Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at |http: //books. google .com/l
Ej Xtbris
F. SEEBOHM.
TTS^Sy
l- 'J.I
D i e
Territorien
in Bezug
auf
ilire BildoDg ond ihre EntwickloDg.
Von
O'* Cfeorgp üandaa.
Hambors und Gotha
bei Friedrich und Andreas Perthes.
1854.
s
Vorwort.
Nur um dea Weg anzudeuten , welchen ich bei meinen Un-
tersuchungen eingeschlagen habe, werde ich meinem Buche
einige Worte vorausschicken.
Die nächste Anregung zu den nachfolgenden Ausfüh-
rungen wurde mir durch Untersuchungen gegeben, welche
ich über die territorialen Verhältnisse meines engern Vater-
landes vorgenommen hatte. Ich fand hierbei mehrfach eine
Uehereinstimmung zwischen dem Ehemals und dem Jetzt, wel-
che mich überraschte und die mich anspornte weiter zu gehen.
Zu diesem Zwecke schritt ich auch anderwärts zu ähnlichen
Versuchen und auch hier stiess ich immer wieder auf die-
selbe Thatsache. So befestigte mehr und mehr sich in
mir die Ueberzeugung, dass in Bezug auf diese Verhält-
nisse nicht von Willkür die Rede sein könne, vielmehr ein
organisches auf bestimmten Gesetzen beruhendes Leben vor-
handen sein müsse« Dieses Leben zu erkennen und die dem-
selben zu Grunde liegenden Gesetze aufzufinden, stellte ich
mir nun zur Aufgabe. Dass ich auf dem bisher betretenen
Wege, wo man die Vergangenheit als abgeschlossen be-
trachtete und sich lediglich an die nur spärlich uns erhalte-
nen Trümmer der Vorzeit hielt, dass ich auf diesem Wege '
mein Ziel erreichen würde, durfte ich nicht hoffen. Jener
sich zeigende Zusammenhang zwischen Gegenwart und Ver-
gangenheit wies vielmehr auT den entgegengesetzten Weg.
Ich musste, das wurde mir immer klarer, von dem noch
heute Bestehenden, also vom Bekannten, ausgehen; idbi
musste gewissermassen stromaufwärts wandern , gleich einem
Reisenden, der die unbekannten Quellen eines Flusses aufzu-
suchen beabsichtigt. Dieses ist der Weg , welchen ich ver-
IV
folgt, und ich glaube, dass ich auf demselben mein Ziel
keineswegs verfehlt habe. Was zu Gunsten dieser meiner
Ueberzeugung spricht, ist die Einfachheit der gewonne-
nen Resultate, so^yie die AUgeroeingüItigkeit und die Fort-
dauer der nachgewiesenen Gesetze.
Mein Weg war indessen keineswegs ein ebener. Gar
oft war derselbe zerrissen , und nur die feste Ueberzeugung,
dass seine Fortsetzung sich finden müsse, Hess mich aus-
harren. Ueberhaupt waren viele Schwierigkeiten zu über-
winden und meine Arbeit ist darum auch nur sehr laugsam
fortgeschritten; es sind Jahre darüber hingegangen. Manche
Funkte mögen noch einer weitern Ausführung fähig und hin
und wieder auch noch schlagendere Belege beizubringen
sein; ich gebe das gern zu; aber ich fühlte dringend die
Mothwendigkeit eines Abschlusses. Es genügt mir vorerst
einen neuen Anstoss gegeben zu haben.
Meine Untersuchungen haben sich über die alten Ver-
fassungs- Zustände nur so weit erstreckt, als dieselben mit
dem Grunde und Boden zusammenhingen. Es schien mir
diese Beschränkung um so mehr geboten, als gerade die
Territorial -'Verhältnisse den Unterbau des Ganzen bilden,
die eigentliche Grundlage , auf welcher das gesammte Volks-
leben ruht.
Ich bin fern von dem Glauben, in den Ergebnissen
meiner Untersuchungen immer das Richtige getroffen , immer
den wahren 'Sachverhalt gefunden zu haben. Das Gebiet
ist zu gross und zu vielgestaltig , als dass ich das annehmen
dürfte. Eben darum bitte ich aber auch alle Sachkundigen
dringend meine für die Geschichte gewiss nicht unwichtigen
Untersuchungen einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen.
Jede Belehrung, jede Berichtigung oder Vervollständigung
werde ich mit aufrichtigem Danke willkommen heissen.
Kassel, im Oktober.
D^ep Verfasser.
Inhalts-Verzeichoiss.
Seit«.
Erstes Buch. Die Bildung und Entwicklung der welt-
lichen Territorien.
Erster Abschnitt. Die Flurverfassung 1
1. Die Hufen 4
1. Im Allgemeinen 4
2. Die Bestandtheile der Hufe 12
3. Die verschietlenen Arten von Hufen * 15
Erste Hufengattiing • 16
Zweite Hufen^attung (Königshufe, {farschhufe, Hagen-
hufe, Waldhufe u. s. w.) 20
Dritte Hufengattung 31
Vierte Hufengattung • . 32
Fünfte HufengattuDg 38
4. Namen der Hufen und der einzelnen Grundstücke 39
5. Die bäuerlichen Besitzverhältnisse * 40
6. Die Ackermasse • 43
7. Ueber das etwa höhere Alter einer oder der andern
Hufenart, sowie über die etwa nationale Bedeutung der
Hufenform 50
8. Der Ackerbau 52
9. Die Feldgemeinschaft 62
10. Die Anlage des Dorfes 73
1 1. Nichtdeutsche Feldfluren • 78
Die Feldflur in Dänemark 78
Die Feldflur in Schweden 82
Die Feldflur in England-^ 82
Die französische Feldflur 89
Die slavische Feldflur 92
Die römische Feldflur 95
12. Rückblick und Schluss 07
VI
Seite.
Zweiter Abschnitt. Die Hofverfassung 103
Dritter Abschnitt. Die Marken.
1. Die Mark in ihrer Bedeutung , ihrer Bildung , und ihrer
Entwickhing 111
Die Mark Heppenheim 121
Die Mark von Fulda 137
2. Die GrSnzbildung der Marken 1dl
3. Der Ausbau der Mark im Einzeln 153
4. Das Gemeingut • 163
Vierter Abschnitt. Die Theilung des Volkes in Stämme.
1. Die Gliederung in Stämme 187
Der Westergau 196
2. Die Bedeutung der Zahlnamen 222
3. Die nationalen Mittelpunkte 226
4. Der Einfluss der Völkerwanderung auf die Volksgebiete 240
5. Die Germanen hatten keine Städte 259
6. Di^ Gesammtburgschaft 295
Fünfter Abschnitt. Die Vorstände des Volkes '299
Bezeichnungen 299
Des Volkes Herzog ' 309
Gefolge '. 310
Königthum ••• 312
Der königliche Herzog 324
Die Nobilität 331
Sechster Abschnitt. Die Auflösung der Gauverbände 344
Zweites Buch. Die Bildung und Entwicklung der kirch-
lichen Territorien • • • • 357
Druckfehler.
In Folge des entfernten Druckortes, der dem Verfasser nur eine
Durchsicht gestattete, haben sich hin und wieder Druckfehler eingeschlichen.
Die, welche bemerkt worden, sind folgende:
Seile 9 Zeile 3 Ton oben lies zahlten statt zahlen.
18 - 22 - - - ostTriesischen statt weslfriesischen.
- 21 - 5 - unten - sei statt seien.
- 22 - 3 * oben -^ über weist statt äberwi ess.
- 26 - 19 - - - bliebe statt bleibe.
- 28 - 8 - nnten - weist statt w e i s s t.
- 29 - 7 * oben - und in mehreren fnldischen Dörfern.
- 86 - 2 - unten - an der Mosel.
51- - 22 - oben streiche altern irende.
- 54 - 13 - - lies gebräuchliche statt gehrftuchli che.
59- 12- - - Das eioe ist das Pflügen.
- 65 - 2 - unten - waren statt sind.
67 - 19 - oben - mössten statt mQssen.
67 - 22 - - -ist statt war.
- 74 - 4 - unten - Beginne statt Beginge.
- 82 - 5 - - - terra Iributaria statt tributarii.
- 89 - 1 - - streiche u n d n. setze statt dessen ein Komma.
- 110 -. 18 - oben lies Estbland statt Ehstland.
- 137 - 10 - - - Michelingstat statt Michelingotat.
- 170 - 9 - - - Montjoie statt Mo ntjoe.
- 177 - 1 - unten - Estbland statt Ehstland.
- J89 - 7 - - - Genilivform statt Genetivform.
- 205 - 4 - oben - Uuesterun statt Unesterun.
- 223 - 5 - - - Hebräer statt HeberAer.
- 251 - 10 - nnten - Kompagnien statt Kompagnie«
- 258 - 2 - oben - die statt der.
- 263 - 15- - -Boppard statt Boppord.
- 271 - 1 - - streiche schon.
- 280 - 5 - unten in der Note 10 lies aliisqne statt alliisqna.
- 290 - 18 - oben - die statt sie.
- 311 - 14 - - - juventute statt juventate.
- 842 - 16 - unten - einen statt ein.
- 354 - 8 - oben - den statt der.
- 858 - 9 - - - Itzehoe statt Ilzhoc.
- 881 - 21 - - - dass statt das.
- 889 - 3 * nnten - wenn statt wem.
Erstes BacL
Die BiIduDg und Entwicklung der weltliclien Territorien.
Landau. Territorien. 1
•».
Erster Abschnitt
Die Flurverfassnng.
h.ve nachdem die einzelnen Wohnsitze dem Auge sich- darbieten , ob
in Gassen oder Gruppen zusammengestellt, oder vereinzelt und zer-
streut, pflegt man von zwei verschiedenen Arten des Anbaues, von
einem Dorfbaue und einem Hof baue zu reden. So thatsächlich
diese Verschiedenheit auch zu sein scheint , so beruht sie doch mehr
auf Täuschung, denn auf Wirklichkeit; sie stützt sich lediglich auf
die äussere Erscheinung, diese aber ist in keiner Weise ausreichend,
um zur Feststellung des in der That vorhandenen Unterschieds des
Anbaues dienen zu können. Um diese, wie gesagt, wirklich vor-
handene und ihrem innersten Wesen nach charakteristische Verschie-
denheit zu ermitteln, bedarf es vielmehr einer nähern Betrachtung;
man muss von dem Hofe absehen, und auf den Grund und Boden,
nämlich auf die Ordnung und Gestaltung der Feldflur und die Glie-
derung der Bestandtheile derselben den Blick richten.
Ungeachtet in der Kenntniss der Fiurverfassung der Schlüssel
zum Verständniss manichfaltiger Zustände der älteren Volksverfassung
liegt, so ist bisher doch nur wenig zu deren Erhellung gesche-
hen und ich glaube darum auch wohl keine besondere Rechtfertigung
nöthig zu haben , wenn ich auf diesen Gegenstand tiefer eingehe,
als es an und für sich für meinen Zweck geradezu erforderlich
scheinen könnte.
Der JDharakter einer Feldflur spricht sich in der Art und Weise
der Flurauflheilung aus, oder mit andern Worten: das Unter-
scheidende der Fluren ist lediglich in derBildung der Hufen zu
finden.
1 ♦
\. Die nufeD.
1) Im Allgemeinen.
Das Wort Hufe bezeichnet ein landwirtbschaftliches Gut, wel-
ches mit einem Pfluge bestellt werden kann und demnach der
Arbeitskraft einer Familie entspricht.
Die älteste bekannte deutsche Form dieses Wortes ist Huoba,
Huba, Hovau. s. w. Noch gegenwärtig spricht das Volk nicht
Hufe, sondern Hube und unser heutiges Hof (im Volksmunde
Hob) ist dasselbe Wort, welches nur im Verlaufe der Zeit einen all-
gemeinern Begriff erhalten hat, wonach es nicht mehr, wie früher,
blos ein bestimmtes Mass von Land u. s. w. , sondern die Gesammt-
heit eines Landguts mit alleh Zubehorungen bezeichnet.
In Deutschland, auf welches ich mich vorerst beschränke, be-
diente man sich im Lateinischen für Hufe, unter wechselnder Form,
der Worte mansus , bald mit der Biegung der zweiten , bald der vier-
ten Deklination, mansa, mansum und mansis.
Dennoch ist, wenigstens in älterer Zeit, Hufe und Mansus
nicht immer dasselbe; beide Worte werden vielmehr häufig neben
einander und sich sogar gegenüber gestellt, und es ist deshalb nö-
thig, ehe ich weiter gehe, den Unterschied zwischen Mansus und
Hufe festzustellen, und zwar um so mehr, als die bisher darüber
gegebenen Erklärungen für die Bedeutung dieser Bezeichnungen in
jeder Hinsicht ungenügend sind ^). Dass an dieser Frage sich so
Viele versucht haben, ohne eine befriedigende Antwort zu finden,
hat wohl vorzüglich darin seinen Grund , dass den meisten ein klarer
Begriflf von dem Wesen der Hufe mangelte. Denn an und für sich
liegt, wie man sehen wird, die Antwort nahe.
Bald findet man den Mansus und als dessen Zubehör die Hufe*),
1) Statt vieler anderer Belege hierfür, verweise ich nur auf die künstliche Er-
klärung, welche der nunmehr verstorbene Staatsrath Dr. Knapp zu Darmstadt in
der Zeitschrift des * dortigen historischen Vereins IT. S. 368 ff. versucht hat , wo
man zugleich eine Zosammenstellung der verschiedeuen Meinungen der Gelehrten
findet.
2) VIII. Mansos et hobas ad ipsos pertinentes (Cod. Trad. Lauresham. Nr.
2 14) ; mansum l in Suabeheim cum hoba et vineis et terris , campis etc. (ibid.
Nr. 434) ; 1 mansum et 1 hobam ad ipsum mansum pertinentem (ibid. Nr. 436) ;
t mansum cum hoba et quidquid ad ipsam hobam pertinere videtur(ibid. Nr. 437);
mansos II. cum hobis et quidquid ad ipsos mansos pertioet (ibid. Nr. 438}^ man-
und bald auch die Hufe als HaupUheil und den Mansus nur als
Zubehör derselben ^).
So wenig diese wechselnden Erscheinungen zu einem Verständ-
nisse auch darbieten, so ist. doch mindestens so viel daraus zu er-
keonen, dass beide Bezeichnungen zwei verschiedenen Dingen an-
gehören.
Mehr Sicherheit geben sch->n diejenigen Stellen, welche Man-
sus und Hufe neben einander, und jenen danh ausdi*ficklich
als Wohnstätte bezeichnen *) , obwohl auch die Hufe zuweilen als die
Wohnstätte genannt wird'). Letzteres findet sich jedoch seltener,
jenes dagegen als Regel. Ja, es wird häufig nur der Mansus und
zwar ausdrücklich als Woftnstätte und ohne die Hufe genannt, wel-
che in diesem Falle dann gewöhnlich umschrieben wird *) , und selbst
nicht wenige Urkunden geben noch einzeln die Bestandlhqile des
Mansus an'). Auch sind es nicht bloss Gebäude, welche innerhalb
■
i_ —
snm unnm cum hoba sua et daas vineas et qnicqnid ad ipsum mansum pertinet
(ibid. Nr. 1246).
1) III. Hobas cum mansis, campis, pratis etc. (ibid. Nr. 630); quinque
hubas et quidquid ad ipsas pertinet, exceptis mancipiis, aliud totam tarn man-
sis, campis, perviis; silvis, aquis, domibus, aedificiis omnia et ex omnibut
(ibid. Nr. 1148); II. hubas et quidquid ad ipsas pertinere videtur in mansis
terris, campis, pascuis, silvis et II. mancipia (ibid. Nr. 1361); huba una cum
manso et silva et prata (ibid. Nr. 3680).
2) Unum mansum cum curia et aedificio et hubam unam et vineas et prata
(ibid. Nr. 952); unum maiisum et ecciesiam cum ipso manso, super quem aedi-
ficata est et de pomiferis terliam p^rtem et hubam unam et quidquid ad ipsam
pertinet et qnatuor mancipia et de manso indominicato ad aediflcandum domum
et aream construendam et hortum faciendum (ibid. No. 3721) ; 1 hobam , in qua
Erlebaldus mauere videtur cum aedificio in ipso manso posito (ibid. Ni^ 437) ;
l servum — et conjug^em eins — cum infantibus iilorum et ipsam hobam in qua
ipsi manent , cum omnibus — mansis , campis , pratis etc. (ibid. Nr. 088) ; in
Tiila Eggistat capellam unam cum huba sua, in qua extructa est (Kindlinger, Gesch.
der Hörigkeit S. 219).
3) mansum unum cum huba et hominem , qui in ipsa manet, cum omni
peculiari suo (Cod. Tr. Lauresh. Nr. 3724).
4) mansum ad commanendum cum campis, pratis, pascuis aquarumque decar-
sibusad ipso manso aspiciente (Zeuss, Tradit. Wizenburgenses 1. c. Nr. 150); man-
sum cum casa desuper et curia et campis et pratis (Tr. Lauresh No. 1 186) ; illum
mansum, cui supersedere videmur, cum casa superposita et saepibus, terris,
pascniat perviis , silvis, aquis, aquarumque decursibus (ibid. Nr. 664).
5) mansum unum et illam basilicam et casam, quae desuper posita est et
terram , quae adtingit ad mansum , et servum unum cum uxore et fiiio (ibid. Nr-
07); 1 mansum cum casa et scuria et pomario et vineas et terram aratoriam
et prata (ibid. Nr. 225) ; unum mansum et in ipso 1 curtim et scuriam desuper
«
des Mansus liegen, d^delbe umschliesst auch Weinberge^, Gär*
len*) und Mühlen'), und ebenso werden auch Mausen ganz in Wein-
berge verwandelt^). Ueberhaupt sieht man viele Mansen, deren
zugehörige Länderei so gering ist , das» von einer Hufe gar nicht die
Rede sein kann; oft ist es nur ein Weinberg'), oder es sind nur
wenige Aecker*), welche dazu gehören.
Endlich kommt auch noch das hierbei hi Betracht, dass der
Mansus sich nicht allein in Dörfern, sondern auch in den Städten
findet'), und dass häufig die Länge und Breite des Mansus nach
Ruthen und Füssen angegeben wird'). Fasstman endlich auch noch
eum pomario et alios mansos III. in qnibus gervi mei manent (ibid. Nr. 496) ;
de terra arataria iurnales XXI. et de prata carradas IUI. et manso I. , ubl ser-
vns casam et scariam vel hortum stabil ire potest (Zeuss. 1. c. Nr. 83).
1) Unum mansnm cum omni aedificio superposito etvineam in ipso
' manso et XIIII. jumales de terra aratoria et mancipia (Tr. Lanresh. Nr. 443) ;
nnnm mansum — cum omni aedificio suo et Ivineam in eodem manso et
aliam dimidiam iuxta eam (ibid. Nr. 692) ; 1 mansam cum omni aedificio super-
posito et IUI. jurnal. de terra et 1 vineam super ipsum mansum (ibid.
Nr. 846) ; unum mansum cum omni aedificio superposito et vineam in ipso
manso et XIIII. jumales de terra aratoria et mancipia (ibid. Nr. 443).
2) 1 Mansum cum omni aedificio superposito et pomario vel quidquid in
eodem manso constructum est (ibid. Nr, 444) ; hoc est XLV. jumales de terra et
uno manso et prata et mancipia VII. et jam dictum mansum cum exitu
et regressu suo cumarboribus et omne superpositum cum omnibus adjacen-
tüs earum (ibid. Nr. 1091).
3) Unum mansum cum casa et molendino, vineamque I. (ibid. Nr. 418);
illum mansum cum molendino et cum padella ad braciare (ibid. Nr. 216).
^ n mansoS) quorum unus in vineam redactus, alter inhabitatar
(ibid. Nr, 707),
5) Mansum, übi tres homines mauere possunt, et anam vineam (ibid. Nr. 1094) ;
unum mansum cum omni aedifi6io et unam vineam, quae iacet iuxta mansum
et unum servum — qui in ipso manso conmanet (ibid. Nr. 983).
6) 5 Morgen (ibid. Nr. 3704), 4 Morgen (ibid. Nr. 3759).
7) Unum mansum cum casa in civitate Moguntia (ibid. Nr. 19877; unum
mansum in civitate Moguntia, cum casa et aedificio superposito et VIII. man-
cipia (ibid. Nr. 1989); unum mansum in civitate Moguntia cum omni aedificio
superposito et XXV. jumenta (ibid. Nr. 1991) : in civitate Wormacia
mansum I. , cui subjungitur de 1 latere strata , de alio tenet Lingulfus etc. (ibid.
Nr. 819) ; 1 mansum in — civitate Wormacia cum casa et scuria (ibid. Nr. 820) ;
alium mansum infra civitatem Wormaciam situm (ibid. Nr. 821).
8) Unum mansum tenentem in longitudine pedes XXXV. ei in iatitudiue
XXIV. ei casam unam (ibid. Nr. 1347).
V
diejenigen Urkunden ln*s Auge, in welchen beide, der Mansus und
die Hufe, im Einzelnen näher beschrieben werden, wo namentlich
der Mansus in Verbindung, mit den Gebäuden und zwar als die
Stätte derselben, die Hufe aber ausdrücklich nur als der mit dieser
Stfttte verknüpfte Grundbesitz an I^and , Wiesen u. s. w. bezeichnet
wird'), so kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, was man un-
ter Mansus zu verstehen hat : es ist der für die Wirthschaftsgebäude
bestimmte Raum, die Hofreithe mit ihrem ganzen unmittelbaren Zu-
behör, kurz es ist die Stätte des Wohnens. Damit stimmt dann
auch der etymologische Begriff des Wortes Mansus überein ; es heisst
im Mittellatein einfach die Hausstätte, gleichwie das häufig vor-
kommende Verbum manere: wohnen*), statt dessen zuweilen auch
supersedere gebraucht wird*). Ebendeshalb werden auch die Ein-
sassen des Mansus — Manentes genannt^), und selbst auch der
Mansus erhält diese Bezeichnung, was vorzüglich In angelsächsi-
schen Urkunden zahlreich vorkommt. Ja statt Mansus wird auch
Mansio gesagt') oder auch wohl durch Mansus die Wohnung selbst,
1) Ecclesiam I. cum manso et aediflcio, quae constracta est in honore S.
Mariae, et alios mansos VI. et hiibas VII. de terra aratoria etc. (ibid. Nr. 3156);
de terra araturia jurnales XXI. et de prata carradas III. et manso I. , ubi servus
casam et scuriam yel ortam Stabilire potest et vineam I. , ubi carrada potest col-
ligire de vino (Zeuss. 1. c. Nr. 83) ; mansum indominicatum cum aediflciis vesti-
tum et in ipso est una vinea et ad ipsum mansum dominicum pertinet de terra
arabili iurnales XXXVI. et serviles mansos duos, ad unum pertinent iümales
XXIIII. et uua vinea, ad alterum pertinent iurnales XX. et insuper ad opus do-
minicum vineas IUI. (Cod. Tr. Lauresh. Nr. 1077) ; unum mansum et ecdesiam
cum ipso manso super quem aediücata est et — hubam unam — ^ de manso
indomiuicato ad aedificandum domum et aream construendam et hortum facien-
dum (ibid. Nr. 3721).
2) Unum servum — qui in ipso manso commanet (ibid. Nr. 963) ; mansum,
ubi tres homines manere possnnt (ibid. Nr. 1094); mansos III. in quibus servi
mei manent (ibid. Nr. 496); schon 671: hoc est, mansos dominicos, ubi ipsa
Audeliana m a n s i t (Pardessus, Diplomata etc. ad res Gallo • Francicas spectantia.
II. p. 155). Eben in demselben Sinne liest man in einem Briefe des nennteu
Jahrhunderts : et sie mansit ibi (Würdtwein , Epist. S. Bonifacii p. 334).
3) Eheleute übergeben „Ulum mansum cui supersedere videmur" (C. Tr. Lau-
resh. Nr. 664). ajjk
4) Septem mansis, totidemque manentibus (Helmoldi Historiarum liber L. I.
c. 10). S. weiter Henschel , Glossar. IV. 225 etc.
5) Maus(i)ones duas . . . cum terris, silvis etc. (Dronke, Cod. dipl. Fuld.
Nr. 24).
8
nämlich das Wohnhaus im engsten Sinne, bezeichnet^), und in der-
selben Bedeutung zuweilen auch casatus*) angewendet. Oft belegte
man mit diesen beiden oder ähnlichen Bezeichnungen auch das ge-
sammle Gut, nämlich Hufe und Hofstatt*).
Doch genug I Die Hufe ist das Land mit Wiesen u.'s. w., der
Man SU s der Hofraum mit Wohnhaus , Stallung ,^ Scheune und Hofgar-
ten u. s.w., auch ohnejLand, selbst die Hausstätte in der Strasse der
Stadt.
, Es werden sich jetzt auch die verschiedenen Bezeichnungen ohne
Schwierigkeit erklären, womit man die Hufe belegte, um ihren äus-
sern Zustand näher zu bezeichnen.
Wenn eine Hufe das am Orte eingeführte volle Landmass hatte,
nämlich wenn sie die volle Zahl von Morgen enthielt, welche für
eine Hufe als Norm galt, so war sie eine volle oder ganze Hufe,
eine huba plena, wo das aber nicht der Fall war, und sie nur
einen Theil einer Hufe bildete, war sie eine huba non plena*).
Die mit einem bewohnten Hofe versehene Hufe wurde eine
huba vestita, huba possessa, huba integra u. s. w. ge-
nannt.
Fehlten Hufen die Gebäude, was wohl meist eine Folge von
Zerstörungen war , so nannte man sie wüste oder nicht besetzte
Hufen'). In den älteren lateinischen Urkunden heisst eine solche
unbesetzte Hufe bald curtis desolata'), huba deserla''), curtis de-
1) Unam analem cum duobns mansis, id est cum duabus casis (Dronke
1. c. Nr. 94).
2) Casatum unum cum hoba sua (Neugart, Cod. dipl. Alleman. p. 71).
3) LX. mansionalia, quae et curtilia vocitanlur (Gudenus, Cod. dipl. III.
p. 1036) ; 1303 ; manerium (ibid. III. p. 805) ; 1202 : mensurna nostra , quae
dicitur de Lampertheim (Würdtwein , nova subs. dipl. X. p. 202).
4) Haec sunt hobae et tertia non plena (Meichelbeck , Histor. Freising. I.
Nr. 1054.) ^
5) III. Buvhowe, der synt II. beseth, de drudde vnbesetz (Yörder Register.
Herausgegeben von v. Hodenberg S. 72).
6) AdWalahese est curt. dom. a pag:ai^flfe|esolata, ad illam pertinent
de terra salica huobe II. , prata ad carr. LX. , wBlnd. I. , basilica cum decima
et ad illam pertinet jiuoba 1. (Zeuss. 1. c. p. 297).
7) De hiis locis atque alüs omnibus, que infra pago sunt, sunt huobe pos-
sesse non plenius sed ex parte XXVIII, de singulis solvitur etc. etc., — huobe
desertesunt XCVL et plures (ibid. I. c. p. 298),
serla*), mansus absus*), oder mansi non possessi*). Von vielen
diesen Hufen fiel allerdings kein Zins*) und diese waren unzweifel-
haft gänzlich wüst, andere aber zahlen einen Fruchtzins. Die der
Abtei Weissenburg gab^n ein Drittel der geernleten Frucht'), an-
dere lieferten statt dessen Bier'), während wieder andere auch wohl
mit einem Gfildzins belegt waren'). Aehnliches finden wir bei den
Stiftern Korvei*') und Verden').
Der Mansus absus war also die Hufe ohne Gebäude, der Man-
sus vestitus etc. dagegen der mit allen Erfordernissen versehene Hof,
sowie man durch vestitura und vestitio auch die volle Ausstattung des
Hofes bezeichnete. Einen weiteren Beleg hierfür gibt noch das Kapitular
Karl des Dicken, welches auch den Absarius zur Heersteuer heranzieht,
und diese Bezeichnung selbst, denn der Absarius ist der Besitzer einer
1) Ad Louflieim est curt. dese rta, de terra sal. huobe III., — , basilica
popularis cum decima , ad illam pertinet huoba et dim. et capelle devastate. II,
huobe serviles XVII. etc., de singuUs solvitur etc. (ibid. l. c. p. 298).
2) Mansl serviles X. , tres ex hiis vestiti — VIII. sunt absi , und mansi ser-
Yiiles XIII., ex hiis sunt integri IUI, — ceteri sunt absi Villi, (ibid. p. 292, wo
noch mehr Belege vorkommen).
3) VIII. mansi possessi et Villi, non possessi (Kindlinger, Münstersche Beitr.
n. S. 127. Ebenso auch S. 131, 130, 137, 141 ff. Dass diese Bezeichnungen
sich 'meist nur auf die Hofstätte bezogen, ersieht man auch aus einer franz. Urk.
von 812: est ibi mansus l. absus, habens de terra arabili bunaria VI. (Guerard.
Polyptyque abb. Irminon. etc. II. 113).
4) Kindlinger a. a. 0. S. 131, und Zeuss a. a. 0. S. 281, 282, 284 — 289 ff.
5) Mansi absi IL, inde venit III. pars grani (Zeuss 1. c. S. 289; ebenso
S. 290, 291, 294).
6) Ad Holzheim est curt. dom. deserta, de tena sal. huobe IH. , prata ad
carr. VI. , basilica I. cum decima , ad illum pertinet huoba I. , mansi seruiles pos-
sessi iL , de singul. solvitur etc. — huobe deserte XVIIII. et dim. , iude nichil
venit, nisi aliquid parum de cervisia vel grano (Zeuss 1. c. 298). ^
7) Mansi absi III. inde persoluuntur uncie III. (Zeuss 1. c. 288); mansi absi
V. de hiis singuli unc. III. (ibid. p. 290. Auch p. 294).
8) Hee sunt, que pertinent ad dominicale in Horchusen Villi, mansi pos-
sessi et novem non possessi , qui tarnen V. solidos persolvunt (Kindlinger, Münst.
Beitr. ILS. 127). ^
9) Item to Berchelte, hefft dat Stiebte enen Buwhoff, de ys nu tor Tidt
woeste, de buwet Heyncke Bredehouet nu tor Tidt vor enen vi^östen Hoff vnde
giftt darvau alle Jar II Schepel Roggen vor der Mathe. Desse Hoff ys woeste
wurden vmme des velen Hauedenstes willen, so de hir nicht ver belegen was u. s. w.
(v. Hodenberg. Vorder Register S. 35).
• %
10
Hufe, welche er von einem andern Mansus aus bebaut Daraus er-
klärt sich dann auch, wie in dem bekannten Breviarium des Lullus
über die hersfeldischen Besitzungen ^) die Hufen und Mausen steta
getrennt aufgeführt werden und die Gesammtzahl der Hufen die der
Mausen weit übersteigt.
So streng man im Allgemeinen früher, wie dieses die obigen
Beispiele ergeben, auch mansus und huba von einander schied, so
fährte doch der Umstand, dass man bald die Hufe als Zubehör des
mansus,' bald den mansus als Zubehör der Hufe betrachtete, allmä-
lieh zu einer Verschmelzung der Begriffe und endlich dahin, dass
man beide Ausdrücke als völlig gleichbedeutend betrachtete. Schon
frühe kommen deshalb Stellen vor, wie: „unum mansum de terra
aratoria et prata et silvas^^ *) und „mansa una, quae Nanderimis huba
dicitur"*). Doch erst später wurde dieses allgemein üblich, und man
brauchte seitdem Hufe und Mansus als ganz und gar das Gleiche
, bezeichnende Worte*), ja, man kam endlich so weit, so gar für die
lateinische Bezeichnung des Morgens (Ackermass) sich 'des Wortes
Mansus zu bedienen'^). •
Uebrigens findet man auch noch andere Bezeichnungen, wel-
che statt Hufe und Mansus üblich waren. Dahin gehört colonia*)
und ebenso sors; das letztere bezeichnet den bei der Austheilung
1) Wenck, Hess. Landesgescb. Urkbcb. II. S. 15 ff.
.2) Trad. Lauresh. Nr. 1186.
3) Neugart 1. c. p. 479.
4) 1158: mansos sive hubas (Würdtwein, Nova subsid. dip. XII. p. 02);
1177: mansum unum, id est hobam (Meichelbeck 1. c. I. Nr. 1343); 1264: unum
mansum, qul theutonice dicitur Höre (Lacomblet, Urkbch. IL S. 314); 1273: huba
vel mansus (Meichelbeck 1. c. II. Nr. 119); 1202: mansos . . scilicet houve
(Günther, Cod. dipl. Rheno- Mosel. II. p. 73); 1245: duos mansos, qui dicuntur
Rideshuve (Mencken, Scr. R. Germ. I. p. 620).
5) 1292 „yiginti mansos sive jugera in campo Helmwordeshusen '', welche
für 4 Mark und 3 Schill, verkauft wurden. Or. Urk.
6) Im Jahr 786 erhielt Fulda iiovem colonias (hoc sunt hobunnae) integräs,
cum Omnibus adjacentiis et flnibns suis , in arialis, in terris aratoriis , in silvis,
in campis, in pratis, in pascuis, aqois, aquarumve decnrsibns, aedificiis, molinanis,
mancipia cum omni suppellectiii eorum (Dronke, Cod. dipl. Fuld. No. 85). Ebenso
werden 776 in Alemannien mehrere zu einer Cnrtis gehörige Coloniae g^enannt (Nengart
l. c. p. 62), und Gleiches findet man auch anderwärts , z. B. 831 im Elsass : curtem
— atque colonias V. (Schöpflin, Alsat. dipl. 1.75); 865 in Pannonien: de terra
— mansos integres VO., id est nnamquamque coloniam Jugera XC. etc.
(Nachr. von Juvavia. Anh. S. 99) ; ebenso um*s Jahr 1000 : curtem et casam
11
der Flur einem Gqmeindegliede zugefallenen LandanUieil ^) , ein Wort,
welches auch in den alten Gesetzen häu^ vorkommt *) und für das
zuweilen auch das deutsche Wort Loos gebraucht wird*). Ebenso IJi^j^ •.
sind Portio u nd pars nicht selten vorkommende Bezeichnungen*), pWTVO
obwohl dieselben manchmal auch den Besitz im Allgemeine, z. B.
den Antbeil an einem Dorfe"), andeuten. Endlich gehört auch
noch die Bezeichnung Pflug hierher, weil eben die Hufe stets
nur so viel Land umfasste, als mit einem Pfluge bestellt werden
konnte % Dass wirklich darunter nichts anderes als Hufen verstanden
wurden, ergibt die folgende auf eine fu ldjsch e Besitzung in Baiern
sich beziehende Angabe: „ CCXL jugera ad IllI aratra ^'<^^^j7 denn hier-
nach kommen 60 Morien auf den Pfl ug, und 60 Morgen hielt die
cum ceteris aedificUs, servos manentes in coloniis quataor et alios tributales
manentes in coloniis decem (das. S. 290), sowie mehrfach in den Urkunden
des Stifts Freisingen , wo namentlich einmal „II Hobae*' in derselben Urkunde auch
„ambae coloniae'^ genannt werden (Meichelbeck 1. c. Nr. I. 1086, Andere Beispiele
das. Nr. 247 und 338).
1) 1 casale cum mancipiis — cum manso et Sorte (Tr. Lauresh. Nr. 441) ;
servum I. — cum manso et sorte ad ipsum mansum attingente (ibid. Nr. 537);
mansum unnm, in quo ipso manet, cum sorte sua, hoc est, cum terris, carapis,
Bilvis , domibus etc. (ibid. Nr. 812) ; rem meam — , quae terra habet minus plus
iribiJl sortibus servilibus (ibid. Nr. 697).
2) In ipsam mansionem aut sortem (Pertz. Leg. II. p. 12).
3) Hoc est territorium, quod dicitnr einun Hinz (Meichelbeck I.e. 1.311);
unum H 1 u z z u m in eo loco (ibid. I. Nr. 508) ; unum L u z z u m (ibid. I. Nr. 500) ;
in einer niederländischen Urkunde von 1025 findet sich statt dessen Mannsloos:
inyilla — > XXXIII. partes, quae vulgo Mansloth dicuntur (Martene et Durand,
Thesaurus novus auecd. I. 147).
4) Im 7. Jabrh. werden Güter in einem Dorfe aufgeführt und diese portiones
genannt und dazu bemerkt : hoc est mansis , domibus , aedificiis , campis , pratis
etc. (Zeuss, Tr. Wizbg, Nr. 38). Auch heisst es ein andermal: hoc est portio-
nem meam — hobam uuam ad servo (ibi^. Nr. 103).
5) Hoc est portionem meam — in loco — Lonunbuah, ho« sunt iurnales CGX](.
de terra culta (Zeuss 1. c. Nr. 94. S. auch S» 149).
6) In der Stiftungsurkunde des Klosters Mollefibech an der mittlem Weser
▼on 896 werden die Zehnten „de centum et XX. aratris** aufgeführt (Wippermanil,
Regesta Schaumburgensia. Nr. 2), und ähnlich heisst es in der zu Anfang des 13.
Jahrhunderts geschriebenen Stiftungsgeschichte des Klosters Salmannsweiler : ter-
rae tam cullae quam incuUae ad XII fere aratra cum silvls et pratis (Mone, Quel-
lensammlung der Bad. Landesgesch. I. S. 177).
7) Dronke Trad. et antiq. Fuld. p. 92.
n
fuldische Hufe. Ueberhaupt wurde diese Bezeichnungsweise später
sehr allgemein. ^
Freilich noch allgemeiner wurde in späterer Zeit der Gebrauch,
die Hufe kurzweg L e h n J a n d zu nennen, im Gegensatze zu dem
Erbland, nämlich dem nicht zur Hufe gehörigen Rodland; denn die
zum Haupthofe gehörige Hufe war dem Hufenbesitzer nur übertra*
gen^ und derselbe hatte darum kein volles Eigenthum an derselben.
In Oberhessen hat die Bezeichnung Lehnland an vielen Orten den
Namen der Hufb gänzlich verdrängt, und auch in Baiern wird das
Bauerngut kurzweg Lehn g enannt *). Unter Lehnland wird übri-
gens nicht etwa blos die volle Hufe verstanden , sondern auch jedes
zu einer Hufe gehörige Stück.
2) Die Bestandtheile der Hufe.
Zu der Hufe gehörte ausser dem Pfluglande, welches, wie
schon gezeigt worden, den eigentlichen Stamm bildete,^ zunächst
der Mansus. Derselbe umfasst den ganzen mit den Wirthschafts-
gebäuden unmittelbar zusammenhängenden Raum, also auch die
mit dem Hause verbundenen Gärten. Deshalb war derselbe dann
auch häufig von beträchtlichem Umfange. Eine E^eisinger Urkunde
gibt eine Hofslätte zu 2'/3 und eine andere zu 5 Morien ao^* ^.
Statt des "Wortes Mansus bediente man sich jedoch auch öftere an-
derer Bezeichnungen, wenn auch nicht immer in deinselben Sinne,
indem man zuweilen auch nur den Raum darunter verstand, wel-
chen die Wirthschaftsgebäude selbst bedeckten. Dahin gehört vor
allem Hofstatt. Im Lateinischen übersetzte man dieses Wort durch
ajialis'), durch locus curtis*), durch curtifer'}, durch ca-
1) Grimm, Weisth. 111,626. Schmeller, Baier. Idiotikon. 11,459.
2) Meichelbeck; E ist. Frising. I. nr. 984.
3) 788: daas anales, id est Houasteti (Dronke, Cod. dipl. Fuld. p. 52); —
unam analem, id est Houastat. (ibid. 76. Ebenso p. 105 etc.)
4) iinum locum curtis , id est Honistat. (Neugart , Cod. Allem, p. 359) — il-
lum carte locum, id est Houastat (Dronke 1. c. p. 102.)
5) Kin^Iinger, Münstersche Beitr. II. U. S. 11. Ebenso Meichelbeck 1. c.
nr. 987 : „ curtiferum unum cum pomario " , und „ hoc est curtiferum unum sep©
circumdatum, atque domum et horreum**; so wie nr. 1068: „cum tribus curti-
feris, uno superaediflcato , et duobus sine aediflciis". S. weiternr. 766-, 987, 990,
991 u. 1079.
13
8^1e*) oder auch durch area *). Ganz dasselbe was Hofstatt
Ist auch das sich jedoch erstspÄter findende H o f r e i t h e •) , so wie
das sächsische Wuft Dieses letzlere tritt uns durch das ganze alle
Sachsenland von der südlichsten Gränze bis zum Meere aller Orten
entgegen. In einer holsteinischen Urkunde von 1346 heisst es „quan-
dam aream vulgariter dictam en Wurth*» *). Noch jetzt werden die
künstlich aufgeworfenen Hügel, auf welchen in Friesland die Häu-
ser stehen, Wurlen (oder auclL Warften) genannt.
Ausser dem Mansus war häufig auch "hoch die Bünde ein
Zubehör der Hufe. Schon in einer elsasser Urkunde von 774 fin-
det sich dieses Wort: „iurnales V iofra fine, qui dicitur Salchin-
biunda*)"; eine salzburgische Urkunde des zehnten Jahrhunderts
nennt eine Hofstatt „cum duobus pratis, quodPiunli dkinms**®), so
wie eine österreichische Urkunde einen Weingarten „in vinetis, qae
vulgo Edelpeunt dicunlur"*') und auch in einer lorscher Urkunde
kommt „una biundä" vor ®). Dieses Wort, welches im J Süddeut-
sehen als Pj^nt, am Main als Beujide, am Niederrhein und an
der Mosel als Beut und Beint sich wieder findet, ist ganz
dasselbe, was unser Band und Kund ist, indem es eben wohl
etwas Umschlossenes andeutet, weshalb die Glossen es auch
durch clausura wiedergeben, dem auch das angelsächsische pyn-
dan — includese entspricht •), wie denn auch noch im heutigen
■> » .
1} unumcasale, quodHonestat vocatur. (Günther, Cod. dipl. Rheno- Mosel. I.
p. 379.)
2) 1103: omnes homines — • in domibus, et in quolibet aediflcio, et in
curiis etiam - infra legilimas areas domnuni) quae hovestete vulgo voca-
mas sive sint septae seu nulla sepe sint circumdatae. (Pertz. Mon. hist. germ.
Leg. 11,61.)
3) 1244: area, que vulgo dicitar Houereide. (Lacomblet, Ukbch. II. S. 149.
Bei V. Spilcker, Beitr. z. deutschen Gesch« IL Ukbch. S. 271. kommt auch: „area
dicta Anlage" vor.) ' ^
4) Michelsen, Schlesw.- Holst. -Laiienbg. Urk. Samml. I, 240. S. auch S. 304
u. 311. Das Weistbum von Medebach von 1165 sagt: possessiones , quae teuto-
nice Wuorde vocantur, quae infra fossam continentur, unhis iuris swnt. Grimm,
Weisth. III. S. 73. Deshalb wurde auch der Zins von der Hausstätte Wort-
geld oder Wortpfennig genannt. Niesert, Beitr. zu einem münster.
ürkbch.II.S. 222, 231,249. Grupen, Antiq. Hannov. p. 22. Wolf, Gesch. des
Eichsfelds IL S. 147.
5) Zeuss, Tradit. Wizenbg. nr. 133.
6) Juvavia S. 169.
7) Mon. boica XV. p. 261.
8) Trad. Lauresh. L nr. 140.
9) Ettmüller, Lexicon Anglosax. p. 273.
14
Englisch B^ottJi J iip^ ^ftlinrtgrT die Gränze bedeutet. Die Bünde
oder Beunde ist jedes umfriedigte Land, dasselbe, was wir auch
durch Garten bezeichnen *).
Die Bünde oder Beunde in Deutschland ist jedoch nicht immer
ganz dasselbe. Bald ist es das umschlossene Hofland (terra salica),
bald sind es die nicht zur Hofreithe gehöngen zunächst um die Dör-
fer liegenden Baum-, Kraut- und Grasgärten. Hier werde ich nur
die letztere Bedeutung besprechen. Im hessischen Sachsen heissen
diese Gärten Wf rihof e. in Niederhessen Kurzweg Höfe. In der-
selben Weise wird man auch eine Urkunde des zwölften Jahrhun-
derts verstehen müssen, welche bei Mainz „tres areae, quae vulgo
Bundae vocant" aufführt*). Urkunden über Güter um Aachen stel-
len die Bünde (Beyntz , Beint, Beynent etc.) stets dem offenen Pflug-
lande gegenüber ') und eine von 1362 sagt ausdrücklich: „Dat is
zo wessen ieclichen Morgen Artlantz vmb 22 Marken zermossen , ind
yeclichen Morgen Beyntz ind de Huyffereide mit der Huysinghe allit
zermosen vmb 44 Marke*)." Dasselbe zeigen auch Urkunden des
Herzogthums Jülich '). In Urkunden des vierzehnten und fünf-
zehnten Jahrhunderts findet man vor München zahlreiche Kraut-
peunten. Von diesen Urkunden sagt z. B. eine von 1388: „mein
Krautpeunt, die da gelegen ist' vor Neunhauser lor — vnd der
vorgenannten meiner Krautpeunt veer vnd sechtzzig Krautäcker
sind" ^). Auch sieht man, dassjdiese Peunten umzäunt waren, '')
und findet andere Urkunden, welche statt Peunt sich auch des
- 1) Eine meerfelder Urk. yon 1498 nennt: twe beslottene Bonne (Rindlin-
ger, Münster. Beitr. I. U. S. 190). Auch heisst an der Niederweser der Zaun
Bune, welchen die Fischer an den Ufern des Flusses aufrichten, um darin bei
Ueberfluthungen die Fische zu fangen. (Bremisch -niedersächsisch. Wörterbuch I.
S. 163.)
2) Serarius , Scr. Rer. Mog. 11. p. T44.
3) Quix, Geschichte der Abtei Burtscheid S. 336,377, 381, 391 etc. Noch
jetzt bezeichnet Beut bei Aachen eine umzäunte Wiese , aber auch den einge-
schlossenen Platz für die Messbudeu. Müller u. Waitz> Die Aaohaer Mundr
art S. 14.
4) Quiz I. c. S. 383.
5} Binterim u. Mooren , Die alte u. neue Erzdiözese Köln IL S. 37, 38,
40, 41 etc.
6) Mon. boica XX p. 45. Ebenso S. 18,; 77, 78, 193, 252, 308 u. 619 , sowie
XIX S. 313.
7) ibid. XX p. 78.
15
gleichbedeutenden Wortes Garten bedienen , z» B. 1387: „ainen
Krautgarten, daz sint drey Aecker"*), so wie anderwärts Gärten,
welche je nach ihrem Zwecke entweder Krauibeunden'), Heu-
beunden'), Hanfbeunden*) etc. waren. Auch nennt man im
Baier'schen Oberlande die im Brachfelde für die Dauer des Sommers
zum Zwecke des Baues von Kraut, Flacbs, Kartoffeln etc. einge-
friedigten Aecker Peunten ').
Ausser den Beunden oder den Gärten gehörten zur Hufe noch
Wiesen, und zuweilen auch Waldantheile , jedeofallsu^ aber ein ideel-
ler Theil am Gemeindegute.
3) Die verschiedenen Arten von Hufen. .
Es gibt kaum noch einen andern Gegenstand, über Welchen ein
gleiches Dunkel und so verworrene Begriffe walten, wie über die
Natur und das Wesen der Hufen , insbesondere , was deren äusse-
re Gestalt und Form betrifll. Nur wenige Schriftsteller sind dar-
über zu einem Verständnisse gelangt, und diese wenigen kennen ent-
weder nur eine Art (wie Haussen) oder geben nicht tief genug auf
die Sache selbst ein (wie v. Haxthausen und Jacobi). Einem —
wenn auch nur einigermassen — befriedigenden Eindringen in die-
sep Gegenstand stellen sich aber auch in der That grössere Schwie-
rigkeiten in den Weg, als dieses im Allgemeinen betrachtet der Fall
zu seyn scheint Um das Einzelne vei*stehen, um die Regeln fest-
stellen, und die sich häufig bietenden Ausnahmen ermitteln und er-
klären zu können, ist es durchaus erforderlich, zahlreiche aus den
verschiedensten Gegenden entnommene und zwar in einem möglichst
verkleinerten Massstabe kopirte Flurkarten zur Hand zu haben, und
selbst diese reichen nicht immer aus. Oft kann die Untersuchung
nur an Ort und Stelle durch den Augenschein und mit Hülfe der
lebendigen Erinnerung der Einwohner zu einem befHedigenden Ziele
geführt werden.
1) ibid. XX p. 41 ; auch p. 420.
2) am Niederrhein 1316: peciam dictam Crutbeymt. Binterim u. •Moo-
ren a. a. 0. Urkbch. 1. S. 112.
3) Gudenus, Cod. dipU II. p. 384, Mon. boica XIV, p. 260.
4) Grimm, Weistb. I. S. 93 u. 117. Neugart, Cod. dipl. Allem. II. p. 460.
5) Schmeller a. a. 0. I. S. 287, wo auch noch mehr urkundliche Stellen vor-
kommen.
Das Alles aber Ist dem Einzelnen kaum miigUch, wenn der-
selbe nicht dabei von allen Selten unterslüizi wird.
Obgleich Ich schon Jahre hinduicfa der Hufen Verfassung meine
Aufmerksamlteit zugewendet habe, so bin ich doch noch keines-
wegs dahin gelangt, um über alle Eigenthüinlichkeilea derselben ei-
nen sichern Aufscliiuss geben zu können. Ich bcltenne dieses of-
fen und ohne Rückhalt. Wenn ich nun dessenungeachtet eine Dar-
stellung der Hufenhildung zu geben versuche, so geschieht dieses
mein Zweck hier nur eine allgemeine Darlegung ver-
um dadurch auch Andere nnzuregeil, ihre Aufinerksam-
!u lenken. Möglich, dass ich spjiler den Gegenstand
einer umfassenderen Untersuchung unterziehe.
Erste Bufengattang.
Die mit dem GehQIle besetzte Hufe bildet ein vereinzeltes, in
sich abgeschlossenes, gänzlich isolirtes Landgut. Zuweilen berüh-
ren sich awei und drei dieser Höfe , in der Regel jedoch wird jeder
Hof durch bald grössere bald kleinere Strecken von — wenigstens
ehemaligem — Gemeinboden getrennt, so dass die einzelnen Ge-
höfte oft in Entfernungen von einer halben Stunde Weges von ein-
ander liegen. Es lilsst sich dabei als Regel annehmen, dass die
Höfe sich um so näher liegen, je fruchtbarer eine Gegend ist; dass
dieselben aber auch in ähnlichem Grade wieder aus einander ge-
rückt sind , je dürftiger der ßoden wird. Die Flur eines jeden Ho-
fes umschliesst Land, Wiese, Weide und Holz.
Diese vereinzelt und zerstreut liegenden Hoffluren finden wir
■junacbst in Westnhalen.
Wie schon der westphälische Hof in den ältesten Urkunden nie
Hufe, sondern Mansus oder Domu s genannt wird, , eben so wenig
ist auch heute dort von einer Hufe oder einem Morgen die Rede;
der Bauer kennt nur Stücke Landes und andere Plätze '). Nirgends
erblickt man eine bestimmte und durchgeführte geometrische Eia-
fheilung des Holfeldes, wenn auch meiät Acker, Wiese, Weide und
Holz besonders gruppirt sind. Die einzelnen Feldstücke sind in der
Regel mit hohen und breiten Hecken und Wällen umgeben , und
werden Kftippe (Koppeln) genannt. Diese Kämpe sind nicht von
1) MQsei' oanabrüchische Geschichte 1. 3. 4 u. S.
1»
gleicher Grosse, ihte Grösse wechselt vielmehr von einem bis 2tt
zehn Morgen. Die auf den Aciier fuhrende Oeffnung verschliesst
«in Schlagbaum, damit man, wenn das Land dreisch liegt, das
Vieh ohne Hirten darin weiden lassen kann.
Eine Ausnahme hiervon machen nur die Fluren der Städte und
Dörfer. Hier finden sich Aecker in geometrischer Form, und diese
werden nach Morgen gezählt.' Aber die Städte und Dörfer in Wesl^«
phalen sind sämmtlich erst später, theils allmälig, theils planmässig,
entstanden, meist b^i den Kirchen, Klöstern, Märkten, Brücken,
Mühlen, Burgen etc. und haben deshalb auch keine eigentliche
Feldmark. Viele müssen ihr nöthiges Land von den benacbbartea
Höfen pachten und zum Zeichen, dass sie auf einem fremden Bo-
dön entstanden, einen Grundzins (Wortzins) entrichten. Die Bewoh-
ner sind auch keine eigentlichen Hofbesitzer, vielmehr Wirthe, Krä-
mer, Handwerker etc. Das wenige Land, welches sie eigenthüm^
Vieh besitzen, haben sie meist erst angerodet. Es sind gewisser-
massen Fremdlinge.
Eine weitere Ausnahme bieten jene ehedem gemeinheitlichen
Felder, welche zwischen den einzelnen Höfen liegen und mehreren
Höfen gemeinsam gehören, die §. g. Eschen und Völiden*
Obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass ursprünglich wenig-
stens die Höfe ein und derselben Bauerschaft einen gleichen Antheil
Pflugland erhalten haben , so ist dieses jetzt doch kaum noch nachzu-
weisen. NachStüve *) haben zwar die meisten Höfe im Osnabrücki-
schen für 10 — 12 Malter Aussaat Land, und er berechnet hiernach
ihre normale Grösse auf 30 Morgen. Diese Rechnung scheint indes-
sen , abgesehen von der Unsicherheit ihrer Grundlage, an einem we*'
sentlichen Irrthume zu leiden, nämlich dem Umstände, dass bei der
Angabe der Aussaat stets nur das Winterfeld in Betracht kommt und.
diese, um daraus die Grösse des Ganzen zu ermitteln, des-
halb verdreifacht werden muss *). Auch kanri sich jene Rechnung^
1) Wesen u. Verrassung der Landgemeinden u. des ländlichen Grundbe«
Sitzes in Niedersachsen und Westphalen S. 32 etc.
2) Stüve führt zwar einige urkundliche Belege an, aber Meessdorf (A. Grö-
nenberg) , — wenn dieses Metdisdorp ist , was St. selbst nicht mit voller Be-
stimmtheit behauptet -^, kann hier nicht ab Beispiel dienen, weil dieses efn
zusammengebautes Dorf ist und also auch eine anders konstruirte Feldflur haben
muss 9 was sich auch schon daraus ergibt, dass 3 Hufen Salland daselbst ge«
nannt werden. Ebenso fragt es sich o^b Heede filr Hesduni gehalten werden
L • nd t n. Territorieo. <&
\
18
Dur auf das Bauland beziehen. Ausser diesem besitzt der Hof aber
auch noch Weide-, Wiesen, Torf«, Plaggen- und Holzgrfinde, und
schon dadurch, dass Stücke dieses Bodens ebenwohl unter den
Pflug genommen, oder Pflugland in Wiese- oder Weideland verwan-
delt werden kann, wird die Ausdehnung des Pfluglandes eine ver-
schiedene. Nur soviel steht fest, dass die Grösse der Höfe je
nach dem verschiedenen Boden sehr verschieden ist Grösser sind
sie in der Regel auf dem Sandboden, kleiner dagegen auf dem
Kleiboden.
Uebrigens ist eben so wenig das ganze alte Westphalen in dieser
Weise ftigebaut, als sich dieser Bau auch nur auf den westphälischen
Boden beschränkt. Per südli^ bp. Thpjl W^i^tp^^fti^m« i)^i 2M&s^m^
^flgf^^'Ue iPi?rf^'' V"*^ ^^MiT^arlt^" T wie sie unten vorkommen wer-
den. Die Linie, welche beide Bauweisen scheidet, bednnt am Teu-
tobure^erwalde bei Lippspring, zieht an Paderborn hin und fo%t der
Lippe bis Hamm ; von da wendet sie sich südlich über Kamen , Plet-
tenberg, Attendorn und Olpe, dann wieder gegen Westen und zieht
über Drolshagen bis nahe an den Rhein, und weiter unten bis in
dessen Stromthal. Oestlich läuft die Gränze links der untern We-
ser hin und gegen Norden bis in die Marschniederungen, wo Dorfer
und Höfe häufig wechseln, und je nach den Verhällnissen des Bo-
dens bald die einen , bald die andern mehr vorherrschen. Diy wes^ -
friesischen Aemter Norden und Berum haben meistens nur einzelne
Höf e , weil es hier an Warften fehlt *).
Von Westphalen ziehen sich die Einzelhöfe über den Rhein hin-
aber und noch durch Bra hant. nnfl fi^i^i^om h\^^ ^o die vorhande-
nen Dörfer meist nur von Kaufleuten, Handwerkern, Tagelöhnern
u. s. IT. be^robnt werden. Ebenso findet man diesen Anbau in J3ber -
eg^errelch ; die Höfe liegen in der Mitte ihrer Felder , nur von weni*'
gen Tagelöhner -Wohnungen umgeben.
Ganz auf denselben Grundlagen beruhend und deshalb derselbe^
nahe verwandt findet sich noch eine zweite Hufenarl. Auch bei dieser
erscheint der Hofgrund als ein selbstständiges Ganzes, welches ebenwohl
darf, und wenn auch Visbeck wohl^ sweifeUos die gleichnamige Bauerschaft bei
Iburg Ut, 80 l&88t sich die Frage doch nur nach Einsicht der Flur mit Siclier-
helt entacheiden.
l) Ahrenda, Oatfriealand u« Jever 1. 8. 440.
19
bald rSumUch ttiizertrenal nnd in sich abgeschlossen ist, bald aus meh^
rer^n geirennten Stückeo^ besteht. Auch vermisst man bei allen einzel-
nen GrttBdstäcken , sowohl im Pflugland als in den Gärten , meistens
Jede geometrische Form , und stosst nur selten auf ein regelmässiges
Viereck.
Der Unterschied von den zuerst geschilderten Höfen liegt ledig-
lich darin, dass die sämmtlichen Hofgründe aneinander schliessen
und ein lusammenhf^ngeHdes Ganzes bilden, so dass das^lbe als
ein geschlossenes, nur in seinen Gehöften etwas weitläufLig gebau-
tes Dorf erscheint.
Näher kenne ich diese Flurart nur aus der hessischen Grafschaft
Schaumburg an der Weser , wo sie za*hlreich vorkommt, Sie findet
sich aber a uch nac h Minden «u und auch noch in vielen andern
Gegenden des alten Sachsenland^ s , insbesondere, wie es scheint,
um Verden ,
Wie bei dem Einzelhof sind auch hier die einzelnen Grundstücke
meist umhagU
Die Grösse der einzelnen Höfe ist ebenso verschieden, wie bei
der zuerst geschilderten Art. Während z. B. die 'Grösse der Höfe
zu Haste von 10 — 26 Morgen wechselt , findet man in dem benach-
barten Hohenhorst Vollmeierhöfe mit 109, und Halbmeierhöfe mR
40 — 90 Morgen. Ebenso steigt die Grösse der Höfe zu Ohndorf
von 49—123, und zu Horsten von 42 — 132 Morgen. Es ist dem-
nach auch hier eine Regel nicht festzustellen, zumal aus der älterea
Zeit alle Nachrichten darüber fehlen.
Während bei den vorhergehenden beiden Arten der Hof mit sei-
nem Zubehör als ein s^bslutändlges, abgeschlossenes Ganzes erscheint,
zeigt sich noch eine dritte, diesen eben wohl nahestehende Art, wel-
che sk;h dadurch charakterislrt, dass Hof und Feld geUrennt er-
scheinen. Die Höfe liegen in geschlossenen Dörfern zusammen , und
die dazu gehörigen Grundstücke reihen sich um das Dorf heruin,
selten in ^j gy yske ze rschnitten, njeist in denselben unfegelmässigen
Gestalte n , wie bei den vorigen Arten, und nur in den Marsdiea
ommen ebenso oft auch rechtwinkiiche Stücke Land vor.
Wir finden diese Gehöfte unter andern in dem . westlichen Theile
von Ostfriesland (namentlich den Aemtern Emden xm d Greetsj el) , wo
die daselbst zahlreich vorkommenden Warften die Veranlassung zu die-
sem Anbau wurden. Die Gestalt der Warften bestimmt auch die Ge-
stalt der Dörfer. Zuweilen bestehen diese aus einer Strasse von zwei
Bgihe n Häusern , häufiger aber liegen die Wohnungen ohne ftlle Re^
2-*
«8
gelinässigkeit durcheiaander. Das eine Haus steht mit dem Giebeli
eia anderes mit seiner Breite , ein drittes mit seiner Hinterwand ge-
gen die Strasse gekehrt, doch stosst der Hintertbeil stets auf den
Band des Abbanges. Manchmal ist noch Raum für Gärten geblie-
ben; oft, wenn der Warft klein ist, fehlt es aber auch daran, und
dann sind nicht selten di^ Häuser sich so nahe gestellt, dass nicht
einmal Platz für die Miststätte übrig geblieben ist. Der eigentliche
Fahrweg geht gewohnlich rund um die Dörfer herum oder läuft ne-
ben denselben am Fusse des Warfts hin ^). Auch die auf der Gast
liegenden Dorfer, sowie die Dorfer unterhalb Bremen gehören meist
hierher.
Zweite Hufengattung.
Das Charakteristische der vorher geschilderten Hufengattung be-
steht in der Abgeschlossenheit und Selbstständigkeit ißder einzelnen
Hufe und in* dem Mangel beinahe aller regelmässigen Formen;
dagegen erscheinen die Hufen dieser zweiten Gattung mehr als Glie-
der einer Gesammlheit , mehr als Theile einer gemeinsamen Flur, und
zeichnen sich durch ihre geraden Linien aus, so dass jede Hufe ein
bald mehr, bald minder regelmässiges Oblongum bildet *). Indem
Hufe an Hufe sich legt, wird die ganze Feldmark in lange parallel
neben einander hinlaufende Streifen zerschnitten. Hin und wieder
ist auch die Feldflur in zwei solcher Hufenlagen getheilt, oder es
gehen die Hufenstreifen von einem Mittelpunkte gleich den Strahlen
eines Sternes aus.
In der Regel besteht die ganze Hufe nur aus einem Stücke und
umschliesst Hofreithe , Garten , Wiesen und Wald. Ist es ein Thal,
m welchem die Feldflur sich ausbreitet, dann liegt der Wald oben
am Elnde der Hufe , unter dem Walde folgt das Land , im Thalgrunde
die Wiese, und zwischen Land und Wiesen liegt der Hof mit den
Gärten. In diesem Falle bilden die Höfe eine Reihe , oder erscheinen
auch wohl je nach dem der eine höher, der andere tiefer angelegt
worden ist, als vereinzelte und zerstreute Gehöfte. Nicht selten fin-
1) Ostfriesland und Jev>r, von Ahrends I. S. 108.
2) Man erkennt sie häuüg schon aus der Beschreibung in den Urk.,
a. B. in einer Urkunde von 1356: „eine Hube Landis dy an eyne Stucke lit
Ml Leitheckin bindir dem Dorfe vnd stozit vff daz Dorf/* (Baur, Drkbch.
i. KI. Arnfbur; Nr. 843.)
I .
<f
det man auch Fluren , in welchen die Hofreithen besonders ausg^«
legt und die Höfe zu einem geschlossenen Dorf zusammengerückt sind.
Häufig i$t die ganze Dorfmark vertheilt, und der ganze Gemeinboden
besteht dann bloss in den öffentlichen Wegen und einigen Plätzen;
nicht selten aber findet man auch noch unverthellten Wald und noch
gemeinheitliche Hutestrecken. Auch darin waltet Verschiedenheit,
dass in der einen Flur die sämmtliehen Hufen von derselben Grösse
sind, in einer andern hingegen in Beziehung auf den F]ächenraum
der Hufen der grösste Wechsel stattfindet.
Zu dieser Hufengattung gehört die Königshufe. Ursprung«
lieh war dieselbe wohl nur auf den königlichen Gütern vorhanden,
wie aber der königliche Wildbann auch auf nicht königliche Bezirke
übertragen wurde, so geschah dieses auch mit dem Rechte könig-^
liehe Hufen anzulegen. Zuweilen wird das Recht zur Anlegung sol-
cher Hufen durch ausdrückliche königliche Verleihung gegeben, wie
z. B. 1002,' wo Kaiser Heinrich U. seinem I^itter Pilgrim ein Gut
in Oesterreich schenkt und bestimmt, dass derselbe, „insuper etiam
de silua, quae proxima est, ftd centum mansos e x nostro j^r^J^
anrod en möge*). In der Regel fehlt aber eine "solche Uebertragung^
und es scheint in diesen Fällen die Befugniss einfach in dem Besitze
des königlichen Wildbannsrechts gelegen zu haben. Es finden sich
diese Hufen wenigstens meist in grössern Bannforsten. Im Jahre
1211 überlässt Erzbischof Dietrich von Köln dem Stifte Kerpen „deci-
mas novalium de silva Hanckenbusch — ad nos jure quod Ku-
nincxhuven dicitur deuolutas " *). Als das Kloster Andelach im Elsass
1221 auf seinem Boden ein Hospital gründete, wird in der darüber
ausgestellten Urkunde gesagt: „ut excolebat de nemoribus sibi adja-
oentibus usque ad tres mansos, qui vulgo dicuntur Kunegeshuoben**')»
und 1236 erklärt das Domstift Köln, äass der Abtei Kamp durch
Urtheil zuerkannt seien der Rodzehnten von 120 Morgen, welche man
„regalis mansus'^ nenne ^).
Die Verschiedenheit dieser Hufen von andern lag zunächst darin,
dass sie mit der königlichen Messruthe ausgemessen word^ , und
dass dieses Königsmass ein grösseres als das gewöhnliche war.
1) MoD. boica XXVIIL 1. p. 294.
2) Lacombict, Urkbch. 11. S. 21. Eine ähnliche Urkunde von 1248 ». S. 176.
3) Wardtwein, Nova »ubsid. dipl. XIII. p. 256.
4} Lacombiet, Urkbch. II. S. HO.
Als Erzbiscbof Friedrich von Hamburg im alien Stedinger Lande
nächst Bremen ansehnliche Strecken Moorboden zu neuen Ansiede-
lungen überwless, sagt er in der betreffenden Urkunde : ,, Mapsi Tero
mensione ne discor(fia in posterum in populo habereiur, quae man-*
sio (mensio?), in longitudlne septingentas et Yiginti, in latitudine
vero XXX habet regales virg^as cum rivulis terram interfluentibus ^^ <>.
Rechnet man den Morgen zu 120 Q Ruthen, so ergeben sieh also
für die Hufp 180 Morgen. In einer koloer Urkunde lur die Abtei
Kamp von 1236 wird ein gewisser Bezirk „ad quantitatem CXX ju^
gerum, que vulgo regalis raansus dicilur," bestimmt*), währentfjede
der „Koninhkgeshuiven" der Abtei Prüm im Ardenner Walde 160 Mor-
gen Land enthielt •).
Die Kottigshufe zeichnet sich also durch ihre Grosse vor den
andern Hufen aus.
Ausserdem erscheinen diese Hufen aber auch stets a1^ panze
^ nzertrennte G rundstücke , denn wo die Urkunden sie näher beschrei-
ben, geschieht dieses immer nach ihren Anliegern oder durch An-
gabe ihrer Länge und Breite.
In ersterer Weise schildert uns eine Urkunde aus dem ersten
Viertel des z ghftten Jahrhunderts Güter im Ardennergau f ) ; dasselbe
geschieht in einer Reihe von Urkunden des Klosters Niederaltaich aus
dem elften Jahrhundert'), und noch 1419 findet man derartige Be-
s(chreibungen von Konigshufen an der Donau bei Passau •). Eine
ältere Urkunde von 1045 beschreibt eben wohl Konigshufen an der
Donau: „XV areas in longum prope Danubium extensas et retro
ha.9 triginta regales mansos contra ungaricam plateam mensuratos
et ab adjacente villa SUllefride ejusdemque conliguis terininis juxla
Moraham areas XX in longiludinem centumque regales mansos
retro pr.edictas areas contra ungaricam plateam respicientes ***).
Die Konigshufen findet man beinahe allentha lbe n in Deut sch-
land, am^ahlreichsten^ jedoch in den östlichen ehemals s lavisch en
Gegenden; wenigstens werden sie hier ani meisten in den Urkunden
1) Lappeabergy Hamburg. Urkbch. S. 121.
2) Lacomblet, ürkbch, 11. S. 110.
3) Hontheim, Hist. Trevir. I. p. 662.
4) Ritz Urkunden und Abhandlungen zur Gesch. des Niederrhetns und der
Niedermaas,
5) Mon, boica XI. p. 140, 142, 143, 152 u. 156.
6) Ibid. XXXI. 2. p. 165.
7) BoGzek, Cod. dipl. Moraviae I. p. H9,
genannt Zam grossen Theil lassen sie sich schon auf den Karten
dorch die eigenthümliche Gestali der Dörfer erkennen. Es sind nämlich
jene Dörfer, deren vereinzelte Höfe wie an eine Schnur gereiht sieb
oft Stunden weit durch die Thäler ziehen. Ich will nur beispiels*'
weise auf die (jegerid zwischen der Mulde und Pleisse und östUch
der Pleisse in Sachsen - Altenburg verweisen. Man gibt die dortige
Hufe jetzt auf 12 Morgen an, aber ich bezweifele , dass dieses die
ursprüngliche Grösse ist. Doch ist auch das dortige Mass schon
ein grösseres, so dass der dortige Morgen beinahe 2y^ hessische
Morgen einschliesst *). Denselben Elrscheinungen begegnen wir an
der bfifierschen D onau > an der Isar. und um den Tegernsee und
Schliersee. Auch die jlöfe de s Schwarzwalds möchtai hierher ge-
hören, teder der Höfe hal seinen Besitz m einem unzertrennten
Ganze n. In der Sohle der engen Thäler liegen die Wiesen (Matten),
höher das Ackerfeld, und zwischen beiden in der Regel die Hofge-
bäude, lieber dem Ackerfeld beginnt das Reutfeld oder der s« g.
wilde Berg, welcher beinahe ausschliesslich zur Hute dient, und erst
dann kommt der Wald*).
Ebenso glaube ich die Hufen des südlichen Odenwaldes für Koniga«
hufen halten zu müssen. So weit nicht durch die Entstehung der Stadt-
eben oder durch spätere Theilungen jeder Verband zerrissen ist > findet
man die doiligen Hufen aus einem Ijangen Streifen bestehend, welcher
von einer Flurgränze bis zur andern reicht. Im Grunde liegen die Wie-
sen , dann folgt das Pflugland , und am Ende der in die Hufe» gehönge
Wald. An einigen Orten werden die einzelnen Hufen, nur durch ein^
Furche, zuweil£ajäuycheinßÄ.EahxsKfig, meist aber durch einen 8 — 10
\ I nur TifMft TS"-»-- "^^ _ ^ ^^ ^
Fuss breite n, mit Rasen und Hecken bewachsenen steinigen Rainge- frcMAX
schied en. Das Gehöfte liegt stets auf der Hufe, bald in der Mitte, hald
am Ende. Jeder Hüfener schreitet von seiner Öofreithe auf nur ihm
zustehenden Wegen zu seinen Ländern, ja er hat sogar seine eigene
ViehtilSt und seinen eigenen Hutepiatz. Die Grösse dieser meist jetzt
durch Theilung sehr zerslückten Hufen ist sehr verschieden, und
wechselt zwischen 80 — 600 grossherzogl. hess. Morgen. Auch in
ein und derselben Feldmark sind sie nicht von gleicher Grösse. Ob
diese Verschiedenheit hier wirklich, wie behauptet worden ist'), al-
V
1) Einige Nachrichten über den Bezirk des Kreisamts Altenburg im Heixogth.
Sachsen - Altenburg S. 84. Löwe, Gesch. der Landwirthsch. im Herzog^th. Sack-
ten. AUenbnrg S. 78.
2) Rau, Archiv der politischen Oekonomiö IV. S. 22.
3) Der Waffenträger der Gesetze. 1801. Februarheft S. 178 u. 17#.
y hsDlbalben ° aof der Yerschiedenfaeit der Qualitfit des Bodens berahet,
vermag ich nicht zu entscheiden; ja^ es wird mir versichert, dass
man kleine Hafen mit grössten Theils schlechtem und grosse Hufen
mit meist gutem Boden finde» Hier und da bestehen auch noch Ge-*
meindewaldungeh ^).
An die Konigshufe schliesst sich zunächst die ^(arschhufe.
Die Hufen in den Marschgegeoden sind nämlich auf dieselbe
Weis e gebildet , indeiii sie eben wohl in langen Vierecken neben ein-
ander liegen, und s ie unters cheiden sich von jenen nur dadurch, dass
Ihre Vierecke durchaus regelmässige" Öblonga sind. Diese Form
wurde schon äufch'^Jfle' iJatur^ des Bodens bedingt. Man mussle
nämlich gleich bei .der Anlage für die Entwässerung die erforder-
fichen Vorrichtungen treffen, und dieses konnte nur durch die Füh-
rung geradlinigter Gräben (Schlote) geschehen, welche das Viereck
auf beiden Längenseiten einschlössen und die Feuchtigkeiten des
Bodens aufnahmen. Dadurch kam es, dass eine jede Hufe von ih-
ren Anliegern durch Gräben geschieden wurde, und das Ganze eine
durchweg regelmässige Gestaltung erhielt. Die Breite dieser Grund-
stücke ist sehr verschieden. In Wordfriesland sind sie schmal und
bestehen meist nur aus einem 24 — 30 Fuss breiten Beet, welches
voii _3 — 4 Fuss breiten Gr ä ben ein g_eschlossen wird*).
In der Regel liegt jed es Gehöfte auf seiner Hufe. Bald liegen
die Hofe eines Dorfes an einem der Enden und bilden dann eine
gerade Linie, bald liegen sie mehr oder minder in der Mitte, bald
ziehen sie in einer schiefen Linie über die Flur, oder liegen auch
wohl zerstreut über dieselbe, der eine hier, der andere dort. Nur
selten liegen die Hofe eines Dorfes zusammen. Die Wahl der einen
oder der andern Bauart ward wohl durch die Beschaflenheit des
Bodens bedingt. Doch nicht blos in den Marschen findet sich
dieser Anbau, auch auf der hohen Gast setzt sich derselbe fort, ob-
wohl er hier schon mehr der vorher geschilderten Weise entspricht.
An den hohem Punkten breitet sich das Weideland aus.
IfQ jfeve r- und Ha rlingerl and fi. wird ein solches abgeschlotetes
Mgischland ein Han> genannt. Dieses in allen germanischen Sprachen
sich wiederfindende Wort, das südlichere Heim, in der Vplksspra-
1) Jäger, Land-^ und Forstwirthschafl des Odenwaldes S. 27 und verschie-
dene handschriftliche Mittheilungen.
2) Falck,. Neues Staaisbärg. Magazin IIL S. 452.
j
che eben wohl noch Hern und Ham^ > bedeutet einfach ein Hao a. Y\ ^l/v^
eine Wohnung mit dem eingefriedigten Zubehör, also auch einen
Bauernhof y einei Hufe. Statt dieser überhaupt bei de n Friese n ver-
breiteten Bezeichnung braucht der Nordfriese jetzt mehr das Wort ^-yCM^VtC*
Vehne oder Fenne ^ welches sonst ein sumpfiges Weideland be-
zeichnet*). Der Gebrauch des Wortes in dieser Bedeutung wurde
jedenfalls duixh die bei den Marschl^dern elgenthümliche Bauweise
eingeführt, indem das Land nach mehrjährigem Fruchtbau wieder
einige Jahre dreisch bleibt, und dann als Viehweide dient In OsU
friesland sagt man statt Ham oder Fenne ein Stück Land von
$0 und so viel Diemath oder Grasen")', und dieselbe Bezeich-*
nung ist auch um Bremen gebräuchlich^). Ob dieses jedoch das*^
selbe ist was das Verder R egister kurzweg „ terra ** nennt'), ist mir
deshalb zweifelhaft, weil hier die terra nur 30 virgae umfasst').
Indessen haben wir schon aus der oben (S. 22) angeführten Urkunde
des Erzbischofs Friedrich von Hamburg von 1 _106 gesehen, dass
auch hier das königliche Mass angewendet wurde, und da noch heute
in den Marschgegenden ein Morgen Land drei bis viermal so gross
als anderwärts isf^, so scheint es als ob auch die Marschhufe als
Königshufe betrachtet werden müsse. Ob dieses jedoch allgemein
anzunehmen ist, kann und will ich keineswegs behaupten, da auch
die Marschhufen hinsichtlich ibrer Grösse ausserordentlich verschie-
den sind. Auch kann ich nicht sagen, ob in ein und derselben
Feldmark die einzelnen Hufen stets eine gleiche Grösse besitzen.
Allent halben wo Marsch- oder Moorboden ist, findet man
auch diese Hufe nform, weil eben keine andere möglich ist. Wir
sehen sie deshalb auch nicht blos in den eigentlichen Marsch-
gegenden , sondern auch in den norddeutschen Moorkolonien.
1) Der in Hessen nbUche. Rufv Ham, Ha ml den man besopders gegen
Kinder braucht, um sie zu warnen, einen gewissen Gegenstand nicht zu berüh-
ren , 18t dasselbe Wort.
2) Falck a. a. 0. u. Outzen, Glossar, der fries. Spr. S. 75 f. Richthofen, AUfrie-
sisches Wörterbuch S. 733.
3) Ahren^s a. a. 0. II. S. 302.
4) Stüve , Wesen und Verfassung der Landgemeinden S. 49;
5) V. Hodenberg, Das Stader Copiar S. 29 f.
6) Das. S. 64—66.
7) Stüve, Wesen und Verfassung der Landgemeinden u. s. w. S. 49. Die
Hufe in Bledecke besteht aus 4 Stücken, jedes von 4 Ruthen Breite und 1800
Ruthen Länge. Das. S. 50.
\
i
Aach die Anbauten in den schmalen Niederangen der Weichsel
acheinen hierzu zu gehören. Es sind hier etwa 25 Ruthen breite
Striemen Land, welche oft SOOj:=:i(Uy[lu|hen (i Stunde) lang sich
vom Flusse zur Höhe hinanziehen ^) , und sicher sind auch alle die
: zahlreichen holländischen und flandrischen oder fiftmischen Nieder-
• ^SSSyiPS?^ H^jl^T^^'^ ^^ zählen, welche während des Mittelalters im
I Innern Deutschlands entstanden, denn es sind stets sumpfige Ije^
\ genden , welche den holländischen und flandrischen Kolonisten zur
Urbarmach
Ri^»4 k M*«
Besonders anschaulich schildert uns eine Urkunde die Gründung
des Dorfes Ursel im gleichnamigen Walde bei Xanten. Schon 1265
hatte das Stift Xanten Massregeln getroffen, um einen Theil des
Waldes urbar zu machen*), und 1282 war in dieser Hinsicht ein
weiterer ÖcbriFt gescEeben , wobei ausdrückUch von dem dortigen
Sumpfe (palus) gesprochen wird'), als man 1315 sich zur Ablage
eines Dorfes entschloss. Es wurde nun bestimmt, dass die Hufen
in die Quere von der Seite gegen Sonsbeek zu der Seite gegen
Xanten_laufen sollten, so dass der gemeine Weg durch den Wald
unverändert bleibe; auch sollte von diesem Wege >in anderer ge-
meiner Weg nach Tungelar und dem Wald des Bischofs bestehen.
Ein jedes Haus sollte einen Weg zu der erstem Strasse haben , und
diese Verbindungswege sollten zum geroeinen Gebrauche dienen und
darum nicht zu den Hufen gemessen werden, ^elmehr ungemessen blei-
ben. Zu jeder Hufe wurden 15 holiän <lifip.% Mnryp.Ti hpstimmt^ und
festgesetzt, dass jeder, welchem 2 Hufen überwiesen würden, ein
Haus von fünf Balken *) und eine gute Scheune, welcher aber nur
eine Hufe empfange, ein ganzes Haus von fünf Balken erbauen und
diese Bauten sollten drei Jahre nach Uebemahme der Hufen vollen-
det sein').
Dieselbe Form, wie die vorher beschriebenen Hufen, hat auch
die Hageiihufe, „mansus indaginis"'). Der einzige äussere Unter-
1) y« Haxthausen, Die Ifindliehe VerfaMung in den ProTinseii Ost- u. West-
preussen S. 05.
2) Binterim und Mooren , Die Erzdiözese Kdln. Ukbeh. I. Nr. 163.
3) Das. Nr. 197.
/ .' , ^ I 4) Fünf Balken entsprechen 6 Balk^ggfachen von 4^bis 5 Fnss ^ wisch cb -
i weite nach alter Manier, so dass ein mit 5 Balken yersehenes Haus eine Breite
* Ton 24— SÖ'Fuss hal)£i)Ljyi£^.
" SyDäs. ff;'Nr;296.
6) Eine Urkunde von 1322 (Scheidt, Vom Adel S. L7) sagt: deciiBam ^ eam*
17
terschied von jenen besieht nur in ihrem geringem Umfange. Da,
wo die Bezeichnung Hagenhufe sich findet y Iftsst sich stets auf eine
späte Anlage schliessen, und wQ^n ich auch keineswegs behaupten
Willy dass diese Hufenbildung allen Neurodungen zu Grunde gfr*
legt worden sei, so bildet sie doch jedenfalls die Regel. Viele auf
solche Hufen gegründete Dörfer lassen sich schon durch ihre Na-
mensbildung erkennen, indem der zweite Theil des Namens in der
Regel aus dem Worte Hagen besteht. Da sie aus de m Walde
angerodet wurden, war em Zau n erforde rlich, um sie von diesem
ZU scheiden, und so entstand diese Bezeichnung. Sogar der Orts-
vorstand heisst Hagenmeister „magister indaginis^S ^^^ Name,
welchen man zwar vorzugsweise im Norden findet, der aber auch noch
in Hessen vorkommt. In der Regel waren es wohl freie Leute, wel-
che den wilden Boden von dem Grundherrn gegen bestimmte Ver-
pflichtungen zur Urbarmachung angewiesen erhielten. Es gehörte
ihnen deshalb auch nichts eigenthümlich als nur die Gebäude, wel-*'
cbe sie selbst hinzustellen hatten. Aus diesem Grunde nennt Cäsa-
rius auch die Königshufen „mansi ingenuales'^ *) , und beide, die Kö-
nigsbufe und die Hagenhufe, haben die gleiche rechtliche Natur, ja,
*es gilt dieses wohl von allen Klassen dieser Hufengattung. Da»
sich bei den Hagenhufen bildende Hofrecht wird Hager recht'),
sowie das Hofgericht Hagengericht genannt.
Zu diesen Hagenhufen gehören z. B. die „ sieben freien Hagen "
in der Grafschaft Schaumburg"), „die sieben freien Hagen" im Ra-
vensbergi sehen*), sowie überhaupt , wenn nicht alle , doch die meisten
auf deutsches oder fränkisches Recht gegründeten Niederlassungen
in den slavischen , der deutschen Herrschaft unterworfenen , Ländern-
In Schlesien u. s. w. heisst diese Hufe gewöhnlich die deutsche oder
pestrem super mansos regitivos, qui vulgariter dicuntttr Hegerselien houe.
Was dieses keissen soll, habe ich nicht ermitteln können.
1) Hontheim, Histor. Trevir. I. p. 662.
2) Ueber die Hägergüter s. unter andern Hagemann^s und Gflnther*s Archiv
für die theoret. u. prakt. Rechtsgelehrsamkeit. II!. S. 1 ff.
3) S. deren Rechte in Spangeuberg*8 Beiträgen m den deutschen Rechten
des Mittelalters I. 109 f. und Grimm's Weisth. III. S. 306 f. Eine Urkunde von
1241 nennt uns dort als indagines Heidom, Nordseel, Lauenhagen, Schmalen-
hagen, Osterwald , Oldenhagen, Lüdersfeld und Wienbräcke (Leibnit. Scr. R.
Brunsv. II. 184). Ausserdem gehören auch noch P<^UhageD ,. Hülshagen , Probst-
hagen, Krebshagen u. s. w, hierher.
4) Wigand , Archiv V. H. 4. S. 385 f.
f8
'ränkis^h e , dagegen in Mecklenburg , Poromern , Rügen u. s. mt*
(wo übrigens auch die Hufe) welche als vierte Hufengattung noch be*
schrieben werden wird, als Landhnfe vorkommt) die w e s t p h fl Jüa^ fe,e
Hufe oder „inansus indaginarius seu westphalicus^S ^^^ ^^mansus qui
Hagenhof dicitur".
Hin und wieder begegnet man auch Waldhufen und, irre ich
nicht, so sind dieses keine andern, als eben nur Hagenbufen, in-
dem jener Name nur ihre Anrodung im Walde bezeichnete. Schon
eine Urkunde von 839 verweist uns auf diese Waldhufen : „de esti-
mata silva hubae duae et dimidiam, et ad Leimovvo sil-
vam unam habentem hobas V. et in Obrindorf ad supplemen-
tum hobae decimae iurnales X. de arabili terra mensuratae ^< ^) , und
noch deutlicher spricht sich eine andere von 1030 aus: „villa —
cum XChobis silve"*). Man nannte sie Waldhufen, weil sie aus
dem Walde angerodet worden, gleichwie man das Recht, zu wel-
schem Rodländer verliehen wurden, auch wohl Waldrecht — jus
sylvestre") — nannte. Doch auch ohne besondere Bezeichnung kommt
diese Hufe ausserordentlich häufig vor, bald vereinzelt und zer-
streut zwischen Dorfern mit andern Hufen , bald auch einen ganzen
Landstrich ausschliesslich bedeckend , wie das z. B. am Niederrhein '
und an der Eifel der Fall ist
Zuweilen sind die Hufen von gleicher Grosse, oft aber wechselt
auch ihre Grösse in ein und derselben Flur auf die aufTallendste Weise.
Das erstere scheint vorzüglich nur in eben liegenden Fluren der
Fall zu sein, wo die Gute des Bodens keinen zu grossen Verschie-
denheiten unterliegt. Die Urkunde, durch welche 1097 das Stift
Speier das Dorf Wiesenthal im badischen Amte Philippsburg be-
gründete, weisst schon durch die Art und Weise der Bestimmung
der Anlage auf eine Gleichheit der Hufen hin. Das Stift übergibt
nämlich einer Anzahl von Kolonisten „locum nostrum dictum Wie-
jnsten in sylva nostra dicta Bischofshart nunc Lushart ex alia parte
ille Husen situm quoad lalitudinem et longitudinem octuaginta
Imansuum quod vulgariter dicitur Hüben sunt octuaginta mansus in
[proprio loco certis personils, que eundem locum a nobis receperunt
ut ipsum nunc incultum ad culturam et in culturam redigant et aedi-
1) WIrtemberg. Urkbch. S. 119.
2) Boczek, Cod. dipl. Morav. I. 113.
3) Lennep, Von dem Landsiedeieirecht S. 179, der es freilich anders er-
klärt.
ff9
ficeht villam In eödem que Wlesensten debet proprie appellari'**)*
Dieselbe Gestalt, welche Wiesenthal hat, nämlich eine lange V5n
Süden gegen Norden laufende Gasse, findet man auch bei den be^
nachbarten Dörfern Hambrücken , Weiher , Kirrbach , Roth u. s. w.
Die geringste Hufengrösse in solchen regelmässigen Fluren scheint
40 Morgen zu sein. Diese Morgenzahl haben die Hufen zu Wippe-
rode bei Eschwege und die mehrerer fuldischen Dörfer. Andere
Hufen umfassen 60 Morgen« Von dieser Art sind die westphälischea
Hufen in Mecklenburg u. s. w., wenigstens wird diese Zahl als Norm
angegeben*). Ebenso heisst es 892 von 30 in verschiedenen Gauen
Niedersachsens zerstreuten Hufen : „mansos XXX., tantae magnitudi-
nis, ut unusquisque mansus iugera LX. habebat in mensura^*'), und
ähnlich von einem baierischen Gute „predium ^^ cum curtifero et
arabili terra pratisque necnon cum lignorum copia jugera LX.^<^), wo
also die 60 Morgen enthaltende Hufe auch Wiese und Wald mit in
sich schloss. Auch im Schwarzwal d kommt dieselbe Hufe vor'),
desgleichen in Schwaben (861): „unam basilicam et casam cum curte,
ceterisque edificiis, ac de terra cultaLX jugera in foraste jacentia**').
Die letztere scheint indessen schon wieder eine andere zu sein, weil
die Hufe allein an Lande 60 Morgien enthält. Ganz in derselben
Weise zeigen uns auch Urkunden des Stifts Freisingen Hufen, wel-
che neben 60 Morgen Land noch einen gleichen Flächenraum
an Wald, und ausserdem auch noch Wiesen besassen. So ver-
tauschte das genannte Stift ein Gut „id est curtifera novem et tres
colonias et ad unam quamque de terra arabili jugera LX. Insuper
fructifera silva jugeraTTST^el de prftti«^ad^'C*^rradas " und erhielt
dagegen in einem andern Dorfe „curtifera duo, colonias duas eius-
dem mensurae id est ad utramque de arabili terra jugera LX , prae-
terea de silvula jugera LX et de pratis ad LXX carradas'^'). In
gleicher Weise finden sich auch Hufen von 90 Morgen Land. Es
1) Dumge, Reg:, dipl. Badens, p. 18.
2) Lisch , Jahrbücher des Vereins für mecklenbg. Gesch. ii. Alterthnmskunde
VI. Jahrg. S. 17. u. X. Jahrg. S. 398. Fabritius, Urk. zur Gesch. des Fürsten-
thnms Rügen II. S. 63 f. Gesenius, Meierrecht IL S. 31.
3) Eccard, Hist. gen. Princ« Saxon. L p. 238.
4) Mon. boica IX. 360.
5) Cless, Versuch einer kirchlichen u. politischen Landes- u. Kulturgeschichte
von Würtemberg. I. S. 122.
6) Neugart 1. c. p. 315.
7) Meichelbeck 1. c. 1. Nr« 994.
ist Jedoch möglich , dass sowohl diese , als Jene schon königliche Hu-
fen waren. Eine nordihüringische Urkunde von 979 sagt: ,,IV man-
SOS cum IV cortilibus ac tres jornales, unaqueque hoba habens XC
juirnales*'^), und ähnlich eine fireisinger: „hoc est curtiferum unum
sepe circumdatum , atque domum et horreum et fontem salienlem
et cetera utensilia, atque etiam colonias V, ad unamquamqae
jugera XC pertinentia^^'). Wie es scheint waren in diesen 90 Mor--
gen Land , Wald und Wiese begriffen ; doch finden sich auch sol-
che, welche, wie die Hufen von 60 Morgen, ausser dem allein
aus 90 Morgen bestehenden Lande auch noch einen ansehnlichen
Waldanthtil mit einschlössen, wie z. B. im Salzburgischen (865):
^de terra exartata parata scilicet ad arandum mansos integros VlII,
id est unamquamque coloniam iugera XC et de Silva undique in
gyrum scilicet ac per omnes partes miliarium unum cum terris , pra-
tis, pascuis, aquis^' etc.').
Häufiger noch als jene Fluren mit gleichgrossen Hufen mochten
indessen wohl diejenigen sein , in welchen der Flächenraum der ein-
zelnen Hufen ungleich ist; und dieser Abstand zeigt sich, ganz wie
bei den Köuigshufen bald mehr, bald minder verschieden. In Ip-
pinghausen bei . Wolfhagen , welches nach längerm Wüstliegen erst
im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts wieder angebaut worden,
wechselt die Grosse von 30 — 52 Motgen; in Bischhausen, westlich
von Eschwege, von 36 — 111; in dem demselben benachbarten
Kirchhosbach von 40 — 157 Morgen. Denselben Wechsel findet man
im Schaumburgischen, im Magdeburgischen und sicherlich noch in
vielen andern Gegenden.
Zu Bischhausen versicherte man mir, dass die Verschiedenheit
der Grosse auf dem Verhältnisse der Verschiedenheit der Güte des
Bodens beruhe; die kleinen Hufen besässen das beste Land und
mit der Abnahme der Fruchtbarkeit nehme die Grosse der Hufen zu,
weshalb auch die kleinen, also mit einer geringeren Arbeitskraft zu
bestellenden Hufen auch in einem hohem Werthe ständen , als die
grossen Hufen. Ich bin freilich nicht im Stande, dasselbe Verhältuiss
auch von andern Orten nachzuweisen, indessen kann jener Wech-
sel nicht willkürlich sein, er muss vielmehr auf gewissen Grund-
sätzen beruhen, und da ist dann eben jenes Ausgleichungs- Verhält-
1) Höfer u. 8. w., Zeitschr. II. S. 516.
2) Meiclielbeck 1. c. I. 987.
3} Nachr. von Juvavia. Anh. S. 09 u, 100.
Sl
niss den Gesetzen, auf welchen die Bildung der Hufen beruht, so
entsprechend, dass man ein gleiches Verhältniss auch wohl an al-
len andern Orten voraussetzen darf, wo ähnliche Hufen sich be-
finden.
Zuweilen mag die verschiedene Grösse der Hufen in ein und
derselben Flur aber auch dadurch entstanden sein, dass man den
Ansiedlern es überliess, so viel wilden Boden umzubrechen, als ih-
nen beliebte. Darauf deutet wenigstens eine Urkunde von 1477
hin. Drei Grundherren eines Dorfes vereinigen sich, jedem Meier
einen Kohl- und einen Kälbergarten anzuweisen und ihm zu gestat-
ten in der Halde Land umzubrechen. Neu sich niederlassenden
Meiern will jeder ein offenes Stück zur Saat mit der Erlaubniss ge-
ben , auch in der Halde zu bauen. Dabei behalten sie sich nun vor,
„wenn sie es für gut hielten, allen Acker gleich zu theilen, einem
Jeden so viel und so gut als dem Andern; doch sollte dann die
Gare und Stellung, welche Einer in dem einem Andern zufallenden
Acker habe , nach Möglichkeit ausgeglichen werden ^' ^). Obwohl
dieses. Beispiel nicht ganz passt , da das Dorf schon vorhanden und
das neu zu gewinnende Land nur Rodland ist, so gewährt es doch
jedenfalls einen Fingerzeig.
Die dritte Hufengattung.
Diese dritte Gattung bildet gewissermassen den Uebergang von
der vorhergeschilderten zu der zunächst folgenden Art.
Wie die vorige Art ein langgestrecktes Viereck bildet, so be-
steht diese aus drei gesonderten Stücken, so dass jede Hufe ein
Stück in jedem der drei Felder liegen hat.
Diese Hufenart scheint übrigens nur selten vorzukommen, und
es mochte deshalb sogar zweifelhaft sein, ob sie als eine besondere
Gattung hingestellt werden kann. Sie ist wenigstens mit der vor-
hergehenden nahe verwandt*).
Nach dem was v.Hjiaxthausen in seinen Studien (L S. 458) von
den Fluren der Tschuwassen, eines tartarischen Volksstamnfs östlich
der Wolga, erzählt, entsprechen diese ganz dem eben aufgestellten
Bilde.
1) Treuer, Gesclilechtshistor. der v. Münchhausen. Cod. dipl. p. 06.
2) Jakobi g^bt in der lUttstrirten Zeitongr, Jahrg. 1845. Nr. 110 die Zeieli-
nung einer 9olehen Flur,
n
DTe vierte Hufengattttng.
Es ist dieses diejenige Hufenart, welche als die am allgemeinsten
und am weitesten verbreitete zu betrachten ist. Während die vorher
geschilderten Hufen aus einem oder doch nur wenigen Stücken be-
stehen, liegt diese in eine oft grosse Zahl einzelner Ackerstücke
aerthellt d urch die ganze Feldflur zerstreut. Das gesummte Pflug-
land ist nämlich in eine bald grossere bald kleinere Anzahl von
Vierecken getheilt und zwar dergestalt, dass der Boden jedes dersel-
ben möglichst von gleicher Beschaffenheit ist, und jedes dieser Vier-
ecke ist in ebenso viele Ackerstreifen zerschnitten, als die Fltir Hu-
ten enthält. Ich muss bemerken, dass ich nur die allgemeine Regel
schildere. Jene Vierecke werden in Mittel- und Süddeutschland
Gewende genannt, im Niederdeutschen Wände oder Wanne.
Die Aeckef ein und desselben Gewendes sind in der Regel von jglei-
clier Grosse. Deshalb sagen die Schöpfen zu Vehlen (bei Bücke-
burg) auf die Frage, was geschehen solle, wenn einer dem andern
von seinem Lande abpfluge: ,,Wenn der eine, sein Stück gepflügt und
der andere das seinige darnach, dann sollten sie es messen und
darauf nach Befinden der erste das ihm entzogene Theil mit dem
', Pfluge sich wieder holen "% und noch bestimmter sagt dasselbe,
- dass die Acker eines Gewendes nach Breite und Länge gleich sein
müssten : „ Sie müssten^ jjeich sein mit der Breite ; was ihre Länge
betreffe, würde^e Wlinde ausweisen"*).
Je nach der Gestalt des Bodens, zumeist nach dem da-
durch bedingten Wasserlaufe, wechselt der Lauf der Aecker der
einzelnen Gewende dergestalt, dass stets ein Gewende mit seiner
breiten Seite auf die Längenseite eines andern stösst. Der Acker
nun, der m it sei ner langen Seite die Breite eines Gewendes berührt,
gehört in der Regel noch zu diesem, und wird der Äjawänder,
Voracke r (versura) oder Vor wart g enannt , weil aujr ihm" der
Pflug gewendet wird. Da derselbe erst dann bestellt werden kann,
wenn das auf demselben wendende Gewende bestellt worden ist, so hat
er einen geringeren Werth und man hat ihn deshalb meist durch
Zutheilung einer grösseren Ackerfläche, als die Aecker des Gewen-
des besitzen, entschädigt. Ein fränkisches Weisthum sagTdarüber:
« AufdenVoiäßlvern solle man zu dem Korne bis St. Michaellsiagj
zum Hafer bis St. Walpurgistag anwanden und jeder Voracker habe
1) Grimm, Weisth. III. S. 317.
2) Das. S. 314.
33
, 12 Sc huh mehr denn ein ander erjj. Minder besUnaml spricht sich
das Weisthum des Amts Koldingen (bei Hannover) aus , wonach eine
..rechte Vorwarth", wenn 2 oder 3 Stücke darauf schiessen, sechs
'' g ■' -fcll— I I IM I II II tili -- |___^ W ' ■•-»»»■
Schwadfiiuhahfij(L^ll*). Die einzelnen Hufen einer Feldmark stehen .
hiernach in der Weise In einem gleichen Verhaltnisse, dass, wenn
dasselbe verschoben worden, es durch eine neue Ausgleichung der
Hufen wieder hergestellt werden kann. In Mecklenburg, Pommern
fanden derartige neue ^Vermessungen schon im dreizehnten Jahrhun-
dert statt, "und es ererab sich nicht selten, dass mehr Land heraus-
gemessen wurde, als bisher angenommen worden, so dass dadurch
die Zahl d^r.^ Hufen erweitert werden konnte. Solche neue Hufen
nannte man „überschlägige"*). Es ist dieses allerdings nicht ganz
dasselbe, denn die Mes sung gini? von dem Grundherrn aus und ge-
schah auch zu einem andern Zwecke, weshalb auch Fälle vorkom-
men, in welchen insbesondere Klöster von der Nachmessung ihrer
Ländereien befreit werden*). *" *
Wo diese Hufenart in einer Flur so durchgeführt' ist , wie ich
es eben geschildert habe, sind sämmtUche Hufen von gleicher
Grosse. Doch finden sich auch viele Fluren, in welchen man bald
in (Äiesem bald in jenem jene Regeln verlassen hat. Oft hat die
BeschafTentieit des Bodens verhindert, ein volles .Gewende auszule-
gen , und in diesem Falle hat man die fehlenden Stücke einem an-
dern Gewende beigefügt. Konnte man es nicht verhindern, dass
einige Aecker eines Gewendes auf einen schlechtem Boden fielen,
so half man sich dadurch , dass man den Hufen , zu welchen diese
Aecker gehörten, noch -eine ausserordentliche Zulage von Boden
gab, wodurch dann diese Hufen grösser als die übrigen wurden,
oder, trat der umgekehrte Fall ein, so zog man den bessern Hufen
1) Grimm , Weistli. III. S. 627.
- 2) Spangonberg, Niedersächs. Archiv 1840. S. 423.
3) 1240: „unus mansus de eisdem terminis superhabundans^^ Lisch, Meck-
lenbg. Urk. 1. S. 64. 1288: „quod nos decem mansos — , quam ouerslacli ttomi-
namus ^nlgariier' — quos quidem maiisos excedere reperimus nnmerum manso-
rum, quos ^— fratres (monasierii Dargunensis) — habere debebant". Das. S. 183.
Auch eine thüringische fjrkunde von 1252 bezeichnet als den Bestand eines
Dorfes „XIV mansos — - et quosdam agros superfluos". Ludwig, Rel. Manuscr, 1«
p. 70.
4) 1297 : „ exemptam jßLüberam ab omni mensuratio nis et fmüca laUoftis .Kfr
i^cjs". Lisch 1. c. S. 204. Auch 1275 das. II. ^."60. Weitere Beispiele in den Brk.
7., Gesch. des Fürstenth. Rügen von Fabricius 11. S. 64.
Landau. Terrilonen. «>
34
eine entsprechende Zahl von Morgen ah. Dass diese Hufen dessen
ungeachtet in einem gleichen Werthe standen, ersieht man schon
daraus, dass sie trotz der v erschiedenen Grösse mit den rie i-
chen Diensten und , Lasten belegt wareil. Die Feldflur des Dorfes
Gombet in Niederhessen hat 4 7 1/4 Hujea von verschiedener Grösse,
und namentlich sind IIY4 Hufe etwa um die H älft e kleiner als die
andern , hinsichtlich der Dienste und Abgaben sind sie dagegen sämmt-
lich gleich. Als nun die Besitzer der letztern Hufen auf den Grund
der geringern Grösse ihrer Hufen eine Herabsetzung ihrer Verpflich-
tungen verlangten, wurde ihnen entgegnet, dass die Verschieden-
heit in der Grösse nur scheinbar sei, weil dieselbe lediglich auf der
Verschiedenheit der Qualität beruhe. Die neben einander liegenden
Gewende laufen auch nicht selten in eiircr Furche fort, und ebenso
vermisst man häufig auch einen besonders ausgelegten Anwänder.
Die Wiesen sind natürlich bei' dieser Hufenart besonders ver-
theilt und zwar nach sehr verschiedenen Grundsätzen, weil die Er-
tragsfähigkeit der Wiesen noch mehr wechselt, als die des Piluglan-
des. Bald findet man die geringere QuaUtät durch eine grössere
Quantität ersetzt; bald hat man die Verschiedenheit dadurch ausge-
glichen, dass die Besitzer zweier Wiesen, von denen die eine im
Thalgrund'e liegt .und deshalb bewässert werden kann, "die andere
aber höher am Thalabhange und über dem Bewässerungsstrich sich
befindet, ein um das andere Jahr in der Benutzung mit einander
wechseln; bald hat^ man einen durchgehenden Wechsel eingeführt,
so dass dieselbe Wiese erst nach Ablauf einer gewissen Reihe von
Jahren wieder an denselben Mann zur Nutzung gelangt. Am häu-^
figsten ist es jedoch der Fall, dass man einer jeden Hufe in jeder
Lage einen Wiesenantheil überwiesen hat, und es scheint den alle-
ren Urkunden nach , dass man insbesondere drei verschiedene Lagen
zum Wiesenbaue ausgewählt habe*).
Die zu diesen Hufen gehörigen Hofreithen liegen stets zu
einem ges chlossenen Dorfe vereinig t. Doch gehören die Hofrei-
then nicht immer zu den Hufen selbst, sondern sind oft auch
1) Z. B. „1 mansum in Ebenstein cum curtili et XX iurnal. de terra aratu-
turia etpratain tribus locis (Trad. Lauresli. nr. 855) ; in terra araturia in
duübus locis 1 et pone 1 Journal, in tribus locis prata (ibid. nr. 879); man-
SOS X et II iurnales et unam vineam et in tribus locis pratis (ibid. nr.
1099); unum mansum et XL iurnales de terra et prata in tribus locis
iuxta fluvium Werisa et de silva portioneni suam" (ibid. nr. 3716).
95
besonders ausgelegt. In dem erstem Falle ist gewöhnlich ein Ge-
wende der Hu fe — wenn ich es hier so nennen kann — zur An-
\a ^e des „Porfes ^enomme^ , wodurch es dann kommt, dass je3e
Hofreithe auf ihrer Hufe liegt*). Alles was ausser dem Hufeftver-
bände sich befindet , ist Gemeindeboden oder erst später von der Ge-
meinde veräussert worden.
Jf^de aus c^erartiyei;! *H ufen bestehende Flur bildet ein vollständig
g^T/b^O^?^^ ^^ , i Q^^^^z es , ja noch vollständiger abgeschlossen, als die
Fluren der vorher beschriebenen Hufenarten. Während es wenig-
stens möglich ist , letztem noch ein Stück zuzufügen , ohne dass die-
ses sofort das Ganze geradezu stört, ist bei dieser Art jede derar-
tige Erweiterung geradezu unmöglich. Jedes neugerodete Stück Land
liegt ausserhalb der Hufe und gibt sich, auch abgesehen von der
verschiedenen rechtlichen Natur , schon durch sich selbst als solches
zu erkennen.
Eben darajas erklärt es sich auch, dass neben den Hufen häu-
fiff noch einzelne Aecker, oft in bedeutender Zahl , genannt werden^).
Eine wesentUche Abweichung von der geschilderten Feldord-
nung findet sich indessen oft in solchen Fluren , von denen ein Theil
einem Herrnhofe zusteh t. Hier liegt die Hofländerei ( terra salic a) häu-
fig ausse r der Gemeinschaft und bildet ein für sich bestehendes ab-
geschlossenes Ganze_s und. findet sich- dann auch meist zunächst
vor dem Dorfe, doch i n der Regel in drei Thei le geschied en, näm-
lieh in jedem Felde einen Theil. Auch wurden diese Länder mit-
telst Zäunen von den andern Ländern geschieden und kommen
dann häufig unter den Namen Beunden oder zur Unterscheidung
von den ebenso genannten Gärten als Herrnbeunden vor^).
Derartige Beunden findet man z. B. urkundlich zu Sehgenstadt*),
zu Florstadt ■*) , zu Bürgel*) und noch im siebenzehnten Jahrhundert
1) z.B. „881 capellam unam cum liuba siia, in qua exstnicta est". Kindiinger,
Gesch. der Hörigkeit S. 219.
2) Zahlreiche Beispiele hiervon finden sich in allen Güterverzeichuissen. So
werden in Weissenburg ^gO Mor!^^y| ^<*fr«? ^^ ff"*^" ^k'ffeefiihci, und Gleiche»
findet sich bei allen andern Orten, S. Zeuss, Trad. Wizenbg. p. 273 f.
3>) Uebrigens sind auch viele solcfier Hofländereien zerstückt und einzeln an
Orlseinwohner in Leihe gegeben , welche jedoch auch dann noch Beunden ge-
nannt werden.
4) Rindlinger, Gesch. der deutschen Hörigkeit S. 422.
5) Grimm, Weisth. III. S. 448.
6) Das. I. S. 516.
3*
36
zahlreich in der Welterau. Zu DUUch in Niederhessen bestand die
Herrnbeunde aus dreP), zu Monre in Thüringen aus vier getrenn-
len Theilen*),
Bei dieser Hnfenart zeigt sich ein bestimmtes ziemlich allgemein
durch ganz Deutschland übliches Normalmass , und dieses Mass sind
Morgen . Nur in sofern tritt eine Verschiedenheit ein , als die
"Wiesen bald In diese Morgenzahl mit eingerechnet sind , bald als da-
von abgesondert und selbst ständig und nicht in die Hufe selbst ge-
Tiürlg aufgeführt werden"). . . . ~
Solch e Hufen zu 30 Morgen finden sich im Holsteinschen*) ,und
überh'aupt in Niedersachsen ^ ) , namentlich in Engern *^ ), ij Thiirin-
gen ') , im Grabfelde ^), i j| Hesjsftn^ ), am Niederrhein und der Mosel ***),
im Niederlahngau ")7iffi Rheingau ^% i m Wormsgau "), im Lobdengau ^%
1) „In Dycliche sunt terre arabiles in tribus bundis ad tres^ equos". Sei*rär. II.
p. Ö54.
2) „IV gebunden*«. Grimm a. a. 0. III. S. 61Ö.
3) Die unten vorkommenden Urkunden -Auszüge geben Belege hierfür.
4) Haussen, Das Amt Bordesliolm S. 69 u. 153.
5) 1266 Ecken ba rdeleben; „Ires mansos integj^os, id est nonaginta jugera ha-
bentes". Scheidt , Vom Adel. S. IL
6) „ In Hunlileshuson (vel Huiddesliuss) XII mansi vel liove unaqueque XXX
habens iugera". Wigand, westph. Archiv. Bd.I. H. 2. S. 14. Ebenso S. 15 und ^
H. 3. S. 53 u. 56.
. 7) Höfer, Deutsche Urk. S. 53 u. 54.
8) „In Bennendorf 11 mansi pleni et XXX jugera per singulos campos*'
(Dronke, Tradit. et Antiq. Fuld. p. 54); 779: „uua huba, quod est XXX jugera"*
XDrouke, Cod. dipl. Fuld. nr. 66) ; „V. hvobns cum V. mansis et ad unamquamqne
hvobam XXX jugera'' (ibid. nr. 708);
0) 1358: „je 30 Morgen für eine Hube gerechnet". Wenck, a. a. 0. Ukbch. 11.
ö» öV4. ,
10) 1249 zu Königshofen: „quoddam alodium meum sc. XXX jurnales terre
ar. in VII partibus distinctos et unam aream" (Ritz a. a. 0. S. 84). S. auch La-
comblet, Ukbch. II. S. 1 u. 121.
11) „In Walangere marca unum mansum et XXX iumales de terra aratoria'^
Tr Laurish. nr. 3717. S. auch 3124, 3134, 3707, 3708, 3718 ff.
12) „Notandam, quod unus mansus per totam kinegowe habet XXX jur-
nales'*. Sohaab, Gesch. der Stadt Mainz III. S. 112.
13) „Mansum unum et de terra aratoria iumales XXX, et terram ad vineam
faciendam". Tr. Laurish. nr. 1218 ; „unum mansum et XXX iumales de terra ara-
toria" (Ibid. nr. 1245, desgl. nr. 1276).
14) „Hebara 1 — ^ et 1 mansum, id est XXX jurnales campis, pratis etc.'' ibid.
nr. 814.
»
\
S7
im Speiergau ^) , im Elsas M ^ in Schwaben M i In Baiern *> u. s. w.
Die Hufen dieser Gattung von wechselnder Grosse werden zu-
weilen auch in den Urkunden bemerklich. Das Dorf Bühne, bei
Warburg, hat Hufen von 30 und 40 Morgen '), und dasselbe Ver-
hältniss zeigt sich auch in einem andern Dorfe M, während am
Neckar in einer Flur Hufen von 30 und 43 Morgen neben einander
bestehen ''), Noch zahlreicher kann man derartige Hufen aber in
der Wirklichkeit finden.
Mit diesen zunächst verwandt sind die Doppel- oder zwie-
fjiltige n Hufe n, welche a us Zwei zusammengelegt en Hufen von
^ Mff'^ff^T? h***^**l"^*^" Dieselben umfassten also 60 Morgen u nd wer-
den darum auch die grossen Hufen genannt . Zu diesen gehören
insbesondere die s. g. fuldisch en H ufen. Zu Bischofsheim, zwi-
Stehen F rank furt mid Hanau, findet man „vierdehalb und tzwantzig
Hube f tfldischer Hu be vnd Ugdijdfit eyn fuldische Hube eyn ..tzwie^
feldige Habe** und dazu werden auch „vierdehalbe und tzwantzij
Hoffraide, genannt Hüphoifraid e ader Hoffestat" gewiesen ®), wäh-
rend eine Notiz von 1348 bemerkt, dass eine schlechte (einfache)
Hufe 30, eine fuldische H ufe3Jb.gr 60 MorgßÄ luxllp ')• Solche Dop-
pelhufen finden sich im Fuldaischen selbst namentlich zu Rstsdorf,
Leimbach u. s. w. ^^). Ferner bei ^onn"), in Niedersachsen, wo 892
36 an verschiedenen Orten liegende Hufen alle zu 60 Morgen an-
gegeben werden , ") ' und namentlich an der Weser *') , so wie in
1) 850: „mansos XVIIL — singule earum cufn pratis et terra arabill ad XXX
juruales emensas". Dümge, Reg. Badens, p. 72.
2) Gririim. V^eislh. 1,716.
3) 778: „ et de terra salica iuches XXX." (Neugart, 1. c. I. p. 66.) ; 804: „casa
cum casale — et de terra arativa XXX iuclios et duas pratas, una qui dicitur
Vvolcoozreod etc." ibid. p. 127.
4) Aventiiius, Chron. Bavar. 1. VII p. 453. Fenier : „ curtiferum unum cum poma-
rio et in unaquaquearatura jugera X et de pratis carradas X." Meichelbeck. I. c. 1,987.
5) Kindlinger, Münster. Beitr. II Ü. S. 142.
6) „lu Liuimareshuson continentur III huobe (idem hove hoc est mansi) et
unusquisque mansus ad XL jugera extenditur et in super XXX jugcra, omnia.
salice terre." Wigand , Wedtph. Archiv I. 3. p. 56,
7) Tr. Lauresh. nr. 690,691 u. 693. 9) Würdtwein, Dioec. Mog. 11,619.
8) Grimm, Weisth. 111,8.478. 10) Dronke, Cod. dipl. nr. 673,699 u.700.
H) 1047: „laetilem mansnm 1, habcntem iornales LX." Höfer etc. Ztschr. 11.
S. 527.
12) Orig. Guelf. IV p. 403.
13) „In Visbichi continentur salicc terre quatuor mansi sive huobe, unaque-
que earum LX habens iugera." Wigand a. a. 0. I, 3, p. 49.
2ß
I
taiern , *) und komitfen auch noch in andern Gegenden vor; nur ist
es ni^UJmmer möglich zu erkennen, oh sich die Angaben auf die
gegenwärtige oder eine andere Hufenart beziehen, weil namentlich
auch die norddeutsche Hagenhufe 60 Morgen enthält.
Ausser diesen Hufen von 30 und 60, gibt es ferner andere
von 32 *), von 40 '), von 45 *) und 50 Morgen, ') und eben so
kommen auch Hufen mit ungleichen Zahlen vor *).
Fünfte Hüfengattun g.
Diese Jetzte Art von Hufen hat mit der eigentlichen Hufe nur
die Grösse und den Namen gemein; sie ist nichts als nur eine ein-
fache Grossenbestimmung. Da wo nämlich der Hufenverband ge-
lost und die einzelnen Theile durch Theilungen, Kauf u. s. w. durch
einander geworfen und nicht seilen mit dem Rodland vermengt wor-
den sind, oder wo man Rodland in grosserm Umfange bestimmen
will, rechnet man zuweilen nach Hufen, und versteht dann stets
diejenige Zahl von Morgen darunter, welche in der Gegend zu ei-
1) Aventinus 1. c.
2J Im Maingau: Grimm, Weisth. I, 512. Zu Münder im Hannoverschen 1289 :
„dimidium mansum habentem sedecim jugera." v. Hodenberg , Kalenberger ürk.
1. Abth. Archiv des Klosters Barsinghausen. Nr. 60 u. 61.
3) Im Bonnergau (1047. Höfer etc. Ztschr. II, 527) ; in Baiern (Mon. boica IX,
p. 360); zu Werdorf bei Wetzlar; (unum mansum et XL jurnales de terra. Tr.
Lauresh. nr. 3195 u. 3716); zu Wannendorf (ibid. 3718 u. 3721.); zu Gons bei
Giessen (ibid. 3077 — 3703 u. 3718. Andere Beispiele s. noch nr. 3752 u. 3755.);
zu Klingen im Speiergau („sunt — ibi XIII mansi, unusquique XL iurnales habens."
Zeuss, Tr. Wizenbg. p. 304) } im Stift Freisingen (Meicbelbeck 1. c. I, 783.) u. s. w.
4) Im Murgau 873 : „ curtim dominicam cum aedificiis et sepibus bene vesti-
tam. Et ad eandem curtim dominicam pertinent jurnales LXXX, insuper
hoba6 serviles XVIII. Et ad unamquamque hobam pertinent j um ales
XLV, de pratis ad singulas hobas carratas V, et ad exstirpandum hobas XIIII.*^
(Wirtembg. ürkbch. I. S. 173.).; in Engern: „mansum unum XLV jugera con-
tinentem." (Falke, Trad.'.Corb. p. 875) und im Stift Freisingen: „hobam legalem,
id est in tribus plagis jugera, XV." (Meicbelbeck I. p. 1112). ^
5) „unam hubam, quae tenet L jurnales." Trad. Lauresh. nr. 3752,
6) „hubam quandam — que cohtinet XXIX jugera agrorum" und in derselben
Gegend „ dimidiam curiam , continentem XXXIIII jugera." Mon. boica XI. 381. u.
380. Ferner: „coloniam unam, hoc sunt jugera XXVI et de pratis carradas X
atque curtiferum unum cum pomario , et silvulam rite ad eundem curtiferum per-
tinentem." (Meicbelbeck 1. c. I. nr. 987.) ; 783 : hobas tres de arativa terra contenentes
iurnales centum, et de prata ad carradas XXXVII, casas, cupinia, spicarium»
curti clausa cum domibus, edificiis et officinis earum mancipiis VII. (Neugart,
Cod. dipl. Alem. I p. 77.)
38
ner vollen Hufe* gehört. Die Zusammenlegung einer solchen Hufe^,
ist so willkürlich, dass die einzelnen dazu gehörenden Ländereien
zuweilen in mehreren Feldmarken zerstreut liegen. So nennt ein
Güterverzeichniss des Klosters Wunstorf eine Hufe Land von 32
Morgen, deren einzelne Theite in fünf verschiedenen Feldfluren lie-
gen, von denen vier zum Amte Wenningsen und eine zum Amte
Blumenau gehören *). Wie es scheint ist es vorzugsweise diese
Hufe, welche man als ei nen Pflug Lan des bezeichnete, und es lässt
sich dieses in dem Falle wohl stets als unzweifelhaft annehmen,
wenn in den Urkunden der Umfang von Ländereien nur unbestimmt
und schätzungsweise auf eine gewisse Anzahl von Pflügen ange-
Rphlage p wird ^ wie z. B. 1287 ,, super quodam spatio terre agrestis,
pene ad tria aratra, site in terminis sive marcha ville Wobelingen*)."
4) Namen der Hufen und der einzelnen Grundstücke..
Eine jiöde Hufe hatte ihren eigenen meist von einem frühern
Bebauer entlehnten Namen, z. B. (775) „ iHam hobam , que dicitur
Adalolteshuba* * '), und (796) „id est illam houam integram Alfgating -
houa'**); eine andere Urkunde von 817 nennt uns eine Reihe von
Mausen, alle nach den Namen ihrer Inhaber ^). Ausserdem hat-
ten sie noch Gattungsnamen, je nach ihrer rechtlichen Natur und
M— — W<1»J "M III « IIIII ■ I IUI«
der persönlichen Stellung ihres Bebauers z. B. Salhufe, Barschalks-
hufe, Kirch en hufe u, s. w. oder nach besondern Verpflichtungen, wel-
che ihnen auflagen, z. B. Bardgnhuve, Berinhuve, Cidelhuve,
Draselh uve , Glasliuve u. s. w. ®). Aber nicht nur jede Hufe, auch je-
der Theil einer solchen, jedes Ackerstück, hatte s einen Namen, nur
dass dieser mehr von der Lage oder sonstigen zufälligen Umstän-
den entnommen war. Von zahllosen Beispielen nur eins. In einer
Urkunde von 13 24 kommen mehrere solcher Bezeichnungen vor: ,,de
II iju p^eribus dictis an de r^Kruc kin, item de 1 jugere sito obir daz Flöz,
de agro dicto daz brenun stucke, de jugere dicto der Ozzillin mor-
gin, in agro dicto daz crumme stucke, de jugere sito of der bach
1) V. Hodenber^, Kalenberger Urk. 9te Abth. Archiv des Klosters Wun-
storf S. 136.
/ 2) Gudenns, Syll. anectot. p. 286.
>3) Wirttembergisches Urkbch. I. S. 15.
. 4) Lacomblet, Urkbch. I. g. 5.
5) Das. S. 91.
6) Lacomblet, Archiv S. 310,311,300,327,331,322,336 etc.
1
40
n
II
etc." *). Auf welche Weise oft derartige Bezeichnungen entstanden,
davon gibt uns das Folgende ein Beispiel. Im J. 1665 berichtet der
Pfarrer zu Kaldern über einen Streit mit einem Bauern. „Er habe",
sagt der Pfarrer, „nicht unbillig das Exempel Hans Ruhl e zu be-
denken gegeben, der zwar ein reicher trotziger Bauer, aber auch
ein Hj^lfijxatz, welcher nicht allein um einen Acker, so kaum 2
Gulden wehrt, 100 Gulden verhadert, daher der Acker noch den
Namen hat, der güldene Schujj" u. s. w.
Unzweifelhaft haben die Bezeichnungen im Verlaufe der Zeit
mehrfach gewechselt , a b^r. sicher finden sich a uch nodi heute Namen.
I welche bis in die frühesten Zeiten h inaufreichen.
5. Die bäuerlichen Besitzverhältnisse.
Ungeachtet jede Hufe, wie bereits oben bemerkt worden ist,
auf die Kraft und diQ Nahrung einer Familie berechnet war, so sehen
wir doch schon frühe nicht nur häufig mehrere Hufen in einer Hand %
sondern ebenso häufig auch eine Hufe unter mehrere Bebaüer ver-
theilt. So findet sich 808 eine in drei'), 797 eine in sechs*), 1141
eine in sechzehn Theile*) zersplittertie Hufe.
Ausser diesen Hufentheilen , finden sich aber ebenso frühe noch
andere kleine Besitzungen, welche kein Hufengut waren und nur
aus einem Stücke L^hd oder einem Weinberge bestanden , z. B. :
..matisum ^j [ |,res homines manere possunt. et unam vineam"°). Es
sind also drei WohnuAgen auf einer Hofreithe, und zu denselben
gehört nur ein ^Weinberg. Aehnlich findet sich im Jahr 787 ein
Haus nur mit einem Morgen: „1 mansum' — eLUAUn? jurnalem"^).
Bei den Tlieilungen der Hufen MTirde jeder Acker in zwei oder
mehr Theile der Länge nach zerschnitten, doch keineswegs immer
gleich, da häufig die Verschiedenheit des Bodens dabei berücksich-
tigt wurde; und in ebenso viele Theile, als die Hufe, wurde auch die
Hofreithe zerlegt, um den Raum für die neuen Wirthschaflsgebäude
zu gewinnen*). So lange die Dienste bestanden, galten diese getheil-
1) Baur, Urkbch. des Klosters Arnsburg S. 372.
2) 889: „hobas XV cum famulis V." Neugart I.e. 475. Im späteren Mittel-
alter gab es vfele Dürfei;^ lii denen die meisten ßauern 2 — 4 Hufen bcsasseu.
3) Zeuss I. c. Nr. 19.
4).LacombIet I. c. S. 6.
5) Gttd. Cod. d. I, 26.
6) Tr. Lauresh. No. 1094.
7) Ibid. No. 1604.
8) „III mansos et XXX jurnal. de terra araturia — lertiam paftcm de uno
manso cum casa et curia et pomerio et terra aratoria" ibid. No. 669 u. l388.
\
41
ien Hufen immer noch als ein Ganzes, und man überliess es ihren
Besitzern sich über die Art der gemeinsamen Leistung der Dienste
unter einander zu verständigen.
Je nach der verschiedenen Grösse des Besitzes wkd der Beskz
selbst, sowie auch der Besitzer mit verschiedenen Namen belegt,
welche indess nach den verschiedenen Gegenden sehr wechseln. Der
Besitzer einer vollen Hufe ist ein Hüfene r, ein Vollhüfener,
westphäliseh Howeling*) oder, wie ihn die lateinischen Urkunden
nennen, ein Man sionarius ; andere Bezeichnungen dafür sind
VoUerbe, Grossroeier, Vollspünner n. s. w.
Die, welthe nur eine halbe Hufe besitzen, sind Halbhüfener ,
Halbspänner, Halbmeier u. s. w.
Ganz dasselbe, was die letzteren Namen bezeichnen, scheint
die Schupp se in Schwaben, Elsass und der Schweiz zu sein*),
nämlich eine hqibe.,HuJe; man findet wenigstens an einem Or^e,
dass die Schupose gerade halbsq viel Holz erhielt, und an einem
andern , dass eine solche gerade um die Hälfte weniger Abgaben zu
leisten hatte, als eine Hufe*). Dasselbe Verhältniss zeigt sich 1428
auch zu Martellen in der Schweiz, ind^m derHüfener mit zwei, der
Schuposer mit einer Person Eckern lesen durfte*). Es ist jedoch
möglich , dass auch geringere Güter , als halbe Hufen , diese Bezeich-
nung erhielten, wofür wenigstens die Verschiedenheit des Abgaben -
Verhältnisses, welches sich zuweilen unter den Schuposen ein und
desselben Dorfes zeigt'), zu sprechen scheint.
Nach J. Grimm") bezeichnet das Wort Schupose überhaupt
einen Hufenthei l , gleich wie dieses auch mit dem im Anspachischen
vorkommenden Enkelein der Fall ist '^).
Eine andere Klasse von ländlichem Besitz umfasst endlich jene
kleinen Besitzungen, welche meist nur aus |jae|r>^hnung^und^
Gärtchen bestehen und in der Regel auf dem Grunde eines Bauern-
1) 1225: „litonesjoui Howelinge vulgariler nuncupanlur". Kindlinger , G. d.
deutschen Hörigkeit S. 2Ö2.
2) Vgl. hierüber Mone in s. Zeitschr. für Gesch. des Oherrheins I. S. 351
und Renaud, über die Gemeindenutzung in der Zeitschr. von Wilde und Reyscher
IX. 35.
' 3) Grimm, Weisth. I. 107 u. 204.
4) Schauberg, Zeitsch. für Schweizer Reclitsquellen I. S. 155.
5) Grimm, a. a. 0. II. S. 174.
6) Haupt, Zeitschr. Vm. S. 394 — 396.
7) Mittheil, des histor. Vereins des Rezatkreises 1830 S. 31. 32 u. I83I S. 26.
4«
hofes oder auf Gemeiadebodeo stehen , und desslmlh j^^ Y^nhnHr.^ ^ niif.h
k eine Gemeinderechte haben. Ihre Bewohner sind ineist Tagelöh ner
und Handwerker, und kommen unter verschiedenen Bezeichnungen
vor. Eine sehr gewöhnliche Benennung ist Ei^nläuftige. Schon
eine norddeutsche Urkunde aus der Zeit Karl d. .Gr. bezeichnet die-
selben als solche, welche ohne Grundbesitz seien: „ ^plivaft K qui ex
parte .domihi terram non habent" *), ähnlich wie einellrkunde von 1363
sagt: „die einlefftigen Luth e, die nit uff ihrem Aigen oder ihrem
Erbe sitzen" *j. Dieselben nennt, eine Urkunde von 1283 auch „Los-
jungere seu Enlouckelode" '); während eine gleichzeitige in Mainz
ausgestellte thüringische Urkunde „de hominibus , qui Hindersedel di-
cuntur — , apud nos vero eyl^^^^^^ ^"^ff !^ spricht*), nennt sie eine wenig
spätere denselben Ort betreffende Urkunde „ Hrndersess e seu eynleffdec
man"°). Auch 1338 werden die „einluftigen u nge warte n Lute
qui nuUa bona in campis habent**, den ^ewarten Leuten, also den
zur Mark berechtigten Einwohnern entgegengestellt ®). Ein korvei-
sches Güterregister nennt sie „mancipia, qui dicuntur Enlupe"^).
Dasselbe bezeichnet auch das i\|ftdftrsnr.hslRr.hft Kother und
Kossäte (YftT? ^ift^^il • oder wie sie eine Urkunde des 12. Jahrhunderts
nennt: Cotteres®), doch giebt es auch Köther mit «Anspann und
auch solche , welche markberechtigt * sind '). In den lateinischen
Urkunden heisssen sie Inquilini ^°).
Dieselbe unbestimmte Bedeutung hat das baiersche Seidner ")
und das eben wohl nur im Süden vorkommende Kebler oder Koh -
le r ^ *). Das letztere bezeichnet einen Bauer, dessen Viehstand so
gering ist, dass er mit mehreren zusammenspannt, oder wie ein Weis-
1) Kindlinger, Münst. Beitr. II. U. S. 3.
2) Grimm, Weisth. III. 436.
.3) Das. S. 313. S. auch S. 321.
4) Bodmann, Rheing. Alterth. S. 775.
5) Grimm Weisth. III. S. 620.
6) Bodmann a. a. 0. S. 774.
7) Kindlinger a. a. O: II. S. 141.- '
8) Kindlinger a. a. 0. II. S. 141.
. 9) Strodtmann, Idioticon Osnabrück, p. 113. So kommt ein Koten mit
18 Morgen vor. v. Hodenberg, Kalenberger Urk. 9. Abth. Archiv des Kl.
Wunstorf S. 136. . ' ^
10) Eine dänische Urkunde nennt : Vit „inquilinos seu gartjiS^|5os". Langebeck
Sei*. Rer. Dan. VI. 425.
11) Schmeller a. a. 0. III. 235.
12) Das. 11. S.. 275. _ *
48
Ihum sagt: „der. mit zweien oder dreien Köpfen oder mit vier
oder fünfen — kopttet " *)•
Es ist jedoch keineswegs Absiclit die ganze lange Reihe von
Bezeichnungen, welche in Deutschland für die verschiedenen Klas-
sen von Bauern gebräuchlich sind, aufzuzählen; denn beinahe in
jedem Bezirke wechseln nicht nur diese Bezeichnungen, sondern
eben so auch, die damit verbundenen Begriffe. So heisst es z. B.
in einer Schrift von 1556 aus Niedechessen : „zwischen uns den
Kodnem » die kein Hubenland haben , aber doch andern Erbacker, an
einem , und dann den andern , so auch zum Theil Ködner sein , aber
Hubenland hab^n, einer mehr denn der andere, etliche kaum eine
halbe Hube Landes , etliche kaum eiö Viertel von eine Hube haben,
andern Theils" u. s. w.
6) Die Ackermasse.
Die Hufe besteht — wie oben ausgeführt worden ist — bald
aus einem zusammenhängenden , Stücke , bald aus mehreren oder
auch wohl aus vielen einzelnen von einander getrennten Stücken.
Diese einzelnen Theile werden Aecker oder Stücke Landes,
lateinisch Petiae genannt*). Wie alle übrigen Gemässe, so wech-
selt auch der Gehalt des Flächenmasses nach den verschiedenen Ge-
genden, und es bezeugt desshalb eine gleiche nominelle Grösse an
zwei verschiedenen Orten noch keineswegs auch eine räumliche
Gleichheit.
Beinahe jeder Gerichtsbezirk besass ehemals seinen ^;g:enei ;i Mass -
stak und erst spät, zum Theil erst seit dem sechszehnten Jahrhun-
dert , hat man begonnen in den einzelnen Ländern Normalmasse ein-
zuführen.
Darum können denn auch 2 Hufen, von denen zwar jede 30 Mor-
gen hat , die aber in zwei verschiedenen Bezirken liegen , in ihrem
1) Grimm a. a. 0. III. 630.
2) „X jugera — in una petia (Würdlw. Subs. dipl. IV. 241); ..duas petias
agri , qnod wlgo dicitur twe Stuclandes (v. Hodenberg , Diepholzer Urkunden
Nr. 330) ; ... Septem pfirticulas agrorum (das. Nr. 335) ; tria jugera vinearum
Sita in una petia , quod wlgo dicitur an eyme Stuck e (üngedr.)". Von petia
stammt das franziDsische piece. Die Bezeichnung Acker wird zwar auch schon
in älterer Zeit zuweilen in dem Sinne eines bestimmten Landmasses gebraucht;
(858; „de culta terra X agros", und 867: „iu villa . . . LXXX agros." Schannat, Tr.
Fuld. No. 487 u. 504), ist aber im Allgemeinen^ ungewöhnlich unä hat sich nur
hin und wieder , namentlich in Hessen , ein volles Bürgerrecht erworben.
44
wirklichen Fläcbengehalte sehr verschieden sein. Der oberhessische
Morgen (=180 Q Ruthen ä 16') ist z. B. = 1«/, Morgen 10»/,
Ruthen niederhessisch (1 M. = 150 Q Ruthen ä 14'); 1 kehdingei
Morgen ist = 4 kahlenberger Morgen*), 1 köln. Morgen = 1 Mor-
gen 50 Ruthen magdeburgisch ") u. s. w. '
Auf die Bildung dieser Verschiedenheiten hat jedenfalls die gros-
sere oder geringere Schwere des Bodens und das davon abhängende
zur Bestellung erforderliche Kraft- undZeitmass wesentlich eingewirkt.
In Folge der Einführung eines Normalmasses und der damit be-
wirkten Vermessungen wurde natürlich die nominelle Gleichheit der
Hufen vielfach verwischt , obwohl auch der Umstand hierauf mit ein-
gewirkt haben mag, dass man jetzt auch genauer mass, als dieses
bei der ersten Auflheilung geschehen war, und ebenso hat sich die
gegenseitige Gleichheit der einzelnen Ackerstücke sicher auch durch
Abpflügen im Verlaufe der Zeit vielfach . bald mehr bald minder ver-
schoben.
Die Kunst des Landmesseos ist jedenfalls eben so alt wie die
Ordnung der Hufen. Man bediente sich zu den Landmessungen so-
wohl der Schnur (funiculus), als der Rulhe oder Gerlhe, und rech-
nete nach Ruthen oderGerthen (perdicae, virgae) und Füssen. Doch
auch die Grosse dieser Masse war nicht allenthalben die gleiche.
Unter den verschiedenen Bezeichnungen, welche man für eine
.besimrate Ackergrösse brauchte, tritt uns vor allem der Morgen
entgegen. Es entspricht dieses Mass einem Räume, welcher in
einem Mpygen g epflügt werden konnte, d. h^ bis Mittags 11 Uhr,
wo der Bauer Mittag machend zum Dorfe zurückkehrt. Ganz das-
selbe bedeutet Tagwerk, welches in den Alpen als Tagwan und
T a g w e n '^ . und an der Unterweser, (jedoch nur von Torfgrund
und Wiesen gebraucht) als Dagwöfk vorkommt*) und unmittelbar
an das englische Daywork erinnert'). Nach Tagwerken theilte
man auch andere Arbeiten ein. Zu Hofgeismar rechnete man im
16. Jahrhundert auf das Tagwerk eines Strohschneiders 46 Gebund
Haferstroh, 40 Geb. Gerstenstroh oder 52 Geb. Roggenstroh. ^Zu
Trendelburg betrug 1475 das Tagwerk eines Dreschers 2 Malter Ha-
1) Mögüner Annalen der Landwirthsch. Bd. XXTIl. §. 113.
2) Schwcrz , Beschreibung der Landwirthsch. Westphaleus II, S. 5.
3) Stadler, Schweizer. Idiotikon I. S. 259.
4) Bremisches Wörtcrb"cli 1- S. 181.
5) Lappenberg, Gesch. von England I. S. 619.
45
fer. Noch einer Urkunde von 1251 scheint es sogar ein Bauerngut
zu bezeichnen.: „ nullum Tagwerich ab hooiinibus ejusdem ecclesie
exigitur, quam diu sunt in agricultura y^. AehnUch 1237: „Seruorum
bona, gue Dagewarclite n vulgariter appellantur*).** Dieselbe Bezeich-
nung (Dachworte) wird 1327 von einem Hause mit 3 Morgen Land ge-
braucht'). Demselben entspricht das friesische Daima th oder/ Die-
wjiJl-(kurz Deimlh), welches auch bei den Süddänen als De med
und Daimied sich finLdet, und in Oberdeutschland in der Form
von Tagmad*) vorkommt.^ Obwohl ursprünglich nur von Wiesen
gebraucht, wo es dann eine Fläche bezeichnete, welche in einem
Tage (Dai) gemäht (meth) oder gehauen werden konnte, so wird es
doch jetzt auch beim Baulande angewendet. Dasselbe ist der Fall
mit dem friesischen G r a s . Ein Diemath ist = 400 rh. Ruthen , ein^
Gras = 300 rh. Ruthen. Indessen ist auch dieses Mass nicht allent-
halben gleich*).
Für Morgen und Tagwerk brauchen die lateinischen Urkunden
jurnalis (vom französ. jour) und diurnali ^ wenigstens schon seit
dem achten Jahrhundert'), und letzteres bezeichnen die fuldischen
Güterregisler ausdrücklich ebenfalls als ein Land, welches in einem
Tage umgebrochen werden könne ^).
Dasselbe Ackermass ist das schon bei den Römern gebräuchliche
iuerum — Joch®). Varro erklärt dassdbe für ein Stück Land, wel-
V i uft l *"*! 1 ^ Will— ' '
ches man mit 2 Ochsen in einem Tage pflüge '). Auch in den ür-
Runden wird es zuweilen ausdrücklich als ein Joch Ochsen bezeich-
1) Mon. boica II. p. 203.
2) Erath , Cod. dipl. Quedlinbg. p. 164.
3) Das. S. 411.
4) SchmeUer a. a. 0. I. 435.
5) Wiarda, Gesch. der alten friesischen Sprache S. 77. Arends, Ostfries-
land und Jever I. S. 119. Outzen, Glossar, der friesischen Sprache und von
Richthofen, altfriesisches Wörterbuch S. 687.
6) Jumalis 763, 773, 779. Neugart, C. d. Allem. I, 43,54, 71; diumalis: 704
Marlene et Durand. Coli. Ampi. I, 13.
7) „XX diumales, hoc est, quod tot diebus arari poterit". Dronke, Tr. et
Antiq. Fuld. p. 107.
8)' Im Mittelalter jugus , juchus (Neugart, Cod. dipl. Allem. 1.286 u. 127)
und juches und juges (Wirtembg. ürkbch. S. 13 u. 118).
9) „Jugum Yocant, quod juncti bov^s un o die exarare possiut (Varro, de re
rustica (I, 10) ap. Gesner. Scriptor. rei rust. I. p. 159). Sed nee ignorare de-
bebit villicus, quid uni jugo boum quoquo mense per singulos dies praestari satis
Sit". (Columella, de re rust. L. XI. c. II. No. 98 ap. Gesner 1, c. I. p. 762.)
4ß
nel*), nicht selten lasisen diese aber auch jugum weg und sagen,
sich einfach des Genetiv pl. von bos bedienend, statt^^jj^^gauaJuLHiß
schlechtweg bjourn^ besonders, wi e es sch dnt^^jn Friesland'); und
dass wirklich nichts anderes als Joch und Jugerum darunter ver-
standen wurde , beweist die Bemerl^ung des fuldischen -Mönchs Eber-
hard: „ter iram X boum, sicut apud illos mos dicendi est, apud nos
vero Xjugera"'). Noch jetzt rechnet man um Bremen , V erden ,
Wursten , Oldenburg u. s. w. nach Juck , von denen jedes 180 □Ru-
then hat, welche ,aber in ihrer Grösse sehr von einander abwei-
chen,*) und auch in Oesterreicl?, Böhmen und GaUizien ist das Joch
das gewöhnliche Acker mass.
Allgemeiner noch war das ebenfalls schon den Römern be-
kannte und aus jugum gebildete JJi,Se£Ujn ^). Schon in einer Ur-
kunde, von 704 heisst es „diurnales , id est jugera*' •). In der deut-
schen Form gestaltete sich dasselbe in Juchart und Juchert um,
und ein appenzeller Weisthum von 1379 sagt: „Juchart, ^daz ist so
v iel Veld es, daruonjnan mag gesaegen sechzehen Viertel Haber '/J).
Alle diese Bezeichnungen, mögen auch einzelne Urkunden sie
zuweilen in einem verschiedenen Sinne anwenden, haben im Allge-
meinen die gleiche Bedeutung und werden gleichmässig von dem
Lande, den Wiesen, den Weinbergen und den Waldungen gebraucht.
Eine dagegen für die Marschländer eigenthümliche Grössenbe-
stimmung ist die nach der Zahl des Viehes, welches darauf ernährt
werden kann. Schon eine friesische Urkunde von 845 nennt: „terram
XLVlll. animalium , terram XX animalium u. ^s. w." ®). Es waren
dieses abei^ wohl nur solche Güter, auf welchen ausschliesslich Vieh-
zucht getrieben wurde, und dann ist diese Bezeichnungsweise ganz
dem Gebrauche der belgischen Urkunden entsprechend, welche die
Grösse von Ländereien nach der Zahl dec darauf zu erhaltenden Kühe
oder Schafe bestimmen ').
1) Z. B. 849 : „quaedam mancipia iii villa — - manentia — prolemque eoiiira,
juga etiam boum VI ad haue curtem pertinenlia. Neugart 1. c. p. 264.
2) „Quinque boum terram, XV boum terram". Dronkp I. c. p. 43 u. 44.
3) Ibid. p. 45.
4) Mögliner Annalen XXIU. S. 112.
5) „Jugerum vocabatur, quod uno jugum boum iu diem exarari posset".
Plinius, Hist. Natural. 18. 3, 15.
6) Pardessus 1. c. II. 263.
7) Grimm a. a. 0. I. S. 189.
8) Lacomblet, Urkbch. I. S. 27. Kindlingers, Münster. Beitr. I. Urkbch. S. 24.
9) 950: „pastoralia, quae sufficere possuut ovibus CXX, — terram in qua
47
Die Grösse der Weinberge wurde bald nach ihrem Ertrage*)
bald auch nach einem Fiächenraass« bestimmt, welches Mannwerk
genannt wurde und der, Grösse eines Morgens gleich kam*), das
indess zuweilen auch beim Ackerlande ^vorkommt *j.
AehnUch bestimmte man die Grösse der Wiesen sowohl nach
ihrem Heuertrage nach Fudern*), als nach Flächenmassen. Z^ die-
sem gehörte das bei den Wiesen ausschliesslich gebräuchliche Manns-
math'). Es ist das eine Wiesenfläche, welche ein Mann in einem
Tage zu mähen vermag, dasselbe was zuweilen auch ein „Tagwerk*
Wiesenmath'**) genannt wird. Selten findet sich der Heuertrag nach
dem Gewicht angegeben '').
Ein im Salzburgischen gebräuchliches Flächenmass war Wera ®), 1 A/ /* v^
ein anderes im Stift Freisingen doch nur bei Wiesen vorkommendes ' vV^
Worpa®).
Zu den bisher aufgeführten grössern Feldmassen kommt endhch
possunt alere oves centum" (Miraeus 1. c. I. 261); 1006: „VIII Berquerias (das
heutige französische Bergerie), que XVI mansis conti nentur" (ibid. p. 67) ; 1080:
„VI! mansa terrae', contineutia C vaceas (ibid. p. 60)^^ Ein solches Gut nannte
man vaccaria, vaccaritia, wacheria etc. (Henschel 1. c, VI. p. 714), worans sich
das französische vacherie gebildet.
1) „vinea ad situlas XV, vinea ad carradas II". Zeuss, Tr. Wizenbg. p. 294.
2) 1075: M^iewerc. Lacomblet 1. c. I, S. 143; 1275: „excepto uno jugero
vinearura, quod in viilgo dicitur Mannwerck**. Neugart, Cod. dipl. Allem. II. 290.
3) In der Güterbeschreibung des Klosters Muri heisst es : „ lu viiibus aulem
hahemus XXIV partes, que dicuntur Manwerch et XIII rusticos, qui diurna-
les suos prestationem ad hoc habent, ut excolerent eos. Cumque unusquisqnc
secundum sibi constitutum excolent , remanent X , qui non ipso colimus. Si quc-
ris, cur vocetur Manwerch ? ideo dicitur, quia uni viro comraittitur ad colen-
duni, et est tantum terrae, quandum par boum in die arare sufficit". Kopp,
Acta fundat. Murens. Append. p. 85. Auch eine Urkunde von 1075 sagt: „pre-
dium — quod lingua nisticorum illius ville Manewerc vocatur , noa unum iVla-
newerc sed tria Manewerc". Quix, Gesch. der Abtei Burtschcid S. 211.
4) 788: „ad feuum faciendum carradas XII". Zeuss 1. c. No. 42. Im 16. Jahrh.
reciniete man^4 Hausten Heu zu einem Fuder.
5) Senckenbg, Sei. jur. et bist. U. 96. Baur, Urkbch. d. Kl. Arnsburg S. 283 u. 243.
6) Meichelbeck I. c. II, No. 318. Mon. boica X. p. 283.
7) Ich kenne nur einen Fall: ,,de pratis, quod XX pondera feni congregari
possunt." Kopp , Vindem. Actor. Murens. Acta Fundat. p. 69 und ebenso 76.
8) 9. Jahrhundert: „unam hobam plenam — XXX et VI uuera habentem,
alteram — VII uuerum minus; hoc sunt hobae XII arabilis terrae, uueraque
ligni XC atque uuera pratorum XXX; hoc sunt hobae IV et ligni fcrtilis quer-
ceti uuera XL, uuera pratoram XV." Juvavia. 192.
9) 8. Jahrb.: „de pratis autem Xll^Vorpa." Meichelbeck J. c. 1. 295.
48
noch jene Art der Grüssenbesthnmung^, welche nach dem Masse der.
Aussaat geschiebt, die, obwohl schon frühe üblich, doch erst im
spätem Mittelalter allgemeiner wird und selbstverständlich ebenso
wechselnd ist als alle andern Masse^
Ausser der reingeometrischen Theilung des Morgens in Ruthen
und Fusse, hatte man für gewisse Theile des Morgens auch noch
besondere Bezeichnungen. Dahin 'geWJrt vor Alleto die allgemein
übliche Weise den Acker beim Pflügen in eine Anzahl durch Fur-
chen getrennte Rücken oder Beete zu geiStalten , um der Saat einen
I trockenen Boden zu geben. Schon Varro*) sagt: „ das d ritte Pflügen
I nennt man Urare; man setzt dabei Bret tchen (tabellae) an die Schaar,
t bedeckt die Aussaat mit Rücken (porcae) und zieht Furchen, damit
/ das Regenwasser abfliessen kann. Die Vertiefung« (lacuna, Stria),
weiche dejc^^ug^mi^ seiner Schaar macht, wird Furche (s^ilr.ns)^
i die Erhöhung zwischen beiden Furchen aber Rücken (porca ^ ge-
; nannt*^»).
Im mittlem Deutschland am Main, an der Fulda u. s. w. wer-
den diese Rücken S^tteP ^ genannt, und man r'echnete deren vier
auf einen Morgen; im sjidlichen Deutschland, in Baiern, Franken,
S chwa ben und noch in Oberösterreich hat man dafür die Bezeich-
nung Bifang^). Die Breite dieser "Bifänge ist sehr verschieden und
man findet Aecker, welche bis zu 40 solcher 'Beete haben ^). Dieselbe
Ackerweise besteht auch in Belgien ^) , insbesondere für das Winter-
getreide; in Holland, wo man den Bifang Sjreeß und Lijn nennt, im
südlichen Frankreich'^), wo derselbe Raie^) genannt wird ; in England®)»
wo man Ridge dafür sa%l **) ; in Polen ") u. s. w. In den. lateinischen
1) De re rusiica I. c. 29.
2) Aehnlich spriclit sich auch Columella II. c. 4 aus.
3) 1314: Sadale. Wigajid, Wetzlar. Beitr. I. S. 259 u. 375; 1325: „ iUm^
andere Acker von dren Sadeln groz, — darnach eyner von zweyn Sadeln groz**
u. 8. w. Ungedr. '
4) Von befangen, weil der Rücken von zwei Furchen eingeschlossen ist.
5) Meichelbeck 1. c. II Nr.' 392. Nähv^;^s s. in Schtneller, Idio^tikon I. 24,
540 u. 560.
6) 1249: ,. sulcos, qui vulgariter dicuntur Hofvoren (Haupirurchen)." Warn-
könig, Flandr. Staats- und Rechtsgesch. III. I. Beil. S. 52. 53. ,
7) Schwerz, Belgische Landwirthschaft I. S. 111 u. s. w.
8) „Riga" kommt zahllos im Polyptique l'abbe Ifminon vor.
9) Schweitzer, Darstellung der Landwirthsch. Grossbritaniens II. 1. S. 45
und V. Lengerke, Landwirth. Lexikon. SoppU I. S. 387.
10) Speimann, Glossar, p. 488.
11) V. Lengerke a. a, 0. III, S. 826.
49
Quellen fiodet sich Bifan g durch pecia übersetzt '). Auch die Gär-
ten waren in ähaiicher Wesse angelegt *).
Am Niederrhein theilte man den hoUänd. Morgen nach Honen
und die Horte nach Ruthen •) ; an der Niederweser aber den Acker
nach Ländern (terrae), weshalb man auch von vollen Ländern
(una inlegra lerra) sprach ; ein solches Land theilte man in 4 Vier-
tel (quadrantes) oder Verndel (una quarta pars, que vulgariter
Verndel) oder J|Ojirgae, und 2i/a virgae nannte man eine Strecke*), -
dasselbe was jetzt ein Spallen genannt wird.
An der mittleren \Egs.er war eben wohl eine besondere Thel-
lung üblich, welche jedenfalls, wenn auch nur zum Theil, wieder
auf die Bifänge hinweist. Der Morgen bestand aus 4 Blöcken
oder Hollen, und Ya Morgen wurde ein Forling '), oder früher
Furlanp ^), genannt; drei Hollen aber nannte man ein Drohnen'),
eine Bezeichnung, welche noch jetzt üblich ist ').
An der Diemel nannte man einen ^^ Morgen Gart (Qtiart) und
sprach so von Dregart, Vifgart u. s. w.
Kleinere Stücke Landes pflegte man* in Baiem auch wohl nach „^^^^
demEtlenmass zu bestimmen und Trümmer zu nennen*), und eine
gleiche Bedeutung mag das bei Passau vorkomme nde Schott*®) und '^ ^\.^
das in Hessen zuweilen sich findende Stumpf (ein kurzes Stuck) haben.
1) 1358 : „ XL pecia , vulgariter Bete Landls '* und 1322 : „duas pecias terre
aribilis, unam videlicet Sedulam" u. s. w. Ungedr. In einer passauer Urkunde
von 1328 kommt ein Weinberg vor: „das fünf Rollen sind." Mon. boica.XXX* ^
p. 128. Ob das auch Beete sind?
2) 1358: „in ortis herbarum — XL pecias, fulgariter Bete Landis"; 1367:
„eyn Garten zca 24 Betten." Ungedr, In Oberhessen nannte man diese Gartenbeete
Blech er und 4 Mesten Blecher waren = 1 Jdorgeu.
3) Urk. von 1316 bei Binterim u. Mooren, die Erzdiözese Köln. Urkbch.
II. 109.
4) V. Hodenberg , das Verder Copiar. S. 47 ff.
5) 1424 : „tres petias proprio Vorlinge, — ager unus de tribus petüs scilicet
Voriinge". Wurdtw., Nova subs, dipl. I. 383.
6)843: „ XXJorlangas " ^comblet, Urkbch. L S. 23). ,, CL furklan c." X^
(Droncke, Tr. et Ant. Fuld. p. OTNr. 68).
7) „Drone." Lüntzel, die Diözese Hiidesheim S. 221 .
8) Gesenius, Meierrecht II. S. 37.
9) 1200: „agri culti XII cubitos, quod vulgo Holzellen voeatur, qnemen*
sura a viris prudeutibus trutinata conputata est ad sex agros et qnatuor partes,
quod vulgariter dicitur Trümmer". Mon. boica .111. 51 1. Vgl. Schmeller a, a. 0.
1. 490.
10) 1318: „un am "pe ciam, quo d vul g ariter dicitur Schoet" . Mon. boica I)
XXX* p.83. ^
Landau. Terrilorien. 4
50
7) lieber das etwa höhere Alter einer oder der andern
Hufenart, sowie über die etwa nationale Bedeutung der
Hufenform.
Ob eine der oben beschriebenen Hufengattungen ein höheres
Alter anzusprechen habe, als die übrigen? ist eine so naheliegende
Fraae, dass ich sie unmöglich unberührt lassen kann.
Naturlich können bei dieser Frage nur die^eiügen Hufen in Be^
tracht kommen, welche in ein und derselben Gegend und bei ein und
demselben Stamme neben einander sich finden, und die Untersuchung
hat sich auch nur auf diejenigen beiden Hauptarten zu richten, von
denen die eine als ungetrenntes Ganzes und die andere als eine
Sammlung von zerstreuten Ackerstücken erscheint; auf den Einzelhof
dagegen kann die Frage deshalb keine Anwendung finden, weil
dieser schon an und für sich als etwas selbstständiges und Ursprung-
hches erscheint.
Bei einer mehr allgemeinen Betrachtung möchte wohl Jeder ge-
neigt sein, der aus einem Stücke gebildeten Hufe den Vorrang des
Alters zuzugestehen , weil deren Bildung einfacher und deshalb leich-
ter erscheint. Jede nähere Prüfung muss aber bald zu einer entge-
gengesetzten Ansicht fähren.
Bei jener vertheilten Hufe hatte man nur im Allgemeinen die
Natur des Bodens und dessen Lage zu berücksichtigen und erreichte
ohne jedes künstliche Mittel eben so leicht als sicher das Ziel, näm-
lich eine gleichmässige Vertheilung. Jede Hufe erhielt die gleiche
Grösse. r
Bei der andern Art, von welcher < sich nur in den seltenern Fäl-
len Fluren mit gleich grossen Hufen finden, war dagegen die Au^
gäbe: die wechselnde Qualität des Bodens durch eine entsprechende
Vertheilung desselben auszugleichen. Es musste also dem Theilangs-
geschäfle eine Bonitirung voraus gehen, in welchem jede Feldlage
genau zu prüfen und zu einem bestimmten Werthgrade zu veran-
schlagen und, dem entsprechend, zu der Bodenfläche in ein bestimm-
tes Verhültniss zu setzen war. Und erst, nachdem dieses Alles ge-
schehen, konnte zu der immerhin noch schwierigen Abtheilung der
Hufen geschritten werden.
Beide Theilungsweisen sind demnach wesentlich verschieden :
so einfach und natürlich die eine, so verwickelt und künstlich er-
scheint die andere. - Das Einfachere aber darf man slels als d^ts
Aeltere betrachten.
51
Nachdem, was ich oben ausgeführt habe, wonach die Hufen-
ordnung ebenso alt wie die Feldflur erscheint, reicht deren Einfüh-
rung weit über unsere historische Zeit hinaus, und es wäre demnach
ein vergebenes Bemühen, ihren Ursprung historisch feststellen zu
wollen. Die Sagen fast aller Volker schreiben die Erfindung des
Ackerbaues den Göttern zu, u nd wenn insbesondere die Edda die
Ackervertheilung als. .dk^hSchsk Jgeisheit der Götter erklärt, dann
hat sie sicherlich keine andere als nur jene im Auge, welche
vorhin als die einfachste und darum unzweifelhaft auch älteste be-
zeichnet worden ist. -^^ --
Will man jedoch ein historisches Zeugniss für das hohe Alter
derselben, so lässt auch dieses sich geben. Es istTacitus, welcher
es uns bietet.
Tacilus sagt in dem 26. Kapitel seiner Germania: „die Felder
(agri) werden nach de r Zahl der Bebauer (pro numero cultorum)
von allen. in Wechseln (in vices) eingenommen." So vielfache Er-
klärungen dieses „ in vices " (oder nach andern Lesarten : in vicis^ in
vicem, per vicem) auch erfahren, so lösst sich dasselbe doch einfach,
wenn man die thatsächlichen Verhältnisse dabei im Auge behält und
nur aus diesen ein Verständniss zu gewinnen sucht. Dann wird
man sich nämlich überzeugen, dass es auf nichts anderes. hinweist,
als auf die wechselnde (alternirende) Lage der zu einer Hufe gehörigen
Ackerstücke, indem dieselbe Hufe immer nur ein Stück in jedem Gewende
besitzt. Doch noch ein anderes Zeugniss ist vorhanden: das Dor f
Maden, der alte Mittelpunkt des fränkischen Hessens, das caput
:entis Cattorum hat in seiner Flur keine andere als eben nur diese
Hufengattung .
Was die andere Frage nach der nationalen Bedeutung der ver^
schiedenen Hufenformen betrifft, so scheint es allerdings sehr nahe
zu liegen, diese verschiedenen Formen auch verschiedenen Nationa-
litäten zuzuschreiben *).
Man wird jedoch bald von dieser Meinung zurückkommen müs-
sen, wenn man sieht, wie diese Hufen nirgends an politische Gränzen
gebunden, bunt durch einander vorkommen. Sogar der westphälische
Einzelhof findet sich nicht übe rall in Westphalen u nd gehört eben so
wenig blos Westphalen an. Nimmt man hierzu noch die Thatsache,
1) Dieses hat namentlich Dr. Jacobi in der lllustrirten Ztg. 1845 Nr. 116
gethan. Sieije auch meine Widerlegung in Friedemann's Ztach. für die Archivö
Deutschlands II. S. 70 und 137 ff.
4*
5<
dass noch im spfitern Mittelalter in demselben Lande bald diese bald
}ene Hufenfonn in Anwendung kommt, und dass wenigstens die eine
Art sich über den grössten TheU von Europa bis zur asiatischen
Gränze erstrecii t, dann kann die Beantwortung jener Frage kaum
noch zweifelhaft sein.
Es liegt allerdings etwas Wunderbares in dem Umstände, dass
beinahe ganz dies e lbe Theilung der Felde r sich bei äo verschiedenen
«nd einander so fremden Völkern Qndet. Mögen auch die Völker in ihrer
gegenseiUgen Berührung Vieles mit einander ausgetauscht haben, so
ist doch gerade dje^^^r t un d Weise der Theilung des Grundbesiüifi3
zu einer solchen Uebertragung, zu einem solchen Enpehnen am aller
wenigsten geeignet; denn der Grundbesitz ist einer der hauptsäch-
lichsten Grundlagen des Volkslebens und so fest und so innig mit
demselben verwoben, dass jede wesentliche Veränderung als eine
Revolution zu betrachten ist. Aber wie lässt sich diese Ueberein-
Stimmung erklären? Lag diese Art der Theilnng wirklich so nahe,
dass sie sich gewissermassen als eine Naturnothwendigkeit den Völ-
kern aufdrängte?
Was übrigens diese Theilung so durch alle Zeiten erhielt, wa-
ren nicht etwa gegebene Gesetze, es waren vielmehr Gesetze, wel-
che in dem Volke selbst lebten und mit dessen ganzem Sein auf
das Engste verwachsen waren und deshalb auch so lange unver-
ändert fortdauerten, als neue Dörfer begründet wurden, Gesetze,
weiche ebenso sehr durch die Weisheit ihrer Findung, als durch ihre
Allgemeinheit und Dauer unser Staunen erregen müssen.
8) Der Ackerbau.
Die Ackerbauweise und die Hufe stehen in so enger Verbindung
zu einander, dass sie als sich gegenseitig bedingend betrachtet wer-
den müssen; das eine ist die Grundlage des andern.
Der ^tfiffl ^^kfirb^n in R6l3dfed?lftPcl kennt nur ^wei Bewirth «
schaftnngs - System e : <^^p JPjftiffilfl^^^'wiyf hsrhafr und dieWech-
sei- oder Konbel wirthschaft.
0gßggmmmmmm^m^mim^^,mm m iitt I n «•^•i, t, ...«war.
Die erstore besteht in einem regelmässigen dreijährigen Wech-
sel, die letztere darin, dass das Feld in bald kürzeren bald längeren
Zwischenräumen zum Fruchlbaue und dann wieder als Weideland
dient. Die Dreifelderwirthschaft findet sich ausschliesslich bei, de n
I lufen , welche eben als vierte Art beschrieben worden sind,
dann auch noch, doch nicht nothwendig, bei der Königs- und der
Hagenhufe, bei welchen nicht seilen beide Systeme neben einander
in Anwendung sind. Die Wechselwirthschafl hingegen gebort bei-
nahe ausschliesslich dem Eig^fiUtsfe und der Marschh ufe an, liommt
aber auch, wie eben bemerlit, bei der K onigs hufe vund hin und wie-
der auch bei der Hagenhufe vor. Diese Wechse lwirthschafl — wel-
che ich hier nur in ihrer Allgemeinheit betrachte, da ein Einlassen
auf ihre mannigfaltigen Modifikationen ganz ausser meinem Zweclce
liegt — findet sich demnach d urch Wes tphalen und die s&mmthchen i
so wie in Fahnen und Seeland*), in Schonen und \
Bleking') u. s. w., sowiä südlich in den Gebirge n und Hochebe«
nen Schwaben s •) un d im Salzburgi schen *) u. s. w.
Bei der Dreifelderwirthschaft ist das sämmUiche offen liegende
Pfiugland einer Dorfflur in drei Theile geschieden. „ Dieselue Huue —
sagt eine niedersächsische Urkunde von 1366 — licht vul an alle dren
Velden alse en gut Huue tu Rechte ligghen scal"') und eine andere
von 1352 theilt von einer Hufe jedem Felde 10 Morgen zu").
Diese drei Felder werden auf verschiedene Weise bezeichnet. Im
nördlichen Deutschland nennt man sie kurzweg Felder, in Süddeutsch-
land und der Schweiz ist dagegen Zeig gebräuchUch. Die letztere -s i* {
Bezeichnuni gibt schon eine schwäbische, Urkunde von 779: „ in omni '
Zelga iorpft^y^ unnip fl^ rft - et tres Qies asecare et tres amadere"*).
Eben so findet man es schon in frühe Zeit am mittleren Rheine ^ und
im Salzburgisc hen •) , und noch häufig begegnet man ihm in spätem
Urkunden sowohl in Schwaben als der Schweiz **).
r* •■* 4
1) Möglin. Annalen der Landwirthschaft XXVII. S. 280.
2) Das. S. 305 u. Bd. XXVIII, 154, 159 u. 171,
3) Goritz, Beitr. zur Renntniss der würtembg. Landwirthschaft S. 40.
4) V. Lengerke, Lexicon III, S. 437,
5) Erath, Cod. dipl. Quedlinbg. p. 522. Aehnlich eine andere von 1441. ibid.
p. 743.
6) Ibid. p. 482.
7) Neugart, Cod. dipl. Allem. Nr. 77. Auch 791 kommt das Wort in Sohwa<
ben vor: „unaquaque zelga unum juchum arare, sicut mos est — arare.*^ ibid.
Nr. 113.
8) Bei Worms 1137: „in una zelga campestris*^ etc. Schannat, Hist. Wor-
mat. II. p. 68.
9) 10. Jahrb.: „exceptis in unaquaque parte, quam zelga vocamus, jugeri-
bus tribus.'' Nachricht von Juvavia S. 175,
10) Grimm, Weisth. 1. S. 132, 139, 149, 214 ff.; Reyscher u, Wilda, Zcitschr.
IX, S.37 ff., 44ff. ; Mon, boica XXVI p.75 u. 107. XXVII p. 107.
54
Im Angelsächsischen heisst tiljan, teoljan, das Land bestellen,
tilja der Ackermann und tild das bestellte Feld (seges). Tiljaii
"""^ heisst überhaupt eine Arbeit verrichten, und noch jetzt sagt der
Ä Engländer für Ackerbau Tillage, für das Pflügen sowie für das an-
•%^ -* gebaute Feld tilth und braucht das Verbum tili für pflügen. Ganz
IU4V. in demselben Sinne bedient sich auch der Süddeutsche und Schweitzer
^— ' dieses Verbums, und auch die alten Glossen geben zelga durch
aratura wieder*). Zeig bezeichnet also eigentlich nur das gebaute
Feld, nicht aber auch das Brachfeld, obgleich es auch f$r dieses
gebraucht wird *).
Ganz dieselbe Bedeutung hat das namentlich in der ßaar und
^ am Bode nse e ^), überhaupt in Q berscbw aben und Oberbaiern bis gegen
^'^ die Isar, sowie in der^hweiz*) gebräuchliche Es eh. Die alte Form
dieses Wortes ist eg^Ll?» ezzisca, ez zisch u. s. w. (gothisch
atisk) und wird in den Glossen durch s egete s erklärt'). Diese
engere Bedeutung als Saatfeld zeigt sich auch in einer lorscher Ur-
kunde, weiche Esch durch satio (in unaque satione) übersetzt®),
sowie in dem im baier. Gesetzbuche vorkommenden Ezzisezun ),
und dem entsprechend ,wird' auch noch in einem Weisthume von
1469 Esch geradezu dem Brachfelde gegenübergestellt^).*
Eine andere Bezeichnung der drei Felder bezieht sich auf die
Bestellung^s weise derselben, nämlich Lenzfeld, Rurfeld und
1) Schmeller a. a. 0. IV. S. 255. Graff, Sprachschatz V. S. 660. Töbler,
appenzeller Idiotikon s. v. Zeige.
2) Z. B. 1329: „aus den zwain Zeigen — vnd auz der dritten Zeig". Mon.
boica XXVI. p. 107. Mone , Urgeschichte Badens I. S. 36 will es durch Zaun
erklaren, welcher nach Pistorius allerdings eben wohl Zeig genannt wird. Auch
kommt Te^g als Theil eines Ganzen vor, z. B. „dit was des einen Teigen
Twich". Chr. rythm. Princip. Brunsv. p. 20.
3) Mone , Urgesch. Badens I. S. 35.
4) Grimm, Weisth. 1 S. 123, 128, 199 S.
5J Grimm, Grammatik. 2. Aufl. Ili.416. Schmeller a. a. 0. I. S. 124.
6) Tr. Lauresh. III. p. 212.
7) „Si illam sepem erruperit ye\ dissipaverit, quam Ezzisezun Vocant". Can-
clani Leg. Barbar. II. p. 378.
8) „vff die Zeig genaut Ebenott, in Esch vnd in die Brach." Grimm, Weisth.
I. S. 199. V. Kooh-Stemfeld, deutsche Länder-, Völker-, Sitten- und Staaten-
kunde III. 328 erklärt das Wort durch Sumpf, indem er sich dabei auf eine
ürk. stützt, in welcher es heisst „in nemore novale ad prata facienda, quod
Asche dicitur", aber dieges Wort ist ein anderes.
55
r a c h f e 1 d ^) . oder auf die Früchte, welche die Felder tragen:
Somme r-, Winte r- mid Brach feld, so wie Rom -, Hafer-
imd B rachj eld. '
Ausserdem haben die einzelnen Felder noch bleibende Eigen-
namen, welche bald besoudem Oertlichkeiten, bald auch der, Lage
gegen benachbarte Dörfer entnommen sind, oder auch nur auf die
Bezeichnung ihrer Lage zu einander, als Ober-, Mittel- und Un-
terfeld, sich beschränken.
Wenn die älteren Urkunden dieser Felder erwähnen , sagen
sie einfach, d ass die Hufe an drei verschiedenen Orten liege*). Doch
sind diese drei Felder keineswegs immer von gleicher Grösse. Ge-
wöhnlich sind nur zwei in demselben Masse aufgetheilt, während das
dritte einen bald kleineren, bald grösseren Raum umfasst. Als
man 124T in Baiern eine wüst gewordene Feldflur neu auftlieilte,
bestimmte man, dass jede Hufe in d em einen Feld e 12 jugera er-
halten, das übrige Feld aber unter die beiden andern Felder gleich
getheilt werden sollte, wenn diesen auch nicht dieselbe Grösse als
dem ersten gegeben werden könnte *). '
DjBr Bau der Felder geschieht nun dergestalt, dass das Feld,
welches in dem einen Jahre ruht, das Brachfeld , im nächsten Jahre
mit Winterfrucht und' im dritten Jahre mit §onamerfrucht ausgestellt
wird, so dass es im vierten Jahre vjdeder ruht, und dann zur Hute .
dient. Es ist demnach ein dreijähriger Kreislauf vorhanden, tmd
jedes Jahr sind zwei Felder, das eine mit Sommer-, das andere mit
Winterfrüchten, bestellt, wähi^end das dritte ungebaut liegt.
Ich will nunmehr die einzelnen Arbeiten historisch zu verfolgen
versuchen , um zu ermitteln ob und wie weit in der Bestellungsweise ^
Aenderungen eingetreten sind.
1) Z. B. 1476 in Hesse n „in der Lentzen, in der B rache , in der Rure*'
(üngedr.); 1415 am Main: „ Lenzfrichte , Brachfrichte , Rurfriclite" (Grimm,
Weisth. III.' S. 510); im Elsass 1320: „Brochager, Rur ager** (Grimm a. a. O.L
S. 699) und an der Donau (Sclimeller a a. 0. 111. 123). '
2) Z.B. „in illis locis tribus hob. VII" (Zeuss, Tr. V^zenbg. Nr. 151.) ; „unum
mansum de terra araturia XXVII jumal. in tribus locis sitos" (Tradit. Lau-
resh. Nr. 662).
3) Mon. boica XI. 33. Missverhältnisse wie das folgende: „In Callebacli
terre salice in uno campo LXXX agri, in alio XL, in tertio XL" (Droncke, Trad.
et Antiq. Fuld. p. 115) zeigen schon von Störungen der ursprünglichen Verthei-
lung. Auch bei Worms findet sich 1137 ein gleiclies Verhältniss : „in una zelga
campestris agri LXX jurnales, in altera XXXU et VIII jugera vinearum". Schan-
nat, Bist. Wormat. II. p. 68. ^
k4
}V»
r(.
.C;f»«*>»A>M
I
K^ö
56
Da wo die Dreifelderwirthschafl noch besteht, namentlich im
miitlern Deutschland, wird das Fe|d, welches brach gelegen, im
Juni (um Johannistag) ge hra cht, d.h. umgebrochen, was auch
gestürzt oder gewendet genannt wird; Ende Juli oder im August
(gewöhnlich um Bartholomäi) , zwischen der Winter- und Sommer-
erndte, wird gerurt d. h. zum zweitenm aj^jgepflüjgt, umgewendet,
und im September (um Maria Geburt) oder vor und nach Michaelis-
tag, wi^. jsur Saat gepflügt. Nachdem dieses mit Winterfrüchten
besäete Feld im nächsten Jahre abgeerndtet worden, wird dasselbe
im Oktober oder doch vor dem Winter gefelgt, d. h. es werden
die Stoppeln umgepflügt (subarare) ') , und im März und Anfang
April wird zur Sommersaat gepflügt').
In den alten Urkunden werden [die verschiedenen Pflugweisen
meistens nur ganz allgemein als das Herb st- und Frühlings-
pflügftn bezeichnet'), und nur selten begegnet man einzelnen ge-
naueren Angaben. Eine der frühesten findet sich in einer aleman-
nischen Urkunde von 763: „et in primum vir arata , iurnalem unam,
et in mense Junio brachareidterum , et in auctumno ipsum arare et
Seminare"*). Wie hier nur drei Furchen genannt werden, näm-
lich zum Sommerfeld, zur Brache und zur Wintersaat, findet sich
dieses auch noch mehr. So kennt eine niederrheinische Urkunde
des neunten Jahrhunderts eben wohl nur das Herbst-, Frühlings-
und Sommerpflügen: „Si vero arat in terra salaritia uon solvunt nisi
XXX denarios, arat autem is, qui servit novem dres, tres in au-
tumpno, tres in vere, tres in aestate"') und dasselbe ist der
Fall in dem Güterregister des Klosters Muri in der Schweiz : „Ter in
anno, id est in Junio et in autumno et in vere arabunt quin-
que Juhert singulis vicibus sex virgarum in latum et; triginta in lon-
1) Felgen oder Falgen lieisst überhaupt: umwenden (yolvere). Die
Nordfriesen sagen Falge und Fielge: das Gra^and umbrechen (Outzen S. 71),
die Danen Faelge und Fälle oder die Süddänen Falle und Felle, die Eng-
länder to fallow , weshalb diese das B rachfeld au ch F a 1 1 o auflur o u n d nennen.
2) Henisch hat ra uv eich entv „prima opera arare''. Sclimellert a. a. 0. 1. 527.
Letzterer will darunter das zweite und dritte Pflügen verstehen, aber schon die
Erläuterung, dass es die erste Furche sei, widerspricht dem.
3^ Z. B. „amre in partes in autum no — in verno ** (Zeuss, Trad. W 4z^ pj>g.
p. 275 f.).
4) Neugart, Cod. dipl. Alemann. p. 43. WirtembgMJrkbch. I. S. 7.
5) Rindlinger , Münster. Beitr. II. U. S. 2. - -
I
67
gnina et ipsa virga haböat novem ulnas in longitudine^^^), in dem des
Klosters St. Vinceot zu Metz: „Et pro corveia debent ipsi inansi 18
sol. in tribus sasonibus quando colitur terr<|, id est VI in festo
sancti Johannis (24. Juni) et VI in festo st. Martini (11.
Nov.) et VI in adnuntiatione sancte Marie (25. März)"*), so-
wie in denen der Abtei Lorsch am Mittelrbein : „debet in vere arare
II jumales et in ^estate debet bis arare"') und „tria jug^ra arat
omni anno ad seminandum cum dominico semine, arare debet in
mense Junio, atque iternm in nativitatis St. Marias (8. Sept.)
ut Sit seminatum in missa St. Remigii (10, Oktb.)"*).
In allen diesen Stellen ist immer nur von drei Furchen die Rede
und es wird weder des Rurens noch der Felge gedacht. Erst im
zwölften Jahrhundert lindet man , auch das Ruren. In dem Dienst-
iMft»3fu«
register des Klosters Mauersmünster im Elsas vom Jahr 1144 heisst
es nämlich: ,,1V jugera arare debent, tres in autumno, unum
in vere"°). Ebenso weisen die 4 Morgen, welche jeder Dienstmann
des Klosters Prümm zu Ockenheim jährlich zu düngen und zu pflü-
gen hat, darauf hin: „^arant et fimant de illorum fimo jornalem dimi-
dium ad hibernaticam sationem . ad sigulum seminandum , ad tremen-
sem in Martip et Aprili, arant jornales quatuor"®), denn' das Klo-
ster lässt sogar seine Aussenfelder, welche stets nur mit Hafer be-
säet wurden , nur einmal und zwar wie gewöhnlich im März pflügen :
„Arat jornales tres; in forestaria avenae modium unum; a Kaien-
dis Martii per totam sationem arat omni ebdomada III corvadas
diem I"'). Das Wort Ruren selbst, in dieser Beziehung, gibt jedoch
erst, eine elsasser Urkunde von 1320: „Ruracke" d.h. die Zeit des
Rurens^). Eine andere Urkunde aus dem Maingaue von 1365 kennt
für die „Lenzfrüchte" eben wohl nur ein Pflügen und setzt dasselbe
auf die Zeit vor Gertrudentag oder den 17. März; dagegen nennt
dieselbe uns das Ruren: „item tertio ante festum Assumptionis (15.
1) Kopp, Vindiciae Actor. Murensiam. Acta fandat. p.57 und Hergott, Ge-
nealog. Habsbg. I, p. 321.
2) Pertz , Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde VII. S. 008.
3) Trad. Lauresh. III. Nr, 3660, p. 206.
4) Ibid. p. 207.
5) Schöpflin , Alsat. dipl. I. p. 126*
6) Reg. Prüm. ap. Hontheim, Hist. Trev. I, p. 670.
7) Reg. Prüm. ap. Hontheim 1. c. I. 680.
' 8) Grimm , Weisth. I. 8. 608.
58
Aug.) similiter arabunt tria jugera, quod diciiur Rurfrichie^'^). Damit
stimmt auch eine Erneuerung derselben Urkunde von 1415 überein').
Im Gerichte Viermünden musste 1393 jeder Pflug „2 Tage eren to
(je)der Arlt, to der Hauern 2 Tage, 2 Tage to der Bracke, 2 Tage
to der Rom, 2 Tage to der Sait'^ Ueberhaupt Werden mit dem
fünfzehnten Jahrhundert die Nachrichten über den Gebrauch des Ru-
rens häufiger. Im Jahre 1465 mussten die Bauern des Hüttenbergs :
„ dineu ;— In der Braiche , inderRure, zu derSait, in demLentzin",
und in einer Rechnung des Rentmeisters zu Rosenthal von 1494
heisst es:
„ In der Wochen nach st Vlerichsdag (4. Juli) dor by hon ich
daz Laut lossen rüern, Hauwe machen vnd in füren <^ -^
„In der Wochen nach nativil. Marie virg. (8. Sept.) dor by hon
dy Lude zu Spde gearn".
„In det Wochen nach exaltaüonis ste. crucis (14. Sept.) dor by
hon ich — zu Säet lossen eren vber Kerbest *^
Dagegen fallt die Einführung der Felge unzweifelhaft in eine
noch spätere Zeit. Schon der Umstand, dass im Altdeutschen
Felga — die Egge heisst') und fealh, vealh und valg dieselbe
Bedeutung auch im Angelsächsischen haben ^), weisst darauf hin.
Wann dieses geschehen , ist freilich schwer zu ermitteln ; ich wenig-
stens finde sie erst seit dem sechszehnten Jahrhundert im Gebrauche
und da auch nur vorzugsweise beim Gerstenfeld, bei dem übrigens
auch xiamals schon die Rurfurche üblich war. So heisst es z. B.
1592: », ein. Morgen in's Sommerfeld zu Gerste emmal feigen, zwei-
mal ackern, säen und eggen 'S während es vom Haferfeld heisst:
„einen Morgen zu Hafer einmal ackern, säen und eggen", worauf
unmittelbar folgt: „einen Meißen zu feigen". Also auch für die
Hafe'rsaat wurde gefolgt, nur wurde dieses nicht als nothwendig be-
trachtet, und auch heute noch ist es in vielen Gegenden gebräuchlich,
den Hafer in den frischen Boden zu säen , ja manche Landwiilhe hal-
ten dieses so gar für die Hafersaat zuträglicher.
Stimmen aber auch zuweilen die Zeiten der Feldbestellung nicht
1) Grimm a. a. 0. III. S. 506. Die Brachung setzt die Urkunde jedoch „ante
festum Petri ad vincula", al»o in das Ende des Monats Juli.
2) Das. S. 510. Nur muss es darin statt „vor St. Pedersdage vor der
Erne" — „nach der Erne" heisscn.
3) Graff a. a. 0. III. 505.
4) Eltmüller, GIoss. 79 u. 347. Felgiug ist occaiio.
59
genau überein» was ja ohnehin auch nach der Natur der Dinge
nicht anders sein kann, so waltet doch über die Schhisszeit der
beiden Saatzeiten enie um so grössere Uebereinstiminung. Es
war eine allgemein verbreitete gesetzliche Bestimmung^ dass das
Sommerfeld theils vor St. Georgentag (26. April), theils vor Walpur-
gistag, das Winterfeld aber vor St Gallentag (16. Oktb.) oder ander-
wärts vor Martini bestellt sein musste, denn an diesen Tagen wm*-
den beide umzäunt*). Sogar in den alten dänischen Gesetzen wer-
den Martini und Walpurgis als die Zeiten bezeichnet, wo die Saat-
felder umzäunt sein sollten*).
Wie in Deutschland, so wissen auch in Frankreich die älteren
Urkunden nur von drei Fu rchen. Eine ist das d as P flüge n im Som-
merfeld , welches sie ,. ad trannsium ** oder „tremisium" nennen , d. h. zu
deijenigen Frucht , welche nach drei Monaten geerndtet wird , jetzt tre-
mois oder tremes genannt'). Die beiden andern gehören dem Win-
terfeld, „ Hybematicum oder Ivern^cum" (auch Iveniagium und Hy-
bernagium), später Hivernage genannt. Die erste derselben ist die
Bfachfurch e „galchera, gascaria, gascha, gascheria" etc. oder jetzt
jacheres*), auch g arectum (ital. garetto) und warectum, warectat io
etc. genannt*), die andere Furche aber die zur Saat"). Eine der älte-
sten französischen Güterbeschreibungen , die 812 aufgestellte der Abtei
S aint Germ ain > kennt nur das Pflügen zur JJÜfitfil" ^^^ ^^^ ^^
So mmersaat : „ad hibernalicum " und „ad tremisium**, und weisst nur
dadurch auf die Brachfurche hin , dass es bei den durch die Frohn zur
Wintersaat zu pflügenden Ländern stets die doppelte Ackerzahl von
den für die Sommerfrucht zu bestellenden Ländereien angibt, die Brach-
fuiche also stillschweigend mit einschliesst^). Das Sonunerfeld erhielt
also nur eine, das Winterfeld nur zwei Fm'chen.
1) Grimm a. a. 0. IIL 627, 642, 686. Schauberg, Zeitschrift für schwei-
zerische Rechtsqucllen I. S. 93, 113, 120 u. 194.
2) Faick , Neues staatsbürgeri. Magazin II. S. 775.
3) Henschel 1. c. VT. 651.
4) Das. III. 464, 462, 489 u. 490.
5) Ibid. VI, 910. III, 482. Speimann 1. c. p. 565, Doch versteht man hier-
unter in ausgedehnterem SiQue überhaupt jedes Umbrechen berasten Bodens.
6) Im sfidlicl^^iji , yy^pkre ich war es j[edoch hin un'B^wieder anders; weni«^-
gten s erzählt Gregor von To urs . dass man ziTDijon nur cixunäTpflüge , weil 4m«.
^£LM..i££jEjlUÜUba9lM^ ~' -
7) Guerard, Polyptyque etc. II. p. 6, 24, 29, 33 f. S. auch Henschel I.e.
m. 737, VI. p. 651 f.
«0
r
Erst später, doch -jedenfalls schon vor dem Jahre 1000, begann
man, obwohl nur erst hin mid wieder, auch das Winterfeld dreimal
zu pflüge; es wurde dasselbe auch gerurt. Man nannte diese zweite
Pflügung binalia'), aus welchem das heutige bin er. entstanden ist,
auch rem otio*), woraus die Lyonesen remuette machten, während
die Burgunder statt dessen Rebu eil brauchen'). Eine Urkunde vom
J. 1000 sagt: „ ad galcheras , ad remotiones, ad avenas'*^); eine an-
dere: „Eam (terram) debeant. . . ghaskerer, biner et semer, id est,
arare, aratrare et serere'**), und eine diitte von 1249: „in prima ara-
tione, — in secunda — in seminis hyemalis coopertione; in aratione
Martii"*)-
Die Pflügung des. Sommerfelds geschah im März, weshalb die
Italiener die Sommerfrucht auch „martioUum'' oder „martiolinum'' nann-
ten^; die Brachfurche setzt das Polyptychum Fossateuse in den Mai,
was sich durch das wärmere Klima erklärt, und die Saatfurche für
das Winterfeld in den Oktober^.
Es fehlt also auch hier die Felge des Sommerfeldes. ' Im Fran-
zösischen heisst die Felge , d. h. überhaupt das Umbrechen der Stop-
peln ,recassis, gleichwie recasserdie Stoppeln unterpflügen, was
eben wohl erst eine neuere Bedeutung ist, denn während des Mittel-
alters findet sich recassare, rechaciare und recha^are nur
vom Metalle gebraucht*).
Blicken wir zurück , so tritt uns in allen diesen Arbeiten unver-
kenntlich eine gewisse Stetigkeit entgegen. Allerdings haben sich die
Arbeiten erweitert, und der Boden wird öfterer bearbeitet, um ihn
zur Saat vorzubereiten, als dieses ehemals der Fall war, aber die
drei Hauptfurchen zeigen sich um so unveränderlicher.
Wie schon im achten Jahrhundert, so ist auch noch heute der
Juni der Brachmonat. „Karl — erzählt Einhard*^ — gab den Mo-
1) Henschel 1. c. I. 677, 678, 683. ^
2) Polyptyque 1. c. II. p. 353.
3) Henschel 1. c* V. 700.
4) Polyptyque 1. c. II. p. 353.
5) Henschel 1. c. III. 400.
6) Polyptyque 1. c. 11. 384.
7) Henschel 1. c VI. 651.
8) Polyptyque -II. p. 286. S. überhaupt die Zusammenstelhmg T, 1. P. II.
p. 649 f.
9} Henschel 1. c. V. 611 u. 616.'
10) Vita Caroli c. 29.
\
61
Baten , für welche bei den Franken bisher lateinische oder barbarische
Namen gebräuchlich gewesen waren , Namen aus seiner eigenen Spra-
che". Den Juni nannte er Brach manoth. Diese Bezeichnung
war aber wohl nicht neu und sicher schon früher im Gebrauche.
Die Frühlingsfurche föllt in die zweite Hälfte des März oder den An-
fang des April und nur hinsichtlich der Saatfurche für das Winterfeld
sind die Angaben über die Zeit wechselnd, wie diese ja denn auch
noch heute wesentlich vom Wetter und der klimatischen Lage ab-
hängig ist.
Also mindestens ein Jahrtausend hindurch ist die Art und Weise
der Bestellung des Ackers in den Hauptzügen sowohl in Deutschland
als in Frankreich beinahe unverändert geblieben.
Aber auch nicht blos durch ganz Deutschland und wenigstens
das mittlere Frankreich*) finden wir die Dreifelderwirthschaft vorherr-
schend , auch über England, Dänemark*), das südliche Schweden')
und ebenso über die slavischen Länder und bis tief in Russland hin^
ein sehen wir dieselbe verbreitet*). Sie findet sich sogar auch da,
wo der Boden keinen Dünger bedarf*) , obwohl bei ausgezeichneter
Fruchtbarkeit des Bodens auch Ausnahmen vorkommen*).
Wenn wir nun ein Jahrtausend hindurch ohne wesentliche Aen-
derungen dasselbe und noch dazu in so grosser und weiter Ausdeh-
nung sehen , wird man da nicht genöthigt ein noch weit höheres Alter
anzunehmen , und zu dem historischen Jahrtausend mindestens noch ein
weiteres Jahrtausend hinzuzufügen ? Und ohne Zweifel wird diese Frage
nur bejaht werden können. Dann aber frage ich nur noch, ob die
bekannten und schon so viel besprochenen Worte des Taeitus : „ Arva
1) Von Evereux nordlich hört die Dreifelderwirthschaft auf.
2) In deik sAbnche König Waldmars heisst es: „It. in Ornunnae (anf See-
land) posaunt seminari simul V marce annone , sed in tertio anno erit in pascna
pecorum'^ Langebeck ]. c. VII. p. 527. S. auch Falck a. a. 0. 11. 778.
3) Man muss dieses wenigstens aus den alten schwedischen Gesetzen scltlies-
sen. ColUn et Schlyter , Cod. jur. Vestro gotic. p. 336.
4) Erdmann, Beitr. zur Renntniss des Innern von Rassland II. H. 1. S. 46
lind H. 2. S. 36. Weit zahlreichere Belege dafür findet man aber in den Stu-
dien u. 8. w. von V. Haxthausen.
5) V. Haxthausen a. a« 0. II. S. 31.
6) Das. II. S. 15. Die Angabe mancher Schriftsteller, dass Karl d. G. die
Dreifelderwirthschaft eingeführt habe, eine Angabe, für die sich auch nicht ein-
mal ein scheinbarer Beleg anfuhren lässt, ist — man verzeihe mir das Wort —
zu lächerlich , als dass sie einer Widerlegung bedürfte.
68
per annos mutant et superest ager" wohl auf etwas anderes bezogen
werden können, als auf die Dreifelder wir thschaft?
9) Die Feldgemeinschaft.
Obwohl , wie man gesehen , jede Hufe aus einem unwandelbaren
für immer festen Anüieile an Land besteht, so ist dieser Landtheil
doch keineswegs als unbeschränktes Eigen zu betrachten, es zeigt
sich vielmehr eine in mehrfacher Weise bestehende Beschränkung des
Benutzungsrechts und zwar in einem solchen Grade , dass man in Be-
zug auf dieselbe recht wohl von einer Feldgemeinschaft reden kann.
Schon darin tritt eine solche Gemeinschaft hervor, dass wo die
Ordnung der Gleichheit in einem oder mehreren Gewenden verscho-
ben worden ist , diese von neuem nach den Grundsätzen der ursprüng-
lichen Auftheilung wieder getheilt werden konnten*); doch in noch
höherm Masse wird dieses in Bezug auf die Benutzung der Länder
bemerkbar. Die Theilung der Fliu- im Einzelnen, sowie deren allge-
meine Scheidung in drei Felder nach dem wechselnden Fruchtbau
machte eine bestimmte gemeinsame Ordnung nothwendig. Es liegt
nicht im Belieben des Einzelnen, wo er seine Sommer oder Winter-
fmcht hinsäen will, er ist vielmehr an eine bestimmte Feldlage ge-
bunden ; in der Zeit des Pflügens , des Säens und des Ehidtens hängt
er von seinen Nachbarn ab , und was noch mehr als alles dieses den
Charakter des Gemeinsamen ausspricht ist die Ruhe, welche für jedes
der drei Felder im dritten Jahre wiederkehrt , imd die mit der Brache
eintretende Verwandlung des Brachfeldes zm^ Hutefläche für die Ge-
meindeheerden.
Schon die altern Weisthümer bestimmen nicht selten, dass die
Zeit der Emdte von den Vorstehern des Dorfes bestinlfhl werden solle.
In einem schweizerischen vom Jahr 1536 heisst es in dieser Bezie-
hung: „Der Aecker halb, so Korn, Hafer oder andere Früchte tra-
gen, sollen die Dorfvierer zur Zeit der Erndte besichtigen und wie
die Nothdurft fordert das Schneiden verbieten oder erlauben"*). Um
die „ Straffelweide " — heisst es in einem andern Weisthume — sol-
1) Ging bei den alten Britten von dcu Ländereien einer Tribus ein Th^il
durch Naturereignisse verloren, so wurde das übrig gebliebene von neuem ver-
theilt, um das frühere Verhältniss wieder herzustellen. Heidelberger Jahrbucher
1831. 1. H. Ö.64.
2) Grimm , Weisth. I. S. 132.
63
len die Bauern übereinkommen und was die Mehrzahl wolle , solle ge-
schehen. Ebenso solle es von der Mehrzahl abhängen „ein Tnfang
vff der Brach" zu machen"*).
Leopold führt in seinem System der thüringischen Landwirth-
schaft*) die althergebrachte Einigung seines Gebm^oils bei Nordhau-
sen an;' „Von der Bestellzeit des Winter- und des -Sommerfelds an
darf weder Vieh darin weiden , noch auch nur durchgetrieben wer-
den; so lange die Früchte noch nicht aufgeschossen, ist das Gras-
suchen noch gestattet , sobald die Frucht aber höher gewachsen , w^ird
das Feld geschlossen, und sogar die durch das Feld führenden Rasen-
wege werden gehegt. Nach der Aberndtung haben die Schweine
und Gänse die Vorhute und dann erst kommen die Kuh- und Schaf-
heerden. Vor Michaelis darf der Hute wegen Niemand sein Feld
umpflügen , und zu Martini muss jeder mit der Bestellung des Winter-
feldes fertig sein ; ebenso zu Johanni mit der Bestellung des Sommer-
feldes. Endlich darf Niemand Sommerfriichte in's Winlerfeld oder Win-
terfrüchte in's Sommerfeld bringen".
Gleiches erzählt uns Professor Haussen ') von der nordfriesischeu
, Insel Silt. Hier wurden ehemals alle Aecker eines Gewendes zu glei-
cher Zeit bestellt und geemdet. Sobald die Bauerschaft den Beschluss
gelassf diese oder jene Arbeit vorzunehmen , wurde an dem dazu be-
stimmten Tage das Zeichen entweder mittelst der Glocke gegeben oder
der Bauernvogt setzte seine rothe Mütze, das Zeichen seiner Amts-
würde, auf und liess in's Hörn stossen. Auch schickte er statt des-
sen wohl einen um ein Stäbchen gewickelten Zettel, den Thing-
wall, von Haus zu Haus durch's Dorf. Dasselbe geschah bei dem
Tüdern und Losmachen , dem Weiden und Einstallen des Viehes , bei
dem Haidehacken und dem Mähen der Wiesen. So geschahen alle
gleichartigen Arbeiten an ein und demselben Tage.
Ebenso berichtet v. Haxthausea*), dass noch gegenwärtig in
der Altmark Gemeinden sich fänden , in denen jeden Abend die Haus-
väter beim Schulzen zusammen kämen, um zu berathen, was am
nächsten Tage geschehen solle. Am Morgen sehe man dann zu glei-
1) Schauberg, Schweizer. Rechtsquellen L S. 195.
2) I. S. 25 f.
3) Falck, Archiv für Geschichte, Statistik, Ruude der Verwaltung und Lan-
desrechte der Herzogthümer Schleswig, Holstein u. Lauenburg. 4. Jahrg. S. 351.
4) In seinem Werk eh en : Die ländliche Verfassung der Provinzen Ost- und
VVestpreussen. S. 237 Anmerkg.
\
\~ — i
64
eher Stunde alle hinausziehen» nicht selten aufeinander harrend, da-
mit dieses in geschlossener Ordnung geschehe, und zu gleicher 2eit
sehe man sie auch wieder heimkehren.
Das ist die wirkliche insbesondere in Deutschland von jeher
üblich gewesene, schon durch die Natur der Verhältnisse bedingte,
Feldgemeinschaft.
Aber beinahe Alle, welche sich mit den gesellschaftlichen Zu-
ständen der germanischen Zeit beschäftigt haben, nehmen eine Ge-
meinsamkeit in einem weit höheren Grade an, nehmen an, dass gar
kein Sondereigen bestanden, sondern der einzelne Acker alljährlich
seinen Besitzer gewechselt habe.
Fragt man nach den Gründen, auf welche diese Annahme ge-
stützt wird , so liegen diese allein und einzig in dem , was uns Cäsar
über den Ackerbau und die Lebensweise der Germanen und nament-
lich der Sueven mittheilt.
Cäsar sagt nämlich imd zwar mit bestimmter Hinweisung auf
die Sueven*). „Der Stamm der Sueven* ist bei weitem der grösste
und der am meisten kriegerische von allen Germanen. Sie haben,
wie es heisst, hundert Gaue, aus jedem lassen sie alljährlich tausend
Gerüstete ausziehen, um Krieg zu fuhren. Die übrigen, welche in
der Heimath zurück bleiben, ernähren sich und jene. Diese stehen
wiederum zur Abwechselung das nächste Jahr unter den Waffen,
während jene zu Hause bleiben. Auf diese Weise ^^ird weder der
Ackerbau, noch Kriegsgeschick und Uebung ausser Acht gelassen.
Indessen haben sie kein Sondereigen und keine abgegränzten Lände-
reien (sed privati ac separati agri apud eos nihil est), und es ist
ihnen nicht gestaltet länger denn ein Jahi* zum Zwecke ihrer Be-
bauungan ein und demselben Orte zu bleiben (neque longius anno
remanere uno in loco incolendi causa licet). Auch bildet das Ge-
treide keinen grossen Theil ihrer Nahrung, vielmehr besteht diese
mehr aus Milch und Fleisch; auch üben sie häufig die Jagd".
Und weiter*): „Um Ackerbau kümmern sie sich nicht, der
grösste Theil ihrer Nahrung besteht in Milch , Käse und Fleisch. Auch
hat keiner ein bestimmtes Mass Ackerland oder eigenen Grundbesitz
(fines proprios), sondern die Obrigkeiten und Häuptlinge weisen im-
mer auf ein Jahr den Stämmen und Gesippen (gentibus cognalioni-
1) De bell. gall. IV. 1.
2) Ibid. VI. 21.
6»
busque)» die sich zusammen getton haben, Land zum Ackerbau an,
so viel und wo es ihnen gut dünkt, und zwingen 9ie da3 nächste
Jahr anderswohin überzusiedeln. Dafür geben sie viele Gründe an,
als: „damit sie nicht durch stete Gewohnheit befangen die Lust am
Kriege mit dem Ackerbau vertauschten; damit sie nicht nach dem Er-
vrerbe grossen Grundbesitzes trachteten und die Mächtigem die Nie-
dern aus ihren Besitzungen verdrängten; damit sie nicht zum Schutze
gegen Kälte und Hitze mit zu grosser Sorgfall baueten; damit keine
Geldgier aufkomme, woraus Parteiung und Zwietracht erwachse; da-
mit das niedere Volk in guter Stimmung ertialten werde, wenn jeder
sähe, dass sein Besitz mit dem des Mächtigsten gleichstehe".
Vor allem müssen wir mit diesen Schilderungen die des Tacitus
nicht vermengen. Beide geben völlig verschiedene, man darf sogen,
sich entgegenstehende Bilder. Tacitus gibt den Germanen allentlial-
ben feste Ansitze, Cäsar hingegen beschreibt wenigstens den grossen
suevischen Stamm ganz und gar als ein Volk von Nomaden* Wür-
den wir die Angaben des Tacitus nicht kennen, so müsste man sich
allenfalls , obwohl nicht ohne mancherlei Zweifel , bei den Bildern Cä-
sar's beruhigen. Aber Tacitus schrieb nur 150 Jahre später als Cä-
sar, und das ist ein viel zu enger Zeitraum , um ein Volk aus einem
nomadischen in ein ackerbautreibendes umwandeln zu können. Zu
einer solchen Verwandlung gehören viele Jahrhunderte und ein eiser-
ner Drang von Nothwendigkeit. Wer aber von beiden am richtigsten
schaute, wer am tiefsten das germanische Leben durchblickte, kann
kaum einem Zweifel unterliegen. Je näher man Tacitus tritt , je tie-
fer man auf seine Mittheilungen eingeht, um so mehr muss man über
die Wahrheit seiner Auffassungen erstaunen , zumal wenn man bedenkt,
Mde leicht in solchen Dingen ein hrtb^um ist Allerdings , auch Cäsar
hat beobachtet, hat sich bemüht, die Sitten und das Leben der Ger-
manen kennen zu lernen, aber sein Auge ist nur an den äussern
Erscheinungen hängen geblieben und nicht tief genu^ eingedrungen.
Es liegt darin kein Vorwurf einer Flüchtigkeit. Man vergegenwärtige
sich nur den daiilftligen Römer mit seinen Begriffen vom Staat, vom
Recht und von den bürgerlichen Einrichtungen , und dazu nehme man
noch, dass er nicht etwa als schlichter Wanderer den Rhein über-
schritt, um die Sitten und Einrichtungen des Volks zu studiren, son-
dern dass ^r mit dem Schwerte in der Hand den Krieg in die deut-
schen Gaue trug, also emen Zustand fand, in dem ohnehin schon
alle Verhältnisse des Alltagslebens verschoben und verrückt sind.
„Gerade das Offenste — sagt Ernst Moriz Arndt in seiner Ab-
Land a a. Territorien. 5
66
i
handlung über die FeldordnuDg; und den Ackerbau der alten Germanen *)
— ist häufig das Verborgenste , das allgemein bekannt Scheinende das
Unbekannteste , und dieses trifft wohl in keinem Dinge mehr zu als bei
der verschiedenen Weise des Ackerbaues, des Besitzes und der Be-
nutzung der Landgüter in den verschiedenen Ländern und Völkern**.
Und er hat wahrlich Recht, denn noch heute schreiten Tausende und
aber Tausende über die heimathlichen Fluren und ahnen nichts von
den Gesetzen , nach welchen diese geordnet sind. Und das sollte ein
Fremdling vermögen? Wahrhaftig, es liegt der Irrthum hierbei un-
endlich näher , denn die Wahrheit. Betrachten wir nun aber die An-
gaben Cäsar's genauer. Gleich im Eingang verwechselt er einen blos-
sen Namen mit einer Thatsache. Er hält den Namen der Hundreden
(centeni), die Bezeichnung der einzelnen Gebiete, für die Zahl der-
selben; am Schlüsse gibt er aber das, was natürlicher Weise nur
Folge einer solchen Lebensweise sein konnte, für die Ursache der-
selben an. Er setzt dadurch an die Stelle des freien germanischen
Gemeindelebens einen ebenso naturwidrigen als sklavischen Kommu-
nismus:; denn anders liesse sich doch eine Einrichtung nicht denken,
welche durch solche gewaltsame Mittel solche Zwecke verfolgte?
Aber auch gegen die Wahrheit der cäsarischen Schilderung selbst
erheben sich — abgesehen von allem andern — die gewichtigsten Be-
denken. Schon ^mser Klima und die Ergiebigkeit des Bodens wür-
den einer solchen Lebensweise gebieterisch entgegenti-eten. Nicht
blos den Acker sollten sie jährlich gewechselt haben, sondern auch
den Wohnsitz und das dazu noch in weite Ferne. Das hätte also
nicht nur einen neuen Hüttenbau , sondern auch eine neue Anordnung
des Feldes bedungen. Bedenkt man aber, welche Mühe und Arbeit
und Zeit dazu gehört, einen noch rohen Boden auch nur bis zu einem,
wenn auch nur geringen Ertrage zu bringen , so wird die Unmöglich-
keit einleuchten. Ehe noch die Wohnung für die Familie, die Ställe
für das Vieh, — denn während des Winters musste dasselbe doch
unter Dach gebracht werden — ehe noch die Schoppen für das Win-
terfutter aufgerichtet waren , wäre schon die Zeit für die Aussaat ver-
strichen gewesen.' Nein! eine solche Lebensweise ist unter unserem
Himmel nicht woW^jafiSiclKdie kann nur unter einer mildern Sonne
un d auf fi inp.m fnichtharpjnBodeji.. .statt Jlodea.. wo zum Dache . ein
leichtes Zelt genügt und das Feld kaum einer Bestellung bedarf.
Aber noch eine Frage, die auch Arndt aufwirft, tritt bei der
1) S. Schmidt, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft III. 234.
67
Schilderung Cäsafs uns entgegen; wovon hätte die Bevölkerung
Deutschlands hei einem solchen Ackerbaue leben sollen? Weite,
wäst liegende Strecken wären zu einer nomadenarligen Lebensweise
erforderlich gewesen, und nur eine höchst dünn gesäete Bevölkerung
hätte dabei bestehen können; das germanische Volk hätte in einem
ähnlichen Zustande leben müssen, wie die Hirtenvölker nördlich des
kaspischen und aralischen Meeres, oder wie im nördlichen Schweden
und Norwegen, wo die Bevölkerung höchst spärlich zerstreut sich fin-
det und der Reisende Tage lang wandert, ehe er wieder menschliche
Hütten sieht. Dass es aber in Deutschland anders war, berichtet
Cäsar selbst. Er meldet, dass die von den Sueven aus ihren Sitzen
verdrängten Usipier und Tenkterer zu 200000 Menschen gegen ihn
ausgezogen seien, und später soll Tiberius sogar 40000 Sigamber
über den Rhein versetzt haben. Ueberall sehen wir Heere von vie-
len Tausenden den Römern entgegentreten , und wenn Arndt annimmt,
dass bei einem Anbaue, wie ihn Cäsar schildert, wohl höchstens
3 — 400 auf der Geviertmeile gelebt' haben könnten , nach den mäch-
tigen Heeren, welche die Deutschen aufstellten, aber jedenfalls 800
bis 1000 auf einer Geviertmeile sich befunden haben müssen, so
mag er nicht Unrecht haben. Es war jedenfalls schon eine Bevölke-
rung vorhanden , welche zu ihrem Unterhalte mehr bedurfte , als eine
solche Bodenkultur zu gewähren im Stande war.
So wie Cäsar es schildert, war es gewiss nicht. Indessen ist es,
wie ich wiederholen muss, für einen Fremden, welcher unter durch-
aus andern Verhältnissen gelebt, sicher eine sehr schwierige Aufgabe,
sich über derartige Zustände eine klare Anschauung zu verschaffen;
es ist vielmehr kaum anders möglich, als dass bei einer allgemeinem
Betrachtung der verschiedenen äussern Erscheinungen unseres länd-
lichen Besitzes, bei der gleichzeitigen Bestellung des Feldes und der
Gleichheit der Fruchtgattungen in derselben Lage , bei der vollen Ruhe
eines ganzen Drittels des Feldes und der gemeinsamen Behütung des-
selben, und endlich bei der wü'klichen Gemeinheit der Mark der Gedanke
sich aufdrängen muss , es sei hier nirgends ein Sondereigen vorhanden.
Wäre jemals eine solche sich stets wiederholende Theilung des
Bodens bei den Deutschen und den übrigen germanischen Völkern an
Uebung gewesen, so hätten sich nothweüdig noch Spuren davon in
der spätem Zeit erhalten müssen, aber weder bei Tacitus, noch in
den alten Volksgesetzen , imd ebensowenig in den Urkunden lässt sich
auch nur eine Thatsache dafür mit Sicherheit auffinden. Alle diese
Quellen zeugen vielmehr entschieden für einen festen Besitz und selbst
5*
66
die Hafenordiiuug , namentlich die festa und unwandelbai'e Zahl der
Hufen ; spricht entschieden dafür. Bei einer ' in solcher Weise fort-
gesetzten Theilung^ hätte sich nie und nimmer jenes Nornialmass für
die Hufe bilden können, welches sich trotz allen Wechseln in der
Grösse als etwas UrsprüngUches zeigt. Was man gewöhnlich für
diese sog. Gemeinschaft anführt, ist nicht hierher gehörig, es bezieht
sich dieses vielmehr nur auf die Nutzung von Gemeindegütem.
Um zu beweisen, dass noch jetzt manche Gegenden ein Son*
dereigenthum entbehren, hat man schon mehr auf jene allerdings
merkwürdige Erscheinung verwiesen , welche sich am Himdsrücke» in
einigen Bürgermeistereien der Kreise Ottweiler und Saarlouis, fast im
ganzen Kreise Mertzig und den daran stossenden Gegenden findet.
Hier besteht nämlich eine unzerlheilte Gemeinschaft des Grundeigen-
thums, welche nicht allein auf Wald, Weide und Wiesen, sondern
auch auf die Aecker und an einigen Orten sogar auf die Gärten sicli
erstreckt. Alle Grundstücke bleiben einem beständigen Uebergange
aus einer Hand in die andere, und zwar durch das Loos, unterwor-
fen. Die Verloosung der Grundstücke , welche erbschaftliches Gut ge-
nannt werden , geschieht nach der Bewirthschaftungsweise der verschie-
denen Dörfer auf 3, 4, 9, 12, 14 und 18 Jahre. Jeder kann nach
Belieben seinen Anlheil sowohl ganz als in bestimmten Theüen ver-
äussem oder verpfänden, ohne dass er im Stande ist, das Grundstück,
über welches er verfügt, nachzuweisen, denn während er das eine Jahr
im Thale baut, baut er das nächste Jahr wohl eine Stun<]le entfernt
davon auf dem Berge. Die ideellen Theile eines Looses nennt man
nach ihrer Grösse Pflüge, Viertel und Zolle; ein Pflug hat nämlich
4 Viertel, ein Viertel 48 Zolle. Da indess kein geringerer Theil als
Va Pflug zur Verloosung kommt, so haben die^, welche weniger be-
sitzen , ihre Zolle zusammenzulegen und das ihnen bei der Verloosung*
Zufallende unter sich zu vertheilen. Eine Folge dieses Verfahrens ist
denn auch, dass mit einem neuen Besitzer auch die Form und
Grösse der Aecker sich ändert, indem jeder, der mehr oder weniger
Zölle als sein Vorgänger hat, darnach seinen Acker einrichtete).
Indessen ist dieses doch nur eine vereinzelte Thatsaehe, deren
Urspung auf ganz besondern Umständen benihen mag, eine Aus-
nahme die, wie auch Waitz bemerkt, der grossen allgemeinen
Regel gegenüber nichts beweist. Möglich, dass es urbar gemach-
1) Schwer?, Beiträge zwr Renntniss der Landvirtliscbaft hi den Gcbingsge-
gcmlen des Hundsrückens , im 27. Bd. der Moglijier Annalen. S. 28 — 34.
- 1) Schmidt d« a. 0. S. 252.
* %) Nebenstundea S. 282.
^ 3) Gesch. von Böhmen I. S. 169 f.
4) In seiner Darstellung der Erbfolgerechte der Slaven, nach Röppel, Gesch.
Polens S. 84.
•5) In seinen „Studieh nbcr die innöm Zustande, das Volksleben und ins-
besondere die ländlichen Einrichtungen Russlands I, Tbl. S. 124 f, u. III. S. 125.
f
m
ies Wildland^ ist Dasselbe ist der Fall mit dem was Arndt ') von
der jährlich neuen Vertheilung der Aecker slu Traiitow erzählt . und
an einem andern Orte «) aus Schottland mittheilt : ,, Es . waren aber
in Schottland meistens nur die Gränzer, welche einen ähnlichen
Brauch hatten: Sie, erzählte manims, hatten ein gemeinschaftliches
Feld, worin man den verschiedenen Besitzern in den verschiedenen
Jahren, nach der Natur ihrer Ernten, versclüedene Streifen Land
anwies '^ Smallholm in semer statistischen Beschreibung von Rox-
burgh erzählt : „ Diese Gegend zu beiden Seiten der Twend war vor-
mals der kriegerische Theil des Landes und den Einfällen der Englän-
der ausgesetzt ; die Ländereien lagen daher alle ruiirig (von „ run " lau- i
fen , und „ridge" eine Reihe , ein Streifen), damit , wenn der Feind käme, [
die ganze dabei betheiligte Nachbarschaft gegen ihn zu den Waffen griffe'^
Aber alles dieses ist — wie gesagt — nicht ausreichend , um
einen genügenden Beweis für eine auch bei den Deutschen übliche
Feldgemeinschaft in der Ausdehnung anzunehmen , wie dieses gewöhn-
lich geschieht, und noch weniger ist darin eine Uebereinsümmung mit
dem Bilde zu finden, wie dasselbe Cäsar gibt.
Dagegen zeigt sich allerdings bei den slavischen Stämmen eine
Gemeinschaft in jenem ausgedehnteren Sinne. Nach Palacky») hat
sich in Böhmen der Gebrauch des ungetheilten Familien - Besitzes bis
in's sechszehnte /Jahrhundert erhalten. Der Staressina (der Aelteste)
verwaltete das Vermögen des Hauses in umfassendstei" Weise. Eben-
so ervält Hube*) von einem freien Dorfe in der Woiwodschaft Seudo-
mir, in welchem die gemeinschaftliche Feldilur nach Anordnung des
Schulzen (Woyts) gemeinschaftlich bestellt und die Früchte getheiU
würden. Und noch heute besteht nach v. Haxthausen*) eine solche
Gemeinschaft als Regel in den russischen Dörfern : >, Als Prmcip —
sagt er — gut, dass die ganze Bevöfterung einer Dorfgemeinde als
eine Einheit angesehen wird» der die ganze Feldmark von Aeckem,
WiesjBn , Wpiden , Waldungen , Bächen , Deichen u. s. w. angehörig^
sei. Jede männliche lebende Seele nun hat einen Anspruch auf ganz,
gleichen Antheil an allen Nutzungen des Grunds und Bodens. Die-
70
ser Antheil ist demnach dem Prinzip nach stets wechselnd, denn
jeder, aus einer Familie der Gemeindegenossen neiig:eborne Knabe
tritt mit einem neuen Rechte hinzu, und fordert seinen Antheil, da-
gegen fällt aber auch der Antheil eines Verstorbenen in die Gemeinde
zurück. Die Waldungen und Waiden, Jagd und Fischerei bleiben
ungetheilt, und jeder nimmt mit gleichem Rechte an ihren Nutzungen
Antheil. Aecker und Wiesen werden aber wirklich unter alle männ-
liche Köpfe gleichmässig vertheilt".
Die Vertheilung geschieht nun ganz so wie man sie im gröss-
ten Theile des westlichen Europas findet. „In jeder Gemeinde gibt
es gewandte Agrimensoren , die traditionell ausgebildet, das Geschäft
mit Einsicht und zur Zufriedenheit Aller ausführen. Zuerst wird die
Feldmark nach der entfernten und nahen Lage, nach der Güte oder
Schlechtigkeit des Bodens, oder nach vorhergegangener vollständiger
Bonitirung in Wannen abgetheilt, so dass jede Wanne einen einiger-
massen in jenen Beziehungen homogenen Bestandtheil bildet. Dann
wird jede Wanne in so viel Antheile in lange Streifen abgetheilt,
als Antheilnehraer in den Gemeinden sind, und sodann unter diese
vefloöset^. Dies ist das Allgemeine, aber in jeder Gegend, oft in
einzelnen Gemeinden, haben sich Lokalgebräuche, Abweichungen und
besondere Arten festgestellt". — „Im Gouvernement Jaroslow z.B.
existiren in vielen Gemeinden eigene, fast heilig gehaltene Vermessungs-
stäbe. Die Länge derselbe korrespondirt mit der verschiedenen Güte und
Öualttät des Bodens der Feldmark, so dass z. B. der Vermessungsstab
für das beste Land, auch der kürzeste ist, der für etwas minder gutes,
auch etwas länger, und sofort der für ganz schlechtes, der längste. Hier
sind die sämmtlichen Landstriche daher von ganz verschiedener Grösse,
aber eben dadurch in ihrem Werthe ausgeglichen und völlig gleich".
Dasselbe findet sich sowohl bei den in Russland vorhandenen
freien Gemeinden, wozu namentlich alle Kosackengemeinden gehören,
als auch bei den Krön- und den leibeigenen Gemeinden. Nur die
statt auf Obrok (Geldabgaben) auf Frohnden gesetzten Dörfer machen
iji sofern eine Ausnähme hiervon, als der Grundherr einen Theil der
Feldmark, bald Vs, bald V4» für sich genommen hat, welchen die
Bauern für ihn bestellen müssen, und die Theilung des übrige» Bo-
dens nicht nach Kopfzahl, sondern nach der Zahl der zur Fröhnde
1) Bei dem Vertheilen und Ausloosen ist in der Regel die ganze Gemeinde
mit Weiber und Kinder versammelt , es herrscht aber die grösste Ordnung «nd
Stille.
71
lüchügen Häupter erfolgt , oder mit andern Worten , die Theilung er-
folgt nach dem Taiglos, ein Wort, dessen Bedeutung zwischen Ehe-
paar und Familie steht.
Nur in grössern Zeiträumen finden in Russland allgemeine
Volkszählungen statt, welche Revisionen genannt werden. Seit Peter I.,
also seit etwa 130 Jahren, geschahen deren acht. Für diese Revi-
sionsjahre ist zugleich auch eine neue Lan(|theilung vorgeschriehen;
Ohne dieses Gebot würde der Bauer die Theilung nicht vornehmen,
welche er ohnehin die schwarze oder böse Theilung nennt.
Deshalb kommt die Erneuerung dieser Theilung wohl auch nirgends
mehr mit voller Konsequenz in Ausführung, und es treten nach den
verschiedenen Gegenden gar mannichfache Veränderungen ein. Wenn
nicht im ganzen Gouvernement Jaroslow, dann doch in vielen Thei-
len des^lben wird auf folgende Wdse verfahren *) : „ Zuerst wird von
den Agrimensoren der Gemeinden die Feldmark vermessen , bonitirt,
und jede Wanne in eine Anzahl Streifen getheilt. Es werden bei
Krongemeinden ungefähr die Zahl der (männlichen) Revisionsseelen,
oder bei Apanage- oder Privatgemeinden die Zahl der Taiglos im
Auge behalten , doch des möglichen Zuwachses halber einige hinzuge-
setzt und mehr gezählt, was dann eine Reserve für die Gemeinde
bildet. Auch werdeu'tfie ganz unregelmässigen Figuren , welche sich
durch Wege, Gräben, Ufer u. s. w. bilden, und etwas schwierig zu
vennessen sind, so eingetheilt, dass nur regelmässige Figuren zur
Vertheilung herausgeschnitten, und die auf solche Weise übrigblei-
benden Streifen, Enden, Ecken u. s. w. ebenfalls videder zu dem Re-
servefonds und zur Ausgleichung bei vorkommenden Beschwerden
geschlagen werden ; man nennt diese Reste die Zapoloski. Nun wird
jedem sein durch das Loos ihm zugefallener Theil überwiesen, jene
Reserve aber entweder von der Gemeinde verpachtet oder sonst benutzt.
Wird nun später ein Knabe geboren , oder bildet sich ein neues Taiglos,
so wird ihm aus dem Reservefonds ein neuer Antheil ausgemittelt imd
zugewiesen. ' Stirbt Jemand , so fällt dessen Antheil an den Reservefonds
zurück , doch wird so viel thunlich darauf gesehen , dass z. B. der Theil,
der dem verstorbenen Vater gehört hat, dem Sohne wieder überwiesen
wird , so dass die vorhandenen Ackerwirthschaften möglich wehig in
yarem Bestände alterirt und gestört werden. Sogar bei daPdeutschen
kolomsten im Gouvernement Saratow hat diese Theilungsweise Eingang
1) y. Haxthausen a. a. 0. S. 131
7«
gBrunden, obwohl dieselbe anfUnglich ihre Fluren nach ihrer vater-
ländischen Weise angelegt hatten".
Nach V. Haxlhausen*) gründe sich diese Tlieilung nach Köpfen,
bei den Slaven auf' das urspi-üngliche Prinzip des ungetheilten Fa-
milien - Gesammt - Besitzes und der alleinigen Theilung ' der Nutzun-
gen, welches sich bei allen slavischen Völkern finde und wahrschein-
lich noch in Serbien, Kroatien, Slavonien u. s. w. bestehe, wo hin
und wieder nicht einmal eine jährliche Theilung, sondern die Bestel-
lung durch die gesammte Gemeinde unter Leitung „ihrer Alten** ge-
schehe und erst die Erndte getheilt* werde.
Die Kosaken des Urals sollen in jener Weise eine einzige grosse
Gemeinde bilden*). In* Bezug auf Serbien bestätigt jene Angabe
auch Robert'), v. Haxthausen *) versichert, in Russland nur einige
kleine Dörfer bei Wologdft gefunden zu haben, wo die gevPöhnliche
russische Theilung nicht war, tmd dasselbe sei der Fall bei den
Tscheremissen , einem finnischen Volksstamme, unfern Kasan, dessen
Dörfer östlich der Wolga im Inliem des Landes liegen, sowie bei
den Tschuwaschen, einem tartarischen Stamme derselben Gegend*).
Auch in Podolien findet sich diese Theilung nicht, sondern fester Gmnd-
besitz').
Dass nun aber eine ähnliche wie jene flavische Landtheilung
der jetzt in Deutschland bestehenden vorausgegangen und diese sich
aus jener herausgebildet habe, wird Niemand zu behaupteji vermögen,
welcher das Wesen unserer Hufen mit Klarheit aufgefasst hat. Beide
sind durchweg verschieden. Schon der Umstand, dass sich nirgends
eine Spur von einem solchen Zustande der Gemeinschaft erhalten,
muss bei der ausserordentlichen Zähigkeit, welche sich in allen der-
artigen Verhältnissen kund gibt, dagegen zeugen;, aber mehr noch als
dieses widerstireltet die Unmöglichkeit jenes russische Landmass mit
der deutschen Hufe zu vereinigen. Denn während die Grösse jenes , je
nach der Zahl der Theilhaber, nothwendig bald grösser bald geringer
ausfallen muss, hat die deutsche Hufe dagegen ein festes, oft sogar
künstliches Notmalmass. Aber auch abgesehen hiervon, so würden
1) I 10
2) Das. III. S. 157 f.
3) Die Slaven der Türkei, übersetzt vou Ferodawitsch 1. S. 54 f.
4) I. 240.
5) I. 458.
6) II. 472.
73
doch auch diese slavischen Gemeinfluren in keiner Weise in der Schil-
derung Cäsar's gefunden werden können; denn was darin vor allem
hervortritt, der Wechsel des Ansitzes, ist doch auch da nicht yor-
banden, viehnehr bleiben auch bei diesen Slaven das Dorf wie die
Flur immer dieselben. Sah Cäsar wirklich seiner Schilderung ent-
sprechende Zustande , sö können dieses keine andern als nur ausser-
gewöhnliche gewesen seyn*).
10) Die Anlage des Dorfes«
Betrachtet man die Durfer und ihre Fluren genauer, so lüsst
sich noch jetzt klar und deutlich erkennen, auf welche Weise mau
bei der Anlage derselben zu Werke gegangen ist.
Sobald eine Anzahl von Familien zur Gründung eines Dorfes
(villa, vicus) sich vereinigt und den Ort zu dessen Anlegung aus-
gewählt hatte, war ihr erstes Geschäft, sich darüber zu verständi-
gen, welche Art von Theilung des Feldes sie erwählen wollten, in-
dem hiernach die Folge der Arbeiten sich bestimmte. Ich nehme
an , dass man die oben S, 32. beschriebene Hufe erwählte i^nd zwar
nait der Besonderheit, dass die Hofreithen als selbstständige Ganze
ausser den Hufen aufgetheilt wurden. Man bestimmte in diesem
Falle zuerst den Raum, auf welchem man die Gehöfte des Dorfes
aufrichten wollte, wobei zunächst die Nähe eines fliessenden ^Was-
sers, wenn auch nur einer Quelle, in Berücksichtigung kam. Es
folgte dann die Absteckung der Hofreithen, einschliesslich der dazu
gehörigen Gärten. Möglich, dass oft auch eine Absteckung der Ge-
meindeplätze und der Dorfwege vorausging, doch ergaben sich diese
auch schon dadurch von selbst, dass man die Hofreithen nicht an
einander legte, sondern stets offene Räume zwischen ihnen liegen
Hess. War man hierrnit zu Ende , so wurde der Boden für die Wie-
sen bestimmt und abgeschlossen. So kam man endlich an*s Feld.
Nachdem die Ausdehnung desselben nach den Verhältnissen der
ausgelegten Hofreithen bestimmt worden, und man die Wege, wel-
che durch dasselbe führen sollten, nach Massgabe der Lage des
Dorfes bezeichnet hatte, musste jeder andern Arbeit eine Untersu-
chung des Bodens, eine Bonitirung, vorausgehen. Die Grundsätze,
ijach welchen diese Bonitirung ausgeführt Mnirde, waren sicher lo
ältester Zeit sehr einfacher Natur. Man schied den Lehm-, Sand-,
Thon-, Kalk-Bodpn u. s.w. in grosse Vierecke, und berücksichtigte
1) So auch Waitz a. a. 0. 1. S. 20.
74
»
in Gebirgsgegenden dabei nur noch die Lage gegen die Sonne oder,
wie noch heute der Bauer sagt, die Sommer- und Winterseite.
Nachdem so die verschiedenen Bodenarten in einzelne Gewende ge-
lheilt , theilte man jedes derselben in eben so viele Ackerstreifen, als
Hofreithen ausgelegt worden waren. Reichte ein Gewende nicht aus,
so gab man zur Ausgleichung einem andern Gewende in demselben
Verhältnisse mehr Ackerstreifen; ähnlich machte man es, wenn man
etwa genöthigt gewesen war, in einem Gewende Boden von ver-
schiedener Güte zu vereinigen. Auf dieselbe Weise wurden die Wiesen-
gründe je nach Güte und Lage gewöhnlich in drei Klassen geschieden
und in einzelne Stücke getheilt. Sobald dieses Alles vollbracht, wurde
zur Verloosung geschritten. Zu diesem Zwecke versah man^ die
ausgelegten Hofreithen mit fortlaufenden Zahlen, denen sich die Folge
der Ackerstreifen eines jeden Gewendes und der Wiesentheile an-
schloss, so dass derjenige, auf welchen das Loos die Hofreithe
Nr. 1. brachte, den ersten Ackerstreifen in allen Gewenden, sowie
auch den ersten Wiesentheil erhielt, und so ging es von Nummer
zu Numiper, bis die ganze Zahl der aufgemessenen Hufen vertheill
war. Der Beweis, dass wirklich auf diese Weise verfahren worden,
liegt in der einfachen Thatsache , dass regelmässig jede Hufe densel-
ben Ackerstreifen durch alle Gewende besitzt Erst jetzt, nachdem
jeder der Niederlasser seinen Grund und Boden erhalten, wurde
Hand an den Bau der Gehöfte und an die Urbarmachung des Feldes
u. s. w. gelegt, was bei der angenommenen Hufenart allerdings ge-
meinsam geschehen musste.
Dass die Vertheilung der Urbarmachung wirklich vorausging,
ergibt sich schon aus dem Umstände, dass man zahlreiche Falle
findet, in welchen man noch vor jeder andern Arbeit^ die Zahl der
anzulegenden Hufen feststellte *). So sehen wir 1254 ein anzu-
legendes Dorf auf 24 Höfe*), so wie eine Stadt, welche ge-
gründet werden soll, auf 300 im Walde anzurodende Hufen bestimmt
werden'). Aber auch dafür finden sich in den Urkunden zahlreiche
Belege, dass der Bau des Hofes mit dem Beginge der Urbarmachung
geschah, und dass der Hof häufig schon stand, während das Feld
nur erst zu einem Theile umgebrochen war. Ein Beispiel hiervon
gibt die folgende Urkundenstelle:
1) Schon oben sind mehrere Beispiele davon vorgekommen.
2) Wenck a. a. 0. II. Ürkbch. S. 177.
3) Das. ip, S. 175.
75
„Tradiderant etiam Liwicho et Wernbrecht in Walchesheimer
marca unum mansum cum aedificio in ipsa silva constructo et XXX
iurnales inter silvam et campos et de prato et de silva ad stir-
pandum " *).
Obwohl uns für Deutschland alle auf die erste Auftheilung un-
mittelbar sich beziehenden historischen Nachweisungen fehlen , so ist
deren Gang doch zu sehr an eine gewisse natürliche Folge gebun-
den, als dass man über dieselbe in ernste Zweifel kommen könnte').
Jene in den alten dänischen und schwedischen Gesetzen ent-
haltenen Bestimmungen, wonach die gegen Osten oder Süden lie-
genden Höfe auch ihr Land bei der Theilung in derselben Gegend
erhalten sollen, und ebenso dieses auch bei denen geschehen solle,
welche auf der westlichen oder nördlichen Seite lägen'), haben kei-
nenfalls die Bedeutung, welche Grimm und Haussen ihnen beilegen.
Die Bezeichnung der Himmelsgegenden scheint nur beispielsweise zu
geschehen, und die ganze Bestimmung sich* nur auf solche Hufen
zu beziehen, welche aus einem Stücke bestehen, deren Höfe aber
nicht auf diesen Hufen selbst, sondern gesondert als ein zusammen-
gerücktes Dorf neben einander liegen. Da sollen nun, so verstehe
ich es, die an einem Ende des Dorfes liegenden Hofreithen auch mit
den nach dieser Richtung liegenden Hufen zusammengelegt werden.
Man wollte damit nur im wirthschaftlichen Interesse vermeiden , dass
ein z. B, am westlichen Ende liegender Hof nicht sein Land an der
östlichen Gränze der Dorfflur liegen habe.
Wie man sieht, betrachte ich die Dörfer als uralt, als seit der
ersten festen Niederlassung vorhanden, und trete damit einer bei-
nahe allgemein verbreiteten Ansicht entgegen.
Gestützt sowohl auf die Angaben Cäsar's, als des Tacitus,
haben vorzüglich viele der älteren Forscher angenommen, dass die
Germanen zur Zeit der Römer noch auf einzelnen Höfen gewohsit
und erst später in Dörfer sich zusammen gebaut hätten. Vor al-
lem ist es die bekannte Schilderung der Wohnsitze der Deutschen,
welche Tacitus im 16. Kapitel der Germania gibt, auf welche jene
1) Tr. Lauresh Nr, 3708. Aehnliche Stellen finden sich oft.
2) Nicht ohne Interesse in dieser Hinsicht sind die verschiedenen Instruk-
tionen für die braunschweigische Landes - Vermessungs - Kommission yon 1755
u. s. w., abgedr. in Gesenius , Meierrecht 11. Beilage h
3) S. die Gesetzesstellen bei Grimm , Rcchtsalterthümer S. 539,^
• »
78
fassen. Das geschieht nameollich von Moser *) und Wenck ^, und
in neuerer Zeil noch von Eichhorn*), doch weichen auch schon
viele der neuem Geschichtsschreiber davon ab^ und erkennen in
jener Schilderung bald mehr, bald minder unsere Dörfer^).
Alle diejenigen, welche in ältester Zeit Hufe annehmen, wo
jetzt Dorfer sind, und diese Dörfer erst aus einem Zusammenlegen
der Höfe entstehen lassen, haben sich unmöglich darüber Rechen-
schaft gegeben, auf welche Weise dieses hätte bewerkstelligt wer-
den können. Man vergegenwärtige sich nur den Hof des West-
phalen mit seinen Gebäuden, seiner Feldflur, seinen Wiesen, Hüten
und Walduiigen. Und eine Anzahl solcher Höfe sollte man zusam-
mengeworfen haben, um daraus ein neues Ganzes t^u formen, sollte
die Gehöfte abgebrochen und zusammen gebaut, die meist einzeln,
von den^n anderer Gehöfte getrennt und weit aus einander liegen-
den Felder zu' einem geschlossenen Ganzen vereinigt, sollte endlich
auch mit Wiese, Hute 'und Wald ebenso verfahren haben? Und zu
welchem Zwecke hätte das Alles geschehen sollen? Gewiss, es
muss Jedem sofort die Unmöglichkeit eines solchen Verfahrens
einleuchten. Es wäre das die grösste und die umfassendste Revo-
lution gewesen, welche je das menschliche Geschlecht erfahren,
denn es würde keine so Alles lösend, so alle Banden zerreis-
send, in das tiefste und innerste Leben des Volkes eingeschnitten
haben.
Aber die Worte des Tacitus beziehen sich, meiner Ansicht nach,
auch gar nicht auf vereinzelte Höfe. Man hat gleich auf den
Eingang der Schilderung: „Dass die Germanen keine Städte bewoh-
nen, ist zur Genüge bekannt; sie leiden nicht einmal an dnander
stossende Häuser. Gesondert und einzeln bauen sie , wie etwa eine
1) Osnabrückische Geschichte l. S. 3.
2) Hess. Landesgeschichte II. S. 105.
3) Deutsche Staats- und Rechlsgeschichte. 4te Auft. Bd. I. S. 64.
4) S ach SB e (Historische Grundlagen des detitschen Staats- und Rechtslebcns»
S. 6) findet unbedingt unsere Dörfer darin; Weiske (Die Grundlagen der frü-
hem Verfassung Deutschlands S. 2) nimmt zwar Dörfer an, rückt die einzelnen
Häuser aber noch weit aus einander; auch Hermann Müller (Lex salica
p. 160 ff.) erkennt unsere Dörfer darin , bezieht das „colunt discreti ac divcrsi"
aber nicht auf die Anlage der Wohnungen, sondern der Dörfer, wahrend Waitz
(Deutsche Verfassungsgeschichte I. S. 26 ff.) nicht abgeneigt ist, in diesen Wor-
ten eine Schilderung der Einzelhöfe zft finden, welche Tacitus, aus zwei ver-
6chi4;dea^^n Quellen schöpfend, in die der Dörfer eingcschoJ)en habe.
♦ •
77
Qaelle, ein W«ld gefällt," eia zu grosses Gewkht gelegt, und nahm
dieselbe, von dem Bilde des westphäliscbeo Anbaus erfüllt, in dem
weitesten Sinne auf* Aber was heisst es denn anders, als: sie
haben keine zusammenhangenden Strassen, es wählt sich vielmehr
jeder seine Baustätte nach Willkür. Tacitus hat nur den Gegensatz
mit der italischen Bauart im Auge, und hebt diesen Gegensatz in
den darauf folgenden Worten : „Die Dörfer legen sie nicht nach un-
serer (also nicht nach rönaiseher) Art an, wo die Gebäude mit ein-
ander verbunden sind," noch schärfer hervor. Ja der diesen Wor-
ten sich anfügende Schluss: .,^ sondern jeder umgibt sein Haus mit
einem Räume, sei es nun, dass dieses um sich vor Feuersgefahr
zu schützen oder aus Unkunde im Bauen geschieht (suam quisque
domum spatio eircumdat, slve adversus casus igms remedium sive
inscitia aedißcandi) ", auf den man bisher wenig Gewicht gelegt,
würde, auf eine westphälisch^ Bauart angewendet, nicht einmal
einen Verstand haben , denn gewiss würde es Niemand einfallen, die
Vereinzelung jener Höfe durch solche Ursachen zu erklären. Es pas^t
vielmehr jenes Bild von seinem Anfange bis zu seinem Ende noch
heute auf unsere meisten Dörfer. Auch heute bilden unsere alten
Dörfer noch keine Strassen, die Gehöfte liegen vielmehr ordnungslos
durch einander xmd jecles wird durch einen Raum von den andern
getrennt.
Aber jeden etwa hierüber noch vorhandenen Zweifel löst voll-
ständig unsere Feldflur. Auch wenn wir jene Schilderung nicht
hätten, würde schon .allein die Hufen -Verfassung genügen, um uns
davon zu überzeugen, dass diese Dörfer von jeher Dörfer gewesen.
Die Feldflur mit ihren Hufen ist mit dem Dorfe entstanden , und tritt
uns als ein festes, unveränderliches, für sich abgeschlossenes Gan-
zes entgegen, es ist das ursprüngliche Bild der Dorfflur; alles was
später hinzugekommen, liegt ausser ihr, es ist Rodland, und selbst
wenn dieses, was nicht selten der Fall ist, auch in Hufen geordnet
worden, so bildet dasselbe doch immer ein abgesondertes, ein für
sfch abgeschlossenes Feld, welches ausser der alten Flur liegt.
Wie die Dorfflur, so zeigt übrigens auch die Flur des einzelnen
Hofes das alte und uranfängliche Bild. Beinahe durch das ganze alle
Westphalen finden wir nur einzelne, oft Stunden weit von einander lie-
gende Höfe. Um jeden Hof herum liegt das dazu gehörige Land,
die Wiesen und Büsche.
Damit wird zugleich auch noch eine andere Meinung beseitigt,
wonach die Dörfer sich dergestalt gebildet hätten, dass zuerst nur
78
ein Hof bestanden > und dieser durch allmälige weitere Anbauten zu
einem Dorfe erwachsen sei.
Dass jene Regd auch ihre Ausnahmen hat , * will ich nicht in Ab-
rede stellen. Auch bei uns lassen sich Dörfer nachweisen, welche
aus Höfen entstanden sind, sowie auch Höfe, welche ursprüng^lich Dörfer
waren. Noch heut zu Tage geschehen derartige Umwandlungen.
Aber es sind dieses nur vereinzelte Thatsachen, welche auf dift-^ai^-
gemeine Regel keinen störenden Einfluss haben.
11) NichtdeutscheFeldfluren.
Wenn ich es versuche, auch noch über ausser deutsche Hufen
zu sprechen , so geschieht dieses nur , um die Beantwortung einiger
Fragen vorzubereiten, welche ich später noch in's Auge zu fas-
sen habe. Ich kann begreiflicher »Weise hier meistens nur Andeu-
tungen geben, denn bei einem Gegenstande, welcher auf dem hei-
mischen Boden schon so viele Schwierigkeiten bietet, lässt sich
auf einem fremden natürlich noch weit weniger etwas Befriedigen-
des leisten, und zwar um so weniger, als derselbe auch ausser
Deutschland", mit einer Ausnahme, einer gründlichen Befrachtung
noch nirgends unterworfen worden ist. Jene einzige Ausnahme
macht die Flur in Dänemark , und ich betrachte diese deshalb auch
zuerst.
Die Feldflur in Dänemark.
Die Hufe in Dänemark wird Boel oder Bohl genannt, und diese
Bezeichnung ist auch in Nordfriesland die gewöhnliche *) und findet
sich südlich bis zur Schlei. Im Lateinischen brauchte man dafür,
gleich wie dieses auch anderwärts der Fall ist, mansus, mansio,
aratnim etc.
Bei der folgenden Schilderung der dänischen Hufe halte ich
mich lediglich an die trefflichen Arbeiten SchlegeFs ') und Hanssen's*).
Beide, vorzüglich aber der letztere, geben uns vollständig
und in allen seinen Zügen das Bild wieder, welches die oben
S. 32 beschriebene Flurart in Deutschland gewährt. Die Tofte
«Mw*a
1) Outzen, Glossarium der friesischen Sprache S. 29.
2) Falck, Nenes Staatsbürger!. Magazin mit besonderer Rücksicht aufdieHer-
zogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg II. S. 735 ff.
3) Das. ÜI. S. 77 ff. u. VI. S. 1 ff.
79
(Hofreithen) liegen in einem Tnipp,^zu^„eiiAßjnLj2fii^^ und
nächst demselben die Gaardsaetetofte , nämlich jene oben erwähnten
Bünden. Die altern Gesetze bestimn^^ , dass bei verschiedener Bo-
denbeschaffenheit die auf schlechtem Boden fallenden Tofte durch eine
grössere Breite entschädigt werden sollen. Die Felder umschliessen
das Dorf und siijd je nach der Beschaffenheit des Bodens in Gewende , " f ^
\ -^a^ gßi^s^nt, getheill, und Jedes dieser Gewende wieder in eben so
viele Aecker (im jütischen Low Deele genannt) zerschnitten, als
Tofte vorhanden sind, von denen stets einer als Anwänder dient,
welchen das jütische Low Uphof nennt. War man indessen durch
die Oertlichkeit genötlügt, Land von verschiedener Beschaffenheit in
ein Aas zusammenzulegen, so wurde die mindere Qualität der be-
treffenden Deele durch einen entsprechenden grössern Flächenraum
ausgeglichen.
Auch die Wiesen waren den Bohlen zugetheill, obwohl sich
auch solche finden , welche alljährlich von Neuem verloost werden.
Entstanden Gränzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Bohlen
oder deren ßgi^lgn, so wurden, je nachdem es nöthig war, entweder
die einzelnen Deele eines Gewendes, oder auch wohl ganze Feld-
fluren von Neuem vermessen, wobei man sich des Reebmasses be-
diente, einer Schnur, welche seit uralter Zeit im Gebrauche war*).
Auf diese Weise ^vurden die Bohlen wieder ausgeglichen. War bei
Streitigkeiten zwischen zwei Deelen die Berufung auf die Reebmessung
schon vor der Aussaat erfolgt, so verlor der, welcher zuviel hatte,
wenn er dennoch säete, die Aussaat; war die Berufung hingegen
erst nach der Aussaat erfolgt , so durfte das Reeb erst nach der Erndte
angelegt werden. Zunächst wurden die Tofte für sich gerecht und
dann das Land und die Wiesen, und jedem das Seinige überwiesen.
Ergab das Reebmass, dass einer auf fremdem Boden ein Gebäude
gesetzt, und weigerte sich derselbe dieses wegzunehmen, so hatte der
Eigenthümer des Bodens das Recht, sich vom besten Lande seines
Gegners einen gleichen Theil , Reeb für Reeb , auszuwählen und sich
zuzueignen.
Auch die Geestdorfer Nordfrieslands haben diese Flur, ebenso »^^i^
die Insel Silt. Die Gewende werden hier jedoch W u n g e genannt*), ; ^
und häufig finden sich in gleicher Weise auch die Wiesen getheilt.
^
1) Das Messungs- Geschäft nannte man Reebiiing, die Landmesser Rcebs-
maend.
2) Falck, Archiv für Geschichten, s. w. 4. Jahrg. S. 34L
80
Ein solches Wiesengewende, welches gleichzeitig gemäht werden
mass, wird Laagh genannt, welches eine Gemeinschaft, eine Ge-
sellschaft bezeichnet*); der eigentliche Wiesenacker aber heisst Eng
oder Inge *).
Obgleich sowohl Schlegel , als Hanssen nur von dieser Art reden
und dieselbe als die allgemein durch Dänemark übliche ansehen,
so wird man doch, sobald man die Natur des Bodens betrachtet,
zu sehr bestimmten Zweifeln angeregt werden. Allerdings sind die
gegenwärtigen Gestaltungen des dortigen Bodenbesitzes nur mit gros-
ser Vorsicht derartigen Schlüssen zu Grunde zu legen, well hier
seit dem vorigen Jahrhundert ausserordentlich zahlreiche Verkopplun-
gen ausgeführt' worden sind. Aber Dänemark, Jütland und Nord-
friesland haben an ihren Ufern, vorzüglich westlich, Marschboden,
und auf solchem kann jene Hufenart nun einmal nicht zur Boden-
Iheilung benutzt werden. Es müssen hier vielmehr jene Marschhufen
sich finden, wie diese S. 24 beschrieben worden sind. Und diese
finden sich denn auch, so weit der Marschboden reicht. Die von
ihren Grundstücken umgebenen Gehöfte liegen zerstreut auf ihren
künstlich aufgeworfenen Wurthen oder Warften, und das'Land bildet
lange, schmale, in der Regel nur ein Ackerbeet haltende und nur
24 — 30 Fuss breite Fennen, welche von 3 — 4 Fuss breiten Was-
sergräbe n eingeschlossen werden ') , also ganz wie in Oslfriesland.
Dahin gehört allem Anscheine nach auch das einen Theil der BöcUing-
harde b ildende Risummoor. Dieses besteht aus vier Dörfern , welche
eine nur selten unterbrochene Reihe von Häusern bilden, welche
das Kornland des Moores, ein grosses Parallelogramm, rings um-
schliessen %
Auch im Innern des Landes müssen sich lange, aus einem Stücke
gebildete Hufen finden. Jansen') erzählt wenigstens, dass die a^e-
li£;ßnJ)£uj[fir,.in.. .Angeln lange Reihen von Häusern, biMeten, .und dass
bei jedem Tofte (Hofreithe) die Hufe sich befinde.'
Die Mitte des Landes zeigt uns dagegen mehr vereinzelte Ge-
höfte ®) ; ähnlich wie in Westphalen , und ebenso ist es durch ganz
1) Outzeu a. a. 0. S. 178.
2) FaFck a. a. 0. S. 342 und Outzeii S. C2.
3) Falck, Neues staatsbürg. Magazin ITI. S. 452 u.' 4G0.
4) Falck a. a. 0. S 464.
5) Angeln S. 68.
6) Hanssen (bei Falck a. a. 0. IIl. S. 81) sagt zwar, es fäiulen sich Höfe
nur an cfer Westseite von Jütluiid und auf der Insel Lossoe.
81
Jütland , ' so M^ie durch Fünen und Seeland. Meist liegen die Höfe
einzeln, in der Mitte oder an der Seite ihrer Felder; oft sind
auch einige zusammengerückt, doch selten mehr als sechs. Auf
dem 14 Meilen langen Wege von Corsoer bis Kopenhagen begeg-
net man nur einem Dorfe. Die meist weiss angestrichenen Kirchea
mit ihren stumpfen Thürmen leuchten einsam auf den Höhen der
wellenförmigen Fläche und zeigen sich nur selten als Vereinigungs-
punkt gemeinsamer Niederlassungen.
Ausser dem Bohllande findet sich in den Dorffluren noch Land,
welches Ornum genannt wird. Es ist dieses besonders eingeheg-
tes Land, welches, ausser der gemeinsamen Feldauftheilung liegend,
im vollem Sinne Sondereigen war, und weil alle Lasten nur auf
den Bohlen ruhten, eine Freiheit von allen diesen Pflichten genoss.
Nach allem, -was Hanssen darüber mltlheilt, entspricht es völlig
unserm Rodland , welches ebenwohl mit nichts weiter als einem Rod-
zins belastet war.
Bei der Vermehrung der Bevölkerung eines Dorfes wurden die
Bohlen getheilt, und es entstanden dadurch halbe, viertel u. s. w. Boh-
Jen. Diese Theilung führte dann auch zu einer Theilung ;der Tofle, so
dass oft 4 — 6 Familien auf einem Tofle sich ansiedelten *). Indess
theilte man auch wohl neue Tofte ab, welche man soorne — ge-
schworene — Tofte nannte, weil es zur Vermeidung künftiger
Streitigkeiten durch eine feierliche Handlung fiir Tofle erklärte
ehemalige Aecker waren '). Es konnte sich auch ein Einwoh-
ner ausser dem Dorfe auf seiner Bohle anbauen, er durfte dabei
aber Niemanden beeinträchtigen und musste seine Fahr- und Tofls-
wege von seiner eigenen Bohle nehmen *).
Wurde ein Stück aus einer Bohle veräussert, welches man dann
Stuf nannte, so blieb dasselbe doch in^ dem Verbände der Bohle,
so dass nach aussen die Bohle keine Veränderung erlitt; alle auf der
Bohle ruhenden Pflichten blieben auf der Gesammlheit lasten, und
ebenso blieb auch der Hauptbesitzer der Bohle, nämlich der, wel-
cher den Haustoft hatte, nach wie vor der allein Pflichtige').
Uebrigens waren auch in Dänemark die Hufen nicht von glei-
cher Grösse, sondern es wechselte diese nach der Beschaffenheit des
1) Falck a. a. 0. VI, 47 ff.
2) Dass. VI. 16.
3) Das. VI. 14 ff.
4) Das. VI. 19.
5) Das. VI. 30. u. 38 ff.
Landau. TerrlUiieo.
82
Bodens '). Nach dem allen dänischen Feldmasse waren 24 Furchen
(Bifihige) oder Rafften ') = 1 Morgen oder Acker , 2 Acker = 1 Fye-
ringh, 16 Fyeringh = l Ölung, 4 Fjerding=l Bohle»).
Die Feldflur in Schweden.
Die schwedische Hufe heissl Manlal, d. i. Mannszahl, was
unmöglich auf eine allgemeine Gleichheil der Grösse, sondern höch-
stens auf eine Gleichheit der Hufen in derselben Feldflui- gedeutet wer-
den kann, und selbst das kaum, indem auch eine Ausgleichung der
Qualität durch die Quantität möglich ist DenMansus nennt der Schwede
H e m m a n und H e 1 g a r d , doch werden auch diese beiden Bezeichnun-
gen, ganz wie bei unsMansus, zugleich für Hufe undHofreiIhe gebraucht.
Hinsichtlich der Grösse sowohl , als des Werthes herrsclit die mannich-
feltigste Verschiedenheit, *) und allem Anscheine nach hat die Bildung
der schwedischen Hufe viel Aehnlichkeit mit der in England.
Die Feldflur in England.
Die Hufe in England heisst Hide und Hivisc*). Li den
lateinischen Urkunden werden dafür eine Reihe verschiedener Be-
zeichnungen gebraucht: mansa, mansus, mansiuncula, mansio, manens,
aratrum, carrucata, terra tributarii, auch cassatus und familia» Für
den Hof selbst hat dagegen das Angelsächsische die Bezeichnung „haga" ®).
Obgleich oft zwei und drei dieser verschiedenen Bezeichnungen
in ein und derselben Urkunde neben einander vorkommen, woraus
man auf eine verschiedene Bedeutung dieser Worte schliessen könnte.
1) Da8. III, 91 U.S.W.
2) Sowohl das angelsächsische r ä ft e r , als das englische raft er bezeichnen
einen Balken oder Sparren.
3) Falck a. a. 0. III. S. 92 ff.
4) Forsell, Statistik von Schweden, übersetzt von Freese S.82, 97 n. 102.
5) Kemble, Cod. dipl. Auglosax. V. nr. 1050.
6) 811 : in Dorobernia infra moenia iirbis — duas — mansiones et dimidiam,
qiiod Angli dicunt thriddahialf haga (ibid. V. nr. 102.); 996: octo mansarum
portionem — — cum novem — — habitaculis , quae patriae lingua Hagan ap-
pellari solent (ibid. III. nr. 696.) ; 996 : qnandam hospitii portionem iu praefata
ciuitate sitam, quae patria liugua haga solet appcUari (ibid. VI. nr. 1291.);
Ebenso übersetzt eine Urkunde des eilften Jahrhunderts „aenne hagan" durch ,)Unum
curtem" (ibid. IV. nr.766). Hagen ist, ähnlich wie das nordische „gard** von
der Umzäunung hergenommen.
83
so leigt sich doch bei einer näheren Betrachtung , dass dieselben alle
in einem gleichen Sinne gebraucht werden. So heisst es 944 : „ bis
denas naansas quod angüce dicitur twentig hida" *). UrkubdÄi von
947, 955 und 958 nennen mansiuncula, und die denselben beigefügtq^i
Gränzbeschreibungen bedienen sich dafür des Wortes Hida'). .Dasselbe
ist der Fall mit manens ') und tributarius *). In einer Urkunde vjwi
701 werden 45 cassati genannt und diese bei der speciellen Auffüh-
rung sämmtlich als manentes bezeichnet*) ; eine andere Urk. von 934 nennt
cassati und mansae, und beide in der angelsächsischen Ueberselzung
hida "); eine dritte 19 cassati und weiter dieselben 19 mansi^); eine
vierte von 683 braucht für dieselben Grundstücke sowohl tributarii
als cassati,*) gleich wie eine von 737 naansae und manentes^)- Der-
selbe Fall koninit auch mit mansiones und cassata vor *•). Die gleiche
Bedeutung hat das das Wort Joclel*^) und Sulung ") ; das letztere war
1) Ibid. II. nr. 398. Ebenso II. iir. 413. u. V. nr. 1159.
2) Ibid. V. nr. 1155 u. 1170. VI. 1218.
3) 824, V. ar. 1031 ; 825, V. nr. 1035 ; 980, IIL nr, 645.
4) 725, V. nr. 1000 ; 990, III. nr. 673.
5) Ibid. I. nr. 48. Ebenso 781, I. «r, 143 und 909, V. nr. 1093.
6) Ibid. V. nr. 1010.
7) Ibid. III. nr. 725.
8) Ibid. V. nr. 992.
9) Ibid. V. nr. 1002.
10) Speimann 1. c. p. 127.
11) Joe, juc, geoc ist im Angelsächsischen jugum, und jodet — pi^ediolum.
(EttmüUer, Lexicon anglosaxon. p. 73 u. 430.) Wenp Leo (Reetiludines singu-
larum personarum p. 105) die Stelle einer Urkunde von 812: „dimidia pars nntos
mansiunculae i. e. an joclet*''(Remble I. nr. 199.) so versteht, als ob eine halbe
mansiuncula = 1 joelet sei, so möchte er sich irren, denn letzteres soll augeu-
dcheinlich' nur die einfache Erklärung des Wortes mansiuncula sein. Dasselbe ist
der Fall, wenn er die Stelle in derselben Urk. „terrae parliuncula duorum manen-
tium id est an sulung^', und die einer andern Urk. von 692, in welcher 20 cassati
später 20 manentes genannt und für 44 manentes umgetauscht werden (Kemblc
I. Nr. 33), so versteht, als ob 1 Sulung und 1 Cassatns = 2 manentes seien, wo-
ranf auch schon Remble (the Saxons of Engl. 1. p. 92). aufmc)rksam macht.
12) S. die SteUe in der vorhergehenden Anmerkung. In einer Urk. von
1040 übersetzt die angelsächsische Gränzbeschreibung die Worte der lateinischen
Ufkonde : „quandam ruris portiunculam*id est duorum cassatorum'^ durch „twegra
suMngi'* (Kemble IV. nr. 7C9). Schon eine Urk. von 774 gibt dieses Wort:
„aliquam partem terrae trium aratorum, quod Cantianice dicitur thre Sulinge"
(ibid. I. nr. 122.). Auch in UrkJ von 962, 966, 998 ii. 1050 kommt dasselb« Wort
vor (ibid. VI. Nr. 1242, II. nr. 518, III. nr. 700 u. IV. nr. 790).
6*
84
vorzüglieh in Kent gebräuchlich ^), obwohl keineswegs ausschliesslich,
denn es findet sich auch in einer Urkunde von Hantshire *). Das-
, selbe bezeichnete eben nur wieder einen Pflug Landes (Sulh ss Pflug) *)
und war gleichbedeutend mit Hide ^).
Diese verschiedenen Bezeichnungen brauchte man je nachdem man
entweder das Haus (mansa, mansio, manens, mansiuncula), die Besitz-
weise (tributarius) oder das Bauland (aratrum, carrucata) als das Cha-
rakteristische der Hide bezeichnen wollte, denn eben das letztere be-
zeichnete, wie anderwärts, so auch in England eben nur so viel Land,
als mit einem Pfluge bestellt werden konnte , webshalb Beda statt des-
sen sich auch stets des Wortes familia bedient. Ja sogar in Urkunden
kommt dasselbe in dieser Bedeutung vor. Im J. 749 heisst es in einer
solchen : „ de terra -r— — ahquantulam portionem , iuxta mensuram
sciücet Vn familiarum" , und diese 7 werden bei der einzelnen Aufzäh-
lung mansae genannt«).
Um zu ermitteln , wie gross die englische Hide sei , hat Kemble *)
eine weitläufige Untersuchung angestellt und glaubt nach mühsamen Be-
rechnungen eine gleiche Grösse durch ganz England und zwar zu 30 — 33
Acres annehmen zu müssen. Indessen hat er diese Untersuchung auf eine
Äi trügerische Grundlage gebaut , als dass man seinen Resultaten Ver-
trauen schenken dürfte.
Dass die Hide wirklich als ein bestimmtes Mass galt, geht aus
mehreren Urkunden hervor, in welchen bestimmte Stücke Land darnach
geschätzt werden ^), und zwar so , dass sogar das plus oder minus in
1) Deshalb heisst es auch in einer Urk. von 90ö: „qnandatn ruris portionem
— « sex quidem mausas, qnas Cantuarii syx Sulunga nominare solent^' (ibid. III.
nr. 688), sowie in einer andern von 698: „quoddam ruris — tcrritorium , cuias
circuitus ambitum et distributionis funiculnm patria dimensioue syx Sulunga pro-
uinciales solent appellare et utilitatem siluarum ad eandem tenam pertinentiam*^
(ibid III. nr. 700.)
2) XX Swiiluncga (ibid. I. nr. 226).
3) EttmuUer 1. c. p. 050.
4) „manerinm ^ Septem swulingarum, id est hidarum'S Speimann, Glossar,
p. 530.
5) Kemble 1. c. V. nr. 1007.
6) Tbe Saxons of Ettgl.
^) 758: aKquam terrae portionem quasi XXX manentium habentem
(ibid. I. nr. 103) ; 953 : ruris particulam sub aestimatione XXXllI cassatorum Obid.
V. nr. 1169); 824: terra illa ex utraque parte flumiois iuxta aestimatiönem
incolanim modum XXII manentium (ibid. V. nr. 1031); 047: magnitudo autem
illius* terrae , iuxta aestimatiönem circa eundem locuni degentlum, tanta esse a»-
seritur quanlum bis quinas mansarum spacium, aequa dimeusione censurae tra-
85
Massen angegeben wird^; aber daneben finden sich auch wieder an*
dere Urkunden, in denen Mansa unzweifelhaft nur die Wohnung be-
zeichnet und dieHiden nur als deren Zubehörungen aufgeführt werden').
Es geht hieraus jedenfalls hervor, dass die Bezeichnungen mansa etc.
zwar häufig als identisch mit Hide , dann aber auch wieder in ihrem
jedenfalls ursprünglichen engem Sinne , nämlich als Wohnung gebraucht
werden, od^r: jene Bezeichnungen deuten das eine Mal ein gewisses Mass,
das andere Mal ein demselben etwa entsprechendes Gut an. Wir
können also unmöglich in jeder Mansa etc. denselben Grundbesitz
wieder finden wollen, nicht einmal nominell. .
Wahrscheinlich wurde schon frühe ein durch ganz England glei-
ches Mass für die Hide bestimmt . Man muss dieses daraus schhessen,
dass König Wilhelm 1033 durch alle Grafschaften mittelst beeidigter
Leute feststellen liess, wie viele Acker die Hide in jedem Dorfe habe*).
Da dieses jedenfalls zum Zwecke der Besteuenmg geschah, so bediente
man sich sicher eines gleichen Masses bei dieser Ermittlung. Dadurcli
wurde nun aber der Einzelbesitz nicht geändert, und die grössere oder
kleinere Hide büeb dasselbe , was sie gewesea» mid erlüelt nur in jener
tiuaiionis fore cernitiir (ibJd. V. Nr. 1156); 953: ruris parliculam ȟb aestim.v
tione XXXIIl cassatorum (ibid. V. 1168); 958: aliquantulam ruris partem qua-
terdenis (14) aestimatam mansiunculis, necnon et qudraginta jai^eribas (ibid. Vf.
1218) ; 972: ruris quandam particnlam, denis ab accolis aestimatam maimiunctt-
lis (ibid. 111. nr. 573, ähnlich nr. 1169 u. 1170) u. 948: magm.tado autem il-
lius terrae iaxta aestimationem circa eniidem locum degentium tanta esse asseritar
quantum bis quinas mansarum spatium aequa dimeusione fore cernitur (ibid.
V. Nr. 1164).
1) 963 : „quandam telluris particulam id est unam mansam excepta diinidiam
pertica'^ und „quandam telluris particulam X nidelicet mansas cum XII
agrorum quanütate** (ibid. VI. nr. 1244 u. 1267); 977: II. hida — buton I>3C
aecran (ibid. 111. nr.612); 982: ruris quandam — portionem — tres nidelicet man-
sas ac XXX jugerum dimensionem (ibid. ill. nr. 633).
2) 975: „quandam telluris particulam Vque uidelicet mansas cum quindecim
hydis et quindecim carucis terrae, cum XVlIl seruis et XVI uillanis et X l)ordis, cum
sexaginta acris prati, et pastnra unius lenci et dimidii longitudine et dimidü lence
Iatitudine*^ (Kemble 1. c. III nr. 578) Hier werden Hide und Pflug allerdings auf eine
Weise näben einandergestellt , dass nsan dieselben als zwei verschiedene Dinge
betrachten musste, stände dieses Beispiel nicht ganz vereinzelt. 1046 : „quandam
telluris particulam nidelicet 111 mansas et quatnor hidas terre cum Septem uilla-
nis et Septem bord. Cum uno nfblendino et XV solid, in loco ubi a ruricolis Bran
desburi et Forde nuuoupatur (ibid. VI. nr. 1335).
a) Hcnschel 1, c. I, 141. IH. p. 668.
86
Beziehung^ eine andere Schätzung. Schon die oben angeführten Bei-
spiele weisen darauf hin.
Dass die Hiden je nach den Gegenden von einem verschiedenen räum-
lichen Umfange waren, kann unmöglich in Abrede gestellt werden, da
zu bestimmte Zeugnisse dafür sinrechen« So findet man in der Graf-
schaft Winchester 966 die Hide von 30 Acres,*) and auch eine Urkunde
von 977 nennt uns denselben Betrag •). Dagegen nennt eine andere
Urkunde ein Land von „Xül mansas acXXXjugerum dimensionem" ») und
wiederum eine andere 14^Hiden und 40 Acker ^. In beiden Füllen
musste die Hide also mehr Acker haben, als hier genannt wei-den.
Eine Urkunde von c. 958 , welche eine Reihe von Ländereien in den
Grafschaften Kent, Suffolk, Essex, Hutingdon u. s. w. aufzählt, be-
stimmt am Schlüsse die Hide zu 120 acres f). König Eduard IL zählt
100 Acres, und König Richard 60 acres ^ur Hide*).
Die Hide hatte verschiedene Unterabiheilungen, Die, welche
I60acres enthielt, Iheiltemanin 4 virgatae, die virgata (40ac.)in
4 ferlingataeoder f erdeile, 1 ferlingata aber waren 10 acres.
Eine halbe Hide nannte man Wiste, obwohl diese Bezeichnung auch für
virgata gebraucht wird. Je nach der Ackerzahl der Hide wechselte
natürlich auch die Grösse der einzelnen Theile.
Der Acker (acra), der in den lateinisehen Urkunden stets jugeniin
genannt wird,'') war gleichfalls von verechiedener Grösse. Gewöhn-
lich wird diese zu 160 D Ruthen (pertica, rood) angegeben; 40 Ruthen
gaben eine quarentena, welche man auchRodaundFardingdeale
t>der Farundel nannte; es war dieses also ein Viertel Acker. Auch
Furlong, d.i. eine Furchenlänge, hielt 40 Ruthen®), und 2 virgat. wa-
ren = 1 arpennis oder = Va acer.
1) Kemble I, c. III. nr. 530. S. desselbon Berechnung in „the Saxons of Eng-
land" I. p. 115.
2) Kemble, Cod. dipK III. nr. 612.
3) Ibid. III. nr. 633.
4) Ibid. VI. nr. 1218.
5) Ibid. VI. nr. 1222. Kemble (tlie Saxons ff. I. p. 117.) zweifelt an
der Richtigkeit und mochte die acre» in Roods verwc^ndeln.
6) Speimann u. Henschel.
7) a. B, Kemble, C. d, III. nr. 633: „Duo jugera ruris" gibt eine angelsächsi-
sche UebersetzuTig durch „twegra aecera gewirde landcs". ibid. VI. nr. 1347.
8) Doch scheint auch dieses nicht als allgemein gültig betrachtet werden
zu können, denn 003 heisst es: „quoddam tcrra# spatiuni tres acras et tres uir-
gatas, quod lingua Anglorum sex fnriangs'* (.Kemble, C. d. 11. nr. 336). Es lüsst
eich dieses nur so verstehen , dass die Breite 1 Furl. = */* y'^rgtkU gewesen.
IT
87
Noch eine andere Massbeslimumng: , welche sich oft in den Ur-
kunden findet, ist diebovata, ein Land, welches mit ehiem Paar
»
Ochsen bestellt werden kann, welches aber ebenfalls verschieden an-
gegeben wird, bald als achter Theil einer Hide, bald zu 13, bald zu
18 und 20 acres. Nicht minder verschieden zeigt sich auch die Grösse der
pert^ca. Man findet dieselbe zu 10, 15, 16, 18, 24 u. s. w. Fuss ange-
geben *).
Aus diesem allem geht mit Sicherheit hervor, dass ebenso wie
in Deutschland, auch in England Hufen, von der verschiedensten Grösse
gefunden werden. Es lassen sich hierfür aber auch noih andere Zeugnisse
anführen. Im Jahre 825 werden in Langtoft in Lincolnshire 6 Pflüge Land
genannt von 1 5 quarent. Länge und Oquarent. Breite*), 825 in dem nächst
demselben liegenden Baston aber 4 Plüge von 8 quarent. Länge und 8
quarent Breite*). In dem erstem Orte hielt also der Pflug 22 Va» in
dem zweiten hingegen nur 16 quarent. Beide Besitzungen erschei-
nen uns als regelrechte Vierecke, sie sind aber zu klein,, um
einen Schluss auf die Formation der vollen Hide zuzulassen.
Ueberhaupt sucht man in den beinahe 1400 Urkunden, welche
ims Kemble *) mittheilt , vergebens nach Angaben , aus deneii
man die Gestaltung der Hiden erkennen könnte, wie diese so oft
in den deutschen Urkunden vorkommen. Schon in diesem Mangel
liegt ein Fingerzeig , und wenn man nun die zahlreichen Gränzbeschrei-
bungen einzelner Hiden betrachtet, welche jene Urkunden liefern , dann
können wir kaum noch daran zweifeln, dass die meisten engli-
schen Hiden aus in sich zusammenhängenden und in der Regel für sich ab-
geschlossenen Grundstücken bestanden haben ^). Dafür spricht auch
die englische Sitte , das Land mit Gräben und Hecken zu umschliessen,
und nicht minder die Art und Weise , wie uns der Anbau entgegentritt,
wenn wir eine Spezialkarte zur Hand nehmen.
1) S. die Belegstellen in Heuscliel u. SpeTmann.
2) Kemble 1. c. I. nr. 213 u. 233.
3) Ibid. Nr. 221, 233 u. 420.
4) In seinem Werke the Saxons of England lasst er die Flurtlieilung ganz
lieh nnberiihrt.
5) Weitere Belege hierfür geben noch einzelne Urkundenstellen ; 811:
„terram unius aratri inter haec qnatiior confinia" (ibid. V. nr, 1027.) und 997:
„Quae tanien telius duobus in locis est dirempta L» scilicet ac V in ipsa supra-
<1icta iiilla (Duntunc) contineus mansas per ripas amnis Auenae nuncupate, quae
circa eaudem uiliam decurril adiacentes XL* uero et \^ in altera inde nou longe
[
88
Der Anbau des Landes in England, weni^t4ins in seinen süd-
lichem Thellen, über welche mir nur Hülfsmittel zu Gebote stan«
den'), hat grosse Aehnlichkeit mit dem Schleswigs. Nur hin und
wieder zeigen sich geschlossene Orte wie in Deutschland, die mei-
sten liegen weit zerstreut, und der dazwischen liegende Raum wird
noch durch'* einzelne Höfe ausgefüllt; auch liegt die Kirche häufig
abgesondert. Mehr zusammengebaut sind die Dörfer in DorsetsWe,
Wiltshire, Susset und Devonshire ; zerstreuter erscheinen sie in Kent,
Essex, Cornwallis, Surrey, Hamshire und Glamorgonshire, ja sogar
unserm westphällschen Hofbaue ahnlich in Pembrokeshire , Suffolk,
dem nördlichen Theile von Essex, Cardigan u.' s. w. , vorzüglich
aber auf der Insel Wight. Alles dieses weist auf die beiden ersten
von mir geschilderten Flurarien hin.
Allerdings findet man auch Hiden, welche aus einzelnen Stü-
cken besteben, wie das z. B. 943 der Fall ist, wo eine Mansa vor-
kommt, welche aus 3 + l + i-f-3 + 2+2+l arpennae be-
stand, die an 7 verschiedenen Orten lagen*); sowie 996, wo 3 Hi-
den aus folgenden einzelnen Stücken bestanden : l'/j Hiden, YaHide,
VjHide, 8 acres und 12 acres'); aber dieses ist doch selten und
durchaus nicht in einer Weise, welche insbesondere auf die S. 32 ge-
schilderte Flurtheilung eine Beziehung zulässt. Nur Lokalforschun-
gen können indessen hierüber Sicherheit geben*). Wald und Wiese
(mad) werden stets abgesondert aufgeführt und naclr äceres bestimmt,
die Wiesen häufig auch nach segetes^).
et EbFesburnan appellatur secus decarsas eiusdem torrcutis extensas'* (ibid. 411.
nr. 698).
1) Die treffliche Karte : Ordnance Surrey of Great Britain ^ leider nur zu
iiirem kleiDern Theile.
2) Kemble, Cod. dipl. V. nr. 1143.
3) Kemble, the Saxons I. p. 115 et Cod. dipl. IIT. nr. 5*29.
4) Dass man auch in England zerstückte Besitzungen hat und diese zu ar-
rondiren sucht (v. Hazzi, Beobachtungen auf einer Reise im Jahre 1836 nach
Frankreich und England II. S. 6 u. 7) ist noch kein Beleg für das Vorhandensein
gemeinsamer Fluren.
5) Z. B. 944: „XI segetes prati (Kemble, Cod. dipl. V. nr. IHt); 892:
Tinum pratum ad mensurani fere XII segetnm uel amplius" (ibid. V, nr, 1071). In-
dessen wird auch Land darnach bestimmt, z. B. 948 : „ter duodenas segetes cnm
bis quinis prati jugeribus, quod anglice dicitnr XXXVI acera yrthlandes * and
X acras maede**^ (ibid, V. nr. 1161).
1?
Die franzosische Feldflur.
Für das, was unser deutsches „Hufe" bezeichneti hat die fran-
zösische Sprache kein entsprechendes Wort. Es wird derMansus*),
d. h. die Hofreithe, und daneben das dazu gehörige Land genannt,
und ersi später wird es auch hier üblich den gesammten Hof, also
Hofreithe und Land u. s. w. , unter der Bezeichnung Mansus zu be-
greifen, woraus sich im Verlaufe der Zeit je nach den verschiedenen
Idiomen die Worte Meix bei den Burgundern , Mois bei den Normannen
und Mas bei den Proven9alen und Avernern •) gebildet haben. Die
gleiche Bedeutung hatte Maisnilum'). Stall Mansus bediente man
sich auch häufig der Bezeichnung can-uca oder aratrum*). In
demselben Sinne wendete man auch die Worte colonia, tjolonica')
und curtis an, ebenso wie in Deutschland, und nur wenn die bei-
den ersleren dem Mansus gegenübergestellt werden, was nicht sel-
ten vorkommt, bezeichnen sie ausschliesslich die Hufe.
Was indessen die französische Hufe wesentlich von der deut-
schen unlerscntvi-A__ijj_jj£jjgjj,2ljche Mangel einer normalen Grösse.
Obwohl Ludwig der fro"«*^''~----^^-,r^}flS8der Mansus einer
Kirche aus „12 hunuariis de terra arabih ^nj»i»-~--___^
das doch nur eine auf die kirchliche DoUlion sich beziehen,
„ung, welche man auch nicht einmal allenthalben, sondern nur hm
und wieder eingehalten findet ^ und auf das Allgemeine in keiner
Weise einen bestimmenden Einfiuss gehabt hat. Ebensowenig ge-
wahrt die Bestimmung des K. Karl des Dicken, dass der Mansionarms
5 Schillinge und der Banuarius aber 15 Denare zum Zuge nach Rom
1) Schon 475 kommt in fmnzös. Urk. das Wort mansus vor. Pardessus 1. *.
1. p. 25.
2) Henschel 1. c. IV. 241.
^ q^ 10 J\. • dimidium maisnilum, quod dicitar Mnrcmctu» cum pratonim
capclla inibi - aediacala" (Mavtene et Durand I. c, I. 109), auch 1104 werde»
duo maisnilia terrae** genannt.
" 41 1084 • carruatam et dimidiam terra" (Miraens 1. c I. 354) ; 1060 : „terram
4) 1084. "<=»f™»» ^^^ bobtts, qnae carruca» voca-
ad carmcam unam" (ibid. I. lööj , „aecem *r*ii» «.u , /w.rt.n.. et Durand
üs" (du Gange); 1000: „Xlll carruca» boum cum serv,»» (Martene et Durana
*■ "' 5) WaLönig und Stein , Französisclie Staats- und Rechtsgesch. II. S. 342.
6) Pertz , M. G. I. leg. p. 360.
7) Polypt. 1. p. 597 f. u. 608.
80
zahlen solle*), eioen sichern Anhallepunkt, denn hiernach miissten
4 Bunuarien i Mansus ausmachen, wofür sich aber nirgends- eine
Bestäligang darbietet. Man findet vielmehr Mansen nicht nur von
weniger als 4 , sondern auch von mehr und sogar auch von einigen
Hundert Bunuarien'). Das Bunuarium') war das grösste Landmass,
und ist dasselbe, welches der Franzose bonniers, der Niederländer
aber Bund er nennt*). Man theilte es nach Tagewerken, jurnales,
indem 4 jurnales ;= 1 Bunuarium waren ^). Dasselhcw-y^iültniss
besteht noch um Antwerpen und in der Campine , wo 4 Journal. = 1
Bunder und 1 journ. = 100 Ruthen sind, sowie. im Lande^ längs der
Dender (Alost), wo man 4 Gemeth = 1 Bunder und 1 Gemeth = 100
Ruthen rechnet; dagegen ist im Waesland und in den Poldern un-
terhalb Antwerpen 1 Bunder = 3 Gemeth und 300 Ruthen sind = l
Gemeth*). Auch in der Gegend von Rischstein hielt der Bunder
nur 3 Tagewerke^), oder, wie im Lüttichschen , 3 Arpent^). Um
Aachen und bis nach Lüttich nannte man den Bunder auch wohl
den grossen und das Tagwerk den kleinen Morgen') '^^^
anderes Feldmass war der Aripennis. Seh-- ^"«"lella sagt, dass
in Gallien das Joch, m&{ ."^ ^«"^etum und cadetum nenne,
,,„s ^u..5 . - ^^^^^ ^' ^^^5 ^s also emem halben Joche oder
1) Mori. boica II. p. 574.
2) Guerard, Polypt. p. 610. Henschel 1. c. I. p. 724 f.
3)Ueber dio vcrscl.iedeneii Formeü , unter deiien di'eses Wort sieh findet
8. Hensche 1. c Es kommt zuerst in eine, Urk. vom J. 640 vor: „buinana J^U^^
Pardessus 1. c. It. p. 62.
p. 169 ft*"" *''"*' ^ä""»»'!»« Gröwe beziehe ich mich anf Guerard, Polypt. I.
5) Eine UAnnde der Abtei Bnrtscheid von 1381 zählt IJ^Bun. und 10 J«r-
nal. auf und add.« diese zu 4 Bun., so das, also 4 Jurn. = 1 Bum.ar. si.,d.
Qmx Geschichte der Abtei Bnrtschoid S. 394. Statt Jurnalis sagte man auch
„Land von so und soviel Tagen« z. B. 1084: „terram IV dicrum, IV dies ter-
rae , XX dies teiTae ". Miracus I. c. 1. 354.
6) Ein bvabant. Bunder ist == 5'U berliner Morgen.
u.ruUf^^l':'"'", '""'*'" *'"' *""'•' 1"' "■'ff"" (^''') "»""i"« B«n^e n>'"c..pa-
tnr (Ritz , Urkunden znr Gesch. des Niederrheins S. 89).
8) WarnkSnig, Flandrische Staats- und Rechtsgcsch. IIT. I. S. 59.
9) Warnkönig, Flandrische Staats- und Rechtsgesch. III. 1. S. 59. Auch
urkundhche Stellen weisep daraufhin, z. B. „pratum _ continet bonuarium et
dZirrT 7*''""*" ^^"'" '• '■ P- '^>' ^'^'^'^ »" -^•""""•t "«0 -Jen.
dortigen Gebrauche von grossen und kleinen Morgen zu reden entspricht.
10) Gessner, Script, de re rust. I, p. 630.
91
Tagwerke gleich sei*). In der Regel whd nur das Land nach Blin-
dem und Tagweriieii bestimmt , Wiesen'^ Weinberge u. s. w. dagegen
nach Arpennen. So zeigt es sich wenigstens in der Güterbeschrei-
bung von St. Germain vom J. 812. Doch kommen auch Tagwerke
hei Wiesen vor*). '
Was endlich die Art und Weise der Auflheilung des Landes
betrifft, so ist es aus den mir bekannt gewordenen Urkunden
nicht möglich, sich davon ein klares Bild zu machen, und ist
mir auch kein franzosischer Historiker bekannt, welcher auf diesen
Punkt näher eingegangen wäre. Ich vermag deshalb auch nur in so
weit Einiges darüber zu sagen, als mir Spezialkarten Aufschluss zu
geben vermochten. Schon mittelst dieser dürftigen Hülfsmittel kommt
man zu der Ueberzeugung, dass auch in Frankreich wohl eine
ebenso grosse Verschiedenheit im Anbaue waltet, als in Deutsch-
land. Um Paris herum ersch eine^, die Feldmarken in Gewanup...und
di ese in einzelne Ackerstücke geth^ij)^ , ähnlich den Feldern , wie sie
der grössere Theil von Deutschland besitzt, und dass diese Theilung
noch weiter reicht , muss man daraus schliessen , dass dieselbe Dorf-
form, nämlich die Häu ser in Trupps zusammengestellt, sich über
einen grossen Theil von Frankreich verbreitet. Anders wird es
dagegen im Westen, namentlich in der Vende e. Hier findet
man dasselbe Bild wieder, welches Westphalen darbietet. Die Höfe
l iegen vereinzelt , umgeben von ihren mit Wallhecken umgebenen
Feldern. Ebenso ist es an der unter n Seine von Ronen abwärts
und auch das reiche Ländchen Caux hat keine Dörfer. Das Vor-
handensein solcher Hufen, welche aus einem Stücke bestehen, ver-
mag ich jedoch nur auf belgischem Boden nachzuweisen. Es ist das
namentlich im Condroz und überhaupt am Ardenner Walde der Fall.
Man findet aus dieser Gegend eine Reihe von Urkunden , in welchen
die Hufen nach ihren Gränzen angegeben werden und zwar nach
vier Seiten hin, so dasg. siß.,.als grosse viereckte Landstücke sich
zeigen'
1) Guerard, Polypt. I. p. 171. üeber die übrigen Masse siehe das. S. 17C f.
2) „Prata XXX djerum". Miraeus 1. c. I. 354.
3) 9. Jahrli. : „hoc est mansum I in comitatu Laumacense in loco qui dici-
tur villa — de una parte Remacli et alia parte Eilgeiiim, tercia parte Berhaida,
quarta parte strata publica et vie commune et ad illum mansum de ten*a ara-
bili perticatas XXX, prati perticatas III, camba mia et mancipia XVI". (Ritz,
Urk. n. s.w. zur Gesch. des Nicderrheias u. s. w. S. 19); 890: „in pago Cou-
dnistiDse iu villa — Amarne id est inter terram arabilem et silvis bonaaria V,
qui jacent confines sc. Pctri et sc. Remacli et Helvius sive strata publica ei
8<
Die slavische Feldflur.
Die slavische Hufe wird Lan genannt. In einer Urkunde des
dreizehnten Jahrhunderts heisst es „unuoi mansum,. qui vulgariter
Lan dicitur^'^) und in einer andern 1334: „unum laneum seu mansum
agri liberum'*'). Statt dessen kommt in mährischen Urkunden auch
sors vor '). Die gewöhnliche Bezeichnung geschah jedoch nach Pflü*
gen und zwar schon seit früher Zelt*). Nach Helmold umfasste ein
solcher Pflug so viel Land als mit einem Paar Ochsen bestellt wer-
den konnte *) , und da sich die Slaven des s. g. Hackens (uncus),
eines kleinen Pfluges, bedienten, so nannte man die slavische Hufe
die kleine oder Hackenhufe» polnisch Radio. In dem bekannten
Erdbuche des dänischen Königs Waldemar werden die deutschen Hu-
fen mansi , die slavischen aber sämmtUch unci genannt '). In Meck-
lenburg und Pommern findet sich neben der slavischen auch eine
Landhufe (mansus teutonicus) und die s. g. Hägerhufe. Während die
letztere 60 und die Landhufe 30, hat die slavische Hufe nur 15 Mor-
gen Land ''), Ebenso sehen wir in den deutschen Ansiedelungen
Schlesiens und der Lausitz neben der slavischen Hufe eine fränkische
und eine flämische, von denen die slavische vorzugsweise wie-
der die kleine genannt wird. Ihr Grössenverhältniss stellt sich in
pervenit u^que in fluvio Marne". (Das. S. 18); 922: „mansum XXXIIII bo-
nuar. — — inter Uli confines aliorum hominum". (Das. S. %8. Aehnlich auch
p. 25, 37, 39, 42, 46).
1) Abhandlung der k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften u. s. w.
V. 2. S. 306.
2) Das. S. 343. Ebenso heisst es iri einer passaner Urkunde von 1326 :
„ Item dimidium laneum, quod vulgo Lehen dicitur." Mon. boica XXX. 2. S. 120.
3) 1228; „exceptis tabernis et capella cum sorte sua" (Boczek, Cod. dipl.
M. 11. 206) und 1229 : „decimis de soitibus in Kozie pertiuentibus ad castellatu^
ram de Raczibarz". Ibid. p. 214.
4) 1107: „terram ad unum aratrum". (ibid. I. p. 192. S. z. B. auch IT. p. 31
u. 43). Eine Urk. von 1210 sagt : „ Curia in Cwitawa cum araturis duabus et
earum appendiclis, cum babus et necessariis ad illam terram colendam''. ibid.
II. p. b4.
5) „Slavicum vero aratrum pat boum aut unus conficit equus'^ Helmold
Chron. Slavor. I. c. 12. „Porro slavicnm aratrum perficitur duobus bobus et toti-
dem equis^S ibid. cap. 14.
16) Langebeck, Script. Rer, Danic. VII. p. 54L ff. ^ y
7) S. Gesenius, Meierrecht II. S. 31. Lisch, Jahrbücher des Vereins für
mecklenburgische Geschichte und Alterthumskundo VT. Jahrg. S. 17 u. Jahrg. X.
S, 398. Urkunden z. Gesch. des Fürstepth. Rügen. IL S. 63 ff.
93
einer Urkunde von 1262 aus dem Verliältnlsse ihrer Abgaben wie
2 zu 1 heraus: „pro unoquoque aratro parvo, quod Radio dicitur,
lapidem cerae, pro magno autem, quod Plug nominatur, duos lapi^
des cerae persolvat'^^). Aus andern Urkunden ergibt sich dagegen
das Verhüllniss der Abgaben wie 3 zu 2 *). Das vorhin erwähnte
Verhältniss, wonach die slavische Hufe einer halben deutschen Hufe
entspricht, mag indess das gewohnliche sein. Deshalb bezeichnet
eine Urkunde von 979 auch 50 Hufen im Hassegau .als von halbem
Masse (,,medii mensurae ** ) ').
Die slavische Hufe ist in ihrer Anordnung ganz und gar der
auch in Deutschland am meisten vorkommenden Hufe gleich^). Des-
halb konnten auch in ein und derselben Flur deutsche und sla*
vische Hufen neben einander bestehen ^). Die deutschen Hufen
brauchte man nur in halbe Hufen zu trennen, um ^slavische Hufen,
und wiederum zwei slavische Hufen nur zusammen zu legen, um
eine deutsche Hufe zu schaffen. Man findet auch in der That nicht
selten unzweifelhaft slavische Dorfer mit deutschen Hufen, z. B.
1252, wo das Kloster Dobrilug „uillam unam Cosmutiz — XIV
mansos teutonicales — continentem *' erhält').
Obwohl in Russland, wo die Flur gemeinschaftlich ist und in
gewissen Zwischenräumen von Neuem vertheilt wird, das Feld ebenfalls
in Gewanne getheilt ist, und diese in Ackerstücke zerlegt sind'), so ist
die dortige Feldflur mit der ebengedachten doch nicht übereinstimmend.
Um so augenfälliger ist dagegen die Aehnlichkeit mit unserer Flur
in einigen kleineren Dörfern bei Wologda, den einzigen in Russland,
in welchen ein fester Besitz besteht. Jede Feldmark ist in eine An-
zahl durch Grasraine geschiedene Gewanne und jedes dieser'Gewanne
in so viel Ackerstücke getheilt , als Häuser im Dorfe sind ').
1) Tschoppe und Stenzel, Urknndciisammlung z. Gesch. des Ursprungs der
Stfidte u. s. w. in Schlesien und der Oberlausitz S. 173.
2) Das. &. 174.
3) WeBck a. a. 0. U. Urk. S. 33.
4) Man sehe nur die von Jacobi in der illnstrirten Zeitung 1845 Nr. 116 ge-
gebenen Fhirkarten.
5) Wie z. B. eine Urkunde von 1227 zeigt. Schuhes, Directorium 11. S. 634.
Auch in Pommern findet man Deutsche und Slaven in ein und demselben Dorfe,
und ebenso sehen wir dort, wie slavisclie Hufen an deutsche Beh^u^r überlassen
werden. Urk. z. Gesch. des Fürstenth. Rügen 'von Fabricius II. S7 74. ,
6) Ludwig, Reliq. Manuscr. I. p. 70.
7) V. Haxthausen, Studien II. S. 33.
8) Das, I. S. 240.
V
94
*
Dasselbe ist auch der Fall bei den Tscheremissen , einem finni-
schen Stamme, dessen Dörfer osliich der Wolga, unfern Kasan be-
gannen und sich mehr ins Innere des Landes ziehen , sowie bei dem
tai'tarischen Stamme der Tschuwaschen in derselben Gegend. Doch
scheint es nach Haxthausen ^) hier schon anders zu sein und
mehr jene S. 31 beschriebene Hufenordnung zu herrschen, denn Je-
der hat nur ein oder ein Paar Stücke in jedem Felde, welche darum
auch viel breiler als jene der Russen sind. Die einzelnen Felder werden
durch Raine oder Grasstreifen geschieden. Auch in Podolien besteht
ein in seiner Anordnung dem Deutschen entsprechender Grundbesitz*).
Indessen scheint doch auch bei acht slavischen Dörfern die
Hagenhufe, wenigstens der Form nach, vorzukommen. Ich schliesse
dieses aus einer Urkunde des Bischofs Otto von Halberstadt vom
Jahre 1134, in welcher derselbe über die Rodungen „in orientali
Widerstide archipresbiteriatum " verfugt, wekhe sowohl von Sach-
sen als Slaven bereits angelegt worden und noch angelegt wer-
den würden, wobei Warwize ausdrücklich „villa sclauonica^* genannt
wird *).
Was aber vor Allem das acht slavische Dorf von dem
deutschen unterscheidet, ist seine eigenthümliche , wesentlich an-
dere Form. Die Gehöfte der slavischen Dörfer liegen nicht wie
die der deutschen Dörfer zerstreut, je nach dem die Oertlich-
keit dem ersten Anbauer zusagte, und durch freie Räume von ein-
ander geschieden, sondern sie bilden ein nach einem festen Plane
angelegtes und in sich verbundenes Ganzes. Die gewöhnliche Form,
gewissermassen der ürtypus des altslavischen Dorfes, ist die Kreis-
gestalt: die sämmtlichen H(^e das Dorles liegen fest an einander sich
schüessend in einem Kreise, und nur ein Eingang führt ia das In-
nere, in dessen Mitte ein Teich und neben diesem häufig auch eine
Kapelle sich befindet, während die Kirche in der Regel in der Reihe
der Häuser liegt. Man findet diese Darfer noch zahlreich im Lüne-
burgischen, aber nicht minder auch durch Mecklenburg, Pommern,
die Mark, Thüringen u. s- w, siidlicb bis nach Oesterreich und öst-
^fich bis tief nach Russland hinein. Oft verliert sich zwar diese runde,
. einem Hufeisen ähnliche. Form und streckt sich mehr und minder in
die Länge , nicht selten bis zur Gestalt einer Gasse aus. Aber auch
1) I. 458.
2) Das. 11. S. 472.
3) Erath , Cod. dipl. Halberst. p, 80.
95
bei diesen mehr g-assenffirmigen Dörfern sind die beiden Häuserreilien
wenigstens etwas ausgebogen , in der Mitte liegt auch hier ein Was-
serbehälter und die Kapelle, und ebenso findet sich auch nur ein
Zugang. Hin und wieder (z. B. in Böhmen) gestaltet sich die
Gasse wohl auch zu einem Quadrate. So sehr diese Dörfer oft
durch neue Anbauten erweitert worden sind, so ist doch die
alte Form meist ohne Schwierigkeiten wieder heraus zu fin-
den. Jene runde Form ist ebenfalls die der sla vischen Städte, und
selbst Moskau besteht bekanntlich aus einer Anzahl sich um ein-
ander schlingender Kreise, deren Mittelpunkt durch den Kreml ge-
bildet wird *),
Die römische Feldflur.
Schon die völlig verschiedenen klimatischen Verhältnisse des
Südens lassen in Italien eine andere Feldauflheilung voraussetzen,
und obwohl Mone') nachzuweisen versucht hat, dass der Ackerbau
in Baden wesentlich römischen Ursprungs sei , so bedarf dieses doch
^ iiiiiiiiiiii II " - •" • •■ •■ • '• ■ -*'^-- - -^ '
kaum einer ernstlichen Widerlegung, indem die Aehnlichkeiten , wel-
che sich dies- und jenseits der Alpen finden, noch keinen Beweis
für eine solche Behauptung gewähren können. Den besten Gegen-
beweis liefert übrigens schon die römische Flurtheilunff , und ich lasse
deshalb eine gedrängte Darstellung derselben hier folgen.
Die römische Auftheilung der Felder war eine von der unsern
durchaus verschiedene ').
^____J .»1 !■!■■ WlMI 1 11 III » '
Die älteste Einheit des römischen Feldmasses war der Actus
von 14,400 ^Fuss, also ein Geviertes, dessen jede Seit e. 120 Fuss
mass, und erst später wurde das lu gernm dafür gebraucht, welches
aus 2 A c tus b estand. Die höhere Einheit wa r die Centurie , zuerst
von 100 Actus, dann von 100 Jugera. Diese Centurie hat aber mit
unserer Hufe auch nicht die entfernteste . A ehnlichi\eit . Die Hufe ist
das iMass des Einzelbesitzes, die Centurie dagege n ein Gesammtfeld.
Die Auftheilung einer Feldmark geschah, indem der Feldmesser
eine Linie von Mittag nach Mitternacht zog, welche, weil sie der
Weltaxe entsprach, Cardo gen annt wu rde ^ darauf folgte eine zweite,
welche jene rechtwinklich durchschnitt, Decumanus genannt, wahr-
scheinlich von der Kreuzform der Durchschneidung. Beide Haupt-
1) Ueber die runden rnssisclien Dorfer, ». v. Halthausfen, Studien TT. 130.
2) Urgeschichte Badens S, 4ff.
3) Ich folge hier der trefflichen Darstellung Niebuhr's in s. romishen Ge-
scUiclite 3. Aufl. Bd. II! S. 694 f.
96
linien wurden bis an die Granze des zur Thdlung bestimmten Be*
zirks verlängert, und denselben parallel, je nach der Grösse der Vier-
ecke, in welche die Feldmark getheilt werden sollte, wurden näher oder
femer andere Linien abgesteckt, auf welche der Name der HauptUnie
überging , mit der sie parallel liefen, nur dass diese den Zusatz maxi-
mus erhielt Alle diese Linien, welche man limites nannte, wurden,
soweit es die Beschaffenheit des Bodens zuliess, durch Aufwürfe be-
zeichnet, von denen die, welche die Grundlinien darstellten, die grösste
Breite erhielten. War auf diese Weise der zur Theilung bestimmte
Bezirk in grosse Vierecke •— Centurien — zerlegt, so schritt man zur
Scheidung der einzelnen Centurien in Aecker , deren Grösse nach der
Zahl der Ansiedler bestimmt wurde, auf welche eine Cenlurie kam,
denn das eigentüche Ackermass bezeichnete nicht die Form , sondern
nur die Ausdehnung des Einzelantheils. Das letzte Geschäft endlich war
die Anweisung der den Ansiedlem zu übergebenden Antheile. Diese
Anweisung erfolgte durch das Loos, doch nicht etwa wie nördlich
der Alpen, dass jeder Ansiedler Land in allen Centurien erhielt, wie
bei uns durch alle Gewanne, sondern es empfing Jeder seinen Antheil
nur in einer Centurie , also zusammen ; nur dann wenn schon bebautes
Land mit vertheilt wurde , machte man zwei verschiedene Loose , um
jeden Einzelnen an beiden, dem noch rohen und dem schon kultiviiien
Boden, zu beiheiligen.
Jedes einzelne Loos umfasste eine Centurie , und an jedem Loose
waren wiedemm so viele betheiligt, dass deren Antheile insgesammt
eine Centurie bildeten. Es wurde jedoch nicht Alles vertheilt Die die
einzelnen Centmien scheidenden Hauptraine und Wege waren den rechts
und links anliegenden Centurien entzogen und die die Limites berührenden
äussersten Ackerloose deshalb kleiner als die übrigen, so dass deren Loos-
zieher benachtheiligt worden wären. Aus dieser Ursache wurden sowohl
diese, als auch alle subseciva (Reste), welche an unregelmässige Gränz-
linien stossend das Mass nicht hielten, nicht ausgeloost und blieben
gleich wie die Gr&nzraine und Wege Gemeindegut, was auch mit
denjenigen Centurien des schon urbaren Landes der Fall war, welche
von der Vertheilung übrig blieben. Jede Centurie enthielt 7 Loose zu
je 7 Jugern , denn der fünfzigste Juger fiel auf die Raine und Wege.
Nach diesen Grundsätzen theilten die Agrimensoren die Fluren
sowohl in Italien , als in den afrikanischen Colonien , in denen jedoch
das einzelne Loos grösser als in Italien war ^).
1) Rudorf 8. das Ackergesetz des Sp. Tlioritts. S. ^ a. 110.
97
Es waren übrigens nicht immer rechtwinklige Figm^n, welche
den Aeckem gegeben wurden ; die Verhältnisse des Bodens nöthigten
auch zuweilen zu schiefwinkligen Linien , wovon uns die Zeichnungen
des Hyginus"**) eine deutliche Anschauung geben.
Jede Centurie war die Flm* einer römischen Curie oder das Bau-
feld für hundert Familien. Romulus soll jedem Bürger zwei Jugem
als erbliches Eigenthum überwiesen haben , wonach jede Centurie 200
Jugern umschlossen hätte*). Es waren dieses also sehr kleine zur Er-
nährung einer Familie kaum ausreichende Loose und die Einwohner
mochten sich deshalb noch weit weniger mit Ackerbau als mit Viehzucht
* beschäftigen. Erst später wurden die Loose grösser, und es gab Cen-
turien von 210, endlich sogar auch von 240 und 400 Jugem. Wie
jene, so enthielten jedoch auch die von 210 Jugern stets nur sieben
Loose, nämlich je dreissig '). Verschieden waren hiervon nur die pa-
tricischen Ackercenturien , welche wirklich 100 Loose enthielten*).
Wodurch sich die römische Theilung am wesentlichsten von der
diesseits der Alpen unterscheidet, ist der Umstand, dass dort bei der
Auftheilüng keine Rücksicht auf die grössere oder geringere Güte des
Bodens genommen wurde. Dagegen war die Theilung eben wohl eine
feste, unveränderliche, und noch bis zu unsern Tagen tragen Grundstücke
die Namen , welche sie in altrömischer Zeit empfangen haben '). Aus
den italienischen Urkunden des Mittelalters lässt sich freilich wenig oder
nichts ersehen, indem stets nur von Stücken Landes die Rede ist, de-
ren Grösse ohne Ausnahme nach der Aussaat bestimmt wird ®).
12) Rückblick und Schluss.
Aus den vorausgegangenen Untersuchungen ergeben sich- meh-
rere für die Geschichte hochwichtige Thatsachen:*
Da wo ietzt Dörfer bestehen,- waren dieselben seit ältester Zeit; das-
selbe ist aber auch der Fall, wo das Volk noch heute aufEmzelnöfen wohnt.
Die Theilung der Fluren in Hufen ist etwas Uranfänpiches und
zwar in dem Grade, dass sie als das älteste historische De nkmal be-
1) Hyginus, de limitibus constit. apudjGroesÜ rei agrariae auctores p. 154 ff..
2) Niebuhr a. a. 0. II. S. 177. ' .
3} Das. II. S. 165.
4) Das. 184.
5) Das. S. 709. »
6) z. B. 969: per singulas peiias mensuratae insimul modiomm treeentorom.
Murator. Scr. Rer. Ital. T. II. P. II. p. 959.
Landau. TenitoricD. '
I«
trachtet werden inuss , i}»4 ebenso all erscheihl auch die Feldordming,'
nuinlich der Wech^elbau^naeh drei Feldern , und demnach auch unsere
Landwirthschafl.
Diese Hufenordnung hat sich auch jiicht allmälig: entwickelt,
sondern ist von Anfang an dieselbe gewesen und es muss «Iso das Volk,
w^ääfi§:yin>:SEeiUifen zuerst anlegte, ein einp[ewandertes ^ev^esen se^g und
ieKennlniss von deren Ordnung aus seiner allen Heinialh init«:ebracht ha-
ben. Es sind dieses Sätz e , welche als feste und unuinstössUche That-
sachen betrachtet werden tonne».
An diese Thatsachen lassen sich übrigens noch dnige andere
reihen, welche zusammen gofasst, zur Erhellung der ältesten Kultur-
^zustände von Bedeutung sind. ^
Aus der schon in jener ältes ten Zeit bestehenden Dreifelderwirlh-
sehafl folgt einfach und natiirlich '9ieT1iatsacher dass man auch da-
mals schon Winter- und Sommerfr ucht baute. Dass man Roggen
baute, ist aus diesem Grunde wohl nicht zu b^ezweifeln, aber sicher war
auch schon der Weizen im Gebrauche , weAi auch nicht allenthalben.
Tacitus nennt nur I jafer und Gerste, imd neben der letztem frumen-
tum. Was er darunter verstand ist allerdings ungewiss, indess gilt
die allgemeine Bezeichnung Getreide oder Korn noch heute stets
von demjenigen Frucht, welche als ßrodfrucht dient, so dass der Hesse,
jer Thüringer u. s, w. den Rogge n , der S chwabe den Sgelt, der
Schwede die Gersle, der Hochschotte den Hafer, der Franzose den
%t^e<fari!ai '—'■.li m « ■■■ m— "i^^^
Weize n (frome nt ) etc. auf diese Weise bezeichnet, und so war es sicher
auch schon seit ältester Zei^
Dass ^ein g ebaut wurde, geht daraus hervor, dass man Kleider
von Leinu^nd trug ^, welche, nach Plinius, die Frauen webten. Auch
Obst und Gemüsse waren schon vorhanden, wenn auch Tacitus nur
einige Arten nennt, Dass aber auch Bohnen dazu gehörten, sehen wir
aus dem von Plinius berichteten Umstände, dass die Römer die frie-
sische Insel Borchum (Burchana) wegen ihres Reichthums an Bohnen
Fabaria nannten *). Plinius rühmt auch die Wiesen. Da die
Ubier am Rhein d en Me rgel zur Verbessemng ihrer Felder verwen-
deten , darf man wohl auch die Benutzung des Viehdüngers zu gleichem
Zwecke als zweifellos annehmen.
Dass die Germanen mindestens zur Zeit der römischen Kriege
sich bereits des Pfluges bedienten , muss schon aus dem vorher Ausge-
1) Tacitug, Gerat, c. 17.
2) Ahrends, Ostfrieslana und Jever 1. S. 81 f.
^fTihrten g^eschlossen MP^rden; ftbörauch der weit verbreitete Name dieses
Ackerwerkzeug^es gibt ein Zeug^niss für dessen hohes , g^ewiss ^eit über
unsere historische Zeit hinauf reichendes Alter. Wenn auch J. Orimin
bezweifelt, dass Pflug die älteste deutsche Bezeichnung sei ; weil die
Gothenden Pflug Ho ha und S ulh genannt, so reicht der Gebrauch jenes
Wortes doch so hoch hinauf, dass kein anderes dasselbe vertretende
Wort bekannt ist, und — was von hoher Bedeutung ist — dieses^
selbe Wort findet sich nördlich bis zu den Schweden , südlich bis zu
den Langobarden, in allen germanischen Sprachstämmen wieder imd
ist sogar auch zu den Slaven übergegangen ').
Aber nicht Mos der Pflug an und für sich , sondern auch der noch
heute gebräuchliche Rädeipflug war schon in frühester Zeit im Gebrauch.
Der Beleg hierfür liegt wiederum in der übereinstimmenden Bezeich-
nung der einzelnen Pflugtheile bei den verschiedensten Völksstämmen.
Das Sech , Pflug- oder Vordei*cisen , heisst angelsächs.: sceg
und seh; wälisch: such und swch; dänisch: plougsaege; esthnisch:
sahk; arabisch: sakkhinon; syrisch: sakino; französisch : soc ; mit-
tellat. : soccus. Dann aber auch gleich dem lateinischen culter im
Brandenburgischen : Kolter ; franz. : coutre ; niederländisch : kouter ;
englisch: ploughcoulter.
Die Schaar ^vomer) findet sich im Althochdeutschen : sca r (auch
vi^aganso) ; westfriesich : s chera und skera ; dänisch : ploug skiaere ; an-
gelsächsisch : sec^gcere; englisch: ploughshare.
Der Pflugsterz (stiva), althochdeutsch: pflougeszagel ; hollän-
disch: ploogstart; schwißdisch: plogsüert; dänisch: plougstiaert ; an-
gelsächsisch: sulhhandla.
Das R i s t e r oder Risterbrett (^enlilia), althochdeutsch : riöstra ;
angels. : su lhreos t ; englisch : rest.
Das Pflughaupt, althoch.: plouges houb it; dänisch: ploug-
hoyed ;- schwedisch: pl qpfaufud.
Der Pflugbaum oder Grindel, angelsächs. : sulhbeam, engl. :
ploughbeam. *
lieber die germanische Viehzucht geben uns die RöiAer wenig.
Tacitus und Cäsar nennen nm- Rindvieh und Pferde, dass aber der Vieh-
stand reicher war , sieht man aus Plinius. Derselbe erzählt , dass die
Flaumen der deutschen Gänse tiieuer bezahlt wurden *). Auch der
Schafe und Ziegen erwähnt er, und sicher fehlten auch nicht Schweine
und Huhner.
1) Grimm, denlsclic Grammatik III. 414.
2) Plinius H. N.X,22. Caudidi (anseies) ibi, verum minores, ganzae vocantur.
* 7 *
Aus Gerste und anderm Getreide braute man Bier^), und aus
dem Hafer bereitete man ein Mebl, welches man als Brei genoss*);
dasselbe g^iyn^fth n^h ,hM.-in n^uAre Zeit; die aus Hafer (in dea
Gebirgsgegenden auch aus ^HaidekorB). bereitete Grütze nannte mau
im Mittelalter Brimehl, und der daraus Weitete Brei war so sehr
allgemeines Nahrungsmittel, dass das Brimehl bei allen Feldzügen
den Hauptbestandtheil des Proviants bildete."
Man machte Butter und Käse; Plinius') sagt: ,,Man berei-
tet aus der Milch auch Butter (butyrum), eine bei den barbari-
schen Völkern sehr beliebte Speise, welche Reiche und Arme unter-
scheidet Meist bereitet man dieselbe aus Kuhmilch, die fetteste
aber wird von den Schafen gewonnen. Aber auch die Ziegenmilch
wird gebuttert. Im Winter wird die Milch gewärmt, im Sommer
aber blos ausgedrückt; nachdem man sie durch Rühren (jactae) in
langen Gefassen (in longis vasis) dick gemacht, welche bis auf eine
enge Oeffnung am oberen Ende ganz geschlossen sind**. Auch die
Butterbereitung ist also noch heute dieselbe und ebenso war die Ver-
wendung, der Schafmilch zur Butterung noch bis in's sechszehnte
Jahrhundert allgemein.
Wie schon zur.Zeit des Tacitus (s. oben S. 77) umschliesst auch
noch heute den Bauernhof eyauJrfiißT-Baiun (die Hofreithe). Von
den Häusern bemerkt derselbe *) , dass die Germanen weder
Mauersteine noch Ziegeln verwendeten, sondern alle ihre Materialien,
deren sie sich zum Bauen bedienten, roh seie n ^V, ohne Rücksicht
auf Schönheit oder freundliches Ansehen. Einige Stellen bestrichen
sie sorgfaltig mit einer so reinen und glänzenden Erdart, dass esw
wie Malerei und bunte Linien aussehe. Auch hier inuss ich den
Leser wieder auf die Gegenwart verweisen. Man betrachte nur die
altern Bauernhäuser mit ihrem roh behau enen Gebälke und ihren
mit einem Holzgeflecht (Fitzgerten) und Lehm ausgefüllten Gefachen,
so wie die noch in Hessen , Thüring en u. s. w. übliche Sitte , die
Wände des Hauses mit Sprüchen uni Figuren zu zieren. . Pas Bild
1) Tacitus, Germ. 23.
2) Plinius 1.' c. XVIII, 17.
3) Ibid. XXVm, 9.
^ 4) Germ. 16.
5) „Materia ad omnia utuntur i nform ij * durch „unbehauene Baumstämme"
lu übersetzen , wie es zuweilen geschieht , ist doch zu viel gesagt. Tacitus will
keineswegs Hauser schildern, wie sie Julian an der Theis fand : „neccmernquam
casa vel trab ibus compacta firmissimis periculo mortIs**extraxit ". Am, Marceil.
aVII) lo.
. 101
rückt uns aber noch näher, wenn wir die folgende Stelle aus Pli-
nius*) hinzunehmen: ,, Mit Rohr decken die nordischen Völker ihre
Hause r und l ange Zeit hält d as hohe Dach" .
Doch frühe gab es in einzelnen (legenden auch schon dem
römischen Auge behaglichere Häuser. Julian fand wenigstens süd-
wärts vom Untermaine Häuser so gebaut , dass an denselben ihm k /\
kein Unterschied von der römischen Bauweise auffiel : „domicilia cuncta / ^^^'^^^^^^^'^^^^
curatius ritu romano constructa " *).
Tacitus schweigt von den zur Wohnung gehörigen Nebengebfiu- '
den und erwähnt nur noch in der Erde angelegter, oben mit Mist
belegter Höhlen, welche als Zuflucht für den Winter und als Auf-
bewahrungsort für Früchte dienten. Es sind, dieses augenscheinlich
Keller, deren Anlage unter den Häusern noch nicht gebräuchlich
sein mochte. Dass aber auch die Scheune nicht fehlte, ersieht man
aus einer weit altern Nachricht. Der Grieche Pytheas aus Massilien,
welcher drei Jahrhunderte vor Chr. den Norden besuchte, erzählt,
dass das Getreide wegen der mangelnden Sonnenstrahlen und wegen
des Regens nicht auf offenen Tennen (wie das im Süden üblich war)
gedroschen, sondern in grossen Häusern zusammengebracht werde').
Dass neben der Scheune auch Viehslälle vorhanden waren, bedarf
wohl nicht erst eines Beleges.
Wassermühlen kommen im vierten Jahrhundert ap d ^y ^ggfil, ^4^*)-
Dass die Germanen Wgggq hatten, sehen wir schon aus den
Schlachten der Teutonen und Cimbern.
Ebenso geben uns ihre Waffen Zeugniss, dass sie die Erze
nicht nur zu gewinnen, sondern auch zu verarbeiten verstanden.
Die Sitte der Germanen sich in warmem Wasser zu baden,
welcher, Tacitus') gedenkt, dauerte hoch durch das ganze Mittelalter
und bis in's siebenzehnte Jahrhundert fort.
Nehme man hierzu noch die Mittheilung des Plinius ®) , dass
die Häuser am Nordseestrande auf Hügeln (Warften"} läge n , um
1) 1. c. XVI, 36.
2) Am. Marceil. XVII, 1.
3) „Frumenta non in areis extundi ob radiorum solis defectum et imbres,
sed in magpoa aedificia comportari". Strabo IV, 201. Fuhr, de Pythea Massi-
liensi Dissertatio p. 58. Wie Kohl (die deutsch-russischen Ostseepro vinzen II,
50) darin die an der Ostsee üblichen Riegen zum Dorren des Getreides erkennen
kann, sehe ich nicht ein.
4) A_iigft|nins„ MnflpllA y. 302.
5) Germ. 22.
6) l. c. XVI, 1.
SM
sie gegen die Flulh au sichern, sowie dass das Verhältnlss zm-
sehen dem Herrn und den Hörigen, wie es Tacitus schildert, jioch
bis in neuere Zeiten ,tin verändert geblieben ist, so wird man Mittel
genug zu einer Vergleichung zwischen den ältestga jpil Aen später n
Zuständen t^ab^n u nd sich aus~ den vielfachen Uebereinslimmungen
leicht überzeugen können , dass der Abstand zwischen beiden kei-
neswegs so gross ist, wie man den romischen Schilderungen nach
gewöhnlich annimmt. Wer das Bild noch vollständiger haben will,
der nehme die nur wenige Jahrhunderte jungem Volksgesetze zur
Hand. Da finden wir — um es kurz zu erwähnen — aas Wonnbaus
mit Scheune , Själlen und S choppen , und das Getreide in Feimen M
aufgestellt. Wir finden ferner alle Arien vonJVieh, selbst Gänse,
Hähner, Enten, Schwäne und Kraniche, und als Wächter des meist
umschlossenen Hofes den H ofhun d (HofWart). Nicht weniger treten
uns die Namen aller auch jetzt noch gebräuchlichen landwirthschaR-
iichen Geräthschaflen : Pflug und E^e, Sense, Sichel, Hacken, Spa-
ten, Aexte, Dreschflegel u. s. w, entgegen. Man hatte Kalk- und
Ziegelofen. Die Gärten enthalten Obst und Gemüsse und Kräuter; die
Felder werd en zum Schlitz e urozä un t, und selbst die >ungen Wäl-
der in Hege (gaheje) gelegt, offene Felder aber durch Wisch e ge-
schützt^ auch die Obstbäume schon durch Pfropfen veredelt. Ja,
selbst die Zeit vieler landwirthschafl.Uchen Arbeiten, namentlich die
^tes Pftügci» und ^ie der Erndle bleibt j so weit »ich darüber eine
.Kunde findei, durch viele Jahchupderte immer dieselbe.
Wo ist da noch ein wesentlicher Abstand zu erkennen? Und
derselbe ist auch in der That nicht vorhanden, Unsere Vorfahren,
als die Romer sie kennen lernten, wa ren. nicht mehr so ro h, wie
Viele auf die dürftigen Angaben jener sich stützend, sie schildern,
und das äussere Bild des platten Landes in jenen Zdten mochte
noch im sechszehnten und «ehenzebaten Jahrhunderte so ziemlich
dasselbe sein.
I) Eine Urkunde von 1149 sagt: ,yHt XI anenium , quem HoHaaileiises lin-
|;aa sua Viitinxe» uocant'^ Lappenberg, Hambg. Urkbch. S. 177.
Zweiter Abschnitt
Die IlofverfassDng.
JLfie im Vorhergehenden gpeschilderte, in der Arl und Weise der An-
lag^e hervortretende Verschiedenheit des Anbaues verschwindet, so-
bald man die innere, nämlich die rechtliche, Verbindung der Hufen
betrachtet.
Das Bild, welches Tacitus^ in den Worten gibt: „Die Skla-
ven brauchen sie (die Germanen) nicht nach unserer (nicht nach
rnmischer) Art mU_beslimmter Vertheilung der Dienste durch die
ganze Dienerschaft. JeäfiJLJst Herr in seiner Wohnung, an seinem
Heerde. Eine bestimmte Lieferung an Getreide, oder Vieh, oder
Zeug legt ihm der Herr, wie ejnem Pachter, ^auf, und insoweit ist
der Sklave dienstbar; die übrigen Hauscffenste versieht die Frau und
die Kinder" hat beinahe unveränder t bis indjjEuilfiUßm-ZfiiAftn,„fe^
bestanden und besteht zum Thei l noch heute in einzelnen, immer
aber noch deutlichen Spuren.
Das Verhültniss ist einfach folgendes. Dös Land ist in eine grosse
Zahl von Gebiet en ge tjieilt u nd zwar von der verschiedensten Grösse,
von denen jedes einen bestimmten freien Besitzer hat. Es ist das^
was Tacitus') andeutet, wenn er sagt, dass die Germanen die Län-
dereien n a^ji Rang u nd w^y^a vf^Y^jj^fijUgn (quos jiio.t intef se se-
cundum dignaCionem partiuntur) •).
Ein solches Gebiet Wird bald curla, bald curlis*), bald territorittnl*),
1) Qerm. c«p. 25.
2) l. c. Cup. 26.
3) Nur auf den Hof lassen sich diesd Worte an#endep, auf die sich fftei*
dien Hnfen angewendet würden sie keinen Silin haben.
4) Belege dafür s. unten.
5) Dronke, Trad. et Antiq. Fuld. p. 143. Beispielsweiire nur eine Urh«-6te)M
vom J. 842: „proprium — id est teiiltcjriifm cum cn«ty deeuper positiar cum
mancipiis V, pralis ,* pascuis " etc. (Ried, Chron. dipl. Episo. Ratisb. l. 36.)
104
im "iiilliri lF" n«>ii^.<i<\ hland aber häufig Hofmar-k '^ oder lateinisch
GOamSiX&^i wobei in der Regel der Name des Besitzers mit ange-
fügt wird, z. B. 810: „commarca Deotharii abbatis, commarca Gund-
berti " »).
Die Hofmark ist das Privatbesitzthum eines f reien Mannes, der
wenn er nicht selbst sdnen Wohnsitz darin hat, dann einen Beam-
ten (vijlicus , Vogt , Meier u. s. w.) hält , welcher seine Stelle vertritt.
Dieser Wohnsitz ist der Haupthof oder principalis curtis*). Der-
selbe wird auch curtis indominicata , dominicata oder dominica, man-
sus indominicatus etc. und in den spätem Urkunden Herrenhof,
Fronhof, Dinghof''), Salhof*),Sadel- oder Sedelhof (von
Sedes)')> Stadel hof*) u. s. w. genannt.
Die zu dem Haupthofe gehörende, also in der Hofmark liegende
Länderei war in zwei Theile getheilt. Den einen meist kleinem
Theil behielt der Hoflierr zu seiner eigenen Nutzung, und dieser
wurde das Salland, terra salica, genannt, nämlich das zur
1) Z. B. Ried 1. c. I. 679. S. auch Schmeller 11. 661.
2) 808: „ commarcliiam nostram in loco, qui dicitur £obyespab/^ Ried 1. c.
I. p. 10.
3) Ibid. p. 11.
4) 1015: „13 principales curtes". Kindlingcr, Gesch. der Hörigkeit S. 223.
5) 1330: „item curtem — in Lemene dictam ein Dinglichof cum hubariis"
etc. (Günther, Cod. dipl. Rheno -Mosel. III. p. 283); 1379: „dimidia curtis
iudicialis dicta Dinglichhof « (ibid. 823 u. ähnlich p. 824).
6) 1095: „maiorem partem curtis, que Francorum lingua Seiehof dicitur^'
(ibid. II. Einleitung S. V), Hierher gehört sicher auch das in einigen norddeut-
schen .Urkunden vorkommende Sil- öder Sei wort. In einer dieser Urkunden
von 1181 liest man: „domum unam in Stedere et unam Sileworth cum Om-
nibus ad eam pertinentibus videlicet cultis et incultis , siluis et glandibns ^'
(v. Hodenberg, Kalenberger Urkunden. 1. Abth. Archiv des Klosters Barsing-
hausen. Nr. 1. Silewort wird hier für Markgerechtsame erklärt, und von Ziel
oder Zeil, d. h. Gränze oder Mark, abgeleitet. AbQr die Markberechtigung folgt
ja erst spater und zwar in specieller Aufführung) ; und im sechszehnten Jahrhun-
dert besass die St. Martinskirche zu Minden ein Seiwort zu Nienburg (v. Spil-
cker, Beitr. z. deutschen Geschichte I. S. 287). Die Bedeutung scheint mir nahe
zu liegen. Gleich wie Selgelände (terra salica) die freie , unmittelbar vom Herm-
hofe b'ewirthschaftete Länderei bezeichnet, so wird hier die freie Hofstatt eben
wohl Sile- und Seiwort genannt. Die erstere Urkunde stelljb die Silewort mit
dem Hanse zusammen und bezeichnet alles Uebrige als Zubehör, die andere aber
legt sie sogar in die Sladt.
7) z. B. Grimm, Weisth. HI. S. 131. 161.
8) Das. I. 726.
105
Sala (der Herren - WohüÄiig) gehörig© Laad*).- Der andere Thell Wn-
g^egen war mit Hörigen oder Freien besetzt , welche auf den inneha-
benden Hufen wohnten. Für die Benutzung derselben hatten die Bebauer
bestimmte Abgaben an Frucht, Vieh und Webereien zu liefern, ge-
wisse Dienste zu leisten und insbesondere ,das Salland zu .bebauen.
Dieser Ackerdienst wurde jenseits des Rheins Curvada (coroada, croada,
corveia etc.) genannt *), und diese Bezeichnungen brauchte man auch
für dasjenige Stück Herrenland, welches jedem Dienstpflichtigen
zum Bau überwiesen wurde. Ein solches Stück hatte eine bestimmte
Grösse und wurde dem Fröhner wohl für jeden Ackerdienst beson-
ders zugemessen'). Vier solcher Kurvaden nannte man eineMappa,
1) lieber Sala, terra salica etc. s. „Die Namen Salier und salische Franken
- als Bezeichnungen eines Frankenstammes '* , von Dr. Rein. S. 18 f.'*
2) Es kommt diese Bezeichnung schon in der. 812 aufgestellten Güterbeschrei-
bung der Abtei St. Germain zahlreich vor (vergl. das Register in Guerard, Po-
lyptyque II. p. 418, sowie im Text T. 1. P. II. p. 647 ; auch Schmitthenner, Grund-
linien des Staatsrechts p. 166 und Beuschel, Glossar. II. 629 f.) , obwohl in einem
weitern Sinne, dem daraus entstandenen heutigen franzosischen corvee ent-
sprechend, auch jede andere Frohnarbeit darunter verstanden wurde. Cäsarius
sagt in seinen Erläuterungen zu dem Güterregister der Abtei Prümm : . „ Curvadas
facere est, ita nobis sicut sibi ipsis arare; quas curvadas vulgariter appellant
Ackerplughe '< (Bontheim , Bist. Trevir. I. 664). Diesseits des Rheins ist das
Wort unbekannt, gleich wie auch das gleichbedeutende Atten oder Batten
(d. i. AUod), Eine kölnische Urk. von 1064- sagt; „agri curiae, quos vulgariter
Atten appellamus". (Brinckmeier, Gloss. I. p. 185.) Eine andere Urk. von 1284
hat Ayden (Günther, Cod. dipl. Rheno - Mosell. I. p.*79). „Mansi indominicati
— sagt Cäsarius (Bontheim 1. c. p. 662) — qui sunt agri curiae, quos vulgariter
appellamus Seigut sive Atten vel Cunden^*^, und in einem trierischen Güterregister
liest man: „ceteri rustici banno archiepiscopi utentes ibidem III diebus in anno
venient ad Atthin archiepiscopi ad arandum*' (Lacomblet, Archiv I. 311, wo
das Wort noch oft vorkommt). Im Elsass nannte man das den Dienstleuten zukom-
mende Dienstbrod: „Ahtebrod" (1144: „unus panis, qui dicitur Ahtebroth".
Schopflin, Alsat. dipl. I. 226). Dass auch jenes Gunden wiederum dieselbe Ber
deutung hat, ergibt sich schon aus der angeführten Stelle, und ähnlich liest
man auch in einem trierschen Weisthume: „III kumde, id est hatas, que con-
tinent in se circa 175 jumalia" (Lacomblet a. a. 0. S. 372). In französischen
Urkunden kommt das^Wort auch unter den wechsenden Formen von „Gumma
(Henschel H. p. 698), condemina*, condamina, condomina'V etc. (ibid. p. 516
und 517) vor.
3) Diese Messung beschreibt eine Urkunde von 1106 auf folgende Weise:
,, Cum autem debent arare, cum virga meititur eis, qua et mansi solent metiri,
et ipsa virga. signata est secundum uniuscuiusque rationem, et nbicunque Signum
occurrerit, ibl parvum lignum fingitur in terram, et ipsi tantum in prima scis-
IM
und diese umfasste einen Raum von 60 Ruthen Länge und 6 Ru-
then Breite *).
Das Verhältniss der Salhöfe 2u den Nebenhofen bleibt mih
mer dasselbe so wohl in den geschlossenen Dörfern, als auch
da wo der Anbau, wie in Westphaien, aus vereinzelten Höfen
besteht. Hier, in Westphaien, lag der Herrenhof nur vereinzelt
und um ihn zerstreut lagen die Nebenböfe. Der Hof zu Olfen hatts
889 16*), der zu Riesfort 1049 7 Nebenhöfe *). Die Verschiedenheit,
welche die Hofmarken der Dorfgegenden boten, bestand lediglich
darin, dass die Nebenhöfe zusammen lagen.
In Bezug auf die räumliche Ausdehnung der HofmarHen waltete
die grosste Verschiedenheit. Der Hof zu Löwen, welchen daö Stift
Köln im J. 800 erhielt, umschloss ein Gebiet von 7 Meilen Länge
und 1 Meile Breite, und seine Kirche halte 9 Filiale*). Im J. 633
wird ein Hof genannt , zu dem acht Dörfer gehörten *) , und derartige
Höfe sind keineswegs selten*). Im Jahre 890 halte das Stift Salz-
burg eine Cartis von 300 Hafen'')*
Bald umfasste ein Hof ein ganzes Dorf*), bald auch nur einen
Theil eines Dorfes'), wo dann das Dorf unter mehrere Häupthöfe
getheilt war ; oder die zum Hofe gehörigen Hufen lagen auch .
wohl vereinzelt in mehreren Dörfern*"), und dass auch die Zahl
sora et seminatione arant , sie et in pratis fiet et sepibu^'S Kopp , Vind.
actor. Mureusiiitn. Acta fundat. p. 67.
1) Henschei I. c. VI. p. 651. ^
2) Kindlinger, Münster. Beitr. II Urk. S. 30—36.
ä) „Clnirtim miam ~ insuper VII famliias, id est VII hobas". Moser,
osnabr. Gesch. J. Beil. S. 18. .
4) Kindlinger, Münster. Beifr. II. Ürkbch. S. 1.
5) Pardessns I. c. 11. p. 22.1
6) Z. B. 708t „curia in Arlishehtr cnni suis appendicüs scilicet Heimcrsdorf,
Brunstat, Hirsunge" etc. SchÖpfHn, Als. dipl. I. 28. 1021: „curtera Rhite —
Jn pago Chymengomie -^ cum oAtniVus appendicüs, villis scilicet, areis, ag^ris**
etc. (Ried 1. c. T. 136.)
7) Juvavia Ö. 113.
d) „In Villa Hotaha sunt mansi X cum hubis X, nint indomihlcaCa ei IX ser-
viles", tr. Lanresh. 367(^.
Ö) 876 : „ curtitri unam -^ ctint casA caeterrsqtie aediflcirs et cum ömnibtis
appcndicits, et in ipsa vlila liubas IUI, tx quartam partem terfitorii ad
ipsam villam pertinentem , nee non et dimidinm ipsum agrunt , qui proximus est
domui et iuxta ipsam cnrtim iacet'^ Neiigart 1. e. f « 406.
10} „In Villa Kachanaog Borainaia cu^rtem Hnam cum decem domiaicalibtis
)ii>bis in eodem locoetinaHislocis ibiin circum eirca jacenCibus illuc
perünentibus *^ Dumge, Reg. BadeB»ia p^ 81. pie zitm Hof« zu Blrgida»»tai in
107
der kleinen Hufe, deren Inhaber ihr Land selbst bestellten , nicltt
gering war , muss man aus dem Kapitulare von 807 schliessen. Es
spricht dasselbe nicht nur von solchen , welche nur eine oder eine
halbe Hufe besitzen, sondern erwähnt auch anderer, welche gar
keinen Grundbesitz , weder Hörige noch Land , hatten ^) » und Glei-
ches zeigt auch ein Kapitular von 812.
Dass die Hofmark demnach nicht immer ein geschlossafies Ge-
biet darstellte, ergiebt sich aus dem Vorausgegangenen von selbst.
Aber der Bestand dieser Höfe war auch keineswegs immer derselbe.
Man verkaufte oder vergabte nicht nur Hufen aus dem Hofe und cnt-
liess dieselben dadurch aus dem Verbände des Hofes, sondern legte
demselben auch fteu erworbene zu; Ja man schuf sogar auch neue
Höfe, indem man von verschiedenen Seiten gemachte Erwerbungen
vereinigle *). Diese neuen Erwerbungen geschahen freilich nicht im-
mer auf rechtliche Weise. Der Mächtigere brauchte nur zu oft seine
Gewalt geg€h den kleinern Grundbesitzer, und vertrieb denselben ent-
weder von seinem Heerde oder zwang ihn wenigstens, die Freiheit
seines Besitzthums aufzugeben und ein AbhängigkeitsverhäUniss
durch Uebemahme bestimmter Verpflichtungen anzuerkennen, welches
in späterer Zeit sich häufig bis zu einer Hörigkeit steigerte ').
Ausser solchen Gewaltthaten wurde aber auch die Einfühnmg
des Christenthums Veranlassung zum Untergange zahlloser freier
Grundeigeuthümer. Um sich die Segnmigen des Jenseits zu sichern»
wm^den nämlich der Kirche eine Menge derartiger Besitzungen über-
geben. Zum Theil geschah dieses als einfache Schenkung , zum
Theil aber auch, und zwar vorzugsweise mit zahllosen kleinen Hö-
fen, in der Weise, dass der Hofherr, um des Schutzes der Kir-
che willen, seinen Hof dieser zu Eigen übergab und gegen die
der Königsliunder gehörigen 30 Hufen lagen 927 in vier Dörfeni zerstreut.
Hufer u. s. w. Zeitsch. für Archivkunde u. s. w. I. 358.
1) „Et qni sie paaper inventas fuerU, qni nee mancrp^a ncc propriam pos*
sessionem terrae habeat^' etc. (Pertz. Mon. Genn. Leg. I, p. 149.)
2) So sagt eine Urkunde voi\ 819: „Item cedimus mansiim dominicatnni,
quem de diversis hominibus pariter comparavimus in pago Turo-
iirco, m condita Monte -Laudiacensi'Jtt vilhi Grusffio^ citm terris, domibus, aediß^
cHs, viueis, pratts, paseuis, cuttum 6i iactthom/* Marien« et Darandy Tbesaaruft
I. 20 et 21.
3) Beispiele solcher Gewaltthätigkeiten liefert unter andern die Gcscliicbte
4es Klosters Muri in der Schweiz, >n Kopp, Viudiciae. D«r bei weitem grussle
Theil ist aber unaufgezeicluiei gcbliebeu.
108
llebernahme eines geringen Zinses wieder verliehen erhielt. Durch
eine solche Uebergabe verlor nun aber der Hof seine Eigenschaft als
echtes Eigen. Ja diese Uebertragungen nahmen später noch bedeu-
tend zu, als die Heerbannspfhcht durch ihre sich steigernde Last
vorzugsweise die kleinen Grundbesitzer antrieb sich derselben zu
entziehen y wozu die Aufgabe der Freiheit durch die Stellung unter
den Schutz der Kirche das einfachste Mittel abgab.
In Folge dieser Uebertragungen sind zahllose Freie aus ihrem
Stande herausgetrieben worden. Es lassen sich freilich keine stati-
stischen Nachweisungen darüber geben , aber wohl lässt sich ein
Schluss aus der im Ganzen geringen Zahl der Freihöfe machen , welche
wir in der spätem Zeit finden *). ^ Dem Qange gemäss , welchen die
Erweiterung des Anbaues des Landes genommen , hätte sich deren
Zahl in einem diesem entsprechenden Verhältnisse vermehren müssen,
statt dessen aber minderte sich die Zahl immer mehr, und den letz-
ten Rest der ehemaligen Freihöfe sehen wir in den noch heute vor-
handenen Domänen und Rittergütern, obwohl auch von diesen noch
ein Theil erst späterer Entstehung ist.
In Folge jener verschiedenen Entwickelungsphasen bildeten sich
unter den in, der Hofmark Wohnenden mehrere nach ihrem persönli-
chen Stande verschiedene Klassen. Ich werde mich hier jedoch nur
auf ihre Aufzählung beschränken, weil ich darüber nichts Neues zu
geben vermag.
Die vornehmste Klasse waren die Freien, ingenuiles; ihr
Grundbesitz .war entweder durch freiwillige Uebergabe oder auf eine
andere Weise mit emem grössern Hofe 'verbunden worden ; sie zahl-
ten meist nur einen geringen Zins , und ihre persönliche Freiheit war
so wenig geschwächt , dass man sie sogar als heerbannpflichtig findet.
Eine andere Klasse sind die Freigelassenen, Liberti,
solche nämlich, welche aus der Hörigkeit entlassen waren.
Die Liden oder Lazzen, coloni, welche den vorigen
gleich, und also ebenfalls persönlich frei waren, standen zu ihrer
Hufe in einem Meierverhältnisse. Der Hofherr übergab ihnen das
Gut gegen bestimmte Leistungen, und wie derselbe es ihnen: wieder
1) Noch unter Kaiser Heinrich IV. sehen wir 1078 60,000 milites armali
im sächsischen Heere. Brano, de hello saxon. c. 103.
100
entziehen konnte, so stand auch ihnen frei, dasselbe wieder zu ver-
lassen.
Die unterste Klasse endlich waren die Hörigen oder Leib-
eigenen, serviles, welche dem Hofe mit ihrer Person gehörten
und deshalb auch mit dem Grundbesitze veräussert wurden.
In den Urkunden werden die einzelnen Klassen indessen nicht
immer so streng geschieden, und sogar die Bezeichnimgen lassen
sich nicht stets als massgebend betrachten.
Das Zahlen - Verhältiiiss dieser Klassen zu einander war auf je-
dem Hofe verschieden. Der grosse zehn Kirchen umschliessende
Hof von Löwen hatte nur sieben mit Hörigen besetzte Hufen (mansi
serviles) '), während ein anderer Hof 33 Hufen mit Freien und 39
mit Hörigen besass *).
Jede dieser KlaSisen hatte ihre besonderen Rechte, welche zu-
sammen das Ho fr echt bildeten '), dem auch die persönlich Freien
unterworfen waren, sobald es sich um ihren vom Hofe abhängigen
Besitz handelte» da nur das echte Eigen vor's Yolksgericht ge-
hörte. Der Hofherr war zugleich der Hof rieht er ), doch entschied
derselbe keineswegs unabhängig, sondern nach dem Spruche der aus
den Hofhörigen hervorgegangenen Schöpfen '). Ein solches Gericht
nannte man Frohnding, Budingu.s.w. '). Wurde ein Spruch an-
gefochten, so geschah dieses bei dem Oberhofe. Es gehörten
nämlich stets eine Anzahl von Hofmarken zu einem Oberhofe, dessen
1) Rindlinger, Münst. Beltr. II. Ukbcli. S. 1«
2) Zeuss, 1. c. S. 275. %
3) Eichhorn , (über den Ursprung der städt. Verfassg. in Deutschland in der
Zettschr. für geschichUiche Rechtswissensch. von Saviguy u. s. w. I. 161 u. 165)
meint, dass die Hofrechte sich erst spät gebildet hätten. Sicher sind dieselben
aber eben so alt, als das Hofverhältniss. Dass wir die Rechte erst später ken-
nen lernen, ist kein Grund ihr früheres Vorhandensein zu bezweifeln.
4) 13. Jahrh. : „ quod sequuntur tria placlta, que dicuntur Botschefte ; hec tiia
placita presidebit dominus curie, qui est mansionarius , cum scuUeto suo, cum
mansionariis et omnibus, qui sunt in banno ville, iura curie renovare et requi-
rere defectum de bonis dopinornm '^ etc. Grimm, Weisth. I. S. 692. Dieses Bei-
spiel mag statt vieler genügen.
5) 1336 : „ quod eiusdem curtis scuUetus et jurati , qui ibidem mansionarii sive
Hoyuenarii (Hüfener) nuncupatur. Günther 1. c. III. 232 u. 233.
6) Grimm, Weisth. III. S. 613,625,802 u. s. w. Buding kommt schon in
einer TJrk. von '1052 vor (Günther 1. c. I. 132.). Es bezeichnet einfach das Ge-
richt über die Bebauung des Hofes.
y'
110
Geiicht als Oberg^ericht galt *). Diese Eigenschaft des Oberhofs scheint
M'enigstens in ältester Zeit nicht aus einer willkürlichen Wahl hervor^
gegangen zu sein, vielmehr im Verlaufe des Anbaus des Landes
^anz in derselben Weise sich gebildet zu haben » \ne ich dieses spä*
ter bei den Gaumalstätten nachweisen werde.
Diese Hofverfassungen gaben nicht selten den Dörfern ein bimtes
Bild , weiui nicht nur mehrere Höfe am Orte waren , sondern auch noch
freie Grundbesitzer daselbst ihren Ansitz hatten. In diesem Falle bilde-
ten wie die letzteren , so auch die einzelnen Höfe eben so viele geti^eiinie
Gemeinden , jede unter einem besondern Scbultheissen. Ein recht an-
schauliches Beispiel hiervon gewährt Zürich. Ausser dem alten Mün-
ster mit seinem Hofe halte das Stift Frauenmünsler zwei Höfe daselbst,
von denen der eine ein ehemals königliches Kammergut war, mid ne-
ben diesen bestand auch noch eine, freie Gemeinde *).
Dieselbe Hofverfassung zeigt sich in ihren wesentlichen Grund-
zügen allenthalben in Europa. Beinahe vollständig erhalten sehen wir
sie namentlich noch in den slavischen Ländern ') und ebenso auch in
Ehst - und in Kurland *). Aber auch in England sind ihre Spuren noch
unverkennbar, denn jene grossen Güter der englischen Aristokratie
sind nichts anders als die alten Hofmarken; sogar London steht zum
Theil auf solchem Boden , und der Herr desselbea, der Hoflierr , giebt
denselben nur pachtweise ab, gemeiulich auf die Dauer von 90 Jah-
ren, so dass nach deren Ablaufe die darauf erbauten Häuser ihren
Grund verlieren. Die deutschen Verhältnisse haben indessen eine we-
sentlich andere Entwickelung genommen. Es liaben sich hier nicht
nur trotz des Untergangs zahlloser kleiner Freien weit mehr solcher
kleinen freien Grundbesitze als dort erhalten , sondern auch die Nicht-
freien, überhaupt die, welche kein echtes Eigen hatten, haben an
dem innehabenden Grundbesitze ein Erbrecht erworben, welches zu-
letzt zum imbeschränklen Eigen führte, während jenseits des Kanals,
ähnlich wie in Norditalien , ' das alle VerhäUniss einer Zeilpacht sich
erhielt, was dort die Bildung eines eigentlichen Bauernstandes un-
möglich machte.
1) In den Grimmschen Weisthümern kommen häufig Beispiele davon vor,
2. B. I, 737. 11, S. 51 u. 52.
2) S. Eichhorn bei Savigny a. a. 0. S. 215 — 217.
3) lieber die Hofverfassung um Kiew s. v. Haxthausen , Studien II. S. 485.
4) S. Kohl, die russ. deutschen Ostseeprovinzen I. S. 380.
Dritter Abschnitt
Die HI a r k e Dt
1) Die Mark in ihrer Bedeutung, ihrer Bildung und
ihrer Entwickelung.
Was ist Mark? An dieser Frage haben sich Viele versucht, aber
nur Wenige haben sie gelöst und auch diese Wenigen keineswegs in
ihrem ganzen Umfange *). Es konnte dieses auch wohl nicht an-
ders sein; während man bei der Benutzung der vorhandenen rei-
chen Hülfsmittel sich auf einem zu allgemeinen Standpunkte hielt und
kaum daran dachte, deren 'Wesen zu durchdringen und sie praktisch
zu machen» standen die meisten Forscher dem Leben, nämlich dem-
jenigen, was noch heute ist und besteht, zufreind, oder waren docli
zu sehr von dem Gedanken befangen, dass das, was sie vor sich
hatten, etwas längst Untergegangenes, längst spurlos von der Erde
Verschwundenes sei Man suchte in weiter getrübter Ferne was
zunächst vor den Füssen lag. Alle ältesten Verfassungszustände sind
nicht aus menschUcher Willkür entstanden, sie sind nicht, wie das
heute der Fall ist^ aus Organisationsedikten hervorgegangen , sie sind
vielmehr, ähnlich wie der Baum aus dem in den Schooss der Erde
niedergelegten Kerne, nach einer gewissen Notliwendigkeit , nach
hestimmten von der Natur selbst gegebenen Gesetzen erwachsen und
darum, hn Volke und in dessen heimischem Boden fest wurzelnd, mit
einer so unverwüstlichen Dauer begabt, dass sie bis in unsere Tage
mit zahlreichen Resten herüberreichend , noch heute das Leben unse-
»
res Volkes vielarmig umschlingen und tragen. Um die Vergangen-
heit zu verstehen ist die Kenntniss der Gegenwart unerlässliclu Nur
durch diese wird uns das Verständniss jener möglich.
1) Ich unterlasse ehie Aufzahlung der verschiedeuen Meinuagen.
11«
Um nun die oben gestellte Frage zu beantworten , brauchen wir
, nur auf unsere heutige Feldmark zu verweisen. Im Wesen ist sie
noch ganz dasselbe, und nur in räumlicher Hinsicht, und zwar nur
nach Innen, hat der Begiiff einen Wechsel erfahren.
Ich muss jedoch noch voraus bemerken, dass wie noch gegen-
wärtig, so auch schon ehemals die Bezeichnung Mark einen zwiefa-
chen Begriff ausdrückte , einen Doppelsinn in sich schloss , der indess
aus ein und derselben Quelle hervorgegangen ist Das einemal be-
zeichnete Mark ein bestimmtes Gebiet , das anderemal nur die Gränze
eines Gebiets *). Die Markgrafschaften haben nur darum ihren Na-
men, weil sie Gränzgebiete waren. Die gothische Bibel -Uebersetzung
des Ulfilas braucht Marka zwt^r nur n,l<^ Gränze^. aber es liegt doch
darin keineswegs der Beweis, dass das Wort im Gothischen nicht
auch jene Bedeutung gehabt. Auch die lateinischen Ausdrücke ter-
minus und f i ni s werden bald in dem einen , bald in dem andern Sinne
angewendet. So heisst es z. B. 839 : „uiUas — Geismara et Borsaa cum
terminis suis"*) und „villam Vrespringen — cum omnibus terminis
et finibus suis" '). Ferner 797 „infines vel in marcas, qui dicitur
Torono marca, et in alia, qui dicitur Murchingo marca" ^); 742: „in
jßine vel in marca Hagenbache" ). Ebenso sagt auch Kaiser Fried-
rich H., als er 1214 dem dänischen Könige Waldemar E den Besitz
der von demselben eroberten Gebiete bestätigte : „ omnes terminos ul-
tra Eldenam et Albiam" ').
Hier haben wir zunächst es nur. mit der einen Bedeutung zu
thun , und in dieser bezeichnet Mark ein für sich abgeschlossenes , zu
einem Ganzen verbundenes Gebiet mit allen darin liegenden Wohn-
stälten. Ländereien und Wiesen, Wäldern und Trieschem, Gewäs-
sern und Wegen u. s. w.
Allenthalben wo sich der Name einer Mark findet, w^ist der-
selbe, wie das auch schon die gegebenen Beispiele zeigen, auf eine
bestimmte Oertlichkeit , auf eine bewohnte Stätte hin, mit andern
Worten : jede Mark ist das Gebiet einer Stadt oder eines Dorfes.
Der Schenkungsurkunde, durch welche die Abtei Lorsch die villa
Hephenheim erhielt, folgt „descriptio marchae vel terminus (!) silvae, que
1) 1263: marka seu lantsceide (Ungedr. ürk.)
2) Dronke , Cod. dipl. Fuld. nr. 524.
3) Ibid. nr. 527.
4) Neugart I. c. 1. p. 114.
5) Zeuss , Tradit. possessionesqne Wizenburgenses p. 8.
6) Cod.^dipl. Pommer. nr. 98.
tl9
pertinet Hephenheira" und in dieser Beschreibung selbst heisst es „a
ioco — ubi Gernesheim niarcha adjungitur äd Hephenheim marcham" ')»
Um die Lage eines bestimmten Ortes in einer Mark anzugeben,
brauchen deshalb die Urkunden statt der gewöhnlichen Bezeichnung
„ in marca " häufig auch andere Formen als gleichbedeutenfj , wie „ in
villa** *), „in fine" oder „in finibu? villae" '), „infra terminum vil-
lae" *) und noch 1251 : j,dimidietas terminorum, qui vulgariter ap-
pelläntur marcha illarum villarum," **); „in confiuio" •) und „in terri-
torio" '). Die gleiche Bedeutung hat das nur im südlichsten Deutsch-r
land, besonders in der Schweiz, vorkouunende , in Frankreich hin-
gegen um so gebräuchlichere „situs" ^
Obwohl Bann sonst nur das Gebot übw einen Bezirk bezeich-
net, so wird dieses Wort doch auch für Mark gebraucht und zwar,
wie es scheint, ain frühesten im Elsass, wo es sich schon seit dem
neunten Jahrhundert findet ') , während man anderwärts ihm erst spä-
ter begegnet *'^.
1) Trad. Lauresh. nr. 6.
2) In den Urkunden der Abtei Weissenburg im Speiergau ist die Form ^, in
viHa vel in marca*' die gewölinlichste. Zeuss, 1. c. p. 13,30,31,33 u. s. w.
3) 786 : in flne vel in marka. Schöpflin , Alsat. dipl. I. 40
4) 896: unum monasterium in Ioco Mulinpeche ~~ infra terminum villae,
quae nuncupatur Achriste. Grupen, Orig. Germ. III. 123.
5) Mone, Zeitschr. für die Gesch. des Oberrheins I. 127<
6) 795; in confinio Uuestheim in uilla antiqua. Dronke, Cod. dipl. Fuld.
ur. 110; 944: in uilla Rodigeresrod — dimidiam partem coufinii, id est marchae.
Beckmann. Anhalt. Histor. I. 167.
7) in territorio pertiuente ad villam Duringe. Dumge , Regesta Badens.
p. 67; Villa Bentin in territorio Wittenburg, Westphal, Monum. inedit^ II. 2055.
8) in pago Durgaugense et in situ Arbunense. "Wirtembg. Ukbch. S. 35}
828: in pago Diirgawe et in situ Waninctale. Neugart 1. c. I. nr. 198. Zuwei-
len scheiut es auch nur die Lage eines Ortes im Allgemeinen bezeichnet zu ha«
ben, und zwar ganz in dem Sinne unseres heutigen Sprachgebrauchs, wenn wir
die Lage eines Ortesxuach einer gewissen Gegend bestimmen. So findet sich
das Wort wenigstens in angelsächsischen Urkunden z. B. 967: V mansas in situ
nionasterii, und 1062: in .situ eiusdem monasterii. Kemble , Cod. dipl. Anglo -
Sax. HI. nr. 532 u. IV. nr. 812.
9) 817: ecclesia cum omni decima ipsius banni. Schöpflin 1. c. I. 60;
962 : insuper tertiam partem banni Stivagiensis , in terris , pratis etc. , qui ban .
nus continetur his confinils a Jordannis fönte etc., ibid. p. 117; 1141: mansum
unum, cuius curtis jacet in villa Ahewilre in banno Muteresholz. ibid. p. /il4.
10) in Schwaben 1275: in banno villae . . . Neugart 1, c. II p. 296; am
Kiederrheiu 1306 : infra bannum seu terminos — ville. Günther, Cod. dipl. Rhc
Landau. Territorien. S
114
Zu den deutschen Bezeichnungen , welche denselben Begriff aus-
drücken, gehören Feldmark*), Weichbild*), dessen Gebrauch
sich jedoch zunächst nur auf die städtischen Marken beschränkt , und
das in Norddeutschland übliche Börde *).
Am Ober- und Mittelrhein, so wie auch am Unterrhein findet
sich häufig das Wort H e i m g e r e i t h e *). Obwohl dasselbe auch häufig
als Haingereithe') vorkommt, so halte ich doch schon deshalb
Heiragereithe für die richtigere Form, weil der Begriff desselben
njpht blos den Wald, sondern auch alle anderen gemeine Gründe um-
schliesst Sehr bezeichnend heisst es in dem Weisthume von Biebe-
rau: „Wir wysen die Mark vur ein recht Haimgerede, wass sie zu
Rade worden vnd GeboX mechten, fugete iz en nit, sie mochtens
mynnern oder meren** *) , denn man erkennt hieraus ohne Schwierig-
keit die Bedeutung, und wenn wir imser „Hofreithe" daneben stel-
len, so wird auch die Etymologie des Wortes bald klar, ^denn
wie Hofreithe die gesummte Hofstätle (mansus) , so bezeichnet Heim-
gereithe die Mark, das einen geschlossenen Bezirk bildende Land
(Heim) '^). Allerdings findet sich das Wort nicht in jener allgemei-
no-Masel. IIL p. 116; in der Wetferau 1496: „beider Dorfgemeyne Weide im
LützelUnder Bann g-elegen" Wigand, Wetzlar, ßeitr. III. S. 124.
1) 1344: „gelyke den Dorpen de von Oldings uppe der Veitmarke to Lu-
beke gelegen sint." Michelseu, Schlcsw. - Holst. -Lauenbg. Urk. Sammig. I. S. 116.
2) 1405: „of dem Dorfe czu Strelitz des Wichbildes Svvidnitz gelegen."
Sommersberg, Scr. Rer. Silesiaoar. I. p. 937. Anch die Mark von Bielefeld wird
schon 1287 u. 1326, wie noch heute, Weichbild genannt. Piper, Beschrcibg^.
des Markenrechts in Westphalen, S. 63.
3) 16. Jahrb.; „in der Börde to Oldendorppe" lagen an 24 Dörfer, v. Ho-
denberg, das Vorder Register S. 146 u. 147. Auch sonst wird Bord in der Be-
deutung von Rand (Schiffsbord, Borde am Kleide) gebraucht, und weist über-
haupt auf den Begriff einer Gränze hin. Im Angelsächsischen bezeichnet es da-
gegen sowohl ein Haus als ein Schiff.
4) Im Speierschen 1256: Heingercide. Würdtwein, Nova subs. dipl. XIT.
p; 170; auch 171, 172 u. 173. Im J. 1291 gab Kaiser Rudolph der Stadt Lan-
dau das Beholzigungsrecht in silva Hemgereite. Grimm, Weisth. I. S. 767;'
1394: einen Weidegang han — vf die Haingereldfe. Das. S. 314; 1385:
„ Heimgerede." Das. I. S. 512. Auch im Oberrheingau heisst der gemeine Wald
Heimgereithe. Bodmann , Rheingau. Alterth, S. 489. und Gleiches zeigt
sich im £Isas8.
5) S. die vorige Anmerkung. Yergl. Bodmann a. a. 0. S, 439 u. ff.
6) Grimm a. a. 0.
7) Auch der Heimbürger, die Bezeichnung des rts vorsteh ers , weist
darauf hin, gleichwie die Eintheilung der Stadt Worms im Heimburgschaften,
^ 115
nen Bedeutung, sondern mir noch in der als Gemeingui, aber es
hat in dieser Hinsicht sicher ganz denselben Entwickelungsgang wie
der Begriff des Wortes Mark genommen. An die Heimg'ereilhe
schliesst sich das demselben eng vei-v^'andte friesische Heimmar-
ke (Hemmerk, Hammerk, Hanru'eke, Himrik, Hemrik u. s. w.).
Eine Urkunde von 1241 gibt uns dafür den Beleg: lotamviilam in
Marahusum et totam Hemmercam illius ville *). Auch dieses Wort
hat seinen allgemeinern Begriff eingebüsst und wird jetzt nur noch
zur Bezeichnung der Gemeindewiesen gebraucht*).
Endlich ist noch die indess nur in Oberhessen vorkommende
imd bis jetzt noch nicht erklärte Bezeichnung Ein wart zu erwähnen.
Es bezeichnet dieses Wort sowohl das Gesammlgebiet des Dorfs als
auch insbesondere das eigentliche Gemeindegut, sowie die poli-
tische Gemeinde '). Ich habe das Wort jedoch nicht früW als 1343
gefunden *).
Aus allen bisher mitgetheilten Beispielen geht hervor, dass dem-
jenigen Orte, nach welchem eine Mark genannt wurde, das ganze
Gebiet derselben allein zugestanden haben muss, sowie dass alle
ausserdem innerhalb der Gränzen dieses Gebietes noch weiter be-
stehenden Orte für nichts anderes, denn als auf dem Gmnde und
Boden des Markdorfes später, entstandene Anlagen oder , wie sie die
Urkunden bezeichnen, als Zubehorungen des ersten Dorfes") betrach-
tet werden müssen. Noch im spätem Mittelalter war der Begriff des
Dorfes nicht auf den Raum beschränkt, welchen die Wohnstätten
einnahmen, sondern es war die gesammte Feldflur, welche das Dorf
darstellte, so dass auch schon längst ihrer Wohnungen beraubte
Dorffluren dennoch nach wie vor immer noch Dörfer genannt wurden.
denn in andern Städten finden sich statt dessen Bauerschaften. .Ebenso gehurt
die in zahllosen Ortsnamen vorkommende Endung heim hierher.
1) Driessen, Monam. Groning. p. 541.
2) V. Richthofen, Altfries. Wörterbuch, u. Wiarda, Ges^h. der altfriesischea
oder saclis. Sprache, unter Hamreke. Wahrscheinlich h«t das in einer meck-
leüborgischen Urkunde sich findende „Heinielant" (de campo , qui vocatur Hey-
nielant. Lisch, Urk. IT. 267) ebcnwolil die Bedeutung von Gemeindeiand.
3) Näheres darüber s. in der Zeitschr. des Vereins für hess. Geschichte u.
Landeskunde IV, S. 61 o. 1Ö7 f.
4) Die die Kommenden Marburg u. Schiffenberg betr. Deduktion des deut-
schen Ordens : Entdeckter Ungrund derjenigen Einwendungen u. s. w. Beil. 187.
5) . . villam Vrespringen .... cum omnibus uilhilis et uiculis. Dronke,
Cod. dipl. Fuld. nr. 527 ; . . . villam — Barisiacum — cum universis uilluUs ad
se adspicientibus. Miraeus , Op. dipl. 1. 125.
8 *
116
Die ältesten Marken , nämlich diejenigen, welche gewissermassen
als Urmarken anzusehen sind, umfassen deshalb sämmtlich einen
bedeutenden Flächenraum. Um von einem Gränzpunkte zu einem
andern zu gelangen, waren nicht selten Tagereisen erforderlich. Es
waren Gebiete, wie wir sie zum Theil noch heute in Ungarn und
Schweden finden. Das schwedische Kirchspiel Hamardale in Jemt-
land ist so gross wie ganz Schonen, und das Kirchspiel Gelivare
umfasst sogar 150 □Meilen und hat demnach keinen geringern Um-
fang als Schonen, Blecking und Gothland zusammen* Den Beweis
für eine solche grosse Ausdehnung der ältesten Marken geben jene
Gränzbeschreibungen von Marken, welche schon in fi^üher Zeit in
den Urkunden niedergelegt worden sind.
Die ältesten Dörfer lagen demnach sehr' vereinzelt , dmxh weite
Räume von einander getrennt, und diese Räume waren wohl sicher
zum grössten Theile mit dichtem Walde bedeckt, ähnlich wie die-
ses Cäsar*) von den Gränzen der S^ieven berichtet; nur lag dieses
zusehr in der Natur der Verhältnisse , als dass man noch , wie Cäsar,
eines besondern Grundes bedürfte, um diese Thatsache zu erklären.
Obwohl die Gründung dieser grossen Marken weit über unsere
historische Zeit hinausreicht, so sind sie doch auch im spätem Mit-
telalter noch deutlich zu erkennen , ungeachtet Ihre ursprünglichen
Verhältnisse sich schon vielfach geändert hatten : die Mark umschloss
nicht mehr blos das eine Dorf, es waren vielmehr auf dem Grunde
dieses ersten Dorfes oft in grosser Zahl neue Dörfer angebaut worden.
Diese neuen Anbauten konnten von keinem andern Punkte aus-
gegangen sein, als eben nur von jenem ersten Dorfe, denn da der
gesammte Boden der Mark diesem Dorfe gehörte , vermochte auch nur
dieses darüber rechtlich zu verfügen. Ohne die Zustimmung der Bewoh-
ner desselben konnte keine neue Anlage in der Mark begründet wer-
den. Es liegt dieses schon in der Natur des Verhältnisses, aber auch
die alten Volksgesetze enthalten darüber deutliche Bestimmungen. Nach
dem salischen Gesetze*) soll keine neue Niederlassung begründet
werden, ohne dass vorher die sämmtlicheri* Markgenossen ihre Zustim-
mung gegeben. Wenn — heisst es — Jemand in einem Dorfe (d. h.
in dessen Mark) sich anbauen wolle (si quis super alterum in villa
migrare voluerit), solle derselbe zurückgewiesen werden, sobald auch
nur -einer »der Dorfgenossen (unus vel aliquid de ipsis qui in villa
1) De bello gall. IV, 3.
2) Waitz, Lex salica, T. XLV. p. 253. VergL p. 124.
117
* Consistunt) seine Zustimmung versage, Erfolge dessenungeachtet
die Niederlassung, dann solle man den Eindringling in bestimmten
Fristen wiederholt zum Abzüge auiTordern und- erst, wenn er auch
dann dem Gesetze noch nicht nachkomme, in eine Busse von 30
Schillingen verurtheilen und seine Arbeit zerstören (quod Ibidem la-
boravit demittat). Nur wenn ein solcher neuer Ansiedler zwölf Mo-
nate lang ruhig und ungestört in dem Besitze seines Anbaues ge-
sessen, soll er ohne weiteres zu dem Rechte gelangen, welches
auch die älteren Einsassen der Mark (vicini) geniessen. Ein spä-
terer Zusatz bedroht noch diejenigen Genossen mit Strafe, welche
einen Fremden zur Ansiedlung veranlassen, ehe die gesammte Ge-
nossenschaft darüber beschlossen hat^).
Derartige neue Niederlassungen erfolgten von zwei Seiten. Ent-
weder wurden sie durch Fremde, also durcti Einwanderer, oder
durch einen Theil der bereits im alten Dorfe ansässigen Einwohner,
also durch Markgenossen, begründet. Das letztere mag vorzüglich
dann eingetreten sein , wenn die Bevölkerung zu zahlreich geworden
war. Doch auch in diesem Falle war die Zustimmung der Gemeinde
sicher unerlässlich , denn da der neue Anbau auf noch unbebautem,
also noch gemeinheitlichem Boden erfolgte, war es nothwendig, die-
sen von der Gemeinde zu Sondereigen zu erwerben. Ebenso folgte
aber auch sicher aus der Bewilligung der Gemeinde zu einer neuen
Ansiedlung einfach das Gemeinderecht, nämlich zur Theilnahme an
der Markberechtigung, weil ohne diese der Bestand eines Landguts
gar nicht denkbar ist.
Mit der ersten Gründung von Kolonien war übrigens keines-
wegs auch schon eine Theilung der Mark verbunden. Mochte deinen
Zahl auch noch so gross sein , so wurde dadurch die gleiche Berech-
tigung Aller doch nicht gestört* und es lag darum auch noch keine
1) Waitz versteht unter vllla das Dorf In dem gewöhnlichen engen ginne; ^
aber-villa und marca sind> wie ich dieses schon nachgewiesen habe» durchweg
gleichbedeutend. Nur so erhalten jene gesetzlichen Bestimmungen auch ihr vol'
les Verständniss. "Wie würde sich auch Jemand in einem Dorfe gegen den Wil-
len der Einwohner anbauen können? Auf derartige eigenmächtige Niederiassun-
gen deuten auch die häufig in den Urkunden vorkommenden Bezeichnungen oc-
onpatio und proprisum hin. Die in jener Bestimmung sich aussprechende gleiche
Berechtigung alier Genossen bestand übrigens auch noch in weit späterer Ze^t.
Noch 1560 sagen Zeugen in Bezug auf die Mark Echzell (in der Wetterau) aus:
„es hätten zwar Einige im Walde gerodet, weil aber nicht die ganze Mark(ge-
cossenschaft) ihre Einwilligung dazu gegeben , hätten sie ihre Arbeit liegen Ibis-
sen müssen <^
Ii8
Notbwendigkeit zur Aufhebung der Gemeinschaft vor. Diesem er-
Men Ausbaue folgten aber im Verlaufe der Zeit noch mehrere andere.
Wie von der urspiüngllchen Niederlassung jene ersten Kolonien
ausgegangen waren, so fanden sowohl von diesen, als auch von
>ener wieder neue Ausbauten statt. Wie das erste Dorf gleichsam
die Mutter jener geworden , so wurden diese nun auch wieder Mat-
terdörfer. Erst dieses neue Verhältniss führte zu einer Aenderung
in der Benutzung des bisher gemeinsamen Bodens, weil dieselbe ia
der seitherigen Weise nicht mehr möglich war, und diese Aenderung
bestand in einer thatsächlichen Trennung und zwar in ebenso viele
Marken, als nach dem ersten Ausbaue Dörfer vorhanden waren.
Diese erste Scheidung der grossen Mark in mehrere kleinere
Marken erfolgte gewiss nicht so gleich nach festen Gränzen. Da
die Trennung wohl sohwerlich durch eigentlichen Vertrag oder über-
haupt künstlich geschaffen wurde, vielmehr aus den gegenseitig:en
Verhältnissen gewlssermassen von selbst hervorging, mögen auch
die Gränzen sich nur allmälig und zwar in demselben Masse fest-
gestellt ^ haben, als die Ausbauten in dem Gebiete der Mark sich
mehrteq und ausdehnten.
In ähnlicher Weise wie von dem ersten Ausbaue ein zweiler,
so ging von diesem auch ein dritter und von diesem wiederum ein
vierter aus und jeder neue Ausbau führte auch wieder zu einer wei-
tern Scheidung des Markgebiets.
Das Verhältniss des Urdorfs zu der anfanglich ihm ausschliess-
lieh zustehenden Mark wurde natürlich durch diese * fortgesetzten
neuen Anbauten und die denselben folgenden Theilungen wesentlich
geändert. Das ürdorf war nun nicht mehr der alleinige Besitzer
der Mark ; seine Mark -hatte sich vielmehr verringert. Nur der alte
Name des Gesammtsgebiets bUeb 4}0€h ferner bestehen. In ^olge
dessen bildete sich für Mark ein Doppelbegriff, ein weiterer und ein
'engerer. Bald wurde mit dem Namen ^ des alten Dorfes das Ge-
sammtgebiet, bald auch nur die unmittelbar dem Urdorfe zugehörige
Mark belegt. Auf diese Weise ist es zu verstehen, wenn die Ur-
kunden den weitern und den engern Begriff gegen einander über
stellen. Wenn es nämlich heisst „ in finibus Hohheimono in eadem
uilla Hoheim"*), so wird durch das erste die weitere, durch das
letzte die engere Mark bezeichnet.
V 1) Dronke, Cod. ,dip. Fuld. nr. 587. Weitcrc Beispiele sind „in IlnuUing-
heimero marca et in uilla — Hnutiling:a",ibid. nr. 2üÜ; „in villa — Zarduna —
11»
Der ganze Entwicklungsgang, wie ieh ihn gezeicbnei» ist ein
durchweg einfacher, man kann sagen, ein voa der Natur selbst gewiese-
ner , und eben darin glaube ich die gewichtigste Bestätigung der Wahv>>
heit meiner Anschauung zu finden.
Dict Mark bildet demnach ein einheitliches Gebiet mit einer bald
grossem, bald geringem Zahl von Dörfern, welche in rechtlicher Bezie-
hung aber nur ein Dorf darstellen. Der gesammte nicht im Privatbe-
sitze stehende Boden ist ihr gemeinsames Eigenthum und darum sind
zwischen den einzelnen Dörfern auch nirgends Gränzen.
Die letzte Scheidung war diejenige , welche die grössere Mark in
einzelne Dorffluren trennte, wo also jedes Dorf, wie das heute ziem-
lich allgemein der Fall ist, ein fui* sich bestehendes selbstständiges
Ganzes wurde.
Auch diese Trennung gehört je nach den verschiedenen Gegenden
und den verschiedenen Verhältnissen sehr verschiedenen Zeiten an.
Wie es scheint trat sie jedoch in den fruchlbai*eren Gegenden früher ein,
als da, wo der Boden weniger ergiebig ist, und noch jetzt sind Ge-
meinden nicht selten , welche aus mehreren Dörfern bestehen *).
Um den Gang dieser letzten Scheidung anschaulicher zu machen,
will ich ein Beispiel davon aus Hessen anführen. Das südlich von
Marburg , rechts der Lahn , liegende, aus den drei Dörfern Argcnstein,
Rölhchen und Wenkbach bestehende Gericht , gewöhnlich das schen-
kische Eigen genannt, bildete noch 1748 ein einiges Gebiet, eine Ge-
meinde , welche nur äussere , keine inn^m Gränzen kannte. Alles Ge-
meindegut gehölte allen drei Dörfern gemeinsam und alle darüber ent-
stehenden Rechtsstreite wurden gemeinsatn geführt; alle Gemeindeschul-
den waren gemeinsam ; die Steuern wiu-den auf alle Bewohner der drei
Dörfer vertheill, und eben so waren auch Wald- und Feldhute, so wie
der Schafpferch gemeinsam. Damals begann jedoch schon eine Schei-
dung. Weil die Gemeinhule für das Zugvieh oft zu entlegen war, be-
gannen die einzelnen Dörfer die ihnen zunächst liegenden Huleplätze
allein für sich zu benutzen und es bildete sich daraus allmälig
ein Sondergemeindegut für jedes Dorf. Die Folge davon war, dass
man dieses nach und nach ausdehnte und endlich dalün kam , sich über
et in ipsa marcl^a Zardunense." Nengart 1. c. p. 46 ; „in Keberateswilar« -marcha
in loco, qui dicitur Keberateswilari. '* Ibid. p. 301.
1) z. B. im Siegenschen. S. darüber Schenk, Statistik des Kreises Siegen
S. 92. Auch von Haxthausen (Studien u. s. w. I. S. 459) gedenkt ähnlicher Ge-
meinden bei den Tscheremissen und Tschuwasclien unfern Kasan).
IM
die Ausd^Dong der Beiiulzutig dieser Soudergründe für jedes Dorf zu
verständigen, also Gränzen zwischen den einzelnen Dörfern festzustel-
len. . Keineswegs al^er wurde Alles gelheilt; manche Gründe Hessen
theils in Folge ihrer Lage, theils in Folge ihrer Natur, wie namehllich
die W&lder , eine Theilung nicht wohl zu , und diese hlieben deshalb
gemein und bestehen noch heute als allen drei Dörfern zuständige Wal-
dungen oder als Koppelhuten *). Die Dörfer des Gerichts Ulfa in der
'Wetterau hatten 1566 noch den Weinschank, die Waldungen und ver-
schiedene Wiesengründe gemein,' doch besassen die eiiizeliien Dörfer
audi schon besondere Gemeindewiesen.
Ich muss noch einer besondem Art von Niederlassungen gedenken,
nämlich jener zahlreichen Dörfer, welche mitten auf schon befestigte
Gränzen gebaut worden sind. Dieselben entstanden dadurch , dass Ge-
nossen von zwei an einander stoss^nden Marken sich dahin vereinigten
ihre Niederlassung auf die gemeinsame Gränze zu setzen. Das Gebiet,
was sie nun zu ihrem Dorfe zogen,, nahmen sie aus den .beiden sich
berührenden Marken. Die dadurch entstehenden neuen Majrken waren
also Zusammengesetzte, und bildeten als solche \virkliche Einheiten,
in denen das Gemeingut^ ganz wie in andern Marken , ungetheilt war
und von allen Genossen zu gleichem Rechte genutzt wurde , in politi-
scher Beziehung dagegen blieben beide Theile getrennt und gehörten
vor wie nach zu verschiedenen Gauen. Die Gränze blieb so unverän-
dert fortbestehen , dass derartige Gränzzüge noch heute , wie vor einem
Jahrtausend j mitten durch Gebäude ziehen und wohl gar den Heerd
oder das Schlafgemach theilen. Man erkennt diese Marken meist dar-
an, dass die dazu gehörigen Orte bald in diesen, bald in jenen Gau
und zuweilen auch in zwei Marken gesetzt werden. Einige Beispiel^
mögen dies erläutern. Im Jahre ß88 heisst es : Hoc est in pago Hat-
tinhunda et Sulihgeuwa in comitatibus Perengarii et Epathardi villa que
dicitur Tuzzelinga *) ; ähnlich 893 : in pago Durgowe et in Zurihgowe
— - et in loco nominato Altthorf '), oder von demselben Orte 902 : in Eika
marcho et in Wosinihovo marcho — ad Althorf *). Ganz dasselbe Ver-
hältniss findet sich bei den meisten Marken, welche die Gränze zwischen
dem Grabfelde und dem Salgaue berühren, denn die Dörfer derselben
1) Schon eine Urkunde von 1028 gibt uns das Wort „Copeleweide. Lacom-
blet, Ürkbch. I. S. 102. S. auch S. 115 n. 116.
2) Neugart 1. c. 474.
3) Ibid. 494.
4) Ibid. 524.
Mark werden bald in den dnen, bald in den andern Gau gesetzt *). Noch
deutlicher weisen uns die Urkunden auf solche zusammeng-esetzle Mar-
ken, wenn sie die Markgränzen im Einzelnen beschreiben. So wird
in einer elsasser Urkunde von 817 die Markgränze „per medium ville,
que Keteresheim vocatur, in latitudine vero a medietate ville, quae
Alreswilre vocatur" geführt *). Der Stiftungsbrief des Klosters Gottweih
von 1083 führt die Gränze : „usque ad villam Ekkebrechtesperch et sie
per unam curtem eiusdem villule"«). Die Grftnze des Gerichts Oberaula
zog dergestalt durch Grebenhain , dass 4 Hufen davon nach Innen fie-
len *), während die Gränze des Westerwaldes durch ein Haus zog und
ein Ständer auf der Deel als Schnatbaum diente *). Ebenso wird ein
Hof genannt „do der Meibom inne steet**.")
Um den' Gang der Marfcentwicklung und zugleich den Weg zu
zeigen , wie wir denselben aus den Urkunden ermitteln können, will
ich hier zwei Ausführungen folgen lassen , in welchen ich die Zerthei-
lung von zwei Marken dargestellt habe ^.
Die Mark Heppenheim. ^
Im Jahre 773 erhielt die Abtei Lorsch „villam — Heph^nheim si-
tam In pago Benense, cum omni merito et soliditate sua, et quicquid
ad eandem villam legitime adspicere vel pertinere videtur, id est, cum
terris, domibus, aedificiis, accoUs, mancipüs, vineis, sylvis, campis,
pratis, pascuis, aquis, aquarumve decutsibus, mobilibus et immobili-
bus, cum Omnibus a4)acentibus, vel appenditiis , cum omnibus terminis
et marchis suis etc. ^).
Der Abtei wurde demnach das ganze Dorf mit alle seinen Zubehö-
rangen oder seiner gesammten Gemarkung übergeben.'
1) Die Mark Kissingen wird z. B. bei Dronke 1. c. Nr. 401 u. 404 zum
Grabfelde und nr. 412, 531 u. 592 zum Salgaue gerechnet und zufolge der Nr.
404, 410 n. 412 lagen die Salzquellen zu beiden Seiten der Gränze.
2) Schopflin, Als. dipl. I. p. 67.
3) V. Hormayr, Taschenbuch für Vaterland. Geschichte III. S. 97.
4) Grimm, Weisth. III. S. 333.
5) Das. S. 125.
6) üngedr. Urk. ^
7) Ich hatte mehrere Marken zu diesem Zwecke bearbeitet, habe aber die
übrigen bei Seite gelegt, weU mir die folgenden beideu Markbeschreibungen
zu genügen schienen.
8) Trad. Lauresh. I. p. 15.
Bei dieser Uebei^abe wurde zugleich eine „descriplio miarchae
sive terminus sylvae , quae pertinel ad Hephenheim , sicut semper ex
lempore anliquo sub ducil)us et regibus ad eandein villara tenebatur"
aufgestellt, welche der Gaugraf Warinus spater (795) ia einem Jm
Walde auf dem Hügel Walinehoug (ad tuniuluui W.) gehegten Gerichte
erneuern liess, um den sowohl zum Maingaue, als den übrigen an-
slossenden Marken gehörigen Wald durch bestimmte und bezeichnete
Gränzen abzuscheiden, wobei die Grafen der angränzenden Gaue,
nämlich des Maingaues, der Wingarteiba und des Lobdengaues , mit-
wirkten, und die Richtigkeit des Gränzzugs anerkannten ^).^
Ich lasse zuerst die beiden Gränzbeschreibungen mit einer ein-
fachen Erläuterung der darin vorkommenden Orte vorausgehen.
Die Grunze beginnt bei „Steinvortowa, Steinfurt", wo die
Marken von Heppenheim und Gernsheim sich berühren. — Stein-
furt, ein eingegangenes Dorf am Rhein, welches Dahl auf seiner
Karte osllich von Gernsheim legt, das aber iiieht südlich ge-
sucht werden muss, weil Kleinrorheim schon in der Mark von
Gernsheim liegt*). Auch wird der Ort im J. 829 als östlich den in
der Mark von Pfungstadt angelegten Bifang Geroldeshusa berührend
bezeichnet '). Die Mark von Gernsheim war eine Abtheilung der von
Pfungstadt. Wahrscheinlich bezeichnet die zwischen die Grossror-
heim und dem Rheine liegende Steinbrücke uns die Stelle. Noch
1250 komnoit hier eine Insel ,,Rynouwa, auch Steinrewerth genannt**
vor. Scriba, Regesten Nr. 371.
„ad Langwata'* — ^ Langwaden an dem Winkelbach;
„in Ginnesloch** — unbekannt; es wird jedoch als östliche Gränze
des vorhin genannten Bifangs Geroldeshusa angeführt ;
„in Woladam** — ^ unbekannt; denn den Wildenhirsenhof dafür zu
nehmen, wie Dahl es thut, ist, wenn auch nicht örtlich , doch ^sprach-
lich zu gewagt;
„in Aldolvesbach" — Aisbach;
„in Felisberck" — der Felsberg;"
,,in Reonga" — dieses für den Hof Rödchen, am Felsberg, zu
halten, scheint mir zu gewagt;
,,in Wintercasten** — das Dorf Winlerkasien;
„in mediam Arezgrefte" — unbekannt;
1) Trad. liauresh. I. p. 17.
2) Grimm , Weisthümer 1. 482.
3) Trad. Lauresh. Nr. 217. .
Ifl
„in Welinehove" — s. unten Walehinhoug;
„in summitateni Hiidegeresbrunno ^< — unbekannt.;
„in Burgunthart" — Birkert;
„in Eicheshart f ubi Rado domini regis missus fecit toinuluni in
confinio sylvae, quae ad Michiinstatt pertinet'^ -^ unbekannt, jdenn der
Eichelsberg zwischen ^lederkinzig und Zell liegt zu weit ausser der
Linie , wie denn auch jener Hügd schon rechts der Mümling gelegen
zu haben scheint. Retter ^) nennt eine Hochfläche über Kirchberm^
bach das Eichels;
„ de illo tumulo in Vlisbrunnen " — das Dorf Vielbronn ;
„in Mosehart" — unbekannt;
„in Lintbrannen" — unbekannt;
„in Albwinesneida " — unbekannt;
„in Moresberk". — der Mauresberg, westlich vom Euterbach; zu
ihm steht jedenfalls jenes Moresdal iuxta fluvium Gutra (Euter), M^el-
ches das Stifl Lorsch im 9. Jahrhundert erwarb'), in naher Beziehang;
„in fluvium Neker ubi Lutra (Jutra) rivulus inti*at in Neker" —
bis zur Mündung der Euter, unterhalb Eberbach;
dann im Neckar hinab bis zur Mündung der Ulvena — der bei
Hirschhorn mündende, von Olfen (Ulvena) herabkommende Fin-
keubach ;
weiter von diesem Bache bis zur Höhe von „Franconodal^^ —
unbekannt ;
wo die „Sleinaha" ihre [Quelle hat — die Steinach, welche in der
Hohe zwischen Mackenheim und Oberabtssteinbach entsteht;
„ad pendentem Rocham" — unbekannt;
„in Gunnesbach summitatem" — auf die IJöhe vom Dorfe Unter-
kunzenbach ;
ferner durch den ganzen Wald in die Länge bis „in medium Ka-
tesberk" — unbekannt;
in die Heerstrasse, welche aus dem Lobdengau kommt und ,,in
Wisgoz" führt — die heutige Bergstrasse, welche bei Weinheim die
Weschnilz durchschneidet ') ;
in der Weschnitz hinab bis Lorsch und endlich wieder nach
Steinfurt.
Die Gränzbeschreibung von 795 beginnt ebenfalls zu Steinfurt
1) Hess. Nachr. III. 180.
2) Cod. Trad. Lauresh. Nr. 2835.
3) Dahl in seiner Beschrcibg. des Fürstenth. Lorsch lüsst die Strasse irrig
von Ladenburg kommen. «
und nennt im Anfange dieselben Orte bis ,,Wintercbasto<^. Datin
folgt :
„Gelicheberga^^ — unbekannt, dehn Lichtenberg, wie Retter u. a.
vermuthen, liegt zu weit ab;
„Arezgrefte" — unbekannt;
„ Walehinhoug ", das obige Welinehove — jener Hügel (tumulus),
auf welchem im öffentlichen Gericht unter Graf Warinus die Gränz-
beziehung bestätigt wurde;
„ Burgunthart " — Birkert;
„ Eichenesharf s. oben;
„ Hildigeresbninno ", — wird in der Beschreibung von 773 vor
Birkert genannt, weshalb Retter es für einen Schreibfehler für „Vlis-
bninnen<< hält; es ist jedoch wahrscheinlicher, dass der Fehler in
einer Versetzung liegt;
„Mosahart" — unbekannt;
„Lintbrunno" — desgl.;
„ Crawinberk << — der Krähherg, jetzt mit einem Jagdschlosse
bebaut ;
„Albuvinessueita^^ — unbekannt;
„Mauresberk<< (773 Moresberk) — der Mauresberg, westlich von
Eulerbach *) ;
„ Gamenesbach " — Gammelsbach;
„Igelsbach" — Igelsbach;
„Rennolfessol" — unbekannt;
bis in die „Ulvena" — (s. oben), welche in den Neckar fliesst;
„ad Franconodal" — unbekannt;
„ad petram in Kasenowa" — wird in dem Weisthum von 1423
Kassenau genannt*); . n
„ad petram ad Ihrselandeii, Loubwisa, Marclacha, Musa, Agan-
rod", — alle unbekannt.
An diese beiden Gränzbeschreibungen schliessen sich noch einige
andere, durch welche die Bestimmung des Gränzzuges noch mebr
gesichert wird. Dahin gehört die Gränzbeschreibung der Mark Mi-
chelstadt vom Jahre 819, welche unten folgen wird; die Gränzbe-
schreibung des im Jahre 1012 der Abtei Lorsch ertheilten Wild-
banns'), und, endlich eine in demselben Jahre aufgenommene Be-
1) Archiv des histor. Vereins für das Grossherzogtli. Hessen VI. 556.
2) Dahl a. a. 0. Urkbch. S. 62.
3) S. deren Erlfiutening in Landau's Beitragen zur Geschichte der Jagd nnd
Falknerei in Deutschland S. 49.
1S&
Schreibung der Gränae zwischen dem Oberrheii\gaue und dem Lob-
dengaue *).
Diese letzte Beschreibung beginnt mit „Hegi^' — einem ausge*
gangenen Dorfe bei Weinheim, wo noch 1575*) der Hoger Gemarliung
gedacht wird;
„usqne in Fluchenbach" — das Dorf Unlerflockenbach ;
„usque in possessam Steinaham" — Unter -Abissteinbach.
„usque Enchelen Wisilsleih** — unbel^annt;
„ad Sidilinesbrunnon " — das Dorf Sledelsbnihn ;
„ad spumosum stagnum". — also der schäumende Teich, un-
bekannt.
„in ülmenam" — richtiger in Ulvenam, die Ulfe, welche unter
Langenthai den Namen Lachs- und Korbenbach erhält;
„usque in Tenuem Eggam" — wahrscheinlich der Bergrücken
Ostlich von Waldmichelbach ') ;
„axi Dih'ren Withendal" — - ohne Zweifel das von Durrenellen-
bach nach Oberschönmattenwag ziehende Thal^);
„in orientalem Ulmenam" (Ulvenam) — der vom Dorf Olfen her-
abkömmende Finkenbach ;
„usque Bicheresneidam " — der die Gränze zwischen Falkenge-
sass und Ofoerfinkenbach bildende Rickersgrund');
„ in Gamenesbach " — das Dorf Gamelsbach oder der gleichnamige
Bach ;
„in Moresberg" (795 Mauresberk genannt) — der Mauresberg west-
lich von dem Euterbach*);
„in mediam ludram" — die Euter, in der Mitte ihres Ursprungs
und ihrer Mundung in den Neckar, an dem Breitenbrunnen (Brei-
tensohlsbrunnen), wo die Feldmarken von Friedrichsdorf, Schöllenbach
und Ober- und Untersensbach zusammen^tossen ;
„inNeccarem'* — der Neckar und in diesem wieder abwärts bis
Neuenheim.
Ich fasse nun diese verschiedenen Gränzbeschreibungen von 773^«
795, 819, 1012, sowie die des lorscher Wildbannsprivilegs von 1012,
/
1) Acta Palatiaa VII. p. 6ß li. 67.
2) Nach Dahl a. a. 0. S. 37, Anmerkg. 5.
3) Archiv des histor. Vereins für das Grossherz. Hessen VI S. 556.
4) Das.
5) Das.
6) Das.
^ I
120
soweit dieselben die äusseren Markgränzen darstellen, zusammen,
und werde die darin vorkommenden Orte durch gesperrte Schrift her-
vorheben, die Zeit aber in Klammem anmerken, in welcher die Be-
schreibungen , welche die Orte nennen , aufgenommen worden sind *).
Am Rhein zwischen Gross- und Kleinrorheim beginnend, lief
die Gränze der Mark Heppenheim unter Langwaden (773.795)
und Hähnlein , (denn dieser Ort gehörte noch nach Zwingenberg),
zwischen Bickenbach und Aisbach (773, 795) durch, nach dem
Felsberg (773,795,1012), so dass Jugenheim, Balkhausen und
Beedenkichen (1012), als zur Cent Seeheim gehörig*) die Gränz-
-nachbarn waren. Von Felsberg zog die Gränze zwischen Lau-
tern (1012) und Brandau hin und durch die Dörfer Winter-
kasten (773, 795, 1012) und Laudenau (1012), welche nebst
Brandau in kirchlicher Beziehung nach Neunkirchen ') und in well-
licher zur Ceot Obecramstadt *) gehören , — dann, diese Richtung
* mit einer nördlichen wechselnd, in dem Bache hinab, welcher die
drei Gumpen trennt und zwar so, dass links Kleingumpen und ein
Theil des Dorfes Grossgumpen, rechts aber die andere Hälfte von
dem letzteren liegen blieb '). Von da zog die Gränze ganz nörd-
lich nach Eberbach (1012) und theilte dieses Dorf in zwei Hälf-
ten , wovon die eine zum Kirchensprengel von Reinheim und die an-
1) Ich mache hierbei darauf aufmerlisam , dass derartige ältere Gränzzüge
nicht etwa auf die "Weise erforscht werden dürfen, dass man die Linie von Ort
zu Ort zieht, sondern dass man vielmehr die Gemarkungen dieser Orte dabei
berücksichtigen muss. Da auch manche der heute vorhandenen Orte erst später
entstanden sind, so sind dabei noch weiter die Centen, weil diese stets und seit
den ältesten Zeiten ein Ganzes gebildet haben , und auch die kirchlichen Verliält-
nisse zu Rathe zu ziehen, die letzteren jedoch mehr in Hinsicht auf die einzelnen
Kirchensprengel als auf die grosseren Abtheilungen , die Archidiakonate und De-
kanate, welche sich nicht selten — ■ wie ich das weiter unten zeigen werde —
abweichend von der gewöhnliehen Regel gestaltet haben.
2) Die Kapelle zu Balkhausen gehörte zur Kirche nach Jugenheim. Luck,
Kirchengesch. d. Gfsch. Erbach u. s. w. S. 157.
3) Würdtwein, Dioec. Mog. I. 603. Retters hess^ Nachr. III. 225. Auch noch
jetzt besteht dieses Verband. Wagner, Beschr. des Grossherz. Hess. I. S. 66.
4) Noch im vorigen Jahrhundert werden . die Dörfer Neunkirchen , Steinau,
Kleingumpen , Winterkasten , Laudenau, fränkisch Krumbach , Güttersbach , Erlau,
Eberbach, Bierbach und Michclbach als Märker des zur Burg Rodenstein gehö-
rigen Markwaldes genannt. Archiv für hess. Gesch. u. Alterthumskunde II. 167.
5) Denn zum Kirchensprengel von Neunkirchen werden Gumpen superior
(Kleingv) und Gumpen inferior (Grossg.) (Wurdtw. 1. c. I. 603) und zu dem von
Reicheisheim Gumpen inferior Obid. 604. S. auch Luck S. 113) gezälilt.
r
\n
dere zu dem von Reichelsbeim g^eh6rte/). Michelbach links lassend^
führte die Gränze weiter linlts von Ober- und Unter- Gersprenz
(1012), und dicht an Nieder- und Ober-Keinsbach (1012)
hin ') , dann an dem rechten Ufer der Gersprenz hinab , zwischen
Brensbach und Höilerbach hindurch und so zu ihrem nördlichsten
Punkte. Von hier nahm sie den Zug wiederum südwärts zwischen
Gumpersberg* und Hummetroth hindurch und trat, nachdem sie An»
nelsbach und Forste] vonBirkert (773, 795 und 1012) und den drei
Dörfern Kinzig. geschieden, ins Thal der Mömling (1012)»). Hier
trennte sie Etzengesüss in zwei Hälften ^) und stieg dann zur Was-
serscheide auf. Fürstengrund und Kimbach, welche von jeher der
Pfarrei Konig einverleibt waren *) , blieben rechts , die schon zum
Maingaue gehörigen Dorfer Breitenbrunn und Haingrund links. Wei-
ter der mit Wehrgrüben und Kastellen befestigten Römerstrasse, wel-
che im Mittelalter der Buhl weg genannt wurde'), folgend, zog
sie über die afte, jetzt mit einem lagdhause bebauten Trümmer-
stalte des Hainbauses, zwischen Kimbach und Bremhof (773, 795,
819, 1012), und westlich an Vielbrunn (773, 795) vorbei nach Oh-
renbach (773 und 795), welches sie wieder theilte, indem nur dessen
kleinerer Theil zur Mark Heppenheim gehörte. Jn diesem noch jetzt zwi^-
sehen Hessen und Baiern getheilten Dorfe tritt die Gränze in die .heu-
tige Landesgränze und läuft mit dieser östlich an Eulbach (819 und
1012), und Würzburg vorbei zur Wulloneburg (819. 1012). Wäh-
rend diese Feste ehemals unmittelbar auf der Gränze lag, so dass
1) Würdtw. I. 604 u. Wagner a. a. 0. I. 66 u. 200.
2) Nach Retter a. a. 0. II. S. 200 gehörte von Niederkeinsbach nur ein
Hof nach Lichtenberg, so dass also beinahe das ganze Dorf noch iunerhalb der
Markgränze lag. S. auch Hallwachs, Commentat. de Gentcna p. 104 u. 106. Stei-
ner, Gesch. von Umstadt S. 9. 46 u. 7i. Würdtw. I. c. I. 615. Luck a. a. 0.
S. 140 u. Wagner 1. c.
3) Höilerbach, die drei Rin zig undBirkert gehorten schon vor der Reformation
nach Kirchbrombach (Würdtw. 1. c. 1.615), wahrend Kirch brombach, AffiiollerbacD,
Baisbach, Birkert, Böllstein, Gumpersberg, Hembach, Höilerbach, Kilsbach, Mittel-,
Nieder- und Ober-Kinzig, Stierbach und Wallbach, gleichwie eine Hälfte von
Langenbrombach noch jetzt einen Kirchensprengel bilden (Wagner I. c. S. 29.
Luck a. a. 0. S. 181 u. 268). Dagegen gehörfn Hummetroth, Aunelsbach, For^
stel und Mömling- Gnimbach nach Höchst .(Luck L c. S. 172).
4) Das Archidiakonatsregister bei Würdtw. 1. c. p. 616 zieht nur die Dorf-
mühle nach Brombach, wogegen die spätem Nachrichten das Dorf theils nach
Brombach, theils nach Höchst zählen. Luck 1. c. 172 u. 181.
5) Würdtw. 1. c. r. 616 und Wagner 1. c. S. 29.
6) Dahl, Gesch. der Herrschaft Klingenberg S. 34.
diese zu einem Thore hinein und 2uin andern wieder hinaos^og, hat
sieh dieselbe hier etwas gegen Osten ei-weitert, so dass sie östlich
neben der Trüinmerstätte vorbei fuhrt. Von da senkt si^h der Gränz-
zug nach dem Dorfe Eutergrund hinab und führt dicht an dessen
Häusern vorbei und nunmehr in dem Bette der £uter weiter gegen
Süden. Hier durchschneidet sie die Dörfer SchöUenbach und Kail«
hach, deren links des Wassers liegender Theil nach Mudau'), der
rechts hegende aber nach Beerfehlen gehört, und zieht weiter hinab
ins zum breiten Brunnen, dicht vor Friedrichsdorf.
Nun beginnen indessen die verschiedenen Gränzbeschreibungen
von einander abzuweichen.
Die Beschreibung von 773 führt die Gränze über den Mauers-
berg in die Euter , dann in dieser hinab bis in den Neckar (bei Eber-
bach) und in diesem abwärts bis zur Mündung der Ulfe bei Hirschhorn.
Die zweite von 795 lässt die , Gränze -von Vielbrunn westlich
von der Euter auf der Höhe hin nach dem Krähberg ziehen, führt
dieselbe daim nach dem Mauersberg, von da in den Gammels-
bach, aus diesem nach Igeisbach, nahe am Neckar, und dann
in die bei Hirschhorn mündende Ulfe. Da sie nur nebenbei bemerkt,
dass dieser Bach in den Neckar münde (quae infinit in Necchar) , so
muss man daraus schliessen, dass die Mündung noch ausserhalb
des Gränzzugs blieb.
Das 'Wildhanns -Privileg von 1012, das freilich in dieser Bezie-
hung nicht entscheidend ist, schlies^t sogar das ganze Neckarufer
von der Euter bis Neuenheim mit ein.
Sind nun auch jene Abweichungen in den Gränzzügen von
773 und 795 nicht sehr wesentlich, so werden doch die Ab-
weichungen, welche die Gränzfeststellung von 1012 zeigen, um so
gewichtiger. Damals (1012) wurde nämlich durch Beeidigle die
„marca Loboduburgenis — a' marca, quae respicit ad Ephenheim
dislinguerent^S festgestellt, und nach der dabei niedergeschiiebenen
Beschreibung berührt die Gränze den Neckar nicht , sondern hält sich
nordlich davon in den Bergen.
Schon in der Urkunde von 628, durch welche Dagobert I. dem
Stifte Worms Ladenburg mil^ dem südlichen Theiie des Odenwalds
gibt, heisst es wörtlich: „omnem silvaticum in silvis Otenwald —
in pago Lobodangowe et undique in Jutraha*'*). Dass die Euter hier
1) Gropp, Monaster. Amorbacli p, 144.
2) Acta Palaiina VII. 61.
besonders genannt wird, soll »Idi doch wohl nur darauf beaiehen^
dass deren Thalgebiet nicht mehr zum Lobdengaue gehörte. Dieses
war auch in der That der Fall. Im Jahre 831 erhielt das Kloster
Lorsch einen Bifang „in loco -^ Moresdal iuxta fluvinm Gutra" ').
Dass dieser Ort von dem über der Euter hegenden Mauresberge
(Moresberg) seinen Namen hatte und deshalb auch in dessen nüdv
sler Nähe gdegen haben muss, kann Iteinem Zweifel unteiiiegen.
Diese Scheniiung aber wird unter denen aufgeführt, welche dem
Kloster in der Win garte iba geworden waren , und da der Maures^
berg zugleich fiir die Mark Heppenheim als Griinzpunkt genannt
wird, so müssen wir denselben als Scheide zwischen jener und der
Wingarteiba betrachten. Dazu gesellt sieh noch eine Schenkung von
772, durch welche dasselbe Kloster „in pago Wingarlheiba super
fluuio Neckere inter Gaminesbach et ülvina silvam << erhielt *) , also
eben jenen Bezirk, welchen die Beschreibungen von 773 und 795
poch in die Mark Heppenheim mit einschliessen. Diese Zeugnisse
weisen uns auf die Grünzbeschi-eibung von 1012 als die richtigere
hin und die zuletzt angeführte Schenkung gibt zugleich auch den
Schlüssel zu der Erklärung, weshalb man das Gebiet z wische
der Euter und den Gammelsbache noch zur Mark Heppenheim zie-
hen liess, weil nämUch dasselbe ebenfalls der Abtei Lorsch ge-
horte.
Ich nehme nunmehr die Gränze wieder auf.
Vom breiten Brunnen wendete sich dieselbe gegen Nordwesten
und zog im Rindengrunde (wahrscheinlich Eichenthal) hinauf, über
den Mauresberg (773, 795, 819) in das Thal des Sensbachs
(wahrscheinlich ürtella), wo sie das Dorf „Sensbach ober der Linde"
von dem Dorfe „Sensbach unter der Linde" schied und zu dem
höchsten Punkte der Sensbacher Habe (Vinslerbuch) sieh erhob, in
deren Nähe „an der finstern Delle" die Markungen der ebenge-
nannten beiden Sensbachs un^ die des Dorfes Gammelsbach zu-
sammenstossen. An dem südlichsten Punkte der Gemarkung von
Gammelsbach erhebt sich der Pannen stein (819). Nachdem die
Gränze von da die Hirschhorner Hohe erreicht, senkt sie sich in's
Thal und scheidet die Feldmarken von Oberfinkenbach und Unter-
finkenbach '). Ebenso trennt die Gränze in ihrem weitem Zuge Ober*
1) Cod. Trad. Laiiresh. nr. 2835.
2) Ibid. Nr. 2893. ♦
3) Decker (Archiv de» bist. Verein» für das GrossliDre. Hessen VI. S. 562)
zifiiit die Gränze zWuscben Oberünkenbadi und Fatkengesäss liindurch, wa er
Land»v. Territorien. 9
130
und UuterschunmaUeawag, von denen das etsle mv Cent Waldmi-
chelbach ^) und das letztere nach Hirschhorn gehörte '). Hier trat
sie in die Ulfe und fällt, ^ sobald sie die südliche Gränze der Feld-
mark von Siedeisbrunn (1012) erreicht, wieder mit der heutigen
Landesgränze zusammen. Auch beginnen jetzt wieder die verschie-
denen Gränzbeschreibungen übereifizustimmen. Die Gränze läuft nun
anUnterabtssteinach (773), Trössel, Unterfockenbach , Unter-
kunzenbach (773) und Gorxheim hin bis zu dem zwischen
Weinheim') und Birkenau ausgegangenen Hegi^). Zwischen
Weinheim und Sulzbach') hindurch fahrend, trat sie in die
Weschnitz (773) und lief in dieser hinab bis gegen den Senhof,
wo sie sich wieder westlich wendete ^nd zwischen Bürstadt, das
noch zum Oberrheingaue gehörte^), und dem zum Lobdengaue gehö-
rigen Lampretheim durch nach dem Rheine zog, welchen sie in
der Worms gegenüber gelegenen Gegend erreichte. , \
Diese Gränze zeichnet uns also ein einheitliches Gebiet, die
Mark eines Dorfes, deren Ausdehnung •von Süden nach Norden 4,
und von Westen nach Osten 7% Meilen beträgt ^).
den R i c k e r 8 g r u n d als Scheide beider Dörfer bezeichnet ; aber Oberfinkenbach
gehört noch zur Cent Beerfelden (Grimm, Weisth. I. S. 450), Unterfinkenbach
hingegen nach Hirschhorn (Das. S. 444).
1) Widder, Beschreibg. der Pfalz I. 511.
2) Grimm a. a. 0. S. 444.
3) Weinheim lag im Lobdengau. Eine Urkunde von 861 sagt: „Item in
Francia, in pago, qui nominatur Lobetengauue ^ in ioco qui dicitur Uindeoheim.'*
Wirtenbg. Urkbch. S. 160.
4) Nach Widder a. a. 0. I. 298 lag dasselbe nördlich von Weinheim.
5) Sulzbach bildet mit Hemsbach eine Gemeinde (Widder a. a. 0. I. S. 473)
und letzteres wird in einer Urkunde von 948 ausdrücklich in den Oberrheingau ge-
setzt (Trad. Lauresh. nr. 67).
6) S. Lamey in Actis Palat. II. 155 u. 156.
7) Es ist beinahe unbegreiflich, wie Alle, welche sich mit den Gauverhält-
nissen der dortigen Gegend beschäftigt, diesen einheitlichen Charakter der Mark
Heppenheim und zwar trotz der doch so bestimmt redenden urkundlichen Zeug-
ntsse übersehen, und diese Mark nach den kirchlichen Abtheilnugen unter drei
verschiedene Gaue vertheileu konnten. So reissen Lamey (Beschr. des Ober-
rbelng. in Actis Palat. II. 153), Dahl (sowohl in s. Beßcbr. v. Lorsch a. a. 0«,
als in s. Beschr. des Maingaues im Arch. d. Gesellsch. für deutsche Gesch. VI.
504 f.), Steiner (in s. Schriften über den Maingau) u. a. die ganze östliche
Hälfte ab und schlagen diese zum Maingaue , unfl auch Lamey hat weder die Gi'än-
^en gegen den Lobdengaa noch die gegen die Wingarteiba mit einiger Sicherheit
zu xeichnen vermocht (Acta Palatina I. 215/. II. 153 f. u. VIL 41). Alle spätem
131
Obgleich man nicht nur im achten Jahrhundert, jsondern auch
noch später, wie dieses die angeführten Urkunden bezeugen, das
Gebiet immer noch als ein zusammengehöriges, kurz als die Mark
eines Dorfes betrachtete , denn der Name der Mark Heppenheim dauert
fort, so war dasselbe doch schon damals in drei Theiie zerlegt.
Es lässt sich hierfiir zwar kein anderer Beleg beibringen als
die Thatsache , dass drei. verschiedene kirchliche Archidiakonate 5ich
in die Mark Heppenheim theilten und dass diese Theilung notbwen^
dig auch eine dem entsprechende Theilung des Grund und Bodens
voraussetzt, aber diese Thaisache ist vollkommen genügend, um sie
für die weitere Untersuchung als Grundlage benutzen zu können.
Die Mark Heppenheim hatte^ sich demnach in drei Marken ge-
schieden :
1) die Mark Heppenheim in speoielierer Bedeutung, welche
den nordwestlichen Theil der alten Mark umfasste;
2) die Mark Michelstadt ^), welche aus dem ganzen östlichen
Theiie der grossen Mark bestand, und
3) die Mark Waldmichelbach'), welche aus dem südwest-
lichen Theiie der Urmark gebildet war und , gegen Norden köilförmig
sich zuspitzend, die beiden andern Marken trennte.
Doch auch diese drei Marken waren bereits weiter getheilt.
1) Die Mark Heppenheim war in drei Untermarken getrennt:
a) die Mark Heppenheim, deren Umfang wir aus jener Gränz-
beschrei|)ung des Heppenheimer Kirchengebiets kennen lernen , welche
in einer in der Kirche zu Heppenheim aufbewahrten Steininschrifl vom
J. 805 aufbewahrt worden ist'). Lassen sich auch nur die wenigsten
Namen ohne sehr genaue Lokalforschungen feststellen , so zeigen doch
die bekannten : der E m s b e r g (Emminesberc) zwischen Heppenheim und
Bensheim, der Kesselberg (Kecelberc), östlich davon, die Dörfer
aber sind ihm gefolgt , s. z. B. B a d e r in der badischen Landesgesch. I. 85 f.
und die derselben beigefugten Karten; Haeuser in s. Gesch. der rbein. Pfalz L
S. 16; D um b eck in Geographia Pagorum p. 149 f.; Lang in Baierus Gaue
S. 129; Rudhart in s. ältesten Geschichte Baierns S. 572. Kremer in s.
Gesch. des rheinischen Franziens S. 47 u. 105 dehnt , sich auf die wormser Dioe-
zes stützend, ^deir Lobdengau sogar bis nördlich von Lindenfels- aus.
1) Dass Michelstadt der Hanptort dieser Untermark gewesen, stelle ich je-
doch nur als Vermuthung hin.
2) Auch in Bezug auf diese Mark muss ich die vorhergehende Bemerkung
wiederholen.
3) S. Dahl, Beschreibung des Fürstenth. Lorsch S. 189.
9 *
13(t .
$eid«iib«eh (Sthefnbadi) , Laalenw«schnUz (Utdenwi6coz%
Mittellechtern ^MHdelecdmn), Aib^rsbach (Albenesbadi) und
Sulzbach (Sulzbach), dann der folgende Wagenber^ (ad medium
Freivm Wagendcnror) , sowie endlich das Fiüsschea Wesehnitz
( Wiscoz) ') ans das Gebiet ziemlich g^nau. Es reichte dasselbe südlich
von Salzbftch {welches bereits ausserhalb lag) bis nördlich zum Ems*
berge, und westiich v&n der Wesehnitz bis östlich nach Seldenbac^
und Lauten wesehnitz , und es findet sich vne das Kirchengebiet, so
«udh das alte (jeatgebiet von Hepf)enhpim darin ^).
b) Die Mark B^nsheim. Dieselbe wird schon 767 genannt:
BasinsTieimer «larcha •). Zu derselben Zdt erhielt das Kloster
Lorsch Güter: „inBasinshelmer marcha in villaHusun (Grosshausen),
qaae sita est super flavium Wisscoz"*), später <„lllam quartam par-
tem §e insifta^ ^uae ia^jet Inter fluvios Wlsscoz et Suarzaha (der
Meerhach)**'); ,>,1n Basinsheimer marcha iltum bifangum luxta Suar-
zaha, In loco qui vocatur Foroenbibiloz " (ausgegangen)*); ferner,, in
Basinsheimer marcha unum Wvangum vel mastun^a — qui circuin-
cingitur ab Oriente fluvio 8uarzaha , a meridie Heppenheimmöre ler-
mino — ab occasu illo lacii (der Lorscher See) — usque in Wlss-
coz etc."^). Diese Mßrk stellt sich hiernach uns in der alten Pfarrei
und Cent Bisn^cäm dar *).
c) Die Mark von Bürstadt umfasste den Raum zwischen
den Marken von Heppenheim und Bensheim und dem Rheine. Graf
Kankar übergab 770 dem Kloster Lorjsch „terram et silvam,*quae est
in illa marcha de Birstat** u?id bezeidmet dabei deren Ausdehnung
,, usque in fluvium cerlu^n Wisgpz, ubi marcha de Basinshehn con-
jungit***). Die Wesehnitz schied also die Marken von Bensheim und
Bürstadt, und \n der leU^tei'en lag namentlich auch das Kloster
1) Bin Tiieil ^er t)ertlrohlpeilen liegt ausser 4er Glänze.
^) Dahl a. a. O: S. 196 f.
3) Ttad. LauresK nr. 231.
4) Ibid. IM-, 238.
-5) Ibid. nr. 242, 8. airoh nr. 252.
6) Ibid., nr. 244.
7) Ibid. nr. 245.
8) p^\\\ ^. f. 0. S. 208 f. N
9) Freher, Gena. Rer. Script. I. p. 57. Öte Trad, Lauresli. nr^ 10 teaen
Bisistat.
U3
Lorsch. Auch hier ist (Ke Mark weder mii der Ceot und Pfürret
Bürstadt fibereinsUmmend ^).
2) Die Mark Michels ladt theilte sich gleichwohl in drei Mar*
ken, in
a) Die Mark Micbelstadt. Von dles^ besitzen wir eine
Gränzbeschreibung^, welche bei der Uebergabe an das Kloster Lorsch
819 von Einhard, dem Besitzer der Mark^ aufgestellt wurde').
Der Gränzziig beginnt ,,a monte Mamenhart^' •- östlich über
dein Dorfe Momart;
„et tolum eundem montem usque ad plateam couiprehendunt^^ —
die Gränze zieht über den ganzen Bergrücken hin, also gegen Süd-
osten, zwischen Kimbach und Weitengesäss hindurch bis zur Romer-
strasse, welche von Obernbui^g auf der Höhe fort nach Eulbdch,
Würzberg u. s. w. führet;
„a piatea usque ad duplFcem quercum^' — unbekannt;
„ iude inter üienbuch " — der Weiler Eulbach ;
„et Rumpheshusen ad quercum^' -^ unbekannt;
„de quercu in fluvium Bramaha" — dem Anschein iiaeh einer
der an der Höhe von Wür^berg entstehenden Bäche;
„per huius descensum in Wllinbach" — nicht der Weilbach, wie
Dahl meint, sondern einer der kleinen bei Würzberg entquellenden
Bäche, dessen Name mit der jetzt gleich genannt werdenden Burg
in Beziehung steht > wahrscheinlich derselbe, weicher die Heinster'«
mühle treibt;
„per huius ascen^um usque ad lapideum rivulum" — der Slein-
bach, einer der drei am Würzberg entstehenden Bäche; «
„ inde ad WUineburch per unam portam intro, per alteram foras *' —
dJe Burg lag also scharf auf der Orange und kann deshalb nicht das
an der Mudau , also viel zu weit ostlich , liegende Schloss Wildenberg
sein, wie Retter^) und Dahl^),^und nach ihnen auch Jäger ^) und Knappt)
annehmen , sondern es ist unzweifelhaft jene Unter dem «Namen des
Hainhauses bekannte frümmerstätte, % ^« südlich unter dem
1) Dahl , a. a. 0. S. 238 f.
3) Trad. Lauresh. nr. 21.
3) Hess. Naekr. lU. 180«
4) S. dessen Bescbrbg« v. Lotsch. Urkdbeli. 8« 3&< AJimkg^ g) und dessen
Gesch. d. Borg Wildenberg im Archiv fiir den bist. Vor. des UntermainkreiSes J.
H. 3. S. 00 f.
5) S. dess. Land- u. Forstwirthschaft des Odenwaldes S. 14.
6) Archiv für Hess. Gesch. u. Alterihumskde. Bd. V. H. 3. S. 9.
/ /
134
Dorfe Würzbergf, welche Knappt) als ein römisches Kastell nach*
gewiesen hat, ohne jedoch den spätem Wiederaufbau zu kennen;
dass die Burg zu Eginhards Zeit wirklich noch erhalten war, ist
wohl aus der Art, wie von ihr gesprochen wird., kaum zu bezweif-
len; dagegen wird sie 1012 ausdrucklich als wüst genannt: per de-*
siructam VoUonoburg *).
„Inde in ripam Euterun'^ — der Euterbach;
„per huius descensum ad Langenvirst, ubl Langenvirst scindi-
tur^' — der Langeforst im Forste Bullau, ein bewaldeter Bergrücken
zwischen Bulau und Schöilenbach ;
«super Langenvirst ad Breittensol <' — das badiscfae Dorf Friedrichs-
dort liegt zwischen zwei Bergrücken, dem rothen und dem weissen
Sohl, von denen der erstere badisch, der andere hessisch ist, zwi-
'sehen beiden aber findet sich am Euterbach der „breite Brunnen <S
Wo vier Gemarkungen zusammenstossen ');
„inde per Eichental" — wahrscheinlich der jetzige Rindengrund ^);
„in flumen ürtellia" — sicher der heutige Sensbach');
„per huius ascensum in Vinsterbuch" — die „finstere Delle" an
dem höchsten Punkte der Höhe von Sensbach, wo sich die Gemar-
kungen von Untersensbach ober und unter deJr Linde und Gammels-
bach scheiden •) ;
„inde ad Phaphenstein Einhard\" -— jetzt der Pfannenstein, ein
grosser am Gammdsbach , auf der Gränze zwischen Hessen und Ba-
1) S. dess. Rom. Denkm. des Odenwaldes S. 45 f;, .auch Schneider's £rba-
^hische Historie I. 258 u. 259.
2) Tr. Lauresh. nr. 93. Um sich davon zu überzeugen, dass d'iese Burg
wirklich nur auf der bezeichneten Stätte -gestanden haben kann» nehme man
die neue vom Grossherzogl. Hess. General -Quartiermeisterstabe herausgegebene
Karte des Grossherzogthums , und die von Knapp in seinem genannten Werke
mitgetheihe Karte über die römischen Alterthümer des Odenwaldes zur Hand und
vergleiche damit diese und die Granzbeschreibung vom J* 1012 und man wird in
dem kleinen Räume zwischeij Eulbach und dem Beginn des Eutergrundes keinen
andern Ort finden , wo man die Burg suchen könnte , denn wie schon vor mehr
als einem Jahrtausend, so st^ht auch noch heute* dieses s. g. Hainhaus auf
der Gränze und die alte, die Gränze begleitende Römerstrasse fuhrt, wenn
auch nicht mehr mitten durch, doch nahe daran vorbei. Dass die Wulloneburg
wirklich auf einem römischen Baue errichtet worden, scheint übrigens nach
dem , was Knapp darüber mittheilt , keinem Zweifel zo^ unterliegen.
3) Arclüv des hist. Vereins für das Grossherzogth. Hessen VI. 559.
4) Das.
5) Das. S. 560.
6) Das. S. 561.
135
den, sich erhebender Markstein, der wahrscheinlich vonEinhard ge-
setzt worden ist^);
„sapra Richgeressneitten <^ — sicher der Rickersgrund , wo sich
die Gemarkungen von Oberfinkenbach und Falkengesäss scheiden');
„ad verticem Clophendales , ad Ciophenberk^' — der Klafterberg,
An der Nähe der Vereinigung der beiden von Olfen'und Finkenbach
herabkommenden Bäche'); '
„in Cuningesbrunnen '< — wahrscheinlich jene starke Quelle im
Maisengrunde 9 deren Wasser bis ^ur Mündung in die Mömling die
Gränze bildet*);
„in Mimelingen*' -— ,die Mömling;
„ per huius ascensum ad Manegoldescellam '* — wahrscheinlich am
Klosterbrunnen südöstlich von Hüttenthal;
„ad hac in fluviiun Mosaha** — der durch Ober- und Untermosau
fliessende Bach, welcher jetzt Marbach genannt wird;
„per huius ascensum in Geroidesbrunnen *' — unbekannt;
„inde ad Ellenbogen" r- unbekannt;
„in fluvlum Branbach" — der nördlich von Obermosau entste-
hende Brombach, welcher Langenbrombach durcbfliesst und bei Zell
in die Mömling mündet ;
„per huius descensum in Mimelingen-" die Mömling;
„ex qua ad quercum inter Grascapht et Munitat" — also zu einer
Eiche, welche einen von der Grafengewalt exlmirten Bezirk (Immu-
nität), das fuldische Gebiet von Umstadt, von demjenigen Theile des
Gaues schied, welcher noch unter der ordentlichen gräflichen Gerichts-
barkeit stand;
endlich wieder „ad montem Mamenhart".
Betrachten wir diese Beschreibung ')> so finden wir die östliche
Gränze ganz mit der der grossen Mark Heppenheim übereinstimmend,
welche bereits oben gezeichnet worden ist. Von Momart , ihrem nörd-
lichsten Punkte, reicht dieselbe bis Gammelsbach, ihrem südlichsten Funkte,
welchen der Ffannenstein bezeichnet, und läuft auf der Gränze
1) Das. S. 562.
2) Das. S. 562.
3) Das. S. 562.
4) Das. S. 562.
5) Eine wesentliche Hülfe gewährten mir auch hier wieder die Erläuterungen,
welche Herr Decker in dem Archiv des hist. Vereins* für das Grossh. Hessen
a. a. 0. gegeben hat.
196
der Hauptmaiic bis zum Klafterberge in der Nfihe der Vereinigung
des Finkenbachs mit dem von Olfen kommenden Bache. Von da wen-
det sich die Gränze gegen Norden und läuft auf dem Bergrücken wei-
ter, westlich von Falkengesttss und Aidenbach hin, nimmt an dem
Dreimörker zwischen Olfen, Aidenbach und Gütlersbach eine östliche
Richtung und zieht sich an Etzean und Hüttenthal hin bis zu der starken
Quelle im Maisengrunde, dem Königsbrunneji, Da, wo diese
Quelle in die Mömling Qillt, slossen die Kirchspiele von Beerfelden,
Güttersbach und Erbach zusammen. Die die beiden letztem Kirehspiele
scheidende Grunze fübi-t dann, den Klosterbrunnen« wo die Mangolds-
celle stand, links lassend, zwischen HüttenthaJ und Haisterbach, in der
Möml in g hinauf, doch nicht mehr wie 819 bis zur Mosau , .sondern
sie wendet sich schon früher nach dem Geisberge l)in zu deiiv Dreimür-
ker , wo sich die Dörfer Hüttenthal , Gunlersfürst und Untermosau be-
rühren. Von da läuft sie auf der Höhe zwischen der Mömüing und der
Mosau fort, bis sie, bei Oberkeinsbach einen Bogen bildend, in. den
Brombach tritt-, und indem sie diesem Bache bis in die Mömling folgt,
theilt sie zugleich Langenbrombach in zwei Hälften. Der nächste Oit
ist .dann wieder Momart.
Später finden wir diese Mark noch weiter getheilt mid zwar in
die Genien
^a a. Beerfelden *).
b b. Erbach und
c c. Michelsl adt.
Nördlich an die Mark Michelstadt sehliesst sich
b) die Mark von König. Der geringe Umfang derselben lässt
jedoch schliessen , dass auch sie erst aus einer spätem Theilung hervor-
gegangen ist. Möglich , dass noch einige von den westlich angrän-
7/enden Kirchspielen dazu gehörten. In wie weit dieses zu ermitteln
ist , mW ich jedoch hiei* nicht näher untersuchen , sondern
c) als dritte Mark nur im Allgemeinen die Kirchspiele und
Centen von Reicheisheim , Mosau , Güttecsbach und Brombacb bezeich-
nen , welche übrigens eben wohl noch eine weitere Theilung erfuhren.
3) Die Mark Waldmichelbach. Auch für diese vermag
ich ohne tiefer eingehende Untereudiung den Gang der Theilungen nicht
vollständig nachzuweisen und begnüge jiiich deshalb mit der einfachen
Aufzähluilg der dazu gehörigen Genien. Diese sind
1) Grimm, Weistli. I, S. 44Cff.
137
a. die Oenl Lindenfels^)^
b. die Cent Fürth,
c. die Cent Mörlenbacb,
d. die Cent Abtsteinach , und
e. die Cent Waldmicbelbach *).
DieNanoien, welche alle jene Marken als Gaube^rke hatten, sind
bis auf einen uns nicht aufbewahrt worden. Die$er eine Name ist der
der Mark Michelstadt und zwar im wertem Sinne. IMeser Bezii*k wurde
nämlich der JPlumgau genannt Dieser Name kommt insbesondere
819 vor: Michlingotat situm in pago Plumgowe in »Iva «-^ Odeuewalt
super fluvium Mimilingum'). Dass aber nicht blos die Mark von Mi-
ehelstadl dai-unler begriffen wurde, zeigt sich daraus , dass auch König
in diesen Gau gesetzt wird: ,4« pago Phlumgowe in^41laQuinticha***) und
wir dürfen deshalb mit vollster Sicherheit jenes gesammte zur Mark
Michelstadt gehörige Gebiet als das des Plumgaues betrachten.
I?ie Mark von^ Fulda.
Der Gau Grabfeld-, welcher luigeachtet seiner grossen Ausdeh-
nung bis in späte Zeit immer ungetbeilt unter ehiem Grafen stand, war
in drei grosse Centen gegliedert, welche mit den drei geistlichen. Deka^
naien von Geisa, Meirichstadt undKoburg im Allgemeinen übereinstimm-
ten , nämlich westlich den Gau Grabfeld in spezietter Beziehung , nord-
östlich den Gau Tullifeld und eine den südlichen Tbeil umschliessende
Cent, über deren Gesammtnamen ich zweifelhaft bin. Ich werde hier
jedoch nicht auf eine Darstellung des Ganzen eingehen '*), sondern nur
einige Punkte hervorheben ,. welche für die Mark Verhältnisse besonders
belehrend sind. .
. 1) Widder a. a. 0. I. S. 405 u. 405.
2) Das. I. S. 511.
3) Trad. Lauresh. Nr. 20.
4) Ibid. nr. 3592 u. 3593. Ausserdem setzen die Urkunden in diesen Plum-
gau noch eine villa Bibincheim und eine villa Roden, (ibid. 3594 u. Dronke Tr. et
Antiq. Fuld p. 112), aber beide Orte sind nicht mehr vorhanden und Uire La-
ge ist. unbekannt, denn das erstere kann natürlich das im Maingaue liegende
gleichnamige Dorf nicht sein.
5) Ich hatte bereits eine derartige Arbeit, in welcher ich die saramtlichen
in den Urkunden vorkommenden Marken festgelegt hatte, vollandet, habe die-
selbe aber wieder bei Seite gelegt, weil sie mir in Rücksicht auf das, was icb
bereits gegeben, als überflüssig erschien. Nur das will icb liier noch bemerken,
138
Die westliche Gränze des Grabfeldes wird durch die Fulda gebil-
det und zwar "von der Einmündung der Lüder bis hinauf zu der Einmün-
dung der Flieden , wogegen das linke Ufer der Wetereiba" gehörte *).
Es ergiebt sich dieses nicht nur aus der Thatsache , dass dieser Fluss
die Dioezesen von Würzburg und Mainz schied, so dass während z. B.
die Stadt Fulda in der würzburgischen Üiözese lag , derselben gegen-
über das Hospital an der langen Brücke , sowie das Kloster Neuenberg
schon auf mainzischem Boden standen *), sondern auch Urkunden setzen
Orte des linken Ufers ausdrücklich in den Gau Wetereiba. Die-
ses ist namentlich mit Schlirf *) und mit den Salzquellen bei Lüder und
Bimbach*) der Fall.
Nun nehme man jene Urkunde von 747 zur Hand, durch welche
der h. Bonifaz das Gebiet des jungen Stiftes Fulda feststellte *). Die
dass es darchweg angerechtfertigt ist, von einem westlichen und einem ostl i-
chen Grabfelde za peden. Diese erst seitdem vorigen Jahrhundert in Gebranch
gekommene Unterscheidung stützt sich lediglich auf die uacUstehende Urkunden-
stelle : in pago Grapfelde , in loco qui dicitur Munirichesstat in orientali parte
Grapfeldono burgi (Dronke Cod. dipU Fuld, nr. 275). Was kann dieses nun aber
heissen als: im ostlichen Theile des^ Grabfeldes? Ebenso irrthümlich ist es
aber auch von einem pagus Bachonia zu reden. Buchonia ist lediglich ein all-
gemeiner Waldname, der sich auch nicht einmal auf das Grabfeld beschrankte,
sondern auch über Theile des fränkischen Hessengaus, des Oberlahngaus, des
Salgaus und der Wetereiba erstreckte.
1) Nach dem Vorgange Wenck's dehnen alle neueren Forscher das Grab-
feld über den Vogelsberg aus, dass dieses aber ein Irrthum ist, wird sich so-
gleich zeigen.
2) Es mag zum Beweise dieser Thatsache hier eine Urkunde von 1384 ge-
nügen. Darin heisst es: „Wir Friederich von G. G. Apt zu Fulda bekenne —
— daz mit vnserm Vorhengniz vnde gutem Willin mit Wissen ouch vnde Rate
der erbern vnde andechtigen Mertin Dechantes vnde Convents gemeynlich vnsers
obgenanten Stiftis , wirczburgischen Bischtums, unde Volprechtis Pro-
bistis dez Stiftis vf dem Nuwenberge bye Fulde, menczir Bischtums,
— gesehen ist, daz der erbir er Johans Cappelan der Capelle zu sent Ca-
theriu des Huses der guten Luite an der langin Brugkin gele-
gen, vorgenantes menczer Bischtums'^u. s. w. Deshalb nennt auch das
V Verzeichniss der zum Dekanate Geismar gehörigen Kirchen nicht eine einzige von
denen des linken Ufers.
3) In pago Uuetarebensae de illo bifingo in Slierofero marcu. Dronke, Codex
dipl. Fuld. nr. 270.
4) In pago Wetereiba biuanc et in silua Boconie in Bienbach et Lutere ip-
Bum fontem saline. Dronke, Tr. et Antiq. Fuld. p. 102. Ich gebe zu, dass diese
Stelle einen Zweifel zulasst.
5) Dronke ibid. p. 3.
13d
darin enthaltene Gränzbeschreibung mag mit den erforderlichen Erläu-
terungen*) hier folgen.
„Est ergo terminu$ ecclesie et monasterii sei saluatoris, qüod
est in littore flumlnis Fulde«.
,,Primum in orientali plaga fons riul, qui uocatur Crumbenbach
et sie uadit per illum riuum usque quo intrat in australem Hunam". —
Dieser noch jetzt der Krumbach, vom Volke „die Kromich",
genannte Bach, quillt nördlich vom Höfchen Steinhauck in der Ape-
winge , zwischen dem Herzberge und dem Gilsrain , fliesst anfanglich
nordwestlich gegen Pilgerzell, wendet sich aber, so bald er aus dem
Walde tritt gegen Nordosten, und fallt bei Oberdirlos in die untere
(südliche) Haune, welche östlich an Unterdirlos, Wisseis, Bökels
und Rex vorüberfliesst.
„Inde transit in collem Leohunhovg, qui*a quibusdam (d.h. den
slavischen Anwohnern) dicitur Cuffiso". —
Die Beschreibung der Kirchgränze von Margrethenhaun nennt
diesen Berg Kufßhog. Es ist der jetzige Margrethenbei^g oder
Hunküppel, nordöstlich überMargareihenhaun, 136' über der Haune.
„et sie uadit usque ad introitum Uhtinabacches '< —
Der Unzbach, vulgär ,/Unzbich", ist ein Wiesengrund mit
einer Quelle, welche zwischen Niederbieber und Allmus entsteht und
in südwestlicher Richl,ung zwischen Niederbieber und Wiesen in die
Bieber fällt. * '
„in alteram Hunam". —
Die andere, d. h. die durch den Zusammenfluss der obern
(südlichen) und untern Haune gebildete eigentliche Haune. Es ist
dieses die über Friesenhausen kommende Friese, welche unterhalb
dieses Dorfes jetzt die Wanne genannt wird und bei Margrethen-
haun sich mit der Haune vereinigt. Indessen ist die Gränzbeschrei-
bung schon weit über diesen Bach hinaus und es scheint, als ob
diese Stelle zwischen den ersten und zweite'n Satz gehöre.
„Inde transit in caput riui, qui uocatur Rodenbach". —
Zwischen der Griesmühle und dem Dorfe Wiesen liegt' östlich
der Haune der Röthbrunnen.
,,Inde in caput Wolfesbacches '*. —
Zwischen Allmus und Niederbieber entsteht nahe der Quelle der
Unzbach, der Wolfsbach, vom Volk „Wolmich" genannt.
1) Diese verdanke ich grössientheils meinem Freunde, dem früher in Fulda,
jetzt zu Marburg stehenden Professor Dr. Lange.
» «
140
,j Et SIC in riuttm eius usque quo inlrat in Bib^aha ". —
Dieser Wolfsbach mündet aber nicht in dieBieber, sondern zwt-
sehen Wiesen und Treisbach in den Treisbach.
„et per liltus illius deorsum usque in ostia Larbrunnen^'. - —
Der Treisbach mündet westlich von Wiesen in die Bleber und
' nahe dieser Mündung befindet sich bei den Höfen Mittelberg eine
Quelle; der Lotzbrunnen genannt
„Inde uadil ad locum^ ubl alter Cramhenbach intrat in Treisbach.
Et sie sursum per riuum Crumbenbaches usque in caputvCius". —
Der Krumbach entspringt in dem Walddistrikte Scbönslädt,
nordwestlich von Treisbach und fallt zwischen Wiesen und Treisbach
in den Treisbach.
„Inde Iransit in summilatem Rosberges". —
Die zwischen Dammersbach und Marbach 657' über die Haune
sich erhebende Rosskuppe. Auch in der Beschreibung der Gränze-
des Kirchensprengels von Märgrelhenhoun wird der „R©sseberg>."
als Gränzpunkt genannt-
„et sie per siccum torrentem iterum uadit in Hunam*^ —
Der Dörrebach entsteht am südwes,llichen Fusse der Ross-
kuppe und fällt bei der Teufelsmuhle in die Haune.
y.y¥X deorsum per litus eius usque in ostia Martbaches"* —
Der Marbach, welcher das gleichnamige Dorf durckfliesst und
östlich desselben, etwa 300 Schritte unter der Zellmühle, ia die Haune
mündet.
„Inde sursum per riuum illum usque in caput eius". —
Der Marbach fliesst von Westen gegen Osten und seine Quellen
liegen .bei den drei Brunnen am Steinspringer liinter dem Häaschen
im Baumgärtchen.
„Inde in caput Berolfesbaches ". —
Die Quelle dieses sonst nicht aufzufindenden Baches ist sicher
in den jenseits der Wasserscheide zwischen der Fulda und Haune
liegenden Quellen zu suchen, durch welche der Glasebach entsteht.
„Inde uadit ad locum ubi flumen Lutire intrat Fuldam". —
' Die Mündung der Lud er bei Lüdermünd.
„ Et sie sursum per litus Lutire usque in ostia Blunbaches. El
per riuum eius sursum usque in caput eius ". —
In der Lüder hinauf bis zur Mündung des Bim b ach s, und
dann in diesem Bach aufwärts bis zu seiner Quelle.
„Inde trans uiam que dicitur Antsanuia". —
Es ist dieses die alte Strasse » welche sich am Himmelsberge
141
vom allen Orlswegc trennte und die Sturm bd seiner drillen Reise
in den Buchenwald als die zwischen Mainz und Thüringen gebrauch-
tiche -Handeisslrasse bezeichnet Sie ging bei Hemmen über die
Fulda und auf dem Bergrücken zwischen dieser und der Haune nach
HersfeJd,
„üsque In uiam, que uocalur Orleswehc", -- ^ '
Die alte aus der Welterau i^ommende Bergslrasse, welche auch
Sturm nennt und die oberhalb der Mündung der Giesel über die
Fulda führte.
„Inde uadlt In uolutabrum, quod est in monle, qul dicitur Hi-
melesberch ^^ —
Uebcr den Himmelsberg bei Giesel," auf welchem sich noch
jetzt ein Sumpf befindet.
„Inde translt in caput riui, qui uocalur Schalkesbach". ~
Es kann dieses kein anderer Bach sein, als der vom Sulzbof
herabkommende und zwischen Kerzell und Loschenrod in die Flieden
mündende Bach, denn Kerzell gehörte schon zur Mark von Flieden
und ein anderer Bach ist hier niclit vorhanden.
„Et Sic per lltus eius usqüe quo intrat in Fliedena". —
Also bis Jener Bach in die Flieden föilt,
„Inde deorsum usque ad oslia Scamunfulde. Et ab oslio eius
sursum usque quo ipsum flumen diulditür in freta. Inde Iransit inter
media freta, que nascantur de flumine Fulda". —
Scamunfulda ist der von Heubach über üttrichshausen , D811-
bach und Rolhemann herabkommende und bei Kerzell in die Flie-
den mündende Bach. Obwohl der Name verschollen, so wird doch
jeder Zweifel dadurch beseitigt, dass es auch in der Gränzbeschrei-
bung der Cent Fulda heisst: „perTugilum (die llialau) descendendo
usque in Scanfuldam , inde per Scanfuldam deorsum in Hegibach" — ,
wonach 'sie also durch Heubach läuft, was nur mit diesem Wasser
der Fall ist.
„Et sie uadit in caput riui, qui dicitur Sudromilbach ".
Diesen Bach vermag ich nicht festzustellen.
„Inde pergit ad caput supradicti fonlis Crumenbaches ". — -
S. oben Seile 139.
Mag dieser Gränzzug auch auf seiner Ostseite in einzelnen Punk-
ten einige Zweifel lassen , so stimmt derselbe doch in mehreren an-
dern und zwar besonders hervorragenden Punkten , wie in dem Hun-
küppel und der Rosskuppe , so wie in der Haune und d«n Marbach
mit der Gränzbeschreibung des Kirchengebiets von Margrethenhaun
überein*), und schon daraus wird sich ergeben, dass er keineswegs
ein willkürlicher ist. Dieses tritt noch überzeugender vor die Augen,
wenn man dem Zuge im Allgemeinen folgt. Derselbe beginnt öst-
lich vom Schlosse Fasanerie und südöstlich von Pilgerzeil und führt
uns an der Haune östlich von Ober- und Unterdirlos, westlich von
Wisseis, Böckeis, Horwieden, Rex u. s. w. hin, dann um Steinhaus
herum, und weiter in ganz westlicher Richtung bis zur Mündung
der Lüderund, indem er von der Mündung desBimbachs sich südlich
wendet, über den Rücken der Zunderhard, bis er die Gemarkung
von Giesel erreicht, welche er südlich umschlingt; dann zieht er
weiter gegen Osten ins Thal der Flieden, überschreitet diese zwi-
schen Kerzell und Loschenrod , und langt so wieder im Krumbach an.
Das Gebiet, welches diese Gränze umschliesst, tritt uns in den
alten Pfarreien Fulda", Eichenzell, St. Florenberg, St. Petersberg,
Kämmerzeil, Heimbach, SU Johannesberg und Giesel entgegen.
Die Gränze umfasst also — und dieses ist gerade das, was
ich hier hervorheben will — auch ein geräumiges Gebiet des linken
Fuldaufers (die Pfarreien Kämmerzeil, Heimbach, Giesel und Johan-
nesberg) und vereinigt demnach Theile von zwei verschiedenen Gauen
zu einem Gfiyfizen , mit andern Worten: wir finden hier eine jener zu-
sammengesetzten Marken, deren ich schon oben S. 120 gedacht habe.
Aber auch der Name dieser Mark ist bekannt und gerade des-
sen abnorme "Bildung ist charakteristisch für das Verhältniss. Eine
Urkunde von 895 sagt: „ monasterium sancti saluatoris, quod situm
est in pago Grapfeld in Uue|ereibono marcu. super ripam üumi-
nis Fuldae, iibi sanctus Martyr Bonifacius sacro quiescit corpore''*).
Man nannte also die Mark von Fulda in Rücksicht auf ihren links
der Fulda liegenden Theil die wetereibische Mark').
Das Verhältniss , was durch diese Verbindung geschaffen wurde,
brachte an und für sich weder in der Gau- noch in der Diözesan-
Abtheilung eine Aenderung hervor, und hatte blos die Folge,- dass
die Bewohner von Fulda beide Marktteile in gleicher Weise nutzten.
Um den im Vorhergehenden dargestellten Gang der Marken-Bil-
" 1) Dronke, Tr. et Ant. Fuld. p.,62.
2) Dronke, Cod." dipl. Fald. nr. 644.
3) So erklärt sich auch die Aeusseruug jenes Mannes, dein Sturm an der obe-
ren Fulda begegnete: er komme „de Wedereiba". Vita St. Sturmi ap. Pertz
Mon. Germ. IT. 369.
143
dung in einem engern Rahmen dem Auge des Lesers darzustellen,
mochte wohl das nachfolgende Beispiel nicht ungeeignet sein.
A ist die erste Niederlassung. Von dieser gehen weitere An-
siedlungen aus,. welche ich mit B bezeichnen wilK
Von A und B^ folgt nua ein zweiter Ausbau C und es tritt die
erste Scheidung ein.
Die zweite Scheidung folgt durch den von A, B und C ausge-
henden dritten Ausbau D.
Ebenso die dritte Scheidung durch den von A, B, C und D er-
folgenden vierten Ausbau E.
Angenommen, dass jeder einzelne Ausbau drei neue Dörfer schuf,
so hatte die Mark nach dem ersten Ausbaue 4 Dörfer ; nach dem zwei-
ten Ausbaue trennt sich die Mark in 4 Marken mit je 4 Dörfern, so Mae
nachdem dritten Ausbaue in 16 Marken eben wohl mit je 4 Dörfern u. s. w.
Im Zweifel über das , was man unter Mark zu verstehen habe, hat
man gefragt, wie weit die Marken verbreitet gewesen seien? Ich
glaube diese Frage ist im Vorhergehenden bereits vollständig erledigt :
Marken sind allenthalben , wo Menschen sich angesiedelt haben. Aber
auch die Art und Weise ihrer Entwicklung muss aller Orten dieselbe
sein,, weil eben diese Entwicklung auf einem einfachen nicht von Men-
schen geschaffenen, sondern aus der Natur der Verhältnisse selbst hervor-
gegangenen und zwar ganz allgemeinen Gesetze beruht. Auch ist die
Bezeichnung der Mark bei allen germanischen und romanischen Völkern
immer dieselbe.
Mehr als vereinzelte Andeutungen vermag ich freilich zum Belege
fiir diese Behauptung nicht zu geben ; diese werden aber auch genü-
gen ; lässt sich doch von der gleichen Wirkung auch schon auf eine
gleiche Ursache schliessen.
Betrachtet man zuerst das frie^icheVolk, so findet man hier
nicht nur in dem Namen des Gaues Hugmerchi (auch Humarcha, in
pago Humerki) *) die Andeutung der Maik, sondern fiuch die friesischen
Gesetze gedenken derselben zum Öftern , z. B. das Westerwolder Land-
recht: „Item indieghemeneMarckin dem Lande mach men jagen,
waer men wil"*). Doch auch ohne den Namen lässt sich die Sache
erkennen. Im Jahre 1219 werden nämlich die Abgeordneten der sieben
friesischen Seelande: „majores de septem villis mariconterminis**^), also
1) V. Ledebnr, die fünf münsterschen Gaue etc. S. Tfif.
2) V. |lichthofen, Friesische Rechtsquenen S. 266.
3) Wiarda, Ostfriesische Geschichte I. S. 189 u. 190. v. Ledebur a. a. 0.
S. 22, bezweifelt , dass unter diesen sieben Dörfern die sieben Seelande zu ver-
tu
jedes Seeland „vHla'* genannt Unmöglich kann dieses eine andere Be-
deutung haben, als diejenige, welche sich auch anderwärts findet, mv^o
das ursprüngliche Gebiet der ereten Niederlassung noch langehin deren
Namen behält und ungeachtet der bereits zahlreich .in derselben vorhan-
denen Dörfer dennoch immer als villa bezeichnet wird '). Die Seelande
sind demnach dasselbe, was in andern Gegenden die Marken waren.
Gehen wir von da nach Dänemark, wo schon der Name des Lan-
des *) daran erinneit, so finden wir hier die Mark unter der Bezeichnung
mörk wieder, sowohl in den Urkunden , als in den Gesetzen. Zeig'en
uns erstere auch nicht immer den Namen, so doch die Sache. Schon
1 186 werden Oterslef „cum omnibus pertinentiis" und Myrthigae „cum
Omnibus pertinentiis" genannt und als Zubehörimgen für das erste 7
und für das letztere 5 Dörfer einzeln aufgeführt'). Das Erdbuch König
Waldemar's sagt ausdrücklich, dass die neuen Ansiedlungeh in der
gemeinen Mark geschehen seien *} und eben so nennen die Urkunden häufig
eine Reihe von Marken imd bemerken dabei, dass dieselben ein Gebiet
(enemarke), eine Mark bildeten, z. B. eine Urkunde des Königs Erich
vom Jahre 1294: Quum — canonici Arusienses ecclesie territoria, vi-
delicet Syfningmark, Wistthorpmark et Skongsmark, que dicunlur e n-
merki, liberepossident'), sowie eine andere des Königs Erich von 1296 :
Prohibimus districte sub optento gratie nostre, ne quis porcos, capras,
jumenta vel alia pecora ad Hindthorpmark, Groskaemark , Gyaeldthorp-
mark et Kysingmark, que sunt fenmajrky — canonicomm Amsienshim,
mittere presumat sine ipsorum licencia speciali, quod quicumque feceril.
stehen seien , ohne jedoch einen Ginind anzugeben. Allerdings ist die Stelle
nicht urkundlich, sondern gehülst einem Chronisten an. Man betrachte aber nur dife
Stellung, in welcher die „majores de Septem viUis** den „rncolis sex vlltarum** des
Fivilingo gegenüber erscheinen und man muss in ihnen eine höhere Gewalt und
Ewar die LandeBversammlung* erkennen. Ich wüsste auch nicht, wie man di« Be-
deutung der Seelande den Gauen gegenüber anders erklären könnte.
1) In gleicher Weise wird auch in einer Urkunde von 839 eiue Cent (fiim-
deri) villa genannt: in ducatu Frisiae in pago Uuesttracha (Westergau), in uilla
Cammingehunderi et in aliis uillis Erhard, Cod, dipl. Histor.'Westphal. nr. 13.
2) 005: in marca vel regne Danoram.
3) Therkelin Dipiomatarium Arna-Magnaeum I. p. 58. AehnUch eine Urk.
von 1202. ibid. p. 90. '
4) Nosbye cum attinentiis suis scHieet Sygthaesore cum ceteds vilüs foctis de
Almiuning. — Omnes insnie, que vaeantur Almmniug et oppida ex- eis facta.
-^ Alminning et oppida inde facta. Langeubek Scr. Rer. Dan. VII. 530. 53i/
5) Ibid. VI. p. 417.
I
145
regiam non effug^iet ultionem *). Aebnlich wie das salische Gesetz (s.
oben S. 1 16 u. 117), so enthält auch das jütische Low Bestimmungen über
die von dem Mutterdorfe, welches in Dänemark Adelby genannt wird,
ausgehenden Ausbauten : „Is dar ein klein Dörp gebuwet in dat Veit
vnde se hebben alte Acker vnde Wische gedelet, vnde wurden kiuen,
wat tho deme kleiiaen Döi*pe vnde wat tho dem groten Dörpe gehöre,
dat schulen weten de in deme Adelby, id est, in dem groten Dörpe wa-
nen. Dünket den ock, de in 'dem groten Dörpe wanen , dat dat kleine
Dörp en tho Schaden gebuwet were , so mögen se dat kleine Dörp wed-
derumme infördern, so ende Schade nicht tho lyden de were. Wil
den dat kleine Dörp nicht folgen , so mögen se dat mit Laged&gen tho
Dinge (Gericht) vpdryuen. — Hedde idt öuerst dre Vinlerst hafTd
(dat is) dre Jahr gestanden vnbeklaget vnde unuorfolget tho Dinge, so
kan men jdt nicht wedder vpdeelen " *). Obwohl noch eine Reihe
anderer Bestimmungen dieses Buches über den Ausbau handeln, so möge
jene Stelle doch genügen.
In Norwegen werden wir schon durch eine Reihe von Provinzialna-
men auf die Mark hingewiesen, als Heidamaik, Vingulmark, The-
lamaiken u. s. w., und Schweden zeigt uns in mehreren Beispielen so-
wohl ganze Einwanderungen in noch unbebaute und wüslliegende Landi»^'
striche, also die Bildung neuer Marken, als auch im Einzeln den
Ausbau der Mark. Snoni Slurluson erzählt in der Ynglingen
Saga ') : „ Schweden ist ein gewaltiges Waldland und dort liegen
grosse Oeden- Wälder, viele Tagereisen lang. König önund wandte
viel Fleiss und Kosten an, die Wälder auszuroden und die ausgero-
deten Strecken zu bebauen; er liess auch Wege durch die Wälder
anlegen und sie fanden in den Wäldern viel holzloses Land und
legten daselbst grosse Härade *) an. Auf diese Weise wurde ein
grosser Theil des Landes bebaut, denn es war hinreichend Volk
vorhanden zur Bebauung. — König önund setzte seine Höfe iu
jedes Grosshärad u. s. w." ), — sowie in der Sage Hakon des Guten
1) ibidem p. 400. ^
2} Dat rechte Judske Lowbock. {Plattdeutsche Uebersetzung von Ekenber-
ger 1593.) B. I. Kap. 47.
3) Kap. 37. Heims kringia edr Noreys - Konunga - Sögur af Snorra Sturlu-
syni. Ed. a Schoiiihg. Havniae.
4) Herre der, welches der latein. Text durch tcrritoria wiedergibt.
5) Von ähnlichen Anbauten berichten auch die Kapitel 40 u. 46, desgl. das
20. Kap. der Saga HaraUd*s des Haarschönen.
laadan. Territorien. 10
14«
(Kap. 14): „Sie rodeten Wülder und machten dort bewohnt grosse
Härade, das ward seitdem Jamtaland genannt^'
Noch deutlicher tritt aber die Uebereinstimmimg mit unsern deut-
schen Verhältnissen hervor, wenn wir den Innern Ausbau der schwe-
dischen Mark betrachten, wie derselbe uns von Geyer *) dargestellt
wird. Derselbe erzählt nämlich: „Das Kirchspiel Skog im südlichen
Helsingeland war vor Zeiten Gemeinwald sechs aneinander gränzen-
der Kirchspiele in Helsingeland imd Gestrikeland , welche daselbst ihre
Viehkäufer (Fäbodar) hatten. Diese Weideplätze wurden durch Kul-
tur in so gen. Boland (Wohnplätze) verwandelt und von Einigen an ihre
Kinder überlassen, während sie selbst die alten Höfe in den genann-
ten Kirchspielen bewohnten. Bald entspannen sich Streitigkeiten zwi-
schen den Neuanbauem imd den alten Hofeigenthümem , welche letz-
tere sich immer fort das Besitzungsrecht auf jene Bolande anmassen
wollten, wiewohl diese schon femer als Erbe überlassen und Steuer-
höfe geworden waren; da dann die Neubauern baten, ein besonde-
res Kirchspiel ausmachen zu dürfen, welches der König Magnus be-
willigte. Die Gränzzeichen wurden nun durch richterlichen Bestäti-
gungsbrief bestimmt, welcher auf allgemeinem Ting, ani südlichen
Hügel in Helsingeland im J. 1343 ausgefertigt ward.** Geyer be-
merkt hierzu: „Man kann diesen Bericht als Geschichte der vorschrei-
tenden Kultur in Norrland, ja in ganz Schweden , betrachten. Fäbo-
dar mit ihren Weideplätzen waren überall die ersten Vorposten der
Kultur. Boland (Wohnplätze) , Nybyggen (Ansiedlungen) sind aus ih-
nen entstanden und neue Hemman (Höfe) geworden ; die sich von den
alten gesondert. Das |st noch heutiges Tags der Gang der norr-
ländischen Ansiedelung. Dies war auch noch im vierzehnten Jahr-
hundert das Verhältniss in dem jetzt so bevölkerten Trögds Härad in
Upland. Es besass ansehnliche Gemeindewaldungen und ein eigenes
Gesetz wegen Nutzung derselben.** „ Bys gemensamma mark ** ist in
Schweden pascuum pagi conunune*), Almaennings-skogher der Ge-
meinwald *) und Marka skiael die Markscheide %
Bei den Angelsachsen hiess die Mark Mearce *). Schon 605
findet man .in Kent Wycingesmarce, Burhwaremarce und Cynin-
1) Geschichte Schwedens. Von Geijer. Uebersetzt von Leffler, 1. S. 79.
2) Corpus iuris Vestrogotici von CoUin u, Schlyter p. 375.
3) Ibid. p. 356. u. 492.
4) Ibid. p. 461.
5) Ob die Bezirksbezeichnung Maegihe, welche sioh bei den Sachsen, nichl
1
\
147
gesmarce *) und 862 in Wessex Cyslaningamearce, Fearnbior-
ginga mearce, Wichaema mearce, Biohahhema mearce *). Eine
Urk. V. J. 664 fahrt mehrere Dörfer in den Grafschaften Berks und
Morihamshire auf „cum membris elappendiciis" und nennt al3 solche
mehrere Dörfer »).
Was die germanischen Völker als Mark bezeichnen, ist bei
den romanischen der ager publicus, eine Bezeichnung, _M'elche
uns schon frühe bei den Römern entgegentritt *) , obwohl der ager
publicus als ager romanus, nämlich als römisches Staatsgut, einen
von der germanischen Mark wesentlich verschiedenen rechtlichen
Charakter annimmt. Die Mittelpunkte der Marken der nicht germa-
nischen Völker waren die Städte, worauf ich später noch einmal
zurückkommen werde. Die Marken sind hier die Stadtgebiete.
Die spätem italienischen Urkunden brauchen für Mark gewöhnlich
denAusdruck territorium imd finis. So heisstes 873, 969 und 978:
in territorio Pinnensi, und 874 : in finis Pinnensibus *), 772: duas casas
inJuliano et aliam in Valeiiam in finibus civitatis Reatinae"), 873:
in territorio Aprutiense et in loco Cerqueto etc. etc. *).
In Frankreich findet man ausser den auch in Deutschland üblichen
terminus , territorium , finis etc. noch einige andere bei uns nicht vor-
kommende, jedoch ganz dasselbe ausdrückende Bezeichnungen, nament-
lich condita *), aicis, aiacis oder ajacis •) und ager*®).
aber bei den Äugeln findet (Lappeiiberg , Geschichte von England I. S. 583), eine
gleiche Bedeutung hatte, vermag ich nicht zu entscheiden.
1) Kemble, Codex diplomaticus Angio - Saxon. I. p. 3.
2) Ibid. IL p. 73.
3) Ibid. y. n. 984. Kemble hat in einem Anhange seines Werkes „die Sacli-
sen in England" ein langes Verzeichniss von Marken in England gegeben.
4) Niebühr, Rom. Gesch. 1. Aufl. II. S. 377.
5) Murator. Antiquit. Ital. T. II. P. II. p. 942, 957 u. 970.
6) Ibid. 348.
7) Ibid. p. 939.
8) In pago Pictavo , in yicaria Igoradinse , in c o n d i t a Niverni^cense in
viila Marciacus, oder: villa illa — Sabonarias in pago Cenomannico in condita
Liabrocinse. Henschel, Gloss. II. p. 521. Im J. 718 werden in pago Constan-
tino in condeta Quasiiaciense 6 Dörfer aufgeführt'. Pardessus 1. c . II. p. 450. Das
Wort stammt gewiss nicht, wie Mone meint, aus dem Keltischen, sondern ist
das lateinische condHus und bezeichnet demnach einen Gegenstand, welcher von
einem andern umschlossen wird.
9) In comitatu et vicaria Brioatense , in ipsa a j a c e ; — in 4pso a i c e seu
in ipsa vicaria. Henschel , 1. c. 11. p. 154.
10) 587 : in pago Lugdunense in agro Menthearense (Pardessus 1. c. 1. 157);
10*
148
Doch auch ohne nähere Bezeichnung lassen die franzosi-
schen Ui-kunden die Marlien erkennen, z.B. i in Jahre 889: „in pago
Verinandense villam Hildincurlen) vocatam cum villulia ad ean-
diem perlinentibus**'); 899: „In eodem pago (sc. Narbonensi)
in suburbio Minerbense villa quae dicitur Fellinus. — El in coroiialu
Russiolonensi villa Tordarias cum suis villaribus et finibus
atque adjocentiis earum etc. — In eodem pago villa Peciliano
cum suis villaribus, finibus et adjacentiis etc. — El in
eodeoK pago villa, quae dicitur Tezano cum suis villaribus, id
est Anglares et Salellas cum finibus et adjacentiis earum. — In
comltatu Puritanense villa Uliaslreto cum villaribus*).
Ebenso wenig fehlt die Mark in den slavischen Gebieten. In
denen, welche von den Deutschen unterworfen und zum Schutze
nach Aussen hesondern .Markgrafen übergeben waren, kommt sie un-
ter dem deutschen Namen vor. So heisst es 945: „quandam pro-
prietatem nostram Irans Salam flauium in comitatu Thietmari inter
paganos situm in pago lingua Sclavorum Lilici nominalo villae vidc-
licet Tribunice vocatae totam marcam cum omnibus appen-
diciis" elc.'). Im Jahre 948 gab Kaiser Ollo dem Grafen Dilmar:
„tantum terrae proprielafis nostrae in regione pagoque Koledizi et
in ipsius comitatu, quantum a palude Vona versus occidentem longius
ad marchas Kotenni, Biteni, et Ezeri protenditur et hinc
versus aquilonem contra marcham Serimodem et ultra tumulum
Bulzina et de tumulo usque ad locum Churozt contra märe harn
Gorizka et inde usque ad paludem circumquaque infra ipsum am-
bitum concludilur"*), und erklärte 952, dass sein Sohn Ludolph, wel-
chem er den G{iu Serimunt (omnem regionem Serimunt) übergeben,
dem Markgrafen Gero überlassen habe: „tres marchas eiusdem
predicte regionls unam Vulssepici, alteram Vuitonulici cum villis in-
fra nominatis Vuitonuhci, Trebucaunici, Neozodici, Drogobiiles^horp,
tertiam Sublici cum villis tribus Sublici nominatis et Becimuntborp,
630: „in sul)urbio Lemovicensi in terra et fundo agri Solemniacensis '* (ibid.
p. 1 1} ; 721 : „in loco — Flaviniaco in agro Bumacinse in pago Alsinse** (ibid. U.
p. 323); „.... mouasterium — Flaviniacensis — in agro Bumacinse — in pago
Alainse ipsum Bornadum cum ipso Castro Flaviniaco cum omnibus adjacentiis vel
appeudiciis 'S als welche 10 One genannt werden (ibid. p. 324).
1) Coli, de Documents inddits sur THistoir. de France I. p. 132.
' 2) Martene et Durand, Thes. I. 59.
3) Beckmann, Anhaltische Historie L S. 168.
4) Knanih, Antiq. pag. et comit principat. Anhalt, p. 49 u. 50.
i
14»
Procinesthorp , Abithesdal, Llzstldesthorp in pago Serimunt
in comitatu Thietmari comitis^'^). Ebenso heisst es in einer Urk.
von 950: „in pago Hassagoi et in confinio Mersapurac in cQmi-
lata — comitis — Teti in praescriplae civitatis inarcha"*),
und in einer andern von 9 56 „in marca Lipani, hoc sunt ville sex
sie nominatas Liubene etc.*'*), gleichwie eine Urlumde von 863 Güter
in Dagodeosmarcha und Kuzara marca in Pannonien nennt*).
In den verschiedenen slavischen Mundarien wird die Gemein-
schaft (communitas, res publica) durch Obec*), Obecnice (buhm.
undslav.), Opzhina (Krn.), obchina (kroat.), Opchina (dalm.)u.s. w.,
oder durch gmia, gmina, gmanya u. s. w. ausgedrückt und
durch letzteres insbesondere der gemeinsame Wald bezeichnet •) ;
den Umkreis (ambitus, terrainus) aber nennen sie Okolek, Okol,
Okolica, Okolicze u. s. w. '^). In der Regel wird jedoch hier-
für das. polnische Opol, Opole®) gebrnucht, in den lateinischen
Quellen dagegen das diesem völlig entsprechende Wort vicinia. Im
Jahre 1145 heisst es: „vicinia, quod opol vulgariter nuncupatur"''),
und denselben Ausdruck brauclij auch eine Urkunde von 1291 ").
In einer Urkunde von 1277"), welche über einen Gütertausch zwi-
schen dem Herzoge Boleslaw und seiner Gemahlin ausgestellt ist,
liest man: „ fecimus commutationem , villam, quae Kleszcew vulga-
riter appellatur de vicinia, quae Rede dicitur, excipientes viciniae
junximus Costrinensi, ipsam ab omnibus exactionibus excipientes.
— — villam vero quae Gorka vulgo nomine appellatur, quam de
vicinia eadem excipimus Costrinensi loco superius diclae villae ad
1) Knaiuh 1. c. 44. Beckmann 1. c. T. p. 108.
2) Baring, Clavls diplomatica prael'. p. 17.
3) Ibid. p. 18.
4) Boczek 1. c. Nr. 41 und ebenfalls Nr. 80.
5) So im ältesten Rechtsbuche ßölinieus (S. Palacky , Gesch. von Böhmen
II. 1. S. 43). Die slavischen Glossen in den Abhandi. der k. böhm. Geselischaft
der Wissenschaften, fünfter Folge 1. Band S. 219 übersetzen obec darch res-
publica und compas9uus agcr. Ebenso S. 221 pomezie und pomeze durch cou-
finiuni,
6) Linde, Slownik jezyka Polskicg^o T, 726 u. II. 351. Abhandlungen dec
königl. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften. Fünfler Folge 1. Bd. S. 219. .
7) Ibid. II. 498 u. 490.
8) Pole das Feld. Cod. dipl. Pommcraniae Nr. 145.
9) Damalewicz, Vitae archiepisc. Guesn. p. 91 nach Koppel , Gesch. Polens I.
S. 615.
10) Lelewel. Pocz^tkowe prawodawatwQ- p. 209 — It nach Jlöppel.
11) Raczynski, Arch. theol. 1. 3. p. 316. nach Röppel I. S. 616.
160
nosiros ttsus^^ Da bei den spät oder gar ntchi unlerworfeneD sla-
vischen Stammen die Urkunden erst mit dem dreizehnten Jahrhun-
dert beginnen, so fehlen hier für die frühere Zeit alle Materialien,
um die altern Einrichtungen in Betreff der Vertheilung des Grund
und Bodens mit Sicherheit ermitteln zu können. Dennoch ist auch
da die Mark nicht zu verkenuen.
Ebenso finden sich aber auch Urkunden, in welchen ein Dorf
ausdrücklich als Hauptdorf und die übrigen nur als Zubehorungen
aufgeführt werden, wie dieses in einer böhmischen Urkunde von
1235 geschieht: „villas Glupetin cum omnibus villulis ad eam per-
tinentibus , seil. Humenche, Nidoscitz , nee non et villam Boroüz cum
omnibus villulis ad eam pertinentibus u. s. w« ').
Dieser Ausbau von einem gemeinsamen Mittelpunkte liegt so
sehr in der Natur der Dinge, dass er sicher allenthalben statt ge*
fanden haben muss. Deshalb findet er sich auch im Innern von
Russland bei dem Einwandern des russischen Volksstammes. „Ein-
zelne Haufen von Ansiedlern — erzählt v. Haxthausen*) — zogen aus
und suchten sich in ,den unermesslichen Ebenen Russlands einen
vortheilhaflen Platz aus, und siedelten sich als eine Gemeinde an.
Sobald diese zahlreich wurde, schickte sie wieder junge Bienen-
schwärme aus, um in der Umgegend neue Gemeinden zu gründen,
die mit der ersten in einer genauen Verbindung blieben , in der Ver-
bindung der Tochtergemeinden zu der Muttergemeinde. Dies erhielt
sich noch, als das reale Band zwischen diesen Mutter- und Tochter-
gemeind^n längst verblichen war, bis in die spätesten Zeiten, als
ein Andenken, eine lebendige Erinnerung des Volks." Die Mutter
Nowgorod, die Mutter Susdal, die Mutter Moskau heisst es in
allen Urkunden! Das Ganze bildete auch eine Art von politischem
Verband, man nannte es ein Land (Territoire, Territorium). Das
Land Nischni Nowgorod, das Land Susdal, das Land Rostow,
führen noch Urkunden des 17. Saeculi an. Diese Kolonisationen folg-
ten vorzugsweise dem Laufe der Flüsse. Wir finden dieselben schon
im 12. Saeculo längs allen Flüssen des jetzigen Russlands, der Wolga,
dem Don, dem Dnjepr des Südens, wie der Düna) Suchona, Dwina
des Nordens. Das Innere des Landes blieb dann noch lange wüst,
oder wurde von andern Volksstämmen^ bewohnt, oder von Jägern
und Nomaden durchzogen <^
1) Boczek 1. c. II. p. 294.
2) In seinen Stadien II. S. 204 ff. S. auch III. S. 135 ff.
läl
2) Die Gränzbildung der M^irken.
Obwohl ich schon oben von der Gränzbildung der Marken ge-
sprochen , so muss ich hier doch noch einmal darauf zurückkommen.
Dass die Gränzen sich nur nach und nach bildeten und fest«
stellten, ist wohl mit Sicherheit anzunehmen/ Erst dann mochte
dieses geschehen, wann die Ansiedler zweier benachbarten Nieder-
lassungen in Folge der von beiden Seiten erfolgten weitem Ausbau-
ten ^ zusammenstiessen. Eine solche ganz aus der freien Gestaltung
der gegenseitigen Verhältnisse hervorgegangene Gränzbildung ent-
spricht jedenfalls mehr als jede andere Annahme der Natur jener
einfachen noch ungeregelten Zustände, wie solche stets mit dem
Jugendalter der Völker verbunden sind.
Selbst die häufig und in allen Gegenden wiederkehrende Er-
scheinung, dass die durch die Gestaltung des Bodens, durch Strom
und Gebirg , gezogene natürliche Scheide *) der politischen Gränze
zur Grundlage dient, lässt sich sehr wohl aus jenem allmähligen Wer-
den , diesem Bilden und Wachsen aus sich selbst heraus , erklären.
Doch irren diejenigen sehr , welche diese Uebereinstimmung der
politischen und natürlichen Gränzen als eine immer und allenthalben
wiederkehrende und deshalb ausser Frage stehende Thatsache be-
trachten; denn es ist diese Uebereinstimmung keineswegs so allge-
mein und überhaupt nur sicher da zu finden, und darf nur da als
Regel angenommen werden, wo einem Ueberschreiten der Natur-
scheiden ungewöhnliche Schwierigkeiten und Hindernisse im Wege
stehen, wie dieses z. B. bei dem langen Rücken des Thüringer -
und des Schwarzwaldes der Fall ist. Bei Flüssen und geringern
Gebirgen zeigen sich hingegen weit mehr Ausnahmen von dieser Re-
gel, als man bisher geglaubt hat. Weder die Rhön noch der Vo-
gelsberg sind Gränzscheiden , und sogar am Rhein hatten die Me-
napier beide Ufer inne *). An der Fulda, und Werra und ebenso an
13 So aielit 1050 die Gränse des Gebiets der Abtei Pfäfers: „ad montium
samitates vulgo S cli n e e I e u f e ". Hergott, 6eneal. Habsbg. II. 122 ; 1183 bestimmt
der Bischof Otto von Bamberg eine Gränze : „ descensum {iluvialis aquae per
totam Anggam (einen Wald)". Kurz , Beitr. zur osterreich. Gesch. II L S. 320,
und im Fürstenbuche wird die Gränze zwischen Steiermark und Oesterreich „alz
die Regenwazzer vlieszzenV^ angegeben. Rauch , Script. Rer. Austr. I. 243.
2) Caesar, Bell. gall. Üb. 4. c. 4,
1Ü2
der obem Weser werden sogar einzelne Dorfmarken (die von Lip-
poldsberg) durch den Strom hi zwei Hälften getrennt > und aucb der
grosste Theil des untern Mains lliesst mitten durch Marinen.
Die Zeit der Grünzbefestigung reicht jedoch weiter hinauf als
unsere historischen Denlimale. Sowohl die alemannischen als die
baierischen Vollisrechte handeln von dem Verfuhren bei Grünzstrei-
tigkeiten und jedenfalls waren schon vor dem achten Jahrhundert,
wie dieses die vielen aus denselben herrührenden Granzbeschreibun-
gen beweisen, die Gränzen der einzelnen Gebiete allenthalben be-
festigt. Sogar die neuen Anlagen wurden damals schon sofort
mit festen Gränzen versehen *),- Zwei neue von Sachsen im
buchischen Walde angelegte Niederlassungen bestimmte Karl der
Grosse gleichmässig auf 4 leuga in der Länge, 2 leuga in der Breite
und 6, leuga im Umfange*). Diese Abgränzung wurde gewöhnlich
dadurch gesichert, dass man die an der Gränze stehenden Bäume
mit Zeichen versah. So heisst es z. B. 848: „quam coraprehensio-
nem homines tui una nobiscum circuiverunt et novis signis obfinna-
verunt"'). Diese Gränzbäame wurden noch bis in neuere Zeiten
Mal-*) und Lach- oder Lochbäume genannt'), eine Bezeich-
nung, welche auch slavische Urkunden gebrauchen*), die in der
eigenen Sprache diese Grän^zeichen jedoch „hranicie** und ,,kopec"
nennen'). Eine Urkunde von 1215 sagt: „per certas melas, que
1) Siehe z.B. die Granzbeschreibnng eines fuldischen Bifongs vom Jahr 801 y
Dronke, Cod. dipl. Fuld .Nr. 165.
2) Ibid. Nr. 261 und Falcke , Cod. Trad. Corbeien. p. 377. Nach Mone
(Urgeschichte des badischen Landes L S. 11) hatte die rumisclie leuga 1500
Fusse.
3) Leibnitz , Script. Rer. Brunsv. I. 1 14. S. über die Gräuzzelchen über-
haupt Grimm , R. A. S 541. *
4) 1036: „ad arborem, que vulgariter dicitur Melboum" (Höfer, Zeitschr. für
Archivknnde II. 157).
5) Incisio arborum vel lacha. Trad. Lauresh. I. p. 24. Auch der Cränzgra-
ben wird Loch graben genannt. Baur, Urkbch. d. Kl. Arnsbg. Nr. 1166.
6) Z.B. bei Boczeck (Cod. dipl. Moraviae I._ Nr. 301) eine Urkunde von 1165;
„sicut more siluarum consignatura est, quod vulgo gelachiet nuncupatui- *S
welehe sonst die Gränzzeichen slavisch bezeichnet.
7) 1210: ^jSecundum quod mete sunt signate, que vocantar ghraniz,
quoad usum et ius communis consuetudinis terre — continentur*' ibid. II. Nr. 48;
1214: secundum quod sibi placaerit, quam circumeundo positis aceruis, qoi
kopci uel granicie dicuntur limitauimus '^ (ibid» II, Nr. 64)«
153
uulgo hranicie vel kopcy slve vroclsciedicnntur — circuirent*',
unterscheidet aber im weitern Verlaufe k o p e c und h r a n t c i e und gibt
letzteres durch Signum wieder'); während eine andere Urk. von 1215
kopci und hranicie einfach durch meta übersetzt'), gleichwie eine
ältere die Gränze selbst vrociscie nennt ').
Ganz wie durch die Marltgenossen bei den Deutschen , so Mor-
den auch bei den Slaven die Grunzen durch die zusammenberufene
vicinia feslgestellU In dem Vertrage über die Rechte der schTesi-
schen Kastellanei Militsch von 1249 heisst es: „Verum si aliquando
ad aliquas metas, vel terminos f^ciendos, vel ob aliud qnodlibet
negocium vicinia fuerit evocala et ipsam in aliquo contigerit condcmp-
nari etc. etc." *), Im Jahr 1254 wurden die Grunzen von Pretinowa
oind Scheitning bestimmt: „tota vicinia assistenie", 1289 die von Krei-
del: „ vicinia evocala *', imd 1291 die Grunze des Zobtenbergs: „sicul
certis limitibus concluditur et per viciniam demonstratur " * ).
3) Der Ausbau der Mark im Einzeln.
Nachdem ich oben gezeigt habe, wie die Gebiete der ersten
Niederlassungen nach und nach durch die Gründung neuer Dörfer
angebaut worden* sind, will* ich hier die Arbeit der Anrodung
selbst noch näher beleuchten. Schon die. alten Volksgesetze reden
vielfach von dem Urbarmachen der Wälder und brauchen für diese
Arbeit eine Reihe verschiedener Bezeichnungen: cullura silvarum,.
ad culluram scindere, culluram facere, exartum facere, exartare,
niundare, novellare etc. etc. *). ' Näher lernen wir diese Anlagen je-
doch erst seit dem achten Jahrhundert kennen,' indem die Urkunden
dieses sowohl, als /luöh der nächsten Jahrhunderte sie in zahlloser
Menge aufführen. Sie entstanden meistens in den Wäldern , wo uian
geeignete Plätze auswählte und urbar machte. Karl der Grosse be-
stimmte in dem Kapitular de villis ausdmcklich, dass an geeigne-
1) Ibid. nr. 67.
2) Ibid. nr. 69.
3) Limites antiquos siue Urocyscie ibid. nr. 68.
4) Tzschoppe und Stenzel a. a. 0. Nr. 316.
5) Das. S. 25.
6) Grimm , R. A. S. 524.
154
ten Orlea in den W&ldetB gerodet werden sollte (et ubi locus fue-
rit ad siirpandum )). In den meisten Fällen begann die Anrodung sicher
durch Niederbrennen des Waldes» wie wir das heute noch in Amerika
und auch in Russland sehen. Namentlich ist dieses in den rassischen
Gouvernements Wiatka und Perm die gewöhnliche Weise und eine
solche von Einem oder Wenigen begonnene Ansiedlung nennt man
dort Patschiniki (Anfang) *). In Deutschland bediente man sich des
Feuers noch bis in*s sechszehnte Jahrhundert.
Man hatte für dergleichen neue Anlagen eine Reihe verschie-
dener Bezeichnungen , welche sich übrigens nicht blos auf die Grün-
dung wirklicher Dörfer beschränkten , sondern überhaupt auf alle Ro-
dungen bezogen, welche im Walde vorgenommen wmden.
Diese Bezeichnungen waren verschieden, je nachdem man das
eine oder das andere , die Besitznahme , die Scheidung vom Walde,
die Arbeit' der Rodung, oder die Umfriedigung derselben damit an-
deuten wollte , und es haben dieselben ") für uns eine um so we-
sentlichere Bedeutung, als sie es vorzüglich sind, welche" die Art
und Weise dieser neuen Anbauten veranschaulichen ).
In Bezug auf die Besitznahme nannte man den vom AYalde
zur Urbarmachung bestimmten Bezirk proprisum. Im achten Jahr-
hundert gibt ein gewisser Giselhelm „meum proprisum in Odenwalt
Silva in Hantscuhesheimer marca " dem Kloster Lorsch *) und in einer
Urkunde über eine Schenkung von Gütern zu Bensheim heisst es:
„ exceptis duobus illis proprisis , quorum unus super rivum Lutra jacet,
alter ad Lauterbach " *). Aehnlich erklärt in einer Urkunde vom Jahr
811 Karl der Grosse, dass der Sachse Amelung „proprisit sibi par-
tem quendam de silua, qüae uocatur Bochonia" imd dass er jetzt dessen
Sohn in dem Besitze dieses „proprisi, quod in lingua eorumdici-
1) Baluz. , Capitular. Regum Francor. I. p. 336.
2) V. Haxthaasen , Studien u. s. w. II. S. 290.
3) Schon Anton in seiner Geschichte der deutschen Landwirlhschaft I. 3'^
hat eine obwolil nicht ganz befriedigende Zusammenstellung derselben gegeben.
4) Eine ebenso specielle als treffliche Schilderung der Art und Weise » wie
dergleichen neue Anlagen im aussersten Norden ausgeführt wurden, gibt uns
Hanssen in seiner Abhandlung über das Agrarwesen der Vorzeit in Falck's ne^ß"*
staatsbürg. Magazin VI, insbesondere S. 24 f.
5) Trad. Lauresh. Nr. 313.
6) ibid. Nr. 251 u. 252.
IM
tur biuanc"» bestätigt habe '). Uebereinstiinmend hiermit ist der hi-
halt einer andern Urkunde von 813. Zufolge derselben hatte eben-
wohl ein Sachse sich im Bucbenwalde niedergelassen und ,,ad locum
qui dicitur Hauucabrunno inter Uuiseraa (die Werra) et Fuldaa oc-
cupauit sibi partem quandam de silua, quae vocatur Bocchonia''; da
später ihm aber der Besitz entzogen worden» so stellte Karl jetzt
»»Ulud proprisum, quod in eorum lingua Biuanc" dem Sohne wie-
der zurück'). In, einer Urkunde aus derselben Zeit heisst es:
,, unum bifangum , quod pater meus proprisit in silua" '). Dass die-
ses proprisum nicht an und für sich eine ' eigentUch schon ausge-
führte Rodung bezeichnet *^), ergibt sich aus der Bildung des Wor-
tes. Dasselbe ist unzweifelhaft aus der Präposition pro und dem
Verbum prendere zusammengesetzt und bedeutet daher: etwas für
sich in Besitz nehmen. In diesem Sinne brauchen es auch schon
die alten Volksgesetze. In der Lex Beguvanorum (tit ü. §. 12) heisst
es: „NuUus praesumat alterius res proprendere ", und in der Lex Ri-
puar. (tit. 75) unter der Ueberschrift : „De re proprisa vel secuta": „Si
quis caballum, hominem vel quamlibet rem in via propriserit ". 'Und
auch in den Kapitularien findet man es in derselben Bedeutung:
„De rebus proprüs (propresis) ut antea missos et coinites et judi-
ces nostros veniant, et ibi accipiant finitivam sententiam; et antea
nullus praesumat alterius res proprin'dere, sed magis suam cau-
sam quaerat ante judices nostros, ut diximus, et ibi recipiant quod
iuslum est** '), und in den Formul Bignoniae: „eo quod terram suam
de suo manso malo ordine nunquam proprisisset, nee post se
nunquam retinuerit ** *) , so wie nicht selten auch in den Urkunden ^
und man ersieht daraus auch den damit verknüpften Nebenbegriff;
1) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 261.
2) Falcke, Trad. Corbeien. p. 377.
3) Trad. Lauresh. Nr. 329.
4) Erhard in seinem Regest. Hist. Westphal. Nr. 276 u. 280 übersetzt pro-
prisit irrig durch „urbar gemacht.**
5) Benedicti Capitul. ap. Pertz , Leges II. p. 59. Aehnlich auch p. 85.
6) Canciani Barbar.) Leges antiq. II. Nr. 272.
7) Z. B. im 8. Jahrhundert: Post sacramentnm dixerunt, quod ipsa eccle-
sia haberet injuste per prisem (proprisum) et per legem reddere deberet et
reddidit eam per Wadium suum et fidejussorem Haganonem dedil et 6?indieavlt
eam ipse Advocatns. Meichelbeck 1. c. I. Nr. 125. Weitere Beleges, bei Henschel
V. p. 355 ff.
IM
das Verbum bezeichnet nftmlich eine mehr thatsächliche, mehr eigen^
mächtige, als rechtlich befuf^e Besitznahme eines Gegenstandes, wo-
gegen proprisam den Gegenstand der Besitzergreifung selbst bezeich-
net. Für diese Erklärung sprechen dann auch die oben angeführ-
ten Urkunden von Sil und 813, indem die erste für das ,, propri-
Sit" der von 813, sich des Ausdruckes „occupauit" bedient. Des-
halb wird an andern Orten in ganz gleicher Bedeutung eine solche
Besitzung auch occupatio genannt *) , ähnlich wie bei den Römern,
die durch occupatio nur nicht das Grundstück selbst, sondern die
Handlung der Besitznahme des öden Bodens bezeichneten *).
Der Besitzergreifung des anzurodenden Bezirks musste vor al-
lem die Abscheidung vom Walde folgen und lüerauf zunächst bezieht
sich das Wort Bifaug ")•
' Wir haben dieses Wort schon oben (S. 48) kennen gelernt, wo
dasselbe den von zwei Furchen eingeschlossenen Sultel" im Ackerland
bezeichnete. Es ist das bei allen .germanischen Stammen sich wieder
findende *) Wort Fang und fangen, und zwar in der etwas er-
weiterten Bedeutung von umschliessen, ganz wie wir es noch
heute brauchen, wenn wir sagen, unser Geist sey befangen oder
unsere Sinne seyen befangen, oder dieser und" jener sey in seinem
Urtheile unbefangen. .So heisst es in einer Urkunde: „Item sie
haben einen ganzen Acker gefangen zu dem Sladtgrabeu " ") und in
1) Z. B. in Steinbach occapationem ad dcccm liubas (Trad. Lauresh. Nr.
410) und XXX jugera , XV jarn sth*pata — et alia XV adiiuc siluis occnpata
CDronke 1. c. Nr. 252.).
2) Niehulir a. a. 0. 11. S. 163.
3) 829: in Phungeslcrcro marclia, unum birangnm, qui dicitur Geroldes-
husa — — — et omne aüdificium, quod in iHo constmctaro est loco, id est
casani , horreum et scuriam et cetera aedificia omnia (Trad. Lauresli. Nr. 217.
Grimm (R. A. S. 538) halt Bifang irrig für ein Feldmass und Kindlinger (Ge-
schichte der deutschen Hörigkeit S. 77) captura, Bifang und cOmprehensio für
gleichbedeutend mit terrilorium und der Untergerichtsbaikeit. .
4) Goth. Fah, fahan; angelsächs. Fang, fang an; isländ. Fang, tan-
ga; holland. Fang, vangan; schwed. F^ng, f^nga; dan. Fangsst,
faan; alt«ngl. to fang, wälirend im Neuengl. noch jetzt die Hecken um die
Felder fedces und die Arbeit der Einfriedigung fendihg genannt werden.
5) Archiv für die Kunde Österreich. Geschiohtsquellen l. S. 635.
einem Weislhume : „werunverfangen Land inne hat ," *) nämlich
solches y welches nicht umzäunt isL Ebenso nennt man eine um-^
saunte Stelle im Brachfelde, die also der Hute entzogen wird, einen
Einfang imd das Umschliessen der Stätte ein fangen; ja selbst
auch der Zaun wird Einfang genannt *).
Genug, jenes Bifang bezeichnet ein umzäuutes und dadurch
aus dem Gemeingute genommenes bald grösseres , bald kleineres Stück
Land, und die in einer dänischen Urkunde vorkommenden Syndaer-
fang und Norrefang ') sind ganz dasselbe, und werden nur nach ih-
rer Lage gegen Süden und Norden näher bezeichnet.
Ausser dieser Bedeutung findet sich Bifang auch noch in der
als Gränze, so wie zur Bezeichnung des von derselben umschlosse-
nen Bezirks, obwohl meist erst im spätem Mittelalter. In dem
würzburgischen Wildbanns Privilegium vom Jahre 1014 wird der ge-
sammte Bezirk des Wildbanns ambitus und bin an gi um genannt*),
tmd 1285 heisst es „infra lerminum, qui dicitiir Bivanc" '). Im Latei-
nischen gebrauchte man für Bifang und für die Arbeit der Anlage
desselben captura und c apere. Das Stift Fulda erhält im Jahre 801
„ capturam — qüae de uilla Berghohe capta est" "); König Ljidwig
vergabte 844 „in loco — Brunnaron, quod circum capiebat** ');
991 ist von einem „pretium silvaticum" die Rede, welches in gemei-
nem Walde „ captivaverat" ®) , 1057 heisst es „illum biuanc, qni ibi ca-
ptusest"®) und noch 1260 ist im Spechshard von „novis captionibus,
quod nuwen Biuanc dicitur ", die Rede ***). Auch sagte man in dem-
selben Sinne zuweilen concaptiö"). Da diese Abscheidung vom
>^alde meist mittelst einer Umzäunung erfolgte, so hatte^man noch
1) Grimm , Weisth. IIL S. 448.
2) Scbmeller a. a. 0. I. Ö41.
3) Langebek , Script, R. Danic. VI. p. 423. •
4) Mon. boica XXVIU. 1. p. 453.
5) Lacomblet, Ukbcb. II. S. 474. Aelinlicb 1201, das. nr. 1. In gleicher
"Weise, bald als Bezirk, bald als dessen Granze, findet das Wort sich 1506
CByuanck) Quix, Geschichte der Abtei Burtscheid S. 176.
6) Dronke 1. c. Nr. 165.
7) Juvavia , Aiih. S. 89^
8) Fez , Thesaurus etc. l. S, 103.
9) Dronke 1. c. Nr. 757.
10) Gudeuus, Cod. Dipl. I. p. 674.
11) Concaptio, qua sita est in marcho Wangon. Nengart 1. o. p. 290. 292.
Goldast, Constit. Imper. p. 71, «
158
die weitern Bezeichnungren septum % clausum *), ambitus,
weil es in Folge der Befriedigung^ umgang;en werden konnte ')» com-
prehensio, weil es durch den Zaun zusammengefasst war^);
die deutsche mir jedoch in den äHeren Urkunden nicht vorgekom-
mene Bezeichnung würde Hagen seyn.
Auch die slavischen Urkunden bedienen sich ambitus und cir-
cuitus als gleichbedeutend ') und übersetzen diese Worte durch das
slavische Vyezd *).
Auch zur Bezeichnung der Rodung selbst waren verschiedene
Ausdrücke im Gebrauch. Ein Graf Hermann schenkt der Abtei Lorsch
1) Septam id est Bifang. Dronke 1. o. Nr. 99.
2) Trad. Laoresh. Nr. 325.
3) 804: anuin ambitam, quem nos bifang appellamus. Dronke 1. c.^r. ^223;
826: capturam unam in ailua Bochonia compreheusam ioxta fluuiam — Lntraha
'^ quicquid iu ambitn illiug capturae proprietatis uisus sum habere. Ibid.
Nr. 465.
4) 829 : .... in marcu Baringensinm unins comprehensiouis uterque par-
iem snam (Dronke 1. c. Nr. 479) ; 850 : comprehensionem silnae , quam iuiuste
Qomprehendit Fricconi. (Ibid. Nr. 560.) Femer: comprehensiones , qaa» har
beo in Vunnilo et in illLs, qnae dicuntur etc. (Martene et Durand, Col-
lect, ampl. I. 142.) Auch in friesischen Urkunden, z. B. vom Jahr B55,
kommt oft vor: illam comprehensionem, quae pertinet ad villam; — illas
comprehensiones habent in saitu etc.; — in marchi, quicquid illic habeo
tarn in pratis,* quam in comprehensionibus. (Kindlinger, Münst. Beitr. II. U.
S. 22 u« 23. ) Weitere Beweisstellen findet man in Eccard , Commentat.
Franc. Orient. I. p. 445. Dass diese Bezeichnung sich nicht auf die Besitz-
ergreifung, wie Auton (a. a. 0. I. S. 370.) meint, sondern auf die Um*
Schliessung bezieht, sieht man aus mehreren Urkundenstellen, z. B. 806:
cgo tradidi c particulam hereditatis et proprii laboris mei , id est
totam comprehensionem in silva, que dicitur Hoissi in aquilonall ripa fiuvii
Rurae, quam ibidem dudum comprehendl inter montem et ipsum fluvium om-
munionumque in eandem silvam (Leibnitz, Scripten Rer. Brunsv. 1. p. 130.);
826: capturam unam in silua Bochonia cemprehensam CDronke I. c. Nr. 404.);
827: unam capturam in terminis uillae — cemprehensam (ibid. Nr. 472.)
5) 126: . . . ut ambitul <— qui circuitus dicitur. Sommersberg, Scr. R.
Siles. I; 03L
6) 1146 heisst es in einer m$ihrischen Urkunde „circuitus Domasoue*' (Bo-
czek. Cod. dipl. Moraviae Nr. 272.), 1196 aber „vyezd Domassowe*' (ibid.
Nr. 305); 1165: „in silua ultra prouinciam Sedlec ambitum, quod slavonice
vgezd dicitur^' (ibid. Nr. 301). Es kommt indess zuweilen auch als Ortsna-
men vor, z. B. ibid. Nr. 291. Ebenso 1181: „ambitum Ugiez boemice ap-
pellatum, theutonice nomine Maringe cum omnibus appendiciis suis siluis,
pratis, pascuis, molciodinis, aqnis, aquarum deoursibus, cultis et incuUis.*^
Ibid. Nr. 329.
159
,',omnem laboratum Hermann! in Urbach<<^)< Ein gewisser Theo-
derich übertiägt dein StiRe Fulda „duas partes de meo elaboralu",
unter deren Zubehöningen auch Gebäude und drei Mancipien vor-
kommen*), gleich wie ein anderer „totum elaboratum meum"»).
Eine Urkunde des Stifts St. Gallen von 837 nennt „unum vilare —
sicut ibidem elaboratum et comprehensum habeo"^) und eine
andere von 843 „de sua parte quicquid in confinio Ratpoticelia, id
est inter Zuzzes et Luitirinsehespahc conprehensum vel elabo-
ratum habuit, id est campis, edificiis, pratis, pascuis, silvis, viis
marchis, aquis aquarumque decursibus, mobilibus et immobilibus,
egressus et ingressus, quicquid dici aut nominari potest, nihil extra
dlmittens, sred omne, quod in prefato loco conprehensum sicüt
saperius diximus , vel elaboratum habuit^^*). Den Antheil an einer
mit andern gemeinschaftlichen Rodung aber bezeichnete man durch
collaboratum").
Auch findet man die Benennungen Stirpum, Stirpaticum
etc., was ganz unserm „Rodung" entspricht. Eine merowingische
Urkunde' von 615 sagt: „...et reicolam quae apppllatur Stirpaco**^);
ähnlich erhielt die Abtei Lorsch „ . . . 1 stirpo habente in longitudine
perticas XXX, in latitudine XX *S unter dessen Zubehorungen auch
Gebäude und Hörige vorkommen®). Wie dieses Wort, so bezieht
sich auch das folgende mehr auf die Arbeit des Ausrodens des Wal-
des insbesondere. Es ist dieses das in einer Urkunde' aus .den Ar-
denpen von 922 vorkommende „sarta"®), welches eine westphä-
lische Urkunde von 1182 „sartum" nennt*®), und anderwärts aucli
als exartus, exartum, exartes, essartum, assarlum etc. etc. sich
findet"), wogegen das diesen verwandle ebenfalls aus exarare")
i
1) Trad. Lauresh. Nr. 1539. Dieselbe Bezeichnung findet sich auch Nr. 528:
,y cum omni laboratu meo *'. ' .
2) Dronke 1. c. Nr. 126.
3) Ibid. Nr. 501.
4) Neugart 1. c. p. 226.
5) Wirtemberg. Urkbch. I. S. 123.
6) „Omnem cöUaboratum meum". Trad. Lauresh. Nr. 1452 S auch Nr
364, lliaund 1295.
7) Pardessus 1. c. T. p. 209. . '
8) Trad. Lauresh. Nr. 377. Weitere Belege sind bei Henschel Vr. p.377u. 378.
9) „Hoc sunt mansus XII et sartas et prata". Ritz a. a. 0. S. 21.
10) Wigand, westphl. Archiv. VI. 177.
11) Henschel 1. c. IIL p. 126 f.
12) Speimann, Glossarium archaeologicum p. 501 : „est sylvas succidere vel
160
stammende Verbum sartare vorzfigUch nur in englischen Urkunden
erscheint ').
Anfänglich weniger im nördlichen als im südlichen Deutschland,
vorzuglich in Schwaben und in der Schweiz , bediente man sich der Be-
zeichnungen n ovale und runcale*), Bezeichnungen, welche dem
noch jetzt dort gebräuchlichen Neuland und Neubruch entsprechen,
nur dass runcale bestimmter auf eine im Walde vorgenommene Ro-
dung hinweist. Seltner findet sich dagegen novale im nordlichen
Deutschland. Im Stiftungsbriefe für das Kloster Hasungen von 1074
erhält dasselbe „vineam novalem^^ und den Zehnten „super omnia
rura nouit^r culta uel colenda** in der Grafschaft Maden') und 1124
werden auf dem Eichsfelde sieben Dorfer „villae novalium"*) genannt.
Im Jahre 1163 heisst es in einer an der obern Weser ausgestellten
Urkunde „silvam — exstirpari concessimus et ad novanda novalia
agricolas in ea tali debito et hac iuslicia collocavimus^'^).
Aehnlich ist es mit dem dem novale völlig entsprechenden nord-
deutschen Rod oder dem südlichen Reut und Gereuti (Rod,
Riuti, Niuriuti)*). Man findet es in der ältesten Zeit nur vereinzelt
und meist in der Zusammensetzung von Ortsnamen z.B. 782: „Hu-
nengesrot** und „Diethwinesrodt"''); 786: „Humbenrot"'); 834:
„Engelbertis reuti" etc.'). In einer niederrheinischen Urkunde von
locum silvis et damis purgare", und Henschel 1, c. VI. p>72 u. 73; „terram «•
cultam excolere".
1) Eine Urkunde von 1121 nennt „^ecima in terris cultis , quam in novis et
veteiibus sartis'^ Hensciiei 1. c. VI. 73.
2) Belege dafür geben Anton a.a.O. I. 371 und Henschel 1. c. V. p. 825. Im
J. 850 heisst es: „Tradidi videlicet ad Hasumunanc ipsa marca adherentem run-
calem I hobam". Wirttemberg. Urkbch. S. 136. Im Jahr 1298 gibt der Bi-
schof von Regensburg der Kirche in Gecking „omnes provcntus seu obventiones
deeimarum novalinm , tarn runcantarum , quam in posterum rnncantarum per to-
tarn parochiam Gecking ". Mon. boica XIII. p. 382.
3) Schrader, Dynastenstämme S. 222.
4) Gudenus 1. c. I. 61.
5) Wigand, Westphl. Archiv II. S. 144.
6) Graff, Sprachsatz II. S. 489. Eine Urkunde des 13. Jahrhunderts sagt:
novale sive ein rod. (Grimm, Weisth. lll. 619), sowie eine andere von 1240:
de novalibus, que vulgariter Rodere appeUantur (Schöppach, Henneberg.
Urkbch. I. S. 20) und eine dritte von 1241: cum novalibus, quod vulgo dieitur
Gereuti (Mon. boica VIII. p. 147).
7)Wenck, Urkbch. II. S. 12.
8) Das. S. 15.
9) Wirttemberg. Urkbch. S. 107.
161
801 bmsi es: „uno Rodof<*), eine westphälische Urkunde von 799
sagt: „id est Rothum illum, quod dlcitur Widuberg;«*) und in
einer fuldischen Urkunde des neunten Jahrhunderts findet man : „tres
labomturas siluae, quod nos dicimus thriu rothe'*'). Zufolge einier
Urktt;nde von 1151 hatte das Kloster Altenburg „in novo rure,
quod dlcitur Rode iuxtä Frankenvurt, Vllmansos" erhalten*). Erst
später wird Rod gebräuchlicher, vorzugsweise in zahllosen Orts-
namen, wo es dann in der Regel auf eine jüngere Anlage hindeu-
tet. In diesen Namen ist es gewöhnlich mit dem Namen des ersten
Begründers oder Besitzers verbunden. So ist Brunwarderod das Rod
des Brunward und Marienrode wird 1205 „predium quod nuncupatur
novale St. Marie" genannt'). Dieselbe Bedeutung hatte auch das
süddeutsche Schwand und Schwendi.
Das alte septum wird später häufig durch Ha in un/1 Hagen
wiedergegeben'). Schon frühe kommt ein „novale hagenen rot** vor*),
Im spätem Mittelalter wird jedoch mehr indago dafür gebraucht, wo-
mit eben wohl ein mit einem Zaune eingeschlossener Ort bezeichnet
wurde. In diesem Sinne sagt eine Urkunde von 1294: „indagines
Pieshagen et Elderode in fundo ipsorum (der Aebtissin und des Kon-
vents zu Häufungen) noviter construclas**®) und 1278 heisst es von
dem zwischen Göttlrigen und Witzenhausen liegenden Dorfe Deiden-
rod „indago noviter plantata*' ^J. Dergleichen umzäunte Neurode fin-
det man während des Mittelalters besonders häufig bei den Dorfern
im Mecklenburgischen. So erhält das Kloster Sonnenkamp 1219: „in
indagine in uilla, que dicitur Bruneshovede, XXX mansos** *°). Auch
im Fürstenthum Rügen und in Pommern haben die meisten in spä-
terer Zeit angelegten Dörfer den Namen Hagen, z.B. 1236: „indago
1) Lacomblet, UrKbcli. I. S. 12. '
2) HeDsehe, Comment. praev. ad vitam St. Ludgeii episcop. jdimigard. §.4.
3) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 354.
4) Böhmer, Cod. dipl. Mocno-Francofurt. p. 15.
5) Wigan'd, Weslphl. Archiv I. 2. S. 60.
6) Das ahd. hagan wird in den Glossarien durch circiimsepire übersetzt;
der Begriff unseres hegen (custodire) ist erst aus jenem hervorgegangen.
7) Trad. Lanresh. p. 297 u. ^10.
8) Schmincke » Monim. hassiaca III. p. 259.
9) Scheidt, Cod. dipl. zu seinen Anmerkungen über Moser's Braunschweig.
Staatsrecht S. 877.
10) Lisch , Mecklenburgische Urkunden lt. S. 2. Weitere Beispiele s. S. 52,
53 f.
LABdau. Terrikoiien. " 11
m
VQlqiUQi^S 1242: „tndago sacerdoUs^S im Deut^eben Papf»)t)^geQ^)
und der Schulze derselbea wird Hagemejsier (magistei* indaginis) ge-
nannt*).
Ut^n darf jedoch aus diesen BenennvLngen, wie schon oben be-
m^vki worden ist, nicht immer auf Hof- oder Dorfanlagen schlies-
sen, indem* ebenso hüußg auch kleinere Rodstiicke damit belegt
werden, z.B. „1 bifangum ad vineam faciendam^^'), „bivangum 1 »d
jurnales XIIII et prata V^^^) eic. Ebenso werden jene BeoennuQg[ea
nicht immer in der oben aufgeführten Scheidung gebraucht. Wenn
auch die folgende Stelle: „illum bifangum iuxta Snarzaha, in loco,
qui vocatur ForoenbibHoz, quidquid ibi visi fuimus habere et $Ürpa-
tum, et proprisum ad slirpandum '^ ^) , Bifang und proprisu[n gegen-
einander über stellt und jenes vom gebauten, dieses abe? vom nocb
zu bebauenden Lande braucht , so finden sich doch auch sehr häu-
fig proprisa mit Gebäuden und Bewohnern, z. B. „proprisum com
aedificio et mansio*'*) und „proprisum cum omni aedipcio"').
Bald wurden derartige Neubauten durch einen Einzeln angelegt,
bald durch einen Freien , der dann Hörige daraufsetzte, bald waren es
mehrere, welche die Anlage gemeinschaftlich ausführten. So erwarb
das Stift Fulda 801 eine captura von fünfzehn und wenig später
eine andere von etwa 20 Personen; von den letztern hatten sechs
den Bau begonnen (isti coeperunt illam captüram inprimitus) und
einer die captura umzäunt (hanc captüram circumduxit)'), und eine
andere, Urkunde von 80 1 erzählt , wie ein Gewisser in Gemeinschaft
mit seiner Familie und mit Hülfe seiner Freunde ^einen ihm erbeige-
nen Bezirk umschlossen und gerodet habe (suam comp^'ehensionem
— comprehendit et stirpavit) ®). . Auf welche Weise dieses ge-
schah, dafür fehlt es uns in Deutschland zWar an allen Nachrich-
ten. Dass man aber erst nach Vollendung jenes Geschäfts zur
eigentlichen Rodung schritt und diese also nach und nach er-
1) Dreger, Cod. dipl. Pommer, Nr. 106 u. 143.
2) Jahrbücher des Vereins fiir .mecklenbui^ischc GcBcbicbtf ur4 AUertbums
künde Jahrg, VI. S. 17.
3) Trad, Laurcsh. Nr. 393.
4) Ibid. Nr. 2575.
5) Ibid. Nr. 244.
6) Ibid. Nr. 249.
7) Ibid. Nr. 3522.
8) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 165 u, 471.
9) Du Fresne I. p. 1252.
1«
folgte , dieses g^lit mt das unzwaifelbafleslo aus der häufig sich
zeigeoden Thatsache hervor, dass man innerhalb ein und desselben
Bifangs neben dem bereits umgelM>ochenen , also urbaren , Lande auch
noch unbebaute , noch mit Wald bekleidete Hufen hatte. Wie lange
jedoch einer soleben Anlage die Benennung Bifang blieb, und was
erforderlich war, um dieselbe als Dorf ku betrachten, ist um so
weniger festzustellen, als die Bezeichnungen proprisa , Bifangu. s. w.
wach dann noch gebraucht werden , wenn die neue Ansiedlung schon
mit Häusern und Bewohnern versehen war ^).
Wenn auch nicht alle diese Rodungen mit Gebäuden besetzt
wurden, und auch viele, wo dieses der Fall war, 'theils in Folge
ihrer ungünstigen Lage, theils durch Krieg und andere Ereignisse
wieder verschwanden, so ist, insbesondere seit dem achten Jahr--
hundert , doch ein grosser Theil der bestehenden Dörfer aus derarti-
gen neuen Anlagen erwachsen.
4) Das'Gemeingut.
In dem vorausgegangenen Abthoilungen ist die Mark als ein
Ganzes betrachtet worden. Ihrer rechtlichen Natur nach zerfällt die-
selbe indessen In zwei wesentlich verschiedene Theile, denn der Bo-
den beöndet sich theils im Besitze einzelner Personen , theils is( ^
Gemeingut *). . «
Selioi^ frvilvß biegAnn luan den nug^lbeilten im Gesammtbesilze
aU«A* £insassen b<^6ndlieheQ Boden zur Unlersclieidung des Sonder-
guts die gemein e Mark — marca communis — zu nennen, d. i. die'
gemeinschaftliche Mark ') , oder, was sogar poch hiUifiger vorkopai^t^
man sprach statt dessen vpn den gemcipesp qüqv offi^utlich.^Q
W&ldern*) und he^f^l^hwie dei> gen^^r^ign Wald insbesondere %ls
1) B27: „ . . . . ui^9i papXu(4i|i . . . . ot quicqiiid in eadem olDptuva . . • •
uisi sumus habere, id est in arialis, aediflciis, domibua .... manoipüs^ quor
rujn nomina haec sunt Theganbald, Uuolfpiar, AJtmaVf ft«^tlind . , . ." Drpnke/
Cod. dipl. Fuld. Nr. 472. Andere Beispiele s. ibid. Nr. 465, 471'^.
2) Schon eine alte alemannischie Tan^chformel i^^^; y,cum ^\\^s com^uni-
bus aut propriis.'* Mittlieilungen der ^tlqu|^r.-(jresQ]li9ph. in /iürißli VII. $. ji4.
nr. 11. "
3) U93: ,,a cqnamuui march^^^. slHSti, heas. Qi8»ilwürdigI{«ittn |V« S.40.
4) Belege dafür folgen unten.
11*
IM
Holzmark ^) und Waldmark*), indem man häufig den im Son<
derbesitze befindlichen Wald demselben g:eradeztt gegenüberstdlte')
und auch wohl den gemeinen Wald kurzweg Mark nannte^), ähn-
lich wie in Schweden, wo der gemeine Wald ebenfalls motk genannt
wird, und bei den Friesen, welche mit ihrem Hammerke eben-
sowohl die gesammte, 'als auch im engem Sinne die gemeine Mark
bezeichnen. Unter diesen verschiedenen Bezeichnungen ist indessen
keineswegs nur der Wald als solcher zu verstehen , der Begriff des
Worts umschliesst vielmehr den ganzen Gemeinboden und der Wald
tritt nur als der hauptsächlichste und umfa'ssendste Theil desselben,
alles andere mit einschliessend , hervor. In der Wetterau werden
auch gemeine Wiesen 1361 ausdrücklich Mark genannt') und noch
im siebenzehnten Jahrhunderte sagte man am Maine, wenn man
vom getheilten im Sonderbesitze befindlichen Boden auf den gemein-
samen übertrat: „man trete in die Mark.'<
Eine andere seit dem zwölften Jahrhundert allgemein üblich wer-
dende Bezeichnung für das Gemeingut ist AI mein de oder auch
Almende ^). Man hat dieses Wort auf verschiedene Weise zu er-
1) „ commnnem silvam clTium, vulgariier vocatam Holtmark. '* Vogt, Mon.
ined. 572. Schon 816 heisst es : „ in ambitu Erminges , id est in fioUmarka. "
Dronke, Cod. dipl. Fuld. nr. 317; 820: „marca silvatica". Zeuss, Trad. Wiacübg.
11. 74 u. 75.
2) 858: Cod. Trad. Lauresh. I. nr. 32.
3)880: terris, agris, campis, pratis, pascuis, silvis atque silvarum
marchis, aquis" etc. Neugart I. o. p, 463. und 909: „pascuis, silvis atque
silvarum marchis.*' Ibid. p. 551.
4) In einer Urkunde der Abtei Niederelteicli an der Donau heisst es: „In
viUa Isarahofa, quod Otilo donauit, sunt mansus XLII, quod Starcholfus petiuit,
a iam diclo duce, cum omni marcha seu silua uel omni termino ad ipsum
curtem pertinente." (Mon. boica XI., p. 14.) — „De silva apud feiern, que vnlga-
riter marcha vocatur." (Wenck, Hess. Landesgesch. II U. S. 160); „communis
Silva die Marck vulgariter nominata." (Guden., Cod, dipl, V. p.[801); „in ne-
more eiusdem villö' quod dicitur Marca." (Ztschr. des Vereins f. hess. Gesch. u.
Landeskunde III. S. 66.)
5) „Die Wisen, die man die Marke nennet" Mader, Nachrichten von der
Burg Friedberg I. S. 172.
6) Ich liabe das Wort «um erstenmale 1133 gefunden: „videlicet poteita-
tem secandi in silva publicali, quod vulgo Almeide dicitur et ius viarum eundi
et redeundi et deducendi et ius agendi et pascendi cuiuslibet pecoris in pascui»
pubiicalibus, tarn in arboreis vel in gramineis et ius stirpandi". Schöpflio,
Alsat. dipl. I. 203.
IM
klären versucht *) , obi¥ohl die Bedeutung nahe liegt. Es ist
ganz dasselbe, was unser heutiges allgemein besagt, nämlich
das , was allermänniglich ist . worauf ohnehin auch schon die Worte
communitas, comn^unis marca, universitas etc., die häufig dafür
gebraucht werden, hinweisen. All ist universus und omnis, und mein
communis*). Am Niederrhein und an der Donau werden sogar ge-
meine Wälder kurzweg Gemeinde genannt '). Auch haben thü«
ringische Urkunden von 1319 und 1320 Meinwerk ^), eine hes-
sische von 1269 M'en weide"), und eine schweizerische Urkunde
von 1549 Gemeinwerch ') u. s. w. Dagegen finden sich in west-
phälischen Urkunden Waldemene^) und Waldemeyne*) und
zwar bald für das Gemeingut im Allgemeinen, bald blos für die ge-
meinen Hüten insbesondere '). Ebenso nennt eine vogtländische Ur-
kunde von 1258 Gemeindeland kurzweg Gemene'^), während eine
Harzer Urkunde von 1312 von einer Wiese handelt, welche „tu der
1) S. z. B. Mone in s. Zeitschr. für die Gesch. des Oberrheins I. S. 385 f.
2) So heisst es 1256 : „ commnnis silva que Almeinde dicitur. '* (Würdtwein,
nova subs. dipl. Xlf. 170» 1*71 u. 173), und *1174 wird „fündus silvosus commn-
nis*' durch „gemein Geweide*' übersetzt (Bpdmann, rheingau. Alterth. I. S. 183);
1220: ,9 in communitate rusticorum -^ ville, quam Almeinde nuncupant.** (Gu-
denus, Sylloge. p. 117); 1222: „commania que Ahneinde vocantur. '* (Ibid.
p. 124) ; 1219 : „ de communi nemore , quod Almeina dicitur. " (Ibid. p. 108) ;
1227: „commuuio, quod dicitur Almeina.*' (Ibid. p. 151).
3) 1271 u. 1275: „süte — que Gemeinde dicitur.** (Günther, Cod. dipl.
Rheno-Mos. II. 372 u. 411); 1281: „silva — que vulgo dicitur Gemainde.*^'
(Mon. boica XIU. 22), wie dann auch eine Urkunde von 1207 Almeinde durcli
Gemeinweide übersetzt: „partem quandam cuiusdam palustris terre, que
prefate uille compascuum , id est teutonici almeinda uel gemeinweida fuerat.*'
(Mone, Ztschr. für die Gesch. des Oberrheins. I. S. 112.)
4) Schöppach , henneberg. Urkbch. I., S. 73 u. 78.
- 5) „super pascuis, que Menweide vulgariter appellatnr. ** Ungedr. Urk.
6) Schauberg, schweizer. Rechtsquelleu LS. 135.
7) 1323: I, ad usum communitatis quod Valdemene dicitur.** v. Spilcker»
Beitr. zur deutschen Geschichte IL 285.
8) 1344: „pro jure communitatis dicte Woldemeyne. ** Wigand, westphäl.
Arehiv. L 4 H. S. 100. Auch eine Urkunde Von 1345 sagt "^oldemene. Das.
II. S. 363.
0) 1206: „dedimus ^ campos communes pascnales dictos vulgariter Wol-
demeyne. *' y. Spilcker a. a. 0.
10) „Statuimus etiam ut in terra circa molendinumque Gemene vulgariter con-
suetudine niucupatur in pascuis fluxibilibas arboribns conjungendis et omnino
in Omnibus oommoditalibus plenum jus habeant cum vicinia. ** Variscia 3 H*
1834. S. 19.
tte
Mfcae" gehortfe *). An der untern Weser und in Dithttiar&chen
llei&st m e ft e noch jetzt püblicus , comitiunis , ^öWie M e e n t c so-
wohl die politisch^ Gemeinde als das Getneitldegut böi^eichnei ^. In
derselben Bedeutung braueben auch die Friesen tnena und für die
Gemeinde Elmeente oder Elmetha'); gleichwie b^i Ihnön Mfen-
skip die Gemeinschaft und Mensker die Gemeindehütuiig ist^).
Der Nordfriese hat dagegen El lern od a oder Ellemode*). Ganz
in derselben Weise steht das isländische almennings für üttiver-
sitas^ sowie der Plural almennigas für compascua, und in den
alten schwedischen Gesetzen ist altnänning 3= pascua aut silvae
commünes, almennings vegrtri via publica, und altnennings
mörk=ä Silva communis*). Noch heute sagt der Däne almeen
für gemeinschaftlich und nennt das Gemeinwesen Almdenhed,
während das holländische allem an ganz unserm allermänni^lich
(alle Menschen) eulspricht.
Almende und gemeine Mark sind indessen doch nicht ganz
dasselbe. Jenes ist ein weiferer, dieses ein engerer Begriff. Al-
mende umfasst nämlich, das gesammte- gemeine Besitzthum, ohne
Unterschied, also auch den Weinschank, den Zuehtochsen, den Eber
u. s. w. und alle Mobilien, welche einer Gemeinde zustehen; die
gemeine Mark dagegen nur dasjenige getneine Besitzihum,' so weil
dasselbe in Grund und Boden besteht.
Die gemeine Mark umfasste Alles , was nicht Sondergut war.
Schon in den ältesten Urkunden, welche über GüterVeräu6iseruügeß
handeln, findet man auch alle diezuin Göm^iiigtite gehörigen Gründe
aufgeführt'). Dahin gehören Waldungen, Wiesen, Hüden, Lände-
1) Erath, Cod. dipl. Quedllnbg. p. 3Ö0.
2) Bremisch -säciis. Worterbucli ill. 146 u. 147. Ö. Von der bau^rschaft-
lichen Meentverfassung in Dithmarscheii , von Dr. Midhelsett in dtt ZlÄChr. für
deutsches Recht von'Reyscher u. Wildk VlI. S. 89 f. , sowie iibcr die Möene-
niarlt bei Meldorf die Sanittilung der wichtigsten Abhandlung, z. Erläutfeihiilg der
Vaterland. Gesch. u. des vaterUnd. Rechts, welchfe in den Schleswig -holst. An-
2^igen erschii^n^n sind I. 131 f.
3) Wiärda , Geschichte der alten friesischen oder sfichsischen Sptäche S. '^ \
V. Richthofen , Altfriesisches Wörterbuch S. 704 u. 920.
4) V. Ribhlhofen Ü. a. ö. S. 920.
5) Outzen, Glossariam der friesischen Sprache JS. 00.
6) Giimni, Rechtsall^i^lh. S. 4Ö7.
7) 775: „ifl tM tarn ißnis, mansife, cariipis, pfitls, silvls, püWltferis> uua-
tris capls , aqtiis aqjiarumqtife üecursibus, ^sSl» et in^ifesis, ebmnJttViiÜ pernns "
etc. (Wenck a. a. 0. ürkbch. 111. S. 8.) Eine andere Urkunde von ii70 sagt:
.^
m
reien, Weitaberge, dl6 Wasser, die Wege, die Jagd, die Fiisöbelrei
Die BerecRtigung zur geraeinen Mark knüpfte sich, so lange
die allen Verhältnisse noch ungestört waren, an den Wohnsitz in
der Mark, oder, wie die Weisthümer sich ausdrücken, nur derje-
tiige war berechtigt, welcher mit Feuer und Rauch in der Mark
sass *) , d. h. welcher einen eigenen Herd hatte.
Die Grundlage dieser Bereohtigung war übrigens keineswegs
immer die gleiche; dieselbe war vielmehr wesentlich verschieden
und zwar je nach dem Rechtstitel, welchen der Bauer an sei-
ner Hufe hatte. Nur der auf seinem echten Eigen sitzende Freie
hatte, ein unmittelbares Recht , der dagegen auf fremden Hofgrunde
Sitzende , also der , welcher seine Hufe nicht als. unmittelbares
Eigen besass , hatte seine Markbereohligung nicht durch sich
selbst , sondern mittelbar durch den Hofherrn , welchem er d(i-
fur Zins- und dienstp^ichtig war*). Es lag deshalb auch in der
Willkür des Hofherrn dieses Recht zu beschränken oder auch sol-
chen Hintersassen ein, wenn auch beschränktes, Recht (Wasser
und Weide) zu gewähren, welche nur ein Haus besasseh ')< Die
Berechtigten kommen unter verschiedenen Bezeichnungen vor. Am
gewöhnlichstem war die Benennung Märker ^)) Wehrleute"),
„Montes, valles, sitvas tnm pertinentiis Uiiiverftis videlicet pascüis, prätid, ä^rU,
-cahis et incultis, aquis et aqn&nim decorsibus, boscho et piano ^ viis bt idViii,
itibus et reditibus, utilitatibiUB cünctis,. quesitis et inquibitis, sin« qualibet «k-
ceptione et contradictione cuiuseunquc. " (Mone a. a, 0. I. S. 96) Jedes Urkun-
denbuch gibt Belege in Menge. Von den in den angelsächsischen Urkunden
votkommenden Formeln hat Kemble in der Einleitung zu seinem Cod. dipl. Anglo-
Sax. I. introd. p. XXXVII f. eine ÄagammenstöUung gegeben.
1) Belege s. bei Dnnkcr, das Gesammteigcnthum S. 157.
2) Grimm, Weisth. I. S. 122, 424, 458, 643 f.*
3) „Sciendum est, quod omnes homines, villas et termioos nosttos ihhabi-
tautes , tenentur nohis curvadas facere ; non solum mansionarii verum et scärarii
i. e. ministeriales , et haistaldi i. e. qui non ftnent a curia hereditatem, quia
communionem habent in pascuis et aquis nostris*''. Ferner: „Haistaldi vocantur
manentes iu villa, non tarnen habentes hereditateni de curia, nisi areas tantum
et communionem in aquis et pascius.*' Gaesarius ad Reg. Prümens. ap. fiöntheim
1. c. I. 664 u. 672.
4) 1193: „liheri et serviles ottmeÄ incole — qui vnlgo dicüntttt Mcrchere."
Justi, hess. Denkwürdigkeiten IV« S. 31.
5) Aita Academ. Thfeod. Pal. HI. p. 1B4,
Wald- oder Holzgenossen ^), Erbexen*), denen das Recht
der Holzfällung angeerbt war (Erbäxie) , Scaratores '), Markgenos-
sen oder Marchiones^), Mitmärker oderCommarchiones').
Ueber die Art und Weise^ der Nutzung und deren Verthettung
bestimmte die Gesammtheit der Berechtigten. Die zu diesem Zwecke
alijährlich an gewissen Tagen zusammentretende Versammlung der-
selben war das Markding, auch Holz- und Forstding ge-
nannt , und diese ^raf die erforderlichen Bestimmungen unter dem
Vorsitze des Markrichters, O^bermärkers , Holzgrafen,
obersten Vogts, Waldboten, Markherrn u. s. w.
War die Mark das echte Eigen eines Einzelnen, was oft der
Fall, so war der Eigenthumsherr schon durch sich selbst auch
Markrichter und übte dieses Amt entweder selbst oder durch seinen
Vogt % War die Mark hingegen unter viele Freie gethellt , so wurde
der Markrichter unter den Genossen gewählt. „ Wir wdsen -- sagt
das Markweisthum von Bieberau — den Herrn von Falkenstein für
einen rechten gekorenen Vogt, nicht für einen geborenen Vogt; so
lange er den Märkem recht und eben thut, so haben sie ihn lieb
und werth; thäte er aber den Märkem nieht recht und eben, so
möchten sie einen andern setzen ^S ^^^ Ideshalb heisst es dann
auch, dass Wald, Wasser und Weide den Märkem zu rechtlichem
Eigen gehorten und sie dieselben von Niemanden zu Lehen hätten ^,
oder in einem andern Weisthum: sie hätten Wasser und Weide
vom himmlischen Vater zu Lehen % Mit der Zeit bildeten sich frei-
lich auch hier Erbrechte aus und der Vogt wurde , wenn auch nicht
dem Namen doch der That nach, ein Erbvogt.
Alle Markgerechtsamen, deren Natur hinsichllich des Umfangs
eine^ verschiedene Nutzung zuliess, wurden in einzelne Theile oder
Loose getheilt, und das einfache Loos gründete sich auf die Hufe.
Das Kloster Schonau sollte, wenn es seine zwei Pflüge Land zu
1) 1297: „Waltgenoten seu HoHgenoten.^' Lacomblet, Urkbch. II. S. 436
u. 411.
2) 1277: Grimm, Weisth. III. 186.
3) 1166: Rindlinger, münst. Beiir. II U. S. 204.
4) Das. S, 300.
5) Das.
6} Beispiele s. bei Dunlier a. a. 0. S. 163.
7) Grimm, Weisth. I. S. 213 u. 212.
8) Das. II. S. 492. Weitere Bmspiele s. bei Daiiker a. ä. 0. S. 165 f.
Sandhofen selbst bestellte, die Almende für zwei Mann haben*).
Ebenso sollte die Vertheilnng des Holzes in der Mark des Hofs Wa*
denbard nach Massgabe „doroorum suarum in ipsa niarcha^^ gesche-
hen*). Der, welcher keine volle Hufe hatte, erhielt in dem Ver-
hältnisse weniger. Dass auch der, welcher keine volle Hufe be-
sass, wirklich markberechtigt war, zeigt sich in vielen Urkunden.
Schon TIS findet man 10 Morgen Land „cum marca de silva'^^). Doch
war zuweilen auch ein Minimum von Besitz festgestellt, wie z. B.
zu Münder, wo der geringste markberechtigte Besitz 5 Morgen' be-
trugt). Solchen, welche keinen Grundbesitz hatten, wurde oft we^
nigstens das Recht am Wasser und an der Weide^ zugestanden.
Der, welcher ein volles Recht hatte, war voll war ig, der Halb-
büfener hingegen nur halbwarig. Der aber, welcher ohne Grund-
besitz war, hatte kein Recht oder war ungewehrt').
Dagegen ist in solchen Marken , welche sich in der Hand eines
Herrn befinden, die dem Herrnhofe zustehende Markberechtigung in
der Regel unbeschränkt').
Sehr verschieden ist die Art, auf welche die einzelnen Mark-
theile bezeichnet wurden. Oft wird die Berechtigung nur ganz all-
gemein ausgedrückt '') , zuweilen auch das Verhaltniss der Betheili-
1) Grimm, Weisth. I. 459.
2) Kindlinger, münster. Beiträge II U. S. 300.
3) Zenss 1. c. Nr. 186.
4) Grimm a. a. 0. III. S. 297.
5) In einem Zeugenverhore über Markverhältuisse vom Jahre 1338 lieisst es :
„Item requisitus, qui bomines einlafiflige Lude dicuntur, dicit: per omnes hü
qui aliqua bona in eampis non habent.<* Femer: „Item requisitus, qui homines
einlnfftig ibidem dicuntnr, dicit, quod omnes hü, qui ungewert Lute ibidem
dicnntnr, id est, qui non habent nee tenent agricnlturam in eampis** etc. Kind-
linger, Gesch. der Hörigkeit. Beil. S. 417.
6) Die nachfolgende Stelle einer niederdeutschen Urkunde von 1420 sagt dar-
über: „Item olde Lude vpp der Borde de seggen de Hoff tho Stendorppe bebbe
de Rechtycheyt in dem Lessemer wolde, we dar ji^ie wane, dat bete eyn Yn-
tai , dat bedudet alsso uele dat men mach driuen vpp den Wolt« alsso vele Swine
alsso de genne bedarff, de }n dem Houe wanet vnde mach ock howen vt dem
snlnen Wolde wes dem vorscr« Houe Not vnde Bedarff ys. " Das Stader Copiar.
Herausgegeben von W. v. Hodenberg. Hannover 1850. S. 57.
7) 871 : „ quantum de communi silva ad portionem nostram pertinet " (Neu-
gATiy Cod. dipl. Allem. I. 377); 1029: „cum omni sylvatica utilitate<< (Falcke,
Tr. Corbeien. p. 850); 1256: „super nsuagio silve" (Würdtwein, uova subsid.
dipl. XII. 251). Aehnlich Gudenus, Cod. dipl. II. p. 67 u. 960.
m
gung 'bezeichnet*), gemelnlieh aber der Anth^l mit einem bestimm-
ten Namen bezeiclinet. -So findet man dafür die Bezeichnung Scara
vorzugsweise in Friesland*), und nicht selten auch am Niederrhein
(Holtscara) ■) und an der Buhr*). Es bezeichnet dieses Wort den
Theil eines Ganzen. In diesem Sinne findet man dasselbe schon In
den Ann. Tiliani'), und es ist also dasselbe Wort, was wir noch
heule als Seh aar (z. B. Reiter-) brauchen'). Eine in We&tphalcn
sehr gebräuchliche Benennung ist Wara''). Auch südlieh von Aa-
chen (MontjAe) findet man diese Bezeichnung®), sowie am Nieder-
rhein •) , und südlich über den Main hinaus *®) bis Gemsheim ").
Nur zeigt sich das Wort hier in der Form von Were niid Wehre.
Im Mittellatein hat es sich in Warandia Umgestaltet '*) und sogar
a;is Warschaft kommt es vor*'). Ware oder Were ist sowohl
das Haus als die HoMätte^^), weshalb einKötherhof auch eine Kot-
were heisst, und der zu vollem Theil an der Marl« berechtigte Hof
ist deshalb vollwar ig oder werhaftig**).
1) 801: „id est curtile ununi et duodeciinam partem in silvam'* (Lacomblet,
Urkbcli. T. S. 13. Leibn., S. S. R. ßrunsv. I. 104); 820: „Ires partes de illa
marca siivatica. " Zeuss 1. c. p. 74.
2) 855: in silva - scaras XXVIII, — in illa silva scaras XL" (Kindlin-
ger, münster. Beilr. II U. S. 22 u. Lacomblet, ürkbch. T. S. 31); 1166: „jure
nemoris vicini, quod vulgarlter scara vocatur. " (Kindllnger a. ä. 0. S. 203).
3) Lacomblet a. a. 0. S. 26.
4) 796: „scara in silva.*' Das. S. 5 u. Leibnitz, S. S. Uer. BruHs. t. p. 106.
Auch Grimm Weisth. IIL 171. *
5) Perts, M. Germ. I. 220: j^miitens quatuor scaras in Saxoniam. Tres
pugnam habueruiu et viotores.extiiefunt, quarta verd nou habuit pagnam" etc.
6) Im Friesischeil heisst scera abtheilen , absondern ("Wlarda, Oesöh. der al-
ten friesischen oder sächs. Sprache S. 315) und im Angel^äöhsiseheii scerati
schneiden und scire ein Theil. ' •
7) 1159: „portionem lignorum> quam vocant Wara in silva" etc. (Niesert,
Münstersches Urkbch. IV. S. 114); 1178: „tirtaiti pörtioncm in Silva — quae
vulgo dicitur Wära" (Das. S. 119).
8) Ritz , ürkbch. S. 139 u. l44. .
9) 1028: Lacomblet, a. a. 0. t. S. 102.
10) Grimm, Weisth. I. S. 524 u. 525.
11) Tr. Laurfesh. Ilt. p. 300.
12) Grimm a. a. 0. III. S. 186.
13) 118»? j^XXVI pörtiones, qtiäfe WargtJöph vocant". Niestrt ä. -fe. O. 11.
S; lää.
44) Bremifiwfi-ttJedÄrsächs. Wörterbuch. V* 183. • '
15) S. oberi 8. 1«9; ^
•t71
Ganz dasselbe bezeichnet Märkerrecht *), sowie die gana
allgemeine, doch nur in Niedersachsen vorkommende Bezeichnung
Nutzung*).
Auch Acht- oder E c h l w o r t ist ausschliesslich sächsisch ^).
Nicht seilen findet sich das Wort zur Erläuterung neben Warandia
gestellt*) oder es wird auch wohl als ein am Walde habendes Erbrecht
erklärt'). Es sind über dieses Wort vielfache Erklärungen versucht
' worden, ohne dass man zu einer befriedigenden Lösung gelangt ist.
Echt' oder Acht heissl das Recht oder auch die Freiheit (im Grunde
nur zwei verschiedene Bezeichnungen für denselben Begriff)*), weshalb
der Schöpfe auch Achter und Achtsmann genannt wird; Wort
aber ist die Hofreilhe , welche der Bauer bewohnt. Man kann Echt-
wort' darum füglich als Haus -Gerechtsame wiedergeben, nämlich als
das Recht, welches dem mansus an der gemeinen Mark zusteht und
als eine Zubfehörung desselben betrachten wlrd'^).
Am Niederrhein bedient man sich mindestens seit dem zwölften
Jahrhundert statt Echtworl der Bezeichnung Gewalten^) oder
1) 1316: „quiuquc seotiones lignoruni, que vulgariter Merkerreclit diciui-
tuv." Wigand, Wetzlarsche Beitr. I. S. 269.
2) 1321 : „U utiltUtes , quae viilgariter dicuotur Nuth , in nemore'^ etc. Bode»
Beitr. zur Geech. der FeiidäUtände im Herzogth^ Braunschweig II. S. 25.
3) Beispiele davon findet man in Wigand's westph. Archiv I. H. 4. 8. lOOf
III. H. Ö. S. 97, sowie in Brinkmeier*» Glossar. I. p. 23. Ich habe das Wort
nur einmal auf frank. Boden gefunden , nämlich in dem Weisthum von Wetten
vom J.1239 beiWenck a.a.O. 11 üfkbch. Nr. 139 u. Grimrti, WeWth. IIL S. 344.
4) 1210: „unam warandiam integram , que vulgo dicitur Echtwort"; 1242:
^, quandain warandiam, que vulgo Eclitwort dicitnr.*' Seibertz, Münst. Urk.
Saniml. I. nr. 136 u. 223.
5) 1318: „ silvana hereditas dicta alias Achlwort. " v. Spilcker, Beitr. z.
deutschen Gesch. II. S. 273.
I
6) In einem Güterverzeichnisse des Klosters Wunstorf heisst es : „ de £ c h t -
werde in den Holtmarken u. s. w. Gy hebbet in d%r Börde vif e c h t e Amecht-
hcfue (d.h. FronhiVfe), dar gy af hebbet vnd beholdet Echt vnd Recht vp
den Dester (Deisterwald) vndc in den Holtmarken dar se jneu gheleghen syu. *^
V. Hodenberg, Calenberger Urk. 9te Abth. Kloster Wunstorf S. l33. Aehnliche
Stelleu kommen daselbst noch mehr vor. Ueber Echt und Recht vergl. auch
Saclisse, bist. Grundlagen des. deutschen Staats- u. Rechtslebcns S. biSS.
7) üesllftlb sagt eine Urk. von 1297: „appendida sive Achtwort. *^ Wigand
a. a. 0. I. H. 4. S. 107.
8) Schwlrz) Beschreib, der Landwirthsöhaft in Westphalen u, s.w. II. 181.
Mögliner Annalen XXVIII. 6. 85L
in
Halzgewalten^), lateinisch potestates*), sowie anderwärts Holz-
mark ') oder auch kurzweg Mark*).
Alle diese Benennungen kommen im südlichen Deutschland theils
selten, theils gar nicht vor, indem es hier gewöhnlicher ist , einfach
nur von den Rechten zu reden , welche die einzelne Hufe am Waide
hat, wenn auch immer in dem Sinne als bestimmte Theile oderLoose').
Die Nutzung -des Waldes war, von der gewöhnlichen Viehhute
abgesehen, edne zwiefache: der Wald lieferte das erforderliche Bau-
und Brennholz und diente zur Mast. Das Holz selbst thäUe
man jedoch in Bezug auf seine Benutzung in fruchtbares
und unfruchtbares; jenes, Eichen und Buchen, nannte maa
Hartholz, dieses weiches Holz oder Unterholz, Ur-
holz*), ain Ober- und Niederrhein auch Taubholz '^) und in West-
1) 1283: „potestates, qai Hoizgewelde dicitar/' Lacomblet. a. a« 0. ü.
S.401; 1297: „et duo jara ac dimidium in nemore, que dicontulr vulgariter darte
halue (2^) HolszgewaIt.<< das. II, S. 576.
2) 1195: „Significamus — qüod parochia de Hoingen curtem de Hovele in
perpetuam commumtatem pascue sue et lignorem secandorum recepit, ita vide-
licet ut tres potestates cartis de Heidenkoven curti de Huvele assignentnr."
Als Zeugen treten auf „omnes reliqui parochiani de Hoingen , qui secandi silvam
habent licentiam, que vulgo Geholzede dicitnr/' Lacomblet a. a. 0. 1. nr.
550. Im J. 1253: „anam potestatem in commani silva, que valgariter Ge-
weide dicitur." Das. 11. S. 213.; 1271 verzichtet Graf Heinrich von Kassel auf die
Holzgrafschaft über einen Wald „Gemeinde" genannt mit Ausnahme von „iUis
jqribus nostris et nostrorum hominum, que Geweide nuncupatnr.-^ Ganther,
Cod. dipl. Rh. -Mosel. II. p. 372.
3) Schon 823 im Elsass. Scböpflin, Alsat. dipl. I. p. 71; 1136: „tradidit
— IUI hnbas et dnas Haltmarcan , — uuam hobam ^ tres curte^ et unam Holt-
mar^ham.** Wigand a. a. 0. V. I, S. 40, auch S. 42; 1163: „incisione - Hg-
norum, quam Holzmarchen vocant in silvis, " Günther I. c. I, 379; 1168: „fo-
restiforia, que uulgus Holzmarchen nominat." Lacomblet a. a. 0. I. nr. 430.
Weitere Belege s. bei Dunker a. a. 0. S. 160.
4) 712: „de terra arabili iumales X — cum marca de silva." Zeuss, 1. c-
nr. 186 ; 877 : „II mansos — et illam marcam de silva ad illos mansos pertineo-
tem." Tr. Lauresh. nr. 946 ; 1274 : „cum iure nemoris , quod marcha uulgariter
appellatur.*' Günther l. c. II. p. 395.
5) 1279: „item XXVIII iura lignorum in siluara communem«*' Mone, Ar-
chiv etc. 1. S. 414.
6) 1 193 : „de arboribus , que fructifere non sunt et in vulgare Ürholie ap-
pellantur.'' Böhmer, Cod. dipl. Moenofranc. I. p. 18.
7) 1223: „collectionem lignomm, que dicuntnr DoufhoU.'^ Lacomblet, Urkbcb'
II. S. 60 ; 1298 : „ligna inutilia — et non valentia, que vulgariter dicuntur Doof-
h0ut.'* Das. S.579. S. auch Ritz, ürkbch. S. 134 ff.: Douffhoultz. Am Obenlicin
Donp- und Daubholz. Grimm, Weisth» I. S. 427 u. 432.
y
19S
phalenDuss- oderDustholz^), d. h. unnützliches Holz (von duss
— unnützlich), während hier das Hmiholz — ßlumholz genannt
wurde ^), so dass man die Berechtigung Blum- und Dussware nannte ').
Nur das Ur- oder Dussholz wurde insbesondere zur Feuerung be-
nutzt. Die Art der Vertheilung -war jedoch sehr verschieden.
Bald geschah dieselbe nach einer gewissen Anzahl von Wagen ^),
deren Zahl entweder fest stand oder jährlich bestimmt wurde ^); bald
durch die Ueberweisung einer Anzahl von Bäumen zu einem Loose,
und zwar so , dass die einzelnen Loose ihrem kubischen Inhalte nach
zieoilich gleich kamen; bald wurde der Wald in eben so viele Vierecke
getheilt, als Loose gemacht werden mussten. Man ersieht diese Ver-
fahrungsweise aus einer Urkunde der Stadt Heüigensfadt von 1294,
welche die Heiligenstädter Echtwart als einen Raum von bestimmter Länge
und Breite bezeichnet (ligna ad^ longitudinem et latitudinem . spatii, quod
Achtwert Üieutonice appellatur) ') ; ebenso wird anderwärts im sechs-
zdinten Jahi*hundert, die räunüiche Ausdehnung einer Eohtwort auf 5
Ruthen Breite und 2 Seile (3 Ruthen 2 Fuss) Länge bestimmt '). Dass
dieses eine allgemein übliche Vertheilungsart gewesen , muss man da-
raus scMiessen, dass viele Geschlechter, deren Namen sich auf Wald
beziäiea (die Waldpotten, die Forestirer in Flandern, von Waldeck,
von Ardey , von Vaerst , von £11^ , von Holtrupp u. s. w.), in ihrem
Wippen eine Anzahl in's Kreuz durchzogene Linien haben '). Es
durfte jedoch auch in diesen TheUen nur das Ur - oder Dussholz ge-
sddagen werden , das Blumholz dagegen blieb wegen der Mast in der
Regel von der Ueberweisung ausgeschlossen und musste , sobald es zu
Bauten erforderlich war , besonders angewiesen werden.
Ob diese Theilung des Bodens in Viereke eine bleibende war oder
alijährlich wechselte, ist schwer festzustellen. Wahrscheinlich fand
das eine hi^r, das andere dort statt. Eine solche feste Theilung war
1) „Bloem- oder Dttssholt/' Nieseil, Beiir. zu einem münst ersehen Urknnden-
buch n. S, 140.
2) 1241: Cum una warandia dicta florum et tribus miuutis* Dostwar. Niesert
a. a. 0. II. S. 125; 1249: eine blocm war, drie quateer dust war. Das. S. 126.
3) z. -B. Grim« a. a. 0. L S. 107. 524. ^,
4) Grimm a. a. 0. I. S. 107. 124 ff.
5) Wolf, politische Gesch. des fichsfelds I. U. S. 45 ff.
6) Brinkmeier, Gloss. I. S. 24.
7) Es wurde hierauf zuerst von Hm. v. Ledebur in s. allgemeinen. Archiv I, ,
128 aufmerksam gemacht und obwohl man diese Erklärung damals belächelte, so
liegt doch in der That eine Wahrheit darin, wenn auch die fibrigen noch daran
geknüpften Folgerungen wegfallen müssen.
es rniiweifelhaft, ab 1882 der beiip Hofe Isenkratfa iiegend^^ Gm)I^'
wald unter die Berecbtigteo getheilt wurde, denn es geschab dieses
„proportionalit(»r ad singiilas et potestates (s. oben S. 171.) per partes
distribnta'' %
Dttss die wirkliche Theiluag in eine noch weit frühere Zeit lunaufreiclU,
ist weU kaum zu bezweifein ; es lässt sich nur nicht immer die ufsprCiog-
liche Natur solcher Waldungen als Getneir^gut nachweisen und überhaupt
das Veohälftniss dieser Waldantheile zu den Hufen nur durch örtiicba Un-
tersuchungen feststellen. Bereits iaaJahre 7 13 sehen wir einen di^artigen
EU eine? Hufe gehörigen Waldtheil» welcher zu 91 Ruthen angegeb^, uiui
einen zweiten , welcher ebenfalls nach besUmmten Gritnzen beseipbaet
wird*). Derselben Erscheinung begegnet inanaüch öfters im Etsasi»^), so
wie in den Urkunden des Stifts Freisingen ^). Bei Aacben fiaddt mm
1192 als Zubehör von 39 Morgen Land „V jugera . neinom*^ °) » bm
Lübeck 1290 eine halbe Hufe mit „IV jqgeribus lignprum''^ Oo^
diese Waldtheilmig eine gleiehmäs^ige war, s^gt w«9ttgsten^ eip^
füldische Urkunde: „in Gruonstete XXX jngeiti et unun) ItduiD -*rr
et sUvam sicut alii lidi habere videntur XL jugeniui**^).
Neben diesen zu den einzelnen Hufen abgetbeilten Waldstlik-
ken , welche auch in Dänemavk vorkommen ®), bestanden in ^tetteiben
Gemarkung doch oft auch noch gemeinschaftliche Waldungen fcirL So
heisst es z. B. „jurnates XVI et forastum unum et portionem meain i^ illa
Harde^' *), denn unter dem zuletzt erwähnten Antheil wird augensohdinlich
nur ein Markrecht verstanden. Deutlicher tritt diese Thatsaehejedi^b i^eh
in der folgendenStelle hervor: „curtemeum domo etcumalüs edMcüs, de
1) Ucamblet, ürkbch. II. S. 4ftL
2) Zeus» 1. c. fir. 244, , .
3) jurnales XII. et forastum meum (Das. , S. 210) ; jurnales XVIII. et fo-
rastum upum (Pi^p S. 203 ; 9- ^uch S. 235) ; 823 ^ 4^ t^r ra «irabi|i |u^ra LXXV
— de Silva quasi jugera VII. (Schopflin, Als. dipl. 1. p, 72.)
4) partem silvae — < XXIV. perlic^s Iiabentes ligitipo^fp r^pui^urw (M^ichel-
)^cck, Hist, Frls. I. Nr. 135), In einer ftndem Ürliu^idp werden zu .4 U\\^ „de
silvula jitgera XX," zu 6 Hufen „de silvnlji jugera XUIH" (*a3- U Nr.
984) und an einer andern Stelle zu 40 Moi^i L^pd ^d^ sU^a juge|p^ |fj." hinzu-
gezählt (Das. I. Nr. 1055),
5) Quix, Gesch. d. Abtei Burtscheid S. 233. , -
6) Schleswig- Holst. -I^iauenbg. UrkbcJi. I. S. 151,
7) Schannat, Trad, Fuld. p. 300. .
. 8) Fälck, J^f steuBLi}?, Me^gj^zin VI. 44.
9) Zeuss l c. nr. 200 u. 201.
m
lerffiarAlitM jug^Aiar XXXVI ttdepralisearradas XV, 4a ligno jl^erun^
1 et insi-lya coiAmunem usum eum ^liis '). Aber aucl) in dem
abf ^tfaeü^n und der Hufe überwiesenen Wal4ibciU Ij^tte , wie scbon be-
ivier^^ 4^ Huftier kf^iqesw^gs inoni^ ßin untMeftchräJ^ckte^ Nutzung»-
reebt . In dem WeiÜBUitKiie von Kirehborohea in Westphalen voii 1370
b^fites ^ ausdruf^lieh : Kein Meier solle in eines andern Mei^irs Holzej
welchem m ^^sm Gute gebi^re, baiiien, es soIHq vielnoebr jeder das ui
seinem Oute gehörige Hob hegen („heinen uadh^en") und darin
seine Acbtwart von BrennhoU sucben» dagegiip $Qlle er
k.ein Eichenholz daiin hauen, ohne vorher eingeholte JgplaubQiss
des Ctomdberrn V-
Zuweilen waren solche einzelne Wälder nicht durch Abtt^ui^»
sofidis^ dadurch entstanden , dass Aecker , welche man wüst gelasseay
sich mit Hotz bedeckt hatten. Nach einem Güterv^zeichnisse des
bai^tischen Klosters Michelfeld soll von demjenigen Ifolzwucbsei, ,,do
Furch und BeUe gesehen'' werden, der zehnte Pfennig von dem!^-
löse des ver)(aiiften Holzes statt des Zehntens entnclitet werden^), wo-
gegen anderwärts auf diese Weise entstandene Waldmigen wi^fjer s^m*
gemeinen Mark isurück fielen *),
Nicht selten waren auch gc^iissere Waldstrecken im Privatbesitze
und schon in den alten Volksgesetzen wird dieser gedacht''). Solche
ausser der gemeinen Mark liegende Waldungen nannte man Sonder-
>va»l düngen, indem sonder (separalim) den Gegensatz von ge-
mein (communis) bezeichnet; „Silva, que vulgo Sündern dioitur,*'
sagt eine Urkunde von 1223 ^) und 1299 vergibt Heinrich Hodenberg
,,dimidietatem silue - — que Sundere vulgariter dicilur, cuius dimldie-
tas nos contingit ')."
^ hl ätterp Urkunden werden diese Wälder lateinisch s i 1 v a e s i n g u •
1 a r e a oder s p e a La 1 e s genannt. Beiaits im achten Jahrhundert findet sip|i.
,,8iiva domlni, quae singularis est" und in der Urkunde von 1126, durch
1) Meichelbeck 1. c. I. 783.
^) Wigand a. a. 0. V. S. 206.
3) MoR. boi«a XXV. p. 269.
4) Grimm a. a. 0. III. S. 416 u. 502.
^ 5) Cfrimm, R, A. S. 501.
^) Nifri^jp^ WeeiiP*. U*l»c)i. S. 225.
7) r. HodABberg» Kftl«n)»#rger Urkunden^ 1« Abth. Arghiv 4fß Kli>st<^r Bm\
siogbausen Nr. 71.
19«
welche xms Süft Korvei die Bmg lUer verkaiAe, hrisst es : „XXX mansi
et XXXmancipia et singulares siWas IID'*^).
Die andere Hauptnutzung des Walde9 ist die Eichel- uad Buchen -
mast. Schon in ältester Zeit legte man einen hohen Wertli auf die
„Mas tun ga'* und wohl mochte diese früher noch werthvoUer sein, als
Eiche und Buche noch häufiger 2U dem Alter gelangten , in .welchem
erst ihre volle Fruchtbarkeit eintritt. Zahllose Urkunden handln über
das Mastrecht, nicht blos in Deutschland , sondern mehr noch bei den
Angelsachien. Zuweilen wird des Rechts nur im AUganeinen gedadit'),
in der Regel jedoch die Berechtigimg auf eine bestimmte Zahl von
Schweinen beschränkt ') und nur der Markherr besass in der Regel ein
unbeschränktes .Recht *). Zur Almende gehören ferner auch Lände-
reien. In einer speierischen Urkunde von '1251 heisst es : „de jugeribus,
que Almeinde dicuntur"*), und 1214 entschied Kaiser Friedrich II, dass
die Almenden zu Strassburg dem Bischöfe gehörten , oder mit andern
Worten , dass der Bischof Markherr sei , und dabei werden ausdriick-
lieh auch Almendländereien erwähnt ')._ Eben so finden wir 1275 bei
der Stadt Weissenburg Länder und Weinberge aus den Almendgütern
entstehen ^). Schwerlieh behielten jedoch diese Grundstucke ihre recht-
liche Eigenschaft als Gemeingut, sondern wurden Sondergut, wie dieses
im Allgemeinen mit allen Rod - Ländereien der Fall ist.
1) Kindlinger, münster. Beitr. II. Urkbch. S. 3 u. 157. Ebenso sagt eine
Urkunde von 927 „cum silva etiam speciali", sowie'eine eweite von 941 ,,et doos
speciales forastas.'* Laeomblefy Urkbch. I. nr. 88 u. 98. «
2) 1298: „Item predicti mansenarii snos porcos, in eorundem domibos et
custengia seu eustu per hyemem enutritos, in fructibus quercuam et fago-
rum silue predicte qui vulgariter dicuntur Rykeyr, suo tempore potenint ves-
sere et nutrire et custodire.'^ Lacomblet, Urkbch. II. S. 580.
3) 743: „hoba una cum mansis, casis, aediflcüs uel quicquid in ipsa hoba aspi*
cere videtur et sHua ibidem mihi aspicieVttem ad poroos cvassare plus minus XV
et fraotas XXX*' (Zeuss. 1. c. nr. 4) und 871 : „hubas V -* et ad unam^iaamqvie
hubam X porcos saginändos in proprietate mea in silva Lotstetin sita, qnando
ibl glandes inveniri possunt." Neugart l. c. p. 377.
4) Zahlreiche Beipsiele s. in Grimm's Weisth, u. Piper's Markenrecht in West-
phalen &. 93 u. s. w. S. auch Grimm, R. A. S. 522.
5) Würdtwein, nova subs. dipl. XII. p. 158.
C) Ad haec etiam pro eodem episcopo sententia ialis lata ftdt, pro terris
iliis in civitate sive extra, quae vulgo Almende , quod uuUus homipam iUas ter-
ras habere debeat, vel sibi ex eisdem aliquid vendicare, uisi de manu episcepit
qui ipsas terras ab imperio — sc tenere recognoscit. SchÖpflin, Als. dipl. I. p.32d.
- 7) „item, si in communibus pascuis, que Almeide vulgari vocabulo nuncupa-
tur, agri colantur aut vinee, de culturis eisdem et in eis naseentibiis 'deeime p«r
solvutitur abbati." Schopflin, 1. c. IL p. 7.
M
Von besonderer Art ist das Feld Ossing in der Nähe der frän-
kischen Städte Windshehn und Uifenheim, worüber ZöpA^) aus dem
Baoiberger Tagfeblatt Folgendes miitheilt: ,,Auf der Ebene der südli-
chen Krautostheimer Hügelkette des Landgerichts Hohenlandsberg,
zwischen der Krautostheimer, Herbolzheimer , Humprechtsauer und
Rüdesbninner Markung findet sich ein Distrikt von beiläufig 5l2
Tagwerken^, der besonders abgesleint ist, unter dein Namen Ossing.
Dieses Feld wird von den genannten vier Orten gemeinschafl.lich be-
sessen, ohne zu einer derselben Markung zu gehören. Jedem der vier
Dörfer werden 128 Tagwerke zur Benutzung zugetheilt. Da aber der Di-
strikt nicht durchaus gleich gutes Erdreich hat, so ^wird derselbe alle
zehn Jahre aoTs Neue unter die vier Gemeinden vertheilt,^ uni auch in
dem Besitze des guten und schlechten Erdreichs zu wechseln. Aus je-
dem^' dieser Orte werden nun vier Nachbarn als besondere Gerichts-
inänner des Ossing aufgestellt , welche zusammen das Sechszehner-
gericht bilden. Diese versammeln sich in gewissen Zeiten auf dem
Ossing und schlichten hier die vorfallenden Angelegenheiten, weiche
Jen erwähnten Distrikt betreffen. <<
Zu den Gemeinländereien gehören ferner auch jene Aussen->
felder, welche, von der eigentlichen Feldflur getrennt, gewöhnlich
auf weit vom Dorfe entfernten Höhen liegen und unter mannichfalligeri
Namen vorkommen. Am Speshard heissen dieselben Wildfelder*))
in den Moselgebirgen und an der Eifel Wild- oder Sc hif feil an d^),
in Mecklenburg Buten felder (buten = aussen), in Sachsen Leh-
den*), im Waldeckischen Torffelder®), in Schwaben, der Schweiz
und im Salzburgischen £g arten'). In Niederhessen nannte man
im 15. Jahrhundert diese Ländereien Haideländer, in Oberhessen
aber Bergland, im Gegensatz zum Baufeld. Auch England und
Frankreich')? sowie Lithauen und Ehislland^) kennen diesen Bau. Ent-
1) Deutsche Staats- und Rechtsgescfaichtc. Bd. II. Abth. II. ^. 302.
2) Behlen, der Spesshard II. S. 20.
3) Schwarz, Beschreibung der Landwirthschaft in WeslphaU-n II. S. 151.
u. 157.
4) Koppe, Revision der Ackerbau -Systeme.
5) Curtze, Beschreibung von Waldeck S. 279.
6) Güritz» Beitr. zur Kenntniss der würtemherg. Landwirthschaft S. 39u.40.
und V. Lengerke, Landwirthsch. Lexikon III. S. 437. Schauherg, Ztschr. för
aoch ungedruekte Schweiz. Rechtsquellen I. S. 18.
7) Thaer, Englische Landwirthschaft I. S. 185 ff.
8) Kohl, die deutsch - rnss. Ostseeprovinzcn Tl. S. 282.
Lftadan. Territorien. 12
m
weder wird der Boden umgerissen (gepflügt) und dann txüi Hafer be-
säet, oder die Grasschwiele wird abgehackt, in Haufen getrodinet
und dann verbrannt. Nach einem Baue von einem oder einigen Jah-
ren bleibt der Boden wieder Jahrzehnte liegen. In älterer Zeit brannte
man das Gras und Gebüsch einfach ab, wie noch jetzt in Russland*)
oder in Schumadien und Macedonien, wo auf diese Weise oft herr-
liche Wälder vernichtet werden*). Auch die Hauberge im Siegen-
schen ^) gehören hierher , obwohl dieselben sich gegenwärtig in fe-
sten Händen befinden und ihr Betrieb durch Gesetze geregelt ist^),
und ebenso die in gleicher Weise bewirlhschafleten Felder cu Nieder-
zerf zwischen Trier und Saarbrück *) und auf dem Hundsmck %
Von ähnlicher Art sind die in den norddeutschen Ni^dertingen
sich findenden Gemeindefelder , namentlich in Holland und links vom
Rheine. Man nennt sie dort-Driesche oder Venöen, eine Be-
zeichnung, welche sich schon un neunten Jahrhundert findet^), und
im Friesischen sumpfiges Weideland , hier aber ungebautes oder viel-
mehr nur zeitweilig bebautes Land andeutet. Eine Urkunde vom J.
1200 sagt: „terram incultam, que in vulgari Drysch vel Uenne
dicitur"®). Dasselbe sind in Westphalen die Eschen oder Vö fa-
den, jene offenen, nicht in Kämpe geschlossenen, zwischen den
Höfen liegenden Gemeindefelder, über welche eine Urkunde von 1 567
fügende Bestimmung gibt:
„Idt soll ock nemandt des Sommers sien Vehe vp den Eschen
oder Gemeinheit tuschen den Korn oder sunst* hoeden, ehr die
suluigen ganlz bloet syn. — ^— Who dan ock, wan vp den Esche
geseiet iss, nemandt sien Vehe vogehoedet gaen laten sali" u. s.w.*).
1) V. Haxlhausen, Studien II. S. 247 u. 277.
2) Robertson, die Slaven in der Türkei. Uebersetzt von Fedorowitscli. I.*
S. 25.
3) Auch am Yogelsberge komnven Hau- oder Heufelder vor.
4) Schenk, Statistik des Kreises Siegen. 2.>.Au£l. S: 95 u. 133 ff.
5) MögHner Annalen der Landwirthscliaft. Bd. XXVII. S. 28.
6) Das. S. 36 — 39.
7) 888: „id est venu am in ma«Aa W. cum silva." Günther, Cod. dipl.
Rheno-Mos. I. nr. 5.
8)-bacom])let, ürkbch. I. S. 39. Eine limburger ürk. von 1266 sagt: „cum
quadam bona in Venna in Attelach" (Ritz S.. 87), sowie eine spfttere : „cum pra-
tis, agris, silvis, venna vndt dreschen." (Das. S, 79. Auch S. 73 u* 78
findet sich venna. ^
9) Niesert, münster. Urkbeh, III. S, 169.
W9
Ein The'il der Driesche wird nämlich im Sommer umgebrochen
Tind im nächsten Frühjahre mit Hafer besäet. Nachdem in den näch-
sten 3 — 5 Jahren in bestimmter Folge sowohl Getraide als Kartof-
feln, Hülsenfrüchte u. s. w., jedoch mit Anwendung von Dünger, ge-
baut worden , bleibt der Acker wieder liegen , um sich zur Hute zu
begrasen, und es wird nun ein anderer Theil der Driesche in Bau
genommen.
Das schonensche Gesetzbuch gedenkt des Baues der Aussen-
felder in folgender Weise: „Wenn einige Bauern Im Dorfe solche
Gemeinheiten oder Aussenfelder pflügen und besäen wollen, die an-
dern nicht, so sollen jene diese vor das Hardesthing oder Landge-
richt berufen und ihnen eine Frist setzen, damit sie alle zusammen
kommen, um sich über das Land zu vergleichen und dasselbe un-
ter sich mit der Schnur zu vertheilen. Wollen die andern dann
nicht zur Theilung kommen , so dürfen erstere ihr Land pflügen und
besäen , und jene bekommen nachher von denen , welche pflügten,
keinen Antheil, ehe sie selbst mit den andern in gleicher Masse ge-
pflügt und ausgerodet haben; später können sie das Land unter sich
theilen, wie es sich gebürt"*).
Nach dem Weisthume von Sandhofen steht jedem Bauer das
Recht za, so viel Furchen zu machen, als er in acht tagen sieb
getraue zu bestreichen; habe er aber in dieser Zeit das nicht geg-
ackert , was er gefurcht habe, so möge Jeder, dem es beliebe, da-
selbst ackern. Geschähe dieses zum Theil t solle man die gebaute
Strecke messen , und das Kloster möge davon seinen Theil nehmen.
Im Falle aber einer viele Aecker gebaut hätte, und könne dieselben
Armuth wegen nicht besäen, der solle nichts geben. Bestelle und
befruchte ein Bauer seine Aecker nicht dreimal in neun Jahren, so
möge sie jeder andere nehmen*). Es behielt dieses Land also im-
merhin die Natur der Almende. Noch bestimmter spricht sich dar^
über das Weisthum von Opfikon in der Schweiz aus: Wenn eine
OcmeiRde im Gemmwarcb, es sey im Holz oder anderswo, etwas
zu Bau ausgibt, soll es nach der Erndte wieder zur Almende ge«
hören ").
Dieser Bau scheint in älterer Zeit in noch weit grosserer Aus-
dehnung betrieben worden zuseyn» als dieses noch jetzt der Fall ist
1) Fallt , Neues Staatsbürger!* Magazin II. S. 749 u. 750.
2} Grimm a. a. p. S. 450, 460 u. 462.
3) Schauberg a. a. 0. I. S. 135.
12*
4 ■
Man muss dieses aus den allenthalben in den Waldungen und Wü-
sten sich findenden Spuren von Ackerbau schliessen; denn die Fur-
chen sind oft noch so deutlich, dass man die einzelnen Ackerbeete
scheiden kann, und doch erheben sich hier zuweilen Bäume, deren
Alter nach Jahrhunderten zu messen ist. Sicher gehören deshalb
auch hierher die s. g. Hochäcker in Ober- und Niederbaiern und
Schwaben, auf denen die Bifänge noch sichtbar sind^), so wie jene
weiten wüsten Ackersirecken, welche Dänemark besitzt*).
Viele jener Ländereien haben indessen schon lange die Natur
der Gemeinheit verloren und andere sind wohl auch von jeher Son-
dergut gewesen. Wo das letzlere der Fall ist , wird jener Bau dann
auch regelmässig betrieben , und wo dieses geschieht , ist es die be-
Jiannte Wechselwirthschaft , welche sich sowohl im Süden als Nor-
den von Deutschland findet. Während auf den alten Gemeinde-
ländereien nur Sommerfrucht, meist Hafer, gebaut wird, waltet hier
eine bestimmte Fruchtfolge. In der Gegend von Aachen nennt man
solches Land Kehrland').
Uebrigens gibt «s auch Gemeindeländereien, welche sich fort-
während in einem regelmässigen Baue befinden.
Selten finden sich Weinberge in der Almende*). Ein Bei-
spiel hiervon zeigt sich 1110 bei Koblenz: „vicini de Ludenesdorf
vineam, quam habebant communem. Gonfluentini, quidquid
commune habebant tam in arvis, quam in vineis. Vicini de
Confluentia', quantum communis hereditatis in menewege habebant').
Noch heute finden sich zahlreiche Gemein de wiesen. Schon
948 erwähnt solcher eine Urkunde des Stifts Freisingen : „ singulari-
ter etiam communionem in marchis — foenum secandum et pascua
1) S. N&heres im Oberbayerischen Archiv IV. -291 ff. und Neue Beiträge
u. s. w. von Buchner u. Zirl S. 75 ff.
2) Falk, Neues staatsbürg. Magazin III. 112 ff.
3) 1243: ,«daos bonnarios et dimidium — quod vulgari theutonico KJrlaol
dicitur." Quix, Gesch. der Abtei Burtscheid S« 97.
4) Mone bezieht sich in seinem Archiv 1.395. zum Belege dafür, dass Weinberge
oft als Gemeingut vorkämen, auf die gewöhnlich in aUeil Urkunden über Güter-
veräusserungen sich findende Formel , in welcher die Zubehörnngen eines Gats
im Allgemeinen angegeben werden ; aber abgesehen davon , dass diese^ Formel
lediglich eine Eanzleiformel ist, so enthält dieselbe auch keineswegs blos die
Rechte an der Almende, da neben diesen auch die Hofreithe, die Gebäude, Gär-
ten u. s. w. aufgezählt werden.
5) Günther 1. c. I. 167.
181
habende^'')) ^"^ ^^"^^ ^^^^ ^^^ des Heus m der Alinende gedacht*).
IMe GeiBeiiidewiesen zu Sandhofen wurden zum Zwecke der Nutzung
in Schläge geiheUt, von denen das Kloster Schönau 5, näm-
lich 3 für die bauliche Unterhaltung eines Teiches und 2 für die
Nutzung zweier Wege zur Viehtrift und ebenso viel der Schultheiss
erhielt, um damit die Pferde der Klosterknechte, weiin diese in's
Dorf kommen, zu füttern'). Diese Weise der Vertheilung in Schläge,
wdche entweder jährlich oder nach mehreren Jahren verloost wer-*
den, und von denen jeder Berechtigte sein Loos (Reihetheil, Kabel)
,zu mähen hat, besteht an vielen Orten auch noch heute ^). Ander-
wärts wird gemeinschaftlich gemähet und das Heu, nachdem das-
selbe ebenfalls gemeinschaftlich bereitet ist, nach Haufen getheilt,
oder — und dieses ist die am häufigsten gebräuchliche Weise —
die einzelnen Wiesenstücke wechseln nach einer bestimmten Reihe«
folge unter den Berechtigten.
Auch die Jagd gehörte zur Almende; nur behielt da, wo die
Mark in dem Besitze eines Markherrn war, derselbe diese stets
für sich, und überüess höchstens die niedere Jagd seinen Hinter-
sassen'). Doch kommen auch frühe schon Fälle vor, wo den Mär-
kern , ungeachtet dieselben die Mark q\s echtes Eigen besassen , die
Jagd dennoch entzogen wurde').
Mit der Fi eher ei ist es ähnlich. Dje Slromfischerei behielt
der Markherr gewöhnlich für sich , und überliess nur die Bachfische-
rei seinen Hinlersassen , obwohl auch diese nicht ohne Beschränkun-
gen , sowohl hinsichtlich des Fischgezeugs , als auch der Zeit des
Fischens.
Endlich gehören noch zur gemeinen Mark die Bienen in der-
selben, Mergel- und Kalkgruben, Steinbrüche u. s. w. , und
in Weslphalen die Plaggen, welche zu verschiedenen Zwecken,
namentlich zur, Düngung, verwendet werden.
Für das Nutzungsrecht der Gewässer der Mark, sowohl der
Bäche als Brunnen, haben alle Urkunden seit der ältesten Zeit die
1) Meichelbeck l. c. I. S. 1030.
2) Gndenits, Sylio^e p. 256.
3) Grimm a. a. 0. I. S. 460.
4) Bereits 826 findet sich in einer Urkunde des Stifts Freisingen „ de pratis
unnm, qiied dicimus Luz'^ Meichelbeck 1. c. I. p. 493.
5) Beispiele s. in Landau's Beiträgen zur Geschichte der Jagd u. s. w. S.30«
6) Das. S. 110 ff.
IM
stetende Formel „cum aqdis ei aquiarain decajrslbtts'^ oder wie deut-
sche Urkunden sich ausdrücken: mit Wasser und Wasserruasten ^),
d. b. mit Brunnen und fliessenden Wassern^ Ausser dem aUgemetnen
Gebrauche Ar Menschen und Vieh , dienten insbesondere die fliess^n-
den Wässer auch noch zur Wiesenwässeruog, welche übrigens stets
an eine bestimmte Ordnung gebunden war, der Jeder sich fügen
musste'). In den Marschgegenden kommen noch die Wassergrä-
ben dasu, welche die älteren westphälischen und niederländischen
Urkunden schon im achten Jahrhundert Waterscapum, Wadri-
scapium etc.') und anderwärts auch Waterganga (Wassergang)
nennen« Dasselbe Wort ßndet sich ebenfalls^ in den englischen Ur-
kundeofi^) und noch heute heisst im Englischen Watergang der
Wasserlauf I gleichwie im heuligen Franzosischen Watreganck
und Watregans der Kanal, statt dessen alte franzosische Urkun-
den sich auch des Ausdrucks Wateringhe bedienen.
Ferner sind Almendegut alle Wege im Dorfe und in der Dorf-
üur, gleichwie in den Städten alle öffentlichen Strassen und Plätze.
Im Jahre 1386 werden die Strassen in Worms ausdrücklich als Al-
mende bezeichnet^) und Gleiches ist mit dem freien Umgang an der
Innern Seite der Mauer der FalP). In einem Weisthum von 1506
heisst es deshalb: „wo Gebrechen ist ati gemeinen Stegen ifod
Wegen und anderm Gemein " u. s. w. ')
Natürlich war der Gebrauch der Wege, wozu auch die Brücken
gehören, sowohl zum Wandern und Fahren, als zur Viehtrift, für
jeden Einsassen eine Lebensbedingung, nicht nur im Allgemeinen,
sondern auch noch in der besondern Beziehung auf den, Bau der
einzelnen Grundstücke, zu denen, wenn auch nur vorübergehend,
der Weg oft nur über fremde Ländereien fährte. Es wird deshalb
1) Auch findet man 1190: aquaria, ruzaria, aquarumque ducdis, oder 1191
statt rnzaria — ruzalia. Hormayr, Gesell, von Tirol I. 2. Abtiil. Urkbch, S. 145
u. 147. .
2) S. Grimm, Weisth. I. S. 117, 131 ii. 177^ II. 86 u. IIF. 69. 589 n. 892.
3) Von Water und Schaft , die Gräben, in welchen das Wasser lliessl.
4) S. Belege dafür bei HenschelJ. c. VI. 913.
5) „Auch ist beredt von der Almende wegen, daz die Pfafiheit — mögen
Ire Keller Dore und Kellers Heise und ihre Schoppen darüber Widder bnwen und
machen, doch unscheideiichen der Strassen'*. Scbannat, Htst. Wormat. 1. Cod.
Prtfo. p. 201.
6) 1314: Würdtwein , . Ghron. Scbdnau. p. 253. Dassdbe finden wir auch
in.^rassburg. Urk. von 1230 u. 1261 ap. SchopfUn, Abat» dipl. I. p. 365 a. 434.
7) Grimm, Weisth. III. 588.
1.81
auch schon 1» den ältesten Urkunden dieses Wegerechts gedacht
Die gewöhnlichen in den Urkunden Torkommenden Formeln sind:
,,cum exitibüs et reditibus^), cum egressu et regressu*), cum exio
et regresso'), cum exitibüs et regressibus^), ac se ipsas moven-
libiis*), cum perviis*)^, cum viis et inviis'^), jus viarum eundl et re-
deundiet deducendi'^^) etc. Die alten Glossen geben fär introHum
— Einfahrt, und für exitum — Ausfahrt^), und dem entsprechend
sagt eine Urkunde von 1300 über mehrere Morgen Landes „cum
omni jure quod Invart et Vzsvart dicitur^' und eine andere von
1376^ welche eine lange Reihe von Grundstücken aufzählt, beinahe
bei jedem derselben j,m!t Vssfart vod Ynfart*'. Dieses Recht zur
Aus^ und Einfahrt gebürle nach dem jütischen Low^®) nur dem, wel-
cher auf einer alten Hausstätte sass. Baute sich einer ausser dem
Dorfe an, so musste er die nothigen Wege auf seinem Eigen anle-*
gen. In der niedersächsischen Uebersetzung jenes Gesetzes heisst
es: „Wanet dar wol buten dem gemeinen Dörpe, in der Hegede
(Vong) gebeten (also im Feld): doch dat he vp sinen egen Grunde
vnde Bodem gebuwet hefft, so schal he vp sinemEgen ock
hebben vnde holden sine Fortä vnde Fäganck, allen Ege-
ren ane Schaden edder he schal tho dem groten Dörpe wedder in-
raren " **)•
Die Yiöhhute (Weidgang) erstreckte sich über die Gemeinde -
Weiden, den Wald und die Stoppel- und Brachfelder"). Dieselben
konnten nicht willkürlich benutzt werden, sondern es geschah die^
ses in der Regel nach Massgabe des Besitzes, so dass für Jeden
eine bjestimmte Anzahl der verschiedenen Viehgattungen föstgesetzt
wurde, mit denen er die Hutegründe betreiben durfte. Die alle Be-
1) Böhmer, Cod. Moeno-Fraucof. p. 6. , .
2) Ritz, Urk. S. 14.
3) Marlene et Durand. 1. c. I. p. 103.
4) Trad. Lanresli. I. p. 52 , 55 , 57 f.
5) Ibid. I. p. 47.
6) Ibid. I. p. 28 u. 30.
7) Wenck a. a. 0. Urkbch. 111. S. 16.
8) Wördtwein , iiova subs. dipl. VlI. 79. \
9) Graff a. ». Ö. 111. 582 u. 583.
10) I. 48.
11) In der lateinischen Uebersetzung heisst die betreffende SteTle: „debet m
terra propria habere introitum et exilum ad forta et feegangh. Porta ist hier
der Weg zu Aus- und Einfahrt und Feegang die Viehtrift.
12) 84d : „in pascua eommuuia in ägris*'. Neugarf, Cod. dipl. Aleman, 1. 263»
184
zelohnapg för die HuleMchen ist gewöhnlich Wonne und Weide
und um die Grashute des Sommers von der winterlichen Maslhute^)
zu unterscheiden, nannte man Jene die Blumenhute').
Obgleich die Berechtigung am Gemeii^gute — wie schon oben
bemerkt worden ist — der ganzen Natur des Verhältnisses entere«**
chend an den Wohnsitz in der Mark gebunden und durch denselben
bedingt war, also an der Hofstät^ haftete, weshalb manche Weis«
thumer auch der unbebauten Stätte jedes Recht absprechen '), so be-
gann man doch schon frühe diese Regel nach verschiedenen Seiten
zu durchbrechen, und damit die alten einfachen Zustände zu ver-
wirren. Das erste ,^ was in dieser Hinsicht geschah , war wohl die
Aufnahme nicht in der Mark Heimischer in die Genossenschaft, wenn
immerhin auch nur zu einzelnen Theilen des Gemeinguts, nament-
lich der Jagd, der Fischerei, des Holzes, der Mast und Hute. Am
frühesten wurde die Jagd an Fremde abgelassen^) und in Bezug auf
HfAz und Mast waren es besonders die Klöster, welche bald durch
Kauf, bald durch Schenkung derartige Rechte erhielten.
Auf diese Weise entstanden die s. g. Aus märker.
Neben diesem Verhältnisse bildete sich und zwar als eine Folge
desselben noch eine andere Abnormität aus, wonach die Einzel-
berechtigung ein Gegenstand des fteien Verkehrs wurde, anHinglich
freilich nur in so weit, dass der Marktheil eines Hofs käuflich auf
einen andern jedoch ki derselben Mark liegenden Hof übertragen
werden konnte') und zwar stets nur unter dem Vorbehalte der Zu-
stimmung der Markgenossen").
Aber auch noch eine dritte Abnormität trat ein: die Zahl der
Loose versteinerte sich gewisseirmassen und indem sich dadurch eine
Klasse von Höherberechtigten bildete, blieben dagegen alle spätem
Ansiedler von der Markbereclitigung ausgeschlossen. In dieser Lage
waren nicht npr vijele Dörfer'), sondern auch die meisten der wäh-
1) „In pascuis publicalibus tarn in arboreis tarn in gramineis. Wfirdtwcin,
nova subs. dipl. VIT. p. 79.
2) Grimm, R. A. S. 521.
3) Grimm, Weisth. III. 223.
4) Landau, Beitr. zur Gesch. der Jagd u. s. w, S. 40 f.
5) So wird 1144 dem Kloster Ueberwasser zu Münster ,>ja8 sylvestre'^ eines
Hofs übertragen. Niesert, Münst. Urk. Sammlong II. 161. S. weiter Dunker
a. a. 0. S. 168. ,
6) In der eben erwähnten Urkunde heisst es: „ consientibus einsdem silve
forestariis sire marcmannia <*•
7) So z. B. in Oberh^asen, nach] ei^^/ Schrift aus dem 14. Jahrhundert:
185
rend des dreizehnten Jahrhunderts neu entstandenen Städte*). Sp-
gar unter den einzeln Einwohnern der Dörfer führte dieses zu Miss-
verhältnissen. Röhrda in Hessen bestand gegen Mitte des sechszehnten
Jahrhunderts aus 12 Kirchmännern, deren Häuser am Kirchgraben
um die Kirche.herum standen, 12 Pfarrmännern, welche verstreut
im Dorfe auf Pfarrgütern wohnten , und 2 Klostennünnern des St. Cy- ^
riaxstifls zu Eschwege. Von diesen waren nur der Pfarrer, und die
Pfan-er- und KlostermUnner gemeindcbcrechligt, die Kirchenmänner
aber nicht.
Jetzt herrscht in allen diesen Verhältnissen die grosste Verschie-
denheit. Blicken wir nur nach Hessen, so finden wir an dem einen
Orte den Gemeindenutzen, wie die Marktberechllgung hier genannt
wird, an eine feststehende unveränderliche Zahl von Höfen geknüpft
und denselben nur mit dem Hofe veräusserlich , im nächsten Dorfe
sehen wir denselben mit jeder auch der kleinslon Niederlassung ver-
bunden und zwar hin und wieder sogar dergestalt, dass ohne Rück-
sieht auf den Umfang des Besitzes ein Jeder gleich befechtigt ist,
und in dem dritten finden wir dieses aus einer beistimmten Zahl von
Loosen bestehende Recht als freie ledige Waare, welches jeder,
auch der Fremde, welcher nicht einen Fuss breit Land in der Ge-
meinde besitzt, erkaufen kann. Aehnlich sind auch die Verhält-
nisse anderwärts, namentlich am Niedefrhein, besonders unter Kob-,
lenz'), und in Ditmarsehen^).
„ Alle Dorfere vme <den BargwsU vnd Waleberg gelegen , die nicht Merkere dar
yiine syn, plegin jerlich dar yn zu dingen", u. s. w.
1) Z. B. Frankenberg. In der eben angeführten Schrift heisst es: ,|Dye von
Franckenberg syn- keyne Merkere jn den Burgwalt, darvme plegen sye jerlich
dar yn zu dingen 1 Jar von eyme sente Michilsdage bis ane den andirn vnd din-
git daryn , wen den gelustit vnd gibit iglich Wagen myrae Juricliern 1 Motte Ha-
birn vnd dem Stiffl^ zu Mentze also vele vnd heissit Wagenhabirn *S
2) Mögiiner Annalen XXVIII, S, 351. Schwerz, Beschr. der Landwlrthscb.
in Westphalen u. s. w. II, 181,
3) Michelsen , über die bäuerliche Meentverfassung in Ditmarscben in der
Ztschr. von Reyscher u. Wilda VII. S. 95 , 98 l.
Vierter Absdinitt.
Die TheiloDg des Volkes in Sfamme,
1) Die Gliederung ia Stämme.
X/ie Mark ist — wie wir gesehen haben — ein ungetrenntes , eine
Einheit darstellendes, fest in sich abgeschlossenes Landgebiet, und
demnach ihre Bedeutung eine reine territoriale. Bei allen Völkern
aber, welche hinsichtlich ihrer Lebensbedürfnisse lediglich auf die
heimische Erde angewiesen sind , ist der Grundbesitz die einzige Bar
sis ihres politischen Lebens und zwar dergestalt, dass die Ge-
mei'nsamkeit des Grund und Bodens in einer nothwendigen Folge
auch die politische Gemeinschaft in sich schliesst. Kurz^, die Mark
ist die ebenso einfache, als natürliche Grundlage der Volksgemciode.
Wenn auch In ihrem innersten Wesen verschieden, sind doch beide
so fest und innig in einander verschmolzen, dass die eine nicht
ohne die andere gedacht werden kann. Beide bedingen sich gegen-
seitig und gehen deshalb auch Hand in Hand. Wie die alte grosse
Urmark eine ^Gemeinde umschloss, so folgt auch jeder Theilung
derselben stets eine dieser entsprechende Theilung der Gemeinde,
und zwar so , dass die Zahl dei Marken stets auch die Zahl der öc*
meinden bestimmt. Dennoch war die Entwicklung beider nicht ganz
dieselbe. •
Die erste ursprüngliche Niederlassung bildete eine in sich abge-
schlossene Gesellschaft, eine selbstsländige politische Gemeinde; die
von derselben zunächst ausgehenden neuen Änsiedlungen geschahen
auf dem Grunde und Boden oder in der Mark der Muttergemeinde
und konnten demnach aucli nur mit dem Willen oder der Zulassung
derselben begründet werden, ungeachtet der dadurch bewirkten Er-
\mleraDg des Anbaues bildete das Gange doch noch fortwährend
eine einzige Gemeinde, denn diese 'ersten neuen Niederlassungen •—
mochten sie auch von der ältesten weit entlegen sein — störten
noch nicht das gegenseitige VerhäHniss, M'eil eine gemeinsame und
zwar gleichmässige Benutzung des Bodens in keiner Weise dadurch
gehindert wurde. Bis dahin blieben noch Alle Glieder einer Ge-
meinde. Erst dann wurde dieses anders, als von diesen Ausbauten
wiederum neue Ausbauten ausgingen und dadurch die Töchler nun
selbst Mütter wurden. Jelzt erst trat eine Scheidung der Interessen
ein, weil die gleichmassige Benutzung nicht mehr möglich war. Die
Tochter trennte sich von der Mutter, sie wurde selbstsländig und es
entstanden ebenso viele nefue Gemeinden als die seither einheitliche
Mark sich in kleinere Marken zerlheilt halle.
Ungeachtet dieser Uebereinstimmung in der Theilung der Marken
und des Volkes gestaltete sich jedoch das Verhältniss der einzelnen
Theile beider zum Ganzen wesentlich verschieden. Wahrend näm-
lich alle nach und nach aus der grossen Mark hervorgehenden
kleinen Marken hinsichtlich der eigentlichen Markverhällnisse , also
der Nutzung der gemeinen Mark, selbstständige von einander unab-
hängige Gebiete wurden, erhielten sich dagegen alle Theile der die
gesammte Urmark innehabenden Volksgemeinde als ein politisches
Ganzes. Die Gemeinde blieb nach Aussen fortwährend eine Ge-
meinde und die Gliederung fand nur nach Innen und zwar nach
einer bestimmten Unterordnung statt, indem in einer gewissermassen
natürlichen Folge jede neue Gemeinde in eine filiale Stellung zu ihrer
Muttergemeinde trat, so dass der alte Ursitz forldauernd als die
Mutter Aller und als Mittjel- und Ausgangspunkt .der Gesammiheit
betrachtet wurde. So lange nur eine Gemeinde bestand, wurden
alle Angelegenheiten derselben, wie dieses in der Natur der Sache
lag, an dem Hauptorte der Gemeinde verhandelt, so bald aber die
eine Gemeinde in mehrere zerfiel, und dadurch gesonderte Interes-
sen erwuchsen, musste auch hierhin nothwendig eine Aenderung^
folgen; es mussten die allgemeinen von den besondern Angelegen-
heiten geschieden werden, Und diese Scheidung musste sich schon
durch die gegenseitigen Verhältnisse von selbst ergeben. Seitdem wur-
den nur noch die alle Gemeinden berührenden Angelegenheiten an
der alten Mutterstätte verhandelt, dagegen alle die, welche nur die
einzelnen Gemeinden insbesondere berührten, in diesen selbst zur
Verhandlung^ gebracht. Die alte Mutterstätte erhielt dadurch eine
doppelte Bedeutung, indem sie sowohl für die Gesammiheit, als
im
auch für die MnUergemeinde , welche das Urdorf bildete , den Mittel-
punkt abgab.
In Folge dieser Entwicklung bildeten sich vier Gliederungen in
den Abtheilungen des Volkes, welche im Folgenden naher beleuchtet
werden sollen.
Das Land.
i- ■ » •
Für das Gesammtgebiet eines Volksstarnmes, also für das Land
einer Nation, gab es ursprünglich keinen eigenthümlichen Namen,
dasselbe empGng' vielmehr seine Bezeichnung von dem Volke, wel-
ches die Herrschaft hatte. Ein solches ßesammtgebiet heisst vor-
zugsweise Land, lateinisch terra, provincia oder regio, und zu die-
ser Bezeichnung tritt einfach die des Volks, z. B. terra Francorum,
terra Saxonum etc., das Land der Franken, das Land der Sachsen
u. s. w. Die ältesten Könige nennen sich deshalb auch nicht Könige
des Landes, sondern stets und immer nur Könige des Volks z. B.
rex Francorum, Merciorum etc.; denn sie waren nicht Herren des
Bodens , sondern nur Häuptlinge des Volkes. Eben aus dem Grunde,
dass das Gesammtgebiet keinen eigenen , keinen landschaftlichen Na-
men halte, sondern erst durch den Volksstamm seine Bezeichnung
empfing, verschwindet auch dieser Name wieder, sobald der alle
Stamm vertrieben oder unlerjocht wurde, und an seine Stelle tritt
der Name der Sieger. So wird der Stamm der Sueven von dem der
Alemannnen, der der Britten durch den der Sachsen und Angela
u. s. w. verdrängt'.
Die Provinz.
Diese Abtheilung, welche auch Land, terra, provincia, Gau,
pagus etc. genannt wird, hat eigentlich keine hervortretende politi-
sche Bedeutung. Sie ist ein Mittelglied zwischen der Gesanimtheit
und der nachfolgenden Abtheilung und scheint^ in ältester Zeit der
letzteren Stelle eingenommen zu haben und erst durch weitere Thei-
lungen in eine provinziale Stellung gelangt zu sein. Die drei gros^
sen Abtheilungen Sachsens: Westphalen. Engern und Ostphalen sind,
dergleichen Provinzen. , .
Der Gau.
Ein jedes Volksland ist in eine Anzahl von Gaue getheilt, eine
Bezeichnung^ welche in der allgemeinen Bedeutung von einem jeden
abgeschlossenen Bezirke gebraucht wird*). In der goihiscben Sprache
lautet dieses Wort gawi, im Althochdeutschen gawi, gouwi,
chouwi, im Mittelhochdeutschen göuwe, göu, geu; im Alt-
sächsischen, ga und go etc. '). Dieser Bezeichnung stehen noch
einige andere zur Seite, welche ganz dasselbe ausdrücken. Da-
hin gehören das im nordwestlichen Germanien, sowie in Nordal-
bingen vorkommende Baut (Brabant, Teisterbant, Ostrobant^ Q yfj y -
bant und Sadelbant)'): das in den beiden Gaunamen Wetereiba und
Wingarleiba sich findende Eiba^, und < das alemannische Bar.
Aach Feld (Grabfeld, Wormizfeld) scheint noch hinzugezählt m er-
den zu müssen, in der lateinischen Sprache wird für alle diese \^er-
schiedenen Bezeichnungen pagus gebraucht. Schon Tacitus und
Cäsar bedienen sich dieses Wortes und ebenso nennt auch Ammianus
Marcellinus die Gebiete der alemannischen Häuptlinge regelmässig pagi.
Zwar scheint pagus, wie dasselbe die Urkunden gewöhnlich anwen-
*den, einer solchen bestimmten Bedeutung zu widerstehen, z. B. in
pago Hassegowe, in pago Helmgowe u. s. w. Dieses ist jedoch
ein mehr scheinbarer, als wirklicher Pleonasmus, denn das Wort
Gau ist hier ein integrirender Theil des Gaunamens , welches gerade
dann am deutlichsten hervortritt, wenn der Name entweder in der
Genetivform gegeben, z.B. in pago Danubii, in pago Hessorum etc.,
oder als Adjektiv gebraucht wird, z. B. in pago Wormatiense, in
pago Weterabense etc.
Wie die Bedeutung d'er Worte Mark und Gau nicht dieselbe,
so besteht auch in der Sache selbst ein wesentlicher Unterschied.
Schon die Art und Weise, wie beide Worte, in den Urkunden neben
einander gebraucht werden , läs«t dieses bald erkennen und muss
1) Zuweilen wird Gau auch als Gegensatz zur Stadt angewendet und bezeicli-
net dann überhaupt das platte Land.
2) S. darüber das Nähere und namentlich über die Etymologie des Wortes
den ansfuhrlichen Aufsatz von Wächter in der Encyklopädie von Ersch und Gru-
ber 8. V. Gau.
3) In der oberdeutschen Form Ba nz^ = regio. Graft, Sprachschatz III. 139.
Im J. 793 wird ein Wald genannt: in silva que dicitur Seaeüuald^, sine Sujft^
baat Lacomblet, ürkbch. I. S. 2. Aehnl. 796 S. 6.
4) Dasseiba eben wohl nur die Bedeutung von terra oder pagus hatte, sieht
man aus Paulus Diaconus 1. c. 13. Nach Golanda — erzähtt derselbe — hätten
die Longobarden Anthaib , Banthaib und Burgundhaib innegehabt, und fügt erläu-
ternd hinzu: ,»quae nos arbitrari possumus esse vocabula pagorum seu quorum-
cunque locorum.
490
Kar Beseitigung der von vielen Sdten *) aufgestellten Annahme fuh-
ren, dass die Mark eine eigenUtche Unterabtbeilung des Gaues sei.
Der Gau wird nümlich sleLs in Verbindung mit der Grafschaft ge-
nannt Fasst man dieses und dann auch noch das Wesen der Marl(,
w\e dasselbe oben entwiclvelt worden ist,, ins Auge, so wird sich
jeder Zweifel darüber beseitigen, dass beide in ihrer inneren Natur
durchaus verschieden, ja, dass sie, obwohl eng in einander ver-
wachsen, gewissermassen Gegensätze sind. Wie Mark einen rein
örtlichen lediglich den Grund und Boden umfassenden und in sich
abgeschlossenen einheitlichen Bezirk bezeichnet, so bezeichnet dage-
gen Gau eine auf der Gliederung des Volkes in Stämme beruhende,
kurz , eine politische Abtheilung ').
Mit dem Namen Gau werden alle zwischen der untersten Ab-
theilung des Volkes, der Dorfgemeinde (im alten Sinne) und der
grossen Gesammtheit des Volkes, dem l.ande. Hegenden Abtheilun-
gen belegt.
Es gibt allerdings Ausnahmen von dieser RegeL Man fmdei
nicht nur Gesammtlfinder pagus genannt, z. B. : pagus Saxoniae,
pagus Thuringiae, es werden auch Abtheilungen von Gesammtläu-
dern als provinciae (z. B. provincia Grabfeld und provincia Tulli-
feld, obwohl das letztere nur eine Abtheilung des ersteren ist) und
als regiones bezeichnet, sondern zuweilen wird auch marca für pa-
gus gebraucht '). Aber alles das sind nur Ausnahmen , gleichwie
auch der im spätem Mittelalter zuweilen sich findende Gebrauch von
pagus für die einzelne Dorfmark ^). Im gewohnlichen Gebrauche wird
unter Gau jedoch nur die grössere zunächst unter der Gesammtheit
stehende Abtheilung verstanden, und ich werde der Kürze wegen
diesem Gebrauche ebenfalls folgen.
1} Grimm, R. A. S. 496.
2) Dieses hat anch schon fiichhorn in seiner deiUscIien Staats- und Reclits-
geschichte, IV. Ausg. I. S. 62 ii. 65 anerkannt.
8) In marca Grapfeldono. JDfronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 460 u. 497; — in
Grapfeldono marcu. ibid. Nr. ,255; — in marcha Logene. Dionke, Tr. et Ant. Fuld.
p. 33; — marca Hessoram. Wenck, Urkbcli. II. S. 16. .
4) Das mir bekannte älteste Beispiel hiervon gibt eine Urkunde von 1029:
„. .. pagoqne suo Snizc*' (Historie der Pfalzgrafen vonSacIisen S. 73). Im J. 1154
findet sich ein pagus Pfaflfcndorp (Wigand, westph. Arcliiv 1. H. 2. S. 95);
1354 liest man: „in villa et pago vlUe Waltwinkel" (Thuringia sacra p. 150)
und 1332: „in pago ville Vrommegestede " (üngedr. Urk.)
»1
Die Hundertschaft
Die nächste Unlerabtheilung des Gaues ist die Hundertschaft*),
Wie schon bemerkt worden ist, wird auch diese Abtheilung mit
denselben Bezeichnungen belegt, welche bei den grössern Abthei-
lungen gewöhnlich angewendet werden, nämlich pagus oder Gau.
Nor in Süddeutschland kommt auch die Diminutivform pagellus vor.
Ebenso werden die Unterabtheilungen der grossen alemannischen
6a ra gleichfalls Bara genannt.
Ausserdem werden diese Bezirke insbesondere als Hundert*
Schäften bezeichnet, wofür unsere alte Sprache huntari hat,
und lateinisch centena oder centuria gebraucht wird.
Wenn Cäsar*): ,,Hi (sc. Suevi) centum pagos habere dicuntur"
und an einem andern Orfe'): „pagos cenlmn Suevoram ad ripam
Rheni consedisse** sagt, er also dem ganzen saevischen Volke hun-
dert Gaue anweist, so lässt sich diese Angabe mit der des Tacitus*),
dass die Semnonen, also ein Stamm der Sueven , hundert Gaue gehabt
(Semnones centum pagis habitantur) nicht vereinigen. Dieser Wider-
spruch findet indess darin seine einfache Lösung, dass beide (leicht mög-
lich auch nur ihre verbessernden Abschreiber) einen Namen für eine
Zahl genommen. Sie haben das Wort Hundari missverstanden und
da, wo nur von einem nach der Hundertzahl benannten Bezirke die
Rede war, hundert solcher Gebiete gesehen. Diese Verwechselung
wiederholt sich bei beiden Schriftstellern mehrfach und eben diese
mehrfache Wiederholung von den hundert Gauen hat neuere Schrift-,
steller verführt, die Centen für die älteste Zeit gänzlich zu beseiti-
gen ; es sind aber gerade die Centen, welche in den Vorgrund treten.
Der Gau ist sowohl bei Cäsar als Tacitus die Einheit, die civitas^
der Staat; die Hundertschaften aber sind die Glieder der Einheit und
eben erst in ihren Gliedern wird diese dem Auge anschaulich. Dann
aber waren — wie später noch nachgewiesen werden soll — die
Centen, welche das spätere Mittelalter uns zeigt, nicht mehr- die
1) Waitz II. S. 313, 431 u. 445 spricht den Baiern diese Abtheilung für die
altere Zeit ab, aber sicher nicht mit Recht; mögen auch die von ihm angefülir-
ten Stellen des baier. Ge^setzbuchs sich wirklich nur auf das Heer beziehen , so
ist das Heer doch eben nur nach den Abtheiluugen des Volkes gegliedert.
2) De hello gall. IV. 1.
3) Ibid. I. 37.
4) Germania 39.
m
alten; die alten waren vielmehr von .M^eii gn^össerm Umfange und
halten demnach auch eine höhere politische Bedeutung, als man
den nachherigen kleinen Centbezirken zuzugestehen veranlasst wer?
den konnte.
Eine in der That eigenthiimliche Erscheinung ist es übrigens, dass
die deutsche Bezeichnung Hundari sich beinahe ausschliesslich nur
bei den Alemannen und zwar insbesondere in dem grossen aleman«
nischen Gaue der Bar wieder ßnden, z. B. pagellus Goidineshun-
lare*), cenlena Ruadalteshuntare *), pagus Munte^heshuntere ') wo
es gleich Gau als integrirender Bestandtheil des Namens gebraucht
wird. Nur in dem Gaue Königshunder am Niedermain *) und in
Friesland ') finden sich zwei vereinzelte Ausnahmen ; obwohl
auch die am Niederrhein vorkommenden Hun Schäften oder
Hunarien^) höchst wahrscheinlich noch hierher gehören. Aber
ungeachtet dieser immerhin aufTallenden örtlichen Beschränkung des
Vorkommens der deutschen Bezeichnung, sprechen doch die sonst
allenthalben verbreiteten lateinischen Bezeichnungen centena und
ceuturia dafär, dass jene deutsche Benennung auch im übrigen
Deutschland im Gebrauche gewesen sein muss.
Ein elgenthümlicher Unterschied zeigt sich jedoch in der Bildung
der Namen zwischen den grossen sowohl, als kleinen ^Gauen (den
Centen) und den jener alemannischen Baren und Hundaren. - Wäh-
rend die Namen jener stets als Landschafts namen erscheinen, sind
1) Wirtlembg. Urkbch. 1. 141.
2) Das. S. 112.
3) Das. 196. 202.'
4) Friedemann, im Archiv des Vereins für hess. Gesch. u. Altevthumskunde
VI. S. 2 ff. will zwar Kdnigssunder gelesen habpn.
5) In pago Uestracha in viila Cammingehunderi. Erhard, Cod. dipl.
Westph. L Nr. 13r
6] Schon in dej^ Jahren 1065 und 1112 heisst es in Urkunden des Maximin-
Stifts bei Trier; „illi qui Hunnones in qaibusdam locis dicuntur"; ebenso in
and. Urk. : „super homines de sua hunaria^' und„stiper homines habltantes
in sua hunaria" (Günther, Cod. diph. Rheno - Mosel. 1. 380 n. 381); 1164 wird
einer Huuaria en\'ähnt ; 1322 heisst es wieder: „de qualibet cougregatione ho-
minum dicta Hun sc Ha ff* und diese letzte Bezeichnung — Hundschaft —kehrt
in der spätem Zeit noch häufig wieder und hat sich sogar bis auf unsere Tage
erhalten. S. hierüber die interessante Abhandlung: „über die Hundschaften am
Niederrhein'* in Lacomblet*s Archiv für die Geschichte des Niederrheins S. 200.
im^Jahre 1442 findet man ein aus einer Anzahl Dörfer bei Koblenz bestehendes
Huntdink. Günther a. a. 0. IV. 411 n. 412.
198
diese dagegen stets Personalbezeiehnungen , indem ^e^ CoUektivbe-
nennung Bara und Hunlare mit einem Personalnamen, sicher dem
eines alten Inhabers , verbunden wird, z. B. Berlhoidesbara, d; h. die
Bara des Berlhoid, Ruadolteshunlare, d. i. die Huntare des Ruadolt.
Eine besondere doch nur selten vorkommende Bezeichnung für
den Centbezirk ist Fe est. So findet man es im Hannoverschen na-
nnentlich für die einzelnen Abtheilung^n des Amts Bodenteich ge-
braucht ') ; aber auch am Niederrhein begegnet man ihm schon 1 292.
In einer Urkunde d. J. ,heisst es nämlich: „primo coram parochia in
Linse et postea coram quinque parochiis et Septem judicibus —
quorum universitas volgariter Veste dicitur, ubi sententiatum fuit
publice et concorditer etc.*^').
Die Zehntschaft.
r
Sowohl in unsern ältesten Volksgesetzen, als ctuch anderwärts
findet man die Decania, die Zehntschaft, angedeutet. Man
hat aber viel über dieselbe gestritten, und da sie noch Niemand
örtlich' nachweisen können, ist ihr Vorhandensein in Deutschland
vorzüglich von neuern Forschern') entschieden in Abrede gestellt
worden. Dennoch ist auch sie vorhanden: es ist die einfache Dorf-
gemeinde.
Ich habe oben gezeigt, dass die aus der letzten Markt&eilung
hervorgegangenen Marken ausser dem Mutterdorfe stets noch eine
bald grössere bald kleinere Zahl von späteren Ansiedlungen in sich
schlössen, welche nicht als selbstständige Dörfer, sondern stets nur
als Zubehörungen jenes Hauptdorfes genannt werden. Die Zahl die-
ser Nebendörfer ist ebenso verschieden, als die Grösse der Dorfmar-
•
Ren, so dass eine solche Gemeinde an 20 und wohl noch mehi
Dörfer 'umfasste. Es sind also stets mehrere Dörfer, welche eine
Gemeinde bilden, und diese aus der letzten Scheidung hervorge-
gangenen Gemeinden finden wir ganz und gar in den Centgeridits-
bezirken des späteren Mittelalters wieder, welche noch heute
zu einem grossen Theile unverändert fortdauern. Die in dem Re-
gister des Archidiakonats der Probstei St. Stephan (Oberlahngau) *)
1) Vaterland. Archiv für Niedersachsea 1839 , S. 372 ff.
2) Günther, Cod. dipl. Rheno- Mosel II. p. 492.
«) Wakz, deutsche Verfassungsgesch. I. S. 47. II. S. 273. 417. v. Sybel,
Entstehnug des deutschen Rouigthums S. ^3 u.« 37.
4) Bei Wurdtwein Dioec. Mog. III.
LaMdan. Territorien, 13
IM
aafgefiibrten Secles sind z. B. solche Gemeinden. Die Urkanden
der ältesten Zeit nennen derartige Geoieinden gewöhnlieh einfach
Villa 0) neben dieser Bezeichnung findet man aber auch häufig
die von villicatio, obgleich man mit diesem Worte auch den
Amtsbezirk des Villicus eines Herrnhofs belegte, was sich leiclit
daraus erklärt, dass in zahllosen Fällen Dorf und Hof in räumlicher
Hinsicht ganz übereinstimmen. Im Jahre 1156 wird Scunderun „in
villicationem Hamelenburc ^* gelegt') und 1157 Ottenhusen gleichfalls
eine „villicatio*' genannt'), ja, schon eine fuldische Urkunde von 852
sagt: „super territorium et omnem villicationem^'^), und stellt damit
Mark und villicatio als räumlich übereinstimmend hin ^).
Im späteren Mittelalter sagte man in Westphalen statt vilhcatio
auch legio, z.B. 1330: „Gerhardus deNyenhus, Albertus Edelinc et
colentes mansum dictum Edelinc ac mansum dictum Cenlinc in
legio ne Wert«, et mansum dictum Thehinc in legione dicta Ho-
mere morantes in parochia Borken" '). Es wird also hier die legio aus-
drücklich als eine Unterabtheilung des Kirchspiels, d. h. der Cent, be-
zeichnet, was übrigens schon auf einer weitem Entwicklung beruht.
Für beide, villicatio und legio , brauchen die deutschen Urkunden
Bauerschaft, und zwar ganz in derselben Weise, wie dieses oben
angedeutet worden ist, so dass sie bald die Bauerschaft als einen Theil
des Kirchspiels^), bald die Bauerschafl und die Mark als zwei zusam-
menfallende Bezirke bezeichnen ®). Indessen sind dieses , ich muss
1) S. oben S. 166 ff. So auch eine münsterische ürk. von 1032, in welcher
eine Anzahl. Hofe als ehie villa genannt werden. Niesert, Münster. Urkbch.-IT.
S. 42 ff.
2) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 821.
3) Dronke , Trad. et Antiq. Fald. p. 150.
4) Ibid. p. 66. S. auch eine Urk. des 12. Jahrh. bei Niesert a..a. 0. U.
S. 80.
5) Spätere Beispiele liefert Märker, Burggrafenthum Meissen. Ürk. S. 415
z. J. 1274. V. Hodenberg, Kalcnberger ürk. 1. Abth. Archiv des Klosters Ma-
rienwerder S. 44 zum Jahre 1280.
6) Niesert a. a. 0. IV. 466. Dasselbe Werk liefert noch mehr Beispiele.
7) 1316 : „den Tegherinchof de gheleghen is binnen den Kerspele to Lon in
der Burscap to Wentfelde mit den Houen de darin hören" (Niesert, Beitr. zu
einem münsterschen Urkundenbuch II. S. 374. S. ferner S. 00, 03 ff.); 1378;
„dat Hus to Holthusen mit den twen Richten, der een het dar Burrichte, dat
ander dat Holtgerichte — beleghen to zamene in den Kerspele to sunte Lam-
bertd to Cosuelte vnde in der Burschap to Harlere." Das. II. 491 u. 403. .
8) 1390: „rechte dorschlachtige yrye G ade, beyde Eruelude vnd Gude ewelike
vry to blyuene Bruninchorsteshoff (Brunckhorsi) , des Godeke Bare eyn recht
195
wicderhoU daran erinnern , schon nicht mehr die Klteren Ver!i8Hnisse,
denn derselbe Bezirk, welchen wir hier als Kirchspiel benannt fin*
den, ist für die ältere Zeit nichts anderes, als vielmehr die ehe-
malige Banerschaft.
Aber auch die Zehntzahl kommt noch spät vor und zwar in
dem sächsischen T y , welches das hochdeutsche Zehn ist. So heissl
es z. B. in dem allen soester Rechte: „judicibus Ulis, qui dicun-
tur Ty« 0.
Jeder dieser Bezirke bildet für sich ein in sich abgeschlossene^,
selbstständiges Ganzes und nur in seinen Beziehungen nach Aussen
tritt eine wirkliche Abhängigkeit ein , indem er da als das Glied eines
grössern Ganzen erscheint. Dieses Abhängigkeilsverhältniss steigert
sich nach unten; die Cent ist abhängiger als der Gau, die Bauer- -
Schaft abhängiger als die Cent; am unabhängigsten aber steht der
Gau. üeber dem Gaue stand in ältester Zeit nur die Volksgesammt-
heit, die von keinem einzelnen persönlichen Willen gehalten und
getragen, natürlich ein nur sehr lockeres Band gewährte. Höchstens
nur da, wo es ein alle Gaue desselben Volkes berührendes allge-
meines Interesse galt, insbesondere einen Krieg, standen wohl alle
insgesammt als eine Einheit zu einander. Aber selbst in diesem
Falle war eine solche Einigung selten. Man blicke nur auf die rö-
mischen Kriege gegen; die Germanen. Besonders deutlich wird dieses
in den Kämpfen der Alemannen bemerklich; während die Masse des
Volkes gegen die römischen Heere zieht, bleiben doch immer ein-
zelne Gaukönige zurück, entweder im engem Bunde mit den Rö-
mern stehend, oder doch wenigstens eine neutrale Stellung behaltend.
Die nordfriesischen Gaue s^hen wir nur einmal sämmtlich geeinigt,
nämlich- in der siegreichen Schlacht gegen die Dänen im Jahre 1252.
Jeder Gau steht — wie gesagt — selbslständig, führt Krieg auf eigne
Faust und kämpft nicht selten sogar mit dem Nachbar des eigenen
Stammes.
Diese Zustände sind nicht etwa abnorm, sondern liegen so
ganz in der Natur der Verhältnisse, dass wir sie allenthalben,
Einend is, vnd Hardeskoff gehegten myt den Husen vnd Eruen, de darin höret, also
Heygincli Hus vnd Heygen seinen Wyweken Hus, HoUekin^ii Hus, Rnsinch Hus,
Bruninch Hus, Barstelinch Hus vnd de Vtlimolen genompt — beleghen — in der
.Marke vnd Burscapto Vthbodo in dem Kerspel to Aschendorpe. " Das. II .S. 424,
1) Vgl, Sachsse, Hist. Grundlagen des deutschen Staats- und Rechtslöbeos
S. 305, der übrigens hierbei viel zu weit geht«
13*
196
I
\
WO eine ähnliche Verfassung besteht, auch heute noch wiederfinden.
.Ich verweise in dieser Hinsicht nur auf die Kämpfe im Kaukasus und
auf den jüngsten -Krieg der Türken gegen Montenegro. Ungeachtet
die Montenegriner schon ein Oberhaupt hatten, sahen wir die ein-
zelnen Nahnien dennoch ganz nach freiem Willen sich an dem Kriege
betheiligen. Nirgends trat der Fürst den Nahnien gegenüber gebie-
tend auf, vielmehr erklärten diese zuweilen, nachdem sie bisher bei
dem Kampfe unbetheiligt geblieben, nunmehr ebenwohl die Waffen
ergreifen zu wollen. Deshalb richteten die türkischen Heerführer
auch ihre Ansprachen meist an die einz^dnen Nahnien.
Es ist im Vorhergehenden von mir schon mehrfach hervorge-
hoben und zum Theil auch nachgewiesen worden , dass dieselben
Bezirke im Verlaufe der Zeit nicht imme'r dieselbe Bedeutung behiel-
ten. Gleichwie die Marken eine Reihe von Scheidungen erfahren,
so war dieses auch mit den Gliederungen des Volkes der Fall, nur
mit dem Unterschiede, dass bei den Abtheilungen des Volkes (abge-
, sehen von dem bedeutungslosem Miltelgliede der Provinzen) jene
vier, oder, da die Gesammlheit unverändert bleibt, richtiger jene drei
Abstufungen, wenn auch nicht gerade örtlich, doch in ihrem Wesen
stets unverändert und stetig bleiben ; denn jede neue Scheidung ver-
mehrt unter Beibehaltung der hergebrachten Abstufungen nur die
einzelnen Theile derselben. Die seitherige Dorfgemeinde (Decania)
wird Cent, die seitherige Cent wird Gau, der seitherige Gau aber
scheidet sich in mehrere Gaue.
Um eine solche Trennung eines Gaues mit einer Thatsache zu
belegen, lasse ich hier eine Darstellung des thüringischen Wester-
gaues folgen.
Der Westergau.
Zwischen dem Eichsfelde und dem fränkischen Grabfelde lag der
Westergau, so genannt im Gegensatz zu dem thüringischen Oster-
gau. Obwohl jener Name^nur wenig vorkommt, so halte- ich ihn
doch für den allgemeinen , weil er auch im Süden an der Gränze
des Grabfeldes gebraucht wird, wo er, auf einen kleineren Bezirk
beschränkt, den noth wendigen Gegensatz entbehren würde. Ur-
sprünglich stand der Westergau unter einem Archidiakone , dem
von Dorla, bis das Gebiet desselben in zwei Hälften, in eine nörd-
liehe und eine südliche, geschieden wurde, wovon die letztere ihren
Mittelpunkt in Eisenach erhielt.
Die Urkunden nennen uns im Jahr 932:
„Chirihbaringa" -r- Kirchbehring^en ;
„Uuoluesbaringa^^ — Wolfsbehringen ;
„Paringi" — Osterbaringen;
„ Bisenuuinda " — unbekannt;
„Hursilagemundi^^ — Hörsei, an der Mündung der Hörsei in die
Werra;
„Falchinaba" — Falken, zwischen Trefürt und Kreuzburg*);
„Asbah^^ — unbekannt, denn Alsbacb, westlich von Gotha, liegt
ausser der Gränze;
„ Eckihardesleba " — ^Eckhard sieben ;
„ Asguri", oder (wie jene Registratur sagt) „ Asgarunt" — Aschora,
beim vorigen;
„S^lzaha^^ — Langensalza; ^
„Dumiloha" — ■ Dorla;
in pago Uaestgouue in Comitatu Meginwart *).
Im folgenden' Jahre, 933, werden „in pago Vuestergouue in co-
mitatu Meginvuarchi — Barcuelda et Bretinga " (Brachfeld und Brei-
tungen zwischen Salzungen und Schmalkalden) genannt').
Der ganze Gau bildete also noch eine einzige Grafschaft. Das
war aber im folgenden Jahrhundert schon anders. Der Gau war
bereits in mehrere Gaue und Grafschaften getheilt und zwar auf
den Grund der einzelnen grössern Marken , deren Bildung und nach-
herige weitere Theilung sicher schon in weit Mherer Zeit vorausge-
gangen war. Es waren fünf grössere Marken , in welche der Wester-
gau getheilt wurde.
Die mittlere war die Mark von Lupnitz (Lupencemarca in p.
Turingiae) von welcher wir eine Beschreibung ihres Umfangs be-
sitzen, welche 1012 aufgenommen Wurde, als die Abtei Fulda sich
den königlichen Wildbann in derselben ertheilen liess. Obwohl ich
nur die wenigsten der angegebenen Gränzpunkte zu erläutern ver-
mag, so lässt sich die Gränze doch feststellen, wenn man die Be-
schreibungen der nördlichen Gränzen des hersfeldischen Wildbanns
1) In der Urkunde steht diea^er Name als Verbesserung über „Salchinähof^^
und eine alte Registratur lässt den letzteren Namen deshalb auch aus.
2) Wenck a. a. 0. 111. Urkbch. S. 27.
3) Schöppach , Henneberglsches Urkundenbuch S. 1.
von 1016 und 1330*), sowie dte Arcbidiakonatsregister *) mH zu
Hülfe nimmt.
Hiernach begann die Gränze in der Werra und lief im Trocken-
bache hinauf, worunter ich jenen kleinen Bach zwischen Falken und
Zella erkenne, welcher noch heute die Aemter Trefurt und Kreuz-
burg scheidet. Von da' zog sie südlich von Netza , zwischen diesem
und Wernershausen hindurch , über das Hainich und den Reckenbiel
und hielt sich in fortwährend südlicher Richtung auf der Wasser-
scheide zwischen der Werra und Unstrut und zwar so, dass sie bis
zum Nessethale mit der heutigen Gränze zusammenfiel. Nachdem
sie jenes Thal oberhalb Ellenhausen überschritten , zog sie an Has-
trungsfeld und Burla, beide uiit einscliliessend , hin und zu Sätel-
städt über die Horsel. Weiter führte sie zwischen Sondra undKlein-
sondra , sowie zwischen Seebach und Schmeerbach durch und bis zum
Gerberstein , südlich von Ruhla. Hier wendete sie sich gegen Westen
und hielt sich auf der noch heute bestehenden Gränze bis südlich
von Wilhelmslhal , wo sie davon abweichend, sich zwischen Bur-
chardrode und Eckardshausen durchzog und Marksuhla umschlang.
Sie ging dann zwischen diesem und Wünschensuhl hindurch und
führte in nordwestlicher Richtung , nördlich an Dietrichsberg vorüber,
auf den links der Eller hinziehenden Bergrücken hin nach Sallmanns-
hausen.
Schon die Art und Weise wie die westliche .Gränze an die
Werra gelegt wird, muss zu Zweifeln Veranlassung geben, dass
dieses die eigentliche Markgränze sei und eine Vergleichung mit den
dortigen kirchlichen Bezirken erhebt diese Zweifel zur Gewissheit. Ent-
weder reichte die Mark' nicht bis zur Werra, oder ging noch über
die Werra hinaus. Es wür beides der Fall und man halte, wie die-
ses bei der Feststellung der Wildbanne häufig sich findet, die Werra
als eine natürliche Gränze genommien, indem man das jenseits lie-
gende Gebiet, durch diesseitiges zu einer andern Mark gehöriges,
gewissermassen ersetzte, was im vorliegenden Falle um so leichter
ging, als auch jenseits fuldischer Boden war, wofür dann auch noch
besonders entscheidend der Umstand spricht, dass ein diesseits lie-
1) Wenck a, a. 0. III, Urkbcli. S. 46 und v. Schuhes , dipl. Geschichte des
giiäfi. Hauses Henneberg II. Urkbch. S. 94. Beide Gränzbeschreibungen sind er-
läutert in Landau, Beitrage zur Geschichte der Jagd und Falknerei in Deutsch-
land S. 40 u. 42 f.
2) Stephan, Nene Sloffliefeningen H. IL S. 90.
gender Ort zu dem jenseiligen Gebiete gezählt wird. Allein Anscheme
nach waren es die erzpriesterlichen Sprengel von Lupnitz, Mila und
Kreuzburg ^), welche die Mark von Lupnitz umfasste, so dass diese
Mark nur von der Hörsei an stromabwärts über die Werra sich er-
streckte und die Aemter Eisenach und Kreuzburg nebst einigen Dör-
fern umfasste.
Die Mark Lupnitz wurde derLuplnzgau genannt, wie die-
ses eine Urkunde von 979 bezeugt, worin es heisst: „in fluuio quo-
dam Hursilla vocalo, qui fluit in Lupinzgowe *).
Von dem südwestlichsten dieser Gaue, welcher mit dem südlich-
sten Dekanate des Archidiakona^s von Eisenach übereinstimmt, besitzen
wir von zweien seiner südlichsten Marken Gränzbeschreibungen, nämlich
von den Marken von Dorndorf und von Breitungen. DieGränz-
beschreibung der Mark Dorndorf wurde im Jahre 786 aufgestellt'),
als Karl der Grosse diese Mark an Hersfeld gab, die der Mark von
1) S. Stephan a. a. 0. S. 99 u« 100.
. 2) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 720.
S) Wenck a. a. 0. III. ürkbch. S. 17.
„A loco — Bathalacha" — der Hof Öadelachen an der Werra, östlich von
Vach ;
„per' medium gurgitem Uuisore usque ad locam , qui ab incolis Vuihingesboum-
garlo** — durch den Werrafluss ^nach einem jetzt nicht mehr bekannten Orte;
„et inde per plateam qae dicitur Hobastrazza" — sicher jene alte jetzt der
Diebspfad genannte Hochstrasse, welche von Vach aus auf dem gegen N. 0. zie-
henden Bergrücken hinläuft und bis in spätere Zeiten die Gerichte Kreuzberg,
Heringen und Breitenbach von den Gerichten Kreienberg und Frauensee schied;
„usque ad paludem, quae vocatur Widinsio" — unbekannt;
„sicque iterum "per populärem 2)lateam ad vaHeni'qui dicitur Habuchodal'^ —
in der alten über Marksuhl nach Breitungen führenden alteii nürnberger Strasse
herab ;
„ibique pervadato flumine ad.tumulos, qui vocantnr Hagenhougi*' — durch
eine Fuhrt der Werra zu jetzt nicht mehr bekannten Hügeln;
„et ihde ad vallem — Loubirindal** — unbekannt;
„ sicque per devexitatem nemoris ,' slcut antiqua signa docent , usque trans
fluviolam Feldaha^* — also durch die Werra und weiter über die Felda und zwar
zwischen Lengsfeld undWeilar durch;
„indeque per siivulam in Sclegilbah^* — - jetzt der Schlägelbach, westlich von
Lengsfeld ; es ist noch ein Schlägelsteich und ein in die Oechse mündender
Schlägelbach vorhanden ;
„sicque iuxta locum, qui dicitur Steininfeld" — Steinehfeld ist das heutige
Wölfjßrbütt im Gericht Völkershausen ;
„circa montes, qui vocantur Uhsinebergu iterum ad Badalacha'* — von den
Oechsenbergen über Wölferbütt nach Badelachen.
MO
Breitungen aber 933 aufgenommen^), wo König Heinrich I. diese
Mark an Hersfeld vertauschte und deren Gränzen zugleich durch Ge-
schworene feststellen liess.
Obwohl die Gränze der Mark von Dorndorf in dem rechts
der Werra liegenden Theile aus der Beschreibung selbst nicht völlig
sicher zu stellen ist, so gibt doch die von Badelachen aus als Scheide
1) Schoppach, Hennebergisches Urkundenbuch I. S. l.
„Cuius principium est ubi Sueinaha cadit in Vuisftraha" — also von der
Mundung der Schweina in die Werra, bei Barchfeld, wogegen jetzt der et-
was westlicher liegende Fischbach die Granze bezeichnet;
„et aic snrsum per eiasdem fiaminis alueum tendit ad orientales eins fontes,
ubi oritur atque inde perueniet in locnm, qui dicitnr Gervueuestein '^ — bis zum
Ursprung' der Schweina, weiche aus mehperen Quellen oberhalb des Schlosses
Altenstein entsteht; östlich davon liegt der Gerbcrsteiu, ein steiler Berg, auf
der Landesgranze und Wasserscheide des Thüringer Waldes zwischen Winterstein
und Steinbach:
„sicque pertendit finuiolam Drusandam, que nominatur Candida et ex ea in
aliam Drusandam, quae dicitar nigra ^* — Die Druse, so wird der von Broterode
herabkommende Bach jetzt erst unterhalb Herges genannt, damals^ scheint er aber
diesen Namen bis zu seinen Quellen gehabt zu haben und dann mochte der B^r-
bach die weifise und der Inselbach, der Broterode durchfliesst, die schwarze
Druse gewesen sein;
„Inde in Aldaha^' — eine alte aus dem 16. Jahrhundert stammende Karte
nennt die südöstlich von Fambach vortretende Spitze des zwischen der Schmal-
kalde und dem Fambach ausgebreiteten Waldes, welche durch die Gränze von
diesem geschieden wird „der Aldt"; aber es lag auch ein Dorf daselbst — villa
Alden — welches eine Urkunde von 1215 nennt;
„et ex ea in directum ultra Vuisaraham et per ripam Rosaha" — durch die
Werra in die am linken Ufer derselben bei Wemshausen mündende Rose; '
„sursum progreditur usque in Fisbach'^ — unbekannt;
„Deinde in Marcbach" — dieser auch in dem Wildbanus Privileg von 1016
(Wenck III. U. S. 46) genannte Bach scheint das kleine beim Busshof mündende
Wasser zu sein, welches von einer ehemaligen Glashütte jetzt Glasbach ge-
nannt wird ;
„sicque pertenditur in thia Hagesboy chun '* — die hohe Buche, welche
auch das vorerwähnte Privileg Hugisboucha und zwar als Scheidepunkt der Mar-
ken von Rossdorf und Breitungen nennt; sie stand auf dem Abtswald südlich von
Fraaenbreitungen ;
„et sie transit in Ruodelahesbrunnen — • unbekannt;
„et per montem , qui dicitur Blesse" — über die Blesse, einen ansehnlichen auch
in dem Privileg von 1016 genannten Berg', in der Mitte zwischen Rosa und Langefeld ;
„in Arahenbach" — der Armbach, welcher über Langefeld entspringt und
bei Salzungen in die Werra mundet;
„et per illam deorsnm in Vuisaraha sursnmque per illam usque ubi Sueinaha
fluit in eam*' — durch den Armbach hinab bis zur Mündung der Schweina in
die Werra.
bezeichnete hohe Strasse einen deuUlchen Fingerzeig zur Ermittelung
des Ganzen und es kann hiernach nur von den althersfeldischen Ge-
bieten von Kreienberg und Frauensee die Rede sein. Die Gränze
zog also von der Werra zwischen Springe und Heiligenrode, sowie
Frauensee und Gosperode hindurch und südlich von Marksuhl wieder
nach der Werra, und zwar dergestalt, dass sie auf der noch heute
bestehenden Landesgränze zwischen Sachsen •Weimar und Sachsen-
Meiningen bis gegen Lengsfeld fortzog, wo sie in westlicher Rich-
tung zwischen Lengsfeld und Weilar, das schon zum Grabfelde
gehörte, quer das Feldathal durchschnitt. Von da nahm sie
ihren Weg ferner gegen Abend an der hohen Wart vorbei zum
Schlägelbach, zwischen Wolferbütt (ehemals Steinenfeld genannt)
und dem früheren auf dem alten Schalkesloh begründeten Kloster
Mariengarten hindurch. Hier wendete sich die Gränze gegen Nor-
den , indem sie an den westlichen Abhängen ' der beiden Oechsen*
berge, von detien der südliche jetzt Dietrichsberg genannt wird,
in der Weise hinlief, dass sie um den auf dem nordöstlichen Abhänge
des Dietrichsberg liegenden Hof Poppenberg herum und so nach
der Werra zog, welche sie zwischen Badelachen und Vacha über-
schritt.
Di€se Mark umfasste hiernisich die Gebiete von Frauensee, Kreien-
berg, "Völkershausen und Stadt Lengsfeld.
Die Beschreibung der Gränze der Mark Breitungen hebt an
der Mündung der Schweina bei Barchfeld an , oder richtiger in der
Fischa, welche nordwestlich die Fejdmark von Barchfeld berührt;* und
zieht sich gegen Norden an der Schweina hinauf, Schweina sowohl
als Altenstein mit einschliessend , bis zum Gerb^rstein, wo sie süd-
lich sich wendend, um die Gemarkung von Broterode herum Jäuft,
bis sie jenseits des Laulenbachs _den Seimberg, südlich von Brote-
rode, erreicht. Von da an hält sie sich auf der First der zwischen
dem Lauterbach (Druse) und der Schmalkalde herabziehenden Berge,
dergestalt, dass Wallenburg, Nüsseis, Hessles, Kirrhof, Fambach
und die Todtenwarth auf ihre innere Seiten fallen. Weiter zieht sie
zwischen dem letzteren Orte und Mittelschmalkalden durch bis jen«
seils Möckers und geht, nachdem sie dieses noch mit eingeschlossen,
zwischen Schwallungen und dem kralacher Teiche über die Werra,
und nordlich von Frankenberg hin bis zur Blesse, dann aber am
rechten Arm des Armbachs hinab und zwischen Allendorf und Et-
mershausen in die Werra. *
Jene beiden Marken von Breitungen und Dorndorf wurden übri-
gens noch durch ein Gebiet getrennt, welches in seiner Grösse so
ziemlich jeder dieser Marken entsprach, nämlich durch das von Sal-
zungen, welchen Ort schon eine Urkunde von 775 nennt ^).
Da nun diese drei Marken in kirchlicher Beziehung unter einem
erzpriesterlichen -Sprengel , dem von Hausen , einem ausgegangenen
Orte dicht bei Salzungen , standen , also eine Einheit bildeten , so
kann man dieselben unbedenklich auch als ursprünglich eine Mark
betrachten. Aber diese eine Mark sehen wir, wie die Beschreibung
der Mark von Dorndorf zeigt, schon 786 in drei Marken getrennt.
Es war dieses also, gehen wir vom ganzen Gaue aus, die dritte
Theilung. Aber' auch noch eine vierte hat stattgefunden, wie dieses
die einzelnen Centen zeigen , in welche diese Marken späterhin ge-
trennt erscheinen, und von welchen namentlich die noch 933 als
Einheit beschriebene Mark von Breitungen um's Jahr 1340 in die Cen-
ten von Breitungen, Frauen breitungen und Schweina getheilt war').
Der Name dieses Gaues ist' nicht bekannt, aber 1114 findet man
ihn unter eignen Grafen : „ \ illa Bretingen — sita iuxta flumen Wir-
rahe in comitatu Gozwini comitis" *).
Habe ich die westliche Gränze der Mark Lupnitz richtig bezeich-
net, dann kommt die andere mit den erzpriesterlichen Sprengein von
Eckardshausen, Renda und Röhrda überein und erstreckte sich von
der Wasserscheide zwischen Ruhla und der Hohesonne gegen Nord-
westen, innerhalb der oben erläuterten angeblichen Gränze der Mark
Lupnilz bis zur Mündung des Kuhbachs in die Werra und umfasste
jenseits derselben den südlichen Theil des buttlarschen Gerichts nebst
den Gerichten Netra und Sonlra, so dass an der Sontra hinab Rei-
chensachspn der letzte Ort gegen Norden war, wo die Germaremark
und namentlich das zu derselben gehörige Gericht Bischhausen die
Gränze bildete.
Dieser leztere Bezirk stand schon frühe unter eigenen Grafen
und würde der Ringgau genannt, ein Name mit dem noch heute
die Umgegend von Brandenfels belegt wird. Man lernt diesen Gau
aus mehreren bisher gänzlich übersehenen Urkunden kennen. Es
sind dieses folgende: ,
1) Wenck a. ä. 0. III. ürkbch. S. 8. .
2) V, Schuhes, Coburg. Geschichte des Mittetall. Urkbch. S. 70. Es werden
hier jedoch nur die beiden ersten Centen genannt, die dritte stellt sich aber bei
einer Vergleichung von selbst heraus.
3) Kuchenbecker, Anal. hass. XII. S21f
8. Jahrh. : „ ClingeiBburc (sicher derselbe Ort, welcher 1333
Kling, auf der Karte des preuss. Generalstabs Klingersberg,
gewöhnlich aber Krie'gersberg genannt wird) — in pago Rinec- '
gowe super fluuium Sulaha'' ^). Hier kann nur die über Marksuhl
fliessende Suhla gemeint sein.
993: „uilla Gangesdal — in pago Reinicbgouue — in comitatu
Sigifridi comitis" •). — Ganglhal, Wüstung zwischen Kraulhausen und
Breitau.
1016: „ Herleicheshuson — in pago Beinicgowe in comiitatu
Sigfridi comilis" ') — Herleshausen an der Werra.
1025 : „comitatu? Nederne in pago Renicgouue** *) — Netra.
Auch bei diesem Ripggaue wird eine Untergliederung bemerk«
bar. Namentlich werden uns von dem oben unter 1025 genannten
„comitatus Nederne" im Jahre 1141 eine Zahl einzelner Orte genannt,
von denen Netra, Röhrda und Datterode noch heute bestehen, und
zwar mit dem Zusätze: „in pago, qui dicitur Nedere fluvium Nede-
raha" ^). Eine andere Mark, südlich von der vorigen, ist die ,,comitia
Reinde", welche eine Urkunde des dreizehnten Jahrhunderts nennt.
Die vierte Mark des Westgaues wurde yon der Werra in
zwei Hälften getheilt. Ihr Hauptoxt ist zwar unbekannt, aber
wahrscheinlich war dieses Gers tungen. Einen Theil der westlichen
Gränze zeichnet uns eine aus dem fünfzehnten Jahrhundert stam-
mende Abschrift einer Beschreibung derselben, welche ich hier nur
im Auszuge wiedergebe, weil sie für einen Abdruck zu mangelhaft
ist. Am Laufert („Laufent^*), einer Höhe nördlich über Heimbolds-
hausen, am linken Werraufer, beginnend , führt dieselbe auf die Höhe
des Seulings Waldes und hier über die Herfa nach Frondorf (Wüstung)
dann zwischen Herfa und Eitzenrode (Wüstung) hindurch , mitten
über die Höhe, genannt das Hohenrod (unbekannt), hinter dem Schwar-
zenberge (ein Berg, der in dem durch die Vereinigung der Herfa mit
einen^ kleinen Nebenbache gebildeten Winkel oberhalb Wolfershausen
liegt und auf Herfa und Bengendorf stösst) und dem Lönberg („ Leon-
berge", zwischen den Quellen der beiden vorgenannten Bäche) und
südlich von Hönebach hin „bis zu den Horden, das ist mitten auf
1) Dronke, Cod. dipl. Fuld. p. 43. Dronke hält die Urkimde für zwei-
felhaft.
2) Wenck a. a. 0. III. 37.
3) Uugedruckt.
4) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 739.
5) Orig, Guelf. IV. 526.
t04
dem SeulingswaJde auf dem Höcljsten*' über Hönebach, dann hin-
ter Hönebach an der alten Landwehr herab bis in die. Schläge
zwischen Senlingssee (jetzt Grossensee) und Hönebach; von
diesen Schlägen nach der Ecke über das Guntzels (der zwischen
Grossensee und Hönebach rechts in den Hönebach fallende
kleine Bach), nach dem Kremmings (jetzt der hohe Krems zwi-
schen Machtlos und Bellers), zu dem Eckwege-, zu den hohen
Bäumen zwischen Vorwerks (ein Wald zwischen Konnrode und
Bauhaus) und Belderichs (Bellers) , hinter Süss (das Dorf Süss)
hin nach der Steinrinnen (zwischen Süss und Blankenbach), nach
dem Ärnsberge (östlich über Blankenbach), nach der Wüste
(südlich von Berlitzgrube) , nach der Beritsgrube (Berlitzgrube)
bis auf den Bilstein zwischen Neustadt und Wommen (die Sal
mannshausen .gegenüber liegende Höhe).' Schon das hersfeldi
sehe Wildbanns Privileg vom J. 1005 *) deutet diese Gränze an.
Dass zu dieser Mark auch die südlicher liegenden Gerichte
von Vach und Kreuzberg (Philippsthal) gehörten, zeigt schon
ihre kirchliche Verbindung. Weiter aber gehörten auch noch
die Gerichte Heringen und Berka dazu. Was das letztere be-
trifft, so reichte dasselbe bis Wünschensuhl, wie dieses nament-
lich eine Urkunde des Landgrafen Albert von Thüringen von
1284 bezeugt , worin es heisst : „ quod homines in villa Winde-
schensola residentes nostrum plebescitum in Berka annis , sin-
gulis ter faciendum frequentabunt." Die Gränze führte demnach
von Heimboldshausen zwischen der Nippe und Ransbach hin-
durch, zwischen Niederbreitzbach und Pferdsdorf, über die Ul-
ster und wendete sich zwischen Melters und Hüttenrode gegen
Osten, wo sie, Moos und Deicherode mit einschliessend, auf den
Höhen hinzog und am Dietrichsberge mit der schön oben beschrie-
benen südlichsten Gränze der Mark Dorndorf zusammenstiess.
Obwohl der Gauname dieser Mark sich nicht in der Gau-
zeit findet, .so hat er sich doch erhalten und ist sogar heute
noch üblich; dieser Name ist Gerstengau. So finden wir
1464 den „Gerstingouve", 1580 wird Neustadt, unter Gerstun-
gen , in den Gerstengau gesetzt und um dieselbe Zeit sagt eine
Handschrift „ im Gerstengau bei den Seen " , nämlich dem Seu-
lingssee. ' ^
Nur die nördlichste Mark des Wester -Gaues scheint den
1) Rncfaenbecker , AnnaJ. bass. Coli. Xlf. p. 317.
ms
alten Namen noch länger beibehalten z\i haben , denn 1015 fin-
det man „Wanifredmn (A^anfiied) in comitatu Hemezonis in pago
Westergowi*)", sowie 1016 „Heroldeshusun (Heroldshausen bei
Langensalza) in pago Unesterun in comitatu Hemezonis comi-
tis')*'. Es war diese Mark also ebenfalls ein besonderer Gau
und eine selbstständige Grafschaft geworden.
Die Gränze dieser Mark begann, indem deren südwestli-
cher Theil sich an die Ost- und Nordgränze der Mark Lupnitz
anschloss, vom linken Ufer der Nessa, auf dem noch Ebenheim,
Weingarten, Sonneborn, Nordhofen und Eberstädt dazu gehörten,
und zog östlich an Hochheim und Eckardtsleben hin bis zurUnstrut,
welche sie zwischen Langensalza und Gräfentonna erreichte ; dann
führte sie in der Unstrut hinauf bis Hüngeda und hier sich westlich
wendend bis nördlich von Wanfried in die Werra, jenseits dersel-
ben £de noch die Dörfer Grossenbursla und Völkershausen mit
einschloss. Indem sie sich nun wieder westlich wendete, fiel sie
vom Hofe Teufelsthal an mit der noch heute über den Heller-
stein und durch Schnellmannshausen führenden Landesgränze
dergestalt zusammen , dass auch sie zwischen Falken und Zelle
die Werra überschritt.
Wir sehen also den Westergau in fünf Gaue .zerfallen : den
Westergau, den Lupnitzgau, den Ringgau, den Gerstengau und ei-
nen fünften, dessen Name nicht bekannt ist. Alle diese sehen wir .
sich dann weiter theilen. Der letztere namentlich schied sich in
drei weitere Marken , in die von Salzungen , Dorndorf und Brei-
tingen. Auch diese schieden sich wieder und zwar die letzte
wiederum in drei Marken. -
Das eben gegebene Beispiel zeigt deutlich, wie die
alten Unterabtheilungen (Centen) des Gaues Hauptabtheilun-
gen wurden, die alten Zehntschaften aber zu Hundertschaften her-
auf rückten. Mit dieser Veränderung in der Stellung zog sich
zugleich der alte Name des bisherigen Gesammtgaues auf en-
tere Gränzen zurück. Wie der alte Namen der grossen Mark
zxQetzt nur noch an der kleineren Mark des Urdorfes haften bleibt,
eben so bleibt auch der alte Gaunamen mit dem engem Bezirk
des alten Gaumittelpunktes verknüpft. Aus diesem Grunde fin- *
det sich so häufig derselbe Name in doppelter Bedeutung, so-
1) Wenck a. a. 0. III. S. 44; das noch weiter uod gleichfalls als in diesen
Gau gehörig geoaimte Lintfrideshnsiui ist mir anbekaont.
2) LedderhgBe, kleine Schriften U. 280.
S06
wohl fiir einen engem, als einen weitem Bezirk. Wie wir die-
ses vorhin beim Westergaue gesehen, werden wir dasselbe auch
bei den meisten andern Gauen wieder finden.
Leider sind die älteren Nachrichten zu dürftig, als daas
diese Gleichheit und Uebereinstimmung in den Verhältnissen al-
lenthalben mit gleicher Bestimmtheit nachgewiesen werden kön-
nen, oder es gehören doch dazu meistens so specielle Untersu-
chungen, wie man diese nur in der Nähe, wo man reiche Hülfs-
mittel zur Hand hat, voraehmeii kann. Indessen weisen doch
zuweilen schon einzelne Urkunden auf jene Trennungen
hin. So erscheint der Nahegau als eine Abtheilung des Wormö-
gaues, ebenso zerfallt der Thurgau in mehrere Gaue *) und auch
im alten Sachsenlande begegnen wir der gleichen Erscheinung.
Es widerspricht dieses freihfch der Annahme der meisten For-
scher. Nach -diesen sollen nämlich die Sachsen nur eine einzige
kleine Abtheilung in kleine Gaue, welche in ihrem Umfange
den fränkischen Centßn entsprochen, aber keine Centen gehabt
haben und erst durch Karl den Grossen die fränkische Gauverfas-
sung eingeführt und durch Vereinigung einer Anzahl kleiner
Gaue grössere Grafschaften gebildet worden sein'*). Dass dem
aber nicht so, «ist unschwer darzuthun. Abgesehen davon, dass
schon an und für sich jener Zeit ein solches Organisiren etwas
durchaus Fremdes ist, wird auch jeder unbefangene Blick in die
sächsischen Gauverhältnisse zur Ueberzeugung führen, dass biet
von keiner „aufgedrungenen" Volksgliederung die Rede sein
kann , vielmehr auch die Sachsen seit uralter Zeit ganz dieselbe
Volkseinth eilung besassen, welche auch anderwärts sich findet.
Es würde keine Schwierigkeit haben , den Beweis hierfür durch
die Ausführung eines Gaues zu geben, es lässt sich derselbe
jedoch auf einem kurzem Wege erlangen. Man erinnere sich,
dass ich oben nachgewiesen habe, wie in Folge der Scheidun-
1) Die Nachweise folgen weiter unten.
2) So Kindlinger in s. Geschichte der deutschen Hörigkeit S. 78.; Seibert
in Wigand's wesiph. Archiv VI. S. 120; Wigand in s. Werke üher das Femgericht
Westphalcns S. 30 o. 104, s. Geschichte der Abtei Korvefi elc. I. S. 8 a.^19, sowie s.
korveiischen Güterbesiu S. 195; nach ihm hatte die BeneoniiDg der Gaue mehr im
Gebraocho der Kanzleieo, als im Monde des Volkes. gelegen. Ferner Schaums nn
in 8. Geschichte des niedersächs. Volkes S. 228, welcher sogar die neue weitiiehe
Eintheiluog auf die vorhergeschaffene kirchliche EintheHung bauen lAsst; Länlzel,
die ftllere Diözese Hildesheim S. 65^ nach welohem die „atfgedrmigeneii Grafeadiiige**
schon frühe wieder beseitigt worden seien.
gen der grossem, Gaue der Name derselben stets auf ein enge-
res Gebiet übergeht, so dass also derselbe Name zu gleicher
Zeit ein weiteres und ein diesem angehöriges engeres Gebiet
bezeichnet. Dieses finden wir auch in Sachsen. Es sind drei
grosse Gebiete, in welche das Volk sich theilte: Westphalen,
Ostphalen und zwischen beiden Engern. Jedes dieser Gebiete
zerfallt nun wieder in kleinere Gaue, von denen je einer wie-
der den alten Hauptnamen trägt. So findet sich in Westpha-
len ein Gau Westphalen, in Ostphalen ^in Gau Ostphalen
und in Engem ein Gau Engern. Der Bestand der beiden er-
sten ist anerkannt, der letztere hingegen bisher noch un-
bemerkt geblieben; es ist dies der hessische Sachsengau, wel-
cher deshalb so genannt wurde, weil er der Herrschaft der Hes-
sen unterworfen worden war, der aber neben diesem Namen
auch häufig noch unter seinem altem Namen Engern sich fin-
det. Weist dieses nicht ganz bestimmt darauf hin, dass jene
drc^j uns in der Stellung als Provinzen entgegen tretenden
Gaue ursprüngüch drei einheitliche erst später weiter getheilte
Gaue gewesen sein müssen? und wenn das, dass dann von ei-
ner willkürlichen Organisatio.n nicht mehr die Rede sein kann?
Wem aber das noch nicht genügen sollte, den verweise ich
auf jenen sächsischen Gauhäuptling, der bei seiner Unterwer-
fung unter Karl den Grossen ausdrücklich als Bannerherr über
Tausend (Pana of Thoüsand) bezeichnet wird').
Dass bei den fortgesetzten Trennungen die Marken stets die
Grundlagen abgaben, das ersieht man auch aus dem Umstände, dass
beide, Gau und Mark, häufig als identisch betrachtet werden. Schon
dass die thüringische Germaremark als Gau keinen Namen hatte,
sondern der Name der Mark zugleich als Gauname diente, gibt dafür
einen Beleg. Derselbe Fall kehrt auch in' Westphalen her der Mark
Stürmede wieder. Aber auch Urkundenstellen lassen sich dafür an-
fuhren. So heisst es z.B. 792: „hoc est infra marcha illa, qui voca-
tur Muntariheshuntari ^) ". In ähnlicher Weise liest man 748 „ Stabu-
laus in Ardenne fundo situm " und „ in pago et comitatu Ar-
duenna*)". Im Jahr 763 wird die Bertholdsbare als, Gau und
zugleich als Mark bezeichnet*), obwohl eine, frühere Urkun-
1) Hannover. Magazin XXVI. S. 483 u. 509.
2) Wirtembg. Ukbcli. S. 42»
3) Ritz, ükbch. 3 u. 12. ' -
4} „In pago et in sito, qui dicUorPeiahtoltespara*f Wirtembg. Ukbch. I. S. 7.
«06
de uns auch schon mit einer • Untermark derselben bekannt
macht*).
Was endlich noch den germanischen Gauen eigenthümlich
ist, sind ihre Namen. Ich muss dieses hier schon berühren, ob-
gleich ich später noch einmal darauf zurückkommen muss. Während
nämlich die nicht germanischen , Gaunamen sämmtlich von Städ-
ten entlehnt sind, zeigen sich dagegen die germanischen Gau-
namen durchweg als allgemeine Landschaftsnamen. Theils sind
sie von dem im Gaue wohnenden Volksstamme (pagus Hasso-
rum), theils von Bergen (Harzgau), theils von allgemeinen ört-
lichen Bezeichnungen (Grabfeld), theils und dieses zum bei wei-
tem grössten Theile von durchfliessenden Gewässern (Lahngau,
Rheingau) entnommen, und selbst auf den eroberten fremden Boden
trugen die Germanen häufig diese Bezeichnungsweise mit über.
Auch bei den (alten) Centen scheint diese Bezeichnungs-
weise die vorherrschend übliche gewesen zu sein, obwohl es
sich hier nicht mit gleicher Bestimmtheit nachweisen l^st,
und nur die Centen der spätem Zeit (die alten Dekanien) machen
eine bestimmte Ausnahme* davon , indem' ihre Namen stets von
ihrem Hauptorte entnommen sind.
Jene Gliederung des Volks in Länder (Provinzen), Gaue,
Centen und Dekanien finden wir übrigens nicht blos bei allen
germanischen Völkern, sondern auch bei allen andern, über de-
ren Verfassung wir genügende Nachrichten besitzen, namentlich
auch bei den romanischen und slavischen.
Eine gedrängte Zusammenstellung soll dieses nachweisen.
Treten wir zuerst zu den den Nordstrand von der Maas bis
zur Weser bewohnenden Friesen. Diese theilten sich in drei
oder vier Hauptstämme oder Lande, und jede dieser Provinzen
bestand aus mehreren Gauen — Ga und Go genannt'), deren
Unterabtheilungen in ältester Zeit Hunderi genannt werden,
worauf wenigstens eine Urkunde des westlichen Frieslands von
839 hinweist (S. S. 192.). Gewöhnlicher findet sich jedoch für
die Centen die Bezeichnung ,Gaue und wenigstens im Wester-
und Ostergaue Deele (z. B. Wonseradeel) ^) , was einen Ge-
1) 759: ia villa Boasiaheim, in pago , qui dicitur Bertoldisbara et in sito Vel-
dira. Neugart, C. d. Allem. 30.
2) S. Die fünf münsterscben Gaue und die sieben Seelande Frieslands. Von L
Ledebnr. .
8) V. Ledebur a. a. 0. S. 60 u. 69.
\
/
nda(tsb6zirk bezercMi^t *) ; cs^ ^eliört jedoch diese Benennung
schon einer spätem Zeit jan , gleich wie auch die schon allge-
öieinere Benennung Gritenien*).
Der dänische Volksstamm hatte ursprünglich Seeland und
die nahen. Inselil und frühe auch schon Schonen (Scania) und
HaBand inne. Auf ^em vormals cimberischen Jütland aher saser
das Volk der Angeln, welches aus dem Südeii von der Elbe
gekommen; nur den Westen, von dessen Festland ein grossei?
Theil vom Meere fortgerissen worden, hatte ein friesischer Volk»»
stamm eingenommen, tind zwar sowohl das Festland selbst^ als
das Inselmeer. Nachdem im fünften christlichen Jähi'hundeili
die Angeln den Sachsen nach Britannien folgten , 'traten an ihre
Stelle auf Jütland und Fühnen düniöche Stämme , welche -aus
dem Südwesten Skandinaviens Guten oder Juten mitbrachten
und seit dem Eintritt des sechsten Jahrhunderts sehen wir die
dänische Herrschaft bis zur Sachsengränze verbreitet ^ welche
nicht lange nachher durch die Aufrichtung einer mächtigen , daa
Festland zwischen der Schlei und der Treene (der alten Eider)
schliessenden Landwehr, des berühmten Danewirks, bezeichnet
wurde*). Der Stamm der Angeln schwand mehr und mehr und
findet sich jetzt nur noch auf der kleinen aber fruchtbaren Strek-
ke des östlichen Jütlands zwischen Schleswig und Flensburgi
immer noch ein überraschendes Abbild seiner nach der briti-
schen Insel übergesiedelten Vorfahren gewährend. Völlig ver-
schieden davon ist die durch einen öden Haiderücken geschie-
dene Westküste. Man sieht hier ein .anderes Land und ein an-
deres Volk. Theils auf dem Festlande, theils auf den von den
1) V. Riebthofen, Allft-iesische» Wörterbn^ S. 682. ^
2) V. Ledebur a. a.. 0. S. 59. n. v. Richtbofen a. a. 0. S. 784.
^) Nicht die südlichere- Eider , wie auch Wippermatm in der „ kurzen SUalsge-«
schichte der Herzogthümer Schleswig nnd Holstein S. I anoimmt, sondern die nörd-
liche Eider, die jetzige Treene, ist es, anf welche die Gränzberichtignng zwischen
JölteoA iiod SaehseDtaad geslälat wur4«i- üeberhatifkl haaea derartige Landwehren nicht
bl4>s- einen iniliCairiMfaen Zvveok, si>nd«rn diedten ansserdem auch noch .zur SicbePung
(Fixirung) des Gränzzugs, und raussten deshalb nothwendig anf oder nächst derGräha»
selbst angelegt werden , wovon D^hlmatin< (Geschichte von Dänemark I. S. 23;) mehrere
Beispiele ans England nachweist. 0er Namb' Eider bezeichnet selbst einen Grädzfläss^
Ndbeves hieröber sowoM, als iosbesoinder^ aber dbs Danewirk s. in Outzeo's Cnter-
suchangen über die denkwürdigsten Altseptbümer Schleswigs und des Daneiwerks. AUbni^
1826.* Torznglich §. 24.; weiter Dahlmann a. a. 0. S. 70 f. und Rankefs lahrbflcber
des deutschen Reichs S. I. 113 f. nnd die Excnrse S. 16 f.
Landau. Territorien. X4:
«10
Ruthen des Meeres gebildeten Inseln wohnt hier der Nord- oder
Strandfriese, im steten Kampfe mit der stürmischen Fluth, zu
welchem Zwecke mächtige Deiche aufgeworfen und die stattli-
chen Wohnungen auf künstliche Hügel'gestellt sind *)• Biese süd-
liche Hälfte von Jütland nannte man Südjütland, bis diese Bezeich-
nung durch den Namen des an der Schlei liegenden alten Süastorps,
des heutigen Schleswigs (Sliaswik), verdrängt wurde. Erst nach-
dem die deutsche Mark zwischen dem Danewirk xmd der Sü-
dereider an Dänemark gelangt, und noch zu Südjütland ge-
schlagen worden, bildeten beide vereinigt das Herzogthum
Schleswig *).
Wenden' wir uns nun zu der alten Eintheilung der däni-
schen Lande und fassen davon zuerst Jütland ins Auge.
Nordjütland, das heutige Jütland, war in 4 Provinzen und
jede derselben in 3 Sysel getheilt, jedes Sysel aber zerfiel wie-
der in mehrere Härets; Südjütland hingegen, jedoch mit Aus-
schluss Nordfrieslands , in 4 Sysel. Wie der Sysel unserm Gaue,
so entspricht das Häfet unserer Centena. Die Namen der Sy-
sel sind sämmtlich Landschafts- oder nationale Namen. Der
nördlichste Sysel, der Wendsysel, kommt schon in der Ynglin-
gen Saga (Kap. 31,) vor; denn der schwedische König Ottar
beeret in Vendil und verödet das Land, wofür er den Namen
Vendilkräka (Wendükrähe) erhält. Auch die Sage Hakon des
Guten (Kap. 22.) nennt Vendli und noch 1340 findet man Wen-
desusel ^). Der „Thythaesysäl", welcher 1340 „Dudesusel" ge-
nannt wird*), hat seinen Namen wahrscheinlich von „Tiod" ').
Aehnlich ist der Charakter aller übrigen Syselnamen: Salingsy-
säl, Harthesysäl, Himbersysäl, Omungärsysäl, Abosysäl u. s.w.
Der Name der Härets is^ dagegen beinahe durchgängig yon
dem Hauptorte jedes Härets entlehnt, z. B. Ulburghäret von,
riburg, Jarlezhäret von Jarlez, Jalynghäret von Jalinge u. s. w.
1) Eine interessante Schilderung der Gegensitze der friesischen nnd angetscheo
Küsten s. in Eivers Werii: Der nationale Standpunkt in Beziehung auf Recht, Staat
und Kirche. S. VI ff.
2) Im J. 1424 heisst es : „ dat Hertochdom to Sleswik , anders geheten to Jot-
lande.'* Langebek, Script. Rer. Danicar. VII. p. 378.
3) DrkundensammluDg der Schleswig-Holstein-Lauenburgscben Geselisch. Mr Taler-
Und. Geschichte von Michelseo. II. S. 106. Weiteres s. Langebek 1. c. VII. 560 f.
4) Das. S. 106. '
6) Langebek I. c. 661.
Sil
Zuweilen werden auch zwei durch ihre Lage bezeichnet, z. B.
Nörrae- und Syndrehäret, das Nord- und Südhäret der im Sa*
lyngsysel liegenden Insel Morsö. Die südlichsten dieser Bezirke, '
nämlich Syndrägöshäret , Aräldshäret und Släshäret lehnen sich
an die Treene, das Danewirk und die Schlei und hiermit endet
die nordische Bezeichnung , ein sicherer Beweis , dass hier auch
die Granze zwischen» Jütland und Sachsen ist *).
In jene jütischen Sysel werden westlich auch noch drei
friesische Härets mit eingeschlossen , nämlich Kyarähäret in den
Elamsysel, und die beiden Nörrä- und Syndrägöshäret in den Ista-
thesysel. Diese , welche zusammen die Vofgeest genannt wer-
den, gehörten unmittelbar zum Herzogthume Südjütland und
i ihre Einwohner werden ausdrücklich als „Frysones de lege dani-
ca", die andern aber als „Frysones de lege frysonica" bezeichnet*).
Das Land der letztem, der eigenthch freien oder königlichen
Friesen, über welche den dänischen Königen nur eine Oberhoheit
zustand, wird von dänischer Seite das Utland (Ausland) ge-
nannt. Wenn nun auch in diesem sich südwärts^ bis zur breiten
Mündung der Eider ausdehnenden Gebiete sich die Theilung in
Härets findet ^) , so vermisst man doch die Syseleintheilung. An
deren Statt bestand eine Theilung in zwei Landschaften, in die
Landschaft Eiderstädt oder die Dreilande mit drei Härets, und
in den s. g. Strand mit sieben Härets *). Dieselbe Thei-
lung in Sysel und Harden oder Härets, welche das westhche
Dänenreich hatte, besass auch das östliche, welches Seeland,
Pühnen u. s. w. nebst Schonen und Hailand umschloss. Nur
fehlt es hier an Nachrichten, um die Sysel auch allenthalben
geographisch feststellen zu können. *)
1) Auf der Karte bei Langebek 1. c. Yll. wird zwar auch noch lioks der Schlei
Swansö als Häret bezeichnet , in dem Lib. censas Daniae R. Waldemari II. (Langebek
1. c. VII. p. 522.) jsteht aber nur einfach Swansö , und es beruht jene Bezeichnung
sicher auf einem eben so mangelhaflen Grunde, als wenn man auch südlich des Da-
newirks ?oii ^ii/em Kropp-Hftret redet.
2) Michelsen, Nordfriesland im Mittelalter. S. 56.
3) 1187 : „In ütlandia in tribus navigiis iuxta Ederam seil. Tunnighaeret, Gellhing-
haeret, Hollnebohaeret''. Thorkelin, Diplomat. I. p. 61.
4) Heimrich , nordfriesiscbe Cbron. , herausgegeb. v. Falk. 1. S. 90 f. , ?. Rieht-
hofen, Friesische Rechtsquelien S. 578., und Michelsen a. a. 0. S. 51.
5) Vergleiche Dahlmann , Gesch. DänAnarks I. 142. Seeland wurden um's Jahr
1170 3 Sysel gegeben: „Et alleram, scilicet sanctae Mariae scut de duabns Susle, tan-
tarn videlicet de Wesire Susle et de Myadle Snsle. Thorkelin. Diplomatar. I. 29. Der
Für die Dekanie kenne kh übrigens weder bei den Prie-»
»en noch bei den Dänen einen auf das Zahlenyerhältniss hin^
weisendem Namen. Daraus lässt sich aber keineswegs schliesr
sen, dass die Dekanien selbst hier mangelten. Wie bei den
Sachsen, .und im Norden überhaupt ist es auch hier das Kirch-
spiel, in welchem uns die alte Bauerschaft entgegentritt. *)
Norwegen (in alter Form Noreg) wird als Gesammtländ
Thiodlönd genannt, d. h. Land eines einigen Volks.*). Als
solches zufiel es in rnehrere Provinzen oder Volksländer —
F'ölklönd'öna und jedes dieser theilte sich wieder in mehrere
Gsxte oder Fylki, jedes Fylki aber bestand aus drei oder Tier
auch wohl mehr Hundertschaften, welche hier ganz nach dem-
selben Wortbegriffe Härade genannt wurden^).
Die längs der Küsten gelegenen Fylken nennt uns noch
das Te^aimtent des Königs Magnus von 1277, worin jedes Fylki
oder Fulke, wie daselbst der Name geschrieben ist, als ein©
p]M>vincia bezeichnet wird, z. R in provincia, quae dicitur Raum-
dela fulke*).
dri4te wftre also der Ostsysel. Ebenso waren die 23 Harden in Schonen Qerra Sca-
nia), in. drei auf dieselbe Weise benannte Sysel getheilt. Da König Christoph U. be*
stimmt, das8 Fiihnen fiit* (pro) 2, Seland für 3 und jedes Eiland ffir 1 Sysel gelten;
sollten (computabilur) , so muss die Syseleintbeilung schon ungebräacblich geworden
sein , was freilich bei dem geringen Umfange der Inseln auch um se leichter gesche-
hen konnte. Dass man die Bezeichnung Sysel aber auch auf Gegenden ^'iberliog, wo
dieselbe sonst nie gebräuchlich gewesen, ersieht man daraus, dass im Süden Norwe-
g^$ Bezir-ke mit diesem Namen belegt werden. Schon 1277 wird die „provincia Bor-
^r syslo^' iTborkelin l c. I. p. 253 u. 2^0 genannt und 1343 übergibt König Magnus
von Norwegen seiner Gemahlin und seinen Kindern „Bagahusiam et Matstrandiam, uni-
vefsamque Elvarsyslam , excepto Ordost, universam Raumarikiam, Vortenherrid et om-
nera Borgarsylam'^ (Tor faei Bist B^r.Norvegic. IV. p. 470.)* Nicht minder reden auch
norweg. Urkunden von 1293 u. 1297 von SyslamcinQ, Sysloroen, Syslomannam (Thor-
kßWjfK 1, Q. H. p. 2;01 u, 261.)
1;) 117,0: yM par<]!chia deTyeraeby — videlicet in Sweostojrp, Skwröth» S{)onh«lt.
ei, Thoaek^pp^* (Tl^O/rkßliaU c.'I. p« 46); 12G1 1 Wm terra in AggisiorpoMKc ia paro*
chia Bitreth'^ '(ibid. 11. p. 410); 1295: „in parochja I)a(tdeby et. ini Norg^sbel!I»l ia-
Lyn ngselh mark ^^ (Michelsen, Schleswig- Hol8t.-Lanenbg> Ukbch* S. 141.) >
2) So werd«a sowohl Norwegen als Ofinemark im 12. Kap. disr Saga vom König
Olaf Tryggwason genannt, S. Snorri Sturlnson's Heimskringla Saga. UebersaUt von
Wapbter. Leipzig 1885 u. 1836.
3) Ynglingen Saga. Kap. 30.- n. 3h
4t) l^angebek. U c. T. VI p. 24^. Karten über die alta. Ejnlheilung: Norwegeas; fin-
d.et, mjin in Heim^kringla, edr Norags Konungüi Sogar af Snorm >Stiiria«|*iiu £d» a,
S^P^nioi^ HavAi«« 1777, T. 1.
Die Namen der einzeineu Pyiken siftd theils zusftmmetige-
setzt mit Land (Hordaland, Halogaland u. s. w.), theils mit
heim> gothisch heims d. i. Land (Thrandheim , und Alfenheim,
theils mit Feld O^estfold), theils mit Reich (Raümariki, Ra-
nariki, Ringariki), theils mit Thal (Naumdal, Raumsdal, Stiör-
dal), theils mit Mark (Heidmark, Wingulmark, Thelamark)>
oder <is sind einfache Namen, wie z. B. Wik d. h. die ßu<5ht),
Sogne, Thota, Valdrits, Agdur, Mari u. s. w.
Gleich wie in Norwegen war es auch in Schweden. Das-
fefelbe bestand ursprünghch aus zwei selbstständigen Reichen.
DaiS nördliche , das alte Mannheim , das eigentliche Svithiod öder
Sveareieh, wegen seiner hohem Lage auch das Upland genannt,
zerfiel in mehrere Gaue, Folklande (Volklande) genannt, und
jeder derselben wieder in eine Anzahl Hundari; und eben so
war es auch im südlichen*, im Gothenreich, nur dass hier die
Hundertschaften Härade genannt wurden*). Die Zehntschaft
sowohl in Schweden als Norwegen ist dagegen, ganz wie in
Dänemark das Kirchspiel, und wahrscheinlich ist es auch das-
selbe, was in Schweden durch Socken oder Sochne bezeichhet
wird*). .Doch findet sich dafür auch die auf die ZehiTzahl sich
beziehende Bezeichnung tiua manna hopr d. 1. der Zehn-
Männer -Haufe *).
Die drei Gaue der schwedischen Uplande sind nach der
Zahl ihrer Centen genannt: Tiundaland d. i. das Land der zeha
Hundertschaften, Attundaland d. i. das Land der acht Hundert-
schaften und Fjardhundraland d. i. das Land der Vierhundert-
schaften» Andere werden nach ihrer Lage bezeichnet, so Sü-
dermannaland und Westmannaland, Ost- und Westgothland.
Alle tragen allgemein nicht^von einem einzelnen Hauptorte ent-
lehnte Namen.
Island Wurde erst im neunten Jahrhundert von Steandina^
vien aus bevölkert, und es trugen die Einwanderer die Verfas-
sung ded Mutterlandes mit zu dem £ilande hinüber und wenn
1) Gejjer, Gesch. von Schweden I. -6. 63 f. Slrinnholra , Wikingszuge, üebersetzl
von Frisch. U. S. 22 f.
2) Reuterdahl , Gesch. der ■ schwedischen Kirche , nberseUt von Majerhoff. 1. S.
26. n. Sachssft a. a. 0. S. 250, 279, 280.
3) Sacbsse a. a. 0. S....262.
tl4
auch nicht durchweg die alten Namen blieben, so blieben doch
die Grundzüge unverändert. Wir sehen die Insel in vier Vier-
tel — Fjerdingar — (Gaue) getheilt, deren Namen ihrer Lage
nach den Weltgegenden entsprechen: Süderviertel , Westervier-
tel, Norderviertel und Osterviertel, von denen die drei ersten
noch besondere Namen nach den grossen Seebuchten führen,
an welchen sie liegen: Ranga-, Breidfirder- und* Eyafiord- Vier-
tel. Jedes dieser Viertel theilte sich wieder in Harden , drei da-
von in drei, das Norderviertel aber in vier. Jede Harde aber
war wieder in drei Haupthöfe (Opferplätze) oder in Drittel — Hrepp
genannt — getheilt, welche ihrem Wesen nach der germani-
schen Zehntschaft entsprechend betrachtet werden müssen, denn
jedes bestand aus mindestens 20 Familien *).
Die durch ganz Skandinavien sich^ zeigende Aehnlichkeit
mit der germanischen Namens -Bildupg der Gaue sucht man da-
gegen vergebens in England.
Hier, wo sich die alten Bezirke länger als anderwärts er-
halten haben, finden wir zwar wieder das lateinische pagus *) und in
der heimischen Sprache Ga und Shire, aber die Namen dieser
Bezirke sind meist von dem Hauptorte, einer Stadt oder einem Bo-
rough, entlehnt, wonach also jede Shire als^die Mark ihres Haüpt-
ortes betrachtet werden muss. Die Namens-Bildung ist von der
Art, dass dem Namen des Hauptorts das Wort Shire angefügt ist,
z. B. Lincolnshire von Lincoln, Hamptshire von Sudhamton u. s. w.
Wo aber auch andere Namensformen vorkommen, stehen bei-
der Namen doch immer in einer sofort erkenntlichen Beziehung
zu einander, wie Norfolk und Norwich, Kent und Kanterbury,
Wilts und Wilton u. s. w. Und ganz dasselbe zeigt sieh auch
in Schottland und Irland.
Darum wird häufig auch statt des Gebietes nur der Haupt-
ort genannt und auch die Bewohner der Shire erhalten von die-
sem ihren Namen. Worcestershire wird, je nachdem das 6e-
biet oder dessen Einsassen bezeichnet werden sollen, bald pro-
vincia Hwiccorum*), bald gens Huiccorum*), bald auch Ünigoma
1) DahimaDn , Gesch. Dänemarks II. S. 184 ff. Strinnholm a. a. 0. II. S. 20 ff.
Sachsse a. a. 0. S. 285 ff.
2) 891 : „iD pago Dornsetan''. Kemble, Cod. dipl. Sax. Anglor. 11. p. 128 ; 901 :
„in pago Hampton^S Ibid, p. 140.
8) Kemble 1. c. I. nr. 304 u. 306.
4) Ibid. nr. 90.
«1»
ciuitas oder in einer angelsächsischen Uebersetzung derselben
Urkunde Wigracestre ') genannt. Dass diese englischen Städte
nicht erst durch die Bömer begründet worden , bedarf kaum ei-
nes besondem Beweises, da schon in dieser Art der Bezeich-
nung ihrer Gebiete ein genügender Beleg für ihr hohes Alter
liegt, obwohl es auch historisch nachweisbar ist, dass wie Lon-
don, so auch »noch viele andere englische Städte ein über die
römische Herrschaft hinausreichendes Alter besitzen*).
Die Benennung der Unterabtheilungen der Shireii ist nicht
allenthalben dieselbe. Im Lateinischen wird zwar jede centu-
ria genannt, in der heimischen Sprache aber wechseln nach den
verschiedenen Gegenden die Bezeichnungen.Hundrede, Wa^
pentake und Sheeding. Von diesen ist Hundrede jedoch die
allgemeinste und ganz dem nordischen Härad uiid dem altdeut-
schen Hundari entsprechend^). • Wapentake iindcft sich dagegen
niu» in York und Nottingham und scheint ganz insbesondere von
.der Heertheilung entnommen zu sein, und Sheeding (Seegericht)
hat nur die Insel Man.
Die unterste Volksabtheilung endlich ist die Decania, De-
curia oder Decima*), also die Zehiitschaft, im Angelsächsi-
schen Tittinga oder Teoding genannt.
Was die Grösse dieser Bezirke betriflPb , so zeigt sich diese
. in der grösstmöglichsten Mannichfaltigkeit, und bei einer Verglei-:
chung nach den einzelnen Gegenden stellt sich die Thatsache her*
aus, dass die fruchtbarsten die kleinsten, die von der Natur stief-
mütterlich bedachten die grössten besitzen. Während Kent 62
und Sussex 64 Hundreden hat, besitzt Norfolk, obwohl d§r
Grösse nach die fünfte Grafschaft des Beichs, nur 33 Hundre-
den und dennoch 660 Kirchspiele mehr als jede andere Graf-
schaft. Ebenso hat SuflFolk 21 Hundreden mit 575 Kirchspielen
und Essex 20 Hundreden mit 415 Kirchspielen. Dagegen besitzt
Lancashire nur 6, Cheshire 7, Comwall 9, Northumberland 7
und Kumberland sogar nur 5 Hundreden. Während manche
Hundrede kaum eine Geviertmeile mit 1000 Bewohnern umfasst,
umschliess^h andere, namentlich die Hundertschaften von Lan-
1) Ibid. nr. 154, auch Uoegrinacaester, üoeogorna caestre ff.
2) Vergl. MaDnert, Geogr. der Griechen und Römer II. 2. Abth. S. 119.
3) 964: „dimidiam centuriam, quod anglice Calhburgdawcs Hundred**. Kemble.
1. c. II. nr. 514 ".
4) Speimann I. c. p. 164 ff.
eashire, durchschnittlich je 300 Geviertmeilen , ja eine , nämlick
die von Salford, in welcher Manchester liegt, sogar über 6011,000
Bewohner, ähnlich wie die Hundrede Westerby, zu welcher Li-
verpool gehört, an 400,000 Bewohner. , ^
Die heutigen Shiren sind übrigens nicht mehr die alten ;
die meisten derselben bestehen nämlich aus einer Vereinigung
mehrerer Shiren, so dass sie höchst wahrscheinlich grösstentheils
ehemalige Landschaften (provinciae) sind. Zu dieser Annahme
fuhrt mich zunächst der Umstand, dass man schon in ältester
Zeit an vierzig Völkerschaften zählt *) und dass noch heute vier-
zig Shiren bestehen und jedes Bisthum eine Shire umfasst.
Kent, das jetzt eine Shire bildet, hatte — was ich -weiter unten
nachweisen werde — zu ein und derselben Zeit mindestens drei
TJnterkönige. Es war demnach jedenfalls in mehrere Shiren ge-
theilt. Noch fieute sehen wir sein^ 62 Hundreden auch wirk-
lich in fünf La th es (Laestum) ^) getheilt, deren Vorstände ganz
die Stelle der Centenarien einnehmen. Es kann dieses nicht an-
ders, als durch eine rückgängige Bewegung erklärt werden, in
Folge der die Provinz zur Shire, die Shire zur Hundrede wur-
de. Die alte kenti^che Shire hatte demnach eine andere je-
denfalls tiralte Bezeichnung, welche an das nordische Lethin^
erinnert. Auch das isländische „leid" (conventus) weist dar-
auf hin.
Aehnlich ist es sicher auch mit der in Sussex sich finden-
den Bezirkstheilung in Rapes, (rapa und rapus)^), so wie leicht
möglich auch mit der in York und Lincoln üblichen. Abtheilung in
Thridings (Drittheile), welche sich in ersterm noch als Ridings
erhalten habön. Doch ging weder hier, noch in Sussex, York
und Lincoln die Bedeutung der Hundrede verloren.
Dass alle diese Bezirke auch in England auf uralten Grund-
lagen beruhen und seit ihrer Bildung im Wesentlichen unverän-
dert sich erhalten haben, ist nicht zu bezweifeln, um so schwieri-
ger dagegen die Frage, in wie weit die Verbindung mehrerer sol-,
eher Gaue zu einem Lande mit den alten landschaftlichen Verbindun-
gen übereinstimmt. Dass derartige Verbindungen schon zur Zeit
1) Lingard, Gesch. t. England (v. Salis) 1. S. 10. .
. 2) Spelroann 1. c. p. 348. . .
3) Spelmann 1. c. 478.479. Das isländische hreppr ist wohl nicht daranf su
beziehen.
tlt
der Römer vorhanden waren, ergibt sich aus der Thfitsache, dass
bereits damals die Maaten atis fünf Stämmen bestanden. Aber
was helfen die alten Namen ohne genaue geographische Bestim-
mung? Nur in Kent hat der alte Name sich auch das alte Ge-
biet erhalten; während bei Mircenien dieses schon ^zweifelhaft
ist; alle andern Namen sind durch die sächsischen und engli-
schen Eroberer verdrängt, weil der Name der Sieger allenthal-
ben an. die Stelle der Besiegten trat. So entstanden namentlich:
provincia orientallum Saxanorum oder Eastsaxanorum (Essex),
provincia occidentalium Saxanorum oder Westsaxanonim (Wes-
s«x) , provincia australium Saxanorum oder Suthsaxanorum' (Sus-
sex), provincia Middelsax^norum (Middlessex) , provincia orienta-
llum Anglorum oder Eastanglorum (Ostangeln) u.s.w.
Aehnliches wie in England, sehen wir auch in Frankreich.
Auch Frankreich bestand aus einer Zahl von grossem Landschaf-
ten, welche von selbstständigen Völkerschaften bewohnt wurden.
Jede dieser Landschaften zerfiel in mehrere Gaue (pagi) und der
Grau war wieder inCenten zerlegt. Diese werden bald centena,
bald actus oder vicaria genannt. ^ Jede Cent aber umschloss meh-
rere Marken. Einige Belege mögen dieses 'zeigen. In einer Ur-
kunde heisst es: „in centena Oscarense, in fine Cratmulense in
oppidoipso Cratmulense", in einer andern: „in fine Congoviana —
in actu Oscarense^* und in einer dritten „in pago Uscarense in fine
Marciniacense " *). Die Cent genannte umschloss demnach min-
destens drei Marken.
Diese Thatsache liefert ebenso einfach als unwiderieglich
den Beweis, daSs auch die Decanie in Frankreich nicht fehlte').
Aber auch der Name findet sich in den Urkunden ; das Güterver-
zeichniss der Abtei St. Germain vom Jahr 812 nennt Decanien
an verschiedenen Orten und jede derselben sieht man aus einet
Anzahl Dörfer bestehen').
1) Gn^rard, Polyptyque T. I. P. I. p. 173. Gii^ranl in s. Essai siir le ^stime
des Divisions terriloriales de ia Gaule p. 145 führt die centena Oscarensis als selbst-
standigen Gao auf, und es mangelt ibm die centena. Z« jenem aber zählt er 8 Marken.
2) Noch die neuern Forscher stellen nämlich deren Vorhaadeoseifli entschieden in
Abrede. Gu^rard , Essai elc« p. 65 und Polyptyque de TAbb^ Inninon etc T. 1. p.
44. 456 ff. .
3) S. das Register z. Polyptyque IL, wo die lange Reihe der Stellen angezeigt
ist. Gu^rard bftlt nAmlich^ die decania für die cortis , und beid^ fallen, irie schon
oben bemerkt worden ist , allei:dings oft zusammen,
«18
Das Land jedes Volksstammes trägt den Namen einer ci-
Titas , und dasselbe ist auch wieder mit jedem Gaue der Fall ;
ob auch der Mittelpunkt jeder Cent ebenwohl ein fester Ort
war, vermag ich jedoch nicht nachzuweisen.
Der Mittelpunkt des Landes der Aeduer war Augustodu*
numi welches Tacitus „caputgentis" nennt*). Es war also ganz
dasselbe, was Mattium war. Neue Städte waren von da aus auf
dem alten Stadtgebiete gegründet worden und die Gebiete die-
ser Städte w^urden die Gaue, welche die spätere Zeit uns zeigt,
weshalb diese Bezirke auch die Namen jener Städte tragen.
Von diesen Gauen ist der zunächst die alte Hauptstadt um-
schliessende auch nach dieser genannt: pagus Augustodunen-
sis^); die civitas Alesia gab dem pagus Alsensis');. die civi-
tas Avallo .dem pagus Avalensis ^) ; die civitas Belnesia dem pa-
gus Belnensis *} ; die civitas Duismensis dem pagus Duismensis *) ;
die civitas Pauliacum dem pagus PauHacensis''); die civitas Mor-
venna dem pagus Morvennensis ®) den Namen.
Wie Autun der Mittelpunkt der Aeduer, so war Durocörto-
rum (ftheims) die Stadt der Remer^) und ihr Gebiet zertheilte
sich in sechs Gaue. Ebenso hatte Vesontio (Besancon) , nach
Cäsar*®) „oppidum maximum Sequanorum" ein in sieben Gaue
getheiltes Gebiet u. s. w.
Ganz dieselbe staatliche Gliederung, wie sie im Vorher-
gehenden gezeigt worden ist , findet sich . auch in Spanien und
Italien und überhaupt durch die ganze alte Welt, wenn auch oft
nur in mehr oder minder, deutlichen Umrissen. Um jedoch
meine Vergleichungen nicht zu weit auszudehnen", will ich
jetzt nur noch die Slaven in's Auge fassen.
Die aus dem neunten Jahrhundert stammende slavische
Völkertafel von St. Emmeran zählt die slavischen Völker nach
1) Annal. III. c. 43.
2) 696: „in pago AngnslidiineDse^^ Pardessas, Diplomata — ad res Galio-Fran-
cias spect. 11. p. 248.
3) 721: ,Jd agro Burnaciose in pago Alsinse*^ Pardessus II. 823 a< 834.
4) 635: ,iiQ pago Avalense^*. Pardessus ' II. p. 37.
5) 664: „io.pago Belnensi'^ Pardessus II ff. 135.
6) 721 : „in pago Duismense^^ Pardessns II ff. 325.
7) 721: „in pago Pauliacense'^ Pardessus II ff. 824 u. 322.
8) Goönird 1. e. p. 144.
9) Caesar de gall. bell. VI. c. 43.-
10) Ibid. I. c. 28.
«1»
«
»
regiones und civitates auf, d. h. nach liändem und Gauen. Böh*
men hatte hiemach 15 civitates. Eine solche civitas war der
feste Häuptort eines Gaues, so dass also Böhmen 15 Städte mit
15 Gauen hatte. Jeder Gau theilte sich wieder in eine Anzahl
Bezirke, von denen jeder ebeh Vohl eine feste Burg als Mittel-
punkt besass. „Dat ei ciuitatem Gradecz — heisst es in einer
Urkunde — et totam adjacentem cum quatuor castellis provin-
ciam " *).
Ein solches Land nennt die altslavische Sprache z i e m j e *),
die Abtheilungen eines solchen aber powjaty oder zupy, auch
zu da, die lateinischen Quellen aber brauchen dafür districtus
und pagus^). Die Abtheilungen des Stadtgebietes werden auch
castellatura und castellania genannt, polnisch grod-
Btow*). Schon Constantinus Porphyrogenitus sagt von dem
Kroatengebiete am adriatischen Meere: Diuisa est eorum regio
in Zupanias.
Wir haben also hier die Gaue und Hundertschafben. Aber
auch die Zehntschaft ist nachweisbar; ja es zeigt sich dieselbe so-
gar unter derselljen Benennung, nämlich als decania. Man be-
gegnet ihr sowohl in kärnthener ^) als in brixener Urkunden •) und
noch unzweifelhafter als diese zeigt eine Urkunde von 777 die
slavische Zehntschaft, indem sie dieselbe ausdrücklich als eine
„ decaniam Sclavorum " mit ihrem Vorstande aufführt '^, Sonst
wird die slavische Zehntschaft gleich den beiden obem Abthei-
lungen auch zupy genannt, so dass demnach dieses Wort, gleich-
wie das deutsche Gau, für alle Abtheilungen gebraucht wird.
Deshalb wird in dem Gesetzbuche Königs Stephan von ri49
das Dorf, welches sonst selo und wes heisst, auch shupa ge-
1) Palacky, Geschiclile Böhmens II. S. '20. Anmcrkg. 35.
2) Scbafarik, Slav. Althertb. H. S. 401.
3) Das. S. 674.
4) Die befestigten Orte nennt nämlich die altslavische Sprache hrad oder grad,
die polnische grody, die russische gorod u. s. w.
5) 995: „Proprietäten! — ad Vairzchan in partibus Karanthaniae , in comitata
Harlwici et in Decania VVolframmi'S t. Hormayr sämmtl. Werbe I.S.219; und „in
provincia Karantana, in regimine Hartwici Waltpotonis, in Tega nia Perahtoldi ". Das.
1. S. 8.
6) „Et ut nuUus judex pubiicus, comes aut «xactor, sive decanus sivecentena-
rins'vel quilibet ex judiciaria potestate in ecciesias «at loca vel agros" etc. das. I. S. 26.
7) MoD. boica XXVU. 2. p. 198.
niomt^) na&d Linde in Beiaem polnischen Wörterbuche jgibt für
Snpunia sogar Tillicatio. Eine sonst in den lateinischen Ur-
kunden häufig dafür vorkommende Bezeichnung aber ist vici-
nia. (S. oben S. 149.)
Das Hauptdoif einer jeden* Zehntschaft erscheint stets mit
dem Marktrechte versehen, z. B. im J. 1215: ,,curiam et viUam
forensem, que Knenicz nominatur, cum villis adjacentibus*)*
und hatte immer eine Tabeme; auch wurde nicht selten eine
Burg darin errichtet.
I^ nichts verschieden von der Eintheilung der rein slavi-
schen Länder ist auch die der auf slavischem Boden errichteten
deutschen Markgrafschaften, nur dass hier die slavischen Be-
zeichnungen zum Theil durch deutsche verdrängt worden sind.
Der Gai4 wird hier pagus und Gau, die Castellania Burg-
wart genannt. Im Jahr 1040 finden wir die „Burgwarda Suiza ^) "
und 1063„Sulzaet — tota terra, quae pertinet ad Suiza*)".
Nur die Zehntschafl hat hin und wieder noch ihre slavische Be-
Zeichnung und zwar bis in neuere Zeiten erhalten. Dieses zeigt
sich insbesondere im* Amte Meissen , welches in 16 Supanien
zerfiel, von denen die kleinste 3, die grösste 37 flörfer umfasste *).
In den Markgrafschaften lag nur insofern eine Abweichung
von der deutschen Verfassung, dass stets mehrere Gaue zu ei-
ner Mark vereinigt waren. Natürlich ist die Bedeutung dieser
Bezeichnung hier eine andere, als die, welche oben nachgewie-
sen worden ist, indem sich dieselbe ausschliesslich auf die Lage
dieser Bezirke an der Gränze bezieht, weshalb auch ihre innere
Einrichtung lediglich darauf hinaus lief, das Reich nach Aussen
zu schützen. Die zu diesem Zwecke vorhandenen Einrichtungen
waren aber keineswegs neue Schöpfungen, sie waren vielmehr
nur eine Erweiterung und Vervollständigung der alten slavischen
Befestigungen. Denn wie in den östlichen Slavenländem hat
auch hier jeder Gau eine Hauptfeste und ist in eine Anzahl von
Burgwarten zertheilt, von denen jede eben wohl wieder ihre
feste Burg hat.
Wie die Marken auf slavischem Boden, so sehen wir auch
1) KannsiD, Gesch. des russ. Reiches I. S. 61.
2) Boczek 1. rc. H. 80. s
3) SciiöUgen , de Bargwardiis Saxon. in o(misc mio. p. 95.
4) Mittbeilangeo aus dem Gebiete bislor. antiquar. Forschuirgen 4» H% S. 103«
5) SchöUgeD in der obersächs. Nachlese 1. S. 22.
tf&
die Mark Flandern ansK vier Gauen zusammengesetzt, und jeder
dieser Gaue findet sich in Chätelenies, flämisch Casselreien, ge-
theilt, und Gleiches zeigt sich auch in den englischen Marken.
Dass alle mit solchen festen Haupt- und Mittelpunkten erschei-
nende Gaue wjiridich nichts anderes als die ursprünglichen Stadt-,
marken waren, ergibt sich auch aus zahlreichen Urkunden. Imt
Jahre 805 wird z. B. ein Graf der "Stadt Dorobernia (Kanter-
^xary) genannt*). Dieselbe Bezeichnungsweise kommt auch ia
firanzQsischen Urkunden häufig vor*), und dass darunter nicht
der Ort selbst im engern Sinne, sondern das ganze Gebiet, näm-
lich der pagus, verstanden werden muss, zeigt sich deutlich da-
rin, dass auch Dörfer in die Stadt gesetzt werden^). Deshalb
spricht auch Ammianus Marcelünus (XVI, 2) von den Territo-
riea der rheinischen Städte (temtoria earum) und Gregor von.
Tours (VIII, 18) erzählt, wie ein Graf den „pagum urbis", also den.
ihmt als Grafschaft überwiesenen Gau umritten habe. In demselben,
Sinne nennen sich auch die Bischöfe häufig als Bischöfe der
S^dte z. B". 523 : „ urbis Lugdunensis archiepiscopus *' *) , wenig
i^päter „ episcopus civitatis (auch urbis) Remorum" ^) und 8G8:
„LJiidbertus humilis Mogunciacensis civitatis archiepiscopus " ^).
Die Verschiedenheit, zwischen beiden Arten des Wohnena
gibt sich übrigens, auch durch den in ältereroZeit in Deutsch-
land gänzlich fremden Frohndienst zu den Burgbauten zu erken-
nen, der dagegen in England j') Frankreich, den Slavenländern.
u. s. w. *) schon seit ältester Zeit ganz allgemein war.
1) „Alilbun, qui in bac regali uilla inlustris ciuitalis (Dorobernia) praefeclus
fuit". Remble 1. c. I. nr. 189.
2) S. die voD Waitz a. a. 0: II. 321 gesammelten Stellen.
3) 839: „ aJiquam paj'tem terrae iuris mei hoc: nnain uiUam inlra ciuitate
Döronerniae et ad illis perlineotia XXIIII ingeras tarnen in duabus locis in Dorouer-
nia ciaitatis intra muri» ciiiitatis X ingera civm niculis praedictis et in aquilone prae-
d^tae ciuitalis XIJII iugera bislis terminibus circumiacenlibas etc'^ Kemble 1. c. II.
nr. 1. ; desgleichen 895: „ totam terram mearn in oppido in Frekeham in pago Sutb-
folci.e". Ibid. II. nr. 322.
4) Pardessus 1. c. I. ^71.
5) Ibid. 84.
6) Lenkfeld , Antiq. HalbersU p. 620.
7) Bei Kemble finden sich zahlreiche Beispiele schon aus, den- älleslen Zeilen. In
den Briefen über Dienslbefreiungen werden regelmässig; ausgenommen die Verpflichtung^u
,,. . . pontis et arcis conslructione et exgedllione contra hostem*^ oder wie die ge-
wölwliche Formel lautet: „tribus exceplis expeditione, pontis > arcisqne conslroelioae^S
8) Röppel, Gesch. Polens S. 313 ff.
2) Die Bedeutung der Zahlnamen.
Wie hat sich jene allgemeine Uebere^nstimmung in der
Grliederung so verschiedenartiger Völker gebildet? Liegen hier
Naturgesetze zu Grunde , welche nach einer bestimmten Noth-
wendigkeit immer und allenthalben dieselben Wirkungen hatten
und zu denselben Resultaten führten? Was diese Erscheinung
aber noch wunderbarer macht, sind die allenthalbjen dieser Thei-
lung zur Grundlage dienenden Zahlenverhältnisse. Sowohl bei
den Deutschen, als den GaUiem und Angelsachsen finden wir
als unterstes Glied die -Zehn (Decania), als höheres die Hundert
(Centena). Aber auch die Tausendschaft wird ausdrücklich ge-
nannt. Als diß sächsischen Grossen sich Karl dem Grossen
schriftlich zum Christenthume verpflichteten, nennt sich einer
derselben Pana of Thousand d. i. Bannerherr einer Tausend-
schaft, und Rhabanus Maurus erklärt in seinem Glossar das Wort
Ambact mann, womit zuweilen die comites bezeichnet werden,
durch „tribunus, qui mille viris praeest*)". Nicht wenigerfindet
man diese Zahl bei den Skandinaviern 2). Dasselbe ist der Fall
bei den italischen Volkern; schon die Römer hatten Decurien
und Centurien. Nach Procop ^) standen die Vandalen „ sub
ducibus -^ quos millenis praefectos vocant". Vollständiger
noch gibt das westgothische Gesetz diese Zahlenfolge. Hier
weist uns die Bezeichnung des Gaus Xhyuphadum auf 1000 , die
der Cent Hundaphadum auf 100 und die der Dekanie Taihunpha-
dum auf 10 *), Aber auch bei den slavischen und tartarischen
Stämmen Jbegegnen wir diesen Zahlen. Für die erstern bezeugt
uns dieses Nestor *). Bei den russischen Slaven wurde das Heer
in Desäthi (Decuria), Sotni (Genturia) und Tysätschi (Tausende)
getheilt ®). Ebenso benannten die Mongolen ihre Abtheilungen
nach jenen Zahlenstufen. Wir finden bei denselben die Abthei-
lungen von Zehntausend , Toman oder Tuman genannt , mit ihrem
Führer, den Zehntausender oder Temnick; von Tausend, He-
1) Sacbsse a. a. 0. S. 290 u. 303.
2) S. die Belege bei Sachsse S. 303. '
3) de hello Vandal. I. 5.
4) Leg. Wisigoth. ap. Canciani IV. Aschhach, Geschichte der Westgelhen S. 204
ond Lemhke, Gesch. Spaniens f. S. 177 n. 209.
5) Strahl, Geschichte des russ. Staats I. 423.
6) Bulgarin , RussUnd , übersetzt von Bracke). I. S. 289. S. auch Geschichte des
russischen Reichs Ton Karamsin. I. S« 195.
«S3
sare genannt ; von Hundert , Sade genannt und endlich von Zehn,
Dehe genannt; die Emire der vier letzten heissen die Emire der
vier Keschik. Und hiemach wurden auch die einzelnen Bezirke,
die Tomane , bezeichnet *).
Endlich sehen wir auch schon in frühester Zeit die Hebe-
räer bei ihrem Auszuge aus Egypten in Haufen von Tausend und
Hundert eingetheilt und in dieser Ordnung ihre lange Wande-
rung fortsetzen und in solchen Abtheilungen auch in die Schlach-
ten ziehen ^).
Es ist schon oft über die Grundlage gesprochen worden,
auf welcher diese Zahlen beruhten;, die einen sehen darin eine
Abtheilung des Heeres, die andern eine entsprechende Zahl von
freien Grundwehren, so dass also z. B. die Hundertschaft ur-
sprünglich aus 100 Hufen bestanden hätte.
Für' die letztere Ansicht scheinen allerdings einige- angel-
sächsische Urkunden zu sprechen. In einer derselben Von 903
gibt König Alfred einem Kloster eine Hundcede mit 100 dazu
gehörigen Höfen *) und in einer andern Urkunde von 964 wird
einß halbe Hundrede mit 50 Hiden genannt*). Doch dieses be-
ruht jedenfalls nur auf einem zufälligen Zusammentreffen, denn
eine derartige Gliederung des Grundbesitzes nach Zahlen ist zu
widernatürlich, als dass man sie für ausführbar halten könnte.
Auch nicht ein Jahrzehnt würde sie Bestand haben können, da
die Vermehrung der Bevölkerung auch sofort immer eine Er-
weiterung des Anbaues nothwendig macht. Dass "diese Abthei-
lungen sich aber auch wirklich nicht auf den Grundbesitz be-
liehen, beweist unwiderleglich die oben angeführte Thatsache,
dass dieselbe Zahlengliederung auch bei den Mongolen und den
Juden , also auch bei nomadischen Völkejn , sich findet , denn
auch die letztern hatten auf ihrer Wanderung keinen andern
Charakter.
Wohl haben auch nomadische Völker Bezirke , welche' sie
bewohnen und als ihnen ausschliesslich zustehend betrachten.
1) V. Hammer- Pnrgstali, Geschichte der goldenen Horde etc. S. 212 u. 238.
2) Moses IV. C. 31. v. 4, 14, 48, 52 u. 54.
8) „qnendam fundum, quem indigeoae Myceldefer appellanl, cum suo hundredo
et appendicibns, habeos ceutum cassatos et ecclesiam.^* Kemble I. c. H. nr. 336.
4) „Sed etdimidtum centurialum, quod anglice vocatur.Cudburgehlawes hnndred,
ad qood iacent L hidae in Croppedonie.*' ibid. VI. append. nr. 514.
SS4
\
Die nomadisirenden Lappen ia den Finnmarken halten sich
stets in gewissen Kirchspielen und reden hiemach auch ver-
schiedene Dialekte; ebenso hatte je^er skythische Stamm sei-
nen bestimmten Landstrich, in- dem er herumzog, und dasselbe
sehen wir auch noch heute bei allen nomadischen Völkern* Es
sind indessen die Gebiete solcher Nomadenstämme wesentlich
von denen ansässiger Stämme verschieden ; denn es mangelt
ihnen mit dem festen Ansitze auch der Privatbesitz und der
ganze Boden hat die Natur der gemeinen Mark. Es fehlt also
jedes Mittel zu einer solchen Abtheilung.
So wenig sich jene Zahlennamen demnach auf den t?rund-
besitz beziehen können , eben so wenig können sie aber auch auf
einer bleibenden Abtheilung des Volkes beruht haben, denn wir
sehen allenthalben fest abgegränzte Bezirke und noch in einem
grossem Masse , als das beim Grundbesitz der Fall ist , die Zahl
der Familien einem fortwährenden Wechsel unterworfen.
Schon bei den Germanen waren jene Bezeichnungen nur
noch Namen , wie Tacitus *) ausdrücklich bezeugt ; eben so Itesff
die römische Decurie und Centurie keinen Schluss äuf die Zahl
ihrer Mitglieder zu, indem diese vielmehr durchweg verschie-
den war, und dasselbe wird auch von den mongolischen Ab-
theihingen berichtet *). Immer sind es nur Namen , keine
Zahlen. ..
Also nicht auf dem Grundbesitze und eben so wenig auf
der Zahl der sesshaften Familien können jene Eintheilungeri und
deren Bezeichnungen beruhen. Ausser diesen gibt es aber nur
noch ein Drittes, welches eine ungezwungene Erklärung bietet,
und dieses ist der Zustand vor der Sesshaftwerdung oder vor
der Einwanderung und Niederlassung. Auch im rohesten Zu-
stande bedarf jeder grössere Haufen einer bestimmten Ord-
nung, einer Gliederung in kleinere und grössere Theile, wenn
eine Führung und Lenkung zu einem bestimmten Zwecke mög-
lich sein solk Aber auch hachdem er sich festgesetzt, be-
durfte der Haufen nach imiaiber einer Ordnung, weil er auch in.
dem festen Ansitze in wenig veränderter Weise seinen kriegeri-
schen Charakter beibehielt. Er bedurfte auch hier einer Ord-
nung, welche ein schnelles Aufgebot , ein rasches Sammeln, ein
1) Germ. c. 6.
2) T. Hammer - Pufgstall a. a. ö. S. 244.
imz^^eifelhaftes Gliedern der eins^elnen Theile zu einen Gan^u
möglich machte, überhaupt eine Ordnung, welche jedem derge-»
ßtalt bewusst war, dass er schon vorher den Platz kannte,
welchen er im grossen Ganzen einzunehmen hatte. Das war
aber auf keine andere Weise zu erreichen, als dass man sich
in derselben Ordnung , wie diese auf dem Zuge bestanden , auch
sesshaft machte. So blieb das Volk auch ferner das Heer. Mög-*
lieh, dass schon in der Zeit von dem Auszuge bis zur Nieder-
lassung diese Gliederung nach bestimmten Zahlen bereits hin
und wieder verschoben worden und die einzelnen Abtheilungen
mehr nur noch Namen als wirkliche Zahlen waren; sicher aber
musste dieses Verhältniss sofort nach der Niederlassimg eintre-
ten, und so haben wir dann auch von Anfang an keine Ordnung
nach wirklichen Zahlen hier zu suchen, sondern wir haben diese
Zahlen nur noch als Namen zu betrachten.
Wie kam es aber, dass man bei so verschiedenartigen Völ-
kern gerade die Zahl Zehn zur Grundlage jener Ordnung nahm?
Ich glaube , weil dieses die Zahl ist , welche eben als die ein-
fachste und zunächstliegende sich darbot. Die Natur 3elbst hat
sie im buchstäblichen Sinne des Wortes dem Mensehen an die
|Iand gegeben. Als derselbe zu zählen begann, versuchte er
dieses sicher zuerst an den Fingern der Hand, ganz wie wir
dieses auch noch heute beim Kinde sehen. Es war sonach die
einfachste Ordnung. Als unterstes Glied gaflt die einfache Zehn;
10 X 10 bildete die zweite , 10 X 10 X 10 die dritte Ordnung *).
Dass dieöe Gliederung aber bis in die früheste Jugendzeit der
Völker hinaufreicht, ist kaum zu bezweifeln.'
Die alte Heerordnung blieb also auch die Ordnung des Vol-
kes und da ohnehin jeder waffenfähige, Freie auch heerpflichtig
war, so waren Heer und Volk dasselbe, beide waren eins, keins
von beiden war ohne das andere denkbar. Auch die Führer im
Frieden waren zugleich die Führer im Kriege.
Sobald ,ein Aufgebot erfolgte, sammelte sich die Bauer-
schaft (Zehntschaft) unter ihrem Führer; dann traten die zu
einer Hundertschaft gehörigen Bauerschaften zu einer- Schaar
zusammen,' und eben so einigten sich weiter die Schaaren der
zu einem Gaue gehörigen Hundertschaften. Ganz in derselben
1) Ob das kleine (100) oder das grosse Hnudert (130) allgemeioer febr&ach<
lieh war, darauf komnut es hier nickt «b. ^
Land an. Territori«ii. 15
Weise stellte man sich auch in der Schlachtordnung auf. Es
stand also jeder Stamm vereinigt. Schon Cäsar *) epzählt, wie
' das Heer Ariovists nach Stämmen aufgestellt gewesen sei , und
dasselbe berichtet auch Tacitus^) von dem Heere det Bataver.
NocTi bestimmter spricht sich der letztere ^) aber an einem an-
dern Orte darüber aus : „Nicht das Ungefähr oder ein zufalliges
Zusammentreffen bildet eine Schaar oder einen Keil, sondern
Familien oder Sippschaften (familiae et propinquitates)." Es war
also in keiner Weise eine künstlic^ie , «ondem eine lediglich aus
der Natur der Verhältnisse hervorgegangene Ordnung. Trägt
doch hoch heute die Dorfschafb alle Zeichen einer Geschlechts-
einheit an sich und selbst auch in den weitern Abtheilungen ist
die Stammeseinheit nicht zu verkennen. Deshalb auch jenes
feste Aneinanderschliessen , jene Solidarität, jene Aufopferung
für den Führer; denn wie Tacitus*) berichtet, stritt der Häupt-
ling für den Sieg, seine Truppe für den Führer.
Dieselbe Heerordnung nach Stämmen zeigt sich weit spä-
ter auch noch bei andern Völkern, z. B. den Schotten, den Kur-
den, den Albanesen u. s. w. Bei den letztem erscheint noch
jetzt jeder Häuptling, so jung derselbe auch sein mag, wie
ein Patriarch des Alterthums. Willig folgen ihm die Glieder
seines Stammes wie in die Kirche, so auch in ^en Kampf.
3) Die nationalen Mittelpunkte.
Jeder Volksbezirk, die Zehntschaft, die Hundertschaft, der
Gau und nicht, weniger auch die Nationen in ihrer Gesammtheit,
hatte einen bestimmten Mittelpunkt , eine Stätte , auf welcher
jeder Bezirk seine Angelegenheiten verhandelte, auf welcher
alle Berathungen , alle rechtlichen Handlungen und eben so auch
alle religiösen Gebräuche stattfanden.
Diese Stätten werden im Deutschen Mallum^), Malstatt*),
Malberg, Ding und Dingstatt, Gericht und Gerichts-
1) de Call. bell. I. 51.
* 2) Hist. IV. 23.
8) Germ. 7»
4) Germ. 14.
5) 814: „in mallo seu judicio publico" Kindlinger, Gesch. der Hörigkeit ükbch.
S. 217. -
6) 1244: „apud pratam iuxla Reihe in loco legilimo banni regalis, qai locus vulgo
Malstad appelalur**. KindliDger, mönstersche Beitr. H. ük. S. 260.
Stätte, Ring und Tie, lateinisch placitum , Judicium, concilium
etc.*) genannt.
Ob auch das Gebiet, was oben speciell als Provinz bezeich-
net worden, also z. B. Westphalen, Engem und Ostphalen, gleich-
falls eine solche Stätte besass , vermag ich mit Sicherheit nicht
zu beantworten. Nur dann war dieses wohl unzweifelhaft der
Fall, wenn an der Spitze eines solchen Gebiets ein König oder
Herzog stand, wie dieses besonders deutlich in Norwegen her-
vortritt, wo diese Versammlung das Alt hing genannt wurde.
Hier beabsichtige ich indessen nur bei jenem höchsten
Volksding, in welchem ein gesammtes Volk seinen Einigungs-
punkt fand, auf eine genauere Betrachtung einzugehen. Während
man nämlich die Gau- und andere Malstätten Von allen Seiten aus
in's Auge gefasst, hat man dagegen jene nur selten und nie-
mals in ihrer ganzen Bedeutung gewürdigt. Und doch ist ge-
rade diese das Höchste und Wichtigste eines Volkes , sie ist das
Herz des alten Nationallebens, der Punkt, in welchem. sich die
Stammeseinheit eines ganzen Volkes darstellt.
Ehe ich jedoch tiefer auf die Bedeutung dieser Stätte ein-
gehe, will ich die Nachrichten zusammenstellen, welche sich bei
verschiedenen Völkern über ihre höchsten .Dingstätten finden.
Tacitus*) erzählt von den Sueven: „Für die Aeltesten und
Edelsten der Sueven geben sich die Semnonen aus, Glauben
sichert ihren Altersansprüchen die Religion. Zu festgesetzter
Zeit kommen in einem Walde, geheiligt durch der Väter Weise
und altherkömmliche Scheu , alle Völkerschaften desselben Blutes
vermittelst Gesandtschaften zusammen, opfern von Staatswegen
einen Menschen, und begehen nach barbarischem Brauche grauen-
volle Weihen. Es widerfahrt dem Haine noch eine andere Ehr-
furchtsbezeugung. Niemand betritt ihn anders als mit einer Fea-
sel gebunden, im Gefühl der Niedrigkeit und um zu zeugen von
der Macht der Gottheit. — Und das Alles hat der Aberglaube
erzeugt, als ob dort des Stammes Anfänge (initia gentis) ihren
Ursprung hätten, dort die Gottheit, die Alles beherrscht, ihren Sitz
habe, dass afUesUebrige dem unterworfen und dienstpflichtig sei.
Grössere Geltung verleiht ihm die glückliche Lage der Semnonen :
sie bewohnen hundert Gaue, und das Bewusstsein eine grosse Kör-
1) VergK Grimm, R. A. S. 745 ff.
2) Germ. c. 39.
,15* I
perschftfbzu bilden, veranlasst, dass sie sich für das Haupt der
Sueven (Suevorum caput) halten."
Ebenso erzählt Cäsar ') , dass alljährlich in dem Lande der
Kamuten, welches man .für den Mittelpunkt (regio media)
von ganz Gallien halte, sich zu einer bestinmiten Zeit des Jah-
res die Druiden an einer heiligen Stätte (zu Dreux) versammel-
ten, und wer einen Streit habe, stelle sich dort ein und unter-
werfe sich ihrem Spruche.
Der Mittelpunkt des sächsischen Volks lag in der Mitte
des Landes, nächst der Weser, und hiess Markloh. Alljähr-
lich kamen an diesem Orte , so erzählt Hukbald, zwölf Abgeord-
nete eines jeden der drei Stände aus jedem Gaue zusammen,
und beriethen die gemeinsamen Interessen und beschlossen über
Krieg und Frieden*).
Die Malstätte für die Abgeordneten aller Stämme des Frie-
öenvolkes war Upstalboom , eine kleine Anhöhe unfern des Dorfs
Haxtum, */« Stunde von Anrieh^).
Eine freilich jüngere Nachricht bezeichnet Mittelhausen als
die Hauptmalstätte für Thüringen*).
Bestimmter dagegen treten die nationalen Mittelpunkte in
Skandinavien hervor.
Dänemark umfasste — wie schon oben bemerkt worden
ist — zwei verschiedene Reiche. Das östliche aus Seeland,
Möen, Falster, Laaland, Langeland und den beiden Gauen auf
dem skandinavischen Festlande Halland und Schonen*) beste-
hende , hatte seinen Mittelpunkt zu Leithra oder Ysora am Yse-
fiord auf Seeland *) , oder wie Ditmar von Merseburg (1, 9.) sagt :
1) de hello Gall. VI, 13.
2) l^ncbald. vita S. Lebnini ap. Pertz H. 361 a. 362. „Statulo quoquc tempore .
anni semel ex singnlis pagis, alque ex iisdem otdmibns tripartitis; singillalim viri
iduodecim electi , iet in nnum collecti , ia media Saxonia secns flnmeQ Wiseram , et
locnm Marklo nancnpiltum, ex^rcebaot generale concilinm tractantes, sancientes et pro«
palantes communis commoda utilitalis, iiixta placilom a se atatutae legis. Sed etsi
forte belli terreret exitinm, si pacis arrideret gaudium, consalebant ad haec quid sibi
foret agendum/^ Schaumann (1. 73.) zieht diese ganze Nachricht in Zweifel, aber ohne
allen Grund.
3) Wiarda, Von den Landtagen der Friesen in den mittlem Zeiten bei Upstals-
'hoon.
4) Menken , Scriplor. I. p. 846. ^ . *
bj Dahlmann , Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte I. %• 482.
6) Ueber^die Lage siehe Falck^ Neues staatsbOrgerliches Magazin Bd. I. 1882. S.
567 — 574.
„Es ist in jenen Gegenden ein Ort, Lederun geiianrit; TÜ^rHauptr
Stadt des Reichs 7—, wo immer nach Verlauf von neun Jahren
im Monat Januar — Alle zusammen kamen und ihren Göttern
99 Menschen und ebenso^ viele Pferde nebst Hunden und Hijh-
ner, welche man beim Mangel der Habichte darbrachte, opfer-
ten, indem sie für gewiss glaubten, dass diese ihnen bei den
Göttern der Unterwelt Dienste leisten und dieselben wegen ihrer
begangenen Missethaten aussöhnen würden." Kurz, es war der
Ort, wo das Volk seine Reichstage hielt, seine Götter verehrte
und seine Könige wählte *).
Das andere dänische Reich / lag westlich von jenem und
umschloss Jütland bis südwärts zum Danewirk nebst Fühnen.
Die höchste Thingstätte desselben war Wiborg, der heilige Berg.
Hier fanden sich, nach dem Berichte des Mönchs Aelnoth in
dem Leben des h. Kanut, die freien Bewohner von ganz Jüt-
land und Fühnen ein, um über ihre gemeinsamen Angelegen-
heiten und insbesondere über die Gesetze zu berathen. ^)
Dasselbe war für Norwegen Throndheim. Wie die Sueven
ihre Hauptnialstätte für die Quelle ihres Volkes hielten, so gilt
jenes dem norwegischen Volke für seine erste Niederlassung*).
Hier war das Allzherriar Thing d. h. die allgemeine Volksver-
sammlung, auf welcher alle allgemeinen Reichsangelegenheiten
berathen und die Könige über ganz Norwegen gewählt wurden,
so dass selbst noch König Knut , obwohl er Norwegen durch Er-
oberung erhalten hatte, es dennoch für erforderlich hielt, hier
sich wählen zu lassen*). Ja die Fylken von Throndheim und
ihre Häuptlinge nehmen unverkenntlich unter den übrigen Stäm-
men eine ähnliche bevorzugte Stellung ein , wie diese die Sem-
J) Dahlmann, Gesch. von Dänemark I. S. 168.
2) Aelnothus monachus in vita S. Cahul ap. de Westphalen Monument, inedit.
IV. p. 1414. und Langebek, Sei*. Danic. III. 361: „Locus celebercimas medio fere lu-
tiae orbe consistit, qoi, ob sui eminenliam, vel ob antiquoram inibi sacrificiornra fre-
quentiaro, Tel ob idoli quondam ibidem opinatissimi , qoi Wig dicebatur, memoriam,
Wibergis, velnti Wigi excelsum, aut belli mons , sen sacrificationis, lingmi danica nun-
cnpatnr, abi e^ totis Jutiae partibns quam saepins non minima multitudo, tarn d«
cansis commuuibus tractatura, quam et de legnm veritale sive flrmilate, discntienda,
simul et slabilienda, conuenit: et quod ibi communi consilio aggregatae mnltitadrnis
stabilitum fuerit, non impune uspiam in Juliae partibns irritum fieri valebit."
3) Sachsse, Histor. Grundlagen des deutsched Staats- und Rechtslebens S. 154,
4) Das. S. 155.
nonen unf er den Sneven hatten. Auch Adam von Bremen sagt :
^»Metropolis cinitas Nortmannorum est Trondemnis *)•
In Island finden wir das Althing als dio Versammlung des
gesammten Volkes.
Gleich Dänemark ist auch Schweden , wie schon angeführt,
zweitheilig, nördlich war das Schweden-, südlich das Gothen-
reich und jedes hatte seinen Mittelpunkt. Der alte Mittelpunkt
der Schweden, lag am Mälarsee. „Nach der Einwanderung der
Äsen gründete da, sagt die Ynglingasaga , wo es jetzt Fom-
Sigtuna (Alt-Sigtuna) heisse, Odin seinen Hof, d. h. Tempel,
und nahm das Land ringsum, doch nicht weit, in Besitz. Den
Hofgoden -(Tempelpriestern) gah er Wohnstätten und diesen zwölf
Häuptlingen opferten die Menschen und nannten sie ihre Göt-
ter. Nach Odins Tode folgte ihm Freyr, sein Sohn, und dieser
baute zu Upsalin (d.h. Hochsäle) einen grossen Tempel (hof)
und setzte dahin seine Hauptstätte." Schon in dem Namen liegt
die Bedeutung des Orts. Sala ist sowohl im Altdeutschen als'
Angelsächsischen das Haus und Upsala Hesse sich demnach auch
durch Oberhaus übersetzen *). Freyr verlegte also die Haupt-
tempelstätte von Sigtuna in*s südliche Gothenreich nach Upsala.
Dieses gescliah, nachdem beide Stämme unter einem Oberhaupte
vereii^igt worden. Seitdem erhob sich zu Upsala in einem ge-
heiligten Haine der höchste Göttersitz und das höchste Gericht
und zugleicli auch der Sitz des Oberkönigs des schwedischen
Volkes, und auch noch später, als die religiöse Bedeutung schon
längst untergegangen, wurden doch daselbst noch die Könige
gewählt*).
Die Nationalversammlung der Iren, welche von drei zu
drei Jahren zusammentrat, fand zu Tara statt und auf ihr wur-
den eben wohl alle das Gesammtwohl des Volks betreffende
Gesetze und Verfiigungen erlassen*).
1) Pertz, M. H. G. VII. 888.
2) In einer osnabrückischen Urkunde Ludwig des Deutschen, die indessen allem
Anscheine nach untergeschoben ist, was aber hier nichts zur Sache thut, wird gesagt,
dass kein öffentlicher Richter über die Sliftsangehörigen Gericht hegen solle, ,,qnod
eorum lingua Oberzala dicitur** (Möser^s Osnabrück. Gesch. 1. Beil. S. 12.)* Es be-
deutete also auch Gericht.
8) Rnhs, Gesch. Schwedens. I. S. 89. Geijer, Gesch. Schwedens. I. S. 64.
4) Die Geschichte von Irland, von Th. Moore, Uebers. von SQh&fer, I. S, 132.
m
Obwohl sich bei den Angelsachsen nirgends die Spur ei-
nes alle Stämme verbindenden Volksdings zeigt , so weist doch
die Würde des Bretwalda darauf hin *). Wir sehen nämlich im
sechsten und siebenten Jahrhunderte ein höheres Königthum»
welche» zwar, auf altes Herkommen sich stützend, König Edel-
bert von Kent vorübergehend besitzt*), in der That aber an
keinen Stamm gebunden, ohne bestimmte Ordnung wechselnd,^
bald diesem bald jenem Könige durch Wahl übertragen wird,
welcher dann den Titel eines Bretwalda führt. Ueber die Vor-
rechte des Oberkönigs ist man freilich keineswegs im Klaren;
doch hat man in dieser Würde vorzugsweise eine herzogliche
Würde, nämlich die Würde ^ines höchsten Kriegsführers, er-
kennen wollen ').
Dass die Angelsachsen diese Würde mit, aus ihrer Heimath
gebracht, wird von Niemanden behauptet ; sie haben sie aber auch
nicht erst im neuen Vaterlande geschaffen, sie haben sie viel-
mehr dort vorgefunden und auch bei sich fortbestehen lassen.
Schon der Name weist dieses nach; denn vealdanist regere,
veald — potestas, vealda — gubernator, also bretvealda
der König der Britten*). Und wirklich findet sich ein solches Oberr
königthum auch schon in den uralten brittischen Gesetzen des Dy-
onwall Moelmud. Nach der über dieselben von Gervinus *) gege-
benen Relation, erkennt man aus diesen deutlich, dass die
sämmtlichen Stämme der Britten ein ähnliches Band umschlangt
wie ich dieses schon bei einigen andern Völkern nachgewiesen
habe, nämlich eine allgemeine Volksversammlung, Gorsed ge-
nannt. Neben dieser bestand aber auch noch ein Oberkönig-
thum. Aus den sämmtlichen Stammfiirsten wird nämlich einer
zum Lord Paramunt, ein Name der an den sagenhaften fränki-
schen Oberkönig Paramund (protector) erinnert, erwählt. Die-
sem gebührte das Recht die regelmässige Volksversammlung zu
berufen, und in derselben, doch nicht weiter, waren seine Be-
fehle für Alle bindend. Er soll der Tapferste sein und mag des-
halb vorzugsw:eise die Heerfiihrung gehabt haben, obwohldie Würde
auch ausser der Kriegszeit bestanden zu haben scheint. Die ganze
1) Kemble stellt deren Vorhandensein in Abrede.
2) Sachsse a..«. 0«.S. 230.
3) Lappenberg I. S. 127 AT.
4).euiiiüller 1. c. 115. 823.
5) Heidelberger Jahrbücher 1831. S. 46 ff.
«st
Oberhoheit und gesetzgebende €fewalt lag aber lediglich in der
Volksversammlung, welche auch den Paramunt absetzen und
dessen Gebote wieder aufheben konnte. Diese Versammlung *
war zugleich die höchste Appellations- Instanz, und wurde von
300, oder nach einer, wie es scheint, altern Bestimmung, von
allen Freien eines jeden Stammes gebildet, von denen keiner
zurückbleiben durfte. Die Masse des Volkes stimmte , die Stamm-
häuptlinge und Familienhäupter führten das Wort für die ein-
zelnen Stämme und sollten einig und übereinstimmend zusam-
menwirken. Erst später begegnet man auch in England einer
allgemeinen Volksversammlung, oder wie dieselbe 938 genannt
wird: iudicium totius populi et seniorum et primatum*).
Auch bei den slavischen Volkstämmen finden wir allent-
halben eine Hauptmalstätte für das gesammte Volk, und hier
war diese Stätte stets eine Tempelfeste.
Für Böhmen war dieses Wischehrad , die heilige Stadt, wo
auch noch später die böhmischen Reichstage statt fanden*).
Bestimmter noch lassen sich die heiligen Nationalstätten der
an der Ostsee wohnenden SJavenstämme nachweisen. Ich werde
jedoch nur einige aufzählen.
Für das slavische Volk der Leutiken (Pommern) war Re-
dra ^) die heilig'e Feste. Hier war ein von einem heiügen Haine
umschlossener Tempel, hier der Sitz der Priester und die Haupt-
malstätte für die Gerichte des gesammten Volks*). Hierher (in
ciuitatem Rethre) berief der mecklenburgische Fürst Mistivoi IL
alle östlich wohnenden Slaven und stachelte sie zur Rache gegen
den Markgrafen Dietrich auf ^). EineA spätem Landtag erkennt
man aus einer Urkunde des Abts von St. Michael von Bamberg
vom Jahre 1188, worin derselbe die seinem Säckelmeister be-
willigte Wachsabgabe von jeder Taberne bezeugt; es heisst näm-
lich darin: „quod ipsi principes eiusdem patriae in generali cou-
1) Kemble, Cod. clip. I. Introd. p. LX.
2) So heisst es 1216: „in communi coUoquio Bohemorum Präge habito". Bo-
czek I. c. n. 86. . ^
3) „CiviUs Redra, quae est in Lulitiorum" (Hejmold, Cwn. Slavor. f. C. 16.)
4) üeber die Lage von Redra s. die Abhandlung von Lisch in den Jahrbächern
für mecklenburgische Geschichte Jahrg. IIL S, 1 flf. Barthold, Gesch. PomiMras f. S. 236.
5) Helmold I. c. 16,
ventu et consiliö consensu fere omhmm baronum. et suppahorum
suorum universali decreto statuerunt/) ".
Auch die Hauptstätte des preussischen Volkes ist bekannt.
Es war Romove in Samland*), wo der höchste Tempel stand
und "der oberste Richter und Priester seinen Sitz hatte.
Die Haupttempelstätte des ehstnischen Volksstammes hatte
einen gleichen Namen Romove oder Romene, in der Provinz
Austechia, welche 1294 vom deutschen Orden zerstört wurde.
Die Sanmielstätte des gesammten Heeres war jedoch an einem
andern Orte, zu Rugele in der Provinz Harrien*).
Ganz dasselbe Bild gewährt auch Montenegro oder Cernagora,
jenes Gebirgsland, welches uoch jüngst auf einige Zeit die allge-
meine Aufmerksamkeit fesselte. Das Land zerfällt in Nahien (Pro-
vinzen) und diese sind in Plemen (Gaue) zertheilt. Der Mittelpunkt
des Ganzen ist die Feste Cetinje, welche in einer der neun Plemen
der Katunska Nahia, in der Pleme vonNigüschi liegt, und diese Ple-
me gilt als oberste Pleme, weil ihr Häuptling als das Haupt eines
alle übrigen Stämme übertreffenden Stammes eine gewisse Ober-
herrschaft über alle andern Häuptlinge besitzt. Zu Cetinje fin-
det auch die Nationalversammlung statt. Während diese auf ei-
ner Wiese tagt, hält der Senat auf einem Berge bei dem Vla-
diken seine Berathung*).
Dass diese Hauptstätten der Völker, sich nicht immer, we-
nigstens nicht in dem städtelosen Germanien, durch Grösse aus-
zeichneten, sehen wir an Mattium, dem „caput gentis** des kat-
tischen Volkes, das heutige Maden, denn die Flur dieses Dor-
fes zählt nicht mehr als 21 Hufen und niehr kann sie auch
niemals gehabt haben.
Diese bei so vielen Völkern sich wiederholende Thatsache
eines festen Mittelpunkts für das gesammte Volk, gestattet uns
ein^n solchen auch bei allen übrigen Völkern anzunehmen, bei
denen wir , wie z. B. bei den Alemannen , den Baiem *) ,
1) Dreger, Cod dipl. Pommer nr. 26. Weitere Beispiele s. in den Urkunden
zur Gesch. des FQrstenth. Rügen von Fabricins H. S. 143.
2) Nach Vogts . Untersuchungen das heutige Dorf Rohmenen.
3) V. Parrot a. a. 0. S. 323 u. 416 und Kruse, Urgeschichte des ehstnischen Volks-
stamms S. 49.
4) Robert, flie Slaven der Türkei. Uebers^lzt von Fedorowjtsch I. 82 u, I|. 97f
5) Wailz a, a. 0. II. 447. 448^ "
\
tu
den Westgothen *); den Franken^) u. s. w. zwar jene grossen all-
jährlichen Versammlungen, aber keinen für diesen Zweck fest-
stehendenOrt mehr sehen, oder wo jede Kunde davon uns fehlt.
Da man bisher die grossen Nationalverbindungen stets nur
als lediglich durch äussere Ereignisse und durch die Nothwen-
digkeit gegenseitigen Schutzes, also als rein zufallige Bündnisse
betrachtet hat ^), so konnte man auch jenen höchsten und heilig-
sten Stätten der Völker keine tiefere Bedeutung zulegen.
Aber diese Anschauung muss schon wankend werden, wenn
man den stillen immer und allenthalben gleichmässigen Gang
überblickt, in welchem die Entwicklung des ältesten Volksle-
bens sich bewegt, und muss gän/lich fallen, wenn man die
einfachen aus der Natur der Verhältnisse hervorgegangenen Ge-
setze betrachtet, welche diese Entwicklung bestimmen und
leiten.
Was nun aber die Bedeutung noch mehr hervorhebt^ ist
die bevorzugte Stellung, welcjie alle diejenigen Stämme einneh-
men, welche wir in dem Besitze des Nati^nal-Heiligthumes finden.
In dieser Beziehung ist von besonders hoher Bedeutung
die Sage , welche Tacitus von der Hauptstätte des suevischen
Volkes mittheilt: dass nämlich der Glaube herrsche, dort seien
des Volkes Anfänge (initia gentis)*). Diese bisher gänzlich
unbeachtet gebhebene Sage weist mit aller Bestimmtheit auf
den von mir angedeuteten Gang hin. Aehnlich, wenn auch nicht
so klar, zeigt die alte Sage daraufhin, welche die zahlreichen
schwedischen Volkskönige alle einem Geschlechte, dem der Yng-
lingen, zuschreibt, und als dessen Stammvater Odin's Sohn Freyr
bezeichnet*).
Aber es sprechen noch mehr Gründe für meine Annahme.
Wie jener Mittelpunkt zum allgemeinen Heiligthume des
gesammten nationalen Lebens geworden war, so musste zugleich
auch der Bezirk, in welchem er lag, eine höhere Weihe in den
Augen des Volks, einen hohem Rang vor allen übrigen erhalten.
1) Türk, Forschangen auf dem Gebiele der Geschichte I. S. 62.
. 2) Waitz a. a. 0. IL 4^84.
8) S. z. B. V. Wersebe : Ueber die Völker und Völkerbundnisse des alten Deutsch-
lands. Hannover 1826.
4) Tac. Germ. cap. ^9.
5) Ynglingen Saga, Kap. 12. ^
Diesen Vorrang der Gaue, welche das National-Heiligthum
umschlossen, sehen wir dann, auch allenthalben in Geltung.
Schon Tacitus sagt (Germ. cap. 39) bei Erwähnung der suevischen
Hauptstätte im Lande der Semnonen: Für die Aeltesten und
Edelsten der Sueven geben sich die Semnonen aus (Vetussimos
se nobilissimosque Suövorum Semnones memorant).
Der Aeduer Divitiacus sagt zu Cäsar: ganz Gallien zerfalle
in zwei Parteien (factibnes duas); in der einen von ihnen be-
haupteten den Vor/ang (principatum) die Aeduer, in der andern
die Arverner, und beide, die letztem mit den Sequanem ver-
bunden, hätten lange Jahre um die höchste Gewalt (de poten-
tatu) gestritten*). Die Aeduer, ehemals die mächtigste Völker-
schaft in Gallien, wären besiegt und hätten geloben müssen ewig
unter der Botmässigkeit und Oberherrschaft (sub ditione atque im-
perio) der Sequaner zu stehen. Später kommt Cäsar (VI. 11. 12)
noch einmal darauf zu sprechen. Alle einzelnen Staaten in Gal-
lien, erzählt er, bildeten unter sich zwei Parteien. Bei seinem
ersten Auftreten waren das Haupt (principes) der einen die
Aeduer, das der anderen die Sequaner. Weil jene von Alters her
das höchste Ansehen genossen (quod summa auctoritas antiqui-
tus erat in Aeduis) und viele Schutzvölker (magnae clientelae) un-
ter sich hatten, verbanden die minder bedeutenden Sequaner
sich mit den Germanen u. s. w. Bei' dem Siege nahmen die
Sequaner sogar einen Theil des nächst angränzenden Landes der
Aeduer in Besitz und hatten seitdem das Primat in ganz Gal-
lien (Galliae totius principatum). Cäsar stellt diese beiden Par-
teien mit den Gefolgschaften in dasselbe Verhältniss. Ueberall
in Gallien treffe man Parteiung, nicht nur in allen Staaten,
Gauen und deren Bezirken, sondern sogar in jedem Hause. An
der Spitze derselben ständen Häuptlinge von grossem Ansehen.
Die Einrichtung sei alt und sollte die minder Mächtigen gegen
die Mächtigem schützen; kein Häuptling lasse seine Schütz-
linge beeinträchtigen oder unterdrücken. Man sieht, dass Cä-
sar das Verhältniss als eine einfache Clientel betrachtet. Aber
dieses kann es nicht sein ; denn wie sollten sich da gerade nur
zwei Parteien aufwerfen», wie wäre das als eine alte Institution
anzusehen, ja wie — muss ich ^fragen — könnte das dabei von.
Gewicht sein, dass von den Aeduem gerühmt wird, sie hätten
1) Caesar, Beil.. Call. I. 31,
Ton Alters her das grösste Ansehen genossen?^ Dieser Bang^
streit miiss eine andere und zwar eine gewissermassen durch
den Volksglauben geweihte Quelle haben, und diese Quelle kann
keine andere als die sein, aus welcher auch das höhere Anse-
hen der Semnonen hervorging. Die Gaue beider Völker, sowohl
der Aeduer als der Aryerner oder Sequaner,_ hatten sicher die Mit-
telpunkte zweier selbstständigen Länder gebildet, und wie Au-
gustodunum für das eine, so war Arverne die Metropolis für
das -andere Gebiet gewesen. Beide waren aber unter eine Herr-
schaft, die römische, gekommen und diese hatte beide seitdem
zu einer Nationalversammlung berufen.' Dadurch waren sie zu
einem Staate verschmolzen. Diese Verschmelzung ging .aber
keineswegs so tief, dass dadurch das alte Ansehen des Mütter-
gaues verwischt worden wäre ; dieses bestand vielmehr fort und
so standen zwei Gaue da, welche, auf ihr altes Recht sich stü-
tzend, beide das Primat in Anspruch nahmen, obwohl in der
That-doch nur ein Gau dasselbe wirklich üben konnte. Einer
musste deshalb seine alten Rechte einbüssen und der Kampf um
die Oberhand war die Ursache des Streites. Allerdings war das
Verhältniss schon verschoben und unklar, dass es aber nur so
und nicht anders aufgefasst werden darf, wie ich es dargestellt
habe, dafür gibt auch noch Pomponius Mela einen Beleg, weiin
er erzählt : von den Aquitaniern seien die berühmtesten die Aus-
cer, von den Gelten die Aeduer und von den Beigen die Treye-
rer; die ansehnlichsten Städte seien bei den Treverern Augusta,
bei den Aeduern Augustodunum, bei den Auscern Elimbei'rum.
Dieselbe Bedeutung hat es , wenn unter den zwölf Städten
Etruriens eine einen besondern Vorrang vor den übrigen ge-
nicsst ; auf einem gleichen Primate beruht das uralte Vorrecht
der schwedischen Uplande bei der Königswahl ^) und eben nur
aus diesem Grunde ist Tiundaland, in welchem Upsala liegt, der
beste Theil von Sviothiod, unter dem das ganze Reich steht').
Gleiches sehen wir auch bei den fernen Afghanen^ wo der Stamm
der Duracus als der der Könige besondere Vorzüge vor den
andern Stämmen hat*) und bei den Montenegrinern, wo die Ni-
guschi Pleme, weil sie Cetinje umschliesst, als die oberste Pleme
"»^^■•^p-
J) Müller, die £lrasker I. S. 345.
2) Geijer a. a. 0. 1. S. 257.,
3) Saga von Olaf Harald K. 76.
4) Wilke in den Abhandlungen der Berlin. Akademie 1818 — 1819 II. S. 251,
der Montenegriner betrachtet wird. Dieselbe Stellung hatten
bei den Slaven der Nordsee die Ranen, die Bewohner der Insel
Rügen. Während Adam von Bremen *) von dejQselben sagt, dass
ohne den Rath derselben in öffentlichen Angelegenheiten nichts
geschehe (extra quorum sentenciam de publicis rebus nihil agi
lex est), berichtet dagegen Helmold ^) ausdrücklich, dass sie un-
ter allen Slavenvölkem den Vorrang behaupteten (primatus prae-
ferentes in omni Slauorum natione) und einen hochberühmten
Tempel hätten. Wie wir aus dem Saxo Grammaticus sehen, war
dieser Tempel zu Arkona, welches auch Helmold als die Haupt-
stadt (Urbs terrae illius principalis dicitur Archona) bezeichnet.
Helmold hebt das Primat auch noch an andern Orten hervor*)
und bemerkt*), dass die Ranen allein einen König hätten (qul
soll habent regem). Er sagt auch noch^), dass alle slavische Län-
der von dem Tempel Orakelsprüche eingeholt hätten, und alljährlich
Opfergaben gebracht würden, sowie*), dass dieser Tempel un-
ter allen slavischen die erste Stelle einnehme, und dass die
Ranen allen von' ihren Waffen unterworfenen Völkern die Zah-
lung eines Zinses an denselben auferlegten. Welche Ausdeh-
nung dieses Primat der Rujaner besass, lässt sich nicht ange-
ben, doch hatte es wohl schwerlich die Allgemeinheit, welche
ihm die Schriftsteller beilegen; höchstens lässt sich dieses auf
das Ansehen des Tempels beziehen. Das eigentliche Primat,
wie ich es oben angedeutet, kann sich nicht weiter, als nur
über einen bestimmten Kreis von Stämmen erstreckt haben.
Helmold sagt zwar auch: „Sie legen Vielen das Joch der
Knechtschaft auf, ohne es selbst von irgend Jemand zu dulden,*"
und man könnte daraus den Schluss ziehen, dass jener Vor-
rang lediglich durch Eroberung errungen sei. Dem aber steht
entgegen, dass wir keine von den Ranen im gewöhnlichen Sinne
unterjochten Völker kennen und dass jene Angabe wahrschein-
lich nur von einem Missbrauche des Primats zu verstehen ist,
indem dasselbe über die Gebühr ausgedehnt wurde.
1) IV. c. 18.
2) a. a. 0. I. 3G.
_ 8) Primatum deilalis specialiter altribuentes I, 6. Primatiim obtinuU ioter nu*
mina II, 12. ^ .
4) a. a. 0. I. 36.'"
5) I. 6.
6) I. 36. -
Dieses letztere sehen . wir auch bei den Leujiken (Pom- ,
mem). Adam von Bremen nennt denjenigen der vier Stäm-
me^ in dessen Gebiete Rethra lag, den mächtigsten von allen
und berichtet später^), dass unter ihnen ein Wettstreit um den
Vorrang und die Oberherrschaft (de nobiUtate potentiaque) statt-
finde, und erzählt darauf den aus diesem Streite erwachsenen
£ampf. Ausführlicher und das Verhältniss mehr veranschaulir
chend ist jedoch der Bericht des spätem Helmold^). Unter die-
sen vier Stämmen erhob sich ein heftiger Streit um die Herr- ,
Bchaft und Obergewalt (de fortitudine et potentia), weil die Ria-
duren und Tholenzen wegen des hohen Alterthums ihrer Stadt
und des grossen Ansehens ihres Tempels herrschen wollten (reg-
nare volebant), indem sie sich einen höhern Grad von Ansehen
und Ehre beilegten (adscribentes sibi singularem nobilitatis ho-
norem), weil sie von allen slavischen Völkern um der Orakel
4es Gottes und der demselben alljährlich dargebrachten Opfer
willen fortwährend besucht würden. Die beiden andern Stamme
verweigerten aber jede Unterwerfung und waren entschlossen ihre
Freiheit zu vertheidigen. So kam es zum Kriege und die Ria-
duren und Tholenzen wurden in blutigen Schlachten besiegt.
Der Kampf wurde mehreremal von Neuem aufgenommen und
endUch auch noch die Sachsen , Dänen und Obotriten mit hin-
eingezogen. Nach Helmold hätten also die Riaduren und Tho-
lenzen gegen die beiden andern Stämme gestritten, dagegen
lässt Adam von Bremen die Circipanen gegen die übrigen drei
Stämme stehen. Nach der Natur der Verhältnisse müssen aber
beide im Irrthume sein, denn die Riaduren hatten ja den Haupt-.
tempel und nur diese konnten deshalb eine Obergewalt anspre-
chen und zwar über die andern drei Stämme , so dass demnach
die letztern vereinigt gegen jene gestanden haben müssen.
Selbst unter den Arabern findet man zuweilen eine Anzahl
von Stämmen unter dem Oberhaupte des anerkannt ältesten
Stammes, von welchen die andern sich abgezweigt haben, zu
einer gewissen Einheit verbunden.
Unmöglich lässt sich annehmen, dass alle diese National-
»^•^hx^U-^^i^t^^mäiäm
1) II. 18.
2) III. 21.
3) I. 12.
malstätten dem Zufalle, einer willkürlichen Wahl oder einer Ueber-
gewalt der Waffen ihre Entstehung, zu verdanken gehabt. Bei-
nahe alle, wenn auch mehr und minder, tragen so unverkennt-
lich die Spuren des höchsten Alters an sich und sind so tief
mit dem Leben des Volkes verbunden, dass ihre Gründung noth-
wendig mit den ersten Anfängen des Volkes selbst auf das Eng-
ste verwachsen sein muss. *
E« lässt sich deshalb auch nur eine Erklärung geben und
diese bietet sich uns in dem Entwicklungsgange der Mark dar.
Mag immerhin auch jener Bildungsgang sich nur in ver-
hältnissmässig kleinen Räumen auf eine sichere und genügende
Weise verfolgen lassen, so spricht sich doch in dem, was wir hier
sehen, ein so einfaches Naturgesetz aus, dass man demselben un
bedenklich eine räumlich noch viel ausgedehntere Wirkung zuge-
stehen muss, als dieses die Armuth unserer ältesten Nachrichten
überhaupt- zulässt.
Diese Stätten waren demnach . überall das, was Tacitus als'
Sage von der Hauptmalstätte des suevischen Volkes mittheilt,
dass nämlich dieselbe die initia gentis d. h. die erste Niederlas-
sung des Volkes gewesen sei, von wo aus dasselbe sich weiter
verbreitet habe.
Wir hätten demnach diese Stätten als die ersten Niederlas-
sungen'der Völker zu betrachten.
Dieses wichtige Resultat findet übrigens noch einen andern
bedeutenden Stützpunkt.
Noch Niemand hat nämlich das Räthsel jenes scharf aus-
geprägten Nationaltypus zu erklären vermocht, welcher noch
heute uns allenthalben entgegen tritt, jene ethnographische Ueber-
einstimmung , welche jedes Volk wie in seinen engern, so auch
in seinen weitern Kreisen, ungeachtet aller Verschiedenheit im
Einzeln, doch immer als ein Ganzes, als einiges Volk erken-
nen lässt.'
Die Annahme eines Anfangspunktes und einer von da
ausgegangenen weitern Entwicklung gibt uns den Schlüssel zu
diesem Räthsel, ja nur durch die Annahme eines solchen Ent-
wicklungsganges ist überhaupt diese Losung auf eine natürliche
und ungezwungene Weise möglich, während in der Einfachheit die-
ser Lösung sich zugleich die {Sicherste Bestätigung ihrer Wahr-
•.
heit ausspricht. Wie nämlich die Gesammtheit in Gestalt und
Kleidung, in^ Sitten und Gebräuchen, in Recht und Sprache,
ungeachtet der grössten Mannichfaltigkeit sich unverkenntlich
als ein Ganzes, gewissermassen als eine grosse Familie darstellt,
so trägt auch wieder jeder engere Bezirk seinen bestimmten ihn
vom Nachbar unterscheidenden FamiUentypus .und wie die Pro-
vinz, so erscheint auch der Gau und weiter die Cent und end-
lich die Gemeinde stets als ein für sich abgeschlossenes zusam-
mengehörendes Ganzes und doch auch wieder als ein Thell der
Gesammtheit. Es ist demnach ein Erwachsen gewissermassen
aus einer Familie ^ welche von ihrem ersten Ansitze aus, nach
Aussen sich melir und mehr erweiternd, endlich da, wo sie mit
dem benachbarten auf gleiche Weise entwickelten Stamme zu-
sanmien traf, einen von diesem nothwendig wesentlich verschie-
denen Charakter erhalten haben musste^ Ich will indessen kei-
neswegs damit behaupten, dass die erste Ansiedlung eines Vol-
kes in einem noch unangebjauten Lande nur an einem einzigen
Punkte statt gefunden habe. Aber sicher wurden zuerst nur
wenige Niederlassungen begründet und diejenige wurde die Haupt-
stätte, an welcher der Führer und Häuptling seinen Wohnsit2
aufschlug.
4) I>e^r Einfluss der Völkerwanderung auf die
Volksgebiete.
Der im Vorhergehenden ausgeführte Bildungsgang und die
dadurch geschaffene Gliederung — wird man einwenden — muss
aber durch die Wanderungen der einzelnen Völker .und die Nie-
derlassungen derselben auf fremdem Boden vielfach gestört, ver-
rückt und sogar gänzlich verwischt worden sein. Ich bin nicht
dieser Meinung und will deshalb diese Wanderungen einer ge-
nauem Betrachtung unterziehen.
Vor allem steht fest, dass diese Wanderungen Kriegszüge
zum Zwecke von Eroberungen waren. Diese Eroberungen hat-
ten aber nicht immer den gleichen Erfolg; es lassen sich viel-
mehr verschiedene Grade desselben bestimmen.
Als der geringste Erfolg erscheint die Nöthigung eines
Volkes zur Zahlung eines Tributs. Die Geschichte bietet uns
davon zahllose Beispiele. Die Verfassung, überhaupt das ganze
WA
staatUeh^ Leben , -wurde dftdurch in keiner Weise gestdtt. Aile«
blieb in der hergebrachten Ordnung.
Ein weiterer Schritt ist der, wenn der König eines tribut-
pflichügen Volkes von der Bestätigung des tributberecbtigteu
Königs abhängig wird. Die Stellung eines solchen Königs
wird dann die eines Unterkönigs, die innem Verhältnisse blei^
ben aber auch da noch' unverändert. Ein Beispiel hiervon ge-
ben uns die Langobarden sowohl unter den Merowingem, als
unter Pipin *),
Anders wird es schon, wenn ein Volk ein Land erobert
und sich darin festsetzt. Dieses geschieht entweder dadurch,
dass das Volk dieses Landes dem feindlich andringenden Volke
sich durch einen Vertrag fügt, oder die Eroberung erfolgt mit-
telst der Uebergewalt des Schwertes, also in Folge des Sieges.
In dem erstem Falle begnügten sich die neuen Ankömmlinge in
der Regel mit einem Dritjtel des Grundbesitzes, welches, ihnen abge-
treten werden musste. Dieses wiederholt sich in zahlreichen Fäl-
s
len*). So nahm Ariovist den dritten Theil (tertiam partem agri)
des Landes der Seq;uaner und liess sich mit seinen Schaaren dar-
auf nieder ^). Als die mit Alboin ausgezogenen Sachsen in ihre
Heimath zurückkehrten, welche nun Sch waben ig. Be sitz hatten,
boten diese jenen ein Drltiei des tianaes an und sagten: „Wir
können ja zusammen leben, ohne uns zu iiahe zu treten " : oder
wie Paul Diaconus sagt : „ Wir wollen zusammen leben und das
Land sonder Strebt gfimemschaftlich bewohnen. " Da die Sach-
sen dieses nicht wollten, boten die Schwaben die Hälfte, dann
zwei Drittel und endlich auch sogar noch all' ihr Vieh dazu*).
Gleiches geschah, als die Franken und Burgunder das römische
Gallien in Besitz nahmen. Die Römer mussten vom Lande ein
Drittel, vorn Hofe die Hälfte abtreten. Der eine wurde des an-
dern Hospes.
Diese Theilung wurde nicht etwa in der Weise vorgenom-
men , dass die einzelnen Ländereien zerschnitten ^wurden , son-
dern man theilte die Höfe, so dass aus jedem Salhofe zwei Sal-
höfe entstanden, und also nur die B[ofreithe (mansus) des römi-
1) Fredegar, c. 45, Einhard- Ana. 22.
2) S. im Mlgeinem^a: Die germanificheQ ADsiedlangeii, von Gaupp.
3) Caesar, Bell. gall. I. 31.
4) Gregor. V , 15. Paulas Diaconus lil. 7«
Landau. Territorien« ^^
sehen Salhofs in zwdl Theüe getrennt wurde. Die gemeine Mark
dagegen blieb, was sie war. Beide Stämme bildeten seitdem ei-
nen Stamm, leibten unter ein und derselben Obrigkeit * j und un-
ter gleicher Freiheit, wenn auch nicht immer gleich von Anfang
unter gleichem Volksrecht; beiden ständen auch die Würden
der Gemeinde ohne Bevorzugung des einen oder andern offen,
und wo sich dieses in der Praxis anders machte, war es eine
Abweichung von der Regel, war es mehr Folge von Uehergewalt,
als Folge des "Rechts. Zuweilen ging man auch weiter und for-
derte auch noch das zweite Drittel. Dieses that Ariovist von
den Sequanem, um auch den zu ihm gestossenen Harudem Sitz
und Gut zu verschaffen *).
Das Verhältniss solcher auf ein Drittel des alten Besitzes
herabgesetzten Völker zu den Fremdlingen war natürlich schon
ein weit ungünstigeres, denn es machte sich da die Uehergewalt
des Siegers bemerklicher ; auch konijte nicht ' mehr von einem
wenn auch nur , scheinbar freiwilligen Vertrage die Rede sein,
sondern die alten Herren wurden nur noch geduldet.
Aber auch die Theilung des Grundbesitzes befriedigte nicht
immer für die Dauer die neuen Herren. Ein Beispiel hiervon
geben die Langobarden. Allem Anscheine nach hatten auch diese
nach der Eroberung Oberitaliens mit den Römern getheilt. Nach-
dem sie aber ihren ersten Konig gewälilt, liess dieser, wie Paulus
Diaoonus*) erzählt, viele mächtige Römer umbringen oder ver-
trieb sie aus Italien. Und auch später unter den Herzögen wur-
den noch viele vornehme Römer aus Gewinnsucht gemordet,
die Uebrigen aber zinspflichtig gemacht und den langobardischen
Fremdlingen in der Art zugetheilt, dass sie den dritten Theil
ihrer Früchte denselben entrichten mussten. Die Langobarden
hatten alsa anßnglich . die Besiegten noch in einem Theile ihres
Besitzes gelassen und vertrieben dieselben erst später, oder ver-
wandelten sie in Pächter ihres alten Eig^nthums^. Dass sie wirk-
lich nur noch als Pächter betrachtet werden können, zeigt eben
jenes Abgaben - Verhältniss ; auch in Deutschland war bis in
1) S. Waitz a. a. 0. II. S. 325.
2) Diese Oritteltheilung sehen wir sogar noch von den Schwerlrittern anirendeo,
als sie die Ostseeländer eroberten; ^in Dritte! nahm der Orden, ein Drittel erhielt
die Kirche und ein Drittel blieb den alten Besitzern.
3) U, 31. 32. '
fit
späte Zeit ein. Drittel der Ernte (wenigstens vom Winterfeld,
yom Sommerfefd dagegen die Hälfke) der allgemein übliche Pacht
Zins *). '
Das Verfahren -der Römer bei Anlegung ihrer Kolonien war
beinahe dasselbe gewesen. Sie nahmen zwar das ganze Land
in Besitz, vertrieben aber keineswegs die alten Einwohner, son-^
dem gaben denselben zwei Drittel des Grundbesitzes zurück,
und zwar als Pachtgut des römischen Staats. Das andere Drit-
tel erhielten die römischen Kolonisten*).
Von einer gleichen Berechtigung war also hier keine Rede
mehr; 'der alte Bewohner trat vielmehr wenn auch in kein hö-
riges, doch in «in abhängiges Verhältniss; er war obwohl noch
persönfich frei, doch kein freier Grundbesitzer mehr.
Aber auch selbst da, wo uns die Geschichte den völligen
Untergang eines besiegten Volkes berichtet, ist diese Angabe
niemals in solcher Allgemeinheit aufzufassen. Erst nach den
blutigsten Kämpfen, welche Jahrhunderte hindurch dauerten,
und durch fortwährende Nachzüge aus dem alten Lande gelang
es den verbündeten Sachsen und Angeln die Britten theils zu
vernichten, theils in die westlichen Berge zu verdrängen. Ein
rechl^tischauliches Bild SP^mP.J^mMBP,Z}^.MLMMt}&^m-
Q^?g^J?e Erzählung ^des^^chs^s^iegsls^
ren der oachsen bei der Eroberung Nordthüringens, die, mas:
sie immerhin auch nur als Sage gelten, dennoch die Wahrheit
unverkenntlich an der Stime trägt. „Unserer Vorfahren (die Sach-
sen) — heisst es ^) , — welche hier in's Land kamen und die Thü-
ringer vertrieben, waren nicht so viele, dass sie den Acker
bauen konnten und Hessen deshalb, als sie die thüringischen
[erren erschlagen oder vertrieben, die Bauern ungeschlagen und
bestätigten ihne|)u...dfiJ[kiiCker zu solcnem Kecnte, als ihn noch
le Lassen haben."
*«L-,jr
•* ■*''Tt9-,-«dfc
Nur selten wurde ein ganzes Volk vernichtet, oder als
Sklaven entweder verkauft oder unter die Sieger vertheilt, wie
wir dieses z. B. bei Cäsar sehen , der die Aduatucer verkaufte
(II, 33.) und die Veneter unter das Heer vertheilte (XU, 10. 16).
1) Aehnliches sieht man auch in Asien. So sind nor/dle Afghanen die Land'
eigenlhümer (Wilke a. a. 0. S. 249); ähnlich wie. in LAcedemon nur die Spartaner.
2) I jtjebnhr, röm. Geschichte. 2. Aufl. J[ j|;„,,§,;„, 5 Jflii,i|,,
3) Sachsenspiegel von liomeyer lÜ. ]^p. 4^.
16
•M
>
Uftd selbst in difesete Falle wüteh es insbesondere doch nu?
die Fr^en, welche dieses Schicksal traf, denn nur den Freien,
den Herren des Bodens, galt der Krieg, die Masse der an den
Boäea geknäpften Höngen dagegen blieb im Allgemeinen unbe-
rührt, aumal ja gerade vorzugsweise in ihnen erst die Jlrobenmg
ihren Werüi erhielt.
Es konnte dieses ab^r auch kaum anders sein , da die Zahl
des siegenden Volkes doch niemals der Masse der Gtesammtbe-
völkerung gleich gekommen sein kann.
Man kann diese Auszüge füglich mit jungen Bienenschwär-
men Tergleichen, welche sich vom alten Stocke trennen' um
tin&si fteuen Stock zu suchen.
Bald mochte es der Wunsch nach einem eigenen Herde
Sein, welcher insbesondere die nachgeborenen Söhne in die Frem-
de trieb, bald aber auch die Hoffnung auf schönem und ergie-
bigem Besitz, welche zum Aufgeben des alten Besitzes an-
trieb. Man zog demnach jiicht aus, um etwa einen noch wü-
sten und noch unbebauten Boden zu erringen , denn den hätte
jedenfalls auch die Heimath geboten. Dem Freien, der auch
auf dem heimischen Boden den Pflug seinem Hörigen überliess,
konnte es unmöglich einfallen, das Recht der schweren Land-
arbeit sich in der Fremde mit seinem Blute zu erwerben.
Nicht Arbeit war es, was er suchte, sondern Besitzthum und
dieses konnte für ihn nur in schon bebautem Boden und in
den für* dessen Bearbeitung erforderlichen Menschenkräften be-
stehen. Damm galt der Kampf auch nur, den Herren, nicht
den Knechten ; diese blieben und wechselten nur ihre Herren.
Es sind weniger Völker, als Kriegsheere, welche zu Er-
oberungen ausziehen, mochte es auch gewöhnlich sein, dass
Weib und Kind dem Zuge folgten. Schon das, was Tacitus über
die Gefolgschaften sagt , weist darauf hin.
Es ist viel über das Gefolgswesen geschrieben, und wenn
auch ich noch darüber rede, so werde ich doch nur in soweit
darauf eingehen , ^ als mein Zweck es gestattet. Meiner Ansicht
nach ist das Gefolge, wie es uns Tacitus schildert, von zweier-
lei und zwar wesentUch verschiedener Art : nämlich ein amtliches
und ein persönliches Gefolge. Das erste , auf das ich später
noch zurückkommen werde, bestand aus den dem Füri^ön un-
mittelbar untergeordneten ^Häuptlingen, das andere aus den Ge-
treucB , welche der Mächtigere zu seinem persönlichen Dienste
unterhielt.
Waitz gesteht zwar nur dem Princeps ein solches Gefolge
zu, weil sonst die staatliche Ordnung gestört worden wäre*).
Aber der Häuptling bedarf in seiner amtlichen Stellung keiner
besondem von ihm unterhaltenen Kriegsschaar, da im Volks-
kriege es, je nach seiner Stellung, die Mannschaft des Gaues
oder der Hundertschaft ist, welche er führt. Anders ist es in
der Privatfehde, und da sehe ich keinen Grund, warum das
Recht zu einem solchen Gefolge nur dem Häuptlinge zustehen
sollte. . In weiter Ferne sehen wir deutsche Schaaren , wie hätte
diese ein gewöhnlicher Häuptling führen können, dessen Amt
ihm Pflichten auferlegte, welche ihn an die Heimath banden?
Tacitus sagt, wenn in dem Staate, in welchem sie heimisch
seien, ein langer Frieden die Thatkraft lähme, dann ziehe die
Mehrzahl der jungen Edelen freiwillig zu den Stämmen, welche
sich gerade in einem Kriege befänden ; denn '— fUhrt er fort —
ein grosses Gefolge könne nur durch Gewalt und Krieg erhal-
ten werden. Der Gefolgsherr habe das Streitross und die Waffen
zu geben und seinem Gefolge auch die Lebensbedürfhisse zu rei-
chen. Die Mittel hierzu (materia münificentiae) gewähre der
Krieg und' der Raub. Und weiter: Keiner schäme sich im Ge-
folge erblickt zu werden. Sogar Rangstufen habe das Gefolge
nach der Stellung dessen, an den es sich anschliesse, und es walte
ein grosser Wetteifer bei dem Gefolge, wer bei seinem Fürsten
den ersten Rang einnehme, und bei den Fürsten, wer die mei-
sten und eifrigsten Genössen habe. Darin bestehe üire Würde
und Macht, stets von einer ausgewählten Schaar von Jünglingen
umgeben zu sein. Im Frieden Glanz, im Kriege Schutz. Und
nicht nur im eignen Volke, sondern auch bei den benachbarten
Stämmen sei demjenigen Ansehen und Ruhm gesichai;, welcher
sich durch ein zahlreiches und tapferes Gefolge hervorthue. Sie
würden von Gesandtschaften aufgesucht, mit Geschenken beehrt,
und allein schon durch ihr Ansehen unterdrückten sie häufig
Fehden.
Mit diesen Mittheilungen des Tacitus stimmen auch die
des Cäsar (VI, 23) überein: „Auf Räubereien steht keine Schande,
wenn öie nur ausser den Gränzen'dcs eigenen Stammes gesche-
1) Roth, Beneflzialwesen S. 21, pflichtet ihm bei.
MS
hen, und sie sprechen es sogar unvertxolen aus, dass dieseften
zu dem Zwecke unternommen würden, um die Jugend zu üben
und vor Trägheit zu bewahren. Hat nun einer der Häuptlinge
(quis ex principibus) in der Volksversammlung (in eoncüio) er-
klärt, er wolle Führer (dux) sein, wer ihm folgen wolle, solle
sich melden,. so erheben sich. alle diejeni^gen, welche die Sache
und den Mann gut heisseix, versprechen^ ihre Hilfe und werden
von der Menge gelobt^ Die aber, welche ungeachtet ihrer Zu-
sage nicht folgen, werden äIs Ausreisser und Verräther be-
trachtet und verlieren für die Zukunft alles Vertrauen."
An diese Darstellung schliesst sich das Bild an, welches Cä-
sar (VI, 11) von den s. g. Faktionen in Gallien gibt. In Gral-
lien sind, sagt er, nicht nur in allen Staaten, Gauen und deren
Bezirken, sondern beinahe in jedem Hause Parteiungen (factio-
nes) ; und dann,fahrt er fort: „earumque factionum principes sunt,
qui summam auctoritatem eoruih judicio habere existimantur,
quorum ad arbitrium judiciuraque summa omnium rerum con-
siliorumque redeat", also — das ist in kurzen Worten der Sinn
dieser verschränkten Stelle — an der Spitze dieser Parteien
stehen stets Männer von* hohem Ansehen. Der Grund dieser
von Alters her (antiquitus) bestehenden Einrichtung scheint, heisst
es weiter, dari^ zu liegen, dass keiner aus dem Volke (ex plebe)
gegen einen Mächtigem (potentiorem) des Schutzes entbehre.
Denn keiner von ihnen dulde, dass ein^r der Seinigen unterdrückt
oder benachtheiligt werde ; handelten, sie anders , so verlören sie
bei den Ihrigen jedes Ansehen.
Die Stelle hat manches Geschrobene; Cäsar legt sich die
ihm,, entgegentretenden Erscheinungen mehr nach eigener Will-
kür zu recht, als dass er sie einfach und schlicht nach ihrer
Natur auflfässt; auch hebt er stets Gründe aufzusuchen, womit
er glaubt die Dinge erklären zu können. Deshalb der gleich
folgende augenscheinüche Missgrüf, jene.s. g. Faktionen analog
mit dem Kampfe der Aeduer und Sequaner zu finden, wenn
autjh einzelne Aehnlichkeiten nicht zu verkennen sind. Ueber-
haupt schildert er beide Faktioneii als politische Parteien und'
dieses waren sie doch nicht, und konnten es nicht sein, weil
eben das politische Prinzip fehlte, und gerade jene zuerst
geschilderten Parteiungen können nicht anderes als nur pri-
vatrechtliche Verbindungen sein. * Es sind die Gefolgschaften,
.wie sie T?i<?U\iß auch wter den Germanen schildert, xm nüt
M7
dem, Unterschiede, dass Cäsar dieselben unzweifelhaft mit dem Hof-
verbände (s. S. 105) zusammenwirft *), mag auch in der That ein ge-
wisser Zusammenhang zwischen beiden nicht in Abrede gestellt
werden können. Bestimmter ist schon das Gefolgswesen in Cä-
sar's in. Buch. Kap. 22. bezeichne : die Gallier nennen sol-
che Kampfgenossen „Soldarios"; das Verhältniss derselben ist
so geordnet, dass sie alles Nothwendige von denen erhall-
ten, welchen sie sich in Freundschaft verbunden haben. Be-
trifft diese ein Unfall, so theilen sie mit denselben das gleiche
Geschick oder nehmen sich wohl gar das Leben, und so weit
die Erinnerung der Menschen reicht, weiss man von keinem
Beispiele, dass einer sich zu sterben weigerte, wenn derjenige
umkam, welchem er sich zu Freundschaft verpflichtet hatte ^).
Damit vergleiche man, was l'acitus^) sagt: „Schande und
Schmach ist es, die Schlacht lebendig verlassen zu haben,
wenn der Häuptling gefallen ist. Die Häuptlinge kämpfen um
den Sieg, das Gefolge für den Fürsten." Wie gross zuweilen
solche Gefolgschaften waren zeigt unter andern das Beispiel des
Orgetorix, dessen Gefolge (omnem suam familiam) an zehntau-
send Männer zählte, ausser denen ihm noch zahlreiche Schütz-
linge (clientes) und Schuldner verpflichtet waren.
Wenn ein Unterschied zwischen den gallischen Gefolgen, wie
diese Cäsar schildert, und denen der Germanen, wie wir diese durch
Tacitus kennen lernen, obwaltete, so mag derselbe vorzüglich darin
gelegen haben , dass die Hauptmasse der gallischen Gefolge aus
Nichtfreien bestand, obwohl auch bei den Germanen sicherlich
mindestens auch der auf fremdem Boden sitzende, also in einem
Schutzverhältnisse stehende, Freie dein Grundherrn zum Kriegs-
dienste verpflichtet war. Tacitus spricht vorzugsweise nur von
den Edeln, welche in die Ge'folge anderer treten und es kann
deshalb daraus keineswegs gefolgert werden, dass dasselbe nur
aus Edeln bestanden habe. Auch lag es wohl ganz in der Natur
der Verhältnisse, dass im Heere sich Unfreie befanden, wenn
auch nicht zum Kampfe , doch zu andiem Diensten. ' Wir sehen
1) So auch VI. 13.
2) Cäsar erwähDt der Gefolge auch noch an andern Orten. So flieht Litavicus
mit seinen Clientes, welche nach gallischer Sitte auch in der grössten Gefahr ihren
patronns nicht verlassen dürfen. VII. 40*
_ 8) Gerna. 14i i
IM»
dieses ätich m der That bei den Langobarden, denn als diese
nach Mauringa kamen, gaben sie vielen Sklaven diö Freiheit,
um die Zahl ihrer Streiter zu vergrössem (ut bellatorum possint
amplicare numerum) *).
Da, nach des Tacitus Berichte^ auch Rangstufen im Gefolge
waren, was doch nichts anderes heissen kann, als dass unter
dem obersten Führer auch noch untergeordnete Führer standen,
so muss man daraus sehliessen, dass das Gefolge ganz dem
Heere geglichen habe, dass nämlich dasselbe yne das Heer zu-
*gleich aus blös GehorchendeiL und aus Befehlenden bestand, so-
wie weiter, dass es eben das Streben jener Jünglinge von edler Ab-
kunft war , zu solchen Befehlshat)er^tellen im Gefolge zu gelangen.
Jene untergeordneten Führer nach Rangstufen weisen natür-
lich auch auf eine Gliederung des Gefolges hin und diesie Ab-
theilungen entsprachen sicherlich ganz denen des Volksheeres,
also in Zehn , in Hundert und Tausend , und eben hiemach be^
stimmte sich auch der Rang der Führer*
Solche Gefolgschaften wai'en es, welche bald auf kürzere
Raubzüge, bald aber auch auf ferne Eroberungen auszogen, und
wohl mochten dieselben meist aus nachgeborenen Söhnen be-
stehen, welche die Hoffnung auf die Erringtmg von Reichthum
und Ansehen zum Kampfe zog.
,' ' War auch der Haufen schon gross beim Aysznge, bei dem
weiteren Zuge schlössen sich neue Gefolge an, und so schwoll
der Haufen leicht zu einem Heere an und je zahlreicher dieses
Heejc, um so höher stellte sich das Ansehen des Führers,
ja er gewann wohl sogar eine königliche Stellung und konntfe
dieses um so mehr, als das Heer das vollstähdigste Bild des Volks-
staates gewährte. Wurden doch selbst jene nordländischenAben-
theuerer .Seekönige (Wikinge) genannt, welche Jahrhunderte
hindurch die Küste'n Europa's beunruhigten, obwohl ihr König-
reich nicht über den Bord ihrer Schiffe hinausreichte.
Einen solchen Gefolgsherrn sehen wir zunächst in Ariovist. Ihn
hatten die Sequaner in ihrem Kriege gegen die Aeduer zur Hilfe
um Lohn über den Rhein gerufen ; er . war mit 15,000 gekom-
men und als ihnen das Land der Seq.uaner gefiel, folgten mehr,
so dass das Heer bis zu 120,000 Mann anwuchs, und Ariovist
Hess sich nieder und die Sequaner mussten ein Drittel ihres Be-
1) Paul. Oia(jonus I. 13,
U9
Sitzes abgeben, um den FFemdling^n SHze zur Niedeiiassnng zu
bereiten, ja er begehrte bald sogar noch ein weiteres Drittel,
um auch 15,000 Harudem, welchfe ihm noch nachgezogen waren,
ebenwohl €rrundbesitz zu verschafien. Cäsar nennt ihn „Rex Ger-
manorum*)" und nicht mit Unrecht, denn er führte keinen ein-
zelnen' Volksstamm; sein Heer war •vielmehr- aus Theilen der i
Yerschiedensten germanischen Stämme zusammengesetzt. Cäsar /
nennt uns Haruder, Markomannen, Triboker, Vangioner, Vene- |
ter, Sedusier, Sueven. Es war also ein aus allen Gegenden {
Germaniens zusammengezogenes ^eer^).
Auf ähnliche Weise wie Ariovist's Heer schwoll sicher auch
das Heer der Cimbern und Teutonen zu jener für Rom so er-
schreckenden Grösse an , denn auch diese Massen bestanden
unzweifelhaft aus den verschiedenartigsten Stämmen, die sich
auf dem langen Zuge nach und nach angeschlossen hatten. Von
Reicher ^Natur waren auch die meisten der zahllosen.. spätetP
Vplkszüge bis zu denen der Sachsen und Angeln nach Britannien
und den nordischen Heerfahrten nach dem Westen und Süden
Europas. Auf den Ruf des brittischen Fürsten Vortiger ziehen
Hengist und Horsa naeh Britannien, aber keineswegs geschieht
dieses mit einem, za hlreich en Heere. Schon die Ueberfahrt hätte
dieses nicht gestattet. , Erst nach und nach folgen weitere Züge,
aUes einzelne Gefolgschaften.' Ganz in ähnlicher Weise erfolgt
später die dänische Eroberung , und selbst Wilhelm der Eroberer
war nichts anderes als ein Gefolgsherr, mophte er immerhin
auch .als ein Verwandter Eduard des Bekenners sich auf Erban-
sprüche stützen.
Allerdings tragen nicht alle diese Züge denselben Charak-
ter, und namentlich war dieses wohl der Fall, wenn ein König
an der Spitze süand. Dann geschah es, dass derartige Züge
durch allgemeines Aufgebot erfolgten.
Das Gefolgswesen ging übrigens keineswegs mit der al-
ten Zeit zu Grabe, es bestand auch später noch, nur mit un-
wesentlichen durch die Verhältnisse der Zeit bedingten Verände-
rungen,^ wie wir dieses besonders aus der Geschichte des Gra-
1) Rolh a. a. 0. S. 24. findet den Grund dieses Titels nur darin , weil der rö-
mische Senat ihm denselben ertbeilt; darin liegt indess nur die Anerkennung einer
Tfaatsache, denn Ariovist's Stellung war ganz und gar die eines Königs.
2) Caesar 1, 31 u. 51.
ff50
fen Rtttbert von Flandern ersehen, welche überhaupt auch ei-
nen trefflichen Spiegel für die altern Zustände gewährt. In
Flandern erwählte — erzähl t Lambert v on Aschaffenburg *) —
stets der Vater sich den ihm wohlgefälligsten Sohn zupi Nachfol-
ger in der gesammten Grafschaft, „die übrigen Brüder aber wur-
den entweder diesem unterthan- und führten dann ein ruhmloses
Leben,, oder suchten in der Fremde lieber durch eigene Thaten
einen glänzenden Namen, als dahöim das Gefühl ihres eigenen
Mangels mit dem eiteln Nachruhme ihrer Ahnen zu tristen. Die-
ses geschah, damit nicht durch Theilung des Landes der Glanz
der Familie in Folge des sich mindernden Besitzes verdunkelt
werde. Da nun Graf Balduin zwei Söhne hatte, Balduin und
Rutbert, so bestimmte er den erstem zu seinem Erben, für Rut-
bert dagegen rüstete er, sobald dieser zu kriegerischen Unter-
nehmungen herangereift' war, Schiffe aus, versah ihn reichlich
mit , Gold, Silber und allem Erforderhchen zu einer weiten Fshrt,
und hiess ihn zu fremden Völkern ziehen, um dort, wenn er
ein Mann' sei, durch eigene Tapferkeit sich Herrschaft und Reich-
thümer zu erwerben. Rutbert, dem Vater folgend, nahm eine
Menge Volkes mit sich, welches dem Lande zur Last war, und
ging mit der Absicht zu Schiffe nach Gallizien zu fahren, um,
wenn Gott sein Vorhaben begünstige, sich dasselbe zu unterwer-
fen. Nach wenigen Tagen landete er an unbekannten Küsten.
Nachdem er aj)er an*s Land gestiegen und Beute von den Ein-
wohnern zusammentrieb-, eilten diese von allen Orten bewafihet
*
zu seiner Abwehr herbei, es kam zum Streite, und nach gelei-
steter tapferer Gegenwehr wurde er zur Flucht genöthigt, und
verfolgt bis an*s Meer, verlor er beinahe seine ganze Mannschaft.
Nur mit Wenigen kehrte er jsum Vater zurück, der eigene Bote
seines grossen Missgeschicks. Als dieser ihn wegen des übelen
, Ausgangs seines Unternehmens schmählich zurückwies, entschloss
er sich das auf diesem Wege ihm abhold gewesene Glück auf
einem andern zu versuchen, bereit Alles, auch das Aeusserste,
zu erdulden, um durch neue Thaten den früh^ern Schimpf auszu-
wischen. Sobald er die Schiffe ausgebessert und seine Gefähr-
ten ergänzt hatte, vertraute er sich von Neu em^ den Wellen des
Meeres an , um in ferne Lande zu fahren., unbekümmert darum,
wo Gott sein Herumschweifen enden werde. Aber schon nach
1) Perlz, ^. H. Germ. V. p. 181 sqq.
tu
I
I
wenigen Tagen von einem heftigen Sturme ergriffen, Verlor
er im Schiffbruche viele der Seinen und kam nackt und von Al-
lem entblösst nur mit genauer Noth an's IJfer. Darauflegte er
ein 'gemeines Kleid an und wollte unter denen, welche nach
Jerusalem wallfahrteten , um dort ihr Gebet zu verrichten, nach
Konstantinopel ziehen, denn von dort hatte er von den in des
griechischen Kaisers Kriegsdiensten stehenden Normannen ^el-*
fkch Botschaften empfangen, die ihm für d^n Fall seines Hin-
kommens das Fürstenthum des ganzen Griechenlands verhiessen.
Aber der von diesem Anschlage in Kenntniss gesetzte Kaiser
von Konstantinopel hatte alle Flussübergänge, welche nach Grie-
chenland fährten, mit Wachen besetzen lassen, um ihn zu grei-
fen und sofort zu tödten. Dadurch ward dann auch dieses
Vorhaben vereitelt. Indem so jeder Versuch zur Erweiterung
seines Buhmes unglücklich abgelaufen, wendete er sein Streben
von der Unterwerfting fremder Völker für immer ab und machte
einen Einfall in*s benachbarte Friesland. Er wurde aj^er in zwei
Schlachten überwunden und erst nachdem die Bewohner sahen,
dass er zu Sieg oder Tod entschlossen sei, unterwarfen sie sich,
durch viele Gefechte erschöpft, freiwillig. "
Ich habe absichtlich diese Erzählung in ihrem ganzen Um-
fange mitgetheilt, weil aus ihr treuer als ai^s vielem Andern
sich das Wesen dieser Wanderzüge abspiegelt.
Doch auch im Mittelalter dauern ähnliche Zustände noch
fort, und selbst in den spätem Jahrhunderten unterhält noch
jeder Mächtigere, ja sogar jeder einfache Ritter, eine Zahl von
Edeileuten in seinem Solde, bald mehr bald minder, je nach
dem Umfange seiner Mittel. Auch die italienischen Condottieri
sind nichts anders als Gefolgsherren, eben so wie jene deutschen
Edelleute, welche im sechszehnten Jahrhundert bald Regimenter
bald Kompagnie anwarben und als deren Führer in fremde Kriege
führten.
Wohl niemals hat ein Volk als solches seine alte Heimath
verlassen, um eine neue Heimath zu suchen, ohne durch äus-
seren Drang dazu gehöthigt zu sein.- Nur die Helvetier machen
allenfalls — nach den Berichten Cäsar^s — davon eine Aus-
nahme; aber doch auch sie werden weniger aus eigenem freiem
Entschlüsse, als mehr durch die Ueberredung des nach Allein-
herrschaft strebenden Orgetorix zum Aufgeben ihres Heimath-
landes bewogen. Dagegen erzählt die Sage von den Langobar-
den: Als das Volk im alten Vaterlande zu sehr angevrachsen,
habe man die Gresammtmasse in drei Theile geschieden und durch
das Loos es bestimipen lassen, welches Drittel fortziehen and
sich eine neue Heimath suchen solle ^). In der Regel war es
eine Folge feihdMchen Vordrängehs, wenn ganze Völker ihre al-
ten Sitze verhessen, und auch dann waren es eigentlich nur
mehr Reste derselben, welche dem Schwerte oder der Gefan-
genschaft der Sieger entronnen waren, als. ganze Yollständig«
S[^ämme.
Wohl zeigt sich während der ersten vier oder fünf Jahr-
hunderte unserer christlichen Zeitrechnung ein gewaltiges Völ-
ker-Wogen; es ist, als ob die germanische Welt zu enge gewor-
den sei und kaum in Europa Raum habe finden können, aber trotz
dem dürfen wir alle diese Völkerzüge ,döch nur als Heereszü^e
betrachten. Schon die Natur der Verhältnisse lässt im Allgemeinea
keine andere Annahme zu. Es waren- Eroberungszüge, wenig ver-
schieden nicht nur von denen der früheren Zeiten, sondern auch
von denen , welche durch alle spätem Jahrhunderte statt fanden.
Das eigentliche Volksheer während der alten Verfassung, gehörte
vorzugsweise der Heimath und sein Aufgebot erfolgte mehr zur
Verthei4igung als zimi Angriff; an jenen Zügen nahm dagegen we-
niger das Volk als solches, vielmehr nur Theile desselben Antheil.
Auch sind jene Heereszüge nur in ihrer Quelle verschieden, in ihrem
Bestände und ihren Erfolgen hingegen gleich, mochten sie nun
aus Gefolgschaften bestehen oder durch königliches Aufgebot
hervorgerufen sein. Der beste Beweis hierfür liegt in den Ge-
schicken der Eroberer selbst. Wir sehen nämlich die Nationali-
tät aller dieser sich eine neue Heimath erobernden Vol]csstämme
in der der unterworfenen Völker naoh und nach untergehen und
meistens spurlos verschwinden. Wie die schon früher in Gal-
lien eingewanderten germanischen ßtämme , so verlieren sich
dort auch die später eindringenden Franken, Burgunder u. s. w.,
so dass nur noch einzelne Anklänge später an sie erinnern.
Dasselbe ist der Fall mit den das ganze westliche, südliche und
östliche Europa erobernden Gothen. Vergebens würde man heute
nach den Spuren jener Tausende von Sachsen forschen, welche
Karl der Grosse in die südlichen Gaue verpflanzte ; sie sind Fran-
ken geworden, gleich wie jene nach Sachsen versetzten Pranken
1) Paul. Diaconus 1« 2. u. 3.
mck in iSachsen yerwandelt haben. Eben so sind die aus dem
hohen Norden stammenden Langobarden Italiener, die aus den
skandinavischen Bergen hervorgegangenen Normannen Franzo-
sen geworden. Einen andern Beleg geben uns die Ostseeländer:
das Volk ist dort ,. abgesehen von der Knechtschaft, in die es
versunken; noch dasselbe, wie bei der Eroberung; seine Herren
aber , die Besitzer des Bodens , sind Deutsche. Aehnliches bie-
tet die Türkei , denn die Zahl der Türken ist klein. Wir sehen
hieraus zugleich, wie lange Jahrhunderte nöthig sind, um 'die
Verschmelzung zweier Nationalitäten zu vollenden. Nur dann,
wenn ein starker Nachzug statt findet , mag diese rascher von
statten gehen, wie dieses mit den das linke Rheinufer einneh-
menden Germanen der Fall war, oder sich eine neue Nationali-
tät bilden, wie wir dieses in England sehen.
Sonst bleibt lange Jahrhunderte hindurch die Stammesver-
schiedenheifc zwischen Siegern und Besiegten erkenntlich. Wäh^
rend die Skandinavier auch schon in den Schilderungen der al-
ten Quellen ganz dem Bilde entsprechen, welches Tacitus voA •
den Germanen entwirft, hatten ihre Sklaven, nach dem Rigsmal,
schwärzliche Haut, schwarzes Haar, kleinen und krummen Wuchs,
platte Nasen und dicke Finger *) ; und eb'önso fallt der Unterschied
zwischen dem ' polnischen und dem langobardischen Adel und .
dem niedem Volke noch heute in die Augen.
Im ge-^öhnlichen Falle wechselten gewisssermasen nur die
Obrigkeiten ; die Eroberer verjagten die alten upd setzten neue,
und zwar aus ihrer Mitte, an die Stelle. Nachdem der Lango-
barden König Albuin — erzählt P. Diaconus*) — Venetia, wel-
ches die erste Provinz Italiens ist (quae prima est Italiae provin-
cia), ohne einllmdemiss erreicht und das Gebiet der Stadt oder
vielmehr der Burg Forojuli (Friaul) (civitatis vel potius castri
Foro-Juliani terminos) betreten hatte., so überlegte er, wem er
ViTohl diese erste eroberte Pro-dnz anvertrauen, oder, wie es gleich
nachher heisst, wen er zum Herzoge dieses Landstrichs (in his
locis) einsetzen könnte. So übergab er seinöm Neffen Gisulf
die Stadt ForctJ^li und deren ganzes Gebiet (regionem). Doch
Gisulf erklärte, dass er nicht eher die Herrschaft (regimen) über
Stadt und Volk übernehmen' werde, bis ihm die Faren (davon
3) Beaterdabi a. a. 0. S. 69.
2) II. 9.
\
•S4
das rWort Baton) d. h; die GeschlecMer (faras hoc est genera-
tiones vel lineas) überwiesen worden , ^ welche er sich aus den
Langobarden auswählen wolle. Dieses Verlangen wurde ihm
gewährt und er erhielt nun die vornehmsten langobardischen
Geschlechter (Langobardorum praecipuas prosapias), -welche mit
ihm wohnen sollten, und nun^erst übernahm er die herzogliche
Würde. .
Die normannische Erobertmg Englands trifft vorzugsweise
nur die angelsächsischen Grossen und nach mehreren misslun-
genen Aufständen verschwinden deren Namen beinahe alle ; so-
gar die geistlichen Stifter M^erden nur noch mit Normannen
besetzt.
Ebenso erzählen die letzten Fortsetzungen des Fredegar *),
im J. 733 sei Herzog Karl mit einem Heere gegen Burgund ge-
zogen, und h^be, nachdem er die gallische Stadt Lugdununi und
die Aeltesten .und Vorsteher der Provinz (majores natu atque
praefectos eiusdem provinciae) unterworfen, --allenthalben bis nach
den Städten Ma^silia und Arelatum Richter (iudices) eingesetzt.
Wir finden sogar Völker, die schon lange unterjocht und
ihrer Freiheit beraubt, sich erheben und ihre Freiheit erkäm-
pfend ihre, alten Zwingherren in Hörige verwandeln. Dieses war
mit den Limiganten an der Theis der Fall, welche früher von
einem sarmatischen Volksstamme unterworfen, in der Mitte des
vierten Jahrhunderts sich wieder frei und dagegen ihre seitheri-
gen Herren zu ^Knechten (servös) machten, bis Julian mit sei-
nem Heere das frühere Verhältniss wieder herstellte. Schon
hatte derselbe die Amicenser und Picenser veriiichtet, als die
dadurch erschreckten Limiganten auf den Rath ihrer Häuptlinge
(seniorum) sich unterwarfen und zur Auswanderung bereit er-
klärten^).
Also nirgends sehen wir ein Vertreiben oder Vernichten
der gesammten Bevölkerung, es W4irden vielmehr im äussersten
Falle nur die Freien d. h. die Herren erschlagen, vertrieben oder
ihrer Freiheit beraubt; der Krieg galt nicht den Hörigen, wenn
von diesen immerhin auch ein Theil in dem zerstörenden Sturme
nnt ihren seitherigen Herren ipitergehen mochte. Man wollte
nicht öde menschenleere Wüsten erobern und diese in-bar ma-
1) Bonqtiet, Ber. Gallic. IT. p. 456.
2) Ammianas Marcellinas XVÜ , 12 u. 13<
S55
chen» Man suchte vielmehr . fruchtbare Aecker und Hände,
welche diese bebauten. Obwohl Einhard*) erzählt, dass der
achtjährige Krieg in Pannonien dieses Land ganz Inenschenleer
gemacht habe , so läs§t er doch gleich darauf nur den gesamm-
ten Adel der Hunnen untergehen.
'Adam von Bremen (I, 3.) bezeichnet das Verhältniss sehr
treffend durch die Worte: „Fragt man, welche Sterbhche vom
Beginn das Land der Sachsen bewohnt, oder von welchem Lande
das Sachsenvolk zuerst ausgezogen sei, so hat sich mir aus
Vielfaltigem Lesen der Alten ergeben, dass wie alle Völker auf
dieser Welt, so auch dieses Volk, nach den geheimen Rath-
schlüssen Gottes, mehr als einmal seine Herrschaft auf ein an-
deres übertragen hat und dass nach dem Namen der Sieger auch
die eroberten Länder umgenannt wurden."
Ich komme nun wieder auf den Punkt zurück, von wel-
chem ich^ ausging. Mein Zweck war, aus der Art und Weise
dieser Eroberungen den Nachweis zu liefern, dass den Erobe-
rem jede Veranlassung fehlte, neue Gebietseintheilungen vorzu-
nehmen. Sie setzten sich einfach an die Stelle der Besiegten
und alle Gränzen blieben unverrückt und in den meisten Fällen
erhielt sich auch die alte Hauptmalstätte in ihrer alten Bedeu-
tung. Das Volk bildete ein Ganzes und wurde deshalb in den
meisten Fällen auch als ein solches, häufig in einer Schlacht,
unterworfen. So warf eine Schlacht die Alemannen unter die
fränkische Herrschaft'^) ; Aehnliches sehen wir in Thüringen
nach den Schlachten an der Unstrut und Nah ; der Sieg bei
Xerez de la Frontera- (711) begründete in wenig Monaten die
Herrschaft der-Ms^uren fast über ganz Spanien und ebenso war
es die Schlacht bei Hastings (1066), welche Wilhelm den Erobe-
rer zum Herrn von beinahe ganz England machte.
Ungeachtet der zahlreichen Wechsel, welchen Ripuarien un-
terlag, ja ungeachtet der Rhein sogar öfter als Scheide der Strei-
tenden diente, so hat sich doch dasselbe als ein Gesammtge-
biet erhalten. Auch die alten thüringischen Gränzen blieben
unverwischt, denn die Nordthüringen bewohnenden Sachsen
bilden einen von den andern drei Sachsenstämmen abge-
trencnten und unter einem andern Rechte stehenden Stamm.
1) ViU Cai-oli M. 13.
2) Gregor. Tut. II. c. 30.
I
Aber auch da, Vo Aenderungeii in den grossen Volksgebieten
eintraten, denn ihre Möglichkeit will ich keineswegs in Abrede
stellen , erstreckten diesö sich doch nicht auf ein Verschmelzen
mit andern Gebieten. Es scheint hiergegen zwar die nordische
Geschichte zu sprechen. Bei den fortwährenden Kämpfen in Nor-
wegen wird nämlich die Herrschaft über manche Fylkfs zerrissen,
indem einzelne Fylki's entweder zum Theil erobert *) oder auch
wohl friedlich getheilt wer'den^); es ist aber damit keineswegs
gesagt, dass die solchergestalt zertrennten Herade auch iii der
That aus ihrem alten Verbände getreten seien. Es spricht we-
nigstens die spätere Zeit dagegen und auf deutschem Boden feh-
len sogar ähnliche Beispiele gänzlich. Die Gaue "wenigstens blie-
ben stets das, was sie waren. Sie bilden geschlossene Ganze
und fallen deshalb auch stets als solche in die Hände der Er-
oberer, ganz wie wir auch in der spätem Zeit beinahe stets die
gesammte Bevölkerung sich dem Christenthume fügen sehen.
Wie mit dem Hauptorte des Gaues der gesammte Gau dem Sie-
ger verfiel, so beugten sich mit der Bekehrung des Häuptlings
auch sämmtliche Gaueinsassen. Die gallischen Hauptstädte, wel-
che wir unter den Römern kennen lernen , finden wir im Mit-
telaltersämmtlich auch noch als die Hauptstädte und Mittelpunkte
von fränki'schen Gauen wieder.
Aber auch das innere Leben des Volkes wurde durch eine
JEroberung nirgends wesentlich verändert. Die ' Eroberer fügten
sich in das, was sie fanden und mussten dieses, weil sie in der
*
That gar keine Veranlassung hatten, darin Umgestaltungen vorzu-
nehmen. Nicht nur die Art und Weise des Wohnens blieb dieselbe,
auch in dem Betriebe des Ackerbaus folgte man nach wie vor der
althergebrachten Gewohnheit. Obgleich das linke Rheinufer schon
längst vollständig germanisirt war, findet man dort doch fortwäh-
rend noch die gallische Eintheilung des Ackers nach Bonuarien').
Sehr wahr sagt Haxthausen*) „die^Dreifelderwirthschaft ist
in sich so geschlossen, sie bewegt sich so fest und unantast-
1) Ynglingen Saga. Kap. 49 und 54.
2) Saga Halfdan des Schwarzen. Kap. 1 und 2.
3) S, z. B. Binterim und Mooren, die Erzdiözese Köln I. S. 181 u* 1^2, »•
50, 51 u. 52 und Codex I. p. 37.
4) Ueber den Ursprung und die Grundlagen der Verfassung in den ehemals slayi-
schen Lftndern Deutschlands im Allgemeinen und des Herzoglhnms PooNnern im Be-
sondern S. 19. '
bar in dem ihr einmal vorgezeichneten Creleise, dass eine rasch^
.unüberlegte Aenderung den Ackerbau selbst zerstört, und nur
.eine allmälige^ durqh rationelle * Gründsätze geleitete Umwai^d-
lung möglich ist! — Wir wollen setzen, es überschwemmte^
barbarische ^o^ien eines unserer civiUsirten Länder und setz-
ten sich darin fest, .so würden sie dennoch daß jetzige Wesen
des Ackerbaus und Jsomit den Anbau und die jetzige Physiognp-
mie des Landes nur wenig ändern. Diese Barbaren wollen doch
• leben. Selbst wenn sie Nomaden wären, von Jagd und Vieh-
Kucht in ihren frühem Sitzen lebten, so werden sie in dem ein-
mal angebauten Lande gar nicht auf dieser Lebensbasis fort e^i-'
stiren können. Jagd und Viehzucht wird ihnen in diesem Lanc^e
gar nicht mehr die hinreichende Nahrung gewähren , sie müssen
und werden es sich auch gerne gefallen lassen, von den Früch-
ten des Ackerbaijies zu leben. .Um dies aber zu können, mui^s
er so fortgesetzt werden, wie er bisher geführt. Jene Barbaren
werden daher theils durch den Rest des durch sie unterjoch-
ten Volkes, als ihre nunD^^hrige Sklaven, den Ackerbau so
fortsetzen lassen, wie er bisher betrieben worden, und sich des-
.sen Früchte theilweise zueignen, theils werden sie selbst sich
in den' Wohnsitzen der Erschlagenen niederlassen und denAcker-
bau so fortsetzen , wie sie ihn vorfinden. Die Eintheilung der
Felder, .selbst grossentheils djie Be^zverhältnisse der einzeln
nen Ackeirwirtbscl^ten, die Einrichtungen der Gehöfte zum Be-
huf der Viehzucht , selbst die Wohnungen , also die Bauart der
Hauser, wird im Wesentlichen dieselbe bleiben, und der Anbau
-des Landes .und.seine Physiognomie würde sich somit wohl fast
gar nicht ^verändern ".
Für die Stetigkeit der Verhältnisse gibt uns auch das Kat-
. tenland einen trefflichen. Beleg. Wie schon zur Zeit d^r Römer
.Maden der alte Uaupt- und Mittelpunkt desselben ist, so be-
hält dasselbe diese Eigenschaft bis in's Mittelalter. Aber auch
. die, Gränzen des Landes können keine andern als die des frän-
..kischen; Hessengaues, gewesen .sein. Die Wetterau wird nie als
-kattisches Gebiet bezeichnet und östlich gränzte Thüringen. Nur
nördlich wird der sächsische Hessengau und westliph der Ober-
.lahngau 4^n Urkunden nach zu Heßsen gerechnet. Aber man
betrachte / nur diese, Gebiete. Das sächsische Hessen ist ein
Gau der sächsischen Provinz Engem, der Engergau im engem
Sinne, und noch höute trägt das Volk den YP?lön Stempßl sas-
Landao. Territorien. ' 17
«S8
sischer Abstammung. Eben so trennt aber auch den Oberlahn-
gau einfe scharfe Scheide vom eigentlichen Hessengau, der sich
in hundert Dingen noch bemerküch macht, vor allem jedoch in
der Sprache und — in der Leibeigenschaft, Welche letztere na-
mentlich allgemein verbreitet war, während man im fränkischen
Hessen diese nicht kannte. Aber trotz dieser so wesentlichen
Verschiedenheiten werden beide zu Hessen gezählt und häufig
auch Hessen genannt. Wie kann dieses nun anders erklärt wer-
den, als dass beide Gebiete von den Katten unterworfen worden
und seitdem unter kattischer Herrschaft gestanden. Eine an-
dere Erklärung gibt es nicht. In dieser Thatsache finden wir
nun aber zugleich ein Beispiel davon, wie eng die Freiheit ei-
nes Volkes mit seiner Unabhängigkeit verknüpft war.
Jenes Einfugen in die vorhandenen Zustände ging so weit,
dass ungeachtet die Germanen im Heimathlände keine Städte
hatten, sie dennoch allenthalben, wo sie deren fanden, sich in
denselben niederliessen. Ammianus Marcellinus (XVI. 2, 121)
erzählt zwar aus dem Peldzuge Julians gegen die Alemannen,
dass die Germanen, obwohl sie sämmtliche Städte am linken
Rheinufer von Mainz an aufwärts im Besitz gehabt, ^dennoch
nur die Gebiete dieser Städte bewohnt hätten (territoria earum
habitare); vor den Städten selbst aber hätten sie sich wie vor
mit Netzen umstellten Gräbern gehütet (nam ipsa opplda ut
circumdata retiis busta declinant). Indessen scheint dies doch
nur im Anfange der Besitznahme <jles Landes und insbesondere
noch während des Krieges der Fall gewesen zu sein, denn später
finden wir sie doch eben in diesen Städten wohnen , und dass sie
Städte auch zu schätzen wussten, ergibt sich aus der Antwort,
welche die Agrippinenser den Tenchtherem gaben. Als diese
nämlich von jepen verlangten die Mauern ihrer Stadt (Köln),
weil sie Bollwerke der Knechtschaft (munimenta servitii) seien,
niederzureissen , meinten die Agrippinenser, sie hielten es ge-
rade jetzt, wo die römischen Heere sich wieder sanmielten, für
gerathener, die Mauern eher zu verstärken, als sie zu zerstören ^).
Dass auch die Germanen Befestigungen hatten, ist wohl
kaum zu bezweifeln; aber es waren dieses keine Wohnstätten,
es waren nur Ringwälle, feste Lager für den Krieg; ihre Wohn-
sitze waren vielmehr offene und unbefestigte Dörfer (villae, vici).
1) Tacilud, Hist. IV. 64.
Das, was ihanals deutsche Städte bezeichnet-^), waren entweder
keine (z. B. Mattium) oder diese Städte lagen ausserhalb der
altgermanisehen Gränzen. Noch Jahrhunderte später ist d,er alt-
germanische Boden arm an befestigten Wohnorten. Vom Sach-
senlande heisst es, dass es weder befestigte Berge noch feste
Städte habe^) und zum J. 1073, es habe noch nicht viele feste
Orte (nee tum enim plures habebat Saxonia munitiones) ^). Die
Städte, welche uns hier schon in früher Zeit*) genannt werden,
sind entweder nur einfache Burgen , oder es sind Orte geistli-
cher Stifter, welche gewöhnlich befestigt wurden, oder die Be-
zeichnung ist eine missbräuchUche. Jene Städte waren stets
die Tßmpelstätten und zugleich der Sitz der Obrigkeiten, sowohl
in Gallien als in allen andern Ländern, welche gleich diesem
Städte besassen. Aus diesem Umstände erklärt sich auch, wie
mit der Eroberung einer Stadt stets auch das zu derselben ge-
hörige Gebiet widerstandslos in die Hände de'r Sieger übergeht.
Es ist sogar wahrscheinlich, dass sie vorzugsweise nur zum
Wohnsitze der Freien ' gedient. Hierfür spricht wenigstens der
eben angeführte Umstand. Auch eine noch bis in unsere Tage
herüber reichende Thatsache möchte als Beleg dafür angeführt
werden können. Ich meine jene eigenthümliche Thatsache, dass
in Frankreich und ostwärts bis zum Rheine der Besitz des Acker-
bodens sich beinahe aüsschliessUch in den Händen der Städte-
bewohner befand und zum Theil noch befindet. Es ist dieses
wenigstens noch im südlichen Frankreich und ebenso im gröss-
ten Theile Italiens der Fall; Bald sind es nur einzelne geschlos-
sene Höfe, bald auch ganze Feldfluren oder grosse Theile der-
selben, deren Eigenthum einem einzigen Stadtbewohner zusteht,
während der Bebauer nur . Pächter ist und als Privateigen-
thum nur die Gebäude besitzt. Der Pachtzins, welchen er zu
entrichten hat, ist begreiflich sehr verschieden, doch findet man
ihn meistens auf die Hälfte der Emdte festgesetzt.
5) Die Germanen hatten keine Städte.
Nur das alte Germanien hatte keine Städte und unterschied
sich dadurch von. allen seinen Nachbarn. Diese Thatsache gibt
1) Waitz a. a. 0. I. S. 19.
2) Luidbrandus II. 24.
3) Ekkehardus, Cbron. UDiver. ap. Perlz, Mon. Germ. VI, 200.
4) Z. B. 1005 : „cifitas Scidere in Engern''. Höfer elc Zeitschr. U. 'S. 14L
17*
1
MO
den Worten des Tadtus: „NuUas Germanorum populis urbea ha-
bttari satis, notum est** eine weit gewichtigere Bedeutilng, als
man denselben gewöhnlich zugesteht. Ja, dieser Unterschied
im Wohnen ist so scharf ausgeprägt , dass er das Mittel an die
Hand gibt die alten germanischen Gräneen nach allen Seiten
hin festzustellen.
Ich Jtann um so weniger umhin diesen Versuch zu ma-
chen, als aus dieser Feststellung sich nicht nur noch Belege für
das oben Behauptete, sondern auch fioch einige^ andere wichtige
Resultate ergeben.
Ich beginne im Norden.
Dort haben wir zuerst das Land der Bataver. Dass das-
selbe Städte besass, geht unzweifelhaft aus den römischen
Schriftstellern hervor; Cäsar nennt uns ausdi-ücklich die „oppida
Batavorum". Dahin gehörten namentlich Batavodurum, auch op-
pidutti Batavoinim genannt, die Hauptstadt der Bataver, dq,s spä-
tere Noviomagus — Nim wegen, so wie Utrecht, am Rheine, das
alte Trajectum *) , welches auch Wildenburg genannt wurde , unÜ
die alte, ehemals reiche Handelstadt Duuerstede (Wyk de Duuer-
stede). Auch dass nördlich von Utrecht nahe der Rheinmün-
dung liegende Lugdunum — Leiden — gehört noch hierher.
Römische Quellen nennen dasselbe „caput Germaniarum**. Man
wollte schweriich damit sagen, dass dasselbe auf germanischem
Boden liege, sondern nur, dass dasselbe am Beginne -Germa-
niens oder im Allgemeinen, dass es da* liege, wo Germanien
und Gallien sich ■ schieden. Indessen müssen wir noch weiter
<)stlich gehen, bis über die Yssel, wo wir noch die alte Stadt
Devender finden ^j. . Die östlichsten Gränzgaue sind demnach
die fränkischen Gaue Trente und Hamaland. Der letztere
Gau reichte bis zum Rheine. Hier breitet sich zu, beiden
Seiten des Rheins das kirchliche Dekanat Xanten aus, östlich
bis zur Yssel. Es war dieses der schon im siebenten Jahr-
hundert vorkommende Düffelgau ^), eine Cent mit der alten
Stadt Xanten, mit welcher der westlich daran stossende, das
^1) Noch ein Brief des fa. BüDifaz nennt den Ort castcHom Trajectom. Wardlirein,
Epistoh St. Bonif^ii, nr. 105.
2) 953: .,prediuni — silum in loco Danindre, et infra ^mbem et extra, in pago,
qui dicilnr Hamalant*^ Höfer etc., Zlscbr. I. S. 365.
8) 697 u. 721 p. Bnblen, p. Dublinsia« Bintertm n. Mooren, Riieiii-westpb.
dipl.-Codex I. nr. 2. Pardessns 1. c. 11. 832.
Mt
Dekanat 'Greldern ums^^hliessende Hattuariergau verbauden war,
dessen Name wahrscheiDÜch als der des ganzen Gaues galt.
Mehr südlich lag der Jülichgau mit seinem Hauptorte Jülich,
dem ^Iten .^uliacum, der mit dem nördhch daranstossenden Mühl-
gaue *) einen Gau bildete. Man sieht dieses aus einer Urkun-
de von 8B8 : „ in pago MüoUa in Jullchgäuue ^) , so wie aus ei-
ner andet'n von 1029 ,« worin beide als zwei Grafschaften eines
Gaues genannt werden: „in*pago Julichgbuui in comitatibus Ger- '
hardi et Giselberti" ^). Südlieh an den DüiFelgau schloss sich der
Duisburger Gau, welcher, über beide Rheinufer ausgebreitet,
d^m Dekanat von Duisburg entsprach. Das am rechten Rheinnfer
liegende Duisburg heisst 966 „Diuspärgo quod uulgariter dicimus
Diusburg"*). Dann folgte links vom Rheine der Nuenheimergau
mit Neuss, dem alten Novesium, Dormagen, dem ehemaligen
Duromagum, und Zons, dem alten Gesonia, so wie rechts der
Keldachgau.
Südlidi vom letztern treten wir rechts des Rheins in den
Deutzer Gau, mit dem dem alten Köln gegenüberliegenden Deutz,
die 778 vorkommende Duitia civitas ^> oder das castellum Divi^
tense oder Tuitium®), wie es eine Urkunde von 1003 nennt,
derselbe Ort, wo Konstantin der Grosse 376 das „Devitense mo-
numentum in terra Francorum" ?um Schutze Gallietis errichtete'')
und bis wohin (Divitia) 557 die Sachsen bei ihrem Einfalle in's
Frankenland vordrangen^). Der Duisburger, Keldach- und Deu-
tzergau wurden auch der Ruhrgau oder auch der 'Gau der Hat- ^
tuarier oder Chattuarier genannt. Dem Deutzer Gaue folgt rechts
amRh'ein der Auelgau, mit der alten Feste Siegburg an der Sieg.
Köln, das oppidum Ubiorum, nach, der Umwandlung in eine
römische Kolonie „Colonia Agrippina" genannt, var noch im spä-
tem Mittelalter der Hauptort . des pagus Coloniensis. Der Be-
griif dieses Gaues war ein engerer und ein weitef'er. Ob 'der
selbe im engem Sinne auch Gilgau genannt wurde, oder ob
}) BiDterim- u. Mooren, die alle Erzdiözese Köln I. S. 238.
2) Lacctmblet, ükbch. I. nr. 81.
8) Das. nr. 166.
4) Lacomblet, Ukbch. I. nr. 109.
5) Eginbard. Abb. td. a. 778.
6) lacomblet a. a. 0. nr. 136 «. 137.
7) Am. Marcellinus 26. 27.
8) Gregor. Turon, IV. 1'6*
( <
dißses, wie Cuzzihgau*), nur eine weitere Abtheilung der alten
kölnischen Cent T^rar, lasse ich dahin gestellt sein. Zu dem en-
geren Gaue gehprte auch Bidburg (Beda vicus). An diesen
lehnt sich südlich der pagus Bunnensis mit d^m schon un-
ter römischer Herrschaft festen Bonn (Bonna) als dem Haupt-
orte. Eine .spätere Abtheilung von dem Bonnergaue war der
nach dem Flüsschen Ahr genannte Ahrgau. Man ersieht dieses
aus einer Urkunde von 1067, in welcher Güter „in pago Bunnensi
et Arensi" genannt werden, eine Fai^sung, welche unzweideutig
den erstern Gau als den weitern , den zweiten als den engern
Bezirk bezeichnet^). Diese beiden Gaue bildeten mit dem west-
lich vom Bonner Gau gelegenen Zülpicher Gau, mit depfi durch
die Alemanüenschlacht berühmten Zülpich, und dem südlich
an diesen sich schliessenden Eifelgau einen Gau im weiteren
Sinne des Wortes, denn wie 856 die beiden Gaue .von Bonn
und Zülpich, so findet man 953 auch die Gaue von Zülpich und
Eifel vereinigt ^). Wenn dagegen schon Tacitus *)• Zülpich als
im Gebiete von Köln liegend bezeichnet (Tolbiaci in finibus
Agrippinensium) , so ist dieses in einem weitern Sinne zu ver-
stehen.
Blicken wir -auf die bis jetzt bezeichnete Gränze zurück,
so erkennen wir, dass das gauze Herzogthum Ripuarien noch
auf der gallischen Seite liegt und dass die altgermanische Gränze
mit der des Saehsenlandes allenthalben zusammenfallt. Es ist
also nicht der Rhein, welcher die Gränze bildete,^ wie man die-
ses gewöhnlich - annimmt. Allerdings wird der Rhein von den
römischen Schriftsteilem durchweg als Scheide bezeichnet, und
mehrfach treten auch beide Ufer als feindliche Gebiete gegen-
einander, aber es hat dieses nur in den Kriegszuständen seinen
Grund , wo ein solcher Strom , ungeachtet er mitten durch ein
einheitliches Gebiet fliesst, doch noth wendig zu einer wenn auch
nur vorübergehenden Gränze wird.
Viele dieser ripuarischen Gaue werden zwar nicht nach
gallischer Sitte nach ihren Hauptorten, sondern mehr nach ger-
1) 898: „in pago Cazzihgeune et in Coloniensi*^ Lacomblet a. a. 0. nr. 81«
2> Daselbst, I. S. 136.
3) „In comitatu Tulpiacensi et Bonnensi^* und „in comitatu Tuipiacensi et Bdnoensi".
Binterim und Mooren, die alle Erzdiözese Köln I. S. 153> ü. 163. Scbannat, Eifl»
illuslr. von Barsch I. 1, S. 71 ff.
4) Bist. IV, 79.
1
»8S
manischer Weii^ bezeichnet. Es ist, dieses aber lediglich ein^
Folge des langeti germanischen Besitzes, und ähnliche Erschei-
nungen werden sich weiter unten noch mehr bieten. Bei
einer tiefer eingehenden Betrachtung, als ich sie vornehmen
kann, stellt sich sicherlich noch manches schärfer heraus, denn
im Ganzen ist für Gaugeographie des Niederrheins noch we-
nig geschehen. Sind doch alle hier als Gaue auftretende Ge-
biete nur alte Centen,, und noch Niemand hat daran gedacht,
diese Centen wieder in ihre ursprüngliche Verbindung zu bringen.
Erst dicht unterhalb Linz tritt die Gränze in den Rhein.
An dem linken Ufer finden wir den pagus Magnacensis oder
Megenouelt mit seinem Hauptorte Mayen ^ und dem alten An-
dernach (Antannacum). Der , rechts von der Mosel am Rheine
sich^ hinaufziehende Gau Trechira, mit den alten Städten Kob-
lenz (Confluentes), Boppord (Baudobrica und Bontobrica), Ober-
wesel (Vosava und Bosavia) u. s. w. war nur eine Abtheilung
des Maienfeldes, wie dieses aus einer von v. Ledebur erläuterten
Urkunde hervorgeht ; auch standen beide unter einem Grafen.
. Wir treten nun in den Nahe- oder vielmehr in den Wornis-
gau. DerHauptort^des Wormsgaues, die alte Stadt Worms, wurde
von den Kelten Borbetomagus oder Borgetomagus genannt und
erhielt später nach der Einwanderung der Vangionen, welche
übrigens, schon vor Cäsar erfolgt sein muss , den Namen civitas
Wagiona ^) oder Wangiona ^) , auch civitas Wangionum , welcher
noch lange neben dem noch heutigen Namen fortbestand. Doch
war es nicht jener, sondern dieser, welcher dem Gebiete die
Bezeichnung gab, welches bald Wormazfeld, bald Wormazgau,
lateinisch auch pagus Wormacensis geuannt wurde. Worms war
also der Hauptort und demnach auch die älteste Niederlassung
dieser Gegend, älter zugleich als das ebenwohl zu diesem Gaue
gehörige Mainz. Ueberhaupt war das Gebiet weit ausgedehnter,
als man gewöhnlich annimmt, denn auch der Nahegau war noch
ein Theil des Wormsgaues. Es ergibt sich dieses schon aus dem
Umstände, dass eine Reihe von Orten bald in den Wormsgau,
bald in den Nahegau gesetzt werden , namentlich Bingen (äas
1) Der Maiengaa von v. Ledcbar. 1842.
2) Zeass 1. c. p« 65
3) Dronke, Cod. dipl. Fald. p. 19.
m
röm.Bifigium),6rol8heim, Narheim, (Gersifigen, 6iin8teimu.s.w.^X
noch mehr ab^r ftirs einer Urkunde, von 868, wdche Wiädshelm
an der Eller, mitten im Nahegaue, in den Nahegan und diesen
selbst in den Wormsgati legt : „i];ifra (i. e. intra) Naagno m con-
ftnio seu pago Virmacense super fluviolum Eleiüa" *) und eben die-
ser nicht von einem Hauptorte, sondern von einem Flusse^ ent-
lehnte, also auf ganz germanische Weise gebildete Namen weist
auf die erst spät erfolgte Trennung beider Gebiete hin.
Vom Worrtisgau müssen wir wieder auf das rechte Rhein-
ufer übertreten. Hier liegt zu beiden Seiten des Neckars der
liObdengäu ausgebreitet, dessen Name augenscheinlich von La:
denburg herrührt, welches im Mittelalter Lopoduna, Lobodo,
Lobedunburg u. s. w. *) genannt wird, und sehr wahrscheinlich
das schon in römischer Zeit vorkommende Lupodunum ist.
Darauf folgt auf dem linken Rheinufer der Speiergau, des-
sen Name auf die alte gleichnamige civitas hinweist. Speier fin-
det sich zuerst als Noviomagus und später a^ Nemeta, die
Stadt der Nemeter, ein Name^ welcher sich auch noch bis ins
Mittelalter erhielt*), so dass hiemach auch zuweilen der Gau,
wie z. B. 82d, „pagus Nemetiiisis" genannt wurde*).
Vom Speiergaue fuhrt unsere Wanderung tms zuixi Elsäss —
pagus Alsacensis, Alisacia, so von der das Land dürchstrÖmen-
dien 111 genannt*). Schon diese Bezeichnung ist deutsch und
nicht minder ist dieses der Fall mit der Eiiitheilung des Gebiets
in einen Nord- und einen Sundgau; auch zeigt sich keine jener
alten Städte, welche den Elsass bedecken, wie Strassburg (Ar-
gentoratus), Brumat (Brocomagus), Selz' (Saletio), Rheinzabem
Ctäbemae) , Horbürg (Argentorar) , Banzenheim (Stabulus), Altrip
(Altaripa) u. ö. w. als der Mittelpunkt irgend eines grössern
Landgebieteä , wie dieses bei Speier, Worms u. s. w. der M
1) S. die Belege io Laibei's Bpscbr. des Nafaegads. Aela Acadenitae Tbeod.-Pil>
V« 127 ff. Daselbst im I. Bd. findet sich auch eine Beschreibung des Wormsgaas.
2) Marlene et Durand, Vet. Script, et Monumenta. Appliss. Coli. 1. p. 189.
3) Lamei 1. c. I. p. 217. Deumbeck, Geogr. Pagorum p. 140 f.
4) „intra ci vitalem Spira seu Nemeta vocatam , aut In circuitu eXtra civitatem id
est in TÜla Spirae et in marca, quae eidem urbi adiacens est.*^ Lönig, Rt A. P* spec
Cont 1. p. 256.
5) Zenss 1. c. nr. 69*
6) Müller, deutsche St&mme. V. S. 306. Zeuss (die Deutscbeb-, S. SIB) öberseUt
den Namen sehr gezwungen durch Fremdensitz. . ,
ist. Und doch beweist eben dam Vorhanadensem dieser alten
Südte, daiss ancsli hier ktit. ursprünglick germapisoher Boden
ist, dass also auch die jßaue Yor ihrer Germanisirung andere
Nsun^n gehabt haben müssen und zwar von derselben Bildung, wie
diese linkis des Rheins sich allgemein bei allen Oaueu darbietet.
Doch vergebens sucht man nach ^iner sichern Kunde hier-
über; nur Vermuthungen lassen sich zusammenstellen.
Im Nordgau liegt eine alte ,schbn unter den Merovin'gem
vorkommende Königspfalz Kirchheim mit einer weit ausgedehn-
ten Mark. Beide nennt bereits eine Urkunde von 633, wel-
che, wenrt später auph erneuert, doch immerhin als eine in der
Hauptsache wenig veränderte Kopie des verlorenen Originals
betrachtet werden kann. Hiernach übergiebt König Dagobert :
„renalem habitationem Kirokhalm cum suburbiis Marley,
vallem Corone, Virdenheim, villam Vege, castellüm situm in
monte juxta stratam Tabernensem (Zabem.) usque ad rivulum
Mosellum cum omnibus adjacentibus" *) zur Gründung, des Klo-
sters Haslach. Es gehörten demnach zu Kirchheim ausser den
zunächst liegenden Orten auch noch die bei Zabem liegende
Burg Kronenberg. Dass Kirchheim ein neuerer erst nach Ein-
führung des Christenthums entstandener Name ist , bedarf keines
Belegs. Vorher bestand ein anderer Name und diesen altern
gibt auch eine Urkunde von 807: „Actum Trhonie seu Kilekheim
in comitatu domini Wuorandi comitis^)".
Was diesem Tronia nun aber eine besondere Bedeutung
verleiht ist seine £igens(^haft als Mittelpunkt einer Grafschaft,
welche freilich, soweit die Urkunden darüber einen Aufschluss
gewähren, nur einen Theil deis Nordgaus umgriffen zuhaben
scheint. Diese Grafschaft kommt bald uhtef dem Namen Tronia
bald unter dem von Kirchheim vor. Schon eine Urkunde von 675,
legt das nicht ferne Bischofsheitn mit seinem sicher eine Cent dar-
stellenden Gebiete in diese Grafschaft: j„in pago BischoVisheim
in comitatu Chilcheim ^)". In einer Urkunde von 807 heisst es vom
Kloster Ebersheim (sive Novientum), nordöstlich von Schlett»
1) Pat^«issns 1. c. iL p. 24. Sohdf^flin, A\s, äipl. L p* 27.
2) Schöpftift k c. I. p. 106.
8) f*Ar4^e9«us 1. t. 11. p. 171. Grfitididier , HiMor. de rüglisse «de Strassbg. U
Dipl. p. XVII.
Stadt: j^quod est sitanv in pago Dlisatiae supraripamlUe fiuminis
in comitatu Kirchheim*)"- Endtich findet sich eine Urkunde von
728, welche „inducatuAlsacensi seu in pago Troningorum et in
pagoAIsegauinse*)" eipe lange Reihe von Orten setzt, aus deren
Lage sich leider kein Schluss auf die allgemeinen Gebiete ma-
chen lässt, weil die Fassung der Urkunde es zweifelhaft lässt,
ob hier beide Gaue nßben einander als zwei selbstständige Ge-
biete zu betrachten sind oder ob der eine Gau als ein Bestand-
theil des andern angegeben wird.
Lassen auch diese sehr magern -Nachrichten keinen klaren
Einblick in das Verhältniss von Troninga zu, so geht doch so
viel daraus hervor, dass diese Pfalz als ein sehr bedeutungs-
' voller Punkt des Nordgaus anzusehen ist , und da sich kein an-
derer in gleicher Weise darbietet, haben wir wahrscheinlich in
ihm den alten Mittelpunkt des Nordgaus.
Ammianus Marcellinus setzt in diese Gegend die Tribunci,
,und Beatus Rhenanus sucht deren Sitz in Troninga^. Ich ge-
stehe offen , dass ich darübef keine Meinung auszusprechen
wage*).
Für eine Vermuthung über den alten Mittelpunkt des Sund-
gaus finde ich dagegen nirgends einen Anhaltepünkt, es müsste
denn Ruffach mit setner alten Feste Isenburg sein, jener Mittel-
punkt des s. g. Mundats (emmunitas) des Stifts Strassburg. Die
schon oben angeführte Urkunde von 675 netmt wenigstens einen
pagus Rubiaca in comitatu Ilchicha. .
"!• Um so unzweifelhafter fallt der am rechten Rheinufer lie-
1) SchöpBin 1. c. p, 105, ähnlich 817 p. 66. '
2) Schöpf! io 1. c. p* 9, Pardessns 1. c p. 356.
3) Andere weichen freilicli, davon ab. Vergleiche Ukert a., a. 0. II. 2. S. 508.
4) Obwohl die nur sagenhafte Erzählung Gregors von Tours, dass die Franken
aus Pannonien kommend, sich zuerst an den Ufern des Rheins niedergelassen, dann
aber über den Rhein gegangen und sich in Thoringia niedergelassen , bätlen , wo ihr
König zu ,,Onspargum in finibns|Thuringornro*V seinen Hof gfihtfbt, kaum erne ernste
Untersuchung zulässt, so führt doch der obige pagus Troninga jenen Bericht in meine
Erinnerung zurück , und zwar um so mehr als allem Anschein nach derselbe Ort 787
auch unter der Form Tburorihga vorkommt, nämlich; „in pago AHsacinse io nitia oel
in marca, qne dicitnr Tburninga*' (Zeuss, Tradit. Wissenbg. nr. 83), auch 787: „Tar-
ninga** (ibid. nr. 155). Der Lage nach entspräche dieser Ort der «ganzen Darstellung
trefflich. Doch — es soll dies nur eine Bemerkung sein.
Mf
gende Breisgau auf die gallische Seite , denn sein Mittelpunkt
ißt wieder eine alte Feste, nämlich Breisach, der alte mons
Brisiacüs. Auch Freiburg war wahrscheinlich \n ältester Zeit
' ein fester Ort *).
An den Elsass schliesst sich das Land der Helvetier, eines
keltischen Volkes. Nach Cäsar (I, 5.) hatte dasselbe 13 Städte (op-
pida) und war in 4 Gaue getheilt (I, 12). Als den Hauptort des
Volkes, „Caput gentis", nennt Tacitus (Hist. I, 68) Aygnticum,
das spätere Avenche oder Wiflisburg, östlich vom Neuenburger
See, was auch, ältester Bischoftsitz war, bis dieser in der zwei-
ten Hälfte des sechsten Jahrhunderts nach Lausanne verlegt
wurde. Von den Gauen nennt Cäsar nur zweie und auch diese
ohne nähere Bezeichnung ihrer Lage. Der pagus Verbigenus,
oder wohl richtiger Urbigenus ^) , könnte allenfalls der Argau sein.
Lässt sich auch hiergegen der von der Ar entlehnte Name ein-
wenden , so sehen wir doch in dem alten schon frühe zu einem
Bischofssitze bestimmten Vindonissa (Wendisch) die unzweifel-
hafte Hauptstadt des Gaues, welcher in den Augstgau mit Au-
gusta Rauracum, jetzt Äugst, den Baselgau mit Basilia, jetz^t
Basel, den Buigau, Sisgau, Frickgau u. s. w. sich theilte.
An deil Argau schliesst sich der Thurgau.
Der Lebensbeschreiber des h. Gallus^) erzählt, wie um's
Jahr 650 ein feindUches_Heer „partem pagi Durgaugensis Con-
stantiam et Arbonam" verwüstet und spricht dann noch von wei-
tern Theilen des Gaues, welche er gleichfalls pagi nennt. Der
eine dieser Gaue ist das Gebiet von Konstanz, der andere <ier
pagus Arbonensis, in welchem St. Gallen liegt*). Es ist der
Name des Städtchens Arbon am Bodensee, nämlich das romi-
sche Arbor felix. Eine Abtheilung des Thurgaus ist der Zürich-
1) Gaiipp, üt'bcr denlsche Städlegrundiing elc. S. 168 ff.
2) ükcrl a. a. 0. 11. 2. S. 344 u. 345.
3) P«rlz, M. Germ. 11. p. 18.
4) „in pago Dargaugense el in sitn Arbiioense^'. Neii^art I. c. p. 94. Statt situs
heisst es auch in fine oder „in p. Thurgaiiensi vei in Arboneosi^^ (ibid< p. 110),
sowie ,,in pago*S wie 797: v,äd -monaslerium saacti Gallone — , que est conslructa
in pago, qni dicitor Arbonense, urbiä ConsUiDtiae, in ducato Alamaniae** (Wirtembg.
L'fabch. LS. 52). Dasselbe sagen auch schon Urk. von 744. S. Mittheilung^p der
antiquar. Gesellscban za Zürich. II. S. 28 S* .
gau*), also genannt von Zürich, der römischen statio Turicen-
518 2), .spater castrum Turegum*) genannt, und es ist möglich,
dass eben der Zürichgau jener pagu^ Tigurinus ist, welchen Cä-
sar*) als einen der vier Gaue der Helvetier nennt. ' Ein dritter
Theil des Thurgaus ist der Urigau*).
Der östliche Nachbar des Thurgaues war der rhätische Gau
Curwahalon mit .seiner Hauptstadt Chur (curia Rhaetorum).
Von der westlichen Gränze wende ich mich zur östlichen.
Dort hatten wir als Nachbarn des alten Germaniens den galli-
schen, hier findeli wir — slavischen Boden.
Es sind insbesondere vier Punkte, welche uns das slavi-
sche Element erkennen lassen. Der erste ist der schön hervor-
gehobene dem germanischen Boden grundsätzlich fremde Städte-
bau, nicht das Vorhandensein von Festungswerken an und für
sich, sondern von befestigten Orten mit darin wohnhafter Be-
völkerung. Ein anderer Punkt ist die' Form der Ortsnamen, ein
dritter die Form dei: Dorfanlagen und endlich ein vierter besteht
in den historischen Zeugnissen, welche uns für bestimmte Ge-
genden slavische Bewohner nennen.
Gleich am Bodensee weist uns das Land der Vindelicier
die weiter zu verfolgende . Linie. Die VindeUci , d. h. *) die Wen-
den am licch, theilten sich in vier Stämme und hatten nach
Plinius viele Städte ''). Eine dieser 'Städte war das an der Ost-
seite des Öodensees liegende Bregenz, die civitas Brigantium,
welche schon Tiberius als den Sitz der Brigantier kennen lernte
und wonach dei: Bodens^e „lacus brigantinus" genannt wurde*).
Das Gebiet von Bregenz zeigt sich uns später im Rheingau.
Auch der nach (Langen) Argen benannte pagus Argunensis'j
1) 744: „in pago Durginse vel in sito Zuribgawia.^* Pardessns 1. c. II. p. 390,
auch p. 891.
2) ükerl. a. a. 0. 11. 2^ S. 49(5.
3) V. Müller, sämtnll. Werke. XXV. S, 52 u. 55.
4) Bell. Call. 1. 12. • .
5) 853 : „curliin — Turegnm in dacatn Aüamannico, m pago Durgaugeosi — id
est pagellum üronlae". ' Neugarl 1. c. 284,
6) uch Mannert, GermaDia 526.
1) Bis (Noricis) eontermini Rhaeti ei Vindolici , ovAms in imihas civiiates clivist.
8) Mannen a. a. 0. S. 319 u. ^20. . '
9) SUlin, Wirtembg. Gesch. I. S. 282»
I '
TiiusB noch nach.Bregenz gehört haben und sogar vom Altgan
wird dieses seiner Lage , nach wahrscheintich. Nordöstlich von
Bregenz lag eine andere vindelizische Stadt, die civitas Campö-
duniun, das heutige Kempten , an der lUer, deren Gebiet sich
uns in dem lUergaue zeigt. An diesen sohliesst sich der län^
des Lechs ausgestreckte vom Ammersee bis zur Donau reichende
Augstgau (von dem der Keltensteingau und der Ammerg^u nur
Theile zu sein scheinen) mit seinem Hauptorte Augsburg, der
Augusta Vindelicorum. Dieser Name weist also ausdrücklich auf
die Anwohner des Lechs hin und es ist deshalb auch wohl nicht
zu viel gewagt mit Jludhart*) Damasia, die alte Hauptfeste d«s
Volks (Licatorumveluti arx) in Augsburg wieder zu finden , denn
der spatere Name Augusta Vindelicorum stammt von. den Rö-
joiem her.
Veiter gegen Morgen liegen noch mehrere alte Städte:
das Artobriga des Ptolomäus, als römische Feste Reginum, als
Sitz der baierschen Herzoge Radaspöna genannt, nämlich Regens-
burg, von dem südlich im Isen-, Rotach- und Westergaue noch
weit später eine zahlreiche slavische Bevölkerung sich findet^);
femer Bojodurum — Passau; Juvavo — Salz^burg u. s. w.
Doch diese Städte liegen alle schon zu weit östlich unserer
Gi-änze; diese führt vielmehr sofort vom Augstgaue über die,
Donau.
Wir treten hier zunächst in den Biesgau, der auch Rhae-
tia.oder zum Unterschiede von dem übrigen Rhätien „Rhaetia
transdanubiana" genannt wurde, und in den Riesgau im engem
Sinne, den Gau Sualefeld , den Brenz-, Plin-, Albeckgau u, s. w.
zerfiel; sein alter Mittelpunkt war wahrscheinlich EÜehstädt:
„caötrum Rubilocus, quod Eistete dicitur ^)". Vermag ich auch
hier keine slavische Bevölkerung nachzuweisen, so tritt diese
bei dem nun -folgenden Rangau doch um so bestimmter hervor.
War der Iphigau wirklich, wie Pallhausen (S. 123) annimmt, ein
"Theil des Rangaus, dann nothig£ die Lage des Gollachgaus zu
einer gleichen Annahme. Pallhausen stützt jene Annahme dar-
auf, das Vinetum (Winheim) „in finibus pagorum Yolkfeld et Ran-
1) Aelteste Gesch. Bayerns S. 'ST.
2) V. Koch - Stepnfel^ , Beitr. zor cteirts**««' Xftnder-j'VöttwT-, SÄlen- u. Staa-
tenbunde. U. S. ^ u. 3d. S. auch Bd. I. S. 168 ff.
3) fv. P«llh«i9«i. S. li)7 Q. 112.
tro
gew positum^S d. h. auf der Gränze beider Gaue lag, so dass die
Gränze durch Winbeim zog. Dasselbe ist auch mit Krautheim
der Fall, welches in gleicher Weise in den Iphigau und in das
Volkfeld gesetzt wird*)/ Es treten, also die Namen Rangau und
Iphigau an detselben Stätte auf und es lässt dieses keine andere
'als jene Erklärung zu.
Oestlich an das Volkfeld reiht sich der Radenzgau und
jswar in einer Weise, dass man auch bei diesen ein ehemaliges
Zusammengehören beider- vermuthen muss. . Beide Gaue schied
dieRednitz, so dass Bamberg mit seinem 'einen Theile im Volk-
felde, nnt dem andern im Radenjügaue lag^). Bas unmittelbare
Gebiet, von Bamberg war sicher eine jener schon oben erwähn-
ten zusammengesetzten Marken , welche iius zwei verschiedenen
Hälften bestanden. , Auch mit Hallstadt, unterhalb Bamberg war
dieses der Fall, denn obgleich es selbst im Radenzgaue lag, ge-
hörten wenigstens zwei zu seiner Pfarrkirche gehörige Kapellen
(Trunstadt und Bischberg) zum Volkfelde ^). Links der Rednitz
war Ostfranken, rechts Baiem.
Dass der östlich vom Sualefeld, Rangau. und Radenzgau
hinziehende grosse b^ierische, Nordgau eine vorzugsweise slavi-
sche Bevölkerung hatte , ist bekannt ; auch der grösste Theil des
Traungaus erscheint mit Slaven bevölkert, welche unter ihren
eigenen Supanep standen und nur' zu einem Tribut an den bp-
joarischen Herzog verpflichtet waren*). Ueberhaupt war die
slavische Bevölkerung hier so überwiegend, dass 'man das Land
selbst als slavisch bezeichnete (834), obgleich erst die Ens die
bojarisch -slavische Gränze bildete. Und dieselben Erscheinun-
gen treten auch weiter gegen Norden hervor*) namentlich im
Rangau, Radenzgau und Volkfeld.
Schon in der Mitte des achten Jahrhunderts begegnen
uns in Ostfranken Slaven •) und wie es scheint, in Bezirken, wel-
1) S. V. Spruner, Gesch. und Beschreibung des Gaues Volkfeld im Archiy für
, Gesch. n. Alterlbnmskunde des Obermainkreises iL 1. S. 46.
2) ] Ö08 : „ locum Babenberg — cum pago , qui Redeozcgewi dicitur.
Allerins amem pagi, qui Voigfeld nominatur, in quo prefalus locus silus est, partem
...^' Ussermann, Episcopt. Bambg. , Cod. prob. nr. 14.
3) Wenck , hess. Landesgesch. I. U. S. 4«
4) Mott. boica XXVHI. 2. p. 198.
5) S. das Nähere in Radbart, Urgesch. Bayerns» $. 455 ff.
6) Ich beziehe mich im Allgemeinen auf die von Holle im Arcbif für Geschichte
und Alterihumskunde von Oberfranken II. 1. H. (1842) zasammengestelllen Belege.
t71
I
che Würzburg schon noch näher lagen*). Eine Urkunde des
neunten Jahrhunderts setzt die Slaven zwischen den Main und
die Rednitz, also in die vorhin genannten Gaue, und nennt sie
danach Main- und Rednitzwenden , sowie diese Gebiete selbst
Slavenland („in terra Sclavorum, qui sedent inter Moinum et
Radantiam fluuios, qui uocantur Moinuuinidi et Ratanzuuinidi^')
und bemerkt , dass dieselben unter von den fränkischen Koni-
gen eingesetzten Grafen ständen („una cum comitibus, qui super
eosdem Sclavos constituti erant**). Nach derselben Urkunde be-
stimmte Karl der Grosse, dass, um diese Slaven zum christli-
chen Glauben zu bekehren , dort eine Anzahl Kirchen gegründet
werden sollte^). Doch noch einige Jahrhunderte später waren
wenigstens die Slaven im östlichen Radenzgaue noch keineswegs
Christen und Kaiser Heinrich IL gründete das Bisthum Bamberg
mit der besonderen Aufgabe die dortigen heidnischen Slaven zu«
bekehren („ut et paganimus Sclavorum destrueretur"). Um den
Bischof von Würzburg zu der Einwilligung zur Gründung jenes
Bisthums zu bewegen, schrieb demselben 1006 der Bischof von
Halberstadt und erinnerte ihn daran, dass er ihm erzählt; wie
jenes Slavenland sehr waldig und ihm, obwohl es in seinen
Sprengel gehöre, doch beinahe unbekannt sei, -auch ihm wenig
Nutzfen gewähre („.... te parvum inde fructum habere, totam il-
lam terram pene silvam esse, Sclavos ibi habitare, et in illa
longinqua vel nunquam vel raro venisse")^).- Da von der näch-
sten Umgegend von Bamberg, wo man ohnehin auch schon
frühe Kirchen findet,, nicht so gesprochen werden konnte, so
kann sich jene Schilderung nur auf die gegen den Thüringer-
wald und das Fichtelgebirge gelegene Gegend des Radenzgaues
beziehen.
/
Noch, 1058 wird uns berichtet, dass der grösste Theil der
Bevölkerung des Bisthums Bamberg aus Slaven bestehe*). Auch
einzelne Orte werden als slavisch bezeichnet. Eine Urkunde
aus der letzten Zeit des achten Jahrhunderts ^ nennt Haid und
Trunstadt, rechts und hnks am Main, und zum Volkfelde gehö-
1) Holle S. 7.
2) Das. S. 9.
8) Das. S. 11. .
4) Holle a. a. 0. S. 16.
BT«
rend , als „ in Slauis "\ liegend *) ; eine arider^ von 824 sagt von
idemmifern der vorigen liegenden Dorflen: „Thnrpfilin iuxta ripam
flnminis Moin in regione Sclauomm" *). Nachdem Höclistadt an
der Aisch und Medbaeh genannt, heisst es weiter: „in eadem
Sclavorum regione" und es werden darin, noch fünf Dörfer der-
selben-Gegend namhaft gemacht, und bei einem derselben (Sam-
bach) wird noch ausdrücklich hineugesetzt : „<;um inhabitantibus
Sclauis*' ^). Ebenso findet man zu Medbaeh : „XI. mansi de Sclauis"
aufgeführt*^).
Aber auch das, was das Slavenland von dem altgermani-
sch^i Boden unterscheidet, ist vorhanden, ich meine, Städte und
Kastelle. Vor allem gehört Bamberg hierher, welches schon
973, also drei Jahrzehnte vor der Gründung des Bisthums, als
„civitas Papinberc" erscheint*) und dieselbe Bezeichnung erhalt
es auch 1007«).' Im Jahre 1023 findet sich im Volkfelde „urbs
Eberaha" (Burgebrach) '). Höchstadt wird in . einer Legende op-
pidum*) und 911 Vieret am Main „cum caeteris sciauiensis op-
pidis illuc juste conspicientibus" genannt *). Vieret war also eben-
falls' ein oppidum und eine gleiche Bedeutung hatten sicher
auch castrum Cra^nä (1003), Gastrum Crusina (1003), castrum
vetus Trebgast (1143) u. s. w. und auch wohl von den alten
Königshöfen Rallstadt, Königshofen, Vorchheira (dessen Mark
1062 37 Dörfer einschloss) u. s. w. lässt sich dasselbe ^er-
muthen. -
Ueberhaupt waren sicher die. meisten von den seit dem
zwölften Jahrhundert in diesen Gegenden zahlreich vorkommen-
den Burge'n ehemals slävische oppida*").
Aber- auch heute erinnern uns noch zahlreiche Qrtsnam^n
an die Nationalität der ältesten Bewohner, vorzüglich im Ra^enz-
1) ]>roDke , C. dipL Fuld. > nr.' 124.
2) Ibid. nr. ^80.
3) Dmnke, Tr. eU Ant. Fuid. p. 22.
4) Ibid.
5) Usserfflann,' Epäsc. Bambg. Cod. dipl. p. 4.
6) Das. S. 12,
7) Scholtes, Vermischte Schriften IL S. 228.
8) Haas, GescJii. des Slavenlandes an der Aisch etc. S. 56.
9) Mon. boica XXVID. p. 145.
10) Verzeichoi sse derselben s. im Archiv für Gesch. und' AlteHbffnfsliiAde von
Oberfranken Ir. hd^ Bayreuth. 1838. S, 79 ff.
* .»
t73
gme, während die häufig dazwischen vprkommenden Namen
mit der Endung „ reut ** auf spätere und wohl deutsche Ansied-
lungen hinweisen.*)
Doch ich muss sogar noch westlicher gehen. Schon die Ur-
kunden, durch welche das Bisthum Würzburg noch nach Bamberg«
Stiftung in dem Besitze seiner SlaVenbezirke bestätigt wird, möch-
ten daraufhinweisen , dass auch im westlichem Bisthump Slaveh
ansässig waren. Im Gaue Gozfeld finden sich wenigstens seit dem
achten Jahrhundert mehrere Orte, deren Namen die unzweifel-
haft slavißche Endung „leben" zeigen. Ettilebe, Egisleiba und
Isenlieba^). Ebenso erscheinen Gnamschatz ') und Veitzhoch-
heim*) als slavisch. Auch den links vom Main liegenden Wald-.,
sassengau ziehe ich noch hierher, denn in ihm lag das schon
686 vorkommende castellum Virteburch (der Marienberg), doch
nicht blos deshalb, weil es eine Feste war, und der Name von
Vielen für slavisch gehalten wird, sondern noch mehr, weil
Würzburg der Sitz der thüringischen Herzöge war. Das rechts
am Maine liegende Würzburg gehörte in*s Gozfeld. Andere alte
Festen beider Gaue waren Karleburg (718), Hohenburg (788)
u. 5. w. ^
Femer muss der Saalgau noch hierher gehören. Es zei-
gen sich zwar nur wenige slavische Ortsnamen, wie Boden-
lauben, Kizziche (Kissingen) u. s. w. ; auch findet man nur
im nördlichsten Gebiete, in der Mark von Flieden, slavische
Bewohner genannt^), aber die alten Festen Salzburg (castrum
Salce 741) und Hammelburg '(716 castrum Hamulo) und noch
mehr seine Lage geben den Grund ab, auch den Saalgau mit
in unsere Linie zu ziehen.
Zahlreichere auf slavische Niederlassungen hindeutende An-
zeigen finden sich dagegen in dem nordwärts angränzenden
grossen Grabfelde. Als Sturm an der Fulda hinauf wanderte,
1) lieber die hier vorkommenden slavischen Ortsnamen beziehe, ich mich auf das
Archiv für Gesch. u. Alterthumskunde von Oberfranken 1. Bd. Bayreuth. 1838« S. 70
ff. Q. den XX. Jahresbericht des hislor. Vereins in Blitteirranken. S. 25 ff.
2) Dronke, Tr. et Ant. Fuld. p. 18. u. Codi dipl. Fuld. p. .43. v. Koch- Stern-
feld a.a.O. zieht anch Goldleibesheim hierher, aber Koldleib ist ein\deutscher Name,
me Auteib (Dronke, God. dipl; Fuld. p. 174) »nd anch im Wormsgau findet sich ein
Hufileibesheim. (ibid. p. 95.)
.8) 779: „Gramfesnesta."
4) 791: „in winido hoheimono marca.** Dronke 1. c. nr. 100.
5) Dronke, Tr« et Ant. Fuld. p. 120.
Landau. Territorien. 18
um einen für ein Kloster sehicklichen Ort au&uaoeken ^ sah er
nicht weit unterhalb von der heutigen Stadt Fulda einen häufen
sich in der Fulda badender Slaven, die gewiss nicht wandernd, son-
dern in der Nahe angesessen waren. Auch später, im achten und
neunten Jahrhundert, findet man auf fuldischen BesitKungen noch
slavische Bewohner genannt, namentlich zu Rasdorf, Engelmarstadt
(hei dem vorigenX Eschenbach, 6eisa, Eichenzeil, Spala, Weida,
Henfstädt, Rohr, Hünfeld, Neidharddhausen, Petersberg, Ut:
trichshausen u. s. w.^) Neben dem zeigen sich aber auch manche
sicher ursprünglich slavischö oder doch auf slayische Beyölke-
rung hinweisende Ortsnamen, wie Dingsleben (Tingesleia), Alsch-
leben (86& Adohesleyba) , Unstleben, Bottichen, EMebon u. s. w. ,
sowie femer Walanrameswinida (908), Ernesteswiniden , Otto-
wind (Othawindea) , Almerswind (Elsnuthewinden), Gundelswind,
Herbartswind, Poppenwind, Oberwind, Ruckerswind; Hartschwin-
den (Habrechtswinden), Alberswinden , Meerswinden (1436), Rü-
denschwinden , Öischwind , ' Ditterswind (Dietkereswinden) , Ge-
roldswind (Gejrhardiswiniden) , Reinliardswind (Regenharteswine-
den), Appenwiuden (1308), Rodelvesswinden (1341) y Wolfrichs-
winden (1303), Hermanswinden (1321), Meerswinden (14ßS),
Langenwinden (1436), Hetmorswinden (1323), Rnofrixieswineden
(1183), Eitenwiniden (c. 950) u. ». w. Auch Milz, Sigritz
u. s. w. sind slayische Namen..
Alte Festen lassen sich freilich weniger nachWeiisen , allen-
falls die Milseburg (980) , das castellum Banza (1071) , Schwein-
furt, (SuinvoMi) , wdlches' Ditmar von Merseburg *) zum J. 1003
castellum und 1017 civitas nennt.
Was aber entschiedener als alles andere für eine ehedem
slavische Bevölkerung i^eugt , ist die sich als vorherrschend zei-
gende Bauart der Dörfer in einer Gasse. Ich erwähn« dieser
Eigenthümlichkeit erst jetzt, weil mir für die südlichem Gegen-
den die Hülfsmittel zur nöthigen Vergleichung mangelten , denn
selbst die grosse paarte des Königreichs Baiem reiclite zu diesem
Zwecke nicht aus. Doch sollen auch dort, angestelltea Erkun-
digungen zu Folge, die meisten Dörfer dieselbe Grundfonn zei-
gen. Was nun das Grabfeld betrifll, so- findet man. insbeson-
dere in den, offenem Gegenden des. jetzt sächsÄsehen .Grabfeldes
J) Dronke, Tr. el Ant FuW. p. 1J4 — 124.
2) Perlz, M. G. IH. ,p. 801 u. 856.
ftrft
flies 6 Föftn allenthalben, ja in ^ina^elnfeft Döfftfrn, nÄtototlich
in Ottowind, Larbäch, Urnshausen, Bomshausen, Fladuhgen,
Urspring, Oberalzbach, Mendhausen ü. s. w. , dieselbe inso-
fern noch schärfer hervortreten, als die Gestalt dieöet Dörfer
mehr ki^eisförmig, oder auch zu einem, gleichzeitigen Vierefck
übergehend erscheiAt.
Das GrabfeM, wie der Rädenzgau haben da, wo sie sich
an den Thütinger Wald legen, m diesem ihre Gränze. Diesen
tiberschreitend, tritt uns zunächst Erfurt entgegen.
Mag auch jene ' angebliche Urkunde König Dagoberts von
706 , worin gesagt wird , dÄSä die sowohl von Christen als Hei-
den (tarn christianis quam paganis) bewohnte Stadt (ürbs) Mer-
wigesburö von seinem Vorfahr MerWig erbaut und von ihm zu
einem Kloster bestimmt und St. Petersburg (bei Erfurt) genannt
worden sei , in keiner Hinsicht vor der Kritik bestehen können *),
80 ist doch Erfurt unzweifelhaft eine sehr alte Stadt. Bonifaciuä
sagt in einem s^ner Briefe ah den Papst Zacharias , Erfurt sei
schon Seit alten Zeiten .eine Stadt heidnischer Bauern („Erphes-
fürt ... fuit jam olim ufrbs pagonorum rusticorum")*! nnd da»«-
dasselbe damals auch befestigt war, geht aus Mdiger'd^ Erzäh-
lung hervor, wonach bei feindlichen Einfällen Erfurt deii Be-
wohnern des offenen Landesl als Zufluchtsstätte diente ^>. Nicht
minder tritt Erfurt dadurch als Hauptort wenigstens eines Gaues
hervor, -dass Bonifacius es zum Sitze des thürtiigiischto Bis-
thums bestimmte. Wie Erfurt selbst noch in späterer Zeit
vielfache slavische Elemente in sich schloss, so, war dieses
auch mit dem zu ihm gehörigen Gaue der Fall. Schon jene
dagobertische Urkunde sagt, dass die Slaven viele (zum Theil
mit Namen aufgeführte) Dörfer in einem zunächst liegenden
wegen der grossen Zähl seiner Hirsche Hirschbrühl genannten
Walde angelegt hätten, denn wenn auch die Urkunde selbst
ein späteres Machwerk ist, so kann diese Angabe doch immer-
hin auf Thatsachen beruhen. Erfurt war unzweifelhaft eine Haupt-
feste, die civitas eines slavischen Gaues.
1) Vergl. Höfer elc Zeitsch. für Archivkunde, Diplomalik und Geschichte t S. 52.
2) Epist. St. Bonifacii, ed. WQrdtwein. p. 106.
3) Ludgenis in vita Gregorii (nach Wenck'll. 287): „ift)nnun<jnani vicfnfinn pagaiio-
rnm persecutionem et metum mortis cum popufo sivM in cHllat^ fU{^<i, iWque iq
airo pane et angustiis per plnres dies habitare, donec coUikiä miiltitudiiil^ soa cives
mana validiore eo» iterum effogareot". Es kann sich dicfSes it(^r afnf Erfurt beziehen.
18*
«76
Der unmittelbar an d«n Radenzgau sich schliessende Theil
des zu Erfurt gehörigen Gaues ist der längs des Thüringerwal-
des bis nahe ;aur Elster sich hinziehende Orlagau. Wie jeii'
seits des Gebirgs, so bestand auch hier das Slayenthum noch
•
lange und sogar noch heute lassen sich einzelne Spüren dessel-
ben nicht verkennen* Als Mittelpunkt des OrlÄgaus ist Saalfeld
näit sdner Sorbenburg zu betrachten. Noch im elften Jahrhun-
dert werden die. Bewohner der Gegend als Heiden und die Ge-
gend selbst als „regio Sclavorura" bezeichnet*) und gleich Bam-
berg, so wui:de 1074 auch das Kloster zu Saalfeld zu dem Zwecke
gegründet^ dass es die Slayen der Gegend zum Christenthume
bekehren sollte ^J.
. Erfurt selbst lag im Gaue Husitin oder üsitin, ein jeden-
falls slavischer Name, denn der deutsche war Ostergau, im Ge-
gensatze zu dem an der Werra ausgebreiteten Westergaue.
Auch in diesem, östlich über Appolda und Blckartsberge bis zur
Saale sich ausdehnenden Gaue zeigen sich wieder dieselben Er-
scheinungen slavischen Volksthums , welche auch jenseits der
Saale hervortreten ; ja wir finden noch mehr, wir finden auch noch
Burgwarten. Suiza, an der öi^tlichsten Gränze Thüringens, nahe
der Saale, welches 1063 als der Haupt- und Mittelpunkteines
bestimmten Gebietes (Suiza et de tota terra; quae pertinet ad Sui-
za) *) und um dieselbe Zeit auch als zu Thüringen gehörig be-
zeichnet wird*), wird 1040 ausdrücklich ein Burgwartsbezirk
(Burgwarda Suiza) genannt*).
Nördlich vom Ostergau lag rechts der Unstrut der kleine
Gau Engelin , so wie nördlicher in dem Bogen der Unstrüt, der
Mündung der Helme gegenüber, der Gau von Wiehe,. oder wie
sich eine Urkunde von 998 ausdrückt: „civitas Uuihi — in pro-
Tincia Uuigsezi in Turingia ^) ". .
Vorzüglich im Orlagau finden sich zahlreiche Namen von
meist rein slavischer Bildung , wie Triptis , PöUnitz , Daumitsch,
1) S. das Nähere in v. Schuhes, Sachsen - Coburg - Saalf^Idischer Landesgescb.
II. S. 2 ff.
2) Das. S. 6i
8) MillheHüDgeD aus dem iiebiele hisl. anliquar. Forschungen. 4 H. S. 103.
4) Vi Schuhes, Direktorium I. ad a. 1064.
5) Scböttgen, Opuscula. p. 59.
6) Wenck a. a. 0..ürkbch. 11.^. 38.
877
Quaschwitz, Meilitz u. s. w. *) und auch noch im östlichen Hu-
sitin- ist dieses zum Theil der Fall. Doch je weiter man gegen
Westen vorschreitet, um so mehr schwinden diese Namensformen
und es mehren sich die mit „lehen" zusammengesetzten Orts-
namen. Diese Namensform ist auch in dem westlich von Er-
*
fürt liegenden Gaue , der wie es scheint insbesondere Thüringen
genannt wurde, die vorwaltende. In diesem nicht sehr grossen,
nördlich bis Herbsleben und Has&leben reichenden Gaue, als
dessen Mittelpunkt Gotha erscheint, finden wir im achten
Jahrhundert Slaven zu Boilstedt und Schwabhausen*), später
auch zu Goldbach % gegen Ende des 12. Jahrhunderts zu Reh-
stadt*), und sogar noch 1227 slavische Bauern (rusticos sla-
vos) mit deutschen Bauern zusammen' in Ermstadt*). Zu die-
sen Zeugnissen tritt auch hier wieder die Dorfform: meist ein-
gassige Dörfer,' von denen manche, wie das auch in den vor-
hin genannten Gauen der Fall . ist , eine mehr runde Form an- ,
nehmen. Es ist dieses namentlich niit Tiefengruben, Schop-
pehdorf, Solnstedt, Windischholzhausen, Witzleben, Öbemisa,
Molschleben, Delstedt, Grossfahnem, Westhausen u. s. w. der
FaU.
Der westlichste , südlich und westlich über die Werra hin-
ausreichende thüringische Gau, der Westergau, zeigt uns zwar
nur in meiner östlichen Hälfte unbestritten slavische Namensfor-
men (Lupnitz , Hieben , Wiegleben u. s. w.) , aber um so. zahl-
reicher sind die Orte, in welchen wir schon in frühester Zeit
slavischen Einwohnern und meist in nicht geringer Zahl begegnen;
namentlich ist dieses der Fall mit Tungeda *) , Suhl, Gerstungen
(118 Slaven), Salzungen, Lupnitz, Hain (12Q Slaven), Schönstädt,
Langensalza, Westera, Kreuzburg, Heringen (73 Slaven), Stätfeld,
Reichenbach, Breitenbach u. s. w. ''), und ebenso zeigt sich vorzüg-
lich in den Dörfern Hochheim, Wangenheim, Eberstedt, Osterbehrin-
gen, Schönstädt, Langula u. s. w. unverkennilich die mehr und
1) Näheres hierüber s. im 17. Jahresbericht des VoigUändischen allerthumsror
sehenden Vereins. 1842. S. 1 ff. nnd Limmer , Gesch. des Voigllandes. I. S. 60 flf.
2) Wenck a. a. 0. II. Urkbch. S. 16 u. 17.
8) Dronke I. c.
4) Serärius, Res. Mog. p. 827.
5) Schannat, Vindem. lit. II. p. 121.
6) Wenck a, a. 0. II. Urkbch. S. 16.
7) Dronke, Tr. et Anl. Fuld. p. 116 ff.
minder rui^de Fpnn des slavisch^ Porfbaues. Als Thüringen
J.306 Wanfried an Hessen überliess , _wird der d^zu gehörige Be-
zirk die „windische Mark" genannt. Alte Festen dieses Gaue^
aber waren sic^ier Kreuzburg ,. Gerstungen , Hohenburg bei Lan-
gensalza p. a. w. . ^
Den Rauni ^wischen dem Westergaue un4 dem sächsischen
Leinegau füllt der in zwei Tlfeile zerfallendß' Gau Eichsfeld aus.
Zeigt ßich hier die Endung „leben" auch nur nach der östlich-
gften Gränze ^in, so treten dagegen doch andere nicht ipinder
auf slavischen Ursprung hinweisende Namen hervor, wie Wor-
bis, Dalwenden und viele andere auf Wenden sic|x biezieh^nde
Ortsn£|,men *). In Abterode finden wir an 53 Slaven angeses-
sen 2) i^nd in Dalwendei^ noch 1055 slavische Hufen ^). Ebenso
fallt aucli hier jene pigenthümliche Dorflbrm wieder in's Ange,
• vorzüglich zu Dalwenden, Heiithen, Regungen, Eigenrieden
u. s. w- I^i^ Stadt des Gaues scheint Eschwege gewesen zu sein.
Der östiich an diesen sich schliessende Gau Winidun erin-
nert schon durch seinen Namen an seine slaviaiche Bevölkerung.
In seinem Innern sehen wir dann auch wieder zahlreici(i die En-
dung „leben", wechselnd mit andern ebenwohl unbestritten »sla-
vischen Namen, wie Kulmnaha (jetzt Kenia), Wolfschwpnde,
Herrenschwende, GreuQsen u. s.w. Auch findet sich schon 975
die civitas Slatheim*).
Obwohl Polde, Dnderstadt und Grona schon 929 civitates
genannt werden *) und auch nächst Duderstadt manche Dörfer sich
der slavischen Form zuzuneigen scheinen , so fehlt doch jeder
andere Haltpunkt, um namentlich auch den Leinegau herüber-
' ziehen zu können. Ich wende mich also, den Wipper- und Na-
belgau als mitten in unserm Gebiete liegend übergehend, zu dem
die Südabhänge des Harzes umfassenden Helmgaue, dessen west-
lichste Gränze jenseits Grossenbodungen hinläuft. Auch hier
finden vwr wieder die Endung „leben", so wie eine Beihe von
auf „ wenden " endenden Ortsnamen. Zu einer Vergleichung
der Dorfanlagen fehlte ^s mir jedoch 'vyipder an JüiTaterial , und
1) S. Niheres in Woif, Gesch. des EichsfeMs 1. S. 32 ff.
2) Dronke 1. c. p. 124.
3) Wolf a. a. 0.
4) Dronke, Cod. dipl. nr. 718. ~
5) Kettner, Antiqait, Quedlinbg. p. 2.
ich kann deshalb nur Windeberg- und Salfeld als zweiCellos hier-
her gehörig bezeichnen. Als Festen sehen wir hingegen die
königlichen Pfalzen Walhausen , Nordhausen .und Tülleda , sowie
die Burgen Stolberg, KJettenberg u. s. w.
Weit reichere Spuren des Slaventhums. als in den westll-
ehern Gegenden zeigen sich in \ den längs^ der Saale und Elbe
liegenden Gauen Priesenfeld, Hassegau und Schwäbengau. Al-
lenthalben begegnfetman daselbst Ortsnamen, welche auf „leben"
und eben so nicht selten auf „witz", „litz", „nitz** u. s. w. en-
den, üeber die DorfTormen kann ich aber auch hier keinen
Aufschluss geben. Dagegen lässt sich, was die Festen betrifft,
in diesen Gauen das ganze yoUe Rüstzeug slaTischer Nieder-
lassungen, in einer Vollständigkeit nachweisen , wie dieses sonst
nur jenseits der Saale und Elbe möglich ist. So finden wir im
Friesenfeld namenthch*): A^tstediburch (Altstadt), Helpe-
thingaburch (Helfta), Nuwanburch (Belemaumburg), Scroj)-
penleuaburch (Schraplau), Queuordiburch (Querfurt), Cu-
cunburch, 999 urbs Cucunburg genannt^) (Kukenburg) , Ger-
burgaburch (Gerbstädt?) , Burnigstediburch (Bomstädt),
Suuemoburch (Schmön), Homburg (Homberg), Luitti-
ni horch (Lüdersburg), Seoburg (Seeburg) u. s. w.
Im Ilassegau sehen wir dagegen die alte civitas Mer-
seburg, welche 1042 als der Mittelpunkt einer Burgwart be-
zeichnet wird: „Spirgia — in Purcwardo Merseburg", die eine
andere Urkunde von 1066 auch pagus nennt: „Spirige dicta sla-
vonice autem Kobolam nuncupatur in pagb Mersiburch") ; wei-
ter Vitzanburch (Vitzenburg) , Scithingaburg (Scheidin-
gen), Mochenleuiaburch (Mücheln), Gozoburch, ander-
wärts civitas Gozacha genannt^) (Goseck), Hunleviaburch
(HoUeuben), Uuirbiniburch (Werben), Vuirtinaburg (Würtem-
berg), Smemigaburch (Schirmbach), Memleben (die spä-
tere Abtei), u. s. w.
1) Ich verweise im Allgemeinen auf die bei VVeock a. a. 0. 11. U. S. 32 abge-
druckte Urkunde , bei der ich aber das Original zu Grimde gelegl habe , und auch das
vonmirin v. Ledebur's Ar'cl^iv XU. S. 2L3 If. gegebene aUe Yerzeichniss der bersfcldi-
sehen Zehnlregisler.
2) Höfer, Ztschr. II. 156.
3) Daselbst 11. 170 ii. 172.
Alle diese Orte werden bald als civitates *), bald als ürbes^)
bezeichnet.
Ebenso finden wir schon frühe im Schwabengau und dem
nördlicher liegenden Gaue Nordthüringen die Städte Magdeburg,
Frosa, Kalve, Barby, welches 999 ausdrücklich als Mittelpunkt
einer Burgwart genannt wird') u. s. w. Dasselbe ist 968 auch
flüt Unnesburg, Wandsleben und Hadmersleben der Fall. *)
Daneben weisen aber die Urkunden auch zahlreiche Sla-
ven nach, welche in diesen Gauen sassen, und zwar nicht blos
in den Dörfern, sondern auch in den Städten. Eine Urkunde
des zehnten Jahrhunderts nennt Slaven in Magdeburg, Frosa,
Barby und Kalve*). Im Jahre 937 werden 15 slavische Fa-
milien zu Frosa und eben so viele zuKalve, so wie 12 zu
Schmön genannt •); desgleichen 12 zu Luckow '') ; 939 26 zu Frosa,
56 zu Fermersleben, und 58 in noch.vier andern Dörfern *) u. s. w.
Salpkß an der Bode heisst 1036 „Winediscun Salebizi"»).
Dass auch der Harzgau noch hieher gehört, zeigen nicht nur
die hier zahlreich vorkommenden „leben", sondern auch die Ur-
kunden , welche häufig Slaven erwähnen. Zwölf Dörfer, welche
973 um Mansfeld genannt werden, waren theils ganz, theils
zum Theil von Slaven bewohnt*®) und Ottleben wird 979 als
„in partibus Sclauoniae" liegend bezeichnet "jT. Noch 1134 findet
man die Pfarrei Widerstedt von Sachsen und Slaven bewohnt
und das dazu gehörige Dorf „Warwize" wird eine ;,villa slävo-
nica" genannt "). Quedlinburg kommt 929 als civitas vor**), Wes-
i) Wenck a. a. 0.
2) V. Ledebur a. a. 0.
3) Eratb, Cod. dipl. Quedliobg. p. 29.
4) „Parocbiam omnem , qaae jacet inter fluvios Albeam scilicet Salam, Horam et
Bodam, usque ad ea loca, ubi castra ünnesbnrg, Wantzleva, Hoeldesleva, com Omni-
bus pertioeiitiis et vjllis , quas Burgwart vocant'*. (Leukfeld, Antiq. Halberst. p. 651.)
5) Leuber, Stap. Sax. p. 1598.
6) Eralb, a. a. 0. S. 3. u. 4.
7) V. Werstbe, Beschr. der Gaue etc. S. 111.
8) Höfer etc. Zlacbr. 11. p. 338..
9) Eratb, a. a. 0. p. 61.
10) „Alliisqoe uillis uel nillarum partibus, qufts sclauonica^ familiae inbabitaot^^
DroDkc, Cod. dipl. Fold. nr. 714.
11) Höfer die. a. a. 0. S. 617.
12) Eratfi, a. a. 0. S. 80.
13) Daselbst S. 2.
t81
teFgroningen 93ß als urbs *) , Ilsenburg 1003 als civitas und
1018 als castrum ^) , Huysburg 1048 als civitas ^) , Städterling-
burg 1108 als civitas*) und ebenso gehörte auch die civitas
Halberstadt und die alte Königspfalz Derenburg^) zu den alt-
slavischen Festen dieser Gegend. Während bei den zuletzt
durchgegangenen Gs^uen es mir ebenwohl an Hülfsmitteln zur
Vergleichung der Dorfformen fehlte, sind mir diese beim Der-
lingaue wieder zur Hand ; in diesem Gaue zeigen sich unver-
kenntlich jene Formen, wenn auch nicht immer in gleicher
'Schärfe, namentlich in den Dörfern Leim, Denkte, Watzum,
Oflleben, Steinum, Supplingenburg , Grasleben, Weyhausen,
Meine, Adenbüttel u. s. w. und auch die Namen, welche schon
auf den ersten Blick sich als nicht deutsch zu erkennen geben,
sind zahlreich z. B. Ingeleben, Gevensleben, Sambleben, Anxz-
leben, Wetzleben, Banzlebcn, Langeleben u. s. w. Frühe fin-
den wir auch schon Asaburg (984), urbs Alaburg, castrum He-
besheim, Homeburg u. s. w.
Eine Urkunde aus dem Ende des zehnten Jahrhunderts
sagt : „ in uilla Lutterun in pago Ventsgoi — in Burgwardio
quoque Dalehem atque comitatu Herieldi comitis*)". LüntzeP)
.sucht diesen Wendsgau im Osnabrückischen, wo ein Dahluiii
(unfern Fürstenau) liegt, aber wo ist dort Lutterun? Doch
schon die Erwähnung eines Burgwartsbezirks weist nach Os-
ten hin und wirklich finden wir im Hildesheimischen an
der Nette nicht nur Dahlum mit einer Burg, sondern in dessen
Nähe auch Lutter am Barenberge. Dieses Dahlum wird 1001 „ca-
stellum Dalehem — in pago Hustfalasive Ambargau" genannt*).
Dagegen findet sich der Wendsgau nirgends wieder. Es fragt
sich nun, ob jene beiden Dalehem identisch mit Dahlum an der
Nette sind? Dass das in der Urkunde von 1001 genannte ca-
stellum das bezeichnete Dahlum sei, ist nicht zu bestreiten.
1) Falcke , Tr. Corb. p. 292.
2) Leakfeld a. a. 0. S. 668 u. 676.
3) Das. S. 686.
4) Era.lh a. a. 0. S. 79. . .
5) Vergleiche über diese Kruse's deutsche Alterlhümer II. S. 35 ff.
6) Erhard, Cod. dipl. Weslph. I. nr. 74. üebereinstiraraend mit dieser Urkunde
ist auch die Anführung derselben in der vita Meinwerci ap. Leibnit, SS. R. Brunsr.
I. 519. ' .
7) Die Diözese Hildesheim S. 168.
8) Daselbst S. 348'.
\
9M
In dem Ambargau kommt nun aber 974 auch civitas Sehusaburg
(Seesen)*) vor, und. auch Woldenberg reicht bis in frühe Zeiten
hinauf, berücksichtigt man diese alten Festen, dann wird es jeden-
falls zweifelhaft, ob hier noch germanii^her Boden angenommen
werden dürfe und man wird geneigt, auch jenen Wends^au mit
der Burgwart Dalheim bier zn suchen. Möglich ist es sogac,
dass der Name Wendsgau einer altem Zeit angehört und durch
den deutschen verdrängt worden ist. Dennoch wage ich keine
Entscheidung und überlasse diese Andern, welche besser als
ich im Stande sind, die dortigen historischen Verhältnisse ge-
nauer zu untersuchen. Gehörte wirklich der Ambargau noch
zu dem östlichen Gebiete, dann fallen in Folge ihrer Lage na-
türlich auch der Salzgau, der Dersigau und Leragau, ja sogar
auch wohl der südliche Lisgau noch auf diese Seite. Jedenfalls
gehören weiter nördlich noch hierher die Gaue (eigentlich nur
Centen) Wittinga (mit dem Hauptprte Wittingen), »Muthwidl
(mit Müden) und ^Moltbizi (mit Hankensbüttel), deren sicjiere
Abgränzung ich übrigens dahin gestellt lassen muss. Als Be-
weis dafür, da$s auch diese Gegend slavischer Boden war, ver-
mag ich freilich nur die Formen der Dörfer anzuführen (man
betrachte nur Wittingen, Suderwittingen , Zasenbeck, Piastau,
Radenbeck, Behnitz, Wendisch Brohme, Altendorf, Barwedel,
Vorhop, Eutzen, Parsau, Wiswedel, Boitzenhagen, Schneflingen,
Wunderbüttel , Glüsingen , Altisenhagen , Schweinke , Stöcken,
Erpensen, Rade, Wedersahl, Masel, Lübben, Kannewinkel u, s. w.),
was übrigens den Mangel anderer Zeugnisse auch vollkommen
ersetzt. Dasselbe ist der Fall mit dem Amte Beedenbostel,
dem pagus Grethe, in welchem sich die Dörfer Dalle, Eschede,
HohnUorst, Spechtshom, Hohne und Marwede als slavisch zeigen.
Der nun folgende Gau ist dier' Bardengau. Schon durch
seinen Hauptort, der ihm zugleich den Namen gegeben, durch
die alte Königspfalz Bardowidi, gibt er sich als ursprünglich
nicht deutscl;! zu erkennen. Ausser Bardowick, erscheinen weiter
noch als Festen Uelzen (üllesheim), Bohlburg (Biaijgibudiburg),
Suderburg, Arteinburg. u. s. w. Obwohl mir keine Urkunden be-
kannt sind, in welcher hier ansässige Slaven genannt werden, so
deuten doch auch hier* eine Reihe Dörfer durch ihre Formen auf
ihren slavischen Ursprung hin. Dieses ist vorzüglich im südli-
1) Läolzel a. a. 0. S. 157.
969
\
chen Theile des Gg-ues, im Amte Bodenteiph, der Fall*), un4
dieselben Formen lindjen wir auch um Uelzen, (Rassau, Gross-
liedern, Rätzlingen, Stöcken, Polau, Nateln, Göddenstedt, Un-
delob u. s. w.) i^owie nördliche!*, . vorzüglich gegen die Elbe hin,
(Witzeze, Tosterglobe, Lüdersburg, Echum, Hilifeld u. s. w.).
Neben dieser Form zeigen sich hin und wieder auch noch acht
sjavische Namen, z. B. Bp-degast (welches jedoch in seinem Baue
nicht slavisch ist) , Gartj^e , Bretze , Tosterglope u. s, w. Zahl-
reicher noch werden indessen die slavischen Namen und zu-
gleich ' die slavischen Dorfformen in den östlich von Uelzen lie-
genden kleinen Gauen Drawähn und Lemgau , wo das Slaven-
thum auch noch bis in's vorige Jahrhundert fortbestanden hat 2)
Ob auch das nördlich vqixi Bardengau zwischen dem Meere,
der Elbe utid Weser liegende Land noch hierher gehört\ lasse
ich dahin gestellt sein, da ich nichts dafür anführen könnte, al^
dass Ditmar von Merseburg zum J. 994 Harsefeld und Stade
ebenfalls Städte nennt.
Dagegen kann man um so sicherer Nordalbingen als ur- ,
sprünglich slavischen Boden betrachten. Bereits im Anfange
de§ neunten Jahrhunderts (837) kommt llamburg als civitas ypr,
Rembart im Leben des h. Anskarius^) erzählt: „Imperator Lu-
dovicus in ultima Saxoniae regione trans Albiam in civitate
Hammaburg sedem .constituit archiepiscopalem , cur ^ subiaceret.
universa Nordalbingorum ecclesia, et ad quam pertineret om-
nium regionum aquilonialium potestas," und wenig sp§,ter wird
auch der bei allen alten Städten sich findenden Vorstadt („qui
aderant in urbe ipsa vel in suburbio") erwähnt. Eine päpstliche
Urkunde von 858 nennt Hamburg „castellum" und zwar „in confl-
nibus Slavorum, Danorum sive Saxonum" und bezeichnet es im
weitem Verlaufe als „ sedis Nordalbingorum " *). In ähnlicher Weise
spricht Adam von Bremen davon: Der angesehnste Stamm der
Übereibischen Sachsen sei der der Sturmaren un4 unter diesen
1) LaDgenbrück, Abbendorf, Callenbrock, Gross- uDd Kleinbollcnsen, Droha, Kö-
nau, Boncke , Flinteo, Schoslorf, Höjerslorf, Osledt, Wellendorf, Bocholt, Sollendieck,
Kattieo, Kakau, Varbilz, Proilze , Gledeberg, Oldendorf, Spithal, Göh,rde., Solkaa^
Suderburg etc. ,
2) Spa^g^nberg, va^terlaud. Archiv 1822, 2., 1825. 2. ^.42., 1832. I. S, 20^, elc
8) Pert?, Mon. Genn. II. p. 70(^.
4) Lappenberg, Hambg. Urkbch. S. 21 u. 22.
«84
erhebe sich als Metropolis Hamburg, ehemals mächtig an Män-
nern und Waffen und ergibig an Land und Früchten *). Dann
jfiihrt Adam die an die Nordalbinger gränzenden slavischen Völ-
ker auf. Als die^ Stadt der dem Bardengaue gegenüber am
rechten Eibufer gesessenen Polabinger nennt er Razeburg*); Ol-
denburg sei die Stadt der Waigrer und der Scholiasticus fügt
hinzu : „ Aldinborg civitas magna Slavorum , qui Waigri dicun-
tur')**; auch berichtet Adam, ,dass ihm der König äer Dänen
erzählt, dass Oldenburg die volkreichste unter den christlichen
Städten der Slaven gewesen sei*). Ebenso wird Lübeck als ci-
vitas genannt*) und der Scholiast fügt auch noch die civitas
Plunie, am Plöner See, hinzu*). In derselben Weise zählt
Adam ^uch die übrigen weiter gegen Osten wohnenden Slaven-
stämme mit ihren Städten auf, zunächst die „Obodriti, qui nunc
Reregi vocantur et civitas eorum Magnopolis" (Mecklenburg)^),
welche er ein andermal auch Michilenburg *} nennt und als „ci-
vitatem Obodritorum" bezeichnet*).
Doch auch hier ist noch keineswegs die Qränze, auch noch
weiter gegen Norden finden wir alte Städte. Schon Sliaswig
wird von Adam als civitas bezeichnet^®), und indem er Jütland
als wenig bevölkert schildert, bemerkt er, dass erst da, wo die
Arme des Meeres sich entgegen kämen, dasselbe „civitatis ma-
ximas"- besitze**). Von diesen grossen Städten nennt er Arhusan
(Aarhuus), welches ein schmaler Sund von Sune trenne"), Wi-
berch ") , civitas Ripa ") , Alaburg **) , civitas magna Odansue
1) Pertz, Moo. Ger. IX» p. 310.
2) Das. S. 311.* 1062: „castelium Razesburg —^ in pago Palobi*\ tappenberg,
Hambg. Urkbch. nr. 90. /
3) Ibid.
4) Das. p. 321.
5) Das. p. 343. s. auch 310.
6) Das. p. 311.
7) Das. p. 811.
8) So aHch urkundlich 995 Micbelenburg. Erath, Cod. dipl. Qtiedlinbg. S. 26.
9) Pertz 1. c. p. 355.
10) Das. p. 368.
11) Ibid.
] 2) Ibid.
13) Ibid. p. 869.
14) Ibid. p. 868. Der Bischof Elias von Rij)en Hess aaf seinen Landgätem (mw
siones episcopales) „multas urbes' in defensioneQi sui^^ anlegen.. Gbron. episc. Rip^Q*
ap. Langebek, Scr. Dan. VII. 157.
15) Ibid. p. 870.
' <85-
/
(Odense) *) auf Fühnen , clvitjas maxkna Eoschald (Roeskllde) auf
Seland , der sedes regia Danorum *) in Schonen' civjtas Lundona
(Lund)oder, wie der Sclioliaßt sagt: „Scandias Metropolis^' sei „ci-
vitais Lundona^' und ^Lundona civitas prima Sconie" *). Birka wird
eine Stadt der Schweden genannt ^) y und dass diese Stadt ganz
und gar äUen andern damaligen Städten glich, also ebenwohl
aus einer eigentlichen Feste (civitas) und einem davor liegenden
Flecken (suburbium) bestand, ersieht man aus der Erzählung
Rembarts. Dieser*) berichtet nämlich, dass als die Stadt (vi-
cus) Byrka in Schweden, wo viele reiche Kaufleute wohnten,
plötzlich von den Dänen von der See aus überfallen worden,
die Einwohner „ad civitatem quae iuxta (vicum) erat " g:eflohen
seien, und dass darauf die Dänen sofort Anstalt gemacht „ad di-
ripiendam urbem".
Adam nennt ferner Sictone eine civitas magna ®J. Dasselbe ,
gilt von Upsala. Sacarane (Scara in Dalsland), sagt Adam, sei
die civitas magna Gothorum '^) , Haisingland die civitas magna
oder das Haupt (Caput) der Scritefinnen ®). Endlich spricht er von
Trondheim: „Metropolis civitas Nortmannorum est Trondemnis^)".
Neben diesen Städten finden wir in Dänemark auch wiedfer
in den Ortsnamen die Endung „ leben *<^)", in Schleswig: Ha-
dersleben , Tin^lef , Kliplef ü, s. w. , in Jütland : Horslev, Strel-
lev, Högslev, Jerlev, Vindelev, u. s. w., ebenso in Fühnen
und zahlreich auf Seland.
Betrachtet man nun die lange vom Bodensee ausgehende
Linie, welche Augsburg, Würzburg, Fulda, den grössten Theil
der Werra, die östliche Hälfte des Harzes einschliesst und erst
hoch inr Norden mit den dänischen Inseln endet, so muss allein
schon diese weite von Mittag gegen Mittemacht ziehende und
< 1) Ibid. p. 370.
2) Ibid. p. 371.
3) Ibid.
4) Ibid. p. 874.
5) In Tita Anskar. ap. Perlz, Mon. Germ. II. p. 703.
6) Peru 1. c. IX. p. 378.
7) Ibid.
8) Ibid. p. 378 u. 379.
9) Ibid. p. 383.
10) Sachdse a. a. 0. S. 253, 292 n. 307 will zwar in dem dänischen „lev" ein Zahl-
wort sehen, gleichbedeutend mit zehn.
das heutige Deutschland in zwei Hälften scheidende Gi'än^e mit
unabweislicher Nothvendigkeit zu einer andern als der bisheri-
gen Auffassung der Verhältnisse .mahnen.
Ungeachtet der nur sehr dürftigen urkundlichen Nachrich-
ten bemerkt man doch beinahe allenthalben eine keineswegs ge-
ringe slawische Bevölkerung, die auch noch in späterer Zeit vor-
züglich nördlich und südlich vom Thüringerwalde augenschein-
lich dicht gedrängt und jedenfalls die vorhandene deutsehe Be-
völkerung^ Überwiegelid erscheint. Man sieht femer, wenn auch
nicht allenthalben mit gleicher Bestimmtheit, die dem alt gertna-
nischen Boden fremden Städte und Festen. Nicht minder wird
häuüg ein Vorwalten slavischer Ortsnamen bemerkbar, und zwar
ganz vorzüglich auch in solchen Gegenden^ welch« gerade durch
ihre offene Lage (man betrachte nur die thüringischen Ebenen)
unzweifelhaft die ersten Niederlassungen an. sich zogen. Und
zu diesem allen tritt endlich noch jene charakteristische Form
in der Anlage der Dörfer, welche sich auch bei allen übrigen
weiter östlich wohnenden slavischen Volksstämmen wieder findet.
Alles dieses weist unwidersprechlich daraufhin, dass hier
einst Slaven als freies Volk sassen und dass diese Slaven die
ersten Anbauer des Bodens waren, denn den Charakter des An-
baus gibt stets die erste Niederlassung und dieser Charakter ist
ein bleibender und dauert unverwischbar durch lange Jahrhun-
derte hin.
Würden "diese Gegeilden zuerst germanisch gewesen und
die Slaven erst später eingedrungen sein, so hätte ein solches
grossartiges Verdrängen auch eine nicht minder grossartige das
ganze germanische Leben tief erschütternde Bewegung zur Folge
haben müssen,' aber vergebens sucht man nach jedem Änhalte-
punkte in der Geschichte, aus welchem auf ein solches gewalti-
ges Vorschreiten der Slaven gegen "W'esten geschlossen werden
könnte ; sogar in den Sagen begegnet man nirgends einer Kunde
davon. Schon vor Karl diem Grossen wurde Thüringen durch
die Saale von den Slaven (Sorben) geschieden *), nördlicher aber
durch die Elbe, was sich daraus ergibt, dass Karl 806 zwei Fes-
ten gegen die Slaven an der Saale und Elbe anlegte*): Dass
beide Strome in einem Theile ihres Laufes die Gränze bildeten,
1) „Sala fluvius, qni Thiiringos el Sorabos dividit", Einhardi vita CaroH raipJ5<
2) Einbardi Ann. ad a. 806.
t8V
ersieht man auch aus dem bekamiten Kapitülar vom J. 805,
^«reiches uns eine Reihe von Handels- und Stapelplatz en (Barde-
wick, Schessel, Magdeburg, Erfurt, Haistadt, Fürth, Bromberg;
Regensburg und Lorch) als Gränzpunkte gegen die Skven und
Ayaten- nennt und dadurch die Gaue, in welchen diese Orte
lagen, aJs die östlichsten Gränzgaue des damaligen Frankenreicbs*)
bezeichnet, nämlich den Bardengau, Nordthüringen, Ostergau,
Radenzgau, Nordgau, Donaugau und die Ostmark an der JEns.
In jenem nördlich des thüringer Waldes bis unterhalb Mag-
deburg sich ausbreitenden Lande sass nach unseren ältesten hi-
storischen Quellen schon beim Beginne unserer christlicher Zeit-
rechnung das Volk der Hermunduren und es ist höchst wahr-
scheinlich, dass Hermunduren und Thüringen derselbe Namen
ein und desselben Volkes ist. Aber auch noch weit über den
Wald hinaus gegen Süden reichte dieses Volkes Herrschaft bis
an die Donau, die Nah und den Regen ^> Noch spät führen das
Nord- und Südland denselben Namen. Zur Zeit des heiligen
ßonifaz wird die Salzburg im Saalgau als in Thüringen, Solen-
hofen an ' der Altmühl im Gaue Schwalefeld als an der thüringisch-
baierischen Gränze, Eichstädt an den Gränzen Baiems und Fulda
in Thüringen liegend genannt. Ja, die letzten thüringischen
Herzöge, deren Gewalt zu beiden Seiten des Waldgebirges nach-
weisbar ist, hatten ihren Sitz zu Würzburg').
So weit unsere historische Kenntniss reicht, sehen wir in*
Thüringen keine andere Veränderung als die Unterwerfung des
Landes unter die fränkische Herrschaft (491), nirgends aber ein
Eindringen slavischer Stämme. Doch dieses war auch nicht er-
forderlich: die Slaven waren schon früher vorhanden, sie w;aren
die ersten Besitzer des Landes und die ersten Anbauer des Bo-
dens. Alles, was ich oben mitgetheilt habe, legt hierfür unver-
werfliche Zeugnisse ab. Aber — schon vor unserer historischen
Kunde hatten die germanischen Hermunduren dieses Slaven-
1) Mit einziger Ausnahme des zum Gaue Slnrmi gehörigen Schecsel« , welches
nochweMlich Tom Bardeogaoe liegt.
^) Der Geograph Ravenoas L. IV. c. XXV. sagt: „Per quam Tariogoram pairiam
transeiint plurima flumina , inler cetera «qui dicuntur Bac (Nah) et Reganum , quae in
Danubio merguntur'S
3) Vergleiche über diese Angaben Rudharts trefflichen Aufsatz : ,^ Hermunduren
nnd Tfafiringer auch im Söden des (ihuringischen) Waldes angesessen'* im Archiv fär
Gesch. und Alterthafnskonde ?on Oberfranken. Herausgegeb€fQ von Hagen H. % S. 87 ff.
888
Volk unterworfen und sich zu Herren des thüringischen Landes
gemacht. Dieses ist die einzig mögliche den Verhältnissen ent-
sprechende Erklärung. Ueber die Art und Weise dieser Unter-
werfung muss ich auf das verweisen, was ich bereits oben über
die Natur der s. g. Völkerwanderungen gesagt haber. Nicht das
alte Volk wurde vertrieben, sondern nur unterworfen, den Sie-
gern unterthänig gemacht. Die Folge davon war hier eine all-
mälige Germanisirung. Obwohl der Fortschritt dieser Germani-
sirung nur ein sehr* langsamer war, so ist er doch ebenso we-
nig zu verkennen, als das Slaventhum selbst. Die Germanisi-
rung wurde dadurch bewirkt, dass Germanen einwanderten und
sich entweder neben den slavischen Einwohnern niederliessen,
oder auch neue Dörfer anlegten. Es mögen diese Einwanderer
zutn Theil Hörige gewesen sein, welche ihre Herren aus der
alten Heimath mit herüber geführt, zu einem grossen Theil aber
waren es sicher auch Freie. Jahrhunderte hindurch behielten
Slaven und Germanen ihre nationalen Eigenthümlichkeiten bei, an
demselben Orte wurde slavisch und deutsch geredet, und erst
die fortdauernde Einwanderung bewirkte nach -und nach, dass
die deutsche Sprache endlich die herrschende wurde und das
Slavische mehr und mehr verschwand. Dass diese Einwan-
derung anfanglich nur vorzugsweise die westlichen Gegenden
berührte, und nur sehr langsam gegen Osten vorschritt, er-
sieht man deutlich daraus , dass , wenn man von Osten gegen
Westen wandert, unverkenntlich mit jedem Schritte die Merk-
male des Slaventhums mehr und mehr verschwinden und das
deutsche Element vorherrschender wird. Nicht nur die geschicht-
lichen Nachrichten über das Vorhandensein voii Slaven, auch die
gegen Osten immer zahlreicher werdenden Festen und endlicA
die Namen der Orte geben Belege hierfür. Was insbesondere
die letztern betrifft, so findet man in den westlichen Gauen nur
wenige Namen, deren slavischer Ursprung sogleich erkenntlich
ist. Es entstand nämlich neben, dem alten slavischen auch ein
deutscher Name (nicht selten werden noch beide in den Urkun-
den neben einander genannt) und erst die fortschreitende Crer*
manisirung verwischte endüch den slavischen gänzlich. Dasselbe
war auch bei den Gaunamen der Fall, an deren Stelle meist
nach deutscher Weise gebildete deutsche Namen traten. An
die Stelle des slavischen Namens Husitin setzte der Deutsche
den Namen Ostergau. Andere Namen wurden auch germani-
«89
I
sirt, d. h. der slavische Name erhielt eine deutsche Form. ' Die-
ses ist vorzüglich bei denjenigen Ortsnamen der Fall, welche
auf „leben" endigen. Es ist dieses die unter wechselnden For-
men sich findende slavische Endung „loua** oder „lavia" *), welche
sich in Norden als „low", in Sachsen, Schlesien und Böhmen als
„lau", auch als „lowo" und „lebo" u. s. w. zeigt. Beim Ditmar von
Merseburg heisst Breslau Wörtislava, Memleben Meminlevo
u. s. w. Noch im zwölften Jahrhundert findet man auch in
Thüringen „loue" neben „lauo" und „leua", bis' endlich statt dessen
„leben" die allgemein herrschende Form wurde. Deshalb wird
dieses Wort von den Urkunden- Ausstellern auch bald als slavisch,
bald als deutsch bezeichnet. So heisst es z. B. 979 von einer villa:
„quam dicunt slauonice Otlivva"^), 978 aber „in castello —
slavonice Budizio, nunc autem theotonice Grimmerslevo"*).
Wie langsam die Germanisirung weiter rückte und wie diese
nicht mit Absicht, sondern nur durch die Verhältnisse sich
machte, das wird noch anschaulicher, wenn man die Verhält-
nisse am Main und im Radenzgaue und die des Orlagaiies be-
trachtet. Hier hielt sich das Slaventhum am längsten und die
Namen der Orte deuten es an, dass in diesen Bezirken erst weit
später, als in den westlichem sich Deutsche zwischen den Sla-
ven niedergelassen haben. Im Volkfeld und Radenzgaue finden
wir n'och zur Zeit der Karolinger die dortigen Slaven als Volk,
und zwar als ein unterworfenes, unter fränkischen Grafen stehen-
des Volk, denn sie zahlen Tribut (Ostarstoupha) *) und noch
im elften Jahrhundert sehen wir die Slaven des Orlagaus nach
ihren eigenen Gesetzen leben („secundum legem et ritum gentis
illius")*). * Es waren dieses dieselben Gegenden, in welchen auch
das Christenthum am spätesten Eingang fand, und zweifellos
war es auch wieder das Christenthum, wodurch die Germanisi-
rung wesentlich gefördert wurde.
1) pb dieses Wort wirklich dasselbe 1 o i b a ist , welches wir als fiezeichnirng
eines Tbeils des thüringer Waldes finden , lasse ich dahin gestellt sein.
2) Höfer etc. a. a. 0. I. S. 517.
3) Knaulh, Antiq. pag. et comit. Prlncip. Anhalt, p. 25.
4) Mon. boica XXVIII. p. 98, 161 und 258. Weniger Werlh lege ich auf die
Antwort, welche der Papst anf die Fra^e des h. Bonifaz gab, ob von den Slaven,
welche die Länder der Christen beWohnlen, eine Steuer zu erheben sei: allerdings
müsse man dieses thuu, weil sich dieselben sonst als Eigenlhumer des Landes be-
ll achten würden.
5) Hön, koburg. Historie I. S. 329.
IQ
Landau. Territorien. **'
«90
Ob der Barderigau zu gleicher Zeit mit den südlichem slavi-
schen Gauen der deutschen Herrschaft unterworfen wurde, lässt
sich nicht sagen; doch geschah diöses sichef ebenwohl schon
sehr frühe, wie man aus den geringen Spuren schliessen muss,
welche das Slaventhum dort zurückgelassen hat. Weit später da-
gegen hat die sächsische Eroberung Nordalbingens statt gefun-
den, weil hier die slavischen Erinnerungen sich noch zahlreicher
zeigen.
Das südlichste Thüringen , zwischen dem Radenzgaue und
dem böhmischen Walde, so wie das Land jenseits, der Donau
und des Regens, zwischen dem Lech und der Ens, fiel unter
bojoarische Herrschaft, und auch unter dieser Herrschs^ft sehen
wir die Slaven nicht vereinzelt, sondern als Volk. Wie schon
oben erwähnt, waren sie den bs^ierischen Herzögen, tributpüich-
tig; sie hatten noch langehin eigene Häuptlinge für ihre Zehnt-
schaften und nur den Gauen standen baierische Grafen vor; ja
wir finden sogar noch Slaven mit freiem Eigenthume *) und
eben so genossen sie Slaven im Traungau im zehnten Jahrhun-
dert bei ihrem Handel nach Oesterreich noch derselben Zollfrei-
heit wie die Bojoarier^). Also auch hier alle Zeichen eines^Volks-
thums, welches nur einer fremden Herrschaft verfallen ist.
Wie hier die Bojoarier, so hatten die Alemannen das Land
westlich vom Lech und den Riesgau und das Sualefeld an sich
gerissen.
r Sehr deutlich wird der Einfluss, welchen das Eindringen
der Deutschen auf die Umgestaltung des Volkes übte, wenn
man die östlichen Gränzen überschreitet. Jenseits der Elbe und
Saale erkennt man schon in dem 'vollständigen Ausbaue der sla-
vischen Festen die länger bestandene Unabhängigkeit des ^^^'
thums. 'Während nämlich hier sich beinahe allenthalben noA
alle Stadtgebiete (Gaue) mit^ ihren Burgwarten (Centen) nach-
weisen lassen*), ist dieses in dem westlich gelegenen Thüringen
nicht mehr möglich, denn die Deutschen benutzten zwar die
vorhandenen slavischen Festen , aber sie führten den Bau der-
selben nicht weitei: fort.
1) S. Rudhart, Urgeschichte Bayerns S. 456.
2) Mon. hoica XXVIU. 2. p. 204.
3) S, z. B. die ZusammensleUung in der Nachlese etc. von Schöltgea und Rrei-
sig VIL 361 ff.
V
291
Aber auch noch jenseits Thüringens haben germanische
Völker im Beginne unserer christlichen Zeitrechnung weite bis
zur Weichsel und bis zur untern Donau herabreichende Ge-
biete besessen. Die Geschichtschreiber jener Zeit geben uns
dafür die bestimmtesten Belege. Alle diese Völker aber ver-
schwinden später wieder ohne eine Spur ihres Daseins zu
hinterlassen und an ihrer Stelle sehen wir nur Slaven, wel-
che, nach dem Zeugnisse eines byzantinischen Schriftstellers
(Theophylactus Semocatta) wenigstens schon im sechsten Jahr-
hundert an der Ostsee sassen. Der gewöhnlichsten Annahme
zufolge wären alle jene germanischen Stämme vor dem Andränge
der Slaven mehr gegen Westen gewichen. Wann und wie die-
ses geschehen, hat aber noch Niemand anzugeben vermocht.
Es gilt auch hier wieder dasselbe, worauf ich schon oben hinge-
wiesen habe : kein Krieg ist bekannt, welcher die dortigen Deut-
schen vernichtet hätte und ebenso verpiag nian nicht der Annah-
me, dass sich die Deutschen dem Slaventhume unterworfen, die
geringste Stütze zu geben. Auch jenseits der Elbe finden wir
alle schon in Thüringen nachgewiesenen slavischen Elemente
wieder und zwar sämmtlich in einer noch schärfer und vollstän-
diger ausgeprägten Weise. Die überall sich zeigende eigenthüm-
liche Dorfform, def Städtebau, die durchweg slavischen Ortsnamen
und endlich das Volk selbst weisen mit Bestimmtheit auf ein
Urslaventhum hin. Wie in Thüringen, so war sicher auch hier
von Uranfang an eine stets slaVische Bevölkerung, und es bleibt
keine andere Erklärung übrig, als die, welche ich schon oben
gegeben habe. Die Germanen hatten sich diese Gebiete mit den
Waffen unterworfen und sich als Herren über dieselben gesetzt.
Die vollständige Hörigkeit, welche wir in jenen Ländern finden,
weist darauf hin, dass die Sieger die einzig Freien blieben. Im
Verlaufe der Jahrhunderte aber ging der Sieger Nationalität in
der des unterworfenen Volkes unter; und die germanischen Her-
ren wurden Slaven, ebenso wie die Langobarden Italiener und
die Normannen Franzosen wurden. Dass in Thüringen nicht
dfua Gleiche geschah, verhinderte die unmittelbare Berührung
mit dem alten Germanien und auch diese hätte wohl kaum ge-
nügt, hätte nicht die fränkisch - sächsische Eroberung dem ger-
manischen Elemente neue Kräfte verliehen.
Dasselbe geschah später auch jenseits der Elbe. Erst die
unter den Karolingern beginnende nochmalige Eroberung jener
19*
Länder legte den Grund zur Germanisirnng auch dieser Völker,
welche in der zugleich mit vorschreitenden Bekehrung zum
Christenthnme noch eine wesentlich fördernde Unterstützung
empfing. Erst 963 erhielt der Erzbischof von Magdeburg vom
Papste die^ Weisung, das Volk der Slaven jenseits der Elbe und
der Saale nach dem 'Willen des Kaisers in Bisthümer zu theilen.
' Die Zeit der ersten Unterwerfung dieser slavischen Völker
■
reicht jedenfalls' weit über unsere historische Kenntniss hinaus;
ja diese Unterwerfung muss schon Jahrhunderte früher erfolgt
sein, ehe die Römer mit den Germanen näher bekannt wurden.
Einen Beleg hierfür gibt uns das, was Tacitus' von der suevi-
schen Nationalstätte erzählt. Dass diese nämlich jenseits der
Werra, wohl sogar jenseits der Elbe gesucht werden müsse,
darüber is* man einig. Dann aber — das leuchtet gewiss Je-
dem ein — konnte dieselbe kein ursprünglich* germanisches Hei-
ligthum sein und dann können auch hier unmöglich die Anfänge
des suevischen Volkes gesucht werden. Und dennoch sagt Taci-
tus ausdrücklich, dass die Sueven jene Stätte als den Ausgangs-
punkt ihres Volkes verehrten. Wie ist das nun anders zu erklären,
als daB sie bereits so tief in den Glauben und die Einrichtungen
des unterworfenen Volkes sich eingelebt hatten , dass sie diese
als ihre eigenthümlichen betrachteten , dass es derhnach schon
aus ihrer Erinnerung verschwunden war , d^ss sie auf diesem
Boden Fremdlinge waren. Dass hierzu aber Jahrhunderte ge-
hörten, kann wohl keinem Zweifel unterliegen/
' Fassen wir schUesshch die sich aus dieser Ausfährung erge-
benden Resultate kurz zusammen, so finden wir zuerst die Worte
des Tacitus, dass die Deutschen keine Städte gehabt, auch hierin
bestimmtester Weise bestätigt; wo sie solche aber' fanden, da be-
nutzten sie dieselben. Wir sehen dann femer, in welcher Weise
die Eroberung eines Landes erfolgte, wie die alten Bewohner
darin sitzen blieben , und wie deren Germanisirnng erst durch,
nachfolgende Einwanderungen des herrschenden Volksstamms
langsam fortschritt, so dass schon aus dieser allmäUgen. Umge-
staltung es einfach einleuchtet, dass durch die Eroberung eine
Umgestaltung der Boden - und Wohnverhältnisse gar nicht mög-
lich war. Endlich überzeugen wir uns, dass sowohl die Germa-
nen als die Slaven Ureinwohner des heutigen Deutschlands sind,
denn ihre valten Gebiete tragen tief eingeprä-gt zum Theil noch
n
«98'
r
heute den Stempel des Volksthums , so dass man beide als diö
ersten Anbauer dieses ißodens zu betrachten genöthigt ist.
Aber welch' eine wunderbare Kraft liegt in diesem Germanen-
thum ! Ur^nfänglich eingeschränkt auf den Raum zwischen Werra
und Rhein, Donau und Nordsee, schreitet es mit unwiderstehlicher
Kraft nach allen Seiten hinaus, südlich über Itahen hin bis zu
den afrikanischen Gestaden , ostwärts bis zum Hellespont, west-
lich und nördUch über Frankreich, Spanien, England und Skan-
dinavien. Es unterwirft sich ganz Europa und überschreitet
später im angelsächsischen Stamme sogar die weiten Räume"
des Weltmeeres und erringt eii^e Weltherrschaft.
6) Die Gesammtbürgschaft.
Soviel über dieses angebliche Rechtsinstitut auch schon
verhandelt worden ist, kann ich 'doch nicht umhin dasselbe
ebenwohl in den Kreis meiner Untersuchungen zu ziehen; ich
werde mich jedoch kurz fassen.
Ich will nur das hervorheben, worauf sich vorzugsweise
die Lehre von der s. g. Gesammtbürgschaft stützt. Es' ist die-
ses das Gesetz König Eduard des Bekenners. Hiemach sind
alle Einwohner des brittischen Reiches — wie es wörtlich heissfc
^ — „fidejussionis stabilitate quam Angli vocant Fridborgas, prae-
ter Eboracenses qui vocant eam tenmannetale, hoc est nu-
merum X. hominum" vertheilt, deren Haupt — der Decanus —
zugleich Richter in geringfügigen Sachen ist. Die stets zu ei-
ner Verbindung gehörigen Zehn sollen für einander Bürgschaft
leisten. Wenn nämlich einer von einer solchen Zehntschaft ein
Verbrechen begeht, müssen die übrigen neun Sorge tragen, dass
derselbe vor Gericht erscheint. Sobald dieses geschehen, sind
sie einer jeden Verbindlichkeit enthoben. Geschieht es aber nicht,
so müssen sie selbst haften, oder können sich nur dadurch lösen,
dass der. Dekan mit zwei Genossen zusammen mit den Dekanen
und je zwei Genossen der drei nächsten Friedborgs, sich durch
einen Eid sowohl von der Schuld als der Beförderung der
Flucht des Verbrechers reinigen. Leisten sie diesen Eid nicht,
dann soll der Friedborg den Schaden ersetzen und zwar zu^
nächst nur so weit, als des Flüchtigen Vermögen nicht dazu
ausreicht, zugleich aber müssen auch' die übrigen neun des Fried-
borgs ihre Unschuld beschwören, sowie, dass sie wo möghch
«94
den Verbrecher vor Gericht führen oder dessen Aufenthalt, wenn
derselbe ihnen bekannt wird, anzeigen wollen.
Einer unserer ausgezeichnetsten Forscher *) stellt nun in Ab-
rede , dess eine solche Bürgschaft aus, der Urverfässung herüber-
gekommen, und hält vielmehr dieselbe für eine neue lediglich
polizeiliche Massregel, ebenso wie die Abtheilung nach Zehn
für eine nur zum Zwecke dieser Einrichtung getroffen« neue
Volksgliederung.
Ich will zuerst den letzten Punkt in]s Auge fassen. Was
Waitz vorzüglich zu dieser Annahme verleitet, ist der Umstand,
dass er die Dekanie als etwas, mindestens nicht sicher Erwie-
senes betrachtet. In dieser Hinsicht bedarf es wohl nur einer
einfachen Verweisung auf das, ,was ich schon früher ausgefülirt
habe. Dass aber auch hier nur von der Dekanie die Rede ist,
beweist das c. •28. jenes Gesetzes-, wonach der Dekan über Hü-
ten , Wiesen , Fruchtfelder und Streitigkeitisn zwischen den Nach-
barn (vicinös) zu richten hat, so wie c. 29., wo ausdiücklich
gesagt wird, dass über je 10 Dekanen „majores justiciarios" ge-
setzt seien — „quos prossumus vocare Centenarios, quia super
centum Fridborgos judicabant".
Ich meine, es. sei unmöglich hierin etwas anderes als
die altyorhandene Volksabtheilung zu erkennen. Allerdings wird
in dem Gesetze ganz so' gesprochen, als ob man bestimmte
Zahlen im Auge gehabt habe, aber ich, erinnere hier nur an die
Worte des Tacitus: „et quod primo numerus, jam nomen et honor
est". Auch hier sind es nur Namen, keine Zahlen, und diese
Namen sind, wie dies die obigen Worte zeigen, nicht neu, sondern
alt und im Volke gebräuchlich. Dass nur von Namen und nicht
von' Zahlen die Rede ist,, zeigtauch das londoner Statut : „de dua-
bus decimis — im angelsächsischen Texte teodunge — unus
homo , ubi magis populi sit ; sie de una decima , ubi minus sit
populi**. Mit klaren Worten ist's also ausgesprochen, dass die
decima nicht gerade auch zehn Mitglieder umfasste. Man sieht
dies auch noch' anderwärts. In dem Kapitular. „de partibus
Saxoniae" wird Kap.' 15. bestimmt, dass je 120 freie' Fami-
lien die Kirche, welche für sie gegründet; in einer gewissen
Weise ausstatten sollen. Dass diese keine eigentliche Zahl ist,
1) Wailz, Deutsche VerrassuDgs - Gdscbichte I. S. 225. Daselbst findet tnao aacb
alle hierher gebörigeo Quellen, weshalb jcb ejnfacb darauf verweise.
295
vielmehr diese Zähl nur als Name und zwar für die Cent
dient, liegt auf der Hand, denn 120 ist das alte Grosshundert.
Dieselbe Bewandniss hat es ferner mit den „zehn öder zwölf
Dörfern*', welche nach dem Kaiserrecht ein Gericht bilden und
über die der Kaiser einen Mann setzt, der sie bewahren soll,
denn auch hier ist diese Zahl nur Name (Decania), nicht Zahl.
Es ist diese Redeweise überhaupt so gebräuchlich, dass sich
ähnliche B^eispiele noch in Menge nachweisen Hessen.
Eine stetige Theilung des Vglkes nach- bestimmten Zahlen
ist alle Zeit eine Unmöglichkeit , denn jeder neue Tag würde die
Ordnung von neuem zerreissen.
Bei einer neugeschaffenen derartigen Eintheilung würde
aber auch die Grundlage zu einer Bürgschaft: mangeln , wie diese
jenes Gesetz bezeichnet. Es kann Niemandem eine 'Bürgschaft
aufgezwungen werden, der nicht mit dem Zuverbürgenden in
einem gemeinsamen Besitze steht oder nicht Gewalt über dessen •
Vermögen hat. Das ist aber in Bezug auf das obige nur in der
Bauerschaft (Decania) möglich, die sowohl durch den Einzelbe-
sitz als durch die gemeine Mark die einfachsten und naturge-
mässestea Mittel bietet.
Der Friedborg ist und kann desshalb nichts anderes sein,
als die auf der einigen Mark ruhende Dorfgemeinde.
Und so verhält sich's auch mit der in den Statuten von Lon-
don vorkommenden Eintheilung der Bewohner der Stadt in Hundert
und Zehn, nur zeigt sich hier schon eine Gemeindekas$e, über-
haupt mehr Städtisches. Noch jetzt ist London in 6 Hundreds
und 2 Liberties (London und Westminster) getheilt , und die
„gegylden" jenes Statuts sind die Zehntschaften. Es ist dieselbe
Eintheilung, welche auch die deutschen Städte zeigen, nämlich
die zahlreich vorkommende Eintheilung in Bauerschaften oder
Heimburgschaften *).
Die Gesammtheit der Stadt bildet in der Regel eine Hun-
dertschaft, oder, wenn noch neue Städte angebaut worden sind,
je nach deren Zahl zwei oder mehr Hundertschaften. Denn die
1) So heisst es z. B. in den ans den ersten Häirte des 13. Jahrhunderts herröh-
renden Statuten der Stadt Höxter: ,;Quicunque Huxariam intraverit et communioncm
civitalis scilicet Burscap conquisierit, si anno et die absque inpelitione aliqua et inr
cusatione residenciam Tecerit, illum pro cive debito habere volumus". (Wigand, Archiv
für Gesch. n. Allerlh. Westpbalens I. Bd. 1« H. S. 96 u. 97.) Aehnlich so auch wohl
alle Stftdie.
städtische Verfassung ist le'diglich der allgemeinen Verfassung
nachgebildet worden. So hatte Worms 4 Pfarreien (Centen)
und jede. Pfarrei 4 Heimburgschaften ; Soest vier Gerichtsbänke
und jede 3 Burgschaften u. s. w. Beide Städte bildeten also
selbstständige Gaue.
Dass jene gegenseitige Verbürgung der einzelnen Gemein-
deglieder aber auch nicht erst damals geschaffen worden und über-
haupt keine ausschliesslich in England bestehende Einrichtung war,
das ergibt sich einfach daraus, da'ss ganz dieselbe Bürgschafts-
pflicht sich auch in den« slavischen Gemeinden findet. Die
sämmtlichen Mitglieder einer Gemeinde hafteten auch hier soli-
darisch für jedes innerhalb ihrer Mark verübte Verbrechen.
Konnte der Mörder eines Erschlagenen nicht ermittelt werden,
so hatte die Gemeinde, in deren Feldmark die Leiche gefunden
worden , die Busse zu tragen *).
Herzog Heinrich I. von Schlesien befreite 1221 die Dörfer
der Augustiner zu Breslau: „nee condempnabuntur in capite in-
terfecti vel occisi, quod fuOrit inventum in terminis eorum^*-).
In dem Vertrage, welchen Herzog Konrad IL von Schlesien
1253 mit dem Stift Glogau über dessen Rechte in der zu be-
gründenden Stadt Glogau schloss, heisst es wörtlich: „Quodsi
solutio capitis super viciniam ceciderit, homines episcopi.vel
Glogoviensis ecclesie, qui sunt in dicta vicinia^ solvant dominis
suis portionem quae ipsos contingit, similiter si non venerint
-ad clamorem cum aliquis in via spoliatur aut percutitur" ^;. Und
noch näher erläutert dieses der darüber erneuerte Vertrag von
1261: „Quod si universitas viciniae condempnata fuerit in^ cora-
muni solutione capitis, homines nostri seu militum solvent no-
bii^, homineis episcopi vel canonicörum solvent dominis suis"*).
Ebenso hatte die vicinia auch alle Lasten und Dienste ge-
meinsam als eine Gemeinschaft zu tragen, wie dieses Röppel
a. a. 0. weiter ausgeführt hat.
1) Palacky, Gesch. von Böhmen ILl. Abtb. S. 40., Röppel, Gesch. Polens. S.
83 ff. Erslerer verweist auf Casopis cesk. Museum 1837. I. S. 68 — 110., wo er
über die slavische Gesammtbärgschaft ausfübriicher gebandelt bebe. S. auch Tzschoppe
und Stenzel, Urkundensammlung S. 25.
2) Tzschoppe u. Stenzel a. a. 0. S. 25.
3) Worb,, Neues Archiv für die Geschichte Schlesiens und der Lausitz S. 83.
Tzschoppe und Stenzel, a. a. 0.,I. nr. 42,
4) Tzschoppe u. Stenzel, a. a. 0. nr. 54.
«97
Sehen, w nun aber dä$ Gleiche bei 'zwei, sa verschiedenen
Völkern, wie Angelsachsen und Slaven, dann darf man wohl
voraussetzen, dass auch andern Völkern es nicht fremd war.
Darauf gestützt können wir au(?h wohl das contubernium
des salischen Gesetzes für das Gleiche halten," weil auch die-
ses sich nicht nur auf die. Zahl zehn gründet, sondern auch
in Bezug darauf bestimmt wird, wie wegen eines innerhalb
einer solchen Verbindung stattgehabten Verbrechens erst der
Anführer und - dann dreimal drei Genossen bestraft . werden
sollen ') , denn mag sich dieses auch insbesondere nur auf das
Heer beziehen, so ist nicht zu vergessen, das Heer und Volk
in ihren , Abtheilungen als eins, und diese Zahlen nur als Na-
men zu betrachten sind. Ausserdem enthalten aber auch die
merowihgischen Gesetze die Bestimmung, dass für den Fall der
Dieb nicht gestellt werde, die Hundertschaft zum Ersätze des
Gestohlenen verpflichtet sein solle ^), und eben so weist eine
Stelle in den Zusätzen ztim salischen Gesetz unzweideutig darauf
hin, wonach nämlich die vicini öich eidlich von der Mitschuld
reinigen sollen, wenn ein Leichnam in ihrer Feldmark (campo)
gefunden werde ^).
Sollte nicht auch die Verpflichtung der Gemeinden, die auf-
erlegten Steuern als ein Ganzes zu tragen , welche noch im sie-
benzehnten Jahrhundert allgemein in Deutschland bestand, und
auch noch heute nicht selten ist , und die auch bei den Grie-
chen, den Arabern u. s. w. sich findet, ein letzter. Rest jener
gemeinsamen Bürgschaftspflicht sein? In einem abgebrannten
Dorfe — ich will nur ein Beispiel anführen — waren 1638 nur
noch 5 Bauern vorhanden, alle übrigen hatten sich entfernt;
die letztem schujdeteh aber noch 55 Thaler Steuern; es wurden
deshalb, jene zur Zahlung angehalten und da sie der Aujffor-
derung nicht entsprachen , wurde der Ortsgrebe mit Arrest belegt.
Gern gebe ich zu, dass die Form und die Art und Weise,
wie die angelsächsische Bürgschaft erscheint, schon ein ent-
wickelter und durch besondere gesetzliche Bestimmungen ge-
ordneter Zustand war. Aber geschaffen wurde diese Btürgschaft
nicht erst damals, sie ist vielmehr etwas ursprüngliches, und
1) Waitz a. a. 0. I. S. 264.
2) Das. S. 269 flP. II. S. 283.
3) Das. II. S. 269.
«98
nur darin wird gefehlt, wenn man sie als ein selbstständiges,
gewissermassen in sich abgeschlossenes Rechtsinstitut betrach-
tet. Sie ist einfach ein Ausfluss der Gegenseitigkeits - Verhält-
nisse der Markgenossenschaft. Die Gemeinsamkeit des Besitzes
allein musste schpn ein gegenseitiges Bürgschafts -Verhältniss
begründen, wir wir dieses ja auch bei der römischen Ackercen-
turie sehen, welche als eine Gesammtheit ihren Theilnehmern
bürgte *), die weitere Ausbildung aber wurde durch die nothwen-
dig werdende Sicheining der gesellschaftlichen und staatlichen Zu-
stände herbeigeführt.
Darum ist auch der Name nicht bezeichnend , derselbe sagt
zuviel, es ist nur ein schHchtes Gemeindeverhältniss.
1) Niebnhr, röm. Gesch. II. S. 178.
Fflnfter Abschnitt.
Die Vorstände des Volkes.
Die Gliederung des Volkes nach Gauen, Hundertschaften und
BauersTjhaflen weist uns einfach auch auf die Gliederung dei* an
der Spitze dieser Abtheilüngen stehenden Vorstände hin. Wie
die Hundertschaft nur ein Theil des Gaues , und die Bauerschafb'
nur ein Glied der Hundertschaft ist, so steht auch der Vorste-
her der Hundertschaft unter dem des Gaues und der der Bauer-
schaft unter dem der Hundertschaft.
Alle diese Vorsteher werden als Aelteste (seniores) be-
zeichnet. Es ist das die allgemeinste Bezeichnung eines Herr-
schenden, gleich wie das angelsächsische Ealderdom von einer
jeden Art von Herrschaft gebraucht wird *). Dieses Ealdordom
deutet nicht gerade ein wirklich höheres Alter an — non pro-
pter aetatem , sed propter sapientiam et dignitatem ^) — sondern
weist lediglich nur auf jedes Höhere, jedes über Unteres iGrebietende
hin. Für Ealdordom geben die Glossen monarchiaund Impe-
rium; für Ealdorman — praeses, judex; für Ealdor —
monarcha und dominus; für Ealdordema — judex supre-
mus; für Ealdorbiscop — summus episcopus u.s.w., und
auch die Königsburg heisst Ealdorburh. Selbst der oberste
1) Weiter aosgeführl von v. Sybel , Gesch. des Königlhnms S. 43. Wie 6raf
Leotad von Macoo den Erzgrafen Hugo von Burgand „senior mens" (Müller, Deutsche
Slämme V. 201.)» also seinen Herrn nennt, so gibt auch wohl der Köpig denselben
Titel seinem Grafen, z. 6. 908: „in pago Grapfelda in comitatu sui (des Königs)
senioris" (Mon. boica XXYHI. I. p. 141.). So auch aogelsäclisi&che Urk. Remble, Cod.
dipl. II. p. 81. . '
2) Leo, Reclitudines. p. 142,
800
Priester (sacerdos ornnimn maximus) der Burgunder wird Si-
nistus genannt*).
Die deutsche Sprache hat dafür noch eine andere ebenwohl
allgemein übliche Bezeichnung, nlbmlich Graf, niederdeutsch
Grebe und Greve*). Die älteste bekannte Form ist Grauio,
Graue o, Gräiuo ui)d die Glossein geben dafür procurator, prae-
ses, praetor, tribunus, comes; und jene, älteste Form ist als gravio^
grafio und graphio ^) in's mittelere Latein übergegangen. Pau-
lus Diaconus*) sagt: „cum comite Baioariorum, quem illi gra-
vionem dicunt", und auch in den Volksgesetzen und den Ka-
pitularien kehrt dieselbe Form zum öftern wieder. Das Amt
selbst, sowie auch dessen Bezirk werdep hiernach Grafschaft-
(comitia, cpmitatus) genannt, ^ofür in ältester Zeit auch wohl
grafia gebraucht wird'"^). Auch Graf bezeichnet, wie schon be-
merkt, einen, jeden Träger, einer öffentlichen Gewalt, denn aus-
ser den Vorgesetzten der Gauabtheilungen, gab es "noch Burg-
grafen, Hall- oder Salzgrafen, .Hansegrafen, Deichgrafen, Mühl-
oder Wassergrafen, Holzgrafen, Spielgrafen u. s. w.
Graf heisst zunächst der Vorgesetzte dea grösseren Gaues,
auch B^innerh^rr dfer Tausend^chaft und Amtmann (s. o. S.
222), lateinisch Comes, Praefectus., Praeses etc. ; sein SprcDgel:
Comitatus, Comitia, Legatio, Ministerium, Praefectura etc. In
der Regel hatte jeder Graf nur einen Gau und. dann waren
Gau und Grafschaft identische Begriffe ^). , • '
Der Vorsteher dej^* Hundertschaft wird in der spätem
Zeit Centgraf und Centener, früher auch schon Centena-
rius und Centurio genannt. ' In Sachsen nannte man ihn Ga-
gra,f und Sqhuitheiss (abgeschliffen: Schulz), das Amt Ge-
schäft und Schultheissenthum'). Im Jahre 1069 wird eine
1) Amm. Marcellinas XXYIII. 5. Auch in DeiiUc^laod haben wir noch beute die
Bezeichnung Aeltesler in derselben Bedeutung, z. B. Kirchenäitester , d. h. Kir-
chenvorsleher,
2) In einem miUelalleriichen Gedichte heisst Gott — der Himmel- und Sata-
nas der Höllgraf.
3) Waitz, deutsche Verfass. Gesch. H. S. 322. Note 4. und Waitz, das alte Recht
der,salischen Franken. S. ^83 ff, ,
4) Hi^t. Langobardor. V. 36.
5) in pago illo , in 'grafia illa, in Iqco (Marcwlf. formul. appeod.. ap. Canciaoi,
Leg. Barbar. H. p. 250.); in grafia ilia super .fluujam illum. (ibid. p. 262).
6) 970: ,^in pago et comitatq H"Qingessundra, cui Immat comes praeeisse vide-
tur". Höfer, Zeilschr. IL S. 347.
7) S. den Sachsenspiegel,
301
sächsische Grafschaft „cum sculdaciis, quas Saxones Sculddiam vo-
cant" vergeben*). Diese Bezeichnung nahmen die Langobarden
mit nach Italien , ein Zeugniss für ihr hohes Alter. P. Diaco-
nus*> sagt: „rector loci illius, quem Sculda his lingua propiia
(in langobardischer Sprache) dicunt", und Gastal dus ist nur
die spätere Umformui^g in der italienischen Sprache^). Auch
im südlichen Deutschland war die Bezeichnung Schultheiss ge-
bräuchlich und eine Schweizer Urkunde bedient sich „sculdasia"
und „centena" als gleichbedeutender Worte*).
Dass diese verschiedenen Titel nicht verschiedene Stellun-
gen bezeichneten, dafür geben die spätem Urkunden zahlreiche
Belege. So nennt sich Heinrich Hesse von 1384 — 1390 bald
Schultheiss , bald Centgraf, bald Amtmann zu Hungen *). Eben-
so kommt Hunno vor und zwar an der Mosel und am Nieder-
rhein, der demselben untergebene Bezirk aber wird Hunschaft
genannt®).
Andere Bezeichnungen sind Judex, Tribunus und Tun -
ginus, aber auch der einfache Titel Graf findet sich nicht
selten in derselben Bedeutung. Man erkennt dieses schon aus
der oft einer Handlung beiwohnenden grossen Zahl von Grafen,
welche unmöglich sämmtlich wirkliche Gaugrafen sein konnten.
Im Jahre 890 wird z. B. „in pago Quinzingouue in comitatu Hu-
nolfi" eine Mark von sieben Grafen (comites) und vielen . andern
Personen umgangen, unter' denen der. genannte Gaugraf selbst
aber nicht war''). Unmöglich konnten diese Grafen etwas an-
deres als die Centgrafen der jene Mark berührenden Centen sein.
Dasselbe ist sicher auch mit vier 959 im Sundergau aufgeführ-
ten Grafen der Fall*) und sogar in dem kleinen sächsischen
Wetigau finden sich 889 drei Grafschaften*). Dasselbe finden
fC^^CR
J) LfiiUzel, die ältere Diözese Hildesbeim. S. 368.
2) VI, 24.
3) S. Henschel , 1. c III. 490 ff.
4) ^Ab ipsa centena et scaldasia Curiense'S Mohr , Archiv für die tSesch. Graa-
bündens. S. 79. Weitere Beispiele gibt Waitz , Deutsche Verfassgs-Gesch. II, S, 307 ff.
5) Baur, ürkbch..d. Klosters Arnsburg nr. 1071, 1072 u. 1095.
6) 1311 : „ . . . quod parocbiani de Kanincsvelt — cum suo Hunone'S Giid. c. d.
p. 1005 etc. Siehe oben S. 192.
7) Bied , Chr. dipi. Episc. Batisp. I. p« 72..
8) Ibid. p. 98.
9) „ In pago Huueitago in comitatibus Ecberti et Beithardi et Herimanni.'* Erbard,
Cod. dipl. Westph. nr. 38.
302
wir auch noch tn weit späterer Zeit 0. Endlich werden die Cent-
grafen auch als Vicarii bezeichnet. Ich führe hierfür nur ^e
bekannte Stelle des Walfifricd Strabo an^): „Porro sicut comites
quidam missos suos praeponunt popularibus, qui minores causas
determinent, ipsis maiora reservent, ita quidem episcopi chore-
piscopus habent. — Centenarii qui et centuriones et vicarii,
qui per pagos statuti sunt, presbyteris plebei^ qui baptistnales
ecclesias tenent , et minoribus praesunt presbyteris , conferri
*
queunt. Decuriones et decani qui sub ipsis vicariis quaedam mi-
nora exercent, minoritus presbyteris titulorum possunt corapa-
rari. Sub ipsis ministris centenariorum sunt adhuc minores, qui
coUectarii, quatemiones et duumviri possunt appellari, qui colli-
gunt populum et ipso numero ostendunt, se decanis esse mino-
,res. Sunt autem ista vocabula ab antiquitate mutuata etc."
Diese Stelle zeigt uns zugleich zwei Bezeichnungen für den
Vorsteher der Bauerschaft: De curia und Decanus. Beide
, Titel kommen häufig in den alten Volksgesetzen vor, und alte
Glossen übersetzen decanus duych Zehaning (plur. Zehanin-
gari) ^), und noch im spätem Mittelalter begegnen wir in Nieder-
sachsen einer dem decanus wörtlich . entsprechenden deutschen
Bezeichnung T«geder d. i. Zehntner*). Dieselbe Bedeutung
hat auch Tungin us. Das salische Gesetzbuch nennt neben
dem Centenarius stets auch den Tunginus und nur tit.- 50. fin-
det sich der. letztere allein und daselbst auch ein >,Gravio loci".
Die Glossen geben für Tunginus — villae praefectus oder
judex*). Das langobardische Gesetzbuch braucht Saltariusund.
Saltuariuis, Sculdasius, Judex und Decanus als gleichbe-
deutende Bezeichnungen*). Urkunden nennen auch Provisores
villarum?) und Primarii de villi s®). Noch 1384 nennt eine
1) Im Jabr 1251 wird „in jiidicio EbesdorfT, coram Conrado iudice diclo Cooite'
eine gerichl^che Handlung vorgenommen. Or. Urk.
2) Walafridus Strabo, de exordiis rerum eccliesiar, c, 31. bei Eckart, Leg. Franc.
Saf. p. 234.
3) Graff, Sprachscbatz V. 630.
4) Sacbsse a. a. 0. ß. 280 u. 281.
5) Heoscbel I. c. VI. p. 696.
6) „Tone decanos aut sallarias, qai in loco ordinatus faeril." L. I. tit. 25. c. 50.
„Garant sculdasii, decani, saltarii vel loco praepositi". tit. 25. c. 73. — „Sl qais jo^^^
aut sculdais aut sallarius vel deeanus de loco, ubi arioli vel ariolae ^uerinl^S L.H't'
38. c. 2.
7) Henschel I. c. VI. 832.
8) Urk. von 1188. Scfaöpflin, Alsat. dipl. I. 211.
303
wormser Urkunde „ Justiciarios et Officiatos villanim" *). Der für den
Centenarius gebrauchte Titel Schultheiss kommt auch in Deutsch"
land häufig für den Decanus vor. Ein anderer ist Villicus *), obwohl
mit den Titeln Yillicus und Scultetus häufig auch der Vogt (advoca-
tus) des Herrenhofs bezeichnet wird. Deutsche, allerdings späteren
Zeiten angehörige, Bezeichnungen, sind: Dorfrichter^), Bauer-
richter, Bauermeister*), Burgemeister, Hagenmeister
(magister indaginis) *) , Burmeister*), Heimbürger oder
Heimbürge, welche zahlreich in Thüringen, M^issen''), Hessen*),
in derWetterau*), am Niederrhein ***), imElsass**) u.s.w. rorkom-
men. Im J. 1599 heisst es in einem Schriftstück aus Hessen: „die-
weil er Heimberger die Gemein zu regiren gehabt". Und endlich fin-
det man auch Graf oder Grebe, oder auch Dorfgrebe "),- wo-
für die lateinischen Urkunden einfach „comes" brauchen").
Wir sehen hieraus, dass ein und derselbe Titel nicht selten
bald für den Beamten eines obern, bald für den eines untern
Bezirkes gebraucht wird"), und man sich deshalb hüten muss, mit
derselben Bezeichnung immer auch ein und denselben Begriff
zu verbinden.
i) Schannat, Hist. Format. I. Prob. p. 42.
2) Der «von j 170:^1186 sich findende Orlsvorsland von Soest Hermann nennt
sich bald Sciilleliis bald Villicus. Wigand, Wcs(ph. Archiv VI. S. 172, 176, 179,
181, 183 u. 186.
3) 1300: „Apparuit etiam ex' priviiegiis rundatorum , ut bomines ecciesie sepe
dicte non coram pedicibos judicibus^ qni vulgo dicuntur Dorfrichter, sed coram
jüdicibns provinciarum^^ ihre Rechlsstreiligkeilen vorbringeq sollen. Mon. boica Vlii. 197.
4) Vorzüglich in Westpbalen. Grimm, Weisth. 111. 108, 122, 131 ff.
5) Nur im nördlichen Deutschland und auch da nur in den neu angelegten Ha-
gendörfern. Für Mecklenburg s. Lisch, Mecklenbg. Jahrb. VJ. 17.
6) Schon 1159 jenseits der Milde (Beckmann, Anhalt. Gesch. I. S, 154), so wie in
Thüringen und Meissen (Böttiger, Gesch. des Kurstaats u. Königreichs Sachsen I.S.134.)
7) Gebken, Grundsätze des Dorf* und Bauernrechls S. 22.
8) Eine ungedruckte Urk. von 1282 sagt: Wintherus Heimburge — ville Klein
cnm tota oniversitate Tillanornm suorom.
9) 1332: „Heynburgus.'' Baur, ükbch des Kl. Arnsbg. ur. 626 a. 1341 das. nr. 693.
10) Grimm, Weisth. III. S. 824.
11) Das. I. S. 707.
12) Mader, Nachr. über die Bg. Friedberg U. S. 9. Bernhard, Antiq. Wettera-
viae II. 79. /
13) 1258 stellte W. v. Holzheim dem „Theoderico comiti sao in Holzheim''
eine Urk. aus. Aehnlicbe Beispiele Hessen sich noch viele geben.
14) Viele Belege für die verschiedenen Bezeichnangen hat Waitz a. a. 0. I. S.
104. Note 4 tt. II. S. 304 ff. gesammelt.
'304
Ich habe absichtlich in dem Vorhergehenden gleich alle
altern und neüerij Bezeichnungen zusammengestellt, um mir eine
nochmahge Rückkehr zu denselben zu ersparen.
An dem Vorhandensein der Dekanie in Deutschland wird
wohl nun Niemand m.ehr zweifeln , denn oben habe ich ihr Ge-
biet und hier ihren Vorsteher nachgewiesen und nur für die
richterliche Gewalt des Dekans will ich noch einige Belege ge-
ben , weil wenigstens diese in Zweifel gestellt worden ist *). Es
kann freilich nicht geleugnet werden, dass aus der ältesten Zeit
keine Beweise dafür beizubringen sind , aber bei der allehthal-
beh hervortretenden unwandelbaren Stetigkeit der alten Verfas-
sung, bei den durch alle Jahrhunderte wenigstens in ihrem Ge-
rüste sicli gleich bleibenden Formen derselben, lassen sich diese
auch insofern entbehren, als denselben Zweck auch jüngere Be-
lege erfüllen. Das Gericht des Dekans sehen wir nämlich im
spätem Mittelalter in dem Dorf- oder Kirchgericht.
*Im J. 1269 verzichtete Graf Werner von Leonsberg auf al-
les Recht: „super iu diclo ville in Marchelchoven, quod
vulgariterdicitur Dorf ge rieht sive Chirchgericht^* und be-
hält sich nur aus „iudicie comitie, quod extra dictam villam
in generali suo placito consuevit ha'beri in publicö suo consisto-
rio, quod Schranne vulgariter nuncupatur" ^). Eine Urkunde von
1286 nennt das Dorfgericht „Judicium villanum" ^). , In einer Ur-
kunde von 1209 kommt ein westphälischer Hof vor „cum civile
jure, quod vulgariter Burgerichte dlcitur"*). Ganz dasselbe
ist das sich anderwärts findende Schul zengericht^),
Allerdings kommt dieses unterste Gericht in den Urkunden
nur sehr selten in seinem Verhältnisse zu den beiden oberen
Gerichten vor und e§ ist mir nur ein Fall der Art bekannt. Im
Jahre 1367 heisst es nämlich vom Dorfe Godeland im Kirchspiel
Neumünster: „videlicet Judicium malus,, medius et minus,
1) Wailz a. a. 0. 11. S. 310.
2) Ried, Chron. diplom. episcop. Ratispbn. I p. 512.
3) Moii. boica VI. 545.
4) Kindlinger, Gesch. der Hörigkeit S. 283. 1331: „in jadicio ville ibidem, quod
proprie dicitnr Burrichle ", Niescrl, Beilr. il. 361.
5) Lisch, Mecklenbg. Jahrb. IX. S. 92, 93, 274. lieber die Dorfgerichle vergl.
auch Riedel, die Mark Brandenburg' II. 537.
colli et manus^'^). Seiner Natur nach war es gewisserfnassen
nur ein Polizeigericht N^ch dem sächsiechen Landreeht (L. 11.
Art. 13.) hatte der Bauermeister das Gericht über Diebstähle
unter 3 Sahill., falsches Gemäss und Gewicht , betrüglichen Kauf
und Verletzungen des Gemeindeguts (III. 86.). Die Heimbürgeh
im Gericht Rorbach (in Hessen) konnten über alle unter 5 Schill,
betragende Klagen richten^).
Aehnlich wie bei den Deutschen sind auch die Bezeichnung
gen der Volksvorstande bei* andern Völkern.
Bei dfen Norwegen ist der Jarl (senior) der Vorstand des
Fylki, der Herair derdesHerads und der Qld ermann der der
Dorfgemeinde.' Optimates, seniores, proceres, principes, prima-
tes, praefecti, eoinites sind sämmtlich Bezeichnungen, mit wel^
chen *die Angelsachsen ihre Vorgesetzten belegten , während
die eigene Sprache dafür Ealdormannen oder später Earl,
auch wohl Wita oder Weota (Consiliarii) dafür brauchte. Aus-
serdem bedienten sie sich aber auch des Wortes Greve oder Ge-
refe in derselben allgemeinen Bedeutung, wie dieses in Deutsch^
land der Fall war. Deutlich spricht sich darüber die folgende
Stelle aus den Gesetzen Eduards aus'): „Greve quoque nomen
est potestatis, Latinorum lingua nihil expressius sonat quam
prefectura, quoniam hoc vocabulum adeo multipliciter disten-
ditur, quod de Scira, de Wapentachis, de Hundredis, d^ Burgiiä
etiam de villis Greve vocetur. " Der Shiregerefe ist der
Vorstand der Shire, der Hundredes Ealdor und Wapen-
tachgerefe der Vorstand der Hundrede, und der Tungerefe
der des Dorfes. Dasselbe finden, wir auch in Gallien: comites
oder grafiones, centenarii oder vicarii, und decani*).
Wie die Eintheilung der auf erobertem Gebiete errichteten
1) Michelseo, Schleswig-, Holstein-, Laaenbargiscfae UrkundensammlaRg L S;
248 0. 249.
2) Grimm, Weislh. III. 328.
3) Leg. Edowardi Reg. Angl. cap. 85 bei Wilkins, Leg. Anglo-Saxonicae p. 204.
4) S. oben S. 800 f. — Was oamenthch den decanus belrifll, den die französischen
SehrifUUller für Frankreich ia Abrede stellen , so kommt ders»elbe doch so bestimmt,
namenttich in der Gäterbescbneibung der Abtei St. Geraiain, vor („Giuroldus colonc»
et decanus; Uifardus coionus et junior decaatisr} Walateua deesniis ^osdcni vitle;
Aimandus, coionus et decanus, homo Sti Germani, tenet mansiim ingenuilem. Nihil
solvit propler servitium, qnod previdet'*. Polyptique etc. JI. p. 85, 149, 200 flf), dass
ich nicht einsehe, wie Gäurard diese Beaoitea für geiröfaaMcfce Wirthscbaftsbeamte,
Meier der Klösterhöfe, halten kann.
Landau. Territorien. 20-
Marken nar in den Namen sich von den Gauen des deutschen
Bodens unterschied, so war dieses auch mit den Beamten der
Fall, welchen die Verwaltung derselben anvertraut war. An
der Spitze, eines solchen Gesammtgebiets stand ein Markgraf,
lateinisch Mar cho, auch comes terminalis, custos limi-
tis u. s. w. genannt, und schon aus diesen Bezeichnungen geht
seine vorzugsweise kriegerische Stellung hervor: er hatte die
(Jränzen des Reichs zu öichem. Im Uebrigen hatte er jedoch
ganz dieselbe Stellung, welche der Gaugraf im innem Lande
einnahm, denn wie in dieser so vereinigte- sich auch in jener
die militärische mit der Civilgewalt. Nur insofern war ein we-
sentlicher Unterschied zwischen beiden, dass der Graf, wenig-
stens zur Zeit Karl des Grossen, nur einen Gau unter sich
hatte, die Mark des Markgrafen hingegen in der Regel aus' meh-
reren Gauen zusammengesetzt war.
Unter dem Markgrafen standen die den Centgrafen entspre-
chenden Burggrafen, cästellani, nur dass auch die ihnen
obliegenden Pflichten wieder vorzugsweise militärischer Natur wa-
ren. Als König Arnolph seinem Diener Heimo im Gau Grunz-
viti mit Zustimmung des Markgrafen einen Bezirk überliess, gab
er ihm zugleich auch die Gerichtsbarkeit darin: „ad publicum iam
fati comitis mallum scihcet idem Heimo seu vicarlus eius legem
ac iustitiam exigendam vel perpetrandam pergat; et si forsitaü
de Moravorum regho aliquis causa iusticie supervenerit, si tale
quidlibet, quod ipse Heimo vel advocatus eius corrigere quive-
rit, eiusdem iudicio potenter finiatur *) ". Die Vorstände der Dör-
fer, die decani, wurden dagegen entweder nach deutscher Weise
Schultheissen genannt oder behielten auch wohl die slavi-
sche Bezeichnung bei, hin und wieder sogar noch bis in neuere
Zeit, wie es namentlich in Meissen und Oesterreich der Fall
war ^).
Die Vorsteher der auf slavischem Boden errichteten Mar-
ken führen uns zu den slavischen Häuptlingen. Auch die sla-
vischen Häuptlinge findet nian in einer dreifachen Stufenfolge,
obwohl diese erst in weit späterer Zeit als bei den Deutschen
sichtbar wird. Prokop (lO.Jahrh.) sagt: „Principes hi populiha-
bent nuUos, praeter Sujpanos senes (oder wie Heinrich der
1) Nachr. von Javavia Beü.S. 113 o. 119.
2) Schlözer, Nestor II. S. 31,5 u. Hl. S. 21.
S07
Lette sagt : „ seniores et majores natu '0 sicutl et caeteri Slavici
populi eandem rei publicae formam seruant^)'^ Es werden dem-
nach diese Häuptlinge, ganz wie dieses auch bei andern Völkern
gebräuchlich ist, die Aeltesten genannt und noch insbesondere
mit dem slavischen Namen S u p s^n e belegt. Auch das böhmische
Zudar bezeichnet dasselbe. Diese bei allen slavischen Stäm-
men üblichen Titel gehörten liicht blos den obem, sondern ebenso
auch den untersten Häuptlingen^), und noch heute sehen wir
den Supan im Bannus von Kroatien, sowie in den ungarischen
Spannen (comites) fortbestehen ^). Auch in ihnen war das Rich-
teramt mit dem des Kriegführers verknüpft, wozu sich, wie in
Skandinavien, auch noch die priesterliche Würde gesellte*).
Der Vorstand der Kastellane!, der Castellanus oder
Burggraf, wird bald comesbald praefectus/), auch wohl
primas genannt. Der Titel comes erscheint indess mehr als
eine persönliche, denn als eine Ajntsbezeichnung, z. B. comes
Johannes, castellanus de Bardo.
Der unterste Beamte war der Dorfs upan, derselbe, wel-
cher in den germanisirten Bezirken auch Schulze (Scbult-
heiss) genannt wird. Eine Urkunde von 1181 sagt ausdrück-
lich: „seniores villarum, quos Lingua sua vocant Supanos*)".
Im Jahre 1289 wird dem Klöster Buch vom Burggrafen von
Meissen , auf die Güter zu Kiebitz „ unum suppanum " einzuse-
tzen bewilligt und dabei zugleich der übrigen Supane (Suppano-
rum nostrorum numerus) des Burggrafen-Bezirks gedacht ''). Der
1) Procop. de Administrat. Imper. 87.
2) König Prmysl von Böhmeo bestimmte die Rechte „sapanoram provinciae
Znoymensis^' und ebenso König Ottokar die Rechte „zupanorum etmobilium om-
nium atque valgo toliiis provinciae Brnnnensis" (Boczek, Cod. dipl. Morov. H. p. 140
n. 29Q.) Ebenso beisst es in einer böhmischen Urkunde: „ad presentiam Czada-
riorum seu beneficiariorum dislrictus Lolomiericensis cilaveront et citare procorave*
i'unl *S (AbbaadluDgen der k. böhm. Geselisch. der Wissensch. Fünfter Folge 5r. Band
S. 21h)
3) Im J. 1484 nennt sich der Obergespann von Pressborg : „ Comes perpetnus
Possoniensis ** , und in einer andern Urk. „ Spann zu Pre^borg 'S Worb , Neues Ar-
chiv S. 165 0. 186.
4) Bulgarin, Rassland, übersetzt von Brackel I. S. 285.
5) Vergleiche die Urkunden bei Boczek 1. c. nr. 315 u. 821, f in welchen diesel-
ben Personen, das einemal unter dem ersten, das anderemal unter dem zvreiten Titel
auftreten.
6) MSrker, das Bnrggrafenihum Meissen S. 133.
7) Da». S. 27. .
20*
SM
StipÄn hatte nur in geringeren Sachen zu erkennen *), weshalb pol-
nische Urkunden auch von judices inferiores und subjudices
reden *). Ueberhaupt unterliegt auch die richtierliche Gewalt des
slavischen Dorfsupans keinem Zweifel^); er war zugleich Schöpfe
in dem Gerichte des Kastellaiis *) , und wahrscheinlich ist der in
den Urkunden zuweilen sich findende Tribunus derselbe Be-
amte*). Bei den Russen heisst er Starschina, d. i. der Ael-
teste, bei den Tartaren Wuiberen, d. i. der Gewählte*).
Tacitus nennt alle diese Vorstände, wenigstens die oberen,
Principes, eine Bezeichnung, welche auch noch im Mittelalter die
Herzöge und Grafen erhalten ''), und die g&,nz dem deutschen Worte
Häuptlinge entspricht, welches bei den Friesen nach ge^en
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gebräuchlich war®), ebenso
Wie das Wort Fürst, dessen ursprünglicher Sinn — Furisto
-primus®) — sich nur mehr verwischt hat. 'facitus sagt: In
den Versammlungen, in welchen Recht gesprochen wird, wer-
den auch die principes gewählt, welche „per pagosvicosque" das
Recht zu üben haben. Wir sehen dieses noch bei den SachseD.
bei denen sich die ^Ite Verfassung am längsten erhielt. Nach-
dem Hucbald iA seiner Vita Sfr. Lebuini *®) von den Ständen ge-
sprochen, in welche sich das sächsische Volk theilte, berichtet
er weiter: „Prosuo vero libitu, consilio quoque üt feibi videba-
tur prudenti , singulis pagiö principes praeerant Singuli ".
Beide Stellen reden, wie man sieht, ganz allgemein, ja
Tacitus sagt sogar, dass die Häuptlinge, welche ,>per pagos \i-
1) Vom Supan zu Merliz heisst es 1360: „qai tribus vicibus in. anno pro tribas
jBdiciis in eadera villa habendis procurare debet^^ Das.
2) Röppel, Gescb. Polens S. 326 a. 327.
< 3) S. in ßezug auf Pommern: Barlbold, Geseh. von Pofnmern u. Rügen |U. 'l^^y
auf Böhmen : Paiacky a* a. 0. S. 37., anf Polen: Röppel a. a."0. S. 575.
■ 4) Marker a. a. 0. S. 135,.
5) Cod« dipl. Pommer. nr. 145. Dreger, Cod. dipl. Pomraer. I. nr. £9.
6) V. Haxthausen, Studien elc. I. S. 491.
7) : « . « „In preseMia Ludovici dncis Bawariae, Ubi principes aderant, vide-
licet comes Ditricus de Wazzerburc et comes Heinricns de Miltersele, ^fgboto comes
de Niwnbnrth". Mon. boica fll. p, 557. -
8) Hovetlinge. Kindlinger, ^«nsUrsohe Beiträge JI. U. S^ 351. Aach Snorri
SlbrlBSon bat dieselbe Bezeichnung : Höfdinga^r. S. seine Vorred« zur Saga von den Kö-
olgien ood 4ie ^aga Härallds d«r Haarsobönen Kap. 2 a. 10. Sogar- 4ie -FOlirer römi-
scher Heere nennt er Bumveria höfdingar. Saga von den Ynglingen. Kap. 5.
9) Grimm , B. A. S. 230. -
10) Pertz 1. c. 11. p. 361.
«00
cosque ** das Recht zu sprechen gehabt, gewählt worden seien.
Man muss hieran» schliessen, dass so lange die Häuptlings- Ver-
fassung bestanden, denn nur von dieser Periode kann hier die
Rede sein, sowohl die obem als die untern Häuptlinge ihre Wür-
den durch die Wahl des Volkes empfangen haben.' Es ist je-
doch möglich und, wie mir es scheint, auch der Natur der Ver-
hältnisse entsprechend, dass dem obem Häuptlinge eine Art von
Bestätigungsrecht, des ihm untergeordneten. Häuptlings zustand,
lieber minder wichtige Angelegenheiten berathschlagten —
nach Tacitus — die Principes allein, über wichtigere Dinge aber
Alle, doch so, dass auch über das, worüber dem Volke (plebs)
die Entscheidung zustand, eine Vorberathung der Prindpes vor.
ausging.
Die einzelnen Gauhäuptlinge ein und desselben Volkes
standen unabhängig neben einander und nur die jährliche die
einzelnen Gaue zu einem Ganzen verbindende grosse Volksver-
sammlung stand über ihnen. Erst im Falle eines gemeinsamen
Volkskrieges trat ein anderes Verhältniss ein. Schon Cäsar*)
sagt, wenn ein Volk (civitas) in Krieg verwickelt , werde , werde
zu dessen Leitung eine Obrigkeit (magistratus) gewählt mit dem
Rechte über Leben und Tod. Eine solche Stellung hatte Liscus
unter den Aeduern , „ qui — heisst es bei Cäsar *) — summo
magistratu praeerat, quem Vergobretum adpellant Aedui, qui
creatur annuus et vitae necisque in suos habet potestatem ".'
Dasselbe bezeugt Tacitus^), indem er berichtet, dass bei der
Feldhermwahl lediglich auf Tapferkeit gesehen werde. Und
mit beiden stimmt im Allgemeinen Be^a*) überein, wenn er
von den Sachsen erzählt, dieselben hätten zwar keinen gemein-
samen König, für den Fall eines Krieges aber loösteu sie, und
welchen das Loos treffe', dem folgten sie für die Zeit des Krie-
ges als ihrem Herzoge, und gehorchten seinen Befehlen; sobald
aber ^^t Ktieg beendet sei; trete wieder der gewöhnliche Zu-
stand ein. Auch Widukind^) berichtet: Wenn ein allgemeiner
Krieg drohe, werde Einer durch das Loos zu dessen Leitung
erwählt, dem Alle gehorchten.
i) Caesar. De hello gall. VI. 23.
2) Caesar 1. c. I. 16.
3) GeriDan. c. 7.
4) Bist. ecci. V. 10.
5) Hist. SaxoD. I, 14.
aio
Per Herzog hatte in der ältesten Verfassung demnach nur
eine vorübergehende Grewalt. Ein solcher Heerführer war Armi-
nius, und später in dem sächsischen Kriege Widekind. Zuwei-
len scheinen aber auch zwei gewählt worden zu sein. In der
alemannischen Schlacht bei Strassburg hatten die beiden Könige
Chnodomar und Serapio augenscheinlich gemeinsam die herzog-
liche Gewalt : „ Ductabant autem populos omnes pugnaces et
saeuos Chnodomarius et Serapio, potestate excelsiores
antealios reges ^)". Auch die Afghanen wählen für den Krieg
einfen Heerführer mit diktatorischer Gewalt, dem sogar der Kö-
nig (Chan) seine Herrschaft abtritt*).
Schon oben habe ich von dem Gefolge geredet und zwei
Arten desselben als wesentlich verschiedet bezeichnet. Ueber
das eine habe ich bereits gesprochen, über die andere Gefolgs-
art will ich mich hier verbreiten. Tacitus ^) sagt , wo er von
der richterlichen Thätigkeit der HäuJ)tlinge (principes) redet:
„ Centeni comites ex plebe comites consilium simul auctoritas
adsunt". Man hat diese Worte meist nach ihrem wörtlichen
Sinne aufgefasst, wonach also jeder Princeps von hundert Be-
gleitern umgeben gewesen sei. Aber wo, fra^e ich, findet sich
für eine solche Auffassung in der ganzen Verfassungs-Gesehichte
auch nur ein Stützpunkt? Und gewiss ist dieses auch nicht
der Sinn, es tritt uns vielmehr hier wiederum eine gleiche Ver-
wechselung eines Namens mit einer Zahl entgegen , wie solche
schon oben nachgewiesen worden ist. Die „centeni comites"
sind die Hundari, die Centenarien. Nur so gewinnt die Stelle
einen den Verhältnissen sich anschliessenden und denselben völ-
lig entsprechenden Begriff. Auf eine solche Auffassung weist
auch schon ' die für alle Häuptlinge ohne Unterschied noch to
in späte Zeit übliche lateinische Bezeichnung Com es hin. In
einer Urkunde von 825 heisst es: „factus est publtcus conven-
tus Popponis comitis et totius comitatus"*). Zwei Jähre später
aber findet sich derselbe Graf „et majores natu de comitatu ejus",
von denen dreizehn namentlich aufgeführt werden *). Die Gros-
sen des Gaues bildeten also das Komitat. Diese konnten aber
1) Am. Marcell. XVII. 12.
2) Wilke a. a. 0. S. 246.
8) Gerroan. c. 12.
4) Dronke, Cod. dipl. Fald. Dr. 456.
6) Ibid. nr. 471.
Sil
Niemand anders sein , als die . Unterhäuptiinge , denn alle wer-
den ja als Co mit es genannt, und in ihrer Gesammtheit treten
sie als Comitatus auf. Es hatten also die Gauhäuptlinge die
Centgrafen, die Centgrafen die Dekane als amtliche Umgebung und
bei ihren Amtshandlungen dienten dieselben als Bathgeber und
Gehülfen. Aus diesem Grunde werden die Centenarien auch V i -
carii oder Viceconiites des Grafen genannt. Dieselben waren
die gesetzlichen Vertreter des Gauhäuptlings für den Fall dessen
Verhinderung, der aber erst nach der Bildung des* Königthums
selbst Comes wurde *). Eine der oben erwähnten ganz gleiche
Verwechselung findet sich auch im 6. Kap. des Taoitus, wo
von der germanischen Schlachtordnung die Rede ist. Reiter
und Fusskämpfer stritten untermischt, sagt Tacitus, und diese •
Fusskämpfer seien „ ex omni juventate *' erwählt und „ante
aciem locant. Definitur et numerus. Qenteni ex singulis pagis
sunt: idque inter suos vocantur: et quod primo numerus fuit,
iam nomen et honor est ". Schon diese Worte an und für sich
weisen auf ein Missverständniss hin. Reiter und Fussvolk käm-
pfen untermischt, und dennoch steht eine zu diesem Zwecke
aus der Jugend auserlesene Schaar von Fusskämpfern , je 100
aus jedem Gaue, vor det* Schlachtordnung, und trotz dem ist'
diese Zahl doch nur noch Name und Würde. Wie ist dieses
möglich? Es sind hier augenscheinlich zwei durchaus verschie-
dene, Dinge unter einander gemengt, und dabei, wie in den frü-
her erwähnten Stellen, auch hier zugleich ein Name mit einer
Zahl verwechselt worden. Soll ein Sinn in, diese Schilderung
kommen, dann ist sie nur so zu verstehen: für jenen vermisch-
ten Kampf werden die Fusskämpfer, welche die Reiter unter-
stützen sollen, aus der Tugend des Gaues gewählt; vor der
Schlachtordnung stehen aber die Häuptlinge der Centen, die Cen-
tenarien, und führen und befehligen die Schaaren ihres Bezirks*).
Die Centenarien bildeten also den gesetzlichen Beirath des Gra-
fen, denn Tacitus sagt ausdrücklich, dass ihre Bestimmung sei,
dem Häupthnge mit Rath beizustehen und ihm Ansehen zu ver-
schaffen. Täuscht nicht Alles, so geschah dieses, indem sie dem
1) Deshalb sagt der König anch „principes mei*' (Keroble I. p. 215), „optimates
mei" (ibid. 11. p. 8i) „und diese selbst nennen sich „comites regis** (ibid. I. p. 52. a. 202).
2) So entspricht die gemischte Kampfweise auch dem, was CAsar B«ll. Gall. I,
48 daröber mittheilt.
1
Gai^erichte als Schöpfen , (in den altem Quellen auch BacliiD>
hnrgen und Sagiharone genannt) ^) beiwohnten ; in d^rdelben Ei-
genschaft erschienen dann aber sicher auch die Dekane in dem
Qerichte des Centenars. Einen Beleg für diese Auffassung gibt
die Urkunde über die Einsetzung des Grafen Trutmann über
Westphalen. Darin heisst es nämlich: „Quapropter in illa parte
Saxoniae Trutmannum yirum illustrem ibidem comitem ordina-
naus, ut — super vicarios et scabinos, quos sub se habet, dili-
genter inquirat^'j. Hier erscheinen die Schöpfen als den Vika-
rien untergeordnete Beamte, und können deshalb nur die Dekane
sein. In einer ähnlichen Weise finden wir sie «in einer Urkunde
von 1004: „Dux, Marchio, Comes, Vicecomes, Sculdasio, Sca-
piaseu aliqua magna vel parva pers,ona"*); in einer lango-
bardischen Urkunde werden die Scabinen sogar, ausdrüokUch zu
den Gastalden gezählt : „ Quae in praesentia Supponi comitis,
ac Benedict!, Hilpiani et Ansfredi castaldorum caeterorumque sca-
binorum — acta fuerant"*), und auch in späterer Zeit sehen
wir die Schöpfen des obersten Gerichts vorzugsweise aus den
Centgrafen bestehen.
In der eben gegebenen Schilderung liegen die einfachen
Umrisse der ältesten Verfassung, lii jedem Häuptlinge vereinigt
sich' die richterliche Würde mit der des Kriegsfübrers für seinen
Bezirk, ganz wie wir dieses auch bei den arabischen Stammes-
fürstenv sehen. Bei einzelnen Völkern verbindet sich damit noch
die priesterliche Würde, besonders bei den skandinavischen, was
bei den germanischen dagegen wenigsten nicht mit Sicherheit
nachweisbar ist. Die Gewalt dieser Häuptlinge ist eine sehr be-
schränkte, denn die höchste Gewalt liegt stets in der Volksver-
sammlung; was diese beschliesst, haben jene auszuführen.
Neben dieser ältesten Verfassung zeigt uns aber Tacitus
auch schon ein germanisches Königthum und beide sehen wir
lange neben einander bestehen.
1) Oass diese Nameo wirklich nur die GericbUbeisitzer, die eigenUicben Urtbeils-
sprecher, bezeichnen, ergibt sich schon sos einer Vergleichung des, sai. und rip. Ge-
setzes. S. die bei Henschel 1. c. V. p* 574 o. VI. p. 22 gesammelten Steilen. S. aacii
Wtiske , Grmidlagen dor fröhera VerCassong Teutschlands S, 72 ff.
2) Waller, CiDirp. jnr. German, H. X03.
.8) MoQ. hoica XI. 183.
4) Henschel 1. c. VI. 80.
^
818
I
i
\
Um beide, jtoe alte Häuptlings -Verfassung un4 das Kö*
nigthum, zu unterscheiden, darf indessen nicht der Namen als
Merkmal dienen. Wie die isländischen Worte Köng, Kon und
Konung überhaupt jeden Mann von vornehmem Geschlechte
bezeichnen, so wurde von den Nordländern jeder selbstständige
Anführer König genannt. Wie der Anführer zu Land — Heer-
könig, so war der zur See — Seekönig. «Von den letztern
— sagt Snorri Sturluson — waren viele , welche über viele, I^eute
walteten und keine Lande hatten; der allein dünkte mit vol-
lem Rechte Seekönig (Wigkineg) heissen zu können, welcher
niemals unter russigem Balken schlief und niemals aus dem
Heerhorne trank*). Dem entsprechend nennt Ammian. Marcel-
Unus den fränkischen Herzog Mellobaudes „rex belUcosus"*).
Ebenso hat das altdeutsche, auch in vielen andern nicht ger-
manischen Sprachen äich findende, Regln (gälisch: Righ, let-
tisch und altpreuss. : Reikis u. s. w.) die allgemeine Bedeutung
von: Götter, Herrscher und Richter^).
Deshalb werden auch jene einfachen Gauhäuptlinge, die
Principes des Tacitus, häufig Konige genannt Schon die älteste
Geschichte zeigt uns dieses. Ich will nur an die 30 — 40 Könige
erinnern, unter welchen die Amoriter lebten, als die Hebräer in
Palästina eindrangen. Diesen völlig gleich sind die alemanni-
schen Reges, von welchen Am. Marcellinus öfters redet; diesel-
ben sind ebenfalls nichts anderes als Gauhäuptlinge, denn ihre
Reiche waren nur einzelne Gaue *) , und wenn derselbe Schrift-
steller auch sogar von Upterkönigen (subreguli) spricht, so las-
sen sich hierunter keine anderen Personen erkennen, als die
Centenarien ; ja er nennt sogar daneben noch Judices , und kann
darunter nur die Vorsteher von Zehntschaften verstehen^). Die-
selben Verhältnisse erblicken wir in weit späterer Zeit in Eng-
land und ebenso in Skandinavien. Dort in Norwegen hat jedes
1) Ynglingen Saga. Kap. 34* Noch 1343 findet sich in einer nordischen Urkunde
„ErlJDgus Vidkunni.^* Torfseus, Hislor. Norweg. IV. 470.
2) Am. Marceil. XXX , 4.
3) Vergl. überhaupt Griram, B. A. S. 231.
4) Creuzer, znr Gesch. allröm. Giiltur am Oberrbein u. Neckar. S. 7. Staelin,
Gesch. Wörtembergs, I. S. 124 n. 125.
5) 358 : „Qaorum Agilmundus subregulus, aliiqiie optimales et judice^ va-
riis popnlis praeaidenles". Am. Marceil. XVlJ , 12. Auch XVIil. 2,
SU
Fylki einen König. In Esthland, erzählt Boewulf, seien viele
Städte und jede Stadt habe einen König *).
Das eigentliche Königthum ist etwas anderes. Schon Ma-
robod's und ebenso Ermanrich's Königthum lässt uns den Un-
terschied erkennen: es ist eine Oberherrschaft über ein ganzes
Volk, eine höhere über den sämmtlichen Gaukönigen stehende
Gewalt. , Umschlöss eine solche Oberherrschaft auch im Anfange
nicht immer ein ganzes Volk, so drängten die innem Verhält-
nisse doch später, stets zu einer Einheit. Fragt man über die
Entstehung dieses OberkÖnigthums die Geschichte , so zeigt uns
diese mehrere wesentlich verschiedene Quellen , aus welchen das
selbe hervorging.
Die am wenigsten gewaltsame Gründung erfolgte' wohl da,
wo der Häupthng des Gaues, welcher die Nationalmalstätte ent-
hielt, sein ohnehin schon höheres Ansehen benutzte und sich
über die Häuptlinge der übrigen Gaue eine höhere Herrschaft
verschaffte. Doch ist mir kein Beispiel bekannt, dass irgendwo
ein Oberkönigthum sich auf diesem Wege einer allmäligen Ent-
wicklung ausgebildet habe. Das schwedische Oberkönigthum
erhob sich aus Verrath und Blut, denn Ingiald lUrada, der König
in Upsala, gelangte nur dadurch zur Alleinherrschaft,' dass er
die übrigen schwedischen Könige zu sich einlud und sie dann
Schmählich verbrannte.
Zuweilen mag auch eine lang andauernde herzogliche Würde
• zur Königsherrschaft geführt haben. Auf diesem Wege scheint
Orgetorix zur Alleinherrschaft gestrebt zu haben ^), und nicht
anders scheint es mit Armin der Fall gewesen zu sein. Ar-
min, erzählt "Tacitus, strebte nach dem Königthum, d. h. er
versuchte die übrigen Gauhäuptlinge seines Volkes sich unter-
zuordnen, sicher durch seine herzogliche" Gewalt da^u verleitet,
und ging in diesem Streben unter, denn seine eigenen Verwand-
ten, gewiss Niemand anderes als eben jene Gauhäüptlinge, über
die er sich stellen wollte, schafflen ihn hinterlistig aus dem
Wege (dolo propinquorum cecidit) ^),
Wohl selten mag sich die Bildung deis Königthums in der
1) Dahhnann, Forschangen auf dem Gebiet der Gescbichle I. S. 428.
2) Caesar, Bell. Gall.I, 2.
3) Tacitas, Ann. II, 88.
315
f
Weise wiederhalt haben, wie diese sich in der 'Geschichte der
Cherusker zeigt. Die ' innern Kriege hatten die Familiefi der
cheruskischen Häuptlinge (nobiles) bis auf den in Rom bebenden
Italicus, einen Bruderssohn des Arminius, vernichtet, und die
Cherusker erbaten sich <ieshalb diesen letzten Sprossen ihres
Königsstamms von Rom zum Könige *).
Früher hatten die Cherusker keinen König, sondern jedem
ihrer Gaue stand ein Häuptling vor; Arminius hatte zwar nach
einer Königsherrschaft gestrebt, d. h. er hatte sich über diese
Häuptlinge aufschwingen wollen, war aber in diesem Vorhaben
gescheitert. Jetzt aber waren alle direse Häuptlinge aus dem
alten Stamme bis auf Italicus verschwunden, und indem dieser
der einzige war, ergab sich da« Königthum von selbst, denn er
als der einzige trat als Alleinwalter über das gesammte Volk
und wohl erst durch ihn erhielten die einzelnen Gaue wieder
neue Häuptlinge oder vielmehr königliche Beamte.
Sehr häufig ging das Königthum aus dem Gefolge hervor.
Der kühne Führer zieht mit einem Haufen Getreuer aus, auf
seinenn Zuge schliessen sich neue Schaaren an und der immer
grösser werdende Haufen ' erwächst endlich zu einem Heere Und
der erste Führer ergeheint als oberster ^Herzog. Man erobert,
man lässt sich nieder, und der seitherige Heerkönig bleibt auch
femer Herrscher wie auf dem Zuge,, er wird Volkskönig. Auf
diese Weise entstand, wie schon oben ausgeführt worden ist,
das Königthum Ariovist's. Wohl die meisten von Deutschen in
der Fremde gegründeten Königreiche hatten diesen Ursprung.
So wird Uffa, der nüt elf andern Häuptlingen ein Heer von
Angeln nach Britannien führt, dort König, und dasselbe war
"mit Hengist, Cerdick, Crida u. s. w. der Fall.
Noch eine andere Art der Begründung des Königthums
endlich ist die, wenn ein Gauhäuptling andere Gauhäuptlinge
sich unterwirft und eine Herrschaft über dieselben befestigt.
Auf diese Weise erhoben sich Marobod und Attila zum Ober-
königthum. Radbod wurde dadurch König der Friesen, dass er
die *alten Häupthnge vertrieb. Auf demselben Wege erwuchs
1) Eodem anno Cheruscorum gens regem Roma petivit, amissis per interna
, bella nobüibus et ano reliqnoslirpis regiae, quid apnd 'urbem babebatur, no-
niine Italicus. Tacitus, Ann. XI. 16.
aie
1
auch in Norwegen das Königthum, und Snorri Sturluson's Heims-
kringla Saga gibt uns ein Tebendiges Bild von dem IJntwlck-
lungsgange , welcher hier zum Oberkönigthume führte. Jedes
Fylki hatte seinen König. Diese Könige lagen in uriunterbro-
ehenen Kämpfen, und in diesem Wechselringen begnügte sich der
Sieger meist nicht mit , dem' blosen Ruhme oder der beweglichen
Beute., er griff vielmehr auch nach der beständigem Frucht des
' Sieges und Hess sich in den Hochsitz des unterworfenen Geg-
ners nieder. Zumeist wurde der Besiegte jedoch in seiner Herr-
schaft gelasslen. Er musste aber die Oberherrschaft des .'Siegers,
anerkennen und demselben die Hälfte aller Einkünfte überlassen.
' Der erste, welcher vorzugsweise dieses Oberkönigthum gründete,
war König Haralld der Haarschöne. Nachdem er mit siegreichem
Schwerte Ringariki, Heidmark, Gudbrandahr, Hadaland, Thota,
Raumariki und den ganzen nördlichen Theil von Wingulmark
unterworfen *) , war es Gyda , die Jochter Königs Eirik von Hor-
daland, welche ihn auch zur Unterwerfung aller übrigen Fylken
anspornte ^). Sich nun gegen Norden wendend y besiegte er den
König von Orkdaela- Fylki und liess sich von demselben den
Eid der Treue schwören ^) , und so unterwarf er sich unter fort-
währenden Kämpfen beinahe ganz- Noreg*), und wurde dessen
erster Oberkönig — Yfirkonungi, in <ier vollen Bedeutung des
Wortes dessen Volkskönig — Tiöd-Konung, oder Alleinwalter
-- Einvalldr «). ' • '. ,
Man erkennt in diesen Kämpfen deutlich eia dreifaches
KÖnigthum. Als die unterste Stufe tritt die einfache Königs-
herrschaft hervor,' welche nur ein Fylki umschliesst. Dann
folgt das KÖnigthum über ein Volksland (provincia), und dieses
ist bereits ein Oberkönigthum , denn seine Herrschaft umgreift
mehrere Fylken und deren Könige sind ihm untergeordnet.
Endlich die dritte Stufe ist das eigentliche Einkönigthum , wie
es Haralld gründete.
. In seinem fünfzigsten Lebensjahre theilte Haralld sein Reich
unter seine Söhne, oder, wie S. Sturluson sich ausdrückt, er
1) Saga König Haraild'ä des Haaiscbönen. Kap. 2.
2) Das. Kap. ß.
3) Das. Kap. 5.
4) Das« Kap. 7 u.*8.
5) Das. Kap. 3 u. 20.
SIT
gab allen seinen Söhnen Könige -Namen, d. h. er setzte sie aliä
Könige über die einzelnen Volklande ein. £r selbst behielt sich
jedoch das Oberkönigthum vor. Jeder der Söhne sollte eine
Bank höher als die Jarlar , die Grafen der Fylken, dagegen jene
eine Bank niedriger als er sitzen. Seinen liebsten ßohn Eirik,
dem er drei Pylken als unmittelbares Königthum gab, bestimmte
er zu seinem Nachfolger.
Doch weder die Söhne noch die Volksstämme waren mit
diesen Bestimmungen zufrieden, und sowohl die Thraender, als
die Wikverier und üppländingar nahmen sich eigene Oberkö-
nige *). Die Folge davon war Bruderkrieg. Um sein Oberkönig^
thum zM sichern, zog Eirik gegen seine Brüder aus und erst nach
vielen blutigen Kämpfen verglichen sich die Brüder. Dieser Ver-
gleich vertagte indessen nur' den Streit. So bald Haralld in sei-
nem achtzigsten Lebensjahre seinen Sohn Eirik zu seinem' Hoch-
sitze führte und ihm Gewalt über das ganze Land gab, nah-
men mit Zustimmung der Fylken auch die andern Brüder kö-
nigliche Hochsitze ein ^) , und kaum hatte Haralld seine Augen
geschlossen, so entbrannte der Bruderkrieg von Neuem und.
endete erst , nachdem Eirik alle seine Brüder besiegt und er-
schlagen hatte. So über der Brüder Leichen gründete Eirik, ge-
nannt Blutaxt (wegen des Brudermords), seine Alleinherrschaft *).
Nur noch eine.r von Eirik's Brüdern , der jüngste von allen, war
übrig, nach seinem Grossvater Hakon genannt, in England sich
aufhaltend, wo er erzogen worden war. Als dieser seines Va-
ters Tod und seiner Brüder Fall vernahm, brach er nach Noreg^
(c. 936) auf und vertrieb, nachdem er auf allen Thingen zum
Könige gewühlt , seinen Bruder Eirik und wurde Alleinherrscher*).
Als solcher gab er seinen Bruderssöhnen Tygwin und Gudrod
Königsnamen und das Reich, welches König Haralld ihren Vä-
tern verliehen hatte.
Die Unterkönige oder, wie sie auch genannt wurden, Schatz-
könige , entstanden in Norwegen also theils durch Unterwerfung
unter einen Mächtigern , theils aber auch dadurch, dass ein Ober-
könig sie in das Unterkönigthum einsetzte. Sie waren also nicht
mehr die alten freien Häuptlinge , sie hatten vielmehr einen Ober-
1) Das. Kap. 35.
2) Das. Kap. 44.
3) Das. Kap. 46.
4) Saga Hakoo's des Guten. Kap. 1 ff.
318 '
heim. In allem Uebrigen blieben sie dagegen in allen Befug-
nissen ihrer ehemaligen Würde. Sie hatten den Vorsitz in den
Thingen und sowohl die Jarle als Hersir waren ihnen ilnterge-
ordnet, waren gewissermassen ihre Beamte. Was sie sonst noch
auszeichnete, war ihre Abstammung vom könighehen Geschlechte.
Da, wo die Jarle auftreten, waren die Königsgeschlechter schon
nicht mehr. Ueberhaupt verschwinden diese mehr und mehr, und
bald sehen wir auch Jarle an der Spitze von Volksländem, wenig-
stens von einer bald grössern bald geringern Zahl von Fylken.
Diese hatten zwar dieselbe Stellung, wie die Unterkönige über
ähnliche Gebiete, denn die Jarle der Fylken waren ihre Unter-
gebenen, aber sie hatten nicht Königsnamen, sondern wurden
Herzoge genannt. Sie waren -im vollen Sinne des Wortes Stell-
vertreter des Oberkönigs, und als solche lag ihnen vxjkTzugöweise
die obere Führung des Kriegsvolkes ob.
König Haraljd der Haarschöne bestellte Guthrom , seiner
Mutter Bruder, als Verwalter (forstiöri d. h. Vorsteuerer) über
das Hofgesinde und für alle Landessachen (landradom), 'sowie
zum Herzog (Hertogi) des Kriegsyolks des Hofes. Bei , einem
feindlichen Einfalle in WestfoUd sehen wir den Herzog das Kriegs-
volk sammeln und mit dem Könige dorthin ziehen*), Später-)
liest man: „Herzog Guthrom hatte alle Regierung (stiöm) des Lan-
des in Wick und. in Uppland, wenn König Haralld nicht nahe
war" und ähnlieh ^): „Guthrom war Herzog in der Wick". Er sass
meistens zu Tunsberg „und hatte die ganze Verwaltung *) in der
Wick, wenn der König nicht nahe war, sowie die Landesver-
theidigung". Als er starb, „da gab König Haralld die Verwal-
tung dieses ganzen Reiches Guthrom's Sohne, und setzte ihn zum
Häuptling darüber *). Eine gleiche Stellung hatte auch Hakon
in Trondheim, ohne dass er jedoch Herzog genannt wird; er
führte gleich seinem Sohne Sigurd, der ihm folgte, nur den
Jarlsnamen*). Ebenso wird Sigurds Sohn, Hakon, Jarl und
1) Saga Haraild's des Haarscbönen. Kap. 1.
2) Das. Kap. 21. \
8) Das. Kap. 28. .
4) Yfirsökn alft : alle Obersuche , Obersprengel , accursus , oppugojktto , actio caa-
sae, curia, parochia.
5) Das. Kap. 29.
6) Das. Kap. 40.
8t9
I (
l
Häuptling des Kriegsvolks genannt *), und erhifelt die sieben Fylki,
welche Haralld der Haarschöne seinen Söhnen gegeben hatte;
er sollte sich dort sowohl als in Throndheim alle Königshöfe
und Landzinsen und das Königsgeld zueignen, zur Unterhal-
tung des Heeres, wenn Krieg sei ^), und so sehen wir ihn dann
auch mit einem Heere aus vier Volkländem und unter ihm sie-
ben Jarlar').
Dieselben Erscheinungen begegnen uns in England. Auch
hier waren, nach den römischen Nachrichten, schon: frühe
eine Menge erblicher Häuptlinge oder Könige. Cäsar*) nennt
allein in Kent vier Könige (reges) und Tacitus*) die brittischen
Könige überhaupt Reguli. Was konnten diese anders sein, als
Gauhäuptlinge? Ob schon damals ein wirkhches Oberkönigthum
vorhanden war, ist nicht zu erkennen. Nur für den Krieg wird
ein gemeinsamer Führer erkoren. Sogar ein Weib, aus könig-
lichem Geschlechte (generis regii femina), führt als Herzog (dux)
die brittischen Schaaren gegen die Römer, und T^citus bemerkt
dabei, dass die Britten bei dem Heerführer nicht auf das Geschlecht
achteten (neque enim sexum in imperiis discemunt) *). Dagegen
scheint, als die Sachsen zuerst landeten, schon der grössteTheil
jener Könige untergegangen zu sein, wenigstens schon hin und
wieder ein Oberkönigthum sich in den einzelnen Landen gebildet
zu haben. Kent — provincia Cantiae oder Cantuariorum — war
das erste Königreich, welches die Sachsen sich zueigneten.
Auch die übrigen Provinzen, welche theils die Sachsen, theils
die Angeln und Juten sich nach und nach unterwarfen, scheinen
gleich vom Anfang an Oberkönige gehabt zu haben. So bilde-
ten sich allmälig acht Königreiche heraus. Unter diesen acht
Völkerschaften sehen wir dann dasselbe Schauspiel gegenseiti-
ger Kämpfe wieder, welches auch Norwegen Jahrhunderte hin-
durch mit Blut drängte, und wodurch bald dieser bald jener
Häuptling über andere sich aufschwang und diese sich imtef-
warf. Bald waltete in einem Lande nur ein König, bald meh-
1) Saga König Haralld's Grefelid. Kap. 6. ~
2) Saga von König Olaf Tryggwason. «Kap. 16.
3) Das. Kap. 18.
4) Bell, gall.- V. 2^.
5) Anna!. II. 24.
6) Tacitns, Vita Agricolae 16.
8tO
rere. Kent, wahrscheinlich seit frühester Zeit, nach seinen bei-
den Hauptstädten Canterbury und Rochester, in zwei Königrei-
che getheilt, hatte in der zweiten Hälfte des siebenten Jahr-
hunderts doch drei Könige *), Ebenso findet man 675 einen Un-
terkönig von Surrey^), gleichwie 680 einen unter dem König
von Wessex stehepden Unterkönig (subregulus) ^). ,
Das Land der Hwiccas (welches das Bisthum Worcester
umfasste) war langie Zeit von Mercia abhängig, und hatte be-
sondere unter den Königen von Mercia stehende Unterkönige.
Einer dieser war Osred, weflchen der mercische König Eethel-
bald seinen Diener und Getreuen („ministromeo ualde fideli") nennt
und als aus dem edlen Königsgeschlechte der Hwiccaer entspros-
sen bezeichnet („qui est de stirpe non ignobili prosapia regali
gentis Huiccorum")*). Ein anderer ist Oshere „subregulus Huic-
ciorum", welcher 774 lebte ^). Dessen Nachfolger Aldred nennt
der König von Mercien 777 seinen Unterkönig und Herzog des
Volks der Hwiccaer *), während Aldred selbst die unter ihm ste:
henden Grafen als die sein igen bezeichnet ''). Eine Urkunde
von 789 nennt ihn „Aldredus subregulus Uuigornae civitatis", wo-
für eine angelsächsische Uebersetzung „Alred Wigracestres Un-
dercining" sagt®). Ihm folgten noch Uhtred und Ac^).
Auch über Mercien, nämlich den nicht an die Dänen abge-
tretenen Theil, sehen wir noch im neunten Jahrhundert einen
Unterkönig, Namens Aethelred, den Eidam Aelfdams, des Königs
der Angeln und Sachsen. Obwohl derselbe zunächst dem Seh we-
her diese Würde verdankte , so entstammte er doch sicher dem
alten mercischen Königsgeschlechte. Bezeichnend sind die ver-
schiedenen Titel, unter welchen er auftritt; 884: „ principatu et
dominio gentis Merciorum subfultus" und ,.gentis Merciorum du-
'J) Kemble, Cod. dipl. nr. 8, 9, 11, 14 u. IG.
2) „Friduwaldus provinciae Surrianorurn snbregnliis regis Wlfarir Mercianornm".
Ibid- V. 987. '
8) Ibid. I. nr.l8.
4) Ibid. I. nr. 90.
5) Ibid. I. fir. 124.
6) „Unde subregulo meo Aldredo videlicel duce propriae genfis Huitcionim".
7) „Egö Aldrediis diuino dispensante üukciorani reguliis — -^ cunu — princi-
pum meorum'*. Ibid. I. nc. 131.
8) Ibid. I. nr. 154.'
9) 796 : „ Ac , sicut anlea Aldred et ühlieh subreguii Huiccioruin "". KemWe I.
nr. 171.
3tl
t
catum gubemans *) " ; 889: „subregulus et patricius Mercio-
rum" ') ; 897 : „dux Merdorum" ^); später unter König Eduard fin-
det man ihn sogar mit seiner Gemahlin, und zwar diese als
Mitträgerin der Gewalt; eine Urkunde von 904 sagt: „Aethel-
redum , — et Aethelfledam, qui tunc principatum et potestatem
gentis Merciorum sub predicto rege (Eduard) tenuerunt" •) , wäh-
rend er zur selben Zeit (904) sich auch „dux et dominator Mer- ,
ciorum"> nennt*). Ja, es tritt sogar der Fall ein, dass seine Witt-
we jene Würde auch nach "Aethelreds Tode noch beibehält; als
solche nennt sie sich (915 — 922) „gubemacula regens Mercio-
rum" ®). Ein späterer Unterkönig Merciens war des Königs Eadwi
BruderEadgar (956: „regulus")''), sowie, nachdem Eadgar selbst
König geworden: „Aelferes Myrcna heretogan" ®).
Diese Unterkönige oder Halbkönige, wie sie auch wohl ge-
nannt Avurden'). vertraten auch in England gänzlich die Stelle
des Königs , so dass alle untern weltlichen und geistlichen Be-
amten als die ihrigen bezeichnet werden. Sogar die genannte
Wittwe Aethelreds sagt in ihren Urkunden : „dum corisilio episco-
porum optimatumque meoruni"*®). Sie waren demnach völlig
den norwegischen Schatzkönigefi gleich. Ihre Verwaltung be-
schränkte sich nie auf einen Gau, sondern begriff stets eine
Anzahl von Gauen, in der Regel ein ganzes Land. Der Unter-
königstitel wechselt indess häufig mit dem Herzogstitel , bis je-
ner endlich verschwindet und der letztere der alleinige bleibt.
Noch ehe das Ziel der Einigung unter einem Könige vollstän-
dig erreicht war, führt Aethelstan schon den Titel als König
von ganz Britannien. Er nennt sich wechselnd ,^Monarchus totiüs
Brittaniae" (927), „Rex Anglorum" (929), „Rex Albionis" (930),
„Basileus Anglorum simul et Imperator regum et nationum intra
X) Lappenberg,, Gesch. Englands I. S. 330.
2) Kemble 1. c. II. nr. 31G.
3) Ibid. nr. 323.
4) Ibid. nr. 338.
5) Ibid. nr. 3401
6) Ibid. nr. 343.
7) Lapperiberg a. a. 0. 1. S. 9Ö4.
8) Kemble I. c. nr. 994 ii. 995.
9) Spelpfiann 1. c. p. 273.
10) Kemble I. c. nr. 343.
Landau. Territorien. '*'■*■
3tS
fines Brittaniae" (930), auch „tarn super Briianicae gentis, quam
super aliarum nationum huic subditarum' Imperium eleuatus rex''
(930)*), und Urkunden von 928—935 fuhren fünf Unterkonige
auf, welche ihn als ihren Oberherm betrachteten *). König Ead-
gar nennt sich 964: „Ego Eadgarus Anglorum basileus, omnium-
que regum insularum oceani, quae Britanniam circumiacent.
cunctarumque Nationum, quae intra eän> includuntur imperator et
dominus" »). . *
Lässt sich auch nicht allenthalben die Bildung des König-
thums in so bestimmter -Weise verfolgen , wie dieses in Norwe-
gen und Britannien der Fall ist, so fehlt es doch bei den übri-
gen Völkern keineswegs an allerdings vereinzelten Erscheinun-
gen, welche uns dieselben Entwicklungswege zeigen. •
Das eigentlich Charakteristische des Königthums liegt also,
ähnlich wie das der spätem Landeshoheit, in einer Oberherrschaft.
Ja, es sind auch hier Stufen zu unterscheiden. Bald ist es eine
Oberherrschaft über die Gauhäuptlinge nur eines Volkes und in
diesem Falle ein Volkskonigthum ; bald ist es ein König üper ver-
schiedene Völker, ein König über Könige, wie wir dieses ins-
besondere in der fränkischen Monarchie erkennen. Eine ähn-
liche Stellung nahm Rom schon unter Cäsar über Gallien ein.
Der römische Staat hatte im vollsten Sinne des Wortes ein galli-
sches Oberkönigthum. Man betrachte nur das Verhältniss der Tre-
virer. Cingetorix und Indutiomar streiten „de principätu." Dass
dieses nicht die gewöhnlich einfache Herrschaft über einen Gau
sein konnte, muss daraus geschlossen werden, dass neben bei-
den auch noch principes vorkommen („nonnulli principes ex
ea civitate")*). Die Veränderungen, welche in der alten Ver-
fassung durch die Bildung eines Königthums hervorgerufen wur-
den , sind , wenn auch tief eingreifend , doch eben so wenfg ge-
zwungen als erkünstelt; sie gin^n vielmehr einfach aus der
Umgestaltung der Verhältnisse selbst hervor und waren eine noth-
wendige Folge derselben. Umfasste das neue Königreich nur
ein Volksland (provincia), nur das Gebiet eines Stammes, so
1) Kemble nr. 344 , 346 , 34d , 349 a. 351.
2) Ibid. V. nr. 1101, llOa, 1107 u. 1112.
3) Ibid. II. nr. 514. p. 404.
4) Caesar V, si , ähnlich 4 S.
bleiben alte übrigen Verhältnisse beinahe unverrückt in der alten
Ordnung. An die Stelle der vom Volke gewählten Häu|)tlinge
treten königliche Beamte und die alte Dingstätte des Stammes
bildet .nicht mehr wie seither den einzigen Einigungspunkt ; die-
ser Herzpunkt des nationalen Lebens tritt, in den Hintergrund
und seine Stelle nimmt mehr die Person des Königs ein. Die
in den Gerichten erkannten Bussen gehen an den König über
und auch der slte Volksherzog fallt weg, da dessen ganze Ge-
walt sich von selbst in der Person des Königs einigt. •
Anders wird es dagegen, wenn verschiedene sich frem.
de Stämme unter einem Scepter verbunden werden. Die na-
tionalen Malstätten ' der verbundenen Stämme sinken dann zu
einer provinziellen Bedeutung herab oder verschwinden auch
wohl gänzlich, und es gibt nur einen Reichstag für das gesammte
Reich, der, weder an eine bestimmte Zeit noch an einen bestimm-
ten Ort gebunden, lediglich nach der Bestimmung des Königs
zusammenberufen wird. Dass m^n bei den Franken den
März und später den Mai als die £eit des Zusammentritts fest-
hielt, lag wohl weniger in einer alten Ordnung, als in dem
Umstände der Zweckmässigkeit. Jener alte geheiligte Mittel-
punkt, der übrigens auch schon durch' die Einfuhrung des
Christenthums eines seiner Hauptattribute einbüsste, musste der
Einheit der Monarchie nothwendig geopfert werden und es ge-
nügte zu diesem Zwecke, das einfache, Gebot ohne des Königs
Befehl sich allgemeinen Versammlungen zu enthalten, wie die-
ses sich namentlich in dem Kapitulare von Paderborn vom Jahre
785 für die» Sachsen ausgesprochen findet (§. 34.). Man erkennt
dieses auch in Gallien unter Cäsar. Durch diö Vereinigung unter
der römischen Herrschaft waren die Reichstage der verschiedenen
Stämme schon früher untergegangen und an deren Stelle ein
einziger Reichstag getreten, der bald hier bald dorthin zur Ta-
gung zusammen berufen wurde. Im Jahre 58 v. Chr. bitten die
Häuptlinge (principes civitatum) Cäsar um' die Gestattung, einen
allgemeinen Reichstag für ganz Gallien (Concilium totius Galliae)
berufen zu dürfen, und beschliessen auf demselben die Hülfe Cä-
sars gegen Ariovist naclizusuchen *). Im Jahre 54 v. Ch. be-
straft Cäsar die Trevirer, weil dieselben zur Reichsversammlung
1) Caesar, de hello Call. I, 30.
21
324
(ad consilia) niclit erschienen waren *) und hält darauf eine
ß^ichsversammlung ^concilio Gallorum) zu Amiens^. Im nach-
sten Jahi;e erzählt Cäsar ^); Auf dem Reichstage, welchen er
für ganz Gallien (concilio Galliae) im Frühjahre zusammen be-
rufen habe,, seien alle bis auf die Senonen, Kamuten und Tre-
virer erschienen und da er. dieses Ausbleiben als den Anfang
des Krieges und der Empörung betrachtet, habe er, damit es
schiene, als hielte er Alles andere für minder wichtig, , den
l^eichstag nach Lutetia, der Stadt der Pariser, verlegt. Ebenso
sehen wir Cäsar im Jahre 52 v. Ch. zwei Reichsversammlungen,
die Jetzte zu Bibracte, einer Stadt der Aeducr, halten*).
Ungeachtet dieser Vereinigung in 'gemeinsame Landtage
blieben indessen die solchergestalt zu einem Reiche verbundenen
Völker doch bei ihtem hergebrachten Rechte und in einer in
»
sich selbst ruhenden staatlichen Abgeschlossenheit. Es wäre
auch unmöglich gewesen , eine nach heutigen Gegriffen gestal-
, ttte Staatseinheit zu schaffen; die Verbindung war wesentlich
nur föderativer Natur; die Könige der Franken waren zugleich
auch Königö der Langobarden, der Sachsen, der Thüringer u. s. w.
• Erst das römische Kaiserthum verheh der fränkischen Königs-
herrschaft einen mehr allgemeinen Begriff, obwohl auch nur
mehr scheinbar,, als in der That. yor wie nacl^ blieben die
einzelnen Völker abgeschlossene, bis zu einem gewissen Grade
selbstständige Ganze. , ^
Da ein wesentlicher Theil der Rechte der alten Nationalver-
. Sammlung an den König übergegangen war , , insbesondere die
oberstrichterliche Gewalt und das Kriegsaufgebot, wozu auch noch
die Führung des Heerbanns kam, so konnte in derii Falle, wenn
mehrere Königreiche unter einer Königsherrschaft vereinigt waren,
der König unmöghch allenthalben, persönlich^ den Pflichten und
Rechten seiner Stellung nachkommen uiid es wurden :^u diesem
Zwecke königliche Stellvertreter nothwendig - und diese. Stellver-
treter waren die Herzöge. Sie fällten die Lücke zwischen den
Gaugrafen und dem Könige aus , sie nahmen ganz die Stelle
der alten Volkskönige ein. In. Norwegen und England nahm
1) Ibid. V, 2.
2) Ibid. V, 24.
3) Ibid. VI, 3.
4) Ibid. VII, 29. 63.
3C5
m$n anfanglich, wie oben gezeigt worden ist, Glieder der alten
Körugsgeschlechter oder Verwandte des herrschenden Königs-
hauses dazu. Nichts anderes als solche Ünterkönige waren
Karl de,s Grossen Söhne, §p lange er lebte , uhd in einem glei-
chen Verhältnisse stand auch König Zwentibold von Lothringen.
Die deutschen Ilerzogthümer umfassten stets abgeschlos-
sene Volksgebietc. Wir sehen Herzöge von Sachsen, von Thü-
ringen , von Baiem , von Alemannien u. 9. w. , und jeden dieser
Herzöge eine volle königliche Gewalt in sich vereinigen. Darum
sind sie dann auch im vollsten Wortsinne als Vicekönige zu
betrachten, und sogar noch Heinrich der Löwe bezeichnet seine
Stellung als die eines Vertreters des Königs *). Indessen gab es
aber auch Gebiete, welche keine Herzöge, sondern nur Grafen
hatten*), und die königlichen Mi8s4, welche Karl d. Gr. ein-
setzte, scheinen überhaupt den Zweck gehabt,, zu haben, die
Herzöge, deren Macht nothwendig dem Königthume gefahrlich
werden musste, zu beseitigen.
Von dem deutschen wesentlich verschieden erscheint bei,
näherer Betrachtung das Herzogthum in England, Frankreich,
der Lombardei u. s. w. Die Gebiete der dortigen Herzöge sind
weniger abgeschlossene, als mehr willkürUch zusammengefügte
Länder, welche meist nur eihige Gaue umschliessen. Ueber-
haupt sind sie kleiner als die deutschen und die Stellung der
Herzöge selbst ist im Grunde von der der Grafen nur dadurch
verschieden, dass jene stets mehrere Gaugrafschaften in ihrer
Hand verehiigten. Diese 'Herzöge kommen deshalb auch eben
so oft unter dem Titel ,JComites" vor. Herzog Wilhelm von der
Kprmandie nennt sich z. B. in ein und derselben Urkunde im
Eingange Dux und am Schlüsse Com es. Auch findet sich für
diese Herzöge in England der Titel Hochgraf, sowie in Flan-
dern und Burgund die Bezeichnung Archicomes. Zumal
diese letzte Bezeichnung weist mit. voller Bestimmtheit darauf
hin, dass sie mehrere Grafschaften unter sich hatten, gleichwie
die Erzbischöfe mehrere Bisthümer, die Erzherzöge mehrere
Herzogthümer, der Archidiakon mehrere -Dekanate und der
1) „,.. qnia in hac palria vice rcgis fungimnr, firmelur a nobis rcgalc promis-
sum, siculi rex slaluerat'*. v. Hormayr*s sämmll. Werke I, S. 16.
2) „ exceplis comilibus plurimis , qui ducem super se oon h«bebanl ". Frede-
gar, c. 78.
326
9 »
Erzpriester mehrere Pfarreien. Diese ' Archicomites odpr Her-
zöge waren aber auch dadurch von den deutschen H^rzö-
^en verschieden, dass keine wirkliche Gaugrafen unter ih-
nen standen, ^wischen ihnen und den Centenarien befand
sich' kein Mittelglied. Wohl aber trat der Centenarius ge-
wissermassen an die Stelle des Grafen, d.h. er hatte in sei-
nem Amtsbezirke, also in seiner Cent,r alle die Rechte und
Pflichten, welche anderwärts der Graf im grösseren Gaue be-
sass. Der Centenarius tritt deshalb auch weniger als solcher,
sondern mehr als Stellvertreter des Grafen auf, - und aus diesem
Grunde führt er denn auch' beinahe ausschliesslich den Titel Vi-
cecomes oder Vicarius und sein Amtsbezirk heisst Vice-
comitatus oder Vicalria. Sowohl in England als in Frank-
reich sind diese Bezeichnungen vorherrschend, und daher die
noch heute dort so zahlreichen Titel Vicount und Vicomte; die
gleiche Bedeutung ,hat auch das ältere englische Shiregereffe
(jetzt SheriflF).
Allem Anscheine nach erhielt der von Karl d. Gr. über
Westphalen gesetzte Graf Trutmaiin eine jenen Hochgrafen ent-
f '
sprechende Stellung, denn als seine zunächst Untergebenen er-
scheinen die Vicarii (S. oben S. 302.), und auch die deutschen
Markgrafen und die meisten slavischeil Woiwoden (Herzöge) fin-
den sich in einem gleichen Verhältnisse. Sogar der erst spä-
ter entstehende Landgraf (comes provinciae, comes patriae,
comes provincialis) ist kaum hiervon zu unterscheiden.
Alle diese unter dem Könige stehenden Häuptlinge sind —
wie schon bemerkt — königliche Beamte und werden vom Kö-
nige bestellt und entsetzt. Diese allerdings im Allgemeinen
geltende Begel erleidet indessen hin und wieder auch Ausnah-
men; So wird Eunomins auf den Rath (optiohe) des Bischofs
upd des Volkes Graf von Tours *) und auch sonst scheint eine
solche Betheiligung des Volkes unter den Merovingem lucjit
selten gewesen zu sein 2). Es war dieses aber keine Wahl, son-
.dem mehr nur ein Gutachten , mehr eine Berücksichtigung eines
Wunsches, und wenn irgendwo ein wirkliches Wahlrecht statt-
fand, so war dessen Quelle doch nichts anderes als nur ein kö-
nigliches Privilegium. Dieses scheint auch bei den baierischen
1) Gregor. Taron. V..48.
2) Waitz a. a. 0. 11. S. 336.
8t7
Herzögen der Fall gewesen zu sein. „Der Herzog, heisst es
in dem baierisohen Gesetzbuche, welcher dem Volke vorsteht,
war immer aus dem Geschlechte der Aigolfinger und muss aus
demselben sein, weil es demselben die Könige^ unsere Herfen,
also zugestanden haben". Die Einsetzung des Herzogs erfolgte
jedoch nur durch den König.
Wie man sieht, lassen- sich nur wenige Fälle nachweisen,
wo in jener Regel, was die obern Häuptlinge betrifft, eine Aus-
nahme stattfindet, und selbst diese wenigen Fälle sind ihrer Na-
tur nach mehr geeignet, jene Regel zu bestätigen als zu stören.
Dagegen ' ist die Ernennung der unteren Beamten , der Vor-
steher der Cent und der Bauerschaft häufiger in den Händen
der Gemeinden geblieben. Nicht nur Thatsacher^ aus der, Herr-
schaft der Merovinger zeugen für die Erwählung der Centena-
rien*), sondern auch noch in späterer Zeit finden sich Bei-
spiele, däss dieselben durch Stimmenmehrheit der Centbewoh-
ner zu ihrem Amte berufen wurden*). Es ist dieses namentlich
beinahe durchweg in allen jenen „freien Gerichten" der Fall,
welche man in derWetterau und vielen andern Gegenden fin-
det, welche keinen andern Herrn über sich erkannten^ als nur
den König. Noch häufiger, als bei den Centenarien, scheint
den Gemeinden die Wahl der Dekane geblieben zu sein^). Es
hat sich die .Wahl nur oft in einen jährlichen Reihe Wechsel ver-
wandelt , oder dieselbe ist von einer Bestätigung des Grundherrn
abhängig geworden*). Ebenso häufig findet sich aber auch die
einfache Einsetzuflg durch den Gerichtsherm *), oder das Amt ist
(insbesondere in Westphalen, Mecklenburg, Schlesien u. s. w.) als
Lehn an gewisse Höfe (Schulzenhöfe) geknüpft, also erblich, und
zwar bald nur auf Söhne, bald auch auf Söhne und Töchter*),
- Da wo das Königthum einmal gegründet war, stand das-
selbe auch fest und nur wenige Fälle sind bekannt, wo dasselbe
durch die ältere Häuptlings -Verfassung wieder verdrängt wurde,
und selbst in solchen Fällen war dies nur vorübergehend. Beda
1) Waitz a. a. 0. II. -S. 310 u. 316.
2) Grimm, Weisth. 111. 415, 420 flf.
d)' Beispiele siebe: Wördtwein, Nova subl. dipl. X. p. 70. Grimm, Weisth. 111.
S. 824.
, 4) 1387. Glimm a. a. 0. III. S. 628.
5) Wftrdlwein I. c. VI. 140.
6) Lisch, Mecklenbg« Jahrbücher. JX* S. 88 — 95* ^ '^
I
\
3«8
/
erzählt*), dass nach König* Cenwalh's von Wessex Tode (672)
„subreguli", und na(;h Aelfred „Ealdormen", also Gauhäuptlinge,
die Herrschaft auf einige Zeit an sich gerissen hätten. Als die
Gothen sich trennten, erscheinen die Westgothen wieder unter
Häuptlingen und Herzögen („Primates eorum, et duces, qui re-
gum Vice illis praeerant")*). Aehnliches erzählt Pauluö Diakonus^)
von den Langobarden. Nach König Cleph's Tode blieben die
Langobarden , berichtet derselbe, zehn Jahre ohne König und
standen! unter Herzögen. Jeder Herzog herrschte nämlich in
seiner Stadt, und dabei bemerkter, dass es fünf und dreissig
Herzöge gewesen. Es traten also die älteren Verhältnisse wieder
ein und so sehen wir dann auch^ diese einzelnen Herzöge als
selbstständige Häuptlinge handeln und insbesondere auf eigene
Faust Kriegszüge in die benq-chbarten Länder unternehmen. Erst
nach zehn Jahren wählten die Langobarden nach gemeinsamem
Beschlüsse (communi consilio) wieder einen König, und zwar
des letzten Königs Sohn*). Wie es scheint, geschah demnach
Sowohl die Rückkehr zur Häuptlings -Herrschaft als auch die Wie-
dereinführung des Königthums ohne Gewalt, ganz nach dem
freien Entschlüsse des Volks.
Ob mit der Stellung des Häuptlings gewisse Güter ver-
knüpft waren, ist wenigstens für die älteste Zeit nicht nach-
weisbar , obwohl der Umstand darauf hinzudeuten scheint , dass
bei Vertheilungen von Ländereien dem Häuptlinge ein grösserer
Antheil überwiesen wurde, denn so verstehe ich Tacitus, wenn
er in Bezug auf solche Theilungen bemerkt, dass diese nach
äer Würde (secundum dignationem) erfolgten^). Jedenfalls ist's
ein bestimmter Antheil an den Bussep, welcher dem Häuptlinge
zukommt; doch gehört auch, dieser in der alten Verfassung der
Gememde und erst unter dem Königthume geht er an den König
über^). Sonst sind es nur freiwiUige Gaben. „Von freien Stü-
cken, sagt Tacitus^J, und kopfweise wird den Fürsten etwas
1) Beda, Hislor. eccL IV, 13.
2) lornandes, de reb. Geticis. c. 25.
3) Bist. Langobardor. II, 32.
4) Ibid. in ,16.
5) TaciUis, Germ. c. 26.
6) Ibid. c. 42,
7) Ibid. c. 15.
äS9
vom Erträge der Heerden und des Ackers dargebracht, das, als
Ehrenzoll empfangen, dem Bedarfe zugleich zu Hülfe kommt**.
Aber eine jede freiwillige regelmässig wiederkehrende Gabe
wird leicht zu einer Verpflichtung und so war es auch hier; es
bildete sich eine Steuerpflicht aus, und auch ein bestimmter
Grundbesitz verbindet sich mit der Würde. In Norwegen scheint
dieses nach Snorri Sturluson noch nicht der Fall gewesen zu
sein. Die königlichen Einkünfte bestanden dort in den auf den
Thingen erkannten Bussen, in ausgeschriebenen Schätzungen
und in Landzinsen, welche die Odalbonden zu entrichtet! hat-
ten, aber unter den Langobarden war dieses schon anders. Als
sie zehn Jahre nach Cleph dessen Sohn Authari zum Königfe
wählten, gaben alle damaligen Herzöge zur Deckung der könig-
lichen Bedürfnisse (regalibus usibus) die Hälfte ihres Besitzes *).
Aehnlich hatte jeder unterworfene norwegische König seinem
Oberkönige die Hälfte aller seiner Einkünfte! abzutreten. Die
Jarle dagegen' , welche vom Könige €?ingesetzt wurden , erhielten
nur ein Drittel der Bussen und Laridzinsen 2), und diesen dritten
Theil an den Bussen finden wir auch noch in später Zeit sowohl
bei den Deutschen als bei den Slaven in zahlreichen Urkunden
als den gesetzlichen Antheil des Beamten wieder.
Jene!? alte Königthum wac übrigens keineswegs ein unbe-
schränktes, welches überhaupt dem germanischen Volksleben
gänzlich fremd ist. Die Gothonen — sagt Tacitus — werden
unter ihren Königen etwas kurzer gehalten als die übrigen ger-
manischen Stämme, doch sind sie noch nicht über die Gränze
der Freiheit hinaus. Alle diese Könige sind allzumal Wahlkönige,
alle sind durch die Wahl des Volkes zum Herrschersitze beru-
fen, mochte immerhin sich die Wahl auch auf eine bestimmte
Familie bes-chränken ; denn' diese.. Beschränkung ist — wie ich
weiter unten ausführen werde — weniger auf absolute Rechte,
als auf hergebrachte Gewohnheit gestützt. Man verlässt auch
diese Ordnung und entsetzt sogar Könige ihrer Herrschaft. Selbst
wenn Könige die Herrschaft mit dem Schwerte errungen, lassen
sie dennoch dieselbe durch die Volköwahl Sanktioniren. Darum
sind diese Könige nur die höchsten Häuptlinge des Volkes.
Als %, B. König Coenwulf von Mercien und sein Bruder Cuthred,
1). Paul. Diac. 1. c: III ,16. ,
2) Saga Haralld des Häarschönen. R. 6^.
330
dem er Kent übergeben und der sich König von Kent nennt,
über Grüter in Kent verfugen, bezeichnen sie dieselben als „in
nostro commune ministerio " liegend *). Sie sind nicht Herren
des Landes und nennen sich deshalb auch stets nach dem Volke,
nicht nach dem 'Lande und noch die spätem Karolingern be-
zeichnen sich nie anders, denn als „Reges Francorum". In allen
ihren Handlungen sind sie an die Zustimmung des Volkes oder
doch der Häuptlinge des Volkes gebunden, und noch besitzen
wir zahlreiche Urkunden, in welchen dieser Zustimmung ausdrück-
lich gedacht wird *). Mag auch das, was die Heimskringla Saga
aus Skandinavien erzählt, dass, wenn der" Zorn der Götter sich
durch Misswachs oder Kriegsunglück ausgesprochen, der König
denselben geopfert worden sei'), ebenso wie die ähnhche Mit-
theilung des Ammianus Märcellinus*) von den Burgundern, wel-
che nach einer alten Sitte die Könige ihrer Gewalt entsetzt hät-
ten, wenn das Kriegsglück sich von ihnen gewendet, oder eine
Missemdte eingetreten sei , schon mehr den historischen Sagen,
als der Geschichte selbst angehören, obwohl wir sehen, dass die
Senonen förmlich beschliessen ihren König zu tödten ?), so findet
man doch auch in sicherer Zeit Thatsachen genug, welche die
Abhängigkeit der 'Könige von dem Willen ihrer Völker zeigen.
Wie Klodowich der Frankenkönig nur erst nadh der Zustimmung
seines Volkes zum Christenthum übertrat *), so erzählt die Heims-
kringla Aehnliches auch aus Norwegen. Nicht durch das ein-
fache Gebot König Olafs wird, das Christeilthum angenommen,
. sondern es geschieht dasselbe in jedem der einzelnen Volkslande
durch Beschluss des Althings. Schon war dieses allenthalben
geschehen und nur Throndheim noch übrig. Als er zu gleichem
Zwecke auch die $ieben Fylken von Throndheim zum Althing
auf Frosta berief, verwandelten die Bonden , mit seiner Absicht
bekannt, das Thinggebot in ein Heergebot und erschienen sämmt-
1) Kemble I. c. I. nr. 179.
2) Nor ein Beispiel. König Ine von Wcssex erwähnt in seinen Gesetzen der Zu-
stimmung aller seiner Ealdermannen und der ältesten Witan seines\olJ(eä: ,,mid eallum
ealdermannum aud tham yldestan Witnn minre theode'S Schmid, Gesetze der Angel-
sachsen S. 14. Vergl. auch Schmilthenner, Grundlinieo S. 187.
3) Yngling. Saga. Kap. 18 u. 47.
4) XXVIII, 5.
5) Caesar, Bell. Gall. V. 54.
6) Gregor. Turon, II, 81.
831
lieh gerüstet, und sobald der König die Apnahme des Christen-
thums begehrte , verlangten sie , dass er davon schweigen sollte
und drohten ihn zu vertreiben. Der König musste sich fügen
und erst ^ später vermochte er durch List und Gewalt auch hier
sein Vorhaben auszuführen*).
Nachdem die Natur des Königthums besprochen, und ins-
besondere gezeigt worden, dass es bestimmte Geschlechter
waren, aus welchen die Gauhäuptlinge und die Könige er-
wählt wiu-den, ist noch die Frage zu erörtern: ob iein Adel,
d. h. ein bevorrechteter' Stand, vorhanden w^ar, auf welchen
die Wählbarkeit sich beschränkte? Um diese Frage zu erle-
digen, ist es vor allen Dingen erforderlich die Standesverhält-
nisse genau in's Auge zu fassen.
Sowohl bei den germanichen als slavischen Völkern sind
es 'allenthalben zwei Hauptstände, in welche die Gesammt-
bevölkerung geschieden wird, nämlich in Freie (liberi, in-
genui) und Knechte (liti, servi). Das westgothische sowie
das baierische Gesetzbuch kennen nur diese Eintheilung und
auch in andern Quellen kehrt dieselbe noch häufig wieder.
Nur der Freie gehört wirklich zum Volke, er nur hat ein Recht,
er nur hat in den öffentlichen Angelegenheiten eine Stiipme,
er nur führt Waffen. Der Knecht dagegen hat keinen An-
theil am Volksrecht, ist waffenlos und gehört nur seinem Herrn,
Der St3,nd der Knechte ist nichts Ursprüngliches; er ist erst
durch Unterdrückung entstanden. Nicht nur Kriegsgefangene,
sopdern auch ganze Völker wurden von ihren Besiegern in
Knechte verwandelt.
Beide Hauptklassen zerfallen jede wieder in zwei Theile.
Schon Tacitus scheidet d,en Libertusund Servus, ebenso wie
das friesische Gesetz und einige Schriftsteller den Litus und
Servüs. Der Libertus und Litus hat eine Mittelstellung zwi;
sehen, dem Freien und dem Knechte und n.eigt sich bald mehr
zu diesem bald mehr zu jenem. Die Liti sind entweder Fjeie,
welche auf fremdem Grund und Boden sitzen, oder Freigelassene,
alsa ehemals freigegebene Knechte , welche gleichwohl ohne
Eigen sind. Ja, es lässt sich neben diesen,sogar noch eine wei-
tere Klasse hinstellen, nämlich von solchen, welche sow^ohl ei-
1) Saga von Olaf Tryggwason , Kap. 59 ff.
3St
genen als fremden Besitz haben. Die volle Freiheit ruhte nicht
in der, Person , sondern auf dem Grundbesitz.
Ebenso wie der Stand der Knechte, schied sich' auch der
Stand der Freien in Nobiles und" Liberi. Schon bei Tacitus
findet sich diese Unterscheidung, und dieselbe kehrt auch in den
alten Volksgesetzen wieder *). Für die zweite Klasse brauchen
die meisten die Bezeichnungen Liberi und Ingenui, und Nit-
hard gibt dafür neben Ingenui zugleich das deutsche Wort
Frilingi; ein eddisches Lied hat Karl, dem die Bezeichnung
Ceorl des angelsächsischen Gesetzes entspricht. Alle diese
verschiedenen Bezeichnungen haben dieselbe Bedeutung: „homo
liber". Der Freie' ist nicht nur persönlich frei, sondern auch
sein Grundbesitz hat diöse Eigenschaft. Es ist der norwegische
Odalbonde, der wahre mit .allen politischen Rechten.ausgestat-
tete Vollbürger. Für das für die ers*te Klasse gewöhnlich ge-
bräuchliche Nobilis, hat Nithard für die Sachsen Edhiling, ^as
Gesetz der Angeln Adalingus und das angelsächsische Ead-
'ling. Es ist also eine wörtliche Uebersetzung. ,
Auf dieses Nobilis hat man nun einen germanischen Adel,
einen über dem gewöhnlichen freien Grundbesitzer stehenden be-
vorrechteten Stand zu deduciren versucht., Es hat abernoch Nie-
mand diese. Vorrechte nachweisen können und ebenso haben die
anerkanntesten Forscher zugegeben, dass die politische Gewalt
nicht in der Hand einer hohem Klasse von Freien, sondern
durchweg in den Händen aller freien Grundbesitzer gelegen.
Damit' fallt abef gerade das , was vorzugsweise einen solchen
Stand bezeichnen müsste. Doch , sehen wir von den verschie-
denen darüber aufgestellten Meinungen ab und fragen zuerst
tiach der Bedeutung von „Nobilis". ■ '
Tacitus*) erzählt, dass die Semnonen sich selbst „vetustis-
simi, nobilissimique Suevorum" nannten. Warum /sie sich da-
für hielten , habe ich schon erläutert ; in ihrem Gaue la^ näm-
lieh die Nationalstätte des gesammten suevischen Volkes. ^Aus
demselben Grunde, hatte der Gau , in welchem Upsala lag, einen
Vorrang vor allen andern und das Geschlecht der Ynglinger, wel-
ches hier die Königsherrschaft hatte, galt als das vorzüglichste
1) Es ist das so oft aiisgerührt, dass ich mich der spezieUen Cilate überheben
zu liönnen glaube.
2) S. oben S. 235.
J
SS3
unter allen aiwlern Königsgeschlechtem. Ebenso bei;ichtet Am.
MarceHinus, dass den Alanen die Knechtschaft unbekannt sei,
alle seien aus edlem Blute entsprossen; auch würden nur die
zu Richtern gewählt, welche sich im Kriege ausgezeichnet
hätten*).
Natürlich kann da, wo so allgemein von einem ganzen
Volksstamme gesprochen wird, nicht von einem besondern Stan-
de die Reöe sein. Die Alanen sind edel, weil sie frei sind, die
Semnonen halten sich deshalb für edler als die andern suevi-
schen Stämme, weil sie sich für den ältesten gewissermassen
für den Mutterstamm des gesammten Volkes haltep.
Wie die eben gegebenen Beispiele Nobilitas in einer allgemei- ,
nen Bedeutung geben, so zeigt sich aber auch noch ein engerer,
einfe mehr persönlicher Begriff. In dieser Beziehung s^ind das nor-
dische Jarl und das angelsächsische Earl von Bedeutung, welche
beide fürNobilis gebraucht werden. Ich habe schon oben bemerkt,
dass das angelsächsische Ealdordom jede Art von Herrschaft be-
zeichnet. Auch Earl und Jarl bedeutet wörtlich nur einen Al-
ten, und deshalb werden in den lateinischen Quellen Senio-
res; Sapientes, Proceres, Optimates u. s. w. ganz in
dem gleichen Sinne angewendet. Wie, also ganze *Volksstämme
als edel 'bezeichnet werden , so sind dieses insbesondere auch
die Häuptlinge, welche vorzugsweise als edel gelten.
!J(ocK deutlicher geht dieses aus Cäsar hen'^or. Von dem
Streite Indutiomar's und des Cingetorix redend, erzählt er wei-
ter, dass der letztere bei der Annäherung des römischen Heeres
sich zu demselben begeben, während der andere sich zum Kam-
pfe gerüstet habe, und erst als einige Principes sich ebenwohl .
zu Cäsar verfügt,- habe Indutiomar, befürchtend von allen ver-
lassen zu werden,, ebenwohl Gei^andte geschickt und sich bei
Cäsar entschuldigt: er habe die Gemeinde nicht verlassen mö-
gen , um sie desto leichter in ihrer Treue zu erhalten, denn bei
der Entfernung „amniö nobilitatis" hätte das Volk leicht in
Fehler verfallen können*).
Gleiches zeigt uns Cäsar an einem andern 0rte^). Der-
selbe hatte zu seinem brittischen Feildzuge aus allen gallischen
^ 1) „Senritus . quid sit ignorabaht, omnes generoso semine procreati : jadicesque
etiam nunc eligunt , diiilurno beUandi usa spectatos^^ Am. Mafcell. XXXI , 2.
2) Caesar, bell. Gall. V. c. 3.
3) Caesar, V. c. 5 u. 6.
3M
Gauen Hülfsvölker entboten. Auch die „ principes Omnibus ex
civitatibus" fanden sich am Einschiffungsorte ein, denn nur we-
nige und nur solche , ' deren Treue er erprobt hatte , -wollte er
zurücklassen. Auch der Aeduer Dumnorix, welchem er beson-
ders misstraute, sollte Cäsar begleiten. Dieser hingegen bot
Alles auf, sich diesem Feldzuge zu entziehen ; er wiegelte sogar
die bei Cäsar versammelten „Principes Galhae" auf und machte
sie namentlich darauf aufmerksam, dass nicht umsonst „Gallia
omni nobilitate spoüaretur",
Cäsar nennt Orgetorix als den bei weitem edelsten und
reichsten Mann unter den Helvetiern: „apud Helvetios longe no-
bilissimus et ditissimus fuit Orgetorix*' *) und erzählt später, dass
derselbe seine. Mutter ^an den edelsten und mächtigsten Mann
(homini nobilissimo ac potentissimo) der Bituriger verehelicht*).
Nehmen w^ir hierzu noch den Begriff des Tacitus über die
Berufung des Italiens. Nachdem durch innere Kämpfe bei den
Cheruskern alle Nobiles untergegangen, und nur einer derselben
übHg geblieben (et uno reliquo stirpis regiae), v/iti dieser
letzte des Stammes, nämlich Italiens, berufen, und später
heisst es von demselben, er stehe an edler Abkunft (nobili-
tate) über allen andern*). Endlich erinnere ich noch an
die bekannte Nachricht des baierischen Gesetzes, wonach nur
vier baierische Edelgeschlechter vorhanden waren, welche
nach dem der Aigolfinger, dem herzoglichen ,', als die ersten
• galten*). Was konnten diese vier Geschlechter anderes sein
als die Häuptlingsfan>ilien der vier baierischen Gaue?
Es schliesst sich hieran die Nachricht des Jornandes, dass
das Geschlecht Alarich's , den die Westgothen zum Könige er-
wählten, das zweite nach dem der Amaler gewesen sei: „(We-
segothi) ordinant super se regem Alaricum, cui erat post Ama-
los secunda nobilitas, Baltharumque ex genere origo mirifica"^)-
Eine Rangordnung des Adels nach verschiedenen Kasten anzu-
nehmen, ist noch Niemand eingefallen, und diese Nachricht kann
nichts anderes heissen , als dass Alarich'ß Pamilie nächst der der
1) Caesar, I, 2.
2) Caesar, 1, 18.
3) Tacitas, AdD. XI. 16. 17.
4) Lex BajaT. Tit. I. c. XX.
5) Joroandes, de rebas Geticis. c. 29.
335
Amaler die älteste sei, denn eben diese zählte den König Er-
manrich zu den Ihrigen. Ganz in demselben Sinne sagt Einhard
in seinen Jahrbüchern zürn Jahre 789: Dragewit habe vor den
übrigen Fürsten der Wilzen so wqhl durch den Adel seines Ge-
schlechtes als durch das Ansehen seines Alters weit hervor-
geragt („ nam is ceteris Wiltzorum regulis et nobilitate ge-
neris et auctoritate senectutis longe praeminebat "), und dar-
auf, da,ss die übrigen slavischen Häuptlinge ( „ ceteri Scla-
vorum primores et reguli omnes ") seinem Beispiele gefolgt
seien *).
Auch die Redeweise d6s alemannischen Gesetzes ist hier-
für von Bedeutung. Dasselbe braucht nämlich furnobilis — „pri-
musAlamannus", und auch „Francus" und „Langobardus" kommen
in demselben Sinne in dem fränkischen und langobardischen Ge-
setzen vor. Alle diese Völker hatten sich neue Heirhathen er-
obert und der Stamm der Sieger war auch der herrschende
Stamm, ebenso wie -dieses bei den römischen Patriziern, bei den
Mongolen, den Afghanen*) u. s. w. der Fall war und zum Theil
noch ist. Schon an den Namen ki^üpfte sich die Ehre und auch
eben nur aus diesem Stamme gingen die Häuptlinge hervor.
Kann da nun von einem Adel als solchem, nämUch einem
bevorrechteten Stande, die Kede sein? Noch Niemand hat auch
diese Vorrechte nachzuweisen vermocht ; man hat selbst zuge-
geben, dass diese fehlten, ja man hat, anerkennend dass er in
dem Prinzipate nicht liege, ihn *zületzt' auch noch ausser dem-
selben gesucht, ohne jedoch sich eines glückhchen Erfolges zu
erfreuen.
Jene Nobilitas liegt einfach in dem Ansehen der Häuptling-
schaft , in nichts weiter , und ich sjtimme vollkommen mit v. Sy-
bel überein , wenn derselbe sagt : „ ein Adel , der nichts ist als
inhaltloses und vorrechtloses Ansehen einer Familie, ist eine
Null."
Erst die Erlangung eines Würdenamens, wie sich Snorri
Sturluson ausdrückt, gab dem Freien eine edelere, d, h. höhere
Stellung.
Der Begriff der.Nobilität ist auch anderwärts ganz derselbe,
wie ihn die Römer auflfassten. /Je älter ein Geschlecht in der
1) Peru, MoD. Genn. I. 175.
2) Wil[[e, in den Abhandkogen der Berliner Akademie 18>*/ia II. S. 241.
*
t
/
386
Herrschaft, um so edeler ist dasg^elbe ; ja man nennt ein solches
Geschlecht eben deshalb aiich wohl ein königliches; denn wie
Athaling, so bedeutet auch das althochdeutsche Kuning den
Sprössling eine$ Geschlechts. Deshalb finden wir auch- sogar
da königliche Abstammung, wo keine Könige waren. Claudius
Civilis und Julius Paulus überragten durch ihre königliche Ab-
stammung (stirps regia) alle andern Bataver *). Ebenso war Clas-
sicus edeler als andere (nobilitate — ante alios) aus königlichem
Stamme, welchen Friede, wie Krieg geadelt (regium illi genus
et pace bellöque clara origo^).
Die, Sage verherrlichte noch das Alter der Geschlechter;
sie führte sie hinauf zu den Göttern. Wie die norwegischen
Könige von Odin, so sollten die angelsächsischen von Wodan
abstammen. Man nahm wenigstens eine hochberübmte Persön-
lichkeit zum Stammvater. Viele der spätem deutschen Fürsten-
häuser betrachten Karl den Grossen oder den Sachsenherzog
Widekind als ihrem Stammvater, ähnlich wie 6,ie Chane der Krimm
sich von Dschingischan ableiteten. Auch bei den Römern war
dasselbe der Fall. „ Meine Muhme — sprach Cäsar bei der Be-
stattung der Schwester seines Vaters — stammt mütterlicher
Seits von den Königen ab; durch ihren Vater ist sie mit den
unsterblichen Göttern verwandt. Denn von Äncus Marcius kom-
nien die Marcier, welches der Name ihrer Mutter war; von der .
Venus die Juüer, das Geschlecht, zu dem unsere Familie gehört. *,
So erscheint in ihrer Abstammung die Heiligkeit der Könige, die
am meisten Macht unter den Menschen haben, und die Weihe
der Götter, in deren Gewalt auch die Köijige sind." Der Name
genügte zum Belege für den Stamnibaum.
Dass die Wahl durch das Volk das Ursprüngliche , das An-
knüpfen derselben an öin Geschlecht 4as Spätere ist, ergibt
sich schon aus der Natur der Dinge und bedarf kaum eines Be-»
weises. ,
War es auch nicht gerade eine Bedingung, so lag es doch
wohl schon an und für sich nahe, die Wahl stets auf einen Ein-
gesessenen, und zwar einen dem eigenen Volke Angehörigen zu
lenken. Sah man anfänglich auch hur auf persönliche Tüchtig-
keit, so wirkten doch bald sicher auch andere Verhältnisse und
1) Tacilus, Hist. IV, 13.
2) HMd, 55..
insbesondere die Vermögenszustände mit ein, so dass ausser
der persönlichen Würdigkeit auch noch Ansehen und Reichthum
mit in die Wagsohale fielen. War man mit dem Vater zufrieden,^
nun, so erwählte man nach dessen Tode auch den Sohn. Es
ist dieses ein so ganz natürlicher und menschlicher Verlauf,
dass ^dieselbe Erscheinung durch alle Zeiten und allenthalben
wiederkehrt. Die Häuptlingsschaft gewährte schon an und ffir
sich so ^iel Ein'fluss, dass es in der Regel einer Familie nicht
schwer fallen konnte, die Würde an sich zu fesseln. Man fin-'
det dieses sogar bei den gallischen Bischöfen *); wir sehen es
wieder bei den Grafen des Mittelalters, und noch bis in die neuem
Zeiten war "es nicht ungewöhnlich dieselbe Familie drei bis vier
Qenerationen hindurch in dem Besitze derselben B^amtenstellc
zu finden. Auch das deutsche Rei^h gibt uns davon ein Bei-
spiel. Obwohl ein Wahlreich, knüpfte die Wahl sich doch oft
lange Zeit hindurch an bestimmte Geschlechter, und trotz dem
dass der deutsche Thron schon seit einem halben Jahrhundert zer-
brochen liegt, stützt dennoch das Österreich - lotharingische Kai-
serhaus seine Ansprüche auf Deutschlands Oberherrschaft auf
den Umstand, dass seinen Vorfahren Jahrhunderte hindurch die
deutsche Krone gereicht worden ist.
Dass es kein eigentliches Geburtsrecht war, geht daraus her-
. vor, dass nicht der Sohn nothwendig dem Vater folgte. Das Vorrecht
lag vielmehr auf allen Gliedern der Familie. Wie bei den Monte-
negrinern der Häuptling der Niguschi, mit Beirath der Aeltesten.
seines Stammes ohne Rücksicht auf die Erstgeburt denjenigen
seiner Familie zum Oberhaupt bestimmte, welchen er für den
tüchtigsten hielt *), so zeigt sich dieses mehr und minder deut-
lich auch anderwärts. Es war nur einfaches Gewohnheitsrecht,
' was sich bei einzelnen Häuptlingsfamilien ausbildete, keines-
wegs ein wirkliches, in sich selbst ruhendes und ausdrücklich
anerkanntes Erbrecht.
Dass dieses Gewohnheitsrecht sich schon zu Cäsar*s Zeit
befestigt, zeigt sich aus vielen Beispielen und namentlich geben
Tasgetius und Cingetorix Belege dafür. Nach dem Tode des Indu-
tiomar übertragen die Trevirer die Herrschaft (Imperium) dessen
1) Gregor. Turens. Y. 49.
2) BobertsoD a. a. 0. 11. S. 98.
L « n a a. Territorien. 22
888
Verwandten (ad ejus propinquos) *). Obgleich Marabod vertrie-
ben ward, so bleiben seine Nachkommen doch in der Herr-
schaft und auch Italicus wird eben nur auf den Grund dieses
Rechtes von den Cheruskern berufen.
Allerdings wurde dieses Recht je älter um so f^pster, so
dass man selbst noch im Knabenälter stehende Königssohne auf
den Thron erhob. Chlodewig, obwohl bei seines Vaters Dago-
bert Tode noch im zarten Alter stehend, wurde dennoch zu
dessen Nachfolger berufen. In derselben Zeit wird nach des
Kaisers Konstantin Tode nach dem Rathe des Senats des-
sen Sohn, noch ein Kind, auf den griechischen Thron erho-
ben; ebenso wird der achtjährige Roolf Kraka zum Könige der
Dänen erwählt; und dasselbe sehen wir bei den Westgothen,
welche auf den Wunsch des sterbenden Königs Sintiila dessen
noch im frühesten Jugendalter stehenden Sohn zum Könige er-
heben. Aehnlicbes zeigt auch die norwegische Geschichte; denn
Haralld, der schon im zehnten Lebensjahre, starb, war König in
Soga^).
Doch neben diesen Beispielen zeigen sich auch Fälle,
in welchen man von dem Geschlechte abwich. Des Aeduers
Piso Grossvater hatte die Herrschaft bei seinem Volke gehabt,
aber erst der Enkel erhielt sie durch Cäsar wieder und eben
dieser Abstammung wegen war Piso von edeler Geburt^). Nicht
minder bezeichnend sind die gegenseitigen Erklärungen, welche
Tacitus*) die Gegner und Anhänger des Italicus sich geben lässt.
Ob denn so gar Niemand, im heimischen Lande, geboren, vor-
handen wäre , welcher die erste Stelle ausfüllen könne , fragen
jene, und diese erwidern, er habe sich ja nicht gegen, ihren
Willen eingedrängt und da er an edler Abstammung die andern
überrage , sollten sie erst seine Tapferkeit erproben und sehen,
ob er sich seines Vaters und seines Grossvaters würdig zeige.
Also .nicht seine Abstammung war es, welche ihm aliein das
Recht zur Herrschaft gab, sondern die Wahl; die W'ahl aber
wurde wegen seiner Abstammung auf ihn gelenkt, doch auch
nur wieder unter der Voraussetzung seiner Würdigkeit. .
» ■ I I ■ ' I I !■ . I I ■ II I ,
1) Caesar, 4e bell. Gall. VI. 2. . . .
2) Saga Hairdan des Schwarzen, l^ap. 3.
3) „Piso, Aquitanus', amplissimo genere natas, cujus avus in civitale sua regnom
obtinuerat. *^ Caesar. IV, 12. '
4) Ann. XI, 16.
330
Ob das , was Am. Marcellinus ^ vom alemannischen Könige
Chnodomar sagt: ,,antea strenuus et miles^S so verstanden werden
darf, als ob derselbe vorher ein rüstiger Krieger von gewöhlicher
Abkunft gewesen, lasse ich dahin gestellt sein. Dagegen > er-
zählt uns ^. Diaconus in seiner Geschichte der Langobarden ^),
wie nach des Königs Authari Tode die- Langobarden der Köni-
gin Teudelinda erlaubt, die königliche Würde beizubehalten und
sich aus sämmtlichen Langobarden (ex omnibus Langobardis)
einen Gatten zu erwählen, welchen sie wollte, doch eiüen sol-
chen, welcher die Herrschaft (regnum) kräftig zu führen ver-
möge. Es war ihr >also unter allen Langobarden die Wahl frei-
gestellt, und von einer Beschränkung auf eine bestimmte Klasse
nicht die Rede. Sie wählte sich Agilulf den Herzog von Trient
und im nächsten Mai wurde derselbe in einer allgemeinen Ver-
sammlung der Langobarden in das Königthum (regnum) einge-
setzt. Dessen Sohn stiessen dagegen die Langobarden vom
Throne und erwählten Ariold zum Könige ^). Auch Desiderius
hatte keinerlei Erbansprüche auf die Königswürde — wenn wir
der Legende von der h. Julia folgen dürfen — und dennoch
wurde er zum Könige gewählt. Ja, Lamissio, was freilich
schon in die Sagenzeit gehört, wurde, ungeachtet er der Sohn
einer teilen Dirne, also nicht einmal freier Abkunft war, zum
Könige der Langobarden erhoben *;.
Nicht minder scheint Odoaker, den die deutschen Völker in
Italien zu ihrem Könige erwählten, ein gewöhnlicher Krieger gewe-
sen zu sein. Auf dem Zuge dorthin tritt er in die Hütte des heil.
Severin in zerrissene Kleider gehüllt („inter quos et Odovacher,
qui postea regnavit Italiae, vilissimo tunc habitu, juvenis statura
procerus") und ihm, der kaum seine Blosse zu bedecken ver-
mochte, verkündigt der heilige Mann beim Abschiede : „ Va^e ad
Italiam, vade, vihssimis nunc pellibus coopenus, sedmultis cito
plurima largiturus" *). Ein Häuptling, oder ein jeder einem Häupt-
lingsgeschlechte Angehörige, wäre sicher ^icht in einem solchen
Aufzuge erschienen.
1) XVI. 12.
2) Paal Diac. III. 36.
3) Ibid. IV. 42.
4) Ibid. I. 15 u. 17.
5) Muchar, das römische Norikum IL S. 179.
22
340
Aehnlich war es mit Witiges, welchen die Ostgothen zum
' Könige erwählten, denn Procop *) sagt ausdrücklich von ihm : „ho-
minem non clara ex domo, sed conspicuum fortibus ad Sirmium
factis."
Am wenigsten von allen germanischen Völkern scheinen
die Westgothen bei der Wahl ihrer Könige sich an bestimmte
Geschlechter gehalten zu haben, denn hier sehen wir einen so
häufigen Wechsel, dass die Wahl wirklich als völlig frei erscheint.
Wie wenig gerade eine edle Geburt immer erforderlich war,
ergibt sich auch noch aus der nicht selten vorkommenden That-
sache, dass man sogar Fremdlinge erwählte. Droktulf war ein
Schw:abe, aber frühe ^fangen unter den Langobarden aufge-
wachsen. Trotz dem wählten ihn die Langobarden blos wegen
seiner edlen Gestalt (quia erat forma idoneus) zum Herzog *).
Die Franken erwählen Aegidius , einen Römer , zum Könige *),
gleichwie die Ostgothen den Römer Belisar *).
Eben weil nur die Wahl es war, welche den Thron verlieh,
sehen wir nicht selteux die Könige schon bei ihren Lebzeiten für
die Erwählung ihrer Söhne Sorge tragen. Karl der Grosse er-
klärte gegen Ende seines Lebens seinen Sohn Ludwig in feier-
licher Versammlung der Grossen aus dem ganzen Fraivkenreiche
und mit deren Zustimmung zu seinem Mitregenten und zum^
Erben seines Namens, setzte ihm das Diadem auf und befahl
ihn Kaiser und Augustus zu nennen *). Und ähnlich sehen wir
auch in der spätem deutschen Geschichte noch oft bei Lejbzeiten
des Kaisers dessen Sohn zum deutschen Könige erwählen.
Doch noch ein Grund lässt sich gegen die Anüahme eines
wirklichen Standes von ausschliesslich Bevorrechteten geltend
machen. Tacitus sagt: „Reges ex nobilitate, Düces ex virtute
sumunt." Wäre in der That ein Stand, wie ich ihn eben be-
zeichnet, vorhanden gewesen, wie würde es denkbar sein, dass
gerade eine der wichtigsten Stellungen, der alle Andern sich
unterzuordnen hatten, einen gewöhnlichen Freien hätte überge-
ben werden können, denn an dazu tüchtigen, Personen hätte es
in einem solchen Stande nicht* fehlen können und schon der
\
1) Procop., Bell. Goth. I. c. 11.
2) Paul. Diacooas III. c. 18.
8) Gregor, de Tours. II, 12.
4) Procopias, Bell. Goth. II, 29.
5) Einhardj Vita Garol. 80.
941
Einfluss, den derselbe haben musste, hätte es ihm leicht machen
müssen , eine solche Würde für immer an sich zu fesseln. Nun
nehme man aber den Sinn jener Worte dahin: Bei der Wahl
der Könige sehen sie auf das Alter des Geschlechts, bei der der
Herzöge aber nur auf die Tapferkeit, und man wy-d anerken-
nen müssen, 'dass nur eine solche Auffassung einen wahrhaft
ungezwungenen und der Natur der Dinge entsprechenden Sinn
gewährt.
Wenn wir sehen, wie Arminius durch Seine Verwandten
fällt, wie die norwegischen und schwedischen Gaukönige^ von
gemeinsamen Stammvätern abgeleitet werden und bei den Ale-
mannen sogar zu gleicher Zeit in zwei verschiedenen Gauen
Brüder als Gaukönige die Herrschaft haben, dann erscheint es
fast wahrscheinlich, dass die verschiedenen Gaufürsten ein und
desselben Volkes aus ein und derselben Familie hervorgegan-
gen seien.
Indem die Wahl sich an bestimmte Geschlechter knüpfte,
musste sich natürlich auch den sämmtlichen Gliedern ein beson-
deres Ansehen mittheilen. Schon der Einfluss, den die Stellung
des Oberhauptes gewährte, wirkte darauf ein, und ausserdem
konnte ja auch jedes einzelne Mitglied in jene höhere Stellung
erhoben werden. „Insignis nobilitas aut m$igna patrum merita,
principis dignationem etiam adolescentulis adsignant*', sagt Taci-
tus *). Mögen diese Worte auch ausgelegt werden, wie sie wol-
len, das geht wenigstens daraus hervor, dass sowohl das An-
sehen der Familie, als die Stellung des Vaters auch dem noch
verdienstlosen Knaben schon ein höheres Ansehen in der Ge-
meinde verliehen. Während die baierischen Gauhäuptlinge ein
doppeltes Wehrgeld haben, besitzen die Glieder der herzog-
lichen Familie ein vierfaches, der Herzog selbst aber ein sechs-
faches ^).
Solche mit keiner Würde bekleideten Mitglieder der könig-
lichen Geschlechter nennt Ammianus Marcellinus „Regales." Der-
selbe nennt auch Vitrodor, den Sohn deö Königs Viduar, eben-
wohl Regalis *). Er steUt diese Regales , wenn er von. ihnen
spricht, zwischen die Reges und die Reguü*) oder lässt sie w«-
1) Germ. 13.
2) Lex Bajuv II. c. 20.
8) Amm. Marcellioas XVII. 12, s. aacb XVIII. 2.
4) Ibid. XVill,- 2.
342
nigstens den Reguli und Optimati vorausgehen *). Diese Rega-
les sind in der Heimskringla die zur königlichen Familie gehöri-
gen ißlieder ohne Würdenatnen.
Dass nur das Amt, der Würdenamen, nicht aber die Gre-
burt den Grad der Ehre bestimmte, sieht man auch daraus, dass
hordische Könige zum Jarlthume herabsteigen. Nördlich in
Naumdal waren zwei Brüder Könige, welche innerhalb dreier
Sommer einen Hügel von Steinen, Lehm und Holz gebaut hat-
ten. Als sie erfuhren , dass König Haralld gegen sie heranziehe,
liess der eine, König HorlAug, viele Speise und Trank zum Hü-
gel fahren , ging dann mit zwölf Mannen hinein und liess den
Hügel zuwerfen. Der andere aber, König HroUaug, stieg auf den-
jenigen Hügel, auf dem di^ Könige gewöhnlich sassen, liess dort
den Königshochsitz bereiten und setzte sich hinein. Darauf liess
er auf dem Fussschemel, auf welchem die Jarle zu sitzen ge-
wohnt waren, Decken breiten und rollte sich aus dem Hochsitze
auf den Jarlssitz und gab sich selbst Jarlsnamen. Nachdem das
geschehen, ging er - dem Ktinig Haralld entgegen, gab diesem
sein ganzes Reich, bat ihn als seinen Mann zu nehmen und er-
zählte ihm sein Verfahren. Haralld nahm nun ein Schwert und
hing es ihm um, hing ein Schild an seinen Hals, führte ihn
als Jarl in den Hochsitz und gab ihm Naumdala-Fylki*). Dass
hiermit eine Minderung der Ehre erfolgte, ersieht man auch
aus der Rede Saelwikloffi's '). Aehnliöh wurden Jarle Bonden,
nämlich einfache Freie. Rögnwalld, der Jarl von Märi, schickte
seinen Sohn Hailad, nachdem derselbe Jarlsnamen angenommen,
nach den Orknei- Inseln gegen die Wikinger; als aber die Fahrt
missglückte, entsagte dieser dem Jarlthume und nahm Haullds-
Recht , d. h. das eines Grundeigenthümers , er wurde Bonde , so
dass der Vater klagte , seine Söhne würden ihren Voreltern un-
gleich werden. Glücklicher war dagegen ein anderer Sohn Einar,
den der Vater geringer anschlägt, weil sein ganzes Mutterge-
schlecht sklavgeboren war. Einar besiegte die Wikinger und
machte sich zum Jarl der orkneischen Eilande *).
Wie das Königthum sich an Geschlechter knüpfte, so war
dieses auch mit den Unterhäuptlingen, den Centenarien und Deka-
1) Amm. Marcellio. XVII. 12.
2) Saga Haralld des Haarscbönen. Kap. 8.
3) Das. Kap. 2.
4) Das, Kap, 27.
313
nen, der Fall, wenn auch wohl nicht in eben so stetiger Weise.
Nur lassen sich hierfür weniger Beweise finden. Die oben mit-
getheilten Stellen aus A. Maröellinus zeigen , dass sie mit zu den
Optimalen des Volks gezählt wurden. Als König Olaf dem Her-
sir Erling Skialyson Jarlthum anbot , erwiderte dieser : „ Hersar
sind meine Vorfahren gewesen und auch ich will keinen höhern
Namen haben als sie " *). Ein Aufsteigen zu höhern Würden
lag auch schon in der Entwickelung der Gaugebiete, und unter
den fränkis6hen Königen wird es ausdrücklich bezeugt, dass
man aus den untern Stellen bis zu den höchsten aufsteigen
konnte *). ^ . . -
Allerdings gewährt die Zeit des Königthums keinen An-
haltpunkt mehr für die Scheidung von Freien und Unfreien. Wie
es schon in der Natur einer jeden Gewalt liegt, ihre Herrschaft
auszudehnen, so war dieses auch mit dem Königthume der
Fall, und so schuf auch das Königthum eine neue Ehre: den
Königsdienst. Man betrachtete bald den Königsdienst als die
höchste Ehre, und diese Ehre hing lediglich von der Königs-
gunst ab. Schon Tacitus berichtet uns : die Freigelassenen ste-
hen nicht viel über den Sklaven, selten haben sie einige Gel-
tung im Hause, nie in der Gemeinde. Nur bei den imter Kö-
nigen stehenden Stämmen ist es anders, denn dort überflü-
geln sie sowohl die Freien als die Edeln ^) , und Gregor von
Tours*'*) erzählt uns ein Beispiel, wie unter den Merovingern
ein Unfreier sich vom Küchenjungen nach und nach bis zum
Grafen aufschwang. So ging unter der Königsherrschaft die
alte Freiheit und mit dieser das ursprüngliche Ealdordom un-
ter; die Stände wurden unter einander geschoben und das neu
sich bildende Ealdordom erhob sich auf wesentlich andern Grund-
lagen.
1) Saga vom König Olar Trygwason. Kap. 64.
2) Löbeil , Gregor von Tours und seine Zeit S. 186 ff.
3) Germ. c. 25.
4) Bist. Francor.
Sechster Abschnitt
Die Auflösung der Gauverbände.
Zwei , wenn auch an sich verschiedene , in ihrem innern Wesen
und noch mehr in ihren Folgen aber nahe verwandte Dinge
waren es , welche die alten Volksverbände nach und nach locker-
ten und lösten , nämlich die Immunitäten und das Erblichwerden
der Aemter.
Durch die Ertheilung der Immunität wurden einzelne Ge-
biete der Gewalt der ordentlichen Richter entzogen und an deren
Stelle traten Privatrichter, welche nicht mehr im königlichen
Namen, sondern im Namen ihrer Herren das Recht übten.
Die Immunität erhielt wohl zuerst die königliche Residenz.
Es lässt sich wenigstens nicht denken, dass einem gewöhnüchen
Richter über den Königshof eine Amtsgewalt gelassen worden
sei. Das Verhältniss des Gaugrafen als königUchen Beamten
zum Könige nöthigt unabweislich zu einer solchen Annahme.
An die Stelle des Grafen wurde demnach ein anderer Beamter
erforderlich und dieses war der Pfalzgraf. Wie jener, der Gau-
graf, den König im Gaue, so vertrat dieser, der Pfalzgraf, den-
selben in der Königspfalz und zwar anfänglich sicher ganz in
der gleichen Weise, nämlich als königlicher Richter, wie der
Graf auf der Malstätte des Gaues. Sein Komitat (die Schöpfen)
aber wurden durch die Grossen des Hofes (die Palatine) gebildet.
Wir finden diese Pfalzgrafen schon unter denMerovingern, wenn
auch unter andern Namen. Der, gewöhnlichste Titel ist „Major
domus", in der Regel durch Hausmeier übersetzt*)* Der an-
fänglich sicher nur lokale Charakter erweiterte sich später mehr
1) Die Yerschiedeoen Bezeichnungen s. bei Pertz, die Merowiogiscbeb Haosmeier
S. 12 ff. u. 148.
M5
und melir und gewann eine allgemeine Bedeutung. Der Pfalz-
graf wird der höchste öchterlighe Stellvertreter des Königs und
damit sein Gerichtshof (das Hofgericht) die höchste Appellations-
Instanz *). Wie mächtig diese Pfalzgrafen wurden, zeigt beson-
ders die Geschichte der merovingischen , Avelche zuletzt die
ganze königliche Macht in sich vereinigten und endlich sogar
das alte Königsgeschlecht gänzlich verdrängten.
Gab es bei den fränkischen Königen anfänglich auch nur
einen Pfalzgrafen, so mehrte sich doch deren Zahl, und wenn
der Sachsenpiegel für jeden der vier deutschen Völksstämme
eine Pfalz aufführt, dann darf toan wohl daraus schliessen, dass
für jedes Königthum auch eine Haupt -Königs -Residenz oder
doch wenigstens ein Pfalzgraf vorhanden gewesen sei.
Dass ausser den Hauptpfalzen in späterer Zeit auch noch
andere Königshöfe auf gleiche Weise eximirt worden sind, ist
' wohl nicht zu bezweifeln ; es weist wenigstens das Vorhanden-
sein ähnlicher Reichsbeamten darauf hin , welche man auf die-
sen Gütern findet.
Ob in ähnlicher Weise aber auch Besitzungen weltlicher
Grossen der Crrafengewalt entzogen worden, ist darum zweifel-
haft, weil alle Nachweise darüber mangeln ^).
Jedenfalls hatten diese Exemptionen auf das Ganze noch
keinen wesentlich störenden Einüuss ; weit tiefer griffen dagegen
schon diejenigen Immunitäts-Privilegien in die alten Verhältnisse
ein, welche den grössern geistlichen Stiftern gegeben wurden.
Beschränkten sich diese Befreiungen auch anfänglich — wie es
scheint — ; nur auf die Bischofssitze , meist feste Orte , in denen
in Folge der Exemption an die Stelle des Gaugrafen dann ein
Burggraf (urbis praefectus) trat, so ging man doch bald weiter
und es . wurde meist das gesammte weltliche Gebiet des Stiftes
der Gewalt der Grafen entzogen. Diese eximirten Gebiete wur-
den dadurch gewissermassen selbstständige Grafschaften, und
die Stelle des königlichen Grafen nahm nun ein vom Bischöfe
bestellter Beamter, der „Advocatusecclesiae" (Kirchenvogt), ein.
Ja, diese Privelegien wurden zuweilen sogar auch über solche
Gebiete noch ausgedehnt, in denen- das betreffende Stift nur
1) Vergl Pfaff, Gesch. de& Pralzgrafenamtes.
2) Eichhorn, deutsche Staats- u. Becbtsgeschichte. 4te Aufl. I. S. 739. Bei der
Beurtheiliing diesep Frage ist es wesentlich, dass man das öffentliche Gericht vom Hof-
gerichte unterscheidet , was nicht immer geschieht.
34«
einen geringen Besitz, oft nur wenige Hufen besass, so dass
also auch alle ausserdem noch darin sesshaften freien Grundei-
genthümer mit unter den bischöflichen Gerichtsb'ann gestellt
wurden *).
Diese Befreiung der geistlichen Güter von der Grafenge-
walt gestaltete sich im Verlaufe der Zeit zu einer feststehenden
Regel, so dass die Befreiung gleich mit der Uebergabe des Gu-
tes verbunden wurde, und auch das' schien endlich nicht mehr
zu genügen, .und man begann nun auch ganze Grafschaften,
also Gaue mit der vollen Grafengewalt oder allen Rechten des
Königs, an 'die Bischöfe zu übergeben, was am häufigsten unter
dem sächsischen Kaiserhause der Fall war.
So sehr aber auch durch diese Entäusserüngen der Ge-
richtsbarkeit schon der Bestand der alten Verfassung erschüttert
wurde, so wirkte doch das datieberi und Hand in Hand damit
fortschreitende Erblichwerden der Grafenwürde in einer noch
weit verderblicheren Weise.
Diese Vererblichung der Grafenämter erfolgte wieder ganz
auf demselben Wege , auf. dem sich auch das Familien-Erbrecht
der alten Gauhäuptlinge ausgebildet hatte.
Wir haben oben gesehen, dass eins der hauptsächlichsten
Erkennungszeichen des Königthums eben in der freien Einse-
tzung der . Grafen bestand. Dessen ungeachtet bemerkt man
schon unter den Merovingem hin und wieder solche Aemter
sich an einzelne Familien anknüpfen. Und dass auch das Stre-
ben der Grossen dahin gerichtet war, das, was sie rechtlich
nur vorübergehend besassen, sich auch für die Dauer zu sichern,
ist so natürlich, dass dieselbe Erscheinung unter gleichen Ver-
hältnissen sich immer und allenthalben wiederholen wird.
Was dieses Streben wesentlich erleichterte, war der Ge-
brauch , meist die Angesehnsten und ^Begütertsten im Gaue mit
dessen Verwaltung zu betrauen; 'ja König Chlotar sprach sogar
in einem Gesetze von 613 als Grundsatz aus, dass stets nur
Eingesessene als Grafen (judices) bestellt werden sollten, damit
dieselben mit ihrem Vermögen für den Schaden haften könnten,
welcher etwa von ihnen geschehe ^).
1) S. z. B. das Privileg für Worips vom J. 858 bei Schanoat, Bist. Wonnat.
II. p. 8.
2) „Ut Dallas judex de aliis provinciis aut regionibos in alia löco ordioetur ; jQt
347
Man war so auf dem besten Wege die Katastrophe der
Auflösung schon früher herbeizuführen und nur der Wechsel
der Herrschaft verschob noch deren Eintritt. Die kräftige Hand
der Ersten Karolinger richtete die gelockerten Fugen des Gebäu-'
des wieder zusammen. Vorzüglich aber war es Karl der Grosse,
welcher Sorge dafür trug der Gewalt der Grossen Schranken
zu ziehen. Seine Missi, welche jährlich ausgesendet wurden,
dienten insbesondere dazu die herzogliche Macht zu beschrän-
ken, oder wohl auch vollständig zu ersetzen, während er
durch den Grundsatz, allenfalls nur den Markgrafen mehrere
Gaue unterzuordnen, im Innern dagegen jedem Grafen nur ei-
nen Gau zu geben, auch die Macht der Grafen in bescheide-
nen Schranken erhielt*).
Für die Erhaltung des grossen Frankenreiches hätte Karl
Nachfolger bedurft, welche mit gleicher Kraft das Ganze zusam-
men zu halten im Stande gewesen wären. Es war dieses für
den Fortbestand des Reiches um so nothwendiger , als dasselbe
aus den verschiedensten Bestandtheilen'mit dem Schwerte zu-
sammengefügt, nur in der Person des Königs seinen Einigungs-
punkt hatte. Sollte auch dieser Einigungspunkt durch das einge-
setzte Oberkönigthum erhalten werden, so gelangte dieses doch zu
keiner vollen Wirklichkeit und blieb nur ein lockeres Band, bei wei-
tem nicht ausreichend, um die durch die Theilungen des Reiches
geschaffenen Königreiche zusammen zu halten. Ohnehin fehlte
schon Karl's Sohne, dem frommen Ludwig, die Kraft. Krieg zwi-
schen dem Vater und den Söhnen, wie zwischen den Brüdern
steigerten die Schwäche und mit der sinkenden Königsmacht
wuchs in demselben Grade die Macht der kaum von Karl ge-
bändigten Grossen. Viele auf die Erhaltung und Befestigung
des Ganzen von Karl gegründete Einrichtungen wurden* ver-
gessen, verfielen, oder wurden auch wohl abgeschafft, und bald
ging man auf demselben Wege zurück , auf xiem die ersten Ka-
rolinger vorgeschritten waren.
Unter diesen zerrütteten Zuständen wurde es den Grossen
leicht ihr Ansehen und ihre Macht zu befestigen.
si aliqoid de qaibaslibet conditionibus perpetraverit , de suis propriis rebus exinde
qnod male abstnlerit ioxta legis ordioem debeat restitnere".
1) „ Providentissimus Carolas nullt Gomitum , nisi bis, qni in conßoio vel ter-
mino barbarorum constUuti erant, plus quam unum Gomitatum aliquando concessit**«
Monachus, H. Call. L. I.e. 13.
S48
Schon aus dem Kapitular von 877*) ersieht man, dass es
hereits Regel geworden war dem Sohne das Benefizium des Vaters
zu lassen. Auf dem Zuge- nach Italien traf nämlich Karl der
Kahle Bestimmungen , wie es. während' seiner Abwesenheit und
für den Fall seines Todes gehalten werden sollte und zwar mit
Zustimmung seiner Grossen. Es wurde dadurch Karl's Sohn
Ludwig zum Reichsverweser erhannt und unter andern bestimmt,
dass, wenn ein Graf sterbe, dessen Sohn mit in Italien sei, Lud-
wig mit Rath der Grossen für die Verwaltung der Grafschaft
Vorsorge treffen solle, bis der Sohn zurückkehre. Wenn noch
ein jüngerer zur Verwaltung der Grafschaft schon tüchtiger Bru-
der in der Heimath geblieben, solle diesem vorzugsweise die-
selbe |ur den abwesenden Bruder anvertraut werden. Nidht we-
niger gab Karl die Bestimmung, dass, wenn nach seinem Tode
einer seiner Getreuen sich in den geistlichen Stand zurückzuzie-
hen begehre (seculo renunciare voluerit) und einen Sohn oder
andern Verwandten habe, der zum Grafenamt geeignet sei, ihm
gestattet ^ein solle, diesem sein Amt (suos honores) zu über-
geben.
Allerdings - ist darin noch keineswegs ein Erbrecht aner-
kannt, es ist vielmehr nur eine Vergünstigung und erst durch
die wirkliche Einsetzung geht das Amt auf den Sohn über; aber
es wird doch offenbar der üebergang des Amtes von dem Va-
ter auf den Sohn als eine bereits bestehende Gewohnheit aner-
kannt und diese immer allgemeiner werdende Gewohnheit musste
natürlich je länger je mehr auf die Staatsverfassung einen auf-
lösenden Einfluss üben, und insbesondere darauf wirken, dass
das Recht des Königs, ein verliehenes Amt sowohl nach dem
Tode des Inhabers als nach dem des Verleihers, also beim
ThronfaUe, wieder einzuziehen, immer mehr ausser Anwen-
dung kam.
Wir sehen dieses gleich nach Karl des Kahlen Tode {877).
Als Ludwig der Stammler von dem ThronfaÜsrechte Gebrauch
machte und Aemter verlieh, deren seitherige Inhaber noch leb-
ten, fand er so entschiedenen Widerstand, dass er sich gezwun-
gen sah, die Verletzten zu entschädigen^).
1) Perlz, Leg. I.'p. 537. • '
2) S. die jedeofolis ricblige Erklirang der in den beriiaiscfaen Annafen TorkoiD'
menden Stelle bei Roth, das Beoefiziaiwesen S. 420.
34»
Zu derselben Zeit finden wir denn auch schon Benefizien,
Welche bereits durch drei bis vier Generationen hin in dersel-
ben Familie sich erhalten hatten („quae illi et patres illorum et
avi et atavi illorum — **) , und als Karl der Dicke den Versuch
n^achte, dieselben einzuziehen, es ihm damit nicht besser er-
^ng, als Ludwig, denn die betroffenen Familien erhoben sich zu
oflFener Empörung und zwangen den König zum Nachgeben *).
Dessen ungeachtet befestigte sich die Erblichkeit der Aem-
ter nur sehr allmälig. Mochten dieselben auch regelmässig von
dem Vater auf den Sohn übergehen, so blieben sie doch noch
immer geschlossene Ganze und nicht nur die königliche Verlei-
hung war ein nothwendiges Erforderniss , sondern diese Verlei-
hung konnte auch nur ein Glied der Familie erhalten. Wohl
aber musste sich mit diesem Befestigen des Besitzes in dersel-
ben Familie auch der Begriff eines Familienguts immer mehr
ausbilden und sobald das geschehen war, auch die Theilbarkeit
des Erbes angebahnt. Noch 949 hebt Regino in seinen fränki-
schen Annalen ausdrücklich und zwar unverkenntlich als etwas
nicht Gewöhnliches hervor, dass Graf Uto vor seinem Tode seine
Benefizien und Aemter, mit Gestattung des Königs, gleich als
seien dieselben Erbgut, unter seine Söhne vertheilt habe *) , ja
es wird sogar noch von Otto dem Grossen als eine ungewöhn-
liehe und ganz freiwillige Begünstigung betrachtet, dass er ei-,
nem Sohne .die erledigten Grafschaften des Vaters übertrug ^).
Wie sehr sich aber dessenungeachtet doch auch die Idee
der Erblichkeit schon befestigt hatte, zjeigt Tankmar, der ein-
fach nach der Markgrafschaft des Grafen Sifried greift (937),
eben nur weil er mit demselben verwandt war*;. Markgraf Gero
hatte, obwohl noch Knabe, schon 978 eine Grafschaft^) und eben-
so sehen wir einfach nicht etwa einen Sohn des Grafen Eck-
1) Roth a. a. 0. S. 421.
2) „Uto comes obiit, qui permissn regis quicquid beneficii aat prefecluraram
habiiit, qnasi beredilatem inier fiiios divisil)\ Begino, ad anniim 949. ap. Pertz, Mon.
H. Germ. 1. 620.
8) „Rex — episcopo — magnam consolalionis revelalionem faciens de Dielpaldo fra-
tre eias, qui iu bello occisus est, -^ Richwinum, Giium Oietpaidi, comitatibus patris
honoravit'*. Gerardus ia vila S. Ydalrici c. 12. ap. Perlz 1. c. IV, p. 402.
4)^Widakind 1[. 9.
5) „In comitatu pueri Geronis io pago Sirmnnti". Beckmann, Anhalt. Hislor.
I. S. 429.
850
brecht, sondern dessen Söhne in dessen Grafschaft folgen*).
Viele Grafenfamilien waren schon damals nicht nur seit langen
Zeiten im unuiiterbrophenen Besit2je von Grafschaften, sondern
bestimmten auch darüber wie über ihr Erbgut. In Flandern, der
Grafschaft Balduin's, war es seit vielen Jahrhunderten herge-
bracht und galt für ein beständiges Gesetz , dass* einer der Söh-
ne , welcher dem Vater der wohlgefälligste war, den Namen des
Vaters annahm und das Fürstenthum über ganz Flandern als ei-
niger Erbe erhielt^).
Aehrilich war das Verhältniss bei den Grafen im Chiemgau.
„Si autem — sagt Graf Orendil — aliquis de filiis meis, dig-
' » *
nus fuerit, ut ad ministerium comitis perveniat, — volo ut ean-
dem rem in beneficium accipiat ". Aber auch auf weibliche
Erben gingen schon Grafschäften über, und nicht nur das, man
setzte Grafschaften sogar auch als Witthum ein.- Des obenge-
nannten Grafen Balduin Gemahlin hatte demselben eine Graf-
schaft zugebracht, welche ihr erster Gatte ihr zum Witthum be-
stimmt hatte ^). Der Sohn gab dieselbe' der Kirche zu Lüt-
tich, darauf belehnte der Bischof von Lüttich den Herzog Gott-
fried damit und dieser gab sie wieder Jenem Sohne Balduins zu
Lehen*).
Mit dem Ende des elften Jahrhunderts sind beinahe alle
Beneflzien und damit auch die Grafschaften erblich geworden,
so dass wir Grafschaften sogar in Frauenhänden finden^).
Sobald das ursprünglich nur zeitweiUge Amt .sich in ein
Erbgut verwandelt hatte, also eine Herrschaft *) geworden war,
musste es selbstverständlich auch allen den Wechseln verfallen,
1) 1011: „In pago Hastfala siue Ambargam in comitatu ßliorum Ekbrabli comi-
tis '^ LuQlzel, die allere Diözese Hildesheim- S. 348.
2) „In comitatu Baldpini eiusque fapiilia id multis jam secuüs servabatar quasi
sancilom lege jferpetua , ut iinus filiorum, qui patri polissimum placuisset , nomen pa-
tris acciperet, et totius Flandriae principatum solus haereditaria successione obtinerel".
Lamb. de Ascbaffenbg. ad an. 1071. ap. Pertz I. c. V, 180.
3) „Filius Balduini — comitatum Reginberi quondam comitis, cum-castello, —
quae scilicet praedia, mater eius a priore marito suo dotis nomine acceperat, sancto
Lamperto tradidit.
4) Ibid. p. 182.
5) 1112 : „in comitatu Gertrudis comitissae**. Harenberg, Bist. Quedlinbg. P' 179'
6) Schon 1066 lindet sieb wirklich diese Bezeichnung, in dem bessiscben Sacb-
sebgau „Enghere herescbepe " genannt wird. Wigand, Westph. Archiv VII. S. 42.
S51
I V
welchen Erbgüter unterworfen sind. Die Zerreissung des seit-
her einheitlichen Gebiets war die nächste nothwendige Folge.
Diese Zerreissung erfolgte indessen nicht allenthalben auf die
gleiche Weise ; waren auch «die Wirkungen allenthalben diesel-
beü, so wraren die Ursachen doch um so marinichfaltiger.
Die Grafschaften erhielten sich nicht einmal immer als vom
Kaiser abhängiges Lehn. Ausser den eximirten geistlichen Ge-
bieten und den an die Stifter geschenkten Grafschaften, wur-
den deren von den Kaisem auch an Weltliche verpfändet und
jgingen, 'da die fortdauernden Verlegenheiten der Kaiser eine
Wiedereinlösung verhinderten, als allodiales Gut auf die Erben
oder auch wohl in den freien Verkehr über. Auch durch Un-
terlassung des neuen Empfangs und Vernachlässigung von Sei-
ten des kaiserlichen Lehnhofs mag manche Grafschaft ihre be-
nefiziale Natur verloren haben.
Was zunächst, nachdem die Grafschäften erblich gewor-
den, zu eitler Zertrennung derselben führte, waren sicher die
Theilungen als Erbgut zwischen Brüdern oder Verwandten.
Schon oben ist davon ein Beispiel angeführt worden. Derar-
tige Theilungen fanden nach den Centen statt, aus welchen
der Gau bestand, und' zwar in der Weise, dass auf jede ein-
zelne Cent die volle Grafengewalt überging. Alle Grafschaf-
ten in der Provinz Ripuarien sind eigentlich nur alte Centen
und wahrscheinüch eben nur durch solche Theilungen selbst-
ständige Grafschaften geworden. Ebenso sind auch die thürin-
gischen Gaugrafschaften meist nur alte Centgrafschaften, und
derselben Thatsache begegnet man noch in vielen andern Ge-
genden.
Aber nicht blos durch Erbtheilung, sondern auch durch
Verkauf, Versatz, Mitgift an Töchter und Weggabe zu Lehen
gingen sowohl ganze Grafschaften als auch Theile derselben in
andere Hände über. Was übrigens hierbei insbesondere zum
Auseinandertrennen führte, war der Umstand, dass sich die Ver-
hältnisse zwischen den Gaugrafen und deren Centenarien ganz
in derselben Weise entwickelten, wie dieses zwischen den Kö-
nigen und den Gaugrafen der Fall gewesen war.
Dass in den meisten Gegenden Frankreichs die Centenare
auschliesslich Vikare genannt wurden, ist schon angeführt wor-
den. Sie handelten demnach an des Grafen Stelle und übten,
wie dieses die Allgemeinheit der sogar auf das' Gebiet über-
gegangenen Bezeichnung beweist, die volle Grafengewalt und
zwar, was eben wohl wieder aus dieser Allgemeinheit geschlos-
sen werden muss, nicht etwa blos in Verhinderungsfällen des
Grafen und ai^ dessen Malstätte, «otidern in ihrem eigenen Ge-
biete. Der Graf hatte sich also wenigstens der richterlichen
Pflicht, wenn nicht ganz, doch z.um grössten Theile entzogen
und nahm mehr die Stelle eines Gebieters ein, Natürlich hob
sich hierdurch die Bedeutung der Vikare und ihr Amt fesselte
sich in derselben Weise an vbestimmte Familien , wie dieses bei
den Grafen geschehen war. Schon frühe- tritt uns hier das Vi-
cekomftat als erblich entgegen, und bereits im zehnten Jahr-
hundert begegnen wir ihm sogar in weiblicher Hand. Die
„Vicecomitissa de Narbona" vermachte in ihrem Testamente von
989 den „Vicecomitatum de Narbona" mit alle seinen Zubehö-
rungen ihrem Sohne Raimund*).
^ Aehnliches finden wir auch in Deutschland. Hier sehen
wir zweierlei Vikare, bald einen ausdrücklich als Vertreter des
Grafen bestellten Beamten, bald auch den gewöhnlichen Cen-
tenar^), doch sind beide nicht immer zu unterscheiden. Schon
825 findet man zwei Stellvertreter des- Grafen im Grabfelde ; als
damals die Gränzen des Klosters Hünfeld festgestellt wurden,
geschah . dieses „coram missis Popponis comitis Luitprante uide-
licet et Geborohe"^). Es ist freilich zweifelhaft, ob untei- die-
sen Abgesandten ständig oder nur vorübergehend Bevollmäch-
tigte zü verstehen sind, obwohl die Bezeichnung „.Missus" fiir
Stellvertreter der Grafen keineswegs selten ist. Eine jedenfalls
mehr ständige Stellung nahmen dagegen die „Advoeati" und „Vi-
cecomites " ein. Eine Urkunde voii 868 wird ausgestellt: „in
comitatu Adalperti comitis sub vicario Odalricho"*), und in einer
andern von 889 heisst es: „sub dominatione Eberhardi comitis
et aduocati sui Adalperti!' 5). Deutlicher und erkenntlicher noch
treten diese gräflichen Stellvertreter jedoch später auf In einer
1) „Ad Raymundum ?icecoroitem filium menm dono ipse vicecomilaliim de Nar-
bona seu NarboneQse cum ipsos ceiisos et disirictos et cum ipsiioi bonorem, qui vi-
ceeomes inde habuit vei babere debet et ccrni ipsos fiscos^^ .Martine et Durand 1. c
I. p. J04.
2) S. die bei Waitz a. a. 0. II. S. 425 gesamäieUen Stellen.
. 3) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Dr.^456.
4) Wirlembg. ükbcb. I. S. 169.
&) Neogart, Cod, dipl^ St. Gall. 479.
Urkunde von 1040 lesen wir : „in comitatibuS' Adftiberti marchio-
nis et Ditmari presidis** und eine alte deutsche üebersetzung .
gibt fiff Praeses — Landrichter*). Im fränkischen Hessen-
gau ßndet man neben dem Gaugrafen zuerst 1109 einen Sub-
eomes Giso, der aucl^, nachdem die Grafschaft an die Thürin-
g^ übergegangen, in seinem Amte blieb und zugleich als „Sub-
adTocatos" die Vogtei des Klosters Hasungen verwaltete, und
bei seinem Tode 1137 „Comes Hassiae" genannt wird. Auch spä-
ter zeigen sich noch Untergrafen desselben Namens, so' 1226
« Gyso' uicecomes de Wodensberg" (Gudensberg, der gräfliche
Sitz) , von 1253 — 1274 aber ein Giso als Judex Provincialis Has-
siae, Judex generahs. Judex a domino Lantgravio per terram
Hassiae, constitutus est etc., bis später auch andere Personen die-
se Stelle einnehmen und für diese dann auch die deutsche Be-
zeichnung Landrichter gebraucht wird 2).
Soweit es sich erkennen lässt, scheint diese Art von ün-
tergrafen keinen wesentlichen Einfluss auf die Umgestaltung der
territorialen Verhältnisse gehabt zu haben. Um so grösser war
dagegen die Einwirkung, welche die auch in Deutschland ein-
tretende Veränderung in der Stellung der Centenarien herbeiführ-
te. Diese Einwirkung ging jedoch weniger aus der Eigenschaft
der Centenarien als Vertreter der Gaugrafen, als aus dem Erb-
lichwerden ihres Amtes hervor. Lässt sich der Weg , den diese
Entwicklung nahm, auch nur selten unmittelbar nachweisen, so
ist er doch mit ziemlicher Sicherheit aus den spätem Zustän-
den zu erkennen. Vor allem steht das fest, dass die Centgraf-
schaften auch in Deutschland erblich wurden, zuerst wohl in den
^ximirten geistlichen Gebieten und den den Stiftern übergebenen
Grafschaften. Diese Vererblichung der Centgrafschaften blieb
nicht ohne wesentüchen Einfluss auf die Gaugrafschaften. In-
dem diese dadurch in Herrschaften verwandelt wurden, wurde
zugleich die alte Gaugrafenwürde in eine höhere Stellung gehoben,
^ine Stellung, die allenfalls mit der des alten Königthums zu
den Häuptlingen zu vergleichen ist. D^er Graf behielt zwar no6h
nach wie vor seine richterhche Eigenschaft, aber er brachte sie
iiur noch w^nig persönlich in Anwendung und überliess viel-
niehr den grössten Theil seiner Geschäfte den Centenaren. Da^
<lurch hob sich natürlich auch die Bedeutung der Centenare und
i) Mon. boica XI. p. 148 ii. 151. S. auch p. 154.
2) Landau, hess. AitjerlNirgeD IV. S. 19).
Landau. Territorien, , ^o
354
selbst deren Malstätten gewannen in demselben Grade an Wich-
tigkeit, als die alte Hauptstätte des Gaues verödete.
Die unmittelbare Folge dieser Veränderung in der Stellung
der Centgrafen war der vollständige Uebergang aller 6rafei^*echte
auf die Centgrafschaften. £s geschah dieses, in so weit es sich
<
erkennen lässt, auf zweierlei Weise. Entweder traten die Cent-
grafen durch den Abgang der alten .Gaugrafen einfach an deren
Stelle, oder die Gaugrafen gaben ihre Grafenrechte der Centgra-
fen zu Lehen.
Doch nicht blos der Gau und die Cent kamen in feste
Hände, auch mit der Bauerschaft war dasselbe der Fall.
Schon im elften Jahrhundert erscheint diese Umwandlung
der Verhältnisse vollendet.
Die alten Banden gingen allenthalben auseinander. Wie
der Gau sich in seine Centen aufgelöst und die' Grafenrechte
auf diese übertragen hatte, so lösten sich auch die Centen
in ihre Dorfgemeinden (Dekanien) auf und diß alte Dorfgemein-
de wurde nun, je nachdem eine solche Dekanie ein einzel-
nes Besitzthum bildete oder mehrere Dekanien in einer Hand
vereinigt waren, entweder die Trägerin der gesammten Graf-
schaftsrechte, oder rüqkte einfach in die Stelle der alten Cent ein.
Es schied sich Alles in seine Einheiten, und nur die bekamt
behielt , wenn auch unter änderm Namen , ihre alte Form und
musste diese behalten, weil sie auf der einheitlichen Mark ruhte
und diese durch das Gemeingut zu einem festen Ganzen verbun-
den war. Sie wechselte nur den Namen, sie wurde zur Cent.
Alle jene Centen, welche wir im spätem Mittelalter finden und
die sich zu einem grossen Theile noch bis heute erhalten ha-
ben, sind alte Dekanien.
Diese Veränderung in der Stellung tritt am anschauM-
sten durch einen Vergleich mit den kirchlichen Gebieten hervor,
weil diese den weltlichen nachgebildet worden sind und uns des-
halb das alte Verhältniss noch deutlich vor die Augen zu stel-
len vermögen. Verkauf und Verpfandung, Verleihung und Ver-
erbung, sowie Erbtheilung warfen diese losgetrennten Theile
noch meht durch einander und.es bildeten sich heue Grafschaften.
Erhielten sich auch die alten Gaunamen noch, so waren es doch
nur noch Landschaftsbezeichnungen/ Es trat jetzt ein, was schon
so oft besprochen worden ist und was so Viele irre geleitet hat :
Gau und Grafschaft wurden wesentlich verschiedene Begriffe.
d55
Diese neuen Grafschaften wurden aus den gelösten Bestand- ^
theilen oft sehr verschiedener Gaue zusammengesetzt. Bereits
in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts finden sich derartige
neugebildete Grafschaften. So war die westphälische Grafschaft
Hermann's aus Theilen dreier verschiedener Gaue zusammen-
gefügt *). Die Grafschaft 'Haold's bestand aus Theilen von sechs-
zehn Gauen 2). Kaiser Heinrich III. gab 1051 der hildesheimi-
schen Kirche: „comitatum, quem Brun eiusque filius scilicet
noster frater Livtolfus nee non et eius filius Echbreht comites
ex imperiali aucto^-itate in beneficium habuerunt, in pagis Nort-
doringen, Darlingen, Valen, Salthga, Grethe, Molbeze«, et in
publicis aecclesiarum parochiis Sceuingen, Vuethuenstete , Sci-
phingstete , Lucgenheim , Ellovesheim , Stockheim , Tenesdorf,
Ringilmo, Beginburstalle, Honengesbuthele, Huinhusen situm"*).
Diese Grafschaft bestand demnach aus elf iif sechs Gauen zer-
streut liegenden Kirchspielen. Noch eine andete Grafschaft be-
stand 1068 aus vier Kirchspielen in drei verschiedenen Gauen *).
Es entstanden also auf diese Weise völlig neue Gebiete, hier
gi'össere, dort kleinere, je nachdem es glückte, die alten Amts-
gebiete mehr zusammen zu halten oder neue Erwerbungen zu
machen, auch wohl je nach dem Masse man die einzelnen Ge-
biete in unmittelbarem Besitze behielt öder zu Lehn ausgab..
Einige Beispiele mögen den dadurch eintretenden Zustand
veranschaulichen.
Der zur mainzischc^n Diözes gehörige, meist rechts der Die-
nael liegende, Theil des sächsischen Hessengaus bildete eine ei-
gene Grafschaft und war ursprünglich sicher eine Cent des Ge- '
sammtgaus. Als Graf, und zwar mit der vollen Gaugrafenge-
walt, findet sich von 998—1020 Dodicho von Warburg. Die
als zu seiner Grafschaft gehörig vorkommenden Orte Heimars-
hausen , Gottsbüren , Stammen , Hümme y Meiser , Escheberg und
Reginhereshausen, letzterer mit seiner die südUche Hälfte des Rein-
hardswaldes umgreifenden Mark, zeigen, dass jenes ganze Gebiet
zu seinem Amtsbezirke gehörte. Ausserdem besass er noch Theile
1) „Gomitatnm Rerimanni co^iitis sitom m isUs tribos pagis Auga, Netega, Hes-
sega." Leibnit. S. Brunsv. I. 562.
2) Ibid. p. 524.
3} LüDtzel, die ältere Diözese Hildesheim. S. 364 u. 365*
4) Das. S: 367.
23*
m
^es, Itterg?iues und des PatUergaues, welche zusammen mit jenem
als sein Comitatus bezeichnet werden. Nachdem er 4.020 ge-
storbeil , : gab Kaiser Heinrich 11. 1021 die ganze Grafschaft ^n
das Stift Paderborn. D.odicho hatte also seine Grafschaft noch
vorn Kaiser erhalten. ,Dass jene Schenkung spjiter von Kon-
rad IL zu Gunsten des Frzstifts Mainz widerrufen und nachher
ßv Paderborn wieder hergestellt wurde, korrupt hierbei njcht in
JBefcracht. Ijfach Dodicho finden Wir nun Graf* Bernhard {Benno)
xmd nach diesem den Grafen Osolt in dem Besitze des Kopiitats,
die demnach beide nicht mehr vom Kaiser, sondena yon dem
paderbomischen oder mainzischen Stifte eingesetzt waren.
Doch noch während Dodicho's Leben (1018) findet sich ein
Graf Udo in derselben Gegend, ja in denselben Kirchspielen,
i4 welchen auch Graf Dodicho urkundlich zu derselben Zeit auf-
tritt. Man hat hierin einen unlösbaren Widerspruch gefunden;
doch dem ist nicht so. Udo wird ausdrücklich als Graf oder,
^ie es einmal auch heisst, als Praeses im Gaue Hemmerfelden
genannt. Es weist dieses unzweifelhaft auf einen bestimmten
in sich abgeschlossenen Bezirk hin. Betrachtet man die Lage
der Orte, welche als zu diesem Gaue gehörig genannt werden,
so liegen dieselben in den sich berührenden beiden Gerichten
Trei^delburg und Schartenberg und das Räthsel löst sich einfach
dahin, dass beide Gerichte damals noch eine Einheit, nämlich'
den Gau Hemmerfelden ,^ bildeten , dass dieser Gau eine Cent
der Grafschaft war, und dass Udo derselben als Centgraf vor-
stand. Vor ihm werden Güter übergeben," und da eine derar-
tigö Uebergabe vor das Gaugrafengericht gehörte, scheint er
hier als Stellvertreter des Grafen Dodicho gehandelt zu haben,
worauf auch der angeführte Titel Praeses hindeuten mochte.
Man hält diesen Udo gewöhnlich für einen Grafen von Katlen-
bürg und ich habe gegen diese Annahme keine Einwendung zu
machen.
Der Oberiahngau bestand aus drei kirchlichen Dekanaten
und eben so vielen Centen , .aber schon frühe bildete jede dieser
Centen eine eigene Grafschaft. In dem Besitz der nördlichsten,
der Grafschaft Wetter oder Stift, findet man seit dem zwoklen
Jahrhundert die Grafen von Battenberg und sie betrachteten die-
ses Besitzthum als Allodium, denn nachdem sie anfanglich mit
dem Erzstifte Mainz in Unterhandlungen gestanden, um diesem
ihre Grafschaft zu Lehn aufzutragen, verkauften sie dieselbe
ts/t
1288 und 1297 dem genannten HocÄstifte , ufnd Ä^a^ ftei und
ohne jegliche Zustimmung eines Drittel. Bezeichnend fii^ die'
hwiern Verhältnisse ist nun die Weise, wie die Grafen in de
Verkaufs - Urkunde die eineinen Cetiten aufzählen. Zueröt nen-
nen sie nämlich die Centen Arfelden , Rödenau , Bentreff i;nd
Ti^ei^ tnd setzen . hinzu : ,,iste Gente quätuör sunt omninö li-
here", d. h. sie hesassen diese Centen unmittelbar, sie übten
die Gerichtsbarkeit selbst oder durch ihre Schultheissen aus.
Von der Cent Treisa hatten indestsen schon damals die Grafen
von Ziegenhain den Hauptort, nämlich Treisa selbst, abgerissen
und deaselbeö in eine Stadt verwandelt. Dann folgen zweiCen
ten Gelsmat und Bromskirchen riiit der Bemerkung : „in istis
duabtis (Centeniö) .Sunt Centgravii residentes et jus Comitis übe
mtn est omnino", d. h. diese Centen waren an dort ansässige
Gentgtafen erbHch verliehen und nur .das Grafenrecht (der Blut
bann) stand den Verkäufern noch zu. Aber auch das war we-
nigstens in der Cent Geismar nur noch nominell der Fall, in
der That übteft die dortigen Centgrafen , die Yögte vOn Kese-
berg, auch schon die hohe Gerichtsbarkeit aus. Auch hatten
. sich daitialiS schon die Landgrafen von Thüringen in die Cent
Geismar eingedrängt und darin zwei Städte, Frankeriberg und
Frankenau, angelegt. Endlich kommen diie Centen Lixfeld, Daut-
ßhe, Wetter und Lasphe mit der Bemerkung: „in Ulis ültimlö
Lantgravius toUit omnem justiciam violenter". Hier also hätten
sich die Landgrafen der ganzen Gerichtsbarkeit bemächtigt. Die
ebenwobl noch zur Grafschaft Battenberg gehörige Cent Viör-
müfiden War dagegen schon ganz abhanden gekommen und wird
deshalb auch nicht mit aufgeführt. Ebenso findet man einige
jtlner Cettteft schon in jen^r Zeit bereits wieder in mehrere Ge-
richtle getheilt.
Gunz ähnliche Erscheinungen bietet auch der fränkiäche
Hesseögau. Noch kurz vor seinem Tode (1120) hatte Graf Wtär-
nlBöp von Grünittgen die Grafschaft zu mainzischem Lehen ge-
maeht und' als solche ging dieselbe auf das thüringische HÜüiä
über. Aber die Grafschaft war keineswegs noch eine Einheit.
Nur ein Theil von ihr findet sich im wirklichen Besitze der Lahd-
grafenj andere und nicht unbedeutende Stücke llesässen die (tra-
fen von Ziegenhain, von Bilstein, yon Schaumburg, von Willofs-
. bach, von- Felsberg, von Waldeck, von Naumburg u. s. W. und
diese Grafen hatten zum Theil nicht einmal gstlaze Cönt^n , ich'
356
meine alte Genten, sondern meist nur Theile von solchen, näm-
lich alte Zehntschaften *). ,
Diese Beispiele werden hoffentlich genügen, um dem Le-
ser ein anschauliches Bild von dem Gange der neuen Territorial -
Bildung zu gewähren , welche durch das Erblichwerden der Aem-
ter herbeigeführt wurde. Sogar einzelne Orte wurden losgeris-
sen, indem man deren Inhabern die volle . Gerichtsbarkeit ge-
währte- Wie Graf Gerhard von Holstein seinem Waffenträger
„plenam iurisdictionem" für seinen Hof bei Itzhoe gab*), . so
kommen ähnliche Fälle noch häufig vor.
Jene Umwandlungen wirkten 'nun auch, weiter auf die Stel-
lung der Personen. Indem die alten Beamten Herren geworden,
überliessen sie selbst wieder die Ausübung» der Gerichtsbarkeit
von ihnen eingesetzten Beamten.' Der, welcher mehrere der
neuen Genten besass, einigte dieselben zu einem Amt«^) oder
Landgerichte und stellte aa dessen Spitze einen Amtmann
oder Vogt (offtcialis, advocatus), während für jedes der ver-
bundenen Gentgerichte ein Schultheiss oder Gentgrebe
bestellt wurde. Der letztere übte die Gentgerichtsharkeit, der
erstere hingegen sass dem aus den sämnitlichen Gentgerichten
gebildeten Landgerichte vor und seine Stellung -entsprach ganz
und gar der der alten Gaugrafen. Die Dekanie wurde dagegen
mehr auf die einzelnen Dörfer zurücl^gedrängt , bestand aber in
ihrem Wesen ebenwohl noch fort und zeigt sich in Hessen na-
mentlich noch bis in neuere Zeiten in den sogenannten Gre-
benstühlen,m welche jedes Gericht getheilt war und vor welchen
Feldfrevel und andere kleine Polizeivergehen abgeurtheilt wurden.
Es war demnach nicht die Verfassung selbst , welche sich
verändert hatte , es waren vielmehr nur die territorialen Grund-
I ^
lagen derselben verschoben, und es kann aus diesem Grunde
auch von einer Auflösung der Gauverfassung in dem Sinne, wie
man diese gewöhnlich zu betrachten gewohnt ist, keine Rede sein.
Mit jener Wandlung stan^ aber noch eine andere in naher,
man kann sagen unmittelbarer, Verbindung. Nachdem die Beam-
ten, Herren und ihre Amtsbezirke Herrschaften geworden, began-
1) Ich habe hierbei die Belege weggelassen, da ich diese YerbältDisse bei einer
TOD mir beabsichtigten Beschreibung jener Gaue doch noch speziell ausführen werde.
2) Falk, Neues staatsbörg. Magazin I. 105.
3) 1083: „jndicinria potestas, qaae Ambocht vocator.** Miraeus, Opera dipl. I. 72.
Weiteres s. Jn Briockmeier's Gloss. I. p. ß7* ^
3W
nen diese Herren nun auch Sorge zu tragen, ihre Besitzungen zu
sichern und dieses geschah durch den Bau von Städten und Bur-
gen. Kommen auch schon viel früher im eigentlichen Germa-
nien Burgen vor, so waren sie doch nur vereinzelt und erst
seit dem Ende des zwölften Jahrhundert wird deren Bau allge-
mein. Jeder Herr baute in jedem seiner abgeschlossenen Ge-
biete eine Burg oder Stadt, oder auch wohl beide zugleich.
Diese Festen wurden der Sitz der Herren und erst damit ent-
standen feststehende Geschlechtsnamen, indem jeder- sich liach
seinem Wohnsitze nannte. Aber nicht nur den Familien der
Besitzer gaben diese Burgen ihren Namen, auch auf das zur
Burg oder Stadt gehörige Gebiet wurde dieser Name übertragen.
Die Burg war der Haupt- und Mittelpunkt geworden, und das
üjbrige Gebiet wurde als deren Zubehör betrachtet. Sie trat ge-
wissermassen an die Stelle des alten Mutterdorfs und der alt-
germanische Boden verlor damit seinen charakteristischen Unter-
schied voii allen andern Gebieten. Sogar die alten landschaft-
lichen Namen wurden durch die neuen Bezeichnungen meist ver-
drängt und ein wesentliches Hülfsmittel zur Feststellung der
alten Beezirke ging damit für^uns auf immer verloren.
Noch im dreizehnten Jahrhundert pannte man jeden auch
den kleinsten selbstständigen Gerichtsbezirk eine Gomitia oder
Grafschaft*) und die sich hierin aussprechende Gleichheit zeigt
sich in der That auch insofern begründet, als diese Bezirke
alle ohne Unterschied die. gleichen Rechte in sich vereinigten
denn bei allen findet sich das höchste Recht der Grafen , - der
Blutbanti. Man kann sie darum auch alle nach Späterm Sprach-
gebrauche mit bestem Jug Grafschaften nennen. Diese Gleich-
heit übertrug sich auch auf ihre Inhaber. Keiner hatte ein hö-
heres Recht, wohl aber herrschte unter ihnen eine verschie-
dene persönliche Ehre, welche allerdings ihre Quelle wieder
in dem Besitze hatte. Wie bei den alten Völkshäuptlingen und
1) Im J. 1295 verkaufet! die Herzöge von Baiern mit Zustimmung ihrer Grafen
u. s. w. („ . . . cum baronibus sive comitibus fiilelibus et consulibus terre nostre**) :
„iadicia sive iurisdiction es a'd comecias spectantes, qae Grafschaft-
Gericht Tocantur, in Hofmarchiis Ratispon. Ecciesie hie expressis, scilicet Teispacb,
FroDlenhussen , ErgoltApach', Äeuting, Essenbach et Pilsting cam suis pertinentiis tarn
in bonis,qaam hominibus, prout hofmarcbie, eed^m certis limitibus aquarum vel fos-
satorqm seu aliis signis et regionibus distingunntur, item tarn maiota, quam rainora
iadicia in aliis extraireoram TÜlis , curiis sive mansis ad eandem hofmarchiam in Teis-
pach mioime pertinentibus etc/' Ried, Gbron. dipl. Episcop. Ratisbon. I. 679t
«
\
nachher bei den kömglich'en Beamten die peiBönUclie Ehre le-
diglich durch die höhere oder niedere Stellung des A^mtes be-
stimmt wurde, und demnach diese Ehre eine Amtsehre wiar, so
zeigt sich dieses auch noch später. Honor und Amt sind
noch immer gleichbedeutende Worte, und honorare heisst
nichts anderes als Jemandem ein Amt oder Beneflcixim über-
tragen*). Noch immer gibt nur das Amt die Ehre, und nur
der Inhaber des Amts fuhrt den Ehrennamen, nicht aber zu-
gleich auch seine Söhne ^). Deshalb sieht man, ähnlieh wie
bei den alten Häuptlingen, später auch bei den Erbherren
eine aus gleicher Quelle hervorgehende Stufenfolge sich bilden,
die wenn auch nicht gleich scharf geschieden, so dass leicht
eine. Sprosse in die andere übergeht, doch nicht mindeir' deut-
lich zu erkennen ist. Der, welcher nur eine oder nur einige
Genten besitzt, nennt sich „vir nobilis"; der aber, welcher ein
grösseres Gebiet besass, führt den, Titel ^comes". Aber auch
unter diesen Grafen besteht noch ein Unterschied , der sich frei-
Jich leichter fühlen , als . nachweisen lässt. Es sind dieses die
Grafen , deren Gebiete allenfalls dem Umfange - alter Gaue oder
alter Genten entspirechen, und diejenigen Grafen, welche einen
geringem Besitz haben, etwa nur drei oder vier der spätem
Genten. Beide nehmen eine augenscheinlich verschiedene Stel-
lung ein. Ob diese Besitzungen vom tteiche oder von einem
Beichstande zu Lehen gingen, machte darin keinen Unterschied.
Alle *ind jede Herrschaft beruhte auf dem Grafenrechte.
Auch die Herzöge, Markgrafen und Landgrafen hatten seitdem
kein - höheres Recht mehr ; ihre Würde als solche war nur noch
eine rein persönliche; sie waren in dier That nur Grafen.
Eben weil die Grafenwürde nur • auf dem Besitze beruhte
und eben nur dßr Besitz die Stellung bestimmte , sinkt und» isteigt
diese auch nacli dem ^nken oder Steigen des Besitzes, und
der Grafentitel zeigt sich sowohl als bioser Amtsname, als ver-
einigt auch als Amts- und Würdenamen. Man erkennt dieses
deutlich darin, dass, auch die einfachen ' von den Gerichtsherren
eingesetzten Richter diesen Titel führen ^) , und dass eben nur
1) Roth, das Benefizialwesen S. 432. Henscbel I, c. III. 691.
2) z. B. 1070 : „Folmaro comiti ei ßlio eius Hermanno^*. Schöpflin, Alsat. dipl. 1. 174.
3) In einer Urkunde . des dreizehnlen Jahrh. heisst es : „coram iadice terra do-
miDO Retnhardo de Itre et comite saa Hermanno de HarprecbtiskQseii'S. Zeilschr.
des Vereine fär lies». Geaclu u* Laodeskunde. Ilf, $• 51,
iRfieder der Besitz einer örafechaft selbst den Würdenanien gibt:
Heinrich von Bodwede wurde erst Gxaf; als ihm 115p4/ die Graf-
schafb Biatzebiirg zu Lehn gegeben wurde, denn es wird aus-
drtloklich gesagt: „per quam (sc. comitiam) piimo nomen* comi-
tis idem Henricus sortitus est"*). Gleiches war auch mit dien»
Grafen von Falkenstein der Fall^). Ebenso legen zahlreiche an^
dere Grafen den Grafentitel ab, so bald sie den Besitz verlierßh,
auf welohen derselbe sich grändete. So sind die Grafen, von
Btandenberg (an der Werra) später nur noch einfach van Bran-
denberg, und dasselbe sehen wir auch bei den Grafen von
Schaumburg und Wajlenstein (bei Kassel).
Dieise Grafen und Edelherren sind nun der hohe Adel.
Bie Grundlage 'desselben, ist demnach lediglich das Grafenamt,
und seine Entwicklung liegt einfach in der aus dem Dienstver-
hältnisse hervorgegangenen ausschliesslichen Erblichkeit. .
Einen andern Ursprung hat der niedere Adel. Er trat ei-
gentlich erst mit der Gründung der Städte hervor. Durch diese
wurde eine Scheidung des freien Standes herbeigeführt. Ein
Theil trat in die Städte über und entsagte dem ausschliesslichen
Waffendienste , der andere blieb dagegen auf seinen Höfen sitzen
und lieh seine Waffen dem Dienste der Mäditigem. Bei den
westlichen Slaven , wo keine freien Stadtverfassungen entstan-
den oder doch nur durch Deutsche .begründet wurden, blieb des-
h«^b auch der ganze Best der Freien adelig und es gab nur
zwm Stände, einen adeligen imd einen unfreien. Die deutschen
Städte haben eine ähnliche Zersetzung der Stände herbeigeführt,
wie ehemals das Königthum. Zahllose Unfreie , welche in ihren
Mauern sich niederliessen , wurden dadurch frei. Dagegen sind
aber auch zahllose Familien durch den Eintritt in Dienstverhält-
ntsi^e, ungeachtet ihrer Grafenrechte, in den niedem Adel her-
abgesunken, so dass endlich die, welche noch fernerhin zum
hjohen Adel gezählt wurden, bis auf eine geringe Zahl zusam-
men schmolzen.
Doch zum Schlüsse muss ich noch einer weitern Entwick-
lung der Territorien gedenken , welche an Wichtigkeit . den früh
hem nicht nachsteht , nämlich der Ausbildung der Landeshoheit.
Giewöhnlich setzt man dieselbe zwar in eine frühere Zeit, aber
' 1) Ludwig, Reliq. Maouscr. VI. 230.
2) Wohlbröck in v. Ledebur's valerl. Archiv II. S. 22 u. io v. Ledebur, die Qrar
feu Yon VaikeDStein« S. 32.
mit Unrecht. Früher kann nur von Grafenrechten die Rede sein,
und da sehen wir nur^ im Könige ' ein höheres Becht.
Das eigentliche Wesen der Landeshcyheit ist aber ein Ober-
«
recht, nämlich ein höheres Recht eines Einzelnen über bis dahin
mit ihm Gleichberechtigte. Es ist gewissermassen niQhts ande-
res als eine neue Auflage des ersten Königthums.
Die Landeshoheit kommt deshalb auch nur da zur Ausbil-
dung, wo ein einzelner Mächtigerer unter vielen Mindermächti-
gen stand. Ueberhaupt wurde sie auch weniger geschaffen, als
durch den einfacheti Verlauf der Dinge auf eine einfache Weise
herbeigeführt. ' -
Die Herrschaften , welche aus den zerstückelten Gauen sich
gebildet hatten, waren hinsichtlich ihrer Grösse ausserordentlich
verschieden, wie das bei der Art und Weise ihrer Bildung nicht
anders sein konnte. Diejenigen Grafen, welche mehrere Graf-
schaften unter sich gehabt, hatten meist auch grössere Theile
derselbe im unmittelbaren Besitze behalten, was vorzüglich bei
den Herzögen, den Markgrafen u. s. w. der Fall war. Aber
auch diese grossem Gebiete bildeten keineswegs in sich abge-
schlossene gerundete Territorien, sie wurden vielmehr durch
zahlreiche grössere und kleinere Gebiete vielfach zerrissen und
auseinander gehalten. Wenn diese Zersplitterung auch durch
Theilungen in den Familien noch vermehrt wurde, so wurde
dieses weitere Auseinandergehen doch durch die in Folge von
Erbschaft, Kauf, Heimfe.ll und selbst Eroberung stattfindende
Verschmelzung verschiedener Gebiete zu Ganzen weit überbo-
ten," so dass die- Zerstücklung immer mehr- abnahm und grössere
Gebiete sich wieder zusammen schlössen. Es ist dieses insbe-
sondere im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert der Fall,
während deren zahllose Familien erloschen. Dessen ungeachtet
blieb die Zersplitterung immer noch gross genug. Um so mäch-
tiger nun aber Einzelne wurden, um so unmäcbtiger mussten
natürlich diejenigen Kleinerji werden, welche die Besitzungen
jener berührten , und je länger dieseis dauerte , um so mehr
musste die dadurch sich bildende Abhängigkeit dieser Schwa-
chem sich steigem. Der Schutz des mächtigem Naöhbam wurde
ihnen immer unentbehrlicher. Viele dieser Kleinen suchten auch
die Dienste der Mächtigem; sie wurden deren Amtleute, nah-
men Gerichte von ihnen in Pfandbesitz, nahmen Burgmannsle-
hen von ihnen oder tmgen ihnen auch wohl ihre Besitzungen
zu Lehn auf. In Folge dessen besuchten sie nun auch die Land-
tage und die anfanglich nur persönliche Abhängigkeit trug sich
allmälig auch auf ihr Be^tzthum über. Dazu kam noch, dass
die pesrsönUchen längst bedeutungslos gewordenen Würden, die
herzoglichen, markgräflicheh und landgräflichen Titel, auf die
Gebiete übertragen wurden und so Fürstenthümef mit allgemein
landschaitlichen Bezeichnungen entstanden, und dass die Fürsten
auch von den Kaisem sich mit diesen Fürstenthümem im All-
gemeinen belehnen Hessen , wobei sie dann gewöhnlich auch die
kaiserlichen Regalien mit erhielten. Auf diese Weise erhielt die
Idee eines geschlossenen Fürstenthums und die Ansicht, dass
jene kleinem Herren nur Zubehörungen des Ganzen seien , einen
immer festem Halt und sogar eine rechtüche Grundlage. Schon
allein dieses würde genügt haben, dieselben allmälig mit dem
Ganzen zu verschmelzen; die ohnehin Schon ausgebildete Ab-
hängigkeit beförderte aber noch diesen Prozess. Allerdings war
der Verlauf ein sehr langsamer und auch keineswegs allenthal-
ben gleichzeitige^. Hier kam man früher , dort später zum
Ziele. Selbst das Streben nach diesem Ziele war ein unbewuss-
tes, denn es waren lediglich die Verhältnisse, welche zu dem-
selben führten; es war eine Kette von Nothwendigkeiten, denen
jeder ohne klares Bewusstsein folgte. Erst als das Netz vollen-
det, wurde dasselbe sichtbar; erst als der einst freie Herr zum
ünterthan geworden, erkannte er die Verwandlung.
Dieser Zeitpunkt fällt in das Ende des fünfzehnten Jahr-
hunderts und die Verschmelzung erscheint mit dem Ablauf des
zweiten Jahrzehnts des sechszehnten Jahrhunderts vollendet.
Die Fürsten nahmen nun auf jenen einst unabhängigen Ge-
bieten eine Reihe von Vorrechten als Ausflüsse oder Zugehönin-
gen der Fürstenwürde in Anspruch und prägten dieselben zu
Regalien aus, welche nichts anderes als eptweder nur Zubehö-
rungen des freien Gmndbesitzes , oder wesentliche Bestandtheile
des Grafenrechtes waren. Es waren dieses namentlich die Rechte
des Blutbannes , der hohen Jagd, der Folge u. s.w., wozu dann
durch die Kirchenreformation auch noch das Episkopalrecht kam,
wodurch das neue Gebäude gewissermassen seinen Schlussstein
erhielt. Als man dieser Oberrechte inne vurde, war es schon
zu spät. Vergebens erhob sich Franz von Sikingen, um die
Freiheit des Adels gegen die Fürstenmacht zu vertheidigen, ja
es hätte sicherlich eine allgemeine Erhebung des Adels stattge^
fonden, wäire die Erhebung^ der B«u«ni Biebt daziriaclttin. ge-
kommen^ Ungehindert stboritll die Lehre Tm der fürstliclien
Hoheit weiter und kam in der zweiten Hälfte des aechszeteiten
Jahrhunderts zu dem Rechtssatze, .daiss alle derartige Rechte
Dntter nur entäussefte fürsitirche Recdiie seien , deren rechthcfaen
Erwerb die Besitzer deshalb nadiweisen noässten.
» •
Alle 0ie kleinen zwischetk den fürstliehen Gebieten Hegen-
den Territorien wurden nun ganz und gar mit denselben ter-
schm<^en. In Hessen^ z. R bedrohte dasselbe Greschids sogar
die. aul hes^schem Boden liegenden Besitzungen - des ErZidafts
Mainz. . Kur mit genauer Noth und unter der Gunst zufölliger
Umstände gelang es den Grafen von Waldeck ihre beieits ein-
gebüsste Unabhängigkeit wieder zu retten, und ebenso waren
die Grafen- von Solms und von Witgenstein nahe daran bcssi-
sefae Unterthanen zu werden.
Doch nur da fand, wie schon angedeutet Wjoirden ist, diese
Verschmelzung der freien adeligen Gebiete mit den Furstcnthn-
mern statt, wo eben mächtigere weltliche Fürsten walteten, also*
vorzugsweise im< nördlichem Beutdehiand; anders 'aber wat es da,
wo solche fehlten und die Macht der Einzelnen siqh zieimlich
gleich stand und sich die Wage hielt, wie das vorzugsweise in
der Wetterau, in Franken, Schwaben uad am Rheine dfer Fall
war. Hier erhielt sieh die Unabhängigkeit der kleinen Territo-
rien , weil gerade keiner mächtig genug war sich über die an-
dern aufiQuschwingen , denn wairen> dort axieh grössere geistliche
Terrftorien vorhanden,, so waren deren Inhaber doch zu einer
solchen Ausbreitung ihrer Macht theils nicht geneigt, weil sie
selbst aus diesen Territorialherren hervorgegangen, theils
auch. dsoM so wenig befUhigt, dass sogar der Adel, welcher
Pfandgüter der Stifter in Händen hatte, sich mit diesem Ibsriss
und jenen unabhängigen Territoiialherre^n anschioss. Nur hier
vermöchte ateo der Adel seine Unabhängi^eit von der Fürsten-
gewalt zu wahren und schloss sich zu einer ' besondem Kor-
iroraition zusammem, welche uns als die Reichsritteiischaft be-
kannt ist;
Bd& nächste Stadiunr der grossen deutschen Territorial- fi&t-
Wicklung tritt mit dem westphälischenv da» neueste aber mit diem'
lüne viller FriedfeU; ein. Doch, dieses gehört, nicfht mehr hierih^.
Zweites Bnch,
Die Bildung und EotwidluDg der liirclilicIieB Territorien.
Die
Bildung and Entwiekelong der kirchlichen Gebiete.
In dem vorhergehenden Buche habe ich es versucht, die Gesetze
nachzuweisen, auf welchen die Bildung und die Entwicklung dßr
weltlichen Oebiete beruhte; in diesem zweiten Buche soll das
Gleiche in Bezug auf die kirjchhchen Gebiete geschehen. Haben
diese an und für sich auch nicht dieselbe Wichtigkeit für die
Geschichte des Volkes wie jene, so werden sie doch dadurch
um so bedeutungsvoller , als auch bei der Kirche wieder ganz
dieselben Gesetze wirkten, welche dem Entwicklungsgange der
weltlichen Gebiete zu Grunde liegen. Die Kirche folgte diesem
Wege Schritt für Schritt und hat deshalb eigentlich auch keine
neuen Territorien geschaflFen, sondern sich lediglich auf den
alten längst vorhandenen Volksgebieten aufgebaut und zwar
ganz in derselben Weise, wie diese früher sich gebildet und
allmälig gegliedert hatten. Eben darum aber sind diese kirch-
lichen Gebiete auch von so grosser historischer Wichtigkeit.
Während jene alten Volksgebiete längst zersplittert und zerris-
sen und die aus der Zeit ihres Bestandes auf uns gekommenen
Nachrichten allenfalls mit den nach allen Winden von den Wel-
len fortgetragenen Trümmern eines gescheiterten Schiffes zu
vergleichen sind, sind uns doch in dem Fortbestand der kirch-
lichen Gebiete die alten Formen erhalten worden, so dass es
uns dadurch möglich wird , aus diesen jene wieder heraus zu
konstruiren, gleich wie aus einer Kopie der Inhalt einös nur,
noch in Bruchstücken vorhandenen Originals wieder ermittelt
werden kann.
Das was ich eben als eiuQ entschiedene Thatsache hinge-
stellt, die Uebereinstimmung der weltlichen und kirchlichen Ge-
368
biete, ist allerdings eine alte und auch* bis jetzt noch schwe-
bende Streitfrage. Irre ich nicht., so war es'der triersche Ge-
schichtsschreiber V. Hontheim, welcher zuerst mit- der Behaup-
tung hervortrat, dass die Begränzung^der alten politischen Be-
zirke mit der der kirchlichen Gebiete übereinstimme, und bald
schlössen sich ihm Lamei, Kremer, Wenck u. a. und in neue-
rer Zeit vorzüglich y. Ledebur diese Thatsache bestätigend an *).
Indessen erhoben sich auch . gewichtige Stimmen dagegen und
einen der entschiedensten Widersacher rief Ritter von Lang
durch seine Abhandlung „die Vereinigung Baiems aus den einzel-
nen Bestandtheilen der ältesteiji Stämme, Gaue und Gebiete"^)
in dem Archivar von Pallhausen herauf. Lang hatte in seiner
ohnehin noch viele andere Blossen bietenden Abhandlung^) die
IJebereinstimmung der politischen und kirchlichen Gränzen als
eine ausser jedem Zweifel stehende Thatsache angenommen und
ohne Weiteres seine Gaue darnach gestaltet. Diese Ueberein-
^Stimmung stellte nun aber Pallhausen in Abrede, allerdings mehr
/^fach absprechend, als die Frage tiefer durchdringend; und
ih«i haben sich nachher noch v., Hormayr, v. Spruner, Wede-
kind, Jtudhart, Stäjin und andere, wenn auch nicht inamer mit
derselben Entschiedenheit, sondern mehr nur die AUg^naeinheit
der Regel ablaugend, angeschlossen.
Dass wie bei den Mark - und Gauzuständen , auch bei den
allerdings weit jungem kirchlichen Gebieten nicht von etwas
Gemachtem, etwas nach Willkür und Zufall Geschaffenem die
Rede sein kann, darüber belehrt uns jedes Blatt der Volksge-
schichte. Der Weg, in weslchem sich die Zustände aller noch
im Jugendalter befindlichen Völker entwickeln , beruht stets auf
1) Dasselbe geschah für Gailien durch den Baron v. Walkeaaer in s^eineoi Werke
Geographie ancienne historiqne et comp^r^e des Gaules cisalptne et transalpine. Paris
1839, iflsbesonder« I. p. 286 — 239.
2) Denksohriflen der baierischen Akademie 1811 u. 1S12.
3) Diese Abbanjdlung erscbieo im Jabr 1830 in einer neuen Bearbeitung nnter
jdem Tit^ : „Baierns Gauen nach den drei \plksstftmmen der Alemannen, Fraolien und
3ojoaren, aus den alten Bisthuros-Sprengeln nachgewiesen^^ Lang bat jedoch auch io
4ieser letztern Bearl)eitung nicht etwa eigene Forschungen gegeben, sondern nicht TJel-
ipebr gethan als die Resultate der Untersuchungen Anderer zusammengetragen, und ist
dabei gerade nicht mit sonderlicher »Kritik zu Werke gegangen. Er bat deshalb anch
die fär die erste Arbeit ihm von dem rreilich sehr gereizten Pallbausen gewoideoe
ficbarfe Korrektion >voJ)l verdient.
369
I
eidfachen und natürlichen Gesetzen ; nichts tritt da plötzlich her-
vor, Alles ist vorbereitet, durch Vorausgegangenes bedingt;
Alles wächst gleich einem Baume aus sich selbst heraus , so dass
man stets auch ein organisch gebildetes Ganzes findet.
Einen Hauptgrund gegen jene Uebereinstimmung finden
die genannten Forseher, um mit Müller's *) Worten zu reden,
darin , dass die kirchlichen Gebiete „ erst aus Jüngern Zei-
ten oder aus den letzten Jahrhunderten des Mittelalters her-
rührten , wo die Gaue selbst sich schon aufgelöst hätten und
zumTheil unbekannt geworden seien, und dass dieDiözesanspren-
gel* selbst« im Laufe der Zeit manche Abänderungen erlitten"^).
Aber gerade dieser Grund ist am wenigsten hs^tbar und zeugt
von einer völligen Verkennung des Entwicklungsgangs aller Zu-
stände jener Zeiten. So wenig nämlich die-MarkenvUnd Gaue
eine willkürUche Schöpfung sind, ebenso wenig sind auch die
kirchlichen Gebietseinthellungen aus einer organisirenden Hand
hervorgegangen; beide haben sich vielmehr aus sich selbst und
zwar nach ganz gleichen Gesetzen herausgebildet, nach Ge-
setzen, die so sehr durch die Natur der Zustände geboten waren,
dass dieselben auch noch Jahrhunderte nachwirkten und erst die
organisirenden Zeiten die solchergestalt geschaffenen und gehal-
tenen Banden zerreissen konnten.
Ungeachtet jenes langen Streites hat aber noch Niemand
die weit wichtigere Frage aufgeworfen, aus welchen Ursachen
diese Uebereinstimmung der geistlichen und weltlichen Gebiete
hervorgegangen sei und nach welchen Gesetzen sich dieselbe *
gebildet habe? und i^ur durch den. Umstand lässt sich diese
auffallende Vernachlässigung erklären, dass man sich von der
Idee nicht losreissea konnte, dass alles dieses willkürlich geschaf-
fen und nach Gutdünken organisirt worden sei. Doch auch die kirch-
lichen Gebiete sind, wie gesagt, nicht in dieser Weise entstanden.
Auch bei ihrer Bildung hat wieder dasselbe einfache aus der Natur
dei" Verhältnisse hervorgegangene Gesetz gewirkt , welches der -
Bildung der weltlichen Bezirke zum Grunde lag, ja derselbe,
man kann sagen, durch eine unabweishche Nothwendigkeit vor-
geschriebene Bildungsgang wiederholt sich vor unsem Augen
noch einmal in der Gründung und Entwicklung jener und Hefert
damit zugleich nocl)..ein weiteres Zeugniss für die Wahrheit des-
1) Die deutschen Stämme und ihre Fürsten IV. S. 201
2) Ganz ähnlich hat sich auch Wedekind ausgesprochen.
Lrandaa. Territorien. ^^
dTO
sen , was bereits oben in Bezug auf die Bildung der Gaue nach-
gewiesen worden ist.
Recht und Religion — das ist ein allgemein anerkannter
von Niemandem mehr bestrittener Satz — Recht und Religion
standen bei unsem heidnischen Vorfahren im engsten Zusammen-
hange. Wo das Volk zu seinen Berathungen und zur Pflege des
Rechtes zusammenkam, -da war auch die Stätte, wo es seine Götter
verehrte und denselben seine Opfer brachte, ja Volksgericht und
Gottesdienst waren ebenso verschlungen , wie das Richter- und
das Priesteranit *). Man erkennt dieses zwar mehr im Norden,
wo der höchste Häuptling auch der höchste Priester, und ebenso
der höchste Tempefl zugleich auch die Stätte für das oberste
Thing- war, als bei den Deutschen. Aber auch bei diesen lässt
sich dasselbe nachweisen.'
Man erinnere sich nur, was Tacitus von der bei den Sem-
nonen befindlichen höchsten Nationalstätte des suevis<ihen Vol-
kes erzählt, auf der nicht nur die Abgeordneten aller .Stämme
jährlich zu bestimmten Zeiten tagten,, sondern wo auch der Sitz
der Alles belierrschenden Gottheit war. . ^
Aehnliches erkennt man zu Maden, der alten Hauptstätte
deö Katten Volkes, oder des spätem fränkischen Hessengaues.
Maden liegt am Fusse des Gudensbergs. Öieser Berg wird nun
aber früher Vdeneslxerg, Wuodenesberg^ Wodensberg
u. s. w. genannt. Dass dieses nichts anderes heisst als Wo-
dan sb er g und dass dieser Berg demnach als Wodan geheiligt
betrachtet werden muss, das ist schon von den verschiedensten Sei-
ten als zweifellos anerkannt worden ^). Wir sehen also auch hier die
Ding- und die Götterstätte neben einander. Aber jener Berg
muss noch mehr als dem Gotte blos geheiligt gewesen sein; es
muss auf demselben auch ein Tempel und zwar ein befestigter
Tempel gestanden haben. Dass die Deutschen Tempel* gehabt,
darauf weist uns schon der berühmte Tempel der Tanfana hin.
Mag man auch zweifelhaft sein , wie man sich denselben zu den-
ken hat, so ist wenigstens die Thatsache von Bedeutung, dass
auch in' christlicher Zeit die Kirche noch Tan genannt wurde ^).
1) Grimm , deutsche Mythologie. 2te Aufl. S. 79.
2) Daselbst. S. 139.
3) Im J. 879 vertauscht das Stift Regensburg „locam quendam, qul dicitur Puob
prope curtem, qnae vulgari vocabulovocatnr Tan Mone\chorara, id est ecciesianii
ct^rtem cum pomerio, de terra arabiii etc. Pertz, Cod. dipi, bistor. epistotar. i. p.216.
S7i
Aber auch anderwärts >8t jenes schon zur Genüge nachgewiesen
worden*). ' ^ '-
Um nun auch für Gudensberg einen Tempel mindestens
wahrscheinlich zu machen, verweise ich auf den Zug der
Germanicus im Jahre 15 n. CUr. Im eiligen Marsche, den^ er
überrascht die Katten allenthalben unvorbereitet, dringt Germani-
cus vom Taunus bis zur Eder , wirft hier die junge Mannschaft,
welche sich schnell gesammelt und ihm den Uebergang streitig
machte zerstört Mattium, „id genti caput,'' und zieht" von da
wieder auf demselben Wege zurück. Diese Zerstörung des Haupt-
sitzes des Volkes war also der Zweck des ganzen Zuges.
Würde dieser Zug sich aber wohl gelohnt haben , wenn derselbe
blos der Zerstörung- der Hütten eines nur geheiligten , sonst aber
gewöhnlichen Ortes gegolten hätte? Da die Römer viel zu tole-
rant waren , um Kriegszüge zu religiösen Zwecken zu unternehT
men , so musste dieser Ort nothwendig noch eine andere Bedeu-
tung denn als höchste Volksstätte, er musste auch noch eine
militärische Wichtigkeit haben, und hierfür lässt sich nichts ande-
res als die in unmittelbarster Nähe liegende Tempelfeste linden.
Der Wodansberg war sicher der HauptwaflFen- und Sammelplatz
des kattischen Volkes, und dieser sollte gebrochen werden, mochte
immerhin der Erfolg auch weniger materiell als moralisch in die
Wagschale fallen.
Wie wir also auch hier die Stätte für die Verehrung der
Götter mit der des Gerichts vereinigt finden, so gehörte
sicher diese Statte nur dem Volksstamme zu seinem reli-
giösen Kultus, welcher hier auch in seinen weltlichen Ange-
legenheiten tagte und der Gau, der diesen Völksstamm zu
einer Einheit verband, erhält dadurch eine zwiefache Bedeutung,
eine weltliche und eine religiöse. Aber nicht blos die Haupt-
malstätte des Gaues kann diese doppelte. Bedeutung gehabt
haben, dasselbe muss nothwendig auch mit den Maistätten der
Hundertschaften und Zehntschaften der Fall gewesen sein, so dass
jeder Bezirk nicht nur in weltlicher, sondern eben so sehr auch
in religiöser Hinsiijht' ein für sich abgeschlossenes Ganzes, eine
selbstständige Gemeinde , bildete ^).'
1) Grimm a. a. 0. S. 69 u. 75.
2) Giesebrecht in seinen wendischen Geschichten F. S. 81 u. 84 bat dieses anch
bei den Siaven bemerkt, aber er gebt za weit, Wenn er desshalb die Gaue Tempel-
bezirke nennt, denn sie waren dieses keineswegs vorherrsebend.
24*
37«
I
\
Sobald man aber zugeben muss, dass das Volk sich nicht
blos in weltlicher , sondern auch in religiöser Beziehimg in ge-
sonderte, für sich abgeschlossene Bezu-ke theilte, und demnach
jeder Stamm in aller. Hinsicht ein Ganzes bildete, alsobald
wird man auch zugeben müssen, dass die chrisliche Kirche
hierin nicht leicht etwas ändern konnte, vielmehr genöthigt
war, diese mit dem Leben des Volkes tief verwachsene Glie-
derung auch für ihren Bau als Grundlage zu verwenden. Sie
war gewissermassen dazu gezwungen, sie konnte nicht anders;
und wäre auch eine neue Schöpfung mögUch gewesen, so hätte
dieselbe doch keinen Zweck gehabt. So war also die Grundlage
der Gliederung der. demnächstigen Kirchengemeinden schon vor-
her, noch ehe dieselben entstanden, vorhanden.
Ich habe eben den fränkischen Hessengau als Beispiel ge-
nommen und will • dieses Gebiet auch ferner festhalten ; um an
ihm die kirchliche Entwicklung zu zeigen. Denn wie hier, so
ist es auch anderwärts. Durch das Anknüpfen der Untersuchung
an ein bestimmtes Gebiet wird diese für den Leser anschaulicher
werden. '
Als Bonifazius sein Bekehrungswerk in Hessen beginnt,
sehen wir zwar nicht Maden oder den Wodansberg als den ge-
weihten Ort des Volkes , es ist vielmehr eine Eiche in dem kaum
IY2 Stunden entfernten Geismar: „in loco qui dicitur Gaes-
mere ^ welche das Volk als dem Donnergötte geheiligt betrach-
tet und durch deren Fällung der Bekehrer dasselbe für den
Christenglauben gewinnt. Doch die Verehrung dieser Eiche
schliesst darum noch nicht den Fortbestand der Heiligkeit des
Wodansberges aus. Schon die Natur, des Baumes weist darauf
hin, dass' derselbe seine Weihe nicht von jeher gehabt haben
kann. Erst besondere Ereignisse oder sein hohes Alter können
Ihm diese Weihe gegeben haben.' Es verhielt sich damit ohne
Zweifel wie später mit so mancher an und für, sich unbedeuten-
den Kirche, welche durch den Besitz eines Heiligthums bald auf
kürzere , bald auf längere Zeit das Volk in ungewöhnlicher Weise
zu sich zog. Jene Eiche war auch kein Heiligthum, wie der
Wodansberg, wo das Volk zu bestimmten und regelmässig wie-
derkehrenden Zeiten erschien, um seine Götter zu verehren,
sondern nur ein Heiligthum, zu dem dasselbe, wie später zu einem
wunderthätigen Bilde oder einer heilspendenden Reliquie, wall-
fahrtete, um dort Hülfe uiid Trost zu suchen. Es ißt sogar mög-
373
lieh, dass dieses nicht der einzige heilige Baum im Lande war.
Noch in Heuern Zeiten findet man- in Hessen hin und wieder die
Bezeichnung „heilige Eiche" in einer Weise, dass man dieselbe
nur noch als eine Ortsbenennung betrachten kann. Solche hei-
lige Eichen findet man in der Nähe von' Wetter (in Oberhessen)
am Wege von Kassel nach Warburg, da wo die Wege von
Ober- und Niederlistingen sich scheiden, und bei Bunslar an
der Eder.
Bonifäzius baute aus dem Holze der gestürzten Eiche ein
Bethaus (Oratorium), welches er dem Apostelfürsten Petrus
weihte.
Es wird nun zwar nicht gesagt, dass dieser Bau an der
Stelle begründet worden sei, an welcher sich vorher die gefällte
Eiche erhoben, es kann dieses aber kaum in Zweifel gezogen
werden. Es musste Bonifäzius Alles daran liegen, den Glauben
des Volkes an die Heiligkeit des Baumes »ganz tind ungetheilt
auf die neue Kirche zu ü^bertragen. Schon aus diesem und kei-
nem andern Grunde verwendete er das Holz des Baumes zu dem
Baue derselben. Jener Zweck wäre damit aber nur halb er-
reicht; wollte er denselben ganz erreichen, so musste auch
der Bau an der Stelle errichtet werden, an welcher die Eich'e
gestanden hatte. Würde er die Kirche auch ganz in die Nähe
gestellt haben , so hätte die Stätte , wo der Baum gestanden
doch noch immer dem Volke ein besonderes Heiligthum bleiben
können; das aber durfte sie nicht, und eben um dieses zu ver-
hüten und zugleich die ganze Weihe des Baumes der neuen Kir-
che zu sichern , gab es kein anderes Mittel , als die Kirche eben
auf die Stätte des Baumes zu stellen. Es wäre im hohen Grade
unklug gewesen, einen andern Ort für den Bau auszusuchen,
und in <Jiejser Hinsicht kannten die Bekehrer ihren Vortheil. Ueber-
haupt war es eine gewöhnliche Politik der Bekehrer, die neuen
christUchen Kirchen auf den alten Götterstätten zu errichten *).
Deshalb zerstörte man auch die heidnischen Tempel nicht, sondern
verwandelte diese nur in christliche Kirchen. In Griechenland
und Itahen hat man auf diese Weise zahlreiche heidnische Tem-
pel in christliche Kirchen umgestaltet. Nach einer Zuschrift des
Papstes Gregor I.- an den ersten Bischof von London, sollten nicht
die* Tempel des Volkes, sondern nur die Götterbilder zerstört
1) Grimm, deutsche Mythologie S. 76.
374
werden. Man sollte diese Tempel mit Weihwasser besprengen,
Altäre aufrichten und Heiligthümer hiiietti legen , damit das Volk
an den ihm durch lange Gewohnheit werth gewordenen Stätten
um so lieber zusammenkomme '*) ; und von dem Sachsen Wide-
kind wird erzählt, dass er nach seiner Bekehrung allenthalben
an die Stelle heidnischer Götterbilder christliche Kirchen erbaut
habe ^). Aus derselben Ursache wurrden auch heidnische Bilder
in chriatlicbe Kirchen eingemauert, heidnische Heiligthümer zu
christlichen gemacht, und sogar die heidnischen Feste in christ-
liche umgestaltet und denselben die alten Namen gelassen.
In keiner, der alten Nachrichten findet sich indessen eine
Kunde, welche über die Lage der Kirche einen bestimmten Auf-
'schluss erth eilte. Alles beschränkt sich auf die wenigen Worte:
„in loco Gaesmere." In allen spätem Nachrichten herrscht so-
gar ein tiefes Schweigen über diese Kirche ; es wird ihrer- nir-
gends wieder gedacht. Dennoch war sie von viel zu hoher
Bedeutung, als dass man ein so schnelles und so spurloses
Verschwinden annehmen könnte. Ja ich meine, eben jenes
Schweigen müsste nothwendig auf die Vermuthung führen, dass
sie fortbestanden habe, wenn auch nicht in dem ersten, doch
in einem andern erweiterten Gebäude, und dass nur ein" neuer
Name Veranlassung geworden sei , ^die Art der ersten Gründung
aus dem Gedächtnisse der Nachkommen ;zu verwischen.
Wo und in welchem Kirchengebäude wäre nun aber jenes
aus der Eiche erbaute Bethau« zu suchen?
Dass Gaesmere kein anderes Dorf als Geismar bei Fritzlar
ißt, darüber waltet kein Zweifel mehr. In der Kirche dieses
Dorfes jenes Bethaus wieder zu finden , ist indessen , und wohl
mit Recht, noch Niemand eingefallen. Man suchte stets jin der
Nähe von Geismar, in dessen Feldmark, hat aber nichts gefun-
den, was auch nur mit einiger Wschrscheinlichkeit auf das »Ora-
torium bezpgen werden könnte. Also -in der heutigen -Feldmark
von Geismar keine SpurI Wir müssen demnach weiter -gehen.
Ich ha.be im ersten Buche gezeigt, dass der Begriff des
Dorfes in älterer Zeit ein ausgedehnterer war, als da« noch heute
1) Beda \eiter., histor. eccies. Anglorum I. 30.
2) f^Jaoi tsm desiderab^t ecciesias reaedificare, qnas prius destroxerat io rafideli-
täte et ubi constitaerat idora, hie jam Sanciorum collocavit orateria.^^ Vita Mathildas
reginae ap. Leibnit. I. p. 194* '
375
m
der Fall ist; auch dass nach der altern Sprachweise „Dorf"
nicht blos das Dorf im engsten Sinne, nicht blos den Raum,
welchen die Hofreithen bedecken, umfasst, sondern dass dazu
auch die .gesammte Feldmark gehört. Das -letztere hat man
auch bei den Nachsuchungen um Geismar — wenn auch unbe-
wu^st — schon anerkannt, indem man den Stand der Eiche nicht
zwischen den Gehöften suchte. Jener ausgedehntere Begriff
würde aber die alte Mark sein. Wenn nun auch keine Urkunde
vorhanden ist, welche die ehedem in der Mark von Geismar
gelegenen Orte uns bezeichnet, so' haben wir uns doch jeden-
fells an die Feldmarken der nächsten Orte zu halten. Was hier
zunächst entgegentritt, ist der von Bonifaz zum Bischofssitze
bestimmte Bürberg, welcher damals auf seinem- Gipfel einen
befestigten Ort, die Büraburg, trug. Wollte man auch anneh-
men, dass diese Feste erst nach dem Kirchenbaue ui^id nur zum
Zwecke des Bischofssitzes entstanden sei, was übrigens nicht
wahrscheinlich ist, so tritt doch hier der Umstand entgegen,
dass die dasige Kirche nicht dem h. Peter, sondern der Jung-
frau Maria geweiht ist *). Ich glaube sogar, dass man die
Gründung dieser Kirche in einer viel spätem Zeit zu suchen
hat. Die Bürabqrg, welche, wie schon bemerkt, Bonifaz zu
einem Bischofssitze erwählte,,, war, berücksichtigt man den
Umfang des Berggipfels, schwerlich mehr, als das, was man
auch später eine Burg nannte. Sie wird zwar „ Oppidum " und .
„Urbs", aber auch „Castrum" und „Castellum" genanirt. Doch alle
diese Bezeichnungen haben damals die gleiche Bedeutung und
ein jeder befestigte Ort, ohne dass dabei ein grösserer oder ge-
ringerer Umfang in Betracht kommt, wird damit belegt. Wäre
die Büraburg mehr als eine Burg, überhaupt ein grösserer Ort
mit einer nur einigermassen ansehnlichen Bevölkerung gewesen,
dann würde die Kirche des Bischofs auch ohne Zweifel aQ dem-
selben Orte gelegen haben. Diese aber befand sich jenseits der
Eder, zu Fritzlar. Dass man dieses nicht zum Sitze erwählte,
hatte darin seinen Grund, dass Fritzlar noch ein offener Ort
und ohne jeglichen Schutz war, denn nach einer alten kanoni-
schen Bestimmung, an welche schon Papst Zacharias den Boni-
fazius erinnerte ?) und die Karl der Grosse in dem Kapitular von
1) Würdiwein, Dioec. Mog. UI. p. 514.
2) 742 schreibt dieser Papst an Bonifaz : „ut mioime in villulas vel in oodicas
civitates episcopos ordinemus/* Würdtwein, Epist. St. Boaifacii. Nr. 52*
376
789 (cap. 19) erneuerte, sollten Bischofssitz^ nur in gesicherten
und bevölkerten Orten errichtet werden. Dazu kommt dann
noch, dass sowohl die Kirche auf demBürberge, als auch die zu
Geismar unter der Kirche zu Fritzlar, also zu derselben in einem
filialen Verhältnisse, standen*), und dass man im Anfange der
Christianisirung nie zwei Kirchen in solcher Nähe anlegte. Aber
auch noch ein anderer sehr gewichtiger Grund, auf den ich in-
dessen erst nachher zu sprechen kommen werde , stellt sich ent-
schieden der Annahme entgegen, dass die von Bonifaz erbaute
erste Kirche hier gestanden haben könne.
Nächst dem Bürberg bietet sich uns Fritzlar , und was uns
hier sofort entgegentritt , ist die dortige dem h. Peter geweihte
Stiftskirche. Schon dieser Umstand, dass auch diese gleich jener
• ersten vom Bonifazius errichteten Kirche dem h. Peter . gewidmet
ist , muss unsere Aufmerksamkeit anregen und uns 'zu einer
nähern Prüfung veranlassen.
Fragen wir nun die ältesten Quellen, so sagt uns zuerst
Willibald, welcher seine Nachrichten über den h. Bonifaz aus
dem Munde des Erzbischofs Lullus und anderer Schüler dessel-
ben gesammelt und deshalb als ein Zeitgenosse betrachtet wer-
den kann, dass Bonifaz z wei Kirchen in Hessen erbaut habe, die
eine zu Amöneburg und die andere zu Fritzlar^), und damit stim-
nlen auch Othlo, Ludger, Einhard und alle übrigen Biographen und
Annalisten, welche der Gründung der Kirche zu Fritzlar gedenken,
überein. Alle erwähnen des Oratoriums zu Geismar nicht weiter,
sondern wissen nur von einer und zwar zu Fritzlar durch Bonifaz
gegründeten Kirche. Wie aber hätte jenes Oratorium so gänz-
lich vergessen werden können, da es, wenn auch von Holz ge-
baut, doch jedenfalls eine längere Dauer als einige Jalirzehnte
gehabt haben muss. Dass dasselbe aber auch in der That nicht
vergessen sein konnte, dafür zeugt jener schon oben von mir
angedeutete Grund, welchen ich jetzt näher ausführen -will.
Wie bei feindlichen Ueberzügen die Gaue in der Regel nicht
stückweise, sondern stets als Ganze den Siegern anheimfallen, so
sehen wir bei den Bekehrungen /umChristenthume immer auch den
_ 1) F^Ickenheinei', Gesch. Hess. Slädle u. Stifter. I, ürkbch. S. 214 u. 215.
2) „nnam qnippe in Friedeslare, quam in honore sancli Petri — consecravit, et
alteram in Hamanaburg, hanc etiam in honore sancti Michaelis archangeli dedicavil."
Peru, Moa. ^hist. Germ. IL p, 345.
/• .
397
gesammten einen Gau bewohnenden Volksstamm zu dem neuen
Glauben übertreten. Das war auch mit den Bewohnern des
fränkischen Hessengaus der Fall. Als sie gesehen, dass der
heilige Baum niedergestürzt worden, ohne dass die Götter,
wie sie erwartet, ihn geschützt und den Frevel gerächt hatten,
waren alle von der Wahrheit des Christenglaubens überzeugt
worden und hatten sich taufeil lassen *).
Das nächste Erforderniss nach der Bekehrung war der Bau
einer christlichen Kirche, und es wurde dem auch sofort ent- ^
sprochen, und an der Stelle des Baumes und aus dessen Holze
eine Kirche aufgerichtet.
Es war dieses demnach die erste Christenkirche im Gaue
und als die noch einzige desselben gehörte sie allen Bewoh-
nern des Gaues; ihr Sprengel umfasste den ganzen Gau; der-,
selbe bildete eine Parochie.
In demselben Sinne nennt Adam von. Bremen die Kirche
zu Meldorf die „ecclesia mater" der Ditmarschen, die zu, Schön-
feld die ecclesia der Holsteiner und die zu Hamburg die „ ec-
clesia der Stormaren^). Ebenso wurde die erste gleichfalls
von Bonifazius gegründete Kirche im Oberlahngau, die zu Amö-
neburg, die Mutterkirche für diesen Bezirk. In gleicher Eigen-
Schaft findet sich 1018 die Kirche in Dower : „ ecclesia salvato-
ris in Dorobemia sita, omnium ecclesiarum regni Angligeni ma-
ter et domina" *). Als die Mutterkirche " des' fränkischen Hes- .
sens erkennen wir nun aber eben die St. Peterskirche zu Fritzlar.
'Die Bedeutung eiiler solchen Mutterkirche steht, das ist
nicht zu verkennen, so hoch, dass an eine Uebertragung der
Rechte derselben auf eine andere und zwar jüngere gar nicht
zu denken ist. Diese Rechte sind unveräusserlich, und schon
dieser Rechte wegen konnte die erste Kirche nicht und noch
dazu so bald und so spurlos verschwinden. Ihr Bestand war
vielmehr gesichert. •
Fasst man alles diesies zusammen, dann kann unmöglich ■
1) „Qao viso prius devolantes pagani etiam versa vice benedictiönem domino, pri-
stina abjecta malediclione, credentes reddidernnt^^ So Willibald. Olhio sagt: „Quo
viso pagani, qui illuc merUe perversa conaeneraDt, abiicieDtes omDeni malitiam , bQ-
nedicentesq^ii^ Deo crediderunt^S ^
2) Peru 1. c. VII. p. 310.
3) Kemble 1. c. IV. nr. 727.
i
f
»78
noeh ein erheblieher Zweifel darüber bleiben, dass die voa Bo-
nifaz an der Steile der Eiche erbaute und dem .h. Peter gehei-
ligte Kirche keine andere- als eben die St. Peterskirche zu Fritz-
lar sei.
Auch ein Gebrauch, der, freilich erst aus einer spätem Zeit
uns berichtet wird, könnte noch als ein Beleg hierfür angeführt
werden. Wigand Gerstenberger erzählt nämlich in seiner thü-
ringisch-hessischen Chronik *) wie die Bewohner yon Geismar zum
^ Gedächtnisse 4er Vemichtui^g der h. Eiche alljährlich nach Fritz-
lar gekom9ien und auf dem Friedhofe daselbst (vor der St. Pe-
terskirche) einen Baum gefällt hätten.
Dftss die Eiche zu Geismar gestanden und trotzdem ihr ei-
gentlicher Standpunkt Fritzlar gewesen sein soll, dieser Wider-
. Spruch ist nur scheinbar und lässt sich ohne Schwierigkeit lösen,
wenn man annimmt , dass Fritzlar erst durch die Gründung des
Oratoriums hervorgerufen worden sei.
Und eine solche Annahme hat Vieles für sich..
Um's Jahre 723 wird die Eiche gefällt und an der Stelle
derselben eine Kirche gebaut. Von Fritzlar ist dabei noch keine
Rede. Erst beinähe ein Jahrzehnt später, um's Jahr 732, baute
Bonifazius — zufolge der auf uns gelangten Nachrichten — eine
' dem h. Peter geweihte Kirche nebst einem kleinen Kloster zu
Fritzlar und hiermit tritt dessen, Name uns zuerst entgegen. Ob
der Ort damals schon bevölkert war, wird nicht gesagt.
Die Büraburg war anfänglich nur der Wohnsitz des Bischofs,
zu Fritzlar aber nur die Kirche. Aus diesetoi Grunde werden
beide Namen zuweilen für einander gebraucht. Wie nämlich
ein fri^tzlariisches Martyrolog den ßischofMeingot „episcopus loci
ipsius"*) und Servatus Lupus den Bischof Witta „praesul Fritisla-
riensis oppidi" nennt ^), so spricht Papst Zacharias 742 von einer
„ecclesia Barbarana" (für Büraburg)*) und das schon erwähnte
Martyrologium in Bezug auf den Bischof Witta von dessen ^ec-
plesia Burborch"*).
Beide lyaren, wie man hieraus schliessen muss, gewisser-
X) Scbraiflickg, Mon, Hqss. 1. 34.
2) ScbmineJce , Dissertat. bistor. de episjcopala Burabur^ensi. p. 19.
3) Vita St. Wigberli c. 24.
4) Wördtwein, Epist. St. Bonifacii nr. 53.
5) SchmiDcke, Antiq. Friteslar. p. 29.
an
massen ein Ort, und als später um die ICirohe Ansiedelungen
entstanden, traten, dieselben zur Burg in dasselbe- Verhältniss;
welches man bei zahlreichen s. g. Städten jener Zeit sieht:
Fritzlar wurde das Suburbium der Büral^urg. Als später Fritz-
lar zunahm und bald selbst ein befestigter Ort wurde, verlor
die Burg ihre Bedeutung und verschwand beinahe spurlos.
Fritzlar wurde also deshalb nicht zum bischöflichen Sitze
erwählt*, weil ihm die Erfordernisse dazu fehlen; die Büraburg
verschwindet dagegen, sobald Fritzlar als Wohnstätte erstarkt.
Auch die Nachricht, das Bonifaz 732 eine Kirche und ein
Kloster zu Fritzlar erbaut, spricht nicht gegen die Annahme,
das& hier auch das Oratorium gestanden. Das erste Gebäude
war sicherlich nur. gering und nur für den augenblicklichen Be-
darf bestimmt: Auf keinen Fall entsprach es aber den Bedürf-
nissen eines Klosters, und mit dessen Gründung wurde auch ein
neuer Kirchenbau nothwendig. Dieser neue Bau wurde aber je-
denfalls auf dieselbe Weise ausgeführt, wie dieses im spätem
Mittelälter zahlreiche Beispiele zeigen. Der neue Bau wurde
nämlich über dem alten aufgerichtet und dieser erst dann be-
seitigt, als jener so weit vollendet war, dassman den Gottes-
dienst in ihn übertragen konnte. Dadurch erreichte man den
doppeltexi Zweck, den Kultus ohne Unterbrechung zu erhalten
und docli auch 'die für das alte Gebäude im Volke lebende Ver-
ehrung auf das neue zu übertragen.
En dlich aber sctliesst sich an alles dieses noch die Bedeu-
tung des Namens Frideslar. Fridu ist pax und Frides der
Genetiv, sing, davon; das oft in Ortsnamen wiederkehrende lar
aber bezeichnet eine Wohnung, auch im Allgemeinen eine be-
stimmte Stätte. Wie im 'Angelsächsischen Fri&burh, Fri2>gard,
PriS^hus u. s. w. das Asyl bezeichnet, so heisst Frideslar
der Friedens ort, die Friedensstätte, d. h. ein Ort der unter
dem öffentlichen Frieden steht. Jede Malstätte stand unter die-
sem Frieden, dessen Bruch mit schweren Bussen bedroht war,
und sicher lag dieser Frieden auch auf jedem andern dem Volke
geheiligten Orte. Noch heute nennen, wir die Begrab nissstätte
— Friedhof, weil auch auf dieser der Frieden ruhte, gleichwie
jede Sicherung oder Umzäunung eines Grundstücks oder eines
andern Gegenstands — eine Befriedigung. Die Stätte, wo jetzt
Fritzlar liegt, war also jedenfalls schon vor der Gründung der
Kirche dem Volke eine geheiligte, ujid so liegt denn auch hierin
3äO
für die obeii ausgeführte Annahme noch eine Unterstätzung von
nicht ufnbedeutendem Gewichte. Auch J. Grimm, obwohl an
die Annahme einer Identität der beiden St. Peterskirchen nicht
denkend , vermuthet , „ der Ort könnte den germanischen Hei-
den bereits eine heiUge Stätte gewesen und auch Bonifaz dufch
den Namen zu der Wahl für seine Anlage bestimmt worden
sein *) ". -
War die Stätte, an der die h. Eiche sich erhob und auf
der nach deren Fällung das Oratorium errichtet wurde, noch
nicht bewohnt , so gehörte sie noch zu der Mark eines der be-
nachbarten Dörfer, und diese Mark war die von Geismar; Des-
halb konnte auch nur von diesem Dorfe die Rede sein. Erst
die neue Ansiedlung . und wahrscheinlich die Anlage des Klo-
sters änderte das Verhältniss. Es wurde der dazu erforderliche
Boden von der Mark von Geismar abgetrennt und es entstand
dadurch eine neue Feldmark mit einem selbstständigen Orte.
Ja, dieser Ort war schon deshalb gleich von seinem Beginne
selbstständiger, als dieses bei neuen Anlagen im Allgemeinen ge-
wöhnlich ist, weil derselbe als eine kirchliche Stiftung sicherlich
auch sofort nach seiner Gründung aus dem politischen Verbände
geschieden wurde.' Die Erinnerung an die alten Besitzer des
Bodens musste darum auch um So schneller untergehen, und
es ist darum ganz begreiflich, wenn alle Spätem, an eine solche
ursprüngliche Einheit des Bodens beider Orte nicht denkend,
Fritzlar und Geismar als zwei stets und durchweg getrennte
Orte sich vorstellen.
Nach alle diesem wird man nicht mehr zweifeln, dass die
heutige St. Peterskirche' zu Fritzlar die Stätte bedeckt, welche
ehemals von der dem Donnergotte geheiligten Eiche beschattet
wurde."
Ich habe schon oben bemerkt, dass der Pfarrsprengel die-
ser 'Kirche den ganzen Hessengau umfasste.
Später finden wir ausser dieser noch acht andere Kirchen,
welche zum, Theil schon im achten Jahrhundert vorhanden wa-
ren und sämmtlich als „Matres" sich zeigen.
Von diesen bestanden die Kirchen zu Ottrau und Mardorf
1) Reuberg, Kirchengeschichte Deutschlands I. S. 594. Die Uebersetzuog des
Namens in Pacis Doctrina, wie sich dieselbe in einem jedenfalls onAchten Briefe des
Papsts Zacbarias ao Bonifaz und auch später zuweilen findet, verdient keine Widerlegung.
381
wenigstens schon Z82 *)," und wenn uns die andern auch erst spä-
ter, die zu Ditmold im Anfange des elften Jahrhunderts*), die
zu Gensungeii, Schützeberg j Urf uM Bergheim 1085^) bekannt
werden,, so sind dieselben deshalb doch nicht, jünger und jeden-
falls ebenso alt als jene.
Als im Jahre 782 Karl d. G. dem Stifte Hersfeld „uillam unam
nomine Ottraha", nämlich das Dorf Ottrauam südwestlichsten Fusse
desKnüUs, sowie „matremeccleöiamin eadem uilla** ül^ergab, wurde
zugleich die Gränze des Pfarrei- und Zehntbe^irks beschrieben.
Diese Beschreibung*) ist folgende:
„a loco, qui dicitur Siggenbrucca" — diese nicht mehr vorhan-
dene Brücke muss zwischen Salmshausen ' und Zelle gelegen
haben, dicht auf der Gemarkungsgränze beider Dörfer;
„usque in Steinnaha" — in nordöstlicher Richtung in den Bach
Steina ;
„et inde usque ad Wilzesberg" — an dem Bache hinauf bis an
den Wilsberg, nördlich von Häuptschwende;
„sie per devexitatem montis usque aÄ Hunengesrot" — an dem
nördlichen Abhänge dieses Berges hin, zwischen Rechberg
und Schwarzenborri und immer um die Abhänge der Knüll-
höhe herum , so das Hergetsfeld und Grebenhain ausgtschlos-
sen bleiben , bis in das obere Thal der Efze ; Hunengesrot ist
unbekannt ;
„inde ad Salzesberg" — von Grebenhain in südöstlicher Rieh-,
tung rechts an Salzberg vorüber;
„usque in flumen Geysaha" — vor Willingshain wendet sich die
Gränze wieder in nordöstlicher Richtung über den Gipfel des
Eisenbergs und zieht an der Geisa hinab;
ibi vadato flumine usque in Fuldam" — bis zur Mündung der
Geisa in die Fulda; *
inde sursum in Jazaha" — in der Fulda hinauf bis jenseits
Hersfclds in die Jossa, und aus dieser in südwestlicher Rich-
tung auf der heutigen Landesgränze fort bis zum Hofe Bern-
gerode ;
>?
?)
^
3) Wenck a. a. 0. II. ürkbch. S. 10 u. 12. ' ' -
2) Perlz 1. c. X. 601.
3) „ Tres maires ecclesiae, que sie vocantnr Frideslar, Gensioge et Scnziberc —
— doae matres ecclesiae sie vocatae Urph'a , Bercheim". Würdlwein , Dioee. Mog.
III. 379.
4) Wenck a. a. 0. ürkbch. IL S. 12. u. III. S. 15.
- \
t
38t
/
I
„in Suarzaha" — von Bemgerode in ganz westlicher Richtung
zum Dorfe Schwarz, südwestlich von Grebenau;
„inde deorsum in Leimenbrunnun** — unbekannt;
„et in Ypaha" — nördlich an Eifa hin , in dem zwischen den
Dörfern Berf und Elberode bei der Buchenmühle in die Berf
' mündenden Bache hinauf und den Wald, die Dicke genannt,
umschlingend , -in dem Friedrichsbom wieder hinab , bis in die
Berf, in dieser hinab, zwischen Alt- und Neuhattendorf hin-
durch und unterhalb Dotzelnrod
„in Sualmanaha" — in die Schwalm;
„inde per obhquum ad'pontem Screggesbahc" — in der Schwalm
hinab bis zu der bei der Furthmüle, Heidelbach gegenüber,
liegenden Brücke;, auf welcher noch heute die in einem schma-
len Streifen heraufreichende Gemarkung von Schrecksbach
wendet; / ^
„inde in Holunbahc" — wahrscheinlich Heidelbach , denn die
-Grärize läuft nun am linken Schwalmufer hin bis unterhalb
Holzburg; -
„et Diethwinesrodt" — unbekannt;
„inde sursum in Wipfingestein" — nördhch unter Holzburg hin
gege« Westen bis zu dem' östlich von Merzhausen liegenden
Wippestein, einer flachen felsigen Höhe, welche („Wibchen-
stein") 1366 als Gränzpunkt der Grafschaft Ziegenhain be-
zeichnet wird;
„et Salmanneshusun inde deorsum ad predictum öumen Sual-
manaha, inde iterum ad Siggenbruccun" — in ganz nörd-
licher Richtung an Salmshausen vorbei bis zum Anfangspunkt
in der Schwalm.
Verfolgt man diesen Gränzzug genau , so wird man finden,
dass derselbe allenthalben auf noch heute vorhandenen sowohl
weltlichen als kirchlichen Gränzen hinzieht und nanaentlich die
nachverzeichneten Gebiete umschliesst:
Das Gericht und die Pfarrei Röllshausen ; die Gerichte und
die Pfarreien Neukirchen und Ottrau ; das Gericht und die Pfarrei
Oberaula; das Gericht und die Pfarrei Lingelbach; das Gericht
und die Pfarrei Breitenbach; das Gericht und die Pfarrei Gre-
benau; das Gricht und die Pfarrei Niederaula; das Gericht und
die Pfarrei Frielingen; sowie das ebenfalls eine Pfarrei bildende
Gericht an der Geisa nqbst der Stadt Hersfeld.
Vergleicht man nun femer- hiermit das Archidiakonats-Re-
S8S
gister der Probstei Fritzlar*) , so ergibt sich dass das el^en nach sei-
nen einzelnen Bestandtheilen dargesteDte Gebiet genau mit dem
Sprengel des erzpriesterlichen Stuhls von Ottrau übereinstimmt.
Dass auch das südliche von der alten Gränze mit eingeschlos-
sene,, im Register aber fehlende, Gebiet ebenwohl noch hierher
gehckte , zeigt theils^ eine Urkunde von 1497 , durch welche dem
OMzial der Probstei zu Fritzlar ein Pfarrer „ad ecclesiam pa-
rochialem in Schwartz" "präsßntirt wird, theils die folgende aus
einem ungedruckten Aktenstücke des fünfzehnten Jahrhunderts
entnommene Stelle : „qüod — dicta ecclesia in Grebenau et aUi ec-
•clesie et capelle ab eadem dependentes et ad illam spectantes et
pertinentes videücet in Lingelbach (Lingelbach) , in Breydenbach
(Breitenbach am Herzberg), in Reynrode (Reinrode), in Hattenrade
(Hattenrode) , Machtholffs (Machtlos), Gehauwe (Gehau), Ger-
hartsheim (Görzhaih), Obimjosse (Obemjossa), Clestorif (Eulers-
dorf), in Abbena (Bieben), et in Walderstorff (Wallersdorf) si-
mul et comminuttim per unum et eundem rectorem vide-
licet plebanum in Grebennauwe regnari et gubernari consue-
uerunt et rector eccle«ie in Grebennauwe pro rectore omnium
illarum ecclesiarum et capellarum etc".
Ebenso schliest sich aber auch die oben beschriebene
Gränze der Kirche zu Ottrau mit ihrem südlichen Theile genrfu
an die ^Gränze der Kirche zu S.chlitz, welche uns in' einer nicht
viel jungem Beschreibung erhalten ist 2).
Die Kirche zu Ottrau wird in der Urkunde von -782 als die
Mutterkirch^ bezeichnet und war also nicht nur die erste
Kirche in diesem ganzen Bezirke, sondern es waren auch be-
reits neue (Filial) Kirchen in ihrem Sprengel gegründet worden.
Lassen sich diese Kirchen auch nicht aus gleichzeitigen
oder überhaupt alten Urkunden ermitteln , so geht doch aus spä-
tem Nachrichten hervor, dasä es die Kirchen zu Oberaula, Gre-
benau und Niederaula waren. Der ursprünglich einheitliche
Pfarrsprengel theiltesich demnach weiter in vier Pfarreien. Aber
1) S. Faickenhemer , Gesch. hess. Städte n. ' Stifter. H. S. 219. Paickenheiner
bat zwar das älteste, aber nicht das Tollstäodigsle noter den YorhaDdeneo Registern
mitgetbeilt , denn die spätem nennen noch die Kirchen zu Niederaula, Kirchheim, As-
bach, JNeukirchen,. Neuenslein und Hattenbach.
2) Oronke, Trad. et Ant. Fnid. p. 58. Die daselbst p. 120 gegebene schlitzer
Zehntgränze ist eine von dieser wesentlich versciifedene , und beschreibt nur den Um-
fang des eigentlich fuldischen Bodens.
384
auch -diese wurden in Folge weiterer Kirchenbauten wiederum
getheilt: die Pfarrei Ottrau in die Pfarreien Ottrau, Schönberg
(oder Röllshausen), Neufcirchen und Schrecksbach; die Pfarrei
Grebenau in die Pfarreien Grebenau,, Breitenbach, Lingelbach
und Obernjosse; die Pfarrei Niederaula in die Pfarreien Nieder-
aula, Hersfeld, Geisa und Frielingen, und nur die Pfarrei Ober-
aula blieb (bis auf die später eingetretene Trennung von Schwar-
zenbom und Hausen) allein ,ungetheilt.
Jede dieser Pfarreien stimmt nun aber mit einem weltli-
chen Gerichte überein , dergestalt , dass stets ein Pfarrbezirk zu-
gleich dem Bezirke eines Gerichts entspricht.
Wie der erzpriesterliche Sprengel von Ottran sich schon
782 herausstellt, so würde sich dieses, wären Nächrichten dar-
über vorhanden, sicher auch bei den übrigen Dekanats-Kirchen
nachweisen lassen. An derartigen ebenso umfassenden Nachrich-
ten fehlt es aber. Nur aus dem Dekanate Gensungen lässt sich ur-
kundhch darthun^ dass die dasige Kirche ebenfalls schon 786 Mut-
terkirche war, denn in diesem Jahre gab Karl der Grosse die vom
Erzbischof LuUus erbaute, im Dekanate Gensungen liegende und
demnach der dortigen Kirche, untergeordnete Kirche zu Grebenau
an der Fulda dem Stifte Hersfeld*). Wir sehen demnach in
etwa einem halben Jahrhundert einen dreifachen Kirchenbau
ausgeführt, und den Gau bereits mit Kirchen bedeckt. Die Ver-
hältnisse dieser Kirchen zu einander ergeben sich aber leicht,
wenn wir uns den Gang hoch einmal vergegenwärtigen, welcher
oben! bei dem Ausbaue der Marken nachgewiesen worden ist.
Die Kirche zu Fritzlar war die erste Kirche und ihr Pfarr-
sprengel umgriff den gesammten Gau. Der hierauf zunächst
folgende Kirchenbau . geschah also in ihrem Pfarrsprengel, ge-
wissermassen unter ihrer Führung, und die neu entstandenen
Kirchen traten dem zu Folge in ein untergeordnetes , ein filiales
Verhältniss zu der zu Fritzlar, während diese dadurch eine Mut-
terkirche wurde. Es waren aqht Kirchen, welche neu entstan-
den waren , und es wurde dadurch der ^Gau in neun Pfarreien
getheilt, denn auch die Mutterkirche zu Fritzlar trat in gleicher
Eigenschaft mit ein und zwar in der Weise, dass sie neben ihrer
Eigenschaft als Mutterkirche zugleich auch Pfarrkirche blieb und
1) Wenck a.'a. 0. III. ürkbcb. S. 15.
sei
als solche einen engem unmittelbaren Sprengel erhielt. ' Von
jeder dieser neun Kirchen ging ntm wieder ein Kirchenbau aus,
80 dass sich ganz dasselbe Verhältniss wiederholte, indem da-
durch die Filiale der ersten Kirche jetzt selbst Matres wurden.
Und so folgte endlich noch ein dritter Bau , der auch die zu-
letzt entstandene]! Tochterkirchen wieder In Mutterkirchen ver-
wandelte.
Aehnlich wie namentlich im fränkischen Hessengau, ent-
wickelten sich die kirchlichen Verhältnisse auch im Oberlahngau:
Hier wurde ebenfalls von Bonifazius die erste Kirche zu Amö-
neburg begründet. Später findet sich der ganze Gau in drei
, Dechantenbezirke getheilt, welche ihre Hauptsitze zu Amöne-
bürg, Kesterburg (Christenberg) und Arfelden hatten, wonach
alse nach dem Baue der Kirche zu Amöneburg die Gründung
der zu Kesterburg und zu Arfelden gefolgt ist.
Auch diese drei Orte hatten unzweifelhaft schon vor Ein-
führung des Christenthums eine höhere religiöse Bedeutung und
verdankten eben nur dieser Bedeutung ihre kirchlichen Anlagen.
Für die hohe gewissermassen «chon durch die Natur zu einem
Altar gestaltete Amöneburg lässt sich zwar nur der Umstand
anführen , dass Bonifazius daselbst sein Bekehrungswerk in
Hessen und gewiss nur deshalb hier begann, weil Amöneburg
der Hauptort dieses Gebiets war. Anders ist es hingegen
schon mit der ebenwöhl isolirt. auf hohem Berge liegenden
Kirche von Kesterburg. Schon die beinahe von allen mensch-
lichen Wohnungen*) abgesonderte Lage dieser Kirche weist
darauf hin, dass deren Gründung nur durch eine höhere Bedeu-
tung des Orts veranlasst worden sein kann. Ich will mich nicht
auf die Sagen stützen, welche hier erzählt werden, sondern nur
auf den Namen hinweisen. Mag auch der Name Kesterburg
sich erst seit dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts urkund-
lich finden , so ist derselbe doch jedenfalls weit älter und reicht
ohne Zweifel auch noch über die Zeit hinaus, wo hier die erste
Kirche begründet wurde. Aber welche Bedeutung hatte dieser
Name? Er dauerte unverändert durch das ganze Mittelalter bis
^egen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, wo der Name Chri-
stenberg allmälig den altern verdrängte. Schon 1474 findet
1) Nur der Pfurrer hntte seine Wohnung dabei, wie dieses noch heute mit denn
Küster der Fall ist.
Landaa Territorien. O5
SM
i
sich der „Phern (Pfarrer) zu Christenburg" und noch 1527 heisst
es „ Kesterberg — jtzo der .Christenbergk genannt *) ". Noch
heute sieht man die Spuren von Befestigungswerken. Der Gip-
fel des Berges wird nicht nur durch mehrfache Gräben von
" dem übrigen Gebirge geschieden , sondern auch vor dem Berge
liegen noch zwei Gipfel mit deutlichen Resten von Befestigun-
gen, die Lüneburg und die Lützelburg.
Bei der dritten Kirche endlich kann ich "zyar nur auf den
Namen hinweisen, aber dieser Name schon ist bedeutungsvoll.
Bereits im J. 815 findet sich die „ Harafelder marca ** und um
dieselbe Zeit auch der „pagus Arahafelt^) **. Harahus nennt
das ripuarische Gesetz eine Malstätte, welche ursprünglich ein
Wald war, sicher noch aus heidnischer Zeit entstammend, wäh-
rend das angelsächsische „ herag " durch fanum , delubrum , ido-
lüm, simulacrum etc. übersetzt wird').
Jeder dieser drei Bezirke zerfiel in eine Anzahl von Pfarr-
kirchen, von denen eine jede einen Rektor als Pfarrer hatte.
Es sind das die in dem von Würdtwein*) mitgetheilten Regi-
ster des Archidiakonats von St. Stephan zu Mainz aufgeführten
Sedes.
Mit dieser sich allmälig gebildeten Unterordnung der Kir-
chen stand die Gliederung der Pfarrer nach verschiedenen Stu-
fen im engsten Zusammenhange. Der Pfarrer der ältesten und
ersten Kirche wurde der Archidiakon, die Pfarrer des zweiten
Baues wurden die Dekane oder Erzpriester, die Pfarrer des drit-
ten Baues endlich die Rektoren. Diese letztere Würde hat man
bis jetzt noch immer übersehen ; man wusste nur vom Archidia-
kone und vom Dekane oder Erzpriester. Aber auch der Rektor
findet . sich allenthalben , es ist der Hauptpfarrer den Diakonen
gegenüber, wie sich dieses noch heute in der englischen Kirche
zeigt. Schon die oben mitgetheilte, die Kirche zu Grebenau am
Vogelsberge betreifende , Urkundenstelle zeigt ihn uns in klarer
und bestimmter Weise. Ebenso erkennt man die Stellung der
Kirche des Rektors aus einer 1167 für das Kloster Schlüchtern
1) Der .Name Kesterburg hat noch keine befriedigende Erklärung gefunden.
Rellberg, Kirchengeschichte Deutschlands 1. S. 601.
2) Cod. Trad. Lauresham nr. 3586 und 3796.
3) Grimm R. A. S. 794 u. 903 und Mythologie S. 59.
4; Dioec. Mog. HI.
ssr
im Salgaue ausgestellten Urkunde *). Diese Urkunde sagt: „Pa-
rochia Ramunded (Ramholz) cum basilicis Kalbaha (Oberkal-
bach), Gunthels (Gundhelm), Grunaha (Altengronau) , , Zonthels-
bach (Züntersbach) , Sterpfridis (Sterbfritz) , Steckelberg (die Burg
Steckelberg), Cella (Hohenzell), Steinbach (Hungersteina?), Ci-
tolves (Zeitlofs), Otekares (Motgers)". Hier wäre also die Kirche
zu Ramholz *J, die eigentliche Pfarrkirche und alle übrigen er-
scheinen als derselben untergeordnet. Femer liest man im
Jahre 1331 von der Kirche zu Meirichstadt: „Ecclesiam pa-
rochialem in Meierstat cuius rector confert has octo filia-
les ecclesias s eparat as scilicet in Menenhusen (Mendhau-
sen westlich von Römhild und dessen Mutterkirche kann es nicht
sein), Hentingen, Ebern (Ebern), Elspe (EHzbach), Northeim vor
der Rone, Ostheiln sub Lichtenberg, Hermansfelt (bei Henne-
berg), Stockheim, Obemstrewe"^). Einen weitem Beitrag hier-
zu liefert die über die Trennung der grossen Pfarrei Pfarrwei-
sach im Braunachgmnde im J. 1232 aufgestellte Urkunde *) und
auch in nordischen Urkunden findet sich der Rektor genannt;
in einer dänischen vom Jahr 1340 heisst es: „Item quod quili-
bet rector ecclesiarum parochialium terre Scanie etc. "^).
Dass alle diese verschiedenen kirchlichen Bezirke nicht
aus einem willkürlichen Schaffen hervorgegangen waren, son-
dem auf altern Weltlichen und religiösen Gmndlagen beruhten,
habe ich schon bemerkt. Das Archidiakonat fiel mit dem Gaue,
das Dekanat mit der Hundertschaft, das Rektorat mit der Zehnt-
schaft zusammen. Das Archidiakonat zu St. Peter in Fritzlar
stimmte genau mit dem fränkischen Hessengaue überein. Dass
nun auch die neun erzpriesterlichen Bezirke, in welche das Ar-
chidiakonat zerfiel, sämmtlich alte Centen gewesen, lässt sich
zwar nicht geradezu nachweisen, aber schon eine Betrachtung
der Lage der einzelnen erzpriesterlichen Kirchen muss dieses
wahrscheinlich machen und wenn man nun findet, dass die
sämmtüchen Gränzen dieser kirchlichen Gebiete mit denen welt-
licher Gebiete zusammenfallen, so lässt sich kaum noch daran
1) Wenck a. a. 0. I. ürkbcb. S. 289.
2) Im 14. Jabrh. findet man bereits 2 Pfarreien , nämlicb zu. Rambolt und zu
Schlöcbtern.
3) Arcbiy des hislor. Vereins für d. Unlermainkr. 1. H. 2. S. 102.
4) Das. VII. 1. 182.
5) Baring, Moo. Scaniens, 1. p. 105.
25*
S88i
zweifeln, und zwar um bo weniger» als alleathalben ^e Thai-
Sache sich feststellt, dass die ssunmtlichen Rektorate mit d^n
alten Dorf bezirken (den spätem Centen) übereinstimmen. So er-
gibt sich das 786 gezeichnete Gebiet der Kirche zu Grebenau
als das des nachher sich findenden Gerichts^ Melsungen , und
nicht weniger stimmen — wie dieses schon vorhin gezeigt worden
ist — die innerhalb der 782 beschriebenen Gränze der Kirche zu
Ottrau sich darbietenden Pfarreien mit weltlichen Gerichtsbezirken
überein. Dieselbe^ Erscheinung bietet ai^ch der Sprengel der
Dekanatskirche zu Kesterburg. Man vergleiche nur die in einer
Urkunde 1238 aufgeführten Centen der Grafschaft Battenberg*)
mit denen bei Würdtwein gekannten kirchlichen Sedes, und man
wird sich leicht von ihrer Uebereinstimmung überzeugen.
Centena de Hartenfeld — Sedes Arfelden*).
- Ruttene — - Rudene.
- Bentreffe — - Bentreff (Rosenthal).
- Treisa — - Treysa.
- Geismare — - Geysmar et Frankenau.
- Fromelskirch — - Fromeldeskirchen.
- Lixfeld — - Breidenbach.
- Dudeffe — - Dutphe,
- Wetter — - Wetter.
- Lasphe — - Lasphe.
Dasselbe wiederholt sich auch mit den Centen, welche eine
Urkunde von 1237 aus der Grafschaft Rucheslo nennt').
Nicht weniger zeigen sich in den aus der östlichem Wet-
terau* uns erhaltenen alten Gränzbeschreibungen der Kirchen-
sprengel von Wingershausen, Zelle, Schlitz, Kreinfeld, Reichen-
bach, Lüder u. s. w. *) genau die spätem Gerichte Burghards,
Romrod , Lauterbach und Schlitz , 'Kreinfeld , Reichenbach und
Grössenlüder.
Wo wir hinblicken, begegnen wir immer wieder derselben
Thatsache. In dem Kapitular von Paderborn von 785 bestimmte
Karl der Grosse, dass für jede Cent in Sachsen eine Kirche ge-
1) Gudenus, cod. dipl. I. 547.
2) Wo sich- 1253 der dortige Pfarrer als Rektor fiodet. Kopp, Hess. Gericbts-
VerfassDDg S. 123.
3) Gudeous 1. c. I. 544*
4) Dronke, Trad. et Anti^. Fuld. p. 57 ---59.
38e
baut werden sollte *). Im Jahr 1067 wird der Ahrgau als eine
Dekanie umfassend bezeichnet*). Durch den ganzen , Norden
ist es sogar gebräuchlich die Bezeichnung Kirchspiel Ä\igleich
als weltliche Bezirksbezeichnung zu gebrauchen. Da jedes
Urkundenbuch dafür Belege liefert und der Gebrauch heute
noch fortdauert, wird ein Bei'spiel genügen: „Item Judicium
Gograviatus in Geseke extendit se super V parochias^) ". Das-
selbe ünden wir auch in Holstein und Schleswig*). Der pa-
gus Folderensis z. B. umgriff den östUchen Theil des pagus
Holsatiae und stimmte mit der parochia Folderensis genau
überein , welcHe wieder in eine Anjöahl Kirchspiele . zerfiel ^)-
Eine Urkunde von 1194 über die „provincia Raceburg*' zählt de-
ren sämmtliche Parochien als weltliche Unterabtheilungen der-
selben auf^). Ja, in Norwegen werden in dem ältesten Kir-
chenrechte die Fylkiskirchen (die Archidiakonatskirchen) streng
von den Ileradskirchen (den Dekanatskirchen) unterschieden'),
ein unzweideutiges Zeugniss, dass die Fylkiskirche einen gan-
zen Gau, die Heradskirclie eine ganze Cent umschloss. Ebenso
hat man dieselbe Uebereinstimmung auch in Frankreich, Eng-
land, den slavischen Ländern u. s. w. nachgwiesen.
Die Uebereinstimmung ist so streng, dass man deutlich
daraus erkennt, wie die Kirche sich ganz und gar auf den welt-
lichen Grundlagen, welche sie vorfand, aufgebaut hat. Es tritt
das am deutlichsten in die Augen, wenn man die Stufenfolge
der weltlichen und kirchlichen Vorstände der einzelnen Gebiete
neben einander stellt. Dem weltlichen Dekan entspricht der
kirchliche Rektor, dem Centgrafen der Erzpriester, dem Gau-
grafen der Archidiakon, dem Unterkönige oder Herzoge der Bi-
schof, dem König der Erzbischof, und wem man will, so kann
man auch noch die höchsten Spitzen nehmen und den Kaiser
und den Papst neben einander stellen.
1) S. oben S. 294.
2) Lacomblet, Urkbch. I. S. 136.
d) Setbert, Urkbch. II. S. 618. Das Gogericht za Brilon hatte 10, die zu Her-
ford und Medebach jedes 15 Pfarreien. Das. S. 611 , 6J6 n. 637.
4) Faick, neues Staatsbürger!. Magazin VII. S. 27 ff' und Michelsen, Nordfries-
land S. 57 ff. '
5) FaIck a. a. 0. IV. 590.
6) Westphalen, Mon. inedita II. p. 2051.
7) Micbeisen a. a. 0. S. 60.
390
Dessen .ungeachtet ist doch auch diese Regel nicht ohne
Ausnahmen. Nicht allenthalben findet sich jene territoriale Ueber-
einstimmung , vielmehr zeigen sich hin und wieder bald grös-
sere bald geringere Abweichungen, gewissermassen Störungen
des gewöhnlichen Entwicklungsganges.
Gleich im Norden von Hessen findet man den sächsischen
Hessengau unter zwei Archidiakonate , einen mainzischen und
einen paderbornischen vertheilt; doch sind die Qebiete beider
auch in zwei selbstständige Grafschaften getrennt.
Von der Mark von Dorndorf an der Werra gehörte der süd-
westliche Theil, das Gericht Völkershausen , keineswegs wie die
übrige grössere Hälfte der Mark unter den erzpriesterlichen Spren-
gel zu Hausen-, sondern unter den zu demselben Archidiako-
nate gehörenden Sedes Vach *).
Aehnlich war das Verhältniss der den Vogelsberg einschlies-
senden nordöstlichen Mark der Wetereiba, sowie der südlich von
Fulda liegenden Mark Flieden. Während nämlich die beiden
andern Marken der Wetereiba unter dem Probste des Stifts St.
Maria ad gradus standen, war diese unter die Probstei des Stifts
St. Johann gestellt *) und zwar mit der Mark von Flieden, ob-
gleich diese zu dem Salgau gehörte, welcher im Uebrigen dem
würzburgischen Archidiakonat von Karlötadt untergeordnet war.
Dieses bezeugen mehrere Urkunden. So heisst es 1330: „ ca-
pella castri Nuwehof in limitibus parochialis ecclesie in Flie-
den"; 1476: „den Buwmeistern vnd Versehern der Capellen zum
Rückers vnder der. Pfarkirchen zu Flieden gelegen im Mentzer
Bistumb"; 1487: „capella sancti Laurentii in Niederkalbe,
moguntine diocesis."
Dagegen befanden sich alle zwischen dem Salgau und dem
Grabfeld getbeilten Marken ganz, auch mit ihrer salgauischen
Hälfte , im grabfeldischen 'Dekanate von Münnerstadt.
Am auffallendsten jedoch ist die Erscheinung, welche die
kirchlichen Verhältnisse , der Mark Heppenheim bieten. Dass
diese Mark in weltlicher Beziehung eine Einheit bildete, ist schon
oben nachgewiesen worden. Dieses war aber keineswegs auch
in kirchlicher Hinsicht der Fall. In dieser sehen wir dieselbe
1) Stephan, Neae Stoflnieferangen. S. 100.
2) Wenck a. a. 0. If. S. 424.
391
vielmehr in drei Theile zerrissen und nach drei Uhtermarken
unter drei zum Theil sogar verschiedenen Piözesen angehörige
Archidiakonate vertheilt.
Betrachtet man zunächst die Mark von Michelstadt, wie
dieselbe durch die Gränzbeschreibung von 819 sich darstellt,
so erkennt man in diesem Bezirke den unter dem Archidiako-
nate des Kollegiatstifts von St. Peter und St. Alexander stehen-
den Kirchensprengel von Michelstadt, wie denselben die von .
Würdtwein *) veröffentlichten Register darstellen. Nämhch : Mi-
chelstadt , Steinbach , Mombron (ausgegangen) , Mpmenhart (Mo*
ma.rt), Witzenberckh (Würzberg), Asselbornen (Asselbron), Iren-
gesbuch (Ernstbach), Widengess (Weidengesäss) , Rosbach, Bo-
law (WaldbuUau) , Ebersbergkh (Ebersberg), Zelle, Eisbach (der
Hof), Gunderfurst (Günterfürst), Lurbach (Lauerbach), Schonaw
(Schönen), Steinbach (Steinbuch), Stocken (Stockheim), und Yuln-
bach (Eulbach). Aber nicht nur dieser, sondern auch die Spren-
gel vonMosau, Gütersbach, Beerfelden, Brombach, König und
Lützelbach ^) gehörten noch zu demselben Archidiakonate.
Wie dieser nordöstliche Theil unter dem Archidiakonate
von AschaflTenburg , so stand der südwestliche unter dem worm-
sischen Dekanate von Weinheim ^), der nordwestliche aber mit
Heppenheim, Bensheim u, s. w. unter dem mainzischen Archi-
diakonate von St. Viktor *). .
Wie und wodurch solche Abweichungen veranlasst worden,
ist wohl in den wenigsten Fällen zu erläutern. Meist mögen
jedoch die bei der Einführung des Christenthums bestandenen
Besitzverhältnisse einen wesentlich bestimmenden Einfluss dar-
auf geübt haben.
Al§o Ausnahmen hat jene Regel, aber diese Ausnahm.en
sind doch nur vereinzelt und heben darum die Regel nicht auf.
W^ohl aber mahnen sie, zur Vorsicht und warnen den Forscher
nicht ohne. genaue Prüfung dieser Regel zu folgen.
Noch schwankender steht diese Regel in Bezug auf die
Bildung der bischöflichen Diözesen. Obwohl es auch hierbei
als Grundsatz zu betrachten ist, dass für jeden Volksstamm ein
1) Dioeces. Mog. I. 60 ff.
2) Ibid. I. 605, 606, 607, 615, 616 u. 618.
. 3) Dalil , Beschreibung des Fürslenih. Lorsch. Uikbch. S. 18.
4) Wüydiwein , Dioec. Mog. I. p. 422 u. 472.
Bischof bestimmt wurde , so wirkten doch so viele andere Dinge
mit ein, dass nur in den wenigsten Fällen dessen strenge Durch-
führung noch erkenntlich ist. Während einzelne Diözesen sich
erweiterten, wiirden andere zerrissen, um neue zu bilden, und
ebenso wenig gehörte - dem Bischofssitze immer aucl^ die älteste
Kirche *). Die Bildung der Diözesen ist oft ebenso willkürlich,
als die Bildung der Königreiche.
Auf die Pflichten und Rechte der verschiedenen kirch-
lichen Vorstände, sowije auf die geschichtliche Verfolgung der
allmäligen Umgestaltung derselben, lasse. ich mich hier nicht
ein, da mein Zweck sich nur auf die Darlegung der Gründung
und Ausbildung der Gebiete bescliränkt und dieser, wie ich
hoffe, erreicht worden ist.
Nur eins will ich hier noch beiläufig erwähnen : die Doti-
rung .der Kirchen. Diese geschah stets durch Ueberweisung einer
oder einiger Hufen mit ihren Hörigen. In dem Kapitular von
785 verfügte Karl der Grosse, dass zu jeder Kirche die zu ihr
gehörigen Gaubewohner (pagenses) einen Hof (curtem) und zwei
äufen (mansQs) Land anweisen und auf je 120 Menschen-)
einen Knecht und eine Magd zutheilen sollten^). Aehnlich se-
hen wir dasselbe allenthalben, nur ist die Zahl der überwiesenen
Hufen nicht immer gleich. Bald ist es nur eine Hufe *), oft sind
es zwei, nicht selten aber auch 3, 4 und 5 Hufen ^), und zu-
weilen gehören auch noch Mühlen u. s. w. zur kirchlichen Aus-
stattung ®).
1) Wie Luntzel , die Diözese Hildesheim S. 186, behauptet.
2) S. oben S. 294.
3) Perlz, Leg. I. p. 49. .
4) „Unam basilicam — et mansam , in quo ipsa basilica sila est et XXI jurnales
et II servos** Trad. Lauresh. Nr. 1862.
„ In Blasbach nniim mansura et ecciesiam cum ipso manso , super q^icm aeih«
ficata est et de pomiferis tertiana parlem et hubam unarn et quidquid ad ipsam per-
tinet, et qualuor mancipia et de nianso indominicato ad aedificaodum domora et
aream construendam et horlum faciendum.'* Ibid. nr. 3721.
5) Jüvävia. Beil. S. 26 u. 27.
6) „Quandam sedilem suam curlim Burlina nomine cum ecclesia ibidem con-
strncta — cum foreslo uno Biirtina atlingente cum tribus slabiilaribus curtibus nna
quidem ea loci sila , celeris duabus extra jacenlibus Chumhohingun scilicet et Heliin-
stein diclis, cum cetisualibus bobis ad easdem curles perlinenlibus , cum iribiis rao-
Jendinis, cumvineis IV Rosezzun silis etc." v. Koch - Sternfeld , Beilr. zur leutschen
Länder-, yölker-, Sitten- und Staalenkunde IL 80. 81.
— •Ha4<ö^5*<-
(Druck von W. P 1 cJ t z in Halle.)
\
\
(
'Ik^kx \\v
\
h
\A^\\ •** -K?-'.
/(a tu CAWnv^I ar^Jr.^^-
'• Vk
/.
/ y s
(i y ^0
'i
f, -» • ,*■
T -
' J
*> ;.
/ .
/*