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THE UNIVERSITY LIBRARY
UNIVERSITY Or CALIFORNIA, SAN DIEGO
LA JOLLA. CALIFORNIA
Die St. Gallische Olaubensbewepng
zur Zeit der Fürstäbte Franz und Kiiian (1520-1530)
Von Theodor Müller.
St. Gallen.
Druck der Buchdruckerei Zollikofer & Cie.
1910.
Meinen lieben Eltern.
Einleitung.
In unserem nüchternen Zeitalter, wo die idealen Güter des
Menschen so wenig mehr zu gelten scheinen, lenkt wohl mancher
Unbefriedigte seinen Blick gern in jene Zeiten zurück, in denen
Männer auftraten, die für die Erreichung eines hohen, grossen
Ziels ihr Leben lang kämpften und litten. Das Reformations-
zeitalter namentlich ist reich an solchen Gestalten. Eine der mar-
kantesten und bedeutendsten ist Ulrich Zwingli; sein Zeitgenosse
ist Joachim von Watt in St. Gallen. Beiden gemeinsam ist der
ideale Drang, ihre Mitmenschen sittlich und intellektuell zu heben.
Unser Thema bietet Gelegenheit, die reformatorische Tätig-
keit Vadians, dieses nächst Zwingli bedeutendsten Förderers der
deutsch-schweizerischen Reformation, genauer kennen zu lernen.
Aber auch auf Zwingiis gewaltiges Wirken fällt dabei reiches
Licht, da unter Zürichs dominierendem Einfluss jene Begeben-
heiten sich abspielten, von denen im folgenden die Rede sein wird.
Dass die vorliegende Arbeit nicht überflüssig ist, ergibt sich
schon daraus, dass die einzige nennenswerte gedruckte Dar-
stellung des von uns behandelten Zeitabschnitts im Jahre 1811
erschienen ist: „J. v. Arx, Geschichten des Kantons St. Gallen",
2. Band, S. 472 ff., vorzüglich zwar für jene Zeit, nunmehr aber
begreiflicherweise vielfach veraltet. Zudem sind manche Ab-
schnitte, so die Reformationsbewegung in der Stadt St. Gallen,
recht dürftig behandelt, das Ganze durchaus vom katholischen
Standpunkt aus geschrieben. Wir hoffen, auch durch andere
Anordnung des Stoffes ein übersichtlicheres Bild der Ereignisse
gegeben zu haben.
Für unsere Arbeit fanden wir manches da und dort in ge-
druckten Abhandlungen verstreut. So zogen wir die betreffenden
Abschnitte von Wegelins Geschichte des Toggenburgs zu Rate,
wo wir es für nötig erachteten, auf die Geschichte der Graf-
schaft einzutreten, ferner die Arbeiten Presseis, Stähelins und
Götzingers über Vadian, Eglis Schrift über die St. Galler Täufer,
diverse St. Galler Neujahrsblätter, Haenes Klosterbruch, die
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Bauernbewegung in der Ostschweiz von H. Nabholz, Eschers
Glaubensparteien, den 3. Band von Dierauers Geschichte der
Schweizerischen Eidgenossenschaft etc., alles in den Anmerkungen
zum Texte an gebührendem Orte mit wörtlicher Titelangabe er-
wähnt.
Von gedruckten Quellen lagen uns vor:
1. Eidgenössische Abschiede, Band IV, 1 a und IV, 1 b, be-
arbeitet von Joh. Strickler;
2. Aktensammlung zur Schweizer. Reformationsgeschichte
von Joh. Strickler, Zürich 1878 und 1879, Band I und II;
3. die Vadianische Briefsammlung, Band III und IV und
Nachträge in den St. Galler Mitteilungen, Band 27 und 28 ;
4. Kesslers Sabbata in der gediegenen Neuausgabe (St. Gallen
1902);
5. Joachim von Watt, Deutsche historische Schriften, heraus-
gegeben von Ernst Götzinger, Band II und III, St. Gallen
1877 und 1879;
6. die Chroniken von Fridolin Sicher und Hermann Miles in
den St. Galler Mitteilungen, Band 20 und 28;
7. Heinrich Bulhngers Reformationsgeschichte, Bd. II, Frauen-
feld 1838;
8. Valentin Tschudis Chronik der Reformationsjahre 1521
bis 1533, herausgegeben von Joh. Strickler, Glarus 1888.
Was die ungedruckten Quellen anbelangt, so war zu er-
warten, dass sie nur noch spärlich fliessen würden in Anbetracht
der durch Strickler ausgezeichnet redigierten Abschiede und der
nicht minder umsichtig angelegten Aktensammlung zur Refor-
mationsgeschichte.
Trotzdem gaben wir uns Mühe, persönlich die einschlägigen
Archive abzusuchen. Doch fanden wir in Schwyz und Einsiedeln
zwar sehr freundlichen Empfang, aber nichts für unser Thema.
Nicht anders ging es uns in Glarus. In Luzern wurde uns von
Staatsarchivar Dr. Th. von Liebenau mitgeteilt, dass im dortigen
Archiv für unsere Arbeit sich nichts finde, was nicht schon in
den Abschieden und der Aktensammlung Stricklers enthalten
sei. Ahnlich lautete die schriftliche Antwort aus dem Staatsarchiv
Bern. Einiges wenige fanden wir im Statthaltereiarchiv von Inns-
bruck; wenn wir aber gehofft hatten, aus den dortigen Kopial-
büchern nähern Aufschluss über die Tätigkeit Kilians im Exil
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zu gewinnen, so wurden wir gänzlich getäuscht. In Zürich lag
zwar ein reiches Aktenmaterial vor; doch hatte glücklicherweise
der ehemalige Zürcher Staatsarchivar Joh. Strickler dasselbe zum
grössten Teil seiner „Aktensammlung" einverleibt, was uns manche
Stunde mühseligen Aktenabschreibens erspart hat. Dagegen bot
das Stadtarchiv St. Gallen noch manches; namentlich enthielten
die Ratsprotokolle eine Reihe wichtiger Notizen. Herr Stadt-
archivar Dr. T. Schiess stellte uns auch in freundlichster Weise
ein Manuskript Karl Leders zur Verfügung, betitelt: „Die Be-
ziehungen der Stadt St. Gallen zur Fürstabtei vom Beginn der
Reformation bis zur völligen Scheidung der beidseitigen Gebiete";
diese Abhandlung diente uns für die Stadt St. Gallischen Ver-
hältnisse vielfach als Wegweiser. Ferner ist zu nennen das
Wiler Archiv. Das meiste Material aber fand sich natürlich im
Stiftsarchiv St. Gallen vor; so schöpften wir aus dem dort befind-
lichen Band Nr. 102 manches Interessante über Leben und Wirk-
samkeit Kilians. ^)
Es bleibt uns noch die angenehme Pflicht, den Herren, welche
wir bei unsern Studien in Anspruch nehmen mussten, herzlich zu
danken. Es sind dies vor allem die tit. Vorstände des St. Galler
Stadt- und Stiftsarchivs, Dr. T. Schiess und J. Müller, welche uns
in liebenswürdigster und zuvorkommendster Weise beim Sammeln
des in ihren Archiven enthaltenen Materials mit Rat und Tat
beistanden. Für die Durchsicht der Korrekturbogen sind wir
Herrn Dr. Schiess noch zu ganz besonderem Dank verpflichtet.
Im fernem danken wir den Herren vom Staatsarchiv und der
Stadtbibliothek Zürich, dem Direktor des Innsbrucker Statthalterei-
archivs und Herrn Landesarchivar Kleiner in Bregenz für ihre
uns erwiesenen Gefälligkeiten. Endlich sei auch den Herren
Pfarrer Dr. Bächtold und Dr. H. Herzog, Bibliothekaren zu Schaff-
hausen und Aarau, wie auch den Herren Dr. R. und E. Bertsch
in Zürich für ihr freundliches Entgegenkommen warm gedankt.
^) Siehe über diesen Band Beilage VI.
Abkürzungen.
1. Eidgenössische Abschiede, Bd. IV 1 a und IV 1 b, zitiert E. A., IV 1 a und
IV Ib.
(Die Ziffern dahinter bedeuten die Nummern, niclit die Seitenzalüen.)
2. Aktensammlung zur Schweizerischen Reformationsgeschichte von Joh.
Strickler, zitiert A.-S.
(Die arabischen Zahlen hinter den römischen, weh'li letztere den Band bezeichnen,
bedeuten die Numinern, nicht die Seitenzahlen.)
3. Vadianische Briefsammlung, zitiert V.-B.-S.
4. Kesslers Sabbata, zitiert Sabb.
(Die Seitenzahlen nur nach der neuen Ausgabe.)
5. Joach. V. Watt, Deutsche historische Schriften, zitiert Vad.
6. Fridolin Sichers Chronik, zitiert Sicher, I, II (I., II. Bearbeitung).
7. Chronik des Hermann Miles, zitiert Miles.
8. BuUingers Reformationsgeschichte, Band II, zitiert Bull. II.
9. Stiftsarchiv St. Gallen, zitiert St.-A.
10. Stadtarchiv St. Gallen, zitiert Sta.
n. St. Galler RatsprotokoUe im Stadtai-chiv, zitiert R.-P,
1. ABSCHNITT.
Stadt und Abtei St. Gallen unter dem Einfluss der
Reformation bis zum Tode des Abtes Franz Geissberg.
VORGESCHICHTE.
Das Kloster St. Gallen hatte zu Anfang des 15. Jahrhunderts
zu verschwinden gedroht, so sehr war es, namentlich durch die
Appenzellerkriege , herabgekommen. 1412 bildeten noch zwei
Mönche den Konvent; der eine wählte den andern zum Abte!
Seinen Neuaufschwung, seine „völlige Regeneration" verdankte
das Stift dem energischen und klugen Ulrich Rösch. ^)
1458 wurde nämlich dem verschwenderischen Abt Kaspar
durch einen päpstlichen Schiedsrichter die Verwaltung des Klosters
entzogen und Ulrich Rösch, dem Grosskeller des Stifts, übertragen.
Als der nominelle Abt starb, erhielt Rösch auch die Abtswürde.
Er nannte sich Ulrich VIII. Diesen Mann, der sich vermöge seiner
geistigen Fähigkeit vom Küchenjungen zur ersten Stelle in der
Abtei emporgeschwungen, hielt man in Rom für den geeigneten
Mann, das verwahrloste Stift zu reorganisieren. Mit fieberhaftem
Eifer machte sich auch der neue Abt an die schwere Aufgabe.
Der Abtei entfremdete Gebiete wurden wieder herangezogen, dazu
neue Erwerbungen gemacht: 1468 kaufte Ulrich zum Beispiel von
den Raron um 14,500 rheinische Gulden das Toggenburg. ^) Den
Gotteshausleuten wurde ihre untertänige Stellung sehr deutlich
klar gemacht, da tüchtige Beamte des Abtes für die richtige und
^) Näheres über diese „grossangelegte, kraftvolle Persönlichkeit" siehe bei
Scheiwiler: „Abt Ulrich Rösch", im Neujahrsblatt des Historischen Vereins des
Kantons St. Gallen für 1903.
-) Allerdings hatte das Kloster schon vorher ansehnliche Besitzungen in
der Grafschaft.
St. Galler Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 1
pünktliche Einlieferung der Steuern und Abgaben sorgten. Auf
diese Weise wurde auch der finanziellen Zerrüttung — dem Haupt-
übel, an welchem das Kloster litt — erfolgreich gesteuert. Ja,
der Abt war mit der Zeit imstande, seine Finanzen so in die
Höhe zu bringen, dass er aus ihnen nicht bloss die auf dem Stift
liegenden Schulden bezahlen, sondern auch seine sehr zahlreichen
Landkäufe bestreiten konnte.
Sodann schloss Ulrich 1479 mit den vier eidgenössischen Orten
Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus den sogenannten „Hauptmann-
schaftsvertrag" ab. Die vier Orte übernahmen laut des Abkommens
den Schutz und Schirm der Rechte und Gebiete des Gotteshauses,
und zwar sandte jeweils einer der vier „Schirmorte" in regel-
mässigem Turnus seinen Vertreter, den Schirmhauptmann, für
zwei Jahre ins Kloster: die Schirmorte sollten auf diese "Weise
die Interessen des Stifts besser fördern können. Der Hauptmann-
schaftsvertrag war vor allem gegen die Stadt St. Gallen gerichtet:
ihren Expansionsgelüsten sollte damit ein Ende gemacht werden.
St. Gallen, das sich im Laufe der Jahrhunderte von der Abtei
beinahe ganz frei gemacht hatte, konnte sich nämlich, weil rings
von äbtischem Gebiet umschlossen, nur auf Kosten des Gottes-
hauses ausdehnen. Unter Abt Kaspar ^) wäre es der Stadt bei-
nahe gelungen, grössere Teile des äbtischen Gebietes käufhch zu
erwerben. Aber die Konventualen, an ihrer Spitze Ulrich Rösch,
weigerten sich, den Kaufvertrag anzuerkennen, worauf ihn schliess-
lich die Vni Orte der damaligen Eidgenossenschaft für ungültig
erklärten. Diese und andere Händel mit der Stadt boten dem
Nachfolger Abt Kaspars, Ulrich VHL, den Vorwand zu der Er-
klärung, er habe im Sinne, unter Beibehaltung des „wesen zu
Sant Gallen", sein Kloster nach Rorschach zu verlegen. Der
Hauptgrund für den Abt war aber, das Zentrum seiner Herr-
schaft aus einer Stadt, die ihm, seit sie fast unabhängig war,
feindselig gegenüberstand, in die Landschaft seines Gotteshauses
zu verlegen. Konvent, Papst und Kaiser gaben ihre EinwilHgung,
und da auch die äbtischen Untertanen nichts dagegen einwandten,
wurde der Bau begonnen und machte rasche Fortschritte.
^) Vgl. hierüber wie über die nachstehend skizzierten Ereignisse der Jahre
1489 — 1490 Joh. Häne: ,Der Klosterbruch in Rorschach und der St. Galler
Krieg" (in den Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, herausg. vom
Histor. Verein St. Gallen, Bd. XXVI).
Aber nun trat St. Gallen dem Klosterbau scharf entgegen.
Mochte auch einerseits die Selbständigkeit und Unabhängigkeit
der Stadt dadurch gewinnen, dass der Abt seinen Hauptsitz von
dort weg verlegte, so war doch anderseits der kommerzielle
Nachteil, den sie dabei erleiden mußte, ausserordentlich gross.
Denn St. Gallens Markt verdankte seine Blüte vor allem dem Um-
stand, dass die Stadt der anerkannte Mittelpunkt der äbtischen
Gebiete war. Das musste sich völlig ändern, sobald der Abt seine
Residenz nach Rorschach verlegte und dort, wie er beabsichtigte,
einen Konkurrenzmarkt errichtete, mit dem er den St. Gallischen
vernichten zu können hoffte. Zudem lag die Gefahr nahe, Ror-
schach könnte der Haupthafen für die Stiftslandschaft werden
und damit dem der Stadt gehörigen Steinach den Rang ablaufen.
Mit den St. Gallern verbanden sich die Appenzeller. Sie fürch-
teten, der Abt möchte von Rorschach aus die Hand über ihr
Herrschaftsgebiet im Rheintal schlagen, auf das der geistliche
Herr schon lange ein Auge geworfen hatte.
St. Galler und Appenzeller beschlossen darum, das im Ent-
stehen begriffene äbtische Kloster zu Rorschach zu vernichten.
Die Seele des Widerstandes gegen den Abt war der St. Galler
Ulrich Farnbüler, der die Gelegenheit benutzen wollte, um der
Stadt jenes äbtische Territorium zu gewinnen, das St. Gallen durch
den Kaufvertrag von 1455 bereits in den Händen zu haben ge-
glaubt hatte. ^) Farnbüler, der von 1480 — 1490 stets die höchsten
Ämter der Stadt bekleidete, verstand es, durch einen engern
Kreis von Vertrauten innerhalb des Rates „die ganze Stadt nach
seinem Kopfe zu regieren".
Am 28. Juh 1489 zerstörten 1200 Appenzeller, 350 St. Galler
und 650 Rheintaler das im Bau begriffene Kloster, nachdem sie
vorher vergeblich vom Abte verlangt hatten, dass er die Arbeiten
daran einstelle. Die Abtei erlitt einen Schaden von etwa 16,000
Gulden.
Trotzdem sich nun Abt Ulrich eifrig bei den eidgenössischen
Orten verwandte, um Sühne für den Frevel zu erlangen, richtete
er anfangs wenig aus. Nach verschiedenen, resultatlos verlaufenen
Tagsatzungen suchte schliesslich eine Botschaft eidgenössischer
Orte (ohne Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus) zu vermitteln.
Doch der Versuch missglückte : Appenzell wollte ohne St. Gallen
^) Siehe oben.
nicht unterhandeln, und dieses glaubte, die Lage sei günstig;
denn bereits hatte sich ein grosser Teil der Gotteshausleute gegen
den Abt erhoben.
Seitdem Ulrich VIII. die Zügel der äbtischen Regierung in
seine starke Hand genommen, waren bei seinen Untertanen wieder
die alten Klagen über hartes, geistliches Regiment aufgekommen.
An der Zerstörung des halbvollendeten Rorschacher Klosters
scheinen sich die Gotteshausleute zwar nicht beteiligt zu haben.
Aber ihr passives Verhalten während des Gewaltstreiches zeigt
uns doch, dass das Verhältnis des Abtes zu seinen Untertanen
ein wenig günstiges war. In der Umgebung von Rorschach hatte
niemand Miene gemacht, die Gewalttat zu verhindern, trotzdem
die äbtischen Untertanen sich mit dem Bau des neuen Klosters
einverstanden erklärt hatten. Einzig die Toggenburger und Wiler
erwiesen sich als zuverlässig.
In eine dem Abt geradezu feindliche Stellung wurden aber
die unzufriedenen Elemente der Gotteshausleute nach dem „Kloster-
bruch", d. h. der Zerstörung des Klosterbaues, gedrängt durch die
agitatorische Tätigkeit des Otmar Gerster von Lömmiswil, ge-
wöhnlich wegen seiner roten Haare ,,Fuchs" Gerster genannt.
Eine Landsgemeinde zu Waldkirch brachte die von ihm ange-
strebte Annäherung der Gotteshausleute an Appenzell und die
Stadt St. Gallen zustande, und bei den Verhandlungen wegen
des Klosterbruches auf der Tagsatzung zu Baden im Oktober 1489
benahm sich die Gesandtschaft der Gotteshausleute so, wie wenn
das Fürstenland schon im Bunde mit den Appenzellem und
St. Gallern stünde.
Auf dem Tag zu Waldkirch vom 21. Oktober 1489 schlössen
jetzt sämtliche Gemeinden der Gotteshauslandschaft, ausgenommen
Wil und dessen nächste Umgebung, mit den St. Gallern und Appen-
zellem ein Bündnis. Abt und Konvent, hiess es in einem Artikel
des Bundesvertrages, sollen versprechen, alle Mauerungen und
Beschwerden abzustellen. — Die Verhältnisse in den äbtischen
Landen trieben immer mehr der offenen Revolution zu. Dazu
kam nun noch, dass in St. Gallen im Dezember 1489 Ulrich Farn-
büler zum Amtsbürgermeister ^) für das folgende Jahr gewählt
wurde, womit die Stadt erklärte, dass sie Farnbülers Politik billige.
^) Heisst soviel als regierender Bürgermeister.
Nun aber beschlossen die vier Schirmorte der Abtei nach
fruchtlosen Vermittlungsversuchen durch unbeteiligte eidgenös-
sische Stände, mit Waffengewalt dem Abt Genugtuung zu ver-
schaffen und die Erhebung niederzuwerfen. Sie hatten um so
mehr Aussicht auf Erfolg, da ihre Gegner durchaus nicht einig
waren : der Bund von Waldkirch, welcher Städter, freie Bauern
und Untertanen verband, erwies sich bald genug als zu locker
gefügt.
Dem von Wil gegen Gossau vorrückenden schirraörtischen
Heere leisteten die Gotteshausleute keinen Widerstand. Sie
schwuren den vier Schirmorten Gehorsam und versprachen, die
Urheber der Empörung anzugeben.
Auch die Appenzeller krochen ohne Schwertstreich zu Kreuz,
nachdem sie die Gotteshausleute und St. Gallen ohne militärische
Unterstützung gelassen und ruhig den Verlauf der Dinge hinter
ihrer Letzi bei Herisau abgewartet hatten. Sie bezahlten ihre
abtfeindliche Haltung mit dem Verlust des Rheintals.
Noch leistete St. Gallen Widerstand. Doch nicht unter Farn-
büler; denn dieser war, bevor das vierörtische Heer am 12. Februar
1490 vor den Mauern erschien, aus der Stadt geflohen. Trotzdem
gedachte die wohlbefestigte Stadt dem Belagerungsheer ener-
gischen Widerstand zu leisten. Dadurch entging sie zwar der
Schmach einer Kapitulation, da ihre Gegner es nicht auf einen
Belagerungskrieg ankommen lassen wollten. Aber die schliess-
lichen Friedensbedingungen waren für die Stadt doch sehr hart.
Wohl rettete St. Gallen unter Beistand Zürichs seine Selbständig-
keit, verlor aber seine auswärtigen Besitzungen: Schloss Ober-
berg, die zwei Gerichte Oberberg und Andwil, sowie das Gred-
haus (Lagerhaus) zu Steinach. Diese Abtretungen wurden später
für nur 8000 gl. von den Schirmorten dem Abt überlassen. Ferner
hatte die Stadt an die vier Schirmorte 10,000 gl., an Abt Ulrich
4000 gl. zu zahlen. Das Schlimmste aber war, dass sie ihre Aus-
burger ^) entlassen und keine neuen mehr aufnehmen durfte.
Damit war St. Gallen die Erwerbung einer Territorialherrschaft
verun möglicht.
Die Gotteshausleute wurden als Verführte behandelt und milde
bestraft. Sie durften in Zukunft ohne Erlaubnis ihres Herrn, des
0 Leute, die Bürger der Stadt sind, aber nicht dort wohnen müssen.
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Abtes von St. Gallen, keine Versammlungen abhalten, und was
besonders empfindlich für sie war: der Erb-, Todes- oder Sterbe-
fall wurde wieder eingeführt. Endlich hatten sie den Schirmorten
für die bewaffnete Intervention 4000 gl. und dem Abt an seinen
erlittenen Schaden 3000 gl. zu zahlen.
Aber mochte auch Ulrich VIII. triumphieren, er hatte einen
Pyrrhussieg errungen. Die siegreichen Schirraorte benützten
nämlich die Gelegenheit, ihm einen neuen Hauptmannschafts-
vertrag aufzunötigen (1490). Dieser sollte zwar nur eine „bessre
erlüterung und verstendnus" des Hauptmannschaftsvertrages von
1479 sein, drückte aber die Gotteshauslandschaft tatsächlich zur
gemeinen Herrschaft herab. Nach dem neuen Vorkommnis durfte
z. B. kein Abt von den Besitzungen der Abtei etwas versetzen
oder verkaufen, und die Gotteshausleute hatten in Kriegszeiten
der Mehrheit der Schirmorte zuzuziehen, wohin diese wollten,
und zwar auf eigene Kosten.
Den Anstiftern hatte der „Klosterbruch" allerdings nur Schaden
gebracht. Jedoch das Zentrum der äbtischen Regierung blieb auch
in Zukunft in St. Gallen, obwohl der Gegensatz zwischen Abtei
und Stadt fortdauerte. Die rebellischen Untertanen waren wieder
unter den Krummstab des Abtes von St. Gallen gebeugt worden;
aber die Empörung hatte gezeigt, was für ein trotziges, selbst-
bewusstes Wesen unter den Bauern der Ostschweiz vorhanden war.
Diese Erhebung steht jedoch nicht vereinzelt da, sondern
bildet nur das Glied einer Kette von ähnlichen Erscheinungen in
Süddeutschland und in der Eidgenossenschaft: 1462 hatten sich
die salzburgischen Bauern erhoben, 1491/1492 empörten sich die-
jenigen des Stifts von Kempten, und gleich der Anfang des 16. Jahr-
hunderts bringt uns Erhebungen im Bernischen, Luzernischen und
Solothurnischen.
Es sind darum die Bauernrevolutionen, die sich in den zwan-
ziger Jahren des 16. Jahrhunderts abspielten, im Grunde genommen
nichts Neues. Sie sind nur unter dem Einfluss der reformatorischen
Ideen für die bestehende Ordnung sehr viel gefährlicher geworden
als frühere; denn die Reformation gab der ganzen Bewegung eine
sittlich-religiöse Grundlage. Wenn der untertänige Bauer diesseits
wie jenseits des Rheines die evangelische Freiheit und Gleichheit
der Menschen wörtlich und äusserlich auffasste, so war das wohl
zu begreifen; denn hier wie dort war seine materielle Lage eine
keineswegs beneidenswerte, ^) und mochte er auch diesseits des
Rheines durchschnitthch besser gestellt sein als sein deutscher
Nachbar, so herrschte doch auch hier manchenorts eine revo-
lutionäre Stimmung.
Dies war namentlich wieder bei den bäuerlichen Untertanen
des Abtes von St. Gallen der Fall, und zwar arbeiteten diese, was
für den geistlichen Herrn besonders gefährlich war, nicht nur auf
soziale, sondern vor allem auch auf politische Besserstellung hin.
Ja, im Grunde genommen war es nichts mehr und nichts weniger
als die Ablösung vom Stifte, was sie anstrebten, wie das schon
der Rorschacher Klosterbruch wenigstens für die nördlichen Ge-
biete der äbtischen Lande deutlich genug bewiesen hatte. Seit
jener Zeit hörten die Händel der Untertanen mit ihrem geist-
lichen Herrn nie mehr ganz auf. '^) Fortwährend hatte der Prälat
mit seinen Untertanen Späne wegen Zehntenverweigerung aus-
zufechten. Und dass das Streben nach politischer Unabhängigkeit
in seinem Herrschaftsgebiet nicht erlosch, dafür sorgten die Toggen-
burger, deren Selbstgefühl durch die grossen, im Verein mit den
Eidgenossen bestandenen Kämpfe wach geworden war. ^) Wenn
bei diesen steten Reibereien zwischen Abt und Untertanen Miss-
trauen und Erbitterung gegenseitig fortwährend wuchsen, so war
das nicht verwunderlich. Und nun war vollends durch die Refor-
mation dem Bauer die Bibel in die Hand gegeben worden. Wo
stand da etwas von der masslosen und ewigen Belastung des
Armen durch geistliche und weltliche Herren, wo ein Wort von
geistlicher Hierarchie? Der Bauer musste auf den Glauben kommen,
dass er es sei, der für das Christentum fechte, für eine gute Sache.
Während bisher bei den Bauernunruhen vorwiegend soziale und
politische Motive gewirkt hatten, kam nun noch das religiöse
Moment hinzu und damit der Fanatismus. Alle drei wirkten zu-
sammen, um im Sommer 1525 die Revolution der süddeutschen
^) So heisst es in dem eidg. Glaubenskonkordat von 1525, dass der , ge-
meine arme Mann eben merklich von geistlichen Prälaten und Gotteshäusern,
auch von edeln und unedeln Gerichtsherren allenthalben mit der Eigenschaft
(Leibeigenschaft) hart und streng gehalten worden" sei. (Oechsli, „Das eidg.
Glaubenseoncordat von 1525", Jahrb. für Schweiz. Gesch., Bd. 14.)
2) H. Nabholz: „Die Bauernbewegung in der Ostschweiz, 1524 — 1525",
S. 13. (Inaug.-Diss., Bülach 1898.)
^) J. Dierauer: „Das Toggepburg unter äbtischer Herrschaft." (St. Galler
Neuj.-Bl. 1875.)
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Bauern hervorzurufen. Da sich diese grossenteils in nächster
Nähe der eidgenössischen Grenze abspielte, so machte sich die
Bewegung auch bei den Untertanen des Abtes von St. Gallen
wohl bemerkbar; standen doch die äbtischen Untertanen in Ver-
bindung mit den aufständischen süddeutschen Bauern. Doch kam
es unter den Gotteshausleuten nicht zu einer eigentlichen Er-
hebung. Die Stiftsbauern begnügten sich vorderhand damit, ins-
gesamt bei den Schirmorten über unbillige Abgaben zu klagen,
die sie dem Kloster zu entrichten hätten, worauf diese dem Abt
und seinen Anklägern einen Rechtstag nach Rapperswil auf den
29. März 1525 ansetzten. Der Tag verhef jedoch resultatlos, da
nur ein Teil der Gotteshausleute Gesandte geschickt hatte, und
die Schirmorte verlangten, dass die äbtischen Untertanen ihre
Klagen in einem gemeinsamen Programm ihnen vorlegen sollten. ^)
Bis das aber geschah, war der Aufstand unter den deutschen
Bauern mächtig angewachsen, und unter dessen Einfluss nahm
auch die Bewegung im Gebiet der Abtei St. Gallen eine drohende
Wendung, so dass Abt Franz es für nötig erachtete, eine Be-
satzung ins Schloss Rorschach zu legen.
Die am 1. Mai 1525 zu Lömmiswil zusammentretende Ge-
meinde der Gotteshausleute, welche sich über die Beschwerde-
punkte gegen den Abt einigen sollte, durchwehte ein recht revo-
lutionärer Geist, der in den Forderungen der versammelten Land-
leute beredten Ausdruck fand: neben bedeutenden materiellen
Erleichterungen sollte der Abt urkundlich versprechen, ohne Wissen
und Willen der Gotteshausleute keine Verfügung zu treffen ! Er
wurde denn auch von diesem und den andern Beschlüssen der
abgehaltenen Gemeinde in Kenntnis gesetzt und aufgefordert, sie
anzunehmen. Sehr begreiflich, dass der geistliche Herr darauf
nicht einging. Dabei fand er Hilfe bei seinen Schirmorten, welche
nunmehr von den Gotteshausleuten die Absendung von Bevoll-
mächtigten forderten. Diese sollten den Abgeordneten der vier
Stände die Beschwerden des Fürstenlandes vortragen, worauf
dann die Boten der Schirmherren, wenn nötig, einen Spruch
fällen würden, falls mit gütlicher Verhandlung nichts auszurichten
wäre. Einen hierfür angesetzten Tag besuchten aber die Unter-
tanen des Stiftes nicht, unwilhg über das gestellte Verlangen
') E. A., IV, la, S. 603 p und S. 610 ff.
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der Schirmorte. Sie versprachen sich von einem Paktieren mit
den Regierungen der einzelnen Schirmorte mehr als von einem
Rechtstag, wo sie ihre Forderungen begründen mussten, und hofften
ganz besonders, dass Zürich ihnen seinen Beistand nicht versagen
werde, da es ja auch die Verbreitung der Zwingiischen Lehre
im äbtischen Gebiete in jeder Weise unterstützte. Kommunistische
Ideen, von Wiedertäufern unter ihnen verbreitet, taten das Ihrige,
die Untertanen des Abtes im Widerstände gegen ihren Herrn zu
ermutigen. Doch machte schliesslich die blutige Unterdrückung
derdeutschen Bauernbewegung auch die äbtischen Widerspenstigen
mürbe, so dass sie endlich einen neuen Tag (10. Juli 1525) zu
Rapperswil beschickten und hier der Rechtshandel zwischen dem
Abt und den Bevollmächtigten seiner Untertanen beginnen konnte.
Wie vorauszusehen war, endigten die Verhandlungen völlig
zu Ungunsten der Gotteshausleute: beinahe mit allen ihren For-
derungen wurden sie abgewiesen, da ihre Bevollmächtigten eben
fast immer den genügenden Beweis für die Unrechtmässigkeit der
von ihnen beanstandeten Lasten schuldig blieben. ^) Demütigend
für die Stiftsbauern war auch, dass am 28. Juli, ebenfalls zu
Rapperswil, der energische, aber den Gotteshausleuten verhasste
Verfechter der äbtischen Rechte, Dr. Christoph Winkler, ^) den
die Tablater gefangen genommen, freigesprochen und diesen
eine Busse von 100 Gulden auferlegt wurde. ^) Der Abt erhielt
zudem die Erlaubnis, die Rädelsführer zu bestrafen, worauf er
sie aus dem Lande jagte.
So hatte der Prälat, vor allem durch die Wendung, welche
der Bauernkrieg in Süddeutschland genommen — allerdings unter
bedeutenden Geldopfern, welche ihn der lange Prozess kostete,*) —
vollständig gesiegt. Aber die Ruhe kam für ihn nicht wieder.
Schon hatten sich nämlich die reformatorischen Ideen Luthers
und Zwingiis im äbtischen Gebiete so stark verbreitet, dass die
sozialen und politischen Fragen, die bisher in dem Streite mass-
gebend gewesen, anfingen, von den rehgiösen Gesichtspunkten
ganz in den Hintergrund gedrängt zu werden; ja, die politisch-
sozialen Fragen gingen nunmehr in den religiösen auf, und dieser
^) Näheres bei Nabholz, Bauernbewegung, S. 90.
2) über seine Tüchtigkeit siehe Vad. II, S. 402 12.
^) Über den Handel siehe Sabb., S. 196/197.
^) Sicher, I, S. 64io, berechnet die Kosten des Abtes auf mehr als 1500 gl.
10
neue Gegensatz bedeutete für Abt Franz wie für so manchen
andern Prälaten eine Gefahr, die unter Umständen seine ganze
Macht in geistlichen und weltlichen Dingen in Frage stellen konnte.
Auf dem oben genannten Rechtstage war die religiöse Frage
bereits von den Gotteshausleuten gestreift, aber vom Abt geschickt
umgangen worden. In sehr kluger Weise wollte er nämlich zuerst
mit den sozialen und politischen Forderungen seiner Untertanen
ins Reine kommen, ehe er die viel gefährlichere religiöse Frage
angriff.
Wie sehr aber die letztere bereits in der Eidgenossenschaft
überhaupt in den Vordergrund gerückt war, zeigte sich noch im
Jahre 1525. Boten aus denjenigen Gebieten des Rheintales, in
denen der Abt von St. Gallen die niedere Gerichtsbarkeit besass,
klagten gleich nach Abschluss des Rechtstages zu Rappers wil
vor den Boten der im Rheintal regierenden Orte über ungerechte
Abgaben, die sie dem Abte entrichten müssten. Eine Vermittlung
der Tagherren in dem Streit verhinderten aber die im Rheintal
mitregierenden Urner, indem sie erklärten, dass sie neben dem
ketzerischen Zürich nicht mehr tagen wollten. Erst im Juli 1526
konnte zu Rorschach ein Vergleich zwischen Abt Franz und den
Rheintalern zustande gebracht werden. ^)
Auch im Toggenburg hatte sich unter dem Einfluss der neuen
Lehre der Geist des Ungehorsams gegen den Abt von neuem
geregt, und in der Stadt St. Gallen huldigte bereits die Mehrheit
der Bürger dem neuen Glauben.
So tritt immer mächtiger, alle andern Fragen weit zurück-
drängend, das religiöse Moment in den Vordergrund. Deswegen
haben wir nun die reformatorische Bewegung in der Stadt und
auf dem Gebiete der Abtei eingehend darzustellen und verfolgen
vorerst die Vorgänge in St. Gallen, da von hier aus die neue Lehre
auch in der Landschaft des Gotteshauses verbreitet wurde.
1) E. A., IV, 1 a, S.
11
I. Kapitel.
Die Einführung der Reformation in der Stadt St. Gallen.
Beim Rorschacher Klosterbruch und St. Galler Krieg konnten
wir sehen, welch schroffe Gegensätze zwischen Kloster und Stadt
St. Gallen vorhanden waren. ') An diesem misslichen Verhältnis
hatten die folgenden Jahre wenig geändert, lag doch das Zentrum
der äbtischen Herrschaft nach wie vor in der Stadt St. Gallen.
Gerade das bewirkte aber, dass man an der Steinach der Auf-
nahme reformatorischer Ideen günstig gesinnt war.
„Der hauptsächliche Urheber und der massgebende Leiter",-)
die eigentliche Seele der Reformationsbewegung in der Stadt
St. Gallen ist Vadian gewesen, d. h. die leitende Persönlichkeit in
der Glaubensänderung war hier — im Gegensatz zu Zürich —
ein Laie, der sich aber als Vorkämpfer für die neue Lehre dem
Theologen näherte.
Joachim von Watt ^) stammte aus einer gut bürgerlichen
^) Siehe oben.
^) Stähelin, Yadian, S. 213, siehe folgende Anmerkung.
^) Leider besitzen wir bis zum heutigen Tage keine Vadianbiographie, die
den modernen wissenschaftlichen Anforderungen genügte und uns ein vollstän-
diges Bild vom Leben und der Tätigkeit dieses hochbedeutenden und persönlich
so ansprechenden Mannes zu geben imstande wäre. Von bedeutenderen älteren
Arbeiten über ihn nenne ich diejenige von Theod. Pressel (in dem Sammelwerk
„ Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformatorischen
Kirche", Bd. IX, Elberfeld 1861). Für die damalige Zeit eine recht gute Ar-
beit, ist sie heutzutage zum grossen Teil veraltet. Die Vad.-Briefsamml. und
die Sabbata wurden ungenügend ausgenützt. Der ganzen Arbeit merkt man an,
dass sie von einem Theologen geschrieben wurde. — Ferner sei die in ihrer Art
ausgezeichnete Arbeit Rudolf Stähelins: ,Die reformatorische Wirksamkeit des
St. Galler Humanisten Vadian", genannt (in den Beiträgen zur vaterl. Gesch.,
herausgeg. von der Hist.-antiquar. Gesellschaft Basel. Neue Folge, Bd. 1, der
ganzen Reihe XI. Bd., 1882). Wie der Titel andeutet und auch der Verfasser
selbst sagt, will dieses Buch keine eigentliche Biographie sein (Stäh., S. 196).
Trotzdem sich aber Stähelin auf die Darstellung der reformatorischen Tätigkeit
Vadians beschränkt, müssen wir es als einen grossen Mangel des Buches be-
12
Familie St. Gallens, die im 14. Jahrhundert zu Stand und Ver-
mögen gelangt war. Ihre Glieder gehörten vornehmlich dem Kauf-
mannsstande an. Als Sohn des Handelsmannes und Ratsherrn
Leonhard von Watt und der Magdalena Talmann wurde der
spätere Reformator St. Gallens am 28. Dezember 1484 geboren.
Der Vater, ein Freund der schönen Künste und Wissenschaften,
bestimmte den Sohn für die gelehrten Studien. Ein sorgfältiger
Privatunterricht ward ihm zuteil; ein Vater voll Würde und eine
Mutter voller Frömmigkeit gaben ihm das Beispiel einer feinen und
religiösen Lebensführung. Damit verband sich die glückliche,
harmonische Anlage des strebsamen Jünglings.
Dennoch blieben auch ihm die Versuchungen eines freien
Lebens nicht ferne, als er zu Wien studierte. Aber ein väter-
licher Freund gab ihn sich selbst zurück, und bald finden wir
ihn in der fremden Stadt als angesehensten Humanisten und
Professor der alten Sprachen. Als solchem fehlte es ihm nicht
an Ehrenbezeugungen noch an einem Kreise von Gleichgesinnten
und Freunden, und schon damals traten jene beiden Züge seines
sympathischen Wesens hervor, die ihn über das Mittel seiner Zeit-
und Gesinnungsgenossen hinausheben : mildes Menschentum und
unaussprechlicher Trieb nach innerer Wahrheit.
Als Humanist und Gottesgelehrter, der seine theologischen
Studien vornehmlich im Lichte der Geschichte und seine historischen
Anschauungen im Lichte des Gottesreiches klärte, kam er 1518
nach St. Gallen: eine abgeschlossene, abgerundete, seltene Er-
scheinung. Was ihn von Wien forttrieb, wissen wir nicht genau.
Neben der Pest war es jedenfalls das Streben, seiner Vaterstadt
zu dienen, damit „auch die Nachwelt einstimmig sagen sollte,
dass er nichts unterlassen habe, worin er seiner Geburtsstadt,
seinen Angehörigen und jedem Rechtschaffenen sich nach Kräften
habe dienstbar erweisen können''.
zeichnen, dass die Yad.-Briefsamml. der Stadtbibliothek St. Gallen nicht benützt
worden ist, wie Stähelin übrigens ausdrücklich bemei'kt (S. 196). — Endlich
ist noch der neuesten Arbeit über Vadian zu gedenken, die Ernst Götzinger
verfasst hat (in den Schriften des Vereins für Ref.-Gesch., Heft 50: , Joachim
Vadian, der Reformator und Geschichtschreiber von St. Gallen", Halle 1895).
Vergleichen wir diese Schrift mit derjenigen Presseis, so müssen wir sagen,
dass Götzinger über Pressel eigentlich nicht hinausgekommen ist, ausser was die
Angaben über die von ihm herausgegebenen Deutschen histor. Schriften Vadians
betrifft : auch las: ihm die Vad.-Briefsamml. nur zum kleinsten Teile gedruckt vor.
13
Er hatte nämlich nach seinen philologischen, theologischen
und juristischen Studien, und nachdem er zum Dichter gekrönt
worden war, im Jahre 1517 auch den Grad eines Doktors der
Medizin sich erworben, und gleich nach seiner Rückkehr nahm
der Rat von St. Gallen den berühmten Mann als Arzt in den
Dienst der Stadt. Und sie durfte stolz darauf sein ; hoffte man
in Wien doch immer noch auf seine Rückkehr, und auch Zürich
bewarb sich um ihn. 1519 ehelichte er Martha Grebel von Zürich.
So treu er in Zukunft den humanistischen Studien auch blieb,
so können wir doch in den nächsten Jahren eine entschiedene
Neigung zu kirchlichen Fragen hin erkennen, wie auch deutlich
der Umstand beweist, dass er in Reuchlins Kampf mit den Dunkel-
männern lebhaft Partei für diesen ergriff. Wir treffen ihn jetzt
in einem unausgesetzten Studium der Bibel und der Reformations-
schriften und in regem brieflichem Verkehr mit seinem Freunde
Zwingli '), seit 1520 auch mit Luther, und finden ihn mit Plänen
für die Reformation seiner Vaterstadt beschäftigt.
Aber noch mehr als in Zürich stellten sich in St. Gallen der
Ausbreitung der neuen Lehre grosse Hindernisse in den Weg.
Wie ein Pfahl im Fleisch lag das Kloster St. Gallen innerhalb
der Stadtmauern und schloss mit seinem grossen Territorialbesitz
die Reichsstadt völlig ein. Sie war dadurch in ihrem Streben
nach Entwicklung lahmgelegt, hatte auch, wie wir wissen, ihren
Versuch, den Ring zu sprengen und sich auszudehnen, teuer be-
zahlen müssen. ^) Dazu kam, dass unter den Bürgern der Stadt
selbst eine starke Oppositionspartei vorhanden war, die der ge-
planten religiösen Neuerung ablehnend gegenüberstand. Zu ihr
gehörten einmal, wie anderswo auch, jene Leute, die gern gegen-
über den kirchlichen Missbräuchen ein Auge zudrückten, wenn
dafür ihre äussere Sicherheit und Ruhe nicht gefährdet wurde.
Bedenklicher war, dass auch vor allem die im Kleinen Rate sitzen-
den reichen Kaufleute zu den Gegnern der Reform gehörten. Sie
erblickten nämlich in solchen durchgreifenden Änderungen, wie
sie die neue Lehre für die Stadt mit sich bringen musste, eine
grosse Gefahr für den St, Gallischen Handel; denn in der Eid-
^) Schon 1513 beklagte sich Zwingli in einem Briefe an Vadian, dass er
ihn in seinem brieflichen Verkehr vernachlässige, Glarus, 23. Februar 1513.
(V.-B.-S., Nachträge 1509—25, Nr. 7, St. Galler Mitteilungen, Bd. XXVII.)
^) Siehe oben.
14
genossenschaft, zu deren zugewandten Orten St. Gallen seit dem
13. Juni 1454 gehörte, war vorderhand nur Zürich den kirchlichen
Reformen günstig gesinnt, und die dortige Regierung hatte genug
zu tun. um in ihrem Machtbereiche der neuen geistigen Richtung
zum Durchbruch zu verhelfen. Eine allfällige militärische Unter-
stützung von dieser Seite war für St. Gallen vorderhand voll-
ständig ausgeschlossen. Im Deutschen Reiche aber herrschte da-
mals Karl V., dem die Einheit des Glaubens — und unter diesem
verstand der Habsburger natürlich den Katholizismus — für ein
Reich ein unbedingtes Erfordernis schien; daher die aus politischen
Erwägungen hervorgehende antilutherische Gesinnung des Kaisers.
— Unter solchen Verhältnissen St. Gallen zu reformieren, ohne
dadurch die äussere Stellung der Reichsstadt schwer zu gefährden,
dazu gehörte eine bedeutende Persönlichkeit. Vadian hat die
Aufgabe glänzend gelöst.
Der erste Widerstand gegen die Einführung der neuen Lehre
war natürlich vom Kloster zu erwarten. Dessen Abt, Franz Geiss-
berg, war ein gewandter und geschickter Verteidiger der Rechte
seiner Abtei, wie wir bereits bei Gelegenheit der sozialen Un-
ruhen unter seinen bäuerlichen Untertanen (1525) konstatieren
konnten. ^) Die Rechte des Klosters zu verteidigen, zu behaupten
und wenn möglich zu vermehren, das bildete das Hauptziel seines
Lebens. ^)
„Von erheben, riehen vater und müter bürtig", war er an-
fänglich gegen den Willen seiner Eltern ins Kloster St. Gallen
eingetreten. Bald wurde er wegen seines guten Betragens und
seiner Geschicklichkeit in geistlichen Geschäften Novizenmeister,
dann Superior, und als 1504 Abt Gotthard starb, ging bei der
Neuwahl Franz Geissberg aus dem Dreiervorschlag als Sieger
hervor, indem besonders die jungen Konventualen für ihn stimmten.^)
In religiösen Dingen scheint er, wie der Durchschnitt der
Kleriker zu jener Zeit, ein recht äusserlicher und oberflächlicher
Herr gewesen zu sein, dem vor allem daran lag, die äussere
Pracht des Gottesdienstes zu steigern : ') Die Orgel im Münster
^) Siehe oben.
^) Kessler bezeichnetihn als „fürtreffenlich geschwind und verständig . . . uf
des clausters bruch und zütragenlicher hushaltung". (Sabb., S. 314 22—23.)
3) Sicher, I, S. 100 f.
'^) „ein grosser cerimonier" wird er von Vadian (II, S. 413 ii) genannt.
15
wurde restauriert, was den Abt mehr als 1500 Gulden kostete;^)
für prachtvolle Messgewänder -) und Verschönerungen im Münster
wurden tausende von Gulden ausgegeben. ^) In Essen und Trinken
aber war Abt Franz gegen sich und die Konventualen sehr spar-
sam. ^) Charakteristisch für seine einseitige Sparsamkeit ist die
Bemerkung Vadians:'') „seine konventzbrüder vielend in schwäre
krankheiten von wegen des säursten weins, den sie trinken müss-
tend, sie trunkend in gern oder nit", obwohl dem Abt jährlich
bis 400 Fuder Wein eingingen,-') worunter mancher gute Tropfen.
1520, nachdem Papst Leo X. Notker I. kanonisiert hatte, be-
stimmte Abt Franz einen besondern Feiertag für diesen Spezial-
heiligen des Klosters. ') Der äusserlichen Auffassung des Christen-
tums entsprechend, war auch die Ausbildung, die der Abt Jüngern
Mönchen angedeihen liess, recht gering. Sein Konvent war ihm
gelehrt genug, wenn er singen, lesen, Messe halten und andere
Kirchendienste verrichten konnte. -) Nicht höher war wohl auch
seine eigene Bildungsstufe. Doch besass der Abt Eigenschaften,
die ihn über den Durchschnitt der damaligen Geistlichen empor-
hoben : neben seiner grossen Wohltätigkeit gegen die Armen, ^)
die an diesem Manne besonders zu schätzen ist, mussten auch
seine Gegner anerkennen, dass er sich sein ganzes Leben lang
keine Fleischessünden zuschulden kommen liess. ^^') Ausserlich
war der Abt von kleiner Statur, ^^) in früherer Zeit auch von recht
gesundem Aussehen, aber seit einer Reise nach Rom, wo er seine
1) Sicher, I, S. 102i5-i(;.
2) Sabb., S. 44/45.
^) Siehe Sicher, I, S. 102.
■*) Sabb., S. 314 23.
^) Vad., II, S. 4139-u.
6) Vad., II, S. 412 4M-44.
^) Vad., II, S. 40016-19.
^) Vad., II, S. 412 40-41. Vadian bemerkt an dieser Stelle, Abt Franz habe
gelehrte Leute nicht hoch geachtet. Trotzdem stand er mit ihm in Korrespon-
denz und widmete dem Prälaten auch seine 1517 verfasste Avisgabe des Pom-
ponius Mela. Dass das Vei-hältnis Vad.s zum Abte noch Ende 1520 ein günstiges
genannt werden kann, beweisen uns die Bitten zweier Freunde Vad.s, sie dem
Abte zu empfehlen. (V.-B.-S., II, No. 145, 150,152, 165, 216. Das letzte dieser
Empfehlungsgesuche stammt vom 17. Sept. 1520.)
■•) Sicher, I, S. 104 e.
10) Vad., II, S. 412 33-37; Sabb., S. 314 27-28.
11) Sabb., S. 314 30.
16
Konfirmation holte, leidend, wie Sicher berichtet, infolge einer
Vergiftung, ^) so dass er in den spätem Jahren hinfällig aussah
„und ganz gelb von Angesicht".-)
Der feste Wille des Abtes, sich nirgends in seinen Rechten
antasten zu lassen, seine entschieden anti-reformatorische Ge-
sinnung, für die ihm Papst Adrian VI. in einem besondern
Breve grossen Dank wusste, als einem „ernstlichen Widerf echter"
lutherischer Lehre, ^) die anfängliche Opposition in der Stadt
St. Gallen selbst, dazu die bereits berührte, sehr ungünstige
äussere politische Lage, erforderte den ganzen Takt und die
grosse politische Begabung Vadians für die Einführung der
neuen Lehre in seiner Vaterstadt. Planmässig, den richtigen
Moment ruhig abwartend, wie Zwingli in Zürich, „ohne leiden-
schaftliche Überstürzung, aber auch ohne Menschenfurcht, mit
Kraft und Weisheit" ^) führte der grosse St. Galler die Refor-
mation in seiner Vaterstadt durch. Ohne irgendwie vorderhand
an den bestehenden staatlichen Einrichtungen zu rütteln, be-
gnügte sich Vadian zunächst damit, ihm geneigte Geistliche in
der Stadt in reformfreundlichem Sinne zu belehren. Dann folgten
unter seinem Einfluss Berufungen auswärtiger, der Reformation
günstig gesinnter Geistlicher. Zu den ersten gehörte sein früherer
Schüler, Benedikt Burgauer, der an die durch die Pest erledigte
Stelle eines Pfarrers zu St. Laurenzen '") berufen wurde und im
Verein mit seinem Helfer Wolfgang Wetter, genannt Jufli, die
neue Lehre in lutherischem Sinne '') unter der Bürgerschaft zu
verbreiten begann. ') Einen weiteren Fortschritt der neuen Rich-
tung bedeutete die Ernennung eines der Reformation günstig
gesinnten lateinischen Schullehrers, Dominikus Zili, die ebenfalls
1) Sicher, I, S. 1015-11.
2) Sabb., S. 314 31-33.
^) Vad., II, S. 402 15. In einem Brief vom 19. Okt. 1528 an Ambrosius
Blaurer nennt Vadian den Abt einen Mann „perniciosae et jjrodigae diligentiae".
(V-B.-S., IV, ^0. 540.)
^) Dierauer, Gesch. d. Schweiz. Eidgenossenschaft, Bd. III, S. 68.
'"') Es war die eigentliche Stadtkirche, während über St. Mangen und die
Klosterkirche der Abt verfügte.
«) Sabb., S. 105 f.
') Burgauer wurde am 30. Sept. 1519 als Leutpriester zu St. Laurenzen
angestellt, Wetter am 18. Okt. des gleichen Jahres an die ,HeliFery" daselbst
berufen. (R.-P. 1519.) Vgl. über beide Egli im Komm, zur Sabbata, S. 551.
17
unter dem Einfliiss Vadians im Frühjahr 1521 ^) erfolgt war. Die Zahl
der Neugläubigen in der Stadt war in fortwährendem Wachsen
begriffen. ^) Darauf gestützt fing der reformfreundiiche Grosse
Rat an, die in St. Gallen vorhandenen Mönchsorden der Augustiner,
Franziskaner und Dominikaner streng zu überwachen und ihnen
zu verbieten, die „Widerwärtigen" in der Stadt gegen das Evan-
gelium aufzureizen, oder man würde mit ihnen so handeln, dass
sie ihr Unrecht einsehen müssten. •^) Er beklagte sich auch im
August 1523 bei der Tagsatzung zu Luzern wegen Belästigung
der Bürger durch Priester, welche die Städter fortwährend mit
Zitationen vor den Bischof .von Konstanz und mit geistlichen
Gerichten beschwerten.^) Der Streit zwischen den Alt- und Neu-
gläubigen zu St. Gallen hatte sich auch bereits auf die Kanzeln
verpflanzt, indem besonders der Münsterprediger Dr. Wendelin
Oswald von Sommeri ■') seinem Abscheu vor der ketzerischen
Lehre scharfen Ausdruck gab, weshalb er hinwiederum von den
Reformierten angegriffen wurde, ") und schon war der Abt von
einem Gerücht, das im Lande herumging, in Kenntnis gesetzt
worden, als ob St. Galler Bürger die Alte Landschaft gegen ihn
aufzureizen versuchten, Grund genug für den Prälaten, bei der
Stadt vorstelhg zu werden. ')
Unterdessen scheinen Burgauer und Wetter nicht das ge-
leistet zu haben, was man von ihnen erwartete. So wurden der
bedächtige und zurückhaltende Burgauer, ,,der gern seine eigenen
1) R.-P. 1521: Donnerstag nach Ostern (4. April). Vgl. über ihn Egli,
a. a. 0., S. 554.
^) Dass St. Gallen noch 1522 dem Bündnis der XII Orte (ohne Zürich) mit
Frankreich beitrat, geschah aus Rücksicht auf den St. Gallischen Handel. (Vgl.
T. Schiess, ,Drei St. Gallische Reisläufer", St. Galler Neujahrsblatt 1906, S. 25 f.)
3) R.-P. 1523, Jan. 29.
^) E. A., IV, la, S. 322 n.
■^) Siehe über ihn Pressel, S. 56 ff. Wendelin, wenn auch von wenig ein-
wandfreiem Lebenswandel, war ein gewandter Verteidiger des alten Glaubens.
Er erklärte z. B., man dürfe das Neue Testament wegen Missverständnissen den
,, Einfältigen" nicht in die Hand geben. Der Zank der neugläubigen Theologen
unter einander sei der beste Beweis dafür, wie schief es mit dem neuen Glauben
stehe etc.
^) R.-P. 1523, fol. 60b. Siehe auch den Brief Zwingiis an Wendelin, d.d.
23. Feb. 1524. (H. Zwingiis Werke, ed. Schulerund Schulthess, Bd. VII, S. 324
bis 326.)
') R.-P. 1523, fol. 61a.
St. GaUer Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 2
18
Wege ging", ') und der geistig wenig bedeutende Wetter eine
Zeitlang sehr in den Hintergrund gedrängt von dem Pfarrer von
Memmingen, Christoph Schappeler, einem geborenen St. Galler,
der vorübergehend in seiner Vaterstadt predigte und, wie Kessler
erzählt, -) Wendelin öffentlich Lügnerei vorwarf und ihn ver-
gebens zum Disputieren aufforderte. Noch viel grössern Eindruck
machten aber auf die Bürger die Predigten des Waldshuter
Pfarrers und spätem Wiedertäufers Dr. Balthasar Friedberger
oder Hubmeier, ^) der, „mit lieblichem und hellem gsprech be-
gäbet",^) die Masse zu begeistern und mit sich fortzureissen
wusste. ■') Seine baldige Abreise wjiirde sehr bedauert. ") Auch
Vadian hatte den Gast gern gesehen, und er lud ihn noch im
Juni 1524 ein, wieder nach St, Gallen zu kommen. '')
Wenn so bis ins Jahr 1523 die neue Lehre sich schon kräftig
in der Stadt ausgebreitet hatte, so dass Vadian gegen einen Be-
kannten seiner Freude darüber Ausdruck geben konnte,^) so
erhielt sie mit Beginn des Jahres 1524 durch den „milden" ")
Johannes Kessler neue, mächtige Förderung. ^'^) Aus einer bis
auf den heutigen Tag nachweisbaren St. Galler Familie gebürtig,
hatte er sich zum Studium der heihgen Schrift anfangs 1522 nach
Wittenberg begeben, wo er zu den Füssen Luthers sass. Auch
Melanchthon und Bugenhagen hörte er. Als dann Kessler, nach
dreisemestrigem Studium in Wittenberg, am 9. Dezember 1523
nach St. Gallen zurückkehrte, wurde er schon auf Neujahr 1524 von
Anhängern der neuen Lehre ersucht, mit ihnen die heilige Schrift
zu lesen und sie ihnen zu erklären. ^^) Zwei Tage darauf begann
1) Arbenz, St. Galler Neujahrsbl. 1905, S. 10 ; Egli, Reform.-Gesch., S. 345 f.
2) Sabb., S. 10710-16.
3) Siehe E. Egli, Die St. Galler Täufer (Zürich 1887), S. 12; Kommentar
zur Sabbata, S. 552.
^) Sabb., S. 107 1.
•^) Sicher, I, S. 6l2iif.
^) Sabb, S. 107 6-9.
"') V.-B.-S.: Nachträge 1509—1525 (St. Galler Mitteil. XXVII), Nr. 92.
«) V.-B.-S., II, Nr. 354.
■') Dierauer, III, S. 68.
^^) Das Leben und Wirken dieses um die St. Galler Reformation so hoch-
verdienten Mannes hat von berufenster Hand, durch E. Egli, in der Einleitung
zur Sabbata (S. VII bis XXIV) und durch die prächtige Neuausgabe der Kessler-
schen Chronik selbst seine gebührende Würdigung erhalten.
11) Sabb., S. 107 17 ff.
19
Kessler mit seinen „Lektionen" zuerst in einem Privathaus; dann
setzte er, wegen der stets wachsenden Zuhörerschaft, in dem
Zunfthaus der Schneider und schliesshch in dem grossen Saal
der Weberzunft diesen Privatgottesdienst fort. Versuche der
katholischen Bürger, Kesslers fortwährend im Steigen begriffenes
Ansehen zu schwächen und seinem „Lesen" Einhalt zu tun, ^)
hatten keinen Erfolg, besonders weil der Rat seine Wirksamkeit
sichtlich billigte, -) obschon der Prediger nur ein Laie war. Kessler
hatte nämlich aus Überzeugung auf die Ordination zum Priester
verzichtet. Bald erlangte er eine solche Bedeutung, und seine
Zuhörerschaft wuchs derart, „dass seine Privatversammlungen
einige Zeit hindurch von grösserm Einfluss auf die reformatorische
Entwicklung geworden sind, als die offizielle Predigt der Kirche".'^)
Was Kessler trotz mancher Mängel, die seinen Lektionen an-
hafteten, den Erfolg sicherte, lag neben der treuherzigen und
anschaulichen Art seiner Darstellung vor allem darin, dass er
ein Schüler Luthers war und seine Reformationsideen direkt von
der Quelle stammten. „So ist, soweit es die religiöse Erweckung
durch populäre Verkündigung des Evangeliums betrifft, unser
Kessler der Mann, der vor allen andern als Anfänger der St. Galler
Kirche vor uns steht und dem neben Vadian, dem geistigen Haupt
und Leiter des Gemeinwesens, der Name des Reformators zuer-
kannt werden darf." *)
Aber auch der Grosse Rat, dem Vadian seit seines Vaters
Tode angehörte, beschäftigte sich nunmehr eingehend mit der kirch-
lichen Reform. Lange Sitzungen dieser Behörde fanden deshalb
statt, in denen man auf Mittel und Wege sann, den Widerstand,
dem die neue Lehre besonders noch von selten des Kleinen Rates
begegnete, zu brechen. Daneben suchte der Rat aber dem wegen
des Glaubens bereits heftig entbrannten Streit unter den Bürgern
nach Möglichkeit zu steuern. Er verbot am 1. April 1524, dass
sich jemand ,,parthyen" dürfe, und erliess am 4. eine Straford-
nung, nach welcher derjenige, der einen andern „ketzert, hübet,
schelmet", zwei Pfund Busse bezahlen sollte. ^)
^) Sabb., S. 108 39—109 5.
2) R.-P. 1524, fol. 82 b.
3) Egli, Täufer, S. 14.
1) Egli, Sabb., S. XI.
^) R.-P. 1524, fol. 82 b.
20
Schon setzte aber auch der offene Konfhkt der Stadt mit
dem Abte ein. Auf der Tagsatzung zu Luzern, im Mai 1524, Hess
Franz durch seinen Kanzler Klage führen, dass einige in der
Stadt St. Gallen Drohungen gegen ihn ausgestossen hätten. Die
Tagherren forderten den Abt nun auf, sich genau zu erkundigen,
wer es gewesen sei, und auf der Jahrrechnung zu Baden darüber
Bericht zu erstatten ; gehe ihm dies zu lang, so solle er den
IV Schirmorten einen Tag nach Einsiedeln ansetzen. ^)
Die kathoüschen Elemente in der Schweiz und vor allem der
Kern derselben, die V Orte, waren fest entschlossen, dem geist-
lichen Herrn gegen die von der Ketzerei angesteckte Stadt zu
helfen, wie sie überhaupt durchaus noch daran festhielten, die
Neugläubigen in der Schweiz zu rekatholisieren, wenn nötig, mit
Waffengewalt. An der Spitze der anti-reformatorischen Bewegung
stand Luzern, unter dessen Führung die V Orte den Feldzug
gegen das im Glauben abtrünnige Zürich eröffnet hatten, ^) In
schärfster Form hatten ihre Vertreter auf einem Tage zu Beggen-
ried (8. April 1524) den Grundsatz aufgestellt, dass sie beim alten
Glauben bleiben und, soweit es in ihrer Macht hege, den neuen
nicht aufkommen lassen oder da, wo er schon vorhanden, wieder
ausrotten wollten. ^) Indessen war in St. Gallen ein eidgenös-
sisches Schreiben eingelaufen, worin stand, es sei der „ainhelhg"
Wille der Tagherren, dass der Rat ,, diesen vertribnen Pfaffen"
ausweise, weil er gegen christlichen Brauch in einer Trinkstube
predige, in der sich nicht gebühre, über Gottes Wort zu reden.
Dieses Schreiben deutete man auf Georg Gügi,^) gewesenen Pfarrer
zu Kleinrickenbach, der damals, wegen seiner evangelischen Ge-
sinnung vom Landvogt im Thurgau verjagt, nach St. Gallen ge-
kommen war, und der Rat ersuchte, um weitern Misshelligkeiten
mit den Eidgenossen vorzubeugen, den Pfarrer, er möchte „an zit
lang ussert die statt tretten"; er könne, wenn er wolle, in Monats-
fristwiederkommen. Daraufhin verliessGügi die Stadt."^) Kessler war
diesmal noch dem Angriff der katholischen Eidgenossen entgangen.
1) E. A., IV, la, S. 419pi.
2) Dierauer, III, S. 59.
^) S. das Nähere darüber bei Dierauer, III, S. 59/60; E. A., IV, 1 a. Nr. 175.
^) Gügi steht neben Kessler in der Hochschulmatrikel von Wittenberg vom
Jahre 1522 (Sabb., S. VIII); siehe A.-S., I, 777. Kommentar z. Sabb., S. 553.
■^) Sabb., S. 109 18-22; ebenda Kommentar, S. 553 f.
21
Der Rat hatte nachgegeben, da die überwiegende Mehrheit
der eidgenössischen Stände noch kathohsch war und man es nicht
mit diesen verderben wollte, ohne sich aber von dem einmal ein-
geschlagenen Wege abbringen zu lassen. Schon am 4. April ^)
1524 war ein Erlass der Obrigkeit erfolgt, der einen Markstein
bildet in der St. Gallischen Reformationsgeschichte. Es sei der
Wille des Grossen Rates, heisst es in diesem Reformationsmandat,
„das ir Seelsorger und predicanten in irer pfarrkirchen nun fürhin
an den canzlen gar nichts predigend und dem volk verkündigend
dann das hailig evangelion hell, dar und nach rechtem cristen-
lichen verstand, one inmischung menschlichs züsatz, der uss bib-
lischer gschrift nit gegründt ist und sy nit mit dem evangelio und
biblischer gschrift erhalten und bewisen mögend".^) Für Zwiste
unter den Bürgern in religiösen Dingen war eine Kommission
von vier Mann eingesetzt worden. Gegenseitige Schmähungen,
Gotteslästerungen und Zutrinken wurden bei strengen Strafen
verboten. ^) Der Rat hatte also in seiner vorsichtigen Art die
Kultus- und Verfassungsfragen wohlweislich nicht berührt. Am
8. Juni 1524 folgte eine städtische Armenordnung. ^) In schöner
Weise fügte der Rat dem Erlass bei, dass nicht äusserliche Zere-
monien Gott wohlgefällig seien, sondern Barmherzigkeit.
Dass Zwingii zu dem kräftigen Fortschreiten der Reformation
in St. Gallen sein Teil beitrug, ist selbstverständlich. Besonders
liess er sich's angelegen sein, Vadian aufzumuntern und anzu-
spornen. Nachdem er den St. Galler Reformator in einem Briefe
vom 24. Februar 1524 wegen seines Eifers für die Sache des
Evangeliums gelobt,^) schrieb er ihm im Mai des gleichen Jahres:
. . . „carissime Vadiane ! Neque nunc a diligentie tue in evangelio
Christi commendatione temperare possum, quam ita vigilem et
inexhaustam video, ut tales nobis multos precer episcopos, qui
Vadiani more vadere ac promovere nunquam desistant" . . . .^)
Und dem St. Galler Reformator ahmte der Grosse Rat nach.
1) R.-P. 1524, fol. 82 b, Kessler nimmt den 5. d. M. an (S. 114 20).
2) Sabb., S. II234-.39; vgl. Egli, Reform. -Gesch., S. 349.
^) Sabb., S. 113/114.
*) Sabb., S. 114 — 116. Vgl. über diese Armenordnung die Notiz bei
Stähelin, Vad., S. 216, Anm. 1; Egli, a. a. 0., S. 351 f.
">) V.-B.-S, III, Nr. 382.
6) V.-B.-S., III, Nr. 393, Zwgl. an Vad., Zürich 16. Mai 1524.
22
Langsam, vorsichtig abwägend, aber unaufhaltsam rückte er auf
der Bahn der kirchhchen Reformen vorwärts. Willkommen war
ihm der Besuch der beiden angesehenen Prediger Sebastian Hof-
meister aus Schaffhausen und Leo Jud aus Zürich, die im Sommer
1524, von einer vergeblichen Glaubensreise nach Appenzell heim-
kehrend, von Wolfgang Wetter und einigen andern St. Galler
Bürgern aufgefordert wurden, in der Gallusstadt abzusteigen und
dem Volke zu predigen. Gerne leisteten sie der Aufforderung
Folge und halfen mit, der neuen Richtung die Wege zu ebnen. ^)
Wie sehr sich die Reformation in dieser Zeit schon in der Stadt
eingebürgert hatte, ergibt sich aus dem Umstand, dass mit Wissen
und Willen der Obrigkeit zwei Kirchenpfleger damit beginnen
durften, die Bilder aus der Stadtkirche St. Laurenzen zu ent-
fernen, wodurch nun der Bruch mit der katholischen Kirche auch
äusserlich eingeleitet wurde, nachdem er innerlich schon lange
begonnen hatte. Um aber jedes Ärgernis oder allfällige An-
feindungen von Seiten der Katholiken zu vermeiden, wurden die
Bilder nur teilweise und auch diese ganz allmählich und bei
Nacht aus der Kirche entfernt, -) ohne dass der Rat sonst mit
dem bisherigen Zustand gebrochen hätte. So liess er auch weiter
zu St. Laurenzen Messe lesen. Doch das Vorgehen der Obrigkeit
fand Anklang, indem nun einzelne Bürger anfingen, in ihren
Häusern die Heiligenbilder zu entfernen. ■^) Schon vorher hatten
Beda Miles und einige andere stürmische Gesellen einen kleinen
Bildersturm veranlasst, indem sie nächtlicherweile „an gross bild-
hus" unfern der St. Laurenzenkirche leerten, wobei die Bilder in
Brüche gingen. Ob letzteres absichthch oder zufällig ^) geschah,
lassen wir dahingestellt. Da sich die katholischen Bürger durch
die Tat verletzt fühlten, und besonders weil sie in eigenmäch-
tiger Weise verübt worden, wurden die Bilderstürmer um 5 Pfund
gestraft. ^) Das verhinderte aber nicht, dass die anti-katholische
Bewegung in der Stadt immer mehr zunahm : als am 29. Mai
1524 der Abt seine übliche Fronleichnamsprozession abhielt, hatten
einige Neugläubige in der Webergasse, wo der Zug durchging,
1) Sabb., S. 111/112.
2) Sabb., S. 116/117. Vgl. zum folgenden Egli, a. a. 0., S. 350 f.
•^) Sabb., S. 117 27-29.
*) Sabb., S. 117 21-22.
5) Ib. 24— 26 ; R.-P. 1524, fol. 85 a, hier auch die Namen der Schuldigen.
23
ihre Ablassbriefe an Stangen vor ihren Häusern aufgehängt und
beim Passieren der Prozession gerufen: „Lössend ab den ablass,
lössend ab den ablass!" ^) Der Vorfall machte peinliches Auf-
sehen, wie denn auch der Abt nachträglich lieber gesehen hätte,
dass unter solchen Umständen die Prozession unterblieben wäre.^)
Wieder aber schritt die Obrigkeit gegen den begangenen Unfug
ein, indem sie die Schuldigen je um 2 Pfund büsste. '')
Die immer entschiedener hervortretende Stellungnahme
St. Gallens für die Reformation ^) verschlechterte aber natürUcher-
weise die Beziehungen der Stadt zu den katholischen Ständen
fortwährend. Wie gereizt man — vor allem in der Innerschweiz —
schon über die Neuerungen in St. Gallen war, trat auf der im
Juli 1524 stattfindenden Tagsatzung in Zug mit einer Deuthch-
keit zutage, die nichts zu wünschen übrig Hess. Vadian, neben
dem Unterbürgermeister Andres Müller ^) Vertreter St. Gallens,
wurde von den Gesandten von Luzern und Uri in heftigster Weise
geschmäht und fand für gut, sich heimlich aus dem Staube zu
machen. ^) Schon längst war er bei den Katholiken als „hopt-
ketzer" verschrieen "') und nicht mit Unrecht als die Seele der
Reformationsbewegung in St. Gallen angesehen worden. Auch
hatte man ihm nicht vergessen, dass er an der Zürcher Dispu-
tation im Oktober des vergangenen Jahres (1523) den Vorsitz
geführt. ^) Im folgenden Monat ging auch das Gerücht herum,
dass der Abt auf Vadian, den Stadtschreiber Augustin Fechter,
Wolfgang Wetter und drei andere im ganzen 600 Gulden „potten
hab".'0
Doch die Wellen der neuen Bewegung gingen unter dem
mächtigen Einfluss Zürichs höher und höher. Von hier, „dem
klassischen Reformationsgebiet der deutschen Schweiz", aus, ver-
1) Chronik des Herrn. Miles (St. Galler Mitteü., Bd. 28, S. 319).
2) Vad., II, S. 40412-14.
=') R.-P. 1524, fol. 87 a, ibid. die Namen der Missetäter.
^) Der Rat hatte bereits beschlossen, die Nonnen zu St. Katharina (und zu
St.Leonhard) zu bevogten. (R.-P. 1524, fol. 87 a und 88 b.)
5) R.-P. 1524, fol. 90b.
6) Sabb., S. 117/118.
^) Doch vergleiche dazu die ehrenden Worte, die der Luzerner Schultheiss
Zukäs noch im Dez. 1524 über Vadian verlauten Hess. (V.-B.-S., III, Nr. 410.)
«) Siehe Dierauer, III, S. 36.
^) R.-P. 1524, fol. 91b, „uff 6 mann".
24
breitete sich, durchaus im Sinne Zwinghs, der auf „eine wahr-
hafte Regeneration der ganzen Eidgenossenschaft" hoffte, ^) die
neue Geistesrichtung strahlenförmig nach allen Seiten hin. Sie
zeigte aber schon früh, gleich wie die lutherische Lehre, Aus-
wüchse, veranlasst von radikalen Schwärmern, die bewiesen, Avie
staatsgefährlich der neue Glaube werden konnte, wenn man daran
ging, die letzten Konsequenzen zu ziehen. Die Wiedertäuferei
und die Erhebungen unter den Bauern, vorderhand nur jenseits
des Rheines, lehrten das zur Genüge.
Noch waren aber die streng katholischen eidgenössischen
Stände fest entschlossen, der wachsenden religiösen Bewegung
nicht nur Einhalt zu gebieten, sondern sie wieder auszurotten.
Die V Orte, die seit dem Tag von Beggenried, im April 1524,
geschlossen gegen die neue Religion Stellung genommen, äusserten,
unterstützt von Freiburg, im Juni dieses Jahres auf dem Tag zu
Baden die Absicht, Zürich aus dem Bunde zu stossen und mit
Gewalt gegen die neugläubigen Zürcher vorzugehen; doch konnte
auf dem schon genannten Tag zu Zug (11. Juni 1524) Bern, unter-
stützt von Glarus, Solothurn und Basel, die von den übrigen Orten
geplanten gewalttätigen Schritte gegen die Limraatstadt verhin-
dern. ^) Auch St. Gallen bekam diese drohende Haltung der Mehr-
heit der Orte gegenüber dem Evangelium bald zu spüren. Seinen
Gesandten wurde anfangs September 1524 auf einem Tag zu
Baden erklärt, die St. Galler seien als Eidgenossen verpflichtet,
wie die andern Orte die Gebräuche der Väter zu halten; die
Eidgenossen seien entschlossen , in ihrem Gebiete den neuen
Glauben gänzlich auszurotten und Leib und Gut daran zu setzen ;
die St. Galler Regierung solle „ihren Kessler" dazu anhalten, von
seinem Predigen und Vorlesen auf den Stuben abzustehen. ')
Ein drohendes Schreiben, von den [VI oder] VII Orten (V Orte
mit Freiburg und Solothurn) an St. Gallen geschickt, ^) sollte den
an dessen Gesandte gerichteten mündlichen Ermahnungen den
nötigen Nachdruck verleihen. Wie Kessler selbst berichtet, •')
berief ihn daraufhin der Rat vor sich und verbot ihm, weiter
1) Dierauer, III, S. 56.
-) Dierauer, III, S. 60.
3) E. A., IV, la, Nr. 2071, k; A.-S., I, 904.
^) Sabb., S. 10932—33. Vgl. zum folgenden Egli, Reform. -Gesch., S. 353.
^) Sabb. 109/110, siehe auch R.-P. 1518—28, fol. 95 a.
25
Lektionen zu halten, nachdem die Regierung vergebens versucht
hatte, ihn durch einen Ratsfreund zu bewegen, dass er güthch
davon abstehe.
Doch der Stein war ins Rollen geraten und Hess sich nicht
mehr aufhalten. Der Nachfolger Kesslers, Wolfgang Schorant,
genannt Ulimann, ^) konnte die Lektionen mit grossem Erfolg
fortsetzen, und der Prediger Dominikus Zili und die Neugläubigen
erlangten sogar durch einstimmiges Mehr des Grossen Rates die
Erlaubnis, fortan in der Stadtkirche zu St. Laurenzen ihre „Lesenen"
abhalten zu dürfen, was natürlich das Ansehen dieser Betstunden
bedeutend erhöhte, da viele St. Galler den Versammlungen nur
deshalb ferngeblieben, weil sie bisher nicht in einem Gotteshaus
abgehalten worden waren. -) Am 14. November 1524 folgte dann
ein äusserst wichtiger obrigkeitlicher Erlass, der die Laienpredigt
gestattete, ^) ohne dass der Rat ausdrücklich Stellung zu ihren
Gunsten genommen hätte.
Der Abt suchte dem allem nach Möglichkeit entgegenzu-
treten. Er beklagte sich am 26. Januar 1525 im besondern beim
Rat 0 über die Lektionen Zilis, nachdem er schon anfangs De-
zember 1524 auf der Tagsatzung zu Luzern über St. Gallen Klage
geführt und die Tagherren seine Beschwerden in den Abschied
genommen hatten. •')
Bei der seit dem Ittingersturm äusserst gespannten Lage ")
fassten nun die VI Orte den Beschluss, eine Botschaft an die
übrigen eidgenössischen Stände ausser Zürich zu senden und
ebenso zu den Gotteshausleuten und der Stadt St. Gallen, um
^) Über ihn siehe Egli, Täufer, 8.19 und Carl Pestalozzi : Die St. Magnus-
Kirche in St. Gallen während tausend Jahren, 898 — 1898 (St. Gallen, 1898),
S. 76 — 78, ferner Eglis ausführlichere Darstellung Reform. -Gesch., S. 354 f.
^) Sabb., S. 111, Sonntag d. 2. Feb. versammelten sich zum ersten Mal
die Teilnehmer an den „Lesenen" in der ihnen zugewiesenen Kirche.
''') R.-P., fol. 97 a, „Gross rat mentag vor Othmari anno 1524 : uff anbringen
ainer grossen mengi von burgern und gotzhuslüten, och der underthonen oder
pfleger zu S(ant) M(angen) sind m(ine) h(erren) rettig worden, das man in kainer
kilchen solle lassen lesen dann priester, die dartzü geordnet sind, aber ze lesen
usserhalb den kilchen wollend inen m(ine) herren nüt abgeschlagen noch nüt
erlobet haben, aber sich aller gehorsame unnd guten zu inen versehen."
4) R.-P. 1525, fol. 100 a.
^) E. A., IV, la, Nr. 227 g.
ö) Siehe Dierauer, III, S. 61— 65.
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sich über deren Stellung zur Glaubensfrage Gewissheit zu ver-
schaffen. 0 So erschienen denn um 2 Uhr nachmittags des 6. Januar
1525 2) die Boten der Orte auch vor dem St. Galhschen Grossen
Rate. Auf ihren Vortrag erklärte dieser, er sei entschlossen,
den Bund, den die Stadt mit einigen Orten habe, treuhch zu
halten und Leib und Leben zu ihnen zu setzen ; der Verwirrung
wegen des „ungleichen Predigens" in der Stadt habe man in der
Weise gesteuert, dass der Rat in einem Mandat den Priestern
und Prädikanten befohlen habe, nichts als das klare Wort Gottes,
wie sie es aus der heiligen Schrift erweisen könnten, zu predigen.
Zum Schluss ersuchte der Rat die Boten noch, ihre Obern zu
bitten, sie möchten nicht ohne weiteres den Verleumdungen gegen
St. Gallen Glauben schenken, sondern darüber schriftUch Nach-
richt geben und die gebührende Antwort abwarten. Eine Frage
wegen Beteiligung der Stadt an einer Disputation hatte der Rat
ausweichend beantwortet, gab darüber auch seinen Gesandten auf
den Tag von Luzern (27. und 28. Januar 1525) keine Vollmacht,
um dann am 6. Februar 1525 daran festzuhalten und durch seine
Boten auf einem weitern Luzerner Tag erklären zu lassen, er
halte sich für „zu siecht" für die Beurteilung von religiösen
Fragen ! ■^)
Bei dieser für die kathohschen Stände wenig tröstlichen
Haltung der Stadt St. Gallen war der scharfe Ton, der gegen
dessen Gesandte auf der Luzerner Tagsatzung im Februar 1525
angeschlagen wurde, sehr begreiflich. Man habe, hiess es da,
schon früher St. Gallen aufgefordert, einen gewissen weltlichen
Prädikanten, der in Trinkstuben und Tanzlauben predige, abzu-
stellen; nun aber habe der „lutherische Bub" neulich wieder in
der St. Laurenzenkirche gepredigt; das befremde die IX Orte sehr,
und man begehre darum nochmals ernstlich, dass die Stadt die
lutherischen Prädikanten und besonders jenen „laischen Buben
oder Schulmeister" abstehe und nur geweihte Personen predigen
lasse; man könne diesem Unwesen nicht mehr länger zusehen.^)
Doch scheinen die katholischen Orte wenig genau über die Ver-
hältnisse in der Stadt St.GaUen unterrichtet gewesen zu sein, da sie
1) E. A., IV, la, Nr. 228 t.
^) R.-P. 1525, fol. 99 a; E. A., IV, 1 a, Nr. 235.
■^) R.-P. 1525, fol. 100 b.
^) E. A., IV, 1 a. Nr. 247 b.
27
in ihren Angriffen Kessler mit Zili verwechselten. Der Rat zu
St. Gallen zeigte sich ihnen auch wenig willfährig, indem er am
17. Februar beschloss: „die lection in der kilchen lassen beliben,
wie die vormals angesehen ist". ')
Die immer entschiedenere Stellungnahme des Grossen Rates
gegen den Katholizismus trug das Ihrige dazu bei, die Spannung
zwischen den Katholiken in der Stadt, vor allem den Klerikern
des Abtes, und der in ihrer grossen Mehrheit reformfreundlichen
Bürgerschaft zu vergrössern. Hüben und trüben fehlten zudem
die Elemente nicht, welche durch ihre extreme Haltung die
Situation im Laufe des Jahres 1525 immer unerquicklicher ge-
stalteten. Am 9. März 1525 beklagte sich der Abt durch seinen
Hofmeister vor dem Rat über eine vergangene Nacht ihm zu-
gefügte Beleidigung mit dem Ersuchen, dem Fall nachzugehen
und die Übeltäter zu bestrafen, da er sich sonst anderwärts
Schutz suchen müsste. Der Rat antwortete darauf, er hätte der
Sache nachgeforscht, aber nichts Gründliches erfahren können ;
er wolle übrigens tun, was sich gebühre, hätte auch bereits ein
Mandat erlassen, damit solches und ähnliches in Zukunft unter-
bleibe. -) Dieser Erlass des Rates scheint aber wenig gefruchtet
zu haben ; denn am Palmsonntagabend verursachten mehr als
300 St. Galler, an ihrer Spitze Zunftmeister Christian Appenzeller,^)
im Feldnonnenstift St. Leonhard einen wüsten Tumult, so dass
die Klosterfrauen Sturm läuteten, bis schliesslich Vadian durch
sein persönliches Erscheinen die Ruhe wieder herstellte, *) Aber
auch auf katholischer Seite steigerte man die gegenseitige Er-
bitterung, indem der uns bereits bekannte Pfarrer am Münster,
Wendelin Oswald, von der Kanzel herunter seine Angriffe in
heftigster Weise fortsetzte.
Doch viel gefährlicher als dieses Vorgehen von katholischer
Seite war für St. Gallen der Feind, der im Schosse der neu-
1) R.-P. 1525, fol. 101b.
2) R.-P. 1525, fol. 103 b.
^) Er wurde zur Strafe seines Amts beraubt.
^) Vgl. das St. Galler Neujahrsblatt 1868: „Die Feldnonnen bei St. Leon-
hard", von E. Götzinger (S. 5/6), auf das hier ein für allemal verwiesen sei.
Wir machen speziell noch auf die darin enthaltenen Tagebuchnotizen der Vor-
steherin aufmerksam, welche uns zeigen, wie hart die konsequente Durchführung
der Reformation manche Altgläubigen treffen mochte.
28
gläubigen Partei selbst entstanden war: Die Wiedertäiiferei. ^)
Von Zürich aus war die Sekte auch in St. Gallen eingedrungen,-)
wo sie gewissermassen den Boden schon vorbereitet fand durch
die uns bekannten Lektionen Kesslers. War doch dieser ein Laie
und jedem Teilnehmer erlaubt gewesen, zu fragen und zu wider-
legen. Die neue Sekte erhielt in St. Gallen mächtigen Vorschub,
als ihr schweizerisches Haupt, Konrad Grebel, „ein sehr begabter,
aber innerlich haltloser" ■*) Mann, einige Wochen vor Ostern 1525
in St. Gallen erschien. Gewaltige Scharen aus Stadt und Land
zogen am Palmsonntag an die Sitter, um sich taufen zu lassen.
Der Sieg der einen oder andern neuen Glaubenslehre stand zu
St. Gallen eine Zeitlang auf der Wage. Die Stadtobrigkeit kam
bald in eine bitterböse Lage, zeigte aber unter der Führung
Vadians wieder die grösste Klugheit im Vorgehen gegen die
Sektierer. Das Haupt der Wiedertäufer, nach der Abreise Grebels
war es der uns schon durch seine „Lesenen" bekannte Ulimann,
wurde wegen Störung der Lektionen in der Kirche vor den Rat
zitiert und ihm befohlen, vorderhand in seinen wiedertäuferischen
Verrichtungen stillzustehen bis zum Austrag der Angelegen-
heit, bei Strafe der Ausweisung aus Stadt und Gerichten. Das
gleiche Verfahren wurde auch gegen zahlreiche andere Wieder-
täufer angewendet und damit die Sekte zum Stillstand verurteilt,
ohne dass man an dem Vorgehen des Rates etwas aussetzen
konnte. Vadian schrieb nun selbst gegen die Wiedertäufer und
fand auch die gewünschte Unterstützung bei Zwingli, dessen
bedeutendste Schrift gegen den Wiedertauf St. Gallen gewidmet
ist. Anderseits suchte Grebel durch einen Brief, dessen Inhalt
wie eine „Beschwörung" klang, für seine Anhänger zu wirken,
indem er ihn an den einflussreichsten Mann in St. Gallen, an Vadian.
^) Wir geben hier nur das Allern ötig.ste über die Wiedertäuferei zu
St. Gallen, verweisen im übrigen auf die schon mehrfach zitierte Arbeit Eglis:
„Die St. Galler Täufer".
^) Es war der gegen den Willen Zwingiis aus Zürich vertriebene Lorenz
Hochreutiner, der die Sekte in St. Gallen aufbrachte. Zwingli und Konr. Grebel
empfahlen Vadian den Mann. (V.-B.-S., III, Nr. 368 und 369, 11. und 12. Nov.
1523.)
^) Götzinger, Vadian, S. 24; siehe auch das von Emil Arbeuz verfasste
St. Galler Neujahrsblatt 1886: „Aus dem Briefwechsel Vadians", das über
Konr. Grebel interessante Aufschlüsse gibt.
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richtete, der ja sein Verwandter war. ^) Die Erregung in der
Stadt war gross. Aber eine Disputation anfangs Juni 1525 ver-
lief ungünstig für die Täufer, und daran anschliessend erschien
am 8. Juni ein Mandat der Obrigkeit, das die Täuferei endgültig
verbot. Um jeden allfälligen Tumult in der Stadt im Keime zu
ersticken, Hess der Rat 200 Bürger schwören, sobald es verlangt
werde, sich bewaffnet auf dem Rathause einzufinden, um die
öffentliche Ordnung handhaben zu helfen. -) Die strenge Bestrafung,
die bald erfolgte, zeigte, dass sich der Rat des Ernstes der
Lage wohl bewusst war, und sinnlose Taten, ^) von Wiedertäufern
begangen, bewiesen bald, wie sehr die Obrigkeit mit ihrem Vor-
gehen im Rechte war. So kehrte die Ruhe rasch wieder in die
neugläubige Bürgerschaft zurück, wenn auch noch längere Zeit
hindurch wiedertäuferische Regungen an die so gefährliche
Situation erinnerten, in welche die Stadt St. Gallen durch die
radikalen Schwärmer gebracht worden war. Die evangelische
Gemeinde war siegreich und gefestigt aus dem Kampfe hervor-
gegangen. ■*)
Ausser wegen der täuferischen Bewegung war das Jahr 1525
besonders durch die von uns schon skizzierten Bauernaufstände
ein sehr unruhiges und für die Stadt gefährliches gewesen. Trotz
der verlockenden Aussicht, welche sich damals für die Stadt
auftat, sich für die 1490 erlittene schwere Einbusse am Stift
schadlos zu halten, blieb sie aus triftigen Gründen neutral: durch
die Wiedertäuferei bereits in eine schwierige Lage gebracht,
konnte sich St. Gallen die grosse Gefahr, die ein Anschluss der
Stadt an die Bauern unter Umständen mit sich bringen musste,
nicht verhehlen. Dabei wirkte sehr abschreckend die Erinnerung
an den so ungünstig verlaufenen Rorschacher Klosterkrieg, der
vor allem gerade durch den Verrat der Gotteshausleute so jämmer-
lich für St. Gallen geendet hatte.
Auch der vollständige Sieg, den der Abt durch den Rappers-
wiler Rechtstag im Juli 1525 über seine Gotteshausleute errang
1) Konr. Grebel an Vad. d. d. 30. Mai 1525 (V.-B.-S., III, Nr. 430). Der
St. Galler Reformator mag in dieser Zeit bittere Stmiden durchgemacht haben,
da er in seinem eigenen Schwager das Haupt der Wiedertäufer bekämpfen musste.
2) R.-P. 1525, fol. 113a.
3) Siehe Sabb., S. 154 ff.
'^) Götzinger, Vadian, S. 27.
30
und der eine Neubefestigung seiner Macht bedeutete, machte
sich sehr bald der Stadt St. Gallen äusserst unangenehm fühlbar.
Die schroffe Stellung der VI katholischen Orte gegen den neuen
Glauben, welche bereits Ende 1524 derart gewesen war, dass
vorübergehend ein Krieg zwischen Zürich und den VI Orten un-
vermeidlich geschienen, ^) kam dem Abt dabei zustatten. Anfangs
September 1525 traf ein sehr scharfes Schreiben von der Tag-
satzung zu Luzern im Namen der XII Orte ein, das wichtig
genug war, um unter dem 8. September in extenso ins Ratsbuch
aufgenommen zu werden.-) „Der vergifft lutherisch und, bas ze
reden, tufehsch missglob", heisst es in dem Schreiben, sei so
stark in St. Gallen aufgetreten, dass man den christlichen Gottes-
dienst abgestellt habe und verachte, und dass es „gantz grob"
in St. Gallen zugehe; das missfalle den Orten sehr; es sei darum
ihr „ernstUch beger und bitt", dass die Stadt die Neuerung bei
Strafe verbiete und beim alten Glauben bleibe, wie sie das Gott
schuldig sei, laut heihger Schrift und Kirchenordnung; man be-
gehre in der Sache auf den nächsten Tag, der in Baden statt-
finde, mündhche oder schriftliche Antwort. Eine Konferenz der
kathohschen Orte, die vor diesem Termin zu Schwyz am 11. Sep-
tember stattfand, beschloss ferner, dass die Boten der VI Orte,
welche bei den im Glauben noch unentschiedenen eidgenössischen
Ständen herumzureisen Befehl hätten, sich auch nach St, Gallen
begeben und dort „allerlei erzählen" sollten, weil die Stadt ver-
triebene Täufer und Prediger beherberge; die Boten sollten die
Stadt ermahnen, diesen den Schirm aufzusagen und sich den
VI Orten im Glauben gleichförmig zu machen, ^) Als drei Tage
später der Tag von Baden stattfand, Hess St. Gallen durch seine
Gesandten eine lange Instruktion vortragen als Erwiderung auf
das Schreiben der eidgenössischen Orte vom Luzerner Tag. Den
^) Siehe Dierauer, III, S. 65 f.
2) R.-P. 1525, fol. 118b; E. A., IV, 1 a, S. 766. Ob es wirklich die
XII Orte waren, in deren Namen das Schreiben abgesandt wurde, wie das R.-P.
angibt, möchten wir bezweifeln. Kessler (Sabb., S. 227) spricht ausdrücklich
nur von VII Orten, verlegt aber das Schreiben ins Jahr 1526. Doch ist die
Tagangabe des Schreibens im R.-P. und in der Sabb. die gleiche (1. Sept.), und
die von Kessler in extenso wiedergegebene Missive stimmt, wenige ganz neben-
sächliche Abweichungen ausgenommen, mit den Angaben im Ratsbuch überein,
so dass es sich also nicht um zwei verschiedene Schreiben handeln kann.
3) E. A., IV, la, Nr. 302 a.
31
katholischen Ständen aber gefiel diese Antwort „nicht zum besten",
und man schrieb der Stadt nochmals ernstlich, sie solle von „et-
hchen Artikeln" abstehen und sich im Glauben von den „andern"
Eidgenossen nicht absondern. ')
Die Drohungen und Mahnungen der kathohschen Orte fruch-
teten aber wenig. Schon am 20. September nahmen Boten der
V Orte und von Glarus zu Tobel in den Abschied, dass der Haupt-
mann zu St. Gallen einen in Schwyz freigelassenen „lutherischen
Buben" in der Stadt St. Gallen gefunden, wo er gotteslästerhche
Reden ausstosse. Zudem scheine dem Hauptmann die Sekte dort
eher zu- als abzunehmen; das Volk benehme sich daselbst je
länger je ungeschickter. -)
Dass unter solchen Umständen das Verhältnis des Abtes zur
Stadt immer bedenklicher wurde, ist klar. Schon gingen Gerüchte
um von Rüstungen des Abtes und einem geplanten Angriffe auf
St. Gallen. ■■') Mochten vielleicht diese Gerüchte wenig begründet
sein, die Situation war doch so ernst, dass der Rat beschloss, alle
innerhalb der Stadtgerichte wohnenden Personen einen Treueid
leisten zu lassen. ') Auf den 18. Dezember 1525 zitierte man darum
die Priester vor den Rat. In freundlichen Worten erläuterte der
Bih-germeister den Geistlichen den ausserordentlichen Beschluss
des Rates und erklärte, dieser sei „um bessers friden willen,
und darniit mengklich wisse, was sich ainer zu dem anderen ver-
sehen solle", gefasst worden; man werde ihnen dafür auch Schutz
und Schirm angedeihen lassen wie andern Bürgern. Darauf for-
derte er auch von ihnen den Bürgereid, oder man würde sie als
Fremde ansehen und behandeln. ■') Die von der Stadt ernannten
Geisthchen leisteten den Eid sofort, die vom Abt eingesetzten
Priester verlangten Bedenkzeit. Sie legten aber am kommenden
Freitag (22. Dezember) ebenfalls der Stadt den Treueid ab, da
ihnen der Rat keine andere Wahl Hess, als zu schwören oder
St. Gallen zu verlassen. '') Der Abt musste in dieser „ongehorten
änderung" ') wohl deutlich das Misstrauen erkennen, das man
1) E. A., IV, 1 a, Nr. 304 d, Baden 14. Sept.
2) E. A., IV, la, Nr. 307 e.
3) R.-P. 1.525, fol. 122 b.
4) R.-P. 1525, fol. 126 a.
ö) Sicher, II, S. 206 f.
'') R.-P. 1525, fol. 127.
^) Sicher, II, S. 206 21-22.
32
dem Stift entgegenbrachte. So wurde die Kluft immer grösser,
besonders auch, da die Reformation in der Stadt ihren Fortgang
nahm. Im Januar 1526 hörte Wolfgang Wetter auf, Messe zu
lesen, und der Stadtpfarrer Burgauer wurde durch ein warnendes
.,Zedeli" dazu gebracht, das Gleiche zu tun. ^) Die Obrigkeit liess
dies geschehen, ohne sich direkt für oder gegen die Abschaffung
der Messe zu erklären. -) Diese Beseitigung der Messe „samt
andren überflüssigen ceremonien" an der städtischen Kirche machte
aber eine neue gottesdienstliche Ordnung nötig. Deren Aufstellung
wurde vom Rate einer Kommission übertragen, welcher auch Vadian
angehörte. Sie stellte die Vorschriften für den Kirchendienst fest.
In echt christlicher Weise wird in der Liturgie die Barmherzig-
keit gegenüber Armen empfohlen, und der Rat machte seine
Prädikanten noch speziell darauf aufmerksam. ■^)
Wenig später ereignete sich ein Vorfall, der ein grelles Licht
wirft auf das damals waltende Missverhältnis zwischen Stadt und
Kloster. In der Nacht vom Samstag auf den Ostersonntag wurde
aus der Sakristei des Münsters eine Anzahl kostbarer Chormäntel
und Messgewänder gestohlen. ^) Im Kloster hielt man den Dieb
für einen St. Galler, trotzdem die Stadt eine strenge, aber erfolg-
lose Untersuchung in ihrem Gebiete angeordnet hatte. Wendelin
gab von der Kanzel herab deutlich zu verstehen, dass der Dieb
unter den Bürgern zu suchen sei, und .auf einem Tage zu Ein-
siedeln, im April 1526, liess der Abt den Tagherren die Sache
ebenfalls mitteilen, ohne aber jemanden des Diebstahls zu be-
schuldigen. ■') Schliesslich wurde, viele Wochen später, nachdem
der Handel viel Aufsehen erregt, der Missetäter ausfindig ge-
macht. Es war ein Gotteshausmann, der lange im Kloster gedient
hatte und keine weiteren Mitschuldigen gehabt zu haben schien.
Er büsste den Kirchenfrevel mit dem Tode. Der Diebstahl und
seine Folgen zogen natürlich eine weitere Verstimmung gegen
den Abt und besonders gegen seinen Geistlichen Wendelin nach
sich, welchen man wegen seiner vorlauten Äusserung beschul-
1) Sabb., S. 205 1-6.
-) Sicher, I, S. 69io-]8.
3) Sabb., S. 204 — 207.
^) Mttl. z. vaterl. Gescb., Bd. 14, S. 132—136.
•^) E. A., IV, la, Nr. 3.57 p.
33
digte, er habe öffentlich in der Kirche gelogen. ') Das Misstrauen
aber, das der Abt während dieser Zeit gegenüber der Stadt an
den Tag legte, hatte eine gewisse Berechtigung, wenn wir die
sehr milde Bestrafung von Kirchenräubern kurz vor der genannten
Affäre ins Auge fassen. Unter anderm waren Hans Friedrich und
Heinrich Wissman ins „bainhus" eingebrochen und hatten dort
Altartücher und anderes entwendet. Durch Bitten liess sich nun
der Rat zu dem milden Urteil bewegen, dass die Haft als Ge-
fängnisstrafe gelten sollte, und dass die Übeltäter ein ganzes
Jahr nach „fürgloggen" nicht mehr aus dem Hause gehen dürften;
falls jemand Schadenersatz verlange, sollten sie den gerichtlichen
Entscheid über sich ergehen lassen. '')
Unterdessen war der Tag der Badener Disputation gekommen.
Es war wohl nicht zufällig, dass der Hofmeister des Abtes,
Ritter Jakob Stapf er, als einer der vier Präsidenten fungierte, ^)
sondern sollte die Antwort darauf sein, dass Vadian im Jahre
1523 der sogenannten zweiten Disputation zu Zürich präsidiert
hatte. An die Stadt St. Gallen war die Einladung der XH Orte
zur Disputation ebenfalls ergangen. Der Rat beschloss aber am
14. Mai, keine „gelerten'" hin zu schicken, sondern nur eine Ge-
sandtschaft, bestehend aus einem Mitglied des Grossen und einem
des Kleinen Rates. Sie erhielt die geschmeidige Instruktion, dass
St. Gallen den Beschlüssen der Disputation nachleben wolle, sofern
sie Gottes Wort gemäss seien. ^) Erst auf die direkte Aufforderung
der Eidgenossen hin, ebenfalls „Gelehrte" zu senden, wurden die
Prädikanten Burgauer, Wetter, Zih und Jakob Riner-^) samt den
beiden schon erwähnten Gesandten nach Baden beordert; aber man
schärfte der Abordnung ein, beim Gotteswort zu bleiben und nichts
„meren" zu helfen, was gegen dasselbe sei.*^) Als „Gelehrten" hatte
der Abt seinen Münsterprediger Wendehn gesandt, welcher zu Baden
1) Vad., II, S. 410 2-8.
^) R.-P. 1526, fol. 134a.
^) E. A., IV, la, S. 931.
^) R.-P. 1526, fol. 136 a.
'^) Ibid. 137 a. Über Einer vgl. Egli, Komm. z. Sabb., S. 566.
'^) Vadian befand sich nicht unter den Gesandten. Den Hass der Katholiken
gegen ihn hatte er auf dem obenerwähnten Tag zu Zug (Juli 1524) deutlich
genug erkennen können. Es waren also ungefähr die gleichen Gründe für Vadian
wie für Zwingli massgebend, welche die beiden Reformatoren von Baden fern-
hielten.
St. Galler Mittlgii. z. vaterläiid. Gesch. XXXIll. 3
34
von Eck und Murner aufgefordert wurde, sich mit den St. Galler
Prädikanten in eine Disputation einzulassen; letztere waren dazu
bereit; doch verbot der Hofmeister Stapfer Wendelin, darauf ein-
zugehen. Bei seiner Rückkehr nach St. Gallen aber verkündete
dieser triumphierend, er sei zu Baden nicht widerlegt worden.
Die Disputation zu Baden, die vom 21. Mai bis 28. Juni 1525
gedauert hatte, ^) vermochte trotz ihres für die Katholiken so
günstigen Verlaufes die Reformationsbewegung in der Stadt
St. Gallen nicht zum Stillstand zu bringen, geschweige sie rück-
gängig zu machen; im Gegenteil war der völlige Übertritt der
Stadt zur neuen Lehre nur noch eine Frage der Zeit, seitdem
Vadian 1526 zum Bürgermeister seiner Vaterstadt gewählt worden
war. Schon seine Wahl bewies, dass nunmehr die neugläubige
Partei zu St. Gallen völlig dominierte. Gross war darüber die
Freude bei den Häuptern der schweizerischen Reformationspartei,
vor allem natürlich bei Zwingli, der in einer uns fast überschwäng-
lich klingenden Weise dem neuen Bürgermeister zur Wahl seine
Glückwünsche übersandte. -) Unter Führung Vadians wurde im
Grossen Rat am 15. Juni, kurz nach der ungünstigen Badener
Disputation, beschlossen: die Prädikanten sollten das Evangelium
laut Mandat der Obrigkeit vom 4. April 1524 weiter verkünden. ^)
Damit wurde das Festhalten an dem neuen Glauben ausdrücklich
geboten. Ferner gestattete man durch den gleichen Ratsbeschluss
dem Dr. Christoph Schappeler, in der Stadt zu predigen. Schon
früher war er, wie wir oben gehört, erfolgreich in St. Gallen auf-
getreten und hatte auch aus seinem entschieden neugläubigen
Standpunkt kein Hehl gemacht. Vorher Prädikant zu Memmingen,
hatte er während der Bauernunruhen im Jahre 1525 fliehen müssen
und war nach St. Gallen gekommen.^) Endlich besagte jener Rats-
beschluss vom 15. Juni, dass man Dr. Wendelins Sache, weil er
die Ehre der Obrigkeit am Ostermontag von der Kanzel herab
angetastet habe, anstehen lassen wolle. Es waren energische Be-
schlüsse, die von derUnerschrockenheit und Festigkeit des leitenden
1) E. A., IV, la, Nr. 362.
^) V.-B.-S., Bd. IV, Nr. 441. Ähnliche Glückwunschschreiben von Georg
Binder, Lehrer ana Grossmünster, und Wolfgang Joner (Nr. 438, 439); aus
Wien (Nr. 460).
^) R.-P. 1526. Ratsbeschluss „uff Viti% 1526.
^) Über dessen weitere Schicksale s. Pestalozzi, St. Mangenkirche, S. 89 ff.
35
Hauptes zeugten. St. Gallen gehörte auch zu den Orten, welche,
wie vor allem Bern, die Veröffentlichung der Disputationsakten
verlangten, damit der Handel „ussgienge'' und man daraus er-
sehen könne, was laut der Schrift zu tun und zu lassen sei. ^)
Am 6. Juli wurde ferner den beiden Prädikanten Burgauer und
Wetter, sowie dem Schulmeister Zili auf ihre Anfrage vom Rate
neuerdings eingeschärft, laut Mandat der Obrigkeit zu predigen,
ihnen aber zugleich Milde in der Ausdrucksweise empfohlen. ^)
Dieses Auftreten St. Gallens entfremdete der Stadt die katho-
lischen Orte noch mehr, wie das bei der Frage der Neubeschwörung
der eidgenössischen Bünde klar hervortrat. Als die Angelegen-
heit auf einem Tag zu Luzern Mitte Juli 1526 erörtert wurde,
erklärten die VH Orte [V Orte, Freiburg und Solothurn], dass sie
mit Zürich, Basel und der Stadt St. Gallen die Bünde nicht neu
beschwören würden. Von St. Gallen hiess es im besondern, dort
sei der „Missglaube" schon so stark eingewurzelt, dass man die
heilige Messe beseitigt habe; ja es stehe daselbst in Glaubens-
sachen eher noch schlimmer als in Zürich; die Stadt solle vom
neuen Glauben abstehen und die ketzerischen Priester verjagen,
so werde man auch mit ihr die Bünde neu beschwören. ^) Die
Folge davon war, dass der Rat am 13. Juli den Gesandten von
Zürich und Bern auf deren Begehren, die Bünde mit der Stadt
neu zu beschwören, erklären musste, er könne darauf nicht ein-
gehen, weil die Neubeschwörung nicht von der Mehrheit der VI mit
St. Gallen verbündeten Orte gewünscht worden sei; doch bitte man
die Boten dringend, diesen Abschlag in Anbetracht der zwingen-
den Umstände in bester Meinung aufzunehmen. ^) St. Gallen sei
auch fernerhin bereit, die Bündnisse treu zu halten und Leib und
Gut daran zu setzen. So schrieben denn die Zürcher am 8. August
wiederum an St. Gallen, man habe volles Vertrauen, dass es auch
ohne Beschwörung der Bünde nach wie vor in treuer Freund-
schaft zu Zürich verharren werde. '')
Dieses Freundschaftsverhältnis, das anlässlich eines Schützen-
festes zu Zürich im August dieses Jahres eine weitere Kräftigung
') R.-P. 1526, 18. Juni.
^) R.-P. 1526, fol. 141a.
3) E. A., IV, la, Nr. 377 b (5).
-*) E. A., IV, la, Nr. 3814-5.
^)E. A., IV, la, Nr. 381 (Anm.).
36
erfuhr, ^) ermöglichte es auch dem Rate, ruhig auf der Bahn der
Reformen weiter zu schreiten. Schon 1524 hatte man, wie oben
erzählt, begonnen, die Bilder aus der Stadtkirche St. Laurenzen
wenigstens teilweise zu entfernen. Nun beschloss der Rat am
St. Nikolausabend, die Bilder zu St. Laurenzen ganz von dannen
zu tun, desgleichen die Wand beim St. Sebastiansaltar daselbst,
damit man in den Chor sehen könne, und ein Gitter davor zu
machen. -) Der Rat hatte sich dafür der Mehrheit der Kirch-
genossen von St. Laurenzen versichert, so auch der Gemeinden
Speicher, Tablat, Wittenbach und Straubenzell, welche zu diesem
Kirchsprengel gehörten. Ohne viel Umstände wurde der Be-
schluss bis zum 8. Dezember ausgeführt, „alle taflen, alle bilder,
alle elter [Altäre], usgenomen der fronalter nit, zerbrochen, mit
sampt dem grossen Hergot, und die bilder zerschitet und hinweg-
tün, usgenomen was vergult was". Letzteres wurde auf die „kilchen-
tili" gebracht, schon zwei Jahre später aber, jedenfalls auf Ge-
heiss der Obrigkeit, vom Messner wieder heruntergenommen und
verbrannt. ■') Manches schöne Kunstwerk mag dabei zugrunde
gegangen sein. ^) Die Evangelischen mussten auch von den Katho-
liken hören, die Neugläubigen hätten aus der St. Laurenzenkirche
einen „höstadel und rossstall" "') gemacht. Der Rat liess sich durch
solche Äusserungen jedoch von weitern Reformen nicht abhalten.
Wohl erst jetzt erfolgte, um sich vom Konstanzer Chorgericht
frei zu machen, die Einsetzung eines Ehegerichtes, wohl erst
jetzt auch, um jede Unsicherheit dabei zu beseitigen, eine be-
deutende Reduzierung der Zahl der Feiertage und deren genaue
Veröffentlichung.") Am 14. Dezember wurde durch Ratsbeschluss
an dieser Verordnung nachdrücklich festgehalten, das Tanzen an
den festgesetzten Feiertagen verboten und verfügt, dass alle
Samstage der Wochenmarkt abgehalten werden solle, gleichgültig,
ob dieser auf frühere Feiertage fallen würde oder nicht. Nur
wenn Weihnachten oder Assumptio Mariae auf einen Samstag
1) Sabb., S. 229/230.
2) R.-P. 1526, fol. 153 b.
3) Miles, S. 309/310 (37/38); ausführlicher in der Sabb., S. 231—233:
Sicher, I, S. 67,
■*) Vgl. Kesslers Ausruf: „Was grossen kosten und arbaifc ist in kurzer zit,
das mit grossem gütt lange zit züberait, zu grund gangen!" (Sabb., S. 232 lo.)
•') Sabb., S. 233 12. "
'^) Sabb., S. 225/226.
37
fielen, durfte der Markt an diesem Tage nicht abgehalten werden. ^)
Infolge dessen traf ein Schreiben von der Tagsatzung zu Luzern
mit Datum vom 3. Februar 1527 ein, das die St. Galler wegen
ihrer kirchlichen Reformen mit Beschwerden überschüttete, sie
„nochmalen und jetz zületst" aufforderte, von ihren religiösen
Neuerungen abzustehen, und drohend damit schloss: wenn St.Gallen
etwas wegen seiner Neuerung begegne, so würden die Orte, in
deren Namen das Schreiben verfasst sei, ihm Schutz und Schirm
versagen.-) Diese scharfen Worte waren wohl begründet; denn
die Lage des Abtes muss wegen der religiösen Neuerungen in
der Stadt schon sozusagen unhaltbar geworden sein; wird doch
in dem genannten Schreiben ausdrücklich unter den Beschwerden
aufgeführt, der Abt könne im Münster nur noch bei geschlossenen
Türen Messe lesen lassen.
Das Schreiben vom Luzerner Tag hatte aber nur die Folge,
dass St. Gallen sich notgedrungen immer mehr Zürich näherte
und ebenso auch der Stadt Bern, die bereits anfing, sich ent-
schieden von den streng katholischen Orten abzuwenden, gereizt
durch das parteiische und verdächtige Verhalten der V Orte bei
der Veröffentlichung der Badener Disputationsakten. Der Abt
bekam dies bald zu spüren. Er hatte St. Gallen wegen der fort-
währenden Händel zwischen den städtischen Prädikanten und
Dr. Wendelin mit einem Prozess bedroht. Die Stadt aber hatte
die Gelegenheit benützt, dem Abt das ganze Sündenregister, das
sie über den Münsterprediger und andere ihrer Gegner im Kloster
gesammelt hatte, in schroffster Weise vorzuhalten: Wendelin habe
offen auf der Kanzel „bubet, ketzert, gehuret, geschützet und
bachantet" und zum Aufruhr gereizt, indem er von der Kanzel
herab erklärt habe, wer etwas gegen seine Predigten einwenden
könne, solle hervortreten. Am Ostermontag habe er, ebenfalls in
der Kirche, so geredet, als ob die Stadt die Messgewänder ge-
stohlen ; ^) dagegen erhobene Einsprachen des Rates bei den An-
wälten des Abtes hätten nichts genützt; nicht nur die Prädikanten,
1) R.-P. 1526, fol. 154 b.
-) E. A., IV, la, Nr. 417r. Das Schreiben wird jedenfalls nicht, wie die Ab-
sender angeben, von allen zu Luzern anwesenden Orten gesandt worden sein,
da sich unter den Tagherren auch diejenigen von Bern, Basel und Schaifhausen
befanden.
■^) Siehe oben.
38
sondern auch der Rat müsse somit glauben, dass man sie auf
äbtischer Seite verachte. Die städtischen Gesandten drohten hierbei
dem Abt, dass sie das Hochgericht gegen WendeHn anwenden
würden, da „ketzern" vor dieses Gericht gehöre. Ferner habe
man von äbtischer Seite die Stadt auch bei den Eidgenossen
„versait", welche ihr darauf „ruch" geschrieben hätten. Der Abt
verlangte Bedenkzeit. Man fand aber seine Entschuldigung, die
er am 28. März durch Hauptmann und Kanzler vorbrachte, so
wenig befriedigend, dass der Rat sie aufzeichnen Hess, damit
man ihrer zu gelegener Zeit eingedenk sei und sich danach zu
richten wisse. ^) Der Abt Hess sich dadurch wenig abschrecken.
Eines seiner Fastenmandate befahl, Fleisch und Eier, welche man
während dieser Zeit in die Stadt führen wolle, wegzunehmen.
Ferner machte er den anfangs April 1.527 zu Einsiedeln tagenden
kathohschen Orten von den Beschwerden, welche die Stadt gegen
Dr. Wendelin erhoben hatte, Mitteilung. Man habe aber den
städtischen Gesandten erklärt, liess der Abt den Tagherren weiter
berichten, dass die Prädikanten Wendelin beschimpften, indem sie
öffentlich verkündeten, wer Beichte und das Sakrament empfange
in dem Glauben, dass Fleisch und Blut Christi darin enthalten sei,
der sei des Teufels, und wer in die Predigten zu Wendelin gehe,
sei ein Ketzer und Bösewicht; die städtische Obrigkeit habe darauf-
hin versprochen, die Schuldigen zu bestrafen; aber bis jetzt sei
dies nicht geschehen. -) Der Abt fand um so willigeres Gehör,
als bereits am 27. März zu Luzern von den Tagherren die immer
grössere Annäherung St. Gallons an Zürich übel vermerkt worden
war. Eine ernste Mahnung von diesem Tag an St. Gallen, die
Bünde genauer zu „besehen", war nur unterblieben, weil die Stadt
zu den Orten gehörte, welche in dem Handel wegen des Ittinger-
sturms zwischen Zürich und den übrigen am Turgau beteiligten
Orten zu entscheiden hatten. •^) Dagegen äusserte sich die einen
Monat später ebenfalls zu Luzern tagende Versammlung der
katholischen Stände in drohender Weise über St. Gallen : Man
sehe es samt Schaffhausen, Appenzell und auch Bern und Basel
bald in Zürich, bald in Bern tagen. An Glarus und Appenzell
wolle man eine Botschaft senden, um sie beim alten Glauben zu
1) R.-P. 1526, fol. 164.
2) E. A., IV, la, Nr. 433 v.
^) E. A., IV, la, Nr. 431a,'i.
39
erhalten, nicht aber an St. Gallen; denn dieses dulde über alle
Massen und „gröber als sonst jemand'' unchristhche Reden und
Handlungen gegen Gott, den Glauben und „die Eidgenossen",
habe auch mehrere Schreiben der VII kathohschen Orte gar nicht
beantwortet; zu Einsiedeln wolle man weiter beraten, wie man
sich fernerhin gegen die Stadt zu verhalten habe. ^
Letztere fand unter diesen Umständen für gut, auf den Ein-
siedler Tag [7. Mai ff.] Unterbürgermeister Reinsberg und Ulrich
Appenzeller -) zu senden, um durch eine Verantwortung den
drohenden Sturm zu beschwören. Die katholischen Orte erklärten
aber auf die Instruktion St. Gallons, diese enthalte zwar viele
schöne Worte und Versprechungen, stehe aber nicht im Einklang
mit der WirkUchkeit; denn im St. Galler Rate sässen ja noch
Wiedertäufer; auch werde die Taufe selbst dort nicht mehr nach
kirchlicher Ordnung gebraucht, das Sakrament des Altars mit
Worten und Werken verachtet, und die „verkehrten und ver-
logenen Pfaffen" predigten in schmählicher Weise gegen den
rechten Glauben; einige hätten sogar offen erklärt, wer hinter
einer Messe stehe oder eine halte, sündige mehr gegen Gott als
ein „Mörder im Wald". Die Verteidigungsschrift St. Gallons wurde
darum nicht in den Abschied genommen, mit der Begründung:
die Regierungen der Tagherren hätten doch keinen Gefallen an
dieser Verantwortung; es seien schöne Worte, denen tatsächlich
das Gegenteil entspreche; mit Freuden würde man sehen, wenn
St. Gallen wieder in den Schoss der alten Kirche zurückkehren
wollte; da dies nicht geschehe, so behalte man den Obrigkeiten
vor, in der Sache weiter zu handeln.^) Der scharfe Ton rührte
zum Teil von einer weitern religiösen Neuerung her, die durch
Ratsbeschluss vom 10. ApriH) in Kraft erklärt worden war: „dass
man den tisch des Herren begon soll lut der Schrifft". '') Dies
zog der Stadt natürlich von selten der Anhänger des Abtes neue
Verunglimpfungen zu : man habe in der Pfarre zu St. Laurenzen
„an mostbrockenden" aufgerichtet. '')
1) E. A., IV, la, Nr. 437 aö.
^) E.-P. 1527, fol. 166 a.
3) E. A., IV, la, Nr. 442 y.
^) R.-P. 1527, fol. 165 b.
•'') Die einzelnen Artikel der neuen Abend mahlsordniing siehe in der Sabb.,
S. 244—248.
•') Sabb., S. 247 45.
40
In dieser für St. Gallen so schwierigen Lage bot ein Schützen-
fest daselbst den Zürchern Gelegenheit, sich der befreundeten
Stadt noch mehr zu nähern, sie zu ermutigen und zu neuen
energischen Schritten anzuspornen. ') Am 18. Mai zogen ausser
andern Gästen auch 45 Zürcher zu Fuss und einige Berittene
der Feststadt zu, -) an ihrer Spitze Lavater und der Bannerherr
Schwyzer. 800 Spiesser, vorn und hinten eingeschlossen von 12
Büchsenschützen, sämtlich in Blau und Weiss gekleidet, kamen
den Zürchern aus der Stadt St. Gallen entgegen. Hinter der statt-
lichen Schar ritt der Altbürgermeister Joachim von Watt — zwei
Tage früher war der amtierende Bürgermeister Jakob Krumm
gestorben, und Vadian hatte ihn vorderhand zu vertreten — mit
30 Berittenen, um sie zu empfangen. Das Fest, welches bis zum
23. des Monats dauerte, nahm den besten Verlauf. •') Seinen
politischen Charakter aber Hessen die Anreden v. Watts und
Lavaters recht deutlich erkennen. Man hoffe auf weitere Freund-
schaft, äusserte sich der Vogt von Kyburg, während Vadian er-
klärte, die St. Galler würden die Ehre, die ihnen die Zürcher mit
ihrem Besuche erwiesen hätten, in Ewigkeit nicht vergessen. ')
Noch deutlicher drückt sich der Chronist Sicher aus, indem er
bei der Erwähnung dieses Schützenfestes bemerkt: „Do wurdent
Zürcher und Galler ains, des ain gotzhus Sant Gallen nit vil
gnoss". ^)
Der Abt mochte wenig erbaut sein von der Feier. Er hatte
sich einige Tage vor ihrem Beginn aus der Stadt wegbegeben, '')
benahm sich aber im übrigen recht klug, liess den fremden Gästen
wie üblich den Wein kredenzen, jedoch durch den Schenk, im
Gegensatz zum sonstigen Gebrauche, nur die wenigen Worte
sprechen: „Edlen etc. — — — gnedigen herren von Zürich,
^) Dass das Fest in erster Linie aus diesem Grunde abgehalten wurde,
ergibt sich deutlich aus Bernhard Wyss' Chronik. (Quellen z. Schweiz. Ref.-
Gesch., Bd. 1, S. 73.)
2) Beiträge z. St. Gallischen Gesch., St. Gallen 1904, S. 11—40: „Das
Gesellenschiessen zu St. Gallen im Mai 1527", herausgeg. v. T. Schiess.
3) Vgl. darüber Sabb., S. 252—255, Miles 320 (48)— 322 (50), der einige
in der Sabb. nicht enthaltene Angaben macht. Weitaus am einlässlichsten wird
das Fest in der oben genannten, Yon T. Schiess herausgeg. Arbeit behandelt.
*) Schiess, S. 20.
•') Sicher, I, S. 81n-i8.
•') Schiess, S. 23.
41
Costentz und Lindow, den wyn den gsegen üch Got, den schenckt
üch min gnediger herr von Sant Gallen". ^)
Die politische Stärkung St. Gallens machte sich für den Abt
bald fühlbar. Schon Ende April war Hans Wettach, der Kaplan
am Linsibühl, vor den Kleinen Rat zitiert und ihm befohlen
worden, aufzuhören, am Linsibühl zu predigen, auch daselbst
und im Münster keine Messe mehr zu halten, sondern zu den
Predigten und „lesinen" in der St. Laurenzenkirche zu gehen.
Vernehme er dort etwas, das nicht richtig sei, so könne er es
dem Rate melden. -) Der Abt aber nahm seinen Kaplan nach-
drücklich in Schutz, indem er ihm die Pfründe „auf unserer
Frauen Amt" am Münster verlieh und sie dem bisherigen Inhaber
Hans NoU, der Bürger St. Gallens und der religiösen Neuerung
freundlich gesinnt war, entzog. ^) Da griff nun der Rat am 2. August
energisch zugunsten des letztern ein. Er forderte Wettach auf,
den Linsibühl zu räumen und die Gerichte der Stadt zu ver-
lassen, da der Rat ihn nicht mehr als seinen Bürger betrachte.^)
Inzwischen hatten Kleine und Grosse Räte am 6. Juni ein
Mandat erlassen: „wider eebruch, hüry, coplery und unerbare
klaidung".*') Wer dreimal des Ehebruchs überwiesen war, sollte die
Stadt verlassen. Der Rat machte mit dieser Verordnung einen
kräftigen Versuch, der herrschenden Sittenlosigkeit zu steuern
und das zerrüttete Familienleben wieder zu bessern. Scharf wurde
in dem Mandat gegen den Konkubinat der in der Stadt wohnenden
Priester und Mönche vorgegangen, was denn auch bewirkte, dass
etliche Priester ihre „Kellerinnen" zu Frauen nahmen, und die
Obrigkeit sah dies gerne. *^) Doch der Abt konnte dem Vorgehen
der Stadtobrigkeit nicht ruhig zusehen. Die von ihm belehnten
Priester, welche sich verheiratet hatten, wurden durch ihn ihrer
Pfründen und Nutzungen entsetzt. ') Am 26. Juni erschien auch
seine Botschaft vor dem Rate: Der Abt habe gehört, dass die
1) Ibid.
2) ß.-P. 1527, fol. 166 a.
3) R.-P. 1527, fol. 173a.
^) R.-P. 1527, fol. 174b.
^) Sabb., S. 249—52; R.-P. 1527, fol. 168 b.
^) So beteiligten sich an der bescheidenen Feier auf der Weberzunft, zu
Ehren einiger Neuvermählter. Bürgermeister Konr. Mayer und Altbm. von Watt
mit anderen angesehenen Städtern, Miles, S. 323 (51j — 324(52).
^) Sabb., S. 250 44-46.
42
städtische Obrigkeit ein Mandat erlassen, nach welchem Mönche,
die bei unsittlichen Handlungen angetroffen würden, ins Gefängnis
geworfen werden sollten, da man ihnen so wenig wie den Bürgern
sittliche Ausschweifungen gestatten wolle. Der Abt bitte, wenn
die Stadtobrigkeit von dem Mandat nicht abzustehen gedenke,
ihm Meldung zu machen, wenn Priester der Unsittlichkeit be-
schuldigt würden, oder doch die fehlbaren Geistlichen in sein
Gefängnis zu überantworten. Der Rat begnügte sich aber damit,
den äbtischen Gesandten sein Sittenmandat zu erklären. ^) Darauf-
hin klagte Abt Franz bei der Tagsatzung, die am 1. JuU zu Baden
zusammengetreten war,, dass einige Priester zu St. Gallen sich
verheiratet hätten und keine Messe mehr lesen wollten, und bat
um Verhaltungsmassregeln. Doch die Tagherren begnügten sich,
die Sache in den Abschied zu nehmen,-) und St. Gallen arbeitete
weiter am Ausbau der eingeführten Reformation. Am 7. August
wurde vom Rat für die Jugend, „so ob 9 oder under 15 Jaren
ist", die Kinderlehre •^) eingeführt, die jeweils mit einem oder
mehreren deutsch gesungenen Psalmen eröffnet und geschlossen
wurde. Es mag wohl ein Hinweis auf die schweren Zeiten ge-
wesen sein, die St. Gallen wegen seines neuen Glaubens durch-
zumachen hatte, dass, wie Kessler berichtet, die Kinder zuerst
jenen schönen Psalm lernen mussten: ,,Aus tiefer Not schrei ich
zu dir". ')
Zu den Geistlichen des Abtes, welche den neuen Glauben
angriffen, gehörte besonders der Dekan Adam Moser, der die
evangelische Taufe ein „suwbad" nannte. ■') Früher Pfarrer in
Stammheim, war er der Nachfolger Wendelins am Münster ge-
worden. *') Wegen der Schmähreden beklagte sich die Stadt beim
Abt durch eine Gesandtschaft, mit Vadian an der Spitze, die dem
Abt Franz drohte, wenn er seine allzueifrigen Prediger nicht
abstelle, müsste St. Gallen selbst Abhilfe schaffen. Die Vor-
stellungen scheinen wenig gefruchtet zu haben ; denn der Rat
1) ß.-P. 1527, fol. 171a.
2) E. A., IV, la, Nr. 461 q.
'^) Vad., II, S. 410 37 ; Sabb., S. 249 f.
^) Sabb., S. 24919-25.
^) R.-P. 1527, fol. 164 b.
^) Wendelin war Ende März 1527 nach Einsiedeln gezogen (R.-P. 1527),
worauf Moser am 31. März d. J. für ihn angestellt wurde. (Sicher, I, S. 70 6—9.)
43
nahm die energische Bestrafung der Schuldigen selbst an die
Hand. Wenigstens weiss Sicher ^) zu berichten, dass um den
21. September herum, einen Monat nachdem der Rat beim Abt
vorstellig geworden, der Pfarrer von Niederbüren, Hans Schindeli,
wegen verletzender Reden über den neuen Glauben, in St. Gallen
hart gefoltert und noch ca. 4 Stunden an den Pranger gestellt
worden sei. -) Bereits hatten auch die vom Stift belehnten Pfarrer
„auf unserer Frauen amt" vom Rat einen scharfen Verweis er-
halten, weil sie es wagten, zu kranken Leuten in der Stadt zu
gehen, ihnen Messe zu lesen und das Sakrament und die Ölung
zu geben : sie hätten kein Recht dazu und sollten in Zukunft
sich hüten, dies in den Gerichten der Stadt weiter zu tun, oder
sonst erwarten, was ihnen daraus erwachsen könnte. ^)
Dieses so entschiedene Auftreten St. Gallons in Sachen des
neuen Glaubens — der Abt war aus einem Angreifer zum An-
gegriffenen geworden — dürfte wohl zum grossen Teil zu er-
klären sein durch die mächtige Verstärkung, welche die schwei-
zerische reformierte Partei erfahren hatte: Bern hatte sich für
die religiöse Reform entschieden. Der Übermut der katholischen
Orte wegen ihres Sieges auf der Badener Disputation hatte eine
starke Entfremdung zwischen Bern und den Orten herbeigeführt,
und zu Ostern 1527 war der Berner Rat in einem der religiösen
Reform sehr günstigen Sinne erneuert worden. Obrigkeitliche
Mandate befahlen die freie Predigt des Evangeliums und die
weltliche Verwaltung sämtlicher Klöster, wodurch offiziell die
Berner Reformation eingeleitet wurde. Die vom Rate angeord-
nete Disputation, im Januar 1528, brachte schliesshch den völligen
Umschwung zugunsten der neuen Lehre. St. Gallen hatte eine
ansehnliche *) Gesandtschaft, an ihrer Spitze Vadian, zu diesem
Religionsgespräch nach Bern geschickt; ja, der St. Galler Rat
forderte auch die Münsterprediger auf, sich an der Disputation
zu beteiligen, '') und anerbot sich, einem jeden ein Pferd und
1) Sicher, I, S. 92 20-27.
^) Miles, S. 324(52)15-30, der über die Bestrafung Schindeiis ausführlich
berichtet, weiss nichts davon, dass der genannte Pfarrer gefoltert wurde. Man
habe ihn 2 Stunden an den Pi-anger gestellt und ihm dann die Stadt für 101 (!)
Jahre verboten.
3)R.-P. 1527, fol. 174 b.
^) R.-P. 1528, fol. 188 a.
^) E. A., IV, la, Nr. 494 f.
44
Zehrimg mitzugeben. ^) Der Abt klagte darüber im Dezember
durch seinen Hauptmann auf dem Tag zu Luzern, worauf die
VIII Orte an St. Gallen schrieben, die Stadt solle keinen äbtischen
Geistlichen zur Disputation nach Bern nötigen, diese überhaupt
unbekümmert lassen und die Zusagen halten, welche sie ihnen
gemacht, als sie ihr den Treueid geleistet hätten. ^) Zudem wurde
die Angelegenheit in den Abschied genommen, weil die St. Galler
„so gar ungeschickt" seien. ^) Die katholischen Orte hatten um
so mehr Grund zu diesem scharfen Beschlüsse, als sie die Art,
wie St. Gallen gegen die Dominikanerinnen zu St. Katharina vor-
gegangen war, sehr erbittern musste; denn seit 1527 begann der
Rat, den Frauen Schritt für Schritt den neuen Glauben aufzu-
zwingen. ^)
Der Ausgang der Berner Disputation, auf der Vadian eine
hervorragende Rolle gespielt hatte, die daraus folgende „Ab-
wendung der Berner von der alten Kirche bewirkte den ent-
scheidenden Umschwung der Glaubensbewegung in der deutschen
Schweiz". '') Unter dem gewaltigen Eindruck, den der Verlauf
des Religionsgesprächs hervorrief, wurden nun noch die letzten
vorhandenen Einrichtungen der katholischen Kirche im Gebiet
der Stadt St. Gallen in rascher Aufeinanderfolge beseitigt. Ja,
unter dem neuen, reformfreundlichen Bürgermeister von 1528,
Christian Studer,'^) und im Vertrauen auf das mächtige Umsich-
greifen des neuen Glaubens unter den äbtischen Untertanen selbst
wagte nun der Rat, in die Machtsphäre des Abtes grössere Ein-
griffe zu tun: er beschloss auf Ansuchen der Kirchhöre St. Mangen
und besonders des dortigen Pfarrers Hermann Miles, ') die Bilder
und Statuen aus der St. Mangenkirche zu entfernen, ^) trotzdem
deren KoUaturrechte dem Abte zustanden. Tags darauf, am
28. Februar, ward der Beschluss gründlich durchgeführt. Das
1) R.-P. 1528, fol. 208 b.
2) Sta. Trucke Q., Nr. 3, Luzern, 18. Dez.
3) E. A., IV, la, Nr. 494 f.
^) Siehe St. Galler Neujahi-sblatt (von Hardegger) 1885: „Die Frauen zu
St. Katharina in St. Gallen''.
'") Dierauer, III, S. 103/104.
6) Sabb., S. 278 5-6.
"') Über Herrn. Miles als Neugläubigen und sein weiteres Leben bis zum
1533 erfolgten Tode siehe Pestalozzi, St. Mangenkirche, S. 78—81, 85 — 89.
^) R.-P. 1528, fol. 196a, Ratsbeschluss vom 27. Feb.
45
gewonnene Edelmetall wurde „umb zimlich geld" verkauft ^) und
in die Armenbüchse gelegt. -) Am 4. März beschloss ferner die
Obrigkeit, diejenigen, welche noch ins Münster zur Messe gingen,
vor sich kommen zu lassen und sie freundlich zu bitten, alle
Sonntage und an den von der Stadt anerkannten Feiertagen zu
St. Laurenzen die Spätpredigt zu besuchen. Zu den übrigen Zeiten
dürften sie zur Kirche gehen, wohin sie wollten, auch ins Münster.-')
Gemäss der strengen Lebensauffassung, wie sie der neue Glaube
verlangte, wurde am 11. März das Spielen mit Würfeln und Karten,
womit man Geld verlieren oder gewinnen könne, bei 3 Pfund
Busse verboten,^) nachdem schon 1525 alles Tanzen in und vor
den Häusern abgestellt und den Spielleuten untersagt worden
war, auf die Gasse zu ziehen, alles bei Strafe von 5 Pfund. '")
Den Nonnen zu St. Katharina wurde durch Ratsbeschluss vom
11. Mai befohlen, nach St. Mangen zur Predigt zu gehen und die
Ordenskleider abzulegen. Letzteres wurde auch den Feldnonnen
zu St. Leonhard bis zum 25. Juli des Jahres zu tun befohlen. •')
Den Nonnen zu St. Katharinen hatte man auch bereits einen
streng evangelisch gesinnten Mann als Prediger gegeben , Dr.
Christoph Schappeler, und nun, nach dem Beschluss des Rates,
welcher die Klosterregeln beseitigte, vermählten sich einige der
ehemaligen Nonnen. "')
Eine weitere Befestigung der Reformation zu St. Gallen be-
deutete die Erneuerung des Grossen Rates. Stets im Juni statt-
findend, fiel sie dieses Jahr völlig zugunsten der reformierten
Partei aus : die katholisch gesinnten Elemente des frühern Rates
wurden übergangen.^) Den gänzlichen Sieg der neuen Lehre in
der Stadt brachte jedoch der Ratsbeschluss vom 17. Juli, welcher
die Messe in St. Gallen tatsächlich abschaffte. Eine angesehene
Ratsbotschaft sollte sogar beim Abte energisch Abstellung „der
lesterlichen, verführischen und hesslichenn predigen im Münster"
verlangen, mit dem Beifügen, dass die Stadt sonst selbst handeln
1) Sabb., S. 281/282; Miles, S. 326(54)io ;io.
2) Vad., II, S. 411(5-8.
3) R.-P. 1528, fol. 196 b.
'*) R.-P. 1528, fol. 197 b.
■'') R.-P. 1525, fol. 114 a, Dienstag vor Petri und Pauli.
*^) R.-P. 1528, fol. 204 b.
'') Sabb., S. 2881.3-18.
«) Sabb., S. 288 20-23.
46
werde. ^) Der bedrängte geistliche Herr wandte sich darauf an
die kathohschen Orte, die seit dem 20. Juh zu Einsiedeln tagten,
mit einer Beschwerde : nicht nar habe die Stadtobrigkeit seine
Priester am Münster, welche in der Stadt wohnten, vor sich be-
schieden und von ihnen, wider Bullen und Briefe, verlangt, keine
Messe mehr zu lesen oder dann das Gebiet der Stadt zu ver-
lassen, sondern es gehe auch schon das Gerücht, St. Gallen wolle
Abt und Konvent ersuchen, sich der Stadt „gleichförmig" zu
machen, ansonst, wie es lieisse, die St. Galler „villicht wyter
handien" würden; der Abt bitte die Tagherren um Rat und Hilfe.
Wohl angesichts der immer schwierigem Lage der katholischen
Orte in der Eidgenossenschaft begnügten sich jedoch die Abge-
ordneten der eidgenössischen Stände wieder einmal damit, den
Bericht des Prälaten in den Abschied zu nehmen und an St. Gallen
zu schreiben, man möge bis auf weiteren Bescheid die Priester
Messe lesen lassen. -) Abt Franz genügte das nicht. Er erliess
eine Kundgebung, welche sich energisch seiner von der Stadt
gemassregelten Geistlichen annahm: Eingangs wird resümiert,
wie die Stadtobrigkeit gegen ihre als Geistliche im äbtischen
Dienste stehenden Bürger vorgegangen sei; darauf hätten den
^) „Gross Rat uff 17. tag höwmonat anno 1528: diewil am tag ligt, dass
die mess ain gotzlesterung und grosser grüwel vor gott ist, och m. li. zu den
ziteu, als man zu Bern hat wollen disputieren, nach allen pfaffen in ihr statt und
grichten geschickt und mit in geredt habend und sy gepetten, welicher die
artickel getruw ze widerfechten, dass sy gen Bern keren und da disputieren
wollen und welicher das ton, dem wollen m(ine) h(erren) ain pferd under und
zerung inn seckel geben, und diewile sy söllichs nit geton, sonder m(ine) h(erren)
mit der unwarhait verunglimpft, haben m. h. angesehen, welicher unnser burger
oder in unnser statt wonen wolle, der soll abstan und nit mer mess han wolle;
welicher aber das nit ton wolle, der soll uss der statt ziehen, er truwe dann die
mess mit göttlicher schrifft ze erhalten in 14 Tagen den nechsten. Das hat man
den pfaffen fürgehalten.
Item von wegen der teste rlichen, verfürischen und hesslichen predigen, so
im münster geschieht, sollen gen hof geschickt werden die 2 burgermaister.
der vogt Eichs und der underburgermaister und inen söllichs fürhalten mit
pitt, dass er davon woli ston, oder m. h. werden witter darzü tun, das man sech,
dass sy die warhait wollend handthaben. " (R.-P. 1518 — 28, S. 208b/209a.)
Kessler (Sabb., S. 28824) gibt für den Tag, an welchem der Rat die Messe in
der Stadt abzuschaffen beschloss, fälschlicherweise den 10. Juli an.
2) E. A., IV, 1 a, Nr. 559 a ; Sta. Tr. Q., Nr. 4. Schreiben der V Orte samt
Freibui-g und Solothurn, d. d. 20. Juli, gesiegelt vom Schwyzer Landammann
Heinr. Reding.
47
Abt die genannten Pfarrer ersucht, sie in sein Kloster aufzu-
nehmen und ihnen Nahrung /u geben, damit sie wie bisher ihr
geistliches Amt verrichten könnten ; er habe ihren Bitten will-
fahrt und bestimmt, dass jeder dieser Geistlichen eine eigene
Kammer und gleiches Essen wie die Konventherren, dazu seine
bisherigen Pfrundzinse, Zehnten, Renten und Gülten bekommen
sollte; müsste, was Gott verhüte, das Kloster zu St. Gallen geräumt
werden, so würden die Kapläne, wie sie zugestanden, mit ihm
fortziehen, und werde er zu ihnen Leib und Gut setzen ; wolle
man ihnen von der Stadt aus ihre Pfründen nehmen, so werde
er den Rechtsweg dagegen einschlagen; wolle aber einer der
Kapläne nicht weiter Messe halten, so habe er seine Pfründe ver-
wirkt. ') Um diese Kundmachung kümmerte sich jedoch die Stadt
wenig bei ihrem Vorgehen gegen reformfeindliche Priester. Der
Helfer von Wil, Franz Sonnenschein, der die Reformierten be-
schimpfte und die Berner Disputation angriff, wurde, als er sich
auf städtischem Boden zeigte, verhaftet, fünf Wochen ins Ge-
fängnis gelegt, „och jemerlich gebracht" ^') und schliesslich am
22. August in Anwesenheit einer Zürcher und Berner Gesandt-
schaft einige Stunden an den Pranger gestellt und auf Lebens-
zeit aus den städtischen Gerichten gewiesen. Dass er nicht hin-
gerichtet wurde, verdankte er wohl nur dem Umstand, dass er
erklärte, sein Leben lang keine Messe mehr halten zu wollen. ^)
Unterdessen hatte auch in der übrigen Eidgenossenschaft die
Reformation sich durch den Übertritt Berns mächtig ausgebreitet.
Es hatte dies aber zur Folge, dass die katholisch bleibenden Orte
eine immer schroffere Stellung gegenüber den Neugläubigen ein-
nahmen, besonders in Anbetracht der für den Katholizismus
gefahrdrohenden Politik Zwingiis. Unter der Führung seines
kühnen Reformators strebte nämlich Zürich nach einer „plan-
mässigen Vereinigung der auf evangelischer Seite stehenden
städtischen Gemeinwesen". Im Dezember 1527 hatte es mit Kon-
stanz sein erstes ,, christliches Burgrecht" abgeschlossen und damit
in verhängnisvoller Weise mit einer Politik den Anfang gemacht,
welche unter Umständen die Existenz der Eidgenossenschaft
überhaupt bedrohen konnte. Am 25. Juni 1528 trat sodann Bern
1) St.-A., Bd. 63 b, gedruckte Kopie.
^) Sicher, I, S. 93 7.
=*) Sicher, I, S. 92 28— 93i5; E. A., IV, 1 a, Nr. 569 a, zu a.
48
diesem Biirgrecht bei. nachdem die Unterhandlungen schon während
der Berner Disputation begonnen hatten, und im November des
Jahres wurde auch St. Gallen eine Stadt des christHchen Burg-
rechts. ^) An dem Abschluss dieses Bündnisses hatte Zwingli ein
Hauptverdienst : er hatte den St. Galler Reformator durch zahl-
reiche Schreiben von dem Stand der Dinge in der Eidgenossen-
schaft unterrichtet-) und mahnte am 11. September im Namen
der Heimlichen Vadian zum möglichst baldigen Abschluss des
Burgrechts. •') Daraufhin, wohl Mitte September, erschienen Vadian
und Konrad Mayer in Zürich, um wegen der Aufnahme St. Gallen s
ins Dreistädtebündnis zu unterhandeln.^) Zürich benachrichtigte
sofort Bern von dem Gesuche und empfahl ihm dessen Geneh-
migung. Bern — die St. Galler Gesandtschaft hatte hier ebenfalls
vorgesprochen — erwiderte unterm 22. September: es sei wohl
einverstanden, falls der Bund St. Gallens mit den Eidgenossen
nicht dagegen laute; Zürich solle deshalb mit St. Gallen auf einem
gemeinsamen Tage die eidgenössischen Bünde prüfen und möge,
wenn sie nichts gegen eine Aufnahme St. Gallens ins Burg-
recht enthielten, einen baldigen Tag ausschreiben, um die Auf-
nahme zu vollziehen. Zürich bat darauf St. Gallen um eine De-
klaration über die in Frage kommenden Bünde. St. Gallen schickte
eine solche mit dem Wunsche, dass auf einem nahen Tag geprüft
werde, ob sie einwandfrei sei, und Zürich sandte die Deklaration
samt einem Schreiben an Bern, das nunmehr seine frühern Skrupel
fallen liess. Am 7. Oktober schrieb der Berner Rat an denjenigen
von Zürich, man habe sich früher schon zu dem Burgrecht mit
St. Gallen geneigt erklärt, und da Zürich Bern Vollmacht gebe,
einen Tag zum Abschluss des Burgrechts zu bestimmen, so setze
man diesen Tag auf den 1. November des Jahres nach Zürich an;
man möge dies den St. Gallern mitteilen. Das scheint dann ge-
schehen zu sein; denn am 21. Oktober bestimmte der St. Galler
Rat Vadian, Altbürgermeister Konrad Mayer, Ulrich Appenzeller
und Stoffel Krenk als Gesandte für den Tag zu Zürich. ■^) Am
30. Oktober gab Bern seinen Gesandten den Auftrag, dafür zu
^) Dierauer, III, S. 115 ff.: Gründung konfessioneller Sonderbündnisse.
2) Siehe z. Beisp. V.-B.-S., IV, Nr. 450, 463, 483, 555.
3) V.-B.-S., IV, Nr. 537.
^) A.-S., L, 2061; R.-P. 1529, S. 17.
'-') R.-P. 1529, S. 21 ; Sabb., S. 297 i8f.
49
sorgen, dass das Biirgrecht mit St. Gallen wirklich aufgerichtet
werde. Es sollte zuerst in Zürich, dann in St. Gallen und schliess-
lich in Bern beschworen werden. ^ Sonntag, den 8. November,
morgens 9 Uhr, versammelte sich die Gemeinde St. Gallons in
der St. Laurenzenkirche zur feierlichen Beschwörung des Burg-
rechts. Bürgermeister Christian Studer und Altbürgermeister
Konrad Mayer empfahlen es mit warmen Worten, worauf Stadt-
schreiber Augustin Fechter den Burgrechtsbrief vorlas. Darauf
gab der Zürcher Gesandte von Chuosen ^) die Eidesformel an,
nach der nun die St. Galler Bürger das Inhalts- und folgenschwere
Bündnis mit Zürich und Bern beschworen. ^) Am 10. November
ritten Konrad Mayer und Unterbürgermeister Heinrich Kummer
mit den Gesandten der Burgrechtsstädte nach Bern,') wo Mitte
November der neue Bund ebenfalls beschworen wurde. •^) St. Gallen
hatte sich damit in eine Verbindung eingelassen, die durchaus
seinem Bündnis mit den VI Orten widersprach; denn in dem
Bundesbrief St. Gallons mit Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Zug
und Glarus vom 13. Juni 1454 hiess es ausdrücklich: „Wir, die
obgenanten von Santgallen, noch unser nachkomen söllent uns
ouch zu nieman, weder zu herren noch zu stetten yetz noch in
künf fügen zitten nit verbinden mit deheinen gelüpten noch eiden
an der obgenanten unser Eidgnossen von Stetten und Lendern
gemeinlichoderdesmerteils under inen ratt, gunst, wissen
und willen " •^)
Es war klar, dass die VII altgläubigen Orte diesem selbst-
herrlichen Vorgehen St. Gallons nicht ruhig zusehen konnten.
Auf der Luzerner Tagsatzung vom 8. Dezember wurde von dem
bundeswidrigen Verhalten der Stadt Notiz genommen und be-
schlossen, auf dem Tag zu Baden darauf einzutreten ; inzwischen
wolle man von den Bünden Einsicht nehmen. ')
1) E. A., IV, 1 a, Nr. 593 zu ai-6.
^) Von Bern war Crispinus Fischer anwesend.
3) Sabb., S. 297/298.
4) Sabb., S. 298 23-26.
^) E. A., IV, la, Nr. 599 c; wörtliche Wiedergabe des Burgrechtsbriefes
in E. A., IV, la, S. 1526/1527, Beilage 8a.
'^) E. A., II, Beilage 35, S. 878 ff.
'') E. A., IV, 1 a, 607 d. Welcher Badenertag damit gemeint war, ist nicht
gesagt. Der Badener Abschied vom 14. Dez. enthält nichts über diesen Punkt.
Die Aussichtslosigkeit, an dem Geschehenen noch etwas ändern zu können, mag
St. Galler Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 4
50
Unterdessen hatte der scharfe religiöse Gegensatz auch für
die St. Galler sehr unangenehme Folgen. Als der St. Galler Peter
Lienhart sich im Oktober in Geschäften nach Luzern begeben
wollte, wurde er zu Rotenburg von sechs Gesellen im Wirtshaus
mit Schmähungen und Drohungen überschüttet, besonders als sie
vernahmen, dass er der Weberzunft angehöre, und als er Tags darauf
seinen Weg nach Luzern fortsetzen wollte, liefen sie ihm nach,
banden ihm die Füsse zusammen und schleppten ihn „eben wit",
mit dem Kopf gegen den Boden, traten ihn mit Füssen und stahlen
ihm seine Barschaft von 9 Gulden. Darauf nahmen die Missetäter
Reissaus. Lienhart klagte, als er nach Luzern kam, beim Schult-
heissen, bekam aber eine „schlechte'' Antwort.^) Doch auch auf
St. Gallischer Seite fehlte es an Gewalttätigkeiten nicht. Zwischen
dem Münsterprediger Adam Moser und den städtischen Prä-
dikanten herrschte, besonders auch von den Kanzeln herab, ein
wüstes religiöses Gezanke. Der Abt hatte Moser, der sich eines
grossen Ansehens unter den Katholiken ringsum erfreute, ge-
schützt und ihn zum Bleiben in St. Gallen bewogen. Die immer
schwieriger werdende Stellung am Münster veranlasste aber
schliesslich den Dekan doch, seinen Posten aufzugeben. Er ge-
dachte nach Wil zu gehen, wurde aber unter dem Stadttore am
17. November auf Befehl der städtischen Obrigkeit verhaftet und
am 18. Dezember,-) nachdem der Greis einen Monat in Haft ge-
legen, vor den Rat beschieden. Er musste widerrufen und — eine
harte Demütigung für ihn — am Weihnachtstag in der St. Lau-
renzenkirche dies öffentlich bestätigen. ') Der Widerruf aber des
angesehenen Dekans scheint der katholischen Religion in Stadt
und Umgebung schwer geschadet zu haben. ^)
Die Lage des Stiftes wurde immer unsicherer und gefähr-
licher. Schon im August 1527 hatte der Abt, da er sich in der
Stadt nicht mehr sicher gefühlt, seine Residenz nach dem gut-
katholischen Wil verlegt, um dann Mitte Oktober 1528 ins Kloster
wohl die katholischen Orte von weiteren nutzlosen Verhandlungen über diesen
Gegenstand abgehalten haben.
^) R.-P. 1528—1533, S. 23, Okt. 29.
2) Sabb., S. 29934 gibt den 10. Dez. an.
3) A.-S., I, 2213 ; Sabb., S. 298—300 ; Sicher, I, S. 89—91 : R.-P. 1528,
S. 82.
^) Sicher, I, S. 91 15-19.
51
Korschach überziisiedehi. Er wollte sich wohl für den äussersten
Notfall die Möghchkeit einer Flucht über den See offen behalten ;
denn schon hatten auch die Fürstenlande, wie wir noch sehen
werden, sich in ihrer Mehrheit dem neuen Glauben zugewandt. Aber
auch zu Rorschach fand der schwerkranke Mann keine Ruhe vor
seinen Widersachern. Das eigenmächtige Schalten und Walten
der Zürcher und Berner in seinen üntertanengebieten, die drohende
Haltung seiner eigenen Untergebenen, Kunde von geplanten An-
griffen auf das Rorschacher „Kloster", ^) das schon erwähnte Vor-
gehen gegen Moser veranlassten ihn, sich Februar 1529 in das
feste Schloss zu Rorschach zurückzuziehen. -) Der Abt fühlte,
wie sich ein schweres Gewitter über ihm und seinem Stifte zu-
sammenzog. Er liess darum, was er an „gelt, silber, gschier,
brief , rödel" zu Rorschach, Wil und St. Gallen besass, heimlich
in Sicherheit bringen. •^) Er hatte dazu um so mehr Grund, als
vom Oktober bis Dezember 1528 eingezogene Kundschaften über
Reden St. Galhscher Bürger höchst bedenklich lauteten. Offen
sprach man in der Stadt davon, dass „es uf dem stupf gsin sey",
dass man ins Kloster eingebrochen wäre. Man wolle, hiess eine
andere Kundschaft aus der Stadt, die Mönche im Kloster aufs
Land hinausschicken zu den Gotteshausleuten und jedem „ain
küdreck uf die blatten schlachen", damit man sie nicht kenne
und doch sehe, dass es Pfaffen seien. Auch von einer Frau aus
der Stadt, die sich in lästerlicher Weise über die Messe äusserte,
wusste die Kundschaft zu berichten. Am gefährlichsten aber
lautete, dass Bürgermeister Rainsberg in seinem Hause erklärt
habe, es hätten nur 10 Hände gefehlt [im Rate?], so wäre man
ins Münster eingebrochen und hätte die Mönche verjagt.^) Wie
viel Wahres an den Kundschaften war, lassen wir dahingestellt.
^) Die Gotteshausleute hatten ihm wiederholt gedroht, das , Kloster" zu
Rorschach zu stünneu und zu verbrennen (Sicher, I, S. 95/96). Er war dieses
Gebäude kein eigentliches Kloster mehr, sondern diente — Abt Gotthard hatte
es, nachdem 1489 die halbfertigen Klostergebäulichkeiten zerstört worden waren,
wieder restaurieren und ausbauen lassen — zu Schulzwecken.
^) A.-S., II, 108 1. Dann begaben sich auf Befehl des Abtes fünf ihm treu-
gebliebene Konventherren aus dem Kloster St. Gallen nach Wil und von da im
Frühjahr 1529 nach Einsiedeln, wo seit Aug. 1526 Ludwig Blarer, vorher Dekan
zu St. Gallen, Abt war. (St.-A., Fasz. 13.)
^) Sicher, I, S. 96io-i5.
4) A.-S., I, 2226.
52
So viel geht aber aus diesen und anderen dem Abt über die
Stadt zugestellten Berichten hervor, dass dort der Widerstand
gegen das Stift bereits einen revolutionären Charakter angenommen
hatte, der sich voraussichtlich bei weiterem Vorgehen gegen das
Gotteshaus wenig mehr um bestehendes Recht kümmern würde.
Das zeigte sich denn auch in deutlichster Weise bei der „Räumung"
des äbtischen Münsters durch die Stadt.
Gründe gab es allerdings genug, welche dem St. Gallischen
Rate die Entfernung der Bilder aus der Klosterkirche wünschens-
wert erscheinen Hessen. Vor allem konnte, solange innerhalb
der Stadtmauern katholischer Gottesdienst gehalten wurde, in
diesen intoleranten Zeiten die reformierte Stadt nicht zur Ruhe
kommen. Ebenso klar ist es aber, dass ein gutkatholischer Abt
von St. Gallen nie und nimmer freiwillig auf die Messe im Münster
daselbst verzichten konnte ; er hätte sich ja damit in seinen
eigenen Augen und denen der katholischen Schirmorte selbst
gerichtet. Also bheb, wenn St. Gallen bei seinem Vorsatze, die
Münsterkirche zu reformieren, beharrte, nur die Gewalt in mehr
oder weniger verhüllter Form übrig. Was Kessler ^) als Ent-
schuldigungsgründe für das Vorgehen seines Rates in dieser An-
gelegenheit anführt, der Rat habe den Abt und seine Beamten
vielfältig aber vergebens ersucht, den Münsterprediger anzuweisen,
Bilder und Messe mit der heiligen Schrift zu begründen, be-
mäntelt den gewalttätigen und rechtswidrigen Schritt, den die
Stadt mit der Entfernung der Bilder aus der Stiftskirche tat,
ebenso schlecht, wie die Gründe, welche der Rat am 5. März d. J.
den Gesandten von Luzern, Schwyz und Glarus vorbrachte, als
diese beim Rate wegen des damals bereits geschehenen Bilder-
sturms vorstellig wurden. ^)
Zwei mächtige Faktoren wirkten zusammen, um die Ent-
fernung der Bilder aus der Klosterkirche zu beschleunigen.
Einmal, dass Vadian 1529 wieder das Amt eines Bürgermeisters
bekleidete; vor allem aber, dass Ende November 1528 der neue
1) Sabb., S. 309 28if.
-) R.-P. 1529, S. 55. Neben dem von Kessler angeführten Grunde gipfelten
die Entschuldigungen der St. Galler darin : der Münsterprediger habe die neue
Lehre gescholten, der Abt ihn nicht abgestellt. Die Gotteshausleute hätten
rings um St. Gallen herum die Kirchen ausgeräumt. Das Münster sei keine
abgeschlossene Kloster-, sondern eine Leutkirche.
53
Schirmhauptmann, ein Zürcher, aufgeritten war. So war die be-
freundete Limmatstadt in der Lage, ihre Glaubensschwester in
nachdrückUchster Weise zu unterstützen und damit auch ihre
eigene Sache zu fördern. Es war wohl nicht zufällig, dass ge-
rade der Eatsherr Jakob Frei von Zürich als Schirmhauptmann
in die Stiftslande gesandt wurde; denn Frei war ein rücksichts-
loser Draufgänger und energischer Verfechter evangelischer Lehre
und schien so wohl geeignet, Zürichs Hegemonie in der Ostschweiz,
wie Zwingli sie anstrebte, zu verwirklichen. Dementsprechend
sollte der neue Hauptmann zwar „nach Inhalt der Briefe" sein
Amt verwalten, „immerhin unter Vorbehalt des göttlichen Wortes
und der Mandate seiner Herren''.^) Es ging von ihm die Rede,
er werde mit dem Kloster St. Gallen das Gleiche tun, was Zürich
bereits mit seinen Klöstern getan. -) Frei hat auch als Schirm-
hauptmann seine Obrigkeit durch Ermahnungen, die er seinen
Schreiben oft beifügte, fortwährend zu neuem energischem Vor-
gehen gegen den Abt und dessen Sache angetrieben. ^) Rechnen
wir dazu den durch den neuen Hauptmannschaftsvertrag vom
11. Juni 1490 mächtig vermehrten Einfluss der Schirmorte auf
die Abtei, welcher den Schirmhauptraann zu einer Art Landvogt
im Fürstenland machte, so erkennen wir die grosse Bedeutung,
welche die Wahl Freis für den Gang der Dinge in den äbtischen
Landen haben musste.
So kam denn auch nicht gar lange nach seinem Aufritt eine
der schwerwiegendsten, aber zugleich brennendsten Fragen in
Fluss: die Entfernung der Bilder aus der Münsterkirche zu
St. Gallen. Ende Januar 1529 erschien nämlich eine St. Galhsche
Gesandtschaft in Zürich, um dem dortigen Rat die kirchlichen
Verhältnisse ihrer Stadt, besonders in bezug auf das Stift, aus-
einanderzusetzen. In einer den Boten mitgegebenen Instruktion ^)
suchte St. Gallen zu beweisen, dass das Münster keine abge-
sonderte Kirche sei, wie man behaupte, sondern eine offene
Leutkirche. Noch verg-ang-ene Weihnacht seien zahlreiche Per-
1) E. A., IV, la, Nr. 603 zu e^'.
2j A.-S., I, 2074.
3) Siehe z. Beisp. A.-S., II, 74, 249, 341, 358, 450, 939, 1143, 1172,
1237; III, 480, 1173 etc.
*) E. A., IV, 1 b, Nr. 14(1). Mit Strickler glauben wir, dass das Akten-
stück chronologisch hierher gehört.
54
sonen „hinauf" gewandert und sei ihnen dort die Beichte ab-
genommen und das Sakrament gegeben worden. Nun aber, da
man die Messe dort gerne beseitigen möchte, wolle der Abt das
Münster für eine „abgesonderte" Klosterkirche halten, während
doch der grössere Teil der „Götzerei" im Münster von den Städtern
bezahlt worden sei und die Stadt auch den Baumeister für die
Kirche zu ernennen habe, zudem die Schlüssel zum Kirchenschatz
besitze. Der Rat wolle darum im Namen der Kirchgenossen des
Münsters die „manigf altige abgötterei" daselbst beseitigen lassen,
entweder durch Abt und Konvent oder durch eigene, dazu ver-
ordnete Leute. Zum Schluss hiess es noch, Bürgermeister und
Rat würden im übrigen nicht in die Verwaltung des Gotteshauses
eingreifen, sondern Abt und Konvent vor Gewalt und Drohungen
schützen. Bei dem allem rechne man auf die Zustimmung des
Konvents. Daraufhin richtete Zwingli noch am 27. Januar an
Vadian die Anfrage, ob die St. Galler wünschten, dass Zürich
zugunsten ihrer Stadt an den Abt schriebe ; man sei in Zürich
auch gerne bereit, eine Botschaft an den Prälaten zu senden,
wäre auch wohl einverstanden, dass Bern beigezogen würde. ')
Am nächsten Tage befahl der Zürcher Rat seinem Schirmhaupt-
mann in einem ausführlichen Schreiben, sich mit St. Gallen in
dessen religiösen Angelegenheiten ins Einvernehmen zu setzen, -)
und am darauffolgenden Tag schrieb Zwingli an Vadian : Frei habe
Befehl, ., alles" mit Beirat der Herren von St, Gallen vorzunehmen;
es sei nunmehr nötig, in der Angelegenheit ernstlich zu handeln,
doch so, dass niemand über frevles Vorgehen klagen könne. ^)
Am 2. Februar trat eine eidgenössische Tagsatzung in Baden
zusammen, und Vadian benutzte als Gesandter St. Gallens die
Gelegenheit, um sich dort im Schosse der evangelischen Städte
über den Abt zu beklagen, der noch mehr Messe halte als früher etc.
Man müsse annehmen, dass es der Stadt zuleide geschehe, und
so seien Unruhen unter den Bürgern zu besorgen ; er bitte die
Städte um Rat. Diese schrieben darauf an St. Gallen, was Vadian
^) E. A., IV, Ib, Nr. 14(2). Man beachte die Randbemerkung Zwingiis zu
dem Vorschlage, Bern beizuziehen r „ Hoc consilium mihi raaximeprobatur; ardua
enim satis est res, non propter se ipsam, sed propter eum, quocum agitur. Hoc
meum est consilium."
2) A.-S., n, 46.
3) A.-S., II, 48; St. Galler Mitteil. III, S. 213.
55
vorgebracht, sei so schwerwiegend, dass die Tagherren nicht von
sich aus handeln, sondern erst ihre Obern anfragen wollten; man
ersuche die Stadt, unterdessen nichts Tätliches vorzunehmen. ^)
Und während noch am 2. Februar Zwingli an Vadian schrieb, die
,,Heimlichen" begehrten, dass mit der bisher bewiesenen Treue in
Sachen der „göttlichen Wahrheit" gehandelt werde, -) riet Bern
der Stadt St. Gallen entschieden ab, gegen das Münster Gewalt
zu brauchen; sie habe da dem Abt nichts zu gebieten, und laut
Burgrecht der Städte dürfte kein Mitglied jemanden zum Glauben
zwingen; man solle auf dem Rechtswege bleiben.-^) Die Mahnung
wirkte : St. Gallen versprach in seinem Antwortschreiben, nicht
zur Gewalt zu greifen, fügte aber bei, die Abschaffung der „Ab-
götterei" im Münster sei aus mancherlei Gründen notwendig;
man werde darum Bern und Zürich über die kirchlichen Ver-
hältnisse in der Stadt genauen schriftlichen Bericht geben. ^)
Unterdessen hatte Bern, um St. Gallen seine Geneigtheit zu be-
weisen und das Äusserste zu verhindern, am 10. Februar an den
Abt geschrieben, dass im Münster zu St. Gallen mehr Messe ge-
halten und mehr geläutet werde als früher; da man darüber in
der Stadt unwillig sei, so solle der Abt, wenn er die evangeHsche
Lehre „noch nicht" annehmen wolle, wenigstens die päpstlichen
Zeremonien nicht mehr als bisher ausüben; man bitte dringend,
diese Mahnung zu beherzigen, damit niemand verursacht werde,
etwas zu tun, was christlicher Liebe nicht entspreche. ^) Das
Gleiche bezweckte eine Botschaft von Zürich, die Mitte Februar
an Abt und Konvent geschickt wurde. Daneben aber hatte Zürich
den Gesandten befohlen, den St. Gallern zum freundhchsten zu
raten, sie möchten in Anbetracht der schwierigen Zeiten nicht
gewalttätig gegen das Kloster vorgehen, da hierdurch das gött-
liche Wort mehr gemindert als gemehrt würde. *^) Diese Botschaft
verhandelte vom 18. — 20. Februar mit der Stadt St. Gallen in der
äbtischen Angelegenheit. Entsprechend der oben genannten In-
struktion sollten die Boten die Sache auf friedlichem Wege zu
1) E. A., IV, Ib, Nr. 19 a.
2) A.-S., II, 57; St. Galler Mitteil. III, S. 213 f.
3) A.-S., II, 79, 11. Februar.
^) A.-S., II, 90.
^) St.-A., Fasz. 13. Orig.
6) E. A., IV, Ib, Nr. 24 1.
56
erledigen suchen, was ihnen aber schlecht gelang, wie das Schreiben
zeigt, das St. Gallen am 19. Februar an Zürich schickte. Es er-
suchte darin die Zürcher Obrigkeit um weitere Vollmachten für
deren zu St. Gallen befindliche Gesandte, da es entschlossen sei,
mit ihrer Hilfe eine Instruktion über das Begehren und Anliegen
der Stadt zu verfassen und Zürich zur Prüfung mitzuteilen; in
der Schrift solle stehen, dass man, wenn Abt oder Konvent dem
freundlichen Gesuche der Stadt nicht entsprächen, die „Ab-
götterei" nicht weiter dulden, sondern abstellen werde; des
Abtes Untreue liege klar am Tage, und die Gemeinde sei etwas
hitzig und sehr unruhig; durch die Beseitigung der Bilder aber
würde Beruhigung eintreten, und die Obrigkeit könnte so besser
auf ihre Angehörigen und Kirchgenossen zählen, falls, was Gott
verhüte, die „Widerwärtigen" Krieg anfangen sollten. ^)
Diese gespannte Lage in St. Gallen entsprach derjenigen in
der ganzen Eidgenossenschaft überhaupt. Hier hatte sich bis zum
Jahre 1529 eine mächtige neugläubige Partei gebildet, welcher
drei der bedeutendsten eidgenössischen Stände, Zürich, Bern und
Basel, angehörten und Schaffhausen, Appenzell und Glarus offen
zuneigten. Die Gegensätze gestalteten sich immer unversöhn-
licher; denn, hielten die Katholiken schroff am Alten, namentlich
den kirchlichen Überlieferungen fest, so traten die Anhänger
Zwingiis um so entschiedener für die religiöse und politische
Reform ein. Die Leidenschaften hatten sich auf diese Weise
schon derart erhitzt, dass der Ausbruch eines Bürgerkrieges vor
der Türe stand. Deshalb suchten sich beide Parteien durch Sonder-
bündnisse für den bevorstehenden Kampf zu stärken. Es ent-
standen die früher erwähnten „christlichen Burgrechte" der Refor-
mierten, während die V Orte, wie wir sehen werden, am 22. April
1529 zu Waldshut ein Verteidigungs- und Angriffsbündnis mit Öster-
reich, dem alten Erbfeind der Eidgenossenschaft, abschlössen, und
einige Monate später der offene Bruch zwischen alt- und neugläu-
bigen Eidgenossen erfolgte. Es kam zum ersten Kappelerkriege.
Unter diesen Umständen machte man sich in Zürich offenbar
.immer mehr damit vertraut, in der St. Galler Klosterangelegen-
heit Gewalt vor Recht ergehen zu lassen. Ein Gutachten, viel-
leicht unmittelbar auf obiges Schreiben hin von Bürgermeister
1) E. A., IV, Ib, Nr. 28(2).
57
Röist und den Obristzunftmeistern verfasst, zeigt uns das sehr
deutlich. Von drei Anträgen dieser Kommission lautete einer:
St. Gallen solle in diesen schwierigen Zeiten „keine Veränderung"
vornehmen; der zweite: St. Gallen möge vom Abt um der Ruhe
und des Friedens willen unverzügliche Abstellung der „Götzerei"
fordern; schlage der geistliche Herr das ab, so solle es selbst
das Münster „räumen". Der dritte nahm eine Art Mittelstellung
zwischen diesen beiden Vorschlägen ein und besagte: Zürich sei
gegen gewalttätiges Vorgehen, und zwar erstens wegen der Sprüche
und Verträge zwischen Stadt und Abt, zweitens weil der Abt
und die Gotteshausleute noch andere Schirmherren als Zürich
hätten, drittens, weil von Glarus noch kein Bescheid gekommen;
wolle aber, hiess der schwerwiegende Nachsatz, St. Gallen nach
seinem eigenen Gutdünken verfahren, so werde Zürich das Beste
dazu reden und im Notfall Leib und Gut für St. Gallen einsetzen. ^)
Gemäss diesem letzten Vorschlage wurde am 22. Februar an
St. Gallen geschrieben, -) und das gab dort den Ausschlag, wie
eine Notiz des St. Galler Ratsbuches vom 23". Februar 1529 aus-
drücklich sagt. ^) Am Morgen dieses Tages fasste der Rat auch
die endgültigen Beschlüsse über die Räumung des Münsters : ^)
„1. das man uff hüttigen tag anfahen unnd die abgöttery, gützen
[Götzen], tafeln unnd altaren im mönster dannen tun soll.
2. Item das man, so lang untz man damit grech sye, das Brültor
zutun unnd die übrigen tor nemlich yedes mit 4 mann in
harnasch (besetzen) unnd 2 wachter uff das mönster unnd
S. Lorentzenturm (legen), och uff den gang uff der ringkmur
zw[ischen] Müllertor und der port (acht) haben soll.
3. Item das man den mönchen sagen soll, das (sy) die kelch, erütz,
altartücher, lü[ch]ter unnd anders an gelegne ort verwaren
soll[en], och das haltum lassen ston in mass, wie das yetz ist,
unnd inen sagen, das sy sorg dartzü haben sollend, das nüt
veraberwandlet werd, oder man wurds zu inen suchen;
wölten sys nit tun, wurd man sölhs dem buwmeister be-
felhen unnd in den capellen alle ding in die sacristyen tun
und nüt ufbrechen, weder trog noch anders.
0 A.-S., II, 115.
2) Ibid.
=*) R.-P. 1529, S. 50.
^) R.-P. 1529, S. 50—51.
58
4. Sind verordnet solhs zu f ersehen und volstrecken ain b(urger)-
m(aister), die 6 zunftmaister, sampt denen die dartzü ver-
ordnend, unnd sol niemand dartzü gon, denn der dartzü ver-
ordnett sind, und niemand nüt hinweg trag, weder klins noch
gross, die götzen zerschitten und uff den Brül füren und
verbrennen; was von Hsten, on götzen, im brespiterium sind,
lassen ston unnd behalten.
5. Das ain burgermaister und etlich ret sollichs dem techan
und convent verkonden unnd sich protestieren, das man
sollichs uff recht ^) und uss krafft götlichs wort tun und
sunst inen an lib und gut kain schmach und schaden zu-
fügen wolle."
Auf ein Glockenzeichen sollte dann, wie Kessler erzählt,-)
nach dem „imisessen" jeder Grossrat zwei Bürger mitnehmen und
ins Münster hinaufgehen, um da auszuführen, was man befehle.
Durch diesen Anschlag sollten die Mönche verhindert werden,
noch rechtzeitig die Bilder in Sicherheit zu bringen, um sie etwa
bei günstiger Gelegenheit wieder hervorzuholen.
Um 12 Uhr mittags erschien eine Ratsbotschaft im Kloster
bei Dekan und Konvent. Vadian setzte ihnen „mit inmischung
vil süsser worten" auseinander, dass ihr Gottesdienst dem „gött-
lichen Wort" widerstrebe und „unnütz" sei, sich auch mit der
heiligen Schrift nicht beweisen lasse. Er bitte sie darum, dass
man die „piltnussenn unnd götzery, dessglichenn die altär" in
schonendster Weise aus dem Münster entfernen dürfe.
Sehr erschrocken schickten darauf die Mönche zum Hof-
meister und dem Stiftshauptmann, antworteten auch einhellig,
dass sie die Bitte Vadians „zumm höchstenn befrömbdte", be-
sonders da der Abt noch „bi guter vernunfft" sei, ohne den sie
auf das Begehren nicht eingehen könnten ; doch würden sie es
auch nicht tun, wenn sie von sich aus in der Sache handeln
dürften. Sie hofften, dass die St. Galler „als gut nachpurnn"
von ihrem Verlangen abstehen würden. Doch die Gesandten der
•) Was auf einem Rechtstage in der Angelegenheit herauskommen würde,
wenn die Stadt bereits das Münster ausgeräumt hatte, Hess sich leicht vorstellen !
^) Sabb., S. 310 10. Über den folgenden Bildersturm siehe neben Sabb.,
S. 309 ff., hauptsächlich auch Beilage III, der zahlreiche Angaben für meine
Darstellung entnommen sind.
59
Stadt erwiderten, sie hätten erwartet, dass die Mönche ihr Be-
gehren niclit abschlagen würden, da dasselbe ja nur zum Vorteil
des Gotteshauses gestellt worden sei, damit ihm „nit onversechen
ettwas wyters schadenn zustund" ; deshalb müssten sie auf dem
gestellten Begehren verharren, da zudem der Rat genau wisse,
dass der Abt so schwer krank sei, „das er sich semhcher unnd
derglichenn handlungen nit mer belüd". Nochmals baten die Kon-
ventherren, die Forderung St. Gallens an den Abt bringen zu
dürfen, der ja noch geistig ungebrochen sei, und wollten dies
unverzüglich tun. Doch darauf erklärten die St. Galler Boten,
ihre Obrigkeit sei entschlossen, die Räumung des Münsters auch
gegen den Willen des Konvents vorzunehmen. Vergebens ent-
gegnete dieser, dass die Stadt dazu gar kein Recht habe, wofür
man Briefe und Siegel vorlegen könnte, und schlug dann, weil
er damit nichts ausrichtete, der Stadt auch im Namen des Abtes
Recht vor, und zwar vor dem Papst, Kaiser Karl, König Ferdinand,
Gemeinen Eidgenossen und vor allem vor den Schirmorten des
Stiftes, doch ohne dass die Gegner darauf eingegangen wären.
Unterdessen hatte aber die Stadtbevölkerung von dem Plane
der Obrigkeit, das Münster zu räumen, Kunde erhalten, und es
war „schon ain grosse zal volcks mit irmm werchzüg unnd In-
strumenten" ins Münster geströmt, um beim ersten Zeichen über
die Bilder herzufallen. Als der Konvent davon erfuhr, bat er,
man möge ihm wenigstens gestatten, die Bilder, „Tafeln" und
anderes selbst aus dem Münster zu entfernen. Doch umsonst.
Vergebens trat auch der Dekan Otmar Glutz vor und beklagte
sich hoch vor den Gesandten, dass man den Konventualen nicht
einmal Zeit lassen wolle, den Abt in dieser für ihn so wichtigen
Angelegenheit zu befragen.
Es wurde ihm erwidert, der Abt habe wegen seiner Krank-
heit die Herrschaft über das Stift nicht mehr geführt, sondern
sich ihrer „entladen'^ Darum habe man sich an den Konvent
gewandt. Auch habe der Abt sich geweigert, auf die mehrmaligen
Bitten der Stadt einzugehen und zu beweisen, dass Bilder und
Messe in der heiligen Schrift „begründet" seien. Laut Sprüchen
und Verträgen sei das Münster eine offene Leutkirche. Tue die
Stadt die „Götzen" nicht aus der Kirche, so habe der Konvent
von der unruhigen Stadtbevölkerung Schlimmes zu befürchten;
das wolle die Obrigkeit nicht und werde darum die Sache jetzt
60
selbst an die Hand nehmen ; man sei gern erbötig, auf einem
Rechtstage die Tat zu verantworten.
Darauf ging man ans Werk. Im Münsterchor erklärte v. Watt
der Menge, dass der Rat beschlossen, noch heute „das gegen-
würtig götzenwerk" zu entfernen und zu verbrennen. Er hatte
kaum ausgeredet, als die Zerstörungsarbeit begann. Innerhalb
2^/2 ^) Stunden war das Werk vollbracht, das Münster geräumt.
Manch wertvolles Kunststück ging dabei zugrunde. Sicher be-
rechnet den Schaden auf mehr als 16,000 GL; denn der Bilder-
sturm dehnte sich auch auf „al capellen um das Münster ligend"
aus. -) 40 ^) Wagen voll zerstörter „hölzerner Götzen" wurden
auf den Brühl ^) geführt und dort verbrannt. Was aus Stein war,
verwandte man zu Mauerwerk. Am folgenden Tage entfernte
man noch etwa 33 Altäre aus dem Münster. Dagegen war es
zur grossen Freude der Altgläubigen den Mönchen gelungen, die
Gebeine des heiligen Otmar'') und ebenso diejenigen des heiligen
Notker *') zu retten. Aber mochten auch die städtischen Abgeord-
neten „ernstlich ufsechen, damit nünt unbefolchens zerbrochen
und das notwendig zerbrochen hinweg ab den ogen und uss den
füssen behend abgefertiget wurde", den Katholiken musste und
muss doch dieser Bildersturm als ein „grauenvoller" ') erscheinen.
Am 7. März hielt Dominikus Zili den ersten reformierten Gottes-
dienst im Münster. -) Bei 3000 Personen wohnten der Predigt bei.-')
Schon am 24. Februar berichtete St. Gallen das Geschehene
an Zürich, indem es ausdrücklich bemerkte, dass man die Tat
gewagt habe auf seine tröstlichen Zusagen hin. ^^) Die Zürcher
Regierung erklärte sich darauf in ihrem Antwortschreiben mit
dem Vorgehen der St. Galler einverstanden und schrieb auch,
man werde die Stadt in der Klosterangelegenheit nicht verlassen;
^) Miles, S. 338 (66) 1 gibt 2 Stunden an.
2) Vad., II, S. 41140.
3) Vad., II, S. 41 1 44, nennt 46 Fuder ; Miles, S. 338 (66)7 , sagt 46 „karen " .
■*) Zum Kloster gehöriges Wiesenland ausserhalb der Stadtmauern.
-^) Sicher, I, S. 94; Sabb., S. 313i7-:u.
*■') Sabb., S. 313 31-32.
') Handbuch der Schweiz. -Gesch. v. Jos. Hürbin, 11. Lieferung, S. 152.
8) Sabb., S. 313 39-43.
9) Miles, S. 338(66)15-17 ; Vad., II, S. 412 20-21, spricht von mehr als 4000.
^^) A.-S., II, 132. Das Gleiche wird auch im St. Galler Ratsprotokoll vom
23. Feb. 1529 (S. 50) ungefähr gesagt.
61
nur solle bestmöglich jeder Aufruhr von selten der Bürger ver-
mieden werden. ^) Aber die übrigen Schirmorte, vor allem Luzern
und Schwyz, waren nicht gewillt, das gewalttätige Vorgehen unbe-
anstandet zu lassen. Schon am 2. März schrieb Hauptmann Frei
an seine Obern, an diesem Tage seien Boten von Luzern und
Schwyz bei ihm zu Wil gewesen, welche vorgebracht, sie hätten
etwas mit ihm zu reden, möchten aber noch die Gesandten
von Glarus erwarten ; sollten diese Boten ihm etwas zumuten,
das gegen das „göttliche Wort und Zürich" gehe, so werde er
erklären, er wolle tun, was ihm die IV Orte befehlen würden. -)
Am folgenden Tage erschienen denn die Glarner Gesandten in
Wil, und Schwyz und Luzern gedachten nun die Verhandlungen
zu eröffnen, da bereits auch der Dekan und zwei Mönche aus
St. Gallen eingetroffen waren. •^) Der erstere erzählte im Auftrag des
Konventes die Einzelheiten des Bildersturmes vom 23. Februar
im Münster. Als darauf der Hauptmann gefragt wurde, warum
er dem Treiben nicht Einhalt und im Namen der Schirmorte Recht
geboten habe, erklärte er: die Stadt St. Gallen hätte zuerst das
Recht vorgeschlagen ; ein Gleiches zu tun, habe er daraufhin für
unnötig gehalten und glaube, dies vor Gott und der Welt ver-
antworten zu können. Die Abtischen forderten nun die IH Schirm-
orte auf, den allen Verträgen zuwiderlaufenden Frevel der St. Galler
zu bestrafen. Die Boten wollten auch auf den Fall näher eintreten ;
aber Frei erklärte, dass Zürich auch dabei sein müsse. Vergebens
suchten die Tagherren ihn zu bewegen, an den Verhandlungen
im Namen Zürichs teilzunehmen, da dieses, weil es den Schirm-
hauptmann im Stift habe, nicht selbst eingeladen worden sei,
wie das in ähnlichen Fällen immer so gehalten werde. Frei er-
klärte, nichts hinter seinen Herren handeln zu wollen ; er danke
für die Ehre, die man ihm erweisen wolle, in dem wichtigen
Handel mitraten zu dürfen; doch werde er, wenn Zürich ihm Voll-
macht erteile, gern mithelfen, die Angelegenheit zum Austrag
zu bringen. Die Gesandten der HI Orte hielten es daraufhin für
das Beste, nach St. Gallen zu reiten, um dort persönlich den Tat-
bestand festzustellen. Von dem Vorgefallenen benachrichtigte
1) A.-S., II, 134, 25. Februar.
2)E. A., IV, Ib, Nr. 40 zu a(l).
^) Sabb., S. 31 3. 33-34.
62
Frei noch am gleichen Tag ^) seine Oberen und teilte am folgenden
ungefähr dasselbe den St. Gallern mit, indem er noch beifügte,
der eine der Glarner Boten, Vogt Schiesser, habe ihm vertraulich
eröffnet, sie hätten keinen Befehl zum Handeln, sondern sollten nur
das Beste zur Sache reden; Schiesser habe ihn auch versichert,
nur ein Vierteil der Ratsraitglieder habe die Glarner Gesandtschaft
abgeordnet, und Glarus werde in der Sache nichts anderes tun als
Zürich, -)
Am 5. März erschienen die Gesandten der III Schirmorte zu
St. Gallen — von Luzern Am Ort, von Schwyz Sonnenberg, von
Glarus Schiesser und Tschudi — und erklärten vor dem Rat, auf
ein Schreiben des Abtes hin hätten ihre Obern sie hierhergeschickt,
um die Ursache zu erfahren, warum man so wider Sprüche und
Verträge im Münster gehandelt habe. Die St. Galler Obrigkeit
dankte daraufhin den Gesandten sehr, dass die III Orte nicht
einfach dem hitzigen Schreiben des Abtes geglaubt, sondern auch
die Gegenpartei hören wollten. Folgendes seien die Ursachen
zu dem Bildersturm gewesen: Die städtische Obrigkeit habe ein
Reforraationsmandat ergehen lassen, aber vergebens den Abt
ersucht, seine Geistlichen zur Disputation mit den städtischen
Prädikanten zu bewegen, die von den äbtischen Geistlichen ge-
schmäht worden seien; als ein Diebstahl im Münster vorgefallen,
habe Dr. Wendelin indirekt die St. Galler für die Schuldigen er-
klärt; das Münster sei eine offene Kirche, und St. Gallen habe
für sie den Baumeister zu ernennen ; in der Stadt sei wegen
der Messe im Münster die Bevölkerung unruhig geworden, be-
sonders da man die Kirchen in der Nachbarschaft „geräumt"
habe etc. Die Gesandten der III Orte erklärten darauf, diese
Antwort an ihre Obern bringen zu wollen und baten nur, die
Mönche im Kloster ruhig zu lassen und keinen Prädikanten ins
Münster zu setzen. Das erstere gestanden die St. Galler zu. Sie
erklärten auch, die Mönche sollten ihre Einkünfte weiter beziehen,
und man habe ihnen freien Wandel zugesagt, doch dass sie
„beschaidner worte sigen". Weiter äusserten sie : wenn einer im
Münster predige, der von seiner Lehre Rechenschaft gebe, so
^) A.-S., II, 133. Das fettgedruckte Datum bei Strickler ist falsch. Es
sollte statt 24. Feb. beissen 3. März.
2) E. A., IV, 1 b, Nr. 40 zu a. 4. März: Frei an St. Gallen.
63
würde ihn die Stadt gerne sehen ; sonst aber werde man einen
andern „hinauf" tun. ') Und dabei blieb es.
Mit der Räumung des Münsters war die Reformation in der
Stadt St. Gallen zu einem gewissen Abschluss gelangt: Messe
und Bilder waren aus den Stadtmauern verbannt. Es ist der
letzte bedeutende Fortschritt, den die Reformation in der Stadt
zu Lebzeiten des Abtes Franz und vor dem Amtsantritt des
Abtes Kilian machte. Unter der Führung Vadians und Zwingiis
war die neue Geistesrichtung an der Steinach zum völligen Siege
gelangt, und schon war durch den Bildersturm auch das Zentrum
der äbtischen Herrschaft selbst schwer erschüttert.
Inzwischen hatte sich die Reformation auch in den Stifts-
landen aussrebreitet.
1) R.-P. 1529, März 5. (S. 55—57), vgl. oben S. 52, Anm. 2.
64
II. Kapitel.
Die Reformation im St. Gallischen Fürstenland bis zum
Antritt Abt Kilians.
Wir haben oben versucht darzulegen, wie bis Ende 1525 die
Bewegung bei den Untergebenen des Abtes von St. Gallen einen
ganz vorwiegend sozialen oder sozialpolitischen Charakter trug,
und dass der religiöse Reformgedanke bis zu dem genannten
Zeitpunkt durchaus im Hintergrund stand. Aber die Keime der
Reformation waren auch hier schon lange vorhanden. Ihre immer
stärkere Entwicklung hängt zusammen mit den Fortschritten der
neuen Lehre in St. Gallen. Wir dürfen wohl annehmen, dass vor
allem von dieser Stadt aus die Reformation sich in der alten
Landschaft verbreitet habe, gehörten doch z. B. Straubenzell,
Tablat und Wittenbach zum Kirchsprengel der St. Laurenzen-
kirche, so dass in sehr natürlicher Weise die neuen religiösen
Gedanken und Ideen sich den übrigen Gemeinden des Gottes-
hauses mitteilten und je nach dem Erfolg der neuen Richtung
in der Stadt bis zu einem gewissen Grade auch im Fürstenland
die neue Lehre mehr oder weniger rasch Boden fassen musste.
Doch dürfen wir von Anfang an auch Zürichs Einfluss auf die
Bewegung daselbst nicht gering anschlagen, und zwar nicht bloss
seit Ende 1528, als Jakob Frei Stiftshauptmann wurde. Zwingli
wird wohl sehr früh die äbtischen Untertanen als geeignetes
Objekt für seine meisterhaft betriebene religiöse Propaganda be-
trachtet haben. Wenn Zürich den äbtischen Bauern soziale und
politische Besserstellung versprach, so waren wohl die meisten
unter ihnen für die neue Lehre zu gewinnen, und wir können
wirklich verfolgen, wie mit dem ersten kräftigeren Auftreten der
Reformation in Zürich und St. Gallen auch in der Gotteshaus-
landschaft der neue Glaube eindringt.
Im Januar 1523 hatte in Zürich die entscheidende erste Dis-
putation stattgefunden ; im gleichen Jahre machte die neue Lehre
in der Stadt St. Gallen kräftige Fortschritte, und schon am 3. März
65
dieses Jahres klagt der Abt in einem Schreiben an Liizern über
den bei seinen Untertanen vorhandenen Missglauben: durch etliche
Priester seien Unruhen im Untertanengebiete veranlasst worden.
Auch gedruckte Büchlein, „die dann in der luterischen handlung
jetzo emborschweben", wären daran schuld. Er suche nach
Kräften zu verhindern, dass der gemeine Mann sich darein ver-
tiefe. Zu seiner Unterstützung habe er den von Luzern gesetzten
Schirmhauptmann Jost Köchlin nach St. Gallen berufen und bitte,
ihm für diesen Handel besondere Vollmacht zu erteilen. ')
Ein Jahr später erhalten wir wieder eine kurze Notiz über
den Stand der Reformation in den Stiftslanden. Auf einem Tage
zu Luzern im Mai 1 ö24 klagte der Abt unter anderem neuerdings
durch seinen Kanzler, dass die lutherischen Religionsneuerungen
in der Landschaft des Gotteshauses „um St. Gallen herum"
sich deutlich zu zeigen anfingen. -)
Der Abt hatte seine guten Gründe, auf die religiöse Bewegung
in seinen Landen aufmerksam zu sein; halfen doch auch Gottes-
hausleute dazu, dass der Rat der Stadt im November 1524 einen
den Laienpredigten förderlichen Beschluss fasste.-') Diese wohl-
erkennbare, stetig wachsende Annäherung seiner Landschaft an
das ketzerische St. Gallen musste auch für den katholischen Glauben
seiner Untertanen eine immer grössere Gefahr bilden, und es konnte
darum diese Haltung der Gotteshausleute dem Abt durchaus nicht
gleichgültig sein, ganz abgesehen von etwaigen politischen Folgen.
Um der umsichgreifenden Bewegung aber erfolgreich entgegen-
treten zu können und gegen die Stadt einen Rückhalt zu haben,
suchte Abt Franz sich wenigstens der Mehrheit der eidgenössischen
Orte zu versichern. Anfangs September 1524 Hess er deshalb auf
der Tagsatzung zu Baden durch seinen Rat Ludwig von Helms-
dorf anzeigen, dass er mit Leib und Gut zu den Eidgenossen
halten wolle, hinwiederum ihnen sein Gotteshaus bestens empfehle.^)
Das Jahr 1525 hatte, wie wir oben gesehen, die ganze sozial-
politische Bewegung unter den Stiftsbauern gebracht. Wir haben
darauf hingewiesen, wie gefährlich diese Bauernaufstände unter
dem Einfluss der neuen religiösen Ideen geworden waren. Nur
1) A.-S., I., 565.
^) E. A., IV, la, Nr. 178 p 2.
3) R.-P. 1524, fol. 97 a.; vgl. oben S. 25.
•^) E. A., IV, la, Nr. 207 u.
St. Galler Mittlgn. z. vaterläml. Gesch. XXXIII. 5
66
die Furcht vor dem damals noch in der Schweiz dominierenden
Kathohzismus hatte die rebellischen Untertanen des Abtes ver-
hindert, auch die religiöse Reform zu verlangen : sie begnügten
sich, soziale Forderungen zu stellen. Jener grosse Rechtstag
zwischen Abt und Untertanen zu Rapperswil im Juli 1525 warf
jedoch ein grelles Streiflicht auf die religiösen Verhältnisse in
den Stiftslanden. Die zur Pfalz in St. Gallen gehörenden Ge-
meinden, unter ihnen Waldkirch, Rorschach und Gossau, stellten
nämlich gleich zu Beginn der Verhandlungen an den Abt die
Frage, ob er sie bei dem heiligen Gotteswort, dem Evangelium,
der heiligen Schrift und der göttlichen Wahrheit bleiben lassen
und mit ihnen darnach leben wolle. In geschickter Weise
drückte Franz sein Befremden darüber aus, da er nicht hierher
gekommen, um über geistliche Dinge und den christlichen Glauben
zu disputieren, wie denn auch im Löramiswiler-Programm ^) von
religiösen Dingen nicht die Rede war. Daraufhin liessen die
Gotteshausleute die gestellte Frage wieder fallen. -) Gemässigter,
aber sehr bezeichnend, äusserten sich in dieser Sache die Ge-
meinden, welche zur Pfalz in Wil gehörten. Rickenbach, Ober-
büren etc. : bis auf eine habe der Abt alle Pfarreien bei ihnen
zu verleihen, erklärten sie. ; die Gemeinden seien aber schlecht
versehen, da die Pfarrer ,,ganz ungleich" predigten; einige Geist-
liche hätten erklärt, sie dürften die Wahrheit und das Gotteswort
nicht „lauter'' verkünden ; es sei darum ihre Bitte, dass der Abt
oder die IV Schirmorte diesen misslichen Zuständen ein Ende
machten. Der Abt gab ihnen darauf die gleiche Antwort wie den
zur Pfalz in St. Gallen gehörenden Gemeinden : er sei nicht für
geistliche Dinge erschienen. •^)
Wir ersehen aus diesen Verhandlungen, wie mächtig die
Reformation Mitte 1525 schon bei den Stiftsbauern Fuss gefasst
hatte, aber auch, wie ablehnend der Abt sich verhielt. Und er
war entschlossen, dabei zu verharren. Im November dieses Jahres
wurde der Leutpriester von Oberbüren, Christoph Landenberger,
auf ein Mandat von neun Orten ^) wegen Schmähreden auf den
1) Siehe oben, S. 8.
2) E. A., IV, 1 a, S. 707.
3) E. A., IV, la, S. 727 1.
^) S. E. A., IV, la, Nr. 319 zu s.
67
Katholizismus ^) verhaftet, nach Luzern geführt und an Leib und
Gut schwer geschädigt. -) Bezeichnenderweise hatte man ihn aber
zur Bestrafung wegführen müssen, um einen Aufruhr unter den
Gotteshausleuten zu vermeiden. Mandate von Luzern und Glarus
und ein im Namen der katholischen Orte Anfang November er-
lassenes teilten den Gotteshausleuten die angeordnete Verhaftung
des Priesters mit und forderten sie auf, der Gefangennahme keine
Hindernisse in den Weg zu legen. •') Doch die drei kathohschen
Schirmorte sahen sich schon zu Beginn des Jahres 1526 zu weiteren
Schritten genötigt. Von Ein siedeln aus erliessen sie, am 1. März,
zwei scharfe Mandate. Das eine untersagte den Gotteshausleuten
den Genuss von Fleisch und anderen verbotenen Speisen in der
Fastenzeit; wer bemerke, hiess es in der Verordnung, wie einer
in der Fastenzeit Vieh oder andere verbotene Dinge nach Konstanz,
St. Gallen oder anderswohin führe, habe das Recht, ihm die Ware
wegzunehmen. Im zweiten Erlass wird den Gotteshausleuten ver-
kündet, der Schirmhauptmann des Stiftes, Melchior Tegen von
Schwyz, habe Befehl, jeden, Weib oder Mann, der sich ketzerischer
Handlung schuldig mache, zu verhaften, sofern der Fehlbare sich
auf dem Boden des Gotteshauses befinde; jedermann solle dem
Hauptmann dabei helfen.*) Ganz im Sinne dieser beiden Erlasse
folgte am IL März, und zwar auf Befehl der drei kathohschen
Schirmorte, ein solcher von selten des Fürstabtes Franz. Es
wurde darin den Gotteshausleuten auch verboten, verdeutschte
Testamente zu besitzen. ^') Die Lage verschhmmerte sich aber so,
dass Schwyz auf einem Tage zu Einsiedeln im April des Jahres
wegen „ungeschickter Vorgänge" in der Gotteshauslandschaft und
anderswo um getreues Aufsehen bat. ")
Mit dem Fortschritt der Reformation begannen in der zweiten
Hälfte des Jahres Ib'ii^ die Zehntenverweigerungen aufs neue:
der Abt hatte im August auf den Tagsatzungen zu Luzern und
Baden über Gaiserwald, Abtwil, Junkartswil zu klagen, weil diese
Gemeinden ihm die schuldigen Abgaben nicht entrichteten. Darauf
1) A.-S., I, 1308.
2) A.-S., I, 1976.
■') A.-S., 1308a; E. A., IV, 1 a, Nr. 319 zu s.
^) E. A., IV, 1 a, Nr. 348 zu bb.
^) Sabb., S. 210 23-28.
«) E. A., IV, 1 a, Nr. 357 i.
68
wurde am 24. August von drei Schirmorten (ohne Zürich) be-
schlossen, er dürfe, wenn jemand sich weigere, Zehnten zu geben,
die Güter oder Feldfrüchte des Säumigen mit Beschlag belegen,
bis seiner Forderung Genüge geleistet sei. 0
Nun aber griff Zürich zugunsten der Neugläubigen in der
Landschaft des Gotteshauses kräftig ein. Als eine Botschaft von
Waldkirch um Schutz in religiösen Dingen ersuchte und erklärte,
die Waldkircher seien im übrigen bereit, dem Abt zu leisten,
was sie schuldig seien, verfasste zu Anfang Februar 1527 Zwingli
ein Gutachten in der Angelegenheit. Er empfahl darin seiner
Obrigkeit, die Waldkircher bei ihrem neuen Glauben zu schützen,
sofern sie, wie versprochen, in weltlichen Dingen dem Abt Genüge
leisteten. -) Das war auch die Absicht der Zürcher Regierung. ■')
Sie beklagte sich deshalb schon am 4. Februar bei Fürstabt Franz,
dass er den Waldkirchern verboten, eine Gemeinde darüber zu
halten, ob man beim alten Glauben bleiben wolle oder nicht; die
Bilder und Götzen seien Gott widerwärtig und in der heiligen
Schrift nicht begründet; der Abt möge seine Untertanen in
Glaubenssachen frei entscheiden lassen. Zugleich griff sie in dem
Schreiben auch jenes Mandat des Abtes vom März 1526 an. 0
Diese offene Parteinahme Zürichs für die neugläubigen Gottes-
hausleute trug für den Abt bald die bedenklichsten Früchte, Schon
Ende Februar 1527 klagte der Gesandte des Abtes auf dem Tage
zu Einsiedeln über Aufruhr in der Gemeinde Waldkirch und über
gotteslästerliche Reden eines Bauern zu Utzwil. Noch viele andere,
fügte er bei, hätten sich unchristlich über die Messe geäussert;
ja, der Stiftshauptmann lasse durch ihn klagen, dass man sich
um seine Befehle nichts mehr künunere.'^) Die Folge war zunächst
eine scharfe Zuschrift von Luzern, Schwyz und Glarus an Wald-
kirch: die Waldkircher sollten ihr ,,türkisch fürnemen" aufgeben
und die Bilder in ihrer Kirche lassen. Möge Waldkirch auch bei
Zürich in seinem Vorgehen gegen die Messe Gefallen finden: sie,
die drei Orte, seien noch des alten Glaubens und würden jede
1) E. A., IV, la, Nr. 383 r, Nr. 392 u.
^) A.-S., I, 1635.
'^) E. A., IV, 1 a, S. 1057, Nr. 421 zu t(2).
•^) E. A., IV, la, Nr. 421 zu t(i).
•-•) E. A., IV, la, Nr. 421s.
69
Bilderstürmerei, wo sie zu gebieten hätten, hart zu strafen wissen.
Darnach möchten sich die Waldkircher richten. ')
Aber der Geist des Widerstandes nahm in den Stiftslanden
nicht ab. Der Abt hatte sich anfangs Mai 1527 wieder über Zehnten-
verweigerungen und zwar von seiten Abtwils-) und Junkartswils
zu beschweren ; im Juli desselben Jahres musste er zu Baden die
Klagen über die beiden Gemeinden wiederholen ^), und der Wider-
stand der Gotteshausleute gegen den Abt zog unter dem Schutze
Zürichs immer weitere Kreise. Leute von Zuzwil zeigten sich
widerspenstig gegen Verordnungen, welche, wie üblich, auf den
Kirchweihen und Versammlungen bekannt gemacht wurden. ^)
Erst als die drei Orte auf einem besonderen Tage'') dagegen
Stellung nahmen, gab Zuzwil nach und versprach, die Übeltäter
zu bestrafen.
Noch im gleichen Monat Mai fand, wie oben erwähnt, das
St. Galler Schützenfest statt. Die Gotteshausleute benutzten die
günstige Gelegenheit, Zürich ihr Wohlwollen und Zutrauen zu
beweisen. Vierhundert bewaffnete Gotteshausleute aus Rorschach,
Waldkirch, Gossau, Goldach, Straubenzell, Lömmiswil und Tablat
— bezeichnenderweise alles Gemeinden, die zur Pfalz in St. Gallen
gehörten — erschienen während des Festes, und ihr Sprecher,
der hochbejahrte Ammann von Lömmiswil, „Fuchs" Gerster, *^)
schenkte der Stadt Zürich „als des gotshus trüwem kastenvogt"
im Namen der genannten Gemeinden „ainen schönen, schweren
ochssen" mit der Bitte, dass die Zürcher sich die Gotteshausleute
„allweg bevolhen" sein lassen möchten. Das versprachen denn
auch die Gesandten Zürichs im Namen ihrer Obern gerne und
nahmen hocherfreut die Gabe an. An dem „Bankett'", das daraufhin
zu Ehren der Gotteshausleute stattfand, beteiligten sich mehr als
tausend Personen. Die Zürcher schenkten den Gesandten der alten
Landschaft 10 Gulden und Hessen den Ochsen sofort nach Zürich
führen, um den Stiftsleuten zu beweisen, wie angenehm ihr Ge-
1) E. A., IV, 1 a. 421 zu t{3).
-) E. A., lY, 1 a, 433 t.
3) E. A., IV, la, 4621.
■*) E. A., IV, la, 442 X (3).
'") E. A., IV. la, 446; Wil 1.527, 25. Mai.
^) Es ist der Gleiche, den wir 1489/90 an der Spitze der aufständischen
Gotteshausleute sahen (s. oben).
70
schenk gewesen sei. ') Der Abt aber hatte begreifUcherweise keine
Freude an dem Geschehenen ; er miisste fürchten, die Zürcher
und Gotteshausleute möchten „zu gütt fründ" werden. ^)
Das kommende Jahr 1528 belehrte Abt Franz, dass er nicht
zu schwarz gesehen hatte. Doch war er nicht der Mann, klein
beizugeben. Als der uns bekannte Pfarrer von Oberbüren, Christoph
Landenberger, seiner reformatorischen Überzeugung wieder allzu
deutlichen Ausdruck gab. Hess er ihn am 23. April 1528 vor sich
rufen, und nachdem der Pfarrer ihm und seinen Räten Rede und
Antwort gestanden wegen seines Glaubens, erklärte der geistliche
Herr, er habe noch mehr solcher Pfaffen in seinen hohen und
niederen Gerichten; wenn diese und Landenberger von ihrem
neuen Glauben nicht abstünden, so werde er sie vor Hochgericht
stellen; entsage dagegen Landenberger dem neuen Glauben, so
werde er vielleicht davon Vorteile haben. Sonst aber würde sein
geistlicher Herr mit Hilfe des Bischofs von Konstanz und der
drei Schirmorte Luzern, Schwyz und Glarus „witer lügen; denn
er welle beschirmen unsern alten waren cristenlichen glouben,
so fer und es im müglich sige". Als der genannte Pfarrer Zürich
von dem Geschehenen in einem ausführlichen Schreiben in Kenntnis
setzte und um Rat und Hilfe bat,-) benützte dieses die Gelegen-
heit, um fünf Tage später in einer langen ernstlichen Zuschrift
an den Abt sich energisch für die neugläubigen Gotteshausleute
zu verwenden : Zürich sei das „fürnemist" unter den IV Schirm-
orten und werde, wenn der Abt nicht imstande sei, zu beweisen,
dass die neue Lehre falsch sei, nicht dulden, dass er die evan-
gelischen Gotteshausleute — es möchten Laien oder Kleriker sein —
wegen ihres Glaubens „pinlich" oder „bürgerlich'' bestrafe; es lasse
sich auch nicht aus seiner Stellung als Schirmort drängen; wenn
der Abt Strafen wegen des Glaubens verhängen wollte und es
von den Gotteshausleuten insgemein oder von einzelnen Personen
deshalb um Hilfe angerufen würde, müsste es „uss dem geheiss
gottes und in vermög unser verwandtnuss" den Bedrängten Hilfe
und Beistand leisten ; dagegen erbiete es sich, in weltlichen
Dingen die Untertanen des Abtes zum Gehorsam zu weisen, wo
das nötig sei. Abt Franz gab darauf ausweichende Antwort: er
') T. Schiess, Gselleuschiessen (Beitr. z. St. Gall. Gesch.), S. 29 — 33.
2) Sabb., S. 254 28-29.
=^) A.-S., T, 1976, 1. Mai 1528.
71
habe nicht genügend Räte bei sich, könne auch in der Eile nicht
über alles, was man ihm vorgeworfen, Antwort geben, werde sich
aber die Sache überlegen und dann antworten in einer, wie er
hoffe, Zürich nicht missfälligen Weise. Der Brief an den Abt
hatte grosses Aufsehen erregt und wurde im Mai zu Luzern in
den Abschied genommen, damit man auf dem nächsten Tage
darüber Antwort gebe. Durch seine rücksichtslose Unterstützung
der Neugläubigen hatte Zürich auch den Stiftshauptmann vor den
Kopf gestossen. Er beklagte sich bitter bei Glarus, dass die Stadt
Beschwerden von Gotteshausleuten, die er im Namen des Abtes
bestraft habe. Gehör schenke; er wünsche, dass er in Zukunft
nicht derart „verunglimpft, verachtet und verschupft" werde. ^)
Zürich musste darum vor allem darauf achten, dass es einen
zweiten Schirmort — in Betracht kam nur Glarus — auf seine
Seite brachte. Dem entspricht eine Stelle im Gutachten, das
Zwingli, wahrscheinlich im Juni d. J., für die evangelischen Glarner
abfasste : sie sollten in ihrem Lande durchsetzen, dass Glarus
Zürich darin unterstütze, dass in den gemeinen Vogteien — auch
das Fürstenland war ja etwas derartiges — dem Evangelium keine
Hindernisse in den Weg gelegt würden. ^) Doch darüber verging
noch einige Zeit. Zürich verharrte aber inzwischen in seiner
schroffen Haltung gegenüber dem Abt. Unter dem 11. Juli be-
schwerte es sich schriftlich bei ihm über Gewalttätigkeiten äbti-
scher Beamten gegen Stiftsbauern und darüber, dass den Gottes-
hausleuten verboten worden sei, Gemeinden zu halten für ihre
Angelegenheiten; das geschehe offenbar aus Hass gegen den
neuen Glauben, sei aber gegen die Verträge. Wie im Schreiben
vom 6. Mai war am Schlüsse dieser Missive die Drohung bei-
gefügt: man werde den Gotteshausleuten auf ihr Anrufen den
nötigen Beistand nicht versagen können. Wieder gab der Abt in
seiner Antwort einen ausweichenden Bescheid,^) brachte dann
aber die Sache auf dem Einsiedlertag [20. Juli ff.] zur Sprache
und fand dort geneigtes Gehör, *) so dass er am 23. d. M. in
ziemlich scharfem Ton an Zürich schreiben konnte : er bedaure,
dass die Stadt einem jeden glaube, der ihr nachlaufe und über
1) E. A., IV, la, Nr. 538 p und dazu Note i-3.
-) A.-S., I, 2033.
•') E. A,, IV, 1 a, 559 zu c :; und 4; St.-A., Pasc. 13, Orig. (10. Juli).
'j E. A., IV, la, Nr. 559c.
72
ihn Klage führe ; Zürich möge, bevor es solchen Anklagen Gehör
schenke, die Handlungen des Hauptmanns und der Räte des Abtes
besser in Erfahrung bringen; er selbst werde dann auf be-
rechtigte Vorstellungen hin tun, was recht und billig sei. Zürich
verzichtete darauf, zu antworten. Man wolle, ist a tergo bemerkt,
die Sache bei diesem Schreiben des Prälaten bewenden lassen;
kämen aber weitere Klagen, so würde man handeln nach Gestalt
der Sache. Auf dem Burgrechtstag zu Zürich brachten dann
Zürich und Bern vor, wie die beiden Städte, besonders erstere,
von den Gotteshausleuten zu St. Gallen und andern Untertanen
aufs dringendste gebeten worden seien, sie bei dem „göttlichen
Wort" zu schützen. Doch in Anbetracht der schwierigen Zeit-
umstände, und besonders weil Glarus sich noch nicht entschieden
zugunsten der Reformation ausgesprochen, was aber wohl bald
eintreten würde, beschlossen die Burgrechtsorte, die nächste
Tagung abzuwarten ; unterdessen solle jede der Burgrechtsstädte
darüber nachdenken, wie man den Hilfesuchenden beistehen könnte;
vor allem sei gegen die strenge Bestrafung der Untertanen wegen
Entfernung der Bilder aus den Kirchen und wegen ähnhcher Hand-
lungen Abhülfe zu suchen. ^)
Indessen schritt die Ausbreitung des neuen Glaubens im
Untertanengebiet des Abtes vorwärts. Im September des Jahres
baten die neugläubigen Rorschacher die Zürcher, ihnen zur Ein-
führung der Reformation in ihrer Gemeinde behülflich zu sein,
und Zürich unterstützte diese Bitte auf Wunsch der Petenten
durch ein Schreiben an den Abt, obwohl, wie es in der Missive
an denselben bemerkte, solche Empfehlungen für die Gotteshaus-
leute bisher noch wenig gefruchtet hätten.-) Als darauf der Prälat
die Rorschacher zur Verantwortung nach Baden forderte, riet
Zürich deren Botschaft, dort nicht zu erscheinen und sich damit
zu entschuldigen, dass die IV Schirmorte des Stiftes ihre alleinigen
Schirmherren seien. Man erklärte auch den Gesandten. Zürich
werde Rorschach nicht verlassen.'') Noch am gleichen Tage fasste
die Stadt den Beschluss, diejenigen gemeinen Vogteien, welche
evangelisch gesinnt seien, bei ihrem Glauben zu schützen, und
verkündete dies, unterstützt von Bern, noch im September den
1) Vgl. A.-S., I, 2053 ; E. A., IV, 1 a, Nr. 568 b.
2) A.-S., I, 2100 (17. Sept.).
3) E. A., IV, la, Nr. 579a, Zürich, 26. Sept.; A.-S., I, 2106.
73
Tagherren von Baden. Dies rief unter den anwesenden katholischen
Gesandten begreifücherweise grosse Aufregung hervor, so dass
Basel, Schaffhausen und Appenzell die Vermittlung zwischen den
hadernden Parteien übernehmen mussten. ^ Zürich hielt aber an
seinem Beschluss fest und wollte nur ein Recht der Mehrheit der
Orte in weltlichen Dingen gelten lassen. Für die Ausbreitung
des neuen Glaubens in der alten Landschaft war das von grösster
Bedeutung. -) Noch am 28. September wurde von Zürich eine
Botschaft nach Wil abgefertigt, die den dortigen Schultheissen
und Rat zu ersuchen hatte, den Neugläubigen im Städtchen auf
deren eigene Kosten einen Prädikanten zu bewilligen. Darauf sollte
die Gesandtschaft vor den Abt treten und ihn zum dringendsten
ersuchen, dies nicht zu hindern und auch seinen Amtsleuten dem-
entsprechende Befehle zu geben; man habe den neugläubigen
Wilern mit Leib und Gut zu helfen versprochen. ') Die Lage war
für den geistlichen Herrn bereits eine so unerquickliche ge-
worden, dass Zürich im Oktober die Kunde erhielt, der Prälat
rüste sich „treffenlich" mit Munition und Büchsen, habe auch ins
Rorschacher Schloss vier Kanonen und zwei Fässer voll Pulver
geschickt, welche über den See gebracht worden seien. Zürich
fasste dieses Gerücht, in anbetracht der äusserst gespannten Lage
in der Eidgenossenschaft, ') höchst ernst auf und schickte deshalb
einen besonderen Boten an den Abt mit einem vom 19. Oktober
datierten Schreiben. In diesem verlangte es klare Antwort dar-
über, gegen wen die Rüstungen des Abtes betrieben würden:
,,dann sölt das uns nit entteckt, werden wir doch sunst sovil ernst
und flisses inn den dingen bruchen und uns nüdzit beduren lassenn,
damit wir ü(wer) g(naden) gefarlicher anschleg und prattiken be-
richt erapf achint". •^) Es lag umsomehr Grund vor, gegen den Abt
misstrauisch zu sein, da er, neben dem Grafen von Sulz und dem
Herrn von Ems, Österreich zum Kriege gegen die reformierten
Schweizer drängen wollte. Ja, Abt Franz und der Bischof von
Konstanz hatten sich anerboten, einen Teil des Kriegsvolkes, das
1) E. A.. IV, 1 a. Nr. 580 c und Note zu c.
-0 S. Sicher, I. S. 87 5-22.
») E. A., IV, 1 a, 580 zu as.
^) S. A.-S.. L 2134, 2142, 2153.
'") St.-A., Bd. 302. S. 388 (Orig.) ; A.-S.. I, 2121.
74
den V Orten zu Hilfe gesandt werden sollte, auf ihre Kosten zu
besolden. ')
Der Abt zeigte sich aber in seinem Antwortschreiben sehr
entrüstet über die Verdächtigung Zürichs. Er habe wahrlich weder
Büchsen noch Pulver etc. zu einer Rüstung bestellt und bisher
sein Möghchstes getan, was zur Ruhe und zum Frieden in der
Eidgenossenschaft dienen könne, habe auch seinen Boten auf den
nächsten Badener Tag dementsprechende Instruktionen gegeben ;
er bitte Zürich, in Zukunft den Klagen gegen ihn nicht einfach
Glauben zu schenken, sondern ihn zuerst anzuhören, und hoffe, sich
dann genügend verantworten zu können.-) Doch ein Schreiben der
neugläubigen Rorschacher vom 21. Oktober hatte indes die Kunde
von Rüstungen des Abtes, wenigstens für das Schloss Rorschach.
bestätigt. In dem gleichen Schreiben-') teilten sie mit, wie ihnen
der Abt bei 30 Pfund Strafe verboten, einen Prädikanten anzu-
stellen; sie seien aber entschlossen, sich nicht daran zu kehren,
trotzdem sie auch der Stiftshauptmann auf versammelter Gemeinde
dringend gebeten, für einmal „stillzustehen''. Der Diakon der
St. Laurenzenkirche in St. Gallen, Jakob Riner, predigte seitdem
an Sonn- und Feiertagen zu Rorschach. *)
So hatte die Reformation im Fürstenlande schon mächtig um
sich gegriffen, als im November 1528 der Auf ritt des Zürcher
Hauptmanns Jakob Frei erfolgte, der nun die Bewegung erst recht
in Fluss brachte, da .,die puren im Gotzhuss allenthalb sich uf
in vertröstend". •'') Am 29. November entfernten die Waldkircher
die Bilder aus ihrer Kirche, trotz des Widerstandes von selten
des Abtes. '') Am 30. folgten die Rorschacher. ') Sie erhielten noch
im Dezember auf ihr Ansuchen*^) einen eigenen ständigen Prä-
^) Hermann Escher: „Die Glaubeusparteien in der Eidgenossenschaft und
ihre Beziehungen zum Ausland, 1527 — 1531/ (Frauenfeld 1882.) S. 58.
-0 A.-S., I, 2129 (22. Oct.).
'^) A.-S., I, 2125, d. d. Oct. 21.
■») Sabb., S. 295; Miles, S. 333 (61) i,;.
^) Sicher, I, S. 91/92.
") Sabb., S. 298 3.S-34; Miles, S. 310/311 (38/39), datiert 26. Okt.
') Sabb., S. 298 35; Miles, S. 311 (39)i6-i9.
**) A.-S., I, 2207. Siehe auch den originellen, aber wenig schmeichelhaften
Bericht der Neugläubigen zu Rorschach über den dortigen katholischen Priester
Christian Gruber, ebenda 2190. Er wurde Febr. 1529 wegen Schmähreden auf
Zürich und St. Gallen in Kontumaz verurteilt. (E. A., IV, 1 b, 26.)
75
dikanten, Utz Ekstein 0 mit Namen. Zürcher Gesandte hatten vorher
den Abt ersucht, der Gemeinde einen „christhchen" Prädikanten
zuzulassen, da der altgläubige die Evangelischen mehrmals Ketzer
gescholten. Der Abt hatte aber darauf Bedenkzeit verlangt. -) In
gleicher Weise, aber ebenso vergeblich, hatte sich jene Zürcher
Gesandtschaft für die Neugläubigen zu Wil verwendet. ■^) Noch
Ende November hatten Schultheiss und Rat einer Botschaft der
V Orte ihren Willen verkündet, beim alten Glauben zu bleiben;
doch möge man sie beschützen, falls sie jemand deswegen an-
fechten würde. ^) Unter diesem „Jemand" waren vor allem die
Zürcher verstanden, welche kurz vorher durch eine Gesandtschaft
in Wil hatten erklären lassen, man dulde nicht, dass einer des
Glaubens wegen verfolgt werde. •^) Schon hatte nämlich dort die
neue Lehre so festen Fuss gefasst und bis Anfang 1529 solche
Fortschritte gemacht, dass Luzern und Schwyz sich genötigt sahen,
unterm 26. Januar 1529 ein langes Schreiben an Schultheiss und
Rat zu Wil ergehen zu lassen, in welchem sie diese aufs ein-
dringlichste ermahnten, dem Glauben der Altvorderen treu zu
bleiben und den Ketzerglauben in ihren Stadtmauern wieder aus-
zutilgen.'') Da griff nun der neue Schirmhauptmann Frei zugunsten
der Evangelischen ein. Er versammelte auf den 10. Februar die
Wiler zu einer Gemeinde, um den Beschluss durchzusetzen, dass
die Bilder aus den dortigen Kirchen entfernt würden. Aber der
altgläubige Rat verlangte und erhielt einen Aufschub von 8 Tagen.
Doch erklärten die Evangehschen, wenn in dieser Zeit die Kirchen
nicht ausgeräumt würden, so täten es die Neugläubigen. Immerhin
gab es unter der Bürgerschaft eine starke katholische Minderheit,
so dass Frei an Zürich schrieb, er besorge einen Aufruhr unter
') Sabb., S. 295 12. Siehe vor allem Salomon Vögelin: Utz Eckstein, Jahrb.
für Schweiz. Geschichte, Bd. VIT, S. 234 ff.
2) E. A., IV, la, Nr. 605 c.
^) Da die Reformation zu Wil bereits eine besondere Darstellung gefunden
hat [Ernst Götzinger: ,Die Reformation der Stadt Wil", St. Galler Mittheil.,
Bd. XIV (1872)], so werden wir nur da auf die religiösen Verhältnisse des
Städtchens zurückkommen, wo wir es für unsere Darstellung nötig erachten
oder neues, von Götzinger nicht verwertetes Material vorliegt.
*) E. A., IV, 1 a, Nr. 603 f.
•^) E. A., IV, 1 a, Nr. 603 zu e.
<■■) A.-S., II, 43.
76
den Bürgern, wenn es zur Entfernung der Bilder komme. ^) Wohl
noch hn Februar wurden in dem Städtchen „etliche Kirchen'' für
den reformierten Gottesdienst hergerichtet, wobei es aber nicht
ohne „etwas unfrids und rumoris" abging.-) Am 17. März konnte
der Schirmhauptraann an Vadian berichten, dass Zürich den Wilern
einen Prädikanten zugeschickt habe und zwar einen „tapferen"
Mann. ')
Schon im Januar dieses Jahres hatten die Anhänger der
neuen Lehre auch zu Steinach, Hagenwil und Gossau gesiegt,
und waren die Kirchen ausgeräumt worden.^)
Wir können somit sagen, dass noch zu Lebzeiten des Abtes
Franz die überwiegende Mehrheit der alten st. gallischen Land-
schaft sich öffentlich zum neuen Glauben bekannte. ^)
1) A.-S., II, 75.
2) Sabb., S. 305 22-23.
3) A.-S., II, 188 2.
4) Miles, S. 312(40)1-14; Sabb., S. 304 21-22.
^) Zur Bestätigung dieser Worte siehe Miles, S. 312 (40)io-ii : Vad., II,
S. 411 9— 10 (der diese Vorgänge ins Jahr 1528 verlegt). Doch muss noch eine
nicht zu unterschätzende katholische Minderheit vorhanden gewesen sein, s.
unten S. 98 und Abschnitt III.
77
III. Kapitel.
Die Reformation im Toggenburg bis Anfang 1529/)
Das Jahr 1522 bildet einen gewissen Wendepunkt in der
toggenbnrgischen Kirchengeschiclite : mit diesem Jahre begann
nämlich Johannes Döring, vorher Priester zu Herisau, seine
reformatorische Tätigkeit im Toggenburg als Pfarrer auf dem
Hemberg. Er war einer „der ersten und emsigsten Beförderer
der kirchlichen Reformation"-) im Thurtal und nahm eine Zeit-
lang die führende Stellung unter den reformfreundlichen Geist-
hchen des Toggenburgs ein. In dem gleichen Jahr war Bernhard
Künzli von Brunnadern Ammann im * Niederamte ■') geworden.
Hoch angesehen unter seinen Landsleuten, spielte er in. den
folgenden Jahrzehnten in der Grafschaft eine sehr wichtige Rolle.
KünzU galt als „eine bedeutende Stütze der Kirchenreform".
So können wir wohl mit diesem Jahre die Darstellung der Re-
^) Karl Wegelin hat in seiner „Geschichte der Landschaft Toggenburg"
die religiösen Verhältnisse der Grafschaft in dem von uns behandelten Zeit-
abschnitt in detaillierter und durchaus zuverlässiger Weise, wie wir des öftern
konstatieren konnten, dargestellt (Bd. II, S. 13 ff.). Als Stiftsarchivar zu
St. Gallen und Verfasser des grossen Repertoriums für das gesamte im Stifts-
archiv vorhandene Aktenmaterial war er besonders geeignet, eine gründliche
Behandlung der toggen burgischen Geschichte zu liefern. So ist denn seine Dar-
stellung, obwohl bereits 1833 im Druck erschienen, immer noch wohl zu ge-
brauchen, ja mancherorts unersetzlich; denn wie Strickler ist es auch uns er-
gangen: wir konnten hie und da die Quellen, aus denen Wegelin schöpfte, nicht
mehr auffinden.
Da nun zudem erst mit dem Loskauf der Toggenburger vom Abte die
religiös-politische Bewegung in der Grafschaft zu einem gewissen Abschluss
gelangte, dieses Ereignis aber erst unter dem Nachfolger Kilians, Abt Diethelm,
stattfand, so kann es sich hier, bei der Schilderung der Vorgänge im Toggen-
burg unter Abt Franz und Kilian, kaum um mehr als eine Zusammenfassung
der wesentlichen Begebenheiten handeln. Dabei fussten wir auf den eidgen.
Abschieden und der Aktensammlung Stricklers. Wir glaubten aber, es unserm
Thema schuldig zu sein, wenn wir nicht ganz auf die Darstellung der Toggenb.-
Gesch. in dem von uns behandelten Zeitraum verzichteten.
2) Wegelin, S. 13.
•^) Das Toggenburg zerfiel damals in das Ober- und Unter(Nieder-)amt.
Ersteres reichte bis Lichtensteiar.
78
formation im Toggenburg beginnen. Zu der neugläubigen Partei
gehörten auch der rechtskundige und angesehene Stadtschreiber
von Lichtensteig, Heinrich Steiger, und der Ammann im Thurtal,
Hans Rüdlinger. Unter Einwirkung so einflussreicher Männer
konnte es nicht ausbleiben, dass im Geburtsland Zwingiis die
Reformation in den nächsten Jahren mächtige Fortschritte machte,
besonders da zudem die Kirchenreform an den Pfarrern von
Jonswil, Kirchberg, Wattwil, Stein und Wildhaus bereits kräftige
Stützen hatte. So versammelte denn unter dem Einfluss der zweiten
Zürcher Disputation der toggenburgische Landrat schon im Sommer
1524 die Geistlichen des Landes und forderte von ihnen die Predigt
des Gotteswortes auf Grund des Evangeliums, ,,ohne Beimischung
menschlicher Satzungen".')
Dass Zwingli an der Entwicklung der neuen Lehre im obern
Thurtal aus den verschiedensten Gründen das grösste Interesse
haben musste. versteht sich von selbst. Ein Schreiben vom 18. Juli
1524 an den Landrat liess es nicht an begeisternder Aufmunterung
fehlen, um die Glaubensbewegung in der Grafschaft zu kräftigen.-)
Verwicklungen mit dem Abt von St. Gallen und dessen geistlichem
Oberhirten, dem Bischof von Konstanz, traten aber jetzt schon
ein, •') besonders da die neugläubigen Priester, wie übrigens
anderswo auch, in ihrem Eifer es oft an dem nötigen Takt fehlen
liessen. Auch mit seinen Landrechtsorten Schwyz und Glarus
geriet das Toggenburg in Konflikt. Am 3. Dezember dieses Jahres
beklagte sich Schwyz beim Landvogt und Landrat des Toggen-
burgs über den dortigen Missglauben und forderte dessen Unter-
drückung, ^) erneuerte auch im Verein mit Glarus im folgenden
Jahre seine Vorstellungen. Schon aber zeigte sich die Mehrheit
des Toggenburger Volkes entschlossen, bei dem neuen Glauben
zu verharren, und hatte auch die Mehrzahl der Landräte auf
seiner Seite, die sich unter Führung des geschmeidigen Land-
vogtes Hans Giger sehr klug und den Zeitumständen entsprechend
zu benehmen wussten. °)
') S. Wegelin, a. a. 0., S. 16. flF.
-) S. Zwingli's Werke, ed. Schuler & Schulthess, Bd. 7, S. 352—356.
'■^) A.-S., I, 912.
-') Wegelin, S. 21.
^) Über Giger s. Zwiugliana, 1905, Nr. 2, S. 51 — 55: ,Hans Giger, ein
Toggenburger Amtmann" ; Wegelin. S. 16.
79
Die Dinge hatten im Turtal bereits eine so drohende anti-
kathohsche Richtung genommen, dass Schwyz auf einem Tage zu
Einsiedeln im April 1526 um „getreues Aufsehen" bat, ') nachdem
es schon im März dieses Jahres ebenfalls auf einem Tage zu
Einsiedeln mit bewaffneter Intervention gedroht hatte. -) Unter-
dessen nahm der Streit zwischen Abt und Toggenburg seinen
Fortgang. Eine Botschaft von Schwyz und Glarus zugunsten des
Prälaten richtete bei den Toggenburgern, wie es scheint, nichts
aus. Wenigstens wurde wieder zu Einsiedeln Anfang Mai 1526
von den Tagherren beschlossen, heimzubringen, ob Schwyz und
Glarus nochmals Boten zu den Toggenburgern schicken sollten,
um sie zur Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber dem Herrn von
St. Gallen zu ermahnen. "0 Es war vor allem die eigenmächtige
Besetzung der Pfründen durch die Toggenburger, welche den
Abt zu seinen Klagen veranlasste. Da er sich mit den Land-
leuten über diesen und andere Streitpunkte nicht einigen konnte
und seine Schirmorte des öftern um einen Rechtstag gegen seine
Untertanen ersuchte, gingen schliesslich Schwyz und Glarus
auf das Gesuch des Abtes ein. Sie schrieben ihm am 8. November
1526: sie hätten ihm und seinen Widersachern auf den kommenden
9. Dezember einen Tag nach Schwyz angesetzt; man werde über
jede einzelne seiner Klagen diskutieren und jedesmal zuerst den
Streit in Güte beizulegen versuchen ; erst wenn das nicht gelinge,
würden sie einen Rechtsspruch fällen und zwar ohne Rücksicht
auf die Abwesenheit der einen oder andern Partei; in gleichem
Sinne hätten sie an die Toggenburger geschrieben.^) Da der Abt
krank darniederlag, schickte er seinen Statthalter zu Wil, Marx
Brunnmann, den Rat Ludwig von Helmsdorf und den Reichsvogt
Heinrich Schenkli als bevollmächtigte Gesandte auf den festge-
setzten Tag. •') Für diesen war das Haupttraktandum die Pfründen-
verleihung im Toggenburg. ^) Der Abt liess klagen, dass „üppig,
schnöd und uffrürisch lutterisch pf äffen" ihn an der Belehnung
1) E. A., IV, la, Nr. 357 i.
2) Wegelin, S. 25/26.
3)E. A., IV, la, Nr. 359 r.
■») E. A., IV, la, Nr. 406.
^) St.-A., Fase. 13, Dienstag vor St. Nikolaustag.
'') Wir haben das von Strickler (E. A., IV, 1 a, S. 1022) vermisste Original
des Abschieds über die Pfründenverleihung in dem Sammelband Nr. 1427
(S. 104 ff.) des St.-A. gefunden. Siehe Beilage I.
80
seiner Pfründen im Toggenburg verhinderten; diese Geistlichen
seien es auch, welche das gemeine Volk zum Aufruhr und Un-
gehorsam verleiteten „und der oberkeit und erberkeit ganntz
widerwertig machen", dadurch auch „die armen lüt an seel und
eren verderben". Er selbst werde aber durch die Landleute ver-
hindert, diese Priester zu bestrafen, und fühle sich dadurch in
seinem Gewissen beunruhigt, sei jedoch mit andern Lehensherrn
im Toggenburg der Hoffnung, man werde ihn in seinen Lehens-
rechten schützen und die Frevler bestrafen. Die Toggenburger,
offenbar etwas eingeschüchtert durch diese deutliche Sprache,
erklärten, zur Behandlung einer so wichtigen Frage nicht ge-
nügend instruiert zu sein, obschon sie ihrem Herrn in seine
Lehensrechte keine Eingriffe tun w^ollten, und riefen ihrerseits
Schwyz und Glarus um Hilfe an. Da aber gütliche Unterhand-
lungen der beiden Orte nicht zum Ziele führten, fällten sie fol-
genden Spruch: „Der Abt hat wie bisher das Recht, nach seinem
Gefallen die ihm zustehenden Pfründen im Toggenburg zu be-
setzen, wie auch die andern Lehensherren daselbst dazu Fug und
Recht haben. Die Kirchgenossen haben zwar das Recht, sich für
die Einsetzung eines Geistlichen, der ihnen gefällt, verwenden
zu dürfen; der Abt ist aber nicht an ihren Wunsch gebunden.
Belehnt er einen von den Landleuten empfohlenen Geistlichen,
und hält sich dieser nicht, wie der Abt es wünscht, so hat dieser
das Recht, ihn zu entsetzen. Glauben aber die Untertanen, der
Geistliche habe die Entsetzung nicht verdient, so haben Schwyz
und Glarus endgültig zu entscheiden, ob der Pfarrer seine Stelle
weiter behalten darf oder nicht. Verlangen dagegen die Unter-
tanen die Entsetzung eines Priesters und findet der Lehensherr
das Gesuch genügend begründet, so ist der Geistliche entsetzt;
ist der Abt aber anderer Meinung, so sollen dessen Räte oder
Verordnete endgültig urteilen. Dies alles soll geschehen unbe-
schadet der Rechte des Papstes und des Bischofs von Konstanz."
Auf diesen Spruch hin erklärten jedoch die Toggenburger,
sie hätten keine Vollmacht, den Entscheid anzunehmen. Sie er-
suchten die beiden Orte um Aufschub, anerboten sich aber, den
Rechtsentscheid heimzubringen und ihr Möglichstes zu tun, damit
„die nüwen lerer und uffrüerisch, unckristlichen pf äffen fürderlich
und angends dannen komen und uss der graff schafft gethan"
würden. Darauf wollten zwar die Abgeordneten des Abtes nicht
81
eingehen, gaben sich aber auf Verwenden der beiden Orte mit
dem gemachten Versprechen der Toggenburger Abgeordneten
zufrieden. Diesen wurde zudem von Schwyz und Glarus noch
befohlen, in allen ihren Streitigkeiten mit dem Abte sich gütlich
zu vertragen; die beiden Orte würden fernerhin darauf achten,
ob die gemachten Versprechungen beförderlich auch verwirklicht
würden ; geschehe das nicht, so werde man in Bälde einen neuen
Rechtstag ansetzen, wozu die toggenburgische Gesandtschaft mit
Vollmacht zu erscheinen hätte, und dann unverzüglich den Rechts-
weg einschlagen. Die beiden Orte, hiess es weiter, seien ent-
schlossen, zur Beseitigung der neugläubigen Pfarrer Leib und
Gut einzusetzen; die Toggenburger sollten darum den jetzt
gefällten Rechtsentscheid von ihnen annehmen; dann würde man
ihnen auch gegen die Kurtisanen helfen in dem Sinne, dass der
Pfarrer, welcher mit einer Pfründe belehnt worden sei, sie auch
innehaben solle, nicht hinter dem Rücken seiner Gemeinde „ver-
wandeln, versetzen, verkouffen noch vertuschen" dürfe; wolle er
aber die Pfründe nicht mehr selbst versehen, so solle er „fry re-
signieren'".
Auf der gleichen Tagleistung, am 14. Dezember, wurde auch
das Kloster St. Johann im Thurtal auf dessen Ersuchen ausdrück-
lich von den beiden Orten in Schutz und Schirm genommen. ^)
Sein früherer Schirmherr nämlich, der Abt von St. Gallen, hatte
erklärt, es sei ihm in diesen schwierigen Zeiten unmöghch, seine
Schirmpflichten diesem Kloster gegenüber zu erfüllen. -)
Unterdessen hatten die Toggenburger dem oben genannten
Schwyzer Abschiede insoweit nachgelebt, als sie den allzu eifrigen
Pfarrern auf dem Hemberg, zu Stein und Wildhaus befohlen
hatten, das Land zu räumen. •') Im übrigen aber ging die Be-
festigung der Kirchenreform im Toggenburg trotzdem weiter,
und ihr gesellten sich soziale Forderungen bei. Ende Mai 1527
tagten Schwyz und Glarus zu Wil, um in Güte zu vermitteln
zwischen Abt Franz und zahlreichen Gerichten, Gemeinden und
einzelnen Personen aus dem Toggenburg, ^) welche ihrem geist-
lichen Herrn von St. Gallen die Entrichtung von Zehnten, Fast-
1) E. A., IV, la, Nr. 411 b.
-) Bull, II, S. 15.
3) Miles S. 334 (62) 25—28.
^) Vergl. A.-S., I, 1664.
St. Galler Mittlgn. z. vaterliiad. Gesch. XXXIII. 6
82
nachthühnern, Steuern, Zinsen etc. verweigerten. Die Ange-
klagten nahmen aber den dort von den zwei Orten gefällten
Spruch nicht an, ^) und so zog sich der Handel bis in den Herbst
hinein. Da güthche Mittel stetsfort nichts ausrichteten, ver-
kündeten schliesslich die beiden Stände dem Abt und den Toggen-
burgern einen Rechtstag nach Schwyz auf den 1. September, und
die Toggenburger wurden bei ihrem Eide auf das Landrecht auf-
gefordert, den Rechtstag zu besuchen, da man den gehorsamen
Teil auf sein Anrufen ohne Aufschub verhören und das Urteil
fällen würde. ^) Sie fanden für gut, der Aufforderung Folge zu
leisten. Auf diesem Rechtstage war Schwyz durch seinen Land-
ammann Heinrich Reding samt dem ganzen Rat vertreten, ^) ein
deutliches Zeichen, welche Wichtigkeit es dem Tage beimass. Die
Toggenburger erlangten, was ihre sozialen Forderungen anbetraf,
so minime Zugeständnisse, dass sie schliesshch, als der Abt ihnen
nicht das Recht einräumen wollte, über Bussen, Frevel und male-
fizische Händel nach Gutdünken zu richten, alle festgesetzten
Artikel betreffend Fälle, Fastnachthühner, Wildbann, Fischenzen
etc. fallen und „nüt sin" Hessen und erklärten, die Dinge beim
alten bleiben lassen zu wollen. Der Abt war damit einverstanden,
liess aber durch seine Gesandten klagen, wie ihm in der letzten
Zeit an der Einlieferung der Abgaben im Toggenburg Eintrag
geschehen sei, und verlangte, dass durch einen Rechtsspruch dem
abgeholfen werde. Die beiden Orte entschieden darauf: man solle
den Abt bei Brief und Siegel bleiben lassen ; bei Streitigkeiten
zwischen der Grafschaft als solcher oder einzelnen „gegninen''
und dem Prälaten sollten Schwyz und Glarus die Richter sein
laut Landrecht, falls in Güte nichts zu machen wäre; einzelne
Personen oder Dörfer solle der Abt „mit recht besuochen, da
sy gesessen'', laut Briefen und Herkommen. Endlich wurde auch
die Frage der geistlichen Lehen im Toggenburg durch Rechts-
spruch auf diesem Tage entschieden, da Abt Franz trotz des
Abschiedes von Schwyz und Glarus im Dezember 1526 ^) glaubte,
sich über die Toggenburger bitter beklagen zu müssen wegen
Verleihung der Pfründen in der Grafschaft. Der Rechtsent-
1) E. A., IV, 1 a, Nr. 447.
2) St.-A. Fase, 13, d. d. 27. Juli.
3) E. A., IV, la, Nr. 478, S. 1158 flf.
•*) S. oben, S. 79 ff.
83
scheid der beiden Orte enthielt, dass der Abt an der Ver-
leihung- der Pfründen, auf die er ,,sigel und guote ge warsame
inhat'', nicht beeinträchtigt werden dürfe, wenn ihm dieses Recht
nicht für eine Pfründe durch richterlichen Entscheid aberkannt
werde, wozu aber die Landleute Brief und Siegel haben raüssten.
Höchst interessant ist, dass auf diesem Tage die Toggenburger
die beiden Landrechtsorte ersuchten, ihnen zu helfen, dass der
Abt die Summe, womit er sie seinerzeit erkauft habe, „für das
Seine nehme", damit in Zukunft Toggenburg und Abt samt Schwyz
imd Glarus Ruhe hätten. Mit einer Deutlichkeit, die nichts zu
wünschen übrig liess, hatten so die Toggenburger ihr letztes
Ziel, nämlich den Loskauf von der Abtei, enthüllt, ohne dass
natürlich diese Forderung jetzt schon irgendwie verwirklicht
worden wäre ; denn sie wollten in dieser heiklen Frage das
Recht nicht ergehen lassen, wie die Anwälte des Abtes ver-
langten, und so blieb durch Rechtsspruch der Kaufbrief unan-
getastet. Wenn aber die beiden Orte und der Abt von dem
Rechtstage irgendwelche Kräftigung des Katholizismus im Toggen-
burg erwartet hatten, so täuschten sie sich. Noch im gleichen
Jahre nahm die Reformation dort ihren Fortgang, so besonders
im Niederamte, wo z. B. Jonswil und Kirchberg ^) zur neuen Lehre
übertraten, -) beides Gemeinden, mit denen der Abt auf eben
diesem Tage zu tun gehabt hatte.
Auch für das Toggenburg war der Ausgang der Berner Dis-
putation im Jahre 1528 von grosser Bedeutung. Es war „ein
gross uflosen und warten uff die disputatz zuo Bern" gewesen,
„da sy verhoffend, es soll etwas nüws darus werden". Im Toggen-
burg gewann in diesem Jahre die Reformation entschieden die
Oberhand. Im Mai wurden die Bilder aus den Kirchen zu Krum-
menau und Kappel •') entfernt, sodass Schwyz noch im gleichen
^"l S. St.-A. Fase. 13, wo unterm 18. Dezember dieses Jahres sich die ge-
druckte Kopie eines Rechtsentscheides befindet über die Forderung des Pfarrers
von Kirchberg, Balthasar Bachmann, an den Abt. Bachmann, der evangelisch
gesinnt war, hatte die Naivität, an den Abt das Gesuch zu stellen, er möge ihm
grössere Einnahmen verschaffen, da er in der jetzigen „widerwärtigen" Zeit
„merklichen abgang" an seiner Pfründe erleide. Wirklich wurde ihm durch
toggenburgische Schiedsrichter für 2 Jahre ein jährlicher Zuschuss von 1 3 gl. rh.
zuerkannt, welche Summe der Abt zu bezahlen hatte.
2) Wegelin, S. 88.
^) Wegelin S. 35.
84
Monat auf der Tagsatziing zu Luzern sich bitter darüber be-
klagte, dass alles Zureden, vom lutherischen Wesen abzustehen,
bei den Toggenburgern nicht nur nichts gefruchtet hätte, sondern
gerade in diesen Tagen wieder einige Kirchen in der Grafschaft
dem katholischen Glauben entfremdet worden seien. Schwyz
habe darum auf einer Landsgemeinde beschlossen, die Messe im
Toggenburg wieder aufzurichten, und zwar wenn nötig mit Gewalt;
es hoffe, dass ihm Glarus dabei behilflich sein werde, und bitte
um getreues Aufsehen der übrigen Orte für den Notfall, dass
Waffengewalt unvermeidlich wäre. Bei dieser drohenden Stim-
mung der Schwyzer nahm die Tagsatzung in den Abschied, es
sollten, falls Schwyz zu den Waffen greife, die diesem Ort be-
nachbarten Stände sofort, es wäre bei Tag oder Nacht, ihre
Botschaft zur Vermittlung absenden. ^) Zum Glück für die Toggen-
burger war aber die neugläubige Partei in Glarus schon so er-
starkt, dass es zu keinem gemeinsamen entscheidenden Beschlüsse
der beiden Landrechtsorte in der Toggenburger Angelegenheit
kam. -) Bereits hatte auch die Zürcher Obrigkeit auf den 2. Juni
in ihre Stadt einen Burgrechtstag angesetzt und Bern ersucht,
seinen Gesandten Vollmacht zu gütlicher Vermittlung in der
Toggenburger Sache zu erteilen. ^) Diesem Gesuche entsprach
Bern. ') Man kam aber auf diesem Tag zu der Ansicht, dass
augenblicklich in dem Handel zwischen Schwyz und Toggenburg
sich nichts „fruchtbares" vornehmen lasse. ^) Immerhin fand
Zürich es gut, zu rüsten, um den Toggenburgern im Notfall bei-
springen zu können. '') Am 31. Mai war nun aber der Toggen-
burger Landvogt persönlich in Schwyz erschienen, um die militä-
rische Intervention zu verhindern und die Schwyzer dahin zu
bringen, dass sie das Resultat der Beschlüsse der nach Pfingsten
sich versammelnden toggenburgischen Gemeinden abwarteten.
Schwyz bat darum Luzern in einem Schreiben, die eigenen
Truppen und diejenigen von Unterwaiden zurückzuhalten und
teilte mit, es werde die gleiche Aufforderung auch an die beiden
andern Orte — jedenfalls sind Uri und Zug damit gemeint —
1) E. A., IV, 1 a, Nr. 538 f.
2) A.-S., I, 2021.
3) A.-S., I, 2004.
^) A.-S., I, 2009.
•^) E. A., IV. 1 a, Nr. 542 b.
*■■) E. A., IV, 1 a, Nr. 559 zu c (i).
85
ergehen lassen. ^) Schon drei Tage später konnte es berichten,
die Toggenbiirger hätten sich auf der Tagung durch ihre Botschaft
so günstig ausgesprochen, dass man auf einen guten Ausgang
der Sache hoffen dürfe. -)
Nun aber verwandte sich Zürichs Regierung energisch beim
Abt zugunsten ihrer Glaubensgenossen in der Grafschaft. Sie
berichtete ihm von ihren Rüstungen und warf ihm vor, dass er
einer kriegerischen Intervention der Schwyzer das Wort geredet,
auch einige Priester, sie möchten belehnt sein, von wem sie
wollten, von ihren Pfründen zu vertreiben w^age ; der Abt möge
bedenken, wohin das führen könnte, w^enn er auf seinem Vorgehen
beharre: Zürich und andere eidgenössische Orte w'ären unter
diesen Umständen nicht imstande, die Ihrigen davon abzuhalten,
den Toggenburgern zu helfen. Im Juli d. J. wiederholte Zürich
die Drohungen, als der Abt die katholische Minderheit zu Lichten-
steig gegen die dortige evangelische Mehrheit unterstützte. ^)
Das bot aber Zürichs Feinden Anlass, diese Hilfe so auszulegen,
als ob die Stadt Annexionsgelüste auf die Grafschaft habe, so
dass sie für nötig fand, durch eine besondere Ratsbotschaft sich
gegen diese Anschuldigung auf einer Landsgemeinde der Toggen-
burger zu verteidigen. ^)
Die Situation verschärfte sich wieder mehr und mehr, vor
allem, w^eil die Reformation im Toggenburg stetig neue Anhänger
gewann. Ende August w^urde die Kirche zu Lichtensteig aus-
geräumt, Altäre und Bilder zerbrochen, trotz Schreiben des Abtes
und Abmahnen Gigers. •') Abt Franz beklagte sich deshalb zu
Anfang September in Baden, und die Schwyzer waren über diesen
neuen Kirchenfrevel so erbittert, dass man sie auf dem nämlichen
Tage ersuchen musste, keinen Krieg gegen die Grafschaft zu
beginnen; man wolle die Klage des Abtes getreulich an die
Obern bringen und sich auf dem nächsten Tage über geeignete
Mittel und Wege in der Angelegenheit vereinbaren. ") Zudem
erhessen noch von Baden aus am 5. September Luzern, Uri,
1) A.-S., I, 2013.
2) A.-S., L 2017.
^) E. A., IV, 1 a, Nr. 559 zu c (i u. 2).
-*) A.-S., I, 2045.
^') E. A., IV, 1 a, Nr. 573 zu g i u. -.
'') E. A., IV. 1 a, Nr. 573 g.
86
Unterwaiden, Zug, Basel, Freiburg, Solothurn, Schaffhausen und
Appenzell ein scharfes Schreiben an Lichtensteig, in welchem
sie der Stadt ihr Bedauern und ihren Schrecken ausdrückten über
den dortigen Bildersturm. Sie knüpften daran die bestimmte
Forderung, dass die Lichtensteiger die Altäre von neuem er-
richten und die Bilder wieder in die Kirche stellen sollten; man
müsste sonst den Schwyzern auf ihr weiteres Ansuchen Hülfe
und Rat zuteil werden lassen.^) Indes fruchtete das wenig. Schon
war die Glaubensbewegung auch in dem obersten Teil des Toggen-
burgs erstarkt ; die Gemeinde Wildhaus trat in dieser Zeit offen
zum neuen Glauben über, und am 14. September kam es in der
Klosterkirche zu St. Johann zu einem wüsten Auftritt. Als an
diesem Tage, es war der heilige Kreuztag, der Abt des Klosters
in seiner Kirche Messe halten wollte, drang eine Schar Jünglinge
ein und veranstaltete unter den Augen des Prälaten in dem
Gotteshaus einen Bildersturm. Der erschreckte Abt ergriff die
Flucht und beklagte sich persönlich bei Glarus und Schwyz. -)
Letzteres, seit kurzem, wie wir oben gehört, einer der beiden
Schirmherren des Klosters, war über den Vorfall-^) aufs höchste
erregt; daneben musste es auch über Zürich schwer erbittert
sein, das mit seiner starken Hand den neugläubigen Toggen-
burgern allen möglichen Vorschub leistete, trotzdem es zu ihnen
in keinem vertraglichen Verhältnisse stand. Andererseits muss
aber auch gesagt werden, dass die Schwyzer sich so geberdeten,
als ob sie nicht Verbündete der Toggenburger, sondern deren
„halssherren" wären. Am 12. September schrieb Schwyz an
Zürich, man habe dessen Einmischung in der Grafschaft, wo die
Stadt nichts zu sagen habe, mit Bedauern vernommen und stelle
darum die ernstliche Bitte, Schwyz, das mit dem Toggenburg
ein Landrecht aufgerichtet, und den Abt, dem dort sowohl die
hohen wie die niedern Gerichte gehörten, nach ihrem Belieben
handeln zu lassen ; man mische sich auch nicht in die Verhältnisse
Zürichs zu seinen Untertanen. ') Und obgleich am 17. ds. Mts.
der toggenburgische Landrat sich bei Schwyz wegen des Vorfalls
») E. A., IV, la, Nr. 573 zu gö.
-0 Bull., II, S. 15.
■') Siehe darüber das eigenhändige Gutachten Zwingiis (A.-S., I, 2105);
den Hergang selbst bei Kessler, Sabb. S. 289 i6— 18.
•1) E. A., IV, la, Nr. 576 zu ai.
87
entscliiüdigte und versprach, die Frevler zu bestrafen, klagten
die Schw3^zer schon zwei Tage später bei Basel, Freiburg und
andern Orten: da die Unruhen im Toggenburg immer grösser
würden, halte man für nötig, mit Waffengewalt diesem Zu-
stande ein Ende zu machen, und bitte freundUch um Hilfe, Rat
und getreues Aufsehen. ^) Die Schwyzer mochten aber wohl
fühlen, dass sie ohne Beistand der andern katholischen Orte eine
bewaffnete Intervention im Toggenburg nicht wagen konnten;
denn auch Zürich hatte gerüstet und 5000 Mann auf Pikett ge-
stellt. -) Sie brachten darum die Angelegenheit am 23. September
auf dem Tag der V Orte zu Luzern zur Sprache; doch die andern
kathohschen Stände hatten es nicht so eilig. Luzern und Unter-
waiden zeigten sich zwar bereit, mit Leib und Gut Schwyz bei-
zustehen; Uri und Zug aber waren ungenügend instruiert und
gaben den Rat, an Zürich zu schreiben und eine bestimmte Er-
klärung darüber zu verlangen, ob es im Falle eines Aufgebots
gegen die Toggenburger sich ihrer annehmen würde (!) ; man
solle überhaupt nicht zu eilig vorgehen, sondern die Sache auf dem
nächsten Badener Tag wieder zur Sprache bringen. Da man auch
Freiburg und Solothurn gern beigezogen hätte, so wurde dieser
Vorschlag angenommen in dem Sinne, dass jedes der V Orte
auf dem genannten Tage zu Baden mit Vollmacht in dieser An-
gelegenheit zu erscheinen habe. •') Man sieht, in der Innerschweiz
erkannte man wohl, dass bei der entschiedenen Haltung Zürichs
bewaffnetes Einschreiten gegen die Toggenburger einen eidge-
nössischen Bürgerkrieg zur Folge haben musste. Ein Schreiben,
das Zürich am 28. September an Schwyz richtete, bestätigte diese
Ansicht: die Zürcher würden, hiess es in der Missive, die Toggen-
burger mit Leib und Gut unterstützen, falls Schwyz sie wegen
ihres Glaubens angreifen wollte, besonders auch deshalb, weil
sie willens seien, in weltlichen Dingen zu leisten, was ihre Pflicht
und Schuldigkeit sei; man sei sich in Zürich klar darüber, dass
die Unterdrückung des neuen Glaubens im Toggenburg nur der
Anfang wäre zur Vernichtung der Reformation in der ganzen
Schweiz; Schwyz möge bedenken, „wohin es reichen wurde",
wenn es seine Drohungen gegen das Toggenburg in die Tat um-
1) E. A., IV, la, "Nr. 576 zu aa.
2) Bull., II, S. 17.
'■'') E. A., IV, la, Nr. 576a.
setzen wollte, und solle sich darum eines Bessern besinnen. ^)
Schwyz versuchte darauf, Zürich von den Toggenburgern abzu-
ziehen, indem es am folgenden Tage schrieb, man habe nie die
Absicht gehegt, auch gegen Zürich einzuschreiten, sondern wolle
jeden mit den Seinen handeln lassen, wie es ihn gutdünke, und
wünsche nur, dass auch Zürich diese Auffassung teile. -)
Unterdessen war wieder einmal die Tagsatzung zu Baden
zusammengetreten. Zürich und Bern hatten sich darüber geeinigt,
dass niemand vom Evangelium gedrängt werden dürfe. Die
Zürcher Gesandten sollten darum laut Instruktion den Schwyzern
ausdrücklich erklären, man werde nicht gestatten, dass die Graf-
schaft wegen des Evangeliums von katholischer Seite bekriegt
würde. Im gleichen Sinne war auch die Berner Instruktion ab-
gefasst.-') Die entschlossene Haltung der beiden mächtigen Stände
bewirkte, dass die katholischen Orte vor einem Gewaltschritt
zurückschreckten. Man übertrug Basel, Schaff hausen und Appen-
zell auf deren Anerbieten hin die Vermittlung, und sie schlugen
vor, auf einen folgenden Tag zu Baden die Toggenburger mit
Vollmacht kommen zu lassen. Wenn dann Güte in dem Streit
zwischen ihnen und den Schwyzern nichts vermöchte, wollten
die drei Schiedorte sofort einen Rechtstag ansetzen; unterdessen
sollte das Toggenburg mit seinen kirchlichen Neuerungen stillstehen
und Schwyz nichts Unfreundliches gegen die Grafschaft unter-
nehmen. Dieser Vorschlag wurde in den Abschied genommen.^)
Schwyz teilte daraufhin dem Abt das Resultat der Verhandlungen
mit und berichtete auch, dass der neue Badener Tag auf den
25. Oktober angesetzt sei; der Abt möge ihn allen beteiligten Per-
sonen und Gemeinden verkünden und auch selbst besuchen, da
er an einem günstigen Ausgang des Handels am meisten inte-
ressiert sei; dabei solle er zunächst gütliche Vermittlung walten
lassen und erst, wenn das nichts fruchte, gemeine Eidgenossen
um Recht anrufen ; Schwyz werde ihm gerne, wenn er es wünsche,
seinen Beistand leihen. •') Dieser Ort wollte also in berechneter
1) E. A., IV, la, Nr. 580 zu a5.
2) E. A., IV, la, Nr. 580 zu a.;.
^) E. A., IV, 1 a, Nr. 580 zu ai-a.
-') E. A., IV, la, Nr. 580a.
•') E. A., IV, la, Nr. 588 zu d.-.
89
Weise in dem Handel den Abt vorschieben, da er Landesherr
im Toggenburg war, während Schw3^z nur in einem Bundesver-
hältnis zu der Grafschaft stand. Diese war sich ihrer schwierigen
Lage wohl bewusst und sandte einen besonderen Boten nach
Bern mit einem Schreiben, worin die Stadt um Beistand ange-
rufen wurde, und man zögerte hier nicht, die Toggenburger zu
trösten und ihnen zu versprechen, „das best" für sie auf der
entscheidenden Tagsatzung zu reden. ^) Diese begann am 26.
Oktober zu Baden. Die drei vermittelnden Orte brachten aber
keinen Vergleich zwischen den beiden streitenden Parteien zu-
stande ; auch die X Orte, an welche Schwyz sich wandte, hatten
keinen bessern Erfolg. Auf Anerbieten der anwesenden Toggen-
burger wurde endlich folgender Entscheid gefällt: Schw3^z soll
den Rechtsweg beschreiten laut Landrechtsbrief; genügt ihm der
allfällige Entscheid nicht, so kann es seine Forderungen weiter
geltend machen ; inzwischen dürfen die Toggenburger keine
weitern religiösen Neuerungen vornehmen und sollen dem Abt.
und jedem der es wünscht, freies und sicheres Geleit gewähren.
Diesen Beschluss nahmen die Schwyzer und Toggenburger auf
die Bitte der Eidgenossen in den Abschied zur Empfehlung an
ihre Obern. -)
Doch das Toggenburg kehrte sich wenig daran, dass es mit
der religiösen Reform vorderhand stillstehen sollte. Daher konnte
im Februar 1529 die Reform daselbst zu einem gewissen Ab-
schluss gelangen : am 13. ds. Mts. wurde zu Lichtensteig in An-
wesenheit des Landrates eine den neuen religiösen Anschauungen
entsprechende Kirchenverfassung für die Grafschaft aufgestellt.
Obenan stand der Satz: „Alle Prädikanten in der Grafschaft
Toggenburg sollen hinfür das ewige, immerwährende Wort Gottes
lauter und ohne alle Menschensatzungen verkünden.'" . . . Be-
stimmungen über Abendmahl, Ehe und Kindertaufe, über Pre-
diger, Pfründenverleihung und Krankenbesuche durch die Pfarrer
folgten in weitern Artikeln. Ferner wurde für die GeistHchen
die Zensur eingeführt ; die Prediger sind dem Dekan, dem Vor-
steher des Kapitels, Gehorsam schuldig, soweit das billig ist. •'^)
1) E. A., IV. la, Nr. 588 zu da.
-) E. A., IV, la, Nr. .588 d.
3) St. Galler Mittl., Bd. III., S. 29 — 31.
90
Am 18. Februar schrieben Landvogt und Landrat unter anderm
nach Zürich, sie seien entschlossen, Leib und Gut für die Auf-
rechterlialtung des göttlichen Wortes einzusetzen. 0
Die oberste weltliche Behörde des Toggenburgs und die
grosse Mehrzahl der dortigen Geistlichkeit hatte sich damit in
entschiedenster Weise zugunsten des neuen Glaubens ausge-
sprochen, und sie konnten dies um so eher tun, als sie die er-
drückende Mehrheit des Toggenburger Volkes hinter sich wussten.
1) A.-S., II, 106.
II. ABSCHNITT.
Abt Kilian.
I. Kapitel.
Die Vorgänge bis zum Ausbruch des ersten Kappelerkrieges.
Die letzten Lebenstage des bejahrten und schwerkranken Abtes
Franz waren recht düster. Er rausste einsehen, dass er umsonst
gegen den neuen Glauben gekämpft, den die erdrückende Mehr-
heit seiner Untertanen trotz seiner endlosen Bemühungen ange-
nommen hatte. Schon regierte in seinem Gebiete in Wirklichkeit
nicht mehr er, sondern Zürich, und dieses gab auch bereits seinem
Hauptmann die nötigen Weisungen, nach dem Tode des Fürstabtes
eine Neuwahl zu verhindern. Dass an der Verwirklichung dieses
Planes die Stadt St. Gallen das grösste Interesse hatte. Hegt auf
der Hand; begreifhch, dass sie den Zürchern versicherte, alles
tun zu wollen, was ihnen in der äbtischen Angelegenheit dienen
könne. ^) Bereits am 2. Februar 1529 meinte Zwingh in einem
Schreiben an Vadian, es habe wohl keinen Sinn, den Abt ge-
fangen zu nehmen, da er nächstens in die „Unterwelt" fahre;-)
aber sehr viel lag ihm daran, dass nach dessen Tode kein Nach-
folger gewählt würde. •'■) Hauptmann Frei verschaffte sich darum
bei Abt Franz Zutritt, um sich über seinen Krankheitszustand zu
informieren. Der Abt könne noch bis in den März hinein leben,
berichtete er an Zürich. Daneben hatte Vadian bereits einen
der im Kloster St. Gallen zurückgebUebenen Mönche gefragt, ob
die Klosterinsassen bei Gelegenheit helfen würden, dass kein
1) A.-S., II, 74.
2) A.-S., II, 57.
^) Schon ging bezeichnender Weise die Gassenrede um, „apt Franciscus
ward der letzst abt zuo Sant Gallen sin" (Sicher I, S. 98 12).
92
neuer Abt gewählt werde, und die Antwort erhalten, es. sei wohl
möglich, wenn die Mönche reichlich ausgesteuert würden. ^) Da-
mit aber wollte Zwingli warten, bis Abt Franz gestorben wäre. -)
Um vor seinen Bedrängern sicher zu sein, hatte sich der
Abt, wie wir bereits gehört, ins Schloss zu Rorschach bringen
lassen. Er wolle hier sein Leben beschliessen, erklärte er dem
Hauptmann Frei. Der Kämmerling des Abtes gab auch zu wissen,
dass sein Herr krankheitshalber keine Besuche mehr empfangen
könne. Diese Bekanntmachung war auf Anordnung des Wiler
Statthalters Kilian Germann in der Absicht erfolgt, den Tod des
Abtes solange geheim zu halten, bis eine Neuwahl stattgefunden
hätte. Germann hielt sich auch, seitdem der Tod des Prälaten
jeden Tag erwartet werden konnte, im „Kloster'' zu Rorschach
auf, wo er, durch ein verabredetes Zeichen vom Schloss her, so-
fort vom erfolgten Hinschied in Kenntnis gesetzt werden konnte. ^)
Zürich jedoch fürchtete, dass der Abt nur darum seinen Wohn-
sitz ins Schloss verlegt habe, damit er besser mit den V Orten
und Österreich Anschläge machen könne ; denn diese tagten da-
mals zu Feldkirch, um sich gegen die reformierten Eidgenossen
zu verbünden,') — ein Vorspiel des ersten Kappelerkrieges. Wohl
um die Befürchtungen der Zürcher zu beseitigen, gab der äbtische
Vogt zu Rorschach, Diethelm Blarer, dem Stiftshauptmann und
den das Schloss umlagernden Bauern zu, dass eine Besatzung
von acht Gotteshausleuten — je zwei Mann von Rorschach, Stei-
nach, Goldach und Tübach — ins Schloss gelegt wurde. '^) Zürich
verfolgte natürlich nichts destoweniger den stets bedenklicheren
Gesundheitszustand des Prälaten mit gespanntestem Interesse und
forderte seinen Hauptmann und die Stadt St. Gallen auf, den
Verlauf der Krankheit mit grösster Wachsamkeit zu beobachten,'^)
soweit dies bei der Zurückgezogenheit des Abtes Franz noch
möglich war. Schon hatte nämlich Frei geglaubt, beobachten
zu können, dass man unter den Konventualen Anstalten zu
1) A.-S., IL 74.
2) A.-S., IL 99.
3) Sicher I, S. 97/98.
^) Das Bündnis, welches am 22. April 1529 in Waldshut zum Abschluss
kam, wurde die „christliche Vereinigung" genannt. S. 101 Anm. 2.
■') Sicher I, S. 96 5-8 : A.-S.. IL 129 2.
'') A.-S., II, 187.
93
einer Neuwahl treffe, und der Dekan Otmar Glutz war nach Ein-
siedeln gereist/) wo sich bekanntlich fünf abttreue Konventherren
aufhielten. Aber trotz aller Wachsamkeit Jakob Freis und St.
Gallens gelang es, den Tod des Abtes, der am 23. März infolge
von Wassersucht eingetreten war,-) geheim zu halten,-^) bis die
Neuwahl stattgefunden hatte. Das Hauptverdienst daran kam
Kihan Germann zu. Sobald nämlich der Abt verschieden war, reiste
er nach Einsiedeln und brachte jene fünf Konventherren nach
Rapperswil. Dort, „in der nebendstuben" des „Roten Löwen"^)
wurde er selbst am 25. März ^) zum Fürstabt gewählt, nachdem
man sich schon früh er heimlich auf diese Wahl geeinigt zu haben
scheint. ^')
Am Ostermontag (29. März) wurde die Leiche des Abtes
Franz im „capitelhus" zu St. Gallen beigesetzt. Seitdem die Re-
formation in den Stiftslanden Eingang gefunden, war sein Leben
ein steter Kampf gewesen gegen den neuen Glauben, dessen Ver-
breitung aber auch er, wie so viele andere Prälaten, vergeblich
zu hindern gesucht hatte. Da aber der jeweilige Abt von St. Gallen
auch Reichsfürst war, konnten dem Hause Habsburg, als dem
Inhaber der Kaiserwürde, die Misserfolge des Prälaten nicht
gleichgültig sein. Schon am 26. März meldete die [nnsbrucker
Regierung dem König Ferdinand den Tod des Abtes, indem sie
sich zugleich über die reformatorischen Umtriebe von Bern,
^) A.-S., II, 183.
^) Dieses Datum ist jedenfalls das richtige und nicht der 21. März, wie
V. Arx (S. 538) annimmt; denn Kessler (Sabb. S. 314 lo-u) und Sicher (I,
99 4-io) nehmen beide den 23. März an ; v. Arx stützt sich wohl auf eine wei-
tere Stelle in Sichers Chronik, wo — in teilweisem Widerspruch zur früheren
Angabe (I, S. 99 -i), dass der Abt am „zistag nach palmarum", d. h. am 23.
März gestorben sei — Seite 104 27 als Todestag der 21. März angegeben wird.
Sicher schreibt , zistag, was 21 tag merzen." Der 21. März war jedoch ein
Sonntag, der 23. dagegen ein Dienstag.
^) tJber die Art, wie das möglich war, s. Sicher, I, S. 99 1- 10.
■*) Stumpf spricht davon, dass der Abt in der „Abtey Rüti behausung"
gewählt worden sei (Chronik, V. Buch, S. 41). „in Rütensium aedibus", heisst
es bei Mezler, S. 644. (Chronicon S. Galli R. P. Mezleri.) St.-A., Bd. 182.
Zieglers günstiges Urteil über die Zuverlässigkeit des Chronikschreibers haben
wir bestätigt gefunden. E. Ziegler: Abt Othmar II. von St. Gallen (St. Gallen
1896), S. 5.
'') V. Arx (II, S. 539) gibt zwar richtig den 25. März an. Es war aber
nicht ein Charfreitag, wie er glaubt, sondern der voraufgehende Donnerstag.
'') Sabb., S. 315 2:5-20 ; Sicher, I, S. 98 16-18.
1)4
Zürich und Konstanz beklagte; es wisse auch jedermann, wie
dem geisthchen Herrn von St. Gallen, trotzdem er ein Fürst
des Reiches gewesen, „übel ist mitgefarn worden". ')
Der neue Abt Kilian Germann, welcher, wie schon sein Vater,
den Beinamen ,,Köuffi" führte, stammte aus angesehener Toggen-
burger Familie. Seinen Vater, Hans Germann, hatte 1504 Abt
Franz zum Amtmann von Lütisburg in der Grafschaft ernannt.-)
Früher „grosskeller" zu St. Gallen, war Kilian 1523 Schaffner
des Gotteshauses zu Rorschach, ■') im März 1528 äbtischer Statt-
halter oder „Zinspropst^' ') zu Wil geworden. Der Bruder unseres
Abtes war der „Hauptmann von Batzenheid", so genannt, weil
er früher als Offizier in französischen Diensten gestanden und
zu Batzenheid unterhalb Lichtensteig wohnte. "') So verband sich
mit der Person Kilians schon manches, was seine Wahl als
eine glückliche erscheinen liess. Zudem war der neue Abt selbst
,,ein schön, persönlich man, senftmütigs und früntlichs dings mit
iedem man",'') und dies musste ihn für den schwierigen Posten
besonders geeignet machen. Mochte er auch „nit giert" sein,
so zieigte er doch Verständnis für geistige Bildung, indem er,
trotz der schwierigen finanziellen Lage des Stiftes, drei junge
Konventualen auf die Universität Tübingen schickte. '') Zudem
war Kilian, wie wir im Verlaufe unserer Darstellung noch ge-
nügend sehen werden, ein sehr zäher und mutiger Verteidiger
der Rechte seines Stifts. Wenn dessenungeachtet der Erfolg seiner
Regierung gleich Null, ja die äbtische Herrschaft bei seineni Tode
weit schlimmer dran war als zur Zeit seiner Wahl, so lag das zum
wenigsten an seiner Person; vielmehr waren, abgesehen von
seinem unerwartet frühen Hinschied, die besonderen Schwierig-
keiten, die sich ihm entgegenstellten, daran schuld ; hatte er doch
gegen die Hochflut der deutsch-schweizerischen Reformations-
bewegung anzukämpfen.
^) Statthalterei-Archiv Innsbruck. Copialbuch : An die königl. Maj. 1527
bis 1529 . Lib. 3.
^) S. über ihn St.-A., Bd. 50, S. 7, Bd. 80, S. 271 ; Bd. 114, fol. 220 und
236 b: Lehenbuch, fol.' 95 und 134 b. Letzte Erwähnung Bd. 80, S. 942.
3) St.-A., Bd. 98, S. 199 b.
4) Vad. II, S. 413 js.
■^) Vad., II, S. 413 21-23.
6) Vad., II, S. 413 24-25.
') Tgb. Sail., foL 76 b. St.-A., Bd. 307, S. 97.
95
Am Ostersonntag 1529 wurde die Wahl Kilians in der Kirche
zu Rorschach feierlich verkündet, ^) wobei Vogt Jakob am Ort
von Luzern und Vogt Kaspar Stalder von Schwyz anwesend
waren. -) Erst jetzt wurde aucli der Öffentlichkeit der Tod des
Abtes Franz mitgeteilt. Tags vorher schon hatten Am Ort und
Stalder den Hauptmann Frei von der neuen Abtwahl in Kenntnis
gesetzt und ihn eingeladen, sich am 28. März bei Kilian in Ror-
schach einzustellen. Darauf wurde noch am späten Abend dieses
Tages Zürich — St. Gallen hatte ihm am gleichen Tag den Tod
des Abtes Franz gemeldet ■^) — durch Frei über die Sachlage
orientiert. *) Hier w.ar man entschlossen, offene Gewalt zu ge-
brauchen, um der Wahl jede Bedeutung zu nehmen. So gab Zürich
zwei Tage später einer Gesandtschaft die Instruktion mit, den
neuen Abt samt dem Reichsvogt des Prälaten, Heinrich Schenkli,
gefangen nehmen zu lassen und sie bis auf weiteres zu St, Gallen
in Haft zu behalten. ■') Zum mindesten sollte dem Abt ..alle ge-
waltsamy" abgeschlagen werden, bis die vier Orte gemeinsam
in der Angelegenheit Beschluss gefasst hätten,") da er durch
„böse, arglistige practiken" ohne Wissen Zürichs und des Haupt-
manns gewählt worden sei. Die Gesandten werden wohl noch
am gleichen Tag abgereist sein, da schon am folgenden, es war
der 30. März, Kilian einen Boten zu den vier Schirmorten sandte
mit einer Instruktion, in der er sich darüber beschwerte, dass
ihm von Zürich durch eine Botschaft die Ausübung seiner Herr-
schaftsrechte verboten worden sei. „Und als nun s(in) g(naden)
') Vad., III, S. 227 4 : Sicher, I, S. 99 13.
^) Vad., III, S. 227 5. Dass Luzern und Schwyz an der heimlichen Wahl
und Einsetzung des Abtes ohne Anteil gewesen, können wir nicht glauben,
trotz bestimmtester Versicherungen von Schwyz, dass es und Luzern weder
Hilfe noch Rat und Tat dabei geleistet (A.-S., II, 1486). Die beiden Orte hatten
ein zu grosses Interesse daran, dass die erledigte Abtsstelle nicht unbesetzt
blieb. Ferner befanden sich die abttreuen Mitglieder des Kapitels, unmittelbar
bevor Abt Franz starb, im Kloster Einsiedeln. Auch werden die beiden Boten
von Luzern und Schwyz wohl nicht erst zur Einsetzung des Abtes wie zur Pa-
rade nach Rorschach gekommen sein (s. auch A.-S., II, 1532). Wenigstens
waren sie beim Tode des Abtes Franz zugegen (Bull., II, S. 114).
3) A.-S.. II, 223. -
■') A.-S., II, 221.
•') A.-S., II, 228.
'=) A.-S., II, 242.
96
und gozhus mit lüt und land üch alss s(mer) g(naden) g(nädig)
l(ieben) h(erren) mit biiigk- und lantrecht hoch und tref fenUch ver-
want, ist s(iner) g(naden) hoch und ernsthch, treffenUch pitt und
beger mit allem fliss und ernst, ir wollind dieselbig sin g(naden)
und gozhus by siner friheit, herlikeit und gerechtigkait beliben
lausen, auch sin g(ozhus) by ainem er weiten herrn und appt
schüzen, schirmen und handhaben und üch mit sampt den andren
dry orten ains tags berümen, und so ir lieber üch zesamen ver-
mögen, wil sin gnad ir potschafft ouch dahin verordnen". ^) Die
Aufforderung Zürichs, in seinem Regiment vorderhand stillzu-
stehen, liess der Abt lange unbeantwortet; er wollte Zeit ge-
winnen. Erst am 13. April antwortete er, die Aufforderung habe
ihn befremdet; er könne momentan keinen definitiven Bescheid
geben, da er wenig Räte bei sich habe und mit Geschäften über-
laden sei. -) Doch hinderte das Zürich nicht, die Angelegenheit
in seinem Sinne ernergisch weiter zu betreiben. Wohl noch im
März gab es Johannes Bleuler den Befehl, mit Ammann und
Rat von Glarus wie besonders mit den dortigen „Gutwilligen"
zu unterhandeln, und sie zum Höchsten zu bitten, Glarus möge
den Abt nicht bestätigen und nicht zur Regierung kommen lassen,
besonders da die Wahl in betrügerischer Weise stattgefunden.
Der Bote sollte auch den Landleuten mitteilen, was Zürich bisher
in der Angelegenheit getan habe. •') Doch die Glarner Hessen
sich daraufhin durch zwei eigens entsandte Boten belehren, dass
die Wahl nicht in der Weise stattgefunden habe, wie die Zürcher
erzählt hatten,') und dies scheint einen Entscheid der Glarner zu-
gunsten Zürichs verhindert zu haben. Währenddem schrieb
letzteres an die bedeutendsten Gemeinden des Fürstenlandes '')
wie auch an Schultheiss und Rat zu Lichtensteig, '') dem Abt
den Huldigungseid bis auf weiteres nicht zu leisten. Ferner for-
derte die Zürcher Obrigkeit am 3L März St. Gallen auf, bei den
Gotteshausleuten, die in die Stadt kämen, in gleichem Sinne zu
^) St.-A., Bd. 99 b.
^) Staatsarchiv Zürich, Akten Abtei St. Gallen orig.
3) E. A., IV, 1 b, Nr. 52.
1) Val. Tschudi, S. 64.
'') E. A., IV, 1 b, Nr. 52 (1).
ß) St.-A., Bd. 99 b.
97
wirken; die Wahl Kilians habe „mit nit wenigem alenfanz und
fuler pratiken" stattgefunden hinter Zürich und dem Stiftshaupt-
mann.
Wollte nämlich Zürich in seinem gewalttätigen Vorgehen
gegen den Abt Erfolg haben, so war das nicht anders möghch,
als dass es alle Elemente des Widerstandes gegen das äbtische
Regiment zusammenfasste. Hatte doch der Prälat zu Rorschach
den Zürcher Gesandten bereits erklärt, „dass er von der heiligen
mess nit stan und ee daran sin Hb, gut und alles das, so er
vermöge, setzen welle". ^) Er hatte sich auch weiter um seine
Anerkennung bemüht, so bei seinen Landsleuten im Toggenburg.
Wohl vom Anfang April stammt ein Aktenstück im Zürcher
Staatsarchiv, das von derartigen Bemühungen Kilians in der
Grafschaft Toggenburg berichtet: er sei dort vor den Landrat
getreten und habe ihn ersucht, ihn anzuerkennen; die Landräte
hätten ihm aber zur Antwort gegeben, man werde tun, was man
schuldig sei ; -) dieser Bescheid habe dem Abt nicht gefallen ;
er habe auch angesehenen Personen im Toggenburg 100 Kronen
und anderes versprochen. ■^) Wirklich lieh er dem Toggenburg
100 Gulden, wofür ihm am 1. April Altamman Bernhard Künzli,
Ammann Rüdlinger und der Hauptmann von Batzenheid im Namen
gemeiner Landleute einen Schuldbrief ausstellten. *) Auch Ror-
schach und Gossau bat Kilian persönlich, ihn anzuerkennen.
Sein leutseliges Wesen mochte ihm dabei nicht wenig zustatten
kommen ; denn er benahm sich „ganz herrlich und eerlich mit
schenken und gastfrije". ^) Am 5. April bat er ferner in einem
Schreiben die Gemeinde Tablat um seine Anerkennung. '') Es
mochte kein Zufall sein, dass sich der Abt gerade an diese Ge-
meinde wandte; denn die Tablater hatten (vielleicht allein von
den Gotteshausleuten) in corpore in schwarzen Kleidern der Bei-
1) E. A., IV, Ib, Nr. 52 (1) ; zur Ergänzung s. Vad., III, S. 227 r,-o ; Sabb.,
S. 315 29—31.
^) Diese Nachricht wird bestätigt durch die Missive, welche Kilian am
19, August 1529 an die Gemeinden zu Lütisburg und Lichtensteig schickte,
in welchen er seine bisherigen Bemühungen bei den Toggenburgern um Aner-
kennung resümierte (St.-A., Tom. 101, S. 32 — ^34).
'') A.-S., II, 240.
■^) St.-A., Fase. 14.-
'') Sabb., S. 315 26-27.
'>) V.-B.-S., IV, Nr. 570.
St. G-aUer Mittlgn. z. vaterländ. Gesell. XXXIII. 7
98
Setzung des Abtes Franz beigewohnt. ') Aber von dort, wie aucli
von andern Gemeinden im Fürstenlande, erhielt Kilian abschlägige
Antwort, ") trotzdem er versprochen, den Beschwerden seiner
Untertanen über unbillige Abgaben gern Gehör schenken zu
wollen. ■^)
Doch die Schwierigkeiten, auf die Zürich bei der Durchführung
seiner Pläne in der Alten Landschaft stiess, waren auch jetzt
noch keineswegs gering. Der Abt muss im Fürstenlande noch
zahlreiche Anhänger gehabt haben, die sich darauf beriefen, drei
Schirmorte auf ihrer Seite zu haben, so dass der Hauptmann Frei
seine Regierung bat, bei Glarus auszuwirken, dass er im Namen
der zwei Orte grössere Handlungsfreiheit in Sachen des „Gottes-
worts" bekomme, damit er den Widerwärtigen leichter „in die
zahne stehen" könne. ^) Besprechungen, die zwischen den Ge-
sandten der beiden Stände zu Wil anfangs April stattfanden,
brachten aber für Zürich nicht den gewünschten Erfolg, weshalb
die Zürcher Gesandten und Jakob Frei von Wil aus ihre Obrigkeit
aufforderten, bei Glarus von neuem dahin zu wirken, dass die
beiden Orte in Glaubenssachen einig gingen. ■') Die Zürcher er-
suchten denn auch Glarus, seine Gesandten auf den 14. April
mit Vollmacht in ihre Stadt zu schicken, um im Verein mit den
Abgeordneten von St. Gallen bei der Beseitigung der äbti-
schen Herrschaft und der Messe in den Stiftslanden behilflich
zu sein. ") Dieser Tag dürfte wirklich stattgefunden haben,
aber von Glarus nicht besucht worden sein. Wenigstens ver-
fasste Zwingli am 15. April, in Anwesenheit von St. Galler Ge-
sandten, einen Ratschlag in der äbtischen Sache. ') Darin ist
niedergelegt, wie Zürich vorderhand in der Angelegenheit vor-
zugehen gedachte. Die Eingangsworte des Memorandums weisen
in nicht misszuverstehender Weise darauf hin, dass es zwischen
der Stadt und dem Abt keinen Ausgleich geben könne, da jene
den Gotteshausleuten für ihren evangelischen Glauben mit Leib
1) Sicher, I, S. 99 27/28.
-) Sicher, I, S. 105 I8/19.
3) A.-S., 11, 261.
^) A.-S., 11, 242.
•') A.-S., ir, 249.
«) A.-S., II, 262.
') E. A., IV, Ib, Nr. 782 u. 3.
99
und Gut Beistand versprochen, Kilian aber offen habe merken
lassen, er werde zur Erhaltung und Wiederaufrichtung der Messe
in seinen Gebieten alles einsetzen. ^) Wenn auch der Abt be-
haupten möchte, dass er das nicht gesagt, so hätten doch seine
Bemühungen bei den Gotteshausleuten und den Toggenburgern
um seine Anerkennung als Abt genügend dargetan, dass er seinen
Mönchsstand nicht aufgeben wolle und auch „weltlich ze herrschen
hoch" begehre; das heisse soviel, dass Kilian im Sinne habe,
Stetsfort gegen das Gotteswort zu streiten. Nun habe aber der
Abt wohl 10,000 Gl. jährliches Einkommen, womit er, wenn er
das Geld dazu benütze. Zürich entgegenzutreten, es „wol zu
armüt richten möcht''. Darum wolle es den Abt nicht aner-
kennen und überhaupt die geistliche Herrschaft in den Stifts-
landen vernichten. Wolle Glarus nicht mitwirken, so werde Zürich
allein handeln ; doch sollten die Rechte der zwei oder drei andern
Schirmorte nicht angetastet werden, soweit es zeitliche Güter
imd Herrschaftsrechte betreffe, ausser wenn es sich fände, dass
Luzern und Schwyz treulos hinter dem Rücken der Zürcher ge-
handelt hätten. -) Die Mönche sollten ausgesteuert werden „so-
ferr sy geheiner untrüwen pratik hoptsächer gewesen". Mit
Glarus solle „angends" ernstlich in der Angelegenheit in obigem
Sinne gehandelt werden.
Ein weiteres Gutachten vom gleichen Tage war dazu be-
stimmt, die Gotteshausleute für die Sache Zürichs zu gewinnen.
Es wurde ihnen darin vorgestellt, dass sie bei Anerkennung des
Abtes des Gottes Wortes -wiederum entroubet und in das bapstum
gstossen wurdind". Auch wäre sicherlich für sie unerträglich,
wenn Luzern und Schwyz im Verein mit dem Abte über sie
\) Am 20. Februar 1529 hatten auch Dekan und Konvent des Klosters
St. Gallen eine feierliche, schriftliche Erklärung abgegeben, dass sie beim ka-
tholischen Glauben bleiben wollten ; wenn aber einer von ihnen trotzdem zum
neuen Glauben abfalle, so solle er aller Rechte „ad monasterii bona ac privi-
legia" verlustig gehen, (A.-S., II, 116.)
-) Damit hatte Zürich sich selbst die Handhabe gegeben, ohne Luzern und
Schwyz in der äbtischen Angelegenheit nach Gutdünken zu handeln, da es ja
bereits den beiden (Jrten vorwarf — und wohl mit Recht, — hinter Zürichs
Rücken dem neuen Abt zu seiner Wahl geholfen zu haben. Glarus war durch
die religiösen Streitigkeiten im eigenen Lande vorderhand verhindert, eine feste
äussere Politik zu betreiben, und als dann die Reformation dort siegte, wurde
es von Zürich ins Schlejiptau genommen.
100
herrschen sollten, wie das geplant sei. Zürich dagegen wolle
ihnen, eventuell ohne Glarus, soziale Erleichterung verschaffen.
Daneben war in dem Gutachten vorgesehen, die Toggenburger
zu „trösten", die sich bereits Ende März bei Zürich um den Los-
kauf von der äbtischen Herrschaft beworben hatten.^) Am Schlüsse
dieser zweiten Denkschrift stehen die bezeichnenden Worte :
., Summa, dass alle ratschlag dahin reichind, dass der münch
nümmen ein hengst sye und gheine junge me mache, sunder
ghalftret, zöumt und im gstall gon gelert werd". ^)
Diesen Worten entsprach zum Teil die rücksichtslose Pro-
paganda, die Zürich bei den Gotteshausleuten für das Evangelium
wie für seine politischen Interessen veranstaltete.-^) Dies brachte ihm
den grossen Erfolg, dass „glich nach osteren" eine grosse Lands-
gemeinde des Fürstenlandes zu Lömmiswil, welche Luzern, Schwyz
und Glarus einberufen hatten, damit die Gotteshausleute den
Abt als ihren Herrn anerkennen möchten, ^) völlig zugunsten
Zürichs verlief. Die versammelten Stiftsbauern erklärten den
drei Orten (Zürich war nicht erschienen), sie wollten beim „Gottes-
wort" bleiben und keinen Abt ohne Gunst, Wissen und Willen
von Zürich anerkennen. ■') Am 23. April bestätigten die Aus-
schüsse von 21 Gemeinden der Gotteshausleute den Beschluss
einer zürcherischen Botschaft gegenüber in Gegenwart von Ab-
geordneten von Luzern und Schwyz. ^) Diese Zusage musste
den Zürchern doppelt willkommen sein bei der gefährlichen
Spannung, die zwischen ihnen und ihren katholischen Eidgenossen
herrschte. Am 8. iVpril hatte nämlich Zürich in seinen Gebieten
das Aufgebot zur Rüstung erlassen, da man nicht wisse, zu
1) A.-S., II, 227.
''^) E. A., IV, 1 1). S. 153.
•^) Sicher, I, 8. 106 und 107/108.
■*) Sicher, I, S. 105 20-29.
■') Sabb., S. 315/316; Sicher, I, S. 105 26-29, lässt die Gotteshaiisleute
eine andere Antwort geben : da nur 3 statt 4 Schirmorte anwesend seien, könnten
sie jetzt keine Antwort geben.
'^) E. A., IV, Ib, Nr. 71 a 1 und b2. v. Arx (II, S. 541) verlegt unrichtig
die Lömmiswiler Landsgemeinde auf den 23. April. Ihm folgt Näf, Chronik
der Stadt und Landschaft St. Gallen (Zürich, St. Gallen 1850), S. 223, während
sich aus Sabb. und E. A. ganz klar ergibt, dass zu Rorschach am 23. April die
Ausschüsse einer bald nach Ostern abgehaltenen Landsgevneinde von Löm-
miswil erschienen.
101
welcher Stunde man ausrücken müsse. ') Am 22, April dagegen
fand der Abschluss eines Bündnisses der V Orte mit König Fer-
dinand statt, -) und Marx Sittich von Ems sorgte dafür, dass
Österreich stets genau unterrichtet war über die Läufe in der Eid-
genossenschaft; er tat auch sein möglichstes, um das Vorarlberg-
kriegsbereit zu machen. •') Anderseits aber strengte sich Zürich
mächtig an, der Reformation im äbtischen Gebiet überall zum
Sieg zu verhelfen. So wurde z. B. der Abt, der sich zu Wil
aufhielt, durch Drohungen gezwungen, die Messe daselbst abzu-
stellen. *) Doch die schwankende Haltung von Glarus liess Zürich
noch zu keinem durchschlagenden Erfolge in der äbtischen An-
gelegenheit kommen.
Dass man im Fürstenlande unter dieser Unsicherheit der
Verhältnisse schwer zu leiden hatte, ist klar. Ordnung der Zu-
stände in der Alten Landschaft und Einsetzung des Abtes in
sein Regiment waren deshalb die Haupttraktanden einer Rappers-
wiler Konferenz, die Ende April auf Ansuchen Kilians stattfand.-')
Doch erschienen nicht, wie der Abt es gewünscht, alle vier Schirm-
orte, sondern nur Luzern, Schwyz und Glarus, '0 trotzdem auch
Zürich vom Abt eingeladen worden war. ') Deshalb schrieben
die drei Orte am 29. April an dieses, man sei darüber befremdet,
dass es den Tag nicht besuche, besonders da es den Abt ge-
heissen, bis auf weiteres „stillzustehen". Man erwarte, dass die
Stadt ihre Botschaft unverzüglich nach Rapperswil abfertigen
werde, sei auch bereit, einen weiteren Tag da abzuhalten, wo
es Zürich „gefellig" sei; nur möge es dann für die Sicherheit
der Gesandten des Abtes und der drei Orte bürgen. Zürich setzte
darauf einen Tag auf den 17. Mai nach Wil an. Die drei Stände
waren von dieser Hinausschiebung der äbtischen Angelegenheit
') A.-S., II, 269.
^) E. A., IV, 1 b, Beilage 5. Es ist die in Anm. 4 Seite 92 erwähnte
„christliche Vereinigung" .
''^) Statth alterei- Archiv Innsbruck. Copialbücher : An königl. Maj., Lib. 3.
Das Regiment an den König, d. d. 4. Juni 1529.
'^) A.-S., II, 3342 ; Sicher, I, S. 107 27-28.
°) E. A., IV, 1 b, Nr. 78.
'■) Sicher, I, S. 107ii. Der Abt konnte nicht selbst erscheinen, da er es
nicht wagte, durch Zürcher- oder Toggenburger Gebiet nach Rapperswil zu
reisen, s. ebenda Z. 8 — 10.
^) St.-A., Bd. 99 b, S. 43.
102
wenig erbaut. Sie erklärten zwar, den Tag besuchen zu wollen;
Zürich möge aber seinen Gesandten schon für den nächsten
Badener Tag den Auftrag erteilen, mit den drei Orten in Sachen
des Abtes zu verhandeln. \) Warum Zürich die Rapperswiler
Konferenz nicht besuchte, ist klar: zu Glarus wehte wieder einmal
ein für den Abt günstiger Wind. Immerhin verhinderte der Glarner
Landrat, dass zu Rapperswil von der Mehrheit der Schirmorte ent-
scheidende Beschlüsse zugunsten des Abtes gefasst wurden, indem
er seine Gesandten nur zum Referieren instruierte. -) Aus dieser
Haltung von Glarus scheint sich der Schirmhauptmann Frei am
wenigsten gemacht zu haben, da er sich der Mehrheit der äbtischen
Untertanen sicher wusste. Er schrieb in diesen Tagen an Zwingli:
die Zürcher Obrigkeit solle nur recht „handfest'" sein und das
Beste tun; „dann die lüt sind gar am hag'' ; wenn auch alle drei
andern Schirmorte gegen Zürich sein sollten, so hoffe er doch,
,,wir wellend die sach wol eroberen". '■') Bis dahin konnte aber
noch geraume Zeit verstreichen, da Luzern und besonders Schwyz
sich kräftig für den Abt ins Zeug legten, auch Kilian persönlich
bei ihnen für seine Sache wirkte. ^) Bereits am 4. Mai tagten
die beiden Orte im Verein mit Glarus zu Wil. Die Konferenz
war aber ergebnislos, da die Glarner Boten laut ihrer Instruktion
nur da mithandeln durften, wo die andern drei Schirmorte eins
waren. Nun hatte Zürich zwar einen Boten auf des Abtes Kosten
nach Wil gesandt, ihm jedoch keinen andern Befehl gegeben, als
zu beobachten, ob die Gesandten der beiden katholischen Schirm-
orte „hinderrugs" von Zürich etwas vornehmen würden. ■') Der
Abt war mit dieser Haltung recht wenig zufrieden. Als Jakob
Frei und der Zürcher Gesandte, wahrscheinlich Meister Nikiaus
Brunner, auf die Aufforderung des Abtes, an der Beratung seiner
Angelegenheit mit den andern Orten teilzunehmen und mitzu-
handeln, erklärten, sie hätten dazu keinen Befehl, drohte der
'j E. A.. IV, 1 b, Nr. 78, 4. 6. 7.
■') A.-S., II, S. 339.
3) A.-S., II, 341.
^) Vad., II, S. 413 29.
■') Dies geht wenigstens aus einem Schreiben hervor, das Jakob am Ort
von Wil aus im Mai dieses Jahres an Luzern richtete. Wir glauben mit
Strickler (A.-S., II. 351), dass die Abfassung der Missive in die Zeit vom 4.
bis 6. Mai fällt.
103
Prälat, er werde andere Schirmherren suchen müssen, wenn er
nicht besser beschirmt werde. Er möge tun, was ihn gutdünke,
wurde ihm erwidert. ') Immerhin fand sich Frei doch wieder
einmal veranlasst, seine Obrigkeit anzuspornen, tapfer zu handeln,
da sonst viel verloren gehen könnte. -)
Zürich hatte diesmal den Wink nicht nötig. Am gleichen
Tag, da der Schirmhauptmann die obige Mahnung aufsetzte, es
war der 7. Mai, verhandelten im Namen der Stadt Jos v. Chuosen
und Jakob Werdmüller mit dem Landrat von Glarus, um ein Zu-
sammengehen der beiden Orte in Sachen der Abtei St. Gallen
und ihres Oberhauptes zu erzielen. ') Die Instruktion der Zürcher
Gesandten betonte in schroffster Weise den neugläubigen Stand-
punkt. Der Mönchs- und Nonnenstand sei „ein luter betrug,
irrsal und greuwel vor gott" hiess es darin ; männliche und weib-
liche Klosterinsassen werden als „unnützes Volk und Müssig-
gänger" bezeichnet, durch die der gemeine Mann unbillig und
schwer bedrängt würde. Wichtiger ist die Stelle in der Schrift,
wo Zürich auseinandersetzt, wie es den Begriff Gotteshaus auf-
fasse: „dann je nit allein das steinin huss und darin ein hüfli
mutwilliger, frächer münchen, sunder meer die biderben Kit und
ganzen gemeinden, zu dem gotshus gehörig, das gotshus zu Sanct
Gallen" sind. SicherUch kann auch der weitern Stelle in der
Instruktion eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden,
wo sich Zürich dagegen verwahrt, .,dass ein einziger unnützer'
münch, der etwa wol als bald über Ryn här, hüt ein Schwab,
morn ein Frank, einer Eidgnoschaft und denen, so dem gotshus
verwandt, weder trüw noch hold wäre", über die Abtei gebiete
und mit Hilfe der grossen Mittel, welche seine Lande ihm ein-
brächten, „villicht unsere fygend und widerwärtigen damit ent-
halten" und „über uns füeren" werde, statt dass die Einnahmen
den armen Untertanen des Abtes zugute kämen. Man fordere
den Zorn Gottes heraus, wenn man dem Zustand kein Ende mache.
Zürich habe, um sich mit Glarus weiter über das Vorgehen gegen
den Abt zu beraten — es sei ihm ja in dieser Hinsicht von den
Glarnern günstiger Bescheid erteilt worden — den Tag in Rappers-
wil nicht besucht, „sunder den dest länger fürgestreckt und gan
») E. A., IV, 1 b, Nr. 83 :;.
-') A.-S., 11, 358 ■>.
■') E. A., IV, 1 b, Nr. 87.
104
Wyl bestimpt". Nach solchen Erklärungen sollten die Gesandten
die Glarner Räte zum höchsten bitten, die Gotteshausleute nicht
länger mit dem Abte zu beschweren, „der ihnen als vil als un-
wissend erweit" sei, sondern sich in der äbtischen Angelegenheit
und dem Gottes wort mit Zürich „verglychen" ; darauf hoffe man
bestimmt und werde es den Glarnern ,,niemermeer" vergessen.
Zwei Ratschläge sodann, von Zürich ausgearbeitet und
ebenfalls für die Unterhandlungen mit Glarus bestimmt, enthalten
Zürichs Ansicht über die zukünftige Regierung und Verwaltung
der äbtischen Untertanenlande. . Das zweite dieser Gutachten
zeichnet sich namentlich durch seine scharfe Spitze gegen den
Abt aus. Danach sollte ihm und den Mönchen jede Regierung der
Gotteshauslande „anrucks" entzogen und vier Vögten übergeben
werden, von denen der Hauptmann der erste wäre. Um die
künftigen Untertanen für das neue Regiment zu gewinnen, sollten
ihnen, sobald sie den vier Orten den Huldigungseid ablegten,
ihre grössten Beschwerden abgenommen werden.
Zürich erntete mit seiner Mission vor dem Glarner Landrate
den Erfolg, dass dieser sich mit ihm auf folgende drei Artikel
einigte: 1. „der vermeint Appt" soll „sin kutten und unnützen
unbegründten Münchenstand . . , und was dem anhangt . . ,
mit heyliger, göttlicher, biblischer geschrifft allts und nüws tes-
taments . . . erhalten" (d. h. als von Gott eingesetzt erweisen) . . .
oder, wenn er das nicht kann, den Mönchsstand aufgeben und
nur noch ein Schaffner und Statthalter sein. 2. Des Gottes-
hauses Habe und Güter sollen aufgeschrieben werden und der
ehemalige Abt den vier Schirmorten und den Gotteshausleuten
jährlich Rechnung über seine Amtsführung ablegen. 3. Den
Gotteshausleuten sind die „unlydenlichen Beschwerden" abzu-
nehmen. ^)
Doch der Abt rastete nicht. Vielleicht am gleichen Tage,
da Zürich den Glarner Rat für seine Sache gewann, versuchte
Kilian den Landrat des Toggenburgs auf seine Seite zu ziehen
und zu bewegen, ihn als Landsmann zu schirmen, da man ihm mit
Gefangennahme gedroht habe. Er anerbot sich, wenn er anerkannt
sei, den Toggenburgern ihre Beschwerden abzunehmen, und be-
^) Bull.. II. S. 114. Die Datierung ergibt sich aus A.-S.. II, 364 a und
434 1.
105
richtete auch, dass die von Wil und andere Gotteshausleute ihm
schon Gehorsam geschworen hätten. Es war umsonst. Der Land-
rat antwortete, man wolle ihm alles tun, was man schuldig sei,
..so er ze abt zu Sant Gallen ordenlich erkennt werd",^) — was
einer Absage gleichkam. Doch liess Kilian darum den Mut
nicht sinken. Bereits hatten sich auch Schwyz und Luzern über
den Glarner Landratsbeschluss vom 7. Mai in einem Schreiben
an Glarus beklagt und es aufgefordert, sich nicht zu sondern
von den zwei katholischen Orten, die des festen Willens seien,
dem Abt und seinem Gotteshaus alles zu halten, was sie schuldig
seien. Luzern und Schwyz hatten dieses Schreiben von einem
Tage in Baden erlassen, auf dem der Abt durch seinen Gesandten
die Eidgenossen gebeten, sein Gotteshaus in Schutz und Schirm
zu nehmen. -)
Schon beratschlagten auch wieder Luzerner, Schwyzer und
Glarner Boten zu Wil über die äbtische Angelegenheit. Der
Glarner Landrat hatte dem Abt durch den dortigen Gesandten
den Landratsbeschluss mitteilen lassen, worauf Kilian seinen
Hofammann zu Wil, Lienhard Schnider, am 15. Mai mit einer
ausführlichen Instruktion nach Glarus schickte. Er verzichtete
natürlich darauf, seinen Mönchsstand mit der Bibel zu begründen,
bemerkte aber, er habe „vil merklich, redlich Ursachen", warum
er seine Kutte nicht ablegen könne, und wies mit Recht darauf
hin, dass er, wenn er seinen Orden aufgäbe, der „Begabungen"
von Kaisern und Königen beraubt und in der Folge um Renten,
Gülten u. a. gebracht würde, wovon doch Glarus nur geringen
Nutzen hätte. Auch verbiete die heilige Schrift niemandem,
ehrbare Kleider zu tragen ; also dürften er und sein Konvent auch
ihre Ordenskleider behalten, und dadurch werde sicherlich niemand
gestört werden. Er bitte darum, ihm und seinen Mönchen die
Ordenstracht zu lassen. Ferner sei er Landmann der Glarner,
da seine Heimat, das Toggenburg, mit Glarus im Landrecht stehe.
Man solle daher auch ihm jenen Landsgemeindebeschluss zugute
kommen lassen, dass man jeden unbehelligt bei seinem „wesen"
bleiben lassen wolle. Zugleich möchten sich die Glarner den
Inhalt der Burgrechts-, Landrechts- und Hauptmannschafts-
briefe ins Gedächtnis zurückrufen, so z. B. jene Stelle im Burg-
1) A.-S., IL 362.
2) E. A., IV, 1 b, Nr. 88 d und zu d.
106
und Laiidrecht, wo es heisse, dass die vier Schirmorte den Abt
bei seinen Rechten und Freiheiten bleiben lassen und das beste
für ihn tun, und jenen Passus im Hauptmannschaftsbrief, dass
sich die vier Orte keiner weitern Gewaltsame an dem Gottes-
hause unterziehen wollten. Beschliesse ein allgemeines Konzil,
die Kutten, Messe u. a. abzutun, so werde auch er gerne Folge
leisten, ebenso wenn dies durch eine Disputation gemeiner
deutscher Nation oder auch bloss von den eidgenössischen Orten
gemeinsam beschlossen würde. Er sei auch jederzeit bereit, sich
über Klagen seiner Untertanen vor den vier Orten zu recht-
fertigen. Habe er gefehlt, so wolle er sich gern weisen lassen.
Über das Verhalten von Zürich ihm gegenüber habe er sich
sehr zu beklagen, besonders da er sich nicht bewusst sei, der
Stadt jemals etwas zuleide getan zu haben. Er wolle ihr Freund
sein und begehre nichts anderes von ihr, als dass sie ihn bei
Brief, Siegel und seinem „habitt" und Orden bleiben lasse. ^)
Auf den gleichen Tag wie die Instruktion Kilians wurde auch
von Dekan und Konvent ein Brief an Glarus gerichtet, worin ka-
tegorisch erklärt war, Kilian sei vom Konvent „einhelliklich"
zum Abt gewählt worden ; Dekan und Konvent würden nur mit
Gewalt dazu gebracht werden können, ihr Mönchsgelübde zu
brechen; man bitte Glarus, sie bei ihrem Orden und bei ihren
Freiheiten bleiben zu lassen, sie auch dabei zu schirmen und
dem Gesandten, der jetzt zu Wil sei, entsprechende Instruktionen
zu geben. -)
Diese Vorstellungen des Abtes und Konventes bei Glarus
machten sich für Zürich auf einer Konferenz der vier Schirm-
orte zu Wil (17. Mai ff.) höchst unangenehm fühlbar. Die Zürcher
Boten hatten den iVuftrag, sich in erster Linie über die Gesinnung
der Giarner Gesandten zu informieren, ob sie auch gemäss der Ant-
wort instruiert seien, welche der Landrat vor einer Woche der
Zürcher Botschaft gegeben habe. ■') Sei das der Fall, so solle man
gemeinsam dem Abt einen nahen Tag verkünden, auf dem er
selbst oder seine Gelehrten den Mönchsstand mit der Bibel be-
gründen sollten. Nehme der Prälat diesen Vorschlag nicht an.
1) E. A., IV, Ib, Nr. 98 : St.-A., Fase. 14. Am Schlüsse der Instruktion
sind die vielsagenden Worte durchgestrichen: „Schmützwort vast ze miden".
-) A.-S., IL 368.
■^) S. oben S. 104.
107
sondern werfe seinerseits die Frage auf, ob man ihn bei päpst-
lichen Bullen, kaiserlichen Privilegien, Schirmbriefen u. a. bleiben
lassen wolle, so sollten die Boten auf diese Frage die spitz-
findige Antwort geben: Zürich sei stets bereit, jedermann Briefe
und Siegel zu halten, falls diese dem göttlichen Wort nicht zu-
wider seien ; der Abt solle nun erklären, ob er beim Recht und
beim Evangelium oder gegen das Recht und „göttlich gefallen"
beschirmt zu werden wünsche. Antworte der Abt, er wolle beim
Recht beschirmt werden, so sei ihm zu erwidern, er hätte seinen
Mönchsstand mit ,,göttlicher Wahrheit" begründen sollen. Ferner
hatten die Zürcher Gesandten ihm vorzuhalten, dass die Gottes-
hausleute die -Greuel" des katholischen Gottesdienstes nicht mehr
dulden wollten; es gehe nicht an, ihn bei dem zu schützen, was gegen
Gott sei. Drohe dann der Prälat mit andern Schirmherren, so sei ihm
zu sagen, man könne das Burgrecht wohl zurücknehmen ; er möge
aber bedenken, was das für Folgen haben dürfte. Auf alle Fälle solle,
wenn Glarus einwillige, der Abt durch die Thurgauer Gotteshaus-
leute und andere zuhanden der vier Orte gefangen genommen
und besonders auch sein Geldvorrat mit Beschlag belegt werden.
Gegenüber den etwaigen Beschwerden der Untertanen des Abtes
sollten die Boten nachsichtig sein, wo immer möglich unter Mit-
wirkung von Glarus. Zeige sich aber der Vertreter dieses Standes
widerwärtig oder überschreite er, wie es schon früher geschehen,
seine Instruktionen, so solle er davon abgemahnt und aufge-
fordert werden, weitere Befehle seiner Oberen abzuwarten, i)
Doch aus all diesen Plänen wurde nichts. Am 18. Mai,
während man zu Wil tagte, legte der äbtische Hofammann Lien-
hard Schulder seine oben erwähnte Instruktion zu Glarus vor,
worauf die mit Zürich in drei Artikeln getroffene Vereinbarung
umgestürzt und ohne Zusatz beschlossen wurde, Glarus wolle
den Abt bei Brief und Siegel schirmen.^) Auf diese Stellungnahme
des Landrates scheint das früher genannte Schreiben von Luzern
und Schwyz nicht ohne Einfluss gewesen zu sein. Als nun am
20. Mai der Abt zu Wil vor den vier Orten ungefähr dasselbe
vortrug, was Schulder zu Glarus eröffnet hatte, und die Schirm-
orte aufs höchste bat, ihn bei seinen Rechten und Schirmbriefen
1) E. A., IV, 1 b, Nr. 97 i : Bull. II, S. 144—147.
'') Valentin Tschudi S. 68.
108
bleiben zu lassen, da zeigte es sich, dass die Mehrheit der Schirm-
orte zu ihm hielt; denn ausser Luzern und Schwyz nahm auch
Glarus entschieden für den Abt Stellung. Es liess erklären,
das es ihn bei Brief und Siegel bleiben lassen wolle wie auch
bei Orden und Kutte. Von dieser Antwort der Mehrheit seiner
Schirmherren war Kilian begreiflicherweise sehr befriedigt und
erhielt auch auf sein Verlangen über die abgegebenen Erklärungen
der drei Orte einen besiegelten Abschied. ^)
Zürich war in seiner anti äbtischen Haltung zu Wil allein
geblieben. -) Die Situation hatte sich für die Stadt an der Limmat
in ihrem Ringen mit dem Abt und dessen Partei wieder einmal
verschlechtert, und Kilian gedachte, dies auszunützen, besonders
da in der Landschaft des Gotteshauses mancherorts eine Zürich
feindliche Stimmung herrschte. Vielleicht trug daran das rück-
sichtslose Auftreten Freis nicht wenig schuld ; wenigstens Hessen
sich Gotteshausleute vernehmen, „sy wellend lichter ainen gaist-
lichen vatter zum herren, dann einen weltlichen thyrannen er-
tragen''. In Wil war es vorgekommen, dass die beiden Glaubens-
parteien zu den Waffen gegriffen hatten. ^) Kilian säumte auch
nicht, den Toggenburgern den günstigen Entscheid der drei Orte
mitzuteilen und ihnen zu befehlen, ihn als Abt anzuerkennen ;
was ihre Beschwerden anlange, wolle er sich dann gern als ihr
getreuer Landsmann zeigen. ^ Doch scheint der Abt, um seine
Anerkennung zu erlangen, in religiöser Beziehung allzu nach-
sichtig gewesen zu sein. Wenigstens wurde Ende Mai auf dem
Tag der V Orte zu Luzern geklagt, dass er sich in Glaubens-
sachen ,,schlechtlich halte". •")
Inzwischen fand es Zürich für gut, nochmals nach Glarus
zu schicken, um dem Landrat sein deutliches Missfallen auszu-
drücken über die Haltung der Glarner Botschaft auf dem letzten
Wiler Tage : man stelle die dringende Bitte, dass Glarus seinen
vielfachen tröstlichen Zusagen nachkomme, und betone aus-
^) E.A.,TV, lb,Nr.97 2 und 3. Von dieser Stellungnahine des Standes Glarus
7Aigunsten des Abtes weiss Bull. (II, S. 147) nichts. Doch siehe ausser E. A.,
IV, 1 b, S. 185, auch A.-S., II, 389 1.
2) Sicher I, S. 109, 1/2.
3) Sabb., S. 316 26.
^) A.-S., II, 389.
») E. A., IV, Ib, Nr. 107 h.
109
drücklich, class Zürich sich niemals durch Briefe und Verbindungen,
„die der göttlichen Wahrheit widrig" seien, gebunden fühle; es
ersuche um eine schriftliche Antwort, an die es sich halten
könne. ^) Ferner erhielt noch Ende Mai Junker Hans Edhbach
den Auftrag, bei den „Gutwilligen" zu Glarus dahin zu wirken,
dass der am 1. Juni zusammentretende Landrat in der äbtischen
Sache einen für Zürich günstigen Beschluss fasse. -) Wie früher
dachte man in Zürich auch jetzt wieder daran, Kilian gefangen zu
nehmen. Aber die Obrigkeit scheint doch vor diesem Radikal-
mittel zurückgeschreckt zu sein, solange sie dabei nicht Glarus
auf ihrer Seite wusste, und hätte es darum gerne gesehen,
wenn neugläubige Wiler und Gotteshausleute sie zur Verhaftung
des Abts von St. Gallen aufgefordert hätten. Doch jene zeigten
wenig Lust, die Verantwortung für eine solche Gewalttat auf
sich zu nehmen, wie ja auch Zürich selbst seinen Gesandten in
Wil über die Massregeln zur Gefangennahme des Abtes so ver-
schleierte Instruktionen gab, dass die Boten sich darüber bei
ihren Auftraggebern beschwerten. •'■)
So war es denn stets die Haltung der Glarner, die für Zürich
ausschlaggebend sein musste, da erst, wenn sie auf seiner
Seite standen, die Stadt vor einem ihr ungünstigen Mehrheits-
beschlüsse der Schirmorte sicher war. Aber auch Luzern und
Schwyz erkannten dies wohl, und so suchten sie am 1. Juni die
Glarner Regierung zu einem für sie und den Abt günstigen
endgültigen Entscheid zu bewegen, jedoch ohne dass ihnen
dies gelungen wäre: die Entscheidung wurde vom Landrat auf
den 13. Juni an die Landsgemeinde gewiesen. Zürichs Gesandter
Jakob Werdmüller war bereits mit einer Instruktion an den
Landrat abgereist, kehrte aber infolge eines Missverständnisses
wieder um, und man begnügte sich daraufhin, in einem Schreiben
dem Landrat die drei mit der Stadt früher vereinbarten Ar-
tikel nachdrücklich ins Gedächtnis zu rufen und eine schrift-
hche Antwort zu verlangen, ob er dabei bleiben wolle oder nicht. ^)
1) E. A., IV, 1 b, Nr. 103 1.
2) E. A., IV, 1 b, Nr. 105 b.
=*) A.-S., II, 408 2.
■*) Dies teilte Zürich seinen Gesandten zu Wil unterm 4. Juni mit (A.-S.,
II, 434 i). Die Nachricht steht in Widerspruch zu der von Strickler (E. A.,
IV, Ib, Nr. 110) wiedergegebenen Stelle aus Val. Tschudis Chronik (S. 68), als
110
Keinen bessern Erfolg als in Glarus hatte Zürich mit seinen
Plänen gegen die Abtei bei den Gotteshaiisleuten gehabt. Es war
ihm bisher nicht gelungen, sie auf ein gemeinsames Programm
in der äbtischen Angelegenheit zu einigen. ^) Dazu hatte Kilian
sein Teil beigetragen, indem er unter den Gotteshausleuten
ausstreuen Hess, dass Zürich sie durch seine Vögte in Zukunft
noch mehr beschweren werde als vordem die Abte. Wie man
zu wissen glaubte, wandte er zu Wil und im Unteramt Be-
stechung an, um die Leute auf seine Seite zu bringen oder sich
treu zu erhalten, und Ähnliches wurde aus dem Toggenburg be-
richtet. Zürich forderte darum seine Wiler Gesandten auf, diesem
Treiben des Abtes entgegenzutreten und die Gemeinden zu ver-
sichern, dass die Stadt Leib und Leben zu ihnen setzen wolle
und sich gegen den Prälaten nur aufgeworfen habe, damit die
Gotteshausleute nicht von der „göttlichen Wahrheit" gedrängt
würden. Um den lästigen Gegner für immer kalt zu stellen, gab
es nunmehr seinen Boten in Wil offenen Befehl, mit Hilfe der
Gotteshausleute und der evangelischen Stadtbewohner den Abt,
den Reichsvogt Schenkli und andere Parteigänger, welche in Ver-
dacht ständen, sich an der Propaganda für die äbtische Sache
beteiligt zu haben, zu verhaften und bis auf weiteres in sichern
Gewahrsam zu bringen, und zwar so bald als möglich.-)
Das Schreiben, das diesen Befehl enthielt, war vom 4. Juni
abends 6 Uhr, datiert. Sechs Stunden später berichtete Zürich
den Wiler Gesandten, dass es am kommenden Morgen den Kampf
gegen die V Orte eröffnen werde. Dieser Krieg galt aber auch
dem Abt; ihn und seine treusten Anhänger gefangen zu nehmen,
war darum eine Kriegslist, die, wenn sie gelang, Zürich gleich
zu Beginn seines Feldzuges eines lästigen und unter Umständen
gefährlichen Gegners in der Flanke entledigte. Von dem Aus-
bruch des Krieges wusste man zu Wil, wenigstens in den Morgen-
stunden des 5. Juni, freilich noch nichts. An diesem Tage be-
rieten dort die Gesandten der vier Schirmorte von neuem über
ob wirklich eine Botschaft von Zürich am 1. Juni mit dem Landrat verhandelt
hätte. Tschudi mochte wohl davon gehört haben, dass eine Abordnung von
Zürich nach Glarus unterwegs war. ohne dass er die Umkehr der Gesandtschaft
auf halbem Wege erfuhr.
1) A.-S., II, 425.
2) ^_.g_^ II 293, 434 2 mid 3 ; Vad., III. 227 18 19.
111
die Angelegenheit des Abtes von St. Gallen. Die Konferenz
verlief aber wieder resultatlos, trotzdem Kilian die grössten An-
strengungen machte, einen ihm günstigen Entscheid der Schirm-
orte herbeizuführen. Die Zürcher Gesandten wollten sich auf
keine Verhandlungen einlassen, bis die Glarner Landsgemeinde ^)
sich für oder wider den Abt ausgesprochen. Letzterer erklärte
schliesslich, wenn die vier Orte gemeinsam oder einzeln ihn nicht
beim Orden und den Verträgen bleiben lassen wollten, so be-
gehre er die Schirmbriefe zurück, damit er andere Schutz- und
Schirmherren suchen könne, die er wohl zu finden wissen werde.
Es wurde daraufhin von den Vertretern eer Orte beschlossen, am
20. Juni mit Vollmacht von neuem in Wil zu erscheinen.-) Dies
mag wohl der Zeitpunkt sein, an dem das Schreiben Zürichs an
seine Gesandten zu Wil eintraf, das ihnen den Kriegsausbruch
meldete und sie abberief. ^^)
1) S. oben S. 109.
2) E. A., IV, 1 b, 118 a. e. t.
•^) E. A., IV, 1 b, Nr. 119 i. Unterm 5. Juni berichtete Zürich den Boten
von Luzern und Schwyz, welche sich zu Wil befanden, den Kriegsausbruch und
forderte sie auf, Wil zu verlassen (E. A., IV, 1 b, Nr. 119 s).
1,12
II. Kapitel.
Der erste Kappelerkrieg.
Sonntag den 6. Juni beschlossen die vereinigten Räte von
Zürich, am kommenden Mittwoch mit dem Hauptbanner aufzu-
brechen. \) Daneben sollten in der Grafschaft Kiburg 300 — 400
wohlgerüstete Leute ausgehoben werden und am gleichen Tage,
da die Hauptmacht der Zürcher gegen die V Orte ins Feld zog,
in den Thurgau, das Rheintal und die Gotteshauslandschaft ziehen
und die dortigen Gemeinden Zürich den Huldigungseid schwören
lassen. -) Neben Hauptmann Lavater wurden Johannes Bleuler
und Heinrich Peyer zu Befehlshabern dieses Kontingents ernannt.
Am gleichen Tage wurde Frei von der geplanten Invasion der
äbtischen Lande in Kenntnis gesetzt mit der Mahnung, die Sache
geheim zu halten, bis ihm von Lavater Bericht zukomme. ■') Schon
am folgenden Tage liess dieser „ainen gwaltigen stürm ussgon".
Am 9. Juni ^) rückte er mit seinen Truppen, 1200 Zürchern und
Thurgauern, vor Wil. Er hatte eine drohende Missive seiner
Regierung an das Städtchen vorausgeschickt, so dass dieses der
Gewalt wich und sich ohne Kampf ergab. ^) Am folgenden Tag
zogen auch 600 Toggenburger „mit dem Fendli oder Rüden"
1) E. A.,IV, Ib, Nr. 119 (14i); Bull. (Tl, S. 158) berichtet, dass der ent-
scheidende Batsbeschluss, mit dem Gros auszurücken, „Sontags den 5. tag
Brachmonats " gefasst worden sei. Der Sonntag, von dem Bullinger spricht,
war aber der 6. und nicht der 5. Tag des Monats.
^) Die Lande und das Kloster von St. Gallen einzunehmen, hatte Zwingli
bereits im März 1529 in einem Gutachten empfohlen, damit man einen „Zer-
pfennig" habe (A.-S., II, 23(5 ö).
'') A.-S., II, 441.
^) Dieser Tag ergibt sich aus dem oben erwähnten Zürcher Ratsbeschluss
vom 6. Juni, aus Sabb., S. 319 26 und A.-S., II, 495 ; Sicher, I, S. 111 n»
nimmt den Abend vorher an.
'') A.-S., II, 495. Siehe darüber auch das undatierte Schreiben aus Wil
vom 9. Juni (St.-A., Fase. 14).
113
unter der Führung Ammann Rüdlingers ^) Zürich zu Hilfe. ^)
Lavater schickte sie ins Gasterland. Ohne auf das dringende
Ansuchen der Schwyzer einzugehen, dass ihnen laut des Land-
rechts die bundesgemässe Hilfe geleistet werden möchte, ^) hatte
sich eine Landsgemeinde zu Wattwil für Zürich entschieden:
man konnte es den Schwyzern nicht vergessen, dass sie vor einem
Jahre die Toggenburger wegen ihres neuen Glaubens allen Ernstes
zu bekriegen gedacht hatten. Von Zürich aber war schon am
8. Juni der Grafschaft die Zusicherung gegeben worden, dass es
keineswegs die Absicht hege, sie zu bevogten oder ihren Frei-
heiten Eintrag zu tun, wie „böswillige Leute" im Toggenburg aus-
gestreut hätten, und am 11. Juni schrieb Lavater aus Wil im
gleichen Sinn.^) Er traf am folgenden Tag (12. Juni), mit seinen
Truppen über Bischofszeil und Arbon marschierend, in Ror-
schach ein. Der Platz wurde besetzt, wobei, wie fast immer in
solchen Fällen, von den Soldaten allerlei Unfug verübt wurde. '")
„Den 13. Tag, was suntag, kamend alle gotzhuslüt gmaintswis zu
Rorschach versamlet zusammen, gewaffnet, wie si in das feld
ziechen sond, und schwurend si dem vogt von Kiburg ; das was
alss vil, alss schwurend si der statt Zürich, die andren zway
Orter (Luzern und Schwyz) usgeschlossen; doch haind si denen
von Glarus ihre grechtigkeit vorbehalten, wie si bishar gehebt heind.
Morndrins frü (14. Juni) zugend die von Zürich von Rorschach
gen Rinegg und ins Rinthal und nammen der V Orten Uri, Under-
walden, Luzern, Schwyz und Zug vogtung und grechtigkait in;
also schwuren inen die vom Rinthal überal, wiewol sich die am
Oberriet etlich tag spertend. Doch behielten si denen von Glarus
und Appenzell ihre gerechtigkait bevor an den vogtaien; dan
si nit vind waren." ^)
1) A.-S., II, 568 5.
^) Dankschreiben Lavaters vind Zürichs vom 11. und 12. Juni (A.-S., II,
508 b, 523). In letzterm wird auch den Anführern des Toggenburger Kontin-
gents befohlen, nichts Tätliches vorzunehmen bis auf weitern Bescheid.
^) A.-S., II, 463. Schreiben der Schwyzer vom 8. Juni; Wegelin, S. 48.
0 A.-S., II, 462, 508 b.
^) A.-S., II, 568 3.
^'j St.-A., Bd. 99b, 8. 100 f. Der chronikartige Bericht auf S. 97 — 103
dieses im 18. Jahrhundert zusammengestellten Bandes, der ganz aus chrono-
logisch geordneten Abschriften von Tilliers Hand besteht, geht offenbar auf
eine in Fase. XIV erhaltene Abschrift von Stipplin zurück und stimmt in Inhalt
St. Galler Mittlgu. z. vaterländ. Gesch. XXXIO. 8
114
Dass St. Gallen dem Verlaufe der Dinge bis zum Kriegs-
ausbruch mit grösster Spannung gefolgt war, ist selbstverständlich.
da die Stadt ja schon seit geraumer Zeit die Sache Zürichs zu der
ihrigen gemacht hatte. Der Rat war mit der Reformierung inner-
halb der Stadtgrenzen fortgefahren, und so wuchs die Spannung
zwischen der Stadt und den katholischen Orten noch mehr und
machte sich oft für St. Gallen recht unangenehm fühlbar. Als
ein Bürger dieser Stadt im Mai Schuhwaren zu Luzern feilhalten
wollte, wurde er daran verhindert und vor den Schultheissen
geführt, der ihm erklärte : er würde es lieber sehen, wenn die
St. Galler nicht zu den Luzernern kämen, da sie ja doch in allen
Dingen gegen sie seien. M
Als der Bürgerkrieg in der Eidgenossenschaft zur Tatsache
geworden war, beschloss der Grosse Rat ,,uff 8. tag Junij anno etc.
1529: uff die schwebenden löff unnd die bottschafft so Ulrich
Appentzeller von Zürich pracht band, sind klin unnd gross ret
retig worden, das man das kloster hie in der statt innemen woll
im namen gotz, in form, als hernach volgt:
1. Das söllichs geschehen sol mit klain unnd grossen reten;
darunder sollend in harnasch gon 20 man, unnd sol man sunst
niemand ins kloster lan, denn der darin gehört.
2. Die pfaffen im kloster '^) zemen ton in die obern stuben
in der hell, "j
3. Das hofxind sol m(inen) h(erren) schweren, m(iner) h(erren)
unnd gmainer statt (in) trüw unnd warhait irn nutz zefürdern
unnd schaden ze wenden, welicher aber das nit tun wolt, der sol
von stund an das gotzhus rumen. Uff das band geschworn Se-
bastian Gaissberg, schriber, der koch, der underkoch, der portner.
der winschenck, der pfister, der kornmaister. Haini der waibel
hat ni(t) wollen schweren, dessglich Vitterlin von Roschach.
und Wortlaut nahe überein mit der entsprechenden Partie (S. 120 ff.) der sog.
Murerschen Chronik (Ms. 177 der Stadtbibliothek St. Gallen) in deren zweitem
Teil, der einzelne Kapitel aus einer ersten, von der endgültigen z. T, abwei-
chenden Bearbeitung der Sabbata Kesslers enthält, s. Götzinger. St. Gall. Mit-
teilungen XIV, S. 127 ff. Schiess, ebenda XXVIII, S. 368 ff. — Zu obigem
Passus vrgl. auch Bull. II, S. 171, Sabb. S. 31930-.S1.
0 R.-P., 1529, 13. Mai. Der Schuhmacher hiess Hans Tungi.
') Im Original ist durchgestrichen der Passus: „haissen von stund an die
statt und gricht rumen".
^) Ein Haus, das zu den Klostergebäulichkeiten gehörte.
115
4. Die conventherren iinnd die brüder im brüderhiis in die
obern stuben uff der pfaltz und inen ain züsatz geben.
5. An lib unnd gut verbüten, das niemand sunst hinuf ins
kloster gang, denn der darin verordnet ist." ^)
Noch am gleichen Tage schickten die „herren von St. Gallen
ain gantz(en) rat ins kloster zu St. Gallen, und welli vom gsind
m(inen) h(erren) ain bürgerlichen aid schwüren, liessents bliben,
welche nit schwören wotend, hiessent si us dem gotzhus oder
kloster und stat gohn. Die münchen unnd layenbrüder namen
si fengklich und tettend si in die obren pfalz und zu ihnen 12
mann im harnasch, des grossen rats, si zu verhüten. Laytend
herr Heinrich Sailer, Statthalter, an aim armen ysen und hiessend
inen alle Schlüssel des gotzhus überantwurten. Desglichen namen
sie alle pfaffen, die si im kloster fundend, och gefangen in das
oberstübli in der hell und och zu ihnen zwölf geharnascht mann
vom grossen rat". -)
Alles was man im Kloster vorfand, wurde genau aufgeschrie-
ben, ^) und zwei Tage später ,,haind m(ine) h(erren) herr Hans
Wettach. herr Jakob Gebhart, herr Adam Wäckerli von Kostentz,
herr Peter Kaiser, herr Kuonrat Högger und herr Latzarus Tal-
man us ihren grichten ghaissen gon bis an ains ratz gefallen.
Herr Marti Fonwiller und herr Hans Schürpf haind sy uf die
pfallatz ton zu den münchen, wie obstat; aber darnach uff
11. tag Junij hat man si bed us den grichten ghaissen strichen."
An diesem Tag haben auch ,|mine herren die münchen im kloster
von ir gfäncknus ledig glassen ; doch band si ihnen gschworen
ain bürgerlichen aid und blatten und kutten von ihnen tuon
und söllind also fri wie ander burger us und in gan; das hand
si von stund an tun, desglichen die brüder, und ist ihnen zügsait
schütz und schirm als andren burgern." ^)
Die Stadt St. Gallen gab sich auch in ihrem eigenen Inte-
resse redlich Mühe, dass der Krieg für Zürich und seine Ver-
bündeten möglichst vorteilhaft verlaufe. Den Steinachern schickte
sie vier „haggen", den Rheineckern zwölf. ■'). Vadian vergisst
1) R.-P. 1529, S. 75.
2) St.-A„ Bd. 99 b, S. 97 f., Murer, S. 120, Sabb. S. 318/319, Sicher.
I. S. 111 29-31.
3) R.-P. 1529, S. 76.
4) St.-A., Bd. 99 b, S. 99 f., vgl. Murer, S. 121.
•') R.-P. 1529, S. 76, 8. Juni, nachmittags.
116
darum nicht, in seinem Diarium ') hervorzuheben, wie St. Gallen
„in disen löufen alle trüw erzaigt mit büchsen, bulver, stainen,
lib und gilt". Am 11. Juni hatte die Stadt ein recht kriegerisches
Aussehen, da sie an diesem Tage von Zürich, kraft des christ-
lichen Burgrechtes, zum Zuzug gemahnt worden war. Noch am
gleichen ,,tag zwischend 3 und 4 haind m(ine) h(erren) 200 mann
mit aim fendli usgeschickt, unsern herren und mitburgern von
Z(ürich) zu hilff wider die von Schwiz, die im Gastel gen Utznach
lagen : wass hoptmann Andreas Müller, fendrich Bastli Graf, pre-
dikant her Thebas Alther, waibel Andres zu Türrenmüli und
Bernhartz Hansi, Wachtmeister Thoni Seckler, lütiner Stoffel
Krench, und fürtend 4 schlengli und 1 raiswagen mit spies(s)en;
kamend die erste nacht gen Gossaw. Da kam ain bott von
Z(ürich), si sottind den nechsten gen Z(ürich) und nit ins Gastel;
dan die V Ort legind in der March zu Lacha gsterckt. Also kamend
si am 11. tag gen Aelgöw; dan es tätt noth. Und kamend zwen
brieff diesen tag gen St. Gallen von Z(ürich), und stalt man 2
schlangen und 4 raisschlängli für die metzgi mit stein und bulfer,
also das man maint, man müssti ghch uff sin mit dem paner dem
fenli nach." -)
Als Lavater mit seinen Truppen in Rorschach war, schickten
die St. Galler den Hauptmann Konrad Mayer dorthin, „ain frünt-
lich verstand mit ainander zu heben." ^)
Den Zuzug der Gotteshausleute zur Rorschacher Landsge-
meinde vom 13. Juni ^) erleichterte St. Gallen den Teilnehmern,
so viel es konnte, wobei es namentlich die durchziehende Mann-
schaft mit Klosterwein traktierte. Am frühen Morgen dieses
Tages zogen nämlich ,,bi 500 man von Gossaw, Mettendorff,
Niderdorff, Oberdorff und Strubenzell, die an die gmaind gen
Rorschach wettind, hindurch; denen gabende m(ine) h(erren) in
der Weber hus win, käs und brott, den win von hoff by 3 som,
käs und brott gabend m(ine) h(erren). Morndes kamend aber
etlich wider von Rorschach und trunckend aber bi 1 som, wass
montag den 14. tag Junij." •')
1) Vad., III, S. 2288.
'■^) St.-A., Bd. 99 b, S. 98/99; Murer, S. 120 f.
3) St.-A., Bd. 99b, S. 100: Murer. S. 121.
•*) S. oben, S. 113.
■') St.-A., Bd. 99 b, S. 100 f.: Murer, S. 122.
117
Noch kurz vor dem Priedensschluss zwischen Zürich und
den V Orten hatte St. Gallen Gelegenheit, auch den evangelischen
Rheintalern seine Geneigtheit und Opferwilligkeit zu beweisen.
Zu der österreichischen Kriegspartei, welche die Innsbrucker
Regierung zur kriegerischen Unterstützung der katholischen Orte
aufforderte, gehörte, wie wir wissen, namentlich auch Marx Sittich
von Ems, österreichischer Vogt zu Bregenz und im Vorarlberg.
Schon Ende September 1528 hatte er mit dem Grafen von Sulz,
dem „Haupt der Innsbrucker Regierung", den V Orten seinen
Beistand angeboten. ^) Und wenn diese im ersten Kappeler-
kriege von Österreich keine Unterstützung erhielten, so war es
nicht die Schuld Marx Sittichs, sondern verursacht durch „das
Fehlen eines einheitlichen Bandes", welches Vorderösterreich zu-
sammengefasst hätte, die finanzielle Misere seiner Regierungen
und die Abgeneigtheit der weltlichen und geistlichen Herren
zwischen Donau und Rhein. -) So erwiesen sich die Ratschläge
des Marx Sittich für bewaffnetes Eingreifen als „nicht ausführ-
bar". Man begnügte sich schliesslich zu Innsbruck damit, ihn
zu strengster Beobachtung und Berichterstattung über die Vor-
gänge in der Eidgenossenschaft aufzufordern. '') Diese Ohnmacht
Österreichs war aber wohl nur wenigen Eingeweihten bekannt.
Im Rheintal fürchtete man während des Kriegs beständig einen
Überfall von Seiten des Emsers, der auch nicht versäumte, die
Leute jenseits des Rheins in Schrecken zu jagen. Er hatte
einige Truppen zusammengebracht, „mit welchen er etwas ge-
speust und prögen am Rin gemacht", so dass in der Nacht von'
22. auf den 23. Juni die Rheintaler an Rheineck einen Eilboten
schickten mit einem Schreiben, worin stand : „lientz, ilentz, ilentz
schigkend uns ain züg, oder wir sind arm lüt". Die Zahl der
Feinde sei gross etc. *) Es hiess auch, Marx Sittich habe den
Rheintalern berichten lassen, er wolle am 23. d. M. „mit in zu
morgen essen". Die Kunde rief in der ganzen Ostschweiz ge-
waltige Aufregung hervor. Bis nach Winterthur hinunter wurde
Sturm geläutet, so dass bei 10,000 Mann •"■) zusammenliefen.
^) Escher, Glaubensparteien, S. 58/59.
2) S. Escher, S. 92 — 98.
•*) Statthalterei- Archiv Innsbruck: Gemain Missifen 1529.
4) A.-S., II, 609.
•') Sabb. 3239.
118
St. Gallen schickte 120 Mann „mit dem fendli gen Rorschach und
2 karenbuchs und 6 hagenbüchsa, euch müssmel und spiss" und
sandte noch weitere ß Geschütze nach. Hauptmann Lavater war
am 25. Juni mit starken Kontingenten und drei Kanonen in Wil,
um von da ins Rheintal zu ziehen. Er erfuhr aber dort, „es
sei nichts", ')
So verwandelte sich denn an diesem Tag der Schrecken in
Freude, besonders als man erfuhr, dass am Tag vorher Friede
zwischen den katholischen und evangelischen Orten geschlossen
worden sei. Noch am 25. kehrte unter dem Jubel der Bevöl-
kerung das St. Galler Kontingent wieder nach Hause zurück. -)
Am 28. Juni wurden die Artikel des ersten Kappeier Landfriedens
im Grossen Rate vorgelesen. Daraufhin berief er alle Hauptleute
und Unterbefehlshaber, welche am Auszuge teilgenommen, vor sich,
dankte ihnen „vast" und lohnte sie wie die Mannschaft reich-
lich ab. 0
•■I--
Es war für Abt Kilian von grossem Vorteil gewesen, dass
beim Kriegsausbruch die Gesandten von Luzern und Schwyz
sich noch bei ihm zu Wil befunden hatten. So konnte er sie
in seiner höchst schwierigen Lage über sein Verhalten zu Rate
ziehen. Die Boten rieten ihm, sich ausser Landes zu begeben.^)
^) A.-S., II, 624. Siehe über das Ereignis auch Sabb. S. 322/.S23 ; Miles
S. 340 (68) — 341 (69); Sicher, I, S. 113. Näf (s. a. a. 0.), S. 717 glaubt
allen Ernstes, dass Marx Sittich ,mit 10,000 Mann österreichischer Truppen"
den ßheinübergang versucht habe: doch sei das Unternehmen an der „wach-
samen Bereitschaft" der Rheinecker und durch den Zuzug der Gotteshausleute,
Thurgauer und Rheintaler gescheitert. Wieso Näf zu dieser Annahme kommen
konnte, lässt sich freilich bei dem vollständigen Mangel an Quellenangaben nicht
ermitteln. Seine Darstellung dürfte aber — ganz abgesehen davon, dass sie
weder durch Kessler noch Miles noch Sicher belegt ist — durch Eschers
Untersuchungen („ Glaubensparteien "), S. 91 — 98, vollständig widerlegt sein.
3) Miles S. 345 (73) 27-29.
=») R.-P., 1529, 28. Juni.
■^) Es ist kaum richtig, was v. Arx (II, S. 546) berichtet, dass auch die
Glarner Gesandten Kilian den Rat gaben, sich aus der Eidgenossenschaft weg zu
begeben. Letzteres schliesst v. Arx aus Sicher, I, S. 111 5—10, ohne dass sich
die Annahme notwendig aus den dort angeführten Worten ergäbe. Vor allem
aber spricht Kilian in einem Schreiben (A.-S., II, 636i) selbst nur von den Ge-
sandten von Luzern und Schwyz, welche ihm geraten, sich über den See zu
verfügen.
119
Wirklich flüchtete er sich in aller Heimlichkeit nach Steinach
und liess sich von dort in der Morgenfrühe des 7. Juni ') „mit
frombden klaidern", vom Dekan Othmar Glus und dem Käm-
merer begleitet, -) über den See nach Mersburg führen, „mit
etwa vil geltz"', wie Vadian zu berichten weiss, ^j Friedrich von
Mötteli zu Roggwil hatte ihm von Wil aus eine Strecke weit das
Geleite gegeben, weshalb er später dafür und „für anderes"
1000 Gulden zu ,, vertrösten'' hatte. ') Noch am 6. Juni hatte
der Abt angesichts der drohenden Lage, an ein nicht genanntes
Kloster — wahrscheinlich Mehrerau bei Bregenz — geschrieben,
um im schlimmsten Fall für sich und die treu gebliebenen Kon-
ventherren Unterkunft zu finden. ') Am Tage seiner Abreise
liess er dem Hauptmann sagen, man habe ihm berichtet, er
solle zu leichterer Erlangung der päpstlichen Konfirmation —
Kilian hatte sich schon bald nach seiner Wahl um dieselbe
beworben ") — wie auch seiner Regalien über den See kommen. ')
Vergebens hatte Frei den Verhaftungsbefehl Zürichs auszuführen
gesucht. Der Abt besass in Wil und Umgebung noch einen so
starken Anhang, dass der Hauptmann an die Ausführung seines
Handstreiches gegen ihn nicht hatte denken können, '^) und
als Lavater am 9. Juni mit seinen Truppen nach Wil kam, um
laut Zürcher Ratsbeschluss vom 6. Juni nebenbei den Prälaten zu
verhaften, •') befand sich dieser bereits in Sicherheit. Der Arger
darüber war begreiflicherweise bei Zürich und seinen Anhängern
1) Sabb., S. 319 27^28.
^) Diethelm Blarer floh nicht mit dem Abt zusammen über den See, wie
man aus v. Arx (II, S. -546) sc-hliessen könnte. Er hatte Kilian jedenfalls auch
nicht bis nach Steinach begleitet (v. Arx ibid.) ; denn noch am 11. Juni wusste
Blarer nicht recht, wo der Abt war. Er habe gehört, dass sein g(nädiger)
h(err) nach Mersburg gefahren sei, schrieb er am 11. Juni an Kilian (St.-A.,
Fase. 14).
3) Vad., m, S. 227 12-13.
^) A.-S., II, 684.
•^) St.-A.. Fase. 14.
") S. dazu E. A. IV, 1 b, Nr. 97 (1 s).
'') Schreiben Frais vom 7. Juni an die Zürcher Regierung (A.-S., II, 450).
Wir begreifen darum nicht, wie Vadian (II, 227 14—15) über die Flucht des
Abtes bemerken kann: ,Item sait er (der Abt) darnach, er hette solichs (seinen
Weggang) dem hauptman ze wissen tun, und was erlogen."
**) A.-S., II, 438.
■•) E. A., IV, Ib, Nr. 119 (14a).
120
nicht gering und machte sich in manchen ungerechten Anklagen
gegen den Entronnenen Luft. Dass aber dieser nicht in erster
Linie, um strikte Neutrahtät in dem begonnenen Kriege zu halten,
sich jenseits des Rheins und Bodensees niedergelassen, wie
Sicher berichtet, ^) dürfte wohl klar sein. Selbst der abtfreund-
liche Chronist Valentin Tschudi bemerkt zur Flucht Kilians, er
habe von seiner Verlegung des Wohnsitzes gehofft, „der Keiser
wurde im widerum ynhelfen".
Doch bevor wir auf diesen Punkt näher eintreten, wollen
wir sehen, wie sich die Eidgenossen zu dem Plane stellten, den
Abt in den wirklichen Besitz seiner Abtei gelangen zu lassen.
1) Sicher L 8. 111 n.
121
III. Kapitel.
Abt Kilian und die Eidgenossen.
Abt Kilian hatte sich, wie wir gesehen, noch rechtzeitig der
Gefangennahme entzogen und vorderhand seinen Wohnsitz zu
Überhngen aufgeschlagen. 0 Schon am 25. Juni konnte der
„Wiler Kanzler" Heinrich Grossmann ihm dorthin Bericht senden
von dem soeben erfolgten Friedensschluss zwischen den beiden
kriegführenden Parteien. -)
Die Urteile, welche von katholischer Seite über den ersten
Landfrieden dem Abt zu Ohren kamen, lauteten für ihn wenig
tröstlich. So schrieb man am 14. Juli aus Einsiedeln an Dekan
Glus nach Überlingen: „So ist der berycht jetz gemachett, das
ich übel furcht, es sy noch nit genüg; die rütt und straff gottes
hab noch nit end, sonder werdend noch fyl lütt in kurtzen tagen
abfallen . . . Ich sorgen der gantzen Aidgnoßschafft; wyr habind
ander lütt geplaget, nun sy die zit, das gott unss messen well,
wie wyr habind gemessen .... ■')
Der gefährlichste Punkt im Friedensinstrument war für den
Abt der erste Teil des VIII. Artikels. Hier wurde nämHch aus-
drückhch gesagt, dass alle „züsagungen^', . . welche Zürich etc.
„göttlichs Worts halb" gemacht hatten, in Kräften bleiben sollten.
Nun konnte man zu Zürich sagen: wir Zürcher sehen den Mönchs-
stand, also auch die Abtwürde, als etwas Ungöttliches an; das
wir nun vor dem Krieg den Gotteshausleuten versprochen, sie
mit Leib und Gut gegen ungöttliche Beschwerden zu schirmen.
^) Es klingt recht sophistisch, wenn Vadian (III, S. 243 30-3i) erklärt,
Kilian sei freiwillig geflohen : der Prälat habe demnach gelogen, als er zu
Baden (März 1530) erklärt habe, er sei vertrieben worden. Es war doch eine
sehr unfreiwillige Flucht, wie aus den vorhergehenden Ereignissen deutlich
genug hervorgehen dürfte.
-) St.-A., Bd. 99 b, S. 127/128; Orig. fehlt.
•') St.-A., Fase. 14, Orig.
122
so verweigern wir dem Abt als solchem die Anerkennung laut
Artikel VIII des Landfriedens. Geschah dies und trat Kilian
nicht aus dem Orden aus, wurde er nicht regierender weltlicher
Herr, so war für ihn der erste Teil des XV. iVrtikels illusorisch
geworden, welcher bestimmte, dass beide kriegführenden Parteien
— und den geistlichen Herrn konnte man doch nicht wohl für
neutral ansehen, wenigstens tat das Zürich nicht — bei ihren
Herrschaftsrechten bleiben sollten. Ausdrücklich waren nämlich
dabei die früheren Artikel, also auch jene Zusagen Zürichs in
Betreff des göttlichen Wortes ausgenommen. So hatten denn die
V Orte bei den Friedensverhandlungen einen speziellen Zusatz
für den xA.bt von St. Gallen und andere Prälaten vorgeschlagen,
dass nämlich diese bei dem Ihrigen wie vor dem Krieg und von
alters her bleiben sollten. 0 Die übrigen für den Abt besonders
in Betracht fallenden Artikel des Landfriedens, nämlich I und
VIII 2. Teil, änderten in Wirklichkeit in den äbtischen Landen
nichts. Wir können sagen, dass diese beiden Artikel Zürich in
seiner schon längst betriebenen Propaganda nur weiter anspornten,
indem sie bestimmten, dass, wo die Messe abgestellt sei, dies
nicht angefochten werden dürfe und weitere Abstimmungen über
die Glaubenslehre in d e n Kirchgemeinden gestattet seien, wo
noch Messe gelesen werde.
Dem Abt aber genügte es, dass der erste Landfriede jeden
wieder zu dem Seinen kommen lasse, ohne dass er sich weiter
viel um die damit verbundenen Klauseln bekümmert hätte. Er ge-
dachte darum, selbst seine Sache bei den Eidgenossen zu ver-
fechten und vorderhand einige Tage auf Schloss Gräpplang beim
Ritter Ludwig Tschudi Quartier zu nehmen, -) während noch im
Juni sein Reichsvogt Schenkli bereits für ihn zu Luzern unter-
handelte. •^) Kilian ermahnte diesen eindringlich, auf etwaiges Be-
fragen nicht zu verraten, dass Luzern und Schwyz ihm zur
Flucht geraten hatten, sondern anzugeben, er sei über den See
gegangen in der Absicht, sich die Bestätigung von Kaiser und
Papst zu holen. ') Indessen arbeitete der Reichsvogt rüstig weiter
für seinen Herrn. Er bea^ab sich in den ersten Tasren des Juli
1) E. A., IV, ib, S. 279.
^) A.-S., II, 626.
'^) A.-S., II, 6312.
^) A.-S., II, 636.
123
nach Glarus, dann nach Schwyz und Lnzern, um auf dem näch-
sten Badener Tage einen Mehrheitsbeschluss der Schirmorte
zugunsten des Abtes zustande zu bringen/) und hatte vom Glarner
Landrate bereits eine günstige Antwort erhalten. -) Daneben
Hess aber Zürich die Anhänger des Abtes deutUch genug fühlen,
wer im ersten Kappelerkrieg den Erfolg davon getragen. Ein
Anonymus konnte deshalb an Kilian schreiben, „so herschent
dero von Zürich hotten über Kit und gut, schaltend und waltend,
tröstend, stärkend nach irera fürnemen jederman in wis und
gestalt, als ob sy herren syent über land, lüt und gut". ^) Zürich
wandte sich auch Mitte Juli an Glarus und forderte es auf, seine
ihm früher gegebenen Zusagen wegen des Abts von St. Gallen
zu halten. *)
Bei ihrem Vorgehen gegen den Abt kam den Zürchern na-
mentlich auch der Umstand zu Hilfe, dass diejenigen, welche in
den äbtischen Gebieten noch zu Kilian hielten, durch die Flucht
ihres Hauptes und Herrn schwer getroffen waren. Mancher von
ihnen glaubte, dieser habe mit seiner Flucht bewiesen, dass er
selbst an seiner Sache verzweifle. So hatte denn die Entweichung
des Abtes gerade unter seinen eifrigsten Anhängern grosse Mut-
und Tatenlosigkeit hervorgerufen. ') Es wurde darum Kilian be-
sonders durch seinen Reichsvogt dringend geraten, in Bälde selbst
in die Eidgenossenschaft zu kommen, um sich zu Baden vor den
vier Orten persönlich verhören zu lassen. Zudem könnte der
Abt selbst zu den Schirmorten Luzern, Schwyz und Glarus reiten,
und er glaube, „üwer person schüef gar vil". ") Doch der nächste
Badener Tag war zu nahe, als dass der Abt schon auf diesem
persönlich hätte erscheinen können, besonders da er wegen der
gegen ihn bestehenden offenen Feindseligkeit Zürichs und seiner
Anhänger bei den eidgenössischen Orten zuerst um sicheres Geleit
nach Baden hätte werben müssen. Er begnügte sich darum,
schriftlich und durch Gesandte auf dem Badener Tag, der am
') A.-S., II, 647.
~) St.-A., Fase. 14. Frater Martin Störi, St. Galler Konventual, zur Zeit
im Kloster Einsiedeln, an Kilian, d. d. 9. Juli.
•'S) A.-S., IL 649.
^) A.-S., n, 6782.
•') S. Beilage V.
'') A.-S., II, 679.
124
23. Juli eröffnet wurde, für seine Sache zu wirken. Den eid-
genössischen Boten insgesamt berichtete er, wie er wegen seiner
Konfirmation nach Überlingen gegangen und nicht wegen des
damals ausgebrochenen Krieges, und verwahrte sich ausdrücklich
gegen die Gerüchte, als ob er jenseits des Sees mit König Fer-
dinand oder sonst jemand gegen die Eidgenossenschaft Anschläge
gemacht habe. Sodann bat er, die Tagherren möchten die In-
struktion, die er seinen Gesandten wegen seines Gotteshauses
mitgegeben, gnädig verhören.^) In dieser beklagte sich der Prälat
vor allem über das gewalttätige Vorgehen St. Gallons gegen das
dortige Münster wie über das eigenmächtige Gebaren Zürichs
in den äbtischen Landen, besonders im Schloss Rorschach; die
Eidgenossen möchten dafür sorgen, dass er laut Landfrieden
wieder in seine Herrschaft eingesetzt würde und dass Luzern.
Schwyz und Glarus ihre früher zu Wil gegebenen Zusagen
hielten. Die Tagsatzung setzte daraufhin einenTag in der äbtischen
Angelegenheit auf den 24. August nach Wil an. ^) Inzwischen
sollten die Angehörigen des Gotteshauses nichts Unfreundliches
gegen den Abt vornehmen. -^
Kilian beschloss, diesen Tag persönlich zu besuchen. Schenkh
riet ihm das dringend an, '^) ebenso die ihrem Herrn ergebenen
Beamten zu Wil, welche ihm schrieben, er solle in die Eidge-
nossenschaft kommen und sich „tapferlich wie ain grimer low
stellen". ^) Doch die Zürcher hatten von der geplanten Reise
Kilians Kenntnis bekommen. Hans Rudolf Lavater und Rudolf
Thumysen berichteten schon am 30. Juli aus Baden an Zürich,
der Abt habe im Sinne, zu den Toggenburgern zu gehen •') und.
wenn er dort nicht bleiben könnte, sich nach Einsiedeln zu be-
geben ; man solle alle Wege und Stege, auf denen Kilian in die
Eidgenossenschaft gelangen könnte, schleunigst bewachen lassen,
um den Prälaten womöglich abzufangen. Auf Befehl Zürichs
traf nun Frei die nötigen Vorbereitungen: der Amniann A'on
^) St.-A., Fase. 14.
2) E. A., IV, Ib, Nr. 1461.
3) St.-A., Fase. 14.
4) St.-A., Bd. 99 b, S. 238 ; Orig. fehlt,
ö) St.-A., Fase. 14, 20. Juli, Orig.
^) In der Tat hatte der Abt bereits an Giger das Gesueh gerichtet, in die
Grafschaft kommen zu dürfen (s. A.-S., II. 710 5).
1
125
Rorschach musste die Fähren von da bis nach Rheineck über-
wachen und, wenn nötig, bis nach Appenzell hinauf Vorkehrungen
treffen, falls der Abt etwa von Hohenems hereinkommen wollte;
Peter Weber von Waldkirch hatte die Strecke Arbon-Romans-
horn unter seiner Aufsicht und Erhard Witzig die Wege und
Stege von Romanshorn bis Münsterlingen. ^)
Doch Kihan war noch zur rechten Zeit von solchen Vor-
kehrungen in Kenntnis gesetzt worden und hatte Mittel und Wege
gefunden, um ungehindert nach Einsiedeln zu gelangen. Er hatte
sich am 12. August, morgens sechs Uhr, in Überlingen eingeschifft,
begleitet vom Reichsvogt Heinrich Schenkli und seinem Schreiber
Rudolf Sailer. Am gegenüberhegenden Ufer angelangt, stieg
man zu Pferde und ritt nach Radolfszell. Zwar reiste der Abt
sicherheitshalber inkognito, aber „nüntz desterminder wurden die
von Zell-j siner gnaden zükunfft bericht unnd schanckten im den
win in VI kannen gantz erheben, mit vil erpietung"'. Es war Mittag
geworden, als Kilian von hier wegritt, Schaffhausen zu, das um
die Vesperzeit erreicht wurde. Das nächste Ziel war Kaiserstuhl.
Der dortige Vogt, Cornel Schulthess von Zürich, war ein Partei-
gänger des Abtes und ritt ihm bis aufs Rafzerfeld entgegen. In
Kaiserstuhl wurde übernachtet. ^) Am nächsten Morgen ging's
weiter über Baden, Bremgarten, die Reuss hinauf ins Nonnen-
kloster Hermetswil, wo dem Prälaten und seinen Begleitern
,,von den frowen insonnder vil güts" erwiesen wurde. In Sins,
unweit des Zugersees, endigte der zweite Reisetag. Am folgenden
Morgen fuhr der Abt über den Zugersee nach Zug. Wie er
dort in die Stube des Gasthofs trat, „waren glichergestalt der
dein rat daselbs unnd assent mit m(inem) g(nädigen) h(errn)
den iinbis, schanckten sinen gnaden ouch den win gantz erheben
unnd erpotten sich darnebennt mundtlichen insonnders vil gütz
gegen im, des er sich dann gar wol erfröwt, unnd zalt also
m(in) g(nediger) h(err) das mal für die rädt unnd alle, die da,
dere nammlichen dry tisch waren, unnd reit alsonach dem imbis
den nechsten über Schinndelledi gen Ainsidlen zu unnd kamen
1) A.-S., II, 717.
2) D. h. Radolfszell.
3) Kilian hat sich, nebenbei bemerkt, durch diesen grossen Ritt auf
schlechten Strassen als tüchtiger Reiter gezeigt.
126
um das salvezit dahin. Da ward m(in) g(nediger) h(eiT) unnd
sine diener von m(inem) g(nedigen) h(errn) von Ainsidlen ganntz
erlich empfangen unnd gar wol gehalten.'" ^)
Es war zu erwarten, dass durch das Wiedererscheinen Kilians
in der Eidgenossenschaft sein Anhang daselbst von neuem Mut
schöpfen würde. Auch zu Glarus war ein Wiedererstarken der
altgläubigen Partei zu befürchten, so dass Zürich beschloss, sein
möglichstes zu tun, um die Glarner Landsgemeinde, die am 24.
August stattfand, für sich zu gewinnen und damit die äbtische
Angelegenheit in seinem Sinne zum x\ustrag zu bringen. Es gab
seinem Gesandten hiefür eine durch ihre Weitläufigkeit ermüdende
Instruktion mit. Darin wurde Glarus das Bedauern darüber aus-
gedrückt, dass es seine Gesandten auf den letzten Wiler Tag nicht
mit besseren Instruktionen versehen habe. Im weiteren wurde
hervorgehoben, warum Zürich, wie auch Glarus, den Abt nicht
anerkennen könne : er habe heimlich das Land geräumt, wie das
die Art der reissenden, aber in Schafskleidern einhergehenden
Wölfe sei. Kilian habe jedenfalls weder Mühe noch Geld ge-
spart, um jenseits des Sees Zürich und den Gotteshausleuten zu
schaden; man erzähle ja, dass er zur Anwerbung von Söldnern,
welche man in die Schweiz habe werfen wollen, Geld ausge-
geben habe ; auch sei der Kappeier Landfriede gegen eine An-
erkennung des Abtes, indem das Friedensinstrument bestimme,
dass Messe. Bilder und ähnlicher Gottesdienst, wozu auch die
Mönchsregeln gehörten, da, wo man sie entfernt habe, abgestellt
sein und bleiben sollten ; Glarus sei darum schuldig, dieses
„Mönchengespenst" beseitigen zu helfen; zudem möchten ja
auch die Gotteshausleute keinen Abt mehr haben ; man bitte
darum die Landsgemeinde zum höchsten und teuersten, sich um
Gottes Ehre willen nicht von Zürich zu sondern. -)
Dagegen erklärte der Abt in seiner Instruktion für die Lands-
gemeinde: es sei nicht wahr, dass er fremdes Kriegsvolk habe
in die Schweiz führen wollen, und er werde die „uftrager" des
Gerüchts, sobald sie ihm bekannt seien, gerichtlich verfolgen;
denn der offene Streit unter den Eidgenossen sei ihm von Herzen
leid gewesen : die Landsgeraeinde wisse ferner, dass er immer
1) Tgb. Sail. fol. 1—2.
-) E. A., IV, Ib, Nr. 168 1 .md 2.
127
noch nicht in seine Herrschaft eingesetzt sei, was ihm „nit
klainen kiimmer und beschwere!" verursache, da er als geborner
Eidgenosse immer bemüht gewesen sei, für sein Vaterland und
namentlich für seine Schirmorte das beste zu tun ; er bitte
darum die Glarner „im ze dem sinen, wartzü er recht habe, unnd
nit wyter, ze helffen".
Nachdem beide Parteien angehört worden waren, entschied
sich nach erregten Verhandlungen die Mehrheit der Glarner
dafür, dass Abt Kilian „jetzmals siner possess enntsetzt unnd
kein appt sin solle, er möge denn sin wesenn mit göttlicher ge-
schrifft erhalten unnd bypringen. das es wider gott unnd sin
wort nit sige''. Als aber diese „anntwurt dermassen gemeret
unnd mit zellung der hennden geschaidenn, ward daruf unnder
dem volck ain semlich ungestimpt schryen unnd prechtenn, das
mengklich inn sorgen stünden, sy weiten enanndernn an der
gmaind erschlagen"; denn die unterlegene Minderheit war er-
bittert darüber, dass man den Landrechtsbrief des Abtes nicht
angehört hatte „unnd das also sannt Fridli an den selbigen
brieffen so ellenndigklich nackennt unnd bloß hanngen muß
und nüntz mer gelten solle.
In dem luff das volck hinweg.'* ')
Am gleichen 24. August sollte der für den Abt festgesetzte
Tag zu Wil stattfinden ; er scheint aber auf den 28. August ver-
schoben worden zu sein, und es kam dann nicht die Sache des
Abtes zur Sprache, sondern Anliegen seiner Untertanen. -) Für
ihn selbst war auch wenig zu erwarten ; denn Zürich hatte
seinen Gesandten die Instruktion gegeben, sie sollten dem
wahrscheinlichen Begehren des Abtes um Gehör „schlächtlich"
keine Folge geben und ihm kein Geleit bewilligen, bis er die
geraubte Habe zurückgebracht hätte. •^) — Diesem Auftreten
^) Tgb. Sail. fol. 4 — 6. über das Resultat der Landsgemeinde siehe auch
Val. Tschudi S. 77 und 78 und E. A., IV, Ib, Nr. I683. Entgegen Stricklers
Vermutung, dass die Landsgemeinde am Sonntag vor Bartholomäus (22. Aug.)
abgehalten wurde, fand dieselbe, laut Tagebuch Sailers, fol. 4, am Bartholomäus-
tag selbst (24. August) statt.
2) E. A., IV, Ib. Nr. 173.
^) Staatsarchiv Zürich, Instruktionenbuch II, fol. 61 — 63. Es sind im
wesentlichen die gleichen Motive wie diejenigen der Instruktion, welche Zürich
seinen Gesandten auf die Glarner Landsgemeinde vom 24. August mitgab. In
der Wiler Instruktion ist vielleicht noch das folgende bemerkenswert: Wenn
128
Zürichs gegenüber bemühte sich der Abt, vor allem Luzern und
Schwyz zu energischer Stellungnahme zu seinen Gunsten zu be-
wegen. Er ging am 3. September von Einsiedeln persönlich nach
Schwyz, wo er bei Landammann und Rat günstiges Gehör für
seine Klagen gegen Zürich und die Gotteshausleute fand. Ähn-
lich erging es ihm zu Luzern, wohin er sich zwei Tage später
begab. Als er hier den Rat bat, ihn, der ein „verlassener trost-
loser" Mann sei, nicht im Stiche zu lassen, gab die Stadtobrigkeit
zur Antwort, man wolle ihm in allem treu beholfen sein, wozu
man vermöge Burg- und Landrecht Fug und Recht habe. Vier-
zehn Tage hielt sich der Abt zu Luzern auf und schonte seine
Kasse nicht, um sich die Bürger möghchst günstig zu stimmen.^)
Als in dieser Zeit zu Brunnen eine Tagsatzung der V Orte statt-
fand, liess er Burg-, Landrechts- und Hauptmannschaftsbriefe
vorlegen und den Rat um Hilfe anrufen -) und wiederholte dies
wenige Tage später durch seine Botschaft vor den vier Orten
zu Baden. •') Die Schirmherren hatten bereits in seiner Sache
einen Tag wieder nach Wil angesetzt. Doch war für den Abt
von dieser Zusammenkunft wenig zu hoffen; denn Zürich hatte
zum voraus erklärt: „der münchen wellent wir glatt nützit"; ^)
auch war dem Prälaten selbst Wil als Tagungsort wenig angenehm ;
denn es lag mitten in seiner rebellischen Landschaft. Er liess
darum durch seine Gesandten anfangs Oktober bei den Tag-
herren zu Baden um eine Konferenz nach Rapperswil bitten. '')
Zürich dagegen brachte Bischof szell in Vorschlag: dorthin werde
dem Abt Geleit gegeben werden, wenn er die dem Gotteshaus
entführte Habe zurückerstattet habe. '') Endlich wurde ihm auf
man etwa auf dem Wiler Tage vorbi'ingen wollte, dass durch den ersten Land-
frieden Fehden und Strafen aufgehoben seien, so sei dies richtig in dem Falle,
dass unter den Eidgenossen einer dem andern zugezogen : aber anders verhalte
es sich mit denen, welche fremdes Kriegsvolk über den See oder Rhein in die
Eidgenossenschaft führen wollten, wie das der vermeinte Abt im Sinne gehabt
habe.
1) Tgb. Sail. fol. 10 b — 16 a.
-) E. A., IV, Ib, Nr. 182 m, 1-5. Sept.
3) E. A., IV, Ib, Nr. 192 0.
■*) A.-S., II, 8575.
^) E. A., IV, Ib, Nr. 199 aa: A.-S., II, 863.
") A.-S., II, 896 2; siehe auch A.-S., II, 881.
129
sein weiteres Begehren ein Tag nach Baden bestimmt auf den
23. November. Zürich erklärte aber, es werde den Abt nicht
anhören, bis das fortgeschaffte Gut zurückgebracht sei.O
Der äbtische Handel im Verein mit andern Vorkommnissen
hatte die Situation in der Eidgenossenschaft bereits wieder so
verschlimmert, dass Luzern im September Schwyz um Aufsehen
mahnte und einen Tag für die V Orte ausschrieb, um gemeinsam
Verteidigungsmassregeln zu treffen. -) Kilian erhielt seinerseits
Nachricht, wie Zürich zum Kriege rüste. Der geistliche Herr
fühlte sich deshalb zu Einsiedeln nicht mehr sicher genug und
begab sich heimlich und verkleidet auf das Schloss Gräpplang
zu seinem Freunde, dem Ritter Ludwig Tschudi. Beinahe wäre
er dabei von seinen Widersachern gefangen genommen worden;
denn als er ins neugläubige Städtchen Wesen einritt, um von
dort den Walensee hinauf zu fahren, wurde er erkannt. Doch
forderte anfangs der Wirt zum „Schwert" das Volk vergebens
auf, den Prälaten gefangen zu nehmen. Aber kaum sei er auf
dem See draussen gewesen, berichtet Sailer, „da wäre ain vili
des gmainen volcks dahin züsamen komen unnd des fürnamens
unnd radtschlag gsin, sinen gnaden ilenntz nachin züfaren unnd inn
widerumb gen Wesen zu füren unnd da sampt der hab unnd gut,
dero er dann so vil gefürt, das sih der henngst gebückt hette,
vengklichenn zu behalten bis uff wytren beschaid irer herren
unnd dero von Zürich, denen sy dann ain mergklich groß wol-
gefallenn daran bewysenn wurdenn. Dasseib nun aber nit mögen
beschechenn; dann wie bald der her von Sannt Gallen uffenn
se unnd ingsessenn, da wäre ze stund ain semlicher nachwind
komen, das nit wol müglich gsin, inn mit dechainen schiffenn
mer zu erylen noch zu erjagen." •^)
Die für den Abt auf den 23. November angesetzte Tagung
kam erst am 26. ds. Mts. in Baden zustande, nachdem Zürich
vergebens versucht, sie nach Bischofszell zu verlegen, wo es
den Abt besser in seiner Gewalt gehabt hätte. *) In einem „Rat-
schlag" für diesen Tag hatte eine Zürcher Ratskomraission vor-
geschlagen, Kilian nicht anzuhören, ihm keine Antwort zu geben,
1) E. A., IV, Ib, Nr. 209 t i i 2.
^) A.-S., II, 827.
3) Tgb. Sail., fol. 21 22.
-') A.-S., II, 924; Tgb. Sali., fol. 41b.
St. Galler Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 9
130
sich überhaupt mit ihm ..inn keyn disputatz, gezängk oder reclit-
fertigung" einzulassen, damit nicht ,,eyn tröleten angericht"
werde und die Gotteshausleute dadurch vielleicht veranlasst
würden, von Zürich abzufallen. Dieser Vorschlag wurde zwar
nicht angenommen ; man beschloss vielmehr, den Abt anzuhören :
doch sollte den drei übrigen Schirmorten rund heraus gesagt
werden, dass man ihn nicht im Lande dulden werde und dass
man, auch wenn Glarus nicht mithandeln wolle, in nächster Zeit
den Gotteshausleuten ihre Beschwerden abzunehmen gedenke.
Den Boten nach Baden wurde eingeschärft, sich von diesem Ent-
schlüsse unter keinen Umständen abbringen zu lassen. ^) So war
denn von diesem Tage ebenfalls für den Abt wenig zu hoffen,
besonders da auch Glarus seinen Boten nur befohlen zu ,.losen"
und da unter Zürichs Einfluss die Gotteshausleute, welche auf
diesem Tage hätten erscheinen sollen, fern geblieben waren.
Der Abt brachte, ohne dass Gegner vorhanden gewesen wären,
welche ihn zur Verantwortung aufgefordert hätten, über seine
Wahl und sein Verhalten, besonders seit Beginn des ersten
Kappelerkrieges , eine ausführliche Rechtfertigung vor : Er
sei nicht zu St. Gallen, sondern zu Rapperswil gewählt worden,
da man hätte befürchten müssen, dass seine Wahl verhindert
würde, wenn sie am gewohnten Orte vorgenommen worden wäre;
zudem sei er von Papst und Kaiser l^estätigt worden. Er habe
mit Wissen und Willen seines Konventes einen Teil der Habe
des Gotteshauses „entflöchnof' ; -) der grössere Teil davon befinde
sich noch in der Eidgenossenschaft und werde wieder ins Kloster
St. Gallen gebracht werden, sobald er als Abt anerkannt sei.
Wenn man ihm vorwerfe, dass er seine Gotteshausleute im Stiche
gelassen, so habe er zu entgegnen, dass ihm am 6. Juni ein
Schreiben zugekommen sei des Inhalts: er möge, wenn er mit
geringen Kosten die Konfirmation und die Regalia bekommen
wolle, sich eilends nach Überlingen begeben ; das habe er getan,
auch in einem Schreiben dem Hauptmann Mitteilung davon ge-
macht und ihn gebeten, in seiner Abwesenheit das Gotteshaus
in „guter befälch ze haben". Dass er sich verkleidet über den
1) E. A., IV, Ib, Nr. 220 zu g2.
^) Der äbtische Konvent hatte diese Worte durch ein Schreiben an die
vier Schirmorte unterstützt. (Tgb. Sail., fol. 44. Donnerstag nach Othmar
[18. Nov.]).
See begeben, könne er wohl verantworten; denn man habe ihm
während mehrerer Nächte sein Haus zu Wil „verhüet und ver-
wachet'', und als er verreiste, seien ihm „all far'' am See ver-
legt worden : kaum sei er jenseits des Bodensees angekommen,
da wäre das „fenly von Kyburg" zu Wil eingezogen und das
Städtchen samt der ganzen äbtischen Landschaft besetzt worden,
so dass er nicht habe zurückkommen können. Zum Beweise
ferner dafür, dass er nicht mit Marx Sittich „praktiziert" habe,
legte der Abt ein Schreiben des Herrn von Ems vor, in welchem
dieser erklärte, er habe seines Wissens Kilian noch nie gesehen.
Mit der dringenden Bitte, ihn bei dem, wofür er Briefe und
Siegel besitze, zu schirmen und ihn als gebornen Eidgenossen
und Landsmann der vier Schirmorte nicht gegen den Landfrieden
von dem, was ihm gehöre, fern zu halten, endigte der Abt seinen
Vortrag. Doch er erreichte mit seiner Verteidigung so gut wie
nichts. Glarus hatte, wie wir wissen, zum Handeln keine Voll-
macht, und die Zürcher Boten hielten sich an ihre Instruktion.
Sie erklärten, sie hätten die Verantwortung des Abtes gehört
und ^.lassend die S3"n, wie die syge"; ja, sie bemerkten unum-
wunden, mit Wiederholung der uns schon bekannten Gründe,
warum Zürich den Abt nicht anerkennen könne : „ire herren
sigend des stifen sinns und gemüets. in nit widerumb inkommen
ze lassen". Es war ein schwacher Trost für Kihan, dass Luzern
und Schwyz versprachen, ihm Briefe und Siegel wie von Alters
her zu halten, soweit sie das im Stande wären.
Zum Schluss der ganzen Verhandlung, für die ein besonderer
Abschied ausgefertigt wurde, ^) rief Kilian seine ihm treu ge-
bliebenen Schirmorte an, Zürich und Glarus gütlich oder rechtlich
dazu zu vermögen, dass sie ihm Briefe und Siegel hielten oder im
Weigerungsfalle ihm die Schutz- und Schirmbriefe herausgäben.
„Man wurde in uss der kutten nit bringen; es müesste noch mee
red brachen", fügte der energische geistliche Herr bei. und
seine Gönner, welche ihm auf diesem Tage Beistand geleistet,
liessen sich vernehmen, dass sie solche Anschuldigungen gegen
den Abt, der sich doch gebührend verantwortet habe, nicht länger
1) E. A.. TV. 1 b. 220 zu g:! : siehe auch Vad. III, S. 229 4o — 231 i.' :
Sicher. I, S. 117 i-io: ferner das eingehende Gutachten über die Verhand-
lungen mit Abt Kilian, welches wohl Vadian verfasst hat. (A.-S.. II, 956).
132
dulden könnten. Dies hätten sie im Namen der „früntschafft"
des Abtes, „dero dann gezelter mannen bi vierhunderten sigen".
anzuzeigen. ^) So gab denn der Abt nicht nach mit seinen Be-
mühungen, ins Regiment zu kommen. Von Einsiedeln aus suchte
er durch ausführliche Schreiben Zürich und Glarus von ihrer
feindseligen Haltung ihm gegenüber abzubringen und vor allem
zu verhindern, dass die beiden Orte, wie Zürich zu Baden er-
klärt hatte, den Gotteshausleuten eine Regierungsbehörde gäben,
wodurch er eigentlich entsetzt worden wäre. In diesen an
die beiden Stände gerichteten Schreiben -) liess sich Kilian ver-
nehmen : er habe sich zu Baden so verantwortet, dass er glaube,
die vier Schirmorte hätten daran „ain gut benuegen empfangen",
und rufe also Zürich und Glarus nochmals zum höchsten an, ihn
bei Brief und Siegel zu schirmen. Wenn sie aber trotzdem im
Sinne hätten, wie Zürich gedroht, den Gotteshausleuten ein Re-
giment zu geben, so fordere er die beiden Orte auf, damit still-
zustehei), bis ein Rechtsentscheid darüber gefällt sei, ob Zürich
und Glarus zu ihrem Vorgehen Fug und Recht hätten; er wolle
ihnen auch hiemit einen solchen Rechtstag vorgeschlagen und
sie darauf aufmerksam gemacht haben, dass er andere Schirm-
herren suchen müsse, wenn er nicht besser bei seinen Rechten
und Freiheiten beschirmt werde.-') Zürich fand es daraufhin nötig,
energisch an Glarus zu schreiben und aufs höchste darum zu er-
suchen, dass man sich in der äbtischen Angelegenheit nicht von
ihm trenne, das Rechtsangebot des Abtes in den Wind schlage
und auf den kommenden St. Nikolaustag eine Botschaft mit der-
jenigen von Zürich nach Wil sende, um den Gotteshausleuten
ein Regiment aufzurichten : der Abt habe alle Rechte auf die
Abtei, „ob ihm schon einiche zugestanden", durch die Entführung
von Klosterhabe über den See „von rechts wegen" verwirkt;
^) Tgb. Sail., fol. 48b. (Freitag nach Katharina); siehe dazu die In-
struktion Luzerns für diesen Tag zu Baden. Der Luzerner Bote hatte unter
anderm an Zürich die Frage zu stellen, ob es den Frieden in allen Stücken
halten wolle oder nicht; es scheine, als ob die Zürcher nur die Artikel halten
wollten, die ihnen beliebten; dies könne jedoch nicht geduldet werden. (A.-S..
II, 949 2.)
^) Beide vom 29. November datiert und von gleichem Inhalte.
3) E. A., IV, 1 b, Nr. 220 zu g4. St.-A., Fase. 14, Kilian an Zürich;
St.-A., Bd. 101, S. 52 bis 54, Kilian an Glarus.
133
denn er habe mit dieser Tat „öffentlichen nam und spolium''
begangen. ^) Einen Tag später, am 4. Dezember, schrieb Zürich
an den Abt zurück: es bleibe bei der Antwort, die es den äb-
tischen Gesandten gegeben, da er kein Recht habe, dem Vor-
gehen Zürichs entgegenzutreten oder ihm Recht zu bieten ; denn
bekanntlich sei Zürichs Burgrecht mit dem Kloster St. Gallen
ein ewiges, beziehe sich nicht allein auf den Abt, sondern auch
auf das Gotteshaus und dessen Land und Leute. Der Mönchs-
stand sei in der Bibel nicht begründet ; Kilian speziell sei nicht
auf rechtmässige Weise gewählt worden, hätte die Gotteshaus-
leute in ihrer Not verlassen und sich mit des Klosters Hab und
Gut über den See geflüchtet. Die Gründe, die der Prälat da-
gegen zur Entschuldigung zu Baden vorgebracht, seien unhalt-
bar; zudem habe der Abt nicht, wie Glarus und Zürich es ver-
langten, die geraubte Habe wieder zurückgebracht, und die Gottes-
hausleute wollten überhaupt keinen Abt mehr. Nicht minder
scharf als der Inhalt war die Adresse: „Dem erwirdigen, geist-
lichenn herren Kilian Köuffi, ettwa conventherren dess gotzhuse
zu St. Gallen, der sich desselbigen gotzhuses bestättigetten abbt
berümpt, unserm lieben herrenn und gütenn fründ!" Und der
Tagebuchschreiber des Abtes vergisst nicht, dabei zu erwähnen :
,, semliche obverschribne missif schickent euch die von Zürich
minem gnädigen herrenn nit bi ir statt löiffer, noch bi ainem
der irer statt farw angetragenn, sonnder bi ainem schlechten,
frommen und unachtparen mentschen. alles zu widerdriess und
Verachtung sin er gnaden." -)
Daraufhin liess der Abt durch seine Botschaft auf dem Lu-
zerner Tag vom 14. Dezember um Beistand werben, während er
selbst sich in diesen Tagen wieder nach Überlingen begeben
hatte. Seine Gesandten richteten aber wenig aus. Uri und
Unterwaiden wollten überhaupt nichts mit der Sache zu tun
haben; -^j Luzern und Schwyz aber schrieben am 16. ds. Mts. an
Glarus. dass es den Abt zu dem Seinen kommen lassen und
nichts weiter bei den Stiftsbauern vornehmen solle; die beiden
Orte wollten Glarus, wenn es von seinem Beginnen nicht ab-
1) E. A., IV, Ib, Nr. 220 zu g.ö.
-) Tgb. Sali., Fol. 53 a bis 55 b.
») Vad., III, S. 232 iH-19; E. A.. IV, 1 b. Nr. 233 r.
184
stehe, hiemit Recht vorgeschlagen haben. ^) Im gleichen Sinne
schrieben sie am selben Tage an Zürich;-) dieses begnügte sich
[iber damit, den Lnzernern den Empfang des Schreibens, das
„eben räss und scharpf" gewesen, anzuzeigen und beizufügen,
dass es sich mit Glarus über eine Antwort verständigen werde.
da die Sache diesen Ort ebenfalls angehe. •') Dadurch wurde
die Angelegenheit neuerdings auf die lange Bank geschoben.
Das Schreiben Zürichs wurde in den Tagen abgefasst, da
der Auflauf zu Wil stattgefunden hatte (s. Abschn. III, Kap. Ib).
Dieser bot den Zürchern willkommene Gelegenheit, in nachdrück-
lichster Weise mit Folter und Kerker gegen die treuesten An-
hänger des Abtes vorzugehen und damit der Sache des Prälaten
selbst einen neuen schweren Stoss zu versetzen. Begreiflich,
dass dieser durch seine Botschaft Anfangs Januar L530 auf einem
Tage zu Luzern vor den neun Orten sich beklagte, seine Sache
werde immer „böser''. Darauf erhoben sich die Boten von Luzern
und Schwyz und protestierten laut gegen das eigenmächtige
Vorgehen von Zürich und Glarus in den äbtischen Landen und
gegen die Missachtung aller Rechtsmittel und Ermahnungen
durch die Zürcher; Luzern und Schwyz könnten diese Schmach
und Schande nicht länger erdulden. Die Tagherren begnügten
sich aber damit, die Sache in den Abschied zu nehmen und auf
den 16. Januar 1530 einen neuen Tag nach Baden anzusetzen,
auf dem besonders die Angelegenheit des Gotteshauses St. Gallen
besprochen werden sollte. Auch Zürich, Schaffhausen und Basel
wurden aufgefordert, die Tagleistung unbedingt zu besuchen. *)
Noch vor deren Eröffnung berief aber Zürich die Burgrechts-
orte in seine Stadt. Zwingli hatte für diesen Burgertag ein ein-
gehendes Programm ausgearbeitet, in dem neben anderem vor
allem auch dargelegt wurde, warum Kilian unmöglich anerkannt
werden könne. Bei Anführung der uns schon mehrfach be-
gegneten Gründe wird in dem Memorandum namentlich erklärt,
man habe Fug und Recht, den Abt solange nicht „ynzulassen",
als er seine Kutte nicht ablegen wolle, die ein „verwandter gotz-
0 St.-A., Fase. 14.
-) E. A., IV, Ib, 233 zur.
3) A.-S., II, 1013.
•*) E. A., IV, 1 b, Nr. 247 p und zu t.
135
dienst"' sei. ') Doch aucli Luzern und Schwyz suchten im Hin-
bUck auf den Badener Tag. für ihre Sache bei den eidgenössischen
Orten Stimmung zu machen. Vom 12. — 14. Januar war ihre Bot-
schaft in Bern. Ihre im Namen der V Orte verfasste, einläss-
Hche Instruktion enthielt eine Reihe von Beschwerdepunkten
über gewalttätiges Vorgehen von reformierter Seite; besonders
sollten sich die Gesandten — alt Schultheiss Golder von Luzern
und Vogt Amberg von Schwyz — über das eigenmächtige Vor-
gehen von Zürich und Glarus in der äbtischen Sache beklagen.
Doch erreichten die Boten nur, dass die Berner versprachen,
beide Parteien zu verhören,-) da inzwischen Zürich eine schrift-
liche Verantwortung seines Verhaltens in dem berührten Handel
nach Bern geschickt hatte. •') Nicht viel besser erging es der
Gesandtschaft zu Freiburg ^) und Solothurn. '")
Indessen begann die Tagsatzung zu Baden ihre Verhand-
lungen. Doch wiederum gelangte man zu keinem Vergleich.
Auf die lange Anklagerede der Luzerner und Schwyzer Boten
gegen Zürich wegen dessen Verhalten gegen sie und den Abt
legten die Zürcher Boten in der gewohnten Weise dar, warum
ihre Stadt Kilian nicht anerkennen könne. Da die vermittelnden
Orte keine Vollmacht hatten, die beiden Parteien zur gütlichen
Unterhandlung oder auf den Rechtsweg zu weisen, und die Zürcher
Gesandten im Namen ihrer Obern rundweg erklärten, den Abt
aus den dargelegten Ursachen nicht zur Herrschaft kommen zu
lassen, so wurde der Handel wieder einmal in den Abschied ge-
nommen. Immerhin sollten bis zum nächsten Tage, der in der
Angelegenheit des Abtes abgehalten würde, die Zürcher und
ihre Gegner nichts Unfreundhches gegen einander vornehmen, *')
und Bern, Basel und Schaffhausen forderten Zürich dringend auf,
sich an diese Bestimmung zu halten. ') Ferner beschlossen Bern,
Freiburg und Solothurn, keine Mühe zu sparen, damit der Handel
in Minne beigelegt werde. '*)
') E. A., IV, Ib, Nr. 2.52 zu alV.
-) Wohl auf dem kommenden Tag zu Baden.
•^) E. A., IV, 1 b, Nr. 254 I, u i8 ; III 2.
0 E. A., IV, 1 b, Nr. 2.56.
•') A.-S., II, 1068.
'=) E. A., IV, Ib, Nr. 257 a.
') A.-S., II, 1085, 1077, 1090.
"") E. A., IV, 1 b, Nr. 264 b. Bern, 81. -lanuar.
136
Auf dem folgenden Tage zu Baden (14. Februar ff.) rückten
nun die unbeteiligten Orte mit Vermittlungsvorschlägen auf.
welche hauptsächlich dahin lauteten, der Abt solle die bei seiner
Flucht mitgenommene Habe des Gotteshauses wieder zurückbringen
und die Stiftsleute beim Evangelium lassen, worauf dann er und seine
Aratsleute wieder eingesetzt werden sollten. Doch die Zürcher und
Glarner Boten erklärten, für ein Eintreten auf diesen Antrag keine
Vollmacht zu haben, besonders auch deshalb, weil die Gotteshaus-
leute keinen Abt mehr wollten ; Zürich und Glarus würden in dieser
Angelegenheit keine weiteren Tage mehr beschicken. Luzern und
Schwyz aber äusserten sich dahin, dass der Abt den von den
unbeteiligten Orten gemachten Vorschlag sicherlich nicht an-
nehmen werde. Darauf setzten die neun Orte trotz der noch-
maligen Erklärung von Zürich und Glarus, in keine weitere Unter-
handlung in der Sache mehr einwilligen zu wollen, abermals
einen Tag an, und zwar auf den 20. März. Dazu sollten auch
der Abt und die Gotteshausleute berufen werden. Bern aber er-
hielt im Verein mit Basel und Schaffhausen noch besonderen Auf-
trag, Zürich ,,zum höchsten" zu ermahnen, dass es den nächsten
Tag in der äbtischen Angelegenheit ruhig abwarte.^) Die Schreiben
der genannten Regierungen gingen unter dem 26. Februar und
I. März an Zürich ab. -) Von letzterem Tage datiert aber auch
ein Schreiben des Hauptmanns Frei an seine Obern, in welchem
er sie ermahnt, im äbtischen Handel „tapfer und handfest" zu
bleiben, die Zusagen, welche sie den Gotteshausleuten gemacht,
wohl zu bedenken und sich mit keinem Orte in Unterhandhingen
einzulassen, die solchen Verheissungen zuwider wären. ^) Sein
Schreiben wird wohl dazu beigetragen haben, dass Zürich in
den ersten Tagen des März in einem „kurzen Bericht" alle Ur-
sachen zusammenfasste, warum es samt Glarus Kilian nicht an-
erkennen könne und weder mit ihm noch mit Luzern und Schwyz ins
Recht stehen müsse : letzteres schon darum nicht, heisst es in
dem Programm, weil die Rechte von Luzern und Schwyz an
<ler Hauptmannschaft nicht angetastet würden. Das Ganze ^) —
1) E. A., IV, 1 b, Nr. 273 e und zu 63.
2) A.-S., II, 1157:!, 1173 und 1174.
3) A.-S., II, 1172.
"*) Bull., II, S. 250 — 254. Bemerkenswert ist der harte Ton. der uns in
dem Schriftstück entgegentritt; zugrunde gelegt war ihm wohl ein „Ratschlag"
Zwingiis, betitelt: „Die summa des santgallischen handeis stat darin", s. A.-S..
II, lies.
137
der übrige Inhalt bietet uns längst bekannte Ausführungen —
war für die Burgrechtsstädte bestimmt und forderte sie am
Schlüsse auf, sich mit der Rechtfertigung zu begnügen und
Zürich nicht weiter mit dem „nnangesehen , vermeint rächt-
pott" des Abtes und seiner Anhänger, dem Zürich doch nicht
Folge leisten würde, zu behelligen. Unterm ö. März schickte es
diese Verteidigungsschrift an die Burgrechtsstädte mit einem
besondern Begleitschreiben, in welchem es sein Bedauern da-
rüber aussprach, dass man, wie es scheine, den nichtigen Vor-
wänden des Abtes Gehör geschenkt habe ; es hätte geglaubt,
dass man um die Freundschaft Zürichs mehr gebe als um die
„müden'' Umtriebe des Abtes. ^)
Doch der für Kilian angesetzte Badener Tag liess sich nicht
mehr aufhalten. Bereits hatten nämlich am 21. Februar die neun
unparteiischen Orte an den Abt geschrieben, dass auf den 20.
März ein Tag für ihn nach Baden angesetzt sei; er möge selbst
kommen, ansonst er ermessen könne, „was villicht daruß ent-
springen möchte'". Dazu wurde ihm auch von den neun Orten
Geleit nach Baden hin und zurück gegeben. -) Darüber erfreut,
schrieb Kilian an seinen Reichsvogt, er sei willens, den Tag zu
besuchen, und werde sich unterstehen, mit Gottes Willen „die
sachenn zu vollenden'". '■'') Doch damit hatte es noch gute
Weile ; denn Zürich war stetsfort fest entschlossen, den Abt nicht
zur Regierung gelangen zu lassen. Dies musste auch eine Ge-
sandtschaft der mit Zürich verburgrechteten Städte erfahren.
Vom 9. — 12. März tagten nämlich Zürich, Bern, Basel, Schaff-
hausen, Strassburg, Mülhausen und Biel zu Basel, da sie vom
Kaiser, der nach Deutschland unterwegs war, das Schlinunste
befürchteten. Ihre Gesandten, natürlich ohne diejenigen von Zürich,
erschienen am 16. März vor Kleinen und Grossen Räten der Stadt
Zürich und baten sie aufs höchste und dringendste, den auf der
letzten eidgenössischen Tagsatzung ') vorgeschlagenen Vergleich
anzunehmen und den Boten auf den kommenden Tag zu Baden
dementsprechende Instruktionen zu geben. Die Gesandten der
') E. A., IV', Ib, Nr. 291 zu 1 i „„.i 2.
^) St.-A., Tom. 307, S. 123 — 124.
■•) St.-A., Tom. 307, S. 171 ; s. auch A.-S., Nr. 1170.
'*) Siehe oben.
138
Burgrechtsstädte machten dabei Zürich besonders darauf auf-
merksam, wie gefährhcli die Zeiten seien und dass dem Abt als
])estätigtem Reichsfürsten Hilfe vom Kaiser kommen könnte. ')
Der Zürcher Rat ernannte darnach aus seinen Mitgliedern eine
Kommission, welche über die Antwort auf diesen Vortrag be-
raten sollte ; -) aber Zwingli lehnte schliesslich in seiner Ver-
nehmlassung das Ansuchen der Städte rundweg ab, indem er
erklärte, Kilian nimmermehr „einzulassen". •') Dementsprechend
weigerte sich Zürich, dem Abt auf dessen Begehren ^) freies
Geleit nach Baden zu bewilligen, besonders da es dabei auch
Glarus auf seiner Seite wusste. •') Ein Schreiben der neun Orte
von Baden aus erreichte bei der Stadt nichts. ") Sie zeigten
sich darüber recht verstimmt, ') besonders die Berner, die schon
über die von Zürich den Burgrechtsstädten gegebene Antwort
wenig erbaut waren und ihrem Unwillen über seine Weigerung,
mit dem Abt oder seiner Partei in weltlichen Dingen den Rechts-
weg zu betreten, scharfen Ausdruck gaben. ^)
Zu dieser Zeit befand sich Kilian bereits in Waldshut, das
er vom Schlosse Wolfurt im Vorarlberg, seinem neuen Wohnsitz,
aus erreicht hatte, nicht ohne unterwegs unter den Strapazen zu
leiden, die er aber mit Humor ertrug. '•')
1) E. A., IV. Ib, Nr. 283 zu g: Nr. 289 I.
^) A.-S., II, 1209.
•'j E. A., IV. .Ib, Nr. 289 II: siehe hier die einzelnen Punkte, mit denen
Zürich seine Antwort begründete, und die Argumente gegen eine allfällige Ein-
mischung des Kaisers.
■i) A.-S., II, 1170.
•'^) A.-S., II, 1221.
'') A.-S., II, 1220; Antwort Zürichs auf das Sehreiben der IX Orte, vom
24. März datiert, worin es sieh beklagt, dass seine Verantwortung nicht ge-
würdigt worden sei.
') A.-S., II, 1225; s. auch V.-B.-S., IV, Nr. 598.
^) Schreiben Berns an seine Gesandten zu Baden, dat. den 23. März [ß.
A., IV, Ib, Nr. 291 zu In).
•^) Der Abt hatte dieses Mal seinen Weg über deutsches Gebiet genommen :
Bregenz — Aich (Aach? nördlich von Singen! —Thaingen. Der Einbruch der
Nacht nötigte ihn, kurz vor Waldshut im Gasthaus einer kleineren Ortschaft
zu nächtigen, wo man, wie Rudolf Sailer erzählt, für den Empfang der hohen
Herrschaften wenig eingerichtet war: „In dem selbigen wirtzhus nun aber der
wirf nüwlich ufzogen unnd was ains klainen Vermögens unnd hatt sich noch in
die wirtschafft nit grüst, unnd must also min guediger her unnd sine diener in
189
Von Waldshut aus schickte er am 20. März seme Begleiter,
den Hauptmann von Batzenheid und seinen Schreiber Rudolf
Sailer, mit einer Instruktion an die neun Orte. Er berichtete,
warum er es nicht wage, selbst nach Baden zu kommen. Wenn
man ihn zu dem Seinen gelangen lasse, werde er sich gegen
seine Untertanen huldvoll zeigen; er wolle zwar beim Orden
und der Messe bleiben, doch keinen Untertanen dazu nötigen;
die Mehrheit (!) der Gotteshausleute samt dem Städtchen Wil
hätten ihn anfangs als ihren Abt anerkannt und wären dabei
geblieben, wenn sie nicht so „grosslich" gegen ihn auf gestiftet
worden wären. Die Gesandten sollten nach diesen Erklärungen die
neun Orte anrufen, dem Abt zu dem Seinen zu verhelfen, sonst werde
er als Reichsfürst anderswo Schutz suchen müssen ; er wünsche
auch von den dreizehn Orten Geleit nach Baden und erwarte
zu Waldshut von den Tagherren weiteren Bescheid. Diese waren
entschlossen, den Abt persönlich zum Wort kommen zu lassen,
und gaben ihm durch den damaligen Landvogt zu Baden, Anton
Adacher, das Geleit nach Baden. Kilian wurde gut empfangen ;
zahlreiche Herren, darunter auch etliche Zürcher, waren ihm
entgegengezogen. ^) „Es hat euch do zmal noch ain gut an-
sehen, im wolt doch zu recht geholfen sin werden." -) Am 28.
März •') wurde der Abt vor die neun unbeteiligten Orte gerufen.
Man erklärte ihm da, es lägen schwere Klagen gegen ihn vor;
er möge sich verantworten, sonst sei man nicht verpflichtet, ihm
zu helfen. ') Darauf verteidigte sich der geistliche Herr in langem
Vortrag gegen die Anschuldigungen seiner Gegner in folgender
ainem gaden ligen, darinu si dann vor rouch kum plyben ; si mochten sich
ouch ganntz kumerlichen vorm gwitter erweren, dann der lufft den regen allennt-
halben zum gaden intreib, und müstent also im gwand unnd klaidern sich die
ganntze nacht ennthalten, unnd wiewol sy unnder tagen vom regen gantz nass
worden warennt unnd sich des wirtzhus gefröwt hatten unnd aber darinne ain
semlichen ufennthalt funden, nuntz desterminder musten si diser herberg unnd
schlafkameren lachen. Der v^^ii-t unnd sin frow gabennt inen aber nun ganntz
gnug ze essen unnd trincken etc." (Tgb. Sail , fol. 87 b).
') Sailer berichtet, es seien „ob den viertzig gezelter mannen" gewesen.
Tgb. 8ail., fol. 92 a.
-) Sicher, I, S. 124 30— 3i.
■^) Laut Tgb. Sail., fol. 92 a.
■*) Siehe dazu Tgb. Sail., fol. 92 a f., wo der Schreiber ausführt, wie der
Abt , gantz früntlichen" von den neun Orten empfangen worden sei.
140
Weise: die äbtische Regierung habe er nicht angefangen, son-
dern diese sei von Kaisern und Päpsten laut Briefen und Privi-
legien verliehen worden ; Jahrhunderte lang hätte man die Äbte
in ihrer weltlichen Herrschaft nicht angefochten, und auch er
wolle dabei bleiben ; wenn ferner, was er aber nicht genau
wisse, da er nicht dabei gewesen, der Hauptmann bei seinem
Aufritt das „göttliche Wort" sich vorbehalten habe, so heisse
das nicht, dass Frei gegen Brief und Siegel und alles Recht-
bieten zu handeln befugt sei. üann protestierte Kilian dagegen,
dass Zürich und Glarus seinen Gotteshausleuten zugesagt, ihnen
mit Leib und Gut beizustehen, da dies gegen Burg- und Land-
recht gehe; zudem binde der Treueid, den die Gotteshausleute
einem Abt und Konvent geleistet hätten, so lange, bis ein neuer
geistlicher Herr eingesetzt sei. Seine Wahl sei in Gegenwart
von Zeugen und Notaren in rechtsgültiger Weise getroffen worden;
man könne nicht verlangen, dass Mönche, die vor vier oder fünf
Jahren aus dem Kloster gelaufen seien, noch dem Konvent hätten
angehören und bei der Wahl anwesend sein sollen. Im weiteren
habe man seine Worte zu Rorschach, dass er fest entschlossen
sei, dort katholischen Gottesdienst zu halten wie bisher, fälschlich
dahin ausgelegt, als ob er die Messe in seinen Landen, wo sie
abgeschafft sei. wieder aufrichten wolle. Die Konfirmation vom
Papst habe er wegen der bedrohlichen Zeit nicht selbst in Rom
holen können, sondern dies durch die Fugger besorgen lassen
müssen. ^) Kilian bemerkte fernei*, er habe ein Recht darauf
gehabt, einen Teil der beweglichen HabQ des Gotteshauses mit
sich über den Bodensee zu nehmen, — den grösseren Teil habe
er in der Eidgenossenschaft gelassen und zwar da, wo man das
Gut jederzeit wohl finden könne, — da ihm und seinem Konvent
das Gotteshaus St. Gallen und dessen „zügehörung" zustehe und
niemand anderem; zudem sei von Abt Franz wenig Bargeld
hinterlassen worden. Den Kirchenschatz aber des St. Galler
Münsters habe nicht er mitgenommen, sondern die Stadt St. Gallen
habe ihn „angriffen". Wegen der gefahrvollen Lage habe er
verkleidet entweichen müssen ; Briefe, Siegel und fromme Leute
^) Die Konfirmation vom Papste, welche der Abt Mitte Januar 1530 er-
halten hatte, kostete ihn die verhältnismässig geringe Summe von rund 900 gl.
Den Fuggern schenkte der Abt für die Besorgung 40 gl., St.-A.. Bd. 101,
S. 88 f., s. dazAi Strickler, A.-S.. II, 811, 902.
141
könnten aber beweisen, dass er nicht im Sinne gehabt habe,
fremdes Kriegsvolk in die Eidgenossenschaft zu führen ; er wolle
den Landfrieden an seinen Gotteshausleuten halten und hoffe,
dass er auch an ihm gehalten werde und man ihn wieder zu
dem Seinen kommen lasse. Das Burg- und Landrecht laute aus-
drücklich allein auf Abt und Konvent und nicht auch auf die
Gotteshausleute. Zu Wil, im Ober- und Unteramt habe man ihn
als Herrn anerkannt, und es wäre dabei geblieben, wenn man seine
Untertanen nicht wieder davon abspenstig gemacht hätte. Dass
er die Stiftsleute mit „Beschwerden" überladen, sei nicht wahr;
ebenso wenig könne man das von seinem Vorgänger sagen, wie
der Rechtstag zu Rapperswil (Juli 1525) bewiesen habe. Der
Abt schloss mit der Drohung, sich, wenn er in der Eidgenossen-
schaft nicht zum Recht gelangen könne, anderswohin, in letzter
Instanz an den Kaiser, zu wenden ; doch wolle er, wenn auch
seine Gegner bis zur nächsten Tagung „still stünden", sich nicht
weiter um Hilfe umsehen.
Darauf entschieden die unbeteiligten Orte, der Abt solle seine
vorgebrachte Verantwortung samt seinen Klagen vor den vier
Orten und den Gotteshausleuten vortragen. Aber Zürich und
Glarus erklärten, den Abt nicht anhören zu wollen, worüber sich
die Boten der neun Orte ,,nit gnügsam verwunndren" konnten.
Es hatte dieses Verhalten der beiden Schirmorte zur Folge, dass
auch die Gesandten der Gotteshausleute und die von Wil es
nunmehr den vermittelnden Ständen abschlugen, den Abt anzu-
hören. ^) Darauf forderten die neun Orte Zürich auf, seine bereits
mündlich vor ihnen dargelegte Anklage gegen den Abt in Gegen-
wart des letztern nochmals vorzutragen oder schriftlich abzufassen.
Zürich wählte das letztere, und man stellte dem Abte das Schrift-
stück zu. Ebenso Hess Kilian auf Ansuchen der unbeteiligten
Orte seine Klage und Verantwortung schriftlich -) samt glaubwür-
digen Kopien der Burg-, Landrechts- und Hauptmannschaftsbriefe
jedem der vier Orte übergeben. Schliesslich wurde auf den
15. Mai ein neuer Tag angesetzt; jeder Bote sollte den Handel
getreulich an seine Obern bringen, damit in der Sache ernstlich
beratschlagt werde. Auf dass dies um so nachdrücklicher ge-
schehe, legten Batzenheid und der Reichsvogt eine Kopie des
0 Tgb. Sail., S. 96 b/97 a.
-) Das Datum ist laut Tgb. Sail. der 28. März.
142
kaiserlichen Lehenbriefes für Kilian als Reichsfürsten ^) vor, mit
dem Bemerken, dass Karl V. seinen Schirm- und Lehenbrief
wohl aufrecht erhalten werde ; er habe auch die Schädigung des
Klosters St. Gallen bei Strafe seiner Ungnade und 80 Mark lö-
tigen Goldes verboten. -) Ein energisches Schreiben von Dekan
und Konvent, an die neun Orte zu Baden gerichtet, hatte den
Abt in seinen Bemühungen unterstützt. Die Mönche erklärten
darin, dass die Wahl Kilians regelrecht stattgefunden; es habe
ihr niemand beizuwohnen gehabt als der Konvent. Sie seien
entschlossen, nicht von der Messe und dem Orden zu lassen, da
sonst die Briefe und Siegel des Klosters kraftlos würden. Kilian
habe mit der Konventualen Einverständnis einen Teil der Güter
des Gotteshauses weggeführt; wer etwas zu fordern habe, dem
wollten sie hiemit Recht bieten. Zum Schlüsse richteten die
Konventherren an die neun Orte die dringende Bitte, sie möchten
den Abt anerkennen und die vier Orte bewegen, ilirem Herrn Briefe
und Siegel zu halten; man hoffe, dass der Abt im Landfrieden
eingeschlossen sei und so wieder zu seiner Herrschaft gelangen
könne. ')
Der Eindruck, den der Abt. der über Schaffhausen heim-
reiste, von dem Tag zu Baden empfangen hatte, muss ein gün-
stiger gewesen sein. Zu Wolfurt, wo er am G. April wieder ankam.
^) Belehnung Kilians durch Karl V., d. d. 20. Februar 1530. Die Gebühr
dafür an die kaiserliche Kanzlei betrug nur 60 gl., in Anbetracht, dass der Abt
aus seinen Landen vertrieben worden (St.-A., Fase. 14). Der Lehenbrief wurde
Kilian erst am 31. März durch den Bischof von Konstanz zugestellt. (St.A..
Bd. 307, g. 211.)
-) E. A.,IV, lb,Nr. 21111. n,o. und zu li. Vad. III, S. 243ii-3ii. S.auchTgb.
Sailers, wo ausführlich über den Tag berichtet wird, so auch, dass die Wei-
gerung von Zürich-Glarus und den Gotteshausleuteu von ,den nun Orten zu
grossen undanck und missfallen angenomen wurd. Saiten inen auch darneben
im grund, was inen zu sagen wäre, und redtend dermassen so scharpff mit inen,
das menigklicher vor der thür (es) hordte" (Tgb. Sail., fol. 97 a). Siehe dazu
die Worte Bastian Appenzellers: die Gotteshausleute seien „ruch" gehalten
worden, V.-B.-S.. IV, Nr. 598 ; A.-S., IL 1225.
•') A.-S., IL 1204. Die dort fehlende Adresse findet sich in Bd. 101 (S.
78) des St.-A. Auffallend ist das frühe Datum (14. März), da nach Strickler
der Badener Tag, für den, laut Adresse, die Missive bestimmt war, erst am 21.
März begann. Um einen frühern Tag zu Baden kann es sich wohl nicht handeln,
da, laut E. A., die letzte vor dem 21. März abgehaltene eidgenössische Tag-
satzung am 14. Februar zusammentrat.
143
herrschte grosse Freude, als er seinen dort befindhchen Konvent-
lierren den Verhinf der verflossenen eidgenössischen Tagsatzung
erzählte. 0
Zürich aber sah sich durch den Widerstand, den Bern seinen
Plänen auf die Abtei entgegensetzte, überall gehemmt. Von Bern
war jener oben erwähnte Vergleichsvorschlag ausgegangen; auch
hatte sich die Berner Regierung entschieden gegen die Behauptung-
Zürichs verwahrt, als ob sie mit ihren Prälaten ebenso gehandelt
habe wie Zürich jetzt mit dem Abt von St. Gallen : sie sei mit
niemandem, der nicht ihrer Obrigkeit unterworfen sei, so ver-
fahren. -) Am 3. April ferner schrieb Bern an Schaffhausen :
da die Zürcher sich beständig gegen einen Rechtstag in dem
St. Gallischen Handel sperrten und sich nicht mit billigen Vor-
schlägen begnügen wollten, werde Bern seine Botschaft mit
„trungenlicher, scharpfer befelch'' auf den nächsten Badener Tag
abfertigen und die Zürcher aufs Höchste ermahnen lassen, sich
mit dem Rechtswege zu begnügen; auch Schaffhausen möge in
diesem Sinne seine Botschaft für den genannten Tag instruieren,
um Krieg zu verhüten. •') Damit war klar und deutlich ausge-
sprochen, dass Bern das Verhalten Zürichs in der äbtischen An-
gelegenheit entschieden missbilligte. Letzteres beschloss darum,
wo immer möglich, Bern auf seine Seite zu ziehen, und zwar
sollten, um mehr Eindruck zu machen, sich mit den Zürcher
Gesandten auch solche von Glarus nach Bern begeben. '*) Am
y. April waren die beiden Botschaften, wie verabredet, dort
und legten mündlich und schriftlich vor dem Rate dar, wie
sehr die beiden Orte es bedauerten, dass Bern und andere
., christliche" Städte bisher versucht hätten, sie vor ein par-
teiisches Gericht zu weisen, während doch der Abt ,,das rechte
Richtscheit aller Rechte", das Wort Gottes, zurückgewiesen habe.
Das Rechtsangebot des Prälaten sei darum jedermann „ungemäss''.
und man sei fest entschlossen, Kilian oder seine „Nachkommen''
nicht anzuerkennen. Bern möge sich wegen dieses Handels nicht
'j Tgb. Sail.. fol. 105. '
-) Worte aus dem schon erwähnten Schreiben Berns an seine Gesandten
in Baden vom 23. März, s. oben S. 138, Aiim. 8.
■'•) A.-S.. ir, 1249.
'j E. A., IV. Ib, Nr. 21» 7 zu ai.
von Zürich sondern; denn es gebe Leute, welche nur zu gern
die beiden Städte trennen möchten. ^)
Die Räte antworteten hierauf: sie könnten sich des Abtes
nicht weiter „beladen", da er mit Bern nicht „soviel verwandt
sei". Dagegen bemerkten sie betreffs der andern beiden Schirm-
orte, Luzern und Schwyz : wenn diese wegen zeitlicher Dinge
in der äbtischen Angelegenheit einen Rechtstag verlangen sollten,
so könne man ihnen laut der Bünde nicht davor sein ; sonst
jedoch würde man sich des Abtes nicht weiter annehmen. Zum
Schlüsse wurden Zürich und Glarus von den Berner Räten er-
mahnt, in den Dingen, welche Leib und Gut berührten, glimpf-
lich zu verfahren. -) Wenn wir damit die bis zu diesem Tage in dem
äbtischen Handel von Bern eingenommene Haltung vergleichen,
so müssen wir sagen, dass Zürich mit seinem Vortrag grossen Er-
folg gehabt hatte : denn Bern Hess jetzt den Abt fallen und wollte
ihn höchstens noch als weltlichen Herrn gelten lassen. Zürich
konnte nun auch mit einem gewissen Rechte die Gerüchte de-
') Zürich hatte für den Tag in Bern seinen Gesandten zwei Instruktionen
mitgegeben. Die erste wiederholt nur bereits bekannte Motive, während die
zweite, welche zur Unterstützung des mündlichen Vortrags der Zürcher diente,
eine Widerlegung der wesentlichen Punkte der äbtischen Verteidigung vom
letzten Badener Tag darstellen sollte : der Abt stütze sich auf nichtige Briefe
statt auf das Wort Gottes, ziehe das menschliche Recht dem göttlichen vor,
behaupte, dass der vermeinte Eid, welchen die Gotteshausleute ihm geschworen,
dem göttlichen Wort vorgehe. Seine Wahl sei nicht durch das Gotteswort be-
stätigt. Das Schreiben des Konventes, welches erklärte, dass die Konventualen
bei Orden und Messe bleiben wollten, sei dem Gotteswort, dem Landfrieden
und dem christlichen Burgrecht zuwider. Aus den Burg- und Landrechtsbriefen
gehe hervor, dass Zürich als Schirmort die Gotteshausleute ebenso gut wie den
Abt zu schirmen schuldig sei ; wenn es also des Gotteshauses und aller seiner
Lande und Leute zwischen den beiden Seen anerkannter Schirmherr sei, wer
denn eigentlich der Herr sei, der Abt oder Zürich (!) und ob der Schirmherr nicht
mehr sei als derjenige, welcher beschirmt werde ? Der Kaiser werde dieses
Mönchs halber keinen Krieg anfangen, sondern die ganze lutherische Faktion, wie
er sie nenne, zu vertilgen suchen. Bern möge bedenken, wie Zürich ihm im
unterwaldischen Handel beigestanden (E. A., IV, 1 b, S. 601 — 604). Es mochte
wohl im Hinblick auf diese vom 2. April datierte Instruktion sein, dass Zwingli
am 5. April an Vadian schrieb:. De abbate iubeo te non nimis sollicitum esse :
nam senatus noster — deo gloria — magis ac magis in illum irritatur ..."
(V.-B.-S., IV, Nr. 600).
2) E_ i^ lY ib, Nr. 297 an.
145
mentieren, als ob es sich mit Bern in der äbtischen Angelegenheit
überwerfen habe. ')
Die Lage wurde so für Kilian in der Schweiz immer hoffnungs-
loser; denn Bern blieb auch einer Gesandtschaft der V Orte
gegenüber bei seiner den Zürchern und Glarnern gegebenen
Antwort, -) und durch die Landsgemeinde vom 24. April bekam
zu Glarus die reformierte Partei das „entschiedene Übergewicht".-')
So war von dem auf den 15. Mai angesetzten Tag nach Baden
für den Abt wenig zu erwarten. Der Reichsvogt hatte Kilian
das Ergebnis der Glarner Landsgemeinde mitgeteilt und ent-
mutigt dazu geschrieben : „in summa, so wil mir üwer gnaden
sach nit zum besten gevallen ; die lüten trucken hindurch und
sind ains." ')
Wie vorauszusehen war, verlief denn auch der Badener Tag,
der Mitte Mai stattfand, für den Abt völlig resultatlos. Zürich
und Glarus wollten sich weder gütlich noch rechtlich mit Kilian
einlassen. •') Bern aber trat aus, indem es erklärte, dass es bei
der Antwort bleibe, welche es den Boten von Zürich, Glarus und
den V Orten früher gegeben habe. '') Hatte so der Prälat schon
auf diesem Tage sehen müssen, wie bitter wenig für ihn noch
bei den Eidgenossen zu erwarten war, so musste der nächste Ba-
dener Tag Ende Juni ihn belehren, dass er bei den eidgenössi-
schen Ständen mit seinem Anliegen schlechterdings nicht zum Ziele
kommen werde; denn ein neuer Vermittlungsvorschlag, welchen
die neun Orte auf dem vorangegangenen Badener Tag gemacht
hatten, wurde nunmehr von Zürich und Glarus wie auch von
Luzern und Schwyz verworfen. Den neun Orten, welche eine
„freundliche Beilegung des Streites" verunmöglicht sahen und
keine Vollmacht hatten, die Parteien zum Recht zu mahnen,
blieb nichts übrig, als sie zu ersuchen, sie möchten nichts Un-
1) A.-S., II, 1274 1, 1276.
2) E. A., IV, Ib, Nr. 298 iii.
•^) Dierauer, III, S. 145.
*) St.-A., Bd. 307, S. 213. Originalsehreiben Schenklis von Einsiedeln
aus an Kilian, d. d. Dienstag nach Quasimodo. Aus dem Schreiben ergibt sich
auch, dass die Glarner Landsgemeinde am 24. April stattfand. Siehe den weitern
Beweis für dieses Datum bei Dierauer III, S. 145, Anm. 1.
^) E. A., IV, Ib, Nr. 322 V.
*') Tgb. Sail., S. 113 a.
St. Galler Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 10
146
freundliches gegen einander unternehmen und die Angelegenheit
einstweilen ruhen lassen. ^)
So beschloss denn der Abt, wie er schon lange beabsichtigt,
so bald als möglich den Reichstag von Augsburg, der bereits in
Anwesenheit Karls V. eröffnet war. zu besuchen. Dazu mochte
ihn nicht zum wenigsten auch die Tatsache veranlassen, dass
sich die alte Landschaft bereits völlig von ihrem geistlichen
Herrn emanzipiert hatte. -)
1) E. A., IV. Ib, Nr. 342 q.
2) Siehe IIl. Absehn., I. Kap. C.
147
IV. Kapitel.
Abt Kilian auf dem Augsburger Reichstage.
Kilian hatte, nachdem er beim Ausbruch des ersten Kap-
pelerkrieges die Schweiz verlassen, vorläufig in Überlingen gute
Aufnahme gefunden. Er versprach sich von dieser Verlegung
seines Wohnsitzes nach Schwaben das Beste; namentlich rech-
nete er dabei auf kräftige Hilfe von Seiten König Ferdinands
und des süddeutschen Adels.
Vorderhand liess sich auch die Sache gut an. In weitem
Umkreis kam ihm der Adel sehr s^ympathisch entgegen, zum
Teil wohl in der Absicht, die reformierten Orte damit zu ärgern
und zu beunruhigen. Besonders Marx Sittich ') und der Graf
Hugo von Montfort zeigten sich ihm sehr günstig gesinnt, und
Kihan gab sich Mühe, ihre Gunst sich zu erhalten. Schon am
5. Juli 1529 liess er sich deshalb bei dem Grafen Hugo ent-
schuldigen, dass er ihn nicht, wie schon längst geplant, persön-
hch besucht oder ihm doch eine Botschaft geschickt habe. -) So
gestaltete sich denn auch der Akt der äbtischen Benediktion,
die am 6. Januar 1530 auf päpstliche Erlaubnis hin ausnahms-
weise zu ÜberHngen vollzogen wurde, zu einer grossen Demon-
stration zu gunsten des Abtes. An seine „Inf ulmesse" (das Ponti-
fikalamt) am genannten Tage schloss sich ein grosses Bankett, an
dem 400 Personen teilnahmen und dem der Abt präsidierte.
Noch den ganzen folgenden Tag dauerte die Feier; es war ein
„mechtig gross fest von edeln, rittern und knecht" samt geist-
Hchen Würdenträgern, welches den Abt, der seine Gäste frei-
hielt, einige hundert Gulden kostete. Wohl ganz richtig bemerkt
Vadian dazu: „Kilian tet es mit etwas trutz, damit man in Turgöw
bericht wurd, dass er sein abtei zu verlassen noch niendert ge-
sinnt were". •') Während des Festes mochten wohl zwischen dem
1) A.-S., II, 665.
2) St.-A., Bd. 99b, S. 146.
■^) Über das Fest siehe Vad. II, S. 414 27-35 ; Miles S. 341 (69) i.i-21 :
8abb. S. 336 lo-u; Sicher, I, S. 123 4-8: II, S. 256 10-20; Mezler, S. 644 :
148
Abt und den adeligen Herren auch Unterredungen politischer
Natur stattgefunden haben, ^) welche für den Prälaten günstig
ausfielen ; denn schon am 12. Januar berichtete Kilian seinem
Reichsvogt Heinrich Schenkli und seinem Bruder Hans Germann,
dass er allenthalben bei den Herren ,.vil züsagens, trosts und
wiUigenn erpietenns" gefunden habe ; er glaube, dass seine
Sache in kurzem .,zum Guten" gebracht werde. ^) Am I.Fe-
bruar schrieb er an dieselben nach Einsiedeln : wenn er auch
in der Eidgenossenschaft nicht zum Recht kommen könnte, so
werde er doch hier diesseits des Sees nicht verlassen werden;
er handle und unternehme auch fortwährend alles, was für die
Sache seines Gotteshauses dienlich sein könnte ; heute habe
Marx Sittich mit ihm zu Mittag gegessen, ihn ermutigt und ihm
im geheimen vieles mitgeteilt. ^)
Am 27. Februar feierte der Abt mit einigen Prälaten und
dem umliegenden Adel — auch Eck von Reischach war dabei ^)
— Fastnacht zu Überlingen.-') Dass man auf reformierter Seite von
solchen Zusammenkünften nichts Gutes erwartete, ist begreiflich;
erhielt doch Zürich am gleichen Tage, da Kilian mit dem Adel
Fastnacht feierte, Kunde von kathohschen Rüstungen jenseits
des Sees, und zwar figurierte unter den Werbeplätzen neben
Zell am Untersee auch Überlingen und als Anführer des Heeres,
das angeblich auf 20,000 Mann gebracht werden sollte, Zürichs
grimmiger Feind. Marx Sittich.'') Dass dabei auch der Abt beteiligt
sei, war man auf reformierter Seite umso eher zu glauben ge-
neigt, als dem Prälaten schon seit Juni 1529 offen vorgeworfen
wurde, dass er Marx Sittich Geld gegeben habe, um Kriegsleute
gegen die Schweiz anzuwerben, und dass er sich bei dem Herrn
von Ems befunden, als nach dem ersten Kappelerkrieg der Sturm
im Rheintal erging. ') Doch der Abt bestritt schon damals diese
vgl. auch die Angaben der Berichterstatter über die Ausgaben des Abtes für die
Feier: Sicher ca. 400 gl., Sabb. ca. 600 gl., Vad. ca. 2000 gl.
^) Vgl. dazu das St. Galler Schützenfest vom Mai 1527.
2) St.-A., Bd. 307, S. 62.
•^) 1. Febr. Kilian an Schenkli und Batzenheid, St.-A., Bd. 307, S. 89/92.
1) A.-S., II, 1166.
^) Vad., in, S. 241 11-17.
«) A.-S., II, 1159.
^) Siehe oben, S. 117.
149
Beschiildigimgen auf das entschiedenste ^) und schrieb deswegen
am 21. Juh 1529 an die Tagherren zu Baden: „dann in der warhait
mir daran gantz unfrüntHch und unrecht beschicht unnd bsche-
chenn ist; sol und wirt sich ouch, dermassen ainicherlay ge-
hanndelt habenn noch gepraticiert, mit warhait niemer erfinden,
sonnders das ich mich die zyt har für unnd für ze Überlingen
unnd daselbs enthalten, ouch zu allen dinngen das best und wägst
unnd alles, das sich zii frid, rüw unnd ainigkait zogenn unnd
diennt, geredt hab". Diese Verteidigung bezog sich aber noch auf
einen weitern Vorwurf, der dem Abt gemacht wurde, „als ob
er der sin solle, der in disem kriegklichenn ufrür mit küng Fer-
dinandussen naißwan ain haimlichenn verstannd unnd pratick ge-
macht und angenomenn".-) Grund zu diesen nicht zu beweisenden
Beschuldigungen mochten die auffällige Freundlichkeit Ferdinands
gegen den Abt, sowie die Versprechungen sein, die der König
dem Prälaten machte; schrieb doch am 5. Juli 1529 Kilian unter
anderem an einen seiner Getreuen, Heinrich Sailer, zu St. Gallen :
man habe sich in seiner Umgebung gewundert über die grossen
Hilfszusagen, welche ihm der König gemacht; er wolle aber
nichts ,, stifften ". ^) Und einige Tage nachher berichtete er
seinen Konventherren zu St. Gallen : der König habe ihm einen
eigenhändig unterzeichneten Brief geschickt, und zwar durch
„fast'' den obersten Ratsboten, „mit semlichem grossenn gne-
digenn erpietenn, das nünt darvon zu sagen ist (!)" ; er, der Abt,
werde aber noch zuwarten; wollte er das nicht, „so wurdint
ettlich nit wyt mer wandlen" ; er sei guter Hoffnung, dass er
und sein Gotteshaus bald „erlöst" würden. ^)
^) St.-A., Fase. 14, Kilian an die Toggenburger. 12. Juli, ebenso au die
Ootteshausleute, 7. August, und Bd. 101, S. 28 — 30, an Appenzell, 18. August
1529. Der Abt beklagte sich darin besonders über den Appenzeller Bartholo-
mäus Bärweger, der „zu Ptäffers im bad haiter und unverborgenlich " erzählt
habe, dass der Abt im vergangenen ersten Kappelerkrieg Landsknechten „ain
besoldung'" bezahlt, um sie gegen die reformierte Schweiz führen zu lassen.
Kilian könne wegen dieser Verleumdung dem Bärweger „rechtens nit erlassenn".
-) St.-A., Bd. 101, S. 9/10, Kilian an die eidgenössischen Boten zu Baden,
dat. den 21. Juli.
3) St.-A., Fase. 14.
^j St.-A., Bd. 101, S. 1 f., 14. Juli. Mehr Material über die Beziehungen
Kilians zu König Ferdinand war nicht aufzufinden. Die Kopialbüeher der
vorderösterreichischen Regierung, die zu Innsbruck, Stuttgart und Ludwigsburg
liegen (siehe darüber Escher, Glaubensparteien, S. VI und VII), versagen hier
15Ü
Doch seine Sache verschhmmerte sich zusehends; denn im Sep-
tember 1529 wurde ilim berichtet, dass Zürich und Glarus einen
seiner abgefallenen Konventherren, Anton Vogt, zum weltlichen
Herrn über die Lande des Gotteshauses setzen wollten, worein
die Stiftsleute bereits gewilligt hätten. ^) Wenn aber der Abt
von den Eidgenossen seine Erlösung erwartet hatte, so war
er, wie wir bereits wissen, gründlich enttäuscht worden. War
also von dieser Seite nichts zu hoffen, so gedachte sich Kilian
jetzt seine Stellung als Reichsfürst zu nutze zu machen und den
Kaiser, der in Deutschland erwartet wurde, um Hilfe anzurufen.
Schon Ende 1529 scheint ihm Joseph Amberg von Schwyz den
Rat gegeben zu haben, sich an den Kaiser zu wenden, da die
katholischen Orte ihm nicht zu helfen wüssten, -) und anfangs
Januar 1530 drohte der Abt auf einem Tag zu Luzern vor den
Boten der IX Orte: wenn man ihm nicht zum Recht verhelfe,
so sei er genötigt, als Glied und Fürst des Reichs anderswo Hilfe
und Recht zu suchen. ') Wohl im Hinblick auf die baldige An-
kunft des Kaisers schrieb ihm am 13. Januar einer seiner treu-
gebliebenen geistlichen Anhänger, die zum Teil schon seit August
1529 im Kloster Mehrerau bei ßregenz Unterkunft gefunden
hatten : ') Kilian möge handfest sein ; zweifellos werde ihm bald
geholfen werden. •') Am 15. ds. M. berichtete der Abt an Schenkli
und Hans Germann, dass der Kaiser auf den heiligen Dreikönigs-
abend zu Rom eingeritten sei und am andern Tag sich daselbst
habe krönen lassen; spätestens am 1. März werde er nach
völlig. Daraus dürfte wohl, in Anbetracht der Sorgfalt, mit welcher alles we-
sentliche, was die vorderösterreichische Regierung anging, in die genannten
Kopialbücher eingetragen wurde, mit einer gewissen Sicherheit hervorgehen,
dass Kilian, wie er auch ausdrücklich in einigen Schreiben bemerkt, den Verlauf
seines Handels „usswarten" wollte, ohne sich weiter mit Ferdinand oder dessen
Regierung in ein Paktieren gegen die reformierten Orte einzulassen. Es blieb
ihm ja schliesslich noch der Kaiser übrig, der in den ersten Monaten des Jahres
1530 in Deutschland eintreffen sollte. Als Fürst des Reiches konnte Kilian
den auf den 8. April ausgeschriebenen Reichstag besuchen, ohne dass man ihm
daraus auf reformierter Seite einen Vorwurf hätte machen können.
') A.-S., II, 802.
2) A.-S., II, 1033 1 7.
•') E. A., IV, Ib, Nr. 247 p.
*) St.-A., Bd. 101, S. 35—36.
■>) St.-A., Bd. 307, S. 424. Heinrich Sailer an Kilian.
151
Innsbruck kommen und wolle dann mit seinem grossen Heere die
Widerspenstigen mit Gewalt zum alten Glauben zurückbringen;
]nan rüste sich allenthalben mächtig auf die Ankunft des Kaisers.')
Noch im gleichen Monat Januar (1530) erhielt der Abt aus dem
genannten Kloster bei Bregenz von seinem Dekan und Konvent
die Kunde, der Kaiser werde auf die kommende Fastnacht zu
Innsbruck sein; der ,,Doktor von der Regierung" habe eine In-
struktion mit nach Innsbruck genommen betreffs aller Handlungen
der Zürcher und Glarner gegen den Abt und wolle seine Herren
(d. h. die Regierung in Innsbruck) von dem Handel unterrichten.-)
Kilian mochte jetzt wohl glauben, es sei Zeit, dass seine Sache
energisch beim Kaiser an die Hand genommen werde. Schon
am 1. Februar konnte er an Schenkli und Batzenheider schreiben:
.,So wissent, dass wir verschiner tagen bimm coadjutor zu Mörs-
purg gewesen unnd im all unnsers gotzhus henndel unnd sachenn
erzelt unnd inn daruf umb hilff unnd rat ankert unnd ersucht
haben. Derselbig sich dann füruß hoch unnd treffennlichen aller
gütwilligkait gegen unns erpotten und hat unns nämlichen an-
zaigt, er werde in kurtzem widerumb hinweg unnd den nechsten
selbs personlichen zu kayserlicher mayestat ryten, unnd darumb
so söllint wir im ain Instruction aller des gotzhus erganngner
Sachen halber stellen; so welle er die zu im nemen unnd dem-
nach den hanndel selbs mundthchen kay(serlicher) M(ajesta)t
unnd zumm trüwlichesten fürtragenn unnd ungezwifelt sovil
hanndlen, das uns und dem gotzhus erschiessennlichen sin werde,
mit vil früntlichem trost unnd züsagenn etc. Also habenn wir
ain Instruction stellen lassenn unnd darinn all erganngen henndel
unnd artickel, wie unnd vonn wemm die dem gotzhus unnd uns
von ainem an das annder begegnet unnd widerfaren sind, ge-
meldt unnd ganntz nüntz darinn ußgelassenn. Dieselbigen er
dann zu gutem gefallen angenomen, unnd sind also daruf mit
dem coadjutor zu Mörspurg in cantzly ganngen, die doctor Jörgen,
cantzler unnd den vogt unnd züvoran imnsern herrenn von
Costentz verhören lassen, unnd hat daruf der cantzler ain missif
an kay(serliche) M(ajesta)t zumm scherpffisten unnd bestenn ge-
macht unnd darinne dero, so unns des unnsern on recht ent-
') St.-A., Bd. 307, S. 67 f.
-^) St.-A., Bd. 307, S. 59.
152
setzenn wennd, ganntz nit verschonet, sonnder alle handliing
darinn gantz ordenlich anzaigt unnd nüntz underlassenn, und
zületst haben wir darinn kay(serliche) M(ajesta)t als ain fürst
des rychs umb schirm unnd schütz angerüfft. unnd ist dermasen
so ordennlich unnd grundtlich verfast unnd beschechen, das wir
ungezwifelt verhoffennt, es werde unns zu gutem erschiessen
unnd in kurtzem gschrifftenn von kay(serlicher) M(ajesta)t an
gemain Aidtgnossen unnd sonndrige ort unnd stett komen.'' ')
Ende März 1530 konnte der Abt den Tagherren zu Baden
mitteilen, dass ihm durch ein besiegeltes Mandat vom Kaiser
der Reichstag zu Augsburg verkündet worden sei; er habe im
Sinne, denselben zu besuchen, was er hiemit angezeigt haben
wolle. -) Der Prälat hatte um so mehr Grund, dies zu tun, als
ihm die V Orte, wie früher, auch jetzt wieder dazu rieten, ^i
Dasselbe tat sein Reichsvogt, indem er die betrübende Lage des
Gotteshauses St. Gallen schilderte, wie die Gegner sich in ihrem
Beginnen nicht aufhalten Hessen und ihre Reihen stets verstärkten,
während die äbtische Partei immer schwächer werde. Von den
Zürchern speziell erklärte er : „Denen lüten wil nieman kain wi-
derstand tun; man furcht si, das got erbarm'".^)
Als vollends am 22. Juni Kilians Kämmerer, den der Abt
nach Augsburg geschickt hatte, wieder zurückkam und ihn auf
Anraten von Augsburger Freunden aufforderte, ,,angentz" selbst
dorthin zu gehen, schrieb Kilian am gleichen Tag an seinen
Reichsvogt: er werde diesem Winke Folge leisten; Schenkli
solle nunmehr auf der Tagsatzung „weder umb recht noch
gütigkait anrüffen. noch des ainicher gestalt wyter begeren'";
es dünke ihn dies nunmehr ganz unnötig, und er wolle es auch
nicht haben ; da er bisher die Eidgenossen so oft um Recht an-
gerufen und nicht dazu habe gelangen können, so glaube er.
„jetz ouch gegen kay(serliche) M(ajesta)t und andern dester mer
glimpffs und ursach'" zu haben, und hoffe, dass es „fruchtbar"
ausschlagen werde. '')
1) St.-A., Bd. 307, S. 90 — 91.
-) E. A., IV, Ib, Nr. 291 zu 1 i. is.
^) E. A., IV, Ib, Nr. 311 e.
■*) St.-A., Bd. 307, S. 227.
■'') Originalschreibeu (von Sailers Hand) vom 22. Juui. St.-A., Bd. 307.
S. 313 — 316; der in dem Brief enthaltene Bericht vom Einzug Karls Y. in
Augsburg findet sich in Beilage VII,
153
Doch die Abreise des Abtes verzögerte sich bis zum 7. Jiüi.
und erst am 9. ds. M. langte er mit drei Begleitern, unter ihnen
der Schreiber, Rudolf Sailer, in Augsburg an. Bei seiner An-
kunft wurde ihm „von denen von Ougspurg mit acht kannten gantz
erheb geschennckt unnd er darbi erlich gegrüst unnd empfangen".')
Doch musste sich der Abt mit einem Logis bei einem Fisclier
in einer abgelegenen Gasse begnügen. Am folgenden Tage
speiste er bei dem ebenfalls zu Augsburg befindhchen Bischof
von Konstanz. Am 11. Juli wurde Kihan bei ihm zur Audienz
zugelassen. -)
Wie der Bischof, so hatte sich auch Luzern des Abtes an-
genommen und ihm eine „fürgschrifff" an den Kaiser mitge-
geben, die, wie aus dem Inhalt des Schreibens klar hervorgeht,
wenigstens inbezug auf den zweiten Teil auch im Namen von
Schwyz abgefasst war. Eingangs begrüssen die Luzerner den
Kaiser in demütigen Worten und erklären, dass sie um des
Friedens und der Ruhe der Eidgenossenschaft willen keine Bot-
schaft an ihn geschickt hätten; er möge ihnen diese ,,schlechte
empfachung und begrüessung mit gschrifff' nicht verargen. Sonst
aber beschäftigt sich der Inhalt dieses Aktenstückes nur mit Abt
Kilian und dessen Gotteshaus, und zwar in sehr scharfer Tonart,
und zeigt uns so recht, wie man eigenthch in der Innerschweiz
über Zürichs und seiner Anhänger Vorgehen in den Stiftslanden
dachte. Laut wird darin Klage geführt, was für „beschwerlich,
verachthch, unerhört, überflüssig, unbilHch händel und Sachen'-
dem Abt seit seiner Wahl begegnet seien ; wie er Luzern
und Schwyz laut Burg- und Landreclit so oft angerufen, ihm
zu dem Seinen oder zum Recht gegen Zürich und Glarus zu
verhelfen, wie die beiden katholischen Orte jedoch Zürich und
Glarus nicht dazu hätten bringen können ; wie auch der Abt die
eidgenössischen Boten insgesamt auf ihren Tagungen angerufen,
ihm um Gottes und der Gerechtigkeit willen zum „rechten" zu
verhelfen und ihn „nit also rechtlos" zu lassen ; wie aber das alles
nichts genützt habe, so dass er mit ihnen, den zwei Orten, recht-
los dastehen müsse, „das Gott klagt sig". Da sie selbst nicht
imstande seien, dem Abt zu helfen, so sei ihr „demüetig, trungen-
1) Tgb. Sau., Fol. 121a.
■^) A.-S., II, 1471 1.
154
lieh und ernstlich anrüefen und bitt'\ der Kaiser möge „durch
etwas mitel und weg" verschaffen, dass dem Prälaten geholfen
werde; dieser werde selbst in eingehenderer Weise, als sie es
jetzt getan, seine Klagen bei seiner Majestät anbringen, und es
sei ihre Bitte, dass der Kaiser ihn „ganz gnedigkUch" anhören
möge. ')
Der Abt hatte seinerseits sein Anbringen beim Kaiser in
zwei ungleich grosse Schriftstücke zusammengefasst. Im ersten,
„Supplikation" genannt, beklagte sich Kilian hoch über die Ge-
walttaten, die ihm von St. Gallen und Zürich widerfahren seien.
Besonders schlimm kam dabei erstere Stadt weg, indem sie be-
schuldigt wurde, ihre „mithelffer" von Zürich zu deren gewalt-
tätigem Vorgehen in den Gotteshauslanden aufgestachelt zu haben.
Zum Schluss rief der Abt den Kaiser als den Advokaten der
heiligen christlichen Kirche hoch und teuer an, ihn aus dem
„gefenngknus der unglöubigen" zu erlösen. ^) Dieses Aktenstück
war mehr allgemein gehalten, und erst in einem weitern für den
Kaiser bestimmten Dokument trat der Abt auf die einzelnen Be-
schwerdepunkte näher ein. '') In ziemlich einlässlicher Weise
wird da berichtet, was Kilian von der Stadt St. Gallen, von Zürich
und Glarus alles begegnet sei, und ausführlich wird der Bilder-
sturm im Münster (Februar 1529) geschildert. Nachdem alle
wesentlichen Anklagepunkte gegen die Stadt St. Gallen dargetan
sind, wird speziell darauf hingewiesen, dass dies besonders darum
') E. A., IV. Ib, Nr. 360 Notes. Strickler glaubte, das Datum auf Mitte Juli
annehmen zu müssen. Das Schreiben ist aber, laut St.-A., Bd. 101, S. 114 und
Tgb. Sail., Fol. 123 a, vom 29. Mai datiert. Bis zu diesem Tage hatte also,
wie wir aus den Eingangsworten ersehen, Luzern nicht im Sinne, eine Botschaft
an den Kaiser nach Augsburg zu senden. Dann aber muss es verhältnismässig
rasch seine Ansicht geändert haben, da bereits am 5. Juli eine dreiköi)fige Lu-
zeruer Gesandtschaft zu Augsburg eintraf. Entgegen Eschers Bemerkung
(S. 174) wurde, laut Tgb. Sail., Pol. 121 b, die Missive Luzei-ns an den Kaiser
dem Abt mitgegeben und nicht den Luzerner Gesandten. Es hätte auch wenig
Sinn gehabt, wenn Luzern seiner Gesandtschaft ein Schreiben an Karl V. mit-
gegeben hätte, worin es erklärte, dass es wegen der schwierigen Lage in der
Eidgenossenschaft keine Gesandtschaft schicken könne.
^) Siehe das Einzelne in Beilage II.
•') Indem wir uns mit einem kurzen Überblick über den Inhalt des Akten-
stückes begnügen, verweisen wir auf Beilage III, wo die Schrift in extenso
wiedergegeben ist.
155
für die St. Galler schwerwiegende Händel seien, weil sämtliche
Bürger der Stadt ohne Ausnahme geschworene Lehenleiite des
Gotteshauses St. Gallen seien (!). Dann kommen die Zürcher
und Glarner an die Reihe, denen natürlich vor allem ihr eigen-
mächtiges Vorgehen in den Landen des Gotteshauses zur Last
gelegt wird; der Abt habe auch gegen sie nicht zum Recht
gelangen können, so wird zum Schlüsse bemerkt, sondern „also
rechtloß" vor gemeinen Eidgenossen dastehen müssen, da diese
ihm nicht ..haben mögen noch wellen diser zyt zu gepürlichem
und zimlichem rechten verhelffen".
Auch für die Reichsstände hatte Kilian eine besondere
., Supplikation" ausarbeiten lassen. Darin richteten sich die An-
griffe des Abtes wiederum in erster Linie gegen St. Gallen, das
wie in der Supplikation an den Kaiser beschuldigt wurde, die
Zürcher zur Eroberung der Lande des Gotteshauses während
des ersten Kappelerkrieges aufgereizt zu haben. Die beiden
Orte hätten auch samt ihrem Anhang die Stiftsleute zum Abfall
von ihrem Herrn aufgestachelt, so dass diese ihm den Gehorsam
aufgekündet hätten, und vergebens habe der Abt nach Empfang
der Benediktion und der Regalien den „vermaindten regierern''
befohlen, von ihrem selbstherrlichen Vorgehen abzustehen. Er
rufe darum die Stände des Reiches an, sich für ihn beim Kaiser
zu verwenden, damit ihn dieser „durch ettwas mittel unnd weg",
wie solche seiner Majestät ja ohne Zahl zur Verfügung stünden,
wieder in sein Gotteshaus einsetze. ') Damit die Stände sich
besser über seine und seines Klosters Lage orientieren könnten,
hatte ihnen der Abt noch eine besondere Abschrift der ein-
zelnen schon erwähnten Beschwerdeartikel übergeben lassen ; -)
•) Siehe Beilage IV.
-) Siehe Beilage IIL Dass der Abt persönlich von Kaiser und Reichs-
ständen verhört worden sei, könnte man wohl aus folgender Stelle des Sailer-
schen Tagebuches schliessen : „Unnd wie also min gnediger her sölich sin unnd
sins gotzhus ob — unnd anligenndt henndel unnd gschäfft dermassen, als obstat,
— Sailer gab dort die Missive Luzerns und die Supplikationen und Beschwerde-
artikel des Abtes in extenso wieder — durch gschrifift und ouch von mund vollenn-
det unnd bi kay(serlicher) M(ajesta)t, ouch den stennden dess Rychs fürgetragenn
und nach allen statten angezaigt unnd erzelt, hat er . . ." (Tgb., Fol. 130b).
Auch nach dem Schreiben Luzerns an Karl V. (siehe oben) möchte man es
vermuten, und so nimmt denn auch Mezler (S. 649) es als sicher an, indem er
schreibt: ,Eo (nach Augsburg) Kilianus etiam profectus, cum benigne a Carolo
156
daneben warb er zu Augsburg auf das eifrigste für seine Sache
„mit mer mundtliclier unnd selbs gethaner hanndlung sinns an-
ligenns". ^)
Doch all das wollten die Äbtischen vorderhand ihren Gegnern
verheimlichen. Am 16. Juli schrieb ein gewisser N. aus Augsburg
an eine reformierte Stadt, wahrscheinlich St. Gallen : er habe
Rudolf Sailer auf der Strasse getroffen; der habe ihm erklärt,
sein Herr wäre zu Augsburg allein deshalb, „da er wolt leben
empfachen vom bischof von Chur'' ; Kilian wolle auch sehen,
was auf dem Reichstag beschlossen würde; es werde ihm dann
gehen wie den andern Prälaten auch. -) Weiter meldete der
Berichterstatter die Anwesenheit der Luzerner Gesandtschaft zu
Augsburg ; von Zug seien Heinrich Schönbrunner und der Seckel-
meister anwesend;-^) sie seien wohl „zuvorderst" deshalb da,
atque a Ferdinando Rege fuisset exceptus". — Doch scheint v. Arx (II, S. 574)
nicht dieser Ansicht zu sein, und auch uns kommt sie unwahrscheinlich vor.
Dass der Abt seine Beschwerden durch Mittelmänner anbrachte, deutet wohl
das Tgb. Sail. selbst an. wenn darin gesagt wird: ,Nun so volgt hernach die
Supplication unud ettlich verzaichnett artickel, wie die min gnediger her an
kay(serliche) M(ajesta)t anpracht unnd fürtragen hat mit hilff mins g(nedigen)
h(errn) von Costentz" (Tgb. Sail., Fol. 123a). und zu der Behauptung von äbtischer
Seite, dass Kilian persönlich vor den ßeichsständen erschienen sei, erklärt Vadian
(III, S. 259 n) kurz : „was erlogen". In der Tat bemerkt der Abt in seinem Be-
richt (s. Anm. 1 auf S. 158) über den Erfolg seiner Bemühungen in Augsburg nur.
er sei nicht nur von den Geringsten, sondern auch von vornehmen und namhaften
Fürsten des Reichs wohl empfangen und gehalten worden, und mit Hilfe des
Bischofs von Konstanz, Balthasar Merklin, Propst zu Waldkirch, habe er alle
seine Supplikationen samt etlichen schriftlichen Artikeln, wie es ihm ergangen,
ganz nach seinem Willen und Gefallen angebracht.
') St.-A., Bd. 101, S. 123.
^) Das war nun allerdings wenig der Wahrheit gemäss, da, wie wir ge-
nugsam vernommen, Kilian in erster Linie darum nach Augsburg ging, um
den Kaiser um Hilfe anzurufen. Doch fand jene Lehenverleihung wirklich statt.
Es handelte sich dabei um die Eidesleistung und die Gelübde, welche Kilian
dem Bischof von Chur zu banden des Kaisers für den Empfang der Regalien
und Lehen zu leisten hatte. Dies geschah am 11. Juli in der „behausung" des
Job. Koler, Doktor der geistlichen Rechte, Dompropst zu Chur und zu St. Mau-
ritius in Augsburg, St.-A., P. 2. L. 2, Orig.
•^) Siehe Escher, Glaubensparteien Kap. VII.: „Die V Orte während des
Augsburger Reichstages " .
') A.-S., TL 1471h : E. A.. IV. 1 1), Nr. 353d.
157
ist, dass der Abt zu Augsburg viel Geld ausgab. Er berichtete
nämlich dem Reichsvogt und seinem Bruder: eine Summe Geldes,
die er aufgenommen, sei auf dem Reichstage beinahe verbraucht
worden, weil alles sehr teuer gewesen. ^
Am 19. Juli verreiste der Abt und traf am 22. wieder zu
Wolfurt-) ein.-') Noch unterwegs hatte er vom Gotteshaus Ochsen-
hausen aus dem Reichsvogt und seinem Bruder Hans Germann
nach Einsiedeln geschrieben, wie er zu Augsburg „insonders
ehrlich und wohl empfangen und gehalten worden", und zwar
nicht bloss von den Geringsten, sondern auch von vornehmen
1) A.-S., 11, 1488.;.
-) Der Abt und die ihm treu gebliebenen Konventherren hatten hier seit
dem 26. Februar 1530 ihren Wohnsitz aufgeschlagen (Tgb. Sail., Fol. 84 a),
nachdem sie, wie wir gehört, sich vorher im Kloster Mehrerau bei Bregenz
aufgehalten hatten. Es war wohl kein Zufall, dass Kilian sich nunmehr gerade
zu Wolfurt niedergelassen ; denn das Schlösschen lag ganz nahe bei Bregenz,
wo, wie wir wissen, Marx Sittich Herr war. Dass aber Kilian seinen neuen
Wohnsitz gekauft habe, dürfte unrichtig sein. Kessler nimmt zwar einen Kauf
an (Sabb., S. 341 is), und ihm vielleicht folgte Franz Joseph Weizenegger [Vor-
arlberg, Bd. II, herausgegeben von M. Merkle (Insbruck 1839) Artikel „Wolf-
furt", S. 347ff.l. Auch Vadian, (11, S. 414 3ß) berichtet, der Abt habe das
„Schlössli" gekauft, wie man sage, um 5000 gl.; doch widerspricht er sich,
indem er in seinem Diarium (Vad., III, S. 227 32) erzählt, im Jahre 1530
habe der Abt das Schlösschen , dingt um ain zins". Ferner weiss Sailers Tgb.
nichts davon, dass der Abt seinen neuen Wohnsitz käuflich an sich gebracht
habe, u.nd Sicher sagt an der Stelle, wo er den Prälaten zu Wolfurt seinen
Wohnsitz nehmen lässf (S. 150 m-ao), ausdrücklich, das Schloss gehöre der
Familie Leber von Bregenz. Nun steht in den „Lehensauszügen des Walgau"
(Statthaltereiarchiv Innsbruck) unterm 22. April 1528: „Burg Wolffurt . . hat
Georg Echtpeckh, burger zu Überlingen, an stat als Lehentrager weilend Jacoben
Lebers gelassen sons, genannt Hannss, zu leben empfangen . ." (Lehen lib. 1.
Fol. 134). und unterm 18. Apinl 1537 heisst es: „Hannss Leber hat auf die
new lehensberuetfung vorgemelt leben empfangen ..." (Lehen lib., Pol. 257).
Das Schlösschen war nämlich 1463 an die Familie Leber gekommen, welche
dann unter Kaiser Maximilian I. den Adelstitel von Wolfurt erhalten hatte.
Von Echtpeckh dürfte Kilian das Schlösschen gemietet haben. Dies konnte um
so leichter geschehen, weil Echtpeckh ja Bürger zu Überlingen war, wo der Abt
zuerst Aufenthalt genommen. Obschon Burg Wolfurt in den „Lehensauszügen
des Walgau" figuriert, kann es sich doch nicht um eine zweite Burg gleichen
Namens in der Gegend von Bludenz bis Feldkirch handeln, da Sicher die Wol-
furt bei Bregenz mit dem gleichnamigen Besitztum der Familie Leber identi-
fiziert und es laut gütiger Mitteilung von Herrn Landesarchivar Kleiner in
Bregenz „in ganz Vorarlberg ein anderes Wolfurt nicht gibt."
3) Tgb. Sail., Fol. 132 b.
158
und namhaften Fürsten des Reichs. Mit Hilfe des Bischofs von
Konstanz habe er alle seine Supplikationen samt etlichen schrift-
lichen Artikeln, wie es ihm ergangen, ganz nach seinem Willen
und Gefallen angebracht und so fleissig sich beworben, dass es
unzweifelhaft ihm und seinem Gotteshaus zum guten ausschlagen
werde. Man habe ihn auch getröstet, er werde und solle in
kurtzem wieder zu seinem Rechte gelangen wie andere vertrie-
bene Christen auch ; man erwarte in nächster Zeit eine Änderung
und zwar so, dass alles wieder zum alten Glauben gebracht werde.
Die Sache lasse sich gut an ; der Kaiser sei nämlich entschlossen,
jedem zu dem Seinen zu verhelfen und sein ganzes Vermögen
daran zu „binden". ^)
Doch Karl V. hatte vorderhand noch keineswegs Lust, mit
Gewalt gegen die religiösen Neuerer vorzugehen, den Knoten,
der sich nicht mehr lösen liess, mit dem Schwerte durchzuhauen.
Noch den ganzen August hindurch dauerten seine Ausgleichs-
versuche, und dementsprechend lautete auch das Gutachten des
für Bittschriften verordneten Ausschusses in der st. gallischen
Angelegenheit vom 21. August: es sei dies ein „fast schwerer
und wichtiger Handel'' ; darum möchten die churfürstlichen und
fürstlichen Gnaden besondern Fleiss ankehren und auf Wege
trachten, den Bittsteller wiederum in seine Rechte einzusetzen.-)
Das hiess unter den damaligen politischen Verhältnissen die
äbtische Angelegenheit auf ungewisse Zeit vertagen.
^) A.-S., II, 1488 1—4. Es gelang St. Galleu durch „holflicli abzwickeu" (!)
eine Kopie des Schreibens zu erhalten, worauf die Stadt sich beeilte, die Burg-
rechtsstädte von demselben in Kenntnis zu setzen (Vad.. III, S. 260 nis).
-) E. A., lY, Ib, S. 723.
III. ABSCHNITT.
Abtei und Stadt St. Gallen nach dem ersten Kappeler-
kriege bis zum Tode Abt Kilians.
I. Kapitel.
Die Emanzipation des Fürstenlandes von der Abtei.
A. Die Verhandlungen über die Aufrichtung einer neuen
Verfassung bis Ende 1529.
Die Fhicht Kilians nach Überlingen bot den Gotteshausleuten
die erwünschte Gelegenheit, ihre völlige Lösung vom Stifte ener-
gisch zu betreiben. Schon am !). Juni 1529 wurde dem Abt be-
richtet, dass die Stiftsbauern eine Botschaft zu den vier Schirm-
orten gesandt hätten, um von ihnen die Erlaubnis zur Wahl eines
Landammanns zu erhalten, der im Verein mit dem Hauptmann
die fürstäbtische Landschaft regieren sollte. 0 Doch wird diese
Gesandtschaft wenig ausgerichtet haben ; denn der Wiler Kanzler
berichtete am (5. Juli dem Abt, dass vergangener Tage eine Ab-
ordnung der Gotteshausleute in Zürich erschienen sei und die
Stadt gebeten habe, ihnen Selbstregierung zu geben, da sie „fry
lüt" seien, womit sie jedoch den vier Orten nichts in ihre Haupt-
mannschaft geredet haben möchten ; -) aber man sei dort den
») A.-S.. IL 479.
-) Wenn jedoch die Gotteshausleute — besonders seit ihnen der Huldi-
gungseid, den sie im ersten Kappelerkrieg hatten leisten müssen, wieder
„abkündt" worden war — sich darauf berufen wollten, dass „sy vornacher
nit der vier Orten, sonder eins herren von Sant Gallen gsin und die vier Ort
nüt an inen gehept, denn dass sy eim herren von St. Gallen habint ein houpt-
man geben, der eim herren solle hilflich sin, sofer die gottshuislüt eim herren
welltint nit gehorsam sin" (A.-S.. II, 659), so war das freilich nicht ganz
160
Gesandten mit „schimpflicher antwurt" begegnet: sie sollten ge-
mässigtere Forderungen stellen ^) und vorderhand nach Hause
zurückkehren ; Zürich werde sich diese Sache überlegen und
ihnen, wenn es gelegen sei, Antwort geben. -)
Doch die Verhältnisse in den Landen des Abtes drängten
Zürich zu raschem Handeln. Schon Ende Juni hatte nämlich
Frei an seine Regierung geschrieben, er werde überlaufen mit
Beschwerden wegen Zehnten, Nutzung des Waldes, der Weiher
etc.; es gehe im Fürstenlande „gar ungebunden" zu; wenn man
nicht tapfer eingreife, so wisse er nicht, wie sich aus dem Handel
ziehen. ^) Im Gotteshausland wolle „jedermann selb herr sin",
schrieb Lienhard Schulder an Kilian. *) In äbtischen Kreisen
sah man das natürlich gerne; die Sache fange an sich zu „bes-
sern", wurde Othmar Glus nach Überlingen berichtet. '')
Zürich beeilte sich deshalb, Ordnung in die verworrenen
Verhältnisse der alten Landschaft zu bringen, und schrieb auf
den 14. Juli einen Tag der vier Schirmorte nach Zürich aus; doch
erschienen nur die Boten von Glarus und Schwyz. Als Zürich
diese ersuchte, ihm zu helfen, den Gotteshausleuten eine Re-
gierung einzusetzen, da ihr Abt sie verlassen und seine ehe-
maligen Untertanen ihn schlechterdings nicht mehr als ihren
Herrn anerkennen wollten, auch bei den Stiftsbauern alles drunter
und drüber gehe, hatten Schwyz und Glarus keine Vollmacht
dazu. Deshalb wurde, zumal da Luzern nicht erschienen war,
die Angelegenheit auf den nächsten Badener Tag verschoben;")
doch verzog sich die gemeinsame Behandlung der Sache durch
die IV Orte bis zum 28. August, an welchem Tage sich alle
richtig. Der neue Schirmvertrag vom 11.. Juni 1490, der nichts als eine
,, bessere erlüterung und verstendnus" des Burg- und Landrechts von 1451
und des Hauptmannschaftsvertrages von 1479 sein sollte, hatte das äbtische
Untertanenland ,,zu einer Art gemeiner Herrschaft" (W. Öchsli : ,,Orte und
Zugewandte", S. 55) herabgedrückt. Dies war namentlich durch die Be-
stimmung geschehen, dass die Gotteshausleute im Kriegsfall den vier Schirm-
orten oder deren Mehrheit auf eigene Kosten zuziehen sollten.
0 . . die Sache nicht „zu hoch", sondern ,.zimlich'' anziehen etc.
2) A.-S., II, 653.
3) A.-S., II, 630 1.
•*) A.-S., II, 670.
'") St.-A., Fase. 14.
ß) E. A., IV, Ib, Nr. 141.
161
Schirmorte zu Wil einfanden. Dort erneuerten die Gotteshaus-
leute ihr Begehren, sich eine Regierung geben zu dürfen, ohne
jedoch, wie sie beifügten, den Briefen, Burg- und Landrechten,
welche die Obern der Hauptmannschaft wegen hätten, damit
Eintrag tun zu wollen. Die Boten der IV Orte fragten sie danach,
wen sie eigentlich zu ihrem Herrn haben wollten, worauf die
Gesandten der Landschaft gewandt entgegneten: sie könnten
hierauf nicht Antwort geben, bis sie wüssten, ob die IV Orte den
Abt auch „auszureuten" im Sinne hätten. Jedoch als nun die
Boten ihre Instruktionen eröffneten, zeigte sich, dass sie ungleich
lauteten. Man schickte darum die Gotteshausleute mit Vertröstung
auf einen andern Tag wieder heim, trotzdem sie sich über diesen
Bescheid, mit Hinweis auf die unhaltbaren Zustände in den äb-
tischen Landen, beschwerten. Da so dieser Tag zu Wil „zer-
gangen" war, die Boten von Luzern und Schwyz aber keine
Vollmacht gehabt hatten, einen weitern Tag, wie man den Gottes-
hausleuten versprochen, in der Angelegenheit zu bestimmen, so
setzten Zürich und Glarus dafür von sich aus eine neue Kon-
ferenz auf den 12. September wieder nach Wil an, wo jedes Ort
mit bevollmächtigten Boten erscheinen sollte. ^) Doch wurde erst
am 20. September die Angelegenheit zu Wil wieder aufgenommen.
Es rückten nun die Gotteshausleute daselbst mit Artikeln auf,
in denen sie darlegten, wie sie sich das neue Regiment in ihrem
Gebiete dachten, nämlich nicht anders, als dass an Stelle des
Abtes eine von ihnen ernannte Regierung zu treten hätte : an ihrer
Spitze — so lautete ihr Entwurf — soll ein Landammann stehen ;
in dem Eid, den alljährlich „regiment, amptlüt, gricht vmd rat.
euch gmeind" dem Landammann abzulegen haben, sollen die
Gotteshausleute sich auch verpflichten, den vier Orten zu leisten,
was sie laut Sprüchen und Verträgen schuldig sind; Zinse etc.
sollen „mit hilf und rat eins hoptmans, landammans und rats"
eingezogen, „unbillich beswerden" beseitigt werden; wer appel-
lieren will, wenn er sich durch ein Urteil beschwert fühlt, mag
dies tun vor Hauptmann, Landammann und Räten; malefizische
Händel soll, wenn das Gericht sich spaltet und „zuo glich urteP'
abgibt, der Hauptmann entscheiden." -)
') E. A., IV, Ib, Nr. 173 a, c ; A.-S., II, 776 1.
2)E. A., IV, Ib, Nr. 187 zu e.
St.Gnller Mittlijn. z. vaterläml. Gesc-h. XXXIII. H
162
Doch Zürich konnte auf diese Vorschläge nicht ein-
gehen, wenn es nicht seine dominierende Stellung im äbtischen
Gebiete verlieren wollte. So lehnte es denn das Begehren der
Gotteshausleute ab, da man, wie der „Ratschlag" darüber erklärt,
bemerkt habe, wie die Gotteshausleute unter dem Schein „eines
guten Geistes" gerne „Freiheit des Fleisches" hätten und selbst
gern regieren würden ; das sei nicht rätlich, da den Schirmorten
Luzern und Schwyz eine solche Obrigkeit nicht gefallen würde
und ohne deren Zustimmung ein solches Regiment keinen langen
Bestand hätte; man wolle den Stiftsleuten jedoch gestatten, die
niedern Gerichte mit Hilfe des Hauptmanns mit ,.gottliebenden"
Männern zu besetzen, damit die Leute über Gericht und Recht
nicht zu klagen hätten; die Appellationen sollten einstweilen
an den Hauptmann gehen ; damit hätten sich die Gotteshaus-
leute vorderhand zu begnügen. ^) An Luzern und Schwyz aber
schrieb Zürich : da gegen Erwarten ihre Boten sich nicht zu Wil
befänden, um mit Zürich und Glarus in der Angelegenheit der
Stiftsbauern zu handeln, ersuche man die beiden Orte, ohne
Verzug ihre Botschaft zu senden, weil sonst ihre Vertreter allein
„fürfahren" würden.^) Darauf schickten auch Luzern und Schwyz
ihre Boten nach Wil. Doch kam man hier, wie zu erwarten war,
wiederum zu keinem Ziele; denn im Gegensatz zu Zürich und
Glarus hielten Luzern und Schwyz am Abte fest, da, wie sie er-
klärten, noch nicht dargetan worden, dass er zur Regierung un-
fähig sei. Darauf wurde am 7. Oktober in den Abschied genommen,
man solle das nächste Mal Vollmacht haben, den Haushalt zu
versehen, Statthalter und Amtleute zu Wil, St. Gallen und Ror-
schach zu wählen und einige Vögte, die ihre Stelle aufzugeben
im Sinne hätten, zu ersetzen. ^) Wann dieser Tag stattfinden
sollte, wurde im Abschied nicht gesagt. Vorderhand fand man
es in Zürich für das beste, die Angelegenheit der Statthalter,
die der Hauptmann zu Wil und St. Gallen einzusetzen begehrte,
ruhen zu lassen ; Hauptmann Frei sollte sich dafür einstweilen
mit seinem zuverlässigen Schreiber Lorenz Appenzeller behelfen
und ihn als Statthalter zu Wil gebrauchen. Sonst sollten zunächst
1) A.-S., II, 847 1.
2) A.-S, II, 844.
3) E. A.. IV. Ib. Nr. 200a, c.
163
keine andern Statthalter ernannt werden; denn nähme man dazu
einen Mann aus den Gotteshausleuten, so sähen diese darin eine
„Anleitung", nach dem Regiment zu greifen; nähme man aber
keinen Gotteshausmann, so wären die Stiftsleute unzufrieden. ^
Doch schon am Tage, nach welchem dieser Ratschlag aufgesetzt
worden war, am 18. Oktober, schrieb Frei an seine Regierung:
man solle ohne Verzug Statthalter nach St. Gallen und Wil setzen,
da er allein mit so vielen böswilligen Dienern und Amtsleuten
nicht länger wirtschaften könne. Ferner teilte er seiner Re-
gierung mit, dass er in der Besetzung der niedern Gerichte bei
den Tablatern und Mörswilern auf unbequemen Widerstand stosse
und von den Täufern und „Widerwärtigen" fortwährend Unruhen
verursacht würden; es wäre wohl gut, wenn Zürich durch Bot-
schaft oder ein Schreiben an den am 24. Oktober zu Lömmiswil
zusammentretenden Landrat der Gotteshausleute diesem Treiben
ein Ende machte. -) Der Zürcher Rat leistete der Aufforderung
Freis Folge, indem er Jakob Werdmüller als Abgesandten be-
stimmte und ihm eine scharfe Instruktion mitgab, worin die Stadt
den Gotteshausleuten ins Gedächtnis zurückrief, was sie schon
alles für sie getan, wie aber die Gotteshausleute dessen nicht
eingedenk seien, sondern nach täuferischer Ansicht selbst Herren
sein und alle Obrigkeit abschütteln möchten, was Zürich nicht
gefalle, auch unmöglich sei; sie sollten vorderhand die niedern
Gerichte und Appellationen versehen lassen, wie das angeordnet
worden sei; wenn sie aber in ihrem „ungeschickten Treiben ver-
harren wollten, so werde Zürich seine Hand von ihnen abziehen.'^)
Wie sich Zürich das zukünftige Regiment dachte, zeigt uns
ein „Ratschlag" vom Anfang Dezember, an dessen Abfassung
neben Röist, Thumysen, Jakob Werdmüller, Hans Bleuler, Peter
Meyer und Stadtschreiber Beyel auch Zwingli beteiligt war.
Hatten die Gotteshausleute in ihren Vorschlägen selbst domi-
nierenden Einfluss auf die Regierung der Landschaft gewinnen
wollen, vor allem durch den von ihnen zu wählenden Landammann,
so betonte Zürich den entgegengesetzten Standpunkt, indem es
das ganze Schwergewicht der Regierung, das eigentliche Regiment,
1) A.-S., II, 88 U>.
'') E. A., IV, Ib, Nr. 207 1.
3) E. A., IV, Ib, Nr. 207 2.
164
dem Schirmhaiiptmann zudachte. Er sollte in den Gotteshaiis-
landen „ir houpt beliben, sin und heissen, der alle Verwaltung der
obern und beerhaften ^) geschäften in sinem gewalt haben und
dem ouch alle anderen underamptlüt, es syge der hofamman oder
andere, in dhand sehen und aller irer Verwaltung rechnung und
bescheid geben söllent". Damit aber eine solche Machtfülle
nicht etwa an eine Zürich missliebige Person käme und diese
ihre mächtige Stellung zum Schaden der Stadt und des neuen
Glaubens ausüben könnte, bestimmte der Ratschlag weiter, dass
der jeweilige Hauptmann dem Gotteswort nicht widerwärtig
sein dürfe, ansonst die Untertanen nicht gezwungen wären, ihn
als ihr Haupt anzuerkennen, und um den dominierenden Ein-
fluss Zürichs auf die äbtischen Untertanenlande möglichst fest zu
begründen, war in dem Gutachten vorgesehen, dass Hauptmann
Frei „von jetzhin" noch weitere zwei Jahre seines Amtes als
Schirmhauptmann walten sollte. -)
Doch Luzern und Schwyz suchten die Ausführung dieser
Pläne auf jede Weise zu hintertreiben, soweit ihnen das bei der
damaligen machtvollen Position Zürichs möglich war. Am 15. No-
vember beklagten sie sich heftig bei den Wilern und Gotteshaus-
leuten, dass Zürich Dinge in den äbtischen Landen an die Hand
nehme, die nicht einmal den vier Schirmorten insgesamt, ge-
schweige einzelnen derselben erlaubt wären, und dass der Haupt-
mann sich in den äbtischen Gebieten benehme, wie wenn er
dort Herr wäre;^) sie möchten sich dagegen verwahrt haben,
als ob sie mit diesem eigenmächtigem Vorgehen einverstanden
wären, und wollten die Gotteshausleute warnen, an Freis Amt-
leute Zinsen und Zehnten zu entrichten; weder der Hauptmann
noch sein Schaffner — man habe dazu, gegen den Willen der
beiden katholischen Orte, den vertriebenen alten Stadtschreiber
von Rapperswil, Lorenz Appenzeller, gewählt — sei befugt, die
Gefälle einzuziehen; die Gotteshausleute würden eines Tages
dafür ihrem rechten Herrn Red und Antwort stehen müssen;
denn die jetzige Verwaltung der äbtischen Lande werde zuver-
^) beerhaft = fruchtbar. Schweiz. Idiotikon, Bd. IV, S, 1477.
2) A.-S., II, 965.
^) Über die Haltung Freis beschwerte sich Kilian persönlich in einem
Schreiben an den Schirmhauijtmann selbst (St.-A., Fase. 14, d. d. 4. Dezember).
165
sichtlich keinen Bestand haben. '•) Bei dieser Haltung der beiden
Orte und ihrer fortgesetzten Weigerung, den Gotteshausleuten
das von Zürich gewünschte Regiment geben zu helfen, blieb
diesem nichts übrig, als im Verein mit Glarus allein vorzugehen
und das möglichst bald, da der Abt nichts versäumte, sich die
Gotteshausleute günstig zu stimmen. ^) Am 10. Dezember waren
daher die beiden Orte wieder zu Wil beisammen. Dort Hessen
sie den anwesenden Gesandten der Gotteshausleute, da diese
keine Vollmacht hatten, endgültige Abmachungen zu treffen,
,, einige ehrbare und christliche Vorschläge und Artikel" schrift-
lich übergeben, damit der Handel beförderlich erledigt würde
und man nicht lange miteinander „uf- und niderkrynnen'' und
disputieren müsse. ^) In diesen Artikeln, die einen eigentlichen
Verfassungsentwurf bilden, wird an der Machtstellung, wie sie
der oben erwähnte „Ratschlag" für den evangelischen Schirm-
hauptmann wünschte, festgehalten: „Kein wäsenhche, grosse
sach" soll ohne sein „vorwissen und gehäll" im Fürstenlande
unternommen werden dürfen. Dem Vertreter der IV Schirm-
orte stehen zwölf Räte zur Seite; die Gemeinden schlagen sie
vor und ernennen davon acht, der Hauptmann vier. Dieser und
die Räte sollen ehrsame, gottesfürchtige Leute sein. Das Ap-
pellationsgericht besteht aus dem Hauptmann, als dem „oberrichter";
die übrigen Richter werden aus den Zwölfern genommen, indem
man aus ihnen vier von den Gotteshausleuten gewählte Räte nimmt
und zwei, welche der Hauptmann ernannt hat; diese sechs Richter
amten ein halbes Jahr; dann kommt die andere Hälfte der Zwölfer
an die Reihe. ^) Die Amtleute im Fürstenland soll der Haupt-
mann nur mit Wissen und Willen der Zwölf „setzen und ent-
setzen''. Die Pfarrer dürfen von den Gemeinden gewählt werden.
Zinsen und Zehnten soll man wie von Alters her geben ; ^) doch
1) A.-S., II, 925.
2) E. A,., IV, Ib, Nr. 230 zu as.
3) E. A., IV, Ib, Nr. 230 a, zu aa, b, c.
■*) Neben dieser geplanten Zusammensetzung des Appellationsgerichts fi-
gurierte in einer Instruktion vom 4. November (A.-S., II, 912) eine andere,
nach welcher alle zwölf Räte des Hauptmanns das Appellationsgericht bilden
sollten. Dieser Vorschlag wurde zum Teil auch in den obigen Verfassungs-
entwurf aufgenommen, indem man bestimmte, dass „jetz zum anfang'" zwölf
Appellationsrichter sein sollten, „diewyl der geschäften so vil sind.*"
■'') Das war besonders in einem von Frei aufgestellten „memorial" vom
Anfang Dezember verlangt worden (A.-S., II, 957).
166
werden eine ganze Anzahl von „ungöttlichen Beschwerden", wie
gewisse Hauptfälle, Ehrschätze etc. den Gotteshausleuten abge-
nommen. Endlich sollen der Kirchenschmuck und die Kirchen-
güter von den Gotteshausleuten angegriffen werden dürfen zum
Zweck der Armenversorgung oder, wie es in dem oben genannten
Ratschlag heisst, damit „jetz zum anfang die biderwen lüt damit
willig und lustig gemacht, dass sy sich dest ee der zehenden,
Zinsen und anderer versicherter und angeleiter güetern halb ent-
schlahen und in anderen dingen dester ee eins billichen wysen
lassen wurdent" ; ^) eine Kommission soll die Verteilung des Er-
löses vornehmen und darüber dem Hauptmann und seinen Räten
jährlich Rechenschaft geben. -)
Diese Artikel sollten die Gesandten der Gotteshausleute an
ihre Gemeinden bringen. Auf den 17. Dezember erwarteten die
IV Schirmorte zu St. Gallen deren Antwort; man warnte aber
die Stiftsboten zum voraus, etwa einen ungünstigen Bescheid
zurückzubringen, da dies dem Fürstenlande nicht zum Vorteil
ausschlagen würde.
Dessen ungeachtet stiess der Verfassungsentwurf der beiden
Orte im Fürstenland auf heftigen Widerstand, was um so be-
greiflicher war, da dort mancher glaubte, „es solltend sampt
ainem abbt alle zins, rent und gült hinfallen", und der Bauer
„ichts mer ze geben schuldig sin".^) Zudem ruhten auch des Abtes
Anhänger nicht. Grobe Reden gingen im Gotteshauslande um
über die beiden reformierten Schirmorte ; ^) im besondern „ent-
stund ain lümbd über die von Zürich, sam die uf iren aignen
nutz stalten und sich irem vil embieten unglich erzaigtend". •')
Die Unzufriedenheit der Gotteshausleute über die Artikel zeigte
sich denn auch bei den neuen Unterhandlungen recht deutlich.
Am 19. Dezember eröffneten nämlich zu St. Gallen die Gesandten
der Landschaft die Antwort der Gemeinden vor den Boten von
Zürich und Glarus. Da zeigte es sich, dass gerade bei den wich-
tigsten Artikeln die Boten der Gotteshausleute Befehl hatten,
auf Abänderung zugunsten der Landschaft zu dringen, ohne dass
1) A.-S., II, 965 12.
2) E. A., IV, Ib, Nr. 230 zu b.
^) Sabb., s. Anm. 5.
•i)E. A., IV, Ib, Nr. 238x11.
'") Sabb., S. 332 40-43; s. auch Sicher, II, S. 253 ii-u.
167
es aber den Gesandten der Stiftsbauern möglich wurde, wesent-
liche Zugeständnisse zu erlangen. Namentlich hielten die Boten
von Zürich und Glarus daran fest, dass der Hauptmann in der
alten Landschaft das „oberist houpt syn und heissen" sollte. Als
die Gotteshausboten verlangten, dass er den Stiftsleuten nicht
nur schwören solle, sie beim Evangelium zu schirmen, sondern
auch, ihren Nutzen und ihre Ehre zu betrachten, erklärten die
Gesandten der beiden Orte, keine Vollmacht für solche Zuge-
ständnisse zu haben. Die gleiche Antwort erhielten die Boten
der Landschaft auf ihre Bitte, den Gemeinden ein Urbar über
die Güter des Gotteshauses, seine Einkünfte und Gerechtigkeiten
zuzustellen, wie ein solches zuhanden des Hauptmanns im Ver-
fassungsentwurf A^orgesehen war. Geradezu unwillig aber wurden
die Boten der beiden neugläubigen Schirmherren über die For-
derung der Gemeinden, dass der Bezüger der Zinsen, Gülten,
Renten etc. nicht aus der Stadt St. Gallen, sondern aus der alten
Landschaft genommen werden solle. Bereits am 3. Oktober 1529
hatte nämlich St. Gallen auf Ersuchen von Zürich und Glarus
sein Ratsmitglied Franziskus Studer dazu designiert. ^) So er-
klärten die Boten der beiden Orte unverblümt, dass es zwar viel
ehrliche und geschickte Männer unter den Gotteshausleuten gebe;
doch könne man zu dem Amt nur solche nehmen, die dazu fähig
und der Sache kundig seien. Als die Gotteshausleute weiter
fragten, ob die Überschüsse aus der Verwaltung nicht bloss den
Armen des Fürstenlandes, sondern auch denen der vier Orte
zugute kommen sollten, erwiderten die Delegierten von Zürich
und Glarus kurz : vorderhand sei noch gar kein Überschuss vor-
handen, sondern zu erwägen, wie man Geld auftreiben könne,
um die Schulden zu bezahlen. Zum Schluss wurden die Boten
der Gotteshausleute aufgefordert, die Artikel in ihrer nunmehrigen
Form an ihre Gemeinden zu bringen und Ende Dezember zu
Wil Antwort zu geben ; es wurde ihnen aber dabei gesagt, dass
die beiden Orte die Gotteshausgemeinden aufs dringendste er-
suchten, an den Artikeln nicht mehr zu „kranglen" oder etwas
neues hineinzuziehen; wenn sie den heute vereinbarten Ver-
fassungsentwurf nicht annehmen wollten, so würde man alle
Schriften, Abschiede und Zusagen, die sie bisher erhalten, zurück-
^) R.-P., 1529 ; vgl. über ihn T. Schiess, St. Gall. Neujahrsbl. 1906, S. 23fr.
168
nehmen, alles den Oberen berichten und diesen die weitern Ent-
schlüsse überlassen. ^) In diesen Schlussworten machten die
Boten von Zürich und Glarus ihrem Unmut über die Begehrlichkeit
der Gotteshausleute Luft, welche nur an 6 von den 15 Artikeln
des Verfassungsentwurfes nichts auszusetzen gehabt hatten. Ja,
die Gesandten der Zürcher berichteten am 25. Dezember ihrer
Obrigkeit, es gehe das Gerücht, dass die Gotteshausleute im
Sinne hätten, sich selbst eine Regierung zu geben und auf die
Vorschläge von Zürich und Glarus einen weitern „verdacht" zu
nehmen bis Mitte Mai des kommenden Jahres. -) Wir begreifen es
unter diesen Umständen sehr wohl, wenn man bei den Anhängern
des Abtes neuen Mut schöpfte und den Reichsvogt aufforderte,
persönlich zu den Schwyzern zu reisen und sie zu ersuchen, sie
möchten die Glarner von den Zürchern abwendig machen. ^) Die
Gotteshausleute aber wollten auf ihrer Landsgemeinde, die am
31. Dezember zu Waldkirch stattfinden sollte, über den Ver-
fassungsentwurf von Zürich und Glarus in der jetzigen revidierten
Form sich endgültig aussprechen. Jedenfalls für diese Lands-
gemeinde war die Instruktion bestimmt, welche Ende Dezember
von Zürich verfasst wurde. Man war hier von dem hartnäckigen
Widerstand, den das Fürstenland den Plänen Zürichs auf die
Abtei entgegensetzte, peinlich berührt und fühlte sich wohl durch
jene Reden, dass die Gotteshausleute sich selbst ein Regiment
geben wollten, beunruhigt. Die Instruktion vom Dezember 1529
befahl darum den Gesandten, Bürgermeister Röist, Jakob Werd-
müller und Hauptmann Frei, sie sollten, falls jenes Gerücht dei
Wahrheit entspräche, vor „ein voUkomne landsgemeind'' gelangen
und sie auffordern, „den handel anders und bas, dann noch bishar
beschechen", zu Herzen zu nehmen. Sie sollten ihr auch zum
„türisten" vorhalten, dass die äbtische Partei es sei, welche die
Leute gegeneinander zu „verhetzen" suche, um Kilians Sache
zu fördern. Würden dann die Gotteshausleute sich nicht eines
bessern belehren lassen, so sollten die Boten ihnen mitteilen, dass
Zürich seine Zusagen betreffend das göttliche Wort nicht er-
füllen, sondern sich ihrer „entschlachen und muessigen" werde;
1) E. A., IV, Ib, Nr. 238.
'') A.-S., II, 1002.
3) A.-S., II, 999.
169
denn es sei nicht verpflichtet, jemanden beim göttUchen Wort zu
handhaben, der nur „gefar und eignen nutz" suche. ^)
Doch die geplante Landsgemeinde zu Waldkirch fand nicht
statt infolge' der Ereignisse, die sich in den letzten Tagen des
Dezembers zu Wil abspielten.
B. Der Wiler Auflauf.
Es ist oben gezeigt worden, wie zu Wil erst im Frühjahr
1529 evangelischer Gottesdienst eingeführt wurde. Doch ver-
hinderte das die in ihrer grossen Mehrheit noch katholische
Bürgerschaft nicht, dem Abt Kilian zu seiner Wahl zu gratu-
lieren. Dieser suchte sich denn auch die Gunst des für die Aus-
übung seiner Herrschaft so wichtigen Städtchens weiter zu er-
halten, indem er ihm Geld und Getreide lieh. -) Dabei kam ihm
der Umstand zu statten, dass die Wiler sich in einem für die
damalige Zeit natürlichen Gegensatz zu den Bauern der Land-
schaft befanden, ^) besonders da sie schon seit Ende des 15. Jahr-
hunderts bedeutende Rechte und Freiheiten ^) vor der Gottes-
hauslandschaft voraus hatten. Nichts kennzeichnet so die feind-
selige Stimmung der Stiftsbauern gegen Wil besser, als die Worte,
welche ein Gotteshausmann in diesem Jahre (1529) gegenüber
einem Wiler äusserte: „Mir puren sind maister; mer wend üch
leren; mir wend üch anmal zur statt uss schlachen.*' ")
Wegen seiner bevorzugten politischen Stellung war darum
das Städtchen nicht gewillt, sich, wie es Zürich wünschte, den
Bauern des Gotteshauses gleichzustellen, besonders, da es wegen
seiner abtfreundlichen Haltung nicht zum Rang einer Hauptstadt
des Fürstenlandes emporsteigen konnte, ganz abgesehen von
seiner dafür ungünstigen Lage. Wil hatte so von den Plänen,
die Zürich inbezug auf die Landschaft des Gotteshauses hegte,
politisch wohl mehr Nachteile als Vorteile zu erwarten, da sich
ja seine Hoffnungen, eine freie, christhche Burgrechtsstadt zu
1) A.-S., II, 1019.
2) St.-A.. Fase. 14.
3) Siehe dazu E. A., IV, 1 b, Nr. 340 a; Vadian III, S. 257 13-2].
^) S. E. Wild: „Verfassungsgeschichte der Stadt Wir (St. Gallen 1904).
•^) Wiler Ratsbuch.
170
werden, nicht erfüllt hatten und auch später nicht in Erfüllung
gingen. So war denn zu Wil der Boden für die politisch-reli-
giösen Pläne der Zürcher wenig günstig, wenn auch gesagt
werden muss, dass durch den ersten Landfrieden die Reformation
im Städtchen gesichert war. Zudem musste das selbstherrliche
Benehmen Freis der auf ihre Freiheiten eifersüchtigen Bürger-
schaft wenig Vertrauen einflössen. Im August 1529 zog der
Hauptmann, der im Hof zu Wil residierte, über 40 Mann aus
verschiedenen Gerichten des Fürstenlandes zu sich in das Städt-
chen, ^) welche da nach Gefallen schalteten und walteten und
die Amtleute des Abtes verjagten. Als sich Luzern und Schwyz
darüber bei Zürich beklagten, liess dieses das Schreiben unbe-
antwortet. ^) Wann und ob diese Besatzung, welche Frei zu sich
in den Hof genommen, entfernt wurde, vermochten wir nicht
sicher zu ermitteln. '^) Sicher aber ist, dass gegen Ende des
Jahres 1529 die beiden religiösen Parteien im Städtchen über
ihre Lage sehr unzufrieden waren.
Dies mussten wir zum bessern Verständnis des nun folgenden
Auflaufs in der Ortschaft vorausschicken.
Wir erinnern uns, wie zu St. Gallen die Zürcher und Glarner
Boten denjenigen der Gotteshausleute auftrugen, die Antwort
der Gemeinden auf die revidierten Verfassungsartikel nach Wil
zu bringen. ^) Dort befanden sich bereits am 26. Dezember die
') E. A., IV, Ib, Nr. 146 f.
-) E. A., IV, Ib, Nr. 159.
^) Die zwölf Wiler „Zuscätzer" (St.-A., Fase. 14), welche durch die IV
Schirmorte Ende August aus dem „Hofe" weggewiesen wurden — der Haupt-
mann musste dafür 1 — 2 Wiler Ratsmitglieder als Gehilfen in den „Hof
nehmen — gehörten wohl zu jenen 40 Mann Besatzung ; von den übrigen „Zu-
sätzern" ist dabei nicht die Rede (E. A., IV, 1 b, Nr. 173c).
^) S. oben, S. 166. Als Datum dafür gibt der Abschied den 27. Dezember an
(E. A., IV, 1 b, S. 474). Damit stimmt aber schlecht, dass die Landsgemeinde
zu Waldkirch erst am 31. Dezember stattfinden sollte und, wie Kessler (Sabb.,
S. 333 5-8) ausdrücklich bemerkt, die Boten der Gotteshausleute die Artikel
erst vor diese bringen wollten, bevor sie endgültigen Bescheid gäben. Es hilft
uns auch nichts, dass Kessler die Waldkircher Landsgemeinde auf den 28. De-
zember ansetzt. Zudem dürfte dieses Datum unrichtig sein. Sicher und der
Tgb. -Schreiber Sailer nehmen nämlich dafür den 31. Dezember an, und wenn
Kessler berichtet, dass Frei den Sturm, der die Gotteshausleute nach Wil be-
rief, am 28. Dezember habe ergehen lassen, so widerspricht das dem authen-
tischen Bericht Christian Fridbolts an Vadian (V.-B.-S., IV, Nr. 588). Dort
171
Boten der beiden reformierten Schirmorte wie auch diejenigen
von Luzern und Schwyz. Natürlich hatten letztere längst Kunde
erhalten von den Verhandlungen zwischen Zürich -Glarus und
den Gotteshausleuten. Sie waren daher nach Wil gekommen,
damit nicht in der Angelegenheit „etwas Gewaltiges" vorge-
nommen, sondern zuerst der Rechtsweg betreten werde, ^) und
stellten an Zürich und Glarus die Forderung, dass man ihnen
Einsicht in die von den beiden reformierten Schirmorten den
Gotteshausleuten aufgestellten Artikel geben solle. Darauf ent-
gegneten deren Vertreter : man habe den Gotteshausleuten hohe
und niedere Gerichte „aufgetan" und zum Teil mit Stiftsleuten
besetzt; der Hauptmann solle dabei Obmann und Führer des
Schwertes sein ; die Leibeigenschaft und die unbilligen Ehr- und
Erbschätze habe man ihnen erlassen, soweit solche nachweislich
seit Menschengedenken aufgeladen worden ; Luzern und Schwyz
habe man dabei keineswegs ihrer Rechte, die sie am Gotteshaus
hätten, entsetzt. Nun verlangten die beiden katholischen Orte,
in der Angelegenheit auch mithandeln zu dürfen, da diese noch
nicht definitiv abgeschlossen sei; doch als die Zürcher und
Glarner Boten für diesen Fall von ihnen verlangten, den Abt
nicht mehr „als Herrn" anzuerkennen, erwiederten sie, davor
möge sie Gott behüten,^) und zogen sich ins Wirtshaus, das neben
der Pfalz lag und wo sie Aufenthalt genommen, zurück. ") Da
brach am folgenden Tag, es war ein Dienstag und zugleich Wochen-
steht ausdrücklich, dass der Sturm erst am Donnerstag (30. Dezember) er-
gangen sei. Nur wenn die Landsgemeinde der Stiftsbauern am 31. und nicht
am 28. Dezember zu Waldkirch stattfinden sollte, konnte sie vor die Stadt
Wil verlegt werden. Kessler ist in bezug auf Chronologie hier überhaupt wenig
zuverlässig. Er stellt zum Beispiel die Vorgänge so dar, als ob der Auflauf
und der Sturm, welcher die Gotteshausleute vor Wil versammelte, am gleichen
Tage stattgefunden hätten (28. Dezember), sagt aber nicht, was die Bauern-
scharen bis zum 1, Januar vor Wil zu tun gehabt hätten, da erst an diesem
Tage die Landsgemeinde stattfand, nachdem am 31. Dezember die Hauptkon-
tingente der Bauern vor Wil eingetroffen waren (V.-B.-S., IV, Nr. 588).
^) Erklärung der Boten von Luzern und Schwyz auf dem Tag zu Baden.
Januar 1530 (E. A., IV, 1 b, Nr. 257 a [III).
2) E. A., IV, Ib, Nr. 241.
^) E.-A., IV, 1 b, S. 159. Dass sie nicht, wie üblich, bei den Zürchern
und C41arnern in der Pfalz Quartier genommen, ist bei dem damals äusserst ge-
spannten Verhältnis zwischen reformierten und katholischen Orten wohl zu ver-
stehen.
172
markt im Städtchen, offene Empörung unter der Wiler Bevöl-
kerung aus.
Die Berichte darüber sind natürhch sehr widersprechend, oft
entgegengesetzt, je nachdem sie aus kathohscher oder reformierter
Feder stammen. Ob der Auflauf eine abgekartete Sache gewesen,
wie sich des Abtes und Zürichs Anhänger gegenseitig vorwarfen,
haben wir allerdings nicht ganz sicher ermitteln können. Zu et-
welcher Orientierung diene immerhin folgendes: auf der Tagung
zu Luzern (4. bis 6. Januar 1530), wo auch Bern und Glarus an-
wesend waren, erzählten flüchtige Wiler, die Zürcher hätten sich,
bevor der Auflauf stattgefunden, in der Pfalz „verbollwerkt", so
dass man einen Plan dahinter vermuten müsse. Andere für
Zürich wirklich gravierende Punkte brachten sie nicht vor. ^)
Dass die Zürcher die Pfalz stark befestigt, ist aber bei der Un-
zuverlässigkeit, ja Feindseligkeit der Mehrheit der Wiler Bevöl-
kerung gegen sie nicht verwunderlich und braucht durchaus
nicht in dem Sinn ausgelegt zu werden, wie es die Vertriebenen
aus Wil taten.
Sehr viel begründeter war die Anklage der reformierten,
Zürich freundlichen Partei, dass von den Anhängern des Abtes
der Aufruhr geplant und ins Werk gesetzt worden sei. Einer
der eifrigsten Verfechter des Abtes, der Hauptmann von Batzen-
heid, ^) befand sich, obwohl er im Toggenburg wohnte, an dem
verhängnisvollen Dienstag zu Wil. ') Wenn wir auch nicht an-
zunehmen brauchen, wie es seine Gegner taten, dass er der
eigentliche Anführer der Aufrührer war, ^) wird er immerhin nicht
so unschuldig gewesen sein, wie er durch seine Verteidigung
vor den eidgenössischen Orten glauben machen wollte. '') Ganz
abgesehen von dem vielleicht tendenziös gefärbten Zürcher Ge-
sandtenbericht, dass der Batzenheider, von einer Schar begleitet,
mit gezücktem Schwert gegen die Pfalz gestürmt sei, um sie
einzunehmen, lag auch eine sehr schwerwiegende Zeugenaussage
1) E. A., IV, Ib, Nr. 247 m.
^') Der Bruder des Abtes. 1534 erscheint er als Landvogt im Toggenburg
(St.-A., Bd. 104, S. 229).
3) Tgb. Sali., Fol. 60a.
**) S. besonders E. A., IV, 1 b, Nr. 257 zu a iii, offizieller Bericht Zürichs
über den Auflauf; siehe auch Vadian, III, S. 232 — 235.
^) St.-A., Bd. 101, S. 61 f; Bd. 221, Fol. 173 — 176.
173
gegen ihn vor. Ein treuer Anhänger des Abtes, der von den
Zürchern zu Grüningen verhaftet worden war, Hans Pfäfferli,
sagte bei seinem Verhör aus: vor acht oder neun Wochen habe
der Hauptmann von Batzenheid in seiner Gegenwart gesagt, weil
er, Batzenheid, und sein Bruder, der Abt, in der Grafschaft
Toggenburg viele Freunde und Verwandte hätten, so wolle er
sich auf einen Wochenmarkt mit etwa 40 Mann nach Wil be-
geben, in die Pfalz eindringen und. die darin wären, hinauswerfen.^)
Dazu stimmt, was Bullinger in seiner Chronik "^) ausdrücklich be-
merkt, dass etliche gut äbtisch gesinnte Toggen burger sich in
die Stadt eingeschlichen und mit einigen Wilern zusammen den
Auflauf veranstaltet hätten. •^) Wenn wir solch einen planmässig
vorbereiteten Überfall annehmen wollen, so passt es sehr gut
dazu, dass schon morgens 8 Uhr am Tag des Auflaufs War-
nungen, als ob man die Wiler Pfalz überfallen wolle, an die
Zürcher Gesandten nach Wil gekommen waren, und zwar so oft,
,,dass das Kind uff den gassen davon seite". ^) Ein so kecker
Handstreich war dem kriegserfahrenen Reisläufer-Hauptmann von
Batzenheid wohl zuzutrauen, und was er mit seinem Überfall be-
zweckte, sagt uns vielleicht Zwingli, wenn er an die Wiler Ge-
sandten am 1. Januar 1530 berichtet: es sei ihm Nachricht zuge-
1) A.-S., II, 1033. Diese Worte, bemerkte Pfäfferli, habe der Batzenheider
in Gegenwart des Reichsvogtes, als er beim Abte gewesen, nach einer Mahlzeit
geäussert. Darnach hätte Kilian vielleicht von einem allfälligen Plane, dass
sein Bruder die Pfalz überfallen wolle, gewusst. Vielleicht auf diesen Punkt
beziehen sich auch die Worte, die Gallus Germann am 16. Januar an Kilian,
seinen Bruder, schrieb : er habe dem Hans (Germann) sagen lassen, wenn er
sich wegen des Wiler Auflaufs zu Baden vei-antworten wolle, so möge er das tun,
doch dabei des Abtes nicht gedenken (St.-A., Bd. 307, S. 65). Dass Kilian an
dem Aufruhr beteiligt gewesen, wie ihm von reformierter Seite offen vorgeworfen
wurde, dafür haben wir keine Beweise irgendwelcher Art. Doch besagt es für
die Unschuld des Abtes nichts, wenn der Tgb. -Schreiber ihn nichts ahnend von
Buchhorn nach Hagnau reiten lässt, als ihm der erste Bericht über den Auflauf
zukommt (Tgb., fol. 58 a). Ebenso wenig konnte es den Abt entlasten, wenn
er direkt oder indirekt am Auflauf beteiligt war, dass er einem Rädelsführer,
Heinr. Schlosser, Wirt zu Rorschach, in einem Schreiben vom 7. Februar wegen
dessen Beteiligung am Auflauf tüchtig den Text las (St.-A., Bd. 101, S. 70—72).
-) IM. II, Nr. 333, S. 246.
^) Auch die Zürcher Boten berichteten nach Hause, dass namentlich Tog-
genburger unter den Aufruhrern gewesen seien (A.-S., II, 1008).
^) E. A., IV, 1 b, Nr. 257 zu a in.
174
kommen, dass man den Bürgermeister Eöist — es war dies einer
der Zürcher Gesandten zu Wil — samt seinen Mitboten gefangen
nehmen, über den Bodensee schleppen und auf diese Weise einen
für den Abt günstigen Vertrag erhalten wolle. ^) Vadian be-
stätigt diesen Bericht teilweise, wenn er erzählt, dass die Zürcher
Boten des Abends, wenn sie unbewehrt beim Nachtessen sässen.
überfallen werden sollten. -) Wenn das letztere richtig ist, so
wurde der Plan durch die drei "•) oder vier Büchsenschützen ver-
eitelt, welche schon um 4 Uhr abends mit „halbenn haggen" er-
schienen, um in die Pfalz hinaufzugehen. Ihr Anblick genügte,
um die erregten Bürger in Aufruhr zu versetzen, und als gar
ein Wiler *) ihrer gereizten Stimmung gegen Zürich Ausdruck
verlieh, in dem er schrie : „Lauffend lieben burger! Das mögend
mir nit erliden, das an züsatz wend inha legen", ■') da griffen
nicht nur katholische, sondern auch evangelische '^) Wiler zu den
Waffen und schlugen die Büchsenschützen wieder zur Stadt
hinaus; ') denn man glaubte im Städtchen, die Krieger sollten
1) A.-S., II, 1032. ^
^) Vad., IIL S. 233 24-2fi.
3) Tgb. Sail., Fol. 58a; Vad. III, S. 23327.
"*) Das Tgb. (Fol. 58 a) erzählt, dass es ein „Luterscher" gewesen.
'") Wiler Ratsbuch.
^) Tgb. Sali., Fol. 58 a; Val. Tschudi, S. 84.
'') Tgb. Sail., Fol. 58 b. Die katholikenfreundliche, übrigens recht brauch-
bare Wiler Chronik (jetzt im Besitze der Herren Dr. R. und E. Bertsch, Institut
,,Concordia", Zürich) bemerkt dazu: ,,a*^ 1530 sind 3 Züricher am dienstag
nach dem neuen jähr (nach moderner Zeitrechnung war es der Dienstag vor
dem neuen Jahr) mit halben bogen anhero kommen und zu denen Soldaten in
hoff gangen. Die lutherische bürger zu Wyl wüsten nicht, was dies bedeutten
sollte. Sie schryen überlut : — „Wehren! Wehren! liebe bürger, damit wir
nicht überladen werden " , worauf die katholischen und lutherischen bürger zu-
sammen geloflPen und haben diese 3 Züricher hoggenschüzen zur statt hinaus
gejagt."
Das Tgb. Sail. berichtet (Fol. 58 a), ,,das dry von Zürich mit halbenn
haggen zu Wyl statt uff gangen wären unnd inn hof daselbs inn zusatz wellenn
gon, unnd wie nun semlichs von den burgern zu Wyl ersechen worden, sige
ainer der luterschen fürhin gewüschst unnd gschruwen : ,,Werent, liebenn
burger, werent, darmit der hof nit dermassen bsetzt unnd wir mit ainem sölichen
züsatz nit überladen werdint", mit derglichen mer Worten. In dem syen ettlich
des nüwen und alten gloubens zugfaren, dieselbigen dry Zürcher mit gwalt
widerumb hinder sich zurr statt uss gschlagen unnd triben. Und wie also sem-
lichs die hotten baider Ordten, Zürich und Glarus, so dann im hof warennt.
175
dem Hauptmann die Bürger bevogtigen helfen. Gleichzeitig fand
auch der Angriff auf die Pfalz statt, ^) unter Führung Batzen-
heiders. wie der Zürcher Bericht meldet. War wirkhch Hans
Germann der Anführer dieser Schar, so müssen wir annehmen,
dass er, durch die Verhältnisse bewogen, seinen, laut Vadian,
auf den Abend geplanten Handstreich jetzt schon ausführen
wollte. Allein dieser schlug gänzlich fehl, ^) und es gelang den
Ammännern Rüdlinger und Künzli aus dem Toggenburg, die
Aufrührer einstweilen zur Ruhe zu bringen. ■'') Doch standen
die Boten in der Pfalz weiter in Gefahr, ^) indem das Haus vom
28. auf den 29. beständig umlagert wurde. Nach Vadian wurde
der Hof am 29. Dezember „mit grossem hoch" von den Auf-
rührern aufs neue bestürmt, ■') wobei, wie am Tage vorher, die
Luzerner und Schwyzer Boten eine verdächtige Rolle spielten.
Diese Boten „trj^bend . . . seltzam sp}^", berichtete der St. Galler
Bürgermeister von Rickenbach aus an seine Obern, ^) und Bul-
linger sagt, sie hätten sich bei dem Auflauf so benommen, dass
sie bei vielen Leuten in Verdacht gekommen seien, „als ob der
uffrür inen kein undienst" wäre. ') Noch am Donnerstag glaubte
Frei, einen „Sturm" durch die äbtischen Lande ergehen lassen
vernomen und ersechenn, ouch den hof zu voi'an allennthalbenn verspeert unnd
verbolwerchet hatten, do rüst der hoptman Jacob Fiy durch ain haimliche
unnd faltsche jjratick zu unnd liess die nechsten puren schnelleklich für statt
beruften und inen anzaigen, si soltint komen und denen von Wyl helffen, dann
sy hettint den hoff zi^i ir und gmainer gotzhuslüten hannden ingenomen, mit der-
glichen unwarhafften redenn."
^) Vad., III, S. 233 26. Die Zeitangabe Vadians stimmt ungefähr mit der
des Zürcher Berichts überein.
-) S. E. Götzinger: Die Reformation der Stadt Wil (St. Galler Mitteilungen
Bd. 14), S. 159—165.
3) Bull., II, Nr. 233, S. 246; Vad., III, S. 233 3« ff.
^) A.-S., II, 1008.
5) Vad., III, S. 234 t.
6) V.-B.-S., IV, Nr. 587.
'') Bull., II, Nr. 333. Dazu lauten gewisse Zeugenaussagen — in den wegen
des Auflaufs angestrengten Prozessen — für die Boten der beiden Orte so, dass
man daraus schliessen könnte, die katholischen Gesandten hätten die Wiler
direkt zur Einnahme der Pfalz aufgefordert (A.-S., II, 1058). S. besonders
Nr. 7, Zeugenaussage des Melchior Huber, nach welchem die beiden katholi-
schen Boten den Wilern zuriefen :....„ Wo wott das recht sin, dass die zwai
Ort da obnen ligend V luogend, dass sy abi kemind."
176
zu müssen. ^) Bereits hatte sich der Hauptmann für diesen Fall
mit den Bauern, die sich vor den verschlossenen Stadttoren an-
gesammelt, über ein Zeichen verständigt. ^) Die Reformierten
gaben an, Frei habe dies getan, weil ihm am Donnerstag Bericht
zugekommen, dass der Hauptmann von Batzenheid, welchem es
gelungen war, aus Wil zu entkommen, mit 1000 Mann gegen die
Pfalz heranrücke. ^) Nun sollte aber am Silvester jene mehrfach
erwähnte Landsgemeinde der Gotteshausleute in Waldkirch zur
Entscheidung über die Artikel der von Zürich entworfenen Ver-
fassung stattfinden, und dorthin waren auch die Boten von Luzern
und Schwyz abgeordnet, um die Annahme der Verfassung durch
die Gotteshausleute zu verhindern. Mit auffallender Bestimmtheit
erklärt da der sonst in seinem Urteil recht vorsichtige Tagebuch-
schreiber des Abtes, Frei habe „allain desshalb" den Sturm er-
gehen lassen, „darmit die lanntzgmaind" zu Waldkirch „nitghalten
wurd." ^) Doch sei dem, wie ihm wolle; jedenfalls hatte Frei
seinen Zweck erreicht; denn auf sein Alarmzeichen eilten die
Gotteshausbauern von allen Seiten in Scharen herbei, so dass
schon am Silvesterabend gegen 4000 Mann vor dem Städtchen
versammelt waren, ^) und bereits hatte auch der Vogt von Kiburg
auf die Aufforderung Freis die nötigen Massregeln getroffen,
um unter Umständen mit Heeresmacht nach Wil zu marschieren.
Die Thurgauer hatten sich auf die Anfrage Zürichs bereit er-
klärt, nötigenfalls mit 3 — 4000 Mann zuzuziehen. ^)
1) V.-B.-S., IV, Nr. 588. Bericht Christian Fridbolts an Vadian, dat. d.
1, Januar 1530.
-) Vad., III, S. 234 8 ; Sabb , S. 334 lö/io. Der wegen angeblicher Teil-
nahme am Aufruhr verhaftete „Wiler Kanzler", Heinrich Grossmann, berichtete
am 18. März seinem Herrn, dem Abt: als er gefangen gelegen, hätten sich
Jakob Werdmüller und andere vor ihm gerühmt, dass sie mit den Bauern der
Nachbarschaft verabredet, wenn die Zürcher aus der Pfalz ,_,fürr uss werffind"
und ,,schüsind", so sollten die Bauern allenthalben stürmen und der Stadt Wil
zulaufen (Wiler Ratsbuch).
^) Pridbolt an Vadian, s. oben Anm. 1 ; Zürichs Bericht über den Wiler
Auflauf, s. Anmerkung 4 auf S. 172.
■*) Tgb. Sail., Fol. 59 a. Dagegen bemerkt Sicher (II, S. 255), was uns
am glaublichsten vorkommt : da man durch das Zuströmen der Bauern
vor Wil am Donnerstag die auf den folgenden Tag angesetzte Landsgemeinde
zu Waldkirch ,,nit mer mocht ze weg bringen", so habe man sie nach Wil ver-
legt und den Sturm ,,noch witer gon" lassen.
'') E. A., IV, Ib, Nr. 241 zu 1 4.
«) E. A., IV, Ib, Nr. 241 zu 1 2, 1.
177
Doch die drohenden Ansammhingen der Gotteshausleute vor
dem Städtchen genügten, dass die Wiler den von allen Seiten
herbeieilenden Vermittlern Gehör schenkten. Dabei trat der
Hass der Gotteshausbauern gegen die Bürger recht charakteristisch
zutage, indem sie verlangten, dass die Stadttore niedergerissen
werden sollten; aber sie begnügten sich schliesslich damit, dass
sie in bestimmter kleiner Anzahl, zu fünf oder sieben, jederzeit
bei Tag oder Nacht Einlass in die Stadt verlangen durften. Zürich
nützte die böse Lage der Wiler gehörig aus; sie mussten ihm
versprechen, den Rat neu zu besetzen, natürlich nur mit Leuten,
welche dem Evangelium günstig gesinnt waren. Offenbar gegen
die Stadtrechte, hatte Zürich auch verlangt, die Hauptschuldigen,
soweit sie nicht geflohen waren, im Städtchen verhaften zu dürfen;
die Wiler waren darüber „ser übel erschrogkenn" und schlugen
diese Forderung dreimal ab, bis Frei, nachdem er sich mit den
Bauern verständigt, Gesandte von Wil vor das Tor berief und
die Antwort ja oder nein verlangte auf seine Frage, ob die Bürger
der Aufforderung Zürichs Folge leisten wollten, worauf die Wiler
der Gewalt nachgaben. ^) So bekam Zürich einige der treuesten
Anhänger des Abtes, darunter den Hofammann Lienhard Schulder,
den ,, Wiler kanzler" Heinrich Grossmann und andere, in seine
Gewalt ; es gelang ihm aber nicht, nennenswerte, für den Abt
belastende Aussagen von den Gefangenen zu erpressen, trotzdem
die Folter nicht gespart wurde.-) Um einer ähnlichen Behandlung
zu entgehen, war eine ganze Anzahl mehr oder weniger kom-
promittierter Wiler entflohen und vermochte, trotz aller Vorstel-
lungen und Bitten auf Tagsatzungen und bei einzelnen Orten,
und trotzdem sich die katholischen Stände eifrig für sie ver-
wandten, erst nach Abschluss des H. Kappeier Landfriedens wieder
zu Haus und Hof, Weib und Kind zu gelangen. Als das aber
geschehen war, kehrten sie den Spiess um, indem nun die ehe-
maligen „Banditen" noch 1534 die vier Jahre früher am Staats-
ruder stehenden Wiler Bürger mit Schadenersatzforderungen in
Angst und Schrecken jagten. ^)
^) St.-A, Bd. 307, S. 127, Schreiben Grossmanns an Kilian, dat. d. 18.
März 1530.
^) So wurde Grossmann acht Mal am Folterseil aufgezogen (ibid.).
3) St.-A., Fase. 16.
St. Galler Mittlgn. z. vaterläiid. Gesch. XXXIII. 12
178
Der Schaden, den die Wiler beim Auflauf, vor allem ausser-
halb der Stadttore an ihren Reben, durch die feindlichen Gottes-
hausbauern erlitten hatten, belief sich in die Tausende von Gulden.')
Es war eine recht „wüsti kilwy" gewesen. Immerhin wusste
sich der neue Rat teilweise aus der Finanzmisere in der Weise
zu helfen, dass er die Schuldigen mit schweren Geldbussen be-
strafte oder ihnen, wie dem Hans Grütter „und den andern", Hab
und Gut konfiszierte; ferner beschloss er am 7. Januar 1530,
den „kirchenplunder" noch am gleichen Tage zu verkaufen und
den Erlös in erster Linie an die beim Auflauf erwachsenen Kosten
zu verwenden. -)
Der Auflauf aber hatte weit und breit das grösste Aufsehen
erregt. Selbst die kühlen Berner Staatsmänner befürchteten, wohl
nicht mit Unrecht, von ihm das Schlimmste : den Ausbruch eines
neuen Bürgerkrieges. •')
C. Absehluss der Verfassung- für die fürstäbtisehe Landschaft.
Am 1. Januar^) 1530 fand vor dem Städtchen Wil jene Lands-
gemeinde der Gotteshausleute statt, welche zu Waldkirch hätte ab-
gehalten werden sollen. Die Sthnmung der Bauern war für Zürich
günstig. Trotz der Versprechungen des Schwyzer Gesandten, Vogt
Stalder im Namen seiner Obrigkeit und der Luzerner, „wan Zürich
und Glaris in an schüch gebe, wellen sy in zwen geben ",^) entschloss
sich die Landsgemeinde kurz, die Artikel des Verfassungsent-
wurfes so, „wy S}^ gesteh" worden, anzunehmen.*^) Darauf wurde
verabschiedet, wenn diese Artikel erläutert und mit Brief und
Siegel bekräftigt seien, so wollten die Gotteshausleute dem Haupt-
mann den schuldigen Eid ablegen und er solle ihn entgegen-
nehmen. Wenn dann die Gotteshausleute weiter erklärten, dem
Abte gehorsam sein zu wollen, falls er seinen Stand aus der
1) V.-B.-S., IV, Nr. 589.
-) Wiler Ratsbuch.
^) Charakteristiscli ist dafür das ernste Schreiben, das Bern wegen des
Auflaufs an Luzern und Schwyz richtete. Bei Strickler (II, 1016) leider nur
im Auszuge wiedergegeben.
4) V.-B.-S., IV, 588.
") Ibid., s. dazu Sicher, I, S. 122.
«) Sabb.. S. 334 24-31 ; A.-S., 11, 1025 : E. A., IV, 1 b, Nr. 245 Note 2, i.
179
Bibel begründen und beweisen könne, dass er ein Regent oder
ein regierender Herr sein solle, so klang das schon mehr wie
blutige Ironie. ^)
Doch waren darum die Verhältnisse im Fürstenland für
Zürich noch keineswegs befriedigend; ^) denn immer noch machte
sich unter den Stiftsbauern eine ansehnliche äbtische Partei be-
merkbar, die Zürichs Plänen energisch entgegenarbeitete. Zudem
hatten sich die Gotteshausleute noch immer nicht damit befreunden
können, dass Zürich den Steuerbezüger aus der Stadt St. Gallen
genommen hatte, besonders da zu dieser Zeit das Verhältnis der
Bauern zur Stadt St. Gallen ein sehr gespanntes war. Als z. B.
Ende Dezember wegen der Wiler Vorgänge der Sturm durch die
Landschaft ging, glaubten die Bürger St. Gallens, „dass man filicht
etwas gegen inen und gemainer stat fürgenommen hett", und
der Rat stellte Wachen aus. •^) Die Bauern machten auch ihrem
Unmut über den Steuerbezüger, weil er nicht einer von ihnen sei,
Luft, indem sie ihm die Entrichtung der Abgaben verweigerten,^)
sodass Frei an die Zürcher berichten musste, es sei hohe Zeit,
einmal Ordnung zu schaffen. '')
Die Gotteshausleute bemühten sich auch fortwährend, über
den von ihnen angenommenen Verfassungsentwurf hinaus weitere
Zugeständnisse zu eriialten. Im Februar d. J. erschien ihre Bot-
schaft in Zürich, um anzubringen, dass man doch dem Einzüger
aus der Stadt St. Gallen, auch Statthalter genannt, einen Mann
vom Land als Gehülfen beigeben möchte, in der Weise, dass
der Statthalter alle Geschäfte in der Stadt und innerhalb der vier
Kreuze, sein Gehülfe aber diejenigen auf dem Lande zu verrichten
hätte ; ferner möchte Zürich den Gotteshausleuten gestatten, Hoch-
gericht zu halten, und die Eidesformeln aufstellen für die Ablegung
des Schwures, den sie dem Hauptmann zu leisten hätten und er
ihnen etc. Doch Zürich erklärte: man habe es bis zum nächsten
Badener Tag in der äbtischen Sache stillstehen heissen; die
Gotteshausleute möchten also erst diesen Tag abwarten; sollten
1) E. A., IV, Ib, Nr. 245 ij.
^) Am 17. Januar 15-30 hatte ein Gönner dem Abt geschrieben, es gehe
im Fürstenland „wellen wäg es welli" (St.-A.. Bd. 307, S. 71).
=») Vad., III, S. 235 14-22.
4) A.-S., II, 1108.
'">) A.-S., 11, 1129, 12. Februar.
180
dann Liizern und Schwyz sich nicht bereit finden lassen, mit
Zürich und Glarus ihnen zu helfen, so werde man den beiden
katholischen Ständen bestimmt erklären, dass die zwei reformierten
entschlossen seien, den Stiftsleuten ihre Zusage zu halten und
ihnen Gericht, Recht und andere notwendige Ordnungen auf-
zurichten. ^)
Doch der Badener Tag, Mitte Februar, brachte keine Einigung
zwischen Zürich-Glarus und Luzern-Schwyz, weshalb Frei an
seine Obrigkeit schrieb: man möge nun unverzüglich die Hoch-
gerichte im Fürstenlande aufstellen und auch sonst die Sache der
Gotteshausleute energisch betreiben; denn es entrichte niemand
Zinsen, Renten und Gülten und herrsche eine solche „allgemeine
Ungebundenheit", dass er das nicht mehr länger dulden noch
verantworten könne.-) Aber die Erledigung der Angelegenheit
verzog sich noch weiter. Die Gotteshausleute, die am 31, März in
Zürich dringend baten, die vereinbarten Artikel in Kraft treten
zu lassen, erhielten ausweichende Antwort: man habe den Ab-
schied vom letzten Badener Tage (21. März f.) noch nicht erhalten;
sobald man dessen Inhalt kenne, werde man mit Glarus über die
eben angebrachte Bitte des Fürstenlandes beraten. ■^)
Immerhin fand Zürich gut, die Aufrichtung der Verfassung
für die Gotteshausleute zu beschleunigen, besonders da von Seiten
der Anhänger Kiliaws eifrig für dessen Sache gearbeitet wurde.
Namentlich war Jakob Krumm zu Waldegg ^) fortwährend für
den Abt tätig. Er hatte zwölf diesem günstig gesinnten Männern
aus den „Geginen" Tablat, Straubenzell, Geiserwald, Rotmonten
und Mörswil den Verlauf des letzten Badener Tags, auf dem der
Abt verhört worden war, ^) durch Verlesen von Kopien des Ab-
schieds angezeigt und wohl dabei den Tag als für den Abt günstig
verlaufen hingestellt; denn die Bauern äusserten ihre Freude über
den Bericht und erklärten, sie wollten das Gehörte ihren Ge-
meinden mitteilen und hofften, soviel zustande zu bringen, dass
.,die gwaltigen, so bisshar das redli triben", in ihrem Beginnen
1) E. A., IV, 1 b, Nr. 270.
2) A.-S., II, 1143.
3) E. A., IV, Ib, Nr. 293.
^) In der ,,Gegni" Straubenzell gelegen.
^) Es war der 28. März, der IL Verhörtag des Abtes, s. oben, S. 139 ff.
181
still gestellt würden. ^) Der Konvent Abt Kilians gab darauf dem
Junker Krumm weitere Verhaltungsmassregeln: er möge den
Gotteshausleuten vorstellen, dass die Konventherren, indem sie
nach dem Tode des Abtes Franz einen neuen Klostervorsteher
wählten, „die armen gotzhuslüt mer dan sich selbs betrachtet" ; denn
es sei offen geredet worden, Franz Geissberg solle der letzte Abt
sein, und die frommen Gotteshausleute sollten durch fremde Herren
„beherschet und bevogtet" werden ; Kilian aber wolle so regieren,
dass wenig über ihn zu klagen sein werde. Die Gotteshausleute
möchten ferner bedenken, dass die Zürcher und Glarner „mittler zyt,
so es zu fällen kompt, uss diser sach schloiffen", die armen
Gotteshausleute im Stiche lassen und alle Schuld auf sie werfen
würden „gantz unangesechen irs vilfaltigen züsagens, dem sy
dann warlichen nit nachkomen und gnügthün werden mögen." -)
So tagten denn am 16. und 17. Mai 1530 Zürich und Glarus
zu St. Gallen mit den Gotteshausleuten, um die letzten Anord-
nungen zum Abschluss der neuen Verfassung zu treffen, wobei
sich die beiden Orte auf die Bitten der Stiftsleute, um sie willig
zu machen, noch zu verschiedenen Zugeständnissen verstanden;
so sollte auch ihnen ein Urbar eingehändigt werden. Zahlreiche
verhängte Bussen wurden erlassen. Namentlich aber gaben die
beiden Orte in Betreff des Einzügers nach, indem „bis auf weiteres"
Hieronymus Schowinger von Gossau das Einzügeramt bekleiden
sollte. Statthalter Studer war damit im Grunde genommen seines
Amtes entsetzt, wenn auch weiter bestimmt wurde, dass er „mitt-
lerzeit", - d. h. wohl bis man sich mit der Stadt St. Gallen über
den „Platz" des Klosters u. a. geeinigt hätte, - „im Amte" bleiben,
die Haushaltung versehen und alle Dinge in Ordnung bringen solle.
Alle Artikel in ihrer jetzigen Form hatten die Gesandten des
Fürstenlandes nochmals an ihre Gemeinden zu bringen; am 24.
Mai sollte der Hauptmann vor der Landsgemeindo zu Lömmiswil
erscheinen und der Landrat besetzt; am darauffolgenden Tag
durch die Gotteshausleute in St. Gallen Antwort darüber erteilt
werden, ob sie die Artikel annehmen wollten oder nicht, und
wer von ihnen zu siegeln habe; dann sollten Tag, Ort und Form
der Beschwörung bestimmt werden.")
1) Tgb. Sail., Fol. 106 a.
2) St.-A., Bd. 307, S. 219—221, 22. April.
3) E. A., IV, Ib, Nr. 323 a, b, c.
182
Da die Landsgemeinde der Gotteshausleute am 24. Mai zu den
Artikeln ihre Zustimmung gab, konnte schon am folgenden Tag,
Mittwoch den 25, Mai, der „Vertrag der Schirmorte Zürich und
Glarus mit den Gotteshausleuten der Landschaft St. Gallen über
eine neue Verfassung" aufgerichtet werden. ^)
Einige einleitende Bemerkungen in der Urkunde sollten über
die Ursachen orientieren, welche zur Aufrichtung des nachstehen-
den Vertrages geführt hätten : die Gotteshausleute seien von den
Äbten hart regiert und namentlich vom angenommenen Evan-
gelium „erbärmklich" gedrängt worden; zudem sei es wider
Gotteswort, dass ein Geistlicher sie beherrsche. Sie hätten darum
beschlossen, sich „solicher lestiger, ungöttlicher und unträglicher
regierung ußzeziechen" ; habe doch Abt Kilian seinen Mönchs-
stand und seine Regierung mit der heiligen Schrift nicht nur nicht
bewiesen, sondern sei sogar mit des Gotteshauses Habe aus dem
Lande geflohen, weshalb Zürich und Glarus den Gotteshausleuten
auf deren Bitte folgende Artikel aufgestellt hätten, doch blos
„unz zu wyterer versechung" und bis die vier Orte miteinander
besser einig seien. Das Ganze hatte also nur provisorischen
Charakter.
Der Inhalt der einzelnen Artikel der Verfassung zeigt uns,
dass Zürich an der machtvollen Position des Schirmhauptmanns,
wie sie der Entwurf vorgesehen, durchaus festgehalten hatte,
wenn es sich auch manche Einschränkungen im Einzelnen ge-
fallen lassen musste.
Der Hauptmann soll „in des Gotzhus und aller desselben
landschaft nun hinfür das oberist houpt sin und heissen, . . . uff
den alle landschaft ir ufsechen und Zuflucht hat" ; keine Amts-
person darf „on sin vorwissen und gehäll" eine „dapfere oder
wichtige sach" unternehmen. So heisst es gleich am Anfang;
dann wird auf die einzelnen Artikel eingetreten : dem Schirm-
hauptmann sollen auch alljährlich Geginen und Gemeinden im
Namen der Obrigkeit schwören ; die Landräte, Gerichtsammänner
und andere hohe und niedere Richter sollen sich ihm gegenüber
eidlich verpflichten, unparteiisch zu richten, Nutz und Ehre der
Gotteshauslandschaft zu fördern und dem Hauptmann „in zym-
lichen, billichen dingen" gehorsam zu sein. Zugleich sollen sie
1) E. A., IV, Ib, Beilage 12, S. 1493 ff.
183
auch schwören, den vier Schirmorten getreuUch zu leisten, was sie
schuldig sind, und sollen sich eidlich verpflichten, das Gotteswort
zu handhaben. Diese Bestimmung gilt auch für die von den Ge-
meinden gewählten Gerichtsammänner; wenn diese dem Gottes-
wort nicht hold sind, kann sie der Hauptmann entsetzen. Das
bedingt aber von selbst, dass dieser „evangelischer leer und war-
heit günstig und nit ze wider sige"; sonst brauchen die Gottes-
hausleute ihm nicht zu huldigen. Der Hauptmann soll darum, so-
bald er aufgeritten ist, den Gotteshausleuten schwören, „dass er
sy by göttlichem wort und irem cristenlichen ansechen beliben
lassen" will. Mit dem Hauptmann zusammen bilden zwölf Land-
räte die eigentliche Regierung; ein Drittel von ihnen ernennt
der Hauptmann, die übrigen zwei Drittel die Gotteshausleute. ^)
Auch diese Räte müssen dem Evangelium günstig gesinnt sein.
In Gegenwart der zwölf haben die Beamten der alten Land-
schaft dem Hauptmann Rechnung über ihre Amtsführung abzu-
legen, und er darf keinen Amtmann einsetzen oder entsetzen
ohne Wissen und Willen mindestens der Mehrheit seiner Land-
räte, ausgenommen Vögte, Statthalter und Einzüger, deren Er-
nennung und Absetzung dem Hauptmann im Namen der vier
Orte vorbehalten bleibt. -)
Im Gerichtswesen sollte es in Zukunft folgendermassen ge-
halten werden: die niedern Gerichte besetzen die Gemeinden mit
evangelisch gesinnten Männern ; beim Hochgericht vertritt der
Hauptmann die Stelle des Reichsvogtes; doch darf er keinen
Angeklagten „peinlich" verhören ohne Rat und Wissen des Land-
rates. Gibt ein Gefangener, der vors Malefizgericht gehört, ge-
nügende Bürgschaft, dass er sich auf Verlangen dem Gerichte
stellen werde, so muss der Hauptmann ihn freilassen. Im übrigen
sollen die Hochgerichte „wie von altem här" gebraucht und auch
^) Noch kurz vor dem Abschhiss der Verfassung hatten die beiden Orte
einen ihnen passierten, eigentümlichen Lapsus korrigieren müssen. Im Entwurf
(Nr. 4) hatte es nämlich wegen der Wahl der Landräte geheissen, dass die Ge-
meinden dem Hauptmann zwölf Männer vorzuschlagen hätten, aus welchen die
Gotteshausleute acht und er vier nehmen sollte, was auf eine Wahl des Land-
rates allein durch die Stiftsbauern herausgekommen wäre. Die Zürcher und
Glarner Boten erklärten darauf den Stiftsleuten, es hätte heissen sollen, dass
die Gotteshausleute acht Räte zu wählen hätten und der Haui^tmann vier.
^) Dazu gehören wohl auch die Gerichtsammänner.
184
an den herkömmlichen Gerichtsstätten gehalten werden. Im Appel-
lationsgericht sollen sitzen: 1. der Hauptmann als Oberrichter;
doch kann er, wie im Hochgericht, einen Stellvertreter aus seinen
Räten ernennen; 2. die Hälfte der Landräte, und zwar sollen
von diesen sechs Mitrichtern vier von den Gotteshausleuten,
zwei vom Hauptmann gewählt sein; nach einem halben Jahr
müssen sie mit den sechs übrigen Landräten abwechseln; doch
sollen vorderhand alle zwölf Landräte Appellationsrichter sein, bis
die Zahl der Geschäfte geringer wird. Was von diesem Gerichte
anerkannt wird, darf nicht angefochten werden. Die Appellations-
richter erhalten an den Tagen, da sie zu Gericht sitzen müssen,
vom Hauptmann Speise und Trank für sich und ihre Pferde und
jeder zwei Batzen Taggeld; beim Hochgericht sollen sie sich mit
der „spisung" begnügen.
Den Gemeinden wird freie Pfarrwahl zwar zugestanden; doch
sollen die Geistlichen vorher durch Schriftgelehrte zu Zürich,
Konstanz oder St. Gallen geprüft werden. Es darf auch kein
Prädikant von Seiten seiner Gemeinde von seiner Pfründe „ver-
schupft" werden, wenn nicht der Hauptmann und mindestens die
Mehrheit der Landräte dafür ist; anderseits muss der Pfarrer auch
dem Herrn der betreffenden Pfründe genehm sein.
Vergleichen wir den angenommenen Vertrag mit dem ersten
den Gotteshausleuten vorgeschlagenen Entwurf, so ist zu sagen,
dass von den 15 Artikeln des letztern nur Artikel 11—15 unver-
ändert geblieben waren, die bestimmten, dass Zinsen und Zehnten,
mit Ausnahme der erlassenen „ungöttlichen Beschwerden", von
den Gotteshausleuten auch weiterhin entrichtet werden sollten
zur Bestreitung des Staatshaushaltes, wozu auch die Armenver-
sorgung gehörte; ferner, dass dem Hauptmann und seinen Räten
die Entscheidung über Bezahlung von Ehrschätzen, welche will-
kürlich von den Äbten auf Schupposen gelegt worden waren,
überlassen werden sollte; endlich, dass die Gotteshausleute Jahr-
zeiten und Kirchengüter angreifen dürften, doch darüber dem
Hauptmann und seinen Räten Rechenschaft zu geben hätten.
Abgesehen von diesen 5 Artikeln hatten alle übrigen des Zürcher
Entwurfs erweitert werden müssen. So durfte z. B. der Haupt-
mann keine neuen Satzungen erlassen ohne Wissen und Willen
seiner Landräte; er sollte auch in seinem Schwur, den er den
Gotteshausleuten abzulegen hatte, erklären, dass er ihren Nutzen
185
und ihre Ehre ins Auge fassen und sie bei dem, was recht sei,
schirmen wolle, lieber die Güter, Einkommen und Herrhchkeiten
des Gotteshauses sollte nicht nur dem Hauptmann, sondern auch
den Gotteshausleuten ein Urbar eingehändigt werden und von
den Gerichtsbussen die eine Hälfte den vier Schirmorten, die
andere dem Fürstenlande zustehen.
So war es Zürich nach Überwindung zahlloser Schwierigkeiten
endlich doch gelungen, die Gotteshausleute für die neue Verfas-
sung zu gewinnen. Als am 31. Mai Abt Kilian das Ober- und
Unteramt aufforderte, ihm als ihrem rechtmässigen Herrn zu hul-
digen, ^) und er den Wilern erklärte, er anerkenne das neue
Regiment nicht,-) da war es bereits zu spät. Nicht mehr fruch-
teten Missiven von Luzern und Schwyz, in welchen die beiden
Orte durch Schreiben vom 6. Juni die Wiler und Gotteshausleute
davon abmahnten, auf die Pläne „etlicher" Orte einzugehen, und
ihnen die Worte zuriefen : „Ir hörend am anfang vil guter wort ;
aber ir sechend weder das mittel noch end." ^) Im Juni gaben
die Gotteshausleute die scharfe Antwort: Luzern und Schwyz
sollten sie mit dem Abt in Ruhe lassen, „diewyl und dann nit
er allein für sich selbs, sunder wir, die gotshuslüt, das gotshus
genempt und er von uns und wir nit von im hie sind (!), er
ouch von gemeinem convent und uns zu herren und obern nie
erweit noch angenommen."^)
Grösseren, wenn auch nur vorübergehenden Erfolg hatten
Luzern und Schwyz bei Glarus, als sie ihm laut der Bünde das
Recht vorschlugen; das bewirkte, dass dieser Ort den Gotteshaus-
leuten die Besiegelung der neuen Verfassung A^erweigerte.-^) Vadian
glaubt, es seien die „geltsamler" zu Glarus gewesen, welche dies
zu Stande gebracht hätten;*') Sicher aber erzählt, es sei die ,;Sag"
umgegangen, die Glarner hätten dem Abt die Schirmbriefe her-
ausgeben und sich seiner entschlagen wollen, „diewil si doch im
brief noch sigel nit halten mögend noch könden".') Wie dem
1) St.-A., Bd. 101, S. 79-82.
2) St.-A., Bd. 101, S. 83 — 84.
3) A.-S., II, 1372.
^) A.-S., II, 1394.
^) A.-S., II, 1401.
f') Vad., III, S. 254 30-35.
') Sicher, I, S. 141 29 ff.
186
auch sei, das Benehmen von Glarus muss auf die Gotteshaus-
leute Eindruck gemacht haben. Dazu kam, dass die Zugeständ-
nisse, welche Zürich bei der Aufrichtung der neuen Verfassung
gemacht hatte, doch nicht sehr bedeutend waren. Die Gotteshaus-
leute mussten mit grossem Widerwillen bemerken, dass nicht,
wie sie gewollt, ihr Vertreter, sondern derjenige der vier Schirm-
orte, oder richtiger von Zürich und Glarus, was die weltlichen
Herrschaftsrechte betraf, an die Stelle des Abtes gerückt war. So
verstehen wir, dass Frei kaum einen Monat nach Abschluss der
Verfassung an Zürich schreiben konnte: wenn wegen der Be-
siegelung des Vertrages mit Glarus nicht ernstlich gehandelt
werde, dürfte es im Fürstenland in allen Dingen so „unentbunnen"
zugehen, dass im künftigen Schnitt weder Zinsen noch Zehnten
eingehen würden ; die Sache stehe so gefährlich, dass ein Abfall
der „Gutwilligen" zu befürchten sei. Darauf befahl ihm Zürich,
sich ganz an das neue Vorkommnis mit den Gotteshausleuten zu
halten, ohne sich darum zu bekümmern, dass die Glarner nicht
gesiegelt hätten. ^)
Letztere schrieben indessen an Schwyz, es solle von seiner
Rechtsforderung abstehen, da alles, was sie den Gotteshausleuten
getan, ohne Schaden für diesen Ort geschehen und darum den
Bünden nicht zuwider sei. ^) Doch als das nichts nützte, ^) blieb
Glarus eingeschüchtert und wollte nicht siegeln. Da kam ihm
Zürich zu Hilfe. Anfangs August schrieb es den Glarnern, sie
seien nicht verpflichtet, der Mahnung zum Recht Folge zu leisten,
da sie sich mit den Gotteshausleuten nicht in bundeswidriger Weise
eingelassen hätten; sollten sie von Schwyz weiter angefochten
werden, so möchten sie Recht bieten, '^) und am 6. August bat
Zürich dringend, den Vertrag zu siegeln und sich um die „ver-
meinte" Mahnung der Schwyzer nicht zu kümmern. '^) Dies wirkte
endlich. Glarus schrieb noch im August an Schwyz: wenn man mit
Luzern ihm die Besiegelung des Vertrages nicht gestatten wolle,
so schlage es den beiden Orten Recht vor ; falls sie aber innerhalb
14 Tagen dasselbe nicht annähmen und den Prozess nicht ge-
1) A.-S., II, 1406, 21. Juni, vgl. ebenda die Note.
2) A.-S., II, 1473, 17. Juli.
3) A.-S., II, 1486.
4) A.-S., II, 1532.
'") A.-S., II, 1534 2.
187
wannen, werde man siegeln. ^) Diese Bedingung wurde, wie es
scheint, nicht erfüllt, und so hängten, wohl kurz nach dem Tode
Kilians, auch die Glarner ihr Landessiegel an die Urkunde, was
Zürich und die Gotteshausleute bereits im Juni des Jahres ge-
tan hatten.
Nachdem schliesslich die Gotteshausleute auch ihre eigenen
Landesfarben, Schwarz-Gelb, -) bekommen, war unter der Ägide
und Leitung Zürichs die völlige Loslösung des Fürstenlandes von
der Herrschaft des Abtes von St. Gallen auch äusserlich zur
Tatsache geworden.
1) A.-S., II, 1569, 18. August.
2) Bull., II, S. 271.
188
II. Kapitel.
Das Toggenburg nach dem ersten Landfrieden. ')
Wir haben bereits gehört, wie Abt Kihan, solange er in der
Eidgenossenschaft weilte, Anstrengungen machte, sein Heimat-
land dahin zu bringen, dass es ihn anerkenne; doch waren die
Bemühungen erfolglos gewesen.
Gestützt nun auf die günstige Antwort, welche ihm Luzern,
Schwyz und Glarus im Mai 1529 zu Wil gegeben, hatte der Abt
gehofft, zum Ziele zu kommen, und den Landvogt Giger aufge-
fordert, das Regiment mit dem Landrat wie bisher auszuüben. ^)
Doch Giger antwortete am 26. Juli, wenn er dem Befehle Folge
leistete, würde er von den Toggenburgern entsetzt. ^) Vergebens
suchte Kilian daraufhin durch Nachgiebigkeit Landvogt und Land-
räte für sich zu gewinnen, indem er erklärte, er werde sich, wenn
sie ihm huldigten, so zeigen, dass sie den Landsmann spüren
könnten ; ^) vergebens machte er auch Giger darauf aufmerksam,
dass er seine Konfirmation erhalten habe ; '") er brachte es im
Toggenburg nicht zu seiner ausdrücklichen Anerkennung. Nicht
mehr Erfolg hatten lange Schreiben, die er im August 1529 an
die Landsgemeinden zu Lütisburg (und Lichtensteig) richtete;*^) die
Toggenburger blieben bei der Antwort, die sie Kilian gleich nach
seiner Erwählung gegeben hatten : was sie dem Abt und andern
schuldig seien, das wollten sie treulich, ehrlich und redlich halten.
^) Ausüben angeführten Gründen t^s. Abschn. I, Kap.III, (S. 77)Anm. 1) be-
gnügen wir uns auch hier mit einer das Wesentliche zusammenfassenden Dar-
stellung.
2) St.-A., Bd. 101. S. 6/7, Schreiben vom 24. Juli 1529.
3) A.-S., II, 710.
^) St.-A., Bd. 101, S. 27—28, 11. August.
■') St.-A., Bd. 101, S. 19—20, Schreiben Kilians vom 28. Juli.
^) St.-A., Bd. 101, S. 33 — 34, Schreiben Kilians vom 19. August.
189
Eine Besserung schien das Jahr 1530 für den Prälaten zu
bringen, als Mitte Januar zu Lichtensteig, Lütisburg und im
Oberen Amt toggenburgische Landsgemeinden beschlossen, ferner-
hin jedem, wer das auch sei, das „Recht" seinem Begehren nach
zu halten und in Zukunft weder dem Landrat noch sonst je-
mandem zu gestatten, mit Fürsten und Herren dies- oder jenseits
des Rheines und Sees eine Vereinigung abzuschliessen ohne
Wissen und Willen der Landsgemeinde der ganzen Grafschaft. ^)
Als nun aber der Abt diese energisch aufforderte, ihm zu hul-
digen und im Weigerungsfalle den dortigen Behörden jegliche
Amtsverrichtung verbot, ersuchte Giger um „ain gnedig urlob",
indem er die versteckte Drohung beifügte, dass die Landleute,
wenn er sein Amt niederlege, die Regierung selbst in die Hand
nehmen würden. -)
Eine solche Haltung der Toggenburger war nur möglich,
wenn sie sich im Rücken gedeckt fühlten ; sie waren es durch
die Zürcher, die zu dieser Zeit mit ihrem Einfluss in der Graf-
schaft völlig dominierten, trotz der Bemühungen des Hauptmanns
von Batzenheid"') und des äbtischen Konvents^) wie der Anfeindung
von Seiten der abtfreundlichen Elemente im Toggenburg, welche
der Stadt vorwarfen, sie habe im Sinne, die Grafschaft „inze-
nämen, ze beherschenn oder ze bevogten". '") Mitte Juni, als der
Abt die Regalien vom Kaiser erhalten, erneuerte er die For-
derung seiner Anerkennung durch ein Schreiben an die Lands-
gemeinde zu Wattwil,*^) erreichte aber das gerade Gegenteil; denn
es entstand ein „mergklicher unwill" über seinen Brief unter
den versammelten Toggenburgern, und die Landsgemeinde be-
schloss, indem sie eine Botschaft der Schwyzer nicht zum Wort
kommen liess, „das sy ü(wer) f(ürstHch) g(naden) nit wellind
1) Tgb. Sail., Fol. 65 b, f.
^) St.-A., Bd. 307, S. 223 — 225, Schreiben Kilians an Giger und den
Landrat vom 27. Mai 1530 ; Bd. 101, S. 104, Giger an Kilian, d. d. 30. Mai.
^) St.-A., Fase. 14, Hauptmann Batzenheider an die Toggenburger, dat.
d. 18. Februar.
■•) St.-A., Bd. 307, S. 222—223, Dekan und Konvent an Giger, dat. d.
28. April; Antwort Gigers vom 3. Mai, Bd. 101, S. 92—93.
ö) St.-A., Bd. 307, S. 183, Zürich an Toggenburg, dat. den 16. März;
A.-S., II, 1343 ; s. auch Sicher, I, S. 129 7-li.
«) St.-A., Bd. 101, S. 97 — 100.
190
haben für kainen herren", sondern in Zukunft einen %on ihnen
selbst gewählten Landammann haben wollten. Die Wahl fand so-
gleich statt und fiel auf Ammann Künzli.^) Die Boten der Schwyzer
aber, welche gekommen waren, um das Landrecht mit den Tog-
genburgern neu zu beschwören, wurden grob abgewiesen, indem
man ihnen zurief, „das sy ain gemaind rüwig lassen söllintt mit
irm landtzrecht" ; sie (die Schwyzer) hätten dasselbe zuerst ge-
brochen etc. -) Giger teilte dies alles dem Abte mit und bat von
neuem um „urlob".
Seit geraumer Zeit stand das Toggenburg auch mit Zürich
in Unterhandlung „von losung wegen". ^) Am 26. Juni erschien
in der Stadt eine Botschaft aus der Grafschaft, um sich mit ihr
über ein ewiges, christliches Burgrecht zu einigen. ^) Der be-
drängte Abt bat darauf Giger, seinen Posten als äbtischer Land-
vogt nicht zu verlassen, ■') wandte sich auch durch seinen Reichs-
vogt an Luzern und Schwyz um Rat, <') was ihm aber wenig half.
Doch hatte Schwyz, wie wir oben gesehen, Grund genug, über
die Toggenburger erbost zu sein, und beklagte sich deshalb am
27. Juni auf der Tagsatzung zu Baden, dass ihm sein Landrecht
mit dem Toggenburg von diesem nach allerlei Vorwürfen auf-
gekündet worden sei. Die Tagherren wussten aber keinen bes-
sern Rat, als den Span einstweilen ruhen zu lassen ; man wolle
später wieder auf die Sache zurückkommen. ')
Die Toggenburger jedoch drängten unaufhörlich vorwärts, um
sich schliesslich durch Rückerstattung der Summe, um welche
einst der Abt sie von denen von Raron erworben, vollständig
unabhängig zu machen, und Zürich tat sein möglichstes, diesen Plan
^) Giger bekleidete von da an das Amt eines Seckehneisters. Er hatte in
seiner klugen Weise die Wahl zum Landammann abgelehnt (Sicher, I, S. 128 f.),
um sich beim Abte möglichst wenig zu kompromittieren.
2) Bericht Gigers an Kilian vom 20. Juni (St.-A., Bd. 101, S. 101 — 102).
3) St.-A., Bd. 307, S. 183, Zürich an Toggenburg, dat. den 16. März:
A.-S., II, 1343.
^) Vad., III, S. 255, lo-u.
ö) St.-A., Bd. 101, S. 105, Kilian an Giger, d. d. 22. Juni,
•^j St.-A., Bd. 307, S. 313, Kilian an Heinrich Schenkli, Reichsvogt, jetzt
in Einsiedeln, d. d. 22. Juni.
') E. A., IV, 1 b, Nr. 342 m.
191
zu verwirklichen ; wenn er erst unter dem Nachfolger Kilians,
Abt Diethelm, durchgeführt werden konnte, so war daran Glarus
schuld, welches sich wegen der drohenden Haltung von Luzern
und Schwyz vorderhand nicht auf diese schwerwiegende Sache
einlassen wollte. ^)
') Siehe das Nähere in den E. A., IV, Ib, Nr. 343, 35 lo, 366f ; bei Strickler
A.-S., II, 1425, 1463a, 1501 i, 1515.
192
III. Kapitel.
Der Klosterkauf.
Wir erinnern uns, wie die Stadt St. Gallen im ersten Kappeler-
krieg den Zürchern kräftigen Beistand geleistet. Die Kosten
dafür beliefen sich für die Stadt auf die verhältnismässig recht
hohe Summe von 1700 Gulden. ^) Doch der für die Reformierten
günstige Ausgang des Feldzuges war auch dem weiteren Vor-
gehen St. Gallens zugunsten religiöser Neuerungen sehr förderlich:
die St. Jakobskapelle wurde als solche aufgehoben und in eine
Ziegelei verwandelt, die Kirche der Nonnen von St. Leonhard in
den ersten Tagen des Jahres 1530 in religiösem Übereifer abge-
brochen, wofür selbst Vadian die bedauernden Worte hatte: „ist
gar ain hübsche kirch gsin";-) die Nonnen selbst, die bereits
ihre Ordenskleider hatten ausziehen müssen, wurden noch im
April dieses Jahres ausgesteuert,^) und die bedeutende Summe,
ca. 3000 Gulden, welche vom Klostervermögen übrig blieb, floss
in die städtische Armenkasse.^) Die Innenwände des Münsters
wurden weiss übertüncht und Bibelverse statt der früheren Ge-
mälde angebracht. Als Pfarrer wurde dort um Ostern 1530 der
uns bekannte Dr. Christoph Schappeler von der Stadt angestellt, ^)
der in dieser Zeit seine 42 Artikel gegen den katholischen Glauben
im Druck erscheinen liess.*^) Mindestens 14 Glocken '') aus nieder-
gerissenen Kapellen des Klosterbezirkes wurden nach Lindau
geschickt und trotz aller Bemühungen Kilians, das „gloggenzüg"
dort in Haft legen zu lassen,**) in eine grosse Kanone umgegossen.'*)
1) Vad., III, S. 247 se.
2) Vad., III, S. 240 i ; Sicher, I, S. 124 i-io.
3) R.-P. 1530, S. 136.
■*) Vad., III, S. 244 22-44.
'") Sicher, I, S. 127/128.
6) Bull., II, S. 115-119; Sta., Tr. Q., Nr. 14.
^) Vad., III, S. 363 i4.
8) Siehe z. B. St.-A., Bd. 101, S. 74 und Bd. 307; S. 168.
•') Vad., III, S. 247 26-30; Sabb., 338, 35-43.
193
Nachdem diese glücklich unter Bedeckung — man befürchtete
einen Handstreich Marx Sittichs — des Nachts über den See
nach Rorschach bugsiert worden war, wurde sie von dort am
Morgen des 10. Mai im Triumph nach St. Gallen geführt. 0 Es
war ein ansehnliches Geschütz, das 13 Pfund schwere Steine
abschiessen konnte. -) Der Verlust, den der Abt durch das Ein-
schmelzen der Glocken erlitt, betrug mehrere 100 Gulden, ^) wobei
er und die Seinen zum Schaden noch den Spott zu tragen hatten,
indem auf der neuen Büchse zu lesen stand:
„Das mich an statt S. Gallen hat lassen giessen
Das thüt gar mengen verdriessen." ^)
Wichtigere Veränderungen als die oben geschilderten waren
inzwischen innerhalb der Stadtbehörden vor sich gegangen. Vor
allem war auf das Drängen einiger Zunftmeister am 5. Juli 1529
vom Grossen Rate beschlossen worden, dass zukünftig auch
die sechs Altzunftmeister dem Kleinen Rate angehören sollten, '")
der bisanhin aus den sechs amtierenden, demokratischen Zunft-
meistern und neun aristokratischen Mitgliedern bestanden hatte.
Nicht dieser, in seiner Mehrheit aristokratische Kleine Rat hatte
die Leitung der Reformationsbewegung in St. Gallen innegehabt,
sondern von Anfang an der in seiner überwiegenden Mehrheit
demokratische Grosse Rat. Dadurch dass nach dessen Beschluss
vom 5. Juli nunmehr im Kleinen Rate zwölf Zunftmeister den
neun aristokratischen Mitgliedern gegenüberstanden, erhielt auch
dort die demokratische Partei das Übergewicht. Weitere Neue-
rungen, besonders auf Kosten der Abtei, Hessen sich nunmehr
viel leichter an die Hand nehmen.
War es nämhch bis dahin der Stadt gelungen, innerhalb ihrer
Ringmauern allein den evangelischen Gottesdienst zu dulden, so
musste sie ganz natürlich auch auf den Gedanken kommen, die
äbtischen Gebäulichkeiten in der Stadt, so namenthch das Kloster,
1) Vad., m, S. 250/251.
2) Miles, S. 337 (65) 17.
^) Vad. (III, S. 363 12) nimmt im Maximum 200 gl. an, die Äbtischen
600 gl.
*) Sabb., S. 338 42-43.
^) R.-P., 1529, S. 80; Sabb., S. 326 15-20; Vad., III, S. 215 15 nimmt
unrichtig das Jahr 1530 an; unrichtig ist auch, was dort von der Ratsver-
änderung berichtet wird.
St. Galler Mittlgn. z. vaterliind. Oesch. XXXIII. 13
194
an sich zu bringen, um auf diese Weise endlich allein „Herr im
Hause" zu werden. Die Stadt dachte an Kauf und beabsichtigte,
zu gleicher Zeit auch alles übrige, was zum Klosterbezirk ge-
hörte, samt dem Brühl, wie auch die 1490 verlorenen Gerichte
zu Oberberg, Andwil und Steinach ^) käuflich zu erwerben. Am
14. Juli 1529 wurde dies durch Ratsbeschluss angeordnet.-)
St. Gallen hätte dazu kaum einen günstigeren Moment wählen
können. Noch stand man in der ganzen Eidgenossenschaft unter
dem frischen Eindruck des grossen Erfolges, den der erste Kap-
pelerkrieg Zürich und seinen Anhängern gebracht hatte. Die
katholische Partei in der Schweiz war eingeschüchtert, und der
Landfriede selbst gab St. Gallen im YllL Artikel einmal Gewähr
dafür, dass in seinen Mauern die reformierte Lehre nicht ange-
fochten werden dürfte. Ferner aber bot das Friedensinstrument
der Stadt sogar die Handhabe, wo sie mit ihren Absichten auf
das Kloster, ja auch mit weiteren Begehren einsetzen konnte;
in Artikel XV hiess es nämlich, „dass ein statt Sant Gallen von
wegen des klosters in ir statt und sunst anderm irem anligen
von den vier orten Zürich, Luzern, Schwiz und Glarus in zimlikeit
bedacht und inen darin gehulfen werde". ^) Begreiflich, dass die
Stadt, als sie den Inhalt des ersten Landfriedens erfuhr, Züricli
in überschwänglicher Weise seine Freude darüber kundgab : der
') Es war dieser Verlust die Frucht des ßorschacher Klosterbruchs und
der darauffolgenden, für die Stadt so ungünstigen kriegerischen Intervention der
IV" Schinuorte. Statt seine Territorialherrschaft durch äbtisches Gebiet mächtig
zu erweitern, wie St. Gallen gehoft't hatte, verlor es seinen geringen auswär-
tigen Besitz : das Schloss Oberberg und die zwei Gerichte Oberberg und Andwil,
samt dem Gredhaus zu Steinach, und die Rechte der Stadt zu Ober- und Nieder-
steinach gingen an die IV äbtischen Schirmorte über, welche sie dem Abt ver-
kauften. Ja, St. Gallen musste froh sein, nicht zum Mittelpunkt einer gemeinen
Herrschaft, was man aus der alten Landschaft zu machen gedachte, herabge-
drückt zu werden. Dass dies nicht geschah, verdankte es vor allem Zürich (s.
Haene, Klosterbruch, S. 162 — 176).
^) „diewil das gotzhus rendt unnd gult hab, (be)gere man der nit, allain
des platz mit kilchen und kilchenzier, lehen, pott und verbott (am Rand : „Brül,
und was inn grichten ist, fry ledig"), diewil doch abt ufgerumpt unnd von land
zogen sig.
Item och ellentlich umb Oberberg unnd Stainach komen ; dasselb m(inenj
h(erren) lassen verlangen, unnd das nit vergebens, sonnder daruß lassen gan,
das zimlich ist" (R.-P.. 1529, S. 81).
•^)E. A., IV, Ib, S. 1481—1482.
195
Stadtläufer, welcher St. Gallen von dem eben geschlossenen
Frieden Bericht gegeben, habe „ain überuß trostlich und fröhch
bottenbrot" gebracht; man preise den barmherzigen Gott, dass
er der Stadt so gnädig vergönnt, diese Stunde zu erleben. ^)
Doch St. Gallen fand bei seinen Plänen auf das Kloster in
den Gotteshausleuten einen unbequemen Konkurrenten. Bereits
am 12. JuH 1529 erhielt der Kleine Rat Kunde, man habe zu
Lömmiswil geredet, das Kloster sollte den Gotteshausleuten ge-
hören; denn sie hätten das Ihrige daran gegeben. Ein Bauer
sollte gesagt haben, man wäre zu Lömmiswil rätig geworden,
das Kloster einzunehmen. -) St. Gallen mochte diesen Gerüchten
um so eher Glauben schenken, als es sich dabei wohl bewusst
war, auf wie gespanntem Fusse es mit den Gotteshausleuten
lebte. Dies hatte sich ja während des ersten Kappelerkrieges
nur zu deutlich gezeigt. ^) Dass die Stadt damals den Kloster-
bezirk besetzt hatte, mochte die Hauptschuld an dem unfreund-
lichen Verhältnis zum Fürstenlande tragen; denn dieses betrachtete
sich als Nachfolger des Abtes auch inbezug auf das Kloster
und wollte anfänglich von dessen Abtretung an die Stadt nichts
wissen, da man befürchtete, dabei übervorteilt zu werden. ^)
Doch St. Gallen berief sich auf den XV. Artikel des Landfriedens
und schickte am 1.3. Oktober 1529 eine angesehene Gesandtschaft,
auch Vadian befand sich dabei, zu den vier Schirmorten, um
diese zur Abtretung des Klosterbezirks und des Brühls zu veran-
lassen, da ja der vermeinte Abt „ufgerumpt" und mit grosser
Habe aus der Eidgenossenschaft „abgeschwaift" sei. Die vier
Orte möchten ferner bedenken, wie der St. Galler Spital um Ober-
berg und die Stadt um die Gred (Lagerhaus) bei Steinach ge-
kommen sei, welche beide der Abt erhalten habe: das Stift
dürfte wohl inzwischen durch deren bisherige „nutzung'' auf die
Kosten gekommen sein, die es einst durch den Klosterbruch und
Rorschacherkrieg erlitten ; darum möchten die Schirmorte helfen,
dass den armen „siechlin'^ Oberberg mit Zubehör und der Stadt
das Gredhaus zu Steinach wieder übergeben werde. Die St. Galler
Boten erhielten daraufhin zu Zürich die Antwort, dass man ihnen
1) E. A., IV, 1 b, S. 263 29.
^) R.-P., 1.529, S. 8L
■'') Siehe oben.
^) Vad., III, S. 252, Xr. 67.
196
gerne helfen würde, wenn der Handel die Zürcher allein anginge;
dies sei aber nicht der Fall, sondern man müsse auch die drei
andern Schirmorte zur Verhandlung beiziehen ; doch wolle man
bei diesen dahin wirken, dass die Stadt in ihren Beschwerden
wie billig bedacht werde. Ungünstiger lautete die Antwort von
Luzern: es sei wie Schwyz wegen des Abtes von St. Gallen mit
Zürich und Glarus in einen Streit verwickelt, weswegen ein Tag
nach Baden angesetzt worden sei; wenn dieser vorüber, wolle
man mit Schwyz die Angelegenheit beraten und gebührend ant-
worten. In gleichem Sinne dürfte sich auch Schwyz geäussert
haben, während uns die Antwort von Glarus nicht bekannt ist. 0
St. Gallen hielt sich darum vor allem an Zürich, das ihm
Ende November versprach, die Sache energisch an die Hand zu
nehmen. -)
Um Weihnachten erschien auch eine neue Botschaft St. Gallons
unter Führung Vadians in Zürich, um das Begehren der Steinach-
stadt zu erneuern. ^) Das Gleiche geschah am 15. Januar vor
dem Glarner Landrat, der den Boten einen günstigen Bescheid
erteilte.^) Auf den Rat Zürichs schickte ferner St. Gallen zu
Anfang Februar zwei Boten nach Luzern und Schwyz mit einer
auf das Kloster bezüglichen Supplikation ; '") man empfing sie dort
gut, gab ihnen aber wieder ausweichende Antwort.*^) Sodann wurde,
wieder auf Zürichs Rat, eine Gesandtschaft, nämlich Vadian und
Fridbolt, auf die am 14. Februar beginnende Tagsatzung nach
Baden abgeordnet. Sie hatte dort darauf zu dringen, dass die
vier Schirmorte nun einmal mit jener Bestimmung des Land-
friedens, welche der Stadt in der Klosterangelegenheit Unter-
stützung versprach, Ernst machen sollten, da sich die Erledigung
der Sache bereits lange genug hinausgezogen habe. ') Doch
erreichten die Boten nichts, weil die Tagherren zuerst in der
Angelegenheit des Abtes zu Ende kommen wollten, die Verhand-
*) E. A., IV, 1 b, Nr. 202. Die Instruktion (bei Strickler auszugsweise
mitgeteilt) liegt im Sta. Tr. X, Nr. 59. Datum: um Sant Gallen Tag.
2) A.-S., II, 945.
3) E. A., IV, 1 b, Nr. 323 e.
4) Vad., III, S. 236 24-33.
5) A.-S., II, 1104 (1).
^) Vad., III, S. 240 25-29.
"') Ibid. 3-15.
197
hingen darüber aber zu keinem Ziele führten. ^) St. Gallen konnte
mit diesem Ausgange des Badener Tages wenig zufrieden sein ;
denn wenn seine Angelegenheit mit der endlosen Sache des Abtes
verbunden wurde, so war freilich nicht abzusehen, wann es mit
seinen Forderungen zum Ziele gelangen würde. Dies erkannte
man auch im Rate wohl und beschloss darum, Zürich und Bern
in der Klosterfrage zum Handeln zu bewegen. Wolle Zürich,
hiess es in einem bezüglichen Ratschlag, den Abt verhören oder
„begnaden", so möge es das tun, aber unter Vorbehalt der For-
derungen der Stadt; in diesem Sinne möge Zürich auch Glarus
für dieselben günstig stimmen. Dass St. Gallen auch bei Bern
in ähnlichem Sinne für seine Sache werben wollte, hatte darin
seinen Grund, dass der Vorsitz unter den neun in der äbti-
schen Angelegenheit unparteiischen Orten Bern zukam und dass
St. Gallen von Seiten jener Widerstand gegen seine Pläne befürch-
tete. ^) In Zürich und Bern erhielten aber die St. Galler Boten
am 9. und 13. März nur die allgemein gehaltene Antwort: man
wolle das Beste tun, damit der Landfrieden an der Stadt gehalten
werde. ^)
Doch St. Gallen gab sich damit nicht zufrieden. Als Zürich
und Glarus sich dort im Mai mit den Gotteshausleuten über eine
neue Verfassung einigten, benutzte der Rat die Gelegenheit, um
am 19. d. M. aufs neue durch eine ansehnliche Botschaft — Vadian,
Bürgermeister Konrad Mayer und Stadtschreiber Augustin Fechter
befanden sich darunter^) — bei den Gesandten der beiden Orte
darauf zu dringen, dass die Stadt gemäss dem Landfrieden in
ihren Forderungen auf das Kloster zufriedengestellt werde. Wieder
lautete die Antwort ausweichend: der Vertrag der beiden Orte
mit den Gotteshausleuten sei noch nicht aufgerichtet und der
Streit mit Luzern und Schwyz nicht beigelegt. Vor allem aber
habe sich St. Gallen in seinem Anliegen auch an diese beiden
Orte gewandt, welche ihm darin noch nichts abgeschlagen hätten;
es möge darum, wenn es die vier Orte bei einander finde, sie um
einen besondern Tag in seiner Angelegenheit anrufen; gingen
^) E. A., IV, 1 b, Nr. 278 e; Vad., III, S. 240 30-39.
2) Vad., III, S. 242 17-36.
^) Vad., III, S. 242 37 -4i; E. A., IV, 1 b, Nr. 285.
^) Vad., III, S. 252 10-11.
198
dann Liizern und Schwyz nicht darauf ein, so würden „wahr-
scheinlich'' Zürich und Glarus von sich aus einen baldigen Tag
ansetzen. Der St. Galler Rat erklärte sich damit zufrieden und
einverstanden, bat auch die Gesandten der beiden reformierten
Schirmorte als getreue „fürmünder", ihre Regierungen seinen
Forderungen möglichst günstig zu stiTumen. ^) Das Gleiche be-
zweckten Briefe, welche die Stadt am 17. Juni nach Luzern und
Schwyz schickte.-') Ferner sandte sie am 1. Juli ihre Boten,
V. Watt und Ulrich Appenzeller, zu den vier Orten auf die Badener
Tagsatzung, ^) wie ihr von Zürich und Glarus geraten worden
war. Als dort die Gesandtschaft um Erfüllung der städtischen
Forderungen ans Kloster einkam und um die Ansetzung eines
besonderen Tages dafür bat, hatten zwar die Boten Zürichs Voll-
macht, darauf einzugehen; diejenigen von Glarus aber nahmen
das Anbringen einfach in den Abschied, und die Gesandten von
Luzern und Schwyz wollten überhaupt nicht darauf eingehen,
bevor der Abt wieder eingesetzt wäre. Doch Zürich erklärte auch,
ohne Mitwirkung anderer Orte wolle es „stracks" vorwärts gehen
und dem Landfrieden nachkommen. ^) Demgemäss setzte es einen
besonderen Tag auf den 22. August nach St. Gallen an und teilte
ihn Luzern und Schwyz mit, unter dem Beifügen: wenn diese
beiden Orte keine Gesandtschaft schicken sollten, werde Zürich
kraft des Landfriedens auch ohne sie vorgehen;'') Glarus aber
wurde ermahnt, seine Botschaft auf diesen Tag mit Vollmacht
zum endgültigen Handeln zu senden, auch für den Fall, dass die
Boten von Luzern und Schwyz nicht in St. Gallen erscheinen
sollten. •')
An diesem Tage befand sich jedoch von den vier Schirm-
orten der Abtei nur Zürich in St. Gallen. Erst am Mittag des
24. trafen die Glarner Boten ein;') Luzern und Schwyz aber hatten,
wie zu erwarten stand, vorgezogen, an den Verhandlungen nicht
teilzunehmen. So begannen denn die beiden reformierten Schirm-
1) E. A., IV, 1 b, Nr. 323 e, p.
2) Vad., III, S. 254, Nr. 73.
'^) Vad., III, 255 26-30.
^) E. A., IV, 1 b, Nr. 342 kk.
'") A.-S., II, 1535.
6) A.-S., II, 1534 1.
^) A.-S., II, 1589 (2).
199
orte am 25. für sich allein mit der St. Galler Ratskommission,
welcher Bürgermeister Heinrich Kummerer i) und Vadian ange-
hörten, die Unterhandlungen; doch fand die St. Galler Gesandt-
schaft bei weitem nicht das Entgegenkommen, welches ihre
Obrigkeit erwartet hatte. Namentlich hielten die Boten der beiden
Orte trotz aller Bitten der städtischen Kommission daran fest,
dass einige Gebäude samt Keller, Gärten etc. vom Kaufe aus-
geschlossen sein sollten. Ferner verlangten Zürich und Glarus
von der Stadt, dass sie ihren Plan, die Gerichte zu Oberberg,
Andwil und Steinach samt dem dortigen Gredhaus wieder zu er-
werben, bis zu einer günstigeren Zeit fallen lassen solle. Diese
Gerichte hatte man nämlich bereits den Gotteshausleuten zur
Verwaltung überlassen, und die Boten der beiden Orten bemerkten,
dass die Bauern, was sie einmal „bekläftert" hätten, nicht wieder
von Händen geben wollten. ^)
So gelangten denn die Gesandten der Stadt mit den Forde-
rungen von Zürich und Glarus an den Rat, wo „ain grosser
widerdriess" entstand, als man von dem Begehren der reformierten'
Schirmorte Kenntnis erhielt. Schliesslich aber gab der Rat nach,
trotz der Gefährlichkeit des Wagnisses, die ein Kauf auch in dieser
für St. Gallen verhältnismässig ungünstigen Gestalt haben musste ;
denn einmal waren nur zwei Schirmorte mit dem Kauf einver-
standen; sodann war zu erwarten, dass der Abt nicht „firen"
würde, den Handel wieder rückgängig zu machen, und sich dabei
wohl nicht zuletzt auf den Kaiser stützen möchte. Dass St. Gallen
trotzdem auf die Forderungen von Zürich und Glarus einging,
hatte seinen Grund hauptsächlich darin, dass es die beiden Orte
bestmöglich fernhalten und vor allem verhindern wollte, dass
etwa die Gebäude und Herrschaftsrechte, welche der Abt noch
in der Stadt besessen hatte, an die Gotteshausleute, beziehungs-
weise die vier Schirmorte übergingen und die Bürger „mit der
zit von (irer) gwaltsame und von dem rieh komen und zu schwärer
beherschung bracht" würden. Das Schreckgespenst von 1490
mochte es demnach in erster Linie sein, welches die Stadt zum
Kauf drängte: die Furcht, zum Mittelpunkt einer gemeinen Herr-
^) Dieser war am 19. Juni an Stelle Konrad Mayers gewählt worden, der
wegen Überhäufung mit Privatgeschäften selbst um seine Entlassung beim Rate
nachgesucht hatte (Sabb., S. 341 i— lo).
-) E. A., IV, 1 b, Nr. 373.
200
Schaft herabzusinken; dies konnte man 'später, falls der Kauf
wieder fallen gelassen werden musste, als Entschuldigung an-
bringen; zudem war anzunehmen, dass in diesem Fall immerhin
zwei Schirmorte gegen zwei stehen würden, sodass die Hälfte in
ihrem etwaigen Vorgehen gegen St. Gallen gelähmt wäre. Zu
grösserer Sicherheit gedachte auch die Kaufmann sstadt, die
Summe, die man durch den Klosterkauf schuldig wurde, in ab-
sehbarer Zeit nicht zu erlegen, sondern bloss zu verzinsen.
Immerhin befahl der Rat den durch vier Grossratsmitglieder
verstärkten Unterhändlern, sie sollten noch einmal versuchen,
die Zürcher und Glarner Boten wenigstens davon abzubringen,
dass innerhalb der Stadt den Schirmorten Klostergebäulichkeiten
reserviert würden. Doch erreichten sie nichts, und erst „nach
langem handien und krangelen" ') einigte man sich am 28. August
in folgender Weise: der Klosterbezirk mit Zubehör an Häusern,
Plätzen und Herrschaftsrechten, wie diese die Äbte bisher be-
sessen, samt dem Brühl und einigen Gärten, dazu die Pfründen
zu St. Fiden, St. Jakob und St. Leonhard kommen an die Stadt;
doch behalten sich Zürich und Glarus, auch im Namen der beiden
andern Schirmorte, vor: die Hell, das Siechenhaus — als Wohnung
für Hauptmann, Schaffner und Amtleute — samt dem Garten
im Kreuzgang, von diesem selbst den vierten Teil samt dem
untern Teil des grossen neuen Kellers, welcher dem Chor der
St. Laurenzen-Kirche gegenüber liegt. Die Stadt verpflichtet sich,
Weg und Steg zu den Gebäuden der Schirmorte zu geben und
zwischen den genannten Gebäulichkeiten einen Brunnen zu er-
stellen, auf Verlangen dem Hauptmann 6 Fuder Heu vom Brühl
zu liefern; im Chor der St. Peterskapelle, welche die Stadt in
einen Stall verwandeln will, soll sie Unterkunft schaffen für die
Pferde des Hauptmanns, damit so die vier Orte mit einer „tapferen,
ehrlichen" Stallung versehen sind. Zwar übergeben die beiden
Orte alle Obrigkeit innerhalb des Klosterbezirkes der Stadt
samt den „Titel- und Scheinlehen", welche die Äbte bisher inner-
halb der vier Kreuze gehabt; doch müssen der Hauptmann und
sein Schreiber der Stadt keinen Eid leisten, sondern nur, wenn
sie sich innerhalb der Mauern aufhalten, den Erlassen des Rates
sich fügen; wohl aber hat der Schaffner der Stadt zu schwören,
doch unter Vorbehalt des Eides an die vier Orte.
0 Vad , III, S. 261 4ö.
201
Der Preis, den die St. Galler für die ihnen zugestandenen
Plätze, Gebäulichkeiten und Herrschaftsrechte zu bezahlen hatten,
wurde auf ihre Bitten, nachdem sie 9000 Gulden geboten hatten,
von den beiden Orten von 15,000 auf 14,000 Gulden erniedrigt.
Wenn die Stadt, um die Summe herabzudrücken, mit Recht geltend
machte, dass der Preis in Anbetracht des geringen materiellen
Nutzens, den sie aus dem Erworbenen ziehen könne, zu hoch
sei, so konnten Zürich und Glarus dagegen einwenden, dass es
ihr früher auch mit „unsäglichem Gut" nicht möglich gewesen
wäre, in den Besitz dessen zu gelangen, was ihr nunmehr über-
lassen wurde. Von |den 14,000 Gulden sollten 11,000 in drei Raten
entrichtet werden.
Die restierenden 3000 Gulden hatte die Stadt zur Aussteuerung
der sechs ^) im Kloster wohnenden Konventualen zu verwenden. -)
Bereits am 3. November 1529 hatte nämlich Zürich in einem
„Ratschlag" die Aussteuerung der Ordensleute vorgeschlagen.
Diese waren auch bereits aus dem Mönchsstand ausgetreten und
zum Teil schon verheiratet, hatten auch selbst um eine Aussteuer
zur Bestreitung der Kosten ihres Hausstandes gebeten. ■^) In
einem Memorial vom Anfang Dezember des Jahres unterstützte
Hauptmann Frei diese Ansicht, da man damit Ausgaben in der
Verwaltung ersparen könnte. ^) So wurde denn noch im Dezember
die Angelegenheit von Zürich und Glarus in Anwesenheit Vadians
an die Hand genommen ; doch kam man 1529 noch zu keinem
Vergleich. Die Konventherren verlangten nämlich jeder für sich
1000 Gulden in bar und sofort zu entrichten und 1000 Gulden an
„hablichen" Zinsen, dazu jährlich auf Lebenszeit je 15 Saum
Wein, 30 Mutt Kernen und 20 Malter Hafer; es habe ja, wurde
von ihnen hervorgehoben, das Kloster ein grosses Vermögen und
von Zinsen, Renten und Gülten etc. eine jährliche Einnahme von
18,000 Gulden gehabt; sie aber hätten ihre Jugend unnütz im
Kloster verbracht und seien nunmehr in vorgerücktem Alter zu
schwerem Handwerk nicht mehr tauglich.
Den Gesandten von St. Gallen und denen der beiden Orte
schien jedoch die Forderung zu hoch. Auch ohne dazu Vollmacht
^) Die Namen derselben siehe in A.-S., III, 966 und in Sabb., S. 351 28-31.
2) Über den Klosterkauf siehe E. A., IV, Ib, Nr. 378 a— d; Sabb., S. 346
bis 351 ; Vad., III, S. 261—262.
3) A.-S., II, 9108.
^) A.-S., II, 957 9.
202
zu haben, erklärten sie, man wolle sich bei den Obern bemühen,
dass jedem Konventherrn 500 Gulden als Eigentum und 100 Gulden
(1 ä 15 Batzen) jährlich als „rechtes Leibding" entrichtet werden
sollten, ^) und zwar so, dass die Stadt von den oben genannten
3000 Gulden jedem der sechs Konventherren 500 bezahle; die
Jahresrente der ausgesteuerten Herren sollte aus den eingehenden
Renten und Zinsen der Landschaft des Gotteshauses bestritten
werden. An diesen Ansätzen hielten Zürich und Glarus auch auf
den im Mai 1530 deshalb stattfindenden neuen Beratungen fest.
Sie gingen auf die reduzierte Forderung der Konventherren nicht
ein, ihnen zu den 1000 Gulden statt 1000, wie sie anfangs verlangt,
100 als Leibding zu verabreichen. Schliesslich waren diese froh, dass
sie 500 Gulden Vermögen und jede Fronfasten 25 als Vierteljahrs-
rente bekommen sollten, und baten die Boten von Glarus, welche
keine Vollmacht für diesen Handel gehabt hatten, sich bei ihren
Obern zu verwenden, damit der Vertrag beförderlich angenommen
werde. Dazu waren die Glarner Boten gerne bereit. Den beiden No-
vizen des Klosters wurden je 100 Gulden zuerkannt und beide be-
vogtet, damit sie ein Handwerk lernen könnten und „rechtschaffene
Leute" aus ihnen würden. -) Im Juli d. J. forderte man „koch,
portner, junkfrowen, hussknecht" auf, das Kloster zu verlassen. ■')
1) E. A., IV, 1 b. Nr. 323 zu d.
2) E. A., IV, 1 b. Nr. 323 d, g. Unrichtiger Weise nimmt v. Arx (II. 583)
an. dass die Jahresrente der Konventherren 25 gl. betragen habe. v. Arx folgt
dabei Sicher, I, S. 138. Das widerspricht E. A.. IV, 1 b, S. 647. Die Fron-
fasten, an welchen die Rente ausbezahlt wurde, sind nämlich als Quatember
aufzufassen, so dass wir 25 mit 4 multiplizieren müssen, um die Jahresrente
zu ei'halten. Ebenso weiss v. Arx, wieder indem er Sicher folgt, nichts davon,
dass jedem der Konventhei'ren zu seiner Rente noch 500 gl. Vermögen zuer-
kannt wurden. Dagegen mag wohl zum Teil richtig sein, dass die ausge-
steuerten Konventualen, wie v. Arx nach Sicher berichtet, sehr unzufrieden ge-
wesen seien mit dem, was ihnen an Geld zugesprochen wurde. Als Eigengut
erhielten sie statt 1000 gl., wie sie gefordert, nur 500 und als „Leibding" statt
1000 sogar nur 100 gl. Wenn aber Sicher, I, S. 138, die Sache so darstellt,
dass man den Konventheri'en 500 gl. Eigengut und 1000 gl. Leibding zwar
versprochen, wodurch die Mönche »zum tail" bewogen worden seien, in ihre
Aussteuerung einzuwilligen, nachher aber die Versprechungen nicht gehalten
habe (v. Arx, II, S. 583, folgt ihm), so widerspricht dies der Tatsache, dass
die Zürcher, Glarner und St. Galler Boten (laut E. A.) gleich von Anfang an
500 gl, als Eigengut und 100 gl. jährliche Rente versprachen (E. A., IV, 1 b
S. 651).
3) Sicher, I, S. 139 4/5.
203
Schon Ende Juni d. J. hatten auch Zürich und Glarus beschlossen,
dass die Konventherren das Kloster räumen sollten, da bereits
deren Leibrente ,,angegangen" sei. 9 Doch wurde dieser Beschluss
erst im Juli 1531 zur Ausführung gebracht,-) als endlich auch
Glarus am 2. Juli des genannten Jahres die Urkunde über den
Klosterverkauf besiegelt hatte, ^) was Zürich bereits am 3. Sep-
tember 1530 getan, ^) wobei wiederum die Rechte von Luzern
und Schwyz formell vorbehalten worden waren. Am 13. Juli 1531
erklärten die sechs Konventherren urkundlich, dass ihnen ihr
., Eigentum" ausgerichtet und ihre Vierteljahrsrente genügend ver-
sichert worden sei. weshalb sie auf ihre bisherigen Rechte als
Konventualen verzichteten. ')
Die Aussteuerung der Konventherren hatte der Stadt St. Gallen
und den Gotteshausleuten neue Lasten aufgebürdet, was für die
Stiftsbauern besonders bedenklich war bei der ungünstigen finan-
ziellen Lage ihres Staatsbudgets. Bis Ende Oktober 1529 hatte
der Hauptmann allein von der Stadt St. Gallen 1800 gl. zur Be-
streitung der Regierungs- und Verwaltungsausgaben entlehnen
müssen, '^) und zu Rorschach, Rosenberg und Wil war man bedeu-
tende Summen schuldig. ')
Noch aber war eine unter Umständen sehr ergiebige Geld-
quelle im St. Galler Münster vorhanden in dem Heiltum, worunter
man die in Edelmetall und kostbare Steine eingefassten Reliquien
verstand. Der ganze Schatz repräsentierte einen Wert von min-
destens 10,000 gl. Nach dem Bildersturm im Münster, Februar
1529, war das Heiltum von den St. Galler Bürgern im Münster-
turm eingemauert worden, damit niemand es antasten könnte;-)
doch änderte der Rat zu St. Gallen bald seine Ansichten über
die Unantastbarkeit des Kirchenschatzes. Als nämlich Zürich,
1) E. A., IV. 1 b. Nr. 340 f.
2) St. Galler Säckelamtsbuch 1531.
3) Vad., m, S. 289 9-i3.
^) A.-S., II, 1631 ; St. Gallen hatte die 11000 gl. mit 550 gl. zu ver-
zinsen (Staatsarchiv Zürich. Akten Abtei St. Gallen), zahlte auch dem Zürcher
Stadtschreiber, welcher bei der Aufrichtung des Vertrags das Schriftliche be-
sorgt hatte, 100 gl. fVad., III, S. 283 is).
■^) A.-S.. III. 966.
«j E. A., IV. Ib, Nr. 207 (1)4.
') E. A., IV, 1 b, S. 652 II.
») Vad., III, S. 358/359.
204
Glariis und St. Gallen die Konventherren aussteuern wollten,
wusste man schlechthin nicht, woher man das nötige Geld nehmen
sollte. ^) Zürich und Glarus hatten dies kommen sehen und be-
reits im Oktober 1529 beim St. Galler Rat angeklopft, um zu
erfahren, ob er, gleich den beiden Orten, geneigt wäre, das Heil-
tum in klingende Münze zu verwandeln. Auf die Anfrage hin
fanden Kleine und Grosse Räte, es wäre das beste, wenn man
mit den zwei Orten in der Sache „frunthch ainswurd".-) Unter
diesen Umständen war eine Einigung bald erzielt, und so wurden
schon im Dezember 1529 die St. Galler mit den Zürchern und
Glarnern „ainhellig des sins, das hailtümb anzegrifen und in gelt
ze verwenden", da, wie hervorgehoben wurde, das Heiltum doch
nur „lautere, bare" Abgötterei sei. Bereits am 18. Dezember
wurde dieser Beschluss ausgeführt : ^) das Heiltum wurde durch
die St. Galler Goldschmiede Jakob Merz und Stoffel Krenk „zu
rümpf" geschlagen und die verschiedenen Metalle säuberlich
von einander geschieden. ^) Das Gold — 24 Mark, 10 Lot — wurde
auf Wunsch von Zürich Anfang 1530 durch den St. Galler Seckel-
meister Jörg Zollikofer zu Lyon verkauft, wofür er 1720 Kronen
erhielt. Das Silber — 288 Mark — wanderte in die Münze zu
Schaffhausen und Konstanz; man erhielt dafür 2925 Gulden. Das
Kupfer — 80 Pfund — wurde pfundweise verkauft. Die Edelsteine
und Korallen wurden bei zwei fremden Krämern abgesetzt, er-
gaben aber bloss 70 rheinische Gulden.-') Der gesamte Erlös aus
dem Heiltum belief sich auf gegen 5000 Gulden. Zürich — Glarus
hatte keine Vollmacht dazu") — einigte sich mit der Stadt St. Gallen
dahin, dass ihr die eine Hälfte des Gewinnes, die andere aber
dem Hauptmann im Namen der Gotteshauslandschaft zufallen
sollte; bereits hatten nämlich die „Geginen" um die Stadt herum
einen Teil des Erlöses reklamiert. ^') Doch kamen davon noch die
Unkosten, welche man bei der Umwandlung des Heiltums in Geld
gehabt hatte, in Abzug. So erhielt denn die Stadt für den Bau-
1) E. A-, IV, Ib, S. 652 II.
2) R.-P., 1529, Okt. 3. und 4.
3) Vad., III, S. 231 34.
4) E. A., IV, Ib, S, 652 III ; Vad., III, S. 231 35.
■') E. A., IV, 1 b, Nr. 378 zu k; Vad.. III, S. 248. Nr. 55.
•5) E. A., IV, 1 b, Nr. 323 f ; Vad., III, S. 252 13-15.
') St.-A-, Fase. 14.
205
fond des Münsters und als Unterstützung für die Armen 9 2122
Gulden 10 Batzen. Für den Empfang der gleichen Summe stellte
Hauptmann Frei im Namen des Fürstenlandes am 10. November
1530 St.- Gallen eine Quittung aus.-)
Mit diesem Ereignis stehen wir bereits in der Zeit Abt Diet-
helms, des Nachfolgers von Kilian, dessen ruhelosem Dasein
schon am 30. August ein Unglücksfall ein jähes Ende gesetzt
hatte. Kilian wollte nämlich an diesem Tage den Grafen Hugo von
Montfort zu Tettnang besuchen, traf ihn aber nicht zu Hause
und begab sich nach einem Frühstück im Wirtshause der Ort-
schaft mit seinen Begleitern in guter Stimmung auf den Heimweg.
Der Abt, der ein ebenso tüchtiger Reiter wie liebenswürdiger
Gesellschafter war, ritt einen grossen, schwarzen Hengst und
unterhielt sich in fröhlichster Weise mit seinen Dienern, dem
Hofmeister, dem Schreiber Rudolf Sailer und Hans Nägelin.
Ohne unterwegs noch anzuhalten, erreichten die vier Reiter gegen
Abend das Armenhaus zu Bregenz, wo die Kranken und Alters-
schwachen eben bei einander sassen. Der Abt hielt an, plauderte
in leutseligster Weise mit ihnen und reichte ihnen beim Abschied
ein Almosen. Schon sahen sie ihren Wohnsitz, das Schlösschen
Wolfurt im Abendschein vor sich liegen, da kamen sie an einen
Punkt, wo die Wege sich trennten; der eine führte nach der
Brücke über die Aach, der andere dem Flüsschen entlang bis
zu einer 'Furt. Man entschied sich für den letzteren. Hans
Nägelin ritt voraus ; ihm folgte Kilian und dann die andern. Da
die Aach angeschwollen war, versuchten die Reiter, das Wasser
weiter unten, wo es weniger reissend schien, zu durchqueren.
Kilian war schon mitten darin, als er sah, wie sein Vorreiter
wegen der Strömung Mühe hatte, das jenseitige Ufer zu erreichen.
Er wollte sein Pferd flussaufwärts wenden; dabei glitt es mit
den Hinterbeinen aus ; sein Herr stürzte rücklings auf die harten
Flussteine und wurde unter dem schweren Tier begraben. Ein-
1) Vad., IIL S. 359 -to.
2) Sta. Tr., X, Nr. 59, g; Vad. (III, S. 252 u) nimmt ^ongefar" 2500 gl.
an. welche je dem Hauptmann und der Stadt St. Gallen ausbezahlt worden
seien, was zu hoch gegriffen ist. Dass jeder Teil rund 2122 gl. als die Hälfte
des Reinertrages aus dem Erlös des Heiltums erhielt, beweist auch eine detail-
lierte Berechnung der Ein- und Ausgaben beim Umwandlungsprozess des Heil-
tums in Geld (E. A.. IV. 1 b. 378 zu k).
206
geengt von einem schweren Filzmantel, konnte der Unglückliche
sich nicht rühren und starb so an Erstickung. Holzflösser, die
eben des Weges kamen, halfen den leblosen Körper ans Land
bringen. Alle Belebungsversuche blieben fruchtlos, und weh-
klagend umringten die Getreuen den Leichnam ihres Gebieters.
Mittlerweile hatten die Konventherren auf Schloss Wolfurt
mit dem Nachtessen auf ihren gnädigen Herrn gewartet und an
den Fenstern Ausschau gehalten. Da sahen sie die vier Reiter
der Aach sich nahen, sahen, wie sie das Flüsschen durchquerten
und wie einer mit dem Pferde stürzte. Sie vermochten aus der
Ferne nicht zu erkennen, wer es war. und kamen in angstvoller
Hast dahergeeilt. Gross war ihr Jammer, als sie ihren verehrten
Herrn, auf dessen Heimkehr sie sich eben noch gefreut, als das
Opfer des Unfalls, im Tode erstarrt, vorfanden. ^)
Am Morgen des ersten September, der Abt war am 30. August
nachmittags 4 Uhr ertrunken, ging durch die Stadt St. Gallen
ein „gemömel", dass Kilian in der Bregenzer Aach ertrunken sei.
Als mittags 3 Uhr ein St. Galler Bürger dem Rate die Nachricht
bestätigen konnte, erhielt er drei Kronen Belohnung. Noch am
gleichen Tage wurden Läufer nach Zürich und Glarus entsandt -)
und auch dem Hauptmann Frei die Kunde vom Hinschied Kihans
geschrieben. ^)
Vadian aber verfasste auf den Tod des Abtes ^folgendes
Gedicht :
„Quaeritur, unde tuae tam mox, Kihane, supremum
Attulerit vitae mors inopina diem?
Caussa latet fati, quam sola aeterna voluntas
Novit; sed vulgo nunc quoque caussa datur:
Quod cuperes similis Pharaoni in luce A^ideri,
Mors tibi communis cum Pharaone fuit." ^)
Fridolin Sicher jedoch macht zum Tode des Abtes die Be-
merkung: „vilicht darumb in Got der her habe . . . . uß dißer
1) Tgb. Sali.. Fol. 133 f. Über die Begräbnisstätte berichtet Mezler (S.
650), dass Kilian begraben wurde „in sunimo templo coenobii Brigantini, in
choro sinistra abside, ubi et epitaphinm eins hodie conspicitur. "
2) Vad., III, S. 263 u ; E. A.. IV, 1 b. Nr. 378 zua 2 ; siehe auch V.-B.-S.,
Nr. 612.
=^) A.-S.. II, 1624 ; siehe auch A.-S., II, 1629 1.
'*) Vad., II, S. 415 30-35; vgl. Sabb.. S. 341 f.
207
zit genomen, darumb daß die boßhait sin gut fürnemen und
stantmüetigkait nit veränderete". ^)
Kessler endlich vergisst nicht, daran zu erinnern, wie der
Abt, als man ihm im vergangenen Mai nur dann Geleit auf den
Tag nach Baden geben wollte, wenn er seinen Mönchsstand mit bi-
blischer Schrift begründe, „sinen armen ussgestreckt mit den witen
kuttenermlen und gesprochen: ,In diser kuten wil ich sterben' ".2)
1) Sicher. I. S. 150 8-11.
2) Sabb.. S. 341 27-28.
208
Nachwort
Niemand wird leugnen können, dass die religiös-politischen
Bewegungen, die eben an unsern Augen vorübergezogen sind,
in ihren Hauptlinien wuchtig und imposant sind. Ein kühner,
grosser Zug durchweht sie; denn eine mächtige Persönlichkeit
steht im Mittelpunkt dieser Ereignisse, leitet und beherrscht sie :
Zwingli.
Vom Rechtsboden aus betrachtet, sind es freilich meisten-
teils trübe Bilder. Gewalt geht vor Recht ; rücksichtslos werden
verbriefte Rechte und Gewohnheiten mit Füssen getreten ; Leben
und Eigentum geraten in Gefahr: es ist die offene Revolution,
welche Zwingli in der Ostschweiz entfachte. Aber nicht nur
hier; denn strahlenförmig fluten von Zürich aus die Wellen des
neuen Glaubens nach allen Seiten, ohne vor den Grenzpfählen
der Eidgenossenschaft Halt zu machen. Durch diese aber geht
seitdem ein tiefer Riss, der die katholischen Eidgenossen von
den reformierten scheidet und jede kräftige auswärtige Politik
lähmt, ja den stolzen Bau der alten Eidgenossenschaft selbst
unterhöhlt. Diese Kluft ist bis jetzt mit nichten ausgefüllt. Von
dieser Seite gesehen, waren die Folgen von Zwingiis Auftreten
ausserordentlich verhängnisvoll.
Trotzdem dürfen die Reformierten mit Stolz und Bewunderung
auf Zwingli blicken; denn dieser Mann hat seine ganze gewaltige
Geisteskraft in den Dienst einer grossen Idee gestellt : sein Vater-
land religiös und politisch zu reformieren. Für diesen grossen
Gedanken kämpfte er sein Leben lang. Dass der Reformator
bei der Durchführung seiner tief einschneidenden Reformen nicht
immer auf dem legalen Wege bleiben konnte, sondern oft in ge-
walttätiger, revolutionärer Weise vorgehen musste, leuchtet ein;
denn so gewaltige, tiefgehende Umwälzungen sind, wie die Welt-
geschichte beweist, nie und nimmer nur auf friedlichem, gesetz-
lichem Wege durchführbar gewesen.
209
Aber die V Orte waren nicht gewillt, sich dieses Auftreten
Zwingiis und der Zürcher auf die Länge gefallen zu lassen, und
so brach denn bereits 1531 von neuem der Bürgerkrieg aus. Er
führte die Zürcher nach Kappel, wo am 11. Oktober jenes Gefecht
stattfand, das durch den Tod Zwingiis für die reformierte Schweiz
von unabsehbarer Tragweite wurde. Der zweite Kappeier Land-
friede wäre, darf man wohl behaupten, zu Lebzeiten Zwingiis
nicht möglich gewesen; denn durch diesen Frieden vom 31. Januar
1532, der allerdings dem brudermörderischen Kampfe ein Ende
machte, wurde die Reformation der Schweiz zum Stillstand und
Rückschritt verurteilt. '
,,0 ainer frommen gmaind St. Gallen!" hatte Vadian ausge-
rufen, als er die Artikel des Friedensschlusses zwischen Zürich
und den V Orten erfuhr. Und in der Tat war dieser Landfriede
für St. Gallen ein furchtbarer Schlag. Diethelm Blarer, Kilians
Nachfolger in der Abtwürde, musste anerkannt und ihm von der
Stadt eine Entschädigung von 10,000 Gulden entrichtet werden.
Wieder erhoben sich in der Stiftskirche die Altäre und „Götzen".
Am 1. März 1532 hielt der Abt mit seinem Konvent feierlichen
Einzug im Kloster und ging nun, unterstützt von Luzern und
Schwyz, mit rücksichtsloser Energie an die Rekatholisierung seiner
Gebiete. Binnen wenigen Jahren hatte er dieses Ziel im Fürsten-
lande erreicht; in der Heimat Zwingiis jedoch, im Toggenburg,
hatten seine Restaurationsbemühungen geringeren Erfolg. Zwar
wurden die Bewohner der Grafschaft wieder dem Abt unter-
worfen ; aber die Mehrheit der Toggenburger blieb trotz Anfech-
tungen beim evangelischen Glauben, so dass der Abt ihnen
schliesslich die evangelische Predigt und die Errichtung paritä-
tischer Gemeinden gestattete.
Mit der Rückkehr des Abtes in seine Herrschaft und der
Wiederaufrichtung des alten Gottesdienstes in der Pfalz regten
sich natürlich auch in der Stadt St. Gallen die Anhänger des alten
Glaubens. „Dazu kamen die Kriegskosten, die hohe Entschädi-
gungssumme ans Kloster,^) die Rückkehr der Landschaft zur alten
Kirche und die damit verbundene Vertreibung der evangehschen
Prädikanten, Schmäh- und Trutzworte aller Art, namentlich gegen
') Siehe oben.
St. Galler Mittlgn. z. vaterlänil. (resch. XXXIII.
14
210
Vadian." ^) „Es bedurfte eines unendlichen Masses von Klugheit,
Geduld und Gottvertrauen, um evangelische Bildung und Sitte
trotz so vieler Schwierigkeiten der Stadt St. Gallen zu erhalten.
Wenn das gelang, so lag das Hauptverdienst bei dem Mann,
der im Glück besonnen und massvoll, im Unglück mutig und
standhaft zu sein verstand", -) bei Joachim von Watt.
^) Götzinger: Vadian, S. 58.
2) Arbenz, St. Galler Neujahrsblatt 1905, S. 18.
211
Beilage I.
Schwyz, 13. Dezember 1526.
Abscheid von beiden orthen
Schwytz und Glaruß usgangen.
„Wier der landamann und gantzer landsratt zu Schwitz mitsampt unser
lieben Eidgnossen von Glarus ersam wyß botschafft vergechend und thünd
kundt hieran öffentlich bekennende: alls sich dann durch die jetz ein zitt bar
schwebenden löuff zugetragen und begeben haben spenn und zwytracht enzwüschen
dem hochwürdigen in gott fürsten und herren herren Francisco, abtte des
gotzhus Sant Gallen, eins und siner gnaden lütten, unsern gütten fründen und
getrüwen, lieben lantlütten uß der graffschafft Toggenburg, genieinlich und
sunderlich, anders theills, welich spenn und uneinikeit sich so wytt verzogen,
das wir obgenanten von beden lendren Schwitz und Glarus durch des obge-
nanten unsers gnedigen herren von Sant Gallen anwellt zürn dickernmal umb
recht angerüfft und ersucht sind, nach lutt der lantrechten, so wir bede lender
mitt den parthyen zu beden theiln band, in sömlicher maß, das wir nitt band
können vorsin, sunder daiaimb ein tag angsetzt und den den parthyen zu beiden
theiln verkünt, sömlichen angesetzten tag zürn rechten oder zu der güttikeit zu
verstan, und deshalb die parthyen und sunderlich unser lantlütt uß der graff-
schafft Toggenburg dermassen beschriben und erfordert, das sy zu allen theiln
sämpt und sunders erschinen und den tag zum rechten und in der güttikeit, ob
die sin möchte, verstanden ; und so nun der articklen, dero sich unser gnediger
her von Sant Gallen gegen unsern lantlütten uß der graffschafft beclagt, eben
vil und nämlichen der erst die geistlichen lechen berürend, es sye, das die un-
serm gnedigen herren von Sant Gallen oder andren lechenherren zustanden,
daran sin gnad und ander lecheuherrn ettlicher gstailtt verhindert und gesumpt ;
dann da üppig, schnöd und uffrürisch lutterisch pfaffen genommen und enthallten,
die das gemein volck uffrürisch, ungehorsam und der oberkeit und erberkeit
gantz widerwertig machen nitt allein, sunder ouch zu besorgen, die armen lüt an
seel und eren verderben, und so sin gnad und ander lechenherren und sunder
sin gnad, dem alle oberkeit züstadt, durch sin züthün die gern strafften, so mög
s(in) g(nad) des an den underthanen und lantlüten nitt statt finden, deshalb
212
s(iner) g(naden) und andren lechenherren ire lechen verspertt, weliches s(iner)
g(naden) der höchst und gröst artikel ; dann siner gnaden gwüßny damit fast be-
schwert der armen lütten halb, die durch söllich pfaffen an der seel zu besoi'gen
verletzt und verderbtt, deshalb s(in) g(nad) vermeint, ime da beholffen ze sinde,
das s(in) g(nad) by semlichen sinen geistlichen lechen fry beliben möchte, darzu
ouch ander lechenherren by iren geistlichen lechnen in der graflfschaff't, alls der.
dem die oberkeit zughört, beschirmen und das übell in söllichem gstraffen
niöcht etc.
Dargegen sieh aber unser lantlüt uß der graffschatft beclagtt und vermeint,
inen sömlicher artikel nit dar erscheint gsin, das sy sich daruff beratten und
gewallt haben, der gstallt darumb ze handien, wiewoli sy min gnedigen herren
von Sant Gallen noch andren in ir geistlichen lechen nitt redent, und uns des-
halb umb hilfif und ratt gebetten etc.
Und uff söllich beder theilen darthün, mitt wyttenn inhallt zu mellden alles
unnöttig, band wir umb disen artikell anfangs die güttikeit besucht der hoffnung,
den güttlich hin und abweg zu bringen, und haben an unsers gnedigen herren
von Sant Gallen anwellten funden, das wir one zwiffell verhofft, denselbigen
artikell allso angenommen hetten, und hatten ouch zügseit den anzunemmen,
alls hienach statt:
Item, das ein herr von Sant Gallen und ander lechenherren by iren geist-
lichen lechen fry beliben, von den lantlütten uß der graffschafft sampt und
sunders ungesumpt, und das die lechenherren, so ein pfründ ledig, die woll
mögen besetzen mitt einem priester, der im, dem lechenherren, gfellig. Doch
ob den underthanen ein priester zu band keme, den sy gern welltend han, mö-
gend sy wol für in bitten, in hoffnung, ein lechenherr wurde sy ir bitt eren und
inen ein sömlichen, für den sy gebetten, geben; doch soll ein herr des nitt ge-
bunden sin, ein söllicher priester, für den gebetten, wer im dann gfellig. Und
ob sach wurd, das ein priester, dem allso ein pfründ geliehen, sich über kurtz
oder lang unfromklich, unerlich, unpriesterlich oder uncristenlich hiellt und das
kuntlich wurd, das er dardurch einem lechenherren widerwerttig wurd, soll dann
ein lechenherr gwallt han, den dannen zthün und in der pfründ zu entsetzen ;
ob aber die underthanen vermeinten, das einer nit so vil übells gehandlet, das
er darumb der pfriind entsetzt sollte werden, sollen die Ursachen miner herren
von Schwitz undGlaris rätten oder iren verordnetten hotten angezeigt werden;
die mögend sich dann darüber erkennen, ob er dannen solle oder da bliben, und
weders dieselben von Schwitz und Glarus sich darüber erkennent, daby soll
es dann bliben. Harwiderumb ob ein söllicher priester sich hiellte, das er den
underthanen ouch wider wertig und sy meinten, das ein lechenherr inen den ab-
nemen und sy mit einem andren fürsechen sollte, sönd sy das eim lechenherren
213
anzeigen. Wirtt der mitt inen eins, das die Ursachen so groß, so bedarifs nit
witter; ob aber ein lechenherr vermeinte, die Ursachen nit so groß, das der
priester dorumb ab der pfründ solle, soll der handeil aber, wie oblutt, komen
für miner herren von Schwitz und Glarus rätt oder iro vei'ordnetten botten,
und was sy sich darüber erkennent, daby soll es ouch den bliben, damit und
weder ein lechenherr noch die underthanen mitt keim pfaffen gfarlich beschwert
müßten bliben etc. Doch so band unsers gnedigen herren von Sant Gallen
anwellt unserm helgen vatter dem bapst und bischoifen zu Costentz nüt haben
verthädigen wellen etc.
SöUichen artikell betten wir von Schwitz und Glarus vermeint, unser
lantlütuß der graffschafft sollten den allso angenommen haben; des sy aber nitt
gwallt band wellen haben, den allso anzniiemen, uß Ursachen uns erzeilt, und
uns daruff ernstlich gebetten und angsucht, inen verzug zu geben, den hinder
sich an ir gemeinden zu bringen, und sich daby erbotten, allen müglichen
Hiß anzukeren und zu handien, das die nüwen lerer und uffrürisch, uncrist-
lichen pfaflen fürderlich und angends dannen komen und uß der graffschafft ge-
than (werden).
Dargegen aber unsers gnädigen herren anwellt uns zum höchsten inhallt
des landsrechtt, so sin gnad mit uns hatt, umb recht angerufft und ersucht, des
wir sinen gnaden nitt wol könden vorsin, wo sich die spenn göttlich nitt zer-
tragen sollten. Jedoch uff das früntlich versprechen und zusagen, so uns unser
lantlüt uß der graffschafl't gethan, haben wir uns für die gemellten unsers
gnädigen herren von Sant Gallen an wellt uff dis mal gemechttiget und sy
jetzmaln bedersyt abgeferttiget allso, das unser lantlüt uß der graffschafft inhallt
irs Versprechens und züsagens die bösen pfaffen hinweg wysend und uß der
graffschafft thügend; dann wir iro ye da nitt wellend; darzü das sy unserm
gnedigen herren von Sant Gallen gebint, das sy im schulldig syen, desglychen
das sy sich mitt sinen gnaden umb all spenn understanden guttlich zu vertragen ;
dann wir werden uffsechen haben, wie sy sich hierin werden hallten; und ob sy
fürderlich irem zusagen nach handlendt, wirf inen der verzug des rechten, ob
die güttikeit vorhin nitt funden, dester lenger verstreckt. Wo sy aber sumig
und dise handlung und sunderlich der üppigen uffrürischen pfaffen halb in beitt-
winckell und verzug stellen, wurden wir uff das villfalltig ernstlich anrüffen
unsers gnedigen herren von Sant Gallen nitt mögen ußgan, sunder einen
fürderlichen rechttag ansetzen und inen den verkünden, das sy den besuchen
und mitt vollem gewallt verfaßt erschinen, uß kraff't des lantrechts und der
manung, hievor daruff' beschechen, und wurden dann hinfür die sach nit lenger
uffschieben, sunder dem rechten sin stat geben und yedem theill lassen gelangen,
darzu er recht hatt.
214
Wir werden ouch sömlich uffrCirisch, uncristenlich pfafFen in der grafFschafft
nit lyden noch dulden, sunder unser lib und gut darzüsetzeu, das die hinweg
gethan werden, deshalb wir unsern lantlütten uß der grafFschafft trüwlich
ratten, das sy den artikell die geistlichen lechen berürend, hie oben angezeigt,
Avol mögen annemen, darzfi umb ander spenn sich niitt unserem gnedigen herren
güttlich vereinen und thügend, das sy im schulldig syen, umb das sy und wir
zu i'üwen kommen.
Und so das von inen beschicht, so wend wir inen beholffen sin, das sy mitt
curtisanen nitt beschwert, ouch wo ein pfaff by inen belechnett, das der ouch
die pfrund selb besitzen (sollt) und die hinder inen den underthanen nit ver-
wandle, versetze, verkouffe noch vertusche ; sunder ob einer darvon wellt, das
er die pfrund fiy resignieren und uffgeben sollt etc., alles uß krafft der artiklen,
so die Eidgnossen söllicher Sachen halb mit einandren band angenommen.
Wir werden ouch mitt den lechenherren reden und handien, das sy inen
behollffen syen und den armen lütten söllich uncristenlich und uni^riesterlich
pfaffen abnement. Harumb so wend wir die lantlüt gemeinlich und sunderlich
in der graffschafft Toggenburg früntlich vermant und gebetten haben in
güttem vertrüwen, sy wellint ansechen, was inen und uns daran gelegen, und
hierin handien und thün, damit unser gnediger her von Sant Gallen, sy und
wir mitteinandren zu friden, rüwen und einikeit kommen und bliben, wie unser
vorelltern und wier yewellten gsin und bliben. So das erfunden, wurden söllichs
zu gut annemen und früntlich haben zu verdienen.
Des zu urkund band wir den parthyen zu beden theilen einen abscheid
geben mitt unser dero von Schwitz gemeinem insigell in beder lender namen
besigellt, geben uff sannt Josts tag, anno xv*^ und xxvj jar."
{Stiftsarchiv St. Gallen, Bd. 1427, f. 104—107, Original.)
215
Beilage II.
Supplication an kay(serliche) m(ajesta)t.
Hernach volgt der fürtrag, so min gnedigerr herr abbt Killian vor
rö(mische)r kay(serliclier)m(ajesta)t und gmainen stenden des rychs zu
Ougspurg fürgetragen hat, etc.
Allerdurchlüchtigister, großmechtigister kayser, allergnedigister herre,
ewer kay(serliche) ra(ajesta)t gerueche, diss unser nachvolgendt hochbeschwär-
lich ob- und anligen allergnedigst ze verneinen. Wiewol unser alt, wirdig gotz-
huse nunmer ob nünhundert jarn in gaistlichem wesen und wirden bstanden
und alßbald nach erster fundation von den zyten wylundt kayser Pipini, dess
grossen Karoli und andern mer e(wer) kay(serlichen) m(ajesta)t vorfarn, rö-
mischen kaysern, vil und manigfaltig, hoch und rychlich dotiert, begabt und
mit allerlay namhaiften Privilegien nach und nach gefryt, begnadt und für-
sechen und gevorthailt, ouch ye allwegens in des haiigen rychs sondern gnaden,
schütz, schirm und verspruch gewesen und pliben, deßglich wir ouch unsers
gotzhus regalia und weltlichait, deßglichen manschafften, ober- und herrlichaiten,
ouch gaistliche und weltliche lechenschaiften, mitsampt lüten, zechenden, zinsen,
nützen, gülten, grechtigkaiten und der aller züghörungen von e(wer) k(ayser-
lichen) m(ajesta)t und dem haiigen römschen ryche zu lechen tragen und ouch
derselben ain tayl pfandswyse innhaben, deßhalb wir dann e(wer) k(ayserlichen)
m(ajesta)t und derselben vorfarn, röm(isch)en kaysern, in allen und yeden des
rychs anschlegen, contributionen und uflagen verfangen, ouch biß dahar ge-
horsam und gwertig erschinen und noch füran unsers höchsten und besten ver-
mugens zu erschainen genaigt warn ; wiewol ouch obangeregt unser gotzhuse
von wylundt den haiigen vättern sant Othmarn und sant Gallen, ouch der-
selben allen und yeden successorn und nachvolgern bis uff uns mit täglich und
nächtlichem cristenlichem gotzdienste singens und lesens nach insatzung und
regel sancti Benedi cti one alles uf hörn loblichgeregierrtund verwalten worden,
deßglichen ouch sy und wir uns in aller gaistlich und zytlich Verwaltungen
in gestalt und massen, wie regulierten ordenslüten gezimpt und wir one nim
mit warhait wol darthftn mögen, so ains ingezognen, unverdächtlichen, gaist-
lichen wandel, leben und Vorbilds, ouch gegen unsern nechsten und armen ains
216
mitlidenlichen, muten gmütz und handtraichens beflissen und gehalten, das wir
unsers verhoffens jemandtz, sich ab uns zu ergern, zu erclagen oder wider uns
in Unwillen zu erhaben und (uns) des unsern gwaltigklich zu entsetzen und zu
Verstössen, gar kain ursach gegeben: nochdann, das alles unangesechen, ouch
unbedacht der manigfaltigen wol- und guttäten, so rychen und armen der statt zu
Sant Gallen von unsern vorfaren, uns und unserm gotzhus yewälten har be-
gegnet, och zuvorderst in vergesß der aid- und lechenspflichten, darmit N.
burgermaister, rädt, gemaind und burger obbermelter statt Sant Gallen un-
serm wirdigen gotzhuse saraent unddero jede sonderlich zügethan und verwandt
syen, habent sich dieselben zu Sant Gallen ettwelich jar und zyt, sider der
lutersch ungloube im haiigen rych hochtütscherr nation entstanden und zü-
voran diser unser lantzard schwärlich ingeprochen und überhande genomen,
understanden, uns an gepruch und Übung unsrer gaistlich und zitlich Verwaltung
und regierungen wider unser kaiserlich und ordens fryhaiten, ouch vertrag,
pündtnussen, alt, rechtmessig, unverdächtlich herkomen, possession und quasi
hochlich anzufechten, zu betrüben und mit täglichen ingriffen und nüwerungen
zu beschwären. Dess alles wir doch nach inschwebender loütf und zytens gstalt-
same und sorglichait mit höchster gedult überstanden und unsere widerwertigen
dardurch zu überwinden, ouch irer erbitterten hertzen und gmüt zu erwaichen
verhofli't, aber glichwol darmit nit mer erlangt haben, dann das sy darab erhal-
starckt und nach manigfaltiger antaschtung, Verletzung, schmächung und zu-
gefügten beschwarungn zületzst zügfaren, uns in schyn ains guten und mit in-
mischung vil süsser bewegnussen von unserm gaistlichen habitt, ouch zu ab-
stellung und zerrstörung alles cristenlichen gotzdiensts (den sy mit höchster
gotzlesterung ain verwandte götzery nemmen) zu bewegen, darin sy doch wylundt
unsers abgestorbnen prelaten selbigen, so domals nit anhaimsch was, willen und
antwurt nit erwarten mugen; besonder zu offembarer bezügung ires gewalttät-
lichen, gottlosen Vorhabens syen sy gestragks in unser gotzhus und kirchen mit
grosser wuet, ungestimme und werhaffter band frävenlich ingefallen, daselbst
in der kirchen alle altär, gepildtnussen, gestül, portigk, und was sy der enden
zu volpringung göttlicher dienst und ämpter gewidmet gefunden, ernidergerissen,
die gotzzierd, ordnätund clinodien derkirch angegriffen, das hailtum prophaniert,
die reliquias, corpör und gepain der haiigen ußgeschüttet und das, so an
edlem gstain, gold, silber und costparer beclaidung zugegen gewesen, zu irn
banden und in ir unordenliche gwaltsame, in willen und mainung (als wir dessen
waren bericht und gut wissen tragen), under sy und ire mithelffer uszetailen,
ingezogen. Durch welch ir gepflegne wustung und abstellung alles cristenlichen
gotzdiensts, und ouch nachdem wir uns nit gnügsam mer by inen sicher gewisset,
sy uns, usser unserm gotzhuse zu entussern und unser haile in rechtgegründte
217
flucht zu stellen, betrungen und doch an dem allein kain genügen getragen, be-
sonder, als in disen wylen wylundt unser wirdiger, geti'üwer und gnediger prelat
und vatter abbt Franciscus todes verschiden, haben sy sich ei-st unsers gotz-
hus allentklich underfangen, dasselb mit grossem züsatz beschwärdt und ettwe-
lich unser liebe convent- und layprüder, ouch weltliche gepriester, ampt- und
dienstlüt, so wir dennocht daselbst hinder uns gelassen, in ir vermaindte aids-
pflicht ervordert und ufgenomen und den allen darby ernstlich gepotten, mich
jetzigen unwirdigen prelateu für irn herren und obern nit anzenemen, zu er-
kennen noch nüt in wenig oder vilem gwertig zu sind, deßglichen ouch dieselben
conventherrendurclihardtegefengknus zu hinlegung irs gaistlichen habits genöt-
trengt und über das alles ire mithelffer von Zürich ufge bracht und über uns
dermassen angerichtet, das uns dieselben von Zürich on ainich zusprüch,
vordrung und verursachen, ouch unverwaret irer eren und uuabgesagt unsers
gotzhus aigen statt Wyl, unser gotzhus züKoschach mit schloss und flecken
und andern unsern hüsern und güttern, so dannocht ainstails e(wer) kay (serlichen)
m(ajesta)t und dess haiigen rychs recht aigenthumb und allain unsers gotzhus
lechen und pfandt syen, mit gwaltiger macht überzogen und uns dieselben un-
erbarlich abgetrungen, ouch die fruchten von körn, win und varender hab (die
sy der enden in grosser anzal gefunden) mit höchster unmaß, mißbruch und
wüstung verdempt und verhöret und uns daran unußsprechenlichen schaden und
nachtail zugefügt, deßglichen unser und unsers gotzhus armlüt und underthanen
wider uns in abfall und ungehorsame bewegt und ufgewiglet, alles der wyse,
maß und gestalt, das wir nunmer gar nach aller unsrer gaistlich und zitlich
Verwaltungen, ouch hab und güttern one ainich billiche Ursachen noch unser
verwürckung vertriben, entsetzt und mit werhafifter gethat wider gott, eer und
recht beroubt syen. Diewyl wir nun danne in all disen unser kumerhafften an-
fechtungen und hochbeschwärlichen verderplichaiten und obligen by menig-
klichem hilff- und trostlos stond und zu niemandt dann e(wer) k(ayserlichen)
m(ajesta)t als advocaten der haiigen cristenlichen kirchen und aller derselben
ingelybten glidern, ouch Schirmherren aller beschwärdten und belaidigetten unser
Zuflucht zu suchen wüssent, so thün hierumb zu e(wer) k(ay serlichen) m(ajesta)t
wir underthänigist schryeu und rüfien, das sy unser unverschuldt eilende aller-
gnedigist behertzigen und offtermelt unser alt, würdig stifftung und gotzhuse
nit also jemerlich undertriben und vergon lassen, besonder zu göttlichem lobe
und ewiger dienstparkait in sin vorigen stand, wesen und wirden widerpringen,
ouch uns armen verjagten usser yetziger schwären anfechtuug und gefengknus
der unglöubigen und unsrer widerwertigen erledigen und in egerürt unser gotz-
hus wider restituieren und insetzen und dann in dem allem irer m(ajesta)t und
dess haiigen rychs recht aigenthumb, und was inen deßhalben von uns und
218
unserm gotzlius ye zu zyten gepürt, ouch unser lechen und pfand für gwalt und
unrecht gnedigklich versprechen, beschützen, schirmen und handthaben (welle). Das
wellen umb e(wer) kay(serliche) m(ajesta)t (welche der almechtig sinen hailigen,
ci-istenlichen glouben, nammen und plut zu ufung, nutz, eere und wolffart nach
sinem gottlichen willen aller zit in langwiriger, glücklicher regierung gnedig-
klich ze fristen und füran zu erhöchen geruche) wir gegen gott mit unserm
armen demütigen gepette und hie in disem zyt unsern underthänigisten, ge-
horsamsten diensten unvergessenlich zu verdienen, uns ouch gegen e(wer)
kay(serliche) m(ajesta)t und dem haiigen ryche als desselben ingelybten und
getrüwen mitverwandten in allweg gewei'tig und gehorsampklichen zu erzaigen,
aller wyle unsers höchsten und besten Vermögens berait vmd gütwillig erfunden
werden, uns hiermit in e(wer) kay(serlichen) m(ajesta)t gnad, verspruch, schütz
und schirm allerdemüttigist bevelhennde,
E(wer) kay (serlichen) m(ajesta)t underthänigist demütigiste capplön
Killian, abbt, und gemainer convent des gotzhuss zu Sant Gallen.
(Siiftsarchiv St. Gallen, Bd. 101, S. 107—110; Tgb. Sali. fol. 123 ff.)
219
Beilage III.
Klageschrift Abt Kilians.
Hernach volgt zum tail die iinbillichen handlungen, mutwillen und
gwaltsami, so mit minem gnedigen herren Kilian, abbt des gotzhus
Sant Gallen, ouch sinem wirdigen convent und dem jetzgesaiten irem
gotzhus frävenlich fürgenoraen und gepiaicht worden sind, wie und von
wem das bschechen ist, etc.
Nemlichen und dess ersten, als sich dann die nüw lutersch und ver-
fürisch sect und missgloub in der statt Sant Gallen erhaben und von tag zu
tag zügenomen und dermassen gemeret, das sj von Sant Gallen in irn
kirchen und cappellen, in irer statt gelegen, die hailig mesß und ander geprucht
loblich gotzdienst, sampt den pildtnussen und andern cristenlichen brüchen
alles abgestelt, zerrissen, zerrschlagen und hinweg gethan, habent sich daruf die-
selbigen von Sant Gallen understanden, den cristenlichen gotzdienst, so dann
gantz unangesechen diser irer unbillichen und uncristenlichen handlung nacht
und tag in obberürtem gotzhus Sant Gallen, in irer ringkmur gelegen, von
ainem herren abbt und sinem wirdigen convent cristenlichem bruch nach mit
meßhan, singen und lesen gantz on uf hören gehalten und volpracht worden,
ouch uszurüten, abzethün und ze nuten zmachen; dann sy disen cristenlichen
und loblichen gotzdienst (als darvon abgefallen) nit mer erdulden, sechen und
hören mochten, imd also ufFsant Mathys abent hievor im 29. jar verschinen ain
treffenliche bottschafft, nemlich dry burgermaister, sechs zunfftmaister sampt
irem stattschryber und ander in abwesen ains herrn von Sant Gallen für
techan und gmain conventherren in obberürt gotzhus Sant Gallen, daran sy
dannocht endtlichen ainich gwaltsame, recht noch grechtigkait nit gehept und
noch nit haben, gschickt und an sy, die conventprüder, nach langer red und
handlung mit inmischung vil süsser worten pittlichen begert und ervordert,
nemlichen: aldiewyl sy doch hordtint und täglichs vernemen und sechen, das
semlicher verwandter gotzdienst und götzery, darmit sy dann in täglicher Übung
umbgiengen und pruchten, wider götlichs wort und leer strepte, demselben
wider, ouch gantz vergebenlich und in summa unnütz wäre, das ouch mit gött-
licher gschrifft für grecht und gut nit erfunden noch erhalten werden möchte.
220
das sy dann so gütwillig sin und inen bewilgen weiten, söllich pildtnussen und
götzery, deßglichen die altär vor ougen dannen und hinweg ze thund, dasselb
dann ouch zum allerzimlichesten beschechen sölte, und so sy inen in dem ver-
wilgen, als sich dann oucb ir herren und sy zu inen und gantz kains abschlags
versechen täten, so weiten sy demnach als trüw, lieb nachpuren, ir lyb und gut
zu inen setzen und also inen, den conventprüdern, und irn zügehörungen ir lyb
und gut zum trüwlichesten bschvitzenn und bschirmen, mit vil mer und langen,
umbstendigen werten etc.
Daruff inen techan und gmain conventprüderr, inen den gesandten der statt
Sant Gallen, ainhellentklichen mit ainer semlichen antwurt begegnet, nämlich
das sy ir schwär pitt und begeren zum höchsten befrömbdte usß vil und mengerlay
erzelten Ursachen, und fürnemlichen sidmal sy doch noch ainen regierenden
herren und abbt, der ouch in lyb und leben und bi guter vernunfft war. betten,
hinder dem und on sin gunst, wüssen und willen inen gentzlichen nit zßstünd,
solcher ir gethaner erschrockenlicher pitt und anvordrung bewilgung ze geben ;
weiten inen ouch dermassen darin schlechtz nüntzlt bewilgen unnd nachlassen,
ob sy schon glichwol dess ze thün glimpff und füg, als sy aber nit hetten ; und
darumb, dwyl dem also, war ir früntlich pitt zum allerhöchsten an sy, sid und
sy sich doch als gut nachpuren berümpten, sy weiten von semlichem irm be-
geren und anvordren gütlich abston, ouch sy an dem end als irem aigenthumb
und dem iren rüwig und daran ungesumpt plyben lassen ; desselbigen sy sich
dann ouch gentzlichen zu inen versechen weiten.
Hierwider die gesandten der statt Sant Gallen wyter redten: sy hetten
ir antwurt, will und mainung verstanden und wol vermaindt, diss ir gethan
zimlich ansuchen und pitt war von inen nit abgeschlagen, sonder bester mainung
verhördt und gütlichen nachgeben und betrachtet, das sölichs allain inen und
irem gotzhus zu gutem angsecheu und beschechen, darmit inen nit unversechen
ettwas wyter schaden zustund, dar vor sy inen dann gern sin und verhüten weiten,
und war ouch also glich wie vor ir begehr zum früntlichesten, inen ir gethan
pitt nochmals gütlichen zu verwilgen ; dann ire herren ouch glouplichen fürkoraen,
das obbemelterr herr und abbt Franciscus mit so grosser kranckhait umb-
geben und beladen war, das er sich semlicher und derglichen handlungen nit
mer belüd und underwünde; deßhalber sy nümer ain techan und convent darfür
achtetint alls die, so yetz söllichen gwalt hetten.
Zu dem techan und gmainer convent inen mit antwurt guter maß wie
vor begegnotten : sy täten sy zum früntlichesten und obersten anrüfien und pitten.
aldiewyl sy, wie vor verstanden, noch ain regierenden herren in gütter ver-
nunfl't, hinder dem sy dann söllichs zu bewilgen nit gwalt noch macht hetten.
das sy dann inen nochmals früntlich nachlassen weiten, semlich ir gethan an-
221
pringen und begeren demselbigen irem herren und vatter ze eroffnen ; dasselb
dann ouch glich ze stund und one lenger verziechen beschechen müste.
Dartzu die botten der statt Sant Gallen inen geantwurt und abermals
wie vor pittlichen begert, sy weiten inen in disem irem göttlichen fürnemen
nochmaln früntlich bewilgen ; dann ob und sover sy glichwol inen zu söllichem
nit verwilgten, so sige doch endtlich irer herren ains klainen und grossen radtz
bevelch, will und raainung, semlichs uff recht hin ze thund, dai'mit die gepruch-
ten und verwandten gotzdienst und götzery nit mer geübt und gehalten, ouch
umb willen unnd dardurch die ergernuss, deßhalber dem nechsten gegeben,
vermitten plibe und undei'lassen werde.
Uff söllichs techan und der gmain convent sy widerumb und abermals
zum trungenlichesten und ernstlichesten anrüfften und baten, an diss irem un-
billichen fürnemen und gwaltsami stillzestond und sich dei'o nit ze underwinden
und anzulegen, sonder ouch zuvoran ansechen und betrachten, wie das wirdig
ir gotzhus S. Gallen vor vil hundert jaren har von bäbsten, kaysern und klingen
so mergklich hoch und fürtreffenlich gefryt sig; weiten ouch nit in vergesß stellen,
sonder gedencken der loblichen fryhaiten, sprüch und vertragen, so danne das
wirdig gotzhus und ain statt S. Gallen manigfaltigerr wyß gegen enandern
besigelt betten, durch welch solch sprüch und vertrag dann ouch, wie sy bekant-
lichen wüsten, das wirdig gotzhus in sinem gezirck und die statt S. Gallen
durchschaidenlichen von enandern gesündert und geschaiden worden wären mit
bedingtlichen puncten und articklen, das sich die genanten von der statt Sant
Gallen an dem wirdigen gotzhus daselbs gantz dehainer gwaltsami, pott und
verpott nit anneraen noch beladen söllint, sonder das gotzhus daran ungesumpt
und unverhindert rüwig pliben lassen etc. Semlich loblich sprüch und vertrag
sampt andern brieven sy im grund aigenlichen erlesen; so sy nun aber Sachen
und laider hordten, das sy nit darby plyben möchten, sonder das sy von Sant
Gallen also in irem unbillichen fürnemen verharren und fürfaren weiten, und
dagegen inen dehain kay(serlich) fryhait, die dann im gotzhus ist, nit erschiessen
noch sunst dhain billichait hüttztagen an inen helffen möchte, so thäten sy inen
daruff von wegen irs herren und abbts, ouch ir selbs. recht pieten und für-
schlachen, erstlichen für unsern allerhailgisten vatter den babst und bästlich
fryhaiten, demnach für unsern allergnedigsten herren ro(mischen) kayser und
kayserlich fryhaiten, deßglichen für köni^igklich) m(ajesta)t zu Hungern und
Behem, unsern gnedigisten herren, ouch für gmain Aidtgnossen und inson-
derhait für die vier ordt der Aidtgnoschafft, neralich Zürich, Lutzern,
Swytz und Glarus, mit denen das wirdig gotzhus Sant Gallen in bürg- und
landtrecht behafft und verpunden ist, und mit namen uff alle dess gotzhus alt,
unverserrt babstlich und kay(serlich) fryhaiten und ander sprüch und vei'träg,
222
ouch besigelt brief, alles mit vil mer und wyterii gethanen rechtpotten, so aber
hierin zu melden nit von nöten sind, etc. Und als nun aber sy, die genanten
techan und gemainer convent, verbordten und Sachen, das der enden weder
rechtpott, früntlich pitt noch verzug, sölchs an irn herren ze pringen lassen,
und gantz nichtzit überal mer erschiessen noch hellFen, sonder ouch vernoment
und sächent, das schon ain grosse zal volcks mit irem werchzüg und Instru-
menten im münster irs gotzhuses verordnot und daselbst warten warent und
gwaltigklich an sach gen wolten, do baten techan und convent die verordnotten
botten der statt San t Gallen zum allerfrüntlichesten und gantz mit belaidigetten
hertzen: aldiewyl sy doch laiderr sechen und spürten, das ir sach, pitt und
begeren uflF disem tag an inen nichtz erschiessen, sonder das sy in irem für-
nemen gwaltigklich fürfaren, das sy inen dann bewilgen und nachlassen weiten,
semlich pildtnussen und talFlen sampt anderm selbs abzebrechenn und abweg
ze thün; dasselb sy dann ouch glich ze stett ansichtig und on ainich verziechen
thun und das alles behalten und versorgen (weiten), darmit sölichs nit zerrissen
und zerschlagenn wurde.
Diss alles aber gantz unangesechen sind die verordnotten der statt Sant
Gallen glich ze stett mit aller wüetung und unstimmikait gwaltigklich zü-
gfaren, sich daran weder kayserlich fryhaiten noch ainich rechtpott verhindern
lassen, geschwygen das sy daran lut brief und siglen kain gwaltsame, recht
noch grechtigkait ghept haben ; sonnder also usß aigensinnigem mütwillen und
zu undertruckung göttlicher eren und gepruchtz cristenlichs gotzdiensts alle
die tafilen, so im münster und den cappellen im gotzhus ligende, deren dann
nämlichen an ainer summ 32 gewesen sind, abbrochen, zerrissen und zerschlagen
und das alles überus gantz costlich sampt andern vil umbhangenden tafflen [an
den muren und stainenen sülen] ^) hinus für die statt und uff des gotzhus Sant
Gallen aigenthumb, den Brül gfürt und daselbst verbrendt und demnach die
altär gmainlichen, dero dann ouch 32 gewesen, ernider gerissen und zerbrochen
darin sy dann in ettlichen gantz särch voll haltumb funden, dasselb si darus
genomen, och verbrendt, hinweg geworffen und größlich entuneret und an dem
allem grossen mütwillen begangen.
Sy band ouch daruf ain vierfach überus costlich gestül und brespiterium
sampt ainem lettmer und anderm im münster abbrochen, ouch alle die gwelber,
so ob den altären gwesen, und ettlich muren und thüren in vermeltem münster
ernider geschlagen und zerrzert und dartzü alle gotzzierdenn und klainotter,
so sy der enden in costlicher anzal erfunden, sampt ettlichen kelchen, gfäss dess
haltumbs, zu irn banden genomen und fürnemlichen die custory und derglichen
*) Aus der Zürcher Abschrift eino-efügt.
223
anders, und darmit nach irem willen und gwaltiger wyß ghandelt, unangsechen
das sy dartzü ainich füg nit hatten. Und nach Vollendung diser dingen allen
hand sy von der statt Sant Gallen ir bottschaflft widerumb zum techan und
convent dess gotzhus Sant Gallen gschickt und sy pittlichen ankeren lassen,
inen zu verwilgen, ainen irer predicanten uff neehstkomenden sonntag in das
münster zu stellen und darin predigen zu lassen. Das habent sy inen abermals
glich wie das vordrig ir beger gentzlich abgeschlagen. Aber über das hand sy
von der statt Sant Gallen ainen luterschen predicanten darin gstelt mit ir
selbs gwalt; der prediget ouch noch also für und für.
Nun alls man den cristenlichen und hochloblichen gotzdienst der enden
mit messhan, singen und lesen nit mer volpringen mögen noch könden, da hat
wylundt der abgestorben herr und abbt Franciscus seiger gedächtnuß als ain
gotzförchtigerr herr und sorgsamer, trüwer vatter siner conventuales ettlich der-
selbigen in das gotzhus zu den Ainsidlen und anderschwahin gschickt, darmit
sy gott dem almechtigen dester bas gedienen möchten, und ouch, ob die von
Sant Gallen, als zu ersorgen, vilicht ettwas wyter mit inen handien weiten,
das sy sy doch nit gmainlichen by enandern erfundint, etc.
Nachvolgendtz hand die dickgemelten von der statt S. Gallen das wirdig
gotzhus mit aller gwaltsame, kay(serlichei') fryhait, recht und grechtigkait, ouch
siner begryffung und zugehörd, zu irn banden gwaltigklich mit weerhaffter
hand, unverwart irer eren und onabgesait, ouch on ainich rechtmessig vorur-
sachen noch verdienen, ingenomen und glich ze stundt daruf alle conventherren,
so domals noch im gotzhus verharret, deßglich sunst weltlich priester, so
ains tails ir burger gewesen und von inen der nüwen sect halber vertriben und
also ouch im gotzhus und kay(serliche)r fryhait warent, sampt dryen layprüdern
all gemainlich in gefengknus glegt und bhalten, dartzü ouch ettlich der ampt-
und dienstlüten gfangen, dieselbigen amptlüt, ouch sunst alles hofgsind, in ir
vermaindte aidspüicht genomen ; hand ouch die conventherren dermassen in
so langer gefengknus behalten und sy darrmit zwungen, das sy dess ordens be-
claidung müssen abthün; habent sy ouch daruf nüntz dester minder wie ander
hofgsind in ir aidspflicht genomen und inen, den conventherren, darin mit
sonderhait verpotten, das sy dem jetzigen, irem erweiten und bestätigetten herren
und prelaten, her Killianen, gar nüntzit enweder züschryben noch erbieten,
sonder ouch hierwider glicher wyß von im nichtz empfachen und mit namen
überal sich sinen müssigen und mit ime nichtzit handien noch schaffen sollen.
Und wie uu also darzwischent jetzgenanter ir nüwer und bestättigetter herr
inen, den conventuales, ain versigelte missif zügschickt. hand sy doch die nit
bedorffen verlesen, sonder der aidspflicht nach die müssen denen von Sant
Gallen überantwurten ; die hand sy ouch ufprochen und, wiewol sy nit inen
224
gstanden ist, nüntz dester minder verlesen. Sy, die von Sant Gallen, band
ouch die vorgemelten weltlichen priester, umbe das sy im gotzhus gewesen,
daselbs meß und ander cristenlich brüch gehalten haben, usser irn gricht und
pieten verpotten und glich derselbigen tagszyt ir statt müssen rumen.
Und nach dem allen band die von Sant Gallen das wirdig gotzhus mit
ainem grossen züsatz bsetzt, ouch vili der cborbücher zerrissen und sunst bücher
usß der libery genomen, welche libery dann die eltist in diesen landen ist ; sy
band ouch die gloggen usß (allen) cappellenn gnomen, die zerschlagen und zu
Lindow bücbsen dai-us giessen lassen, habent ouch ain mergklicbe grosse summ
costlichs wins verkoufft, im gotzhus gelegen, und das glöst gelt zu irn banden
genomen und verbrucht. Und also band die von Sant Gallen durch söllichen
irn angelegten mutwillen, fräfel u.nd gwalt, wie obstat, und in ander weg dem
wirdigen gotzhus Sant Gallen ain semlicben mergklichen und unermeßenlichen
grossen schaden zugfugt, das derselbig nit wol muglicb zu schätzen und zu er-
messen ist; bruchen ouch semlichen gwalt und unbillicb handlung on underlass
für und für an dem gotzhus und dem sinen, alles gantz unangesechen, das alle
burger gmainlicben der statt Sant Gallen sampt und sonders, dehainer uß-
genomen, dess vilgesaiten gotzhus Sant Gallen geschworen lechenslüt sind.
Nachvolgendtz so sind die von Zürich und Glarus, so danne ain herren
von Sant Gallen, sin convent und gotzhus lut brief und siglen helflfen schirmen
sölten etc., sampt den vilgedacbten von Sant Gallen nach gütter leng und
verschinung diser hievor geschribnen dingen über das gros, costlich, schön,
zierlich haltumb, dem wirdigen gotzhus Sant Gallen zügebörende, das dann
in dem münsterthurn verschlossen und vermuret gwesen ist, gewaltigklichen
prochen, das alles gantz fürtreffenlichen, seer schön und costlich von silberr,
gold, edlem gstain und berlin, ußhin genomen und mit höchster unmaß und
mutwillen zerrschlagen und zerrissen, das hailtumb von Sant Gallen und
andern haiigen, in schönen särchen glegen, deren dann ettlich sechshundert jar
da gstanden sind, darus gnomen, under die füsß geworifen, zertretten und ver-
brendt und unsäglich großlichen verspotten und entunei'et, ouch das alles zu
irn banden gezogen und also dem gotzhus entfüi-t und gnomen und darmit dem
gotzhus unwiderrpringlicben schaden zügfügt ; dann sölich hailtumb von silber,
gold und edlem gstain nit wol muglichen zu schätzen gewesen ist.
(Wyter Zürich betreffend:)
Item, und als dann die genanten von Zürich sampt irn anhengern den fünff
allten cristenlichen ordten der Aidtgnosschafft zu verganngner irer ufrur und
gebepter empörung vyentlichen abgesagt, sind sy die bemalten von Zürich daruf
angendtz und glich ze stett mit gantzer macht und ufrechten venlinen gwal-
225
tigklichen dem obernempten herren und abbt von Sant Gallen, unentsagt irer
eren und gantz onabgesait, in sin und sins bemelten gotzhus landtschaift und
nemlichen für sin aigen statt Wyl zogen, ime dieselbig sampt dem gotzhus
Roschach und der gantzen landtschafft onver schuld et und on ainich recht-
messig ursach gantz unerbarlich abgetrungen und in ir vermaindte aidspflicht
genomen und glich daruf das bemelt gotzhus und schlosß zu Roschach, ouch
das hus zu Wyl und ander dess gotzhus Schlösser und hüsern mit zusätzern
bsetzt, wie sy dann das alles noch gwaltigerr wyse mit dem regiment und
beherschung under banden, und haben also darmit aim herren von Sant Gallen
sine gotzhuslüt abzogen, inen ursach und sterckung geben, das sy sich von ime
gantz abgeworffen haben und im weder huldigung noch ghorsame thün wellen,
sonder das sy sich aigens gwaltz über und wider ir erbhuldigung. pflicht und
aid züsamen veraint und verpündtnus wider ain herren von Sant Gallen, sin
convent und gotzhus gemacht und beschlossen, ime ainich nutzung noch gült,
wie sy schuldig und von alter harkomen warn, zu bezallen, ouch gantz alle
ghorsame entzogen, rädt, gricht und recht bsetzt und ghalten, dess sich doch
vilgesaiter her abbt von Sant Gallen kainswegs zu inen versechen und ver-
truwt hette. Dann sobald er von bäbstlicherr hailigkait und oixch kay(serlicher)
m(ajesta)t, sinen allergnedigsten herren, bestät und confirmiert ist, hat er dess
gotzhus Sant Gallen und sinen imderthauen und zügehörigen und iren ge-
setzten vermaindten regierern, deßglichen den sinen usß der grafschafft Toggen-
burg schrifftlich verkündt und zu wüssen getan, wie ime römisch kay(serliche)
m(ajesta)t dess gotzhus regalien, weltlichait, fryhait, lechen, herlichait imd ober-
kaiten gnedigklich geliehen habe, mit angehengkter beger und ermanung, im als
irem rechten, natürlichen herren huldigung und ghorsame ze thünd und also
fürterhin irer aignen fürgenommnen mainung und regierung stillzeston, die
fallen zu lassen und nit mer zu gepruchen, alles mit vil mer, lengern und
früntlichen, erjjietenden Worten etc., das aber endtlichen by inen gantz und gar
nichtz erschiessen mögen ; sonder handien sy für und für irs willens und gfallens,
habent und haltent ouch hoche gricht und richtent überr das blüt und derglichen
ander malefitzisch hendel, alles gantz unangesechen, das allain obernemptem
irem gnedigen herren die regalia, als jetz verstanden, glichen sind und züghören
und nit inen. Wyter so hannd sy von Zürich den erstgenanten herren und
abbt zu Sant Gallen glich in anfang siner erwellung alles regimentz entsetzt
und still gstelt und also darzwischendt die gotzhuslüt, wie vorstat, durch täg-
lich bottschaflften und gschriff"tenn mit aim und dem andern verursacht und
dartzu pracht und inen zum tail so vil hilfi" und trost zügsagt und verhaissen,
das sich dieselbigen gotzhuslüt von erstbenemptem irem rechten und natürlichen
heiTen abgeworffen haben.
St. Galler Mittl-n. z. vaterläiul. Gesch. XXXIII. 15
226
Und in summa: wiewol egesaiter min gnediger herr von Sant Gallen zu
gehaltnen taglaistungen gmainer Aidgnossen botten zu mermaln selbs mundt-
lich und ouch darnebent schrifftlich die baide ordt Zürich und Glarus, der
lut er sehen sect auhengig, als die, so in und sin gotzhus lut und vermög un-
verserter brief und siglen helffen schützen und schirmen sölten etc., angerüfft
und gepetten hat, in und sin convent allain by brief und siglen und dem wirdigen
irem gotzhus wie ire vorherren plyben zu lassen und nit allso gwaltiger wyß
underston, sy dess also und one ainich rechtmessig Ursachen zu entsetzen, als
sy dann ze thund understünden, und inen deßhalber vor gmainen Aidtgnossen
recht potten und fürgeschlagen, ouch das mermals gegen inen begert und ervor-
dert, hat im doch dehain recht veeder gegen inen noch andern irn anhengern
endtlichen nie mögen vervolgen noch gelangen, sonder ime zu allen tagen mit
semlicher antwurt begegnet: sy, die baide ordt Zürich und Glarus, wellint
ime noch sinem convent dehains rechtens nit sin noch gestattnen, sich ouch
sunst gütlich noch früntlich ainicher gestalt gegen im nit inlassen, sonder in
irem fürnemen fürfaren und sy inne, her abbt, noch niemandt anders daran ver-
hindern lassen etc. Und hat also vilgenantem abbte kain recht mögen verlangen,
sonder also rechtlos vor gemainen Aidtgnossen ston und j^lyben müssen;
dann im dieselbigen nit haben mögen noch wollen diser zyt zu gepürlichem
rechten verhelflfen, wie dann bißhar für und für sin anschryen gewesen ist etc."*
Stiftsarchiv St. Gallen, Bd. 101, S. 115-123; Tgb. Sali. fol. 125 ff.; Staats-
archiv Zürich, Abt. St. Gall. Archiv, Bd. X, 36. S. 5 ff.
227
Beilage IV.
Supplication an die Reichsstände.
Hochwürdigsten, durchlüchtigisten, hocliwürdigen, durchlüchtigen , hoch-
gebornen, erwürdigen, wolgebornen, edlen, gestrengen und liochgelerten dess
hailigen römischen rychs churfiirsten, fürsten und gemaine stand, gnedigst,
gnedig, lieb herren und guten fründ ! Wiewol burgermaister und radt, ouch
alle bürgere und gantze gemaind der statt zu Sant Gallen wjlundt dem hoch-
wirdigen fürsten und herren hern Franciscus, abbte dess wirdigen gotzhus
SantGallen, mitayd- und lechenspflichten samentlich und sonderlich ziigethan
und verwandt syen, das unangesechen haben dieselbigen burgermaister, radt,
burger und gmaind wider und über kay(serlicher) m(ajesta)t ufgerichten gemainen
lantzfriden, die guldin bull und reforraation, ouch über kay(serlich) edicten
und poenäl, mandaten, (uf) gehalten rychstägen zu Wormbs, Nürnberg und
Spyr ußgangen, ouch sonderlich vertrag und ijündtnussen, zwüschent inen uf-
gericht, ouch alles rechtlichs erpietens in solchem gotzhus allen cristenlichen
gotzdienst, mesß, singen, lesen, petten und ordenshabid anzetragen und zu vol-
pringen, frävenlich abgestelt, im münster und liirchen, alle altär und stül zer-
rissen, für die statt hinus uff dess gotzhus aigenthumb gefürt und daselbst ver-
brent, das hailtumb, cörppel und gepain der haiigen ußgeschütt und entuneret,
edel gestain, gold, silber, berlin, mesßgwand und all ander gotzzierd sampt aller
dess gotzhus hab und gütter beroubt und in ander weg geschmecht und begwaltigt,
zu irn banden gnomen und under sy und ire mithelffer usgetailt, den convent,
laypriester und dienstlüt sölchs gotzhus in glüpt und aid genomen und vom
gotzdienst zu. ston und habitt abzethün oder zu entwychen verursacht. Und als
vermelter herr Franciscus loblicher gedächtnus usß disem zyt der gnaden
ervordert, haben mich min convent daselbst usß crafft irer fryhait zfi irem pre-
laten und regierer erweit und fürgenomen. Als sy dess gwar worden, haben
sich vermelt von der statt Sant Gallen by den von Zürich beworben und
bwegt, das dieselbigen Züricherr on ainich rechtmessig vordrung und ver-
ursachen, ouch unbewart und unentsagt aller eren, min und mins gotzhus statt
Wyl, ouch unser gotzhus, schlosß und flecken Roschach und ander wonungen,
hoff und gütter daselbst umb mit heres crafft überzogen und gwaltigklich in-
genomen und abgetrungen, win und körn, vai'end hab und allen vorradt verspyst,
228
verschwänpt und verderpt, derniassen das nichtz mer vorhanden, und in un-
widerpringlichen schaden und nachtail gefui-t. Nachdem haben ouch gemelt
Züricher und Galler sampt irem anhang dess gotzhus lüt und underthonen
(wiewol min vorfar und ich yemandtz unfrüntlichs oder args bewisen noch
dhain beschwerd noch nüwerung fürgenomen, besonder manigfaltiger wyß rychen
und armen zu Sant Gallen und usserhalben in dess gotzhus landtschaiften
milte handtraichung und gütät bewisen) ufgewiglet und verursacht, das sy sich
aigensgwalts über und wider ir erbhuldigung, pflicht und aid on alle m-sach abge-
worffen, der merer thayl züsamen gerottiert. consj^iration und verpündtnus wider
mich und min convent und gotzhus gemacht und beschlossen, ainich nutzung
noch gült, wie sy schuldig und von alter herkomen wern, zu bezallen noch zu
raichen, ouch alle ghorsame entzogen, radt, gricht und recht bsetzt und ghalten,
dess wir uns doch kainswegs zu inen versechen noch vertruwt hetten; dann so-
bald ich von bäbstlicherhay(likai)t und ouch rö(mischer)kay(serlicher)m(ajesta)t,
minen allergnedigisten herren, bestät und coufirmiei't bin, hab ich dess gotzhus
underthonen und irn gesetzten vermaindten regierern schrilftlich verkündt und
zu wissen gethan, kay(serliche) m(ajesta)t haben mir dess gotzhus regalien, welt-
lichait, fryhaiten, lechen und pfandtschafften, herlichait und oberkaiten gnedig-
klich geliehen und verliehen, mit beger, irer aignen fürgenomnen regierung
stillzeston, fallen ze lassen und nit mer zu gepruchen, das aber by inen nichtz
ersprossen hat ; sonder irs gefallens darin für und für volfarn.
So ich dann in all vorerzelten beschwärlichen und verderplichaiten by
menigklichen bißherr trostlos gstanden und söllichs wider zu erhollen zu yemandtz
dann zu der kay(serlichen) m(ajesta)t als dem rechten u.rsprung, lieb- und handt-
haber aller grechtigkait, ouch schütz- und schirmher der hailigen cristenlichen
kirchen und rö (mischen) rychs und aller derselben getrüwen und ghorsamen
ingelybten glidern und underthonen und zu ewer churfürstlichen und fürstlichen
gnaden gunst und früntschaift hoffnung, vertruwen und Zuflucht hab und dann
dieselb ewer churfürstlichen und füi'stlichen gnaden gun(st) und früntschafft
als der kay(serlichen) m(ajesta)t getrüw^ rädt und dess haiigen rychs mitglider
ab söllichen min und mins conventz kumerhafften anfechtungen und hoch-
beschwärlichen, verderplichen obligen unsers gantz ungezwyfelten vertruwens
gnedigst mitlyden tragen: darumb so langt an ewer churfürstlichen und fürst-
lichen gnaden gunst und früntschafft alls mitthelflfer aller beschwärdten und
belaidigetten min demütigs, trungenlichs und ernstlichs anrüffen und bitt, die
wellen mich und bemelten min convent als betrupt und on recht vertriben eilende
gnedigst und günstlich bedencken und behertzgen und semlich oberzellt min
anligen und unbillich begegnet Sachen, wie dieselb ewer churfürstlichen und
fürstlichen gnaden gunst und früntschaflt in nebentliefenden gestellten articklen
229
noch durchschaidenlicher verstendiget werden mögen, römisclie r kay(serlicher)
m(ajesta)t, unserem allergnedigisten herren, erschainen und anzaigen und gegen
derselben kay(serlichen) m(ajesta)t als ußtailerr, beschirmer und hanthaber der
grechtigkait (durch ettwas mittel und weg, die sin kayi^serliche) m(ajesta)t so
unzalbar, mer dann ich yemer erdencken, fürzünemen waist) mir und minem
convent erschiessenlichen sin und beholffen ze werden, darmit offtermelt min
alt wirdig stifftung und gotzhuse nit also jemerlich undertriben und ze nuten
gemacht werde, besonder in sin vorigen stand, wesen und wirden by kay(serlicher)
m(ajesta)t helfFen widerpringen, ouch mich und min convent als arme verjagten
usserr yetzigerr schwären anfechtung unsrerwiderwertigen helffen erledigen und
in egerurt unser gotzhuse insetzen, und ewer chur(fürstlich) und fürstlich gnaden
gunst und früntschaflPt welle sich gegen kay(serliche) m(ajesta)t mir und minem
convent zu hilff dermassen so gnedigst und günstlich erzaigen, als dann zu ewer
chur(fürstlich ) und fürstlich gnaden gunst und früntschafft ich ain sonder
hoch vertruwen und gute hoftnung hab. Das will umb dieselben üwer churfürst-
lichen und fürstlichen gnaden gunst und früntschafft ich gegen gott mit minem
armen demüttigen gepette und hie in disem zyt minen underthänigen, gehor-
saiiien, willigen diensten unvergessenlich haben zu verdienen.
Ewer chur(fürstlich) und fürstlich gnaden gunst und früntschafft
underthäniger, gütwilliger capplon
Killian, abbte des gotzhus Sant Gallen.
(Stiftsarchiv St. Gallen, Bd. 101, S. 123-126; Tgb. 129b -130b.)
230
Beilage V.
Unbekannter (vielleicht Lienhard Schnider, Hofammann zu Wyl) an
Abt Kilian, ca. Anfang Juli 1529.
Obsequentes (?), b(oher) f(ürst), g(nediger) h(eiT). Von tag zu tag so gat
deß gotzhuß Sachen und handel hinder sich und ab, von wegen daß sich deß
niement recht annimpt und handlet nach gestalt der sach. Eß schryent die
Toggenburger, sy habint thein heren; es schryent die gotzhußlüt und die von
Wil deßglichen, und so solt jetz der hoä'meister der sin, der ritt und handlette ;
so ist er mit güttem willen und über genügsamliche Warnung ge(n) SantGallen
geritten und will sich jetz also entschulliget haben: die von SantGallen habint
imß by er und eid verbotten, nüt inß gotzhuß Sachen zu handien, und nimpt
aber nüt desterminder sin sold, spiß und tranck hin. Derglichen der vogt lit
jetz zu Baden im bad, so er solt vo(n) Ort der dryen Orten zu Ort ritten und
sich üch 1). Darzü so vermerckt man wol, das jederman dass hemdptli nächer lit
weder daß röckli etc., und so das sechent die grafstätter, gotzhußlüt und die
von Wil, daß uwer gnad jetz nach dem bericht noch jemer von u(wer) g(naden)
wegen treffenlichs handlet und aber u(wer) g(naden) widerwerttigen nit fyrent,
sind sy der meinung, jetlich teil u(wer) g(naden) herlichkeit, oberkeit, rent, zinß
und gült innen selber zu behalten und u(wer) g(naden) noch dem gotzhuß nüt
mer lassen vervollgen, so sydmalß u(wer) g(nad) sich niener nüt lasß mercken
noch jemet von ü(wer) g(naden) wegen, alß ob sy widerumb welle daß regiment
und her(lich)keit annemen, gebent sy glouben denen, die das sagent (wie wir
u(wer) g(naden) vor habent geschriben), eß gelob thein mentschß, daß u(wer)
g(nad) noch thein münck mer her zu Sant Gallen werd. Darumb so grifft
jederman in. Eß habent die von Will allen caplonen ir pfrundrödel genomen
und darziT dem meßmar ouch abkündt, und ist die sagg, si habindt vj man ver-
ordnet, die söllint alle zechenden insamllen und die zu der statt banden bringen.
Deßglichen die uff dem land im gotzhuß wellindt ir zechenden von körn und
haber ouch jetzlickhe gegni ir selb behalten und darzü thein deinen zechend
uifrichten noch geben, und gat also alleß hinder sich, daß deß gotzhuß ist.
Darumb so ist groß not, daß üwer gnad selber zun Sachen lüge, und schriben
') Das Yerbum fehlt.
231
dem vogt gen Baden: sye eß not, daß er ü(wer) g(naden) umb ein fryg, sicher
geleyd werbe, vmd so welle der hofFainen ouch zu ü(wer) g(naden) gen Baden
ritten und ü(wer) g(naden) witter mit mund berichten, denn jeman schriben
künd oder bedörff; denn der von Will halb wüsse ü.(wer) g(nad) wol, daß wäder
iler vogt noch er bedörffe noch zustand zu handien und aber vil daran wil ge-
legen sin. Item, so sind uwer g(nadea) rätt, altvogt, vogt von Schwartzen-
bach und hoffamen, ufFhütt dato by einander gesin, und uff daß, so u(wer) g(nad)
sich tröstett uff Ferdinand und ander fursten, sich und(er)redt, und ist ir
meinung, gantz und gar sich nit uff der fursten züsaggen zvil verlassen; sy
wärindt aber in hoffnung, sover u(wer) g(nad) die sach selb in die band neme
und zu den dryen Orten ritte, u(wer) g(naden) wurd gehulffen, und würdindt
ab demselbigen die uß der graffschatt't, die gotzhußlüt, ouch die von Will, vil
mer thon dann ab ußwendigen heren und fursten. Daß habent si mir bevolhen,
üfwer) g(naden) ernstlich ze schriben, und sover ü(wer) g(nad) forohin nit ernst-
licher welle handien, so wüssent sy ü(wer) g(naden) nit mer zu ratten, dan wo
sy ü(wer) g(naden) gedencken, so ist ein geschrey über sy: „wo ist er? waß
thüt er? wil er ünß all, daß gotzhußland und lüt also gar verlossen und in die
schantz schlachen? wir sechent wol, sin widersechen schx'ibent, schickent botten
und rittendt tag und nach(t), land sy nüt thuren weder costen noch arbeit; aber
er lit, weitschß nieman wo, und tuht nüt zu den Sachen; darumb so mussent wir
sechen und hören, daß war ist, waß man von in seit und redt". Darumb g(ne-
diger) h(err), lasßt ü(wer) g(naden) daß zu hertzen gon und helff ir selbß und
ünß; dan wir thein zwifel habent, sover ü(wer) g(naden) selbß zu den Sachen
thäte, ir und unß wurd gehulffen, und wurde alles widrumb zu gotten komen.
Witter so ist ü(wer) g(naden) rädt meinung, sover und doch ü(wer) g(nad)
nit weite gen Baden, uff' Marie Magdelene so gat der tag an, daß doch ü(wer)
g(nad) wüße umb ein doctor oder sust umb ein berichten man, er wäre edel
oder onedel, den dem vogt mit einer Instruction zuschickte, damit man doch
Sache, dass ü(wer) gnad nit weit also die herlikeit verlassen etc. Datum etc.
(Stiftsarchiv St. Gallen, Bd. 307, S. 157 f. Orig.)
232
Beilage VI.
Zeitgenössische Notizen aus dem Leben Abt Kilians.
Im Stiftsarcliiv St. Gallen befindet sich ein Manuskript, bezeichnet mit
No. 102, Seine stellenweise sehr verblassten Schriftzüge sind oft recht schwer
lesbar. Wir haben dem Schriftstück, da es von Abt Kilian handelt, eine Reihe
von Notizen für die vorliegende Arbeit entnommen, und so wird es wohl ange-
bracht sein, in Kürze auf diesen Band No. 102 zu sprechen zu kommen.
Er besteht aus 143 ganz oder teilweise beschriebenen Papierblättern in
Quartformat und trägt von späterer Hand die Überschrift: „Quando novatores
invaserunt monasterium". Das will aber nur heissen, dass die Aufzeichnungen,
soweit sie erhalten sind, mit dem Zeitpunkt beginnen, wo das Kloster im ersten
Kappelerkrieg von den St. Gallern besetzt wurde, oder — wenn wir monasterium
weiter fassen — als die Besetzung des äbtischen Gebietes durch die Zürcher
stattfand. So finden wir denn gleich im Eingang des Buches Kilian bereits in
Überlingen, wohin er sich Anfang Juni 1529 vor den anrückenden Zürchei'n
geflüchtet. Und dann erzählt uns der Tagebuchschreiber weiter alles, was er
Erwähnenswertes aus dem Leben des Abtes hier aufzeichnen wollte, bis wenig
über den Tod Kilians hinaus. Den Schluss des Buches bildet die Wiedergabe
eines Briefes in extenso, den der Stadtschreiber von Überlingen, Hans Metten-
zelt, an den St. Gallischen Dekan und Konvent nach Schloss Wolfurt schickte,
datiert 12. September 1530. Solche wörtliche Wiedergaben von Briefen, aber
auch von Abschieden, sind in dem Buch sehr zahlreich in die zwar anschauliche,
aber oft sehr umständliche Erzählung eingeflochten, sodass, wenn wir dieselben
aus dem übi'igen ausscheiden wollten, das Tagebuch auf einen im Verhältnis
zum ganzen Buche sehr geringen Umfang zusammenschmelzen würde, und
dieser Rest ist oft von rein lokalgeschichtlichem Interesse ; auch ist von irgend
welcher tieferen politischen Einsicht des Verfassers nichts zu spüren. Letzterer
nennt zudem nirgends seinen Namen. Doch war es nicht allzaschwer. den
Verfasser herauszufinden. Man merkt schon auf der ersten Seite, dass es jemand
aus der nächsten Umgebung des Abtes gewesen sein muss, der fast überall Mit-
erlebtes erzählt, ganz abgesehen davon, dass der Schreiber hie und da in der
ersten Person Pluralis berichtet. Wo er sich auf die Berichte anderer verlassen
233
musste, lässt er dies den Lesei- unschwer erraten. Am nächsten liegt es, an den
äbtischen Schreiber zu denken, der laut Tagebuch der getreue Begleiter des
Abtes auf die Tagsatzungen nach Baden und anderswohin war, auch für die
wichtigsten Missionen verwendet wurde, von denen uns der Tagebuchschreiber
in anschaulicher und detaillierter Weise berichtet. Diese Annahme verstärkt
nun erheblich ein zweiter Punkt, nämlich die massenhafte Verwertung von
Aktenstücken. Da werden uns Dutzende von Briefen an den Abt, zahlreiche
eidgenössische Abschiede, die sich auf Kilian und sein Gotteshaus beziehen,
wörtlich wiedergegeben und zwar, wo sich das kontrollieren lässt — wir waren
oft in diesem Fall — , mit einer bis ins einzelne gehenden wörtlichen Über-
einstimmung mit dem Original. Es ist doch kaum denkbar, dass ausser dem
Abt aus dessen Umgebung jemand anderer als sein Schreiber Zeit und Ge-
legenheit gefunden hätte, alle diese Dokumente in extenso abzuschreiben. Ein
dritter Punkt endlich macht es uns, wir dürfen wohl sagen, zur Gewissheit,
dass wir in dem Tagebuehschreiber Rudolf Sailer, dies ist der Name des fürst-
äbtischen Schreibers oder Kanzlers, vor uns haben ; die eigenartige, saubere
Schrift des Tagebuchs ist nämlich diejenige des Schreibers von Abt Kilian. Das
springt einem sofort in die Augen, wenn man z. B. das Missivenbuch Kilians
(St.-A. Bd. 101) mit diesem Tagebuch zusammenhält ; ja sogar die wenig deut-
liche, gelbgrünliche Tinte, wie sie für Rudolf Sailer charakteristisch ist, lässt
sich auch im Tagebuch meistens deutlich erkennen.
Über diesen Rudolf Sailer gibt uns wohl eine Quelle aus dem Stiftsarchiv
den besten Aufschluss. Es heisst da: ^) „Item uflp sant Othmars abent anno
XV^XXVI. so hat der hochwirdig fürst und her her Franciscus, abt des
gotzhus Sant Gallen, min gnediger her, Rüdolffen Sailer von Wil zu ainem
Substituten in siner gnaden kantzli zu Sant Gallen bestellt. . . . Doch so sol
er in der undern stuben in der hell mit dem hoffgsind an irem tisch essen. Und
gat das jar uf und an uff sant Othmars abent. Darmit so hat er den ayd thon
wie oblut."
Solche Substituten hatte der äbtische Kanzler zu gleicher Zeit mehrere.
Die Pflichten eines solchen waren:
„das er zu allen zyten früw und spat wol warten, auch den rat, hoff und
anderi gericht mit clag, antwurt und urthailen nach aller notturfft ordenlich
beschryben, desglychen sunst auch alles das, so im durch mynen gnedigen hern,
den statthallter und cantzler zu schryben bevolhen und furgeben würt, es sye
latin ald tütsch, fürderlichen vergken und machen, auch die brieff, so zu regi-
strieren not sind, registrieren etc., deßglychen alle bücher und schrifl'ten wol
') St.-A., Bd. 98, S, 196 b.
234
und dermassen versorgen, das kain verendern noch veraberwandlen geschehe,
weder dui'ch sich selbs noch ander. Er soll auch den rat und alles das, so in
gehaim und ratswyse gehandellt und geredt würt, sin lebenlang verschwigen,
auch alles das gellt, so im uff und umb die brieff geben wurt, dem statthallter oder
cantzler uberantwurten und allain in der cantzly, daran gelegen ist, schryben. ^)
Für diese Pflichten eines Substituten erhielt Rudolf Sailer seine Nahi-ung
vom Kloster und jedes Jahr zehn Gulden. ^) Sailer muss dann verhältnismässig
rasch zum eigentlichen Schreiber oder Kanzler des Abtes avanciert sein, im Ver-
gleich wenigstens zu seinem mutmasslichen Vorgänger Ulrich Bertz. Dieser war
1504 äbtischer Substitut und erst 1513 Kanzler geworden, während Sailer
schon nach drei Jahren (1529) diese Stelle bekleidete. Das Kanzleramt war
schon ein recht ansehnliches und bedeutete eine grosse Besserstellung gegenüber
dem Substituten. Schon finanziell; denn von Ulrich Bertz wissen wir, dass er
als Kanzler, abgesehen von zahlreichen Nebeneinnahmen, ^) jährlich 31 GL.
1 Saum Wein, 2 Malter Vesen und 20 Viertel Hafer bezog. *^) Er war der eigent-
liche Hofrats- und Hofgerichtssehreiber, dem die andern Schreiber als Gehilfen
zur Seite standen; sie erhielten von ihm Anweisung, was sie zu schreiben hatten.
Der Kanzler hatte auch für gute Aufbewahrung der Bücher und Urkunden zu
sorgen. °)
Eudolf Sailer ist spätestens 1533 gestorben, s) Er muss sein Tagebuch
kurz vor seinem Tode geschrieben haben oder sogleich, nachdem die Erlebnisse
sich zugetragen hatten. Letzteres war vielleicht für die ersten zwei Dritteile
1) Ibid.
2) Ibid.
^) Taggebühren, wenn man ihn auswärts brauchte, Ti-inkgelder etc.
') Doch gab es noch bedeutend einträglichere Stellen im äbtisclien Dienste.
So erhielt Ritter Ludwig von Helmsdorf, als er 1519 von Abt Franz zum Hof-
meister ernannt wurde, jährlich 80 gl. und einen Hofrock. Dazu kamen Ge-
richtsgehühren etc.
5) St.-A., Bd. 98, S. 167 a.
®) Abt Kilian hatte sich mit vorarlbergischen Edeln in einen für ihn
wenig angenehmen Handel verwickelt. Da er nicht wollte, dass der Streit
weiteren Kreisen bekannt würde, besorgte nur sein Kanzler Rudolf Sailer die
Schreibarbeiten. Ende Dezember 1532, dei Handel ist noch lange nicht zu
Ende, verschwindet nun plötzlich die Hand Sailers aus den äbtischen Akten-
stücken, die sich auf die genannte Affäre beziehen. Vor allem aber: in einem
Schreiben, das wir auf Mitte 1533 datieren müssen (St.-A., Bd. 304, S. 353), be-
richtet Abt Diethelm, der Nachfolger Kilians, einem Verwandten, er werde
wohl wissen, dass der äbtische Kanzleischreiber mit Tod abgegangen. Von
der Umgebung Diethelms sei dieser allein in die „Handlung'', es ist eben
jener bereits erwähnte Streit, eingeweiht gewesen.
235
des Buches der Fall. Die Schrift ist da oft flüchtig ; der Schreiber scheint
hastig die Feder geführt zu haben, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit.
Dagegen dürfen wir wohl für das letzte Drittel, das die gewöhnliche, regel-
mässige, sorgfältige Schrift aufweist, annehmen, dass es ohne viel Untei'brchung
niedergeschrieben wurde.
Ob Rudolf Sailer von plötzlicher Krankheit dahingeraft'te wurde V Wir
möchten es beinahe glauben. Als er 1526 Kanzleisubstitut wurde, war er doch
wohl noch nicht so bejahrt, dass er 1533 aus Altersschwäche gestorben wäre.
Gegen letzteres spricht auch ein zweites, wie es scheint, von ihm nur begonnenes
Tagebuch von Abt Diethelm. in welchem er neben der Erwählung des Prälaten
und dessen Bestätigung durch den Kaiser, auch schildern wollte, was , der nüw
erweit her allenthalber gehandlet hat und im widerfaren, begegnet und zu-
gstanden ist". Doch kam er nur bis zu dem Momente, wo dem Abt der „bricht"
zukommt, d. h. der zweite Kappeier Landfriede. Natürlich ist es auch möglich,
dass der folgende Teil verloren gegangen ist, wie wir auch für das Tagebuch,
dessen Inhalt sich mit Kilian beschäftigt, vielleicht den ersten Teil nicht mehr
besitzen; denn ohne irgendwelche orientierenden Bemerkungen werden wir da
mit den ersten Worten des Buchs mitten in die Ereignisse hinein nach Über-
lingen versetzt, indem der Schreiber mit einem für den Anfang eines Buchs
wenig passenden „Item" anfängt.^) Beim Tagebuch Abt Diethelms haben wir
dagegen auf dem ersten Blatt einen ordentlichen Titel, was durchaus der säuber-
lichen Schreibmanier Sailers entspricht.
Dieser zeigt sich uns in seinen Tagebüchern als eine sympathische Figur.
Der Ton in welchem er berichtet, ist ein treuherziger, der uns zu fesseln ver-
mag. Oft allerdings erzählt er mit grosser Weitschweifigkeit, und seine hübsche
Darstellung wird auch durch die eingestreuten, oft sehr langen Aktenstücke
beeinträchtigt, ist aber, wenn man auch den Katholiken und Anhänger des
Abtes gleich herausfühlt, für die damalige Zeit erstaunlich objektiv gehalten,
trotzdem man aus dem Gebotenen gut heraus merken kann, dass der Schreiber
auch mitfühlte, was er erzählte. Auffallend ruhig für jene Zeit wird über die
Gegner gesprochen, so vor allem über die Zürcher, trotzdem Sailer als treuer
äbtischer Beamter und Katholik wohl Grund genug gehabt hätte, über sie los-
zuziehen. Nichts von alldem ; selbst da, wo er von dem Gefecht bei Kappel spricht,
vermag er zu schreiben: Die V Orte „habint inen [den Zürchern] by zway thu-
sent mannen erschlagen, der letsten und fürnemisten kriegslüten, darunter dann
nämlich der Zwingli mit fünfzehn predicanten, ouch der appt von Capjjel,
der von Geroltsegg und ander irs glichen gwesen und pliben syen. Der
>) Siehe Abschnitt 11, Kap. 3, S. 1.30.
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allmechtig Gott welle ir seien allen begnaden."^) Diese milde Ge-
sinnung Sailers ist umsomelir anzuerkennen, als er wohl manchmal bei seinen
Missionen in Gefahr geschwebt hatte, seinen reformierten Feinden, vor allem
den Zürchern, in die Hände zu fallen, und da nichts Gutes zu erwarten hatte.
Doch macht das Tagebuch den Eindruck, als ob der Verfasser wohl er-
wogen habe, was er niederschreiben wollte, und namentlich alles vermieden
habe, was seinen Herrn hätte diskreditieren können. So verschweigt er unter
anderm einen Handel, den Kilian und sein Nachfolger mit vorarlbergischen
Edeln hatten, ") obwohl Sailer die Angelegenheit genau kannte, um die Äbte
nicht blosszustellen. Dass er unter Umständen um eine Notlüge nicht verlegen
war, haben wir bei Besprechung des Augsburger Reichstages gesehen. Wohl
um das Ansehen seines Buches zu heben, hat er zahlreiche Aktenstücke darin
aufgenommen. Dies letztere und die ruhige, meist recht unparteiisch erschei-
nende Art, mit der Sailer erzählt, lassen uns vermuten, dass das Tagebuch
vielleicht aus Auftrag des Abtes verfasst wurde. Wir haben dem Buch darum
den Titel eines „offiziellen Tagebuchs Rudolf Sailers " gegeben. •'')
Im gleichen Bande der St. Galler Mitteilungen, in welchem unsere Arbeit
erscheint, wird der St. Galler Stiftsarchivar J. Müller die Sailerschen Tagebücher
herausgeben. Wir haben darum auf die wörtliche Wiedergabe grösserer Partien
des Tagebuches, das von Abt Kilian handelt, verzichtet.
1) Tagebuch Abt Diethelra, Fol. 304.
^) Es ist derselbe Streitbandel, von dem S. 234, Aniii. 6 die Rede war.
^) Es wäre aber auch denkbar, dass die beiden Tagebücher uns vollständig
erhalten sind; dass Sailer den Auftrag gehabt liätte, einen offiziellen Bericht
niederzuschreiben über den Aufenthalt der Äbte im Exil und dabei nament-
lich Kilian durch eine objektiv erscheinende Darstellung von dessen Leben
und Tätigkeit im Ausland zu verteidigen. Es Avurde dem Abt nämlich von
reJormierter Seite offen vorgeworfen, er habe während seines Aufenthalts in
Süddeutschland verräterische Verbindungen gegen die Schweiz angeknüpft.
Auf solche Weise wäre dann auch der Abschluss des zweiten Tagebuchs, das
von Abt Diethelm handelt, mit dem II. Kappeier Landfrieden völlig gerecht-
fertigt. Immerhin würde uns dann für das Tagebuch aus der Zeit Abt Kilian s
ein Titel fehlen und derjenige des II. Tagebuchs wäre nicht recht verständlich.
Beilage VII.
Authentischer Bericht über den Einzug Karls V. in Augsburg.
Kilians Kämmerer, der selbst Augenzeuge gewesen, erzählt:
„ das kay(serliche) m(ajesta(t) ufFmitwuchen hütt acht tag verschinen, sampt
ettlichen cardhaälen, ouch andern namhafftigen fürsten und herren und sinem
raisigen zügund kriegsvolck, gantz überus costlich und wolgerust, zuOugsiJurg
ingritten sige, nemlich umb die achtenden stund nach mittag, und sigen im die
von Ougspurg mit xviij'-' mannen ze fuß, überus wol beklaidt, ze gantzem
hanaasch verfast, entgegen gangen sampt zway hundert raisigen, ouch irer bürge r
gantz schön und wol gerüst, darunder dann ettlieh küriser gewesen, und sige
also fürtrelFenlich hoch und erlich empfangen, hab sich ouch vom ainen bis zu
der nünden stund gegen der nacht verzogen, ee er gar ingritten sige. Im sind
ouch alle hertzogen, fürsten, grafen und ander groß herren, zu Ougspurg ge-
legen, entgegen gritten und ab iren pferden gstigen, do si zu kayserlicher
m(ajesta)t komen sigen etc. Und wie also kay(serliche) m(ajesta)t under ainem
guldineu himmel in statt gfürt worden und er abgstanden, ist er anfenklichen
und des ersten in die kirchen gangen, da sin pett in langer wyl vollendet, dem-
nach glich ze stund desselben abents alle fürsten und herren berüifen lassen,
inen angezaigt, sin m(ajesta)t wei'de uff mornendtz, dornstags, unsers hergots
tag, ain crützgang christenlichem bruch nach erstatten und darumb, welchen
im den helffen vollenden wellint, die mögints thün. Und also, wie semlicher
crützgang beschechen, sigen all fürsten und herren, ußgnomen hertzog Hans
von Sachsen, landtgraf von Hessen und sunst ain marggraf, erschinen und
mit der procession gangen. Also hab kung Ferdinand und noch ain marg-
graff den bischoff von Ougspurg, der dann das hochwirdig sacrament getragen,
under sinen armen gefürt, und sig kay(serliche) m(ajesta)t allernechst dem
sacrament nachgangen und ain zimliche kertze von wissem wachs in guter grosse
bräunende in siner band getragen und glicher gestalt all nachgend fürsten und
herren, und sig schönere und erlichere procession nie erhördt worden etc. Und
wie kayserlich majestat wellen den imbis niessen, hab die züvoran durch ire
trometer in gantzer statt Ougspurg bi verlierung lybs und lebens und siner
ungnad gepieten lassen, das niemandtz dehain predicanten, der lutersch sig.
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ufstellen noch predigen lassen solle. Und aber, wie ouch kay(serlich) m(ajesta)t
hertzogHannsen von Saxs und ander Fürsten, im anheugig und im luter sehen
glouben glicbformig, sampt andern fürsten des abents, als hie vor stat, zu siner
m(ajesta)t beschickt und sy des crützgangs halber ankomen, haben dieselbigen
luterschen fürsten siner m(ajesta)t geantwort, si wellint gott und dem kayser
thun, was sy schuldig syen, mit mer worten etc. Also mornendtz hats der kayser
widerumb für in berüfft, und band im müssen diser ir antwurt in gschriflft geben
etc., und wie uns der kämerling sagt und er ouch gehördt hat, wil kay(serliche)
raa(yesta)t underston, den alten glouben zu erhalten oder sin cron daran zu
binden; sagt ouch, das er ernstlich und mit aller tapfferkait anheb und handle,
und trösten sich all alten cristen siner zükunift wol ; dann er endtlichs für-
nemens sig, ain nüwe reformation zu machen, ouch allen gaistlichen und welt-
lichen zu dem iren zu verhelffen und ain ainigkait des gloubens halber zu
machen, es bescheche dann mit dem schwert ald sunst güttlich."
(Stiftsarckiv St. Gallen, Bd. 307, S. 314—316.)
Inhaltsübersicht.
Seite
Einleitung V
Verzeichnis der Abkürzungen VIII
I. Abschnitt: Stadt und Abtei St. Gallen unter dem Einfluss der Refor-
mation bis zum Tode des Abtes Franz Geissberg. Vorgeschichte 1
1. Kapitel: Die Einführung der Reformation in der Stadt St. Gallen 11
2. Kapitel : Die Reformation im St. Gallischen Fürstenlande bis
zum Antritt Abt Kilians 64
3. Kapitel: Die Reformation im Toggenburg bis Anfang 1529 . . 77
IL Abschnitt: Abt Kilian.
1. Kapitel: Die Vorgänge bis zum Ausbruch des ersten Kappeler-
krieges 91
2. Kapitel: Der erste Kappelerkrieg 112
3. Kapitel: Abt Kilian und die Eidgenossen 121
4. Kapitel: Abt Kilian auf dem Augsburger Reichstage .... 147
III. Abschnitt : Abtei und Stadt St. Gallen nach dfem ersten Kappelerkrieg
bis zum Tode Abt Kilians.
1. Kapitel: Die Emanzipation des Fürstenlandes von der Abtei.
A. Die Verhandlungen über die Aufrichtung einer neuen Ver-
fassung bis Ende 1529 159
B. Der Wiler Auflauf 169
C. Abschluss der Verfassung für die fürstäbtische Landschaft 178
2. Kapitel : Das Toggenburg nach dem ersten Landfrieden . . . 188
3. Kapitel : Der Klosterkauf 192
Nachwort 208
Beilagen 211
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REGIONAL LIBRARY FACIUTV
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