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Full text of "Die Territorien in Bezug auf ihre Bildung und ihre Entwicklung"

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Ej Xtbris 
F. SEEBOHM. 




TTS^Sy 




l- 'J.I 




D i e 



Territorien 



in Bezug 



auf 



ilire BildoDg ond ihre EntwickloDg. 



Von 



O'* Cfeorgp üandaa. 



Hambors und Gotha 

bei Friedrich und Andreas Perthes. 

1854. 



s 



Vorwort. 



Nur um dea Weg anzudeuten , welchen ich bei meinen Un- 
tersuchungen eingeschlagen habe, werde ich meinem Buche 
einige Worte vorausschicken. 

Die nächste Anregung zu den nachfolgenden Ausfüh- 
rungen wurde mir durch Untersuchungen gegeben, welche 
ich über die territorialen Verhältnisse meines engern Vater- 
landes vorgenommen hatte. Ich fand hierbei mehrfach eine 
Uehereinstimmung zwischen dem Ehemals und dem Jetzt, wel- 
che mich überraschte und die mich anspornte weiter zu gehen. 
Zu diesem Zwecke schritt ich auch anderwärts zu ähnlichen 
Versuchen und auch hier stiess ich immer wieder auf die- 
selbe Thatsache. So befestigte mehr und mehr sich in 
mir die Ueberzeugung, dass in Bezug auf diese Verhält- 
nisse nicht von Willkür die Rede sein könne, vielmehr ein 
organisches auf bestimmten Gesetzen beruhendes Leben vor- 
handen sein müsse« Dieses Leben zu erkennen und die dem- 
selben zu Grunde liegenden Gesetze aufzufinden, stellte ich 
mir nun zur Aufgabe. Dass ich auf dem bisher betretenen 
Wege, wo man die Vergangenheit als abgeschlossen be- 
trachtete und sich lediglich an die nur spärlich uns erhalte- 
nen Trümmer der Vorzeit hielt, dass ich auf diesem Wege ' 
mein Ziel erreichen würde, durfte ich nicht hoffen. Jener 
sich zeigende Zusammenhang zwischen Gegenwart und Ver- 
gangenheit wies vielmehr auT den entgegengesetzten Weg. 
Ich musste, das wurde mir immer klarer, von dem noch 
heute Bestehenden, also vom Bekannten, ausgehen; idbi 
musste gewissermassen stromaufwärts wandern , gleich einem 
Reisenden, der die unbekannten Quellen eines Flusses aufzu- 
suchen beabsichtigt. Dieses ist der Weg , welchen ich ver- 



IV 

folgt, und ich glaube, dass ich auf demselben mein Ziel 
keineswegs verfehlt habe. Was zu Gunsten dieser meiner 
Ueberzeugung spricht, ist die Einfachheit der gewonne- 
nen Resultate, so^yie die AUgeroeingüItigkeit und die Fort- 
dauer der nachgewiesenen Gesetze. 

Mein Weg war indessen keineswegs ein ebener. Gar 
oft war derselbe zerrissen , und nur die feste Ueberzeugung, 
dass seine Fortsetzung sich finden müsse, Hess mich aus- 
harren. Ueberhaupt waren viele Schwierigkeiten zu über- 
winden und meine Arbeit ist darum auch nur sehr laugsam 
fortgeschritten; es sind Jahre darüber hingegangen. Manche 
Funkte mögen noch einer weitern Ausführung fähig und hin 
und wieder auch noch schlagendere Belege beizubringen 
sein; ich gebe das gern zu; aber ich fühlte dringend die 
Mothwendigkeit eines Abschlusses. Es genügt mir vorerst 
einen neuen Anstoss gegeben zu haben. 

Meine Untersuchungen haben sich über die alten Ver- 
fassungs- Zustände nur so weit erstreckt, als dieselben mit 
dem Grunde und Boden zusammenhingen. Es schien mir 
diese Beschränkung um so mehr geboten, als gerade die 
Territorial -'Verhältnisse den Unterbau des Ganzen bilden, 
die eigentliche Grundlage , auf welcher das gesammte Volks- 
leben ruht. 

Ich bin fern von dem Glauben, in den Ergebnissen 
meiner Untersuchungen immer das Richtige getroffen , immer 
den wahren 'Sachverhalt gefunden zu haben. Das Gebiet 
ist zu gross und zu vielgestaltig , als dass ich das annehmen 
dürfte. Eben darum bitte ich aber auch alle Sachkundigen 
dringend meine für die Geschichte gewiss nicht unwichtigen 
Untersuchungen einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen. 
Jede Belehrung, jede Berichtigung oder Vervollständigung 
werde ich mit aufrichtigem Danke willkommen heissen. 

Kassel, im Oktober. 

D^ep Verfasser. 



Inhalts-Verzeichoiss. 



Seit«. 

Erstes Buch. Die Bildung und Entwicklung der welt- 
lichen Territorien. 

Erster Abschnitt. Die Flurverfassung 1 

1. Die Hufen 4 

1. Im Allgemeinen 4 

2. Die Bestandtheile der Hufe 12 

3. Die verschietlenen Arten von Hufen * 15 

Erste Hufengattiing • 16 

Zweite Hufen^attung (Königshufe, {farschhufe, Hagen- 
hufe, Waldhufe u. s. w.) 20 

Dritte Hufengattung 31 

Vierte Hufengattung • . 32 

Fünfte HufengattuDg 38 

4. Namen der Hufen und der einzelnen Grundstücke 39 

5. Die bäuerlichen Besitzverhältnisse * 40 

6. Die Ackermasse • 43 

7. Ueber das etwa höhere Alter einer oder der andern 
Hufenart, sowie über die etwa nationale Bedeutung der 
Hufenform 50 

8. Der Ackerbau 52 

9. Die Feldgemeinschaft 62 

10. Die Anlage des Dorfes 73 

1 1. Nichtdeutsche Feldfluren • 78 

Die Feldflur in Dänemark 78 

Die Feldflur in Schweden 82 

Die Feldflur in England-^ 82 

Die französische Feldflur 89 

Die slavische Feldflur 92 

Die römische Feldflur 95 

12. Rückblick und Schluss 07 



VI 

Seite. 

Zweiter Abschnitt. Die Hofverfassung 103 

Dritter Abschnitt. Die Marken. 

1. Die Mark in ihrer Bedeutung , ihrer Bildung , und ihrer 

Entwickhing 111 

Die Mark Heppenheim 121 

Die Mark von Fulda 137 

2. Die GrSnzbildung der Marken 1dl 

3. Der Ausbau der Mark im Einzeln 153 

4. Das Gemeingut • 163 

Vierter Abschnitt. Die Theilung des Volkes in Stämme. 

1. Die Gliederung in Stämme 187 

Der Westergau 196 

2. Die Bedeutung der Zahlnamen 222 

3. Die nationalen Mittelpunkte 226 

4. Der Einfluss der Völkerwanderung auf die Volksgebiete 240 

5. Die Germanen hatten keine Städte 259 

6. Di^ Gesammtburgschaft 295 

Fünfter Abschnitt. Die Vorstände des Volkes '299 

Bezeichnungen 299 

Des Volkes Herzog ' 309 

Gefolge '. 310 

Königthum ••• 312 

Der königliche Herzog 324 

Die Nobilität 331 

Sechster Abschnitt. Die Auflösung der Gauverbände 344 

Zweites Buch. Die Bildung und Entwicklung der kirch- 
lichen Territorien • • • • 357 



Druckfehler. 



In Folge des entfernten Druckortes, der dem Verfasser nur eine 

Durchsicht gestattete, haben sich hin und wieder Druckfehler eingeschlichen. 

Die, welche bemerkt worden, sind folgende: 

Seile 9 Zeile 3 Ton oben lies zahlten statt zahlen. 

18 - 22 - - - ostTriesischen statt weslfriesischen. 

- 21 - 5 - unten - sei statt seien. 

- 22 - 3 * oben -^ über weist statt äberwi ess. 

- 26 - 19 - - - bliebe statt bleibe. 

- 28 - 8 - nnten - weist statt w e i s s t. 

- 29 - 7 * oben - und in mehreren fnldischen Dörfern. 

- 86 - 2 - unten - an der Mosel. 
51- - 22 - oben streiche altern irende. 

- 54 - 13 - - lies gebräuchliche statt gehrftuchli che. 
59- 12- - - Das eioe ist das Pflügen. 

- 65 - 2 - unten - waren statt sind. 

67 - 19 - oben - mössten statt mQssen. 

67 - 22 - - -ist statt war. 

- 74 - 4 - unten - Beginne statt Beginge. 

- 82 - 5 - - - terra Iributaria statt tributarii. 

- 89 - 1 - - streiche u n d n. setze statt dessen ein Komma. 

- 110 -. 18 - oben lies Estbland statt Ehstland. 

- 137 - 10 - - - Michelingstat statt Michelingotat. 

- 170 - 9 - - - Montjoie statt Mo ntjoe. 

- 177 - 1 - unten - Estbland statt Ehstland. 

- J89 - 7 - - - Genilivform statt Genetivform. 

- 205 - 4 - oben - Uuesterun statt Unesterun. 

- 223 - 5 - - - Hebräer statt HeberAer. 

- 251 - 10 - nnten - Kompagnien statt Kompagnie« 

- 258 - 2 - oben - die statt der. 

- 263 - 15- - -Boppard statt Boppord. 

- 271 - 1 - - streiche schon. 

- 280 - 5 - unten in der Note 10 lies aliisqne statt alliisqna. 

- 290 - 18 - oben - die statt sie. 

- 311 - 14 - - - juventute statt juventate. 

- 842 - 16 - unten - einen statt ein. 

- 354 - 8 - oben - den statt der. 

- 858 - 9 - - - Itzehoe statt Ilzhoc. 

- 881 - 21 - - - dass statt das. 

- 889 - 3 * nnten - wenn statt wem. 






Erstes BacL 



Die BiIduDg und Entwicklung der weltliclien Territorien. 



Landau. Territorien. 1 



•». 



Erster Abschnitt 

Die Flurverfassnng. 



h.ve nachdem die einzelnen Wohnsitze dem Auge sich- darbieten , ob 
in Gassen oder Gruppen zusammengestellt, oder vereinzelt und zer- 
streut, pflegt man von zwei verschiedenen Arten des Anbaues, von 
einem Dorfbaue und einem Hof baue zu reden. So thatsächlich 
diese Verschiedenheit auch zu sein scheint , so beruht sie doch mehr 
auf Täuschung, denn auf Wirklichkeit; sie stützt sich lediglich auf 
die äussere Erscheinung, diese aber ist in keiner Weise ausreichend, 
um zur Feststellung des in der That vorhandenen Unterschieds des 
Anbaues dienen zu können. Um diese, wie gesagt, wirklich vor- 
handene und ihrem innersten Wesen nach charakteristische Verschie- 
denheit zu ermitteln, bedarf es vielmehr einer nähern Betrachtung; 
man muss von dem Hofe absehen, und auf den Grund und Boden, 
nämlich auf die Ordnung und Gestaltung der Feldflur und die Glie- 
derung der Bestandtheile derselben den Blick richten. 

Ungeachtet in der Kenntniss der Fiurverfassung der Schlüssel 
zum Verständniss manichfaltiger Zustände der älteren Volksverfassung 
liegt, so ist bisher doch nur wenig zu deren Erhellung gesche- 
hen und ich glaube darum auch wohl keine besondere Rechtfertigung 
nöthig zu haben , wenn ich auf diesen Gegenstand tiefer eingehe, 
als es an und für sich für meinen Zweck geradezu erforderlich 
scheinen könnte. 

Der JDharakter einer Feldflur spricht sich in der Art und Weise 
der Flurauflheilung aus, oder mit andern Worten: das Unter- 
scheidende der Fluren ist lediglich in derBildung der Hufen zu 
finden. 

1 ♦ 



\. Die nufeD. 

1) Im Allgemeinen. 

Das Wort Hufe bezeichnet ein landwirtbschaftliches Gut, wel- 
ches mit einem Pfluge bestellt werden kann und demnach der 
Arbeitskraft einer Familie entspricht. 

Die älteste bekannte deutsche Form dieses Wortes ist Huoba, 
Huba, Hovau. s. w. Noch gegenwärtig spricht das Volk nicht 
Hufe, sondern Hube und unser heutiges Hof (im Volksmunde 
Hob) ist dasselbe Wort, welches nur im Verlaufe der Zeit einen all- 
gemeinern Begriff erhalten hat, wonach es nicht mehr, wie früher, 
blos ein bestimmtes Mass von Land u. s. w. , sondern die Gesammt- 
heit eines Landguts mit alleh Zubehorungen bezeichnet. 

In Deutschland, auf welches ich mich vorerst beschränke, be- 
diente man sich im Lateinischen für Hufe, unter wechselnder Form, 
der Worte mansus , bald mit der Biegung der zweiten , bald der vier- 
ten Deklination, mansa, mansum und mansis. 

Dennoch ist, wenigstens in älterer Zeit, Hufe und Mansus 
nicht immer dasselbe; beide Worte werden vielmehr häufig neben 
einander und sich sogar gegenüber gestellt, und es ist deshalb nö- 
thig, ehe ich weiter gehe, den Unterschied zwischen Mansus und 
Hufe festzustellen, und zwar um so mehr, als die bisher darüber 
gegebenen Erklärungen für die Bedeutung dieser Bezeichnungen in 
jeder Hinsicht ungenügend sind ^). Dass an dieser Frage sich so 
Viele versucht haben, ohne eine befriedigende Antwort zu finden, 
hat wohl vorzüglich darin seinen Grund , dass den meisten ein klarer 
Begriflf von dem Wesen der Hufe mangelte. Denn an und für sich 
liegt, wie man sehen wird, die Antwort nahe. 

Bald findet man den Mansus und als dessen Zubehör die Hufe*), 



1) Statt vieler anderer Belege hierfür, verweise ich nur auf die künstliche Er- 
klärung, welche der nunmehr verstorbene Staatsrath Dr. Knapp zu Darmstadt in 
der Zeitschrift des * dortigen historischen Vereins IT. S. 368 ff. versucht hat , wo 
man zugleich eine Zosammenstellung der verschiedeuen Meinungen der Gelehrten 
findet. 

2) VIII. Mansos et hobas ad ipsos pertinentes (Cod. Trad. Lauresham. Nr. 
2 14) ; mansum l in Suabeheim cum hoba et vineis et terris , campis etc. (ibid. 
Nr. 434) ; 1 mansum et 1 hobam ad ipsum mansum pertinentem (ibid. Nr. 436) ; 
t mansum cum hoba et quidquid ad ipsam hobam pertinere videtur(ibid. Nr. 437); 
mansos II. cum hobis et quidquid ad ipsos mansos pertioet (ibid. Nr. 438}^ man- 



und bald auch die Hufe als HaupUheil und den Mansus nur als 
Zubehör derselben ^). 

So wenig diese wechselnden Erscheinungen zu einem Verständ- 
nisse auch darbieten, so ist. doch mindestens so viel daraus zu er- 
keonen, dass beide Bezeichnungen zwei verschiedenen Dingen an- 
gehören. 

Mehr Sicherheit geben sch->n diejenigen Stellen, welche Man- 
sus und Hufe neben einander, und jenen danh ausdi*ficklich 
als Wohnstätte bezeichnen *) , obwohl auch die Hufe zuweilen als die 
Wohnstätte genannt wird'). Letzteres findet sich jedoch seltener, 
jenes dagegen als Regel. Ja, es wird häufig nur der Mansus und 
zwar ausdrücklich als Woftnstätte und ohne die Hufe genannt, wel- 
che in diesem Falle dann gewöhnlich umschrieben wird *) , und selbst 
nicht wenige Urkunden geben noch einzeln die Bestandlhqile des 
Mansus an'). Auch sind es nicht bloss Gebäude, welche innerhalb 

■ 
i_ — 

snm unnm cum hoba sua et daas vineas et qnicqnid ad ipsum mansum pertinet 
(ibid. Nr. 1246). 

1) III. Hobas cum mansis, campis, pratis etc. (ibid. Nr. 630); quinque 
hubas et quidquid ad ipsas pertinet, exceptis mancipiis, aliud totam tarn man- 
sis, campis, perviis; silvis, aquis, domibus, aedificiis omnia et ex omnibut 
(ibid. Nr. 1148); II. hubas et quidquid ad ipsas pertinere videtur in mansis 
terris, campis, pascuis, silvis et II. mancipia (ibid. Nr. 1361); huba una cum 
manso et silva et prata (ibid. Nr. 3680). 

2) Unum mansum cum curia et aedificio et hubam unam et vineas et prata 
(ibid. Nr. 952); unum maiisum et ecciesiam cum ipso manso, super quem aedi- 
ficata est et de pomiferis terliam p^rtem et hubam unam et quidquid ad ipsam 
pertinet et qnatuor mancipia et de manso indominicato ad aediflcandum domum 
et aream construendam et hortum faciendum (ibid. No. 3721) ; 1 hobam , in qua 
Erlebaldus mauere videtur cum aedificio in ipso manso posito (ibid. Ni^ 437) ; 
l servum — et conjug^em eins — cum infantibus iilorum et ipsam hobam in qua 
ipsi manent , cum omnibus — mansis , campis , pratis etc. (ibid. Nr. 088) ; in 
Tiila Eggistat capellam unam cum huba sua, in qua extructa est (Kindlinger, Gesch. 
der Hörigkeit S. 219). 

3) mansum unum cum huba et hominem , qui in ipsa manet, cum omni 
peculiari suo (Cod. Tr. Lauresh. Nr. 3724). 

4) mansum ad commanendum cum campis, pratis, pascuis aquarumque decar- 
sibusad ipso manso aspiciente (Zeuss, Tradit. Wizenburgenses 1. c. Nr. 150); man- 
sum cum casa desuper et curia et campis et pratis (Tr. Lauresh No. 1 186) ; illum 
mansum, cui supersedere videmur, cum casa superposita et saepibus, terris, 
pascniat perviis , silvis, aquis, aquarumque decursibus (ibid. Nr. 664). 

5) mansum unum et illam basilicam et casam, quae desuper posita est et 
terram , quae adtingit ad mansum , et servum unum cum uxore et fiiio (ibid. Nr- 
07); 1 mansum cum casa et scuria et pomario et vineas et terram aratoriam 
et prata (ibid. Nr. 225) ; unum mansum et in ipso 1 curtim et scuriam desuper 



« 

des Mansus liegen, d^delbe umschliesst auch Weinberge^, Gär* 
len*) und Mühlen'), und ebenso werden auch Mausen ganz in Wein- 
berge verwandelt^). Ueberhaupt sieht man viele Mansen, deren 
zugehörige Länderei so gering ist , das» von einer Hufe gar nicht die 
Rede sein kann; oft ist es nur ein Weinberg'), oder es sind nur 
wenige Aecker*), welche dazu gehören. 

Endlich kommt auch noch das hierbei hi Betracht, dass der 
Mansus sich nicht allein in Dörfern, sondern auch in den Städten 
findet'), und dass häufig die Länge und Breite des Mansus nach 
Ruthen und Füssen angegeben wird'). Fasstman endlich auch noch 



eum pomario et alios mansos III. in qnibus gervi mei manent (ibid. Nr. 496) ; 
de terra arataria iurnales XXI. et de prata carradas IUI. et manso I. , ubl ser- 
vns casam et scariam vel hortum stabil ire potest (Zeuss. 1. c. Nr. 83). 

1) Unum mansnm cum omni aedificio superposito etvineam in ipso 
' manso et XIIII. jumales de terra aratoria et mancipia (Tr. Lanresh. Nr. 443) ; 

nnnm mansum — cum omni aedificio suo et Ivineam in eodem manso et 
aliam dimidiam iuxta eam (ibid. Nr. 692) ; 1 mansam cum omni aedificio super- 
posito et IUI. jurnal. de terra et 1 vineam super ipsum mansum (ibid. 
Nr. 846) ; unum mansum cum omni aedificio superposito et vineam in ipso 
manso et XIIII. jumales de terra aratoria et mancipia (ibid. Nr. 443). 

2) 1 Mansum cum omni aedificio superposito et pomario vel quidquid in 
eodem manso constructum est (ibid. Nr, 444) ; hoc est XLV. jumales de terra et 
uno manso et prata et mancipia VII. et jam dictum mansum cum exitu 
et regressu suo cumarboribus et omne superpositum cum omnibus adjacen- 
tüs earum (ibid. Nr. 1091). 

3) Unum mansum cum casa et molendino, vineamque I. (ibid. Nr. 418); 
illum mansum cum molendino et cum padella ad braciare (ibid. Nr. 216). 

^ n mansoS) quorum unus in vineam redactus, alter inhabitatar 
(ibid. Nr, 707), 

5) Mansum, übi tres homines mauere possunt, et anam vineam (ibid. Nr. 1094) ; 
unum mansum cum omni aedifi6io et unam vineam, quae iacet iuxta mansum 
et unum servum — qui in ipso manso conmanet (ibid. Nr. 983). 

6) 5 Morgen (ibid. Nr. 3704), 4 Morgen (ibid. Nr. 3759). 

7) Unum mansum cum casa in civitate Moguntia (ibid. Nr. 19877; unum 
mansum in civitate Moguntia, cum casa et aedificio superposito et VIII. man- 
cipia (ibid. Nr. 1989); unum mansum in civitate Moguntia cum omni aedificio 

superposito et XXV. jumenta (ibid. Nr. 1991) : in civitate Wormacia 

mansum I. , cui subjungitur de 1 latere strata , de alio tenet Lingulfus etc. (ibid. 
Nr. 819) ; 1 mansum in — civitate Wormacia cum casa et scuria (ibid. Nr. 820) ; 
alium mansum infra civitatem Wormaciam situm (ibid. Nr. 821). 

8) Unum mansum tenentem in longitudine pedes XXXV. ei in iatitudiue 
XXIV. ei casam unam (ibid. Nr. 1347). 



V 



diejenigen Urkunden ln*s Auge, in welchen beide, der Mansus und 
die Hufe, im Einzelnen näher beschrieben werden, wo namentlich 
der Mansus in Verbindung, mit den Gebäuden und zwar als die 
Stätte derselben, die Hufe aber ausdrücklich nur als der mit dieser 
Stfttte verknüpfte Grundbesitz an I^and , Wiesen u. s. w. bezeichnet 
wird'), so kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, was man un- 
ter Mansus zu verstehen hat : es ist der für die Wirthschaftsgebäude 
bestimmte Raum, die Hofreithe mit ihrem ganzen unmittelbaren Zu- 
behör, kurz es ist die Stätte des Wohnens. Damit stimmt dann 
auch der etymologische Begriff des Wortes Mansus überein ; es heisst 
im Mittellatein einfach die Hausstätte, gleichwie das häufig vor- 
kommende Verbum manere: wohnen*), statt dessen zuweilen auch 
supersedere gebraucht wird*). Ebendeshalb werden auch die Ein- 
sassen des Mansus — Manentes genannt^), und selbst auch der 
Mansus erhält diese Bezeichnung, was vorzüglich In angelsächsi- 
schen Urkunden zahlreich vorkommt. Ja statt Mansus wird auch 
Mansio gesagt') oder auch wohl durch Mansus die Wohnung selbst, 



1) Ecclesiam I. cum manso et aediflcio, quae constracta est in honore S. 
Mariae, et alios mansos VI. et hiibas VII. de terra aratoria etc. (ibid. Nr. 3156); 
de terra araturia jurnales XXI. et de prata carradas III. et manso I. , ubi servus 
casam et scuriam yel ortam Stabilire potest et vineam I. , ubi carrada potest col- 
ligire de vino (Zeuss. 1. c. Nr. 83) ; mansum indominicatum cum aediflciis vesti- 
tum et in ipso est una vinea et ad ipsum mansum dominicum pertinet de terra 
arabili iurnales XXXVI. et serviles mansos duos, ad unum pertinent iümales 
XXIIII. et uua vinea, ad alterum pertinent iurnales XX. et insuper ad opus do- 
minicum vineas IUI. (Cod. Tr. Lauresh. Nr. 1077) ; unum mansum et ecdesiam 
cum ipso manso super quem aediücata est et — hubam unam — ^ de manso 
indomiuicato ad aedificandum domum et aream construendam et hortum facien- 
dum (ibid. Nr. 3721). 

2) Unum servum — qui in ipso manso commanet (ibid. Nr. 963) ; mansum, 
ubi tres homines manere possnnt (ibid. Nr. 1094); mansos III. in quibus servi 
mei manent (ibid. Nr. 496); schon 671: hoc est, mansos dominicos, ubi ipsa 
Audeliana m a n s i t (Pardessus, Diplomata etc. ad res Gallo • Francicas spectantia. 
II. p. 155). Eben in demselben Sinne liest man in einem Briefe des nennteu 
Jahrhunderts : et sie mansit ibi (Würdtwein , Epist. S. Bonifacii p. 334). 

3) Eheleute übergeben „Ulum mansum cui supersedere videmur" (C. Tr. Lau- 
resh. Nr. 664). ajjk 

4) Septem mansis, totidemque manentibus (Helmoldi Historiarum liber L. I. 
c. 10). S. weiter Henschel , Glossar. IV. 225 etc. 

5) Maus(i)ones duas . . . cum terris, silvis etc. (Dronke, Cod. dipl. Fuld. 
Nr. 24). 



8 

nämlich das Wohnhaus im engsten Sinne, bezeichnet^), und in der- 
selben Bedeutung zuweilen auch casatus*) angewendet. Oft belegte 
man mit diesen beiden oder ähnlichen Bezeichnungen auch das ge- 
sammle Gut, nämlich Hufe und Hofstatt*). 

Doch genug I Die Hufe ist das Land mit Wiesen u.'s. w., der 
Man SU s der Hofraum mit Wohnhaus , Stallung ,^ Scheune und Hofgar- 
ten u. s.w., auch ohnejLand, selbst die Hausstätte in der Strasse der 
Stadt. 

, Es werden sich jetzt auch die verschiedenen Bezeichnungen ohne 
Schwierigkeit erklären, womit man die Hufe belegte, um ihren äus- 
sern Zustand näher zu bezeichnen. 

Wenn eine Hufe das am Orte eingeführte volle Landmass hatte, 
nämlich wenn sie die volle Zahl von Morgen enthielt, welche für 
eine Hufe als Norm galt, so war sie eine volle oder ganze Hufe, 
eine huba plena, wo das aber nicht der Fall war, und sie nur 
einen Theil einer Hufe bildete, war sie eine huba non plena*). 

Die mit einem bewohnten Hofe versehene Hufe wurde eine 
huba vestita, huba possessa, huba integra u. s. w. ge- 
nannt. 

Fehlten Hufen die Gebäude, was wohl meist eine Folge von 
Zerstörungen war , so nannte man sie wüste oder nicht besetzte 
Hufen'). In den älteren lateinischen Urkunden heisst eine solche 
unbesetzte Hufe bald curtis desolata'), huba deserla''), curtis de- 



1) Unam analem cum duobns mansis, id est cum duabus casis (Dronke 
1. c. Nr. 94). 

2) Casatum unum cum hoba sua (Neugart, Cod. dipl. Alleman. p. 71). 

3) LX. mansionalia, quae et curtilia vocitanlur (Gudenus, Cod. dipl. III. 
p. 1036) ; 1303 ; manerium (ibid. III. p. 805) ; 1202 : mensurna nostra , quae 
dicitur de Lampertheim (Würdtwein , nova subs. dipl. X. p. 202). 

4) Haec sunt hobae et tertia non plena (Meichelbeck , Histor. Freising. I. 
Nr. 1054.) ^ 

5) III. Buvhowe, der synt II. beseth, de drudde vnbesetz (Yörder Register. 
Herausgegeben von v. Hodenberg S. 72). 

6) AdWalahese est curt. dom. a pag:ai^flfe|esolata, ad illam pertinent 
de terra salica huobe II. , prata ad carr. LX. , wBlnd. I. , basilica cum decima 
et ad illam pertinet jiuoba 1. (Zeuss. 1. c. p. 297). 

7) De hiis locis atque alüs omnibus, que infra pago sunt, sunt huobe pos- 
sesse non plenius sed ex parte XXVIII, de singulis solvitur etc. etc., — huobe 
desertesunt XCVL et plures (ibid. I. c. p. 298), 



serla*), mansus absus*), oder mansi non possessi*). Von vielen 
diesen Hufen fiel allerdings kein Zins*) und diese waren unzweifel- 
haft gänzlich wüst, andere aber zahlen einen Fruchtzins. Die der 
Abtei Weissenburg gab^n ein Drittel der geernleten Frucht'), an- 
dere lieferten statt dessen Bier'), während wieder andere auch wohl 
mit einem Gfildzins belegt waren'). Aehnliches finden wir bei den 
Stiftern Korvei*') und Verden'). 

Der Mansus absus war also die Hufe ohne Gebäude, der Man- 
sus vestitus etc. dagegen der mit allen Erfordernissen versehene Hof, 
sowie man durch vestitura und vestitio auch die volle Ausstattung des 
Hofes bezeichnete. Einen weiteren Beleg hierfür gibt noch das Kapitular 
Karl des Dicken, welches auch den Absarius zur Heersteuer heranzieht, 
und diese Bezeichnung selbst, denn der Absarius ist der Besitzer einer 



1) Ad Louflieim est curt. dese rta, de terra sal. huobe III., — , basilica 
popularis cum decima , ad illam pertinet huoba et dim. et capelle devastate. II, 
huobe serviles XVII. etc., de singuUs solvitur etc. (ibid. l. c. p. 298). 

2) Mansl serviles X. , tres ex hiis vestiti — VIII. sunt absi , und mansi ser- 
Yiiles XIII., ex hiis sunt integri IUI, — ceteri sunt absi Villi, (ibid. p. 292, wo 
noch mehr Belege vorkommen). 

3) VIII. mansi possessi et Villi, non possessi (Kindlinger, Münstersche Beitr. 
n. S. 127. Ebenso auch S. 131, 130, 137, 141 ff. Dass diese Bezeichnungen 
sich 'meist nur auf die Hofstätte bezogen, ersieht man auch aus einer franz. Urk. 
von 812: est ibi mansus l. absus, habens de terra arabili bunaria VI. (Guerard. 
Polyptyque abb. Irminon. etc. II. 113). 

4) Kindlinger a. a. 0. S. 131, und Zeuss a. a. 0. S. 281, 282, 284 — 289 ff. 

5) Mansi absi IL, inde venit III. pars grani (Zeuss 1. c. S. 289; ebenso 
S. 290, 291, 294). 

6) Ad Holzheim est curt. dom. deserta, de tena sal. huobe IH. , prata ad 
carr. VI. , basilica I. cum decima , ad illum pertinet huoba I. , mansi seruiles pos- 
sessi iL , de singul. solvitur etc. — huobe deserte XVIIII. et dim. , iude nichil 
venit, nisi aliquid parum de cervisia vel grano (Zeuss 1. c. 298). ^ 

7) Mansi absi III. inde persoluuntur uncie III. (Zeuss 1. c. 288); mansi absi 
V. de hiis singuli unc. III. (ibid. p. 290. Auch p. 294). 

8) Hee sunt, que pertinent ad dominicale in Horchusen Villi, mansi pos- 
sessi et novem non possessi , qui tarnen V. solidos persolvunt (Kindlinger, Münst. 
Beitr. ILS. 127). ^ 

9) Item to Berchelte, hefft dat Stiebte enen Buwhoff, de ys nu tor Tidt 
woeste, de buwet Heyncke Bredehouet nu tor Tidt vor enen vi^östen Hoff vnde 
giftt darvau alle Jar II Schepel Roggen vor der Mathe. Desse Hoff ys woeste 
wurden vmme des velen Hauedenstes willen, so de hir nicht ver belegen was u. s. w. 
(v. Hodenberg. Vorder Register S. 35). 



• % 



10 

Hufe, welche er von einem andern Mansus aus bebaut Daraus er- 
klärt sich dann auch, wie in dem bekannten Breviarium des Lullus 
über die hersfeldischen Besitzungen ^) die Hufen und Mausen steta 
getrennt aufgeführt werden und die Gesammtzahl der Hufen die der 
Mausen weit übersteigt. 

So streng man im Allgemeinen früher, wie dieses die obigen 
Beispiele ergeben, auch mansus und huba von einander schied, so 
fährte doch der Umstand, dass man bald die Hufe als Zubehör des 
mansus,' bald den mansus als Zubehör der Hufe betrachtete, allmä- 
lieh zu einer Verschmelzung der Begriffe und endlich dahin, dass 
man beide Ausdrücke als völlig gleichbedeutend betrachtete. Schon 
frühe kommen deshalb Stellen vor, wie: „unum mansum de terra 
aratoria et prata et silvas^^ *) und „mansa una, quae Nanderimis huba 
dicitur"*). Doch erst später wurde dieses allgemein üblich, und man 
brauchte seitdem Hufe und Mansus als ganz und gar das Gleiche 
, bezeichnende Worte*), ja, man kam endlich so weit, so gar für die 
lateinische Bezeichnung des Morgens (Ackermass) sich 'des Wortes 
Mansus zu bedienen'^). • 

Uebrigens findet man auch noch andere Bezeichnungen, wel- 
che statt Hufe und Mansus üblich waren. Dahin gehört colonia*) 
und ebenso sors; das letztere bezeichnet den bei der Austheilung 



1) Wenck, Hess. Landesgescb. Urkbcb. II. S. 15 ff. 
.2) Trad. Lauresh. Nr. 1186. 

3) Neugart 1. c. p. 479. 

4) 1158: mansos sive hubas (Würdtwein, Nova subsid. dip. XII. p. 02); 
1177: mansum unum, id est hobam (Meichelbeck 1. c. I. Nr. 1343); 1264: unum 
mansum, qul theutonice dicitur Höre (Lacomblet, Urkbch. IL S. 314); 1273: huba 
vel mansus (Meichelbeck 1. c. II. Nr. 119); 1202: mansos . . scilicet houve 
(Günther, Cod. dipl. Rheno- Mosel. II. p. 73); 1245: duos mansos, qui dicuntur 
Rideshuve (Mencken, Scr. R. Germ. I. p. 620). 

5) 1292 „yiginti mansos sive jugera in campo Helmwordeshusen '', welche 
für 4 Mark und 3 Schill, verkauft wurden. Or. Urk. 

6) Im Jahr 786 erhielt Fulda iiovem colonias (hoc sunt hobunnae) integräs, 
cum Omnibus adjacentiis et flnibns suis , in arialis, in terris aratoriis , in silvis, 
in campis, in pratis, in pascuis, aqois, aquarumve decnrsibns, aedificiis, molinanis, 
mancipia cum omni suppellectiii eorum (Dronke, Cod. dipl. Fuld. No. 85). Ebenso 
werden 776 in Alemannien mehrere zu einer Cnrtis gehörige Coloniae g^enannt (Nengart 
l. c. p. 62), und Gleiches findet man auch anderwärts , z. B. 831 im Elsass : curtem 

— atque colonias V. (Schöpflin, Alsat. dipl. 1.75); 865 in Pannonien: de terra 

— mansos integres VO., id est nnamquamque coloniam Jugera XC. etc. 
(Nachr. von Juvavia. Anh. S. 99) ; ebenso um*s Jahr 1000 : curtem et casam 



11 

der Flur einem Gqmeindegliede zugefallenen LandanUieil ^) , ein Wort, 
welches auch in den alten Gesetzen häu^ vorkommt *) und für das 
zuweilen auch das deutsche Wort Loos gebraucht wird*). Ebenso IJi^j^ •. 
sind Portio u nd pars nicht selten vorkommende Bezeichnungen*), pWTVO 
obwohl dieselben manchmal auch den Besitz im Allgemeine, z. B. 
den Antbeil an einem Dorfe"), andeuten. Endlich gehört auch 
noch die Bezeichnung Pflug hierher, weil eben die Hufe stets 
nur so viel Land umfasste, als mit einem Pfluge bestellt werden 
konnte % Dass wirklich darunter nichts anderes als Hufen verstanden 
wurden, ergibt die folgende auf eine fu ldjsch e Besitzung in Baiern 
sich beziehende Angabe: „ CCXL jugera ad IllI aratra ^'<^^^j7 denn hier- 
nach kommen 60 Morien auf den Pfl ug, und 60 Morgen hielt die 



cum ceteris aedificUs, servos manentes in coloniis quataor et alios tributales 
manentes in coloniis decem (das. S. 290), sowie mehrfach in den Urkunden 
des Stifts Freisingen , wo namentlich einmal „II Hobae*' in derselben Urkunde auch 
„ambae coloniae'^ genannt werden (Meichelbeck 1. c. Nr. I. 1086, Andere Beispiele 
das. Nr. 247 und 338). 

1) 1 casale cum mancipiis — cum manso et Sorte (Tr. Lauresh. Nr. 441) ; 
servum I. — cum manso et sorte ad ipsum mansum attingente (ibid. Nr. 537); 
mansum unnm, in quo ipso manet, cum sorte sua, hoc est, cum terris, carapis, 
Bilvis , domibus etc. (ibid. Nr. 812) ; rem meam — , quae terra habet minus plus 
iribiJl sortibus servilibus (ibid. Nr. 697). 

2) In ipsam mansionem aut sortem (Pertz. Leg. II. p. 12). 

3) Hoc est territorium, quod dicitnr einun Hinz (Meichelbeck I.e. 1.311); 
unum H 1 u z z u m in eo loco (ibid. I. Nr. 508) ; unum L u z z u m (ibid. I. Nr. 500) ; 
in einer niederländischen Urkunde von 1025 findet sich statt dessen Mannsloos: 
inyilla — > XXXIII. partes, quae vulgo Mansloth dicuntur (Martene et Durand, 
Thesaurus novus auecd. I. 147). 

4) Im 7. Jabrh. werden Güter in einem Dorfe aufgeführt und diese portiones 
genannt und dazu bemerkt : hoc est mansis , domibus , aedificiis , campis , pratis 
etc. (Zeuss, Tr. Wizbg, Nr. 38). Auch heisst es ein andermal: hoc est portio- 
nem meam — hobam uuam ad servo (ibi^. Nr. 103). 

5) Hoc est portionem meam — in loco — Lonunbuah, ho« sunt iurnales CGX](. 
de terra culta (Zeuss 1. c. Nr. 94. S. auch S» 149). 

6) In der Stiftungsurkunde des Klosters Mollefibech an der mittlem Weser 
▼on 896 werden die Zehnten „de centum et XX. aratris** aufgeführt (Wippermanil, 
Regesta Schaumburgensia. Nr. 2), und ähnlich heisst es in der zu Anfang des 13. 
Jahrhunderts geschriebenen Stiftungsgeschichte des Klosters Salmannsweiler : ter- 
rae tam cullae quam incuUae ad XII fere aratra cum silvls et pratis (Mone, Quel- 
lensammlung der Bad. Landesgesch. I. S. 177). 

7) Dronke Trad. et antiq. Fuld. p. 92. 



n 

fuldische Hufe. Ueberhaupt wurde diese Bezeichnungsweise später 
sehr allgemein. ^ 

Freilich noch allgemeiner wurde in späterer Zeit der Gebrauch, 
die Hufe kurzweg L e h n J a n d zu nennen, im Gegensatze zu dem 
Erbland, nämlich dem nicht zur Hufe gehörigen Rodland; denn die 
zum Haupthofe gehörige Hufe war dem Hufenbesitzer nur übertra* 
gen^ und derselbe hatte darum kein volles Eigenthum an derselben. 
In Oberhessen hat die Bezeichnung Lehnland an vielen Orten den 
Namen der Hufb gänzlich verdrängt, und auch in Baiern wird das 
Bauerngut kurzweg Lehn g enannt *). Unter Lehnland wird übri- 
gens nicht etwa blos die volle Hufe verstanden , sondern auch jedes 
zu einer Hufe gehörige Stück. 

2) Die Bestandtheile der Hufe. 

Zu der Hufe gehörte ausser dem Pfluglande, welches, wie 
schon gezeigt worden, den eigentlichen Stamm bildete,^ zunächst 
der Mansus. Derselbe umfasst den ganzen mit den Wirthschafts- 
gebäuden unmittelbar zusammenhängenden Raum, also auch die 
mit dem Hause verbundenen Gärten. Deshalb war derselbe dann 
auch häufig von beträchtlichem Umfange. Eine E^eisinger Urkunde 
gibt eine Hofslätte zu 2'/3 und eine andere zu 5 Morien ao^* ^. 
Statt des "Wortes Mansus bediente man sich jedoch auch öftere an- 
derer Bezeichnungen, wenn auch nicht immer in deinselben Sinne, 
indem man zuweilen auch nur den Raum darunter verstand, wel- 
chen die Wirthschaftsgebäude selbst bedeckten. Dahin gehört vor 
allem Hofstatt. Im Lateinischen übersetzte man dieses Wort durch 
ajialis'), durch locus curtis*), durch curtifer'}, durch ca- 



1) Grimm, Weisth. 111,626. Schmeller, Baier. Idiotikon. 11,459. 

2) Meichelbeck; E ist. Frising. I. nr. 984. 

3) 788: daas anales, id est Houasteti (Dronke, Cod. dipl. Fuld. p. 52); — 
unam analem, id est Houastat. (ibid. 76. Ebenso p. 105 etc.) 

4) iinum locum curtis , id est Honistat. (Neugart , Cod. Allem, p. 359) — il- 
lum carte locum, id est Houastat (Dronke 1. c. p. 102.) 

5) Kin^Iinger, Münstersche Beitr. II. U. S. 11. Ebenso Meichelbeck 1. c. 
nr. 987 : „ curtiferum unum cum pomario " , und „ hoc est curtiferum unum sep© 
circumdatum, atque domum et horreum**; so wie nr. 1068: „cum tribus curti- 
feris, uno superaediflcato , et duobus sine aediflciis". S. weiternr. 766-, 987, 990, 
991 u. 1079. 



13 

8^1e*) oder auch durch area *). Ganz dasselbe was Hofstatt 
Ist auch das sich jedoch erstspÄter findende H o f r e i t h e •) , so wie 
das sächsische Wuft Dieses letzlere tritt uns durch das ganze alle 
Sachsenland von der südlichsten Gränze bis zum Meere aller Orten 
entgegen. In einer holsteinischen Urkunde von 1346 heisst es „quan- 
dam aream vulgariter dictam en Wurth*» *). Noch jetzt werden die 
künstlich aufgeworfenen Hügel, auf welchen in Friesland die Häu- 
ser stehen, Wurlen (oder auclL Warften) genannt. 

Ausser dem Mansus war häufig auch "hoch die Bünde ein 
Zubehör der Hufe. Schon in einer elsasser Urkunde von 774 fin- 
det sich dieses Wort: „iurnales V iofra fine, qui dicitur Salchin- 
biunda*)"; eine salzburgische Urkunde des zehnten Jahrhunderts 
nennt eine Hofstatt „cum duobus pratis, quodPiunli dkinms**®), so 
wie eine österreichische Urkunde einen Weingarten „in vinetis, qae 
vulgo Edelpeunt dicunlur"*') und auch in einer lorscher Urkunde 
kommt „una biundä" vor ®). Dieses Wort, welches im J Süddeut- 
sehen als Pj^nt, am Main als Beujide, am Niederrhein und an 
der Mosel als Beut und Beint sich wieder findet, ist ganz 
dasselbe, was unser Band und Kund ist, indem es eben wohl 
etwas Umschlossenes andeutet, weshalb die Glossen es auch 
durch clausura wiedergeben, dem auch das angelsächsische pyn- 
dan — includese entspricht •), wie denn auch noch im heutigen 
■> » . 

1} unumcasale, quodHonestat vocatur. (Günther, Cod. dipl. Rheno- Mosel. I. 
p. 379.) 

2) 1103: omnes homines — • in domibus, et in quolibet aediflcio, et in 
curiis etiam - infra legilimas areas domnuni) quae hovestete vulgo voca- 
mas sive sint septae seu nulla sepe sint circumdatae. (Pertz. Mon. hist. germ. 
Leg. 11,61.) 

3) 1244: area, que vulgo dicitar Houereide. (Lacomblet, Ukbch. II. S. 149. 
Bei V. Spilcker, Beitr. z. deutschen Gesch« IL Ukbch. S. 271. kommt auch: „area 
dicta Anlage" vor.) ' ^ 

4) Michelsen, Schlesw.- Holst. -Laiienbg. Urk. Samml. I, 240. S. auch S. 304 
u. 311. Das Weistbum von Medebach von 1165 sagt: possessiones , quae teuto- 
nice Wuorde vocantur, quae infra fossam continentur, unhis iuris swnt. Grimm, 
Weisth. III. S. 73. Deshalb wurde auch der Zins von der Hausstätte Wort- 
geld oder Wortpfennig genannt. Niesert, Beitr. zu einem münster. 
ürkbch.II.S. 222, 231,249. Grupen, Antiq. Hannov. p. 22. Wolf, Gesch. des 
Eichsfelds IL S. 147. 

5) Zeuss, Tradit. Wizenbg. nr. 133. 

6) Juvavia S. 169. 

7) Mon. boica XV. p. 261. 

8) Trad. Lauresh. L nr. 140. 

9) Ettmüller, Lexicon Anglosax. p. 273. 



14 

Englisch B^ottJi J iip^ ^ftlinrtgrT die Gränze bedeutet. Die Bünde 
oder Beunde ist jedes umfriedigte Land, dasselbe, was wir auch 
durch Garten bezeichnen *). 

Die Bünde oder Beunde in Deutschland ist jedoch nicht immer 
ganz dasselbe. Bald ist es das umschlossene Hofland (terra salica), 
bald sind es die nicht zur Hofreithe gehöngen zunächst um die Dör- 
fer liegenden Baum-, Kraut- und Grasgärten. Hier werde ich nur 
die letztere Bedeutung besprechen. Im hessischen Sachsen heissen 
diese Gärten Wf rihof e. in Niederhessen Kurzweg Höfe. In der- 
selben Weise wird man auch eine Urkunde des zwölften Jahrhun- 
derts verstehen müssen, welche bei Mainz „tres areae, quae vulgo 
Bundae vocant" aufführt*). Urkunden über Güter um Aachen stel- 
len die Bünde (Beyntz , Beint, Beynent etc.) stets dem offenen Pflug- 
lande gegenüber ') und eine von 1362 sagt ausdrücklich: „Dat is 
zo wessen ieclichen Morgen Artlantz vmb 22 Marken zermossen , ind 
yeclichen Morgen Beyntz ind de Huyffereide mit der Huysinghe allit 
zermosen vmb 44 Marke*)." Dasselbe zeigen auch Urkunden des 
Herzogthums Jülich '). In Urkunden des vierzehnten und fünf- 
zehnten Jahrhunderts findet man vor München zahlreiche Kraut- 
peunten. Von diesen Urkunden sagt z. B. eine von 1388: „mein 
Krautpeunt, die da gelegen ist' vor Neunhauser lor — vnd der 
vorgenannten meiner Krautpeunt veer vnd sechtzzig Krautäcker 
sind" ^). Auch sieht man, dassjdiese Peunten umzäunt waren, '') 
und findet andere Urkunden, welche statt Peunt sich auch des 



- 1) Eine meerfelder Urk. yon 1498 nennt: twe beslottene Bonne (Rindlin- 
ger, Münster. Beitr. I. U. S. 190). Auch heisst an der Niederweser der Zaun 
Bune, welchen die Fischer an den Ufern des Flusses aufrichten, um darin bei 
Ueberfluthungen die Fische zu fangen. (Bremisch -niedersächsisch. Wörterbuch I. 
S. 163.) 

2) Serarius , Scr. Rer. Mog. 11. p. T44. 

3) Quix, Geschichte der Abtei Burtscheid S. 336,377, 381, 391 etc. Noch 
jetzt bezeichnet Beut bei Aachen eine umzäunte Wiese , aber auch den einge- 
schlossenen Platz für die Messbudeu. Müller u. Waitz> Die Aaohaer Mundr 
art S. 14. 

4) Quiz I. c. S. 383. 

5} Binterim u. Mooren , Die alte u. neue Erzdiözese Köln IL S. 37, 38, 
40, 41 etc. 

6) Mon. boica XX p. 45. Ebenso S. 18,; 77, 78, 193, 252, 308 u. 619 , sowie 
XIX S. 313. 

7) ibid. XX p. 78. 



15 

gleichbedeutenden Wortes Garten bedienen , z» B. 1387: „ainen 
Krautgarten, daz sint drey Aecker"*), so wie anderwärts Gärten, 
welche je nach ihrem Zwecke entweder Krauibeunden'), Heu- 
beunden'), Hanfbeunden*) etc. waren. Auch nennt man im 
Baier'schen Oberlande die im Brachfelde für die Dauer des Sommers 
zum Zwecke des Baues von Kraut, Flacbs, Kartoffeln etc. einge- 
friedigten Aecker Peunten '). 

Ausser den Beunden oder den Gärten gehörten zur Hufe noch 
Wiesen, und zuweilen auch Waldantheile , jedeofallsu^ aber ein ideel- 
ler Theil am Gemeindegute. 

3) Die verschiedenen Arten von Hufen. . 

Es gibt kaum noch einen andern Gegenstand, über Welchen ein 
gleiches Dunkel und so verworrene Begriffe walten, wie über die 
Natur und das Wesen der Hufen , insbesondere , was deren äusse- 
re Gestalt und Form betrifll. Nur wenige Schriftsteller sind dar- 
über zu einem Verständnisse gelangt, und diese wenigen kennen ent- 
weder nur eine Art (wie Haussen) oder geben nicht tief genug auf 
die Sache selbst ein (wie v. Haxthausen und Jacobi). Einem — 
wenn auch nur einigermassen — befriedigenden Eindringen in die- 
sep Gegenstand stellen sich aber auch in der That grössere Schwie- 
rigkeiten in den Weg, als dieses im Allgemeinen betrachtet der Fall 
zu seyn scheint Um das Einzelne vei*stehen, um die Regeln fest- 
stellen, und die sich häufig bietenden Ausnahmen ermitteln und er- 
klären zu können, ist es durchaus erforderlich, zahlreiche aus den 
verschiedensten Gegenden entnommene und zwar in einem möglichst 
verkleinerten Massstabe kopirte Flurkarten zur Hand zu haben, und 
selbst diese reichen nicht immer aus. Oft kann die Untersuchung 
nur an Ort und Stelle durch den Augenschein und mit Hülfe der 
lebendigen Erinnerung der Einwohner zu einem befHedigenden Ziele 
geführt werden. 



1) ibid. XX p. 41 ; auch p. 420. 

2) am Niederrhein 1316: peciam dictam Crutbeymt. Binterim u. •Moo- 
ren a. a. 0. Urkbch. 1. S. 112. 

3) Gudenus, Cod. dipU II. p. 384, Mon. boica XIV, p. 260. 

4) Grimm, Weistb. I. S. 93 u. 117. Neugart, Cod. dipl. Allem. II. p. 460. 

5) Schmeller a. a. 0. I. S. 287, wo auch noch mehr urkundliche Stellen vor- 
kommen. 



Das Alles aber Ist dem Einzelnen kaum miigUch, wenn der- 
selbe nicht dabei von allen Selten unterslüizi wird. 

Obgleich Ich schon Jahre hinduicfa der Hufen Verfassung meine 
Aufmerksamlteit zugewendet habe, so bin ich doch noch keines- 
wegs dahin gelangt, um über alle Eigenthüinlichkeilea derselben ei- 
nen sichern Aufscliiuss geben zu können. Ich bcltenne dieses of- 
fen und ohne Rückhalt. Wenn ich nun dessenungeachtet eine Dar- 
stellung der Hufenhildung zu geben versuche, so geschieht dieses 
mein Zweck hier nur eine allgemeine Darlegung ver- 
um dadurch auch Andere nnzuregeil, ihre Aufinerksam- 
!u lenken. Möglich, dass ich spjiler den Gegenstand 
einer umfassenderen Untersuchung unterziehe. 

Erste Bufengattang. 

Die mit dem GehQIle besetzte Hufe bildet ein vereinzeltes, in 
sich abgeschlossenes, gänzlich isolirtes Landgut. Zuweilen berüh- 
ren sich awei und drei dieser Höfe , in der Regel jedoch wird jeder 
Hof durch bald grössere bald kleinere Strecken von — wenigstens 
ehemaligem — Gemeinboden getrennt, so dass die einzelnen Ge- 
höfte oft in Entfernungen von einer halben Stunde Weges von ein- 
ander liegen. Es lilsst sich dabei als Regel annehmen, dass die 
Höfe sich um so näher liegen, je fruchtbarer eine Gegend ist; dass 
dieselben aber auch in ähnlichem Grade wieder aus einander ge- 
rückt sind , je dürftiger der ßoden wird. Die Flur eines jeden Ho- 
fes umschliesst Land, Wiese, Weide und Holz. 

Diese vereinzelt und zerstreut liegenden Hoffluren finden wir 
■junacbst in Westnhalen. 

Wie schon der westphälische Hof in den ältesten Urkunden nie 
Hufe, sondern Mansus oder Domu s genannt wird, , eben so wenig 
ist auch heute dort von einer Hufe oder einem Morgen die Rede; 
der Bauer kennt nur Stücke Landes und andere Plätze '). Nirgends 
erblickt man eine bestimmte und durchgeführte geometrische Eia- 
fheilung des Holfeldes, wenn auch meiät Acker, Wiese, Weide und 
Holz besonders gruppirt sind. Die einzelnen Feldstücke sind in der 
Regel mit hohen und breiten Hecken und Wällen umgeben , und 
werden Kftippe (Koppeln) genannt. Diese Kämpe sind nicht von 



1) MQsei' oanabrüchische Geschichte 1. 3. 4 u. S. 



1» 

gleicher Grosse, ihte Grösse wechselt vielmehr von einem bis 2tt 
zehn Morgen. Die auf den Aciier fuhrende Oeffnung verschliesst 
«in Schlagbaum, damit man, wenn das Land dreisch liegt, das 
Vieh ohne Hirten darin weiden lassen kann. 

Eine Ausnahme hiervon machen nur die Fluren der Städte und 
Dörfer. Hier finden sich Aecker in geometrischer Form, und diese 
werden nach Morgen gezählt.' Aber die Städte und Dörfer in Wesl^« 
phalen sind sämmtlich erst später, theils allmälig, theils planmässig, 
entstanden, meist b^i den Kirchen, Klöstern, Märkten, Brücken, 
Mühlen, Burgen etc. und haben deshalb auch keine eigentliche 
Feldmark. Viele müssen ihr nöthiges Land von den benacbbartea 
Höfen pachten und zum Zeichen, dass sie auf einem fremden Bo- 
dön entstanden, einen Grundzins (Wortzins) entrichten. Die Bewoh- 
ner sind auch keine eigentlichen Hofbesitzer, vielmehr Wirthe, Krä- 
mer, Handwerker etc. Das wenige Land, welches sie eigenthüm^ 
Vieh besitzen, haben sie meist erst angerodet. Es sind gewisser- 
massen Fremdlinge. 

Eine weitere Ausnahme bieten jene ehedem gemeinheitlichen 
Felder, welche zwischen den einzelnen Höfen liegen und mehreren 
Höfen gemeinsam gehören, die §. g. Eschen und Völiden* 

Obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass ursprünglich wenig- 
stens die Höfe ein und derselben Bauerschaft einen gleichen Antheil 
Pflugland erhalten haben , so ist dieses jetzt doch kaum noch nachzu- 
weisen. NachStüve *) haben zwar die meisten Höfe im Osnabrücki- 
schen für 10 — 12 Malter Aussaat Land, und er berechnet hiernach 
ihre normale Grösse auf 30 Morgen. Diese Rechnung scheint indes- 
sen , abgesehen von der Unsicherheit ihrer Grundlage, an einem we*' 
sentlichen Irrthume zu leiden, nämlich dem Umstände, dass bei der 
Angabe der Aussaat stets nur das Winterfeld in Betracht kommt und. 
diese, um daraus die Grösse des Ganzen zu ermitteln, des- 
halb verdreifacht werden muss *). Auch kanri sich jene Rechnung^ 



1) Wesen u. Verrassung der Landgemeinden u. des ländlichen Grundbe« 
Sitzes in Niedersachsen und Westphalen S. 32 etc. 

2) Stüve führt zwar einige urkundliche Belege an, aber Meessdorf (A. Grö- 
nenberg) , — wenn dieses Metdisdorp ist , was St. selbst nicht mit voller Be- 
stimmtheit behauptet -^, kann hier nicht ab Beispiel dienen, weil dieses efn 
zusammengebautes Dorf ist und also auch eine anders konstruirte Feldflur haben 
muss 9 was sich auch schon daraus ergibt, dass 3 Hufen Salland daselbst ge« 
nannt werden. Ebenso fragt es sich o^b Heede filr Hesduni gehalten werden 

L • nd t n. Territorieo. <& 



\ 



18 

Dur auf das Bauland beziehen. Ausser diesem besitzt der Hof aber 
auch noch Weide-, Wiesen, Torf«, Plaggen- und Holzgrfinde, und 
schon dadurch, dass Stücke dieses Bodens ebenwohl unter den 
Pflug genommen, oder Pflugland in Wiese- oder Weideland verwan- 
delt werden kann, wird die Ausdehnung des Pfluglandes eine ver- 
schiedene. Nur soviel steht fest, dass die Grösse der Höfe je 
nach dem verschiedenen Boden sehr verschieden ist Grösser sind 
sie in der Regel auf dem Sandboden, kleiner dagegen auf dem 
Kleiboden. 

Uebrigens ist eben so wenig das ganze alte Westphalen in dieser 
Weise ftigebaut, als sich dieser Bau auch nur auf den westphälischen 
Boden beschränkt. Per südli^ bp. Thpjl W^i^tp^^fti^m« i)^i 2M&s^m^ 

^flgf^^'Ue iPi?rf^'' V"*^ ^^MiT^arlt^" T wie sie unten vorkommen wer- 
den. Die Linie, welche beide Bauweisen scheidet, bednnt am Teu- 
tobure^erwalde bei Lippspring, zieht an Paderborn hin und fo%t der 
Lippe bis Hamm ; von da wendet sie sich südlich über Kamen , Plet- 
tenberg, Attendorn und Olpe, dann wieder gegen Westen und zieht 
über Drolshagen bis nahe an den Rhein, und weiter unten bis in 
dessen Stromthal. Oestlich läuft die Gränze links der untern We- 
ser hin und gegen Norden bis in die Marschniederungen, wo Dorfer 
und Höfe häufig wechseln, und je nach den Verhällnissen des Bo- 
dens bald die einen , bald die andern mehr vorherrschen. Diy wes^ - 
friesischen Aemter Norden und Berum haben meistens nur einzelne 
Höf e , weil es hier an Warften fehlt *). 

Von Westphalen ziehen sich die Einzelhöfe über den Rhein hin- 
aber und noch durch Bra hant. nnfl fi^i^i^om h\^^ ^o die vorhande- 
nen Dörfer meist nur von Kaufleuten, Handwerkern, Tagelöhnern 
u. s. IT. be^robnt werden. Ebenso findet man diesen Anbau in J3ber - 
eg^errelch ; die Höfe liegen in der Mitte ihrer Felder , nur von weni*' 
gen Tagelöhner -Wohnungen umgeben. 

Ganz auf denselben Grundlagen beruhend und deshalb derselbe^ 
nahe verwandt findet sich noch eine zweite Hufenarl. Auch bei dieser 
erscheint der Hofgrund als ein selbstständiges Ganzes, welches ebenwohl 



darf, und wenn auch Visbeck wohl^ sweifeUos die gleichnamige Bauerschaft bei 
Iburg Ut, 80 l&88t sich die Frage doch nur nach Einsicht der Flur mit Siclier- 
helt entacheiden. 

l) Ahrenda, Oatfriealand u« Jever 1. 8. 440. 



19 

bald rSumUch ttiizertrenal nnd in sich abgeschlossen ist, bald aus meh^ 
rer^n geirennten Stückeo^ besteht. Auch vermisst man bei allen einzel- 
nen GrttBdstäcken , sowohl im Pflugland als in den Gärten , meistens 
Jede geometrische Form , und stosst nur selten auf ein regelmässiges 
Viereck. 

Der Unterschied von den zuerst geschilderten Höfen liegt ledig- 
lich darin, dass die sämmtlichen Hofgründe aneinander schliessen 
und ein lusammenhf^ngeHdes Ganzes bilden, so dass das^lbe als 
ein geschlossenes, nur in seinen Gehöften etwas weitläufLig gebau- 
tes Dorf erscheint. 

Näher kenne ich diese Flurart nur aus der hessischen Grafschaft 
Schaumburg an der Weser , wo sie za*hlreich vorkommt, Sie findet 
sich aber a uch nac h Minden «u und auch noch in vielen andern 
Gegenden des alten Sachsenland^ s , insbesondere, wie es scheint, 
um Verden , 

Wie bei dem Einzelhof sind auch hier die einzelnen Grundstücke 
meist umhagU 

Die Grösse der einzelnen Höfe ist ebenso verschieden, wie bei 
der zuerst geschilderten Art. Während z. B. die 'Grösse der Höfe 
zu Haste von 10 — 26 Morgen wechselt , findet man in dem benach- 
barten Hohenhorst Vollmeierhöfe mit 109, und Halbmeierhöfe mR 
40 — 90 Morgen. Ebenso steigt die Grösse der Höfe zu Ohndorf 
von 49—123, und zu Horsten von 42 — 132 Morgen. Es ist dem- 
nach auch hier eine Regel nicht festzustellen, zumal aus der älterea 
Zeit alle Nachrichten darüber fehlen. 

Während bei den vorhergehenden beiden Arten der Hof mit sei- 
nem Zubehör als ein s^bslutändlges, abgeschlossenes Ganzes erscheint, 
zeigt sich noch eine dritte, diesen eben wohl nahestehende Art, wel- 
che sk;h dadurch charakterislrt, dass Hof und Feld geUrennt er- 
scheinen. Die Höfe liegen in geschlossenen Dörfern zusammen , und 
die dazu gehörigen Grundstücke reihen sich um das Dorf heruin, 
selten in ^j gy yske ze rschnitten, njeist in denselben unfegelmässigen 
Gestalte n , wie bei den vorigen Arten, und nur in den Marsdiea 
ommen ebenso oft auch rechtwinkiiche Stücke Land vor. 

Wir finden diese Gehöfte unter andern in dem . westlichen Theile 
von Ostfriesland (namentlich den Aemtern Emden xm d Greetsj el) , wo 
die daselbst zahlreich vorkommenden Warften die Veranlassung zu die- 
sem Anbau wurden. Die Gestalt der Warften bestimmt auch die Ge- 
stalt der Dörfer. Zuweilen bestehen diese aus einer Strasse von zwei 
Bgihe n Häusern , häufiger aber liegen die Wohnungen ohne ftlle Re^ 

2-* 



«8 

gelinässigkeit durcheiaander. Das eine Haus steht mit dem Giebeli 
eia anderes mit seiner Breite , ein drittes mit seiner Hinterwand ge- 
gen die Strasse gekehrt, doch stosst der Hintertbeil stets auf den 
Band des Abbanges. Manchmal ist noch Raum für Gärten geblie- 
ben; oft, wenn der Warft klein ist, fehlt es aber auch daran, und 
dann sind nicht selten di^ Häuser sich so nahe gestellt, dass nicht 
einmal Platz für die Miststätte übrig geblieben ist. Der eigentliche 
Fahrweg geht gewohnlich rund um die Dörfer herum oder läuft ne- 
ben denselben am Fusse des Warfts hin ^). Auch die auf der Gast 
liegenden Dorfer, sowie die Dorfer unterhalb Bremen gehören meist 
hierher. 

Zweite Hufengattung. 

Das Charakteristische der vorher geschilderten Hufengattung be- 
steht in der Abgeschlossenheit und Selbstständigkeit ißder einzelnen 
Hufe und in* dem Mangel beinahe aller regelmässigen Formen; 
dagegen erscheinen die Hufen dieser zweiten Gattung mehr als Glie- 
der einer Gesammlheit , mehr als Theile einer gemeinsamen Flur, und 
zeichnen sich durch ihre geraden Linien aus, so dass jede Hufe ein 
bald mehr, bald minder regelmässiges Oblongum bildet *). Indem 
Hufe an Hufe sich legt, wird die ganze Feldmark in lange parallel 
neben einander hinlaufende Streifen zerschnitten. Hin und wieder 
ist auch die Feldflur in zwei solcher Hufenlagen getheilt, oder es 
gehen die Hufenstreifen von einem Mittelpunkte gleich den Strahlen 
eines Sternes aus. 

In der Regel besteht die ganze Hufe nur aus einem Stücke und 
umschliesst Hofreithe , Garten , Wiesen und Wald. Ist es ein Thal, 
m welchem die Feldflur sich ausbreitet, dann liegt der Wald oben 
am Elnde der Hufe , unter dem Walde folgt das Land , im Thalgrunde 
die Wiese, und zwischen Land und Wiesen liegt der Hof mit den 
Gärten. In diesem Falle bilden die Höfe eine Reihe , oder erscheinen 
auch wohl je nach dem der eine höher, der andere tiefer angelegt 
worden ist, als vereinzelte und zerstreute Gehöfte. Nicht selten fin- 



1) Ostfriesland und Jev>r, von Ahrends I. S. 108. 

2) Man erkennt sie häuüg schon aus der Beschreibung in den Urk., 
a. B. in einer Urkunde von 1356: „eine Hube Landis dy an eyne Stucke lit 
Ml Leitheckin bindir dem Dorfe vnd stozit vff daz Dorf/* (Baur, Drkbch. 
i. KI. Arnfbur; Nr. 843.) 



I . 



<f 



det man auch Fluren , in welchen die Hofreithen besonders ausg^« 
legt und die Höfe zu einem geschlossenen Dorf zusammengerückt sind. 
Häufig i$t die ganze Dorfmark vertheilt, und der ganze Gemeinboden 
besteht dann bloss in den öffentlichen Wegen und einigen Plätzen; 
nicht selten aber findet man auch noch unverthellten Wald und noch 
gemeinheitliche Hutestrecken. Auch darin waltet Verschiedenheit, 
dass in der einen Flur die sämmtliehen Hufen von derselben Grösse 
sind, in einer andern hingegen in Beziehung auf den F]ächenraum 
der Hufen der grösste Wechsel stattfindet. 

Zu dieser Hufengattung gehört die Königshufe. Ursprung« 
lieh war dieselbe wohl nur auf den königlichen Gütern vorhanden, 
wie aber der königliche Wildbann auch auf nicht königliche Bezirke 
übertragen wurde, so geschah dieses auch mit dem Rechte könig-^ 
liehe Hufen anzulegen. Zuweilen wird das Recht zur Anlegung sol- 
cher Hufen durch ausdrückliche königliche Verleihung gegeben, wie 
z. B. 1002,' wo Kaiser Heinrich U. seinem I^itter Pilgrim ein Gut 
in Oesterreich schenkt und bestimmt, dass derselbe, „insuper etiam 
de silua, quae proxima est, ftd centum mansos e x nostro j^r^J^ 
anrod en möge*). In der Regel fehlt aber eine "solche Uebertragung^ 
und es scheint in diesen Fällen die Befugniss einfach in dem Besitze 
des königlichen Wildbannsrechts gelegen zu haben. Es finden sich 
diese Hufen wenigstens meist in grössern Bannforsten. Im Jahre 
1211 überlässt Erzbischof Dietrich von Köln dem Stifte Kerpen „deci- 
mas novalium de silva Hanckenbusch — ad nos jure quod Ku- 
nincxhuven dicitur deuolutas " *). Als das Kloster Andelach im Elsass 
1221 auf seinem Boden ein Hospital gründete, wird in der darüber 
ausgestellten Urkunde gesagt: „ut excolebat de nemoribus sibi adja- 
oentibus usque ad tres mansos, qui vulgo dicuntur Kunegeshuoben**')» 
und 1236 erklärt das Domstift Köln, äass der Abtei Kamp durch 
Urtheil zuerkannt seien der Rodzehnten von 120 Morgen, welche man 
„regalis mansus'^ nenne ^). 

Die Verschiedenheit dieser Hufen von andern lag zunächst darin, 
dass sie mit der königlichen Messruthe ausgemessen word^ , und 
dass dieses Königsmass ein grösseres als das gewöhnliche war. 



1) MoD. boica XXVIIL 1. p. 294. 

2) Lacombict, Urkbch. 11. S. 21. Eine ähnliche Urkunde von 1248 ». S. 176. 

3) Wardtwein, Nova »ubsid. dipl. XIII. p. 256. 
4} Lacombiet, Urkbch. II. S. HO. 



Als Erzbiscbof Friedrich von Hamburg im alien Stedinger Lande 
nächst Bremen ansehnliche Strecken Moorboden zu neuen Ansiede- 
lungen überwless, sagt er in der betreffenden Urkunde : ,, Mapsi Tero 
mensione ne discor(fia in posterum in populo habereiur, quae man-* 
sio (mensio?), in longitudlne septingentas et Yiginti, in latitudine 
vero XXX habet regales virg^as cum rivulis terram interfluentibus ^^ <>. 
Rechnet man den Morgen zu 120 Q Ruthen, so ergeben sieh also 
für die Hufp 180 Morgen. In einer koloer Urkunde lur die Abtei 
Kamp von 1236 wird ein gewisser Bezirk „ad quantitatem CXX ju^ 
gerum, que vulgo regalis raansus dicilur," bestimmt*), währentfjede 
der „Koninhkgeshuiven" der Abtei Prüm im Ardenner Walde 160 Mor- 
gen Land enthielt •). 

Die Kottigshufe zeichnet sich also durch ihre Grosse vor den 
andern Hufen aus. 

Ausserdem erscheinen diese Hufen aber auch stets a1^ panze 
^ nzertrennte G rundstücke , denn wo die Urkunden sie näher beschrei- 
ben, geschieht dieses immer nach ihren Anliegern oder durch An- 
gabe ihrer Länge und Breite. 

In ersterer Weise schildert uns eine Urkunde aus dem ersten 
Viertel des z ghftten Jahrhunderts Güter im Ardennergau f ) ; dasselbe 
geschieht in einer Reihe von Urkunden des Klosters Niederaltaich aus 
dem elften Jahrhundert'), und noch 1419 findet man derartige Be- 
s(chreibungen von Konigshufen an der Donau bei Passau •). Eine 
ältere Urkunde von 1045 beschreibt eben wohl Konigshufen an der 
Donau: „XV areas in longum prope Danubium extensas et retro 
ha.9 triginta regales mansos contra ungaricam plateam mensuratos 
et ab adjacente villa SUllefride ejusdemque conliguis terininis juxla 
Moraham areas XX in longiludinem centumque regales mansos 
retro pr.edictas areas contra ungaricam plateam respicientes ***). 

Die Konigshufen findet man beinahe allentha lbe n in Deut sch- 
land, am^ahlreichsten^ jedoch in den östlichen ehemals s lavisch en 
Gegenden; wenigstens werden sie hier ani meisten in den Urkunden 



1) Lappeabergy Hamburg. Urkbch. S. 121. 

2) Lacomblet, ürkbch, 11. S. 110. 

3) Hontheim, Hist. Trevir. I. p. 662. 

4) Ritz Urkunden und Abhandlungen zur Gesch. des Niederrhetns und der 
Niedermaas, 

5) Mon, boica XI. p. 140, 142, 143, 152 u. 156. 

6) Ibid. XXXI. 2. p. 165. 

7) BoGzek, Cod. dipl. Moraviae I. p. H9, 



genannt Zam grossen Theil lassen sie sich schon auf den Karten 
dorch die eigenthümliche Gestali der Dörfer erkennen. Es sind nämlich 
jene Dörfer, deren vereinzelte Höfe wie an eine Schnur gereiht sieb 
oft Stunden weit durch die Thäler ziehen. Ich will nur beispiels*' 
weise auf die (jegerid zwischen der Mulde und Pleisse und östUch 
der Pleisse in Sachsen - Altenburg verweisen. Man gibt die dortige 
Hufe jetzt auf 12 Morgen an, aber ich bezweifele , dass dieses die 
ursprüngliche Grösse ist. Doch ist auch das dortige Mass schon 
ein grösseres, so dass der dortige Morgen beinahe 2y^ hessische 
Morgen einschliesst *). Denselben Elrscheinungen begegnen wir an 
der bfifierschen D onau > an der Isar. und um den Tegernsee und 
Schliersee. Auch die jlöfe de s Schwarzwalds möchtai hierher ge- 
hören, teder der Höfe hal seinen Besitz m einem unzertrennten 
Ganze n. In der Sohle der engen Thäler liegen die Wiesen (Matten), 
höher das Ackerfeld, und zwischen beiden in der Regel die Hofge- 
bäude, lieber dem Ackerfeld beginnt das Reutfeld oder der s« g. 
wilde Berg, welcher beinahe ausschliesslich zur Hute dient, und erst 
dann kommt der Wald*). 

Ebenso glaube ich die Hufen des südlichen Odenwaldes für Koniga« 
hufen halten zu müssen. So weit nicht durch die Entstehung der Stadt- 
eben oder durch spätere Theilungen jeder Verband zerrissen ist > findet 
man die doiligen Hufen aus einem Ijangen Streifen bestehend, welcher 
von einer Flurgränze bis zur andern reicht. Im Grunde liegen die Wie- 
sen , dann folgt das Pflugland , und am Ende der in die Hufe» gehönge 
Wald. An einigen Orten werden die einzelnen Hufen, nur durch ein^ 
Furche, zuweil£ajäuycheinßÄ.EahxsKfig, meist aber durch einen 8 — 10 

\ I nur TifMft TS"-»-- "^^ _ ^ ^^ ^ 

Fuss breite n, mit Rasen und Hecken bewachsenen steinigen Rainge- frcMAX 
schied en. Das Gehöfte liegt stets auf der Hufe, bald in der Mitte, hald 
am Ende. Jeder Hüfener schreitet von seiner Öofreithe auf nur ihm 
zustehenden Wegen zu seinen Ländern, ja er hat sogar seine eigene 
ViehtilSt und seinen eigenen Hutepiatz. Die Grösse dieser meist jetzt 
durch Theilung sehr zerslückten Hufen ist sehr verschieden, und 
wechselt zwischen 80 — 600 grossherzogl. hess. Morgen. Auch in 
ein und derselben Feldmark sind sie nicht von gleicher Grösse. Ob 
diese Verschiedenheit hier wirklich, wie behauptet worden ist'), al- 



V 



1) Einige Nachrichten über den Bezirk des Kreisamts Altenburg im Heixogth. 
Sachsen - Altenburg S. 84. Löwe, Gesch. der Landwirthsch. im Herzog^th. Sack- 
ten. AUenbnrg S. 78. 

2) Rau, Archiv der politischen Oekonomiö IV. S. 22. 

3) Der Waffenträger der Gesetze. 1801. Februarheft S. 178 u. 17#. 



y hsDlbalben ° aof der Yerschiedenfaeit der Qualitfit des Bodens berahet, 
vermag ich nicht zu entscheiden; ja^ es wird mir versichert, dass 
man kleine Hafen mit grössten Theils schlechtem und grosse Hufen 
mit meist gutem Boden finde» Hier und da bestehen auch noch Ge-* 
meindewaldungeh ^). 

An die Konigshufe schliesst sich zunächst die ^(arschhufe. 

Die Hufen in den Marschgegeoden sind nämlich auf dieselbe 
Weis e gebildet , indeiii sie eben wohl in langen Vierecken neben ein- 
ander liegen, und s ie unters cheiden sich von jenen nur dadurch, dass 
Ihre Vierecke durchaus regelmässige" Öblonga sind. Diese Form 
wurde schon äufch'^Jfle' iJatur^ des Bodens bedingt. Man mussle 
nämlich gleich bei .der Anlage für die Entwässerung die erforder- 
fichen Vorrichtungen treffen, und dieses konnte nur durch die Füh- 
rung geradlinigter Gräben (Schlote) geschehen, welche das Viereck 
auf beiden Längenseiten einschlössen und die Feuchtigkeiten des 
Bodens aufnahmen. Dadurch kam es, dass eine jede Hufe von ih- 
ren Anliegern durch Gräben geschieden wurde, und das Ganze eine 
durchweg regelmässige Gestaltung erhielt. Die Breite dieser Grund- 
stücke ist sehr verschieden. In Wordfriesland sind sie schmal und 
bestehen meist nur aus einem 24 — 30 Fuss breiten Beet, welches 
voii _3 — 4 Fuss breiten Gr ä ben ein g_eschlossen wird*). 

In der Regel liegt jed es Gehöfte auf seiner Hufe. Bald liegen 
die Hofe eines Dorfes an einem der Enden und bilden dann eine 
gerade Linie, bald liegen sie mehr oder minder in der Mitte, bald 
ziehen sie in einer schiefen Linie über die Flur, oder liegen auch 
wohl zerstreut über dieselbe, der eine hier, der andere dort. Nur 
selten liegen die Hofe eines Dorfes zusammen. Die Wahl der einen 
oder der andern Bauart ward wohl durch die Beschaflenheit des 
Bodens bedingt. Doch nicht blos in den Marschen findet sich 
dieser Anbau, auch auf der hohen Gast setzt sich derselbe fort, ob- 
wohl er hier schon mehr der vorher geschilderten Weise entspricht. 
An den hohem Punkten breitet sich das Weideland aus. 

IfQ jfeve r- und Ha rlingerl and fi. wird ein solches abgeschlotetes 
Mgischland ein Han> genannt. Dieses in allen germanischen Sprachen 
sich wiederfindende Wort, das südlichere Heim, in der Vplksspra- 



1) Jäger, Land-^ und Forstwirthschafl des Odenwaldes S. 27 und verschie- 
dene handschriftliche Mittheilungen. 

2) Falck,. Neues Staaisbärg. Magazin IIL S. 452. 



j 



che eben wohl noch Hern und Ham^ > bedeutet einfach ein Hao a. Y\ ^l/v^ 
eine Wohnung mit dem eingefriedigten Zubehör, also auch einen 
Bauernhof y einei Hufe. Statt dieser überhaupt bei de n Friese n ver- 
breiteten Bezeichnung braucht der Nordfriese jetzt mehr das Wort ^-yCM^VtC* 
Vehne oder Fenne ^ welches sonst ein sumpfiges Weideland be- 
zeichnet*). Der Gebrauch des Wortes in dieser Bedeutung wurde 
jedenfalls duixh die bei den Marschl^dern elgenthümliche Bauweise 
eingeführt, indem das Land nach mehrjährigem Fruchtbau wieder 
einige Jahre dreisch bleibt, und dann als Viehweide dient In OsU 
friesland sagt man statt Ham oder Fenne ein Stück Land von 
$0 und so viel Diemath oder Grasen")', und dieselbe Bezeich-* 
nung ist auch um Bremen gebräuchlich^). Ob dieses jedoch das*^ 
selbe ist was das Verder R egister kurzweg „ terra ** nennt'), ist mir 
deshalb zweifelhaft, weil hier die terra nur 30 virgae umfasst'). 
Indessen haben wir schon aus der oben (S. 22) angeführten Urkunde 
des Erzbischofs Friedrich von Hamburg von 1 _106 gesehen, dass 
auch hier das königliche Mass angewendet wurde, und da noch heute 
in den Marschgegenden ein Morgen Land drei bis viermal so gross 
als anderwärts isf^, so scheint es als ob auch die Marschhufe als 
Königshufe betrachtet werden müsse. Ob dieses jedoch allgemein 
anzunehmen ist, kann und will ich keineswegs behaupten, da auch 
die Marschhufen hinsichtlich ibrer Grösse ausserordentlich verschie- 
den sind. Auch kann ich nicht sagen, ob in ein und derselben 
Feldmark die einzelnen Hufen stets eine gleiche Grösse besitzen. 

Allent halben wo Marsch- oder Moorboden ist, findet man 
auch diese Hufe nform, weil eben keine andere möglich ist. Wir 
sehen sie deshalb auch nicht blos in den eigentlichen Marsch- 
gegenden , sondern auch in den norddeutschen Moorkolonien. 



1) Der in Hessen nbUche. Rufv Ham, Ha ml den man besopders gegen 
Kinder braucht, um sie zu warnen, einen gewissen Gegenstand nicht zu berüh- 
ren , 18t dasselbe Wort. 

2) Falck a. a. 0. u. Outzen, Glossar, der fries. Spr. S. 75 f. Richthofen, AUfrie- 
sisches Wörterbuch S. 733. 

3) Ahren^s a. a. 0. II. S. 302. 

4) Stüve , Wesen und Verfassung der Landgemeinden S. 49; 

5) V. Hodenberg, Das Stader Copiar S. 29 f. 

6) Das. S. 64—66. 

7) Stüve, Wesen und Verfassung der Landgemeinden u. s. w. S. 49. Die 
Hufe in Bledecke besteht aus 4 Stücken, jedes von 4 Ruthen Breite und 1800 
Ruthen Länge. Das. S. 50. 



\ 



i 



Aach die Anbauten in den schmalen Niederangen der Weichsel 

acheinen hierzu zu gehören. Es sind hier etwa 25 Ruthen breite 

Striemen Land, welche oft SOOj:=:i(Uy[lu|hen (i Stunde) lang sich 

vom Flusse zur Höhe hinanziehen ^) , und sicher sind auch alle die 

: zahlreichen holländischen und flandrischen oder fiftmischen Nieder- 

• ^SSSyiPS?^ H^jl^T^^'^ ^^ zählen, welche während des Mittelalters im 

I Innern Deutschlands entstanden, denn es sind stets sumpfige Ije^ 

\ genden , welche den holländischen und flandrischen Kolonisten zur 



Urbarmach 




Ri^»4 k M*« 



Besonders anschaulich schildert uns eine Urkunde die Gründung 
des Dorfes Ursel im gleichnamigen Walde bei Xanten. Schon 1265 
hatte das Stift Xanten Massregeln getroffen, um einen Theil des 
Waldes urbar zu machen*), und 1282 war in dieser Hinsicht ein 
weiterer ÖcbriFt gescEeben , wobei ausdrückUch von dem dortigen 
Sumpfe (palus) gesprochen wird'), als man 1315 sich zur Ablage 
eines Dorfes entschloss. Es wurde nun bestimmt, dass die Hufen 
in die Quere von der Seite gegen Sonsbeek zu der Seite gegen 
Xanten_laufen sollten, so dass der gemeine Weg durch den Wald 
unverändert bleibe; auch sollte von diesem Wege >in anderer ge- 
meiner Weg nach Tungelar und dem Wald des Bischofs bestehen. 
Ein jedes Haus sollte einen Weg zu der erstem Strasse haben , und 
diese Verbindungswege sollten zum geroeinen Gebrauche dienen und 
darum nicht zu den Hufen gemessen werden, ^elmehr ungemessen blei- 
ben. Zu jeder Hufe wurden 15 holiän <lifip.% Mnryp.Ti hpstimmt^ und 
festgesetzt, dass jeder, welchem 2 Hufen überwiesen würden, ein 
Haus von fünf Balken *) und eine gute Scheune, welcher aber nur 
eine Hufe empfange, ein ganzes Haus von fünf Balken erbauen und 
diese Bauten sollten drei Jahre nach Uebemahme der Hufen vollen- 
det sein'). 

Dieselbe Form, wie die vorher beschriebenen Hufen, hat auch 
die Hageiihufe, „mansus indaginis"'). Der einzige äussere Unter- 



1) y« Haxthausen, Die Ifindliehe VerfaMung in den ProTinseii Ost- u. West- 
preussen S. 05. 

2) Binterim und Mooren , Die Erzdiözese Kdln. Ukbeh. I. Nr. 163. 

3) Das. Nr. 197. 
/ .' , ^ I 4) Fünf Balken entsprechen 6 Balk^ggfachen von 4^bis 5 Fnss ^ wisch cb - 

i weite nach alter Manier, so dass ein mit 5 Balken yersehenes Haus eine Breite 
* Ton 24— SÖ'Fuss hal)£i)Ljyi£^. 
" SyDäs. ff;'Nr;296. 
6) Eine Urkunde von 1322 (Scheidt, Vom Adel S. L7) sagt: deciiBam ^ eam* 



17 

terschied von jenen besieht nur in ihrem geringem Umfange. Da, 
wo die Bezeichnung Hagenhufe sich findet y Iftsst sich stets auf eine 
späte Anlage schliessen, und wQ^n ich auch keineswegs behaupten 
Willy dass diese Hufenbildung allen Neurodungen zu Grunde gfr* 
legt worden sei, so bildet sie doch jedenfalls die Regel. Viele auf 
solche Hufen gegründete Dörfer lassen sich schon durch ihre Na- 
mensbildung erkennen, indem der zweite Theil des Namens in der 
Regel aus dem Worte Hagen besteht. Da sie aus de m Walde 
angerodet wurden, war em Zau n erforde rlich, um sie von diesem 
ZU scheiden, und so entstand diese Bezeichnung. Sogar der Orts- 
vorstand heisst Hagenmeister „magister indaginis^S ^^^ Name, 
welchen man zwar vorzugsweise im Norden findet, der aber auch noch 
in Hessen vorkommt. In der Regel waren es wohl freie Leute, wel- 
che den wilden Boden von dem Grundherrn gegen bestimmte Ver- 
pflichtungen zur Urbarmachung angewiesen erhielten. Es gehörte 
ihnen deshalb auch nichts eigenthümlich als nur die Gebäude, wel-*' 
cbe sie selbst hinzustellen hatten. Aus diesem Grunde nennt Cäsa- 
rius auch die Königshufen „mansi ingenuales'^ *) , und beide, die Kö- 
nigsbufe und die Hagenhufe, haben die gleiche rechtliche Natur, ja, 
*es gilt dieses wohl von allen Klassen dieser Hufengattung. Da» 
sich bei den Hagenhufen bildende Hofrecht wird Hager recht'), 
sowie das Hofgericht Hagengericht genannt. 

Zu diesen Hagenhufen gehören z. B. die „ sieben freien Hagen " 
in der Grafschaft Schaumburg"), „die sieben freien Hagen" im Ra- 
vensbergi sehen*), sowie überhaupt , wenn nicht alle , doch die meisten 
auf deutsches oder fränkisches Recht gegründeten Niederlassungen 
in den slavischen , der deutschen Herrschaft unterworfenen , Ländern- 
In Schlesien u. s. w. heisst diese Hufe gewöhnlich die deutsche oder 



pestrem super mansos regitivos, qui vulgariter dicuntttr Hegerselien houe. 
Was dieses keissen soll, habe ich nicht ermitteln können. 

1) Hontheim, Histor. Trevir. I. p. 662. 

2) Ueber die Hägergüter s. unter andern Hagemann^s und Gflnther*s Archiv 
für die theoret. u. prakt. Rechtsgelehrsamkeit. II!. S. 1 ff. 

3) S. deren Rechte in Spangeuberg*8 Beiträgen m den deutschen Rechten 
des Mittelalters I. 109 f. und Grimm's Weisth. III. S. 306 f. Eine Urkunde von 
1241 nennt uns dort als indagines Heidom, Nordseel, Lauenhagen, Schmalen- 
hagen, Osterwald , Oldenhagen, Lüdersfeld und Wienbräcke (Leibnit. Scr. R. 
Brunsv. II. 184). Ausserdem gehören auch noch P<^UhageD ,. Hülshagen , Probst- 
hagen, Krebshagen u. s. w, hierher. 

4) Wigand , Archiv V. H. 4. S. 385 f. 



f8 

'ränkis^h e , dagegen in Mecklenburg , Poromern , Rügen u. s. mt* 
(wo übrigens auch die Hufe) welche als vierte Hufengattung noch be* 
schrieben werden wird, als Landhnfe vorkommt) die w e s t p h fl Jüa^ fe,e 
Hufe oder „inansus indaginarius seu westphalicus^S ^^^ ^^mansus qui 
Hagenhof dicitur". 

Hin und wieder begegnet man auch Waldhufen und, irre ich 
nicht, so sind dieses keine andern, als eben nur Hagenbufen, in- 
dem jener Name nur ihre Anrodung im Walde bezeichnete. Schon 
eine Urkunde von 839 verweist uns auf diese Waldhufen : „de esti- 
mata silva hubae duae et dimidiam, et ad Leimovvo sil- 
vam unam habentem hobas V. et in Obrindorf ad supplemen- 
tum hobae decimae iurnales X. de arabili terra mensuratae ^< ^) , und 
noch deutlicher spricht sich eine andere von 1030 aus: „villa — 
cum XChobis silve"*). Man nannte sie Waldhufen, weil sie aus 
dem Walde angerodet worden, gleichwie man das Recht, zu wel- 
schem Rodländer verliehen wurden, auch wohl Waldrecht — jus 
sylvestre") — nannte. Doch auch ohne besondere Bezeichnung kommt 
diese Hufe ausserordentlich häufig vor, bald vereinzelt und zer- 
streut zwischen Dorfern mit andern Hufen , bald auch einen ganzen 
Landstrich ausschliesslich bedeckend , wie das z. B. am Niederrhein ' 
und an der Eifel der Fall ist 

Zuweilen sind die Hufen von gleicher Grosse, oft aber wechselt 
auch ihre Grösse in ein und derselben Flur auf die aufTallendste Weise. 

Das erstere scheint vorzüglich nur in eben liegenden Fluren der 
Fall zu sein, wo die Gute des Bodens keinen zu grossen Verschie- 
denheiten unterliegt. Die Urkunde, durch welche 1097 das Stift 
Speier das Dorf Wiesenthal im badischen Amte Philippsburg be- 
gründete, weisst schon durch die Art und Weise der Bestimmung 
der Anlage auf eine Gleichheit der Hufen hin. Das Stift übergibt 
nämlich einer Anzahl von Kolonisten „locum nostrum dictum Wie- 
jnsten in sylva nostra dicta Bischofshart nunc Lushart ex alia parte 
ille Husen situm quoad lalitudinem et longitudinem octuaginta 
Imansuum quod vulgariter dicitur Hüben sunt octuaginta mansus in 
[proprio loco certis personils, que eundem locum a nobis receperunt 
ut ipsum nunc incultum ad culturam et in culturam redigant et aedi- 



1) WIrtemberg. Urkbch. S. 119. 

2) Boczek, Cod. dipl. Morav. I. 113. 

3) Lennep, Von dem Landsiedeieirecht S. 179, der es freilich anders er- 
klärt. 



ff9 

ficeht villam In eödem que Wlesensten debet proprie appellari'**)* 
Dieselbe Gestalt, welche Wiesenthal hat, nämlich eine lange V5n 
Süden gegen Norden laufende Gasse, findet man auch bei den be^ 
nachbarten Dörfern Hambrücken , Weiher , Kirrbach , Roth u. s. w. 
Die geringste Hufengrösse in solchen regelmässigen Fluren scheint 
40 Morgen zu sein. Diese Morgenzahl haben die Hufen zu Wippe- 
rode bei Eschwege und die mehrerer fuldischen Dörfer. Andere 
Hufen umfassen 60 Morgen« Von dieser Art sind die westphälischea 
Hufen in Mecklenburg u. s. w., wenigstens wird diese Zahl als Norm 
angegeben*). Ebenso heisst es 892 von 30 in verschiedenen Gauen 
Niedersachsens zerstreuten Hufen : „mansos XXX., tantae magnitudi- 
nis, ut unusquisque mansus iugera LX. habebat in mensura^*'), und 
ähnlich von einem baierischen Gute „predium ^^ cum curtifero et 
arabili terra pratisque necnon cum lignorum copia jugera LX.^<^), wo 
also die 60 Morgen enthaltende Hufe auch Wiese und Wald mit in 
sich schloss. Auch im Schwarzwal d kommt dieselbe Hufe vor'), 
desgleichen in Schwaben (861): „unam basilicam et casam cum curte, 
ceterisque edificiis, ac de terra cultaLX jugera in foraste jacentia**'). 
Die letztere scheint indessen schon wieder eine andere zu sein, weil 
die Hufe allein an Lande 60 Morgien enthält. Ganz in derselben 
Weise zeigen uns auch Urkunden des Stifts Freisingen Hufen, wel- 
che neben 60 Morgen Land noch einen gleichen Flächenraum 
an Wald, und ausserdem auch noch Wiesen besassen. So ver- 
tauschte das genannte Stift ein Gut „id est curtifera novem et tres 
colonias et ad unam quamque de terra arabili jugera LX. Insuper 
fructifera silva jugeraTTST^el de prftti«^ad^'C*^rradas " und erhielt 
dagegen in einem andern Dorfe „curtifera duo, colonias duas eius- 
dem mensurae id est ad utramque de arabili terra jugera LX , prae- 
terea de silvula jugera LX et de pratis ad LXX carradas'^'). In 
gleicher Weise finden sich auch Hufen von 90 Morgen Land. Es 



1) Dumge, Reg:, dipl. Badens, p. 18. 

2) Lisch , Jahrbücher des Vereins für mecklenbg. Gesch. ii. Alterthnmskunde 
VI. Jahrg. S. 17. u. X. Jahrg. S. 398. Fabritius, Urk. zur Gesch. des Fürsten- 
thnms Rügen II. S. 63 f. Gesenius, Meierrecht IL S. 31. 

3) Eccard, Hist. gen. Princ« Saxon. L p. 238. 

4) Mon. boica IX. 360. 

5) Cless, Versuch einer kirchlichen u. politischen Landes- u. Kulturgeschichte 
von Würtemberg. I. S. 122. 

6) Neugart 1. c. p. 315. 

7) Meichelbeck 1. c. 1. Nr« 994. 



ist Jedoch möglich , dass sowohl diese , als Jene schon königliche Hu- 
fen waren. Eine nordihüringische Urkunde von 979 sagt: ,,IV man- 
SOS cum IV cortilibus ac tres jornales, unaqueque hoba habens XC 
juirnales*'^), und ähnlich eine fireisinger: „hoc est curtiferum unum 
sepe circumdatum , atque domum et horreum et fontem salienlem 
et cetera utensilia, atque etiam colonias V, ad unamquamqae 
jugera XC pertinentia^^'). Wie es scheint waren in diesen 90 Mor-- 
gen Land , Wald und Wiese begriffen ; doch finden sich auch sol- 
che, welche, wie die Hufen von 60 Morgen, ausser dem allein 
aus 90 Morgen bestehenden Lande auch noch einen ansehnlichen 
Waldanthtil mit einschlössen, wie z. B. im Salzburgischen (865): 
^de terra exartata parata scilicet ad arandum mansos integros VlII, 
id est unamquamque coloniam iugera XC et de Silva undique in 
gyrum scilicet ac per omnes partes miliarium unum cum terris , pra- 
tis, pascuis, aquis^' etc.'). 

Häufiger noch als jene Fluren mit gleichgrossen Hufen mochten 
indessen wohl diejenigen sein , in welchen der Flächenraum der ein- 
zelnen Hufen ungleich ist; und dieser Abstand zeigt sich, ganz wie 
bei den Köuigshufen bald mehr, bald minder verschieden. In Ip- 
pinghausen bei . Wolfhagen , welches nach längerm Wüstliegen erst 
im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts wieder angebaut worden, 
wechselt die Grosse von 30 — 52 Motgen; in Bischhausen, westlich 
von Eschwege, von 36 — 111; in dem demselben benachbarten 
Kirchhosbach von 40 — 157 Morgen. Denselben Wechsel findet man 
im Schaumburgischen, im Magdeburgischen und sicherlich noch in 
vielen andern Gegenden. 

Zu Bischhausen versicherte man mir, dass die Verschiedenheit 
der Grosse auf dem Verhältnisse der Verschiedenheit der Güte des 
Bodens beruhe; die kleinen Hufen besässen das beste Land und 
mit der Abnahme der Fruchtbarkeit nehme die Grosse der Hufen zu, 
weshalb auch die kleinen, also mit einer geringeren Arbeitskraft zu 
bestellenden Hufen auch in einem hohem Werthe ständen , als die 
grossen Hufen. Ich bin freilich nicht im Stande, dasselbe Verhältuiss 
auch von andern Orten nachzuweisen, indessen kann jener Wech- 
sel nicht willkürlich sein, er muss vielmehr auf gewissen Grund- 
sätzen beruhen, und da ist dann eben jenes Ausgleichungs- Verhält- 



1) Höfer u. 8. w., Zeitschr. II. S. 516. 

2) Meiclielbeck 1. c. I. 987. 

3} Nachr. von Juvavia. Anh. S. 09 u, 100. 



Sl 

niss den Gesetzen, auf welchen die Bildung der Hufen beruht, so 
entsprechend, dass man ein gleiches Verhältniss auch wohl an al- 
len andern Orten voraussetzen darf, wo ähnliche Hufen sich be- 
finden. 

Zuweilen mag die verschiedene Grösse der Hufen in ein und 
derselben Flur aber auch dadurch entstanden sein, dass man den 
Ansiedlern es überliess, so viel wilden Boden umzubrechen, als ih- 
nen beliebte. Darauf deutet wenigstens eine Urkunde von 1477 
hin. Drei Grundherren eines Dorfes vereinigen sich, jedem Meier 
einen Kohl- und einen Kälbergarten anzuweisen und ihm zu gestat- 
ten in der Halde Land umzubrechen. Neu sich niederlassenden 
Meiern will jeder ein offenes Stück zur Saat mit der Erlaubniss ge- 
ben , auch in der Halde zu bauen. Dabei behalten sie sich nun vor, 
„wenn sie es für gut hielten, allen Acker gleich zu theilen, einem 
Jeden so viel und so gut als dem Andern; doch sollte dann die 
Gare und Stellung, welche Einer in dem einem Andern zufallenden 
Acker habe , nach Möglichkeit ausgeglichen werden ^' ^). Obwohl 
dieses. Beispiel nicht ganz passt , da das Dorf schon vorhanden und 
das neu zu gewinnende Land nur Rodland ist, so gewährt es doch 
jedenfalls einen Fingerzeig. 

Die dritte Hufengattung. 

Diese dritte Gattung bildet gewissermassen den Uebergang von 
der vorhergeschilderten zu der zunächst folgenden Art. 

Wie die vorige Art ein langgestrecktes Viereck bildet, so be- 
steht diese aus drei gesonderten Stücken, so dass jede Hufe ein 
Stück in jedem der drei Felder liegen hat. 

Diese Hufenart scheint übrigens nur selten vorzukommen, und 
es mochte deshalb sogar zweifelhaft sein, ob sie als eine besondere 
Gattung hingestellt werden kann. Sie ist wenigstens mit der vor- 
hergehenden nahe verwandt*). 

Nach dem was v.Hjiaxthausen in seinen Studien (L S. 458) von 
den Fluren der Tschuwassen, eines tartarischen Volksstamnfs östlich 
der Wolga, erzählt, entsprechen diese ganz dem eben aufgestellten 
Bilde. 



1) Treuer, Gesclilechtshistor. der v. Münchhausen. Cod. dipl. p. 06. 

2) Jakobi g^bt in der lUttstrirten Zeitongr, Jahrg. 1845. Nr. 110 die Zeieli- 
nung einer 9olehen Flur, 



n 

DTe vierte Hufengattttng. 

Es ist dieses diejenige Hufenart, welche als die am allgemeinsten 
und am weitesten verbreitete zu betrachten ist. Während die vorher 
geschilderten Hufen aus einem oder doch nur wenigen Stücken be- 
stehen, liegt diese in eine oft grosse Zahl einzelner Ackerstücke 
aerthellt d urch die ganze Feldflur zerstreut. Das gesummte Pflug- 
land ist nämlich in eine bald grossere bald kleinere Anzahl von 
Vierecken getheilt und zwar dergestalt, dass der Boden jedes dersel- 
ben möglichst von gleicher Beschaffenheit ist, und jedes dieser Vier- 
ecke ist in ebenso viele Ackerstreifen zerschnitten, als die Fltir Hu- 
ten enthält. Ich muss bemerken, dass ich nur die allgemeine Regel 
schildere. Jene Vierecke werden in Mittel- und Süddeutschland 
Gewende genannt, im Niederdeutschen Wände oder Wanne. 
Die Aeckef ein und desselben Gewendes sind in der Regel von jglei- 
clier Grosse. Deshalb sagen die Schöpfen zu Vehlen (bei Bücke- 
burg) auf die Frage, was geschehen solle, wenn einer dem andern 
von seinem Lande abpfluge: ,,Wenn der eine, sein Stück gepflügt und 
der andere das seinige darnach, dann sollten sie es messen und 
darauf nach Befinden der erste das ihm entzogene Theil mit dem 
', Pfluge sich wieder holen "% und noch bestimmter sagt dasselbe, 
- dass die Acker eines Gewendes nach Breite und Länge gleich sein 
müssten : „ Sie müssten^ jjeich sein mit der Breite ; was ihre Länge 
betreffe, würde^e Wlinde ausweisen"*). 

Je nach der Gestalt des Bodens, zumeist nach dem da- 
durch bedingten Wasserlaufe, wechselt der Lauf der Aecker der 
einzelnen Gewende dergestalt, dass stets ein Gewende mit seiner 
breiten Seite auf die Längenseite eines andern stösst. Der Acker 
nun, der m it sei ner langen Seite die Breite eines Gewendes berührt, 
gehört in der Regel noch zu diesem, und wird der Äjawänder, 
Voracke r (versura) oder Vor wart g enannt , weil aujr ihm" der 
Pflug gewendet wird. Da derselbe erst dann bestellt werden kann, 
wenn das auf demselben wendende Gewende bestellt worden ist, so hat 
er einen geringeren Werth und man hat ihn deshalb meist durch 
Zutheilung einer grösseren Ackerfläche, als die Aecker des Gewen- 
des besitzen, entschädigt. Ein fränkisches Weisthum sagTdarüber: 
« AufdenVoiäßlvern solle man zu dem Korne bis St. Michaellsiagj 
zum Hafer bis St. Walpurgistag anwanden und jeder Voracker habe 



1) Grimm, Weisth. III. S. 317. 

2) Das. S. 314. 



33 

, 12 Sc huh mehr denn ein ander erjj. Minder besUnaml spricht sich 
das Weisthum des Amts Koldingen (bei Hannover) aus , wonach eine 
..rechte Vorwarth", wenn 2 oder 3 Stücke darauf schiessen, sechs 

'' g ■' -fcll— I I IM I II II tili -- |___^ W ' ■•-»»»■ 

Schwadfiiuhahfij(L^ll*). Die einzelnen Hufen einer Feldmark stehen . 
hiernach in der Weise In einem gleichen Verhaltnisse, dass, wenn 
dasselbe verschoben worden, es durch eine neue Ausgleichung der 
Hufen wieder hergestellt werden kann. In Mecklenburg, Pommern 
fanden derartige neue ^Vermessungen schon im dreizehnten Jahrhun- 
dert statt, "und es ererab sich nicht selten, dass mehr Land heraus- 
gemessen wurde, als bisher angenommen worden, so dass dadurch 
die Zahl d^r.^ Hufen erweitert werden konnte. Solche neue Hufen 
nannte man „überschlägige"*). Es ist dieses allerdings nicht ganz 
dasselbe, denn die Mes sung gini? von dem Grundherrn aus und ge- 
schah auch zu einem andern Zwecke, weshalb auch Fälle vorkom- 
men, in welchen insbesondere Klöster von der Nachmessung ihrer 
Ländereien befreit werden*). *" * 

Wo diese Hufenart in einer Flur so durchgeführt' ist , wie ich 
es eben geschildert habe, sind sämmtUche Hufen von gleicher 
Grosse. Doch finden sich auch viele Fluren, in welchen man bald 
in (Äiesem bald in jenem jene Regeln verlassen hat. Oft hat die 
BeschafTentieit des Bodens verhindert, ein volles .Gewende auszule- 
gen , und in diesem Falle hat man die fehlenden Stücke einem an- 
dern Gewende beigefügt. Konnte man es nicht verhindern, dass 
einige Aecker eines Gewendes auf einen schlechtem Boden fielen, 
so half man sich dadurch , dass man den Hufen , zu welchen diese 
Aecker gehörten, noch -eine ausserordentliche Zulage von Boden 
gab, wodurch dann diese Hufen grösser als die übrigen wurden, 
oder, trat der umgekehrte Fall ein, so zog man den bessern Hufen 



1) Grimm , Weistli. III. S. 627. 
- 2) Spangonberg, Niedersächs. Archiv 1840. S. 423. 

3) 1240: „unus mansus de eisdem terminis superhabundans^^ Lisch, Meck- 
lenbg. Urk. 1. S. 64. 1288: „quod nos decem mansos — , quam ouerslacli ttomi- 
namus ^nlgariier' — quos quidem maiisos excedere reperimus nnmerum manso- 
rum, quos ^— fratres (monasierii Dargunensis) — habere debebant". Das. S. 183. 
Auch eine thüringische fjrkunde von 1252 bezeichnet als den Bestand eines 
Dorfes „XIV mansos — - et quosdam agros superfluos". Ludwig, Rel. Manuscr, 1« 
p. 70. 

4) 1297 : „ exemptam jßLüberam ab omni mensuratio nis et fmüca laUoftis .Kfr 
i^cjs". Lisch 1. c. S. 204. Auch 1275 das. II. ^."60. Weitere Beispiele in den Brk. 
7., Gesch. des Fürstenth. Rügen von Fabricius 11. S. 64. 

Landau. Terrilonen. «> 



34 

eine entsprechende Zahl von Morgen ah. Dass diese Hufen dessen 
ungeachtet in einem gleichen Werthe standen, ersieht man schon 
daraus, dass sie trotz der v erschiedenen Grösse mit den rie i- 
chen Diensten und , Lasten belegt wareil. Die Feldflur des Dorfes 
Gombet in Niederhessen hat 4 7 1/4 Hujea von verschiedener Grösse, 
und namentlich sind IIY4 Hufe etwa um die H älft e kleiner als die 
andern , hinsichtlich der Dienste und Abgaben sind sie dagegen sämmt- 
lich gleich. Als nun die Besitzer der letztern Hufen auf den Grund 
der geringern Grösse ihrer Hufen eine Herabsetzung ihrer Verpflich- 
tungen verlangten, wurde ihnen entgegnet, dass die Verschieden- 
heit in der Grösse nur scheinbar sei, weil dieselbe lediglich auf der 
Verschiedenheit der Qualität beruhe. Die neben einander liegenden 
Gewende laufen auch nicht selten in eiircr Furche fort, und ebenso 
vermisst man häufig auch einen besonders ausgelegten Anwänder. 

Die Wiesen sind natürlich bei' dieser Hufenart besonders ver- 
theilt und zwar nach sehr verschiedenen Grundsätzen, weil die Er- 
tragsfähigkeit der Wiesen noch mehr wechselt, als die des Piluglan- 
des. Bald findet man die geringere QuaUtät durch eine grössere 
Quantität ersetzt; bald hat man die Verschiedenheit dadurch ausge- 
glichen, dass die Besitzer zweier Wiesen, von denen die eine im 
Thalgrund'e liegt .und deshalb bewässert werden kann, "die andere 
aber höher am Thalabhange und über dem Bewässerungsstrich sich 
befindet, ein um das andere Jahr in der Benutzung mit einander 
wechseln; bald hat^ man einen durchgehenden Wechsel eingeführt, 
so dass dieselbe Wiese erst nach Ablauf einer gewissen Reihe von 
Jahren wieder an denselben Mann zur Nutzung gelangt. Am häu-^ 
figsten ist es jedoch der Fall, dass man einer jeden Hufe in jeder 
Lage einen Wiesenantheil überwiesen hat, und es scheint den alle- 
ren Urkunden nach , dass man insbesondere drei verschiedene Lagen 
zum Wiesenbaue ausgewählt habe*). 

Die zu diesen Hufen gehörigen Hofreithen liegen stets zu 
einem ges chlossenen Dorfe vereinig t. Doch gehören die Hofrei- 
then nicht immer zu den Hufen selbst, sondern sind oft auch 



1) Z. B. „1 mansum in Ebenstein cum curtili et XX iurnal. de terra aratu- 
turia etpratain tribus locis (Trad. Lauresli. nr. 855) ; in terra araturia in 
duübus locis 1 et pone 1 Journal, in tribus locis prata (ibid. nr. 879); man- 
SOS X et II iurnales et unam vineam et in tribus locis pratis (ibid. nr. 
1099); unum mansum et XL iurnales de terra et prata in tribus locis 
iuxta fluvium Werisa et de silva portioneni suam" (ibid. nr. 3716). 



95 

besonders ausgelegt. In dem erstem Falle ist gewöhnlich ein Ge- 
wende der Hu fe — wenn ich es hier so nennen kann — zur An- 
\a ^e des „Porfes ^enomme^ , wodurch es dann kommt, dass je3e 
Hofreithe auf ihrer Hufe liegt*). Alles was ausser dem Hufeftver- 
bände sich befindet , ist Gemeindeboden oder erst später von der Ge- 
meinde veräussert worden. 

Jf^de aus c^erartiyei;! *H ufen bestehende Flur bildet ein vollständig 
g^T/b^O^?^^ ^^ , i Q^^^^z es , ja noch vollständiger abgeschlossen, als die 
Fluren der vorher beschriebenen Hufenarten. Während es wenig- 
stens möglich ist , letztem noch ein Stück zuzufügen , ohne dass die- 
ses sofort das Ganze geradezu stört, ist bei dieser Art jede derar- 
tige Erweiterung geradezu unmöglich. Jedes neugerodete Stück Land 
liegt ausserhalb der Hufe und gibt sich, auch abgesehen von der 
verschiedenen rechtlichen Natur , schon durch sich selbst als solches 
zu erkennen. 

Eben darajas erklärt es sich auch, dass neben den Hufen häu- 
fiff noch einzelne Aecker, oft in bedeutender Zahl , genannt werden^). 

Eine wesentUche Abweichung von der geschilderten Feldord- 
nung findet sich indessen oft in solchen Fluren , von denen ein Theil 
einem Herrnhofe zusteh t. Hier liegt die Hofländerei ( terra salic a) häu- 
fig ausse r der Gemeinschaft und bildet ein für sich bestehendes ab- 
geschlossenes Ganze_s und. findet sich- dann auch meist zunächst 
vor dem Dorfe, doch i n der Regel in drei Thei le geschied en, näm- 
lieh in jedem Felde einen Theil. Auch wurden diese Länder mit- 
telst Zäunen von den andern Ländern geschieden und kommen 
dann häufig unter den Namen Beunden oder zur Unterscheidung 
von den ebenso genannten Gärten als Herrnbeunden vor^). 
Derartige Beunden findet man z. B. urkundlich zu Sehgenstadt*), 
zu Florstadt ■*) , zu Bürgel*) und noch im siebenzehnten Jahrhundert 



1) z.B. „881 capellam unam cum liuba siia, in qua exstnicta est". Kindiinger, 
Gesch. der Hörigkeit S. 219. 

2) Zahlreiche Beispiele hiervon finden sich in allen Güterverzeichuissen. So 
werden in Weissenburg ^gO Mor!^^y| ^<*fr«? ^^ ff"*^" ^k'ffeefiihci, und Gleiche» 
findet sich bei allen andern Orten, S. Zeuss, Trad. Wizenbg. p. 273 f. 

3>) Uebrigens sind auch viele solcfier Hofländereien zerstückt und einzeln an 
Orlseinwohner in Leihe gegeben , welche jedoch auch dann noch Beunden ge- 
nannt werden. 

4) Rindlinger, Gesch. der deutschen Hörigkeit S. 422. 

5) Grimm, Weisth. III. S. 448. 

6) Das. I. S. 516. 

3* 







36 

zahlreich in der Welterau. Zu DUUch in Niederhessen bestand die 
Herrnbeunde aus dreP), zu Monre in Thüringen aus vier getrenn- 
len Theilen*), 

Bei dieser Hnfenart zeigt sich ein bestimmtes ziemlich allgemein 
durch ganz Deutschland übliches Normalmass , und dieses Mass sind 
Morgen . Nur in sofern tritt eine Verschiedenheit ein , als die 
"Wiesen bald In diese Morgenzahl mit eingerechnet sind , bald als da- 
von abgesondert und selbst ständig und nicht in die Hufe selbst ge- 
Tiürlg aufgeführt werden"). . . . ~ 

Solch e Hufen zu 30 Morgen finden sich im Holsteinschen*) ,und 
überh'aupt in Niedersachsen ^ ) , namentlich in Engern *^ ), ij Thiirin- 
gen ') , im Grabfelde ^), i j| Hesjsftn^ ), am Niederrhein und der Mosel ***), 
im Niederlahngau ")7iffi Rheingau ^% i m Wormsgau "), im Lobdengau ^% 



1) „In Dycliche sunt terre arabiles in tribus bundis ad tres^ equos". Sei*rär. II. 

p. Ö54. 

2) „IV gebunden*«. Grimm a. a. 0. III. S. 61Ö. 

3) Die unten vorkommenden Urkunden -Auszüge geben Belege hierfür. 

4) Haussen, Das Amt Bordesliolm S. 69 u. 153. 

5) 1266 Ecken ba rdeleben; „Ires mansos integj^os, id est nonaginta jugera ha- 
bentes". Scheidt , Vom Adel. S. IL 

6) „ In Hunlileshuson (vel Huiddesliuss) XII mansi vel liove unaqueque XXX 
habens iugera". Wigand, westph. Archiv. Bd.I. H. 2. S. 14. Ebenso S. 15 und ^ 
H. 3. S. 53 u. 56. 

. 7) Höfer, Deutsche Urk. S. 53 u. 54. 

8) „In Bennendorf 11 mansi pleni et XXX jugera per singulos campos*' 
(Dronke, Tradit. et Antiq. Fuld. p. 54); 779: „uua huba, quod est XXX jugera"* 
XDrouke, Cod. dipl. Fuld. nr. 66) ; „V. hvobns cum V. mansis et ad unamquamqne 
hvobam XXX jugera'' (ibid. nr. 708); 

0) 1358: „je 30 Morgen für eine Hube gerechnet". Wenck, a. a. 0. Ukbch. 11. 

ö» öV4. , 

10) 1249 zu Königshofen: „quoddam alodium meum sc. XXX jurnales terre 
ar. in VII partibus distinctos et unam aream" (Ritz a. a. 0. S. 84). S. auch La- 
comblet, Ukbch. II. S. 1 u. 121. 

11) „In Walangere marca unum mansum et XXX iumales de terra aratoria'^ 
Tr Laurish. nr. 3717. S. auch 3124, 3134, 3707, 3708, 3718 ff. 

12) „Notandam, quod unus mansus per totam kinegowe habet XXX jur- 
nales'*. Sohaab, Gesch. der Stadt Mainz III. S. 112. 

13) „Mansum unum et de terra aratoria iumales XXX, et terram ad vineam 
faciendam". Tr. Laurish. nr. 1218 ; „unum mansum et XXX iumales de terra ara- 
toria" (Ibid. nr. 1245, desgl. nr. 1276). 

14) „Hebara 1 — ^ et 1 mansum, id est XXX jurnales campis, pratis etc.'' ibid. 
nr. 814. 



» 
\ 



S7 

im Speiergau ^) , im Elsas M ^ in Schwaben M i In Baiern *> u. s. w. 

Die Hufen dieser Gattung von wechselnder Grosse werden zu- 
weilen auch in den Urkunden bemerklich. Das Dorf Bühne, bei 
Warburg, hat Hufen von 30 und 40 Morgen '), und dasselbe Ver- 
hältniss zeigt sich auch in einem andern Dorfe M, während am 
Neckar in einer Flur Hufen von 30 und 43 Morgen neben einander 
bestehen ''), Noch zahlreicher kann man derartige Hufen aber in 
der Wirklichkeit finden. 

Mit diesen zunächst verwandt sind die Doppel- oder zwie- 
fjiltige n Hufe n, welche a us Zwei zusammengelegt en Hufen von 
^ Mff'^ff^T? h***^**l"^*^" Dieselben umfassten also 60 Morgen u nd wer- 
den darum auch die grossen Hufen genannt . Zu diesen gehören 
insbesondere die s. g. fuldisch en H ufen. Zu Bischofsheim, zwi- 
Stehen F rank furt mid Hanau, findet man „vierdehalb und tzwantzig 
Hube f tfldischer Hu be vnd Ugdijdfit eyn fuldische Hube eyn ..tzwie^ 
feldige Habe** und dazu werden auch „vierdehalbe und tzwantzij 
Hoffraide, genannt Hüphoifraid e ader Hoffestat" gewiesen ®), wäh- 
rend eine Notiz von 1348 bemerkt, dass eine schlechte (einfache) 
Hufe 30, eine fuldische H ufe3Jb.gr 60 MorgßÄ luxllp ')• Solche Dop- 
pelhufen finden sich im Fuldaischen selbst namentlich zu Rstsdorf, 
Leimbach u. s. w. ^^). Ferner bei ^onn"), in Niedersachsen, wo 892 
36 an verschiedenen Orten liegende Hufen alle zu 60 Morgen an- 
gegeben werden , ") ' und namentlich an der Weser *') , so wie in 



1) 850: „mansos XVIIL — singule earum cufn pratis et terra arabill ad XXX 
juruales emensas". Dümge, Reg. Badens, p. 72. 

2) Gririim. V^eislh. 1,716. 

3) 778: „ et de terra salica iuches XXX." (Neugart, 1. c. I. p. 66.) ; 804: „casa 
cum casale — et de terra arativa XXX iuclios et duas pratas, una qui dicitur 
Vvolcoozreod etc." ibid. p. 127. 

4) Aventiiius, Chron. Bavar. 1. VII p. 453. Fenier : „ curtiferum unum cum poma- 
rio et in unaquaquearatura jugera X et de pratis carradas X." Meichelbeck. I. c. 1,987. 

5) Kindlinger, Münster. Beitr. II Ü. S. 142. 

6) „lu Liuimareshuson continentur III huobe (idem hove hoc est mansi) et 
unusquisque mansus ad XL jugera extenditur et in super XXX jugcra, omnia. 
salice terre." Wigand , Wedtph. Archiv I. 3. p. 56, 

7) Tr. Lauresh. nr. 690,691 u. 693. 9) Würdtwein, Dioec. Mog. 11,619. 

8) Grimm, Weisth. 111,8.478. 10) Dronke, Cod. dipl. nr. 673,699 u.700. 
H) 1047: „laetilem mansnm 1, habcntem iornales LX." Höfer etc. Ztschr. 11. 

S. 527. 

12) Orig. Guelf. IV p. 403. 

13) „In Visbichi continentur salicc terre quatuor mansi sive huobe, unaque- 
que earum LX habens iugera." Wigand a. a. 0. I, 3, p. 49. 



2ß 

I 

taiern , *) und komitfen auch noch in andern Gegenden vor; nur ist 
es ni^UJmmer möglich zu erkennen, oh sich die Angaben auf die 
gegenwärtige oder eine andere Hufenart beziehen, weil namentlich 
auch die norddeutsche Hagenhufe 60 Morgen enthält. 

Ausser diesen Hufen von 30 und 60, gibt es ferner andere 
von 32 *), von 40 '), von 45 *) und 50 Morgen, ') und eben so 
kommen auch Hufen mit ungleichen Zahlen vor *). 

Fünfte Hüfengattun g. 

Diese Jetzte Art von Hufen hat mit der eigentlichen Hufe nur 
die Grösse und den Namen gemein; sie ist nichts als nur eine ein- 
fache Grossenbestimmung. Da wo nämlich der Hufenverband ge- 
lost und die einzelnen Theile durch Theilungen, Kauf u. s. w. durch 
einander geworfen und nicht seilen mit dem Rodland vermengt wor- 
den sind, oder wo man Rodland in grosserm Umfange bestimmen 
will, rechnet man zuweilen nach Hufen, und versteht dann stets 
diejenige Zahl von Morgen darunter, welche in der Gegend zu ei- 



1) Aventinus 1. c. 

2J Im Maingau: Grimm, Weisth. I, 512. Zu Münder im Hannoverschen 1289 : 
„dimidium mansum habentem sedecim jugera." v. Hodenberg , Kalenberger ürk. 
1. Abth. Archiv des Klosters Barsinghausen. Nr. 60 u. 61. 

3) Im Bonnergau (1047. Höfer etc. Ztschr. II, 527) ; in Baiern (Mon. boica IX, 
p. 360); zu Werdorf bei Wetzlar; (unum mansum et XL jurnales de terra. Tr. 
Lauresh. nr. 3195 u. 3716); zu Wannendorf (ibid. 3718 u. 3721.); zu Gons bei 
Giessen (ibid. 3077 — 3703 u. 3718. Andere Beispiele s. noch nr. 3752 u. 3755.); 
zu Klingen im Speiergau („sunt — ibi XIII mansi, unusquique XL iurnales habens." 
Zeuss, Tr. Wizenbg. p. 304) } im Stift Freisingen (Meicbelbeck 1. c. I, 783.) u. s. w. 

4) Im Murgau 873 : „ curtim dominicam cum aedificiis et sepibus bene vesti- 

tam. Et ad eandem curtim dominicam pertinent jurnales LXXX, insuper 

hoba6 serviles XVIII. Et ad unamquamque hobam pertinent j um ales 
XLV, de pratis ad singulas hobas carratas V, et ad exstirpandum hobas XIIII.*^ 

(Wirtembg. ürkbch. I. S. 173.).; in Engern: „mansum unum XLV jugera con- 

tinentem." (Falke, Trad.'.Corb. p. 875) und im Stift Freisingen: „hobam legalem, 
id est in tribus plagis jugera, XV." (Meicbelbeck I. p. 1112). ^ 

5) „unam hubam, quae tenet L jurnales." Trad. Lauresh. nr. 3752, 

6) „hubam quandam — que cohtinet XXIX jugera agrorum" und in derselben 
Gegend „ dimidiam curiam , continentem XXXIIII jugera." Mon. boica XI. 381. u. 
380. Ferner: „coloniam unam, hoc sunt jugera XXVI et de pratis carradas X 
atque curtiferum unum cum pomario , et silvulam rite ad eundem curtiferum per- 
tinentem." (Meicbelbeck 1. c. I. nr. 987.) ; 783 : hobas tres de arativa terra contenentes 
iurnales centum, et de prata ad carradas XXXVII, casas, cupinia, spicarium» 
curti clausa cum domibus, edificiis et officinis earum mancipiis VII. (Neugart, 
Cod. dipl. Alem. I p. 77.) 



38 

ner vollen Hufe* gehört. Die Zusammenlegung einer solchen Hufe^, 
ist so willkürlich, dass die einzelnen dazu gehörenden Ländereien 
zuweilen in mehreren Feldmarken zerstreut liegen. So nennt ein 
Güterverzeichniss des Klosters Wunstorf eine Hufe Land von 32 
Morgen, deren einzelne Theite in fünf verschiedenen Feldfluren lie- 
gen, von denen vier zum Amte Wenningsen und eine zum Amte 
Blumenau gehören *). Wie es scheint ist es vorzugsweise diese 
Hufe, welche man als ei nen Pflug Lan des bezeichnete, und es lässt 
sich dieses in dem Falle wohl stets als unzweifelhaft annehmen, 
wenn in den Urkunden der Umfang von Ländereien nur unbestimmt 
und schätzungsweise auf eine gewisse Anzahl von Pflügen ange- 
Rphlage p wird ^ wie z. B. 1287 ,, super quodam spatio terre agrestis, 
pene ad tria aratra, site in terminis sive marcha ville Wobelingen*)." 



4) Namen der Hufen und der einzelnen Grundstücke.. 

Eine jiöde Hufe hatte ihren eigenen meist von einem frühern 
Bebauer entlehnten Namen, z. B. (775) „ iHam hobam , que dicitur 
Adalolteshuba* * '), und (796) „id est illam houam integram Alfgating - 
houa'**); eine andere Urkunde von 817 nennt uns eine Reihe von 
Mausen, alle nach den Namen ihrer Inhaber ^). Ausserdem hat- 
ten sie noch Gattungsnamen, je nach ihrer rechtlichen Natur und 

M— — W<1»J "M III « IIIII ■ I IUI« 

der persönlichen Stellung ihres Bebauers z. B. Salhufe, Barschalks- 
hufe, Kirch en hufe u, s. w. oder nach besondern Verpflichtungen, wel- 
che ihnen auflagen, z. B. Bardgnhuve, Berinhuve, Cidelhuve, 
Draselh uve , Glasliuve u. s. w. ®). Aber nicht nur jede Hufe, auch je- 
der Theil einer solchen, jedes Ackerstück, hatte s einen Namen, nur 
dass dieser mehr von der Lage oder sonstigen zufälligen Umstän- 
den entnommen war. Von zahllosen Beispielen nur eins. In einer 
Urkunde von 13 24 kommen mehrere solcher Bezeichnungen vor: ,,de 
II iju p^eribus dictis an de r^Kruc kin, item de 1 jugere sito obir daz Flöz, 
de agro dicto daz brenun stucke, de jugere dicto der Ozzillin mor- 
gin, in agro dicto daz crumme stucke, de jugere sito of der bach 



1) V. Hodenber^, Kalenberger Urk. 9te Abth. Archiv des Klosters Wun- 
storf S. 136. 

/ 2) Gudenns, Syll. anectot. p. 286. 

>3) Wirttembergisches Urkbch. I. S. 15. 
. 4) Lacomblet, Urkbch. I. g. 5. 

5) Das. S. 91. 

6) Lacomblet, Archiv S. 310,311,300,327,331,322,336 etc. 



1 



40 



n 



II 



etc." *). Auf welche Weise oft derartige Bezeichnungen entstanden, 
davon gibt uns das Folgende ein Beispiel. Im J. 1665 berichtet der 
Pfarrer zu Kaldern über einen Streit mit einem Bauern. „Er habe", 
sagt der Pfarrer, „nicht unbillig das Exempel Hans Ruhl e zu be- 
denken gegeben, der zwar ein reicher trotziger Bauer, aber auch 
ein Hj^lfijxatz, welcher nicht allein um einen Acker, so kaum 2 
Gulden wehrt, 100 Gulden verhadert, daher der Acker noch den 
Namen hat, der güldene Schujj" u. s. w. 

Unzweifelhaft haben die Bezeichnungen im Verlaufe der Zeit 
mehrfach gewechselt , a b^r. sicher finden sich a uch nodi heute Namen. 
I welche bis in die frühesten Zeiten h inaufreichen. 

5. Die bäuerlichen Besitzverhältnisse. 

Ungeachtet jede Hufe, wie bereits oben bemerkt worden ist, 
auf die Kraft und diQ Nahrung einer Familie berechnet war, so sehen 
wir doch schon frühe nicht nur häufig mehrere Hufen in einer Hand % 
sondern ebenso häufig auch eine Hufe unter mehrere Bebaüer ver- 
theilt. So findet sich 808 eine in drei'), 797 eine in sechs*), 1141 
eine in sechzehn Theile*) zersplittertie Hufe. 

Ausser diesen Hufentheilen , finden sich aber ebenso frühe noch 
andere kleine Besitzungen, welche kein Hufengut waren und nur 
aus einem Stücke L^hd oder einem Weinberge bestanden , z. B. : 
..matisum ^j [ |,res homines manere possunt. et unam vineam"°). Es 
sind also drei WohnuAgen auf einer Hofreithe, und zu denselben 
gehört nur ein ^Weinberg. Aehnlich findet sich im Jahr 787 ein 
Haus nur mit einem Morgen: „1 mansum' — eLUAUn? jurnalem"^). 

Bei den Tlieilungen der Hufen MTirde jeder Acker in zwei oder 
mehr Theile der Länge nach zerschnitten, doch keineswegs immer 
gleich, da häufig die Verschiedenheit des Bodens dabei berücksich- 
tigt wurde; und in ebenso viele Theile, als die Hufe, wurde auch die 
Hofreithe zerlegt, um den Raum für die neuen Wirthschaflsgebäude 
zu gewinnen*). So lange die Dienste bestanden, galten diese getheil- 



1) Baur, Urkbch. des Klosters Arnsburg S. 372. 

2) 889: „hobas XV cum famulis V." Neugart I.e. 475. Im späteren Mittel- 
alter gab es vfele Dürfei;^ lii denen die meisten ßauern 2 — 4 Hufen bcsasseu. 

3) Zeuss I. c. Nr. 19. 
4).LacombIet I. c. S. 6. 

5) Gttd. Cod. d. I, 26. 

6) Tr. Lauresh. No. 1094. 

7) Ibid. No. 1604. 

8) „III mansos et XXX jurnal. de terra araturia — lertiam paftcm de uno 
manso cum casa et curia et pomerio et terra aratoria" ibid. No. 669 u. l388. 



\ 



41 

ien Hufen immer noch als ein Ganzes, und man überliess es ihren 
Besitzern sich über die Art der gemeinsamen Leistung der Dienste 
unter einander zu verständigen. 

Je nach der verschiedenen Grösse des Besitzes wkd der Beskz 
selbst, sowie auch der Besitzer mit verschiedenen Namen belegt, 
welche indess nach den verschiedenen Gegenden sehr wechseln. Der 
Besitzer einer vollen Hufe ist ein Hüfene r, ein Vollhüfener, 
westphäliseh Howeling*) oder, wie ihn die lateinischen Urkunden 
nennen, ein Man sionarius ; andere Bezeichnungen dafür sind 
VoUerbe, Grossroeier, Vollspünner n. s. w. 

Die, welthe nur eine halbe Hufe besitzen, sind Halbhüfener , 
Halbspänner, Halbmeier u. s. w. 

Ganz dasselbe, was die letzteren Namen bezeichnen, scheint 
die Schupp se in Schwaben, Elsass und der Schweiz zu sein*), 
nämlich eine hqibe.,HuJe; man findet wenigstens an einem Or^e, 
dass die Schupose gerade halbsq viel Holz erhielt, und an einem 
andern , dass eine solche gerade um die Hälfte weniger Abgaben zu 
leisten hatte, als eine Hufe*). Dasselbe Verhältniss zeigt sich 1428 
auch zu Martellen in der Schweiz, ind^m derHüfener mit zwei, der 
Schuposer mit einer Person Eckern lesen durfte*). Es ist jedoch 
möglich , dass auch geringere Güter , als halbe Hufen , diese Bezeich- 
nung erhielten, wofür wenigstens die Verschiedenheit des Abgaben - 
Verhältnisses, welches sich zuweilen unter den Schuposen ein und 
desselben Dorfes zeigt'), zu sprechen scheint. 

Nach J. Grimm") bezeichnet das Wort Schupose überhaupt 
einen Hufenthei l , gleich wie dieses auch mit dem im Anspachischen 
vorkommenden Enkelein der Fall ist '^). 

Eine andere Klasse von ländlichem Besitz umfasst endlich jene 
kleinen Besitzungen, welche meist nur aus |jae|r>^hnung^und^ 
Gärtchen bestehen und in der Regel auf dem Grunde eines Bauern- 



1) 1225: „litonesjoui Howelinge vulgariler nuncupanlur". Kindlinger , G. d. 
deutschen Hörigkeit S. 2Ö2. 

2) Vgl. hierüber Mone in s. Zeitschr. für Gesch. des Oherrheins I. S. 351 
und Renaud, über die Gemeindenutzung in der Zeitschr. von Wilde und Reyscher 

IX. 35. 

' 3) Grimm, Weisth. I. 107 u. 204. 

4) Schauberg, Zeitsch. für Schweizer Reclitsquellen I. S. 155. 

5) Grimm, a. a. 0. II. S. 174. 

6) Haupt, Zeitschr. Vm. S. 394 — 396. 

7) Mittheil, des histor. Vereins des Rezatkreises 1830 S. 31. 32 u. I83I S. 26. 



4« 

hofes oder auf Gemeiadebodeo stehen , und desslmlh j^^ Y^nhnHr.^ ^ niif.h 
k eine Gemeinderechte haben. Ihre Bewohner sind ineist Tagelöh ner 
und Handwerker, und kommen unter verschiedenen Bezeichnungen 
vor. Eine sehr gewöhnliche Benennung ist Ei^nläuftige. Schon 
eine norddeutsche Urkunde aus der Zeit Karl d. .Gr. bezeichnet die- 
selben als solche, welche ohne Grundbesitz seien: „ ^plivaft K qui ex 
parte .domihi terram non habent" *), ähnlich wie einellrkunde von 1363 
sagt: „die einlefftigen Luth e, die nit uff ihrem Aigen oder ihrem 
Erbe sitzen" *j. Dieselben nennt, eine Urkunde von 1283 auch „Los- 
jungere seu Enlouckelode" '); während eine gleichzeitige in Mainz 
ausgestellte thüringische Urkunde „de hominibus , qui Hindersedel di- 
cuntur — , apud nos vero eyl^^^^^^ ^"^ff !^ spricht*), nennt sie eine wenig 
spätere denselben Ort betreffende Urkunde „ Hrndersess e seu eynleffdec 
man"°). Auch 1338 werden die „einluftigen u nge warte n Lute 
qui nuUa bona in campis habent**, den ^ewarten Leuten, also den 
zur Mark berechtigten Einwohnern entgegengestellt ®). Ein korvei- 
sches Güterregister nennt sie „mancipia, qui dicuntur Enlupe"^). 

Dasselbe bezeichnet auch das i\|ftdftrsnr.hslRr.hft Kother und 
Kossäte (YftT? ^ift^^il • oder wie sie eine Urkunde des 12. Jahrhunderts 
nennt: Cotteres®), doch giebt es auch Köther mit «Anspann und 
auch solche , welche markberechtigt * sind '). In den lateinischen 
Urkunden heisssen sie Inquilini ^°). 

Dieselbe unbestimmte Bedeutung hat das baiersche Seidner ") 
und das eben wohl nur im Süden vorkommende Kebler oder Koh - 
le r ^ *). Das letztere bezeichnet einen Bauer, dessen Viehstand so 
gering ist, dass er mit mehreren zusammenspannt, oder wie ein Weis- 



1) Kindlinger, Münst. Beitr. II. U. S. 3. 

2) Grimm, Weisth. III. 436. 

.3) Das. S. 313. S. auch S. 321. 

4) Bodmann, Rheing. Alterth. S. 775. 

5) Grimm Weisth. III. S. 620. 

6) Bodmann a. a. 0. S. 774. 

7) Kindlinger a. a. O: II. S. 141.- ' 

8) Kindlinger a. a. 0. II. S. 141. 

. 9) Strodtmann, Idioticon Osnabrück, p. 113. So kommt ein Koten mit 
18 Morgen vor. v. Hodenberg, Kalenberger Urk. 9. Abth. Archiv des Kl. 
Wunstorf S. 136. . ' ^ 

10) Eine dänische Urkunde nennt : Vit „inquilinos seu gartjiS^|5os". Langebeck 
Sei*. Rer. Dan. VI. 425. 

11) Schmeller a. a. 0. III. 235. 

12) Das. 11. S.. 275. _ * 



48 

Ihum sagt: „der. mit zweien oder dreien Köpfen oder mit vier 
oder fünfen — kopttet " *)• 

Es ist jedoch keineswegs Absiclit die ganze lange Reihe von 
Bezeichnungen, welche in Deutschland für die verschiedenen Klas- 
sen von Bauern gebräuchlich sind, aufzuzählen; denn beinahe in 
jedem Bezirke wechseln nicht nur diese Bezeichnungen, sondern 
eben so auch, die damit verbundenen Begriffe. So heisst es z. B. 
in einer Schrift von 1556 aus Niedechessen : „zwischen uns den 
Kodnem » die kein Hubenland haben , aber doch andern Erbacker, an 
einem , und dann den andern , so auch zum Theil Ködner sein , aber 
Hubenland hab^n, einer mehr denn der andere, etliche kaum eine 
halbe Hube Landes , etliche kaum eiö Viertel von eine Hube haben, 
andern Theils" u. s. w. 

6) Die Ackermasse. 

Die Hufe besteht — wie oben ausgeführt worden ist — bald 
aus einem zusammenhängenden , Stücke , bald aus mehreren oder 
auch wohl aus vielen einzelnen von einander getrennten Stücken. 
Diese einzelnen Theile werden Aecker oder Stücke Landes, 
lateinisch Petiae genannt*). Wie alle übrigen Gemässe, so wech- 
selt auch der Gehalt des Flächenmasses nach den verschiedenen Ge- 
genden, und es bezeugt desshalb eine gleiche nominelle Grösse an 
zwei verschiedenen Orten noch keineswegs auch eine räumliche 
Gleichheit. 

Beinahe jeder Gerichtsbezirk besass ehemals seinen ^;g:enei ;i Mass - 
stak und erst spät, zum Theil erst seit dem sechszehnten Jahrhun- 
dert , hat man begonnen in den einzelnen Ländern Normalmasse ein- 
zuführen. 

Darum können denn auch 2 Hufen, von denen zwar jede 30 Mor- 
gen hat , die aber in zwei verschiedenen Bezirken liegen , in ihrem 



1) Grimm a. a. 0. III. 630. 

2) „X jugera — in una petia (Würdlw. Subs. dipl. IV. 241); ..duas petias 
agri , qnod wlgo dicitur twe Stuclandes (v. Hodenberg , Diepholzer Urkunden 
Nr. 330) ; ... Septem pfirticulas agrorum (das. Nr. 335) ; tria jugera vinearum 
Sita in una petia , quod wlgo dicitur an eyme Stuck e (üngedr.)". Von petia 
stammt das franziDsische piece. Die Bezeichnung Acker wird zwar auch schon 
in älterer Zeit zuweilen in dem Sinne eines bestimmten Landmasses gebraucht; 
(858; „de culta terra X agros", und 867: „iu villa . . . LXXX agros." Schannat, Tr. 
Fuld. No. 487 u. 504), ist aber im Allgemeinen^ ungewöhnlich unä hat sich nur 
hin und wieder , namentlich in Hessen , ein volles Bürgerrecht erworben. 



44 

wirklichen Fläcbengehalte sehr verschieden sein. Der oberhessische 
Morgen (=180 Q Ruthen ä 16') ist z. B. = 1«/, Morgen 10»/, 
Ruthen niederhessisch (1 M. = 150 Q Ruthen ä 14'); 1 kehdingei 
Morgen ist = 4 kahlenberger Morgen*), 1 köln. Morgen = 1 Mor- 
gen 50 Ruthen magdeburgisch ") u. s. w. ' 

Auf die Bildung dieser Verschiedenheiten hat jedenfalls die gros- 
sere oder geringere Schwere des Bodens und das davon abhängende 
zur Bestellung erforderliche Kraft- undZeitmass wesentlich eingewirkt. 

In Folge der Einführung eines Normalmasses und der damit be- 
wirkten Vermessungen wurde natürlich die nominelle Gleichheit der 
Hufen vielfach verwischt , obwohl auch der Umstand hierauf mit ein- 
gewirkt haben mag, dass man jetzt auch genauer mass, als dieses 
bei der ersten Auflheilung geschehen war, und ebenso hat sich die 
gegenseitige Gleichheit der einzelnen Ackerstücke sicher auch durch 
Abpflügen im Verlaufe der Zeit vielfach . bald mehr bald minder ver- 
schoben. 

Die Kunst des Landmesseos ist jedenfalls eben so alt wie die 
Ordnung der Hufen. Man bediente sich zu den Landmessungen so- 
wohl der Schnur (funiculus), als der Rulhe oder Gerlhe, und rech- 
nete nach Ruthen oderGerthen (perdicae, virgae) und Füssen. Doch 
auch die Grosse dieser Masse war nicht allenthalben die gleiche. 

Unter den verschiedenen Bezeichnungen, welche man für eine 
.besimrate Ackergrösse brauchte, tritt uns vor allem der Morgen 
entgegen. Es entspricht dieses Mass einem Räume, welcher in 
einem Mpygen g epflügt werden konnte, d. h^ bis Mittags 11 Uhr, 
wo der Bauer Mittag machend zum Dorfe zurückkehrt. Ganz das- 
selbe bedeutet Tagwerk, welches in den Alpen als Tagwan und 
T a g w e n '^ . und an der Unterweser, (jedoch nur von Torfgrund 
und Wiesen gebraucht) als Dagwöfk vorkommt*) und unmittelbar 
an das englische Daywork erinnert'). Nach Tagwerken theilte 
man auch andere Arbeiten ein. Zu Hofgeismar rechnete man im 
16. Jahrhundert auf das Tagwerk eines Strohschneiders 46 Gebund 
Haferstroh, 40 Geb. Gerstenstroh oder 52 Geb. Roggenstroh. ^Zu 
Trendelburg betrug 1475 das Tagwerk eines Dreschers 2 Malter Ha- 



1) Mögüner Annalen der Landwirthsch. Bd. XXTIl. §. 113. 

2) Schwcrz , Beschreibung der Landwirthsch. Westphaleus II, S. 5. 

3) Stadler, Schweizer. Idiotikon I. S. 259. 

4) Bremisches Wörtcrb"cli 1- S. 181. 

5) Lappenberg, Gesch. von England I. S. 619. 



45 

fer. Noch einer Urkunde von 1251 scheint es sogar ein Bauerngut 
zu bezeichnen.: „ nullum Tagwerich ab hooiinibus ejusdem ecclesie 
exigitur, quam diu sunt in agricultura y^. AehnUch 1237: „Seruorum 
bona, gue Dagewarclite n vulgariter appellantur*).** Dieselbe Bezeich- 
nung (Dachworte) wird 1327 von einem Hause mit 3 Morgen Land ge- 
braucht'). Demselben entspricht das friesische Daima th oder/ Die- 
wjiJl-(kurz Deimlh), welches auch bei den Süddänen als De med 
und Daimied sich finLdet, und in Oberdeutschland in der Form 
von Tagmad*) vorkommt.^ Obwohl ursprünglich nur von Wiesen 
gebraucht, wo es dann eine Fläche bezeichnete, welche in einem 
Tage (Dai) gemäht (meth) oder gehauen werden konnte, so wird es 
doch jetzt auch beim Baulande angewendet. Dasselbe ist der Fall 
mit dem friesischen G r a s . Ein Diemath ist = 400 rh. Ruthen , ein^ 
Gras = 300 rh. Ruthen. Indessen ist auch dieses Mass nicht allent- 
halben gleich*). 

Für Morgen und Tagwerk brauchen die lateinischen Urkunden 
jurnalis (vom französ. jour) und diurnali ^ wenigstens schon seit 
dem achten Jahrhundert'), und letzteres bezeichnen die fuldischen 
Güterregisler ausdrücklich ebenfalls als ein Land, welches in einem 
Tage umgebrochen werden könne ^). 

Dasselbe Ackermass ist das schon bei den Römern gebräuchliche 
iuerum — Joch®). Varro erklärt dassdbe für ein Stück Land, wel- 

V i uft l *"*! 1 ^ Will— ' ' 

ches man mit 2 Ochsen in einem Tage pflüge '). Auch in den ür- 
Runden wird es zuweilen ausdrücklich als ein Joch Ochsen bezeich- 



1) Mon. boica II. p. 203. 

2) Erath , Cod. dipl. Quedlinbg. p. 164. 

3) Das. S. 411. 

4) SchmeUer a. a. 0. I. 435. 

5) Wiarda, Gesch. der alten friesischen Sprache S. 77. Arends, Ostfries- 
land und Jever I. S. 119. Outzen, Glossar, der friesischen Sprache und von 
Richthofen, altfriesisches Wörterbuch S. 687. 

6) Jumalis 763, 773, 779. Neugart, C. d. Allem. I, 43,54, 71; diumalis: 704 
Marlene et Durand. Coli. Ampi. I, 13. 

7) „XX diumales, hoc est, quod tot diebus arari poterit". Dronke, Tr. et 
Antiq. Fuld. p. 107. 

8)' Im Mittelalter jugus , juchus (Neugart, Cod. dipl. Allem. 1.286 u. 127) 
und juches und juges (Wirtembg. ürkbch. S. 13 u. 118). 

9) „Jugum Yocant, quod juncti bov^s un o die exarare possiut (Varro, de re 
rustica (I, 10) ap. Gesner. Scriptor. rei rust. I. p. 159). Sed nee ignorare de- 
bebit villicus, quid uni jugo boum quoquo mense per singulos dies praestari satis 
Sit". (Columella, de re rust. L. XI. c. II. No. 98 ap. Gesner 1, c. I. p. 762.) 



4ß 

nel*), nicht selten lasisen diese aber auch jugum weg und sagen, 
sich einfach des Genetiv pl. von bos bedienend, statt^^jj^^gauaJuLHiß 
schlechtweg bjourn^ besonders, wi e es sch dnt^^jn Friesland'); und 
dass wirklich nichts anderes als Joch und Jugerum darunter ver- 
standen wurde , beweist die Bemerl^ung des fuldischen -Mönchs Eber- 
hard: „ter iram X boum, sicut apud illos mos dicendi est, apud nos 
vero Xjugera"'). Noch jetzt rechnet man um Bremen , V erden , 
Wursten , Oldenburg u. s. w. nach Juck , von denen jedes 180 □Ru- 
then hat, welche ,aber in ihrer Grösse sehr von einander abwei- 
chen,*) und auch in Oesterreicl?, Böhmen und GaUizien ist das Joch 
das gewöhnliche Acker mass. 

Allgemeiner noch war das ebenfalls schon den Römern be- 
kannte und aus jugum gebildete JJi,Se£Ujn ^). Schon in einer Ur- 
kunde, von 704 heisst es „diurnales , id est jugera*' •). In der deut- 
schen Form gestaltete sich dasselbe in Juchart und Juchert um, 
und ein appenzeller Weisthum von 1379 sagt: „Juchart, ^daz ist so 
v iel Veld es, daruonjnan mag gesaegen sechzehen Viertel Haber '/J). 

Alle diese Bezeichnungen, mögen auch einzelne Urkunden sie 
zuweilen in einem verschiedenen Sinne anwenden, haben im Allge- 
meinen die gleiche Bedeutung und werden gleichmässig von dem 
Lande, den Wiesen, den Weinbergen und den Waldungen gebraucht. 

Eine dagegen für die Marschländer eigenthümliche Grössenbe- 
stimmung ist die nach der Zahl des Viehes, welches darauf ernährt 
werden kann. Schon eine friesische Urkunde von 845 nennt: „terram 
XLVlll. animalium , terram XX animalium u. ^s. w." ®). Es waren 
dieses abei^ wohl nur solche Güter, auf welchen ausschliesslich Vieh- 
zucht getrieben wurde, und dann ist diese Bezeichnungsweise ganz 
dem Gebrauche der belgischen Urkunden entsprechend, welche die 
Grösse von Ländereien nach der Zahl dec darauf zu erhaltenden Kühe 
oder Schafe bestimmen '). 



1) Z. B. 849 : „quaedam mancipia iii villa — - manentia — prolemque eoiiira, 
juga etiam boum VI ad haue curtem pertinenlia. Neugart 1. c. p. 264. 

2) „Quinque boum terram, XV boum terram". Dronkp I. c. p. 43 u. 44. 

3) Ibid. p. 45. 

4) Mögliner Annalen XXIU. S. 112. 

5) „Jugerum vocabatur, quod uno jugum boum iu diem exarari posset". 
Plinius, Hist. Natural. 18. 3, 15. 

6) Pardessus 1. c. II. 263. 

7) Grimm a. a. 0. I. S. 189. 

8) Lacomblet, Urkbch. I. S. 27. Kindlingers, Münster. Beitr. I. Urkbch. S. 24. 

9) 950: „pastoralia, quae sufficere possuut ovibus CXX, — terram in qua 



47 

Die Grösse der Weinberge wurde bald nach ihrem Ertrage*) 
bald auch nach einem Fiächenraass« bestimmt, welches Mannwerk 
genannt wurde und der, Grösse eines Morgens gleich kam*), das 
indess zuweilen auch beim Ackerlande ^vorkommt *j. 

AehnUch bestimmte man die Grösse der Wiesen sowohl nach 
ihrem Heuertrage nach Fudern*), als nach Flächenmassen. Z^ die- 
sem gehörte das bei den Wiesen ausschliesslich gebräuchliche Manns- 
math'). Es ist das eine Wiesenfläche, welche ein Mann in einem 
Tage zu mähen vermag, dasselbe was zuweilen auch ein „Tagwerk* 
Wiesenmath'**) genannt wird. Selten findet sich der Heuertrag nach 
dem Gewicht angegeben ''). 

Ein im Salzburgischen gebräuchliches Flächenmass war Wera ®), 1 A/ /* v^ 
ein anderes im Stift Freisingen doch nur bei Wiesen vorkommendes ' vV^ 
Worpa®). 

Zu den bisher aufgeführten grössern Feldmassen kommt endhch 



possunt alere oves centum" (Miraeus 1. c. I. 261); 1006: „VIII Berquerias (das 
heutige französische Bergerie), que XVI mansis conti nentur" (ibid. p. 67) ; 1080: 
„VI! mansa terrae', contineutia C vaceas (ibid. p. 60)^^ Ein solches Gut nannte 
man vaccaria, vaccaritia, wacheria etc. (Henschel 1. c, VI. p. 714), worans sich 
das französische vacherie gebildet. 

1) „vinea ad situlas XV, vinea ad carradas II". Zeuss, Tr. Wizenbg. p. 294. 

2) 1075: M^iewerc. Lacomblet 1. c. I, S. 143; 1275: „excepto uno jugero 
vinearura, quod in viilgo dicitur Mannwerck**. Neugart, Cod. dipl. Allem. II. 290. 

3) In der Güterbeschreibung des Klosters Muri heisst es : „ lu viiibus aulem 
hahemus XXIV partes, que dicuntur Manwerch et XIII rusticos, qui diurna- 
les suos prestationem ad hoc habent, ut excolerent eos. Cumque unusquisqnc 
secundum sibi constitutum excolent , remanent X , qui non ipso colimus. Si quc- 
ris, cur vocetur Manwerch ? ideo dicitur, quia uni viro comraittitur ad colen- 
duni, et est tantum terrae, quandum par boum in die arare sufficit". Kopp, 
Acta fundat. Murens. Append. p. 85. Auch eine Urkunde von 1075 sagt: „pre- 
dium — quod lingua nisticorum illius ville Manewerc vocatur , noa unum iVla- 
newerc sed tria Manewerc". Quix, Gesch. der Abtei Burtschcid S. 211. 

4) 788: „ad feuum faciendum carradas XII". Zeuss 1. c. No. 42. Im 16. Jahrh. 
reciniete man^4 Hausten Heu zu einem Fuder. 

5) Senckenbg, Sei. jur. et bist. U. 96. Baur, Urkbch. d. Kl. Arnsburg S. 283 u. 243. 

6) Meichelbeck I. c. II, No. 318. Mon. boica X. p. 283. 

7) Ich kenne nur einen Fall: ,,de pratis, quod XX pondera feni congregari 
possunt." Kopp , Vindem. Actor. Murens. Acta Fundat. p. 69 und ebenso 76. 

8) 9. Jahrhundert: „unam hobam plenam — XXX et VI uuera habentem, 
alteram — VII uuerum minus; hoc sunt hobae XII arabilis terrae, uueraque 
ligni XC atque uuera pratorum XXX; hoc sunt hobae IV et ligni fcrtilis quer- 
ceti uuera XL, uuera pratoram XV." Juvavia. 192. 

9) 8. Jahrb.: „de pratis autem Xll^Vorpa." Meichelbeck J. c. 1. 295. 



48 

noch jene Art der Grüssenbesthnmung^, welche nach dem Masse der. 
Aussaat geschiebt, die, obwohl schon frühe üblich, doch erst im 
spätem Mittelalter allgemeiner wird und selbstverständlich ebenso 
wechselnd ist als alle andern Masse^ 

Ausser der reingeometrischen Theilung des Morgens in Ruthen 
und Fusse, hatte man für gewisse Theile des Morgens auch noch 
besondere Bezeichnungen. Dahin 'geWJrt vor Alleto die allgemein 
übliche Weise den Acker beim Pflügen in eine Anzahl durch Fur- 
chen getrennte Rücken oder Beete zu geiStalten , um der Saat einen 
I trockenen Boden zu geben. Schon Varro*) sagt: „ das d ritte Pflügen 
I nennt man Urare; man setzt dabei Bret tchen (tabellae) an die Schaar, 
t bedeckt die Aussaat mit Rücken (porcae) und zieht Furchen, damit 
/ das Regenwasser abfliessen kann. Die Vertiefung« (lacuna, Stria), 
weiche dejc^^ug^mi^ seiner Schaar macht, wird Furche (s^ilr.ns)^ 
i die Erhöhung zwischen beiden Furchen aber Rücken (porca ^ ge- 
; nannt*^»). 

Im mittlem Deutschland am Main, an der Fulda u. s. w. wer- 
den diese Rücken S^tteP ^ genannt, und man r'echnete deren vier 
auf einen Morgen; im sjidlichen Deutschland, in Baiern, Franken, 
S chwa ben und noch in Oberösterreich hat man dafür die Bezeich- 
nung Bifang^). Die Breite dieser "Bifänge ist sehr verschieden und 
man findet Aecker, welche bis zu 40 solcher 'Beete haben ^). Dieselbe 
Ackerweise besteht auch in Belgien ^) , insbesondere für das Winter- 
getreide; in Holland, wo man den Bifang Sjreeß und Lijn nennt, im 
südlichen Frankreich'^), wo derselbe Raie^) genannt wird ; in England®)» 
wo man Ridge dafür sa%l **) ; in Polen ") u. s. w. In den. lateinischen 



1) De re rusiica I. c. 29. 

2) Aehnlich spriclit sich auch Columella II. c. 4 aus. 

3) 1314: Sadale. Wigajid, Wetzlar. Beitr. I. S. 259 u. 375; 1325: „ iUm^ 
andere Acker von dren Sadeln groz, — darnach eyner von zweyn Sadeln groz** 
u. 8. w. Ungedr. ' 

4) Von befangen, weil der Rücken von zwei Furchen eingeschlossen ist. 

5) Meichelbeck 1. c. II Nr.' 392. Nähv^;^s s. in Schtneller, Idio^tikon I. 24, 
540 u. 560. 

6) 1249: ,. sulcos, qui vulgariter dicuntur Hofvoren (Haupirurchen)." Warn- 
könig, Flandr. Staats- und Rechtsgesch. III. I. Beil. S. 52. 53. , 

7) Schwerz, Belgische Landwirthschaft I. S. 111 u. s. w. 

8) „Riga" kommt zahllos im Polyptique l'abbe Ifminon vor. 

9) Schweitzer, Darstellung der Landwirthsch. Grossbritaniens II. 1. S. 45 
und V. Lengerke, Landwirth. Lexikon. SoppU I. S. 387. 

10) Speimann, Glossar, p. 488. 

11) V. Lengerke a. a, 0. III, S. 826. 



49 

Quellen fiodet sich Bifan g durch pecia übersetzt '). Auch die Gär- 
ten waren in ähaiicher Wesse angelegt *). 

Am Niederrhein theilte man den hoUänd. Morgen nach Honen 
und die Horte nach Ruthen •) ; an der Niederweser aber den Acker 
nach Ländern (terrae), weshalb man auch von vollen Ländern 
(una inlegra lerra) sprach ; ein solches Land theilte man in 4 Vier- 
tel (quadrantes) oder Verndel (una quarta pars, que vulgariter 
Verndel) oder J|Ojirgae, und 2i/a virgae nannte man eine Strecke*), - 
dasselbe was jetzt ein Spallen genannt wird. 

An der mittleren \Egs.er war eben wohl eine besondere Thel- 
lung üblich, welche jedenfalls, wenn auch nur zum Theil, wieder 
auf die Bifänge hinweist. Der Morgen bestand aus 4 Blöcken 
oder Hollen, und Ya Morgen wurde ein Forling '), oder früher 
Furlanp ^), genannt; drei Hollen aber nannte man ein Drohnen'), 
eine Bezeichnung, welche noch jetzt üblich ist '). 

An der Diemel nannte man einen ^^ Morgen Gart (Qtiart) und 
sprach so von Dregart, Vifgart u. s. w. 

Kleinere Stücke Landes pflegte man* in Baiem auch wohl nach „^^^^ 
demEtlenmass zu bestimmen und Trümmer zu nennen*), und eine 
gleiche Bedeutung mag das bei Passau vorkomme nde Schott*®) und '^ ^\.^ 
das in Hessen zuweilen sich findende Stumpf (ein kurzes Stuck) haben. 

1) 1358 : „ XL pecia , vulgariter Bete Landls '* und 1322 : „duas pecias terre 
aribilis, unam videlicet Sedulam" u. s. w. Ungedr. In einer passauer Urkunde 
von 1328 kommt ein Weinberg vor: „das fünf Rollen sind." Mon. boica.XXX* ^ 
p. 128. Ob das auch Beete sind? 

2) 1358: „in ortis herbarum — XL pecias, fulgariter Bete Landis"; 1367: 
„eyn Garten zca 24 Betten." Ungedr, In Oberhessen nannte man diese Gartenbeete 
Blech er und 4 Mesten Blecher waren = 1 Jdorgeu. 

3) Urk. von 1316 bei Binterim u. Mooren, die Erzdiözese Köln. Urkbch. 
II. 109. 

4) V. Hodenberg , das Verder Copiar. S. 47 ff. 

5) 1424 : „tres petias proprio Vorlinge, — ager unus de tribus petüs scilicet 
Voriinge". Wurdtw., Nova subs, dipl. I. 383. 

6)843: „ XXJorlangas " ^comblet, Urkbch. L S. 23). ,, CL furklan c." X^ 
(Droncke, Tr. et Ant. Fuld. p. OTNr. 68). 

7) „Drone." Lüntzel, die Diözese Hiidesheim S. 221 . 

8) Gesenius, Meierrecht II. S. 37. 

9) 1200: „agri culti XII cubitos, quod vulgo Holzellen voeatur, qnemen* 
sura a viris prudeutibus trutinata conputata est ad sex agros et qnatuor partes, 
quod vulgariter dicitur Trümmer". Mon. boica .111. 51 1. Vgl. Schmeller a, a. 0. 
1. 490. 

10) 1318: „un am "pe ciam, quo d vul g ariter dicitur Schoet" . Mon. boica I) 

XXX* p.83. ^ 

Landau. Terrilorien. 4 



50 

7) lieber das etwa höhere Alter einer oder der andern 
Hufenart, sowie über die etwa nationale Bedeutung der 

Hufenform. 

Ob eine der oben beschriebenen Hufengattungen ein höheres 
Alter anzusprechen habe, als die übrigen? ist eine so naheliegende 
Fraae, dass ich sie unmöglich unberührt lassen kann. 

Naturlich können bei dieser Frage nur die^eiügen Hufen in Be^ 
tracht kommen, welche in ein und derselben Gegend und bei ein und 
demselben Stamme neben einander sich finden, und die Untersuchung 
hat sich auch nur auf diejenigen beiden Hauptarten zu richten, von 
denen die eine als ungetrenntes Ganzes und die andere als eine 
Sammlung von zerstreuten Ackerstücken erscheint; auf den Einzelhof 
dagegen kann die Frage deshalb keine Anwendung finden, weil 
dieser schon an und für sich als etwas selbstständiges und Ursprung- 
hches erscheint. 

Bei einer mehr allgemeinen Betrachtung möchte wohl Jeder ge- 
neigt sein, der aus einem Stücke gebildeten Hufe den Vorrang des 
Alters zuzugestehen , weil deren Bildung einfacher und deshalb leich- 
ter erscheint. Jede nähere Prüfung muss aber bald zu einer entge- 
gengesetzten Ansicht fähren. 

Bei jener vertheilten Hufe hatte man nur im Allgemeinen die 
Natur des Bodens und dessen Lage zu berücksichtigen und erreichte 
ohne jedes künstliche Mittel eben so leicht als sicher das Ziel, näm- 
lich eine gleichmässige Vertheilung. Jede Hufe erhielt die gleiche 
Grösse. r 

Bei der andern Art, von welcher < sich nur in den seltenern Fäl- 
len Fluren mit gleich grossen Hufen finden, war dagegen die Au^ 
gäbe: die wechselnde Qualität des Bodens durch eine entsprechende 
Vertheilung desselben auszugleichen. Es musste also dem Theilangs- 
geschäfle eine Bonitirung voraus gehen, in welchem jede Feldlage 
genau zu prüfen und zu einem bestimmten Werthgrade zu veran- 
schlagen und, dem entsprechend, zu der Bodenfläche in ein bestimm- 
tes Verhültniss zu setzen war. Und erst, nachdem dieses Alles ge- 
schehen, konnte zu der immerhin noch schwierigen Abtheilung der 
Hufen geschritten werden. 

Beide Theilungsweisen sind demnach wesentlich verschieden : 
so einfach und natürlich die eine, so verwickelt und künstlich er- 
scheint die andere. - Das Einfachere aber darf man slels als d^ts 
Aeltere betrachten. 



51 

Nachdem, was ich oben ausgeführt habe, wonach die Hufen- 
ordnung ebenso alt wie die Feldflur erscheint, reicht deren Einfüh- 
rung weit über unsere historische Zeit hinaus, und es wäre demnach 
ein vergebenes Bemühen, ihren Ursprung historisch feststellen zu 
wollen. Die Sagen fast aller Volker schreiben die Erfindung des 
Ackerbaues den Göttern zu, u nd wenn insbesondere die Edda die 
Ackervertheilung als. .dk^hSchsk Jgeisheit der Götter erklärt, dann 
hat sie sicherlich keine andere als nur jene im Auge, welche 
vorhin als die einfachste und darum unzweifelhaft auch älteste be- 
zeichnet worden ist. -^^ -- 

Will man jedoch ein historisches Zeugniss für das hohe Alter 
derselben, so lässt auch dieses sich geben. Es istTacitus, welcher 
es uns bietet. 

Tacilus sagt in dem 26. Kapitel seiner Germania: „die Felder 
(agri) werden nach de r Zahl der Bebauer (pro numero cultorum) 
von allen. in Wechseln (in vices) eingenommen." So vielfache Er- 
klärungen dieses „ in vices " (oder nach andern Lesarten : in vicis^ in 
vicem, per vicem) auch erfahren, so lösst sich dasselbe doch einfach, 
wenn man die thatsächlichen Verhältnisse dabei im Auge behält und 
nur aus diesen ein Verständniss zu gewinnen sucht. Dann wird 
man sich nämlich überzeugen, dass es auf nichts anderes. hinweist, 
als auf die wechselnde (alternirende) Lage der zu einer Hufe gehörigen 
Ackerstücke, indem dieselbe Hufe immer nur ein Stück in jedem Gewende 
besitzt. Doch noch ein anderes Zeugniss ist vorhanden: das Dor f 
Maden, der alte Mittelpunkt des fränkischen Hessens, das caput 
:entis Cattorum hat in seiner Flur keine andere als eben nur diese 
Hufengattung . 

Was die andere Frage nach der nationalen Bedeutung der ver^ 
schiedenen Hufenformen betrifft, so scheint es allerdings sehr nahe 
zu liegen, diese verschiedenen Formen auch verschiedenen Nationa- 
litäten zuzuschreiben *). 

Man wird jedoch bald von dieser Meinung zurückkommen müs- 
sen, wenn man sieht, wie diese Hufen nirgends an politische Gränzen 
gebunden, bunt durch einander vorkommen. Sogar der westphälische 
Einzelhof findet sich nicht übe rall in Westphalen u nd gehört eben so 
wenig blos Westphalen an. Nimmt man hierzu noch die Thatsache, 



1) Dieses hat namentlich Dr. Jacobi in der lllustrirten Ztg. 1845 Nr. 116 
gethan. Sieije auch meine Widerlegung in Friedemann's Ztach. für die Archivö 
Deutschlands II. S. 70 und 137 ff. 

4* 



5< 

dass noch im spfitern Mittelalter in demselben Lande bald diese bald 

}ene Hufenfonn in Anwendung kommt, und dass wenigstens die eine 
Art sich über den grössten TheU von Europa bis zur asiatischen 
Gränze erstrecii t, dann kann die Beantwortung jener Frage kaum 
noch zweifelhaft sein. 

Es liegt allerdings etwas Wunderbares in dem Umstände, dass 
beinahe ganz dies e lbe Theilung der Felde r sich bei äo verschiedenen 
«nd einander so fremden Völkern Qndet. Mögen auch die Völker in ihrer 
gegenseiUgen Berührung Vieles mit einander ausgetauscht haben, so 
ist doch gerade dje^^^r t un d Weise der Theilung des Grundbesiüifi3 
zu einer solchen Uebertragung, zu einem solchen Enpehnen am aller 
wenigsten geeignet; denn der Grundbesitz ist einer der hauptsäch- 
lichsten Grundlagen des Volkslebens und so fest und so innig mit 
demselben verwoben, dass jede wesentliche Veränderung als eine 
Revolution zu betrachten ist. Aber wie lässt sich diese Ueberein- 
Stimmung erklären? Lag diese Art der Theilnng wirklich so nahe, 
dass sie sich gewissermassen als eine Naturnothwendigkeit den Völ- 
kern aufdrängte? 

Was übrigens diese Theilung so durch alle Zeiten erhielt, wa- 
ren nicht etwa gegebene Gesetze, es waren vielmehr Gesetze, wel- 
che in dem Volke selbst lebten und mit dessen ganzem Sein auf 
das Engste verwachsen waren und deshalb auch so lange unver- 
ändert fortdauerten, als neue Dörfer begründet wurden, Gesetze, 
weiche ebenso sehr durch die Weisheit ihrer Findung, als durch ihre 
Allgemeinheit und Dauer unser Staunen erregen müssen. 

8) Der Ackerbau. 

Die Ackerbauweise und die Hufe stehen in so enger Verbindung 
zu einander, dass sie als sich gegenseitig bedingend betrachtet wer- 
den müssen; das eine ist die Grundlage des andern. 

Der ^tfiffl ^^kfirb^n in R6l3dfed?lftPcl kennt nur ^wei Bewirth « 
schaftnngs - System e : <^^p JPjftiffilfl^^^'wiyf hsrhafr und dieWech- 
sei- oder Konbel wirthschaft. 

0gßggmmmmmm^m^mim^^,mm m iitt I n «•^•i, t, ...«war. 

Die erstore besteht in einem regelmässigen dreijährigen Wech- 
sel, die letztere darin, dass das Feld in bald kürzeren bald längeren 
Zwischenräumen zum Fruchlbaue und dann wieder als Weideland 
dient. Die Dreifelderwirthschaft findet sich ausschliesslich bei, de n 
I lufen , welche eben als vierte Art beschrieben worden sind, 
dann auch noch, doch nicht nothwendig, bei der Königs- und der 



Hagenhufe, bei welchen nicht seilen beide Systeme neben einander 
in Anwendung sind. Die Wechselwirthschafl hingegen gebort bei- 
nahe ausschliesslich dem Eig^fiUtsfe und der Marschh ufe an, liommt 
aber auch, wie eben bemerlit, bei der K onigs hufe vund hin und wie- 
der auch bei der Hagenhufe vor. Diese Wechse lwirthschafl — wel- 
che ich hier nur in ihrer Allgemeinheit betrachte, da ein Einlassen 
auf ihre mannigfaltigen Modifikationen ganz ausser meinem Zweclce 
liegt — findet sich demnach d urch Wes tphalen und die s&mmthchen i 

so wie in Fahnen und Seeland*), in Schonen und \ 



Bleking') u. s. w., sowiä südlich in den Gebirge n und Hochebe« 
nen Schwaben s •) un d im Salzburgi schen *) u. s. w. 

Bei der Dreifelderwirthschaft ist das sämmUiche offen liegende 
Pfiugland einer Dorfflur in drei Theile geschieden. „ Dieselue Huue — 
sagt eine niedersächsische Urkunde von 1366 — licht vul an alle dren 
Velden alse en gut Huue tu Rechte ligghen scal"') und eine andere 
von 1352 theilt von einer Hufe jedem Felde 10 Morgen zu"). 

Diese drei Felder werden auf verschiedene Weise bezeichnet. Im 
nördlichen Deutschland nennt man sie kurzweg Felder, in Süddeutsch- 
land und der Schweiz ist dagegen Zeig gebräuchUch. Die letztere -s i* { 
Bezeichnuni gibt schon eine schwäbische, Urkunde von 779: „ in omni ' 

Zelga iorpft^y^ unnip fl^ rft - et tres Qies asecare et tres amadere"*). 
Eben so findet man es schon in frühe Zeit am mittleren Rheine ^ und 
im Salzburgisc hen •) , und noch häufig begegnet man ihm in spätem 
Urkunden sowohl in Schwaben als der Schweiz **). 



r* •■* 4 



1) Möglin. Annalen der Landwirthschaft XXVII. S. 280. 

2) Das. S. 305 u. Bd. XXVIII, 154, 159 u. 171, 

3) Goritz, Beitr. zur Renntniss der würtembg. Landwirthschaft S. 40. 

4) V. Lengerke, Lexicon III, S. 437, 

5) Erath, Cod. dipl. Quedlinbg. p. 522. Aehnlich eine andere von 1441. ibid. 
p. 743. 

6) Ibid. p. 482. 

7) Neugart, Cod. dipl. Allem. Nr. 77. Auch 791 kommt das Wort in Sohwa< 
ben vor: „unaquaque zelga unum juchum arare, sicut mos est — arare.*^ ibid. 
Nr. 113. 

8) Bei Worms 1137: „in una zelga campestris*^ etc. Schannat, Hist. Wor- 
mat. II. p. 68. 

9) 10. Jahrb.: „exceptis in unaquaque parte, quam zelga vocamus, jugeri- 
bus tribus.'' Nachricht von Juvavia S. 175, 

10) Grimm, Weisth. 1. S. 132, 139, 149, 214 ff.; Reyscher u, Wilda, Zcitschr. 
IX, S.37 ff., 44ff. ; Mon, boica XXVI p.75 u. 107. XXVII p. 107. 



54 

Im Angelsächsischen heisst tiljan, teoljan, das Land bestellen, 

tilja der Ackermann und tild das bestellte Feld (seges). Tiljaii 

"""^ heisst überhaupt eine Arbeit verrichten, und noch jetzt sagt der 

Ä Engländer für Ackerbau Tillage, für das Pflügen sowie für das an- 

•%^ -* gebaute Feld tilth und braucht das Verbum tili für pflügen. Ganz 

IU4V. in demselben Sinne bedient sich auch der Süddeutsche und Schweitzer 

^— ' dieses Verbums, und auch die alten Glossen geben zelga durch 

aratura wieder*). Zeig bezeichnet also eigentlich nur das gebaute 

Feld, nicht aber auch das Brachfeld, obgleich es auch f$r dieses 

gebraucht wird *). 

Ganz dieselbe Bedeutung hat das namentlich in der ßaar und 
^ am Bode nse e ^), überhaupt in Q berscbw aben und Oberbaiern bis gegen 

^'^ die Isar, sowie in der^hweiz*) gebräuchliche Es eh. Die alte Form 

dieses Wortes ist eg^Ll?» ezzisca, ez zisch u. s. w. (gothisch 
atisk) und wird in den Glossen durch s egete s erklärt'). Diese 
engere Bedeutung als Saatfeld zeigt sich auch in einer lorscher Ur- 
kunde, weiche Esch durch satio (in unaque satione) übersetzt®), 
sowie in dem im baier. Gesetzbuche vorkommenden Ezzisezun ), 
und dem entsprechend ,wird' auch noch in einem Weisthume von 
1469 Esch geradezu dem Brachfelde gegenübergestellt^).* 

Eine andere Bezeichnung der drei Felder bezieht sich auf die 
Bestellung^s weise derselben, nämlich Lenzfeld, Rurfeld und 



1) Schmeller a. a. 0. IV. S. 255. Graff, Sprachschatz V. S. 660. Töbler, 
appenzeller Idiotikon s. v. Zeige. 

2) Z. B. 1329: „aus den zwain Zeigen — vnd auz der dritten Zeig". Mon. 
boica XXVI. p. 107. Mone , Urgeschichte Badens I. S. 36 will es durch Zaun 
erklaren, welcher nach Pistorius allerdings eben wohl Zeig genannt wird. Auch 
kommt Te^g als Theil eines Ganzen vor, z. B. „dit was des einen Teigen 
Twich". Chr. rythm. Princip. Brunsv. p. 20. 

3) Mone , Urgesch. Badens I. S. 35. 

4) Grimm, Weisth. 1 S. 123, 128, 199 S. 

5J Grimm, Grammatik. 2. Aufl. Ili.416. Schmeller a. a. 0. I. S. 124. 

6) Tr. Lauresh. III. p. 212. 

7) „Si illam sepem erruperit ye\ dissipaverit, quam Ezzisezun Vocant". Can- 
clani Leg. Barbar. II. p. 378. 

8) „vff die Zeig genaut Ebenott, in Esch vnd in die Brach." Grimm, Weisth. 
I. S. 199. V. Kooh-Stemfeld, deutsche Länder-, Völker-, Sitten- und Staaten- 
kunde III. 328 erklärt das Wort durch Sumpf, indem er sich dabei auf eine 
ürk. stützt, in welcher es heisst „in nemore novale ad prata facienda, quod 
Asche dicitur", aber dieges Wort ist ein anderes. 



55 

r a c h f e 1 d ^) . oder auf die Früchte, welche die Felder tragen: 
Somme r-, Winte r- mid Brach feld, so wie Rom -, Hafer- 
imd B rachj eld. ' 

Ausserdem haben die einzelnen Felder noch bleibende Eigen- 
namen, welche bald besoudem Oertlichkeiten, bald auch der, Lage 
gegen benachbarte Dörfer entnommen sind, oder auch nur auf die 
Bezeichnung ihrer Lage zu einander, als Ober-, Mittel- und Un- 
terfeld, sich beschränken. 

Wenn die älteren Urkunden dieser Felder erwähnen , sagen 
sie einfach, d ass die Hufe an drei verschiedenen Orten liege*). Doch 
sind diese drei Felder keineswegs immer von gleicher Grösse. Ge- 
wöhnlich sind nur zwei in demselben Masse aufgetheilt, während das 
dritte einen bald kleineren, bald grösseren Raum umfasst. Als 
man 124T in Baiern eine wüst gewordene Feldflur neu auftlieilte, 
bestimmte man, dass jede Hufe in d em einen Feld e 12 jugera er- 
halten, das übrige Feld aber unter die beiden andern Felder gleich 
getheilt werden sollte, wenn diesen auch nicht dieselbe Grösse als 
dem ersten gegeben werden könnte *). ' 

DjBr Bau der Felder geschieht nun dergestalt, dass das Feld, 
welches in dem einen Jahre ruht, das Brachfeld , im nächsten Jahre 
mit Winterfrucht und' im dritten Jahre mit §onamerfrucht ausgestellt 
wird, so dass es im vierten Jahre vjdeder ruht, und dann zur Hute . 
dient. Es ist demnach ein dreijähriger Kreislauf vorhanden, tmd 
jedes Jahr sind zwei Felder, das eine mit Sommer-, das andere mit 
Winterfrüchten, bestellt, wähi^end das dritte ungebaut liegt. 

Ich will nunmehr die einzelnen Arbeiten historisch zu verfolgen 
versuchen , um zu ermitteln ob und wie weit in der Bestellungsweise ^ 
Aenderungen eingetreten sind. 



1) Z. B. 1476 in Hesse n „in der Lentzen, in der B rache , in der Rure*' 
(üngedr.); 1415 am Main: „ Lenzfrichte , Brachfrichte , Rurfriclite" (Grimm, 
Weisth. III.' S. 510); im Elsass 1320: „Brochager, Rur ager** (Grimm a. a. O.L 
S. 699) und an der Donau (Sclimeller a a. 0. 111. 123). ' 

2) Z.B. „in illis locis tribus hob. VII" (Zeuss, Tr. V^zenbg. Nr. 151.) ; „unum 
mansum de terra araturia XXVII jumal. in tribus locis sitos" (Tradit. Lau- 
resh. Nr. 662). 

3) Mon. boica XI. 33. Missverhältnisse wie das folgende: „In Callebacli 
terre salice in uno campo LXXX agri, in alio XL, in tertio XL" (Droncke, Trad. 
et Antiq. Fuld. p. 115) zeigen schon von Störungen der ursprünglichen Verthei- 
lung. Auch bei Worms findet sich 1137 ein gleiclies Verhältniss : „in una zelga 
campestris agri LXX jurnales, in altera XXXU et VIII jugera vinearum". Schan- 
nat, Bist. Wormat. II. p. 68. ^ 



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56 

Da wo die Dreifelderwirthschafl noch besteht, namentlich im 
miitlern Deutschland, wird das Fe|d, welches brach gelegen, im 
Juni (um Johannistag) ge hra cht, d.h. umgebrochen, was auch 
gestürzt oder gewendet genannt wird; Ende Juli oder im August 
(gewöhnlich um Bartholomäi) , zwischen der Winter- und Sommer- 
erndte, wird gerurt d. h. zum zweitenm aj^jgepflüjgt, umgewendet, 
und im September (um Maria Geburt) oder vor und nach Michaelis- 
tag, wi^. jsur Saat gepflügt. Nachdem dieses mit Winterfrüchten 
besäete Feld im nächsten Jahre abgeerndtet worden, wird dasselbe 
im Oktober oder doch vor dem Winter gefelgt, d. h. es werden 
die Stoppeln umgepflügt (subarare) ') , und im März und Anfang 
April wird zur Sommersaat gepflügt'). 

In den alten Urkunden werden [die verschiedenen Pflugweisen 
meistens nur ganz allgemein als das Herb st- und Frühlings- 
pflügftn bezeichnet'), und nur selten begegnet man einzelnen ge- 
naueren Angaben. Eine der frühesten findet sich in einer aleman- 
nischen Urkunde von 763: „et in primum vir arata , iurnalem unam, 
et in mense Junio brachareidterum , et in auctumno ipsum arare et 
Seminare"*). Wie hier nur drei Furchen genannt werden, näm- 
lich zum Sommerfeld, zur Brache und zur Wintersaat, findet sich 
dieses auch noch mehr. So kennt eine niederrheinische Urkunde 
des neunten Jahrhunderts eben wohl nur das Herbst-, Frühlings- 
und Sommerpflügen: „Si vero arat in terra salaritia uon solvunt nisi 
XXX denarios, arat autem is, qui servit novem dres, tres in au- 
tumpno, tres in vere, tres in aestate"') und dasselbe ist der 
Fall in dem Güterregister des Klosters Muri in der Schweiz : „Ter in 
anno, id est in Junio et in autumno et in vere arabunt quin- 
que Juhert singulis vicibus sex virgarum in latum et; triginta in lon- 






1) Felgen oder Falgen lieisst überhaupt: umwenden (yolvere). Die 
Nordfriesen sagen Falge und Fielge: das Gra^and umbrechen (Outzen S. 71), 
die Danen Faelge und Fälle oder die Süddänen Falle und Felle, die Eng- 
länder to fallow , weshalb diese das B rachfeld au ch F a 1 1 o auflur o u n d nennen. 

2) Henisch hat ra uv eich entv „prima opera arare''. Sclimellert a. a. 0. 1. 527. 
Letzterer will darunter das zweite und dritte Pflügen verstehen, aber schon die 
Erläuterung, dass es die erste Furche sei, widerspricht dem. 

3^ Z. B. „amre in partes in autum no — in verno ** (Zeuss, Trad. W 4z^ pj>g. 
p. 275 f.). 

4) Neugart, Cod. dipl. Alemann. p. 43. WirtembgMJrkbch. I. S. 7. 

5) Rindlinger , Münster. Beitr. II. U. S. 2. - - 



I 



67 

gnina et ipsa virga haböat novem ulnas in longitudine^^^), in dem des 
Klosters St. Vinceot zu Metz: „Et pro corveia debent ipsi inansi 18 
sol. in tribus sasonibus quando colitur terr<|, id est VI in festo 
sancti Johannis (24. Juni) et VI in festo st. Martini (11. 
Nov.) et VI in adnuntiatione sancte Marie (25. März)"*), so- 
wie in denen der Abtei Lorsch am Mittelrbein : „debet in vere arare 
II jumales et in ^estate debet bis arare"') und „tria jug^ra arat 
omni anno ad seminandum cum dominico semine, arare debet in 
mense Junio, atque iternm in nativitatis St. Marias (8. Sept.) 
ut Sit seminatum in missa St. Remigii (10, Oktb.)"*). 

In allen diesen Stellen ist immer nur von drei Furchen die Rede 
und es wird weder des Rurens noch der Felge gedacht. Erst im 
zwölften Jahrhundert lindet man , auch das Ruren. In dem Dienst- 



iMft»3fu« 



register des Klosters Mauersmünster im Elsas vom Jahr 1144 heisst 
es nämlich: ,,1V jugera arare debent, tres in autumno, unum 
in vere"°). Ebenso weisen die 4 Morgen, welche jeder Dienstmann 
des Klosters Prümm zu Ockenheim jährlich zu düngen und zu pflü- 
gen hat, darauf hin: „^arant et fimant de illorum fimo jornalem dimi- 
dium ad hibernaticam sationem . ad sigulum seminandum , ad tremen- 
sem in Martip et Aprili, arant jornales quatuor"®), denn' das Klo- 
ster lässt sogar seine Aussenfelder, welche stets nur mit Hafer be- 
säet wurden , nur einmal und zwar wie gewöhnlich im März pflügen : 
„Arat jornales tres; in forestaria avenae modium unum; a Kaien- 
dis Martii per totam sationem arat omni ebdomada III corvadas 
diem I"'). Das Wort Ruren selbst, in dieser Beziehung, gibt jedoch 
erst, eine elsasser Urkunde von 1320: „Ruracke" d.h. die Zeit des 
Rurens^). Eine andere Urkunde aus dem Maingaue von 1365 kennt 
für die „Lenzfrüchte" eben wohl nur ein Pflügen und setzt dasselbe 
auf die Zeit vor Gertrudentag oder den 17. März; dagegen nennt 
dieselbe uns das Ruren: „item tertio ante festum Assumptionis (15. 



1) Kopp, Vindiciae Actor. Murensiam. Acta fandat. p.57 und Hergott, Ge- 
nealog. Habsbg. I, p. 321. 

2) Pertz , Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde VII. S. 008. 

3) Trad. Lauresh. III. Nr, 3660, p. 206. 

4) Ibid. p. 207. 

5) Schöpflin , Alsat. dipl. I. p. 126* 

6) Reg. Prüm. ap. Hontheim, Hist. Trev. I, p. 670. 

7) Reg. Prüm. ap. Hontheim 1. c. I. 680. 
' 8) Grimm , Weisth. I. 8. 608. 



58 

Aug.) similiter arabunt tria jugera, quod diciiur Rurfrichie^'^). Damit 
stimmt auch eine Erneuerung derselben Urkunde von 1415 überein'). 
Im Gerichte Viermünden musste 1393 jeder Pflug „2 Tage eren to 
(je)der Arlt, to der Hauern 2 Tage, 2 Tage to der Bracke, 2 Tage 
to der Rom, 2 Tage to der Sait'^ Ueberhaupt Werden mit dem 
fünfzehnten Jahrhundert die Nachrichten über den Gebrauch des Ru- 
rens häufiger. Im Jahre 1465 mussten die Bauern des Hüttenbergs : 
„ dineu ;— In der Braiche , inderRure, zu derSait, in demLentzin", 
und in einer Rechnung des Rentmeisters zu Rosenthal von 1494 
heisst es: 

„ In der Wochen nach st Vlerichsdag (4. Juli) dor by hon ich 
daz Laut lossen rüern, Hauwe machen vnd in füren <^ -^ 

„In der Wochen nach nativil. Marie virg. (8. Sept.) dor by hon 
dy Lude zu Spde gearn". 

„In det Wochen nach exaltaüonis ste. crucis (14. Sept.) dor by 
hon ich — zu Säet lossen eren vber Kerbest *^ 

Dagegen fallt die Einführung der Felge unzweifelhaft in eine 
noch spätere Zeit. Schon der Umstand, dass im Altdeutschen 
Felga — die Egge heisst') und fealh, vealh und valg dieselbe 
Bedeutung auch im Angelsächsischen haben ^), weisst darauf hin. 
Wann dieses geschehen , ist freilich schwer zu ermitteln ; ich wenig- 
stens finde sie erst seit dem sechszehnten Jahrhundert im Gebrauche 
und da auch nur vorzugsweise beim Gerstenfeld, bei dem übrigens 
auch xiamals schon die Rurfurche üblich war. So heisst es z. B. 
1592: », ein. Morgen in's Sommerfeld zu Gerste emmal feigen, zwei- 
mal ackern, säen und eggen 'S während es vom Haferfeld heisst: 
„einen Morgen zu Hafer einmal ackern, säen und eggen", worauf 
unmittelbar folgt: „einen Meißen zu feigen". Also auch für die 
Hafe'rsaat wurde gefolgt, nur wurde dieses nicht als nothwendig be- 
trachtet, und auch heute noch ist es in vielen Gegenden gebräuchlich, 
den Hafer in den frischen Boden zu säen , ja manche Landwiilhe hal- 
ten dieses so gar für die Hafersaat zuträglicher. 

Stimmen aber auch zuweilen die Zeiten der Feldbestellung nicht 



1) Grimm a. a. 0. III. S. 506. Die Brachung setzt die Urkunde jedoch „ante 
festum Petri ad vincula", al»o in das Ende des Monats Juli. 

2) Das. S. 510. Nur muss es darin statt „vor St. Pedersdage vor der 
Erne" — „nach der Erne" heisscn. 

3) Graff a. a. 0. III. 505. 

4) Eltmüller, GIoss. 79 u. 347. Felgiug ist occaiio. 



59 

genau überein» was ja ohnehin auch nach der Natur der Dinge 
nicht anders sein kann, so waltet doch über die Schhisszeit der 
beiden Saatzeiten enie um so grössere Uebereinstiminung. Es 
war eine allgemein verbreitete gesetzliche Bestimmung^ dass das 
Sommerfeld theils vor St. Georgentag (26. April), theils vor Walpur- 
gistag, das Winterfeld aber vor St Gallentag (16. Oktb.) oder ander- 
wärts vor Martini bestellt sein musste, denn an diesen Tagen wm*- 
den beide umzäunt*). Sogar in den alten dänischen Gesetzen wer- 
den Martini und Walpurgis als die Zeiten bezeichnet, wo die Saat- 
felder umzäunt sein sollten*). 

Wie in Deutschland, so wissen auch in Frankreich die älteren 
Urkunden nur von drei Fu rchen. Eine ist das d as P flüge n im Som- 
merfeld , welches sie ,. ad trannsium ** oder „tremisium" nennen , d. h. zu 
deijenigen Frucht , welche nach drei Monaten geerndtet wird , jetzt tre- 
mois oder tremes genannt'). Die beiden andern gehören dem Win- 
terfeld, „ Hybematicum oder Ivern^cum" (auch Iveniagium und Hy- 
bernagium), später Hivernage genannt. Die erste derselben ist die 
Bfachfurch e „galchera, gascaria, gascha, gascheria" etc. oder jetzt 
jacheres*), auch g arectum (ital. garetto) und warectum, warectat io 
etc. genannt*), die andere Furche aber die zur Saat"). Eine der älte- 
sten französischen Güterbeschreibungen , die 812 aufgestellte der Abtei 
S aint Germ ain > kennt nur das Pflügen zur JJÜfitfil" ^^^ ^^^ ^^ 
So mmersaat : „ad hibernalicum " und „ad tremisium**, und weisst nur 
dadurch auf die Brachfurche hin , dass es bei den durch die Frohn zur 
Wintersaat zu pflügenden Ländern stets die doppelte Ackerzahl von 
den für die Sommerfrucht zu bestellenden Ländereien angibt, die Brach- 
fuiche also stillschweigend mit einschliesst^). Das Sonunerfeld erhielt 
also nur eine, das Winterfeld nur zwei Fm'chen. 



1) Grimm a. a. 0. IIL 627, 642, 686. Schauberg, Zeitschrift für schwei- 
zerische Rechtsqucllen I. S. 93, 113, 120 u. 194. 

2) Faick , Neues staatsbürgeri. Magazin II. S. 775. 

3) Henschel 1. c. VT. 651. 

4) Das. III. 464, 462, 489 u. 490. 

5) Ibid. VI, 910. III, 482. Speimann 1. c. p. 565, Doch versteht man hier- 
unter in ausgedehnterem SiQue überhaupt jedes Umbrechen berasten Bodens. 

6) Im sfidlicl^^iji , yy^pkre ich war es j[edoch hin un'B^wieder anders; weni«^- 
gten s erzählt Gregor von To urs . dass man ziTDijon nur cixunäTpflüge , weil 4m«. 
^£LM..i££jEjlUÜUba9lM^ ~' - 

7) Guerard, Polyptyque etc. II. p. 6, 24, 29, 33 f. S. auch Henschel I.e. 
m. 737, VI. p. 651 f. 






«0 

r 

Erst später, doch -jedenfalls schon vor dem Jahre 1000, begann 
man, obwohl nur erst hin mid wieder, auch das Winterfeld dreimal 
zu pflüge; es wurde dasselbe auch gerurt. Man nannte diese zweite 
Pflügung binalia'), aus welchem das heutige bin er. entstanden ist, 
auch rem otio*), woraus die Lyonesen remuette machten, während 
die Burgunder statt dessen Rebu eil brauchen'). Eine Urkunde vom 
J. 1000 sagt: „ ad galcheras , ad remotiones, ad avenas'*^); eine an- 
dere: „Eam (terram) debeant. . . ghaskerer, biner et semer, id est, 
arare, aratrare et serere'**), und eine diitte von 1249: „in prima ara- 
tione, — in secunda — in seminis hyemalis coopertione; in aratione 

Martii"*)- 

Die Pflügung des. Sommerfelds geschah im März, weshalb die 

Italiener die Sommerfrucht auch „martioUum'' oder „martiolinum'' nann- 
ten^; die Brachfurche setzt das Polyptychum Fossateuse in den Mai, 
was sich durch das wärmere Klima erklärt, und die Saatfurche für 
das Winterfeld in den Oktober^. 

Es fehlt also auch hier die Felge des Sommerfeldes. ' Im Fran- 
zösischen heisst die Felge , d. h. überhaupt das Umbrechen der Stop- 
peln ,recassis, gleichwie recasserdie Stoppeln unterpflügen, was 
eben wohl erst eine neuere Bedeutung ist, denn während des Mittel- 
alters findet sich recassare, rechaciare und recha^are nur 
vom Metalle gebraucht*). 

Blicken wir zurück , so tritt uns in allen diesen Arbeiten unver- 
kenntlich eine gewisse Stetigkeit entgegen. Allerdings haben sich die 
Arbeiten erweitert, und der Boden wird öfterer bearbeitet, um ihn 
zur Saat vorzubereiten, als dieses ehemals der Fall war, aber die 
drei Hauptfurchen zeigen sich um so unveränderlicher. 

Wie schon im achten Jahrhundert, so ist auch noch heute der 
Juni der Brachmonat. „Karl — erzählt Einhard*^ — gab den Mo- 



1) Henschel 1. c. I. 677, 678, 683. ^ 

2) Polyptyque 1. c. II. p. 353. 

3) Henschel 1. c* V. 700. 

4) Polyptyque 1. c. II. p. 353. 

5) Henschel 1. c. III. 400. 

6) Polyptyque 1. c. 11. 384. 

7) Henschel 1. c VI. 651. 

8) Polyptyque -II. p. 286. S. überhaupt die Zusammenstelhmg T, 1. P. II. 
p. 649 f. 

9} Henschel 1. c. V. 611 u. 616.' 
10) Vita Caroli c. 29. 



\ 



61 

Baten , für welche bei den Franken bisher lateinische oder barbarische 
Namen gebräuchlich gewesen waren , Namen aus seiner eigenen Spra- 
che". Den Juni nannte er Brach manoth. Diese Bezeichnung 
war aber wohl nicht neu und sicher schon früher im Gebrauche. 
Die Frühlingsfurche föllt in die zweite Hälfte des März oder den An- 
fang des April und nur hinsichtlich der Saatfurche für das Winterfeld 
sind die Angaben über die Zeit wechselnd, wie diese ja denn auch 
noch heute wesentlich vom Wetter und der klimatischen Lage ab- 
hängig ist. 

Also mindestens ein Jahrtausend hindurch ist die Art und Weise 
der Bestellung des Ackers in den Hauptzügen sowohl in Deutschland 
als in Frankreich beinahe unverändert geblieben. 

Aber auch nicht blos durch ganz Deutschland und wenigstens 
das mittlere Frankreich*) finden wir die Dreifelderwirthschaft vorherr- 
schend , auch über England, Dänemark*), das südliche Schweden') 
und ebenso über die slavischen Länder und bis tief in Russland hin^ 
ein sehen wir dieselbe verbreitet*). Sie findet sich sogar auch da, 
wo der Boden keinen Dünger bedarf*) , obwohl bei ausgezeichneter 
Fruchtbarkeit des Bodens auch Ausnahmen vorkommen*). 

Wenn wir nun ein Jahrtausend hindurch ohne wesentliche Aen- 
derungen dasselbe und noch dazu in so grosser und weiter Ausdeh- 
nung sehen , wird man da nicht genöthigt ein noch weit höheres Alter 
anzunehmen , und zu dem historischen Jahrtausend mindestens noch ein 
weiteres Jahrtausend hinzuzufügen ? Und ohne Zweifel wird diese Frage 
nur bejaht werden können. Dann aber frage ich nur noch, ob die 
bekannten und schon so viel besprochenen Worte des Taeitus : „ Arva 



1) Von Evereux nordlich hört die Dreifelderwirthschaft auf. 

2) In deik sAbnche König Waldmars heisst es: „It. in Ornunnae (anf See- 
land) posaunt seminari simul V marce annone , sed in tertio anno erit in pascna 
pecorum'^ Langebeck ]. c. VII. p. 527. S. auch Falck a. a. 0. 11. 778. 

3) Man muss dieses wenigstens aus den alten schwedischen Gesetzen scltlies- 
sen. ColUn et Schlyter , Cod. jur. Vestro gotic. p. 336. 

4) Erdmann, Beitr. zur Renntniss des Innern von Rassland II. H. 1. S. 46 
lind H. 2. S. 36. Weit zahlreichere Belege dafür findet man aber in den Stu- 
dien u. 8. w. von V. Haxthausen. 

5) V. Haxthausen a. a« 0. II. S. 31. 

6) Das. II. S. 15. Die Angabe mancher Schriftsteller, dass Karl d. G. die 
Dreifelderwirthschaft eingeführt habe, eine Angabe, für die sich auch nicht ein- 
mal ein scheinbarer Beleg anfuhren lässt, ist — man verzeihe mir das Wort — 
zu lächerlich , als dass sie einer Widerlegung bedürfte. 



68 

per annos mutant et superest ager" wohl auf etwas anderes bezogen 
werden können, als auf die Dreifelder wir thschaft? 

9) Die Feldgemeinschaft. 

Obwohl , wie man gesehen , jede Hufe aus einem unwandelbaren 
für immer festen Anüieile an Land besteht, so ist dieser Landtheil 
doch keineswegs als unbeschränktes Eigen zu betrachten, es zeigt 
sich vielmehr eine in mehrfacher Weise bestehende Beschränkung des 
Benutzungsrechts und zwar in einem solchen Grade , dass man in Be- 
zug auf dieselbe recht wohl von einer Feldgemeinschaft reden kann. 

Schon darin tritt eine solche Gemeinschaft hervor, dass wo die 
Ordnung der Gleichheit in einem oder mehreren Gewenden verscho- 
ben worden ist , diese von neuem nach den Grundsätzen der ursprüng- 
lichen Auftheilung wieder getheilt werden konnten*); doch in noch 
höherm Masse wird dieses in Bezug auf die Benutzung der Länder 
bemerkbar. Die Theilung der Fliu- im Einzelnen, sowie deren allge- 
meine Scheidung in drei Felder nach dem wechselnden Fruchtbau 
machte eine bestimmte gemeinsame Ordnung nothwendig. Es liegt 
nicht im Belieben des Einzelnen, wo er seine Sommer oder Winter- 
fmcht hinsäen will, er ist vielmehr an eine bestimmte Feldlage ge- 
bunden ; in der Zeit des Pflügens , des Säens und des Ehidtens hängt 
er von seinen Nachbarn ab , und was noch mehr als alles dieses den 
Charakter des Gemeinsamen ausspricht ist die Ruhe, welche für jedes 
der drei Felder im dritten Jahre wiederkehrt , imd die mit der Brache 
eintretende Verwandlung des Brachfeldes zm^ Hutefläche für die Ge- 
meindeheerden. 

Schon die altern Weisthümer bestimmen nicht selten, dass die 
Zeit der Emdte von den Vorstehern des Dorfes bestinlfhl werden solle. 
In einem schweizerischen vom Jahr 1536 heisst es in dieser Bezie- 
hung: „Der Aecker halb, so Korn, Hafer oder andere Früchte tra- 
gen, sollen die Dorfvierer zur Zeit der Erndte besichtigen und wie 
die Nothdurft fordert das Schneiden verbieten oder erlauben"*). Um 
die „ Straffelweide " — heisst es in einem andern Weisthume — sol- 



1) Ging bei den alten Britten von dcu Ländereien einer Tribus ein Th^il 
durch Naturereignisse verloren, so wurde das übrig gebliebene von neuem ver- 
theilt, um das frühere Verhältniss wieder herzustellen. Heidelberger Jahrbucher 
1831. 1. H. Ö.64. 

2) Grimm , Weisth. I. S. 132. 



63 

len die Bauern übereinkommen und was die Mehrzahl wolle , solle ge- 
schehen. Ebenso solle es von der Mehrzahl abhängen „ein Tnfang 
vff der Brach" zu machen"*). 

Leopold führt in seinem System der thüringischen Landwirth- 
schaft*) die althergebrachte Einigung seines Gebm^oils bei Nordhau- 
sen an;' „Von der Bestellzeit des Winter- und des -Sommerfelds an 
darf weder Vieh darin weiden , noch auch nur durchgetrieben wer- 
den; so lange die Früchte noch nicht aufgeschossen, ist das Gras- 
suchen noch gestattet , sobald die Frucht aber höher gewachsen , w^ird 
das Feld geschlossen, und sogar die durch das Feld führenden Rasen- 
wege werden gehegt. Nach der Aberndtung haben die Schweine 
und Gänse die Vorhute und dann erst kommen die Kuh- und Schaf- 
heerden. Vor Michaelis darf der Hute wegen Niemand sein Feld 
umpflügen , und zu Martini muss jeder mit der Bestellung des Winter- 
feldes fertig sein ; ebenso zu Johanni mit der Bestellung des Sommer- 
feldes. Endlich darf Niemand Sommerfriichte in's Winlerfeld oder Win- 
terfrüchte in's Sommerfeld bringen". 

Gleiches erzählt uns Professor Haussen ') von der nordfriesischeu 
, Insel Silt. Hier wurden ehemals alle Aecker eines Gewendes zu glei- 
cher Zeit bestellt und geemdet. Sobald die Bauerschaft den Beschluss 
gelassf diese oder jene Arbeit vorzunehmen , wurde an dem dazu be- 
stimmten Tage das Zeichen entweder mittelst der Glocke gegeben oder 
der Bauernvogt setzte seine rothe Mütze, das Zeichen seiner Amts- 
würde, auf und liess in's Hörn stossen. Auch schickte er statt des- 
sen wohl einen um ein Stäbchen gewickelten Zettel, den Thing- 
wall, von Haus zu Haus durch's Dorf. Dasselbe geschah bei dem 
Tüdern und Losmachen , dem Weiden und Einstallen des Viehes , bei 
dem Haidehacken und dem Mähen der Wiesen. So geschahen alle 
gleichartigen Arbeiten an ein und demselben Tage. 

Ebenso berichtet v. Haxthausea*), dass noch gegenwärtig in 
der Altmark Gemeinden sich fänden , in denen jeden Abend die Haus- 
väter beim Schulzen zusammen kämen, um zu berathen, was am 
nächsten Tage geschehen solle. Am Morgen sehe man dann zu glei- 



1) Schauberg, Schweizer. Rechtsquellen L S. 195. 

2) I. S. 25 f. 

3) Falck, Archiv für Geschichte, Statistik, Ruude der Verwaltung und Lan- 
desrechte der Herzogthümer Schleswig, Holstein u. Lauenburg. 4. Jahrg. S. 351. 

4) In seinem Werk eh en : Die ländliche Verfassung der Provinzen Ost- und 
VVestpreussen. S. 237 Anmerkg. 



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\~ — i 



64 

eher Stunde alle hinausziehen» nicht selten aufeinander harrend, da- 
mit dieses in geschlossener Ordnung geschehe, und zu gleicher 2eit 
sehe man sie auch wieder heimkehren. 

Das ist die wirkliche insbesondere in Deutschland von jeher 
üblich gewesene, schon durch die Natur der Verhältnisse bedingte, 
Feldgemeinschaft. 

Aber beinahe Alle, welche sich mit den gesellschaftlichen Zu- 
ständen der germanischen Zeit beschäftigt haben, nehmen eine Ge- 
meinsamkeit in einem weit höheren Grade an, nehmen an, dass gar 
kein Sondereigen bestanden, sondern der einzelne Acker alljährlich 
seinen Besitzer gewechselt habe. 

Fragt man nach den Gründen, auf welche diese Annahme ge- 
stützt wird , so liegen diese allein und einzig in dem , was uns Cäsar 
über den Ackerbau und die Lebensweise der Germanen und nament- 
lich der Sueven mittheilt. 

Cäsar sagt nämlich imd zwar mit bestimmter Hinweisung auf 
die Sueven*). „Der Stamm der Sueven* ist bei weitem der grösste 
und der am meisten kriegerische von allen Germanen. Sie haben, 
wie es heisst, hundert Gaue, aus jedem lassen sie alljährlich tausend 
Gerüstete ausziehen, um Krieg zu fuhren. Die übrigen, welche in 
der Heimath zurück bleiben, ernähren sich und jene. Diese stehen 
wiederum zur Abwechselung das nächste Jahr unter den Waffen, 
während jene zu Hause bleiben. Auf diese Weise ^^ird weder der 
Ackerbau, noch Kriegsgeschick und Uebung ausser Acht gelassen. 
Indessen haben sie kein Sondereigen und keine abgegränzten Lände- 
reien (sed privati ac separati agri apud eos nihil est), und es ist 
ihnen nicht gestaltet länger denn ein Jahi* zum Zwecke ihrer Be- 
bauungan ein und demselben Orte zu bleiben (neque longius anno 
remanere uno in loco incolendi causa licet). Auch bildet das Ge- 
treide keinen grossen Theil ihrer Nahrung, vielmehr besteht diese 
mehr aus Milch und Fleisch; auch üben sie häufig die Jagd". 

Und weiter*): „Um Ackerbau kümmern sie sich nicht, der 
grösste Theil ihrer Nahrung besteht in Milch , Käse und Fleisch. Auch 
hat keiner ein bestimmtes Mass Ackerland oder eigenen Grundbesitz 
(fines proprios), sondern die Obrigkeiten und Häuptlinge weisen im- 
mer auf ein Jahr den Stämmen und Gesippen (gentibus cognalioni- 



1) De bell. gall. IV. 1. 

2) Ibid. VI. 21. 



6» 

busque)» die sich zusammen getton haben, Land zum Ackerbau an, 
so viel und wo es ihnen gut dünkt, und zwingen 9ie da3 nächste 
Jahr anderswohin überzusiedeln. Dafür geben sie viele Gründe an, 
als: „damit sie nicht durch stete Gewohnheit befangen die Lust am 
Kriege mit dem Ackerbau vertauschten; damit sie nicht nach dem Er- 
vrerbe grossen Grundbesitzes trachteten und die Mächtigem die Nie- 
dern aus ihren Besitzungen verdrängten; damit sie nicht zum Schutze 
gegen Kälte und Hitze mit zu grosser Sorgfall baueten; damit keine 
Geldgier aufkomme, woraus Parteiung und Zwietracht erwachse; da- 
mit das niedere Volk in guter Stimmung ertialten werde, wenn jeder 
sähe, dass sein Besitz mit dem des Mächtigsten gleichstehe". 

Vor allem müssen wir mit diesen Schilderungen die des Tacitus 
nicht vermengen. Beide geben völlig verschiedene, man darf sogen, 
sich entgegenstehende Bilder. Tacitus gibt den Germanen allentlial- 
ben feste Ansitze, Cäsar hingegen beschreibt wenigstens den grossen 
suevischen Stamm ganz und gar als ein Volk von Nomaden* Wür- 
den wir die Angaben des Tacitus nicht kennen, so müsste man sich 
allenfalls , obwohl nicht ohne mancherlei Zweifel , bei den Bildern Cä- 
sar's beruhigen. Aber Tacitus schrieb nur 150 Jahre später als Cä- 
sar, und das ist ein viel zu enger Zeitraum , um ein Volk aus einem 
nomadischen in ein ackerbautreibendes umwandeln zu können. Zu 
einer solchen Verwandlung gehören viele Jahrhunderte und ein eiser- 
ner Drang von Nothwendigkeit. Wer aber von beiden am richtigsten 
schaute, wer am tiefsten das germanische Leben durchblickte, kann 
kaum einem Zweifel unterliegen. Je näher man Tacitus tritt , je tie- 
fer man auf seine Mittheilungen eingeht, um so mehr muss man über 
die Wahrheit seiner Auffassungen erstaunen , zumal wenn man bedenkt, 
Mde leicht in solchen Dingen ein hrtb^um ist Allerdings , auch Cäsar 
hat beobachtet, hat sich bemüht, die Sitten und das Leben der Ger- 
manen kennen zu lernen, aber sein Auge ist nur an den äussern 
Erscheinungen hängen geblieben und nicht tief genu^ eingedrungen. 
Es liegt darin kein Vorwurf einer Flüchtigkeit. Man vergegenwärtige 
sich nur den daiilftligen Römer mit seinen Begriffen vom Staat, vom 
Recht und von den bürgerlichen Einrichtungen , und dazu nehme man 
noch, dass er nicht etwa als schlichter Wanderer den Rhein über- 
schritt, um die Sitten und Einrichtungen des Volks zu studiren, son- 
dern dass ^r mit dem Schwerte in der Hand den Krieg in die deut- 
schen Gaue trug, also emen Zustand fand, in dem ohnehin schon 
alle Verhältnisse des Alltagslebens verschoben und verrückt sind. 

„Gerade das Offenste — sagt Ernst Moriz Arndt in seiner Ab- 
Land a a. Territorien. 5 



66 



i 



handlung über die FeldordnuDg; und den Ackerbau der alten Germanen *) 
— ist häufig das Verborgenste , das allgemein bekannt Scheinende das 
Unbekannteste , und dieses trifft wohl in keinem Dinge mehr zu als bei 
der verschiedenen Weise des Ackerbaues, des Besitzes und der Be- 
nutzung der Landgüter in den verschiedenen Ländern und Völkern**. 
Und er hat wahrlich Recht, denn noch heute schreiten Tausende und 
aber Tausende über die heimathlichen Fluren und ahnen nichts von 
den Gesetzen , nach welchen diese geordnet sind. Und das sollte ein 
Fremdling vermögen? Wahrhaftig, es liegt der Irrthum hierbei un- 
endlich näher , denn die Wahrheit. Betrachten wir nun aber die An- 
gaben Cäsar's genauer. Gleich im Eingang verwechselt er einen blos- 
sen Namen mit einer Thatsache. Er hält den Namen der Hundreden 
(centeni), die Bezeichnung der einzelnen Gebiete, für die Zahl der- 
selben; am Schlüsse gibt er aber das, was natürlicher Weise nur 
Folge einer solchen Lebensweise sein konnte, für die Ursache der- 
selben an. Er setzt dadurch an die Stelle des freien germanischen 
Gemeindelebens einen ebenso naturwidrigen als sklavischen Kommu- 
nismus:; denn anders liesse sich doch eine Einrichtung nicht denken, 
welche durch solche gewaltsame Mittel solche Zwecke verfolgte? 

Aber auch gegen die Wahrheit der cäsarischen Schilderung selbst 
erheben sich — abgesehen von allem andern — die gewichtigsten Be- 
denken. Schon ^mser Klima und die Ergiebigkeit des Bodens wür- 
den einer solchen Lebensweise gebieterisch entgegenti-eten. Nicht 
blos den Acker sollten sie jährlich gewechselt haben, sondern auch 
den Wohnsitz und das dazu noch in weite Ferne. Das hätte also 
nicht nur einen neuen Hüttenbau , sondern auch eine neue Anordnung 
des Feldes bedungen. Bedenkt man aber, welche Mühe und Arbeit 
und Zeit dazu gehört, einen noch rohen Boden auch nur bis zu einem, 
wenn auch nur geringen Ertrage zu bringen , so wird die Unmöglich- 
keit einleuchten. Ehe noch die Wohnung für die Familie, die Ställe 
für das Vieh, — denn während des Winters musste dasselbe doch 
unter Dach gebracht werden — ehe noch die Schoppen für das Win- 
terfutter aufgerichtet waren , wäre schon die Zeit für die Aussaat ver- 
strichen gewesen.' Nein! eine solche Lebensweise ist unter unserem 
Himmel nicht woW^jafiSiclKdie kann nur unter einer mildern Sonne 
un d auf fi inp.m fnichtharpjnBodeji.. .statt Jlodea.. wo zum Dache . ein 
leichtes Zelt genügt und das Feld kaum einer Bestellung bedarf. 

Aber noch eine Frage, die auch Arndt aufwirft, tritt bei der 



1) S. Schmidt, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft III. 234. 



67 

Schilderung Cäsafs uns entgegen; wovon hätte die Bevölkerung 
Deutschlands hei einem solchen Ackerbaue leben sollen? Weite, 
wäst liegende Strecken wären zu einer nomadenarligen Lebensweise 
erforderlich gewesen, und nur eine höchst dünn gesäete Bevölkerung 
hätte dabei bestehen können; das germanische Volk hätte in einem 
ähnlichen Zustande leben müssen, wie die Hirtenvölker nördlich des 
kaspischen und aralischen Meeres, oder wie im nördlichen Schweden 
und Norwegen, wo die Bevölkerung höchst spärlich zerstreut sich fin- 
det und der Reisende Tage lang wandert, ehe er wieder menschliche 
Hütten sieht. Dass es aber in Deutschland anders war, berichtet 
Cäsar selbst. Er meldet, dass die von den Sueven aus ihren Sitzen 
verdrängten Usipier und Tenkterer zu 200000 Menschen gegen ihn 
ausgezogen seien, und später soll Tiberius sogar 40000 Sigamber 
über den Rhein versetzt haben. Ueberall sehen wir Heere von vie- 
len Tausenden den Römern entgegentreten , und wenn Arndt annimmt, 
dass bei einem Anbaue, wie ihn Cäsar schildert, wohl höchstens 
3 — 400 auf der Geviertmeile gelebt' haben könnten , nach den mäch- 
tigen Heeren, welche die Deutschen aufstellten, aber jedenfalls 800 
bis 1000 auf einer Geviertmeile sich befunden haben müssen, so 
mag er nicht Unrecht haben. Es war jedenfalls schon eine Bevölke- 
rung vorhanden , welche zu ihrem Unterhalte mehr bedurfte , als eine 
solche Bodenkultur zu gewähren im Stande war. 

So wie Cäsar es schildert, war es gewiss nicht. Indessen ist es, 
wie ich wiederholen muss, für einen Fremden, welcher unter durch- 
aus andern Verhältnissen gelebt, sicher eine sehr schwierige Aufgabe, 
sich über derartige Zustände eine klare Anschauung zu verschaffen; 
es ist vielmehr kaum anders möglich, als dass bei einer allgemeinem 
Betrachtung der verschiedenen äussern Erscheinungen unseres länd- 
lichen Besitzes, bei der gleichzeitigen Bestellung des Feldes und der 
Gleichheit der Fruchtgattungen in derselben Lage , bei der vollen Ruhe 
eines ganzen Drittels des Feldes und der gemeinsamen Behütung des- 
selben, und endlich bei der wü'klichen Gemeinheit der Mark der Gedanke 
sich aufdrängen muss , es sei hier nirgends ein Sondereigen vorhanden. 

Wäre jemals eine solche sich stets wiederholende Theilung des 

Bodens bei den Deutschen und den übrigen germanischen Völkern an 

Uebung gewesen, so hätten sich nothweüdig noch Spuren davon in 

der spätem Zeit erhalten müssen, aber weder bei Tacitus, noch in 

den alten Volksgesetzen , imd ebensowenig in den Urkunden lässt sich 

auch nur eine Thatsache dafür mit Sicherheit auffinden. Alle diese 

Quellen zeugen vielmehr entschieden für einen festen Besitz und selbst 

5* 



66 

die Hafenordiiuug , namentlich die festa und unwandelbai'e Zahl der 
Hufen ; spricht entschieden dafür. Bei einer ' in solcher Weise fort- 
gesetzten Theilung^ hätte sich nie und nimmer jenes Nornialmass für 
die Hufe bilden können, welches sich trotz allen Wechseln in der 
Grösse als etwas UrsprüngUches zeigt. Was man gewöhnlich für 
diese sog. Gemeinschaft anführt, ist nicht hierher gehörig, es bezieht 
sich dieses vielmehr nur auf die Nutzung von Gemeindegütem. 

Um zu beweisen, dass noch jetzt manche Gegenden ein Son* 
dereigenthum entbehren, hat man schon mehr auf jene allerdings 
merkwürdige Erscheinung verwiesen , welche sich am Himdsrücke» in 
einigen Bürgermeistereien der Kreise Ottweiler und Saarlouis, fast im 
ganzen Kreise Mertzig und den daran stossenden Gegenden findet. 
Hier besteht nämlich eine unzerlheilte Gemeinschaft des Grundeigen- 
thums, welche nicht allein auf Wald, Weide und Wiesen, sondern 
auch auf die Aecker und an einigen Orten sogar auf die Gärten sicli 
erstreckt. Alle Grundstücke bleiben einem beständigen Uebergange 
aus einer Hand in die andere, und zwar durch das Loos, unterwor- 
fen. Die Verloosung der Grundstücke , welche erbschaftliches Gut ge- 
nannt werden , geschieht nach der Bewirthschaftungsweise der verschie- 
denen Dörfer auf 3, 4, 9, 12, 14 und 18 Jahre. Jeder kann nach 
Belieben seinen Anlheil sowohl ganz als in bestimmten Theüen ver- 
äussem oder verpfänden, ohne dass er im Stande ist, das Grundstück, 
über welches er verfügt, nachzuweisen, denn während er das eine Jahr 
im Thale baut, baut er das nächste Jahr wohl eine Stun<]le entfernt 
davon auf dem Berge. Die ideellen Theile eines Looses nennt man 
nach ihrer Grösse Pflüge, Viertel und Zolle; ein Pflug hat nämlich 
4 Viertel, ein Viertel 48 Zolle. Da indess kein geringerer Theil als 
Va Pflug zur Verloosung kommt, so haben die^, welche weniger be- 
sitzen , ihre Zolle zusammenzulegen und das ihnen bei der Verloosung* 
Zufallende unter sich zu vertheilen. Eine Folge dieses Verfahrens ist 
denn auch, dass mit einem neuen Besitzer auch die Form und 
Grösse der Aecker sich ändert, indem jeder, der mehr oder weniger 
Zölle als sein Vorgänger hat, darnach seinen Acker einrichtete). 

Indessen ist dieses doch nur eine vereinzelte Thatsaehe, deren 
Urspung auf ganz besondern Umständen benihen mag, eine Aus- 
nahme die, wie auch Waitz bemerkt, der grossen allgemeinen 
Regel gegenüber nichts beweist. Möglich, dass es urbar gemach- 



1) Schwer?, Beiträge zwr Renntniss der Landvirtliscbaft hi den Gcbingsge- 
gcmlen des Hundsrückens , im 27. Bd. der Moglijier Annalen. S. 28 — 34. 



- 1) Schmidt d« a. 0. S. 252. 
* %) Nebenstundea S. 282. 
^ 3) Gesch. von Böhmen I. S. 169 f. 

4) In seiner Darstellung der Erbfolgerechte der Slaven, nach Röppel, Gesch. 
Polens S. 84. 

•5) In seinen „Studieh nbcr die innöm Zustande, das Volksleben und ins- 
besondere die ländlichen Einrichtungen Russlands I, Tbl. S. 124 f, u. III. S. 125. 



f 



m 

ies Wildland^ ist Dasselbe ist der Fall mit dem was Arndt ') von 
der jährlich neuen Vertheilung der Aecker slu Traiitow erzählt . und 
an einem andern Orte «) aus Schottland mittheilt : ,, Es . waren aber 
in Schottland meistens nur die Gränzer, welche einen ähnlichen 
Brauch hatten: Sie, erzählte manims, hatten ein gemeinschaftliches 
Feld, worin man den verschiedenen Besitzern in den verschiedenen 
Jahren, nach der Natur ihrer Ernten, versclüedene Streifen Land 
anwies '^ Smallholm in semer statistischen Beschreibung von Rox- 
burgh erzählt : „ Diese Gegend zu beiden Seiten der Twend war vor- 
mals der kriegerische Theil des Landes und den Einfällen der Englän- 
der ausgesetzt ; die Ländereien lagen daher alle ruiirig (von „ run " lau- i 
fen , und „ridge" eine Reihe , ein Streifen), damit , wenn der Feind käme, [ 
die ganze dabei betheiligte Nachbarschaft gegen ihn zu den Waffen griffe'^ 

Aber alles dieses ist — wie gesagt — nicht ausreichend , um 
einen genügenden Beweis für eine auch bei den Deutschen übliche 
Feldgemeinschaft in der Ausdehnung anzunehmen , wie dieses gewöhn- 
lich geschieht, und noch weniger ist darin eine Uebereinsümmung mit 
dem Bilde zu finden, wie dasselbe Cäsar gibt. 

Dagegen zeigt sich allerdings bei den slavischen Stämmen eine 
Gemeinschaft in jenem ausgedehnteren Sinne. Nach Palacky») hat 
sich in Böhmen der Gebrauch des ungetheilten Familien - Besitzes bis 
in's sechszehnte /Jahrhundert erhalten. Der Staressina (der Aelteste) 
verwaltete das Vermögen des Hauses in umfassendstei" Weise. Eben- 
so ervält Hube*) von einem freien Dorfe in der Woiwodschaft Seudo- 
mir, in welchem die gemeinschaftliche Feldilur nach Anordnung des 
Schulzen (Woyts) gemeinschaftlich bestellt und die Früchte getheiU 
würden. Und noch heute besteht nach v. Haxthausen*) eine solche 
Gemeinschaft als Regel in den russischen Dörfern : >, Als Prmcip — 
sagt er — gut, dass die ganze Bevöfterung einer Dorfgemeinde als 
eine Einheit angesehen wird» der die ganze Feldmark von Aeckem, 
WiesjBn , Wpiden , Waldungen , Bächen , Deichen u. s. w. angehörig^ 
sei. Jede männliche lebende Seele nun hat einen Anspruch auf ganz, 
gleichen Antheil an allen Nutzungen des Grunds und Bodens. Die- 



70 

ser Antheil ist demnach dem Prinzip nach stets wechselnd, denn 
jeder, aus einer Familie der Gemeindegenossen neiig:eborne Knabe 
tritt mit einem neuen Rechte hinzu, und fordert seinen Antheil, da- 
gegen fällt aber auch der Antheil eines Verstorbenen in die Gemeinde 
zurück. Die Waldungen und Waiden, Jagd und Fischerei bleiben 
ungetheilt, und jeder nimmt mit gleichem Rechte an ihren Nutzungen 
Antheil. Aecker und Wiesen werden aber wirklich unter alle männ- 
liche Köpfe gleichmässig vertheilt". 

Die Vertheilung geschieht nun ganz so wie man sie im gröss- 
ten Theile des westlichen Europas findet. „In jeder Gemeinde gibt 
es gewandte Agrimensoren , die traditionell ausgebildet, das Geschäft 
mit Einsicht und zur Zufriedenheit Aller ausführen. Zuerst wird die 
Feldmark nach der entfernten und nahen Lage, nach der Güte oder 
Schlechtigkeit des Bodens, oder nach vorhergegangener vollständiger 
Bonitirung in Wannen abgetheilt, so dass jede Wanne einen einiger- 
massen in jenen Beziehungen homogenen Bestandtheil bildet. Dann 
wird jede Wanne in so viel Antheile in lange Streifen abgetheilt, 
als Antheilnehraer in den Gemeinden sind, und sodann unter diese 
vefloöset^. Dies ist das Allgemeine, aber in jeder Gegend, oft in 
einzelnen Gemeinden, haben sich Lokalgebräuche, Abweichungen und 
besondere Arten festgestellt". — „Im Gouvernement Jaroslow z.B. 
existiren in vielen Gemeinden eigene, fast heilig gehaltene Vermessungs- 
stäbe. Die Länge derselbe korrespondirt mit der verschiedenen Güte und 
Öualttät des Bodens der Feldmark, so dass z. B. der Vermessungsstab 
für das beste Land, auch der kürzeste ist, der für etwas minder gutes, 
auch etwas länger, und sofort der für ganz schlechtes, der längste. Hier 
sind die sämmtlichen Landstriche daher von ganz verschiedener Grösse, 
aber eben dadurch in ihrem Werthe ausgeglichen und völlig gleich". 

Dasselbe findet sich sowohl bei den in Russland vorhandenen 
freien Gemeinden, wozu namentlich alle Kosackengemeinden gehören, 
als auch bei den Krön- und den leibeigenen Gemeinden. Nur die 
statt auf Obrok (Geldabgaben) auf Frohnden gesetzten Dörfer machen 
iji sofern eine Ausnähme hiervon, als der Grundherr einen Theil der 
Feldmark, bald Vs, bald V4» für sich genommen hat, welchen die 
Bauern für ihn bestellen müssen, und die Theilung des übrige» Bo- 
dens nicht nach Kopfzahl, sondern nach der Zahl der zur Fröhnde 



1) Bei dem Vertheilen und Ausloosen ist in der Regel die ganze Gemeinde 
mit Weiber und Kinder versammelt , es herrscht aber die grösste Ordnung «nd 
Stille. 



71 

lüchügen Häupter erfolgt , oder mit andern Worten , die Theilung er- 
folgt nach dem Taiglos, ein Wort, dessen Bedeutung zwischen Ehe- 
paar und Familie steht. 

Nur in grössern Zeiträumen finden in Russland allgemeine 
Volkszählungen statt, welche Revisionen genannt werden. Seit Peter I., 
also seit etwa 130 Jahren, geschahen deren acht. Für diese Revi- 
sionsjahre ist zugleich auch eine neue Lan(|theilung vorgeschriehen; 
Ohne dieses Gebot würde der Bauer die Theilung nicht vornehmen, 
welche er ohnehin die schwarze oder böse Theilung nennt. 

Deshalb kommt die Erneuerung dieser Theilung wohl auch nirgends 
mehr mit voller Konsequenz in Ausführung, und es treten nach den 
verschiedenen Gegenden gar mannichfache Veränderungen ein. Wenn 
nicht im ganzen Gouvernement Jaroslow, dann doch in vielen Thei- 
len des^lben wird auf folgende Wdse verfahren *) : „ Zuerst wird von 
den Agrimensoren der Gemeinden die Feldmark vermessen , bonitirt, 
und jede Wanne in eine Anzahl Streifen getheilt. Es werden bei 
Krongemeinden ungefähr die Zahl der (männlichen) Revisionsseelen, 
oder bei Apanage- oder Privatgemeinden die Zahl der Taiglos im 
Auge behalten , doch des möglichen Zuwachses halber einige hinzuge- 
setzt und mehr gezählt, was dann eine Reserve für die Gemeinde 
bildet. Auch werdeu'tfie ganz unregelmässigen Figuren , welche sich 
durch Wege, Gräben, Ufer u. s. w. bilden, und etwas schwierig zu 
vennessen sind, so eingetheilt, dass nur regelmässige Figuren zur 
Vertheilung herausgeschnitten, und die auf solche Weise übrigblei- 
benden Streifen, Enden, Ecken u. s. w. ebenfalls videder zu dem Re- 
servefonds und zur Ausgleichung bei vorkommenden Beschwerden 
geschlagen werden ; man nennt diese Reste die Zapoloski. Nun wird 
jedem sein durch das Loos ihm zugefallener Theil überwiesen, jene 
Reserve aber entweder von der Gemeinde verpachtet oder sonst benutzt. 
Wird nun später ein Knabe geboren , oder bildet sich ein neues Taiglos, 
so wird ihm aus dem Reservefonds ein neuer Antheil ausgemittelt imd 
zugewiesen. ' Stirbt Jemand , so fällt dessen Antheil an den Reservefonds 
zurück , doch wird so viel thunlich darauf gesehen , dass z. B. der Theil, 
der dem verstorbenen Vater gehört hat, dem Sohne wieder überwiesen 
wird , so dass die vorhandenen Ackerwirthschaften möglich wehig in 
yarem Bestände alterirt und gestört werden. Sogar bei daPdeutschen 
kolomsten im Gouvernement Saratow hat diese Theilungsweise Eingang 



1) y. Haxthausen a. a. 0. S. 131 



7« 

gBrunden, obwohl dieselbe anfUnglich ihre Fluren nach ihrer vater- 
ländischen Weise angelegt hatten". 

Nach V. Haxlhausen*) gründe sich diese Tlieilung nach Köpfen, 
bei den Slaven auf' das urspi-üngliche Prinzip des ungetheilten Fa- 
milien - Gesammt - Besitzes und der alleinigen Theilung ' der Nutzun- 
gen, welches sich bei allen slavischen Völkern finde und wahrschein- 
lich noch in Serbien, Kroatien, Slavonien u. s. w. bestehe, wo hin 
und wieder nicht einmal eine jährliche Theilung, sondern die Bestel- 
lung durch die gesammte Gemeinde unter Leitung „ihrer Alten** ge- 
schehe und erst die Erndte getheilt* werde. 

Die Kosaken des Urals sollen in jener Weise eine einzige grosse 
Gemeinde bilden*). In* Bezug auf Serbien bestätigt jene Angabe 
auch Robert'), v. Haxthausen *) versichert, in Russland nur einige 
kleine Dörfer bei Wologdft gefunden zu haben, wo die gevPöhnliche 
russische Theilung nicht war, tmd dasselbe sei der Fall bei den 
Tscheremissen , einem finnischen Volksstamme, unfern Kasan, dessen 
Dörfer östlich der Wolga im Inliem des Landes liegen, sowie bei 
den Tschuwaschen, einem tartarischen Stamme derselben Gegend*). 
Auch in Podolien findet sich diese Theilung nicht, sondern fester Gmnd- 
besitz'). 

Dass nun aber eine ähnliche wie jene flavische Landtheilung 
der jetzt in Deutschland bestehenden vorausgegangen und diese sich 
aus jener herausgebildet habe, wird Niemand zu behaupteji vermögen, 
welcher das Wesen unserer Hufen mit Klarheit aufgefasst hat. Beide 
sind durchweg verschieden. Schon der Umstand, dass sich nirgends 
eine Spur von einem solchen Zustande der Gemeinschaft erhalten, 
muss bei der ausserordentlichen Zähigkeit, welche sich in allen der- 
artigen Verhältnissen kund gibt, dagegen zeugen;, aber mehr noch als 
dieses widerstireltet die Unmöglichkeit jenes russische Landmass mit 
der deutschen Hufe zu vereinigen. Denn während die Grösse jenes , je 
nach der Zahl der Theilhaber, nothwendig bald grösser bald geringer 
ausfallen muss, hat die deutsche Hufe dagegen ein festes, oft sogar 
künstliches Notmalmass. Aber auch abgesehen hiervon, so würden 



1) I 10 

2) Das. III. S. 157 f. 

3) Die Slaven der Türkei, übersetzt vou Ferodawitsch 1. S. 54 f. 

4) I. 240. 

5) I. 458. 

6) II. 472. 



73 

doch auch diese slavischen Gemeinfluren in keiner Weise in der Schil- 
derung Cäsar's gefunden werden können; denn was darin vor allem 
hervortritt, der Wechsel des Ansitzes, ist doch auch da nicht yor- 
banden, viehnehr bleiben auch bei diesen Slaven das Dorf wie die 
Flur immer dieselben. Sah Cäsar wirklich seiner Schilderung ent- 
sprechende Zustande , sö können dieses keine andern als nur ausser- 
gewöhnliche gewesen seyn*). 

10) Die Anlage des Dorfes« 

Betrachtet man die Durfer und ihre Fluren genauer, so lüsst 
sich noch jetzt klar und deutlich erkennen, auf welche Weise mau 
bei der Anlage derselben zu Werke gegangen ist. 

Sobald eine Anzahl von Familien zur Gründung eines Dorfes 
(villa, vicus) sich vereinigt und den Ort zu dessen Anlegung aus- 
gewählt hatte, war ihr erstes Geschäft, sich darüber zu verständi- 
gen, welche Art von Theilung des Feldes sie erwählen wollten, in- 
dem hiernach die Folge der Arbeiten sich bestimmte. Ich nehme 
an , dass man die oben S, 32. beschriebene Hufe erwählte i^nd zwar 
nait der Besonderheit, dass die Hofreithen als selbstständige Ganze 
ausser den Hufen aufgetheilt wurden. Man bestimmte in diesem 
Falle zuerst den Raum, auf welchem man die Gehöfte des Dorfes 
aufrichten wollte, wobei zunächst die Nähe eines fliessenden ^Was- 
sers, wenn auch nur einer Quelle, in Berücksichtigung kam. Es 
folgte dann die Absteckung der Hofreithen, einschliesslich der dazu 
gehörigen Gärten. Möglich, dass oft auch eine Absteckung der Ge- 
meindeplätze und der Dorfwege vorausging, doch ergaben sich diese 
auch schon dadurch von selbst, dass man die Hofreithen nicht an 
einander legte, sondern stets offene Räume zwischen ihnen liegen 
Hess. War man hierrnit zu Ende , so wurde der Boden für die Wie- 
sen bestimmt und abgeschlossen. So kam man endlich an*s Feld. 
Nachdem die Ausdehnung desselben nach den Verhältnissen der 
ausgelegten Hofreithen bestimmt worden, und man die Wege, wel- 
che durch dasselbe führen sollten, nach Massgabe der Lage des 
Dorfes bezeichnet hatte, musste jeder andern Arbeit eine Untersu- 
chung des Bodens, eine Bonitirung, vorausgehen. Die Grundsätze, 
ijach welchen diese Bonitirung ausgeführt Mnirde, waren sicher lo 
ältester Zeit sehr einfacher Natur. Man schied den Lehm-, Sand-, 
Thon-, Kalk-Bodpn u. s.w. in grosse Vierecke, und berücksichtigte 



1) So auch Waitz a. a. 0. 1. S. 20. 



74 

» 

in Gebirgsgegenden dabei nur noch die Lage gegen die Sonne oder, 
wie noch heute der Bauer sagt, die Sommer- und Winterseite. 
Nachdem so die verschiedenen Bodenarten in einzelne Gewende ge- 
lheilt , theilte man jedes derselben in eben so viele Ackerstreifen, als 
Hofreithen ausgelegt worden waren. Reichte ein Gewende nicht aus, 
so gab man zur Ausgleichung einem andern Gewende in demselben 
Verhältnisse mehr Ackerstreifen; ähnlich machte man es, wenn man 
etwa genöthigt gewesen war, in einem Gewende Boden von ver- 
schiedener Güte zu vereinigen. Auf dieselbe Weise wurden die Wiesen- 
gründe je nach Güte und Lage gewöhnlich in drei Klassen geschieden 
und in einzelne Stücke getheilt. Sobald dieses Alles vollbracht, wurde 
zur Verloosung geschritten. Zu diesem Zwecke versah man^ die 
ausgelegten Hofreithen mit fortlaufenden Zahlen, denen sich die Folge 
der Ackerstreifen eines jeden Gewendes und der Wiesentheile an- 
schloss, so dass derjenige, auf welchen das Loos die Hofreithe 
Nr. 1. brachte, den ersten Ackerstreifen in allen Gewenden, sowie 
auch den ersten Wiesentheil erhielt, und so ging es von Nummer 
zu Numiper, bis die ganze Zahl der aufgemessenen Hufen vertheill 
war. Der Beweis, dass wirklich auf diese Weise verfahren worden, 
liegt in der einfachen Thatsache , dass regelmässig jede Hufe densel- 
ben Ackerstreifen durch alle Gewende besitzt Erst jetzt, nachdem 
jeder der Niederlasser seinen Grund und Boden erhalten, wurde 
Hand an den Bau der Gehöfte und an die Urbarmachung des Feldes 
u. s. w. gelegt, was bei der angenommenen Hufenart allerdings ge- 
meinsam geschehen musste. 

Dass die Vertheilung der Urbarmachung wirklich vorausging, 
ergibt sich schon aus dem Umstände, dass man zahlreiche Falle 
findet, in welchen man noch vor jeder andern Arbeit^ die Zahl der 
anzulegenden Hufen feststellte *). So sehen wir 1254 ein anzu- 
legendes Dorf auf 24 Höfe*), so wie eine Stadt, welche ge- 
gründet werden soll, auf 300 im Walde anzurodende Hufen bestimmt 
werden'). Aber auch dafür finden sich in den Urkunden zahlreiche 
Belege, dass der Bau des Hofes mit dem Beginge der Urbarmachung 
geschah, und dass der Hof häufig schon stand, während das Feld 
nur erst zu einem Theile umgebrochen war. Ein Beispiel hiervon 
gibt die folgende Urkundenstelle: 



1) Schon oben sind mehrere Beispiele davon vorgekommen. 

2) Wenck a. a. 0. II. Ürkbch. S. 177. 

3) Das. ip, S. 175. 



75 

„Tradiderant etiam Liwicho et Wernbrecht in Walchesheimer 
marca unum mansum cum aedificio in ipsa silva constructo et XXX 
iurnales inter silvam et campos et de prato et de silva ad stir- 
pandum " *). 

Obwohl uns für Deutschland alle auf die erste Auftheilung un- 
mittelbar sich beziehenden historischen Nachweisungen fehlen , so ist 
deren Gang doch zu sehr an eine gewisse natürliche Folge gebun- 
den, als dass man über dieselbe in ernste Zweifel kommen könnte'). 

Jene in den alten dänischen und schwedischen Gesetzen ent- 
haltenen Bestimmungen, wonach die gegen Osten oder Süden lie- 
genden Höfe auch ihr Land bei der Theilung in derselben Gegend 
erhalten sollen, und ebenso dieses auch bei denen geschehen solle, 
welche auf der westlichen oder nördlichen Seite lägen'), haben kei- 
nenfalls die Bedeutung, welche Grimm und Haussen ihnen beilegen. 
Die Bezeichnung der Himmelsgegenden scheint nur beispielsweise zu 
geschehen, und die ganze Bestimmung sich* nur auf solche Hufen 
zu beziehen, welche aus einem Stücke bestehen, deren Höfe aber 
nicht auf diesen Hufen selbst, sondern gesondert als ein zusammen- 
gerücktes Dorf neben einander liegen. Da sollen nun, so verstehe 
ich es, die an einem Ende des Dorfes liegenden Hofreithen auch mit 
den nach dieser Richtung liegenden Hufen zusammengelegt werden. 
Man wollte damit nur im wirthschaftlichen Interesse vermeiden , dass 
ein z. B, am westlichen Ende liegender Hof nicht sein Land an der 
östlichen Gränze der Dorfflur liegen habe. 

Wie man sieht, betrachte ich die Dörfer als uralt, als seit der 
ersten festen Niederlassung vorhanden, und trete damit einer bei- 
nahe allgemein verbreiteten Ansicht entgegen. 

Gestützt sowohl auf die Angaben Cäsar's, als des Tacitus, 
haben vorzüglich viele der älteren Forscher angenommen, dass die 
Germanen zur Zeit der Römer noch auf einzelnen Höfen gewohsit 
und erst später in Dörfer sich zusammen gebaut hätten. Vor al- 
lem ist es die bekannte Schilderung der Wohnsitze der Deutschen, 
welche Tacitus im 16. Kapitel der Germania gibt, auf welche jene 



1) Tr. Lauresh Nr, 3708. Aehnliche Stellen finden sich oft. 

2) Nicht ohne Interesse in dieser Hinsicht sind die verschiedenen Instruk- 
tionen für die braunschweigische Landes - Vermessungs - Kommission yon 1755 
u. s. w., abgedr. in Gesenius , Meierrecht 11. Beilage h 

3) S. die Gesetzesstellen bei Grimm , Rcchtsalterthümer S. 539,^ 



• » 



78 

fassen. Das geschieht nameollich von Moser *) und Wenck ^, und 
in neuerer Zeil noch von Eichhorn*), doch weichen auch schon 
viele der neuem Geschichtsschreiber davon ab^ und erkennen in 
jener Schilderung bald mehr, bald minder unsere Dörfer^). 

Alle diejenigen, welche in ältester Zeit Hufe annehmen, wo 
jetzt Dorfer sind, und diese Dörfer erst aus einem Zusammenlegen 
der Höfe entstehen lassen, haben sich unmöglich darüber Rechen- 
schaft gegeben, auf welche Weise dieses hätte bewerkstelligt wer- 
den können. Man vergegenwärtige sich nur den Hof des West- 
phalen mit seinen Gebäuden, seiner Feldflur, seinen Wiesen, Hüten 
und Walduiigen. Und eine Anzahl solcher Höfe sollte man zusam- 
mengeworfen haben, um daraus ein neues Ganzes t^u formen, sollte 
die Gehöfte abgebrochen und zusammen gebaut, die meist einzeln, 
von den^n anderer Gehöfte getrennt und weit aus einander liegen- 
den Felder zu' einem geschlossenen Ganzen vereinigt, sollte endlich 
auch mit Wiese, Hute 'und Wald ebenso verfahren haben? Und zu 
welchem Zwecke hätte das Alles geschehen sollen? Gewiss, es 
muss Jedem sofort die Unmöglichkeit eines solchen Verfahrens 
einleuchten. Es wäre das die grösste und die umfassendste Revo- 
lution gewesen, welche je das menschliche Geschlecht erfahren, 
denn es würde keine so Alles lösend, so alle Banden zerreis- 
send, in das tiefste und innerste Leben des Volkes eingeschnitten 
haben. 

Aber die Worte des Tacitus beziehen sich, meiner Ansicht nach, 
auch gar nicht auf vereinzelte Höfe. Man hat gleich auf den 
Eingang der Schilderung: „Dass die Germanen keine Städte bewoh- 
nen, ist zur Genüge bekannt; sie leiden nicht einmal an dnander 
stossende Häuser. Gesondert und einzeln bauen sie , wie etwa eine 



1) Osnabrückische Geschichte l. S. 3. 

2) Hess. Landesgeschichte II. S. 105. 

3) Deutsche Staats- und Rechlsgeschichte. 4te Auft. Bd. I. S. 64. 

4) S ach SB e (Historische Grundlagen des detitschen Staats- und Rechtslebcns» 
S. 6) findet unbedingt unsere Dörfer darin; Weiske (Die Grundlagen der frü- 
hem Verfassung Deutschlands S. 2) nimmt zwar Dörfer an, rückt die einzelnen 
Häuser aber noch weit aus einander; auch Hermann Müller (Lex salica 
p. 160 ff.) erkennt unsere Dörfer darin , bezieht das „colunt discreti ac divcrsi" 
aber nicht auf die Anlage der Wohnungen, sondern der Dörfer, wahrend Waitz 
(Deutsche Verfassungsgeschichte I. S. 26 ff.) nicht abgeneigt ist, in diesen Wor- 
ten eine Schilderung der Einzelhöfe zft finden, welche Tacitus, aus zwei ver- 
6chi4;dea^^n Quellen schöpfend, in die der Dörfer eingcschoJ)en habe. 



♦ • 



77 

Qaelle, ein W«ld gefällt," eia zu grosses Gewkht gelegt, und nahm 
dieselbe, von dem Bilde des westphäliscbeo Anbaus erfüllt, in dem 
weitesten Sinne auf* Aber was heisst es denn anders, als: sie 
haben keine zusammenhangenden Strassen, es wählt sich vielmehr 
jeder seine Baustätte nach Willkür. Tacitus hat nur den Gegensatz 
mit der italischen Bauart im Auge, und hebt diesen Gegensatz in 
den darauf folgenden Worten : „Die Dörfer legen sie nicht nach un- 
serer (also nicht nach rönaiseher) Art an, wo die Gebäude mit ein- 
ander verbunden sind," noch schärfer hervor. Ja der diesen Wor- 
ten sich anfügende Schluss: .,^ sondern jeder umgibt sein Haus mit 
einem Räume, sei es nun, dass dieses um sich vor Feuersgefahr 
zu schützen oder aus Unkunde im Bauen geschieht (suam quisque 
domum spatio eircumdat, slve adversus casus igms remedium sive 
inscitia aedißcandi) ", auf den man bisher wenig Gewicht gelegt, 
würde, auf eine westphälisch^ Bauart angewendet, nicht einmal 
einen Verstand haben , denn gewiss würde es Niemand einfallen, die 
Vereinzelung jener Höfe durch solche Ursachen zu erklären. Es pas^t 
vielmehr jenes Bild von seinem Anfange bis zu seinem Ende noch 
heute auf unsere meisten Dörfer. Auch heute bilden unsere alten 
Dörfer noch keine Strassen, die Gehöfte liegen vielmehr ordnungslos 
durch einander xmd jecles wird durch einen Raum von den andern 
getrennt. 

Aber jeden etwa hierüber noch vorhandenen Zweifel löst voll- 
ständig unsere Feldflur. Auch wenn wir jene Schilderung nicht 
hätten, würde schon .allein die Hufen -Verfassung genügen, um uns 
davon zu überzeugen, dass diese Dörfer von jeher Dörfer gewesen. 
Die Feldflur mit ihren Hufen ist mit dem Dorfe entstanden , und tritt 
uns als ein festes, unveränderliches, für sich abgeschlossenes Gan- 
zes entgegen, es ist das ursprüngliche Bild der Dorfflur; alles was 
später hinzugekommen, liegt ausser ihr, es ist Rodland, und selbst 
wenn dieses, was nicht selten der Fall ist, auch in Hufen geordnet 
worden, so bildet dasselbe doch immer ein abgesondertes, ein für 
sfch abgeschlossenes Feld, welches ausser der alten Flur liegt. 

Wie die Dorfflur, so zeigt übrigens auch die Flur des einzelnen 
Hofes das alte und uranfängliche Bild. Beinahe durch das ganze alle 
Westphalen finden wir nur einzelne, oft Stunden weit von einander lie- 
gende Höfe. Um jeden Hof herum liegt das dazu gehörige Land, 
die Wiesen und Büsche. 

Damit wird zugleich auch noch eine andere Meinung beseitigt, 
wonach die Dörfer sich dergestalt gebildet hätten, dass zuerst nur 



78 

ein Hof bestanden > und dieser durch allmälige weitere Anbauten zu 
einem Dorfe erwachsen sei. 

Dass jene Regd auch ihre Ausnahmen hat , * will ich nicht in Ab- 
rede stellen. Auch bei uns lassen sich Dörfer nachweisen, welche 
aus Höfen entstanden sind, sowie auch Höfe, welche ursprüng^lich Dörfer 
waren. Noch heut zu Tage geschehen derartige Umwandlungen. 
Aber es sind dieses nur vereinzelte Thatsachen, welche auf dift-^ai^- 
gemeine Regel keinen störenden Einfluss haben. 

11) NichtdeutscheFeldfluren. 

Wenn ich es versuche, auch noch über ausser deutsche Hufen 
zu sprechen , so geschieht dieses nur , um die Beantwortung einiger 
Fragen vorzubereiten, welche ich später noch in's Auge zu fas- 
sen habe. Ich kann begreiflicher »Weise hier meistens nur Andeu- 
tungen geben, denn bei einem Gegenstande, welcher auf dem hei- 
mischen Boden schon so viele Schwierigkeiten bietet, lässt sich 
auf einem fremden natürlich noch weit weniger etwas Befriedigen- 
des leisten, und zwar um so weniger, als derselbe auch ausser 
Deutschland", mit einer Ausnahme, einer gründlichen Befrachtung 
noch nirgends unterworfen worden ist. Jene einzige Ausnahme 
macht die Flur in Dänemark , und ich betrachte diese deshalb auch 
zuerst. 

Die Feldflur in Dänemark. 

Die Hufe in Dänemark wird Boel oder Bohl genannt, und diese 
Bezeichnung ist auch in Nordfriesland die gewöhnliche *) und findet 
sich südlich bis zur Schlei. Im Lateinischen brauchte man dafür, 
gleich wie dieses auch anderwärts der Fall ist, mansus, mansio, 
aratnim etc. 

Bei der folgenden Schilderung der dänischen Hufe halte ich 
mich lediglich an die trefflichen Arbeiten SchlegeFs ') und Hanssen's*). 

Beide, vorzüglich aber der letztere, geben uns vollständig 
und in allen seinen Zügen das Bild wieder, welches die oben 
S. 32 beschriebene Flurart in Deutschland gewährt. Die Tofte 



«Mw*a 



1) Outzen, Glossarium der friesischen Sprache S. 29. 

2) Falck, Nenes Staatsbürger!. Magazin mit besonderer Rücksicht aufdieHer- 
zogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg II. S. 735 ff. 

3) Das. ÜI. S. 77 ff. u. VI. S. 1 ff. 



79 

(Hofreithen) liegen in einem Tnipp,^zu^„eiiAßjnLj2fii^^ und 

nächst demselben die Gaardsaetetofte , nämlich jene oben erwähnten 
Bünden. Die altern Gesetze bestimn^^ , dass bei verschiedener Bo- 
denbeschaffenheit die auf schlechtem Boden fallenden Tofte durch eine 
grössere Breite entschädigt werden sollen. Die Felder umschliessen 
das Dorf und siijd je nach der Beschaffenheit des Bodens in Gewende , " f ^ 
\ -^a^ gßi^s^nt, getheill, und Jedes dieser Gewende wieder in eben so 
viele Aecker (im jütischen Low Deele genannt) zerschnitten, als 
Tofte vorhanden sind, von denen stets einer als Anwänder dient, 
welchen das jütische Low Uphof nennt. War man indessen durch 
die Oertlichkeit genötlügt, Land von verschiedener Beschaffenheit in 
ein Aas zusammenzulegen, so wurde die mindere Qualität der be- 
treffenden Deele durch einen entsprechenden grössern Flächenraum 
ausgeglichen. 

Auch die Wiesen waren den Bohlen zugetheill, obwohl sich 
auch solche finden , welche alljährlich von Neuem verloost werden. 

Entstanden Gränzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Bohlen 
oder deren ßgi^lgn, so wurden, je nachdem es nöthig war, entweder 
die einzelnen Deele eines Gewendes, oder auch wohl ganze Feld- 
fluren von Neuem vermessen, wobei man sich des Reebmasses be- 
diente, einer Schnur, welche seit uralter Zeit im Gebrauche war*). 
Auf diese Weise ^vurden die Bohlen wieder ausgeglichen. War bei 
Streitigkeiten zwischen zwei Deelen die Berufung auf die Reebmessung 
schon vor der Aussaat erfolgt, so verlor der, welcher zuviel hatte, 
wenn er dennoch säete, die Aussaat; war die Berufung hingegen 
erst nach der Aussaat erfolgt , so durfte das Reeb erst nach der Erndte 
angelegt werden. Zunächst wurden die Tofte für sich gerecht und 
dann das Land und die Wiesen, und jedem das Seinige überwiesen. 
Ergab das Reebmass, dass einer auf fremdem Boden ein Gebäude 
gesetzt, und weigerte sich derselbe dieses wegzunehmen, so hatte der 
Eigenthümer des Bodens das Recht, sich vom besten Lande seines 
Gegners einen gleichen Theil , Reeb für Reeb , auszuwählen und sich 
zuzueignen. 

Auch die Geestdorfer Nordfrieslands haben diese Flur, ebenso »^^i^ 

die Insel Silt. Die Gewende werden hier jedoch W u n g e genannt*), ; ^ 
und häufig finden sich in gleicher Weise auch die Wiesen getheilt. 



^ 



1) Das Messungs- Geschäft nannte man Reebiiing, die Landmesser Rcebs- 

maend. 

2) Falck, Archiv für Geschichten, s. w. 4. Jahrg. S. 34L 



80 

Ein solches Wiesengewende, welches gleichzeitig gemäht werden 
mass, wird Laagh genannt, welches eine Gemeinschaft, eine Ge- 
sellschaft bezeichnet*); der eigentliche Wiesenacker aber heisst Eng 
oder Inge *). 

Obgleich sowohl Schlegel , als Hanssen nur von dieser Art reden 
und dieselbe als die allgemein durch Dänemark übliche ansehen, 
so wird man doch, sobald man die Natur des Bodens betrachtet, 
zu sehr bestimmten Zweifeln angeregt werden. Allerdings sind die 
gegenwärtigen Gestaltungen des dortigen Bodenbesitzes nur mit gros- 
ser Vorsicht derartigen Schlüssen zu Grunde zu legen, well hier 
seit dem vorigen Jahrhundert ausserordentlich zahlreiche Verkopplun- 
gen ausgeführt' worden sind. Aber Dänemark, Jütland und Nord- 
friesland haben an ihren Ufern, vorzüglich westlich, Marschboden, 
und auf solchem kann jene Hufenart nun einmal nicht zur Boden- 
Iheilung benutzt werden. Es müssen hier vielmehr jene Marschhufen 
sich finden, wie diese S. 24 beschrieben worden sind. Und diese 
finden sich denn auch, so weit der Marschboden reicht. Die von 
ihren Grundstücken umgebenen Gehöfte liegen zerstreut auf ihren 
künstlich aufgeworfenen Wurthen oder Warften, und das'Land bildet 
lange, schmale, in der Regel nur ein Ackerbeet haltende und nur 
24 — 30 Fuss breite Fennen, welche von 3 — 4 Fuss breiten Was- 
sergräbe n eingeschlossen werden ') , also ganz wie in Oslfriesland. 
Dahin gehört allem Anscheine nach auch das einen Theil der BöcUing- 
harde b ildende Risummoor. Dieses besteht aus vier Dörfern , welche 
eine nur selten unterbrochene Reihe von Häusern bilden, welche 
das Kornland des Moores, ein grosses Parallelogramm, rings um- 
schliessen % 

Auch im Innern des Landes müssen sich lange, aus einem Stücke 
gebildete Hufen finden. Jansen') erzählt wenigstens, dass die a^e- 
li£;ßnJ)£uj[fir,.in.. .Angeln lange Reihen von Häusern, biMeten, .und dass 
bei jedem Tofte (Hofreithe) die Hufe sich befinde.' 

Die Mitte des Landes zeigt uns dagegen mehr vereinzelte Ge- 
höfte ®) ; ähnlich wie in Westphalen , und ebenso ist es durch ganz 



1) Outzeu a. a. 0. S. 178. 

2) FaFck a. a. 0. S. 342 und Outzeii S. C2. 

3) Falck, Neues staatsbürg. Magazin ITI. S. 452 u.' 4G0. 

4) Falck a. a. 0. S 464. 

5) Angeln S. 68. 

6) Hanssen (bei Falck a. a. 0. IIl. S. 81) sagt zwar, es fäiulen sich Höfe 
nur an cfer Westseite von Jütluiid und auf der Insel Lossoe. 



81 

Jütland , ' so M^ie durch Fünen und Seeland. Meist liegen die Höfe 
einzeln, in der Mitte oder an der Seite ihrer Felder; oft sind 
auch einige zusammengerückt, doch selten mehr als sechs. Auf 
dem 14 Meilen langen Wege von Corsoer bis Kopenhagen begeg- 
net man nur einem Dorfe. Die meist weiss angestrichenen Kirchea 
mit ihren stumpfen Thürmen leuchten einsam auf den Höhen der 
wellenförmigen Fläche und zeigen sich nur selten als Vereinigungs- 
punkt gemeinsamer Niederlassungen. 

Ausser dem Bohllande findet sich in den Dorffluren noch Land, 
welches Ornum genannt wird. Es ist dieses besonders eingeheg- 
tes Land, welches, ausser der gemeinsamen Feldauftheilung liegend, 
im vollem Sinne Sondereigen war, und weil alle Lasten nur auf 
den Bohlen ruhten, eine Freiheit von allen diesen Pflichten genoss. 
Nach allem, -was Hanssen darüber mltlheilt, entspricht es völlig 
unserm Rodland , welches ebenwohl mit nichts weiter als einem Rod- 
zins belastet war. 

Bei der Vermehrung der Bevölkerung eines Dorfes wurden die 
Bohlen getheilt, und es entstanden dadurch halbe, viertel u. s. w. Boh- 
Jen. Diese Theilung führte dann auch zu einer Theilung ;der Tofle, so 
dass oft 4 — 6 Familien auf einem Tofle sich ansiedelten *). Indess 
theilte man auch wohl neue Tofte ab, welche man soorne — ge- 
schworene — Tofte nannte, weil es zur Vermeidung künftiger 
Streitigkeiten durch eine feierliche Handlung fiir Tofle erklärte 
ehemalige Aecker waren '). Es konnte sich auch ein Einwoh- 
ner ausser dem Dorfe auf seiner Bohle anbauen, er durfte dabei 
aber Niemanden beeinträchtigen und musste seine Fahr- und Tofls- 
wege von seiner eigenen Bohle nehmen *). 

Wurde ein Stück aus einer Bohle veräussert, welches man dann 
Stuf nannte, so blieb dasselbe doch in^ dem Verbände der Bohle, 
so dass nach aussen die Bohle keine Veränderung erlitt; alle auf der 
Bohle ruhenden Pflichten blieben auf der Gesammlheit lasten, und 
ebenso blieb auch der Hauptbesitzer der Bohle, nämlich der, wel- 
cher den Haustoft hatte, nach wie vor der allein Pflichtige'). 

Uebrigens waren auch in Dänemark die Hufen nicht von glei- 
cher Grösse, sondern es wechselte diese nach der Beschaffenheit des 

1) Falck a. a. 0. VI, 47 ff. 

2) Dass. VI. 16. 

3) Das. VI. 14 ff. 

4) Das. VI. 19. 

5) Das. VI. 30. u. 38 ff. 

Landau. TerrlUiieo. 



82 

Bodens '). Nach dem allen dänischen Feldmasse waren 24 Furchen 
(Bifihige) oder Rafften ') = 1 Morgen oder Acker , 2 Acker = 1 Fye- 
ringh, 16 Fyeringh = l Ölung, 4 Fjerding=l Bohle»). 

Die Feldflur in Schweden. 

Die schwedische Hufe heissl Manlal, d. i. Mannszahl, was 
unmöglich auf eine allgemeine Gleichheil der Grösse, sondern höch- 
stens auf eine Gleichheit der Hufen in derselben Feldflui- gedeutet wer- 
den kann, und selbst das kaum, indem auch eine Ausgleichung der 
Qualität durch die Quantität möglich ist DenMansus nennt der Schwede 
H e m m a n und H e 1 g a r d , doch werden auch diese beiden Bezeichnun- 
gen, ganz wie bei unsMansus, zugleich für Hufe undHofreiIhe gebraucht. 
Hinsichtlich der Grösse sowohl , als des Werthes herrsclit die mannich- 
feltigste Verschiedenheit, *) und allem Anscheine nach hat die Bildung 
der schwedischen Hufe viel Aehnlichkeit mit der in England. 

Die Feldflur in England. 

Die Hufe in England heisst Hide und Hivisc*). Li den 
lateinischen Urkunden werden dafür eine Reihe verschiedener Be- 
zeichnungen gebraucht: mansa, mansus, mansiuncula, mansio, manens, 
aratrum, carrucata, terra tributarii, auch cassatus und familia» Für 
den Hof selbst hat dagegen das Angelsächsische die Bezeichnung „haga" ®). 

Obgleich oft zwei und drei dieser verschiedenen Bezeichnungen 
in ein und derselben Urkunde neben einander vorkommen, woraus 
man auf eine verschiedene Bedeutung dieser Worte schliessen könnte. 



1) Da8. III, 91 U.S.W. 

2) Sowohl das angelsächsische r ä ft e r , als das englische raft er bezeichnen 
einen Balken oder Sparren. 

3) Falck a. a. 0. III. S. 92 ff. 

4) Forsell, Statistik von Schweden, übersetzt von Freese S.82, 97 n. 102. 

5) Kemble, Cod. dipl. Auglosax. V. nr. 1050. 

6) 811 : in Dorobernia infra moenia iirbis — duas — mansiones et dimidiam, 
qiiod Angli dicunt thriddahialf haga (ibid. V. nr. 102.); 996: octo mansarum 
portionem — — cum novem — — habitaculis , quae patriae lingua Hagan ap- 
pellari solent (ibid. III. nr. 696.) ; 996 : qnandam hospitii portionem iu praefata 
ciuitate sitam, quae patria liugua haga solet appcUari (ibid. VI. nr. 1291.); 
Ebenso übersetzt eine Urkunde des eilften Jahrhunderts „aenne hagan" durch ,)Unum 
curtem" (ibid. IV. nr.766). Hagen ist, ähnlich wie das nordische „gard** von 
der Umzäunung hergenommen. 



83 

so leigt sich doch bei einer näheren Betrachtung , dass dieselben alle 
in einem gleichen Sinne gebraucht werden. So heisst es 944 : „ bis 
denas naansas quod angüce dicitur twentig hida" *). UrkubdÄi von 
947, 955 und 958 nennen mansiuncula, und die denselben beigefügtq^i 
Gränzbeschreibungen bedienen sich dafür des Wortes Hida'). .Dasselbe 
ist der Fall mit manens ') und tributarius *). In einer Urkunde vjwi 
701 werden 45 cassati genannt und diese bei der speciellen Auffüh- 
rung sämmtlich als manentes bezeichnet*) ; eine andere Urk. von 934 nennt 
cassati und mansae, und beide in der angelsächsischen Ueberselzung 
hida "); eine dritte 19 cassati und weiter dieselben 19 mansi^); eine 
vierte von 683 braucht für dieselben Grundstücke sowohl tributarii 
als cassati,*) gleich wie eine von 737 naansae und manentes^)- Der- 
selbe Fall koninit auch mit mansiones und cassata vor *•). Die gleiche 
Bedeutung hat das das Wort Joclel*^) und Sulung ") ; das letztere war 



1) Ibid. II. nr. 398. Ebenso II. iir. 413. u. V. nr. 1159. 

2) Ibid. V. nr. 1155 u. 1170. VI. 1218. 

3) 824, V. ar. 1031 ; 825, V. nr. 1035 ; 980, IIL nr, 645. 

4) 725, V. nr. 1000 ; 990, III. nr. 673. 

5) Ibid. I. nr. 48. Ebenso 781, I. «r, 143 und 909, V. nr. 1093. 

6) Ibid. V. nr. 1010. 

7) Ibid. III. nr. 725. 

8) Ibid. V. nr. 992. 

9) Ibid. V. nr. 1002. 

10) Speimann 1. c. p. 127. 

11) Joe, juc, geoc ist im Angelsächsischen jugum, und jodet — pi^ediolum. 
(EttmüUer, Lexicon anglosaxon. p. 73 u. 430.) Wenp Leo (Reetiludines singu- 
larum personarum p. 105) die Stelle einer Urkunde von 812: „dimidia pars nntos 
mansiunculae i. e. an joclet*''(Remble I. nr. 199.) so versteht, als ob eine halbe 
mansiuncula = 1 joelet sei, so möchte er sich irren, denn letzteres soll augeu- 
dcheinlich' nur die einfache Erklärung des Wortes mansiuncula sein. Dasselbe ist 
der Fall, wenn er die Stelle in derselben Urk. „terrae parliuncula duorum manen- 
tium id est an sulung^', und die einer andern Urk. von 692, in welcher 20 cassati 
später 20 manentes genannt und für 44 manentes umgetauscht werden (Kemblc 
I. Nr. 33), so versteht, als ob 1 Sulung und 1 Cassatns = 2 manentes seien, wo- 
ranf auch schon Remble (the Saxons of Engl. 1. p. 92). aufmc)rksam macht. 

12) S. die SteUe in der vorhergehenden Anmerkung. In einer Urk. von 
1040 übersetzt die angelsächsische Gränzbeschreibung die Worte der lateinischen 
Ufkonde : „quandam ruris portiunculam*id est duorum cassatorum'^ durch „twegra 
suMngi'* (Kemble IV. nr. 7C9). Schon eine Urk. von 774 gibt dieses Wort: 
„aliquam partem terrae trium aratorum, quod Cantianice dicitur thre Sulinge" 
(ibid. I. nr. 122.). Auch in UrkJ von 962, 966, 998 ii. 1050 kommt dasselb« Wort 
vor (ibid. VI. Nr. 1242, II. nr. 518, III. nr. 700 u. IV. nr. 790). 

6* 



84 

vorzüglieh in Kent gebräuchlich ^), obwohl keineswegs ausschliesslich, 
denn es findet sich auch in einer Urkunde von Hantshire *). Das- 
, selbe bezeichnete eben nur wieder einen Pflug Landes (Sulh ss Pflug) *) 
und war gleichbedeutend mit Hide ^). 

Diese verschiedenen Bezeichnungen brauchte man je nachdem man 
entweder das Haus (mansa, mansio, manens, mansiuncula), die Besitz- 
weise (tributarius) oder das Bauland (aratrum, carrucata) als das Cha- 
rakteristische der Hide bezeichnen wollte, denn eben das letztere be- 
zeichnete, wie anderwärts, so auch in England eben nur so viel Land, 
als mit einem Pfluge bestellt werden konnte , webshalb Beda statt des- 
sen sich auch stets des Wortes familia bedient. Ja sogar in Urkunden 
kommt dasselbe in dieser Bedeutung vor. Im J. 749 heisst es in einer 
solchen : „ de terra -r— — ahquantulam portionem , iuxta mensuram 
sciücet Vn familiarum" , und diese 7 werden bei der einzelnen Aufzäh- 
lung mansae genannt«). 

Um zu ermitteln , wie gross die englische Hide sei , hat Kemble *) 
eine weitläufige Untersuchung angestellt und glaubt nach mühsamen Be- 
rechnungen eine gleiche Grösse durch ganz England und zwar zu 30 — 33 
Acres annehmen zu müssen. Indessen hat er diese Untersuchung auf eine 
Äi trügerische Grundlage gebaut , als dass man seinen Resultaten Ver- 
trauen schenken dürfte. 

Dass die Hide wirklich als ein bestimmtes Mass galt, geht aus 
mehreren Urkunden hervor, in welchen bestimmte Stücke Land darnach 
geschätzt werden ^), und zwar so , dass sogar das plus oder minus in 



1) Deshalb heisst es auch in einer Urk. von 90ö: „qnandatn ruris portionem 
— « sex quidem mausas, qnas Cantuarii syx Sulunga nominare solent^' (ibid. III. 
nr. 688), sowie in einer andern von 698: „quoddam ruris — tcrritorium , cuias 
circuitus ambitum et distributionis funiculnm patria dimensioue syx Sulunga pro- 
uinciales solent appellare et utilitatem siluarum ad eandem tenam pertinentiam*^ 
(ibid III. nr. 700.) 

2) XX Swiiluncga (ibid. I. nr. 226). 

3) EttmuUer 1. c. p. 050. 

4) „manerinm ^ Septem swulingarum, id est hidarum'S Speimann, Glossar, 
p. 530. 

5) Kemble 1. c. V. nr. 1007. 

6) Tbe Saxons of Ettgl. 

^) 758: aKquam terrae portionem quasi XXX manentium habentem 
(ibid. I. nr. 103) ; 953 : ruris particulam sub aestimatione XXXllI cassatorum Obid. 
V. nr. 1169); 824: terra illa ex utraque parte flumiois iuxta aestimatiönem 
incolanim modum XXII manentium (ibid. V. nr. 1031); 047: magnitudo autem 
illius* terrae , iuxta aestimatiönem circa eundem locuni degentlum, tanta esse a»- 
seritur quanlum bis quinas mansarum spacium, aequa dimeusione censurae tra- 



85 

Massen angegeben wird^; aber daneben finden sich auch wieder an* 
dere Urkunden, in denen Mansa unzweifelhaft nur die Wohnung be- 
zeichnet und dieHiden nur als deren Zubehörungen aufgeführt werden'). 
Es geht hieraus jedenfalls hervor, dass die Bezeichnungen mansa etc. 
zwar häufig als identisch mit Hide , dann aber auch wieder in ihrem 
jedenfalls ursprünglichen engem Sinne , nämlich als Wohnung gebraucht 
werden, od^r: jene Bezeichnungen deuten das eine Mal ein gewisses Mass, 
das andere Mal ein demselben etwa entsprechendes Gut an. Wir 
können also unmöglich in jeder Mansa etc. denselben Grundbesitz 
wieder finden wollen, nicht einmal nominell. . 

Wahrscheinlich wurde schon frühe ein durch ganz England glei- 
ches Mass für die Hide bestimmt . Man muss dieses daraus schhessen, 
dass König Wilhelm 1033 durch alle Grafschaften mittelst beeidigter 
Leute feststellen liess, wie viele Acker die Hide in jedem Dorfe habe*). 
Da dieses jedenfalls zum Zwecke der Besteuenmg geschah, so bediente 
man sich sicher eines gleichen Masses bei dieser Ermittlung. Dadurcli 
wurde nun aber der Einzelbesitz nicht geändert, und die grössere oder 
kleinere Hide büeb dasselbe , was sie gewesea» mid erlüelt nur in jener 



tiuaiionis fore cernitiir (ibJd. V. Nr. 1156); 953: ruris parliculam ȟb aestim.v 
tione XXXIIl cassatorum (ibid. V. 1168); 958: aliquantulam ruris partem qua- 
terdenis (14) aestimatam mansiunculis, necnon et qudraginta jai^eribas (ibid. Vf. 
1218) ; 972: ruris quandam particnlam, denis ab accolis aestimatam maimiunctt- 
lis (ibid. 111. nr. 573, ähnlich nr. 1169 u. 1170) u. 948: magm.tado autem il- 
lius terrae iaxta aestimationem circa eniidem locum degentium tanta esse asseritar 
quantum bis quinas mansarum spatium aequa dimeusione fore cernitur (ibid. 
V. Nr. 1164). 

1) 963 : „quandam telluris particulam id est unam mansam excepta diinidiam 
pertica'^ und „quandam telluris particulam X nidelicet mansas cum XII 
agrorum quanütate** (ibid. VI. nr. 1244 u. 1267); 977: II. hida — buton I>3C 
aecran (ibid. 111. nr.612); 982: ruris quandam — portionem — tres nidelicet man- 
sas ac XXX jugerum dimensionem (ibid. ill. nr. 633). 

2) 975: „quandam telluris particulam Vque uidelicet mansas cum quindecim 
hydis et quindecim carucis terrae, cum XVlIl seruis et XVI uillanis et X l)ordis, cum 
sexaginta acris prati, et pastnra unius lenci et dimidii longitudine et dimidü lence 
Iatitudine*^ (Kemble 1. c. III nr. 578) Hier werden Hide und Pflug allerdings auf eine 
Weise näben einandergestellt , dass nsan dieselben als zwei verschiedene Dinge 
betrachten musste, stände dieses Beispiel nicht ganz vereinzelt. 1046 : „quandam 
telluris particulam nidelicet 111 mansas et quatnor hidas terre cum Septem uilla- 
nis et Septem bord. Cum uno nfblendino et XV solid, in loco ubi a ruricolis Bran 
desburi et Forde nuuoupatur (ibid. VI. nr. 1335). 

a) Hcnschel 1, c. I, 141. IH. p. 668. 



86 

Beziehung^ eine andere Schätzung. Schon die oben angeführten Bei- 
spiele weisen darauf hin. 

Dass die Hiden je nach den Gegenden von einem verschiedenen räum- 
lichen Umfange waren, kann unmöglich in Abrede gestellt werden, da 
zu bestimmte Zeugnisse dafür sinrechen« So findet man in der Graf- 
schaft Winchester 966 die Hide von 30 Acres,*) and auch eine Urkunde 
von 977 nennt uns denselben Betrag •). Dagegen nennt eine andere 
Urkunde ein Land von „Xül mansas acXXXjugerum dimensionem" ») und 
wiederum eine andere 14^Hiden und 40 Acker ^. In beiden Füllen 
musste die Hide also mehr Acker haben, als hier genannt wei-den. 
Eine Urkunde von c. 958 , welche eine Reihe von Ländereien in den 
Grafschaften Kent, Suffolk, Essex, Hutingdon u. s. w. aufzählt, be- 
stimmt am Schlüsse die Hide zu 120 acres f). König Eduard IL zählt 
100 Acres, und König Richard 60 acres ^ur Hide*). 

Die Hide hatte verschiedene Unterabiheilungen, Die, welche 
I60acres enthielt, Iheiltemanin 4 virgatae, die virgata (40ac.)in 
4 ferlingataeoder f erdeile, 1 ferlingata aber waren 10 acres. 
Eine halbe Hide nannte man Wiste, obwohl diese Bezeichnung auch für 
virgata gebraucht wird. Je nach der Ackerzahl der Hide wechselte 
natürlich auch die Grösse der einzelnen Theile. 

Der Acker (acra), der in den lateinisehen Urkunden stets jugeniin 
genannt wird,'') war gleichfalls von verechiedener Grösse. Gewöhn- 
lich wird diese zu 160 D Ruthen (pertica, rood) angegeben; 40 Ruthen 
gaben eine quarentena, welche man auchRodaundFardingdeale 
t>der Farundel nannte; es war dieses also ein Viertel Acker. Auch 
Furlong, d.i. eine Furchenlänge, hielt 40 Ruthen®), und 2 virgat. wa- 
ren = 1 arpennis oder = Va acer. 



1) Kemble I, c. III. nr. 530. S. desselbon Berechnung in „the Saxons of Eng- 
land" I. p. 115. 

2) Kemble, Cod. dipK III. nr. 612. 

3) Ibid. III. nr. 633. 

4) Ibid. VI. nr. 1218. 

5) Ibid. VI. nr. 1222. Kemble (tlie Saxons ff. I. p. 117.) zweifelt an 
der Richtigkeit und mochte die acre» in Roods verwc^ndeln. 

6) Speimann u. Henschel. 

7) a. B, Kemble, C. d, III. nr. 633: „Duo jugera ruris" gibt eine angelsächsi- 
sche UebersetzuTig durch „twegra aecera gewirde landcs". ibid. VI. nr. 1347. 

8) Doch scheint auch dieses nicht als allgemein gültig betrachtet werden 
zu können, denn 003 heisst es: „quoddam tcrra# spatiuni tres acras et tres uir- 
gatas, quod lingua Anglorum sex fnriangs'* (.Kemble, C. d. 11. nr. 336). Es lüsst 
eich dieses nur so verstehen , dass die Breite 1 Furl. = */* y'^rgtkU gewesen. 



IT 



87 



Noch eine andere Massbeslimumng: , welche sich oft in den Ur- 
kunden findet, ist diebovata, ein Land, welches mit ehiem Paar 

» 

Ochsen bestellt werden kann, welches aber ebenfalls verschieden an- 
gegeben wird, bald als achter Theil einer Hide, bald zu 13, bald zu 
18 und 20 acres. Nicht minder verschieden zeigt sich auch die Grösse der 
pert^ca. Man findet dieselbe zu 10, 15, 16, 18, 24 u. s. w. Fuss ange- 
geben *). 

Aus diesem allem geht mit Sicherheit hervor, dass ebenso wie 
in Deutschland, auch in England Hufen, von der verschiedensten Grösse 
gefunden werden. Es lassen sich hierfür aber auch noih andere Zeugnisse 
anführen. Im Jahre 825 werden in Langtoft in Lincolnshire 6 Pflüge Land 
genannt von 1 5 quarent. Länge und Oquarent. Breite*), 825 in dem nächst 
demselben liegenden Baston aber 4 Plüge von 8 quarent. Länge und 8 
quarent Breite*). In dem erstem Orte hielt also der Pflug 22 Va» in 
dem zweiten hingegen nur 16 quarent. Beide Besitzungen erschei- 
nen uns als regelrechte Vierecke, sie sind aber zu klein,, um 
einen Schluss auf die Formation der vollen Hide zuzulassen. 
Ueberhaupt sucht man in den beinahe 1400 Urkunden, welche 
ims Kemble *) mittheilt , vergebens nach Angaben , aus deneii 
man die Gestaltung der Hiden erkennen könnte, wie diese so oft 
in den deutschen Urkunden vorkommen. Schon in diesem Mangel 
liegt ein Fingerzeig , und wenn man nun die zahlreichen Gränzbeschrei- 
bungen einzelner Hiden betrachtet, welche jene Urkunden liefern , dann 
können wir kaum noch daran zweifeln, dass die meisten engli- 
schen Hiden aus in sich zusammenhängenden und in der Regel für sich ab- 
geschlossenen Grundstücken bestanden haben ^). Dafür spricht auch 
die englische Sitte , das Land mit Gräben und Hecken zu umschliessen, 
und nicht minder die Art und Weise , wie uns der Anbau entgegentritt, 
wenn wir eine Spezialkarte zur Hand nehmen. 



1) S. die Belegstellen in Heuscliel u. SpeTmann. 

2) Kemble 1. c. I. nr. 213 u. 233. 

3) Ibid. Nr. 221, 233 u. 420. 

4) In seinem Werke the Saxons of England lasst er die Flurtlieilung ganz 
lieh nnberiihrt. 

5) Weitere Belege hierfür geben noch einzelne Urkundenstellen ; 811: 
„terram unius aratri inter haec qnatiior confinia" (ibid. V. nr, 1027.) und 997: 
„Quae tanien telius duobus in locis est dirempta L» scilicet ac V in ipsa supra- 
<1icta iiilla (Duntunc) contineus mansas per ripas amnis Auenae nuncupate, quae 
circa eaudem uiliam decurril adiacentes XL* uero et \^ in altera inde nou longe 



[ 



88 

Der Anbau des Landes in England, weni^t4ins in seinen süd- 
lichem Thellen, über welche mir nur Hülfsmittel zu Gebote stan« 
den'), hat grosse Aehnlichkeit mit dem Schleswigs. Nur hin und 
wieder zeigen sich geschlossene Orte wie in Deutschland, die mei- 
sten liegen weit zerstreut, und der dazwischen liegende Raum wird 
noch durch'* einzelne Höfe ausgefüllt; auch liegt die Kirche häufig 
abgesondert. Mehr zusammengebaut sind die Dörfer in DorsetsWe, 
Wiltshire, Susset und Devonshire ; zerstreuter erscheinen sie in Kent, 
Essex, Cornwallis, Surrey, Hamshire und Glamorgonshire, ja sogar 
unserm westphällschen Hofbaue ahnlich in Pembrokeshire , Suffolk, 
dem nördlichen Theile von Essex, Cardigan u.' s. w. , vorzüglich 
aber auf der Insel Wight. Alles dieses weist auf die beiden ersten 
von mir geschilderten Flurarien hin. 

Allerdings findet man auch Hiden, welche aus einzelnen Stü- 
cken besteben, wie das z. B. 943 der Fall ist, wo eine Mansa vor- 
kommt, welche aus 3 + l + i-f-3 + 2+2+l arpennae be- 
stand, die an 7 verschiedenen Orten lagen*); sowie 996, wo 3 Hi- 
den aus folgenden einzelnen Stücken bestanden : l'/j Hiden, YaHide, 
VjHide, 8 acres und 12 acres'); aber dieses ist doch selten und 
durchaus nicht in einer Weise, welche insbesondere auf die S. 32 ge- 
schilderte Flurtheilung eine Beziehung zulässt. Nur Lokalforschun- 
gen können indessen hierüber Sicherheit geben*). Wald und Wiese 
(mad) werden stets abgesondert aufgeführt und naclr äceres bestimmt, 
die Wiesen häufig auch nach segetes^). 



et EbFesburnan appellatur secus decarsas eiusdem torrcutis extensas'* (ibid. 411. 
nr. 698). 

1) Die treffliche Karte : Ordnance Surrey of Great Britain ^ leider nur zu 
iiirem kleiDern Theile. 

2) Kemble, Cod. dipl. V. nr. 1143. 

3) Kemble, the Saxons I. p. 115 et Cod. dipl. IIT. nr. 5*29. 

4) Dass man auch in England zerstückte Besitzungen hat und diese zu ar- 
rondiren sucht (v. Hazzi, Beobachtungen auf einer Reise im Jahre 1836 nach 
Frankreich und England II. S. 6 u. 7) ist noch kein Beleg für das Vorhandensein 
gemeinsamer Fluren. 

5) Z. B. 944: „XI segetes prati (Kemble, Cod. dipl. V. nr. IHt); 892: 
Tinum pratum ad mensurani fere XII segetnm uel amplius" (ibid. V, nr, 1071). In- 
dessen wird auch Land darnach bestimmt, z. B. 948 : „ter duodenas segetes cnm 
bis quinis prati jugeribus, quod anglice dicitnr XXXVI acera yrthlandes * and 
X acras maede**^ (ibid, V. nr. 1161). 



1? 



Die franzosische Feldflur. 

Für das, was unser deutsches „Hufe" bezeichneti hat die fran- 
zösische Sprache kein entsprechendes Wort. Es wird derMansus*), 
d. h. die Hofreithe, und daneben das dazu gehörige Land genannt, 
und ersi später wird es auch hier üblich den gesammten Hof, also 
Hofreithe und Land u. s. w. , unter der Bezeichnung Mansus zu be- 
greifen, woraus sich im Verlaufe der Zeit je nach den verschiedenen 
Idiomen die Worte Meix bei den Burgundern , Mois bei den Normannen 
und Mas bei den Proven9alen und Avernern •) gebildet haben. Die 
gleiche Bedeutung hatte Maisnilum'). Stall Mansus bediente man 
sich auch häufig der Bezeichnung can-uca oder aratrum*). In 
demselben Sinne wendete man auch die Worte colonia, tjolonica') 
und curtis an, ebenso wie in Deutschland, und nur wenn die bei- 
den ersleren dem Mansus gegenübergestellt werden, was nicht sel- 
ten vorkommt, bezeichnen sie ausschliesslich die Hufe. 

Was indessen die französische Hufe wesentlich von der deut- 
schen unlerscntvi-A__ijj_jj£jjgjj,2ljche Mangel einer normalen Grösse. 

Obwohl Ludwig der fro"«*^''~----^^-,r^}flS8der Mansus einer 
Kirche aus „12 hunuariis de terra arabih ^nj»i»-~--___^ 
das doch nur eine auf die kirchliche DoUlion sich beziehen, 
„ung, welche man auch nicht einmal allenthalben, sondern nur hm 
und wieder eingehalten findet ^ und auf das Allgemeine in keiner 
Weise einen bestimmenden Einfiuss gehabt hat. Ebensowenig ge- 
wahrt die Bestimmung des K. Karl des Dicken, dass der Mansionarms 
5 Schillinge und der Banuarius aber 15 Denare zum Zuge nach Rom 



1) Schon 475 kommt in fmnzös. Urk. das Wort mansus vor. Pardessus 1. *. 

1. p. 25. 

2) Henschel 1. c. IV. 241. 

^ q^ 10 J\. • dimidium maisnilum, quod dicitar Mnrcmctu» cum pratonim 

capclla inibi - aediacala" (Mavtene et Durand I. c, I. 109), auch 1104 werde» 

duo maisnilia terrae** genannt. 

" 41 1084 • carruatam et dimidiam terra" (Miraens 1. c I. 354) ; 1060 : „terram 

4) 1084. "<=»f™»» ^^^ bobtts, qnae carruca» voca- 

ad carmcam unam" (ibid. I. lööj , „aecem *r*ii» «.u , /w.rt.n.. et Durand 

üs" (du Gange); 1000: „Xlll carruca» boum cum serv,»» (Martene et Durana 

*■ "' 5) WaLönig und Stein , Französisclie Staats- und Rechtsgesch. II. S. 342. 

6) Pertz , M. G. I. leg. p. 360. 

7) Polypt. 1. p. 597 f. u. 608. 



80 

zahlen solle*), eioen sichern Anhallepunkt, denn hiernach miissten 
4 Bunuarien i Mansus ausmachen, wofür sich aber nirgends- eine 
Bestäligang darbietet. Man findet vielmehr Mansen nicht nur von 
weniger als 4 , sondern auch von mehr und sogar auch von einigen 
Hundert Bunuarien'). Das Bunuarium') war das grösste Landmass, 
und ist dasselbe, welches der Franzose bonniers, der Niederländer 
aber Bund er nennt*). Man theilte es nach Tagewerken, jurnales, 
indem 4 jurnales ;= 1 Bunuarium waren ^). Dasselhcw-y^iültniss 
besteht noch um Antwerpen und in der Campine , wo 4 Journal. = 1 
Bunder und 1 journ. = 100 Ruthen sind, sowie. im Lande^ längs der 
Dender (Alost), wo man 4 Gemeth = 1 Bunder und 1 Gemeth = 100 
Ruthen rechnet; dagegen ist im Waesland und in den Poldern un- 
terhalb Antwerpen 1 Bunder = 3 Gemeth und 300 Ruthen sind = l 
Gemeth*). Auch in der Gegend von Rischstein hielt der Bunder 
nur 3 Tagewerke^), oder, wie im Lüttichschen , 3 Arpent^). Um 
Aachen und bis nach Lüttich nannte man den Bunder auch wohl 
den grossen und das Tagwerk den kleinen Morgen') '^^^ 
anderes Feldmass war der Aripennis. Seh-- ^"«"lella sagt, dass 
in Gallien das Joch, m&{ ."^ ^«"^etum und cadetum nenne, 
,,„s ^u..5 . - ^^^^^ ^' ^^^5 ^s also emem halben Joche oder 



1) Mori. boica II. p. 574. 

2) Guerard, Polypt. p. 610. Henschel 1. c. I. p. 724 f. 

3)Ueber dio vcrscl.iedeneii Formeü , unter deiien di'eses Wort sieh findet 
8. Hensche 1. c Es kommt zuerst in eine, Urk. vom J. 640 vor: „buinana J^U^^ 
Pardessus 1. c. It. p. 62. 

p. 169 ft*"" *''"*' ^ä""»»'!»« Gröwe beziehe ich mich anf Guerard, Polypt. I. 

5) Eine UAnnde der Abtei Bnrtscheid von 1381 zählt IJ^Bun. und 10 J«r- 
nal. auf und add.« diese zu 4 Bun., so das, also 4 Jurn. = 1 Bum.ar. si.,d. 
Qmx Geschichte der Abtei Bnrtschoid S. 394. Statt Jurnalis sagte man auch 
„Land von so und soviel Tagen« z. B. 1084: „terram IV dicrum, IV dies ter- 
rae , XX dies teiTae ". Miracus I. c. 1. 354. 

6) Ein bvabant. Bunder ist == 5'U berliner Morgen. 

u.ruUf^^l':'"'", '""'*'" *'"' *""'•' 1"' "■'ff"" (^''') "»""i"« B«n^e n>'"c..pa- 
tnr (Ritz , Urkunden znr Gesch. des Niederrheins S. 89). 

8) WarnkSnig, Flandrische Staats- und Rechtsgcsch. IIT. I. S. 59. 

9) Warnkönig, Flandrische Staats- und Rechtsgesch. III. 1. S. 59. Auch 
urkundhche Stellen weisep daraufhin, z. B. „pratum _ continet bonuarium et 

dZirrT 7*''""*" ^^"'" '• '■ P- '^>' ^'^'^'^ »" -^•""""•t "«0 -Jen. 
dortigen Gebrauche von grossen und kleinen Morgen zu reden entspricht. 

10) Gessner, Script, de re rust. I, p. 630. 



91 

Tagwerke gleich sei*). In der Regel whd nur das Land nach Blin- 
dem und Tagweriieii bestimmt , Wiesen'^ Weinberge u. s. w. dagegen 
nach Arpennen. So zeigt es sich wenigstens in der Güterbeschrei- 
bung von St. Germain vom J. 812. Doch kommen auch Tagwerke 
hei Wiesen vor*). ' 

Was endlich die Art und Weise der Auflheilung des Landes 
betrifft, so ist es aus den mir bekannt gewordenen Urkunden 
nicht möglich, sich davon ein klares Bild zu machen, und ist 
mir auch kein franzosischer Historiker bekannt, welcher auf diesen 
Punkt näher eingegangen wäre. Ich vermag deshalb auch nur in so 
weit Einiges darüber zu sagen, als mir Spezialkarten Aufschluss zu 
geben vermochten. Schon mittelst dieser dürftigen Hülfsmittel kommt 
man zu der Ueberzeugung, dass auch in Frankreich wohl eine 
ebenso grosse Verschiedenheit im Anbaue waltet, als in Deutsch- 
land. Um Paris herum ersch eine^, die Feldmarken in Gewanup...und 
di ese in einzelne Ackerstücke geth^ij)^ , ähnlich den Feldern , wie sie 
der grössere Theil von Deutschland besitzt, und dass diese Theilung 
noch weiter reicht , muss man daraus schliessen , dass dieselbe Dorf- 
form, nämlich die Häu ser in Trupps zusammengestellt, sich über 
einen grossen Theil von Frankreich verbreitet. Anders wird es 
dagegen im Westen, namentlich in der Vende e. Hier findet 
man dasselbe Bild wieder, welches Westphalen darbietet. Die Höfe 
l iegen vereinzelt , umgeben von ihren mit Wallhecken umgebenen 
Feldern. Ebenso ist es an der unter n Seine von Ronen abwärts 
und auch das reiche Ländchen Caux hat keine Dörfer. Das Vor- 
handensein solcher Hufen, welche aus einem Stücke bestehen, ver- 
mag ich jedoch nur auf belgischem Boden nachzuweisen. Es ist das 
namentlich im Condroz und überhaupt am Ardenner Walde der Fall. 
Man findet aus dieser Gegend eine Reihe von Urkunden , in welchen 
die Hufen nach ihren Gränzen angegeben werden und zwar nach 
vier Seiten hin, so dasg. siß.,.als grosse viereckte Landstücke sich 
zeigen' 



1) Guerard, Polypt. I. p. 171. üeber die übrigen Masse siehe das. S. 17C f. 

2) „Prata XXX djerum". Miraeus 1. c. I. 354. 

3) 9. Jahrli. : „hoc est mansum I in comitatu Laumacense in loco qui dici- 
tur villa — de una parte Remacli et alia parte Eilgeiiim, tercia parte Berhaida, 
quarta parte strata publica et vie commune et ad illum mansum de ten*a ara- 
bili perticatas XXX, prati perticatas III, camba mia et mancipia XVI". (Ritz, 
Urk. n. s.w. zur Gesch. des Nicderrheias u. s. w. S. 19); 890: „in pago Cou- 
dnistiDse iu villa — Amarne id est inter terram arabilem et silvis bonaaria V, 
qui jacent confines sc. Pctri et sc. Remacli et Helvius sive strata publica ei 



8< 

Die slavische Feldflur. 

Die slavische Hufe wird Lan genannt. In einer Urkunde des 
dreizehnten Jahrhunderts heisst es „unuoi mansum,. qui vulgariter 
Lan dicitur^'^) und in einer andern 1334: „unum laneum seu mansum 
agri liberum'*'). Statt dessen kommt in mährischen Urkunden auch 
sors vor '). Die gewöhnliche Bezeichnung geschah jedoch nach Pflü* 
gen und zwar schon seit früher Zelt*). Nach Helmold umfasste ein 
solcher Pflug so viel Land als mit einem Paar Ochsen bestellt wer- 
den konnte *) , und da sich die Slaven des s. g. Hackens (uncus), 
eines kleinen Pfluges, bedienten, so nannte man die slavische Hufe 
die kleine oder Hackenhufe» polnisch Radio. In dem bekannten 
Erdbuche des dänischen Königs Waldemar werden die deutschen Hu- 
fen mansi , die slavischen aber sämmtUch unci genannt '). In Meck- 
lenburg und Pommern findet sich neben der slavischen auch eine 
Landhufe (mansus teutonicus) und die s. g. Hägerhufe. Während die 
letztere 60 und die Landhufe 30, hat die slavische Hufe nur 15 Mor- 
gen Land ''), Ebenso sehen wir in den deutschen Ansiedelungen 
Schlesiens und der Lausitz neben der slavischen Hufe eine fränkische 
und eine flämische, von denen die slavische vorzugsweise wie- 
der die kleine genannt wird. Ihr Grössenverhältniss stellt sich in 



pervenit u^que in fluvio Marne". (Das. S. 18); 922: „mansum XXXIIII bo- 
nuar. — — inter Uli confines aliorum hominum". (Das. S. %8. Aehnlich auch 
p. 25, 37, 39, 42, 46). 

1) Abhandlung der k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften u. s. w. 
V. 2. S. 306. 

2) Das. S. 343. Ebenso heisst es iri einer passaner Urkunde von 1326 : 
„ Item dimidium laneum, quod vulgo Lehen dicitur." Mon. boica XXX. 2. S. 120. 

3) 1228; „exceptis tabernis et capella cum sorte sua" (Boczek, Cod. dipl. 
M. 11. 206) und 1229 : „decimis de soitibus in Kozie pertiuentibus ad castellatu^ 
ram de Raczibarz". Ibid. p. 214. 

4) 1107: „terram ad unum aratrum". (ibid. I. p. 192. S. z. B. auch IT. p. 31 
u. 43). Eine Urk. von 1210 sagt : „ Curia in Cwitawa cum araturis duabus et 
earum appendiclis, cum babus et necessariis ad illam terram colendam''. ibid. 
II. p. b4. 

5) „Slavicum vero aratrum pat boum aut unus conficit equus'^ Helmold 
Chron. Slavor. I. c. 12. „Porro slavicnm aratrum perficitur duobus bobus et toti- 
dem equis^S ibid. cap. 14. 

16) Langebeck, Script. Rer, Danic. VII. p. 54L ff. ^ y 

7) S. Gesenius, Meierrecht II. S. 31. Lisch, Jahrbücher des Vereins für 

mecklenburgische Geschichte und Alterthumskundo VT. Jahrg. S. 17 u. Jahrg. X. 

S, 398. Urkunden z. Gesch. des Fürstepth. Rügen. IL S. 63 ff. 









93 

einer Urkunde von 1262 aus dem Verliältnlsse ihrer Abgaben wie 
2 zu 1 heraus: „pro unoquoque aratro parvo, quod Radio dicitur, 
lapidem cerae, pro magno autem, quod Plug nominatur, duos lapi^ 
des cerae persolvat'^^). Aus andern Urkunden ergibt sich dagegen 
das Verhüllniss der Abgaben wie 3 zu 2 *). Das vorhin erwähnte 
Verhältniss, wonach die slavische Hufe einer halben deutschen Hufe 
entspricht, mag indess das gewohnliche sein. Deshalb bezeichnet 
eine Urkunde von 979 auch 50 Hufen im Hassegau .als von halbem 
Masse (,,medii mensurae ** ) '). 

Die slavische Hufe ist in ihrer Anordnung ganz und gar der 
auch in Deutschland am meisten vorkommenden Hufe gleich^). Des- 
halb konnten auch in ein und derselben Flur deutsche und sla* 
vische Hufen neben einander bestehen ^). Die deutschen Hufen 
brauchte man nur in halbe Hufen zu trennen, um ^slavische Hufen, 
und wiederum zwei slavische Hufen nur zusammen zu legen, um 
eine deutsche Hufe zu schaffen. Man findet auch in der That nicht 
selten unzweifelhaft slavische Dorfer mit deutschen Hufen, z. B. 
1252, wo das Kloster Dobrilug „uillam unam Cosmutiz — XIV 
mansos teutonicales — continentem *' erhält'). 

Obwohl in Russland, wo die Flur gemeinschaftlich ist und in 
gewissen Zwischenräumen von Neuem vertheilt wird, das Feld ebenfalls 
in Gewanne getheilt ist, und diese in Ackerstücke zerlegt sind'), so ist 
die dortige Feldflur mit der ebengedachten doch nicht übereinstimmend. 
Um so augenfälliger ist dagegen die Aehnlichkeit mit unserer Flur 
in einigen kleineren Dörfern bei Wologda, den einzigen in Russland, 
in welchen ein fester Besitz besteht. Jede Feldmark ist in eine An- 
zahl durch Grasraine geschiedene Gewanne und jedes dieser'Gewanne 
in so viel Ackerstücke getheilt , als Häuser im Dorfe sind '). 



1) Tschoppe und Stenzel, Urknndciisammlung z. Gesch. des Ursprungs der 
Stfidte u. s. w. in Schlesien und der Oberlausitz S. 173. 

2) Das. &. 174. 

3) WeBck a. a. 0. U. Urk. S. 33. 

4) Man sehe nur die von Jacobi in der illnstrirten Zeitung 1845 Nr. 116 ge- 
gebenen Fhirkarten. 

5) Wie z. B. eine Urkunde von 1227 zeigt. Schuhes, Directorium 11. S. 634. 
Auch in Pommern findet man Deutsche und Slaven in ein und demselben Dorfe, 
und ebenso sehen wir dort, wie slavisclie Hufen an deutsche Beh^u^r überlassen 
werden. Urk. z. Gesch. des Fürstenth. Rügen 'von Fabricius II. S7 74. , 

6) Ludwig, Reliq. Manuscr. I. p. 70. 

7) V. Haxthausen, Studien II. S. 33. 

8) Das, I. S. 240. 



V 



94 

* 

Dasselbe ist auch der Fall bei den Tscheremissen , einem finni- 
schen Stamme, dessen Dörfer osliich der Wolga, unfern Kasan be- 
gannen und sich mehr ins Innere des Landes ziehen , sowie bei dem 
tai'tarischen Stamme der Tschuwaschen in derselben Gegend. Doch 
scheint es nach Haxthausen ^) hier schon anders zu sein und 
mehr jene S. 31 beschriebene Hufenordnung zu herrschen, denn Je- 
der hat nur ein oder ein Paar Stücke in jedem Felde, welche darum 
auch viel breiler als jene der Russen sind. Die einzelnen Felder werden 
durch Raine oder Grasstreifen geschieden. Auch in Podolien besteht 
ein in seiner Anordnung dem Deutschen entsprechender Grundbesitz*). 

Indessen scheint doch auch bei acht slavischen Dörfern die 
Hagenhufe, wenigstens der Form nach, vorzukommen. Ich schliesse 
dieses aus einer Urkunde des Bischofs Otto von Halberstadt vom 
Jahre 1134, in welcher derselbe über die Rodungen „in orientali 
Widerstide archipresbiteriatum " verfugt, wekhe sowohl von Sach- 
sen als Slaven bereits angelegt worden und noch angelegt wer- 
den würden, wobei Warwize ausdrücklich „villa sclauonica^* genannt 

wird *). 

Was aber vor Allem das acht slavische Dorf von dem 
deutschen unterscheidet, ist seine eigenthümliche , wesentlich an- 
dere Form. Die Gehöfte der slavischen Dörfer liegen nicht wie 
die der deutschen Dörfer zerstreut, je nach dem die Oertlich- 
keit dem ersten Anbauer zusagte, und durch freie Räume von ein- 
ander geschieden, sondern sie bilden ein nach einem festen Plane 
angelegtes und in sich verbundenes Ganzes. Die gewöhnliche Form, 
gewissermassen der ürtypus des altslavischen Dorfes, ist die Kreis- 
gestalt: die sämmtlichen H(^e das Dorles liegen fest an einander sich 
schüessend in einem Kreise, und nur ein Eingang führt ia das In- 
nere, in dessen Mitte ein Teich und neben diesem häufig auch eine 
Kapelle sich befindet, während die Kirche in der Regel in der Reihe 
der Häuser liegt. Man findet diese Darfer noch zahlreich im Lüne- 
burgischen, aber nicht minder auch durch Mecklenburg, Pommern, 
die Mark, Thüringen u. s- w, siidlicb bis nach Oesterreich und öst- 
^fich bis tief nach Russland hinein. Oft verliert sich zwar diese runde, 
. einem Hufeisen ähnliche. Form und streckt sich mehr und minder in 
die Länge , nicht selten bis zur Gestalt einer Gasse aus. Aber auch 



1) I. 458. 

2) Das. 11. S. 472. 

3) Erath , Cod. dipl. Halberst. p, 80. 



95 

bei diesen mehr g-assenffirmigen Dörfern sind die beiden Häuserreilien 
wenigstens etwas ausgebogen , in der Mitte liegt auch hier ein Was- 
serbehälter und die Kapelle, und ebenso findet sich auch nur ein 
Zugang. Hin und wieder (z. B. in Böhmen) gestaltet sich die 
Gasse wohl auch zu einem Quadrate. So sehr diese Dörfer oft 
durch neue Anbauten erweitert worden sind, so ist doch die 
alte Form meist ohne Schwierigkeiten wieder heraus zu fin- 
den. Jene runde Form ist ebenfalls die der sla vischen Städte, und 
selbst Moskau besteht bekanntlich aus einer Anzahl sich um ein- 
ander schlingender Kreise, deren Mittelpunkt durch den Kreml ge- 
bildet wird *), 

Die römische Feldflur. 

Schon die völlig verschiedenen klimatischen Verhältnisse des 
Südens lassen in Italien eine andere Feldauflheilung voraussetzen, 
und obwohl Mone') nachzuweisen versucht hat, dass der Ackerbau 

in Baden wesentlich römischen Ursprungs sei , so bedarf dieses doch 

^ iiiiiiiiiiii II " - •" • •■ •■ • '• ■ -*'^-- - -^ ' 

kaum einer ernstlichen Widerlegung, indem die Aehnlichkeiten , wel- 
che sich dies- und jenseits der Alpen finden, noch keinen Beweis 
für eine solche Behauptung gewähren können. Den besten Gegen- 
beweis liefert übrigens schon die römische Flurtheilunff , und ich lasse 
deshalb eine gedrängte Darstellung derselben hier folgen. 

Die römische Auftheilung der Felder war eine von der unsern 
durchaus verschiedene '). 

^____J .»1 !■!■■ WlMI 1 11 III » ' 

Die älteste Einheit des römischen Feldmasses war der Actus 
von 14,400 ^Fuss, also ein Geviertes, dessen jede Seit e. 120 Fuss 
mass, und erst später wurde das lu gernm dafür gebraucht, welches 
aus 2 A c tus b estand. Die höhere Einheit wa r die Centurie , zuerst 
von 100 Actus, dann von 100 Jugera. Diese Centurie hat aber mit 
unserer Hufe auch nicht die entfernteste . A ehnlichi\eit . Die Hufe ist 
das iMass des Einzelbesitzes, die Centurie dagege n ein Gesammtfeld. 

Die Auftheilung einer Feldmark geschah, indem der Feldmesser 
eine Linie von Mittag nach Mitternacht zog, welche, weil sie der 
Weltaxe entsprach, Cardo gen annt wu rde ^ darauf folgte eine zweite, 
welche jene rechtwinklich durchschnitt, Decumanus genannt, wahr- 
scheinlich von der Kreuzform der Durchschneidung. Beide Haupt- 



1) Ueber die runden rnssisclien Dorfer, ». v. Halthausfen, Studien TT. 130. 

2) Urgeschichte Badens S, 4ff. 

3) Ich folge hier der trefflichen Darstellung Niebuhr's in s. romishen Ge- 
scUiclite 3. Aufl. Bd. II! S. 694 f. 



96 

linien wurden bis an die Granze des zur Thdlung bestimmten Be* 
zirks verlängert, und denselben parallel, je nach der Grösse der Vier- 
ecke, in welche die Feldmark getheilt werden sollte, wurden näher oder 
femer andere Linien abgesteckt, auf welche der Name der HauptUnie 
überging , mit der sie parallel liefen, nur dass diese den Zusatz maxi- 
mus erhielt Alle diese Linien, welche man limites nannte, wurden, 
soweit es die Beschaffenheit des Bodens zuliess, durch Aufwürfe be- 
zeichnet, von denen die, welche die Grundlinien darstellten, die grösste 
Breite erhielten. War auf diese Weise der zur Theilung bestimmte 
Bezirk in grosse Vierecke •— Centurien — zerlegt, so schritt man zur 
Scheidung der einzelnen Centurien in Aecker , deren Grösse nach der 
Zahl der Ansiedler bestimmt wurde, auf welche eine Cenlurie kam, 
denn das eigentüche Ackermass bezeichnete nicht die Form , sondern 
nur die Ausdehnung des Einzelantheils. Das letzte Geschäft endlich war 
die Anweisung der den Ansiedlem zu übergebenden Antheile. Diese 
Anweisung erfolgte durch das Loos, doch nicht etwa wie nördlich 
der Alpen, dass jeder Ansiedler Land in allen Centurien erhielt, wie 
bei uns durch alle Gewanne, sondern es empfing Jeder seinen Antheil 
nur in einer Centurie , also zusammen ; nur dann wenn schon bebautes 
Land mit vertheilt wurde , machte man zwei verschiedene Loose , um 
jeden Einzelnen an beiden, dem noch rohen und dem schon kultiviiien 
Boden, zu beiheiligen. 

Jedes einzelne Loos umfasste eine Centurie , und an jedem Loose 
waren wiedemm so viele betheiligt, dass deren Antheile insgesammt 
eine Centurie bildeten. Es wurde jedoch nicht Alles vertheilt Die die 
einzelnen Centmien scheidenden Hauptraine und Wege waren den rechts 
und links anliegenden Centurien entzogen und die die Limites berührenden 
äussersten Ackerloose deshalb kleiner als die übrigen, so dass deren Loos- 
zieher benachtheiligt worden wären. Aus dieser Ursache wurden sowohl 
diese, als auch alle subseciva (Reste), welche an unregelmässige Gränz- 
linien stossend das Mass nicht hielten, nicht ausgeloost und blieben 
gleich wie die Gr&nzraine und Wege Gemeindegut, was auch mit 
denjenigen Centurien des schon urbaren Landes der Fall war, welche 
von der Vertheilung übrig blieben. Jede Centurie enthielt 7 Loose zu 
je 7 Jugern , denn der fünfzigste Juger fiel auf die Raine und Wege. 

Nach diesen Grundsätzen theilten die Agrimensoren die Fluren 
sowohl in Italien , als in den afrikanischen Colonien , in denen jedoch 
das einzelne Loos grösser als in Italien war ^). 



1) Rudorf 8. das Ackergesetz des Sp. Tlioritts. S. ^ a. 110. 



97 

Es waren übrigens nicht immer rechtwinklige Figm^n, welche 
den Aeckem gegeben wurden ; die Verhältnisse des Bodens nöthigten 
auch zuweilen zu schiefwinkligen Linien , wovon uns die Zeichnungen 
des Hyginus"**) eine deutliche Anschauung geben. 

Jede Centurie war die Flm* einer römischen Curie oder das Bau- 
feld für hundert Familien. Romulus soll jedem Bürger zwei Jugem 
als erbliches Eigenthum überwiesen haben , wonach jede Centurie 200 
Jugern umschlossen hätte*). Es waren dieses also sehr kleine zur Er- 
nährung einer Familie kaum ausreichende Loose und die Einwohner 
mochten sich deshalb noch weit weniger mit Ackerbau als mit Viehzucht 
* beschäftigen. Erst später wurden die Loose grösser, und es gab Cen- 
turien von 210, endlich sogar auch von 240 und 400 Jugem. Wie 
jene, so enthielten jedoch auch die von 210 Jugern stets nur sieben 
Loose, nämlich je dreissig '). Verschieden waren hiervon nur die pa- 
tricischen Ackercenturien , welche wirklich 100 Loose enthielten*). 

Wodurch sich die römische Theilung am wesentlichsten von der 
diesseits der Alpen unterscheidet, ist der Umstand, dass dort bei der 
Auftheilüng keine Rücksicht auf die grössere oder geringere Güte des 
Bodens genommen wurde. Dagegen war die Theilung eben wohl eine 
feste, unveränderliche, und noch bis zu unsern Tagen tragen Grundstücke 
die Namen , welche sie in altrömischer Zeit empfangen haben '). Aus 
den italienischen Urkunden des Mittelalters lässt sich freilich wenig oder 
nichts ersehen, indem stets nur von Stücken Landes die Rede ist, de- 
ren Grösse ohne Ausnahme nach der Aussaat bestimmt wird ®). 

12) Rückblick und Schluss. 

Aus den vorausgegangenen Untersuchungen ergeben sich- meh- 
rere für die Geschichte hochwichtige Thatsachen:* 

Da wo ietzt Dörfer bestehen,- waren dieselben seit ältester Zeit; das- 
selbe ist aber auch der Fall, wo das Volk noch heute aufEmzelnöfen wohnt. 

Die Theilung der Fluren in Hufen ist etwas Uranfänpiches und 
zwar in dem Grade, dass sie als das älteste historische De nkmal be- 



1) Hyginus, de limitibus constit. apudjGroesÜ rei agrariae auctores p. 154 ff.. 

2) Niebuhr a. a. 0. II. S. 177. ' . 
3} Das. II. S. 165. 

4) Das. 184. 

5) Das. S. 709. » 

6) z. B. 969: per singulas peiias mensuratae insimul modiomm treeentorom. 

Murator. Scr. Rer. Ital. T. II. P. II. p. 959. 

Landau. TenitoricD. ' 



I« 



trachtet werden inuss , i}»4 ebenso all erscheihl auch die Feldordming,' 
nuinlich der Wech^elbau^naeh drei Feldern , und demnach auch unsere 
Landwirthschafl. 

Diese Hufenordnung hat sich auch jiicht allmälig: entwickelt, 
sondern ist von Anfang an dieselbe gewesen und es muss «Iso das Volk, 
w^ääfi§:yin>:SEeiUifen zuerst anlegte, ein einp[ewandertes ^ev^esen se^g und 
ieKennlniss von deren Ordnung aus seiner allen Heinialh init«:ebracht ha- 
ben. Es sind dieses Sätz e , welche als feste und unuinstössUche That- 
sachen betrachtet werden tonne». 

An diese Thatsachen lassen sich übrigens noch dnige andere 
reihen, welche zusammen gofasst, zur Erhellung der ältesten Kultur- 
^zustände von Bedeutung sind. ^ 

Aus der schon in jener ältes ten Zeit bestehenden Dreifelderwirlh- 
sehafl folgt einfach und natiirlich '9ieT1iatsacher dass man auch da- 
mals schon Winter- und Sommerfr ucht baute. Dass man Roggen 
baute, ist aus diesem Grunde wohl nicht zu b^ezweifeln, aber sicher war 
auch schon der Weizen im Gebrauche , weAi auch nicht allenthalben. 
Tacitus nennt nur I jafer und Gerste, imd neben der letztem frumen- 
tum. Was er darunter verstand ist allerdings ungewiss, indess gilt 
die allgemeine Bezeichnung Getreide oder Korn noch heute stets 
von demjenigen Frucht, welche als ßrodfrucht dient, so dass der Hesse, 
jer Thüringer u. s, w. den Rogge n , der S chwabe den Sgelt, der 
Schwede die Gersle, der Hochschotte den Hafer, der Franzose den 

%t^e<fari!ai '—'■.li m « ■■■ m— "i^^^ 

Weize n (frome nt ) etc. auf diese Weise bezeichnet, und so war es sicher 
auch schon seit ältester Zei^ 

Dass ^ein g ebaut wurde, geht daraus hervor, dass man Kleider 
von Leinu^nd trug ^, welche, nach Plinius, die Frauen webten. Auch 
Obst und Gemüsse waren schon vorhanden, wenn auch Tacitus nur 
einige Arten nennt, Dass aber auch Bohnen dazu gehörten, sehen wir 
aus dem von Plinius berichteten Umstände, dass die Römer die frie- 
sische Insel Borchum (Burchana) wegen ihres Reichthums an Bohnen 
Fabaria nannten *). Plinius rühmt auch die Wiesen. Da die 
Ubier am Rhein d en Me rgel zur Verbessemng ihrer Felder verwen- 
deten , darf man wohl auch die Benutzung des Viehdüngers zu gleichem 
Zwecke als zweifellos annehmen. 

Dass die Germanen mindestens zur Zeit der römischen Kriege 
sich bereits des Pfluges bedienten , muss schon aus dem vorher Ausge- 



1) Tacitug, Gerat, c. 17. 

2) Ahrends, Ostfrieslana und Jever 1. S. 81 f. 



^fTihrten g^eschlossen MP^rden; ftbörauch der weit verbreitete Name dieses 
Ackerwerkzeug^es gibt ein Zeug^niss für dessen hohes , g^ewiss ^eit über 
unsere historische Zeit hinauf reichendes Alter. Wenn auch J. Orimin 
bezweifelt, dass Pflug die älteste deutsche Bezeichnung sei ; weil die 
Gothenden Pflug Ho ha und S ulh genannt, so reicht der Gebrauch jenes 
Wortes doch so hoch hinauf, dass kein anderes dasselbe vertretende 
Wort bekannt ist, und — was von hoher Bedeutung ist — dieses^ 
selbe Wort findet sich nördlich bis zu den Schweden , südlich bis zu 
den Langobarden, in allen germanischen Sprachstämmen wieder imd 
ist sogar auch zu den Slaven übergegangen '). 

Aber nicht Mos der Pflug an und für sich , sondern auch der noch 
heute gebräuchliche Rädeipflug war schon in frühester Zeit im Gebrauch. 
Der Beleg hierfür liegt wiederum in der übereinstimmenden Bezeich- 
nung der einzelnen Pflugtheile bei den verschiedensten Völksstämmen. 
Das Sech , Pflug- oder Vordei*cisen , heisst angelsächs.: sceg 
und seh; wälisch: such und swch; dänisch: plougsaege; esthnisch: 
sahk; arabisch: sakkhinon; syrisch: sakino; französisch : soc ; mit- 
tellat. : soccus. Dann aber auch gleich dem lateinischen culter im 
Brandenburgischen : Kolter ; franz. : coutre ; niederländisch : kouter ; 
englisch: ploughcoulter. 

Die Schaar ^vomer) findet sich im Althochdeutschen : sca r (auch 
vi^aganso) ; westfriesich : s chera und skera ; dänisch : ploug skiaere ; an- 
gelsächsisch : sec^gcere; englisch: ploughshare. 

Der Pflugsterz (stiva), althochdeutsch: pflougeszagel ; hollän- 
disch: ploogstart; schwißdisch: plogsüert; dänisch: plougstiaert ; an- 
gelsächsisch: sulhhandla. 

Das R i s t e r oder Risterbrett (^enlilia), althochdeutsch : riöstra ; 
angels. : su lhreos t ; englisch : rest. 

Das Pflughaupt, althoch.: plouges houb it; dänisch: ploug- 
hoyed ;- schwedisch: pl qpfaufud. 

Der Pflugbaum oder Grindel, angelsächs. : sulhbeam, engl. : 
ploughbeam. * 

lieber die germanische Viehzucht geben uns die RöiAer wenig. 
Tacitus und Cäsar nennen nm- Rindvieh und Pferde, dass aber der Vieh- 
stand reicher war , sieht man aus Plinius. Derselbe erzählt , dass die 
Flaumen der deutschen Gänse tiieuer bezahlt wurden *). Auch der 
Schafe und Ziegen erwähnt er, und sicher fehlten auch nicht Schweine 
und Huhner. 



1) Grimm, denlsclic Grammatik III. 414. 

2) Plinius H. N.X,22. Caudidi (anseies) ibi, verum minores, ganzae vocantur. 

* 7 * 



Aus Gerste und anderm Getreide braute man Bier^), und aus 
dem Hafer bereitete man ein Mebl, welches man als Brei genoss*); 
dasselbe g^iyn^fth n^h ,hM.-in n^uAre Zeit; die aus Hafer (in dea 
Gebirgsgegenden auch aus ^HaidekorB). bereitete Grütze nannte mau 
im Mittelalter Brimehl, und der daraus Weitete Brei war so sehr 
allgemeines Nahrungsmittel, dass das Brimehl bei allen Feldzügen 
den Hauptbestandtheil des Proviants bildete." 

Man machte Butter und Käse; Plinius') sagt: ,,Man berei- 
tet aus der Milch auch Butter (butyrum), eine bei den barbari- 
schen Völkern sehr beliebte Speise, welche Reiche und Arme unter- 
scheidet Meist bereitet man dieselbe aus Kuhmilch, die fetteste 
aber wird von den Schafen gewonnen. Aber auch die Ziegenmilch 
wird gebuttert. Im Winter wird die Milch gewärmt, im Sommer 
aber blos ausgedrückt; nachdem man sie durch Rühren (jactae) in 
langen Gefassen (in longis vasis) dick gemacht, welche bis auf eine 
enge Oeffnung am oberen Ende ganz geschlossen sind**. Auch die 
Butterbereitung ist also noch heute dieselbe und ebenso war die Ver- 
wendung, der Schafmilch zur Butterung noch bis in's sechszehnte 
Jahrhundert allgemein. 

Wie schon zur.Zeit des Tacitus (s. oben S. 77) umschliesst auch 
noch heute den Bauernhof eyauJrfiißT-Baiun (die Hofreithe). Von 
den Häusern bemerkt derselbe *) , dass die Germanen weder 
Mauersteine noch Ziegeln verwendeten, sondern alle ihre Materialien, 
deren sie sich zum Bauen bedienten, roh seie n ^V, ohne Rücksicht 
auf Schönheit oder freundliches Ansehen. Einige Stellen bestrichen 
sie sorgfaltig mit einer so reinen und glänzenden Erdart, dass esw 
wie Malerei und bunte Linien aussehe. Auch hier inuss ich den 
Leser wieder auf die Gegenwart verweisen. Man betrachte nur die 
altern Bauernhäuser mit ihrem roh behau enen Gebälke und ihren 
mit einem Holzgeflecht (Fitzgerten) und Lehm ausgefüllten Gefachen, 
so wie die noch in Hessen , Thüring en u. s. w. übliche Sitte , die 
Wände des Hauses mit Sprüchen uni Figuren zu zieren. . Pas Bild 

1) Tacitus, Germ. 23. 

2) Plinius 1.' c. XVIII, 17. 

3) Ibid. XXVm, 9. 
^ 4) Germ. 16. 

5) „Materia ad omnia utuntur i nform ij * durch „unbehauene Baumstämme" 
lu übersetzen , wie es zuweilen geschieht , ist doch zu viel gesagt. Tacitus will 
keineswegs Hauser schildern, wie sie Julian an der Theis fand : „neccmernquam 
casa vel trab ibus compacta firmissimis periculo mortIs**extraxit ". Am, Marceil. 
aVII) lo. 




. 101 

rückt uns aber noch näher, wenn wir die folgende Stelle aus Pli- 
nius*) hinzunehmen: ,, Mit Rohr decken die nordischen Völker ihre 
Hause r und l ange Zeit hält d as hohe Dach" . 

Doch frühe gab es in einzelnen (legenden auch schon dem 
römischen Auge behaglichere Häuser. Julian fand wenigstens süd- 
wärts vom Untermaine Häuser so gebaut , dass an denselben ihm k /\ 
kein Unterschied von der römischen Bauweise auffiel : „domicilia cuncta / ^^^'^^^^^^^'^^^^ 
curatius ritu romano constructa " *). 

Tacitus schweigt von den zur Wohnung gehörigen Nebengebfiu- ' 
den und erwähnt nur noch in der Erde angelegter, oben mit Mist 
belegter Höhlen, welche als Zuflucht für den Winter und als Auf- 
bewahrungsort für Früchte dienten. Es sind, dieses augenscheinlich 
Keller, deren Anlage unter den Häusern noch nicht gebräuchlich 
sein mochte. Dass aber auch die Scheune nicht fehlte, ersieht man 
aus einer weit altern Nachricht. Der Grieche Pytheas aus Massilien, 
welcher drei Jahrhunderte vor Chr. den Norden besuchte, erzählt, 
dass das Getreide wegen der mangelnden Sonnenstrahlen und wegen 
des Regens nicht auf offenen Tennen (wie das im Süden üblich war) 
gedroschen, sondern in grossen Häusern zusammengebracht werde'). 
Dass neben der Scheune auch Viehslälle vorhanden waren, bedarf 
wohl nicht erst eines Beleges. 

Wassermühlen kommen im vierten Jahrhundert ap d ^y ^ggfil, ^4^*)- 

Dass die Germanen Wgggq hatten, sehen wir schon aus den 
Schlachten der Teutonen und Cimbern. 

Ebenso geben uns ihre Waffen Zeugniss, dass sie die Erze 
nicht nur zu gewinnen, sondern auch zu verarbeiten verstanden. 

Die Sitte der Germanen sich in warmem Wasser zu baden, 
welcher, Tacitus') gedenkt, dauerte hoch durch das ganze Mittelalter 
und bis in's siebenzehnte Jahrhundert fort. 

Nehme man hierzu noch die Mittheilung des Plinius ®) , dass 
die Häuser am Nordseestrande auf Hügeln (Warften"} läge n , um 



1) 1. c. XVI, 36. 

2) Am. Marceil. XVII, 1. 

3) „Frumenta non in areis extundi ob radiorum solis defectum et imbres, 
sed in magpoa aedificia comportari". Strabo IV, 201. Fuhr, de Pythea Massi- 
liensi Dissertatio p. 58. Wie Kohl (die deutsch-russischen Ostseepro vinzen II, 
50) darin die an der Ostsee üblichen Riegen zum Dorren des Getreides erkennen 
kann, sehe ich nicht ein. 

4) A_iigft|nins„ MnflpllA y. 302. 

5) Germ. 22. 

6) l. c. XVI, 1. 



SM 



sie gegen die Flulh au sichern, sowie dass das Verhältnlss zm- 
sehen dem Herrn und den Hörigen, wie es Tacitus schildert, jioch 
bis in neuere Zeiten ,tin verändert geblieben ist, so wird man Mittel 
genug zu einer Vergleichung zwischen den ältestga jpil Aen später n 
Zuständen t^ab^n u nd sich aus~ den vielfachen Uebereinslimmungen 
leicht überzeugen können , dass der Abstand zwischen beiden kei- 
neswegs so gross ist, wie man den romischen Schilderungen nach 
gewöhnlich annimmt. Wer das Bild noch vollständiger haben will, 
der nehme die nur wenige Jahrhunderte jungem Volksgesetze zur 
Hand. Da finden wir — um es kurz zu erwähnen — aas Wonnbaus 
mit Scheune , Själlen und S choppen , und das Getreide in Feimen M 
aufgestellt. Wir finden ferner alle Arien vonJVieh, selbst Gänse, 
Hähner, Enten, Schwäne und Kraniche, und als Wächter des meist 
umschlossenen Hofes den H ofhun d (HofWart). Nicht weniger treten 
uns die Namen aller auch jetzt noch gebräuchlichen landwirthschaR- 
iichen Geräthschaflen : Pflug und E^e, Sense, Sichel, Hacken, Spa- 
ten, Aexte, Dreschflegel u. s. w, entgegen. Man hatte Kalk- und 
Ziegelofen. Die Gärten enthalten Obst und Gemüsse und Kräuter; die 
Felder werd en zum Schlitz e urozä un t, und selbst die >ungen Wäl- 
der in Hege (gaheje) gelegt, offene Felder aber durch Wisch e ge- 
schützt^ auch die Obstbäume schon durch Pfropfen veredelt. Ja, 
selbst die Zeit vieler landwirthschafl.Uchen Arbeiten, namentlich die 
^tes Pftügci» und ^ie der Erndle bleibt j so weit »ich darüber eine 
.Kunde findei, durch viele Jahchupderte immer dieselbe. 

Wo ist da noch ein wesentlicher Abstand zu erkennen? Und 
derselbe ist auch in der That nicht vorhanden, Unsere Vorfahren, 
als die Romer sie kennen lernten, wa ren. nicht mehr so ro h, wie 
Viele auf die dürftigen Angaben jener sich stützend, sie schildern, 
und das äussere Bild des platten Landes in jenen Zdten mochte 
noch im sechszehnten und «ehenzebaten Jahrhunderte so ziemlich 
dasselbe sein. 



I) Eine Urkunde von 1149 sagt: ,yHt XI anenium , quem HoHaaileiises lin- 
|;aa sua Viitinxe» uocant'^ Lappenberg, Hambg. Urkbch. S. 177. 



Zweiter Abschnitt 

Die IlofverfassDng. 



JLfie im Vorhergehenden gpeschilderte, in der Arl und Weise der An- 
lag^e hervortretende Verschiedenheit des Anbaues verschwindet, so- 
bald man die innere, nämlich die rechtliche, Verbindung der Hufen 
betrachtet. 

Das Bild, welches Tacitus^ in den Worten gibt: „Die Skla- 
ven brauchen sie (die Germanen) nicht nach unserer (nicht nach 
rnmischer) Art mU_beslimmter Vertheilung der Dienste durch die 
ganze Dienerschaft. JeäfiJLJst Herr in seiner Wohnung, an seinem 
Heerde. Eine bestimmte Lieferung an Getreide, oder Vieh, oder 
Zeug legt ihm der Herr, wie ejnem Pachter, ^auf, und insoweit ist 
der Sklave dienstbar; die übrigen Hauscffenste versieht die Frau und 
die Kinder" hat beinahe unveränder t bis indjjEuilfiUßm-ZfiiAftn,„fe^ 
bestanden und besteht zum Thei l noch heute in einzelnen, immer 
aber noch deutlichen Spuren. 

Das Verhültniss ist einfach folgendes. Dös Land ist in eine grosse 
Zahl von Gebiet en ge tjieilt u nd zwar von der verschiedensten Grösse, 
von denen jedes einen bestimmten freien Besitzer hat. Es ist das^ 
was Tacitus') andeutet, wenn er sagt, dass die Germanen die Län- 
dereien n a^ji Rang u nd w^y^a vf^Y^jj^fijUgn (quos jiio.t intef se se- 
cundum dignaCionem partiuntur) •). 

Ein solches Gebiet Wird bald curla, bald curlis*), bald territorittnl*), 



1) Qerm. c«p. 25. 

2) l. c. Cup. 26. 

3) Nur auf den Hof lassen sich diesd Worte an#endep, auf die sich fftei* 
dien Hnfen angewendet würden sie keinen Silin haben. 

4) Belege dafür s. unten. 

5) Dronke, Trad. et Antiq. Fuld. p. 143. Beispielsweiire nur eine Urh«-6te)M 
vom J. 842: „proprium — id est teiiltcjriifm cum cn«ty deeuper positiar cum 
mancipiis V, pralis ,* pascuis " etc. (Ried, Chron. dipl. Episo. Ratisb. l. 36.) 



104 

im "iiilliri lF" n«>ii^.<i<\ hland aber häufig Hofmar-k '^ oder lateinisch 
GOamSiX&^i wobei in der Regel der Name des Besitzers mit ange- 
fügt wird, z. B. 810: „commarca Deotharii abbatis, commarca Gund- 
berti " »). 

Die Hofmark ist das Privatbesitzthum eines f reien Mannes, der 
wenn er nicht selbst sdnen Wohnsitz darin hat, dann einen Beam- 
ten (vijlicus , Vogt , Meier u. s. w.) hält , welcher seine Stelle vertritt. 

Dieser Wohnsitz ist der Haupthof oder principalis curtis*). Der- 
selbe wird auch curtis indominicata , dominicata oder dominica, man- 
sus indominicatus etc. und in den spätem Urkunden Herrenhof, 
Fronhof, Dinghof''), Salhof*),Sadel- oder Sedelhof (von 
Sedes)')> Stadel hof*) u. s. w. genannt. 

Die zu dem Haupthofe gehörende, also in der Hofmark liegende 
Länderei war in zwei Theile getheilt. Den einen meist kleinem 
Theil behielt der Hoflierr zu seiner eigenen Nutzung, und dieser 
wurde das Salland, terra salica, genannt, nämlich das zur 



1) Z. B. Ried 1. c. I. 679. S. auch Schmeller 11. 661. 

2) 808: „ commarcliiam nostram in loco, qui dicitur £obyespab/^ Ried 1. c. 
I. p. 10. 

3) Ibid. p. 11. 

4) 1015: „13 principales curtes". Kindlingcr, Gesch. der Hörigkeit S. 223. 

5) 1330: „item curtem — in Lemene dictam ein Dinglichof cum hubariis" 
etc. (Günther, Cod. dipl. Rheno -Mosel. III. p. 283); 1379: „dimidia curtis 
iudicialis dicta Dinglichhof « (ibid. 823 u. ähnlich p. 824). 

6) 1095: „maiorem partem curtis, que Francorum lingua Seiehof dicitur^' 
(ibid. II. Einleitung S. V), Hierher gehört sicher auch das in einigen norddeut- 
schen .Urkunden vorkommende Sil- öder Sei wort. In einer dieser Urkunden 
von 1181 liest man: „domum unam in Stedere et unam Sileworth cum Om- 
nibus ad eam pertinentibus videlicet cultis et incultis , siluis et glandibns ^' 
(v. Hodenberg, Kalenberger Urkunden. 1. Abth. Archiv des Klosters Barsing- 
hausen. Nr. 1. Silewort wird hier für Markgerechtsame erklärt, und von Ziel 
oder Zeil, d. h. Gränze oder Mark, abgeleitet. AbQr die Markberechtigung folgt 
ja erst spater und zwar in specieller Aufführung) ; und im sechszehnten Jahrhun- 
dert besass die St. Martinskirche zu Minden ein Seiwort zu Nienburg (v. Spil- 
cker, Beitr. z. deutschen Geschichte I. S. 287). Die Bedeutung scheint mir nahe 
zu liegen. Gleich wie Selgelände (terra salica) die freie , unmittelbar vom Herm- 
hofe b'ewirthschaftete Länderei bezeichnet, so wird hier die freie Hofstatt eben 
wohl Sile- und Seiwort genannt. Die erstere Urkunde stelljb die Silewort mit 
dem Hanse zusammen und bezeichnet alles Uebrige als Zubehör, die andere aber 
legt sie sogar in die Sladt. 

7) z. B. Grimm, Weisth. HI. S. 131. 161. 

8) Das. I. 726. 



105 

Sala (der Herren - WohüÄiig) gehörig© Laad*).- Der andere Thell Wn- 
g^egen war mit Hörigen oder Freien besetzt , welche auf den inneha- 
benden Hufen wohnten. Für die Benutzung derselben hatten die Bebauer 
bestimmte Abgaben an Frucht, Vieh und Webereien zu liefern, ge- 
wisse Dienste zu leisten und insbesondere ,das Salland zu .bebauen. 
Dieser Ackerdienst wurde jenseits des Rheins Curvada (coroada, croada, 
corveia etc.) genannt *), und diese Bezeichnungen brauchte man auch 
für dasjenige Stück Herrenland, welches jedem Dienstpflichtigen 
zum Bau überwiesen wurde. Ein solches Stück hatte eine bestimmte 
Grösse und wurde dem Fröhner wohl für jeden Ackerdienst beson- 
ders zugemessen'). Vier solcher Kurvaden nannte man eineMappa, 



1) lieber Sala, terra salica etc. s. „Die Namen Salier und salische Franken 
- als Bezeichnungen eines Frankenstammes '* , von Dr. Rein. S. 18 f.'* 

2) Es kommt diese Bezeichnung schon in der. 812 aufgestellten Güterbeschrei- 
bung der Abtei St. Germain zahlreich vor (vergl. das Register in Guerard, Po- 
lyptyque II. p. 418, sowie im Text T. 1. P. II. p. 647 ; auch Schmitthenner, Grund- 
linien des Staatsrechts p. 166 und Beuschel, Glossar. II. 629 f.) , obwohl in einem 
weitern Sinne, dem daraus entstandenen heutigen franzosischen corvee ent- 
sprechend, auch jede andere Frohnarbeit darunter verstanden wurde. Cäsarius 
sagt in seinen Erläuterungen zu dem Güterregister der Abtei Prümm : . „ Curvadas 
facere est, ita nobis sicut sibi ipsis arare; quas curvadas vulgariter appellant 
Ackerplughe '< (Bontheim , Bist. Trevir. I. 664). Diesseits des Rheins ist das 
Wort unbekannt, gleich wie auch das gleichbedeutende Atten oder Batten 
(d. i. AUod), Eine kölnische Urk. von 1064- sagt; „agri curiae, quos vulgariter 
Atten appellamus". (Brinckmeier, Gloss. I. p. 185.) Eine andere Urk. von 1284 
hat Ayden (Günther, Cod. dipl. Rheno - Mosell. I. p.*79). „Mansi indominicati 
— sagt Cäsarius (Bontheim 1. c. p. 662) — qui sunt agri curiae, quos vulgariter 
appellamus Seigut sive Atten vel Cunden^*^, und in einem trierischen Güterregister 
liest man: „ceteri rustici banno archiepiscopi utentes ibidem III diebus in anno 
venient ad Atthin archiepiscopi ad arandum*' (Lacomblet, Archiv I. 311, wo 
das Wort noch oft vorkommt). Im Elsass nannte man das den Dienstleuten zukom- 
mende Dienstbrod: „Ahtebrod" (1144: „unus panis, qui dicitur Ahtebroth". 
Schopflin, Alsat. dipl. I. 226). Dass auch jenes Gunden wiederum dieselbe Ber 
deutung hat, ergibt sich schon aus der angeführten Stelle, und ähnlich liest 
man auch in einem trierschen Weisthume: „III kumde, id est hatas, que con- 
tinent in se circa 175 jumalia" (Lacomblet a. a. 0. S. 372). In französischen 
Urkunden kommt das^Wort auch unter den wechsenden Formen von „Gumma 
(Henschel H. p. 698), condemina*, condamina, condomina'V etc. (ibid. p. 516 
und 517) vor. 

3) Diese Messung beschreibt eine Urkunde von 1106 auf folgende Weise: 
,, Cum autem debent arare, cum virga meititur eis, qua et mansi solent metiri, 
et ipsa virga. signata est secundum uniuscuiusque rationem, et nbicunque Signum 
occurrerit, ibl parvum lignum fingitur in terram, et ipsi tantum in prima scis- 



IM 

und diese umfasste einen Raum von 60 Ruthen Länge und 6 Ru- 
then Breite *). 

Das Verhältniss der Salhöfe 2u den Nebenhofen bleibt mih 
mer dasselbe so wohl in den geschlossenen Dörfern, als auch 
da wo der Anbau, wie in Westphaien, aus vereinzelten Höfen 
besteht. Hier, in Westphaien, lag der Herrenhof nur vereinzelt 
und um ihn zerstreut lagen die Nebenböfe. Der Hof zu Olfen hatts 
889 16*), der zu Riesfort 1049 7 Nebenhöfe *). Die Verschiedenheit, 
welche die Hofmarken der Dorfgegenden boten, bestand lediglich 
darin, dass die Nebenhöfe zusammen lagen. 

In Bezug auf die räumliche Ausdehnung der HofmarHen waltete 
die grosste Verschiedenheit. Der Hof zu Löwen, welchen daö Stift 
Köln im J. 800 erhielt, umschloss ein Gebiet von 7 Meilen Länge 
und 1 Meile Breite, und seine Kirche halte 9 Filiale*). Im J. 633 
wird ein Hof genannt , zu dem acht Dörfer gehörten *) , und derartige 
Höfe sind keineswegs selten*). Im Jahre 890 halte das Stift Salz- 
burg eine Cartis von 300 Hafen'')* 

Bald umfasste ein Hof ein ganzes Dorf*), bald auch nur einen 
Theil eines Dorfes'), wo dann das Dorf unter mehrere Häupthöfe 
getheilt war ; oder die zum Hofe gehörigen Hufen lagen auch . 
wohl vereinzelt in mehreren Dörfern*"), und dass auch die Zahl 



sora et seminatione arant , sie et in pratis fiet et sepibu^'S Kopp , Vind. 
actor. Mureusiiitn. Acta fundat. p. 67. 

1) Henschei I. c. VI. p. 651. ^ 

2) Kindlinger, Münster. Beitr. II Urk. S. 30—36. 

ä) „Clnirtim miam ~ insuper VII famliias, id est VII hobas". Moser, 
osnabr. Gesch. J. Beil. S. 18. . 

4) Kindlinger, Münster. Beifr. II. Ürkbch. S. 1. 

5) Pardessns I. c. 11. p. 22.1 

6) Z. B. 708t „curia in Arlishehtr cnni suis appendicüs scilicet Heimcrsdorf, 
Brunstat, Hirsunge" etc. SchÖpfHn, Als. dipl. I. 28. 1021: „curtera Rhite — 
Jn pago Chymengomie -^ cum oAtniVus appendicüs, villis scilicet, areis, ag^ris** 
etc. (Ried 1. c. T. 136.) 

7) Juvavia Ö. 113. 

d) „In Villa Hotaha sunt mansi X cum hubis X, nint indomihlcaCa ei IX ser- 
viles", tr. Lanresh. 367(^. 

Ö) 876 : „ curtitri unam -^ ctint casA caeterrsqtie aediflcirs et cum ömnibtis 
appcndicits, et in ipsa vlila liubas IUI, tx quartam partem terfitorii ad 
ipsam villam pertinentem , nee non et dimidinm ipsum agrunt , qui proximus est 
domui et iuxta ipsam cnrtim iacet'^ Neiigart 1. e. f « 406. 

10} „In Villa Kachanaog Borainaia cu^rtem Hnam cum decem domiaicalibtis 
)ii>bis in eodem locoetinaHislocis ibiin circum eirca jacenCibus illuc 
perünentibus *^ Dumge, Reg. BadeB»ia p^ 81. pie zitm Hof« zu Blrgida»»tai in 



107 

der kleinen Hufe, deren Inhaber ihr Land selbst bestellten , nicltt 
gering war , muss man aus dem Kapitulare von 807 schliessen. Es 
spricht dasselbe nicht nur von solchen , welche nur eine oder eine 
halbe Hufe besitzen, sondern erwähnt auch anderer, welche gar 
keinen Grundbesitz , weder Hörige noch Land , hatten ^) » und Glei- 
ches zeigt auch ein Kapitular von 812. 

Dass die Hofmark demnach nicht immer ein geschlossafies Ge- 
biet darstellte, ergiebt sich aus dem Vorausgegangenen von selbst. 
Aber der Bestand dieser Höfe war auch keineswegs immer derselbe. 
Man verkaufte oder vergabte nicht nur Hufen aus dem Hofe und cnt- 
liess dieselben dadurch aus dem Verbände des Hofes, sondern legte 
demselben auch fteu erworbene zu; Ja man schuf sogar auch neue 
Höfe, indem man von verschiedenen Seiten gemachte Erwerbungen 
vereinigle *). Diese neuen Erwerbungen geschahen freilich nicht im- 
mer auf rechtliche Weise. Der Mächtigere brauchte nur zu oft seine 
Gewalt geg€h den kleinern Grundbesitzer, und vertrieb denselben ent- 
weder von seinem Heerde oder zwang ihn wenigstens, die Freiheit 
seines Besitzthums aufzugeben und ein AbhängigkeitsverhäUniss 
durch Uebemahme bestimmter Verpflichtungen anzuerkennen, welches 
in späterer Zeit sich häufig bis zu einer Hörigkeit steigerte '). 

Ausser solchen Gewaltthaten wurde aber auch die Einfühnmg 
des Christenthums Veranlassung zum Untergange zahlloser freier 
Grundeigeuthümer. Um sich die Segnmigen des Jenseits zu sichern» 
wm^den nämlich der Kirche eine Menge derartiger Besitzungen über- 
geben. Zum Theil geschah dieses als einfache Schenkung , zum 
Theil aber auch, und zwar vorzugsweise mit zahllosen kleinen Hö- 
fen, in der Weise, dass der Hofherr, um des Schutzes der Kir- 
che willen, seinen Hof dieser zu Eigen übergab und gegen die 



der Königsliunder gehörigen 30 Hufen lagen 927 in vier Dörfeni zerstreut. 
Hufer u. s. w. Zeitsch. für Archivkunde u. s. w. I. 358. 

1) „Et qni sie paaper inventas fuerU, qni nee mancrp^a ncc propriam pos* 
sessionem terrae habeat^' etc. (Pertz. Mon. Genn. Leg. I, p. 149.) 

2) So sagt eine Urkunde voi\ 819: „Item cedimus mansiim dominicatnni, 
quem de diversis hominibus pariter comparavimus in pago Turo- 
iirco, m condita Monte -Laudiacensi'Jtt vilhi Grusffio^ citm terris, domibus, aediß^ 
cHs, viueis, pratts, paseuis, cuttum 6i iactthom/* Marien« et Darandy Tbesaaruft 
I. 20 et 21. 

3) Beispiele solcher Gewaltthätigkeiten liefert unter andern die Gcscliicbte 
4es Klosters Muri in der Schweiz, >n Kopp, Viudiciae. D«r bei weitem grussle 
Theil ist aber unaufgezeicluiei gcbliebeu. 



108 

llebernahme eines geringen Zinses wieder verliehen erhielt. Durch 
eine solche Uebergabe verlor nun aber der Hof seine Eigenschaft als 
echtes Eigen. Ja diese Uebertragungen nahmen später noch bedeu- 
tend zu, als die Heerbannspfhcht durch ihre sich steigernde Last 
vorzugsweise die kleinen Grundbesitzer antrieb sich derselben zu 
entziehen y wozu die Aufgabe der Freiheit durch die Stellung unter 
den Schutz der Kirche das einfachste Mittel abgab. 

In Folge dieser Uebertragungen sind zahllose Freie aus ihrem 
Stande herausgetrieben worden. Es lassen sich freilich keine stati- 
stischen Nachweisungen darüber geben , aber wohl lässt sich ein 
Schluss aus der im Ganzen geringen Zahl der Freihöfe machen , welche 
wir in der spätem Zeit finden *). ^ Dem Qange gemäss , welchen die 
Erweiterung des Anbaues des Landes genommen , hätte sich deren 
Zahl in einem diesem entsprechenden Verhältnisse vermehren müssen, 
statt dessen aber minderte sich die Zahl immer mehr, und den letz- 
ten Rest der ehemaligen Freihöfe sehen wir in den noch heute vor- 
handenen Domänen und Rittergütern, obwohl auch von diesen noch 
ein Theil erst späterer Entstehung ist. 

In Folge jener verschiedenen Entwickelungsphasen bildeten sich 
unter den in, der Hofmark Wohnenden mehrere nach ihrem persönli- 
chen Stande verschiedene Klassen. Ich werde mich hier jedoch nur 
auf ihre Aufzählung beschränken, weil ich darüber nichts Neues zu 
geben vermag. 

Die vornehmste Klasse waren die Freien, ingenuiles; ihr 
Grundbesitz .war entweder durch freiwillige Uebergabe oder auf eine 
andere Weise mit emem grössern Hofe 'verbunden worden ; sie zahl- 
ten meist nur einen geringen Zins , und ihre persönliche Freiheit war 
so wenig geschwächt , dass man sie sogar als heerbannpflichtig findet. 

Eine andere Klasse sind die Freigelassenen, Liberti, 
solche nämlich, welche aus der Hörigkeit entlassen waren. 

Die Liden oder Lazzen, coloni, welche den vorigen 
gleich, und also ebenfalls persönlich frei waren, standen zu ihrer 
Hufe in einem Meierverhältnisse. Der Hofherr übergab ihnen das 
Gut gegen bestimmte Leistungen, und wie derselbe es ihnen: wieder 



1) Noch unter Kaiser Heinrich IV. sehen wir 1078 60,000 milites armali 
im sächsischen Heere. Brano, de hello saxon. c. 103. 



100 

entziehen konnte, so stand auch ihnen frei, dasselbe wieder zu ver- 
lassen. 

Die unterste Klasse endlich waren die Hörigen oder Leib- 
eigenen, serviles, welche dem Hofe mit ihrer Person gehörten 
und deshalb auch mit dem Grundbesitze veräussert wurden. 

In den Urkunden werden die einzelnen Klassen indessen nicht 
immer so streng geschieden, und sogar die Bezeichnimgen lassen 
sich nicht stets als massgebend betrachten. 

Das Zahlen - Verhältiiiss dieser Klassen zu einander war auf je- 
dem Hofe verschieden. Der grosse zehn Kirchen umschliessende 
Hof von Löwen hatte nur sieben mit Hörigen besetzte Hufen (mansi 
serviles) '), während ein anderer Hof 33 Hufen mit Freien und 39 
mit Hörigen besass *). 

Jede dieser KlaSisen hatte ihre besonderen Rechte, welche zu- 
sammen das Ho fr echt bildeten '), dem auch die persönlich Freien 
unterworfen waren, sobald es sich um ihren vom Hofe abhängigen 
Besitz handelte» da nur das echte Eigen vor's Yolksgericht ge- 
hörte. Der Hofherr war zugleich der Hof rieht er ), doch entschied 
derselbe keineswegs unabhängig, sondern nach dem Spruche der aus 
den Hofhörigen hervorgegangenen Schöpfen '). Ein solches Gericht 
nannte man Frohnding, Budingu.s.w. '). Wurde ein Spruch an- 
gefochten, so geschah dieses bei dem Oberhofe. Es gehörten 
nämlich stets eine Anzahl von Hofmarken zu einem Oberhofe, dessen 



1) Rindlinger, Münst. Beltr. II. Ukbcli. S. 1« 

2) Zeuss, 1. c. S. 275. % 

3) Eichhorn , (über den Ursprung der städt. Verfassg. in Deutschland in der 
Zettschr. für geschichUiche Rechtswissensch. von Saviguy u. s. w. I. 161 u. 165) 
meint, dass die Hofrechte sich erst spät gebildet hätten. Sicher sind dieselben 
aber eben so alt, als das Hofverhältniss. Dass wir die Rechte erst später ken- 
nen lernen, ist kein Grund ihr früheres Vorhandensein zu bezweifeln. 

4) 13. Jahrh. : „ quod sequuntur tria placlta, que dicuntur Botschefte ; hec tiia 
placita presidebit dominus curie, qui est mansionarius , cum scuUeto suo, cum 
mansionariis et omnibus, qui sunt in banno ville, iura curie renovare et requi- 
rere defectum de bonis dopinornm '^ etc. Grimm, Weisth. I. S. 692. Dieses Bei- 
spiel mag statt vieler genügen. 

5) 1336 : „ quod eiusdem curtis scuUetus et jurati , qui ibidem mansionarii sive 
Hoyuenarii (Hüfener) nuncupatur. Günther 1. c. III. 232 u. 233. 

6) Grimm, Weisth. III. S. 613,625,802 u. s. w. Buding kommt schon in 
einer TJrk. von '1052 vor (Günther 1. c. I. 132.). Es bezeichnet einfach das Ge- 
richt über die Bebauung des Hofes. 



y' 



110 

Geiicht als Oberg^ericht galt *). Diese Eigenschaft des Oberhofs scheint 
M'enigstens in ältester Zeit nicht aus einer willkürlichen Wahl hervor^ 
gegangen zu sein, vielmehr im Verlaufe des Anbaus des Landes 
^anz in derselben Weise sich gebildet zu haben » \ne ich dieses spä* 
ter bei den Gaumalstätten nachweisen werde. 

Diese Hofverfassungen gaben nicht selten den Dörfern ein bimtes 
Bild , weiui nicht nur mehrere Höfe am Orte waren , sondern auch noch 
freie Grundbesitzer daselbst ihren Ansitz hatten. In diesem Falle bilde- 
ten wie die letzteren , so auch die einzelnen Höfe eben so viele geti^eiinie 
Gemeinden , jede unter einem besondern Scbultheissen. Ein recht an- 
schauliches Beispiel hiervon gewährt Zürich. Ausser dem alten Mün- 
ster mit seinem Hofe halte das Stift Frauenmünsler zwei Höfe daselbst, 
von denen der eine ein ehemals königliches Kammergut war, mid ne- 
ben diesen bestand auch noch eine, freie Gemeinde *). 

Dieselbe Hofverfassung zeigt sich in ihren wesentlichen Grund- 
zügen allenthalben in Europa. Beinahe vollständig erhalten sehen wir 
sie namentlich noch in den slavischen Ländern ') und ebenso auch in 
Ehst - und in Kurland *). Aber auch in England sind ihre Spuren noch 
unverkennbar, denn jene grossen Güter der englischen Aristokratie 
sind nichts anders als die alten Hofmarken; sogar London steht zum 
Theil auf solchem Boden , und der Herr desselbea, der Hoflierr , giebt 
denselben nur pachtweise ab, gemeiulich auf die Dauer von 90 Jah- 
ren, so dass nach deren Ablaufe die darauf erbauten Häuser ihren 
Grund verlieren. Die deutschen Verhältnisse haben indessen eine we- 
sentlich andere Entwickelung genommen. Es liaben sich hier nicht 
nur trotz des Untergangs zahlloser kleiner Freien weit mehr solcher 
kleinen freien Grundbesitze als dort erhalten , sondern auch die Nicht- 
freien, überhaupt die, welche kein echtes Eigen hatten, haben an 
dem innehabenden Grundbesitze ein Erbrecht erworben, welches zu- 
letzt zum imbeschränklen Eigen führte, während jenseits des Kanals, 
ähnlich wie in Norditalien , ' das alle VerhäUniss einer Zeilpacht sich 
erhielt, was dort die Bildung eines eigentlichen Bauernstandes un- 
möglich machte. 



1) In den Grimmschen Weisthümern kommen häufig Beispiele davon vor, 
2. B. I, 737. 11, S. 51 u. 52. 

2) S. Eichhorn bei Savigny a. a. 0. S. 215 — 217. 

3) lieber die Hofverfassung um Kiew s. v. Haxthausen , Studien II. S. 485. 

4) S. Kohl, die russ. deutschen Ostseeprovinzen I. S. 380. 



Dritter Abschnitt 

Die HI a r k e Dt 



1) Die Mark in ihrer Bedeutung, ihrer Bildung und 

ihrer Entwickelung. 

Was ist Mark? An dieser Frage haben sich Viele versucht, aber 
nur Wenige haben sie gelöst und auch diese Wenigen keineswegs in 
ihrem ganzen Umfange *). Es konnte dieses auch wohl nicht an- 
ders sein; während man bei der Benutzung der vorhandenen rei- 
chen Hülfsmittel sich auf einem zu allgemeinen Standpunkte hielt und 
kaum daran dachte, deren 'Wesen zu durchdringen und sie praktisch 
zu machen» standen die meisten Forscher dem Leben, nämlich dem- 
jenigen, was noch heute ist und besteht, zufreind, oder waren docli 
zu sehr von dem Gedanken befangen, dass das, was sie vor sich 
hatten, etwas längst Untergegangenes, längst spurlos von der Erde 
Verschwundenes sei Man suchte in weiter getrübter Ferne was 
zunächst vor den Füssen lag. Alle ältesten Verfassungszustände sind 
nicht aus menschUcher Willkür entstanden, sie sind nicht, wie das 
heute der Fall ist^ aus Organisationsedikten hervorgegangen , sie sind 
vielmehr, ähnlich wie der Baum aus dem in den Schooss der Erde 
niedergelegten Kerne, nach einer gewissen Notliwendigkeit , nach 
hestimmten von der Natur selbst gegebenen Gesetzen erwachsen und 
darum, hn Volke und in dessen heimischem Boden fest wurzelnd, mit 
einer so unverwüstlichen Dauer begabt, dass sie bis in unsere Tage 

mit zahlreichen Resten herüberreichend , noch heute das Leben unse- 

» 

res Volkes vielarmig umschlingen und tragen. Um die Vergangen- 
heit zu verstehen ist die Kenntniss der Gegenwart unerlässliclu Nur 
durch diese wird uns das Verständniss jener möglich. 






1) Ich unterlasse ehie Aufzahlung der verschiedeuen Meinuagen. 



11« 

Um nun die oben gestellte Frage zu beantworten , brauchen wir 
, nur auf unsere heutige Feldmark zu verweisen. Im Wesen ist sie 
noch ganz dasselbe, und nur in räumlicher Hinsicht, und zwar nur 
nach Innen, hat der Begiiff einen Wechsel erfahren. 

Ich muss jedoch noch voraus bemerken, dass wie noch gegen- 
wärtig, so auch schon ehemals die Bezeichnung Mark einen zwiefa- 
chen Begriff ausdrückte , einen Doppelsinn in sich schloss , der indess 
aus ein und derselben Quelle hervorgegangen ist Das einemal be- 
zeichnete Mark ein bestimmtes Gebiet , das anderemal nur die Gränze 
eines Gebiets *). Die Markgrafschaften haben nur darum ihren Na- 
men, weil sie Gränzgebiete waren. Die gothische Bibel -Uebersetzung 
des Ulfilas braucht Marka zwt^r nur n,l<^ Gränze^. aber es liegt doch 
darin keineswegs der Beweis, dass das Wort im Gothischen nicht 
auch jene Bedeutung gehabt. Auch die lateinischen Ausdrücke ter- 
minus und f i ni s werden bald in dem einen , bald in dem andern Sinne 
angewendet. So heisst es z. B. 839 : „uiUas — Geismara et Borsaa cum 
terminis suis"*) und „villam Vrespringen — cum omnibus terminis 
et finibus suis" '). Ferner 797 „infines vel in marcas, qui dicitur 
Torono marca, et in alia, qui dicitur Murchingo marca" ^); 742: „in 
jßine vel in marca Hagenbache" ). Ebenso sagt auch Kaiser Fried- 
rich H., als er 1214 dem dänischen Könige Waldemar E den Besitz 
der von demselben eroberten Gebiete bestätigte : „ omnes terminos ul- 
tra Eldenam et Albiam" '). 

Hier haben wir zunächst es nur. mit der einen Bedeutung zu 
thun , und in dieser bezeichnet Mark ein für sich abgeschlossenes , zu 
einem Ganzen verbundenes Gebiet mit allen darin liegenden Wohn- 
stälten. Ländereien und Wiesen, Wäldern und Trieschem, Gewäs- 
sern und Wegen u. s. w. 

Allenthalben wo sich der Name einer Mark findet, w^ist der- 
selbe, wie das auch schon die gegebenen Beispiele zeigen, auf eine 
bestimmte Oertlichkeit , auf eine bewohnte Stätte hin, mit andern 
Worten : jede Mark ist das Gebiet einer Stadt oder eines Dorfes. 
Der Schenkungsurkunde, durch welche die Abtei Lorsch die villa 
Hephenheim erhielt, folgt „descriptio marchae vel terminus (!) silvae, que 



1) 1263: marka seu lantsceide (Ungedr. ürk.) 

2) Dronke , Cod. dipl. Fuld. nr. 524. 

3) Ibid. nr. 527. 

4) Neugart I. c. 1. p. 114. 

5) Zeuss , Tradit. possessionesqne Wizenburgenses p. 8. 

6) Cod.^dipl. Pommer. nr. 98. 



tl9 

pertinet Hephenheira" und in dieser Beschreibung selbst heisst es „a 
ioco — ubi Gernesheim niarcha adjungitur äd Hephenheim marcham" ')» 

Um die Lage eines bestimmten Ortes in einer Mark anzugeben, 
brauchen deshalb die Urkunden statt der gewöhnlichen Bezeichnung 
„ in marca " häufig auch andere Formen als gleichbedeutenfj , wie „ in 
villa** *), „in fine" oder „in finibu? villae" '), „infra terminum vil- 
lae" *) und noch 1251 : j,dimidietas terminorum, qui vulgariter ap- 
pelläntur marcha illarum villarum," **); „in confiuio" •) und „in terri- 
torio" '). Die gleiche Bedeutung hat das nur im südlichsten Deutsch-r 
land, besonders in der Schweiz, vorkouunende , in Frankreich hin- 
gegen um so gebräuchlichere „situs" ^ 

Obwohl Bann sonst nur das Gebot übw einen Bezirk bezeich- 
net, so wird dieses Wort doch auch für Mark gebraucht und zwar, 
wie es scheint, ain frühesten im Elsass, wo es sich schon seit dem 
neunten Jahrhundert findet ') , während man anderwärts ihm erst spä- 
ter begegnet *'^. 



1) Trad. Lauresh. nr. 6. 

2) In den Urkunden der Abtei Weissenburg im Speiergau ist die Form ^, in 
viHa vel in marca*' die gewölinlichste. Zeuss, 1. c. p. 13,30,31,33 u. s. w. 

3) 786 : in flne vel in marka. Schöpflin , Alsat. dipl. I. 40 

4) 896: unum monasterium in Ioco Mulinpeche ~~ infra terminum villae, 
quae nuncupatur Achriste. Grupen, Orig. Germ. III. 123. 

5) Mone, Zeitschr. für die Gesch. des Oberrheins I. 127< 

6) 795; in confinio Uuestheim in uilla antiqua. Dronke, Cod. dipl. Fuld. 
ur. 110; 944: in uilla Rodigeresrod — dimidiam partem coufinii, id est marchae. 
Beckmann. Anhalt. Histor. I. 167. 

7) in territorio pertiuente ad villam Duringe. Dumge , Regesta Badens. 
p. 67; Villa Bentin in territorio Wittenburg, Westphal, Monum. inedit^ II. 2055. 

8) in pago Durgaugense et in situ Arbunense. "Wirtembg. Ukbch. S. 35} 
828: in pago Diirgawe et in situ Waninctale. Neugart 1. c. I. nr. 198. Zuwei- 
len scheiut es auch nur die Lage eines Ortes im Allgemeinen bezeichnet zu ha« 
ben, und zwar ganz in dem Sinne unseres heutigen Sprachgebrauchs, wenn wir 
die Lage eines Ortesxuach einer gewissen Gegend bestimmen. So findet sich 
das Wort wenigstens in angelsächsischen Urkunden z. B. 967: V mansas in situ 
nionasterii, und 1062: in .situ eiusdem monasterii. Kemble , Cod. dipl. Anglo - 
Sax. HI. nr. 532 u. IV. nr. 812. 

9) 817: ecclesia cum omni decima ipsius banni. Schöpflin 1. c. I. 60; 
962 : insuper tertiam partem banni Stivagiensis , in terris , pratis etc. , qui ban . 
nus continetur his confinils a Jordannis fönte etc., ibid. p. 117; 1141: mansum 
unum, cuius curtis jacet in villa Ahewilre in banno Muteresholz. ibid. p. /il4. 

10) in Schwaben 1275: in banno villae . . . Neugart 1, c. II p. 296; am 
Kiederrheiu 1306 : infra bannum seu terminos — ville. Günther, Cod. dipl. Rhc 

Landau. Territorien. S 



114 

Zu den deutschen Bezeichnungen , welche denselben Begriff aus- 
drücken, gehören Feldmark*), Weichbild*), dessen Gebrauch 
sich jedoch zunächst nur auf die städtischen Marken beschränkt , und 
das in Norddeutschland übliche Börde *). 

Am Ober- und Mittelrhein, so wie auch am Unterrhein findet 
sich häufig das Wort H e i m g e r e i t h e *). Obwohl dasselbe auch häufig 
als Haingereithe') vorkommt, so halte ich doch schon deshalb 
Heiragereithe für die richtigere Form, weil der Begriff desselben 
njpht blos den Wald, sondern auch alle anderen gemeine Gründe um- 
schliesst Sehr bezeichnend heisst es in dem Weisthume von Biebe- 
rau: „Wir wysen die Mark vur ein recht Haimgerede, wass sie zu 
Rade worden vnd GeboX mechten, fugete iz en nit, sie mochtens 
mynnern oder meren** *) , denn man erkennt hieraus ohne Schwierig- 
keit die Bedeutung, und wenn wir imser „Hofreithe" daneben stel- 
len, so wird auch die Etymologie des Wortes bald klar, ^denn 
wie Hofreithe die gesummte Hofstätle (mansus) , so bezeichnet Heim- 
gereithe die Mark, das einen geschlossenen Bezirk bildende Land 
(Heim) '^). Allerdings findet sich das Wort nicht in jener allgemei- 



no-Masel. IIL p. 116; in der Wetferau 1496: „beider Dorfgemeyne Weide im 
LützelUnder Bann g-elegen" Wigand, Wetzlar, ßeitr. III. S. 124. 

1) 1344: „gelyke den Dorpen de von Oldings uppe der Veitmarke to Lu- 
beke gelegen sint." Michelseu, Schlcsw. - Holst. -Lauenbg. Urk. Sammig. I. S. 116. 

2) 1405: „of dem Dorfe czu Strelitz des Wichbildes Svvidnitz gelegen." 
Sommersberg, Scr. Rer. Silesiaoar. I. p. 937. Anch die Mark von Bielefeld wird 
schon 1287 u. 1326, wie noch heute, Weichbild genannt. Piper, Beschrcibg^. 
des Markenrechts in Westphalen, S. 63. 

3) 16. Jahrb.; „in der Börde to Oldendorppe" lagen an 24 Dörfer, v. Ho- 
denberg, das Vorder Register S. 146 u. 147. Auch sonst wird Bord in der Be- 
deutung von Rand (Schiffsbord, Borde am Kleide) gebraucht, und weist über- 
haupt auf den Begriff einer Gränze hin. Im Angelsächsischen bezeichnet es da- 
gegen sowohl ein Haus als ein Schiff. 

4) Im Speierschen 1256: Heingercide. Würdtwein, Nova subs. dipl. XIT. 
p; 170; auch 171, 172 u. 173. Im J. 1291 gab Kaiser Rudolph der Stadt Lan- 
dau das Beholzigungsrecht in silva Hemgereite. Grimm, Weisth. I. S. 767;' 
1394: einen Weidegang han — vf die Haingereldfe. Das. S. 314; 1385: 
„ Heimgerede." Das. I. S. 512. Auch im Oberrheingau heisst der gemeine Wald 
Heimgereithe. Bodmann , Rheingau. Alterth, S. 489. und Gleiches zeigt 
sich im £Isas8. 

5) S. die vorige Anmerkung. Yergl. Bodmann a. a. 0. S, 439 u. ff. 

6) Grimm a. a. 0. 

7) Auch der Heimbürger, die Bezeichnung des rts vorsteh ers , weist 
darauf hin, gleichwie die Eintheilung der Stadt Worms im Heimburgschaften, 



^ 115 

nen Bedeutung, sondern mir noch in der als Gemeingui, aber es 
hat in dieser Hinsicht sicher ganz denselben Entwickelungsgang wie 
der Begriff des Wortes Mark genommen. An die Heimg'ereilhe 
schliesst sich das demselben eng vei-v^'andte friesische Heimmar- 
ke (Hemmerk, Hammerk, Hanru'eke, Himrik, Hemrik u. s. w.). 
Eine Urkunde von 1241 gibt uns dafür den Beleg: lotamviilam in 
Marahusum et totam Hemmercam illius ville *). Auch dieses Wort 
hat seinen allgemeinern Begriff eingebüsst und wird jetzt nur noch 
zur Bezeichnung der Gemeindewiesen gebraucht*). 

Endlich ist noch die indess nur in Oberhessen vorkommende 
imd bis jetzt noch nicht erklärte Bezeichnung Ein wart zu erwähnen. 
Es bezeichnet dieses Wort sowohl das Gesammlgebiet des Dorfs als 
auch insbesondere das eigentliche Gemeindegut, sowie die poli- 
tische Gemeinde '). Ich habe das Wort jedoch nicht früW als 1343 
gefunden *). 

Aus allen bisher mitgetheilten Beispielen geht hervor, dass dem- 
jenigen Orte, nach welchem eine Mark genannt wurde, das ganze 
Gebiet derselben allein zugestanden haben muss, sowie dass alle 
ausserdem innerhalb der Gränzen dieses Gebietes noch weiter be- 
stehenden Orte für nichts anderes, denn als auf dem Gmnde und 
Boden des Markdorfes später, entstandene Anlagen oder , wie sie die 
Urkunden bezeichnen, als Zubehorungen des ersten Dorfes") betrach- 
tet werden müssen. Noch im spätem Mittelalter war der Begriff des 
Dorfes nicht auf den Raum beschränkt, welchen die Wohnstätten 
einnahmen, sondern es war die gesammte Feldflur, welche das Dorf 
darstellte, so dass auch schon längst ihrer Wohnungen beraubte 
Dorffluren dennoch nach wie vor immer noch Dörfer genannt wurden. 



denn in andern Städten finden sich statt dessen Bauerschaften. .Ebenso gehurt 
die in zahllosen Ortsnamen vorkommende Endung heim hierher. 

1) Driessen, Monam. Groning. p. 541. 

2) V. Richthofen, Altfries. Wörterbuch, u. Wiarda, Ges^h. der altfriesischea 
oder saclis. Sprache, unter Hamreke. Wahrscheinlich h«t das in einer meck- 
leüborgischen Urkunde sich findende „Heinielant" (de campo , qui vocatur Hey- 
nielant. Lisch, Urk. IT. 267) ebcnwolil die Bedeutung von Gemeindeiand. 

3) Näheres darüber s. in der Zeitschr. des Vereins für hess. Geschichte u. 
Landeskunde IV, S. 61 o. 1Ö7 f. 

4) Die die Kommenden Marburg u. Schiffenberg betr. Deduktion des deut- 
schen Ordens : Entdeckter Ungrund derjenigen Einwendungen u. s. w. Beil. 187. 

5) . . villam Vrespringen .... cum omnibus uilhilis et uiculis. Dronke, 
Cod. dipl. Fuld. nr. 527 ; . . . villam — Barisiacum — cum universis uilluUs ad 

se adspicientibus. Miraeus , Op. dipl. 1. 125. 

8 * 



116 

Die ältesten Marken , nämlich diejenigen, welche gewissermassen 
als Urmarken anzusehen sind, umfassen deshalb sämmtlich einen 
bedeutenden Flächenraum. Um von einem Gränzpunkte zu einem 
andern zu gelangen, waren nicht selten Tagereisen erforderlich. Es 
waren Gebiete, wie wir sie zum Theil noch heute in Ungarn und 
Schweden finden. Das schwedische Kirchspiel Hamardale in Jemt- 
land ist so gross wie ganz Schonen, und das Kirchspiel Gelivare 
umfasst sogar 150 □Meilen und hat demnach keinen geringern Um- 
fang als Schonen, Blecking und Gothland zusammen* Den Beweis 
für eine solche grosse Ausdehnung der ältesten Marken geben jene 
Gränzbeschreibungen von Marken, welche schon in fi^üher Zeit in 
den Urkunden niedergelegt worden sind. 

Die ältesten Dörfer lagen demnach sehr' vereinzelt , dmxh weite 
Räume von einander getrennt, und diese Räume waren wohl sicher 
zum grössten Theile mit dichtem Walde bedeckt, ähnlich wie die- 
ses Cäsar*) von den Gränzen der S^ieven berichtet; nur lag dieses 
zusehr in der Natur der Verhältnisse , als dass man noch , wie Cäsar, 
eines besondern Grundes bedürfte, um diese Thatsache zu erklären. 

Obwohl die Gründung dieser grossen Marken weit über unsere 
historische Zeit hinausreicht, so sind sie doch auch im spätem Mit- 
telalter noch deutlich zu erkennen , ungeachtet Ihre ursprünglichen 
Verhältnisse sich schon vielfach geändert hatten : die Mark umschloss 
nicht mehr blos das eine Dorf, es waren vielmehr auf dem Grunde 
dieses ersten Dorfes oft in grosser Zahl neue Dörfer angebaut worden. 

Diese neuen Anbauten konnten von keinem andern Punkte aus- 
gegangen sein, als eben nur von jenem ersten Dorfe, denn da der 
gesammte Boden der Mark diesem Dorfe gehörte , vermochte auch nur 
dieses darüber rechtlich zu verfügen. Ohne die Zustimmung der Bewoh- 
ner desselben konnte keine neue Anlage in der Mark begründet wer- 
den. Es liegt dieses schon in der Natur des Verhältnisses, aber auch 
die alten Volksgesetze enthalten darüber deutliche Bestimmungen. Nach 
dem salischen Gesetze*) soll keine neue Niederlassung begründet 
werden, ohne dass vorher die sämmtlicheri* Markgenossen ihre Zustim- 
mung gegeben. Wenn — heisst es — Jemand in einem Dorfe (d. h. 
in dessen Mark) sich anbauen wolle (si quis super alterum in villa 
migrare voluerit), solle derselbe zurückgewiesen werden, sobald auch 
nur -einer »der Dorfgenossen (unus vel aliquid de ipsis qui in villa 



1) De bello gall. IV, 3. 

2) Waitz, Lex salica, T. XLV. p. 253. VergL p. 124. 



117 

* Consistunt) seine Zustimmung versage, Erfolge dessenungeachtet 
die Niederlassung, dann solle man den Eindringling in bestimmten 
Fristen wiederholt zum Abzüge auiTordern und- erst, wenn er auch 
dann dem Gesetze noch nicht nachkomme, in eine Busse von 30 
Schillingen verurtheilen und seine Arbeit zerstören (quod Ibidem la- 
boravit demittat). Nur wenn ein solcher neuer Ansiedler zwölf Mo- 
nate lang ruhig und ungestört in dem Besitze seines Anbaues ge- 
sessen, soll er ohne weiteres zu dem Rechte gelangen, welches 
auch die älteren Einsassen der Mark (vicini) geniessen. Ein spä- 
terer Zusatz bedroht noch diejenigen Genossen mit Strafe, welche 
einen Fremden zur Ansiedlung veranlassen, ehe die gesammte Ge- 
nossenschaft darüber beschlossen hat^). 

Derartige neue Niederlassungen erfolgten von zwei Seiten. Ent- 
weder wurden sie durch Fremde, also durcti Einwanderer, oder 
durch einen Theil der bereits im alten Dorfe ansässigen Einwohner, 
also durch Markgenossen, begründet. Das letztere mag vorzüglich 
dann eingetreten sein , wenn die Bevölkerung zu zahlreich geworden 
war. Doch auch in diesem Falle war die Zustimmung der Gemeinde 
sicher unerlässlich , denn da der neue Anbau auf noch unbebautem, 
also noch gemeinheitlichem Boden erfolgte, war es nothwendig, die- 
sen von der Gemeinde zu Sondereigen zu erwerben. Ebenso folgte 
aber auch sicher aus der Bewilligung der Gemeinde zu einer neuen 
Ansiedlung einfach das Gemeinderecht, nämlich zur Theilnahme an 
der Markberechtigung, weil ohne diese der Bestand eines Landguts 
gar nicht denkbar ist. 

Mit der ersten Gründung von Kolonien war übrigens keines- 
wegs auch schon eine Theilung der Mark verbunden. Mochte deinen 
Zahl auch noch so gross sein , so wurde dadurch die gleiche Berech- 
tigung Aller doch nicht gestört* und es lag darum auch noch keine 



1) Waitz versteht unter vllla das Dorf In dem gewöhnlichen engen ginne; ^ 
aber-villa und marca sind> wie ich dieses schon nachgewiesen habe» durchweg 
gleichbedeutend. Nur so erhalten jene gesetzlichen Bestimmungen auch ihr vol' 
les Verständniss. "Wie würde sich auch Jemand in einem Dorfe gegen den Wil- 
len der Einwohner anbauen können? Auf derartige eigenmächtige Niederiassun- 
gen deuten auch die häufig in den Urkunden vorkommenden Bezeichnungen oc- 
onpatio und proprisum hin. Die in jener Bestimmung sich aussprechende gleiche 
Berechtigung alier Genossen bestand übrigens auch noch in weit späterer Ze^t. 
Noch 1560 sagen Zeugen in Bezug auf die Mark Echzell (in der Wetterau) aus: 
„es hätten zwar Einige im Walde gerodet, weil aber nicht die ganze Mark(ge- 
cossenschaft) ihre Einwilligung dazu gegeben , hätten sie ihre Arbeit liegen Ibis- 
sen müssen <^ 



Ii8 

Notbwendigkeit zur Aufhebung der Gemeinschaft vor. Diesem er- 
Men Ausbaue folgten aber im Verlaufe der Zeit noch mehrere andere. 

Wie von der urspiüngllchen Niederlassung jene ersten Kolonien 
ausgegangen waren, so fanden sowohl von diesen, als auch von 
>ener wieder neue Ausbauten statt. Wie das erste Dorf gleichsam 
die Mutter jener geworden , so wurden diese nun auch wieder Mat- 
terdörfer. Erst dieses neue Verhältniss führte zu einer Aenderung 
in der Benutzung des bisher gemeinsamen Bodens, weil dieselbe ia 
der seitherigen Weise nicht mehr möglich war, und diese Aenderung 
bestand in einer thatsächlichen Trennung und zwar in ebenso viele 
Marken, als nach dem ersten Ausbaue Dörfer vorhanden waren. 

Diese erste Scheidung der grossen Mark in mehrere kleinere 
Marken erfolgte gewiss nicht so gleich nach festen Gränzen. Da 
die Trennung wohl sohwerlich durch eigentlichen Vertrag oder über- 
haupt künstlich geschaffen wurde, vielmehr aus den gegenseitig:en 
Verhältnissen gewlssermassen von selbst hervorging, mögen auch 
die Gränzen sich nur allmälig und zwar in demselben Masse fest- 
gestellt ^ haben, als die Ausbauten in dem Gebiete der Mark sich 
mehrteq und ausdehnten. 

In ähnlicher Weise wie von dem ersten Ausbaue ein zweiler, 
so ging von diesem auch ein dritter und von diesem wiederum ein 
vierter aus und jeder neue Ausbau führte auch wieder zu einer wei- 
tern Scheidung des Markgebiets. 

Das Verhältniss des Urdorfs zu der anfanglich ihm ausschliess- 
lieh zustehenden Mark wurde natürlich durch diese * fortgesetzten 
neuen Anbauten und die denselben folgenden Theilungen wesentlich 
geändert. Das ürdorf war nun nicht mehr der alleinige Besitzer 
der Mark ; seine Mark -hatte sich vielmehr verringert. Nur der alte 
Name des Gesammtsgebiets bUeb 4}0€h ferner bestehen. In ^olge 
dessen bildete sich für Mark ein Doppelbegriff, ein weiterer und ein 
'engerer. Bald wurde mit dem Namen ^ des alten Dorfes das Ge- 
sammtgebiet, bald auch nur die unmittelbar dem Urdorfe zugehörige 
Mark belegt. Auf diese Weise ist es zu verstehen, wenn die Ur- 
kunden den weitern und den engern Begriff gegen einander über 
stellen. Wenn es nämlich heisst „ in finibus Hohheimono in eadem 
uilla Hoheim"*), so wird durch das erste die weitere, durch das 
letzte die engere Mark bezeichnet. 



V 1) Dronke, Cod. ,dip. Fuld. nr. 587. Weitcrc Beispiele sind „in IlnuUing- 
heimero marca et in uilla — Hnutiling:a",ibid. nr. 2üÜ; „in villa — Zarduna — 



11» 

Der ganze Entwicklungsgang, wie ieh ihn gezeicbnei» ist ein 
durchweg einfacher, man kann sagen, ein voa der Natur selbst gewiese- 
ner , und eben darin glaube ich die gewichtigste Bestätigung der Wahv>> 
heit meiner Anschauung zu finden. 

Dict Mark bildet demnach ein einheitliches Gebiet mit einer bald 
grossem, bald geringem Zahl von Dörfern, welche in rechtlicher Bezie- 
hung aber nur ein Dorf darstellen. Der gesammte nicht im Privatbe- 
sitze stehende Boden ist ihr gemeinsames Eigenthum und darum sind 
zwischen den einzelnen Dörfern auch nirgends Gränzen. 

Die letzte Scheidung war diejenige , welche die grössere Mark in 
einzelne Dorffluren trennte, wo also jedes Dorf, wie das heute ziem- 
lich allgemein der Fall ist, ein fui* sich bestehendes selbstständiges 
Ganzes wurde. 

Auch diese Trennung gehört je nach den verschiedenen Gegenden 
und den verschiedenen Verhältnissen sehr verschiedenen Zeiten an. 
Wie es scheint trat sie jedoch in den fruchlbai*eren Gegenden früher ein, 
als da, wo der Boden weniger ergiebig ist, und noch jetzt sind Ge- 
meinden nicht selten , welche aus mehreren Dörfern bestehen *). 

Um den Gang dieser letzten Scheidung anschaulicher zu machen, 
will ich ein Beispiel davon aus Hessen anführen. Das südlich von 
Marburg , rechts der Lahn , liegende, aus den drei Dörfern Argcnstein, 
Rölhchen und Wenkbach bestehende Gericht , gewöhnlich das schen- 
kische Eigen genannt, bildete noch 1748 ein einiges Gebiet, eine Ge- 
meinde , welche nur äussere , keine inn^m Gränzen kannte. Alles Ge- 
meindegut gehölte allen drei Dörfern gemeinsam und alle darüber ent- 
stehenden Rechtsstreite wurden gemeinsatn geführt; alle Gemeindeschul- 
den waren gemeinsam ; die Steuern wiu-den auf alle Bewohner der drei 
Dörfer vertheill, und eben so waren auch Wald- und Feldhute, so wie 
der Schafpferch gemeinsam. Damals begann jedoch schon eine Schei- 
dung. Weil die Gemeinhule für das Zugvieh oft zu entlegen war, be- 
gannen die einzelnen Dörfer die ihnen zunächst liegenden Huleplätze 
allein für sich zu benutzen und es bildete sich daraus allmälig 
ein Sondergemeindegut für jedes Dorf. Die Folge davon war, dass 
man dieses nach und nach ausdehnte und endlich dalün kam , sich über 



et in ipsa marcl^a Zardunense." Nengart 1. c. p. 46 ; „in Keberateswilar« -marcha 
in loco, qui dicitur Keberateswilari. '* Ibid. p. 301. 

1) z. B. im Siegenschen. S. darüber Schenk, Statistik des Kreises Siegen 
S. 92. Auch von Haxthausen (Studien u. s. w. I. S. 459) gedenkt ähnlicher Ge- 
meinden bei den Tscheremissen und Tschuwasclien unfern Kasan). 



IM 

die Ausd^Dong der Beiiulzutig dieser Soudergründe für jedes Dorf zu 
verständigen, also Gränzen zwischen den einzelnen Dörfern festzustel- 
len. . Keineswegs al^er wurde Alles gelheilt; manche Gründe Hessen 
theils in Folge ihrer Lage, theils in Folge ihrer Natur, wie namehllich 
die W&lder , eine Theilung nicht wohl zu , und diese hlieben deshalb 
gemein und bestehen noch heute als allen drei Dörfern zuständige Wal- 
dungen oder als Koppelhuten *). Die Dörfer des Gerichts Ulfa in der 
'Wetterau hatten 1566 noch den Weinschank, die Waldungen und ver- 
schiedene Wiesengründe gemein,' doch besassen die eiiizeliien Dörfer 
audi schon besondere Gemeindewiesen. 

Ich muss noch einer besondem Art von Niederlassungen gedenken, 
nämlich jener zahlreichen Dörfer, welche mitten auf schon befestigte 
Gränzen gebaut worden sind. Dieselben entstanden dadurch , dass Ge- 
nossen von zwei an einander stoss^nden Marken sich dahin vereinigten 
ihre Niederlassung auf die gemeinsame Gränze zu setzen. Das Gebiet, 
was sie nun zu ihrem Dorfe zogen,, nahmen sie aus den .beiden sich 
berührenden Marken. Die dadurch entstehenden neuen Majrken waren 
also Zusammengesetzte, und bildeten als solche \virkliche Einheiten, 
in denen das Gemeingut^ ganz wie in andern Marken , ungetheilt war 
und von allen Genossen zu gleichem Rechte genutzt wurde , in politi- 
scher Beziehung dagegen blieben beide Theile getrennt und gehörten 
vor wie nach zu verschiedenen Gauen. Die Gränze blieb so unverän- 
dert fortbestehen , dass derartige Gränzzüge noch heute , wie vor einem 
Jahrtausend j mitten durch Gebäude ziehen und wohl gar den Heerd 
oder das Schlafgemach theilen. Man erkennt diese Marken meist dar- 
an, dass die dazu gehörigen Orte bald in diesen, bald in jenen Gau 
und zuweilen auch in zwei Marken gesetzt werden. Einige Beispiel^ 
mögen dies erläutern. Im Jahre ß88 heisst es : Hoc est in pago Hat- 
tinhunda et Sulihgeuwa in comitatibus Perengarii et Epathardi villa que 
dicitur Tuzzelinga *) ; ähnlich 893 : in pago Durgowe et in Zurihgowe 
— - et in loco nominato Altthorf '), oder von demselben Orte 902 : in Eika 
marcho et in Wosinihovo marcho — ad Althorf *). Ganz dasselbe Ver- 
hältniss findet sich bei den meisten Marken, welche die Gränze zwischen 
dem Grabfelde und dem Salgaue berühren, denn die Dörfer derselben 



1) Schon eine Urkunde von 1028 gibt uns das Wort „Copeleweide. Lacom- 
blet, Ürkbch. I. S. 102. S. auch S. 115 n. 116. 

2) Neugart 1. c. 474. 

3) Ibid. 494. 

4) Ibid. 524. 



Mark werden bald in den dnen, bald in den andern Gau gesetzt *). Noch 
deutlicher weisen uns die Urkunden auf solche zusammeng-esetzle Mar- 
ken, wenn sie die Markgränzen im Einzelnen beschreiben. So wird 
in einer elsasser Urkunde von 817 die Markgränze „per medium ville, 
que Keteresheim vocatur, in latitudine vero a medietate ville, quae 
Alreswilre vocatur" geführt *). Der Stiftungsbrief des Klosters Gottweih 
von 1083 führt die Gränze : „usque ad villam Ekkebrechtesperch et sie 
per unam curtem eiusdem villule"«). Die Grftnze des Gerichts Oberaula 
zog dergestalt durch Grebenhain , dass 4 Hufen davon nach Innen fie- 
len *), während die Gränze des Westerwaldes durch ein Haus zog und 
ein Ständer auf der Deel als Schnatbaum diente *). Ebenso wird ein 
Hof genannt „do der Meibom inne steet**.") 

Um den' Gang der Marfcentwicklung und zugleich den Weg zu 
zeigen , wie wir denselben aus den Urkunden ermitteln können, will 
ich hier zwei Ausführungen folgen lassen , in welchen ich die Zerthei- 
lung von zwei Marken dargestellt habe ^. 

Die Mark Heppenheim. ^ 

Im Jahre 773 erhielt die Abtei Lorsch „villam — Heph^nheim si- 
tam In pago Benense, cum omni merito et soliditate sua, et quicquid 
ad eandem villam legitime adspicere vel pertinere videtur, id est, cum 
terris, domibus, aedificiis, accoUs, mancipüs, vineis, sylvis, campis, 
pratis, pascuis, aquis, aquarumve decutsibus, mobilibus et immobili- 
bus, cum Omnibus a4)acentibus, vel appenditiis , cum omnibus terminis 
et marchis suis etc. ^). 

Der Abtei wurde demnach das ganze Dorf mit alle seinen Zubehö- 
rangen oder seiner gesammten Gemarkung übergeben.' 



1) Die Mark Kissingen wird z. B. bei Dronke 1. c. Nr. 401 u. 404 zum 
Grabfelde und nr. 412, 531 u. 592 zum Salgaue gerechnet und zufolge der Nr. 
404, 410 n. 412 lagen die Salzquellen zu beiden Seiten der Gränze. 

2) Schopflin, Als. dipl. I. p. 67. 

3) V. Hormayr, Taschenbuch für Vaterland. Geschichte III. S. 97. 

4) Grimm, Weisth. III. S. 333. 

5) Das. S. 125. 

6) üngedr. Urk. ^ 

7) Ich hatte mehrere Marken zu diesem Zwecke bearbeitet, habe aber die 
übrigen bei Seite gelegt, weU mir die folgenden beideu Markbeschreibungen 
zu genügen schienen. 

8) Trad. Lauresh. I. p. 15. 



Bei dieser Uebei^abe wurde zugleich eine „descriplio miarchae 
sive terminus sylvae , quae pertinel ad Hephenheim , sicut semper ex 
lempore anliquo sub ducil)us et regibus ad eandein villara tenebatur" 
aufgestellt, welche der Gaugraf Warinus spater (795) ia einem Jm 
Walde auf dem Hügel Walinehoug (ad tuniuluui W.) gehegten Gerichte 
erneuern liess, um den sowohl zum Maingaue, als den übrigen an- 
slossenden Marken gehörigen Wald durch bestimmte und bezeichnete 
Gränzen abzuscheiden, wobei die Grafen der angränzenden Gaue, 
nämlich des Maingaues, der Wingarteiba und des Lobdengaues , mit- 
wirkten, und die Richtigkeit des Gränzzugs anerkannten ^).^ 

Ich lasse zuerst die beiden Gränzbeschreibungen mit einer ein- 
fachen Erläuterung der darin vorkommenden Orte vorausgehen. 

Die Grunze beginnt bei „Steinvortowa, Steinfurt", wo die 
Marken von Heppenheim und Gernsheim sich berühren. — Stein- 
furt, ein eingegangenes Dorf am Rhein, welches Dahl auf seiner 
Karte osllich von Gernsheim legt, das aber iiieht südlich ge- 
sucht werden muss, weil Kleinrorheim schon in der Mark von 
Gernsheim liegt*). Auch wird der Ort im J. 829 als östlich den in 
der Mark von Pfungstadt angelegten Bifang Geroldeshusa berührend 
bezeichnet '). Die Mark von Gernsheim war eine Abtheilung der von 
Pfungstadt. Wahrscheinlich bezeichnet die zwischen die Grossror- 
heim und dem Rheine liegende Steinbrücke uns die Stelle. Noch 
1250 komnoit hier eine Insel ,,Rynouwa, auch Steinrewerth genannt** 
vor. Scriba, Regesten Nr. 371. 

„ad Langwata'* — ^ Langwaden an dem Winkelbach; 

„in Ginnesloch** — unbekannt; es wird jedoch als östliche Gränze 
des vorhin genannten Bifangs Geroldeshusa angeführt ; 

„in Woladam** — ^ unbekannt; denn den Wildenhirsenhof dafür zu 
nehmen, wie Dahl es thut, ist, wenn auch nicht örtlich , doch ^sprach- 
lich zu gewagt; 

„in Aldolvesbach" — Aisbach; 

„in Felisberck" — der Felsberg;" 

,,in Reonga" — dieses für den Hof Rödchen, am Felsberg, zu 
halten, scheint mir zu gewagt; 

,,in Wintercasten** — das Dorf Winlerkasien; 

„in mediam Arezgrefte" — unbekannt; 



1) Trad. liauresh. I. p. 17. 

2) Grimm , Weisthümer 1. 482. 

3) Trad. Lauresh. Nr. 217. . 



Ifl 

„in Welinehove" — s. unten Walehinhoug; 

„in summitateni Hiidegeresbrunno ^< — unbekannt.; 

„in Burgunthart" — Birkert; 

„in Eicheshart f ubi Rado domini regis missus fecit toinuluni in 
confinio sylvae, quae ad Michiinstatt pertinet'^ -^ unbekannt, jdenn der 
Eichelsberg zwischen ^lederkinzig und Zell liegt zu weit ausser der 
Linie , wie denn auch jener Hügd schon rechts der Mümling gelegen 
zu haben scheint. Retter ^) nennt eine Hochfläche über Kirchberm^ 
bach das Eichels; 

„ de illo tumulo in Vlisbrunnen " — das Dorf Vielbronn ; 

„in Mosehart" — unbekannt; 

„in Lintbrannen" — unbekannt; 

„in Albwinesneida " — unbekannt; 

„in Moresberk". — der Mauresberg, westlich vom Euterbach; zu 
ihm steht jedenfalls jenes Moresdal iuxta fluvium Gutra (Euter), M^el- 
ches das Stifl Lorsch im 9. Jahrhundert erwarb'), in naher Beziehang; 

„in fluvium Neker ubi Lutra (Jutra) rivulus inti*at in Neker" — 
bis zur Mündung der Euter, unterhalb Eberbach; 

dann im Neckar hinab bis zur Mündung der Ulvena — der bei 
Hirschhorn mündende, von Olfen (Ulvena) herabkommende Fin- 
keubach ; 

weiter von diesem Bache bis zur Höhe von „Franconodal^^ — 
unbekannt ; 

wo die „Sleinaha" ihre [Quelle hat — die Steinach, welche in der 
Hohe zwischen Mackenheim und Oberabtssteinbach entsteht; 

„ad pendentem Rocham" — unbekannt; 

„in Gunnesbach summitatem" — auf die IJöhe vom Dorfe Unter- 
kunzenbach ; 

ferner durch den ganzen Wald in die Länge bis „in medium Ka- 
tesberk" — unbekannt; 

in die Heerstrasse, welche aus dem Lobdengau kommt und ,,in 
Wisgoz" führt — die heutige Bergstrasse, welche bei Weinheim die 
Weschnilz durchschneidet ') ; 

in der Weschnitz hinab bis Lorsch und endlich wieder nach 
Steinfurt. 

Die Gränzbeschreibung von 795 beginnt ebenfalls zu Steinfurt 



1) Hess. Nachr. III. 180. 

2) Cod. Trad. Lauresh. Nr. 2835. 

3) Dahl in seiner Beschrcibg. des Fürstenth. Lorsch lüsst die Strasse irrig 
von Ladenburg kommen. « 



und nennt im Anfange dieselben Orte bis ,,Wintercbasto<^. Datin 
folgt : 

„Gelicheberga^^ — unbekannt, dehn Lichtenberg, wie Retter u. a. 
vermuthen, liegt zu weit ab; 

„Arezgrefte" — unbekannt; 

„ Walehinhoug ", das obige Welinehove — jener Hügel (tumulus), 
auf welchem im öffentlichen Gericht unter Graf Warinus die Gränz- 
beziehung bestätigt wurde; 

„ Burgunthart " — Birkert; 

„ Eichenesharf s. oben; 

„ Hildigeresbninno ", — wird in der Beschreibung von 773 vor 
Birkert genannt, weshalb Retter es für einen Schreibfehler für „Vlis- 
bninnen<< hält; es ist jedoch wahrscheinlicher, dass der Fehler in 
einer Versetzung liegt; 

„Mosahart" — unbekannt; 

„Lintbrunno" — desgl.; 

„ Crawinberk << — der Krähherg, jetzt mit einem Jagdschlosse 
bebaut ; 

„Albuvinessueita^^ — unbekannt; 

„Mauresberk<< (773 Moresberk) — der Mauresberg, westlich von 
Eulerbach *) ; 

„ Gamenesbach " — Gammelsbach; 

„Igelsbach" — Igelsbach; 

„Rennolfessol" — unbekannt; 

bis in die „Ulvena" — (s. oben), welche in den Neckar fliesst; 

„ad Franconodal" — unbekannt; 

„ad petram in Kasenowa" — wird in dem Weisthum von 1423 
Kassenau genannt*); . n 

„ad petram ad Ihrselandeii, Loubwisa, Marclacha, Musa, Agan- 
rod", — alle unbekannt. 

An diese beiden Gränzbeschreibungen schliessen sich noch einige 
andere, durch welche die Bestimmung des Gränzzuges noch mebr 
gesichert wird. Dahin gehört die Gränzbeschreibung der Mark Mi- 
chelstadt vom Jahre 819, welche unten folgen wird; die Gränzbe- 
schreibung des im Jahre 1012 der Abtei Lorsch ertheilten Wild- 
banns'), und, endlich eine in demselben Jahre aufgenommene Be- 



1) Archiv des histor. Vereins für das Grossherzogtli. Hessen VI. 556. 

2) Dahl a. a. 0. Urkbch. S. 62. 

3) S. deren Erlfiutening in Landau's Beitragen zur Geschichte der Jagd nnd 
Falknerei in Deutschland S. 49. 



1S& 

Schreibung der Gränae zwischen dem Oberrheii\gaue und dem Lob- 
dengaue *). 

Diese letzte Beschreibung beginnt mit „Hegi^' — einem ausge* 
gangenen Dorfe bei Weinheim, wo noch 1575*) der Hoger Gemarliung 
gedacht wird; 

„usqne in Fluchenbach" — das Dorf Unlerflockenbach ; 

„usque in possessam Steinaham" — Unter -Abissteinbach. 

„usque Enchelen Wisilsleih** — unbel^annt; 

„ad Sidilinesbrunnon " — das Dorf Sledelsbnihn ; 

„ad spumosum stagnum". — also der schäumende Teich, un- 
bekannt. 

„in ülmenam" — richtiger in Ulvenam, die Ulfe, welche unter 
Langenthai den Namen Lachs- und Korbenbach erhält; 

„usque in Tenuem Eggam" — wahrscheinlich der Bergrücken 
Ostlich von Waldmichelbach ') ; 

„axi Dih'ren Withendal" — - ohne Zweifel das von Durrenellen- 
bach nach Oberschönmattenwag ziehende Thal^); 

„in orientalem Ulmenam" (Ulvenam) — der vom Dorf Olfen her- 
abkömmende Finkenbach ; 

„usque Bicheresneidam " — der die Gränze zwischen Falkenge- 
sass und Ofoerfinkenbach bildende Rickersgrund'); 

„ in Gamenesbach " — das Dorf Gamelsbach oder der gleichnamige 
Bach ; 

„in Moresberg" (795 Mauresberk genannt) — der Mauresberg west- 
lich von dem Euterbach*); 

„in mediam ludram" — die Euter, in der Mitte ihres Ursprungs 
und ihrer Mundung in den Neckar, an dem Breitenbrunnen (Brei- 
tensohlsbrunnen), wo die Feldmarken von Friedrichsdorf, Schöllenbach 
und Ober- und Untersensbach zusammen^tossen ; 

„inNeccarem'* — der Neckar und in diesem wieder abwärts bis 
Neuenheim. 

Ich fasse nun diese verschiedenen Gränzbeschreibungen von 773^« 
795, 819, 1012, sowie die des lorscher Wildbannsprivilegs von 1012, 



/ 



1) Acta Palatiaa VII. p. 6ß li. 67. 

2) Nach Dahl a. a. 0. S. 37, Anmerkg. 5. 

3) Archiv des histor. Vereins für das Grossherz. Hessen VI S. 556. 

4) Das. 

5) Das. 

6) Das. 



^ I 



120 

soweit dieselben die äusseren Markgränzen darstellen, zusammen, 
und werde die darin vorkommenden Orte durch gesperrte Schrift her- 
vorheben, die Zeit aber in Klammem anmerken, in welcher die Be- 
schreibungen , welche die Orte nennen , aufgenommen worden sind *). 
Am Rhein zwischen Gross- und Kleinrorheim beginnend, lief 
die Gränze der Mark Heppenheim unter Langwaden (773.795) 
und Hähnlein , (denn dieser Ort gehörte noch nach Zwingenberg), 
zwischen Bickenbach und Aisbach (773, 795) durch, nach dem 
Felsberg (773,795,1012), so dass Jugenheim, Balkhausen und 
Beedenkichen (1012), als zur Cent Seeheim gehörig*) die Gränz- 
-nachbarn waren. Von Felsberg zog die Gränze zwischen Lau- 
tern (1012) und Brandau hin und durch die Dörfer Winter- 
kasten (773, 795, 1012) und Laudenau (1012), welche nebst 
Brandau in kirchlicher Beziehung nach Neunkirchen ') und in well- 
licher zur Ceot Obecramstadt *) gehören , — dann, diese Richtung 
* mit einer nördlichen wechselnd, in dem Bache hinab, welcher die 
drei Gumpen trennt und zwar so, dass links Kleingumpen und ein 
Theil des Dorfes Grossgumpen, rechts aber die andere Hälfte von 
dem letzteren liegen blieb '). Von da zog die Gränze ganz nörd- 
lich nach Eberbach (1012) und theilte dieses Dorf in zwei Hälf- 
ten , wovon die eine zum Kirchensprengel von Reinheim und die an- 



1) Ich mache hierbei darauf aufmerlisam , dass derartige ältere Gränzzüge 
nicht etwa auf die "Weise erforscht werden dürfen, dass man die Linie von Ort 
zu Ort zieht, sondern dass man vielmehr die Gemarkungen dieser Orte dabei 
berücksichtigen muss. Da auch manche der heute vorhandenen Orte erst später 
entstanden sind, so sind dabei noch weiter die Centen, weil diese stets und seit 
den ältesten Zeiten ein Ganzes gebildet haben , und auch die kirchlichen Verliält- 
nisse zu Rathe zu ziehen, die letzteren jedoch mehr in Hinsicht auf die einzelnen 
Kirchensprengel als auf die grosseren Abtheilungen , die Archidiakonate und De- 
kanate, welche sich nicht selten — ■ wie ich das weiter unten zeigen werde — 
abweichend von der gewöhnliehen Regel gestaltet haben. 

2) Die Kapelle zu Balkhausen gehörte zur Kirche nach Jugenheim. Luck, 
Kirchengesch. d. Gfsch. Erbach u. s. w. S. 157. 

3) Würdtwein, Dioec. Mog. I. 603. Retters hess^ Nachr. III. 225. Auch noch 
jetzt besteht dieses Verband. Wagner, Beschr. des Grossherz. Hess. I. S. 66. 

4) Noch im vorigen Jahrhundert werden . die Dörfer Neunkirchen , Steinau, 
Kleingumpen , Winterkasten , Laudenau, fränkisch Krumbach , Güttersbach , Erlau, 
Eberbach, Bierbach und Michclbach als Märker des zur Burg Rodenstein gehö- 
rigen Markwaldes genannt. Archiv für hess. Gesch. u. Alterthumskunde II. 167. 

5) Denn zum Kirchensprengel von Neunkirchen werden Gumpen superior 
(Kleingv) und Gumpen inferior (Grossg.) (Wurdtw. 1. c. I. 603) und zu dem von 
Reicheisheim Gumpen inferior Obid. 604. S. auch Luck S. 113) gezälilt. 



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dere zu dem von Reichelsbeim g^eh6rte/). Michelbach links lassend^ 
führte die Gränze weiter linlts von Ober- und Unter- Gersprenz 
(1012), und dicht an Nieder- und Ober-Keinsbach (1012) 
hin ') , dann an dem rechten Ufer der Gersprenz hinab , zwischen 
Brensbach und Höilerbach hindurch und so zu ihrem nördlichsten 
Punkte. Von hier nahm sie den Zug wiederum südwärts zwischen 
Gumpersberg* und Hummetroth hindurch und trat, nachdem sie An» 
nelsbach und Forste] vonBirkert (773, 795 und 1012) und den drei 
Dörfern Kinzig. geschieden, ins Thal der Mömling (1012)»). Hier 
trennte sie Etzengesüss in zwei Hälften ^) und stieg dann zur Was- 
serscheide auf. Fürstengrund und Kimbach, welche von jeher der 
Pfarrei Konig einverleibt waren *) , blieben rechts , die schon zum 
Maingaue gehörigen Dorfer Breitenbrunn und Haingrund links. Wei- 
ter der mit Wehrgrüben und Kastellen befestigten Römerstrasse, wel- 
che im Mittelalter der Buhl weg genannt wurde'), folgend, zog 
sie über die afte, jetzt mit einem lagdhause bebauten Trümmer- 
stalte des Hainbauses, zwischen Kimbach und Bremhof (773, 795, 
819, 1012), und westlich an Vielbrunn (773, 795) vorbei nach Oh- 
renbach (773 und 795), welches sie wieder theilte, indem nur dessen 
kleinerer Theil zur Mark Heppenheim gehörte. Jn diesem noch jetzt zwi^- 
sehen Hessen und Baiern getheilten Dorfe tritt die Gränze in die .heu- 
tige Landesgränze und läuft mit dieser östlich an Eulbach (819 und 
1012), und Würzburg vorbei zur Wulloneburg (819. 1012). Wäh- 
rend diese Feste ehemals unmittelbar auf der Gränze lag, so dass 



1) Würdtw. I. 604 u. Wagner a. a. 0. I. 66 u. 200. 

2) Nach Retter a. a. 0. II. S. 200 gehörte von Niederkeinsbach nur ein 
Hof nach Lichtenberg, so dass also beinahe das ganze Dorf noch iunerhalb der 
Markgränze lag. S. auch Hallwachs, Commentat. de Gentcna p. 104 u. 106. Stei- 
ner, Gesch. von Umstadt S. 9. 46 u. 7i. Würdtw. I. c. I. 615. Luck a. a. 0. 
S. 140 u. Wagner 1. c. 

3) Höilerbach, die drei Rin zig undBirkert gehorten schon vor der Reformation 
nach Kirchbrombach (Würdtw. 1. c. 1.615), wahrend Kirch brombach, AffiiollerbacD, 
Baisbach, Birkert, Böllstein, Gumpersberg, Hembach, Höilerbach, Kilsbach, Mittel-, 
Nieder- und Ober-Kinzig, Stierbach und Wallbach, gleichwie eine Hälfte von 
Langenbrombach noch jetzt einen Kirchensprengel bilden (Wagner I. c. S. 29. 
Luck a. a. 0. S. 181 u. 268). Dagegen gehörfn Hummetroth, Aunelsbach, For^ 
stel und Mömling- Gnimbach nach Höchst .(Luck L c. S. 172). 

4) Das Archidiakonatsregister bei Würdtw. 1. c. p. 616 zieht nur die Dorf- 
mühle nach Brombach, wogegen die spätem Nachrichten das Dorf theils nach 
Brombach, theils nach Höchst zählen. Luck 1. c. 172 u. 181. 

5) Würdtw. 1. c. r. 616 und Wagner 1. c. S. 29. 

6) Dahl, Gesch. der Herrschaft Klingenberg S. 34. 



diese zu einem Thore hinein und 2uin andern wieder hinaos^og, hat 
sieh dieselbe hier etwas gegen Osten ei-weitert, so dass sie östlich 
neben der Trüinmerstätte vorbei fuhrt. Von da senkt si^h der Gränz- 
zug nach dem Dorfe Eutergrund hinab und führt dicht an dessen 
Häusern vorbei und nunmehr in dem Bette der £uter weiter gegen 
Süden. Hier durchschneidet sie die Dörfer SchöUenbach und Kail« 
hach, deren links des Wassers liegender Theil nach Mudau'), der 
rechts hegende aber nach Beerfehlen gehört, und zieht weiter hinab 
ins zum breiten Brunnen, dicht vor Friedrichsdorf. 

Nun beginnen indessen die verschiedenen Gränzbeschreibungen 
von einander abzuweichen. 

Die Beschreibung von 773 führt die Gränze über den Mauers- 
berg in die Euter , dann in dieser hinab bis in den Neckar (bei Eber- 
bach) und in diesem abwärts bis zur Mündung der Ulfe bei Hirschhorn. 

Die zweite von 795 lässt die , Gränze -von Vielbrunn westlich 
von der Euter auf der Höhe hin nach dem Krähberg ziehen, führt 
dieselbe daim nach dem Mauersberg, von da in den Gammels- 
bach, aus diesem nach Igeisbach, nahe am Neckar, und dann 
in die bei Hirschhorn mündende Ulfe. Da sie nur nebenbei bemerkt, 
dass dieser Bach in den Neckar münde (quae infinit in Necchar) , so 
muss man daraus schliessen, dass die Mündung noch ausserhalb 
des Gränzzugs blieb. 

Das 'Wildhanns -Privileg von 1012, das freilich in dieser Bezie- 
hung nicht entscheidend ist, schlies^t sogar das ganze Neckarufer 
von der Euter bis Neuenheim mit ein. 

Sind nun auch jene Abweichungen in den Gränzzügen von 
773 und 795 nicht sehr wesentlich, so werden doch die Ab- 
weichungen, welche die Gränzfeststellung von 1012 zeigen, um so 
gewichtiger. Damals (1012) wurde nämlich durch Beeidigle die 
„marca Loboduburgenis — a' marca, quae respicit ad Ephenheim 
dislinguerent^S festgestellt, und nach der dabei niedergeschiiebenen 
Beschreibung berührt die Gränze den Neckar nicht , sondern hält sich 
nordlich davon in den Bergen. 

Schon in der Urkunde von 628, durch welche Dagobert I. dem 
Stifte Worms Ladenburg mil^ dem südlichen Theiie des Odenwalds 
gibt, heisst es wörtlich: „omnem silvaticum in silvis Otenwald — 
in pago Lobodangowe et undique in Jutraha*'*). Dass die Euter hier 



1) Gropp, Monaster. Amorbacli p, 144. 

2) Acta Palaiina VII. 61. 



besonders genannt wird, soll »Idi doch wohl nur darauf beaiehen^ 
dass deren Thalgebiet nicht mehr zum Lobdengaue gehörte. Dieses 
war auch in der That der Fall. Im Jahre 831 erhielt das Kloster 
Lorsch einen Bifang „in loco -^ Moresdal iuxta fluvinm Gutra" '). 
Dass dieser Ort von dem über der Euter hegenden Mauresberge 
(Moresberg) seinen Namen hatte und deshalb auch in dessen nüdv 
sler Nähe gdegen haben muss, kann Iteinem Zweifel unteiiiegen. 
Diese Scheniiung aber wird unter denen aufgeführt, welche dem 
Kloster in der Win garte iba geworden waren , und da der Maures^ 
berg zugleich fiir die Mark Heppenheim als Griinzpunkt genannt 
wird, so müssen wir denselben als Scheide zwischen jener und der 
Wingarteiba betrachten. Dazu gesellt sieh noch eine Schenkung von 
772, durch welche dasselbe Kloster „in pago Wingarlheiba super 
fluuio Neckere inter Gaminesbach et ülvina silvam << erhielt *) , also 
eben jenen Bezirk, welchen die Beschreibungen von 773 und 795 
poch in die Mark Heppenheim mit einschliessen. Diese Zeugnisse 
weisen uns auf die Grünzbeschi-eibung von 1012 als die richtigere 
hin und die zuletzt angeführte Schenkung gibt zugleich auch den 
Schlüssel zu der Erklärung, weshalb man das Gebiet z wische 
der Euter und den Gammelsbache noch zur Mark Heppenheim zie- 
hen liess, weil nämUch dasselbe ebenfalls der Abtei Lorsch ge- 
horte. 

Ich nehme nunmehr die Gränze wieder auf. 
Vom breiten Brunnen wendete sich dieselbe gegen Nordwesten 
und zog im Rindengrunde (wahrscheinlich Eichenthal) hinauf, über 
den Mauresberg (773, 795, 819) in das Thal des Sensbachs 
(wahrscheinlich ürtella), wo sie das Dorf „Sensbach ober der Linde" 
von dem Dorfe „Sensbach unter der Linde" schied und zu dem 
höchsten Punkte der Sensbacher Habe (Vinslerbuch) sieh erhob, in 
deren Nähe „an der finstern Delle" die Markungen der ebenge- 
nannten beiden Sensbachs un^ die des Dorfes Gammelsbach zu- 
sammenstossen. An dem südlichsten Punkte der Gemarkung von 
Gammelsbach erhebt sich der Pannen stein (819). Nachdem die 
Gränze von da die Hirschhorner Hohe erreicht, senkt sie sich in's 
Thal und scheidet die Feldmarken von Oberfinkenbach und Unter- 
finkenbach '). Ebenso trennt die Gränze in ihrem weitem Zuge Ober* 



1) Cod. Trad. Laiiresh. nr. 2835. 

2) Ibid. Nr. 2893. ♦ 

3) Decker (Archiv de» bist. Verein» für das GrossliDre. Hessen VI. S. 562) 
zifiiit die Gränze zWuscben Oberünkenbadi und Fatkengesäss liindurch, wa er 

Land»v. Territorien. 9 



130 

und UuterschunmaUeawag, von denen das etsle mv Cent Waldmi- 
chelbach ^) und das letztere nach Hirschhorn gehörte '). Hier trat 
sie in die Ulfe und fällt, ^ sobald sie die südliche Gränze der Feld- 
mark von Siedeisbrunn (1012) erreicht, wieder mit der heutigen 
Landesgränze zusammen. Auch beginnen jetzt wieder die verschie- 
denen Gränzbeschreibungen übereifizustimmen. Die Gränze läuft nun 
anUnterabtssteinach (773), Trössel, Unterfockenbach , Unter- 
kunzenbach (773) und Gorxheim hin bis zu dem zwischen 
Weinheim') und Birkenau ausgegangenen Hegi^). Zwischen 
Weinheim und Sulzbach') hindurch fahrend, trat sie in die 
Weschnitz (773) und lief in dieser hinab bis gegen den Senhof, 
wo sie sich wieder westlich wendete ^nd zwischen Bürstadt, das 
noch zum Oberrheingaue gehörte^), und dem zum Lobdengaue gehö- 
rigen Lampretheim durch nach dem Rheine zog, welchen sie in 
der Worms gegenüber gelegenen Gegend erreichte. , \ 

Diese Gränze zeichnet uns also ein einheitliches Gebiet, die 
Mark eines Dorfes, deren Ausdehnung •von Süden nach Norden 4, 
und von Westen nach Osten 7% Meilen beträgt ^). 



den R i c k e r 8 g r u n d als Scheide beider Dörfer bezeichnet ; aber Oberfinkenbach 
gehört noch zur Cent Beerfelden (Grimm, Weisth. I. S. 450), Unterfinkenbach 
hingegen nach Hirschhorn (Das. S. 444). 

1) Widder, Beschreibg. der Pfalz I. 511. 

2) Grimm a. a. 0. S. 444. 

3) Weinheim lag im Lobdengau. Eine Urkunde von 861 sagt: „Item in 
Francia, in pago, qui nominatur Lobetengauue ^ in ioco qui dicitur Uindeoheim.'* 
Wirtenbg. Urkbch. S. 160. 

4) Nach Widder a. a. 0. I. 298 lag dasselbe nördlich von Weinheim. 

5) Sulzbach bildet mit Hemsbach eine Gemeinde (Widder a. a. 0. I. S. 473) 
und letzteres wird in einer Urkunde von 948 ausdrücklich in den Oberrheingau ge- 
setzt (Trad. Lauresh. nr. 67). 

6) S. Lamey in Actis Palat. II. 155 u. 156. 

7) Es ist beinahe unbegreiflich, wie Alle, welche sich mit den Gauverhält- 
nissen der dortigen Gegend beschäftigt, diesen einheitlichen Charakter der Mark 
Heppenheim und zwar trotz der doch so bestimmt redenden urkundlichen Zeug- 
ntsse übersehen, und diese Mark nach den kirchlichen Abtheilnugen unter drei 
verschiedene Gaue vertheileu konnten. So reissen Lamey (Beschr. des Ober- 
rbelng. in Actis Palat. II. 153), Dahl (sowohl in s. Beßcbr. v. Lorsch a. a. 0«, 
als in s. Beschr. des Maingaues im Arch. d. Gesellsch. für deutsche Gesch. VI. 
504 f.), Steiner (in s. Schriften über den Maingau) u. a. die ganze östliche 
Hälfte ab und schlagen diese zum Maingaue , unfl auch Lamey hat weder die Gi'än- 
^en gegen den Lobdengaa noch die gegen die Wingarteiba mit einiger Sicherheit 
zu xeichnen vermocht (Acta Palatina I. 215/. II. 153 f. u. VIL 41). Alle spätem 



131 

Obgleich man nicht nur im achten Jahrhundert, jsondern auch 
noch später, wie dieses die angeführten Urkunden bezeugen, das 
Gebiet immer noch als ein zusammengehöriges, kurz als die Mark 
eines Dorfes betrachtete , denn der Name der Mark Heppenheim dauert 
fort, so war dasselbe doch schon damals in drei Theiie zerlegt. 

Es lässt sich hierfiir zwar kein anderer Beleg beibringen als 
die Thatsache , dass drei. verschiedene kirchliche Archidiakonate 5ich 
in die Mark Heppenheim theilten und dass diese Theilung notbwen^ 
dig auch eine dem entsprechende Theilung des Grund und Bodens 
voraussetzt, aber diese Thaisache ist vollkommen genügend, um sie 
für die weitere Untersuchung als Grundlage benutzen zu können. 

Die Mark Heppenheim hatte^ sich demnach in drei Marken ge- 
schieden : 

1) die Mark Heppenheim in speoielierer Bedeutung, welche 
den nordwestlichen Theil der alten Mark umfasste; 

2) die Mark Michelstadt ^), welche aus dem ganzen östlichen 
Theiie der grossen Mark bestand, und 

3) die Mark Waldmichelbach'), welche aus dem südwest- 
lichen Theiie der Urmark gebildet war und , gegen Norden köilförmig 
sich zuspitzend, die beiden andern Marken trennte. 

Doch auch diese drei Marken waren bereits weiter getheilt. 
1) Die Mark Heppenheim war in drei Untermarken getrennt: 

a) die Mark Heppenheim, deren Umfang wir aus jener Gränz- 
beschrei|)ung des Heppenheimer Kirchengebiets kennen lernen , welche 
in einer in der Kirche zu Heppenheim aufbewahrten Steininschrifl vom 
J. 805 aufbewahrt worden ist'). Lassen sich auch nur die wenigsten 
Namen ohne sehr genaue Lokalforschungen feststellen , so zeigen doch 
die bekannten : der E m s b e r g (Emminesberc) zwischen Heppenheim und 
Bensheim, der Kesselberg (Kecelberc), östlich davon, die Dörfer 



aber sind ihm gefolgt , s. z. B. B a d e r in der badischen Landesgesch. I. 85 f. 
und die derselben beigefugten Karten; Haeuser in s. Gesch. der rbein. Pfalz L 
S. 16; D um b eck in Geographia Pagorum p. 149 f.; Lang in Baierus Gaue 
S. 129; Rudhart in s. ältesten Geschichte Baierns S. 572. Kremer in s. 
Gesch. des rheinischen Franziens S. 47 u. 105 dehnt , sich auf die wormser Dioe- 
zes stützend, ^deir Lobdengau sogar bis nördlich von Lindenfels- aus. 

1) Dass Michelstadt der Hanptort dieser Untermark gewesen, stelle ich je- 
doch nur als Vermuthung hin. 

2) Auch in Bezug auf diese Mark muss ich die vorhergehende Bemerkung 
wiederholen. 

3) S. Dahl, Beschreibung des Fürstenth. Lorsch S. 189. 

9 * 



13(t . 

$eid«iib«eh (Sthefnbadi) , Laalenw«schnUz (Utdenwi6coz% 
Mittellechtern ^MHdelecdmn), Aib^rsbach (Albenesbadi) und 
Sulzbach (Sulzbach), dann der folgende Wagenber^ (ad medium 
Freivm Wagendcnror) , sowie endlich das Fiüsschea Wesehnitz 
( Wiscoz) ') ans das Gebiet ziemlich g^nau. Es reichte dasselbe südlich 
von Salzbftch {welches bereits ausserhalb lag) bis nördlich zum Ems* 
berge, und westiich v&n der Wesehnitz bis östlich nach Seldenbac^ 
und Lauten wesehnitz , und es findet sich vne das Kirchengebiet, so 
«udh das alte (jeatgebiet von Hepf)enhpim darin ^). 

b) Die Mark B^nsheim. Dieselbe wird schon 767 genannt: 
BasinsTieimer «larcha •). Zu derselben Zdt erhielt das Kloster 
Lorsch Güter: „inBasinshelmer marcha in villaHusun (Grosshausen), 
qaae sita est super flavium Wisscoz"*), später <„lllam quartam par- 
tem §e insifta^ ^uae ia^jet Inter fluvios Wlsscoz et Suarzaha (der 
Meerhach)**'); ,>,1n Basinsheimer marcha iltum bifangum luxta Suar- 
zaha, In loco qui vocatur Foroenbibiloz " (ausgegangen)*); ferner,, in 
Basinsheimer marcha unum Wvangum vel mastun^a — qui circuin- 
cingitur ab Oriente fluvio 8uarzaha , a meridie Heppenheimmöre ler- 
mino — ab occasu illo lacii (der Lorscher See) — usque in Wlss- 
coz etc."^). Diese Mßrk stellt sich hiernach uns in der alten Pfarrei 
und Cent Bisn^cäm dar *). 

c) Die Mark von Bürstadt umfasste den Raum zwischen 
den Marken von Heppenheim und Bensheim und dem Rheine. Graf 
Kankar übergab 770 dem Kloster Lorjsch „terram et silvam,*quae est 
in illa marcha de Birstat** u?id bezeidmet dabei deren Ausdehnung 
,, usque in fluvium cerlu^n Wisgpz, ubi marcha de Basinshehn con- 
jungit***). Die Wesehnitz schied also die Marken von Bensheim und 
Bürstadt, und \n der leU^tei'en lag namentlich auch das Kloster 



1) Bin Tiieil ^er t)ertlrohlpeilen liegt ausser 4er Glänze. 

^) Dahl a. a. O: S. 196 f. 

3) Ttad. LauresK nr. 231. 

4) Ibid. IM-, 238. 

-5) Ibid. nr. 242, 8. airoh nr. 252. 

6) Ibid., nr. 244. 

7) Ibid. nr. 245. 

8) p^\\\ ^. f. 0. S. 208 f. N 

9) Freher, Gena. Rer. Script. I. p. 57. Öte Trad, Lauresli. nr^ 10 teaen 
Bisistat. 



U3 

Lorsch. Auch hier ist (Ke Mark weder mii der Ceot und Pfürret 
Bürstadt fibereinsUmmend ^). 

2) Die Mark Michels ladt theilte sich gleichwohl in drei Mar* 
ken, in 

a) Die Mark Micbelstadt. Von dles^ besitzen wir eine 
Gränzbeschreibung^, welche bei der Uebergabe an das Kloster Lorsch 
819 von Einhard, dem Besitzer der Mark^ aufgestellt wurde'). 

Der Gränzziig beginnt ,,a monte Mamenhart^' •- östlich über 
dein Dorfe Momart; 

„et tolum eundem montem usque ad plateam couiprehendunt^^ — 
die Gränze zieht über den ganzen Bergrücken hin, also gegen Süd- 
osten, zwischen Kimbach und Weitengesäss hindurch bis zur Romer- 
strasse, welche von Obernbui^g auf der Höhe fort nach Eulbdch, 
Würzberg u. s. w. führet; 

„a piatea usque ad duplFcem quercum^' — unbekannt; 

„ iude inter üienbuch " — der Weiler Eulbach ; 

„et Rumpheshusen ad quercum^' -^ unbekannt; 

„de quercu in fluvium Bramaha" — dem Anschein iiaeh einer 
der an der Höhe von Wür^berg entstehenden Bäche; 

„per huius descensum in Wllinbach" — nicht der Weilbach, wie 
Dahl meint, sondern einer der kleinen bei Würzberg entquellenden 
Bäche, dessen Name mit der jetzt gleich genannt werdenden Burg 
in Beziehung steht > wahrscheinlich derselbe, weicher die Heinster'« 
mühle treibt; 

„per huius ascen^um usque ad lapideum rivulum" — der Slein- 
bach, einer der drei am Würzberg entstehenden Bäche; « 

„ inde ad WUineburch per unam portam intro, per alteram foras *' — 
dJe Burg lag also scharf auf der Orange und kann deshalb nicht das 
an der Mudau , also viel zu weit ostlich , liegende Schloss Wildenberg 
sein, wie Retter^) und Dahl^),^und nach ihnen auch Jäger ^) und Knappt) 
annehmen , sondern es ist unzweifelhaft jene Unter dem «Namen des 
Hainhauses bekannte frümmerstätte, % ^« südlich unter dem 



1) Dahl , a. a. 0. S. 238 f. 
3) Trad. Lauresh. nr. 21. 

3) Hess. Naekr. lU. 180« 

4) S. dessen Bescbrbg« v. Lotsch. Urkdbeli. 8« 3&< AJimkg^ g) und dessen 
Gesch. d. Borg Wildenberg im Archiv fiir den bist. Vor. des UntermainkreiSes J. 
H. 3. S. 00 f. 

5) S. dess. Land- u. Forstwirthschaft des Odenwaldes S. 14. 

6) Archiv für Hess. Gesch. u. Alterihumskde. Bd. V. H. 3. S. 9. 



/ / 



134 

Dorfe Würzbergf, welche Knappt) als ein römisches Kastell nach* 
gewiesen hat, ohne jedoch den spätem Wiederaufbau zu kennen; 
dass die Burg zu Eginhards Zeit wirklich noch erhalten war, ist 
wohl aus der Art, wie von ihr gesprochen wird., kaum zu bezweif- 
len; dagegen wird sie 1012 ausdrucklich als wüst genannt: per de-* 
siructam VoUonoburg *). 

„Inde in ripam Euterun'^ — der Euterbach; 

„per huius descensum ad Langenvirst, ubl Langenvirst scindi- 
tur^' — der Langeforst im Forste Bullau, ein bewaldeter Bergrücken 
zwischen Bulau und Schöilenbach ; 

«super Langenvirst ad Breittensol <' — das badiscfae Dorf Friedrichs- 

dort liegt zwischen zwei Bergrücken, dem rothen und dem weissen 

Sohl, von denen der erstere badisch, der andere hessisch ist, zwi- 

'sehen beiden aber findet sich am Euterbach der „breite Brunnen <S 

Wo vier Gemarkungen zusammenstossen '); 

„inde per Eichental" — wahrscheinlich der jetzige Rindengrund ^); 

„in flumen ürtellia" — sicher der heutige Sensbach'); 

„per huius ascensum in Vinsterbuch" — die „finstere Delle" an 
dem höchsten Punkte der Höhe von Sensbach, wo sich die Gemar- 
kungen von Untersensbach ober und unter deJr Linde und Gammels- 
bach scheiden •) ; 

„inde ad Phaphenstein Einhard\" -— jetzt der Pfannenstein, ein 
grosser am Gammdsbach , auf der Gränze zwischen Hessen und Ba- 



1) S. dess. Rom. Denkm. des Odenwaldes S. 45 f;, .auch Schneider's £rba- 
^hische Historie I. 258 u. 259. 

2) Tr. Lauresh. nr. 93. Um sich davon zu überzeugen, dass d'iese Burg 
wirklich nur auf der bezeichneten Stätte -gestanden haben kann» nehme man 
die neue vom Grossherzogl. Hess. General -Quartiermeisterstabe herausgegebene 
Karte des Grossherzogthums , und die von Knapp in seinem genannten Werke 
mitgetheihe Karte über die römischen Alterthümer des Odenwaldes zur Hand und 
vergleiche damit diese und die Granzbeschreibung vom J* 1012 und man wird in 
dem kleinen Räume zwischeij Eulbach und dem Beginn des Eutergrundes keinen 
andern Ort finden , wo man die Burg suchen könnte , denn wie schon vor mehr 
als einem Jahrtausend, so st^ht auch noch heute* dieses s. g. Hainhaus auf 
der Gränze und die alte, die Gränze begleitende Römerstrasse fuhrt, wenn 
auch nicht mehr mitten durch, doch nahe daran vorbei. Dass die Wulloneburg 
wirklich auf einem römischen Baue errichtet worden, scheint übrigens nach 
dem , was Knapp darüber mittheilt , keinem Zweifel zo^ unterliegen. 

3) Arclüv des hist. Vereins für das Grossherzogth. Hessen VI. 559. 

4) Das. 

5) Das. S. 560. 

6) Das. S. 561. 



135 

den, sich erhebender Markstein, der wahrscheinlich vonEinhard ge- 
setzt worden ist^); 

„sapra Richgeressneitten <^ — sicher der Rickersgrund , wo sich 
die Gemarkungen von Oberfinkenbach und Falkengesäss scheiden'); 

„ad verticem Clophendales , ad Ciophenberk^' — der Klafterberg, 
An der Nähe der Vereinigung der beiden von Olfen'und Finkenbach 
herabkommenden Bäche'); ' 

„in Cuningesbrunnen '< — wahrscheinlich jene starke Quelle im 
Maisengrunde 9 deren Wasser bis ^ur Mündung in die Mömling die 
Gränze bildet*); 

„in Mimelingen*' -— ,die Mömling; 

„ per huius ascensum ad Manegoldescellam '* — wahrscheinlich am 
Klosterbrunnen südöstlich von Hüttenthal; 

„ad hac in fluviiun Mosaha** — der durch Ober- und Untermosau 
fliessende Bach, welcher jetzt Marbach genannt wird; 

„per huius ascensum in Geroidesbrunnen *' — unbekannt; 

„inde ad Ellenbogen" r- unbekannt; 

„in fluvlum Branbach" — der nördlich von Obermosau entste- 
hende Brombach, welcher Langenbrombach durcbfliesst und bei Zell 
in die Mömling mündet ; 

„per huius descensum in Mimelingen-" die Mömling; 

„ex qua ad quercum inter Grascapht et Munitat" — also zu einer 
Eiche, welche einen von der Grafengewalt exlmirten Bezirk (Immu- 
nität), das fuldische Gebiet von Umstadt, von demjenigen Theile des 
Gaues schied, welcher noch unter der ordentlichen gräflichen Gerichts- 
barkeit stand; 

endlich wieder „ad montem Mamenhart". 

Betrachten wir diese Beschreibung ')> so finden wir die östliche 
Gränze ganz mit der der grossen Mark Heppenheim übereinstimmend, 
welche bereits oben gezeichnet worden ist. Von Momart , ihrem nörd- 
lichsten Punkte, reicht dieselbe bis Gammelsbach, ihrem südlichsten Funkte, 
welchen der Ffannenstein bezeichnet, und läuft auf der Gränze 



1) Das. S. 562. 

2) Das. S. 562. 

3) Das. S. 562. 

4) Das. S. 562. 

5) Eine wesentliche Hülfe gewährten mir auch hier wieder die Erläuterungen, 
welche Herr Decker in dem Archiv des hist. Vereins* für das Grossh. Hessen 
a. a. 0. gegeben hat. 



196 

der Hauptmaiic bis zum Klafterberge in der Nfihe der Vereinigung 
des Finkenbachs mit dem von Olfen kommenden Bache. Von da wen- 
det sich die Gränze gegen Norden und läuft auf dem Bergrücken wei- 
ter, westlich von Falkengesttss und Aidenbach hin, nimmt an dem 
Dreimörker zwischen Olfen, Aidenbach und Gütlersbach eine östliche 
Richtung und zieht sich an Etzean und Hüttenthal hin bis zu der starken 
Quelle im Maisengrunde, dem Königsbrunneji, Da, wo diese 
Quelle in die Mömling Qillt, slossen die Kirchspiele von Beerfelden, 
Güttersbach und Erbach zusammen. Die die beiden letztem Kirehspiele 
scheidende Grunze fübi-t dann, den Klosterbrunnen« wo die Mangolds- 
celle stand, links lassend, zwischen HüttenthaJ und Haisterbach, in der 
Möml in g hinauf, doch nicht mehr wie 819 bis zur Mosau , .sondern 
sie wendet sich schon früher nach dem Geisberge l)in zu deiiv Dreimür- 
ker , wo sich die Dörfer Hüttenthal , Gunlersfürst und Untermosau be- 
rühren. Von da läuft sie auf der Höhe zwischen der Mömüing und der 
Mosau fort, bis sie, bei Oberkeinsbach einen Bogen bildend, in. den 
Brombach tritt-, und indem sie diesem Bache bis in die Mömling folgt, 
theilt sie zugleich Langenbrombach in zwei Hälften. Der nächste Oit 
ist .dann wieder Momart. 

Später finden wir diese Mark noch weiter getheilt mid zwar in 
die Genien 
^a a. Beerfelden *). 
b b. Erbach und 
c c. Michelsl adt. 

Nördlich an die Mark Michelstadt sehliesst sich 

b) die Mark von König. Der geringe Umfang derselben lässt 
jedoch schliessen , dass auch sie erst aus einer spätem Theilung hervor- 
gegangen ist. Möglich , dass noch einige von den westlich angrän- 
7/enden Kirchspielen dazu gehörten. In wie weit dieses zu ermitteln 
ist , mW ich jedoch hiei* nicht näher untersuchen , sondern 

c) als dritte Mark nur im Allgemeinen die Kirchspiele und 
Centen von Reicheisheim , Mosau , Güttecsbach und Brombacb bezeich- 
nen , welche übrigens eben wohl noch eine weitere Theilung erfuhren. 

3) Die Mark Waldmichelbach. Auch für diese vermag 
ich ohne tiefer eingehende Untereudiung den Gang der Theilungen nicht 
vollständig nachzuweisen und begnüge jiiich deshalb mit der einfachen 
Aufzähluilg der dazu gehörigen Genien. Diese sind 



1) Grimm, Weistli. I, S. 44Cff. 



137 

a. die Oenl Lindenfels^)^ 

b. die Cent Fürth, 

c. die Cent Mörlenbacb, 

d. die Cent Abtsteinach , und 

e. die Cent Waldmicbelbach *). 

DieNanoien, welche alle jene Marken als Gaube^rke hatten, sind 
bis auf einen uns nicht aufbewahrt worden. Die$er eine Name ist der 
der Mark Michelstadt und zwar im wertem Sinne. IMeser Bezii*k wurde 
nämlich der JPlumgau genannt Dieser Name kommt insbesondere 
819 vor: Michlingotat situm in pago Plumgowe in »Iva «-^ Odeuewalt 
super fluvium Mimilingum'). Dass aber nicht blos die Mark von Mi- 
ehelstadl dai-unler begriffen wurde, zeigt sich daraus , dass auch König 
in diesen Gau gesetzt wird: ,4« pago Phlumgowe in^41laQuinticha***) und 
wir dürfen deshalb mit vollster Sicherheit jenes gesammte zur Mark 
Michelstadt gehörige Gebiet als das des Plumgaues betrachten. 

I?ie Mark von^ Fulda. 

Der Gau Grabfeld-, welcher luigeachtet seiner grossen Ausdeh- 
nung bis in späte Zeit immer ungetbeilt unter ehiem Grafen stand, war 
in drei grosse Centen gegliedert, welche mit den drei geistlichen. Deka^ 
naien von Geisa, Meirichstadt undKoburg im Allgemeinen übereinstimm- 
ten , nämlich westlich den Gau Grabfeld in spezietter Beziehung , nord- 
östlich den Gau Tullifeld und eine den südlichen Tbeil umschliessende 
Cent, über deren Gesammtnamen ich zweifelhaft bin. Ich werde hier 
jedoch nicht auf eine Darstellung des Ganzen eingehen '*), sondern nur 
einige Punkte hervorheben ,. welche für die Mark Verhältnisse besonders 
belehrend sind. . 



. 1) Widder a. a. 0. I. S. 405 u. 405. 

2) Das. I. S. 511. 

3) Trad. Lauresh. Nr. 20. 

4) Ibid. nr. 3592 u. 3593. Ausserdem setzen die Urkunden in diesen Plum- 
gau noch eine villa Bibincheim und eine villa Roden, (ibid. 3594 u. Dronke Tr. et 
Antiq. Fuld p. 112), aber beide Orte sind nicht mehr vorhanden und Uire La- 
ge ist. unbekannt, denn das erstere kann natürlich das im Maingaue liegende 
gleichnamige Dorf nicht sein. 

5) Ich hatte bereits eine derartige Arbeit, in welcher ich die saramtlichen 
in den Urkunden vorkommenden Marken festgelegt hatte, vollandet, habe die- 
selbe aber wieder bei Seite gelegt, weil sie mir in Rücksicht auf das, was icb 
bereits gegeben, als überflüssig erschien. Nur das will icb liier noch bemerken, 



138 

Die westliche Gränze des Grabfeldes wird durch die Fulda gebil- 
det und zwar "von der Einmündung der Lüder bis hinauf zu der Einmün- 
dung der Flieden , wogegen das linke Ufer der Wetereiba" gehörte *). 
Es ergiebt sich dieses nicht nur aus der Thatsache , dass dieser Fluss 
die Dioezesen von Würzburg und Mainz schied, so dass während z. B. 
die Stadt Fulda in der würzburgischen Üiözese lag , derselben gegen- 
über das Hospital an der langen Brücke , sowie das Kloster Neuenberg 
schon auf mainzischem Boden standen *), sondern auch Urkunden setzen 
Orte des linken Ufers ausdrücklich in den Gau Wetereiba. Die- 
ses ist namentlich mit Schlirf *) und mit den Salzquellen bei Lüder und 
Bimbach*) der Fall. 

Nun nehme man jene Urkunde von 747 zur Hand, durch welche 
der h. Bonifaz das Gebiet des jungen Stiftes Fulda feststellte *). Die 



dass es darchweg angerechtfertigt ist, von einem westlichen und einem ostl i- 
chen Grabfelde za peden. Diese erst seitdem vorigen Jahrhundert in Gebranch 
gekommene Unterscheidung stützt sich lediglich auf die uacUstehende Urkunden- 
stelle : in pago Grapfelde , in loco qui dicitur Munirichesstat in orientali parte 
Grapfeldono burgi (Dronke Cod. dipU Fuld, nr. 275). Was kann dieses nun aber 
heissen als: im ostlichen Theile des^ Grabfeldes? Ebenso irrthümlich ist es 
aber auch von einem pagus Bachonia zu reden. Buchonia ist lediglich ein all- 
gemeiner Waldname, der sich auch nicht einmal auf das Grabfeld beschrankte, 
sondern auch über Theile des fränkischen Hessengaus, des Oberlahngaus, des 
Salgaus und der Wetereiba erstreckte. 

1) Nach dem Vorgange Wenck's dehnen alle neueren Forscher das Grab- 
feld über den Vogelsberg aus, dass dieses aber ein Irrthum ist, wird sich so- 
gleich zeigen. 

2) Es mag zum Beweise dieser Thatsache hier eine Urkunde von 1384 ge- 
nügen. Darin heisst es: „Wir Friederich von G. G. Apt zu Fulda bekenne — 

— daz mit vnserm Vorhengniz vnde gutem Willin mit Wissen ouch vnde Rate 
der erbern vnde andechtigen Mertin Dechantes vnde Convents gemeynlich vnsers 
obgenanten Stiftis , wirczburgischen Bischtums, unde Volprechtis Pro- 
bistis dez Stiftis vf dem Nuwenberge bye Fulde, menczir Bischtums, 

— gesehen ist, daz der erbir er Johans Cappelan der Capelle zu sent Ca- 
theriu des Huses der guten Luite an der langin Brugkin gele- 
gen, vorgenantes menczer Bischtums'^u. s. w. Deshalb nennt auch das 

V Verzeichniss der zum Dekanate Geismar gehörigen Kirchen nicht eine einzige von 
denen des linken Ufers. 

3) In pago Uuetarebensae de illo bifingo in Slierofero marcu. Dronke, Codex 
dipl. Fuld. nr. 270. 

4) In pago Wetereiba biuanc et in silua Boconie in Bienbach et Lutere ip- 
Bum fontem saline. Dronke, Tr. et Antiq. Fuld. p. 102. Ich gebe zu, dass diese 
Stelle einen Zweifel zulasst. 

5) Dronke ibid. p. 3. 



13d 

darin enthaltene Gränzbeschreibung mag mit den erforderlichen Erläu- 
terungen*) hier folgen. 

„Est ergo terminu$ ecclesie et monasterii sei saluatoris, qüod 
est in littore flumlnis Fulde«. 

,,Primum in orientali plaga fons riul, qui uocatur Crumbenbach 
et sie uadit per illum riuum usque quo intrat in australem Hunam". — 
Dieser noch jetzt der Krumbach, vom Volke „die Kromich", 
genannte Bach, quillt nördlich vom Höfchen Steinhauck in der Ape- 
winge , zwischen dem Herzberge und dem Gilsrain , fliesst anfanglich 
nordwestlich gegen Pilgerzell, wendet sich aber, so bald er aus dem 
Walde tritt gegen Nordosten, und fallt bei Oberdirlos in die untere 
(südliche) Haune, welche östlich an Unterdirlos, Wisseis, Bökels 
und Rex vorüberfliesst. 

„Inde transit in collem Leohunhovg, qui*a quibusdam (d.h. den 
slavischen Anwohnern) dicitur Cuffiso". — 

Die Beschreibung der Kirchgränze von Margrethenhaun nennt 
diesen Berg Kufßhog. Es ist der jetzige Margrethenbei^g oder 
Hunküppel, nordöstlich überMargareihenhaun, 136' über der Haune. 

„et sie uadit usque ad introitum Uhtinabacches '< — 

Der Unzbach, vulgär ,/Unzbich", ist ein Wiesengrund mit 
einer Quelle, welche zwischen Niederbieber und Allmus entsteht und 
in südwestlicher Richl,ung zwischen Niederbieber und Wiesen in die 
Bieber fällt. * ' 

„in alteram Hunam". — 
Die andere, d. h. die durch den Zusammenfluss der obern 
(südlichen) und untern Haune gebildete eigentliche Haune. Es ist 
dieses die über Friesenhausen kommende Friese, welche unterhalb 
dieses Dorfes jetzt die Wanne genannt wird und bei Margrethen- 
haun sich mit der Haune vereinigt. Indessen ist die Gränzbeschrei- 
bung schon weit über diesen Bach hinaus und es scheint, als ob 
diese Stelle zwischen den ersten und zweite'n Satz gehöre. 

„Inde transit in caput riui, qui uocatur Rodenbach". — 
Zwischen der Griesmühle und dem Dorfe Wiesen liegt' östlich 
der Haune der Röthbrunnen. 

,,Inde in caput Wolfesbacches '*. — 
Zwischen Allmus und Niederbieber entsteht nahe der Quelle der 
Unzbach, der Wolfsbach, vom Volk „Wolmich" genannt. 



1) Diese verdanke ich grössientheils meinem Freunde, dem früher in Fulda, 
jetzt zu Marburg stehenden Professor Dr. Lange. 



» « 



140 

,j Et SIC in riuttm eius usque quo inlrat in Bib^aha ". — 
Dieser Wolfsbach mündet aber nicht in dieBieber, sondern zwt- 
sehen Wiesen und Treisbach in den Treisbach. 

„et per liltus illius deorsum usque in ostia Larbrunnen^'. - — 
Der Treisbach mündet westlich von Wiesen in die Bleber und 
' nahe dieser Mündung befindet sich bei den Höfen Mittelberg eine 
Quelle; der Lotzbrunnen genannt 

„Inde uadil ad locum^ ubl alter Cramhenbach intrat in Treisbach. 
Et sie sursum per riuum Crumbenbaches usque in caputvCius". — 
Der Krumbach entspringt in dem Walddistrikte Scbönslädt, 
nordwestlich von Treisbach und fallt zwischen Wiesen und Treisbach 
in den Treisbach. 

„Inde Iransit in summilatem Rosberges". — 
Die zwischen Dammersbach und Marbach 657' über die Haune 
sich erhebende Rosskuppe. Auch in der Beschreibung der Gränze- 
des Kirchensprengels von Märgrelhenhoun wird der „R©sseberg>." 
als Gränzpunkt genannt- 
„et sie per siccum torrentem iterum uadit in Hunam*^ — 

Der Dörrebach entsteht am südwes,llichen Fusse der Ross- 
kuppe und fällt bei der Teufelsmuhle in die Haune. 

y.y¥X deorsum per litus eius usque in ostia Martbaches"* — 
Der Marbach, welcher das gleichnamige Dorf durckfliesst und 
östlich desselben, etwa 300 Schritte unter der Zellmühle, ia die Haune 
mündet. 

„Inde sursum per riuum illum usque in caput eius". — 
Der Marbach fliesst von Westen gegen Osten und seine Quellen 
liegen .bei den drei Brunnen am Steinspringer liinter dem Häaschen 
im Baumgärtchen. 

„Inde in caput Berolfesbaches ". — 

Die Quelle dieses sonst nicht aufzufindenden Baches ist sicher 
in den jenseits der Wasserscheide zwischen der Fulda und Haune 
liegenden Quellen zu suchen, durch welche der Glasebach entsteht. 
„Inde uadit ad locum ubi flumen Lutire intrat Fuldam". — 
' Die Mündung der Lud er bei Lüdermünd. 
„ Et sie sursum per litus Lutire usque in ostia Blunbaches. El 
per riuum eius sursum usque in caput eius ". — 

In der Lüder hinauf bis zur Mündung des Bim b ach s, und 
dann in diesem Bach aufwärts bis zu seiner Quelle. 
„Inde trans uiam que dicitur Antsanuia". — 
Es ist dieses die alte Strasse » welche sich am Himmelsberge 



141 

vom allen Orlswegc trennte und die Sturm bd seiner drillen Reise 
in den Buchenwald als die zwischen Mainz und Thüringen gebrauch- 
tiche -Handeisslrasse bezeichnet Sie ging bei Hemmen über die 
Fulda und auf dem Bergrücken zwischen dieser und der Haune nach 
HersfeJd, 

„üsque In uiam, que uocalur Orleswehc", -- ^ ' 

Die alte aus der Welterau i^ommende Bergslrasse, welche auch 
Sturm nennt und die oberhalb der Mündung der Giesel über die 
Fulda führte. 

„Inde uadlt In uolutabrum, quod est in monle, qul dicitur Hi- 
melesberch ^^ — 

Uebcr den Himmelsberg bei Giesel," auf welchem sich noch 
jetzt ein Sumpf befindet. 

„Inde translt in caput riui, qui uocalur Schalkesbach". ~ 
Es kann dieses kein anderer Bach sein, als der vom Sulzbof 
herabkommende und zwischen Kerzell und Loschenrod in die Flieden 
mündende Bach, denn Kerzell gehörte schon zur Mark von Flieden 
und ein anderer Bach ist hier niclit vorhanden. 

„Et Sic per lltus eius usqüe quo intrat in Fliedena". — 

Also bis Jener Bach in die Flieden föilt, 
„Inde deorsum usque ad oslia Scamunfulde. Et ab oslio eius 
sursum usque quo ipsum flumen diulditür in freta. Inde Iransit inter 
media freta, que nascantur de flumine Fulda". — 

Scamunfulda ist der von Heubach über üttrichshausen , D811- 
bach und Rolhemann herabkommende und bei Kerzell in die Flie- 
den mündende Bach. Obwohl der Name verschollen, so wird doch 
jeder Zweifel dadurch beseitigt, dass es auch in der Gränzbeschrei- 
bung der Cent Fulda heisst: „perTugilum (die llialau) descendendo 
usque in Scanfuldam , inde per Scanfuldam deorsum in Hegibach" — , 
wonach 'sie also durch Heubach läuft, was nur mit diesem Wasser 
der Fall ist. 

„Et sie uadit in caput riui, qui dicitur Sudromilbach ". 

Diesen Bach vermag ich nicht festzustellen. 
„Inde pergit ad caput supradicti fonlis Crumenbaches ". — - 
S. oben Seile 139. 

Mag dieser Gränzzug auch auf seiner Ostseite in einzelnen Punk- 
ten einige Zweifel lassen , so stimmt derselbe doch in mehreren an- 
dern und zwar besonders hervorragenden Punkten , wie in dem Hun- 
küppel und der Rosskuppe , so wie in der Haune und d«n Marbach 



mit der Gränzbeschreibung des Kirchengebiets von Margrethenhaun 
überein*), und schon daraus wird sich ergeben, dass er keineswegs 
ein willkürlicher ist. Dieses tritt noch überzeugender vor die Augen, 
wenn man dem Zuge im Allgemeinen folgt. Derselbe beginnt öst- 
lich vom Schlosse Fasanerie und südöstlich von Pilgerzeil und führt 
uns an der Haune östlich von Ober- und Unterdirlos, westlich von 
Wisseis, Böckeis, Horwieden, Rex u. s. w. hin, dann um Steinhaus 
herum, und weiter in ganz westlicher Richtung bis zur Mündung 
der Lüderund, indem er von der Mündung desBimbachs sich südlich 
wendet, über den Rücken der Zunderhard, bis er die Gemarkung 
von Giesel erreicht, welche er südlich umschlingt; dann zieht er 
weiter gegen Osten ins Thal der Flieden, überschreitet diese zwi- 
schen Kerzell und Loschenrod , und langt so wieder im Krumbach an. 

Das Gebiet, welches diese Gränze umschliesst, tritt uns in den 
alten Pfarreien Fulda", Eichenzell, St. Florenberg, St. Petersberg, 
Kämmerzeil, Heimbach, SU Johannesberg und Giesel entgegen. 

Die Gränze umfasst also — und dieses ist gerade das, was 
ich hier hervorheben will — auch ein geräumiges Gebiet des linken 
Fuldaufers (die Pfarreien Kämmerzeil, Heimbach, Giesel und Johan- 
nesberg) und vereinigt demnach Theile von zwei verschiedenen Gauen 
zu einem Gfiyfizen , mit andern Worten: wir finden hier eine jener zu- 
sammengesetzten Marken, deren ich schon oben S. 120 gedacht habe. 

Aber auch der Name dieser Mark ist bekannt und gerade des- 
sen abnorme "Bildung ist charakteristisch für das Verhältniss. Eine 
Urkunde von 895 sagt: „ monasterium sancti saluatoris, quod situm 
est in pago Grapfeld in Uue|ereibono marcu. super ripam üumi- 
nis Fuldae, iibi sanctus Martyr Bonifacius sacro quiescit corpore''*). 
Man nannte also die Mark von Fulda in Rücksicht auf ihren links 
der Fulda liegenden Theil die wetereibische Mark'). 

Das Verhältniss , was durch diese Verbindung geschaffen wurde, 
brachte an und für sich weder in der Gau- noch in der Diözesan- 
Abtheilung eine Aenderung hervor, und hatte blos die Folge,- dass 
die Bewohner von Fulda beide Marktteile in gleicher Weise nutzten. 

Um den im Vorhergehenden dargestellten Gang der Marken-Bil- 



" 1) Dronke, Tr. et Ant. Fuld. p.,62. 

2) Dronke, Cod." dipl. Fald. nr. 644. 

3) So erklärt sich auch die Aeusseruug jenes Mannes, dein Sturm an der obe- 
ren Fulda begegnete: er komme „de Wedereiba". Vita St. Sturmi ap. Pertz 
Mon. Germ. IT. 369. 



143 

dung in einem engern Rahmen dem Auge des Lesers darzustellen, 
mochte wohl das nachfolgende Beispiel nicht ungeeignet sein. 

A ist die erste Niederlassung. Von dieser gehen weitere An- 
siedlungen aus,. welche ich mit B bezeichnen wilK 

Von A und B^ folgt nua ein zweiter Ausbau C und es tritt die 
erste Scheidung ein. 

Die zweite Scheidung folgt durch den von A, B und C ausge- 
henden dritten Ausbau D. 

Ebenso die dritte Scheidung durch den von A, B, C und D er- 
folgenden vierten Ausbau E. 

Angenommen, dass jeder einzelne Ausbau drei neue Dörfer schuf, 
so hatte die Mark nach dem ersten Ausbaue 4 Dörfer ; nach dem zwei- 
ten Ausbaue trennt sich die Mark in 4 Marken mit je 4 Dörfern, so Mae 
nachdem dritten Ausbaue in 16 Marken eben wohl mit je 4 Dörfern u. s. w. 
Im Zweifel über das , was man unter Mark zu verstehen habe, hat 
man gefragt, wie weit die Marken verbreitet gewesen seien? Ich 
glaube diese Frage ist im Vorhergehenden bereits vollständig erledigt : 
Marken sind allenthalben , wo Menschen sich angesiedelt haben. Aber 
auch die Art und Weise ihrer Entwicklung muss aller Orten dieselbe 
sein,, weil eben diese Entwicklung auf einem einfachen nicht von Men- 
schen geschaffenen, sondern aus der Natur der Verhältnisse selbst hervor- 
gegangenen und zwar ganz allgemeinen Gesetze beruht. Auch ist die 
Bezeichnung der Mark bei allen germanischen und romanischen Völkern 
immer dieselbe. 

Mehr als vereinzelte Andeutungen vermag ich freilich zum Belege 
fiir diese Behauptung nicht zu geben ; diese werden aber auch genü- 
gen ; lässt sich doch von der gleichen Wirkung auch schon auf eine 
gleiche Ursache schliessen. 

Betrachtet man zuerst das frie^icheVolk, so findet man hier 
nicht nur in dem Namen des Gaues Hugmerchi (auch Humarcha, in 
pago Humerki) *) die Andeutung der Maik, sondern fiuch die friesischen 
Gesetze gedenken derselben zum Öftern , z. B. das Westerwolder Land- 
recht: „Item indieghemeneMarckin dem Lande mach men jagen, 
waer men wil"*). Doch auch ohne den Namen lässt sich die Sache 
erkennen. Im Jahre 1219 werden nämlich die Abgeordneten der sieben 
friesischen Seelande: „majores de septem villis mariconterminis**^), also 



1) V. Ledebnr, die fünf münsterschen Gaue etc. S. Tfif. 

2) V. |lichthofen, Friesische Rechtsquenen S. 266. 

3) Wiarda, Ostfriesische Geschichte I. S. 189 u. 190. v. Ledebur a. a. 0. 
S. 22, bezweifelt , dass unter diesen sieben Dörfern die sieben Seelande zu ver- 



tu 

jedes Seeland „vHla'* genannt Unmöglich kann dieses eine andere Be- 
deutung haben, als diejenige, welche sich auch anderwärts findet, mv^o 
das ursprüngliche Gebiet der ereten Niederlassung noch langehin deren 
Namen behält und ungeachtet der bereits zahlreich .in derselben vorhan- 
denen Dörfer dennoch immer als villa bezeichnet wird '). Die Seelande 
sind demnach dasselbe, was in andern Gegenden die Marken waren. 

Gehen wir von da nach Dänemark, wo schon der Name des Lan- 
des *) daran erinneit, so finden wir hier die Mark unter der Bezeichnung 
mörk wieder, sowohl in den Urkunden , als in den Gesetzen. Zeig'en 
uns erstere auch nicht immer den Namen, so doch die Sache. Schon 
1 186 werden Oterslef „cum omnibus pertinentiis" und Myrthigae „cum 
Omnibus pertinentiis" genannt und als Zubehörimgen für das erste 7 
und für das letztere 5 Dörfer einzeln aufgeführt'). Das Erdbuch König 
Waldemar's sagt ausdrücklich, dass die neuen Ansiedlungeh in der 
gemeinen Mark geschehen seien *} und eben so nennen die Urkunden häufig 
eine Reihe von Marken imd bemerken dabei, dass dieselben ein Gebiet 
(enemarke), eine Mark bildeten, z. B. eine Urkunde des Königs Erich 
vom Jahre 1294: Quum — canonici Arusienses ecclesie territoria, vi- 
delicet Syfningmark, Wistthorpmark et Skongsmark, que dicunlur e n- 
merki, liberepossident'), sowie eine andere des Königs Erich von 1296 : 
Prohibimus districte sub optento gratie nostre, ne quis porcos, capras, 
jumenta vel alia pecora ad Hindthorpmark, Groskaemark , Gyaeldthorp- 
mark et Kysingmark, que sunt fenmajrky — canonicomm Amsienshim, 
mittere presumat sine ipsorum licencia speciali, quod quicumque feceril. 



stehen seien , ohne jedoch einen Ginind anzugeben. Allerdings ist die Stelle 
nicht urkundlich, sondern gehülst einem Chronisten an. Man betrachte aber nur dife 
Stellung, in welcher die „majores de Septem viUis** den „rncolis sex vlltarum** des 
Fivilingo gegenüber erscheinen und man muss in ihnen eine höhere Gewalt und 
Ewar die LandeBversammlung* erkennen. Ich wüsste auch nicht, wie man di« Be- 
deutung der Seelande den Gauen gegenüber anders erklären könnte. 

1) In gleicher Weise wird auch in einer Urkunde von 839 eiue Cent (fiim- 
deri) villa genannt: in ducatu Frisiae in pago Uuesttracha (Westergau), in uilla 
Cammingehunderi et in aliis uillis Erhard, Cod, dipl. Histor.'Westphal. nr. 13. 

2) 005: in marca vel regne Danoram. 

3) Therkelin Dipiomatarium Arna-Magnaeum I. p. 58. AehnUch eine Urk. 
von 1202. ibid. p. 90. ' 

4) Nosbye cum attinentiis suis scHieet Sygthaesore cum ceteds vilüs foctis de 
Almiuning. — Omnes insnie, que vaeantur Almmniug et oppida ex- eis facta. 
-^ Alminning et oppida inde facta. Langeubek Scr. Rer. Dan. VII. 530. 53i/ 

5) Ibid. VI. p. 417. 



I 



145 

regiam non effug^iet ultionem *). Aebnlich wie das salische Gesetz (s. 
oben S. 1 16 u. 117), so enthält auch das jütische Low Bestimmungen über 
die von dem Mutterdorfe, welches in Dänemark Adelby genannt wird, 
ausgehenden Ausbauten : „Is dar ein klein Dörp gebuwet in dat Veit 
vnde se hebben alte Acker vnde Wische gedelet, vnde wurden kiuen, 
wat tho deme kleiiaen Döi*pe vnde wat tho dem groten Dörpe gehöre, 
dat schulen weten de in deme Adelby, id est, in dem groten Dörpe wa- 
nen. Dünket den ock, de in 'dem groten Dörpe wanen , dat dat kleine 
Dörp en tho Schaden gebuwet were , so mögen se dat kleine Dörp wed- 
derumme infördern, so ende Schade nicht tho lyden de were. Wil 
den dat kleine Dörp nicht folgen , so mögen se dat mit Laged&gen tho 
Dinge (Gericht) vpdryuen. — Hedde idt öuerst dre Vinlerst hafTd 
(dat is) dre Jahr gestanden vnbeklaget vnde unuorfolget tho Dinge, so 
kan men jdt nicht wedder vpdeelen " *). Obwohl noch eine Reihe 
anderer Bestimmungen dieses Buches über den Ausbau handeln, so möge 
jene Stelle doch genügen. 

In Norwegen werden wir schon durch eine Reihe von Provinzialna- 
men auf die Mark hingewiesen, als Heidamaik, Vingulmark, The- 
lamaiken u. s. w., und Schweden zeigt uns in mehreren Beispielen so- 
wohl ganze Einwanderungen in noch unbebaute und wüslliegende Landi»^' 
striche, also die Bildung neuer Marken, als auch im Einzeln den 
Ausbau der Mark. Snoni Slurluson erzählt in der Ynglingen 
Saga ') : „ Schweden ist ein gewaltiges Waldland und dort liegen 
grosse Oeden- Wälder, viele Tagereisen lang. König önund wandte 
viel Fleiss und Kosten an, die Wälder auszuroden und die ausgero- 
deten Strecken zu bebauen; er liess auch Wege durch die Wälder 
anlegen und sie fanden in den Wäldern viel holzloses Land und 
legten daselbst grosse Härade *) an. Auf diese Weise wurde ein 
grosser Theil des Landes bebaut, denn es war hinreichend Volk 
vorhanden zur Bebauung. — König önund setzte seine Höfe iu 
jedes Grosshärad u. s. w." ), — sowie in der Sage Hakon des Guten 



1) ibidem p. 400. ^ 

2} Dat rechte Judske Lowbock. {Plattdeutsche Uebersetzung von Ekenber- 
ger 1593.) B. I. Kap. 47. 

3) Kap. 37. Heims kringia edr Noreys - Konunga - Sögur af Snorra Sturlu- 
syni. Ed. a Schoiiihg. Havniae. 

4) Herre der, welches der latein. Text durch tcrritoria wiedergibt. 

5) Von ähnlichen Anbauten berichten auch die Kapitel 40 u. 46, desgl. das 
20. Kap. der Saga HaraUd*s des Haarschönen. 

laadan. Territorien. 10 



14« 

(Kap. 14): „Sie rodeten Wülder und machten dort bewohnt grosse 
Härade, das ward seitdem Jamtaland genannt^' 

Noch deutlicher tritt aber die Uebereinstimmimg mit unsern deut- 
schen Verhältnissen hervor, wenn wir den Innern Ausbau der schwe- 
dischen Mark betrachten, wie derselbe uns von Geyer *) dargestellt 
wird. Derselbe erzählt nämlich: „Das Kirchspiel Skog im südlichen 
Helsingeland war vor Zeiten Gemeinwald sechs aneinander gränzen- 
der Kirchspiele in Helsingeland imd Gestrikeland , welche daselbst ihre 
Viehkäufer (Fäbodar) hatten. Diese Weideplätze wurden durch Kul- 
tur in so gen. Boland (Wohnplätze) verwandelt und von Einigen an ihre 
Kinder überlassen, während sie selbst die alten Höfe in den genann- 
ten Kirchspielen bewohnten. Bald entspannen sich Streitigkeiten zwi- 
schen den Neuanbauem imd den alten Hofeigenthümem , welche letz- 
tere sich immer fort das Besitzungsrecht auf jene Bolande anmassen 
wollten, wiewohl diese schon femer als Erbe überlassen und Steuer- 
höfe geworden waren; da dann die Neubauern baten, ein besonde- 
res Kirchspiel ausmachen zu dürfen, welches der König Magnus be- 
willigte. Die Gränzzeichen wurden nun durch richterlichen Bestäti- 
gungsbrief bestimmt, welcher auf allgemeinem Ting, ani südlichen 
Hügel in Helsingeland im J. 1343 ausgefertigt ward.** Geyer be- 
merkt hierzu: „Man kann diesen Bericht als Geschichte der vorschrei- 
tenden Kultur in Norrland, ja in ganz Schweden , betrachten. Fäbo- 
dar mit ihren Weideplätzen waren überall die ersten Vorposten der 
Kultur. Boland (Wohnplätze) , Nybyggen (Ansiedlungen) sind aus ih- 
nen entstanden und neue Hemman (Höfe) geworden ; die sich von den 
alten gesondert. Das |st noch heutiges Tags der Gang der norr- 
ländischen Ansiedelung. Dies war auch noch im vierzehnten Jahr- 
hundert das Verhältniss in dem jetzt so bevölkerten Trögds Härad in 
Upland. Es besass ansehnliche Gemeindewaldungen und ein eigenes 
Gesetz wegen Nutzung derselben.** „ Bys gemensamma mark ** ist in 
Schweden pascuum pagi conunune*), Almaennings-skogher der Ge- 
meinwald *) und Marka skiael die Markscheide % 

Bei den Angelsachsen hiess die Mark Mearce *). Schon 605 
findet man .in Kent Wycingesmarce, Burhwaremarce und Cynin- 



1) Geschichte Schwedens. Von Geijer. Uebersetzt von Leffler, 1. S. 79. 

2) Corpus iuris Vestrogotici von CoUin u, Schlyter p. 375. 

3) Ibid. p. 356. u. 492. 

4) Ibid. p. 461. 

5) Ob die Bezirksbezeichnung Maegihe, welche sioh bei den Sachsen, nichl 



1 
\ 



147 

gesmarce *) und 862 in Wessex Cyslaningamearce, Fearnbior- 
ginga mearce, Wichaema mearce, Biohahhema mearce *). Eine 
Urk. V. J. 664 fahrt mehrere Dörfer in den Grafschaften Berks und 
Morihamshire auf „cum membris elappendiciis" und nennt al3 solche 
mehrere Dörfer »). 

Was die germanischen Völker als Mark bezeichnen, ist bei 
den romanischen der ager publicus, eine Bezeichnung, _M'elche 
uns schon frühe bei den Römern entgegentritt *) , obwohl der ager 
publicus als ager romanus, nämlich als römisches Staatsgut, einen 
von der germanischen Mark wesentlich verschiedenen rechtlichen 
Charakter annimmt. Die Mittelpunkte der Marken der nicht germa- 
nischen Völker waren die Städte, worauf ich später noch einmal 
zurückkommen werde. Die Marken sind hier die Stadtgebiete. 

Die spätem italienischen Urkunden brauchen für Mark gewöhnlich 
denAusdruck territorium imd finis. So heisstes 873, 969 und 978: 
in territorio Pinnensi, und 874 : in finis Pinnensibus *), 772: duas casas 
inJuliano et aliam in Valeiiam in finibus civitatis Reatinae"), 873: 
in territorio Aprutiense et in loco Cerqueto etc. etc. *). 

In Frankreich findet man ausser den auch in Deutschland üblichen 
terminus , territorium , finis etc. noch einige andere bei uns nicht vor- 
kommende, jedoch ganz dasselbe ausdrückende Bezeichnungen, nament- 
lich condita *), aicis, aiacis oder ajacis •) und ager*®). 



aber bei den Äugeln findet (Lappeiiberg , Geschichte von England I. S. 583), eine 
gleiche Bedeutung hatte, vermag ich nicht zu entscheiden. 

1) Kemble, Codex diplomaticus Angio - Saxon. I. p. 3. 

2) Ibid. IL p. 73. 

3) Ibid. y. n. 984. Kemble hat in einem Anhange seines Werkes „die Sacli- 
sen in England" ein langes Verzeichniss von Marken in England gegeben. 

4) Niebühr, Rom. Gesch. 1. Aufl. II. S. 377. 

5) Murator. Antiquit. Ital. T. II. P. II. p. 942, 957 u. 970. 

6) Ibid. 348. 

7) Ibid. p. 939. 

8) In pago Pictavo , in yicaria Igoradinse , in c o n d i t a Niverni^cense in 
viila Marciacus, oder: villa illa — Sabonarias in pago Cenomannico in condita 
Liabrocinse. Henschel, Gloss. II. p. 521. Im J. 718 werden in pago Constan- 
tino in condeta Quasiiaciense 6 Dörfer aufgeführt'. Pardessus 1. c . II. p. 450. Das 
Wort stammt gewiss nicht, wie Mone meint, aus dem Keltischen, sondern ist 
das lateinische condHus und bezeichnet demnach einen Gegenstand, welcher von 
einem andern umschlossen wird. 

9) In comitatu et vicaria Brioatense , in ipsa a j a c e ; — in 4pso a i c e seu 
in ipsa vicaria. Henschel , 1. c. 11. p. 154. 

10) 587 : in pago Lugdunense in agro Menthearense (Pardessus 1. c. 1. 157); 

10* 



148 

Doch auch ohne nähere Bezeichnung lassen die franzosi- 
schen Ui-kunden die Marlien erkennen, z.B. i in Jahre 889: „in pago 
Verinandense villam Hildincurlen) vocatam cum villulia ad ean- 
diem perlinentibus**'); 899: „In eodem pago (sc. Narbonensi) 
in suburbio Minerbense villa quae dicitur Fellinus. — El in coroiialu 
Russiolonensi villa Tordarias cum suis villaribus et finibus 
atque adjocentiis earum etc. — In eodem pago villa Peciliano 
cum suis villaribus, finibus et adjacentiis etc. — El in 
eodeoK pago villa, quae dicitur Tezano cum suis villaribus, id 
est Anglares et Salellas cum finibus et adjacentiis earum. — In 
comltatu Puritanense villa Uliaslreto cum villaribus*). 

Ebenso wenig fehlt die Mark in den slavischen Gebieten. In 
denen, welche von den Deutschen unterworfen und zum Schutze 
nach Aussen hesondern .Markgrafen übergeben waren, kommt sie un- 
ter dem deutschen Namen vor. So heisst es 945: „quandam pro- 
prietatem nostram Irans Salam flauium in comitatu Thietmari inter 
paganos situm in pago lingua Sclavorum Lilici nominalo villae vidc- 
licet Tribunice vocatae totam marcam cum omnibus appen- 
diciis" elc.'). Im Jahre 948 gab Kaiser Ollo dem Grafen Dilmar: 
„tantum terrae proprielafis nostrae in regione pagoque Koledizi et 
in ipsius comitatu, quantum a palude Vona versus occidentem longius 
ad marchas Kotenni, Biteni, et Ezeri protenditur et hinc 
versus aquilonem contra marcham Serimodem et ultra tumulum 
Bulzina et de tumulo usque ad locum Churozt contra märe harn 
Gorizka et inde usque ad paludem circumquaque infra ipsum am- 
bitum concludilur"*), und erklärte 952, dass sein Sohn Ludolph, wel- 
chem er den G{iu Serimunt (omnem regionem Serimunt) übergeben, 
dem Markgrafen Gero überlassen habe: „tres marchas eiusdem 
predicte regionls unam Vulssepici, alteram Vuitonulici cum villis in- 
fra nominatis Vuitonuhci, Trebucaunici, Neozodici, Drogobiiles^horp, 
tertiam Sublici cum villis tribus Sublici nominatis et Becimuntborp, 



630: „in sul)urbio Lemovicensi in terra et fundo agri Solemniacensis '* (ibid. 
p. 1 1} ; 721 : „in loco — Flaviniaco in agro Bumacinse in pago Alsinse** (ibid. U. 
p. 323); „.... mouasterium — Flaviniacensis — in agro Bumacinse — in pago 
Alainse ipsum Bornadum cum ipso Castro Flaviniaco cum omnibus adjacentiis vel 
appeudiciis 'S als welche 10 One genannt werden (ibid. p. 324). 
1) Coli, de Documents inddits sur THistoir. de France I. p. 132. 
' 2) Martene et Durand, Thes. I. 59. 

3) Beckmann, Anhaltische Historie L S. 168. 

4) Knanih, Antiq. pag. et comit principat. Anhalt, p. 49 u. 50. 



i 



14» 



Procinesthorp , Abithesdal, Llzstldesthorp in pago Serimunt 

in comitatu Thietmari comitis^'^). Ebenso heisst es in einer Urk. 
von 950: „in pago Hassagoi et in confinio Mersapurac in cQmi- 

lata — comitis — Teti in praescriplae civitatis inarcha"*), 

und in einer andern von 9 56 „in marca Lipani, hoc sunt ville sex 
sie nominatas Liubene etc.*'*), gleichwie eine Urlumde von 863 Güter 
in Dagodeosmarcha und Kuzara marca in Pannonien nennt*). 

In den verschiedenen slavischen Mundarien wird die Gemein- 
schaft (communitas, res publica) durch Obec*), Obecnice (buhm. 
undslav.), Opzhina (Krn.), obchina (kroat.), Opchina (dalm.)u.s. w., 
oder durch gmia, gmina, gmanya u. s. w. ausgedrückt und 
durch letzteres insbesondere der gemeinsame Wald bezeichnet •) ; 
den Umkreis (ambitus, terrainus) aber nennen sie Okolek, Okol, 
Okolica, Okolicze u. s. w. '^). In der Regel wird jedoch hier- 
für das. polnische Opol, Opole®) gebrnucht, in den lateinischen 
Quellen dagegen das diesem völlig entsprechende Wort vicinia. Im 
Jahre 1145 heisst es: „vicinia, quod opol vulgariter nuncupatur"''), 
und denselben Ausdruck brauclij auch eine Urkunde von 1291 "). 
In einer Urkunde von 1277"), welche über einen Gütertausch zwi- 
schen dem Herzoge Boleslaw und seiner Gemahlin ausgestellt ist, 
liest man: „ fecimus commutationem , villam, quae Kleszcew vulga- 
riter appellatur de vicinia, quae Rede dicitur, excipientes viciniae 
junximus Costrinensi, ipsam ab omnibus exactionibus excipientes. 
— — villam vero quae Gorka vulgo nomine appellatur, quam de 
vicinia eadem excipimus Costrinensi loco superius diclae villae ad 



1) Knaiuh 1. c. 44. Beckmann 1. c. T. p. 108. 

2) Baring, Clavls diplomatica prael'. p. 17. 

3) Ibid. p. 18. 

4) Boczek 1. c. Nr. 41 und ebenfalls Nr. 80. 

5) So im ältesten Rechtsbuche ßölinieus (S. Palacky , Gesch. von Böhmen 
II. 1. S. 43). Die slavischen Glossen in den Abhandi. der k. böhm. Geselischaft 
der Wissenschaften, fünfter Folge 1. Band S. 219 übersetzen obec darch res- 
publica und compas9uus agcr. Ebenso S. 221 pomezie und pomeze durch cou- 
finiuni, 

6) Linde, Slownik jezyka Polskicg^o T, 726 u. II. 351. Abhandlungen dec 
königl. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften. Fünfler Folge 1. Bd. S. 219. . 

7) Ibid. II. 498 u. 490. 

8) Pole das Feld. Cod. dipl. Pommcraniae Nr. 145. 

9) Damalewicz, Vitae archiepisc. Guesn. p. 91 nach Koppel , Gesch. Polens I. 
S. 615. 

10) Lelewel. Pocz^tkowe prawodawatwQ- p. 209 — It nach Jlöppel. 

11) Raczynski, Arch. theol. 1. 3. p. 316. nach Röppel I. S. 616. 



160 

nosiros ttsus^^ Da bei den spät oder gar ntchi unlerworfeneD sla- 
vischen Stammen die Urkunden erst mit dem dreizehnten Jahrhun- 
dert beginnen, so fehlen hier für die frühere Zeit alle Materialien, 
um die altern Einrichtungen in Betreff der Vertheilung des Grund 
und Bodens mit Sicherheit ermitteln zu können. Dennoch ist auch 
da die Mark nicht zu verkenuen. 

Ebenso finden sich aber auch Urkunden, in welchen ein Dorf 
ausdrücklich als Hauptdorf und die übrigen nur als Zubehorungen 
aufgeführt werden, wie dieses in einer böhmischen Urkunde von 
1235 geschieht: „villas Glupetin cum omnibus villulis ad eam per- 
tinentibus , seil. Humenche, Nidoscitz , nee non et villam Boroüz cum 
omnibus villulis ad eam pertinentibus u. s. w« '). 

Dieser Ausbau von einem gemeinsamen Mittelpunkte liegt so 
sehr in der Natur der Dinge, dass er sicher allenthalben statt ge* 
fanden haben muss. Deshalb findet er sich auch im Innern von 
Russland bei dem Einwandern des russischen Volksstammes. „Ein- 
zelne Haufen von Ansiedlern — erzählt v. Haxthausen*) — zogen aus 
und suchten sich in ,den unermesslichen Ebenen Russlands einen 
vortheilhaflen Platz aus, und siedelten sich als eine Gemeinde an. 
Sobald diese zahlreich wurde, schickte sie wieder junge Bienen- 
schwärme aus, um in der Umgegend neue Gemeinden zu gründen, 
die mit der ersten in einer genauen Verbindung blieben , in der Ver- 
bindung der Tochtergemeinden zu der Muttergemeinde. Dies erhielt 
sich noch, als das reale Band zwischen diesen Mutter- und Tochter- 
gemeind^n längst verblichen war, bis in die spätesten Zeiten, als 
ein Andenken, eine lebendige Erinnerung des Volks." Die Mutter 
Nowgorod, die Mutter Susdal, die Mutter Moskau heisst es in 
allen Urkunden! Das Ganze bildete auch eine Art von politischem 
Verband, man nannte es ein Land (Territoire, Territorium). Das 
Land Nischni Nowgorod, das Land Susdal, das Land Rostow, 
führen noch Urkunden des 17. Saeculi an. Diese Kolonisationen folg- 
ten vorzugsweise dem Laufe der Flüsse. Wir finden dieselben schon 
im 12. Saeculo längs allen Flüssen des jetzigen Russlands, der Wolga, 
dem Don, dem Dnjepr des Südens, wie der Düna) Suchona, Dwina 
des Nordens. Das Innere des Landes blieb dann noch lange wüst, 
oder wurde von andern Volksstämmen^ bewohnt, oder von Jägern 
und Nomaden durchzogen <^ 



1) Boczek 1. c. II. p. 294. 

2) In seinen Stadien II. S. 204 ff. S. auch III. S. 135 ff. 



läl 

2) Die Gränzbildung der M^irken. 

Obwohl ich schon oben von der Gränzbildung der Marken ge- 
sprochen , so muss ich hier doch noch einmal darauf zurückkommen. 

Dass die Gränzen sich nur nach und nach bildeten und fest« 
stellten, ist wohl mit Sicherheit anzunehmen/ Erst dann mochte 
dieses geschehen, wann die Ansiedler zweier benachbarten Nieder- 
lassungen in Folge der von beiden Seiten erfolgten weitem Ausbau- 
ten ^ zusammenstiessen. Eine solche ganz aus der freien Gestaltung 
der gegenseitigen Verhältnisse hervorgegangene Gränzbildung ent- 
spricht jedenfalls mehr als jede andere Annahme der Natur jener 
einfachen noch ungeregelten Zustände, wie solche stets mit dem 
Jugendalter der Völker verbunden sind. 

Selbst die häufig und in allen Gegenden wiederkehrende Er- 
scheinung, dass die durch die Gestaltung des Bodens, durch Strom 
und Gebirg , gezogene natürliche Scheide *) der politischen Gränze 
zur Grundlage dient, lässt sich sehr wohl aus jenem allmähligen Wer- 
den , diesem Bilden und Wachsen aus sich selbst heraus , erklären. 

Doch irren diejenigen sehr , welche diese Uebereinstimmung der 
politischen und natürlichen Gränzen als eine immer und allenthalben 
wiederkehrende und deshalb ausser Frage stehende Thatsache be- 
trachten; denn es ist diese Uebereinstimmung keineswegs so allge- 
mein und überhaupt nur sicher da zu finden, und darf nur da als 
Regel angenommen werden, wo einem Ueberschreiten der Natur- 
scheiden ungewöhnliche Schwierigkeiten und Hindernisse im Wege 
stehen, wie dieses z. B. bei dem langen Rücken des Thüringer - 
und des Schwarzwaldes der Fall ist. Bei Flüssen und geringern 
Gebirgen zeigen sich hingegen weit mehr Ausnahmen von dieser Re- 
gel, als man bisher geglaubt hat. Weder die Rhön noch der Vo- 
gelsberg sind Gränzscheiden , und sogar am Rhein hatten die Me- 
napier beide Ufer inne *). An der Fulda, und Werra und ebenso an 



13 So aielit 1050 die Gränse des Gebiets der Abtei Pfäfers: „ad montium 
samitates vulgo S cli n e e I e u f e ". Hergott, 6eneal. Habsbg. II. 122 ; 1183 bestimmt 
der Bischof Otto von Bamberg eine Gränze : „ descensum {iluvialis aquae per 
totam Anggam (einen Wald)". Kurz , Beitr. zur osterreich. Gesch. II L S. 320, 
und im Fürstenbuche wird die Gränze zwischen Steiermark und Oesterreich „alz 
die Regenwazzer vlieszzenV^ angegeben. Rauch , Script. Rer. Austr. I. 243. 

2) Caesar, Bell. gall. Üb. 4. c. 4, 



1Ü2 

der obem Weser werden sogar einzelne Dorfmarken (die von Lip- 
poldsberg) durch den Strom hi zwei Hälften getrennt > und aucb der 
grosste Theil des untern Mains lliesst mitten durch Marinen. 

Die Zeit der Grünzbefestigung reicht jedoch weiter hinauf als 
unsere historischen Denlimale. Sowohl die alemannischen als die 
baierischen Vollisrechte handeln von dem Verfuhren bei Grünzstrei- 
tigkeiten und jedenfalls waren schon vor dem achten Jahrhundert, 
wie dieses die vielen aus denselben herrührenden Granzbeschreibun- 
gen beweisen, die Gränzen der einzelnen Gebiete allenthalben be- 
festigt. Sogar die neuen Anlagen wurden damals schon sofort 
mit festen Gränzen versehen *),- Zwei neue von Sachsen im 
buchischen Walde angelegte Niederlassungen bestimmte Karl der 
Grosse gleichmässig auf 4 leuga in der Länge, 2 leuga in der Breite 
und 6, leuga im Umfange*). Diese Abgränzung wurde gewöhnlich 
dadurch gesichert, dass man die an der Gränze stehenden Bäume 
mit Zeichen versah. So heisst es z. B. 848: „quam coraprehensio- 
nem homines tui una nobiscum circuiverunt et novis signis obfinna- 
verunt"'). Diese Gränzbäame wurden noch bis in neuere Zeiten 
Mal-*) und Lach- oder Lochbäume genannt'), eine Bezeich- 
nung, welche auch slavische Urkunden gebrauchen*), die in der 
eigenen Sprache diese Grän^zeichen jedoch „hranicie** und ,,kopec" 
nennen'). Eine Urkunde von 1215 sagt: „per certas melas, que 



1) Siehe z.B. die Granzbeschreibnng eines fuldischen Bifongs vom Jahr 801 y 
Dronke, Cod. dipl. Fuld .Nr. 165. 

2) Ibid. Nr. 261 und Falcke , Cod. Trad. Corbeien. p. 377. Nach Mone 
(Urgeschichte des badischen Landes L S. 11) hatte die rumisclie leuga 1500 
Fusse. 

3) Leibnitz , Script. Rer. Brunsv. I. 1 14. S. über die Gräuzzelchen über- 
haupt Grimm , R. A. S 541. * 

4) 1036: „ad arborem, que vulgariter dicitur Melboum" (Höfer, Zeitschr. für 
Archivknnde II. 157). 

5) Incisio arborum vel lacha. Trad. Lauresh. I. p. 24. Auch der Cränzgra- 
ben wird Loch graben genannt. Baur, Urkbch. d. Kl. Arnsbg. Nr. 1166. 

6) Z.B. bei Boczeck (Cod. dipl. Moraviae I._ Nr. 301) eine Urkunde von 1165; 
„sicut more siluarum consignatura est, quod vulgo gelachiet nuncupatui- *S 
welehe sonst die Gränzzeichen slavisch bezeichnet. 

7) 1210: ^jSecundum quod mete sunt signate, que vocantar ghraniz, 
quoad usum et ius communis consuetudinis terre — continentur*' ibid. II. Nr. 48; 
1214: secundum quod sibi placaerit, quam circumeundo positis aceruis, qoi 
kopci uel granicie dicuntur limitauimus '^ (ibid» II, Nr. 64)« 



153 

uulgo hranicie vel kopcy slve vroclsciedicnntur — circuirent*', 
unterscheidet aber im weitern Verlaufe k o p e c und h r a n t c i e und gibt 
letzteres durch Signum wieder'); während eine andere Urk. von 1215 
kopci und hranicie einfach durch meta übersetzt'), gleichwie eine 
ältere die Gränze selbst vrociscie nennt '). 

Ganz wie durch die Marltgenossen bei den Deutschen , so Mor- 
den auch bei den Slaven die Grunzen durch die zusammenberufene 
vicinia feslgestellU In dem Vertrage über die Rechte der schTesi- 
schen Kastellanei Militsch von 1249 heisst es: „Verum si aliquando 
ad aliquas metas, vel terminos f^ciendos, vel ob aliud qnodlibet 
negocium vicinia fuerit evocala et ipsam in aliquo contigerit condcmp- 
nari etc. etc." *), Im Jahr 1254 wurden die Grunzen von Pretinowa 
oind Scheitning bestimmt: „tota vicinia assistenie", 1289 die von Krei- 
del: „ vicinia evocala *', imd 1291 die Grunze des Zobtenbergs: „sicul 
certis limitibus concluditur et per viciniam demonstratur " * ). 

3) Der Ausbau der Mark im Einzeln. 

Nachdem ich oben gezeigt habe, wie die Gebiete der ersten 
Niederlassungen nach und nach durch die Gründung neuer Dörfer 
angebaut worden* sind, will* ich hier die Arbeit der Anrodung 
selbst noch näher beleuchten. Schon die. alten Volksgesetze reden 
vielfach von dem Urbarmachen der Wälder und brauchen für diese 
Arbeit eine Reihe verschiedener Bezeichnungen: cullura silvarum,. 
ad culluram scindere, culluram facere, exartum facere, exartare, 
niundare, novellare etc. etc. *). ' Näher lernen wir diese Anlagen je- 
doch erst seit dem achten Jahrhundert kennen,' indem die Urkunden 
dieses sowohl, als /luöh der nächsten Jahrhunderte sie in zahlloser 
Menge aufführen. Sie entstanden meistens in den Wäldern , wo uian 
geeignete Plätze auswählte und urbar machte. Karl der Grosse be- 
stimmte in dem Kapitular de villis ausdmcklich, dass an geeigne- 



1) Ibid. nr. 67. 

2) Ibid. nr. 69. 

3) Limites antiquos siue Urocyscie ibid. nr. 68. 

4) Tzschoppe und Stenzel a. a. 0. Nr. 316. 

5) Das. S. 25. 

6) Grimm , R. A. S. 524. 



154 

ten Orlea in den W&ldetB gerodet werden sollte (et ubi locus fue- 
rit ad siirpandum )). In den meisten Fällen begann die Anrodung sicher 
durch Niederbrennen des Waldes» wie wir das heute noch in Amerika 
und auch in Russland sehen. Namentlich ist dieses in den rassischen 
Gouvernements Wiatka und Perm die gewöhnliche Weise und eine 
solche von Einem oder Wenigen begonnene Ansiedlung nennt man 
dort Patschiniki (Anfang) *). In Deutschland bediente man sich des 
Feuers noch bis in*s sechszehnte Jahrhundert. 

Man hatte für dergleichen neue Anlagen eine Reihe verschie- 
dener Bezeichnungen , welche sich übrigens nicht blos auf die Grün- 
dung wirklicher Dörfer beschränkten , sondern überhaupt auf alle Ro- 
dungen bezogen, welche im Walde vorgenommen wmden. 

Diese Bezeichnungen waren verschieden, je nachdem man das 
eine oder das andere , die Besitznahme , die Scheidung vom Walde, 
die Arbeit' der Rodung, oder die Umfriedigung derselben damit an- 
deuten wollte , und es haben dieselben ") für uns eine um so we- 
sentlichere Bedeutung, als sie es vorzüglich sind, welche" die Art 
und Weise dieser neuen Anbauten veranschaulichen ). 

In Bezug auf die Besitznahme nannte man den vom AYalde 
zur Urbarmachung bestimmten Bezirk proprisum. Im achten Jahr- 
hundert gibt ein gewisser Giselhelm „meum proprisum in Odenwalt 
Silva in Hantscuhesheimer marca " dem Kloster Lorsch *) und in einer 
Urkunde über eine Schenkung von Gütern zu Bensheim heisst es: 
„ exceptis duobus illis proprisis , quorum unus super rivum Lutra jacet, 
alter ad Lauterbach " *). Aehnlich erklärt in einer Urkunde vom Jahr 
811 Karl der Grosse, dass der Sachse Amelung „proprisit sibi par- 
tem quendam de silua, qüae uocatur Bochonia" imd dass er jetzt dessen 
Sohn in dem Besitze dieses „proprisi, quod in lingua eorumdici- 



1) Baluz. , Capitular. Regum Francor. I. p. 336. 

2) V. Haxthaasen , Studien u. s. w. II. S. 290. 

3) Schon Anton in seiner Geschichte der deutschen Landwirlhschaft I. 3'^ 
hat eine obwolil nicht ganz befriedigende Zusammenstellung derselben gegeben. 

4) Eine ebenso specielle als treffliche Schilderung der Art und Weise » wie 
dergleichen neue Anlagen im aussersten Norden ausgeführt wurden, gibt uns 
Hanssen in seiner Abhandlung über das Agrarwesen der Vorzeit in Falck's ne^ß"* 
staatsbürg. Magazin VI, insbesondere S. 24 f. 

5) Trad. Lauresh. Nr. 313. 

6) ibid. Nr. 251 u. 252. 



IM 

tur biuanc"» bestätigt habe '). Uebereinstiinmend hiermit ist der hi- 
halt einer andern Urkunde von 813. Zufolge derselben hatte eben- 
wohl ein Sachse sich im Bucbenwalde niedergelassen und ,,ad locum 
qui dicitur Hauucabrunno inter Uuiseraa (die Werra) et Fuldaa oc- 
cupauit sibi partem quandam de silua, quae vocatur Bocchonia''; da 
später ihm aber der Besitz entzogen worden» so stellte Karl jetzt 
»»Ulud proprisum, quod in eorum lingua Biuanc" dem Sohne wie- 
der zurück'). In, einer Urkunde aus derselben Zeit heisst es: 
,, unum bifangum , quod pater meus proprisit in silua" '). Dass die- 
ses proprisum nicht an und für sich eine ' eigentUch schon ausge- 
führte Rodung bezeichnet *^), ergibt sich aus der Bildung des Wor- 
tes. Dasselbe ist unzweifelhaft aus der Präposition pro und dem 
Verbum prendere zusammengesetzt und bedeutet daher: etwas für 
sich in Besitz nehmen. In diesem Sinne brauchen es auch schon 
die alten Volksgesetze. In der Lex Beguvanorum (tit ü. §. 12) heisst 
es: „NuUus praesumat alterius res proprendere ", und in der Lex Ri- 
puar. (tit. 75) unter der Ueberschrift : „De re proprisa vel secuta": „Si 
quis caballum, hominem vel quamlibet rem in via propriserit ". 'Und 
auch in den Kapitularien findet man es in derselben Bedeutung: 
„De rebus proprüs (propresis) ut antea missos et coinites et judi- 
ces nostros veniant, et ibi accipiant finitivam sententiam; et antea 
nullus praesumat alterius res proprin'dere, sed magis suam cau- 
sam quaerat ante judices nostros, ut diximus, et ibi recipiant quod 
iuslum est** '), und in den Formul Bignoniae: „eo quod terram suam 
de suo manso malo ordine nunquam proprisisset, nee post se 
nunquam retinuerit ** *) , so wie nicht selten auch in den Urkunden ^ 
und man ersieht daraus auch den damit verknüpften Nebenbegriff; 



1) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 261. 

2) Falcke, Trad. Corbeien. p. 377. 

3) Trad. Lauresh. Nr. 329. 

4) Erhard in seinem Regest. Hist. Westphal. Nr. 276 u. 280 übersetzt pro- 
prisit irrig durch „urbar gemacht.** 

5) Benedicti Capitul. ap. Pertz , Leges II. p. 59. Aehnlich auch p. 85. 

6) Canciani Barbar.) Leges antiq. II. Nr. 272. 

7) Z. B. im 8. Jahrhundert: Post sacramentnm dixerunt, quod ipsa eccle- 
sia haberet injuste per prisem (proprisum) et per legem reddere deberet et 
reddidit eam per Wadium suum et fidejussorem Haganonem dedil et 6?indieavlt 
eam ipse Advocatns. Meichelbeck 1. c. I. Nr. 125. Weitere Beleges, bei Henschel 
V. p. 355 ff. 



IM 

das Verbum bezeichnet nftmlich eine mehr thatsächliche, mehr eigen^ 
mächtige, als rechtlich befuf^e Besitznahme eines Gegenstandes, wo- 
gegen proprisam den Gegenstand der Besitzergreifung selbst bezeich- 
net. Für diese Erklärung sprechen dann auch die oben angeführ- 
ten Urkunden von Sil und 813, indem die erste für das ,, propri- 
Sit" der von 813, sich des Ausdruckes „occupauit" bedient. Des- 
halb wird an andern Orten in ganz gleicher Bedeutung eine solche 
Besitzung auch occupatio genannt *) , ähnlich wie bei den Römern, 
die durch occupatio nur nicht das Grundstück selbst, sondern die 
Handlung der Besitznahme des öden Bodens bezeichneten *). 

Der Besitzergreifung des anzurodenden Bezirks musste vor al- 
lem die Abscheidung vom Walde folgen und lüerauf zunächst bezieht 
sich das Wort Bifaug ")• 

' Wir haben dieses Wort schon oben (S. 48) kennen gelernt, wo 
dasselbe den von zwei Furchen eingeschlossenen Sultel" im Ackerland 
bezeichnete. Es ist das bei allen .germanischen Stammen sich wieder 
findende *) Wort Fang und fangen, und zwar in der etwas er- 
weiterten Bedeutung von umschliessen, ganz wie wir es noch 
heute brauchen, wenn wir sagen, unser Geist sey befangen oder 
unsere Sinne seyen befangen, oder dieser und" jener sey in seinem 
Urtheile unbefangen. .So heisst es in einer Urkunde: „Item sie 
haben einen ganzen Acker gefangen zu dem Sladtgrabeu " ") und in 



1) Z. B. in Steinbach occapationem ad dcccm liubas (Trad. Lauresh. Nr. 
410) und XXX jugera , XV jarn sth*pata — et alia XV adiiuc siluis occnpata 
CDronke 1. c. Nr. 252.). 

2) Niehulir a. a. 0. 11. S. 163. 

3) 829: in Phungeslcrcro marclia, unum birangnm, qui dicitur Geroldes- 
husa — — — et omne aüdificium, quod in iHo constmctaro est loco, id est 
casani , horreum et scuriam et cetera aedificia omnia (Trad. Lauresli. Nr. 217. 
Grimm (R. A. S. 538) halt Bifang irrig für ein Feldmass und Kindlinger (Ge- 
schichte der deutschen Hörigkeit S. 77) captura, Bifang und cOmprehensio für 
gleichbedeutend mit terrilorium und der Untergerichtsbaikeit. . 

4) Goth. Fah, fahan; angelsächs. Fang, fang an; isländ. Fang, tan- 
ga; holland. Fang, vangan; schwed. F^ng, f^nga; dan. Fangsst, 
faan; alt«ngl. to fang, wälirend im Neuengl. noch jetzt die Hecken um die 
Felder fedces und die Arbeit der Einfriedigung fendihg genannt werden. 

5) Archiv für die Kunde Österreich. Geschiohtsquellen l. S. 635. 



einem Weislhume : „werunverfangen Land inne hat ," *) nämlich 
solches y welches nicht umzäunt isL Ebenso nennt man eine um-^ 
saunte Stelle im Brachfelde, die also der Hute entzogen wird, einen 
Einfang imd das Umschliessen der Stätte ein fangen; ja selbst 
auch der Zaun wird Einfang genannt *). 

Genug, jenes Bifang bezeichnet ein umzäuutes und dadurch 
aus dem Gemeingute genommenes bald grösseres , bald kleineres Stück 
Land, und die in einer dänischen Urkunde vorkommenden Syndaer- 
fang und Norrefang ') sind ganz dasselbe, und werden nur nach ih- 
rer Lage gegen Süden und Norden näher bezeichnet. 

Ausser dieser Bedeutung findet sich Bifang auch noch in der 
als Gränze, so wie zur Bezeichnung des von derselben umschlosse- 
nen Bezirks, obwohl meist erst im spätem Mittelalter. In dem 
würzburgischen Wildbanns Privilegium vom Jahre 1014 wird der ge- 
sammte Bezirk des Wildbanns ambitus und bin an gi um genannt*), 
tmd 1285 heisst es „infra lerminum, qui dicitiir Bivanc" '). Im Latei- 
nischen gebrauchte man für Bifang und für die Arbeit der Anlage 
desselben captura und c apere. Das Stift Fulda erhält im Jahre 801 
„ capturam — qüae de uilla Berghohe capta est" "); König Ljidwig 
vergabte 844 „in loco — Brunnaron, quod circum capiebat** '); 
991 ist von einem „pretium silvaticum" die Rede, welches in gemei- 
nem Walde „ captivaverat" ®) , 1057 heisst es „illum biuanc, qni ibi ca- 
ptusest"®) und noch 1260 ist im Spechshard von „novis captionibus, 
quod nuwen Biuanc dicitur ", die Rede ***). Auch sagte man in dem- 
selben Sinne zuweilen concaptiö"). Da diese Abscheidung vom 
>^alde meist mittelst einer Umzäunung erfolgte, so hatte^man noch 



1) Grimm , Weisth. IIL S. 448. 

2) Scbmeller a. a. 0. I. Ö41. 

3) Langebek , Script, R. Danic. VI. p. 423. • 

4) Mon. boica XXVIU. 1. p. 453. 

5) Lacomblet, Ukbcb. II. S. 474. Aelinlicb 1201, das. nr. 1. In gleicher 
"Weise, bald als Bezirk, bald als dessen Granze, findet das Wort sich 1506 
CByuanck) Quix, Geschichte der Abtei Burtscheid S. 176. 

6) Dronke 1. c. Nr. 165. 

7) Juvavia , Aiih. S. 89^ 

8) Fez , Thesaurus etc. l. S, 103. 

9) Dronke 1. c. Nr. 757. 

10) Gudeuus, Cod. Dipl. I. p. 674. 

11) Concaptio, qua sita est in marcho Wangon. Nengart 1. o. p. 290. 292. 
Goldast, Constit. Imper. p. 71, « 



158 

die weitern Bezeichnungren septum % clausum *), ambitus, 
weil es in Folge der Befriedigung^ umgang;en werden konnte ')» com- 
prehensio, weil es durch den Zaun zusammengefasst war^); 
die deutsche mir jedoch in den äHeren Urkunden nicht vorgekom- 
mene Bezeichnung würde Hagen seyn. 

Auch die slavischen Urkunden bedienen sich ambitus und cir- 
cuitus als gleichbedeutend ') und übersetzen diese Worte durch das 

slavische Vyezd *). 

Auch zur Bezeichnung der Rodung selbst waren verschiedene 

Ausdrücke im Gebrauch. Ein Graf Hermann schenkt der Abtei Lorsch 



1) Septam id est Bifang. Dronke 1. o. Nr. 99. 

2) Trad. Laoresh. Nr. 325. 

3) 804: anuin ambitam, quem nos bifang appellamus. Dronke 1. c.^r. ^223; 
826: capturam unam in ailua Bochonia compreheusam ioxta fluuiam — Lntraha 

'^ quicquid iu ambitn illiug capturae proprietatis uisus sum habere. Ibid. 

Nr. 465. 

4) 829 : .... in marcu Baringensinm unins comprehensiouis uterque par- 
iem snam (Dronke 1. c. Nr. 479) ; 850 : comprehensionem silnae , quam iuiuste 
Qomprehendit Fricconi. (Ibid. Nr. 560.) Femer: comprehensiones , qaa» har 
beo in Vunnilo et in illLs, qnae dicuntur etc. (Martene et Durand, Col- 
lect, ampl. I. 142.) Auch in friesischen Urkunden, z. B. vom Jahr B55, 
kommt oft vor: illam comprehensionem, quae pertinet ad villam; — illas 
comprehensiones habent in saitu etc.; — in marchi, quicquid illic habeo 
tarn in pratis,* quam in comprehensionibus. (Kindlinger, Münst. Beitr. II. U. 
S. 22 u« 23. ) Weitere Beweisstellen findet man in Eccard , Commentat. 
Franc. Orient. I. p. 445. Dass diese Bezeichnung sich nicht auf die Besitz- 
ergreifung, wie Auton (a. a. 0. I. S. 370.) meint, sondern auf die Um* 
Schliessung bezieht, sieht man aus mehreren Urkundenstellen, z. B. 806: 

cgo tradidi c particulam hereditatis et proprii laboris mei , id est 

totam comprehensionem in silva, que dicitur Hoissi in aquilonall ripa fiuvii 
Rurae, quam ibidem dudum comprehendl inter montem et ipsum fluvium om- 
munionumque in eandem silvam (Leibnitz, Scripten Rer. Brunsv. 1. p. 130.); 
826: capturam unam in silua Bochonia cemprehensam CDronke I. c. Nr. 404.); 
827: unam capturam in terminis uillae — cemprehensam (ibid. Nr. 472.) 

5) 126: . . . ut ambitul <— qui circuitus dicitur. Sommersberg, Scr. R. 
Siles. I; 03L 

6) 1146 heisst es in einer m$ihrischen Urkunde „circuitus Domasoue*' (Bo- 
czek. Cod. dipl. Moraviae Nr. 272.), 1196 aber „vyezd Domassowe*' (ibid. 
Nr. 305); 1165: „in silua ultra prouinciam Sedlec ambitum, quod slavonice 
vgezd dicitur^' (ibid. Nr. 301). Es kommt indess zuweilen auch als Ortsna- 
men vor, z. B. ibid. Nr. 291. Ebenso 1181: „ambitum Ugiez boemice ap- 
pellatum, theutonice nomine Maringe cum omnibus appendiciis suis siluis, 
pratis, pascuis, molciodinis, aqnis, aquarum deoursibus, cultis et incuUis.*^ 
Ibid. Nr. 329. 



159 

,',omnem laboratum Hermann! in Urbach<<^)< Ein gewisser Theo- 
derich übertiägt dein StiRe Fulda „duas partes de meo elaboralu", 
unter deren Zubehöningen auch Gebäude und drei Mancipien vor- 
kommen*), gleich wie ein anderer „totum elaboratum meum"»). 
Eine Urkunde des Stifts St. Gallen von 837 nennt „unum vilare — 
sicut ibidem elaboratum et comprehensum habeo"^) und eine 
andere von 843 „de sua parte quicquid in confinio Ratpoticelia, id 
est inter Zuzzes et Luitirinsehespahc conprehensum vel elabo- 
ratum habuit, id est campis, edificiis, pratis, pascuis, silvis, viis 
marchis, aquis aquarumque decursibus, mobilibus et immobilibus, 
egressus et ingressus, quicquid dici aut nominari potest, nihil extra 
dlmittens, sred omne, quod in prefato loco conprehensum sicüt 
saperius diximus , vel elaboratum habuit^^*). Den Antheil an einer 
mit andern gemeinschaftlichen Rodung aber bezeichnete man durch 
collaboratum"). 

Auch findet man die Benennungen Stirpum, Stirpaticum 
etc., was ganz unserm „Rodung" entspricht. Eine merowingische 
Urkunde' von 615 sagt: „...et reicolam quae apppllatur Stirpaco**^); 
ähnlich erhielt die Abtei Lorsch „ . . . 1 stirpo habente in longitudine 
perticas XXX, in latitudine XX *S unter dessen Zubehorungen auch 
Gebäude und Hörige vorkommen®). Wie dieses Wort, so bezieht 
sich auch das folgende mehr auf die Arbeit des Ausrodens des Wal- 
des insbesondere. Es ist dieses das in einer Urkunde' aus .den Ar- 
denpen von 922 vorkommende „sarta"®), welches eine westphä- 
lische Urkunde von 1182 „sartum" nennt*®), und anderwärts aucli 
als exartus, exartum, exartes, essartum, assarlum etc. etc. sich 
findet"), wogegen das diesen verwandle ebenfalls aus exarare") 

i 

1) Trad. Lauresh. Nr. 1539. Dieselbe Bezeichnung findet sich auch Nr. 528: 
,y cum omni laboratu meo *'. ' . 

2) Dronke 1. c. Nr. 126. 

3) Ibid. Nr. 501. 

4) Neugart 1. c. p. 226. 

5) Wirtemberg. Urkbch. I. S. 123. 

6) „Omnem cöUaboratum meum". Trad. Lauresh. Nr. 1452 S auch Nr 
364, lliaund 1295. 

7) Pardessus 1. c. T. p. 209. . ' 

8) Trad. Lauresh. Nr. 377. Weitere Belege sind bei Henschel Vr. p.377u. 378. 

9) „Hoc sunt mansus XII et sartas et prata". Ritz a. a. 0. S. 21. 

10) Wigand, westphl. Archiv. VI. 177. 

11) Henschel 1. c. IIL p. 126 f. 

12) Speimann, Glossarium archaeologicum p. 501 : „est sylvas succidere vel 



160 

stammende Verbum sartare vorzfigUch nur in englischen Urkunden 
erscheint '). 

Anfänglich weniger im nördlichen als im südlichen Deutschland, 
vorzuglich in Schwaben und in der Schweiz , bediente man sich der Be- 
zeichnungen n ovale und runcale*), Bezeichnungen, welche dem 
noch jetzt dort gebräuchlichen Neuland und Neubruch entsprechen, 
nur dass runcale bestimmter auf eine im Walde vorgenommene Ro- 
dung hinweist. Seltner findet sich dagegen novale im nordlichen 
Deutschland. Im Stiftungsbriefe für das Kloster Hasungen von 1074 
erhält dasselbe „vineam novalem^^ und den Zehnten „super omnia 
rura nouit^r culta uel colenda** in der Grafschaft Maden') und 1124 
werden auf dem Eichsfelde sieben Dorfer „villae novalium"*) genannt. 
Im Jahre 1163 heisst es in einer an der obern Weser ausgestellten 
Urkunde „silvam — exstirpari concessimus et ad novanda novalia 
agricolas in ea tali debito et hac iuslicia collocavimus^'^). 

Aehnlich ist es mit dem dem novale völlig entsprechenden nord- 
deutschen Rod oder dem südlichen Reut und Gereuti (Rod, 
Riuti, Niuriuti)*). Man findet es in der ältesten Zeit nur vereinzelt 
und meist in der Zusammensetzung von Ortsnamen z.B. 782: „Hu- 
nengesrot** und „Diethwinesrodt"''); 786: „Humbenrot"'); 834: 
„Engelbertis reuti" etc.'). In einer niederrheinischen Urkunde von 



locum silvis et damis purgare", und Henschel 1, c. VI. p>72 u. 73; „terram «• 
cultam excolere". 

1) Eine Urkunde von 1121 nennt „^ecima in terris cultis , quam in novis et 
veteiibus sartis'^ Hensciiei 1. c. VI. 73. 

2) Belege dafür geben Anton a.a.O. I. 371 und Henschel 1. c. V. p. 825. Im 
J. 850 heisst es: „Tradidi videlicet ad Hasumunanc ipsa marca adherentem run- 
calem I hobam". Wirttemberg. Urkbch. S. 136. Im Jahr 1298 gibt der Bi- 
schof von Regensburg der Kirche in Gecking „omnes provcntus seu obventiones 
deeimarum novalinm , tarn runcantarum , quam in posterum rnncantarum per to- 
tarn parochiam Gecking ". Mon. boica XIII. p. 382. 

3) Schrader, Dynastenstämme S. 222. 

4) Gudenus 1. c. I. 61. 

5) Wigand, Westphl. Archiv II. S. 144. 

6) Graff, Sprachsatz II. S. 489. Eine Urkunde des 13. Jahrhunderts sagt: 
novale sive ein rod. (Grimm, Weisth. lll. 619), sowie eine andere von 1240: 
de novalibus, que vulgariter Rodere appeUantur (Schöppach, Henneberg. 
Urkbch. I. S. 20) und eine dritte von 1241: cum novalibus, quod vulgo dieitur 
Gereuti (Mon. boica VIII. p. 147). 

7)Wenck, Urkbch. II. S. 12. 

8) Das. S. 15. 

9) Wirttemberg. Urkbch. S. 107. 



161 

801 bmsi es: „uno Rodof<*), eine westphälische Urkunde von 799 
sagt: „id est Rothum illum, quod dlcitur Widuberg;«*) und in 
einer fuldischen Urkunde des neunten Jahrhunderts findet man : „tres 
labomturas siluae, quod nos dicimus thriu rothe'*'). Zufolge einier 
Urktt;nde von 1151 hatte das Kloster Altenburg „in novo rure, 
quod dlcitur Rode iuxtä Frankenvurt, Vllmansos" erhalten*). Erst 
später wird Rod gebräuchlicher, vorzugsweise in zahllosen Orts- 
namen, wo es dann in der Regel auf eine jüngere Anlage hindeu- 
tet. In diesen Namen ist es gewöhnlich mit dem Namen des ersten 
Begründers oder Besitzers verbunden. So ist Brunwarderod das Rod 
des Brunward und Marienrode wird 1205 „predium quod nuncupatur 
novale St. Marie" genannt'). Dieselbe Bedeutung hatte auch das 
süddeutsche Schwand und Schwendi. 

Das alte septum wird später häufig durch Ha in un/1 Hagen 
wiedergegeben'). Schon frühe kommt ein „novale hagenen rot** vor*), 
Im spätem Mittelalter wird jedoch mehr indago dafür gebraucht, wo- 
mit eben wohl ein mit einem Zaune eingeschlossener Ort bezeichnet 
wurde. In diesem Sinne sagt eine Urkunde von 1294: „indagines 
Pieshagen et Elderode in fundo ipsorum (der Aebtissin und des Kon- 
vents zu Häufungen) noviter construclas**®) und 1278 heisst es von 
dem zwischen Göttlrigen und Witzenhausen liegenden Dorfe Deiden- 
rod „indago noviter plantata*' ^J. Dergleichen umzäunte Neurode fin- 
det man während des Mittelalters besonders häufig bei den Dorfern 
im Mecklenburgischen. So erhält das Kloster Sonnenkamp 1219: „in 
indagine in uilla, que dicitur Bruneshovede, XXX mansos** *°). Auch 
im Fürstenthum Rügen und in Pommern haben die meisten in spä- 
terer Zeit angelegten Dörfer den Namen Hagen, z.B. 1236: „indago 



1) Lacomblet, UrKbcli. I. S. 12. ' 

2) HeDsehe, Comment. praev. ad vitam St. Ludgeii episcop. jdimigard. §.4. 

3) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 354. 

4) Böhmer, Cod. dipl. Mocno-Francofurt. p. 15. 

5) Wigan'd, Weslphl. Archiv I. 2. S. 60. 

6) Das ahd. hagan wird in den Glossarien durch circiimsepire übersetzt; 
der Begriff unseres hegen (custodire) ist erst aus jenem hervorgegangen. 

7) Trad. Lanresh. p. 297 u. ^10. 

8) Schmincke » Monim. hassiaca III. p. 259. 

9) Scheidt, Cod. dipl. zu seinen Anmerkungen über Moser's Braunschweig. 
Staatsrecht S. 877. 

10) Lisch , Mecklenburgische Urkunden lt. S. 2. Weitere Beispiele s. S. 52, 
53 f. 

LABdau. Terrikoiien. " 11 



m 

VQlqiUQi^S 1242: „tndago sacerdoUs^S im Deut^eben Papf»)t)^geQ^) 
und der Schulze derselbea wird Hagemejsier (magistei* indaginis) ge- 
nannt*). 

Ut^n darf jedoch aus diesen BenennvLngen, wie schon oben be- 
m^vki worden ist, nicht immer auf Hof- oder Dorfanlagen schlies- 
sen, indem* ebenso hüußg auch kleinere Rodstiicke damit belegt 
werden, z.B. „1 bifangum ad vineam faciendam^^'), „bivangum 1 »d 
jurnales XIIII et prata V^^^) eic. Ebenso werden jene BeoennuQg[ea 
nicht immer in der oben aufgeführten Scheidung gebraucht. Wenn 
auch die folgende Stelle: „illum bifangum iuxta Snarzaha, in loco, 
qui vocatur ForoenbibHoz, quidquid ibi visi fuimus habere et $Ürpa- 
tum, et proprisum ad slirpandum '^ ^) , Bifang und proprisu[n gegen- 
einander über stellt und jenes vom gebauten, dieses abe? vom nocb 
zu bebauenden Lande braucht , so finden sich doch auch sehr häu- 
fig proprisa mit Gebäuden und Bewohnern, z. B. „proprisum com 
aedificio et mansio*'*) und „proprisum cum omni aedipcio"'). 

Bald wurden derartige Neubauten durch einen Einzeln angelegt, 
bald durch einen Freien , der dann Hörige daraufsetzte, bald waren es 
mehrere, welche die Anlage gemeinschaftlich ausführten. So erwarb 
das Stift Fulda 801 eine captura von fünfzehn und wenig später 
eine andere von etwa 20 Personen; von den letztern hatten sechs 
den Bau begonnen (isti coeperunt illam captüram inprimitus) und 
einer die captura umzäunt (hanc captüram circumduxit)'), und eine 
andere, Urkunde von 80 1 erzählt , wie ein Gewisser in Gemeinschaft 
mit seiner Familie und mit Hülfe seiner Freunde ^einen ihm erbeige- 
nen Bezirk umschlossen und gerodet habe (suam comp^'ehensionem 
— comprehendit et stirpavit) ®). . Auf welche Weise dieses ge- 
schah, dafür fehlt es uns in Deutschland zWar an allen Nachrich- 
ten. Dass man aber erst nach Vollendung jenes Geschäfts zur 
eigentlichen Rodung schritt und diese also nach und nach er- 



1) Dreger, Cod. dipl. Pommer, Nr. 106 u. 143. 

2) Jahrbücher des Vereins fiir .mecklenbui^ischc GcBcbicbtf ur4 AUertbums 
künde Jahrg, VI. S. 17. 

3) Trad, Laurcsh. Nr. 393. 

4) Ibid. Nr. 2575. 

5) Ibid. Nr. 244. 

6) Ibid. Nr. 249. 

7) Ibid. Nr. 3522. 

8) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 165 u, 471. 

9) Du Fresne I. p. 1252. 



1« 

folgte , dieses g^lit mt das unzwaifelbafleslo aus der häufig sich 
zeigeoden Thatsache hervor, dass man innerhalb ein und desselben 
Bifangs neben dem bereits umgelM>ochenen , also urbaren , Lande auch 
noch unbebaute , noch mit Wald bekleidete Hufen hatte. Wie lange 
jedoch einer soleben Anlage die Benennung Bifang blieb, und was 
erforderlich war, um dieselbe als Dorf ku betrachten, ist um so 
weniger festzustellen, als die Bezeichnungen proprisa , Bifangu. s. w. 
wach dann noch gebraucht werden , wenn die neue Ansiedlung schon 
mit Häusern und Bewohnern versehen war ^). 

Wenn auch nicht alle diese Rodungen mit Gebäuden besetzt 
wurden, und auch viele, wo dieses der Fall war, 'theils in Folge 
ihrer ungünstigen Lage, theils durch Krieg und andere Ereignisse 
wieder verschwanden, so ist, insbesondere seit dem achten Jahr-- 
hundert , doch ein grosser Theil der bestehenden Dörfer aus derarti- 
gen neuen Anlagen erwachsen. 



4) Das'Gemeingut. 

In dem vorausgegangenen Abthoilungen ist die Mark als ein 
Ganzes betrachtet worden. Ihrer rechtlichen Natur nach zerfällt die- 
selbe indessen In zwei wesentlich verschiedene Theile, denn der Bo- 
den beöndet sich theils im Besitze einzelner Personen , theils is( ^ 
Gemeingut *). . « 

Selioi^ frvilvß biegAnn luan den nug^lbeilten im Gesammtbesilze 
aU«A* £insassen b<^6ndlieheQ Boden zur Unlersclieidung des Sonder- 
guts die gemein e Mark — marca communis — zu nennen, d. i. die' 
gemeinschaftliche Mark ') , oder, was sogar poch hiUifiger vorkopai^t^ 
man sprach statt dessen vpn den gemcipesp qüqv offi^utlich.^Q 
W&ldern*) und he^f^l^hwie dei> gen^^r^ign Wald insbesondere %ls 






1) B27: „ . . . . ui^9i papXu(4i|i . . . . ot quicqiiid in eadem olDptuva . . • • 
uisi sumus habere, id est in arialis, aediflciis, domibua .... manoipüs^ quor 
rujn nomina haec sunt Theganbald, Uuolfpiar, AJtmaVf ft«^tlind . , . ." Drpnke/ 
Cod. dipl. Fuld. Nr. 472. Andere Beispiele s. ibid. Nr. 465, 471'^. 

2) Schon eine alte alemannischie Tan^chformel i^^^; y,cum ^\\^s com^uni- 
bus aut propriis.'* Mittlieilungen der ^tlqu|^r.-(jresQ]li9ph. in /iürißli VII. $. ji4. 
nr. 11. " 

3) U93: ,,a cqnamuui march^^^. slHSti, heas. Qi8»ilwürdigI{«ittn |V« S.40. 

4) Belege dafür folgen unten. 

11* 



IM 

Holzmark ^) und Waldmark*), indem man häufig den im Son< 
derbesitze befindlichen Wald demselben g:eradeztt gegenüberstdlte') 
und auch wohl den gemeinen Wald kurzweg Mark nannte^), ähn- 
lich wie in Schweden, wo der gemeine Wald ebenfalls motk genannt 
wird, und bei den Friesen, welche mit ihrem Hammerke eben- 
sowohl die gesammte, 'als auch im engem Sinne die gemeine Mark 
bezeichnen. Unter diesen verschiedenen Bezeichnungen ist indessen 
keineswegs nur der Wald als solcher zu verstehen , der Begriff des 
Worts umschliesst vielmehr den ganzen Gemeinboden und der Wald 
tritt nur als der hauptsächlichste und umfa'ssendste Theil desselben, 
alles andere mit einschliessend , hervor. In der Wetterau werden 
auch gemeine Wiesen 1361 ausdrücklich Mark genannt') und noch 
im siebenzehnten Jahrhunderte sagte man am Maine, wenn man 
vom getheilten im Sonderbesitze befindlichen Boden auf den gemein- 
samen übertrat: „man trete in die Mark.'< 

Eine andere seit dem zwölften Jahrhundert allgemein üblich wer- 
dende Bezeichnung für das Gemeingut ist AI mein de oder auch 
Almende ^). Man hat dieses Wort auf verschiedene Weise zu er- 



1) „ commnnem silvam clTium, vulgariier vocatam Holtmark. '* Vogt, Mon. 
ined. 572. Schon 816 heisst es : „ in ambitu Erminges , id est in fioUmarka. " 
Dronke, Cod. dipl. Fuld. nr. 317; 820: „marca silvatica". Zeuss, Trad. Wiacübg. 
11. 74 u. 75. 

2) 858: Cod. Trad. Lauresh. I. nr. 32. 

3)880: terris, agris, campis, pratis, pascuis, silvis atque silvarum 
marchis, aquis" etc. Neugart I. o. p, 463. und 909: „pascuis, silvis atque 
silvarum marchis.*' Ibid. p. 551. 

4) In einer Urkunde der Abtei Niederelteicli an der Donau heisst es: „In 
viUa Isarahofa, quod Otilo donauit, sunt mansus XLII, quod Starcholfus petiuit, 
a iam diclo duce, cum omni marcha seu silua uel omni termino ad ipsum 
curtem pertinente." (Mon. boica XI., p. 14.) — „De silva apud feiern, que vnlga- 
riter marcha vocatur." (Wenck, Hess. Landesgesch. II U. S. 160); „communis 
Silva die Marck vulgariter nominata." (Guden., Cod, dipl, V. p.[801); „in ne- 
more eiusdem villö' quod dicitur Marca." (Ztschr. des Vereins f. hess. Gesch. u. 
Landeskunde III. S. 66.) 

5) „Die Wisen, die man die Marke nennet" Mader, Nachrichten von der 
Burg Friedberg I. S. 172. 

6) Ich liabe das Wort «um erstenmale 1133 gefunden: „videlicet poteita- 
tem secandi in silva publicali, quod vulgo Almeide dicitur et ius viarum eundi 
et redeundi et deducendi et ius agendi et pascendi cuiuslibet pecoris in pascui» 
pubiicalibus, tarn in arboreis vel in gramineis et ius stirpandi". Schöpflio, 
Alsat. dipl. I. 203. 



IM 

klären versucht *) , obi¥ohl die Bedeutung nahe liegt. Es ist 
ganz dasselbe, was unser heutiges allgemein besagt, nämlich 
das , was allermänniglich ist . worauf ohnehin auch schon die Worte 
communitas, comn^unis marca, universitas etc., die häufig dafür 
gebraucht werden, hinweisen. All ist universus und omnis, und mein 
communis*). Am Niederrhein und an der Donau werden sogar ge- 
meine Wälder kurzweg Gemeinde genannt '). Auch haben thü« 
ringische Urkunden von 1319 und 1320 Meinwerk ^), eine hes- 
sische von 1269 M'en weide"), und eine schweizerische Urkunde 
von 1549 Gemeinwerch ') u. s. w. Dagegen finden sich in west- 
phälischen Urkunden Waldemene^) und Waldemeyne*) und 
zwar bald für das Gemeingut im Allgemeinen, bald blos für die ge- 
meinen Hüten insbesondere '). Ebenso nennt eine vogtländische Ur- 
kunde von 1258 Gemeindeland kurzweg Gemene'^), während eine 
Harzer Urkunde von 1312 von einer Wiese handelt, welche „tu der 



1) S. z. B. Mone in s. Zeitschr. für die Gesch. des Oberrheins I. S. 385 f. 

2) So heisst es 1256 : „ commnnis silva que Almeinde dicitur. '* (Würdtwein, 
nova subs. dipl. Xlf. 170» 1*71 u. 173), und *1174 wird „fündus silvosus commn- 
nis*' durch „gemein Geweide*' übersetzt (Bpdmann, rheingau. Alterth. I. S. 183); 
1220: ,9 in communitate rusticorum -^ ville, quam Almeinde nuncupant.** (Gu- 
denus, Sylloge. p. 117); 1222: „commania que Ahneinde vocantur. '* (Ibid. 
p. 124) ; 1219 : „ de communi nemore , quod Almeina dicitur. " (Ibid. p. 108) ; 
1227: „commuuio, quod dicitur Almeina.*' (Ibid. p. 151). 

3) 1271 u. 1275: „süte — que Gemeinde dicitur.** (Günther, Cod. dipl. 
Rheno-Mos. II. 372 u. 411); 1281: „silva — que vulgo dicitur Gemainde.*^' 
(Mon. boica XIU. 22), wie dann auch eine Urkunde von 1207 Almeinde durcli 
Gemeinweide übersetzt: „partem quandam cuiusdam palustris terre, que 
prefate uille compascuum , id est teutonici almeinda uel gemeinweida fuerat.*' 
(Mone, Ztschr. für die Gesch. des Oberrheins. I. S. 112.) 

4) Schöppach , henneberg. Urkbch. I., S. 73 u. 78. 

- 5) „super pascuis, que Menweide vulgariter appellatnr. ** Ungedr. Urk. 

6) Schauberg, schweizer. Rechtsquelleu LS. 135. 

7) 1323: I, ad usum communitatis quod Valdemene dicitur.** v. Spilcker» 
Beitr. zur deutschen Geschichte IL 285. 

8) 1344: „pro jure communitatis dicte Woldemeyne. ** Wigand, westphäl. 
Arehiv. L 4 H. S. 100. Auch eine Urkunde Von 1345 sagt "^oldemene. Das. 
II. S. 363. 

0) 1206: „dedimus ^ campos communes pascnales dictos vulgariter Wol- 
demeyne. *' y. Spilcker a. a. 0. 

10) „Statuimus etiam ut in terra circa molendinumque Gemene vulgariter con- 
suetudine niucupatur in pascuis fluxibilibas arboribns conjungendis et omnino 
in Omnibus oommoditalibus plenum jus habeant cum vicinia. ** Variscia 3 H* 
1834. S. 19. 



tte 

Mfcae" gehortfe *). An der untern Weser und in Dithttiar&chen 
llei&st m e ft e noch jetzt püblicus , comitiunis , ^öWie M e e n t c so- 
wohl die politisch^ Gemeinde als das Getneitldegut böi^eichnei ^. In 
derselben Bedeutung braueben auch die Friesen tnena und für die 
Gemeinde Elmeente oder Elmetha'); gleichwie b^i Ihnön Mfen- 
skip die Gemeinschaft und Mensker die Gemeindehütuiig ist^). 
Der Nordfriese hat dagegen El lern od a oder Ellemode*). Ganz 
in derselben Weise steht das isländische almennings für üttiver- 
sitas^ sowie der Plural almennigas für compascua, und in den 
alten schwedischen Gesetzen ist altnänning 3= pascua aut silvae 
commünes, almennings vegrtri via publica, und altnennings 
mörk=ä Silva communis*). Noch heute sagt der Däne almeen 
für gemeinschaftlich und nennt das Gemeinwesen Almdenhed, 
während das holländische allem an ganz unserm allermänni^lich 
(alle Menschen) eulspricht. 

Almende und gemeine Mark sind indessen doch nicht ganz 
dasselbe. Jenes ist ein weiferer, dieses ein engerer Begriff. Al- 
mende umfasst nämlich, das gesammte- gemeine Besitzthum, ohne 
Unterschied, also auch den Weinschank, den Zuehtochsen, den Eber 
u. s. w. und alle Mobilien, welche einer Gemeinde zustehen; die 
gemeine Mark dagegen nur dasjenige getneine Besitzihum,' so weil 
dasselbe in Grund und Boden besteht. 

Die gemeine Mark umfasste Alles , was nicht Sondergut war. 
Schon in den ältesten Urkunden, welche über GüterVeräu6iseruügeß 
handeln, findet man auch alle diezuin Göm^iiigtite gehörigen Gründe 
aufgeführt'). Dahin gehören Waldungen, Wiesen, Hüden, Lände- 



1) Erath, Cod. dipl. Quedllnbg. p. 3Ö0. 

2) Bremisch -säciis. Worterbucli ill. 146 u. 147. Ö. Von der bau^rschaft- 
lichen Meentverfassung in Dithmarscheii , von Dr. Midhelsett in dtt ZlÄChr. für 
deutsches Recht von'Reyscher u. Wildk VlI. S. 89 f. , sowie iibcr die Möene- 
niarlt bei Meldorf die Sanittilung der wichtigsten Abhandlung, z. Erläutfeihiilg der 
Vaterland. Gesch. u. des vaterUnd. Rechts, welchfe in den Schleswig -holst. An- 
2^igen erschii^n^n sind I. 131 f. 

3) Wiärda , Geschichte der alten friesischen oder sfichsischen Sptäche S. '^ \ 
V. Richthofen , Altfriesisches Wörterbuch S. 704 u. 920. 

4) V. Ribhlhofen Ü. a. ö. S. 920. 

5) Outzen, Glossariam der friesischen Sprache JS. 00. 

6) Giimni, Rechtsall^i^lh. S. 4Ö7. 

7) 775: „ifl tM tarn ißnis, mansife, cariipis, pfitls, silvls, püWltferis> uua- 
tris capls , aqtiis aqjiarumqtife üecursibus, ^sSl» et in^ifesis, ebmnJttViiÜ pernns " 
etc. (Wenck a. a. 0. ürkbch. 111. S. 8.) Eine andere Urkunde von ii70 sagt: 



.^ 



m 

reien, Weitaberge, dl6 Wasser, die Wege, die Jagd, die Fiisöbelrei 

Die BerecRtigung zur geraeinen Mark knüpfte sich, so lange 
die allen Verhältnisse noch ungestört waren, an den Wohnsitz in 
der Mark, oder, wie die Weisthümer sich ausdrücken, nur derje- 
tiige war berechtigt, welcher mit Feuer und Rauch in der Mark 
sass *) , d. h. welcher einen eigenen Herd hatte. 

Die Grundlage dieser Bereohtigung war übrigens keineswegs 
immer die gleiche; dieselbe war vielmehr wesentlich verschieden 
und zwar je nach dem Rechtstitel, welchen der Bauer an sei- 
ner Hufe hatte. Nur der auf seinem echten Eigen sitzende Freie 
hatte, ein unmittelbares Recht , der dagegen auf fremden Hofgrunde 
Sitzende , also der , welcher seine Hufe nicht als. unmittelbares 
Eigen besass , hatte seine Markbereohligung nicht durch sich 
selbst , sondern mittelbar durch den Hofherrn , welchem er d(i- 
fur Zins- und dienstp^ichtig war*). Es lag deshalb auch in der 
Willkür des Hofherrn dieses Recht zu beschränken oder auch sol- 
chen Hintersassen ein, wenn auch beschränktes, Recht (Wasser 
und Weide) zu gewähren, welche nur ein Haus besasseh ')< Die 
Berechtigten kommen unter verschiedenen Bezeichnungen vor. Am 
gewöhnlichstem war die Benennung Märker ^)) Wehrleute"), 



„Montes, valles, sitvas tnm pertinentiis Uiiiverftis videlicet pascüis, prätid, ä^rU, 
-cahis et incultis, aquis et aqn&nim decorsibus, boscho et piano ^ viis bt idViii, 
itibus et reditibus, utilitatibiUB cünctis,. quesitis et inquibitis, sin« qualibet «k- 
ceptione et contradictione cuiuseunquc. " (Mone a. a, 0. I. S. 96) Jedes Urkun- 
denbuch gibt Belege in Menge. Von den in den angelsächsischen Urkunden 
votkommenden Formeln hat Kemble in der Einleitung zu seinem Cod. dipl. Anglo- 
Sax. I. introd. p. XXXVII f. eine ÄagammenstöUung gegeben. 

1) Belege s. bei Dnnkcr, das Gesammteigcnthum S. 157. 

2) Grimm, Weisth. I. S. 122, 424, 458, 643 f.* 

3) „Sciendum est, quod omnes homines, villas et termioos nosttos ihhabi- 
tautes , tenentur nohis curvadas facere ; non solum mansionarii verum et scärarii 
i. e. ministeriales , et haistaldi i. e. qui non ftnent a curia hereditatem, quia 
communionem habent in pascuis et aquis nostris*''. Ferner: „Haistaldi vocantur 
manentes iu villa, non tarnen habentes hereditateni de curia, nisi areas tantum 
et communionem in aquis et pascius.*' Gaesarius ad Reg. Prümens. ap. fiöntheim 
1. c. I. 664 u. 672. 

4) 1193: „liheri et serviles ottmeÄ incole — qui vnlgo dicüntttt Mcrchere." 
Justi, hess. Denkwürdigkeiten IV« S. 31. 

5) Aita Academ. Thfeod. Pal. HI. p. 1B4, 



Wald- oder Holzgenossen ^), Erbexen*), denen das Recht 
der Holzfällung angeerbt war (Erbäxie) , Scaratores '), Markgenos- 
sen oder Marchiones^), Mitmärker oderCommarchiones'). 

Ueber die Art und Weise^ der Nutzung und deren Verthettung 
bestimmte die Gesammtheit der Berechtigten. Die zu diesem Zwecke 
alijährlich an gewissen Tagen zusammentretende Versammlung der- 
selben war das Markding, auch Holz- und Forstding ge- 
nannt , und diese ^raf die erforderlichen Bestimmungen unter dem 
Vorsitze des Markrichters, O^bermärkers , Holzgrafen, 
obersten Vogts, Waldboten, Markherrn u. s. w. 

War die Mark das echte Eigen eines Einzelnen, was oft der 
Fall, so war der Eigenthumsherr schon durch sich selbst auch 
Markrichter und übte dieses Amt entweder selbst oder durch seinen 
Vogt % War die Mark hingegen unter viele Freie gethellt , so wurde 
der Markrichter unter den Genossen gewählt. „ Wir wdsen -- sagt 
das Markweisthum von Bieberau — den Herrn von Falkenstein für 
einen rechten gekorenen Vogt, nicht für einen geborenen Vogt; so 
lange er den Märkem recht und eben thut, so haben sie ihn lieb 
und werth; thäte er aber den Märkem nieht recht und eben, so 
möchten sie einen andern setzen ^S ^^^ Ideshalb heisst es dann 
auch, dass Wald, Wasser und Weide den Märkem zu rechtlichem 
Eigen gehorten und sie dieselben von Niemanden zu Lehen hätten ^, 
oder in einem andern Weisthum: sie hätten Wasser und Weide 
vom himmlischen Vater zu Lehen % Mit der Zeit bildeten sich frei- 
lich auch hier Erbrechte aus und der Vogt wurde , wenn auch nicht 
dem Namen doch der That nach, ein Erbvogt. 

Alle Markgerechtsamen, deren Natur hinsichllich des Umfangs 
eine^ verschiedene Nutzung zuliess, wurden in einzelne Theile oder 
Loose getheilt, und das einfache Loos gründete sich auf die Hufe. 
Das Kloster Schonau sollte, wenn es seine zwei Pflüge Land zu 



1) 1297: „Waltgenoten seu HoHgenoten.^' Lacomblet, Urkbch. II. S. 436 
u. 411. 

2) 1277: Grimm, Weisth. III. 186. 

3) 1166: Rindlinger, münst. Beiir. II U. S. 204. 

4) Das. S, 300. 

5) Das. 

6} Beispiele s. bei Dunlier a. a. 0. S. 163. 

7) Grimm, Weisth. I. S. 213 u. 212. 

8) Das. II. S. 492. Weitere Bmspiele s. bei Daiiker a. ä. 0. S. 165 f. 



Sandhofen selbst bestellte, die Almende für zwei Mann haben*). 
Ebenso sollte die Vertheilnng des Holzes in der Mark des Hofs Wa* 
denbard nach Massgabe „doroorum suarum in ipsa niarcha^^ gesche- 
hen*). Der, welcher keine volle Hufe hatte, erhielt in dem Ver- 
hältnisse weniger. Dass auch der, welcher keine volle Hufe be- 
sass, wirklich markberechtigt war, zeigt sich in vielen Urkunden. 
Schon TIS findet man 10 Morgen Land „cum marca de silva'^^). Doch 
war zuweilen auch ein Minimum von Besitz festgestellt, wie z. B. 
zu Münder, wo der geringste markberechtigte Besitz 5 Morgen' be- 
trugt). Solchen, welche keinen Grundbesitz hatten, wurde oft we^ 
nigstens das Recht am Wasser und an der Weide^ zugestanden. 
Der, welcher ein volles Recht hatte, war voll war ig, der Halb- 
büfener hingegen nur halbwarig. Der aber, welcher ohne Grund- 
besitz war, hatte kein Recht oder war ungewehrt'). 

Dagegen ist in solchen Marken , welche sich in der Hand eines 
Herrn befinden, die dem Herrnhofe zustehende Markberechtigung in 
der Regel unbeschränkt'). 

Sehr verschieden ist die Art, auf welche die einzelnen Mark- 
theile bezeichnet wurden. Oft wird die Berechtigung nur ganz all- 
gemein ausgedrückt '') , zuweilen auch das Verhaltniss der Betheili- 



1) Grimm, Weisth. I. 459. 

2) Kindlinger, münster. Beiträge II U. S. 300. 

3) Zenss 1. c. Nr. 186. 

4) Grimm a. a. 0. III. S. 297. 

5) In einem Zeugenverhore über Markverhältuisse vom Jahre 1338 lieisst es : 
„Item requisitus, qui bomines einlafiflige Lude dicuntur, dicit: per omnes hü 
qui aliqua bona in eampis non habent.<* Femer: „Item requisitus, qui homines 
einlnfftig ibidem dicuntnr, dicit, quod omnes hü, qui ungewert Lute ibidem 
dicnntnr, id est, qui non habent nee tenent agricnlturam in eampis** etc. Kind- 
linger, Gesch. der Hörigkeit. Beil. S. 417. 

6) Die nachfolgende Stelle einer niederdeutschen Urkunde von 1420 sagt dar- 
über: „Item olde Lude vpp der Borde de seggen de Hoff tho Stendorppe bebbe 
de Rechtycheyt in dem Lessemer wolde, we dar ji^ie wane, dat bete eyn Yn- 
tai , dat bedudet alsso uele dat men mach driuen vpp den Wolt« alsso vele Swine 
alsso de genne bedarff, de }n dem Houe wanet vnde mach ock howen vt dem 
snlnen Wolde wes dem vorscr« Houe Not vnde Bedarff ys. " Das Stader Copiar. 
Herausgegeben von W. v. Hodenberg. Hannover 1850. S. 57. 

7) 871 : „ quantum de communi silva ad portionem nostram pertinet " (Neu- 
gATiy Cod. dipl. Allem. I. 377); 1029: „cum omni sylvatica utilitate<< (Falcke, 
Tr. Corbeien. p. 850); 1256: „super nsuagio silve" (Würdtwein, uova subsid. 
dipl. XII. 251). Aehnlich Gudenus, Cod. dipl. II. p. 67 u. 960. 



m 

gung 'bezeichnet*), gemelnlieh aber der Anth^l mit einem bestimm- 
ten Namen bezeiclinet. -So findet man dafür die Bezeichnung Scara 
vorzugsweise in Friesland*), und nicht selten auch am Niederrhein 
(Holtscara) ■) und an der Buhr*). Es bezeichnet dieses Wort den 
Theil eines Ganzen. In diesem Sinne findet man dasselbe schon In 
den Ann. Tiliani'), und es ist also dasselbe Wort, was wir noch 
heule als Seh aar (z. B. Reiter-) brauchen'). Eine in We&tphalcn 
sehr gebräuchliche Benennung ist Wara''). Auch südlieh von Aa- 
chen (MontjAe) findet man diese Bezeichnung®), sowie am Nieder- 
rhein •) , und südlich über den Main hinaus *®) bis Gemsheim "). 
Nur zeigt sich das Wort hier in der Form von Were niid Wehre. 
Im Mittellatein hat es sich in Warandia Umgestaltet '*) und sogar 
a;is Warschaft kommt es vor*'). Ware oder Were ist sowohl 
das Haus als die HoMätte^^), weshalb einKötherhof auch eine Kot- 
were heisst, und der zu vollem Theil an der Marl« berechtigte Hof 
ist deshalb vollwar ig oder werhaftig**). 



1) 801: „id est curtile ununi et duodeciinam partem in silvam'* (Lacomblet, 
Urkbcli. T. S. 13. Leibn., S. S. R. ßrunsv. I. 104); 820: „Ires partes de illa 
marca siivatica. " Zeuss 1. c. p. 74. 

2) 855: in silva - scaras XXVIII, — in illa silva scaras XL" (Kindlin- 
ger, münster. Beilr. II U. S. 22 u. Lacomblet, ürkbch. T. S. 31); 1166: „jure 
nemoris vicini, quod vulgarlter scara vocatur. " (Kindllnger a. ä. 0. S. 203). 

3) Lacomblet a. a. 0. S. 26. 

4) 796: „scara in silva.*' Das. S. 5 u. Leibnitz, S. S. Uer. BruHs. t. p. 106. 
Auch Grimm Weisth. IIL 171. * 

5) Perts, M. Germ. I. 220: j^miitens quatuor scaras in Saxoniam. Tres 
pugnam habueruiu et viotores.extiiefunt, quarta verd nou habuit pagnam" etc. 

6) Im Friesischeil heisst scera abtheilen , absondern ("Wlarda, Oesöh. der al- 
ten friesischen oder sächs. Sprache S. 315) und im Angel^äöhsiseheii scerati 
schneiden und scire ein Theil. ' • 

7) 1159: „portionem lignorum> quam vocant Wara in silva" etc. (Niesert, 
Münstersches Urkbch. IV. S. 114); 1178: „tirtaiti pörtioncm in Silva — quae 
vulgo dicitur Wära" (Das. S. 119). 

8) Ritz , ürkbch. S. 139 u. l44. . 

9) 1028: Lacomblet, a. a. 0. t. S. 102. 

10) Grimm, Weisth. I. S. 524 u. 525. 

11) Tr. Laurfesh. Ilt. p. 300. 

12) Grimm a. a. 0. III. S. 186. 

13) 118»? j^XXVI pörtiones, qtiäfe WargtJöph vocant". Niestrt ä. -fe. O. 11. 

S; lää. 

44) Bremifiwfi-ttJedÄrsächs. Wörterbuch. V* 183. • ' 

15) S. oberi 8. 1«9; ^ 



•t71 

Ganz dasselbe bezeichnet Märkerrecht *), sowie die gana 
allgemeine, doch nur in Niedersachsen vorkommende Bezeichnung 
Nutzung*). 

Auch Acht- oder E c h l w o r t ist ausschliesslich sächsisch ^). 
Nicht seilen findet sich das Wort zur Erläuterung neben Warandia 
gestellt*) oder es wird auch wohl als ein am Walde habendes Erbrecht 
erklärt'). Es sind über dieses Wort vielfache Erklärungen versucht 
' worden, ohne dass man zu einer befriedigenden Lösung gelangt ist. 
Echt' oder Acht heissl das Recht oder auch die Freiheit (im Grunde 
nur zwei verschiedene Bezeichnungen für denselben Begriff)*), weshalb 
der Schöpfe auch Achter und Achtsmann genannt wird; Wort 
aber ist die Hofreilhe , welche der Bauer bewohnt. Man kann Echt- 
wort' darum füglich als Haus -Gerechtsame wiedergeben, nämlich als 
das Recht, welches dem mansus an der gemeinen Mark zusteht und 
als eine Zubfehörung desselben betrachten wlrd'^). 

Am Niederrhein bedient man sich mindestens seit dem zwölften 
Jahrhundert statt Echtworl der Bezeichnung Gewalten^) oder 



1) 1316: „quiuquc seotiones lignoruni, que vulgariter Merkerreclit diciui- 
tuv." Wigand, Wetzlarsche Beitr. I. S. 269. 

2) 1321 : „U utiltUtes , quae viilgariter dicuotur Nuth , in nemore'^ etc. Bode» 
Beitr. zur Geech. der FeiidäUtände im Herzogth^ Braunschweig II. S. 25. 

3) Beispiele davon findet man in Wigand's westph. Archiv I. H. 4. 8. lOOf 
III. H. Ö. S. 97, sowie in Brinkmeier*» Glossar. I. p. 23. Ich habe das Wort 
nur einmal auf frank. Boden gefunden , nämlich in dem Weisthum von Wetten 
vom J.1239 beiWenck a.a.O. 11 üfkbch. Nr. 139 u. Grimrti, WeWth. IIL S. 344. 

4) 1210: „unam warandiam integram , que vulgo dicitur Echtwort"; 1242: 
^, quandain warandiam, que vulgo Eclitwort dicitnr.*' Seibertz, Münst. Urk. 
Saniml. I. nr. 136 u. 223. 

5) 1318: „ silvana hereditas dicta alias Achlwort. " v. Spilcker, Beitr. z. 
deutschen Gesch. II. S. 273. 

I 

6) In einem Güterverzeichnisse des Klosters Wunstorf heisst es : „ de £ c h t - 
werde in den Holtmarken u. s. w. Gy hebbet in d%r Börde vif e c h t e Amecht- 
hcfue (d.h. FronhiVfe), dar gy af hebbet vnd beholdet Echt vnd Recht vp 
den Dester (Deisterwald) vndc in den Holtmarken dar se jneu gheleghen syu. *^ 
V. Hodenberg, Calenberger Urk. 9te Abth. Kloster Wunstorf S. l33. Aehnliche 
Stelleu kommen daselbst noch mehr vor. Ueber Echt und Recht vergl. auch 
Saclisse, bist. Grundlagen des. deutschen Staats- u. Rechtslebcns S. biSS. 

7) üesllftlb sagt eine Urk. von 1297: „appendida sive Achtwort. *^ Wigand 
a. a. 0. I. H. 4. S. 107. 

8) Schwlrz) Beschreib, der Landwirthsöhaft in Westphalen u, s.w. II. 181. 
Mögliner Annalen XXVIII. 6. 85L 



in 

Halzgewalten^), lateinisch potestates*), sowie anderwärts Holz- 
mark ') oder auch kurzweg Mark*). 

Alle diese Benennungen kommen im südlichen Deutschland theils 
selten, theils gar nicht vor, indem es hier gewöhnlicher ist , einfach 
nur von den Rechten zu reden , welche die einzelne Hufe am Waide 
hat, wenn auch immer in dem Sinne als bestimmte Theile oderLoose'). 

Die Nutzung -des Waldes war, von der gewöhnlichen Viehhute 
abgesehen, edne zwiefache: der Wald lieferte das erforderliche Bau- 
und Brennholz und diente zur Mast. Das Holz selbst thäUe 
man jedoch in Bezug auf seine Benutzung in fruchtbares 
und unfruchtbares; jenes, Eichen und Buchen, nannte maa 
Hartholz, dieses weiches Holz oder Unterholz, Ur- 
holz*), ain Ober- und Niederrhein auch Taubholz '^) und in West- 



1) 1283: „potestates, qai Hoizgewelde dicitar/' Lacomblet. a. a« 0. ü. 
S.401; 1297: „et duo jara ac dimidium in nemore, que dicontulr vulgariter darte 
halue (2^) HolszgewaIt.<< das. II, S. 576. 

2) 1195: „Significamus — qüod parochia de Hoingen curtem de Hovele in 
perpetuam commumtatem pascue sue et lignorem secandorum recepit, ita vide- 
licet ut tres potestates cartis de Heidenkoven curti de Huvele assignentnr." 
Als Zeugen treten auf „omnes reliqui parochiani de Hoingen , qui secandi silvam 
habent licentiam, que vulgo Geholzede dicitnr/' Lacomblet a. a. 0. 1. nr. 
550. Im J. 1253: „anam potestatem in commani silva, que valgariter Ge- 
weide dicitur." Das. 11. S. 213.; 1271 verzichtet Graf Heinrich von Kassel auf die 
Holzgrafschaft über einen Wald „Gemeinde" genannt mit Ausnahme von „iUis 
jqribus nostris et nostrorum hominum, que Geweide nuncupatnr.-^ Ganther, 
Cod. dipl. Rh. -Mosel. II. p. 372. 

3) Schon 823 im Elsass. Scböpflin, Alsat. dipl. I. p. 71; 1136: „tradidit 
— IUI hnbas et dnas Haltmarcan , — uuam hobam ^ tres curte^ et unam Holt- 
mar^ham.** Wigand a. a. 0. V. I, S. 40, auch S. 42; 1163: „incisione - Hg- 
norum, quam Holzmarchen vocant in silvis, " Günther I. c. I, 379; 1168: „fo- 
restiforia, que uulgus Holzmarchen nominat." Lacomblet a. a. 0. I. nr. 430. 
Weitere Belege s. bei Dunker a. a. 0. S. 160. 

4) 712: „de terra arabili iumales X — cum marca de silva." Zeuss, 1. c- 
nr. 186 ; 877 : „II mansos — et illam marcam de silva ad illos mansos pertineo- 
tem." Tr. Lauresh. nr. 946 ; 1274 : „cum iure nemoris , quod marcha uulgariter 
appellatur.*' Günther l. c. II. p. 395. 

5) 1279: „item XXVIII iura lignorum in siluara communem«*' Mone, Ar- 
chiv etc. 1. S. 414. 

6) 1 193 : „de arboribus , que fructifere non sunt et in vulgare Ürholie ap- 
pellantur.'' Böhmer, Cod. dipl. Moenofranc. I. p. 18. 

7) 1223: „collectionem lignomm, que dicuntnr DoufhoU.'^ Lacomblet, Urkbcb' 
II. S. 60 ; 1298 : „ligna inutilia — et non valentia, que vulgariter dicuntur Doof- 
h0ut.'* Das. S.579. S. auch Ritz, ürkbch. S. 134 ff.: Douffhoultz. Am Obenlicin 
Donp- und Daubholz. Grimm, Weisth» I. S. 427 u. 432. 



y 



19S 

phalenDuss- oderDustholz^), d. h. unnützliches Holz (von duss 
— unnützlich), während hier das Hmiholz — ßlumholz genannt 
wurde ^), so dass man die Berechtigung Blum- und Dussware nannte '). 
Nur das Ur- oder Dussholz wurde insbesondere zur Feuerung be- 
nutzt. Die Art der Vertheilung -war jedoch sehr verschieden. 
Bald geschah dieselbe nach einer gewissen Anzahl von Wagen ^), 
deren Zahl entweder fest stand oder jährlich bestimmt wurde ^); bald 
durch die Ueberweisung einer Anzahl von Bäumen zu einem Loose, 
und zwar so , dass die einzelnen Loose ihrem kubischen Inhalte nach 
zieoilich gleich kamen; bald wurde der Wald in eben so viele Vierecke 
getheilt, als Loose gemacht werden mussten. Man ersieht diese Ver- 
fahrungsweise aus einer Urkunde der Stadt Heüigensfadt von 1294, 
welche die Heiligenstädter Echtwart als einen Raum von bestimmter Länge 
und Breite bezeichnet (ligna ad^ longitudinem et latitudinem . spatii, quod 
Achtwert Üieutonice appellatur) ') ; ebenso wird anderwärts im sechs- 
zdinten Jahi*hundert, die räunüiche Ausdehnung einer Eohtwort auf 5 
Ruthen Breite und 2 Seile (3 Ruthen 2 Fuss) Länge bestimmt '). Dass 
dieses eine allgemein übliche Vertheilungsart gewesen , muss man da- 
raus scMiessen, dass viele Geschlechter, deren Namen sich auf Wald 
beziäiea (die Waldpotten, die Forestirer in Flandern, von Waldeck, 
von Ardey , von Vaerst , von £11^ , von Holtrupp u. s. w.), in ihrem 
Wippen eine Anzahl in's Kreuz durchzogene Linien haben '). Es 
durfte jedoch auch in diesen TheUen nur das Ur - oder Dussholz ge- 
sddagen werden , das Blumholz dagegen blieb wegen der Mast in der 
Regel von der Ueberweisung ausgeschlossen und musste , sobald es zu 
Bauten erforderlich war , besonders angewiesen werden. 

Ob diese Theilung des Bodens in Viereke eine bleibende war oder 
alijährlich wechselte, ist schwer festzustellen. Wahrscheinlich fand 
das eine hi^r, das andere dort statt. Eine solche feste Theilung war 

1) „Bloem- oder Dttssholt/' Nieseil, Beiir. zu einem münst ersehen Urknnden- 
buch n. S, 140. 

2) 1241: Cum una warandia dicta florum et tribus miuutis* Dostwar. Niesert 
a. a. 0. II. S. 125; 1249: eine blocm war, drie quateer dust war. Das. S. 126. 

3) z. -B. Grim« a. a. 0. L S. 107. 524. ^, 

4) Grimm a. a. 0. I. S. 107. 124 ff. 

5) Wolf, politische Gesch. des fichsfelds I. U. S. 45 ff. 

6) Brinkmeier, Gloss. I. S. 24. 

7) Es wurde hierauf zuerst von Hm. v. Ledebur in s. allgemeinen. Archiv I, , 
128 aufmerksam gemacht und obwohl man diese Erklärung damals belächelte, so 
liegt doch in der That eine Wahrheit darin, wenn auch die fibrigen noch daran 
geknüpften Folgerungen wegfallen müssen. 



es rniiweifelhaft, ab 1882 der beiip Hofe Isenkratfa iiegend^^ Gm)I^' 
wald unter die Berecbtigteo getheilt wurde, denn es geschab dieses 
„proportionalit(»r ad singiilas et potestates (s. oben S. 171.) per partes 
distribnta'' % 

Dttss die wirkliche Theiluag in eine noch weit frühere Zeit lunaufreiclU, 
ist weU kaum zu bezweifein ; es lässt sich nur nicht immer die ufsprCiog- 
liche Natur solcher Waldungen als Getneir^gut nachweisen und überhaupt 
das Veohälftniss dieser Waldantheile zu den Hufen nur durch örtiicba Un- 
tersuchungen feststellen. Bereits iaaJahre 7 13 sehen wir einen di^artigen 
EU eine? Hufe gehörigen Waldtheil» welcher zu 91 Ruthen angegeb^, uiui 
einen zweiten , welcher ebenfalls nach besUmmten Gritnzen beseipbaet 
wird*). Derselben Erscheinung begegnet inanaüch öfters im Etsasi»^), so 
wie in den Urkunden des Stifts Freisingen ^). Bei Aacben fiaddt mm 
1192 als Zubehör von 39 Morgen Land „V jugera . neinom*^ °) » bm 
Lübeck 1290 eine halbe Hufe mit „IV jqgeribus lignprum''^ Oo^ 
diese Waldtheilmig eine gleiehmäs^ige war, s^gt w«9ttgsten^ eip^ 
füldische Urkunde: „in Gruonstete XXX jngeiti et unun) ItduiD -*rr 
et sUvam sicut alii lidi habere videntur XL jugeniui**^). 

Neben diesen zu den einzelnen Hufen abgetbeilten Waldstlik- 
ken , welche auch in Dänemavk vorkommen ®), bestanden in ^tetteiben 
Gemarkung doch oft auch noch gemeinschaftliche Waldungen fcirL So 
heisst es z. B. „jurnates XVI et forastum unum et portionem meain i^ illa 
Harde^' *), denn unter dem zuletzt erwähnten Antheil wird augensohdinlich 
nur ein Markrecht verstanden. Deutlicher tritt diese Thatsaehejedi^b i^eh 
in der folgendenStelle hervor: „curtemeum domo etcumalüs edMcüs, de 



1) Ucamblet, ürkbch. II. S. 4ftL 

2) Zeus» 1. c. fir. 244, , . 

3) jurnales XII. et forastum meum (Das. , S. 210) ; jurnales XVIII. et fo- 
rastum upum (Pi^p S. 203 ; 9- ^uch S. 235) ; 823 ^ 4^ t^r ra «irabi|i |u^ra LXXV 
— de Silva quasi jugera VII. (Schopflin, Als. dipl. 1. p, 72.) 

4) partem silvae — < XXIV. perlic^s Iiabentes ligitipo^fp r^pui^urw (M^ichel- 
)^cck, Hist, Frls. I. Nr. 135), In einer ftndem Ürliu^idp werden zu .4 U\\^ „de 
silvula jitgera XX," zu 6 Hufen „de silvnlji jugera XUIH" (*a3- U Nr. 
984) und an einer andern Stelle zu 40 Moi^i L^pd ^d^ sU^a juge|p^ |fj." hinzu- 
gezählt (Das. I. Nr. 1055), 

5) Quix, Gesch. d. Abtei Burtscheid S. 233. , - 

6) Schleswig- Holst. -I^iauenbg. UrkbcJi. I. S. 151, 

7) Schannat, Trad, Fuld. p. 300. . 
. 8) Fälck, J^f steuBLi}?, Me^gj^zin VI. 44. 

9) Zeuss l c. nr. 200 u. 201. 



m 

lerffiarAlitM jug^Aiar XXXVI ttdepralisearradas XV, 4a ligno jl^erun^ 
1 et insi-lya coiAmunem usum eum ^liis '). Aber aucl) in dem 
abf ^tfaeü^n und der Hufe überwiesenen Wal4ibciU Ij^tte , wie scbon be- 
ivier^^ 4^ Huftier kf^iqesw^gs inoni^ ßin untMeftchräJ^ckte^ Nutzung»- 
reebt . In dem WeiÜBUitKiie von Kirehborohea in Westphalen voii 1370 
b^fites ^ ausdruf^lieh : Kein Meier solle in eines andern Mei^irs Holzej 
welchem m ^^sm Gute gebi^re, baiiien, es soIHq vielnoebr jeder das ui 
seinem Oute gehörige Hob hegen („heinen uadh^en") und darin 
seine Acbtwart von BrennhoU sucben» dagegiip $Qlle er 
k.ein Eichenholz daiin hauen, ohne vorher eingeholte JgplaubQiss 
des Ctomdberrn V- 

Zuweilen waren solche einzelne Wälder nicht durch Abtt^ui^» 
sofidis^ dadurch entstanden , dass Aecker , welche man wüst gelasseay 
sich mit Hotz bedeckt hatten. Nach einem Güterv^zeichnisse des 
bai^tischen Klosters Michelfeld soll von demjenigen Ifolzwucbsei, ,,do 
Furch und BeUe gesehen'' werden, der zehnte Pfennig von dem!^- 
löse des ver)(aiiften Holzes statt des Zehntens entnclitet werden^), wo- 
gegen anderwärts auf diese Weise entstandene Waldmigen wi^fjer s^m* 
gemeinen Mark isurück fielen *), 

Nicht selten waren auch gc^iissere Waldstrecken im Privatbesitze 
und schon in den alten Volksgesetzen wird dieser gedacht''). Solche 
ausser der gemeinen Mark liegende Waldungen nannte man Sonder- 
>va»l düngen, indem sonder (separalim) den Gegensatz von ge- 
mein (communis) bezeichnet; „Silva, que vulgo Sündern dioitur,*' 
sagt eine Urkunde von 1223 ^) und 1299 vergibt Heinrich Hodenberg 
,,dimidietatem silue - — que Sundere vulgariter dicilur, cuius dimldie- 
tas nos contingit ')." 

^ hl ätterp Urkunden werden diese Wälder lateinisch s i 1 v a e s i n g u • 
1 a r e a oder s p e a La 1 e s genannt. Beiaits im achten Jahrhundert findet sip|i. 
,,8iiva domlni, quae singularis est" und in der Urkunde von 1126, durch 



1) Meichelbeck 1. c. I. 783. 
^) Wigand a. a. 0. V. S. 206. 

3) MoR. boi«a XXV. p. 269. 

4) Grimm a. a. 0. III. S. 416 u. 502. 
^ 5) Cfrimm, R, A. S. 501. 

^) Nifri^jp^ WeeiiP*. U*l»c)i. S. 225. 

7) r. HodABberg» Kftl«n)»#rger Urkunden^ 1« Abth. Arghiv 4fß Kli>st<^r Bm\ 
siogbausen Nr. 71. 



19« 

welche xms Süft Korvei die Bmg lUer verkaiAe, hrisst es : „XXX mansi 
et XXXmancipia et singulares siWas IID'*^). 

Die andere Hauptnutzung des Walde9 ist die Eichel- uad Buchen - 
mast. Schon in ältester Zeit legte man einen hohen Wertli auf die 
„Mas tun ga'* und wohl mochte diese früher noch werthvoUer sein, als 
Eiche und Buche noch häufiger 2U dem Alter gelangten , in .welchem 
erst ihre volle Fruchtbarkeit eintritt. Zahllose Urkunden handln über 
das Mastrecht, nicht blos in Deutschland , sondern mehr noch bei den 
Angelsachien. Zuweilen wird des Rechts nur im AUganeinen gedadit'), 
in der Regel jedoch die Berechtigimg auf eine bestimmte Zahl von 
Schweinen beschränkt ') und nur der Markherr besass in der Regel ein 
unbeschränktes .Recht *). Zur Almende gehören ferner auch Lände- 
reien. In einer speierischen Urkunde von '1251 heisst es : „de jugeribus, 
que Almeinde dicuntur"*), und 1214 entschied Kaiser Friedrich II, dass 
die Almenden zu Strassburg dem Bischöfe gehörten , oder mit andern 
Worten , dass der Bischof Markherr sei , und dabei werden ausdriick- 
lieh auch Almendländereien erwähnt ')._ Eben so finden wir 1275 bei 
der Stadt Weissenburg Länder und Weinberge aus den Almendgütern 
entstehen ^). Schwerlieh behielten jedoch diese Grundstucke ihre recht- 
liche Eigenschaft als Gemeingut, sondern wurden Sondergut, wie dieses 
im Allgemeinen mit allen Rod - Ländereien der Fall ist. 

1) Kindlinger, münster. Beitr. II. Urkbch. S. 3 u. 157. Ebenso sagt eine 
Urkunde von 927 „cum silva etiam speciali", sowie'eine eweite von 941 ,,et doos 
speciales forastas.'* Laeomblefy Urkbch. I. nr. 88 u. 98. « 

2) 1298: „Item predicti mansenarii snos porcos, in eorundem domibos et 
custengia seu eustu per hyemem enutritos, in fructibus quercuam et fago- 
rum silue predicte qui vulgariter dicuntur Rykeyr, suo tempore potenint ves- 
sere et nutrire et custodire.'^ Lacomblet, Urkbch. II. S. 580. 

3) 743: „hoba una cum mansis, casis, aediflcüs uel quicquid in ipsa hoba aspi* 
cere videtur et sHua ibidem mihi aspicieVttem ad poroos cvassare plus minus XV 
et fraotas XXX*' (Zeuss. 1. c. nr. 4) und 871 : „hubas V -* et ad unam^iaamqvie 
hubam X porcos saginändos in proprietate mea in silva Lotstetin sita, qnando 
ibl glandes inveniri possunt." Neugart l. c. p. 377. 

4) Zahlreiche Beipsiele s. in Grimm's Weisth, u. Piper's Markenrecht in West- 
phalen &. 93 u. s. w. S. auch Grimm, R. A. S. 522. 

5) Würdtwein, nova subs. dipl. XII. p. 158. 

C) Ad haec etiam pro eodem episcopo sententia ialis lata ftdt, pro terris 
iliis in civitate sive extra, quae vulgo Almende , quod uuUus homipam iUas ter- 
ras habere debeat, vel sibi ex eisdem aliquid vendicare, uisi de manu episcepit 
qui ipsas terras ab imperio — sc tenere recognoscit. SchÖpflin, Als. dipl. I. p.32d. 
- 7) „item, si in communibus pascuis, que Almeide vulgari vocabulo nuncupa- 
tur, agri colantur aut vinee, de culturis eisdem et in eis naseentibiis 'deeime p«r 
solvutitur abbati." Schopflin, 1. c. IL p. 7. 



M 

Von besonderer Art ist das Feld Ossing in der Nähe der frän- 
kischen Städte Windshehn und Uifenheim, worüber ZöpA^) aus dem 
Baoiberger Tagfeblatt Folgendes miitheilt: ,,Auf der Ebene der südli- 
chen Krautostheimer Hügelkette des Landgerichts Hohenlandsberg, 
zwischen der Krautostheimer, Herbolzheimer , Humprechtsauer und 
Rüdesbninner Markung findet sich ein Distrikt von beiläufig 5l2 
Tagwerken^, der besonders abgesleint ist, unter dein Namen Ossing. 
Dieses Feld wird von den genannten vier Orten gemeinschafl.lich be- 
sessen, ohne zu einer derselben Markung zu gehören. Jedem der vier 
Dörfer werden 128 Tagwerke zur Benutzung zugetheilt. Da aber der Di- 
strikt nicht durchaus gleich gutes Erdreich hat, so ^wird derselbe alle 
zehn Jahre aoTs Neue unter die vier Gemeinden vertheilt,^ uni auch in 
dem Besitze des guten und schlechten Erdreichs zu wechseln. Aus je- 
dem^' dieser Orte werden nun vier Nachbarn als besondere Gerichts- 
inänner des Ossing aufgestellt , welche zusammen das Sechszehner- 
gericht bilden. Diese versammeln sich in gewissen Zeiten auf dem 
Ossing und schlichten hier die vorfallenden Angelegenheiten, weiche 
Jen erwähnten Distrikt betreffen. << 

Zu den Gemeinländereien gehören ferner auch jene Aussen-> 
felder, welche, von der eigentlichen Feldflur getrennt, gewöhnlich 
auf weit vom Dorfe entfernten Höhen liegen und unter mannichfalligeri 
Namen vorkommen. Am Speshard heissen dieselben Wildfelder*)) 
in den Moselgebirgen und an der Eifel Wild- oder Sc hif feil an d^), 
in Mecklenburg Buten felder (buten = aussen), in Sachsen Leh- 
den*), im Waldeckischen Torffelder®), in Schwaben, der Schweiz 
und im Salzburgischen £g arten'). In Niederhessen nannte man 
im 15. Jahrhundert diese Ländereien Haideländer, in Oberhessen 
aber Bergland, im Gegensatz zum Baufeld. Auch England und 
Frankreich')? sowie Lithauen und Ehislland^) kennen diesen Bau. Ent- 



1) Deutsche Staats- und Rechtsgescfaichtc. Bd. II. Abth. II. ^. 302. 

2) Behlen, der Spesshard II. S. 20. 

3) Schwarz, Beschreibung der Landwirthschaft in WeslphaU-n II. S. 151. 
u. 157. 

4) Koppe, Revision der Ackerbau -Systeme. 

5) Curtze, Beschreibung von Waldeck S. 279. 

6) Güritz» Beitr. zur Kenntniss der würtemherg. Landwirthschaft S. 39u.40. 
und V. Lengerke, Landwirthsch. Lexikon III. S. 437. Schauherg, Ztschr. för 
aoch ungedruekte Schweiz. Rechtsquellen I. S. 18. 

7) Thaer, Englische Landwirthschaft I. S. 185 ff. 

8) Kohl, die deutsch - rnss. Ostseeprovinzcn Tl. S. 282. 
Lftadan. Territorien. 12 



m 

weder wird der Boden umgerissen (gepflügt) und dann txüi Hafer be- 
säet, oder die Grasschwiele wird abgehackt, in Haufen getrodinet 
und dann verbrannt. Nach einem Baue von einem oder einigen Jah- 
ren bleibt der Boden wieder Jahrzehnte liegen. In älterer Zeit brannte 
man das Gras und Gebüsch einfach ab, wie noch jetzt in Russland*) 
oder in Schumadien und Macedonien, wo auf diese Weise oft herr- 
liche Wälder vernichtet werden*). Auch die Hauberge im Siegen- 
schen ^) gehören hierher , obwohl dieselben sich gegenwärtig in fe- 
sten Händen befinden und ihr Betrieb durch Gesetze geregelt ist^), 
und ebenso die in gleicher Weise bewirlhschafleten Felder cu Nieder- 
zerf zwischen Trier und Saarbrück *) und auf dem Hundsmck % 

Von ähnlicher Art sind die in den norddeutschen Ni^dertingen 
sich findenden Gemeindefelder , namentlich in Holland und links vom 
Rheine. Man nennt sie dort-Driesche oder Venöen, eine Be- 
zeichnung, welche sich schon un neunten Jahrhundert findet^), und 
im Friesischen sumpfiges Weideland , hier aber ungebautes oder viel- 
mehr nur zeitweilig bebautes Land andeutet. Eine Urkunde vom J. 
1200 sagt: „terram incultam, que in vulgari Drysch vel Uenne 
dicitur"®). Dasselbe sind in Westphalen die Eschen oder Vö fa- 
den, jene offenen, nicht in Kämpe geschlossenen, zwischen den 
Höfen liegenden Gemeindefelder, über welche eine Urkunde von 1 567 
fügende Bestimmung gibt: 

„Idt soll ock nemandt des Sommers sien Vehe vp den Eschen 
oder Gemeinheit tuschen den Korn oder sunst* hoeden, ehr die 
suluigen ganlz bloet syn. — ^— Who dan ock, wan vp den Esche 
geseiet iss, nemandt sien Vehe vogehoedet gaen laten sali" u. s.w.*). 



1) V. Haxlhausen, Studien II. S. 247 u. 277. 

2) Robertson, die Slaven in der Türkei. Uebersetzt von Fedorowitscli. I.* 
S. 25. 

3) Auch am Yogelsberge komnven Hau- oder Heufelder vor. 

4) Schenk, Statistik des Kreises Siegen. 2.>.Au£l. S: 95 u. 133 ff. 

5) MögHner Annalen der Landwirthscliaft. Bd. XXVII. S. 28. 

6) Das. S. 36 — 39. 

7) 888: „id est venu am in ma«Aa W. cum silva." Günther, Cod. dipl. 
Rheno-Mos. I. nr. 5. 

8)-bacom])let, ürkbch. I. S. 39. Eine limburger ürk. von 1266 sagt: „cum 
quadam bona in Venna in Attelach" (Ritz S.. 87), sowie eine spfttere : „cum pra- 
tis, agris, silvis, venna vndt dreschen." (Das. S, 79. Auch S. 73 u* 78 
findet sich venna. ^ 

9) Niesert, münster. Urkbeh, III. S, 169. 



W9 

Ein The'il der Driesche wird nämlich im Sommer umgebrochen 
Tind im nächsten Frühjahre mit Hafer besäet. Nachdem in den näch- 
sten 3 — 5 Jahren in bestimmter Folge sowohl Getraide als Kartof- 
feln, Hülsenfrüchte u. s. w., jedoch mit Anwendung von Dünger, ge- 
baut worden , bleibt der Acker wieder liegen , um sich zur Hute zu 
begrasen, und es wird nun ein anderer Theil der Driesche in Bau 
genommen. 

Das schonensche Gesetzbuch gedenkt des Baues der Aussen- 
felder in folgender Weise: „Wenn einige Bauern Im Dorfe solche 
Gemeinheiten oder Aussenfelder pflügen und besäen wollen, die an- 
dern nicht, so sollen jene diese vor das Hardesthing oder Landge- 
richt berufen und ihnen eine Frist setzen, damit sie alle zusammen 
kommen, um sich über das Land zu vergleichen und dasselbe un- 
ter sich mit der Schnur zu vertheilen. Wollen die andern dann 
nicht zur Theilung kommen , so dürfen erstere ihr Land pflügen und 
besäen , und jene bekommen nachher von denen , welche pflügten, 
keinen Antheil, ehe sie selbst mit den andern in gleicher Masse ge- 
pflügt und ausgerodet haben; später können sie das Land unter sich 
theilen, wie es sich gebürt"*). 

Nach dem Weisthume von Sandhofen steht jedem Bauer das 
Recht za, so viel Furchen zu machen, als er in acht tagen sieb 
getraue zu bestreichen; habe er aber in dieser Zeit das nicht geg- 
ackert , was er gefurcht habe, so möge Jeder, dem es beliebe, da- 
selbst ackern. Geschähe dieses zum Theil t solle man die gebaute 
Strecke messen , und das Kloster möge davon seinen Theil nehmen. 
Im Falle aber einer viele Aecker gebaut hätte, und könne dieselben 
Armuth wegen nicht besäen, der solle nichts geben. Bestelle und 
befruchte ein Bauer seine Aecker nicht dreimal in neun Jahren, so 
möge sie jeder andere nehmen*). Es behielt dieses Land also im- 
merhin die Natur der Almende. Noch bestimmter spricht sich dar^ 
über das Weisthum von Opfikon in der Schweiz aus: Wenn eine 
OcmeiRde im Gemmwarcb, es sey im Holz oder anderswo, etwas 
zu Bau ausgibt, soll es nach der Erndte wieder zur Almende ge« 
hören "). 

Dieser Bau scheint in älterer Zeit in noch weit grosserer Aus- 
dehnung betrieben worden zuseyn» als dieses noch jetzt der Fall ist 



1) Fallt , Neues Staatsbürger!* Magazin II. S. 749 u. 750. 
2} Grimm a. a. p. S. 450, 460 u. 462. 
3) Schauberg a. a. 0. I. S. 135. 

12* 



4 ■ 

Man muss dieses aus den allenthalben in den Waldungen und Wü- 
sten sich findenden Spuren von Ackerbau schliessen; denn die Fur- 
chen sind oft noch so deutlich, dass man die einzelnen Ackerbeete 
scheiden kann, und doch erheben sich hier zuweilen Bäume, deren 
Alter nach Jahrhunderten zu messen ist. Sicher gehören deshalb 
auch hierher die s. g. Hochäcker in Ober- und Niederbaiern und 
Schwaben, auf denen die Bifänge noch sichtbar sind^), so wie jene 
weiten wüsten Ackersirecken, welche Dänemark besitzt*). 

Viele jener Ländereien haben indessen schon lange die Natur 
der Gemeinheit verloren und andere sind wohl auch von jeher Son- 
dergut gewesen. Wo das letzlere der Fall ist , wird jener Bau dann 
auch regelmässig betrieben , und wo dieses geschieht , ist es die be- 
Jiannte Wechselwirthschaft , welche sich sowohl im Süden als Nor- 
den von Deutschland findet. Während auf den alten Gemeinde- 
ländereien nur Sommerfrucht, meist Hafer, gebaut wird, waltet hier 
eine bestimmte Fruchtfolge. In der Gegend von Aachen nennt man 
solches Land Kehrland'). 

Uebrigens gibt «s auch Gemeindeländereien, welche sich fort- 
während in einem regelmässigen Baue befinden. 

Selten finden sich Weinberge in der Almende*). Ein Bei- 
spiel hiervon zeigt sich 1110 bei Koblenz: „vicini de Ludenesdorf 
vineam, quam habebant communem. Gonfluentini, quidquid 
commune habebant tam in arvis, quam in vineis. Vicini de 
Confluentia', quantum communis hereditatis in menewege habebant'). 

Noch heute finden sich zahlreiche Gemein de wiesen. Schon 
948 erwähnt solcher eine Urkunde des Stifts Freisingen : „ singulari- 
ter etiam communionem in marchis — foenum secandum et pascua 



1) S. N&heres im Oberbayerischen Archiv IV. -291 ff. und Neue Beiträge 
u. s. w. von Buchner u. Zirl S. 75 ff. 

2) Falk, Neues staatsbürg. Magazin III. 112 ff. 

3) 1243: ,«daos bonnarios et dimidium — quod vulgari theutonico KJrlaol 
dicitur." Quix, Gesch. der Abtei Burtscheid S« 97. 

4) Mone bezieht sich in seinem Archiv 1.395. zum Belege dafür, dass Weinberge 
oft als Gemeingut vorkämen, auf die gewöhnlich in aUeil Urkunden über Güter- 
veräusserungen sich findende Formel , in welcher die Zubehörnngen eines Gats 
im Allgemeinen angegeben werden ; aber abgesehen davon , dass diese^ Formel 
lediglich eine Eanzleiformel ist, so enthält dieselbe auch keineswegs blos die 
Rechte an der Almende, da neben diesen auch die Hofreithe, die Gebäude, Gär- 
ten u. s. w. aufgezählt werden. 

5) Günther 1. c. I. 167. 



181 

habende^'')) ^"^ ^^"^^ ^^^^ ^^^ des Heus m der Alinende gedacht*). 
IMe GeiBeiiidewiesen zu Sandhofen wurden zum Zwecke der Nutzung 
in Schläge geiheUt, von denen das Kloster Schönau 5, näm- 
lich 3 für die bauliche Unterhaltung eines Teiches und 2 für die 
Nutzung zweier Wege zur Viehtrift und ebenso viel der Schultheiss 
erhielt, um damit die Pferde der Klosterknechte, weiin diese in's 
Dorf kommen, zu füttern'). Diese Weise der Vertheilung in Schläge, 
wdche entweder jährlich oder nach mehreren Jahren verloost wer-* 
den, und von denen jeder Berechtigte sein Loos (Reihetheil, Kabel) 
,zu mähen hat, besteht an vielen Orten auch noch heute ^). Ander- 
wärts wird gemeinschaftlich gemähet und das Heu, nachdem das- 
selbe ebenfalls gemeinschaftlich bereitet ist, nach Haufen getheilt, 
oder — und dieses ist die am häufigsten gebräuchliche Weise — 
die einzelnen Wiesenstücke wechseln nach einer bestimmten Reihe« 
folge unter den Berechtigten. 

Auch die Jagd gehörte zur Almende; nur behielt da, wo die 
Mark in dem Besitze eines Markherrn war, derselbe diese stets 
für sich, und überüess höchstens die niedere Jagd seinen Hinter- 
sassen'). Doch kommen auch frühe schon Fälle vor, wo den Mär- 
kern , ungeachtet dieselben die Mark q\s echtes Eigen besassen , die 
Jagd dennoch entzogen wurde'). 

Mit der Fi eher ei ist es ähnlich. Dje Slromfischerei behielt 
der Markherr gewöhnlich für sich , und überliess nur die Bachfische- 
rei seinen Hinlersassen , obwohl auch diese nicht ohne Beschränkun- 
gen , sowohl hinsichtlich des Fischgezeugs , als auch der Zeit des 
Fischens. 

Endlich gehören noch zur gemeinen Mark die Bienen in der- 
selben, Mergel- und Kalkgruben, Steinbrüche u. s. w. , und 
in Weslphalen die Plaggen, welche zu verschiedenen Zwecken, 
namentlich zur, Düngung, verwendet werden. 

Für das Nutzungsrecht der Gewässer der Mark, sowohl der 
Bäche als Brunnen, haben alle Urkunden seit der ältesten Zeit die 



1) Meichelbeck l. c. I. S. 1030. 

2) Gndenits, Sylio^e p. 256. 

3) Grimm a. a. 0. I. S. 460. 

4) Bereits 826 findet sich in einer Urkunde des Stifts Freisingen „ de pratis 
unnm, qiied dicimus Luz'^ Meichelbeck 1. c. I. p. 493. 

5) Beispiele s. in Landau's Beiträgen zur Geschichte der Jagd u. s. w. S.30« 

6) Das. S. 110 ff. 



IM 

stetende Formel „cum aqdis ei aquiarain decajrslbtts'^ oder wie deut- 
sche Urkunden sich ausdrücken: mit Wasser und Wasserruasten ^), 
d. b. mit Brunnen und fliessenden Wassern^ Ausser dem aUgemetnen 
Gebrauche Ar Menschen und Vieh , dienten insbesondere die fliess^n- 
den Wässer auch noch zur Wiesenwässeruog, welche übrigens stets 
an eine bestimmte Ordnung gebunden war, der Jeder sich fügen 
musste'). In den Marschgegenden kommen noch die Wassergrä- 
ben dasu, welche die älteren westphälischen und niederländischen 
Urkunden schon im achten Jahrhundert Waterscapum, Wadri- 
scapium etc.') und anderwärts auch Waterganga (Wassergang) 
nennen« Dasselbe Wort ßndet sich ebenfalls^ in den englischen Ur- 
kundeofi^) und noch heute heisst im Englischen Watergang der 
Wasserlauf I gleichwie im heuligen Franzosischen Watreganck 
und Watregans der Kanal, statt dessen alte franzosische Urkun- 
den sich auch des Ausdrucks Wateringhe bedienen. 

Ferner sind Almendegut alle Wege im Dorfe und in der Dorf- 
üur, gleichwie in den Städten alle öffentlichen Strassen und Plätze. 
Im Jahre 1386 werden die Strassen in Worms ausdrücklich als Al- 
mende bezeichnet^) und Gleiches ist mit dem freien Umgang an der 
Innern Seite der Mauer der FalP). In einem Weisthum von 1506 
heisst es deshalb: „wo Gebrechen ist ati gemeinen Stegen ifod 
Wegen und anderm Gemein " u. s. w. ') 

Natürlich war der Gebrauch der Wege, wozu auch die Brücken 
gehören, sowohl zum Wandern und Fahren, als zur Viehtrift, für 
jeden Einsassen eine Lebensbedingung, nicht nur im Allgemeinen, 
sondern auch noch in der besondern Beziehung auf den, Bau der 
einzelnen Grundstücke, zu denen, wenn auch nur vorübergehend, 
der Weg oft nur über fremde Ländereien fährte. Es wird deshalb 



1) Auch findet man 1190: aquaria, ruzaria, aquarumque ducdis, oder 1191 
statt rnzaria — ruzalia. Hormayr, Gesell, von Tirol I. 2. Abtiil. Urkbch, S. 145 
u. 147. . 

2) S. Grimm, Weisth. I. S. 117, 131 ii. 177^ II. 86 u. IIF. 69. 589 n. 892. 

3) Von Water und Schaft , die Gräben, in welchen das Wasser lliessl. 

4) S. Belege dafür bei HenschelJ. c. VI. 913. 

5) „Auch ist beredt von der Almende wegen, daz die Pfafiheit — mögen 
Ire Keller Dore und Kellers Heise und ihre Schoppen darüber Widder bnwen und 
machen, doch unscheideiichen der Strassen'*. Scbannat, Htst. Wormat. 1. Cod. 
Prtfo. p. 201. 

6) 1314: Würdtwein , . Ghron. Scbdnau. p. 253. Dassdbe finden wir auch 
in.^rassburg. Urk. von 1230 u. 1261 ap. SchopfUn, Abat» dipl. I. p. 365 a. 434. 

7) Grimm, Weisth. III. 588. 



1.81 

auch schon 1» den ältesten Urkunden dieses Wegerechts gedacht 
Die gewöhnlichen in den Urkunden Torkommenden Formeln sind: 
,,cum exitibüs et reditibus^), cum egressu et regressu*), cum exio 
et regresso'), cum exitibüs et regressibus^), ac se ipsas moven- 
libiis*), cum perviis*)^, cum viis et inviis'^), jus viarum eundl et re- 
deundiet deducendi'^^) etc. Die alten Glossen geben fär introHum 
— Einfahrt, und für exitum — Ausfahrt^), und dem entsprechend 
sagt eine Urkunde von 1300 über mehrere Morgen Landes „cum 
omni jure quod Invart et Vzsvart dicitur^' und eine andere von 
1376^ welche eine lange Reihe von Grundstücken aufzählt, beinahe 
bei jedem derselben j,m!t Vssfart vod Ynfart*'. Dieses Recht zur 
Aus^ und Einfahrt gebürle nach dem jütischen Low^®) nur dem, wel- 
cher auf einer alten Hausstätte sass. Baute sich einer ausser dem 
Dorfe an, so musste er die nothigen Wege auf seinem Eigen anle-* 
gen. In der niedersächsischen Uebersetzung jenes Gesetzes heisst 
es: „Wanet dar wol buten dem gemeinen Dörpe, in der Hegede 
(Vong) gebeten (also im Feld): doch dat he vp sinen egen Grunde 
vnde Bodem gebuwet hefft, so schal he vp sinemEgen ock 
hebben vnde holden sine Fortä vnde Fäganck, allen Ege- 
ren ane Schaden edder he schal tho dem groten Dörpe wedder in- 

raren " **)• 

Die Yiöhhute (Weidgang) erstreckte sich über die Gemeinde - 
Weiden, den Wald und die Stoppel- und Brachfelder"). Dieselben 
konnten nicht willkürlich benutzt werden, sondern es geschah die^ 
ses in der Regel nach Massgabe des Besitzes, so dass für Jeden 
eine bjestimmte Anzahl der verschiedenen Viehgattungen föstgesetzt 
wurde, mit denen er die Hutegründe betreiben durfte. Die alle Be- 



1) Böhmer, Cod. Moeno-Fraucof. p. 6. , . 

2) Ritz, Urk. S. 14. 

3) Marlene et Durand. 1. c. I. p. 103. 

4) Trad. Lanresli. I. p. 52 , 55 , 57 f. 

5) Ibid. I. p. 47. 

6) Ibid. I. p. 28 u. 30. 

7) Wenck a. a. 0. Urkbch. 111. S. 16. 

8) Wördtwein , iiova subs. dipl. VlI. 79. \ 

9) Graff a. ». Ö. 111. 582 u. 583. 

10) I. 48. 

11) In der lateinischen Uebersetzung heisst die betreffende SteTle: „debet m 
terra propria habere introitum et exilum ad forta et feegangh. Porta ist hier 
der Weg zu Aus- und Einfahrt und Feegang die Viehtrift. 

12) 84d : „in pascua eommuuia in ägris*'. Neugarf, Cod. dipl. Aleman, 1. 263» 



184 

zelohnapg för die HuleMchen ist gewöhnlich Wonne und Weide 
und um die Grashute des Sommers von der winterlichen Maslhute^) 
zu unterscheiden, nannte man Jene die Blumenhute'). 

Obgleich die Berechtigung am Gemeii^gute — wie schon oben 
bemerkt worden ist — der ganzen Natur des Verhältnisses entere«** 
chend an den Wohnsitz in der Mark gebunden und durch denselben 
bedingt war, also an der Hofstät^ haftete, weshalb manche Weis« 
thumer auch der unbebauten Stätte jedes Recht absprechen '), so be- 
gann man doch schon frühe diese Regel nach verschiedenen Seiten 
zu durchbrechen, und damit die alten einfachen Zustände zu ver- 
wirren. Das erste ,^ was in dieser Hinsicht geschah , war wohl die 
Aufnahme nicht in der Mark Heimischer in die Genossenschaft, wenn 
immerhin auch nur zu einzelnen Theilen des Gemeinguts, nament- 
lich der Jagd, der Fischerei, des Holzes, der Mast und Hute. Am 
frühesten wurde die Jagd an Fremde abgelassen^) und in Bezug auf 
HfAz und Mast waren es besonders die Klöster, welche bald durch 
Kauf, bald durch Schenkung derartige Rechte erhielten. 

Auf diese Weise entstanden die s. g. Aus märker. 

Neben diesem Verhältnisse bildete sich und zwar als eine Folge 
desselben noch eine andere Abnormität aus, wonach die Einzel- 
berechtigung ein Gegenstand des fteien Verkehrs wurde, anHinglich 
freilich nur in so weit, dass der Marktheil eines Hofs käuflich auf 
einen andern jedoch ki derselben Mark liegenden Hof übertragen 
werden konnte') und zwar stets nur unter dem Vorbehalte der Zu- 
stimmung der Markgenossen"). 

Aber auch noch eine dritte Abnormität trat ein: die Zahl der 
Loose versteinerte sich gewisseirmassen und indem sich dadurch eine 
Klasse von Höherberechtigten bildete, blieben dagegen alle spätem 
Ansiedler von der Markbereclitigung ausgeschlossen. In dieser Lage 
waren nicht npr vijele Dörfer'), sondern auch die meisten der wäh- 



1) „In pascuis publicalibus tarn in arboreis tarn in gramineis. Wfirdtwcin, 
nova subs. dipl. VIT. p. 79. 

2) Grimm, R. A. S. 521. 

3) Grimm, Weisth. III. 223. 

4) Landau, Beitr. zur Gesch. der Jagd u. s. w, S. 40 f. 

5) So wird 1144 dem Kloster Ueberwasser zu Münster ,>ja8 sylvestre'^ eines 
Hofs übertragen. Niesert, Münst. Urk. Sammlong II. 161. S. weiter Dunker 
a. a. 0. S. 168. , 

6) In der eben erwähnten Urkunde heisst es: „ consientibus einsdem silve 
forestariis sire marcmannia <*• 

7) So z. B. in Oberh^asen, nach] ei^^/ Schrift aus dem 14. Jahrhundert: 



185 

rend des dreizehnten Jahrhunderts neu entstandenen Städte*). Sp- 
gar unter den einzeln Einwohnern der Dörfer führte dieses zu Miss- 
verhältnissen. Röhrda in Hessen bestand gegen Mitte des sechszehnten 
Jahrhunderts aus 12 Kirchmännern, deren Häuser am Kirchgraben 
um die Kirche.herum standen, 12 Pfarrmännern, welche verstreut 
im Dorfe auf Pfarrgütern wohnten , und 2 Klostennünnern des St. Cy- ^ 
riaxstifls zu Eschwege. Von diesen waren nur der Pfarrer, und die 
Pfan-er- und KlostermUnner gemeindcbcrechligt, die Kirchenmänner 
aber nicht. 

Jetzt herrscht in allen diesen Verhältnissen die grosste Verschie- 
denheit. Blicken wir nur nach Hessen, so finden wir an dem einen 
Orte den Gemeindenutzen, wie die Marktberechllgung hier genannt 
wird, an eine feststehende unveränderliche Zahl von Höfen geknüpft 
und denselben nur mit dem Hofe veräusserlich , im nächsten Dorfe 
sehen wir denselben mit jeder auch der kleinslon Niederlassung ver- 
bunden und zwar hin und wieder sogar dergestalt, dass ohne Rück- 
sieht auf den Umfang des Besitzes ein Jeder gleich befechtigt ist, 
und in dem dritten finden wir dieses aus einer beistimmten Zahl von 
Loosen bestehende Recht als freie ledige Waare, welches jeder, 
auch der Fremde, welcher nicht einen Fuss breit Land in der Ge- 
meinde besitzt, erkaufen kann. Aehnlich sind auch die Verhält- 
nisse anderwärts, namentlich am Niedefrhein, besonders unter Kob-, 
lenz'), und in Ditmarsehen^). 



„ Alle Dorfere vme <den BargwsU vnd Waleberg gelegen , die nicht Merkere dar 
yiine syn, plegin jerlich dar yn zu dingen", u. s. w. 

1) Z. B. Frankenberg. In der eben angeführten Schrift heisst es: ,|Dye von 
Franckenberg syn- keyne Merkere jn den Burgwalt, darvme plegen sye jerlich 
dar yn zu dingen 1 Jar von eyme sente Michilsdage bis ane den andirn vnd din- 
git daryn , wen den gelustit vnd gibit iglich Wagen myrae Juricliern 1 Motte Ha- 
birn vnd dem Stiffl^ zu Mentze also vele vnd heissit Wagenhabirn *S 

2) Mögiiner Annalen XXVIII, S, 351. Schwerz, Beschr. der Landwlrthscb. 
in Westphalen u. s. w. II, 181, 

3) Michelsen , über die bäuerliche Meentverfassung in Ditmarscben in der 
Ztschr. von Reyscher u. Wilda VII. S. 95 , 98 l. 



Vierter Absdinitt. 

Die TheiloDg des Volkes in Sfamme, 



1) Die Gliederung ia Stämme. 

X/ie Mark ist — wie wir gesehen haben — ein ungetrenntes , eine 
Einheit darstellendes, fest in sich abgeschlossenes Landgebiet, und 
demnach ihre Bedeutung eine reine territoriale. Bei allen Völkern 
aber, welche hinsichtlich ihrer Lebensbedürfnisse lediglich auf die 
heimische Erde angewiesen sind , ist der Grundbesitz die einzige Bar 
sis ihres politischen Lebens und zwar dergestalt, dass die Ge- 
mei'nsamkeit des Grund und Bodens in einer nothwendigen Folge 
auch die politische Gemeinschaft in sich schliesst. Kurz^, die Mark 
ist die ebenso einfache, als natürliche Grundlage der Volksgemciode. 
Wenn auch In ihrem innersten Wesen verschieden, sind doch beide 
so fest und innig in einander verschmolzen, dass die eine nicht 
ohne die andere gedacht werden kann. Beide bedingen sich gegen- 
seitig und gehen deshalb auch Hand in Hand. Wie die alte grosse 
Urmark eine ^Gemeinde umschloss, so folgt auch jeder Theilung 
derselben stets eine dieser entsprechende Theilung der Gemeinde, 
und zwar so , dass die Zahl dei Marken stets auch die Zahl der öc* 
meinden bestimmt. Dennoch war die Entwicklung beider nicht ganz 
dieselbe. • 

Die erste ursprüngliche Niederlassung bildete eine in sich abge- 
schlossene Gesellschaft, eine selbstsländige politische Gemeinde; die 
von derselben zunächst ausgehenden neuen Änsiedlungen geschahen 
auf dem Grunde und Boden oder in der Mark der Muttergemeinde 
und konnten demnach aucli nur mit dem Willen oder der Zulassung 
derselben begründet werden, ungeachtet der dadurch bewirkten Er- 



\mleraDg des Anbaues bildete das Gange doch noch fortwährend 
eine einzige Gemeinde, denn diese 'ersten neuen Niederlassungen •— 
mochten sie auch von der ältesten weit entlegen sein — störten 
noch nicht das gegenseitige VerhäHniss, M'eil eine gemeinsame und 
zwar gleichmässige Benutzung des Bodens in keiner Weise dadurch 
gehindert wurde. Bis dahin blieben noch Alle Glieder einer Ge- 
meinde. Erst dann wurde dieses anders, als von diesen Ausbauten 
wiederum neue Ausbauten ausgingen und dadurch die Töchler nun 
selbst Mütter wurden. Jelzt erst trat eine Scheidung der Interessen 
ein, weil die gleichmassige Benutzung nicht mehr möglich war. Die 
Tochter trennte sich von der Mutter, sie wurde selbstsländig und es 
entstanden ebenso viele nefue Gemeinden als die seither einheitliche 
Mark sich in kleinere Marken zerlheilt halle. 

Ungeachtet dieser Uebereinstimmung in der Theilung der Marken 
und des Volkes gestaltete sich jedoch das Verhältniss der einzelnen 
Theile beider zum Ganzen wesentlich verschieden. Wahrend näm- 
lich alle nach und nach aus der grossen Mark hervorgehenden 
kleinen Marken hinsichtlich der eigentlichen Markverhällnisse , also 
der Nutzung der gemeinen Mark, selbstständige von einander unab- 
hängige Gebiete wurden, erhielten sich dagegen alle Theile der die 
gesammte Urmark innehabenden Volksgemeinde als ein politisches 
Ganzes. Die Gemeinde blieb nach Aussen fortwährend eine Ge- 
meinde und die Gliederung fand nur nach Innen und zwar nach 
einer bestimmten Unterordnung statt, indem in einer gewissermassen 
natürlichen Folge jede neue Gemeinde in eine filiale Stellung zu ihrer 
Muttergemeinde trat, so dass der alte Ursitz forldauernd als die 
Mutter Aller und als Mittjel- und Ausgangspunkt .der Gesammiheit 
betrachtet wurde. So lange nur eine Gemeinde bestand, wurden 
alle Angelegenheiten derselben, wie dieses in der Natur der Sache 
lag, an dem Hauptorte der Gemeinde verhandelt, so bald aber die 
eine Gemeinde in mehrere zerfiel, und dadurch gesonderte Interes- 
sen erwuchsen, musste auch hierhin nothwendig eine Aenderung^ 
folgen; es mussten die allgemeinen von den besondern Angelegen- 
heiten geschieden werden, Und diese Scheidung musste sich schon 
durch die gegenseitigen Verhältnisse von selbst ergeben. Seitdem wur- 
den nur noch die alle Gemeinden berührenden Angelegenheiten an 
der alten Mutterstätte verhandelt, dagegen alle die, welche nur die 
einzelnen Gemeinden insbesondere berührten, in diesen selbst zur 
Verhandlung^ gebracht. Die alte Mutterstätte erhielt dadurch eine 
doppelte Bedeutung, indem sie sowohl für die Gesammiheit, als 



im 

auch für die MnUergemeinde , welche das Urdorf bildete , den Mittel- 
punkt abgab. 

In Folge dieser Entwicklung bildeten sich vier Gliederungen in 
den Abtheilungen des Volkes, welche im Folgenden naher beleuchtet 
werden sollen. 

Das Land. 

i- ■ » • 

Für das Gesammtgebiet eines Volksstarnmes, also für das Land 
einer Nation, gab es ursprünglich keinen eigenthümlichen Namen, 
dasselbe empGng' vielmehr seine Bezeichnung von dem Volke, wel- 
ches die Herrschaft hatte. Ein solches ßesammtgebiet heisst vor- 
zugsweise Land, lateinisch terra, provincia oder regio, und zu die- 
ser Bezeichnung tritt einfach die des Volks, z. B. terra Francorum, 
terra Saxonum etc., das Land der Franken, das Land der Sachsen 
u. s. w. Die ältesten Könige nennen sich deshalb auch nicht Könige 
des Landes, sondern stets und immer nur Könige des Volks z. B. 
rex Francorum, Merciorum etc.; denn sie waren nicht Herren des 
Bodens , sondern nur Häuptlinge des Volkes. Eben aus dem Grunde, 
dass das Gesammtgebiet keinen eigenen , keinen landschaftlichen Na- 
men halte, sondern erst durch den Volksstamm seine Bezeichnung 
empfing, verschwindet auch dieser Name wieder, sobald der alle 
Stamm vertrieben oder unlerjocht wurde, und an seine Stelle tritt 
der Name der Sieger. So wird der Stamm der Sueven von dem der 
Alemannnen, der der Britten durch den der Sachsen und Angela 
u. s. w. verdrängt'. 

Die Provinz. 

Diese Abtheilung, welche auch Land, terra, provincia, Gau, 
pagus etc. genannt wird, hat eigentlich keine hervortretende politi- 
sche Bedeutung. Sie ist ein Mittelglied zwischen der Gesanimtheit 
und der nachfolgenden Abtheilung und scheint^ in ältester Zeit der 
letzteren Stelle eingenommen zu haben und erst durch weitere Thei- 
lungen in eine provinziale Stellung gelangt zu sein. Die drei gros^ 
sen Abtheilungen Sachsens: Westphalen. Engern und Ostphalen sind, 
dergleichen Provinzen. , . 

Der Gau. 

Ein jedes Volksland ist in eine Anzahl von Gaue getheilt, eine 
Bezeichnung^ welche in der allgemeinen Bedeutung von einem jeden 



abgeschlossenen Bezirke gebraucht wird*). In der goihiscben Sprache 
lautet dieses Wort gawi, im Althochdeutschen gawi, gouwi, 
chouwi, im Mittelhochdeutschen göuwe, göu, geu; im Alt- 
sächsischen, ga und go etc. '). Dieser Bezeichnung stehen noch 
einige andere zur Seite, welche ganz dasselbe ausdrücken. Da- 
hin gehören das im nordwestlichen Germanien, sowie in Nordal- 
bingen vorkommende Baut (Brabant, Teisterbant, Ostrobant^ Q yfj y - 
bant und Sadelbant)'): das in den beiden Gaunamen Wetereiba und 
Wingarleiba sich findende Eiba^, und < das alemannische Bar. 
Aach Feld (Grabfeld, Wormizfeld) scheint noch hinzugezählt m er- 
den zu müssen, in der lateinischen Sprache wird für alle diese \^er- 
schiedenen Bezeichnungen pagus gebraucht. Schon Tacitus und 
Cäsar bedienen sich dieses Wortes und ebenso nennt auch Ammianus 
Marcellinus die Gebiete der alemannischen Häuptlinge regelmässig pagi. 
Zwar scheint pagus, wie dasselbe die Urkunden gewöhnlich anwen- 
*den, einer solchen bestimmten Bedeutung zu widerstehen, z. B. in 
pago Hassegowe, in pago Helmgowe u. s. w. Dieses ist jedoch 
ein mehr scheinbarer, als wirklicher Pleonasmus, denn das Wort 
Gau ist hier ein integrirender Theil des Gaunamens , welches gerade 
dann am deutlichsten hervortritt, wenn der Name entweder in der 
Genetivform gegeben, z.B. in pago Danubii, in pago Hessorum etc., 
oder als Adjektiv gebraucht wird, z. B. in pago Wormatiense, in 
pago Weterabense etc. 

Wie die Bedeutung d'er Worte Mark und Gau nicht dieselbe, 
so besteht auch in der Sache selbst ein wesentlicher Unterschied. 
Schon die Art und Weise, wie beide Worte, in den Urkunden neben 
einander gebraucht werden , läs«t dieses bald erkennen und muss 



1) Zuweilen wird Gau auch als Gegensatz zur Stadt angewendet und bezeicli- 
net dann überhaupt das platte Land. 

2) S. darüber das Nähere und namentlich über die Etymologie des Wortes 
den ansfuhrlichen Aufsatz von Wächter in der Encyklopädie von Ersch und Gru- 
ber 8. V. Gau. 

3) In der oberdeutschen Form Ba nz^ = regio. Graft, Sprachschatz III. 139. 
Im J. 793 wird ein Wald genannt: in silva que dicitur Seaeüuald^, sine Sujft^ 
baat Lacomblet, ürkbch. I. S. 2. Aehnl. 796 S. 6. 

4) Dasseiba eben wohl nur die Bedeutung von terra oder pagus hatte, sieht 
man aus Paulus Diaconus 1. c. 13. Nach Golanda — erzähtt derselbe — hätten 
die Longobarden Anthaib , Banthaib und Burgundhaib innegehabt, und fügt erläu- 
ternd hinzu: ,»quae nos arbitrari possumus esse vocabula pagorum seu quorum- 
cunque locorum. 



490 

Kar Beseitigung der von vielen Sdten *) aufgestellten Annahme fuh- 
ren, dass die Mark eine eigenUtche Unterabtbeilung des Gaues sei. 
Der Gau wird nümlich sleLs in Verbindung mit der Grafschaft ge- 
nannt Fasst man dieses und dann auch noch das Wesen der Marl(, 
w\e dasselbe oben entwiclvelt worden ist,, ins Auge, so wird sich 
jeder Zweifel darüber beseitigen, dass beide in ihrer inneren Natur 
durchaus verschieden, ja, dass sie, obwohl eng in einander ver- 
wachsen, gewissermassen Gegensätze sind. Wie Mark einen rein 
örtlichen lediglich den Grund und Boden umfassenden und in sich 
abgeschlossenen einheitlichen Bezirk bezeichnet, so bezeichnet dage- 
gen Gau eine auf der Gliederung des Volkes in Stämme beruhende, 
kurz , eine politische Abtheilung '). 

Mit dem Namen Gau werden alle zwischen der untersten Ab- 
theilung des Volkes, der Dorfgemeinde (im alten Sinne) und der 
grossen Gesammtheit des Volkes, dem l.ande. Hegenden Abtheilun- 
gen belegt. 

Es gibt allerdings Ausnahmen von dieser RegeL Man fmdei 
nicht nur Gesammtlfinder pagus genannt, z. B. : pagus Saxoniae, 
pagus Thuringiae, es werden auch Abtheilungen von Gesammtläu- 
dern als provinciae (z. B. provincia Grabfeld und provincia Tulli- 
feld, obwohl das letztere nur eine Abtheilung des ersteren ist) und 
als regiones bezeichnet, sondern zuweilen wird auch marca für pa- 
gus gebraucht '). Aber alles das sind nur Ausnahmen , gleichwie 
auch der im spätem Mittelalter zuweilen sich findende Gebrauch von 
pagus für die einzelne Dorfmark ^). Im gewohnlichen Gebrauche wird 
unter Gau jedoch nur die grössere zunächst unter der Gesammtheit 
stehende Abtheilung verstanden, und ich werde der Kürze wegen 
diesem Gebrauche ebenfalls folgen. 



1} Grimm, R. A. S. 496. 

2) Dieses hat anch schon fiichhorn in seiner deiUscIien Staats- und Reclits- 
geschichte, IV. Ausg. I. S. 62 ii. 65 anerkannt. 

8) In marca Grapfeldono. JDfronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 460 u. 497; — in 
Grapfeldono marcu. ibid. Nr. ,255; — in marcha Logene. Dionke, Tr. et Ant. Fuld. 
p. 33; — marca Hessoram. Wenck, Urkbcli. II. S. 16. . 

4) Das mir bekannte älteste Beispiel hiervon gibt eine Urkunde von 1029: 
„. .. pagoqne suo Snizc*' (Historie der Pfalzgrafen vonSacIisen S. 73). Im J. 1154 
findet sich ein pagus Pfaflfcndorp (Wigand, westph. Arcliiv 1. H. 2. S. 95); 
1354 liest man: „in villa et pago vlUe Waltwinkel" (Thuringia sacra p. 150) 
und 1332: „in pago ville Vrommegestede " (üngedr. Urk.) 



»1 

Die Hundertschaft 

Die nächste Unlerabtheilung des Gaues ist die Hundertschaft*), 
Wie schon bemerkt worden ist, wird auch diese Abtheilung mit 
denselben Bezeichnungen belegt, welche bei den grössern Abthei- 
lungen gewöhnlich angewendet werden, nämlich pagus oder Gau. 
Nor in Süddeutschland kommt auch die Diminutivform pagellus vor. 
Ebenso werden die Unterabtheilungen der grossen alemannischen 
6a ra gleichfalls Bara genannt. 

Ausserdem werden diese Bezirke insbesondere als Hundert* 
Schäften bezeichnet, wofür unsere alte Sprache huntari hat, 
und lateinisch centena oder centuria gebraucht wird. 

Wenn Cäsar*): ,,Hi (sc. Suevi) centum pagos habere dicuntur" 
und an einem andern Orfe'): „pagos cenlmn Suevoram ad ripam 
Rheni consedisse** sagt, er also dem ganzen saevischen Volke hun- 
dert Gaue anweist, so lässt sich diese Angabe mit der des Tacitus*), 
dass die Semnonen, also ein Stamm der Sueven , hundert Gaue gehabt 
(Semnones centum pagis habitantur) nicht vereinigen. Dieser Wider- 
spruch findet indess darin seine einfache Lösung, dass beide (leicht mög- 
lich auch nur ihre verbessernden Abschreiber) einen Namen für eine 
Zahl genommen. Sie haben das Wort Hundari missverstanden und 
da, wo nur von einem nach der Hundertzahl benannten Bezirke die 
Rede war, hundert solcher Gebiete gesehen. Diese Verwechselung 
wiederholt sich bei beiden Schriftstellern mehrfach und eben diese 
mehrfache Wiederholung von den hundert Gauen hat neuere Schrift-, 
steller verführt, die Centen für die älteste Zeit gänzlich zu beseiti- 
gen ; es sind aber gerade die Centen, welche in den Vorgrund treten. 
Der Gau ist sowohl bei Cäsar als Tacitus die Einheit, die civitas^ 
der Staat; die Hundertschaften aber sind die Glieder der Einheit und 
eben erst in ihren Gliedern wird diese dem Auge anschaulich. Dann 
aber waren — wie später noch nachgewiesen werden soll — die 
Centen, welche das spätere Mittelalter uns zeigt, nicht mehr- die 



1) Waitz II. S. 313, 431 u. 445 spricht den Baiern diese Abtheilung für die 
altere Zeit ab, aber sicher nicht mit Recht; mögen auch die von ihm angefülir- 
ten Stellen des baier. Ge^setzbuchs sich wirklich nur auf das Heer beziehen , so 
ist das Heer doch eben nur nach den Abtheiluugen des Volkes gegliedert. 

2) De hello gall. IV. 1. 

3) Ibid. I. 37. 

4) Germania 39. 



m 

alten; die alten waren vielmehr von .M^eii gn^össerm Umfange und 

halten demnach auch eine höhere politische Bedeutung, als man 

den nachherigen kleinen Centbezirken zuzugestehen veranlasst wer? 
den konnte. 

Eine in der That eigenthiimliche Erscheinung ist es übrigens, dass 
die deutsche Bezeichnung Hundari sich beinahe ausschliesslich nur 
bei den Alemannen und zwar insbesondere in dem grossen aleman« 
nischen Gaue der Bar wieder ßnden, z. B. pagellus Goidineshun- 
lare*), cenlena Ruadalteshuntare *), pagus Munte^heshuntere ') wo 
es gleich Gau als integrirender Bestandtheil des Namens gebraucht 
wird. Nur in dem Gaue Königshunder am Niedermain *) und in 
Friesland ') finden sich zwei vereinzelte Ausnahmen ; obwohl 
auch die am Niederrhein vorkommenden Hun Schäften oder 
Hunarien^) höchst wahrscheinlich noch hierher gehören. Aber 
ungeachtet dieser immerhin aufTallenden örtlichen Beschränkung des 
Vorkommens der deutschen Bezeichnung, sprechen doch die sonst 
allenthalben verbreiteten lateinischen Bezeichnungen centena und 
ceuturia dafär, dass jene deutsche Benennung auch im übrigen 
Deutschland im Gebrauche gewesen sein muss. 

Ein elgenthümlicher Unterschied zeigt sich jedoch in der Bildung 
der Namen zwischen den grossen sowohl, als kleinen ^Gauen (den 
Centen) und den jener alemannischen Baren und Hundaren. - Wäh- 
rend die Namen jener stets als Landschafts namen erscheinen, sind 



1) Wirtlembg. Urkbch. 1. 141. 

2) Das. S. 112. 

3) Das. 196. 202.' 

4) Friedemann, im Archiv des Vereins für hess. Gesch. u. Altevthumskunde 
VI. S. 2 ff. will zwar Kdnigssunder gelesen habpn. 

5) In pago Uestracha in viila Cammingehunderi. Erhard, Cod. dipl. 
Westph. L Nr. 13r 

6] Schon in dej^ Jahren 1065 und 1112 heisst es in Urkunden des Maximin- 
Stifts bei Trier; „illi qui Hunnones in qaibusdam locis dicuntur"; ebenso in 
and. Urk. : „super homines de sua hunaria^' und„stiper homines habltantes 
in sua hunaria" (Günther, Cod. diph. Rheno - Mosel. 1. 380 n. 381); 1164 wird 
einer Huuaria en\'ähnt ; 1322 heisst es wieder: „de qualibet cougregatione ho- 
minum dicta Hun sc Ha ff* und diese letzte Bezeichnung — Hundschaft —kehrt 
in der spätem Zeit noch häufig wieder und hat sich sogar bis auf unsere Tage 
erhalten. S. hierüber die interessante Abhandlung: „über die Hundschaften am 
Niederrhein'* in Lacomblet*s Archiv für die Geschichte des Niederrheins S. 200. 
im^Jahre 1442 findet man ein aus einer Anzahl Dörfer bei Koblenz bestehendes 
Huntdink. Günther a. a. 0. IV. 411 n. 412. 



198 

diese dagegen stets Personalbezeiehnungen , indem ^e^ CoUektivbe- 
nennung Bara und Hunlare mit einem Personalnamen, sicher dem 
eines alten Inhabers , verbunden wird, z. B. Berlhoidesbara, d; h. die 
Bara des Berlhoid, Ruadolteshunlare, d. i. die Huntare des Ruadolt. 

Eine besondere doch nur selten vorkommende Bezeichnung für 
den Centbezirk ist Fe est. So findet man es im Hannoverschen na- 
nnentlich für die einzelnen Abtheilung^n des Amts Bodenteich ge- 
braucht ') ; aber auch am Niederrhein begegnet man ihm schon 1 292. 
In einer Urkunde d. J. ,heisst es nämlich: „primo coram parochia in 
Linse et postea coram quinque parochiis et Septem judicibus — 
quorum universitas volgariter Veste dicitur, ubi sententiatum fuit 
publice et concorditer etc.*^'). 

Die Zehntschaft. 

r 

Sowohl in unsern ältesten Volksgesetzen, als ctuch anderwärts 
findet man die Decania, die Zehntschaft, angedeutet. Man 
hat aber viel über dieselbe gestritten, und da sie noch Niemand 
örtlich' nachweisen können, ist ihr Vorhandensein in Deutschland 
vorzüglich von neuern Forschern') entschieden in Abrede gestellt 
worden. Dennoch ist auch sie vorhanden: es ist die einfache Dorf- 
gemeinde. 

Ich habe oben gezeigt, dass die aus der letzten Markt&eilung 
hervorgegangenen Marken ausser dem Mutterdorfe stets noch eine 
bald grössere bald kleinere Zahl von späteren Ansiedlungen in sich 
schlössen, welche nicht als selbstständige Dörfer, sondern stets nur 
als Zubehörungen jenes Hauptdorfes genannt werden. Die Zahl die- 
ser Nebendörfer ist ebenso verschieden, als die Grösse der Dorfmar- 

• 

Ren, so dass eine solche Gemeinde an 20 und wohl noch mehi 
Dörfer 'umfasste. Es sind also stets mehrere Dörfer, welche eine 
Gemeinde bilden, und diese aus der letzten Scheidung hervorge- 
gangenen Gemeinden finden wir ganz und gar in den Centgeridits- 
bezirken des späteren Mittelalters wieder, welche noch heute 
zu einem grossen Theile unverändert fortdauern. Die in dem Re- 
gister des Archidiakonats der Probstei St. Stephan (Oberlahngau) *) 



1) Vaterland. Archiv für Niedersachsea 1839 , S. 372 ff. 

2) Günther, Cod. dipl. Rheno- Mosel II. p. 492. 

«) Wakz, deutsche Verfassungsgesch. I. S. 47. II. S. 273. 417. v. Sybel, 
Entstehnug des deutschen Rouigthums S. ^3 u.« 37. 

4) Bei Wurdtwein Dioec. Mog. III. 
LaMdan. Territorien, 13 



IM 

aafgefiibrten Secles sind z. B. solche Gemeinden. Die Urkanden 
der ältesten Zeit nennen derartige Geoieinden gewöhnlieh einfach 
Villa 0) neben dieser Bezeichnung findet man aber auch häufig 
die von villicatio, obgleich man mit diesem Worte auch den 
Amtsbezirk des Villicus eines Herrnhofs belegte, was sich leiclit 
daraus erklärt, dass in zahllosen Fällen Dorf und Hof in räumlicher 
Hinsicht ganz übereinstimmen. Im Jahre 1156 wird Scunderun „in 
villicationem Hamelenburc ^* gelegt') und 1157 Ottenhusen gleichfalls 
eine „villicatio*' genannt'), ja, schon eine fuldische Urkunde von 852 
sagt: „super territorium et omnem villicationem^'^), und stellt damit 
Mark und villicatio als räumlich übereinstimmend hin ^). 

Im späteren Mittelalter sagte man in Westphalen statt vilhcatio 
auch legio, z.B. 1330: „Gerhardus deNyenhus, Albertus Edelinc et 
colentes mansum dictum Edelinc ac mansum dictum Cenlinc in 
legio ne Wert«, et mansum dictum Thehinc in legione dicta Ho- 
mere morantes in parochia Borken" '). Es wird also hier die legio aus- 
drücklich als eine Unterabtheilung des Kirchspiels, d. h. der Cent, be- 
zeichnet, was übrigens schon auf einer weitem Entwicklung beruht. 

Für beide, villicatio und legio , brauchen die deutschen Urkunden 
Bauerschaft, und zwar ganz in derselben Weise, wie dieses oben 
angedeutet worden ist, so dass sie bald die Bauerschaft als einen Theil 
des Kirchspiels^), bald die Bauerschafl und die Mark als zwei zusam- 
menfallende Bezirke bezeichnen ®). Indessen sind dieses , ich muss 



1) S. oben S. 166 ff. So auch eine münsterische ürk. von 1032, in welcher 
eine Anzahl. Hofe als ehie villa genannt werden. Niesert, Münster. Urkbch.-IT. 
S. 42 ff. 

2) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 821. 

3) Dronke , Trad. et Antiq. Fald. p. 150. 

4) Ibid. p. 66. S. auch eine Urk. des 12. Jahrh. bei Niesert a..a. 0. U. 
S. 80. 

5) Spätere Beispiele liefert Märker, Burggrafenthum Meissen. Ürk. S. 415 
z. J. 1274. V. Hodenberg, Kalcnberger ürk. 1. Abth. Archiv des Klosters Ma- 
rienwerder S. 44 zum Jahre 1280. 

6) Niesert a. a. 0. IV. 466. Dasselbe Werk liefert noch mehr Beispiele. 

7) 1316 : „den Tegherinchof de gheleghen is binnen den Kerspele to Lon in 
der Burscap to Wentfelde mit den Houen de darin hören" (Niesert, Beitr. zu 
einem münsterschen Urkundenbuch II. S. 374. S. ferner S. 00, 03 ff.); 1378; 
„dat Hus to Holthusen mit den twen Richten, der een het dar Burrichte, dat 
ander dat Holtgerichte — beleghen to zamene in den Kerspele to sunte Lam- 
bertd to Cosuelte vnde in der Burschap to Harlere." Das. II. 491 u. 403. . 

8) 1390: „rechte dorschlachtige yrye G ade, beyde Eruelude vnd Gude ewelike 
vry to blyuene Bruninchorsteshoff (Brunckhorsi) , des Godeke Bare eyn recht 



195 

wicderhoU daran erinnern , schon nicht mehr die Klteren Ver!i8Hnisse, 
denn derselbe Bezirk, welchen wir hier als Kirchspiel benannt fin* 
den, ist für die ältere Zeit nichts anderes, als vielmehr die ehe- 
malige Banerschaft. 

Aber auch die Zehntzahl kommt noch spät vor und zwar in 
dem sächsischen T y , welches das hochdeutsche Zehn ist. So heissl 
es z. B. in dem allen soester Rechte: „judicibus Ulis, qui dicun- 
tur Ty« 0. 

Jeder dieser Bezirke bildet für sich ein in sich abgeschlossene^, 
selbstständiges Ganzes und nur in seinen Beziehungen nach Aussen 
tritt eine wirkliche Abhängigkeit ein , indem er da als das Glied eines 
grössern Ganzen erscheint. Dieses Abhängigkeilsverhältniss steigert 
sich nach unten; die Cent ist abhängiger als der Gau, die Bauer- - 
Schaft abhängiger als die Cent; am unabhängigsten aber steht der 
Gau. üeber dem Gaue stand in ältester Zeit nur die Volksgesammt- 
heit, die von keinem einzelnen persönlichen Willen gehalten und 
getragen, natürlich ein nur sehr lockeres Band gewährte. Höchstens 
nur da, wo es ein alle Gaue desselben Volkes berührendes allge- 
meines Interesse galt, insbesondere einen Krieg, standen wohl alle 
insgesammt als eine Einheit zu einander. Aber selbst in diesem 
Falle war eine solche Einigung selten. Man blicke nur auf die rö- 
mischen Kriege gegen; die Germanen. Besonders deutlich wird dieses 
in den Kämpfen der Alemannen bemerklich; während die Masse des 
Volkes gegen die römischen Heere zieht, bleiben doch immer ein- 
zelne Gaukönige zurück, entweder im engem Bunde mit den Rö- 
mern stehend, oder doch wenigstens eine neutrale Stellung behaltend. 
Die nordfriesischen Gaue s^hen wir nur einmal sämmtlich geeinigt, 
nämlich- in der siegreichen Schlacht gegen die Dänen im Jahre 1252. 
Jeder Gau steht — wie gesagt — selbslständig, führt Krieg auf eigne 
Faust und kämpft nicht selten sogar mit dem Nachbar des eigenen 
Stammes. 

Diese Zustände sind nicht etwa abnorm, sondern liegen so 
ganz in der Natur der Verhältnisse, dass wir sie allenthalben, 



Einend is, vnd Hardeskoff gehegten myt den Husen vnd Eruen, de darin höret, also 
Heygincli Hus vnd Heygen seinen Wyweken Hus, HoUekin^ii Hus, Rnsinch Hus, 
Bruninch Hus, Barstelinch Hus vnd de Vtlimolen genompt — beleghen — in der 
.Marke vnd Burscapto Vthbodo in dem Kerspel to Aschendorpe. " Das. II .S. 424, 
1) Vgl, Sachsse, Hist. Grundlagen des deutschen Staats- und Rechtslöbeos 
S. 305, der übrigens hierbei viel zu weit geht« 

13* 



196 

I 

\ 

WO eine ähnliche Verfassung besteht, auch heute noch wiederfinden. 
.Ich verweise in dieser Hinsicht nur auf die Kämpfe im Kaukasus und 
auf den jüngsten -Krieg der Türken gegen Montenegro. Ungeachtet 
die Montenegriner schon ein Oberhaupt hatten, sahen wir die ein- 
zelnen Nahnien dennoch ganz nach freiem Willen sich an dem Kriege 
betheiligen. Nirgends trat der Fürst den Nahnien gegenüber gebie- 
tend auf, vielmehr erklärten diese zuweilen, nachdem sie bisher bei 
dem Kampfe unbetheiligt geblieben, nunmehr ebenwohl die Waffen 
ergreifen zu wollen. Deshalb richteten die türkischen Heerführer 
auch ihre Ansprachen meist an die einz^dnen Nahnien. 

Es ist im Vorhergehenden von mir schon mehrfach hervorge- 
hoben und zum Theil auch nachgewiesen worden , dass dieselben 
Bezirke im Verlaufe der Zeit nicht imme'r dieselbe Bedeutung behiel- 
ten. Gleichwie die Marken eine Reihe von Scheidungen erfahren, 
so war dieses auch mit den Gliederungen des Volkes der Fall, nur 
mit dem Unterschiede, dass bei den Abtheilungen des Volkes (abge- 
, sehen von dem bedeutungslosem Miltelgliede der Provinzen) jene 
vier, oder, da die Gesammlheit unverändert bleibt, richtiger jene drei 
Abstufungen, wenn auch nicht gerade örtlich, doch in ihrem Wesen 
stets unverändert und stetig bleiben ; denn jede neue Scheidung ver- 
mehrt unter Beibehaltung der hergebrachten Abstufungen nur die 
einzelnen Theile derselben. Die seitherige Dorfgemeinde (Decania) 
wird Cent, die seitherige Cent wird Gau, der seitherige Gau aber 
scheidet sich in mehrere Gaue. 

Um eine solche Trennung eines Gaues mit einer Thatsache zu 
belegen, lasse ich hier eine Darstellung des thüringischen Wester- 
gaues folgen. 

Der Westergau. 

Zwischen dem Eichsfelde und dem fränkischen Grabfelde lag der 
Westergau, so genannt im Gegensatz zu dem thüringischen Oster- 
gau. Obwohl jener Name^nur wenig vorkommt, so halte- ich ihn 
doch für den allgemeinen , weil er auch im Süden an der Gränze 
des Grabfeldes gebraucht wird, wo er, auf einen kleineren Bezirk 
beschränkt, den noth wendigen Gegensatz entbehren würde. Ur- 
sprünglich stand der Westergau unter einem Archidiakone , dem 
von Dorla, bis das Gebiet desselben in zwei Hälften, in eine nörd- 
liehe und eine südliche, geschieden wurde, wovon die letztere ihren 
Mittelpunkt in Eisenach erhielt. 



Die Urkunden nennen uns im Jahr 932: 

„Chirihbaringa" -r- Kirchbehring^en ; 

„Uuoluesbaringa^^ — Wolfsbehringen ; 

„Paringi" — Osterbaringen; 

„ Bisenuuinda " — unbekannt; 

„Hursilagemundi^^ — Hörsei, an der Mündung der Hörsei in die 
Werra; 

„Falchinaba" — Falken, zwischen Trefürt und Kreuzburg*); 

„Asbah^^ — unbekannt, denn Alsbacb, westlich von Gotha, liegt 
ausser der Gränze; 

„ Eckihardesleba " — ^Eckhard sieben ; 

„ Asguri", oder (wie jene Registratur sagt) „ Asgarunt" — Aschora, 
beim vorigen; 

„S^lzaha^^ — Langensalza; ^ 

„Dumiloha" — ■ Dorla; 
in pago Uaestgouue in Comitatu Meginwart *). 

Im folgenden' Jahre, 933, werden „in pago Vuestergouue in co- 
mitatu Meginvuarchi — Barcuelda et Bretinga " (Brachfeld und Brei- 
tungen zwischen Salzungen und Schmalkalden) genannt'). 

Der ganze Gau bildete also noch eine einzige Grafschaft. Das 
war aber im folgenden Jahrhundert schon anders. Der Gau war 
bereits in mehrere Gaue und Grafschaften getheilt und zwar auf 
den Grund der einzelnen grössern Marken , deren Bildung und nach- 
herige weitere Theilung sicher schon in weit Mherer Zeit vorausge- 
gangen war. Es waren fünf grössere Marken , in welche der Wester- 
gau getheilt wurde. 

Die mittlere war die Mark von Lupnitz (Lupencemarca in p. 
Turingiae) von welcher wir eine Beschreibung ihres Umfangs be- 
sitzen, welche 1012 aufgenommen Wurde, als die Abtei Fulda sich 
den königlichen Wildbann in derselben ertheilen liess. Obwohl ich 
nur die wenigsten der angegebenen Gränzpunkte zu erläutern ver- 
mag, so lässt sich die Gränze doch feststellen, wenn man die Be- 
schreibungen der nördlichen Gränzen des hersfeldischen Wildbanns 



1) In der Urkunde steht diea^er Name als Verbesserung über „Salchinähof^^ 
und eine alte Registratur lässt den letzteren Namen deshalb auch aus. 

2) Wenck a. a. 0. 111. Urkbch. S. 27. 

3) Schöppach , Henneberglsches Urkundenbuch S. 1. 



von 1016 und 1330*), sowie dte Arcbidiakonatsregister *) mH zu 

Hülfe nimmt. 

Hiernach begann die Gränze in der Werra und lief im Trocken- 
bache hinauf, worunter ich jenen kleinen Bach zwischen Falken und 
Zella erkenne, welcher noch heute die Aemter Trefurt und Kreuz- 
burg scheidet. Von da' zog sie südlich von Netza , zwischen diesem 
und Wernershausen hindurch , über das Hainich und den Reckenbiel 
und hielt sich in fortwährend südlicher Richtung auf der Wasser- 
scheide zwischen der Werra und Unstrut und zwar so, dass sie bis 
zum Nessethale mit der heutigen Gränze zusammenfiel. Nachdem 
sie jenes Thal oberhalb Ellenhausen überschritten , zog sie an Has- 
trungsfeld und Burla, beide uiit einscliliessend , hin und zu Sätel- 
städt über die Horsel. Weiter führte sie zwischen Sondra undKlein- 
sondra , sowie zwischen Seebach und Schmeerbach durch und bis zum 
Gerberstein , südlich von Ruhla. Hier wendete sie sich gegen Westen 
und hielt sich auf der noch heute bestehenden Gränze bis südlich 
von Wilhelmslhal , wo sie davon abweichend, sich zwischen Bur- 
chardrode und Eckardshausen durchzog und Marksuhla umschlang. 
Sie ging dann zwischen diesem und Wünschensuhl hindurch und 
führte in nordwestlicher Richtung , nördlich an Dietrichsberg vorüber, 
auf den links der Eller hinziehenden Bergrücken hin nach Sallmanns- 
hausen. 

Schon die Art und Weise wie die westliche .Gränze an die 
Werra gelegt wird, muss zu Zweifeln Veranlassung geben, dass 
dieses die eigentliche Markgränze sei und eine Vergleichung mit den 
dortigen kirchlichen Bezirken erhebt diese Zweifel zur Gewissheit. Ent- 
weder reichte die Mark' nicht bis zur Werra, oder ging noch über 
die Werra hinaus. Es wür beides der Fall und man halte, wie die- 
ses bei der Feststellung der Wildbanne häufig sich findet, die Werra 
als eine natürliche Gränze genommien, indem man das jenseits lie- 
gende Gebiet, durch diesseitiges zu einer andern Mark gehöriges, 
gewissermassen ersetzte, was im vorliegenden Falle um so leichter 
ging, als auch jenseits fuldischer Boden war, wofür dann auch noch 
besonders entscheidend der Umstand spricht, dass ein diesseits lie- 



1) Wenck a, a. 0. III, Urkbcli. S. 46 und v. Schuhes , dipl. Geschichte des 
giiäfi. Hauses Henneberg II. Urkbch. S. 94. Beide Gränzbeschreibungen sind er- 
läutert in Landau, Beitrage zur Geschichte der Jagd und Falknerei in Deutsch- 
land S. 40 u. 42 f. 

2) Stephan, Nene Sloffliefeningen H. IL S. 90. 



gender Ort zu dem jenseiligen Gebiete gezählt wird. Allein Anscheme 
nach waren es die erzpriesterlichen Sprengel von Lupnitz, Mila und 
Kreuzburg ^), welche die Mark von Lupnitz umfasste, so dass diese 
Mark nur von der Hörsei an stromabwärts über die Werra sich er- 
streckte und die Aemter Eisenach und Kreuzburg nebst einigen Dör- 
fern umfasste. 

Die Mark Lupnitz wurde derLuplnzgau genannt, wie die- 
ses eine Urkunde von 979 bezeugt, worin es heisst: „in fluuio quo- 
dam Hursilla vocalo, qui fluit in Lupinzgowe *). 

Von dem südwestlichsten dieser Gaue, welcher mit dem südlich- 
sten Dekanate des Archidiakona^s von Eisenach übereinstimmt, besitzen 
wir von zweien seiner südlichsten Marken Gränzbeschreibungen, nämlich 
von den Marken von Dorndorf und von Breitungen. DieGränz- 
beschreibung der Mark Dorndorf wurde im Jahre 786 aufgestellt'), 
als Karl der Grosse diese Mark an Hersfeld gab, die der Mark von 



1) S. Stephan a. a. 0. S. 99 u« 100. 
. 2) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 720. 
S) Wenck a. a. 0. III. ürkbch. S. 17. 

„A loco — Bathalacha" — der Hof Öadelachen an der Werra, östlich von 
Vach ; 

„per' medium gurgitem Uuisore usque ad locam , qui ab incolis Vuihingesboum- 
garlo** — durch den Werrafluss ^nach einem jetzt nicht mehr bekannten Orte; 

„et inde per plateam qae dicitur Hobastrazza" — sicher jene alte jetzt der 
Diebspfad genannte Hochstrasse, welche von Vach aus auf dem gegen N. 0. zie- 
henden Bergrücken hinläuft und bis in spätere Zeiten die Gerichte Kreuzberg, 
Heringen und Breitenbach von den Gerichten Kreienberg und Frauensee schied; 

„usque ad paludem, quae vocatur Widinsio" — unbekannt; 

„sicque iterum "per populärem 2)lateam ad vaHeni'qui dicitur Habuchodal'^ — 
in der alten über Marksuhl nach Breitungen führenden alteii nürnberger Strasse 
herab ; 

„ibique pervadato flumine ad.tumulos, qui vocantnr Hagenhougi*' — durch 
eine Fuhrt der Werra zu jetzt nicht mehr bekannten Hügeln; 

„et ihde ad vallem — Loubirindal** — unbekannt; 

„ sicque per devexitatem nemoris ,' slcut antiqua signa docent , usque trans 
fluviolam Feldaha^* — also durch die Werra und weiter über die Felda und zwar 
zwischen Lengsfeld undWeilar durch; 

„indeque per siivulam in Sclegilbah^* — - jetzt der Schlägelbach, westlich von 
Lengsfeld ; es ist noch ein Schlägelsteich und ein in die Oechse mündender 
Schlägelbach vorhanden ; 

„sicque iuxta locum, qui dicitur Steininfeld" — Steinehfeld ist das heutige 
Wölfjßrbütt im Gericht Völkershausen ; 

„circa montes, qui vocantur Uhsinebergu iterum ad Badalacha'* — von den 
Oechsenbergen über Wölferbütt nach Badelachen. 




MO 

Breitungen aber 933 aufgenommen^), wo König Heinrich I. diese 
Mark an Hersfeld vertauschte und deren Gränzen zugleich durch Ge- 
schworene feststellen liess. 

Obwohl die Gränze der Mark von Dorndorf in dem rechts 
der Werra liegenden Theile aus der Beschreibung selbst nicht völlig 
sicher zu stellen ist, so gibt doch die von Badelachen aus als Scheide 

1) Schoppach, Hennebergisches Urkundenbuch I. S. l. 

„Cuius principium est ubi Sueinaha cadit in Vuisftraha" — also von der 
Mundung der Schweina in die Werra, bei Barchfeld, wogegen jetzt der et- 
was westlicher liegende Fischbach die Granze bezeichnet; 

„et aic snrsum per eiasdem fiaminis alueum tendit ad orientales eins fontes, 
ubi oritur atque inde perueniet in locnm, qui dicitnr Gervueuestein '^ — bis zum 
Ursprung' der Schweina, weiche aus mehperen Quellen oberhalb des Schlosses 
Altenstein entsteht; östlich davon liegt der Gerbcrsteiu, ein steiler Berg, auf 
der Landesgranze und Wasserscheide des Thüringer Waldes zwischen Winterstein 
und Steinbach: 

„sicque pertendit finuiolam Drusandam, que nominatur Candida et ex ea in 
aliam Drusandam, quae dicitar nigra ^* — Die Druse, so wird der von Broterode 
herabkommende Bach jetzt erst unterhalb Herges genannt, damals^ scheint er aber 
diesen Namen bis zu seinen Quellen gehabt zu haben und dann mochte der B^r- 
bach die weifise und der Inselbach, der Broterode durchfliesst, die schwarze 
Druse gewesen sein; 

„Inde in Aldaha^' — eine alte aus dem 16. Jahrhundert stammende Karte 
nennt die südöstlich von Fambach vortretende Spitze des zwischen der Schmal- 
kalde und dem Fambach ausgebreiteten Waldes, welche durch die Gränze von 
diesem geschieden wird „der Aldt"; aber es lag auch ein Dorf daselbst — villa 
Alden — welches eine Urkunde von 1215 nennt; 

„et ex ea in directum ultra Vuisaraham et per ripam Rosaha" — durch die 
Werra in die am linken Ufer derselben bei Wemshausen mündende Rose; ' 

„sursum progreditur usque in Fisbach'^ — unbekannt; 

„Deinde in Marcbach" — dieser auch in dem Wildbanus Privileg von 1016 
(Wenck III. U. S. 46) genannte Bach scheint das kleine beim Busshof mündende 
Wasser zu sein, welches von einer ehemaligen Glashütte jetzt Glasbach ge- 
nannt wird ; 

„sicque pertenditur in thia Hagesboy chun '* — die hohe Buche, welche 
auch das vorerwähnte Privileg Hugisboucha und zwar als Scheidepunkt der Mar- 
ken von Rossdorf und Breitungen nennt; sie stand auf dem Abtswald südlich von 
Fraaenbreitungen ; 

„et sie transit in Ruodelahesbrunnen — • unbekannt; 

„et per montem , qui dicitur Blesse" — über die Blesse, einen ansehnlichen auch 
in dem Privileg von 1016 genannten Berg', in der Mitte zwischen Rosa und Langefeld ; 

„in Arahenbach" — der Armbach, welcher über Langefeld entspringt und 
bei Salzungen in die Werra mundet; 

„et per illam deorsnm in Vuisaraha sursnmque per illam usque ubi Sueinaha 
fluit in eam*' — durch den Armbach hinab bis zur Mündung der Schweina in 
die Werra. 



bezeichnete hohe Strasse einen deuUlchen Fingerzeig zur Ermittelung 
des Ganzen und es kann hiernach nur von den althersfeldischen Ge- 
bieten von Kreienberg und Frauensee die Rede sein. Die Gränze 
zog also von der Werra zwischen Springe und Heiligenrode, sowie 
Frauensee und Gosperode hindurch und südlich von Marksuhl wieder 
nach der Werra, und zwar dergestalt, dass sie auf der noch heute 
bestehenden Landesgränze zwischen Sachsen •Weimar und Sachsen- 
Meiningen bis gegen Lengsfeld fortzog, wo sie in westlicher Rich- 
tung zwischen Lengsfeld und Weilar, das schon zum Grabfelde 
gehörte, quer das Feldathal durchschnitt. Von da nahm sie 
ihren Weg ferner gegen Abend an der hohen Wart vorbei zum 
Schlägelbach, zwischen Wolferbütt (ehemals Steinenfeld genannt) 
und dem früheren auf dem alten Schalkesloh begründeten Kloster 
Mariengarten hindurch. Hier wendete sich die Gränze gegen Nor- 
den , indem sie an den westlichen Abhängen ' der beiden Oechsen* 
berge, von detien der südliche jetzt Dietrichsberg genannt wird, 
in der Weise hinlief, dass sie um den auf dem nordöstlichen Abhänge 
des Dietrichsberg liegenden Hof Poppenberg herum und so nach 
der Werra zog, welche sie zwischen Badelachen und Vacha über- 
schritt. 

Di€se Mark umfasste hiernisich die Gebiete von Frauensee, Kreien- 
berg, "Völkershausen und Stadt Lengsfeld. 

Die Beschreibung der Gränze der Mark Breitungen hebt an 
der Mündung der Schweina bei Barchfeld an , oder richtiger in der 
Fischa, welche nordwestlich die Fejdmark von Barchfeld berührt;* und 
zieht sich gegen Norden an der Schweina hinauf, Schweina sowohl 
als Altenstein mit einschliessend , bis zum Gerb^rstein, wo sie süd- 
lich sich wendend, um die Gemarkung von Broterode herum Jäuft, 
bis sie jenseits des Laulenbachs _den Seimberg, südlich von Brote- 
rode, erreicht. Von da an hält sie sich auf der First der zwischen 
dem Lauterbach (Druse) und der Schmalkalde herabziehenden Berge, 
dergestalt, dass Wallenburg, Nüsseis, Hessles, Kirrhof, Fambach 
und die Todtenwarth auf ihre innere Seiten fallen. Weiter zieht sie 
zwischen dem letzteren Orte und Mittelschmalkalden durch bis jen« 
seils Möckers und geht, nachdem sie dieses noch mit eingeschlossen, 
zwischen Schwallungen und dem kralacher Teiche über die Werra, 
und nordlich von Frankenberg hin bis zur Blesse, dann aber am 
rechten Arm des Armbachs hinab und zwischen Allendorf und Et- 
mershausen in die Werra. * 



Jene beiden Marken von Breitungen und Dorndorf wurden übri- 
gens noch durch ein Gebiet getrennt, welches in seiner Grösse so 
ziemlich jeder dieser Marken entsprach, nämlich durch das von Sal- 
zungen, welchen Ort schon eine Urkunde von 775 nennt ^). 

Da nun diese drei Marken in kirchlicher Beziehung unter einem 
erzpriesterlichen -Sprengel , dem von Hausen , einem ausgegangenen 
Orte dicht bei Salzungen , standen , also eine Einheit bildeten , so 
kann man dieselben unbedenklich auch als ursprünglich eine Mark 
betrachten. Aber diese eine Mark sehen wir, wie die Beschreibung 
der Mark von Dorndorf zeigt, schon 786 in drei Marken getrennt. 
Es war dieses also, gehen wir vom ganzen Gaue aus, die dritte 
Theilung. Aber' auch noch eine vierte hat stattgefunden, wie dieses 
die einzelnen Centen zeigen , in welche diese Marken späterhin ge- 
trennt erscheinen, und von welchen namentlich die noch 933 als 
Einheit beschriebene Mark von Breitungen um's Jahr 1340 in die Cen- 
ten von Breitungen, Frauen breitungen und Schweina getheilt war'). 
Der Name dieses Gaues ist' nicht bekannt, aber 1114 findet man 
ihn unter eignen Grafen : „ \ illa Bretingen — sita iuxta flumen Wir- 
rahe in comitatu Gozwini comitis" *). 

Habe ich die westliche Gränze der Mark Lupnitz richtig bezeich- 
net, dann kommt die andere mit den erzpriesterlichen Sprengein von 
Eckardshausen, Renda und Röhrda überein und erstreckte sich von 
der Wasserscheide zwischen Ruhla und der Hohesonne gegen Nord- 
westen, innerhalb der oben erläuterten angeblichen Gränze der Mark 
Lupnilz bis zur Mündung des Kuhbachs in die Werra und umfasste 
jenseits derselben den südlichen Theil des buttlarschen Gerichts nebst 
den Gerichten Netra und Sonlra, so dass an der Sontra hinab Rei- 
chensachspn der letzte Ort gegen Norden war, wo die Germaremark 
und namentlich das zu derselben gehörige Gericht Bischhausen die 
Gränze bildete. 

Dieser leztere Bezirk stand schon frühe unter eigenen Grafen 
und würde der Ringgau genannt, ein Name mit dem noch heute 
die Umgegend von Brandenfels belegt wird. Man lernt diesen Gau 
aus mehreren bisher gänzlich übersehenen Urkunden kennen. Es 
sind dieses folgende: , 



1) Wenck a. ä. 0. III. ürkbch. S. 8. . 

2) V, Schuhes, Coburg. Geschichte des Mittetall. Urkbch. S. 70. Es werden 
hier jedoch nur die beiden ersten Centen genannt, die dritte stellt sich aber bei 
einer Vergleichung von selbst heraus. 

3) Kuchenbecker, Anal. hass. XII. S21f 



8. Jahrh. : „ ClingeiBburc (sicher derselbe Ort, welcher 1333 
Kling, auf der Karte des preuss. Generalstabs Klingersberg, 
gewöhnlich aber Krie'gersberg genannt wird) — in pago Rinec- ' 
gowe super fluuium Sulaha'' ^). Hier kann nur die über Marksuhl 
fliessende Suhla gemeint sein. 

993: „uilla Gangesdal — in pago Reinicbgouue — in comitatu 
Sigifridi comitis" •). — Ganglhal, Wüstung zwischen Kraulhausen und 
Breitau. 

1016: „ Herleicheshuson — in pago Beinicgowe in comiitatu 
Sigfridi comilis" ') — Herleshausen an der Werra. 

1025 : „comitatu? Nederne in pago Renicgouue** *) — Netra. 

Auch bei diesem Ripggaue wird eine Untergliederung bemerk« 
bar. Namentlich werden uns von dem oben unter 1025 genannten 
„comitatus Nederne" im Jahre 1141 eine Zahl einzelner Orte genannt, 
von denen Netra, Röhrda und Datterode noch heute bestehen, und 
zwar mit dem Zusätze: „in pago, qui dicitur Nedere fluvium Nede- 
raha" ^). Eine andere Mark, südlich von der vorigen, ist die ,,comitia 
Reinde", welche eine Urkunde des dreizehnten Jahrhunderts nennt. 

Die vierte Mark des Westgaues wurde yon der Werra in 
zwei Hälften getheilt. Ihr Hauptoxt ist zwar unbekannt, aber 
wahrscheinlich war dieses Gers tungen. Einen Theil der westlichen 
Gränze zeichnet uns eine aus dem fünfzehnten Jahrhundert stam- 
mende Abschrift einer Beschreibung derselben, welche ich hier nur 
im Auszuge wiedergebe, weil sie für einen Abdruck zu mangelhaft 
ist. Am Laufert („Laufent^*), einer Höhe nördlich über Heimbolds- 
hausen, am linken Werraufer, beginnend , führt dieselbe auf die Höhe 
des Seulings Waldes und hier über die Herfa nach Frondorf (Wüstung) 
dann zwischen Herfa und Eitzenrode (Wüstung) hindurch , mitten 
über die Höhe, genannt das Hohenrod (unbekannt), hinter dem Schwar- 
zenberge (ein Berg, der in dem durch die Vereinigung der Herfa mit 
einen^ kleinen Nebenbache gebildeten Winkel oberhalb Wolfershausen 
liegt und auf Herfa und Bengendorf stösst) und dem Lönberg („ Leon- 
berge", zwischen den Quellen der beiden vorgenannten Bäche) und 
südlich von Hönebach hin „bis zu den Horden, das ist mitten auf 



1) Dronke, Cod. dipl. Fuld. p. 43. Dronke hält die Urkimde für zwei- 
felhaft. 

2) Wenck a. a. 0. III. 37. 

3) Uugedruckt. 

4) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 739. 

5) Orig, Guelf. IV. 526. 



t04 

dem SeulingswaJde auf dem Höcljsten*' über Hönebach, dann hin- 
ter Hönebach an der alten Landwehr herab bis in die. Schläge 
zwischen Senlingssee (jetzt Grossensee) und Hönebach; von 
diesen Schlägen nach der Ecke über das Guntzels (der zwischen 
Grossensee und Hönebach rechts in den Hönebach fallende 
kleine Bach), nach dem Kremmings (jetzt der hohe Krems zwi- 
schen Machtlos und Bellers), zu dem Eckwege-, zu den hohen 
Bäumen zwischen Vorwerks (ein Wald zwischen Konnrode und 
Bauhaus) und Belderichs (Bellers) , hinter Süss (das Dorf Süss) 
hin nach der Steinrinnen (zwischen Süss und Blankenbach), nach 
dem Ärnsberge (östlich über Blankenbach), nach der Wüste 
(südlich von Berlitzgrube) , nach der Beritsgrube (Berlitzgrube) 
bis auf den Bilstein zwischen Neustadt und Wommen (die Sal 
mannshausen .gegenüber liegende Höhe).' Schon das hersfeldi 
sehe Wildbanns Privileg vom J. 1005 *) deutet diese Gränze an. 

Dass zu dieser Mark auch die südlicher liegenden Gerichte 
von Vach und Kreuzberg (Philippsthal) gehörten, zeigt schon 
ihre kirchliche Verbindung. Weiter aber gehörten auch noch 
die Gerichte Heringen und Berka dazu. Was das letztere be- 
trifft, so reichte dasselbe bis Wünschensuhl, wie dieses nament- 
lich eine Urkunde des Landgrafen Albert von Thüringen von 
1284 bezeugt , worin es heisst : „ quod homines in villa Winde- 
schensola residentes nostrum plebescitum in Berka annis , sin- 
gulis ter faciendum frequentabunt." Die Gränze führte demnach 
von Heimboldshausen zwischen der Nippe und Ransbach hin- 
durch, zwischen Niederbreitzbach und Pferdsdorf, über die Ul- 
ster und wendete sich zwischen Melters und Hüttenrode gegen 
Osten, wo sie, Moos und Deicherode mit einschliessend, auf den 
Höhen hinzog und am Dietrichsberge mit der schön oben beschrie- 
benen südlichsten Gränze der Mark Dorndorf zusammenstiess. 

Obwohl der Gauname dieser Mark sich nicht in der Gau- 
zeit findet, .so hat er sich doch erhalten und ist sogar heute 
noch üblich; dieser Name ist Gerstengau. So finden wir 
1464 den „Gerstingouve", 1580 wird Neustadt, unter Gerstun- 
gen , in den Gerstengau gesetzt und um dieselbe Zeit sagt eine 
Handschrift „ im Gerstengau bei den Seen " , nämlich dem Seu- 
lingssee. ' ^ 

Nur die nördlichste Mark des Wester -Gaues scheint den 



1) Rncfaenbecker , AnnaJ. bass. Coli. Xlf. p. 317. 



ms 

alten Namen noch länger beibehalten z\i haben , denn 1015 fin- 
det man „Wanifredmn (A^anfiied) in comitatu Hemezonis in pago 
Westergowi*)", sowie 1016 „Heroldeshusun (Heroldshausen bei 
Langensalza) in pago Unesterun in comitatu Hemezonis comi- 
tis')*'. Es war diese Mark also ebenfalls ein besonderer Gau 
und eine selbstständige Grafschaft geworden. 

Die Gränze dieser Mark begann, indem deren südwestli- 
cher Theil sich an die Ost- und Nordgränze der Mark Lupnitz 
anschloss, vom linken Ufer der Nessa, auf dem noch Ebenheim, 
Weingarten, Sonneborn, Nordhofen und Eberstädt dazu gehörten, 
und zog östlich an Hochheim und Eckardtsleben hin bis zurUnstrut, 
welche sie zwischen Langensalza und Gräfentonna erreichte ; dann 
führte sie in der Unstrut hinauf bis Hüngeda und hier sich westlich 
wendend bis nördlich von Wanfried in die Werra, jenseits dersel- 
ben £de noch die Dörfer Grossenbursla und Völkershausen mit 
einschloss. Indem sie sich nun wieder westlich wendete, fiel sie 
vom Hofe Teufelsthal an mit der noch heute über den Heller- 
stein und durch Schnellmannshausen führenden Landesgränze 
dergestalt zusammen , dass auch sie zwischen Falken und Zelle 
die Werra überschritt. 

Wir sehen also den Westergau in fünf Gaue .zerfallen : den 
Westergau, den Lupnitzgau, den Ringgau, den Gerstengau und ei- 
nen fünften, dessen Name nicht bekannt ist. Alle diese sehen wir . 
sich dann weiter theilen. Der letztere namentlich schied sich in 
drei weitere Marken , in die von Salzungen , Dorndorf und Brei- 
tingen. Auch diese schieden sich wieder und zwar die letzte 
wiederum in drei Marken. - 

Das eben gegebene Beispiel zeigt deutlich, wie die 
alten Unterabtheilungen (Centen) des Gaues Hauptabtheilun- 
gen wurden, die alten Zehntschaften aber zu Hundertschaften her- 
auf rückten. Mit dieser Veränderung in der Stellung zog sich 
zugleich der alte Name des bisherigen Gesammtgaues auf en- 
tere Gränzen zurück. Wie der alte Namen der grossen Mark 
zxQetzt nur noch an der kleineren Mark des Urdorfes haften bleibt, 
eben so bleibt auch der alte Gaunamen mit dem engem Bezirk 
des alten Gaumittelpunktes verknüpft. Aus diesem Grunde fin- * 
det sich so häufig derselbe Name in doppelter Bedeutung, so- 



1) Wenck a. a. 0. III. S. 44; das noch weiter uod gleichfalls als in diesen 
Gau gehörig geoaimte Lintfrideshnsiui ist mir anbekaont. 

2) LedderhgBe, kleine Schriften U. 280. 



S06 

wohl fiir einen engem, als einen weitem Bezirk. Wie wir die- 
ses vorhin beim Westergaue gesehen, werden wir dasselbe auch 
bei den meisten andern Gauen wieder finden. 

Leider sind die älteren Nachrichten zu dürftig, als daas 
diese Gleichheit und Uebereinstimmung in den Verhältnissen al- 
lenthalben mit gleicher Bestimmtheit nachgewiesen werden kön- 
nen, oder es gehören doch dazu meistens so specielle Untersu- 
chungen, wie man diese nur in der Nähe, wo man reiche Hülfs- 
mittel zur Hand hat, voraehmeii kann. Indessen weisen doch 
zuweilen schon einzelne Urkunden auf jene Trennungen 
hin. So erscheint der Nahegau als eine Abtheilung des Wormö- 
gaues, ebenso zerfallt der Thurgau in mehrere Gaue *) und auch 
im alten Sachsenlande begegnen wir der gleichen Erscheinung. 
Es widerspricht dieses freihfch der Annahme der meisten For- 
scher. Nach -diesen sollen nämlich die Sachsen nur eine einzige 
kleine Abtheilung in kleine Gaue, welche in ihrem Umfange 
den fränkischen Centßn entsprochen, aber keine Centen gehabt 
haben und erst durch Karl den Grossen die fränkische Gauverfas- 
sung eingeführt und durch Vereinigung einer Anzahl kleiner 
Gaue grössere Grafschaften gebildet worden sein'*). Dass dem 
aber nicht so, «ist unschwer darzuthun. Abgesehen davon, dass 
schon an und für sich jener Zeit ein solches Organisiren etwas 
durchaus Fremdes ist, wird auch jeder unbefangene Blick in die 
sächsischen Gauverhältnisse zur Ueberzeugung führen, dass biet 
von keiner „aufgedrungenen" Volksgliederung die Rede sein 
kann , vielmehr auch die Sachsen seit uralter Zeit ganz dieselbe 
Volkseinth eilung besassen, welche auch anderwärts sich findet. 
Es würde keine Schwierigkeit haben , den Beweis hierfür durch 
die Ausführung eines Gaues zu geben, es lässt sich derselbe 
jedoch auf einem kurzem Wege erlangen. Man erinnere sich, 
dass ich oben nachgewiesen habe, wie in Folge der Scheidun- 



1) Die Nachweise folgen weiter unten. 

2) So Kindlinger in s. Geschichte der deutschen Hörigkeit S. 78.; Seibert 
in Wigand's wesiph. Archiv VI. S. 120; Wigand in s. Werke üher das Femgericht 
Westphalcns S. 30 o. 104, s. Geschichte der Abtei Korvefi elc. I. S. 8 a.^19, sowie s. 
korveiischen Güterbesiu S. 195; nach ihm hatte die BeneoniiDg der Gaue mehr im 
Gebraocho der Kanzleieo, als im Monde des Volkes. gelegen. Ferner Schaums nn 
in 8. Geschichte des niedersächs. Volkes S. 228, welcher sogar die neue weitiiehe 
Eintheiluog auf die vorhergeschaffene kirchliche EintheHung bauen lAsst; Länlzel, 
die ftllere Diözese Hildesheim S. 65^ nach welohem die „atfgedrmigeneii Grafeadiiige** 
schon frühe wieder beseitigt worden seien. 



gen der grossem, Gaue der Name derselben stets auf ein enge- 
res Gebiet übergeht, so dass also derselbe Name zu gleicher 
Zeit ein weiteres und ein diesem angehöriges engeres Gebiet 
bezeichnet. Dieses finden wir auch in Sachsen. Es sind drei 
grosse Gebiete, in welche das Volk sich theilte: Westphalen, 
Ostphalen und zwischen beiden Engern. Jedes dieser Gebiete 
zerfallt nun wieder in kleinere Gaue, von denen je einer wie- 
der den alten Hauptnamen trägt. So findet sich in Westpha- 
len ein Gau Westphalen, in Ostphalen ^in Gau Ostphalen 
und in Engem ein Gau Engern. Der Bestand der beiden er- 
sten ist anerkannt, der letztere hingegen bisher noch un- 
bemerkt geblieben; es ist dies der hessische Sachsengau, wel- 
cher deshalb so genannt wurde, weil er der Herrschaft der Hes- 
sen unterworfen worden war, der aber neben diesem Namen 
auch häufig noch unter seinem altem Namen Engern sich fin- 
det. Weist dieses nicht ganz bestimmt darauf hin, dass jene 
drc^j uns in der Stellung als Provinzen entgegen tretenden 
Gaue ursprüngüch drei einheitliche erst später weiter getheilte 
Gaue gewesen sein müssen? und wenn das, dass dann von ei- 
ner willkürlichen Organisatio.n nicht mehr die Rede sein kann? 
Wem aber das noch nicht genügen sollte, den verweise ich 
auf jenen sächsischen Gauhäuptling, der bei seiner Unterwer- 
fung unter Karl den Grossen ausdrücklich als Bannerherr über 
Tausend (Pana of Thoüsand) bezeichnet wird'). 

Dass bei den fortgesetzten Trennungen die Marken stets die 
Grundlagen abgaben, das ersieht man auch aus dem Umstände, dass 
beide, Gau und Mark, häufig als identisch betrachtet werden. Schon 
dass die thüringische Germaremark als Gau keinen Namen hatte, 
sondern der Name der Mark zugleich als Gauname diente, gibt dafür 
einen Beleg. Derselbe Fall kehrt auch in' Westphalen her der Mark 
Stürmede wieder. Aber auch Urkundenstellen lassen sich dafür an- 
fuhren. So heisst es z.B. 792: „hoc est infra marcha illa, qui voca- 
tur Muntariheshuntari ^) ". In ähnlicher Weise liest man 748 „ Stabu- 
laus in Ardenne fundo situm " und „ in pago et comitatu Ar- 
duenna*)". Im Jahr 763 wird die Bertholdsbare als, Gau und 
zugleich als Mark bezeichnet*), obwohl eine, frühere Urkun- 



1) Hannover. Magazin XXVI. S. 483 u. 509. 

2) Wirtembg. Ukbcli. S. 42» 

3) Ritz, ükbch. 3 u. 12. ' - 

4} „In pago et in sito, qui dicUorPeiahtoltespara*f Wirtembg. Ukbch. I. S. 7. 



«06 

de uns auch schon mit einer • Untermark derselben bekannt 
macht*). 

Was endlich noch den germanischen Gauen eigenthümlich 
ist, sind ihre Namen. Ich muss dieses hier schon berühren, ob- 
gleich ich später noch einmal darauf zurückkommen muss. Während 
nämlich die nicht germanischen , Gaunamen sämmtlich von Städ- 
ten entlehnt sind, zeigen sich dagegen die germanischen Gau- 
namen durchweg als allgemeine Landschaftsnamen. Theils sind 
sie von dem im Gaue wohnenden Volksstamme (pagus Hasso- 
rum), theils von Bergen (Harzgau), theils von allgemeinen ört- 
lichen Bezeichnungen (Grabfeld), theils und dieses zum bei wei- 
tem grössten Theile von durchfliessenden Gewässern (Lahngau, 
Rheingau) entnommen, und selbst auf den eroberten fremden Boden 
trugen die Germanen häufig diese Bezeichnungsweise mit über. 

Auch bei den (alten) Centen scheint diese Bezeichnungs- 
weise die vorherrschend übliche gewesen zu sein, obwohl es 
sich hier nicht mit gleicher Bestimmtheit nachweisen l^st, 
und nur die Centen der spätem Zeit (die alten Dekanien) machen 
eine bestimmte Ausnahme* davon , indem' ihre Namen stets von 
ihrem Hauptorte entnommen sind. 

Jene Gliederung des Volks in Länder (Provinzen), Gaue, 
Centen und Dekanien finden wir übrigens nicht blos bei allen 
germanischen Völkern, sondern auch bei allen andern, über de- 
ren Verfassung wir genügende Nachrichten besitzen, namentlich 
auch bei den romanischen und slavischen. 

Eine gedrängte Zusammenstellung soll dieses nachweisen. 

Treten wir zuerst zu den den Nordstrand von der Maas bis 
zur Weser bewohnenden Friesen. Diese theilten sich in drei 
oder vier Hauptstämme oder Lande, und jede dieser Provinzen 
bestand aus mehreren Gauen — Ga und Go genannt'), deren 
Unterabtheilungen in ältester Zeit Hunderi genannt werden, 
worauf wenigstens eine Urkunde des westlichen Frieslands von 
839 hinweist (S. S. 192.). Gewöhnlicher findet sich jedoch für 
die Centen die Bezeichnung ,Gaue und wenigstens im Wester- 
und Ostergaue Deele (z. B. Wonseradeel) ^) , was einen Ge- 



1) 759: ia villa Boasiaheim, in pago , qui dicitur Bertoldisbara et in sito Vel- 
dira. Neugart, C. d. Allem. 30. 

2) S. Die fünf münsterscben Gaue und die sieben Seelande Frieslands. Von L 
Ledebnr. . 

8) V. Ledebur a. a. 0. S. 60 u. 69. 



\ 
/ 



nda(tsb6zirk bezercMi^t *) ; cs^ ^eliört jedoch diese Benennung 
schon einer spätem Zeit jan , gleich wie auch die schon allge- 
öieinere Benennung Gritenien*). 

Der dänische Volksstamm hatte ursprünglich Seeland und 
die nahen. Inselil und frühe auch schon Schonen (Scania) und 
HaBand inne. Auf ^em vormals cimberischen Jütland aher saser 
das Volk der Angeln, welches aus dem Südeii von der Elbe 
gekommen; nur den Westen, von dessen Festland ein grossei? 
Theil vom Meere fortgerissen worden, hatte ein friesischer Volk»» 
stamm eingenommen, tind zwar sowohl das Festland selbst^ als 
das Inselmeer. Nachdem im fünften christlichen Jähi'hundeili 
die Angeln den Sachsen nach Britannien folgten , 'traten an ihre 
Stelle auf Jütland und Fühnen düniöche Stämme , welche -aus 
dem Südwesten Skandinaviens Guten oder Juten mitbrachten 
und seit dem Eintritt des sechsten Jahrhunderts sehen wir die 
dänische Herrschaft bis zur Sachsengränze verbreitet ^ welche 
nicht lange nachher durch die Aufrichtung einer mächtigen , daa 
Festland zwischen der Schlei und der Treene (der alten Eider) 
schliessenden Landwehr, des berühmten Danewirks, bezeichnet 
wurde*). Der Stamm der Angeln schwand mehr und mehr und 
findet sich jetzt nur noch auf der kleinen aber fruchtbaren Strek- 
ke des östlichen Jütlands zwischen Schleswig und Flensburgi 
immer noch ein überraschendes Abbild seiner nach der briti- 
schen Insel übergesiedelten Vorfahren gewährend. Völlig ver- 
schieden davon ist die durch einen öden Haiderücken geschie- 
dene Westküste. Man sieht hier ein .anderes Land und ein an- 
deres Volk. Theils auf dem Festlande, theils auf den von den 



1) V. Riebthofen, Allft-iesische» Wörterbn^ S. 682. ^ 

2) V. Ledebur a. a.. 0. S. 59. n. v. Richtbofen a. a. 0. S. 784. 

^) Nicht die südlichere- Eider , wie auch Wippermatm in der „ kurzen SUalsge-« 
schichte der Herzogthümer Schleswig nnd Holstein S. I anoimmt, sondern die nörd- 
liche Eider, die jetzige Treene, ist es, anf welche die Gränzberichtignng zwischen 
JölteoA iiod SaehseDtaad geslälat wur4«i- üeberhatifkl haaea derartige Landwehren nicht 
bl4>s- einen iniliCairiMfaen Zvveok, si>nd«rn diedten ansserdem auch noch .zur SicbePung 
(Fixirung) des Gränzzugs, und raussten deshalb nothwendig anf oder nächst derGräha» 
selbst angelegt werden , wovon D^hlmatin< (Geschichte von Dänemark I. S. 23;) mehrere 
Beispiele ans England nachweist. 0er Namb' Eider bezeichnet selbst einen Grädzfläss^ 
Ndbeves hieröber sowoM, als iosbesoinder^ aber dbs Danewirk s. in Outzeo's Cnter- 
suchangen über die denkwürdigsten Altseptbümer Schleswigs und des Daneiwerks. AUbni^ 
1826.* Torznglich §. 24.; weiter Dahlmann a. a. 0. S. 70 f. und Rankefs lahrbflcber 
des deutschen Reichs S. I. 113 f. nnd die Excnrse S. 16 f. 

Landau. Territorien. X4: 



«10 

Ruthen des Meeres gebildeten Inseln wohnt hier der Nord- oder 
Strandfriese, im steten Kampfe mit der stürmischen Fluth, zu 
welchem Zwecke mächtige Deiche aufgeworfen und die stattli- 
chen Wohnungen auf künstliche Hügel'gestellt sind *)• Biese süd- 
liche Hälfte von Jütland nannte man Südjütland, bis diese Bezeich- 
nung durch den Namen des an der Schlei liegenden alten Süastorps, 
des heutigen Schleswigs (Sliaswik), verdrängt wurde. Erst nach- 
dem die deutsche Mark zwischen dem Danewirk xmd der Sü- 
dereider an Dänemark gelangt, und noch zu Südjütland ge- 
schlagen worden, bildeten beide vereinigt das Herzogthum 
Schleswig *). 

Wenden' wir uns nun zu der alten Eintheilung der däni- 
schen Lande und fassen davon zuerst Jütland ins Auge. 

Nordjütland, das heutige Jütland, war in 4 Provinzen und 
jede derselben in 3 Sysel getheilt, jedes Sysel aber zerfiel wie- 
der in mehrere Härets; Südjütland hingegen, jedoch mit Aus- 
schluss Nordfrieslands , in 4 Sysel. Wie der Sysel unserm Gaue, 
so entspricht das Häfet unserer Centena. Die Namen der Sy- 
sel sind sämmtlich Landschafts- oder nationale Namen. Der 
nördlichste Sysel, der Wendsysel, kommt schon in der Ynglin- 
gen Saga (Kap. 31,) vor; denn der schwedische König Ottar 
beeret in Vendil und verödet das Land, wofür er den Namen 
Vendilkräka (Wendükrähe) erhält. Auch die Sage Hakon des 
Guten (Kap. 22.) nennt Vendli und noch 1340 findet man Wen- 
desusel ^). Der „Thythaesysäl", welcher 1340 „Dudesusel" ge- 
nannt wird*), hat seinen Namen wahrscheinlich von „Tiod" '). 
Aehnlich ist der Charakter aller übrigen Syselnamen: Salingsy- 
säl, Harthesysäl, Himbersysäl, Omungärsysäl, Abosysäl u. s.w. 

Der Name der Härets is^ dagegen beinahe durchgängig yon 
dem Hauptorte jedes Härets entlehnt, z. B. Ulburghäret von, 
riburg, Jarlezhäret von Jarlez, Jalynghäret von Jalinge u. s. w. 



1) Eine interessante Schilderung der Gegensitze der friesischen nnd angetscheo 
Küsten s. in Eivers Werii: Der nationale Standpunkt in Beziehung auf Recht, Staat 
und Kirche. S. VI ff. 

2) Im J. 1424 heisst es : „ dat Hertochdom to Sleswik , anders geheten to Jot- 
lande.'* Langebek, Script. Rer. Danicar. VII. p. 378. 

3) DrkundensammluDg der Schleswig-Holstein-Lauenburgscben Geselisch. Mr Taler- 
Und. Geschichte von Michelseo. II. S. 106. Weiteres s. Langebek 1. c. VII. 560 f. 

4) Das. S. 106. ' 

6) Langebek I. c. 661. 



Sil 



Zuweilen werden auch zwei durch ihre Lage bezeichnet, z. B. 
Nörrae- und Syndrehäret, das Nord- und Südhäret der im Sa* 
lyngsysel liegenden Insel Morsö. Die südlichsten dieser Bezirke, ' 
nämlich Syndrägöshäret , Aräldshäret und Släshäret lehnen sich 
an die Treene, das Danewirk und die Schlei und hiermit endet 
die nordische Bezeichnung , ein sicherer Beweis , dass hier auch 
die Granze zwischen» Jütland und Sachsen ist *). 

In jene jütischen Sysel werden westlich auch noch drei 
friesische Härets mit eingeschlossen , nämlich Kyarähäret in den 
Elamsysel, und die beiden Nörrä- und Syndrägöshäret in den Ista- 
thesysel. Diese , welche zusammen die Vofgeest genannt wer- 
den, gehörten unmittelbar zum Herzogthume Südjütland und 
i ihre Einwohner werden ausdrücklich als „Frysones de lege dani- 
ca", die andern aber als „Frysones de lege frysonica" bezeichnet*). 
Das Land der letztem, der eigenthch freien oder königlichen 
Friesen, über welche den dänischen Königen nur eine Oberhoheit 
zustand, wird von dänischer Seite das Utland (Ausland) ge- 
nannt. Wenn nun auch in diesem sich südwärts^ bis zur breiten 
Mündung der Eider ausdehnenden Gebiete sich die Theilung in 
Härets findet ^) , so vermisst man doch die Syseleintheilung. An 
deren Statt bestand eine Theilung in zwei Landschaften, in die 
Landschaft Eiderstädt oder die Dreilande mit drei Härets, und 
in den s. g. Strand mit sieben Härets *). Dieselbe Thei- 
lung in Sysel und Harden oder Härets, welche das westhche 
Dänenreich hatte, besass auch das östliche, welches Seeland, 
Pühnen u. s. w. nebst Schonen und Hailand umschloss. Nur 
fehlt es hier an Nachrichten, um die Sysel auch allenthalben 
geographisch feststellen zu können. *) 



1) Auf der Karte bei Langebek 1. c. Yll. wird zwar auch noch lioks der Schlei 
Swansö als Häret bezeichnet , in dem Lib. censas Daniae R. Waldemari II. (Langebek 
1. c. VII. p. 522.) jsteht aber nur einfach Swansö , und es beruht jene Bezeichnung 
sicher auf einem eben so mangelhaflen Grunde, als wenn man auch südlich des Da- 
newirks ?oii ^ii/em Kropp-Hftret redet. 

2) Michelsen, Nordfriesland im Mittelalter. S. 56. 

3) 1187 : „In ütlandia in tribus navigiis iuxta Ederam seil. Tunnighaeret, Gellhing- 
haeret, Hollnebohaeret''. Thorkelin, Diplomat. I. p. 61. 

4) Heimrich , nordfriesiscbe Cbron. , herausgegeb. v. Falk. 1. S. 90 f. , ?. Rieht- 
hofen, Friesische Rechtsquelien S. 578., und Michelsen a. a. 0. S. 51. 

5) Vergleiche Dahlmann , Gesch. DänAnarks I. 142. Seeland wurden um's Jahr 
1170 3 Sysel gegeben: „Et alleram, scilicet sanctae Mariae scut de duabns Susle, tan- 
tarn videlicet de Wesire Susle et de Myadle Snsle. Thorkelin. Diplomatar. I. 29. Der 



Für die Dekanie kenne kh übrigens weder bei den Prie-» 
»en noch bei den Dänen einen auf das Zahlenyerhältniss hin^ 
weisendem Namen. Daraus lässt sich aber keineswegs schliesr 
sen, dass die Dekanien selbst hier mangelten. Wie bei den 
Sachsen, .und im Norden überhaupt ist es auch hier das Kirch- 
spiel, in welchem uns die alte Bauerschaft entgegentritt. *) 

Norwegen (in alter Form Noreg) wird als Gesammtländ 
Thiodlönd genannt, d. h. Land eines einigen Volks.*). Als 
solches zufiel es in rnehrere Provinzen oder Volksländer — 
F'ölklönd'öna und jedes dieser theilte sich wieder in mehrere 
Gsxte oder Fylki, jedes Fylki aber bestand aus drei oder Tier 
auch wohl mehr Hundertschaften, welche hier ganz nach dem- 
selben Wortbegriffe Härade genannt wurden^). 

Die längs der Küsten gelegenen Fylken nennt uns noch 
das Te^aimtent des Königs Magnus von 1277, worin jedes Fylki 
oder Fulke, wie daselbst der Name geschrieben ist, als ein© 
p]M>vincia bezeichnet wird, z. R in provincia, quae dicitur Raum- 
dela fulke*). 



dri4te wftre also der Ostsysel. Ebenso waren die 23 Harden in Schonen Qerra Sca- 
nia), in. drei auf dieselbe Weise benannte Sysel getheilt. Da König Christoph U. be* 
stimmt, das8 Fiihnen fiit* (pro) 2, Seland für 3 und jedes Eiland ffir 1 Sysel gelten; 
sollten (computabilur) , so muss die Syseleintbeilung schon ungebräacblich geworden 
sein , was freilich bei dem geringen Umfange der Inseln auch um se leichter gesche- 
hen konnte. Dass man die Bezeichnung Sysel aber auch auf Gegenden ^'iberliog, wo 
dieselbe sonst nie gebräuchlich gewesen, ersieht man daraus, dass im Süden Norwe- 
g^$ Bezir-ke mit diesem Namen belegt werden. Schon 1277 wird die „provincia Bor- 
^r syslo^' iTborkelin l c. I. p. 253 u. 2^0 genannt und 1343 übergibt König Magnus 
von Norwegen seiner Gemahlin und seinen Kindern „Bagahusiam et Matstrandiam, uni- 
vefsamque Elvarsyslam , excepto Ordost, universam Raumarikiam, Vortenherrid et om- 
nera Borgarsylam'^ (Tor faei Bist B^r.Norvegic. IV. p. 470.)* Nicht minder reden auch 
norweg. Urkunden von 1293 u. 1297 von SyslamcinQ, Sysloroen, Syslomannam (Thor- 
kßWjfK 1, Q. H. p. 2;01 u, 261.) 

1;) 117,0: yM par<]!chia deTyeraeby — videlicet in Sweostojrp, Skwröth» S{)onh«lt. 
ei, Thoaek^pp^* (Tl^O/rkßliaU c.'I. p« 46); 12G1 1 Wm terra in AggisiorpoMKc ia paro* 
chia Bitreth'^ '(ibid. 11. p. 410); 1295: „in parochja I)a(tdeby et. ini Norg^sbel!I»l ia- 
Lyn ngselh mark ^^ (Michelsen, Schleswig- Hol8t.-Lanenbg> Ukbch* S. 141.) > 

2) So werd«a sowohl Norwegen als Ofinemark im 12. Kap. disr Saga vom König 
Olaf Tryggwason genannt, S. Snorri Sturlnson's Heimskringla Saga. UebersaUt von 
Wapbter. Leipzig 1885 u. 1836. 

3) Ynglingen Saga. Kap. 30.- n. 3h 

4t) l^angebek. U c. T. VI p. 24^. Karten über die alta. Ejnlheilung: Norwegeas; fin- 
d.et, mjin in Heim^kringla, edr Norags Konungüi Sogar af Snorm >Stiiria«|*iiu £d» a, 
S^P^nioi^ HavAi«« 1777, T. 1. 



Die Namen der einzeineu Pyiken siftd theils zusftmmetige- 
setzt mit Land (Hordaland, Halogaland u. s. w.), theils mit 
heim> gothisch heims d. i. Land (Thrandheim , und Alfenheim, 
theils mit Feld O^estfold), theils mit Reich (Raümariki, Ra- 
nariki, Ringariki), theils mit Thal (Naumdal, Raumsdal, Stiör- 
dal), theils mit Mark (Heidmark, Wingulmark, Thelamark)> 
oder <is sind einfache Namen, wie z. B. Wik d. h. die ßu<5ht), 
Sogne, Thota, Valdrits, Agdur, Mari u. s. w. 

Gleich wie in Norwegen war es auch in Schweden. Das- 
fefelbe bestand ursprünghch aus zwei selbstständigen Reichen. 
DaiS nördliche , das alte Mannheim , das eigentliche Svithiod öder 
Sveareieh, wegen seiner hohem Lage auch das Upland genannt, 
zerfiel in mehrere Gaue, Folklande (Volklande) genannt, und 
jeder derselben wieder in eine Anzahl Hundari; und eben so 
war es auch im südlichen*, im Gothenreich, nur dass hier die 
Hundertschaften Härade genannt wurden*). Die Zehntschaft 
sowohl in Schweden als Norwegen ist dagegen, ganz wie in 
Dänemark das Kirchspiel, und wahrscheinlich ist es auch das- 
selbe, was in Schweden durch Socken oder Sochne bezeichhet 
wird*). .Doch findet sich dafür auch die auf die ZehiTzahl sich 
beziehende Bezeichnung tiua manna hopr d. 1. der Zehn- 
Männer -Haufe *). 

Die drei Gaue der schwedischen Uplande sind nach der 
Zahl ihrer Centen genannt: Tiundaland d. i. das Land der zeha 
Hundertschaften, Attundaland d. i. das Land der acht Hundert- 
schaften und Fjardhundraland d. i. das Land der Vierhundert- 
schaften» Andere werden nach ihrer Lage bezeichnet, so Sü- 
dermannaland und Westmannaland, Ost- und Westgothland. 
Alle tragen allgemein nicht^von einem einzelnen Hauptorte ent- 
lehnte Namen. 

Island Wurde erst im neunten Jahrhundert von Steandina^ 
vien aus bevölkert, und es trugen die Einwanderer die Verfas- 
sung ded Mutterlandes mit zu dem £ilande hinüber und wenn 



1) Gejjer, Gesch. von Schweden I. -6. 63 f. Slrinnholra , Wikingszuge, üebersetzl 
von Frisch. U. S. 22 f. 

2) Reuterdahl , Gesch. der ■ schwedischen Kirche , nberseUt von Majerhoff. 1. S. 
26. n. Sachssft a. a. 0. S. 250, 279, 280. 

3) Sacbsse a. a. 0. S....262. 



tl4 

auch nicht durchweg die alten Namen blieben, so blieben doch 
die Grundzüge unverändert. Wir sehen die Insel in vier Vier- 
tel — Fjerdingar — (Gaue) getheilt, deren Namen ihrer Lage 
nach den Weltgegenden entsprechen: Süderviertel , Westervier- 
tel, Norderviertel und Osterviertel, von denen die drei ersten 
noch besondere Namen nach den grossen Seebuchten führen, 
an welchen sie liegen: Ranga-, Breidfirder- und* Eyafiord- Vier- 
tel. Jedes dieser Viertel theilte sich wieder in Harden , drei da- 
von in drei, das Norderviertel aber in vier. Jede Harde aber 
war wieder in drei Haupthöfe (Opferplätze) oder in Drittel — Hrepp 
genannt — getheilt, welche ihrem Wesen nach der germani- 
schen Zehntschaft entsprechend betrachtet werden müssen, denn 
jedes bestand aus mindestens 20 Familien *). 

Die durch ganz Skandinavien sich^ zeigende Aehnlichkeit 
mit der germanischen Namens -Bildupg der Gaue sucht man da- 
gegen vergebens in England. 

Hier, wo sich die alten Bezirke länger als anderwärts er- 
halten haben, finden wir zwar wieder das lateinische pagus *) und in 
der heimischen Sprache Ga und Shire, aber die Namen dieser 
Bezirke sind meist von dem Hauptorte, einer Stadt oder einem Bo- 
rough, entlehnt, wonach also jede Shire als^die Mark ihres Haüpt- 
ortes betrachtet werden muss. Die Namens-Bildung ist von der 
Art, dass dem Namen des Hauptorts das Wort Shire angefügt ist, 
z. B. Lincolnshire von Lincoln, Hamptshire von Sudhamton u. s. w. 
Wo aber auch andere Namensformen vorkommen, stehen bei- 
der Namen doch immer in einer sofort erkenntlichen Beziehung 
zu einander, wie Norfolk und Norwich, Kent und Kanterbury, 
Wilts und Wilton u. s. w. Und ganz dasselbe zeigt sieh auch 
in Schottland und Irland. 

Darum wird häufig auch statt des Gebietes nur der Haupt- 
ort genannt und auch die Bewohner der Shire erhalten von die- 
sem ihren Namen. Worcestershire wird, je nachdem das 6e- 
biet oder dessen Einsassen bezeichnet werden sollen, bald pro- 
vincia Hwiccorum*), bald gens Huiccorum*), bald auch Ünigoma 



1) DahimaDn , Gesch. Dänemarks II. S. 184 ff. Strinnholm a. a. 0. II. S. 20 ff. 
Sachsse a. a. 0. S. 285 ff. 

2) 891 : „iD pago Dornsetan''. Kemble, Cod. dipl. Sax. Anglor. 11. p. 128 ; 901 : 
„in pago Hampton^S Ibid, p. 140. 

8) Kemble 1. c. I. nr. 304 u. 306. 
4) Ibid. nr. 90. 



«1» 

ciuitas oder in einer angelsächsischen Uebersetzung derselben 
Urkunde Wigracestre ') genannt. Dass diese englischen Städte 
nicht erst durch die Bömer begründet worden , bedarf kaum ei- 
nes besondem Beweises, da schon in dieser Art der Bezeich- 
nung ihrer Gebiete ein genügender Beleg für ihr hohes Alter 
liegt, obwohl es auch historisch nachweisbar ist, dass wie Lon- 
don, so auch »noch viele andere englische Städte ein über die 
römische Herrschaft hinausreichendes Alter besitzen*). 

Die Benennung der Unterabtheilungen der Shireii ist nicht 
allenthalben dieselbe. Im Lateinischen wird zwar jede centu- 
ria genannt, in der heimischen Sprache aber wechseln nach den 
verschiedenen Gegenden die Bezeichnungen.Hundrede, Wa^ 
pentake und Sheeding. Von diesen ist Hundrede jedoch die 
allgemeinste und ganz dem nordischen Härad uiid dem altdeut- 
schen Hundari entsprechend^). • Wapentake iindcft sich dagegen 
niu» in York und Nottingham und scheint ganz insbesondere von 
.der Heertheilung entnommen zu sein, und Sheeding (Seegericht) 
hat nur die Insel Man. 

Die unterste Volksabtheilung endlich ist die Decania, De- 
curia oder Decima*), also die Zehiitschaft, im Angelsächsi- 
schen Tittinga oder Teoding genannt. 

Was die Grösse dieser Bezirke betriflPb , so zeigt sich diese 
. in der grösstmöglichsten Mannichfaltigkeit, und bei einer Verglei-: 
chung nach den einzelnen Gegenden stellt sich die Thatsache her* 
aus, dass die fruchtbarsten die kleinsten, die von der Natur stief- 
mütterlich bedachten die grössten besitzen. Während Kent 62 
und Sussex 64 Hundreden hat, besitzt Norfolk, obwohl d§r 
Grösse nach die fünfte Grafschaft des Beichs, nur 33 Hundre- 
den und dennoch 660 Kirchspiele mehr als jede andere Graf- 
schaft. Ebenso hat SuflFolk 21 Hundreden mit 575 Kirchspielen 
und Essex 20 Hundreden mit 415 Kirchspielen. Dagegen besitzt 
Lancashire nur 6, Cheshire 7, Comwall 9, Northumberland 7 
und Kumberland sogar nur 5 Hundreden. Während manche 
Hundrede kaum eine Geviertmeile mit 1000 Bewohnern umfasst, 
umschliess^h andere, namentlich die Hundertschaften von Lan- 



1) Ibid. nr. 154, auch Uoegrinacaester, üoeogorna caestre ff. 

2) Vergl. MaDnert, Geogr. der Griechen und Römer II. 2. Abth. S. 119. 

3) 964: „dimidiam centuriam, quod anglice Calhburgdawcs Hundred**. Kemble. 
1. c. II. nr. 514 ". 

4) Speimann I. c. p. 164 ff. 



eashire, durchschnittlich je 300 Geviertmeilen , ja eine , nämlick 
die von Salford, in welcher Manchester liegt, sogar über 6011,000 
Bewohner, ähnlich wie die Hundrede Westerby, zu welcher Li- 
verpool gehört, an 400,000 Bewohner. , ^ 

Die heutigen Shiren sind übrigens nicht mehr die alten ; 
die meisten derselben bestehen nämlich aus einer Vereinigung 
mehrerer Shiren, so dass sie höchst wahrscheinlich grösstentheils 
ehemalige Landschaften (provinciae) sind. Zu dieser Annahme 
fuhrt mich zunächst der Umstand, dass man schon in ältester 
Zeit an vierzig Völkerschaften zählt *) und dass noch heute vier- 
zig Shiren bestehen und jedes Bisthum eine Shire umfasst. 
Kent, das jetzt eine Shire bildet, hatte — was ich -weiter unten 
nachweisen werde — zu ein und derselben Zeit mindestens drei 
TJnterkönige. Es war demnach jedenfalls in mehrere Shiren ge- 
theilt. Noch fieute sehen wir sein^ 62 Hundreden auch wirk- 
lich in fünf La th es (Laestum) ^) getheilt, deren Vorstände ganz 
die Stelle der Centenarien einnehmen. Es kann dieses nicht an- 
ders, als durch eine rückgängige Bewegung erklärt werden, in 
Folge der die Provinz zur Shire, die Shire zur Hundrede wur- 
de. Die alte kenti^che Shire hatte demnach eine andere je- 
denfalls tiralte Bezeichnung, welche an das nordische Lethin^ 
erinnert. Auch das isländische „leid" (conventus) weist dar- 
auf hin. 

Aehnlich ist es sicher auch mit der in Sussex sich finden- 
den Bezirkstheilung in Rapes, (rapa und rapus)^), so wie leicht 
möglich auch mit der in York und Lincoln üblichen. Abtheilung in 
Thridings (Drittheile), welche sich in ersterm noch als Ridings 
erhalten habön. Doch ging weder hier, noch in Sussex, York 
und Lincoln die Bedeutung der Hundrede verloren. 

Dass alle diese Bezirke auch in England auf uralten Grund- 
lagen beruhen und seit ihrer Bildung im Wesentlichen unverän- 
dert sich erhalten haben, ist nicht zu bezweifeln, um so schwieri- 
ger dagegen die Frage, in wie weit die Verbindung mehrerer sol-, 
eher Gaue zu einem Lande mit den alten landschaftlichen Verbindun- 
gen übereinstimmt. Dass derartige Verbindungen schon zur Zeit 



1) Lingard, Gesch. t. England (v. Salis) 1. S. 10. . 
. 2) Spelroann 1. c. p. 348. . . 

3) Spelmann 1. c. 478.479. Das isländische hreppr ist wohl nicht daranf su 
beziehen. 



tlt 

der Römer vorhanden waren, ergibt sich aus der Thfitsache, dass 
bereits damals die Maaten atis fünf Stämmen bestanden. Aber 
was helfen die alten Namen ohne genaue geographische Bestim- 
mung? Nur in Kent hat der alte Name sich auch das alte Ge- 
biet erhalten; während bei Mircenien dieses schon ^zweifelhaft 
ist; alle andern Namen sind durch die sächsischen und engli- 
schen Eroberer verdrängt, weil der Name der Sieger allenthal- 
ben an. die Stelle der Besiegten trat. So entstanden namentlich: 
provincia orientallum Saxanorum oder Eastsaxanorum (Essex), 
provincia occidentalium Saxanorum oder Westsaxanonim (Wes- 
s«x) , provincia australium Saxanorum oder Suthsaxanorum' (Sus- 
sex), provincia Middelsax^norum (Middlessex) , provincia orienta- 
llum Anglorum oder Eastanglorum (Ostangeln) u.s.w. 

Aehnliches wie in England, sehen wir auch in Frankreich. 
Auch Frankreich bestand aus einer Zahl von grossem Landschaf- 
ten, welche von selbstständigen Völkerschaften bewohnt wurden. 
Jede dieser Landschaften zerfiel in mehrere Gaue (pagi) und der 
Grau war wieder inCenten zerlegt. Diese werden bald centena, 
bald actus oder vicaria genannt. ^ Jede Cent aber umschloss meh- 
rere Marken. Einige Belege mögen dieses 'zeigen. In einer Ur- 
kunde heisst es: „in centena Oscarense, in fine Cratmulense in 
oppidoipso Cratmulense", in einer andern: „in fine Congoviana — 
in actu Oscarense^* und in einer dritten „in pago Uscarense in fine 
Marciniacense " *). Die Cent genannte umschloss demnach min- 
destens drei Marken. 

Diese Thatsache liefert ebenso einfach als unwiderieglich 
den Beweis, daSs auch die Decanie in Frankreich nicht fehlte'). 
Aber auch der Name findet sich in den Urkunden ; das Güterver- 
zeichniss der Abtei St. Germain vom Jahr 812 nennt Decanien 
an verschiedenen Orten und jede derselben sieht man aus einet 
Anzahl Dörfer bestehen'). 



1) Gn^rard, Polyptyque T. I. P. I. p. 173. Gii^ranl in s. Essai siir le ^stime 
des Divisions terriloriales de ia Gaule p. 145 führt die centena Oscarensis als selbst- 
standigen Gao auf, und es mangelt ibm die centena. Z« jenem aber zählt er 8 Marken. 

2) Noch die neuern Forscher stellen nämlich deren Vorhaadeoseifli entschieden in 
Abrede. Gu^rard , Essai elc« p. 65 und Polyptyque de TAbb^ Inninon etc T. 1. p. 
44. 456 ff. . 

3) S. das Register z. Polyptyque IL, wo die lange Reihe der Stellen angezeigt 
ist. Gu^rard bftlt nAmlich^ die decania für die cortis , und beid^ fallen, irie schon 
oben bemerkt worden ist , allei:dings oft zusammen, 



«18 

Das Land jedes Volksstammes trägt den Namen einer ci- 
Titas , und dasselbe ist auch wieder mit jedem Gaue der Fall ; 
ob auch der Mittelpunkt jeder Cent ebenwohl ein fester Ort 
war, vermag ich jedoch nicht nachzuweisen. 

Der Mittelpunkt des Landes der Aeduer war Augustodu* 
numi welches Tacitus „caputgentis" nennt*). Es war also ganz 
dasselbe, was Mattium war. Neue Städte waren von da aus auf 
dem alten Stadtgebiete gegründet worden und die Gebiete die- 
ser Städte w^urden die Gaue, welche die spätere Zeit uns zeigt, 
weshalb diese Bezirke auch die Namen jener Städte tragen. 
Von diesen Gauen ist der zunächst die alte Hauptstadt um- 
schliessende auch nach dieser genannt: pagus Augustodunen- 
sis^); die civitas Alesia gab dem pagus Alsensis');. die civi- 
tas Avallo .dem pagus Avalensis ^) ; die civitas Belnesia dem pa- 
gus Belnensis *} ; die civitas Duismensis dem pagus Duismensis *) ; 
die civitas Pauliacum dem pagus PauHacensis''); die civitas Mor- 
venna dem pagus Morvennensis ®) den Namen. 

Wie Autun der Mittelpunkt der Aeduer, so war Durocörto- 
rum (ftheims) die Stadt der Remer^) und ihr Gebiet zertheilte 
sich in sechs Gaue. Ebenso hatte Vesontio (Besancon) , nach 
Cäsar*®) „oppidum maximum Sequanorum" ein in sieben Gaue 
getheiltes Gebiet u. s. w. 

Ganz dieselbe staatliche Gliederung, wie sie im Vorher- 
gehenden gezeigt worden ist , findet sich . auch in Spanien und 
Italien und überhaupt durch die ganze alte Welt, wenn auch oft 
nur in mehr oder minder, deutlichen Umrissen. Um jedoch 
meine Vergleichungen nicht zu weit auszudehnen", will ich 
jetzt nur noch die Slaven in's Auge fassen. 

Die aus dem neunten Jahrhundert stammende slavische 
Völkertafel von St. Emmeran zählt die slavischen Völker nach 



1) Annal. III. c. 43. 

2) 696: „in pago AngnslidiineDse^^ Pardessas, Diplomata — ad res Galio-Fran- 
cias spect. 11. p. 248. 

3) 721: ,Jd agro Burnaciose in pago Alsinse*^ Pardessus II. 823 a< 834. 

4) 635: ,iiQ pago Avalense^*. Pardessus ' II. p. 37. 

5) 664: „io.pago Belnensi'^ Pardessus II ff. 135. 

6) 721 : „in pago Duismense^^ Pardessns II ff. 325. 

7) 721: „in pago Pauliacense'^ Pardessus II ff. 824 u. 322. 

8) Goönird 1. e. p. 144. 

9) Caesar de gall. bell. VI. c. 43.- 

10) Ibid. I. c. 28. 



«1» 

« 

» 

regiones und civitates auf, d. h. nach liändem und Gauen. Böh* 
men hatte hiemach 15 civitates. Eine solche civitas war der 
feste Häuptort eines Gaues, so dass also Böhmen 15 Städte mit 
15 Gauen hatte. Jeder Gau theilte sich wieder in eine Anzahl 
Bezirke, von denen jeder ebeh Vohl eine feste Burg als Mittel- 
punkt besass. „Dat ei ciuitatem Gradecz — heisst es in einer 
Urkunde — et totam adjacentem cum quatuor castellis provin- 
ciam " *). 

Ein solches Land nennt die altslavische Sprache z i e m j e *), 
die Abtheilungen eines solchen aber powjaty oder zupy, auch 
zu da, die lateinischen Quellen aber brauchen dafür districtus 
und pagus^). Die Abtheilungen des Stadtgebietes werden auch 
castellatura und castellania genannt, polnisch grod- 
Btow*). Schon Constantinus Porphyrogenitus sagt von dem 
Kroatengebiete am adriatischen Meere: Diuisa est eorum regio 
in Zupanias. 

Wir haben also hier die Gaue und Hundertschafben. Aber 
auch die Zehntschaft ist nachweisbar; ja es zeigt sich dieselbe so- 
gar unter derselljen Benennung, nämlich als decania. Man be- 
gegnet ihr sowohl in kärnthener ^) als in brixener Urkunden •) und 
noch unzweifelhafter als diese zeigt eine Urkunde von 777 die 
slavische Zehntschaft, indem sie dieselbe ausdrücklich als eine 
„ decaniam Sclavorum " mit ihrem Vorstande aufführt '^, Sonst 
wird die slavische Zehntschaft gleich den beiden obem Abthei- 
lungen auch zupy genannt, so dass demnach dieses Wort, gleich- 
wie das deutsche Gau, für alle Abtheilungen gebraucht wird. 
Deshalb wird in dem Gesetzbuche Königs Stephan von ri49 
das Dorf, welches sonst selo und wes heisst, auch shupa ge- 



1) Palacky, Geschiclile Böhmens II. S. '20. Anmcrkg. 35. 

2) Scbafarik, Slav. Althertb. H. S. 401. 

3) Das. S. 674. 

4) Die befestigten Orte nennt nämlich die altslavische Sprache hrad oder grad, 
die polnische grody, die russische gorod u. s. w. 

5) 995: „Proprietäten! — ad Vairzchan in partibus Karanthaniae , in comitata 
Harlwici et in Decania VVolframmi'S t. Hormayr sämmtl. Werbe I.S.219; und „in 
provincia Karantana, in regimine Hartwici Waltpotonis, in Tega nia Perahtoldi ". Das. 
1. S. 8. 

6) „Et ut nuUus judex pubiicus, comes aut «xactor, sive decanus sivecentena- 
rins'vel quilibet ex judiciaria potestate in ecciesias «at loca vel agros" etc. das. I. S. 26. 

7) MoD. boica XXVU. 2. p. 198. 



niomt^) na&d Linde in Beiaem polnischen Wörterbuche jgibt für 
Snpunia sogar Tillicatio. Eine sonst in den lateinischen Ur- 
kunden häufig dafür vorkommende Bezeichnung aber ist vici- 
nia. (S. oben S. 149.) 

Das Hauptdoif einer jeden* Zehntschaft erscheint stets mit 
dem Marktrechte versehen, z. B. im J. 1215: ,,curiam et viUam 
forensem, que Knenicz nominatur, cum villis adjacentibus*)* 
und hatte immer eine Tabeme; auch wurde nicht selten eine 
Burg darin errichtet. 

I^ nichts verschieden von der Eintheilung der rein slavi- 
schen Länder ist auch die der auf slavischem Boden errichteten 
deutschen Markgrafschaften, nur dass hier die slavischen Be- 
zeichnungen zum Theil durch deutsche verdrängt worden sind. 
Der Gai4 wird hier pagus und Gau, die Castellania Burg- 
wart genannt. Im Jahr 1040 finden wir die „Burgwarda Suiza ^) " 
und 1063„Sulzaet — tota terra, quae pertinet ad Suiza*)". 
Nur die Zehntschafl hat hin und wieder noch ihre slavische Be- 
Zeichnung und zwar bis in neuere Zeiten erhalten. Dieses zeigt 
sich insbesondere im* Amte Meissen , welches in 16 Supanien 
zerfiel, von denen die kleinste 3, die grösste 37 flörfer umfasste *). 

In den Markgrafschaften lag nur insofern eine Abweichung 
von der deutschen Verfassung, dass stets mehrere Gaue zu ei- 
ner Mark vereinigt waren. Natürlich ist die Bedeutung dieser 
Bezeichnung hier eine andere, als die, welche oben nachgewie- 
sen worden ist, indem sich dieselbe ausschliesslich auf die Lage 
dieser Bezirke an der Gränze bezieht, weshalb auch ihre innere 
Einrichtung lediglich darauf hinaus lief, das Reich nach Aussen 
zu schützen. Die zu diesem Zwecke vorhandenen Einrichtungen 
waren aber keineswegs neue Schöpfungen, sie waren vielmehr 
nur eine Erweiterung und Vervollständigung der alten slavischen 
Befestigungen. Denn wie in den östlichen Slavenländem hat 
auch hier jeder Gau eine Hauptfeste und ist in eine Anzahl von 
Burgwarten zertheilt, von denen jede eben wohl wieder ihre 
feste Burg hat. 

Wie die Marken auf slavischem Boden, so sehen wir auch 



1) KannsiD, Gesch. des russ. Reiches I. S. 61. 

2) Boczek 1. rc. H. 80. s 

3) SciiöUgen , de Bargwardiis Saxon. in o(misc mio. p. 95. 

4) Mittbeilangeo aus dem Gebiete bislor. antiquar. Forschuirgen 4» H% S. 103« 

5) SchöUgeD in der obersächs. Nachlese 1. S. 22. 



tf& 



die Mark Flandern ansK vier Gauen zusammengesetzt, und jeder 
dieser Gaue findet sich in Chätelenies, flämisch Casselreien, ge- 
theilt, und Gleiches zeigt sich auch in den englischen Marken. 

Dass alle mit solchen festen Haupt- und Mittelpunkten erschei- 
nende Gaue wjiridich nichts anderes als die ursprünglichen Stadt-, 
marken waren, ergibt sich auch aus zahlreichen Urkunden. Imt 
Jahre 805 wird z. B. ein Graf der "Stadt Dorobernia (Kanter- 
^xary) genannt*). Dieselbe Bezeichnungsweise kommt auch ia 
firanzQsischen Urkunden häufig vor*), und dass darunter nicht 
der Ort selbst im engern Sinne, sondern das ganze Gebiet, näm- 
lich der pagus, verstanden werden muss, zeigt sich deutlich da- 
rin, dass auch Dörfer in die Stadt gesetzt werden^). Deshalb 
spricht auch Ammianus Marcelünus (XVI, 2) von den Territo- 
riea der rheinischen Städte (temtoria earum) und Gregor von. 
Tours (VIII, 18) erzählt, wie ein Graf den „pagum urbis", also den. 
ihmt als Grafschaft überwiesenen Gau umritten habe. In demselben, 
Sinne nennen sich auch die Bischöfe häufig als Bischöfe der 
S^dte z. B". 523 : „ urbis Lugdunensis archiepiscopus *' *) , wenig 
i^päter „ episcopus civitatis (auch urbis) Remorum" ^) und 8G8: 
„LJiidbertus humilis Mogunciacensis civitatis archiepiscopus " ^). 

Die Verschiedenheit, zwischen beiden Arten des Wohnena 
gibt sich übrigens, auch durch den in ältereroZeit in Deutsch- 
land gänzlich fremden Frohndienst zu den Burgbauten zu erken- 
nen, der dagegen in England j') Frankreich, den Slavenländern. 
u. s. w. *) schon seit ältester Zeit ganz allgemein war. 



1) „Alilbun, qui in bac regali uilla inlustris ciuitalis (Dorobernia) praefeclus 
fuit". Remble 1. c. I. nr. 189. 

2) S. die voD Waitz a. a. 0: II. 321 gesammelten Stellen. 

3) 839: „ aJiquam paj'tem terrae iuris mei hoc: nnain uiUam inlra ciuitate 
Döronerniae et ad illis perlineotia XXIIII ingeras tarnen in duabus locis in Dorouer- 
nia ciaitatis intra muri» ciiiitatis X ingera civm niculis praedictis et in aquilone prae- 
d^tae ciuitalis XIJII iugera bislis terminibus circumiacenlibas etc'^ Kemble 1. c. II. 
nr. 1. ; desgleichen 895: „ totam terram mearn in oppido in Frekeham in pago Sutb- 
folci.e". Ibid. II. nr. 322. 

4) Pardessus 1. c. I. ^71. 

5) Ibid. 84. 

6) Lenkfeld , Antiq. HalbersU p. 620. 

7) Bei Kemble finden sich zahlreiche Beispiele schon aus, den- älleslen Zeilen. In 
den Briefen über Dienslbefreiungen werden regelmässig; ausgenommen die Verpflichtung^u 
,,. . . pontis et arcis conslructione et exgedllione contra hostem*^ oder wie die ge- 
wölwliche Formel lautet: „tribus exceplis expeditione, pontis > arcisqne conslroelioae^S 

8) Röppel, Gesch. Polens S. 313 ff. 



2) Die Bedeutung der Zahlnamen. 

Wie hat sich jene allgemeine Uebere^nstimmung in der 
Grliederung so verschiedenartiger Völker gebildet? Liegen hier 
Naturgesetze zu Grunde , welche nach einer bestimmten Noth- 
wendigkeit immer und allenthalben dieselben Wirkungen hatten 
und zu denselben Resultaten führten? Was diese Erscheinung 
aber noch wunderbarer macht, sind die allenthalbjen dieser Thei- 
lung zur Grundlage dienenden Zahlenverhältnisse. Sowohl bei 
den Deutschen, als den GaUiem und Angelsachsen finden wir 
als unterstes Glied die -Zehn (Decania), als höheres die Hundert 
(Centena). Aber auch die Tausendschaft wird ausdrücklich ge- 
nannt. Als diß sächsischen Grossen sich Karl dem Grossen 
schriftlich zum Christenthume verpflichteten, nennt sich einer 
derselben Pana of Thousand d. i. Bannerherr einer Tausend- 
schaft, und Rhabanus Maurus erklärt in seinem Glossar das Wort 
Ambact mann, womit zuweilen die comites bezeichnet werden, 
durch „tribunus, qui mille viris praeest*)". Nicht wenigerfindet 
man diese Zahl bei den Skandinaviern 2). Dasselbe ist der Fall 
bei den italischen Volkern; schon die Römer hatten Decurien 
und Centurien. Nach Procop ^) standen die Vandalen „ sub 
ducibus -^ quos millenis praefectos vocant". Vollständiger 
noch gibt das westgothische Gesetz diese Zahlenfolge. Hier 
weist uns die Bezeichnung des Gaus Xhyuphadum auf 1000 , die 
der Cent Hundaphadum auf 100 und die der Dekanie Taihunpha- 
dum auf 10 *), Aber auch bei den slavischen und tartarischen 
Stämmen Jbegegnen wir diesen Zahlen. Für die erstern bezeugt 
uns dieses Nestor *). Bei den russischen Slaven wurde das Heer 
in Desäthi (Decuria), Sotni (Genturia) und Tysätschi (Tausende) 
getheilt ®). Ebenso benannten die Mongolen ihre Abtheilungen 
nach jenen Zahlenstufen. Wir finden bei denselben die Abthei- 
lungen von Zehntausend , Toman oder Tuman genannt , mit ihrem 
Führer, den Zehntausender oder Temnick; von Tausend, He- 



1) Sacbsse a. a. 0. S. 290 u. 303. 

2) S. die Belege bei Sachsse S. 303. ' 

3) de hello Vandal. I. 5. 

4) Leg. Wisigoth. ap. Canciani IV. Aschhach, Geschichte der Westgelhen S. 204 
ond Lemhke, Gesch. Spaniens f. S. 177 n. 209. 

5) Strahl, Geschichte des russ. Staats I. 423. 

6) Bulgarin , RussUnd , übersetzt von Bracke). I. S. 289. S. auch Geschichte des 
russischen Reichs Ton Karamsin. I. S« 195. 



«S3 

sare genannt ; von Hundert , Sade genannt und endlich von Zehn, 
Dehe genannt; die Emire der vier letzten heissen die Emire der 
vier Keschik. Und hiemach wurden auch die einzelnen Bezirke, 
die Tomane , bezeichnet *). 

Endlich sehen wir auch schon in frühester Zeit die Hebe- 
räer bei ihrem Auszuge aus Egypten in Haufen von Tausend und 
Hundert eingetheilt und in dieser Ordnung ihre lange Wande- 
rung fortsetzen und in solchen Abtheilungen auch in die Schlach- 
ten ziehen ^). 

Es ist schon oft über die Grundlage gesprochen worden, 
auf welcher diese Zahlen beruhten;, die einen sehen darin eine 
Abtheilung des Heeres, die andern eine entsprechende Zahl von 
freien Grundwehren, so dass also z. B. die Hundertschaft ur- 
sprünglich aus 100 Hufen bestanden hätte. 

Für' die letztere Ansicht scheinen allerdings einige- angel- 
sächsische Urkunden zu sprechen. In einer derselben Von 903 
gibt König Alfred einem Kloster eine Hundcede mit 100 dazu 
gehörigen Höfen *) und in einer andern Urkunde von 964 wird 
einß halbe Hundrede mit 50 Hiden genannt*). Doch dieses be- 
ruht jedenfalls nur auf einem zufälligen Zusammentreffen, denn 
eine derartige Gliederung des Grundbesitzes nach Zahlen ist zu 
widernatürlich, als dass man sie für ausführbar halten könnte. 
Auch nicht ein Jahrzehnt würde sie Bestand haben können, da 
die Vermehrung der Bevölkerung auch sofort immer eine Er- 
weiterung des Anbaues nothwendig macht. Dass "diese Abthei- 
lungen sich aber auch wirklich nicht auf den Grundbesitz be- 
liehen, beweist unwiderleglich die oben angeführte Thatsache, 
dass dieselbe Zahlengliederung auch bei den Mongolen und den 
Juden , also auch bei nomadischen Völkejn , sich findet , denn 
auch die letztern hatten auf ihrer Wanderung keinen andern 
Charakter. 

Wohl haben auch nomadische Völker Bezirke , welche' sie 
bewohnen und als ihnen ausschliesslich zustehend betrachten. 



1) V. Hammer- Pnrgstali, Geschichte der goldenen Horde etc. S. 212 u. 238. 

2) Moses IV. C. 31. v. 4, 14, 48, 52 u. 54. 

8) „qnendam fundum, quem indigeoae Myceldefer appellanl, cum suo hundredo 
et appendicibns, habeos ceutum cassatos et ecclesiam.^* Kemble I. c. H. nr. 336. 

4) „Sed etdimidtum centurialum, quod anglice vocatur.Cudburgehlawes hnndred, 
ad qood iacent L hidae in Croppedonie.*' ibid. VI. append. nr. 514. 



SS4 

\ 

Die nomadisirenden Lappen ia den Finnmarken halten sich 
stets in gewissen Kirchspielen und reden hiemach auch ver- 
schiedene Dialekte; ebenso hatte je^er skythische Stamm sei- 
nen bestimmten Landstrich, in- dem er herumzog, und dasselbe 
sehen wir auch noch heute bei allen nomadischen Völkern* Es 
sind indessen die Gebiete solcher Nomadenstämme wesentlich 
von denen ansässiger Stämme verschieden ; denn es mangelt 
ihnen mit dem festen Ansitze auch der Privatbesitz und der 
ganze Boden hat die Natur der gemeinen Mark. Es fehlt also 
jedes Mittel zu einer solchen Abtheilung. 

So wenig sich jene Zahlennamen demnach auf den t?rund- 
besitz beziehen können , eben so wenig können sie aber auch auf 
einer bleibenden Abtheilung des Volkes beruht haben, denn wir 
sehen allenthalben fest abgegränzte Bezirke und noch in einem 
grossem Masse , als das beim Grundbesitz der Fall ist , die Zahl 
der Familien einem fortwährenden Wechsel unterworfen. 

Schon bei den Germanen waren jene Bezeichnungen nur 
noch Namen , wie Tacitus *) ausdrücklich bezeugt ; eben so Itesff 
die römische Decurie und Centurie keinen Schluss äuf die Zahl 
ihrer Mitglieder zu, indem diese vielmehr durchweg verschie- 
den war, und dasselbe wird auch von den mongolischen Ab- 
theihingen berichtet *). Immer sind es nur Namen , keine 
Zahlen. .. 

Also nicht auf dem Grundbesitze und eben so wenig auf 
der Zahl der sesshaften Familien können jene Eintheilungeri und 
deren Bezeichnungen beruhen. Ausser diesen gibt es aber nur 
noch ein Drittes, welches eine ungezwungene Erklärung bietet, 
und dieses ist der Zustand vor der Sesshaftwerdung oder vor 
der Einwanderung und Niederlassung. Auch im rohesten Zu- 
stande bedarf jeder grössere Haufen einer bestimmten Ord- 
nung, einer Gliederung in kleinere und grössere Theile, wenn 
eine Führung und Lenkung zu einem bestimmten Zwecke mög- 
lich sein solk Aber auch hachdem er sich festgesetzt, be- 
durfte der Haufen nach imiaiber einer Ordnung, weil er auch in. 
dem festen Ansitze in wenig veränderter Weise seinen kriegeri- 
schen Charakter beibehielt. Er bedurfte auch hier einer Ord- 
nung, welche ein schnelles Aufgebot , ein rasches Sammeln, ein 



1) Germ. c. 6. 

2) T. Hammer - Pufgstall a. a. ö. S. 244. 



imz^^eifelhaftes Gliedern der eins^elnen Theile zu einen Gan^u 
möglich machte, überhaupt eine Ordnung, welche jedem derge-» 
ßtalt bewusst war, dass er schon vorher den Platz kannte, 
welchen er im grossen Ganzen einzunehmen hatte. Das war 
aber auf keine andere Weise zu erreichen, als dass man sich 
in derselben Ordnung , wie diese auf dem Zuge bestanden , auch 
sesshaft machte. So blieb das Volk auch ferner das Heer. Mög-* 
lieh, dass schon in der Zeit von dem Auszuge bis zur Nieder- 
lassung diese Gliederung nach bestimmten Zahlen bereits hin 
und wieder verschoben worden und die einzelnen Abtheilungen 
mehr nur noch Namen als wirkliche Zahlen waren; sicher aber 
musste dieses Verhältniss sofort nach der Niederlassimg eintre- 
ten, und so haben wir dann auch von Anfang an keine Ordnung 
nach wirklichen Zahlen hier zu suchen, sondern wir haben diese 
Zahlen nur noch als Namen zu betrachten. 

Wie kam es aber, dass man bei so verschiedenartigen Völ- 
kern gerade die Zahl Zehn zur Grundlage jener Ordnung nahm? 
Ich glaube , weil dieses die Zahl ist , welche eben als die ein- 
fachste und zunächstliegende sich darbot. Die Natur 3elbst hat 
sie im buchstäblichen Sinne des Wortes dem Mensehen an die 
|Iand gegeben. Als derselbe zu zählen begann, versuchte er 
dieses sicher zuerst an den Fingern der Hand, ganz wie wir 
dieses auch noch heute beim Kinde sehen. Es war sonach die 
einfachste Ordnung. Als unterstes Glied gaflt die einfache Zehn; 
10 X 10 bildete die zweite , 10 X 10 X 10 die dritte Ordnung *). 
Dass dieöe Gliederung aber bis in die früheste Jugendzeit der 
Völker hinaufreicht, ist kaum zu bezweifeln.' 

Die alte Heerordnung blieb also auch die Ordnung des Vol- 
kes und da ohnehin jeder waffenfähige, Freie auch heerpflichtig 
war, so waren Heer und Volk dasselbe, beide waren eins, keins 
von beiden war ohne das andere denkbar. Auch die Führer im 
Frieden waren zugleich die Führer im Kriege. 

Sobald ,ein Aufgebot erfolgte, sammelte sich die Bauer- 
schaft (Zehntschaft) unter ihrem Führer; dann traten die zu 
einer Hundertschaft gehörigen Bauerschaften zu einer- Schaar 
zusammen,' und eben so einigten sich weiter die Schaaren der 
zu einem Gaue gehörigen Hundertschaften. Ganz in derselben 



1) Ob das kleine (100) oder das grosse Hnudert (130) allgemeioer febr&ach< 
lieh war, darauf komnut es hier nickt «b. ^ 

Land an. Territori«ii. 15 



Weise stellte man sich auch in der Schlachtordnung auf. Es 
stand also jeder Stamm vereinigt. Schon Cäsar *) epzählt, wie 
' das Heer Ariovists nach Stämmen aufgestellt gewesen sei , und 
dasselbe berichtet auch Tacitus^) von dem Heere det Bataver. 
NocTi bestimmter spricht sich der letztere ^) aber an einem an- 
dern Orte darüber aus : „Nicht das Ungefähr oder ein zufalliges 
Zusammentreffen bildet eine Schaar oder einen Keil, sondern 
Familien oder Sippschaften (familiae et propinquitates)." Es war 
also in keiner Weise eine künstlic^ie , «ondem eine lediglich aus 
der Natur der Verhältnisse hervorgegangene Ordnung. Trägt 
doch hoch heute die Dorfschafb alle Zeichen einer Geschlechts- 
einheit an sich und selbst auch in den weitern Abtheilungen ist 
die Stammeseinheit nicht zu verkennen. Deshalb auch jenes 
feste Aneinanderschliessen , jene Solidarität, jene Aufopferung 
für den Führer; denn wie Tacitus*) berichtet, stritt der Häupt- 
ling für den Sieg, seine Truppe für den Führer. 

Dieselbe Heerordnung nach Stämmen zeigt sich weit spä- 
ter auch noch bei andern Völkern, z. B. den Schotten, den Kur- 
den, den Albanesen u. s. w. Bei den letztem erscheint noch 
jetzt jeder Häuptling, so jung derselbe auch sein mag, wie 
ein Patriarch des Alterthums. Willig folgen ihm die Glieder 
seines Stammes wie in die Kirche, so auch in ^en Kampf. 

3) Die nationalen Mittelpunkte. 

Jeder Volksbezirk, die Zehntschaft, die Hundertschaft, der 
Gau und nicht, weniger auch die Nationen in ihrer Gesammtheit, 
hatte einen bestimmten Mittelpunkt , eine Stätte , auf welcher 
jeder Bezirk seine Angelegenheiten verhandelte, auf welcher 
alle Berathungen , alle rechtlichen Handlungen und eben so auch 
alle religiösen Gebräuche stattfanden. 

Diese Stätten werden im Deutschen Mallum^), Malstatt*), 
Malberg, Ding und Dingstatt, Gericht und Gerichts- 

1) de Call. bell. I. 51. 
* 2) Hist. IV. 23. 
8) Germ. 7» 

4) Germ. 14. 

5) 814: „in mallo seu judicio publico" Kindlinger, Gesch. der Hörigkeit ükbch. 
S. 217. - 

6) 1244: „apud pratam iuxla Reihe in loco legilimo banni regalis, qai locus vulgo 
Malstad appelalur**. KindliDger, mönstersche Beitr. H. ük. S. 260. 



Stätte, Ring und Tie, lateinisch placitum , Judicium, concilium 
etc.*) genannt. 

Ob auch das Gebiet, was oben speciell als Provinz bezeich- 
net worden, also z. B. Westphalen, Engem und Ostphalen, gleich- 
falls eine solche Stätte besass , vermag ich mit Sicherheit nicht 
zu beantworten. Nur dann war dieses wohl unzweifelhaft der 
Fall, wenn an der Spitze eines solchen Gebiets ein König oder 
Herzog stand, wie dieses besonders deutlich in Norwegen her- 
vortritt, wo diese Versammlung das Alt hing genannt wurde. 

Hier beabsichtige ich indessen nur bei jenem höchsten 
Volksding, in welchem ein gesammtes Volk seinen Einigungs- 
punkt fand, auf eine genauere Betrachtung einzugehen. Während 
man nämlich die Gau- und andere Malstätten Von allen Seiten aus 
in's Auge gefasst, hat man dagegen jene nur selten und nie- 
mals in ihrer ganzen Bedeutung gewürdigt. Und doch ist ge- 
rade diese das Höchste und Wichtigste eines Volkes , sie ist das 
Herz des alten Nationallebens, der Punkt, in welchem. sich die 
Stammeseinheit eines ganzen Volkes darstellt. 

Ehe ich jedoch tiefer auf die Bedeutung dieser Stätte ein- 
gehe, will ich die Nachrichten zusammenstellen, welche sich bei 
verschiedenen Völkern über ihre höchsten .Dingstätten finden. 

Tacitus*) erzählt von den Sueven: „Für die Aeltesten und 
Edelsten der Sueven geben sich die Semnonen aus, Glauben 
sichert ihren Altersansprüchen die Religion. Zu festgesetzter 
Zeit kommen in einem Walde, geheiligt durch der Väter Weise 
und altherkömmliche Scheu , alle Völkerschaften desselben Blutes 
vermittelst Gesandtschaften zusammen, opfern von Staatswegen 
einen Menschen, und begehen nach barbarischem Brauche grauen- 
volle Weihen. Es widerfahrt dem Haine noch eine andere Ehr- 
furchtsbezeugung. Niemand betritt ihn anders als mit einer Fea- 
sel gebunden, im Gefühl der Niedrigkeit und um zu zeugen von 
der Macht der Gottheit. — Und das Alles hat der Aberglaube 
erzeugt, als ob dort des Stammes Anfänge (initia gentis) ihren 
Ursprung hätten, dort die Gottheit, die Alles beherrscht, ihren Sitz 
habe, dass afUesUebrige dem unterworfen und dienstpflichtig sei. 
Grössere Geltung verleiht ihm die glückliche Lage der Semnonen : 
sie bewohnen hundert Gaue, und das Bewusstsein eine grosse Kör- 



1) VergK Grimm, R. A. S. 745 ff. 

2) Germ. c. 39. 

,15* I 



perschftfbzu bilden, veranlasst, dass sie sich für das Haupt der 
Sueven (Suevorum caput) halten." 

Ebenso erzählt Cäsar ') , dass alljährlich in dem Lande der 
Kamuten, welches man .für den Mittelpunkt (regio media) 
von ganz Gallien halte, sich zu einer bestinmiten Zeit des Jah- 
res die Druiden an einer heiligen Stätte (zu Dreux) versammel- 
ten, und wer einen Streit habe, stelle sich dort ein und unter- 
werfe sich ihrem Spruche. 

Der Mittelpunkt des sächsischen Volks lag in der Mitte 
des Landes, nächst der Weser, und hiess Markloh. Alljähr- 
lich kamen an diesem Orte , so erzählt Hukbald, zwölf Abgeord- 
nete eines jeden der drei Stände aus jedem Gaue zusammen, 
und beriethen die gemeinsamen Interessen und beschlossen über 
Krieg und Frieden*). 

Die Malstätte für die Abgeordneten aller Stämme des Frie- 
öenvolkes war Upstalboom , eine kleine Anhöhe unfern des Dorfs 
Haxtum, */« Stunde von Anrieh^). 

Eine freilich jüngere Nachricht bezeichnet Mittelhausen als 
die Hauptmalstätte für Thüringen*). 

Bestimmter dagegen treten die nationalen Mittelpunkte in 
Skandinavien hervor. 

Dänemark umfasste — wie schon oben bemerkt worden 
ist — zwei verschiedene Reiche. Das östliche aus Seeland, 
Möen, Falster, Laaland, Langeland und den beiden Gauen auf 
dem skandinavischen Festlande Halland und Schonen*) beste- 
hende , hatte seinen Mittelpunkt zu Leithra oder Ysora am Yse- 
fiord auf Seeland *) , oder wie Ditmar von Merseburg (1, 9.) sagt : 

1) de hello Gall. VI, 13. 

2) l^ncbald. vita S. Lebnini ap. Pertz H. 361 a. 362. „Statulo quoquc tempore . 
anni semel ex singnlis pagis, alque ex iisdem otdmibns tripartitis; singillalim viri 
iduodecim electi , iet in nnum collecti , ia media Saxonia secns flnmeQ Wiseram , et 
locnm Marklo nancnpiltum, ex^rcebaot generale concilinm tractantes, sancientes et pro« 
palantes communis commoda utilitalis, iiixta placilom a se atatutae legis. Sed etsi 
forte belli terreret exitinm, si pacis arrideret gaudium, consalebant ad haec quid sibi 
foret agendum/^ Schaumann (1. 73.) zieht diese ganze Nachricht in Zweifel, aber ohne 
allen Grund. 

3) Wiarda, Von den Landtagen der Friesen in den mittlem Zeiten bei Upstals- 

'hoon. 

4) Menken , Scriplor. I. p. 846. ^ . * 
bj Dahlmann , Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte I. %• 482. 

6) Ueber^die Lage siehe Falck^ Neues staatsbOrgerliches Magazin Bd. I. 1882. S. 
567 — 574. 



„Es ist in jenen Gegenden ein Ort, Lederun geiianrit; TÜ^rHauptr 
Stadt des Reichs 7—, wo immer nach Verlauf von neun Jahren 
im Monat Januar — Alle zusammen kamen und ihren Göttern 
99 Menschen und ebenso^ viele Pferde nebst Hunden und Hijh- 
ner, welche man beim Mangel der Habichte darbrachte, opfer- 
ten, indem sie für gewiss glaubten, dass diese ihnen bei den 
Göttern der Unterwelt Dienste leisten und dieselben wegen ihrer 
begangenen Missethaten aussöhnen würden." Kurz, es war der 
Ort, wo das Volk seine Reichstage hielt, seine Götter verehrte 
und seine Könige wählte *). 

Das andere dänische Reich / lag westlich von jenem und 
umschloss Jütland bis südwärts zum Danewirk nebst Fühnen. 
Die höchste Thingstätte desselben war Wiborg, der heilige Berg. 
Hier fanden sich, nach dem Berichte des Mönchs Aelnoth in 
dem Leben des h. Kanut, die freien Bewohner von ganz Jüt- 
land und Fühnen ein, um über ihre gemeinsamen Angelegen- 
heiten und insbesondere über die Gesetze zu berathen. ^) 

Dasselbe war für Norwegen Throndheim. Wie die Sueven 
ihre Hauptnialstätte für die Quelle ihres Volkes hielten, so gilt 
jenes dem norwegischen Volke für seine erste Niederlassung*). 
Hier war das Allzherriar Thing d. h. die allgemeine Volksver- 
sammlung, auf welcher alle allgemeinen Reichsangelegenheiten 
berathen und die Könige über ganz Norwegen gewählt wurden, 
so dass selbst noch König Knut , obwohl er Norwegen durch Er- 
oberung erhalten hatte, es dennoch für erforderlich hielt, hier 
sich wählen zu lassen*). Ja die Fylken von Throndheim und 
ihre Häuptlinge nehmen unverkenntlich unter den übrigen Stäm- 
men eine ähnliche bevorzugte Stellung ein , wie diese die Sem- 



J) Dahlmann, Gesch. von Dänemark I. S. 168. 

2) Aelnothus monachus in vita S. Cahul ap. de Westphalen Monument, inedit. 
IV. p. 1414. und Langebek, Sei*. Danic. III. 361: „Locus celebercimas medio fere lu- 
tiae orbe consistit, qoi, ob sui eminenliam, vel ob antiquoram inibi sacrificiornra fre- 
quentiaro, Tel ob idoli quondam ibidem opinatissimi , qoi Wig dicebatur, memoriam, 
Wibergis, velnti Wigi excelsum, aut belli mons , sen sacrificationis, lingmi danica nun- 
cnpatnr, abi e^ totis Jutiae partibns quam saepins non minima multitudo, tarn d« 
cansis commuuibus tractatura, quam et de legnm veritale sive flrmilate, discntienda, 
simul et slabilienda, conuenit: et quod ibi communi consilio aggregatae mnltitadrnis 
stabilitum fuerit, non impune uspiam in Juliae partibns irritum fieri valebit." 

3) Sachsse, Histor. Grundlagen des deutsched Staats- und Rechtslebens S. 154, 

4) Das. S. 155. 



nonen unf er den Sneven hatten. Auch Adam von Bremen sagt : 
^»Metropolis cinitas Nortmannorum est Trondemnis *)• 

In Island finden wir das Althing als dio Versammlung des 
gesammten Volkes. 

Gleich Dänemark ist auch Schweden , wie schon angeführt, 
zweitheilig, nördlich war das Schweden-, südlich das Gothen- 
reich und jedes hatte seinen Mittelpunkt. Der alte Mittelpunkt 
der Schweden, lag am Mälarsee. „Nach der Einwanderung der 
Äsen gründete da, sagt die Ynglingasaga , wo es jetzt Fom- 
Sigtuna (Alt-Sigtuna) heisse, Odin seinen Hof, d. h. Tempel, 
und nahm das Land ringsum, doch nicht weit, in Besitz. Den 
Hofgoden -(Tempelpriestern) gah er Wohnstätten und diesen zwölf 
Häuptlingen opferten die Menschen und nannten sie ihre Göt- 
ter. Nach Odins Tode folgte ihm Freyr, sein Sohn, und dieser 
baute zu Upsalin (d.h. Hochsäle) einen grossen Tempel (hof) 
und setzte dahin seine Hauptstätte." Schon in dem Namen liegt 
die Bedeutung des Orts. Sala ist sowohl im Altdeutschen als' 
Angelsächsischen das Haus und Upsala Hesse sich demnach auch 
durch Oberhaus übersetzen *). Freyr verlegte also die Haupt- 
tempelstätte von Sigtuna in*s südliche Gothenreich nach Upsala. 
Dieses gescliah, nachdem beide Stämme unter einem Oberhaupte 
vereii^igt worden. Seitdem erhob sich zu Upsala in einem ge- 
heiligten Haine der höchste Göttersitz und das höchste Gericht 
und zugleicli auch der Sitz des Oberkönigs des schwedischen 
Volkes, und auch noch später, als die religiöse Bedeutung schon 
längst untergegangen, wurden doch daselbst noch die Könige 
gewählt*). 

Die Nationalversammlung der Iren, welche von drei zu 
drei Jahren zusammentrat, fand zu Tara statt und auf ihr wur- 
den eben wohl alle das Gesammtwohl des Volks betreffende 
Gesetze und Verfiigungen erlassen*). 



1) Pertz, M. H. G. VII. 888. 

2) In einer osnabrückischen Urkunde Ludwig des Deutschen, die indessen allem 
Anscheine nach untergeschoben ist, was aber hier nichts zur Sache thut, wird gesagt, 
dass kein öffentlicher Richter über die Sliftsangehörigen Gericht hegen solle, ,,qnod 
eorum lingua Oberzala dicitur** (Möser^s Osnabrück. Gesch. 1. Beil. S. 12.)* Es be- 
deutete also auch Gericht. 

8) Rnhs, Gesch. Schwedens. I. S. 89. Geijer, Gesch. Schwedens. I. S. 64. 
4) Die Geschichte von Irland, von Th. Moore, Uebers. von SQh&fer, I. S, 132. 



m 

Obwohl sich bei den Angelsachsen nirgends die Spur ei- 
nes alle Stämme verbindenden Volksdings zeigt , so weist doch 
die Würde des Bretwalda darauf hin *). Wir sehen nämlich im 
sechsten und siebenten Jahrhunderte ein höheres Königthum» 
welche» zwar, auf altes Herkommen sich stützend, König Edel- 
bert von Kent vorübergehend besitzt*), in der That aber an 
keinen Stamm gebunden, ohne bestimmte Ordnung wechselnd,^ 
bald diesem bald jenem Könige durch Wahl übertragen wird, 
welcher dann den Titel eines Bretwalda führt. Ueber die Vor- 
rechte des Oberkönigs ist man freilich keineswegs im Klaren; 
doch hat man in dieser Würde vorzugsweise eine herzogliche 
Würde, nämlich die Würde ^ines höchsten Kriegsführers, er- 
kennen wollen '). 

Dass die Angelsachsen diese Würde mit, aus ihrer Heimath 
gebracht, wird von Niemanden behauptet ; sie haben sie aber auch 
nicht erst im neuen Vaterlande geschaffen, sie haben sie viel- 
mehr dort vorgefunden und auch bei sich fortbestehen lassen. 
Schon der Name weist dieses nach; denn vealdanist regere, 
veald — potestas, vealda — gubernator, also bretvealda 
der König der Britten*). Und wirklich findet sich ein solches Oberr 
königthum auch schon in den uralten brittischen Gesetzen des Dy- 
onwall Moelmud. Nach der über dieselben von Gervinus *) gege- 
benen Relation, erkennt man aus diesen deutlich, dass die 
sämmtlichen Stämme der Britten ein ähnliches Band umschlangt 
wie ich dieses schon bei einigen andern Völkern nachgewiesen 
habe, nämlich eine allgemeine Volksversammlung, Gorsed ge- 
nannt. Neben dieser bestand aber auch noch ein Oberkönig- 
thum. Aus den sämmtlichen Stammfiirsten wird nämlich einer 
zum Lord Paramunt, ein Name der an den sagenhaften fränki- 
schen Oberkönig Paramund (protector) erinnert, erwählt. Die- 
sem gebührte das Recht die regelmässige Volksversammlung zu 
berufen, und in derselben, doch nicht weiter, waren seine Be- 
fehle für Alle bindend. Er soll der Tapferste sein und mag des- 
halb vorzugsw:eise die Heerfiihrung gehabt haben, obwohldie Würde 
auch ausser der Kriegszeit bestanden zu haben scheint. Die ganze 



1) Kemble stellt deren Vorhandensein in Abrede. 

2) Sachsse a..«. 0«.S. 230. 

3) Lappenberg I. S. 127 AT. 
4).euiiiüller 1. c. 115. 823. 

5) Heidelberger Jahrbücher 1831. S. 46 ff. 



«st 

Oberhoheit und gesetzgebende €fewalt lag aber lediglich in der 
Volksversammlung, welche auch den Paramunt absetzen und 
dessen Gebote wieder aufheben konnte. Diese Versammlung * 
war zugleich die höchste Appellations- Instanz, und wurde von 
300, oder nach einer, wie es scheint, altern Bestimmung, von 
allen Freien eines jeden Stammes gebildet, von denen keiner 
zurückbleiben durfte. Die Masse des Volkes stimmte , die Stamm- 
häuptlinge und Familienhäupter führten das Wort für die ein- 
zelnen Stämme und sollten einig und übereinstimmend zusam- 
menwirken. Erst später begegnet man auch in England einer 
allgemeinen Volksversammlung, oder wie dieselbe 938 genannt 
wird: iudicium totius populi et seniorum et primatum*). 

Auch bei den slavischen Volkstämmen finden wir allent- 
halben eine Hauptmalstätte für das gesammte Volk, und hier 
war diese Stätte stets eine Tempelfeste. 

Für Böhmen war dieses Wischehrad , die heilige Stadt, wo 
auch noch später die böhmischen Reichstage statt fanden*). 

Bestimmter noch lassen sich die heiligen Nationalstätten der 
an der Ostsee wohnenden SJavenstämme nachweisen. Ich werde 
jedoch nur einige aufzählen. 

Für das slavische Volk der Leutiken (Pommern) war Re- 
dra ^) die heilig'e Feste. Hier war ein von einem heiügen Haine 
umschlossener Tempel, hier der Sitz der Priester und die Haupt- 
malstätte für die Gerichte des gesammten Volks*). Hierher (in 
ciuitatem Rethre) berief der mecklenburgische Fürst Mistivoi IL 
alle östlich wohnenden Slaven und stachelte sie zur Rache gegen 
den Markgrafen Dietrich auf ^). EineA spätem Landtag erkennt 
man aus einer Urkunde des Abts von St. Michael von Bamberg 
vom Jahre 1188, worin derselbe die seinem Säckelmeister be- 
willigte Wachsabgabe von jeder Taberne bezeugt; es heisst näm- 
lich darin: „quod ipsi principes eiusdem patriae in generali cou- 



1) Kemble, Cod. clip. I. Introd. p. LX. 

2) So heisst es 1216: „in communi coUoquio Bohemorum Präge habito". Bo- 
czek I. c. n. 86. . ^ 

3) „CiviUs Redra, quae est in Lulitiorum" (Hejmold, Cwn. Slavor. f. C. 16.) 

4) üeber die Lage von Redra s. die Abhandlung von Lisch in den Jahrbächern 
für mecklenburgische Geschichte Jahrg. IIL S, 1 flf. Barthold, Gesch. PomiMras f. S. 236. 

5) Helmold I. c. 16, 



ventu et consiliö consensu fere omhmm baronum. et suppahorum 
suorum universali decreto statuerunt/) ". 

Auch die Hauptstätte des preussischen Volkes ist bekannt. 
Es war Romove in Samland*), wo der höchste Tempel stand 
und "der oberste Richter und Priester seinen Sitz hatte. 

Die Haupttempelstätte des ehstnischen Volksstammes hatte 
einen gleichen Namen Romove oder Romene, in der Provinz 
Austechia, welche 1294 vom deutschen Orden zerstört wurde. 
Die Sanmielstätte des gesammten Heeres war jedoch an einem 
andern Orte, zu Rugele in der Provinz Harrien*). 

Ganz dasselbe Bild gewährt auch Montenegro oder Cernagora, 
jenes Gebirgsland, welches uoch jüngst auf einige Zeit die allge- 
meine Aufmerksamkeit fesselte. Das Land zerfällt in Nahien (Pro- 
vinzen) und diese sind in Plemen (Gaue) zertheilt. Der Mittelpunkt 
des Ganzen ist die Feste Cetinje, welche in einer der neun Plemen 
der Katunska Nahia, in der Pleme vonNigüschi liegt, und diese Ple- 
me gilt als oberste Pleme, weil ihr Häuptling als das Haupt eines 
alle übrigen Stämme übertreffenden Stammes eine gewisse Ober- 
herrschaft über alle andern Häuptlinge besitzt. Zu Cetinje fin- 
det auch die Nationalversammlung statt. Während diese auf ei- 
ner Wiese tagt, hält der Senat auf einem Berge bei dem Vla- 
diken seine Berathung*). 

Dass diese Hauptstätten der Völker, sich nicht immer, we- 
nigstens nicht in dem städtelosen Germanien, durch Grösse aus- 
zeichneten, sehen wir an Mattium, dem „caput gentis** des kat- 
tischen Volkes, das heutige Maden, denn die Flur dieses Dor- 
fes zählt nicht mehr als 21 Hufen und niehr kann sie auch 
niemals gehabt haben. 

Diese bei so vielen Völkern sich wiederholende Thatsache 
eines festen Mittelpunkts für das gesammte Volk, gestattet uns 
ein^n solchen auch bei allen übrigen Völkern anzunehmen, bei 
denen wir , wie z. B. bei den Alemannen , den Baiem *) , 



1) Dreger, Cod dipl. Pommer nr. 26. Weitere Beispiele s. in den Urkunden 
zur Gesch. des FQrstenth. Rügen von Fabricins H. S. 143. 

2) Nach Vogts . Untersuchungen das heutige Dorf Rohmenen. 

3) V. Parrot a. a. 0. S. 323 u. 416 und Kruse, Urgeschichte des ehstnischen Volks- 
stamms S. 49. 

4) Robert, flie Slaven der Türkei. Uebers^lzt von Fedorowjtsch I. 82 u, I|. 97f 

5) Wailz a, a. 0. II. 447. 448^ " 



\ 



tu 

den Westgothen *); den Franken^) u. s. w. zwar jene grossen all- 
jährlichen Versammlungen, aber keinen für diesen Zweck fest- 
stehendenOrt mehr sehen, oder wo jede Kunde davon uns fehlt. 

Da man bisher die grossen Nationalverbindungen stets nur 
als lediglich durch äussere Ereignisse und durch die Nothwen- 
digkeit gegenseitigen Schutzes, also als rein zufallige Bündnisse 
betrachtet hat ^), so konnte man auch jenen höchsten und heilig- 
sten Stätten der Völker keine tiefere Bedeutung zulegen. 

Aber diese Anschauung muss schon wankend werden, wenn 
man den stillen immer und allenthalben gleichmässigen Gang 
überblickt, in welchem die Entwicklung des ältesten Volksle- 
bens sich bewegt, und muss gän/lich fallen, wenn man die 
einfachen aus der Natur der Verhältnisse hervorgegangenen Ge- 
setze betrachtet, welche diese Entwicklung bestimmen und 
leiten. 

Was nun aber die Bedeutung noch mehr hervorhebt^ ist 
die bevorzugte Stellung, welcjie alle diejenigen Stämme einneh- 
men, welche wir in dem Besitze des Nati^nal-Heiligthumes finden. 

In dieser Beziehung ist von besonders hoher Bedeutung 
die Sage , welche Tacitus von der Hauptstätte des suevischen 
Volkes mittheilt: dass nämlich der Glaube herrsche, dort seien 
des Volkes Anfänge (initia gentis)*). Diese bisher gänzlich 
unbeachtet gebhebene Sage weist mit aller Bestimmtheit auf 
den von mir angedeuteten Gang hin. Aehnlich, wenn auch nicht 
so klar, zeigt die alte Sage daraufhin, welche die zahlreichen 
schwedischen Volkskönige alle einem Geschlechte, dem der Yng- 
lingen, zuschreibt, und als dessen Stammvater Odin's Sohn Freyr 
bezeichnet*). 

Aber es sprechen noch mehr Gründe für meine Annahme. 

Wie jener Mittelpunkt zum allgemeinen Heiligthume des 
gesammten nationalen Lebens geworden war, so musste zugleich 
auch der Bezirk, in welchem er lag, eine höhere Weihe in den 
Augen des Volks, einen hohem Rang vor allen übrigen erhalten. 



1) Türk, Forschangen auf dem Gebiele der Geschichte I. S. 62. 
. 2) Waitz a. a. 0. IL 4^84. 
8) S. z. B. V. Wersebe : Ueber die Völker und Völkerbundnisse des alten Deutsch- 
lands. Hannover 1826. 

4) Tac. Germ. cap. ^9. 

5) Ynglingen Saga, Kap. 12. ^ 



Diesen Vorrang der Gaue, welche das National-Heiligthum 
umschlossen, sehen wir dann, auch allenthalben in Geltung. 
Schon Tacitus sagt (Germ. cap. 39) bei Erwähnung der suevischen 
Hauptstätte im Lande der Semnonen: Für die Aeltesten und 
Edelsten der Sueven geben sich die Semnonen aus (Vetussimos 
se nobilissimosque Suövorum Semnones memorant). 

Der Aeduer Divitiacus sagt zu Cäsar: ganz Gallien zerfalle 
in zwei Parteien (factibnes duas); in der einen von ihnen be- 
haupteten den Vor/ang (principatum) die Aeduer, in der andern 
die Arverner, und beide, die letztem mit den Sequanem ver- 
bunden, hätten lange Jahre um die höchste Gewalt (de poten- 
tatu) gestritten*). Die Aeduer, ehemals die mächtigste Völker- 
schaft in Gallien, wären besiegt und hätten geloben müssen ewig 
unter der Botmässigkeit und Oberherrschaft (sub ditione atque im- 
perio) der Sequaner zu stehen. Später kommt Cäsar (VI. 11. 12) 
noch einmal darauf zu sprechen. Alle einzelnen Staaten in Gal- 
lien, erzählt er, bildeten unter sich zwei Parteien. Bei seinem 
ersten Auftreten waren das Haupt (principes) der einen die 
Aeduer, das der anderen die Sequaner. Weil jene von Alters her 
das höchste Ansehen genossen (quod summa auctoritas antiqui- 
tus erat in Aeduis) und viele Schutzvölker (magnae clientelae) un- 
ter sich hatten, verbanden die minder bedeutenden Sequaner 
sich mit den Germanen u. s. w. Bei' dem Siege nahmen die 
Sequaner sogar einen Theil des nächst angränzenden Landes der 
Aeduer in Besitz und hatten seitdem das Primat in ganz Gal- 
lien (Galliae totius principatum). Cäsar stellt diese beiden Par- 
teien mit den Gefolgschaften in dasselbe Verhältniss. Ueberall 
in Gallien treffe man Parteiung, nicht nur in allen Staaten, 
Gauen und deren Bezirken, sondern sogar in jedem Hause. An 
der Spitze derselben ständen Häuptlinge von grossem Ansehen. 
Die Einrichtung sei alt und sollte die minder Mächtigen gegen 
die Mächtigem schützen; kein Häuptling lasse seine Schütz- 
linge beeinträchtigen oder unterdrücken. Man sieht, dass Cä- 
sar das Verhältniss als eine einfache Clientel betrachtet. Aber 
dieses kann es nicht sein ; denn wie sollten sich da gerade nur 
zwei Parteien aufwerfen», wie wäre das als eine alte Institution 
anzusehen, ja wie — muss ich ^fragen — könnte das dabei von. 
Gewicht sein, dass von den Aeduem gerühmt wird, sie hätten 



1) Caesar, Beil.. Call. I. 31, 



Ton Alters her das grösste Ansehen genossen?^ Dieser Bang^ 
streit miiss eine andere und zwar eine gewissermassen durch 
den Volksglauben geweihte Quelle haben, und diese Quelle kann 
keine andere als die sein, aus welcher auch das höhere Anse- 
hen der Semnonen hervorging. Die Gaue beider Völker, sowohl 
der Aeduer als der Aryerner oder Sequaner,_ hatten sicher die Mit- 
telpunkte zweier selbstständigen Länder gebildet, und wie Au- 
gustodunum für das eine, so war Arverne die Metropolis für 
das -andere Gebiet gewesen. Beide waren aber unter eine Herr- 
schaft, die römische, gekommen und diese hatte beide seitdem 
zu einer Nationalversammlung berufen.' Dadurch waren sie zu 
einem Staate verschmolzen. Diese Verschmelzung ging .aber 
keineswegs so tief, dass dadurch das alte Ansehen des Mütter- 
gaues verwischt worden wäre ; dieses bestand vielmehr fort und 
so standen zwei Gaue da, welche, auf ihr altes Recht sich stü- 
tzend, beide das Primat in Anspruch nahmen, obwohl in der 
That-doch nur ein Gau dasselbe wirklich üben konnte. Einer 
musste deshalb seine alten Rechte einbüssen und der Kampf um 
die Oberhand war die Ursache des Streites. Allerdings war das 
Verhältniss schon verschoben und unklar, dass es aber nur so 
und nicht anders aufgefasst werden darf, wie ich es dargestellt 
habe, dafür gibt auch noch Pomponius Mela einen Beleg, weiin 
er erzählt : von den Aquitaniern seien die berühmtesten die Aus- 
cer, von den Gelten die Aeduer und von den Beigen die Treye- 
rer; die ansehnlichsten Städte seien bei den Treverern Augusta, 
bei den Aeduern Augustodunum, bei den Auscern Elimbei'rum. 
Dieselbe Bedeutung hat es , wenn unter den zwölf Städten 
Etruriens eine einen besondern Vorrang vor den übrigen ge- 
nicsst ; auf einem gleichen Primate beruht das uralte Vorrecht 
der schwedischen Uplande bei der Königswahl ^) und eben nur 
aus diesem Grunde ist Tiundaland, in welchem Upsala liegt, der 
beste Theil von Sviothiod, unter dem das ganze Reich steht'). 
Gleiches sehen wir auch bei den fernen Afghanen^ wo der Stamm 
der Duracus als der der Könige besondere Vorzüge vor den 
andern Stämmen hat*) und bei den Montenegrinern, wo die Ni- 
guschi Pleme, weil sie Cetinje umschliesst, als die oberste Pleme 



"»^^■•^p- 



J) Müller, die £lrasker I. S. 345. 

2) Geijer a. a. 0. 1. S. 257., 

3) Saga von Olaf Harald K. 76. 

4) Wilke in den Abhandlungen der Berlin. Akademie 1818 — 1819 II. S. 251, 



der Montenegriner betrachtet wird. Dieselbe Stellung hatten 
bei den Slaven der Nordsee die Ranen, die Bewohner der Insel 
Rügen. Während Adam von Bremen *) von dejQselben sagt, dass 
ohne den Rath derselben in öffentlichen Angelegenheiten nichts 
geschehe (extra quorum sentenciam de publicis rebus nihil agi 
lex est), berichtet dagegen Helmold ^) ausdrücklich, dass sie un- 
ter allen Slavenvölkem den Vorrang behaupteten (primatus prae- 
ferentes in omni Slauorum natione) und einen hochberühmten 
Tempel hätten. Wie wir aus dem Saxo Grammaticus sehen, war 
dieser Tempel zu Arkona, welches auch Helmold als die Haupt- 
stadt (Urbs terrae illius principalis dicitur Archona) bezeichnet. 
Helmold hebt das Primat auch noch an andern Orten hervor*) 
und bemerkt*), dass die Ranen allein einen König hätten (qul 
soll habent regem). Er sagt auch noch^), dass alle slavische Län- 
der von dem Tempel Orakelsprüche eingeholt hätten, und alljährlich 
Opfergaben gebracht würden, sowie*), dass dieser Tempel un- 
ter allen slavischen die erste Stelle einnehme, und dass die 
Ranen allen von' ihren Waffen unterworfenen Völkern die Zah- 
lung eines Zinses an denselben auferlegten. Welche Ausdeh- 
nung dieses Primat der Rujaner besass, lässt sich nicht ange- 
ben, doch hatte es wohl schwerlich die Allgemeinheit, welche 
ihm die Schriftsteller beilegen; höchstens lässt sich dieses auf 
das Ansehen des Tempels beziehen. Das eigentliche Primat, 
wie ich es oben angedeutet, kann sich nicht weiter, als nur 
über einen bestimmten Kreis von Stämmen erstreckt haben. 
Helmold sagt zwar auch: „Sie legen Vielen das Joch der 
Knechtschaft auf, ohne es selbst von irgend Jemand zu dulden,*" 
und man könnte daraus den Schluss ziehen, dass jener Vor- 
rang lediglich durch Eroberung errungen sei. Dem aber steht 
entgegen, dass wir keine von den Ranen im gewöhnlichen Sinne 
unterjochten Völker kennen und dass jene Angabe wahrschein- 
lich nur von einem Missbrauche des Primats zu verstehen ist, 
indem dasselbe über die Gebühr ausgedehnt wurde. 



1) IV. c. 18. 

2) a. a. 0. I. 3G. 

_ 8) Primatum deilalis specialiter altribuentes I, 6. Primatiim obtinuU ioter nu* 
mina II, 12. ^ . 

4) a. a. 0. I. 36.'" 

5) I. 6. 

6) I. 36. - 



Dieses letztere sehen . wir auch bei den Leujiken (Pom- , 
mem). Adam von Bremen nennt denjenigen der vier Stäm- 
me^ in dessen Gebiete Rethra lag, den mächtigsten von allen 
und berichtet später^), dass unter ihnen ein Wettstreit um den 
Vorrang und die Oberherrschaft (de nobiUtate potentiaque) statt- 
finde, und erzählt darauf den aus diesem Streite erwachsenen 
£ampf. Ausführlicher und das Verhältniss mehr veranschaulir 
chend ist jedoch der Bericht des spätem Helmold^). Unter die- 
sen vier Stämmen erhob sich ein heftiger Streit um die Herr- , 
Bchaft und Obergewalt (de fortitudine et potentia), weil die Ria- 
duren und Tholenzen wegen des hohen Alterthums ihrer Stadt 
und des grossen Ansehens ihres Tempels herrschen wollten (reg- 
nare volebant), indem sie sich einen höhern Grad von Ansehen 
und Ehre beilegten (adscribentes sibi singularem nobilitatis ho- 
norem), weil sie von allen slavischen Völkern um der Orakel 
4es Gottes und der demselben alljährlich dargebrachten Opfer 
willen fortwährend besucht würden. Die beiden andern Stamme 
verweigerten aber jede Unterwerfung und waren entschlossen ihre 
Freiheit zu vertheidigen. So kam es zum Kriege und die Ria- 
duren und Tholenzen wurden in blutigen Schlachten besiegt. 
Der Kampf wurde mehreremal von Neuem aufgenommen und 
endUch auch noch die Sachsen , Dänen und Obotriten mit hin- 
eingezogen. Nach Helmold hätten also die Riaduren und Tho- 
lenzen gegen die beiden andern Stämme gestritten, dagegen 
lässt Adam von Bremen die Circipanen gegen die übrigen drei 
Stämme stehen. Nach der Natur der Verhältnisse müssen aber 
beide im Irrthume sein, denn die Riaduren hatten ja den Haupt-. 
tempel und nur diese konnten deshalb eine Obergewalt anspre- 
chen und zwar über die andern drei Stämme , so dass demnach 
die letztern vereinigt gegen jene gestanden haben müssen. 

Selbst unter den Arabern findet man zuweilen eine Anzahl 
von Stämmen unter dem Oberhaupte des anerkannt ältesten 
Stammes, von welchen die andern sich abgezweigt haben, zu 
einer gewissen Einheit verbunden. 

Unmöglich lässt sich annehmen, dass alle diese National- 



»^•^hx^U-^^i^t^^mäiäm 



1) II. 18. 

2) III. 21. 

3) I. 12. 



malstätten dem Zufalle, einer willkürlichen Wahl oder einer Ueber- 
gewalt der Waffen ihre Entstehung, zu verdanken gehabt. Bei- 
nahe alle, wenn auch mehr und minder, tragen so unverkennt- 
lich die Spuren des höchsten Alters an sich und sind so tief 
mit dem Leben des Volkes verbunden, dass ihre Gründung noth- 
wendig mit den ersten Anfängen des Volkes selbst auf das Eng- 
ste verwachsen sein muss. * 

E« lässt sich deshalb auch nur eine Erklärung geben und 
diese bietet sich uns in dem Entwicklungsgange der Mark dar. 

Mag immerhin auch jener Bildungsgang sich nur in ver- 
hältnissmässig kleinen Räumen auf eine sichere und genügende 
Weise verfolgen lassen, so spricht sich doch in dem, was wir hier 
sehen, ein so einfaches Naturgesetz aus, dass man demselben un 
bedenklich eine räumlich noch viel ausgedehntere Wirkung zuge- 
stehen muss, als dieses die Armuth unserer ältesten Nachrichten 
überhaupt- zulässt. 

Diese Stätten waren demnach . überall das, was Tacitus als' 
Sage von der Hauptmalstätte des suevischen Volkes mittheilt, 
dass nämlich dieselbe die initia gentis d. h. die erste Niederlas- 
sung des Volkes gewesen sei, von wo aus dasselbe sich weiter 
verbreitet habe. 

Wir hätten demnach diese Stätten als die ersten Niederlas- 
sungen'der Völker zu betrachten. 

Dieses wichtige Resultat findet übrigens noch einen andern 
bedeutenden Stützpunkt. 

Noch Niemand hat nämlich das Räthsel jenes scharf aus- 
geprägten Nationaltypus zu erklären vermocht, welcher noch 
heute uns allenthalben entgegen tritt, jene ethnographische Ueber- 
einstimmung , welche jedes Volk wie in seinen engern, so auch 
in seinen weitern Kreisen, ungeachtet aller Verschiedenheit im 
Einzeln, doch immer als ein Ganzes, als einiges Volk erken- 
nen lässt.' 

Die Annahme eines Anfangspunktes und einer von da 
ausgegangenen weitern Entwicklung gibt uns den Schlüssel zu 
diesem Räthsel, ja nur durch die Annahme eines solchen Ent- 
wicklungsganges ist überhaupt diese Losung auf eine natürliche 
und ungezwungene Weise möglich, während in der Einfachheit die- 
ser Lösung sich zugleich die {Sicherste Bestätigung ihrer Wahr- 



•. 



heit ausspricht. Wie nämlich die Gesammtheit in Gestalt und 
Kleidung, in^ Sitten und Gebräuchen, in Recht und Sprache, 
ungeachtet der grössten Mannichfaltigkeit sich unverkenntlich 
als ein Ganzes, gewissermassen als eine grosse Familie darstellt, 
so trägt auch wieder jeder engere Bezirk seinen bestimmten ihn 
vom Nachbar unterscheidenden FamiUentypus .und wie die Pro- 
vinz, so erscheint auch der Gau und weiter die Cent und end- 
lich die Gemeinde stets als ein für sich abgeschlossenes zusam- 
mengehörendes Ganzes und doch auch wieder als ein Thell der 
Gesammtheit. Es ist demnach ein Erwachsen gewissermassen 
aus einer Familie ^ welche von ihrem ersten Ansitze aus, nach 
Aussen sich melir und mehr erweiternd, endlich da, wo sie mit 
dem benachbarten auf gleiche Weise entwickelten Stamme zu- 
sanmien traf, einen von diesem nothwendig wesentlich verschie- 
denen Charakter erhalten haben musste^ Ich will indessen kei- 
neswegs damit behaupten, dass die erste Ansiedlung eines Vol- 
kes in einem noch unangebjauten Lande nur an einem einzigen 
Punkte statt gefunden habe. Aber sicher wurden zuerst nur 
wenige Niederlassungen begründet und diejenige wurde die Haupt- 
stätte, an welcher der Führer und Häuptling seinen Wohnsit2 
aufschlug. 



4) I>e^r Einfluss der Völkerwanderung auf die 

Volksgebiete. 

Der im Vorhergehenden ausgeführte Bildungsgang und die 
dadurch geschaffene Gliederung — wird man einwenden — muss 
aber durch die Wanderungen der einzelnen Völker .und die Nie- 
derlassungen derselben auf fremdem Boden vielfach gestört, ver- 
rückt und sogar gänzlich verwischt worden sein. Ich bin nicht 
dieser Meinung und will deshalb diese Wanderungen einer ge- 
nauem Betrachtung unterziehen. 

Vor allem steht fest, dass diese Wanderungen Kriegszüge 
zum Zwecke von Eroberungen waren. Diese Eroberungen hat- 
ten aber nicht immer den gleichen Erfolg; es lassen sich viel- 
mehr verschiedene Grade desselben bestimmen. 

Als der geringste Erfolg erscheint die Nöthigung eines 
Volkes zur Zahlung eines Tributs. Die Geschichte bietet uns 
davon zahllose Beispiele. Die Verfassung, überhaupt das ganze 



WA 



staatUeh^ Leben , -wurde dftdurch in keiner Weise gestdtt. Aile« 
blieb in der hergebrachten Ordnung. 

Ein weiterer Schritt ist der, wenn der König eines tribut- 
pflichügen Volkes von der Bestätigung des tributberecbtigteu 
Königs abhängig wird. Die Stellung eines solchen Königs 
wird dann die eines Unterkönigs, die innem Verhältnisse blei^ 
ben aber auch da noch' unverändert. Ein Beispiel hiervon ge- 
ben uns die Langobarden sowohl unter den Merowingem, als 
unter Pipin *), 

Anders wird es schon, wenn ein Volk ein Land erobert 
und sich darin festsetzt. Dieses geschieht entweder dadurch, 
dass das Volk dieses Landes dem feindlich andringenden Volke 
sich durch einen Vertrag fügt, oder die Eroberung erfolgt mit- 
telst der Uebergewalt des Schwertes, also in Folge des Sieges. 
In dem erstem Falle begnügten sich die neuen Ankömmlinge in 
der Regel mit einem Dritjtel des Grundbesitzes, welches, ihnen abge- 
treten werden musste. Dieses wiederholt sich in zahlreichen Fäl- 

s 

len*). So nahm Ariovist den dritten Theil (tertiam partem agri) 
des Landes der Seq;uaner und liess sich mit seinen Schaaren dar- 
auf nieder ^). Als die mit Alboin ausgezogenen Sachsen in ihre 
Heimath zurückkehrten, welche nun Sch waben ig. Be sitz hatten, 
boten diese jenen ein Drltiei des tianaes an und sagten: „Wir 
können ja zusammen leben, ohne uns zu iiahe zu treten " : oder 
wie Paul Diaconus sagt : „ Wir wollen zusammen leben und das 
Land sonder Strebt gfimemschaftlich bewohnen. " Da die Sach- 
sen dieses nicht wollten, boten die Schwaben die Hälfte, dann 
zwei Drittel und endlich auch sogar noch all' ihr Vieh dazu*). 
Gleiches geschah, als die Franken und Burgunder das römische 
Gallien in Besitz nahmen. Die Römer mussten vom Lande ein 
Drittel, vorn Hofe die Hälfte abtreten. Der eine wurde des an- 
dern Hospes. 

Diese Theilung wurde nicht etwa in der Weise vorgenom- 
men , dass die einzelnen Ländereien zerschnitten ^wurden , son- 
dern man theilte die Höfe, so dass aus jedem Salhofe zwei Sal- 
höfe entstanden, und also nur die B[ofreithe (mansus) des römi- 



1) Fredegar, c. 45, Einhard- Ana. 22. 

2) S. im Mlgeinem^a: Die germanificheQ ADsiedlangeii, von Gaupp. 

3) Caesar, Bell. gall. I. 31. 

4) Gregor. V , 15. Paulas Diaconus lil. 7« 

Landau. Territorien« ^^ 



sehen Salhofs in zwdl Theüe getrennt wurde. Die gemeine Mark 
dagegen blieb, was sie war. Beide Stämme bildeten seitdem ei- 
nen Stamm, leibten unter ein und derselben Obrigkeit * j und un- 
ter gleicher Freiheit, wenn auch nicht immer gleich von Anfang 
unter gleichem Volksrecht; beiden ständen auch die Würden 
der Gemeinde ohne Bevorzugung des einen oder andern offen, 
und wo sich dieses in der Praxis anders machte, war es eine 
Abweichung von der Regel, war es mehr Folge von Uehergewalt, 
als Folge des "Rechts. Zuweilen ging man auch weiter und for- 
derte auch noch das zweite Drittel. Dieses that Ariovist von 
den Sequanem, um auch den zu ihm gestossenen Harudem Sitz 
und Gut zu verschaffen *). 

Das Verhältniss solcher auf ein Drittel des alten Besitzes 
herabgesetzten Völker zu den Fremdlingen war natürlich schon 
ein weit ungünstigeres, denn es machte sich da die Uehergewalt 
des Siegers bemerklicher ; auch konijte nicht ' mehr von einem 
wenn auch nur , scheinbar freiwilligen Vertrage die Rede sein, 
sondern die alten Herren wurden nur noch geduldet. 

Aber auch die Theilung des Grundbesitzes befriedigte nicht 
immer für die Dauer die neuen Herren. Ein Beispiel hiervon 
geben die Langobarden. Allem Anscheine nach hatten auch diese 
nach der Eroberung Oberitaliens mit den Römern getheilt. Nach- 
dem sie aber ihren ersten Konig gewälilt, liess dieser, wie Paulus 
Diaoonus*) erzählt, viele mächtige Römer umbringen oder ver- 
trieb sie aus Italien. Und auch später unter den Herzögen wur- 
den noch viele vornehme Römer aus Gewinnsucht gemordet, 
die Uebrigen aber zinspflichtig gemacht und den langobardischen 
Fremdlingen in der Art zugetheilt, dass sie den dritten Theil 
ihrer Früchte denselben entrichten mussten. Die Langobarden 
hatten alsa anßnglich . die Besiegten noch in einem Theile ihres 
Besitzes gelassen und vertrieben dieselben erst später, oder ver- 
wandelten sie in Pächter ihres alten Eig^nthums^. Dass sie wirk- 
lich nur noch als Pächter betrachtet werden können, zeigt eben 
jenes Abgaben - Verhältniss ; auch in Deutschland war bis in 



1) S. Waitz a. a. 0. II. S. 325. 

2) Diese Oritteltheilung sehen wir sogar noch von den Schwerlrittern anirendeo, 
als sie die Ostseeländer eroberten; ^in Dritte! nahm der Orden, ein Drittel erhielt 
die Kirche und ein Drittel blieb den alten Besitzern. 

3) U, 31. 32. ' 



fit 

späte Zeit ein. Drittel der Ernte (wenigstens vom Winterfeld, 
yom Sommerfefd dagegen die Hälfke) der allgemein übliche Pacht 
Zins *). ' 

Das Verfahren -der Römer bei Anlegung ihrer Kolonien war 
beinahe dasselbe gewesen. Sie nahmen zwar das ganze Land 
in Besitz, vertrieben aber keineswegs die alten Einwohner, son-^ 
dem gaben denselben zwei Drittel des Grundbesitzes zurück, 
und zwar als Pachtgut des römischen Staats. Das andere Drit- 



tel erhielten die römischen Kolonisten*). 

Von einer gleichen Berechtigung war also hier keine Rede 
mehr; 'der alte Bewohner trat vielmehr wenn auch in kein hö- 
riges, doch in «in abhängiges Verhältniss; er war obwohl noch 
persönfich frei, doch kein freier Grundbesitzer mehr. 

Aber auch selbst da, wo uns die Geschichte den völligen 
Untergang eines besiegten Volkes berichtet, ist diese Angabe 
niemals in solcher Allgemeinheit aufzufassen. Erst nach den 
blutigsten Kämpfen, welche Jahrhunderte hindurch dauerten, 
und durch fortwährende Nachzüge aus dem alten Lande gelang 
es den verbündeten Sachsen und Angeln die Britten theils zu 
vernichten, theils in die westlichen Berge zu verdrängen. Ein 
rechl^tischauliches Bild SP^mP.J^mMBP,Z}^.MLMMt}&^m- 
Q^?g^J?e Erzählung ^des^^chs^s^iegsls^ 
ren der oachsen bei der Eroberung Nordthüringens, die, mas: 
sie immerhin auch nur als Sage gelten, dennoch die Wahrheit 
unverkenntlich an der Stime trägt. „Unserer Vorfahren (die Sach- 
sen) — heisst es ^) , — welche hier in's Land kamen und die Thü- 
ringer vertrieben, waren nicht so viele, dass sie den Acker 
bauen konnten und Hessen deshalb, als sie die thüringischen 
[erren erschlagen oder vertrieben, die Bauern ungeschlagen und 



bestätigten ihne|)u...dfiJ[kiiCker zu solcnem Kecnte, als ihn noch 
le Lassen haben." 



*«L-,jr 



•* ■*''Tt9-,-«dfc 



Nur selten wurde ein ganzes Volk vernichtet, oder als 
Sklaven entweder verkauft oder unter die Sieger vertheilt, wie 
wir dieses z. B. bei Cäsar sehen , der die Aduatucer verkaufte 
(II, 33.) und die Veneter unter das Heer vertheilte (XU, 10. 16). 



1) Aehnliches sieht man auch in Asien. So sind nor/dle Afghanen die Land' 
eigenlhümer (Wilke a. a. 0. S. 249); ähnlich wie. in LAcedemon nur die Spartaner. 



2) I jtjebnhr, röm. Geschichte. 2. Aufl. J[ j|;„,,§,;„, 5 Jflii,i|,, 

3) Sachsenspiegel von liomeyer lÜ. ]^p. 4^. 



16 



•M 



> 



Uftd selbst in difesete Falle wüteh es insbesondere doch nu? 
die Fr^en, welche dieses Schicksal traf, denn nur den Freien, 
den Herren des Bodens, galt der Krieg, die Masse der an den 
Boäea geknäpften Höngen dagegen blieb im Allgemeinen unbe- 
rührt, aumal ja gerade vorzugsweise in ihnen erst die Jlrobenmg 
ihren Werüi erhielt. 

Es konnte dieses ab^r auch kaum anders sein , da die Zahl 
des siegenden Volkes doch niemals der Masse der Gtesammtbe- 
völkerung gleich gekommen sein kann. 

Man kann diese Auszüge füglich mit jungen Bienenschwär- 
men Tergleichen, welche sich vom alten Stocke trennen' um 
tin&si fteuen Stock zu suchen. 

Bald mochte es der Wunsch nach einem eigenen Herde 
Sein, welcher insbesondere die nachgeborenen Söhne in die Frem- 
de trieb, bald aber auch die Hoffnung auf schönem und ergie- 
bigem Besitz, welche zum Aufgeben des alten Besitzes an- 
trieb. Man zog demnach jiicht aus, um etwa einen noch wü- 
sten und noch unbebauten Boden zu erringen , denn den hätte 
jedenfalls auch die Heimath geboten. Dem Freien, der auch 
auf dem heimischen Boden den Pflug seinem Hörigen überliess, 
konnte es unmöglich einfallen, das Recht der schweren Land- 
arbeit sich in der Fremde mit seinem Blute zu erwerben. 
Nicht Arbeit war es, was er suchte, sondern Besitzthum und 
dieses konnte für ihn nur in schon bebautem Boden und in 
den für* dessen Bearbeitung erforderlichen Menschenkräften be- 
stehen. Damm galt der Kampf auch nur, den Herren, nicht 
den Knechten ; diese blieben und wechselten nur ihre Herren. 

Es sind weniger Völker, als Kriegsheere, welche zu Er- 
oberungen ausziehen, mochte es auch gewöhnlich sein, dass 
Weib und Kind dem Zuge folgten. Schon das, was Tacitus über 
die Gefolgschaften sagt , weist darauf hin. 

Es ist viel über das Gefolgswesen geschrieben, und wenn 
auch ich noch darüber rede, so werde ich doch nur in soweit 
darauf eingehen , ^ als mein Zweck es gestattet. Meiner Ansicht 
nach ist das Gefolge, wie es uns Tacitus schildert, von zweier- 
lei und zwar wesentUch verschiedener Art : nämlich ein amtliches 
und ein persönliches Gefolge. Das erste , auf das ich später 
noch zurückkommen werde, bestand aus den dem Füri^ön un- 
mittelbar untergeordneten ^Häuptlingen, das andere aus den Ge- 



treucB , welche der Mächtigere zu seinem persönlichen Dienste 
unterhielt. 

Waitz gesteht zwar nur dem Princeps ein solches Gefolge 
zu, weil sonst die staatliche Ordnung gestört worden wäre*). 
Aber der Häuptling bedarf in seiner amtlichen Stellung keiner 
besondem von ihm unterhaltenen Kriegsschaar, da im Volks- 
kriege es, je nach seiner Stellung, die Mannschaft des Gaues 
oder der Hundertschaft ist, welche er führt. Anders ist es in 
der Privatfehde, und da sehe ich keinen Grund, warum das 
Recht zu einem solchen Gefolge nur dem Häuptlinge zustehen 
sollte. . In weiter Ferne sehen wir deutsche Schaaren , wie hätte 
diese ein gewöhnlicher Häuptling führen können, dessen Amt 
ihm Pflichten auferlegte, welche ihn an die Heimath banden? 
Tacitus sagt, wenn in dem Staate, in welchem sie heimisch 
seien, ein langer Frieden die Thatkraft lähme, dann ziehe die 
Mehrzahl der jungen Edelen freiwillig zu den Stämmen, welche 
sich gerade in einem Kriege befänden ; denn '— fUhrt er fort — 
ein grosses Gefolge könne nur durch Gewalt und Krieg erhal- 
ten werden. Der Gefolgsherr habe das Streitross und die Waffen 
zu geben und seinem Gefolge auch die Lebensbedürfhisse zu rei- 
chen. Die Mittel hierzu (materia münificentiae) gewähre der 
Krieg und' der Raub. Und weiter: Keiner schäme sich im Ge- 
folge erblickt zu werden. Sogar Rangstufen habe das Gefolge 
nach der Stellung dessen, an den es sich anschliesse, und es walte 
ein grosser Wetteifer bei dem Gefolge, wer bei seinem Fürsten 
den ersten Rang einnehme, und bei den Fürsten, wer die mei- 
sten und eifrigsten Genössen habe. Darin bestehe üire Würde 
und Macht, stets von einer ausgewählten Schaar von Jünglingen 
umgeben zu sein. Im Frieden Glanz, im Kriege Schutz. Und 
nicht nur im eignen Volke, sondern auch bei den benachbarten 
Stämmen sei demjenigen Ansehen und Ruhm gesichai;, welcher 
sich durch ein zahlreiches und tapferes Gefolge hervorthue. Sie 
würden von Gesandtschaften aufgesucht, mit Geschenken beehrt, 
und allein schon durch ihr Ansehen unterdrückten sie häufig 
Fehden. 

Mit diesen Mittheilungen des Tacitus stimmen auch die 
des Cäsar (VI, 23) überein: „Auf Räubereien steht keine Schande, 
wenn öie nur ausser den Gränzen'dcs eigenen Stammes gesche- 



1) Roth, Beneflzialwesen S. 21, pflichtet ihm bei. 



MS 

hen, und sie sprechen es sogar unvertxolen aus, dass dieseften 
zu dem Zwecke unternommen würden, um die Jugend zu üben 
und vor Trägheit zu bewahren. Hat nun einer der Häuptlinge 
(quis ex principibus) in der Volksversammlung (in eoncüio) er- 
klärt, er wolle Führer (dux) sein, wer ihm folgen wolle, solle 
sich melden,. so erheben sich. alle diejeni^gen, welche die Sache 
und den Mann gut heisseix, versprechen^ ihre Hilfe und werden 
von der Menge gelobt^ Die aber, welche ungeachtet ihrer Zu- 
sage nicht folgen, werden äIs Ausreisser und Verräther be- 
trachtet und verlieren für die Zukunft alles Vertrauen." 

An diese Darstellung schliesst sich das Bild an, welches Cä- 
sar (VI, 11) von den s. g. Faktionen in Gallien gibt. In Gral- 
lien sind, sagt er, nicht nur in allen Staaten, Gauen und deren 
Bezirken, sondern beinahe in jedem Hause Parteiungen (factio- 
nes) ; und dann,fahrt er fort: „earumque factionum principes sunt, 
qui summam auctoritatem eoruih judicio habere existimantur, 
quorum ad arbitrium judiciuraque summa omnium rerum con- 
siliorumque redeat", also — das ist in kurzen Worten der Sinn 
dieser verschränkten Stelle — an der Spitze dieser Parteien 
stehen stets Männer von* hohem Ansehen. Der Grund dieser 
von Alters her (antiquitus) bestehenden Einrichtung scheint, heisst 
es weiter, dari^ zu liegen, dass keiner aus dem Volke (ex plebe) 
gegen einen Mächtigem (potentiorem) des Schutzes entbehre. 
Denn keiner von ihnen dulde, dass ein^r der Seinigen unterdrückt 
oder benachtheiligt werde ; handelten, sie anders , so verlören sie 
bei den Ihrigen jedes Ansehen. 

Die Stelle hat manches Geschrobene; Cäsar legt sich die 
ihm,, entgegentretenden Erscheinungen mehr nach eigener Will- 
kür zu recht, als dass er sie einfach und schlicht nach ihrer 
Natur auflfässt; auch hebt er stets Gründe aufzusuchen, womit 
er glaubt die Dinge erklären zu können. Deshalb der gleich 
folgende augenscheinüche Missgrüf, jene.s. g. Faktionen analog 
mit dem Kampfe der Aeduer und Sequaner zu finden, wenn 
autjh einzelne Aehnlichkeiten nicht zu verkennen sind. Ueber- 
haupt schildert er beide Faktioneii als politische Parteien und' 
dieses waren sie doch nicht, und konnten es nicht sein, weil 
eben das politische Prinzip fehlte, und gerade jene zuerst 
geschilderten Parteiungen können nicht anderes als nur pri- 
vatrechtliche Verbindungen sein. * Es sind die Gefolgschaften, 
.wie sie T?i<?U\iß auch wter den Germanen schildert, xm nüt 



M7 

dem, Unterschiede, dass Cäsar dieselben unzweifelhaft mit dem Hof- 
verbände (s. S. 105) zusammenwirft *), mag auch in der That ein ge- 
wisser Zusammenhang zwischen beiden nicht in Abrede gestellt 
werden können. Bestimmter ist schon das Gefolgswesen in Cä- 
sar's in. Buch. Kap. 22. bezeichne : die Gallier nennen sol- 
che Kampfgenossen „Soldarios"; das Verhältniss derselben ist 
so geordnet, dass sie alles Nothwendige von denen erhall- 
ten, welchen sie sich in Freundschaft verbunden haben. Be- 
trifft diese ein Unfall, so theilen sie mit denselben das gleiche 
Geschick oder nehmen sich wohl gar das Leben, und so weit 
die Erinnerung der Menschen reicht, weiss man von keinem 
Beispiele, dass einer sich zu sterben weigerte, wenn derjenige 
umkam, welchem er sich zu Freundschaft verpflichtet hatte ^). 
Damit vergleiche man, was l'acitus^) sagt: „Schande und 
Schmach ist es, die Schlacht lebendig verlassen zu haben, 
wenn der Häuptling gefallen ist. Die Häuptlinge kämpfen um 
den Sieg, das Gefolge für den Fürsten." Wie gross zuweilen 
solche Gefolgschaften waren zeigt unter andern das Beispiel des 
Orgetorix, dessen Gefolge (omnem suam familiam) an zehntau- 
send Männer zählte, ausser denen ihm noch zahlreiche Schütz- 
linge (clientes) und Schuldner verpflichtet waren. 

Wenn ein Unterschied zwischen den gallischen Gefolgen, wie 
diese Cäsar schildert, und denen der Germanen, wie wir diese durch 
Tacitus kennen lernen, obwaltete, so mag derselbe vorzüglich darin 
gelegen haben , dass die Hauptmasse der gallischen Gefolge aus 
Nichtfreien bestand, obwohl auch bei den Germanen sicherlich 
mindestens auch der auf fremdem Boden sitzende, also in einem 
Schutzverhältnisse stehende, Freie dein Grundherrn zum Kriegs- 
dienste verpflichtet war. Tacitus spricht vorzugsweise nur von 
den Edeln, welche in die Ge'folge anderer treten und es kann 
deshalb daraus keineswegs gefolgert werden, dass dasselbe nur 
aus Edeln bestanden habe. Auch lag es wohl ganz in der Natur 
der Verhältnisse, dass im Heere sich Unfreie befanden, wenn 
auch nicht zum Kampfe , doch zu andiem Diensten. ' Wir sehen 



1) So auch VI. 13. 

2) Cäsar erwähDt der Gefolge auch noch an andern Orten. So flieht Litavicus 
mit seinen Clientes, welche nach gallischer Sitte auch in der grössten Gefahr ihren 
patronns nicht verlassen dürfen. VII. 40* 

_ 8) Gerna. 14i i 



IM» 



dieses ätich m der That bei den Langobarden, denn als diese 
nach Mauringa kamen, gaben sie vielen Sklaven diö Freiheit, 
um die Zahl ihrer Streiter zu vergrössem (ut bellatorum possint 
amplicare numerum) *). 

Da, nach des Tacitus Berichte^ auch Rangstufen im Gefolge 
waren, was doch nichts anderes heissen kann, als dass unter 
dem obersten Führer auch noch untergeordnete Führer standen, 
so muss man daraus sehliessen, dass das Gefolge ganz dem 
Heere geglichen habe, dass nämlich dasselbe yne das Heer zu- 
*gleich aus blös GehorchendeiL und aus Befehlenden bestand, so- 
wie weiter, dass es eben das Streben jener Jünglinge von edler Ab- 
kunft war , zu solchen Befehlshat)er^tellen im Gefolge zu gelangen. 

Jene untergeordneten Führer nach Rangstufen weisen natür- 
lich auch auf eine Gliederung des Gefolges hin und diesie Ab- 
theilungen entsprachen sicherlich ganz denen des Volksheeres, 
also in Zehn , in Hundert und Tausend , und eben hiemach be^ 
stimmte sich auch der Rang der Führer* 

Solche Gefolgschaften wai'en es, welche bald auf kürzere 
Raubzüge, bald aber auch auf ferne Eroberungen auszogen, und 
wohl mochten dieselben meist aus nachgeborenen Söhnen be- 
stehen, welche die Hoffnung auf die Erringtmg von Reichthum 
und Ansehen zum Kampfe zog. 

,' ' War auch der Haufen schon gross beim Aysznge, bei dem 
weiteren Zuge schlössen sich neue Gefolge an, und so schwoll 
der Haufen leicht zu einem Heere an und je zahlreicher dieses 
Heejc, um so höher stellte sich das Ansehen des Führers, 
ja er gewann wohl sogar eine königliche Stellung und konntfe 
dieses um so mehr, als das Heer das vollstähdigste Bild des Volks- 
staates gewährte. Wurden doch selbst jene nordländischenAben- 
theuerer .Seekönige (Wikinge) genannt, welche Jahrhunderte 
hindurch die Küste'n Europa's beunruhigten, obwohl ihr König- 
reich nicht über den Bord ihrer Schiffe hinausreichte. 

Einen solchen Gefolgsherrn sehen wir zunächst in Ariovist. Ihn 
hatten die Sequaner in ihrem Kriege gegen die Aeduer zur Hilfe 
um Lohn über den Rhein gerufen ; er . war mit 15,000 gekom- 
men und als ihnen das Land der Seq.uaner gefiel, folgten mehr, 
so dass das Heer bis zu 120,000 Mann anwuchs, und Ariovist 
Hess sich nieder und die Sequaner mussten ein Drittel ihres Be- 



1) Paul. Oia(jonus I. 13, 



U9 

Sitzes abgeben, um den FFemdling^n SHze zur Niedeiiassnng zu 
bereiten, ja er begehrte bald sogar noch ein weiteres Drittel, 
um auch 15,000 Harudem, welchfe ihm noch nachgezogen waren, 
ebenwohl €rrundbesitz zu verschafien. Cäsar nennt ihn „Rex Ger- 
manorum*)" und nicht mit Unrecht, denn er führte keinen ein- 
zelnen' Volksstamm; sein Heer war •vielmehr- aus Theilen der i 
Yerschiedensten germanischen Stämme zusammengesetzt. Cäsar / 
nennt uns Haruder, Markomannen, Triboker, Vangioner, Vene- | 
ter, Sedusier, Sueven. Es war also ein aus allen Gegenden { 
Germaniens zusammengezogenes ^eer^). 

Auf ähnliche Weise wie Ariovist's Heer schwoll sicher auch 
das Heer der Cimbern und Teutonen zu jener für Rom so er- 
schreckenden Grösse an , denn auch diese Massen bestanden 
unzweifelhaft aus den verschiedenartigsten Stämmen, die sich 
auf dem langen Zuge nach und nach angeschlossen hatten. Von 
Reicher ^Natur waren auch die meisten der zahllosen.. spätetP 
Vplkszüge bis zu denen der Sachsen und Angeln nach Britannien 
und den nordischen Heerfahrten nach dem Westen und Süden 
Europas. Auf den Ruf des brittischen Fürsten Vortiger ziehen 
Hengist und Horsa naeh Britannien, aber keineswegs geschieht 
dieses mit einem, za hlreich en Heere. Schon die Ueberfahrt hätte 
dieses nicht gestattet. , Erst nach und nach folgen weitere Züge, 
aUes einzelne Gefolgschaften.' Ganz in ähnlicher Weise erfolgt 
später die dänische Eroberung , und selbst Wilhelm der Eroberer 
war nichts anderes als ein Gefolgsherr, mophte er immerhin 
auch .als ein Verwandter Eduard des Bekenners sich auf Erban- 
sprüche stützen. 

Allerdings tragen nicht alle diese Züge denselben Charak- 
ter, und namentlich war dieses wohl der Fall, wenn ein König 
an der Spitze süand. Dann geschah es, dass derartige Züge 
durch allgemeines Aufgebot erfolgten. 

Das Gefolgswesen ging übrigens keineswegs mit der al- 
ten Zeit zu Grabe, es bestand auch später noch, nur mit un- 
wesentlichen durch die Verhältnisse der Zeit bedingten Verände- 
rungen,^ wie wir dieses besonders aus der Geschichte des Gra- 



1) Rolh a. a. 0. S. 24. findet den Grund dieses Titels nur darin , weil der rö- 
mische Senat ihm denselben ertbeilt; darin liegt indess nur die Anerkennung einer 
Tfaatsache, denn Ariovist's Stellung war ganz und gar die eines Königs. 

2) Caesar 1, 31 u. 51. 



ff50 

fen Rtttbert von Flandern ersehen, welche überhaupt auch ei- 
nen trefflichen Spiegel für die altern Zustände gewährt. In 
Flandern erwählte — erzähl t Lambert v on Aschaffenburg *) — 
stets der Vater sich den ihm wohlgefälligsten Sohn zupi Nachfol- 
ger in der gesammten Grafschaft, „die übrigen Brüder aber wur- 
den entweder diesem unterthan- und führten dann ein ruhmloses 
Leben,, oder suchten in der Fremde lieber durch eigene Thaten 
einen glänzenden Namen, als dahöim das Gefühl ihres eigenen 
Mangels mit dem eiteln Nachruhme ihrer Ahnen zu tristen. Die- 
ses geschah, damit nicht durch Theilung des Landes der Glanz 
der Familie in Folge des sich mindernden Besitzes verdunkelt 
werde. Da nun Graf Balduin zwei Söhne hatte, Balduin und 
Rutbert, so bestimmte er den erstem zu seinem Erben, für Rut- 
bert dagegen rüstete er, sobald dieser zu kriegerischen Unter- 
nehmungen herangereift' war, Schiffe aus, versah ihn reichlich 
mit , Gold, Silber und allem Erforderhchen zu einer weiten Fshrt, 
und hiess ihn zu fremden Völkern ziehen, um dort, wenn er 
ein Mann' sei, durch eigene Tapferkeit sich Herrschaft und Reich- 
thümer zu erwerben. Rutbert, dem Vater folgend, nahm eine 
Menge Volkes mit sich, welches dem Lande zur Last war, und 
ging mit der Absicht zu Schiffe nach Gallizien zu fahren, um, 
wenn Gott sein Vorhaben begünstige, sich dasselbe zu unterwer- 
fen. Nach wenigen Tagen landete er an unbekannten Küsten. 
Nachdem er aj)er an*s Land gestiegen und Beute von den Ein- 
wohnern zusammentrieb-, eilten diese von allen Orten bewafihet 
* 

zu seiner Abwehr herbei, es kam zum Streite, und nach gelei- 
steter tapferer Gegenwehr wurde er zur Flucht genöthigt, und 
verfolgt bis an*s Meer, verlor er beinahe seine ganze Mannschaft. 
Nur mit Wenigen kehrte er jsum Vater zurück, der eigene Bote 
seines grossen Missgeschicks. Als dieser ihn wegen des übelen 
, Ausgangs seines Unternehmens schmählich zurückwies, entschloss 
er sich das auf diesem Wege ihm abhold gewesene Glück auf 
einem andern zu versuchen, bereit Alles, auch das Aeusserste, 
zu erdulden, um durch neue Thaten den früh^ern Schimpf auszu- 
wischen. Sobald er die Schiffe ausgebessert und seine Gefähr- 
ten ergänzt hatte, vertraute er sich von Neu em^ den Wellen des 
Meeres an , um in ferne Lande zu fahren., unbekümmert darum, 
wo Gott sein Herumschweifen enden werde. Aber schon nach 



1) Perlz, ^. H. Germ. V. p. 181 sqq. 



tu 

I 

I 

wenigen Tagen von einem heftigen Sturme ergriffen, Verlor 
er im Schiffbruche viele der Seinen und kam nackt und von Al- 
lem entblösst nur mit genauer Noth an's IJfer. Darauflegte er 
ein 'gemeines Kleid an und wollte unter denen, welche nach 
Jerusalem wallfahrteten , um dort ihr Gebet zu verrichten, nach 
Konstantinopel ziehen, denn von dort hatte er von den in des 
griechischen Kaisers Kriegsdiensten stehenden Normannen ^el-* 
fkch Botschaften empfangen, die ihm für d^n Fall seines Hin- 
kommens das Fürstenthum des ganzen Griechenlands verhiessen. 
Aber der von diesem Anschlage in Kenntniss gesetzte Kaiser 
von Konstantinopel hatte alle Flussübergänge, welche nach Grie- 
chenland fährten, mit Wachen besetzen lassen, um ihn zu grei- 
fen und sofort zu tödten. Dadurch ward dann auch dieses 
Vorhaben vereitelt. Indem so jeder Versuch zur Erweiterung 
seines Buhmes unglücklich abgelaufen, wendete er sein Streben 
von der Unterwerfting fremder Völker für immer ab und machte 
einen Einfall in*s benachbarte Friesland. Er wurde aj^er in zwei 
Schlachten überwunden und erst nachdem die Bewohner sahen, 
dass er zu Sieg oder Tod entschlossen sei, unterwarfen sie sich, 
durch viele Gefechte erschöpft, freiwillig. " 

Ich habe absichtlich diese Erzählung in ihrem ganzen Um- 
fange mitgetheilt, weil aus ihr treuer als ai^s vielem Andern 
sich das Wesen dieser Wanderzüge abspiegelt. 

Doch auch im Mittelalter dauern ähnliche Zustände noch 
fort, und selbst in den spätem Jahrhunderten unterhält noch 
jeder Mächtigere, ja sogar jeder einfache Ritter, eine Zahl von 
Edeileuten in seinem Solde, bald mehr bald minder, je nach 
dem Umfange seiner Mittel. Auch die italienischen Condottieri 
sind nichts anders als Gefolgsherren, eben so wie jene deutschen 
Edelleute, welche im sechszehnten Jahrhundert bald Regimenter 
bald Kompagnie anwarben und als deren Führer in fremde Kriege 
führten. 

Wohl niemals hat ein Volk als solches seine alte Heimath 
verlassen, um eine neue Heimath zu suchen, ohne durch äus- 
seren Drang dazu gehöthigt zu sein.- Nur die Helvetier machen 
allenfalls — nach den Berichten Cäsar^s — davon eine Aus- 
nahme; aber doch auch sie werden weniger aus eigenem freiem 
Entschlüsse, als mehr durch die Ueberredung des nach Allein- 
herrschaft strebenden Orgetorix zum Aufgeben ihres Heimath- 
landes bewogen. Dagegen erzählt die Sage von den Langobar- 



den: Als das Volk im alten Vaterlande zu sehr angevrachsen, 
habe man die Gresammtmasse in drei Theile geschieden und durch 
das Loos es bestimipen lassen, welches Drittel fortziehen and 
sich eine neue Heimath suchen solle ^). In der Regel war es 
eine Folge feihdMchen Vordrängehs, wenn ganze Völker ihre al- 
ten Sitze verhessen, und auch dann waren es eigentlich nur 
mehr Reste derselben, welche dem Schwerte oder der Gefan- 
genschaft der Sieger entronnen waren, als. ganze Yollständig« 
S[^ämme. 

Wohl zeigt sich während der ersten vier oder fünf Jahr- 
hunderte unserer christlichen Zeitrechnung ein gewaltiges Völ- 
ker-Wogen; es ist, als ob die germanische Welt zu enge gewor- 
den sei und kaum in Europa Raum habe finden können, aber trotz 
dem dürfen wir alle diese Völkerzüge ,döch nur als Heereszü^e 
betrachten. Schon die Natur der Verhältnisse lässt im Allgemeinea 
keine andere Annahme zu. Es waren- Eroberungszüge, wenig ver- 
schieden nicht nur von denen der früheren Zeiten, sondern auch 
von denen , welche durch alle spätem Jahrhunderte statt fanden. 
Das eigentliche Volksheer während der alten Verfassung, gehörte 
vorzugsweise der Heimath und sein Aufgebot erfolgte mehr zur 
Verthei4igung als zimi Angriff; an jenen Zügen nahm dagegen we- 
niger das Volk als solches, vielmehr nur Theile desselben Antheil. 
Auch sind jene Heereszüge nur in ihrer Quelle verschieden, in ihrem 
Bestände und ihren Erfolgen hingegen gleich, mochten sie nun 
aus Gefolgschaften bestehen oder durch königliches Aufgebot 
hervorgerufen sein. Der beste Beweis hierfür liegt in den Ge- 
schicken der Eroberer selbst. Wir sehen nämlich die Nationali- 
tät aller dieser sich eine neue Heimath erobernden Vol]csstämme 
in der der unterworfenen Völker naoh und nach untergehen und 
meistens spurlos verschwinden. Wie die schon früher in Gal- 
lien eingewanderten germanischen ßtämme , so verlieren sich 
dort auch die später eindringenden Franken, Burgunder u. s. w., 
so dass nur noch einzelne Anklänge später an sie erinnern. 
Dasselbe ist der Fall mit den das ganze westliche, südliche und 
östliche Europa erobernden Gothen. Vergebens würde man heute 
nach den Spuren jener Tausende von Sachsen forschen, welche 
Karl der Grosse in die südlichen Gaue verpflanzte ; sie sind Fran- 
ken geworden, gleich wie jene nach Sachsen versetzten Pranken 



1) Paul. Diaconus 1« 2. u. 3. 



mck in iSachsen yerwandelt haben. Eben so sind die aus dem 
hohen Norden stammenden Langobarden Italiener, die aus den 
skandinavischen Bergen hervorgegangenen Normannen Franzo- 
sen geworden. Einen andern Beleg geben uns die Ostseeländer: 
das Volk ist dort ,. abgesehen von der Knechtschaft, in die es 
versunken; noch dasselbe, wie bei der Eroberung; seine Herren 
aber , die Besitzer des Bodens , sind Deutsche. Aehnliches bie- 
tet die Türkei , denn die Zahl der Türken ist klein. Wir sehen 
hieraus zugleich, wie lange Jahrhunderte nöthig sind, um 'die 
Verschmelzung zweier Nationalitäten zu vollenden. Nur dann, 
wenn ein starker Nachzug statt findet , mag diese rascher von 
statten gehen, wie dieses mit den das linke Rheinufer einneh- 
menden Germanen der Fall war, oder sich eine neue Nationali- 
tät bilden, wie wir dieses in England sehen. 

Sonst bleibt lange Jahrhunderte hindurch die Stammesver- 
schiedenheifc zwischen Siegern und Besiegten erkenntlich. Wäh^ 
rend die Skandinavier auch schon in den Schilderungen der al- 
ten Quellen ganz dem Bilde entsprechen, welches Tacitus voA • 
den Germanen entwirft, hatten ihre Sklaven, nach dem Rigsmal, 
schwärzliche Haut, schwarzes Haar, kleinen und krummen Wuchs, 
platte Nasen und dicke Finger *) ; und eb'önso fallt der Unterschied 
zwischen dem ' polnischen und dem langobardischen Adel und . 
dem niedem Volke noch heute in die Augen. 

Im ge-^öhnlichen Falle wechselten gewisssermasen nur die 
Obrigkeiten ; die Eroberer verjagten die alten upd setzten neue, 
und zwar aus ihrer Mitte, an die Stelle. Nachdem der Lango- 
barden König Albuin — erzählt P. Diaconus*) — Venetia, wel- 
ches die erste Provinz Italiens ist (quae prima est Italiae provin- 
cia), ohne einllmdemiss erreicht und das Gebiet der Stadt oder 
vielmehr der Burg Forojuli (Friaul) (civitatis vel potius castri 
Foro-Juliani terminos) betreten hatte., so überlegte er, wem er 
ViTohl diese erste eroberte Pro-dnz anvertrauen, oder, wie es gleich 
nachher heisst, wen er zum Herzoge dieses Landstrichs (in his 
locis) einsetzen könnte. So übergab er seinöm Neffen Gisulf 
die Stadt ForctJ^li und deren ganzes Gebiet (regionem). Doch 
Gisulf erklärte, dass er nicht eher die Herrschaft (regimen) über 
Stadt und Volk übernehmen' werde, bis ihm die Faren (davon 



3) Beaterdabi a. a. 0. S. 69. 
2) II. 9. 



\ 



•S4 

das rWort Baton) d. h; die GeschlecMer (faras hoc est genera- 
tiones vel lineas) überwiesen worden , ^ welche er sich aus den 
Langobarden auswählen wolle. Dieses Verlangen wurde ihm 
gewährt und er erhielt nun die vornehmsten langobardischen 
Geschlechter (Langobardorum praecipuas prosapias), -welche mit 
ihm wohnen sollten, und nun^erst übernahm er die herzogliche 
Würde. . 

Die normannische Erobertmg Englands trifft vorzugsweise 
nur die angelsächsischen Grossen und nach mehreren misslun- 
genen Aufständen verschwinden deren Namen beinahe alle ; so- 
gar die geistlichen Stifter M^erden nur noch mit Normannen 
besetzt. 

Ebenso erzählen die letzten Fortsetzungen des Fredegar *), 
im J. 733 sei Herzog Karl mit einem Heere gegen Burgund ge- 
zogen, und h^be, nachdem er die gallische Stadt Lugdununi und 
die Aeltesten .und Vorsteher der Provinz (majores natu atque 
praefectos eiusdem provinciae) unterworfen, --allenthalben bis nach 
den Städten Ma^silia und Arelatum Richter (iudices) eingesetzt. 

Wir finden sogar Völker, die schon lange unterjocht und 
ihrer Freiheit beraubt, sich erheben und ihre Freiheit erkäm- 
pfend ihre, alten Zwingherren in Hörige verwandeln. Dieses war 
mit den Limiganten an der Theis der Fall, welche früher von 
einem sarmatischen Volksstamme unterworfen, in der Mitte des 
vierten Jahrhunderts sich wieder frei und dagegen ihre seitheri- 
gen Herren zu ^Knechten (servös) machten, bis Julian mit sei- 
nem Heere das frühere Verhältniss wieder herstellte. Schon 
hatte derselbe die Amicenser und Picenser veriiichtet, als die 
dadurch erschreckten Limiganten auf den Rath ihrer Häuptlinge 
(seniorum) sich unterwarfen und zur Auswanderung bereit er- 
klärten^). 

Also nirgends sehen wir ein Vertreiben oder Vernichten 
der gesammten Bevölkerung, es W4irden vielmehr im äussersten 
Falle nur die Freien d. h. die Herren erschlagen, vertrieben oder 
ihrer Freiheit beraubt; der Krieg galt nicht den Hörigen, wenn 
von diesen immerhin auch ein Theil in dem zerstörenden Sturme 
nnt ihren seitherigen Herren ipitergehen mochte. Man wollte 
nicht öde menschenleere Wüsten erobern und diese in-bar ma- 



1) Bonqtiet, Ber. Gallic. IT. p. 456. 

2) Ammianas Marcellinas XVÜ , 12 u. 13< 



S55 



chen» Man suchte vielmehr . fruchtbare Aecker und Hände, 
welche diese bebauten. Obwohl Einhard*) erzählt, dass der 
achtjährige Krieg in Pannonien dieses Land ganz Inenschenleer 
gemacht habe , so läs§t er doch gleich darauf nur den gesamm- 
ten Adel der Hunnen untergehen. 

'Adam von Bremen (I, 3.) bezeichnet das Verhältniss sehr 
treffend durch die Worte: „Fragt man, welche Sterbhche vom 
Beginn das Land der Sachsen bewohnt, oder von welchem Lande 
das Sachsenvolk zuerst ausgezogen sei, so hat sich mir aus 
Vielfaltigem Lesen der Alten ergeben, dass wie alle Völker auf 
dieser Welt, so auch dieses Volk, nach den geheimen Rath- 
schlüssen Gottes, mehr als einmal seine Herrschaft auf ein an- 
deres übertragen hat und dass nach dem Namen der Sieger auch 
die eroberten Länder umgenannt wurden." 

Ich komme nun wieder auf den Punkt zurück, von wel- 
chem ich^ ausging. Mein Zweck war, aus der Art und Weise 
dieser Eroberungen den Nachweis zu liefern, dass den Erobe- 
rem jede Veranlassung fehlte, neue Gebietseintheilungen vorzu- 
nehmen. Sie setzten sich einfach an die Stelle der Besiegten 
und alle Gränzen blieben unverrückt und in den meisten Fällen 
erhielt sich auch die alte Hauptmalstätte in ihrer alten Bedeu- 
tung. Das Volk bildete ein Ganzes und wurde deshalb in den 
meisten Fällen auch als ein solches, häufig in einer Schlacht, 
unterworfen. So warf eine Schlacht die Alemannen unter die 
fränkische Herrschaft'^) ; Aehnliches sehen wir in Thüringen 
nach den Schlachten an der Unstrut und Nah ; der Sieg bei 
Xerez de la Frontera- (711) begründete in wenig Monaten die 
Herrschaft der-Ms^uren fast über ganz Spanien und ebenso war 
es die Schlacht bei Hastings (1066), welche Wilhelm den Erobe- 
rer zum Herrn von beinahe ganz England machte. 

Ungeachtet der zahlreichen Wechsel, welchen Ripuarien un- 
terlag, ja ungeachtet der Rhein sogar öfter als Scheide der Strei- 
tenden diente, so hat sich doch dasselbe als ein Gesammtge- 
biet erhalten. Auch die alten thüringischen Gränzen blieben 
unverwischt, denn die Nordthüringen bewohnenden Sachsen 
bilden einen von den andern drei Sachsenstämmen abge- 
trencnten und unter einem andern Rechte stehenden Stamm. 



1) ViU Cai-oli M. 13. 

2) Gregor. Tut. II. c. 30. 



I 

Aber auch da, Vo Aenderungeii in den grossen Volksgebieten 
eintraten, denn ihre Möglichkeit will ich keineswegs in Abrede 
stellen , erstreckten diesö sich doch nicht auf ein Verschmelzen 
mit andern Gebieten. Es scheint hiergegen zwar die nordische 
Geschichte zu sprechen. Bei den fortwährenden Kämpfen in Nor- 
wegen wird nämlich die Herrschaft über manche Fylkfs zerrissen, 
indem einzelne Fylki's entweder zum Theil erobert *) oder auch 
wohl friedlich getheilt wer'den^); es ist aber damit keineswegs 
gesagt, dass die solchergestalt zertrennten Herade auch iii der 
That aus ihrem alten Verbände getreten seien. Es spricht we- 
nigstens die spätere Zeit dagegen und auf deutschem Boden feh- 
len sogar ähnliche Beispiele gänzlich. Die Gaue "wenigstens blie- 
ben stets das, was sie waren. Sie bilden geschlossene Ganze 
und fallen deshalb auch stets als solche in die Hände der Er- 
oberer, ganz wie wir auch in der spätem Zeit beinahe stets die 
gesammte Bevölkerung sich dem Christenthume fügen sehen. 
Wie mit dem Hauptorte des Gaues der gesammte Gau dem Sie- 
ger verfiel, so beugten sich mit der Bekehrung des Häuptlings 
auch sämmtliche Gaueinsassen. Die gallischen Hauptstädte, wel- 
che wir unter den Römern kennen lernen , finden wir im Mit- 
telaltersämmtlich auch noch als die Hauptstädte und Mittelpunkte 
von fränki'schen Gauen wieder. 

Aber auch das innere Leben des Volkes wurde durch eine 
JEroberung nirgends wesentlich verändert. Die ' Eroberer fügten 
sich in das, was sie fanden und mussten dieses, weil sie in der 

* 

That gar keine Veranlassung hatten, darin Umgestaltungen vorzu- 
nehmen. Nicht nur die Art und Weise des Wohnens blieb dieselbe, 
auch in dem Betriebe des Ackerbaus folgte man nach wie vor der 
althergebrachten Gewohnheit. Obgleich das linke Rheinufer schon 
längst vollständig germanisirt war, findet man dort doch fortwäh- 
rend noch die gallische Eintheilung des Ackers nach Bonuarien'). 
Sehr wahr sagt Haxthausen*) „die^Dreifelderwirthschaft ist 
in sich so geschlossen, sie bewegt sich so fest und unantast- 



1) Ynglingen Saga. Kap. 49 und 54. 

2) Saga Halfdan des Schwarzen. Kap. 1 und 2. 

3) S, z. B. Binterim und Mooren, die Erzdiözese Köln I. S. 181 u* 1^2, »• 
50, 51 u. 52 und Codex I. p. 37. 

4) Ueber den Ursprung und die Grundlagen der Verfassung in den ehemals slayi- 
schen Lftndern Deutschlands im Allgemeinen und des Herzoglhnms PooNnern im Be- 
sondern S. 19. ' 



bar in dem ihr einmal vorgezeichneten Creleise, dass eine rasch^ 
.unüberlegte Aenderung den Ackerbau selbst zerstört, und nur 
.eine allmälige^ durqh rationelle * Gründsätze geleitete Umwai^d- 
lung möglich ist! — Wir wollen setzen, es überschwemmte^ 
barbarische ^o^ien eines unserer civiUsirten Länder und setz- 
ten sich darin fest, .so würden sie dennoch daß jetzige Wesen 
des Ackerbaus und Jsomit den Anbau und die jetzige Physiognp- 
mie des Landes nur wenig ändern. Diese Barbaren wollen doch 
• leben. Selbst wenn sie Nomaden wären, von Jagd und Vieh- 
Kucht in ihren frühem Sitzen lebten, so werden sie in dem ein- 
mal angebauten Lande gar nicht auf dieser Lebensbasis fort e^i-' 
stiren können. Jagd und Viehzucht wird ihnen in diesem Lanc^e 
gar nicht mehr die hinreichende Nahrung gewähren , sie müssen 
und werden es sich auch gerne gefallen lassen, von den Früch- 
ten des Ackerbaijies zu leben. .Um dies aber zu können, mui^s 
er so fortgesetzt werden, wie er bisher geführt. Jene Barbaren 
werden daher theils durch den Rest des durch sie unterjoch- 
ten Volkes, als ihre nunD^^hrige Sklaven, den Ackerbau so 
fortsetzen lassen, wie er bisher betrieben worden, und sich des- 
.sen Früchte theilweise zueignen, theils werden sie selbst sich 
in den' Wohnsitzen der Erschlagenen niederlassen und denAcker- 
bau so fortsetzen , wie sie ihn vorfinden. Die Eintheilung der 
Felder, .selbst grossentheils djie Be^zverhältnisse der einzeln 
nen Ackeirwirtbscl^ten, die Einrichtungen der Gehöfte zum Be- 
huf der Viehzucht , selbst die Wohnungen , also die Bauart der 
Hauser, wird im Wesentlichen dieselbe bleiben, und der Anbau 
-des Landes .und.seine Physiognomie würde sich somit wohl fast 
gar nicht ^verändern ". 

Für die Stetigkeit der Verhältnisse gibt uns auch das Kat- 
. tenland einen trefflichen. Beleg. Wie schon zur Zeit d^r Römer 
.Maden der alte Uaupt- und Mittelpunkt desselben ist, so be- 
hält dasselbe diese Eigenschaft bis in's Mittelalter. Aber auch 
. die, Gränzen des Landes können keine andern als die des frän- 
..kischen; Hessengaues, gewesen .sein. Die Wetterau wird nie als 
-kattisches Gebiet bezeichnet und östlich gränzte Thüringen. Nur 
nördlich wird der sächsische Hessengau und westliph der Ober- 
.lahngau 4^n Urkunden nach zu Heßsen gerechnet. Aber man 
betrachte / nur diese, Gebiete. Das sächsische Hessen ist ein 
Gau der sächsischen Provinz Engem, der Engergau im engem 
Sinne, und noch höute trägt das Volk den YP?lön Stempßl sas- 

Landao. Territorien. ' 17 



«S8 

sischer Abstammung. Eben so trennt aber auch den Oberlahn- 
gau einfe scharfe Scheide vom eigentlichen Hessengau, der sich 
in hundert Dingen noch bemerküch macht, vor allem jedoch in 
der Sprache und — in der Leibeigenschaft, Welche letztere na- 
mentlich allgemein verbreitet war, während man im fränkischen 
Hessen diese nicht kannte. Aber trotz dieser so wesentlichen 
Verschiedenheiten werden beide zu Hessen gezählt und häufig 
auch Hessen genannt. Wie kann dieses nun anders erklärt wer- 
den, als dass beide Gebiete von den Katten unterworfen worden 
und seitdem unter kattischer Herrschaft gestanden. Eine an- 
dere Erklärung gibt es nicht. In dieser Thatsache finden wir 
nun aber zugleich ein Beispiel davon, wie eng die Freiheit ei- 
nes Volkes mit seiner Unabhängigkeit verknüpft war. 

Jenes Einfugen in die vorhandenen Zustände ging so weit, 
dass ungeachtet die Germanen im Heimathlände keine Städte 
hatten, sie dennoch allenthalben, wo sie deren fanden, sich in 
denselben niederliessen. Ammianus Marcellinus (XVI. 2, 121) 
erzählt zwar aus dem Peldzuge Julians gegen die Alemannen, 
dass die Germanen, obwohl sie sämmtliche Städte am linken 
Rheinufer von Mainz an aufwärts im Besitz gehabt, ^dennoch 
nur die Gebiete dieser Städte bewohnt hätten (territoria earum 
habitare); vor den Städten selbst aber hätten sie sich wie vor 
mit Netzen umstellten Gräbern gehütet (nam ipsa opplda ut 
circumdata retiis busta declinant). Indessen scheint dies doch 
nur im Anfange der Besitznahme <jles Landes und insbesondere 
noch während des Krieges der Fall gewesen zu sein, denn später 
finden wir sie doch eben in diesen Städten wohnen , und dass sie 
Städte auch zu schätzen wussten, ergibt sich aus der Antwort, 
welche die Agrippinenser den Tenchtherem gaben. Als diese 
nämlich von jepen verlangten die Mauern ihrer Stadt (Köln), 
weil sie Bollwerke der Knechtschaft (munimenta servitii) seien, 
niederzureissen , meinten die Agrippinenser, sie hielten es ge- 
rade jetzt, wo die römischen Heere sich wieder sanmielten, für 
gerathener, die Mauern eher zu verstärken, als sie zu zerstören ^). 

Dass auch die Germanen Befestigungen hatten, ist wohl 
kaum zu bezweifeln; aber es waren dieses keine Wohnstätten, 
es waren nur Ringwälle, feste Lager für den Krieg; ihre Wohn- 
sitze waren vielmehr offene und unbefestigte Dörfer (villae, vici). 



1) Tacilud, Hist. IV. 64. 



Das, was ihanals deutsche Städte bezeichnet-^), waren entweder 
keine (z. B. Mattium) oder diese Städte lagen ausserhalb der 
altgermanisehen Gränzen. Noch Jahrhunderte später ist d,er alt- 
germanische Boden arm an befestigten Wohnorten. Vom Sach- 
senlande heisst es, dass es weder befestigte Berge noch feste 
Städte habe^) und zum J. 1073, es habe noch nicht viele feste 
Orte (nee tum enim plures habebat Saxonia munitiones) ^). Die 
Städte, welche uns hier schon in früher Zeit*) genannt werden, 
sind entweder nur einfache Burgen , oder es sind Orte geistli- 
cher Stifter, welche gewöhnlich befestigt wurden, oder die Be- 
zeichnung ist eine missbräuchUche. Jene Städte waren stets 
die Tßmpelstätten und zugleich der Sitz der Obrigkeiten, sowohl 
in Gallien als in allen andern Ländern, welche gleich diesem 
Städte besassen. Aus diesem Umstände erklärt sich auch, wie 
mit der Eroberung einer Stadt stets auch das zu derselben ge- 
hörige Gebiet widerstandslos in die Hände de'r Sieger übergeht. 
Es ist sogar wahrscheinlich, dass sie vorzugsweise nur zum 
Wohnsitze der Freien ' gedient. Hierfür spricht wenigstens der 
eben angeführte Umstand. Auch eine noch bis in unsere Tage 
herüber reichende Thatsache möchte als Beleg dafür angeführt 
werden können. Ich meine jene eigenthümliche Thatsache, dass 
in Frankreich und ostwärts bis zum Rheine der Besitz des Acker- 
bodens sich beinahe aüsschliessUch in den Händen der Städte- 
bewohner befand und zum Theil noch befindet. Es ist dieses 
wenigstens noch im südlichen Frankreich und ebenso im gröss- 
ten Theile Italiens der Fall; Bald sind es nur einzelne geschlos- 
sene Höfe, bald auch ganze Feldfluren oder grosse Theile der- 
selben, deren Eigenthum einem einzigen Stadtbewohner zusteht, 
während der Bebauer nur . Pächter ist und als Privateigen- 
thum nur die Gebäude besitzt. Der Pachtzins, welchen er zu 
entrichten hat, ist begreiflich sehr verschieden, doch findet man 
ihn meistens auf die Hälfte der Emdte festgesetzt. 

5) Die Germanen hatten keine Städte. 

Nur das alte Germanien hatte keine Städte und unterschied 
sich dadurch von. allen seinen Nachbarn. Diese Thatsache gibt 



1) Waitz a. a. 0. I. S. 19. 

2) Luidbrandus II. 24. 

3) Ekkehardus, Cbron. UDiver. ap. Perlz, Mon. Germ. VI, 200. 

4) Z. B. 1005 : „cifitas Scidere in Engern''. Höfer elc Zeitschr. U. 'S. 14L 

17* 



1 



MO 

den Worten des Tadtus: „NuUas Germanorum populis urbea ha- 
bttari satis, notum est** eine weit gewichtigere Bedeutilng, als 
man denselben gewöhnlich zugesteht. Ja, dieser Unterschied 
im Wohnen ist so scharf ausgeprägt , dass er das Mittel an die 
Hand gibt die alten germanischen Gräneen nach allen Seiten 
hin festzustellen. 

Ich Jtann um so weniger umhin diesen Versuch zu ma- 
chen, als aus dieser Feststellung sich nicht nur noch Belege für 
das oben Behauptete, sondern auch fioch einige^ andere wichtige 
Resultate ergeben. 

Ich beginne im Norden. 

Dort haben wir zuerst das Land der Bataver. Dass das- 
selbe Städte besass, geht unzweifelhaft aus den römischen 
Schriftstellern hervor; Cäsar nennt uns ausdi-ücklich die „oppida 
Batavorum". Dahin gehörten namentlich Batavodurum, auch op- 
pidutti Batavoinim genannt, die Hauptstadt der Bataver, dq,s spä- 
tere Noviomagus — Nim wegen, so wie Utrecht, am Rheine, das 
alte Trajectum *) , welches auch Wildenburg genannt wurde , unÜ 
die alte, ehemals reiche Handelstadt Duuerstede (Wyk de Duuer- 
stede). Auch dass nördlich von Utrecht nahe der Rheinmün- 
dung liegende Lugdunum — Leiden — gehört noch hierher. 
Römische Quellen nennen dasselbe „caput Germaniarum**. Man 
wollte schweriich damit sagen, dass dasselbe auf germanischem 
Boden liege, sondern nur, dass dasselbe am Beginne -Germa- 
niens oder im Allgemeinen, dass es da* liege, wo Germanien 
und Gallien sich ■ schieden. Indessen müssen wir noch weiter 
<)stlich gehen, bis über die Yssel, wo wir noch die alte Stadt 
Devender finden ^j. . Die östlichsten Gränzgaue sind demnach 
die fränkischen Gaue Trente und Hamaland. Der letztere 
Gau reichte bis zum Rheine. Hier breitet sich zu, beiden 
Seiten des Rheins das kirchliche Dekanat Xanten aus, östlich 
bis zur Yssel. Es war dieses der schon im siebenten Jahr- 
hundert vorkommende Düffelgau ^), eine Cent mit der alten 
Stadt Xanten, mit welcher der westlich daran stossende, das 



^1) Noch ein Brief des fa. BüDifaz nennt den Ort castcHom Trajectom. Wardlirein, 
Epistoh St. Bonif^ii, nr. 105. 

2) 953: .,prediuni — silum in loco Danindre, et infra ^mbem et extra, in pago, 
qui dicilnr Hamalant*^ Höfer etc., Zlscbr. I. S. 365. 

8) 697 u. 721 p. Bnblen, p. Dublinsia« Bintertm n. Mooren, Riieiii-westpb. 
dipl.-Codex I. nr. 2. Pardessns 1. c. 11. 832. 



Mt 

Dekanat 'Greldern ums^^hliessende Hattuariergau verbauden war, 
dessen Name wahrscheiDÜch als der des ganzen Gaues galt. 
Mehr südlich lag der Jülichgau mit seinem Hauptorte Jülich, 
dem ^Iten .^uliacum, der mit dem nördhch daranstossenden Mühl- 
gaue *) einen Gau bildete. Man sieht dieses aus einer Urkun- 
de von 8B8 : „ in pago MüoUa in Jullchgäuue ^) , so wie aus ei- 
ner andet'n von 1029 ,« worin beide als zwei Grafschaften eines 
Gaues genannt werden: „in*pago Julichgbuui in comitatibus Ger- ' 
hardi et Giselberti" ^). Südlieh an den DüiFelgau schloss sich der 
Duisburger Gau, welcher, über beide Rheinufer ausgebreitet, 
d^m Dekanat von Duisburg entsprach. Das am rechten Rheinnfer 
liegende Duisburg heisst 966 „Diuspärgo quod uulgariter dicimus 
Diusburg"*). Dann folgte links vom Rheine der Nuenheimergau 
mit Neuss, dem alten Novesium, Dormagen, dem ehemaligen 
Duromagum, und Zons, dem alten Gesonia, so wie rechts der 
Keldachgau. 

Südlidi vom letztern treten wir rechts des Rheins in den 
Deutzer Gau, mit dem dem alten Köln gegenüberliegenden Deutz, 
die 778 vorkommende Duitia civitas ^> oder das castellum Divi^ 
tense oder Tuitium®), wie es eine Urkunde von 1003 nennt, 
derselbe Ort, wo Konstantin der Grosse 376 das „Devitense mo- 
numentum in terra Francorum" ?um Schutze Gallietis errichtete'') 
und bis wohin (Divitia) 557 die Sachsen bei ihrem Einfalle in's 
Frankenland vordrangen^). Der Duisburger, Keldach- und Deu- 
tzergau wurden auch der Ruhrgau oder auch der 'Gau der Hat- ^ 
tuarier oder Chattuarier genannt. Dem Deutzer Gaue folgt rechts 
amRh'ein der Auelgau, mit der alten Feste Siegburg an der Sieg. 

Köln, das oppidum Ubiorum, nach, der Umwandlung in eine 
römische Kolonie „Colonia Agrippina" genannt, var noch im spä- 
tem Mittelalter der Hauptort . des pagus Coloniensis. Der Be- 
griif dieses Gaues war ein engerer und ein weitef'er. Ob 'der 
selbe im engem Sinne auch Gilgau genannt wurde, oder ob 



}) BiDterim- u. Mooren, die alle Erzdiözese Köln I. S. 238. 

2) Lacctmblet, ükbch. I. nr. 81. 

8) Das. nr. 166. 

4) Lacomblet, Ukbch. I. nr. 109. 

5) Eginbard. Abb. td. a. 778. 

6) lacomblet a. a. 0. nr. 136 «. 137. 

7) Am. Marcellinus 26. 27. 

8) Gregor. Turon, IV. 1'6* 



( < 



dißses, wie Cuzzihgau*), nur eine weitere Abtheilung der alten 
kölnischen Cent T^rar, lasse ich dahin gestellt sein. Zu dem en- 
geren Gaue gehprte auch Bidburg (Beda vicus). An diesen 
lehnt sich südlich der pagus Bunnensis mit d^m schon un- 
ter römischer Herrschaft festen Bonn (Bonna) als dem Haupt- 
orte. Eine .spätere Abtheilung von dem Bonnergaue war der 
nach dem Flüsschen Ahr genannte Ahrgau. Man ersieht dieses 
aus einer Urkunde von 1067, in welcher Güter „in pago Bunnensi 
et Arensi" genannt werden, eine Fai^sung, welche unzweideutig 
den erstern Gau als den weitern , den zweiten als den engern 
Bezirk bezeichnet^). Diese beiden Gaue bildeten mit dem west- 
lich vom Bonner Gau gelegenen Zülpicher Gau, mit depfi durch 
die Alemanüenschlacht berühmten Zülpich, und dem südlich 
an diesen sich schliessenden Eifelgau einen Gau im weiteren 
Sinne des Wortes, denn wie 856 die beiden Gaue .von Bonn 
und Zülpich, so findet man 953 auch die Gaue von Zülpich und 
Eifel vereinigt ^). Wenn dagegen schon Tacitus *)• Zülpich als 
im Gebiete von Köln liegend bezeichnet (Tolbiaci in finibus 
Agrippinensium) , so ist dieses in einem weitern Sinne zu ver- 
stehen. 

Blicken wir -auf die bis jetzt bezeichnete Gränze zurück, 
so erkennen wir, dass das gauze Herzogthum Ripuarien noch 
auf der gallischen Seite liegt und dass die altgermanische Gränze 
mit der des Saehsenlandes allenthalben zusammenfallt. Es ist 
also nicht der Rhein, welcher die Gränze bildete,^ wie man die- 
ses gewöhnlich - annimmt. Allerdings wird der Rhein von den 
römischen Schriftsteilem durchweg als Scheide bezeichnet, und 
mehrfach treten auch beide Ufer als feindliche Gebiete gegen- 
einander, aber es hat dieses nur in den Kriegszuständen seinen 
Grund , wo ein solcher Strom , ungeachtet er mitten durch ein 
einheitliches Gebiet fliesst, doch noth wendig zu einer wenn auch 
nur vorübergehenden Gränze wird. 

Viele dieser ripuarischen Gaue werden zwar nicht nach 
gallischer Sitte nach ihren Hauptorten, sondern mehr nach ger- 



1) 898: „in pago Cazzihgeune et in Coloniensi*^ Lacomblet a. a. 0. nr. 81« 
2> Daselbst, I. S. 136. 

3) „In comitatu Tulpiacensi et Bonnensi^* und „in comitatu Tuipiacensi et Bdnoensi". 
Binterim und Mooren, die alle Erzdiözese Köln I. S. 153> ü. 163. Scbannat, Eifl» 
illuslr. von Barsch I. 1, S. 71 ff. 

4) Bist. IV, 79. 



1 



»8S 

manischer Weii^ bezeichnet. Es ist, dieses aber lediglich ein^ 
Folge des langeti germanischen Besitzes, und ähnliche Erschei- 
nungen werden sich weiter unten noch mehr bieten. Bei 
einer tiefer eingehenden Betrachtung, als ich sie vornehmen 
kann, stellt sich sicherlich noch manches schärfer heraus, denn 
im Ganzen ist für Gaugeographie des Niederrheins noch we- 
nig geschehen. Sind doch alle hier als Gaue auftretende Ge- 
biete nur alte Centen,, und noch Niemand hat daran gedacht, 
diese Centen wieder in ihre ursprüngliche Verbindung zu bringen. 

Erst dicht unterhalb Linz tritt die Gränze in den Rhein. 
An dem linken Ufer finden wir den pagus Magnacensis oder 
Megenouelt mit seinem Hauptorte Mayen ^ und dem alten An- 
dernach (Antannacum). Der , rechts von der Mosel am Rheine 
sich^ hinaufziehende Gau Trechira, mit den alten Städten Kob- 
lenz (Confluentes), Boppord (Baudobrica und Bontobrica), Ober- 
wesel (Vosava und Bosavia) u. s. w. war nur eine Abtheilung 
des Maienfeldes, wie dieses aus einer von v. Ledebur erläuterten 
Urkunde hervorgeht ; auch standen beide unter einem Grafen. 

. Wir treten nun in den Nahe- oder vielmehr in den Wornis- 
gau. DerHauptort^des Wormsgaues, die alte Stadt Worms, wurde 
von den Kelten Borbetomagus oder Borgetomagus genannt und 
erhielt später nach der Einwanderung der Vangionen, welche 
übrigens, schon vor Cäsar erfolgt sein muss , den Namen civitas 
Wagiona ^) oder Wangiona ^) , auch civitas Wangionum , welcher 
noch lange neben dem noch heutigen Namen fortbestand. Doch 
war es nicht jener, sondern dieser, welcher dem Gebiete die 
Bezeichnung gab, welches bald Wormazfeld, bald Wormazgau, 
lateinisch auch pagus Wormacensis geuannt wurde. Worms war 
also der Hauptort und demnach auch die älteste Niederlassung 
dieser Gegend, älter zugleich als das ebenwohl zu diesem Gaue 
gehörige Mainz. Ueberhaupt war das Gebiet weit ausgedehnter, 
als man gewöhnlich annimmt, denn auch der Nahegau war noch 
ein Theil des Wormsgaues. Es ergibt sich dieses schon aus dem 
Umstände, dass eine Reihe von Orten bald in den Wormsgau, 
bald in den Nahegau gesetzt werden , namentlich Bingen (äas 



1) Der Maiengaa von v. Ledcbar. 1842. 

2) Zeass 1. c. p« 65 

3) Dronke, Cod. dipl. Fald. p. 19. 



m 

röm.Bifigium),6rol8heim, Narheim, (Gersifigen, 6iin8teimu.s.w.^X 
noch mehr ab^r ftirs einer Urkunde, von 868, wdche Wiädshelm 
an der Eller, mitten im Nahegaue, in den Nahegan und diesen 
selbst in den Wormsgati legt : „i];ifra (i. e. intra) Naagno m con- 
ftnio seu pago Virmacense super fluviolum Eleiüa" *) und eben die- 
ser nicht von einem Hauptorte, sondern von einem Flusse^ ent- 
lehnte, also auf ganz germanische Weise gebildete Namen weist 
auf die erst spät erfolgte Trennung beider Gebiete hin. 

Vom Worrtisgau müssen wir wieder auf das rechte Rhein- 
ufer übertreten. Hier liegt zu beiden Seiten des Neckars der 
liObdengäu ausgebreitet, dessen Name augenscheinlich von La: 
denburg herrührt, welches im Mittelalter Lopoduna, Lobodo, 
Lobedunburg u. s. w. *) genannt wird, und sehr wahrscheinlich 
das schon in römischer Zeit vorkommende Lupodunum ist. 

Darauf folgt auf dem linken Rheinufer der Speiergau, des- 
sen Name auf die alte gleichnamige civitas hinweist. Speier fin- 
det sich zuerst als Noviomagus und später a^ Nemeta, die 
Stadt der Nemeter, ein Name^ welcher sich auch noch bis ins 
Mittelalter erhielt*), so dass hiemach auch zuweilen der Gau, 
wie z. B. 82d, „pagus Nemetiiisis" genannt wurde*). 

Vom Speiergaue fuhrt unsere Wanderung tms zuixi Elsäss — 
pagus Alsacensis, Alisacia, so von der das Land dürchstrÖmen- 
dien 111 genannt*). Schon diese Bezeichnung ist deutsch und 
nicht minder ist dieses der Fall mit der Eiiitheilung des Gebiets 
in einen Nord- und einen Sundgau; auch zeigt sich keine jener 
alten Städte, welche den Elsass bedecken, wie Strassburg (Ar- 
gentoratus), Brumat (Brocomagus), Selz' (Saletio), Rheinzabem 
Ctäbemae) , Horbürg (Argentorar) , Banzenheim (Stabulus), Altrip 
(Altaripa) u. ö. w. als der Mittelpunkt irgend eines grössern 
Landgebieteä , wie dieses bei Speier, Worms u. s. w. der M 



1) S. die Belege io Laibei's Bpscbr. des Nafaegads. Aela Acadenitae Tbeod.-Pil> 
V« 127 ff. Daselbst im I. Bd. findet sich auch eine Beschreibung des Wormsgaas. 

2) Marlene et Durand, Vet. Script, et Monumenta. Appliss. Coli. 1. p. 189. 

3) Lamei 1. c. I. p. 217. Deumbeck, Geogr. Pagorum p. 140 f. 

4) „intra ci vitalem Spira seu Nemeta vocatam , aut In circuitu eXtra civitatem id 
est in TÜla Spirae et in marca, quae eidem urbi adiacens est.*^ Lönig, Rt A. P* spec 
Cont 1. p. 256. 

5) Zenss 1. c. nr. 69* 

6) Müller, deutsche St&mme. V. S. 306. Zeuss (die Deutscbeb-, S. SIB) öberseUt 
den Namen sehr gezwungen durch Fremdensitz. . , 



ist. Und doch beweist eben dam Vorhanadensem dieser alten 
Südte, daiss ancsli hier ktit. ursprünglick germapisoher Boden 
ist, dass also auch die jßaue Yor ihrer Germanisirung andere 
Nsun^n gehabt haben müssen und zwar von derselben Bildung, wie 
diese linkis des Rheins sich allgemein bei allen Oaueu darbietet. 

Doch vergebens sucht man nach ^iner sichern Kunde hier- 
über; nur Vermuthungen lassen sich zusammenstellen. 

Im Nordgau liegt eine alte ,schbn unter den Merovin'gem 
vorkommende Königspfalz Kirchheim mit einer weit ausgedehn- 
ten Mark. Beide nennt bereits eine Urkunde von 633, wel- 
che, wenrt später auph erneuert, doch immerhin als eine in der 
Hauptsache wenig veränderte Kopie des verlorenen Originals 
betrachtet werden kann. Hiernach übergiebt König Dagobert : 

„renalem habitationem Kirokhalm cum suburbiis Marley, 

vallem Corone, Virdenheim, villam Vege, castellüm situm in 
monte juxta stratam Tabernensem (Zabem.) usque ad rivulum 
Mosellum cum omnibus adjacentibus" *) zur Gründung, des Klo- 
sters Haslach. Es gehörten demnach zu Kirchheim ausser den 
zunächst liegenden Orten auch noch die bei Zabem liegende 
Burg Kronenberg. Dass Kirchheim ein neuerer erst nach Ein- 
führung des Christenthums entstandener Name ist , bedarf keines 
Belegs. Vorher bestand ein anderer Name und diesen altern 
gibt auch eine Urkunde von 807: „Actum Trhonie seu Kilekheim 
in comitatu domini Wuorandi comitis^)". 

Was diesem Tronia nun aber eine besondere Bedeutung 
verleiht ist seine £igens(^haft als Mittelpunkt einer Grafschaft, 
welche freilich, soweit die Urkunden darüber einen Aufschluss 
gewähren, nur einen Theil deis Nordgaus umgriffen zuhaben 
scheint. Diese Grafschaft kommt bald uhtef dem Namen Tronia 
bald unter dem von Kirchheim vor. Schon eine Urkunde von 675, 
legt das nicht ferne Bischofsheitn mit seinem sicher eine Cent dar- 
stellenden Gebiete in diese Grafschaft: j„in pago BischoVisheim 
in comitatu Chilcheim ^)". In einer Urkunde von 807 heisst es vom 
Kloster Ebersheim (sive Novientum), nordöstlich von Schlett» 



1) Pat^«issns 1. c. iL p. 24. Sohdf^flin, A\s, äipl. L p* 27. 

2) Schöpftift k c. I. p. 106. 

8) f*Ar4^e9«us 1. t. 11. p. 171. Grfitididier , HiMor. de rüglisse «de Strassbg. U 
Dipl. p. XVII. 



Stadt: j^quod est sitanv in pago Dlisatiae supraripamlUe fiuminis 
in comitatu Kirchheim*)"- Endtich findet sich eine Urkunde von 
728, welche „inducatuAlsacensi seu in pago Troningorum et in 
pagoAIsegauinse*)" eipe lange Reihe von Orten setzt, aus deren 
Lage sich leider kein Schluss auf die allgemeinen Gebiete ma- 
chen lässt, weil die Fassung der Urkunde es zweifelhaft lässt, 
ob hier beide Gaue nßben einander als zwei selbstständige Ge- 
biete zu betrachten sind oder ob der eine Gau als ein Bestand- 
theil des andern angegeben wird. 

Lassen auch diese sehr magern -Nachrichten keinen klaren 
Einblick in das Verhältniss von Troninga zu, so geht doch so 
viel daraus hervor, dass diese Pfalz als ein sehr bedeutungs- 
' voller Punkt des Nordgaus anzusehen ist , und da sich kein an- 
derer in gleicher Weise darbietet, haben wir wahrscheinlich in 
ihm den alten Mittelpunkt des Nordgaus. 

Ammianus Marcellinus setzt in diese Gegend die Tribunci, 
,und Beatus Rhenanus sucht deren Sitz in Troninga^. Ich ge- 
stehe offen , dass ich darübef keine Meinung auszusprechen 
wage*). 

Für eine Vermuthung über den alten Mittelpunkt des Sund- 
gaus finde ich dagegen nirgends einen Anhaltepünkt, es müsste 
denn Ruffach mit setner alten Feste Isenburg sein, jener Mittel- 
punkt des s. g. Mundats (emmunitas) des Stifts Strassburg. Die 
schon oben angeführte Urkunde von 675 netmt wenigstens einen 
pagus Rubiaca in comitatu Ilchicha. . 

"!• Um so unzweifelhafter fallt der am rechten Rheinufer lie- 



1) SchöpBin 1. c. p, 105, ähnlich 817 p. 66. ' 

2) Schöpf! io 1. c. p* 9, Pardessns 1. c p. 356. 

3) Andere weichen freilicli, davon ab. Vergleiche Ukert a., a. 0. II. 2. S. 508. 

4) Obwohl die nur sagenhafte Erzählung Gregors von Tours, dass die Franken 
aus Pannonien kommend, sich zuerst an den Ufern des Rheins niedergelassen, dann 
aber über den Rhein gegangen und sich in Thoringia niedergelassen , bätlen , wo ihr 
König zu ,,Onspargum in finibns|Thuringornro*V seinen Hof gfihtfbt, kaum erne ernste 
Untersuchung zulässt, so führt doch der obige pagus Troninga jenen Bericht in meine 
Erinnerung zurück , und zwar um so mehr als allem Anschein nach derselbe Ort 787 
auch unter der Form Tburorihga vorkommt, nämlich; „in pago AHsacinse io nitia oel 
in marca, qne dicitnr Tburninga*' (Zeuss, Tradit. Wissenbg. nr. 83), auch 787: „Tar- 
ninga** (ibid. nr. 155). Der Lage nach entspräche dieser Ort der «ganzen Darstellung 
trefflich. Doch — es soll dies nur eine Bemerkung sein. 



Mf 



gende Breisgau auf die gallische Seite , denn sein Mittelpunkt 
ißt wieder eine alte Feste, nämlich Breisach, der alte mons 
Brisiacüs. Auch Freiburg war wahrscheinlich \n ältester Zeit 
' ein fester Ort *). 

An den Elsass schliesst sich das Land der Helvetier, eines 
keltischen Volkes. Nach Cäsar (I, 5.) hatte dasselbe 13 Städte (op- 
pida) und war in 4 Gaue getheilt (I, 12). Als den Hauptort des 
Volkes, „Caput gentis", nennt Tacitus (Hist. I, 68) Aygnticum, 
das spätere Avenche oder Wiflisburg, östlich vom Neuenburger 
See, was auch, ältester Bischoftsitz war, bis dieser in der zwei- 
ten Hälfte des sechsten Jahrhunderts nach Lausanne verlegt 
wurde. Von den Gauen nennt Cäsar nur zweie und auch diese 
ohne nähere Bezeichnung ihrer Lage. Der pagus Verbigenus, 
oder wohl richtiger Urbigenus ^) , könnte allenfalls der Argau sein. 
Lässt sich auch hiergegen der von der Ar entlehnte Name ein- 
wenden , so sehen wir doch in dem alten schon frühe zu einem 
Bischofssitze bestimmten Vindonissa (Wendisch) die unzweifel- 
hafte Hauptstadt des Gaues, welcher in den Augstgau mit Au- 
gusta Rauracum, jetzt Äugst, den Baselgau mit Basilia, jetz^t 
Basel, den Buigau, Sisgau, Frickgau u. s. w. sich theilte. 

An deil Argau schliesst sich der Thurgau. 

Der Lebensbeschreiber des h. Gallus^) erzählt, wie um's 
Jahr 650 ein feindUches_Heer „partem pagi Durgaugensis Con- 
stantiam et Arbonam" verwüstet und spricht dann noch von wei- 
tern Theilen des Gaues, welche er gleichfalls pagi nennt. Der 
eine dieser Gaue ist das Gebiet von Konstanz, der andere <ier 
pagus Arbonensis, in welchem St. Gallen liegt*). Es ist der 
Name des Städtchens Arbon am Bodensee, nämlich das romi- 
sche Arbor felix. Eine Abtheilung des Thurgaus ist der Zürich- 



1) Gaiipp, üt'bcr denlsche Städlegrundiing elc. S. 168 ff. 

2) ükcrl a. a. 0. 11. 2. S. 344 u. 345. 

3) P«rlz, M. Germ. 11. p. 18. 

4) „in pago Dargaugense el in sitn Arbiioense^'. Neii^art I. c. p. 94. Statt situs 
heisst es auch in fine oder „in p. Thurgaiiensi vei in Arboneosi^^ (ibid< p. 110), 
sowie ,,in pago*S wie 797: v,äd -monaslerium saacti Gallone — , que est conslructa 
in pago, qni dicitor Arbonense, urbiä ConsUiDtiae, in ducato Alamaniae** (Wirtembg. 
L'fabch. LS. 52). Dasselbe sagen auch schon Urk. von 744. S. Mittheilung^p der 
antiquar. Gesellscban za Zürich. II. S. 28 S* . 



gau*), also genannt von Zürich, der römischen statio Turicen- 
518 2), .spater castrum Turegum*) genannt, und es ist möglich, 
dass eben der Zürichgau jener pagu^ Tigurinus ist, welchen Cä- 
sar*) als einen der vier Gaue der Helvetier nennt. ' Ein dritter 
Theil des Thurgaus ist der Urigau*). 

Der östliche Nachbar des Thurgaues war der rhätische Gau 
Curwahalon mit .seiner Hauptstadt Chur (curia Rhaetorum). 

Von der westlichen Gränze wende ich mich zur östlichen. 
Dort hatten wir als Nachbarn des alten Germaniens den galli- 
schen, hier findeli wir — slavischen Boden. 

Es sind insbesondere vier Punkte, welche uns das slavi- 
sche Element erkennen lassen. Der erste ist der schön hervor- 
gehobene dem germanischen Boden grundsätzlich fremde Städte- 
bau, nicht das Vorhandensein von Festungswerken an und für 
sich, sondern von befestigten Orten mit darin wohnhafter Be- 
völkerung. Ein anderer Punkt ist die' Form der Ortsnamen, ein 
dritter die Form dei: Dorfanlagen und endlich ein vierter besteht 
in den historischen Zeugnissen, welche uns für bestimmte Ge- 
genden slavische Bewohner nennen. 

Gleich am Bodensee weist uns das Land der Vindelicier 
die weiter zu verfolgende . Linie. Die VindeUci , d. h. *) die Wen- 
den am licch, theilten sich in vier Stämme und hatten nach 
Plinius viele Städte ''). Eine dieser 'Städte war das an der Ost- 
seite des Öodensees liegende Bregenz, die civitas Brigantium, 
welche schon Tiberius als den Sitz der Brigantier kennen lernte 
und wonach dei: Bodens^e „lacus brigantinus" genannt wurde*). 
Das Gebiet von Bregenz zeigt sich uns später im Rheingau. 
Auch der nach (Langen) Argen benannte pagus Argunensis'j 



1) 744: „in pago Durginse vel in sito Zuribgawia.^* Pardessns 1. c. II. p. 390, 
auch p. 891. 

2) ükerl. a. a. 0. 11. 2^ S. 49(5. 

3) V. Müller, sämtnll. Werke. XXV. S, 52 u. 55. 

4) Bell. Call. 1. 12. • . 

5) 853 : „curliin — Turegnm in dacatn Aüamannico, m pago Durgaugeosi — id 
est pagellum üronlae". ' Neugarl 1. c. 284, 

6) uch Mannert, GermaDia 526. 

1) Bis (Noricis) eontermini Rhaeti ei Vindolici , ovAms in imihas civiiates clivist. 

8) Mannen a. a. 0. S. 319 u. ^20. . ' 

9) SUlin, Wirtembg. Gesch. I. S. 282» 



I ' 

TiiusB noch nach.Bregenz gehört haben und sogar vom Altgan 
wird dieses seiner Lage , nach wahrscheintich. Nordöstlich von 
Bregenz lag eine andere vindelizische Stadt, die civitas Campö- 
duniun, das heutige Kempten , an der lUer, deren Gebiet sich 
uns in dem lUergaue zeigt. An diesen sohliesst sich der län^ 
des Lechs ausgestreckte vom Ammersee bis zur Donau reichende 
Augstgau (von dem der Keltensteingau und der Ammerg^u nur 
Theile zu sein scheinen) mit seinem Hauptorte Augsburg, der 
Augusta Vindelicorum. Dieser Name weist also ausdrücklich auf 
die Anwohner des Lechs hin und es ist deshalb auch wohl nicht 
zu viel gewagt mit Jludhart*) Damasia, die alte Hauptfeste d«s 
Volks (Licatorumveluti arx) in Augsburg wieder zu finden , denn 
der spatere Name Augusta Vindelicorum stammt von. den Rö- 
joiem her. 

Veiter gegen Morgen liegen noch mehrere alte Städte: 
das Artobriga des Ptolomäus, als römische Feste Reginum, als 
Sitz der baierschen Herzoge Radaspöna genannt, nämlich Regens- 
burg, von dem südlich im Isen-, Rotach- und Westergaue noch 
weit später eine zahlreiche slavische Bevölkerung sich findet^); 
femer Bojodurum — Passau; Juvavo — Salz^burg u. s. w. 

Doch diese Städte liegen alle schon zu weit östlich unserer 
Gi-änze; diese führt vielmehr sofort vom Augstgaue über die, 
Donau. 

Wir treten hier zunächst in den Biesgau, der auch Rhae- 
tia.oder zum Unterschiede von dem übrigen Rhätien „Rhaetia 
transdanubiana" genannt wurde, und in den Riesgau im engem 
Sinne, den Gau Sualefeld , den Brenz-, Plin-, Albeckgau u, s. w. 
zerfiel; sein alter Mittelpunkt war wahrscheinlich EÜehstädt: 
„caötrum Rubilocus, quod Eistete dicitur ^)". Vermag ich auch 
hier keine slavische Bevölkerung nachzuweisen, so tritt diese 
bei dem nun -folgenden Rangau doch um so bestimmter hervor. 
War der Iphigau wirklich, wie Pallhausen (S. 123) annimmt, ein 
"Theil des Rangaus, dann nothig£ die Lage des Gollachgaus zu 
einer gleichen Annahme. Pallhausen stützt jene Annahme dar- 
auf, das Vinetum (Winheim) „in finibus pagorum Yolkfeld et Ran- 



1) Aelteste Gesch. Bayerns S. 'ST. 

2) V. Koch - Stepnfel^ , Beitr. zor cteirts**««' Xftnder-j'VöttwT-, SÄlen- u. Staa- 
tenbunde. U. S. ^ u. 3d. S. auch Bd. I. S. 168 ff. 

3) fv. P«llh«i9«i. S. li)7 Q. 112. 



tro 



gew positum^S d. h. auf der Gränze beider Gaue lag, so dass die 
Gränze durch Winbeim zog. Dasselbe ist auch mit Krautheim 
der Fall, welches in gleicher Weise in den Iphigau und in das 
Volkfeld gesetzt wird*)/ Es treten, also die Namen Rangau und 
Iphigau an detselben Stätte auf und es lässt dieses keine andere 
'als jene Erklärung zu. 

Oestlich an das Volkfeld reiht sich der Radenzgau und 
jswar in einer Weise, dass man auch bei diesen ein ehemaliges 
Zusammengehören beider- vermuthen muss. . Beide Gaue schied 
dieRednitz, so dass Bamberg mit seinem 'einen Theile im Volk- 
felde, nnt dem andern im Radenjügaue lag^). Bas unmittelbare 
Gebiet, von Bamberg war sicher eine jener schon oben erwähn- 
ten zusammengesetzten Marken , welche iius zwei verschiedenen 
Hälften bestanden. , Auch mit Hallstadt, unterhalb Bamberg war 
dieses der Fall, denn obgleich es selbst im Radenzgaue lag, ge- 
hörten wenigstens zwei zu seiner Pfarrkirche gehörige Kapellen 
(Trunstadt und Bischberg) zum Volkfelde ^). Links der Rednitz 
war Ostfranken, rechts Baiem. 

Dass der östlich vom Sualefeld, Rangau. und Radenzgau 
hinziehende grosse b^ierische, Nordgau eine vorzugsweise slavi- 
sche Bevölkerung hatte , ist bekannt ; auch der grösste Theil des 
Traungaus erscheint mit Slaven bevölkert, welche unter ihren 
eigenen Supanep standen und nur' zu einem Tribut an den bp- 
joarischen Herzog verpflichtet waren*). Ueberhaupt war die 
slavische Bevölkerung hier so überwiegend, dass 'man das Land 
selbst als slavisch bezeichnete (834), obgleich erst die Ens die 
bojarisch -slavische Gränze bildete. Und dieselben Erscheinun- 
gen treten auch weiter gegen Norden hervor*) namentlich im 
Rangau, Radenzgau und Volkfeld. 

Schon in der Mitte des achten Jahrhunderts begegnen 
uns in Ostfranken Slaven •) und wie es scheint, in Bezirken, wel- 

1) S. V. Spruner, Gesch. und Beschreibung des Gaues Volkfeld im Archiy für 
, Gesch. n. Alterlbnmskunde des Obermainkreises iL 1. S. 46. 

2) ] Ö08 : „ locum Babenberg — cum pago , qui Redeozcgewi dicitur. 

Allerins amem pagi, qui Voigfeld nominatur, in quo prefalus locus silus est, partem 
...^' Ussermann, Episcopt. Bambg. , Cod. prob. nr. 14. 

3) Wenck , hess. Landesgesch. I. U. S. 4« 

4) Mott. boica XXVHI. 2. p. 198. 

5) S. das Nähere in Radbart, Urgesch. Bayerns» $. 455 ff. 

6) Ich beziehe mich im Allgemeinen auf die von Holle im Arcbif für Geschichte 
und Alterihumskunde von Oberfranken II. 1. H. (1842) zasammengestelllen Belege. 



t71 

I 

che Würzburg schon noch näher lagen*). Eine Urkunde des 
neunten Jahrhunderts setzt die Slaven zwischen den Main und 
die Rednitz, also in die vorhin genannten Gaue, und nennt sie 
danach Main- und Rednitzwenden , sowie diese Gebiete selbst 
Slavenland („in terra Sclavorum, qui sedent inter Moinum et 
Radantiam fluuios, qui uocantur Moinuuinidi et Ratanzuuinidi^') 
und bemerkt , dass dieselben unter von den fränkischen Koni- 
gen eingesetzten Grafen ständen („una cum comitibus, qui super 
eosdem Sclavos constituti erant**). Nach derselben Urkunde be- 
stimmte Karl der Grosse, dass, um diese Slaven zum christli- 
chen Glauben zu bekehren , dort eine Anzahl Kirchen gegründet 
werden sollte^). Doch noch einige Jahrhunderte später waren 
wenigstens die Slaven im östlichen Radenzgaue noch keineswegs 
Christen und Kaiser Heinrich IL gründete das Bisthum Bamberg 
mit der besonderen Aufgabe die dortigen heidnischen Slaven zu« 
bekehren („ut et paganimus Sclavorum destrueretur"). Um den 
Bischof von Würzburg zu der Einwilligung zur Gründung jenes 
Bisthums zu bewegen, schrieb demselben 1006 der Bischof von 
Halberstadt und erinnerte ihn daran, dass er ihm erzählt; wie 
jenes Slavenland sehr waldig und ihm, obwohl es in seinen 
Sprengel gehöre, doch beinahe unbekannt sei, -auch ihm wenig 
Nutzfen gewähre („.... te parvum inde fructum habere, totam il- 
lam terram pene silvam esse, Sclavos ibi habitare, et in illa 
longinqua vel nunquam vel raro venisse")^).- Da von der näch- 
sten Umgegend von Bamberg, wo man ohnehin auch schon 
frühe Kirchen findet,, nicht so gesprochen werden konnte, so 
kann sich jene Schilderung nur auf die gegen den Thüringer- 
wald und das Fichtelgebirge gelegene Gegend des Radenzgaues 
beziehen. 

/ 

Noch, 1058 wird uns berichtet, dass der grösste Theil der 
Bevölkerung des Bisthums Bamberg aus Slaven bestehe*). Auch 
einzelne Orte werden als slavisch bezeichnet. Eine Urkunde 
aus der letzten Zeit des achten Jahrhunderts ^ nennt Haid und 
Trunstadt, rechts und hnks am Main, und zum Volkfelde gehö- 



1) Holle S. 7. 

2) Das. S. 9. 
8) Das. S. 11. . 

4) Holle a. a. 0. S. 16. 



BT« 

rend , als „ in Slauis "\ liegend *) ; eine arider^ von 824 sagt von 
idemmifern der vorigen liegenden Dorflen: „Thnrpfilin iuxta ripam 
flnminis Moin in regione Sclauomm" *). Nachdem Höclistadt an 
der Aisch und Medbaeh genannt, heisst es weiter: „in eadem 
Sclavorum regione" und es werden darin, noch fünf Dörfer der- 
selben-Gegend namhaft gemacht, und bei einem derselben (Sam- 
bach) wird noch ausdrücklich hineugesetzt : „<;um inhabitantibus 
Sclauis*' ^). Ebenso findet man zu Medbaeh : „XI. mansi de Sclauis" 
aufgeführt*^). 

Aber auch das, was das Slavenland von dem altgermani- 
sch^i Boden unterscheidet, ist vorhanden, ich meine, Städte und 
Kastelle. Vor allem gehört Bamberg hierher, welches schon 
973, also drei Jahrzehnte vor der Gründung des Bisthums, als 
„civitas Papinberc" erscheint*) und dieselbe Bezeichnung erhalt 
es auch 1007«).' Im Jahre 1023 findet sich im Volkfelde „urbs 
Eberaha" (Burgebrach) '). Höchstadt wird in . einer Legende op- 
pidum*) und 911 Vieret am Main „cum caeteris sciauiensis op- 
pidis illuc juste conspicientibus" genannt *). Vieret war also eben- 
falls' ein oppidum und eine gleiche Bedeutung hatten sicher 
auch castrum Cra^nä (1003), Gastrum Crusina (1003), castrum 
vetus Trebgast (1143) u. s. w. und auch wohl von den alten 
Königshöfen Rallstadt, Königshofen, Vorchheira (dessen Mark 
1062 37 Dörfer einschloss) u. s. w. lässt sich dasselbe ^er- 
muthen. - 

Ueberhaupt waren sicher die. meisten von den seit dem 
zwölften Jahrhundert in diesen Gegenden zahlreich vorkommen- 
den Burge'n ehemals slävische oppida*"). 

Aber- auch heute erinnern uns noch zahlreiche Qrtsnam^n 
an die Nationalität der ältesten Bewohner, vorzüglich im Ra^enz- 



1) ]>roDke , C. dipL Fuld. > nr.' 124. 

2) Ibid. nr. ^80. 

3) Dmnke, Tr. eU Ant. Fuid. p. 22. 

4) Ibid. 

5) Usserfflann,' Epäsc. Bambg. Cod. dipl. p. 4. 

6) Das. S. 12, 

7) Scholtes, Vermischte Schriften IL S. 228. 

8) Haas, GescJii. des Slavenlandes an der Aisch etc. S. 56. 

9) Mon. boica XXVID. p. 145. 

10) Verzeichoi sse derselben s. im Archiv für Gesch. und' AlteHbffnfsliiAde von 
Oberfranken Ir. hd^ Bayreuth. 1838. S, 79 ff. 



* .» 



t73 



gme, während die häufig dazwischen vprkommenden Namen 
mit der Endung „ reut ** auf spätere und wohl deutsche Ansied- 
lungen hinweisen.*) 

Doch ich muss sogar noch westlicher gehen. Schon die Ur- 
kunden, durch welche das Bisthum Würzburg noch nach Bamberg« 
Stiftung in dem Besitze seiner SlaVenbezirke bestätigt wird, möch- 
ten daraufhinweisen , dass auch im westlichem Bisthump Slaveh 
ansässig waren. Im Gaue Gozfeld finden sich wenigstens seit dem 
achten Jahrhundert mehrere Orte, deren Namen die unzweifel- 
haft slavißche Endung „leben" zeigen. Ettilebe, Egisleiba und 
Isenlieba^). Ebenso erscheinen Gnamschatz ') und Veitzhoch- 
heim*) als slavisch. Auch den links vom Main liegenden Wald-., 
sassengau ziehe ich noch hierher, denn in ihm lag das schon 
686 vorkommende castellum Virteburch (der Marienberg), doch 
nicht blos deshalb, weil es eine Feste war, und der Name von 
Vielen für slavisch gehalten wird, sondern noch mehr, weil 
Würzburg der Sitz der thüringischen Herzöge war. Das rechts 
am Maine liegende Würzburg gehörte in*s Gozfeld. Andere alte 
Festen beider Gaue waren Karleburg (718), Hohenburg (788) 
u. 5. w. ^ 

Femer muss der Saalgau noch hierher gehören. Es zei- 
gen sich zwar nur wenige slavische Ortsnamen, wie Boden- 
lauben, Kizziche (Kissingen) u. s. w. ; auch findet man nur 
im nördlichsten Gebiete, in der Mark von Flieden, slavische 
Bewohner genannt^), aber die alten Festen Salzburg (castrum 
Salce 741) und Hammelburg '(716 castrum Hamulo) und noch 
mehr seine Lage geben den Grund ab, auch den Saalgau mit 
in unsere Linie zu ziehen. 

Zahlreichere auf slavische Niederlassungen hindeutende An- 
zeigen finden sich dagegen in dem nordwärts angränzenden 
grossen Grabfelde. Als Sturm an der Fulda hinauf wanderte, 



1) lieber die hier vorkommenden slavischen Ortsnamen beziehe, ich mich auf das 
Archiv für Gesch. u. Alterthumskunde von Oberfranken 1. Bd. Bayreuth. 1838« S. 70 
ff. Q. den XX. Jahresbericht des hislor. Vereins in Blitteirranken. S. 25 ff. 

2) Dronke, Tr. et Ant. Fuld. p. 18. u. Codi dipl. Fuld. p. .43. v. Koch- Stern- 
feld a.a.O. zieht anch Goldleibesheim hierher, aber Koldleib ist ein\deutscher Name, 
me Auteib (Dronke, God. dipl; Fuld. p. 174) »nd anch im Wormsgau findet sich ein 
Hufileibesheim. (ibid. p. 95.) 

.8) 779: „Gramfesnesta." 

4) 791: „in winido hoheimono marca.** Dronke 1. c. nr. 100. 

5) Dronke, Tr« et Ant. Fuld. p. 120. 

Landau. Territorien. 18 



um einen für ein Kloster sehicklichen Ort au&uaoeken ^ sah er 
nicht weit unterhalb von der heutigen Stadt Fulda einen häufen 
sich in der Fulda badender Slaven, die gewiss nicht wandernd, son- 
dern in der Nahe angesessen waren. Auch später, im achten und 
neunten Jahrhundert, findet man auf fuldischen BesitKungen noch 
slavische Bewohner genannt, namentlich zu Rasdorf, Engelmarstadt 
(hei dem vorigenX Eschenbach, 6eisa, Eichenzeil, Spala, Weida, 
Henfstädt, Rohr, Hünfeld, Neidharddhausen, Petersberg, Ut: 
trichshausen u. s. w.^) Neben dem zeigen sich aber auch manche 
sicher ursprünglich slavischö oder doch auf slayische Beyölke- 
rung hinweisende Ortsnamen, wie Dingsleben (Tingesleia), Alsch- 
leben (86& Adohesleyba) , Unstleben, Bottichen, EMebon u. s. w. , 
sowie femer Walanrameswinida (908), Ernesteswiniden , Otto- 
wind (Othawindea) , Almerswind (Elsnuthewinden), Gundelswind, 
Herbartswind, Poppenwind, Oberwind, Ruckerswind; Hartschwin- 
den (Habrechtswinden), Alberswinden , Meerswinden (1436), Rü- 
denschwinden , Öischwind , ' Ditterswind (Dietkereswinden) , Ge- 
roldswind (Gejrhardiswiniden) , Reinliardswind (Regenharteswine- 
den), Appenwiuden (1308), Rodelvesswinden (1341) y Wolfrichs- 
winden (1303), Hermanswinden (1321), Meerswinden (14ßS), 
Langenwinden (1436), Hetmorswinden (1323), Rnofrixieswineden 
(1183), Eitenwiniden (c. 950) u. ». w. Auch Milz, Sigritz 
u. s. w. sind slayische Namen.. 

Alte Festen lassen sich freilich weniger nachWeiisen , allen- 
falls die Milseburg (980) , das castellum Banza (1071) , Schwein- 
furt, (SuinvoMi) , wdlches' Ditmar von Merseburg *) zum J. 1003 
castellum und 1017 civitas nennt. 

Was aber entschiedener als alles andere für eine ehedem 
slavische Bevölkerung i^eugt , ist die sich als vorherrschend zei- 
gende Bauart der Dörfer in einer Gasse. Ich erwähn« dieser 
Eigenthümlichkeit erst jetzt, weil mir für die südlichem Gegen- 
den die Hülfsmittel zur nöthigen Vergleichung mangelten , denn 
selbst die grosse paarte des Königreichs Baiem reiclite zu diesem 
Zwecke nicht aus. Doch sollen auch dort, angestelltea Erkun- 
digungen zu Folge, die meisten Dörfer dieselbe Grundfonn zei- 
gen. Was nun das Grabfeld betrifll, so- findet man. insbeson- 
dere in den, offenem Gegenden des. jetzt sächsÄsehen .Grabfeldes 



J) Dronke, Tr. el Ant FuW. p. 1J4 — 124. 
2) Perlz, M. G. IH. ,p. 801 u. 856. 



ftrft 



flies 6 Föftn allenthalben, ja in ^ina^elnfeft Döfftfrn, nÄtototlich 
in Ottowind, Larbäch, Urnshausen, Bomshausen, Fladuhgen, 
Urspring, Oberalzbach, Mendhausen ü. s. w. , dieselbe inso- 
fern noch schärfer hervortreten, als die Gestalt dieöet Dörfer 
mehr ki^eisförmig, oder auch zu einem, gleichzeitigen Vierefck 
übergehend erscheiAt. 

Das GrabfeM, wie der Rädenzgau haben da, wo sie sich 
an den Thütinger Wald legen, m diesem ihre Gränze. Diesen 
tiberschreitend, tritt uns zunächst Erfurt entgegen. 

Mag auch jene ' angebliche Urkunde König Dagoberts von 
706 , worin gesagt wird , dÄSä die sowohl von Christen als Hei- 
den (tarn christianis quam paganis) bewohnte Stadt (ürbs) Mer- 
wigesburö von seinem Vorfahr MerWig erbaut und von ihm zu 
einem Kloster bestimmt und St. Petersburg (bei Erfurt) genannt 
worden sei , in keiner Hinsicht vor der Kritik bestehen können *), 
80 ist doch Erfurt unzweifelhaft eine sehr alte Stadt. Bonifaciuä 
sagt in einem s^ner Briefe ah den Papst Zacharias , Erfurt sei 
schon Seit alten Zeiten .eine Stadt heidnischer Bauern („Erphes- 
fürt ... fuit jam olim ufrbs pagonorum rusticorum")*! nnd da»«- 
dasselbe damals auch befestigt war, geht aus Mdiger'd^ Erzäh- 
lung hervor, wonach bei feindlichen Einfällen Erfurt deii Be- 
wohnern des offenen Landesl als Zufluchtsstätte diente ^>. Nicht 
minder tritt Erfurt dadurch als Hauptort wenigstens eines Gaues 
hervor, -dass Bonifacius es zum Sitze des thürtiigiischto Bis- 
thums bestimmte. Wie Erfurt selbst noch in späterer Zeit 
vielfache slavische Elemente in sich schloss, so, war dieses 
auch mit dem zu ihm gehörigen Gaue der Fall. Schon jene 
dagobertische Urkunde sagt, dass die Slaven viele (zum Theil 
mit Namen aufgeführte) Dörfer in einem zunächst liegenden 
wegen der grossen Zähl seiner Hirsche Hirschbrühl genannten 
Walde angelegt hätten, denn wenn auch die Urkunde selbst 
ein späteres Machwerk ist, so kann diese Angabe doch immer- 
hin auf Thatsachen beruhen. Erfurt war unzweifelhaft eine Haupt- 
feste, die civitas eines slavischen Gaues. 



1) Vergl. Höfer elc Zeitsch. für Archivkunde, Diplomalik und Geschichte t S. 52. 

2) Epist. St. Bonifacii, ed. WQrdtwein. p. 106. 

3) Ludgenis in vita Gregorii (nach Wenck'll. 287): „ift)nnun<jnani vicfnfinn pagaiio- 
rnm persecutionem et metum mortis cum popufo sivM in cHllat^ fU{^<i, iWque iq 
airo pane et angustiis per plnres dies habitare, donec coUikiä miiltitudiiil^ soa cives 
mana validiore eo» iterum effogareot". Es kann sich dicfSes it(^r afnf Erfurt beziehen. 

18* 






«76 

Der unmittelbar an d«n Radenzgau sich schliessende Theil 
des zu Erfurt gehörigen Gaues ist der längs des Thüringerwal- 
des bis nahe ;aur Elster sich hinziehende Orlagau. Wie jeii' 
seits des Gebirgs, so bestand auch hier das Slayenthum noch 

• 

lange und sogar noch heute lassen sich einzelne Spüren dessel- 
ben nicht verkennen* Als Mittelpunkt des OrlÄgaus ist Saalfeld 
näit sdner Sorbenburg zu betrachten. Noch im elften Jahrhun- 
dert werden die. Bewohner der Gegend als Heiden und die Ge- 
gend selbst als „regio Sclavorura" bezeichnet*) und gleich Bam- 
berg, so wui:de 1074 auch das Kloster zu Saalfeld zu dem Zwecke 
gegründet^ dass es die Slayen der Gegend zum Christenthume 
bekehren sollte ^J. 

. Erfurt selbst lag im Gaue Husitin oder üsitin, ein jeden- 
falls slavischer Name, denn der deutsche war Ostergau, im Ge- 
gensatze zu dem an der Werra ausgebreiteten Westergaue. 
Auch in diesem, östlich über Appolda und Blckartsberge bis zur 
Saale sich ausdehnenden Gaue zeigen sich wieder dieselben Er- 
scheinungen slavischen Volksthums , welche auch jenseits der 
Saale hervortreten ; ja wir finden noch mehr, wir finden auch noch 
Burgwarten. Suiza, an der öi^tlichsten Gränze Thüringens, nahe 
der Saale, welches 1063 als der Haupt- und Mittelpunkteines 
bestimmten Gebietes (Suiza et de tota terra; quae pertinet ad Sui- 
za) *) und um dieselbe Zeit auch als zu Thüringen gehörig be- 
zeichnet wird*), wird 1040 ausdrücklich ein Burgwartsbezirk 
(Burgwarda Suiza) genannt*). 

Nördlich vom Ostergau lag rechts der Unstrut der kleine 
Gau Engelin , so wie nördlicher in dem Bogen der Unstrüt, der 
Mündung der Helme gegenüber, der Gau von Wiehe,. oder wie 
sich eine Urkunde von 998 ausdrückt: „civitas Uuihi — in pro- 
Tincia Uuigsezi in Turingia ^) ". . 

Vorzüglich im Orlagau finden sich zahlreiche Namen von 
meist rein slavischer Bildung , wie Triptis , PöUnitz , Daumitsch, 



1) S. das Nähere in v. Schuhes, Sachsen - Coburg - Saalf^Idischer Landesgescb. 
II. S. 2 ff. 

2) Das. S. 6i 

8) MillheHüDgeD aus dem iiebiele hisl. anliquar. Forschungen. 4 H. S. 103. 

4) Vi Schuhes, Direktorium I. ad a. 1064. 

5) Scböttgen, Opuscula. p. 59. 

6) Wenck a. a. 0..ürkbch. 11.^. 38. 



877 

Quaschwitz, Meilitz u. s. w. *) und auch noch im östlichen Hu- 
sitin- ist dieses zum Theil der Fall. Doch je weiter man gegen 
Westen vorschreitet, um so mehr schwinden diese Namensformen 
und es mehren sich die mit „lehen" zusammengesetzten Orts- 
namen. Diese Namensform ist auch in dem westlich von Er- 

* 

fürt liegenden Gaue , der wie es scheint insbesondere Thüringen 
genannt wurde, die vorwaltende. In diesem nicht sehr grossen, 
nördlich bis Herbsleben und Has&leben reichenden Gaue, als 
dessen Mittelpunkt Gotha erscheint, finden wir im achten 
Jahrhundert Slaven zu Boilstedt und Schwabhausen*), später 
auch zu Goldbach % gegen Ende des 12. Jahrhunderts zu Reh- 
stadt*), und sogar noch 1227 slavische Bauern (rusticos sla- 
vos) mit deutschen Bauern zusammen' in Ermstadt*). Zu die- 
sen Zeugnissen tritt auch hier wieder die Dorfform: meist ein- 
gassige Dörfer,' von denen manche, wie das auch in den vor- 
hin genannten Gauen der Fall . ist , eine mehr runde Form an- , 
nehmen. Es ist dieses namentlich niit Tiefengruben, Schop- 
pehdorf, Solnstedt, Windischholzhausen, Witzleben, Öbemisa, 
Molschleben, Delstedt, Grossfahnem, Westhausen u. s. w. der 
FaU. 

Der westlichste , südlich und westlich über die Werra hin- 
ausreichende thüringische Gau, der Westergau, zeigt uns zwar 
nur in meiner östlichen Hälfte unbestritten slavische Namensfor- 
men (Lupnitz , Hieben , Wiegleben u. s. w.) , aber um so. zahl- 
reicher sind die Orte, in welchen wir schon in frühester Zeit 
slavischen Einwohnern und meist in nicht geringer Zahl begegnen; 
namentlich ist dieses der Fall mit Tungeda *) , Suhl, Gerstungen 
(118 Slaven), Salzungen, Lupnitz, Hain (12Q Slaven), Schönstädt, 
Langensalza, Westera, Kreuzburg, Heringen (73 Slaven), Stätfeld, 
Reichenbach, Breitenbach u. s. w. ''), und ebenso zeigt sich vorzüg- 
lich in den Dörfern Hochheim, Wangenheim, Eberstedt, Osterbehrin- 
gen, Schönstädt, Langula u. s. w. unverkennilich die mehr und 



1) Näheres hierüber s. im 17. Jahresbericht des VoigUändischen allerthumsror 
sehenden Vereins. 1842. S. 1 ff. nnd Limmer , Gesch. des Voigllandes. I. S. 60 flf. 

2) Wenck a. a. 0. II. Urkbch. S. 16 u. 17. 
8) Dronke I. c. 

4) Serärius, Res. Mog. p. 827. 

5) Schannat, Vindem. lit. II. p. 121. 

6) Wenck a, a. 0. II. Urkbch. S. 16. 

7) Dronke, Tr. et Anl. Fuld. p. 116 ff. 



minder rui^de Fpnn des slavisch^ Porfbaues. Als Thüringen 
J.306 Wanfried an Hessen überliess , _wird der d^zu gehörige Be- 
zirk die „windische Mark" genannt. Alte Festen dieses Gaue^ 
aber waren sic^ier Kreuzburg ,. Gerstungen , Hohenburg bei Lan- 
gensalza p. a. w. . ^ 

Den Rauni ^wischen dem Westergaue un4 dem sächsischen 
Leinegau füllt der in zwei Tlfeile zerfallendß' Gau Eichsfeld aus. 
Zeigt ßich hier die Endung „leben" auch nur nach der östlich- 
gften Gränze ^in, so treten dagegen doch andere nicht ipinder 
auf slavischen Ursprung hinweisende Namen hervor, wie Wor- 
bis, Dalwenden und viele andere auf Wenden sic|x biezieh^nde 
Ortsn£|,men *). In Abterode finden wir an 53 Slaven angeses- 
sen 2) i^nd in Dalwendei^ noch 1055 slavische Hufen ^). Ebenso 
fallt aucli hier jene pigenthümliche Dorflbrm wieder in's Ange, 
• vorzüglich zu Dalwenden, Heiithen, Regungen, Eigenrieden 
u. s. w- I^i^ Stadt des Gaues scheint Eschwege gewesen zu sein. 

Der östiich an diesen sich schliessende Gau Winidun erin- 
nert schon durch seinen Namen an seine slaviaiche Bevölkerung. 
In seinem Innern sehen wir dann auch wieder zahlreici(i die En- 
dung „leben", wechselnd mit andern ebenwohl unbestritten »sla- 
vischen Namen, wie Kulmnaha (jetzt Kenia), Wolfschwpnde, 
Herrenschwende, GreuQsen u. s.w. Auch findet sich schon 975 
die civitas Slatheim*). 

Obwohl Polde, Dnderstadt und Grona schon 929 civitates 
genannt werden *) und auch nächst Duderstadt manche Dörfer sich 
der slavischen Form zuzuneigen scheinen , so fehlt doch jeder 
andere Haltpunkt, um namentlich auch den Leinegau herüber- 
' ziehen zu können. Ich wende mich also, den Wipper- und Na- 
belgau als mitten in unserm Gebiete liegend übergehend, zu dem 
die Südabhänge des Harzes umfassenden Helmgaue, dessen west- 
lichste Gränze jenseits Grossenbodungen hinläuft. Auch hier 
finden vwr wieder die Endung „leben", so wie eine Beihe von 
auf „ wenden " endenden Ortsnamen. Zu einer Vergleichung 
der Dorfanlagen fehlte ^s mir jedoch 'vyipder an JüiTaterial , und 



1) S. Niheres in Woif, Gesch. des EichsfeMs 1. S. 32 ff. 

2) Dronke 1. c. p. 124. 

3) Wolf a. a. 0. 

4) Dronke, Cod. dipl. nr. 718. ~ 

5) Kettner, Antiqait, Quedlinbg. p. 2. 



ich kann deshalb nur Windeberg- und Salfeld als zweiCellos hier- 
her gehörig bezeichnen. Als Festen sehen wir hingegen die 
königlichen Pfalzen Walhausen , Nordhausen .und Tülleda , sowie 
die Burgen Stolberg, KJettenberg u. s. w. 

Weit reichere Spuren des Slaventhums. als in den westll- 
ehern Gegenden zeigen sich in \ den längs^ der Saale und Elbe 
liegenden Gauen Priesenfeld, Hassegau und Schwäbengau. Al- 
lenthalben begegnfetman daselbst Ortsnamen, welche auf „leben" 
und eben so nicht selten auf „witz", „litz", „nitz** u. s. w. en- 
den, üeber die DorfTormen kann ich aber auch hier keinen 
Aufschluss geben. Dagegen lässt sich, was die Festen betrifft, 
in diesen Gauen das ganze yoUe Rüstzeug slaTischer Nieder- 
lassungen, in einer Vollständigkeit nachweisen , wie dieses sonst 
nur jenseits der Saale und Elbe möglich ist. So finden wir im 
Friesenfeld namenthch*): A^tstediburch (Altstadt), Helpe- 
thingaburch (Helfta), Nuwanburch (Belemaumburg), Scroj)- 
penleuaburch (Schraplau), Queuordiburch (Querfurt), Cu- 
cunburch, 999 urbs Cucunburg genannt^) (Kukenburg) , Ger- 
burgaburch (Gerbstädt?) , Burnigstediburch (Bomstädt), 
Suuemoburch (Schmön), Homburg (Homberg), Luitti- 
ni horch (Lüdersburg), Seoburg (Seeburg) u. s. w. 

Im Ilassegau sehen wir dagegen die alte civitas Mer- 
seburg, welche 1042 als der Mittelpunkt einer Burgwart be- 
zeichnet wird: „Spirgia — in Purcwardo Merseburg", die eine 
andere Urkunde von 1066 auch pagus nennt: „Spirige dicta sla- 
vonice autem Kobolam nuncupatur in pagb Mersiburch") ; wei- 
ter Vitzanburch (Vitzenburg) , Scithingaburg (Scheidin- 
gen), Mochenleuiaburch (Mücheln), Gozoburch, ander- 
wärts civitas Gozacha genannt^) (Goseck), Hunleviaburch 
(HoUeuben), Uuirbiniburch (Werben), Vuirtinaburg (Würtem- 
berg), Smemigaburch (Schirmbach), Memleben (die spä- 
tere Abtei), u. s. w. 



1) Ich verweise im Allgemeinen auf die bei VVeock a. a. 0. 11. U. S. 32 abge- 
druckte Urkunde , bei der ich aber das Original zu Grimde gelegl habe , und auch das 
vonmirin v. Ledebur's Ar'cl^iv XU. S. 2L3 If. gegebene aUe Yerzeichniss der bersfcldi- 
sehen Zehnlregisler. 

2) Höfer, Ztschr. II. 156. 

3) Daselbst 11. 170 ii. 172. 



Alle diese Orte werden bald als civitates *), bald als ürbes^) 
bezeichnet. 

Ebenso finden wir schon frühe im Schwabengau und dem 
nördlicher liegenden Gaue Nordthüringen die Städte Magdeburg, 
Frosa, Kalve, Barby, welches 999 ausdrücklich als Mittelpunkt 
einer Burgwart genannt wird') u. s. w. Dasselbe ist 968 auch 
flüt Unnesburg, Wandsleben und Hadmersleben der Fall. *) 

Daneben weisen aber die Urkunden auch zahlreiche Sla- 
ven nach, welche in diesen Gauen sassen, und zwar nicht blos 
in den Dörfern, sondern auch in den Städten. Eine Urkunde 
des zehnten Jahrhunderts nennt Slaven in Magdeburg, Frosa, 
Barby und Kalve*). Im Jahre 937 werden 15 slavische Fa- 
milien zu Frosa und eben so viele zuKalve, so wie 12 zu 
Schmön genannt •); desgleichen 12 zu Luckow '') ; 939 26 zu Frosa, 
56 zu Fermersleben, und 58 in noch.vier andern Dörfern *) u. s. w. 
Salpkß an der Bode heisst 1036 „Winediscun Salebizi"»). 

Dass auch der Harzgau noch hieher gehört, zeigen nicht nur 
die hier zahlreich vorkommenden „leben", sondern auch die Ur- 
kunden , welche häufig Slaven erwähnen. Zwölf Dörfer, welche 
973 um Mansfeld genannt werden, waren theils ganz, theils 
zum Theil von Slaven bewohnt*®) und Ottleben wird 979 als 
„in partibus Sclauoniae" liegend bezeichnet "jT. Noch 1134 findet 
man die Pfarrei Widerstedt von Sachsen und Slaven bewohnt 
und das dazu gehörige Dorf „Warwize" wird eine ;,villa slävo- 
nica" genannt "). Quedlinburg kommt 929 als civitas vor**), Wes- 



i) Wenck a. a. 0. 

2) V. Ledebur a. a. 0. 

3) Eratb, Cod. dipl. Quedliobg. p. 29. 

4) „Parocbiam omnem , qaae jacet inter fluvios Albeam scilicet Salam, Horam et 
Bodam, usque ad ea loca, ubi castra ünnesbnrg, Wantzleva, Hoeldesleva, com Omni- 
bus pertioeiitiis et vjllis , quas Burgwart vocant'*. (Leukfeld, Antiq. Halberst. p. 651.) 

5) Leuber, Stap. Sax. p. 1598. 

6) Eralb, a. a. 0. S. 3. u. 4. 

7) V. Werstbe, Beschr. der Gaue etc. S. 111. 

8) Höfer etc. Zlacbr. 11. p. 338.. 

9) Eratb, a. a. 0. p. 61. 

10) „Alliisqoe uillis uel nillarum partibus, qufts sclauonica^ familiae inbabitaot^^ 
DroDkc, Cod. dipl. Fold. nr. 714. 

11) Höfer die. a. a. 0. S. 617. 

12) Eratfi, a. a. 0. S. 80. 

13) Daselbst S. 2. 



t81 

teFgroningen 93ß als urbs *) , Ilsenburg 1003 als civitas und 
1018 als castrum ^) , Huysburg 1048 als civitas ^) , Städterling- 
burg 1108 als civitas*) und ebenso gehörte auch die civitas 
Halberstadt und die alte Königspfalz Derenburg^) zu den alt- 
slavischen Festen dieser Gegend. Während bei den zuletzt 
durchgegangenen Gs^uen es mir ebenwohl an Hülfsmitteln zur 
Vergleichung der Dorfformen fehlte, sind mir diese beim Der- 
lingaue wieder zur Hand ; in diesem Gaue zeigen sich unver- 
kenntlich jene Formen, wenn auch nicht immer in gleicher 
'Schärfe, namentlich in den Dörfern Leim, Denkte, Watzum, 
Oflleben, Steinum, Supplingenburg , Grasleben, Weyhausen, 
Meine, Adenbüttel u. s. w. und auch die Namen, welche schon 
auf den ersten Blick sich als nicht deutsch zu erkennen geben, 
sind zahlreich z. B. Ingeleben, Gevensleben, Sambleben, Anxz- 
leben, Wetzleben, Banzlebcn, Langeleben u. s. w. Frühe fin- 
den wir auch schon Asaburg (984), urbs Alaburg, castrum He- 
besheim, Homeburg u. s. w. 

Eine Urkunde aus dem Ende des zehnten Jahrhunderts 
sagt : „ in uilla Lutterun in pago Ventsgoi — in Burgwardio 
quoque Dalehem atque comitatu Herieldi comitis*)". LüntzeP) 
.sucht diesen Wendsgau im Osnabrückischen, wo ein Dahluiii 
(unfern Fürstenau) liegt, aber wo ist dort Lutterun? Doch 
schon die Erwähnung eines Burgwartsbezirks weist nach Os- 
ten hin und wirklich finden wir im Hildesheimischen an 
der Nette nicht nur Dahlum mit einer Burg, sondern in dessen 
Nähe auch Lutter am Barenberge. Dieses Dahlum wird 1001 „ca- 
stellum Dalehem — in pago Hustfalasive Ambargau" genannt*). 
Dagegen findet sich der Wendsgau nirgends wieder. Es fragt 
sich nun, ob jene beiden Dalehem identisch mit Dahlum an der 
Nette sind? Dass das in der Urkunde von 1001 genannte ca- 
stellum das bezeichnete Dahlum sei, ist nicht zu bestreiten. 



1) Falcke , Tr. Corb. p. 292. 

2) Leakfeld a. a. 0. S. 668 u. 676. 

3) Das. S. 686. 

4) Era.lh a. a. 0. S. 79. . . 

5) Vergleiche über diese Kruse's deutsche Alterlhümer II. S. 35 ff. 

6) Erhard, Cod. dipl. Weslph. I. nr. 74. üebereinstiraraend mit dieser Urkunde 
ist auch die Anführung derselben in der vita Meinwerci ap. Leibnit, SS. R. Brunsr. 

I. 519. ' . 

7) Die Diözese Hildesheim S. 168. 

8) Daselbst S. 348'. 



\ 



9M 



In dem Ambargau kommt nun aber 974 auch civitas Sehusaburg 
(Seesen)*) vor, und. auch Woldenberg reicht bis in frühe Zeiten 
hinauf, berücksichtigt man diese alten Festen, dann wird es jeden- 
falls zweifelhaft, ob hier noch germanii^her Boden angenommen 
werden dürfe und man wird geneigt, auch jenen Wends^au mit 
der Burgwart Dalheim bier zn suchen. Möglich ist es sogac, 
dass der Name Wendsgau einer altem Zeit angehört und durch 
den deutschen verdrängt worden ist. Dennoch wage ich keine 
Entscheidung und überlasse diese Andern, welche besser als 
ich im Stande sind, die dortigen historischen Verhältnisse ge- 
nauer zu untersuchen. Gehörte wirklich der Ambargau noch 
zu dem östlichen Gebiete, dann fallen in Folge ihrer Lage na- 
türlich auch der Salzgau, der Dersigau und Leragau, ja sogar 
auch wohl der südliche Lisgau noch auf diese Seite. Jedenfalls 
gehören weiter nördlich noch hierher die Gaue (eigentlich nur 
Centen) Wittinga (mit dem Hauptprte Wittingen), »Muthwidl 
(mit Müden) und ^Moltbizi (mit Hankensbüttel), deren sicjiere 
Abgränzung ich übrigens dahin gestellt lassen muss. Als Be- 
weis dafür, da$s auch diese Gegend slavischer Boden war, ver- 
mag ich freilich nur die Formen der Dörfer anzuführen (man 
betrachte nur Wittingen, Suderwittingen , Zasenbeck, Piastau, 
Radenbeck, Behnitz, Wendisch Brohme, Altendorf, Barwedel, 
Vorhop, Eutzen, Parsau, Wiswedel, Boitzenhagen, Schneflingen, 
Wunderbüttel , Glüsingen , Altisenhagen , Schweinke , Stöcken, 
Erpensen, Rade, Wedersahl, Masel, Lübben, Kannewinkel u, s. w.), 
was übrigens den Mangel anderer Zeugnisse auch vollkommen 
ersetzt. Dasselbe ist der Fall mit dem Amte Beedenbostel, 
dem pagus Grethe, in welchem sich die Dörfer Dalle, Eschede, 
HohnUorst, Spechtshom, Hohne und Marwede als slavisch zeigen. 
Der nun folgende Gau ist dier' Bardengau. Schon durch 
seinen Hauptort, der ihm zugleich den Namen gegeben, durch 
die alte Königspfalz Bardowidi, gibt er sich als ursprünglich 
nicht deutscl;! zu erkennen. Ausser Bardowick, erscheinen weiter 
noch als Festen Uelzen (üllesheim), Bohlburg (Biaijgibudiburg), 
Suderburg, Arteinburg. u. s. w. Obwohl mir keine Urkunden be- 
kannt sind, in welcher hier ansässige Slaven genannt werden, so 
deuten doch auch hier* eine Reihe Dörfer durch ihre Formen auf 
ihren slavischen Ursprung hin. Dieses ist vorzüglich im südli- 



1) Läolzel a. a. 0. S. 157. 



969 

\ 

chen Theile des Gg-ues, im Amte Bodenteiph, der Fall*), un4 
dieselben Formen lindjen wir auch um Uelzen, (Rassau, Gross- 
liedern, Rätzlingen, Stöcken, Polau, Nateln, Göddenstedt, Un- 
delob u. s. w.) i^owie nördliche!*, . vorzüglich gegen die Elbe hin, 
(Witzeze, Tosterglobe, Lüdersburg, Echum, Hilifeld u. s. w.). 
Neben dieser Form zeigen sich hin und wieder auch noch acht 
sjavische Namen, z. B. Bp-degast (welches jedoch in seinem Baue 
nicht slavisch ist) , Gartj^e , Bretze , Tosterglope u. s, w. Zahl- 
reicher noch werden indessen die slavischen Namen und zu- 
gleich ' die slavischen Dorfformen in den östlich von Uelzen lie- 
genden kleinen Gauen Drawähn und Lemgau , wo das Slaven- 
thum auch noch bis in's vorige Jahrhundert fortbestanden hat 2) 

Ob auch das nördlich vqixi Bardengau zwischen dem Meere, 
der Elbe utid Weser liegende Land noch hierher gehört\ lasse 
ich dahin gestellt sein, da ich nichts dafür anführen könnte, al^ 
dass Ditmar von Merseburg zum J. 994 Harsefeld und Stade 
ebenfalls Städte nennt. 

Dagegen kann man um so sicherer Nordalbingen als ur- , 
sprünglich slavischen Boden betrachten. Bereits im Anfange 
de§ neunten Jahrhunderts (837) kommt llamburg als civitas ypr, 
Rembart im Leben des h. Anskarius^) erzählt: „Imperator Lu- 
dovicus in ultima Saxoniae regione trans Albiam in civitate 
Hammaburg sedem .constituit archiepiscopalem , cur ^ subiaceret. 
universa Nordalbingorum ecclesia, et ad quam pertineret om- 
nium regionum aquilonialium potestas," und wenig sp§,ter wird 
auch der bei allen alten Städten sich findenden Vorstadt („qui 
aderant in urbe ipsa vel in suburbio") erwähnt. Eine päpstliche 
Urkunde von 858 nennt Hamburg „castellum" und zwar „in confl- 
nibus Slavorum, Danorum sive Saxonum" und bezeichnet es im 
weitem Verlaufe als „ sedis Nordalbingorum " *). In ähnlicher Weise 
spricht Adam von Bremen davon: Der angesehnste Stamm der 
Übereibischen Sachsen sei der der Sturmaren un4 unter diesen 



1) LaDgenbrück, Abbendorf, Callenbrock, Gross- uDd Kleinbollcnsen, Droha, Kö- 
nau, Boncke , Flinteo, Schoslorf, Höjerslorf, Osledt, Wellendorf, Bocholt, Sollendieck, 
Kattieo, Kakau, Varbilz, Proilze , Gledeberg, Oldendorf, Spithal, Göh,rde., Solkaa^ 
Suderburg etc. , 

2) Spa^g^nberg, va^terlaud. Archiv 1822, 2., 1825. 2. ^.42., 1832. I. S, 20^, elc 
8) Pert?, Mon. Genn. II. p. 70(^. 

4) Lappenberg, Hambg. Urkbch. S. 21 u. 22. 



«84 

erhebe sich als Metropolis Hamburg, ehemals mächtig an Män- 
nern und Waffen und ergibig an Land und Früchten *). Dann 
jfiihrt Adam die an die Nordalbinger gränzenden slavischen Völ- 
ker auf. Als die^ Stadt der dem Bardengaue gegenüber am 
rechten Eibufer gesessenen Polabinger nennt er Razeburg*); Ol- 
denburg sei die Stadt der Waigrer und der Scholiasticus fügt 
hinzu : „ Aldinborg civitas magna Slavorum , qui Waigri dicun- 
tur')**; auch berichtet Adam, ,dass ihm der König äer Dänen 
erzählt, dass Oldenburg die volkreichste unter den christlichen 
Städten der Slaven gewesen sei*). Ebenso wird Lübeck als ci- 
vitas genannt*) und der Scholiast fügt auch noch die civitas 
Plunie, am Plöner See, hinzu*). In derselben Weise zählt 
Adam ^uch die übrigen weiter gegen Osten wohnenden Slaven- 
stämme mit ihren Städten auf, zunächst die „Obodriti, qui nunc 
Reregi vocantur et civitas eorum Magnopolis" (Mecklenburg)^), 
welche er ein andermal auch Michilenburg *} nennt und als „ci- 
vitatem Obodritorum" bezeichnet*). 

Doch auch hier ist noch keineswegs die Qränze, auch noch 
weiter gegen Norden finden wir alte Städte. Schon Sliaswig 
wird von Adam als civitas bezeichnet^®), und indem er Jütland 
als wenig bevölkert schildert, bemerkt er, dass erst da, wo die 
Arme des Meeres sich entgegen kämen, dasselbe „civitatis ma- 
ximas"- besitze**). Von diesen grossen Städten nennt er Arhusan 
(Aarhuus), welches ein schmaler Sund von Sune trenne"), Wi- 
berch ") , civitas Ripa ") , Alaburg **) , civitas magna Odansue 

1) Pertz, Moo. Ger. IX» p. 310. 

2) Das. S. 311.* 1062: „castelium Razesburg —^ in pago Palobi*\ tappenberg, 
Hambg. Urkbch. nr. 90. / 

3) Ibid. 

4) Das. p. 321. 

5) Das. p. 343. s. auch 310. 

6) Das. p. 311. 

7) Das. p. 811. 

8) So aHch urkundlich 995 Micbelenburg. Erath, Cod. dipl. Qtiedlinbg. S. 26. 

9) Pertz 1. c. p. 355. 

10) Das. p. 368. 

11) Ibid. 
] 2) Ibid. 

13) Ibid. p. 869. 

14) Ibid. p. 868. Der Bischof Elias von Rij)en Hess aaf seinen Landgätem (mw 
siones episcopales) „multas urbes' in defensioneQi sui^^ anlegen.. Gbron. episc. Rip^Q* 
ap. Langebek, Scr. Dan. VII. 157. 

15) Ibid. p. 870. 



' <85- 

/ 

(Odense) *) auf Fühnen , clvitjas maxkna Eoschald (Roeskllde) auf 
Seland , der sedes regia Danorum *) in Schonen' civjtas Lundona 
(Lund)oder, wie der Sclioliaßt sagt: „Scandias Metropolis^' sei „ci- 
vitais Lundona^' und ^Lundona civitas prima Sconie" *). Birka wird 
eine Stadt der Schweden genannt ^) y und dass diese Stadt ganz 
und gar äUen andern damaligen Städten glich, also ebenwohl 
aus einer eigentlichen Feste (civitas) und einem davor liegenden 
Flecken (suburbium) bestand, ersieht man aus der Erzählung 
Rembarts. Dieser*) berichtet nämlich, dass als die Stadt (vi- 
cus) Byrka in Schweden, wo viele reiche Kaufleute wohnten, 
plötzlich von den Dänen von der See aus überfallen worden, 
die Einwohner „ad civitatem quae iuxta (vicum) erat " g:eflohen 
seien, und dass darauf die Dänen sofort Anstalt gemacht „ad di- 
ripiendam urbem". 

Adam nennt ferner Sictone eine civitas magna ®J. Dasselbe , 
gilt von Upsala. Sacarane (Scara in Dalsland), sagt Adam, sei 
die civitas magna Gothorum '^) , Haisingland die civitas magna 
oder das Haupt (Caput) der Scritefinnen ®). Endlich spricht er von 
Trondheim: „Metropolis civitas Nortmannorum est Trondemnis^)". 

Neben diesen Städten finden wir in Dänemark auch wiedfer 
in den Ortsnamen die Endung „ leben *<^)", in Schleswig: Ha- 
dersleben , Tin^lef , Kliplef ü, s. w. , in Jütland : Horslev, Strel- 
lev, Högslev, Jerlev, Vindelev, u. s. w., ebenso in Fühnen 
und zahlreich auf Seland. 

Betrachtet man nun die lange vom Bodensee ausgehende 
Linie, welche Augsburg, Würzburg, Fulda, den grössten Theil 
der Werra, die östliche Hälfte des Harzes einschliesst und erst 
hoch inr Norden mit den dänischen Inseln endet, so muss allein 
schon diese weite von Mittag gegen Mittemacht ziehende und 



< 1) Ibid. p. 370. 

2) Ibid. p. 371. 

3) Ibid. 

4) Ibid. p. 874. 

5) In Tita Anskar. ap. Perlz, Mon. Germ. II. p. 703. 

6) Peru 1. c. IX. p. 378. 

7) Ibid. 

8) Ibid. p. 378 u. 379. 

9) Ibid. p. 383. 

10) Sachdse a. a. 0. S. 253, 292 n. 307 will zwar in dem dänischen „lev" ein Zahl- 
wort sehen, gleichbedeutend mit zehn. 



das heutige Deutschland in zwei Hälften scheidende Gi'än^e mit 
unabweislicher Nothvendigkeit zu einer andern als der bisheri- 
gen Auffassung der Verhältnisse .mahnen. 

Ungeachtet der nur sehr dürftigen urkundlichen Nachrich- 
ten bemerkt man doch beinahe allenthalben eine keineswegs ge- 
ringe slawische Bevölkerung, die auch noch in späterer Zeit vor- 
züglich nördlich und südlich vom Thüringerwalde augenschein- 
lich dicht gedrängt und jedenfalls die vorhandene deutsehe Be- 
völkerung^ Überwiegelid erscheint. Man sieht femer, wenn auch 
nicht allenthalben mit gleicher Bestimmtheit, die dem alt gertna- 
nischen Boden fremden Städte und Festen. Nicht minder wird 
häuüg ein Vorwalten slavischer Ortsnamen bemerkbar, und zwar 
ganz vorzüglich auch in solchen Gegenden^ welch« gerade durch 
ihre offene Lage (man betrachte nur die thüringischen Ebenen) 
unzweifelhaft die ersten Niederlassungen an. sich zogen. Und 
zu diesem allen tritt endlich noch jene charakteristische Form 
in der Anlage der Dörfer, welche sich auch bei allen übrigen 
weiter östlich wohnenden slavischen Volksstämmen wieder findet. 

Alles dieses weist unwidersprechlich daraufhin, dass hier 
einst Slaven als freies Volk sassen und dass diese Slaven die 
ersten Anbauer des Bodens waren, denn den Charakter des An- 
baus gibt stets die erste Niederlassung und dieser Charakter ist 
ein bleibender und dauert unverwischbar durch lange Jahrhun- 
derte hin. 

Würden "diese Gegeilden zuerst germanisch gewesen und 
die Slaven erst später eingedrungen sein, so hätte ein solches 
grossartiges Verdrängen auch eine nicht minder grossartige das 
ganze germanische Leben tief erschütternde Bewegung zur Folge 
haben müssen,' aber vergebens sucht man nach jedem Änhalte- 
punkte in der Geschichte, aus welchem auf ein solches gewalti- 
ges Vorschreiten der Slaven gegen "W'esten geschlossen werden 
könnte ; sogar in den Sagen begegnet man nirgends einer Kunde 
davon. Schon vor Karl diem Grossen wurde Thüringen durch 
die Saale von den Slaven (Sorben) geschieden *), nördlicher aber 
durch die Elbe, was sich daraus ergibt, dass Karl 806 zwei Fes- 
ten gegen die Slaven an der Saale und Elbe anlegte*): Dass 
beide Strome in einem Theile ihres Laufes die Gränze bildeten, 



1) „Sala fluvius, qni Thiiringos el Sorabos dividit", Einhardi vita CaroH raipJ5< 

2) Einbardi Ann. ad a. 806. 



t8V 



ersieht man auch aus dem bekamiten Kapitülar vom J. 805, 
^«reiches uns eine Reihe von Handels- und Stapelplatz en (Barde- 
wick, Schessel, Magdeburg, Erfurt, Haistadt, Fürth, Bromberg; 
Regensburg und Lorch) als Gränzpunkte gegen die Skven und 
Ayaten- nennt und dadurch die Gaue, in welchen diese Orte 
lagen, aJs die östlichsten Gränzgaue des damaligen Frankenreicbs*) 
bezeichnet, nämlich den Bardengau, Nordthüringen, Ostergau, 
Radenzgau, Nordgau, Donaugau und die Ostmark an der JEns. 

In jenem nördlich des thüringer Waldes bis unterhalb Mag- 
deburg sich ausbreitenden Lande sass nach unseren ältesten hi- 
storischen Quellen schon beim Beginne unserer christlicher Zeit- 
rechnung das Volk der Hermunduren und es ist höchst wahr- 
scheinlich, dass Hermunduren und Thüringen derselbe Namen 
ein und desselben Volkes ist. Aber auch noch weit über den 
Wald hinaus gegen Süden reichte dieses Volkes Herrschaft bis 
an die Donau, die Nah und den Regen ^> Noch spät führen das 
Nord- und Südland denselben Namen. Zur Zeit des heiligen 
ßonifaz wird die Salzburg im Saalgau als in Thüringen, Solen- 
hofen an ' der Altmühl im Gaue Schwalefeld als an der thüringisch- 
baierischen Gränze, Eichstädt an den Gränzen Baiems und Fulda 
in Thüringen liegend genannt. Ja, die letzten thüringischen 
Herzöge, deren Gewalt zu beiden Seiten des Waldgebirges nach- 
weisbar ist, hatten ihren Sitz zu Würzburg'). 

So weit unsere historische Kenntniss reicht, sehen wir in* 
Thüringen keine andere Veränderung als die Unterwerfung des 
Landes unter die fränkische Herrschaft (491), nirgends aber ein 
Eindringen slavischer Stämme. Doch dieses war auch nicht er- 
forderlich: die Slaven waren schon früher vorhanden, sie w;aren 
die ersten Besitzer des Landes und die ersten Anbauer des Bo- 
dens. Alles, was ich oben mitgetheilt habe, legt hierfür unver- 
werfliche Zeugnisse ab. Aber — schon vor unserer historischen 
Kunde hatten die germanischen Hermunduren dieses Slaven- 



1) Mit einziger Ausnahme des zum Gaue Slnrmi gehörigen Schecsel« , welches 
nochweMlich Tom Bardeogaoe liegt. 

^) Der Geograph Ravenoas L. IV. c. XXV. sagt: „Per quam Tariogoram pairiam 
transeiint plurima flumina , inler cetera «qui dicuntur Bac (Nah) et Reganum , quae in 
Danubio merguntur'S 

3) Vergleiche über diese Angaben Rudharts trefflichen Aufsatz : ,^ Hermunduren 
nnd Tfafiringer auch im Söden des (ihuringischen) Waldes angesessen'* im Archiv fär 
Gesch. und Alterthafnskonde ?on Oberfranken. Herausgegeb€fQ von Hagen H. % S. 87 ff. 



888 

Volk unterworfen und sich zu Herren des thüringischen Landes 
gemacht. Dieses ist die einzig mögliche den Verhältnissen ent- 
sprechende Erklärung. Ueber die Art und Weise dieser Unter- 
werfung muss ich auf das verweisen, was ich bereits oben über 
die Natur der s. g. Völkerwanderungen gesagt haber. Nicht das 
alte Volk wurde vertrieben, sondern nur unterworfen, den Sie- 
gern unterthänig gemacht. Die Folge davon war hier eine all- 
mälige Germanisirung. Obwohl der Fortschritt dieser Germani- 
sirung nur ein sehr* langsamer war, so ist er doch ebenso we- 
nig zu verkennen, als das Slaventhum selbst. Die Germanisi- 
rung wurde dadurch bewirkt, dass Germanen einwanderten und 
sich entweder neben den slavischen Einwohnern niederliessen, 
oder auch neue Dörfer anlegten. Es mögen diese Einwanderer 
zutn Theil Hörige gewesen sein, welche ihre Herren aus der 
alten Heimath mit herüber geführt, zu einem grossen Theil aber 
waren es sicher auch Freie. Jahrhunderte hindurch behielten 
Slaven und Germanen ihre nationalen Eigenthümlichkeiten bei, an 
demselben Orte wurde slavisch und deutsch geredet, und erst 
die fortdauernde Einwanderung bewirkte nach -und nach, dass 
die deutsche Sprache endlich die herrschende wurde und das 
Slavische mehr und mehr verschwand. Dass diese Einwan- 
derung anfanglich nur vorzugsweise die westlichen Gegenden 
berührte, und nur sehr langsam gegen Osten vorschritt, er- 
sieht man deutlich daraus , dass , wenn man von Osten gegen 
Westen wandert, unverkenntlich mit jedem Schritte die Merk- 
male des Slaventhums mehr und mehr verschwinden und das 
deutsche Element vorherrschender wird. Nicht nur die geschicht- 
lichen Nachrichten über das Vorhandensein voii Slaven, auch die 
gegen Osten immer zahlreicher werdenden Festen und endlicA 
die Namen der Orte geben Belege hierfür. Was insbesondere 
die letztern betrifft, so findet man in den westlichen Gauen nur 
wenige Namen, deren slavischer Ursprung sogleich erkenntlich 
ist. Es entstand nämlich neben, dem alten slavischen auch ein 
deutscher Name (nicht selten werden noch beide in den Urkun- 
den neben einander genannt) und erst die fortschreitende Crer* 
manisirung verwischte endüch den slavischen gänzlich. Dasselbe 
war auch bei den Gaunamen der Fall, an deren Stelle meist 
nach deutscher Weise gebildete deutsche Namen traten. An 
die Stelle des slavischen Namens Husitin setzte der Deutsche 
den Namen Ostergau. Andere Namen wurden auch germani- 



«89 

I 

sirt, d. h. der slavische Name erhielt eine deutsche Form. ' Die- 
ses ist vorzüglich bei denjenigen Ortsnamen der Fall, welche 
auf „leben" endigen. Es ist dieses die unter wechselnden For- 
men sich findende slavische Endung „loua** oder „lavia" *), welche 
sich in Norden als „low", in Sachsen, Schlesien und Böhmen als 
„lau", auch als „lowo" und „lebo" u. s. w. zeigt. Beim Ditmar von 
Merseburg heisst Breslau Wörtislava, Memleben Meminlevo 
u. s. w. Noch im zwölften Jahrhundert findet man auch in 
Thüringen „loue" neben „lauo" und „leua", bis' endlich statt dessen 
„leben" die allgemein herrschende Form wurde. Deshalb wird 
dieses Wort von den Urkunden- Ausstellern auch bald als slavisch, 
bald als deutsch bezeichnet. So heisst es z. B. 979 von einer villa: 
„quam dicunt slauonice Otlivva"^), 978 aber „in castello — 
slavonice Budizio, nunc autem theotonice Grimmerslevo"*). 
Wie langsam die Germanisirung weiter rückte und wie diese 
nicht mit Absicht, sondern nur durch die Verhältnisse sich 
machte, das wird noch anschaulicher, wenn man die Verhält- 
nisse am Main und im Radenzgaue und die des Orlagaiies be- 
trachtet. Hier hielt sich das Slaventhum am längsten und die 
Namen der Orte deuten es an, dass in diesen Bezirken erst weit 
später, als in den westlichem sich Deutsche zwischen den Sla- 
ven niedergelassen haben. Im Volkfeld und Radenzgaue finden 
wir n'och zur Zeit der Karolinger die dortigen Slaven als Volk, 
und zwar als ein unterworfenes, unter fränkischen Grafen stehen- 
des Volk, denn sie zahlen Tribut (Ostarstoupha) *) und noch 
im elften Jahrhundert sehen wir die Slaven des Orlagaus nach 
ihren eigenen Gesetzen leben („secundum legem et ritum gentis 
illius")*). * Es waren dieses dieselben Gegenden, in welchen auch 
das Christenthum am spätesten Eingang fand, und zweifellos 
war es auch wieder das Christenthum, wodurch die Germanisi- 
rung wesentlich gefördert wurde. 



1) pb dieses Wort wirklich dasselbe 1 o i b a ist , welches wir als fiezeichnirng 
eines Tbeils des thüringer Waldes finden , lasse ich dahin gestellt sein. 

2) Höfer etc. a. a. 0. I. S. 517. 

3) Knaulh, Antiq. pag. et comit. Prlncip. Anhalt, p. 25. 

4) Mon. boica XXVIII. p. 98, 161 und 258. Weniger Werlh lege ich auf die 
Antwort, welche der Papst anf die Fra^e des h. Bonifaz gab, ob von den Slaven, 
welche die Länder der Christen beWohnlen, eine Steuer zu erheben sei: allerdings 
müsse man dieses thuu, weil sich dieselben sonst als Eigenlhumer des Landes be- 
ll achten würden. 

5) Hön, koburg. Historie I. S. 329. 

IQ 

Landau. Territorien. **' 



«90 

Ob der Barderigau zu gleicher Zeit mit den südlichem slavi- 
schen Gauen der deutschen Herrschaft unterworfen wurde, lässt 
sich nicht sagen; doch geschah diöses sichef ebenwohl schon 
sehr frühe, wie man aus den geringen Spuren schliessen muss, 
welche das Slaventhum dort zurückgelassen hat. Weit später da- 
gegen hat die sächsische Eroberung Nordalbingens statt gefun- 
den, weil hier die slavischen Erinnerungen sich noch zahlreicher 

zeigen. 

Das südlichste Thüringen , zwischen dem Radenzgaue und 
dem böhmischen Walde, so wie das Land jenseits, der Donau 
und des Regens, zwischen dem Lech und der Ens, fiel unter 
bojoarische Herrschaft, und auch unter dieser Herrschs^ft sehen 
wir die Slaven nicht vereinzelt, sondern als Volk. Wie schon 
oben erwähnt, waren sie den bs^ierischen Herzögen, tributpüich- 
tig; sie hatten noch langehin eigene Häuptlinge für ihre Zehnt- 
schaften und nur den Gauen standen baierische Grafen vor; ja 
wir finden sogar noch Slaven mit freiem Eigenthume *) und 
eben so genossen sie Slaven im Traungau im zehnten Jahrhun- 
dert bei ihrem Handel nach Oesterreich noch derselben Zollfrei- 
heit wie die Bojoarier^). Also auch hier alle Zeichen eines^Volks- 
thums, welches nur einer fremden Herrschaft verfallen ist. 

Wie hier die Bojoarier, so hatten die Alemannen das Land 
westlich vom Lech und den Riesgau und das Sualefeld an sich 
gerissen. 

r Sehr deutlich wird der Einfluss, welchen das Eindringen 
der Deutschen auf die Umgestaltung des Volkes übte, wenn 
man die östlichen Gränzen überschreitet. Jenseits der Elbe und 
Saale erkennt man schon in dem 'vollständigen Ausbaue der sla- 
vischen Festen die länger bestandene Unabhängigkeit des ^^^' 
thums. 'Während nämlich hier sich beinahe allenthalben noA 
alle Stadtgebiete (Gaue) mit^ ihren Burgwarten (Centen) nach- 
weisen lassen*), ist dieses in dem westlich gelegenen Thüringen 
nicht mehr möglich, denn die Deutschen benutzten zwar die 
vorhandenen slavischen Festen , aber sie führten den Bau der- 
selben nicht weitei: fort. 



1) S. Rudhart, Urgeschichte Bayerns S. 456. 

2) Mon. hoica XXVIU. 2. p. 204. 

3) S, z. B. die ZusammensleUung in der Nachlese etc. von Schöltgea und Rrei- 
sig VIL 361 ff. 



V 



291 



Aber auch noch jenseits Thüringens haben germanische 
Völker im Beginne unserer christlichen Zeitrechnung weite bis 
zur Weichsel und bis zur untern Donau herabreichende Ge- 
biete besessen. Die Geschichtschreiber jener Zeit geben uns 
dafür die bestimmtesten Belege. Alle diese Völker aber ver- 
schwinden später wieder ohne eine Spur ihres Daseins zu 
hinterlassen und an ihrer Stelle sehen wir nur Slaven, wel- 
che, nach dem Zeugnisse eines byzantinischen Schriftstellers 
(Theophylactus Semocatta) wenigstens schon im sechsten Jahr- 
hundert an der Ostsee sassen. Der gewöhnlichsten Annahme 
zufolge wären alle jene germanischen Stämme vor dem Andränge 
der Slaven mehr gegen Westen gewichen. Wann und wie die- 
ses geschehen, hat aber noch Niemand anzugeben vermocht. 
Es gilt auch hier wieder dasselbe, worauf ich schon oben hinge- 
wiesen habe : kein Krieg ist bekannt, welcher die dortigen Deut- 
schen vernichtet hätte und ebenso verpiag nian nicht der Annah- 
me, dass sich die Deutschen dem Slaventhume unterworfen, die 
geringste Stütze zu geben. Auch jenseits der Elbe finden wir 
alle schon in Thüringen nachgewiesenen slavischen Elemente 
wieder und zwar sämmtlich in einer noch schärfer und vollstän- 
diger ausgeprägten Weise. Die überall sich zeigende eigenthüm- 
liche Dorfform, def Städtebau, die durchweg slavischen Ortsnamen 
und endlich das Volk selbst weisen mit Bestimmtheit auf ein 
Urslaventhum hin. Wie in Thüringen, so war sicher auch hier 
von Uranfang an eine stets slaVische Bevölkerung, und es bleibt 
keine andere Erklärung übrig, als die, welche ich schon oben 
gegeben habe. Die Germanen hatten sich diese Gebiete mit den 
Waffen unterworfen und sich als Herren über dieselben gesetzt. 
Die vollständige Hörigkeit, welche wir in jenen Ländern finden, 
weist darauf hin, dass die Sieger die einzig Freien blieben. Im 
Verlaufe der Jahrhunderte aber ging der Sieger Nationalität in 
der des unterworfenen Volkes unter; und die germanischen Her- 
ren wurden Slaven, ebenso wie die Langobarden Italiener und 
die Normannen Franzosen wurden. Dass in Thüringen nicht 
dfua Gleiche geschah, verhinderte die unmittelbare Berührung 
mit dem alten Germanien und auch diese hätte wohl kaum ge- 
nügt, hätte nicht die fränkisch - sächsische Eroberung dem ger- 
manischen Elemente neue Kräfte verliehen. 

Dasselbe geschah später auch jenseits der Elbe. Erst die 
unter den Karolingern beginnende nochmalige Eroberung jener 

19* 



Länder legte den Grund zur Germanisirnng auch dieser Völker, 
welche in der zugleich mit vorschreitenden Bekehrung zum 
Christenthnme noch eine wesentlich fördernde Unterstützung 
empfing. Erst 963 erhielt der Erzbischof von Magdeburg vom 
Papste die^ Weisung, das Volk der Slaven jenseits der Elbe und 
der Saale nach dem 'Willen des Kaisers in Bisthümer zu theilen. 

' Die Zeit der ersten Unterwerfung dieser slavischen Völker 

■ 

reicht jedenfalls' weit über unsere historische Kenntniss hinaus; 
ja diese Unterwerfung muss schon Jahrhunderte früher erfolgt 
sein, ehe die Römer mit den Germanen näher bekannt wurden. 
Einen Beleg hierfür gibt uns das, was Tacitus' von der suevi- 
schen Nationalstätte erzählt. Dass diese nämlich jenseits der 
Werra, wohl sogar jenseits der Elbe gesucht werden müsse, 
darüber is* man einig. Dann aber — das leuchtet gewiss Je- 
dem ein — konnte dieselbe kein ursprünglich* germanisches Hei- 
ligthum sein und dann können auch hier unmöglich die Anfänge 
des suevischen Volkes gesucht werden. Und dennoch sagt Taci- 
tus ausdrücklich, dass die Sueven jene Stätte als den Ausgangs- 
punkt ihres Volkes verehrten. Wie ist das nun anders zu erklären, 
als daB sie bereits so tief in den Glauben und die Einrichtungen 
des unterworfenen Volkes sich eingelebt hatten , dass sie diese 
als ihre eigenthümlichen betrachteten , dass es derhnach schon 
aus ihrer Erinnerung verschwunden war , d^ss sie auf diesem 
Boden Fremdlinge waren. Dass hierzu aber Jahrhunderte ge- 
hörten, kann wohl keinem Zweifel unterliegen/ 

' Fassen wir schUesshch die sich aus dieser Ausfährung erge- 
benden Resultate kurz zusammen, so finden wir zuerst die Worte 
des Tacitus, dass die Deutschen keine Städte gehabt, auch hierin 
bestimmtester Weise bestätigt; wo sie solche aber' fanden, da be- 
nutzten sie dieselben. Wir sehen dann femer, in welcher Weise 
die Eroberung eines Landes erfolgte, wie die alten Bewohner 
darin sitzen blieben , und wie deren Germanisirnng erst durch, 
nachfolgende Einwanderungen des herrschenden Volksstamms 
langsam fortschritt, so dass schon aus dieser allmäUgen. Umge- 
staltung es einfach einleuchtet, dass durch die Eroberung eine 
Umgestaltung der Boden - und Wohnverhältnisse gar nicht mög- 
lich war. Endlich überzeugen wir uns, dass sowohl die Germa- 
nen als die Slaven Ureinwohner des heutigen Deutschlands sind, 
denn ihre valten Gebiete tragen tief eingeprä-gt zum Theil noch 



n 



«98' 

r 

heute den Stempel des Volksthums , so dass man beide als diö 
ersten Anbauer dieses ißodens zu betrachten genöthigt ist. 

Aber welch' eine wunderbare Kraft liegt in diesem Germanen- 
thum ! Ur^nfänglich eingeschränkt auf den Raum zwischen Werra 
und Rhein, Donau und Nordsee, schreitet es mit unwiderstehlicher 
Kraft nach allen Seiten hinaus, südlich über Itahen hin bis zu 
den afrikanischen Gestaden , ostwärts bis zum Hellespont, west- 
lich und nördUch über Frankreich, Spanien, England und Skan- 
dinavien. Es unterwirft sich ganz Europa und überschreitet 
später im angelsächsischen Stamme sogar die weiten Räume" 
des Weltmeeres und erringt eii^e Weltherrschaft. 



6) Die Gesammtbürgschaft. 

Soviel über dieses angebliche Rechtsinstitut auch schon 
verhandelt worden ist, kann ich 'doch nicht umhin dasselbe 
ebenwohl in den Kreis meiner Untersuchungen zu ziehen; ich 
werde mich jedoch kurz fassen. 

Ich will nur das hervorheben, worauf sich vorzugsweise 
die Lehre von der s. g. Gesammtbürgschaft stützt. Es' ist die- 
ses das Gesetz König Eduard des Bekenners. Hiemach sind 
alle Einwohner des brittischen Reiches — wie es wörtlich heissfc 
^ — „fidejussionis stabilitate quam Angli vocant Fridborgas, prae- 
ter Eboracenses qui vocant eam tenmannetale, hoc est nu- 
merum X. hominum" vertheilt, deren Haupt — der Decanus — 
zugleich Richter in geringfügigen Sachen ist. Die stets zu ei- 
ner Verbindung gehörigen Zehn sollen für einander Bürgschaft 
leisten. Wenn nämlich einer von einer solchen Zehntschaft ein 
Verbrechen begeht, müssen die übrigen neun Sorge tragen, dass 
derselbe vor Gericht erscheint. Sobald dieses geschehen, sind 
sie einer jeden Verbindlichkeit enthoben. Geschieht es aber nicht, 
so müssen sie selbst haften, oder können sich nur dadurch lösen, 
dass der. Dekan mit zwei Genossen zusammen mit den Dekanen 
und je zwei Genossen der drei nächsten Friedborgs, sich durch 
einen Eid sowohl von der Schuld als der Beförderung der 
Flucht des Verbrechers reinigen. Leisten sie diesen Eid nicht, 
dann soll der Friedborg den Schaden ersetzen und zwar zu^ 
nächst nur so weit, als des Flüchtigen Vermögen nicht dazu 
ausreicht, zugleich aber müssen auch' die übrigen neun des Fried- 
borgs ihre Unschuld beschwören, sowie, dass sie wo möghch 



«94 

den Verbrecher vor Gericht führen oder dessen Aufenthalt, wenn 
derselbe ihnen bekannt wird, anzeigen wollen. 

Einer unserer ausgezeichnetsten Forscher *) stellt nun in Ab- 
rede , dess eine solche Bürgschaft aus, der Urverfässung herüber- 
gekommen, und hält vielmehr dieselbe für eine neue lediglich 
polizeiliche Massregel, ebenso wie die Abtheilung nach Zehn 
für eine nur zum Zwecke dieser Einrichtung getroffen« neue 
Volksgliederung. 

Ich will zuerst den letzten Punkt in]s Auge fassen. Was 
Waitz vorzüglich zu dieser Annahme verleitet, ist der Umstand, 
dass er die Dekanie als etwas, mindestens nicht sicher Erwie- 
senes betrachtet. In dieser Hinsicht bedarf es wohl nur einer 
einfachen Verweisung auf das, ,was ich schon früher ausgefülirt 
habe. Dass aber auch hier nur von der Dekanie die Rede ist, 
beweist das c. •28. jenes Gesetzes-, wonach der Dekan über Hü- 
ten , Wiesen , Fruchtfelder und Streitigkeitisn zwischen den Nach- 
barn (vicinös) zu richten hat, so wie c. 29., wo ausdiücklich 
gesagt wird, dass über je 10 Dekanen „majores justiciarios" ge- 
setzt seien — „quos prossumus vocare Centenarios, quia super 
centum Fridborgos judicabant". 

Ich meine, es. sei unmöglich hierin etwas anderes als 
die altyorhandene Volksabtheilung zu erkennen. Allerdings wird 
in dem Gesetze ganz so' gesprochen, als ob man bestimmte 
Zahlen im Auge gehabt habe, aber ich, erinnere hier nur an die 
Worte des Tacitus: „et quod primo numerus, jam nomen et honor 
est". Auch hier sind es nur Namen, keine Zahlen, und diese 
Namen sind, wie dies die obigen Worte zeigen, nicht neu, sondern 
alt und im Volke gebräuchlich. Dass nur von Namen und nicht 
von' Zahlen die Rede ist,, zeigtauch das londoner Statut : „de dua- 
bus decimis — im angelsächsischen Texte teodunge — unus 
homo , ubi magis populi sit ; sie de una decima , ubi minus sit 
populi**. Mit klaren Worten ist's also ausgesprochen, dass die 
decima nicht gerade auch zehn Mitglieder umfasste. Man sieht 
dies auch noch' anderwärts. In dem Kapitular. „de partibus 
Saxoniae" wird Kap.' 15. bestimmt, dass je 120 freie' Fami- 
lien die Kirche, welche für sie gegründet; in einer gewissen 
Weise ausstatten sollen. Dass diese keine eigentliche Zahl ist, 



1) Wailz, Deutsche VerrassuDgs - Gdscbichte I. S. 225. Daselbst findet tnao aacb 
alle hierher gebörigeo Quellen, weshalb jcb ejnfacb darauf verweise. 



295 



vielmehr diese Zähl nur als Name und zwar für die Cent 
dient, liegt auf der Hand, denn 120 ist das alte Grosshundert. 
Dieselbe Bewandniss hat es ferner mit den „zehn öder zwölf 
Dörfern*', welche nach dem Kaiserrecht ein Gericht bilden und 
über die der Kaiser einen Mann setzt, der sie bewahren soll, 
denn auch hier ist diese Zahl nur Name (Decania), nicht Zahl. 
Es ist diese Redeweise überhaupt so gebräuchlich, dass sich 
ähnliche B^eispiele noch in Menge nachweisen Hessen. 

Eine stetige Theilung des Vglkes nach- bestimmten Zahlen 
ist alle Zeit eine Unmöglichkeit , denn jeder neue Tag würde die 
Ordnung von neuem zerreissen. 

Bei einer neugeschaffenen derartigen Eintheilung würde 
aber auch die Grundlage zu einer Bürgschaft: mangeln , wie diese 
jenes Gesetz bezeichnet. Es kann Niemandem eine 'Bürgschaft 
aufgezwungen werden, der nicht mit dem Zuverbürgenden in 
einem gemeinsamen Besitze steht oder nicht Gewalt über dessen • 
Vermögen hat. Das ist aber in Bezug auf das obige nur in der 
Bauerschaft (Decania) möglich, die sowohl durch den Einzelbe- 
sitz als durch die gemeine Mark die einfachsten und naturge- 
mässestea Mittel bietet. 

Der Friedborg ist und kann desshalb nichts anderes sein, 
als die auf der einigen Mark ruhende Dorfgemeinde. 

Und so verhält sich's auch mit der in den Statuten von Lon- 
don vorkommenden Eintheilung der Bewohner der Stadt in Hundert 
und Zehn, nur zeigt sich hier schon eine Gemeindekas$e, über- 
haupt mehr Städtisches. Noch jetzt ist London in 6 Hundreds 
und 2 Liberties (London und Westminster) getheilt , und die 
„gegylden" jenes Statuts sind die Zehntschaften. Es ist dieselbe 
Eintheilung, welche auch die deutschen Städte zeigen, nämlich 
die zahlreich vorkommende Eintheilung in Bauerschaften oder 
Heimburgschaften *). 

Die Gesammtheit der Stadt bildet in der Regel eine Hun- 
dertschaft, oder, wenn noch neue Städte angebaut worden sind, 
je nach deren Zahl zwei oder mehr Hundertschaften. Denn die 



1) So heisst es z. B. in den ans den ersten Häirte des 13. Jahrhunderts herröh- 
renden Statuten der Stadt Höxter: ,;Quicunque Huxariam intraverit et communioncm 
civitalis scilicet Burscap conquisierit, si anno et die absque inpelitione aliqua et inr 
cusatione residenciam Tecerit, illum pro cive debito habere volumus". (Wigand, Archiv 
für Gesch. n. Allerlh. Westpbalens I. Bd. 1« H. S. 96 u. 97.) Aehnlich so auch wohl 
alle Stftdie. 



städtische Verfassung ist le'diglich der allgemeinen Verfassung 
nachgebildet worden. So hatte Worms 4 Pfarreien (Centen) 
und jede. Pfarrei 4 Heimburgschaften ; Soest vier Gerichtsbänke 
und jede 3 Burgschaften u. s. w. Beide Städte bildeten also 
selbstständige Gaue. 

Dass jene gegenseitige Verbürgung der einzelnen Gemein- 
deglieder aber auch nicht erst damals geschaffen worden und über- 
haupt keine ausschliesslich in England bestehende Einrichtung war, 
das ergibt sich einfach daraus, da'ss ganz dieselbe Bürgschafts- 
pflicht sich auch in den« slavischen Gemeinden findet. Die 
sämmtlichen Mitglieder einer Gemeinde hafteten auch hier soli- 
darisch für jedes innerhalb ihrer Mark verübte Verbrechen. 
Konnte der Mörder eines Erschlagenen nicht ermittelt werden, 
so hatte die Gemeinde, in deren Feldmark die Leiche gefunden 
worden , die Busse zu tragen *). 

Herzog Heinrich I. von Schlesien befreite 1221 die Dörfer 
der Augustiner zu Breslau: „nee condempnabuntur in capite in- 
terfecti vel occisi, quod fuOrit inventum in terminis eorum^*-). 
In dem Vertrage, welchen Herzog Konrad IL von Schlesien 
1253 mit dem Stift Glogau über dessen Rechte in der zu be- 
gründenden Stadt Glogau schloss, heisst es wörtlich: „Quodsi 
solutio capitis super viciniam ceciderit, homines episcopi.vel 
Glogoviensis ecclesie, qui sunt in dicta vicinia^ solvant dominis 
suis portionem quae ipsos contingit, similiter si non venerint 
-ad clamorem cum aliquis in via spoliatur aut percutitur" ^;. Und 
noch näher erläutert dieses der darüber erneuerte Vertrag von 
1261: „Quod si universitas viciniae condempnata fuerit in^ cora- 
muni solutione capitis, homines nostri seu militum solvent no- 
bii^, homineis episcopi vel canonicörum solvent dominis suis"*). 

Ebenso hatte die vicinia auch alle Lasten und Dienste ge- 
meinsam als eine Gemeinschaft zu tragen, wie dieses Röppel 
a. a. 0. weiter ausgeführt hat. 



1) Palacky, Gesch. von Böhmen ILl. Abtb. S. 40., Röppel, Gesch. Polens. S. 
83 ff. Erslerer verweist auf Casopis cesk. Museum 1837. I. S. 68 — 110., wo er 
über die slavische Gesammtbärgschaft ausfübriicher gebandelt bebe. S. auch Tzschoppe 
und Stenzel, Urkundensammlung S. 25. 

2) Tzschoppe u. Stenzel a. a. 0. S. 25. 

3) Worb,, Neues Archiv für die Geschichte Schlesiens und der Lausitz S. 83. 
Tzschoppe und Stenzel, a. a. 0.,I. nr. 42, 

4) Tzschoppe u. Stenzel, a. a. 0. nr. 54. 



«97 



Sehen, w nun aber dä$ Gleiche bei 'zwei, sa verschiedenen 
Völkern, wie Angelsachsen und Slaven, dann darf man wohl 
voraussetzen, dass auch andern Völkern es nicht fremd war. 

Darauf gestützt können wir au(?h wohl das contubernium 
des salischen Gesetzes für das Gleiche halten," weil auch die- 
ses sich nicht nur auf die. Zahl zehn gründet, sondern auch 
in Bezug darauf bestimmt wird, wie wegen eines innerhalb 
einer solchen Verbindung stattgehabten Verbrechens erst der 
Anführer und - dann dreimal drei Genossen bestraft . werden 
sollen ') , denn mag sich dieses auch insbesondere nur auf das 
Heer beziehen, so ist nicht zu vergessen, das Heer und Volk 
in ihren , Abtheilungen als eins, und diese Zahlen nur als Na- 
men zu betrachten sind. Ausserdem enthalten aber auch die 
merowihgischen Gesetze die Bestimmung, dass für den Fall der 
Dieb nicht gestellt werde, die Hundertschaft zum Ersätze des 
Gestohlenen verpflichtet sein solle ^), und eben so weist eine 
Stelle in den Zusätzen ztim salischen Gesetz unzweideutig darauf 
hin, wonach nämlich die vicini öich eidlich von der Mitschuld 
reinigen sollen, wenn ein Leichnam in ihrer Feldmark (campo) 
gefunden werde ^). 

Sollte nicht auch die Verpflichtung der Gemeinden, die auf- 
erlegten Steuern als ein Ganzes zu tragen , welche noch im sie- 
benzehnten Jahrhundert allgemein in Deutschland bestand, und 
auch noch heute nicht selten ist , und die auch bei den Grie- 
chen, den Arabern u. s. w. sich findet, ein letzter. Rest jener 
gemeinsamen Bürgschaftspflicht sein? In einem abgebrannten 
Dorfe — ich will nur ein Beispiel anführen — waren 1638 nur 
noch 5 Bauern vorhanden, alle übrigen hatten sich entfernt; 
die letztem schujdeteh aber noch 55 Thaler Steuern; es wurden 
deshalb, jene zur Zahlung angehalten und da sie der Aujffor- 
derung nicht entsprachen , wurde der Ortsgrebe mit Arrest belegt. 

Gern gebe ich zu, dass die Form und die Art und Weise, 
wie die angelsächsische Bürgschaft erscheint, schon ein ent- 
wickelter und durch besondere gesetzliche Bestimmungen ge- 
ordneter Zustand war. Aber geschaffen wurde diese Btürgschaft 
nicht erst damals, sie ist vielmehr etwas ursprüngliches, und 



1) Waitz a. a. 0. I. S. 264. 

2) Das. S. 269 flP. II. S. 283. 

3) Das. II. S. 269. 



«98 



nur darin wird gefehlt, wenn man sie als ein selbstständiges, 
gewissermassen in sich abgeschlossenes Rechtsinstitut betrach- 
tet. Sie ist einfach ein Ausfluss der Gegenseitigkeits - Verhält- 
nisse der Markgenossenschaft. Die Gemeinsamkeit des Besitzes 
allein musste schpn ein gegenseitiges Bürgschafts -Verhältniss 
begründen, wir wir dieses ja auch bei der römischen Ackercen- 
turie sehen, welche als eine Gesammtheit ihren Theilnehmern 
bürgte *), die weitere Ausbildung aber wurde durch die nothwen- 
dig werdende Sicheining der gesellschaftlichen und staatlichen Zu- 
stände herbeigeführt. 

Darum ist auch der Name nicht bezeichnend , derselbe sagt 
zuviel, es ist nur ein schHchtes Gemeindeverhältniss. 



1) Niebnhr, röm. Gesch. II. S. 178. 



Fflnfter Abschnitt. 



Die Vorstände des Volkes. 



Die Gliederung des Volkes nach Gauen, Hundertschaften und 
BauersTjhaflen weist uns einfach auch auf die Gliederung dei* an 
der Spitze dieser Abtheilüngen stehenden Vorstände hin. Wie 
die Hundertschaft nur ein Theil des Gaues , und die Bauerschafb' 
nur ein Glied der Hundertschaft ist, so steht auch der Vorste- 
her der Hundertschaft unter dem des Gaues und der der Bauer- 
schaft unter dem der Hundertschaft. 

Alle diese Vorsteher werden als Aelteste (seniores) be- 
zeichnet. Es ist das die allgemeinste Bezeichnung eines Herr- 
schenden, gleich wie das angelsächsische Ealderdom von einer 
jeden Art von Herrschaft gebraucht wird *). Dieses Ealdordom 
deutet nicht gerade ein wirklich höheres Alter an — non pro- 
pter aetatem , sed propter sapientiam et dignitatem ^) — sondern 
weist lediglich nur auf jedes Höhere, jedes über Unteres iGrebietende 
hin. Für Ealdordom geben die Glossen monarchiaund Impe- 
rium; für Ealdorman — praeses, judex; für Ealdor — 
monarcha und dominus; für Ealdordema — judex supre- 
mus; für Ealdorbiscop — summus episcopus u.s.w., und 
auch die Königsburg heisst Ealdorburh. Selbst der oberste 



1) Weiter aosgeführl von v. Sybel , Gesch. des Königlhnms S. 43. Wie 6raf 
Leotad von Macoo den Erzgrafen Hugo von Burgand „senior mens" (Müller, Deutsche 
Slämme V. 201.)» also seinen Herrn nennt, so gibt auch wohl der Köpig denselben 
Titel seinem Grafen, z. 6. 908: „in pago Grapfelda in comitatu sui (des Königs) 
senioris" (Mon. boica XXYHI. I. p. 141.). So auch aogelsäclisi&che Urk. Remble, Cod. 

dipl. II. p. 81. . ' 

2) Leo, Reclitudines. p. 142, 



800 

Priester (sacerdos ornnimn maximus) der Burgunder wird Si- 
nistus genannt*). 

Die deutsche Sprache hat dafür noch eine andere ebenwohl 
allgemein übliche Bezeichnung, nlbmlich Graf, niederdeutsch 
Grebe und Greve*). Die älteste bekannte Form ist Grauio, 
Graue o, Gräiuo ui)d die Glossein geben dafür procurator, prae- 
ses, praetor, tribunus, comes; und jene, älteste Form ist als gravio^ 
grafio und graphio ^) in's mittelere Latein übergegangen. Pau- 
lus Diaconus*) sagt: „cum comite Baioariorum, quem illi gra- 
vionem dicunt", und auch in den Volksgesetzen und den Ka- 
pitularien kehrt dieselbe Form zum öftern wieder. Das Amt 
selbst, sowie auch dessen Bezirk werdep hiernach Grafschaft- 
(comitia, cpmitatus) genannt, ^ofür in ältester Zeit auch wohl 
grafia gebraucht wird'"^). Auch Graf bezeichnet, wie schon be- 
merkt, einen, jeden Träger, einer öffentlichen Gewalt, denn aus- 
ser den Vorgesetzten der Gauabtheilungen, gab es "noch Burg- 
grafen, Hall- oder Salzgrafen, .Hansegrafen, Deichgrafen, Mühl- 
oder Wassergrafen, Holzgrafen, Spielgrafen u. s. w. 

Graf heisst zunächst der Vorgesetzte dea grösseren Gaues, 
auch B^innerh^rr dfer Tausend^chaft und Amtmann (s. o. S. 
222), lateinisch Comes, Praefectus., Praeses etc. ; sein SprcDgel: 
Comitatus, Comitia, Legatio, Ministerium, Praefectura etc. In 
der Regel hatte jeder Graf nur einen Gau und. dann waren 
Gau und Grafschaft identische Begriffe ^). , • ' 

Der Vorsteher dej^* Hundertschaft wird in der spätem 
Zeit Centgraf und Centener, früher auch schon Centena- 
rius und Centurio genannt. ' In Sachsen nannte man ihn Ga- 
gra,f und Sqhuitheiss (abgeschliffen: Schulz), das Amt Ge- 
schäft und Schultheissenthum'). Im Jahre 1069 wird eine 



1) Amm. Marcellinas XXYIII. 5. Auch in DeiiUc^laod haben wir noch beute die 
Bezeichnung Aeltesler in derselben Bedeutung, z. B. Kirchenäitester , d. h. Kir- 
chenvorsleher, 

2) In einem miUelalleriichen Gedichte heisst Gott — der Himmel- und Sata- 
nas der Höllgraf. 

3) Waitz, deutsche Verfass. Gesch. H. S. 322. Note 4. und Waitz, das alte Recht 
der,salischen Franken. S. ^83 ff, , 

4) Hi^t. Langobardor. V. 36. 

5) in pago illo , in 'grafia illa, in Iqco (Marcwlf. formul. appeod.. ap. Canciaoi, 
Leg. Barbar. H. p. 250.); in grafia ilia super .fluujam illum. (ibid. p. 262). 

6) 970: ,^in pago et comitatq H"Qingessundra, cui Immat comes praeeisse vide- 
tur". Höfer, Zeilschr. IL S. 347. 

7) S. den Sachsenspiegel, 



301 



sächsische Grafschaft „cum sculdaciis, quas Saxones Sculddiam vo- 
cant" vergeben*). Diese Bezeichnung nahmen die Langobarden 
mit nach Italien , ein Zeugniss für ihr hohes Alter. P. Diaco- 
nus*> sagt: „rector loci illius, quem Sculda his lingua propiia 
(in langobardischer Sprache) dicunt", und Gastal dus ist nur 
die spätere Umformui^g in der italienischen Sprache^). Auch 
im südlichen Deutschland war die Bezeichnung Schultheiss ge- 
bräuchlich und eine Schweizer Urkunde bedient sich „sculdasia" 
und „centena" als gleichbedeutender Worte*). 

Dass diese verschiedenen Titel nicht verschiedene Stellun- 
gen bezeichneten, dafür geben die spätem Urkunden zahlreiche 
Belege. So nennt sich Heinrich Hesse von 1384 — 1390 bald 
Schultheiss , bald Centgraf, bald Amtmann zu Hungen *). Eben- 
so kommt Hunno vor und zwar an der Mosel und am Nieder- 
rhein, der demselben untergebene Bezirk aber wird Hunschaft 
genannt®). 

Andere Bezeichnungen sind Judex, Tribunus und Tun - 
ginus, aber auch der einfache Titel Graf findet sich nicht 
selten in derselben Bedeutung. Man erkennt dieses schon aus 
der oft einer Handlung beiwohnenden grossen Zahl von Grafen, 
welche unmöglich sämmtlich wirkliche Gaugrafen sein konnten. 
Im Jahre 890 wird z. B. „in pago Quinzingouue in comitatu Hu- 
nolfi" eine Mark von sieben Grafen (comites) und vielen . andern 
Personen umgangen, unter' denen der. genannte Gaugraf selbst 
aber nicht war''). Unmöglich konnten diese Grafen etwas an- 
deres als die Centgrafen der jene Mark berührenden Centen sein. 
Dasselbe ist sicher auch mit vier 959 im Sundergau aufgeführ- 
ten Grafen der Fall*) und sogar in dem kleinen sächsischen 
Wetigau finden sich 889 drei Grafschaften*). Dasselbe finden 



fC^^CR 






J) LfiiUzel, die ältere Diözese Hildesbeim. S. 368. 

2) VI, 24. 

3) S. Henschel , 1. c III. 490 ff. 

4) ^Ab ipsa centena et scaldasia Curiense'S Mohr , Archiv für die tSesch. Graa- 
bündens. S. 79. Weitere Beispiele gibt Waitz , Deutsche Verfassgs-Gesch. II, S, 307 ff. 

5) Baur, ürkbch..d. Klosters Arnsburg nr. 1071, 1072 u. 1095. 

6) 1311 : „ . . . quod parocbiani de Kanincsvelt — cum suo Hunone'S Giid. c. d. 
p. 1005 etc. Siehe oben S. 192. 

7) Bied , Chr. dipi. Episc. Batisp. I. p« 72.. 

8) Ibid. p. 98. 

9) „ In pago Huueitago in comitatibus Ecberti et Beithardi et Herimanni.'* Erbard, 
Cod. dipl. Westph. nr. 38. 



302 



wir auch noch tn weit späterer Zeit 0. Endlich werden die Cent- 
grafen auch als Vicarii bezeichnet. Ich führe hierfür nur ^e 
bekannte Stelle des Walfifricd Strabo an^): „Porro sicut comites 
quidam missos suos praeponunt popularibus, qui minores causas 
determinent, ipsis maiora reservent, ita quidem episcopi chore- 
piscopus habent. — Centenarii qui et centuriones et vicarii, 
qui per pagos statuti sunt, presbyteris plebei^ qui baptistnales 

ecclesias tenent , et minoribus praesunt presbyteris , conferri 

* 

queunt. Decuriones et decani qui sub ipsis vicariis quaedam mi- 
nora exercent, minoritus presbyteris titulorum possunt corapa- 
rari. Sub ipsis ministris centenariorum sunt adhuc minores, qui 
coUectarii, quatemiones et duumviri possunt appellari, qui colli- 
gunt populum et ipso numero ostendunt, se decanis esse mino- 

,res. Sunt autem ista vocabula ab antiquitate mutuata etc." 

Diese Stelle zeigt uns zugleich zwei Bezeichnungen für den 
Vorsteher der Bauerschaft: De curia und Decanus. Beide 

, Titel kommen häufig in den alten Volksgesetzen vor, und alte 
Glossen übersetzen decanus duych Zehaning (plur. Zehanin- 
gari) ^), und noch im spätem Mittelalter begegnen wir in Nieder- 
sachsen einer dem decanus wörtlich . entsprechenden deutschen 
Bezeichnung T«geder d. i. Zehntner*). Dieselbe Bedeutung 
hat auch Tungin us. Das salische Gesetzbuch nennt neben 
dem Centenarius stets auch den Tunginus und nur tit.- 50. fin- 
det sich der. letztere allein und daselbst auch ein >,Gravio loci". 
Die Glossen geben für Tunginus — villae praefectus oder 
judex*). Das langobardische Gesetzbuch braucht Saltariusund. 
Saltuariuis, Sculdasius, Judex und Decanus als gleichbe- 
deutende Bezeichnungen*). Urkunden nennen auch Provisores 
villarum?) und Primarii de villi s®). Noch 1384 nennt eine 



1) Im Jabr 1251 wird „in jiidicio EbesdorfT, coram Conrado iudice diclo Cooite' 
eine gerichl^che Handlung vorgenommen. Or. Urk. 

2) Walafridus Strabo, de exordiis rerum eccliesiar, c, 31. bei Eckart, Leg. Franc. 
Saf. p. 234. 

3) Graff, Sprachscbatz V. 630. 

4) Sacbsse a. a. 0. ß. 280 u. 281. 

5) Heoscbel I. c. VI. p. 696. 

6) „Tone decanos aut sallarias, qai in loco ordinatus faeril." L. I. tit. 25. c. 50. 
„Garant sculdasii, decani, saltarii vel loco praepositi". tit. 25. c. 73. — „Sl qais jo^^^ 
aut sculdais aut sallarius vel deeanus de loco, ubi arioli vel ariolae ^uerinl^S L.H't' 
38. c. 2. 

7) Henschel I. c. VI. 832. 

8) Urk. von 1188. Scfaöpflin, Alsat. dipl. I. 211. 



303 

wormser Urkunde „ Justiciarios et Officiatos villanim" *). Der für den 
Centenarius gebrauchte Titel Schultheiss kommt auch in Deutsch" 
land häufig für den Decanus vor. Ein anderer ist Villicus *), obwohl 
mit den Titeln Yillicus und Scultetus häufig auch der Vogt (advoca- 
tus) des Herrenhofs bezeichnet wird. Deutsche, allerdings späteren 
Zeiten angehörige, Bezeichnungen, sind: Dorfrichter^), Bauer- 
richter, Bauermeister*), Burgemeister, Hagenmeister 
(magister indaginis) *) , Burmeister*), Heimbürger oder 
Heimbürge, welche zahlreich in Thüringen, M^issen''), Hessen*), 
in derWetterau*), am Niederrhein ***), imElsass**) u.s.w. rorkom- 
men. Im J. 1599 heisst es in einem Schriftstück aus Hessen: „die- 
weil er Heimberger die Gemein zu regiren gehabt". Und endlich fin- 
det man auch Graf oder Grebe, oder auch Dorfgrebe "),- wo- 
für die lateinischen Urkunden einfach „comes" brauchen"). 

Wir sehen hieraus, dass ein und derselbe Titel nicht selten 
bald für den Beamten eines obern, bald für den eines untern 
Bezirkes gebraucht wird"), und man sich deshalb hüten muss, mit 
derselben Bezeichnung immer auch ein und denselben Begriff 
zu verbinden. 



i) Schannat, Hist. Format. I. Prob. p. 42. 

2) Der «von j 170:^1186 sich findende Orlsvorsland von Soest Hermann nennt 
sich bald Sciilleliis bald Villicus. Wigand, Wcs(ph. Archiv VI. S. 172, 176, 179, 
181, 183 u. 186. 

3) 1300: „Apparuit etiam ex' priviiegiis rundatorum , ut bomines ecciesie sepe 
dicte non coram pedicibos judicibus^ qni vulgo dicuntur Dorfrichter, sed coram 
jüdicibns provinciarum^^ ihre Rechlsstreiligkeilen vorbringeq sollen. Mon. boica Vlii. 197. 

4) Vorzüglich in Westpbalen. Grimm, Weisth. 111. 108, 122, 131 ff. 

5) Nur im nördlichen Deutschland und auch da nur in den neu angelegten Ha- 
gendörfern. Für Mecklenburg s. Lisch, Mecklenbg. Jahrb. VJ. 17. 

6) Schon 1159 jenseits der Milde (Beckmann, Anhalt. Gesch. I. S, 154), so wie in 
Thüringen und Meissen (Böttiger, Gesch. des Kurstaats u. Königreichs Sachsen I.S.134.) 

7) Gebken, Grundsätze des Dorf* und Bauernrechls S. 22. 

8) Eine ungedruckte Urk. von 1282 sagt: Wintherus Heimburge — ville Klein 
cnm tota oniversitate Tillanornm suorom. 

9) 1332: „Heynburgus.'' Baur, ükbch des Kl. Arnsbg. ur. 626 a. 1341 das. nr. 693. 

10) Grimm, Weisth. III. S. 824. 

11) Das. I. S. 707. 

12) Mader, Nachr. über die Bg. Friedberg U. S. 9. Bernhard, Antiq. Wettera- 
viae II. 79. / 

13) 1258 stellte W. v. Holzheim dem „Theoderico comiti sao in Holzheim'' 
eine Urk. aus. Aehnlicbe Beispiele Hessen sich noch viele geben. 

14) Viele Belege für die verschiedenen Bezeichnangen hat Waitz a. a. 0. I. S. 
104. Note 4 tt. II. S. 304 ff. gesammelt. 



'304 

Ich habe absichtlich in dem Vorhergehenden gleich alle 
altern und neüerij Bezeichnungen zusammengestellt, um mir eine 
nochmahge Rückkehr zu denselben zu ersparen. 

An dem Vorhandensein der Dekanie in Deutschland wird 
wohl nun Niemand m.ehr zweifeln , denn oben habe ich ihr Ge- 
biet und hier ihren Vorsteher nachgewiesen und nur für die 
richterliche Gewalt des Dekans will ich noch einige Belege ge- 
ben , weil wenigstens diese in Zweifel gestellt worden ist *). Es 
kann freilich nicht geleugnet werden, dass aus der ältesten Zeit 
keine Beweise dafür beizubringen sind , aber bei der allehthal- 
beh hervortretenden unwandelbaren Stetigkeit der alten Verfas- 
sung, bei den durch alle Jahrhunderte wenigstens in ihrem Ge- 
rüste sicli gleich bleibenden Formen derselben, lassen sich diese 
auch insofern entbehren, als denselben Zweck auch jüngere Be- 
lege erfüllen. Das Gericht des Dekans sehen wir nämlich im 
spätem Mittelalter in dem Dorf- oder Kirchgericht. 

*Im J. 1269 verzichtete Graf Werner von Leonsberg auf al- 
les Recht: „super iu diclo ville in Marchelchoven, quod 
vulgariterdicitur Dorf ge rieht sive Chirchgericht^* und be- 
hält sich nur aus „iudicie comitie, quod extra dictam villam 
in generali suo placito consuevit ha'beri in publicö suo consisto- 
rio, quod Schranne vulgariter nuncupatur" ^). Eine Urkunde von 
1286 nennt das Dorfgericht „Judicium villanum" ^). , In einer Ur- 
kunde von 1209 kommt ein westphälischer Hof vor „cum civile 
jure, quod vulgariter Burgerichte dlcitur"*). Ganz dasselbe 
ist das sich anderwärts findende Schul zengericht^), 

Allerdings kommt dieses unterste Gericht in den Urkunden 
nur sehr selten in seinem Verhältnisse zu den beiden oberen 
Gerichten vor und e§ ist mir nur ein Fall der Art bekannt. Im 
Jahre 1367 heisst es nämlich vom Dorfe Godeland im Kirchspiel 
Neumünster: „videlicet Judicium malus,, medius et minus, 



1) Wailz a. a. 0. 11. S. 310. 

2) Ried, Chron. diplom. episcop. Ratispbn. I p. 512. 

3) Moii. boica VI. 545. 

4) Kindlinger, Gesch. der Hörigkeit S. 283. 1331: „in jadicio ville ibidem, quod 
proprie dicitnr Burrichle ", Niescrl, Beilr. il. 361. 

5) Lisch, Mecklenbg. Jahrb. IX. S. 92, 93, 274. lieber die Dorfgerichle vergl. 
auch Riedel, die Mark Brandenburg' II. 537. 



colli et manus^'^). Seiner Natur nach war es gewisserfnassen 
nur ein Polizeigericht N^ch dem sächsiechen Landreeht (L. 11. 
Art. 13.) hatte der Bauermeister das Gericht über Diebstähle 
unter 3 Sahill., falsches Gemäss und Gewicht , betrüglichen Kauf 
und Verletzungen des Gemeindeguts (III. 86.). Die Heimbürgeh 
im Gericht Rorbach (in Hessen) konnten über alle unter 5 Schill, 
betragende Klagen richten^). 

Aehnlich wie bei den Deutschen sind auch die Bezeichnung 
gen der Volksvorstande bei* andern Völkern. 

Bei dfen Norwegen ist der Jarl (senior) der Vorstand des 
Fylki, der Herair derdesHerads und der Qld ermann der der 
Dorfgemeinde.' Optimates, seniores, proceres, principes, prima- 
tes, praefecti, eoinites sind sämmtlich Bezeichnungen, mit wel^ 
chen *die Angelsachsen ihre Vorgesetzten belegten , während 
die eigene Sprache dafür Ealdormannen oder später Earl, 
auch wohl Wita oder Weota (Consiliarii) dafür brauchte. Aus- 
serdem bedienten sie sich aber auch des Wortes Greve oder Ge- 
refe in derselben allgemeinen Bedeutung, wie dieses in Deutsch^ 
land der Fall war. Deutlich spricht sich darüber die folgende 
Stelle aus den Gesetzen Eduards aus'): „Greve quoque nomen 
est potestatis, Latinorum lingua nihil expressius sonat quam 
prefectura, quoniam hoc vocabulum adeo multipliciter disten- 
ditur, quod de Scira, de Wapentachis, de Hundredis, d^ Burgiiä 
etiam de villis Greve vocetur. " Der Shiregerefe ist der 
Vorstand der Shire, der Hundredes Ealdor und Wapen- 
tachgerefe der Vorstand der Hundrede, und der Tungerefe 
der des Dorfes. Dasselbe finden, wir auch in Gallien: comites 
oder grafiones, centenarii oder vicarii, und decani*). 

Wie die Eintheilung der auf erobertem Gebiete errichteten 



1) Michelseo, Schleswig-, Holstein-, Laaenbargiscfae UrkundensammlaRg L S; 
248 0. 249. 

2) Grimm, Weislh. III. 328. 

3) Leg. Edowardi Reg. Angl. cap. 85 bei Wilkins, Leg. Anglo-Saxonicae p. 204. 

4) S. oben S. 800 f. — Was oamenthch den decanus belrifll, den die französischen 
SehrifUUller für Frankreich ia Abrede stellen , so kommt ders»elbe doch so bestimmt, 
namenttich in der Gäterbescbneibung der Abtei St. Geraiain, vor („Giuroldus colonc» 
et decanus; Uifardus coionus et junior decaatisr} Walateua deesniis ^osdcni vitle; 
Aimandus, coionus et decanus, homo Sti Germani, tenet mansiim ingenuilem. Nihil 
solvit propler servitium, qnod previdet'*. Polyptique etc. JI. p. 85, 149, 200 flf), dass 
ich nicht einsehe, wie Gäurard diese Beaoitea für geiröfaaMcfce Wirthscbaftsbeamte, 
Meier der Klösterhöfe, halten kann. 

Landau. Territorien. 20- 



Marken nar in den Namen sich von den Gauen des deutschen 
Bodens unterschied, so war dieses auch mit den Beamten der 
Fall, welchen die Verwaltung derselben anvertraut war. An 
der Spitze, eines solchen Gesammtgebiets stand ein Markgraf, 
lateinisch Mar cho, auch comes terminalis, custos limi- 
tis u. s. w. genannt, und schon aus diesen Bezeichnungen geht 
seine vorzugsweise kriegerische Stellung hervor: er hatte die 
(Jränzen des Reichs zu öichem. Im Uebrigen hatte er jedoch 
ganz dieselbe Stellung, welche der Gaugraf im innem Lande 
einnahm, denn wie in dieser so vereinigte- sich auch in jener 
die militärische mit der Civilgewalt. Nur insofern war ein we- 
sentlicher Unterschied zwischen beiden, dass der Graf, wenig- 
stens zur Zeit Karl des Grossen, nur einen Gau unter sich 
hatte, die Mark des Markgrafen hingegen in der Regel aus' meh- 
reren Gauen zusammengesetzt war. 

Unter dem Markgrafen standen die den Centgrafen entspre- 
chenden Burggrafen, cästellani, nur dass auch die ihnen 
obliegenden Pflichten wieder vorzugsweise militärischer Natur wa- 
ren. Als König Arnolph seinem Diener Heimo im Gau Grunz- 
viti mit Zustimmung des Markgrafen einen Bezirk überliess, gab 
er ihm zugleich auch die Gerichtsbarkeit darin: „ad publicum iam 
fati comitis mallum scihcet idem Heimo seu vicarlus eius legem 
ac iustitiam exigendam vel perpetrandam pergat; et si forsitaü 
de Moravorum regho aliquis causa iusticie supervenerit, si tale 
quidlibet, quod ipse Heimo vel advocatus eius corrigere quive- 
rit, eiusdem iudicio potenter finiatur *) ". Die Vorstände der Dör- 
fer, die decani, wurden dagegen entweder nach deutscher Weise 
Schultheissen genannt oder behielten auch wohl die slavi- 
sche Bezeichnung bei, hin und wieder sogar noch bis in neuere 
Zeit, wie es namentlich in Meissen und Oesterreich der Fall 
war ^). 

Die Vorsteher der auf slavischem Boden errichteten Mar- 
ken führen uns zu den slavischen Häuptlingen. Auch die sla- 
vischen Häuptlinge findet nian in einer dreifachen Stufenfolge, 
obwohl diese erst in weit späterer Zeit als bei den Deutschen 
sichtbar wird. Prokop (lO.Jahrh.) sagt: „Principes hi populiha- 
bent nuUos, praeter Sujpanos senes (oder wie Heinrich der 



1) Nachr. von Javavia Beü.S. 113 o. 119. 

2) Schlözer, Nestor II. S. 31,5 u. Hl. S. 21. 



S07 

Lette sagt : „ seniores et majores natu '0 sicutl et caeteri Slavici 
populi eandem rei publicae formam seruant^)'^ Es werden dem- 
nach diese Häuptlinge, ganz wie dieses auch bei andern Völkern 
gebräuchlich ist, die Aeltesten genannt und noch insbesondere 
mit dem slavischen Namen S u p s^n e belegt. Auch das böhmische 
Zudar bezeichnet dasselbe. Diese bei allen slavischen Stäm- 
men üblichen Titel gehörten liicht blos den obem, sondern ebenso 
auch den untersten Häuptlingen^), und noch heute sehen wir 
den Supan im Bannus von Kroatien, sowie in den ungarischen 
Spannen (comites) fortbestehen ^). Auch in ihnen war das Rich- 
teramt mit dem des Kriegführers verknüpft, wozu sich, wie in 
Skandinavien, auch noch die priesterliche Würde gesellte*). 

Der Vorstand der Kastellane!, der Castellanus oder 
Burggraf, wird bald comesbald praefectus/), auch wohl 
primas genannt. Der Titel comes erscheint indess mehr als 
eine persönliche, denn als eine Ajntsbezeichnung, z. B. comes 
Johannes, castellanus de Bardo. 

Der unterste Beamte war der Dorfs upan, derselbe, wel- 
cher in den germanisirten Bezirken auch Schulze (Scbult- 
heiss) genannt wird. Eine Urkunde von 1181 sagt ausdrück- 
lich: „seniores villarum, quos Lingua sua vocant Supanos*)". 
Im Jahre 1289 wird dem Klöster Buch vom Burggrafen von 
Meissen , auf die Güter zu Kiebitz „ unum suppanum " einzuse- 
tzen bewilligt und dabei zugleich der übrigen Supane (Suppano- 
rum nostrorum numerus) des Burggrafen-Bezirks gedacht ''). Der 



1) Procop. de Administrat. Imper. 87. 

2) König Prmysl von Böhmeo bestimmte die Rechte „sapanoram provinciae 
Znoymensis^' und ebenso König Ottokar die Rechte „zupanorum etmobilium om- 
nium atque valgo toliiis provinciae Brnnnensis" (Boczek, Cod. dipl. Morov. H. p. 140 
n. 29Q.) Ebenso beisst es in einer böhmischen Urkunde: „ad presentiam Czada- 
riorum seu beneficiariorum dislrictus Lolomiericensis cilaveront et citare procorave* 
i'unl *S (AbbaadluDgen der k. böhm. Geselisch. der Wissensch. Fünfter Folge 5r. Band 
S. 21h) 

3) Im J. 1484 nennt sich der Obergespann von Pressborg : „ Comes perpetnus 
Possoniensis ** , und in einer andern Urk. „ Spann zu Pre^borg 'S Worb , Neues Ar- 
chiv S. 165 0. 186. 

4) Bulgarin, Rassland, übersetzt von Brackel I. S. 285. 

5) Vergleiche die Urkunden bei Boczek 1. c. nr. 315 u. 821, f in welchen diesel- 
ben Personen, das einemal unter dem ersten, das anderemal unter dem zvreiten Titel 
auftreten. 

6) MSrker, das Bnrggrafenihum Meissen S. 133. 

7) Da». S. 27. . 

20* 



SM 



StipÄn hatte nur in geringeren Sachen zu erkennen *), weshalb pol- 
nische Urkunden auch von judices inferiores und subjudices 
reden *). Ueberhaupt unterliegt auch die richtierliche Gewalt des 
slavischen Dorfsupans keinem Zweifel^); er war zugleich Schöpfe 
in dem Gerichte des Kastellaiis *) , und wahrscheinlich ist der in 
den Urkunden zuweilen sich findende Tribunus derselbe Be- 
amte*). Bei den Russen heisst er Starschina, d. i. der Ael- 
teste, bei den Tartaren Wuiberen, d. i. der Gewählte*). 

Tacitus nennt alle diese Vorstände, wenigstens die oberen, 
Principes, eine Bezeichnung, welche auch noch im Mittelalter die 
Herzöge und Grafen erhalten ''), und die g&,nz dem deutschen Worte 
Häuptlinge entspricht, welches bei den Friesen nach ge^en 
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gebräuchlich war®), ebenso 
Wie das Wort Fürst, dessen ursprünglicher Sinn — Furisto 
-primus®) — sich nur mehr verwischt hat. 'facitus sagt: In 
den Versammlungen, in welchen Recht gesprochen wird, wer- 
den auch die principes gewählt, welche „per pagosvicosque" das 
Recht zu üben haben. Wir sehen dieses noch bei den SachseD. 
bei denen sich die ^Ite Verfassung am längsten erhielt. Nach- 
dem Hucbald iA seiner Vita Sfr. Lebuini *®) von den Ständen ge- 
sprochen, in welche sich das sächsische Volk theilte, berichtet 
er weiter: „Prosuo vero libitu, consilio quoque üt feibi videba- 
tur prudenti , singulis pagiö principes praeerant Singuli ". 

Beide Stellen reden, wie man sieht, ganz allgemein, ja 
Tacitus sagt sogar, dass die Häuptlinge, welche ,>per pagos \i- 



1) Vom Supan zu Merliz heisst es 1360: „qai tribus vicibus in. anno pro tribas 
jBdiciis in eadera villa habendis procurare debet^^ Das. 

2) Röppel, Gescb. Polens S. 326 a. 327. 

< 3) S. in ßezug auf Pommern: Barlbold, Geseh. von Pofnmern u. Rügen |U. 'l^^y 

auf Böhmen : Paiacky a* a. 0. S. 37., anf Polen: Röppel a. a."0. S. 575. 
■ 4) Marker a. a. 0. S. 135,. 

5) Cod« dipl. Pommer. nr. 145. Dreger, Cod. dipl. Pomraer. I. nr. £9. 

6) V. Haxthausen, Studien elc. I. S. 491. 

7) : « . « „In preseMia Ludovici dncis Bawariae, Ubi principes aderant, vide- 
licet comes Ditricus de Wazzerburc et comes Heinricns de Miltersele, ^fgboto comes 
de Niwnbnrth". Mon. boica fll. p, 557. - 

8) Hovetlinge. Kindlinger, ^«nsUrsohe Beiträge JI. U. S^ 351. Aach Snorri 
SlbrlBSon bat dieselbe Bezeichnung : Höfdinga^r. S. seine Vorred« zur Saga von den Kö- 
olgien ood 4ie ^aga Härallds d«r Haarsobönen Kap. 2 a. 10. Sogar- 4ie -FOlirer römi- 
scher Heere nennt er Bumveria höfdingar. Saga von den Ynglingen. Kap. 5. 

9) Grimm , B. A. S. 230. - 

10) Pertz 1. c. 11. p. 361. 



«00 

cosque ** das Recht zu sprechen gehabt, gewählt worden seien. 
Man muss hieran» schliessen, dass so lange die Häuptlings- Ver- 
fassung bestanden, denn nur von dieser Periode kann hier die 
Rede sein, sowohl die obem als die untern Häuptlinge ihre Wür- 
den durch die Wahl des Volkes empfangen haben.' Es ist je- 
doch möglich und, wie mir es scheint, auch der Natur der Ver- 
hältnisse entsprechend, dass dem obem Häuptlinge eine Art von 
Bestätigungsrecht, des ihm untergeordneten. Häuptlings zustand, 
lieber minder wichtige Angelegenheiten berathschlagten — 
nach Tacitus — die Principes allein, über wichtigere Dinge aber 
Alle, doch so, dass auch über das, worüber dem Volke (plebs) 
die Entscheidung zustand, eine Vorberathung der Prindpes vor. 
ausging. 

Die einzelnen Gauhäuptlinge ein und desselben Volkes 
standen unabhängig neben einander und nur die jährliche die 
einzelnen Gaue zu einem Ganzen verbindende grosse Volksver- 
sammlung stand über ihnen. Erst im Falle eines gemeinsamen 
Volkskrieges trat ein anderes Verhältniss ein. Schon Cäsar*) 
sagt, wenn ein Volk (civitas) in Krieg verwickelt , werde , werde 
zu dessen Leitung eine Obrigkeit (magistratus) gewählt mit dem 
Rechte über Leben und Tod. Eine solche Stellung hatte Liscus 
unter den Aeduern , „ qui — heisst es bei Cäsar *) — summo 
magistratu praeerat, quem Vergobretum adpellant Aedui, qui 
creatur annuus et vitae necisque in suos habet potestatem ".' 
Dasselbe bezeugt Tacitus^), indem er berichtet, dass bei der 
Feldhermwahl lediglich auf Tapferkeit gesehen werde. Und 
mit beiden stimmt im Allgemeinen Be^a*) überein, wenn er 
von den Sachsen erzählt, dieselben hätten zwar keinen gemein- 
samen König, für den Fall eines Krieges aber loösteu sie, und 
welchen das Loos treffe', dem folgten sie für die Zeit des Krie- 
ges als ihrem Herzoge, und gehorchten seinen Befehlen; sobald 
aber ^^t Ktieg beendet sei; trete wieder der gewöhnliche Zu- 
stand ein. Auch Widukind^) berichtet: Wenn ein allgemeiner 
Krieg drohe, werde Einer durch das Loos zu dessen Leitung 
erwählt, dem Alle gehorchten. 



i) Caesar. De hello gall. VI. 23. 

2) Caesar 1. c. I. 16. 

3) GeriDan. c. 7. 

4) Bist. ecci. V. 10. 

5) Hist. SaxoD. I, 14. 



aio 



Per Herzog hatte in der ältesten Verfassung demnach nur 
eine vorübergehende Grewalt. Ein solcher Heerführer war Armi- 
nius, und später in dem sächsischen Kriege Widekind. Zuwei- 
len scheinen aber auch zwei gewählt worden zu sein. In der 
alemannischen Schlacht bei Strassburg hatten die beiden Könige 
Chnodomar und Serapio augenscheinlich gemeinsam die herzog- 
liche Gewalt : „ Ductabant autem populos omnes pugnaces et 
saeuos Chnodomarius et Serapio, potestate excelsiores 
antealios reges ^)". Auch die Afghanen wählen für den Krieg 
einfen Heerführer mit diktatorischer Gewalt, dem sogar der Kö- 
nig (Chan) seine Herrschaft abtritt*). 

Schon oben habe ich von dem Gefolge geredet und zwei 
Arten desselben als wesentlich verschiedet bezeichnet. Ueber 
das eine habe ich bereits gesprochen, über die andere Gefolgs- 
art will ich mich hier verbreiten. Tacitus ^) sagt , wo er von 
der richterlichen Thätigkeit der HäuJ)tlinge (principes) redet: 
„ Centeni comites ex plebe comites consilium simul auctoritas 
adsunt". Man hat diese Worte meist nach ihrem wörtlichen 
Sinne aufgefasst, wonach also jeder Princeps von hundert Be- 
gleitern umgeben gewesen sei. Aber wo, fra^e ich, findet sich 
für eine solche Auffassung in der ganzen Verfassungs-Gesehichte 
auch nur ein Stützpunkt? Und gewiss ist dieses auch nicht 
der Sinn, es tritt uns vielmehr hier wiederum eine gleiche Ver- 
wechselung eines Namens mit einer Zahl entgegen , wie solche 
schon oben nachgewiesen worden ist. Die „centeni comites" 
sind die Hundari, die Centenarien. Nur so gewinnt die Stelle 
einen den Verhältnissen sich anschliessenden und denselben völ- 
lig entsprechenden Begriff. Auf eine solche Auffassung weist 
auch schon ' die für alle Häuptlinge ohne Unterschied noch to 
in späte Zeit übliche lateinische Bezeichnung Com es hin. In 
einer Urkunde von 825 heisst es: „factus est publtcus conven- 
tus Popponis comitis et totius comitatus"*). Zwei Jähre später 
aber findet sich derselbe Graf „et majores natu de comitatu ejus", 
von denen dreizehn namentlich aufgeführt werden *). Die Gros- 
sen des Gaues bildeten also das Komitat. Diese konnten aber 



1) Am. Marcell. XVII. 12. 

2) Wilke a. a. 0. S. 246. 
8) Gerroan. c. 12. 

4) Dronke, Cod. dipl. Fald. Dr. 456. 

6) Ibid. nr. 471. 



Sil 

Niemand anders sein , als die . Unterhäuptiinge , denn alle wer- 
den ja als Co mit es genannt, und in ihrer Gesammtheit treten 
sie als Comitatus auf. Es hatten also die Gauhäuptlinge die 
Centgrafen, die Centgrafen die Dekane als amtliche Umgebung und 
bei ihren Amtshandlungen dienten dieselben als Bathgeber und 
Gehülfen. Aus diesem Grunde werden die Centenarien auch V i - 
carii oder Viceconiites des Grafen genannt. Dieselben waren 
die gesetzlichen Vertreter des Gauhäuptlings für den Fall dessen 
Verhinderung, der aber erst nach der Bildung des* Königthums 
selbst Comes wurde *). Eine der oben erwähnten ganz gleiche 
Verwechselung findet sich auch im 6. Kap. des Taoitus, wo 
von der germanischen Schlachtordnung die Rede ist. Reiter 
und Fusskämpfer stritten untermischt, sagt Tacitus, und diese • 
Fusskämpfer seien „ ex omni juventate *' erwählt und „ante 
aciem locant. Definitur et numerus. Qenteni ex singulis pagis 
sunt: idque inter suos vocantur: et quod primo numerus fuit, 
iam nomen et honor est ". Schon diese Worte an und für sich 
weisen auf ein Missverständniss hin. Reiter und Fussvolk käm- 
pfen untermischt, und dennoch steht eine zu diesem Zwecke 
aus der Jugend auserlesene Schaar von Fusskämpfern , je 100 
aus jedem Gaue, vor det* Schlachtordnung, und trotz dem ist' 
diese Zahl doch nur noch Name und Würde. Wie ist dieses 
möglich? Es sind hier augenscheinlich zwei durchaus verschie- 
dene, Dinge unter einander gemengt, und dabei, wie in den frü- 
her erwähnten Stellen, auch hier zugleich ein Name mit einer 
Zahl verwechselt worden. Soll ein Sinn in, diese Schilderung 
kommen, dann ist sie nur so zu verstehen: für jenen vermisch- 
ten Kampf werden die Fusskämpfer, welche die Reiter unter- 
stützen sollen, aus der Tugend des Gaues gewählt; vor der 
Schlachtordnung stehen aber die Häuptlinge der Centen, die Cen- 
tenarien, und führen und befehligen die Schaaren ihres Bezirks*). 
Die Centenarien bildeten also den gesetzlichen Beirath des Gra- 
fen, denn Tacitus sagt ausdrücklich, dass ihre Bestimmung sei, 
dem Häupthnge mit Rath beizustehen und ihm Ansehen zu ver- 
schaffen. Täuscht nicht Alles, so geschah dieses, indem sie dem 



1) Deshalb sagt der König anch „principes mei*' (Keroble I. p. 215), „optimates 
mei" (ibid. 11. p. 8i) „und diese selbst nennen sich „comites regis** (ibid. I. p. 52. a. 202). 

2) So entspricht die gemischte Kampfweise auch dem, was CAsar B«ll. Gall. I, 
48 daröber mittheilt. 



1 

Gai^erichte als Schöpfen , (in den altem Quellen auch BacliiD> 
hnrgen und Sagiharone genannt) ^) beiwohnten ; in d^rdelben Ei- 
genschaft erschienen dann aber sicher auch die Dekane in dem 
Qerichte des Centenars. Einen Beleg für diese Auffassung gibt 
die Urkunde über die Einsetzung des Grafen Trutmann über 
Westphalen. Darin heisst es nämlich: „Quapropter in illa parte 
Saxoniae Trutmannum yirum illustrem ibidem comitem ordina- 
naus, ut — super vicarios et scabinos, quos sub se habet, dili- 
genter inquirat^'j. Hier erscheinen die Schöpfen als den Vika- 
rien untergeordnete Beamte, und können deshalb nur die Dekane 
sein. In einer ähnlichen Weise finden wir sie «in einer Urkunde 
von 1004: „Dux, Marchio, Comes, Vicecomes, Sculdasio, Sca- 
piaseu aliqua magna vel parva pers,ona"*); in einer lango- 
bardischen Urkunde werden die Scabinen sogar, ausdrüokUch zu 
den Gastalden gezählt : „ Quae in praesentia Supponi comitis, 
ac Benedict!, Hilpiani et Ansfredi castaldorum caeterorumque sca- 
binorum — acta fuerant"*), und auch in späterer Zeit sehen 
wir die Schöpfen des obersten Gerichts vorzugsweise aus den 
Centgrafen bestehen. 

In der eben gegebenen Schilderung liegen die einfachen 
Umrisse der ältesten Verfassung, lii jedem Häuptlinge vereinigt 
sich' die richterliche Würde mit der des Kriegsfübrers für seinen 
Bezirk, ganz wie wir dieses auch bei den arabischen Stammes- 
fürstenv sehen. Bei einzelnen Völkern verbindet sich damit noch 
die priesterliche Würde, besonders bei den skandinavischen, was 
bei den germanischen dagegen wenigsten nicht mit Sicherheit 
nachweisbar ist. Die Gewalt dieser Häuptlinge ist eine sehr be- 
schränkte, denn die höchste Gewalt liegt stets in der Volksver- 
sammlung; was diese beschliesst, haben jene auszuführen. 

Neben dieser ältesten Verfassung zeigt uns aber Tacitus 
auch schon ein germanisches Königthum und beide sehen wir 
lange neben einander bestehen. 



1) Oass diese Nameo wirklich nur die GericbUbeisitzer, die eigenUicben Urtbeils- 
sprecher, bezeichnen, ergibt sich schon sos einer Vergleichung des, sai. und rip. Ge- 
setzes. S. die bei Henschel 1. c. V. p* 574 o. VI. p. 22 gesammelten Steilen. S. aacii 
Wtiske , Grmidlagen dor fröhera VerCassong Teutschlands S, 72 ff. 

2) Waller, CiDirp. jnr. German, H. X03. 
.8) MoQ. hoica XI. 183. 

4) Henschel 1. c. VI. 80. 



^ 



818 

I 

i 

\ 

Um beide, jtoe alte Häuptlings -Verfassung un4 das Kö* 
nigthum, zu unterscheiden, darf indessen nicht der Namen als 
Merkmal dienen. Wie die isländischen Worte Köng, Kon und 
Konung überhaupt jeden Mann von vornehmem Geschlechte 
bezeichnen, so wurde von den Nordländern jeder selbstständige 
Anführer König genannt. Wie der Anführer zu Land — Heer- 
könig, so war der zur See — Seekönig. «Von den letztern 
— sagt Snorri Sturluson — waren viele , welche über viele, I^eute 
walteten und keine Lande hatten; der allein dünkte mit vol- 
lem Rechte Seekönig (Wigkineg) heissen zu können, welcher 
niemals unter russigem Balken schlief und niemals aus dem 
Heerhorne trank*). Dem entsprechend nennt Ammian. Marcel- 
Unus den fränkischen Herzog Mellobaudes „rex belUcosus"*). 
Ebenso hat das altdeutsche, auch in vielen andern nicht ger- 
manischen Sprachen äich findende, Regln (gälisch: Righ, let- 
tisch und altpreuss. : Reikis u. s. w.) die allgemeine Bedeutung 
von: Götter, Herrscher und Richter^). 

Deshalb werden auch jene einfachen Gauhäuptlinge, die 
Principes des Tacitus, häufig Konige genannt Schon die älteste 
Geschichte zeigt uns dieses. Ich will nur an die 30 — 40 Könige 
erinnern, unter welchen die Amoriter lebten, als die Hebräer in 
Palästina eindrangen. Diesen völlig gleich sind die alemanni- 
schen Reges, von welchen Am. Marcellinus öfters redet; diesel- 
ben sind ebenfalls nichts anderes als Gauhäuptlinge, denn ihre 
Reiche waren nur einzelne Gaue *) , und wenn derselbe Schrift- 
steller auch sogar von Upterkönigen (subreguli) spricht, so las- 
sen sich hierunter keine anderen Personen erkennen, als die 
Centenarien ; ja er nennt sogar daneben noch Judices , und kann 
darunter nur die Vorsteher von Zehntschaften verstehen^). Die- 
selben Verhältnisse erblicken wir in weit späterer Zeit in Eng- 
land und ebenso in Skandinavien. Dort in Norwegen hat jedes 



1) Ynglingen Saga. Kap. 34* Noch 1343 findet sich in einer nordischen Urkunde 
„ErlJDgus Vidkunni.^* Torfseus, Hislor. Norweg. IV. 470. 

2) Am. Marceil. XXX , 4. 

3) Vergl. überhaupt Griram, B. A. S. 231. 

4) Creuzer, znr Gesch. allröm. Giiltur am Oberrbein u. Neckar. S. 7. Staelin, 
Gesch. Wörtembergs, I. S. 124 n. 125. 

5) 358 : „Qaorum Agilmundus subregulus, aliiqiie optimales et judice^ va- 

riis popnlis praeaidenles". Am. Marceil. XVlJ , 12. Auch XVIil. 2, 



SU 

Fylki einen König. In Esthland, erzählt Boewulf, seien viele 
Städte und jede Stadt habe einen König *). 

Das eigentliche Königthum ist etwas anderes. Schon Ma- 
robod's und ebenso Ermanrich's Königthum lässt uns den Un- 
terschied erkennen: es ist eine Oberherrschaft über ein ganzes 
Volk, eine höhere über den sämmtlichen Gaukönigen stehende 
Gewalt. , Umschlöss eine solche Oberherrschaft auch im Anfange 
nicht immer ein ganzes Volk, so drängten die innem Verhält- 
nisse doch später, stets zu einer Einheit. Fragt man über die 
Entstehung dieses OberkÖnigthums die Geschichte , so zeigt uns 
diese mehrere wesentlich verschiedene Quellen , aus welchen das 
selbe hervorging. 

Die am wenigsten gewaltsame Gründung erfolgte' wohl da, 
wo der Häupthng des Gaues, welcher die Nationalmalstätte ent- 
hielt, sein ohnehin schon höheres Ansehen benutzte und sich 
über die Häuptlinge der übrigen Gaue eine höhere Herrschaft 
verschaffte. Doch ist mir kein Beispiel bekannt, dass irgendwo 
ein Oberkönigthum sich auf diesem Wege einer allmäligen Ent- 
wicklung ausgebildet habe. Das schwedische Oberkönigthum 
erhob sich aus Verrath und Blut, denn Ingiald lUrada, der König 
in Upsala, gelangte nur dadurch zur Alleinherrschaft,' dass er 
die übrigen schwedischen Könige zu sich einlud und sie dann 
Schmählich verbrannte. 

Zuweilen mag auch eine lang andauernde herzogliche Würde 
• zur Königsherrschaft geführt haben. Auf diesem Wege scheint 
Orgetorix zur Alleinherrschaft gestrebt zu haben ^), und nicht 
anders scheint es mit Armin der Fall gewesen zu sein. Ar- 
min, erzählt "Tacitus, strebte nach dem Königthum, d. h. er 
versuchte die übrigen Gauhäuptlinge seines Volkes sich unter- 
zuordnen, sicher durch seine herzogliche" Gewalt da^u verleitet, 
und ging in diesem Streben unter, denn seine eigenen Verwand- 
ten, gewiss Niemand anderes als eben jene Gauhäüptlinge, über 
die er sich stellen wollte, schafflen ihn hinterlistig aus dem 
Wege (dolo propinquorum cecidit) ^), 

Wohl selten mag sich die Bildung deis Königthums in der 



1) Dahhnann, Forschangen auf dem Gebiet der Gescbichle I. S. 428. 

2) Caesar, Bell. Gall.I, 2. 

3) Tacitas, Ann. II, 88. 



315 

f 

Weise wiederhalt haben, wie diese sich in der 'Geschichte der 
Cherusker zeigt. Die ' innern Kriege hatten die Familiefi der 
cheruskischen Häuptlinge (nobiles) bis auf den in Rom bebenden 
Italicus, einen Bruderssohn des Arminius, vernichtet, und die 
Cherusker erbaten sich <ieshalb diesen letzten Sprossen ihres 
Königsstamms von Rom zum Könige *). 

Früher hatten die Cherusker keinen König, sondern jedem 
ihrer Gaue stand ein Häuptling vor; Arminius hatte zwar nach 
einer Königsherrschaft gestrebt, d. h. er hatte sich über diese 
Häuptlinge aufschwingen wollen, war aber in diesem Vorhaben 
gescheitert. Jetzt aber waren alle direse Häuptlinge aus dem 
alten Stamme bis auf Italicus verschwunden, und indem dieser 
der einzige war, ergab sich da« Königthum von selbst, denn er 
als der einzige trat als Alleinwalter über das gesammte Volk 
und wohl erst durch ihn erhielten die einzelnen Gaue wieder 
neue Häuptlinge oder vielmehr königliche Beamte. 

Sehr häufig ging das Königthum aus dem Gefolge hervor. 
Der kühne Führer zieht mit einem Haufen Getreuer aus, auf 
seinenn Zuge schliessen sich neue Schaaren an und der immer 
grösser werdende Haufen ' erwächst endlich zu einem Heere Und 
der erste Führer ergeheint als oberster ^Herzog. Man erobert, 
man lässt sich nieder, und der seitherige Heerkönig bleibt auch 
femer Herrscher wie auf dem Zuge,, er wird Volkskönig. Auf 
diese Weise entstand, wie schon oben ausgeführt worden ist, 
das Königthum Ariovist's. Wohl die meisten von Deutschen in 
der Fremde gegründeten Königreiche hatten diesen Ursprung. 
So wird Uffa, der nüt elf andern Häuptlingen ein Heer von 
Angeln nach Britannien führt, dort König, und dasselbe war 
"mit Hengist, Cerdick, Crida u. s. w. der Fall. 

Noch eine andere Art der Begründung des Königthums 
endlich ist die, wenn ein Gauhäuptling andere Gauhäuptlinge 
sich unterwirft und eine Herrschaft über dieselben befestigt. 
Auf diese Weise erhoben sich Marobod und Attila zum Ober- 
königthum. Radbod wurde dadurch König der Friesen, dass er 
die *alten Häupthnge vertrieb. Auf demselben Wege erwuchs 



1) Eodem anno Cheruscorum gens regem Roma petivit, amissis per interna 
, bella nobüibus et ano reliqnoslirpis regiae, quid apnd 'urbem babebatur, no- 
niine Italicus. Tacitus, Ann. XI. 16. 



aie 



1 

auch in Norwegen das Königthum, und Snorri Sturluson's Heims- 
kringla Saga gibt uns ein Tebendiges Bild von dem IJntwlck- 
lungsgange , welcher hier zum Oberkönigthume führte. Jedes 
Fylki hatte seinen König. Diese Könige lagen in uriunterbro- 
ehenen Kämpfen, und in diesem Wechselringen begnügte sich der 
Sieger meist nicht mit , dem' blosen Ruhme oder der beweglichen 
Beute., er griff vielmehr auch nach der beständigem Frucht des 

' Sieges und Hess sich in den Hochsitz des unterworfenen Geg- 
ners nieder. Zumeist wurde der Besiegte jedoch in seiner Herr- 
schaft gelasslen. Er musste aber die Oberherrschaft des .'Siegers, 
anerkennen und demselben die Hälfte aller Einkünfte überlassen. 

' Der erste, welcher vorzugsweise dieses Oberkönigthum gründete, 
war König Haralld der Haarschöne. Nachdem er mit siegreichem 
Schwerte Ringariki, Heidmark, Gudbrandahr, Hadaland, Thota, 
Raumariki und den ganzen nördlichen Theil von Wingulmark 
unterworfen *) , war es Gyda , die Jochter Königs Eirik von Hor- 
daland, welche ihn auch zur Unterwerfung aller übrigen Fylken 
anspornte ^). Sich nun gegen Norden wendend y besiegte er den 
König von Orkdaela- Fylki und liess sich von demselben den 
Eid der Treue schwören ^) , und so unterwarf er sich unter fort- 
währenden Kämpfen beinahe ganz- Noreg*), und wurde dessen 
erster Oberkönig — Yfirkonungi, in <ier vollen Bedeutung des 
Wortes dessen Volkskönig — Tiöd-Konung, oder Alleinwalter 
-- Einvalldr «). ' • '. , 

Man erkennt in diesen Kämpfen deutlich eia dreifaches 
KÖnigthum. Als die unterste Stufe tritt die einfache Königs- 
herrschaft hervor,' welche nur ein Fylki umschliesst. Dann 
folgt das KÖnigthum über ein Volksland (provincia), und dieses 
ist bereits ein Oberkönigthum , denn seine Herrschaft umgreift 
mehrere Fylken und deren Könige sind ihm untergeordnet. 
Endlich die dritte Stufe ist das eigentliche Einkönigthum , wie 
es Haralld gründete. 

. In seinem fünfzigsten Lebensjahre theilte Haralld sein Reich 
unter seine Söhne, oder, wie S. Sturluson sich ausdrückt, er 



1) Saga König Haraild'ä des Haaiscbönen. Kap. 2. 

2) Das. Kap. ß. 

3) Das. Kap. 5. 

4) Das« Kap. 7 u.*8. 

5) Das. Kap. 3 u. 20. 



SIT 

gab allen seinen Söhnen Könige -Namen, d. h. er setzte sie aliä 
Könige über die einzelnen Volklande ein. £r selbst behielt sich 
jedoch das Oberkönigthum vor. Jeder der Söhne sollte eine 
Bank höher als die Jarlar , die Grafen der Fylken, dagegen jene 
eine Bank niedriger als er sitzen. Seinen liebsten ßohn Eirik, 
dem er drei Pylken als unmittelbares Königthum gab, bestimmte 
er zu seinem Nachfolger. 

Doch weder die Söhne noch die Volksstämme waren mit 
diesen Bestimmungen zufrieden, und sowohl die Thraender, als 
die Wikverier und üppländingar nahmen sich eigene Oberkö- 
nige *). Die Folge davon war Bruderkrieg. Um sein Oberkönig^ 
thum zM sichern, zog Eirik gegen seine Brüder aus und erst nach 
vielen blutigen Kämpfen verglichen sich die Brüder. Dieser Ver- 
gleich vertagte indessen nur' den Streit. So bald Haralld in sei- 
nem achtzigsten Lebensjahre seinen Sohn Eirik zu seinem' Hoch- 
sitze führte und ihm Gewalt über das ganze Land gab, nah- 
men mit Zustimmung der Fylken auch die andern Brüder kö- 
nigliche Hochsitze ein ^) , und kaum hatte Haralld seine Augen 
geschlossen, so entbrannte der Bruderkrieg von Neuem und. 
endete erst , nachdem Eirik alle seine Brüder besiegt und er- 
schlagen hatte. So über der Brüder Leichen gründete Eirik, ge- 
nannt Blutaxt (wegen des Brudermords), seine Alleinherrschaft *). 
Nur noch eine.r von Eirik's Brüdern , der jüngste von allen, war 
übrig, nach seinem Grossvater Hakon genannt, in England sich 
aufhaltend, wo er erzogen worden war. Als dieser seines Va- 
ters Tod und seiner Brüder Fall vernahm, brach er nach Noreg^ 
(c. 936) auf und vertrieb, nachdem er auf allen Thingen zum 
Könige gewühlt , seinen Bruder Eirik und wurde Alleinherrscher*). 
Als solcher gab er seinen Bruderssöhnen Tygwin und Gudrod 
Königsnamen und das Reich, welches König Haralld ihren Vä- 
tern verliehen hatte. 

Die Unterkönige oder, wie sie auch genannt wurden, Schatz- 
könige , entstanden in Norwegen also theils durch Unterwerfung 
unter einen Mächtigern , theils aber auch dadurch, dass ein Ober- 
könig sie in das Unterkönigthum einsetzte. Sie waren also nicht 
mehr die alten freien Häuptlinge , sie hatten vielmehr einen Ober- 



1) Das. Kap. 35. 

2) Das. Kap. 44. 

3) Das. Kap. 46. 

4) Saga Hakoo's des Guten. Kap. 1 ff. 



318 ' 

heim. In allem Uebrigen blieben sie dagegen in allen Befug- 
nissen ihrer ehemaligen Würde. Sie hatten den Vorsitz in den 
Thingen und sowohl die Jarle als Hersir waren ihnen ilnterge- 
ordnet, waren gewissermassen ihre Beamte. Was sie sonst noch 
auszeichnete, war ihre Abstammung vom könighehen Geschlechte. 
Da, wo die Jarle auftreten, waren die Königsgeschlechter schon 
nicht mehr. Ueberhaupt verschwinden diese mehr und mehr, und 
bald sehen wir auch Jarle an der Spitze von Volksländem, wenig- 
stens von einer bald grössern bald geringern Zahl von Fylken. 
Diese hatten zwar dieselbe Stellung, wie die Unterkönige über 
ähnliche Gebiete, denn die Jarle der Fylken waren ihre Unter- 
gebenen, aber sie hatten nicht Königsnamen, sondern wurden 
Herzoge genannt. Sie waren -im vollen Sinne des Wortes Stell- 
vertreter des Oberkönigs, und als solche lag ihnen vxjkTzugöweise 
die obere Führung des Kriegsvolkes ob. 

König Haraljd der Haarschöne bestellte Guthrom , seiner 
Mutter Bruder, als Verwalter (forstiöri d. h. Vorsteuerer) über 
das Hofgesinde und für alle Landessachen (landradom), 'sowie 
zum Herzog (Hertogi) des Kriegsyolks des Hofes. Bei , einem 
feindlichen Einfalle in WestfoUd sehen wir den Herzog das Kriegs- 
volk sammeln und mit dem Könige dorthin ziehen*), Später-) 
liest man: „Herzog Guthrom hatte alle Regierung (stiöm) des Lan- 
des in Wick und. in Uppland, wenn König Haralld nicht nahe 
war" und ähnlieh ^): „Guthrom war Herzog in der Wick". Er sass 
meistens zu Tunsberg „und hatte die ganze Verwaltung *) in der 
Wick, wenn der König nicht nahe war, sowie die Landesver- 
theidigung". Als er starb, „da gab König Haralld die Verwal- 
tung dieses ganzen Reiches Guthrom's Sohne, und setzte ihn zum 
Häuptling darüber *). Eine gleiche Stellung hatte auch Hakon 
in Trondheim, ohne dass er jedoch Herzog genannt wird; er 
führte gleich seinem Sohne Sigurd, der ihm folgte, nur den 
Jarlsnamen*). Ebenso wird Sigurds Sohn, Hakon, Jarl und 



1) Saga Haraild's des Haarscbönen. Kap. 1. 

2) Das. Kap. 21. \ 
8) Das. Kap. 28. . 

4) Yfirsökn alft : alle Obersuche , Obersprengel , accursus , oppugojktto , actio caa- 
sae, curia, parochia. 

5) Das. Kap. 29. 

6) Das. Kap. 40. 



8t9 

I ( 

l 

Häuptling des Kriegsvolks genannt *), und erhifelt die sieben Fylki, 
welche Haralld der Haarschöne seinen Söhnen gegeben hatte; 
er sollte sich dort sowohl als in Throndheim alle Königshöfe 
und Landzinsen und das Königsgeld zueignen, zur Unterhal- 
tung des Heeres, wenn Krieg sei ^), und so sehen wir ihn dann 
auch mit einem Heere aus vier Volkländem und unter ihm sie- 
ben Jarlar'). 

Dieselben Erscheinungen begegnen uns in England. Auch 
hier waren, nach den römischen Nachrichten, schon: frühe 
eine Menge erblicher Häuptlinge oder Könige. Cäsar*) nennt 
allein in Kent vier Könige (reges) und Tacitus*) die brittischen 
Könige überhaupt Reguli. Was konnten diese anders sein, als 
Gauhäuptlinge? Ob schon damals ein wirkhches Oberkönigthum 
vorhanden war, ist nicht zu erkennen. Nur für den Krieg wird 
ein gemeinsamer Führer erkoren. Sogar ein Weib, aus könig- 
lichem Geschlechte (generis regii femina), führt als Herzog (dux) 
die brittischen Schaaren gegen die Römer, und T^citus bemerkt 
dabei, dass die Britten bei dem Heerführer nicht auf das Geschlecht 
achteten (neque enim sexum in imperiis discemunt) *). Dagegen 
scheint, als die Sachsen zuerst landeten, schon der grössteTheil 
jener Könige untergegangen zu sein, wenigstens schon hin und 
wieder ein Oberkönigthum sich in den einzelnen Landen gebildet 
zu haben. Kent — provincia Cantiae oder Cantuariorum — war 
das erste Königreich, welches die Sachsen sich zueigneten. 
Auch die übrigen Provinzen, welche theils die Sachsen, theils 
die Angeln und Juten sich nach und nach unterwarfen, scheinen 
gleich vom Anfang an Oberkönige gehabt zu haben. So bilde- 
ten sich allmälig acht Königreiche heraus. Unter diesen acht 
Völkerschaften sehen wir dann dasselbe Schauspiel gegenseiti- 
ger Kämpfe wieder, welches auch Norwegen Jahrhunderte hin- 
durch mit Blut drängte, und wodurch bald dieser bald jener 
Häuptling über andere sich aufschwang und diese sich imtef- 
warf. Bald waltete in einem Lande nur ein König, bald meh- 



1) Saga König Haralld's Grefelid. Kap. 6. ~ 

2) Saga von König Olaf Tryggwason. «Kap. 16. 

3) Das. Kap. 18. 

4) Bell, gall.- V. 2^. 

5) Anna!. II. 24. 

6) Tacitns, Vita Agricolae 16. 



8tO 



rere. Kent, wahrscheinlich seit frühester Zeit, nach seinen bei- 
den Hauptstädten Canterbury und Rochester, in zwei Königrei- 
che getheilt, hatte in der zweiten Hälfte des siebenten Jahr- 
hunderts doch drei Könige *), Ebenso findet man 675 einen Un- 
terkönig von Surrey^), gleichwie 680 einen unter dem König 
von Wessex stehepden Unterkönig (subregulus) ^). , 

Das Land der Hwiccas (welches das Bisthum Worcester 
umfasste) war langie Zeit von Mercia abhängig, und hatte be- 
sondere unter den Königen von Mercia stehende Unterkönige. 
Einer dieser war Osred, weflchen der mercische König Eethel- 
bald seinen Diener und Getreuen („ministromeo ualde fideli") nennt 
und als aus dem edlen Königsgeschlechte der Hwiccaer entspros- 
sen bezeichnet („qui est de stirpe non ignobili prosapia regali 
gentis Huiccorum")*). Ein anderer ist Oshere „subregulus Huic- 
ciorum", welcher 774 lebte ^). Dessen Nachfolger Aldred nennt 
der König von Mercien 777 seinen Unterkönig und Herzog des 
Volks der Hwiccaer *), während Aldred selbst die unter ihm ste: 
henden Grafen als die sein igen bezeichnet ''). Eine Urkunde 
von 789 nennt ihn „Aldredus subregulus Uuigornae civitatis", wo- 
für eine angelsächsische Uebersetzung „Alred Wigracestres Un- 
dercining" sagt®). Ihm folgten noch Uhtred und Ac^). 

Auch über Mercien, nämlich den nicht an die Dänen abge- 
tretenen Theil, sehen wir noch im neunten Jahrhundert einen 
Unterkönig, Namens Aethelred, den Eidam Aelfdams, des Königs 
der Angeln und Sachsen. Obwohl derselbe zunächst dem Seh we- 
her diese Würde verdankte , so entstammte er doch sicher dem 
alten mercischen Königsgeschlechte. Bezeichnend sind die ver- 
schiedenen Titel, unter welchen er auftritt; 884: „ principatu et 
dominio gentis Merciorum subfultus" und ,.gentis Merciorum du- 



'J) Kemble, Cod. dipl. nr. 8, 9, 11, 14 u. IG. 
2) „Friduwaldus provinciae Surrianorurn snbregnliis regis Wlfarir Mercianornm". 
Ibid- V. 987. ' 

8) Ibid. I. nr.l8. 

4) Ibid. I. nr. 90. 

5) Ibid. I. fir. 124. 

6) „Unde subregulo meo Aldredo videlicel duce propriae genfis Huitcionim". 

7) „Egö Aldrediis diuino dispensante üukciorani reguliis — -^ cunu — princi- 
pum meorum'*. Ibid. I. nc. 131. 

8) Ibid. I. nr. 154.' 

9) 796 : „ Ac , sicut anlea Aldred et ühlieh subreguii Huiccioruin "". KemWe I. 
nr. 171. 



3tl 

t 

catum gubemans *) " ; 889: „subregulus et patricius Mercio- 
rum" ') ; 897 : „dux Merdorum" ^); später unter König Eduard fin- 
det man ihn sogar mit seiner Gemahlin, und zwar diese als 
Mitträgerin der Gewalt; eine Urkunde von 904 sagt: „Aethel- 
redum , — et Aethelfledam, qui tunc principatum et potestatem 
gentis Merciorum sub predicto rege (Eduard) tenuerunt" •) , wäh- 
rend er zur selben Zeit (904) sich auch „dux et dominator Mer- , 
ciorum"> nennt*). Ja, es tritt sogar der Fall ein, dass seine Witt- 
we jene Würde auch nach "Aethelreds Tode noch beibehält; als 
solche nennt sie sich (915 — 922) „gubemacula regens Mercio- 
rum" ®). Ein späterer Unterkönig Merciens war des Königs Eadwi 
BruderEadgar (956: „regulus")''), sowie, nachdem Eadgar selbst 
König geworden: „Aelferes Myrcna heretogan" ®). 

Diese Unterkönige oder Halbkönige, wie sie auch wohl ge- 
nannt Avurden'). vertraten auch in England gänzlich die Stelle 
des Königs , so dass alle untern weltlichen und geistlichen Be- 
amten als die ihrigen bezeichnet werden. Sogar die genannte 
Wittwe Aethelreds sagt in ihren Urkunden : „dum corisilio episco- 
porum optimatumque meoruni"*®). Sie waren demnach völlig 
den norwegischen Schatzkönigefi gleich. Ihre Verwaltung be- 
schränkte sich nie auf einen Gau, sondern begriff stets eine 
Anzahl von Gauen, in der Regel ein ganzes Land. Der Unter- 
königstitel wechselt indess häufig mit dem Herzogstitel , bis je- 
ner endlich verschwindet und der letztere der alleinige bleibt. 
Noch ehe das Ziel der Einigung unter einem Könige vollstän- 
dig erreicht war, führt Aethelstan schon den Titel als König 
von ganz Britannien. Er nennt sich wechselnd ,^Monarchus totiüs 
Brittaniae" (927), „Rex Anglorum" (929), „Rex Albionis" (930), 
„Basileus Anglorum simul et Imperator regum et nationum intra 



X) Lappenberg,, Gesch. Englands I. S. 330. 

2) Kemble 1. c. II. nr. 31G. 

3) Ibid. nr. 323. 

4) Ibid. nr. 338. 

5) Ibid. nr. 3401 

6) Ibid. nr. 343. 

7) Lapperiberg a. a. 0. 1. S. 9Ö4. 

8) Kemble I. c. nr. 994 ii. 995. 

9) Spelpfiann 1. c. p. 273. 

10) Kemble I. c. nr. 343. 

Landau. Territorien. '*'■*■ 



3tS 

fines Brittaniae" (930), auch „tarn super Briianicae gentis, quam 
super aliarum nationum huic subditarum' Imperium eleuatus rex'' 
(930)*), und Urkunden von 928—935 fuhren fünf Unterkonige 
auf, welche ihn als ihren Oberherm betrachteten *). König Ead- 
gar nennt sich 964: „Ego Eadgarus Anglorum basileus, omnium- 
que regum insularum oceani, quae Britanniam circumiacent. 
cunctarumque Nationum, quae intra eän> includuntur imperator et 
dominus" »). . * 

Lässt sich auch nicht allenthalben die Bildung des König- 
thums in so bestimmter -Weise verfolgen , wie dieses in Norwe- 
gen und Britannien der Fall ist, so fehlt es doch bei den übri- 
gen Völkern keineswegs an allerdings vereinzelten Erscheinun- 
gen, welche uns dieselben Entwicklungswege zeigen. • 

Das eigentlich Charakteristische des Königthums liegt also, 
ähnlich wie das der spätem Landeshoheit, in einer Oberherrschaft. 
Ja, es sind auch hier Stufen zu unterscheiden. Bald ist es eine 
Oberherrschaft über die Gauhäuptlinge nur eines Volkes und in 
diesem Falle ein Volkskonigthum ; bald ist es ein König üper ver- 
schiedene Völker, ein König über Könige, wie wir dieses ins- 
besondere in der fränkischen Monarchie erkennen. Eine ähn- 
liche Stellung nahm Rom schon unter Cäsar über Gallien ein. 
Der römische Staat hatte im vollsten Sinne des Wortes ein galli- 
sches Oberkönigthum. Man betrachte nur das Verhältniss der Tre- 
virer. Cingetorix und Indutiomar streiten „de principätu." Dass 
dieses nicht die gewöhnlich einfache Herrschaft über einen Gau 
sein konnte, muss daraus geschlossen werden, dass neben bei- 
den auch noch principes vorkommen („nonnulli principes ex 
ea civitate")*). Die Veränderungen, welche in der alten Ver- 
fassung durch die Bildung eines Königthums hervorgerufen wur- 
den , sind , wenn auch tief eingreifend , doch eben so wenfg ge- 
zwungen als erkünstelt; sie gin^n vielmehr einfach aus der 
Umgestaltung der Verhältnisse selbst hervor und waren eine noth- 
wendige Folge derselben. Umfasste das neue Königreich nur 
ein Volksland (provincia), nur das Gebiet eines Stammes, so 



1) Kemble nr. 344 , 346 , 34d , 349 a. 351. 

2) Ibid. V. nr. 1101, llOa, 1107 u. 1112. 

3) Ibid. II. nr. 514. p. 404. 

4) Caesar V, si , ähnlich 4 S. 



bleiben alte übrigen Verhältnisse beinahe unverrückt in der alten 
Ordnung. An die Stelle der vom Volke gewählten Häu|)tlinge 
treten königliche Beamte und die alte Dingstätte des Stammes 
bildet .nicht mehr wie seither den einzigen Einigungspunkt ; die- 
ser Herzpunkt des nationalen Lebens tritt, in den Hintergrund 
und seine Stelle nimmt mehr die Person des Königs ein. Die 
in den Gerichten erkannten Bussen gehen an den König über 
und auch der slte Volksherzog fallt weg, da dessen ganze Ge- 
walt sich von selbst in der Person des Königs einigt. • 

Anders wird es dagegen, wenn verschiedene sich frem. 
de Stämme unter einem Scepter verbunden werden. Die na- 
tionalen Malstätten ' der verbundenen Stämme sinken dann zu 
einer provinziellen Bedeutung herab oder verschwinden auch 
wohl gänzlich, und es gibt nur einen Reichstag für das gesammte 
Reich, der, weder an eine bestimmte Zeit noch an einen bestimm- 
ten Ort gebunden, lediglich nach der Bestimmung des Königs 
zusammenberufen wird. Dass m^n bei den Franken den 
März und später den Mai als die £eit des Zusammentritts fest- 
hielt, lag wohl weniger in einer alten Ordnung, als in dem 
Umstände der Zweckmässigkeit. Jener alte geheiligte Mittel- 
punkt, der übrigens auch schon durch' die Einfuhrung des 
Christenthums eines seiner Hauptattribute einbüsste, musste der 
Einheit der Monarchie nothwendig geopfert werden und es ge- 
nügte zu diesem Zwecke, das einfache, Gebot ohne des Königs 
Befehl sich allgemeinen Versammlungen zu enthalten, wie die- 
ses sich namentlich in dem Kapitulare von Paderborn vom Jahre 
785 für die» Sachsen ausgesprochen findet (§. 34.). Man erkennt 
dieses auch in Gallien unter Cäsar. Durch diö Vereinigung unter 
der römischen Herrschaft waren die Reichstage der verschiedenen 
Stämme schon früher untergegangen und an deren Stelle ein 
einziger Reichstag getreten, der bald hier bald dorthin zur Ta- 
gung zusammen berufen wurde. Im Jahre 58 v. Chr. bitten die 
Häuptlinge (principes civitatum) Cäsar um' die Gestattung, einen 
allgemeinen Reichstag für ganz Gallien (Concilium totius Galliae) 
berufen zu dürfen, und beschliessen auf demselben die Hülfe Cä- 
sars gegen Ariovist naclizusuchen *). Im Jahre 54 v. Ch. be- 
straft Cäsar die Trevirer, weil dieselben zur Reichsversammlung 



1) Caesar, de hello Call. I, 30. 

21 



324 



(ad consilia) niclit erschienen waren *) und hält darauf eine 
ß^ichsversammlung ^concilio Gallorum) zu Amiens^. Im nach- 
sten Jahi;e erzählt Cäsar ^); Auf dem Reichstage, welchen er 
für ganz Gallien (concilio Galliae) im Frühjahre zusammen be- 
rufen habe,, seien alle bis auf die Senonen, Kamuten und Tre- 
virer erschienen und da er. dieses Ausbleiben als den Anfang 
des Krieges und der Empörung betrachtet, habe er, damit es 
schiene, als hielte er Alles andere für minder wichtig, , den 
l^eichstag nach Lutetia, der Stadt der Pariser, verlegt. Ebenso 
sehen wir Cäsar im Jahre 52 v. Ch. zwei Reichsversammlungen, 
die Jetzte zu Bibracte, einer Stadt der Aeducr, halten*). 

Ungeachtet dieser Vereinigung in 'gemeinsame Landtage 
blieben indessen die solchergestalt zu einem Reiche verbundenen 
Völker doch bei ihtem hergebrachten Rechte und in einer in 

» 

sich selbst ruhenden staatlichen Abgeschlossenheit. Es wäre 
auch unmöglich gewesen , eine nach heutigen Gegriffen gestal- 

, ttte Staatseinheit zu schaffen; die Verbindung war wesentlich 
nur föderativer Natur; die Könige der Franken waren zugleich 
auch Königö der Langobarden, der Sachsen, der Thüringer u. s. w. 

• Erst das römische Kaiserthum verheh der fränkischen Königs- 
herrschaft einen mehr allgemeinen Begriff, obwohl auch nur 
mehr scheinbar,, als in der That. yor wie nacl^ blieben die 
einzelnen Völker abgeschlossene, bis zu einem gewissen Grade 
selbstständige Ganze. , ^ 

Da ein wesentlicher Theil der Rechte der alten Nationalver- 
. Sammlung an den König übergegangen war , , insbesondere die 
oberstrichterliche Gewalt und das Kriegsaufgebot, wozu auch noch 
die Führung des Heerbanns kam, so konnte in derii Falle, wenn 
mehrere Königreiche unter einer Königsherrschaft vereinigt waren, 
der König unmöghch allenthalben, persönlich^ den Pflichten und 
Rechten seiner Stellung nachkommen uiid es wurden :^u diesem 
Zwecke königliche Stellvertreter nothwendig - und diese. Stellver- 
treter waren die Herzöge. Sie fällten die Lücke zwischen den 
Gaugrafen und dem Könige aus , sie nahmen ganz die Stelle 
der alten Volkskönige ein. In. Norwegen und England nahm 



1) Ibid. V, 2. 

2) Ibid. V, 24. 

3) Ibid. VI, 3. 

4) Ibid. VII, 29. 63. 



3C5 



m$n anfanglich, wie oben gezeigt worden ist, Glieder der alten 
Körugsgeschlechter oder Verwandte des herrschenden Königs- 
hauses dazu. Nichts anderes als solche Ünterkönige waren 
Karl de,s Grossen Söhne, §p lange er lebte , uhd in einem glei- 
chen Verhältnisse stand auch König Zwentibold von Lothringen. 

Die deutschen Ilerzogthümer umfassten stets abgeschlos- 
sene Volksgebietc. Wir sehen Herzöge von Sachsen, von Thü- 
ringen , von Baiem , von Alemannien u. 9. w. , und jeden dieser 
Herzöge eine volle königliche Gewalt in sich vereinigen. Darum 
sind sie dann auch im vollsten Wortsinne als Vicekönige zu 
betrachten, und sogar noch Heinrich der Löwe bezeichnet seine 
Stellung als die eines Vertreters des Königs *). Indessen gab es 
aber auch Gebiete, welche keine Herzöge, sondern nur Grafen 
hatten*), und die königlichen Mi8s4, welche Karl d. Gr. ein- 
setzte, scheinen überhaupt den Zweck gehabt,, zu haben, die 
Herzöge, deren Macht nothwendig dem Königthume gefahrlich 
werden musste, zu beseitigen. 

Von dem deutschen wesentlich verschieden erscheint bei, 
näherer Betrachtung das Herzogthum in England, Frankreich, 
der Lombardei u. s. w. Die Gebiete der dortigen Herzöge sind 
weniger abgeschlossene, als mehr willkürUch zusammengefügte 
Länder, welche meist nur eihige Gaue umschliessen. Ueber- 
haupt sind sie kleiner als die deutschen und die Stellung der 
Herzöge selbst ist im Grunde von der der Grafen nur dadurch 
verschieden, dass jene stets mehrere Gaugrafschaften in ihrer 
Hand verehiigten. Diese 'Herzöge kommen deshalb auch eben 
so oft unter dem Titel ,JComites" vor. Herzog Wilhelm von der 
Kprmandie nennt sich z. B. in ein und derselben Urkunde im 
Eingange Dux und am Schlüsse Com es. Auch findet sich für 
diese Herzöge in England der Titel Hochgraf, sowie in Flan- 
dern und Burgund die Bezeichnung Archicomes. Zumal 
diese letzte Bezeichnung weist mit. voller Bestimmtheit darauf 
hin, dass sie mehrere Grafschaften unter sich hatten, gleichwie 
die Erzbischöfe mehrere Bisthümer, die Erzherzöge mehrere 
Herzogthümer, der Archidiakon mehrere -Dekanate und der 



1) „,.. qnia in hac palria vice rcgis fungimnr, firmelur a nobis rcgalc promis- 
sum, siculi rex slaluerat'*. v. Hormayr*s sämmll. Werke I, S. 16. 

2) „ exceplis comilibus plurimis , qui ducem super se oon h«bebanl ". Frede- 
gar, c. 78. 



326 

9 » 

Erzpriester mehrere Pfarreien. Diese ' Archicomites odpr Her- 
zöge waren aber auch dadurch von den deutschen H^rzö- 
^en verschieden, dass keine wirkliche Gaugrafen unter ih- 
nen standen, ^wischen ihnen und den Centenarien befand 
sich' kein Mittelglied. Wohl aber trat der Centenarius ge- 
wissermassen an die Stelle des Grafen, d.h. er hatte in sei- 
nem Amtsbezirke, also in seiner Cent,r alle die Rechte und 
Pflichten, welche anderwärts der Graf im grösseren Gaue be- 
sass. Der Centenarius tritt deshalb auch weniger als solcher, 
sondern mehr als Stellvertreter des Grafen auf, - und aus diesem 
Grunde führt er denn auch' beinahe ausschliesslich den Titel Vi- 
cecomes oder Vicarius und sein Amtsbezirk heisst Vice- 
comitatus oder Vicalria. Sowohl in England als in Frank- 
reich sind diese Bezeichnungen vorherrschend, und daher die 
noch heute dort so zahlreichen Titel Vicount und Vicomte; die 
gleiche Bedeutung ,hat auch das ältere englische Shiregereffe 
(jetzt SheriflF). 

Allem Anscheine nach erhielt der von Karl d. Gr. über 

Westphalen gesetzte Graf Trutmaiin eine jenen Hochgrafen ent- 

f ' 

sprechende Stellung, denn als seine zunächst Untergebenen er- 
scheinen die Vicarii (S. oben S. 302.), und auch die deutschen 
Markgrafen und die meisten slavischeil Woiwoden (Herzöge) fin- 
den sich in einem gleichen Verhältnisse. Sogar der erst spä- 
ter entstehende Landgraf (comes provinciae, comes patriae, 
comes provincialis) ist kaum hiervon zu unterscheiden. 

Alle diese unter dem Könige stehenden Häuptlinge sind — 
wie schon bemerkt — königliche Beamte und werden vom Kö- 
nige bestellt und entsetzt. Diese allerdings im Allgemeinen 
geltende Begel erleidet indessen hin und wieder auch Ausnah- 
men; So wird Eunomins auf den Rath (optiohe) des Bischofs 
upd des Volkes Graf von Tours *) und auch sonst scheint eine 
solche Betheiligung des Volkes unter den Merovingem lucjit 
selten gewesen zu sein 2). Es war dieses aber keine Wahl, son- 
.dem mehr nur ein Gutachten , mehr eine Berücksichtigung eines 
Wunsches, und wenn irgendwo ein wirkliches Wahlrecht statt- 
fand, so war dessen Quelle doch nichts anderes als nur ein kö- 
nigliches Privilegium. Dieses scheint auch bei den baierischen 



1) Gregor. Taron. V..48. 

2) Waitz a. a. 0. 11. S. 336. 



8t7 

Herzögen der Fall gewesen zu sein. „Der Herzog, heisst es 
in dem baierisohen Gesetzbuche, welcher dem Volke vorsteht, 
war immer aus dem Geschlechte der Aigolfinger und muss aus 
demselben sein, weil es demselben die Könige^ unsere Herfen, 
also zugestanden haben". Die Einsetzung des Herzogs erfolgte 
jedoch nur durch den König. 

Wie man sieht, lassen- sich nur wenige Fälle nachweisen, 
wo in jener Regel, was die obern Häuptlinge betrifft, eine Aus- 
nahme stattfindet, und selbst diese wenigen Fälle sind ihrer Na- 
tur nach mehr geeignet, jene Regel zu bestätigen als zu stören. 
Dagegen ' ist die Ernennung der unteren Beamten , der Vor- 
steher der Cent und der Bauerschaft häufiger in den Händen 
der Gemeinden geblieben. Nicht nur Thatsacher^ aus der, Herr- 
schaft der Merovinger zeugen für die Erwählung der Centena- 
rien*), sondern auch noch in späterer Zeit finden sich Bei- 
spiele, däss dieselben durch Stimmenmehrheit der Centbewoh- 
ner zu ihrem Amte berufen wurden*). Es ist dieses namentlich 
beinahe durchweg in allen jenen „freien Gerichten" der Fall, 
welche man in derWetterau und vielen andern Gegenden fin- 
det, welche keinen andern Herrn über sich erkannten^ als nur 
den König. Noch häufiger, als bei den Centenarien, scheint 
den Gemeinden die Wahl der Dekane geblieben zu sein^). Es 
hat sich die .Wahl nur oft in einen jährlichen Reihe Wechsel ver- 
wandelt , oder dieselbe ist von einer Bestätigung des Grundherrn 
abhängig geworden*). Ebenso häufig findet sich aber auch die 
einfache Einsetzuflg durch den Gerichtsherm *), oder das Amt ist 
(insbesondere in Westphalen, Mecklenburg, Schlesien u. s. w.) als 
Lehn an gewisse Höfe (Schulzenhöfe) geknüpft, also erblich, und 
zwar bald nur auf Söhne, bald auch auf Söhne und Töchter*), 
- Da wo das Königthum einmal gegründet war, stand das- 
selbe auch fest und nur wenige Fälle sind bekannt, wo dasselbe 
durch die ältere Häuptlings -Verfassung wieder verdrängt wurde, 
und selbst in solchen Fällen war dies nur vorübergehend. Beda 



1) Waitz a. a. 0. II. -S. 310 u. 316. 

2) Grimm, Weisth. 111. 415, 420 flf. 

d)' Beispiele siebe: Wördtwein, Nova subl. dipl. X. p. 70. Grimm, Weisth. 111. 
S. 824. 
, 4) 1387. Glimm a. a. 0. III. S. 628. 

5) Wftrdlwein I. c. VI. 140. 

6) Lisch, Mecklenbg« Jahrbücher. JX* S. 88 — 95* ^ '^ 



I 
\ 



3«8 

/ 

erzählt*), dass nach König* Cenwalh's von Wessex Tode (672) 
„subreguli", und na(;h Aelfred „Ealdormen", also Gauhäuptlinge, 
die Herrschaft auf einige Zeit an sich gerissen hätten. Als die 
Gothen sich trennten, erscheinen die Westgothen wieder unter 
Häuptlingen und Herzögen („Primates eorum, et duces, qui re- 
gum Vice illis praeerant")*). Aehnliches erzählt Pauluö Diakonus^) 
von den Langobarden. Nach König Cleph's Tode blieben die 
Langobarden , berichtet derselbe, zehn Jahre ohne König und 
standen! unter Herzögen. Jeder Herzog herrschte nämlich in 
seiner Stadt, und dabei bemerkter, dass es fünf und dreissig 
Herzöge gewesen. Es traten also die älteren Verhältnisse wieder 
ein und so sehen wir dann auch^ diese einzelnen Herzöge als 
selbstständige Häuptlinge handeln und insbesondere auf eigene 
Faust Kriegszüge in die benq-chbarten Länder unternehmen. Erst 
nach zehn Jahren wählten die Langobarden nach gemeinsamem 
Beschlüsse (communi consilio) wieder einen König, und zwar 
des letzten Königs Sohn*). Wie es scheint, geschah demnach 
Sowohl die Rückkehr zur Häuptlings -Herrschaft als auch die Wie- 
dereinführung des Königthums ohne Gewalt, ganz nach dem 
freien Entschlüsse des Volks. 

Ob mit der Stellung des Häuptlings gewisse Güter ver- 
knüpft waren, ist wenigstens für die älteste Zeit nicht nach- 
weisbar , obwohl der Umstand darauf hinzudeuten scheint , dass 
bei Vertheilungen von Ländereien dem Häuptlinge ein grösserer 
Antheil überwiesen wurde, denn so verstehe ich Tacitus, wenn 
er in Bezug auf solche Theilungen bemerkt, dass diese nach 
äer Würde (secundum dignationem) erfolgten^). Jedenfalls ist's 
ein bestimmter Antheil an den Bussep, welcher dem Häuptlinge 
zukommt; doch gehört auch, dieser in der alten Verfassung der 
Gememde und erst unter dem Königthume geht er an den König 
über^). Sonst sind es nur freiwiUige Gaben. „Von freien Stü- 
cken, sagt Tacitus^J, und kopfweise wird den Fürsten etwas 



1) Beda, Hislor. eccL IV, 13. 

2) lornandes, de reb. Geticis. c. 25. 

3) Bist. Langobardor. II, 32. 

4) Ibid. in ,16. 

5) TaciUis, Germ. c. 26. 

6) Ibid. c. 42, 

7) Ibid. c. 15. 



äS9 



vom Erträge der Heerden und des Ackers dargebracht, das, als 
Ehrenzoll empfangen, dem Bedarfe zugleich zu Hülfe kommt**. 
Aber eine jede freiwillige regelmässig wiederkehrende Gabe 
wird leicht zu einer Verpflichtung und so war es auch hier; es 
bildete sich eine Steuerpflicht aus, und auch ein bestimmter 
Grundbesitz verbindet sich mit der Würde. In Norwegen scheint 
dieses nach Snorri Sturluson noch nicht der Fall gewesen zu 
sein. Die königlichen Einkünfte bestanden dort in den auf den 
Thingen erkannten Bussen, in ausgeschriebenen Schätzungen 
und in Landzinsen, welche die Odalbonden zu entrichtet! hat- 
ten, aber unter den Langobarden war dieses schon anders. Als 
sie zehn Jahre nach Cleph dessen Sohn Authari zum Königfe 
wählten, gaben alle damaligen Herzöge zur Deckung der könig- 
lichen Bedürfnisse (regalibus usibus) die Hälfte ihres Besitzes *). 
Aehnlich hatte jeder unterworfene norwegische König seinem 
Oberkönige die Hälfte aller seiner Einkünfte! abzutreten. Die 
Jarle dagegen' , welche vom Könige €?ingesetzt wurden , erhielten 
nur ein Drittel der Bussen und Laridzinsen 2), und diesen dritten 
Theil an den Bussen finden wir auch noch in später Zeit sowohl 
bei den Deutschen als bei den Slaven in zahlreichen Urkunden 
als den gesetzlichen Antheil des Beamten wieder. 

Jene!? alte Königthum wac übrigens keineswegs ein unbe- 
schränktes, welches überhaupt dem germanischen Volksleben 
gänzlich fremd ist. Die Gothonen — sagt Tacitus — werden 
unter ihren Königen etwas kurzer gehalten als die übrigen ger- 
manischen Stämme, doch sind sie noch nicht über die Gränze 
der Freiheit hinaus. Alle diese Könige sind allzumal Wahlkönige, 
alle sind durch die Wahl des Volkes zum Herrschersitze beru- 
fen, mochte immerhin sich die Wahl auch auf eine bestimmte 
Familie bes-chränken ; denn' diese.. Beschränkung ist — wie ich 
weiter unten ausführen werde — weniger auf absolute Rechte, 
als auf hergebrachte Gewohnheit gestützt. Man verlässt auch 
diese Ordnung und entsetzt sogar Könige ihrer Herrschaft. Selbst 
wenn Könige die Herrschaft mit dem Schwerte errungen, lassen 
sie dennoch dieselbe durch die Volköwahl Sanktioniren. Darum 
sind diese Könige nur die höchsten Häuptlinge des Volkes. 
Als %, B. König Coenwulf von Mercien und sein Bruder Cuthred, 



1). Paul. Diac. 1. c: III ,16. , 

2) Saga Haralld des Häarschönen. R. 6^. 



330 

dem er Kent übergeben und der sich König von Kent nennt, 
über Grüter in Kent verfugen, bezeichnen sie dieselben als „in 
nostro commune ministerio " liegend *). Sie sind nicht Herren 
des Landes und nennen sich deshalb auch stets nach dem Volke, 
nicht nach dem 'Lande und noch die spätem Karolingern be- 
zeichnen sich nie anders, denn als „Reges Francorum". In allen 
ihren Handlungen sind sie an die Zustimmung des Volkes oder 
doch der Häuptlinge des Volkes gebunden, und noch besitzen 
wir zahlreiche Urkunden, in welchen dieser Zustimmung ausdrück- 
lich gedacht wird *). Mag auch das, was die Heimskringla Saga 
aus Skandinavien erzählt, dass, wenn der" Zorn der Götter sich 
durch Misswachs oder Kriegsunglück ausgesprochen, der König 
denselben geopfert worden sei'), ebenso wie die ähnhche Mit- 
theilung des Ammianus Märcellinus*) von den Burgundern, wel- 
che nach einer alten Sitte die Könige ihrer Gewalt entsetzt hät- 
ten, wenn das Kriegsglück sich von ihnen gewendet, oder eine 
Missemdte eingetreten sei , schon mehr den historischen Sagen, 
als der Geschichte selbst angehören, obwohl wir sehen, dass die 
Senonen förmlich beschliessen ihren König zu tödten ?), so findet 
man doch auch in sicherer Zeit Thatsachen genug, welche die 
Abhängigkeit der 'Könige von dem Willen ihrer Völker zeigen. 
Wie Klodowich der Frankenkönig nur erst nadh der Zustimmung 
seines Volkes zum Christenthum übertrat *), so erzählt die Heims- 
kringla Aehnliches auch aus Norwegen. Nicht durch das ein- 
fache Gebot König Olafs wird, das Christeilthum angenommen, 
. sondern es geschieht dasselbe in jedem der einzelnen Volkslande 
durch Beschluss des Althings. Schon war dieses allenthalben 
geschehen und nur Throndheim noch übrig. Als er zu gleichem 
Zwecke auch die $ieben Fylken von Throndheim zum Althing 
auf Frosta berief, verwandelten die Bonden , mit seiner Absicht 
bekannt, das Thinggebot in ein Heergebot und erschienen sämmt- 



1) Kemble I. c. I. nr. 179. 

2) Nor ein Beispiel. König Ine von Wcssex erwähnt in seinen Gesetzen der Zu- 
stimmung aller seiner Ealdermannen und der ältesten Witan seines\olJ(eä: ,,mid eallum 
ealdermannum aud tham yldestan Witnn minre theode'S Schmid, Gesetze der Angel- 
sachsen S. 14. Vergl. auch Schmilthenner, Grundlinieo S. 187. 

3) Yngling. Saga. Kap. 18 u. 47. 

4) XXVIII, 5. 

5) Caesar, Bell. Gall. V. 54. 

6) Gregor. Turon, II, 81. 



831 

lieh gerüstet, und sobald der König die Apnahme des Christen- 
thums begehrte , verlangten sie , dass er davon schweigen sollte 
und drohten ihn zu vertreiben. Der König musste sich fügen 
und erst ^ später vermochte er durch List und Gewalt auch hier 
sein Vorhaben auszuführen*). 

Nachdem die Natur des Königthums besprochen, und ins- 
besondere gezeigt worden, dass es bestimmte Geschlechter 
waren, aus welchen die Gauhäuptlinge und die Könige er- 
wählt wiu-den, ist noch die Frage zu erörtern: ob iein Adel, 
d. h. ein bevorrechteter' Stand, vorhanden w^ar, auf welchen 
die Wählbarkeit sich beschränkte? Um diese Frage zu erle- 
digen, ist es vor allen Dingen erforderlich die Standesverhält- 
nisse genau in's Auge zu fassen. 

Sowohl bei den germanichen als slavischen Völkern sind 
es 'allenthalben zwei Hauptstände, in welche die Gesammt- 
bevölkerung geschieden wird, nämlich in Freie (liberi, in- 
genui) und Knechte (liti, servi). Das westgothische sowie 
das baierische Gesetzbuch kennen nur diese Eintheilung und 
auch in andern Quellen kehrt dieselbe noch häufig wieder. 
Nur der Freie gehört wirklich zum Volke, er nur hat ein Recht, 
er nur hat in den öffentlichen Angelegenheiten eine Stiipme, 
er nur führt Waffen. Der Knecht dagegen hat keinen An- 
theil am Volksrecht, ist waffenlos und gehört nur seinem Herrn, 
Der St3,nd der Knechte ist nichts Ursprüngliches; er ist erst 
durch Unterdrückung entstanden. Nicht nur Kriegsgefangene, 
sopdern auch ganze Völker wurden von ihren Besiegern in 
Knechte verwandelt. 

Beide Hauptklassen zerfallen jede wieder in zwei Theile. 
Schon Tacitus scheidet d,en Libertusund Servus, ebenso wie 
das friesische Gesetz und einige Schriftsteller den Litus und 
Servüs. Der Libertus und Litus hat eine Mittelstellung zwi; 
sehen, dem Freien und dem Knechte und n.eigt sich bald mehr 
zu diesem bald mehr zu jenem. Die Liti sind entweder Fjeie, 
welche auf fremdem Grund und Boden sitzen, oder Freigelassene, 
alsa ehemals freigegebene Knechte , welche gleichwohl ohne 
Eigen sind. Ja, es lässt sich neben diesen,sogar noch eine wei- 
tere Klasse hinstellen, nämlich von solchen, welche sow^ohl ei- 



1) Saga von Olaf Tryggwason , Kap. 59 ff. 



3St 



genen als fremden Besitz haben. Die volle Freiheit ruhte nicht 
in der, Person , sondern auf dem Grundbesitz. 

Ebenso wie der Stand der Knechte, schied sich' auch der 
Stand der Freien in Nobiles und" Liberi. Schon bei Tacitus 
findet sich diese Unterscheidung, und dieselbe kehrt auch in den 
alten Volksgesetzen wieder *). Für die zweite Klasse brauchen 
die meisten die Bezeichnungen Liberi und Ingenui, und Nit- 
hard gibt dafür neben Ingenui zugleich das deutsche Wort 
Frilingi; ein eddisches Lied hat Karl, dem die Bezeichnung 
Ceorl des angelsächsischen Gesetzes entspricht. Alle diese 
verschiedenen Bezeichnungen haben dieselbe Bedeutung: „homo 
liber". Der Freie' ist nicht nur persönlich frei, sondern auch 
sein Grundbesitz hat diöse Eigenschaft. Es ist der norwegische 
Odalbonde, der wahre mit .allen politischen Rechten.ausgestat- 
tete Vollbürger. Für das für die ers*te Klasse gewöhnlich ge- 
bräuchliche Nobilis, hat Nithard für die Sachsen Edhiling, ^as 
Gesetz der Angeln Adalingus und das angelsächsische Ead- 
'ling. Es ist also eine wörtliche Uebersetzung. , 

Auf dieses Nobilis hat man nun einen germanischen Adel, 
einen über dem gewöhnlichen freien Grundbesitzer stehenden be- 
vorrechteten Stand zu deduciren versucht., Es hat abernoch Nie- 
mand diese. Vorrechte nachweisen können und ebenso haben die 
anerkanntesten Forscher zugegeben, dass die politische Gewalt 
nicht in der Hand einer hohem Klasse von Freien, sondern 
durchweg in den Händen aller freien Grundbesitzer gelegen. 
Damit' fallt abef gerade das , was vorzugsweise einen solchen 
Stand bezeichnen müsste. Doch , sehen wir von den verschie- 
denen darüber aufgestellten Meinungen ab und fragen zuerst 
tiach der Bedeutung von „Nobilis". ■ ' 

Tacitus*) erzählt, dass die Semnonen sich selbst „vetustis- 
simi, nobilissimique Suevorum" nannten. Warum /sie sich da- 
für hielten , habe ich schon erläutert ; in ihrem Gaue la^ näm- 
lieh die Nationalstätte des gesammten suevischen Volkes. ^Aus 
demselben Grunde, hatte der Gau , in welchem Upsala lag, einen 
Vorrang vor allen andern und das Geschlecht der Ynglinger, wel- 
ches hier die Königsherrschaft hatte, galt als das vorzüglichste 



1) Es ist das so oft aiisgerührt, dass ich mich der spezieUen Cilate überheben 
zu liönnen glaube. 

2) S. oben S. 235. 



J 



SS3 



unter allen aiwlern Königsgeschlechtem. Ebenso bei;ichtet Am. 
MarceHinus, dass den Alanen die Knechtschaft unbekannt sei, 
alle seien aus edlem Blute entsprossen; auch würden nur die 
zu Richtern gewählt, welche sich im Kriege ausgezeichnet 
hätten*). 

Natürlich kann da, wo so allgemein von einem ganzen 
Volksstamme gesprochen wird, nicht von einem besondern Stan- 
de die Reöe sein. Die Alanen sind edel, weil sie frei sind, die 
Semnonen halten sich deshalb für edler als die andern suevi- 
schen Stämme, weil sie sich für den ältesten gewissermassen 
für den Mutterstamm des gesammten Volkes haltep. 

Wie die eben gegebenen Beispiele Nobilitas in einer allgemei- , 
nen Bedeutung geben, so zeigt sich aber auch noch ein engerer, 
einfe mehr persönlicher Begriff. In dieser Beziehung s^ind das nor- 
dische Jarl und das angelsächsische Earl von Bedeutung, welche 
beide fürNobilis gebraucht werden. Ich habe schon oben bemerkt, 
dass das angelsächsische Ealdordom jede Art von Herrschaft be- 
zeichnet. Auch Earl und Jarl bedeutet wörtlich nur einen Al- 
ten, und deshalb werden in den lateinischen Quellen Senio- 
res; Sapientes, Proceres, Optimates u. s. w. ganz in 
dem gleichen Sinne angewendet. Wie, also ganze *Volksstämme 
als edel 'bezeichnet werden , so sind dieses insbesondere auch 
die Häuptlinge, welche vorzugsweise als edel gelten. 

!J(ocK deutlicher geht dieses aus Cäsar hen'^or. Von dem 
Streite Indutiomar's und des Cingetorix redend, erzählt er wei- 
ter, dass der letztere bei der Annäherung des römischen Heeres 
sich zu demselben begeben, während der andere sich zum Kam- 
pfe gerüstet habe, und erst als einige Principes sich ebenwohl . 
zu Cäsar verfügt,- habe Indutiomar, befürchtend von allen ver- 
lassen zu werden,, ebenwohl Gei^andte geschickt und sich bei 
Cäsar entschuldigt: er habe die Gemeinde nicht verlassen mö- 
gen , um sie desto leichter in ihrer Treue zu erhalten, denn bei 
der Entfernung „amniö nobilitatis" hätte das Volk leicht in 
Fehler verfallen können*). 

Gleiches zeigt uns Cäsar an einem andern 0rte^). Der- 
selbe hatte zu seinem brittischen Feildzuge aus allen gallischen 



^ 1) „Senritus . quid sit ignorabaht, omnes generoso semine procreati : jadicesque 
etiam nunc eligunt , diiilurno beUandi usa spectatos^^ Am. Mafcell. XXXI , 2. 

2) Caesar, bell. Gall. V. c. 3. 

3) Caesar, V. c. 5 u. 6. 



3M 

Gauen Hülfsvölker entboten. Auch die „ principes Omnibus ex 
civitatibus" fanden sich am Einschiffungsorte ein, denn nur we- 
nige und nur solche , ' deren Treue er erprobt hatte , -wollte er 
zurücklassen. Auch der Aeduer Dumnorix, welchem er beson- 
ders misstraute, sollte Cäsar begleiten. Dieser hingegen bot 
Alles auf, sich diesem Feldzuge zu entziehen ; er wiegelte sogar 
die bei Cäsar versammelten „Principes Galhae" auf und machte 
sie namentlich darauf aufmerksam, dass nicht umsonst „Gallia 
omni nobilitate spoüaretur", 

Cäsar nennt Orgetorix als den bei weitem edelsten und 
reichsten Mann unter den Helvetiern: „apud Helvetios longe no- 
bilissimus et ditissimus fuit Orgetorix*' *) und erzählt später, dass 
derselbe seine. Mutter ^an den edelsten und mächtigsten Mann 
(homini nobilissimo ac potentissimo) der Bituriger verehelicht*). 

Nehmen w^ir hierzu noch den Begriff des Tacitus über die 
Berufung des Italiens. Nachdem durch innere Kämpfe bei den 
Cheruskern alle Nobiles untergegangen, und nur einer derselben 
übHg geblieben (et uno reliquo stirpis regiae), v/iti dieser 
letzte des Stammes, nämlich Italiens, berufen, und später 
heisst es von demselben, er stehe an edler Abkunft (nobili- 
tate) über allen andern*). Endlich erinnere ich noch an 
die bekannte Nachricht des baierischen Gesetzes, wonach nur 
vier baierische Edelgeschlechter vorhanden waren, welche 
nach dem der Aigolfinger, dem herzoglichen ,', als die ersten 
• galten*). Was konnten diese vier Geschlechter anderes sein 
als die Häuptlingsfan>ilien der vier baierischen Gaue? 

Es schliesst sich hieran die Nachricht des Jornandes, dass 
das Geschlecht Alarich's , den die Westgothen zum Könige er- 
wählten, das zweite nach dem der Amaler gewesen sei: „(We- 
segothi) ordinant super se regem Alaricum, cui erat post Ama- 
los secunda nobilitas, Baltharumque ex genere origo mirifica"^)- 
Eine Rangordnung des Adels nach verschiedenen Kasten anzu- 
nehmen, ist noch Niemand eingefallen, und diese Nachricht kann 
nichts anderes heissen , als dass Alarich'ß Pamilie nächst der der 



1) Caesar, I, 2. 

2) Caesar, 1, 18. 

3) Tacitas, AdD. XI. 16. 17. 

4) Lex BajaT. Tit. I. c. XX. 

5) Joroandes, de rebas Geticis. c. 29. 



335 

Amaler die älteste sei, denn eben diese zählte den König Er- 
manrich zu den Ihrigen. Ganz in demselben Sinne sagt Einhard 
in seinen Jahrbüchern zürn Jahre 789: Dragewit habe vor den 
übrigen Fürsten der Wilzen so wqhl durch den Adel seines Ge- 
schlechtes als durch das Ansehen seines Alters weit hervor- 
geragt („ nam is ceteris Wiltzorum regulis et nobilitate ge- 
neris et auctoritate senectutis longe praeminebat "), und dar- 
auf, da,ss die übrigen slavischen Häuptlinge ( „ ceteri Scla- 
vorum primores et reguli omnes ") seinem Beispiele gefolgt 
seien *). 

Auch die Redeweise d6s alemannischen Gesetzes ist hier- 
für von Bedeutung. Dasselbe braucht nämlich furnobilis — „pri- 
musAlamannus", und auch „Francus" und „Langobardus" kommen 
in demselben Sinne in dem fränkischen und langobardischen Ge- 
setzen vor. Alle diese Völker hatten sich neue Heirhathen er- 
obert und der Stamm der Sieger war auch der herrschende 
Stamm, ebenso wie -dieses bei den römischen Patriziern, bei den 
Mongolen, den Afghanen*) u. s. w. der Fall war und zum Theil 
noch ist. Schon an den Namen ki^üpfte sich die Ehre und auch 
eben nur aus diesem Stamme gingen die Häuptlinge hervor. 

Kann da nun von einem Adel als solchem, nämUch einem 
bevorrechteten Stande, die Kede sein? Noch Niemand hat auch 
diese Vorrechte nachzuweisen vermocht ; man hat selbst zuge- 
geben, dass diese fehlten, ja man hat, anerkennend dass er in 
dem Prinzipate nicht liege, ihn *zületzt' auch noch ausser dem- 
selben gesucht, ohne jedoch sich eines glückhchen Erfolges zu 
erfreuen. 

Jene Nobilitas liegt einfach in dem Ansehen der Häuptling- 
schaft , in nichts weiter , und ich sjtimme vollkommen mit v. Sy- 
bel überein , wenn derselbe sagt : „ ein Adel , der nichts ist als 
inhaltloses und vorrechtloses Ansehen einer Familie, ist eine 
Null." 

Erst die Erlangung eines Würdenamens, wie sich Snorri 
Sturluson ausdrückt, gab dem Freien eine edelere, d, h. höhere 
Stellung. 

Der Begriff der.Nobilität ist auch anderwärts ganz derselbe, 
wie ihn die Römer auflfassten. /Je älter ein Geschlecht in der 



1) Peru, MoD. Genn. I. 175. 

2) Wil[[e, in den Abhandkogen der Berliner Akademie 18>*/ia II. S. 241. 



* 
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/ 



386 

Herrschaft, um so edeler ist dasg^elbe ; ja man nennt ein solches 
Geschlecht eben deshalb aiich wohl ein königliches; denn wie 
Athaling, so bedeutet auch das althochdeutsche Kuning den 
Sprössling eine$ Geschlechts. Deshalb finden wir auch- sogar 
da königliche Abstammung, wo keine Könige waren. Claudius 
Civilis und Julius Paulus überragten durch ihre königliche Ab- 
stammung (stirps regia) alle andern Bataver *). Ebenso war Clas- 
sicus edeler als andere (nobilitate — ante alios) aus königlichem 
Stamme, welchen Friede, wie Krieg geadelt (regium illi genus 
et pace bellöque clara origo^). 

Die, Sage verherrlichte noch das Alter der Geschlechter; 
sie führte sie hinauf zu den Göttern. Wie die norwegischen 
Könige von Odin, so sollten die angelsächsischen von Wodan 
abstammen. Man nahm wenigstens eine hochberübmte Persön- 
lichkeit zum Stammvater. Viele der spätem deutschen Fürsten- 
häuser betrachten Karl den Grossen oder den Sachsenherzog 
Widekind als ihrem Stammvater, ähnlich wie 6,ie Chane der Krimm 
sich von Dschingischan ableiteten. Auch bei den Römern war 
dasselbe der Fall. „ Meine Muhme — sprach Cäsar bei der Be- 
stattung der Schwester seines Vaters — stammt mütterlicher 
Seits von den Königen ab; durch ihren Vater ist sie mit den 
unsterblichen Göttern verwandt. Denn von Äncus Marcius kom- 
nien die Marcier, welches der Name ihrer Mutter war; von der . 
Venus die Juüer, das Geschlecht, zu dem unsere Familie gehört. *, 
So erscheint in ihrer Abstammung die Heiligkeit der Könige, die 
am meisten Macht unter den Menschen haben, und die Weihe 
der Götter, in deren Gewalt auch die Köijige sind." Der Name 
genügte zum Belege für den Stamnibaum. 

Dass die Wahl durch das Volk das Ursprüngliche , das An- 
knüpfen derselben an öin Geschlecht 4as Spätere ist, ergibt 
sich schon aus der Natur der Dinge und bedarf kaum eines Be-» 
weises. , 

War es auch nicht gerade eine Bedingung, so lag es doch 
wohl schon an und für sich nahe, die Wahl stets auf einen Ein- 
gesessenen, und zwar einen dem eigenen Volke Angehörigen zu 
lenken. Sah man anfänglich auch hur auf persönliche Tüchtig- 
keit, so wirkten doch bald sicher auch andere Verhältnisse und 



1) Tacilus, Hist. IV, 13. 

2) HMd, 55.. 



insbesondere die Vermögenszustände mit ein, so dass ausser 
der persönlichen Würdigkeit auch noch Ansehen und Reichthum 
mit in die Wagsohale fielen. War man mit dem Vater zufrieden,^ 
nun, so erwählte man nach dessen Tode auch den Sohn. Es 
ist dieses ein so ganz natürlicher und menschlicher Verlauf, 
dass ^dieselbe Erscheinung durch alle Zeiten und allenthalben 
wiederkehrt. Die Häuptlingsschaft gewährte schon an und ffir 
sich so ^iel Ein'fluss, dass es in der Regel einer Familie nicht 
schwer fallen konnte, die Würde an sich zu fesseln. Man fin-' 
det dieses sogar bei den gallischen Bischöfen *); wir sehen es 
wieder bei den Grafen des Mittelalters, und noch bis in die neuem 
Zeiten war "es nicht ungewöhnlich dieselbe Familie drei bis vier 
Qenerationen hindurch in dem Besitze derselben B^amtenstellc 
zu finden. Auch das deutsche Rei^h gibt uns davon ein Bei- 
spiel. Obwohl ein Wahlreich, knüpfte die Wahl sich doch oft 
lange Zeit hindurch an bestimmte Geschlechter, und trotz dem 
dass der deutsche Thron schon seit einem halben Jahrhundert zer- 
brochen liegt, stützt dennoch das Österreich - lotharingische Kai- 
serhaus seine Ansprüche auf Deutschlands Oberherrschaft auf 
den Umstand, dass seinen Vorfahren Jahrhunderte hindurch die 
deutsche Krone gereicht worden ist. 

Dass es kein eigentliches Geburtsrecht war, geht daraus her- 
. vor, dass nicht der Sohn nothwendig dem Vater folgte. Das Vorrecht 
lag vielmehr auf allen Gliedern der Familie. Wie bei den Monte- 
negrinern der Häuptling der Niguschi, mit Beirath der Aeltesten. 
seines Stammes ohne Rücksicht auf die Erstgeburt denjenigen 
seiner Familie zum Oberhaupt bestimmte, welchen er für den 
tüchtigsten hielt *), so zeigt sich dieses mehr und minder deut- 
lich auch anderwärts. Es war nur einfaches Gewohnheitsrecht, 
' was sich bei einzelnen Häuptlingsfamilien ausbildete, keines- 
wegs ein wirkliches, in sich selbst ruhendes und ausdrücklich 
anerkanntes Erbrecht. 

Dass dieses Gewohnheitsrecht sich schon zu Cäsar*s Zeit 
befestigt, zeigt sich aus vielen Beispielen und namentlich geben 
Tasgetius und Cingetorix Belege dafür. Nach dem Tode des Indu- 
tiomar übertragen die Trevirer die Herrschaft (Imperium) dessen 



1) Gregor. Turens. Y. 49. 

2) BobertsoD a. a. 0. 11. S. 98. 

L « n a a. Territorien. 22 



888 

Verwandten (ad ejus propinquos) *). Obgleich Marabod vertrie- 
ben ward, so bleiben seine Nachkommen doch in der Herr- 
schaft und auch Italicus wird eben nur auf den Grund dieses 
Rechtes von den Cheruskern berufen. 

Allerdings wurde dieses Recht je älter um so f^pster, so 
dass man selbst noch im Knabenälter stehende Königssohne auf 
den Thron erhob. Chlodewig, obwohl bei seines Vaters Dago- 
bert Tode noch im zarten Alter stehend, wurde dennoch zu 
dessen Nachfolger berufen. In derselben Zeit wird nach des 
Kaisers Konstantin Tode nach dem Rathe des Senats des- 
sen Sohn, noch ein Kind, auf den griechischen Thron erho- 
ben; ebenso wird der achtjährige Roolf Kraka zum Könige der 
Dänen erwählt; und dasselbe sehen wir bei den Westgothen, 
welche auf den Wunsch des sterbenden Königs Sintiila dessen 
noch im frühesten Jugendalter stehenden Sohn zum Könige er- 
heben. Aehnlicbes zeigt auch die norwegische Geschichte; denn 
Haralld, der schon im zehnten Lebensjahre, starb, war König in 
Soga^). 

Doch neben diesen Beispielen zeigen sich auch Fälle, 
in welchen man von dem Geschlechte abwich. Des Aeduers 
Piso Grossvater hatte die Herrschaft bei seinem Volke gehabt, 
aber erst der Enkel erhielt sie durch Cäsar wieder und eben 
dieser Abstammung wegen war Piso von edeler Geburt^). Nicht 
minder bezeichnend sind die gegenseitigen Erklärungen, welche 
Tacitus*) die Gegner und Anhänger des Italicus sich geben lässt. 
Ob denn so gar Niemand, im heimischen Lande, geboren, vor- 
handen wäre , welcher die erste Stelle ausfüllen könne , fragen 
jene, und diese erwidern, er habe sich ja nicht gegen, ihren 
Willen eingedrängt und da er an edler Abstammung die andern 
überrage , sollten sie erst seine Tapferkeit erproben und sehen, 
ob er sich seines Vaters und seines Grossvaters würdig zeige. 
Also .nicht seine Abstammung war es, welche ihm aliein das 
Recht zur Herrschaft gab, sondern die Wahl; die W'ahl aber 
wurde wegen seiner Abstammung auf ihn gelenkt, doch auch 
nur wieder unter der Voraussetzung seiner Würdigkeit. . 

» ■ I I ■ ' I I !■ . I I ■ II I , 

1) Caesar, 4e bell. Gall. VI. 2. . . . 

2) Saga Hairdan des Schwarzen, l^ap. 3. 

3) „Piso, Aquitanus', amplissimo genere natas, cujus avus in civitale sua regnom 
obtinuerat. *^ Caesar. IV, 12. ' 

4) Ann. XI, 16. 



330 

Ob das , was Am. Marcellinus ^ vom alemannischen Könige 
Chnodomar sagt: ,,antea strenuus et miles^S so verstanden werden 
darf, als ob derselbe vorher ein rüstiger Krieger von gewöhlicher 
Abkunft gewesen, lasse ich dahin gestellt sein. Dagegen > er- 
zählt uns ^. Diaconus in seiner Geschichte der Langobarden ^), 
wie nach des Königs Authari Tode die- Langobarden der Köni- 
gin Teudelinda erlaubt, die königliche Würde beizubehalten und 
sich aus sämmtlichen Langobarden (ex omnibus Langobardis) 
einen Gatten zu erwählen, welchen sie wollte, doch eiüen sol- 
chen, welcher die Herrschaft (regnum) kräftig zu führen ver- 
möge. Es war ihr >also unter allen Langobarden die Wahl frei- 
gestellt, und von einer Beschränkung auf eine bestimmte Klasse 
nicht die Rede. Sie wählte sich Agilulf den Herzog von Trient 
und im nächsten Mai wurde derselbe in einer allgemeinen Ver- 
sammlung der Langobarden in das Königthum (regnum) einge- 
setzt. Dessen Sohn stiessen dagegen die Langobarden vom 
Throne und erwählten Ariold zum Könige ^). Auch Desiderius 
hatte keinerlei Erbansprüche auf die Königswürde — wenn wir 
der Legende von der h. Julia folgen dürfen — und dennoch 
wurde er zum Könige gewählt. Ja, Lamissio, was freilich 
schon in die Sagenzeit gehört, wurde, ungeachtet er der Sohn 
einer teilen Dirne, also nicht einmal freier Abkunft war, zum 
Könige der Langobarden erhoben *;. 

Nicht minder scheint Odoaker, den die deutschen Völker in 
Italien zu ihrem Könige erwählten, ein gewöhnlicher Krieger gewe- 
sen zu sein. Auf dem Zuge dorthin tritt er in die Hütte des heil. 
Severin in zerrissene Kleider gehüllt („inter quos et Odovacher, 
qui postea regnavit Italiae, vilissimo tunc habitu, juvenis statura 
procerus") und ihm, der kaum seine Blosse zu bedecken ver- 
mochte, verkündigt der heilige Mann beim Abschiede : „ Va^e ad 
Italiam, vade, vihssimis nunc pellibus coopenus, sedmultis cito 
plurima largiturus" *). Ein Häuptling, oder ein jeder einem Häupt- 
lingsgeschlechte Angehörige, wäre sicher ^icht in einem solchen 
Aufzuge erschienen. 



1) XVI. 12. 

2) Paal Diac. III. 36. 

3) Ibid. IV. 42. 

4) Ibid. I. 15 u. 17. 

5) Muchar, das römische Norikum IL S. 179. 

22 



340 



Aehnlich war es mit Witiges, welchen die Ostgothen zum 

' Könige erwählten, denn Procop *) sagt ausdrücklich von ihm : „ho- 

minem non clara ex domo, sed conspicuum fortibus ad Sirmium 

factis." 

Am wenigsten von allen germanischen Völkern scheinen 
die Westgothen bei der Wahl ihrer Könige sich an bestimmte 
Geschlechter gehalten zu haben, denn hier sehen wir einen so 
häufigen Wechsel, dass die Wahl wirklich als völlig frei erscheint. 

Wie wenig gerade eine edle Geburt immer erforderlich war, 
ergibt sich auch noch aus der nicht selten vorkommenden That- 
sache, dass man sogar Fremdlinge erwählte. Droktulf war ein 
Schw:abe, aber frühe ^fangen unter den Langobarden aufge- 
wachsen. Trotz dem wählten ihn die Langobarden blos wegen 
seiner edlen Gestalt (quia erat forma idoneus) zum Herzog *). 
Die Franken erwählen Aegidius , einen Römer , zum Könige *), 
gleichwie die Ostgothen den Römer Belisar *). 

Eben weil nur die Wahl es war, welche den Thron verlieh, 
sehen wir nicht selteux die Könige schon bei ihren Lebzeiten für 
die Erwählung ihrer Söhne Sorge tragen. Karl der Grosse er- 
klärte gegen Ende seines Lebens seinen Sohn Ludwig in feier- 
licher Versammlung der Grossen aus dem ganzen Fraivkenreiche 
und mit deren Zustimmung zu seinem Mitregenten und zum^ 
Erben seines Namens, setzte ihm das Diadem auf und befahl 
ihn Kaiser und Augustus zu nennen *). Und ähnlich sehen wir 
auch in der spätem deutschen Geschichte noch oft bei Lejbzeiten 
des Kaisers dessen Sohn zum deutschen Könige erwählen. 

Doch noch ein Grund lässt sich gegen die Anüahme eines 
wirklichen Standes von ausschliesslich Bevorrechteten geltend 
machen. Tacitus sagt: „Reges ex nobilitate, Düces ex virtute 
sumunt." Wäre in der That ein Stand, wie ich ihn eben be- 
zeichnet, vorhanden gewesen, wie würde es denkbar sein, dass 
gerade eine der wichtigsten Stellungen, der alle Andern sich 
unterzuordnen hatten, einen gewöhnlichen Freien hätte überge- 
ben werden können, denn an dazu tüchtigen, Personen hätte es 
in einem solchen Stande nicht* fehlen können und schon der 



\ 



1) Procop., Bell. Goth. I. c. 11. 

2) Paul. Diacooas III. c. 18. 
8) Gregor, de Tours. II, 12. 

4) Procopias, Bell. Goth. II, 29. 

5) Einhardj Vita Garol. 80. 



941 

Einfluss, den derselbe haben musste, hätte es ihm leicht machen 
müssen , eine solche Würde für immer an sich zu fesseln. Nun 
nehme man aber den Sinn jener Worte dahin: Bei der Wahl 
der Könige sehen sie auf das Alter des Geschlechts, bei der der 
Herzöge aber nur auf die Tapferkeit, und man wy-d anerken- 
nen müssen, 'dass nur eine solche Auffassung einen wahrhaft 
ungezwungenen und der Natur der Dinge entsprechenden Sinn 
gewährt. 

Wenn wir sehen, wie Arminius durch Seine Verwandten 
fällt, wie die norwegischen und schwedischen Gaukönige^ von 
gemeinsamen Stammvätern abgeleitet werden und bei den Ale- 
mannen sogar zu gleicher Zeit in zwei verschiedenen Gauen 
Brüder als Gaukönige die Herrschaft haben, dann erscheint es 
fast wahrscheinlich, dass die verschiedenen Gaufürsten ein und 
desselben Volkes aus ein und derselben Familie hervorgegan- 
gen seien. 

Indem die Wahl sich an bestimmte Geschlechter knüpfte, 
musste sich natürlich auch den sämmtlichen Gliedern ein beson- 
deres Ansehen mittheilen. Schon der Einfluss, den die Stellung 
des Oberhauptes gewährte, wirkte darauf ein, und ausserdem 
konnte ja auch jedes einzelne Mitglied in jene höhere Stellung 
erhoben werden. „Insignis nobilitas aut m$igna patrum merita, 
principis dignationem etiam adolescentulis adsignant*', sagt Taci- 
tus *). Mögen diese Worte auch ausgelegt werden, wie sie wol- 
len, das geht wenigstens daraus hervor, dass sowohl das An- 
sehen der Familie, als die Stellung des Vaters auch dem noch 
verdienstlosen Knaben schon ein höheres Ansehen in der Ge- 
meinde verliehen. Während die baierischen Gauhäuptlinge ein 
doppeltes Wehrgeld haben, besitzen die Glieder der herzog- 
lichen Familie ein vierfaches, der Herzog selbst aber ein sechs- 
faches ^). 

Solche mit keiner Würde bekleideten Mitglieder der könig- 
lichen Geschlechter nennt Ammianus Marcellinus „Regales." Der- 
selbe nennt auch Vitrodor, den Sohn deö Königs Viduar, eben- 
wohl Regalis *). Er steUt diese Regales , wenn er von. ihnen 
spricht, zwischen die Reges und die Reguü*) oder lässt sie w«- 



1) Germ. 13. 

2) Lex Bajuv II. c. 20. 

8) Amm. Marcellioas XVII. 12, s. aacb XVIII. 2. 

4) Ibid. XVill,- 2. 



342 

nigstens den Reguli und Optimati vorausgehen *). Diese Rega- 
les sind in der Heimskringla die zur königlichen Familie gehöri- 
gen ißlieder ohne Würdenatnen. 

Dass nur das Amt, der Würdenamen, nicht aber die Gre- 
burt den Grad der Ehre bestimmte, sieht man auch daraus, dass 
hordische Könige zum Jarlthume herabsteigen. Nördlich in 
Naumdal waren zwei Brüder Könige, welche innerhalb dreier 
Sommer einen Hügel von Steinen, Lehm und Holz gebaut hat- 
ten. Als sie erfuhren , dass König Haralld gegen sie heranziehe, 
liess der eine, König HorlAug, viele Speise und Trank zum Hü- 
gel fahren , ging dann mit zwölf Mannen hinein und liess den 
Hügel zuwerfen. Der andere aber, König HroUaug, stieg auf den- 
jenigen Hügel, auf dem di^ Könige gewöhnlich sassen, liess dort 
den Königshochsitz bereiten und setzte sich hinein. Darauf liess 
er auf dem Fussschemel, auf welchem die Jarle zu sitzen ge- 
wohnt waren, Decken breiten und rollte sich aus dem Hochsitze 
auf den Jarlssitz und gab sich selbst Jarlsnamen. Nachdem das 
geschehen, ging er - dem Ktinig Haralld entgegen, gab diesem 
sein ganzes Reich, bat ihn als seinen Mann zu nehmen und er- 
zählte ihm sein Verfahren. Haralld nahm nun ein Schwert und 
hing es ihm um, hing ein Schild an seinen Hals, führte ihn 
als Jarl in den Hochsitz und gab ihm Naumdala-Fylki*). Dass 
hiermit eine Minderung der Ehre erfolgte, ersieht man auch 
aus der Rede Saelwikloffi's '). Aehnliöh wurden Jarle Bonden, 
nämlich einfache Freie. Rögnwalld, der Jarl von Märi, schickte 
seinen Sohn Hailad, nachdem derselbe Jarlsnamen angenommen, 
nach den Orknei- Inseln gegen die Wikinger; als aber die Fahrt 
missglückte, entsagte dieser dem Jarlthume und nahm Haullds- 
Recht , d. h. das eines Grundeigenthümers , er wurde Bonde , so 
dass der Vater klagte , seine Söhne würden ihren Voreltern un- 
gleich werden. Glücklicher war dagegen ein anderer Sohn Einar, 
den der Vater geringer anschlägt, weil sein ganzes Mutterge- 
schlecht sklavgeboren war. Einar besiegte die Wikinger und 
machte sich zum Jarl der orkneischen Eilande *). 

Wie das Königthum sich an Geschlechter knüpfte, so war 
dieses auch mit den Unterhäuptlingen, den Centenarien und Deka- 



1) Amm. Marcellio. XVII. 12. 

2) Saga Haralld des Haarscbönen. Kap. 8. 

3) Das. Kap. 2. 

4) Das, Kap, 27. 



313 



nen, der Fall, wenn auch wohl nicht in eben so stetiger Weise. 
Nur lassen sich hierfür weniger Beweise finden. Die oben mit- 
getheilten Stellen aus A. Maröellinus zeigen , dass sie mit zu den 
Optimalen des Volks gezählt wurden. Als König Olaf dem Her- 
sir Erling Skialyson Jarlthum anbot , erwiderte dieser : „ Hersar 
sind meine Vorfahren gewesen und auch ich will keinen höhern 
Namen haben als sie " *). Ein Aufsteigen zu höhern Würden 
lag auch schon in der Entwickelung der Gaugebiete, und unter 
den fränkis6hen Königen wird es ausdrücklich bezeugt, dass 
man aus den untern Stellen bis zu den höchsten aufsteigen 
konnte *). ^ . . - 

Allerdings gewährt die Zeit des Königthums keinen An- 
haltpunkt mehr für die Scheidung von Freien und Unfreien. Wie 
es schon in der Natur einer jeden Gewalt liegt, ihre Herrschaft 
auszudehnen, so war dieses auch mit dem Königthume der 
Fall, und so schuf auch das Königthum eine neue Ehre: den 
Königsdienst. Man betrachtete bald den Königsdienst als die 
höchste Ehre, und diese Ehre hing lediglich von der Königs- 
gunst ab. Schon Tacitus berichtet uns : die Freigelassenen ste- 
hen nicht viel über den Sklaven, selten haben sie einige Gel- 
tung im Hause, nie in der Gemeinde. Nur bei den imter Kö- 
nigen stehenden Stämmen ist es anders, denn dort überflü- 
geln sie sowohl die Freien als die Edeln ^) , und Gregor von 
Tours*'*) erzählt uns ein Beispiel, wie unter den Merovingern 
ein Unfreier sich vom Küchenjungen nach und nach bis zum 
Grafen aufschwang. So ging unter der Königsherrschaft die 
alte Freiheit und mit dieser das ursprüngliche Ealdordom un- 
ter; die Stände wurden unter einander geschoben und das neu 
sich bildende Ealdordom erhob sich auf wesentlich andern Grund- 
lagen. 



1) Saga vom König Olar Trygwason. Kap. 64. 

2) Löbeil , Gregor von Tours und seine Zeit S. 186 ff. 

3) Germ. c. 25. 

4) Bist. Francor. 



Sechster Abschnitt 

Die Auflösung der Gauverbände. 



Zwei , wenn auch an sich verschiedene , in ihrem innern Wesen 
und noch mehr in ihren Folgen aber nahe verwandte Dinge 
waren es , welche die alten Volksverbände nach und nach locker- 
ten und lösten , nämlich die Immunitäten und das Erblichwerden 
der Aemter. 

Durch die Ertheilung der Immunität wurden einzelne Ge- 
biete der Gewalt der ordentlichen Richter entzogen und an deren 
Stelle traten Privatrichter, welche nicht mehr im königlichen 
Namen, sondern im Namen ihrer Herren das Recht übten. 

Die Immunität erhielt wohl zuerst die königliche Residenz. 
Es lässt sich wenigstens nicht denken, dass einem gewöhnüchen 
Richter über den Königshof eine Amtsgewalt gelassen worden 
sei. Das Verhältniss des Gaugrafen als königUchen Beamten 
zum Könige nöthigt unabweislich zu einer solchen Annahme. 
An die Stelle des Grafen wurde demnach ein anderer Beamter 
erforderlich und dieses war der Pfalzgraf. Wie jener, der Gau- 
graf, den König im Gaue, so vertrat dieser, der Pfalzgraf, den- 
selben in der Königspfalz und zwar anfänglich sicher ganz in 
der gleichen Weise, nämlich als königlicher Richter, wie der 
Graf auf der Malstätte des Gaues. Sein Komitat (die Schöpfen) 
aber wurden durch die Grossen des Hofes (die Palatine) gebildet. 
Wir finden diese Pfalzgrafen schon unter denMerovingern, wenn 
auch unter andern Namen. Der, gewöhnlichste Titel ist „Major 
domus", in der Regel durch Hausmeier übersetzt*)* Der an- 
fänglich sicher nur lokale Charakter erweiterte sich später mehr 



1) Die Yerschiedeoen Bezeichnungen s. bei Pertz, die Merowiogiscbeb Haosmeier 
S. 12 ff. u. 148. 



M5 

und melir und gewann eine allgemeine Bedeutung. Der Pfalz- 
graf wird der höchste öchterlighe Stellvertreter des Königs und 
damit sein Gerichtshof (das Hofgericht) die höchste Appellations- 
Instanz *). Wie mächtig diese Pfalzgrafen wurden, zeigt beson- 
ders die Geschichte der merovingischen , Avelche zuletzt die 
ganze königliche Macht in sich vereinigten und endlich sogar 
das alte Königsgeschlecht gänzlich verdrängten. 

Gab es bei den fränkischen Königen anfänglich auch nur 
einen Pfalzgrafen, so mehrte sich doch deren Zahl, und wenn 
der Sachsenpiegel für jeden der vier deutschen Völksstämme 
eine Pfalz aufführt, dann darf toan wohl daraus schliessen, dass 
für jedes Königthum auch eine Haupt -Königs -Residenz oder 
doch wenigstens ein Pfalzgraf vorhanden gewesen sei. 

Dass ausser den Hauptpfalzen in späterer Zeit auch noch 
andere Königshöfe auf gleiche Weise eximirt worden sind, ist 
' wohl nicht zu bezweifeln ; es weist wenigstens das Vorhanden- 
sein ähnlicher Reichsbeamten darauf hin , welche man auf die- 
sen Gütern findet. 

Ob in ähnlicher Weise aber auch Besitzungen weltlicher 
Grossen der Crrafengewalt entzogen worden, ist darum zweifel- 
haft, weil alle Nachweise darüber mangeln ^). 

Jedenfalls hatten diese Exemptionen auf das Ganze noch 
keinen wesentlich störenden Einüuss ; weit tiefer griffen dagegen 
schon diejenigen Immunitäts-Privilegien in die alten Verhältnisse 
ein, welche den grössern geistlichen Stiftern gegeben wurden. 
Beschränkten sich diese Befreiungen auch anfänglich — wie es 
scheint — ; nur auf die Bischofssitze , meist feste Orte , in denen 
in Folge der Exemption an die Stelle des Gaugrafen dann ein 
Burggraf (urbis praefectus) trat, so ging man doch bald weiter 
und es . wurde meist das gesammte weltliche Gebiet des Stiftes 
der Gewalt der Grafen entzogen. Diese eximirten Gebiete wur- 
den dadurch gewissermassen selbstständige Grafschaften, und 
die Stelle des königlichen Grafen nahm nun ein vom Bischöfe 
bestellter Beamter, der „Advocatusecclesiae" (Kirchenvogt), ein. 
Ja, diese Privelegien wurden zuweilen sogar auch über solche 
Gebiete noch ausgedehnt, in denen- das betreffende Stift nur 



1) Vergl Pfaff, Gesch. de& Pralzgrafenamtes. 

2) Eichhorn, deutsche Staats- u. Becbtsgeschichte. 4te Aufl. I. S. 739. Bei der 
Beurtheiliing diesep Frage ist es wesentlich, dass man das öffentliche Gericht vom Hof- 
gerichte unterscheidet , was nicht immer geschieht. 



34« 



einen geringen Besitz, oft nur wenige Hufen besass, so dass 
also auch alle ausserdem noch darin sesshaften freien Grundei- 
genthümer mit unter den bischöflichen Gerichtsb'ann gestellt 
wurden *). 

Diese Befreiung der geistlichen Güter von der Grafenge- 
walt gestaltete sich im Verlaufe der Zeit zu einer feststehenden 
Regel, so dass die Befreiung gleich mit der Uebergabe des Gu- 
tes verbunden wurde, und auch das' schien endlich nicht mehr 
zu genügen, .und man begann nun auch ganze Grafschaften, 
also Gaue mit der vollen Grafengewalt oder allen Rechten des 
Königs, an 'die Bischöfe zu übergeben, was am häufigsten unter 
dem sächsischen Kaiserhause der Fall war. 

So sehr aber auch durch diese Entäusserüngen der Ge- 
richtsbarkeit schon der Bestand der alten Verfassung erschüttert 
wurde, so wirkte doch das datieberi und Hand in Hand damit 
fortschreitende Erblichwerden der Grafenwürde in einer noch 
weit verderblicheren Weise. 

Diese Vererblichung der Grafenämter erfolgte wieder ganz 
auf demselben Wege , auf. dem sich auch das Familien-Erbrecht 
der alten Gauhäuptlinge ausgebildet hatte. 

Wir haben oben gesehen, dass eins der hauptsächlichsten 
Erkennungszeichen des Königthums eben in der freien Einse- 
tzung der . Grafen bestand. Dessen ungeachtet bemerkt man 
schon unter den Merovingem hin und wieder solche Aemter 
sich an einzelne Familien anknüpfen. Und dass auch das Stre- 
ben der Grossen dahin gerichtet war, das, was sie rechtlich 
nur vorübergehend besassen, sich auch für die Dauer zu sichern, 
ist so natürlich, dass dieselbe Erscheinung unter gleichen Ver- 
hältnissen sich immer und allenthalben wiederholen wird. 

Was dieses Streben wesentlich erleichterte, war der Ge- 
brauch , meist die Angesehnsten und ^Begütertsten im Gaue mit 
dessen Verwaltung zu betrauen; 'ja König Chlotar sprach sogar 
in einem Gesetze von 613 als Grundsatz aus, dass stets nur 
Eingesessene als Grafen (judices) bestellt werden sollten, damit 
dieselben mit ihrem Vermögen für den Schaden haften könnten, 
welcher etwa von ihnen geschehe ^). 



1) S. z. B. das Privileg für Worips vom J. 858 bei Schanoat, Bist. Wonnat. 
II. p. 8. 

2) „Ut Dallas judex de aliis provinciis aut regionibos in alia löco ordioetur ; jQt 



347 

Man war so auf dem besten Wege die Katastrophe der 
Auflösung schon früher herbeizuführen und nur der Wechsel 
der Herrschaft verschob noch deren Eintritt. Die kräftige Hand 
der Ersten Karolinger richtete die gelockerten Fugen des Gebäu-' 
des wieder zusammen. Vorzüglich aber war es Karl der Grosse, 
welcher Sorge dafür trug der Gewalt der Grossen Schranken 
zu ziehen. Seine Missi, welche jährlich ausgesendet wurden, 
dienten insbesondere dazu die herzogliche Macht zu beschrän- 
ken, oder wohl auch vollständig zu ersetzen, während er 
durch den Grundsatz, allenfalls nur den Markgrafen mehrere 
Gaue unterzuordnen, im Innern dagegen jedem Grafen nur ei- 
nen Gau zu geben, auch die Macht der Grafen in bescheide- 
nen Schranken erhielt*). 

Für die Erhaltung des grossen Frankenreiches hätte Karl 
Nachfolger bedurft, welche mit gleicher Kraft das Ganze zusam- 
men zu halten im Stande gewesen wären. Es war dieses für 
den Fortbestand des Reiches um so nothwendiger , als dasselbe 
aus den verschiedensten Bestandtheilen'mit dem Schwerte zu- 
sammengefügt, nur in der Person des Königs seinen Einigungs- 
punkt hatte. Sollte auch dieser Einigungspunkt durch das einge- 
setzte Oberkönigthum erhalten werden, so gelangte dieses doch zu 
keiner vollen Wirklichkeit und blieb nur ein lockeres Band, bei wei- 
tem nicht ausreichend, um die durch die Theilungen des Reiches 
geschaffenen Königreiche zusammen zu halten. Ohnehin fehlte 
schon Karl's Sohne, dem frommen Ludwig, die Kraft. Krieg zwi- 
schen dem Vater und den Söhnen, wie zwischen den Brüdern 
steigerten die Schwäche und mit der sinkenden Königsmacht 
wuchs in demselben Grade die Macht der kaum von Karl ge- 
bändigten Grossen. Viele auf die Erhaltung und Befestigung 
des Ganzen von Karl gegründete Einrichtungen wurden* ver- 
gessen, verfielen, oder wurden auch wohl abgeschafft, und bald 
ging man auf demselben Wege zurück , auf xiem die ersten Ka- 
rolinger vorgeschritten waren. 

Unter diesen zerrütteten Zuständen wurde es den Grossen 
leicht ihr Ansehen und ihre Macht zu befestigen. 



si aliqoid de qaibaslibet conditionibus perpetraverit , de suis propriis rebus exinde 
qnod male abstnlerit ioxta legis ordioem debeat restitnere". 

1) „ Providentissimus Carolas nullt Gomitum , nisi bis, qni in conßoio vel ter- 
mino barbarorum constUuti erant, plus quam unum Gomitatum aliquando concessit**« 
Monachus, H. Call. L. I.e. 13. 



S48 



Schon aus dem Kapitular von 877*) ersieht man, dass es 
hereits Regel geworden war dem Sohne das Benefizium des Vaters 
zu lassen. Auf dem Zuge- nach Italien traf nämlich Karl der 
Kahle Bestimmungen , wie es. während' seiner Abwesenheit und 
für den Fall seines Todes gehalten werden sollte und zwar mit 
Zustimmung seiner Grossen. Es wurde dadurch Karl's Sohn 
Ludwig zum Reichsverweser erhannt und unter andern bestimmt, 
dass, wenn ein Graf sterbe, dessen Sohn mit in Italien sei, Lud- 
wig mit Rath der Grossen für die Verwaltung der Grafschaft 
Vorsorge treffen solle, bis der Sohn zurückkehre. Wenn noch 
ein jüngerer zur Verwaltung der Grafschaft schon tüchtiger Bru- 
der in der Heimath geblieben, solle diesem vorzugsweise die- 
selbe |ur den abwesenden Bruder anvertraut werden. Nidht we- 
niger gab Karl die Bestimmung, dass, wenn nach seinem Tode 
einer seiner Getreuen sich in den geistlichen Stand zurückzuzie- 
hen begehre (seculo renunciare voluerit) und einen Sohn oder 
andern Verwandten habe, der zum Grafenamt geeignet sei, ihm 
gestattet ^ein solle, diesem sein Amt (suos honores) zu über- 
geben. 

Allerdings - ist darin noch keineswegs ein Erbrecht aner- 
kannt, es ist vielmehr nur eine Vergünstigung und erst durch 
die wirkliche Einsetzung geht das Amt auf den Sohn über; aber 
es wird doch offenbar der üebergang des Amtes von dem Va- 
ter auf den Sohn als eine bereits bestehende Gewohnheit aner- 
kannt und diese immer allgemeiner werdende Gewohnheit musste 
natürlich je länger je mehr auf die Staatsverfassung einen auf- 
lösenden Einfluss üben, und insbesondere darauf wirken, dass 
das Recht des Königs, ein verliehenes Amt sowohl nach dem 
Tode des Inhabers als nach dem des Verleihers, also beim 
ThronfaUe, wieder einzuziehen, immer mehr ausser Anwen- 
dung kam. 

Wir sehen dieses gleich nach Karl des Kahlen Tode {877). 
Als Ludwig der Stammler von dem ThronfaÜsrechte Gebrauch 
machte und Aemter verlieh, deren seitherige Inhaber noch leb- 
ten, fand er so entschiedenen Widerstand, dass er sich gezwun- 
gen sah, die Verletzten zu entschädigen^). 



1) Perlz, Leg. I.'p. 537. • ' 

2) S. die jedeofolis ricblige Erklirang der in den beriiaiscfaen Annafen TorkoiD' 
menden Stelle bei Roth, das Beoefiziaiwesen S. 420. 



34» 

Zu derselben Zeit finden wir denn auch schon Benefizien, 
Welche bereits durch drei bis vier Generationen hin in dersel- 
ben Familie sich erhalten hatten („quae illi et patres illorum et 
avi et atavi illorum — **) , und als Karl der Dicke den Versuch 
n^achte, dieselben einzuziehen, es ihm damit nicht besser er- 
^ng, als Ludwig, denn die betroffenen Familien erhoben sich zu 
oflFener Empörung und zwangen den König zum Nachgeben *). 

Dessen ungeachtet befestigte sich die Erblichkeit der Aem- 
ter nur sehr allmälig. Mochten dieselben auch regelmässig von 
dem Vater auf den Sohn übergehen, so blieben sie doch noch 
immer geschlossene Ganze und nicht nur die königliche Verlei- 
hung war ein nothwendiges Erforderniss , sondern diese Verlei- 
hung konnte auch nur ein Glied der Familie erhalten. Wohl 
aber musste sich mit diesem Befestigen des Besitzes in dersel- 
ben Familie auch der Begriff eines Familienguts immer mehr 
ausbilden und sobald das geschehen war, auch die Theilbarkeit 
des Erbes angebahnt. Noch 949 hebt Regino in seinen fränki- 
schen Annalen ausdrücklich und zwar unverkenntlich als etwas 
nicht Gewöhnliches hervor, dass Graf Uto vor seinem Tode seine 
Benefizien und Aemter, mit Gestattung des Königs, gleich als 
seien dieselben Erbgut, unter seine Söhne vertheilt habe *) , ja 
es wird sogar noch von Otto dem Grossen als eine ungewöhn- 
liehe und ganz freiwillige Begünstigung betrachtet, dass er ei-, 
nem Sohne .die erledigten Grafschaften des Vaters übertrug ^). 

Wie sehr sich aber dessenungeachtet doch auch die Idee 
der Erblichkeit schon befestigt hatte, zjeigt Tankmar, der ein- 
fach nach der Markgrafschaft des Grafen Sifried greift (937), 
eben nur weil er mit demselben verwandt war*;. Markgraf Gero 
hatte, obwohl noch Knabe, schon 978 eine Grafschaft^) und eben- 
so sehen wir einfach nicht etwa einen Sohn des Grafen Eck- 



1) Roth a. a. 0. S. 421. 

2) „Uto comes obiit, qui permissn regis quicquid beneficii aat prefecluraram 
habiiit, qnasi beredilatem inier fiiios divisil)\ Begino, ad anniim 949. ap. Pertz, Mon. 
H. Germ. 1. 620. 

8) „Rex — episcopo — magnam consolalionis revelalionem faciens de Dielpaldo fra- 
tre eias, qui iu bello occisus est, -^ Richwinum, Giium Oietpaidi, comitatibus patris 
honoravit'*. Gerardus ia vila S. Ydalrici c. 12. ap. Perlz 1. c. IV, p. 402. 

4)^Widakind 1[. 9. 

5) „In comitatu pueri Geronis io pago Sirmnnti". Beckmann, Anhalt. Hislor. 
I. S. 429. 



850 

brecht, sondern dessen Söhne in dessen Grafschaft folgen*). 
Viele Grafenfamilien waren schon damals nicht nur seit langen 
Zeiten im unuiiterbrophenen Besit2je von Grafschaften, sondern 
bestimmten auch darüber wie über ihr Erbgut. In Flandern, der 
Grafschaft Balduin's, war es seit vielen Jahrhunderten herge- 
bracht und galt für ein beständiges Gesetz , dass* einer der Söh- 
ne , welcher dem Vater der wohlgefälligste war, den Namen des 
Vaters annahm und das Fürstenthum über ganz Flandern als ei- 
niger Erbe erhielt^). 

Aehrilich war das Verhältniss bei den Grafen im Chiemgau. 
„Si autem — sagt Graf Orendil — aliquis de filiis meis, dig- 

' » * 

nus fuerit, ut ad ministerium comitis perveniat, — volo ut ean- 
dem rem in beneficium accipiat ". Aber auch auf weibliche 
Erben gingen schon Grafschäften über, und nicht nur das, man 
setzte Grafschaften sogar auch als Witthum ein.- Des obenge- 
nannten Grafen Balduin Gemahlin hatte demselben eine Graf- 
schaft zugebracht, welche ihr erster Gatte ihr zum Witthum be- 
stimmt hatte ^). Der Sohn gab dieselbe' der Kirche zu Lüt- 
tich, darauf belehnte der Bischof von Lüttich den Herzog Gott- 
fried damit und dieser gab sie wieder Jenem Sohne Balduins zu 
Lehen*). 

Mit dem Ende des elften Jahrhunderts sind beinahe alle 
Beneflzien und damit auch die Grafschaften erblich geworden, 
so dass wir Grafschaften sogar in Frauenhänden finden^). 

Sobald das ursprünglich nur zeitweiUge Amt .sich in ein 
Erbgut verwandelt hatte, also eine Herrschaft *) geworden war, 
musste es selbstverständlich auch allen den Wechseln verfallen, 



1) 1011: „In pago Hastfala siue Ambargam in comitatu ßliorum Ekbrabli comi- 
tis '^ LuQlzel, die allere Diözese Hildesheim- S. 348. 

2) „In comitatu Baldpini eiusque fapiilia id multis jam secuüs servabatar quasi 
sancilom lege jferpetua , ut iinus filiorum, qui patri polissimum placuisset , nomen pa- 
tris acciperet, et totius Flandriae principatum solus haereditaria successione obtinerel". 
Lamb. de Ascbaffenbg. ad an. 1071. ap. Pertz I. c. V, 180. 

3) „Filius Balduini — comitatum Reginberi quondam comitis, cum-castello, — 
quae scilicet praedia, mater eius a priore marito suo dotis nomine acceperat, sancto 
Lamperto tradidit. 

4) Ibid. p. 182. 

5) 1112 : „in comitatu Gertrudis comitissae**. Harenberg, Bist. Quedlinbg. P' 179' 

6) Schon 1066 lindet sieb wirklich diese Bezeichnung, in dem bessiscben Sacb- 
sebgau „Enghere herescbepe " genannt wird. Wigand, Westph. Archiv VII. S. 42. 



S51 

I V 

welchen Erbgüter unterworfen sind. Die Zerreissung des seit- 
her einheitlichen Gebiets war die nächste nothwendige Folge. 
Diese Zerreissung erfolgte indessen nicht allenthalben auf die 
gleiche Weise ; waren auch «die Wirkungen allenthalben diesel- 
beü, so wraren die Ursachen doch um so marinichfaltiger. 

Die Grafschaften erhielten sich nicht einmal immer als vom 
Kaiser abhängiges Lehn. Ausser den eximirten geistlichen Ge- 
bieten und den an die Stifter geschenkten Grafschaften, wur- 
den deren von den Kaisem auch an Weltliche verpfändet und 
jgingen, 'da die fortdauernden Verlegenheiten der Kaiser eine 
Wiedereinlösung verhinderten, als allodiales Gut auf die Erben 
oder auch wohl in den freien Verkehr über. Auch durch Un- 
terlassung des neuen Empfangs und Vernachlässigung von Sei- 
ten des kaiserlichen Lehnhofs mag manche Grafschaft ihre be- 
nefiziale Natur verloren haben. 

Was zunächst, nachdem die Grafschäften erblich gewor- 
den, zu eitler Zertrennung derselben führte, waren sicher die 
Theilungen als Erbgut zwischen Brüdern oder Verwandten. 
Schon oben ist davon ein Beispiel angeführt worden. Derar- 
tige Theilungen fanden nach den Centen statt, aus welchen 
der Gau bestand, und' zwar in der Weise, dass auf jede ein- 
zelne Cent die volle Grafengewalt überging. Alle Grafschaf- 
ten in der Provinz Ripuarien sind eigentlich nur alte Centen 
und wahrscheinüch eben nur durch solche Theilungen selbst- 
ständige Grafschaften geworden. Ebenso sind auch die thürin- 
gischen Gaugrafschaften meist nur alte Centgrafschaften, und 
derselben Thatsache begegnet man noch in vielen andern Ge- 
genden. 

Aber nicht blos durch Erbtheilung, sondern auch durch 
Verkauf, Versatz, Mitgift an Töchter und Weggabe zu Lehen 
gingen sowohl ganze Grafschaften als auch Theile derselben in 
andere Hände über. Was übrigens hierbei insbesondere zum 
Auseinandertrennen führte, war der Umstand, dass sich die Ver- 
hältnisse zwischen den Gaugrafen und deren Centenarien ganz 
in derselben Weise entwickelten, wie dieses zwischen den Kö- 
nigen und den Gaugrafen der Fall gewesen war. 

Dass in den meisten Gegenden Frankreichs die Centenare 
auschliesslich Vikare genannt wurden, ist schon angeführt wor- 
den. Sie handelten demnach an des Grafen Stelle und übten, 
wie dieses die Allgemeinheit der sogar auf das' Gebiet über- 



gegangenen Bezeichnung beweist, die volle Grafengewalt und 
zwar, was eben wohl wieder aus dieser Allgemeinheit geschlos- 
sen werden muss, nicht etwa blos in Verhinderungsfällen des 
Grafen und ai^ dessen Malstätte, «otidern in ihrem eigenen Ge- 
biete. Der Graf hatte sich also wenigstens der richterlichen 
Pflicht, wenn nicht ganz, doch z.um grössten Theile entzogen 
und nahm mehr die Stelle eines Gebieters ein, Natürlich hob 
sich hierdurch die Bedeutung der Vikare und ihr Amt fesselte 
sich in derselben Weise an vbestimmte Familien , wie dieses bei 
den Grafen geschehen war. Schon frühe- tritt uns hier das Vi- 
cekomftat als erblich entgegen, und bereits im zehnten Jahr- 
hundert begegnen wir ihm sogar in weiblicher Hand. Die 
„Vicecomitissa de Narbona" vermachte in ihrem Testamente von 
989 den „Vicecomitatum de Narbona" mit alle seinen Zubehö- 
rungen ihrem Sohne Raimund*). 

^ Aehnliches finden wir auch in Deutschland. Hier sehen 
wir zweierlei Vikare, bald einen ausdrücklich als Vertreter des 
Grafen bestellten Beamten, bald auch den gewöhnlichen Cen- 
tenar^), doch sind beide nicht immer zu unterscheiden. Schon 
825 findet man zwei Stellvertreter des- Grafen im Grabfelde ; als 
damals die Gränzen des Klosters Hünfeld festgestellt wurden, 
geschah . dieses „coram missis Popponis comitis Luitprante uide- 
licet et Geborohe"^). Es ist freilich zweifelhaft, ob untei- die- 
sen Abgesandten ständig oder nur vorübergehend Bevollmäch- 
tigte zü verstehen sind, obwohl die Bezeichnung „.Missus" fiir 
Stellvertreter der Grafen keineswegs selten ist. Eine jedenfalls 
mehr ständige Stellung nahmen dagegen die „Advoeati" und „Vi- 
cecomites " ein. Eine Urkunde voii 868 wird ausgestellt: „in 
comitatu Adalperti comitis sub vicario Odalricho"*), und in einer 
andern von 889 heisst es: „sub dominatione Eberhardi comitis 
et aduocati sui Adalperti!' 5). Deutlicher und erkenntlicher noch 
treten diese gräflichen Stellvertreter jedoch später auf In einer 



1) „Ad Raymundum ?icecoroitem filium menm dono ipse vicecomilaliim de Nar- 
bona seu NarboneQse cum ipsos ceiisos et disirictos et cum ipsiioi bonorem, qui vi- 
ceeomes inde habuit vei babere debet et ccrni ipsos fiscos^^ .Martine et Durand 1. c 
I. p. J04. 

2) S. die bei Waitz a. a. 0. II. S. 425 gesamäieUen Stellen. 
. 3) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Dr.^456. 

4) Wirlembg. ükbcb. I. S. 169. 

&) Neogart, Cod, dipl^ St. Gall. 479. 



Urkunde von 1040 lesen wir : „in comitatibuS' Adftiberti marchio- 
nis et Ditmari presidis** und eine alte deutsche üebersetzung . 
gibt fiff Praeses — Landrichter*). Im fränkischen Hessen- 
gau ßndet man neben dem Gaugrafen zuerst 1109 einen Sub- 
eomes Giso, der aucl^, nachdem die Grafschaft an die Thürin- 
g^ übergegangen, in seinem Amte blieb und zugleich als „Sub- 
adTocatos" die Vogtei des Klosters Hasungen verwaltete, und 
bei seinem Tode 1137 „Comes Hassiae" genannt wird. Auch spä- 
ter zeigen sich noch Untergrafen desselben Namens, so' 1226 
« Gyso' uicecomes de Wodensberg" (Gudensberg, der gräfliche 
Sitz) , von 1253 — 1274 aber ein Giso als Judex Provincialis Has- 
siae, Judex generahs. Judex a domino Lantgravio per terram 
Hassiae, constitutus est etc., bis später auch andere Personen die- 
se Stelle einnehmen und für diese dann auch die deutsche Be- 
zeichnung Landrichter gebraucht wird 2). 

Soweit es sich erkennen lässt, scheint diese Art von ün- 
tergrafen keinen wesentlichen Einfluss auf die Umgestaltung der 
territorialen Verhältnisse gehabt zu haben. Um so grösser war 
dagegen die Einwirkung, welche die auch in Deutschland ein- 
tretende Veränderung in der Stellung der Centenarien herbeiführ- 
te. Diese Einwirkung ging jedoch weniger aus der Eigenschaft 
der Centenarien als Vertreter der Gaugrafen, als aus dem Erb- 
lichwerden ihres Amtes hervor. Lässt sich der Weg , den diese 
Entwicklung nahm, auch nur selten unmittelbar nachweisen, so 
ist er doch mit ziemlicher Sicherheit aus den spätem Zustän- 
den zu erkennen. Vor allem steht das fest, dass die Centgraf- 
schaften auch in Deutschland erblich wurden, zuerst wohl in den 
^ximirten geistlichen Gebieten und den den Stiftern übergebenen 
Grafschaften. Diese Vererblichung der Centgrafschaften blieb 
nicht ohne wesentüchen Einfluss auf die Gaugrafschaften. In- 
dem diese dadurch in Herrschaften verwandelt wurden, wurde 
zugleich die alte Gaugrafenwürde in eine höhere Stellung gehoben, 
^ine Stellung, die allenfalls mit der des alten Königthums zu 
den Häuptlingen zu vergleichen ist. D^er Graf behielt zwar no6h 
nach wie vor seine richterhche Eigenschaft, aber er brachte sie 
iiur noch w^nig persönlich in Anwendung und überliess viel- 
niehr den grössten Theil seiner Geschäfte den Centenaren. Da^ 
<lurch hob sich natürlich auch die Bedeutung der Centenare und 

i) Mon. boica XI. p. 148 ii. 151. S. auch p. 154. 
2) Landau, hess. AitjerlNirgeD IV. S. 19). 
Landau. Territorien, , ^o 



354 

selbst deren Malstätten gewannen in demselben Grade an Wich- 
tigkeit, als die alte Hauptstätte des Gaues verödete. 

Die unmittelbare Folge dieser Veränderung in der Stellung 
der Centgrafen war der vollständige Uebergang aller 6rafei^*echte 
auf die Centgrafschaften. £s geschah dieses, in so weit es sich 

< 

erkennen lässt, auf zweierlei Weise. Entweder traten die Cent- 
grafen durch den Abgang der alten .Gaugrafen einfach an deren 
Stelle, oder die Gaugrafen gaben ihre Grafenrechte der Centgra- 
fen zu Lehen. 

Doch nicht blos der Gau und die Cent kamen in feste 
Hände, auch mit der Bauerschaft war dasselbe der Fall. 

Schon im elften Jahrhundert erscheint diese Umwandlung 
der Verhältnisse vollendet. 

Die alten Banden gingen allenthalben auseinander. Wie 
der Gau sich in seine Centen aufgelöst und die' Grafenrechte 
auf diese übertragen hatte, so lösten sich auch die Centen 
in ihre Dorfgemeinden (Dekanien) auf und diß alte Dorfgemein- 
de wurde nun, je nachdem eine solche Dekanie ein einzel- 
nes Besitzthum bildete oder mehrere Dekanien in einer Hand 
vereinigt waren, entweder die Trägerin der gesammten Graf- 
schaftsrechte, oder rüqkte einfach in die Stelle der alten Cent ein. 
Es schied sich Alles in seine Einheiten, und nur die bekamt 
behielt , wenn auch unter änderm Namen , ihre alte Form und 
musste diese behalten, weil sie auf der einheitlichen Mark ruhte 
und diese durch das Gemeingut zu einem festen Ganzen verbun- 
den war. Sie wechselte nur den Namen, sie wurde zur Cent. 
Alle jene Centen, welche wir im spätem Mittelalter finden und 
die sich zu einem grossen Theile noch bis heute erhalten ha- 
ben, sind alte Dekanien. 

Diese Veränderung in der Stellung tritt am anschauM- 
sten durch einen Vergleich mit den kirchlichen Gebieten hervor, 
weil diese den weltlichen nachgebildet worden sind und uns des- 
halb das alte Verhältniss noch deutlich vor die Augen zu stel- 
len vermögen. Verkauf und Verpfandung, Verleihung und Ver- 
erbung, sowie Erbtheilung warfen diese losgetrennten Theile 
noch meht durch einander und.es bildeten sich heue Grafschaften. 
Erhielten sich auch die alten Gaunamen noch, so waren es doch 
nur noch Landschaftsbezeichnungen/ Es trat jetzt ein, was schon 
so oft besprochen worden ist und was so Viele irre geleitet hat : 
Gau und Grafschaft wurden wesentlich verschiedene Begriffe. 



d55 

Diese neuen Grafschaften wurden aus den gelösten Bestand- ^ 
theilen oft sehr verschiedener Gaue zusammengesetzt. Bereits 
in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts finden sich derartige 
neugebildete Grafschaften. So war die westphälische Grafschaft 
Hermann's aus Theilen dreier verschiedener Gaue zusammen- 
gefügt *). Die Grafschaft 'Haold's bestand aus Theilen von sechs- 
zehn Gauen 2). Kaiser Heinrich III. gab 1051 der hildesheimi- 
schen Kirche: „comitatum, quem Brun eiusque filius scilicet 
noster frater Livtolfus nee non et eius filius Echbreht comites 
ex imperiali aucto^-itate in beneficium habuerunt, in pagis Nort- 
doringen, Darlingen, Valen, Salthga, Grethe, Molbeze«, et in 
publicis aecclesiarum parochiis Sceuingen, Vuethuenstete , Sci- 
phingstete , Lucgenheim , Ellovesheim , Stockheim , Tenesdorf, 
Ringilmo, Beginburstalle, Honengesbuthele, Huinhusen situm"*). 
Diese Grafschaft bestand demnach aus elf iif sechs Gauen zer- 
streut liegenden Kirchspielen. Noch eine andete Grafschaft be- 
stand 1068 aus vier Kirchspielen in drei verschiedenen Gauen *). 
Es entstanden also auf diese Weise völlig neue Gebiete, hier 
gi'össere, dort kleinere, je nachdem es glückte, die alten Amts- 
gebiete mehr zusammen zu halten oder neue Erwerbungen zu 
machen, auch wohl je nach dem Masse man die einzelnen Ge- 
biete in unmittelbarem Besitze behielt öder zu Lehn ausgab.. 

Einige Beispiele mögen den dadurch eintretenden Zustand 
veranschaulichen. 

Der zur mainzischc^n Diözes gehörige, meist rechts der Die- 
nael liegende, Theil des sächsischen Hessengaus bildete eine ei- 
gene Grafschaft und war ursprünglich sicher eine Cent des Ge- ' 
sammtgaus. Als Graf, und zwar mit der vollen Gaugrafenge- 
walt, findet sich von 998—1020 Dodicho von Warburg. Die 
als zu seiner Grafschaft gehörig vorkommenden Orte Heimars- 
hausen , Gottsbüren , Stammen , Hümme y Meiser , Escheberg und 
Reginhereshausen, letzterer mit seiner die südUche Hälfte des Rein- 
hardswaldes umgreifenden Mark, zeigen, dass jenes ganze Gebiet 
zu seinem Amtsbezirke gehörte. Ausserdem besass er noch Theile 



1) „Gomitatnm Rerimanni co^iitis sitom m isUs tribos pagis Auga, Netega, Hes- 
sega." Leibnit. S. Brunsv. I. 562. 

2) Ibid. p. 524. 

3} LüDtzel, die ältere Diözese Hildesheim. S. 364 u. 365* 
4) Das. S: 367. 

23* 



m 



^es, Itterg?iues und des PatUergaues, welche zusammen mit jenem 
als sein Comitatus bezeichnet werden. Nachdem er 4.020 ge- 
storbeil , : gab Kaiser Heinrich 11. 1021 die ganze Grafschaft ^n 
das Stift Paderborn. D.odicho hatte also seine Grafschaft noch 
vorn Kaiser erhalten. ,Dass jene Schenkung spjiter von Kon- 
rad IL zu Gunsten des Frzstifts Mainz widerrufen und nachher 
ßv Paderborn wieder hergestellt wurde, korrupt hierbei njcht in 
JBefcracht. Ijfach Dodicho finden Wir nun Graf* Bernhard {Benno) 
xmd nach diesem den Grafen Osolt in dem Besitze des Kopiitats, 
die demnach beide nicht mehr vom Kaiser, sondena yon dem 
paderbomischen oder mainzischen Stifte eingesetzt waren. 

Doch noch während Dodicho's Leben (1018) findet sich ein 
Graf Udo in derselben Gegend, ja in denselben Kirchspielen, 
i4 welchen auch Graf Dodicho urkundlich zu derselben Zeit auf- 
tritt. Man hat hierin einen unlösbaren Widerspruch gefunden; 
doch dem ist nicht so. Udo wird ausdrücklich als Graf oder, 
^ie es einmal auch heisst, als Praeses im Gaue Hemmerfelden 
genannt. Es weist dieses unzweifelhaft auf einen bestimmten 
in sich abgeschlossenen Bezirk hin. Betrachtet man die Lage 
der Orte, welche als zu diesem Gaue gehörig genannt werden, 
so liegen dieselben in den sich berührenden beiden Gerichten 
Trei^delburg und Schartenberg und das Räthsel löst sich einfach 
dahin, dass beide Gerichte damals noch eine Einheit, nämlich' 
den Gau Hemmerfelden ,^ bildeten , dass dieser Gau eine Cent 
der Grafschaft war, und dass Udo derselben als Centgraf vor- 
stand. Vor ihm werden Güter übergeben," und da eine derar- 
tigö Uebergabe vor das Gaugrafengericht gehörte, scheint er 
hier als Stellvertreter des Grafen Dodicho gehandelt zu haben, 
worauf auch der angeführte Titel Praeses hindeuten mochte. 
Man hält diesen Udo gewöhnlich für einen Grafen von Katlen- 
bürg und ich habe gegen diese Annahme keine Einwendung zu 
machen. 

Der Oberiahngau bestand aus drei kirchlichen Dekanaten 
und eben so vielen Centen , .aber schon frühe bildete jede dieser 
Centen eine eigene Grafschaft. In dem Besitz der nördlichsten, 
der Grafschaft Wetter oder Stift, findet man seit dem zwoklen 
Jahrhundert die Grafen von Battenberg und sie betrachteten die- 
ses Besitzthum als Allodium, denn nachdem sie anfanglich mit 
dem Erzstifte Mainz in Unterhandlungen gestanden, um diesem 
ihre Grafschaft zu Lehn aufzutragen, verkauften sie dieselbe 



ts/t 



1288 und 1297 dem genannten HocÄstifte , ufnd Ä^a^ ftei und 
ohne jegliche Zustimmung eines Drittel. Bezeichnend fii^ die' 
hwiern Verhältnisse ist nun die Weise, wie die Grafen in de 
Verkaufs - Urkunde die eineinen Cetiten aufzählen. Zueröt nen- 
nen sie nämlich die Centen Arfelden , Rödenau , Bentreff i;nd 
Ti^ei^ tnd setzen . hinzu : ,,iste Gente quätuör sunt omninö li- 
here", d. h. sie hesassen diese Centen unmittelbar, sie übten 
die Gerichtsbarkeit selbst oder durch ihre Schultheissen aus. 
Von der Cent Treisa hatten indestsen schon damals die Grafen 
von Ziegenhain den Hauptort, nämlich Treisa selbst, abgerissen 
und deaselbeö in eine Stadt verwandelt. Dann folgen zweiCen 
ten Gelsmat und Bromskirchen riiit der Bemerkung : „in istis 
duabtis (Centeniö) .Sunt Centgravii residentes et jus Comitis übe 
mtn est omnino", d. h. diese Centen waren an dort ansässige 
Gentgtafen erbHch verliehen und nur .das Grafenrecht (der Blut 
bann) stand den Verkäufern noch zu. Aber auch das war we- 
nigstens in der Cent Geismar nur noch nominell der Fall, in 
der That übteft die dortigen Centgrafen , die Yögte vOn Kese- 
berg, auch schon die hohe Gerichtsbarkeit aus. Auch hatten 

. sich daitialiS schon die Landgrafen von Thüringen in die Cent 
Geismar eingedrängt und darin zwei Städte, Frankeriberg und 
Frankenau, angelegt. Endlich kommen diie Centen Lixfeld, Daut- 
ßhe, Wetter und Lasphe mit der Bemerkung: „in Ulis ültimlö 
Lantgravius toUit omnem justiciam violenter". Hier also hätten 
sich die Landgrafen der ganzen Gerichtsbarkeit bemächtigt. Die 
ebenwobl noch zur Grafschaft Battenberg gehörige Cent Viör- 
müfiden War dagegen schon ganz abhanden gekommen und wird 
deshalb auch nicht mit aufgeführt. Ebenso findet man einige 
jtlner Cettteft schon in jen^r Zeit bereits wieder in mehrere Ge- 
richtle getheilt. 

Gunz ähnliche Erscheinungen bietet auch der fränkiäche 
Hesseögau. Noch kurz vor seinem Tode (1120) hatte Graf Wtär- 
nlBöp von Grünittgen die Grafschaft zu mainzischem Lehen ge- 
maeht und' als solche ging dieselbe auf das thüringische HÜüiä 
über. Aber die Grafschaft war keineswegs noch eine Einheit. 
Nur ein Theil von ihr findet sich im wirklichen Besitze der Lahd- 
grafenj andere und nicht unbedeutende Stücke llesässen die (tra- 
fen von Ziegenhain, von Bilstein, yon Schaumburg, von Willofs- 

. bach, von- Felsberg, von Waldeck, von Naumburg u. s. W. und 
diese Grafen hatten zum Theil nicht einmal gstlaze Cönt^n , ich' 



356 



meine alte Genten, sondern meist nur Theile von solchen, näm- 
lich alte Zehntschaften *). , 

Diese Beispiele werden hoffentlich genügen, um dem Le- 
ser ein anschauliches Bild von dem Gange der neuen Territorial - 
Bildung zu gewähren , welche durch das Erblichwerden der Aem- 
ter herbeigeführt wurde. Sogar einzelne Orte wurden losgeris- 
sen, indem man deren Inhabern die volle . Gerichtsbarkeit ge- 
währte- Wie Graf Gerhard von Holstein seinem Waffenträger 
„plenam iurisdictionem" für seinen Hof bei Itzhoe gab*), . so 
kommen ähnliche Fälle noch häufig vor. 

Jene Umwandlungen wirkten 'nun auch, weiter auf die Stel- 
lung der Personen. Indem die alten Beamten Herren geworden, 
überliessen sie selbst wieder die Ausübung» der Gerichtsbarkeit 
von ihnen eingesetzten Beamten.' Der, welcher mehrere der 
neuen Genten besass, einigte dieselben zu einem Amt«^) oder 
Landgerichte und stellte aa dessen Spitze einen Amtmann 
oder Vogt (offtcialis, advocatus), während für jedes der ver- 
bundenen Gentgerichte ein Schultheiss oder Gentgrebe 
bestellt wurde. Der letztere übte die Gentgerichtsharkeit, der 
erstere hingegen sass dem aus den sämnitlichen Gentgerichten 
gebildeten Landgerichte vor und seine Stellung -entsprach ganz 
und gar der der alten Gaugrafen. Die Dekanie wurde dagegen 
mehr auf die einzelnen Dörfer zurücl^gedrängt , bestand aber in 
ihrem Wesen ebenwohl noch fort und zeigt sich in Hessen na- 
mentlich noch bis in neuere Zeiten in den sogenannten Gre- 
benstühlen,m welche jedes Gericht getheilt war und vor welchen 
Feldfrevel und andere kleine Polizeivergehen abgeurtheilt wurden. 

Es war demnach nicht die Verfassung selbst , welche sich 
verändert hatte , es waren vielmehr nur die territorialen Grund- 

I ^ 

lagen derselben verschoben, und es kann aus diesem Grunde 
auch von einer Auflösung der Gauverfassung in dem Sinne, wie 
man diese gewöhnlich zu betrachten gewohnt ist, keine Rede sein. 
Mit jener Wandlung stan^ aber noch eine andere in naher, 
man kann sagen unmittelbarer, Verbindung. Nachdem die Beam- 
ten, Herren und ihre Amtsbezirke Herrschaften geworden, began- 



1) Ich habe hierbei die Belege weggelassen, da ich diese YerbältDisse bei einer 
TOD mir beabsichtigten Beschreibung jener Gaue doch noch speziell ausführen werde. 

2) Falk, Neues staatsbörg. Magazin I. 105. 

3) 1083: „jndicinria potestas, qaae Ambocht vocator.** Miraeus, Opera dipl. I. 72. 
Weiteres s. Jn Briockmeier's Gloss. I. p. ß7* ^ 



3W 

nen diese Herren nun auch Sorge zu tragen, ihre Besitzungen zu 
sichern und dieses geschah durch den Bau von Städten und Bur- 
gen. Kommen auch schon viel früher im eigentlichen Germa- 
nien Burgen vor, so waren sie doch nur vereinzelt und erst 
seit dem Ende des zwölften Jahrhundert wird deren Bau allge- 
mein. Jeder Herr baute in jedem seiner abgeschlossenen Ge- 
biete eine Burg oder Stadt, oder auch wohl beide zugleich. 
Diese Festen wurden der Sitz der Herren und erst damit ent- 
standen feststehende Geschlechtsnamen, indem jeder- sich liach 
seinem Wohnsitze nannte. Aber nicht nur den Familien der 
Besitzer gaben diese Burgen ihren Namen, auch auf das zur 
Burg oder Stadt gehörige Gebiet wurde dieser Name übertragen. 
Die Burg war der Haupt- und Mittelpunkt geworden, und das 
üjbrige Gebiet wurde als deren Zubehör betrachtet. Sie trat ge- 
wissermassen an die Stelle des alten Mutterdorfs und der alt- 
germanische Boden verlor damit seinen charakteristischen Unter- 
schied voii allen andern Gebieten. Sogar die alten landschaft- 
lichen Namen wurden durch die neuen Bezeichnungen meist ver- 
drängt und ein wesentliches Hülfsmittel zur Feststellung der 
alten Beezirke ging damit für^uns auf immer verloren. 

Noch im dreizehnten Jahrhundert pannte man jeden auch 
den kleinsten selbstständigen Gerichtsbezirk eine Gomitia oder 
Grafschaft*) und die sich hierin aussprechende Gleichheit zeigt 
sich in der That auch insofern begründet, als diese Bezirke 
alle ohne Unterschied die. gleichen Rechte in sich vereinigten 
denn bei allen findet sich das höchste Recht der Grafen , - der 
Blutbanti. Man kann sie darum auch alle nach Späterm Sprach- 
gebrauche mit bestem Jug Grafschaften nennen. Diese Gleich- 
heit übertrug sich auch auf ihre Inhaber. Keiner hatte ein hö- 
heres Recht, wohl aber herrschte unter ihnen eine verschie- 
dene persönliche Ehre, welche allerdings ihre Quelle wieder 
in dem Besitze hatte. Wie bei den alten Völkshäuptlingen und 

1) Im J. 1295 verkaufet! die Herzöge von Baiern mit Zustimmung ihrer Grafen 
u. s. w. („ . . . cum baronibus sive comitibus fiilelibus et consulibus terre nostre**) : 
„iadicia sive iurisdiction es a'd comecias spectantes, qae Grafschaft- 
Gericht Tocantur, in Hofmarchiis Ratispon. Ecciesie hie expressis, scilicet Teispacb, 
FroDlenhussen , ErgoltApach', Äeuting, Essenbach et Pilsting cam suis pertinentiis tarn 
in bonis,qaam hominibus, prout hofmarcbie, eed^m certis limitibus aquarum vel fos- 
satorqm seu aliis signis et regionibus distingunntur, item tarn maiota, quam rainora 
iadicia in aliis extraireoram TÜlis , curiis sive mansis ad eandem hofmarchiam in Teis- 
pach mioime pertinentibus etc/' Ried, Gbron. dipl. Episcop. Ratisbon. I. 679t 



« 
\ 



nachher bei den kömglich'en Beamten die peiBönUclie Ehre le- 
diglich durch die höhere oder niedere Stellung des A^mtes be- 
stimmt wurde, und demnach diese Ehre eine Amtsehre wiar, so 
zeigt sich dieses auch noch später. Honor und Amt sind 
noch immer gleichbedeutende Worte, und honorare heisst 
nichts anderes als Jemandem ein Amt oder Beneflcixim über- 
tragen*). Noch immer gibt nur das Amt die Ehre, und nur 
der Inhaber des Amts fuhrt den Ehrennamen, nicht aber zu- 
gleich auch seine Söhne ^). Deshalb sieht man, ähnlieh wie 
bei den alten Häuptlingen, später auch bei den Erbherren 
eine aus gleicher Quelle hervorgehende Stufenfolge sich bilden, 
die wenn auch nicht gleich scharf geschieden, so dass leicht 
eine. Sprosse in die andere übergeht, doch nicht mindeir' deut- 
lich zu erkennen ist. Der, welcher nur eine oder nur einige 
Genten besitzt, nennt sich „vir nobilis"; der aber, welcher ein 
grösseres Gebiet besass, führt den, Titel ^comes". Aber auch 
unter diesen Grafen besteht noch ein Unterschied , der sich frei- 
Jich leichter fühlen , als . nachweisen lässt. Es sind dieses die 
Grafen , deren Gebiete allenfalls dem Umfange - alter Gaue oder 
alter Genten entspirechen, und diejenigen Grafen, welche einen 
geringem Besitz haben, etwa nur drei oder vier der spätem 
Genten. Beide nehmen eine augenscheinlich verschiedene Stel- 
lung ein. Ob diese Besitzungen vom tteiche oder von einem 
Beichstande zu Lehen gingen, machte darin keinen Unterschied. 

Alle *ind jede Herrschaft beruhte auf dem Grafenrechte. 
Auch die Herzöge, Markgrafen und Landgrafen hatten seitdem 
kein - höheres Recht mehr ; ihre Würde als solche war nur noch 
eine rein persönliche; sie waren in dier That nur Grafen. 

Eben weil die Grafenwürde nur • auf dem Besitze beruhte 
und eben nur dßr Besitz die Stellung bestimmte , sinkt und» isteigt 
diese auch nacli dem ^nken oder Steigen des Besitzes, und 
der Grafentitel zeigt sich sowohl als bioser Amtsname, als ver- 
einigt auch als Amts- und Würdenamen. Man erkennt dieses 
deutlich darin, dass, auch die einfachen ' von den Gerichtsherren 
eingesetzten Richter diesen Titel führen ^) , und dass eben nur 



1) Roth, das Benefizialwesen S. 432. Henscbel I, c. III. 691. 

2) z. B. 1070 : „Folmaro comiti ei ßlio eius Hermanno^*. Schöpflin, Alsat. dipl. 1. 174. 

3) In einer Urkunde . des dreizehnlen Jahrh. heisst es : „coram iadice terra do- 
miDO Retnhardo de Itre et comite saa Hermanno de HarprecbtiskQseii'S. Zeilschr. 
des Vereine fär lies». Geaclu u* Laodeskunde. Ilf, $• 51, 



iRfieder der Besitz einer örafechaft selbst den Würdenanien gibt: 
Heinrich von Bodwede wurde erst Gxaf; als ihm 115p4/ die Graf- 
schafb Biatzebiirg zu Lehn gegeben wurde, denn es wird aus- 
drtloklich gesagt: „per quam (sc. comitiam) piimo nomen* comi- 
tis idem Henricus sortitus est"*). Gleiches war auch mit dien» 
Grafen von Falkenstein der Fall^). Ebenso legen zahlreiche an^ 
dere Grafen den Grafentitel ab, so bald sie den Besitz verlierßh, 
auf welohen derselbe sich grändete. So sind die Grafen, von 
Btandenberg (an der Werra) später nur noch einfach van Bran- 
denberg, und dasselbe sehen wir auch bei den Grafen von 
Schaumburg und Wajlenstein (bei Kassel). 

Dieise Grafen und Edelherren sind nun der hohe Adel. 
Bie Grundlage 'desselben, ist demnach lediglich das Grafenamt, 
und seine Entwicklung liegt einfach in der aus dem Dienstver- 
hältnisse hervorgegangenen ausschliesslichen Erblichkeit. . 

Einen andern Ursprung hat der niedere Adel. Er trat ei- 
gentlich erst mit der Gründung der Städte hervor. Durch diese 
wurde eine Scheidung des freien Standes herbeigeführt. Ein 
Theil trat in die Städte über und entsagte dem ausschliesslichen 
Waffendienste , der andere blieb dagegen auf seinen Höfen sitzen 
und lieh seine Waffen dem Dienste der Mäditigem. Bei den 
westlichen Slaven , wo keine freien Stadtverfassungen entstan- 
den oder doch nur durch Deutsche .begründet wurden, blieb des- 
h«^b auch der ganze Best der Freien adelig und es gab nur 
zwm Stände, einen adeligen imd einen unfreien. Die deutschen 
Städte haben eine ähnliche Zersetzung der Stände herbeigeführt, 
wie ehemals das Königthum. Zahllose Unfreie , welche in ihren 
Mauern sich niederliessen , wurden dadurch frei. Dagegen sind 
aber auch zahllose Familien durch den Eintritt in Dienstverhält- 
ntsi^e, ungeachtet ihrer Grafenrechte, in den niedem Adel her- 
abgesunken, so dass endlich die, welche noch fernerhin zum 
hjohen Adel gezählt wurden, bis auf eine geringe Zahl zusam- 
men schmolzen. 

Doch zum Schlüsse muss ich noch einer weitern Entwick- 
lung der Territorien gedenken , welche an Wichtigkeit . den früh 
hem nicht nachsteht , nämlich der Ausbildung der Landeshoheit. 
Giewöhnlich setzt man dieselbe zwar in eine frühere Zeit, aber 



' 1) Ludwig, Reliq. Maouscr. VI. 230. 
2) Wohlbröck in v. Ledebur's valerl. Archiv II. S. 22 u. io v. Ledebur, die Qrar 
feu Yon VaikeDStein« S. 32. 



mit Unrecht. Früher kann nur von Grafenrechten die Rede sein, 
und da sehen wir nur^ im Könige ' ein höheres Becht. 

Das eigentliche Wesen der Landeshcyheit ist aber ein Ober- 

« 

recht, nämlich ein höheres Recht eines Einzelnen über bis dahin 
mit ihm Gleichberechtigte. Es ist gewissermassen niQhts ande- 
res als eine neue Auflage des ersten Königthums. 

Die Landeshoheit kommt deshalb auch nur da zur Ausbil- 
dung, wo ein einzelner Mächtigerer unter vielen Mindermächti- 
gen stand. Ueberhaupt wurde sie auch weniger geschaffen, als 
durch den einfacheti Verlauf der Dinge auf eine einfache Weise 
herbeigeführt. ' - 

Die Herrschaften , welche aus den zerstückelten Gauen sich 
gebildet hatten, waren hinsichtlich ihrer Grösse ausserordentlich 
verschieden, wie das bei der Art und Weise ihrer Bildung nicht 
anders sein konnte. Diejenigen Grafen, welche mehrere Graf- 
schaften unter sich gehabt, hatten meist auch grössere Theile 
derselbe im unmittelbaren Besitze behalten, was vorzüglich bei 
den Herzögen, den Markgrafen u. s. w. der Fall war. Aber 
auch diese grossem Gebiete bildeten keineswegs in sich abge- 
schlossene gerundete Territorien, sie wurden vielmehr durch 
zahlreiche grössere und kleinere Gebiete vielfach zerrissen und 
auseinander gehalten. Wenn diese Zersplitterung auch durch 
Theilungen in den Familien noch vermehrt wurde, so wurde 
dieses weitere Auseinandergehen doch durch die in Folge von 
Erbschaft, Kauf, Heimfe.ll und selbst Eroberung stattfindende 
Verschmelzung verschiedener Gebiete zu Ganzen weit überbo- 
ten," so dass die- Zerstücklung immer mehr- abnahm und grössere 
Gebiete sich wieder zusammen schlössen. Es ist dieses insbe- 
sondere im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert der Fall, 
während deren zahllose Familien erloschen. Dessen ungeachtet 
blieb die Zersplitterung immer noch gross genug. Um so mäch- 
tiger nun aber Einzelne wurden, um so unmäcbtiger mussten 
natürlich diejenigen Kleinerji werden, welche die Besitzungen 
jener berührten , und je länger dieseis dauerte , um so mehr 
musste die dadurch sich bildende Abhängigkeit dieser Schwa- 
chem sich steigem. Der Schutz des mächtigem Naöhbam wurde 
ihnen immer unentbehrlicher. Viele dieser Kleinen suchten auch 
die Dienste der Mächtigem; sie wurden deren Amtleute, nah- 
men Gerichte von ihnen in Pfandbesitz, nahmen Burgmannsle- 
hen von ihnen oder tmgen ihnen auch wohl ihre Besitzungen 



zu Lehn auf. In Folge dessen besuchten sie nun auch die Land- 
tage und die anfanglich nur persönliche Abhängigkeit trug sich 
allmälig auch auf ihr Be^tzthum über. Dazu kam noch, dass 
die pesrsönUchen längst bedeutungslos gewordenen Würden, die 
herzoglichen, markgräflicheh und landgräflichen Titel, auf die 
Gebiete übertragen wurden und so Fürstenthümef mit allgemein 
landschaitlichen Bezeichnungen entstanden, und dass die Fürsten 
auch von den Kaisem sich mit diesen Fürstenthümem im All- 
gemeinen belehnen Hessen , wobei sie dann gewöhnlich auch die 
kaiserlichen Regalien mit erhielten. Auf diese Weise erhielt die 
Idee eines geschlossenen Fürstenthums und die Ansicht, dass 
jene kleinem Herren nur Zubehörungen des Ganzen seien , einen 
immer festem Halt und sogar eine rechtüche Grundlage. Schon 
allein dieses würde genügt haben, dieselben allmälig mit dem 
Ganzen zu verschmelzen; die ohnehin Schon ausgebildete Ab- 
hängigkeit beförderte aber noch diesen Prozess. Allerdings war 
der Verlauf ein sehr langsamer und auch keineswegs allenthal- 
ben gleichzeitige^. Hier kam man früher , dort später zum 
Ziele. Selbst das Streben nach diesem Ziele war ein unbewuss- 
tes, denn es waren lediglich die Verhältnisse, welche zu dem- 
selben führten; es war eine Kette von Nothwendigkeiten, denen 
jeder ohne klares Bewusstsein folgte. Erst als das Netz vollen- 
det, wurde dasselbe sichtbar; erst als der einst freie Herr zum 
ünterthan geworden, erkannte er die Verwandlung. 

Dieser Zeitpunkt fällt in das Ende des fünfzehnten Jahr- 
hunderts und die Verschmelzung erscheint mit dem Ablauf des 
zweiten Jahrzehnts des sechszehnten Jahrhunderts vollendet. 

Die Fürsten nahmen nun auf jenen einst unabhängigen Ge- 
bieten eine Reihe von Vorrechten als Ausflüsse oder Zugehönin- 
gen der Fürstenwürde in Anspruch und prägten dieselben zu 
Regalien aus, welche nichts anderes als eptweder nur Zubehö- 
rungen des freien Gmndbesitzes , oder wesentliche Bestandtheile 
des Grafenrechtes waren. Es waren dieses namentlich die Rechte 
des Blutbannes , der hohen Jagd, der Folge u. s.w., wozu dann 
durch die Kirchenreformation auch noch das Episkopalrecht kam, 
wodurch das neue Gebäude gewissermassen seinen Schlussstein 
erhielt. Als man dieser Oberrechte inne vurde, war es schon 
zu spät. Vergebens erhob sich Franz von Sikingen, um die 
Freiheit des Adels gegen die Fürstenmacht zu vertheidigen, ja 
es hätte sicherlich eine allgemeine Erhebung des Adels stattge^ 



fonden, wäire die Erhebung^ der B«u«ni Biebt daziriaclttin. ge- 
kommen^ Ungehindert stboritll die Lehre Tm der fürstliclien 
Hoheit weiter und kam in der zweiten Hälfte des aechszeteiten 
Jahrhunderts zu dem Rechtssatze, .daiss alle derartige Rechte 
Dntter nur entäussefte fürsitirche Recdiie seien , deren rechthcfaen 

Erwerb die Besitzer deshalb nadiweisen noässten. 

» • 

Alle 0ie kleinen zwischetk den fürstliehen Gebieten Hegen- 
den Territorien wurden nun ganz und gar mit denselben ter- 
schm<^en. In Hessen^ z. R bedrohte dasselbe Greschids sogar 
die. aul hes^schem Boden liegenden Besitzungen - des ErZidafts 
Mainz. . Kur mit genauer Noth und unter der Gunst zufölliger 
Umstände gelang es den Grafen von Waldeck ihre beieits ein- 
gebüsste Unabhängigkeit wieder zu retten, und ebenso waren 
die Grafen- von Solms und von Witgenstein nahe daran bcssi- 
sefae Unterthanen zu werden. 

Doch nur da fand, wie schon angedeutet Wjoirden ist, diese 
Verschmelzung der freien adeligen Gebiete mit den Furstcnthn- 
mern statt, wo eben mächtigere weltliche Fürsten walteten, also* 
vorzugsweise im< nördlichem Beutdehiand; anders 'aber wat es da, 
wo solche fehlten und die Macht der Einzelnen siqh zieimlich 
gleich stand und sich die Wage hielt, wie das vorzugsweise in 
der Wetterau, in Franken, Schwaben uad am Rheine dfer Fall 
war. Hier erhielt sieh die Unabhängigkeit der kleinen Territo- 
rien , weil gerade keiner mächtig genug war sich über die an- 
dern aufiQuschwingen , denn wairen> dort axieh grössere geistliche 
Terrftorien vorhanden,, so waren deren Inhaber doch zu einer 
solchen Ausbreitung ihrer Macht theils nicht geneigt, weil sie 
selbst aus diesen Territorialherren hervorgegangen, theils 
auch. dsoM so wenig befUhigt, dass sogar der Adel, welcher 
Pfandgüter der Stifter in Händen hatte, sich mit diesem Ibsriss 
und jenen unabhängigen Territoiialherre^n anschioss. Nur hier 
vermöchte ateo der Adel seine Unabhängi^eit von der Fürsten- 
gewalt zu wahren und schloss sich zu einer ' besondem Kor- 
iroraition zusammem, welche uns als die Reichsritteiischaft be- 
kannt ist; 

Bd& nächste Stadiunr der grossen deutschen Territorial- fi&t- 
Wicklung tritt mit dem westphälischenv da» neueste aber mit diem' 
lüne viller FriedfeU; ein. Doch, dieses gehört, nicfht mehr hierih^. 



Zweites Bnch, 



Die Bildung und EotwidluDg der liirclilicIieB Territorien. 



Die 



Bildung and Entwiekelong der kirchlichen Gebiete. 



In dem vorhergehenden Buche habe ich es versucht, die Gesetze 
nachzuweisen, auf welchen die Bildung und die Entwicklung dßr 
weltlichen Oebiete beruhte; in diesem zweiten Buche soll das 
Gleiche in Bezug auf die kirjchhchen Gebiete geschehen. Haben 
diese an und für sich auch nicht dieselbe Wichtigkeit für die 
Geschichte des Volkes wie jene, so werden sie doch dadurch 
um so bedeutungsvoller , als auch bei der Kirche wieder ganz 
dieselben Gesetze wirkten, welche dem Entwicklungsgange der 
weltlichen Gebiete zu Grunde liegen. Die Kirche folgte diesem 
Wege Schritt für Schritt und hat deshalb eigentlich auch keine 
neuen Territorien geschaflFen, sondern sich lediglich auf den 
alten längst vorhandenen Volksgebieten aufgebaut und zwar 
ganz in derselben Weise, wie diese früher sich gebildet und 
allmälig gegliedert hatten. Eben darum aber sind diese kirch- 
lichen Gebiete auch von so grosser historischer Wichtigkeit. 
Während jene alten Volksgebiete längst zersplittert und zerris- 
sen und die aus der Zeit ihres Bestandes auf uns gekommenen 
Nachrichten allenfalls mit den nach allen Winden von den Wel- 
len fortgetragenen Trümmern eines gescheiterten Schiffes zu 
vergleichen sind, sind uns doch in dem Fortbestand der kirch- 
lichen Gebiete die alten Formen erhalten worden, so dass es 
uns dadurch möglich wird , aus diesen jene wieder heraus zu 
konstruiren, gleich wie aus einer Kopie der Inhalt einös nur, 
noch in Bruchstücken vorhandenen Originals wieder ermittelt 
werden kann. 

Das was ich eben als eiuQ entschiedene Thatsache hinge- 
stellt, die Uebereinstimmung der weltlichen und kirchlichen Ge- 



368 



biete, ist allerdings eine alte und auch* bis jetzt noch schwe- 
bende Streitfrage. Irre ich nicht., so war es'der triersche Ge- 
schichtsschreiber V. Hontheim, welcher zuerst mit- der Behaup- 
tung hervortrat, dass die Begränzung^der alten politischen Be- 
zirke mit der der kirchlichen Gebiete übereinstimme, und bald 
schlössen sich ihm Lamei, Kremer, Wenck u. a. und in neue- 
rer Zeit vorzüglich y. Ledebur diese Thatsache bestätigend an *). 
Indessen erhoben sich auch . gewichtige Stimmen dagegen und 
einen der entschiedensten Widersacher rief Ritter von Lang 
durch seine Abhandlung „die Vereinigung Baiems aus den einzel- 
nen Bestandtheilen der ältesteiji Stämme, Gaue und Gebiete"^) 
in dem Archivar von Pallhausen herauf. Lang hatte in seiner 
ohnehin noch viele andere Blossen bietenden Abhandlung^) die 
IJebereinstimmung der politischen und kirchlichen Gränzen als 
eine ausser jedem Zweifel stehende Thatsache angenommen und 
ohne Weiteres seine Gaue darnach gestaltet. Diese Ueberein- 
^Stimmung stellte nun aber Pallhausen in Abrede, allerdings mehr 
/^fach absprechend, als die Frage tiefer durchdringend; und 
ih«i haben sich nachher noch v., Hormayr, v. Spruner, Wede- 
kind, Jtudhart, Stäjin und andere, wenn auch nicht inamer mit 
derselben Entschiedenheit, sondern mehr nur die AUg^naeinheit 
der Regel ablaugend, angeschlossen. 

Dass wie bei den Mark - und Gauzuständen , auch bei den 
allerdings weit jungem kirchlichen Gebieten nicht von etwas 
Gemachtem, etwas nach Willkür und Zufall Geschaffenem die 
Rede sein kann, darüber belehrt uns jedes Blatt der Volksge- 
schichte. Der Weg, in weslchem sich die Zustände aller noch 
im Jugendalter befindlichen Völker entwickeln , beruht stets auf 



1) Dasselbe geschah für Gailien durch den Baron v. Walkeaaer in s^eineoi Werke 
Geographie ancienne historiqne et comp^r^e des Gaules cisalptne et transalpine. Paris 
1839, iflsbesonder« I. p. 286 — 239. 

2) Denksohriflen der baierischen Akademie 1811 u. 1S12. 

3) Diese Abbanjdlung erscbieo im Jabr 1830 in einer neuen Bearbeitung nnter 
jdem Tit^ : „Baierns Gauen nach den drei \plksstftmmen der Alemannen, Fraolien und 
3ojoaren, aus den alten Bisthuros-Sprengeln nachgewiesen^^ Lang bat jedoch auch io 
4ieser letztern Bearl)eitung nicht etwa eigene Forschungen gegeben, sondern nicht TJel- 
ipebr gethan als die Resultate der Untersuchungen Anderer zusammengetragen, und ist 
dabei gerade nicht mit sonderlicher »Kritik zu Werke gegangen. Er bat deshalb anch 
die fär die erste Arbeit ihm von dem rreilich sehr gereizten Pallbausen gewoideoe 
ficbarfe Korrektion >voJ)l verdient. 



369 

I 

eidfachen und natürlichen Gesetzen ; nichts tritt da plötzlich her- 
vor, Alles ist vorbereitet, durch Vorausgegangenes bedingt; 
Alles wächst gleich einem Baume aus sich selbst heraus , so dass 
man stets auch ein organisch gebildetes Ganzes findet. 

Einen Hauptgrund gegen jene Uebereinstimmung finden 
die genannten Forseher, um mit Müller's *) Worten zu reden, 
darin , dass die kirchlichen Gebiete „ erst aus Jüngern Zei- 
ten oder aus den letzten Jahrhunderten des Mittelalters her- 
rührten , wo die Gaue selbst sich schon aufgelöst hätten und 
zumTheil unbekannt geworden seien, und dass dieDiözesanspren- 
gel* selbst« im Laufe der Zeit manche Abänderungen erlitten"^). 
Aber gerade dieser Grund ist am wenigsten hs^tbar und zeugt 
von einer völligen Verkennung des Entwicklungsgangs aller Zu- 
stände jener Zeiten. So wenig nämlich die-MarkenvUnd Gaue 
eine willkürUche Schöpfung sind, ebenso wenig sind auch die 
kirchlichen Gebietseinthellungen aus einer organisirenden Hand 
hervorgegangen; beide haben sich vielmehr aus sich selbst und 
zwar nach ganz gleichen Gesetzen herausgebildet, nach Ge- 
setzen, die so sehr durch die Natur der Zustände geboten waren, 
dass dieselben auch noch Jahrhunderte nachwirkten und erst die 
organisirenden Zeiten die solchergestalt geschaffenen und gehal- 
tenen Banden zerreissen konnten. 

Ungeachtet jenes langen Streites hat aber noch Niemand 
die weit wichtigere Frage aufgeworfen, aus welchen Ursachen 
diese Uebereinstimmung der geistlichen und weltlichen Gebiete 
hervorgegangen sei und nach welchen Gesetzen sich dieselbe * 
gebildet habe? und i^ur durch den. Umstand lässt sich diese 
auffallende Vernachlässigung erklären, dass man sich von der 
Idee nicht losreissea konnte, dass alles dieses willkürlich geschaf- 
fen und nach Gutdünken organisirt worden sei. Doch auch die kirch- 
lichen Gebiete sind, wie gesagt, nicht in dieser Weise entstanden. 
Auch bei ihrer Bildung hat wieder dasselbe einfache aus der Natur 
dei" Verhältnisse hervorgegangene Gesetz gewirkt , welches der - 
Bildung der weltlichen Bezirke zum Grunde lag, ja derselbe, 
man kann sagen, durch eine unabweishche Nothwendigkeit vor- 
geschriebene Bildungsgang wiederholt sich vor unsem Augen 
noch einmal in der Gründung und Entwicklung jener und Hefert 
damit zugleich nocl)..ein weiteres Zeugniss für die Wahrheit des- 

1) Die deutschen Stämme und ihre Fürsten IV. S. 201 

2) Ganz ähnlich hat sich auch Wedekind ausgesprochen. 
Lrandaa. Territorien. ^^ 



dTO 



sen , was bereits oben in Bezug auf die Bildung der Gaue nach- 
gewiesen worden ist. 

Recht und Religion — das ist ein allgemein anerkannter 
von Niemandem mehr bestrittener Satz — Recht und Religion 
standen bei unsem heidnischen Vorfahren im engsten Zusammen- 
hange. Wo das Volk zu seinen Berathungen und zur Pflege des 
Rechtes zusammenkam, -da war auch die Stätte, wo es seine Götter 
verehrte und denselben seine Opfer brachte, ja Volksgericht und 
Gottesdienst waren ebenso verschlungen , wie das Richter- und 
das Priesteranit *). Man erkennt dieses zwar mehr im Norden, 
wo der höchste Häuptling auch der höchste Priester, und ebenso 
der höchste Tempefl zugleich auch die Stätte für das oberste 
Thing- war, als bei den Deutschen. Aber auch bei diesen lässt 
sich dasselbe nachweisen.' 

Man erinnere sich nur, was Tacitus von der bei den Sem- 
nonen befindlichen höchsten Nationalstätte des suevis<ihen Vol- 
kes erzählt, auf der nicht nur die Abgeordneten aller .Stämme 
jährlich zu bestimmten Zeiten tagten,, sondern wo auch der Sitz 
der Alles belierrschenden Gottheit war. . ^ 

Aehnliches erkennt man zu Maden, der alten Hauptstätte 
deö Katten Volkes, oder des spätem fränkischen Hessengaues. 
Maden liegt am Fusse des Gudensbergs. Öieser Berg wird nun 
aber früher Vdeneslxerg, Wuodenesberg^ Wodensberg 
u. s. w. genannt. Dass dieses nichts anderes heisst als Wo- 
dan sb er g und dass dieser Berg demnach als Wodan geheiligt 
betrachtet werden muss, das ist schon von den verschiedensten Sei- 
ten als zweifellos anerkannt worden ^). Wir sehen also auch hier die 
Ding- und die Götterstätte neben einander. Aber jener Berg 
muss noch mehr als dem Gotte blos geheiligt gewesen sein; es 
muss auf demselben auch ein Tempel und zwar ein befestigter 
Tempel gestanden haben. Dass die Deutschen Tempel* gehabt, 
darauf weist uns schon der berühmte Tempel der Tanfana hin. 
Mag man auch zweifelhaft sein , wie man sich denselben zu den- 
ken hat, so ist wenigstens die Thatsache von Bedeutung, dass 
auch in' christlicher Zeit die Kirche noch Tan genannt wurde ^). 



1) Grimm , deutsche Mythologie. 2te Aufl. S. 79. 

2) Daselbst. S. 139. 

3) Im J. 879 vertauscht das Stift Regensburg „locam quendam, qul dicitur Puob 
prope curtem, qnae vulgari vocabulovocatnr Tan Mone\chorara, id est ecciesianii 
ct^rtem cum pomerio, de terra arabiii etc. Pertz, Cod. dipi, bistor. epistotar. i. p.216. 



S7i 

Aber auch anderwärts >8t jenes schon zur Genüge nachgewiesen 

worden*). ' ^ '- 

Um nun auch für Gudensberg einen Tempel mindestens 

wahrscheinlich zu machen, verweise ich auf den Zug der 
Germanicus im Jahre 15 n. CUr. Im eiligen Marsche, den^ er 
überrascht die Katten allenthalben unvorbereitet, dringt Germani- 
cus vom Taunus bis zur Eder , wirft hier die junge Mannschaft, 
welche sich schnell gesammelt und ihm den Uebergang streitig 
machte zerstört Mattium, „id genti caput,'' und zieht" von da 
wieder auf demselben Wege zurück. Diese Zerstörung des Haupt- 
sitzes des Volkes war also der Zweck des ganzen Zuges. 
Würde dieser Zug sich aber wohl gelohnt haben , wenn derselbe 
blos der Zerstörung- der Hütten eines nur geheiligten , sonst aber 
gewöhnlichen Ortes gegolten hätte? Da die Römer viel zu tole- 
rant waren , um Kriegszüge zu religiösen Zwecken zu unternehT 
men , so musste dieser Ort nothwendig noch eine andere Bedeu- 
tung denn als höchste Volksstätte, er musste auch noch eine 
militärische Wichtigkeit haben, und hierfür lässt sich nichts ande- 
res als die in unmittelbarster Nähe liegende Tempelfeste linden. 
Der Wodansberg war sicher der HauptwaflFen- und Sammelplatz 
des kattischen Volkes, und dieser sollte gebrochen werden, mochte 
immerhin der Erfolg auch weniger materiell als moralisch in die 
Wagschale fallen. 

Wie wir also auch hier die Stätte für die Verehrung der 
Götter mit der des Gerichts vereinigt finden, so gehörte 
sicher diese Statte nur dem Volksstamme zu seinem reli- 
giösen Kultus, welcher hier auch in seinen weltlichen Ange- 
legenheiten tagte und der Gau, der diesen Völksstamm zu 
einer Einheit verband, erhält dadurch eine zwiefache Bedeutung, 
eine weltliche und eine religiöse. Aber nicht blos die Haupt- 
malstätte des Gaues kann diese doppelte. Bedeutung gehabt 
haben, dasselbe muss nothwendig auch mit den Maistätten der 
Hundertschaften und Zehntschaften der Fall gewesen sein, so dass 
jeder Bezirk nicht nur in weltlicher, sondern eben so sehr auch 
in religiöser Hinsiijht' ein für sich abgeschlossenes Ganzes, eine 
selbstständige Gemeinde , bildete ^).' 



1) Grimm a. a. 0. S. 69 u. 75. 

2) Giesebrecht in seinen wendischen Geschichten F. S. 81 u. 84 bat dieses anch 
bei den Siaven bemerkt, aber er gebt za weit, Wenn er desshalb die Gaue Tempel- 
bezirke nennt, denn sie waren dieses keineswegs vorherrsebend. 

24* 



37« 

I 

\ 

Sobald man aber zugeben muss, dass das Volk sich nicht 
blos in weltlicher , sondern auch in religiöser Beziehimg in ge- 
sonderte, für sich abgeschlossene Bezu-ke theilte, und demnach 
jeder Stamm in aller. Hinsicht ein Ganzes bildete, alsobald 
wird man auch zugeben müssen, dass die chrisliche Kirche 
hierin nicht leicht etwas ändern konnte, vielmehr genöthigt 
war, diese mit dem Leben des Volkes tief verwachsene Glie- 
derung auch für ihren Bau als Grundlage zu verwenden. Sie 
war gewissermassen dazu gezwungen, sie konnte nicht anders; 
und wäre auch eine neue Schöpfung mögUch gewesen, so hätte 
dieselbe doch keinen Zweck gehabt. So war also die Grundlage 
der Gliederung der. demnächstigen Kirchengemeinden schon vor- 
her, noch ehe dieselben entstanden, vorhanden. 

Ich habe eben den fränkischen Hessengau als Beispiel ge- 
nommen und will • dieses Gebiet auch ferner festhalten ; um an 
ihm die kirchliche Entwicklung zu zeigen. Denn wie hier, so 
ist es auch anderwärts. Durch das Anknüpfen der Untersuchung 
an ein bestimmtes Gebiet wird diese für den Leser anschaulicher 
werden. ' 

Als Bonifazius sein Bekehrungswerk in Hessen beginnt, 
sehen wir zwar nicht Maden oder den Wodansberg als den ge- 
weihten Ort des Volkes , es ist vielmehr eine Eiche in dem kaum 
IY2 Stunden entfernten Geismar: „in loco qui dicitur Gaes- 
mere ^ welche das Volk als dem Donnergötte geheiligt betrach- 
tet und durch deren Fällung der Bekehrer dasselbe für den 
Christenglauben gewinnt. Doch die Verehrung dieser Eiche 
schliesst darum noch nicht den Fortbestand der Heiligkeit des 
Wodansberges aus. Schon die Natur, des Baumes weist darauf 
hin, dass' derselbe seine Weihe nicht von jeher gehabt haben 
kann. Erst besondere Ereignisse oder sein hohes Alter können 
Ihm diese Weihe gegeben haben.' Es verhielt sich damit ohne 
Zweifel wie später mit so mancher an und für, sich unbedeuten- 
den Kirche, welche durch den Besitz eines Heiligthums bald auf 
kürzere , bald auf längere Zeit das Volk in ungewöhnlicher Weise 
zu sich zog. Jene Eiche war auch kein Heiligthum, wie der 
Wodansberg, wo das Volk zu bestimmten und regelmässig wie- 
derkehrenden Zeiten erschien, um seine Götter zu verehren, 
sondern nur ein Heiligthum, zu dem dasselbe, wie später zu einem 
wunderthätigen Bilde oder einer heilspendenden Reliquie, wall- 
fahrtete, um dort Hülfe uiid Trost zu suchen. Es ißt sogar mög- 



373 

lieh, dass dieses nicht der einzige heilige Baum im Lande war. 
Noch in Heuern Zeiten findet man- in Hessen hin und wieder die 
Bezeichnung „heilige Eiche" in einer Weise, dass man dieselbe 
nur noch als eine Ortsbenennung betrachten kann. Solche hei- 
lige Eichen findet man in der Nähe von' Wetter (in Oberhessen) 
am Wege von Kassel nach Warburg, da wo die Wege von 
Ober- und Niederlistingen sich scheiden, und bei Bunslar an 
der Eder. 

Bonifäzius baute aus dem Holze der gestürzten Eiche ein 
Bethaus (Oratorium), welches er dem Apostelfürsten Petrus 
weihte. 

Es wird nun zwar nicht gesagt, dass dieser Bau an der 
Stelle begründet worden sei, an welcher sich vorher die gefällte 
Eiche erhoben, es kann dieses aber kaum in Zweifel gezogen 
werden. Es musste Bonifäzius Alles daran liegen, den Glauben 
des Volkes an die Heiligkeit des Baumes »ganz tind ungetheilt 
auf die neue Kirche zu ü^bertragen. Schon aus diesem und kei- 
nem andern Grunde verwendete er das Holz des Baumes zu dem 
Baue derselben. Jener Zweck wäre damit aber nur halb er- 
reicht; wollte er denselben ganz erreichen, so musste auch 
der Bau an der Stelle errichtet werden, an welcher die Eich'e 
gestanden hatte. Würde er die Kirche auch ganz in die Nähe 
gestellt haben , so hätte die Stätte , wo der Baum gestanden 
doch noch immer dem Volke ein besonderes Heiligthum bleiben 
können; das aber durfte sie nicht, und eben um dieses zu ver- 
hüten und zugleich die ganze Weihe des Baumes der neuen Kir- 
che zu sichern , gab es kein anderes Mittel , als die Kirche eben 
auf die Stätte des Baumes zu stellen. Es wäre im hohen Grade 
unklug gewesen, einen andern Ort für den Bau auszusuchen, 
und in <Jiejser Hinsicht kannten die Bekehrer ihren Vortheil. Ueber- 
haupt war es eine gewöhnliche Politik der Bekehrer, die neuen 
christUchen Kirchen auf den alten Götterstätten zu errichten *). 
Deshalb zerstörte man auch die heidnischen Tempel nicht, sondern 
verwandelte diese nur in christliche Kirchen. In Griechenland 
und Itahen hat man auf diese Weise zahlreiche heidnische Tem- 
pel in christliche Kirchen umgestaltet. Nach einer Zuschrift des 
Papstes Gregor I.- an den ersten Bischof von London, sollten nicht 
die* Tempel des Volkes, sondern nur die Götterbilder zerstört 



1) Grimm, deutsche Mythologie S. 76. 



374 

werden. Man sollte diese Tempel mit Weihwasser besprengen, 
Altäre aufrichten und Heiligthümer hiiietti legen , damit das Volk 
an den ihm durch lange Gewohnheit werth gewordenen Stätten 
um so lieber zusammenkomme '*) ; und von dem Sachsen Wide- 
kind wird erzählt, dass er nach seiner Bekehrung allenthalben 
an die Stelle heidnischer Götterbilder christliche Kirchen erbaut 
habe ^). Aus derselben Ursache wurrden auch heidnische Bilder 
in chriatlicbe Kirchen eingemauert, heidnische Heiligthümer zu 
christlichen gemacht, und sogar die heidnischen Feste in christ- 
liche umgestaltet und denselben die alten Namen gelassen. 

In keiner, der alten Nachrichten findet sich indessen eine 
Kunde, welche über die Lage der Kirche einen bestimmten Auf- 
'schluss erth eilte. Alles beschränkt sich auf die wenigen Worte: 
„in loco Gaesmere." In allen spätem Nachrichten herrscht so- 
gar ein tiefes Schweigen über diese Kirche ; es wird ihrer- nir- 
gends wieder gedacht. Dennoch war sie von viel zu hoher 
Bedeutung, als dass man ein so schnelles und so spurloses 
Verschwinden annehmen könnte. Ja ich meine, eben jenes 
Schweigen müsste nothwendig auf die Vermuthung führen, dass 
sie fortbestanden habe, wenn auch nicht in dem ersten, doch 
in einem andern erweiterten Gebäude, und dass nur ein" neuer 
Name Veranlassung geworden sei , ^die Art der ersten Gründung 
aus dem Gedächtnisse der Nachkommen ;zu verwischen. 

Wo und in welchem Kirchengebäude wäre nun aber jenes 
aus der Eiche erbaute Bethau« zu suchen? 

Dass Gaesmere kein anderes Dorf als Geismar bei Fritzlar 
ißt, darüber waltet kein Zweifel mehr. In der Kirche dieses 
Dorfes jenes Bethaus wieder zu finden , ist indessen , und wohl 
mit Recht, noch Niemand eingefallen. Man suchte stets jin der 
Nähe von Geismar, in dessen Feldmark, hat aber nichts gefun- 
den, was auch nur mit einiger Wschrscheinlichkeit auf das »Ora- 
torium bezpgen werden könnte. Also -in der heutigen -Feldmark 
von Geismar keine SpurI Wir müssen demnach weiter -gehen. 

Ich ha.be im ersten Buche gezeigt, dass der Begriff des 
Dorfes in älterer Zeit ein ausgedehnterer war, als da« noch heute 



1) Beda \eiter., histor. eccies. Anglorum I. 30. 

2) f^Jaoi tsm desiderab^t ecciesias reaedificare, qnas prius destroxerat io rafideli- 
täte et ubi constitaerat idora, hie jam Sanciorum collocavit orateria.^^ Vita Mathildas 
reginae ap. Leibnit. I. p. 194* ' 



375 

m 

der Fall ist; auch dass nach der altern Sprachweise „Dorf" 
nicht blos das Dorf im engsten Sinne, nicht blos den Raum, 
welchen die Hofreithen bedecken, umfasst, sondern dass dazu 
auch die .gesammte Feldmark gehört. Das -letztere hat man 
auch bei den Nachsuchungen um Geismar — wenn auch unbe- 
wu^st — schon anerkannt, indem man den Stand der Eiche nicht 
zwischen den Gehöften suchte. Jener ausgedehntere Begriff 
würde aber die alte Mark sein. Wenn nun auch keine Urkunde 
vorhanden ist, welche die ehedem in der Mark von Geismar 
gelegenen Orte uns bezeichnet, so' haben wir uns doch jeden- 
fells an die Feldmarken der nächsten Orte zu halten. Was hier 
zunächst entgegentritt, ist der von Bonifaz zum Bischofssitze 
bestimmte Bürberg, welcher damals auf seinem- Gipfel einen 
befestigten Ort, die Büraburg, trug. Wollte man auch anneh- 
men, dass diese Feste erst nach dem Kirchenbaue ui^id nur zum 
Zwecke des Bischofssitzes entstanden sei, was übrigens nicht 
wahrscheinlich ist, so tritt doch hier der Umstand entgegen, 
dass die dasige Kirche nicht dem h. Peter, sondern der Jung- 
frau Maria geweiht ist *). Ich glaube sogar, dass man die 
Gründung dieser Kirche in einer viel spätem Zeit zu suchen 
hat. Die Bürabqrg, welche, wie schon bemerkt, Bonifaz zu 
einem Bischofssitze erwählte,,, war, berücksichtigt man den 
Umfang des Berggipfels, schwerlich mehr, als das, was man 
auch später eine Burg nannte. Sie wird zwar „ Oppidum " und . 
„Urbs", aber auch „Castrum" und „Castellum" genanirt. Doch alle 
diese Bezeichnungen haben damals die gleiche Bedeutung und 
ein jeder befestigte Ort, ohne dass dabei ein grösserer oder ge- 
ringerer Umfang in Betracht kommt, wird damit belegt. Wäre 
die Büraburg mehr als eine Burg, überhaupt ein grösserer Ort 
mit einer nur einigermassen ansehnlichen Bevölkerung gewesen, 
dann würde die Kirche des Bischofs auch ohne Zweifel aQ dem- 
selben Orte gelegen haben. Diese aber befand sich jenseits der 
Eder, zu Fritzlar. Dass man dieses nicht zum Sitze erwählte, 
hatte darin seinen Grund, dass Fritzlar noch ein offener Ort 
und ohne jeglichen Schutz war, denn nach einer alten kanoni- 
schen Bestimmung, an welche schon Papst Zacharias den Boni- 
fazius erinnerte ?) und die Karl der Grosse in dem Kapitular von 

1) Würdiwein, Dioec. Mog. UI. p. 514. 

2) 742 schreibt dieser Papst an Bonifaz : „ut mioime in villulas vel in oodicas 
civitates episcopos ordinemus/* Würdtwein, Epist. St. Boaifacii. Nr. 52* 



376 

789 (cap. 19) erneuerte, sollten Bischofssitz^ nur in gesicherten 
und bevölkerten Orten errichtet werden. Dazu kommt dann 
noch, dass sowohl die Kirche auf demBürberge, als auch die zu 
Geismar unter der Kirche zu Fritzlar, also zu derselben in einem 
filialen Verhältnisse, standen*), und dass man im Anfange der 
Christianisirung nie zwei Kirchen in solcher Nähe anlegte. Aber 
auch noch ein anderer sehr gewichtiger Grund, auf den ich in- 
dessen erst nachher zu sprechen kommen werde , stellt sich ent- 
schieden der Annahme entgegen, dass die von Bonifaz erbaute 
erste Kirche hier gestanden haben könne. 

Nächst dem Bürberg bietet sich uns Fritzlar , und was uns 
hier sofort entgegentritt , ist die dortige dem h. Peter geweihte 
Stiftskirche. Schon dieser Umstand, dass auch diese gleich jener 
• ersten vom Bonifazius errichteten Kirche dem h. Peter . gewidmet 
ist , muss unsere Aufmerksamkeit anregen und uns 'zu einer 
nähern Prüfung veranlassen. 

Fragen wir nun die ältesten Quellen, so sagt uns zuerst 
Willibald, welcher seine Nachrichten über den h. Bonifaz aus 
dem Munde des Erzbischofs Lullus und anderer Schüler dessel- 
ben gesammelt und deshalb als ein Zeitgenosse betrachtet wer- 
den kann, dass Bonifaz z wei Kirchen in Hessen erbaut habe, die 
eine zu Amöneburg und die andere zu Fritzlar^), und damit stim- 
nlen auch Othlo, Ludger, Einhard und alle übrigen Biographen und 
Annalisten, welche der Gründung der Kirche zu Fritzlar gedenken, 
überein. Alle erwähnen des Oratoriums zu Geismar nicht weiter, 
sondern wissen nur von einer und zwar zu Fritzlar durch Bonifaz 
gegründeten Kirche. Wie aber hätte jenes Oratorium so gänz- 
lich vergessen werden können, da es, wenn auch von Holz ge- 
baut, doch jedenfalls eine längere Dauer als einige Jalirzehnte 
gehabt haben muss. Dass dasselbe aber auch in der That nicht 
vergessen sein konnte, dafür zeugt jener schon oben von mir 
angedeutete Grund, welchen ich jetzt näher ausführen -will. 

Wie bei feindlichen Ueberzügen die Gaue in der Regel nicht 
stückweise, sondern stets als Ganze den Siegern anheimfallen, so 
sehen wir bei den Bekehrungen /umChristenthume immer auch den 



_ 1) F^Ickenheinei', Gesch. Hess. Slädle u. Stifter. I, ürkbch. S. 214 u. 215. 
2) „nnam qnippe in Friedeslare, quam in honore sancli Petri — consecravit, et 
alteram in Hamanaburg, hanc etiam in honore sancti Michaelis archangeli dedicavil." 
Peru, Moa. ^hist. Germ. IL p, 345. 



/• . 



397 



gesammten einen Gau bewohnenden Volksstamm zu dem neuen 
Glauben übertreten. Das war auch mit den Bewohnern des 
fränkischen Hessengaus der Fall. Als sie gesehen, dass der 
heilige Baum niedergestürzt worden, ohne dass die Götter, 
wie sie erwartet, ihn geschützt und den Frevel gerächt hatten, 
waren alle von der Wahrheit des Christenglaubens überzeugt 
worden und hatten sich taufeil lassen *). 

Das nächste Erforderniss nach der Bekehrung war der Bau 
einer christlichen Kirche, und es wurde dem auch sofort ent- ^ 
sprochen, und an der Stelle des Baumes und aus dessen Holze 
eine Kirche aufgerichtet. 

Es war dieses demnach die erste Christenkirche im Gaue 
und als die noch einzige desselben gehörte sie allen Bewoh- 
nern des Gaues; ihr Sprengel umfasste den ganzen Gau; der-, 
selbe bildete eine Parochie. 

In demselben Sinne nennt Adam von. Bremen die Kirche 
zu Meldorf die „ecclesia mater" der Ditmarschen, die zu, Schön- 
feld die ecclesia der Holsteiner und die zu Hamburg die „ ec- 
clesia der Stormaren^). Ebenso wurde die erste gleichfalls 
von Bonifazius gegründete Kirche im Oberlahngau, die zu Amö- 
neburg, die Mutterkirche für diesen Bezirk. In gleicher Eigen- 
Schaft findet sich 1018 die Kirche in Dower : „ ecclesia salvato- 
ris in Dorobemia sita, omnium ecclesiarum regni Angligeni ma- 
ter et domina" *). Als die Mutterkirche " des' fränkischen Hes- . 
sens erkennen wir nun aber eben die St. Peterskirche zu Fritzlar. 
'Die Bedeutung eiiler solchen Mutterkirche steht, das ist 
nicht zu verkennen, so hoch, dass an eine Uebertragung der 
Rechte derselben auf eine andere und zwar jüngere gar nicht 
zu denken ist. Diese Rechte sind unveräusserlich, und schon 
dieser Rechte wegen konnte die erste Kirche nicht und noch 
dazu so bald und so spurlos verschwinden. Ihr Bestand war 
vielmehr gesichert. • 

Fasst man alles diesies zusammen, dann kann unmöglich ■ 



1) „Qao viso prius devolantes pagani etiam versa vice benedictiönem domino, pri- 
stina abjecta malediclione, credentes reddidernnt^^ So Willibald. Olhio sagt: „Quo 
viso pagani, qui illuc merUe perversa conaeneraDt, abiicieDtes omDeni malitiam , bQ- 
nedicentesq^ii^ Deo crediderunt^S ^ 

2) Peru 1. c. VII. p. 310. 

3) Kemble 1. c. IV. nr. 727. 



i 

f 



»78 



noeh ein erheblieher Zweifel darüber bleiben, dass die voa Bo- 
nifaz an der Steile der Eiche erbaute und dem .h. Peter gehei- 
ligte Kirche keine andere- als eben die St. Peterskirche zu Fritz- 
lar sei. 

Auch ein Gebrauch, der, freilich erst aus einer spätem Zeit 
uns berichtet wird, könnte noch als ein Beleg hierfür angeführt 
werden. Wigand Gerstenberger erzählt nämlich in seiner thü- 
ringisch-hessischen Chronik *) wie die Bewohner yon Geismar zum 
^ Gedächtnisse 4er Vemichtui^g der h. Eiche alljährlich nach Fritz- 
lar gekom9ien und auf dem Friedhofe daselbst (vor der St. Pe- 
terskirche) einen Baum gefällt hätten. 

Dftss die Eiche zu Geismar gestanden und trotzdem ihr ei- 
gentlicher Standpunkt Fritzlar gewesen sein soll, dieser Wider- 
. Spruch ist nur scheinbar und lässt sich ohne Schwierigkeit lösen, 
wenn man annimmt , dass Fritzlar erst durch die Gründung des 
Oratoriums hervorgerufen worden sei. 

Und eine solche Annahme hat Vieles für sich.. 

Um's Jahre 723 wird die Eiche gefällt und an der Stelle 
derselben eine Kirche gebaut. Von Fritzlar ist dabei noch keine 
Rede. Erst beinähe ein Jahrzehnt später, um's Jahr 732, baute 
Bonifazius — zufolge der auf uns gelangten Nachrichten — eine 
' dem h. Peter geweihte Kirche nebst einem kleinen Kloster zu 
Fritzlar und hiermit tritt dessen, Name uns zuerst entgegen. Ob 
der Ort damals schon bevölkert war, wird nicht gesagt. 

Die Büraburg war anfänglich nur der Wohnsitz des Bischofs, 
zu Fritzlar aber nur die Kirche. Aus diesetoi Grunde werden 
beide Namen zuweilen für einander gebraucht. Wie nämlich 
ein fri^tzlariisches Martyrolog den ßischofMeingot „episcopus loci 
ipsius"*) und Servatus Lupus den Bischof Witta „praesul Fritisla- 
riensis oppidi" nennt ^), so spricht Papst Zacharias 742 von einer 
„ecclesia Barbarana" (für Büraburg)*) und das schon erwähnte 
Martyrologium in Bezug auf den Bischof Witta von dessen ^ec- 
plesia Burborch"*). 

Beide lyaren, wie man hieraus schliessen muss, gewisser- 



X) Scbraiflickg, Mon, Hqss. 1. 34. 

2) ScbmineJce , Dissertat. bistor. de episjcopala Burabur^ensi. p. 19. 

3) Vita St. Wigberli c. 24. 

4) Wördtwein, Epist. St. Bonifacii nr. 53. 

5) SchmiDcke, Antiq. Friteslar. p. 29. 



an 

massen ein Ort, und als später um die ICirohe Ansiedelungen 
entstanden, traten, dieselben zur Burg in dasselbe- Verhältniss; 
welches man bei zahlreichen s. g. Städten jener Zeit sieht: 
Fritzlar wurde das Suburbium der Büral^urg. Als später Fritz- 
lar zunahm und bald selbst ein befestigter Ort wurde, verlor 
die Burg ihre Bedeutung und verschwand beinahe spurlos. 

Fritzlar wurde also deshalb nicht zum bischöflichen Sitze 
erwählt*, weil ihm die Erfordernisse dazu fehlen; die Büraburg 
verschwindet dagegen, sobald Fritzlar als Wohnstätte erstarkt. 

Auch die Nachricht, das Bonifaz 732 eine Kirche und ein 
Kloster zu Fritzlar erbaut, spricht nicht gegen die Annahme, 
das& hier auch das Oratorium gestanden. Das erste Gebäude 
war sicherlich nur. gering und nur für den augenblicklichen Be- 
darf bestimmt: Auf keinen Fall entsprach es aber den Bedürf- 
nissen eines Klosters, und mit dessen Gründung wurde auch ein 
neuer Kirchenbau nothwendig. Dieser neue Bau wurde aber je- 
denfalls auf dieselbe Weise ausgeführt, wie dieses im spätem 
Mittelälter zahlreiche Beispiele zeigen. Der neue Bau wurde 
nämlich über dem alten aufgerichtet und dieser erst dann be- 
seitigt, als jener so weit vollendet war, dassman den Gottes- 
dienst in ihn übertragen konnte. Dadurch erreichte man den 
doppeltexi Zweck, den Kultus ohne Unterbrechung zu erhalten 
und docli auch 'die für das alte Gebäude im Volke lebende Ver- 
ehrung auf das neue zu übertragen. 

En dlich aber sctliesst sich an alles dieses noch die Bedeu- 
tung des Namens Frideslar. Fridu ist pax und Frides der 
Genetiv, sing, davon; das oft in Ortsnamen wiederkehrende lar 
aber bezeichnet eine Wohnung, auch im Allgemeinen eine be- 
stimmte Stätte. Wie im 'Angelsächsischen Fri&burh, Fri2>gard, 
PriS^hus u. s. w. das Asyl bezeichnet, so heisst Frideslar 
der Friedens ort, die Friedensstätte, d. h. ein Ort der unter 
dem öffentlichen Frieden steht. Jede Malstätte stand unter die- 
sem Frieden, dessen Bruch mit schweren Bussen bedroht war, 
und sicher lag dieser Frieden auch auf jedem andern dem Volke 
geheiligten Orte. Noch heute nennen, wir die Begrab nissstätte 
— Friedhof, weil auch auf dieser der Frieden ruhte, gleichwie 
jede Sicherung oder Umzäunung eines Grundstücks oder eines 
andern Gegenstands — eine Befriedigung. Die Stätte, wo jetzt 
Fritzlar liegt, war also jedenfalls schon vor der Gründung der 
Kirche dem Volke eine geheiligte, ujid so liegt denn auch hierin 



3äO 

für die obeii ausgeführte Annahme noch eine Unterstätzung von 
nicht ufnbedeutendem Gewichte. Auch J. Grimm, obwohl an 
die Annahme einer Identität der beiden St. Peterskirchen nicht 
denkend , vermuthet , „ der Ort könnte den germanischen Hei- 
den bereits eine heiUge Stätte gewesen und auch Bonifaz dufch 
den Namen zu der Wahl für seine Anlage bestimmt worden 
sein *) ". - 

War die Stätte, an der die h. Eiche sich erhob und auf 
der nach deren Fällung das Oratorium errichtet wurde, noch 
nicht bewohnt , so gehörte sie noch zu der Mark eines der be- 
nachbarten Dörfer, und diese Mark war die von Geismar; Des- 
halb konnte auch nur von diesem Dorfe die Rede sein. Erst 
die neue Ansiedlung . und wahrscheinlich die Anlage des Klo- 
sters änderte das Verhältniss. Es wurde der dazu erforderliche 
Boden von der Mark von Geismar abgetrennt und es entstand 
dadurch eine neue Feldmark mit einem selbstständigen Orte. 
Ja, dieser Ort war schon deshalb gleich von seinem Beginne 
selbstständiger, als dieses bei neuen Anlagen im Allgemeinen ge- 
wöhnlich ist, weil derselbe als eine kirchliche Stiftung sicherlich 
auch sofort nach seiner Gründung aus dem politischen Verbände 
geschieden wurde.' Die Erinnerung an die alten Besitzer des 
Bodens musste darum auch um So schneller untergehen, und 
es ist darum ganz begreiflich, wenn alle Spätem, an eine solche 
ursprüngliche Einheit des Bodens beider Orte nicht denkend, 
Fritzlar und Geismar als zwei stets und durchweg getrennte 
Orte sich vorstellen. 

Nach alle diesem wird man nicht mehr zweifeln, dass die 
heutige St. Peterskirche' zu Fritzlar die Stätte bedeckt, welche 
ehemals von der dem Donnergotte geheiligten Eiche beschattet 
wurde." 

Ich habe schon oben bemerkt, dass der Pfarrsprengel die- 
ser 'Kirche den ganzen Hessengau umfasste. 

Später finden wir ausser dieser noch acht andere Kirchen, 
welche zum, Theil schon im achten Jahrhundert vorhanden wa- 
ren und sämmtlich als „Matres" sich zeigen. 

Von diesen bestanden die Kirchen zu Ottrau und Mardorf 



1) Reuberg, Kirchengeschichte Deutschlands I. S. 594. Die Uebersetzuog des 
Namens in Pacis Doctrina, wie sich dieselbe in einem jedenfalls onAchten Briefe des 
Papsts Zacbarias ao Bonifaz und auch später zuweilen findet, verdient keine Widerlegung. 



381 



wenigstens schon Z82 *)," und wenn uns die andern auch erst spä- 
ter, die zu Ditmold im Anfange des elften Jahrhunderts*), die 
zu Gensungeii, Schützeberg j Urf uM Bergheim 1085^) bekannt 
werden,, so sind dieselben deshalb doch nicht, jünger und jeden- 
falls ebenso alt als jene. 

Als im Jahre 782 Karl d. G. dem Stifte Hersfeld „uillam unam 
nomine Ottraha", nämlich das Dorf Ottrauam südwestlichsten Fusse 
desKnüUs, sowie „matremeccleöiamin eadem uilla** ül^ergab, wurde 
zugleich die Gränze des Pfarrei- und Zehntbe^irks beschrieben. 

Diese Beschreibung*) ist folgende: 
„a loco, qui dicitur Siggenbrucca" — diese nicht mehr vorhan- 
dene Brücke muss zwischen Salmshausen ' und Zelle gelegen 
haben, dicht auf der Gemarkungsgränze beider Dörfer; 
„usque in Steinnaha" — in nordöstlicher Richtung in den Bach 

Steina ; 
„et inde usque ad Wilzesberg" — an dem Bache hinauf bis an 

den Wilsberg, nördlich von Häuptschwende; 
„sie per devexitatem montis usque aÄ Hunengesrot" — an dem 
nördlichen Abhänge dieses Berges hin, zwischen Rechberg 
und Schwarzenborri und immer um die Abhänge der Knüll- 
höhe herum , so das Hergetsfeld und Grebenhain ausgtschlos- 
sen bleiben , bis in das obere Thal der Efze ; Hunengesrot ist 
unbekannt ; 

„inde ad Salzesberg" — von Grebenhain in südöstlicher Rieh-, 
tung rechts an Salzberg vorüber; 

„usque in flumen Geysaha" — vor Willingshain wendet sich die 
Gränze wieder in nordöstlicher Richtung über den Gipfel des 
Eisenbergs und zieht an der Geisa hinab; 
ibi vadato flumine usque in Fuldam" — bis zur Mündung der 

Geisa in die Fulda; * 

inde sursum in Jazaha" — in der Fulda hinauf bis jenseits 
Hersfclds in die Jossa, und aus dieser in südwestlicher Rich- 
tung auf der heutigen Landesgränze fort bis zum Hofe Bern- 
gerode ; 



>? 



?) 



^ 



3) Wenck a. a. 0. II. ürkbch. S. 10 u. 12. ' ' - 

2) Perlz 1. c. X. 601. 

3) „ Tres maires ecclesiae, que sie vocantnr Frideslar, Gensioge et Scnziberc — 
— doae matres ecclesiae sie vocatae Urph'a , Bercheim". Würdlwein , Dioee. Mog. 
III. 379. 

4) Wenck a. a. 0. ürkbch. IL S. 12. u. III. S. 15. 



- \ 



t 



38t 

/ 
I 

„in Suarzaha" — von Bemgerode in ganz westlicher Richtung 

zum Dorfe Schwarz, südwestlich von Grebenau; 
„inde deorsum in Leimenbrunnun** — unbekannt; 
„et in Ypaha" — nördlich an Eifa hin , in dem zwischen den 
Dörfern Berf und Elberode bei der Buchenmühle in die Berf 
' mündenden Bache hinauf und den Wald, die Dicke genannt, 
umschlingend , -in dem Friedrichsbom wieder hinab , bis in die 
Berf, in dieser hinab, zwischen Alt- und Neuhattendorf hin- 
durch und unterhalb Dotzelnrod 
„in Sualmanaha" — in die Schwalm; 

„inde per obhquum ad'pontem Screggesbahc" — in der Schwalm 
hinab bis zu der bei der Furthmüle, Heidelbach gegenüber, 
liegenden Brücke;, auf welcher noch heute die in einem schma- 
len Streifen heraufreichende Gemarkung von Schrecksbach 
wendet; / ^ 

„inde in Holunbahc" — wahrscheinlich Heidelbach , denn die 
-Grärize läuft nun am linken Schwalmufer hin bis unterhalb 
Holzburg; - 

„et Diethwinesrodt" — unbekannt; 

„inde sursum in Wipfingestein" — nördhch unter Holzburg hin 
gege« Westen bis zu dem' östlich von Merzhausen liegenden 
Wippestein, einer flachen felsigen Höhe, welche („Wibchen- 
stein") 1366 als Gränzpunkt der Grafschaft Ziegenhain be- 
zeichnet wird; 
„et Salmanneshusun inde deorsum ad predictum öumen Sual- 
manaha, inde iterum ad Siggenbruccun" — in ganz nörd- 
licher Richtung an Salmshausen vorbei bis zum Anfangspunkt 
in der Schwalm. 

Verfolgt man diesen Gränzzug genau , so wird man finden, 
dass derselbe allenthalben auf noch heute vorhandenen sowohl 
weltlichen als kirchlichen Gränzen hinzieht und nanaentlich die 
nachverzeichneten Gebiete umschliesst: 

Das Gericht und die Pfarrei Röllshausen ; die Gerichte und 
die Pfarreien Neukirchen und Ottrau ; das Gericht und die Pfarrei 
Oberaula; das Gericht und die Pfarrei Lingelbach; das Gericht 
und die Pfarrei Breitenbach; das Gericht und die Pfarrei Gre- 
benau; das Gricht und die Pfarrei Niederaula; das Gericht und 
die Pfarrei Frielingen; sowie das ebenfalls eine Pfarrei bildende 
Gericht an der Geisa nqbst der Stadt Hersfeld. 

Vergleicht man nun femer- hiermit das Archidiakonats-Re- 



S8S 



gister der Probstei Fritzlar*) , so ergibt sich dass das el^en nach sei- 
nen einzelnen Bestandtheilen dargesteDte Gebiet genau mit dem 
Sprengel des erzpriesterlichen Stuhls von Ottrau übereinstimmt. 
Dass auch das südliche von der alten Gränze mit eingeschlos- 
sene,, im Register aber fehlende, Gebiet ebenwohl noch hierher 
gehckte , zeigt theils^ eine Urkunde von 1497 , durch welche dem 
OMzial der Probstei zu Fritzlar ein Pfarrer „ad ecclesiam pa- 
rochialem in Schwartz" "präsßntirt wird, theils die folgende aus 
einem ungedruckten Aktenstücke des fünfzehnten Jahrhunderts 
entnommene Stelle : „qüod — dicta ecclesia in Grebenau et aUi ec- 
•clesie et capelle ab eadem dependentes et ad illam spectantes et 
pertinentes videücet in Lingelbach (Lingelbach) , in Breydenbach 
(Breitenbach am Herzberg), in Reynrode (Reinrode), in Hattenrade 
(Hattenrode) , Machtholffs (Machtlos), Gehauwe (Gehau), Ger- 
hartsheim (Görzhaih), Obimjosse (Obemjossa), Clestorif (Eulers- 
dorf), in Abbena (Bieben), et in Walderstorff (Wallersdorf) si- 
mul et comminuttim per unum et eundem rectorem vide- 
licet plebanum in Grebennauwe regnari et gubernari consue- 
uerunt et rector eccle«ie in Grebennauwe pro rectore omnium 
illarum ecclesiarum et capellarum etc". 

Ebenso schliest sich aber auch die oben beschriebene 
Gränze der Kirche zu Ottrau mit ihrem südlichen Theile genrfu 
an die ^Gränze der Kirche zu S.chlitz, welche uns in' einer nicht 
viel jungem Beschreibung erhalten ist 2). 

Die Kirche zu Ottrau wird in der Urkunde von -782 als die 
Mutterkirch^ bezeichnet und war also nicht nur die erste 
Kirche in diesem ganzen Bezirke, sondern es waren auch be- 
reits neue (Filial) Kirchen in ihrem Sprengel gegründet worden. 

Lassen sich diese Kirchen auch nicht aus gleichzeitigen 
oder überhaupt alten Urkunden ermitteln , so geht doch aus spä- 
tem Nachrichten hervor, dasä es die Kirchen zu Oberaula, Gre- 
benau und Niederaula waren. Der ursprünglich einheitliche 
Pfarrsprengel theiltesich demnach weiter in vier Pfarreien. Aber 



1) S. Faickenhemer , Gesch. hess. Städte n. ' Stifter. H. S. 219. Paickenheiner 
bat zwar das älteste, aber nicht das Tollstäodigsle noter den YorhaDdeneo Registern 
mitgetbeilt , denn die spätem nennen noch die Kirchen zu Niederaula, Kirchheim, As- 
bach, JNeukirchen,. Neuenslein und Hattenbach. 

2) Oronke, Trad. et Ant. Fnid. p. 58. Die daselbst p. 120 gegebene schlitzer 
Zehntgränze ist eine von dieser wesentlich versciifedene , und beschreibt nur den Um- 
fang des eigentlich fuldischen Bodens. 



384 

auch -diese wurden in Folge weiterer Kirchenbauten wiederum 
getheilt: die Pfarrei Ottrau in die Pfarreien Ottrau, Schönberg 
(oder Röllshausen), Neufcirchen und Schrecksbach; die Pfarrei 
Grebenau in die Pfarreien Grebenau,, Breitenbach, Lingelbach 
und Obernjosse; die Pfarrei Niederaula in die Pfarreien Nieder- 
aula, Hersfeld, Geisa und Frielingen, und nur die Pfarrei Ober- 
aula blieb (bis auf die später eingetretene Trennung von Schwar- 
zenbom und Hausen) allein ,ungetheilt. 

Jede dieser Pfarreien stimmt nun aber mit einem weltli- 
chen Gerichte überein , dergestalt , dass stets ein Pfarrbezirk zu- 
gleich dem Bezirke eines Gerichts entspricht. 

Wie der erzpriesterliche Sprengel von Ottran sich schon 
782 herausstellt, so würde sich dieses, wären Nächrichten dar- 
über vorhanden, sicher auch bei den übrigen Dekanats-Kirchen 
nachweisen lassen. An derartigen ebenso umfassenden Nachrich- 
ten fehlt es aber. Nur aus dem Dekanate Gensungen lässt sich ur- 
kundhch darthun^ dass die dasige Kirche ebenfalls schon 786 Mut- 
terkirche war, denn in diesem Jahre gab Karl der Grosse die vom 
Erzbischof LuUus erbaute, im Dekanate Gensungen liegende und 
demnach der dortigen Kirche, untergeordnete Kirche zu Grebenau 
an der Fulda dem Stifte Hersfeld*). Wir sehen demnach in 
etwa einem halben Jahrhundert einen dreifachen Kirchenbau 
ausgeführt, und den Gau bereits mit Kirchen bedeckt. Die Ver- 
hältnisse dieser Kirchen zu einander ergeben sich aber leicht, 
wenn wir uns den Gang hoch einmal vergegenwärtigen, welcher 
oben! bei dem Ausbaue der Marken nachgewiesen worden ist. 

Die Kirche zu Fritzlar war die erste Kirche und ihr Pfarr- 
sprengel umgriff den gesammten Gau. Der hierauf zunächst 
folgende Kirchenbau . geschah also in ihrem Pfarrsprengel, ge- 
wissermassen unter ihrer Führung, und die neu entstandenen 
Kirchen traten dem zu Folge in ein untergeordnetes , ein filiales 
Verhältniss zu der zu Fritzlar, während diese dadurch eine Mut- 
terkirche wurde. Es waren aqht Kirchen, welche neu entstan- 
den waren , und es wurde dadurch der ^Gau in neun Pfarreien 
getheilt, denn auch die Mutterkirche zu Fritzlar trat in gleicher 
Eigenschaft mit ein und zwar in der Weise, dass sie neben ihrer 
Eigenschaft als Mutterkirche zugleich auch Pfarrkirche blieb und 



1) Wenck a.'a. 0. III. ürkbcb. S. 15. 



sei 

als solche einen engem unmittelbaren Sprengel erhielt. ' Von 
jeder dieser neun Kirchen ging ntm wieder ein Kirchenbau aus, 
80 dass sich ganz dasselbe Verhältniss wiederholte, indem da- 
durch die Filiale der ersten Kirche jetzt selbst Matres wurden. 
Und so folgte endlich noch ein dritter Bau , der auch die zu- 
letzt entstandene]! Tochterkirchen wieder In Mutterkirchen ver- 
wandelte. 

Aehnlich wie namentlich im fränkischen Hessengau, ent- 
wickelten sich die kirchlichen Verhältnisse auch im Oberlahngau: 
Hier wurde ebenfalls von Bonifazius die erste Kirche zu Amö- 
neburg begründet. Später findet sich der ganze Gau in drei 
, Dechantenbezirke getheilt, welche ihre Hauptsitze zu Amöne- 
bürg, Kesterburg (Christenberg) und Arfelden hatten, wonach 
alse nach dem Baue der Kirche zu Amöneburg die Gründung 
der zu Kesterburg und zu Arfelden gefolgt ist. 

Auch diese drei Orte hatten unzweifelhaft schon vor Ein- 
führung des Christenthums eine höhere religiöse Bedeutung und 
verdankten eben nur dieser Bedeutung ihre kirchlichen Anlagen. 
Für die hohe gewissermassen «chon durch die Natur zu einem 
Altar gestaltete Amöneburg lässt sich zwar nur der Umstand 
anführen , dass Bonifazius daselbst sein Bekehrungswerk in 
Hessen und gewiss nur deshalb hier begann, weil Amöneburg 
der Hauptort dieses Gebiets war. Anders ist es hingegen 
schon mit der ebenwöhl isolirt. auf hohem Berge liegenden 
Kirche von Kesterburg. Schon die beinahe von allen mensch- 
lichen Wohnungen*) abgesonderte Lage dieser Kirche weist 
darauf hin, dass deren Gründung nur durch eine höhere Bedeu- 
tung des Orts veranlasst worden sein kann. Ich will mich nicht 
auf die Sagen stützen, welche hier erzählt werden, sondern nur 
auf den Namen hinweisen. Mag auch der Name Kesterburg 
sich erst seit dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts urkund- 
lich finden , so ist derselbe doch jedenfalls weit älter und reicht 
ohne Zweifel auch noch über die Zeit hinaus, wo hier die erste 
Kirche begründet wurde. Aber welche Bedeutung hatte dieser 
Name? Er dauerte unverändert durch das ganze Mittelalter bis 
^egen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, wo der Name Chri- 
stenberg allmälig den altern verdrängte. Schon 1474 findet 



1) Nur der Pfurrer hntte seine Wohnung dabei, wie dieses noch heute mit denn 
Küster der Fall ist. 

Landaa Territorien. O5 



SM 

i 

sich der „Phern (Pfarrer) zu Christenburg" und noch 1527 heisst 
es „ Kesterberg — jtzo der .Christenbergk genannt *) ". Noch 
heute sieht man die Spuren von Befestigungswerken. Der Gip- 
fel des Berges wird nicht nur durch mehrfache Gräben von 
" dem übrigen Gebirge geschieden , sondern auch vor dem Berge 
liegen noch zwei Gipfel mit deutlichen Resten von Befestigun- 
gen, die Lüneburg und die Lützelburg. 

Bei der dritten Kirche endlich kann ich "zyar nur auf den 
Namen hinweisen, aber dieser Name schon ist bedeutungsvoll. 
Bereits im J. 815 findet sich die „ Harafelder marca ** und um 
dieselbe Zeit auch der „pagus Arahafelt^) **. Harahus nennt 
das ripuarische Gesetz eine Malstätte, welche ursprünglich ein 
Wald war, sicher noch aus heidnischer Zeit entstammend, wäh- 
rend das angelsächsische „ herag " durch fanum , delubrum , ido- 
lüm, simulacrum etc. übersetzt wird'). 

Jeder dieser drei Bezirke zerfiel in eine Anzahl von Pfarr- 
kirchen, von denen eine jede einen Rektor als Pfarrer hatte. 
Es sind das die in dem von Würdtwein*) mitgetheilten Regi- 
ster des Archidiakonats von St. Stephan zu Mainz aufgeführten 
Sedes. 

Mit dieser sich allmälig gebildeten Unterordnung der Kir- 
chen stand die Gliederung der Pfarrer nach verschiedenen Stu- 
fen im engsten Zusammenhange. Der Pfarrer der ältesten und 
ersten Kirche wurde der Archidiakon, die Pfarrer des zweiten 
Baues wurden die Dekane oder Erzpriester, die Pfarrer des drit- 
ten Baues endlich die Rektoren. Diese letztere Würde hat man 
bis jetzt noch immer übersehen ; man wusste nur vom Archidia- 
kone und vom Dekane oder Erzpriester. Aber auch der Rektor 
findet . sich allenthalben , es ist der Hauptpfarrer den Diakonen 
gegenüber, wie sich dieses noch heute in der englischen Kirche 
zeigt. Schon die oben mitgetheilte, die Kirche zu Grebenau am 
Vogelsberge betreifende , Urkundenstelle zeigt ihn uns in klarer 
und bestimmter Weise. Ebenso erkennt man die Stellung der 
Kirche des Rektors aus einer 1167 für das Kloster Schlüchtern 



1) Der .Name Kesterburg hat noch keine befriedigende Erklärung gefunden. 
Rellberg, Kirchengeschichte Deutschlands 1. S. 601. 

2) Cod. Trad. Lauresham nr. 3586 und 3796. 

3) Grimm R. A. S. 794 u. 903 und Mythologie S. 59. 
4; Dioec. Mog. HI. 



ssr 

im Salgaue ausgestellten Urkunde *). Diese Urkunde sagt: „Pa- 
rochia Ramunded (Ramholz) cum basilicis Kalbaha (Oberkal- 
bach), Gunthels (Gundhelm), Grunaha (Altengronau) , , Zonthels- 
bach (Züntersbach) , Sterpfridis (Sterbfritz) , Steckelberg (die Burg 
Steckelberg), Cella (Hohenzell), Steinbach (Hungersteina?), Ci- 
tolves (Zeitlofs), Otekares (Motgers)". Hier wäre also die Kirche 
zu Ramholz *J, die eigentliche Pfarrkirche und alle übrigen er- 
scheinen als derselben untergeordnet. Femer liest man im 
Jahre 1331 von der Kirche zu Meirichstadt: „Ecclesiam pa- 
rochialem in Meierstat cuius rector confert has octo filia- 
les ecclesias s eparat as scilicet in Menenhusen (Mendhau- 
sen westlich von Römhild und dessen Mutterkirche kann es nicht 
sein), Hentingen, Ebern (Ebern), Elspe (EHzbach), Northeim vor 
der Rone, Ostheiln sub Lichtenberg, Hermansfelt (bei Henne- 
berg), Stockheim, Obemstrewe"^). Einen weitem Beitrag hier- 
zu liefert die über die Trennung der grossen Pfarrei Pfarrwei- 
sach im Braunachgmnde im J. 1232 aufgestellte Urkunde *) und 
auch in nordischen Urkunden findet sich der Rektor genannt; 
in einer dänischen vom Jahr 1340 heisst es: „Item quod quili- 
bet rector ecclesiarum parochialium terre Scanie etc. "^). 

Dass alle diese verschiedenen kirchlichen Bezirke nicht 
aus einem willkürlichen Schaffen hervorgegangen waren, son- 
dem auf altern Weltlichen und religiösen Gmndlagen beruhten, 
habe ich schon bemerkt. Das Archidiakonat fiel mit dem Gaue, 
das Dekanat mit der Hundertschaft, das Rektorat mit der Zehnt- 
schaft zusammen. Das Archidiakonat zu St. Peter in Fritzlar 
stimmte genau mit dem fränkischen Hessengaue überein. Dass 
nun auch die neun erzpriesterlichen Bezirke, in welche das Ar- 
chidiakonat zerfiel, sämmtlich alte Centen gewesen, lässt sich 
zwar nicht geradezu nachweisen, aber schon eine Betrachtung 
der Lage der einzelnen erzpriesterlichen Kirchen muss dieses 
wahrscheinlich machen und wenn man nun findet, dass die 
sämmtüchen Gränzen dieser kirchlichen Gebiete mit denen welt- 
licher Gebiete zusammenfallen, so lässt sich kaum noch daran 



1) Wenck a. a. 0. I. ürkbcb. S. 289. 

2) Im 14. Jabrh. findet man bereits 2 Pfarreien , nämlicb zu. Rambolt und zu 
Schlöcbtern. 

3) Arcbiy des hislor. Vereins für d. Unlermainkr. 1. H. 2. S. 102. 

4) Das. VII. 1. 182. 

5) Baring, Moo. Scaniens, 1. p. 105. 

25* 



S88i 

zweifeln, und zwar um bo weniger» als alleathalben ^e Thai- 
Sache sich feststellt, dass die ssunmtlichen Rektorate mit d^n 
alten Dorf bezirken (den spätem Centen) übereinstimmen. So er- 
gibt sich das 786 gezeichnete Gebiet der Kirche zu Grebenau 
als das des nachher sich findenden Gerichts^ Melsungen , und 
nicht weniger stimmen — wie dieses schon vorhin gezeigt worden 
ist — die innerhalb der 782 beschriebenen Gränze der Kirche zu 
Ottrau sich darbietenden Pfarreien mit weltlichen Gerichtsbezirken 
überein. Dieselbe^ Erscheinung bietet ai^ch der Sprengel der 
Dekanatskirche zu Kesterburg. Man vergleiche nur die in einer 
Urkunde 1238 aufgeführten Centen der Grafschaft Battenberg*) 
mit denen bei Würdtwein gekannten kirchlichen Sedes, und man 
wird sich leicht von ihrer Uebereinstimmung überzeugen. 
Centena de Hartenfeld — Sedes Arfelden*). 

- Ruttene — - Rudene. 

- Bentreffe — - Bentreff (Rosenthal). 

- Treisa — - Treysa. 

- Geismare — - Geysmar et Frankenau. 

- Fromelskirch — - Fromeldeskirchen. 

- Lixfeld — - Breidenbach. 

- Dudeffe — - Dutphe, 

- Wetter — - Wetter. 

- Lasphe — - Lasphe. 

Dasselbe wiederholt sich auch mit den Centen, welche eine 
Urkunde von 1237 aus der Grafschaft Rucheslo nennt'). 

Nicht weniger zeigen sich in den aus der östlichem Wet- 
terau* uns erhaltenen alten Gränzbeschreibungen der Kirchen- 
sprengel von Wingershausen, Zelle, Schlitz, Kreinfeld, Reichen- 
bach, Lüder u. s. w. *) genau die spätem Gerichte Burghards, 
Romrod , Lauterbach und Schlitz , 'Kreinfeld , Reichenbach und 
Grössenlüder. 

Wo wir hinblicken, begegnen wir immer wieder derselben 
Thatsache. In dem Kapitular von Paderborn von 785 bestimmte 
Karl der Grosse, dass für jede Cent in Sachsen eine Kirche ge- 



1) Gudenus, cod. dipl. I. 547. 

2) Wo sich- 1253 der dortige Pfarrer als Rektor fiodet. Kopp, Hess. Gericbts- 
VerfassDDg S. 123. 

3) Gudeous 1. c. I. 544* 

4) Dronke, Trad. et Anti^. Fuld. p. 57 ---59. 



38e 

baut werden sollte *). Im Jahr 1067 wird der Ahrgau als eine 
Dekanie umfassend bezeichnet*). Durch den ganzen , Norden 
ist es sogar gebräuchlich die Bezeichnung Kirchspiel Ä\igleich 
als weltliche Bezirksbezeichnung zu gebrauchen. Da jedes 
Urkundenbuch dafür Belege liefert und der Gebrauch heute 
noch fortdauert, wird ein Bei'spiel genügen: „Item Judicium 
Gograviatus in Geseke extendit se super V parochias^) ". Das- 
selbe ünden wir auch in Holstein und Schleswig*). Der pa- 
gus Folderensis z. B. umgriff den östUchen Theil des pagus 
Holsatiae und stimmte mit der parochia Folderensis genau 
überein , welcHe wieder in eine Anjöahl Kirchspiele . zerfiel ^)- 
Eine Urkunde von 1194 über die „provincia Raceburg*' zählt de- 
ren sämmtliche Parochien als weltliche Unterabtheilungen der- 
selben auf^). Ja, in Norwegen werden in dem ältesten Kir- 
chenrechte die Fylkiskirchen (die Archidiakonatskirchen) streng 
von den Ileradskirchen (den Dekanatskirchen) unterschieden'), 
ein unzweideutiges Zeugniss, dass die Fylkiskirche einen gan- 
zen Gau, die Heradskirclie eine ganze Cent umschloss. Ebenso 
hat man dieselbe Uebereinstimmung auch in Frankreich, Eng- 
land, den slavischen Ländern u. s. w. nachgwiesen. 

Die Uebereinstimmung ist so streng, dass man deutlich 
daraus erkennt, wie die Kirche sich ganz und gar auf den welt- 
lichen Grundlagen, welche sie vorfand, aufgebaut hat. Es tritt 
das am deutlichsten in die Augen, wenn man die Stufenfolge 
der weltlichen und kirchlichen Vorstände der einzelnen Gebiete 
neben einander stellt. Dem weltlichen Dekan entspricht der 
kirchliche Rektor, dem Centgrafen der Erzpriester, dem Gau- 
grafen der Archidiakon, dem Unterkönige oder Herzoge der Bi- 
schof, dem König der Erzbischof, und wem man will, so kann 
man auch noch die höchsten Spitzen nehmen und den Kaiser 
und den Papst neben einander stellen. 



1) S. oben S. 294. 

2) Lacomblet, Urkbch. I. S. 136. 

d) Setbert, Urkbch. II. S. 618. Das Gogericht za Brilon hatte 10, die zu Her- 
ford und Medebach jedes 15 Pfarreien. Das. S. 611 , 6J6 n. 637. 

4) Faick, neues Staatsbürger!. Magazin VII. S. 27 ff' und Michelsen, Nordfries- 
land S. 57 ff. ' 

5) FaIck a. a. 0. IV. 590. 

6) Westphalen, Mon. inedita II. p. 2051. 

7) Micbeisen a. a. 0. S. 60. 



390 

Dessen .ungeachtet ist doch auch diese Regel nicht ohne 
Ausnahmen. Nicht allenthalben findet sich jene territoriale Ueber- 
einstimmung , vielmehr zeigen sich hin und wieder bald grös- 
sere bald geringere Abweichungen, gewissermassen Störungen 
des gewöhnlichen Entwicklungsganges. 

Gleich im Norden von Hessen findet man den sächsischen 
Hessengau unter zwei Archidiakonate , einen mainzischen und 
einen paderbornischen vertheilt; doch sind die Qebiete beider 
auch in zwei selbstständige Grafschaften getrennt. 

Von der Mark von Dorndorf an der Werra gehörte der süd- 
westliche Theil, das Gericht Völkershausen , keineswegs wie die 
übrige grössere Hälfte der Mark unter den erzpriesterlichen Spren- 
gel zu Hausen-, sondern unter den zu demselben Archidiako- 
nate gehörenden Sedes Vach *). 

Aehnlich war das Verhältniss der den Vogelsberg einschlies- 
senden nordöstlichen Mark der Wetereiba, sowie der südlich von 
Fulda liegenden Mark Flieden. Während nämlich die beiden 
andern Marken der Wetereiba unter dem Probste des Stifts St. 
Maria ad gradus standen, war diese unter die Probstei des Stifts 
St. Johann gestellt *) und zwar mit der Mark von Flieden, ob- 
gleich diese zu dem Salgau gehörte, welcher im Uebrigen dem 
würzburgischen Archidiakonat von Karlötadt untergeordnet war. 
Dieses bezeugen mehrere Urkunden. So heisst es 1330: „ ca- 
pella castri Nuwehof in limitibus parochialis ecclesie in Flie- 
den"; 1476: „den Buwmeistern vnd Versehern der Capellen zum 
Rückers vnder der. Pfarkirchen zu Flieden gelegen im Mentzer 
Bistumb"; 1487: „capella sancti Laurentii in Niederkalbe, 
moguntine diocesis." 

Dagegen befanden sich alle zwischen dem Salgau und dem 
Grabfeld getbeilten Marken ganz, auch mit ihrer salgauischen 
Hälfte , im grabfeldischen 'Dekanate von Münnerstadt. 

Am auffallendsten jedoch ist die Erscheinung, welche die 
kirchlichen Verhältnisse , der Mark Heppenheim bieten. Dass 
diese Mark in weltlicher Beziehung eine Einheit bildete, ist schon 
oben nachgewiesen worden. Dieses war aber keineswegs auch 
in kirchlicher Hinsicht der Fall. In dieser sehen wir dieselbe 



1) Stephan, Neae Stoflnieferangen. S. 100. 

2) Wenck a. a. 0. If. S. 424. 



391 



vielmehr in drei Theile zerrissen und nach drei Uhtermarken 
unter drei zum Theil sogar verschiedenen Piözesen angehörige 
Archidiakonate vertheilt. 

Betrachtet man zunächst die Mark von Michelstadt, wie 
dieselbe durch die Gränzbeschreibung von 819 sich darstellt, 
so erkennt man in diesem Bezirke den unter dem Archidiako- 
nate des Kollegiatstifts von St. Peter und St. Alexander stehen- 
den Kirchensprengel von Michelstadt, wie denselben die von . 
Würdtwein *) veröffentlichten Register darstellen. Nämhch : Mi- 
chelstadt , Steinbach , Mombron (ausgegangen) , Mpmenhart (Mo* 
ma.rt), Witzenberckh (Würzberg), Asselbornen (Asselbron), Iren- 
gesbuch (Ernstbach), Widengess (Weidengesäss) , Rosbach, Bo- 
law (WaldbuUau) , Ebersbergkh (Ebersberg), Zelle, Eisbach (der 
Hof), Gunderfurst (Günterfürst), Lurbach (Lauerbach), Schonaw 
(Schönen), Steinbach (Steinbuch), Stocken (Stockheim), und Yuln- 
bach (Eulbach). Aber nicht nur dieser, sondern auch die Spren- 
gel vonMosau, Gütersbach, Beerfelden, Brombach, König und 
Lützelbach ^) gehörten noch zu demselben Archidiakonate. 

Wie dieser nordöstliche Theil unter dem Archidiakonate 
von AschaflTenburg , so stand der südwestliche unter dem worm- 
sischen Dekanate von Weinheim ^), der nordwestliche aber mit 
Heppenheim, Bensheim u, s. w. unter dem mainzischen Archi- 
diakonate von St. Viktor *). . 

Wie und wodurch solche Abweichungen veranlasst worden, 
ist wohl in den wenigsten Fällen zu erläutern. Meist mögen 
jedoch die bei der Einführung des Christenthums bestandenen 
Besitzverhältnisse einen wesentlich bestimmenden Einfluss dar- 
auf geübt haben. 

Al§o Ausnahmen hat jene Regel, aber diese Ausnahm.en 
sind doch nur vereinzelt und heben darum die Regel nicht auf. 
W^ohl aber mahnen sie, zur Vorsicht und warnen den Forscher 
nicht ohne. genaue Prüfung dieser Regel zu folgen. 

Noch schwankender steht diese Regel in Bezug auf die 
Bildung der bischöflichen Diözesen. Obwohl es auch hierbei 
als Grundsatz zu betrachten ist, dass für jeden Volksstamm ein 



1) Dioeces. Mog. I. 60 ff. 

2) Ibid. I. 605, 606, 607, 615, 616 u. 618. 

. 3) Dalil , Beschreibung des Fürslenih. Lorsch. Uikbch. S. 18. 

4) Wüydiwein , Dioec. Mog. I. p. 422 u. 472. 




Bischof bestimmt wurde , so wirkten doch so viele andere Dinge 
mit ein, dass nur in den wenigsten Fällen dessen strenge Durch- 
führung noch erkenntlich ist. Während einzelne Diözesen sich 
erweiterten, wiirden andere zerrissen, um neue zu bilden, und 
ebenso wenig gehörte - dem Bischofssitze immer aucl^ die älteste 
Kirche *). Die Bildung der Diözesen ist oft ebenso willkürlich, 
als die Bildung der Königreiche. 

Auf die Pflichten und Rechte der verschiedenen kirch- 
lichen Vorstände, sowije auf die geschichtliche Verfolgung der 
allmäligen Umgestaltung derselben, lasse. ich mich hier nicht 
ein, da mein Zweck sich nur auf die Darlegung der Gründung 
und Ausbildung der Gebiete bescliränkt und dieser, wie ich 
hoffe, erreicht worden ist. 

Nur eins will ich hier noch beiläufig erwähnen : die Doti- 
rung .der Kirchen. Diese geschah stets durch Ueberweisung einer 
oder einiger Hufen mit ihren Hörigen. In dem Kapitular von 
785 verfügte Karl der Grosse, dass zu jeder Kirche die zu ihr 
gehörigen Gaubewohner (pagenses) einen Hof (curtem) und zwei 
äufen (mansQs) Land anweisen und auf je 120 Menschen-) 
einen Knecht und eine Magd zutheilen sollten^). Aehnlich se- 
hen wir dasselbe allenthalben, nur ist die Zahl der überwiesenen 
Hufen nicht immer gleich. Bald ist es nur eine Hufe *), oft sind 
es zwei, nicht selten aber auch 3, 4 und 5 Hufen ^), und zu- 
weilen gehören auch noch Mühlen u. s. w. zur kirchlichen Aus- 
stattung ®). 



1) Wie Luntzel , die Diözese Hildesheim S. 186, behauptet. 

2) S. oben S. 294. 

3) Perlz, Leg. I. p. 49. . 

4) „Unam basilicam — et mansam , in quo ipsa basilica sila est et XXI jurnales 
et II servos** Trad. Lauresh. Nr. 1862. 

„ In Blasbach nniim mansura et ecciesiam cum ipso manso , super q^icm aeih« 
ficata est et de pomiferis tertiana parlem et hubam unarn et quidquid ad ipsam per- 
tinet, et qualuor mancipia et de nianso indominicato ad aedificaodum domora et 
aream construendam et horlum faciendum.'* Ibid. nr. 3721. 

5) Jüvävia. Beil. S. 26 u. 27. 

6) „Quandam sedilem suam curlim Burlina nomine cum ecclesia ibidem con- 
strncta — cum foreslo uno Biirtina atlingente cum tribus slabiilaribus curtibus nna 
quidem ea loci sila , celeris duabus extra jacenlibus Chumhohingun scilicet et Heliin- 
stein diclis, cum cetisualibus bobis ad easdem curles perlinenlibus , cum iribiis rao- 
Jendinis, cumvineis IV Rosezzun silis etc." v. Koch - Sternfeld , Beilr. zur leutschen 
Länder-, yölker-, Sitten- und Staalenkunde IL 80. 81. 



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(Druck von W. P 1 cJ t z in Halle.) 



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