt.  ■')  Manches  schöne  Kunstwerk  mag  dabei  zugrunde 
gegangen  sein.  ^)  Die  Evangelischen  mussten  auch  von  den  Katho- 
liken hören,  die  Neugläubigen  hätten  aus  der  St.  Laurenzenkirche 
einen  „höstadel  und  rossstall"  "')  gemacht.  Der  Rat  liess  sich  durch 
solche  Äusserungen  jedoch  von  weitern  Reformen  nicht  abhalten. 
Wohl  erst  jetzt  erfolgte,  um  sich  vom  Konstanzer  Chorgericht 
frei  zu  machen,  die  Einsetzung  eines  Ehegerichtes,  wohl  erst 
jetzt  auch,  um  jede  Unsicherheit  dabei  zu  beseitigen,  eine  be- 
deutende Reduzierung  der  Zahl  der  Feiertage  und  deren  genaue 
Veröffentlichung.")  Am  14.  Dezember  wurde  durch  Ratsbeschluss 
an  dieser  Verordnung  nachdrücklich  festgehalten,  das  Tanzen  an 
den  festgesetzten  Feiertagen  verboten  und  verfügt,  dass  alle 
Samstage  der  Wochenmarkt  abgehalten  werden  solle,  gleichgültig, 
ob  dieser  auf  frühere  Feiertage  fallen  würde  oder  nicht.  Nur 
wenn  Weihnachten   oder  Assumptio   Mariae   auf  einen   Samstag 

1)  Sabb.,  S.  229/230. 

2)  R.-P.  1526,  fol.  153  b. 

3)  Miles,  S.  309/310  (37/38);  ausführlicher  in  der  Sabb.,  S.  231—233: 
Sicher,  I,  S.  67, 

■*)  Vgl.  Kesslers  Ausruf:  „Was  grossen  kosten  und  arbaifc  ist  in  kurzer  zit, 
das  mit  grossem  gütt  lange  zit  züberait,  zu  grund  gangen!"   (Sabb.,  S.  232  lo.) 
•')  Sabb.,  S.  233 12.  " 
'^)  Sabb.,  S.  225/226. 


37 

fielen,  durfte  der  Markt  an  diesem  Tage  nicht  abgehalten  werden.  ^) 
Infolge  dessen  traf  ein  Schreiben  von  der  Tagsatzung  zu  Luzern 
mit  Datum  vom  3.  Februar  1527  ein,  das  die  St.  Galler  wegen 
ihrer  kirchlichen  Reformen  mit  Beschwerden  überschüttete,  sie 
„nochmalen  und  jetz  zületst"  aufforderte,  von  ihren  religiösen 
Neuerungen  abzustehen,  und  drohend  damit  schloss:  wenn  St.Gallen 
etwas  wegen  seiner  Neuerung  begegne,  so  würden  die  Orte,  in 
deren  Namen  das  Schreiben  verfasst  sei,  ihm  Schutz  und  Schirm 
versagen.-)  Diese  scharfen  Worte  waren  wohl  begründet;  denn 
die  Lage  des  Abtes  muss  wegen  der  religiösen  Neuerungen  in 
der  Stadt  schon  sozusagen  unhaltbar  geworden  sein;  wird  doch 
in  dem  genannten  Schreiben  ausdrücklich  unter  den  Beschwerden 
aufgeführt,  der  Abt  könne  im  Münster  nur  noch  bei  geschlossenen 
Türen  Messe  lesen  lassen. 

Das  Schreiben  vom  Luzerner  Tag  hatte  aber  nur  die  Folge, 
dass  St.  Gallen  sich  notgedrungen  immer  mehr  Zürich  näherte 
und  ebenso  auch  der  Stadt  Bern,  die  bereits  anfing,  sich  ent- 
schieden von  den  streng  katholischen  Orten  abzuwenden,  gereizt 
durch  das  parteiische  und  verdächtige  Verhalten  der  V  Orte  bei 
der  Veröffentlichung  der  Badener  Disputationsakten.  Der  Abt 
bekam  dies  bald  zu  spüren.  Er  hatte  St.  Gallen  wegen  der  fort- 
währenden Händel  zwischen  den  städtischen  Prädikanten  und 
Dr.  Wendelin  mit  einem  Prozess  bedroht.  Die  Stadt  aber  hatte 
die  Gelegenheit  benützt,  dem  Abt  das  ganze  Sündenregister,  das 
sie  über  den  Münsterprediger  und  andere  ihrer  Gegner  im  Kloster 
gesammelt  hatte,  in  schroffster  Weise  vorzuhalten:  Wendelin  habe 
offen  auf  der  Kanzel  „bubet,  ketzert,  gehuret,  geschützet  und 
bachantet"  und  zum  Aufruhr  gereizt,  indem  er  von  der  Kanzel 
herab  erklärt  habe,  wer  etwas  gegen  seine  Predigten  einwenden 
könne,  solle  hervortreten.  Am  Ostermontag  habe  er,  ebenfalls  in 
der  Kirche,  so  geredet,  als  ob  die  Stadt  die  Messgewänder  ge- 
stohlen ;  ^)  dagegen  erhobene  Einsprachen  des  Rates  bei  den  An- 
wälten des  Abtes  hätten  nichts  genützt;  nicht  nur  die  Prädikanten, 


1)  R.-P.  1526,  fol.  154  b. 

-)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  417r.  Das  Schreiben  wird  jedenfalls  nicht,  wie  die  Ab- 
sender angeben,  von  allen  zu  Luzern  anwesenden  Orten  gesandt  worden  sein, 
da  sich  unter  den  Tagherren  auch  diejenigen  von  Bern,  Basel  und  Schaifhausen 
befanden. 

■^)  Siehe  oben. 


38 

sondern  auch  der  Rat  müsse  somit  glauben,  dass  man  sie  auf 
äbtischer  Seite  verachte.  Die  städtischen  Gesandten  drohten  hierbei 
dem  Abt,  dass  sie  das  Hochgericht  gegen  WendeHn  anwenden 
würden,  da  „ketzern"  vor  dieses  Gericht  gehöre.  Ferner  habe 
man  von  äbtischer  Seite  die  Stadt  auch  bei  den  Eidgenossen 
„versait",  welche  ihr  darauf  „ruch"  geschrieben  hätten.  Der  Abt 
verlangte  Bedenkzeit.  Man  fand  aber  seine  Entschuldigung,  die 
er  am  28.  März  durch  Hauptmann  und  Kanzler  vorbrachte,  so 
wenig  befriedigend,  dass  der  Rat  sie  aufzeichnen  Hess,  damit 
man  ihrer  zu  gelegener  Zeit  eingedenk  sei  und  sich  danach  zu 
richten  wisse.  ^)  Der  Abt  Hess  sich  dadurch  wenig  abschrecken. 
Eines  seiner  Fastenmandate  befahl,  Fleisch  und  Eier,  welche  man 
während  dieser  Zeit  in  die  Stadt  führen  wolle,  wegzunehmen. 
Ferner  machte  er  den  anfangs  April  1.527  zu  Einsiedeln  tagenden 
kathohschen  Orten  von  den  Beschwerden,  welche  die  Stadt  gegen 
Dr.  Wendelin  erhoben  hatte,  Mitteilung.  Man  habe  aber  den 
städtischen  Gesandten  erklärt,  liess  der  Abt  den  Tagherren  weiter 
berichten,  dass  die  Prädikanten  Wendelin  beschimpften,  indem  sie 
öffentlich  verkündeten,  wer  Beichte  und  das  Sakrament  empfange 
in  dem  Glauben,  dass  Fleisch  und  Blut  Christi  darin  enthalten  sei, 
der  sei  des  Teufels,  und  wer  in  die  Predigten  zu  Wendelin  gehe, 
sei  ein  Ketzer  und  Bösewicht;  die  städtische  Obrigkeit  habe  darauf- 
hin versprochen,  die  Schuldigen  zu  bestrafen;  aber  bis  jetzt  sei 
dies  nicht  geschehen.  -)  Der  Abt  fand  um  so  willigeres  Gehör, 
als  bereits  am  27.  März  zu  Luzern  von  den  Tagherren  die  immer 
grössere  Annäherung  St.  Gallons  an  Zürich  übel  vermerkt  worden 
war.  Eine  ernste  Mahnung  von  diesem  Tag  an  St.  Gallen,  die 
Bünde  genauer  zu  „besehen",  war  nur  unterblieben,  weil  die  Stadt 
zu  den  Orten  gehörte,  welche  in  dem  Handel  wegen  des  Ittinger- 
sturms  zwischen  Zürich  und  den  übrigen  am  Turgau  beteiligten 
Orten  zu  entscheiden  hatten.  •^)  Dagegen  äusserte  sich  die  einen 
Monat  später  ebenfalls  zu  Luzern  tagende  Versammlung  der 
katholischen  Stände  in  drohender  Weise  über  St.  Gallen :  Man 
sehe  es  samt  Schaffhausen,  Appenzell  und  auch  Bern  und  Basel 
bald  in  Zürich,  bald  in  Bern  tagen.  An  Glarus  und  Appenzell 
wolle  man  eine  Botschaft  senden,  um  sie  beim  alten  Glauben  zu 


1)  R.-P.  1526,  fol.  164. 

2)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  433  v. 
^)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  431a,'i. 


39 

erhalten,  nicht  aber  an  St.  Gallen;  denn  dieses  dulde  über  alle 
Massen  und  „gröber  als  sonst  jemand''  unchristhche  Reden  und 
Handlungen  gegen  Gott,  den  Glauben  und  „die  Eidgenossen", 
habe  auch  mehrere  Schreiben  der  VII  kathohschen  Orte  gar  nicht 
beantwortet;  zu  Einsiedeln  wolle  man  weiter  beraten,  wie  man 
sich  fernerhin  gegen  die  Stadt  zu  verhalten  habe.  ^ 

Letztere  fand  unter  diesen  Umständen  für  gut,  auf  den  Ein- 
siedler Tag  [7.  Mai  ff.]  Unterbürgermeister  Reinsberg  und  Ulrich 
Appenzeller  -)  zu  senden,  um  durch  eine  Verantwortung  den 
drohenden  Sturm  zu  beschwören.  Die  katholischen  Orte  erklärten 
aber  auf  die  Instruktion  St.  Gallons,  diese  enthalte  zwar  viele 
schöne  Worte  und  Versprechungen,  stehe  aber  nicht  im  Einklang 
mit  der  WirkUchkeit;  denn  im  St.  Galler  Rate  sässen  ja  noch 
Wiedertäufer;  auch  werde  die  Taufe  selbst  dort  nicht  mehr  nach 
kirchlicher  Ordnung  gebraucht,  das  Sakrament  des  Altars  mit 
Worten  und  Werken  verachtet,  und  die  „verkehrten  und  ver- 
logenen Pfaffen"  predigten  in  schmählicher  Weise  gegen  den 
rechten  Glauben;  einige  hätten  sogar  offen  erklärt,  wer  hinter 
einer  Messe  stehe  oder  eine  halte,  sündige  mehr  gegen  Gott  als 
ein  „Mörder  im  Wald".  Die  Verteidigungsschrift  St.  Gallons  wurde 
darum  nicht  in  den  Abschied  genommen,  mit  der  Begründung: 
die  Regierungen  der  Tagherren  hätten  doch  keinen  Gefallen  an 
dieser  Verantwortung;  es  seien  schöne  Worte,  denen  tatsächlich 
das  Gegenteil  entspreche;  mit  Freuden  würde  man  sehen,  wenn 
St.  Gallen  wieder  in  den  Schoss  der  alten  Kirche  zurückkehren 
wollte;  da  dies  nicht  geschehe,  so  behalte  man  den  Obrigkeiten 
vor,  in  der  Sache  weiter  zu  handeln.^)  Der  scharfe  Ton  rührte 
zum  Teil  von  einer  weitern  religiösen  Neuerung  her,  die  durch 
Ratsbeschluss  vom  10.  ApriH)  in  Kraft  erklärt  worden  war:  „dass 
man  den  tisch  des  Herren  begon  soll  lut  der  Schrifft".  '')  Dies 
zog  der  Stadt  natürlich  von  selten  der  Anhänger  des  Abtes  neue 
Verunglimpfungen  zu :  man  habe  in  der  Pfarre  zu  St.  Laurenzen 
„an  mostbrockenden"  aufgerichtet. '') 

1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  437  aö. 
^)  E.-P.  1527,  fol.  166  a. 
3)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  442 y. 
^)  R.-P.  1527,  fol.  165  b. 

•'')  Die  einzelnen  Artikel  der  neuen  Abend mahlsordniing  siehe  in  der  Sabb., 
S.  244—248. 

•')  Sabb.,  S.  247  45. 


40 

In  dieser  für  St.  Gallen  so  schwierigen  Lage  bot  ein  Schützen- 
fest daselbst  den  Zürchern  Gelegenheit,  sich  der  befreundeten 
Stadt  noch  mehr  zu  nähern,  sie  zu  ermutigen  und  zu  neuen 
energischen  Schritten  anzuspornen. ')  Am  18.  Mai  zogen  ausser 
andern  Gästen  auch  45  Zürcher  zu  Fuss  und  einige  Berittene 
der  Feststadt  zu,  -)  an  ihrer  Spitze  Lavater  und  der  Bannerherr 
Schwyzer.  800  Spiesser,  vorn  und  hinten  eingeschlossen  von  12 
Büchsenschützen,  sämtlich  in  Blau  und  Weiss  gekleidet,  kamen 
den  Zürchern  aus  der  Stadt  St.  Gallen  entgegen.  Hinter  der  statt- 
lichen Schar  ritt  der  Altbürgermeister  Joachim  von  Watt  —  zwei 
Tage  früher  war  der  amtierende  Bürgermeister  Jakob  Krumm 
gestorben,  und  Vadian  hatte  ihn  vorderhand  zu  vertreten  —  mit 
30  Berittenen,  um  sie  zu  empfangen.  Das  Fest,  welches  bis  zum 
23.  des  Monats  dauerte,  nahm  den  besten  Verlauf.  •')  Seinen 
politischen  Charakter  aber  Hessen  die  Anreden  v.  Watts  und 
Lavaters  recht  deutlich  erkennen.  Man  hoffe  auf  weitere  Freund- 
schaft, äusserte  sich  der  Vogt  von  Kyburg,  während  Vadian  er- 
klärte, die  St.  Galler  würden  die  Ehre,  die  ihnen  die  Zürcher  mit 
ihrem  Besuche  erwiesen  hätten,  in  Ewigkeit  nicht  vergessen.  ') 
Noch  deutlicher  drückt  sich  der  Chronist  Sicher  aus,  indem  er 
bei  der  Erwähnung  dieses  Schützenfestes  bemerkt:  „Do  wurdent 
Zürcher  und  Galler  ains,  des  ain  gotzhus  Sant  Gallen  nit  vil 
gnoss".  ^) 

Der  Abt  mochte  wenig  erbaut  sein  von  der  Feier.  Er  hatte 
sich  einige  Tage  vor  ihrem  Beginn  aus  der  Stadt  wegbegeben, '') 
benahm  sich  aber  im  übrigen  recht  klug,  liess  den  fremden  Gästen 
wie  üblich  den  Wein  kredenzen,  jedoch  durch  den  Schenk,  im 
Gegensatz  zum  sonstigen  Gebrauche,  nur  die  wenigen  Worte 
sprechen:    „Edlen   etc.    —  —   —   gnedigen   herren   von   Zürich, 


^)  Dass  das  Fest  in  erster  Linie  aus  diesem  Grunde  abgehalten  wurde, 
ergibt  sich  deutlich  aus  Bernhard  Wyss'  Chronik.  (Quellen  z.  Schweiz.  Ref.- 
Gesch.,  Bd.  1,  S.  73.) 

2)  Beiträge  z.  St.  Gallischen  Gesch.,  St.  Gallen  1904,  S.  11—40:  „Das 
Gesellenschiessen  zu  St.  Gallen  im  Mai  1527",  herausgeg.  v.  T.  Schiess. 

3)  Vgl.  darüber  Sabb.,  S.  252—255,  Miles  320  (48)— 322  (50),  der  einige 
in  der  Sabb.  nicht  enthaltene  Angaben  macht.  Weitaus  am  einlässlichsten  wird 
das  Fest  in  der  oben  genannten,  Yon  T.  Schiess  herausgeg.  Arbeit  behandelt. 

*)  Schiess,  S.  20. 

•')  Sicher,  I,  S.  81n-i8. 

•')  Schiess,  S.  23. 


41 

Costentz  und  Lindow,  den  wyn  den  gsegen  üch  Got,  den  schenckt 
üch  min  gnediger  herr  von  Sant  Gallen".  ^) 

Die  politische  Stärkung  St.  Gallens  machte  sich  für  den  Abt 
bald  fühlbar.  Schon  Ende  April  war  Hans  Wettach,  der  Kaplan 
am  Linsibühl,  vor  den  Kleinen  Rat  zitiert  und  ihm  befohlen 
worden,  aufzuhören,  am  Linsibühl  zu  predigen,  auch  daselbst 
und  im  Münster  keine  Messe  mehr  zu  halten,  sondern  zu  den 
Predigten  und  „lesinen"  in  der  St.  Laurenzenkirche  zu  gehen. 
Vernehme  er  dort  etwas,  das  nicht  richtig  sei,  so  könne  er  es 
dem  Rate  melden.  -)  Der  Abt  aber  nahm  seinen  Kaplan  nach- 
drücklich in  Schutz,  indem  er  ihm  die  Pfründe  „auf  unserer 
Frauen  Amt"  am  Münster  verlieh  und  sie  dem  bisherigen  Inhaber 
Hans  NoU,  der  Bürger  St.  Gallens  und  der  religiösen  Neuerung 
freundlich  gesinnt  war,  entzog.  ^)  Da  griff  nun  der  Rat  am  2.  August 
energisch  zugunsten  des  letztern  ein.  Er  forderte  Wettach  auf, 
den  Linsibühl  zu  räumen  und  die  Gerichte  der  Stadt  zu  ver- 
lassen, da  der  Rat  ihn  nicht  mehr  als  seinen  Bürger  betrachte.^) 

Inzwischen  hatten  Kleine  und  Grosse  Räte  am  6.  Juni  ein 
Mandat  erlassen:  „wider  eebruch,  hüry,  coplery  und  unerbare 
klaidung".*')  Wer  dreimal  des  Ehebruchs  überwiesen  war,  sollte  die 
Stadt  verlassen.  Der  Rat  machte  mit  dieser  Verordnung  einen 
kräftigen  Versuch,  der  herrschenden  Sittenlosigkeit  zu  steuern 
und  das  zerrüttete  Familienleben  wieder  zu  bessern.  Scharf  wurde 
in  dem  Mandat  gegen  den  Konkubinat  der  in  der  Stadt  wohnenden 
Priester  und  Mönche  vorgegangen,  was  denn  auch  bewirkte,  dass 
etliche  Priester  ihre  „Kellerinnen"  zu  Frauen  nahmen,  und  die 
Obrigkeit  sah  dies  gerne.  *^)  Doch  der  Abt  konnte  dem  Vorgehen 
der  Stadtobrigkeit  nicht  ruhig  zusehen.  Die  von  ihm  belehnten 
Priester,  welche  sich  verheiratet  hatten,  wurden  durch  ihn  ihrer 
Pfründen  und  Nutzungen  entsetzt.  ')  Am  26.  Juni  erschien  auch 
seine  Botschaft  vor  dem  Rate:   Der  Abt  habe  gehört,   dass   die 


1)  Ibid. 

2)  ß.-P.  1527,  fol.  166  a. 

3)  R.-P.  1527,  fol.  173a. 
^)  R.-P.  1527,  fol.  174b. 

^)  Sabb.,  S.  249—52;  R.-P.  1527,  fol.  168  b. 

^)  So  beteiligten  sich  an  der  bescheidenen  Feier  auf  der  Weberzunft,  zu 
Ehren  einiger  Neuvermählter.  Bürgermeister  Konr.  Mayer  und  Altbm.  von  Watt 
mit  anderen  angesehenen  Städtern,  Miles,  S.  323  (51j — 324(52). 

^)  Sabb.,  S.  250  44-46. 


42 

städtische  Obrigkeit  ein  Mandat  erlassen,  nach  welchem  Mönche, 
die  bei  unsittlichen  Handlungen  angetroffen  würden,  ins  Gefängnis 
geworfen  werden  sollten,  da  man  ihnen  so  wenig  wie  den  Bürgern 
sittliche  Ausschweifungen  gestatten  wolle.  Der  Abt  bitte,  wenn 
die  Stadtobrigkeit  von  dem  Mandat  nicht  abzustehen  gedenke, 
ihm  Meldung  zu  machen,  wenn  Priester  der  Unsittlichkeit  be- 
schuldigt würden,  oder  doch  die  fehlbaren  Geistlichen  in  sein 
Gefängnis  zu  überantworten.  Der  Rat  begnügte  sich  aber  damit, 
den  äbtischen  Gesandten  sein  Sittenmandat  zu  erklären.  ^)  Darauf- 
hin klagte  Abt  Franz  bei  der  Tagsatzung,  die  am  1.  JuU  zu  Baden 
zusammengetreten  war,,  dass  einige  Priester  zu  St.  Gallen  sich 
verheiratet  hätten  und  keine  Messe  mehr  lesen  wollten,  und  bat 
um  Verhaltungsmassregeln.  Doch  die  Tagherren  begnügten  sich, 
die  Sache  in  den  Abschied  zu  nehmen,-)  und  St.  Gallen  arbeitete 
weiter  am  Ausbau  der  eingeführten  Reformation.  Am  7.  August 
wurde  vom  Rat  für  die  Jugend,  „so  ob  9  oder  under  15  Jaren 
ist",  die  Kinderlehre  •^)  eingeführt,  die  jeweils  mit  einem  oder 
mehreren  deutsch  gesungenen  Psalmen  eröffnet  und  geschlossen 
wurde.  Es  mag  wohl  ein  Hinweis  auf  die  schweren  Zeiten  ge- 
wesen sein,  die  St.  Gallen  wegen  seines  neuen  Glaubens  durch- 
zumachen hatte,  dass,  wie  Kessler  berichtet,  die  Kinder  zuerst 
jenen  schönen  Psalm  lernen  mussten:  ,,Aus  tiefer  Not  schrei  ich 
zu  dir".  ') 

Zu  den  Geistlichen  des  Abtes,  welche  den  neuen  Glauben 
angriffen,  gehörte  besonders  der  Dekan  Adam  Moser,  der  die 
evangelische  Taufe  ein  „suwbad"  nannte.  ■')  Früher  Pfarrer  in 
Stammheim,  war  er  der  Nachfolger  Wendelins  am  Münster  ge- 
worden. *')  Wegen  der  Schmähreden  beklagte  sich  die  Stadt  beim 
Abt  durch  eine  Gesandtschaft,  mit  Vadian  an  der  Spitze,  die  dem 
Abt  Franz  drohte,  wenn  er  seine  allzueifrigen  Prediger  nicht 
abstelle,  müsste  St.  Gallen  selbst  Abhilfe  schaffen.  Die  Vor- 
stellungen scheinen  wenig  gefruchtet  zu  haben ;    denn   der  Rat 


1)  ß.-P.  1527,  fol.  171a. 

2)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  461  q. 

'^)  Vad.,  II,  S.  410  37 ;  Sabb.,  S.  249  f. 
^)  Sabb.,  S.  24919-25. 
^)  R.-P.  1527,  fol.  164  b. 

^)  Wendelin  war  Ende  März  1527  nach  Einsiedeln  gezogen  (R.-P.  1527), 
worauf  Moser  am  31.  März  d.  J.  für  ihn  angestellt  wurde.  (Sicher,  I,  S.  70  6—9.) 


43 

nahm  die  energische  Bestrafung  der  Schuldigen  selbst  an  die 
Hand.  Wenigstens  weiss  Sicher  ^)  zu  berichten,  dass  um  den 
21.  September  herum,  einen  Monat  nachdem  der  Rat  beim  Abt 
vorstellig  geworden,  der  Pfarrer  von  Niederbüren,  Hans  Schindeli, 
wegen  verletzender  Reden  über  den  neuen  Glauben,  in  St.  Gallen 
hart  gefoltert  und  noch  ca.  4  Stunden  an  den  Pranger  gestellt 
worden  sei.  -)  Bereits  hatten  auch  die  vom  Stift  belehnten  Pfarrer 
„auf  unserer  Frauen  amt"  vom  Rat  einen  scharfen  Verweis  er- 
halten, weil  sie  es  wagten,  zu  kranken  Leuten  in  der  Stadt  zu 
gehen,  ihnen  Messe  zu  lesen  und  das  Sakrament  und  die  Ölung 
zu  geben :  sie  hätten  kein  Recht  dazu  und  sollten  in  Zukunft 
sich  hüten,  dies  in  den  Gerichten  der  Stadt  weiter  zu  tun,  oder 
sonst  erwarten,  was  ihnen  daraus  erwachsen  könnte.  ^) 

Dieses  so  entschiedene  Auftreten  St.  Gallons  in  Sachen  des 
neuen  Glaubens  —  der  Abt  war  aus  einem  Angreifer  zum  An- 
gegriffenen geworden  —  dürfte  wohl  zum  grossen  Teil  zu  er- 
klären sein  durch  die  mächtige  Verstärkung,  welche  die  schwei- 
zerische reformierte  Partei  erfahren  hatte:  Bern  hatte  sich  für 
die  religiöse  Reform  entschieden.  Der  Übermut  der  katholischen 
Orte  wegen  ihres  Sieges  auf  der  Badener  Disputation  hatte  eine 
starke  Entfremdung  zwischen  Bern  und  den  Orten  herbeigeführt, 
und  zu  Ostern  1527  war  der  Berner  Rat  in  einem  der  religiösen 
Reform  sehr  günstigen  Sinne  erneuert  worden.  Obrigkeitliche 
Mandate  befahlen  die  freie  Predigt  des  Evangeliums  und  die 
weltliche  Verwaltung  sämtlicher  Klöster,  wodurch  offiziell  die 
Berner  Reformation  eingeleitet  wurde.  Die  vom  Rate  angeord- 
nete Disputation,  im  Januar  1528,  brachte  schliesshch  den  völligen 
Umschwung  zugunsten  der  neuen  Lehre.  St.  Gallen  hatte  eine 
ansehnliche  *)  Gesandtschaft,  an  ihrer  Spitze  Vadian,  zu  diesem 
Religionsgespräch  nach  Bern  geschickt;  ja,  der  St.  Galler  Rat 
forderte  auch  die  Münsterprediger  auf,  sich  an  der  Disputation 
zu  beteiligen,  '')  und   anerbot  sich,   einem  jeden   ein  Pferd  und 

1)  Sicher,  I,  S.  92  20-27. 

^)  Miles,  S.  324(52)15-30,  der  über  die  Bestrafung  Schindeiis  ausführlich 
berichtet,  weiss  nichts  davon,  dass  der  genannte  Pfarrer  gefoltert  wurde.  Man 
habe  ihn  2  Stunden  an  den  Pi-anger  gestellt  und  ihm  dann  die  Stadt  für  101  (!) 
Jahre  verboten. 

3)R.-P.  1527,  fol.  174  b. 

^)  R.-P.  1528,  fol.  188  a. 

^)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  494 f. 


44 

Zehrimg  mitzugeben.  ^)  Der  Abt  klagte  darüber  im  Dezember 
durch  seinen  Hauptmann  auf  dem  Tag  zu  Luzern,  worauf  die 
VIII  Orte  an  St.  Gallen  schrieben,  die  Stadt  solle  keinen  äbtischen 
Geistlichen  zur  Disputation  nach  Bern  nötigen,  diese  überhaupt 
unbekümmert  lassen  und  die  Zusagen  halten,  welche  sie  ihnen 
gemacht,  als  sie  ihr  den  Treueid  geleistet  hätten.  ^)  Zudem  wurde 
die  Angelegenheit  in  den  Abschied  genommen,  weil  die  St.  Galler 
„so  gar  ungeschickt"  seien.  ^)  Die  katholischen  Orte  hatten  um 
so  mehr  Grund  zu  diesem  scharfen  Beschlüsse,  als  sie  die  Art, 
wie  St.  Gallen  gegen  die  Dominikanerinnen  zu  St.  Katharina  vor- 
gegangen war,  sehr  erbittern  musste;  denn  seit  1527  begann  der 
Rat,  den  Frauen  Schritt  für  Schritt  den  neuen  Glauben  aufzu- 
zwingen. ^) 

Der  Ausgang  der  Berner  Disputation,  auf  der  Vadian  eine 
hervorragende  Rolle  gespielt  hatte,  die  daraus  folgende  „Ab- 
wendung der  Berner  von  der  alten  Kirche  bewirkte  den  ent- 
scheidenden Umschwung  der  Glaubensbewegung  in  der  deutschen 
Schweiz". '')  Unter  dem  gewaltigen  Eindruck,  den  der  Verlauf 
des  Religionsgesprächs  hervorrief,  wurden  nun  noch  die  letzten 
vorhandenen  Einrichtungen  der  katholischen  Kirche  im  Gebiet 
der  Stadt  St.  Gallen  in  rascher  Aufeinanderfolge  beseitigt.  Ja, 
unter  dem  neuen,  reformfreundlichen  Bürgermeister  von  1528, 
Christian  Studer,'^)  und  im  Vertrauen  auf  das  mächtige  Umsich- 
greifen des  neuen  Glaubens  unter  den  äbtischen  Untertanen  selbst 
wagte  nun  der  Rat,  in  die  Machtsphäre  des  Abtes  grössere  Ein- 
griffe zu  tun:  er  beschloss  auf  Ansuchen  der  Kirchhöre  St.  Mangen 
und  besonders  des  dortigen  Pfarrers  Hermann  Miles, ')  die  Bilder 
und  Statuen  aus  der  St.  Mangenkirche  zu  entfernen,  ^)  trotzdem 
deren  KoUaturrechte  dem  Abte  zustanden.  Tags  darauf,  am 
28.  Februar,   ward   der  Beschluss   gründlich   durchgeführt.     Das 


1)  R.-P.  1528,  fol.  208  b. 

2)  Sta.  Trucke  Q.,  Nr.  3,  Luzern,  18.  Dez. 

3)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  494  f. 

^)  Siehe  St.  Galler  Neujahi-sblatt  (von  Hardegger)  1885:  „Die  Frauen  zu 
St.  Katharina  in  St.  Gallen''. 

'")  Dierauer,  III,  S.  103/104. 

6)  Sabb.,  S.  278  5-6. 

"')  Über  Herrn.  Miles  als  Neugläubigen  und  sein  weiteres  Leben  bis  zum 
1533  erfolgten  Tode  siehe  Pestalozzi,  St.  Mangenkirche,  S.  78—81,  85  —  89. 

^)  R.-P.  1528,  fol.  196a,  Ratsbeschluss  vom  27.  Feb. 


45 

gewonnene  Edelmetall  wurde  „umb  zimlich  geld"  verkauft  ^)  und 
in  die  Armenbüchse  gelegt.  -)  Am  4.  März  beschloss  ferner  die 
Obrigkeit,  diejenigen,  welche  noch  ins  Münster  zur  Messe  gingen, 
vor  sich  kommen  zu  lassen  und  sie  freundlich  zu  bitten,  alle 
Sonntage  und  an  den  von  der  Stadt  anerkannten  Feiertagen  zu 
St.  Laurenzen  die  Spätpredigt  zu  besuchen.  Zu  den  übrigen  Zeiten 
dürften  sie  zur  Kirche  gehen,  wohin  sie  wollten,  auch  ins  Münster.-') 
Gemäss  der  strengen  Lebensauffassung,  wie  sie  der  neue  Glaube 
verlangte,  wurde  am  11.  März  das  Spielen  mit  Würfeln  und  Karten, 
womit  man  Geld  verlieren  oder  gewinnen  könne,  bei  3  Pfund 
Busse  verboten,^)  nachdem  schon  1525  alles  Tanzen  in  und  vor 
den  Häusern  abgestellt  und  den  Spielleuten  untersagt  worden 
war,  auf  die  Gasse  zu  ziehen,  alles  bei  Strafe  von  5  Pfund. '") 
Den  Nonnen  zu  St.  Katharina  wurde  durch  Ratsbeschluss  vom 
11.  Mai  befohlen,  nach  St.  Mangen  zur  Predigt  zu  gehen  und  die 
Ordenskleider  abzulegen.  Letzteres  wurde  auch  den  Feldnonnen 
zu  St.  Leonhard  bis  zum  25.  Juli  des  Jahres  zu  tun  befohlen.  •') 
Den  Nonnen  zu  St.  Katharinen  hatte  man  auch  bereits  einen 
streng  evangelisch  gesinnten  Mann  als  Prediger  gegeben ,  Dr. 
Christoph  Schappeler,  und  nun,  nach  dem  Beschluss  des  Rates, 
welcher  die  Klosterregeln  beseitigte,  vermählten  sich  einige  der 
ehemaligen  Nonnen.  "') 

Eine  weitere  Befestigung  der  Reformation  zu  St.  Gallen  be- 
deutete die  Erneuerung  des  Grossen  Rates.  Stets  im  Juni  statt- 
findend, fiel  sie  dieses  Jahr  völlig  zugunsten  der  reformierten 
Partei  aus :  die  katholisch  gesinnten  Elemente  des  frühern  Rates 
wurden  übergangen.^)  Den  gänzlichen  Sieg  der  neuen  Lehre  in 
der  Stadt  brachte  jedoch  der  Ratsbeschluss  vom  17.  Juli,  welcher 
die  Messe  in  St.  Gallen  tatsächlich  abschaffte.  Eine  angesehene 
Ratsbotschaft  sollte  sogar  beim  Abte  energisch  Abstellung  „der 
lesterlichen,  verführischen  und  hesslichenn  predigen  im  Münster" 
verlangen,  mit  dem  Beifügen,  dass  die  Stadt  sonst  selbst  handeln 

1)  Sabb.,  S.  281/282;  Miles,  S.  326(54)io    ;io. 

2)  Vad.,  II,  S.  411(5-8. 

3)  R.-P.  1528,  fol.  196  b. 
'*)  R.-P.  1528,  fol.  197  b. 

■'')  R.-P.  1525,  fol.  114  a,  Dienstag  vor  Petri  und  Pauli. 
*^)  R.-P.  1528,  fol.  204  b. 
'')  Sabb.,  S.  2881.3-18. 
«)  Sabb.,  S.  288  20-23. 


46 

werde.  ^)  Der  bedrängte  geistliche  Herr  wandte  sich  darauf  an 
die  kathohschen  Orte,  die  seit  dem  20.  Juh  zu  Einsiedeln  tagten, 
mit  einer  Beschwerde :  nicht  nar  habe  die  Stadtobrigkeit  seine 
Priester  am  Münster,  welche  in  der  Stadt  wohnten,  vor  sich  be- 
schieden und  von  ihnen,  wider  Bullen  und  Briefe,  verlangt,  keine 
Messe  mehr  zu  lesen  oder  dann  das  Gebiet  der  Stadt  zu  ver- 
lassen, sondern  es  gehe  auch  schon  das  Gerücht,  St.  Gallen  wolle 
Abt  und  Konvent  ersuchen,  sich  der  Stadt  „gleichförmig"  zu 
machen,  ansonst,  wie  es  lieisse,  die  St.  Galler  „villicht  wyter 
handien"  würden;  der  Abt  bitte  die  Tagherren  um  Rat  und  Hilfe. 
Wohl  angesichts  der  immer  schwierigem  Lage  der  katholischen 
Orte  in  der  Eidgenossenschaft  begnügten  sich  jedoch  die  Abge- 
ordneten der  eidgenössischen  Stände  wieder  einmal  damit,  den 
Bericht  des  Prälaten  in  den  Abschied  zu  nehmen  und  an  St.  Gallen 
zu  schreiben,  man  möge  bis  auf  weiteren  Bescheid  die  Priester 
Messe  lesen  lassen.  -)  Abt  Franz  genügte  das  nicht.  Er  erliess 
eine  Kundgebung,  welche  sich  energisch  seiner  von  der  Stadt 
gemassregelten  Geistlichen  annahm:  Eingangs  wird  resümiert, 
wie  die  Stadtobrigkeit  gegen  ihre  als  Geistliche  im  äbtischen 
Dienste  stehenden  Bürger  vorgegangen   sei;    darauf  hätten   den 


^)  „Gross  Rat  uff  17.  tag  höwmonat  anno  1528:  diewil  am  tag  ligt,  dass 
die  mess  ain  gotzlesterung  und  grosser  grüwel  vor  gott  ist,  och  m.  li.  zu  den 
ziteu,  als  man  zu  Bern  hat  wollen  disputieren,  nach  allen  pfaffen  in  ihr  statt  und 
grichten  geschickt  und  mit  in  geredt  habend  und  sy  gepetten,  welicher  die 
artickel  getruw  ze  widerfechten,  dass  sy  gen  Bern  keren  und  da  disputieren 
wollen  und  welicher  das  ton,  dem  wollen  m(ine)  h(erren)  ain  pferd  under  und 
zerung  inn  seckel  geben,  und  diewile  sy  söllichs  nit  geton,  sonder  m(ine)  h(erren) 
mit  der  unwarhait  verunglimpft,  haben  m.  h.  angesehen,  welicher  unnser  burger 
oder  in  unnser  statt  wonen  wolle,  der  soll  abstan  und  nit  mer  mess  han  wolle; 
welicher  aber  das  nit  ton  wolle,  der  soll  uss  der  statt  ziehen,  er  truwe  dann  die 
mess  mit  göttlicher  schrifft  ze  erhalten  in  14  Tagen  den  nechsten.  Das  hat  man 
den  pfaffen  fürgehalten. 

Item  von  wegen  der  teste rlichen,  verfürischen  und  hesslichen  predigen,  so 
im  münster  geschieht,  sollen  gen  hof  geschickt  werden  die  2  burgermaister. 
der  vogt  Eichs  und  der  underburgermaister  und  inen  söllichs  fürhalten  mit 
pitt,  dass  er  davon  woli  ston,  oder  m.  h.  werden  witter  darzü  tun,  das  man  sech, 
dass  sy  die  warhait  wollend  handthaben. "  (R.-P.  1518  —  28,  S.  208b/209a.) 
Kessler  (Sabb.,  S.  28824)  gibt  für  den  Tag,  an  welchem  der  Rat  die  Messe  in 
der  Stadt  abzuschaffen  beschloss,  fälschlicherweise  den  10.  Juli  an. 

2)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  559  a ;  Sta.  Tr.  Q.,  Nr.  4.  Schreiben  der  V  Orte  samt 
Freibui-g  und  Solothurn,  d.  d.  20.  Juli,  gesiegelt  vom  Schwyzer  Landammann 
Heinr.  Reding. 


47 

Abt  die  genannten  Pfarrer  ersucht,  sie  in  sein  Kloster  aufzu- 
nehmen und  ihnen  Nahrung  /u  geben,  damit  sie  wie  bisher  ihr 
geistliches  Amt  verrichten  könnten ;  er  habe  ihren  Bitten  will- 
fahrt und  bestimmt,  dass  jeder  dieser  Geistlichen  eine  eigene 
Kammer  und  gleiches  Essen  wie  die  Konventherren,  dazu  seine 
bisherigen  Pfrundzinse,  Zehnten,  Renten  und  Gülten  bekommen 
sollte;  müsste,  was  Gott  verhüte,  das  Kloster  zu  St.  Gallen  geräumt 
werden,  so  würden  die  Kapläne,  wie  sie  zugestanden,  mit  ihm 
fortziehen,  und  werde  er  zu  ihnen  Leib  und  Gut  setzen ;  wolle 
man  ihnen  von  der  Stadt  aus  ihre  Pfründen  nehmen,  so  werde 
er  den  Rechtsweg  dagegen  einschlagen;  wolle  aber  einer  der 
Kapläne  nicht  weiter  Messe  halten,  so  habe  er  seine  Pfründe  ver- 
wirkt. ')  Um  diese  Kundmachung  kümmerte  sich  jedoch  die  Stadt 
wenig  bei  ihrem  Vorgehen  gegen  reformfeindliche  Priester.  Der 
Helfer  von  Wil,  Franz  Sonnenschein,  der  die  Reformierten  be- 
schimpfte und  die  Berner  Disputation  angriff,  wurde,  als  er  sich 
auf  städtischem  Boden  zeigte,  verhaftet,  fünf  Wochen  ins  Ge- 
fängnis gelegt,  „och  jemerlich  gebracht"  ^')  und  schliesslich  am 
22.  August  in  Anwesenheit  einer  Zürcher  und  Berner  Gesandt- 
schaft einige  Stunden  an  den  Pranger  gestellt  und  auf  Lebens- 
zeit aus  den  städtischen  Gerichten  gewiesen.  Dass  er  nicht  hin- 
gerichtet wurde,  verdankte  er  wohl  nur  dem  Umstand,  dass  er 
erklärte,  sein  Leben  lang  keine  Messe  mehr  halten  zu  wollen.  ^) 
Unterdessen  hatte  auch  in  der  übrigen  Eidgenossenschaft  die 
Reformation  sich  durch  den  Übertritt  Berns  mächtig  ausgebreitet. 
Es  hatte  dies  aber  zur  Folge,  dass  die  katholisch  bleibenden  Orte 
eine  immer  schroffere  Stellung  gegenüber  den  Neugläubigen  ein- 
nahmen, besonders  in  Anbetracht  der  für  den  Katholizismus 
gefahrdrohenden  Politik  Zwingiis.  Unter  der  Führung  seines 
kühnen  Reformators  strebte  nämlich  Zürich  nach  einer  „plan- 
mässigen  Vereinigung  der  auf  evangelischer  Seite  stehenden 
städtischen  Gemeinwesen".  Im  Dezember  1527  hatte  es  mit  Kon- 
stanz sein  erstes  ,, christliches  Burgrecht"  abgeschlossen  und  damit 
in  verhängnisvoller  Weise  mit  einer  Politik  den  Anfang  gemacht, 
welche  unter  Umständen  die  Existenz  der  Eidgenossenschaft 
überhaupt  bedrohen  konnte.    Am  25.  Juni  1528  trat  sodann  Bern 


1)  St.-A.,  Bd.  63  b,  gedruckte  Kopie. 

^)  Sicher,  I,  S.  93  7. 

=*)  Sicher,  I,  S.  92  28— 93i5;  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  569  a,  zu  a. 


48 

diesem  Biirgrecht  bei.  nachdem  die  Unterhandlungen  schon  während 
der  Berner  Disputation  begonnen  hatten,  und  im  November  des 
Jahres  wurde  auch  St.  Gallen  eine  Stadt  des  christHchen  Burg- 
rechts. ^)  An  dem  Abschluss  dieses  Bündnisses  hatte  Zwingli  ein 
Hauptverdienst :  er  hatte  den  St.  Galler  Reformator  durch  zahl- 
reiche Schreiben  von  dem  Stand  der  Dinge  in  der  Eidgenossen- 
schaft unterrichtet-)  und  mahnte  am  11.  September  im  Namen 
der  Heimlichen  Vadian  zum  möglichst  baldigen  Abschluss  des 
Burgrechts.  •')  Daraufhin,  wohl  Mitte  September,  erschienen  Vadian 
und  Konrad  Mayer  in  Zürich,  um  wegen  der  Aufnahme  St.  Gallen s 
ins  Dreistädtebündnis  zu  unterhandeln.^)  Zürich  benachrichtigte 
sofort  Bern  von  dem  Gesuche  und  empfahl  ihm  dessen  Geneh- 
migung. Bern  —  die  St.  Galler  Gesandtschaft  hatte  hier  ebenfalls 
vorgesprochen  —  erwiderte  unterm  22.  September:  es  sei  wohl 
einverstanden,  falls  der  Bund  St.  Gallens  mit  den  Eidgenossen 
nicht  dagegen  laute;  Zürich  solle  deshalb  mit  St.  Gallen  auf  einem 
gemeinsamen  Tage  die  eidgenössischen  Bünde  prüfen  und  möge, 
wenn  sie  nichts  gegen  eine  Aufnahme  St.  Gallens  ins  Burg- 
recht enthielten,  einen  baldigen  Tag  ausschreiben,  um  die  Auf- 
nahme zu  vollziehen.  Zürich  bat  darauf  St.  Gallen  um  eine  De- 
klaration über  die  in  Frage  kommenden  Bünde.  St.  Gallen  schickte 
eine  solche  mit  dem  Wunsche,  dass  auf  einem  nahen  Tag  geprüft 
werde,  ob  sie  einwandfrei  sei,  und  Zürich  sandte  die  Deklaration 
samt  einem  Schreiben  an  Bern,  das  nunmehr  seine  frühern  Skrupel 
fallen  liess.  Am  7.  Oktober  schrieb  der  Berner  Rat  an  denjenigen 
von  Zürich,  man  habe  sich  früher  schon  zu  dem  Burgrecht  mit 
St.  Gallen  geneigt  erklärt,  und  da  Zürich  Bern  Vollmacht  gebe, 
einen  Tag  zum  Abschluss  des  Burgrechts  zu  bestimmen,  so  setze 
man  diesen  Tag  auf  den  1.  November  des  Jahres  nach  Zürich  an; 
man  möge  dies  den  St.  Gallern  mitteilen.  Das  scheint  dann  ge- 
schehen zu  sein;  denn  am  21.  Oktober  bestimmte  der  St.  Galler 
Rat  Vadian,  Altbürgermeister  Konrad  Mayer,  Ulrich  Appenzeller 
und  Stoffel  Krenk  als  Gesandte  für  den  Tag  zu  Zürich.  ■^)  Am 
30.  Oktober  gab  Bern   seinen  Gesandten  den  Auftrag,  dafür  zu 


^)  Dierauer,   III,   S.   115  ff.:   Gründung  konfessioneller  Sonderbündnisse. 

2)  Siehe  z.  Beisp.  V.-B.-S.,  IV,  Nr.  450,  463,  483,  555. 

3)  V.-B.-S.,  IV,  Nr.  537. 

^)  A.-S.,  L,  2061;  R.-P.  1529,  S.  17. 
'-')  R.-P.  1529,  S.  21  ;  Sabb.,  S.  297  i8f. 


49 

sorgen,  dass  das  Biirgrecht  mit  St.  Gallen  wirklich  aufgerichtet 
werde.  Es  sollte  zuerst  in  Zürich,  dann  in  St.  Gallen  und  schliess- 
lich in  Bern  beschworen  werden.  ^  Sonntag,  den  8.  November, 
morgens  9  Uhr,  versammelte  sich  die  Gemeinde  St.  Gallons  in 
der  St.  Laurenzenkirche  zur  feierlichen  Beschwörung  des  Burg- 
rechts. Bürgermeister  Christian  Studer  und  Altbürgermeister 
Konrad  Mayer  empfahlen  es  mit  warmen  Worten,  worauf  Stadt- 
schreiber Augustin  Fechter  den  Burgrechtsbrief  vorlas.  Darauf 
gab  der  Zürcher  Gesandte  von  Chuosen  ^)  die  Eidesformel  an, 
nach  der  nun  die  St.  Galler  Bürger  das  Inhalts-  und  folgenschwere 
Bündnis  mit  Zürich  und  Bern  beschworen.  ^)  Am  10.  November 
ritten  Konrad  Mayer  und  Unterbürgermeister  Heinrich  Kummer 
mit  den  Gesandten  der  Burgrechtsstädte  nach  Bern,')  wo  Mitte 
November  der  neue  Bund  ebenfalls  beschworen  wurde.  •^)  St.  Gallen 
hatte  sich  damit  in  eine  Verbindung  eingelassen,  die  durchaus 
seinem  Bündnis  mit  den  VI  Orten  widersprach;  denn  in  dem 
Bundesbrief  St.  Gallons  mit  Zürich,  Bern,  Luzern,  Schwyz,  Zug 
und  Glarus  vom  13.  Juni  1454  hiess  es  ausdrücklich:  „Wir,  die 
obgenanten  von  Santgallen,  noch  unser  nachkomen  söllent  uns 
ouch  zu  nieman,  weder  zu  herren  noch  zu  stetten  yetz  noch  in 
künf fügen  zitten  nit  verbinden  mit  deheinen  gelüpten  noch  eiden 
an  der  obgenanten  unser  Eidgnossen  von  Stetten  und  Lendern 
gemeinlichoderdesmerteils  under  inen  ratt,  gunst,  wissen 

und  willen "  •^) 

Es  war  klar,  dass  die  VII  altgläubigen  Orte  diesem  selbst- 
herrlichen Vorgehen  St.  Gallons  nicht  ruhig  zusehen  konnten. 
Auf  der  Luzerner  Tagsatzung  vom  8.  Dezember  wurde  von  dem 
bundeswidrigen  Verhalten  der  Stadt  Notiz  genommen  und  be- 
schlossen, auf  dem  Tag  zu  Baden  darauf  einzutreten ;  inzwischen 
wolle  man  von  den  Bünden  Einsicht  nehmen.  ') 


1)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  593  zu  ai-6. 

^)  Von  Bern  war  Crispinus  Fischer  anwesend. 

3)  Sabb.,  S.  297/298. 

4)  Sabb.,  S.  298  23-26. 

^)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  599  c;  wörtliche  Wiedergabe  des  Burgrechtsbriefes 
in  E.  A.,  IV,  la,  S.  1526/1527,  Beilage  8a. 

'^)  E.  A.,  II,  Beilage  35,  S.  878  ff. 

'')  E.  A.,  IV,  1  a,  607  d.  Welcher  Badenertag  damit  gemeint  war,  ist  nicht 
gesagt.  Der  Badener  Abschied  vom  14.  Dez.  enthält  nichts  über  diesen  Punkt. 
Die  Aussichtslosigkeit,  an  dem  Geschehenen  noch  etwas  ändern  zu  können,  mag 

St.  Galler  Mittlgn.  z.  vaterländ.  Gesch.  XXXIII.  4 


50 

Unterdessen  hatte  der  scharfe  religiöse  Gegensatz  auch  für 
die  St.  Galler  sehr  unangenehme  Folgen.  Als  der  St.  Galler  Peter 
Lienhart  sich  im  Oktober  in  Geschäften  nach  Luzern  begeben 
wollte,  wurde  er  zu  Rotenburg  von  sechs  Gesellen  im  Wirtshaus 
mit  Schmähungen  und  Drohungen  überschüttet,  besonders  als  sie 
vernahmen,  dass  er  der  Weberzunft  angehöre,  und  als  er  Tags  darauf 
seinen  Weg  nach  Luzern  fortsetzen  wollte,  liefen  sie  ihm  nach, 
banden  ihm  die  Füsse  zusammen  und  schleppten  ihn  „eben  wit", 
mit  dem  Kopf  gegen  den  Boden,  traten  ihn  mit  Füssen  und  stahlen 
ihm  seine  Barschaft  von  9  Gulden.  Darauf  nahmen  die  Missetäter 
Reissaus.  Lienhart  klagte,  als  er  nach  Luzern  kam,  beim  Schult- 
heissen,  bekam  aber  eine  „schlechte''  Antwort.^)  Doch  auch  auf 
St.  Gallischer  Seite  fehlte  es  an  Gewalttätigkeiten  nicht.  Zwischen 
dem  Münsterprediger  Adam  Moser  und  den  städtischen  Prä- 
dikanten  herrschte,  besonders  auch  von  den  Kanzeln  herab,  ein 
wüstes  religiöses  Gezanke.  Der  Abt  hatte  Moser,  der  sich  eines 
grossen  Ansehens  unter  den  Katholiken  ringsum  erfreute,  ge- 
schützt und  ihn  zum  Bleiben  in  St.  Gallen  bewogen.  Die  immer 
schwieriger  werdende  Stellung  am  Münster  veranlasste  aber 
schliesslich  den  Dekan  doch,  seinen  Posten  aufzugeben.  Er  ge- 
dachte nach  Wil  zu  gehen,  wurde  aber  unter  dem  Stadttore  am 
17.  November  auf  Befehl  der  städtischen  Obrigkeit  verhaftet  und 
am  18.  Dezember,-)  nachdem  der  Greis  einen  Monat  in  Haft  ge- 
legen, vor  den  Rat  beschieden.  Er  musste  widerrufen  und  —  eine 
harte  Demütigung  für  ihn  —  am  Weihnachtstag  in  der  St.  Lau- 
renzenkirche dies  öffentlich  bestätigen.  ')  Der  Widerruf  aber  des 
angesehenen  Dekans  scheint  der  katholischen  Religion  in  Stadt 
und  Umgebung  schwer  geschadet  zu  haben.  ^) 

Die  Lage  des  Stiftes  wurde  immer  unsicherer  und  gefähr- 
licher. Schon  im  August  1527  hatte  der  Abt,  da  er  sich  in  der 
Stadt  nicht  mehr  sicher  gefühlt,  seine  Residenz  nach  dem  gut- 
katholischen Wil  verlegt,  um  dann  Mitte  Oktober  1528  ins  Kloster 


wohl  die  katholischen  Orte  von  weiteren  nutzlosen  Verhandlungen  über  diesen 
Gegenstand  abgehalten  haben. 

^)  R.-P.  1528—1533,  S.  23,  Okt.  29. 

2)  Sabb.,  S.  29934  gibt  den  10.  Dez.  an. 

3)  A.-S.,  I,  2213 ;  Sabb.,  S.  298—300 ;  Sicher,  I,  S.  89—91 :  R.-P.  1528, 
S.  82. 

^)  Sicher,  I,  S.  91 15-19. 


51 

Korschach  überziisiedehi.  Er  wollte  sich  wohl  für  den  äussersten 
Notfall  die  Möghchkeit  einer  Flucht  über  den  See  offen  behalten ; 
denn  schon  hatten  auch  die  Fürstenlande,  wie  wir  noch  sehen 
werden,  sich  in  ihrer  Mehrheit  dem  neuen  Glauben  zugewandt.  Aber 
auch  zu  Rorschach  fand  der  schwerkranke  Mann  keine  Ruhe  vor 
seinen  Widersachern.  Das  eigenmächtige  Schalten  und  Walten 
der  Zürcher  und  Berner  in  seinen  üntertanengebieten,  die  drohende 
Haltung  seiner  eigenen  Untergebenen,  Kunde  von  geplanten  An- 
griffen auf  das  Rorschacher  „Kloster",  ^)  das  schon  erwähnte  Vor- 
gehen gegen  Moser  veranlassten  ihn,  sich  Februar  1529  in  das 
feste  Schloss  zu  Rorschach  zurückzuziehen.  -)  Der  Abt  fühlte, 
wie  sich  ein  schweres  Gewitter  über  ihm  und  seinem  Stifte  zu- 
sammenzog. Er  liess  darum,  was  er  an  „gelt,  silber,  gschier, 
brief ,  rödel"  zu  Rorschach,  Wil  und  St.  Gallen  besass,  heimlich 
in  Sicherheit  bringen.  •^)  Er  hatte  dazu  um  so  mehr  Grund,  als 
vom  Oktober  bis  Dezember  1528  eingezogene  Kundschaften  über 
Reden  St.  Galhscher  Bürger  höchst  bedenklich  lauteten.  Offen 
sprach  man  in  der  Stadt  davon,  dass  „es  uf  dem  stupf  gsin  sey", 
dass  man  ins  Kloster  eingebrochen  wäre.  Man  wolle,  hiess  eine 
andere  Kundschaft  aus  der  Stadt,  die  Mönche  im  Kloster  aufs 
Land  hinausschicken  zu  den  Gotteshausleuten  und  jedem  „ain 
küdreck  uf  die  blatten  schlachen",  damit  man  sie  nicht  kenne 
und  doch  sehe,  dass  es  Pfaffen  seien.  Auch  von  einer  Frau  aus 
der  Stadt,  die  sich  in  lästerlicher  Weise  über  die  Messe  äusserte, 
wusste  die  Kundschaft  zu  berichten.  Am  gefährlichsten  aber 
lautete,  dass  Bürgermeister  Rainsberg  in  seinem  Hause  erklärt 
habe,  es  hätten  nur  10  Hände  gefehlt  [im  Rate?],  so  wäre  man 
ins  Münster  eingebrochen  und  hätte  die  Mönche  verjagt.^)  Wie 
viel  Wahres  an  den  Kundschaften  war,  lassen  wir  dahingestellt. 


^)  Die  Gotteshausleute  hatten  ihm  wiederholt  gedroht,  das  , Kloster"  zu 
Rorschach  zu  stünneu  und  zu  verbrennen  (Sicher,  I,  S.  95/96).  Er  war  dieses 
Gebäude  kein  eigentliches  Kloster  mehr,  sondern  diente  —  Abt  Gotthard  hatte 
es,  nachdem  1489  die  halbfertigen  Klostergebäulichkeiten  zerstört  worden  waren, 
wieder  restaurieren  und  ausbauen  lassen  —  zu  Schulzwecken. 

^)  A.-S.,  II,  108 1.  Dann  begaben  sich  auf  Befehl  des  Abtes  fünf  ihm  treu- 
gebliebene Konventherren  aus  dem  Kloster  St.  Gallen  nach  Wil  und  von  da  im 
Frühjahr  1529  nach  Einsiedeln,  wo  seit  Aug.  1526  Ludwig  Blarer,  vorher  Dekan 
zu  St.  Gallen,  Abt  war.   (St.-A.,  Fasz.  13.) 

^)  Sicher,  I,  S.  96io-i5. 

4)  A.-S.,  I,  2226. 


52 

So  viel  geht  aber  aus  diesen  und  anderen  dem  Abt  über  die 
Stadt  zugestellten  Berichten  hervor,  dass  dort  der  Widerstand 
gegen  das  Stift  bereits  einen  revolutionären  Charakter  angenommen 
hatte,  der  sich  voraussichtlich  bei  weiterem  Vorgehen  gegen  das 
Gotteshaus  wenig  mehr  um  bestehendes  Recht  kümmern  würde. 
Das  zeigte  sich  denn  auch  in  deutlichster  Weise  bei  der  „Räumung" 
des  äbtischen  Münsters  durch  die  Stadt. 

Gründe  gab  es  allerdings  genug,  welche  dem  St.  Gallischen 
Rate  die  Entfernung  der  Bilder  aus  der  Klosterkirche  wünschens- 
wert erscheinen  Hessen.  Vor  allem  konnte,  solange  innerhalb 
der  Stadtmauern  katholischer  Gottesdienst  gehalten  wurde,  in 
diesen  intoleranten  Zeiten  die  reformierte  Stadt  nicht  zur  Ruhe 
kommen.  Ebenso  klar  ist  es  aber,  dass  ein  gutkatholischer  Abt 
von  St.  Gallen  nie  und  nimmer  freiwillig  auf  die  Messe  im  Münster 
daselbst  verzichten  konnte ;  er  hätte  sich  ja  damit  in  seinen 
eigenen  Augen  und  denen  der  katholischen  Schirmorte  selbst 
gerichtet.  Also  bheb,  wenn  St.  Gallen  bei  seinem  Vorsatze,  die 
Münsterkirche  zu  reformieren,  beharrte,  nur  die  Gewalt  in  mehr 
oder  weniger  verhüllter  Form  übrig.  Was  Kessler  ^)  als  Ent- 
schuldigungsgründe für  das  Vorgehen  seines  Rates  in  dieser  An- 
gelegenheit anführt,  der  Rat  habe  den  Abt  und  seine  Beamten 
vielfältig  aber  vergebens  ersucht,  den  Münsterprediger  anzuweisen, 
Bilder  und  Messe  mit  der  heiligen  Schrift  zu  begründen,  be- 
mäntelt den  gewalttätigen  und  rechtswidrigen  Schritt,  den  die 
Stadt  mit  der  Entfernung  der  Bilder  aus  der  Stiftskirche  tat, 
ebenso  schlecht,  wie  die  Gründe,  welche  der  Rat  am  5.  März  d.  J. 
den  Gesandten  von  Luzern,  Schwyz  und  Glarus  vorbrachte,  als 
diese  beim  Rate  wegen  des  damals  bereits  geschehenen  Bilder- 
sturms vorstellig  wurden.  ^) 

Zwei  mächtige  Faktoren  wirkten  zusammen,  um  die  Ent- 
fernung der  Bilder  aus  der  Klosterkirche  zu  beschleunigen. 
Einmal,  dass  Vadian  1529  wieder  das  Amt  eines  Bürgermeisters 
bekleidete;  vor  allem  aber,  dass  Ende  November  1528  der  neue 


1)  Sabb.,  S.  309  28if. 

-)  R.-P.  1529,  S.  55.  Neben  dem  von  Kessler  angeführten  Grunde  gipfelten 
die  Entschuldigungen  der  St.  Galler  darin :  der  Münsterprediger  habe  die  neue 
Lehre  gescholten,  der  Abt  ihn  nicht  abgestellt.  Die  Gotteshausleute  hätten 
rings  um  St.  Gallen  herum  die  Kirchen  ausgeräumt.  Das  Münster  sei  keine 
abgeschlossene  Kloster-,  sondern  eine  Leutkirche. 


53 

Schirmhauptmann,  ein  Zürcher,  aufgeritten  war.  So  war  die  be- 
freundete Limmatstadt  in  der  Lage,  ihre  Glaubensschwester  in 
nachdrückUchster  Weise  zu  unterstützen  und  damit  auch  ihre 
eigene  Sache  zu  fördern.  Es  war  wohl  nicht  zufällig,  dass  ge- 
rade der  Eatsherr  Jakob  Frei  von  Zürich  als  Schirmhauptmann 
in  die  Stiftslande  gesandt  wurde;  denn  Frei  war  ein  rücksichts- 
loser Draufgänger  und  energischer  Verfechter  evangelischer  Lehre 
und  schien  so  wohl  geeignet,  Zürichs  Hegemonie  in  der  Ostschweiz, 
wie  Zwingli  sie  anstrebte,  zu  verwirklichen.  Dementsprechend 
sollte  der  neue  Hauptmann  zwar  „nach  Inhalt  der  Briefe"  sein 
Amt  verwalten,  „immerhin  unter  Vorbehalt  des  göttlichen  Wortes 
und  der  Mandate  seiner  Herren''.^)  Es  ging  von  ihm  die  Rede, 
er  werde  mit  dem  Kloster  St.  Gallen  das  Gleiche  tun,  was  Zürich 
bereits  mit  seinen  Klöstern  getan.  -)  Frei  hat  auch  als  Schirm- 
hauptmann seine  Obrigkeit  durch  Ermahnungen,  die  er  seinen 
Schreiben  oft  beifügte,  fortwährend  zu  neuem  energischem  Vor- 
gehen gegen  den  Abt  und  dessen  Sache  angetrieben.  ^)  Rechnen 
wir  dazu  den  durch  den  neuen  Hauptmannschaftsvertrag  vom 
11.  Juni  1490  mächtig  vermehrten  Einfluss  der  Schirmorte  auf 
die  Abtei,  welcher  den  Schirmhauptraann  zu  einer  Art  Landvogt 
im  Fürstenland  machte,  so  erkennen  wir  die  grosse  Bedeutung, 
welche  die  Wahl  Freis  für  den  Gang  der  Dinge  in  den  äbtischen 
Landen  haben  musste. 

So  kam  denn  auch  nicht  gar  lange  nach  seinem  Aufritt  eine 
der  schwerwiegendsten,  aber  zugleich  brennendsten  Fragen  in 
Fluss:  die  Entfernung  der  Bilder  aus  der  Münsterkirche  zu 
St.  Gallen.  Ende  Januar  1529  erschien  nämlich  eine  St.  Galhsche 
Gesandtschaft  in  Zürich,  um  dem  dortigen  Rat  die  kirchlichen 
Verhältnisse  ihrer  Stadt,  besonders  in  bezug  auf  das  Stift,  aus- 
einanderzusetzen. In  einer  den  Boten  mitgegebenen  Instruktion  ^) 
suchte  St.  Gallen  zu  beweisen,  dass  das  Münster  keine  abge- 
sonderte Kirche  sei,  wie  man  behaupte,  sondern  eine  offene 
Leutkirche.    Noch  verg-ang-ene  Weihnacht  seien  zahlreiche  Per- 


1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  603  zu  e^'. 

2j  A.-S.,  I,  2074. 

3)  Siehe  z.  Beisp.  A.-S.,  II,  74,  249,  341,  358,  450,  939,  1143,  1172, 
1237;  III,  480,  1173  etc. 

*)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  14(1).  Mit  Strickler  glauben  wir,  dass  das  Akten- 
stück chronologisch  hierher  gehört. 


54 

sonen  „hinauf"  gewandert  und  sei  ihnen  dort  die  Beichte  ab- 
genommen und  das  Sakrament  gegeben  worden.  Nun  aber,  da 
man  die  Messe  dort  gerne  beseitigen  möchte,  wolle  der  Abt  das 
Münster  für  eine  „abgesonderte"  Klosterkirche  halten,  während 
doch  der  grössere  Teil  der  „Götzerei"  im  Münster  von  den  Städtern 
bezahlt  worden  sei  und  die  Stadt  auch  den  Baumeister  für  die 
Kirche  zu  ernennen  habe,  zudem  die  Schlüssel  zum  Kirchenschatz 
besitze.  Der  Rat  wolle  darum  im  Namen  der  Kirchgenossen  des 
Münsters  die  „manigf altige  abgötterei"  daselbst  beseitigen  lassen, 
entweder  durch  Abt  und  Konvent  oder  durch  eigene,  dazu  ver- 
ordnete Leute.  Zum  Schluss  hiess  es  noch,  Bürgermeister  und 
Rat  würden  im  übrigen  nicht  in  die  Verwaltung  des  Gotteshauses 
eingreifen,  sondern  Abt  und  Konvent  vor  Gewalt  und  Drohungen 
schützen.  Bei  dem  allem  rechne  man  auf  die  Zustimmung  des 
Konvents.  Daraufhin  richtete  Zwingli  noch  am  27.  Januar  an 
Vadian  die  Anfrage,  ob  die  St.  Galler  wünschten,  dass  Zürich 
zugunsten  ihrer  Stadt  an  den  Abt  schriebe ;  man  sei  in  Zürich 
auch  gerne  bereit,  eine  Botschaft  an  den  Prälaten  zu  senden, 
wäre  auch  wohl  einverstanden,  dass  Bern  beigezogen  würde.  ') 
Am  nächsten  Tage  befahl  der  Zürcher  Rat  seinem  Schirmhaupt- 
mann in  einem  ausführlichen  Schreiben,  sich  mit  St.  Gallen  in 
dessen  religiösen  Angelegenheiten  ins  Einvernehmen  zu  setzen,  -) 
und  am  darauffolgenden  Tag  schrieb  Zwingli  an  Vadian :  Frei  habe 
Befehl,  ., alles"  mit  Beirat  der  Herren  von  St,  Gallen  vorzunehmen; 
es  sei  nunmehr  nötig,  in  der  Angelegenheit  ernstlich  zu  handeln, 
doch  so,  dass  niemand  über  frevles  Vorgehen  klagen  könne.  ^) 
Am  2.  Februar  trat  eine  eidgenössische  Tagsatzung  in  Baden 
zusammen,  und  Vadian  benutzte  als  Gesandter  St.  Gallens  die 
Gelegenheit,  um  sich  dort  im  Schosse  der  evangelischen  Städte 
über  den  Abt  zu  beklagen,  der  noch  mehr  Messe  halte  als  früher  etc. 
Man  müsse  annehmen,  dass  es  der  Stadt  zuleide  geschehe,  und 
so  seien  Unruhen  unter  den  Bürgern  zu  besorgen ;  er  bitte  die 
Städte  um  Rat.   Diese  schrieben  darauf  an  St.  Gallen,  was  Vadian 


^)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  14(2).  Man  beachte  die  Randbemerkung  Zwingiis  zu 
dem  Vorschlage,  Bern  beizuziehen  r  „ Hoc  consilium  mihi  raaximeprobatur;  ardua 
enim  satis  est  res,  non  propter  se  ipsam,  sed  propter  eum,  quocum  agitur.  Hoc 
meum  est  consilium." 

2)  A.-S.,  n,  46. 

3)  A.-S.,  II,  48;  St.  Galler  Mitteil.  III,  S.  213. 


55 

vorgebracht,  sei  so  schwerwiegend,  dass  die  Tagherren  nicht  von 
sich  aus  handeln,  sondern  erst  ihre  Obern  anfragen  wollten;  man 
ersuche  die  Stadt,  unterdessen  nichts  Tätliches  vorzunehmen.  ^) 
Und  während  noch  am  2.  Februar  Zwingli  an  Vadian  schrieb,  die 
,,Heimlichen"  begehrten,  dass  mit  der  bisher  bewiesenen  Treue  in 
Sachen  der  „göttlichen  Wahrheit"  gehandelt  werde,  -)  riet  Bern 
der  Stadt  St.  Gallen  entschieden  ab,  gegen  das  Münster  Gewalt 
zu  brauchen;  sie  habe  da  dem  Abt  nichts  zu  gebieten,  und  laut 
Burgrecht  der  Städte  dürfte  kein  Mitglied  jemanden  zum  Glauben 
zwingen;  man  solle  auf  dem  Rechtswege  bleiben.-^)  Die  Mahnung 
wirkte :  St.  Gallen  versprach  in  seinem  Antwortschreiben,  nicht 
zur  Gewalt  zu  greifen,  fügte  aber  bei,  die  Abschaffung  der  „Ab- 
götterei" im  Münster  sei  aus  mancherlei  Gründen  notwendig; 
man  werde  darum  Bern  und  Zürich  über  die  kirchlichen  Ver- 
hältnisse in  der  Stadt  genauen  schriftlichen  Bericht  geben.  ^) 
Unterdessen  hatte  Bern,  um  St.  Gallen  seine  Geneigtheit  zu  be- 
weisen und  das  Äusserste  zu  verhindern,  am  10.  Februar  an  den 
Abt  geschrieben,  dass  im  Münster  zu  St.  Gallen  mehr  Messe  ge- 
halten und  mehr  geläutet  werde  als  früher;  da  man  darüber  in 
der  Stadt  unwillig  sei,  so  solle  der  Abt,  wenn  er  die  evangeHsche 
Lehre  „noch  nicht"  annehmen  wolle,  wenigstens  die  päpstlichen 
Zeremonien  nicht  mehr  als  bisher  ausüben;  man  bitte  dringend, 
diese  Mahnung  zu  beherzigen,  damit  niemand  verursacht  werde, 
etwas  zu  tun,  was  christlicher  Liebe  nicht  entspreche.  ^)  Das 
Gleiche  bezweckte  eine  Botschaft  von  Zürich,  die  Mitte  Februar 
an  Abt  und  Konvent  geschickt  wurde.  Daneben  aber  hatte  Zürich 
den  Gesandten  befohlen,  den  St.  Gallern  zum  freundhchsten  zu 
raten,  sie  möchten  in  Anbetracht  der  schwierigen  Zeiten  nicht 
gewalttätig  gegen  das  Kloster  vorgehen,  da  hierdurch  das  gött- 
liche Wort  mehr  gemindert  als  gemehrt  würde.  *^)  Diese  Botschaft 
verhandelte  vom  18. — 20.  Februar  mit  der  Stadt  St.  Gallen  in  der 
äbtischen  Angelegenheit.  Entsprechend  der  oben  genannten  In- 
struktion sollten  die  Boten  die  Sache  auf   friedlichem  Wege  zu 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  19  a. 

2)  A.-S.,  II,  57;  St.  Galler  Mitteil.  III,  S.  213  f. 

3)  A.-S.,  II,  79,  11.  Februar. 
^)  A.-S.,  II,  90. 

^)  St.-A.,  Fasz.  13.  Orig. 
6)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  24  1. 


56 

erledigen  suchen,  was  ihnen  aber  schlecht  gelang,  wie  das  Schreiben 
zeigt,  das  St.  Gallen  am  19.  Februar  an  Zürich  schickte.  Es  er- 
suchte darin  die  Zürcher  Obrigkeit  um  weitere  Vollmachten  für 
deren  zu  St.  Gallen  befindliche  Gesandte,  da  es  entschlossen  sei, 
mit  ihrer  Hilfe  eine  Instruktion  über  das  Begehren  und  Anliegen 
der  Stadt  zu  verfassen  und  Zürich  zur  Prüfung  mitzuteilen;  in 
der  Schrift  solle  stehen,  dass  man,  wenn  Abt  oder  Konvent  dem 
freundlichen  Gesuche  der  Stadt  nicht  entsprächen,  die  „Ab- 
götterei" nicht  weiter  dulden,  sondern  abstellen  werde;  des 
Abtes  Untreue  liege  klar  am  Tage,  und  die  Gemeinde  sei  etwas 
hitzig  und  sehr  unruhig;  durch  die  Beseitigung  der  Bilder  aber 
würde  Beruhigung  eintreten,  und  die  Obrigkeit  könnte  so  besser 
auf  ihre  Angehörigen  und  Kirchgenossen  zählen,  falls,  was  Gott 
verhüte,  die   „Widerwärtigen"  Krieg  anfangen  sollten.  ^) 

Diese  gespannte  Lage  in  St.  Gallen  entsprach  derjenigen  in 
der  ganzen  Eidgenossenschaft  überhaupt.  Hier  hatte  sich  bis  zum 
Jahre  1529  eine  mächtige  neugläubige  Partei  gebildet,  welcher 
drei  der  bedeutendsten  eidgenössischen  Stände,  Zürich,  Bern  und 
Basel,  angehörten  und  Schaffhausen,  Appenzell  und  Glarus  offen 
zuneigten.  Die  Gegensätze  gestalteten  sich  immer  unversöhn- 
licher; denn,  hielten  die  Katholiken  schroff  am  Alten,  namentlich 
den  kirchlichen  Überlieferungen  fest,  so  traten  die  Anhänger 
Zwingiis  um  so  entschiedener  für  die  religiöse  und  politische 
Reform  ein.  Die  Leidenschaften  hatten  sich  auf  diese  Weise 
schon  derart  erhitzt,  dass  der  Ausbruch  eines  Bürgerkrieges  vor 
der  Türe  stand.  Deshalb  suchten  sich  beide  Parteien  durch  Sonder- 
bündnisse für  den  bevorstehenden  Kampf  zu  stärken.  Es  ent- 
standen die  früher  erwähnten  „christlichen  Burgrechte"  der  Refor- 
mierten, während  die  V  Orte,  wie  wir  sehen  werden,  am  22.  April 
1529  zu  Waldshut  ein  Verteidigungs- und  Angriffsbündnis  mit  Öster- 
reich, dem  alten  Erbfeind  der  Eidgenossenschaft,  abschlössen,  und 
einige  Monate  später  der  offene  Bruch  zwischen  alt-  und  neugläu- 
bigen Eidgenossen  erfolgte.   Es  kam  zum  ersten  Kappelerkriege. 

Unter  diesen  Umständen  machte  man  sich  in  Zürich  offenbar 
.immer  mehr  damit  vertraut,  in  der  St.  Galler  Klosterangelegen- 
heit Gewalt  vor  Recht  ergehen  zu  lassen.  Ein  Gutachten,  viel- 
leicht unmittelbar  auf  obiges   Schreiben  hin  von  Bürgermeister 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  28(2). 


57 

Röist  und  den  Obristzunftmeistern  verfasst,  zeigt  uns  das  sehr 
deutlich.  Von  drei  Anträgen  dieser  Kommission  lautete  einer: 
St.  Gallen  solle  in  diesen  schwierigen  Zeiten  „keine  Veränderung" 
vornehmen;  der  zweite:  St.  Gallen  möge  vom  Abt  um  der  Ruhe 
und  des  Friedens  willen  unverzügliche  Abstellung  der  „Götzerei" 
fordern;  schlage  der  geistliche  Herr  das  ab,  so  solle  es  selbst 
das  Münster  „räumen".  Der  dritte  nahm  eine  Art  Mittelstellung 
zwischen  diesen  beiden  Vorschlägen  ein  und  besagte:  Zürich  sei 
gegen  gewalttätiges  Vorgehen,  und  zwar  erstens  wegen  der  Sprüche 
und  Verträge  zwischen  Stadt  und  Abt,  zweitens  weil  der  Abt 
und  die  Gotteshausleute  noch  andere  Schirmherren  als  Zürich 
hätten,  drittens,  weil  von  Glarus  noch  kein  Bescheid  gekommen; 
wolle  aber,  hiess  der  schwerwiegende  Nachsatz,  St.  Gallen  nach 
seinem  eigenen  Gutdünken  verfahren,  so  werde  Zürich  das  Beste 
dazu  reden  und  im  Notfall  Leib  und  Gut  für  St.  Gallen  einsetzen.  ^) 
Gemäss  diesem  letzten  Vorschlage  wurde  am  22.  Februar  an 
St.  Gallen  geschrieben,  -)  und  das  gab  dort  den  Ausschlag,  wie 
eine  Notiz  des  St.  Galler  Ratsbuches  vom  23".  Februar  1529  aus- 
drücklich sagt.  ^)  Am  Morgen  dieses  Tages  fasste  der  Rat  auch 
die  endgültigen  Beschlüsse  über  die  Räumung  des  Münsters :  ^) 
„1.  das  man  uff  hüttigen  tag  anfahen  unnd  die  abgöttery,  gützen 
[Götzen],  tafeln  unnd   altaren  im  mönster  dannen  tun  soll. 

2.  Item  das  man,  so  lang  untz  man  damit  grech  sye,  das  Brültor 
zutun  unnd  die  übrigen  tor  nemlich  yedes  mit  4  mann  in 
harnasch  (besetzen)  unnd  2  wachter  uff  das  mönster  unnd 
S.  Lorentzenturm  (legen),  och  uff  den  gang  uff  der  ringkmur 
zw[ischen]  Müllertor  und  der  port  (acht)  haben  soll. 

3.  Item  das  man  den  mönchen  sagen  soll,  das  (sy)  die  kelch,  erütz, 
altartücher,  lü[ch]ter  unnd  anders  an  gelegne  ort  verwaren 
soll[en],  och  das  haltum  lassen  ston  in  mass,  wie  das  yetz  ist, 
unnd  inen  sagen,  das  sy  sorg  dartzü  haben  sollend,  das  nüt 
veraberwandlet  werd,  oder  man  wurds  zu  inen  suchen; 
wölten  sys  nit  tun,  wurd  man  sölhs  dem  buwmeister  be- 
felhen  unnd  in  den  capellen  alle  ding  in  die  sacristyen  tun 
und  nüt  ufbrechen,  weder  trog  noch  anders. 


0  A.-S.,  II,  115. 

2)  Ibid. 

=*)  R.-P.  1529,  S.  50. 

^)  R.-P.  1529,  S.  50—51. 


58 

4.  Sind  verordnet  solhs  zu  f  ersehen  und  volstrecken  ain  b(urger)- 
m(aister),  die  6  zunftmaister,  sampt  denen  die  dartzü  ver- 
ordnend, unnd  sol  niemand  dartzü  gon,  denn  der  dartzü  ver- 
ordnett  sind,  und  niemand  nüt  hinweg  trag,  weder  klins  noch 
gross,  die  götzen  zerschitten  und  uff  den  Brül  füren  und 
verbrennen;  was  von  Hsten,  on  götzen,  im  brespiterium  sind, 
lassen  ston  unnd  behalten. 

5.  Das  ain  burgermaister  und  etlich  ret  sollichs  dem  techan 
und  convent  verkonden  unnd  sich  protestieren,  das  man 
sollichs  uff  recht  ^)  und  uss  krafft  götlichs  wort  tun  und 
sunst  inen  an  lib  und  gut  kain  schmach  und  schaden  zu- 
fügen wolle." 

Auf  ein  Glockenzeichen  sollte  dann,  wie  Kessler  erzählt,-) 
nach  dem  „imisessen"  jeder  Grossrat  zwei  Bürger  mitnehmen  und 
ins  Münster  hinaufgehen,  um  da  auszuführen,  was  man  befehle. 
Durch  diesen  Anschlag  sollten  die  Mönche  verhindert  werden, 
noch  rechtzeitig  die  Bilder  in  Sicherheit  zu  bringen,  um  sie  etwa 
bei  günstiger  Gelegenheit  wieder  hervorzuholen. 

Um  12  Uhr  mittags  erschien  eine  Ratsbotschaft  im  Kloster 
bei  Dekan  und  Konvent.  Vadian  setzte  ihnen  „mit  inmischung 
vil  süsser  worten"  auseinander,  dass  ihr  Gottesdienst  dem  „gött- 
lichen Wort"  widerstrebe  und  „unnütz"  sei,  sich  auch  mit  der 
heiligen  Schrift  nicht  beweisen  lasse.  Er  bitte  sie  darum,  dass 
man  die  „piltnussenn  unnd  götzery,  dessglichenn  die  altär"  in 
schonendster  Weise  aus  dem  Münster  entfernen  dürfe. 

Sehr  erschrocken  schickten  darauf  die  Mönche  zum  Hof- 
meister und  dem  Stiftshauptmann,  antworteten  auch  einhellig, 
dass  sie  die  Bitte  Vadians  „zumm  höchstenn  befrömbdte",  be- 
sonders da  der  Abt  noch  „bi  guter  vernunfft"  sei,  ohne  den  sie 
auf  das  Begehren  nicht  eingehen  könnten ;  doch  würden  sie  es 
auch  nicht  tun,  wenn  sie  von  sich  aus  in  der  Sache  handeln 
dürften.  Sie  hofften,  dass  die  St.  Galler  „als  gut  nachpurnn" 
von  ihrem  Verlangen  abstehen  würden.    Doch  die  Gesandten  der 


•)  Was  auf  einem  Rechtstage  in  der  Angelegenheit  herauskommen  würde, 
wenn  die  Stadt  bereits  das  Münster  ausgeräumt  hatte,  Hess  sich  leicht  vorstellen ! 

^)  Sabb.,  S.  310 10.  Über  den  folgenden  Bildersturm  siehe  neben  Sabb., 
S.  309  ff.,  hauptsächlich  auch  Beilage  III,  der  zahlreiche  Angaben  für  meine 
Darstellung  entnommen  sind. 


59 

Stadt  erwiderten,  sie  hätten  erwartet,  dass  die  Mönche  ihr  Be- 
gehren niclit  abschlagen  würden,  da  dasselbe  ja  nur  zum  Vorteil 
des  Gotteshauses  gestellt  worden  sei,  damit  ihm  „nit  onversechen 
ettwas  wyters  schadenn  zustund" ;  deshalb  müssten  sie  auf  dem 
gestellten  Begehren  verharren,  da  zudem  der  Rat  genau  wisse, 
dass  der  Abt  so  schwer  krank  sei,  „das  er  sich  semhcher  unnd 
derglichenn  handlungen  nit  mer  belüd".  Nochmals  baten  die  Kon- 
ventherren, die  Forderung  St.  Gallens  an  den  Abt  bringen  zu 
dürfen,  der  ja  noch  geistig  ungebrochen  sei,  und  wollten  dies 
unverzüglich  tun.  Doch  darauf  erklärten  die  St.  Galler  Boten, 
ihre  Obrigkeit  sei  entschlossen,  die  Räumung  des  Münsters  auch 
gegen  den  Willen  des  Konvents  vorzunehmen.  Vergebens  ent- 
gegnete dieser,  dass  die  Stadt  dazu  gar  kein  Recht  habe,  wofür 
man  Briefe  und  Siegel  vorlegen  könnte,  und  schlug  dann,  weil 
er  damit  nichts  ausrichtete,  der  Stadt  auch  im  Namen  des  Abtes 
Recht  vor,  und  zwar  vor  dem  Papst,  Kaiser  Karl,  König  Ferdinand, 
Gemeinen  Eidgenossen  und  vor  allem  vor  den  Schirmorten  des 
Stiftes,  doch  ohne   dass   die  Gegner  darauf  eingegangen  wären. 

Unterdessen  hatte  aber  die  Stadtbevölkerung  von  dem  Plane 
der  Obrigkeit,  das  Münster  zu  räumen,  Kunde  erhalten,  und  es 
war  „schon  ain  grosse  zal  volcks  mit  irmm  werchzüg  unnd  In- 
strumenten" ins  Münster  geströmt,  um  beim  ersten  Zeichen  über 
die  Bilder  herzufallen.  Als  der  Konvent  davon  erfuhr,  bat  er, 
man  möge  ihm  wenigstens  gestatten,  die  Bilder,  „Tafeln"  und 
anderes  selbst  aus  dem  Münster  zu  entfernen.  Doch  umsonst. 
Vergebens  trat  auch  der  Dekan  Otmar  Glutz  vor  und  beklagte 
sich  hoch  vor  den  Gesandten,  dass  man  den  Konventualen  nicht 
einmal  Zeit  lassen  wolle,  den  Abt  in  dieser  für  ihn  so  wichtigen 
Angelegenheit  zu  befragen. 

Es  wurde  ihm  erwidert,  der  Abt  habe  wegen  seiner  Krank- 
heit die  Herrschaft  über  das  Stift  nicht  mehr  geführt,  sondern 
sich  ihrer  „entladen'^  Darum  habe  man  sich  an  den  Konvent 
gewandt.  Auch  habe  der  Abt  sich  geweigert,  auf  die  mehrmaligen 
Bitten  der  Stadt  einzugehen  und  zu  beweisen,  dass  Bilder  und 
Messe  in  der  heiligen  Schrift  „begründet"  seien.  Laut  Sprüchen 
und  Verträgen  sei  das  Münster  eine  offene  Leutkirche.  Tue  die 
Stadt  die  „Götzen"  nicht  aus  der  Kirche,  so  habe  der  Konvent 
von  der  unruhigen  Stadtbevölkerung  Schlimmes  zu  befürchten; 
das  wolle  die  Obrigkeit  nicht  und  werde  darum  die  Sache  jetzt 


60 

selbst  an  die  Hand  nehmen ;  man  sei  gern  erbötig,  auf  einem 
Rechtstage  die  Tat  zu  verantworten. 

Darauf  ging  man  ans  Werk.  Im  Münsterchor  erklärte  v.  Watt 
der  Menge,  dass  der  Rat  beschlossen,  noch  heute  „das  gegen- 
würtig  götzenwerk"  zu  entfernen  und  zu  verbrennen.  Er  hatte 
kaum  ausgeredet,  als  die  Zerstörungsarbeit  begann.  Innerhalb 
2^/2  ^)  Stunden  war  das  Werk  vollbracht,  das  Münster  geräumt. 
Manch  wertvolles  Kunststück  ging  dabei  zugrunde.  Sicher  be- 
rechnet den  Schaden  auf  mehr  als  16,000  GL;  denn  der  Bilder- 
sturm dehnte  sich  auch  auf  „al  capellen  um  das  Münster  ligend" 
aus.  -)  40  ^)  Wagen  voll  zerstörter  „hölzerner  Götzen"  wurden 
auf  den  Brühl  ^)  geführt  und  dort  verbrannt.  Was  aus  Stein  war, 
verwandte  man  zu  Mauerwerk.  Am  folgenden  Tage  entfernte 
man  noch  etwa  33  Altäre  aus  dem  Münster.  Dagegen  war  es 
zur  grossen  Freude  der  Altgläubigen  den  Mönchen  gelungen,  die 
Gebeine  des  heiligen  Otmar'')  und  ebenso  diejenigen  des  heiligen 
Notker  *')  zu  retten.  Aber  mochten  auch  die  städtischen  Abgeord- 
neten „ernstlich  ufsechen,  damit  nünt  unbefolchens  zerbrochen 
und  das  notwendig  zerbrochen  hinweg  ab  den  ogen  und  uss  den 
füssen  behend  abgefertiget  wurde",  den  Katholiken  musste  und 
muss  doch  dieser  Bildersturm  als  ein  „grauenvoller"  ')  erscheinen. 
Am  7.  März  hielt  Dominikus  Zili  den  ersten  reformierten  Gottes- 
dienst im  Münster. -)  Bei  3000  Personen  wohnten  der  Predigt  bei.-') 

Schon  am  24.  Februar  berichtete  St.  Gallen  das  Geschehene 
an  Zürich,  indem  es  ausdrücklich  bemerkte,  dass  man  die  Tat 
gewagt  habe  auf  seine  tröstlichen  Zusagen  hin.  ^^)  Die  Zürcher 
Regierung  erklärte  sich  darauf  in  ihrem  Antwortschreiben  mit 
dem  Vorgehen  der  St.  Galler  einverstanden  und  schrieb  auch, 
man  werde  die  Stadt  in  der  Klosterangelegenheit  nicht  verlassen; 


^)  Miles,  S.  338  (66)  1  gibt  2  Stunden  an. 

2)  Vad.,  II,  S.  41140. 

3)  Vad.,  II,  S.  41 1 44,  nennt  46  Fuder ;  Miles,  S.  338 (66)7 ,  sagt  46  „karen " . 
■*)  Zum  Kloster  gehöriges  Wiesenland  ausserhalb  der  Stadtmauern. 

-^)  Sicher,  I,  S.  94;  Sabb.,  S.  313i7-:u. 

*■')  Sabb.,  S.  313  31-32. 

')  Handbuch  der  Schweiz. -Gesch.  v.  Jos.  Hürbin,  11.  Lieferung,  S.  152. 

8)  Sabb.,  S.  313  39-43. 

9)  Miles,  S.  338(66)15-17 ;  Vad.,  II,  S.  412  20-21,  spricht  von  mehr  als  4000. 
^^)  A.-S.,  II,  132.  Das  Gleiche  wird  auch  im  St.  Galler  Ratsprotokoll  vom 

23.  Feb.  1529  (S.  50)  ungefähr  gesagt. 


61 

nur  solle  bestmöglich  jeder  Aufruhr  von  selten  der  Bürger  ver- 
mieden werden.  ^)  Aber  die  übrigen  Schirmorte,  vor  allem  Luzern 
und  Schwyz,  waren  nicht  gewillt,  das  gewalttätige  Vorgehen  unbe- 
anstandet zu  lassen.  Schon  am  2.  März  schrieb  Hauptmann  Frei 
an  seine  Obern,  an  diesem  Tage  seien  Boten  von  Luzern  und 
Schwyz  bei  ihm  zu  Wil  gewesen,  welche  vorgebracht,  sie  hätten 
etwas  mit  ihm  zu  reden,  möchten  aber  noch  die  Gesandten 
von  Glarus  erwarten ;  sollten  diese  Boten  ihm  etwas  zumuten, 
das  gegen  das  „göttliche  Wort  und  Zürich"  gehe,  so  werde  er 
erklären,  er  wolle  tun,  was  ihm  die  IV  Orte  befehlen  würden.  -) 
Am  folgenden  Tage  erschienen  denn  die  Glarner  Gesandten  in 
Wil,  und  Schwyz  und  Luzern  gedachten  nun  die  Verhandlungen 
zu  eröffnen,  da  bereits  auch  der  Dekan  und  zwei  Mönche  aus 
St.  Gallen  eingetroffen  waren.  •^)  Der  erstere  erzählte  im  Auftrag  des 
Konventes  die  Einzelheiten  des  Bildersturmes  vom  23.  Februar 
im  Münster.  Als  darauf  der  Hauptmann  gefragt  wurde,  warum 
er  dem  Treiben  nicht  Einhalt  und  im  Namen  der  Schirmorte  Recht 
geboten  habe,  erklärte  er:  die  Stadt  St.  Gallen  hätte  zuerst  das 
Recht  vorgeschlagen ;  ein  Gleiches  zu  tun,  habe  er  daraufhin  für 
unnötig  gehalten  und  glaube,  dies  vor  Gott  und  der  Welt  ver- 
antworten zu  können.  Die  Abtischen  forderten  nun  die  IH  Schirm- 
orte auf,  den  allen  Verträgen  zuwiderlaufenden  Frevel  der  St.  Galler 
zu  bestrafen.  Die  Boten  wollten  auch  auf  den  Fall  näher  eintreten ; 
aber  Frei  erklärte,  dass  Zürich  auch  dabei  sein  müsse.  Vergebens 
suchten  die  Tagherren  ihn  zu  bewegen,  an  den  Verhandlungen 
im  Namen  Zürichs  teilzunehmen,  da  dieses,  weil  es  den  Schirm- 
hauptmann im  Stift  habe,  nicht  selbst  eingeladen  worden  sei, 
wie  das  in  ähnlichen  Fällen  immer  so  gehalten  werde.  Frei  er- 
klärte, nichts  hinter  seinen  Herren  handeln  zu  wollen ;  er  danke 
für  die  Ehre,  die  man  ihm  erweisen  wolle,  in  dem  wichtigen 
Handel  mitraten  zu  dürfen;  doch  werde  er,  wenn  Zürich  ihm  Voll- 
macht erteile,  gern  mithelfen,  die  Angelegenheit  zum  Austrag 
zu  bringen.  Die  Gesandten  der  HI  Orte  hielten  es  daraufhin  für 
das  Beste,  nach  St.  Gallen  zu  reiten,  um  dort  persönlich  den  Tat- 
bestand festzustellen.     Von   dem  Vorgefallenen   benachrichtigte 


1)  A.-S.,  II,  134,  25.  Februar. 
2)E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  40  zu  a(l). 
^)  Sabb.,  S.  31 3. 33-34. 


62 

Frei  noch  am  gleichen  Tag  ^)  seine  Oberen  und  teilte  am  folgenden 
ungefähr  dasselbe  den  St.  Gallern  mit,  indem  er  noch  beifügte, 
der  eine  der  Glarner  Boten,  Vogt  Schiesser,  habe  ihm  vertraulich 
eröffnet,  sie  hätten  keinen  Befehl  zum  Handeln,  sondern  sollten  nur 
das  Beste  zur  Sache  reden;  Schiesser  habe  ihn  auch  versichert, 
nur  ein  Vierteil  der  Ratsraitglieder  habe  die  Glarner  Gesandtschaft 
abgeordnet,  und  Glarus  werde  in  der  Sache  nichts  anderes  tun  als 
Zürich,  -) 

Am  5.  März  erschienen  die  Gesandten  der  III  Schirmorte  zu 
St.  Gallen  —  von  Luzern  Am  Ort,  von  Schwyz  Sonnenberg,  von 
Glarus  Schiesser  und  Tschudi  —  und  erklärten  vor  dem  Rat,  auf 
ein  Schreiben  des  Abtes  hin  hätten  ihre  Obern  sie  hierhergeschickt, 
um  die  Ursache  zu  erfahren,  warum  man  so  wider  Sprüche  und 
Verträge  im  Münster  gehandelt  habe.  Die  St.  Galler  Obrigkeit 
dankte  daraufhin  den  Gesandten  sehr,  dass  die  III  Orte  nicht 
einfach  dem  hitzigen  Schreiben  des  Abtes  geglaubt,  sondern  auch 
die  Gegenpartei  hören  wollten.  Folgendes  seien  die  Ursachen 
zu  dem  Bildersturm  gewesen:  Die  städtische  Obrigkeit  habe  ein 
Reforraationsmandat  ergehen  lassen,  aber  vergebens  den  Abt 
ersucht,  seine  Geistlichen  zur  Disputation  mit  den  städtischen 
Prädikanten  zu  bewegen,  die  von  den  äbtischen  Geistlichen  ge- 
schmäht worden  seien;  als  ein  Diebstahl  im  Münster  vorgefallen, 
habe  Dr.  Wendelin  indirekt  die  St.  Galler  für  die  Schuldigen  er- 
klärt; das  Münster  sei  eine  offene  Kirche,  und  St.  Gallen  habe 
für  sie  den  Baumeister  zu  ernennen ;  in  der  Stadt  sei  wegen 
der  Messe  im  Münster  die  Bevölkerung  unruhig  geworden,  be- 
sonders da  man  die  Kirchen  in  der  Nachbarschaft  „geräumt" 
habe  etc.  Die  Gesandten  der  III  Orte  erklärten  darauf,  diese 
Antwort  an  ihre  Obern  bringen  zu  wollen  und  baten  nur,  die 
Mönche  im  Kloster  ruhig  zu  lassen  und  keinen  Prädikanten  ins 
Münster  zu  setzen.  Das  erstere  gestanden  die  St.  Galler  zu.  Sie 
erklärten  auch,  die  Mönche  sollten  ihre  Einkünfte  weiter  beziehen, 
und  man  habe  ihnen  freien  Wandel  zugesagt,  doch  dass  sie 
„beschaidner  worte  sigen".  Weiter  äusserten  sie :  wenn  einer  im 
Münster  predige,   der  von   seiner  Lehre  Rechenschaft  gebe,  so 


^)  A.-S.,  II,   133.    Das  fettgedruckte  Datum  bei  Strickler  ist  falsch.    Es 
sollte  statt  24.  Feb.  beissen  3.  März. 

2)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  40  zu  a.   4.  März:  Frei  an  St.  Gallen. 


63 

würde  ihn  die  Stadt  gerne  sehen ;  sonst  aber  werde  man  einen 
andern  „hinauf"  tun.  ')    Und  dabei  blieb  es. 

Mit  der  Räumung  des  Münsters  war  die  Reformation  in  der 
Stadt  St.  Gallen  zu  einem  gewissen  Abschluss  gelangt:  Messe 
und  Bilder  waren  aus  den  Stadtmauern  verbannt.  Es  ist  der 
letzte  bedeutende  Fortschritt,  den  die  Reformation  in  der  Stadt 
zu  Lebzeiten  des  Abtes  Franz  und  vor  dem  Amtsantritt  des 
Abtes  Kilian  machte.  Unter  der  Führung  Vadians  und  Zwingiis 
war  die  neue  Geistesrichtung  an  der  Steinach  zum  völligen  Siege 
gelangt,  und  schon  war  durch  den  Bildersturm  auch  das  Zentrum 
der  äbtischen  Herrschaft  selbst  schwer  erschüttert. 

Inzwischen  hatte  sich  die  Reformation  auch  in  den  Stifts- 
landen aussrebreitet. 


1)  R.-P.  1529,  März  5.  (S.  55—57),  vgl.  oben  S.  52,  Anm.  2. 


64 


II.  Kapitel. 

Die  Reformation  im  St.  Gallischen  Fürstenland  bis  zum 
Antritt  Abt  Kilians. 

Wir  haben  oben  versucht  darzulegen,  wie  bis  Ende  1525  die 
Bewegung  bei  den  Untergebenen  des  Abtes  von  St.  Gallen  einen 
ganz  vorwiegend  sozialen  oder  sozialpolitischen  Charakter  trug, 
und  dass  der  religiöse  Reformgedanke  bis  zu  dem  genannten 
Zeitpunkt  durchaus  im  Hintergrund  stand.  Aber  die  Keime  der 
Reformation  waren  auch  hier  schon  lange  vorhanden.  Ihre  immer 
stärkere  Entwicklung  hängt  zusammen  mit  den  Fortschritten  der 
neuen  Lehre  in  St.  Gallen.  Wir  dürfen  wohl  annehmen,  dass  vor 
allem  von  dieser  Stadt  aus  die  Reformation  sich  in  der  alten 
Landschaft  verbreitet  habe,  gehörten  doch  z.  B.  Straubenzell, 
Tablat  und  Wittenbach  zum  Kirchsprengel  der  St.  Laurenzen- 
kirche, so  dass  in  sehr  natürlicher  Weise  die  neuen  religiösen 
Gedanken  und  Ideen  sich  den  übrigen  Gemeinden  des  Gottes- 
hauses mitteilten  und  je  nach  dem  Erfolg  der  neuen  Richtung 
in  der  Stadt  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  im  Fürstenland 
die  neue  Lehre  mehr  oder  weniger  rasch  Boden  fassen  musste. 
Doch  dürfen  wir  von  Anfang  an  auch  Zürichs  Einfluss  auf  die 
Bewegung  daselbst  nicht  gering  anschlagen,  und  zwar  nicht  bloss 
seit  Ende  1528,  als  Jakob  Frei  Stiftshauptmann  wurde.  Zwingli 
wird  wohl  sehr  früh  die  äbtischen  Untertanen  als  geeignetes 
Objekt  für  seine  meisterhaft  betriebene  religiöse  Propaganda  be- 
trachtet haben.  Wenn  Zürich  den  äbtischen  Bauern  soziale  und 
politische  Besserstellung  versprach,  so  waren  wohl  die  meisten 
unter  ihnen  für  die  neue  Lehre  zu  gewinnen,  und  wir  können 
wirklich  verfolgen,  wie  mit  dem  ersten  kräftigeren  Auftreten  der 
Reformation  in  Zürich  und  St.  Gallen  auch  in  der  Gotteshaus- 
landschaft der  neue  Glaube  eindringt. 

Im  Januar  1523  hatte  in  Zürich  die  entscheidende  erste  Dis- 
putation stattgefunden ;  im  gleichen  Jahre  machte  die  neue  Lehre 
in  der  Stadt  St.  Gallen  kräftige  Fortschritte,  und  schon  am  3.  März 


65 

dieses  Jahres  klagt  der  Abt  in  einem  Schreiben  an  Liizern  über 
den  bei  seinen  Untertanen  vorhandenen  Missglauben:  durch  etliche 
Priester  seien  Unruhen  im  Untertanengebiete  veranlasst  worden. 
Auch  gedruckte  Büchlein,  „die  dann  in  der  luterischen  handlung 
jetzo  emborschweben",  wären  daran  schuld.  Er  suche  nach 
Kräften  zu  verhindern,  dass  der  gemeine  Mann  sich  darein  ver- 
tiefe. Zu  seiner  Unterstützung  habe  er  den  von  Luzern  gesetzten 
Schirmhauptmann  Jost  Köchlin  nach  St.  Gallen  berufen  und  bitte, 
ihm  für  diesen  Handel  besondere  Vollmacht  zu  erteilen. ') 

Ein  Jahr  später  erhalten  wir  wieder  eine  kurze  Notiz  über 
den  Stand  der  Reformation  in  den  Stiftslanden.  Auf  einem  Tage 
zu  Luzern  im  Mai  1  ö24  klagte  der  Abt  unter  anderem  neuerdings 
durch  seinen  Kanzler,  dass  die  lutherischen  Religionsneuerungen 
in  der  Landschaft  des  Gotteshauses  „um  St.  Gallen  herum" 
sich  deutlich  zu  zeigen  anfingen.  -) 

Der  Abt  hatte  seine  guten  Gründe,  auf  die  religiöse  Bewegung 
in  seinen  Landen  aufmerksam  zu  sein;  halfen  doch  auch  Gottes- 
hausleute dazu,  dass  der  Rat  der  Stadt  im  November  1524  einen 
den  Laienpredigten  förderlichen  Beschluss  fasste.-')  Diese  wohl- 
erkennbare, stetig  wachsende  Annäherung  seiner  Landschaft  an 
das  ketzerische  St.  Gallen  musste  auch  für  den  katholischen  Glauben 
seiner  Untertanen  eine  immer  grössere  Gefahr  bilden,  und  es  konnte 
darum  diese  Haltung  der  Gotteshausleute  dem  Abt  durchaus  nicht 
gleichgültig  sein,  ganz  abgesehen  von  etwaigen  politischen  Folgen. 
Um  der  umsichgreifenden  Bewegung  aber  erfolgreich  entgegen- 
treten zu  können  und  gegen  die  Stadt  einen  Rückhalt  zu  haben, 
suchte  Abt  Franz  sich  wenigstens  der  Mehrheit  der  eidgenössischen 
Orte  zu  versichern.  Anfangs  September  1524  Hess  er  deshalb  auf 
der  Tagsatzung  zu  Baden  durch  seinen  Rat  Ludwig  von  Helms- 
dorf anzeigen,  dass  er  mit  Leib  und  Gut  zu  den  Eidgenossen 
halten  wolle,  hinwiederum  ihnen  sein  Gotteshaus  bestens  empfehle.^) 

Das  Jahr  1525  hatte,  wie  wir  oben  gesehen,  die  ganze  sozial- 
politische Bewegung  unter  den  Stiftsbauern  gebracht.  Wir  haben 
darauf  hingewiesen,  wie  gefährlich  diese  Bauernaufstände  unter 
dem  Einfluss  der  neuen  religiösen  Ideen  geworden  waren.    Nur 

1)  A.-S.,  I.,  565. 

^)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  178  p 2. 

3)  R.-P.  1524,  fol.  97  a.;  vgl.  oben  S.  25. 

•^)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  207  u. 

St.  Galler  Mittlgn.  z.  vaterläml.  Gesch.  XXXIII.  5 


66 

die  Furcht  vor  dem  damals  noch  in  der  Schweiz  dominierenden 
Kathohzismus  hatte  die  rebellischen  Untertanen  des  Abtes  ver- 
hindert, auch  die  religiöse  Reform  zu  verlangen :  sie  begnügten 
sich,  soziale  Forderungen  zu  stellen.  Jener  grosse  Rechtstag 
zwischen  Abt  und  Untertanen  zu  Rapperswil  im  Juli  1525  warf 
jedoch  ein  grelles  Streiflicht  auf  die  religiösen  Verhältnisse  in 
den  Stiftslanden.  Die  zur  Pfalz  in  St.  Gallen  gehörenden  Ge- 
meinden, unter  ihnen  Waldkirch,  Rorschach  und  Gossau,  stellten 
nämlich  gleich  zu  Beginn  der  Verhandlungen  an  den  Abt  die 
Frage,  ob  er  sie  bei  dem  heiligen  Gotteswort,  dem  Evangelium, 
der  heiligen  Schrift  und  der  göttlichen  Wahrheit  bleiben  lassen 
und  mit  ihnen  darnach  leben  wolle.  In  geschickter  Weise 
drückte  Franz  sein  Befremden  darüber  aus,  da  er  nicht  hierher 
gekommen,  um  über  geistliche  Dinge  und  den  christlichen  Glauben 
zu  disputieren,  wie  denn  auch  im  Löramiswiler-Programm  ^)  von 
religiösen  Dingen  nicht  die  Rede  war.  Daraufhin  liessen  die 
Gotteshausleute  die  gestellte  Frage  wieder  fallen.  -)  Gemässigter, 
aber  sehr  bezeichnend,  äusserten  sich  in  dieser  Sache  die  Ge- 
meinden, welche  zur  Pfalz  in  Wil  gehörten.  Rickenbach,  Ober- 
büren  etc. :  bis  auf  eine  habe  der  Abt  alle  Pfarreien  bei  ihnen 
zu  verleihen,  erklärten  sie. ;  die  Gemeinden  seien  aber  schlecht 
versehen,  da  die  Pfarrer  ,,ganz  ungleich"  predigten;  einige  Geist- 
liche hätten  erklärt,  sie  dürften  die  Wahrheit  und  das  Gotteswort 
nicht  „lauter''  verkünden ;  es  sei  darum  ihre  Bitte,  dass  der  Abt 
oder  die  IV  Schirmorte  diesen  misslichen  Zuständen  ein  Ende 
machten.  Der  Abt  gab  ihnen  darauf  die  gleiche  Antwort  wie  den 
zur  Pfalz  in  St.  Gallen  gehörenden  Gemeinden :  er  sei  nicht  für 
geistliche  Dinge  erschienen.  •^) 

Wir  ersehen  aus  diesen  Verhandlungen,  wie  mächtig  die 
Reformation  Mitte  1525  schon  bei  den  Stiftsbauern  Fuss  gefasst 
hatte,  aber  auch,  wie  ablehnend  der  Abt  sich  verhielt.  Und  er 
war  entschlossen,  dabei  zu  verharren.  Im  November  dieses  Jahres 
wurde  der  Leutpriester  von  Oberbüren,  Christoph  Landenberger, 
auf  ein  Mandat  von  neun  Orten  ^)  wegen  Schmähreden  auf  den 


1)  Siehe  oben,  S.  8. 

2)  E.  A.,  IV,  1  a,  S.  707. 

3)  E.  A.,  IV,  la,  S.  727  1. 

^)  S.  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  319  zu  s. 


67 

Katholizismus  ^)  verhaftet,  nach  Luzern  geführt  und  an  Leib  und 
Gut  schwer  geschädigt.  -)  Bezeichnenderweise  hatte  man  ihn  aber 
zur  Bestrafung  wegführen  müssen,  um  einen  Aufruhr  unter  den 
Gotteshausleuten  zu  vermeiden.  Mandate  von  Luzern  und  Glarus 
und  ein  im  Namen  der  katholischen  Orte  Anfang  November  er- 
lassenes teilten  den  Gotteshausleuten  die  angeordnete  Verhaftung 
des  Priesters  mit  und  forderten  sie  auf,  der  Gefangennahme  keine 
Hindernisse  in  den  Weg  zu  legen.  •')  Doch  die  drei  kathohschen 
Schirmorte  sahen  sich  schon  zu  Beginn  des  Jahres  1526  zu  weiteren 
Schritten  genötigt.  Von  Ein  siedeln  aus  erliessen  sie,  am  1.  März, 
zwei  scharfe  Mandate.  Das  eine  untersagte  den  Gotteshausleuten 
den  Genuss  von  Fleisch  und  anderen  verbotenen  Speisen  in  der 
Fastenzeit;  wer  bemerke,  hiess  es  in  der  Verordnung,  wie  einer 
in  der  Fastenzeit  Vieh  oder  andere  verbotene  Dinge  nach  Konstanz, 
St.  Gallen  oder  anderswohin  führe,  habe  das  Recht,  ihm  die  Ware 
wegzunehmen.  Im  zweiten  Erlass  wird  den  Gotteshausleuten  ver- 
kündet, der  Schirmhauptmann  des  Stiftes,  Melchior  Tegen  von 
Schwyz,  habe  Befehl,  jeden,  Weib  oder  Mann,  der  sich  ketzerischer 
Handlung  schuldig  mache,  zu  verhaften,  sofern  der  Fehlbare  sich 
auf  dem  Boden  des  Gotteshauses  befinde;  jedermann  solle  dem 
Hauptmann  dabei  helfen.*)  Ganz  im  Sinne  dieser  beiden  Erlasse 
folgte  am  IL  März,  und  zwar  auf  Befehl  der  drei  kathohschen 
Schirmorte,  ein  solcher  von  selten  des  Fürstabtes  Franz.  Es 
wurde  darin  den  Gotteshausleuten  auch  verboten,  verdeutschte 
Testamente  zu  besitzen.  ^')  Die  Lage  verschhmmerte  sich  aber  so, 
dass  Schwyz  auf  einem  Tage  zu  Einsiedeln  im  April  des  Jahres 
wegen  „ungeschickter  Vorgänge"  in  der  Gotteshauslandschaft  und 
anderswo  um  getreues  Aufsehen  bat.  ") 

Mit  dem  Fortschritt  der  Reformation  begannen  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Jahres  Ib'ii^  die  Zehntenverweigerungen  aufs  neue: 
der  Abt  hatte  im  August  auf  den  Tagsatzungen  zu  Luzern  und 
Baden  über  Gaiserwald,  Abtwil,  Junkartswil  zu  klagen,  weil  diese 
Gemeinden  ihm  die  schuldigen  Abgaben  nicht  entrichteten.  Darauf 


1)  A.-S.,  I,  1308. 

2)  A.-S.,  I,  1976. 

■')  A.-S.,  1308a;  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  319  zu  s. 

^)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  348  zu  bb. 

^)  Sabb.,  S.  210  23-28. 

«)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  357  i. 


68 

wurde  am  24.  August  von  drei  Schirmorten  (ohne  Zürich)  be- 
schlossen, er  dürfe,  wenn  jemand  sich  weigere,  Zehnten  zu  geben, 
die  Güter  oder  Feldfrüchte  des  Säumigen  mit  Beschlag  belegen, 
bis  seiner  Forderung  Genüge  geleistet  sei.  0 

Nun  aber  griff  Zürich  zugunsten  der  Neugläubigen  in  der 
Landschaft  des  Gotteshauses  kräftig  ein.  Als  eine  Botschaft  von 
Waldkirch  um  Schutz  in  religiösen  Dingen  ersuchte  und  erklärte, 
die  Waldkircher  seien  im  übrigen  bereit,  dem  Abt  zu  leisten, 
was  sie  schuldig  seien,  verfasste  zu  Anfang  Februar  1527  Zwingli 
ein  Gutachten  in  der  Angelegenheit.  Er  empfahl  darin  seiner 
Obrigkeit,  die  Waldkircher  bei  ihrem  neuen  Glauben  zu  schützen, 
sofern  sie,  wie  versprochen,  in  weltlichen  Dingen  dem  Abt  Genüge 
leisteten.  -)  Das  war  auch  die  Absicht  der  Zürcher  Regierung.  ■') 
Sie  beklagte  sich  deshalb  schon  am  4.  Februar  bei  Fürstabt  Franz, 
dass  er  den  Waldkirchern  verboten,  eine  Gemeinde  darüber  zu 
halten,  ob  man  beim  alten  Glauben  bleiben  wolle  oder  nicht;  die 
Bilder  und  Götzen  seien  Gott  widerwärtig  und  in  der  heiligen 
Schrift  nicht  begründet;  der  Abt  möge  seine  Untertanen  in 
Glaubenssachen  frei  entscheiden  lassen.  Zugleich  griff  sie  in  dem 
Schreiben   auch   jenes  Mandat  des  Abtes  vom  März  1526   an.  0 

Diese  offene  Parteinahme  Zürichs  für  die  neugläubigen  Gottes- 
hausleute trug  für  den  Abt  bald  die  bedenklichsten  Früchte,  Schon 
Ende  Februar  1527  klagte  der  Gesandte  des  Abtes  auf  dem  Tage 
zu  Einsiedeln  über  Aufruhr  in  der  Gemeinde  Waldkirch  und  über 
gotteslästerliche  Reden  eines  Bauern  zu  Utzwil.  Noch  viele  andere, 
fügte  er  bei,  hätten  sich  unchristlich  über  die  Messe  geäussert; 
ja,  der  Stiftshauptmann  lasse  durch  ihn  klagen,  dass  man  sich 
um  seine  Befehle  nichts  mehr  künunere.'^)  Die  Folge  war  zunächst 
eine  scharfe  Zuschrift  von  Luzern,  Schwyz  und  Glarus  an  Wald- 
kirch: die  Waldkircher  sollten  ihr  ,,türkisch  fürnemen"  aufgeben 
und  die  Bilder  in  ihrer  Kirche  lassen.  Möge  Waldkirch  auch  bei 
Zürich  in  seinem  Vorgehen  gegen  die  Messe  Gefallen  finden:  sie, 
die  drei  Orte,   seien   noch  des   alten  Glaubens  und  würden  jede 


1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  383  r,  Nr.  392  u. 

^)  A.-S.,  I,  1635. 

'^)  E.  A.,  IV,  1  a,  S.  1057,  Nr.  421  zu  t(2). 

•^)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  421  zu  t(i). 

•-•)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  421s. 


69 

Bilderstürmerei,  wo  sie  zu  gebieten  hätten,  hart  zu  strafen  wissen. 
Darnach  möchten  sich  die  Waldkircher  richten. ') 

Aber  der  Geist  des  Widerstandes  nahm  in  den  Stiftslanden 
nicht  ab.  Der  Abt  hatte  sich  anfangs  Mai  1527  wieder  über  Zehnten- 
verweigerungen und  zwar  von  seiten  Abtwils-)  und  Junkartswils 
zu  beschweren ;  im  Juli  desselben  Jahres  musste  er  zu  Baden  die 
Klagen  über  die  beiden  Gemeinden  wiederholen  ^),  und  der  Wider- 
stand der  Gotteshausleute  gegen  den  Abt  zog  unter  dem  Schutze 
Zürichs  immer  weitere  Kreise.  Leute  von  Zuzwil  zeigten  sich 
widerspenstig  gegen  Verordnungen,  welche,  wie  üblich,  auf  den 
Kirchweihen  und  Versammlungen  bekannt  gemacht  wurden.  ^) 
Erst  als  die  drei  Orte  auf  einem  besonderen  Tage'')  dagegen 
Stellung  nahmen,  gab  Zuzwil  nach  und  versprach,  die  Übeltäter 
zu  bestrafen. 

Noch  im  gleichen  Monat  Mai  fand,  wie  oben  erwähnt,  das 
St.  Galler  Schützenfest  statt.  Die  Gotteshausleute  benutzten  die 
günstige  Gelegenheit,  Zürich  ihr  Wohlwollen  und  Zutrauen  zu 
beweisen.  Vierhundert  bewaffnete  Gotteshausleute  aus  Rorschach, 
Waldkirch,  Gossau,  Goldach,  Straubenzell,  Lömmiswil  und  Tablat 
—  bezeichnenderweise  alles  Gemeinden,  die  zur  Pfalz  in  St.  Gallen 
gehörten  —  erschienen  während  des  Festes,  und  ihr  Sprecher, 
der  hochbejahrte  Ammann  von  Lömmiswil,  „Fuchs"  Gerster,  *^) 
schenkte  der  Stadt  Zürich  „als  des  gotshus  trüwem  kastenvogt" 
im  Namen  der  genannten  Gemeinden  „ainen  schönen,  schweren 
ochssen"  mit  der  Bitte,  dass  die  Zürcher  sich  die  Gotteshausleute 
„allweg  bevolhen"  sein  lassen  möchten.  Das  versprachen  denn 
auch  die  Gesandten  Zürichs  im  Namen  ihrer  Obern  gerne  und 
nahmen  hocherfreut  die  Gabe  an.  An  dem  „Bankett'",  das  daraufhin 
zu  Ehren  der  Gotteshausleute  stattfand,  beteiligten  sich  mehr  als 
tausend  Personen.  Die  Zürcher  schenkten  den  Gesandten  der  alten 
Landschaft  10  Gulden  und  Hessen  den  Ochsen  sofort  nach  Zürich 
führen,  um  den  Stiftsleuten  zu  beweisen,  wie  angenehm  ihr  Ge- 


1)  E.  A.,  IV,  1  a.  421  zu  t{3). 
-)  E.  A.,  lY,  1  a,  433  t. 
3)  E.  A.,  IV,  la,  4621. 
■*)  E.  A.,  IV,  la,  442  X  (3). 
'")  E.  A.,  IV.  la,  446;  Wil  1.527,  25.  Mai. 

^)  Es  ist  der  Gleiche,  den  wir  1489/90  an  der  Spitze  der  aufständischen 
Gotteshausleute  sahen  (s.  oben). 


70 

schenk  gewesen  sei. ')  Der  Abt  aber  hatte  begreifUcherweise  keine 
Freude  an  dem  Geschehenen ;  er  miisste  fürchten,  die  Zürcher 
und  Gotteshausleute  möchten  „zu  gütt  fründ"  werden.  ^) 

Das  kommende  Jahr  1528  belehrte  Abt  Franz,  dass  er  nicht 
zu  schwarz  gesehen  hatte.  Doch  war  er  nicht  der  Mann,  klein 
beizugeben.  Als  der  uns  bekannte  Pfarrer  von  Oberbüren,  Christoph 
Landenberger,  seiner  reformatorischen  Überzeugung  wieder  allzu 
deutlichen  Ausdruck  gab.  Hess  er  ihn  am  23.  April  1528  vor  sich 
rufen,  und  nachdem  der  Pfarrer  ihm  und  seinen  Räten  Rede  und 
Antwort  gestanden  wegen  seines  Glaubens,  erklärte  der  geistliche 
Herr,  er  habe  noch  mehr  solcher  Pfaffen  in  seinen  hohen  und 
niederen  Gerichten;  wenn  diese  und  Landenberger  von  ihrem 
neuen  Glauben  nicht  abstünden,  so  werde  er  sie  vor  Hochgericht 
stellen;  entsage  dagegen  Landenberger  dem  neuen  Glauben,  so 
werde  er  vielleicht  davon  Vorteile  haben.  Sonst  aber  würde  sein 
geistlicher  Herr  mit  Hilfe  des  Bischofs  von  Konstanz  und  der 
drei  Schirmorte  Luzern,  Schwyz  und  Glarus  „witer  lügen;  denn 
er  welle  beschirmen  unsern  alten  waren  cristenlichen  glouben, 
so  fer  und  es  im  müglich  sige".  Als  der  genannte  Pfarrer  Zürich 
von  dem  Geschehenen  in  einem  ausführlichen  Schreiben  in  Kenntnis 
setzte  und  um  Rat  und  Hilfe  bat,-)  benützte  dieses  die  Gelegen- 
heit, um  fünf  Tage  später  in  einer  langen  ernstlichen  Zuschrift 
an  den  Abt  sich  energisch  für  die  neugläubigen  Gotteshausleute 
zu  verwenden :  Zürich  sei  das  „fürnemist"  unter  den  IV  Schirm- 
orten und  werde,  wenn  der  Abt  nicht  imstande  sei,  zu  beweisen, 
dass  die  neue  Lehre  falsch  sei,  nicht  dulden,  dass  er  die  evan- 
gelischen Gotteshausleute  —  es  möchten  Laien  oder  Kleriker  sein  — 
wegen  ihres  Glaubens  „pinlich"  oder  „bürgerlich''  bestrafe;  es  lasse 
sich  auch  nicht  aus  seiner  Stellung  als  Schirmort  drängen;  wenn 
der  Abt  Strafen  wegen  des  Glaubens  verhängen  wollte  und  es 
von  den  Gotteshausleuten  insgemein  oder  von  einzelnen  Personen 
deshalb  um  Hilfe  angerufen  würde,  müsste  es  „uss  dem  geheiss 
gottes  und  in  vermög  unser  verwandtnuss"  den  Bedrängten  Hilfe 
und  Beistand  leisten ;  dagegen  erbiete  es  sich,  in  weltlichen 
Dingen  die  Untertanen  des  Abtes  zum  Gehorsam  zu  weisen,  wo 
das  nötig  sei.    Abt  Franz  gab  darauf  ausweichende  Antwort:  er 


')  T.  Schiess,  Gselleuschiessen  (Beitr.  z.  St.  Gall.  Gesch.),  S.  29 — 33. 

2)  Sabb.,  S.  254  28-29. 

=^)  A.-S.,  T,  1976,  1.  Mai  1528. 


71 

habe  nicht  genügend  Räte  bei  sich,  könne  auch  in  der  Eile  nicht 
über  alles,  was  man  ihm  vorgeworfen,  Antwort  geben,  werde  sich 
aber  die  Sache  überlegen  und  dann  antworten  in  einer,  wie  er 
hoffe,  Zürich  nicht  missfälligen  Weise.  Der  Brief  an  den  Abt 
hatte  grosses  Aufsehen  erregt  und  wurde  im  Mai  zu  Luzern  in 
den  Abschied  genommen,  damit  man  auf  dem  nächsten  Tage 
darüber  Antwort  gebe.  Durch  seine  rücksichtslose  Unterstützung 
der  Neugläubigen  hatte  Zürich  auch  den  Stiftshauptmann  vor  den 
Kopf  gestossen.  Er  beklagte  sich  bitter  bei  Glarus,  dass  die  Stadt 
Beschwerden  von  Gotteshausleuten,  die  er  im  Namen  des  Abtes 
bestraft  habe.  Gehör  schenke;  er  wünsche,  dass  er  in  Zukunft 
nicht  derart  „verunglimpft,  verachtet  und  verschupft"  werde.  ^) 
Zürich  musste  darum  vor  allem  darauf  achten,  dass  es  einen 
zweiten  Schirmort  —  in  Betracht  kam  nur  Glarus  —  auf  seine 
Seite  brachte.  Dem  entspricht  eine  Stelle  im  Gutachten,  das 
Zwingli,  wahrscheinlich  im  Juni  d.  J.,  für  die  evangelischen  Glarner 
abfasste :  sie  sollten  in  ihrem  Lande  durchsetzen,  dass  Glarus 
Zürich  darin  unterstütze,  dass  in  den  gemeinen  Vogteien  —  auch 
das  Fürstenland  war  ja  etwas  derartiges  —  dem  Evangelium  keine 
Hindernisse  in  den  Weg  gelegt  würden.  ^)  Doch  darüber  verging 
noch  einige  Zeit.  Zürich  verharrte  aber  inzwischen  in  seiner 
schroffen  Haltung  gegenüber  dem  Abt.  Unter  dem  11.  Juli  be- 
schwerte es  sich  schriftlich  bei  ihm  über  Gewalttätigkeiten  äbti- 
scher Beamten  gegen  Stiftsbauern  und  darüber,  dass  den  Gottes- 
hausleuten verboten  worden  sei,  Gemeinden  zu  halten  für  ihre 
Angelegenheiten;  das  geschehe  offenbar  aus  Hass  gegen  den 
neuen  Glauben,  sei  aber  gegen  die  Verträge.  Wie  im  Schreiben 
vom  6.  Mai  war  am  Schlüsse  dieser  Missive  die  Drohung  bei- 
gefügt: man  werde  den  Gotteshausleuten  auf  ihr  Anrufen  den 
nötigen  Beistand  nicht  versagen  können.  Wieder  gab  der  Abt  in 
seiner  Antwort  einen  ausweichenden  Bescheid,^)  brachte  dann 
aber  die  Sache  auf  dem  Einsiedlertag  [20.  Juli  ff.]  zur  Sprache 
und  fand  dort  geneigtes  Gehör,  *)  so  dass  er  am  23.  d.  M.  in 
ziemlich  scharfem  Ton  an  Zürich  schreiben  konnte :  er  bedaure, 
dass  die  Stadt  einem  jeden  glaube,  der  ihr  nachlaufe  und  über 


1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  538  p  und  dazu  Note  i-3. 

-)  A.-S.,  I,  2033. 

•')  E.  A,,  IV,  1  a,  559  zu  c  :;  und  4;  St.-A.,  Pasc.  13,  Orig.  (10.  Juli). 

'j  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  559c. 


72 

ihn  Klage  führe ;  Zürich  möge,  bevor  es  solchen  Anklagen  Gehör 
schenke,  die  Handlungen  des  Hauptmanns  und  der  Räte  des  Abtes 
besser  in  Erfahrung  bringen;  er  selbst  werde  dann  auf  be- 
rechtigte Vorstellungen  hin  tun,  was  recht  und  billig  sei.  Zürich 
verzichtete  darauf,  zu  antworten.  Man  wolle,  ist  a  tergo  bemerkt, 
die  Sache  bei  diesem  Schreiben  des  Prälaten  bewenden  lassen; 
kämen  aber  weitere  Klagen,  so  würde  man  handeln  nach  Gestalt 
der  Sache.  Auf  dem  Burgrechtstag  zu  Zürich  brachten  dann 
Zürich  und  Bern  vor,  wie  die  beiden  Städte,  besonders  erstere, 
von  den  Gotteshausleuten  zu  St.  Gallen  und  andern  Untertanen 
aufs  dringendste  gebeten  worden  seien,  sie  bei  dem  „göttlichen 
Wort"  zu  schützen.  Doch  in  Anbetracht  der  schwierigen  Zeit- 
umstände, und  besonders  weil  Glarus  sich  noch  nicht  entschieden 
zugunsten  der  Reformation  ausgesprochen,  was  aber  wohl  bald 
eintreten  würde,  beschlossen  die  Burgrechtsorte,  die  nächste 
Tagung  abzuwarten ;  unterdessen  solle  jede  der  Burgrechtsstädte 
darüber  nachdenken,  wie  man  den  Hilfesuchenden  beistehen  könnte; 
vor  allem  sei  gegen  die  strenge  Bestrafung  der  Untertanen  wegen 
Entfernung  der  Bilder  aus  den  Kirchen  und  wegen  ähnhcher  Hand- 
lungen Abhülfe  zu  suchen.  ^) 

Indessen  schritt  die  Ausbreitung  des  neuen  Glaubens  im 
Untertanengebiet  des  Abtes  vorwärts.  Im  September  des  Jahres 
baten  die  neugläubigen  Rorschacher  die  Zürcher,  ihnen  zur  Ein- 
führung der  Reformation  in  ihrer  Gemeinde  behülflich  zu  sein, 
und  Zürich  unterstützte  diese  Bitte  auf  Wunsch  der  Petenten 
durch  ein  Schreiben  an  den  Abt,  obwohl,  wie  es  in  der  Missive 
an  denselben  bemerkte,  solche  Empfehlungen  für  die  Gotteshaus- 
leute bisher  noch  wenig  gefruchtet  hätten.-)  Als  darauf  der  Prälat 
die  Rorschacher  zur  Verantwortung  nach  Baden  forderte,  riet 
Zürich  deren  Botschaft,  dort  nicht  zu  erscheinen  und  sich  damit 
zu  entschuldigen,  dass  die  IV  Schirmorte  des  Stiftes  ihre  alleinigen 
Schirmherren  seien.  Man  erklärte  auch  den  Gesandten.  Zürich 
werde  Rorschach  nicht  verlassen.'')  Noch  am  gleichen  Tage  fasste 
die  Stadt  den  Beschluss,  diejenigen  gemeinen  Vogteien,  welche 
evangelisch  gesinnt  seien,  bei  ihrem  Glauben  zu  schützen,  und 
verkündete   dies,  unterstützt  von  Bern,  noch   im  September  den 


1)  Vgl.  A.-S.,  I,  2053  ;  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  568  b. 

2)  A.-S.,  I,  2100  (17.  Sept.). 

3)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  579a,  Zürich,  26.  Sept.;  A.-S.,  I,  2106. 


73 

Tagherren  von  Baden.  Dies  rief  unter  den  anwesenden  katholischen 
Gesandten  begreifücherweise  grosse  Aufregung  hervor,  so  dass 
Basel,  Schaffhausen  und  Appenzell  die  Vermittlung  zwischen  den 
hadernden  Parteien  übernehmen  mussten.  ^  Zürich  hielt  aber  an 
seinem  Beschluss  fest  und  wollte  nur  ein  Recht  der  Mehrheit  der 
Orte  in  weltlichen  Dingen  gelten  lassen.  Für  die  Ausbreitung 
des  neuen  Glaubens  in  der  alten  Landschaft  war  das  von  grösster 
Bedeutung.  -)  Noch  am  28.  September  wurde  von  Zürich  eine 
Botschaft  nach  Wil  abgefertigt,  die  den  dortigen  Schultheissen 
und  Rat  zu  ersuchen  hatte,  den  Neugläubigen  im  Städtchen  auf 
deren  eigene  Kosten  einen  Prädikanten  zu  bewilligen.  Darauf  sollte 
die  Gesandtschaft  vor  den  Abt  treten  und  ihn  zum  dringendsten 
ersuchen,  dies  nicht  zu  hindern  und  auch  seinen  Amtsleuten  dem- 
entsprechende  Befehle  zu  geben;  man  habe  den  neugläubigen 
Wilern  mit  Leib  und  Gut  zu  helfen  versprochen. ')  Die  Lage  war 
für  den  geistlichen  Herrn  bereits  eine  so  unerquickliche  ge- 
worden, dass  Zürich  im  Oktober  die  Kunde  erhielt,  der  Prälat 
rüste  sich  „treffenlich"  mit  Munition  und  Büchsen,  habe  auch  ins 
Rorschacher  Schloss  vier  Kanonen  und  zwei  Fässer  voll  Pulver 
geschickt,  welche  über  den  See  gebracht  worden  seien.  Zürich 
fasste  dieses  Gerücht,  in  anbetracht  der  äusserst  gespannten  Lage 
in  der  Eidgenossenschaft, ')  höchst  ernst  auf  und  schickte  deshalb 
einen  besonderen  Boten  an  den  Abt  mit  einem  vom  19.  Oktober 
datierten  Schreiben.  In  diesem  verlangte  es  klare  Antwort  dar- 
über, gegen  wen  die  Rüstungen  des  Abtes  betrieben  würden: 
,,dann  sölt  das  uns  nit  entteckt,  werden  wir  doch  sunst  sovil  ernst 
und  flisses  inn  den  dingen  bruchen  und  uns  nüdzit  beduren  lassenn, 
damit  wir  ü(wer)  g(naden)  gefarlicher  anschleg  und  prattiken  be- 
richt  erapf achint".  •^)  Es  lag  umsomehr  Grund  vor,  gegen  den  Abt 
misstrauisch  zu  sein,  da  er,  neben  dem  Grafen  von  Sulz  und  dem 
Herrn  von  Ems,  Österreich  zum  Kriege  gegen  die  reformierten 
Schweizer  drängen  wollte.  Ja,  Abt  Franz  und  der  Bischof  von 
Konstanz  hatten  sich  anerboten,  einen  Teil  des  Kriegsvolkes,  das 

1)  E.  A..  IV,  1  a.  Nr.  580  c  und  Note  zu  c. 

-0  S.  Sicher,  I.  S.  87  5-22. 

»)  E.  A.,  IV,  1  a,  580  zu  as. 

^)  S.  A.-S..  L  2134,  2142,  2153. 

'")  St.-A.,  Bd.  302.  S.  388  (Orig.) ;  A.-S..  I,  2121. 


74 

den  V  Orten  zu  Hilfe  gesandt  werden  sollte,  auf  ihre  Kosten  zu 
besolden.  ') 

Der  Abt  zeigte  sich  aber  in  seinem  Antwortschreiben  sehr 
entrüstet  über  die  Verdächtigung  Zürichs.  Er  habe  wahrlich  weder 
Büchsen  noch  Pulver  etc.  zu  einer  Rüstung  bestellt  und  bisher 
sein  Möghchstes  getan,  was  zur  Ruhe  und  zum  Frieden  in  der 
Eidgenossenschaft  dienen  könne,  habe  auch  seinen  Boten  auf  den 
nächsten  Badener  Tag  dementsprechende  Instruktionen  gegeben ; 
er  bitte  Zürich,  in  Zukunft  den  Klagen  gegen  ihn  nicht  einfach 
Glauben  zu  schenken,  sondern  ihn  zuerst  anzuhören,  und  hoffe,  sich 
dann  genügend  verantworten  zu  können.-)  Doch  ein  Schreiben  der 
neugläubigen  Rorschacher  vom  21.  Oktober  hatte  indes  die  Kunde 
von  Rüstungen  des  Abtes,  wenigstens  für  das  Schloss  Rorschach. 
bestätigt.  In  dem  gleichen  Schreiben-')  teilten  sie  mit,  wie  ihnen 
der  Abt  bei  30  Pfund  Strafe  verboten,  einen  Prädikanten  anzu- 
stellen; sie  seien  aber  entschlossen,  sich  nicht  daran  zu  kehren, 
trotzdem  sie  auch  der  Stiftshauptmann  auf  versammelter  Gemeinde 
dringend  gebeten,  für  einmal  „stillzustehen''.  Der  Diakon  der 
St.  Laurenzenkirche  in  St.  Gallen,  Jakob  Riner,  predigte  seitdem 
an  Sonn-  und  Feiertagen  zu  Rorschach.  *) 

So  hatte  die  Reformation  im  Fürstenlande  schon  mächtig  um 
sich  gegriffen,  als  im  November  1528  der  Auf  ritt  des  Zürcher 
Hauptmanns  Jakob  Frei  erfolgte,  der  nun  die  Bewegung  erst  recht 
in  Fluss  brachte,  da  .,die  puren  im  Gotzhuss  allenthalb  sich  uf 
in  vertröstend".  •'')  Am  29.  November  entfernten  die  Waldkircher 
die  Bilder  aus  ihrer  Kirche,  trotz  des  Widerstandes  von  selten 
des  Abtes. '')  Am  30.  folgten  die  Rorschacher. ')  Sie  erhielten  noch 
im  Dezember  auf  ihr  Ansuchen*^)  einen  eigenen  ständigen  Prä- 


^)  Hermann  Escher:  „Die  Glaubeusparteien  in  der  Eidgenossenschaft  und 
ihre  Beziehungen  zum  Ausland,  1527  —  1531/    (Frauenfeld  1882.)   S.  58. 

-0  A.-S.,  I,  2129  (22.  Oct.). 

'^)  A.-S.,  I,  2125,  d.  d.  Oct.  21. 

■»)  Sabb.,  S.  295;  Miles,  S.  333  (61)  i,;. 

^)  Sicher,  I,  S.  91/92. 

")  Sabb.,  S.  298  3.S-34;  Miles,  S.  310/311  (38/39),  datiert  26.  Okt. 

')  Sabb.,  S.  298  35;  Miles,  S.  311  (39)i6-i9. 

**)  A.-S.,  I,  2207.  Siehe  auch  den  originellen,  aber  wenig  schmeichelhaften 
Bericht  der  Neugläubigen  zu  Rorschach  über  den  dortigen  katholischen  Priester 
Christian  Gruber,  ebenda  2190.  Er  wurde  Febr.  1529  wegen  Schmähreden  auf 
Zürich  und  St.  Gallen  in  Kontumaz  verurteilt.   (E.  A.,  IV,  1  b,  26.) 


75 

dikanten,  Utz  Ekstein  0  mit  Namen.  Zürcher  Gesandte  hatten  vorher 
den  Abt  ersucht,  der  Gemeinde  einen  „christhchen"  Prädikanten 
zuzulassen,  da  der  altgläubige  die  Evangelischen  mehrmals  Ketzer 
gescholten.  Der  Abt  hatte  aber  darauf  Bedenkzeit  verlangt.  -)  In 
gleicher  Weise,  aber  ebenso  vergeblich,  hatte  sich  jene  Zürcher 
Gesandtschaft  für  die  Neugläubigen  zu  Wil  verwendet.  ■^)  Noch 
Ende  November  hatten  Schultheiss  und  Rat  einer  Botschaft  der 
V  Orte  ihren  Willen  verkündet,  beim  alten  Glauben  zu  bleiben; 
doch  möge  man  sie  beschützen,  falls  sie  jemand  deswegen  an- 
fechten würde.  ^)  Unter  diesem  „Jemand"  waren  vor  allem  die 
Zürcher  verstanden,  welche  kurz  vorher  durch  eine  Gesandtschaft 
in  Wil  hatten  erklären  lassen,  man  dulde  nicht,  dass  einer  des 
Glaubens  wegen  verfolgt  werde.  •^)  Schon  hatte  nämlich  dort  die 
neue  Lehre  so  festen  Fuss  gefasst  und  bis  Anfang  1529  solche 
Fortschritte  gemacht,  dass  Luzern  und  Schwyz  sich  genötigt  sahen, 
unterm  26.  Januar  1529  ein  langes  Schreiben  an  Schultheiss  und 
Rat  zu  Wil  ergehen  zu  lassen,  in  welchem  sie  diese  aufs  ein- 
dringlichste ermahnten,  dem  Glauben  der  Altvorderen  treu  zu 
bleiben  und  den  Ketzerglauben  in  ihren  Stadtmauern  wieder  aus- 
zutilgen.'') Da  griff  nun  der  neue  Schirmhauptmann  Frei  zugunsten 
der  Evangelischen  ein.  Er  versammelte  auf  den  10.  Februar  die 
Wiler  zu  einer  Gemeinde,  um  den  Beschluss  durchzusetzen,  dass 
die  Bilder  aus  den  dortigen  Kirchen  entfernt  würden.  Aber  der 
altgläubige  Rat  verlangte  und  erhielt  einen  Aufschub  von  8  Tagen. 
Doch  erklärten  die  Evangehschen,  wenn  in  dieser  Zeit  die  Kirchen 
nicht  ausgeräumt  würden,  so  täten  es  die  Neugläubigen.  Immerhin 
gab  es  unter  der  Bürgerschaft  eine  starke  katholische  Minderheit, 
so  dass  Frei  an  Zürich  schrieb,  er  besorge  einen  Aufruhr  unter 

')  Sabb.,  S.  295  12.  Siehe  vor  allem  Salomon  Vögelin:  Utz  Eckstein,  Jahrb. 
für  Schweiz.  Geschichte,  Bd.  VIT,  S.  234  ff. 

2)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  605  c. 

^)  Da  die  Reformation  zu  Wil  bereits  eine  besondere  Darstellung  gefunden 
hat  [Ernst  Götzinger:  ,Die  Reformation  der  Stadt  Wil",  St.  Galler  Mittheil., 
Bd.  XIV  (1872)],  so  werden  wir  nur  da  auf  die  religiösen  Verhältnisse  des 
Städtchens  zurückkommen,  wo  wir  es  für  unsere  Darstellung  nötig  erachten 
oder  neues,  von  Götzinger  nicht  verwertetes  Material  vorliegt. 

*)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  603  f. 

•^)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  603  zu  e. 

<■■)  A.-S.,  II,  43. 


76 

den  Bürgern,  wenn  es  zur  Entfernung  der  Bilder  komme.  ^)  Wohl 
noch  hn  Februar  wurden  in  dem  Städtchen  „etliche  Kirchen''  für 
den  reformierten  Gottesdienst  hergerichtet,  wobei  es  aber  nicht 
ohne  „etwas  unfrids  und  rumoris"  abging.-)  Am  17.  März  konnte 
der  Schirmhauptraann  an  Vadian  berichten,  dass  Zürich  den  Wilern 
einen  Prädikanten  zugeschickt  habe  und  zwar  einen  „tapferen" 
Mann.  ') 

Schon  im  Januar  dieses  Jahres  hatten  die  Anhänger  der 
neuen  Lehre  auch  zu  Steinach,  Hagenwil  und  Gossau  gesiegt, 
und  waren  die  Kirchen  ausgeräumt  worden.^) 

Wir  können  somit  sagen,  dass  noch  zu  Lebzeiten  des  Abtes 
Franz  die  überwiegende  Mehrheit  der  alten  st.  gallischen  Land- 
schaft sich  öffentlich  zum  neuen  Glauben  bekannte.  ^) 


1)  A.-S.,  II,  75. 

2)  Sabb.,  S.  305  22-23. 

3)  A.-S.,  II,  188  2. 

4)  Miles,  S.  312(40)1-14;  Sabb.,  S.  304  21-22. 

^)  Zur  Bestätigung  dieser  Worte  siehe  Miles,  S.  312  (40)io-ii :  Vad.,  II, 
S.  411  9— 10  (der  diese  Vorgänge  ins  Jahr  1528  verlegt).  Doch  muss  noch  eine 
nicht  zu  unterschätzende  katholische  Minderheit  vorhanden  gewesen  sein,  s. 
unten  S.  98  und  Abschnitt  III. 


77 


III.  Kapitel. 


Die  Reformation  im  Toggenburg  bis  Anfang  1529/) 

Das  Jahr  1522  bildet  einen  gewissen  Wendepunkt  in  der 
toggenbnrgischen  Kirchengeschiclite :  mit  diesem  Jahre  begann 
nämlich  Johannes  Döring,  vorher  Priester  zu  Herisau,  seine 
reformatorische  Tätigkeit  im  Toggenburg  als  Pfarrer  auf  dem 
Hemberg.  Er  war  einer  „der  ersten  und  emsigsten  Beförderer 
der  kirchlichen  Reformation"-)  im  Thurtal  und  nahm  eine  Zeit- 
lang die  führende  Stellung  unter  den  reformfreundlichen  Geist- 
hchen  des  Toggenburgs  ein.  In  dem  gleichen  Jahr  war  Bernhard 
Künzli  von  Brunnadern  Ammann  im  *  Niederamte  ■')  geworden. 
Hoch  angesehen  unter  seinen  Landsleuten,  spielte  er  in.  den 
folgenden  Jahrzehnten  in  der  Grafschaft  eine  sehr  wichtige  Rolle. 
KünzU  galt  als  „eine  bedeutende  Stütze  der  Kirchenreform". 
So  können  wir  wohl   mit  diesem  Jahre  die  Darstellung  der  Re- 


^)  Karl  Wegelin  hat  in  seiner  „Geschichte  der  Landschaft  Toggenburg" 
die  religiösen  Verhältnisse  der  Grafschaft  in  dem  von  uns  behandelten  Zeit- 
abschnitt in  detaillierter  und  durchaus  zuverlässiger  Weise,  wie  wir  des  öftern 
konstatieren  konnten,  dargestellt  (Bd.  II,  S.  13  ff.).  Als  Stiftsarchivar  zu 
St.  Gallen  und  Verfasser  des  grossen  Repertoriums  für  das  gesamte  im  Stifts- 
archiv vorhandene  Aktenmaterial  war  er  besonders  geeignet,  eine  gründliche 
Behandlung  der  toggen burgischen  Geschichte  zu  liefern.  So  ist  denn  seine  Dar- 
stellung, obwohl  bereits  1833  im  Druck  erschienen,  immer  noch  wohl  zu  ge- 
brauchen, ja  mancherorts  unersetzlich;  denn  wie  Strickler  ist  es  auch  uns  er- 
gangen: wir  konnten  hie  und  da  die  Quellen,  aus  denen  Wegelin  schöpfte,  nicht 
mehr  auffinden. 

Da  nun  zudem  erst  mit  dem  Loskauf  der  Toggenburger  vom  Abte  die 
religiös-politische  Bewegung  in  der  Grafschaft  zu  einem  gewissen  Abschluss 
gelangte,  dieses  Ereignis  aber  erst  unter  dem  Nachfolger  Kilians,  Abt  Diethelm, 
stattfand,  so  kann  es  sich  hier,  bei  der  Schilderung  der  Vorgänge  im  Toggen- 
burg unter  Abt  Franz  und  Kilian,  kaum  um  mehr  als  eine  Zusammenfassung 
der  wesentlichen  Begebenheiten  handeln.  Dabei  fussten  wir  auf  den  eidgen. 
Abschieden  und  der  Aktensammlung  Stricklers.  Wir  glaubten  aber,  es  unserm 
Thema  schuldig  zu  sein,  wenn  wir  nicht  ganz  auf  die  Darstellung  der  Toggenb.- 
Gesch.  in  dem  von  uns  behandelten  Zeitraum  verzichteten. 

2)  Wegelin,  S.  13. 

•^)  Das  Toggenburg  zerfiel  damals  in  das  Ober-  und  Unter(Nieder-)amt. 
Ersteres  reichte  bis  Lichtensteiar. 


78 

formation  im  Toggenburg  beginnen.  Zu  der  neugläubigen  Partei 
gehörten  auch  der  rechtskundige  und  angesehene  Stadtschreiber 
von  Lichtensteig,  Heinrich  Steiger,  und  der  Ammann  im  Thurtal, 
Hans  Rüdlinger.  Unter  Einwirkung  so  einflussreicher  Männer 
konnte  es  nicht  ausbleiben,  dass  im  Geburtsland  Zwingiis  die 
Reformation  in  den  nächsten  Jahren  mächtige  Fortschritte  machte, 
besonders  da  zudem  die  Kirchenreform  an  den  Pfarrern  von 
Jonswil,  Kirchberg,  Wattwil,  Stein  und  Wildhaus  bereits  kräftige 
Stützen  hatte.  So  versammelte  denn  unter  dem  Einfluss  der  zweiten 
Zürcher  Disputation  der  toggenburgische  Landrat  schon  im  Sommer 
1524  die  Geistlichen  des  Landes  und  forderte  von  ihnen  die  Predigt 
des  Gotteswortes  auf  Grund  des  Evangeliums,  ,,ohne  Beimischung 
menschlicher  Satzungen".') 

Dass  Zwingli  an  der  Entwicklung  der  neuen  Lehre  im  obern 
Thurtal  aus  den  verschiedensten  Gründen  das  grösste  Interesse 
haben  musste.  versteht  sich  von  selbst.  Ein  Schreiben  vom  18.  Juli 
1524  an  den  Landrat  liess  es  nicht  an  begeisternder  Aufmunterung 
fehlen,  um  die  Glaubensbewegung  in  der  Grafschaft  zu  kräftigen.-) 
Verwicklungen  mit  dem  Abt  von  St.  Gallen  und  dessen  geistlichem 
Oberhirten,  dem  Bischof  von  Konstanz,  traten  aber  jetzt  schon 
ein,  •')  besonders  da  die  neugläubigen  Priester,  wie  übrigens 
anderswo  auch,  in  ihrem  Eifer  es  oft  an  dem  nötigen  Takt  fehlen 
liessen.  Auch  mit  seinen  Landrechtsorten  Schwyz  und  Glarus 
geriet  das  Toggenburg  in  Konflikt.  Am  3.  Dezember  dieses  Jahres 
beklagte  sich  Schwyz  beim  Landvogt  und  Landrat  des  Toggen- 
burgs  über  den  dortigen  Missglauben  und  forderte  dessen  Unter- 
drückung, ^)  erneuerte  auch  im  Verein  mit  Glarus  im  folgenden 
Jahre  seine  Vorstellungen.  Schon  aber  zeigte  sich  die  Mehrheit 
des  Toggenburger  Volkes  entschlossen,  bei  dem  neuen  Glauben 
zu  verharren,  und  hatte  auch  die  Mehrzahl  der  Landräte  auf 
seiner  Seite,  die  sich  unter  Führung  des  geschmeidigen  Land- 
vogtes Hans  Giger  sehr  klug  und  den  Zeitumständen  entsprechend 
zu  benehmen  wussten.  °) 


')  S.  Wegelin,  a.  a.  0.,  S.  16.  flF. 

-)  S.  Zwingli's  Werke,  ed.  Schuler  &  Schulthess,  Bd.  7,  S.  352—356. 
'■^)  A.-S.,  I,  912. 
-')  Wegelin,  S.  21. 

^)  Über  Giger  s.  Zwiugliana,  1905,  Nr.  2,  S.  51  —  55:    ,Hans  Giger,  ein 
Toggenburger  Amtmann"  ;  Wegelin.  S.  16. 


79 

Die  Dinge  hatten  im  Turtal  bereits  eine  so  drohende  anti- 
kathohsche  Richtung  genommen,  dass  Schwyz  auf  einem  Tage  zu 
Einsiedeln  im  April  1526  um  „getreues  Aufsehen"  bat, ')  nachdem 
es  schon  im  März  dieses  Jahres  ebenfalls  auf  einem  Tage  zu 
Einsiedeln  mit  bewaffneter  Intervention  gedroht  hatte.  -)  Unter- 
dessen nahm  der  Streit  zwischen  Abt  und  Toggenburg  seinen 
Fortgang.  Eine  Botschaft  von  Schwyz  und  Glarus  zugunsten  des 
Prälaten  richtete  bei  den  Toggenburgern,  wie  es  scheint,  nichts 
aus.  Wenigstens  wurde  wieder  zu  Einsiedeln  Anfang  Mai  1526 
von  den  Tagherren  beschlossen,  heimzubringen,  ob  Schwyz  und 
Glarus  nochmals  Boten  zu  den  Toggenburgern  schicken  sollten, 
um  sie  zur  Erfüllung  ihrer  Pflichten  gegenüber  dem  Herrn  von 
St.  Gallen  zu  ermahnen.  "0  Es  war  vor  allem  die  eigenmächtige 
Besetzung  der  Pfründen  durch  die  Toggenburger,  welche  den 
Abt  zu  seinen  Klagen  veranlasste.  Da  er  sich  mit  den  Land- 
leuten über  diesen  und  andere  Streitpunkte  nicht  einigen  konnte 
und  seine  Schirmorte  des  öftern  um  einen  Rechtstag  gegen  seine 
Untertanen  ersuchte,  gingen  schliesslich  Schwyz  und  Glarus 
auf  das  Gesuch  des  Abtes  ein.  Sie  schrieben  ihm  am  8.  November 
1526:  sie  hätten  ihm  und  seinen  Widersachern  auf  den  kommenden 
9.  Dezember  einen  Tag  nach  Schwyz  angesetzt;  man  werde  über 
jede  einzelne  seiner  Klagen  diskutieren  und  jedesmal  zuerst  den 
Streit  in  Güte  beizulegen  versuchen ;  erst  wenn  das  nicht  gelinge, 
würden  sie  einen  Rechtsspruch  fällen  und  zwar  ohne  Rücksicht 
auf  die  Abwesenheit  der  einen  oder  andern  Partei;  in  gleichem 
Sinne  hätten  sie  an  die  Toggenburger  geschrieben.^)  Da  der  Abt 
krank  darniederlag,  schickte  er  seinen  Statthalter  zu  Wil,  Marx 
Brunnmann,  den  Rat  Ludwig  von  Helmsdorf  und  den  Reichsvogt 
Heinrich  Schenkli  als  bevollmächtigte  Gesandte  auf  den  festge- 
setzten Tag.  •')  Für  diesen  war  das  Haupttraktandum  die  Pfründen- 
verleihung im  Toggenburg. ^)  Der  Abt  liess  klagen,  dass  „üppig, 
schnöd  und  uffrürisch  lutterisch  pf äffen"  ihn  an  der  Belehnung 

1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  357  i. 

2)  Wegelin,  S.  25/26. 
3)E.  A.,  IV,  la,  Nr.  359 r. 
■»)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  406. 

^)  St.-A.,  Fase.  13,  Dienstag  vor  St.  Nikolaustag. 

'')  Wir  haben  das  von  Strickler  (E.  A.,  IV,  1  a,  S.  1022)  vermisste  Original 
des  Abschieds  über  die  Pfründenverleihung  in  dem  Sammelband  Nr.  1427 
(S.  104  ff.)  des  St.-A.  gefunden.    Siehe  Beilage  I. 


80 

seiner  Pfründen  im  Toggenburg  verhinderten;  diese  Geistlichen 
seien  es  auch,  welche  das  gemeine  Volk  zum  Aufruhr  und  Un- 
gehorsam verleiteten  „und  der  oberkeit  und  erberkeit  ganntz 
widerwertig  machen",  dadurch  auch  „die  armen  lüt  an  seel  und 
eren  verderben".  Er  selbst  werde  aber  durch  die  Landleute  ver- 
hindert, diese  Priester  zu  bestrafen,  und  fühle  sich  dadurch  in 
seinem  Gewissen  beunruhigt,  sei  jedoch  mit  andern  Lehensherrn 
im  Toggenburg  der  Hoffnung,  man  werde  ihn  in  seinen  Lehens- 
rechten schützen  und  die  Frevler  bestrafen.  Die  Toggenburger, 
offenbar  etwas  eingeschüchtert  durch  diese  deutliche  Sprache, 
erklärten,  zur  Behandlung  einer  so  wichtigen  Frage  nicht  ge- 
nügend instruiert  zu  sein,  obschon  sie  ihrem  Herrn  in  seine 
Lehensrechte  keine  Eingriffe  tun  w^ollten,  und  riefen  ihrerseits 
Schwyz  und  Glarus  um  Hilfe  an.  Da  aber  gütliche  Unterhand- 
lungen der  beiden  Orte  nicht  zum  Ziele  führten,  fällten  sie  fol- 
genden Spruch:  „Der  Abt  hat  wie  bisher  das  Recht,  nach  seinem 
Gefallen  die  ihm  zustehenden  Pfründen  im  Toggenburg  zu  be- 
setzen, wie  auch  die  andern  Lehensherren  daselbst  dazu  Fug  und 
Recht  haben.  Die  Kirchgenossen  haben  zwar  das  Recht,  sich  für 
die  Einsetzung  eines  Geistlichen,  der  ihnen  gefällt,  verwenden 
zu  dürfen;  der  Abt  ist  aber  nicht  an  ihren  Wunsch  gebunden. 
Belehnt  er  einen  von  den  Landleuten  empfohlenen  Geistlichen, 
und  hält  sich  dieser  nicht,  wie  der  Abt  es  wünscht,  so  hat  dieser 
das  Recht,  ihn  zu  entsetzen.  Glauben  aber  die  Untertanen,  der 
Geistliche  habe  die  Entsetzung  nicht  verdient,  so  haben  Schwyz 
und  Glarus  endgültig  zu  entscheiden,  ob  der  Pfarrer  seine  Stelle 
weiter  behalten  darf  oder  nicht.  Verlangen  dagegen  die  Unter- 
tanen die  Entsetzung  eines  Priesters  und  findet  der  Lehensherr 
das  Gesuch  genügend  begründet,  so  ist  der  Geistliche  entsetzt; 
ist  der  Abt  aber  anderer  Meinung,  so  sollen  dessen  Räte  oder 
Verordnete  endgültig  urteilen.  Dies  alles  soll  geschehen  unbe- 
schadet der  Rechte  des  Papstes  und  des  Bischofs  von  Konstanz." 
Auf  diesen  Spruch  hin  erklärten  jedoch  die  Toggenburger, 
sie  hätten  keine  Vollmacht,  den  Entscheid  anzunehmen.  Sie  er- 
suchten die  beiden  Orte  um  Aufschub,  anerboten  sich  aber,  den 
Rechtsentscheid  heimzubringen  und  ihr  Möglichstes  zu  tun,  damit 
„die  nüwen  lerer  und  uffrüerisch,  unckristlichen  pf äffen  fürderlich 
und  angends  dannen  komen  und  uss  der  graff schafft  gethan" 
würden.    Darauf  wollten  zwar  die  Abgeordneten  des  Abtes  nicht 


81 

eingehen,  gaben  sich  aber  auf  Verwenden  der  beiden  Orte  mit 
dem  gemachten  Versprechen  der  Toggenburger  Abgeordneten 
zufrieden.  Diesen  wurde  zudem  von  Schwyz  und  Glarus  noch 
befohlen,  in  allen  ihren  Streitigkeiten  mit  dem  Abte  sich  gütlich 
zu  vertragen;  die  beiden  Orte  würden  fernerhin  darauf  achten, 
ob  die  gemachten  Versprechungen  beförderlich  auch  verwirklicht 
würden ;  geschehe  das  nicht,  so  werde  man  in  Bälde  einen  neuen 
Rechtstag  ansetzen,  wozu  die  toggenburgische  Gesandtschaft  mit 
Vollmacht  zu  erscheinen  hätte,  und  dann  unverzüglich  den  Rechts- 
weg einschlagen.  Die  beiden  Orte,  hiess  es  weiter,  seien  ent- 
schlossen, zur  Beseitigung  der  neugläubigen  Pfarrer  Leib  und 
Gut  einzusetzen;  die  Toggenburger  sollten  darum  den  jetzt 
gefällten  Rechtsentscheid  von  ihnen  annehmen;  dann  würde  man 
ihnen  auch  gegen  die  Kurtisanen  helfen  in  dem  Sinne,  dass  der 
Pfarrer,  welcher  mit  einer  Pfründe  belehnt  worden  sei,  sie  auch 
innehaben  solle,  nicht  hinter  dem  Rücken  seiner  Gemeinde  „ver- 
wandeln, versetzen,  verkouffen  noch  vertuschen"  dürfe;  wolle  er 
aber  die  Pfründe  nicht  mehr  selbst  versehen,  so  solle  er  „fry  re- 
signieren'". 

Auf  der  gleichen  Tagleistung,  am  14.  Dezember,  wurde  auch 
das  Kloster  St.  Johann  im  Thurtal  auf  dessen  Ersuchen  ausdrück- 
lich von  den  beiden  Orten  in  Schutz  und  Schirm  genommen.  ^) 
Sein  früherer  Schirmherr  nämlich,  der  Abt  von  St.  Gallen,  hatte 
erklärt,  es  sei  ihm  in  diesen  schwierigen  Zeiten  unmöghch,  seine 
Schirmpflichten  diesem  Kloster  gegenüber  zu  erfüllen.  -) 

Unterdessen  hatten  die  Toggenburger  dem  oben  genannten 
Schwyzer  Abschiede  insoweit  nachgelebt,  als  sie  den  allzu  eifrigen 
Pfarrern  auf  dem  Hemberg,  zu  Stein  und  Wildhaus  befohlen 
hatten,  das  Land  zu  räumen.  •')  Im  übrigen  aber  ging  die  Be- 
festigung der  Kirchenreform  im  Toggenburg  trotzdem  weiter, 
und  ihr  gesellten  sich  soziale  Forderungen  bei.  Ende  Mai  1527 
tagten  Schwyz  und  Glarus  zu  Wil,  um  in  Güte  zu  vermitteln 
zwischen  Abt  Franz  und  zahlreichen  Gerichten,  Gemeinden  und 
einzelnen  Personen  aus  dem  Toggenburg,  ^)  welche  ihrem  geist- 
lichen Herrn  von  St.  Gallen  die  Entrichtung  von  Zehnten,  Fast- 

1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  411  b. 
-)  Bull,  II,  S.  15. 
3)  Miles  S.  334  (62)  25—28. 
^)  Vergl.  A.-S.,  I,  1664. 

St.  Galler  Mittlgn.  z.  vaterliiad.  Gesch.  XXXIII.  6 


82 

nachthühnern,  Steuern,  Zinsen  etc.  verweigerten.  Die  Ange- 
klagten nahmen  aber  den  dort  von  den  zwei  Orten  gefällten 
Spruch  nicht  an,  ^)  und  so  zog  sich  der  Handel  bis  in  den  Herbst 
hinein.  Da  güthche  Mittel  stetsfort  nichts  ausrichteten,  ver- 
kündeten schliesslich  die  beiden  Stände  dem  Abt  und  den  Toggen- 
burgern  einen  Rechtstag  nach  Schwyz  auf  den  1.  September,  und 
die  Toggenburger  wurden  bei  ihrem  Eide  auf  das  Landrecht  auf- 
gefordert, den  Rechtstag  zu  besuchen,  da  man  den  gehorsamen 
Teil  auf  sein  Anrufen  ohne  Aufschub  verhören  und  das  Urteil 
fällen  würde.  ^)  Sie  fanden  für  gut,  der  Aufforderung  Folge  zu 
leisten.  Auf  diesem  Rechtstage  war  Schwyz  durch  seinen  Land- 
ammann Heinrich  Reding  samt  dem  ganzen  Rat  vertreten,  ^)  ein 
deutliches  Zeichen,  welche  Wichtigkeit  es  dem  Tage  beimass.  Die 
Toggenburger  erlangten,  was  ihre  sozialen  Forderungen  anbetraf, 
so  minime  Zugeständnisse,  dass  sie  schliesshch,  als  der  Abt  ihnen 
nicht  das  Recht  einräumen  wollte,  über  Bussen,  Frevel  und  male- 
fizische  Händel  nach  Gutdünken  zu  richten,  alle  festgesetzten 
Artikel  betreffend  Fälle,  Fastnachthühner,  Wildbann,  Fischenzen 
etc.  fallen  und  „nüt  sin"  Hessen  und  erklärten,  die  Dinge  beim 
alten  bleiben  lassen  zu  wollen.  Der  Abt  war  damit  einverstanden, 
liess  aber  durch  seine  Gesandten  klagen,  wie  ihm  in  der  letzten 
Zeit  an  der  Einlieferung  der  Abgaben  im  Toggenburg  Eintrag 
geschehen  sei,  und  verlangte,  dass  durch  einen  Rechtsspruch  dem 
abgeholfen  werde.  Die  beiden  Orte  entschieden  darauf:  man  solle 
den  Abt  bei  Brief  und  Siegel  bleiben  lassen ;  bei  Streitigkeiten 
zwischen  der  Grafschaft  als  solcher  oder  einzelnen  „gegninen'' 
und  dem  Prälaten  sollten  Schwyz  und  Glarus  die  Richter  sein 
laut  Landrecht,  falls  in  Güte  nichts  zu  machen  wäre;  einzelne 
Personen  oder  Dörfer  solle  der  Abt  „mit  recht  besuochen,  da 
sy  gesessen'',  laut  Briefen  und  Herkommen.  Endlich  wurde  auch 
die  Frage  der  geistlichen  Lehen  im  Toggenburg  durch  Rechts- 
spruch auf  diesem  Tage  entschieden,  da  Abt  Franz  trotz  des 
Abschiedes  von  Schwyz  und  Glarus  im  Dezember  1526  ^)  glaubte, 
sich  über  die  Toggenburger  bitter  beklagen  zu  müssen  wegen 
Verleihung    der    Pfründen   in    der   Grafschaft.     Der    Rechtsent- 


1)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  447. 

2)  St.-A.  Fase,  13,  d.  d.  27.  Juli. 

3)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  478,  S.  1158  flf. 
•*)  S.  oben,  S.  79  ff. 


83 

scheid  der  beiden  Orte  enthielt,  dass  der  Abt  an  der  Ver- 
leihung- der  Pfründen,  auf  die  er  ,,sigel  und  guote  ge warsame 
inhat'',  nicht  beeinträchtigt  werden  dürfe,  wenn  ihm  dieses  Recht 
nicht  für  eine  Pfründe  durch  richterlichen  Entscheid  aberkannt 
werde,  wozu  aber  die  Landleute  Brief  und  Siegel  haben  raüssten. 
Höchst  interessant  ist,  dass  auf  diesem  Tage  die  Toggenburger 
die  beiden  Landrechtsorte  ersuchten,  ihnen  zu  helfen,  dass  der 
Abt  die  Summe,  womit  er  sie  seinerzeit  erkauft  habe,  „für  das 
Seine  nehme",  damit  in  Zukunft  Toggenburg  und  Abt  samt  Schwyz 
imd  Glarus  Ruhe  hätten.  Mit  einer  Deutlichkeit,  die  nichts  zu 
wünschen  übrig  liess,  hatten  so  die  Toggenburger  ihr  letztes 
Ziel,  nämlich  den  Loskauf  von  der  Abtei,  enthüllt,  ohne  dass 
natürlich  diese  Forderung  jetzt  schon  irgendwie  verwirklicht 
worden  wäre ;  denn  sie  wollten  in  dieser  heiklen  Frage  das 
Recht  nicht  ergehen  lassen,  wie  die  Anwälte  des  Abtes  ver- 
langten, und  so  blieb  durch  Rechtsspruch  der  Kaufbrief  unan- 
getastet. Wenn  aber  die  beiden  Orte  und  der  Abt  von  dem 
Rechtstage  irgendwelche  Kräftigung  des  Katholizismus  im  Toggen- 
burg erwartet  hatten,  so  täuschten  sie  sich.  Noch  im  gleichen 
Jahre  nahm  die  Reformation  dort  ihren  Fortgang,  so  besonders 
im  Niederamte,  wo  z.  B.  Jonswil  und  Kirchberg  ^)  zur  neuen  Lehre 
übertraten,  -)  beides  Gemeinden,  mit  denen  der  Abt  auf  eben 
diesem  Tage  zu  tun  gehabt  hatte. 

Auch  für  das  Toggenburg  war  der  Ausgang  der  Berner  Dis- 
putation im  Jahre  1528  von  grosser  Bedeutung.  Es  war  „ein 
gross  uflosen  und  warten  uff  die  disputatz  zuo  Bern"  gewesen, 
„da  sy  verhoffend,  es  soll  etwas  nüws  darus  werden".  Im  Toggen- 
burg gewann  in  diesem  Jahre  die  Reformation  entschieden  die 
Oberhand.  Im  Mai  wurden  die  Bilder  aus  den  Kirchen  zu  Krum- 
menau  und  Kappel  •')  entfernt,  sodass  Schwyz  noch  im  gleichen 


^"l  S.  St.-A.  Fase.  13,  wo  unterm  18.  Dezember  dieses  Jahres  sich  die  ge- 
druckte Kopie  eines  Rechtsentscheides  befindet  über  die  Forderung  des  Pfarrers 
von  Kirchberg,  Balthasar  Bachmann,  an  den  Abt.  Bachmann,  der  evangelisch 
gesinnt  war,  hatte  die  Naivität,  an  den  Abt  das  Gesuch  zu  stellen,  er  möge  ihm 
grössere  Einnahmen  verschaffen,  da  er  in  der  jetzigen  „widerwärtigen"  Zeit 
„merklichen  abgang"  an  seiner  Pfründe  erleide.  Wirklich  wurde  ihm  durch 
toggenburgische  Schiedsrichter  für  2  Jahre  ein  jährlicher  Zuschuss  von  1 3  gl.  rh. 
zuerkannt,  welche  Summe  der  Abt  zu  bezahlen  hatte. 

2)  Wegelin,  S.  88. 

^)  Wegelin  S.  35. 


84 

Monat  auf  der  Tagsatziing  zu  Luzern  sich  bitter  darüber  be- 
klagte, dass  alles  Zureden,  vom  lutherischen  Wesen  abzustehen, 
bei  den  Toggenburgern  nicht  nur  nichts  gefruchtet  hätte,  sondern 
gerade  in  diesen  Tagen  wieder  einige  Kirchen  in  der  Grafschaft 
dem  katholischen  Glauben  entfremdet  worden  seien.  Schwyz 
habe  darum  auf  einer  Landsgemeinde  beschlossen,  die  Messe  im 
Toggenburg  wieder  aufzurichten,  und  zwar  wenn  nötig  mit  Gewalt; 
es  hoffe,  dass  ihm  Glarus  dabei  behilflich  sein  werde,  und  bitte 
um  getreues  Aufsehen  der  übrigen  Orte  für  den  Notfall,  dass 
Waffengewalt  unvermeidlich  wäre.  Bei  dieser  drohenden  Stim- 
mung der  Schwyzer  nahm  die  Tagsatzung  in  den  Abschied,  es 
sollten,  falls  Schwyz  zu  den  Waffen  greife,  die  diesem  Ort  be- 
nachbarten Stände  sofort,  es  wäre  bei  Tag  oder  Nacht,  ihre 
Botschaft  zur  Vermittlung  absenden.  ^)  Zum  Glück  für  die  Toggen- 
burger  war  aber  die  neugläubige  Partei  in  Glarus  schon  so  er- 
starkt, dass  es  zu  keinem  gemeinsamen  entscheidenden  Beschlüsse 
der  beiden  Landrechtsorte  in  der  Toggenburger  Angelegenheit 
kam.  -)  Bereits  hatte  auch  die  Zürcher  Obrigkeit  auf  den  2.  Juni 
in  ihre  Stadt  einen  Burgrechtstag  angesetzt  und  Bern  ersucht, 
seinen  Gesandten  Vollmacht  zu  gütlicher  Vermittlung  in  der 
Toggenburger  Sache  zu  erteilen.  ^)  Diesem  Gesuche  entsprach 
Bern.  ')  Man  kam  aber  auf  diesem  Tag  zu  der  Ansicht,  dass 
augenblicklich  in  dem  Handel  zwischen  Schwyz  und  Toggenburg 
sich  nichts  „fruchtbares"  vornehmen  lasse.  ^)  Immerhin  fand 
Zürich  es  gut,  zu  rüsten,  um  den  Toggenburgern  im  Notfall  bei- 
springen zu  können. '')  Am  31.  Mai  war  nun  aber  der  Toggen- 
burger Landvogt  persönlich  in  Schwyz  erschienen,  um  die  militä- 
rische Intervention  zu  verhindern  und  die  Schwyzer  dahin  zu 
bringen,  dass  sie  das  Resultat  der  Beschlüsse  der  nach  Pfingsten 
sich  versammelnden  toggenburgischen  Gemeinden  abwarteten. 
Schwyz  bat  darum  Luzern  in  einem  Schreiben,  die  eigenen 
Truppen  und  diejenigen  von  Unterwaiden  zurückzuhalten  und 
teilte  mit,  es  werde  die  gleiche  Aufforderung  auch  an  die  beiden 
andern  Orte  —  jedenfalls   sind  Uri   und  Zug   damit  gemeint  — 

1)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  538  f. 

2)  A.-S.,  I,  2021. 

3)  A.-S.,  I,  2004. 
^)  A.-S.,  I,  2009. 

•^)  E.  A.,  IV.  1  a,  Nr.  542  b. 

*■■)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  559  zu  c  (i). 


85 

ergehen  lassen.  ^)  Schon  drei  Tage  später  konnte  es  berichten, 
die  Toggenbiirger  hätten  sich  auf  der  Tagung  durch  ihre  Botschaft 
so  günstig  ausgesprochen,  dass  man  auf  einen  guten  Ausgang 
der  Sache  hoffen  dürfe.  -) 

Nun  aber  verwandte  sich  Zürichs  Regierung  energisch  beim 
Abt  zugunsten  ihrer  Glaubensgenossen  in  der  Grafschaft.  Sie 
berichtete  ihm  von  ihren  Rüstungen  und  warf  ihm  vor,  dass  er 
einer  kriegerischen  Intervention  der  Schwyzer  das  Wort  geredet, 
auch  einige  Priester,  sie  möchten  belehnt  sein,  von  wem  sie 
wollten,  von  ihren  Pfründen  zu  vertreiben  w^age ;  der  Abt  möge 
bedenken,  wohin  das  führen  könnte,  w^enn  er  auf  seinem  Vorgehen 
beharre:  Zürich  und  andere  eidgenössische  Orte  w'ären  unter 
diesen  Umständen  nicht  imstande,  die  Ihrigen  davon  abzuhalten, 
den  Toggenburgern  zu  helfen.  Im  Juli  d.  J.  wiederholte  Zürich 
die  Drohungen,  als  der  Abt  die  katholische  Minderheit  zu  Lichten- 
steig gegen  die  dortige  evangelische  Mehrheit  unterstützte.  ^) 
Das  bot  aber  Zürichs  Feinden  Anlass,  diese  Hilfe  so  auszulegen, 
als  ob  die  Stadt  Annexionsgelüste  auf  die  Grafschaft  habe,  so 
dass  sie  für  nötig  fand,  durch  eine  besondere  Ratsbotschaft  sich 
gegen  diese  Anschuldigung  auf  einer  Landsgemeinde  der  Toggen- 
burger  zu  verteidigen.  ^) 

Die  Situation  verschärfte  sich  wieder  mehr  und  mehr,  vor 
allem,  w^eil  die  Reformation  im  Toggenburg  stetig  neue  Anhänger 
gewann.  Ende  August  w^urde  die  Kirche  zu  Lichtensteig  aus- 
geräumt, Altäre  und  Bilder  zerbrochen,  trotz  Schreiben  des  Abtes 
und  Abmahnen  Gigers.  •')  Abt  Franz  beklagte  sich  deshalb  zu 
Anfang  September  in  Baden,  und  die  Schwyzer  waren  über  diesen 
neuen  Kirchenfrevel  so  erbittert,  dass  man  sie  auf  dem  nämlichen 
Tage  ersuchen  musste,  keinen  Krieg  gegen  die  Grafschaft  zu 
beginnen;  man  wolle  die  Klage  des  Abtes  getreulich  an  die 
Obern  bringen  und  sich  auf  dem  nächsten  Tage  über  geeignete 
Mittel  und  Wege  in  der  Angelegenheit  vereinbaren. ")  Zudem 
erhessen    noch   von    Baden    aus    am    5.  September   Luzern,   Uri, 


1)  A.-S.,  I,  2013. 

2)  A.-S.,  L  2017. 

^)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  559  zu  c  (i  u.  2). 
-*)  A.-S.,  I,  2045. 

^')  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  573  zu  g  i  u.  -. 
'')  E.  A.,  IV.  1  a,  Nr.  573  g. 


86 

Unterwaiden,  Zug,  Basel,  Freiburg,  Solothurn,  Schaffhausen  und 
Appenzell  ein  scharfes  Schreiben  an  Lichtensteig,  in  welchem 
sie  der  Stadt  ihr  Bedauern  und  ihren  Schrecken  ausdrückten  über 
den  dortigen  Bildersturm.  Sie  knüpften  daran  die  bestimmte 
Forderung,  dass  die  Lichtensteiger  die  Altäre  von  neuem  er- 
richten und  die  Bilder  wieder  in  die  Kirche  stellen  sollten;  man 
müsste  sonst  den  Schwyzern  auf  ihr  weiteres  Ansuchen  Hülfe 
und  Rat  zuteil  werden  lassen.^)  Indes  fruchtete  das  wenig.  Schon 
war  die  Glaubensbewegung  auch  in  dem  obersten  Teil  des  Toggen- 
burgs  erstarkt ;  die  Gemeinde  Wildhaus  trat  in  dieser  Zeit  offen 
zum  neuen  Glauben  über,  und  am  14.  September  kam  es  in  der 
Klosterkirche  zu  St.  Johann  zu  einem  wüsten  Auftritt.  Als  an 
diesem  Tage,  es  war  der  heilige  Kreuztag,  der  Abt  des  Klosters 
in  seiner  Kirche  Messe  halten  wollte,  drang  eine  Schar  Jünglinge 
ein  und  veranstaltete  unter  den  Augen  des  Prälaten  in  dem 
Gotteshaus  einen  Bildersturm.  Der  erschreckte  Abt  ergriff  die 
Flucht  und  beklagte  sich  persönlich  bei  Glarus  und  Schwyz.  -) 
Letzteres,  seit  kurzem,  wie  wir  oben  gehört,  einer  der  beiden 
Schirmherren  des  Klosters,  war  über  den  Vorfall-^)  aufs  höchste 
erregt;  daneben  musste  es  auch  über  Zürich  schwer  erbittert 
sein,  das  mit  seiner  starken  Hand  den  neugläubigen  Toggen- 
burgern  allen  möglichen  Vorschub  leistete,  trotzdem  es  zu  ihnen 
in  keinem  vertraglichen  Verhältnisse  stand.  Andererseits  muss 
aber  auch  gesagt  werden,  dass  die  Schwyzer  sich  so  geberdeten, 
als  ob  sie  nicht  Verbündete  der  Toggenburger,  sondern  deren 
„halssherren"  wären.  Am  12.  September  schrieb  Schwyz  an 
Zürich,  man  habe  dessen  Einmischung  in  der  Grafschaft,  wo  die 
Stadt  nichts  zu  sagen  habe,  mit  Bedauern  vernommen  und  stelle 
darum  die  ernstliche  Bitte,  Schwyz,  das  mit  dem  Toggenburg 
ein  Landrecht  aufgerichtet,  und  den  Abt,  dem  dort  sowohl  die 
hohen  wie  die  niedern  Gerichte  gehörten,  nach  ihrem  Belieben 
handeln  zu  lassen ;  man  mische  sich  auch  nicht  in  die  Verhältnisse 
Zürichs  zu  seinen  Untertanen.  ')  Und  obgleich  am  17.  ds.  Mts. 
der  toggenburgische  Landrat  sich  bei  Schwyz  wegen  des  Vorfalls 

»)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  573  zu  gö. 
-0  Bull.,  II,  S.  15. 

■')  Siehe  darüber  das  eigenhändige  Gutachten  Zwingiis  (A.-S.,  I,  2105); 
den  Hergang  selbst  bei  Kessler,  Sabb.  S.  289  i6— 18. 
•1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  576  zu  ai. 


87 

entscliiüdigte  und  versprach,  die  Frevler  zu  bestrafen,  klagten 
die  Schw3^zer  schon  zwei  Tage  später  bei  Basel,  Freiburg  und 
andern  Orten:  da  die  Unruhen  im  Toggenburg  immer  grösser 
würden,  halte  man  für  nötig,  mit  Waffengewalt  diesem  Zu- 
stande ein  Ende  zu  machen,  und  bitte  freundUch  um  Hilfe,  Rat 
und  getreues  Aufsehen.  ^)  Die  Schwyzer  mochten  aber  wohl 
fühlen,  dass  sie  ohne  Beistand  der  andern  katholischen  Orte  eine 
bewaffnete  Intervention  im  Toggenburg  nicht  wagen  konnten; 
denn  auch  Zürich  hatte  gerüstet  und  5000  Mann  auf  Pikett  ge- 
stellt. -)  Sie  brachten  darum  die  Angelegenheit  am  23.  September 
auf  dem  Tag  der  V  Orte  zu  Luzern  zur  Sprache;  doch  die  andern 
kathohschen  Stände  hatten  es  nicht  so  eilig.  Luzern  und  Unter- 
waiden zeigten  sich  zwar  bereit,  mit  Leib  und  Gut  Schwyz  bei- 
zustehen; Uri  und  Zug  aber  waren  ungenügend  instruiert  und 
gaben  den  Rat,  an  Zürich  zu  schreiben  und  eine  bestimmte  Er- 
klärung darüber  zu  verlangen,  ob  es  im  Falle  eines  Aufgebots 
gegen  die  Toggenburger  sich  ihrer  annehmen  würde  (!) ;  man 
solle  überhaupt  nicht  zu  eilig  vorgehen,  sondern  die  Sache  auf  dem 
nächsten  Badener  Tag  wieder  zur  Sprache  bringen.  Da  man  auch 
Freiburg  und  Solothurn  gern  beigezogen  hätte,  so  wurde  dieser 
Vorschlag  angenommen  in  dem  Sinne,  dass  jedes  der  V  Orte 
auf  dem  genannten  Tage  zu  Baden  mit  Vollmacht  in  dieser  An- 
gelegenheit zu  erscheinen  habe.  •')  Man  sieht,  in  der  Innerschweiz 
erkannte  man  wohl,  dass  bei  der  entschiedenen  Haltung  Zürichs 
bewaffnetes  Einschreiten  gegen  die  Toggenburger  einen  eidge- 
nössischen Bürgerkrieg  zur  Folge  haben  musste.  Ein  Schreiben, 
das  Zürich  am  28.  September  an  Schwyz  richtete,  bestätigte  diese 
Ansicht:  die  Zürcher  würden,  hiess  es  in  der  Missive,  die  Toggen- 
burger mit  Leib  und  Gut  unterstützen,  falls  Schwyz  sie  wegen 
ihres  Glaubens  angreifen  wollte,  besonders  auch  deshalb,  weil 
sie  willens  seien,  in  weltlichen  Dingen  zu  leisten,  was  ihre  Pflicht 
und  Schuldigkeit  sei;  man  sei  sich  in  Zürich  klar  darüber,  dass 
die  Unterdrückung  des  neuen  Glaubens  im  Toggenburg  nur  der 
Anfang  wäre  zur  Vernichtung  der  Reformation  in  der  ganzen 
Schweiz;  Schwyz  möge  bedenken,  „wohin  es  reichen  wurde", 
wenn  es  seine  Drohungen  gegen  das  Toggenburg  in  die  Tat  um- 


1)  E.  A.,  IV,  la,  "Nr.  576  zu  aa. 

2)  Bull.,  II,  S.  17. 

'■'')  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  576a. 


setzen  wollte,  und  solle  sich  darum  eines  Bessern  besinnen.  ^) 
Schwyz  versuchte  darauf,  Zürich  von  den  Toggenburgern  abzu- 
ziehen, indem  es  am  folgenden  Tage  schrieb,  man  habe  nie  die 
Absicht  gehegt,  auch  gegen  Zürich  einzuschreiten,  sondern  wolle 
jeden  mit  den  Seinen  handeln  lassen,  wie  es  ihn  gutdünke,  und 
wünsche  nur,  dass  auch  Zürich  diese  Auffassung  teile.  -) 

Unterdessen  war  wieder  einmal  die  Tagsatzung  zu  Baden 
zusammengetreten.  Zürich  und  Bern  hatten  sich  darüber  geeinigt, 
dass  niemand  vom  Evangelium  gedrängt  werden  dürfe.  Die 
Zürcher  Gesandten  sollten  darum  laut  Instruktion  den  Schwyzern 
ausdrücklich  erklären,  man  werde  nicht  gestatten,  dass  die  Graf- 
schaft wegen  des  Evangeliums  von  katholischer  Seite  bekriegt 
würde.  Im  gleichen  Sinne  war  auch  die  Berner  Instruktion  ab- 
gefasst.-')  Die  entschlossene  Haltung  der  beiden  mächtigen  Stände 
bewirkte,  dass  die  katholischen  Orte  vor  einem  Gewaltschritt 
zurückschreckten.  Man  übertrug  Basel,  Schaff  hausen  und  Appen- 
zell auf  deren  Anerbieten  hin  die  Vermittlung,  und  sie  schlugen 
vor,  auf  einen  folgenden  Tag  zu  Baden  die  Toggenburger  mit 
Vollmacht  kommen  zu  lassen.  Wenn  dann  Güte  in  dem  Streit 
zwischen  ihnen  und  den  Schwyzern  nichts  vermöchte,  wollten 
die  drei  Schiedorte  sofort  einen  Rechtstag  ansetzen;  unterdessen 
sollte  das  Toggenburg  mit  seinen  kirchlichen  Neuerungen  stillstehen 
und  Schwyz  nichts  Unfreundliches  gegen  die  Grafschaft  unter- 
nehmen. Dieser  Vorschlag  wurde  in  den  Abschied  genommen.^) 
Schwyz  teilte  daraufhin  dem  Abt  das  Resultat  der  Verhandlungen 
mit  und  berichtete  auch,  dass  der  neue  Badener  Tag  auf  den 
25.  Oktober  angesetzt  sei;  der  Abt  möge  ihn  allen  beteiligten  Per- 
sonen und  Gemeinden  verkünden  und  auch  selbst  besuchen,  da 
er  an  einem  günstigen  Ausgang  des  Handels  am  meisten  inte- 
ressiert sei;  dabei  solle  er  zunächst  gütliche  Vermittlung  walten 
lassen  und  erst,  wenn  das  nichts  fruchte,  gemeine  Eidgenossen 
um  Recht  anrufen ;  Schwyz  werde  ihm  gerne,  wenn  er  es  wünsche, 
seinen  Beistand  leihen.  •')    Dieser  Ort  wollte  also  in  berechneter 


1)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  580  zu  a5. 

2)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  580  zu  a.;. 

^)  E.  A.,  IV,  1  a,  Nr.  580  zu  ai-a. 

-')  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  580a. 

•')  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  588  zu  d.-. 


89 

Weise  in  dem  Handel  den  Abt  vorschieben,  da  er  Landesherr 
im  Toggenburg  war,  während  Schw3^z  nur  in  einem  Bundesver- 
hältnis zu  der  Grafschaft  stand.  Diese  war  sich  ihrer  schwierigen 
Lage  wohl  bewusst  und  sandte  einen  besonderen  Boten  nach 
Bern  mit  einem  Schreiben,  worin  die  Stadt  um  Beistand  ange- 
rufen wurde,  und  man  zögerte  hier  nicht,  die  Toggenburger  zu 
trösten  und  ihnen  zu  versprechen,  „das  best"  für  sie  auf  der 
entscheidenden  Tagsatzung  zu  reden.  ^)  Diese  begann  am  26. 
Oktober  zu  Baden.  Die  drei  vermittelnden  Orte  brachten  aber 
keinen  Vergleich  zwischen  den  beiden  streitenden  Parteien  zu- 
stande ;  auch  die  X  Orte,  an  welche  Schwyz  sich  wandte,  hatten 
keinen  bessern  Erfolg.  Auf  Anerbieten  der  anwesenden  Toggen- 
burger wurde  endlich  folgender  Entscheid  gefällt:  Schw3^z  soll 
den  Rechtsweg  beschreiten  laut  Landrechtsbrief;  genügt  ihm  der 
allfällige  Entscheid  nicht,  so  kann  es  seine  Forderungen  weiter 
geltend  machen ;  inzwischen  dürfen  die  Toggenburger  keine 
weitern  religiösen  Neuerungen  vornehmen  und  sollen  dem  Abt. 
und  jedem  der  es  wünscht,  freies  und  sicheres  Geleit  gewähren. 
Diesen  Beschluss  nahmen  die  Schwyzer  und  Toggenburger  auf 
die  Bitte  der  Eidgenossen  in  den  Abschied  zur  Empfehlung  an 
ihre  Obern.  -) 

Doch  das  Toggenburg  kehrte  sich  wenig  daran,  dass  es  mit 
der  religiösen  Reform  vorderhand  stillstehen  sollte.  Daher  konnte 
im  Februar  1529  die  Reform  daselbst  zu  einem  gewissen  Ab- 
schluss  gelangen :  am  13.  ds.  Mts.  wurde  zu  Lichtensteig  in  An- 
wesenheit des  Landrates  eine  den  neuen  religiösen  Anschauungen 
entsprechende  Kirchenverfassung  für  die  Grafschaft  aufgestellt. 
Obenan  stand  der  Satz:  „Alle  Prädikanten  in  der  Grafschaft 
Toggenburg  sollen  hinfür  das  ewige,  immerwährende  Wort  Gottes 
lauter  und  ohne  alle  Menschensatzungen  verkünden.'"  .  .  .  Be- 
stimmungen über  Abendmahl,  Ehe  und  Kindertaufe,  über  Pre- 
diger, Pfründenverleihung  und  Krankenbesuche  durch  die  Pfarrer 
folgten  in  weitern  Artikeln.  Ferner  wurde  für  die  GeistHchen 
die  Zensur  eingeführt ;  die  Prediger  sind  dem  Dekan,  dem  Vor- 
steher  des  Kapitels,  Gehorsam   schuldig,   soweit  das  billig  ist.  •'^) 


1)  E.  A.,  IV.  la,  Nr.  588  zu  da. 

-)  E.  A.,  IV,  la,  Nr.  .588  d. 

3)  St.  Galler  Mittl.,  Bd.  III.,  S.  29  —  31. 


90 

Am  18.  Februar  schrieben  Landvogt  und  Landrat  unter  anderm 
nach  Zürich,  sie  seien  entschlossen,  Leib  und  Gut  für  die  Auf- 
rechterlialtung  des  göttlichen  Wortes  einzusetzen.  0 

Die  oberste  weltliche  Behörde  des  Toggenburgs  und  die 
grosse  Mehrzahl  der  dortigen  Geistlichkeit  hatte  sich  damit  in 
entschiedenster  Weise  zugunsten  des  neuen  Glaubens  ausge- 
sprochen, und  sie  konnten  dies  um  so  eher  tun,  als  sie  die  er- 
drückende Mehrheit  des  Toggenburger  Volkes  hinter  sich  wussten. 

1)  A.-S.,  II,  106. 


II.  ABSCHNITT. 


Abt  Kilian. 


I.  Kapitel. 

Die  Vorgänge  bis  zum  Ausbruch  des  ersten  Kappelerkrieges. 

Die  letzten  Lebenstage  des  bejahrten  und  schwerkranken  Abtes 
Franz  waren  recht  düster.  Er  rausste  einsehen,  dass  er  umsonst 
gegen  den  neuen  Glauben  gekämpft,  den  die  erdrückende  Mehr- 
heit seiner  Untertanen  trotz  seiner  endlosen  Bemühungen  ange- 
nommen hatte.  Schon  regierte  in  seinem  Gebiete  in  Wirklichkeit 
nicht  mehr  er,  sondern  Zürich,  und  dieses  gab  auch  bereits  seinem 
Hauptmann  die  nötigen  Weisungen,  nach  dem  Tode  des  Fürstabtes 
eine  Neuwahl  zu  verhindern.  Dass  an  der  Verwirklichung  dieses 
Planes  die  Stadt  St.  Gallen  das  grösste  Interesse  hatte.  Hegt  auf 
der  Hand;  begreifhch,  dass  sie  den  Zürchern  versicherte,  alles 
tun  zu  wollen,  was  ihnen  in  der  äbtischen  Angelegenheit  dienen 
könne.  ^)  Bereits  am  2.  Februar  1529  meinte  Zwingh  in  einem 
Schreiben  an  Vadian,  es  habe  wohl  keinen  Sinn,  den  Abt  ge- 
fangen zu  nehmen,  da  er  nächstens  in  die  „Unterwelt"  fahre;-) 
aber  sehr  viel  lag  ihm  daran,  dass  nach  dessen  Tode  kein  Nach- 
folger gewählt  würde.  •'■)  Hauptmann  Frei  verschaffte  sich  darum 
bei  Abt  Franz  Zutritt,  um  sich  über  seinen  Krankheitszustand  zu 
informieren.  Der  Abt  könne  noch  bis  in  den  März  hinein  leben, 
berichtete  er  an  Zürich.  Daneben  hatte  Vadian  bereits  einen 
der  im  Kloster  St.  Gallen  zurückgebUebenen  Mönche  gefragt,  ob 
die    Klosterinsassen    bei   Gelegenheit   helfen   würden,    dass    kein 


1)  A.-S.,  II,  74. 

2)  A.-S.,  II,  57. 

^)  Schon   ging  bezeichnender  Weise  die  Gassenrede  um,  „apt  Franciscus 
ward  der  letzst  abt  zuo  Sant  Gallen  sin"  (Sicher  I,  S.  98  12). 


92 

neuer  Abt  gewählt  werde,  und  die  Antwort  erhalten,  es.  sei  wohl 
möglich,  wenn  die  Mönche  reichlich  ausgesteuert  würden.  ^)  Da- 
mit aber  wollte  Zwingli  warten,  bis  Abt  Franz  gestorben  wäre.  -) 
Um  vor  seinen  Bedrängern  sicher  zu  sein,  hatte  sich  der 
Abt,  wie  wir  bereits  gehört,  ins  Schloss  zu  Rorschach  bringen 
lassen.  Er  wolle  hier  sein  Leben  beschliessen,  erklärte  er  dem 
Hauptmann  Frei.  Der  Kämmerling  des  Abtes  gab  auch  zu  wissen, 
dass  sein  Herr  krankheitshalber  keine  Besuche  mehr  empfangen 
könne.  Diese  Bekanntmachung  war  auf  Anordnung  des  Wiler 
Statthalters  Kilian  Germann  in  der  Absicht  erfolgt,  den  Tod  des 
Abtes  solange  geheim  zu  halten,  bis  eine  Neuwahl  stattgefunden 
hätte.  Germann  hielt  sich  auch,  seitdem  der  Tod  des  Prälaten 
jeden  Tag  erwartet  werden  konnte,  im  „Kloster''  zu  Rorschach 
auf,  wo  er,  durch  ein  verabredetes  Zeichen  vom  Schloss  her,  so- 
fort vom  erfolgten  Hinschied  in  Kenntnis  gesetzt  werden  konnte.  ^) 
Zürich  jedoch  fürchtete,  dass  der  Abt  nur  darum  seinen  Wohn- 
sitz ins  Schloss  verlegt  habe,  damit  er  besser  mit  den  V  Orten 
und  Österreich  Anschläge  machen  könne ;  denn  diese  tagten  da- 
mals zu  Feldkirch,  um  sich  gegen  die  reformierten  Eidgenossen 
zu  verbünden,')  —  ein  Vorspiel  des  ersten  Kappelerkrieges.  Wohl 
um  die  Befürchtungen  der  Zürcher  zu  beseitigen,  gab  der  äbtische 
Vogt  zu  Rorschach,  Diethelm  Blarer,  dem  Stiftshauptmann  und 
den  das  Schloss  umlagernden  Bauern  zu,  dass  eine  Besatzung 
von  acht  Gotteshausleuten  —  je  zwei  Mann  von  Rorschach,  Stei- 
nach, Goldach  und  Tübach  —  ins  Schloss  gelegt  wurde. '^)  Zürich 
verfolgte  natürlich  nichts  destoweniger  den  stets  bedenklicheren 
Gesundheitszustand  des  Prälaten  mit  gespanntestem  Interesse  und 
forderte  seinen  Hauptmann  und  die  Stadt  St.  Gallen  auf,  den 
Verlauf  der  Krankheit  mit  grösster  Wachsamkeit  zu  beobachten,'^) 
soweit  dies  bei  der  Zurückgezogenheit  des  Abtes  Franz  noch 
möglich  war.  Schon  hatte  nämlich  Frei  geglaubt,  beobachten 
zu    können,    dass    man   unter    den   Konventualen   Anstalten    zu 


1)  A.-S.,  IL  74. 

2)  A.-S.,  IL  99. 

3)  Sicher  I,  S.  97/98. 

^)  Das  Bündnis,  welches  am  22.  April  1529  in  Waldshut  zum  Abschluss 
kam,  wurde  die  „christliche  Vereinigung"  genannt.    S.  101  Anm.  2. 
■')  Sicher  I,  S.  96  5-8  :  A.-S..  IL  129  2. 
'')  A.-S.,  II,  187. 


93 

einer  Neuwahl  treffe,  und  der  Dekan  Otmar  Glutz  war  nach  Ein- 
siedeln gereist/)  wo  sich  bekanntlich  fünf  abttreue  Konventherren 
aufhielten.  Aber  trotz  aller  Wachsamkeit  Jakob  Freis  und  St. 
Gallens  gelang  es,  den  Tod  des  Abtes,  der  am  23.  März  infolge 
von  Wassersucht  eingetreten  war,-)  geheim  zu  halten,-^)  bis  die 
Neuwahl  stattgefunden  hatte.  Das  Hauptverdienst  daran  kam 
Kihan  Germann  zu.  Sobald  nämlich  der  Abt  verschieden  war,  reiste 
er  nach  Einsiedeln  und  brachte  jene  fünf  Konventherren  nach 
Rapperswil.  Dort,  „in  der  nebendstuben"  des  „Roten  Löwen"^) 
wurde  er  selbst  am  25.  März  ^)  zum  Fürstabt  gewählt,  nachdem 
man  sich  schon  früh  er  heimlich  auf  diese  Wahl  geeinigt  zu  haben 
scheint.  ^') 

Am  Ostermontag  (29.  März)  wurde  die  Leiche  des  Abtes 
Franz  im  „capitelhus"  zu  St.  Gallen  beigesetzt.  Seitdem  die  Re- 
formation in  den  Stiftslanden  Eingang  gefunden,  war  sein  Leben 
ein  steter  Kampf  gewesen  gegen  den  neuen  Glauben,  dessen  Ver- 
breitung aber  auch  er,  wie  so  viele  andere  Prälaten,  vergeblich 
zu  hindern  gesucht  hatte.  Da  aber  der  jeweilige  Abt  von  St.  Gallen 
auch  Reichsfürst  war,  konnten  dem  Hause  Habsburg,  als  dem 
Inhaber  der  Kaiserwürde,  die  Misserfolge  des  Prälaten  nicht 
gleichgültig  sein.  Schon  am  26.  März  meldete  die  [nnsbrucker 
Regierung  dem  König  Ferdinand  den  Tod  des  Abtes,  indem  sie 
sich    zugleich    über    die    reformatorischen    Umtriebe    von    Bern, 

^)  A.-S.,  II,  183. 

^)  Dieses  Datum  ist  jedenfalls  das  richtige  und  nicht  der  21.  März,  wie 
V.  Arx  (S.  538)  annimmt;  denn  Kessler  (Sabb.  S.  314  lo-u)  und  Sicher  (I, 
99  4-io)  nehmen  beide  den  23.  März  an ;  v.  Arx  stützt  sich  wohl  auf  eine  wei- 
tere Stelle  in  Sichers  Chronik,  wo  —  in  teilweisem  Widerspruch  zur  früheren 
Angabe  (I,  S.  99  -i),  dass  der  Abt  am  „zistag  nach  palmarum",  d.  h.  am  23. 
März  gestorben  sei  —  Seite  104  27  als  Todestag  der  21.  März  angegeben  wird. 
Sicher  schreibt  , zistag,  was  21  tag  merzen."  Der  21.  März  war  jedoch  ein 
Sonntag,  der  23.  dagegen  ein  Dienstag. 

^)  tJber  die  Art,  wie  das  möglich  war,  s.  Sicher,  I,  S.  99  1-  10. 

■*)  Stumpf  spricht  davon,  dass  der  Abt  in  der  „Abtey  Rüti  behausung" 
gewählt  worden  sei  (Chronik,  V.  Buch,  S.  41).  „in  Rütensium  aedibus",  heisst 
es  bei  Mezler,  S.  644.  (Chronicon  S.  Galli  R.  P.  Mezleri.)  St.-A.,  Bd.  182. 
Zieglers  günstiges  Urteil  über  die  Zuverlässigkeit  des  Chronikschreibers  haben 
wir  bestätigt  gefunden.  E.  Ziegler:  Abt  Othmar  II.  von  St.  Gallen  (St.  Gallen 
1896),  S.  5. 

'')  V.  Arx  (II,  S.  539)  gibt  zwar  richtig  den  25.  März  an.  Es  war  aber 
nicht  ein  Charfreitag,  wie  er  glaubt,  sondern  der  voraufgehende  Donnerstag. 

'')  Sabb.,  S.  315  2:5-20  ;  Sicher,  I,  S.  98  16-18. 


1)4 

Zürich  und  Konstanz  beklagte;  es  wisse  auch  jedermann,  wie 
dem  geisthchen  Herrn  von  St.  Gallen,  trotzdem  er  ein  Fürst 
des  Reiches  gewesen,  „übel  ist  mitgefarn  worden".  ') 

Der  neue  Abt  Kilian  Germann,  welcher,  wie  schon  sein  Vater, 
den  Beinamen  ,,Köuffi"  führte,  stammte  aus  angesehener  Toggen- 
burger  Familie.  Seinen  Vater,  Hans  Germann,  hatte  1504  Abt 
Franz  zum  Amtmann  von  Lütisburg  in  der  Grafschaft  ernannt.-) 
Früher  „grosskeller"  zu  St.  Gallen,  war  Kilian  1523  Schaffner 
des  Gotteshauses  zu  Rorschach,  ■')  im  März  1528  äbtischer  Statt- 
halter oder  „Zinspropst^'  ')  zu  Wil  geworden.  Der  Bruder  unseres 
Abtes  war  der  „Hauptmann  von  Batzenheid",  so  genannt,  weil 
er  früher  als  Offizier  in  französischen  Diensten  gestanden  und 
zu  Batzenheid  unterhalb  Lichtensteig  wohnte.  "')  So  verband  sich 
mit  der  Person  Kilians  schon  manches,  was  seine  Wahl  als 
eine  glückliche  erscheinen  liess.  Zudem  war  der  neue  Abt  selbst 
,,ein  schön,  persönlich  man,  senftmütigs  und  früntlichs  dings  mit 
iedem  man",'')  und  dies  musste  ihn  für  den  schwierigen  Posten 
besonders  geeignet  machen.  Mochte  er  auch  „nit  giert"  sein, 
so  zieigte  er  doch  Verständnis  für  geistige  Bildung,  indem  er, 
trotz  der  schwierigen  finanziellen  Lage  des  Stiftes,  drei  junge 
Konventualen  auf  die  Universität  Tübingen  schickte. '')  Zudem 
war  Kilian,  wie  wir  im  Verlaufe  unserer  Darstellung  noch  ge- 
nügend sehen  werden,  ein  sehr  zäher  und  mutiger  Verteidiger 
der  Rechte  seines  Stifts.  Wenn  dessenungeachtet  der  Erfolg  seiner 
Regierung  gleich  Null,  ja  die  äbtische  Herrschaft  bei  seineni  Tode 
weit  schlimmer  dran  war  als  zur  Zeit  seiner  Wahl,  so  lag  das  zum 
wenigsten  an  seiner  Person;  vielmehr  waren,  abgesehen  von 
seinem  unerwartet  frühen  Hinschied,  die  besonderen  Schwierig- 
keiten, die  sich  ihm  entgegenstellten,  daran  schuld ;  hatte  er  doch 
gegen  die  Hochflut  der  deutsch-schweizerischen  Reformations- 
bewegung anzukämpfen. 

^)  Statthalterei-Archiv  Innsbruck.  Copialbuch :  An  die  königl.  Maj.  1527 
bis  1529  .    Lib.  3. 

^)  S.  über  ihn  St.-A.,  Bd.  50,  S.  7,  Bd.  80,  S.  271  ;  Bd.  114,  fol.  220  und 
236  b:  Lehenbuch,  fol.'  95  und  134  b.    Letzte  Erwähnung  Bd.  80,  S.  942. 

3)  St.-A.,  Bd.  98,  S.  199  b. 

4)  Vad.  II,  S.  413  js. 

■^)  Vad.,  II,  S.  413  21-23. 
6)  Vad.,  II,  S.  413  24-25. 
')  Tgb.  Sail.,  foL  76  b.    St.-A.,  Bd.  307,  S.  97. 


95 

Am  Ostersonntag  1529  wurde  die  Wahl  Kilians  in  der  Kirche 
zu  Rorschach  feierlich  verkündet,  ^)  wobei  Vogt  Jakob  am  Ort 
von  Luzern  und  Vogt  Kaspar  Stalder  von  Schwyz  anwesend 
waren.  -)  Erst  jetzt  wurde  aucli  der  Öffentlichkeit  der  Tod  des 
Abtes  Franz  mitgeteilt.  Tags  vorher  schon  hatten  Am  Ort  und 
Stalder  den  Hauptmann  Frei  von  der  neuen  Abtwahl  in  Kenntnis 
gesetzt  und  ihn  eingeladen,  sich  am  28.  März  bei  Kilian  in  Ror- 
schach einzustellen.  Darauf  wurde  noch  am  späten  Abend  dieses 
Tages  Zürich  —  St.  Gallen  hatte  ihm  am  gleichen  Tag  den  Tod 
des  Abtes  Franz  gemeldet  ■^)  —  durch  Frei  über  die  Sachlage 
orientiert.  *)  Hier  w.ar  man  entschlossen,  offene  Gewalt  zu  ge- 
brauchen, um  der  Wahl  jede  Bedeutung  zu  nehmen.  So  gab  Zürich 
zwei  Tage  später  einer  Gesandtschaft  die  Instruktion  mit,  den 
neuen  Abt  samt  dem  Reichsvogt  des  Prälaten,  Heinrich  Schenkli, 
gefangen  nehmen  zu  lassen  und  sie  bis  auf  weiteres  zu  St,  Gallen 
in  Haft  zu  behalten.  ■')  Zum  mindesten  sollte  dem  Abt  ..alle  ge- 
waltsamy"  abgeschlagen  werden,  bis  die  vier  Orte  gemeinsam 
in  der  Angelegenheit  Beschluss  gefasst  hätten,")  da  er  durch 
„böse,  arglistige  practiken"  ohne  Wissen  Zürichs  und  des  Haupt- 
manns gewählt  worden  sei.  Die  Gesandten  werden  wohl  noch 
am  gleichen  Tag  abgereist  sein,  da  schon  am  folgenden,  es  war 
der  30.  März,  Kilian  einen  Boten  zu  den  vier  Schirmorten  sandte 
mit  einer  Instruktion,  in  der  er  sich  darüber  beschwerte,  dass 
ihm  von  Zürich  durch  eine  Botschaft  die  Ausübung  seiner  Herr- 
schaftsrechte verboten   worden  sei.    „Und  als  nun  s(in)  g(naden) 


')  Vad.,  III,  S.  227  4  :  Sicher,  I,  S.  99  13. 

^)  Vad.,  III,  S.  227  5.  Dass  Luzern  und  Schwyz  an  der  heimlichen  Wahl 
und  Einsetzung  des  Abtes  ohne  Anteil  gewesen,  können  wir  nicht  glauben, 
trotz  bestimmtester  Versicherungen  von  Schwyz,  dass  es  und  Luzern  weder 
Hilfe  noch  Rat  und  Tat  dabei  geleistet  (A.-S.,  II,  1486).  Die  beiden  Orte  hatten 
ein  zu  grosses  Interesse  daran,  dass  die  erledigte  Abtsstelle  nicht  unbesetzt 
blieb.  Ferner  befanden  sich  die  abttreuen  Mitglieder  des  Kapitels,  unmittelbar 
bevor  Abt  Franz  starb,  im  Kloster  Einsiedeln.  Auch  werden  die  beiden  Boten 
von  Luzern  und  Schwyz  wohl  nicht  erst  zur  Einsetzung  des  Abtes  wie  zur  Pa- 
rade nach  Rorschach  gekommen  sein  (s.  auch  A.-S.,  II,  1532).  Wenigstens 
waren  sie  beim  Tode  des  Abtes  Franz  zugegen  (Bull.,  II,  S.  114). 

3)  A.-S..  II,  223. - 

■')  A.-S.,  II,  221. 

•')  A.-S.,  II,  228. 

'=)  A.-S.,  II,  242. 


96 

und  gozhus  mit  lüt  und  land  üch  alss  s(mer)  g(naden)  g(nädig) 
l(ieben)  h(erren)  mit  biiigk-  und  lantrecht  hoch  und  tref fenUch  ver- 
want,  ist  s(iner)  g(naden)  hoch  und  ernsthch,  treffenUch  pitt  und 
beger  mit  allem  fliss  und  ernst,  ir  wollind  dieselbig  sin  g(naden) 
und  gozhus  by  siner  friheit,  herlikeit  und  gerechtigkait  beliben 
lausen,  auch  sin  g(ozhus)  by  ainem  er  weiten  herrn  und  appt 
schüzen,  schirmen  und  handhaben  und  üch  mit  sampt  den  andren 
dry  orten  ains  tags  berümen,  und  so  ir  lieber  üch  zesamen  ver- 
mögen, wil  sin  gnad  ir  potschafft  ouch  dahin  verordnen".  ^)  Die 
Aufforderung  Zürichs,  in  seinem  Regiment  vorderhand  stillzu- 
stehen, liess  der  Abt  lange  unbeantwortet;  er  wollte  Zeit  ge- 
winnen. Erst  am  13.  April  antwortete  er,  die  Aufforderung  habe 
ihn  befremdet;  er  könne  momentan  keinen  definitiven  Bescheid 
geben,  da  er  wenig  Räte  bei  sich  habe  und  mit  Geschäften  über- 
laden sei.  -)  Doch  hinderte  das  Zürich  nicht,  die  Angelegenheit 
in  seinem  Sinne  ernergisch  weiter  zu  betreiben.  Wohl  noch  im 
März  gab  es  Johannes  Bleuler  den  Befehl,  mit  Ammann  und 
Rat  von  Glarus  wie  besonders  mit  den  dortigen  „Gutwilligen" 
zu  unterhandeln,  und  sie  zum  Höchsten  zu  bitten,  Glarus  möge 
den  Abt  nicht  bestätigen  und  nicht  zur  Regierung  kommen  lassen, 
besonders  da  die  Wahl  in  betrügerischer  Weise  stattgefunden. 
Der  Bote  sollte  auch  den  Landleuten  mitteilen,  was  Zürich  bisher 
in  der  Angelegenheit  getan  habe.  •')  Doch  die  Glarner  Hessen 
sich  daraufhin  durch  zwei  eigens  entsandte  Boten  belehren,  dass 
die  Wahl  nicht  in  der  Weise  stattgefunden  habe,  wie  die  Zürcher 
erzählt  hatten,')  und  dies  scheint  einen  Entscheid  der  Glarner  zu- 
gunsten Zürichs  verhindert  zu  haben.  Währenddem  schrieb 
letzteres  an  die  bedeutendsten  Gemeinden  des  Fürstenlandes  '') 
wie  auch  an  Schultheiss  und  Rat  zu  Lichtensteig, '')  dem  Abt 
den  Huldigungseid  bis  auf  weiteres  nicht  zu  leisten.  Ferner  for- 
derte die  Zürcher  Obrigkeit  am  3L  März  St.  Gallen  auf,  bei  den 
Gotteshausleuten,  die  in  die  Stadt  kämen,  in  gleichem  Sinne  zu 


^)  St.-A.,  Bd.  99  b. 

^)  Staatsarchiv  Zürich,  Akten  Abtei  St.  Gallen  orig. 

3)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  52. 

1)  Val.  Tschudi,  S.  64. 

'')  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  52  (1). 

ß)  St.-A.,  Bd.  99  b. 


97 

wirken;  die  Wahl  Kilians  habe  „mit  nit  wenigem  alenfanz  und 
fuler  pratiken"  stattgefunden  hinter  Zürich  und  dem  Stiftshaupt- 
mann. 

Wollte  nämlich  Zürich  in  seinem  gewalttätigen  Vorgehen 
gegen  den  Abt  Erfolg  haben,  so  war  das  nicht  anders  möghch, 
als  dass  es  alle  Elemente  des  Widerstandes  gegen  das  äbtische 
Regiment  zusammenfasste.  Hatte  doch  der  Prälat  zu  Rorschach 
den  Zürcher  Gesandten  bereits  erklärt,  „dass  er  von  der  heiligen 
mess  nit  stan  und  ee  daran  sin  Hb,  gut  und  alles  das,  so  er 
vermöge,  setzen  welle".  ^)  Er  hatte  sich  auch  weiter  um  seine 
Anerkennung  bemüht,  so  bei  seinen  Landsleuten  im  Toggenburg. 
Wohl  vom  Anfang  April  stammt  ein  Aktenstück  im  Zürcher 
Staatsarchiv,  das  von  derartigen  Bemühungen  Kilians  in  der 
Grafschaft  Toggenburg  berichtet:  er  sei  dort  vor  den  Landrat 
getreten  und  habe  ihn  ersucht,  ihn  anzuerkennen;  die  Landräte 
hätten  ihm  aber  zur  Antwort  gegeben,  man  werde  tun,  was  man 
schuldig  sei ;  -)  dieser  Bescheid  habe  dem  Abt  nicht  gefallen ; 
er  habe  auch  angesehenen  Personen  im  Toggenburg  100  Kronen 
und  anderes  versprochen.  ■^)  Wirklich  lieh  er  dem  Toggenburg 
100  Gulden,  wofür  ihm  am  1.  April  Altamman  Bernhard  Künzli, 
Ammann  Rüdlinger  und  der  Hauptmann  von  Batzenheid  im  Namen 
gemeiner  Landleute  einen  Schuldbrief  ausstellten.  *)  Auch  Ror- 
schach und  Gossau  bat  Kilian  persönlich,  ihn  anzuerkennen. 
Sein  leutseliges  Wesen  mochte  ihm  dabei  nicht  wenig  zustatten 
kommen ;  denn  er  benahm  sich  „ganz  herrlich  und  eerlich  mit 
schenken  und  gastfrije".  ^)  Am  5.  April  bat  er  ferner  in  einem 
Schreiben  die  Gemeinde  Tablat  um  seine  Anerkennung. '')  Es 
mochte  kein  Zufall  sein,  dass  sich  der  Abt  gerade  an  diese  Ge- 
meinde wandte;  denn  die  Tablater  hatten  (vielleicht  allein  von 
den  Gotteshausleuten)  in  corpore  in  schwarzen  Kleidern  der  Bei- 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  52  (1) ;  zur  Ergänzung  s.  Vad.,  III,  S.  227  r,-o  ;  Sabb., 

S.   315  29—31. 

^)  Diese  Nachricht  wird  bestätigt  durch  die  Missive,  welche  Kilian  am 
19,  August  1529  an  die  Gemeinden  zu  Lütisburg  und  Lichtensteig  schickte, 
in  welchen  er  seine  bisherigen  Bemühungen  bei  den  Toggenburgern  um  Aner- 
kennung resümierte  (St.-A.,  Tom.  101,  S.  32 — ^34). 

'')  A.-S.,  II,  240. 

■^)  St.-A.,  Fase.  14.- 

'')  Sabb.,  S.  315  26-27. 

'>)  V.-B.-S.,  IV,  Nr.  570. 

St.  G-aUer  Mittlgn.  z.  vaterländ.  Gesell.  XXXIII.  7 


98 

Setzung  des  Abtes  Franz  beigewohnt.  ')  Aber  von  dort,  wie  aucli 
von  andern  Gemeinden  im  Fürstenlande,  erhielt  Kilian  abschlägige 
Antwort, ")  trotzdem  er  versprochen,  den  Beschwerden  seiner 
Untertanen  über  unbillige  Abgaben  gern  Gehör  schenken  zu 
wollen.  ■^) 

Doch  die  Schwierigkeiten,  auf  die  Zürich  bei  der  Durchführung 
seiner  Pläne  in  der  Alten  Landschaft  stiess,  waren  auch  jetzt 
noch  keineswegs  gering.  Der  Abt  muss  im  Fürstenlande  noch 
zahlreiche  Anhänger  gehabt  haben,  die  sich  darauf  beriefen,  drei 
Schirmorte  auf  ihrer  Seite  zu  haben,  so  dass  der  Hauptmann  Frei 
seine  Regierung  bat,  bei  Glarus  auszuwirken,  dass  er  im  Namen 
der  zwei  Orte  grössere  Handlungsfreiheit  in  Sachen  des  „Gottes- 
worts" bekomme,  damit  er  den  Widerwärtigen  leichter  „in  die 
zahne  stehen"  könne.  ^)  Besprechungen,  die  zwischen  den  Ge- 
sandten der  beiden  Stände  zu  Wil  anfangs  April  stattfanden, 
brachten  aber  für  Zürich  nicht  den  gewünschten  Erfolg,  weshalb 
die  Zürcher  Gesandten  und  Jakob  Frei  von  Wil  aus  ihre  Obrigkeit 
aufforderten,  bei  Glarus  von  neuem  dahin  zu  wirken,  dass  die 
beiden  Orte  in  Glaubenssachen  einig  gingen.  ■')  Die  Zürcher  er- 
suchten denn  auch  Glarus,  seine  Gesandten  auf  den  14.  April 
mit  Vollmacht  in  ihre  Stadt  zu  schicken,  um  im  Verein  mit  den 
Abgeordneten  von  St.  Gallen  bei  der  Beseitigung  der  äbti- 
schen Herrschaft  und  der  Messe  in  den  Stiftslanden  behilflich 
zu  sein.  ")  Dieser  Tag  dürfte  wirklich  stattgefunden  haben, 
aber  von  Glarus  nicht  besucht  worden  sein.  Wenigstens  ver- 
fasste  Zwingli  am  15.  April,  in  Anwesenheit  von  St.  Galler  Ge- 
sandten, einen  Ratschlag  in  der  äbtischen  Sache.  ')  Darin  ist 
niedergelegt,  wie  Zürich  vorderhand  in  der  Angelegenheit  vor- 
zugehen gedachte.  Die  Eingangsworte  des  Memorandums  weisen 
in  nicht  misszuverstehender  Weise  darauf  hin,  dass  es  zwischen 
der  Stadt  und  dem  Abt  keinen  Ausgleich  geben  könne,  da  jene 
den  Gotteshausleuten  für  ihren  evangelischen  Glauben  mit  Leib 


1)  Sicher,  I,  S.  99  27/28. 

-)  Sicher,  I,  S.  105  I8/19. 

3)  A.-S.,  11,  261. 

^)  A.-S.,  11,  242. 

•')  A.-S.,  ir,  249. 

«)  A.-S.,  II,  262. 

')  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  782  u.  3. 


99 

und  Gut  Beistand  versprochen,  Kilian  aber  offen  habe  merken 
lassen,  er  werde  zur  Erhaltung  und  Wiederaufrichtung  der  Messe 
in  seinen  Gebieten  alles  einsetzen.  ^)  Wenn  auch  der  Abt  be- 
haupten möchte,  dass  er  das  nicht  gesagt,  so  hätten  doch  seine 
Bemühungen  bei  den  Gotteshausleuten  und  den  Toggenburgern 
um  seine  Anerkennung  als  Abt  genügend  dargetan,  dass  er  seinen 
Mönchsstand  nicht  aufgeben  wolle  und  auch  „weltlich  ze  herrschen 
hoch"  begehre;  das  heisse  soviel,  dass  Kilian  im  Sinne  habe, 
Stetsfort  gegen  das  Gotteswort  zu  streiten.  Nun  habe  aber  der 
Abt  wohl  10,000  Gl.  jährliches  Einkommen,  womit  er,  wenn  er 
das  Geld  dazu  benütze.  Zürich  entgegenzutreten,  es  „wol  zu 
armüt  richten  möcht''.  Darum  wolle  es  den  Abt  nicht  aner- 
kennen und  überhaupt  die  geistliche  Herrschaft  in  den  Stifts- 
landen vernichten.  Wolle  Glarus  nicht  mitwirken,  so  werde  Zürich 
allein  handeln ;  doch  sollten  die  Rechte  der  zwei  oder  drei  andern 
Schirmorte  nicht  angetastet  werden,  soweit  es  zeitliche  Güter 
imd  Herrschaftsrechte  betreffe,  ausser  wenn  es  sich  fände,  dass 
Luzern  und  Schwyz  treulos  hinter  dem  Rücken  der  Zürcher  ge- 
handelt hätten.  -)  Die  Mönche  sollten  ausgesteuert  werden  „so- 
ferr  sy  geheiner  untrüwen  pratik  hoptsächer  gewesen".  Mit 
Glarus  solle  „angends"  ernstlich  in  der  Angelegenheit  in  obigem 
Sinne  gehandelt  werden. 

Ein  weiteres  Gutachten  vom  gleichen  Tage  war  dazu  be- 
stimmt, die  Gotteshausleute  für  die  Sache  Zürichs  zu  gewinnen. 
Es  wurde  ihnen  darin  vorgestellt,  dass  sie  bei  Anerkennung  des 
Abtes  des  Gottes  Wortes  -wiederum  entroubet  und  in  das  bapstum 
gstossen  wurdind".  Auch  wäre  sicherlich  für  sie  unerträglich, 
wenn   Luzern    und    Schwyz   im  Verein    mit   dem  Abte   über   sie 


\)  Am  20.  Februar  1529  hatten  auch  Dekan  und  Konvent  des  Klosters 
St.  Gallen  eine  feierliche,  schriftliche  Erklärung  abgegeben,  dass  sie  beim  ka- 
tholischen Glauben  bleiben  wollten ;  wenn  aber  einer  von  ihnen  trotzdem  zum 
neuen  Glauben  abfalle,  so  solle  er  aller  Rechte  „ad  monasterii  bona  ac  privi- 
legia"  verlustig  gehen,    (A.-S.,  II,  116.) 

-)  Damit  hatte  Zürich  sich  selbst  die  Handhabe  gegeben,  ohne  Luzern  und 
Schwyz  in  der  äbtischen  Angelegenheit  nach  Gutdünken  zu  handeln,  da  es  ja 
bereits  den  beiden  (Jrten  vorwarf  —  und  wohl  mit  Recht,  —  hinter  Zürichs 
Rücken  dem  neuen  Abt  zu  seiner  Wahl  geholfen  zu  haben.  Glarus  war  durch 
die  religiösen  Streitigkeiten  im  eigenen  Lande  vorderhand  verhindert,  eine  feste 
äussere  Politik  zu  betreiben,  und  als  dann  die  Reformation  dort  siegte,  wurde 
es  von  Zürich  ins  Schlejiptau  genommen. 


100 

herrschen  sollten,  wie  das  geplant  sei.  Zürich  dagegen  wolle 
ihnen,  eventuell  ohne  Glarus,  soziale  Erleichterung  verschaffen. 
Daneben  war  in  dem  Gutachten  vorgesehen,  die  Toggenburger 
zu  „trösten",  die  sich  bereits  Ende  März  bei  Zürich  um  den  Los- 
kauf von  der  äbtischen  Herrschaft  beworben  hatten.^)  Am  Schlüsse 
dieser  zweiten  Denkschrift  stehen  die  bezeichnenden  Worte : 
., Summa,  dass  alle  ratschlag  dahin  reichind,  dass  der  münch 
nümmen  ein  hengst  sye  und  gheine  junge  me  mache,  sunder 
ghalftret,  zöumt  und  im  gstall  gon  gelert  werd".  ^) 

Diesen  Worten  entsprach  zum  Teil  die  rücksichtslose  Pro- 
paganda, die  Zürich  bei  den  Gotteshausleuten  für  das  Evangelium 
wie  für  seine  politischen  Interessen  veranstaltete.-^)  Dies  brachte  ihm 
den  grossen  Erfolg,  dass  „glich  nach  osteren"  eine  grosse  Lands- 
gemeinde des  Fürstenlandes  zu  Lömmiswil,  welche  Luzern,  Schwyz 
und  Glarus  einberufen  hatten,  damit  die  Gotteshausleute  den 
Abt  als  ihren  Herrn  anerkennen  möchten,  ^)  völlig  zugunsten 
Zürichs  verlief.  Die  versammelten  Stiftsbauern  erklärten  den 
drei  Orten  (Zürich  war  nicht  erschienen),  sie  wollten  beim  „Gottes- 
wort" bleiben  und  keinen  Abt  ohne  Gunst,  Wissen  und  Willen 
von  Zürich  anerkennen.  ■')  Am  23.  April  bestätigten  die  Aus- 
schüsse von  21  Gemeinden  der  Gotteshausleute  den  Beschluss 
einer  zürcherischen  Botschaft  gegenüber  in  Gegenwart  von  Ab- 
geordneten von  Luzern  und  Schwyz.  ^)  Diese  Zusage  musste 
den  Zürchern  doppelt  willkommen  sein  bei  der  gefährlichen 
Spannung,  die  zwischen  ihnen  und  ihren  katholischen  Eidgenossen 
herrschte.  Am  8.  iVpril  hatte  nämlich  Zürich  in  seinen  Gebieten 
das  Aufgebot    zur   Rüstung    erlassen,    da    man   nicht   wisse,   zu 


1)  A.-S.,  II,  227. 

''^)  E.  A.,  IV,  1  1).  S.  153. 

•^)  Sicher,  I,  8.  106  und  107/108. 

■*)  Sicher,  I,  S.  105  20-29. 

■')  Sabb.,  S.  315/316;  Sicher,  I,  S.  105  26-29,  lässt  die  Gotteshaiisleute 
eine  andere  Antwort  geben  :  da  nur  3  statt  4  Schirmorte  anwesend  seien,  könnten 
sie  jetzt  keine  Antwort  geben. 

'^)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  71  a  1  und  b2.  v.  Arx  (II,  S.  541)  verlegt  unrichtig 
die  Lömmiswiler  Landsgemeinde  auf  den  23.  April.  Ihm  folgt  Näf,  Chronik 
der  Stadt  und  Landschaft  St.  Gallen  (Zürich,  St.  Gallen  1850),  S.  223,  während 
sich  aus  Sabb.  und  E.  A.  ganz  klar  ergibt,  dass  zu  Rorschach  am  23.  April  die 
Ausschüsse  einer  bald  nach  Ostern  abgehaltenen  Landsgevneinde  von  Löm- 
miswil erschienen. 


101 

welcher  Stunde  man  ausrücken  müsse.  ')  Am  22,  April  dagegen 
fand  der  Abschluss  eines  Bündnisses  der  V  Orte  mit  König  Fer- 
dinand statt,  -)  und  Marx  Sittich  von  Ems  sorgte  dafür,  dass 
Österreich  stets  genau  unterrichtet  war  über  die  Läufe  in  der  Eid- 
genossenschaft; er  tat  auch  sein  möglichstes,  um  das  Vorarlberg- 
kriegsbereit  zu  machen.  •')  Anderseits  aber  strengte  sich  Zürich 
mächtig  an,  der  Reformation  im  äbtischen  Gebiet  überall  zum 
Sieg  zu  verhelfen.  So  wurde  z.  B.  der  Abt,  der  sich  zu  Wil 
aufhielt,  durch  Drohungen  gezwungen,  die  Messe  daselbst  abzu- 
stellen. *)  Doch  die  schwankende  Haltung  von  Glarus  liess  Zürich 
noch  zu  keinem  durchschlagenden  Erfolge  in  der  äbtischen  An- 
gelegenheit kommen. 

Dass  man  im  Fürstenlande  unter  dieser  Unsicherheit  der 
Verhältnisse  schwer  zu  leiden  hatte,  ist  klar.  Ordnung  der  Zu- 
stände in  der  Alten  Landschaft  und  Einsetzung  des  Abtes  in 
sein  Regiment  waren  deshalb  die  Haupttraktanden  einer  Rappers- 
wiler  Konferenz,  die  Ende  April  auf  Ansuchen  Kilians  stattfand.-') 
Doch  erschienen  nicht,  wie  der  Abt  es  gewünscht,  alle  vier  Schirm- 
orte, sondern  nur  Luzern,  Schwyz  und  Glarus,  '0  trotzdem  auch 
Zürich  vom  Abt  eingeladen  worden  war.  ')  Deshalb  schrieben 
die  drei  Orte  am  29.  April  an  dieses,  man  sei  darüber  befremdet, 
dass  es  den  Tag  nicht  besuche,  besonders  da  es  den  Abt  ge- 
heissen,  bis  auf  weiteres  „stillzustehen".  Man  erwarte,  dass  die 
Stadt  ihre  Botschaft  unverzüglich  nach  Rapperswil  abfertigen 
werde,  sei  auch  bereit,  einen  weiteren  Tag  da  abzuhalten,  wo 
es  Zürich  „gefellig"  sei;  nur  möge  es  dann  für  die  Sicherheit 
der  Gesandten  des  Abtes  und  der  drei  Orte  bürgen.  Zürich  setzte 
darauf  einen  Tag  auf  den  17.  Mai  nach  Wil  an.  Die  drei  Stände 
waren  von  dieser  Hinausschiebung  der  äbtischen  Angelegenheit 


')  A.-S.,  II,  269. 

^)  E.  A.,  IV,  1  b,  Beilage  5.  Es  ist  die  in  Anm.  4  Seite  92  erwähnte 
„christliche  Vereinigung" . 

''^)  Statth alterei- Archiv  Innsbruck.  Copialbücher :  An  königl.  Maj.,  Lib.  3. 
Das  Regiment  an  den  König,  d.  d.  4.  Juni  1529. 

'^)  A.-S.,  II,  3342  ;  Sicher,  I,  S.  107  27-28. 

°)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  78. 

'■)  Sicher,  I,  S.  107ii.  Der  Abt  konnte  nicht  selbst  erscheinen,  da  er  es 
nicht  wagte,  durch  Zürcher-  oder  Toggenburger  Gebiet  nach  Rapperswil  zu 
reisen,  s.  ebenda  Z.  8 — 10. 

^)  St.-A.,  Bd.  99  b,  S.  43. 


102 

wenig  erbaut.  Sie  erklärten  zwar,  den  Tag  besuchen  zu  wollen; 
Zürich  möge  aber  seinen  Gesandten  schon  für  den  nächsten 
Badener  Tag  den  Auftrag  erteilen,  mit  den  drei  Orten  in  Sachen 
des  Abtes  zu  verhandeln.  \)  Warum  Zürich  die  Rapperswiler 
Konferenz  nicht  besuchte,  ist  klar:  zu  Glarus  wehte  wieder  einmal 
ein  für  den  Abt  günstiger  Wind.  Immerhin  verhinderte  der  Glarner 
Landrat,  dass  zu  Rapperswil  von  der  Mehrheit  der  Schirmorte  ent- 
scheidende Beschlüsse  zugunsten  des  Abtes  gefasst  wurden,  indem 
er  seine  Gesandten  nur  zum  Referieren  instruierte.  -)  Aus  dieser 
Haltung  von  Glarus  scheint  sich  der  Schirmhauptmann  Frei  am 
wenigsten  gemacht  zu  haben,  da  er  sich  der  Mehrheit  der  äbtischen 
Untertanen  sicher  wusste.  Er  schrieb  in  diesen  Tagen  an  Zwingli: 
die  Zürcher  Obrigkeit  solle  nur  recht  „handfest'"  sein  und  das 
Beste  tun;  „dann  die  lüt  sind  gar  am  hag'' ;  wenn  auch  alle  drei 
andern  Schirmorte  gegen  Zürich  sein  sollten,  so  hoffe  er  doch, 
,,wir  wellend  die  sach  wol  eroberen".  '■')  Bis  dahin  konnte  aber 
noch  geraume  Zeit  verstreichen,  da  Luzern  und  besonders  Schwyz 
sich  kräftig  für  den  Abt  ins  Zeug  legten,  auch  Kilian  persönlich 
bei  ihnen  für  seine  Sache  wirkte.  ^)  Bereits  am  4.  Mai  tagten 
die  beiden  Orte  im  Verein  mit  Glarus  zu  Wil.  Die  Konferenz 
war  aber  ergebnislos,  da  die  Glarner  Boten  laut  ihrer  Instruktion 
nur  da  mithandeln  durften,  wo  die  andern  drei  Schirmorte  eins 
waren.  Nun  hatte  Zürich  zwar  einen  Boten  auf  des  Abtes  Kosten 
nach  Wil  gesandt,  ihm  jedoch  keinen  andern  Befehl  gegeben,  als 
zu  beobachten,  ob  die  Gesandten  der  beiden  katholischen  Schirm- 
orte „hinderrugs"  von  Zürich  etwas  vornehmen  würden.  ■')  Der 
Abt  war  mit  dieser  Haltung  recht  wenig  zufrieden.  Als  Jakob 
Frei  und  der  Zürcher  Gesandte,  wahrscheinlich  Meister  Nikiaus 
Brunner,  auf  die  Aufforderung  des  Abtes,  an  der  Beratung  seiner 
Angelegenheit  mit  den  andern  Orten  teilzunehmen  und  mitzu- 
handeln,   erklärten,   sie   hätten   dazu   keinen   Befehl,   drohte   der 


'j  E.  A..  IV,  1  b,  Nr.  78,  4.  6.  7. 

■')  A.-S.,  II,  S.  339. 

3)  A.-S.,  II,  341. 

^)  Vad.,  II,  S.  413  29. 

■')  Dies  geht  wenigstens  aus  einem  Schreiben  hervor,  das  Jakob  am  Ort 
von  Wil  aus  im  Mai  dieses  Jahres  an  Luzern  richtete.  Wir  glauben  mit 
Strickler  (A.-S.,  II.  351),  dass  die  Abfassung  der  Missive  in  die  Zeit  vom  4. 
bis  6.  Mai  fällt. 


103 

Prälat,  er  werde  andere  Schirmherren  suchen  müssen,  wenn  er 
nicht  besser  beschirmt  werde.  Er  möge  tun,  was  ihn  gutdünke, 
wurde  ihm  erwidert.  ')  Immerhin  fand  sich  Frei  doch  wieder 
einmal  veranlasst,  seine  Obrigkeit  anzuspornen,  tapfer  zu  handeln, 
da  sonst  viel  verloren  gehen  könnte.  -) 

Zürich  hatte  diesmal  den  Wink  nicht  nötig.  Am  gleichen 
Tag,  da  der  Schirmhauptmann  die  obige  Mahnung  aufsetzte,  es 
war  der  7.  Mai,  verhandelten  im  Namen  der  Stadt  Jos  v.  Chuosen 
und  Jakob  Werdmüller  mit  dem  Landrat  von  Glarus,  um  ein  Zu- 
sammengehen der  beiden  Orte  in  Sachen  der  Abtei  St.  Gallen 
und  ihres  Oberhauptes  zu  erzielen.  ')  Die  Instruktion  der  Zürcher 
Gesandten  betonte  in  schroffster  Weise  den  neugläubigen  Stand- 
punkt. Der  Mönchs-  und  Nonnenstand  sei  „ein  luter  betrug, 
irrsal  und  greuwel  vor  gott"  hiess  es  darin ;  männliche  und  weib- 
liche Klosterinsassen  werden  als  „unnützes  Volk  und  Müssig- 
gänger"  bezeichnet,  durch  die  der  gemeine  Mann  unbillig  und 
schwer  bedrängt  würde.  Wichtiger  ist  die  Stelle  in  der  Schrift, 
wo  Zürich  auseinandersetzt,  wie  es  den  Begriff  Gotteshaus  auf- 
fasse: „dann  je  nit  allein  das  steinin  huss  und  darin  ein  hüfli 
mutwilliger,  frächer  münchen,  sunder  meer  die  biderben  Kit  und 
ganzen  gemeinden,  zu  dem  gotshus  gehörig,  das  gotshus  zu  Sanct 
Gallen"  sind.  SicherUch  kann  auch  der  weitern  Stelle  in  der 
Instruktion  eine  gewisse  Berechtigung  nicht  abgesprochen  werden, 
wo  sich  Zürich  dagegen  verwahrt,  .,dass  ein  einziger  unnützer' 
münch,  der  etwa  wol  als  bald  über  Ryn  här,  hüt  ein  Schwab, 
morn  ein  Frank,  einer  Eidgnoschaft  und  denen,  so  dem  gotshus 
verwandt,  weder  trüw  noch  hold  wäre",  über  die  Abtei  gebiete 
und  mit  Hilfe  der  grossen  Mittel,  welche  seine  Lande  ihm  ein- 
brächten, „villicht  unsere  fygend  und  widerwärtigen  damit  ent- 
halten" und  „über  uns  füeren"  werde,  statt  dass  die  Einnahmen 
den  armen  Untertanen  des  Abtes  zugute  kämen.  Man  fordere 
den  Zorn  Gottes  heraus,  wenn  man  dem  Zustand  kein  Ende  mache. 
Zürich  habe,  um  sich  mit  Glarus  weiter  über  das  Vorgehen  gegen 
den  Abt  zu  beraten  —  es  sei  ihm  ja  in  dieser  Hinsicht  von  den 
Glarnern  günstiger  Bescheid  erteilt  worden  —  den  Tag  in  Rappers- 
wil  nicht  besucht,  „sunder  den  dest  länger  fürgestreckt  und  gan 


»)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  83  :;. 

-')  A.-S.,  11,  358  ■>. 

■')  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  87. 


104 

Wyl  bestimpt".  Nach  solchen  Erklärungen  sollten  die  Gesandten 
die  Glarner  Räte  zum  höchsten  bitten,  die  Gotteshausleute  nicht 
länger  mit  dem  Abte  zu  beschweren,  „der  ihnen  als  vil  als  un- 
wissend erweit"  sei,  sondern  sich  in  der  äbtischen  Angelegenheit 
und  dem  Gottes  wort  mit  Zürich  „verglychen" ;  darauf  hoffe  man 
bestimmt  und   werde  es  den  Glarnern  ,,niemermeer"  vergessen. 

Zwei  Ratschläge  sodann,  von  Zürich  ausgearbeitet  und 
ebenfalls  für  die  Unterhandlungen  mit  Glarus  bestimmt,  enthalten 
Zürichs  Ansicht  über  die  zukünftige  Regierung  und  Verwaltung 
der  äbtischen  Untertanenlande. .  Das  zweite  dieser  Gutachten 
zeichnet  sich  namentlich  durch  seine  scharfe  Spitze  gegen  den 
Abt  aus.  Danach  sollte  ihm  und  den  Mönchen  jede  Regierung  der 
Gotteshauslande  „anrucks"  entzogen  und  vier  Vögten  übergeben 
werden,  von  denen  der  Hauptmann  der  erste  wäre.  Um  die 
künftigen  Untertanen  für  das  neue  Regiment  zu  gewinnen,  sollten 
ihnen,  sobald  sie  den  vier  Orten  den  Huldigungseid  ablegten, 
ihre  grössten  Beschwerden  abgenommen  werden. 

Zürich  erntete  mit  seiner  Mission  vor  dem  Glarner  Landrate 
den  Erfolg,  dass  dieser  sich  mit  ihm  auf  folgende  drei  Artikel 
einigte:  1.  „der  vermeint  Appt"  soll  „sin  kutten  und  unnützen 
unbegründten  Münchenstand  .  .  ,  und  was  dem  anhangt  .  .  , 
mit  heyliger,  göttlicher,  biblischer  geschrifft  allts  und  nüws  tes- 
taments  .  .  .  erhalten"  (d.  h.  als  von  Gott  eingesetzt  erweisen)  .  .  . 
oder,  wenn  er  das  nicht  kann,  den  Mönchsstand  aufgeben  und 
nur  noch  ein  Schaffner  und  Statthalter  sein.  2.  Des  Gottes- 
hauses Habe  und  Güter  sollen  aufgeschrieben  werden  und  der 
ehemalige  Abt  den  vier  Schirmorten  und  den  Gotteshausleuten 
jährlich  Rechnung  über  seine  Amtsführung  ablegen.  3.  Den 
Gotteshausleuten  sind  die  „unlydenlichen  Beschwerden"  abzu- 
nehmen. ^) 

Doch  der  Abt  rastete  nicht.  Vielleicht  am  gleichen  Tage, 
da  Zürich  den  Glarner  Rat  für  seine  Sache  gewann,  versuchte 
Kilian  den  Landrat  des  Toggenburgs  auf  seine  Seite  zu  ziehen 
und  zu  bewegen,  ihn  als  Landsmann  zu  schirmen,  da  man  ihm  mit 
Gefangennahme  gedroht  habe.  Er  anerbot  sich,  wenn  er  anerkannt 
sei,  den  Toggenburgern  ihre  Beschwerden  abzunehmen,  und  be- 


^)  Bull..  II.  S.  114.    Die  Datierung  ergibt  sich  aus  A.-S..  II,  364  a  und 
434  1. 


105 

richtete  auch,  dass  die  von  Wil  und  andere  Gotteshausleute  ihm 
schon  Gehorsam  geschworen  hätten.  Es  war  umsonst.  Der  Land- 
rat antwortete,  man  wolle  ihm  alles  tun,  was  man  schuldig  sei, 
..so  er  ze  abt  zu  Sant  Gallen  ordenlich  erkennt  werd",^)  —  was 
einer  Absage  gleichkam.  Doch  liess  Kilian  darum  den  Mut 
nicht  sinken.  Bereits  hatten  sich  auch  Schwyz  und  Luzern  über 
den  Glarner  Landratsbeschluss  vom  7.  Mai  in  einem  Schreiben 
an  Glarus  beklagt  und  es  aufgefordert,  sich  nicht  zu  sondern 
von  den  zwei  katholischen  Orten,  die  des  festen  Willens  seien, 
dem  Abt  und  seinem  Gotteshaus  alles  zu  halten,  was  sie  schuldig 
seien.  Luzern  und  Schwyz  hatten  dieses  Schreiben  von  einem 
Tage  in  Baden  erlassen,  auf  dem  der  Abt  durch  seinen  Gesandten 
die  Eidgenossen  gebeten,  sein  Gotteshaus  in  Schutz  und  Schirm 
zu  nehmen.  -) 

Schon  beratschlagten  auch  wieder  Luzerner,  Schwyzer  und 
Glarner  Boten  zu  Wil  über  die  äbtische  Angelegenheit.  Der 
Glarner  Landrat  hatte  dem  Abt  durch  den  dortigen  Gesandten 
den  Landratsbeschluss  mitteilen  lassen,  worauf  Kilian  seinen 
Hofammann  zu  Wil,  Lienhard  Schnider,  am  15.  Mai  mit  einer 
ausführlichen  Instruktion  nach  Glarus  schickte.  Er  verzichtete 
natürlich  darauf,  seinen  Mönchsstand  mit  der  Bibel  zu  begründen, 
bemerkte  aber,  er  habe  „vil  merklich,  redlich  Ursachen",  warum 
er  seine  Kutte  nicht  ablegen  könne,  und  wies  mit  Recht  darauf 
hin,  dass  er,  wenn  er  seinen  Orden  aufgäbe,  der  „Begabungen" 
von  Kaisern  und  Königen  beraubt  und  in  der  Folge  um  Renten, 
Gülten  u.  a.  gebracht  würde,  wovon  doch  Glarus  nur  geringen 
Nutzen  hätte.  Auch  verbiete  die  heilige  Schrift  niemandem, 
ehrbare  Kleider  zu  tragen ;  also  dürften  er  und  sein  Konvent  auch 
ihre  Ordenskleider  behalten,  und  dadurch  werde  sicherlich  niemand 
gestört  werden.  Er  bitte  darum,  ihm  und  seinen  Mönchen  die 
Ordenstracht  zu  lassen.  Ferner  sei  er  Landmann  der  Glarner, 
da  seine  Heimat,  das  Toggenburg,  mit  Glarus  im  Landrecht  stehe. 
Man  solle  daher  auch  ihm  jenen  Landsgemeindebeschluss  zugute 
kommen  lassen,  dass  man  jeden  unbehelligt  bei  seinem  „wesen" 
bleiben  lassen  wolle.  Zugleich  möchten  sich  die  Glarner  den 
Inhalt  der  Burgrechts-,  Landrechts-  und  Hauptmannschafts- 
briefe ins  Gedächtnis  zurückrufen,  so  z.  B.  jene  Stelle  im  Burg- 


1)  A.-S.,  IL  362. 

2)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  88  d  und  zu  d. 


106 

und  Laiidrecht,  wo  es  heisse,  dass  die  vier  Schirmorte  den  Abt 
bei  seinen  Rechten  und  Freiheiten  bleiben  lassen  und  das  beste 
für  ihn  tun,  und  jenen  Passus  im  Hauptmannschaftsbrief,  dass 
sich  die  vier  Orte  keiner  weitern  Gewaltsame  an  dem  Gottes- 
hause unterziehen  wollten.  Beschliesse  ein  allgemeines  Konzil, 
die  Kutten,  Messe  u.  a.  abzutun,  so  werde  auch  er  gerne  Folge 
leisten,  ebenso  wenn  dies  durch  eine  Disputation  gemeiner 
deutscher  Nation  oder  auch  bloss  von  den  eidgenössischen  Orten 
gemeinsam  beschlossen  würde.  Er  sei  auch  jederzeit  bereit,  sich 
über  Klagen  seiner  Untertanen  vor  den  vier  Orten  zu  recht- 
fertigen. Habe  er  gefehlt,  so  wolle  er  sich  gern  weisen  lassen. 
Über  das  Verhalten  von  Zürich  ihm  gegenüber  habe  er  sich 
sehr  zu  beklagen,  besonders  da  er  sich  nicht  bewusst  sei,  der 
Stadt  jemals  etwas  zuleide  getan  zu  haben.  Er  wolle  ihr  Freund 
sein  und  begehre  nichts  anderes  von  ihr,  als  dass  sie  ihn  bei 
Brief,  Siegel  und  seinem  „habitt"  und  Orden  bleiben  lasse.  ^) 
Auf  den  gleichen  Tag  wie  die  Instruktion  Kilians  wurde  auch 
von  Dekan  und  Konvent  ein  Brief  an  Glarus  gerichtet,  worin  ka- 
tegorisch erklärt  war,  Kilian  sei  vom  Konvent  „einhelliklich" 
zum  Abt  gewählt  worden ;  Dekan  und  Konvent  würden  nur  mit 
Gewalt  dazu  gebracht  werden  können,  ihr  Mönchsgelübde  zu 
brechen;  man  bitte  Glarus,  sie  bei  ihrem  Orden  und  bei  ihren 
Freiheiten  bleiben  zu  lassen,  sie  auch  dabei  zu  schirmen  und 
dem  Gesandten,  der  jetzt  zu  Wil  sei,  entsprechende  Instruktionen 
zu  geben.  -) 

Diese  Vorstellungen  des  Abtes  und  Konventes  bei  Glarus 
machten  sich  für  Zürich  auf  einer  Konferenz  der  vier  Schirm- 
orte zu  Wil  (17.  Mai  ff.)  höchst  unangenehm  fühlbar.  Die  Zürcher 
Boten  hatten  den  iVuftrag,  sich  in  erster  Linie  über  die  Gesinnung 
der  Giarner  Gesandten  zu  informieren,  ob  sie  auch  gemäss  der  Ant- 
wort instruiert  seien,  welche  der  Landrat  vor  einer  Woche  der 
Zürcher  Botschaft  gegeben  habe.  ■')  Sei  das  der  Fall,  so  solle  man 
gemeinsam  dem  Abt  einen  nahen  Tag  verkünden,  auf  dem  er 
selbst  oder  seine  Gelehrten  den  Mönchsstand  mit  der  Bibel  be- 
gründen sollten.     Nehme  der  Prälat  diesen  Vorschlag  nicht   an. 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  98  :  St.-A.,  Fase.  14.     Am  Schlüsse  der  Instruktion 
sind  die  vielsagenden  Worte  durchgestrichen:    „Schmützwort  vast  ze   miden". 
-)  A.-S.,  IL  368. 
■^)  S.  oben  S.  104. 


107 

sondern  werfe  seinerseits  die  Frage  auf,  ob  man  ihn  bei  päpst- 
lichen Bullen,  kaiserlichen  Privilegien,  Schirmbriefen  u.  a.  bleiben 
lassen  wolle,  so  sollten  die  Boten  auf  diese  Frage  die  spitz- 
findige Antwort  geben:  Zürich  sei  stets  bereit,  jedermann  Briefe 
und  Siegel  zu  halten,  falls  diese  dem  göttlichen  Wort  nicht  zu- 
wider seien ;  der  Abt  solle  nun  erklären,  ob  er  beim  Recht  und 
beim  Evangelium  oder  gegen  das  Recht  und  „göttlich  gefallen" 
beschirmt  zu  werden  wünsche.  Antworte  der  Abt,  er  wolle  beim 
Recht  beschirmt  werden,  so  sei  ihm  zu  erwidern,  er  hätte  seinen 
Mönchsstand  mit  ,,göttlicher  Wahrheit"  begründen  sollen.  Ferner 
hatten  die  Zürcher  Gesandten  ihm  vorzuhalten,  dass  die  Gottes- 
hausleute die  -Greuel"  des  katholischen  Gottesdienstes  nicht  mehr 
dulden  wollten;  es  gehe  nicht  an,  ihn  bei  dem  zu  schützen,  was  gegen 
Gott  sei.  Drohe  dann  der  Prälat  mit  andern  Schirmherren,  so  sei  ihm 
zu  sagen,  man  könne  das  Burgrecht  wohl  zurücknehmen ;  er  möge 
aber  bedenken,  was  das  für  Folgen  haben  dürfte.  Auf  alle  Fälle  solle, 
wenn  Glarus  einwillige,  der  Abt  durch  die  Thurgauer  Gotteshaus- 
leute und  andere  zuhanden  der  vier  Orte  gefangen  genommen 
und  besonders  auch  sein  Geldvorrat  mit  Beschlag  belegt  werden. 
Gegenüber  den  etwaigen  Beschwerden  der  Untertanen  des  Abtes 
sollten  die  Boten  nachsichtig  sein,  wo  immer  möglich  unter  Mit- 
wirkung von  Glarus.  Zeige  sich  aber  der  Vertreter  dieses  Standes 
widerwärtig  oder  überschreite  er,  wie  es  schon  früher  geschehen, 
seine  Instruktionen,  so  solle  er  davon  abgemahnt  und  aufge- 
fordert werden,  weitere  Befehle  seiner  Oberen  abzuwarten,  i) 

Doch  aus  all  diesen  Plänen  wurde  nichts.  Am  18.  Mai, 
während  man  zu  Wil  tagte,  legte  der  äbtische  Hofammann  Lien- 
hard  Schulder  seine  oben  erwähnte  Instruktion  zu  Glarus  vor, 
worauf  die  mit  Zürich  in  drei  Artikeln  getroffene  Vereinbarung 
umgestürzt  und  ohne  Zusatz  beschlossen  wurde,  Glarus  wolle 
den  Abt  bei  Brief  und  Siegel  schirmen.^)  Auf  diese  Stellungnahme 
des  Landrates  scheint  das  früher  genannte  Schreiben  von  Luzern 
und  Schwyz  nicht  ohne  Einfluss  gewesen  zu  sein.  Als  nun  am 
20.  Mai  der  Abt  zu  Wil  vor  den  vier  Orten  ungefähr  dasselbe 
vortrug,  was  Schulder  zu  Glarus  eröffnet  hatte,  und  die  Schirm- 
orte aufs  höchste  bat,  ihn  bei  seinen  Rechten  und  Schirmbriefen 


1)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  97  i  :  Bull.  II,  S.  144—147. 
'')  Valentin  Tschudi  S.  68. 


108 

bleiben  zu  lassen,  da  zeigte  es  sich,  dass  die  Mehrheit  der  Schirm- 
orte zu  ihm  hielt;  denn  ausser  Luzern  und  Schwyz  nahm  auch 
Glarus  entschieden  für  den  Abt  Stellung.  Es  liess  erklären, 
das  es  ihn  bei  Brief  und  Siegel  bleiben  lassen  wolle  wie  auch 
bei  Orden  und  Kutte.  Von  dieser  Antwort  der  Mehrheit  seiner 
Schirmherren  war  Kilian  begreiflicherweise  sehr  befriedigt  und 
erhielt  auch  auf  sein  Verlangen  über  die  abgegebenen  Erklärungen 
der  drei  Orte  einen  besiegelten  Abschied.  ^) 

Zürich  war  in  seiner  anti äbtischen  Haltung  zu  Wil  allein 
geblieben.  -)  Die  Situation  hatte  sich  für  die  Stadt  an  der  Limmat 
in  ihrem  Ringen  mit  dem  Abt  und  dessen  Partei  wieder  einmal 
verschlechtert,  und  Kilian  gedachte,  dies  auszunützen,  besonders 
da  in  der  Landschaft  des  Gotteshauses  mancherorts  eine  Zürich 
feindliche  Stimmung  herrschte.  Vielleicht  trug  daran  das  rück- 
sichtslose  Auftreten  Freis  nicht  wenig  schuld ;  wenigstens  Hessen 
sich  Gotteshausleute  vernehmen,  „sy  wellend  lichter  ainen  gaist- 
lichen  vatter  zum  herren,  dann  einen  weltlichen  thyrannen  er- 
tragen''. In  Wil  war  es  vorgekommen,  dass  die  beiden  Glaubens- 
parteien zu  den  Waffen  gegriffen  hatten.  ^)  Kilian  säumte  auch 
nicht,  den  Toggenburgern  den  günstigen  Entscheid  der  drei  Orte 
mitzuteilen  und  ihnen  zu  befehlen,  ihn  als  Abt  anzuerkennen ; 
was  ihre  Beschwerden  anlange,  wolle  er  sich  dann  gern  als  ihr 
getreuer  Landsmann  zeigen.  ^  Doch  scheint  der  Abt,  um  seine 
Anerkennung  zu  erlangen,  in  religiöser  Beziehung  allzu  nach- 
sichtig gewesen  zu  sein.  Wenigstens  wurde  Ende  Mai  auf  dem 
Tag  der  V  Orte  zu  Luzern  geklagt,  dass  er  sich  in  Glaubens- 
sachen ,,schlechtlich  halte".  •") 

Inzwischen  fand  es  Zürich  für  gut,  nochmals  nach  Glarus 
zu  schicken,  um  dem  Landrat  sein  deutliches  Missfallen  auszu- 
drücken über  die  Haltung  der  Glarner  Botschaft  auf  dem  letzten 
Wiler  Tage :  man  stelle  die  dringende  Bitte,  dass  Glarus  seinen 
vielfachen    tröstlichen    Zusagen    nachkomme,    und    betone    aus- 


^)  E.A.,TV,  lb,Nr.97  2  und  3.  Von  dieser  Stellungnahine  des  Standes  Glarus 
7Aigunsten  des  Abtes  weiss  Bull.  (II,  S.  147)  nichts.  Doch  siehe  ausser  E.  A., 
IV,  1  b,  S.  185,  auch  A.-S.,  II,  389  1. 

2)  Sicher  I,  S.  109,  1/2. 

3)  Sabb.,  S.  316  26. 
^)  A.-S.,  II,  389. 

»)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  107  h. 


109 

drücklich,  class  Zürich  sich  niemals  durch  Briefe  und  Verbindungen, 
„die  der  göttlichen  Wahrheit  widrig"  seien,  gebunden  fühle;  es 
ersuche  um  eine  schriftliche  Antwort,  an  die  es  sich  halten 
könne.  ^)  Ferner  erhielt  noch  Ende  Mai  Junker  Hans  Edhbach 
den  Auftrag,  bei  den  „Gutwilligen"  zu  Glarus  dahin  zu  wirken, 
dass  der  am  1.  Juni  zusammentretende  Landrat  in  der  äbtischen 
Sache  einen  für  Zürich  günstigen  Beschluss  fasse.  -)  Wie  früher 
dachte  man  in  Zürich  auch  jetzt  wieder  daran,  Kilian  gefangen  zu 
nehmen.  Aber  die  Obrigkeit  scheint  doch  vor  diesem  Radikal- 
mittel zurückgeschreckt  zu  sein,  solange  sie  dabei  nicht  Glarus 
auf  ihrer  Seite  wusste,  und  hätte  es  darum  gerne  gesehen, 
wenn  neugläubige  Wiler  und  Gotteshausleute  sie  zur  Verhaftung 
des  Abts  von  St.  Gallen  aufgefordert  hätten.  Doch  jene  zeigten 
wenig  Lust,  die  Verantwortung  für  eine  solche  Gewalttat  auf 
sich  zu  nehmen,  wie  ja  auch  Zürich  selbst  seinen  Gesandten  in 
Wil  über  die  Massregeln  zur  Gefangennahme  des  Abtes  so  ver- 
schleierte Instruktionen  gab,  dass  die  Boten  sich  darüber  bei 
ihren  Auftraggebern  beschwerten.  •'■) 

So  war  es  denn  stets  die  Haltung  der  Glarner,  die  für  Zürich 
ausschlaggebend  sein  musste,  da  erst,  wenn  sie  auf  seiner 
Seite  standen,  die  Stadt  vor  einem  ihr  ungünstigen  Mehrheits- 
beschlüsse der  Schirmorte  sicher  war.  Aber  auch  Luzern  und 
Schwyz  erkannten  dies  wohl,  und  so  suchten  sie  am  1.  Juni  die 
Glarner  Regierung  zu  einem  für  sie  und  den  Abt  günstigen 
endgültigen  Entscheid  zu  bewegen,  jedoch  ohne  dass  ihnen 
dies  gelungen  wäre:  die  Entscheidung  wurde  vom  Landrat  auf 
den  13.  Juni  an  die  Landsgemeinde  gewiesen.  Zürichs  Gesandter 
Jakob  Werdmüller  war  bereits  mit  einer  Instruktion  an  den 
Landrat  abgereist,  kehrte  aber  infolge  eines  Missverständnisses 
wieder  um,  und  man  begnügte  sich  daraufhin,  in  einem  Schreiben 
dem  Landrat  die  drei  mit  der  Stadt  früher  vereinbarten  Ar- 
tikel nachdrücklich  ins  Gedächtnis  zu  rufen  und  eine  schrift- 
hche  Antwort  zu  verlangen,  ob  er  dabei  bleiben  wolle  oder  nicht. ^) 

1)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  103  1. 

2)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  105  b. 

=*)  A.-S.,  II,  408  2. 

■*)  Dies  teilte  Zürich  seinen  Gesandten  zu  Wil  unterm  4.  Juni  mit  (A.-S., 
II,  434  i).  Die  Nachricht  steht  in  Widerspruch  zu  der  von  Strickler  (E.  A., 
IV,  Ib,  Nr.  110)  wiedergegebenen  Stelle  aus  Val.  Tschudis  Chronik  (S.  68),  als 


110 

Keinen  bessern  Erfolg  als  in  Glarus  hatte  Zürich  mit  seinen 
Plänen  gegen  die  Abtei  bei  den  Gotteshaiisleuten  gehabt.  Es  war 
ihm  bisher  nicht  gelungen,  sie  auf  ein  gemeinsames  Programm 
in  der  äbtischen  Angelegenheit  zu  einigen.  ^)  Dazu  hatte  Kilian 
sein  Teil  beigetragen,  indem  er  unter  den  Gotteshausleuten 
ausstreuen  Hess,  dass  Zürich  sie  durch  seine  Vögte  in  Zukunft 
noch  mehr  beschweren  werde  als  vordem  die  Abte.  Wie  man 
zu  wissen  glaubte,  wandte  er  zu  Wil  und  im  Unteramt  Be- 
stechung an,  um  die  Leute  auf  seine  Seite  zu  bringen  oder  sich 
treu  zu  erhalten,  und  Ähnliches  wurde  aus  dem  Toggenburg  be- 
richtet. Zürich  forderte  darum  seine  Wiler  Gesandten  auf,  diesem 
Treiben  des  Abtes  entgegenzutreten  und  die  Gemeinden  zu  ver- 
sichern, dass  die  Stadt  Leib  und  Leben  zu  ihnen  setzen  wolle 
und  sich  gegen  den  Prälaten  nur  aufgeworfen  habe,  damit  die 
Gotteshausleute  nicht  von  der  „göttlichen  Wahrheit"  gedrängt 
würden.  Um  den  lästigen  Gegner  für  immer  kalt  zu  stellen,  gab 
es  nunmehr  seinen  Boten  in  Wil  offenen  Befehl,  mit  Hilfe  der 
Gotteshausleute  und  der  evangelischen  Stadtbewohner  den  Abt, 
den  Reichsvogt  Schenkli  und  andere  Parteigänger,  welche  in  Ver- 
dacht ständen,  sich  an  der  Propaganda  für  die  äbtische  Sache 
beteiligt  zu  haben,  zu  verhaften  und  bis  auf  weiteres  in  sichern 
Gewahrsam  zu  bringen,  und  zwar  so  bald  als  möglich.-) 

Das  Schreiben,  das  diesen  Befehl  enthielt,  war  vom  4.  Juni 
abends  6  Uhr,  datiert.  Sechs  Stunden  später  berichtete  Zürich 
den  Wiler  Gesandten,  dass  es  am  kommenden  Morgen  den  Kampf 
gegen  die  V  Orte  eröffnen  werde.  Dieser  Krieg  galt  aber  auch 
dem  Abt;  ihn  und  seine  treusten  Anhänger  gefangen  zu  nehmen, 
war  darum  eine  Kriegslist,  die,  wenn  sie  gelang,  Zürich  gleich 
zu  Beginn  seines  Feldzuges  eines  lästigen  und  unter  Umständen 
gefährlichen  Gegners  in  der  Flanke  entledigte.  Von  dem  Aus- 
bruch des  Krieges  wusste  man  zu  Wil,  wenigstens  in  den  Morgen- 
stunden des  5.  Juni,  freilich  noch  nichts.  An  diesem  Tage  be- 
rieten dort  die  Gesandten  der  vier  Schirmorte  von  neuem   über 


ob  wirklich  eine  Botschaft  von  Zürich  am  1.  Juni  mit  dem  Landrat  verhandelt 
hätte.  Tschudi  mochte  wohl  davon  gehört  haben,  dass  eine  Abordnung  von 
Zürich  nach  Glarus  unterwegs  war.  ohne  dass  er  die  Umkehr  der  Gesandtschaft 
auf  halbem  Wege  erfuhr. 

1)  A.-S.,  II,  425. 

2)  ^_.g_^  II    293,  434  2  mid  3 ;  Vad.,  III.  227  18  19. 


111 

die  Angelegenheit  des  Abtes  von  St.  Gallen.  Die  Konferenz 
verlief  aber  wieder  resultatlos,  trotzdem  Kilian  die  grössten  An- 
strengungen machte,  einen  ihm  günstigen  Entscheid  der  Schirm- 
orte herbeizuführen.  Die  Zürcher  Gesandten  wollten  sich  auf 
keine  Verhandlungen  einlassen,  bis  die  Glarner  Landsgemeinde  ^) 
sich  für  oder  wider  den  Abt  ausgesprochen.  Letzterer  erklärte 
schliesslich,  wenn  die  vier  Orte  gemeinsam  oder  einzeln  ihn  nicht 
beim  Orden  und  den  Verträgen  bleiben  lassen  wollten,  so  be- 
gehre er  die  Schirmbriefe  zurück,  damit  er  andere  Schutz-  und 
Schirmherren  suchen  könne,  die  er  wohl  zu  finden  wissen  werde. 
Es  wurde  daraufhin  von  den  Vertretern  eer  Orte  beschlossen,  am 
20.  Juni  mit  Vollmacht  von  neuem  in  Wil  zu  erscheinen.-)  Dies 
mag  wohl  der  Zeitpunkt  sein,  an  dem  das  Schreiben  Zürichs  an 
seine  Gesandten  zu  Wil  eintraf,  das  ihnen  den  Kriegsausbruch 
meldete  und  sie  abberief.  ^^) 


1)  S.  oben  S.  109. 

2)  E.  A.,  IV,  1  b,  118  a.  e.  t. 

•^)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  119  i.  Unterm  5.  Juni  berichtete  Zürich  den  Boten 
von  Luzern  und  Schwyz,  welche  sich  zu  Wil  befanden,  den  Kriegsausbruch  und 
forderte  sie  auf,  Wil  zu  verlassen  (E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  119  s). 


1,12 


II.  Kapitel. 


Der  erste  Kappelerkrieg. 

Sonntag  den  6.  Juni  beschlossen  die  vereinigten  Räte  von 
Zürich,  am  kommenden  Mittwoch  mit  dem  Hauptbanner  aufzu- 
brechen. \)  Daneben  sollten  in  der  Grafschaft  Kiburg  300 — 400 
wohlgerüstete  Leute  ausgehoben  werden  und  am  gleichen  Tage, 
da  die  Hauptmacht  der  Zürcher  gegen  die  V  Orte  ins  Feld  zog, 
in  den  Thurgau,  das  Rheintal  und  die  Gotteshauslandschaft  ziehen 
und  die  dortigen  Gemeinden  Zürich  den  Huldigungseid  schwören 
lassen.  -)  Neben  Hauptmann  Lavater  wurden  Johannes  Bleuler 
und  Heinrich  Peyer  zu  Befehlshabern  dieses  Kontingents  ernannt. 
Am  gleichen  Tage  wurde  Frei  von  der  geplanten  Invasion  der 
äbtischen  Lande  in  Kenntnis  gesetzt  mit  der  Mahnung,  die  Sache 
geheim  zu  halten,  bis  ihm  von  Lavater  Bericht  zukomme.  ■')  Schon 
am  folgenden  Tage  liess  dieser  „ainen  gwaltigen  stürm  ussgon". 
Am  9.  Juni  ^)  rückte  er  mit  seinen  Truppen,  1200  Zürchern  und 
Thurgauern,  vor  Wil.  Er  hatte  eine  drohende  Missive  seiner 
Regierung  an  das  Städtchen  vorausgeschickt,  so  dass  dieses  der 
Gewalt  wich  und  sich  ohne  Kampf  ergab.  ^)  Am  folgenden  Tag 
zogen   auch   600   Toggenburger   „mit   dem   Fendli   oder   Rüden" 


1)  E.  A.,IV,  Ib,  Nr.  119  (14i);  Bull.  (Tl,  S.  158)  berichtet,  dass  der  ent- 
scheidende Batsbeschluss,  mit  dem  Gros  auszurücken,  „Sontags  den  5.  tag 
Brachmonats "  gefasst  worden  sei.  Der  Sonntag,  von  dem  Bullinger  spricht, 
war  aber  der  6.  und  nicht  der  5.  Tag  des  Monats. 

^)  Die  Lande  und  das  Kloster  von  St.  Gallen  einzunehmen,  hatte  Zwingli 
bereits  im  März  1529  in  einem  Gutachten  empfohlen,  damit  man  einen  „Zer- 
pfennig"  habe  (A.-S.,  II,  23(5  ö). 

'')  A.-S.,  II,  441. 

^)  Dieser  Tag  ergibt  sich  aus  dem  oben  erwähnten  Zürcher  Ratsbeschluss 
vom  6.  Juni,  aus  Sabb.,  S.  319  26  und  A.-S.,  II,  495  ;  Sicher,  I,  S.  111  n» 
nimmt  den  Abend  vorher  an. 

'')  A.-S.,  II,  495.  Siehe  darüber  auch  das  undatierte  Schreiben  aus  Wil 
vom  9.  Juni  (St.-A.,  Fase.  14). 


113 

unter  der  Führung  Ammann  Rüdlingers  ^)  Zürich  zu  Hilfe.  ^) 
Lavater  schickte  sie  ins  Gasterland.  Ohne  auf  das  dringende 
Ansuchen  der  Schwyzer  einzugehen,  dass  ihnen  laut  des  Land- 
rechts die  bundesgemässe  Hilfe  geleistet  werden  möchte,  ^)  hatte 
sich  eine  Landsgemeinde  zu  Wattwil  für  Zürich  entschieden: 
man  konnte  es  den  Schwyzern  nicht  vergessen,  dass  sie  vor  einem 
Jahre  die  Toggenburger  wegen  ihres  neuen  Glaubens  allen  Ernstes 
zu  bekriegen  gedacht  hatten.  Von  Zürich  aber  war  schon  am 
8.  Juni  der  Grafschaft  die  Zusicherung  gegeben  worden,  dass  es 
keineswegs  die  Absicht  hege,  sie  zu  bevogten  oder  ihren  Frei- 
heiten Eintrag  zu  tun,  wie  „böswillige  Leute"  im  Toggenburg  aus- 
gestreut hätten,  und  am  11.  Juni  schrieb  Lavater  aus  Wil  im 
gleichen  Sinn.^)  Er  traf  am  folgenden  Tag  (12.  Juni),  mit  seinen 
Truppen  über  Bischofszeil  und  Arbon  marschierend,  in  Ror- 
schach  ein.  Der  Platz  wurde  besetzt,  wobei,  wie  fast  immer  in 
solchen  Fällen,  von  den  Soldaten  allerlei  Unfug  verübt  wurde. '") 
„Den  13.  Tag,  was  suntag,  kamend  alle  gotzhuslüt  gmaintswis  zu 
Rorschach  versamlet  zusammen,  gewaffnet,  wie  si  in  das  feld 
ziechen  sond,  und  schwurend  si  dem  vogt  von  Kiburg ;  das  was 
alss  vil,  alss  schwurend  si  der  statt  Zürich,  die  andren  zway 
Orter  (Luzern  und  Schwyz)  usgeschlossen;  doch  haind  si  denen 
von  Glarus  ihre  grechtigkeit  vorbehalten,  wie  si  bishar  gehebt  heind. 
Morndrins  frü  (14.  Juni)  zugend  die  von  Zürich  von  Rorschach 
gen  Rinegg  und  ins  Rinthal  und  nammen  der  V  Orten  Uri,  Under- 
walden,  Luzern,  Schwyz  und  Zug  vogtung  und  grechtigkait  in; 
also  schwuren  inen  die  vom  Rinthal  überal,  wiewol  sich  die  am 
Oberriet  etlich  tag  spertend.  Doch  behielten  si  denen  von  Glarus 
und  Appenzell  ihre  gerechtigkait  bevor  an  den  vogtaien;  dan 
si  nit  vind  waren."  ^) 


1)  A.-S.,  II,  568  5. 

^)  Dankschreiben  Lavaters  vind  Zürichs  vom  11.  und  12.  Juni  (A.-S.,  II, 
508  b,  523).  In  letzterm  wird  auch  den  Anführern  des  Toggenburger  Kontin- 
gents befohlen,  nichts  Tätliches  vorzunehmen  bis  auf  weitern  Bescheid. 

^)  A.-S.,  II,  463.    Schreiben  der  Schwyzer  vom  8.  Juni;   Wegelin,  S.  48. 

0  A.-S.,  II,  462,  508  b. 

^)  A.-S.,  II,  568  3. 

^'j  St.-A.,  Bd.  99b,  8.  100  f.  Der  chronikartige  Bericht  auf  S.  97  —  103 
dieses  im  18.  Jahrhundert  zusammengestellten  Bandes,  der  ganz  aus  chrono- 
logisch geordneten  Abschriften  von  Tilliers  Hand  besteht,  geht  offenbar  auf 
eine  in  Fase.  XIV  erhaltene  Abschrift  von  Stipplin  zurück  und  stimmt  in  Inhalt 

St.  Galler  Mittlgu.  z.  vaterländ.  Gesch.  XXXIO.  8 


114 

Dass  St.  Gallen  dem  Verlaufe  der  Dinge  bis  zum  Kriegs- 
ausbruch mit  grösster  Spannung  gefolgt  war,  ist  selbstverständlich. 
da  die  Stadt  ja  schon  seit  geraumer  Zeit  die  Sache  Zürichs  zu  der 
ihrigen  gemacht  hatte.  Der  Rat  war  mit  der  Reformierung  inner- 
halb  der  Stadtgrenzen  fortgefahren,  und  so  wuchs  die  Spannung 
zwischen  der  Stadt  und  den  katholischen  Orten  noch  mehr  und 
machte  sich  oft  für  St.  Gallen  recht  unangenehm  fühlbar.  Als 
ein  Bürger  dieser  Stadt  im  Mai  Schuhwaren  zu  Luzern  feilhalten 
wollte,  wurde  er  daran  verhindert  und  vor  den  Schultheissen 
geführt,  der  ihm  erklärte :  er  würde  es  lieber  sehen,  wenn  die 
St.  Galler  nicht  zu  den  Luzernern  kämen,  da  sie  ja  doch  in  allen 
Dingen  gegen  sie  seien.  M 

Als  der  Bürgerkrieg  in  der  Eidgenossenschaft  zur  Tatsache 
geworden  war,  beschloss  der  Grosse  Rat  ,,uff  8.  tag  Junij  anno  etc. 
1529:  uff  die  schwebenden  löff  unnd  die  bottschafft  so  Ulrich 
Appentzeller  von  Zürich  pracht  band,  sind  klin  unnd  gross  ret 
retig  worden,  das  man  das  kloster  hie  in  der  statt  innemen  woll 
im  namen  gotz,  in  form,  als  hernach  volgt: 

1.  Das  söllichs  geschehen  sol  mit  klain  unnd  grossen  reten; 
darunder  sollend  in  harnasch  gon  20  man,  unnd  sol  man  sunst 
niemand  ins  kloster  lan,  denn  der  darin  gehört. 

2.  Die  pfaffen  im  kloster  '^)  zemen  ton  in  die  obern  stuben 
in  der  hell,  "j 

3.  Das  hofxind  sol  m(inen)  h(erren)  schweren,  m(iner)  h(erren) 
unnd  gmainer  statt  (in)  trüw  unnd  warhait  irn  nutz  zefürdern 
unnd  schaden  ze  wenden,  welicher  aber  das  nit  tun  wolt,  der  sol 
von  stund  an  das  gotzhus  rumen.  Uff  das  band  geschworn  Se- 
bastian Gaissberg,  schriber,  der  koch,  der  underkoch,  der  portner. 
der  winschenck,  der  pfister,  der  kornmaister.  Haini  der  waibel 
hat  ni(t)  wollen  schweren,  dessglich  Vitterlin  von  Roschach. 


und  Wortlaut  nahe  überein  mit  der  entsprechenden  Partie  (S.  120  ff.)  der  sog. 
Murerschen  Chronik  (Ms.  177  der  Stadtbibliothek  St.  Gallen)  in  deren  zweitem 
Teil,  der  einzelne  Kapitel  aus  einer  ersten,  von  der  endgültigen  z.  T,  abwei- 
chenden Bearbeitung  der  Sabbata  Kesslers  enthält,  s.  Götzinger.  St.  Gall.  Mit- 
teilungen XIV,  S.  127  ff.  Schiess,  ebenda  XXVIII,  S.  368  ff.  —  Zu  obigem 
Passus  vrgl.  auch  Bull.  II,  S.  171,  Sabb.  S.  31930-.S1. 

0  R.-P.,  1529,  13.  Mai.    Der  Schuhmacher  hiess  Hans  Tungi. 

')  Im  Original  ist  durchgestrichen  der  Passus:  „haissen  von  stund  an  die 
statt  und  gricht  rumen". 

^)  Ein  Haus,  das  zu  den  Klostergebäulichkeiten  gehörte. 


115 

4.  Die  conventherren  iinnd  die  brüder  im  brüderhiis  in  die 
obern  stuben  uff  der  pfaltz  und  inen  ain  züsatz  geben. 

5.  An  lib  unnd  gut  verbüten,  das  niemand  sunst  hinuf  ins 
kloster  gang,  denn  der  darin  verordnet  ist."  ^) 

Noch  am  gleichen  Tage  schickten  die  „herren  von  St.  Gallen 
ain  gantz(en)  rat  ins  kloster  zu  St.  Gallen,  und  welli  vom  gsind 
m(inen)  h(erren)  ain  bürgerlichen  aid  schwüren,  liessents  bliben, 
welche  nit  schwören  wotend,  hiessent  si  us  dem  gotzhus  oder 
kloster  und  stat  gohn.  Die  münchen  unnd  layenbrüder  namen 
si  fengklich  und  tettend  si  in  die  obren  pfalz  und  zu  ihnen  12 
mann  im  harnasch,  des  grossen  rats,  si  zu  verhüten.  Laytend 
herr  Heinrich  Sailer,  Statthalter,  an  aim  armen  ysen  und  hiessend 
inen  alle  Schlüssel  des  gotzhus  überantwurten.  Desglichen  namen 
sie  alle  pfaffen,  die  si  im  kloster  fundend,  och  gefangen  in  das 
oberstübli  in  der  hell  und  och  zu  ihnen  zwölf  geharnascht  mann 
vom  grossen  rat".  -) 

Alles  was  man  im  Kloster  vorfand,  wurde  genau  aufgeschrie- 
ben, ^)  und  zwei  Tage  später  ,,haind  m(ine)  h(erren)  herr  Hans 
Wettach.  herr  Jakob  Gebhart,  herr  Adam  Wäckerli  von  Kostentz, 
herr  Peter  Kaiser,  herr  Kuonrat  Högger  und  herr  Latzarus  Tal- 
man  us  ihren  grichten  ghaissen  gon  bis  an  ains  ratz  gefallen. 
Herr  Marti  Fonwiller  und  herr  Hans  Schürpf  haind  sy  uf  die 
pfallatz  ton  zu  den  münchen,  wie  obstat;  aber  darnach  uff 
11.  tag  Junij  hat  man  si  bed  us  den  grichten  ghaissen  strichen." 
An  diesem  Tag  haben  auch  ,|mine  herren  die  münchen  im  kloster 
von  ir  gfäncknus  ledig  glassen ;  doch  band  si  ihnen  gschworen 
ain  bürgerlichen  aid  und  blatten  und  kutten  von  ihnen  tuon 
und  söllind  also  fri  wie  ander  burger  us  und  in  gan;  das  hand 
si  von  stund  an  tun,  desglichen  die  brüder,  und  ist  ihnen  zügsait 
schütz  und  schirm  als  andren  burgern."  ^) 

Die  Stadt  St.  Gallen  gab  sich  auch  in  ihrem  eigenen  Inte- 
resse redlich  Mühe,  dass  der  Krieg  für  Zürich  und  seine  Ver- 
bündeten möglichst  vorteilhaft  verlaufe.  Den  Steinachern  schickte 
sie   vier   „haggen",   den  Rheineckern   zwölf.  ■').     Vadian  vergisst 

1)  R.-P.  1529,  S.  75. 

2)  St.-A„   Bd.  99  b,  S.  97  f.,  Murer,  S.  120,   Sabb.  S.  318/319,  Sicher. 

I.   S.    111  29-31. 

3)  R.-P.  1529,  S.  76. 

4)  St.-A.,  Bd.  99  b,  S.  99  f.,  vgl.  Murer,  S.  121. 
•')  R.-P.  1529,  S.  76,  8.  Juni,  nachmittags. 


116 

darum  nicht,  in  seinem  Diarium  ')  hervorzuheben,  wie  St.  Gallen 
„in  disen  löufen  alle  trüw  erzaigt  mit  büchsen,  bulver,  stainen, 
lib  und  gilt".  Am  11.  Juni  hatte  die  Stadt  ein  recht  kriegerisches 
Aussehen,  da  sie  an  diesem  Tage  von  Zürich,  kraft  des  christ- 
lichen Burgrechtes,  zum  Zuzug  gemahnt  worden  war.  Noch  am 
gleichen  ,,tag  zwischend  3  und  4  haind  m(ine)  h(erren)  200  mann 
mit  aim  fendli  usgeschickt,  unsern  herren  und  mitburgern  von 
Z(ürich)  zu  hilff  wider  die  von  Schwiz,  die  im  Gastel  gen  Utznach 
lagen :  wass  hoptmann  Andreas  Müller,  fendrich  Bastli  Graf,  pre- 
dikant  her  Thebas  Alther,  waibel  Andres  zu  Türrenmüli  und 
Bernhartz  Hansi,  Wachtmeister  Thoni  Seckler,  lütiner  Stoffel 
Krench,  und  fürtend  4  schlengli  und  1  raiswagen  mit  spies(s)en; 
kamend  die  erste  nacht  gen  Gossaw.  Da  kam  ain  bott  von 
Z(ürich),  si  sottind  den  nechsten  gen  Z(ürich)  und  nit  ins  Gastel; 
dan  die  V  Ort  legind  in  der  March  zu  Lacha  gsterckt.  Also  kamend 
si  am  11.  tag  gen  Aelgöw;  dan  es  tätt  noth.  Und  kamend  zwen 
brieff  diesen  tag  gen  St.  Gallen  von  Z(ürich),  und  stalt  man  2 
schlangen  und  4  raisschlängli  für  die  metzgi  mit  stein  und  bulfer, 
also  das  man  maint,  man  müssti  ghch  uff  sin  mit  dem  paner  dem 
fenli  nach."  -) 

Als  Lavater  mit  seinen  Truppen  in  Rorschach  war,  schickten 
die  St.  Galler  den  Hauptmann  Konrad  Mayer  dorthin,  „ain  frünt- 
lich  verstand  mit  ainander  zu  heben."  ^) 

Den  Zuzug  der  Gotteshausleute  zur  Rorschacher  Landsge- 
meinde vom  13.  Juni  ^)  erleichterte  St.  Gallen  den  Teilnehmern, 
so  viel  es  konnte,  wobei  es  namentlich  die  durchziehende  Mann- 
schaft mit  Klosterwein  traktierte.  Am  frühen  Morgen  dieses 
Tages  zogen  nämlich  ,,bi  500  man  von  Gossaw,  Mettendorff, 
Niderdorff,  Oberdorff  und  Strubenzell,  die  an  die  gmaind  gen 
Rorschach  wettind,  hindurch;  denen  gabende  m(ine)  h(erren)  in 
der  Weber  hus  win,  käs  und  brott,  den  win  von  hoff  by  3  som, 
käs  und  brott  gabend  m(ine)  h(erren).  Morndes  kamend  aber 
etlich  wider  von  Rorschach  und  trunckend  aber  bi  1  som,  wass 
montag  den  14.  tag  Junij."  •') 


1)  Vad.,  III,  S.  2288. 

'■^)  St.-A.,  Bd.  99  b,  S.  98/99;  Murer,  S.  120  f. 

3)  St.-A.,  Bd.  99b,  S.  100:  Murer.  S.  121. 

•*)  S.  oben,  S.  113. 

■')  St.-A.,  Bd.  99  b,  S.  100  f.:  Murer,  S.  122. 


117 

Noch  kurz  vor  dem  Priedensschluss  zwischen  Zürich  und 
den  V  Orten  hatte  St.  Gallen  Gelegenheit,  auch  den  evangelischen 
Rheintalern  seine  Geneigtheit  und  Opferwilligkeit  zu  beweisen. 
Zu  der  österreichischen  Kriegspartei,  welche  die  Innsbrucker 
Regierung  zur  kriegerischen  Unterstützung  der  katholischen  Orte 
aufforderte,  gehörte,  wie  wir  wissen,  namentlich  auch  Marx  Sittich 
von  Ems,  österreichischer  Vogt  zu  Bregenz  und  im  Vorarlberg. 
Schon  Ende  September  1528  hatte  er  mit  dem  Grafen  von  Sulz, 
dem  „Haupt  der  Innsbrucker  Regierung",  den  V  Orten  seinen 
Beistand  angeboten.  ^)  Und  wenn  diese  im  ersten  Kappeler- 
kriege von  Österreich  keine  Unterstützung  erhielten,  so  war  es 
nicht  die  Schuld  Marx  Sittichs,  sondern  verursacht  durch  „das 
Fehlen  eines  einheitlichen  Bandes",  welches  Vorderösterreich  zu- 
sammengefasst  hätte,  die  finanzielle  Misere  seiner  Regierungen 
und  die  Abgeneigtheit  der  weltlichen  und  geistlichen  Herren 
zwischen  Donau  und  Rhein.  -)  So  erwiesen  sich  die  Ratschläge 
des  Marx  Sittich  für  bewaffnetes  Eingreifen  als  „nicht  ausführ- 
bar". Man  begnügte  sich  schliesslich  zu  Innsbruck  damit,  ihn 
zu  strengster  Beobachtung  und  Berichterstattung  über  die  Vor- 
gänge in  der  Eidgenossenschaft  aufzufordern.  '')  Diese  Ohnmacht 
Österreichs  war  aber  wohl  nur  wenigen  Eingeweihten  bekannt. 
Im  Rheintal  fürchtete  man  während  des  Kriegs  beständig  einen 
Überfall  von  Seiten  des  Emsers,  der  auch  nicht  versäumte,  die 
Leute  jenseits  des  Rheins  in  Schrecken  zu  jagen.  Er  hatte 
einige  Truppen  zusammengebracht,  „mit  welchen  er  etwas  ge- 
speust  und  prögen  am  Rin  gemacht",  so  dass  in  der  Nacht  von' 
22.  auf  den  23.  Juni  die  Rheintaler  an  Rheineck  einen  Eilboten 
schickten  mit  einem  Schreiben,  worin  stand :  „lientz,  ilentz,  ilentz 
schigkend  uns  ain  züg,  oder  wir  sind  arm  lüt".  Die  Zahl  der 
Feinde  sei  gross  etc.  *)  Es  hiess  auch,  Marx  Sittich  habe  den 
Rheintalern  berichten  lassen,  er  wolle  am  23.  d.  M.  „mit  in  zu 
morgen  essen".  Die  Kunde  rief  in  der  ganzen  Ostschweiz  ge- 
waltige Aufregung  hervor.  Bis  nach  Winterthur  hinunter  wurde 
Sturm    geläutet,    so    dass    bei    10,000    Mann  •"■)    zusammenliefen. 


^)  Escher,  Glaubensparteien,  S.  58/59. 

2)  S.  Escher,  S.  92  —  98. 

•*)  Statthalterei- Archiv  Innsbruck:  Gemain  Missifen  1529. 

4)  A.-S.,  II,  609. 

•')  Sabb.  3239. 


118 

St.  Gallen  schickte  120  Mann  „mit  dem  fendli  gen  Rorschach  und 
2  karenbuchs  und  6  hagenbüchsa,  euch  müssmel  und  spiss"  und 
sandte  noch  weitere  ß  Geschütze  nach.  Hauptmann  Lavater  war 
am  25.  Juni  mit  starken  Kontingenten  und  drei  Kanonen  in  Wil, 
um  von  da  ins  Rheintal  zu  ziehen.  Er  erfuhr  aber  dort,  „es 
sei  nichts",  ') 

So  verwandelte  sich  denn  an  diesem  Tag  der  Schrecken  in 
Freude,  besonders  als  man  erfuhr,  dass  am  Tag  vorher  Friede 
zwischen  den  katholischen  und  evangelischen  Orten  geschlossen 
worden  sei.  Noch  am  25.  kehrte  unter  dem  Jubel  der  Bevöl- 
kerung das  St.  Galler  Kontingent  wieder  nach  Hause  zurück.  -) 
Am  28.  Juni  wurden  die  Artikel  des  ersten  Kappeier  Landfriedens 
im  Grossen  Rate  vorgelesen.  Daraufhin  berief  er  alle  Hauptleute 
und  Unterbefehlshaber,  welche  am  Auszuge  teilgenommen,  vor  sich, 
dankte  ihnen  „vast"  und  lohnte  sie  wie  die  Mannschaft  reich- 
lich ab.  0 

•■I-- 
Es  war  für  Abt  Kilian  von  grossem  Vorteil  gewesen,  dass 
beim  Kriegsausbruch  die  Gesandten  von  Luzern  und  Schwyz 
sich  noch  bei  ihm  zu  Wil  befunden  hatten.  So  konnte  er  sie 
in  seiner  höchst  schwierigen  Lage  über  sein  Verhalten  zu  Rate 
ziehen.    Die  Boten  rieten  ihm,  sich  ausser  Landes  zu  begeben.^) 


^)  A.-S.,  II,  624.  Siehe  über  das  Ereignis  auch  Sabb.  S.  322/.S23  ;  Miles 
S.  340  (68)  —  341  (69);  Sicher,  I,  S.  113.  Näf  (s.  a.  a.  0.),  S.  717  glaubt 
allen  Ernstes,  dass  Marx  Sittich  ,mit  10,000  Mann  österreichischer  Truppen" 
den  ßheinübergang  versucht  habe:  doch  sei  das  Unternehmen  an  der  „wach- 
samen Bereitschaft"  der  Rheinecker  und  durch  den  Zuzug  der  Gotteshausleute, 
Thurgauer  und  Rheintaler  gescheitert.  Wieso  Näf  zu  dieser  Annahme  kommen 
konnte,  lässt  sich  freilich  bei  dem  vollständigen  Mangel  an  Quellenangaben  nicht 
ermitteln.  Seine  Darstellung  dürfte  aber  —  ganz  abgesehen  davon,  dass  sie 
weder  durch  Kessler  noch  Miles  noch  Sicher  belegt  ist  —  durch  Eschers 
Untersuchungen  („ Glaubensparteien "),  S.  91 — 98,  vollständig  widerlegt  sein. 

3)  Miles  S.  345  (73)  27-29. 

=»)  R.-P.,  1529,  28.  Juni. 

■^)  Es  ist  kaum  richtig,  was  v.  Arx  (II,  S.  546)  berichtet,  dass  auch  die 
Glarner  Gesandten  Kilian  den  Rat  gaben,  sich  aus  der  Eidgenossenschaft  weg  zu 
begeben.  Letzteres  schliesst  v.  Arx  aus  Sicher,  I,  S.  111  5—10,  ohne  dass  sich 
die  Annahme  notwendig  aus  den  dort  angeführten  Worten  ergäbe.  Vor  allem 
aber  spricht  Kilian  in  einem  Schreiben  (A.-S.,  II,  636i)  selbst  nur  von  den  Ge- 
sandten von  Luzern  und  Schwyz,  welche  ihm  geraten,  sich  über  den  See  zu 
verfügen. 


119 

Wirklich  flüchtete  er  sich  in  aller  Heimlichkeit  nach  Steinach 
und  liess  sich  von  dort  in  der  Morgenfrühe  des  7.  Juni  ')  „mit 
frombden  klaidern",  vom  Dekan  Othmar  Glus  und  dem  Käm- 
merer begleitet,  -)  über  den  See  nach  Mersburg  führen,  „mit 
etwa  vil  geltz"',  wie  Vadian  zu  berichten  weiss,  ^j  Friedrich  von 
Mötteli  zu  Roggwil  hatte  ihm  von  Wil  aus  eine  Strecke  weit  das 
Geleite  gegeben,  weshalb  er  später  dafür  und  „für  anderes" 
1000  Gulden  zu  ,, vertrösten''  hatte.  ')  Noch  am  6.  Juni  hatte 
der  Abt  angesichts  der  drohenden  Lage,  an  ein  nicht  genanntes 
Kloster  —  wahrscheinlich  Mehrerau  bei  Bregenz  —  geschrieben, 
um  im  schlimmsten  Fall  für  sich  und  die  treu  gebliebenen  Kon- 
ventherren Unterkunft  zu  finden.  ')  Am  Tage  seiner  Abreise 
liess  er  dem  Hauptmann  sagen,  man  habe  ihm  berichtet,  er 
solle  zu  leichterer  Erlangung  der  päpstlichen  Konfirmation  — 
Kilian  hatte  sich  schon  bald  nach  seiner  Wahl  um  dieselbe 
beworben  ")  —  wie  auch  seiner  Regalien  über  den  See  kommen. ') 
Vergebens  hatte  Frei  den  Verhaftungsbefehl  Zürichs  auszuführen 
gesucht.  Der  Abt  besass  in  Wil  und  Umgebung  noch  einen  so 
starken  Anhang,  dass  der  Hauptmann  an  die  Ausführung  seines 
Handstreiches  gegen  ihn  nicht  hatte  denken  können,  '^)  und 
als  Lavater  am  9.  Juni  mit  seinen  Truppen  nach  Wil  kam,  um 
laut  Zürcher  Ratsbeschluss  vom  6.  Juni  nebenbei  den  Prälaten  zu 
verhaften,  •')  befand  sich  dieser  bereits  in  Sicherheit.  Der  Arger 
darüber  war  begreiflicherweise  bei  Zürich  und  seinen  Anhängern 


1)  Sabb.,  S.  319  27^28. 

^)  Diethelm  Blarer  floh  nicht  mit  dem  Abt  zusammen  über  den  See,  wie 
man  aus  v.  Arx  (II,  S.  -546)  sc-hliessen  könnte.  Er  hatte  Kilian  jedenfalls  auch 
nicht  bis  nach  Steinach  begleitet  (v.  Arx  ibid.) ;  denn  noch  am  11.  Juni  wusste 
Blarer  nicht  recht,  wo  der  Abt  war.  Er  habe  gehört,  dass  sein  g(nädiger) 
h(err)  nach  Mersburg  gefahren  sei,  schrieb  er  am  11.  Juni  an  Kilian  (St.-A., 
Fase.  14). 

3)  Vad.,  m,  S.  227  12-13. 

^)  A.-S.,  II,  684. 

•^)  St.-A..  Fase.  14. 

")  S.  dazu  E.  A.  IV,  1  b,  Nr.  97  (1  s). 

'')  Schreiben  Frais  vom  7.  Juni  an  die  Zürcher  Regierung  (A.-S.,  II,  450). 
Wir  begreifen  darum  nicht,  wie  Vadian  (II,  227  14—15)  über  die  Flucht  des 
Abtes  bemerken  kann:  ,Item  sait  er  (der  Abt)  darnach,  er  hette  solichs  (seinen 
Weggang)  dem  hauptman  ze  wissen  tun,  und  was  erlogen." 

**)  A.-S.,  II,  438. 

■•)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  119  (14a). 


120 

nicht  gering  und  machte  sich  in  manchen  ungerechten  Anklagen 
gegen  den  Entronnenen  Luft.  Dass  aber  dieser  nicht  in  erster 
Linie,  um  strikte  Neutrahtät  in  dem  begonnenen  Kriege  zu  halten, 
sich  jenseits  des  Rheins  und  Bodensees  niedergelassen,  wie 
Sicher  berichtet,  ^)  dürfte  wohl  klar  sein.  Selbst  der  abtfreund- 
liche Chronist  Valentin  Tschudi  bemerkt  zur  Flucht  Kilians,  er 
habe  von  seiner  Verlegung  des  Wohnsitzes  gehofft,  „der  Keiser 
wurde  im  widerum  ynhelfen". 

Doch  bevor  wir  auf  diesen  Punkt  näher  eintreten,  wollen 
wir  sehen,  wie  sich  die  Eidgenossen  zu  dem  Plane  stellten,  den 
Abt  in   den   wirklichen  Besitz   seiner  Abtei  gelangen  zu  lassen. 


1)  Sicher  L  8.  111  n. 


121 


III.  Kapitel. 


Abt  Kilian  und  die  Eidgenossen. 

Abt  Kilian  hatte  sich,  wie  wir  gesehen,  noch  rechtzeitig  der 
Gefangennahme  entzogen  und  vorderhand  seinen  Wohnsitz  zu 
Überhngen  aufgeschlagen.  0  Schon  am  25.  Juni  konnte  der 
„Wiler  Kanzler"  Heinrich  Grossmann  ihm  dorthin  Bericht  senden 
von  dem  soeben  erfolgten  Friedensschluss  zwischen  den  beiden 
kriegführenden  Parteien.  -) 

Die  Urteile,  welche  von  katholischer  Seite  über  den  ersten 
Landfrieden  dem  Abt  zu  Ohren  kamen,  lauteten  für  ihn  wenig 
tröstlich.  So  schrieb  man  am  14.  Juli  aus  Einsiedeln  an  Dekan 
Glus  nach  Überlingen:  „So  ist  der  berycht  jetz  gemachett,  das 
ich  übel  furcht,  es  sy  noch  nit  genüg;  die  rütt  und  straff  gottes 
hab  noch  nit  end,  sonder  werdend  noch  fyl  lütt  in  kurtzen  tagen 
abfallen  .  .  .  Ich  sorgen  der  gantzen  Aidgnoßschafft;  wyr  habind 
ander  lütt  geplaget,  nun  sy  die  zit,  das  gott  unss  messen  well, 
wie  wyr  habind  gemessen  ....  ■') 

Der  gefährlichste  Punkt  im  Friedensinstrument  war  für  den 
Abt  der  erste  Teil  des  VIII.  Artikels.  Hier  wurde  nämHch  aus- 
drückhch  gesagt,  dass  alle  „züsagungen^',  .  .  welche  Zürich  etc. 
„göttlichs  Worts  halb"  gemacht  hatten,  in  Kräften  bleiben  sollten. 
Nun  konnte  man  zu  Zürich  sagen:  wir  Zürcher  sehen  den  Mönchs- 
stand, also  auch  die  Abtwürde,  als  etwas  Ungöttliches  an;  das 
wir  nun  vor  dem  Krieg  den  Gotteshausleuten  versprochen,  sie 
mit  Leib  und  Gut  gegen  ungöttliche  Beschwerden  zu  schirmen. 


^)  Es  klingt  recht  sophistisch,  wenn  Vadian  (III,  S.  243  30-3i)  erklärt, 
Kilian  sei  freiwillig  geflohen  :  der  Prälat  habe  demnach  gelogen,  als  er  zu 
Baden  (März  1530)  erklärt  habe,  er  sei  vertrieben  worden.  Es  war  doch  eine 
sehr  unfreiwillige  Flucht,  wie  aus  den  vorhergehenden  Ereignissen  deutlich 
genug  hervorgehen  dürfte. 

-)  St.-A.,  Bd.  99  b,  S.  127/128;  Orig.  fehlt. 

•')  St.-A.,  Fase.  14,  Orig. 


122 

so  verweigern  wir  dem  Abt  als  solchem  die  Anerkennung  laut 
Artikel  VIII  des  Landfriedens.  Geschah  dies  und  trat  Kilian 
nicht  aus  dem  Orden  aus,  wurde  er  nicht  regierender  weltlicher 
Herr,  so  war  für  ihn  der  erste  Teil  des  XV.  iVrtikels  illusorisch 
geworden,  welcher  bestimmte,  dass  beide  kriegführenden  Parteien 
—  und  den  geistlichen  Herrn  konnte  man  doch  nicht  wohl  für 
neutral  ansehen,  wenigstens  tat  das  Zürich  nicht  —  bei  ihren 
Herrschaftsrechten  bleiben  sollten.  Ausdrücklich  waren  nämlich 
dabei  die  früheren  Artikel,  also  auch  jene  Zusagen  Zürichs  in 
Betreff  des  göttlichen  Wortes  ausgenommen.  So  hatten  denn  die 
V  Orte  bei  den  Friedensverhandlungen  einen  speziellen  Zusatz 
für  den  xA.bt  von  St.  Gallen  und  andere  Prälaten  vorgeschlagen, 
dass  nämlich  diese  bei  dem  Ihrigen  wie  vor  dem  Krieg  und  von 
alters  her  bleiben  sollten.  0  Die  übrigen  für  den  Abt  besonders 
in  Betracht  fallenden  Artikel  des  Landfriedens,  nämlich  I  und 
VIII  2.  Teil,  änderten  in  Wirklichkeit  in  den  äbtischen  Landen 
nichts.  Wir  können  sagen,  dass  diese  beiden  Artikel  Zürich  in 
seiner  schon  längst  betriebenen  Propaganda  nur  weiter  anspornten, 
indem  sie  bestimmten,  dass,  wo  die  Messe  abgestellt  sei,  dies 
nicht  angefochten  werden  dürfe  und  weitere  Abstimmungen  über 
die  Glaubenslehre  in  d  e  n  Kirchgemeinden  gestattet  seien,  wo 
noch  Messe  gelesen  werde. 

Dem  Abt  aber  genügte  es,  dass  der  erste  Landfriede  jeden 
wieder  zu  dem  Seinen  kommen  lasse,  ohne  dass  er  sich  weiter 
viel  um  die  damit  verbundenen  Klauseln  bekümmert  hätte.  Er  ge- 
dachte darum,  selbst  seine  Sache  bei  den  Eidgenossen  zu  ver- 
fechten und  vorderhand  einige  Tage  auf  Schloss  Gräpplang  beim 
Ritter  Ludwig  Tschudi  Quartier  zu  nehmen,  -)  während  noch  im 
Juni  sein  Reichsvogt  Schenkli  bereits  für  ihn  zu  Luzern  unter- 
handelte. •^)  Kilian  ermahnte  diesen  eindringlich,  auf  etwaiges  Be- 
fragen nicht  zu  verraten,  dass  Luzern  und  Schwyz  ihm  zur 
Flucht  geraten  hatten,  sondern  anzugeben,  er  sei  über  den  See 
gegangen  in  der  Absicht,  sich  die  Bestätigung  von  Kaiser  und 
Papst  zu  holen.  ')  Indessen  arbeitete  der  Reichsvogt  rüstig  weiter 
für  seinen  Herrn.     Er  bea^ab  sich  in  den  ersten  Tasren  des  Juli 


1)  E.  A.,  IV,  ib,  S.  279. 
^)  A.-S.,  II,  626. 
'^)  A.-S.,  II,  6312. 
^)  A.-S.,  II,  636. 


123 

nach  Glarus,  dann  nach  Schwyz  und  Lnzern,  um  auf  dem  näch- 
sten Badener  Tage  einen  Mehrheitsbeschluss  der  Schirmorte 
zugunsten  des  Abtes  zustande  zu  bringen/)  und  hatte  vom  Glarner 
Landrate  bereits  eine  günstige  Antwort  erhalten.  -)  Daneben 
Hess  aber  Zürich  die  Anhänger  des  Abtes  deutUch  genug  fühlen, 
wer  im  ersten  Kappelerkrieg  den  Erfolg  davon  getragen.  Ein 
Anonymus  konnte  deshalb  an  Kilian  schreiben,  „so  herschent 
dero  von  Zürich  hotten  über  Kit  und  gut,  schaltend  und  waltend, 
tröstend,  stärkend  nach  irera  fürnemen  jederman  in  wis  und 
gestalt,  als  ob  sy  herren  syent  über  land,  lüt  und  gut".  ^)  Zürich 
wandte  sich  auch  Mitte  Juli  an  Glarus  und  forderte  es  auf,  seine 
ihm  früher  gegebenen  Zusagen  wegen  des  Abts  von  St.  Gallen 
zu  halten.  *) 

Bei  ihrem  Vorgehen  gegen  den  Abt  kam  den  Zürchern  na- 
mentlich auch  der  Umstand  zu  Hilfe,  dass  diejenigen,  welche  in 
den  äbtischen  Gebieten  noch  zu  Kilian  hielten,  durch  die  Flucht 
ihres  Hauptes  und  Herrn  schwer  getroffen  waren.  Mancher  von 
ihnen  glaubte,  dieser  habe  mit  seiner  Flucht  bewiesen,  dass  er 
selbst  an  seiner  Sache  verzweifle.  So  hatte  denn  die  Entweichung 
des  Abtes  gerade  unter  seinen  eifrigsten  Anhängern  grosse  Mut- 
und  Tatenlosigkeit  hervorgerufen.  ')  Es  wurde  darum  Kilian  be- 
sonders durch  seinen  Reichsvogt  dringend  geraten,  in  Bälde  selbst 
in  die  Eidgenossenschaft  zu  kommen,  um  sich  zu  Baden  vor  den 
vier  Orten  persönlich  verhören  zu  lassen.  Zudem  könnte  der 
Abt  selbst  zu  den  Schirmorten  Luzern,  Schwyz  und  Glarus  reiten, 
und  er  glaube,  „üwer  person  schüef  gar  vil". ")  Doch  der  nächste 
Badener  Tag  war  zu  nahe,  als  dass  der  Abt  schon  auf  diesem 
persönlich  hätte  erscheinen  können,  besonders  da  er  wegen  der 
gegen  ihn  bestehenden  offenen  Feindseligkeit  Zürichs  und  seiner 
Anhänger  bei  den  eidgenössischen  Orten  zuerst  um  sicheres  Geleit 
nach  Baden  hätte  werben  müssen.  Er  begnügte  sich  darum, 
schriftlich   und   durch  Gesandte   auf   dem  Badener  Tag,  der  am 


')  A.-S.,  II,  647. 

~)  St.-A.,  Fase.  14.    Frater  Martin  Störi,  St.  Galler  Konventual,  zur  Zeit 
im  Kloster  Einsiedeln,  an  Kilian,  d.  d.  9.  Juli. 
•'S)  A.-S.,  IL  649. 
^)  A.-S.,  n,  6782. 
•')  S.  Beilage  V. 
'')  A.-S.,  II,  679. 


124 

23.  Juli  eröffnet  wurde,  für  seine  Sache  zu  wirken.  Den  eid- 
genössischen Boten  insgesamt  berichtete  er,  wie  er  wegen  seiner 
Konfirmation  nach  Überlingen  gegangen  und  nicht  wegen  des 
damals  ausgebrochenen  Krieges,  und  verwahrte  sich  ausdrücklich 
gegen  die  Gerüchte,  als  ob  er  jenseits  des  Sees  mit  König  Fer- 
dinand oder  sonst  jemand  gegen  die  Eidgenossenschaft  Anschläge 
gemacht  habe.  Sodann  bat  er,  die  Tagherren  möchten  die  In- 
struktion, die  er  seinen  Gesandten  wegen  seines  Gotteshauses 
mitgegeben,  gnädig  verhören.^)  In  dieser  beklagte  sich  der  Prälat 
vor  allem  über  das  gewalttätige  Vorgehen  St.  Gallons  gegen  das 
dortige  Münster  wie  über  das  eigenmächtige  Gebaren  Zürichs 
in  den  äbtischen  Landen,  besonders  im  Schloss  Rorschach;  die 
Eidgenossen  möchten  dafür  sorgen,  dass  er  laut  Landfrieden 
wieder  in  seine  Herrschaft  eingesetzt  würde  und  dass  Luzern. 
Schwyz  und  Glarus  ihre  früher  zu  Wil  gegebenen  Zusagen 
hielten.  Die  Tagsatzung  setzte  daraufhin  einenTag  in  der  äbtischen 
Angelegenheit  auf  den  24.  August  nach  Wil  an.  ^)  Inzwischen 
sollten  die  Angehörigen  des  Gotteshauses  nichts  Unfreundliches 
gegen  den  Abt  vornehmen.  -^ 

Kilian  beschloss,  diesen  Tag  persönlich  zu  besuchen.  Schenkh 
riet  ihm  das  dringend  an,  '^)  ebenso  die  ihrem  Herrn  ergebenen 
Beamten  zu  Wil,  welche  ihm  schrieben,  er  solle  in  die  Eidge- 
nossenschaft kommen  und  sich  „tapferlich  wie  ain  grimer  low 
stellen".  ^)  Doch  die  Zürcher  hatten  von  der  geplanten  Reise 
Kilians  Kenntnis  bekommen.  Hans  Rudolf  Lavater  und  Rudolf 
Thumysen  berichteten  schon  am  30.  Juli  aus  Baden  an  Zürich, 
der  Abt  habe  im  Sinne,  zu  den  Toggenburgern  zu  gehen  •')  und. 
wenn  er  dort  nicht  bleiben  könnte,  sich  nach  Einsiedeln  zu  be- 
geben ;  man  solle  alle  Wege  und  Stege,  auf  denen  Kilian  in  die 
Eidgenossenschaft  gelangen  könnte,  schleunigst  bewachen  lassen, 
um  den  Prälaten  womöglich  abzufangen.  Auf  Befehl  Zürichs 
traf   nun   Frei   die    nötigen    Vorbereitungen:    der  Amniann   A'on 


^)  St.-A.,  Fase.  14. 

2)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  1461. 

3)  St.-A.,  Fase.  14. 

4)  St.-A.,  Bd.  99  b,  S.  238  ;  Orig.  fehlt, 
ö)  St.-A.,  Fase.  14,  20.  Juli,  Orig. 

^)  In  der  Tat  hatte  der  Abt  bereits  an  Giger  das  Gesueh  gerichtet,  in  die 
Grafschaft  kommen  zu  dürfen  (s.  A.-S.,  II.  710  5). 


1 


125 

Rorschach  musste  die  Fähren  von  da  bis  nach  Rheineck  über- 
wachen und,  wenn  nötig,  bis  nach  Appenzell  hinauf  Vorkehrungen 
treffen,  falls  der  Abt  etwa  von  Hohenems  hereinkommen  wollte; 
Peter  Weber  von  Waldkirch  hatte  die  Strecke  Arbon-Romans- 
horn  unter  seiner  Aufsicht  und  Erhard  Witzig  die  Wege  und 
Stege  von  Romanshorn  bis  Münsterlingen.  ^) 

Doch  Kihan  war  noch  zur  rechten  Zeit  von  solchen  Vor- 
kehrungen in  Kenntnis  gesetzt  worden  und  hatte  Mittel  und  Wege 
gefunden,  um  ungehindert  nach  Einsiedeln  zu  gelangen.  Er  hatte 
sich  am  12.  August,  morgens  sechs  Uhr,  in  Überlingen  eingeschifft, 
begleitet  vom  Reichsvogt  Heinrich  Schenkli  und  seinem  Schreiber 
Rudolf  Sailer.  Am  gegenüberhegenden  Ufer  angelangt,  stieg 
man  zu  Pferde  und  ritt  nach  Radolfszell.  Zwar  reiste  der  Abt 
sicherheitshalber  inkognito,  aber  „nüntz  desterminder  wurden  die 
von  Zell-j  siner  gnaden  zükunfft  bericht  unnd  schanckten  im  den 
win  in  VI  kannen  gantz  erheben,  mit  vil  erpietung"'.  Es  war  Mittag 
geworden,  als  Kilian  von  hier  wegritt,  Schaffhausen  zu,  das  um 
die  Vesperzeit  erreicht  wurde.  Das  nächste  Ziel  war  Kaiserstuhl. 
Der  dortige  Vogt,  Cornel  Schulthess  von  Zürich,  war  ein  Partei- 
gänger des  Abtes  und  ritt  ihm  bis  aufs  Rafzerfeld  entgegen.  In 
Kaiserstuhl  wurde  übernachtet.  ^)  Am  nächsten  Morgen  ging's 
weiter  über  Baden,  Bremgarten,  die  Reuss  hinauf  ins  Nonnen- 
kloster Hermetswil,  wo  dem  Prälaten  und  seinen  Begleitern 
,,von  den  frowen  insonnder  vil  güts"  erwiesen  wurde.  In  Sins, 
unweit  des  Zugersees,  endigte  der  zweite  Reisetag.  Am  folgenden 
Morgen  fuhr  der  Abt  über  den  Zugersee  nach  Zug.  Wie  er 
dort  in  die  Stube  des  Gasthofs  trat,  „waren  glichergestalt  der 
dein  rat  daselbs  unnd  assent  mit  m(inem)  g(nädigen)  h(errn) 
den  iinbis,  schanckten  sinen  gnaden  ouch  den  win  gantz  erheben 
unnd  erpotten  sich  darnebennt  mundtlichen  insonnders  vil  gütz 
gegen  im,  des  er  sich  dann  gar  wol  erfröwt,  unnd  zalt  also 
m(in)  g(nediger)  h(err)  das  mal  für  die  rädt  unnd  alle,  die  da, 
dere  nammlichen  dry  tisch  waren,  unnd  reit  alsonach  dem  imbis 
den   nechsten  über  Schinndelledi  gen  Ainsidlen  zu  unnd  kamen 


1)  A.-S.,  II,  717. 

2)  D.  h.  Radolfszell. 

3)  Kilian    hat    sich,  nebenbei    bemerkt,    durch    diesen   grossen    Ritt    auf 
schlechten  Strassen  als  tüchtiger  Reiter  gezeigt. 


126 

um  das  salvezit  dahin.  Da  ward  m(in)  g(nediger)  h(eiT)  unnd 
sine  diener  von  m(inem)  g(nedigen)  h(errn)  von  Ainsidlen  ganntz 
erlich  empfangen  unnd  gar  wol  gehalten.'"  ^) 

Es  war  zu  erwarten,  dass  durch  das  Wiedererscheinen  Kilians 
in  der  Eidgenossenschaft  sein  Anhang  daselbst  von  neuem  Mut 
schöpfen  würde.  Auch  zu  Glarus  war  ein  Wiedererstarken  der 
altgläubigen  Partei  zu  befürchten,  so  dass  Zürich  beschloss,  sein 
möglichstes  zu  tun,  um  die  Glarner  Landsgemeinde,  die  am  24. 
August  stattfand,  für  sich  zu  gewinnen  und  damit  die  äbtische 
Angelegenheit  in  seinem  Sinne  zum  x\ustrag  zu  bringen.  Es  gab 
seinem  Gesandten  hiefür  eine  durch  ihre  Weitläufigkeit  ermüdende 
Instruktion  mit.  Darin  wurde  Glarus  das  Bedauern  darüber  aus- 
gedrückt, dass  es  seine  Gesandten  auf  den  letzten  Wiler  Tag  nicht 
mit  besseren  Instruktionen  versehen  habe.  Im  weiteren  wurde 
hervorgehoben,  warum  Zürich,  wie  auch  Glarus,  den  Abt  nicht 
anerkennen  könne :  er  habe  heimlich  das  Land  geräumt,  wie  das 
die  Art  der  reissenden,  aber  in  Schafskleidern  einhergehenden 
Wölfe  sei.  Kilian  habe  jedenfalls  weder  Mühe  noch  Geld  ge- 
spart, um  jenseits  des  Sees  Zürich  und  den  Gotteshausleuten  zu 
schaden;  man  erzähle  ja,  dass  er  zur  Anwerbung  von  Söldnern, 
welche  man  in  die  Schweiz  habe  werfen  wollen,  Geld  ausge- 
geben habe ;  auch  sei  der  Kappeier  Landfriede  gegen  eine  An- 
erkennung des  Abtes,  indem  das  Friedensinstrument  bestimme, 
dass  Messe.  Bilder  und  ähnlicher  Gottesdienst,  wozu  auch  die 
Mönchsregeln  gehörten,  da,  wo  man  sie  entfernt  habe,  abgestellt 
sein  und  bleiben  sollten ;  Glarus  sei  darum  schuldig,  dieses 
„Mönchengespenst"  beseitigen  zu  helfen;  zudem  möchten  ja 
auch  die  Gotteshausleute  keinen  Abt  mehr  haben ;  man  bitte 
darum  die  Landsgemeinde  zum  höchsten  und  teuersten,  sich  um 
Gottes  Ehre  willen  nicht  von  Zürich  zu  sondern.  -) 

Dagegen  erklärte  der  Abt  in  seiner  Instruktion  für  die  Lands- 
gemeinde: es  sei  nicht  wahr,  dass  er  fremdes  Kriegsvolk  habe 
in  die  Schweiz  führen  wollen,  und  er  werde  die  „uftrager"  des 
Gerüchts,  sobald  sie  ihm  bekannt  seien,  gerichtlich  verfolgen; 
denn  der  offene  Streit  unter  den  Eidgenossen  sei  ihm  von  Herzen 
leid  gewesen :   die  Landsgeraeinde    wisse  ferner,  dass  er  immer 


1)  Tgb.  Sail.  fol.  1—2. 

-)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  168  1  .md  2. 


127 

noch  nicht  in  seine  Herrschaft  eingesetzt  sei,  was  ihm  „nit 
klainen  kiimmer  und  beschwere!"  verursache,  da  er  als  geborner 
Eidgenosse  immer  bemüht  gewesen  sei,  für  sein  Vaterland  und 
namentlich  für  seine  Schirmorte  das  beste  zu  tun ;  er  bitte 
darum  die  Glarner  „im  ze  dem  sinen,  wartzü  er  recht  habe,  unnd 
nit  wyter,  ze  helffen". 

Nachdem  beide  Parteien  angehört  worden  waren,  entschied 
sich  nach  erregten  Verhandlungen  die  Mehrheit  der  Glarner 
dafür,  dass  Abt  Kilian  „jetzmals  siner  possess  enntsetzt  unnd 
kein  appt  sin  solle,  er  möge  denn  sin  wesenn  mit  göttlicher  ge- 
schrifft  erhalten  unnd  bypringen.  das  es  wider  gott  unnd  sin 
wort  nit  sige''.  Als  aber  diese  „anntwurt  dermassen  gemeret 
unnd  mit  zellung  der  hennden  geschaidenn,  ward  daruf  unnder 
dem  volck  ain  semlich  ungestimpt  schryen  unnd  prechtenn,  das 
mengklich  inn  sorgen  stünden,  sy  weiten  enanndernn  an  der 
gmaind  erschlagen";  denn  die  unterlegene  Minderheit  war  er- 
bittert darüber,  dass  man  den  Landrechtsbrief  des  Abtes  nicht 
angehört  hatte  „unnd  das  also  sannt  Fridli  an  den  selbigen 
brieffen  so  ellenndigklich  nackennt  unnd  bloß  hanngen  muß 
und  nüntz  mer  gelten  solle. 

In  dem  luff  das  volck  hinweg.'*  ') 

Am  gleichen  24.  August  sollte  der  für  den  Abt  festgesetzte 
Tag  zu  Wil  stattfinden ;  er  scheint  aber  auf  den  28.  August  ver- 
schoben worden  zu  sein,  und  es  kam  dann  nicht  die  Sache  des 
Abtes  zur  Sprache,  sondern  Anliegen  seiner  Untertanen.  -)  Für 
ihn  selbst  war  auch  wenig  zu  erwarten ;  denn  Zürich  hatte 
seinen  Gesandten  die  Instruktion  gegeben,  sie  sollten  dem 
wahrscheinlichen  Begehren  des  Abtes  um  Gehör  „schlächtlich" 
keine  Folge  geben  und  ihm  kein  Geleit  bewilligen,  bis  er  die 
geraubte    Habe    zurückgebracht    hätte.  •^)    —    Diesem   Auftreten 


^)  Tgb.  Sail.  fol.  4 — 6.  über  das  Resultat  der  Landsgemeinde  siehe  auch 
Val.  Tschudi  S.  77  und  78  und  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  I683.  Entgegen  Stricklers 
Vermutung,  dass  die  Landsgemeinde  am  Sonntag  vor  Bartholomäus  (22.  Aug.) 
abgehalten  wurde,  fand  dieselbe,  laut  Tagebuch  Sailers,  fol.  4,  am  Bartholomäus- 
tag selbst  (24.  August)  statt. 

2)  E.  A.,  IV,  Ib.  Nr.  173. 

^)  Staatsarchiv  Zürich,  Instruktionenbuch  II,  fol.  61 — 63.  Es  sind  im 
wesentlichen  die  gleichen  Motive  wie  diejenigen  der  Instruktion,  welche  Zürich 
seinen  Gesandten  auf  die  Glarner  Landsgemeinde  vom  24.  August  mitgab.  In 
der  Wiler  Instruktion   ist  vielleicht  noch  das  folgende  bemerkenswert:  Wenn 


128 

Zürichs  gegenüber  bemühte  sich  der  Abt,  vor  allem  Luzern  und 
Schwyz  zu  energischer  Stellungnahme  zu  seinen  Gunsten  zu  be- 
wegen. Er  ging  am  3.  September  von  Einsiedeln  persönlich  nach 
Schwyz,  wo  er  bei  Landammann  und  Rat  günstiges  Gehör  für 
seine  Klagen  gegen  Zürich  und  die  Gotteshausleute  fand.  Ähn- 
lich erging  es  ihm  zu  Luzern,  wohin  er  sich  zwei  Tage  später 
begab.  Als  er  hier  den  Rat  bat,  ihn,  der  ein  „verlassener  trost- 
loser" Mann  sei,  nicht  im  Stiche  zu  lassen,  gab  die  Stadtobrigkeit 
zur  Antwort,  man  wolle  ihm  in  allem  treu  beholfen  sein,  wozu 
man  vermöge  Burg-  und  Landrecht  Fug  und  Recht  habe.  Vier- 
zehn Tage  hielt  sich  der  Abt  zu  Luzern  auf  und  schonte  seine 
Kasse  nicht,  um  sich  die  Bürger  möghchst  günstig  zu  stimmen.^) 
Als  in  dieser  Zeit  zu  Brunnen  eine  Tagsatzung  der  V  Orte  statt- 
fand, liess  er  Burg-,  Landrechts-  und  Hauptmannschaftsbriefe 
vorlegen  und  den  Rat  um  Hilfe  anrufen  -)  und  wiederholte  dies 
wenige  Tage  später  durch  seine  Botschaft  vor  den  vier  Orten 
zu  Baden.  •')  Die  Schirmherren  hatten  bereits  in  seiner  Sache 
einen  Tag  wieder  nach  Wil  angesetzt.  Doch  war  für  den  Abt 
von  dieser  Zusammenkunft  wenig  zu  hoffen;  denn  Zürich  hatte 
zum  voraus  erklärt:  „der  münchen  wellent  wir  glatt  nützit";  ^) 
auch  war  dem  Prälaten  selbst  Wil  als  Tagungsort  wenig  angenehm ; 
denn  es  lag  mitten  in  seiner  rebellischen  Landschaft.  Er  liess 
darum  durch  seine  Gesandten  anfangs  Oktober  bei  den  Tag- 
herren zu  Baden  um  eine  Konferenz  nach  Rapperswil  bitten.  '') 
Zürich  dagegen  brachte  Bischof szell  in  Vorschlag:  dorthin  werde 
dem  Abt  Geleit  gegeben  werden,  wenn  er  die  dem  Gotteshaus 
entführte  Habe  zurückerstattet  habe. '')    Endlich  wurde  ihm  auf 


man  etwa  auf  dem  Wiler  Tage  vorbi'ingen  wollte,  dass  durch  den  ersten  Land- 
frieden Fehden  und  Strafen  aufgehoben  seien,  so  sei  dies  richtig  in  dem  Falle, 
dass  unter  den  Eidgenossen  einer  dem  andern  zugezogen  :  aber  anders  verhalte 
es  sich  mit  denen,  welche  fremdes  Kriegsvolk  über  den  See  oder  Rhein  in  die 
Eidgenossenschaft  führen  wollten,  wie  das  der  vermeinte  Abt  im  Sinne  gehabt 
habe. 

1)  Tgb.  Sail.  fol.  10  b  —  16  a. 

-)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  182  m,  1-5.  Sept. 

3)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  192  0. 

■*)  A.-S.,  II,  8575. 

^)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  199  aa:  A.-S.,  II,  863. 

")  A.-S.,  II,  896  2;  siehe  auch  A.-S.,  II,  881. 


129 

sein  weiteres  Begehren  ein  Tag  nach  Baden  bestimmt  auf  den 
23.  November.  Zürich  erklärte  aber,  es  werde  den  Abt  nicht 
anhören,  bis  das  fortgeschaffte  Gut  zurückgebracht  sei.O 

Der  äbtische  Handel  im  Verein  mit  andern  Vorkommnissen 
hatte  die  Situation  in  der  Eidgenossenschaft  bereits  wieder  so 
verschlimmert,  dass  Luzern  im  September  Schwyz  um  Aufsehen 
mahnte  und  einen  Tag  für  die  V  Orte  ausschrieb,  um  gemeinsam 
Verteidigungsmassregeln  zu  treffen.  -)  Kilian  erhielt  seinerseits 
Nachricht,  wie  Zürich  zum  Kriege  rüste.  Der  geistliche  Herr 
fühlte  sich  deshalb  zu  Einsiedeln  nicht  mehr  sicher  genug  und 
begab  sich  heimlich  und  verkleidet  auf  das  Schloss  Gräpplang 
zu  seinem  Freunde,  dem  Ritter  Ludwig  Tschudi.  Beinahe  wäre 
er  dabei  von  seinen  Widersachern  gefangen  genommen  worden; 
denn  als  er  ins  neugläubige  Städtchen  Wesen  einritt,  um  von 
dort  den  Walensee  hinauf  zu  fahren,  wurde  er  erkannt.  Doch 
forderte  anfangs  der  Wirt  zum  „Schwert"  das  Volk  vergebens 
auf,  den  Prälaten  gefangen  zu  nehmen.  Aber  kaum  sei  er  auf 
dem  See  draussen  gewesen,  berichtet  Sailer,  „da  wäre  ain  vili 
des  gmainen  volcks  dahin  züsamen  komen  unnd  des  fürnamens 
unnd  radtschlag  gsin,  sinen  gnaden  ilenntz  nachin  züfaren  unnd  inn 
widerumb  gen  Wesen  zu  füren  unnd  da  sampt  der  hab  unnd  gut, 
dero  er  dann  so  vil  gefürt,  das  sih  der  henngst  gebückt  hette, 
vengklichenn  zu  behalten  bis  uff  wytren  beschaid  irer  herren 
unnd  dero  von  Zürich,  denen  sy  dann  ain  mergklich  groß  wol- 
gefallenn  daran  bewysenn  wurdenn.  Dasseib  nun  aber  nit  mögen 
beschechenn;  dann  wie  bald  der  her  von  Sannt  Gallen  uffenn 
se  unnd  ingsessenn,  da  wäre  ze  stund  ain  semlicher  nachwind 
komen,  das  nit  wol  müglich  gsin,  inn  mit  dechainen  schiffenn 
mer  zu  erylen  noch  zu  erjagen."  •^) 

Die  für  den  Abt  auf  den  23.  November  angesetzte  Tagung 
kam  erst  am  26.  ds.  Mts.  in  Baden  zustande,  nachdem  Zürich 
vergebens  versucht,  sie  nach  Bischofszell  zu  verlegen,  wo  es 
den  Abt  besser  in  seiner  Gewalt  gehabt  hätte.  *)  In  einem  „Rat- 
schlag" für  diesen  Tag  hatte  eine  Zürcher  Ratskomraission  vor- 
geschlagen, Kilian  nicht  anzuhören,  ihm  keine  Antwort  zu  geben, 

1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  209  t  i  i  2. 

^)  A.-S.,  II,  827. 

3)  Tgb.  Sail.,  fol.  21      22. 

-')  A.-S.,  II,  924;  Tgb.  Sali.,  fol.  41b. 

St.  Galler  Mittlgn.  z.  vaterländ.  Gesch.  XXXIII.  9 


130 

sich  überhaupt  mit  ihm  ..inn  keyn  disputatz,  gezängk  oder  reclit- 
fertigung"  einzulassen,  damit  nicht  ,,eyn  tröleten  angericht" 
werde  und  die  Gotteshausleute  dadurch  vielleicht  veranlasst 
würden,  von  Zürich  abzufallen.  Dieser  Vorschlag  wurde  zwar 
nicht  angenommen  ;  man  beschloss  vielmehr,  den  Abt  anzuhören  : 
doch  sollte  den  drei  übrigen  Schirmorten  rund  heraus  gesagt 
werden,  dass  man  ihn  nicht  im  Lande  dulden  werde  und  dass 
man,  auch  wenn  Glarus  nicht  mithandeln  wolle,  in  nächster  Zeit 
den  Gotteshausleuten  ihre  Beschwerden  abzunehmen  gedenke. 
Den  Boten  nach  Baden  wurde  eingeschärft,  sich  von  diesem  Ent- 
schlüsse unter  keinen  Umständen  abbringen  zu  lassen.  ^)  So  war 
denn  von  diesem  Tage  ebenfalls  für  den  Abt  wenig  zu  hoffen, 
besonders  da  auch  Glarus  seinen  Boten  nur  befohlen  zu  ,.losen" 
und  da  unter  Zürichs  Einfluss  die  Gotteshausleute,  welche  auf 
diesem  Tage  hätten  erscheinen  sollen,  fern  geblieben  waren. 
Der  Abt  brachte,  ohne  dass  Gegner  vorhanden  gewesen  wären, 
welche  ihn  zur  Verantwortung  aufgefordert  hätten,  über  seine 
Wahl  und  sein  Verhalten,  besonders  seit  Beginn  des  ersten 
Kappelerkrieges ,  eine  ausführliche  Rechtfertigung  vor :  Er 
sei  nicht  zu  St.  Gallen,  sondern  zu  Rapperswil  gewählt  worden, 
da  man  hätte  befürchten  müssen,  dass  seine  Wahl  verhindert 
würde,  wenn  sie  am  gewohnten  Orte  vorgenommen  worden  wäre; 
zudem  sei  er  von  Papst  und  Kaiser  l^estätigt  worden.  Er  habe 
mit  Wissen  und  Willen  seines  Konventes  einen  Teil  der  Habe 
des  Gotteshauses  „entflöchnof' ;  -)  der  grössere  Teil  davon  befinde 
sich  noch  in  der  Eidgenossenschaft  und  werde  wieder  ins  Kloster 
St.  Gallen  gebracht  werden,  sobald  er  als  Abt  anerkannt  sei. 
Wenn  man  ihm  vorwerfe,  dass  er  seine  Gotteshausleute  im  Stiche 
gelassen,  so  habe  er  zu  entgegnen,  dass  ihm  am  6.  Juni  ein 
Schreiben  zugekommen  sei  des  Inhalts:  er  möge,  wenn  er  mit 
geringen  Kosten  die  Konfirmation  und  die  Regalia  bekommen 
wolle,  sich  eilends  nach  Überlingen  begeben ;  das  habe  er  getan, 
auch  in  einem  Schreiben  dem  Hauptmann  Mitteilung  davon  ge- 
macht und  ihn  gebeten,  in  seiner  Abwesenheit  das  Gotteshaus 
in  „guter  befälch  ze  haben".     Dass  er  sich  verkleidet  über  den 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  220  zu  g2. 

^)  Der  äbtische  Konvent  hatte  diese  Worte  durch  ein  Schreiben  an  die 
vier  Schirmorte  unterstützt.  (Tgb.  Sail.,  fol.  44.  Donnerstag  nach  Othmar 
[18.  Nov.]). 


See  begeben,  könne  er  wohl  verantworten;  denn  man  habe  ihm 
während  mehrerer  Nächte  sein  Haus  zu  Wil  „verhüet  und  ver- 
wachet'', und  als  er  verreiste,  seien  ihm  „all  far''  am  See  ver- 
legt worden :  kaum  sei  er  jenseits  des  Bodensees  angekommen, 
da  wäre  das  „fenly  von  Kyburg"  zu  Wil  eingezogen  und  das 
Städtchen  samt  der  ganzen  äbtischen  Landschaft  besetzt  worden, 
so  dass  er  nicht  habe  zurückkommen  können.  Zum  Beweise 
ferner  dafür,  dass  er  nicht  mit  Marx  Sittich  „praktiziert"  habe, 
legte  der  Abt  ein  Schreiben  des  Herrn  von  Ems  vor,  in  welchem 
dieser  erklärte,  er  habe  seines  Wissens  Kilian  noch  nie  gesehen. 
Mit  der  dringenden  Bitte,  ihn  bei  dem,  wofür  er  Briefe  und 
Siegel  besitze,  zu  schirmen  und  ihn  als  gebornen  Eidgenossen 
und  Landsmann  der  vier  Schirmorte  nicht  gegen  den  Landfrieden 
von  dem,  was  ihm  gehöre,  fern  zu  halten,  endigte  der  Abt  seinen 
Vortrag.  Doch  er  erreichte  mit  seiner  Verteidigung  so  gut  wie 
nichts.  Glarus  hatte,  wie  wir  wissen,  zum  Handeln  keine  Voll- 
macht, und  die  Zürcher  Boten  hielten  sich  an  ihre  Instruktion. 
Sie  erklärten,  sie  hätten  die  Verantwortung  des  Abtes  gehört 
und  ^.lassend  die  S3"n,  wie  die  syge";  ja,  sie  bemerkten  unum- 
wunden, mit  Wiederholung  der  uns  schon  bekannten  Gründe, 
warum  Zürich  den  Abt  nicht  anerkennen  könne :  „ire  herren 
sigend  des  stifen  sinns  und  gemüets.  in  nit  widerumb  inkommen 
ze  lassen".  Es  war  ein  schwacher  Trost  für  Kihan,  dass  Luzern 
und  Schwyz  versprachen,  ihm  Briefe  und  Siegel  wie  von  Alters 
her  zu  halten,  soweit  sie  das  im  Stande  wären. 

Zum  Schluss  der  ganzen  Verhandlung,  für  die  ein  besonderer 
Abschied  ausgefertigt  wurde,  ^)  rief  Kilian  seine  ihm  treu  ge- 
bliebenen Schirmorte  an,  Zürich  und  Glarus  gütlich  oder  rechtlich 
dazu  zu  vermögen,  dass  sie  ihm  Briefe  und  Siegel  hielten  oder  im 
Weigerungsfalle  ihm  die  Schutz-  und  Schirmbriefe  herausgäben. 
„Man  wurde  in  uss  der  kutten  nit  bringen;  es  müesste  noch  mee 
red  brachen",  fügte  der  energische  geistliche  Herr  bei.  und 
seine  Gönner,  welche  ihm  auf  diesem  Tage  Beistand  geleistet, 
liessen  sich  vernehmen,  dass  sie  solche  Anschuldigungen  gegen 
den  Abt,  der  sich  doch  gebührend  verantwortet  habe,  nicht  länger 


1)  E.  A..  TV.  1  b.  220  zu  g:! :  siehe  auch  Vad.  III,  S.  229  4o  —  231  i.' : 
Sicher.  I,  S.  117  i-io:  ferner  das  eingehende  Gutachten  über  die  Verhand- 
lungen mit  Abt  Kilian,  welches  wohl  Vadian  verfasst  hat.     (A.-S..  II,  956). 


132 

dulden  könnten.  Dies  hätten  sie  im  Namen  der  „früntschafft" 
des  Abtes,  „dero  dann  gezelter  mannen  bi  vierhunderten  sigen". 
anzuzeigen.  ^)  So  gab  denn  der  Abt  nicht  nach  mit  seinen  Be- 
mühungen, ins  Regiment  zu  kommen.  Von  Einsiedeln  aus  suchte 
er  durch  ausführliche  Schreiben  Zürich  und  Glarus  von  ihrer 
feindseligen  Haltung  ihm  gegenüber  abzubringen  und  vor  allem 
zu  verhindern,  dass  die  beiden  Orte,  wie  Zürich  zu  Baden  er- 
klärt hatte,  den  Gotteshausleuten  eine  Regierungsbehörde  gäben, 
wodurch  er  eigentlich  entsetzt  worden  wäre.  In  diesen  an 
die  beiden  Stände  gerichteten  Schreiben  -)  liess  sich  Kilian  ver- 
nehmen :  er  habe  sich  zu  Baden  so  verantwortet,  dass  er  glaube, 
die  vier  Schirmorte  hätten  daran  „ain  gut  benuegen  empfangen", 
und  rufe  also  Zürich  und  Glarus  nochmals  zum  höchsten  an,  ihn 
bei  Brief  und  Siegel  zu  schirmen.  Wenn  sie  aber  trotzdem  im 
Sinne  hätten,  wie  Zürich  gedroht,  den  Gotteshausleuten  ein  Re- 
giment zu  geben,  so  fordere  er  die  beiden  Orte  auf,  damit  still- 
zustehei),  bis  ein  Rechtsentscheid  darüber  gefällt  sei,  ob  Zürich 
und  Glarus  zu  ihrem  Vorgehen  Fug  und  Recht  hätten;  er  wolle 
ihnen  auch  hiemit  einen  solchen  Rechtstag  vorgeschlagen  und 
sie  darauf  aufmerksam  gemacht  haben,  dass  er  andere  Schirm- 
herren suchen  müsse,  wenn  er  nicht  besser  bei  seinen  Rechten 
und  Freiheiten  beschirmt  werde.-')  Zürich  fand  es  daraufhin  nötig, 
energisch  an  Glarus  zu  schreiben  und  aufs  höchste  darum  zu  er- 
suchen, dass  man  sich  in  der  äbtischen  Angelegenheit  nicht  von 
ihm  trenne,  das  Rechtsangebot  des  Abtes  in  den  Wind  schlage 
und  auf  den  kommenden  St.  Nikolaustag  eine  Botschaft  mit  der- 
jenigen von  Zürich  nach  Wil  sende,  um  den  Gotteshausleuten 
ein  Regiment  aufzurichten :  der  Abt  habe  alle  Rechte  auf  die 
Abtei,  „ob  ihm  schon  einiche  zugestanden",  durch  die  Entführung 
von   Klosterhabe    über   den  See   „von   rechts  wegen"    verwirkt; 


^)  Tgb.  Sail.,  fol.  48b.  (Freitag  nach  Katharina);  siehe  dazu  die  In- 
struktion Luzerns  für  diesen  Tag  zu  Baden.  Der  Luzerner  Bote  hatte  unter 
anderm  an  Zürich  die  Frage  zu  stellen,  ob  es  den  Frieden  in  allen  Stücken 
halten  wolle  oder  nicht;  es  scheine,  als  ob  die  Zürcher  nur  die  Artikel  halten 
wollten,  die  ihnen  beliebten;  dies  könne  jedoch  nicht  geduldet  werden.  (A.-S.. 
II,  949  2.) 

^)  Beide  vom  29.  November  datiert  und  von  gleichem  Inhalte. 

3)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  220  zu  g4.  St.-A.,  Fase.  14,  Kilian  an  Zürich; 
St.-A.,  Bd.  101,  S.  52  bis  54,  Kilian  an  Glarus. 


133 

denn  er  habe  mit  dieser  Tat  „öffentlichen  nam  und  spolium'' 
begangen.  ^)  Einen  Tag  später,  am  4.  Dezember,  schrieb  Zürich 
an  den  Abt  zurück:  es  bleibe  bei  der  Antwort,  die  es  den  äb- 
tischen Gesandten  gegeben,  da  er  kein  Recht  habe,  dem  Vor- 
gehen Zürichs  entgegenzutreten  oder  ihm  Recht  zu  bieten ;  denn 
bekanntlich  sei  Zürichs  Burgrecht  mit  dem  Kloster  St.  Gallen 
ein  ewiges,  beziehe  sich  nicht  allein  auf  den  Abt,  sondern  auch 
auf  das  Gotteshaus  und  dessen  Land  und  Leute.  Der  Mönchs- 
stand sei  in  der  Bibel  nicht  begründet ;  Kilian  speziell  sei  nicht 
auf  rechtmässige  Weise  gewählt  worden,  hätte  die  Gotteshaus- 
leute in  ihrer  Not  verlassen  und  sich  mit  des  Klosters  Hab  und 
Gut  über  den  See  geflüchtet.  Die  Gründe,  die  der  Prälat  da- 
gegen zur  Entschuldigung  zu  Baden  vorgebracht,  seien  unhalt- 
bar; zudem  habe  der  Abt  nicht,  wie  Glarus  und  Zürich  es  ver- 
langten, die  geraubte  Habe  wieder  zurückgebracht,  und  die  Gottes- 
hausleute wollten  überhaupt  keinen  Abt  mehr.  Nicht  minder 
scharf  als  der  Inhalt  war  die  Adresse:  „Dem  erwirdigen,  geist- 
lichenn  herren  Kilian  Köuffi,  ettwa  conventherren  dess  gotzhuse 
zu  St.  Gallen,  der  sich  desselbigen  gotzhuses  bestättigetten  abbt 
berümpt,  unserm  lieben  herrenn  und  gütenn  fründ!"  Und  der 
Tagebuchschreiber  des  Abtes  vergisst  nicht,  dabei  zu  erwähnen : 
,, semliche  obverschribne  missif  schickent  euch  die  von  Zürich 
minem  gnädigen  herrenn  nit  bi  ir  statt  löiffer,  noch  bi  ainem 
der  irer  statt  farw  angetragenn,  sonnder  bi  ainem  schlechten, 
frommen  und  unachtparen  mentschen.  alles  zu  widerdriess  und 
Verachtung  sin  er  gnaden."  -) 

Daraufhin  liess  der  Abt  durch  seine  Botschaft  auf  dem  Lu- 
zerner Tag  vom  14.  Dezember  um  Beistand  werben,  während  er 
selbst  sich  in  diesen  Tagen  wieder  nach  Überlingen  begeben 
hatte.  Seine  Gesandten  richteten  aber  wenig  aus.  Uri  und 
Unterwaiden  wollten  überhaupt  nichts  mit  der  Sache  zu  tun 
haben; -^j  Luzern  und  Schwyz  aber  schrieben  am  16.  ds.  Mts.  an 
Glarus.  dass  es  den  Abt  zu  dem  Seinen  kommen  lassen  und 
nichts  weiter  bei  den  Stiftsbauern  vornehmen  solle;  die  beiden 
Orte   wollten  Glarus,   wenn   es  von    seinem  Beginnen   nicht  ab- 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  220  zu  g.ö. 

-)  Tgb.  Sali.,  Fol.  53  a  bis  55  b. 

»)  Vad.,  III,  S.  232  iH-19;  E.  A..  IV,  1  b.  Nr.  233  r. 


184 

stehe,  hiemit  Recht  vorgeschlagen  haben.  ^)  Im  gleichen  Sinne 
schrieben  sie  am  selben  Tage  an  Zürich;-)  dieses  begnügte  sich 
[iber  damit,  den  Lnzernern  den  Empfang  des  Schreibens,  das 
„eben  räss  und  scharpf"  gewesen,  anzuzeigen  und  beizufügen, 
dass  es  sich  mit  Glarus  über  eine  Antwort  verständigen  werde. 
da  die  Sache  diesen  Ort  ebenfalls  angehe.  •')  Dadurch  wurde 
die  Angelegenheit  neuerdings  auf  die  lange  Bank  geschoben. 

Das  Schreiben  Zürichs  wurde  in  den  Tagen  abgefasst,  da 
der  Auflauf  zu  Wil  stattgefunden  hatte  (s.  Abschn.  III,  Kap.  Ib). 
Dieser  bot  den  Zürchern  willkommene  Gelegenheit,  in  nachdrück- 
lichster Weise  mit  Folter  und  Kerker  gegen  die  treuesten  An- 
hänger des  Abtes  vorzugehen  und  damit  der  Sache  des  Prälaten 
selbst  einen  neuen  schweren  Stoss  zu  versetzen.  Begreiflich, 
dass  dieser  durch  seine  Botschaft  Anfangs  Januar  L530  auf  einem 
Tage  zu  Luzern  vor  den  neun  Orten  sich  beklagte,  seine  Sache 
werde  immer  „böser''.  Darauf  erhoben  sich  die  Boten  von  Luzern 
und  Schwyz  und  protestierten  laut  gegen  das  eigenmächtige 
Vorgehen  von  Zürich  und  Glarus  in  den  äbtischen  Landen  und 
gegen  die  Missachtung  aller  Rechtsmittel  und  Ermahnungen 
durch  die  Zürcher;  Luzern  und  Schwyz  könnten  diese  Schmach 
und  Schande  nicht  länger  erdulden.  Die  Tagherren  begnügten 
sich  aber  damit,  die  Sache  in  den  Abschied  zu  nehmen  und  auf 
den  16.  Januar  1530  einen  neuen  Tag  nach  Baden  anzusetzen, 
auf  dem  besonders  die  Angelegenheit  des  Gotteshauses  St.  Gallen 
besprochen  werden  sollte.  Auch  Zürich,  Schaffhausen  und  Basel 
wurden  aufgefordert,  die  Tagleistung  unbedingt  zu  besuchen.  *) 
Noch  vor  deren  Eröffnung  berief  aber  Zürich  die  Burgrechts- 
orte in  seine  Stadt.  Zwingli  hatte  für  diesen  Burgertag  ein  ein- 
gehendes Programm  ausgearbeitet,  in  dem  neben  anderem  vor 
allem  auch  dargelegt  wurde,  warum  Kilian  unmöglich  anerkannt 
werden  könne.  Bei  Anführung  der  uns  schon  mehrfach  be- 
gegneten Gründe  wird  in  dem  Memorandum  namentlich  erklärt, 
man  habe  Fug  und  Recht,  den  Abt  solange  nicht  „ynzulassen", 
als  er  seine  Kutte  nicht  ablegen  wolle,  die  ein  „verwandter  gotz- 


0  St.-A.,  Fase.  14. 

-)  E.  A.,  IV,  Ib,  233  zur. 

3)  A.-S.,  II,  1013. 

•*)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  247  p  und  zu  t. 


135 

dienst"'  sei.  ')  Doch  aucli  Luzern  und  Schwyz  suchten  im  Hin- 
bUck  auf  den  Badener  Tag.  für  ihre  Sache  bei  den  eidgenössischen 
Orten  Stimmung  zu  machen.  Vom  12.  — 14.  Januar  war  ihre  Bot- 
schaft in  Bern.  Ihre  im  Namen  der  V  Orte  verfasste,  einläss- 
Hche  Instruktion  enthielt  eine  Reihe  von  Beschwerdepunkten 
über  gewalttätiges  Vorgehen  von  reformierter  Seite;  besonders 
sollten  sich  die  Gesandten  —  alt  Schultheiss  Golder  von  Luzern 
und  Vogt  Amberg  von  Schwyz  —  über  das  eigenmächtige  Vor- 
gehen von  Zürich  und  Glarus  in  der  äbtischen  Sache  beklagen. 
Doch  erreichten  die  Boten  nur,  dass  die  Berner  versprachen, 
beide  Parteien  zu  verhören,-)  da  inzwischen  Zürich  eine  schrift- 
liche Verantwortung  seines  Verhaltens  in  dem  berührten  Handel 
nach  Bern  geschickt  hatte.  •')  Nicht  viel  besser  erging  es  der 
Gesandtschaft  zu  Freiburg  ^)  und  Solothurn.  '") 

Indessen  begann  die  Tagsatzung  zu  Baden  ihre  Verhand- 
lungen. Doch  wiederum  gelangte  man  zu  keinem  Vergleich. 
Auf  die  lange  Anklagerede  der  Luzerner  und  Schwyzer  Boten 
gegen  Zürich  wegen  dessen  Verhalten  gegen  sie  und  den  Abt 
legten  die  Zürcher  Boten  in  der  gewohnten  Weise  dar,  warum 
ihre  Stadt  Kilian  nicht  anerkennen  könne.  Da  die  vermittelnden 
Orte  keine  Vollmacht  hatten,  die  beiden  Parteien  zur  gütlichen 
Unterhandlung  oder  auf  den  Rechtsweg  zu  weisen,  und  die  Zürcher 
Gesandten  im  Namen  ihrer  Obern  rundweg  erklärten,  den  Abt 
aus  den  dargelegten  Ursachen  nicht  zur  Herrschaft  kommen  zu 
lassen,  so  wurde  der  Handel  wieder  einmal  in  den  Abschied  ge- 
nommen. Immerhin  sollten  bis  zum  nächsten  Tage,  der  in  der 
Angelegenheit  des  Abtes  abgehalten  würde,  die  Zürcher  und 
ihre  Gegner  nichts  Unfreundhches  gegen  einander  vornehmen,  *') 
und  Bern,  Basel  und  Schaffhausen  forderten  Zürich  dringend  auf, 
sich  an  diese  Bestimmung  zu  halten.  ')  Ferner  beschlossen  Bern, 
Freiburg  und  Solothurn,  keine  Mühe  zu  sparen,  damit  der  Handel 
in  Minne  beigelegt  werde.  '*) 

')  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  2.52  zu  alV. 

-)  Wohl  auf  dem  kommenden  Tag  zu  Baden. 

•^)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  254  I,  u  i8 ;  III 2. 

0  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  2.56. 

•')  A.-S.,  II,  1068. 

'=)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  257  a. 

')  A.-S.,  II,  1085,  1077,  1090. 

"")  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  264  b.    Bern,  81.  -lanuar. 


136 

Auf  dem  folgenden  Tage  zu  Baden  (14.  Februar  ff.)  rückten 
nun  die  unbeteiligten  Orte  mit  Vermittlungsvorschlägen  auf. 
welche  hauptsächlich  dahin  lauteten,  der  Abt  solle  die  bei  seiner 
Flucht  mitgenommene  Habe  des  Gotteshauses  wieder  zurückbringen 
und  die  Stiftsleute  beim  Evangelium  lassen,  worauf  dann  er  und  seine 
Aratsleute  wieder  eingesetzt  werden  sollten.  Doch  die  Zürcher  und 
Glarner  Boten  erklärten,  für  ein  Eintreten  auf  diesen  Antrag  keine 
Vollmacht  zu  haben,  besonders  auch  deshalb,  weil  die  Gotteshaus- 
leute keinen  Abt  mehr  wollten ;  Zürich  und  Glarus  würden  in  dieser 
Angelegenheit  keine  weiteren  Tage  mehr  beschicken.  Luzern  und 
Schwyz  aber  äusserten  sich  dahin,  dass  der  Abt  den  von  den 
unbeteiligten  Orten  gemachten  Vorschlag  sicherlich  nicht  an- 
nehmen werde.  Darauf  setzten  die  neun  Orte  trotz  der  noch- 
maligen Erklärung  von  Zürich  und  Glarus,  in  keine  weitere  Unter- 
handlung in  der  Sache  mehr  einwilligen  zu  wollen,  abermals 
einen  Tag  an,  und  zwar  auf  den  20.  März.  Dazu  sollten  auch 
der  Abt  und  die  Gotteshausleute  berufen  werden.  Bern  aber  er- 
hielt im  Verein  mit  Basel  und  Schaffhausen  noch  besonderen  Auf- 
trag, Zürich  ,,zum  höchsten"  zu  ermahnen,  dass  es  den  nächsten 
Tag  in  der  äbtischen  Angelegenheit  ruhig  abwarte.^)  Die  Schreiben 
der  genannten  Regierungen  gingen  unter  dem  26.  Februar  und 

I.  März  an  Zürich  ab.  -)  Von  letzterem  Tage  datiert  aber  auch 
ein  Schreiben  des  Hauptmanns  Frei  an  seine  Obern,  in  welchem 
er  sie  ermahnt,  im  äbtischen  Handel  „tapfer  und  handfest"  zu 
bleiben,  die  Zusagen,  welche  sie  den  Gotteshausleuten  gemacht, 
wohl  zu  bedenken  und  sich  mit  keinem  Orte  in  Unterhandhingen 
einzulassen,  die  solchen  Verheissungen  zuwider  wären.  ^)  Sein 
Schreiben  wird  wohl  dazu  beigetragen  haben,  dass  Zürich  in 
den  ersten  Tagen  des  März  in  einem  „kurzen  Bericht"  alle  Ur- 
sachen zusammenfasste,  warum  es  samt  Glarus  Kilian  nicht  an- 
erkennen könne  und  weder  mit  ihm  noch  mit  Luzern  und  Schwyz  ins 
Recht  stehen  müsse :  letzteres  schon  darum  nicht,  heisst  es  in 
dem  Programm,  weil  die  Rechte  von  Luzern  und  Schwyz  an 
<ler  Hauptmannschaft  nicht  angetastet  würden.    Das  Ganze  ^)  — 

1)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  273  e  und  zu  63. 

2)  A.-S.,  II,  1157:!,  1173  und  1174. 

3)  A.-S.,  II,  1172. 

"*)  Bull.,  II,  S.  250 — 254.  Bemerkenswert  ist  der  harte  Ton.  der  uns  in 
dem  Schriftstück  entgegentritt;  zugrunde  gelegt  war  ihm  wohl  ein  „Ratschlag" 
Zwingiis,  betitelt:  „Die  summa  des  santgallischen  handeis  stat  darin",  s.  A.-S.. 

II,  lies. 


137 

der  übrige  Inhalt  bietet  uns  längst  bekannte  Ausführungen  — 
war  für  die  Burgrechtsstädte  bestimmt  und  forderte  sie  am 
Schlüsse  auf,  sich  mit  der  Rechtfertigung  zu  begnügen  und 
Zürich  nicht  weiter  mit  dem  „nnangesehen ,  vermeint  rächt- 
pott"  des  Abtes  und  seiner  Anhänger,  dem  Zürich  doch  nicht 
Folge  leisten  würde,  zu  behelligen.  Unterm  ö.  März  schickte  es 
diese  Verteidigungsschrift  an  die  Burgrechtsstädte  mit  einem 
besondern  Begleitschreiben,  in  welchem  es  sein  Bedauern  da- 
rüber aussprach,  dass  man,  wie  es  scheine,  den  nichtigen  Vor- 
wänden des  Abtes  Gehör  geschenkt  habe ;  es  hätte  geglaubt, 
dass  man  um  die  Freundschaft  Zürichs  mehr  gebe  als  um  die 
„müden''  Umtriebe  des  Abtes.  ^) 

Doch  der  für  Kilian  angesetzte  Badener  Tag  liess  sich  nicht 
mehr  aufhalten.  Bereits  hatten  nämlich  am  21.  Februar  die  neun 
unparteiischen  Orte  an  den  Abt  geschrieben,  dass  auf  den  20. 
März  ein  Tag  für  ihn  nach  Baden  angesetzt  sei;  er  möge  selbst 
kommen,  ansonst  er  ermessen  könne,  „was  villicht  daruß  ent- 
springen möchte'".  Dazu  wurde  ihm  auch  von  den  neun  Orten 
Geleit  nach  Baden  hin  und  zurück  gegeben.  -)  Darüber  erfreut, 
schrieb  Kilian  an  seinen  Reichsvogt,  er  sei  willens,  den  Tag  zu 
besuchen,  und  werde  sich  unterstehen,  mit  Gottes  Willen  „die 
sachenn  zu  vollenden'".  '■'')  Doch  damit  hatte  es  noch  gute 
Weile ;  denn  Zürich  war  stetsfort  fest  entschlossen,  den  Abt  nicht 
zur  Regierung  gelangen  zu  lassen.  Dies  musste  auch  eine  Ge- 
sandtschaft der  mit  Zürich  verburgrechteten  Städte  erfahren. 
Vom  9. — 12.  März  tagten  nämlich  Zürich,  Bern,  Basel,  Schaff- 
hausen, Strassburg,  Mülhausen  und  Biel  zu  Basel,  da  sie  vom 
Kaiser,  der  nach  Deutschland  unterwegs  war,  das  Schlinunste 
befürchteten.  Ihre  Gesandten,  natürlich  ohne  diejenigen  von  Zürich, 
erschienen  am  16.  März  vor  Kleinen  und  Grossen  Räten  der  Stadt 
Zürich  und  baten  sie  aufs  höchste  und  dringendste,  den  auf  der 
letzten  eidgenössischen  Tagsatzung  ')  vorgeschlagenen  Vergleich 
anzunehmen  und  den  Boten  auf  den  kommenden  Tag  zu  Baden 
dementsprechende   Instruktionen  zu   geben.     Die  Gesandten  der 


')  E.  A.,  IV',  Ib,  Nr.  291  zu  1  i  „„.i  2. 

^)  St.-A.,  Tom.  307,  S.  123  —  124. 

■•)  St.-A.,  Tom.  307,  S.  171  ;  s.  auch  A.-S.,  Nr.  1170. 

'*)  Siehe  oben. 


138 

Burgrechtsstädte  machten  dabei  Zürich  besonders  darauf  auf- 
merksam, wie  gefährhcli  die  Zeiten  seien  und  dass  dem  Abt  als 
])estätigtem  Reichsfürsten  Hilfe  vom  Kaiser  kommen  könnte.  ') 
Der  Zürcher  Rat  ernannte  darnach  aus  seinen  Mitgliedern  eine 
Kommission,  welche  über  die  Antwort  auf  diesen  Vortrag  be- 
raten sollte ;  -)  aber  Zwingli  lehnte  schliesslich  in  seiner  Ver- 
nehmlassung das  Ansuchen  der  Städte  rundweg  ab,  indem  er 
erklärte,  Kilian  nimmermehr  „einzulassen".  •')  Dementsprechend 
weigerte  sich  Zürich,  dem  Abt  auf  dessen  Begehren  ^)  freies 
Geleit  nach  Baden  zu  bewilligen,  besonders  da  es  dabei  auch 
Glarus  auf  seiner  Seite  wusste.  •')  Ein  Schreiben  der  neun  Orte 
von  Baden  aus  erreichte  bei  der  Stadt  nichts. ")  Sie  zeigten 
sich  darüber  recht  verstimmt, ')  besonders  die  Berner,  die  schon 
über  die  von  Zürich  den  Burgrechtsstädten  gegebene  Antwort 
wenig  erbaut  waren  und  ihrem  Unwillen  über  seine  Weigerung, 
mit  dem  Abt  oder  seiner  Partei  in  weltlichen  Dingen  den  Rechts- 
weg zu  betreten,  scharfen  Ausdruck  gaben.  ^) 

Zu  dieser  Zeit  befand  sich  Kilian  bereits  in  Waldshut,  das 
er  vom  Schlosse  Wolfurt  im  Vorarlberg,  seinem  neuen  Wohnsitz, 
aus  erreicht  hatte,  nicht  ohne  unterwegs  unter  den  Strapazen  zu 
leiden,  die  er  aber  mit  Humor  ertrug.  '•') 


1)  E.  A.,  IV.  Ib,  Nr.  283  zu  g:  Nr.  289  I. 

^)  A.-S.,  II,  1209. 

•'j  E.  A.,  IV.  .Ib,  Nr.  289  II:  siehe  hier  die  einzelnen  Punkte,  mit  denen 
Zürich  seine  Antwort  begründete,  und  die  Argumente  gegen  eine  allfällige  Ein- 
mischung des  Kaisers. 

■i)  A.-S.,  II,  1170. 

•'^)  A.-S.,  II,  1221. 

'')  A.-S.,  II,  1220;  Antwort  Zürichs  auf  das  Sehreiben  der  IX  Orte,  vom 
24. März  datiert,  worin  es  sieh  beklagt,  dass  seine  Verantwortung  nicht  ge- 
würdigt worden  sei. 

')  A.-S.,  II,  1225;  s.  auch  V.-B.-S.,  IV,  Nr.  598. 

^)  Schreiben  Berns  an  seine  Gesandten  zu  Baden,  dat.  den  23.  März  [ß. 
A.,  IV,  Ib,  Nr.  291  zu  In). 

•^)  Der  Abt  hatte  dieses  Mal  seinen  Weg  über  deutsches  Gebiet  genommen : 
Bregenz — Aich  (Aach?  nördlich  von  Singen!  —Thaingen.  Der  Einbruch  der 
Nacht  nötigte  ihn,  kurz  vor  Waldshut  im  Gasthaus  einer  kleineren  Ortschaft 
zu  nächtigen,  wo  man,  wie  Rudolf  Sailer  erzählt,  für  den  Empfang  der  hohen 
Herrschaften  wenig  eingerichtet  war:  „In  dem  selbigen  wirtzhus  nun  aber  der 
wirf  nüwlich  ufzogen  unnd  was  ains  klainen  Vermögens  unnd  hatt  sich  noch  in 
die  wirtschafft  nit  grüst,  unnd  must  also  min  guediger  her  unnd  sine  diener  in 


189 

Von  Waldshut  aus  schickte  er  am  20.  März  seme  Begleiter, 
den  Hauptmann  von  Batzenheid  und  seinen  Schreiber  Rudolf 
Sailer,  mit  einer  Instruktion  an  die  neun  Orte.  Er  berichtete, 
warum  er  es  nicht  wage,  selbst  nach  Baden  zu  kommen.  Wenn 
man  ihn  zu  dem  Seinen  gelangen  lasse,  werde  er  sich  gegen 
seine  Untertanen  huldvoll  zeigen;  er  wolle  zwar  beim  Orden 
und  der  Messe  bleiben,  doch  keinen  Untertanen  dazu  nötigen; 
die  Mehrheit  (!)  der  Gotteshausleute  samt  dem  Städtchen  Wil 
hätten  ihn  anfangs  als  ihren  Abt  anerkannt  und  wären  dabei 
geblieben,  wenn  sie  nicht  so  „grosslich"  gegen  ihn  auf  gestiftet 
worden  wären.  Die  Gesandten  sollten  nach  diesen  Erklärungen  die 
neun  Orte  anrufen,  dem  Abt  zu  dem  Seinen  zu  verhelfen,  sonst  werde 
er  als  Reichsfürst  anderswo  Schutz  suchen  müssen ;  er  wünsche 
auch  von  den  dreizehn  Orten  Geleit  nach  Baden  und  erwarte 
zu  Waldshut  von  den  Tagherren  weiteren  Bescheid.  Diese  waren 
entschlossen,  den  Abt  persönlich  zum  Wort  kommen  zu  lassen, 
und  gaben  ihm  durch  den  damaligen  Landvogt  zu  Baden,  Anton 
Adacher,  das  Geleit  nach  Baden.  Kilian  wurde  gut  empfangen ; 
zahlreiche  Herren,  darunter  auch  etliche  Zürcher,  waren  ihm 
entgegengezogen.  ^)  „Es  hat  euch  do  zmal  noch  ain  gut  an- 
sehen, im  wolt  doch  zu  recht  geholfen  sin  werden."  -)  Am  28. 
März  •')  wurde  der  Abt  vor  die  neun  unbeteiligten  Orte  gerufen. 
Man  erklärte  ihm  da,  es  lägen  schwere  Klagen  gegen  ihn  vor; 
er  möge  sich  verantworten,  sonst  sei  man  nicht  verpflichtet,  ihm 
zu  helfen.  ')  Darauf  verteidigte  sich  der  geistliche  Herr  in  langem 
Vortrag  gegen  die  Anschuldigungen  seiner  Gegner  in  folgender 


ainem  gaden  ligen,  darinu  si  dann  vor  rouch  kum  plyben  ;  si  mochten  sich 
ouch  ganntz  kumerlichen  vorm  gwitter  erweren,  dann  der  lufft  den  regen  allennt- 
halben  zum  gaden  intreib,  und  müstent  also  im  gwand  unnd  klaidern  sich  die 
ganntze  nacht  ennthalten,  unnd  wiewol  sy  unnder  tagen  vom  regen  gantz  nass 
worden  warennt  unnd  sich  des  wirtzhus  gefröwt  hatten  unnd  aber  darinne  ain 
semlichen  ufennthalt  funden,  nuntz  desterminder  musten  si  diser  herberg  unnd 
schlafkameren  lachen.  Der  v^^ii-t  unnd  sin  frow  gabennt  inen  aber  nun  ganntz 
gnug  ze  essen  unnd  trincken  etc."     (Tgb.  Sail  ,  fol.  87  b). 

')  Sailer  berichtet,  es  seien  „ob  den  viertzig  gezelter  mannen"  gewesen. 
Tgb.  8ail.,  fol.  92  a. 

-)  Sicher,  I,  S.  124  30— 3i. 

■^)  Laut  Tgb.  Sail.,  fol.  92  a. 

■*)  Siehe  dazu  Tgb.  Sail.,  fol.  92  a  f.,  wo  der  Schreiber  ausführt,  wie  der 
Abt  , gantz  früntlichen"  von  den  neun  Orten  empfangen  worden  sei. 


140 

Weise:  die  äbtische  Regierung  habe  er  nicht  angefangen,  son- 
dern diese  sei  von  Kaisern  und  Päpsten  laut  Briefen  und  Privi- 
legien verliehen  worden ;  Jahrhunderte  lang  hätte  man  die  Äbte 
in  ihrer  weltlichen  Herrschaft  nicht  angefochten,  und  auch  er 
wolle  dabei  bleiben  ;  wenn  ferner,  was  er  aber  nicht  genau 
wisse,  da  er  nicht  dabei  gewesen,  der  Hauptmann  bei  seinem 
Aufritt  das  „göttliche  Wort"  sich  vorbehalten  habe,  so  heisse 
das  nicht,  dass  Frei  gegen  Brief  und  Siegel  und  alles  Recht- 
bieten zu  handeln  befugt  sei.  üann  protestierte  Kilian  dagegen, 
dass  Zürich  und  Glarus  seinen  Gotteshausleuten  zugesagt,  ihnen 
mit  Leib  und  Gut  beizustehen,  da  dies  gegen  Burg-  und  Land- 
recht gehe;  zudem  binde  der  Treueid,  den  die  Gotteshausleute 
einem  Abt  und  Konvent  geleistet  hätten,  so  lange,  bis  ein  neuer 
geistlicher  Herr  eingesetzt  sei.  Seine  Wahl  sei  in  Gegenwart 
von  Zeugen  und  Notaren  in  rechtsgültiger  Weise  getroffen  worden; 
man  könne  nicht  verlangen,  dass  Mönche,  die  vor  vier  oder  fünf 
Jahren  aus  dem  Kloster  gelaufen  seien,  noch  dem  Konvent  hätten 
angehören  und  bei  der  Wahl  anwesend  sein  sollen.  Im  weiteren 
habe  man  seine  Worte  zu  Rorschach,  dass  er  fest  entschlossen 
sei,  dort  katholischen  Gottesdienst  zu  halten  wie  bisher,  fälschlich 
dahin  ausgelegt,  als  ob  er  die  Messe  in  seinen  Landen,  wo  sie 
abgeschafft  sei.  wieder  aufrichten  wolle.  Die  Konfirmation  vom 
Papst  habe  er  wegen  der  bedrohlichen  Zeit  nicht  selbst  in  Rom 
holen  können,  sondern  dies  durch  die  Fugger  besorgen  lassen 
müssen.  ^)  Kilian  bemerkte  fernei*,  er  habe  ein  Recht  darauf 
gehabt,  einen  Teil  der  beweglichen  HabQ  des  Gotteshauses  mit 
sich  über  den  Bodensee  zu  nehmen,  —  den  grösseren  Teil  habe 
er  in  der  Eidgenossenschaft  gelassen  und  zwar  da,  wo  man  das 
Gut  jederzeit  wohl  finden  könne,  —  da  ihm  und  seinem  Konvent 
das  Gotteshaus  St.  Gallen  und  dessen  „zügehörung"  zustehe  und 
niemand  anderem;  zudem  sei  von  Abt  Franz  wenig  Bargeld 
hinterlassen  worden.  Den  Kirchenschatz  aber  des  St.  Galler 
Münsters  habe  nicht  er  mitgenommen,  sondern  die  Stadt  St.  Gallen 
habe  ihn  „angriffen".  Wegen  der  gefahrvollen  Lage  habe  er 
verkleidet  entweichen  müssen ;  Briefe,  Siegel  und  fromme  Leute 


^)  Die  Konfirmation  vom  Papste,  welche  der  Abt  Mitte  Januar  1530  er- 
halten hatte,  kostete  ihn  die  verhältnismässig  geringe  Summe  von  rund  900  gl. 
Den  Fuggern  schenkte  der  Abt  für  die  Besorgung  40  gl.,  St.-A..  Bd.  101, 
S.  88  f.,  s.  dazAi  Strickler,  A.-S..  II,  811,  902. 


141 

könnten  aber  beweisen,  dass  er  nicht  im  Sinne  gehabt  habe, 
fremdes  Kriegsvolk  in  die  Eidgenossenschaft  zu  führen ;  er  wolle 
den  Landfrieden  an  seinen  Gotteshausleuten  halten  und  hoffe, 
dass  er  auch  an  ihm  gehalten  werde  und  man  ihn  wieder  zu 
dem  Seinen  kommen  lasse.  Das  Burg-  und  Landrecht  laute  aus- 
drücklich allein  auf  Abt  und  Konvent  und  nicht  auch  auf  die 
Gotteshausleute.  Zu  Wil,  im  Ober-  und  Unteramt  habe  man  ihn 
als  Herrn  anerkannt,  und  es  wäre  dabei  geblieben,  wenn  man  seine 
Untertanen  nicht  wieder  davon  abspenstig  gemacht  hätte.  Dass 
er  die  Stiftsleute  mit  „Beschwerden"  überladen,  sei  nicht  wahr; 
ebenso  wenig  könne  man  das  von  seinem  Vorgänger  sagen,  wie 
der  Rechtstag  zu  Rapperswil  (Juli  1525)  bewiesen  habe.  Der 
Abt  schloss  mit  der  Drohung,  sich,  wenn  er  in  der  Eidgenossen- 
schaft nicht  zum  Recht  gelangen  könne,  anderswohin,  in  letzter 
Instanz  an  den  Kaiser,  zu  wenden ;  doch  wolle  er,  wenn  auch 
seine  Gegner  bis  zur  nächsten  Tagung  „still  stünden",  sich  nicht 
weiter  um  Hilfe  umsehen. 

Darauf  entschieden  die  unbeteiligten  Orte,  der  Abt  solle  seine 
vorgebrachte  Verantwortung  samt  seinen  Klagen  vor  den  vier 
Orten  und  den  Gotteshausleuten  vortragen.  Aber  Zürich  und 
Glarus  erklärten,  den  Abt  nicht  anhören  zu  wollen,  worüber  sich 
die  Boten  der  neun  Orte  ,,nit  gnügsam  verwunndren"  konnten. 
Es  hatte  dieses  Verhalten  der  beiden  Schirmorte  zur  Folge,  dass 
auch  die  Gesandten  der  Gotteshausleute  und  die  von  Wil  es 
nunmehr  den  vermittelnden  Ständen  abschlugen,  den  Abt  anzu- 
hören. ^)  Darauf  forderten  die  neun  Orte  Zürich  auf,  seine  bereits 
mündlich  vor  ihnen  dargelegte  Anklage  gegen  den  Abt  in  Gegen- 
wart des  letztern  nochmals  vorzutragen  oder  schriftlich  abzufassen. 
Zürich  wählte  das  letztere,  und  man  stellte  dem  Abte  das  Schrift- 
stück zu.  Ebenso  Hess  Kilian  auf  Ansuchen  der  unbeteiligten 
Orte  seine  Klage  und  Verantwortung  schriftlich  -)  samt  glaubwür- 
digen Kopien  der  Burg-,  Landrechts-  und  Hauptmannschaftsbriefe 
jedem  der  vier  Orte  übergeben.  Schliesslich  wurde  auf  den 
15.  Mai  ein  neuer  Tag  angesetzt;  jeder  Bote  sollte  den  Handel 
getreulich  an  seine  Obern  bringen,  damit  in  der  Sache  ernstlich 
beratschlagt  werde.  Auf  dass  dies  um  so  nachdrücklicher  ge- 
schehe,  legten  Batzenheid   und   der  Reichsvogt  eine  Kopie   des 


0  Tgb.  Sail.,  S.  96  b/97  a. 

-)  Das  Datum  ist  laut  Tgb.  Sail.  der  28.  März. 


142 

kaiserlichen  Lehenbriefes  für  Kilian  als  Reichsfürsten  ^)  vor,  mit 
dem  Bemerken,  dass  Karl  V.  seinen  Schirm-  und  Lehenbrief 
wohl  aufrecht  erhalten  werde ;  er  habe  auch  die  Schädigung  des 
Klosters  St.  Gallen  bei  Strafe  seiner  Ungnade  und  80  Mark  lö- 
tigen Goldes  verboten.  -)  Ein  energisches  Schreiben  von  Dekan 
und  Konvent,  an  die  neun  Orte  zu  Baden  gerichtet,  hatte  den 
Abt  in  seinen  Bemühungen  unterstützt.  Die  Mönche  erklärten 
darin,  dass  die  Wahl  Kilians  regelrecht  stattgefunden;  es  habe 
ihr  niemand  beizuwohnen  gehabt  als  der  Konvent.  Sie  seien 
entschlossen,  nicht  von  der  Messe  und  dem  Orden  zu  lassen,  da 
sonst  die  Briefe  und  Siegel  des  Klosters  kraftlos  würden.  Kilian 
habe  mit  der  Konventualen  Einverständnis  einen  Teil  der  Güter 
des  Gotteshauses  weggeführt;  wer  etwas  zu  fordern  habe,  dem 
wollten  sie  hiemit  Recht  bieten.  Zum  Schlüsse  richteten  die 
Konventherren  an  die  neun  Orte  die  dringende  Bitte,  sie  möchten 
den  Abt  anerkennen  und  die  vier  Orte  bewegen,  ilirem  Herrn  Briefe 
und  Siegel  zu  halten;  man  hoffe,  dass  der  Abt  im  Landfrieden 
eingeschlossen  sei  und  so  wieder  zu  seiner  Herrschaft  gelangen 
könne.  ') 

Der  Eindruck,  den  der  Abt.  der  über  Schaffhausen  heim- 
reiste, von  dem  Tag  zu  Baden  empfangen  hatte,  muss  ein  gün- 
stiger gewesen  sein.  Zu  Wolfurt,  wo  er  am  G.  April  wieder  ankam. 


^)  Belehnung  Kilians  durch  Karl  V.,  d.  d.  20.  Februar  1530.  Die  Gebühr 
dafür  an  die  kaiserliche  Kanzlei  betrug  nur  60  gl.,  in  Anbetracht,  dass  der  Abt 
aus  seinen  Landen  vertrieben  worden  (St.-A.,  Fase.  14).  Der  Lehenbrief  wurde 
Kilian  erst  am  31.  März  durch  den  Bischof  von  Konstanz  zugestellt.  (St.A.. 
Bd.  307,  g.  211.) 

-)  E.  A.,IV,  lb,Nr.  21111.  n,o.  und  zu  li.  Vad.  III,  S.  243ii-3ii.  S.auchTgb. 
Sailers,  wo  ausführlich  über  den  Tag  berichtet  wird,  so  auch,  dass  die  Wei- 
gerung von  Zürich-Glarus  und  den  Gotteshausleuteu  von  ,den  nun  Orten  zu 
grossen  undanck  und  missfallen  angenomen  wurd.  Saiten  inen  auch  darneben 
im  grund,  was  inen  zu  sagen  wäre,  und  redtend  dermassen  so  scharpff  mit  inen, 
das  menigklicher  vor  der  thür  (es)  hordte"  (Tgb.  Sail.,  fol.  97  a).  Siehe  dazu 
die  Worte  Bastian  Appenzellers:  die  Gotteshausleute  seien  „ruch"  gehalten 
worden,  V.-B.-S..  IV,  Nr.  598  ;  A.-S.,  IL  1225. 

•')  A.-S.,  IL  1204.  Die  dort  fehlende  Adresse  findet  sich  in  Bd.  101  (S. 
78)  des  St.-A.  Auffallend  ist  das  frühe  Datum  (14.  März),  da  nach  Strickler 
der  Badener  Tag,  für  den,  laut  Adresse,  die  Missive  bestimmt  war,  erst  am  21. 
März  begann.  Um  einen  frühern  Tag  zu  Baden  kann  es  sich  wohl  nicht  handeln, 
da,  laut  E.  A.,  die  letzte  vor  dem  21.  März  abgehaltene  eidgenössische  Tag- 
satzung am  14.  Februar  zusammentrat. 


143 

herrschte  grosse  Freude,  als  er  seinen  dort  befindhchen  Konvent- 
lierren  den  Verhinf  der  verflossenen  eidgenössischen  Tagsatzung 
erzählte.  0 

Zürich  aber  sah  sich  durch  den  Widerstand,  den  Bern  seinen 
Plänen  auf  die  Abtei  entgegensetzte,  überall  gehemmt.  Von  Bern 
war  jener  oben  erwähnte  Vergleichsvorschlag  ausgegangen;  auch 
hatte  sich  die  Berner  Regierung  entschieden  gegen  die  Behauptung- 
Zürichs  verwahrt,  als  ob  sie  mit  ihren  Prälaten  ebenso  gehandelt 
habe  wie  Zürich  jetzt  mit  dem  Abt  von  St.  Gallen :  sie  sei  mit 
niemandem,  der  nicht  ihrer  Obrigkeit  unterworfen  sei,  so  ver- 
fahren. -)  Am  3.  April  ferner  schrieb  Bern  an  Schaffhausen : 
da  die  Zürcher  sich  beständig  gegen  einen  Rechtstag  in  dem 
St.  Gallischen  Handel  sperrten  und  sich  nicht  mit  billigen  Vor- 
schlägen begnügen  wollten,  werde  Bern  seine  Botschaft  mit 
„trungenlicher,  scharpfer  befelch''  auf  den  nächsten  Badener  Tag 
abfertigen  und  die  Zürcher  aufs  Höchste  ermahnen  lassen,  sich 
mit  dem  Rechtswege  zu  begnügen;  auch  Schaffhausen  möge  in 
diesem  Sinne  seine  Botschaft  für  den  genannten  Tag  instruieren, 
um  Krieg  zu  verhüten.  •')  Damit  war  klar  und  deutlich  ausge- 
sprochen, dass  Bern  das  Verhalten  Zürichs  in  der  äbtischen  An- 
gelegenheit entschieden  missbilligte.  Letzteres  beschloss  darum, 
wo  immer  möglich,  Bern  auf  seine  Seite  zu  ziehen,  und  zwar 
sollten,  um  mehr  Eindruck  zu  machen,  sich  mit  den  Zürcher 
Gesandten  auch  solche  von  Glarus  nach  Bern  begeben.  '*)  Am 
y.  April  waren  die  beiden  Botschaften,  wie  verabredet,  dort 
und  legten  mündlich  und  schriftlich  vor  dem  Rate  dar,  wie 
sehr  die  beiden  Orte  es  bedauerten,  dass  Bern  und  andere 
., christliche"  Städte  bisher  versucht  hätten,  sie  vor  ein  par- 
teiisches Gericht  zu  weisen,  während  doch  der  Abt  ,,das  rechte 
Richtscheit  aller  Rechte",  das  Wort  Gottes,  zurückgewiesen  habe. 
Das  Rechtsangebot  des  Prälaten  sei  darum  jedermann  „ungemäss''. 
und  man  sei  fest  entschlossen,  Kilian  oder  seine  „Nachkommen'' 
nicht  anzuerkennen.    Bern  möge  sich  wegen  dieses  Handels  nicht 


'j  Tgb.  Sail..  fol.  105.  ' 

-)  Worte  aus  dem  schon  erwähnten  Schreiben  Berns  an  seine  Gesandten 
in  Baden  vom  23.  März,  s.  oben  S.  138,  Aiim.  8. 
■'•)  A.-S..  ir,  1249. 
'j  E.  A.,  IV.  Ib,  Nr.  21» 7  zu  ai. 


von  Zürich   sondern;    denn   es  gebe  Leute,  welche  nur  zu  gern 
die  beiden  Städte     trennen  möchten.  ^) 

Die  Räte  antworteten  hierauf:  sie  könnten  sich  des  Abtes 
nicht  weiter  „beladen",  da  er  mit  Bern  nicht  „soviel  verwandt 
sei".  Dagegen  bemerkten  sie  betreffs  der  andern  beiden  Schirm- 
orte, Luzern  und  Schwyz :  wenn  diese  wegen  zeitlicher  Dinge 
in  der  äbtischen  Angelegenheit  einen  Rechtstag  verlangen  sollten, 
so  könne  man  ihnen  laut  der  Bünde  nicht  davor  sein ;  sonst 
jedoch  würde  man  sich  des  Abtes  nicht  weiter  annehmen.  Zum 
Schlüsse  wurden  Zürich  und  Glarus  von  den  Berner  Räten  er- 
mahnt, in  den  Dingen,  welche  Leib  und  Gut  berührten,  glimpf- 
lich zu  verfahren.  -)  Wenn  wir  damit  die  bis  zu  diesem  Tage  in  dem 
äbtischen  Handel  von  Bern  eingenommene  Haltung  vergleichen, 
so  müssen  wir  sagen,  dass  Zürich  mit  seinem  Vortrag  grossen  Er- 
folg gehabt  hatte :  denn  Bern  Hess  jetzt  den  Abt  fallen  und  wollte 
ihn  höchstens  noch  als  weltlichen  Herrn  gelten  lassen.  Zürich 
konnte   nun   auch   mit  einem  gewissen  Rechte  die  Gerüchte  de- 


')  Zürich  hatte  für  den  Tag  in  Bern  seinen  Gesandten  zwei  Instruktionen 
mitgegeben.  Die  erste  wiederholt  nur  bereits  bekannte  Motive,  während  die 
zweite,  welche  zur  Unterstützung  des  mündlichen  Vortrags  der  Zürcher  diente, 
eine  Widerlegung  der  wesentlichen  Punkte  der  äbtischen  Verteidigung  vom 
letzten  Badener  Tag  darstellen  sollte :  der  Abt  stütze  sich  auf  nichtige  Briefe 
statt  auf  das  Wort  Gottes,  ziehe  das  menschliche  Recht  dem  göttlichen  vor, 
behaupte,  dass  der  vermeinte  Eid,  welchen  die  Gotteshausleute  ihm  geschworen, 
dem  göttlichen  Wort  vorgehe.  Seine  Wahl  sei  nicht  durch  das  Gotteswort  be- 
stätigt. Das  Schreiben  des  Konventes,  welches  erklärte,  dass  die  Konventualen 
bei  Orden  und  Messe  bleiben  wollten,  sei  dem  Gotteswort,  dem  Landfrieden 
und  dem  christlichen  Burgrecht  zuwider.  Aus  den  Burg-  und  Landrechtsbriefen 
gehe  hervor,  dass  Zürich  als  Schirmort  die  Gotteshausleute  ebenso  gut  wie  den 
Abt  zu  schirmen  schuldig  sei ;  wenn  es  also  des  Gotteshauses  und  aller  seiner 
Lande  und  Leute  zwischen  den  beiden  Seen  anerkannter  Schirmherr  sei,  wer 
denn  eigentlich  der  Herr  sei,  der  Abt  oder  Zürich  (!)  und  ob  der  Schirmherr  nicht 
mehr  sei  als  derjenige,  welcher  beschirmt  werde  ?  Der  Kaiser  werde  dieses 
Mönchs  halber  keinen  Krieg  anfangen,  sondern  die  ganze  lutherische  Faktion,  wie 
er  sie  nenne,  zu  vertilgen  suchen.  Bern  möge  bedenken,  wie  Zürich  ihm  im 
unterwaldischen  Handel  beigestanden  (E.  A.,  IV,  1  b,  S.  601  —  604).  Es  mochte 
wohl  im  Hinblick  auf  diese  vom  2.  April  datierte  Instruktion  sein,  dass  Zwingli 
am  5.  April  an  Vadian  schrieb:.  De  abbate  iubeo  te  non  nimis  sollicitum  esse  : 
nam  senatus  noster  —  deo  gloria  —  magis  ac  magis  in  illum  irritatur  ..." 
(V.-B.-S.,  IV,  Nr.  600). 

2)  E_  i^    lY    ib,  Nr.  297  an. 


145 

mentieren,  als  ob  es  sich  mit  Bern  in  der  äbtischen  Angelegenheit 
überwerfen  habe.  ') 

Die  Lage  wurde  so  für  Kilian  in  der  Schweiz  immer  hoffnungs- 
loser; denn  Bern  blieb  auch  einer  Gesandtschaft  der  V  Orte 
gegenüber  bei  seiner  den  Zürchern  und  Glarnern  gegebenen 
Antwort,  -)  und  durch  die  Landsgemeinde  vom  24.  April  bekam 
zu  Glarus  die  reformierte  Partei  das  „entschiedene  Übergewicht".-') 
So  war  von  dem  auf  den  15.  Mai  angesetzten  Tag  nach  Baden 
für  den  Abt  wenig  zu  erwarten.  Der  Reichsvogt  hatte  Kilian 
das  Ergebnis  der  Glarner  Landsgemeinde  mitgeteilt  und  ent- 
mutigt dazu  geschrieben :  „in  summa,  so  wil  mir  üwer  gnaden 
sach  nit  zum  besten  gevallen ;  die  lüten  trucken  hindurch  und 
sind  ains."  ') 

Wie  vorauszusehen  war,  verlief  denn  auch  der  Badener  Tag, 
der  Mitte  Mai  stattfand,  für  den  Abt  völlig  resultatlos.  Zürich 
und  Glarus  wollten  sich  weder  gütlich  noch  rechtlich  mit  Kilian 
einlassen.  •')  Bern  aber  trat  aus,  indem  es  erklärte,  dass  es  bei 
der  Antwort  bleibe,  welche  es  den  Boten  von  Zürich,  Glarus  und 
den  V  Orten  früher  gegeben  habe.  '')  Hatte  so  der  Prälat  schon 
auf  diesem  Tage  sehen  müssen,  wie  bitter  wenig  für  ihn  noch 
bei  den  Eidgenossen  zu  erwarten  war,  so  musste  der  nächste  Ba- 
dener Tag  Ende  Juni  ihn  belehren,  dass  er  bei  den  eidgenössi- 
schen Ständen  mit  seinem  Anliegen  schlechterdings  nicht  zum  Ziele 
kommen  werde;  denn  ein  neuer  Vermittlungsvorschlag,  welchen 
die  neun  Orte  auf  dem  vorangegangenen  Badener  Tag  gemacht 
hatten,  wurde  nunmehr  von  Zürich  und  Glarus  wie  auch  von 
Luzern  und  Schwyz  verworfen.  Den  neun  Orten,  welche  eine 
„freundliche  Beilegung  des  Streites"  verunmöglicht  sahen  und 
keine  Vollmacht  hatten,  die  Parteien  zum  Recht  zu  mahnen, 
blieb   nichts  übrig,   als  sie  zu  ersuchen,  sie  möchten  nichts  Un- 


1)  A.-S.,  II,  1274  1,  1276. 

2)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  298  iii. 
•^)  Dierauer,  III,  S.  145. 

*)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  213.  Originalsehreiben  Schenklis  von  Einsiedeln 
aus  an  Kilian,  d.  d.  Dienstag  nach  Quasimodo.  Aus  dem  Schreiben  ergibt  sich 
auch,  dass  die  Glarner  Landsgemeinde  am  24.  April  stattfand.  Siehe  den  weitern 
Beweis  für  dieses  Datum  bei  Dierauer  III,  S.  145,  Anm.  1. 

^)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  322  V. 

*')  Tgb.  Sail.,  S.  113  a. 

St.  Galler  Mittlgn.  z.  vaterländ.  Gesch.  XXXIII.  10 


146 

freundliches  gegen  einander  unternehmen  und  die  Angelegenheit 
einstweilen  ruhen  lassen.  ^) 

So  beschloss  denn  der  Abt,  wie  er  schon  lange  beabsichtigt, 
so  bald  als  möglich  den  Reichstag  von  Augsburg,  der  bereits  in 
Anwesenheit  Karls  V.  eröffnet  war.  zu  besuchen.  Dazu  mochte 
ihn  nicht  zum  wenigsten  auch  die  Tatsache  veranlassen,  dass 
sich  die  alte  Landschaft  bereits  völlig  von  ihrem  geistlichen 
Herrn  emanzipiert  hatte.  -) 


1)  E.  A.,  IV.  Ib,  Nr.  342  q. 

2)  Siehe  IIl.  Absehn.,  I.  Kap.  C. 


147 


IV.  Kapitel. 

Abt  Kilian  auf  dem  Augsburger  Reichstage. 

Kilian  hatte,  nachdem  er  beim  Ausbruch  des  ersten  Kap- 
pelerkrieges die  Schweiz  verlassen,  vorläufig  in  Überlingen  gute 
Aufnahme  gefunden.  Er  versprach  sich  von  dieser  Verlegung 
seines  Wohnsitzes  nach  Schwaben  das  Beste;  namentlich  rech- 
nete er  dabei  auf  kräftige  Hilfe  von  Seiten  König  Ferdinands 
und  des  süddeutschen  Adels. 

Vorderhand  liess  sich  auch  die  Sache  gut  an.  In  weitem 
Umkreis  kam  ihm  der  Adel  sehr  s^ympathisch  entgegen,  zum 
Teil  wohl  in  der  Absicht,  die  reformierten  Orte  damit  zu  ärgern 
und  zu  beunruhigen.  Besonders  Marx  Sittich  ')  und  der  Graf 
Hugo  von  Montfort  zeigten  sich  ihm  sehr  günstig  gesinnt,  und 
Kihan  gab  sich  Mühe,  ihre  Gunst  sich  zu  erhalten.  Schon  am 
5.  Juli  1529  liess  er  sich  deshalb  bei  dem  Grafen  Hugo  ent- 
schuldigen, dass  er  ihn  nicht,  wie  schon  längst  geplant,  persön- 
hch  besucht  oder  ihm  doch  eine  Botschaft  geschickt  habe.  -)  So 
gestaltete  sich  denn  auch  der  Akt  der  äbtischen  Benediktion, 
die  am  6.  Januar  1530  auf  päpstliche  Erlaubnis  hin  ausnahms- 
weise zu  ÜberHngen  vollzogen  wurde,  zu  einer  grossen  Demon- 
stration zu  gunsten  des  Abtes.  An  seine  „Inf ulmesse"  (das  Ponti- 
fikalamt)  am  genannten  Tage  schloss  sich  ein  grosses  Bankett,  an 
dem  400  Personen  teilnahmen  und  dem  der  Abt  präsidierte. 
Noch  den  ganzen  folgenden  Tag  dauerte  die  Feier;  es  war  ein 
„mechtig  gross  fest  von  edeln,  rittern  und  knecht"  samt  geist- 
Hchen  Würdenträgern,  welches  den  Abt,  der  seine  Gäste  frei- 
hielt, einige  hundert  Gulden  kostete.  Wohl  ganz  richtig  bemerkt 
Vadian  dazu:  „Kilian  tet  es  mit  etwas  trutz,  damit  man  in  Turgöw 
bericht  wurd,  dass  er  sein  abtei  zu  verlassen  noch  niendert  ge- 
sinnt were".  •')    Während  des  Festes  mochten  wohl  zwischen  dem 

1)  A.-S.,  II,  665. 

2)  St.-A.,  Bd.  99b,  S.  146. 

■^)  Über  das  Fest  siehe  Vad.  II,  S.  414  27-35 ;  Miles  S.  341  (69)  i.i-21  : 
8abb.  S.  336  lo-u;  Sicher,  I,  S.  123  4-8:  II,  S.  256  10-20;  Mezler,  S.  644  : 


148 

Abt  und  den  adeligen  Herren  auch  Unterredungen  politischer 
Natur  stattgefunden  haben,  ^)  welche  für  den  Prälaten  günstig 
ausfielen ;  denn  schon  am  12.  Januar  berichtete  Kilian  seinem 
Reichsvogt  Heinrich  Schenkli  und  seinem  Bruder  Hans  Germann, 
dass  er  allenthalben  bei  den  Herren  ,.vil  züsagens,  trosts  und 
wiUigenn  erpietenns"  gefunden  habe ;  er  glaube,  dass  seine 
Sache  in  kurzem  .,zum  Guten"  gebracht  werde.  ^)  Am  I.Fe- 
bruar schrieb  er  an  dieselben  nach  Einsiedeln :  wenn  er  auch 
in  der  Eidgenossenschaft  nicht  zum  Recht  kommen  könnte,  so 
werde  er  doch  hier  diesseits  des  Sees  nicht  verlassen  werden; 
er  handle  und  unternehme  auch  fortwährend  alles,  was  für  die 
Sache  seines  Gotteshauses  dienlich  sein  könnte ;  heute  habe 
Marx  Sittich  mit  ihm  zu  Mittag  gegessen,  ihn  ermutigt  und  ihm 
im  geheimen  vieles  mitgeteilt.  ^) 

Am  27.  Februar  feierte  der  Abt  mit  einigen  Prälaten  und 
dem  umliegenden  Adel  —  auch  Eck  von  Reischach  war  dabei  ^) 
—  Fastnacht  zu  Überlingen.-')  Dass  man  auf  reformierter  Seite  von 
solchen  Zusammenkünften  nichts  Gutes  erwartete,  ist  begreiflich; 
erhielt  doch  Zürich  am  gleichen  Tage,  da  Kilian  mit  dem  Adel 
Fastnacht  feierte,  Kunde  von  kathohschen  Rüstungen  jenseits 
des  Sees,  und  zwar  figurierte  unter  den  Werbeplätzen  neben 
Zell  am  Untersee  auch  Überlingen  und  als  Anführer  des  Heeres, 
das  angeblich  auf  20,000  Mann  gebracht  werden  sollte,  Zürichs 
grimmiger  Feind.  Marx  Sittich.'')  Dass  dabei  auch  der  Abt  beteiligt 
sei,  war  man  auf  reformierter  Seite  umso  eher  zu  glauben  ge- 
neigt, als  dem  Prälaten  schon  seit  Juni  1529  offen  vorgeworfen 
wurde,  dass  er  Marx  Sittich  Geld  gegeben  habe,  um  Kriegsleute 
gegen  die  Schweiz  anzuwerben,  und  dass  er  sich  bei  dem  Herrn 
von  Ems  befunden,  als  nach  dem  ersten  Kappelerkrieg  der  Sturm 
im  Rheintal  erging.  ')  Doch  der  Abt  bestritt  schon  damals  diese 


vgl.  auch  die  Angaben  der  Berichterstatter  über  die  Ausgaben  des  Abtes  für  die 
Feier:  Sicher  ca.  400  gl.,  Sabb.  ca.  600  gl.,  Vad.  ca.  2000  gl. 

^)  Vgl.  dazu  das  St.  Galler  Schützenfest  vom  Mai  1527. 

2)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  62. 

•^)  1.  Febr.  Kilian  an  Schenkli  und  Batzenheid,  St.-A.,  Bd.  307,  S.  89/92. 

1)  A.-S.,  II,  1166. 

^)  Vad.,  in,  S.  241  11-17. 

«)  A.-S.,  II,  1159. 

^)  Siehe  oben,  S.  117. 


149 

Beschiildigimgen  auf  das  entschiedenste  ^)  und  schrieb  deswegen 
am  21.  Juh  1529  an  die  Tagherren  zu  Baden:  „dann  in  der  warhait 
mir  daran  gantz  unfrüntHch  und  unrecht  beschicht  unnd  bsche- 
chenn  ist;  sol  und  wirt  sich  ouch,  dermassen  ainicherlay  ge- 
hanndelt  habenn  noch  gepraticiert,  mit  warhait  niemer  erfinden, 
sonnders  das  ich  mich  die  zyt  har  für  unnd  für  ze  Überlingen 
unnd  daselbs  enthalten,  ouch  zu  allen  dinngen  das  best  und  wägst 
unnd  alles,  das  sich  zii  frid,  rüw  unnd  ainigkait  zogenn  unnd 
diennt,  geredt  hab".  Diese  Verteidigung  bezog  sich  aber  noch  auf 
einen  weitern  Vorwurf,  der  dem  Abt  gemacht  wurde,  „als  ob 
er  der  sin  solle,  der  in  disem  kriegklichenn  ufrür  mit  küng  Fer- 
dinandussen  naißwan  ain  haimlichenn  verstannd  unnd  pratick  ge- 
macht und  angenomenn".-)  Grund  zu  diesen  nicht  zu  beweisenden 
Beschuldigungen  mochten  die  auffällige  Freundlichkeit  Ferdinands 
gegen  den  Abt,  sowie  die  Versprechungen  sein,  die  der  König 
dem  Prälaten  machte;  schrieb  doch  am  5.  Juli  1529  Kilian  unter 
anderem  an  einen  seiner  Getreuen,  Heinrich  Sailer,  zu  St.  Gallen : 
man  habe  sich  in  seiner  Umgebung  gewundert  über  die  grossen 
Hilfszusagen,  welche  ihm  der  König  gemacht;  er  wolle  aber 
nichts  ,,  stifften  ".  ^)  Und  einige  Tage  nachher  berichtete  er 
seinen  Konventherren  zu  St.  Gallen :  der  König  habe  ihm  einen 
eigenhändig  unterzeichneten  Brief  geschickt,  und  zwar  durch 
„fast''  den  obersten  Ratsboten,  „mit  semlichem  grossenn  gne- 
digenn  erpietenn,  das  nünt  darvon  zu  sagen  ist  (!)" ;  er,  der  Abt, 
werde  aber  noch  zuwarten;  wollte  er  das  nicht,  „so  wurdint 
ettlich  nit  wyt  mer  wandlen" ;  er  sei  guter  Hoffnung,  dass  er 
und  sein  Gotteshaus  bald  „erlöst"  würden.  ^) 

^)  St.-A.,  Fase.  14,  Kilian  an  die  Toggenburger.  12.  Juli,  ebenso  au  die 
Ootteshausleute,  7.  August,  und  Bd.  101,  S.  28  —  30,  an  Appenzell,  18.  August 
1529.  Der  Abt  beklagte  sich  darin  besonders  über  den  Appenzeller  Bartholo- 
mäus Bärweger,  der  „zu  Ptäffers  im  bad  haiter  und  unverborgenlich "  erzählt 
habe,  dass  der  Abt  im  vergangenen  ersten  Kappelerkrieg  Landsknechten  „ain 
besoldung'"  bezahlt,  um  sie  gegen  die  reformierte  Schweiz  führen  zu  lassen. 
Kilian  könne  wegen  dieser  Verleumdung  dem  Bärweger  „rechtens  nit  erlassenn". 

-)  St.-A.,  Bd.  101,  S.  9/10,  Kilian  an  die  eidgenössischen  Boten  zu  Baden, 
dat.  den  21.  Juli. 

3)  St.-A.,  Fase.  14. 

^j  St.-A.,  Bd.  101,  S.  1  f.,  14.  Juli.  Mehr  Material  über  die  Beziehungen 
Kilians  zu  König  Ferdinand  war  nicht  aufzufinden.  Die  Kopialbüeher  der 
vorderösterreichischen  Regierung,  die  zu  Innsbruck,  Stuttgart  und  Ludwigsburg 
liegen  (siehe  darüber  Escher,  Glaubensparteien,  S.  VI  und  VII),  versagen  hier 


15Ü 

Doch  seine  Sache  verschhmmerte  sich  zusehends;  denn  im  Sep- 
tember 1529  wurde  ilim  berichtet,  dass  Zürich  und  Glarus  einen 
seiner  abgefallenen  Konventherren,  Anton  Vogt,  zum  weltlichen 
Herrn  über  die  Lande  des  Gotteshauses  setzen  wollten,  worein 
die  Stiftsleute  bereits  gewilligt  hätten.  ^)  Wenn  aber  der  Abt 
von  den  Eidgenossen  seine  Erlösung  erwartet  hatte,  so  war 
er,  wie  wir  bereits  wissen,  gründlich  enttäuscht  worden.  War 
also  von  dieser  Seite  nichts  zu  hoffen,  so  gedachte  sich  Kilian 
jetzt  seine  Stellung  als  Reichsfürst  zu  nutze  zu  machen  und  den 
Kaiser,  der  in  Deutschland  erwartet  wurde,  um  Hilfe  anzurufen. 
Schon  Ende  1529  scheint  ihm  Joseph  Amberg  von  Schwyz  den 
Rat  gegeben  zu  haben,  sich  an  den  Kaiser  zu  wenden,  da  die 
katholischen  Orte  ihm  nicht  zu  helfen  wüssten,  -)  und  anfangs 
Januar  1530  drohte  der  Abt  auf  einem  Tag  zu  Luzern  vor  den 
Boten  der  IX  Orte:  wenn  man  ihm  nicht  zum  Recht  verhelfe, 
so  sei  er  genötigt,  als  Glied  und  Fürst  des  Reichs  anderswo  Hilfe 
und  Recht  zu  suchen.  ')  Wohl  im  Hinblick  auf  die  baldige  An- 
kunft des  Kaisers  schrieb  ihm  am  13.  Januar  einer  seiner  treu- 
gebliebenen geistlichen  Anhänger,  die  zum  Teil  schon  seit  August 
1529  im  Kloster  Mehrerau  bei  ßregenz  Unterkunft  gefunden 
hatten :  ')  Kilian  möge  handfest  sein ;  zweifellos  werde  ihm  bald 
geholfen  werden.  •')  Am  15.  ds.  M.  berichtete  der  Abt  an  Schenkli 
und  Hans  Germann,  dass  der  Kaiser  auf  den  heiligen  Dreikönigs- 
abend zu  Rom  eingeritten  sei  und  am  andern  Tag  sich  daselbst 
habe    krönen    lassen;    spätestens    am    1.  März    werde    er    nach 


völlig.  Daraus  dürfte  wohl,  in  Anbetracht  der  Sorgfalt,  mit  welcher  alles  we- 
sentliche, was  die  vorderösterreichische  Regierung  anging,  in  die  genannten 
Kopialbücher  eingetragen  wurde,  mit  einer  gewissen  Sicherheit  hervorgehen, 
dass  Kilian,  wie  er  auch  ausdrücklich  in  einigen  Schreiben  bemerkt,  den  Verlauf 
seines  Handels  „usswarten"  wollte,  ohne  sich  weiter  mit  Ferdinand  oder  dessen 
Regierung  in  ein  Paktieren  gegen  die  reformierten  Orte  einzulassen.  Es  blieb 
ihm  ja  schliesslich  noch  der  Kaiser  übrig,  der  in  den  ersten  Monaten  des  Jahres 
1530  in  Deutschland  eintreffen  sollte.  Als  Fürst  des  Reiches  konnte  Kilian 
den  auf  den  8.  April  ausgeschriebenen  Reichstag  besuchen,  ohne  dass  man  ihm 
daraus  auf  reformierter  Seite  einen  Vorwurf  hätte  machen  können. 

')  A.-S.,  II,  802. 

2)  A.-S.,  II,  1033  1  7. 

•')  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  247  p. 

*)  St.-A.,  Bd.  101,  S.  35—36. 

■>)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  424.    Heinrich  Sailer  an  Kilian. 


151 

Innsbruck  kommen  und  wolle  dann  mit  seinem  grossen  Heere  die 
Widerspenstigen  mit  Gewalt  zum  alten  Glauben  zurückbringen; 
]nan  rüste  sich  allenthalben  mächtig  auf  die  Ankunft  des  Kaisers.') 
Noch  im  gleichen  Monat  Januar  (1530)  erhielt  der  Abt  aus  dem 
genannten  Kloster  bei  Bregenz  von  seinem  Dekan  und  Konvent 
die  Kunde,  der  Kaiser  werde  auf  die  kommende  Fastnacht  zu 
Innsbruck  sein;  der  ,,Doktor  von  der  Regierung"  habe  eine  In- 
struktion mit  nach  Innsbruck  genommen  betreffs  aller  Handlungen 
der  Zürcher  und  Glarner  gegen  den  Abt  und  wolle  seine  Herren 
(d.  h.  die  Regierung  in  Innsbruck)  von  dem  Handel  unterrichten.-) 
Kilian  mochte  jetzt  wohl  glauben,  es  sei  Zeit,  dass  seine  Sache 
energisch  beim  Kaiser  an  die  Hand  genommen  werde.  Schon 
am  1.  Februar  konnte  er  an  Schenkli  und  Batzenheider  schreiben: 
.,So  wissent,  dass  wir  verschiner  tagen  bimm  coadjutor  zu  Mörs- 
purg  gewesen  unnd  im  all  unnsers  gotzhus  henndel  unnd  sachenn 
erzelt  unnd  inn  daruf  umb  hilff  unnd  rat  ankert  unnd  ersucht 
haben.  Derselbig  sich  dann  füruß  hoch  unnd  treffennlichen  aller 
gütwilligkait  gegen  unns  erpotten  und  hat  unns  nämlichen  an- 
zaigt,  er  werde  in  kurtzem  widerumb  hinweg  unnd  den  nechsten 
selbs  personlichen  zu  kayserlicher  mayestat  ryten,  unnd  darumb 
so  söllint  wir  im  ain  Instruction  aller  des  gotzhus  erganngner 
Sachen  halber  stellen;  so  welle  er  die  zu  im  nemen  unnd  dem- 
nach den  hanndel  selbs  mundthchen  kay(serlicher)  M(ajesta)t 
unnd  zumm  trüwlichesten  fürtragenn  unnd  ungezwifelt  sovil 
hanndlen,  das  uns  und  dem  gotzhus  erschiessennlichen  sin  werde, 
mit  vil  früntlichem  trost  unnd  züsagenn  etc.  Also  habenn  wir 
ain  Instruction  stellen  lassenn  unnd  darinn  all  erganngen  henndel 
unnd  artickel,  wie  unnd  vonn  wemm  die  dem  gotzhus  unnd  uns 
von  ainem  an  das  annder  begegnet  unnd  widerfaren  sind,  ge- 
meldt unnd  ganntz  nüntz  darinn  ußgelassenn.  Dieselbigen  er 
dann  zu  gutem  gefallen  angenomen,  unnd  sind  also  daruf  mit 
dem  coadjutor  zu  Mörspurg  in  cantzly  ganngen,  die  doctor  Jörgen, 
cantzler  unnd  den  vogt  unnd  züvoran  imnsern  herrenn  von 
Costentz  verhören  lassen,  unnd  hat  daruf  der  cantzler  ain  missif 
an  kay(serliche)  M(ajesta)t  zumm  scherpffisten  unnd  bestenn  ge- 
macht  unnd   darinne   dero,   so   unns   des   unnsern    on  recht  ent- 

')  St.-A.,  Bd.  307,  S.  67  f. 
-^)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  59. 


152 

setzenn  wennd,  ganntz  nit  verschonet,  sonnder  alle  handliing 
darinn  gantz  ordenlich  anzaigt  unnd  nüntz  underlassenn,  und 
zületst  haben  wir  darinn  kay(serliche)  M(ajesta)t  als  ain  fürst 
des  rychs  umb  schirm  unnd  schütz  angerüfft.  unnd  ist  dermasen 
so  ordennlich  unnd  grundtlich  verfast  unnd  beschechen,  das  wir 
ungezwifelt  verhoffennt,  es  werde  unns  zu  gutem  erschiessen 
unnd  in  kurtzem  gschrifftenn  von  kay(serlicher)  M(ajesta)t  an 
gemain  Aidtgnossen   unnd    sonndrige    ort   unnd   stett   komen.''  ') 

Ende  März  1530  konnte  der  Abt  den  Tagherren  zu  Baden 
mitteilen,  dass  ihm  durch  ein  besiegeltes  Mandat  vom  Kaiser 
der  Reichstag  zu  Augsburg  verkündet  worden  sei;  er  habe  im 
Sinne,  denselben  zu  besuchen,  was  er  hiemit  angezeigt  haben 
wolle.  -)  Der  Prälat  hatte  um  so  mehr  Grund,  dies  zu  tun,  als 
ihm  die  V  Orte,  wie  früher,  auch  jetzt  wieder  dazu  rieten,  ^i 
Dasselbe  tat  sein  Reichsvogt,  indem  er  die  betrübende  Lage  des 
Gotteshauses  St.  Gallen  schilderte,  wie  die  Gegner  sich  in  ihrem 
Beginnen  nicht  aufhalten  Hessen  und  ihre  Reihen  stets  verstärkten, 
während  die  äbtische  Partei  immer  schwächer  werde.  Von  den 
Zürchern  speziell  erklärte  er :  „Denen  lüten  wil  nieman  kain  wi- 
derstand tun;  man  furcht  si,  das  got  erbarm'".^) 

Als  vollends  am  22.  Juni  Kilians  Kämmerer,  den  der  Abt 
nach  Augsburg  geschickt  hatte,  wieder  zurückkam  und  ihn  auf 
Anraten  von  Augsburger  Freunden  aufforderte,  ,,angentz"  selbst 
dorthin  zu  gehen,  schrieb  Kilian  am  gleichen  Tag  an  seinen 
Reichsvogt:  er  werde  diesem  Winke  Folge  leisten;  Schenkli 
solle  nunmehr  auf  der  Tagsatzung  „weder  umb  recht  noch 
gütigkait  anrüffen.  noch  des  ainicher  gestalt  wyter  begeren'"; 
es  dünke  ihn  dies  nunmehr  ganz  unnötig,  und  er  wolle  es  auch 
nicht  haben ;  da  er  bisher  die  Eidgenossen  so  oft  um  Recht  an- 
gerufen und  nicht  dazu  habe  gelangen  können,  so  glaube  er. 
„jetz  ouch  gegen  kay(serliche)  M(ajesta)t  und  andern  dester  mer 
glimpffs  und  ursach'"  zu  haben,  und  hoffe,  dass  es  „fruchtbar" 
ausschlagen  werde.  '') 

1)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  90  —  91. 

-)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  291  zu  1  i.  is. 

^)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  311  e. 

■*)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  227. 

■'')  Originalschreibeu  (von  Sailers  Hand)  vom  22.  Juui.  St.-A.,  Bd.  307. 
S.  313 — 316;  der  in  dem  Brief  enthaltene  Bericht  vom  Einzug  Karls  Y.  in 
Augsburg  findet  sich  in  Beilage  VII, 


153 

Doch  die  Abreise  des  Abtes  verzögerte  sich  bis  zum  7.  Jiüi. 
und  erst  am  9.  ds.  M.  langte  er  mit  drei  Begleitern,  unter  ihnen 
der  Schreiber,  Rudolf  Sailer,  in  Augsburg  an.  Bei  seiner  An- 
kunft wurde  ihm  „von  denen  von  Ougspurg  mit  acht  kannten  gantz 
erheb  geschennckt  unnd  er  darbi  erlich  gegrüst  unnd  empfangen".') 
Doch  musste  sich  der  Abt  mit  einem  Logis  bei  einem  Fisclier 
in  einer  abgelegenen  Gasse  begnügen.  Am  folgenden  Tage 
speiste  er  bei  dem  ebenfalls  zu  Augsburg  befindhchen  Bischof 
von  Konstanz.  Am  11.  Juli  wurde  Kihan  bei  ihm  zur  Audienz 
zugelassen.  -) 

Wie  der  Bischof,  so  hatte  sich  auch  Luzern  des  Abtes  an- 
genommen und  ihm  eine  „fürgschrifff"  an  den  Kaiser  mitge- 
geben, die,  wie  aus  dem  Inhalt  des  Schreibens  klar  hervorgeht, 
wenigstens  inbezug  auf  den  zweiten  Teil  auch  im  Namen  von 
Schwyz  abgefasst  war.  Eingangs  begrüssen  die  Luzerner  den 
Kaiser  in  demütigen  Worten  und  erklären,  dass  sie  um  des 
Friedens  und  der  Ruhe  der  Eidgenossenschaft  willen  keine  Bot- 
schaft an  ihn  geschickt  hätten;  er  möge  ihnen  diese  ,,schlechte 
empfachung  und  begrüessung  mit  gschrifff'  nicht  verargen.  Sonst 
aber  beschäftigt  sich  der  Inhalt  dieses  Aktenstückes  nur  mit  Abt 
Kilian  und  dessen  Gotteshaus,  und  zwar  in  sehr  scharfer  Tonart, 
und  zeigt  uns  so  recht,  wie  man  eigenthch  in  der  Innerschweiz 
über  Zürichs  und  seiner  Anhänger  Vorgehen  in  den  Stiftslanden 
dachte.  Laut  wird  darin  Klage  geführt,  was  für  „beschwerlich, 
verachthch,  unerhört,  überflüssig,  unbilHch  händel  und  Sachen'- 
dem  Abt  seit  seiner  Wahl  begegnet  seien ;  wie  er  Luzern 
und  Schwyz  laut  Burg-  und  Landreclit  so  oft  angerufen,  ihm 
zu  dem  Seinen  oder  zum  Recht  gegen  Zürich  und  Glarus  zu 
verhelfen,  wie  die  beiden  katholischen  Orte  jedoch  Zürich  und 
Glarus  nicht  dazu  hätten  bringen  können ;  wie  auch  der  Abt  die 
eidgenössischen  Boten  insgesamt  auf  ihren  Tagungen  angerufen, 
ihm  um  Gottes  und  der  Gerechtigkeit  willen  zum  „rechten"  zu 
verhelfen  und  ihn  „nit  also  rechtlos"  zu  lassen ;  wie  aber  das  alles 
nichts  genützt  habe,  so  dass  er  mit  ihnen,  den  zwei  Orten,  recht- 
los dastehen  müsse,  „das  Gott  klagt  sig".  Da  sie  selbst  nicht 
imstande  seien,  dem  Abt  zu  helfen,  so  sei  ihr  „demüetig,  trungen- 

1)  Tgb.  Sau.,  Fol.  121a. 
■^)  A.-S.,  II,  1471  1. 


154 

lieh  und  ernstlich  anrüefen  und  bitt'\  der  Kaiser  möge  „durch 
etwas  mitel  und  weg"  verschaffen,  dass  dem  Prälaten  geholfen 
werde;  dieser  werde  selbst  in  eingehenderer  Weise,  als  sie  es 
jetzt  getan,  seine  Klagen  bei  seiner  Majestät  anbringen,  und  es 
sei  ihre  Bitte,  dass  der  Kaiser  ihn  „ganz  gnedigkUch"  anhören 
möge.  ') 

Der  Abt  hatte  seinerseits  sein  Anbringen  beim  Kaiser  in 
zwei  ungleich  grosse  Schriftstücke  zusammengefasst.  Im  ersten, 
„Supplikation"  genannt,  beklagte  sich  Kilian  hoch  über  die  Ge- 
walttaten, die  ihm  von  St.  Gallen  und  Zürich  widerfahren  seien. 
Besonders  schlimm  kam  dabei  erstere  Stadt  weg,  indem  sie  be- 
schuldigt wurde,  ihre  „mithelffer"  von  Zürich  zu  deren  gewalt- 
tätigem Vorgehen  in  den  Gotteshauslanden  aufgestachelt  zu  haben. 
Zum  Schluss  rief  der  Abt  den  Kaiser  als  den  Advokaten  der 
heiligen  christlichen  Kirche  hoch  und  teuer  an,  ihn  aus  dem 
„gefenngknus  der  unglöubigen"  zu  erlösen.  ^)  Dieses  Aktenstück 
war  mehr  allgemein  gehalten,  und  erst  in  einem  weitern  für  den 
Kaiser  bestimmten  Dokument  trat  der  Abt  auf  die  einzelnen  Be- 
schwerdepunkte näher  ein.  '')  In  ziemlich  einlässlicher  Weise 
wird  da  berichtet,  was  Kilian  von  der  Stadt  St.  Gallen,  von  Zürich 
und  Glarus  alles  begegnet  sei,  und  ausführlich  wird  der  Bilder- 
sturm im  Münster  (Februar  1529)  geschildert.  Nachdem  alle 
wesentlichen  Anklagepunkte  gegen  die  Stadt  St.  Gallen  dargetan 
sind,  wird  speziell  darauf  hingewiesen,  dass  dies  besonders  darum 


')  E.  A.,  IV.  Ib,  Nr.  360  Notes.  Strickler  glaubte,  das  Datum  auf  Mitte  Juli 
annehmen  zu  müssen.  Das  Schreiben  ist  aber,  laut  St.-A.,  Bd.  101,  S.  114  und 
Tgb.  Sail.,  Fol.  123  a,  vom  29.  Mai  datiert.  Bis  zu  diesem  Tage  hatte  also, 
wie  wir  aus  den  Eingangsworten  ersehen,  Luzern  nicht  im  Sinne,  eine  Botschaft 
an  den  Kaiser  nach  Augsburg  zu  senden.  Dann  aber  muss  es  verhältnismässig 
rasch  seine  Ansicht  geändert  haben,  da  bereits  am  5.  Juli  eine  dreiköi)fige  Lu- 
zeruer  Gesandtschaft  zu  Augsburg  eintraf.  Entgegen  Eschers  Bemerkung 
(S.  174)  wurde,  laut  Tgb.  Sail.,  Pol.  121  b,  die  Missive  Luzei-ns  an  den  Kaiser 
dem  Abt  mitgegeben  und  nicht  den  Luzerner  Gesandten.  Es  hätte  auch  wenig 
Sinn  gehabt,  wenn  Luzern  seiner  Gesandtschaft  ein  Schreiben  an  Karl  V.  mit- 
gegeben hätte,  worin  es  erklärte,  dass  es  wegen  der  schwierigen  Lage  in  der 
Eidgenossenschaft  keine  Gesandtschaft  schicken  könne. 

^)  Siehe  das  Einzelne  in  Beilage  II. 

•')  Indem  wir  uns  mit  einem  kurzen  Überblick  über  den  Inhalt  des  Akten- 
stückes begnügen,  verweisen  wir  auf  Beilage  III,  wo  die  Schrift  in  extenso 
wiedergegeben  ist. 


155 

für  die  St.  Galler  schwerwiegende  Händel  seien,  weil  sämtliche 
Bürger  der  Stadt  ohne  Ausnahme  geschworene  Lehenleiite  des 
Gotteshauses  St.  Gallen  seien  (!).  Dann  kommen  die  Zürcher 
und  Glarner  an  die  Reihe,  denen  natürlich  vor  allem  ihr  eigen- 
mächtiges Vorgehen  in  den  Landen  des  Gotteshauses  zur  Last 
gelegt  wird;  der  Abt  habe  auch  gegen  sie  nicht  zum  Recht 
gelangen  können,  so  wird  zum  Schlüsse  bemerkt,  sondern  „also 
rechtloß"  vor  gemeinen  Eidgenossen  dastehen  müssen,  da  diese 
ihm  nicht  ..haben  mögen  noch  wellen  diser  zyt  zu  gepürlichem 
und  zimlichem  rechten  verhelffen". 

Auch  für  die  Reichsstände  hatte  Kilian  eine  besondere 
., Supplikation"  ausarbeiten  lassen.  Darin  richteten  sich  die  An- 
griffe des  Abtes  wiederum  in  erster  Linie  gegen  St.  Gallen,  das 
wie  in  der  Supplikation  an  den  Kaiser  beschuldigt  wurde,  die 
Zürcher  zur  Eroberung  der  Lande  des  Gotteshauses  während 
des  ersten  Kappelerkrieges  aufgereizt  zu  haben.  Die  beiden 
Orte  hätten  auch  samt  ihrem  Anhang  die  Stiftsleute  zum  Abfall 
von  ihrem  Herrn  aufgestachelt,  so  dass  diese  ihm  den  Gehorsam 
aufgekündet  hätten,  und  vergebens  habe  der  Abt  nach  Empfang 
der  Benediktion  und  der  Regalien  den  „vermaindten  regierern'' 
befohlen,  von  ihrem  selbstherrlichen  Vorgehen  abzustehen.  Er 
rufe  darum  die  Stände  des  Reiches  an,  sich  für  ihn  beim  Kaiser 
zu  verwenden,  damit  ihn  dieser  „durch  ettwas  mittel  unnd  weg", 
wie  solche  seiner  Majestät  ja  ohne  Zahl  zur  Verfügung  stünden, 
wieder  in  sein  Gotteshaus  einsetze.  ')  Damit  die  Stände  sich 
besser  über  seine  und  seines  Klosters  Lage  orientieren  könnten, 
hatte  ihnen  der  Abt  noch  eine  besondere  Abschrift  der  ein- 
zelnen  schon  erwähnten  Beschwerdeartikel  übergeben  lassen ;  -) 


•)  Siehe  Beilage  IV. 

-)  Siehe  Beilage  IIL  Dass  der  Abt  persönlich  von  Kaiser  und  Reichs- 
ständen verhört  worden  sei,  könnte  man  wohl  aus  folgender  Stelle  des  Sailer- 
schen  Tagebuches  schliessen :  „Unnd  wie  also  min  gnediger  her  sölich  sin  unnd 
sins  gotzhus  ob  —  unnd  anligenndt  henndel  unnd  gschäfft  dermassen,  als  obstat, 
—  Sailer  gab  dort  die  Missive  Luzerns  und  die  Supplikationen  und  Beschwerde- 
artikel des  Abtes  in  extenso  wieder  —  durch  gschrifift  und  ouch  von  mund  vollenn- 
det  unnd  bi  kay(serlicher)  M(ajesta)t,  ouch  den  stennden  dess  Rychs  fürgetragenn 
und  nach  allen  statten  angezaigt  unnd  erzelt,  hat  er  .  .  ."  (Tgb.,  Fol.  130b). 
Auch  nach  dem  Schreiben  Luzerns  an  Karl  V.  (siehe  oben)  möchte  man  es 
vermuten,  und  so  nimmt  denn  auch  Mezler  (S.  649)  es  als  sicher  an,  indem  er 
schreibt:  ,Eo  (nach  Augsburg)  Kilianus  etiam  profectus,  cum  benigne  a  Carolo 


156 

daneben  warb  er  zu  Augsburg  auf  das  eifrigste  für  seine  Sache 
„mit  mer  mundtliclier  unnd  selbs  gethaner  hanndlung  sinns  an- 
ligenns".  ^) 

Doch  all  das  wollten  die  Äbtischen  vorderhand  ihren  Gegnern 
verheimlichen.  Am  16.  Juli  schrieb  ein  gewisser  N.  aus  Augsburg 
an  eine  reformierte  Stadt,  wahrscheinlich  St.  Gallen :  er  habe 
Rudolf  Sailer  auf  der  Strasse  getroffen;  der  habe  ihm  erklärt, 
sein  Herr  wäre  zu  Augsburg  allein  deshalb,  „da  er  wolt  leben 
empfachen  vom  bischof  von  Chur'' ;  Kilian  wolle  auch  sehen, 
was  auf  dem  Reichstag  beschlossen  würde;  es  werde  ihm  dann 
gehen  wie  den  andern  Prälaten  auch.  -)  Weiter  meldete  der 
Berichterstatter  die  Anwesenheit  der  Luzerner  Gesandtschaft  zu 
Augsburg ;  von  Zug  seien  Heinrich  Schönbrunner  und  der  Seckel- 
meister   anwesend;-^)    sie    seien    wohl   „zuvorderst"    deshalb   da, 


atque  a  Ferdinando  Rege  fuisset  exceptus".  —  Doch  scheint  v.  Arx  (II,  S.  574) 
nicht  dieser  Ansicht  zu  sein,  und  auch  uns  kommt  sie  unwahrscheinlich  vor. 
Dass  der  Abt  seine  Beschwerden  durch  Mittelmänner  anbrachte,  deutet  wohl 
das  Tgb.  Sail.  selbst  an.  wenn  darin  gesagt  wird:  ,Nun  so  volgt  hernach  die 
Supplication  unud  ettlich  verzaichnett  artickel,  wie  die  min  gnediger  her  an 
kay(serliche)  M(ajesta)t  anpracht  unnd  fürtragen  hat  mit  hilff  mins  g(nedigen) 
h(errn)  von  Costentz"  (Tgb.  Sail.,  Fol.  123a).  und  zu  der  Behauptung  von  äbtischer 
Seite,  dass  Kilian  persönlich  vor  den  ßeichsständen  erschienen  sei,  erklärt  Vadian 
(III,  S.  259  n)  kurz  :  „was  erlogen".  In  der  Tat  bemerkt  der  Abt  in  seinem  Be- 
richt (s.  Anm.  1  auf  S.  158)  über  den  Erfolg  seiner  Bemühungen  in  Augsburg  nur. 
er  sei  nicht  nur  von  den  Geringsten,  sondern  auch  von  vornehmen  und  namhaften 
Fürsten  des  Reichs  wohl  empfangen  und  gehalten  worden,  und  mit  Hilfe  des 
Bischofs  von  Konstanz,  Balthasar  Merklin,  Propst  zu  Waldkirch,  habe  er  alle 
seine  Supplikationen  samt  etlichen  schriftlichen  Artikeln,  wie  es  ihm  ergangen, 
ganz  nach  seinem  Willen  und  Gefallen  angebracht. 

')  St.-A.,  Bd.  101,  S.  123. 

^)  Das  war  nun  allerdings  wenig  der  Wahrheit  gemäss,  da,  wie  wir  ge- 
nugsam vernommen,  Kilian  in  erster  Linie  darum  nach  Augsburg  ging,  um 
den  Kaiser  um  Hilfe  anzurufen.  Doch  fand  jene  Lehenverleihung  wirklich  statt. 
Es  handelte  sich  dabei  um  die  Eidesleistung  und  die  Gelübde,  welche  Kilian 
dem  Bischof  von  Chur  zu  banden  des  Kaisers  für  den  Empfang  der  Regalien 
und  Lehen  zu  leisten  hatte.  Dies  geschah  am  11.  Juli  in  der  „behausung"  des 
Job.  Koler,  Doktor  der  geistlichen  Rechte,  Dompropst  zu  Chur  und  zu  St.  Mau- 
ritius in  Augsburg,  St.-A.,  P.  2.  L.  2,  Orig. 

•^)  Siehe  Escher,  Glaubensparteien  Kap.  VII.:  „Die  V  Orte  während  des 
Augsburger  Reichstages " . 

')  A.-S.,  TL  1471h  :  E.  A..  IV.  1 1),  Nr.  353d. 


157 

ist,  dass  der  Abt  zu  Augsburg  viel  Geld  ausgab.  Er  berichtete 
nämlich  dem  Reichsvogt  und  seinem  Bruder:  eine  Summe  Geldes, 
die  er  aufgenommen,  sei  auf  dem  Reichstage  beinahe  verbraucht 
worden,  weil  alles  sehr  teuer  gewesen.  ^ 

Am  19.  Juli  verreiste  der  Abt  und  traf  am  22.  wieder  zu 
Wolfurt-)  ein.-')  Noch  unterwegs  hatte  er  vom  Gotteshaus  Ochsen- 
hausen aus  dem  Reichsvogt  und  seinem  Bruder  Hans  Germann 
nach  Einsiedeln  geschrieben,  wie  er  zu  Augsburg  „insonders 
ehrlich  und  wohl  empfangen  und  gehalten  worden",  und  zwar 
nicht  bloss   von    den  Geringsten,    sondern   auch   von  vornehmen 


1)  A.-S.,  11,  1488.;. 

-)  Der  Abt  und  die  ihm  treu  gebliebenen  Konventherren  hatten  hier  seit 
dem  26.  Februar  1530  ihren  Wohnsitz  aufgeschlagen  (Tgb.  Sail.,  Fol.  84  a), 
nachdem  sie,  wie  wir  gehört,  sich  vorher  im  Kloster  Mehrerau  bei  Bregenz 
aufgehalten  hatten.  Es  war  wohl  kein  Zufall,  dass  Kilian  sich  nunmehr  gerade 
zu  Wolfurt  niedergelassen  ;  denn  das  Schlösschen  lag  ganz  nahe  bei  Bregenz, 
wo,  wie  wir  wissen,  Marx  Sittich  Herr  war.  Dass  aber  Kilian  seinen  neuen 
Wohnsitz  gekauft  habe,  dürfte  unrichtig  sein.  Kessler  nimmt  zwar  einen  Kauf 
an  (Sabb.,  S.  341  is),  und  ihm  vielleicht  folgte  Franz  Joseph  Weizenegger  [Vor- 
arlberg, Bd.  II,  herausgegeben  von  M.  Merkle  (Insbruck  1839)  Artikel  „Wolf- 
furt", S.  347ff.l.  Auch  Vadian,  (11,  S.  414  3ß)  berichtet,  der  Abt  habe  das 
„Schlössli"  gekauft,  wie  man  sage,  um  5000  gl.;  doch  widerspricht  er  sich, 
indem  er  in  seinem  Diarium  (Vad.,  III,  S.  227  32)  erzählt,  im  Jahre  1530 
habe  der  Abt  das  Schlösschen  ,  dingt  um  ain  zins".  Ferner  weiss  Sailers  Tgb. 
nichts  davon,  dass  der  Abt  seinen  neuen  Wohnsitz  käuflich  an  sich  gebracht 
habe,  u.nd  Sicher  sagt  an  der  Stelle,  wo  er  den  Prälaten  zu  Wolfurt  seinen 
Wohnsitz  nehmen  lässf  (S.  150  m-ao),  ausdrücklich,  das  Schloss  gehöre  der 
Familie  Leber  von  Bregenz.  Nun  steht  in  den  „Lehensauszügen  des  Walgau" 
(Statthaltereiarchiv  Innsbruck)  unterm  22.  April  1528:  „Burg  Wolffurt  .  .  hat 
Georg  Echtpeckh,  burger  zu  Überlingen,  an  stat  als  Lehentrager  weilend  Jacoben 
Lebers  gelassen  sons,  genannt  Hannss,  zu  leben  empfangen  .  ."  (Lehen  lib.  1. 
Fol.  134).  und  unterm  18.  Apinl  1537  heisst  es:  „Hannss  Leber  hat  auf  die 
new  lehensberuetfung  vorgemelt  leben  empfangen  ..."  (Lehen  lib.,  Pol.  257). 
Das  Schlösschen  war  nämlich  1463  an  die  Familie  Leber  gekommen,  welche 
dann  unter  Kaiser  Maximilian  I.  den  Adelstitel  von  Wolfurt  erhalten  hatte. 
Von  Echtpeckh  dürfte  Kilian  das  Schlösschen  gemietet  haben.  Dies  konnte  um 
so  leichter  geschehen,  weil  Echtpeckh  ja  Bürger  zu  Überlingen  war,  wo  der  Abt 
zuerst  Aufenthalt  genommen.  Obschon  Burg  Wolfurt  in  den  „Lehensauszügen 
des  Walgau"  figuriert,  kann  es  sich  doch  nicht  um  eine  zweite  Burg  gleichen 
Namens  in  der  Gegend  von  Bludenz  bis  Feldkirch  handeln,  da  Sicher  die  Wol- 
furt bei  Bregenz  mit  dem  gleichnamigen  Besitztum  der  Familie  Leber  identi- 
fiziert und  es  laut  gütiger  Mitteilung  von  Herrn  Landesarchivar  Kleiner  in 
Bregenz  „in  ganz  Vorarlberg  ein  anderes  Wolfurt  nicht  gibt." 

3)  Tgb.  Sail.,  Fol.  132  b. 


158 

und  namhaften  Fürsten  des  Reichs.  Mit  Hilfe  des  Bischofs  von 
Konstanz  habe  er  alle  seine  Supplikationen  samt  etlichen  schrift- 
lichen Artikeln,  wie  es  ihm  ergangen,  ganz  nach  seinem  Willen 
und  Gefallen  angebracht  und  so  fleissig  sich  beworben,  dass  es 
unzweifelhaft  ihm  und  seinem  Gotteshaus  zum  guten  ausschlagen 
werde.  Man  habe  ihn  auch  getröstet,  er  werde  und  solle  in 
kurtzem  wieder  zu  seinem  Rechte  gelangen  wie  andere  vertrie- 
bene Christen  auch ;  man  erwarte  in  nächster  Zeit  eine  Änderung 
und  zwar  so,  dass  alles  wieder  zum  alten  Glauben  gebracht  werde. 
Die  Sache  lasse  sich  gut  an ;  der  Kaiser  sei  nämlich  entschlossen, 
jedem  zu  dem  Seinen  zu  verhelfen  und  sein  ganzes  Vermögen 
daran  zu  „binden".  ^) 

Doch  Karl  V.  hatte  vorderhand  noch  keineswegs  Lust,  mit 
Gewalt  gegen  die  religiösen  Neuerer  vorzugehen,  den  Knoten, 
der  sich  nicht  mehr  lösen  liess,  mit  dem  Schwerte  durchzuhauen. 
Noch  den  ganzen  August  hindurch  dauerten  seine  Ausgleichs- 
versuche, und  dementsprechend  lautete  auch  das  Gutachten  des 
für  Bittschriften  verordneten  Ausschusses  in  der  st.  gallischen 
Angelegenheit  vom  21.  August:  es  sei  dies  ein  „fast  schwerer 
und  wichtiger  Handel'' ;  darum  möchten  die  churfürstlichen  und 
fürstlichen  Gnaden  besondern  Fleiss  ankehren  und  auf  Wege 
trachten,  den  Bittsteller  wiederum  in  seine  Rechte  einzusetzen.-) 
Das  hiess  unter  den  damaligen  politischen  Verhältnissen  die 
äbtische  Angelegenheit  auf  ungewisse  Zeit  vertagen. 


^)  A.-S.,  II,  1488  1—4.  Es  gelang  St.  Galleu  durch  „holflicli  abzwickeu"  (!) 
eine  Kopie  des  Schreibens  zu  erhalten,  worauf  die  Stadt  sich  beeilte,  die  Burg- 
rechtsstädte von  demselben  in  Kenntnis  zu  setzen  (Vad..  III,  S.  260  nis). 

-)  E.  A.,  lY,  Ib,  S.  723. 


III.  ABSCHNITT. 


Abtei  und  Stadt  St.  Gallen  nach  dem  ersten  Kappeler- 
kriege bis  zum  Tode  Abt  Kilians. 

I.  Kapitel. 

Die  Emanzipation  des  Fürstenlandes  von  der  Abtei. 

A.    Die  Verhandlungen   über  die  Aufrichtung  einer  neuen 
Verfassung  bis  Ende  1529. 

Die  Fhicht  Kilians  nach  Überlingen  bot  den  Gotteshausleuten 
die  erwünschte  Gelegenheit,  ihre  völlige  Lösung  vom  Stifte  ener- 
gisch zu  betreiben.  Schon  am  !).  Juni  1529  wurde  dem  Abt  be- 
richtet, dass  die  Stiftsbauern  eine  Botschaft  zu  den  vier  Schirm- 
orten gesandt  hätten,  um  von  ihnen  die  Erlaubnis  zur  Wahl  eines 
Landammanns  zu  erhalten,  der  im  Verein  mit  dem  Hauptmann 
die  fürstäbtische  Landschaft  regieren  sollte.  0  Doch  wird  diese 
Gesandtschaft  wenig  ausgerichtet  haben ;  denn  der  Wiler  Kanzler 
berichtete  am  (5.  Juli  dem  Abt,  dass  vergangener  Tage  eine  Ab- 
ordnung der  Gotteshausleute  in  Zürich  erschienen  sei  und  die 
Stadt  gebeten  habe,  ihnen  Selbstregierung  zu  geben,  da  sie  „fry 
lüt"  seien,  womit  sie  jedoch  den  vier  Orten  nichts  in  ihre  Haupt- 
mannschaft geredet  haben  möchten ;  -)    aber  man   sei  dort   den 


»)  A.-S..  IL  479. 

-)  Wenn  jedoch  die  Gotteshausleute  —  besonders  seit  ihnen  der  Huldi- 
gungseid, den  sie  im  ersten  Kappelerkrieg  hatten  leisten  müssen,  wieder 
„abkündt"  worden  war  —  sich  darauf  berufen  wollten,  dass  „sy  vornacher 
nit  der  vier  Orten,  sonder  eins  herren  von  Sant  Gallen  gsin  und  die  vier  Ort 
nüt  an  inen  gehept,  denn  dass  sy  eim  herren  von  St.  Gallen  habint  ein  houpt- 
man  geben,  der  eim  herren  solle  hilflich  sin,  sofer  die  gottshuislüt  eim  herren 
welltint    nit   gehorsam   sin"   (A.-S..  II,   659),   so   war  das  freilich  nicht  ganz 


160 

Gesandten  mit  „schimpflicher  antwurt"  begegnet:  sie  sollten  ge- 
mässigtere  Forderungen  stellen  ^)  und  vorderhand  nach  Hause 
zurückkehren ;  Zürich  werde  sich  diese  Sache  überlegen  und 
ihnen,  wenn  es  gelegen  sei,  Antwort  geben.  -) 

Doch  die  Verhältnisse  in  den  Landen  des  Abtes  drängten 
Zürich  zu  raschem  Handeln.  Schon  Ende  Juni  hatte  nämlich 
Frei  an  seine  Regierung  geschrieben,  er  werde  überlaufen  mit 
Beschwerden  wegen  Zehnten,  Nutzung  des  Waldes,  der  Weiher 
etc.;  es  gehe  im  Fürstenlande  „gar  ungebunden"  zu;  wenn  man 
nicht  tapfer  eingreife,  so  wisse  er  nicht,  wie  sich  aus  dem  Handel 
ziehen.  ^)  Im  Gotteshausland  wolle  „jedermann  selb  herr  sin", 
schrieb  Lienhard  Schulder  an  Kilian.  *)  In  äbtischen  Kreisen 
sah  man  das  natürlich  gerne;  die  Sache  fange  an  sich  zu  „bes- 
sern", wurde  Othmar  Glus  nach  Überlingen  berichtet. '') 

Zürich  beeilte  sich  deshalb,  Ordnung  in  die  verworrenen 
Verhältnisse  der  alten  Landschaft  zu  bringen,  und  schrieb  auf 
den  14.  Juli  einen  Tag  der  vier  Schirmorte  nach  Zürich  aus;  doch 
erschienen  nur  die  Boten  von  Glarus  und  Schwyz.  Als  Zürich 
diese  ersuchte,  ihm  zu  helfen,  den  Gotteshausleuten  eine  Re- 
gierung einzusetzen,  da  ihr  Abt  sie  verlassen  und  seine  ehe- 
maligen Untertanen  ihn  schlechterdings  nicht  mehr  als  ihren 
Herrn  anerkennen  wollten,  auch  bei  den  Stiftsbauern  alles  drunter 
und  drüber  gehe,  hatten  Schwyz  und  Glarus  keine  Vollmacht 
dazu.  Deshalb  wurde,  zumal  da  Luzern  nicht  erschienen  war, 
die  Angelegenheit  auf  den  nächsten  Badener  Tag  verschoben;") 
doch  verzog  sich  die  gemeinsame  Behandlung  der  Sache  durch 
die  IV  Orte   bis   zum   28.  August,   an    welchem   Tage   sich    alle 


richtig.  Der  neue  Schirmvertrag  vom  11.. Juni  1490,  der  nichts  als  eine 
,, bessere  erlüterung  und  verstendnus"  des  Burg-  und  Landrechts  von  1451 
und  des  Hauptmannschaftsvertrages  von  1479  sein  sollte,  hatte  das  äbtische 
Untertanenland  ,,zu  einer  Art  gemeiner  Herrschaft"  (W.  Öchsli :  ,,Orte  und 
Zugewandte",  S.  55)  herabgedrückt.  Dies  war  namentlich  durch  die  Be- 
stimmung geschehen,  dass  die  Gotteshausleute  im  Kriegsfall  den  vier  Schirm- 
orten oder  deren  Mehrheit  auf  eigene  Kosten  zuziehen  sollten. 

0  .  .  die  Sache  nicht  „zu  hoch",  sondern  ,.zimlich''  anziehen  etc. 

2)  A.-S.,  II,  653. 

3)  A.-S.,  II,  630  1. 
•*)  A.-S.,  II,  670. 

'")  St.-A.,  Fase.  14. 

ß)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  141. 


161 

Schirmorte  zu  Wil  einfanden.  Dort  erneuerten  die  Gotteshaus- 
leute ihr  Begehren,  sich  eine  Regierung  geben  zu  dürfen,  ohne 
jedoch,  wie  sie  beifügten,  den  Briefen,  Burg-  und  Landrechten, 
welche  die  Obern  der  Hauptmannschaft  wegen  hätten,  damit 
Eintrag  tun  zu  wollen.  Die  Boten  der  IV  Orte  fragten  sie  danach, 
wen  sie  eigentlich  zu  ihrem  Herrn  haben  wollten,  worauf  die 
Gesandten  der  Landschaft  gewandt  entgegneten:  sie  könnten 
hierauf  nicht  Antwort  geben,  bis  sie  wüssten,  ob  die  IV  Orte  den 
Abt  auch  „auszureuten"  im  Sinne  hätten.  Jedoch  als  nun  die 
Boten  ihre  Instruktionen  eröffneten,  zeigte  sich,  dass  sie  ungleich 
lauteten.  Man  schickte  darum  die  Gotteshausleute  mit  Vertröstung 
auf  einen  andern  Tag  wieder  heim,  trotzdem  sie  sich  über  diesen 
Bescheid,  mit  Hinweis  auf  die  unhaltbaren  Zustände  in  den  äb- 
tischen Landen,  beschwerten.  Da  so  dieser  Tag  zu  Wil  „zer- 
gangen" war,  die  Boten  von  Luzern  und  Schwyz  aber  keine 
Vollmacht  gehabt  hatten,  einen  weitern  Tag,  wie  man  den  Gottes- 
hausleuten versprochen,  in  der  Angelegenheit  zu  bestimmen,  so 
setzten  Zürich  und  Glarus  dafür  von  sich  aus  eine  neue  Kon- 
ferenz auf  den  12.  September  wieder  nach  Wil  an,  wo  jedes  Ort 
mit  bevollmächtigten  Boten  erscheinen  sollte.  ^)  Doch  wurde  erst 
am  20.  September  die  Angelegenheit  zu  Wil  wieder  aufgenommen. 
Es  rückten  nun  die  Gotteshausleute  daselbst  mit  Artikeln  auf, 
in  denen  sie  darlegten,  wie  sie  sich  das  neue  Regiment  in  ihrem 
Gebiete  dachten,  nämlich  nicht  anders,  als  dass  an  Stelle  des 
Abtes  eine  von  ihnen  ernannte  Regierung  zu  treten  hätte :  an  ihrer 
Spitze  —  so  lautete  ihr  Entwurf  —  soll  ein  Landammann  stehen ; 
in  dem  Eid,  den  alljährlich  „regiment,  amptlüt,  gricht  vmd  rat. 
euch  gmeind"  dem  Landammann  abzulegen  haben,  sollen  die 
Gotteshausleute  sich  auch  verpflichten,  den  vier  Orten  zu  leisten, 
was  sie  laut  Sprüchen  und  Verträgen  schuldig  sind;  Zinse  etc. 
sollen  „mit  hilf  und  rat  eins  hoptmans,  landammans  und  rats" 
eingezogen,  „unbillich  beswerden"  beseitigt  werden;  wer  appel- 
lieren will,  wenn  er  sich  durch  ein  Urteil  beschwert  fühlt,  mag 
dies  tun  vor  Hauptmann,  Landammann  und  Räten;  malefizische 
Händel  soll,  wenn  das  Gericht  sich  spaltet  und  „zuo  glich  urteP' 
abgibt,  der  Hauptmann  entscheiden."  -) 


')  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  173  a,  c ;  A.-S.,  II,  776 1. 
2)E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  187  zu  e. 

St.Gnller  Mittlijn.  z.  vaterläml.  Gesc-h.  XXXIII.  H 


162 

Doch  Zürich  konnte  auf  diese  Vorschläge  nicht  ein- 
gehen, wenn  es  nicht  seine  dominierende  Stellung  im  äbtischen 
Gebiete  verlieren  wollte.  So  lehnte  es  denn  das  Begehren  der 
Gotteshausleute  ab,  da  man,  wie  der  „Ratschlag"  darüber  erklärt, 
bemerkt  habe,  wie  die  Gotteshausleute  unter  dem  Schein  „eines 
guten  Geistes"  gerne  „Freiheit  des  Fleisches"  hätten  und  selbst 
gern  regieren  würden ;  das  sei  nicht  rätlich,  da  den  Schirmorten 
Luzern  und  Schwyz  eine  solche  Obrigkeit  nicht  gefallen  würde 
und  ohne  deren  Zustimmung  ein  solches  Regiment  keinen  langen 
Bestand  hätte;  man  wolle  den  Stiftsleuten  jedoch  gestatten,  die 
niedern  Gerichte  mit  Hilfe  des  Hauptmanns  mit  ,.gottliebenden" 
Männern  zu  besetzen,  damit  die  Leute  über  Gericht  und  Recht 
nicht  zu  klagen  hätten;  die  Appellationen  sollten  einstweilen 
an  den  Hauptmann  gehen ;  damit  hätten  sich  die  Gotteshaus- 
leute vorderhand  zu  begnügen.  ^)  An  Luzern  und  Schwyz  aber 
schrieb  Zürich :  da  gegen  Erwarten  ihre  Boten  sich  nicht  zu  Wil 
befänden,  um  mit  Zürich  und  Glarus  in  der  Angelegenheit  der 
Stiftsbauern  zu  handeln,  ersuche  man  die  beiden  Orte,  ohne 
Verzug  ihre  Botschaft  zu  senden,  weil  sonst  ihre  Vertreter  allein 
„fürfahren"  würden.^)  Darauf  schickten  auch  Luzern  und  Schwyz 
ihre  Boten  nach  Wil.  Doch  kam  man  hier,  wie  zu  erwarten  war, 
wiederum  zu  keinem  Ziele;  denn  im  Gegensatz  zu  Zürich  und 
Glarus  hielten  Luzern  und  Schwyz  am  Abte  fest,  da,  wie  sie  er- 
klärten, noch  nicht  dargetan  worden,  dass  er  zur  Regierung  un- 
fähig sei.  Darauf  wurde  am  7.  Oktober  in  den  Abschied  genommen, 
man  solle  das  nächste  Mal  Vollmacht  haben,  den  Haushalt  zu 
versehen,  Statthalter  und  Amtleute  zu  Wil,  St.  Gallen  und  Ror- 
schach  zu  wählen  und  einige  Vögte,  die  ihre  Stelle  aufzugeben 
im  Sinne  hätten,  zu  ersetzen.  ^)  Wann  dieser  Tag  stattfinden 
sollte,  wurde  im  Abschied  nicht  gesagt.  Vorderhand  fand  man 
es  in  Zürich  für  das  beste,  die  Angelegenheit  der  Statthalter, 
die  der  Hauptmann  zu  Wil  und  St.  Gallen  einzusetzen  begehrte, 
ruhen  zu  lassen ;  Hauptmann  Frei  sollte  sich  dafür  einstweilen 
mit  seinem  zuverlässigen  Schreiber  Lorenz  Appenzeller  behelfen 
und  ihn  als  Statthalter  zu  Wil  gebrauchen.    Sonst  sollten  zunächst 


1)  A.-S.,  II,  847  1. 

2)  A.-S,  II,  844. 

3)  E.  A..  IV.  Ib.  Nr.  200a,  c. 


163 

keine  andern  Statthalter  ernannt  werden;  denn  nähme  man  dazu 
einen  Mann  aus  den  Gotteshausleuten,  so  sähen  diese  darin  eine 
„Anleitung",  nach  dem  Regiment  zu  greifen;  nähme  man  aber 
keinen  Gotteshausmann,  so  wären  die  Stiftsleute  unzufrieden.  ^ 
Doch  schon  am  Tage,  nach  welchem  dieser  Ratschlag  aufgesetzt 
worden  war,  am  18.  Oktober,  schrieb  Frei  an  seine  Regierung: 
man  solle  ohne  Verzug  Statthalter  nach  St.  Gallen  und  Wil  setzen, 
da  er  allein  mit  so  vielen  böswilligen  Dienern  und  Amtsleuten 
nicht  länger  wirtschaften  könne.  Ferner  teilte  er  seiner  Re- 
gierung mit,  dass  er  in  der  Besetzung  der  niedern  Gerichte  bei 
den  Tablatern  und  Mörswilern  auf  unbequemen  Widerstand  stosse 
und  von  den  Täufern  und  „Widerwärtigen"  fortwährend  Unruhen 
verursacht  würden;  es  wäre  wohl  gut,  wenn  Zürich  durch  Bot- 
schaft oder  ein  Schreiben  an  den  am  24.  Oktober  zu  Lömmiswil 
zusammentretenden  Landrat  der  Gotteshausleute  diesem  Treiben 
ein  Ende  machte.  -)  Der  Zürcher  Rat  leistete  der  Aufforderung 
Freis  Folge,  indem  er  Jakob  Werdmüller  als  Abgesandten  be- 
stimmte und  ihm  eine  scharfe  Instruktion  mitgab,  worin  die  Stadt 
den  Gotteshausleuten  ins  Gedächtnis  zurückrief,  was  sie  schon 
alles  für  sie  getan,  wie  aber  die  Gotteshausleute  dessen  nicht 
eingedenk  seien,  sondern  nach  täuferischer  Ansicht  selbst  Herren 
sein  und  alle  Obrigkeit  abschütteln  möchten,  was  Zürich  nicht 
gefalle,  auch  unmöglich  sei;  sie  sollten  vorderhand  die  niedern 
Gerichte  und  Appellationen  versehen  lassen,  wie  das  angeordnet 
worden  sei;  wenn  sie  aber  in  ihrem  „ungeschickten  Treiben  ver- 
harren wollten,  so  werde  Zürich  seine  Hand  von  ihnen  abziehen.'^) 
Wie  sich  Zürich  das  zukünftige  Regiment  dachte,  zeigt  uns 
ein  „Ratschlag"  vom  Anfang  Dezember,  an  dessen  Abfassung 
neben  Röist,  Thumysen,  Jakob  Werdmüller,  Hans  Bleuler,  Peter 
Meyer  und  Stadtschreiber  Beyel  auch  Zwingli  beteiligt  war. 
Hatten  die  Gotteshausleute  in  ihren  Vorschlägen  selbst  domi- 
nierenden Einfluss  auf  die  Regierung  der  Landschaft  gewinnen 
wollen,  vor  allem  durch  den  von  ihnen  zu  wählenden  Landammann, 
so  betonte  Zürich  den  entgegengesetzten  Standpunkt,  indem  es 
das  ganze  Schwergewicht  der  Regierung,  das  eigentliche  Regiment, 


1)  A.-S.,  II,  88 U>. 

'')  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  207 1. 

3)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  207  2. 


164 

dem  Schirmhaiiptmann  zudachte.  Er  sollte  in  den  Gotteshaiis- 
landen  „ir  houpt  beliben,  sin  und  heissen,  der  alle  Verwaltung  der 
obern  und  beerhaften  ^)  geschäften  in  sinem  gewalt  haben  und 
dem  ouch  alle  anderen  underamptlüt,  es  syge  der  hofamman  oder 
andere,  in  dhand  sehen  und  aller  irer  Verwaltung  rechnung  und 
bescheid  geben  söllent".  Damit  aber  eine  solche  Machtfülle 
nicht  etwa  an  eine  Zürich  missliebige  Person  käme  und  diese 
ihre  mächtige  Stellung  zum  Schaden  der  Stadt  und  des  neuen 
Glaubens  ausüben  könnte,  bestimmte  der  Ratschlag  weiter,  dass 
der  jeweilige  Hauptmann  dem  Gotteswort  nicht  widerwärtig 
sein  dürfe,  ansonst  die  Untertanen  nicht  gezwungen  wären,  ihn 
als  ihr  Haupt  anzuerkennen,  und  um  den  dominierenden  Ein- 
fluss  Zürichs  auf  die  äbtischen  Untertanenlande  möglichst  fest  zu 
begründen,  war  in  dem  Gutachten  vorgesehen,  dass  Hauptmann 
Frei  „von  jetzhin"  noch  weitere  zwei  Jahre  seines  Amtes  als 
Schirmhauptmann  walten  sollte.  -) 

Doch  Luzern  und  Schwyz  suchten  die  Ausführung  dieser 
Pläne  auf  jede  Weise  zu  hintertreiben,  soweit  ihnen  das  bei  der 
damaligen  machtvollen  Position  Zürichs  möglich  war.  Am  15.  No- 
vember beklagten  sie  sich  heftig  bei  den  Wilern  und  Gotteshaus- 
leuten, dass  Zürich  Dinge  in  den  äbtischen  Landen  an  die  Hand 
nehme,  die  nicht  einmal  den  vier  Schirmorten  insgesamt,  ge- 
schweige einzelnen  derselben  erlaubt  wären,  und  dass  der  Haupt- 
mann sich  in  den  äbtischen  Gebieten  benehme,  wie  wenn  er 
dort  Herr  wäre;^)  sie  möchten  sich  dagegen  verwahrt  haben, 
als  ob  sie  mit  diesem  eigenmächtigem  Vorgehen  einverstanden 
wären,  und  wollten  die  Gotteshausleute  warnen,  an  Freis  Amt- 
leute Zinsen  und  Zehnten  zu  entrichten;  weder  der  Hauptmann 
noch  sein  Schaffner  —  man  habe  dazu,  gegen  den  Willen  der 
beiden  katholischen  Orte,  den  vertriebenen  alten  Stadtschreiber 
von  Rapperswil,  Lorenz  Appenzeller,  gewählt  —  sei  befugt,  die 
Gefälle  einzuziehen;  die  Gotteshausleute  würden  eines  Tages 
dafür  ihrem  rechten  Herrn  Red  und  Antwort  stehen  müssen; 
denn  die  jetzige  Verwaltung  der  äbtischen  Lande  werde  zuver- 


^)  beerhaft  =  fruchtbar.    Schweiz.  Idiotikon,  Bd.  IV,  S,  1477. 
2)  A.-S.,  II,  965. 

^)  Über  die  Haltung  Freis  beschwerte   sich  Kilian  persönlich   in   einem 
Schreiben  an  den  Schirmhauijtmann  selbst  (St.-A.,  Fase.  14,  d.  d.  4.  Dezember). 


165 

sichtlich  keinen  Bestand  haben.  '•)  Bei  dieser  Haltung  der  beiden 
Orte  und  ihrer  fortgesetzten  Weigerung,  den  Gotteshausleuten 
das  von  Zürich  gewünschte  Regiment  geben  zu  helfen,  blieb 
diesem  nichts  übrig,  als  im  Verein  mit  Glarus  allein  vorzugehen 
und  das  möglichst  bald,  da  der  Abt  nichts  versäumte,  sich  die 
Gotteshausleute  günstig  zu  stimmen.  ^)  Am  10.  Dezember  waren 
daher  die  beiden  Orte  wieder  zu  Wil  beisammen.  Dort  Hessen 
sie  den  anwesenden  Gesandten  der  Gotteshausleute,  da  diese 
keine  Vollmacht  hatten,  endgültige  Abmachungen  zu  treffen, 
,, einige  ehrbare  und  christliche  Vorschläge  und  Artikel"  schrift- 
lich übergeben,  damit  der  Handel  beförderlich  erledigt  würde 
und  man  nicht  lange  miteinander  „uf-  und  niderkrynnen''  und 
disputieren  müsse.  ^)  In  diesen  Artikeln,  die  einen  eigentlichen 
Verfassungsentwurf  bilden,  wird  an  der  Machtstellung,  wie  sie 
der  oben  erwähnte  „Ratschlag"  für  den  evangelischen  Schirm- 
hauptmann wünschte,  festgehalten:  „Kein  wäsenhche,  grosse 
sach"  soll  ohne  sein  „vorwissen  und  gehäll"  im  Fürstenlande 
unternommen  werden  dürfen.  Dem  Vertreter  der  IV  Schirm- 
orte stehen  zwölf  Räte  zur  Seite;  die  Gemeinden  schlagen  sie 
vor  und  ernennen  davon  acht,  der  Hauptmann  vier.  Dieser  und 
die  Räte  sollen  ehrsame,  gottesfürchtige  Leute  sein.  Das  Ap- 
pellationsgericht besteht  aus  dem  Hauptmann,  als  dem  „oberrichter"; 
die  übrigen  Richter  werden  aus  den  Zwölfern  genommen,  indem 
man  aus  ihnen  vier  von  den  Gotteshausleuten  gewählte  Räte  nimmt 
und  zwei,  welche  der  Hauptmann  ernannt  hat;  diese  sechs  Richter 
amten  ein  halbes  Jahr;  dann  kommt  die  andere  Hälfte  der  Zwölfer 
an  die  Reihe.  ^)  Die  Amtleute  im  Fürstenland  soll  der  Haupt- 
mann nur  mit  Wissen  und  Willen  der  Zwölf  „setzen  und  ent- 
setzen''. Die  Pfarrer  dürfen  von  den  Gemeinden  gewählt  werden. 
Zinsen  und  Zehnten  soll  man  wie  von  Alters  her  geben ;  ^)  doch 

1)  A.-S.,  II,  925. 

2)  E.  A,.,  IV,  Ib,  Nr.  230  zu  as. 

3)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  230  a,  zu  aa,  b,  c. 

■*)  Neben  dieser  geplanten  Zusammensetzung  des  Appellationsgerichts  fi- 
gurierte in  einer  Instruktion  vom  4.  November  (A.-S.,  II,  912)  eine  andere, 
nach  welcher  alle  zwölf  Räte  des  Hauptmanns  das  Appellationsgericht  bilden 
sollten.  Dieser  Vorschlag  wurde  zum  Teil  auch  in  den  obigen  Verfassungs- 
entwurf aufgenommen,  indem  man  bestimmte,  dass  „jetz  zum  anfang'"  zwölf 
Appellationsrichter  sein  sollten,  „diewyl  der  geschäften  so  vil  sind.*" 

■'')  Das  war  besonders  in  einem  von  Frei  aufgestellten  „memorial"  vom 
Anfang  Dezember  verlangt  worden  (A.-S.,  II,  957). 


166 

werden  eine  ganze  Anzahl  von  „ungöttlichen  Beschwerden",  wie 
gewisse  Hauptfälle,  Ehrschätze  etc.  den  Gotteshausleuten  abge- 
nommen. Endlich  sollen  der  Kirchenschmuck  und  die  Kirchen- 
güter von  den  Gotteshausleuten  angegriffen  werden  dürfen  zum 
Zweck  der  Armenversorgung  oder,  wie  es  in  dem  oben  genannten 
Ratschlag  heisst,  damit  „jetz  zum  anfang  die  biderwen  lüt  damit 
willig  und  lustig  gemacht,  dass  sy  sich  dest  ee  der  zehenden, 
Zinsen  und  anderer  versicherter  und  angeleiter  güetern  halb  ent- 
schlahen  und  in  anderen  dingen  dester  ee  eins  billichen  wysen 
lassen  wurdent" ;  ^)  eine  Kommission  soll  die  Verteilung  des  Er- 
löses vornehmen  und  darüber  dem  Hauptmann  und  seinen  Räten 
jährlich  Rechenschaft  geben.  -) 

Diese  Artikel  sollten  die  Gesandten  der  Gotteshausleute  an 
ihre  Gemeinden  bringen.  Auf  den  17.  Dezember  erwarteten  die 
IV  Schirmorte  zu  St.  Gallen  deren  Antwort;  man  warnte  aber 
die  Stiftsboten  zum  voraus,  etwa  einen  ungünstigen  Bescheid 
zurückzubringen,  da  dies  dem  Fürstenlande  nicht  zum  Vorteil 
ausschlagen  würde. 

Dessen  ungeachtet  stiess  der  Verfassungsentwurf  der  beiden 
Orte  im  Fürstenland  auf  heftigen  Widerstand,  was  um  so  be- 
greiflicher war,  da  dort  mancher  glaubte,  „es  solltend  sampt 
ainem  abbt  alle  zins,  rent  und  gült  hinfallen",  und  der  Bauer 
„ichts  mer  ze  geben  schuldig  sin".^)  Zudem  ruhten  auch  des  Abtes 
Anhänger  nicht.  Grobe  Reden  gingen  im  Gotteshauslande  um 
über  die  beiden  reformierten  Schirmorte ;  ^)  im  besondern  „ent- 
stund ain  lümbd  über  die  von  Zürich,  sam  die  uf  iren  aignen 
nutz  stalten  und  sich  irem  vil  embieten  unglich  erzaigtend".  •') 
Die  Unzufriedenheit  der  Gotteshausleute  über  die  Artikel  zeigte 
sich  denn  auch  bei  den  neuen  Unterhandlungen  recht  deutlich. 
Am  19.  Dezember  eröffneten  nämlich  zu  St.  Gallen  die  Gesandten 
der  Landschaft  die  Antwort  der  Gemeinden  vor  den  Boten  von 
Zürich  und  Glarus.  Da  zeigte  es  sich,  dass  gerade  bei  den  wich- 
tigsten Artikeln  die  Boten  der  Gotteshausleute  Befehl  hatten, 
auf  Abänderung  zugunsten  der  Landschaft  zu  dringen,  ohne  dass 


1)  A.-S.,  II,  965 12. 

2)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  230  zu  b. 
^)  Sabb.,  s.  Anm.  5. 

•i)E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  238x11. 

'")  Sabb.,  S.  332  40-43;  s.  auch  Sicher,  II,  S.  253  ii-u. 


167 

es  aber  den  Gesandten  der  Stiftsbauern  möglich  wurde,  wesent- 
liche Zugeständnisse  zu  erlangen.  Namentlich  hielten  die  Boten 
von  Zürich  und  Glarus  daran  fest,  dass  der  Hauptmann  in  der 
alten  Landschaft  das  „oberist  houpt  syn  und  heissen"  sollte.  Als 
die  Gotteshausboten  verlangten,  dass  er  den  Stiftsleuten  nicht 
nur  schwören  solle,  sie  beim  Evangelium  zu  schirmen,  sondern 
auch,  ihren  Nutzen  und  ihre  Ehre  zu  betrachten,  erklärten  die 
Gesandten  der  beiden  Orte,  keine  Vollmacht  für  solche  Zuge- 
ständnisse zu  haben.  Die  gleiche  Antwort  erhielten  die  Boten 
der  Landschaft  auf  ihre  Bitte,  den  Gemeinden  ein  Urbar  über 
die  Güter  des  Gotteshauses,  seine  Einkünfte  und  Gerechtigkeiten 
zuzustellen,  wie  ein  solches  zuhanden  des  Hauptmanns  im  Ver- 
fassungsentwurf A^orgesehen  war.  Geradezu  unwillig  aber  wurden 
die  Boten  der  beiden  neugläubigen  Schirmherren  über  die  For- 
derung der  Gemeinden,  dass  der  Bezüger  der  Zinsen,  Gülten, 
Renten  etc.  nicht  aus  der  Stadt  St.  Gallen,  sondern  aus  der  alten 
Landschaft  genommen  werden  solle.  Bereits  am  3.  Oktober  1529 
hatte  nämlich  St.  Gallen  auf  Ersuchen  von  Zürich  und  Glarus 
sein  Ratsmitglied  Franziskus  Studer  dazu  designiert.  ^)  So  er- 
klärten die  Boten  der  beiden  Orte  unverblümt,  dass  es  zwar  viel 
ehrliche  und  geschickte  Männer  unter  den  Gotteshausleuten  gebe; 
doch  könne  man  zu  dem  Amt  nur  solche  nehmen,  die  dazu  fähig 
und  der  Sache  kundig  seien.  Als  die  Gotteshausleute  weiter 
fragten,  ob  die  Überschüsse  aus  der  Verwaltung  nicht  bloss  den 
Armen  des  Fürstenlandes,  sondern  auch  denen  der  vier  Orte 
zugute  kommen  sollten,  erwiderten  die  Delegierten  von  Zürich 
und  Glarus  kurz :  vorderhand  sei  noch  gar  kein  Überschuss  vor- 
handen, sondern  zu  erwägen,  wie  man  Geld  auftreiben  könne, 
um  die  Schulden  zu  bezahlen.  Zum  Schluss  wurden  die  Boten 
der  Gotteshausleute  aufgefordert,  die  Artikel  in  ihrer  nunmehrigen 
Form  an  ihre  Gemeinden  zu  bringen  und  Ende  Dezember  zu 
Wil  Antwort  zu  geben ;  es  wurde  ihnen  aber  dabei  gesagt,  dass 
die  beiden  Orte  die  Gotteshausgemeinden  aufs  dringendste  er- 
suchten, an  den  Artikeln  nicht  mehr  zu  „kranglen"  oder  etwas 
neues  hineinzuziehen;  wenn  sie  den  heute  vereinbarten  Ver- 
fassungsentwurf nicht  annehmen  wollten,  so  würde  man  alle 
Schriften,  Abschiede  und  Zusagen,  die  sie  bisher  erhalten,  zurück- 


^)  R.-P.,  1529  ;  vgl.  über  ihn  T.  Schiess,  St.  Gall.  Neujahrsbl.  1906,  S.  23fr. 


168 

nehmen,  alles  den  Oberen  berichten  und  diesen  die  weitern  Ent- 
schlüsse überlassen.  ^)  In  diesen  Schlussworten  machten  die 
Boten  von  Zürich  und  Glarus  ihrem  Unmut  über  die  Begehrlichkeit 
der  Gotteshausleute  Luft,  welche  nur  an  6  von  den  15  Artikeln 
des  Verfassungsentwurfes  nichts  auszusetzen  gehabt  hatten.  Ja, 
die  Gesandten  der  Zürcher  berichteten  am  25.  Dezember  ihrer 
Obrigkeit,  es  gehe  das  Gerücht,  dass  die  Gotteshausleute  im 
Sinne  hätten,  sich  selbst  eine  Regierung  zu  geben  und  auf  die 
Vorschläge  von  Zürich  und  Glarus  einen  weitern  „verdacht"  zu 
nehmen  bis  Mitte  Mai  des  kommenden  Jahres.  -)  Wir  begreifen  es 
unter  diesen  Umständen  sehr  wohl,  wenn  man  bei  den  Anhängern 
des  Abtes  neuen  Mut  schöpfte  und  den  Reichsvogt  aufforderte, 
persönlich  zu  den  Schwyzern  zu  reisen  und  sie  zu  ersuchen,  sie 
möchten  die  Glarner  von  den  Zürchern  abwendig  machen.  ^)  Die 
Gotteshausleute  aber  wollten  auf  ihrer  Landsgemeinde,  die  am 
31.  Dezember  zu  Waldkirch  stattfinden  sollte,  über  den  Ver- 
fassungsentwurf von  Zürich  und  Glarus  in  der  jetzigen  revidierten 
Form  sich  endgültig  aussprechen.  Jedenfalls  für  diese  Lands- 
gemeinde war  die  Instruktion  bestimmt,  welche  Ende  Dezember 
von  Zürich  verfasst  wurde.  Man  war  hier  von  dem  hartnäckigen 
Widerstand,  den  das  Fürstenland  den  Plänen  Zürichs  auf  die 
Abtei  entgegensetzte,  peinlich  berührt  und  fühlte  sich  wohl  durch 
jene  Reden,  dass  die  Gotteshausleute  sich  selbst  ein  Regiment 
geben  wollten,  beunruhigt.  Die  Instruktion  vom  Dezember  1529 
befahl  darum  den  Gesandten,  Bürgermeister  Röist,  Jakob  Werd- 
müller und  Hauptmann  Frei,  sie  sollten,  falls  jenes  Gerücht  dei 
Wahrheit  entspräche,  vor  „ein  voUkomne  landsgemeind''  gelangen 
und  sie  auffordern,  „den  handel  anders  und  bas,  dann  noch  bishar 
beschechen",  zu  Herzen  zu  nehmen.  Sie  sollten  ihr  auch  zum 
„türisten"  vorhalten,  dass  die  äbtische  Partei  es  sei,  welche  die 
Leute  gegeneinander  zu  „verhetzen"  suche,  um  Kilians  Sache 
zu  fördern.  Würden  dann  die  Gotteshausleute  sich  nicht  eines 
bessern  belehren  lassen,  so  sollten  die  Boten  ihnen  mitteilen,  dass 
Zürich  seine  Zusagen  betreffend  das  göttliche  Wort  nicht  er- 
füllen, sondern  sich  ihrer  „entschlachen  und  muessigen"  werde; 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  238. 
'')  A.-S.,  II,  1002. 
3)  A.-S.,  II,  999. 


169 

denn  es  sei  nicht  verpflichtet,  jemanden  beim  göttUchen  Wort  zu 
handhaben,  der  nur  „gefar  und  eignen  nutz"  suche.  ^) 

Doch  die  geplante  Landsgemeinde  zu  Waldkirch  fand  nicht 
statt  infolge'  der  Ereignisse,  die  sich  in  den  letzten  Tagen  des 
Dezembers  zu  Wil  abspielten. 


B.    Der  Wiler  Auflauf. 

Es  ist  oben  gezeigt  worden,  wie  zu  Wil  erst  im  Frühjahr 
1529  evangelischer  Gottesdienst  eingeführt  wurde.  Doch  ver- 
hinderte das  die  in  ihrer  grossen  Mehrheit  noch  katholische 
Bürgerschaft  nicht,  dem  Abt  Kilian  zu  seiner  Wahl  zu  gratu- 
lieren. Dieser  suchte  sich  denn  auch  die  Gunst  des  für  die  Aus- 
übung seiner  Herrschaft  so  wichtigen  Städtchens  weiter  zu  er- 
halten, indem  er  ihm  Geld  und  Getreide  lieh.  -)  Dabei  kam  ihm 
der  Umstand  zu  statten,  dass  die  Wiler  sich  in  einem  für  die 
damalige  Zeit  natürlichen  Gegensatz  zu  den  Bauern  der  Land- 
schaft befanden,  ^)  besonders  da  sie  schon  seit  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts bedeutende  Rechte  und  Freiheiten  ^)  vor  der  Gottes- 
hauslandschaft voraus  hatten.  Nichts  kennzeichnet  so  die  feind- 
selige Stimmung  der  Stiftsbauern  gegen  Wil  besser,  als  die  Worte, 
welche  ein  Gotteshausmann  in  diesem  Jahre  (1529)  gegenüber 
einem  Wiler  äusserte:  „Mir  puren  sind  maister;  mer  wend  üch 
leren;  mir  wend  üch  anmal  zur  statt  uss  schlachen.*'  ") 

Wegen  seiner  bevorzugten  politischen  Stellung  war  darum 
das  Städtchen  nicht  gewillt,  sich,  wie  es  Zürich  wünschte,  den 
Bauern  des  Gotteshauses  gleichzustellen,  besonders,  da  es  wegen 
seiner  abtfreundlichen  Haltung  nicht  zum  Rang  einer  Hauptstadt 
des  Fürstenlandes  emporsteigen  konnte,  ganz  abgesehen  von 
seiner  dafür  ungünstigen  Lage.  Wil  hatte  so  von  den  Plänen, 
die  Zürich  inbezug  auf  die  Landschaft  des  Gotteshauses  hegte, 
politisch  wohl  mehr  Nachteile  als  Vorteile  zu  erwarten,  da  sich 
ja   seine  Hoffnungen,   eine   freie,   christhche  Burgrechtsstadt  zu 


1)  A.-S.,  II,  1019. 

2)  St.-A..  Fase.  14. 

3)  Siehe  dazu  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  340  a;  Vadian  III,  S.  257  13-2]. 

^)  S.  E.  Wild:  „Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Wir  (St.  Gallen  1904). 
•^)  Wiler  Ratsbuch. 


170 

werden,  nicht  erfüllt  hatten  und  auch  später  nicht  in  Erfüllung 
gingen.  So  war  denn  zu  Wil  der  Boden  für  die  politisch-reli- 
giösen Pläne  der  Zürcher  wenig  günstig,  wenn  auch  gesagt 
werden  muss,  dass  durch  den  ersten  Landfrieden  die  Reformation 
im  Städtchen  gesichert  war.  Zudem  musste  das  selbstherrliche 
Benehmen  Freis  der  auf  ihre  Freiheiten  eifersüchtigen  Bürger- 
schaft wenig  Vertrauen  einflössen.  Im  August  1529  zog  der 
Hauptmann,  der  im  Hof  zu  Wil  residierte,  über  40  Mann  aus 
verschiedenen  Gerichten  des  Fürstenlandes  zu  sich  in  das  Städt- 
chen, ^)  welche  da  nach  Gefallen  schalteten  und  walteten  und 
die  Amtleute  des  Abtes  verjagten.  Als  sich  Luzern  und  Schwyz 
darüber  bei  Zürich  beklagten,  liess  dieses  das  Schreiben  unbe- 
antwortet. ^)  Wann  und  ob  diese  Besatzung,  welche  Frei  zu  sich 
in  den  Hof  genommen,  entfernt  wurde,  vermochten  wir  nicht 
sicher  zu  ermitteln.  '^)  Sicher  aber  ist,  dass  gegen  Ende  des 
Jahres  1529  die  beiden  religiösen  Parteien  im  Städtchen  über 
ihre  Lage  sehr  unzufrieden  waren. 

Dies  mussten  wir  zum  bessern  Verständnis  des  nun  folgenden 
Auflaufs  in  der  Ortschaft  vorausschicken. 

Wir  erinnern  uns,  wie  zu  St.  Gallen  die  Zürcher  und  Glarner 
Boten  denjenigen  der  Gotteshausleute  auftrugen,  die  Antwort 
der  Gemeinden  auf  die  revidierten  Verfassungsartikel  nach  Wil 
zu  bringen.  ^)     Dort  befanden  sich  bereits  am  26.  Dezember  die 


')  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  146  f. 

-)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  159. 

^)  Die  zwölf  Wiler  „Zuscätzer"  (St.-A.,  Fase.  14),  welche  durch  die  IV 
Schirmorte  Ende  August  aus  dem  „Hofe"  weggewiesen  wurden  —  der  Haupt- 
mann musste  dafür  1 — 2  Wiler  Ratsmitglieder  als  Gehilfen  in  den  „Hof 
nehmen  —  gehörten  wohl  zu  jenen  40  Mann  Besatzung ;  von  den  übrigen  „Zu- 
sätzern" ist  dabei  nicht  die  Rede  (E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  173c). 

^)  S.  oben,  S.  166.  Als  Datum  dafür  gibt  der  Abschied  den  27.  Dezember  an 
(E.  A.,  IV,  1  b,  S.  474).  Damit  stimmt  aber  schlecht,  dass  die  Landsgemeinde 
zu  Waldkirch  erst  am  31.  Dezember  stattfinden  sollte  und,  wie  Kessler  (Sabb., 
S.  333  5-8)  ausdrücklich  bemerkt,  die  Boten  der  Gotteshausleute  die  Artikel 
erst  vor  diese  bringen  wollten,  bevor  sie  endgültigen  Bescheid  gäben.  Es  hilft 
uns  auch  nichts,  dass  Kessler  die  Waldkircher  Landsgemeinde  auf  den  28.  De- 
zember ansetzt.  Zudem  dürfte  dieses  Datum  unrichtig  sein.  Sicher  und  der 
Tgb. -Schreiber  Sailer  nehmen  nämlich  dafür  den  31.  Dezember  an,  und  wenn 
Kessler  berichtet,  dass  Frei  den  Sturm,  der  die  Gotteshausleute  nach  Wil  be- 
rief, am  28.  Dezember  habe  ergehen  lassen,  so  widerspricht  das  dem  authen- 
tischen  Bericht  Christian   Fridbolts  an  Vadian  (V.-B.-S.,  IV,  Nr.  588).    Dort 


171 

Boten  der  beiden  reformierten  Schirmorte  wie  auch  diejenigen 
von  Luzern  und  Schwyz.  Natürlich  hatten  letztere  längst  Kunde 
erhalten  von  den  Verhandlungen  zwischen  Zürich -Glarus  und 
den  Gotteshausleuten.  Sie  waren  daher  nach  Wil  gekommen, 
damit  nicht  in  der  Angelegenheit  „etwas  Gewaltiges"  vorge- 
nommen, sondern  zuerst  der  Rechtsweg  betreten  werde,  ^)  und 
stellten  an  Zürich  und  Glarus  die  Forderung,  dass  man  ihnen 
Einsicht  in  die  von  den  beiden  reformierten  Schirmorten  den 
Gotteshausleuten  aufgestellten  Artikel  geben  solle.  Darauf  ent- 
gegneten deren  Vertreter :  man  habe  den  Gotteshausleuten  hohe 
und  niedere  Gerichte  „aufgetan"  und  zum  Teil  mit  Stiftsleuten 
besetzt;  der  Hauptmann  solle  dabei  Obmann  und  Führer  des 
Schwertes  sein ;  die  Leibeigenschaft  und  die  unbilligen  Ehr-  und 
Erbschätze  habe  man  ihnen  erlassen,  soweit  solche  nachweislich 
seit  Menschengedenken  aufgeladen  worden ;  Luzern  und  Schwyz 
habe  man  dabei  keineswegs  ihrer  Rechte,  die  sie  am  Gotteshaus 
hätten,  entsetzt.  Nun  verlangten  die  beiden  katholischen  Orte, 
in  der  Angelegenheit  auch  mithandeln  zu  dürfen,  da  diese  noch 
nicht  definitiv  abgeschlossen  sei;  doch  als  die  Zürcher  und 
Glarner  Boten  für  diesen  Fall  von  ihnen  verlangten,  den  Abt 
nicht  mehr  „als  Herrn"  anzuerkennen,  erwiederten  sie,  davor 
möge  sie  Gott  behüten,^)  und  zogen  sich  ins  Wirtshaus,  das  neben 
der  Pfalz  lag  und  wo  sie  Aufenthalt  genommen,  zurück.  ")  Da 
brach  am  folgenden  Tag,  es  war  ein  Dienstag  und  zugleich  Wochen- 


steht  ausdrücklich,  dass  der  Sturm  erst  am  Donnerstag  (30.  Dezember)  er- 
gangen sei.  Nur  wenn  die  Landsgemeinde  der  Stiftsbauern  am  31.  und  nicht 
am  28.  Dezember  zu  Waldkirch  stattfinden  sollte,  konnte  sie  vor  die  Stadt 
Wil  verlegt  werden.  Kessler  ist  in  bezug  auf  Chronologie  hier  überhaupt  wenig 
zuverlässig.  Er  stellt  zum  Beispiel  die  Vorgänge  so  dar,  als  ob  der  Auflauf 
und  der  Sturm,  welcher  die  Gotteshausleute  vor  Wil  versammelte,  am  gleichen 
Tage  stattgefunden  hätten  (28.  Dezember),  sagt  aber  nicht,  was  die  Bauern- 
scharen bis  zum  1,  Januar  vor  Wil  zu  tun  gehabt  hätten,  da  erst  an  diesem 
Tage  die  Landsgemeinde  stattfand,  nachdem  am  31.  Dezember  die  Hauptkon- 
tingente der  Bauern  vor  Wil  eingetroffen  waren  (V.-B.-S.,  IV,  Nr.  588). 

^)  Erklärung  der  Boten  von  Luzern  und  Schwyz  auf  dem  Tag  zu  Baden. 
Januar  1530  (E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  257  a  [III). 

2)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  241. 

^)  E.-A.,  IV,  1  b,  S.  159.  Dass  sie  nicht,  wie  üblich,  bei  den  Zürchern 
und  C41arnern  in  der  Pfalz  Quartier  genommen,  ist  bei  dem  damals  äusserst  ge- 
spannten Verhältnis  zwischen  reformierten  und  katholischen  Orten  wohl  zu  ver- 
stehen. 


172 

markt  im  Städtchen,  offene  Empörung  unter  der  Wiler  Bevöl- 
kerung aus. 

Die  Berichte  darüber  sind  natürhch  sehr  widersprechend,  oft 
entgegengesetzt,  je  nachdem  sie  aus  kathohscher  oder  reformierter 
Feder  stammen.  Ob  der  Auflauf  eine  abgekartete  Sache  gewesen, 
wie  sich  des  Abtes  und  Zürichs  Anhänger  gegenseitig  vorwarfen, 
haben  wir  allerdings  nicht  ganz  sicher  ermitteln  können.  Zu  et- 
welcher  Orientierung  diene  immerhin  folgendes:  auf  der  Tagung 
zu  Luzern  (4.  bis  6.  Januar  1530),  wo  auch  Bern  und  Glarus  an- 
wesend waren,  erzählten  flüchtige  Wiler,  die  Zürcher  hätten  sich, 
bevor  der  Auflauf  stattgefunden,  in  der  Pfalz  „verbollwerkt",  so 
dass  man  einen  Plan  dahinter  vermuten  müsse.  Andere  für 
Zürich  wirklich  gravierende  Punkte  brachten  sie  nicht  vor.  ^) 
Dass  die  Zürcher  die  Pfalz  stark  befestigt,  ist  aber  bei  der  Un- 
zuverlässigkeit,  ja  Feindseligkeit  der  Mehrheit  der  Wiler  Bevöl- 
kerung gegen  sie  nicht  verwunderlich  und  braucht  durchaus 
nicht  in  dem  Sinn  ausgelegt  zu  werden,  wie  es  die  Vertriebenen 
aus  Wil  taten. 

Sehr  viel  begründeter  war  die  Anklage  der  reformierten, 
Zürich  freundlichen  Partei,  dass  von  den  Anhängern  des  Abtes 
der  Aufruhr  geplant  und  ins  Werk  gesetzt  worden  sei.  Einer 
der  eifrigsten  Verfechter  des  Abtes,  der  Hauptmann  von  Batzen- 
heid,  ^)  befand  sich,  obwohl  er  im  Toggenburg  wohnte,  an  dem 
verhängnisvollen  Dienstag  zu  Wil.  ')  Wenn  wir  auch  nicht  an- 
zunehmen brauchen,  wie  es  seine  Gegner  taten,  dass  er  der 
eigentliche  Anführer  der  Aufrührer  war,  ^)  wird  er  immerhin  nicht 
so  unschuldig  gewesen  sein,  wie  er  durch  seine  Verteidigung 
vor  den  eidgenössischen  Orten  glauben  machen  wollte. '')  Ganz 
abgesehen  von  dem  vielleicht  tendenziös  gefärbten  Zürcher  Ge- 
sandtenbericht, dass  der  Batzenheider,  von  einer  Schar  begleitet, 
mit  gezücktem  Schwert  gegen  die  Pfalz  gestürmt  sei,  um  sie 
einzunehmen,  lag  auch  eine  sehr  schwerwiegende  Zeugenaussage 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  247  m. 

^')  Der  Bruder  des  Abtes.  1534  erscheint  er  als  Landvogt  im  Toggenburg 
(St.-A.,  Bd.  104,  S.  229). 

3)  Tgb.  Sali.,  Fol.  60a. 

**)  S.  besonders  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  257  zu  a  iii,  offizieller  Bericht  Zürichs 
über  den  Auflauf;  siehe  auch  Vadian,  III,  S.  232 — 235. 

^)  St.-A.,  Bd.  101,  S.  61  f;  Bd.  221,  Fol.  173  —  176. 


173 

gegen  ihn  vor.  Ein  treuer  Anhänger  des  Abtes,  der  von  den 
Zürchern  zu  Grüningen  verhaftet  worden  war,  Hans  Pfäfferli, 
sagte  bei  seinem  Verhör  aus:  vor  acht  oder  neun  Wochen  habe 
der  Hauptmann  von  Batzenheid  in  seiner  Gegenwart  gesagt,  weil 
er,  Batzenheid,  und  sein  Bruder,  der  Abt,  in  der  Grafschaft 
Toggenburg  viele  Freunde  und  Verwandte  hätten,  so  wolle  er 
sich  auf  einen  Wochenmarkt  mit  etwa  40  Mann  nach  Wil  be- 
geben, in  die  Pfalz  eindringen  und.  die  darin  wären,  hinauswerfen.^) 
Dazu  stimmt,  was  Bullinger  in  seiner  Chronik  "^)  ausdrücklich  be- 
merkt, dass  etliche  gut  äbtisch  gesinnte  Toggen  burger  sich  in 
die  Stadt  eingeschlichen  und  mit  einigen  Wilern  zusammen  den 
Auflauf  veranstaltet  hätten.  •^)  Wenn  wir  solch  einen  planmässig 
vorbereiteten  Überfall  annehmen  wollen,  so  passt  es  sehr  gut 
dazu,  dass  schon  morgens  8  Uhr  am  Tag  des  Auflaufs  War- 
nungen, als  ob  man  die  Wiler  Pfalz  überfallen  wolle,  an  die 
Zürcher  Gesandten  nach  Wil  gekommen  waren,  und  zwar  so  oft, 
,,dass  das  Kind  uff  den  gassen  davon  seite".  ^)  Ein  so  kecker 
Handstreich  war  dem  kriegserfahrenen  Reisläufer-Hauptmann  von 
Batzenheid  wohl  zuzutrauen,  und  was  er  mit  seinem  Überfall  be- 
zweckte, sagt  uns  vielleicht  Zwingli,  wenn  er  an  die  Wiler  Ge- 
sandten am  1.  Januar  1530  berichtet:  es  sei  ihm  Nachricht  zuge- 


1)  A.-S.,  II,  1033.  Diese  Worte,  bemerkte  Pfäfferli,  habe  der  Batzenheider 
in  Gegenwart  des  Reichsvogtes,  als  er  beim  Abte  gewesen,  nach  einer  Mahlzeit 
geäussert.  Darnach  hätte  Kilian  vielleicht  von  einem  allfälligen  Plane,  dass 
sein  Bruder  die  Pfalz  überfallen  wolle,  gewusst.  Vielleicht  auf  diesen  Punkt 
beziehen  sich  auch  die  Worte,  die  Gallus  Germann  am  16.  Januar  an  Kilian, 
seinen  Bruder,  schrieb :  er  habe  dem  Hans  (Germann)  sagen  lassen,  wenn  er 
sich  wegen  des  Wiler  Auflaufs  zu  Baden  vei-antworten  wolle,  so  möge  er  das  tun, 
doch  dabei  des  Abtes  nicht  gedenken  (St.-A.,  Bd.  307,  S.  65).  Dass  Kilian  an 
dem  Aufruhr  beteiligt  gewesen,  wie  ihm  von  reformierter  Seite  offen  vorgeworfen 
wurde,  dafür  haben  wir  keine  Beweise  irgendwelcher  Art.  Doch  besagt  es  für 
die  Unschuld  des  Abtes  nichts,  wenn  der  Tgb. -Schreiber  ihn  nichts  ahnend  von 
Buchhorn  nach  Hagnau  reiten  lässt,  als  ihm  der  erste  Bericht  über  den  Auflauf 
zukommt  (Tgb.,  fol.  58  a).  Ebenso  wenig  konnte  es  den  Abt  entlasten,  wenn 
er  direkt  oder  indirekt  am  Auflauf  beteiligt  war,  dass  er  einem  Rädelsführer, 
Heinr.  Schlosser,  Wirt  zu  Rorschach,  in  einem  Schreiben  vom  7.  Februar  wegen 
dessen  Beteiligung  am  Auflauf  tüchtig  den  Text  las  (St.-A.,  Bd.  101,  S.  70—72). 

-)  IM.  II,  Nr.  333,  S.  246. 

^)  Auch  die  Zürcher  Boten  berichteten  nach  Hause,  dass  namentlich  Tog- 
genburger  unter  den  Aufruhrern  gewesen  seien  (A.-S.,  II,  1008). 

^)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  257  zu  a  in. 


174 

kommen,  dass  man  den  Bürgermeister  Eöist  —  es  war  dies  einer 
der  Zürcher  Gesandten  zu  Wil  —  samt  seinen  Mitboten  gefangen 
nehmen,  über  den  Bodensee  schleppen  und  auf  diese  Weise  einen 
für  den  Abt  günstigen  Vertrag  erhalten  wolle.  ^)  Vadian  be- 
stätigt diesen  Bericht  teilweise,  wenn  er  erzählt,  dass  die  Zürcher 
Boten  des  Abends,  wenn  sie  unbewehrt  beim  Nachtessen  sässen. 
überfallen  werden  sollten.  -)  Wenn  das  letztere  richtig  ist,  so 
wurde  der  Plan  durch  die  drei  "•)  oder  vier  Büchsenschützen  ver- 
eitelt, welche  schon  um  4  Uhr  abends  mit  „halbenn  haggen"  er- 
schienen, um  in  die  Pfalz  hinaufzugehen.  Ihr  Anblick  genügte, 
um  die  erregten  Bürger  in  Aufruhr  zu  versetzen,  und  als  gar 
ein  Wiler  *)  ihrer  gereizten  Stimmung  gegen  Zürich  Ausdruck 
verlieh,  in  dem  er  schrie :  „Lauffend  lieben  burger!  Das  mögend 
mir  nit  erliden,  das  an  züsatz  wend  inha  legen",  ■')  da  griffen 
nicht  nur  katholische,  sondern  auch  evangelische  '^)  Wiler  zu  den 
Waffen  und  schlugen  die  Büchsenschützen  wieder  zur  Stadt 
hinaus; ')   denn   man   glaubte  im  Städtchen,   die  Krieger  sollten 


1)  A.-S.,  II,  1032.  ^ 

^)  Vad.,  IIL  S.  233  24-2fi. 

3)  Tgb.  Sail.,  Fol.  58a;  Vad.  III,  S.  23327. 

"*)  Das  Tgb.  (Fol.  58  a)  erzählt,  dass  es  ein  „Luterscher"  gewesen. 

'")  Wiler  Ratsbuch. 

^)  Tgb.  Sali.,  Fol.  58  a;  Val.  Tschudi,  S.  84. 

'')  Tgb.  Sail.,  Fol.  58  b.  Die  katholikenfreundliche,  übrigens  recht  brauch- 
bare Wiler  Chronik  (jetzt  im  Besitze  der  Herren  Dr.  R.  und  E.  Bertsch,  Institut 
,,Concordia",  Zürich)  bemerkt  dazu:  ,,a*^  1530  sind  3  Züricher  am  dienstag 
nach  dem  neuen  jähr  (nach  moderner  Zeitrechnung  war  es  der  Dienstag  vor 
dem  neuen  Jahr)  mit  halben  bogen  anhero  kommen  und  zu  denen  Soldaten  in 
hoff  gangen.  Die  lutherische  bürger  zu  Wyl  wüsten  nicht,  was  dies  bedeutten 
sollte.  Sie  schryen  überlut :  —  „Wehren!  Wehren!  liebe  bürger,  damit  wir 
nicht  überladen  werden " ,  worauf  die  katholischen  und  lutherischen  bürger  zu- 
sammen geloflPen  und  haben  diese  3  Züricher  hoggenschüzen  zur  statt  hinaus 
gejagt." 

Das  Tgb.  Sail.  berichtet  (Fol.  58  a),  ,,das  dry  von  Zürich  mit  halbenn 
haggen  zu  Wyl  statt  uff  gangen  wären  unnd  inn  hof  daselbs  inn  zusatz  wellenn 
gon,  unnd  wie  nun  semlichs  von  den  burgern  zu  Wyl  ersechen  worden,  sige 
ainer  der  luterschen  fürhin  gewüschst  unnd  gschruwen :  ,,Werent,  liebenn 
burger,  werent,  darmit  der  hof  nit  dermassen  bsetzt  unnd  wir  mit  ainem  sölichen 
züsatz  nit  überladen  werdint",  mit  derglichen  mer  Worten.  In  dem  syen  ettlich 
des  nüwen  und  alten  gloubens  zugfaren,  dieselbigen  dry  Zürcher  mit  gwalt 
widerumb  hinder  sich  zurr  statt  uss  gschlagen  unnd  triben.  Und  wie  also  sem- 
lichs die  hotten  baider  Ordten,  Zürich  und  Glarus,   so  dann  im  hof  warennt. 


175 

dem  Hauptmann  die  Bürger  bevogtigen  helfen.  Gleichzeitig  fand 
auch  der  Angriff  auf  die  Pfalz  statt,  ^)  unter  Führung  Batzen- 
heiders.  wie  der  Zürcher  Bericht  meldet.  War  wirkhch  Hans 
Germann  der  Anführer  dieser  Schar,  so  müssen  wir  annehmen, 
dass  er,  durch  die  Verhältnisse  bewogen,  seinen,  laut  Vadian, 
auf  den  Abend  geplanten  Handstreich  jetzt  schon  ausführen 
wollte.  Allein  dieser  schlug  gänzlich  fehl,  ^)  und  es  gelang  den 
Ammännern  Rüdlinger  und  Künzli  aus  dem  Toggenburg,  die 
Aufrührer  einstweilen  zur  Ruhe  zu  bringen.  ■'')  Doch  standen 
die  Boten  in  der  Pfalz  weiter  in  Gefahr,  ^)  indem  das  Haus  vom 
28.  auf  den  29.  beständig  umlagert  wurde.  Nach  Vadian  wurde 
der  Hof  am  29.  Dezember  „mit  grossem  hoch"  von  den  Auf- 
rührern aufs  neue  bestürmt,  ■')  wobei,  wie  am  Tage  vorher,  die 
Luzerner  und  Schwyzer  Boten  eine  verdächtige  Rolle  spielten. 
Diese  Boten  „trj^bend  .  .  .  seltzam  sp}^",  berichtete  der  St.  Galler 
Bürgermeister  von  Rickenbach  aus  an  seine  Obern,  ^)  und  Bul- 
linger  sagt,  sie  hätten  sich  bei  dem  Auflauf  so  benommen,  dass 
sie  bei  vielen  Leuten  in  Verdacht  gekommen  seien,  „als  ob  der 
uffrür  inen  kein  undienst"  wäre.  ')  Noch  am  Donnerstag  glaubte 
Frei,   einen  „Sturm"  durch   die   äbtischen  Lande  ergehen  lassen 


vernomen  und  ersechenn,  ouch  den  hof  zu  voi'an  allennthalbenn  verspeert  unnd 
verbolwerchet  hatten,  do  rüst  der  hoptman  Jacob  Fiy  durch  ain  haimliche 
unnd  faltsche  jjratick  zu  unnd  liess  die  nechsten  puren  schnelleklich  für  statt 
beruften  und  inen  anzaigen,  si  soltint  komen  und  denen  von  Wyl  helffen,  dann 
sy  hettint  den  hoff  zi^i  ir  und  gmainer  gotzhuslüten  hannden  ingenomen,  mit  der- 
glichen  unwarhafften  redenn." 

^)  Vad.,  III,  S.  233  26.  Die  Zeitangabe  Vadians  stimmt  ungefähr  mit  der 
des  Zürcher  Berichts  überein. 

-)  S.  E.  Götzinger:  Die  Reformation  der  Stadt  Wil  (St.  Galler  Mitteilungen 
Bd.  14),  S.  159—165. 

3)  Bull.,  II,  Nr.  233,  S.  246;  Vad.,  III,  S.  233  3«  ff. 

^)  A.-S.,  II,  1008. 

5)  Vad.,  III,  S.  234  t. 

6)  V.-B.-S.,  IV,  Nr.  587. 

'')  Bull.,  II,  Nr.  333.  Dazu  lauten  gewisse  Zeugenaussagen  —  in  den  wegen 
des  Auflaufs  angestrengten  Prozessen  —  für  die  Boten  der  beiden  Orte  so,  dass 
man  daraus  schliessen  könnte,  die  katholischen  Gesandten  hätten  die  Wiler 
direkt  zur  Einnahme  der  Pfalz  aufgefordert  (A.-S.,  II,  1058).  S.  besonders 
Nr.  7,  Zeugenaussage  des  Melchior  Huber,  nach  welchem  die  beiden  katholi- 
schen Boten  den  Wilern  zuriefen  :....„  Wo  wott  das  recht  sin,  dass  die  zwai 
Ort  da  obnen  ligend  V  luogend,  dass  sy  abi  kemind." 


176 

zu  müssen.  ^)  Bereits  hatte  sich  der  Hauptmann  für  diesen  Fall 
mit  den  Bauern,  die  sich  vor  den  verschlossenen  Stadttoren  an- 
gesammelt, über  ein  Zeichen  verständigt.  ^)  Die  Reformierten 
gaben  an,  Frei  habe  dies  getan,  weil  ihm  am  Donnerstag  Bericht 
zugekommen,  dass  der  Hauptmann  von  Batzenheid,  welchem  es 
gelungen  war,  aus  Wil  zu  entkommen,  mit  1000  Mann  gegen  die 
Pfalz  heranrücke.  ^)  Nun  sollte  aber  am  Silvester  jene  mehrfach 
erwähnte  Landsgemeinde  der  Gotteshausleute  in  Waldkirch  zur 
Entscheidung  über  die  Artikel  der  von  Zürich  entworfenen  Ver- 
fassung stattfinden,  und  dorthin  waren  auch  die  Boten  von  Luzern 
und  Schwyz  abgeordnet,  um  die  Annahme  der  Verfassung  durch 
die  Gotteshausleute  zu  verhindern.  Mit  auffallender  Bestimmtheit 
erklärt  da  der  sonst  in  seinem  Urteil  recht  vorsichtige  Tagebuch- 
schreiber des  Abtes,  Frei  habe  „allain  desshalb"  den  Sturm  er- 
gehen lassen,  „darmit  die  lanntzgmaind"  zu  Waldkirch  „nitghalten 
wurd."  ^)  Doch  sei  dem,  wie  ihm  wolle;  jedenfalls  hatte  Frei 
seinen  Zweck  erreicht;  denn  auf  sein  Alarmzeichen  eilten  die 
Gotteshausbauern  von  allen  Seiten  in  Scharen  herbei,  so  dass 
schon  am  Silvesterabend  gegen  4000  Mann  vor  dem  Städtchen 
versammelt  waren,  ^)  und  bereits  hatte  auch  der  Vogt  von  Kiburg 
auf  die  Aufforderung  Freis  die  nötigen  Massregeln  getroffen, 
um  unter  Umständen  mit  Heeresmacht  nach  Wil  zu  marschieren. 
Die  Thurgauer  hatten  sich  auf  die  Anfrage  Zürichs  bereit  er- 
klärt, nötigenfalls  mit  3 — 4000  Mann  zuzuziehen.  ^) 

1)  V.-B.-S.,  IV,  Nr.  588.  Bericht  Christian  Fridbolts  an  Vadian,  dat.  d. 
1,  Januar  1530. 

-)  Vad.,  III,  S.  234  8  ;  Sabb  ,  S.  334  lö/io.  Der  wegen  angeblicher  Teil- 
nahme am  Aufruhr  verhaftete  „Wiler  Kanzler",  Heinrich  Grossmann,  berichtete 
am  18.  März  seinem  Herrn,  dem  Abt:  als  er  gefangen  gelegen,  hätten  sich 
Jakob  Werdmüller  und  andere  vor  ihm  gerühmt,  dass  sie  mit  den  Bauern  der 
Nachbarschaft  verabredet,  wenn  die  Zürcher  aus  der  Pfalz  ,_,fürr  uss  werffind" 
und  ,,schüsind",  so  sollten  die  Bauern  allenthalben  stürmen  und  der  Stadt  Wil 
zulaufen  (Wiler  Ratsbuch). 

^)  Pridbolt  an  Vadian,  s.  oben  Anm.  1  ;  Zürichs  Bericht  über  den  Wiler 
Auflauf,  s.  Anmerkung  4  auf  S.  172. 

■*)  Tgb.  Sail.,  Fol.  59  a.  Dagegen  bemerkt  Sicher  (II,  S.  255),  was  uns 
am  glaublichsten  vorkommt :  da  man  durch  das  Zuströmen  der  Bauern 
vor  Wil  am  Donnerstag  die  auf  den  folgenden  Tag  angesetzte  Landsgemeinde 
zu  Waldkirch  ,,nit  mer  mocht  ze  weg  bringen",  so  habe  man  sie  nach  Wil  ver- 
legt und  den  Sturm  ,,noch  witer  gon"  lassen. 

'')  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  241  zu  1  4. 

«)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  241  zu  1  2,  1. 


177 

Doch  die  drohenden  Ansammhingen  der  Gotteshausleute  vor 
dem  Städtchen  genügten,  dass  die  Wiler  den  von  allen  Seiten 
herbeieilenden  Vermittlern  Gehör  schenkten.  Dabei  trat  der 
Hass  der  Gotteshausbauern  gegen  die  Bürger  recht  charakteristisch 
zutage,  indem  sie  verlangten,  dass  die  Stadttore  niedergerissen 
werden  sollten;  aber  sie  begnügten  sich  schliesslich  damit,  dass 
sie  in  bestimmter  kleiner  Anzahl,  zu  fünf  oder  sieben,  jederzeit 
bei  Tag  oder  Nacht  Einlass  in  die  Stadt  verlangen  durften.  Zürich 
nützte  die  böse  Lage  der  Wiler  gehörig  aus;  sie  mussten  ihm 
versprechen,  den  Rat  neu  zu  besetzen,  natürlich  nur  mit  Leuten, 
welche  dem  Evangelium  günstig  gesinnt  waren.  Offenbar  gegen 
die  Stadtrechte,  hatte  Zürich  auch  verlangt,  die  Hauptschuldigen, 
soweit  sie  nicht  geflohen  waren,  im  Städtchen  verhaften  zu  dürfen; 
die  Wiler  waren  darüber  „ser  übel  erschrogkenn"  und  schlugen 
diese  Forderung  dreimal  ab,  bis  Frei,  nachdem  er  sich  mit  den 
Bauern  verständigt,  Gesandte  von  Wil  vor  das  Tor  berief  und 
die  Antwort  ja  oder  nein  verlangte  auf  seine  Frage,  ob  die  Bürger 
der  Aufforderung  Zürichs  Folge  leisten  wollten,  worauf  die  Wiler 
der  Gewalt  nachgaben.  ^)  So  bekam  Zürich  einige  der  treuesten 
Anhänger  des  Abtes,  darunter  den  Hofammann  Lienhard  Schulder, 
den  ,, Wiler  kanzler"  Heinrich  Grossmann  und  andere,  in  seine 
Gewalt ;  es  gelang  ihm  aber  nicht,  nennenswerte,  für  den  Abt 
belastende  Aussagen  von  den  Gefangenen  zu  erpressen,  trotzdem 
die  Folter  nicht  gespart  wurde.-)  Um  einer  ähnlichen  Behandlung 
zu  entgehen,  war  eine  ganze  Anzahl  mehr  oder  weniger  kom- 
promittierter Wiler  entflohen  und  vermochte,  trotz  aller  Vorstel- 
lungen und  Bitten  auf  Tagsatzungen  und  bei  einzelnen  Orten, 
und  trotzdem  sich  die  katholischen  Stände  eifrig  für  sie  ver- 
wandten, erst  nach  Abschluss  des  H.  Kappeier  Landfriedens  wieder 
zu  Haus  und  Hof,  Weib  und  Kind  zu  gelangen.  Als  das  aber 
geschehen  war,  kehrten  sie  den  Spiess  um,  indem  nun  die  ehe- 
maligen „Banditen"  noch  1534  die  vier  Jahre  früher  am  Staats- 
ruder stehenden  Wiler  Bürger  mit  Schadenersatzforderungen  in 
Angst  und  Schrecken  jagten.  ^) 


^)  St.-A,   Bd.  307,  S.  127,  Schreiben  Grossmanns  an  Kilian,    dat.  d.  18. 
März  1530. 

^)  So  wurde  Grossmann  acht  Mal  am  Folterseil  aufgezogen  (ibid.). 
3)  St.-A.,  Fase.  16. 

St.  Galler  Mittlgn.  z.  vaterläiid.  Gesch.  XXXIII.  12 


178 

Der  Schaden,  den  die  Wiler  beim  Auflauf,  vor  allem  ausser- 
halb der  Stadttore  an  ihren  Reben,  durch  die  feindlichen  Gottes- 
hausbauern erlitten  hatten,  belief  sich  in  die  Tausende  von  Gulden.') 
Es  war  eine  recht  „wüsti  kilwy"  gewesen.  Immerhin  wusste 
sich  der  neue  Rat  teilweise  aus  der  Finanzmisere  in  der  Weise 
zu  helfen,  dass  er  die  Schuldigen  mit  schweren  Geldbussen  be- 
strafte oder  ihnen,  wie  dem  Hans  Grütter  „und  den  andern",  Hab 
und  Gut  konfiszierte;  ferner  beschloss  er  am  7.  Januar  1530, 
den  „kirchenplunder"  noch  am  gleichen  Tage  zu  verkaufen  und 
den  Erlös  in  erster  Linie  an  die  beim  Auflauf  erwachsenen  Kosten 
zu  verwenden.  -) 

Der  Auflauf  aber  hatte  weit  und  breit  das  grösste  Aufsehen 
erregt.  Selbst  die  kühlen  Berner  Staatsmänner  befürchteten,  wohl 
nicht  mit  Unrecht,  von  ihm  das  Schlimmste :  den  Ausbruch  eines 
neuen  Bürgerkrieges.  •') 


C.  Absehluss  der  Verfassung- für  die  fürstäbtisehe  Landschaft. 

Am  1.  Januar^)  1530  fand  vor  dem  Städtchen  Wil  jene  Lands- 
gemeinde der  Gotteshausleute  statt,  welche  zu  Waldkirch  hätte  ab- 
gehalten werden  sollen.  Die  Sthnmung  der  Bauern  war  für  Zürich 
günstig.  Trotz  der  Versprechungen  des  Schwyzer  Gesandten,  Vogt 
Stalder  im  Namen  seiner  Obrigkeit  und  der  Luzerner,  „wan  Zürich 
und  Glaris  in  an  schüch  gebe,  wellen  sy  in  zwen  geben ",^)  entschloss 
sich  die  Landsgemeinde  kurz,  die  Artikel  des  Verfassungsent- 
wurfes so,  „wy  S}^  gesteh"  worden,  anzunehmen.*^)  Darauf  wurde 
verabschiedet,  wenn  diese  Artikel  erläutert  und  mit  Brief  und 
Siegel  bekräftigt  seien,  so  wollten  die  Gotteshausleute  dem  Haupt- 
mann den  schuldigen  Eid  ablegen  und  er  solle  ihn  entgegen- 
nehmen. Wenn  dann  die  Gotteshausleute  weiter  erklärten,  dem 
Abte  gehorsam   sein   zu  wollen,   falls    er   seinen  Stand   aus   der 


1)  V.-B.-S.,  IV,  Nr.  589. 

-)  Wiler  Ratsbuch. 

^)  Charakteristiscli  ist  dafür  das  ernste  Schreiben,  das  Bern  wegen  des 
Auflaufs  an  Luzern  und  Schwyz  richtete.  Bei  Strickler  (II,  1016)  leider  nur 
im  Auszuge  wiedergegeben. 

4)  V.-B.-S.,  IV,  588. 

")  Ibid.,  s.  dazu  Sicher,  I,  S.  122. 

«)  Sabb..  S.  334  24-31 ;  A.-S.,  11,  1025  :  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  245  Note  2,  i. 


179 

Bibel  begründen  und  beweisen  könne,  dass  er  ein  Regent  oder 
ein  regierender  Herr  sein  solle,  so  klang  das  schon  mehr  wie 
blutige  Ironie.  ^) 

Doch  waren  darum  die  Verhältnisse  im  Fürstenland  für 
Zürich  noch  keineswegs  befriedigend;  ^)  denn  immer  noch  machte 
sich  unter  den  Stiftsbauern  eine  ansehnliche  äbtische  Partei  be- 
merkbar, die  Zürichs  Plänen  energisch  entgegenarbeitete.  Zudem 
hatten  sich  die  Gotteshausleute  noch  immer  nicht  damit  befreunden 
können,  dass  Zürich  den  Steuerbezüger  aus  der  Stadt  St.  Gallen 
genommen  hatte,  besonders  da  zu  dieser  Zeit  das  Verhältnis  der 
Bauern  zur  Stadt  St.  Gallen  ein  sehr  gespanntes  war.  Als  z.  B. 
Ende  Dezember  wegen  der  Wiler  Vorgänge  der  Sturm  durch  die 
Landschaft  ging,  glaubten  die  Bürger  St.  Gallens,  „dass  man  filicht 
etwas  gegen  inen  und  gemainer  stat  fürgenommen  hett",  und 
der  Rat  stellte  Wachen  aus.  •^)  Die  Bauern  machten  auch  ihrem 
Unmut  über  den  Steuerbezüger,  weil  er  nicht  einer  von  ihnen  sei, 
Luft,  indem  sie  ihm  die  Entrichtung  der  Abgaben  verweigerten,^) 
sodass  Frei  an  die  Zürcher  berichten  musste,  es  sei  hohe  Zeit, 
einmal  Ordnung  zu  schaffen. '') 

Die  Gotteshausleute  bemühten  sich  auch  fortwährend,  über 
den  von  ihnen  angenommenen  Verfassungsentwurf  hinaus  weitere 
Zugeständnisse  zu  eriialten.  Im  Februar  d.  J.  erschien  ihre  Bot- 
schaft in  Zürich,  um  anzubringen,  dass  man  doch  dem  Einzüger 
aus  der  Stadt  St.  Gallen,  auch  Statthalter  genannt,  einen  Mann 
vom  Land  als  Gehülfen  beigeben  möchte,  in  der  Weise,  dass 
der  Statthalter  alle  Geschäfte  in  der  Stadt  und  innerhalb  der  vier 
Kreuze,  sein  Gehülfe  aber  diejenigen  auf  dem  Lande  zu  verrichten 
hätte ;  ferner  möchte  Zürich  den  Gotteshausleuten  gestatten,  Hoch- 
gericht zu  halten,  und  die  Eidesformeln  aufstellen  für  die  Ablegung 
des  Schwures,  den  sie  dem  Hauptmann  zu  leisten  hätten  und  er 
ihnen  etc.  Doch  Zürich  erklärte:  man  habe  es  bis  zum  nächsten 
Badener  Tag  in  der  äbtischen  Sache  stillstehen  heissen;  die 
Gotteshausleute  möchten  also  erst  diesen  Tag  abwarten;  sollten 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  245 ij. 

^)  Am  17.  Januar  15-30  hatte   ein  Gönner  dem  Abt  geschrieben,  es  gehe 
im  Fürstenland  „wellen  wäg  es  welli"  (St.-A..  Bd.  307,  S.  71). 
=»)  Vad.,  III,  S.  235  14-22. 
4)  A.-S.,  II,  1108. 
'">)  A.-S.,  11,  1129,  12.  Februar. 


180 

dann  Liizern  und  Schwyz  sich  nicht  bereit  finden  lassen,  mit 
Zürich  und  Glarus  ihnen  zu  helfen,  so  werde  man  den  beiden 
katholischen  Ständen  bestimmt  erklären,  dass  die  zwei  reformierten 
entschlossen  seien,  den  Stiftsleuten  ihre  Zusage  zu  halten  und 
ihnen  Gericht,  Recht  und  andere  notwendige  Ordnungen  auf- 
zurichten. ^) 

Doch  der  Badener  Tag,  Mitte  Februar,  brachte  keine  Einigung 
zwischen  Zürich-Glarus  und  Luzern-Schwyz,  weshalb  Frei  an 
seine  Obrigkeit  schrieb:  man  möge  nun  unverzüglich  die  Hoch- 
gerichte im  Fürstenlande  aufstellen  und  auch  sonst  die  Sache  der 
Gotteshausleute  energisch  betreiben;  denn  es  entrichte  niemand 
Zinsen,  Renten  und  Gülten  und  herrsche  eine  solche  „allgemeine 
Ungebundenheit",  dass  er  das  nicht  mehr  länger  dulden  noch 
verantworten  könne.-)  Aber  die  Erledigung  der  Angelegenheit 
verzog  sich  noch  weiter.  Die  Gotteshausleute,  die  am  31,  März  in 
Zürich  dringend  baten,  die  vereinbarten  Artikel  in  Kraft  treten 
zu  lassen,  erhielten  ausweichende  Antwort:  man  habe  den  Ab- 
schied vom  letzten  Badener  Tage  (21.  März  f.)  noch  nicht  erhalten; 
sobald  man  dessen  Inhalt  kenne,  werde  man  mit  Glarus  über  die 
eben  angebrachte  Bitte  des  Fürstenlandes  beraten.  ■^) 

Immerhin  fand  Zürich  gut,  die  Aufrichtung  der  Verfassung 
für  die  Gotteshausleute  zu  beschleunigen,  besonders  da  von  Seiten 
der  Anhänger  Kiliaws  eifrig  für  dessen  Sache  gearbeitet  wurde. 
Namentlich  war  Jakob  Krumm  zu  Waldegg  ^)  fortwährend  für 
den  Abt  tätig.  Er  hatte  zwölf  diesem  günstig  gesinnten  Männern 
aus  den  „Geginen"  Tablat,  Straubenzell,  Geiserwald,  Rotmonten 
und  Mörswil  den  Verlauf  des  letzten  Badener  Tags,  auf  dem  der 
Abt  verhört  worden  war,  ^)  durch  Verlesen  von  Kopien  des  Ab- 
schieds angezeigt  und  wohl  dabei  den  Tag  als  für  den  Abt  günstig 
verlaufen  hingestellt;  denn  die  Bauern  äusserten  ihre  Freude  über 
den  Bericht  und  erklärten,  sie  wollten  das  Gehörte  ihren  Ge- 
meinden mitteilen  und  hofften,  soviel  zustande  zu  bringen,  dass 
.,die  gwaltigen,   so  bisshar  das  redli  triben",  in  ihrem  Beginnen 


1)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  270. 

2)  A.-S.,  II,  1143. 

3)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  293. 

^)  In  der  ,,Gegni"  Straubenzell  gelegen. 

^)  Es  war  der  28.  März,  der  IL  Verhörtag  des  Abtes,  s.  oben,  S.  139  ff. 


181 

still  gestellt  würden.  ^)  Der  Konvent  Abt  Kilians  gab  darauf  dem 
Junker  Krumm  weitere  Verhaltungsmassregeln:  er  möge  den 
Gotteshausleuten  vorstellen,  dass  die  Konventherren,  indem  sie 
nach  dem  Tode  des  Abtes  Franz  einen  neuen  Klostervorsteher 
wählten,  „die  armen  gotzhuslüt  mer  dan  sich  selbs  betrachtet" ;  denn 
es  sei  offen  geredet  worden,  Franz  Geissberg  solle  der  letzte  Abt 
sein,  und  die  frommen  Gotteshausleute  sollten  durch  fremde  Herren 
„beherschet  und  bevogtet"  werden ;  Kilian  aber  wolle  so  regieren, 
dass  wenig  über  ihn  zu  klagen  sein  werde.  Die  Gotteshausleute 
möchten  ferner  bedenken,  dass  die  Zürcher  und  Glarner  „mittler  zyt, 
so  es  zu  fällen  kompt,  uss  diser  sach  schloiffen",  die  armen 
Gotteshausleute  im  Stiche  lassen  und  alle  Schuld  auf  sie  werfen 
würden  „gantz  unangesechen  irs  vilfaltigen  züsagens,  dem  sy 
dann  warlichen  nit  nachkomen  und  gnügthün  werden  mögen."  -) 

So  tagten  denn  am  16.  und  17.  Mai  1530  Zürich  und  Glarus 
zu  St.  Gallen  mit  den  Gotteshausleuten,  um  die  letzten  Anord- 
nungen zum  Abschluss  der  neuen  Verfassung  zu  treffen,  wobei 
sich  die  beiden  Orte  auf  die  Bitten  der  Stiftsleute,  um  sie  willig 
zu  machen,  noch  zu  verschiedenen  Zugeständnissen  verstanden; 
so  sollte  auch  ihnen  ein  Urbar  eingehändigt  werden.  Zahlreiche 
verhängte  Bussen  wurden  erlassen.  Namentlich  aber  gaben  die 
beiden  Orte  in  Betreff  des  Einzügers  nach,  indem  „bis  auf  weiteres" 
Hieronymus  Schowinger  von  Gossau  das  Einzügeramt  bekleiden 
sollte.  Statthalter  Studer  war  damit  im  Grunde  genommen  seines 
Amtes  entsetzt,  wenn  auch  weiter  bestimmt  wurde,  dass  er  „mitt- 
lerzeit",  -  d.  h.  wohl  bis  man  sich  mit  der  Stadt  St.  Gallen  über 
den  „Platz"  des  Klosters  u.  a.  geeinigt  hätte,  -  „im  Amte"  bleiben, 
die  Haushaltung  versehen  und  alle  Dinge  in  Ordnung  bringen  solle. 

Alle  Artikel  in  ihrer  jetzigen  Form  hatten  die  Gesandten  des 
Fürstenlandes  nochmals  an  ihre  Gemeinden  zu  bringen;  am  24. 
Mai  sollte  der  Hauptmann  vor  der  Landsgemeindo  zu  Lömmiswil 
erscheinen  und  der  Landrat  besetzt;  am  darauffolgenden  Tag 
durch  die  Gotteshausleute  in  St.  Gallen  Antwort  darüber  erteilt 
werden,  ob  sie  die  Artikel  annehmen  wollten  oder  nicht,  und 
wer  von  ihnen  zu  siegeln  habe;  dann  sollten  Tag,  Ort  und  Form 
der  Beschwörung  bestimmt  werden.") 


1)  Tgb.  Sail.,  Fol.  106  a. 

2)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  219—221,  22.  April. 

3)  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  323  a,  b,  c. 


182 

Da  die  Landsgemeinde  der  Gotteshausleute  am  24.  Mai  zu  den 
Artikeln  ihre  Zustimmung  gab,  konnte  schon  am  folgenden  Tag, 
Mittwoch  den  25,  Mai,  der  „Vertrag  der  Schirmorte  Zürich  und 
Glarus  mit  den  Gotteshausleuten  der  Landschaft  St.  Gallen  über 
eine  neue  Verfassung"  aufgerichtet  werden.  ^) 

Einige  einleitende  Bemerkungen  in  der  Urkunde  sollten  über 
die  Ursachen  orientieren,  welche  zur  Aufrichtung  des  nachstehen- 
den Vertrages  geführt  hätten :  die  Gotteshausleute  seien  von  den 
Äbten  hart  regiert  und  namentlich  vom  angenommenen  Evan- 
gelium „erbärmklich"  gedrängt  worden;  zudem  sei  es  wider 
Gotteswort,  dass  ein  Geistlicher  sie  beherrsche.  Sie  hätten  darum 
beschlossen,  sich  „solicher  lestiger,  ungöttlicher  und  unträglicher 
regierung  ußzeziechen" ;  habe  doch  Abt  Kilian  seinen  Mönchs- 
stand und  seine  Regierung  mit  der  heiligen  Schrift  nicht  nur  nicht 
bewiesen,  sondern  sei  sogar  mit  des  Gotteshauses  Habe  aus  dem 
Lande  geflohen,  weshalb  Zürich  und  Glarus  den  Gotteshausleuten 
auf  deren  Bitte  folgende  Artikel  aufgestellt  hätten,  doch  blos 
„unz  zu  wyterer  versechung"  und  bis  die  vier  Orte  miteinander 
besser  einig  seien.  Das  Ganze  hatte  also  nur  provisorischen 
Charakter. 

Der  Inhalt  der  einzelnen  Artikel  der  Verfassung  zeigt  uns, 
dass  Zürich  an  der  machtvollen  Position  des  Schirmhauptmanns, 
wie  sie  der  Entwurf  vorgesehen,  durchaus  festgehalten  hatte, 
wenn  es  sich  auch  manche  Einschränkungen  im  Einzelnen  ge- 
fallen lassen  musste. 

Der  Hauptmann  soll  „in  des  Gotzhus  und  aller  desselben 
landschaft  nun  hinfür  das  oberist  houpt  sin  und  heissen,  .  .  .  uff 
den  alle  landschaft  ir  ufsechen  und  Zuflucht  hat" ;  keine  Amts- 
person darf  „on  sin  vorwissen  und  gehäll"  eine  „dapfere  oder 
wichtige  sach"  unternehmen.  So  heisst  es  gleich  am  Anfang; 
dann  wird  auf  die  einzelnen  Artikel  eingetreten :  dem  Schirm- 
hauptmann sollen  auch  alljährlich  Geginen  und  Gemeinden  im 
Namen  der  Obrigkeit  schwören ;  die  Landräte,  Gerichtsammänner 
und  andere  hohe  und  niedere  Richter  sollen  sich  ihm  gegenüber 
eidlich  verpflichten,  unparteiisch  zu  richten,  Nutz  und  Ehre  der 
Gotteshauslandschaft  zu  fördern  und  dem  Hauptmann  „in  zym- 
lichen,  billichen  dingen"  gehorsam  zu   sein.    Zugleich  sollen   sie 


1)  E.  A.,  IV,  Ib,  Beilage  12,  S.  1493  ff. 


183 

auch  schwören,  den  vier  Schirmorten  getreuUch  zu  leisten,  was  sie 
schuldig  sind,  und  sollen  sich  eidlich  verpflichten,  das  Gotteswort 
zu  handhaben.  Diese  Bestimmung  gilt  auch  für  die  von  den  Ge- 
meinden gewählten  Gerichtsammänner;  wenn  diese  dem  Gottes- 
wort nicht  hold  sind,  kann  sie  der  Hauptmann  entsetzen.  Das 
bedingt  aber  von  selbst,  dass  dieser  „evangelischer  leer  und  war- 
heit  günstig  und  nit  ze wider  sige";  sonst  brauchen  die  Gottes- 
hausleute ihm  nicht  zu  huldigen.  Der  Hauptmann  soll  darum,  so- 
bald er  aufgeritten  ist,  den  Gotteshausleuten  schwören,  „dass  er 
sy  by  göttlichem  wort  und  irem  cristenlichen  ansechen  beliben 
lassen"  will.  Mit  dem  Hauptmann  zusammen  bilden  zwölf  Land- 
räte die  eigentliche  Regierung;  ein  Drittel  von  ihnen  ernennt 
der  Hauptmann,  die  übrigen  zwei  Drittel  die  Gotteshausleute.  ^) 
Auch  diese  Räte  müssen  dem  Evangelium  günstig  gesinnt  sein. 
In  Gegenwart  der  zwölf  haben  die  Beamten  der  alten  Land- 
schaft dem  Hauptmann  Rechnung  über  ihre  Amtsführung  abzu- 
legen, und  er  darf  keinen  Amtmann  einsetzen  oder  entsetzen 
ohne  Wissen  und  Willen  mindestens  der  Mehrheit  seiner  Land- 
räte, ausgenommen  Vögte,  Statthalter  und  Einzüger,  deren  Er- 
nennung und  Absetzung  dem  Hauptmann  im  Namen  der  vier 
Orte  vorbehalten  bleibt.  -) 

Im  Gerichtswesen  sollte  es  in  Zukunft  folgendermassen  ge- 
halten werden:  die  niedern  Gerichte  besetzen  die  Gemeinden  mit 
evangelisch  gesinnten  Männern ;  beim  Hochgericht  vertritt  der 
Hauptmann  die  Stelle  des  Reichsvogtes;  doch  darf  er  keinen 
Angeklagten  „peinlich"  verhören  ohne  Rat  und  Wissen  des  Land- 
rates. Gibt  ein  Gefangener,  der  vors  Malefizgericht  gehört,  ge- 
nügende Bürgschaft,  dass  er  sich  auf  Verlangen  dem  Gerichte 
stellen  werde,  so  muss  der  Hauptmann  ihn  freilassen.  Im  übrigen 
sollen  die  Hochgerichte  „wie  von  altem  här"  gebraucht  und  auch 


^)  Noch  kurz  vor  dem  Abschhiss  der  Verfassung  hatten  die  beiden  Orte 
einen  ihnen  passierten,  eigentümlichen  Lapsus  korrigieren  müssen.  Im  Entwurf 
(Nr.  4)  hatte  es  nämlich  wegen  der  Wahl  der  Landräte  geheissen,  dass  die  Ge- 
meinden dem  Hauptmann  zwölf  Männer  vorzuschlagen  hätten,  aus  welchen  die 
Gotteshausleute  acht  und  er  vier  nehmen  sollte,  was  auf  eine  Wahl  des  Land- 
rates allein  durch  die  Stiftsbauern  herausgekommen  wäre.  Die  Zürcher  und 
Glarner  Boten  erklärten  darauf  den  Stiftsleuten,  es  hätte  heissen  sollen,  dass 
die  Gotteshausleute  acht  Räte  zu  wählen  hätten  und  der  Haui^tmann  vier. 

^)  Dazu  gehören  wohl  auch  die  Gerichtsammänner. 


184 

an  den  herkömmlichen  Gerichtsstätten  gehalten  werden.  Im  Appel- 
lationsgericht sollen  sitzen:  1.  der  Hauptmann  als  Oberrichter; 
doch  kann  er,  wie  im  Hochgericht,  einen  Stellvertreter  aus  seinen 
Räten  ernennen;  2.  die  Hälfte  der  Landräte,  und  zwar  sollen 
von  diesen  sechs  Mitrichtern  vier  von  den  Gotteshausleuten, 
zwei  vom  Hauptmann  gewählt  sein;  nach  einem  halben  Jahr 
müssen  sie  mit  den  sechs  übrigen  Landräten  abwechseln;  doch 
sollen  vorderhand  alle  zwölf  Landräte  Appellationsrichter  sein,  bis 
die  Zahl  der  Geschäfte  geringer  wird.  Was  von  diesem  Gerichte 
anerkannt  wird,  darf  nicht  angefochten  werden.  Die  Appellations- 
richter erhalten  an  den  Tagen,  da  sie  zu  Gericht  sitzen  müssen, 
vom  Hauptmann  Speise  und  Trank  für  sich  und  ihre  Pferde  und 
jeder  zwei  Batzen  Taggeld;  beim  Hochgericht  sollen  sie  sich  mit 
der  „spisung"  begnügen. 

Den  Gemeinden  wird  freie  Pfarrwahl  zwar  zugestanden;  doch 
sollen  die  Geistlichen  vorher  durch  Schriftgelehrte  zu  Zürich, 
Konstanz  oder  St.  Gallen  geprüft  werden.  Es  darf  auch  kein 
Prädikant  von  Seiten  seiner  Gemeinde  von  seiner  Pfründe  „ver- 
schupft" werden,  wenn  nicht  der  Hauptmann  und  mindestens  die 
Mehrheit  der  Landräte  dafür  ist;  anderseits  muss  der  Pfarrer  auch 
dem  Herrn  der  betreffenden  Pfründe  genehm  sein. 

Vergleichen  wir  den  angenommenen  Vertrag  mit  dem  ersten 
den  Gotteshausleuten  vorgeschlagenen  Entwurf,  so  ist  zu  sagen, 
dass  von  den  15  Artikeln  des  letztern  nur  Artikel  11—15  unver- 
ändert geblieben  waren,  die  bestimmten,  dass  Zinsen  und  Zehnten, 
mit  Ausnahme  der  erlassenen  „ungöttlichen  Beschwerden",  von 
den  Gotteshausleuten  auch  weiterhin  entrichtet  werden  sollten 
zur  Bestreitung  des  Staatshaushaltes,  wozu  auch  die  Armenver- 
sorgung gehörte;  ferner,  dass  dem  Hauptmann  und  seinen  Räten 
die  Entscheidung  über  Bezahlung  von  Ehrschätzen,  welche  will- 
kürlich von  den  Äbten  auf  Schupposen  gelegt  worden  waren, 
überlassen  werden  sollte;  endlich,  dass  die  Gotteshausleute  Jahr- 
zeiten und  Kirchengüter  angreifen  dürften,  doch  darüber  dem 
Hauptmann  und  seinen  Räten  Rechenschaft  zu  geben  hätten. 
Abgesehen  von  diesen  5  Artikeln  hatten  alle  übrigen  des  Zürcher 
Entwurfs  erweitert  werden  müssen.  So  durfte  z.  B.  der  Haupt- 
mann keine  neuen  Satzungen  erlassen  ohne  Wissen  und  Willen 
seiner  Landräte;  er  sollte  auch  in  seinem  Schwur,  den  er  den 
Gotteshausleuten  abzulegen  hatte,  erklären,  dass  er  ihren  Nutzen 


185 

und  ihre  Ehre  ins  Auge  fassen  und  sie  bei  dem,  was  recht  sei, 
schirmen  wolle,  lieber  die  Güter,  Einkommen  und  Herrhchkeiten 
des  Gotteshauses  sollte  nicht  nur  dem  Hauptmann,  sondern  auch 
den  Gotteshausleuten  ein  Urbar  eingehändigt  werden  und  von 
den  Gerichtsbussen  die  eine  Hälfte  den  vier  Schirmorten,  die 
andere  dem  Fürstenlande  zustehen. 

So  war  es  Zürich  nach  Überwindung  zahlloser  Schwierigkeiten 
endlich  doch  gelungen,  die  Gotteshausleute  für  die  neue  Verfas- 
sung zu  gewinnen.  Als  am  31.  Mai  Abt  Kilian  das  Ober-  und 
Unteramt  aufforderte,  ihm  als  ihrem  rechtmässigen  Herrn  zu  hul- 
digen, ^)  und  er  den  Wilern  erklärte,  er  anerkenne  das  neue 
Regiment  nicht,-)  da  war  es  bereits  zu  spät.  Nicht  mehr  fruch- 
teten Missiven  von  Luzern  und  Schwyz,  in  welchen  die  beiden 
Orte  durch  Schreiben  vom  6.  Juni  die  Wiler  und  Gotteshausleute 
davon  abmahnten,  auf  die  Pläne  „etlicher"  Orte  einzugehen,  und 
ihnen  die  Worte  zuriefen :  „Ir  hörend  am  anfang  vil  guter  wort ; 
aber  ir  sechend  weder  das  mittel  noch  end."  ^)  Im  Juni  gaben 
die  Gotteshausleute  die  scharfe  Antwort:  Luzern  und  Schwyz 
sollten  sie  mit  dem  Abt  in  Ruhe  lassen,  „diewyl  und  dann  nit 
er  allein  für  sich  selbs,  sunder  wir,  die  gotshuslüt,  das  gotshus 
genempt  und  er  von  uns  und  wir  nit  von  im  hie  sind  (!),  er 
ouch  von  gemeinem  convent  und  uns  zu  herren  und  obern  nie 
erweit  noch  angenommen."^) 

Grösseren,  wenn  auch  nur  vorübergehenden  Erfolg  hatten 
Luzern  und  Schwyz  bei  Glarus,  als  sie  ihm  laut  der  Bünde  das 
Recht  vorschlugen;  das  bewirkte,  dass  dieser  Ort  den  Gotteshaus- 
leuten die  Besiegelung  der  neuen  Verfassung  A^erweigerte.-^)  Vadian 
glaubt,  es  seien  die  „geltsamler"  zu  Glarus  gewesen,  welche  dies 
zu  Stande  gebracht  hätten;*')  Sicher  aber  erzählt,  es  sei  die  ,;Sag" 
umgegangen,  die  Glarner  hätten  dem  Abt  die  Schirmbriefe  her- 
ausgeben und  sich  seiner  entschlagen  wollen,  „diewil  si  doch  im 
brief  noch   sigel  nit  halten  mögend  noch  könden".')    Wie  dem 


1)  St.-A.,  Bd.  101,  S.  79-82. 

2)  St.-A.,  Bd.  101,  S.  83  —  84. 

3)  A.-S.,  II,  1372. 
^)  A.-S.,  II,  1394. 
^)  A.-S.,  II,  1401. 

f')  Vad.,  III,  S.  254  30-35. 
')  Sicher,  I,  S.  141  29  ff. 


186 

auch  sei,  das  Benehmen  von  Glarus  muss  auf  die  Gotteshaus- 
leute Eindruck  gemacht  haben.  Dazu  kam,  dass  die  Zugeständ- 
nisse, welche  Zürich  bei  der  Aufrichtung  der  neuen  Verfassung 
gemacht  hatte,  doch  nicht  sehr  bedeutend  waren.  Die  Gotteshaus- 
leute mussten  mit  grossem  Widerwillen  bemerken,  dass  nicht, 
wie  sie  gewollt,  ihr  Vertreter,  sondern  derjenige  der  vier  Schirm- 
orte, oder  richtiger  von  Zürich  und  Glarus,  was  die  weltlichen 
Herrschaftsrechte  betraf,  an  die  Stelle  des  Abtes  gerückt  war.  So 
verstehen  wir,  dass  Frei  kaum  einen  Monat  nach  Abschluss  der 
Verfassung  an  Zürich  schreiben  konnte:  wenn  wegen  der  Be- 
siegelung  des  Vertrages  mit  Glarus  nicht  ernstlich  gehandelt 
werde,  dürfte  es  im  Fürstenland  in  allen  Dingen  so  „unentbunnen" 
zugehen,  dass  im  künftigen  Schnitt  weder  Zinsen  noch  Zehnten 
eingehen  würden ;  die  Sache  stehe  so  gefährlich,  dass  ein  Abfall 
der  „Gutwilligen"  zu  befürchten  sei.  Darauf  befahl  ihm  Zürich, 
sich  ganz  an  das  neue  Vorkommnis  mit  den  Gotteshausleuten  zu 
halten,  ohne  sich  darum  zu  bekümmern,  dass  die  Glarner  nicht 
gesiegelt  hätten.  ^) 

Letztere  schrieben  indessen  an  Schwyz,  es  solle  von  seiner 
Rechtsforderung  abstehen,  da  alles,  was  sie  den  Gotteshausleuten 
getan,  ohne  Schaden  für  diesen  Ort  geschehen  und  darum  den 
Bünden  nicht  zuwider  sei.  ^)  Doch  als  das  nichts  nützte,  ^)  blieb 
Glarus  eingeschüchtert  und  wollte  nicht  siegeln.  Da  kam  ihm 
Zürich  zu  Hilfe.  Anfangs  August  schrieb  es  den  Glarnern,  sie 
seien  nicht  verpflichtet,  der  Mahnung  zum  Recht  Folge  zu  leisten, 
da  sie  sich  mit  den  Gotteshausleuten  nicht  in  bundeswidriger  Weise 
eingelassen  hätten;  sollten  sie  von  Schwyz  weiter  angefochten 
werden,  so  möchten  sie  Recht  bieten, '^)  und  am  6.  August  bat 
Zürich  dringend,  den  Vertrag  zu  siegeln  und  sich  um  die  „ver- 
meinte" Mahnung  der  Schwyzer  nicht  zu  kümmern.  '^)  Dies  wirkte 
endlich.  Glarus  schrieb  noch  im  August  an  Schwyz:  wenn  man  mit 
Luzern  ihm  die  Besiegelung  des  Vertrages  nicht  gestatten  wolle, 
so  schlage  es  den  beiden  Orten  Recht  vor ;  falls  sie  aber  innerhalb 
14  Tagen  dasselbe  nicht  annähmen   und   den  Prozess  nicht  ge- 


1)  A.-S.,  II,  1406,  21.  Juni,  vgl.  ebenda  die  Note. 

2)  A.-S.,  II,  1473,  17.  Juli. 

3)  A.-S.,  II,  1486. 

4)  A.-S.,  II,  1532. 
'")  A.-S.,  II,  1534  2. 


187 

wannen,  werde  man  siegeln.  ^)  Diese  Bedingung  wurde,  wie  es 
scheint,  nicht  erfüllt,  und  so  hängten,  wohl  kurz  nach  dem  Tode 
Kilians,  auch  die  Glarner  ihr  Landessiegel  an  die  Urkunde,  was 
Zürich  und  die  Gotteshausleute  bereits  im  Juni  des  Jahres  ge- 
tan hatten. 

Nachdem  schliesslich  die  Gotteshausleute  auch  ihre  eigenen 
Landesfarben,  Schwarz-Gelb,  -)  bekommen,  war  unter  der  Ägide 
und  Leitung  Zürichs  die  völlige  Loslösung  des  Fürstenlandes  von 
der  Herrschaft  des  Abtes  von  St.  Gallen  auch  äusserlich  zur 
Tatsache  geworden. 


1)  A.-S.,  II,  1569,  18.  August. 

2)  Bull.,  II,  S.  271. 


188 


II.  Kapitel. 

Das  Toggenburg  nach  dem  ersten  Landfrieden. ') 

Wir  haben  bereits  gehört,  wie  Abt  Kihan,  solange  er  in  der 
Eidgenossenschaft  weilte,  Anstrengungen  machte,  sein  Heimat- 
land dahin  zu  bringen,  dass  es  ihn  anerkenne;  doch  waren  die 
Bemühungen  erfolglos  gewesen. 

Gestützt  nun  auf  die  günstige  Antwort,  welche  ihm  Luzern, 
Schwyz  und  Glarus  im  Mai  1529  zu  Wil  gegeben,  hatte  der  Abt 
gehofft,  zum  Ziele  zu  kommen,  und  den  Landvogt  Giger  aufge- 
fordert, das  Regiment  mit  dem  Landrat  wie  bisher  auszuüben.  ^) 
Doch  Giger  antwortete  am  26.  Juli,  wenn  er  dem  Befehle  Folge 
leistete,  würde  er  von  den  Toggenburgern  entsetzt.  ^)  Vergebens 
suchte  Kilian  daraufhin  durch  Nachgiebigkeit  Landvogt  und  Land- 
räte für  sich  zu  gewinnen,  indem  er  erklärte,  er  werde  sich,  wenn 
sie  ihm  huldigten,  so  zeigen,  dass  sie  den  Landsmann  spüren 
könnten ;  ^)  vergebens  machte  er  auch  Giger  darauf  aufmerksam, 
dass  er  seine  Konfirmation  erhalten  habe ;  '")  er  brachte  es  im 
Toggenburg  nicht  zu  seiner  ausdrücklichen  Anerkennung.  Nicht 
mehr  Erfolg  hatten  lange  Schreiben,  die  er  im  August  1529  an 
die  Landsgemeinden  zu  Lütisburg  (und  Lichtensteig)  richtete;*^)  die 
Toggenburger  blieben  bei  der  Antwort,  die  sie  Kilian  gleich  nach 
seiner  Erwählung  gegeben  hatten :  was  sie  dem  Abt  und  andern 
schuldig  seien,  das  wollten  sie  treulich,  ehrlich  und  redlich  halten. 


^)  Ausüben  angeführten  Gründen  t^s.  Abschn.  I,  Kap.III,  (S.  77)Anm.  1)  be- 
gnügen wir  uns  auch  hier  mit  einer  das  Wesentliche  zusammenfassenden  Dar- 
stellung. 

2)  St.-A.,  Bd.  101.  S.  6/7,  Schreiben  vom  24.  Juli  1529. 

3)  A.-S.,  II,  710. 

^)  St.-A.,  Bd.  101,  S.  27—28,  11.  August. 

■')  St.-A.,  Bd.  101,  S.  19—20,  Schreiben  Kilians  vom  28.  Juli. 

^)  St.-A.,  Bd.  101,  S.  33  —  34,  Schreiben  Kilians  vom  19.  August. 


189 

Eine  Besserung  schien  das  Jahr  1530  für  den  Prälaten  zu 
bringen,  als  Mitte  Januar  zu  Lichtensteig,  Lütisburg  und  im 
Oberen  Amt  toggenburgische  Landsgemeinden  beschlossen,  ferner- 
hin jedem,  wer  das  auch  sei,  das  „Recht"  seinem  Begehren  nach 
zu  halten  und  in  Zukunft  weder  dem  Landrat  noch  sonst  je- 
mandem zu  gestatten,  mit  Fürsten  und  Herren  dies-  oder  jenseits 
des  Rheines  und  Sees  eine  Vereinigung  abzuschliessen  ohne 
Wissen  und  Willen  der  Landsgemeinde  der  ganzen  Grafschaft.  ^) 
Als  nun  aber  der  Abt  diese  energisch  aufforderte,  ihm  zu  hul- 
digen und  im  Weigerungsfalle  den  dortigen  Behörden  jegliche 
Amtsverrichtung  verbot,  ersuchte  Giger  um  „ain  gnedig  urlob", 
indem  er  die  versteckte  Drohung  beifügte,  dass  die  Landleute, 
wenn  er  sein  Amt  niederlege,  die  Regierung  selbst  in  die  Hand 
nehmen  würden.  -) 

Eine  solche  Haltung  der  Toggenburger  war  nur  möglich, 
wenn  sie  sich  im  Rücken  gedeckt  fühlten ;  sie  waren  es  durch 
die  Zürcher,  die  zu  dieser  Zeit  mit  ihrem  Einfluss  in  der  Graf- 
schaft völlig  dominierten,  trotz  der  Bemühungen  des  Hauptmanns 
von  Batzenheid"')  und  des  äbtischen  Konvents^)  wie  der  Anfeindung 
von  Seiten  der  abtfreundlichen  Elemente  im  Toggenburg,  welche 
der  Stadt  vorwarfen,  sie  habe  im  Sinne,  die  Grafschaft  „inze- 
nämen,  ze  beherschenn  oder  ze  bevogten".  '")  Mitte  Juni,  als  der 
Abt  die  Regalien  vom  Kaiser  erhalten,  erneuerte  er  die  For- 
derung seiner  Anerkennung  durch  ein  Schreiben  an  die  Lands- 
gemeinde zu  Wattwil,*^)  erreichte  aber  das  gerade  Gegenteil;  denn 
es  entstand  ein  „mergklicher  unwill"  über  seinen  Brief  unter 
den  versammelten  Toggenburgern,  und  die  Landsgemeinde  be- 
schloss,  indem  sie  eine  Botschaft  der  Schwyzer  nicht  zum  Wort 
kommen   liess,    „das    sy  ü(wer)  f(ürstHch)   g(naden)   nit   wellind 


1)  Tgb.  Sail.,  Fol.  65  b,  f. 

^)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  223 — 225,  Schreiben  Kilians  an  Giger  und  den 
Landrat  vom  27.  Mai  1530  ;  Bd.  101,  S.  104,  Giger  an  Kilian,  d.  d.  30.  Mai. 

^)  St.-A.,  Fase.  14,  Hauptmann  Batzenheider  an  die  Toggenburger,  dat. 
d.  18.  Februar. 

■•)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  222—223,  Dekan  und  Konvent  an  Giger,  dat.  d. 
28.  April;  Antwort  Gigers  vom  3.  Mai,  Bd.  101,  S.  92—93. 

ö)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  183,  Zürich  an  Toggenburg,  dat.  den  16.  März; 
A.-S.,  II,  1343  ;  s.  auch  Sicher,  I,  S.  129  7-li. 

«)  St.-A.,  Bd.  101,  S.  97  —  100. 


190 

haben  für  kainen  herren",  sondern  in  Zukunft  einen  %on  ihnen 
selbst  gewählten  Landammann  haben  wollten.  Die  Wahl  fand  so- 
gleich statt  und  fiel  auf  Ammann  Künzli.^)  Die  Boten  der  Schwyzer 
aber,  welche  gekommen  waren,  um  das  Landrecht  mit  den  Tog- 
genburgern  neu  zu  beschwören,  wurden  grob  abgewiesen,  indem 
man  ihnen  zurief,  „das  sy  ain  gemaind  rüwig  lassen  söllintt  mit 
irm  landtzrecht" ;  sie  (die  Schwyzer)  hätten  dasselbe  zuerst  ge- 
brochen etc.  -)  Giger  teilte  dies  alles  dem  Abte  mit  und  bat  von 
neuem  um  „urlob". 

Seit  geraumer  Zeit  stand  das  Toggenburg  auch  mit  Zürich 
in  Unterhandlung  „von  losung  wegen".  ^)  Am  26.  Juni  erschien 
in  der  Stadt  eine  Botschaft  aus  der  Grafschaft,  um  sich  mit  ihr 
über  ein  ewiges,  christliches  Burgrecht  zu  einigen.  ^)  Der  be- 
drängte Abt  bat  darauf  Giger,  seinen  Posten  als  äbtischer  Land- 
vogt nicht  zu  verlassen,  ■')  wandte  sich  auch  durch  seinen  Reichs- 
vogt an  Luzern  und  Schwyz  um  Rat,  <')  was  ihm  aber  wenig  half. 
Doch  hatte  Schwyz,  wie  wir  oben  gesehen,  Grund  genug,  über 
die  Toggenburger  erbost  zu  sein,  und  beklagte  sich  deshalb  am 
27.  Juni  auf  der  Tagsatzung  zu  Baden,  dass  ihm  sein  Landrecht 
mit  dem  Toggenburg  von  diesem  nach  allerlei  Vorwürfen  auf- 
gekündet worden  sei.  Die  Tagherren  wussten  aber  keinen  bes- 
sern Rat,  als  den  Span  einstweilen  ruhen  zu  lassen ;  man  wolle 
später  wieder  auf  die  Sache  zurückkommen.  ') 

Die  Toggenburger  jedoch  drängten  unaufhörlich  vorwärts,  um 
sich  schliesslich  durch  Rückerstattung  der  Summe,  um  welche 
einst  der  Abt  sie  von  denen  von  Raron  erworben,  vollständig 
unabhängig  zu  machen,  und  Zürich  tat  sein  möglichstes,  diesen  Plan 


^)  Giger  bekleidete  von  da  an  das  Amt  eines  Seckehneisters.  Er  hatte  in 
seiner  klugen  Weise  die  Wahl  zum  Landammann  abgelehnt  (Sicher,  I,  S.  128  f.), 
um  sich  beim  Abte  möglichst  wenig  zu  kompromittieren. 

2)  Bericht  Gigers  an  Kilian  vom  20.  Juni  (St.-A.,  Bd.  101,  S.  101  —  102). 

3)  St.-A.,  Bd.  307,  S.  183,  Zürich  an  Toggenburg,  dat.  den  16.  März: 
A.-S.,  II,  1343. 

^)  Vad.,  III,  S.  255,  lo-u. 

ö)  St.-A.,  Bd.  101,  S.  105,  Kilian  an  Giger,  d.  d.  22.  Juni, 
•^j  St.-A.,  Bd.  307,  S.  313,  Kilian  an  Heinrich  Schenkli,  Reichsvogt,  jetzt 
in  Einsiedeln,  d.  d.  22.  Juni. 

')  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  342  m. 


191 

zu  verwirklichen ;  wenn  er  erst  unter  dem  Nachfolger  Kilians, 
Abt  Diethelm,  durchgeführt  werden  konnte,  so  war  daran  Glarus 
schuld,  welches  sich  wegen  der  drohenden  Haltung  von  Luzern 
und  Schwyz  vorderhand  nicht  auf  diese  schwerwiegende  Sache 
einlassen  wollte.  ^) 


')  Siehe  das  Nähere  in  den  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  343,  35  lo,  366f ;  bei  Strickler 
A.-S.,  II,  1425,  1463a,  1501  i,  1515. 


192 


III.  Kapitel. 


Der  Klosterkauf. 

Wir  erinnern  uns,  wie  die  Stadt  St.  Gallen  im  ersten  Kappeler- 
krieg den  Zürchern  kräftigen  Beistand  geleistet.  Die  Kosten 
dafür  beliefen  sich  für  die  Stadt  auf  die  verhältnismässig  recht 
hohe  Summe  von  1700  Gulden.  ^)  Doch  der  für  die  Reformierten 
günstige  Ausgang  des  Feldzuges  war  auch  dem  weiteren  Vor- 
gehen St.  Gallens  zugunsten  religiöser  Neuerungen  sehr  förderlich: 
die  St.  Jakobskapelle  wurde  als  solche  aufgehoben  und  in  eine 
Ziegelei  verwandelt,  die  Kirche  der  Nonnen  von  St.  Leonhard  in 
den  ersten  Tagen  des  Jahres  1530  in  religiösem  Übereifer  abge- 
brochen, wofür  selbst  Vadian  die  bedauernden  Worte  hatte:  „ist 
gar  ain  hübsche  kirch  gsin";-)  die  Nonnen  selbst,  die  bereits 
ihre  Ordenskleider  hatten  ausziehen  müssen,  wurden  noch  im 
April  dieses  Jahres  ausgesteuert,^)  und  die  bedeutende  Summe, 
ca.  3000  Gulden,  welche  vom  Klostervermögen  übrig  blieb,  floss 
in  die  städtische  Armenkasse.^)  Die  Innenwände  des  Münsters 
wurden  weiss  übertüncht  und  Bibelverse  statt  der  früheren  Ge- 
mälde angebracht.  Als  Pfarrer  wurde  dort  um  Ostern  1530  der 
uns  bekannte  Dr.  Christoph  Schappeler  von  der  Stadt  angestellt,  ^) 
der  in  dieser  Zeit  seine  42  Artikel  gegen  den  katholischen  Glauben 
im  Druck  erscheinen  liess.*^)  Mindestens  14  Glocken  '')  aus  nieder- 
gerissenen Kapellen  des  Klosterbezirkes  wurden  nach  Lindau 
geschickt  und  trotz  aller  Bemühungen  Kilians,  das  „gloggenzüg" 
dort  in  Haft  legen  zu  lassen,**)  in  eine  grosse  Kanone  umgegossen.'*) 


1)  Vad.,  III,  S.  247  se. 

2)  Vad.,  III,  S.  240  i  ;  Sicher,  I,  S.  124  i-io. 

3)  R.-P.  1530,  S.  136. 

■*)  Vad.,  III,  S.  244  22-44. 

'")  Sicher,  I,  S.  127/128. 

6)  Bull.,  II,  S.  115-119;  Sta.,  Tr.  Q.,  Nr.  14. 

^)  Vad.,  III,  S.  363  i4. 

8)  Siehe  z.  B.  St.-A.,  Bd.  101,  S.  74  und  Bd.  307;  S.  168. 

•')  Vad.,  III,  S.  247  26-30;  Sabb.,  338,  35-43. 


193 

Nachdem  diese  glücklich  unter  Bedeckung  —  man  befürchtete 
einen  Handstreich  Marx  Sittichs  —  des  Nachts  über  den  See 
nach  Rorschach  bugsiert  worden  war,  wurde  sie  von  dort  am 
Morgen  des  10.  Mai  im  Triumph  nach  St.  Gallen  geführt.  0  Es 
war  ein  ansehnliches  Geschütz,  das  13  Pfund  schwere  Steine 
abschiessen  konnte.  -)  Der  Verlust,  den  der  Abt  durch  das  Ein- 
schmelzen der  Glocken  erlitt,  betrug  mehrere  100  Gulden,  ^)  wobei 
er  und  die  Seinen  zum  Schaden  noch  den  Spott  zu  tragen  hatten, 
indem  auf  der  neuen  Büchse  zu  lesen  stand: 

„Das  mich  an  statt  S.  Gallen  hat  lassen  giessen 
Das  thüt  gar  mengen  verdriessen."  ^) 

Wichtigere  Veränderungen  als  die  oben  geschilderten  waren 
inzwischen  innerhalb  der  Stadtbehörden  vor  sich  gegangen.  Vor 
allem  war  auf  das  Drängen  einiger  Zunftmeister  am  5.  Juli  1529 
vom  Grossen  Rate  beschlossen  worden,  dass  zukünftig  auch 
die  sechs  Altzunftmeister  dem  Kleinen  Rate  angehören  sollten, '") 
der  bisanhin  aus  den  sechs  amtierenden,  demokratischen  Zunft- 
meistern und  neun  aristokratischen  Mitgliedern  bestanden  hatte. 
Nicht  dieser,  in  seiner  Mehrheit  aristokratische  Kleine  Rat  hatte 
die  Leitung  der  Reformationsbewegung  in  St.  Gallen  innegehabt, 
sondern  von  Anfang  an  der  in  seiner  überwiegenden  Mehrheit 
demokratische  Grosse  Rat.  Dadurch  dass  nach  dessen  Beschluss 
vom  5.  Juli  nunmehr  im  Kleinen  Rate  zwölf  Zunftmeister  den 
neun  aristokratischen  Mitgliedern  gegenüberstanden,  erhielt  auch 
dort  die  demokratische  Partei  das  Übergewicht.  Weitere  Neue- 
rungen, besonders  auf  Kosten  der  Abtei,  Hessen  sich  nunmehr 
viel  leichter  an  die  Hand  nehmen. 

War  es  nämhch  bis  dahin  der  Stadt  gelungen,  innerhalb  ihrer 
Ringmauern  allein  den  evangelischen  Gottesdienst  zu  dulden,  so 
musste  sie  ganz  natürlich  auch  auf  den  Gedanken  kommen,  die 
äbtischen  Gebäulichkeiten  in  der  Stadt,  so  namenthch  das  Kloster, 


1)  Vad.,  m,  S.  250/251. 

2)  Miles,  S.  337  (65)  17. 

^)  Vad.  (III,  S.  363  12)  nimmt  im  Maximum  200  gl.  an,  die  Äbtischen 
600  gl. 

*)  Sabb.,  S.  338  42-43. 

^)  R.-P.,  1529,  S.  80;  Sabb.,  S.  326  15-20;  Vad.,  III,  S.  215  15  nimmt 
unrichtig  das  Jahr  1530  an;  unrichtig  ist  auch,  was  dort  von  der  Ratsver- 
änderung berichtet  wird. 

St.  Galler  Mittlgn.  z.  vaterliind.  Oesch.  XXXIII.  13 


194 

an  sich  zu  bringen,  um  auf  diese  Weise  endlich  allein  „Herr  im 
Hause"  zu  werden.  Die  Stadt  dachte  an  Kauf  und  beabsichtigte, 
zu  gleicher  Zeit  auch  alles  übrige,  was  zum  Klosterbezirk  ge- 
hörte, samt  dem  Brühl,  wie  auch  die  1490  verlorenen  Gerichte 
zu  Oberberg,  Andwil  und  Steinach  ^)  käuflich  zu  erwerben.  Am 
14.  Juli  1529  wurde  dies  durch  Ratsbeschluss  angeordnet.-) 

St.  Gallen  hätte  dazu  kaum  einen  günstigeren  Moment  wählen 
können.  Noch  stand  man  in  der  ganzen  Eidgenossenschaft  unter 
dem  frischen  Eindruck  des  grossen  Erfolges,  den  der  erste  Kap- 
pelerkrieg Zürich  und  seinen  Anhängern  gebracht  hatte.  Die 
katholische  Partei  in  der  Schweiz  war  eingeschüchtert,  und  der 
Landfriede  selbst  gab  St.  Gallen  im  YllL  Artikel  einmal  Gewähr 
dafür,  dass  in  seinen  Mauern  die  reformierte  Lehre  nicht  ange- 
fochten werden  dürfte.  Ferner  aber  bot  das  Friedensinstrument 
der  Stadt  sogar  die  Handhabe,  wo  sie  mit  ihren  Absichten  auf 
das  Kloster,  ja  auch  mit  weiteren  Begehren  einsetzen  konnte; 
in  Artikel  XV  hiess  es  nämlich,  „dass  ein  statt  Sant  Gallen  von 
wegen  des  klosters  in  ir  statt  und  sunst  anderm  irem  anligen 
von  den  vier  orten  Zürich,  Luzern,  Schwiz  und  Glarus  in  zimlikeit 
bedacht  und  inen  darin  gehulfen  werde". ^)  Begreiflich,  dass  die 
Stadt,  als  sie  den  Inhalt  des  ersten  Landfriedens  erfuhr,  Züricli 
in  überschwänglicher  Weise  seine  Freude  darüber  kundgab :  der 


')  Es  war  dieser  Verlust  die  Frucht  des  ßorschacher  Klosterbruchs  und 
der  darauffolgenden,  für  die  Stadt  so  ungünstigen  kriegerischen  Intervention  der 
IV"  Schinuorte.  Statt  seine  Territorialherrschaft  durch  äbtisches  Gebiet  mächtig 
zu  erweitern,  wie  St.  Gallen  gehoft't  hatte,  verlor  es  seinen  geringen  auswär- 
tigen Besitz :  das  Schloss  Oberberg  und  die  zwei  Gerichte  Oberberg  und  Andwil, 
samt  dem  Gredhaus  zu  Steinach,  und  die  Rechte  der  Stadt  zu  Ober-  und  Nieder- 
steinach gingen  an  die  IV  äbtischen  Schirmorte  über,  welche  sie  dem  Abt  ver- 
kauften. Ja,  St.  Gallen  musste  froh  sein,  nicht  zum  Mittelpunkt  einer  gemeinen 
Herrschaft,  was  man  aus  der  alten  Landschaft  zu  machen  gedachte,  herabge- 
drückt zu  werden.  Dass  dies  nicht  geschah,  verdankte  es  vor  allem  Zürich  (s. 
Haene,  Klosterbruch,  S.  162  — 176). 

^)  „diewil  das  gotzhus  rendt  unnd  gult  hab,  (be)gere  man  der  nit,  allain 
des  platz  mit  kilchen  und  kilchenzier,  lehen,  pott  und  verbott  (am  Rand :  „Brül, 
und  was  inn  grichten  ist,  fry  ledig"),  diewil  doch  abt  ufgerumpt  unnd  von  land 
zogen  sig. 

Item  och  ellentlich  umb  Oberberg  unnd  Stainach  komen ;  dasselb  m(inenj 
h(erren)  lassen  verlangen,  unnd  das  nit  vergebens,  sonnder  daruß  lassen  gan, 
das  zimlich  ist"  (R.-P..  1529,  S.  81). 

•^)E.  A.,  IV,  Ib,  S.  1481—1482. 


195 

Stadtläufer,  welcher  St.  Gallen  von  dem  eben  geschlossenen 
Frieden  Bericht  gegeben,  habe  „ain  überuß  trostlich  und  fröhch 
bottenbrot"  gebracht;  man  preise  den  barmherzigen  Gott,  dass 
er  der  Stadt  so  gnädig  vergönnt,  diese  Stunde  zu  erleben.  ^) 

Doch  St.  Gallen  fand  bei  seinen  Plänen  auf  das  Kloster  in 
den  Gotteshausleuten  einen  unbequemen  Konkurrenten.  Bereits 
am  12.  JuH  1529  erhielt  der  Kleine  Rat  Kunde,  man  habe  zu 
Lömmiswil  geredet,  das  Kloster  sollte  den  Gotteshausleuten  ge- 
hören; denn  sie  hätten  das  Ihrige  daran  gegeben.  Ein  Bauer 
sollte  gesagt  haben,  man  wäre  zu  Lömmiswil  rätig  geworden, 
das  Kloster  einzunehmen.  -)  St.  Gallen  mochte  diesen  Gerüchten 
um  so  eher  Glauben  schenken,  als  es  sich  dabei  wohl  bewusst 
war,  auf  wie  gespanntem  Fusse  es  mit  den  Gotteshausleuten 
lebte.  Dies  hatte  sich  ja  während  des  ersten  Kappelerkrieges 
nur  zu  deutlich  gezeigt.  ^)  Dass  die  Stadt  damals  den  Kloster- 
bezirk besetzt  hatte,  mochte  die  Hauptschuld  an  dem  unfreund- 
lichen Verhältnis  zum  Fürstenlande  tragen;  denn  dieses  betrachtete 
sich  als  Nachfolger  des  Abtes  auch  inbezug  auf  das  Kloster 
und  wollte  anfänglich  von  dessen  Abtretung  an  die  Stadt  nichts 
wissen,  da  man  befürchtete,  dabei  übervorteilt  zu  werden.  ^) 
Doch  St.  Gallen  berief  sich  auf  den  XV.  Artikel  des  Landfriedens 
und  schickte  am  1.3.  Oktober  1529  eine  angesehene  Gesandtschaft, 
auch  Vadian  befand  sich  dabei,  zu  den  vier  Schirmorten,  um 
diese  zur  Abtretung  des  Klosterbezirks  und  des  Brühls  zu  veran- 
lassen, da  ja  der  vermeinte  Abt  „ufgerumpt"  und  mit  grosser 
Habe  aus  der  Eidgenossenschaft  „abgeschwaift"  sei.  Die  vier 
Orte  möchten  ferner  bedenken,  wie  der  St.  Galler  Spital  um  Ober- 
berg und  die  Stadt  um  die  Gred  (Lagerhaus)  bei  Steinach  ge- 
kommen sei,  welche  beide  der  Abt  erhalten  habe:  das  Stift 
dürfte  wohl  inzwischen  durch  deren  bisherige  „nutzung''  auf  die 
Kosten  gekommen  sein,  die  es  einst  durch  den  Klosterbruch  und 
Rorschacherkrieg  erlitten ;  darum  möchten  die  Schirmorte  helfen, 
dass  den  armen  „siechlin'^  Oberberg  mit  Zubehör  und  der  Stadt 
das  Gredhaus  zu  Steinach  wieder  übergeben  werde.  Die  St.  Galler 
Boten  erhielten  daraufhin  zu  Zürich  die  Antwort,  dass  man  ihnen 


1)  E.  A.,  IV,  1  b,  S.  263  29. 

^)  R.-P.,  1.529,  S.  8L 

■'')  Siehe  oben. 

^)  Vad.,  III,  S.  252,  Xr.  67. 


196 

gerne  helfen  würde,  wenn  der  Handel  die  Zürcher  allein  anginge; 
dies  sei  aber  nicht  der  Fall,  sondern  man  müsse  auch  die  drei 
andern  Schirmorte  zur  Verhandlung  beiziehen ;  doch  wolle  man 
bei  diesen  dahin  wirken,  dass  die  Stadt  in  ihren  Beschwerden 
wie  billig  bedacht  werde.  Ungünstiger  lautete  die  Antwort  von 
Luzern:  es  sei  wie  Schwyz  wegen  des  Abtes  von  St.  Gallen  mit 
Zürich  und  Glarus  in  einen  Streit  verwickelt,  weswegen  ein  Tag 
nach  Baden  angesetzt  worden  sei;  wenn  dieser  vorüber,  wolle 
man  mit  Schwyz  die  Angelegenheit  beraten  und  gebührend  ant- 
worten. In  gleichem  Sinne  dürfte  sich  auch  Schwyz  geäussert 
haben,  während  uns  die  Antwort  von  Glarus  nicht  bekannt  ist.  0 

St.  Gallen  hielt  sich  darum  vor  allem  an  Zürich,  das  ihm 
Ende  November  versprach,  die  Sache  energisch  an  die  Hand  zu 
nehmen.  -) 

Um  Weihnachten  erschien  auch  eine  neue  Botschaft  St.  Gallons 
unter  Führung  Vadians  in  Zürich,  um  das  Begehren  der  Steinach- 
stadt zu  erneuern.  ^)  Das  Gleiche  geschah  am  15.  Januar  vor 
dem  Glarner  Landrat,  der  den  Boten  einen  günstigen  Bescheid 
erteilte.^)  Auf  den  Rat  Zürichs  schickte  ferner  St.  Gallen  zu 
Anfang  Februar  zwei  Boten  nach  Luzern  und  Schwyz  mit  einer 
auf  das  Kloster  bezüglichen  Supplikation ; '")  man  empfing  sie  dort 
gut,  gab  ihnen  aber  wieder  ausweichende  Antwort.*^)  Sodann  wurde, 
wieder  auf  Zürichs  Rat,  eine  Gesandtschaft,  nämlich  Vadian  und 
Fridbolt,  auf  die  am  14.  Februar  beginnende  Tagsatzung  nach 
Baden  abgeordnet.  Sie  hatte  dort  darauf  zu  dringen,  dass  die 
vier  Schirmorte  nun  einmal  mit  jener  Bestimmung  des  Land- 
friedens, welche  der  Stadt  in  der  Klosterangelegenheit  Unter- 
stützung versprach,  Ernst  machen  sollten,  da  sich  die  Erledigung 
der  Sache  bereits  lange  genug  hinausgezogen  habe.  ')  Doch 
erreichten  die  Boten  nichts,  weil  die  Tagherren  zuerst  in  der 
Angelegenheit  des  Abtes  zu  Ende  kommen  wollten,  die  Verhand- 


*)  E.  A.,  IV,   1  b,  Nr.  202.    Die  Instruktion  (bei   Strickler  auszugsweise 
mitgeteilt)  liegt  im  Sta.  Tr.  X,  Nr.  59.    Datum:  um  Sant  Gallen  Tag. 

2)  A.-S.,  II,  945. 

3)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  323  e. 

4)  Vad.,  III,  S.  236  24-33. 

5)  A.-S.,  II,  1104  (1). 

^)  Vad.,  III,  S.  240  25-29. 
"')  Ibid.  3-15. 


197 

hingen  darüber  aber  zu  keinem  Ziele  führten.  ^)  St.  Gallen  konnte 
mit  diesem  Ausgange  des  Badener  Tages  wenig  zufrieden  sein ; 
denn  wenn  seine  Angelegenheit  mit  der  endlosen  Sache  des  Abtes 
verbunden  wurde,  so  war  freilich  nicht  abzusehen,  wann  es  mit 
seinen  Forderungen  zum  Ziele  gelangen  würde.  Dies  erkannte 
man  auch  im  Rate  wohl  und  beschloss  darum,  Zürich  und  Bern 
in  der  Klosterfrage  zum  Handeln  zu  bewegen.  Wolle  Zürich, 
hiess  es  in  einem  bezüglichen  Ratschlag,  den  Abt  verhören  oder 
„begnaden",  so  möge  es  das  tun,  aber  unter  Vorbehalt  der  For- 
derungen der  Stadt;  in  diesem  Sinne  möge  Zürich  auch  Glarus 
für  dieselben  günstig  stimmen.  Dass  St.  Gallen  auch  bei  Bern 
in  ähnlichem  Sinne  für  seine  Sache  werben  wollte,  hatte  darin 
seinen  Grund,  dass  der  Vorsitz  unter  den  neun  in  der  äbti- 
schen Angelegenheit  unparteiischen  Orten  Bern  zukam  und  dass 
St.  Gallen  von  Seiten  jener  Widerstand  gegen  seine  Pläne  befürch- 
tete. ^)  In  Zürich  und  Bern  erhielten  aber  die  St.  Galler  Boten 
am  9.  und  13.  März  nur  die  allgemein  gehaltene  Antwort:  man 
wolle  das  Beste  tun,  damit  der  Landfrieden  an  der  Stadt  gehalten 
werde.  ^) 

Doch  St.  Gallen  gab  sich  damit  nicht  zufrieden.  Als  Zürich 
und  Glarus  sich  dort  im  Mai  mit  den  Gotteshausleuten  über  eine 
neue  Verfassung  einigten,  benutzte  der  Rat  die  Gelegenheit,  um 
am  19.  d.  M.  aufs  neue  durch  eine  ansehnliche  Botschaft  —  Vadian, 
Bürgermeister  Konrad  Mayer  und  Stadtschreiber  Augustin  Fechter 
befanden  sich  darunter^)  —  bei  den  Gesandten  der  beiden  Orte 
darauf  zu  dringen,  dass  die  Stadt  gemäss  dem  Landfrieden  in 
ihren  Forderungen  auf  das  Kloster  zufriedengestellt  werde.  Wieder 
lautete  die  Antwort  ausweichend:  der  Vertrag  der  beiden  Orte 
mit  den  Gotteshausleuten  sei  noch  nicht  aufgerichtet  und  der 
Streit  mit  Luzern  und  Schwyz  nicht  beigelegt.  Vor  allem  aber 
habe  sich  St.  Gallen  in  seinem  Anliegen  auch  an  diese  beiden 
Orte  gewandt,  welche  ihm  darin  noch  nichts  abgeschlagen  hätten; 
es  möge  darum,  wenn  es  die  vier  Orte  bei  einander  finde,  sie  um 
einen  besondern  Tag  in   seiner  Angelegenheit   anrufen;   gingen 


^)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  278  e;  Vad.,  III,  S.  240  30-39. 
2)  Vad.,  III,  S.  242  17-36. 

^)  Vad.,  III,  S.  242  37 -4i;  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  285. 
^)  Vad.,  III,  S.  252  10-11. 


198 

dann  Liizern  und  Schwyz  nicht  darauf  ein,  so  würden  „wahr- 
scheinlich'' Zürich  und  Glarus  von  sich  aus  einen  baldigen  Tag 
ansetzen.  Der  St.  Galler  Rat  erklärte  sich  damit  zufrieden  und 
einverstanden,  bat  auch  die  Gesandten  der  beiden  reformierten 
Schirmorte  als  getreue  „fürmünder",  ihre  Regierungen  seinen 
Forderungen  möglichst  günstig  zu  stiTumen.  ^)  Das  Gleiche  be- 
zweckten Briefe,  welche  die  Stadt  am  17.  Juni  nach  Luzern  und 
Schwyz  schickte.-')  Ferner  sandte  sie  am  1.  Juli  ihre  Boten, 
V.  Watt  und  Ulrich  Appenzeller,  zu  den  vier  Orten  auf  die  Badener 
Tagsatzung,  ^)  wie  ihr  von  Zürich  und  Glarus  geraten  worden 
war.  Als  dort  die  Gesandtschaft  um  Erfüllung  der  städtischen 
Forderungen  ans  Kloster  einkam  und  um  die  Ansetzung  eines 
besonderen  Tages  dafür  bat,  hatten  zwar  die  Boten  Zürichs  Voll- 
macht, darauf  einzugehen;  diejenigen  von  Glarus  aber  nahmen 
das  Anbringen  einfach  in  den  Abschied,  und  die  Gesandten  von 
Luzern  und  Schwyz  wollten  überhaupt  nicht  darauf  eingehen, 
bevor  der  Abt  wieder  eingesetzt  wäre.  Doch  Zürich  erklärte  auch, 
ohne  Mitwirkung  anderer  Orte  wolle  es  „stracks"  vorwärts  gehen 
und  dem  Landfrieden  nachkommen.  ^)  Demgemäss  setzte  es  einen 
besonderen  Tag  auf  den  22.  August  nach  St.  Gallen  an  und  teilte 
ihn  Luzern  und  Schwyz  mit,  unter  dem  Beifügen:  wenn  diese 
beiden  Orte  keine  Gesandtschaft  schicken  sollten,  werde  Zürich 
kraft  des  Landfriedens  auch  ohne  sie  vorgehen;'')  Glarus  aber 
wurde  ermahnt,  seine  Botschaft  auf  diesen  Tag  mit  Vollmacht 
zum  endgültigen  Handeln  zu  senden,  auch  für  den  Fall,  dass  die 
Boten  von  Luzern  und  Schwyz  nicht  in  St.  Gallen  erscheinen 
sollten.  •') 

An  diesem  Tage  befand  sich  jedoch  von  den  vier  Schirm- 
orten der  Abtei  nur  Zürich  in  St.  Gallen.  Erst  am  Mittag  des 
24.  trafen  die  Glarner  Boten  ein;')  Luzern  und  Schwyz  aber  hatten, 
wie  zu  erwarten  stand,  vorgezogen,  an  den  Verhandlungen  nicht 
teilzunehmen.    So  begannen  denn  die  beiden  reformierten  Schirm- 


1)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  323  e,  p. 

2)  Vad.,  III,  S.  254,  Nr.  73. 
'^)  Vad.,  III,  255  26-30. 

^)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  342  kk. 
'")  A.-S.,  II,  1535. 
6)  A.-S.,  II,  1534  1. 
^)  A.-S.,  II,  1589  (2). 


199 

orte  am  25.  für  sich  allein  mit  der  St.  Galler  Ratskommission, 
welcher  Bürgermeister  Heinrich  Kummerer  i)  und  Vadian  ange- 
hörten, die  Unterhandlungen;  doch  fand  die  St.  Galler  Gesandt- 
schaft bei  weitem  nicht  das  Entgegenkommen,  welches  ihre 
Obrigkeit  erwartet  hatte.  Namentlich  hielten  die  Boten  der  beiden 
Orte  trotz  aller  Bitten  der  städtischen  Kommission  daran  fest, 
dass  einige  Gebäude  samt  Keller,  Gärten  etc.  vom  Kaufe  aus- 
geschlossen sein  sollten.  Ferner  verlangten  Zürich  und  Glarus 
von  der  Stadt,  dass  sie  ihren  Plan,  die  Gerichte  zu  Oberberg, 
Andwil  und  Steinach  samt  dem  dortigen  Gredhaus  wieder  zu  er- 
werben, bis  zu  einer  günstigeren  Zeit  fallen  lassen  solle.  Diese 
Gerichte  hatte  man  nämlich  bereits  den  Gotteshausleuten  zur 
Verwaltung  überlassen,  und  die  Boten  der  beiden  Orten  bemerkten, 
dass  die  Bauern,  was  sie  einmal  „bekläftert"  hätten,  nicht  wieder 
von  Händen  geben  wollten.  ^) 

So  gelangten  denn  die  Gesandten  der  Stadt  mit  den  Forde- 
rungen von  Zürich  und  Glarus  an  den  Rat,  wo  „ain  grosser 
widerdriess"  entstand,  als  man  von  dem  Begehren  der  reformierten' 
Schirmorte  Kenntnis  erhielt.  Schliesslich  aber  gab  der  Rat  nach, 
trotz  der  Gefährlichkeit  des  Wagnisses,  die  ein  Kauf  auch  in  dieser 
für  St.  Gallen  verhältnismässig  ungünstigen  Gestalt  haben  musste ; 
denn  einmal  waren  nur  zwei  Schirmorte  mit  dem  Kauf  einver- 
standen; sodann  war  zu  erwarten,  dass  der  Abt  nicht  „firen" 
würde,  den  Handel  wieder  rückgängig  zu  machen,  und  sich  dabei 
wohl  nicht  zuletzt  auf  den  Kaiser  stützen  möchte.  Dass  St.  Gallen 
trotzdem  auf  die  Forderungen  von  Zürich  und  Glarus  einging, 
hatte  seinen  Grund  hauptsächlich  darin,  dass  es  die  beiden  Orte 
bestmöglich  fernhalten  und  vor  allem  verhindern  wollte,  dass 
etwa  die  Gebäude  und  Herrschaftsrechte,  welche  der  Abt  noch 
in  der  Stadt  besessen  hatte,  an  die  Gotteshausleute,  beziehungs- 
weise die  vier  Schirmorte  übergingen  und  die  Bürger  „mit  der 
zit  von  (irer)  gwaltsame  und  von  dem  rieh  komen  und  zu  schwärer 
beherschung  bracht"  würden.  Das  Schreckgespenst  von  1490 
mochte  es  demnach  in  erster  Linie  sein,  welches  die  Stadt  zum 
Kauf  drängte:  die  Furcht,  zum  Mittelpunkt  einer  gemeinen  Herr- 

^)  Dieser  war  am  19.  Juni  an  Stelle  Konrad  Mayers  gewählt  worden,  der 
wegen  Überhäufung  mit  Privatgeschäften  selbst  um  seine  Entlassung  beim  Rate 
nachgesucht  hatte  (Sabb.,  S.  341  i— lo). 

-)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  373. 


200 

Schaft  herabzusinken;  dies  konnte  man 'später,  falls  der  Kauf 
wieder  fallen  gelassen  werden  musste,  als  Entschuldigung  an- 
bringen; zudem  war  anzunehmen,  dass  in  diesem  Fall  immerhin 
zwei  Schirmorte  gegen  zwei  stehen  würden, sodass  die  Hälfte  in 
ihrem  etwaigen  Vorgehen  gegen  St.  Gallen  gelähmt  wäre.  Zu 
grösserer  Sicherheit  gedachte  auch  die  Kaufmann sstadt,  die 
Summe,  die  man  durch  den  Klosterkauf  schuldig  wurde,  in  ab- 
sehbarer Zeit  nicht  zu  erlegen,  sondern  bloss  zu  verzinsen. 

Immerhin  befahl  der  Rat  den  durch  vier  Grossratsmitglieder 
verstärkten  Unterhändlern,  sie  sollten  noch  einmal  versuchen, 
die  Zürcher  und  Glarner  Boten  wenigstens  davon  abzubringen, 
dass  innerhalb  der  Stadt  den  Schirmorten  Klostergebäulichkeiten 
reserviert  würden.  Doch  erreichten  sie  nichts,  und  erst  „nach 
langem  handien  und  krangelen"  ')  einigte  man  sich  am  28.  August 
in  folgender  Weise:  der  Klosterbezirk  mit  Zubehör  an  Häusern, 
Plätzen  und  Herrschaftsrechten,  wie  diese  die  Äbte  bisher  be- 
sessen, samt  dem  Brühl  und  einigen  Gärten,  dazu  die  Pfründen 
zu  St.  Fiden,  St.  Jakob  und  St.  Leonhard  kommen  an  die  Stadt; 
doch  behalten  sich  Zürich  und  Glarus,  auch  im  Namen  der  beiden 
andern  Schirmorte,  vor:  die  Hell,  das  Siechenhaus  —  als  Wohnung 
für  Hauptmann,  Schaffner  und  Amtleute  —  samt  dem  Garten 
im  Kreuzgang,  von  diesem  selbst  den  vierten  Teil  samt  dem 
untern  Teil  des  grossen  neuen  Kellers,  welcher  dem  Chor  der 
St.  Laurenzen-Kirche  gegenüber  liegt.  Die  Stadt  verpflichtet  sich, 
Weg  und  Steg  zu  den  Gebäuden  der  Schirmorte  zu  geben  und 
zwischen  den  genannten  Gebäulichkeiten  einen  Brunnen  zu  er- 
stellen, auf  Verlangen  dem  Hauptmann  6  Fuder  Heu  vom  Brühl 
zu  liefern;  im  Chor  der  St.  Peterskapelle,  welche  die  Stadt  in 
einen  Stall  verwandeln  will,  soll  sie  Unterkunft  schaffen  für  die 
Pferde  des  Hauptmanns,  damit  so  die  vier  Orte  mit  einer  „tapferen, 
ehrlichen"  Stallung  versehen  sind.  Zwar  übergeben  die  beiden 
Orte  alle  Obrigkeit  innerhalb  des  Klosterbezirkes  der  Stadt 
samt  den  „Titel-  und  Scheinlehen",  welche  die  Äbte  bisher  inner- 
halb der  vier  Kreuze  gehabt;  doch  müssen  der  Hauptmann  und 
sein  Schreiber  der  Stadt  keinen  Eid  leisten,  sondern  nur,  wenn 
sie  sich  innerhalb  der  Mauern  aufhalten,  den  Erlassen  des  Rates 
sich  fügen;  wohl  aber  hat  der  Schaffner  der  Stadt  zu  schwören, 
doch  unter  Vorbehalt  des  Eides  an  die  vier  Orte. 


0  Vad  ,  III,  S.  261  4ö. 


201 

Der  Preis,  den  die  St.  Galler  für  die  ihnen  zugestandenen 
Plätze,  Gebäulichkeiten  und  Herrschaftsrechte  zu  bezahlen  hatten, 
wurde  auf  ihre  Bitten,  nachdem  sie  9000  Gulden  geboten  hatten, 
von  den  beiden  Orten  von  15,000  auf  14,000  Gulden  erniedrigt. 
Wenn  die  Stadt,  um  die  Summe  herabzudrücken,  mit  Recht  geltend 
machte,  dass  der  Preis  in  Anbetracht  des  geringen  materiellen 
Nutzens,  den  sie  aus  dem  Erworbenen  ziehen  könne,  zu  hoch 
sei,  so  konnten  Zürich  und  Glarus  dagegen  einwenden,  dass  es 
ihr  früher  auch  mit  „unsäglichem  Gut"  nicht  möglich  gewesen 
wäre,  in  den  Besitz  dessen  zu  gelangen,  was  ihr  nunmehr  über- 
lassen wurde.  Von  |den  14,000  Gulden  sollten  11,000  in  drei  Raten 
entrichtet  werden. 

Die  restierenden  3000  Gulden  hatte  die  Stadt  zur  Aussteuerung 
der  sechs  ^)  im  Kloster  wohnenden  Konventualen  zu  verwenden.  -) 
Bereits  am  3.  November  1529  hatte  nämlich  Zürich  in  einem 
„Ratschlag"  die  Aussteuerung  der  Ordensleute  vorgeschlagen. 
Diese  waren  auch  bereits  aus  dem  Mönchsstand  ausgetreten  und 
zum  Teil  schon  verheiratet,  hatten  auch  selbst  um  eine  Aussteuer 
zur  Bestreitung  der  Kosten  ihres  Hausstandes  gebeten.  ■^)  In 
einem  Memorial  vom  Anfang  Dezember  des  Jahres  unterstützte 
Hauptmann  Frei  diese  Ansicht,  da  man  damit  Ausgaben  in  der 
Verwaltung  ersparen  könnte.  ^)  So  wurde  denn  noch  im  Dezember 
die  Angelegenheit  von  Zürich  und  Glarus  in  Anwesenheit  Vadians 
an  die  Hand  genommen ;  doch  kam  man  1529  noch  zu  keinem 
Vergleich.  Die  Konventherren  verlangten  nämlich  jeder  für  sich 
1000  Gulden  in  bar  und  sofort  zu  entrichten  und  1000  Gulden  an 
„hablichen"  Zinsen,  dazu  jährlich  auf  Lebenszeit  je  15  Saum 
Wein,  30  Mutt  Kernen  und  20  Malter  Hafer;  es  habe  ja,  wurde 
von  ihnen  hervorgehoben,  das  Kloster  ein  grosses  Vermögen  und 
von  Zinsen,  Renten  und  Gülten  etc.  eine  jährliche  Einnahme  von 
18,000  Gulden  gehabt;  sie  aber  hätten  ihre  Jugend  unnütz  im 
Kloster  verbracht  und  seien  nunmehr  in  vorgerücktem  Alter  zu 
schwerem  Handwerk  nicht  mehr  tauglich. 

Den  Gesandten  von  St.  Gallen  und  denen  der  beiden  Orte 
schien  jedoch  die  Forderung  zu  hoch.   Auch  ohne  dazu  Vollmacht 

^)  Die  Namen  derselben  siehe  in  A.-S.,  III,  966  und  in  Sabb.,  S.  351  28-31. 

2)  Über  den  Klosterkauf  siehe  E.  A.,  IV,  Ib,  Nr.  378  a— d;  Sabb.,  S.  346 
bis  351  ;  Vad.,  III,  S.  261—262. 

3)  A.-S.,  II,  9108. 
^)  A.-S.,  II,  957  9. 


202 

zu  haben,  erklärten  sie,  man  wolle  sich  bei  den  Obern  bemühen, 
dass  jedem  Konventherrn  500  Gulden  als  Eigentum  und  100  Gulden 
(1  ä  15  Batzen)  jährlich  als  „rechtes  Leibding"  entrichtet  werden 
sollten,  ^)  und  zwar  so,  dass  die  Stadt  von  den  oben  genannten 
3000  Gulden  jedem  der  sechs  Konventherren  500  bezahle;  die 
Jahresrente  der  ausgesteuerten  Herren  sollte  aus  den  eingehenden 
Renten  und  Zinsen  der  Landschaft  des  Gotteshauses  bestritten 
werden.  An  diesen  Ansätzen  hielten  Zürich  und  Glarus  auch  auf 
den  im  Mai  1530  deshalb  stattfindenden  neuen  Beratungen  fest. 
Sie  gingen  auf  die  reduzierte  Forderung  der  Konventherren  nicht 
ein,  ihnen  zu  den  1000  Gulden  statt  1000,  wie  sie  anfangs  verlangt, 
100  als  Leibding  zu  verabreichen.  Schliesslich  waren  diese  froh,  dass 
sie  500  Gulden  Vermögen  und  jede  Fronfasten  25  als  Vierteljahrs- 
rente bekommen  sollten,  und  baten  die  Boten  von  Glarus,  welche 
keine  Vollmacht  für  diesen  Handel  gehabt  hatten,  sich  bei  ihren 
Obern  zu  verwenden,  damit  der  Vertrag  beförderlich  angenommen 
werde.  Dazu  waren  die  Glarner  Boten  gerne  bereit.  Den  beiden  No- 
vizen des  Klosters  wurden  je  100  Gulden  zuerkannt  und  beide  be- 
vogtet,  damit  sie  ein  Handwerk  lernen  könnten  und  „rechtschaffene 
Leute"  aus  ihnen  würden.  -)  Im  Juli  d.  J.  forderte  man  „koch, 
portner,  junkfrowen,  hussknecht"  auf,  das  Kloster  zu  verlassen.  ■') 


1)  E.  A.,  IV,  1  b.  Nr.  323  zu  d. 

2)  E.  A.,  IV,  1  b.  Nr.  323  d,  g.  Unrichtiger  Weise  nimmt  v.  Arx  (II.  583) 
an.  dass  die  Jahresrente  der  Konventherren  25  gl.  betragen  habe.  v.  Arx  folgt 
dabei  Sicher,  I,  S.  138.  Das  widerspricht  E.  A..  IV,  1  b,  S.  647.  Die  Fron- 
fasten, an  welchen  die  Rente  ausbezahlt  wurde,  sind  nämlich  als  Quatember 
aufzufassen,  so  dass  wir  25  mit  4  multiplizieren  müssen,  um  die  Jahresrente 
zu  ei'halten.  Ebenso  weiss  v.  Arx,  wieder  indem  er  Sicher  folgt,  nichts  davon, 
dass  jedem  der  Konventhei'ren  zu  seiner  Rente  noch  500  gl.  Vermögen  zuer- 
kannt wurden.  Dagegen  mag  wohl  zum  Teil  richtig  sein,  dass  die  ausge- 
steuerten Konventualen,  wie  v.  Arx  nach  Sicher  berichtet,  sehr  unzufrieden  ge- 
wesen seien  mit  dem,  was  ihnen  an  Geld  zugesprochen  wurde.  Als  Eigengut 
erhielten  sie  statt  1000  gl.,  wie  sie  gefordert,  nur  500  und  als  „Leibding"  statt 
1000  sogar  nur  100  gl.  Wenn  aber  Sicher,  I,  S.  138,  die  Sache  so  darstellt, 
dass  man  den  Konventheri'en  500  gl.  Eigengut  und  1000  gl.  Leibding  zwar 
versprochen,  wodurch  die  Mönche  »zum  tail"  bewogen  worden  seien,  in  ihre 
Aussteuerung  einzuwilligen,  nachher  aber  die  Versprechungen  nicht  gehalten 
habe  (v.  Arx,  II,  S.  583,  folgt  ihm),  so  widerspricht  dies  der  Tatsache,  dass 
die  Zürcher,  Glarner  und  St.  Galler  Boten  (laut  E.  A.)  gleich  von  Anfang  an 
500  gl,  als  Eigengut  und  100  gl.  jährliche  Rente  versprachen  (E.  A.,  IV,  1  b 
S.  651). 

3)  Sicher,  I,  S.  139  4/5. 


203 

Schon  Ende  Juni  d.  J.  hatten  auch  Zürich  und  Glarus  beschlossen, 
dass  die  Konventherren  das  Kloster  räumen  sollten,  da  bereits 
deren  Leibrente  ,,angegangen"  sei.  9  Doch  wurde  dieser  Beschluss 
erst  im  Juli  1531  zur  Ausführung  gebracht,-)  als  endlich  auch 
Glarus  am  2.  Juli  des  genannten  Jahres  die  Urkunde  über  den 
Klosterverkauf  besiegelt  hatte,  ^)  was  Zürich  bereits  am  3.  Sep- 
tember 1530  getan,  ^)  wobei  wiederum  die  Rechte  von  Luzern 
und  Schwyz  formell  vorbehalten  worden  waren.  Am  13.  Juli  1531 
erklärten  die  sechs  Konventherren  urkundlich,  dass  ihnen  ihr 
., Eigentum"  ausgerichtet  und  ihre  Vierteljahrsrente  genügend  ver- 
sichert worden  sei.  weshalb  sie  auf  ihre  bisherigen  Rechte  als 
Konventualen  verzichteten. ') 

Die  Aussteuerung  der  Konventherren  hatte  der  Stadt  St.  Gallen 
und  den  Gotteshausleuten  neue  Lasten  aufgebürdet,  was  für  die 
Stiftsbauern  besonders  bedenklich  war  bei  der  ungünstigen  finan- 
ziellen Lage  ihres  Staatsbudgets.  Bis  Ende  Oktober  1529  hatte 
der  Hauptmann  allein  von  der  Stadt  St.  Gallen  1800  gl.  zur  Be- 
streitung der  Regierungs-  und  Verwaltungsausgaben  entlehnen 
müssen,  '^)  und  zu  Rorschach,  Rosenberg  und  Wil  war  man  bedeu- 
tende Summen  schuldig. ') 

Noch  aber  war  eine  unter  Umständen  sehr  ergiebige  Geld- 
quelle im  St.  Galler  Münster  vorhanden  in  dem  Heiltum,  worunter 
man  die  in  Edelmetall  und  kostbare  Steine  eingefassten  Reliquien 
verstand.  Der  ganze  Schatz  repräsentierte  einen  Wert  von  min- 
destens 10,000  gl.  Nach  dem  Bildersturm  im  Münster,  Februar 
1529,  war  das  Heiltum  von  den  St.  Galler  Bürgern  im  Münster- 
turm eingemauert  worden,  damit  niemand  es  antasten  könnte;-) 
doch  änderte  der  Rat  zu  St.  Gallen  bald  seine  Ansichten  über 
die  Unantastbarkeit   des   Kirchenschatzes.     Als   nämlich  Zürich, 


1)  E.  A.,  IV.  1  b.  Nr.  340  f. 

2)  St.  Galler  Säckelamtsbuch  1531. 

3)  Vad.,  m,  S.  289  9-i3. 

^)  A.-S.,  II,  1631  ;  St.  Gallen  hatte  die  11000  gl.  mit  550  gl.  zu  ver- 
zinsen (Staatsarchiv  Zürich.  Akten  Abtei  St.  Gallen),  zahlte  auch  dem  Zürcher 
Stadtschreiber,  welcher  bei  der  Aufrichtung  des  Vertrags  das  Schriftliche  be- 
sorgt hatte,  100  gl.  fVad.,  III,  S.  283  is). 

■^)  A.-S..  III.  966. 

«j  E.  A.,  IV.  Ib,  Nr.  207  (1)4. 

')  E.  A.,  IV,  1  b,  S.  652  II. 

»)  Vad.,  III,  S.  358/359. 


204 

Glariis  und  St.  Gallen  die  Konventherren  aussteuern  wollten, 
wusste  man  schlechthin  nicht,  woher  man  das  nötige  Geld  nehmen 
sollte.  ^)  Zürich  und  Glarus  hatten  dies  kommen  sehen  und  be- 
reits im  Oktober  1529  beim  St.  Galler  Rat  angeklopft,  um  zu 
erfahren,  ob  er,  gleich  den  beiden  Orten,  geneigt  wäre,  das  Heil- 
tum  in  klingende  Münze  zu  verwandeln.  Auf  die  Anfrage  hin 
fanden  Kleine  und  Grosse  Räte,  es  wäre  das  beste,  wenn  man 
mit  den  zwei  Orten  in  der  Sache  „frunthch  ainswurd".-)  Unter 
diesen  Umständen  war  eine  Einigung  bald  erzielt,  und  so  wurden 
schon  im  Dezember  1529  die  St.  Galler  mit  den  Zürchern  und 
Glarnern  „ainhellig  des  sins,  das  hailtümb  anzegrifen  und  in  gelt 
ze  verwenden",  da,  wie  hervorgehoben  wurde,  das  Heiltum  doch 
nur  „lautere,  bare"  Abgötterei  sei.  Bereits  am  18.  Dezember 
wurde  dieser  Beschluss  ausgeführt :  ^)  das  Heiltum  wurde  durch 
die  St.  Galler  Goldschmiede  Jakob  Merz  und  Stoffel  Krenk  „zu 
rümpf"  geschlagen  und  die  verschiedenen  Metalle  säuberlich 
von  einander  geschieden.  ^)  Das  Gold  —  24  Mark,  10  Lot  —  wurde 
auf  Wunsch  von  Zürich  Anfang  1530  durch  den  St.  Galler  Seckel- 
meister  Jörg  Zollikofer  zu  Lyon  verkauft,  wofür  er  1720  Kronen 
erhielt.  Das  Silber  —  288  Mark  —  wanderte  in  die  Münze  zu 
Schaffhausen  und  Konstanz;  man  erhielt  dafür  2925  Gulden.  Das 
Kupfer  —  80  Pfund  —  wurde  pfundweise  verkauft.  Die  Edelsteine 
und  Korallen  wurden  bei  zwei  fremden  Krämern  abgesetzt,  er- 
gaben aber  bloss  70  rheinische  Gulden.-')  Der  gesamte  Erlös  aus 
dem  Heiltum  belief  sich  auf  gegen  5000  Gulden.  Zürich  —  Glarus 
hatte  keine  Vollmacht  dazu")  —  einigte  sich  mit  der  Stadt  St.  Gallen 
dahin,  dass  ihr  die  eine  Hälfte  des  Gewinnes,  die  andere  aber 
dem  Hauptmann  im  Namen  der  Gotteshauslandschaft  zufallen 
sollte;  bereits  hatten  nämlich  die  „Geginen"  um  die  Stadt  herum 
einen  Teil  des  Erlöses  reklamiert.  ^')  Doch  kamen  davon  noch  die 
Unkosten,  welche  man  bei  der  Umwandlung  des  Heiltums  in  Geld 
gehabt  hatte,  in  Abzug.    So  erhielt  denn  die  Stadt  für  den  Bau- 


1)  E.  A-,  IV,  Ib,  S.  652  II. 

2)  R.-P.,  1529,  Okt.  3.  und  4. 

3)  Vad.,  III,  S.  231  34. 

4)  E.  A.,  IV,  Ib,  S,  652  III ;  Vad.,  III,  S.  231  35. 

■')  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  378  zu  k;  Vad..  III,  S.  248.  Nr.  55. 
•5)  E.  A.,  IV,  1  b,  Nr.  323  f ;  Vad.,  III,  S.  252  13-15. 
')  St.-A-,  Fase.  14. 


205 

fond  des  Münsters  und  als  Unterstützung  für  die  Armen  9  2122 
Gulden  10  Batzen.  Für  den  Empfang  der  gleichen  Summe  stellte 
Hauptmann  Frei  im  Namen  des  Fürstenlandes  am  10.  November 
1530  St.- Gallen  eine  Quittung  aus.-) 

Mit  diesem  Ereignis  stehen  wir  bereits  in  der  Zeit  Abt  Diet- 
helms,  des  Nachfolgers  von  Kilian,  dessen  ruhelosem  Dasein 
schon  am  30.  August  ein  Unglücksfall  ein  jähes  Ende  gesetzt 
hatte.  Kilian  wollte  nämlich  an  diesem  Tage  den  Grafen  Hugo  von 
Montfort  zu  Tettnang  besuchen,  traf  ihn  aber  nicht  zu  Hause 
und  begab  sich  nach  einem  Frühstück  im  Wirtshause  der  Ort- 
schaft mit  seinen  Begleitern  in  guter  Stimmung  auf  den  Heimweg. 
Der  Abt,  der  ein  ebenso  tüchtiger  Reiter  wie  liebenswürdiger 
Gesellschafter  war,  ritt  einen  grossen,  schwarzen  Hengst  und 
unterhielt  sich  in  fröhlichster  Weise  mit  seinen  Dienern,  dem 
Hofmeister,  dem  Schreiber  Rudolf  Sailer  und  Hans  Nägelin. 
Ohne  unterwegs  noch  anzuhalten,  erreichten  die  vier  Reiter  gegen 
Abend  das  Armenhaus  zu  Bregenz,  wo  die  Kranken  und  Alters- 
schwachen eben  bei  einander  sassen.  Der  Abt  hielt  an,  plauderte 
in  leutseligster  Weise  mit  ihnen  und  reichte  ihnen  beim  Abschied 
ein  Almosen.  Schon  sahen  sie  ihren  Wohnsitz,  das  Schlösschen 
Wolfurt  im  Abendschein  vor  sich  liegen,  da  kamen  sie  an  einen 
Punkt,  wo  die  Wege  sich  trennten;  der  eine  führte  nach  der 
Brücke  über  die  Aach,  der  andere  dem  Flüsschen  entlang  bis 
zu  einer  'Furt.  Man  entschied  sich  für  den  letzteren.  Hans 
Nägelin  ritt  voraus ;  ihm  folgte  Kilian  und  dann  die  andern.  Da 
die  Aach  angeschwollen  war,  versuchten  die  Reiter,  das  Wasser 
weiter  unten,  wo  es  weniger  reissend  schien,  zu  durchqueren. 
Kilian  war  schon  mitten  darin,  als  er  sah,  wie  sein  Vorreiter 
wegen  der  Strömung  Mühe  hatte,  das  jenseitige  Ufer  zu  erreichen. 
Er  wollte  sein  Pferd  flussaufwärts  wenden;  dabei  glitt  es  mit 
den  Hinterbeinen  aus ;  sein  Herr  stürzte  rücklings  auf  die  harten 
Flussteine  und  wurde  unter  dem  schweren  Tier  begraben.   Ein- 


1)  Vad.,  IIL  S.  359  -to. 

2)  Sta.  Tr.,  X,  Nr.  59,  g;  Vad.  (III,  S.  252  u)  nimmt  ^ongefar"  2500  gl. 
an.  welche  je  dem  Hauptmann  und  der  Stadt  St.  Gallen  ausbezahlt  worden 
seien,  was  zu  hoch  gegriffen  ist.  Dass  jeder  Teil  rund  2122  gl.  als  die  Hälfte 
des  Reinertrages  aus  dem  Erlös  des  Heiltums  erhielt,  beweist  auch  eine  detail- 
lierte Berechnung  der  Ein-  und  Ausgaben  beim  Umwandlungsprozess  des  Heil- 
tums in  Geld  (E.  A..  IV.  1  b.  378  zu  k). 


206 

geengt  von  einem  schweren  Filzmantel,  konnte  der  Unglückliche 
sich  nicht  rühren  und  starb  so  an  Erstickung.  Holzflösser,  die 
eben  des  Weges  kamen,  halfen  den  leblosen  Körper  ans  Land 
bringen.  Alle  Belebungsversuche  blieben  fruchtlos,  und  weh- 
klagend umringten  die  Getreuen  den  Leichnam  ihres  Gebieters. 
Mittlerweile  hatten  die  Konventherren  auf  Schloss  Wolfurt 
mit  dem  Nachtessen  auf  ihren  gnädigen  Herrn  gewartet  und  an 
den  Fenstern  Ausschau  gehalten.  Da  sahen  sie  die  vier  Reiter 
der  Aach  sich  nahen,  sahen,  wie  sie  das  Flüsschen  durchquerten 
und  wie  einer  mit  dem  Pferde  stürzte.  Sie  vermochten  aus  der 
Ferne  nicht  zu  erkennen,  wer  es  war.  und  kamen  in  angstvoller 
Hast  dahergeeilt.  Gross  war  ihr  Jammer,  als  sie  ihren  verehrten 
Herrn,  auf  dessen  Heimkehr  sie  sich  eben  noch  gefreut,  als  das 
Opfer  des  Unfalls,  im  Tode  erstarrt,  vorfanden.  ^) 

Am  Morgen  des  ersten  September,  der  Abt  war  am  30.  August 
nachmittags  4  Uhr  ertrunken,  ging  durch  die  Stadt  St.  Gallen 
ein  „gemömel",  dass  Kilian  in  der  Bregenzer  Aach  ertrunken  sei. 
Als  mittags  3  Uhr  ein  St.  Galler  Bürger  dem  Rate  die  Nachricht 
bestätigen  konnte,  erhielt  er  drei  Kronen  Belohnung.  Noch  am 
gleichen  Tage  wurden  Läufer  nach  Zürich  und  Glarus  entsandt  -) 
und  auch  dem  Hauptmann  Frei  die  Kunde  vom  Hinschied  Kihans 
geschrieben.  ^) 

Vadian  aber  verfasste  auf  den  Tod  des  Abtes  ^folgendes 
Gedicht : 

„Quaeritur,  unde  tuae  tam  mox,  Kihane,  supremum 
Attulerit  vitae  mors  inopina  diem? 
Caussa  latet  fati,  quam  sola  aeterna  voluntas 
Novit;  sed  vulgo  nunc  quoque  caussa  datur: 
Quod  cuperes  similis  Pharaoni  in  luce  A^ideri, 
Mors  tibi  communis  cum  Pharaone  fuit."  ^) 
Fridolin  Sicher  jedoch  macht  zum  Tode   des  Abtes   die  Be- 
merkung:  „vilicht  darumb  in  Got   der  her  habe  .  .  .  .  uß  dißer 


1)  Tgb.  Sali..  Fol.  133  f.  Über  die  Begräbnisstätte  berichtet  Mezler  (S. 
650),  dass  Kilian  begraben  wurde  „in  sunimo  templo  coenobii  Brigantini,  in 
choro  sinistra  abside,  ubi  et  epitaphinm  eins  hodie  conspicitur. " 

2)  Vad.,  III,  S.  263  u  ;  E.  A..  IV,  1  b.  Nr.  378  zua  2  ;  siehe  auch  V.-B.-S., 
Nr.  612. 

=^)  A.-S..  II,  1624  ;  siehe  auch  A.-S.,  II,  1629  1. 
'*)  Vad.,  II,  S.  415  30-35;  vgl.  Sabb..  S.  341  f. 


207 

zit   genomen,   darumb   daß   die   boßhait   sin    gut   fürnemen   und 
stantmüetigkait  nit  veränderete".  ^) 

Kessler  endlich  vergisst  nicht,  daran  zu  erinnern,  wie  der 
Abt,  als  man  ihm  im  vergangenen  Mai  nur  dann  Geleit  auf  den 
Tag  nach  Baden  geben  wollte,  wenn  er  seinen  Mönchsstand  mit  bi- 
blischer Schrift  begründe,  „sinen  armen  ussgestreckt  mit  den  witen 
kuttenermlen  und  gesprochen:  ,In  diser  kuten  wil  ich  sterben'  ".2) 


1)  Sicher.  I.  S.  150  8-11. 

2)  Sabb..  S.  341  27-28. 


208 


Nachwort 


Niemand  wird  leugnen  können,  dass  die  religiös-politischen 
Bewegungen,  die  eben  an  unsern  Augen  vorübergezogen  sind, 
in  ihren  Hauptlinien  wuchtig  und  imposant  sind.  Ein  kühner, 
grosser  Zug  durchweht  sie;  denn  eine  mächtige  Persönlichkeit 
steht  im  Mittelpunkt  dieser  Ereignisse,  leitet  und  beherrscht  sie : 
Zwingli. 

Vom  Rechtsboden  aus  betrachtet,  sind  es  freilich  meisten- 
teils trübe  Bilder.  Gewalt  geht  vor  Recht ;  rücksichtslos  werden 
verbriefte  Rechte  und  Gewohnheiten  mit  Füssen  getreten ;  Leben 
und  Eigentum  geraten  in  Gefahr:  es  ist  die  offene  Revolution, 
welche  Zwingli  in  der  Ostschweiz  entfachte.  Aber  nicht  nur 
hier;  denn  strahlenförmig  fluten  von  Zürich  aus  die  Wellen  des 
neuen  Glaubens  nach  allen  Seiten,  ohne  vor  den  Grenzpfählen 
der  Eidgenossenschaft  Halt  zu  machen.  Durch  diese  aber  geht 
seitdem  ein  tiefer  Riss,  der  die  katholischen  Eidgenossen  von 
den  reformierten  scheidet  und  jede  kräftige  auswärtige  Politik 
lähmt,  ja  den  stolzen  Bau  der  alten  Eidgenossenschaft  selbst 
unterhöhlt.  Diese  Kluft  ist  bis  jetzt  mit  nichten  ausgefüllt.  Von 
dieser  Seite  gesehen,  waren  die  Folgen  von  Zwingiis  Auftreten 
ausserordentlich  verhängnisvoll. 

Trotzdem  dürfen  die  Reformierten  mit  Stolz  und  Bewunderung 
auf  Zwingli  blicken;  denn  dieser  Mann  hat  seine  ganze  gewaltige 
Geisteskraft  in  den  Dienst  einer  grossen  Idee  gestellt :  sein  Vater- 
land religiös  und  politisch  zu  reformieren.  Für  diesen  grossen 
Gedanken  kämpfte  er  sein  Leben  lang.  Dass  der  Reformator 
bei  der  Durchführung  seiner  tief  einschneidenden  Reformen  nicht 
immer  auf  dem  legalen  Wege  bleiben  konnte,  sondern  oft  in  ge- 
walttätiger, revolutionärer  Weise  vorgehen  musste,  leuchtet  ein; 
denn  so  gewaltige,  tiefgehende  Umwälzungen  sind,  wie  die  Welt- 
geschichte beweist,  nie  und  nimmer  nur  auf  friedlichem,  gesetz- 
lichem Wege  durchführbar  gewesen. 


209 

Aber  die  V  Orte  waren  nicht  gewillt,  sich  dieses  Auftreten 
Zwingiis  und  der  Zürcher  auf  die  Länge  gefallen  zu  lassen,  und 
so  brach  denn  bereits  1531  von  neuem  der  Bürgerkrieg  aus.  Er 
führte  die  Zürcher  nach  Kappel,  wo  am  11.  Oktober  jenes  Gefecht 
stattfand,  das  durch  den  Tod  Zwingiis  für  die  reformierte  Schweiz 
von  unabsehbarer  Tragweite  wurde.  Der  zweite  Kappeier  Land- 
friede wäre,  darf  man  wohl  behaupten,  zu  Lebzeiten  Zwingiis 
nicht  möglich  gewesen;  denn  durch  diesen  Frieden  vom  31.  Januar 
1532,  der  allerdings  dem  brudermörderischen  Kampfe  ein  Ende 
machte,  wurde  die  Reformation  der  Schweiz  zum  Stillstand  und 
Rückschritt  verurteilt.  ' 

,,0  ainer  frommen  gmaind  St.  Gallen!"  hatte  Vadian  ausge- 
rufen, als  er  die  Artikel  des  Friedensschlusses  zwischen  Zürich 
und  den  V  Orten  erfuhr.  Und  in  der  Tat  war  dieser  Landfriede 
für  St.  Gallen  ein  furchtbarer  Schlag.  Diethelm  Blarer,  Kilians 
Nachfolger  in  der  Abtwürde,  musste  anerkannt  und  ihm  von  der 
Stadt  eine  Entschädigung  von  10,000  Gulden  entrichtet  werden. 
Wieder  erhoben  sich  in  der  Stiftskirche  die  Altäre  und  „Götzen". 
Am  1.  März  1532  hielt  der  Abt  mit  seinem  Konvent  feierlichen 
Einzug  im  Kloster  und  ging  nun,  unterstützt  von  Luzern  und 
Schwyz,  mit  rücksichtsloser  Energie  an  die  Rekatholisierung  seiner 
Gebiete.  Binnen  wenigen  Jahren  hatte  er  dieses  Ziel  im  Fürsten- 
lande erreicht;  in  der  Heimat  Zwingiis  jedoch,  im  Toggenburg, 
hatten  seine  Restaurationsbemühungen  geringeren  Erfolg.  Zwar 
wurden  die  Bewohner  der  Grafschaft  wieder  dem  Abt  unter- 
worfen ;  aber  die  Mehrheit  der  Toggenburger  blieb  trotz  Anfech- 
tungen beim  evangelischen  Glauben,  so  dass  der  Abt  ihnen 
schliesslich  die  evangelische  Predigt  und  die  Errichtung  paritä- 
tischer Gemeinden  gestattete. 

Mit  der  Rückkehr  des  Abtes  in  seine  Herrschaft  und  der 
Wiederaufrichtung  des  alten  Gottesdienstes  in  der  Pfalz  regten 
sich  natürlich  auch  in  der  Stadt  St.  Gallen  die  Anhänger  des  alten 
Glaubens.  „Dazu  kamen  die  Kriegskosten,  die  hohe  Entschädi- 
gungssumme ans  Kloster,^)  die  Rückkehr  der  Landschaft  zur  alten 
Kirche  und  die  damit  verbundene  Vertreibung  der  evangehschen 
Prädikanten,  Schmäh-  und  Trutzworte  aller  Art,  namentlich  gegen 


')  Siehe  oben. 

St.  Galler  Mittlgn.  z.  vaterlänil.  (resch.  XXXIII. 


14 


210 

Vadian."  ^)  „Es  bedurfte  eines  unendlichen  Masses  von  Klugheit, 
Geduld  und  Gottvertrauen,  um  evangelische  Bildung  und  Sitte 
trotz  so  vieler  Schwierigkeiten  der  Stadt  St.  Gallen  zu  erhalten. 
Wenn  das  gelang,  so  lag  das  Hauptverdienst  bei  dem  Mann, 
der  im  Glück  besonnen  und  massvoll,  im  Unglück  mutig  und 
standhaft  zu  sein  verstand",  -)  bei  Joachim  von  Watt. 


^)  Götzinger:  Vadian,  S.  58. 

2)  Arbenz,  St.  Galler  Neujahrsblatt  1905,  S.  18. 


211 


Beilage  I. 


Schwyz,  13.  Dezember  1526. 

Abscheid  von  beiden  orthen 
Schwytz  und  Glaruß  usgangen. 

„Wier  der  landamann  und  gantzer  landsratt  zu  Schwitz  mitsampt  unser 
lieben  Eidgnossen  von  Glarus  ersam  wyß  botschafft  vergechend  und  thünd 
kundt  hieran  öffentlich  bekennende:  alls  sich  dann  durch  die  jetz  ein  zitt  bar 
schwebenden  löuff  zugetragen  und  begeben  haben  spenn  und  zwytracht  enzwüschen 
dem  hochwürdigen  in  gott  fürsten  und  herren  herren  Francisco,  abtte  des 
gotzhus  Sant  Gallen,  eins  und  siner  gnaden  lütten,  unsern  gütten  fründen  und 
getrüwen,  lieben  lantlütten  uß  der  graffschafft  Toggenburg,  genieinlich  und 
sunderlich,  anders  theills,  welich  spenn  und  uneinikeit  sich  so  wytt  verzogen, 
das  wir  obgenanten  von  beden  lendren  Schwitz  und  Glarus  durch  des  obge- 
nanten  unsers  gnedigen  herren  von  Sant  Gallen  anwellt  zürn  dickernmal  umb 
recht  angerüfft  und  ersucht  sind,  nach  lutt  der  lantrechten,  so  wir  bede  lender 
mitt  den  parthyen  zu  beden  theiln  band,  in  sömlicher  maß,  das  wir  nitt  band 
können  vorsin,  sunder  daiaimb  ein  tag  angsetzt  und  den  den  parthyen  zu  beiden 
theiln  verkünt,  sömlichen  angesetzten  tag  zürn  rechten  oder  zu  der  güttikeit  zu 
verstan,  und  deshalb  die  parthyen  und  sunderlich  unser  lantlütt  uß  der  graff- 
schafft Toggenburg  dermassen  beschriben  und  erfordert,  das  sy  zu  allen  theiln 
sämpt  und  sunders  erschinen  und  den  tag  zum  rechten  und  in  der  güttikeit,  ob 
die  sin  möchte,  verstanden  ;  und  so  nun  der  articklen,  dero  sich  unser  gnediger 
her  von  Sant  Gallen  gegen  unsern  lantlütten  uß  der  graffschafft  beclagt,  eben 
vil  und  nämlichen  der  erst  die  geistlichen  lechen  berürend,  es  sye,  das  die  un- 
serm  gnedigen  herren  von  Sant  Gallen  oder  andren  lechenherren  zustanden, 
daran  sin  gnad  und  ander  lecheuherrn  ettlicher  gstailtt  verhindert  und  gesumpt ; 
dann  da  üppig,  schnöd  und  uffrürisch  lutterisch  pfaffen  genommen  und  enthallten, 
die  das  gemein  volck  uffrürisch,  ungehorsam  und  der  oberkeit  und  erberkeit 
gantz  widerwertig  machen  nitt  allein,  sunder  ouch  zu  besorgen,  die  armen  lüt  an 
seel  und  eren  verderben,  und  so  sin  gnad  und  ander  lechenherren  und  sunder 
sin  gnad,  dem  alle  oberkeit  züstadt,  durch  sin  züthün  die  gern  strafften,  so  mög 
s(in)  g(nad)  des   an  den  underthanen  und  lantlüten  nitt  statt  finden,   deshalb 


212 

s(iner)  g(naden)  und  andren  lechenherren  ire  lechen  verspertt,  weliches  s(iner) 
g(naden)  der  höchst  und  gröst  artikel ;  dann  siner  gnaden  gwüßny  damit  fast  be- 
schwert der  armen  lütten  halb,  die  durch  söllich  pfaffen  an  der  seel  zu  besoi'gen 
verletzt  und  verderbtt,  deshalb  s(in)  g(nad)  vermeint,  ime  da  beholffen  ze  sinde, 
das  s(in)  g(nad)  by  semlichen  sinen  geistlichen  lechen  fry  beliben  möchte,  darzu 
ouch  ander  lechenherren  by  iren  geistlichen  lechnen  in  der  graflfschaff't,  alls  der. 
dem  die  oberkeit  zughört,  beschirmen  und  das  übell  in  söllichem  gstraffen 
niöcht  etc. 

Dargegen  sieh  aber  unser  lantlüt  uß  der  graffschatft  beclagtt  und  vermeint, 
inen  sömlicher  artikel  nit  dar  erscheint  gsin,  das  sy  sich  daruff  beratten  und 
gewallt  haben,  der  gstallt  darumb  ze  handien,  wiewoli  sy  min  gnedigen  herren 
von  Sant  Gallen  noch  andren  in  ir  geistlichen  lechen  nitt  redent,  und  uns  des- 
halb umb  hilfif  und  ratt  gebetten  etc. 

Und  uff  söllich  beder  theilen  darthün,  mitt  wyttenn  inhallt  zu  mellden  alles 
unnöttig,  band  wir  umb  disen  artikell  anfangs  die  güttikeit  besucht  der  hoffnung, 
den  güttlich  hin  und  abweg  zu  bringen,  und  haben  an  unsers  gnedigen  herren 
von  Sant  Gallen  anwellten  funden,  das  wir  one  zwiffell  verhofft,  denselbigen 
artikell  allso  angenommen  hetten,  und  hatten  ouch  zügseit  den  anzunemmen, 
alls  hienach  statt: 

Item,  das  ein  herr  von  Sant  Gallen  und  ander  lechenherren  by  iren  geist- 
lichen lechen  fry  beliben,  von  den  lantlütten  uß  der  graffschafft  sampt  und 
sunders  ungesumpt,  und  das  die  lechenherren,   so  ein  pfründ  ledig,  die  woll 
mögen  besetzen  mitt  einem  priester,  der  im,  dem  lechenherren,  gfellig.    Doch 
ob  den  underthanen  ein  priester  zu  band  keme,  den  sy  gern  welltend  han,  mö- 
gend sy  wol  für  in  bitten,  in  hoffnung,  ein  lechenherr  wurde  sy  ir  bitt  eren  und 
inen  ein  sömlichen,  für  den  sy  gebetten,  geben;  doch  soll  ein  herr  des  nitt  ge- 
bunden sin,  ein  söllicher  priester,  für  den  gebetten,  wer  im  dann  gfellig.    Und 
ob  sach  wurd,  das  ein  priester,  dem  allso  ein  pfründ  geliehen,  sich  über  kurtz 
oder  lang  unfromklich,  unerlich,  unpriesterlich  oder  uncristenlich  hiellt  und  das 
kuntlich  wurd,  das  er  dardurch  einem  lechenherren  widerwerttig  wurd,  soll  dann 
ein  lechenherr  gwallt  han,  den  dannen  zthün  und  in  der  pfründ  zu  entsetzen ; 
ob  aber  die  underthanen  vermeinten,  das  einer  nit  so  vil  übells  gehandlet,  das 
er  darumb  der  pfriind  entsetzt  sollte  werden,   sollen  die  Ursachen  miner  herren 
von  Schwitz  undGlaris  rätten  oder  iren  verordnetten  hotten  angezeigt  werden; 
die  mögend  sich  dann  darüber  erkennen,  ob  er  dannen  solle  oder  da  bliben,  und 
weders  dieselben  von  Schwitz  und  Glarus  sich  darüber  erkennent,  daby  soll 
es  dann  bliben.    Harwiderumb  ob  ein  söllicher  priester  sich  hiellte,   das  er  den 
underthanen  ouch  wider  wertig  und  sy  meinten,  das  ein  lechenherr  inen  den  ab- 
nemen  und  sy  mit  einem  andren  fürsechen  sollte,  sönd  sy  das  eim  lechenherren 


213 

anzeigen.  Wirtt  der  mitt  inen  eins,  das  die  Ursachen  so  groß,  so  bedarifs  nit 
witter;  ob  aber  ein  lechenherr  vermeinte,  die  Ursachen  nit  so  groß,  das  der 
priester  dorumb  ab  der  pfründ  solle,  soll  der  handeil  aber,  wie  oblutt,  komen 
für  miner  herren  von  Schwitz  und  Glarus  rätt  oder  iro  vei'ordnetten  botten, 
und  was  sy  sich  darüber  erkennent,  daby  soll  es  ouch  den  bliben,  damit  und 
weder  ein  lechenherr  noch  die  underthanen  mitt  keim  pfaffen  gfarlich  beschwert 
müßten  bliben  etc.  Doch  so  band  unsers  gnedigen  herren  von  Sant  Gallen 
anwellt  unserm  helgen  vatter  dem  bapst  und  bischoifen  zu  Costentz  nüt  haben 
verthädigen  wellen  etc. 

SöUichen  artikell  betten  wir  von  Schwitz  und  Glarus  vermeint,  unser 
lantlütuß  der graffschafft  sollten  den  allso  angenommen  haben;  des  sy  aber  nitt 
gwallt  band  wellen  haben,  den  allso  anzniiemen,  uß  Ursachen  uns  erzeilt,  und 
uns  daruff  ernstlich  gebetten  und  angsucht,  inen  verzug  zu  geben,  den  hinder 
sich  an  ir  gemeinden  zu  bringen,  und  sich  daby  erbotten,  allen  müglichen 
Hiß  anzukeren  und  zu  handien,  das  die  nüwen  lerer  und  uffrürisch,  uncrist- 
lichen  pfaflen  fürderlich  und  angends  dannen  komen  und  uß  der  graffschafft  ge- 
than  (werden). 

Dargegen  aber  unsers  gnädigen  herren  anwellt  uns  zum  höchsten  inhallt 
des  landsrechtt,  so  sin  gnad  mit  uns  hatt,  umb  recht  angerufft  und  ersucht,  des 
wir  sinen  gnaden  nitt  wol  könden  vorsin,  wo  sich  die  spenn  göttlich  nitt  zer- 
tragen  sollten.  Jedoch  uff  das  früntlich  versprechen  und  zusagen,  so  uns  unser 
lantlüt  uß  der  graffschafl't  gethan,  haben  wir  uns  für  die  gemellten  unsers 
gnädigen  herren  von  Sant  Gallen  an  wellt  uff  dis  mal  gemechttiget  und  sy 
jetzmaln  bedersyt  abgeferttiget  allso,  das  unser  lantlüt  uß  der  graffschafft  inhallt 
irs  Versprechens  und  züsagens  die  bösen  pfaffen  hinweg  wysend  und  uß  der 
graffschafft  thügend;  dann  wir  iro  ye  da  nitt  wellend;  darzü  das  sy  unserm 
gnedigen  herren  von  Sant  Gallen  gebint,  das  sy  im  schulldig  syen,  desglychen 
das  sy  sich  mitt  sinen  gnaden  umb  all  spenn  understanden  guttlich  zu  vertragen ; 
dann  wir  werden  uffsechen  haben,  wie  sy  sich  hierin  werden  hallten;  und  ob  sy 
fürderlich  irem  zusagen  nach  handlendt,  wirf  inen  der  verzug  des  rechten,  ob 
die  güttikeit  vorhin  nitt  funden,  dester  lenger  verstreckt.  Wo  sy  aber  sumig 
und  dise  handlung  und  sunderlich  der  üppigen  uffrürischen  pfaffen  halb  in  beitt- 
winckell  und  verzug  stellen,  wurden  wir  uff  das  villfalltig  ernstlich  anrüffen 
unsers  gnedigen  herren  von  Sant  Gallen  nitt  mögen  ußgan,  sunder  einen 
fürderlichen  rechttag  ansetzen  und  inen  den  verkünden,  das  sy  den  besuchen 
und  mitt  vollem  gewallt  verfaßt  erschinen,  uß  kraff't  des  lantrechts  und  der 
manung,  hievor  daruff'  beschechen,  und  wurden  dann  hinfür  die  sach  nit  lenger 
uffschieben,  sunder  dem  rechten  sin  stat  geben  und  yedem  theill  lassen  gelangen, 
darzu  er  recht  hatt. 


214 

Wir  werden  ouch  sömlich  uffrCirisch,  uncristenlich  pfafFen  in  der  grafFschafft 
nit  lyden  noch  dulden,  sunder  unser  lib  und  gut  darzüsetzeu,  das  die  hinweg 
gethan  werden,  deshalb  wir  unsern  lantlütten  uß  der  grafFschafft  trüwlich 
ratten,  das  sy  den  artikell  die  geistlichen  lechen  berürend,  hie  oben  angezeigt, 
Avol  mögen  annemen,  darzfi  umb  ander  spenn  sich  niitt  unserem  gnedigen  herren 
güttlich  vereinen  und  thügend,  das  sy  im  schulldig  syen,  umb  das  sy  und  wir 
zu  i'üwen  kommen. 

Und  so  das  von  inen  beschicht,  so  wend  wir  inen  beholffen  sin,  das  sy  mitt 
curtisanen  nitt  beschwert,  ouch  wo  ein  pfaff  by  inen  belechnett,  das  der  ouch 
die  pfrund  selb  besitzen  (sollt)  und  die  hinder  inen  den  underthanen  nit  ver- 
wandle, versetze,  verkouffe  noch  vertusche ;  sunder  ob  einer  darvon  wellt,  das 
er  die  pfrund  fiy  resignieren  und  uffgeben  sollt  etc.,  alles  uß  krafft  der  artiklen, 
so  die  Eidgnossen  söllicher  Sachen  halb  mit  einandren  band  angenommen. 

Wir  werden  ouch  mitt  den  lechenherren  reden  und  handien,  das  sy  inen 
behollffen  syen  und  den  armen  lütten  söllich  uncristenlich  und  uni^riesterlich 
pfaffen  abnement.  Harumb  so  wend  wir  die  lantlüt  gemeinlich  und  sunderlich 
in  der  graffschafft  Toggenburg  früntlich  vermant  und  gebetten  haben  in 
güttem  vertrüwen,  sy  wellint  ansechen,  was  inen  und  uns  daran  gelegen,  und 
hierin  handien  und  thün,  damit  unser  gnediger  her  von  Sant  Gallen,  sy  und 
wir  mitteinandren  zu  friden,  rüwen  und  einikeit  kommen  und  bliben,  wie  unser 
vorelltern  und  wier  yewellten  gsin  und  bliben.  So  das  erfunden,  wurden  söllichs 
zu  gut  annemen  und  früntlich  haben  zu  verdienen. 

Des  zu  urkund  band  wir  den  parthyen  zu  beden  theilen  einen  abscheid 
geben  mitt  unser  dero  von  Schwitz  gemeinem  insigell  in  beder  lender  namen 
besigellt,  geben  uff  sannt  Josts  tag,  anno  xv*^  und  xxvj  jar." 

{Stiftsarchiv  St.  Gallen,  Bd.  1427,  f.  104—107,  Original.) 


215 


Beilage  II. 


Supplication  an  kay(serliche)  m(ajesta)t. 

Hernach  volgt  der  fürtrag,  so  min  gnedigerr  herr  abbt  Killian  vor 
rö(mische)r  kay(serliclier)m(ajesta)t  und  gmainen  stenden  des  rychs  zu 
Ougspurg  fürgetragen  hat,  etc. 
Allerdurchlüchtigister,  großmechtigister  kayser,  allergnedigister  herre, 
ewer  kay(serliche)  ra(ajesta)t  gerueche,  diss  unser  nachvolgendt  hochbeschwär- 
lich  ob-  und  anligen  allergnedigst  ze  verneinen.  Wiewol  unser  alt,  wirdig  gotz- 
huse  nunmer  ob  nünhundert  jarn  in  gaistlichem  wesen  und  wirden  bstanden 
und  alßbald  nach  erster  fundation  von  den  zyten  wylundt  kayser  Pipini,  dess 
grossen  Karoli  und  andern  mer  e(wer)  kay(serlichen)  m(ajesta)t  vorfarn,  rö- 
mischen kaysern,  vil  und  manigfaltig,  hoch  und  rychlich  dotiert,  begabt  und 
mit  allerlay  namhaiften  Privilegien  nach  und  nach  gefryt,  begnadt  und  für- 
sechen  und  gevorthailt,  ouch  ye  allwegens  in  des  haiigen  rychs  sondern  gnaden, 
schütz,  schirm  und  verspruch  gewesen  und  pliben,  deßglich  wir  ouch  unsers 
gotzhus  regalia  und  weltlichait,  deßglichen  manschafften,  ober-  und  herrlichaiten, 
ouch  gaistliche  und  weltliche  lechenschaiften,  mitsampt  lüten,  zechenden,  zinsen, 
nützen,  gülten,  grechtigkaiten  und  der  aller  züghörungen  von  e(wer)  k(ayser- 
lichen)  m(ajesta)t  und  dem  haiigen  römschen  ryche  zu  lechen  tragen  und  ouch 
derselben  ain  tayl  pfandswyse  innhaben,  deßhalb  wir  dann  e(wer)  k(ayserlichen) 
m(ajesta)t  und  derselben  vorfarn,  röm(isch)en  kaysern,  in  allen  und  yeden  des 
rychs  anschlegen,  contributionen  und  uflagen  verfangen,  ouch  biß  dahar  ge- 
horsam und  gwertig  erschinen  und  noch  füran  unsers  höchsten  und  besten  ver- 
mugens  zu  erschainen  genaigt  warn ;  wiewol  ouch  obangeregt  unser  gotzhuse 
von  wylundt  den  haiigen  vättern  sant  Othmarn  und  sant  Gallen,  ouch  der- 
selben allen  und  yeden  successorn  und  nachvolgern  bis  uff  uns  mit  täglich  und 
nächtlichem  cristenlichem  gotzdienste  singens  und  lesens  nach  insatzung  und 
regel  sancti  Benedi cti  one  alles uf hörn  loblichgeregierrtund  verwalten  worden, 
deßglichen  ouch  sy  und  wir  uns  in  aller  gaistlich  und  zytlich  Verwaltungen 
in  gestalt  und  massen,  wie  regulierten  ordenslüten  gezimpt  und  wir  one  nim 
mit  warhait  wol  darthftn  mögen,  so  ains  ingezognen,  unverdächtlichen,  gaist- 
lichen  wandel,  leben  und  Vorbilds,  ouch  gegen  unsern  nechsten  und  armen  ains 


216 

mitlidenlichen,  muten  gmütz  und  handtraichens  beflissen  und  gehalten,  das  wir 
unsers  verhoffens  jemandtz,  sich  ab  uns  zu  ergern,  zu  erclagen  oder  wider  uns 
in  Unwillen  zu  erhaben  und  (uns)  des  unsern  gwaltigklich  zu  entsetzen  und  zu 
Verstössen,  gar  kain  ursach  gegeben:  nochdann,  das  alles  unangesechen,  ouch 
unbedacht  der  manigfaltigen  wol-  und  guttäten,  so  rychen  und  armen  der  statt  zu 
Sant  Gallen  von  unsern  vorfaren,  uns  und  unserm  gotzhus  yewälten  har  be- 
gegnet, och  zuvorderst  in  vergesß  der  aid-  und  lechenspflichten,  darmit  N. 
burgermaister,  rädt,  gemaind  und  burger  obbermelter  statt  Sant  Gallen  un- 
serm wirdigen  gotzhuse  saraent  unddero  jede  sonderlich  zügethan  und  verwandt 
syen,  habent  sich  dieselben  zu  Sant  Gallen  ettwelich  jar  und  zyt,  sider  der 
lutersch  ungloube  im  haiigen  rych  hochtütscherr  nation  entstanden  und  zü- 
voran  diser  unser  lantzard  schwärlich  ingeprochen  und  überhande  genomen, 
understanden,  uns  an  gepruch  und  Übung  unsrer  gaistlich  und  zitlich  Verwaltung 
und  regierungen  wider  unser  kaiserlich  und  ordens  fryhaiten,  ouch  vertrag, 
pündtnussen,  alt,  rechtmessig,  unverdächtlich  herkomen,  possession  und  quasi 
hochlich  anzufechten,  zu  betrüben  und  mit  täglichen  ingriffen  und  nüwerungen 
zu  beschwären.  Dess  alles  wir  doch  nach  inschwebender  loütf  und  zytens  gstalt- 
same  und  sorglichait  mit  höchster  gedult  überstanden  und  unsere  widerwertigen 
dardurch  zu  überwinden,  ouch  irer  erbitterten  hertzen  und  gmüt  zu  erwaichen 
verhofli't,  aber  glichwol  darmit  nit  mer  erlangt  haben,  dann  das  sy  darab  erhal- 
starckt  und  nach  manigfaltiger  antaschtung,  Verletzung,  schmächung  und  zu- 
gefügten beschwarungn  zületzst  zügfaren,  uns  in  schyn  ains  guten  und  mit  in- 
mischung  vil  süsser  bewegnussen  von  unserm  gaistlichen  habitt,  ouch  zu  ab- 
stellung  und  zerrstörung  alles  cristenlichen  gotzdiensts  (den  sy  mit  höchster 
gotzlesterung  ain  verwandte  götzery  nemmen)  zu  bewegen,  darin  sy  doch  wylundt 
unsers  abgestorbnen  prelaten  selbigen,  so  domals  nit  anhaimsch  was,  willen  und 
antwurt  nit  erwarten  mugen;  besonder  zu  offembarer  bezügung  ires  gewalttät- 
lichen, gottlosen  Vorhabens  syen  sy  gestragks  in  unser  gotzhus  und  kirchen  mit 
grosser  wuet,  ungestimme  und  werhaffter  band  frävenlich  ingefallen,  daselbst 
in  der  kirchen  alle  altär,  gepildtnussen,  gestül,  portigk,  und  was  sy  der  enden 
zu  volpringung  göttlicher  dienst  und  ämpter  gewidmet  gefunden,  ernidergerissen, 
die  gotzzierd,  ordnätund  clinodien  derkirch  angegriffen,  das  hailtum  prophaniert, 
die  reliquias,  corpör  und  gepain  der  haiigen  ußgeschüttet  und  das,  so  an 
edlem  gstain,  gold,  silber  und  costparer  beclaidung  zugegen  gewesen,  zu  irn 
banden  und  in  ir  unordenliche  gwaltsame,  in  willen  und  mainung  (als  wir  dessen 
waren  bericht  und  gut  wissen  tragen),  under  sy  und  ire  mithelffer  uszetailen, 
ingezogen.  Durch  welch  ir  gepflegne  wustung  und  abstellung  alles  cristenlichen 
gotzdiensts,  und  ouch  nachdem  wir  uns  nit  gnügsam  mer  by  inen  sicher  gewisset, 
sy  uns,  usser  unserm  gotzhuse  zu  entussern  und  unser  haile  in  rechtgegründte 


217 

flucht  zu  stellen,  betrungen  und  doch  an  dem  allein  kain  genügen  getragen,  be- 
sonder, als  in  disen  wylen  wylundt  unser  wirdiger,  geti'üwer  und  gnediger  prelat 
und  vatter  abbt  Franciscus  todes  verschiden,  haben  sy  sich  ei-st  unsers  gotz- 
hus  allentklich  underfangen,  dasselb  mit  grossem  züsatz  beschwärdt  und  ettwe- 
lich  unser  liebe  convent-  und  layprüder,  ouch  weltliche  gepriester,  ampt-  und 
dienstlüt,  so  wir  dennocht  daselbst  hinder  uns  gelassen,  in  ir  vermaindte  aids- 
pflicht  ervordert  und  ufgenomen  und  den  allen  darby  ernstlich  gepotten,  mich 
jetzigen  unwirdigen  prelateu  für  irn  herren  und  obern  nit  anzenemen,  zu  er- 
kennen noch  nüt  in  wenig  oder  vilem  gwertig  zu  sind,  deßglichen  ouch  dieselben 
conventherrendurclihardtegefengknus  zu  hinlegung  irs  gaistlichen  habits  genöt- 
trengt  und  über  das  alles  ire  mithelffer  von  Zürich  ufge bracht  und  über  uns 
dermassen  angerichtet,  das  uns  dieselben  von  Zürich  on  ainich  zusprüch, 
vordrung  und  verursachen,  ouch  unverwaret  irer  eren  und  uuabgesagt  unsers 
gotzhus  aigen  statt  Wyl,  unser  gotzhus  züKoschach  mit  schloss  und  flecken 
und  andern  unsern  hüsern  und  güttern,  so  dannocht  ainstails  e(wer)  kay (serlichen) 
m(ajesta)t  und  dess  haiigen  rychs  recht  aigenthumb  und  allain  unsers  gotzhus 
lechen  und  pfandt  syen,  mit  gwaltiger  macht  überzogen  und  uns  dieselben  un- 
erbarlich  abgetrungen,  ouch  die  fruchten  von  körn,  win  und  varender  hab  (die 
sy  der  enden  in  grosser  anzal  gefunden)  mit  höchster  unmaß,  mißbruch  und 
wüstung  verdempt  und  verhöret  und  uns  daran  unußsprechenlichen  schaden  und 
nachtail  zugefügt,  deßglichen  unser  und  unsers  gotzhus  armlüt  und  underthanen 
wider  uns  in  abfall  und  ungehorsame  bewegt  und  ufgewiglet,  alles  der  wyse, 
maß  und  gestalt,  das  wir  nunmer  gar  nach  aller  unsrer  gaistlich  und  zitlich 
Verwaltungen,  ouch  hab  und  güttern  one  ainich  billiche  Ursachen  noch  unser 
verwürckung  vertriben,  entsetzt  und  mit  werhafifter  gethat  wider  gott,  eer  und 
recht  beroubt  syen.  Diewyl  wir  nun  danne  in  all  disen  unser  kumerhafften  an- 
fechtungen  und  hochbeschwärlichen  verderplichaiten  und  obligen  by  menig- 
klichem  hilff-  und  trostlos  stond  und  zu  niemandt  dann  e(wer)  k(ayserlichen) 
m(ajesta)t  als  advocaten  der  haiigen  cristenlichen  kirchen  und  aller  derselben 
ingelybten  glidern,  ouch  Schirmherren  aller  beschwärdten  und  belaidigetten  unser 
Zuflucht  zu  suchen  wüssent,  so  thün  hierumb  zu  e(wer)  k(ay serlichen)  m(ajesta)t 
wir  underthänigist  schryeu  und  rüfien,  das  sy  unser  unverschuldt  eilende  aller- 
gnedigist  behertzigen  und  offtermelt  unser  alt,  würdig  stifftung  und  gotzhuse 
nit  also  jemerlich  undertriben  und  vergon  lassen,  besonder  zu  göttlichem  lobe 
und  ewiger  dienstparkait  in  sin  vorigen  stand,  wesen  und  wirden  widerpringen, 
ouch  uns  armen  verjagten  usser  yetziger  schwären  anfechtuug  und  gefengknus 
der  unglöubigen  und  unsrer  widerwertigen  erledigen  und  in  egerürt  unser  gotz- 
hus wider  restituieren  und  insetzen  und  dann  in  dem  allem  irer  m(ajesta)t  und 
dess  haiigen  rychs   recht  aigenthumb,  und  was  inen  deßhalben  von  uns  und 


218 

unserm  gotzlius  ye  zu  zyten  gepürt,  ouch  unser  lechen  und  pfand  für  gwalt  und 
unrecht  gnedigklich  versprechen, beschützen, schirmen  und  handthaben  (welle).  Das 
wellen  umb  e(wer)  kay(serliche)  m(ajesta)t  (welche  der  almechtig  sinen  hailigen, 
ci-istenlichen  glouben,  nammen  und  plut  zu  ufung,  nutz,  eere  und  wolffart  nach 
sinem  gottlichen  willen  aller  zit  in  langwiriger,  glücklicher  regierung  gnedig- 
klich ze  fristen  und  füran  zu  erhöchen  geruche)  wir  gegen  gott  mit  unserm 
armen  demütigen  gepette  und  hie  in  disem  zyt  unsern  underthänigisten,  ge- 
horsamsten diensten  unvergessenlich  zu  verdienen,  uns  ouch  gegen  e(wer) 
kay(serliche)  m(ajesta)t  und  dem  haiigen  ryche  als  desselben  ingelybten  und 
getrüwen  mitverwandten  in  allweg  gewei'tig  und  gehorsampklichen  zu  erzaigen, 
aller  wyle  unsers  höchsten  und  besten  Vermögens  berait  vmd  gütwillig  erfunden 
werden,  uns  hiermit  in  e(wer)  kay(serlichen)  m(ajesta)t  gnad,  verspruch,  schütz 
und  schirm  allerdemüttigist  bevelhennde, 

E(wer)  kay (serlichen)  m(ajesta)t  underthänigist  demütigiste  capplön 
Killian,  abbt,  und  gemainer  convent  des  gotzhuss  zu  Sant  Gallen. 

(Siiftsarchiv  St.  Gallen,  Bd.  101,  S.  107—110;  Tgb.  Sali.  fol.  123  ff.) 


219 


Beilage  III. 


Klageschrift  Abt  Kilians. 

Hernach  volgt  zum  tail  die  iinbillichen  handlungen,  mutwillen  und 
gwaltsami,  so  mit  minem  gnedigen  herren  Kilian,  abbt  des  gotzhus 
Sant  Gallen,  ouch  sinem  wirdigen  convent  und  dem  jetzgesaiten  irem 
gotzhus  frävenlich  fürgenoraen  und  gepiaicht  worden  sind,  wie  und  von 
wem  das  bschechen  ist,  etc. 
Nemlichen  und  dess  ersten,  als  sich  dann  die  nüw  lutersch  und  ver- 
fürisch  sect  und  missgloub  in  der  statt  Sant  Gallen  erhaben  und  von  tag  zu 
tag  zügenomen  und  dermassen  gemeret,  das  sj  von  Sant  Gallen  in  irn 
kirchen  und  cappellen,  in  irer  statt  gelegen,  die  hailig  mesß  und  ander  geprucht 
loblich  gotzdienst,  sampt  den  pildtnussen  und  andern  cristenlichen  brüchen 
alles  abgestelt,  zerrissen,  zerrschlagen  und  hinweg  gethan,  habent  sich  daruf  die- 
selbigen  von  Sant  Gallen  understanden,  den  cristenlichen  gotzdienst,  so  dann 
gantz  unangesechen  diser  irer  unbillichen  und  uncristenlichen  handlung  nacht 
und  tag  in  obberürtem  gotzhus  Sant  Gallen,  in  irer  ringkmur  gelegen,  von 
ainem  herren  abbt  und  sinem  wirdigen  convent  cristenlichem  bruch  nach  mit 
meßhan,  singen  und  lesen  gantz  on  uf hören  gehalten  und  volpracht  worden, 
ouch  uszurüten,  abzethün  und  ze  nuten  zmachen;  dann  sy  disen  cristenlichen 
und  loblichen  gotzdienst  (als  darvon  abgefallen)  nit  mer  erdulden,  sechen  und 
hören  mochten,  imd  also  ufFsant  Mathys  abent  hievor  im  29.  jar  verschinen  ain 
treffenliche  bottschafft,  nemlich  dry  burgermaister,  sechs  zunfftmaister  sampt 
irem  stattschryber  und  ander  in  abwesen  ains  herrn  von  Sant  Gallen  für 
techan  und  gmain  conventherren  in  obberürt  gotzhus  Sant  Gallen,  daran  sy 
dannocht  endtlichen  ainich  gwaltsame,  recht  noch  grechtigkait  nit  gehept  und 
noch  nit  haben,  gschickt  und  an  sy,  die  conventprüder,  nach  langer  red  und 
handlung  mit  inmischung  vil  süsser  worten  pittlichen  begert  und  ervordert, 
nemlichen:  aldiewyl  sy  doch  hordtint  und  täglichs  vernemen  und  sechen,  das 
semlicher  verwandter  gotzdienst  und  götzery,  darmit  sy  dann  in  täglicher  Übung 
umbgiengen  und  pruchten,  wider  götlichs  wort  und  leer  strepte,  demselben 
wider,  ouch  gantz  vergebenlich  und  in  summa  unnütz  wäre,  das  ouch  mit  gött- 
licher gschrifft  für  grecht  und  gut  nit  erfunden  noch  erhalten  werden  möchte. 


220 

das  sy  dann  so  gütwillig  sin  und  inen  bewilgen  weiten,  söllich  pildtnussen  und 
götzery,  deßglichen  die  altär  vor  ougen  dannen  und  hinweg  ze  thund,  dasselb 
dann  ouch  zum  allerzimlichesten  beschechen  sölte,  und  so  sy  inen  in  dem  ver- 
wilgen,  als  sich  dann  oucb  ir  herren  und  sy  zu  inen  und  gantz  kains  abschlags 
versechen  täten,  so  weiten  sy  demnach  als  trüw,  lieb  nachpuren,  ir  lyb  und  gut 
zu  inen  setzen  und  also  inen,  den  conventprüdern,  und  irn  zügehörungen  ir  lyb 
und  gut  zum  trüwlichesten  bschvitzenn  und  bschirmen,  mit  vil  mer  und  langen, 
umbstendigen  werten  etc. 

Daruff  inen  techan  und  gmain  conventprüderr,  inen  den  gesandten  der  statt 
Sant  Gallen,  ainhellentklichen  mit  ainer  semlichen  antwurt  begegnet,  nämlich 
das  sy  ir  schwär  pitt  und  begeren  zum  höchsten  befrömbdte  usß  vil  und  mengerlay 
erzelten  Ursachen,  und  fürnemlichen  sidmal  sy  doch  noch  ainen  regierenden 
herren  und  abbt,  der  ouch  in  lyb  und  leben  und  bi  guter  vernunfft  war.  betten, 
hinder  dem  und  on  sin  gunst,  wüssen  und  willen  inen  gentzlichen  nit  zßstünd, 
solcher  ir  gethaner  erschrockenlicher  pitt  und  anvordrung  bewilgung  ze  geben ; 
weiten  inen  ouch  dermassen  darin  schlechtz  nüntzlt  bewilgen  unnd  nachlassen, 
ob  sy  schon  glichwol  dess  ze  thün  glimpff  und  füg,  als  sy  aber  nit  hetten ;  und 
darumb,  dwyl  dem  also,  war  ir  früntlich  pitt  zum  allerhöchsten  an  sy,  sid  und 
sy  sich  doch  als  gut  nachpuren  berümpten,  sy  weiten  von  semlichem  irm  be- 
geren und  anvordren  gütlich  abston,  ouch  sy  an  dem  end  als  irem  aigenthumb 
und  dem  iren  rüwig  und  daran  ungesumpt  plyben  lassen ;  desselbigen  sy  sich 
dann  ouch  gentzlichen  zu  inen  versechen  weiten. 

Hierwider  die  gesandten  der  statt  Sant  Gallen  wyter  redten:  sy  hetten 
ir  antwurt,  will  und  mainung  verstanden  und  wol  vermaindt,  diss  ir  gethan 
zimlich  ansuchen  und  pitt  war  von  inen  nit  abgeschlagen,  sonder  bester  mainung 
verhördt  und  gütlichen  nachgeben  und  betrachtet,  das  sölichs  allain  inen  und 
irem  gotzhus  zu  gutem  angsecheu  und  beschechen,  darmit  inen  nit  unversechen 
ettwas  wyter  schaden  zustund,  dar  vor  sy  inen  dann  gern  sin  und  verhüten  weiten, 
und  war  ouch  also  glich  wie  vor  ir  begehr  zum  früntlichesten,  inen  ir  gethan 
pitt  nochmals  gütlichen  zu  verwilgen ;  dann  ire  herren  ouch  glouplichen  fürkoraen, 
das  obbemelterr  herr  und  abbt  Franciscus  mit  so  grosser  kranckhait  umb- 
geben  und  beladen  war,  das  er  sich  semlicher  und  derglichen  handlungen  nit 
mer  belüd  und  underwünde;  deßhalber  sy  nümer  ain  techan  und  convent  darfür 
achtetint  alls  die,  so  yetz  söllichen  gwalt  hetten. 

Zu  dem  techan  und  gmainer  convent  inen  mit  antwurt  guter  maß  wie 
vor  begegnotten :  sy  täten  sy  zum  früntlichesten  und  obersten  anrüfien  und  pitten. 
aldiewyl  sy,  wie  vor  verstanden,  noch  ain  regierenden  herren  in  gütter  ver- 
nunfl't,  hinder  dem  sy  dann  söllichs  zu  bewilgen  nit  gwalt  noch  macht  hetten. 
das  sy  dann  inen  nochmals  früntlich  nachlassen  weiten,  semlich  ir  gethan  an- 


221 

pringen  und  begeren  demselbigen  irem  herren  und  vatter  ze  eroffnen  ;   dasselb 
dann  ouch  glich  ze  stund  und  one  lenger  verziechen  beschechen  müste. 

Dartzu  die  botten  der  statt  Sant  Gallen  inen  geantwurt  und  abermals 
wie  vor  pittlichen  begert,  sy  weiten  inen  in  disem  irem  göttlichen  fürnemen 
nochmaln  früntlich  bewilgen ;  dann  ob  und  sover  sy  glichwol  inen  zu  söllichem 
nit  verwilgten,  so  sige  doch  endtlich  irer  herren  ains  klainen  und  grossen  radtz 
bevelch,  will  und  raainung,  semlichs  uff  recht  hin  ze  thund,  dai'mit  die  gepruch- 
ten  und  verwandten  gotzdienst  und  götzery  nit  mer  geübt  und  gehalten,  ouch 
umb  willen  unnd  dardurch  die  ergernuss,  deßhalber  dem  nechsten  gegeben, 
vermitten  plibe  und  undei'lassen  werde. 

Uff  söllichs  techan  und  der  gmain  convent  sy  widerumb  und  abermals 
zum  trungenlichesten  und  ernstlichesten  anrüfften  und  baten,  an  diss  irem  un- 
billichen  fürnemen  und  gwaltsami  stillzestond  und  sich  dei'o  nit  ze  underwinden 
und  anzulegen,  sonder  ouch  zuvoran  ansechen  und  betrachten,  wie  das  wirdig 
ir  gotzhus  S.  Gallen  vor  vil  hundert  jaren  har  von  bäbsten,  kaysern  und  klingen 
so  mergklich  hoch  und  fürtreffenlich  gefryt  sig;  weiten  ouch  nit  in  vergesß  stellen, 
sonder  gedencken  der  loblichen  fryhaiten,  sprüch  und  vertragen,  so  danne  das 
wirdig  gotzhus  und  ain  statt  S.  Gallen  manigfaltigerr  wyß  gegen  enandern 
besigelt  betten,  durch  welch  solch  sprüch  und  vertrag  dann  ouch,  wie  sy  bekant- 
lichen  wüsten,  das  wirdig  gotzhus  in  sinem  gezirck  und  die  statt  S.  Gallen 
durchschaidenlichen  von  enandern  gesündert  und  geschaiden  worden  wären  mit 
bedingtlichen  puncten  und  articklen,  das  sich  die  genanten  von  der  statt  Sant 
Gallen  an  dem  wirdigen  gotzhus  daselbs  gantz  dehainer  gwaltsami,  pott  und 
verpott  nit  anneraen  noch  beladen  söllint,  sonder  das  gotzhus  daran  ungesumpt 
und  unverhindert  rüwig  pliben  lassen  etc.  Semlich  loblich  sprüch  und  vertrag 
sampt  andern  brieven  sy  im  grund  aigenlichen  erlesen;  so  sy  nun  aber  Sachen 
und  laider  hordten,  das  sy  nit  darby  plyben  möchten,  sonder  das  sy  von  Sant 
Gallen  also  in  irem  unbillichen  fürnemen  verharren  und  fürfaren  weiten,  und 
dagegen  inen  dehain  kay(serlich)  fryhait,  die  dann  im  gotzhus  ist,  nit  erschiessen 
noch  sunst  dhain  billichait  hüttztagen  an  inen  helffen  möchte,  so  thäten  sy  inen 
daruff  von  wegen  irs  herren  und  abbts,  ouch  ir  selbs.  recht  pieten  und  für- 
schlachen,  erstlichen  für  unsern  allerhailgisten  vatter  den  babst  und  bästlich 
fryhaiten,  demnach  für  unsern  allergnedigsten  herren  ro(mischen)  kayser  und 
kayserlich  fryhaiten,  deßglichen  für  köni^igklich)  m(ajesta)t  zu  Hungern  und 
Behem,  unsern  gnedigisten  herren,  ouch  für  gmain  Aidtgnossen  und  inson- 
derhait  für  die  vier  ordt  der  Aidtgnoschafft,  neralich  Zürich,  Lutzern, 
Swytz  und  Glarus,  mit  denen  das  wirdig  gotzhus  Sant  Gallen  in  bürg-  und 
landtrecht  behafft  und  verpunden  ist,  und  mit  namen  uff  alle  dess  gotzhus  alt, 
unverserrt  babstlich  und  kay(serlich)  fryhaiten  und  ander  sprüch  und  vei'träg, 


222 

ouch  besigelt  brief,  alles  mit  vil  mer  und  wyterii  gethanen  rechtpotten,  so  aber 
hierin  zu  melden  nit  von  nöten  sind,  etc.  Und  als  nun  aber  sy,  die  genanten 
techan  und  gemainer  convent,  verbordten  und  Sachen,  das  der  enden  weder 
rechtpott,  früntlich  pitt  noch  verzug,  sölchs  an  irn  herren  ze  pringen  lassen, 
und  gantz  nichtzit  überal  mer  erschiessen  noch  hellFen,  sonder  ouch  vernoment 
und  sächent,  das  schon  ain  grosse  zal  volcks  mit  irem  werchzüg  und  Instru- 
menten im  münster  irs  gotzhuses  verordnot  und  daselbst  warten  warent  und 
gwaltigklich  an  sach  gen  wolten,  do  baten  techan  und  convent  die  verordnotten 
botten  der  statt  San  t  Gallen  zum  allerfrüntlichesten  und  gantz  mit  belaidigetten 
hertzen:  aldiewyl  sy  doch  laiderr  sechen  und  spürten,  das  ir  sach,  pitt  und 
begeren  uflF  disem  tag  an  inen  nichtz  erschiessen,  sonder  das  sy  in  irem  für- 
nemen  gwaltigklich  fürfaren,  das  sy  inen  dann  bewilgen  und  nachlassen  weiten, 
semlich  pildtnussen  und  talFlen  sampt  anderm  selbs  abzebrechenn  und  abweg 
ze  thün;  dasselb  sy  dann  ouch  glich  ze  stett  ansichtig  und  on  ainich  verziechen 
thun  und  das  alles  behalten  und  versorgen  (weiten),  darmit  sölichs  nit  zerrissen 
und  zerschlagenn  wurde. 

Diss  alles  aber  gantz  unangesechen  sind  die  verordnotten  der  statt  Sant 
Gallen  glich  ze  stett  mit  aller  wüetung  und  unstimmikait  gwaltigklich  zü- 
gfaren,  sich  daran  weder  kayserlich  fryhaiten  noch  ainich  rechtpott  verhindern 
lassen,  geschwygen  das  sy  daran  lut  brief  und  siglen  kain  gwaltsame,  recht 
noch  grechtigkait  ghept  haben ;  sonnder  also  usß  aigensinnigem  mütwillen  und 
zu  undertruckung  göttlicher  eren  und  gepruchtz  cristenlichs  gotzdiensts  alle 
die  tafilen,  so  im  münster  und  den  cappellen  im  gotzhus  ligende,  deren  dann 
nämlichen  an  ainer  summ  32  gewesen  sind,  abbrochen,  zerrissen  und  zerschlagen 
und  das  alles  überus  gantz  costlich  sampt  andern  vil  umbhangenden  tafflen  [an 
den  muren  und  stainenen  sülen]  ^)  hinus  für  die  statt  und  uff  des  gotzhus  Sant 
Gallen  aigenthumb,  den  Brül  gfürt  und  daselbst  verbrendt  und  demnach  die 
altär  gmainlichen,  dero  dann  ouch  32  gewesen,  ernider  gerissen  und  zerbrochen 
darin  sy  dann  in  ettlichen  gantz  särch  voll  haltumb  funden,  dasselb  si  darus 
genomen,  och  verbrendt,  hinweg  geworffen  und  größlich  entuneret  und  an  dem 
allem  grossen  mütwillen  begangen. 

Sy  band  ouch  daruf  ain  vierfach  überus  costlich  gestül  und  brespiterium 
sampt  ainem  lettmer  und  anderm  im  münster  abbrochen,  ouch  alle  die  gwelber, 
so  ob  den  altären  gwesen,  und  ettlich  muren  und  thüren  in  vermeltem  münster 
ernider  geschlagen  und  zerrzert  und  dartzü  alle  gotzzierdenn  und  klainotter, 
so  sy  der  enden  in  costlicher  anzal  erfunden,  sampt  ettlichen  kelchen,  gfäss  dess 
haltumbs,  zu  irn  banden  genomen  und  fürnemlichen  die  custory  und  derglichen 


*)  Aus  der  Zürcher  Abschrift  eino-efügt. 


223 

anders,  und  darmit  nach  irem  willen  und  gwaltiger  wyß  ghandelt,  unangsechen 
das  sy  dartzü  ainich  füg  nit  hatten.  Und  nach  Vollendung  diser  dingen  allen 
hand  sy  von  der  statt  Sant  Gallen  ir  bottschaflft  widerumb  zum  techan  und 
convent  dess  gotzhus  Sant  Gallen  gschickt  und  sy  pittlichen  ankeren  lassen, 
inen  zu  verwilgen,  ainen  irer  predicanten  uff  neehstkomenden  sonntag  in  das 
münster  zu  stellen  und  darin  predigen  zu  lassen.  Das  habent  sy  inen  abermals 
glich  wie  das  vordrig  ir  beger  gentzlich  abgeschlagen.  Aber  über  das  hand  sy 
von  der  statt  Sant  Gallen  ainen  luterschen  predicanten  darin  gstelt  mit  ir 
selbs  gwalt;  der  prediget  ouch  noch  also  für  und  für. 

Nun  alls  man  den  cristenlichen  und  hochloblichen  gotzdienst  der  enden 
mit  messhan,  singen  und  lesen  nit  mer  volpringen  mögen  noch  könden,  da  hat 
wylundt  der  abgestorben  herr  und  abbt  Franciscus  seiger  gedächtnuß  als  ain 
gotzförchtigerr  herr  und  sorgsamer,  trüwer  vatter  siner  conventuales  ettlich  der- 
selbigen  in  das  gotzhus  zu  den  Ainsidlen  und  anderschwahin  gschickt,  darmit 
sy  gott  dem  almechtigen  dester  bas  gedienen  möchten,  und  ouch,  ob  die  von 
Sant  Gallen,  als  zu  ersorgen,  vilicht  ettwas  wyter  mit  inen  handien  weiten, 
das  sy  sy  doch  nit  gmainlichen  by  enandern  erfundint,  etc. 

Nachvolgendtz  hand  die  dickgemelten  von  der  statt  S.  Gallen  das  wirdig 
gotzhus  mit  aller  gwaltsame,  kay(serlichei')  fryhait,  recht  und  grechtigkait,  ouch 
siner  begryffung  und  zugehörd,  zu  irn  banden  gwaltigklich  mit  weerhaffter 
hand,  unverwart  irer  eren  und  onabgesait,  ouch  on  ainich  rechtmessig  vorur- 
sachen  noch  verdienen,  ingenomen  und  glich  ze  stundt  daruf  alle  conventherren, 
so  domals  noch  im  gotzhus  verharret,  deßglich  sunst  weltlich  priester,  so 
ains  tails  ir  burger  gewesen  und  von  inen  der  nüwen  sect  halber  vertriben  und 
also  ouch  im  gotzhus  und  kay(serliche)r  fryhait  warent,  sampt  dryen  layprüdern 
all  gemainlich  in  gefengknus  glegt  und  bhalten,  dartzü  ouch  ettlich  der  ampt- 
und  dienstlüten  gfangen,  dieselbigen  amptlüt,  ouch  sunst  alles  hofgsind,  in  ir 
vermaindte  aidspüicht  genomen ;  hand  ouch  die  conventherren  dermassen  in 
so  langer  gefengknus  behalten  und  sy  darrmit  zwungen,  das  sy  dess  ordens  be- 
claidung  müssen  abthün;  habent  sy  ouch  daruf  nüntz  dester  minder  wie  ander 
hofgsind  in  ir  aidspflicht  genomen  und  inen,  den  conventherren,  darin  mit 
sonderhait  verpotten,  das  sy  dem  jetzigen,  irem  erweiten  und  bestätigetten  herren 
und  prelaten,  her  Killianen,  gar  nüntzit  enweder  züschryben  noch  erbieten, 
sonder  ouch  hierwider  glicher  wyß  von  im  nichtz  empfachen  und  mit  namen 
überal  sich  sinen  müssigen  und  mit  ime  nichtzit  handien  noch  schaffen  sollen. 
Und  wie  uu  also  darzwischent  jetzgenanter  ir  nüwer  und  bestättigetter  herr 
inen,  den  conventuales,  ain  versigelte  missif  zügschickt.  hand  sy  doch  die  nit 
bedorffen  verlesen,  sonder  der  aidspflicht  nach  die  müssen  denen  von  Sant 
Gallen  überantwurten ;  die  hand  sy  ouch  ufprochen  und,  wiewol  sy  nit  inen 


224 

gstanden  ist,  nüntz  dester  minder  verlesen.  Sy,  die  von  Sant  Gallen,  band 
ouch  die  vorgemelten  weltlichen  priester,  umbe  das  sy  im  gotzhus  gewesen, 
daselbs  meß  und  ander  cristenlich  brüch  gehalten  haben,  usser  irn  gricht  und 
pieten  verpotten  und  glich  derselbigen  tagszyt  ir  statt  müssen  rumen. 

Und  nach  dem  allen  band  die  von  Sant  Gallen  das  wirdig  gotzhus  mit 
ainem  grossen  züsatz  bsetzt,  ouch  vili  der  cborbücher  zerrissen  und  sunst  bücher 
usß  der  libery  genomen,  welche  libery  dann  die  eltist  in  diesen  landen  ist ;  sy 
band  ouch  die  gloggen  usß  (allen)  cappellenn  gnomen,  die  zerschlagen  und  zu 
Lindow  bücbsen  dai-us  giessen  lassen,  habent  ouch  ain  mergklicbe  grosse  summ 
costlichs  wins  verkoufft,  im  gotzhus  gelegen,  und  das  glöst  gelt  zu  irn  banden 
genomen  und  verbrucht.  Und  also  band  die  von  Sant  Gallen  durch  söllichen 
irn  angelegten  mutwillen,  fräfel  u.nd  gwalt,  wie  obstat,  und  in  ander  weg  dem 
wirdigen  gotzhus  Sant  Gallen  ain  semlicben  mergklichen  und  unermeßenlichen 
grossen  schaden  zugfugt,  das  derselbig  nit  wol  muglicb  zu  schätzen  und  zu  er- 
messen ist;  bruchen  ouch  semlichen  gwalt  und  unbillicb  handlung  on  underlass 
für  und  für  an  dem  gotzhus  und  dem  sinen,  alles  gantz  unangesechen,  das  alle 
burger  gmainlicben  der  statt  Sant  Gallen  sampt  und  sonders,  dehainer  uß- 
genomen,  dess  vilgesaiten  gotzhus  Sant  Gallen  geschworen  lechenslüt  sind. 

Nachvolgendtz  so  sind  die  von  Zürich  und  Glarus,  so  danne  ain  herren 
von  Sant  Gallen,  sin  convent  und  gotzhus  lut  brief  und  siglen  helflfen  schirmen 
sölten  etc.,  sampt  den  vilgedacbten  von  Sant  Gallen  nach  gütter  leng  und 
verschinung  diser  hievor  geschribnen  dingen  über  das  gros,  costlich,  schön, 
zierlich  haltumb,  dem  wirdigen  gotzhus  Sant  Gallen  zügebörende,  das  dann 
in  dem  münsterthurn  verschlossen  und  vermuret  gwesen  ist,  gewaltigklichen 
prochen,  das  alles  gantz  fürtreffenlichen,  seer  schön  und  costlich  von  silberr, 
gold,  edlem  gstain  und  berlin,  ußhin  genomen  und  mit  höchster  unmaß  und 
mutwillen  zerrschlagen  und  zerrissen,  das  hailtumb  von  Sant  Gallen  und 
andern  haiigen,  in  schönen  särchen  glegen,  deren  dann  ettlich  sechshundert  jar 
da  gstanden  sind,  darus  gnomen,  under  die  füsß  geworifen,  zertretten  und  ver- 
brendt  und  unsäglich  großlichen  verspotten  und  entunei'et,  ouch  das  alles  zu 
irn  banden  gezogen  und  also  dem  gotzhus  entfüi-t  und  gnomen  und  darmit  dem 
gotzhus  unwiderrpringlicben  schaden  zügfügt ;  dann  sölich  hailtumb  von  silber, 
gold  und  edlem  gstain  nit  wol  muglichen  zu  schätzen  gewesen  ist. 

(Wyter  Zürich  betreffend:) 

Item,  und  als  dann  die  genanten  von  Zürich  sampt  irn  anhengern  den  fünff 
allten  cristenlichen  ordten  der  Aidtgnosschafft  zu  verganngner  irer  ufrur  und 
gebepter  empörung  vyentlichen  abgesagt,  sind  sy  die  bemalten  von  Zürich  daruf 
angendtz  und  glich  ze  stett  mit  gantzer  macht  und  ufrechten  venlinen  gwal- 


225 

tigklichen  dem  obernempten  herren  und  abbt  von  Sant  Gallen,  unentsagt  irer 
eren  und  gantz  onabgesait,  in  sin  und  sins  bemelten  gotzhus  landtschaift  und 
nemlichen  für  sin  aigen  statt  Wyl  zogen,  ime  dieselbig  sampt  dem  gotzhus 
Roschach  und  der  gantzen  landtschafft  onver  schuld  et  und  on  ainich  recht- 
messig  ursach  gantz  unerbarlich  abgetrungen  und  in  ir  vermaindte  aidspflicht 
genomen  und  glich  daruf  das  bemelt  gotzhus  und  schlosß  zu  Roschach,  ouch 
das  hus  zu  Wyl  und  ander  dess  gotzhus  Schlösser  und  hüsern  mit  zusätzern 
bsetzt,  wie  sy  dann  das  alles  noch  gwaltigerr  wyse  mit  dem  regiment  und 
beherschung  under  banden,  und  haben  also  darmit  aim  herren  von  Sant  Gallen 
sine  gotzhuslüt  abzogen,  inen  ursach  und  sterckung  geben,  das  sy  sich  von  ime 
gantz  abgeworffen  haben  und  im  weder  huldigung  noch  ghorsame  thün  wellen, 
sonder  das  sy  sich  aigens  gwaltz  über  und  wider  ir  erbhuldigung.  pflicht  und 
aid  züsamen  veraint  und  verpündtnus  wider  ain  herren  von  Sant  Gallen,  sin 
convent  und  gotzhus  gemacht  und  beschlossen,  ime  ainich  nutzung  noch  gült, 
wie  sy  schuldig  und  von  alter  harkomen  warn,  zu  bezallen,  ouch  gantz  alle 
ghorsame  entzogen,  rädt,  gricht  und  recht  bsetzt  und  ghalten,  dess  sich  doch 
vilgesaiter  her  abbt  von  Sant  Gallen  kainswegs  zu  inen  versechen  und  ver- 
truwt  hette.  Dann  sobald  er  von  bäbstlicherr  hailigkait  und  oixch  kay(serlicher) 
m(ajesta)t,  sinen  allergnedigsten  herren,  bestät  und  confirmiert  ist,  hat  er  dess 
gotzhus  Sant  Gallen  und  sinen  imderthauen  und  zügehörigen  und  iren  ge- 
setzten vermaindten  regierern,  deßglichen  den  sinen  usß  der  grafschafft  Toggen- 
burg schrifftlich  verkündt  und  zu  wüssen  getan,  wie  ime  römisch  kay(serliche) 
m(ajesta)t  dess  gotzhus  regalien,  weltlichait,  fryhait,  lechen,  herlichait  imd  ober- 
kaiten  gnedigklich  geliehen  habe,  mit  angehengkter  beger  und  ermanung,  im  als 
irem  rechten,  natürlichen  herren  huldigung  und  ghorsame  ze  thünd  und  also 
fürterhin  irer  aignen  fürgenommnen  mainung  und  regierung  stillzeston,  die 
fallen  zu  lassen  und  nit  mer  zu  gepruchen,  alles  mit  vil  mer,  lengern  und 
früntlichen,  erjjietenden  Worten  etc.,  das  aber  endtlichen  by  inen  gantz  und  gar 
nichtz  erschiessen  mögen  ;  sonder  handien  sy  für  und  für  irs  willens  und  gfallens, 
habent  und  haltent  ouch  hoche  gricht  und  richtent  überr  das  blüt  und  derglichen 
ander  malefitzisch  hendel,  alles  gantz  unangesechen,  das  allain  obernemptem 
irem  gnedigen  herren  die  regalia,  als  jetz  verstanden,  glichen  sind  und  züghören 
und  nit  inen.  Wyter  so  hannd  sy  von  Zürich  den  erstgenanten  herren  und 
abbt  zu  Sant  Gallen  glich  in  anfang  siner  erwellung  alles  regimentz  entsetzt 
und  still  gstelt  und  also  darzwischendt  die  gotzhuslüt,  wie  vorstat,  durch  täg- 
lich bottschaflften  und  gschriff"tenn  mit  aim  und  dem  andern  verursacht  und 
dartzu  pracht  und  inen  zum  tail  so  vil  hilfi"  und  trost  zügsagt  und  verhaissen, 
das  sich  dieselbigen  gotzhuslüt  von  erstbenemptem  irem  rechten  und  natürlichen 
heiTen  abgeworffen  haben. 

St.  Galler  Mittl-n.  z.  vaterläiul.  Gesch.  XXXIII.  15 


226 

Und  in  summa:  wiewol  egesaiter  min  gnediger  herr  von  Sant  Gallen  zu 
gehaltnen  taglaistungen  gmainer  Aidgnossen  botten  zu  mermaln  selbs  mundt- 
lich  und  ouch  darnebent  schrifftlich  die  baide  ordt  Zürich  und  Glarus,  der 
lut  er  sehen  sect  auhengig,  als  die,  so  in  und  sin  gotzhus  lut  und  vermög  un- 
verserter  brief  und  siglen  helffen  schützen  und  schirmen  sölten  etc.,  angerüfft 
und  gepetten  hat,  in  und  sin  convent  allain  by  brief  und  siglen  und  dem  wirdigen 
irem  gotzhus  wie  ire  vorherren  plyben  zu  lassen  und  nit  allso  gwaltiger  wyß 
underston,  sy  dess  also  und  one  ainich  rechtmessig  Ursachen  zu  entsetzen,  als 
sy  dann  ze  thund  understünden,  und  inen  deßhalber  vor  gmainen  Aidtgnossen 
recht  potten  und  fürgeschlagen,  ouch  das  mermals  gegen  inen  begert  und  ervor- 
dert,  hat  im  doch  dehain  recht  veeder  gegen  inen  noch  andern  irn  anhengern 
endtlichen  nie  mögen  vervolgen  noch  gelangen,  sonder  ime  zu  allen  tagen  mit 
semlicher  antwurt  begegnet:  sy,  die  baide  ordt  Zürich  und  Glarus,  wellint 
ime  noch  sinem  convent  dehains  rechtens  nit  sin  noch  gestattnen,  sich  ouch 
sunst  gütlich  noch  früntlich  ainicher  gestalt  gegen  im  nit  inlassen,  sonder  in 
irem  fürnemen  fürfaren  und  sy  inne,  her  abbt,  noch  niemandt  anders  daran  ver- 
hindern lassen  etc.  Und  hat  also  vilgenantem  abbte  kain  recht  mögen  verlangen, 
sonder  also  rechtlos  vor  gemainen  Aidtgnossen  ston  und  j^lyben  müssen; 
dann  im  dieselbigen  nit  haben  mögen  noch  wollen  diser  zyt  zu  gepürlichem 
rechten  verhelflfen,  wie  dann  bißhar  für  und  für  sin  anschryen  gewesen  ist  etc."* 

Stiftsarchiv  St.  Gallen,  Bd.  101,  S.  115-123;  Tgb.  Sali.  fol.  125  ff.;  Staats- 
archiv Zürich,  Abt.  St.  Gall.  Archiv,  Bd.  X,  36.  S.  5  ff. 


227 


Beilage  IV. 


Supplication  an  die  Reichsstände. 

Hochwürdigsten,  durchlüchtigisten,  hocliwürdigen,  durchlüchtigen ,  hoch- 
gebornen,  erwürdigen,  wolgebornen,  edlen,  gestrengen  und  liochgelerten  dess 
hailigen  römischen  rychs  churfiirsten,  fürsten  und  gemaine  stand,  gnedigst, 
gnedig,  lieb  herren  und  guten  fründ !  Wiewol  burgermaister  und  radt,  ouch 
alle  bürgere  und  gantze  gemaind  der  statt  zu  Sant  Gallen  wjlundt  dem  hoch- 
wirdigen  fürsten  und  herren  hern  Franciscus,  abbte  dess  wirdigen  gotzhus 
SantGallen,  mitayd-  und  lechenspflichten  samentlich  und  sonderlich  ziigethan 
und  verwandt  syen,  das  unangesechen  haben  dieselbigen  burgermaister,  radt, 
burger  und  gmaind  wider  und  über  kay(serlicher)  m(ajesta)t  ufgerichten  gemainen 
lantzfriden,  die  guldin  bull  und  reforraation,  ouch  über  kay(serlich)  edicten 
und  poenäl,  mandaten,  (uf)  gehalten  rychstägen  zu  Wormbs,  Nürnberg  und 
Spyr  ußgangen,  ouch  sonderlich  vertrag  und  ijündtnussen,  zwüschent  inen  uf- 
gericht,  ouch  alles  rechtlichs  erpietens  in  solchem  gotzhus  allen  cristenlichen 
gotzdienst,  mesß,  singen,  lesen,  petten  und  ordenshabid  anzetragen  und  zu  vol- 
pringen,  frävenlich  abgestelt,  im  münster  und  liirchen,  alle  altär  und  stül  zer- 
rissen, für  die  statt  hinus  uff  dess  gotzhus  aigenthumb  gefürt  und  daselbst  ver- 
brent,  das  hailtumb,  cörppel  und  gepain  der  haiigen  ußgeschütt  und  entuneret, 
edel  gestain,  gold,  silber,  berlin,  mesßgwand  und  all  ander  gotzzierd  sampt  aller 
dess  gotzhus  hab  und  gütter  beroubt  und  in  ander  weg  geschmecht  und  begwaltigt, 
zu  irn  banden  gnomen  und  under  sy  und  ire  mithelffer  usgetailt,  den  convent, 
laypriester  und  dienstlüt  sölchs  gotzhus  in  glüpt  und  aid  genomen  und  vom 
gotzdienst  zu.  ston  und  habitt  abzethün  oder  zu  entwychen  verursacht.  Und  als 
vermelter  herr  Franciscus  loblicher  gedächtnus  usß  disem  zyt  der  gnaden 
ervordert,  haben  mich  min  convent  daselbst  usß  crafft  irer  fryhait  zfi  irem  pre- 
laten  und  regierer  erweit  und  fürgenomen.  Als  sy  dess  gwar  worden,  haben 
sich  vermelt  von  der  statt  Sant  Gallen  by  den  von  Zürich  beworben  und 
bwegt,  das  dieselbigen  Züricherr  on  ainich  rechtmessig  vordrung  und  ver- 
ursachen, ouch  unbewart  und  unentsagt  aller  eren,  min  und  mins  gotzhus  statt 
Wyl,  ouch  unser  gotzhus,  schlosß  und  flecken  Roschach  und  ander  wonungen, 
hoff  und  gütter  daselbst  umb  mit  heres  crafft  überzogen  und  gwaltigklich  in- 
genomen  und  abgetrungen,  win  und  körn,  vai'end  hab  und  allen  vorradt  verspyst, 


228 

verschwänpt  und  verderpt,  derniassen  das  nichtz  mer  vorhanden,  und  in  un- 
widerpringlichen  schaden  und  nachtail  gefui-t.  Nachdem  haben  ouch  gemelt 
Züricher  und  Galler  sampt  irem  anhang  dess  gotzhus  lüt  und  underthonen 
(wiewol  min  vorfar  und  ich  yemandtz  unfrüntlichs  oder  args  bewisen  noch 
dhain  beschwerd  noch  nüwerung  fürgenomen,  besonder  manigfaltiger  wyß  rychen 
und  armen  zu  Sant  Gallen  und  usserhalben  in  dess  gotzhus  landtschaiften 
milte  handtraichung  und  gütät  bewisen)  ufgewiglet  und  verursacht,  das  sy  sich 
aigensgwalts  über  und  wider  ir  erbhuldigung,  pflicht  und  aid  on  alle  m-sach  abge- 
worffen,  der  merer  thayl  züsamen  gerottiert.  consj^iration  und  verpündtnus  wider 
mich  und  min  convent  und  gotzhus  gemacht  und  beschlossen,  ainich  nutzung 
noch  gült,  wie  sy  schuldig  und  von  alter  herkomen  wern,  zu  bezallen  noch  zu 
raichen,  ouch  alle  ghorsame  entzogen,  radt,  gricht  und  recht  bsetzt  und  ghalten, 
dess  wir  uns  doch  kainswegs  zu  inen  versechen  noch  vertruwt  hetten;  dann  so- 
bald ich  von  bäbstlicherhay(likai)t  und  ouch  rö(mischer)kay(serlicher)m(ajesta)t, 
minen  allergnedigisten  herren,  bestät  und  coufirmiei't  bin,  hab  ich  dess  gotzhus 
underthonen  und  irn  gesetzten  vermaindten  regierern  schrilftlich  verkündt  und 
zu  wissen  gethan,  kay(serliche)  m(ajesta)t  haben  mir  dess  gotzhus  regalien,  welt- 
lichait,  fryhaiten,  lechen  und  pfandtschafften,  herlichait  und  oberkaiten  gnedig- 
klich  geliehen  und  verliehen,  mit  beger,  irer  aignen  fürgenomnen  regierung 
stillzeston,  fallen  ze  lassen  und  nit  mer  zu  gepruchen,  das  aber  by  inen  nichtz 
ersprossen  hat ;  sonder  irs  gefallens  darin  für  und  für  volfarn. 

So  ich  dann  in  all  vorerzelten  beschwärlichen  und  verderplichaiten  by 
menigklichen  bißherr  trostlos  gstanden  und  söllichs  wider  zu  erhollen  zu  yemandtz 
dann  zu  der  kay(serlichen)  m(ajesta)t  als  dem  rechten  u.rsprung,  lieb-  und  handt- 
haber  aller  grechtigkait,  ouch  schütz-  und  schirmher  der  hailigen  cristenlichen 
kirchen  und  rö (mischen)  rychs  und  aller  derselben  getrüwen  und  ghorsamen 
ingelybten  glidern  und  underthonen  und  zu  ewer  churfürstlichen  und  fürstlichen 
gnaden  gunst  und  früntschaift  hoffnung,  vertruwen  und  Zuflucht  hab  und  dann 
dieselb  ewer  churfürstlichen  und  füi'stlichen  gnaden  gun(st)  und  früntschafft 
als  der  kay(serlichen)  m(ajesta)t  getrüw^  rädt  und  dess  haiigen  rychs  mitglider 
ab  söllichen  min  und  mins  conventz  kumerhafften  anfechtungen  und  hoch- 
beschwärlichen,  verderplichen  obligen  unsers  gantz  ungezwyfelten  vertruwens 
gnedigst  mitlyden  tragen:  darumb  so  langt  an  ewer  churfürstlichen  und  fürst- 
lichen gnaden  gunst  und  früntschafft  alls  mitthelflfer  aller  beschwärdten  und 
belaidigetten  min  demütigs,  trungenlichs  und  ernstlichs  anrüffen  und  bitt,  die 
wellen  mich  und  bemelten  min  convent  als  betrupt  und  on  recht  vertriben  eilende 
gnedigst  und  günstlich  bedencken  und  behertzgen  und  semlich  oberzellt  min 
anligen  und  unbillich  begegnet  Sachen,  wie  dieselb  ewer  churfürstlichen  und 
fürstlichen  gnaden  gunst  und  früntschaflt  in  nebentliefenden  gestellten  articklen 


229 

noch  durchschaidenlicher  verstendiget  werden  mögen,  römisclie  r  kay(serlicher) 
m(ajesta)t,  unserem  allergnedigisten  herren,  erschainen  und  anzaigen  und  gegen 
derselben  kay(serlichen)  m(ajesta)t  als  ußtailerr,  beschirmer  und  hanthaber  der 
grechtigkait  (durch  ettwas  mittel  und  weg,  die  sin  kayi^serliche)  m(ajesta)t  so 
unzalbar,  mer  dann  ich  yemer  erdencken,  fürzünemen  waist)  mir  und  minem 
convent  erschiessenlichen  sin  und  beholffen  ze  werden,  darmit  offtermelt  min 
alt  wirdig  stifftung  und  gotzhuse  nit  also  jemerlich  undertriben  und  ze  nuten 
gemacht  werde,  besonder  in  sin  vorigen  stand,  wesen  und  wirden  by  kay(serlicher) 
m(ajesta)t  helfFen  widerpringen,  ouch  mich  und  min  convent  als  arme  verjagten 
usserr  yetzigerr  schwären  anfechtung  unsrerwiderwertigen  helffen  erledigen  und 
in  egerurt  unser  gotzhuse  insetzen,  und  ewer  chur(fürstlich)  und  fürstlich  gnaden 
gunst  und  früntschaflPt  welle  sich  gegen  kay(serliche)  m(ajesta)t  mir  und  minem 
convent  zu  hilff  dermassen  so  gnedigst  und  günstlich  erzaigen,  als  dann  zu  ewer 
chur(fürstlich )  und  fürstlich  gnaden  gunst  und  früntschafft  ich  ain  sonder 
hoch  vertruwen  und  gute  hoftnung  hab.  Das  will  umb  dieselben  üwer  churfürst- 
lichen  und  fürstlichen  gnaden  gunst  und  früntschafft  ich  gegen  gott  mit  minem 
armen  demüttigen  gepette  und  hie  in  disem  zyt  minen  underthänigen,  gehor- 
saiiien,  willigen  diensten  unvergessenlich  haben  zu  verdienen. 

Ewer  chur(fürstlich)  und  fürstlich  gnaden  gunst  und  früntschafft 

underthäniger,  gütwilliger  capplon 

Killian,  abbte  des  gotzhus  Sant  Gallen. 
(Stiftsarchiv  St.  Gallen,  Bd.  101,  S.  123-126;  Tgb.  129b -130b.) 


230 


Beilage  V. 


Unbekannter  (vielleicht  Lienhard  Schnider,  Hofammann  zu  Wyl)  an 
Abt  Kilian,  ca.  Anfang  Juli  1529. 

Obsequentes  (?),  b(oher)  f(ürst),  g(nediger)  h(eiT).  Von  tag  zu  tag  so  gat 
deß  gotzhuß  Sachen  und  handel  hinder  sich  und  ab,  von  wegen  daß  sich  deß 
niement  recht  annimpt  und  handlet  nach  gestalt  der  sach.  Eß  schryent  die 
Toggenburger,  sy  habint  thein  heren;  es  schryent  die  gotzhußlüt  und  die  von 
Wil  deßglichen,  und  so  solt  jetz  der  hoä'meister  der  sin,  der  ritt  und  handlette  ; 
so  ist  er  mit  güttem  willen  und  über  genügsamliche  Warnung  ge(n)  SantGallen 
geritten  und  will  sich  jetz  also  entschulliget  haben:  die  von  SantGallen  habint 
imß  by  er  und  eid  verbotten,  nüt  inß  gotzhuß  Sachen  zu  handien,  und  nimpt 
aber  nüt  desterminder  sin  sold,  spiß  und  tranck  hin.  Derglichen  der  vogt  lit 
jetz  zu  Baden  im  bad,  so  er  solt  vo(n)  Ort  der  dryen  Orten  zu  Ort  ritten  und 
sich  üch  1).  Darzü  so  vermerckt  man  wol,  das  jederman  dass  hemdptli  nächer  lit 
weder  daß  röckli  etc.,  und  so  das  sechent  die  grafstätter,  gotzhußlüt  und  die 
von  Wil,  daß  uwer  gnad  jetz  nach  dem  bericht  noch  jemer  von  u(wer)  g(naden) 
wegen  treffenlichs  handlet  und  aber  u(wer)  g(naden)  widerwerttigen  nit  fyrent, 
sind  sy  der  meinung,  jetlich  teil  u(wer)  g(naden)  herlichkeit,  oberkeit,  rent,  zinß 
und  gült  innen  selber  zu  behalten  und  u(wer)  g(naden)  noch  dem  gotzhuß  nüt 
mer  lassen  vervollgen,  so  sydmalß  u(wer)  g(nad)  sich  niener  nüt  lasß  mercken 
noch  jemet  von  ü(wer)  g(naden)  wegen,  alß  ob  sy  widerumb  welle  daß  regiment 
und  her(lich)keit  annemen,  gebent  sy  glouben  denen,  die  das  sagent  (wie  wir 
u(wer)  g(naden)  vor  habent  geschriben),  eß  gelob  thein  mentschß,  daß  u(wer) 
g(nad)  noch  thein  münck  mer  her  zu  Sant  Gallen  werd.  Darumb  so  grifft 
jederman  in.  Eß  habent  die  von  Will  allen  caplonen  ir  pfrundrödel  genomen 
und  darziT  dem  meßmar  ouch  abkündt,  und  ist  die  sagg,  si  habindt  vj  man  ver- 
ordnet, die  söllint  alle  zechenden  insamllen  und  die  zu  der  statt  banden  bringen. 
Deßglichen  die  uff  dem  land  im  gotzhuß  wellindt  ir  zechenden  von  körn  und 
haber  ouch  jetzlickhe  gegni  ir  selb  behalten  und  darzü  thein  deinen  zechend 
uifrichten  noch  geben,  und  gat  also  alleß  hinder  sich,  daß  deß  gotzhuß  ist. 
Darumb  so  ist  groß  not,  daß  üwer  gnad  selber  zun  Sachen  lüge,  und  schriben 


')  Das  Yerbum  fehlt. 


231 

dem  vogt  gen  Baden:  sye  eß  not,  daß  er  ü(wer)  g(naden)  umb  ein  fryg,  sicher 
geleyd  werbe,  vmd  so  welle  der  hofFainen  ouch  zu  ü(wer)  g(naden)  gen  Baden 
ritten  und  ü(wer)  g(naden)  witter  mit  mund  berichten,  denn  jeman  schriben 
künd  oder  bedörff;  denn  der  von  Will  halb  wüsse  ü.(wer)  g(nad)  wol,  daß  wäder 
iler  vogt  noch  er  bedörffe  noch  zustand  zu  handien  und  aber  vil  daran  wil  ge- 
legen sin.  Item,  so  sind  uwer  g(nadea)  rätt,  altvogt,  vogt  von  Schwartzen- 
bach  und  hoffamen,  ufFhütt  dato  by  einander  gesin,  und  uff  daß,  so  u(wer)  g(nad) 
sich  tröstett  uff  Ferdinand  und  ander  fursten,  sich  und(er)redt,  und  ist  ir 
meinung,  gantz  und  gar  sich  nit  uff  der  fursten  züsaggen  zvil  verlassen;  sy 
wärindt  aber  in  hoffnung,  sover  u(wer)  g(nad)  die  sach  selb  in  die  band  neme 
und  zu  den  dryen  Orten  ritte,  u(wer)  g(naden)  wurd  gehulffen,  und  würdindt 
ab  demselbigen  die  uß  der  graffschatt't,  die  gotzhußlüt,  ouch  die  von  Will,  vil 
mer  thon  dann  ab  ußwendigen  heren  und  fursten.  Daß  habent  si  mir  bevolhen, 
üfwer)  g(naden)  ernstlich  ze  schriben,  und  sover  ü(wer)  g(nad)  forohin  nit  ernst- 
licher welle  handien,  so  wüssent  sy  ü(wer)  g(naden)  nit  mer  zu  ratten,  dan  wo 
sy  ü(wer)  g(naden)  gedencken,  so  ist  ein  geschrey  über  sy:  „wo  ist  er?  waß 
thüt  er?  wil  er  ünß  all,  daß  gotzhußland  und  lüt  also  gar  verlossen  und  in  die 
schantz  schlachen?  wir  sechent  wol,  sin  widersechen  schx'ibent,  schickent  botten 
und  rittendt  tag  und  nach(t),  land  sy  nüt  thuren  weder  costen  noch  arbeit;  aber 
er  lit,  weitschß  nieman  wo,  und  tuht  nüt  zu  den  Sachen;  darumb  so  mussent  wir 
sechen  und  hören,  daß  war  ist,  waß  man  von  in  seit  und  redt".  Darumb  g(ne- 
diger)  h(err),  lasßt  ü(wer)  g(naden)  daß  zu  hertzen  gon  und  helff  ir  selbß  und 
ünß;  dan  wir  thein  zwifel  habent,  sover  ü(wer)  g(naden)  selbß  zu  den  Sachen 
thäte,  ir  und  unß  wurd  gehulffen,  und  wurde  alles  widrumb  zu  gotten  komen. 
Witter  so  ist  ü(wer)  g(naden)  rädt  meinung,  sover  und  doch  ü(wer)  g(nad) 
nit  weite  gen  Baden,  uff'  Marie  Magdelene  so  gat  der  tag  an,  daß  doch  ü(wer) 
g(nad)  wüße  umb  ein  doctor  oder  sust  umb  ein  berichten  man,  er  wäre  edel 
oder  onedel,  den  dem  vogt  mit  einer  Instruction  zuschickte,  damit  man  doch 
Sache,  dass  ü(wer)  gnad  nit  weit  also  die  herlikeit  verlassen  etc.  Datum  etc. 

(Stiftsarchiv  St.  Gallen,  Bd.  307,  S.  157  f.  Orig.) 


232 


Beilage  VI. 

Zeitgenössische  Notizen  aus  dem  Leben  Abt  Kilians. 


Im  Stiftsarcliiv  St.  Gallen  befindet  sich  ein  Manuskript,  bezeichnet  mit 
No.  102,  Seine  stellenweise  sehr  verblassten  Schriftzüge  sind  oft  recht  schwer 
lesbar.  Wir  haben  dem  Schriftstück,  da  es  von  Abt  Kilian  handelt,  eine  Reihe 
von  Notizen  für  die  vorliegende  Arbeit  entnommen,  und  so  wird  es  wohl  ange- 
bracht sein,  in  Kürze  auf  diesen  Band  No.  102  zu  sprechen  zu  kommen. 

Er  besteht  aus  143  ganz  oder  teilweise  beschriebenen  Papierblättern  in 
Quartformat  und  trägt  von  späterer  Hand  die  Überschrift:  „Quando  novatores 
invaserunt  monasterium".  Das  will  aber  nur  heissen,  dass  die  Aufzeichnungen, 
soweit  sie  erhalten  sind,  mit  dem  Zeitpunkt  beginnen,  wo  das  Kloster  im  ersten 
Kappelerkrieg  von  den  St.  Gallern  besetzt  wurde,  oder  —  wenn  wir  monasterium 
weiter  fassen  —  als  die  Besetzung  des  äbtischen  Gebietes  durch  die  Zürcher 
stattfand.  So  finden  wir  denn  gleich  im  Eingang  des  Buches  Kilian  bereits  in 
Überlingen,  wohin  er  sich  Anfang  Juni  1529  vor  den  anrückenden  Zürchei'n 
geflüchtet.  Und  dann  erzählt  uns  der  Tagebuchschreiber  weiter  alles,  was  er 
Erwähnenswertes  aus  dem  Leben  des  Abtes  hier  aufzeichnen  wollte,  bis  wenig 
über  den  Tod  Kilians  hinaus.  Den  Schluss  des  Buches  bildet  die  Wiedergabe 
eines  Briefes  in  extenso,  den  der  Stadtschreiber  von  Überlingen,  Hans  Metten- 
zelt, an  den  St.  Gallischen  Dekan  und  Konvent  nach  Schloss  Wolfurt  schickte, 
datiert  12.  September  1530.  Solche  wörtliche  Wiedergaben  von  Briefen,  aber 
auch  von  Abschieden,  sind  in  dem  Buch  sehr  zahlreich  in  die  zwar  anschauliche, 
aber  oft  sehr  umständliche  Erzählung  eingeflochten,  sodass,  wenn  wir  dieselben 
aus  dem  übi'igen  ausscheiden  wollten,  das  Tagebuch  auf  einen  im  Verhältnis 
zum  ganzen  Buche  sehr  geringen  Umfang  zusammenschmelzen  würde,  und 
dieser  Rest  ist  oft  von  rein  lokalgeschichtlichem  Interesse ;  auch  ist  von  irgend 
welcher  tieferen  politischen  Einsicht  des  Verfassers  nichts  zu  spüren.  Letzterer 
nennt  zudem  nirgends  seinen  Namen.  Doch  war  es  nicht  allzaschwer.  den 
Verfasser  herauszufinden.  Man  merkt  schon  auf  der  ersten  Seite,  dass  es  jemand 
aus  der  nächsten  Umgebung  des  Abtes  gewesen  sein  muss,  der  fast  überall  Mit- 
erlebtes erzählt,  ganz  abgesehen  davon,  dass  der  Schreiber  hie  und  da  in  der 
ersten  Person  Pluralis  berichtet.    Wo  er  sich  auf  die  Berichte  anderer  verlassen 


233 

musste,  lässt  er  dies  den  Lesei-  unschwer  erraten.  Am  nächsten  liegt  es,  an  den 
äbtischen  Schreiber  zu  denken,  der  laut  Tagebuch  der  getreue  Begleiter  des 
Abtes  auf  die  Tagsatzungen  nach  Baden  und  anderswohin  war,  auch  für  die 
wichtigsten  Missionen  verwendet  wurde,  von  denen  uns  der  Tagebuchschreiber 
in  anschaulicher  und  detaillierter  Weise  berichtet.  Diese  Annahme  verstärkt 
nun  erheblich  ein  zweiter  Punkt,  nämlich  die  massenhafte  Verwertung  von 
Aktenstücken.  Da  werden  uns  Dutzende  von  Briefen  an  den  Abt,  zahlreiche 
eidgenössische  Abschiede,  die  sich  auf  Kilian  und  sein  Gotteshaus  beziehen, 
wörtlich  wiedergegeben  und  zwar,  wo  sich  das  kontrollieren  lässt  —  wir  waren 
oft  in  diesem  Fall  — ,  mit  einer  bis  ins  einzelne  gehenden  wörtlichen  Über- 
einstimmung mit  dem  Original.  Es  ist  doch  kaum  denkbar,  dass  ausser  dem 
Abt  aus  dessen  Umgebung  jemand  anderer  als  sein  Schreiber  Zeit  und  Ge- 
legenheit gefunden  hätte,  alle  diese  Dokumente  in  extenso  abzuschreiben.  Ein 
dritter  Punkt  endlich  macht  es  uns,  wir  dürfen  wohl  sagen,  zur  Gewissheit, 
dass  wir  in  dem  Tagebuehschreiber  Rudolf  Sailer,  dies  ist  der  Name  des  fürst- 
äbtischen  Schreibers  oder  Kanzlers,  vor  uns  haben  ;  die  eigenartige,  saubere 
Schrift  des  Tagebuchs  ist  nämlich  diejenige  des  Schreibers  von  Abt  Kilian.  Das 
springt  einem  sofort  in  die  Augen,  wenn  man  z.  B.  das  Missivenbuch  Kilians 
(St.-A.  Bd.  101)  mit  diesem  Tagebuch  zusammenhält ;  ja  sogar  die  wenig  deut- 
liche, gelbgrünliche  Tinte,  wie  sie  für  Rudolf  Sailer  charakteristisch  ist,  lässt 
sich  auch  im  Tagebuch  meistens  deutlich  erkennen. 

Über  diesen  Rudolf  Sailer  gibt  uns  wohl  eine  Quelle  aus  dem  Stiftsarchiv 
den  besten  Aufschluss.  Es  heisst  da:  ^)  „Item  uflp  sant  Othmars  abent  anno 
XV^XXVI.  so  hat  der  hochwirdig  fürst  und  her  her  Franciscus,  abt  des 
gotzhus  Sant  Gallen,  min  gnediger  her,  Rüdolffen  Sailer  von  Wil  zu  ainem 
Substituten  in  siner  gnaden  kantzli  zu  Sant  Gallen  bestellt.  .  .  .  Doch  so  sol 
er  in  der  undern  stuben  in  der  hell  mit  dem  hoffgsind  an  irem  tisch  essen.  Und 
gat  das  jar  uf  und  an  uff  sant  Othmars  abent.  Darmit  so  hat  er  den  ayd  thon 
wie  oblut." 

Solche  Substituten  hatte  der  äbtische  Kanzler  zu  gleicher  Zeit  mehrere. 
Die  Pflichten  eines  solchen  waren: 

„das  er  zu  allen  zyten  früw  und  spat  wol  warten,  auch  den  rat,  hoff  und 
anderi  gericht  mit  clag,  antwurt  und  urthailen  nach  aller  notturfft  ordenlich 
beschryben,  desglychen  sunst  auch  alles  das,  so  im  durch  mynen  gnedigen  hern, 
den  statthallter  und  cantzler  zu  schryben  bevolhen  und  furgeben  würt,  es  sye 
latin  ald  tütsch,  fürderlichen  vergken  und  machen,  auch  die  brieff,  so  zu  regi- 
strieren not  sind,  registrieren  etc.,  deßglychen  alle  bücher  und  schrifl'ten  wol 


')  St.-A.,  Bd.  98,  S,  196  b. 


234 

und  dermassen  versorgen,  das  kain  verendern  noch  veraberwandlen  geschehe, 
weder  dui'ch  sich  selbs  noch  ander.  Er  soll  auch  den  rat  und  alles  das,  so  in 
gehaim  und  ratswyse  gehandellt  und  geredt  würt,  sin  lebenlang  verschwigen, 
auch  alles  das  gellt,  so  im  uff  und  umb  die  brieff  geben  wurt,  dem  statthallter  oder 
cantzler  uberantwurten  und  allain  in  der  cantzly,  daran  gelegen  ist,  schryben.  ^) 

Für  diese  Pflichten  eines  Substituten  erhielt  Rudolf  Sailer  seine  Nahi-ung 
vom  Kloster  und  jedes  Jahr  zehn  Gulden.  ^)  Sailer  muss  dann  verhältnismässig 
rasch  zum  eigentlichen  Schreiber  oder  Kanzler  des  Abtes  avanciert  sein,  im  Ver- 
gleich wenigstens  zu  seinem  mutmasslichen  Vorgänger  Ulrich  Bertz.  Dieser  war 
1504  äbtischer  Substitut  und  erst  1513  Kanzler  geworden,  während  Sailer 
schon  nach  drei  Jahren  (1529)  diese  Stelle  bekleidete.  Das  Kanzleramt  war 
schon  ein  recht  ansehnliches  und  bedeutete  eine  grosse  Besserstellung  gegenüber 
dem  Substituten.  Schon  finanziell;  denn  von  Ulrich  Bertz  wissen  wir,  dass  er 
als  Kanzler,  abgesehen  von  zahlreichen  Nebeneinnahmen,  ^)  jährlich  31  GL. 
1  Saum  Wein,  2  Malter  Vesen  und  20  Viertel  Hafer  bezog.  *^)  Er  war  der  eigent- 
liche Hofrats-  und  Hofgerichtssehreiber,  dem  die  andern  Schreiber  als  Gehilfen 
zur  Seite  standen;  sie  erhielten  von  ihm  Anweisung,  was  sie  zu  schreiben  hatten. 
Der  Kanzler  hatte  auch  für  gute  Aufbewahrung  der  Bücher  und  Urkunden  zu 
sorgen.  °) 

Eudolf  Sailer  ist  spätestens  1533  gestorben,  s)  Er  muss  sein  Tagebuch 
kurz  vor  seinem  Tode  geschrieben  haben  oder  sogleich,  nachdem  die  Erlebnisse 
sich  zugetragen  hatten.    Letzteres  war  vielleicht  für  die  ersten  zwei  Dritteile 


1)  Ibid. 

2)  Ibid. 

^)  Taggebühren,  wenn  man  ihn  auswärts  brauchte,  Ti-inkgelder  etc. 

')  Doch  gab  es  noch  bedeutend  einträglichere  Stellen  im  äbtisclien  Dienste. 
So  erhielt  Ritter  Ludwig  von  Helmsdorf,  als  er  1519  von  Abt  Franz  zum  Hof- 
meister ernannt  wurde,  jährlich  80  gl.  und  einen  Hofrock.  Dazu  kamen  Ge- 
richtsgehühren  etc. 

5)  St.-A.,  Bd.  98,  S.  167  a. 

®)  Abt  Kilian  hatte  sich  mit  vorarlbergischen  Edeln  in  einen  für  ihn 
wenig  angenehmen  Handel  verwickelt.  Da  er  nicht  wollte,  dass  der  Streit 
weiteren  Kreisen  bekannt  würde,  besorgte  nur  sein  Kanzler  Rudolf  Sailer  die 
Schreibarbeiten.  Ende  Dezember  1532,  dei  Handel  ist  noch  lange  nicht  zu 
Ende,  verschwindet  nun  plötzlich  die  Hand  Sailers  aus  den  äbtischen  Akten- 
stücken, die  sich  auf  die  genannte  Affäre  beziehen.  Vor  allem  aber:  in  einem 
Schreiben,  das  wir  auf  Mitte  1533  datieren  müssen  (St.-A.,  Bd.  304,  S.  353),  be- 
richtet Abt  Diethelm,  der  Nachfolger  Kilians,  einem  Verwandten,  er  werde 
wohl  wissen,  dass  der  äbtische  Kanzleischreiber  mit  Tod  abgegangen.  Von 
der  Umgebung  Diethelms  sei  dieser  allein  in  die  „Handlung'',  es  ist  eben 
jener  bereits  erwähnte  Streit,  eingeweiht  gewesen. 


235 

des  Buches  der  Fall.  Die  Schrift  ist  da  oft  flüchtig  ;  der  Schreiber  scheint 
hastig  die  Feder  geführt  zu  haben,  ganz  gegen  seine  sonstige  Gewohnheit. 
Dagegen  dürfen  wir  wohl  für  das  letzte  Drittel,  das  die  gewöhnliche,  regel- 
mässige, sorgfältige  Schrift  aufweist,  annehmen,  dass  es  ohne  viel  Untei'brchung 
niedergeschrieben  wurde. 

Ob  Rudolf  Sailer  von  plötzlicher  Krankheit  dahingeraft'te  wurde  V  Wir 
möchten  es  beinahe  glauben.  Als  er  1526  Kanzleisubstitut  wurde,  war  er  doch 
wohl  noch  nicht  so  bejahrt,  dass  er  1533  aus  Altersschwäche  gestorben  wäre. 
Gegen  letzteres  spricht  auch  ein  zweites,  wie  es  scheint,  von  ihm  nur  begonnenes 
Tagebuch  von  Abt  Diethelm.  in  welchem  er  neben  der  Erwählung  des  Prälaten 
und  dessen  Bestätigung  durch  den  Kaiser,  auch  schildern  wollte,  was  ,  der  nüw 
erweit  her  allenthalber  gehandlet  hat  und  im  widerfaren,  begegnet  und  zu- 
gstanden ist".  Doch  kam  er  nur  bis  zu  dem  Momente,  wo  dem  Abt  der  „bricht" 
zukommt,  d.  h.  der  zweite  Kappeier  Landfriede.  Natürlich  ist  es  auch  möglich, 
dass  der  folgende  Teil  verloren  gegangen  ist,  wie  wir  auch  für  das  Tagebuch, 
dessen  Inhalt  sich  mit  Kilian  beschäftigt,  vielleicht  den  ersten  Teil  nicht  mehr 
besitzen;  denn  ohne  irgendwelche  orientierenden  Bemerkungen  werden  wir  da 
mit  den  ersten  Worten  des  Buchs  mitten  in  die  Ereignisse  hinein  nach  Über- 
lingen versetzt,  indem  der  Schreiber  mit  einem  für  den  Anfang  eines  Buchs 
wenig  passenden  „Item"  anfängt.^)  Beim  Tagebuch  Abt  Diethelms  haben  wir 
dagegen  auf  dem  ersten  Blatt  einen  ordentlichen  Titel,  was  durchaus  der  säuber- 
lichen Schreibmanier  Sailers  entspricht. 

Dieser  zeigt  sich  uns  in  seinen  Tagebüchern  als  eine  sympathische  Figur. 
Der  Ton  in  welchem  er  berichtet,  ist  ein  treuherziger,  der  uns  zu  fesseln  ver- 
mag. Oft  allerdings  erzählt  er  mit  grosser  Weitschweifigkeit,  und  seine  hübsche 
Darstellung  wird  auch  durch  die  eingestreuten,  oft  sehr  langen  Aktenstücke 
beeinträchtigt,  ist  aber,  wenn  man  auch  den  Katholiken  und  Anhänger  des 
Abtes  gleich  herausfühlt,  für  die  damalige  Zeit  erstaunlich  objektiv  gehalten, 
trotzdem  man  aus  dem  Gebotenen  gut  heraus  merken  kann,  dass  der  Schreiber 
auch  mitfühlte,  was  er  erzählte.  Auffallend  ruhig  für  jene  Zeit  wird  über  die 
Gegner  gesprochen,  so  vor  allem  über  die  Zürcher,  trotzdem  Sailer  als  treuer 
äbtischer  Beamter  und  Katholik  wohl  Grund  genug  gehabt  hätte,  über  sie  los- 
zuziehen. Nichts  von  alldem ;  selbst  da,  wo  er  von  dem  Gefecht  bei  Kappel  spricht, 
vermag  er  zu  schreiben:  Die  V  Orte  „habint  inen  [den  Zürchern]  by  zway  thu- 
sent  mannen  erschlagen,  der  letsten  und  fürnemisten  kriegslüten,  darunter  dann 
nämlich  der  Zwingli  mit  fünfzehn  predicanten,  ouch  der  appt  von  Capjjel, 
der  von  Geroltsegg  und  ander  irs  glichen  gwesen  und  pliben  syen.    Der 


>)  Siehe  Abschnitt  11,  Kap.  3,  S.  1.30. 


236 

allmechtig  Gott  welle  ir  seien  allen  begnaden."^)  Diese  milde  Ge- 
sinnung Sailers  ist  umsomelir  anzuerkennen,  als  er  wohl  manchmal  bei  seinen 
Missionen  in  Gefahr  geschwebt  hatte,  seinen  reformierten  Feinden,  vor  allem 
den  Zürchern,  in  die  Hände  zu  fallen,  und  da  nichts  Gutes  zu  erwarten  hatte. 

Doch  macht  das  Tagebuch  den  Eindruck,  als  ob  der  Verfasser  wohl  er- 
wogen habe,  was  er  niederschreiben  wollte,  und  namentlich  alles  vermieden 
habe,  was  seinen  Herrn  hätte  diskreditieren  können.  So  verschweigt  er  unter 
anderm  einen  Handel,  den  Kilian  und  sein  Nachfolger  mit  vorarlbergischen 
Edeln  hatten,  ")  obwohl  Sailer  die  Angelegenheit  genau  kannte,  um  die  Äbte 
nicht  blosszustellen.  Dass  er  unter  Umständen  um  eine  Notlüge  nicht  verlegen 
war,  haben  wir  bei  Besprechung  des  Augsburger  Reichstages  gesehen.  Wohl 
um  das  Ansehen  seines  Buches  zu  heben,  hat  er  zahlreiche  Aktenstücke  darin 
aufgenommen.  Dies  letztere  und  die  ruhige,  meist  recht  unparteiisch  erschei- 
nende Art,  mit  der  Sailer  erzählt,  lassen  uns  vermuten,  dass  das  Tagebuch 
vielleicht  aus  Auftrag  des  Abtes  verfasst  wurde.  Wir  haben  dem  Buch  darum 
den  Titel  eines  „offiziellen  Tagebuchs  Rudolf  Sailers "  gegeben.  •'') 

Im  gleichen  Bande  der  St.  Galler  Mitteilungen,  in  welchem  unsere  Arbeit 
erscheint,  wird  der  St.  Galler  Stiftsarchivar  J.  Müller  die  Sailerschen  Tagebücher 
herausgeben.  Wir  haben  darum  auf  die  wörtliche  Wiedergabe  grösserer  Partien 
des  Tagebuches,  das  von  Abt  Kilian  handelt,  verzichtet. 


1)  Tagebuch  Abt  Diethelra,  Fol.  304. 

^)  Es  ist  derselbe  Streitbandel,  von  dem  S.  234,  Aniii.  6  die  Rede  war. 

^)  Es  wäre  aber  auch  denkbar,  dass  die  beiden  Tagebücher  uns  vollständig 
erhalten  sind;  dass  Sailer  den  Auftrag  gehabt  liätte,  einen  offiziellen  Bericht 
niederzuschreiben  über  den  Aufenthalt  der  Äbte  im  Exil  und  dabei  nament- 
lich Kilian  durch  eine  objektiv  erscheinende  Darstellung  von  dessen  Leben 
und  Tätigkeit  im  Ausland  zu  verteidigen.  Es  Avurde  dem  Abt  nämlich  von 
reJormierter  Seite  offen  vorgeworfen,  er  habe  während  seines  Aufenthalts  in 
Süddeutschland  verräterische  Verbindungen  gegen  die  Schweiz  angeknüpft. 
Auf  solche  Weise  wäre  dann  auch  der  Abschluss  des  zweiten  Tagebuchs,  das 
von  Abt  Diethelm  handelt,  mit  dem  II.  Kappeier  Landfrieden  völlig  gerecht- 
fertigt. Immerhin  würde  uns  dann  für  das  Tagebuch  aus  der  Zeit  Abt  Kilian s 
ein  Titel  fehlen  und  derjenige  des  II.  Tagebuchs  wäre  nicht  recht  verständlich. 


Beilage  VII. 

Authentischer  Bericht  über  den  Einzug  Karls  V.  in  Augsburg. 


Kilians  Kämmerer,  der  selbst  Augenzeuge  gewesen,  erzählt: 
„  das  kay(serliche)  m(ajesta(t)  ufFmitwuchen  hütt  acht  tag  verschinen,  sampt 
ettlichen  cardhaälen,  ouch  andern  namhafftigen  fürsten  und  herren  und  sinem 
raisigen  zügund  kriegsvolck,  gantz  überus  costlich  und  wolgerust,  zuOugsiJurg 
ingritten  sige,  nemlich  umb  die  achtenden  stund  nach  mittag,  und  sigen  im  die 
von  Ougspurg  mit  xviij'-'  mannen  ze  fuß,  überus  wol  beklaidt,  ze  gantzem 
hanaasch  verfast,  entgegen  gangen  sampt  zway hundert  raisigen,  ouch  irer  bürge r 
gantz  schön  und  wol  gerüst,  darunder  dann  ettlieh  küriser  gewesen,  und  sige 
also  fürtrelFenlich  hoch  und  erlich  empfangen,  hab  sich  ouch  vom  ainen  bis  zu 
der  nünden  stund  gegen  der  nacht  verzogen,  ee  er  gar  ingritten  sige.  Im  sind 
ouch  alle  hertzogen,  fürsten,  grafen  und  ander  groß  herren,  zu  Ougspurg  ge- 
legen, entgegen  gritten  und  ab  iren  pferden  gstigen,  do  si  zu  kayserlicher 
m(ajesta)t  komen  sigen  etc.  Und  wie  also  kay(serliche)  m(ajesta)t  under  ainem 
guldineu  himmel  in  statt  gfürt  worden  und  er  abgstanden,  ist  er  anfenklichen 
und  des  ersten  in  die  kirchen  gangen,  da  sin  pett  in  langer  wyl  vollendet,  dem- 
nach glich  ze  stund  desselben  abents  alle  fürsten  und  herren  berüifen  lassen, 
inen  angezaigt,  sin  m(ajesta)t  wei'de  uff  mornendtz,  dornstags,  unsers  hergots 
tag,  ain  crützgang  christenlichem  bruch  nach  erstatten  und  darumb,  welchen 
im  den  helffen  vollenden  wellint,  die  mögints  thün.  Und  also,  wie  semlicher 
crützgang  beschechen,  sigen  all  fürsten  und  herren,  ußgnomen  hertzog  Hans 
von  Sachsen,  landtgraf  von  Hessen  und  sunst  ain  marggraf,  erschinen  und 
mit  der  procession  gangen.  Also  hab  kung  Ferdinand  und  noch  ain  marg- 
graff  den  bischoff  von  Ougspurg,  der  dann  das  hochwirdig  sacrament  getragen, 
under  sinen  armen  gefürt,  und  sig  kay(serliche)  m(ajesta)t  allernechst  dem 
sacrament  nachgangen  und  ain  zimliche  kertze  von  wissem  wachs  in  guter  grosse 
bräunende  in  siner  band  getragen  und  glicher  gestalt  all  nachgend  fürsten  und 
herren,  und  sig  schönere  und  erlichere  procession  nie  erhördt  worden  etc.  Und 
wie  kayserlich  majestat  wellen  den  imbis  niessen,  hab  die  züvoran  durch  ire 
trometer  in  gantzer  statt  Ougspurg  bi  verlierung  lybs  und  lebens  und  siner 
ungnad  gepieten  lassen,   das  niemandtz  dehain  predicanten,   der  lutersch  sig. 


238 

ufstellen  noch  predigen  lassen  solle.  Und  aber,  wie  ouch  kay(serlich)  m(ajesta)t 
hertzogHannsen  von  Saxs  und  ander  Fürsten,  im  anheugig  und  im  luter  sehen 
glouben  glicbformig,  sampt  andern  fürsten  des  abents,  als  hie  vor  stat,  zu  siner 
m(ajesta)t  beschickt  und  sy  des  crützgangs  halber  ankomen,  haben  dieselbigen 
luterschen  fürsten  siner  m(ajesta)t  geantwort,  si  wellint  gott  und  dem  kayser 
thun,  was  sy  schuldig  syen,  mit  mer  worten  etc.  Also  mornendtz  hats  der  kayser 
widerumb  für  in  berüfft,  und  band  im  müssen  diser  ir  antwurt  in  gschriflft  geben 
etc.,  und  wie  uns  der  kämerling  sagt  und  er  ouch  gehördt  hat,  wil  kay(serliche) 
raa(yesta)t  underston,  den  alten  glouben  zu  erhalten  oder  sin  cron  daran  zu 
binden;  sagt  ouch,  das  er  ernstlich  und  mit  aller  tapfferkait  anheb  und  handle, 
und  trösten  sich  all  alten  cristen  siner  zükunift  wol ;  dann  er  endtlichs  für- 
nemens  sig,  ain  nüwe  reformation  zu  machen,  ouch  allen  gaistlichen  und  welt- 
lichen zu  dem  iren  zu  verhelffen  und  ain  ainigkait  des  gloubens  halber  zu 
machen,  es  bescheche  dann  mit  dem  schwert  ald  sunst  güttlich." 

(Stiftsarckiv  St.  Gallen,  Bd.  307,  S.  314—316.) 


Inhaltsübersicht. 


Seite 

Einleitung V 

Verzeichnis  der  Abkürzungen VIII 

I.  Abschnitt:  Stadt  und  Abtei  St.  Gallen  unter  dem  Einfluss  der  Refor- 
mation  bis   zum  Tode   des  Abtes  Franz  Geissberg.    Vorgeschichte  1 

1.  Kapitel:  Die  Einführung  der  Reformation  in  der  Stadt  St.  Gallen  11 

2.  Kapitel :  Die   Reformation   im    St.  Gallischen   Fürstenlande    bis 

zum  Antritt  Abt  Kilians 64 

3.  Kapitel:  Die  Reformation  im  Toggenburg  bis  Anfang  1529     .     .  77 

IL  Abschnitt:  Abt  Kilian. 

1.  Kapitel:  Die  Vorgänge  bis   zum  Ausbruch  des  ersten  Kappeler- 

krieges       91 

2.  Kapitel:  Der  erste  Kappelerkrieg 112 

3.  Kapitel:  Abt  Kilian  und  die  Eidgenossen 121 

4.  Kapitel:  Abt  Kilian  auf  dem  Augsburger  Reichstage      ....  147 
III.  Abschnitt :  Abtei  und  Stadt  St.  Gallen  nach  dfem  ersten  Kappelerkrieg 

bis  zum  Tode  Abt  Kilians. 

1.  Kapitel:  Die  Emanzipation  des  Fürstenlandes  von  der  Abtei. 

A.  Die   Verhandlungen   über  die  Aufrichtung  einer  neuen  Ver- 
fassung bis  Ende  1529 159 

B.  Der  Wiler  Auflauf 169 

C.  Abschluss   der   Verfassung    für  die    fürstäbtische    Landschaft  178 

2.  Kapitel :  Das  Toggenburg  nach  dem  ersten  Landfrieden     .     .     .  188 

3.  Kapitel :  Der  Klosterkauf 192 

Nachwort 208 

Beilagen 211 


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