A'
Studien
zur
Grescliiclite der Theologie
imd der Kirche
lierausg-egeben
von
N. Bonwetseh und R. Seeberg
Güttingen. Berlin.
Fünfter Band.
Leipzig.
Dieterich' sehe Yerlags-Buchhandlung
Theodor Weicher
1900.
Die Theologie
des
Johannes Duns Seotus,
Eine dogmengesehiehtliche Untersuchung
von
Keinhold Seeberg.
Leipzig.
Dieterich'sche Verlags-Buchhandlung
Theodor Weicher
1900.
THE INSTITUTE OF MEDIAEVAL STU0:£3
10 ELMSLtV PLACc:
TORONTO ö, CANADA,
0CT22ig31
154
Vorwort.
Im zweiten Bande meiner Dogmengeschiclite habe ich eine
neue Methode der Dogmengeschichte des späteren Mittelalters
und der Eeformationszeit durchzuführen versucht. Ein der-
artiges umfassendes Unternehmen bedarf naturgemäss der Nach-
prüfung und der Bewährung und Erprobung im einzelnen.
Diesem Zwecke dient auch die vorliegende Monographie, deren
Notwendigkeit in der Einleitung des Werkes auch von anderen
Gesichtspunkten her erwiesen wurde. In diesem Zusammenhang
ist es begründet, dass ich auf das erwähnte frühere Werk öfter
habe Bezug nehmen müssen. Dort Bewiesenes sollte nicht
nochmals bewiesen werden. Aber ich habe in dieser Arbeit
manches zur Befestigung und Vertiefung, und auch zur Ver-
besserung des früher Dargelegten beibringen können. Im letzten
Kapitel kommt die dogmengeschichtliche Bedeutung des Duns
Scotus zur Sprache. Lesern, denen es zunächst auf diesen
Gesichtspunkt ankommt, möchte ich raten, die Lektüre des
Buches mit dem letzten Kapitel zu beginnen. Die dort ent-
falteten allgemeinen historischen Zusammenhänge werden sich
ihnen, wie ich meine, für das Verständnis und die selbständige
Beurteilung der Details der scotistischen Theologie als förder-
lich erweisen.
Es geschieht meines Wissens durch dies Buch zum ersten-
mal, dass ein protestantischer Theologe die Theologie eines der
grossen Scholastiker in ihrem ganzen Umfang darzustellen ver-
sucht. Aber die Missverständnisse des Duns Scotus, die die bis-
herigen Darstellungen bedrückten, erklären sich gerade daraus,
dass die betreffenden Gelehrten nur Bruchstücke der scotistischen
— VI —
Theologie kauntcn. So anregend es ist, die Ansichten einer
historischen Persönlichkeit von der Geschichte eines besonderen
Begriffes her (hier also des Gottesbegriffes, der Sünden- und
Freiheitslehre) zu erfassen, so sehr bedarf dies Unternehmen
zur Grundlage eines gesicherten Verständnisses der Zusammen-
hänge in der Gedankenwelt des betreffenden Mannes. Ich
habe dies letztere für Duns Scotus zu gewinnen versucht. In-
wieweit es zu neuen Einsichten geführt hat, wird der kundige
Leser dem Buch selbst leicht entnehmen.
Es bestand ursprünglich die Absicht, die Untersuchungen
dieses Werkes fortzusetzen und sie auf die ganze Theologie
des ausgehenden Mittelalters auszudehnen. Ich vermag heute
nicht zu sagen, ob und wann ich etwas von dieser Absicht
werde ausführen können. Aber ich will den Wunsch nicht
unterdrücken, dass sich für die Geschichte der scholastischen
Theologie in der Zukunft etwas mehr Bearbeiter finden mögen
als in der Vergangenheit. Es wimmelt hier geradezu von
Problemen der verschiedensten Art, und die Schwierigkeiten,
welche Denkweise und Sprache jener Autoren den modernen
Lesern bieten, sind doch nicht unüberwindlich. In dem vor-
liegenden Buch ist ein Anfang dieser Studien gemacht worden,
möchte es an Fortsetzern und Mitarbeitern, die sich vor un-
gebahntem Wege nicht fürchten, zumal unter den jüngeren
Fachgenossen, nicht fehlen!
Die Inhaltsangabe ist so eingehend gehalten, dass von
einem alphabetischen Register abgesehen werden konnte. Der
Leser wird das Gewünschte leicht finden.
Berlin, Anfang August 1900.
R. Seeberg.
6Q
Einleitung.
Die Aufgabe. Leben und Schriften des Johannes
Duns Scotus.
1. Auf den folgenden Bogen soll die Theologie des Duns
Scotus einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden.
Es wird nicht notwendig sein, für dies Unternehmen nach einer
Rechtfertigung zu suchen. Denn dass die Theologie des Duns
Scotus einer der wirkungskräftigsten Faktoren in dem Geistes-
leben des ausgehenden Mittelalters und deshalb auch noch des
Eeformationszeitalters gewesen ist, diese Beobachtung wird sich
kaum jemandem, der sich mit diesen Dingen etwas eingehender
zu beschäftigen Anlass hatte, entziehen. Ebensowenig dürfte
aber anzunehmen sein, dass viele die wissenschaftliche Genüg-
samkeit bis zu der Erklärung treiben werden, durch die bis-
herige Erkenntnis der Theologie des Duns Scotus befriedigt
zu sein. Wie wenig das berechtigt wäre, kann man an der
Mehrzahl unserer Dogmengeschichten recht deutlich sehen.
Die Gemeinplätze, die man dort bisweilen über Duns Scotus
zu lesen bekommt, lassen es begreiflich erscheinen, dass die
Verfasser es nicht zu einer anschaulichen Darstellung seiner
geschichtlichen Bedeutung bringen. Von den Geschichten der
Ethik möchte ich dabei lieber absehen, da dieselben leider bisher
auf weiten Strecken des Mittelalters kaum über eine dankbare
oder auch undankbare Benutzung von des alten Stäudlin „Ge-
schichte der Sittenlehre Jesu" (Bd. IV, Göttingen 1823) hinaus-
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 1
2 Einleitung.
reichen. — Ebenso kann man sich aber auch nicht immer des
berechtigten Staunens erwehren, wenn bei der Erläuterung von
Urkunden oder theologischen Gedanken der Reformationszeit
zwar oft Thomas von Aquino, aber sehr selten — und dazu
nicht selten in Formen, die die Herkunft aus landläufigen Se-
kundärquellen sicher stellen — Duns Scotus, Wilhelm Occam
und Gabriel Biel citiert werden.
So offenkundig diese Mängel und Lücken sind, so sehr
wird sie derjenige zu entschuldigen wissen, der sich mit Duns
Scotus beschäftigt hat. Auf sehr vielen der deutschen Biblio-
theken fehlt die einzige ältere Gesamtausgabe seiner Werke ^),
wohl auf den allermeisten die jüngst erschienene Pariser Edition
derselben ^). Dazu kommt aber die ungeheure Schwierigkeit, die
die Lektüre des Duns Scotus dem mit seiner Denk- und Rede-
weise nicht Vertrauten bereitet. Es darf deshalb für Duns
weniger Wunder nehmen als für andere Gebiete, dass viele,
die Beruf oder Bedürfnis haben über ihn zu reden, sich nie
auch nur oberflächlich mit seinen Werken abgegeben haben.
Aber dem sei, wie ihm wolle, dass die Aufgabe, die sich
dieses Buch stellt, ein wissenschaftliches Bedürfnis ist, dürfte
nicht abzuleugnen sein.
Ich will mit diesen Bemerkungen selbstverständlich den
Verdiensten der Forscher, die sich bisher mit Duns Scotus
beschäftigt haben, nicht zu nahe treten. Allein die-
selben genügen den vorhandenen Bedürfnissen doch nicht.
Sieht man von den älteren Kontroversschriften zwischen Scotisten
und Thomisten, die sich oft ganz in dialektischem Kleinkram
verlieren, ab, so hat neuerdings, ausser etwa dem Programm
von Baumgarten-Crusius^), nur der Katholik Karl
Werner eine zusammenhängende Darstellung der scotistischen
Theologie dargeboten *). Aber in diesem Werk, wie überhaupt
in den Darstellungen der scholastischen Theologie, prävaliert das
philosophische Interesse in dem Grade, dass die wichtigsten
theologischen Fragen, wie etwa der religiöse Gottesgedanke, der
1) ed VVadding, 13 Bde. fol. Lyon 1639.
^) 26 Bde. 4«, Paris 1891—1895.
*) De theologia Scoti, Jena 1816.
*) Joh. Duns Scotus, Wien 1881.
Die Aufgabe. 3
Gnadenbegriff, das Buss- und Abendmahlssakrament, teils gar
keine, teils nur eine ganz knappe Erörterung finden. Die
Einleitung sowie die Darstellung der Philosophie des Duns
Scotus reicht von S. 1 — 331, während von S. 331—496 die
gesamte Theologie behandelt wird. Aber es liegt nicht bloss
an der Kürze, dass dieses wie auch andere Werke des rast-
losen Forschers so wenig geniessbar und so unfruchtbar sind. Ich
erkläre mir dies aus anderen Gründen. Die Geschichtsdar-
stellung Werners erschöpft sich nämlich in der Aufführung
der technischen Mittel und der Resultate der Anwendung dieser
Mittel. Werners Werken fehlt das dogmengeschichtliche In-
teresse, seine Geschichte ist Geschichte der theologischen
Technik. Daher wird der Leser, der erfahren will, welche
religiösen oder geschichtlichen Motive die Gestaltung einer
Lehre bedingten, in welchem Zusammenhang diese Lehre mit
der Gesamtanschauung des betr. Denkers steht, und in welche
grosse historische Entwicklungsreihe diese Gestaltung eingreift,
sich durch Werner immer enttäuscht finden. Endlich wird
aber die Tugend der historischen Unparteilichkeit zur Untugend
der Langweiligkeit, wenn die Gestaltungen der Entwicklung
nur aneinandergereiht und weder nach dem objektiven Mass-
stab der geschichtlichen Wirkungskraft noch nach dem sub-
jektiven Massstab des Wahren oder Falschen, des Nützlichen
oder Schädlichen gegen einander abgestuft werden. Indem
aber der Protestant sein Verständnis der Erscheinungen des
Mittelalters zuhöchst au ihrer Bedeutung für die Reformation
bemisst, wird er sich notwendig zu einer lebhaften Anwendung
dieser beiden Massstäbe einem der einflussreichsten Denker des
Mittelalters gegenüber aufgefordert fühlen. Also hoffe ich,
dass meine Darstellung neben der Werners ihr Recht behaupten
und bewähren wird ^).
Geschichtlich wirkungsreicher als Werners Bemühungen
waren die Studien, welche zwei grosse Meister der Dogmen-
geschichte in unserem Jahrhundert , F. Chr. B a u r und
A. R i t s c h 1 , auf die scotistische Lehre gerichtet haben. Baur
^) Eine im wesentlichen zutrefi'ende kurze Darstellung der einzelnen
scotistischen Lehren s. bei Schwane, Dogmengesch. der mittleren Zeit,
Freiburg 1882.
1*
4 Einleitung.
lehrte in seiner wenn auch nicht überall das Richtige treffenden,
so doch immer sinnreichen und scharfsinuigen Darstellung der
scotistischeu Gedanken von Gott, der Menschwerdung und der
Versöhnung ^), die scotistische Theologie, als den zweiten grossen,
dem Thomismus entgegengesetzten Typus der mittelalterlichen
Lehrentwicklung verstehen. Sodaun hat Ritschi eindrücklich
gemacht, eine wie grosse Bedeutung der scotistischen Lehre
für das ausgehende Mittelalter sowie für bestimmte Ideen des
reformatorischen Zeitalters eignet ^). — Es wird nicht nötig
sein, den gelegentlichen Notizen und Bemerkungen nachzu-
gehen, die, in der Regel durch diese anregenden Forschung
hervorgerufen, in der neueren protestantischen dogmen-
historischen Litteratur über Duns Scotus gemacht wurden.
Trotz aller dieser Arbeiten wird man nicht in Abrede stellen
können, dass es einer Gesamtdarstellung auch heute noch
dringend bedarf. Denn erstens haben Baur und Ritschi nur
Fragmente der scotistischen Theologie dargestellt, zweitens
haben sie eben wegen dieser Beschränkung ihrer Absicht weder
den Gesamtzusammenhang der scotistischen Gedanken, noch
auch den Umfang ihrer historischen Fortwirkungen genügend
anschaulich zu machen vermocht. Sonach wird trotz des hohen
Verdienstes der beiden massgebenden Forscher die bezeichnete
geschichtliche Aufgabe auch heute noch als eine der Lösung
harrende zu bezeichnen sein •^).
Die gemachten Bemerkungen werden auch darüber auf-
klären, in welcher Weise diese Aufgabe im folgenden auf-
gefasst und gelöst werden soll. Es handelt sich nur darum,
die scotistische Theologie in ihrem vollen Umfang, aber auch
in ihrem inneren Zusammenhang zu verstehen und darzustellen.
Die Mannigfaltigkeit seiner Anschauungen und Auffassungen
^) S. die christl. Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung
Gottes Bd. II (Tübingen 1842), S. 448 ff., 589 ff., 621 ff., 642 ff., 673 ff'..
690ff., 727 ff., 759 ff, 823 ff, 861 ff., 8661".
^) S. die geschichtl. Studien zur christl. Lehre von Gott in den
Jahrb. für deutsche Theol. 1865, S. 298 ff. ; die christl. Lehre von der
Rechtfertigung und Versöhnung I^ 73ff. ; Geschichte des Pietismus I, 470.
^) In der Kürze habe ich die Lösung dieser Aufgabe versucht in
meiner Dogmengeschichte Bd. II (1898), S. 129 ff., 109 ff., 116 f., vgl.
Realencyclopädie für prot. Theol. V^, 62 ff'.
Die Methode, 5
sowie die Einheit seiner religiösen Weltanschauung soll dem
Leser vorgeführt werden. Hinsichtlich der philosophischen
Lehren des Duns als solcher glaube ich mich mit einer
kürzeren Betrachtung begnügen zu können, denn einerseits
müsste durch eine weitere Ausführung dieser Band zu sehr
anschwellen, andererseits würde ein detailliertes Eingehen etwa
auf die Physik oder Logik des Duns meinen Studien zu fern
liegen und sich auch für den Hauptzweck dieses Buches kaum
als besonders förderlich erweisen. Indessen sollen doch die für
die theologische und religiöse Weltanschauung des Duns wesent-
lichen philosophischen Begriffe, sei es in dem 1. Kapitel, sei es
im Verlaufe der Arbeit selbst etwas eingehender besprochen
werden. Ich beabsichtige also die Theologie, und nicht die
Philosophie des Duns Scotus darzustellen und bitte den Leser,
dies im Auge zu behalten. — Was endlich die geschichtlichen
Zusammenhänge der scotistischen Lehren anlangt, so werden
dieselben gelegentlich und dann zusammenfassend im letzten
Kapitel zur Erörterung kommen. Aber ich müsste ein Buch
für sich schreiben, wenn ich diese Aufgabe in umfassender
Weise lösen wollte. Ich werde mich hier also auf die Fest-
stellung der Hauptzusammenhänge beschränken müssen, welche
nur in der Detailuntersuchung allmählich werden erprobt
werden können. Hier möchte ich aber hervorheben, dass es
sich mir weniger handelt um die Beziehungen, welche die Theo-
logie des Duns nach rückwärts, als um die, welche sie nach
vorwärts einnimmt. Erstere deutet Duns selbst häufig an und
sie ergeben sich auch leichter bei einiger Kenntnis der mittel-
alterlichen Dogmengeschichte, letztere aber stellen die ge-
schichtliche Bedeutung des Mannes in das entsprechende Licht,
wie schon Ritschi erkannt hat. Es werden also vor allem die
Beziehungen der scotistischen Theologie zu dem Beformations-
zeitalter sein, die uns in dem letzten Kapitel dieses Buches
beschäftigen sollen. Dieser Gesichtspunkt wird auch für die
Auswahl des zu behandelnden Stoffes von Bedeutung sein
müssen.
Durch diese Bemerkungen ist die Methode, welche in
dieser Untersuchung befolgt wird, nach der allgemeinen Seite
hin bezeichnet. Was nun die Form der Darstellung im ein-
6 Einleitunp^.
zelnen anlangt, so ist vor allem die Frage zu erheben, inwie-
weit der ü(;schichtsschreiber verpflichtet ist, die wissenschaft-
liche Methode seines Helden zum Wort kommen zu lassen.
Im allgemeinen lässt sich darauf antworten, dass das insoweit
zu geschehen hat, als es notwendig ist, um die eigentümliche
J3enkweise, die wissenschaftliche Methode und den Wert der Be-
weise, sowie die historischen Wirkungen des behandelten
Theologen verständlich zu machen. Hieraus ergibt sich aber,
dass die methodische Konstruktion sowie die wesentlichen Be-
weise für die vorgetragenen Lehren eingehend geschildert
werden müssen. Es wäre für den Leser gewiss bequemer
und reizvoller, wenn nur die Hauptresultate des Duds in ihrer
nicht selten paradoxen Zuspitzung — etwa mit der subjektiv
gefärbten Beurteilung ihres Wertes oder Unwertes — zur
Aussage gelangten. Aber abgesehen davon, dass es sich hier
um Werke handelt, die äusserlich wie innerlich gleich schwer
zugänglich sind, würde dies Verfahren den Anforderungen nicht
gerecht werden, die man an eine umfassende Monographie zu
stellen berechtigt ist. Nun sind aber in der Regel die Kon-
struktionen und Beweise des Duns Scotus so unendlich kom-
pliziert, dass eine treue Wiedergabe nur bei Reproduktion der
einzelnen dialektischen Gänge des Autors möglich ist. Ich
werde mich bemühen, das Hauptresultat zum Schluss der ein-
zelnen Erörterungen möglichst einfach und deutlich auszu-
sprechen, aber ich muss schon im voraus den Leser für
manche mühsam zu lesende und noch mühsamer zu schreibende
Erörterung in diesem Werk um Entschuldigung bitten. Gerade
weil die Resultate in mancher Richtung als neu und über-
raschend erscheinen dürften, muss der Leser in die Lage ver-
setzt werden, genaue Kontrolle an ihnen zu üben. Es gereicht
mir zur Bestätigung der gewählten Darstellungs weise, dass auch
Baur und Ritschi auf ihren besonderen Gebieten dieselbe zu
wählen sich veranlasst gesehen haben, und dass auch die Hi-
storiker der Philosophie keinen anderen Weg der Darstellung
einzuschlagen gewagt haben. Das gilt nicht nur von den
Deutschen, sondern auch von den an Darstellungsgabe uns bis-
weilen überlegenen Franzosen, ich erinnere anHaureau's Hi-
stoire de la philosophie scolastique (II, 2), an Pluzanski' s
Die wissenschaftliche Tendenz der Franziskaner. 7
Essai sur la philosophie de Duus Scotiis (Paris 1887), ja selbst
an Renan's Bemerkungen im 25. Bande der Histoire litter aire
de la France. So mögen denn die Schwierigkeiten, die die
Lektüre dieses Buches bereitet, nicht nur mit der etwaigen
Unfähigkeit des Verfassers leichter zu schreiben, sondern auch
mit der Natur der Sache und der Aufgabe freundlich erklärt
und entschuldigt werden.
2. Nach diesen einführenden Bemerkungen wollen wir einen
Blick auf das Leben und die Schriften des Duns Scotus werfen.
Duns Scotus war ein englischer Minorit, und sein Leben fällt
an den Schluss einer der arbeitsreichsten und - freudigsten
Perioden in der Geschichte der abendländischen Theologie.
Diese beiden geschichtlichen Thatsachen stellen den Rahmen
für sein Leben und Wirken dar. Der Minoritenorden stand
auf der Höhe seiner weltgeschichtlichen Wirkungen. Als im
Jahre 1224 die ersten Anhänger des heiligen Franz den eng-
lischen Boden betraten, erschöpfte sich ihre Aufgabe noch in
den Arbeiten der „Evangelisation" und der ,, inneren Mission".
Das war anders geworden. Die ,, Armen Christi'^ hatten Macht
und Einfluss gewonnen, die „Evangelisten" streckten die Hand
aus nicht nur nach dem Steuer der Kirche, sondern auch nach
der Palme der Wissenschaft. Die Dominikaner gingen diesen.
Weg, die Minoriten folgten, nicht zögernd, sondern entschlossen.
Im Jahre 1222 war ein gefeierter Lehrer der Weltuniversität
Paris, der aus England gebürtige Alexander von Haies in den
neuen Orden eingetreten. Davon sagt Roger Bacon: quum
intravit ordinem fratrum minorum, fuit de eo maximus rumor
non solum propter condiciones suas laudabiles, sed propter
quod novus fuit ordo minorum et neglectus a mundo illis tem-
poribus, et ille aedificavit mundum et ordinem exaltavit. Ex
suo ingressu fratres et alii exsultaverunt in coelum et ei de-
derunt auctoritatem totius studii. Er ist ein Gelehrter gewesen,
wie die anderen Theologen seiner Zeit auch. Aber selbst ein
Bonaventura hatte trotz der mystischen Grundstimmung seiner
Seele, die man auch bei dem Lesen seines Sentenzenkommentars
empfindet, doch auch in diesem Werk ganz der dialektischen
Kunst seiner Zeit Rechnung tragen müssen. Aber man hielt
auf der Bahn der älteren Theologie an der Autorität Augustins
8 Einleitung.
auch auf philosophischem Gebiet fest. Es war ein stark reali-
stischer Zug in dem Denken der Franziskaner. Man glaubte
an die Realität der Ideen kriiftiger und unmittelbarer als die
dem Albert und Thomas folgenden, d. h. streng und aus-
schliesslich aristotelisch gerichteten Dominikaner. Dazu kam
ein gewisser freier kritischer Zug den Autoritäten gegenüber.
Im Jahre 1284 wies der Franziskaner Wilhelm von Marra in
seinem Correctorium oder der Summa contra Thomam, dem
theologischen Haupt der Dominikaner vom Boden des franzis-
kanischen Realismus her eine Anzahl Irrtümer nach ^). Es be-
stand ein lebhafter Gegensatz. In Paris und überhaupt auf
dem Festland hatten die Thomisten die Oberhand. Oxford
war die Hochburg der franziskanischen Realisten.
Hier hatte der mächtige Protektor der franziskanischen
Sache in England, Robert Grosseteste (f 1253)^) ihnen
die Wege geebnet und durch seine eigenen Anregungen einen
Typus der Theologie herzustellen geholfen, der für die eng-
lische Theologie der nächsten Zeit massgebend wurde und
dessen Nachwirkungen für die Geschichte der Theologie in
England auch für spätere Zeiten belangreich gewesen sind.
Er selbst hielt, so lange er in Oxford war, den Franziskanern
Vorlesungen ^).
Man kann aber diesen geschichtlichen Zusammenhang noch
weiter zurückverfolgen. Die Theologie der Schule von Bec ist
durch Anselm von Canterbury nach England verpflanzt
worden. Die anselraischen Gedanken haben hier kräftiger und
ungeteilter als anderwärts fortgewirkt. Die Bedeutung An-
selms besteht darin, dass er die Begriffe der Überlieferung
selbständig durchdachte und sie in Formen goss. in denen sie
den Zeitgenossen wieder näher kamen und verständ-
lich wurden. Man redete von der Erlösung durch Christi Tod,
Anselm lehrte diesen Gedanken in den geläufigen Begriffen
der Busspraxis (Satisfaktion) denken und daher verstehen.
Durch die Zeit ging der unausgeglichene Zwiespalt zwischen
*) Vgl. Haureau, Histoire de la philosophie scolastique 11 2. 100 f.
2) Vgl. über ihn Feiten, Robert Grosseteste, Freiburg i. ß. 1887.
^) Thomas de Eccleston, de adventu minorum coli. 10.
Anselms Bedeutung für die englische Theologie. 9
dem strengen Grlauben an die Überlieferung und der Forde-
rung nach vernünftigen Beweisen, wie es etwa die Geschichte
Berengars oder Abälards zeigt. Anselm fand und h?hrte die
Kunst, beides mit einander zu vereinigen, „wissenschaftlich^^
und .jkirchlich'^ in einem zu sein. Uli ideo ratiouem quaerunt,
quia non credunt, nos vero quia credimus ; unumidemque
tamen est quod quaerimus (cur deus homo? I, 2). Die
Grundlage der Arbeit des Theologen ist der Glaube an die
überkommene Lehre, fides et mandatorum obedientia. Qui
non crediderit, non experietur et qui expertus non fuerit, non
intelliget (Anselm de fide trinit. 2). Die dialectici moderni
dagegen: nihil esse credunt, nisi quod imaginationibus com-
prehendere possunt (ib. 3); der kirchliche Theologe glaubt,
was die Kirche lehrt, so gewinnt er davon innere Anschauung
oder Erfahrung und erweist es schliesslich Judaeis et paganis
als sola ratione notwendig. So hat es Anselm mit den christ-
lichen Hauptdogmen, mit dem Dasein Gottes, der Dreieinig-
keit, der Menschwerdung gethau (ib. 4. Cur deus homo? I, 1 f.
10. 20. 25. II, 9. 11. 15. 23). Gelingt nun freilich dieser
Beweis nicht, so soll der Theologe trotzdem an der Kirchen-
lehre festhalten (Monolog. 64. de fide trin. 2). So durfte der
Geist sich erheben zu den kühnsten Reisen in die Gefilde der
Spekulation, starke Seile hielten ihn doch wieder fest auf dem
Boden der Wirklichkeit oder des positiven Dogmas. Man hat
die Kühnheit des anseimischen Realismus später eingeschränkt,
aber doch wird es nicht Zufall sein, dass es zwei Engländer
- — Duns Scotus und Occam — waren, welche die doppelte
Tendenz der gekennzeichneten Gedanken am' schärfsten aus-
geprägt haben. Das ist der erste Punkt, in dem hier Anselm
für uns in Betracht kommt. Aber seine Bedeutung für die Ge-
schichte der englischen Theologie reicht weiter. — Wir gedenken
2) der starken Betonung des Willens, seines Wesens und seiner
Freiheit. Velle non potest invitus, quia velle non potest no-
lens velle, nam omnis volens ipsum suum velle vult (de lib.
arb. 5). Der Wille hat für seine Entschliessungen keinen
anderen Grund, als dass er will. Cur ergo voluit? Non nisi
quia voluit, nam haec voluntas nullam aliam habuit causam qua
impelleretur aliquatenus aut attraheretur, sed ipsa sibi efficiens
10 Einleitung.
causa fuit, si dici potest, et effectus (de casu diabol. 27). —
3) Auch in Gott wird der Wille energisch betont (s. den Traktat
de voluntate dei). Im übrigen wendet Anselm auf Gott gern
die germanische Anschauungsweise an, die in ihm den gütigen
Herrn erblickt, den potentissimus dominus et sapientissimus
rector omnium (Monolog. 79), der in seinem Reich Zucht und
Ordnung aufrecht erhält — daher die Notwendigkeit der Satis-
faktion (cur deus homo? I, 12. 15. 23. II, 16) i) — und
dazu sowohl Gerechtigkeit als Barmherzigkeit walten lässt (ib.
11, 2L Proslog. 9). Der Wille Gottes beherrscht die Welt:
nihil est necessarium aut impossibile, nisi quia ipse ita vult (cur
deus homo? II, 17). Gott lässt aber das eine in der Welt durch
Notwendigkeit, das andere durch Freiheit geschehen (de concord.
praesc. dei c. Hb. arb. quaest. 1, 3 f.; quaest. 2, 3). Gottes Wille
macht eine Handlung zur guten oder bösen : id solum iustum
est quod vis et non iustum quod non vis (Proslog. 11). —
4. Die Sünde bestimmt Anselm unzählige Mal als carentia iusti-
tiae debitae. Dieser Mangel ist es, der das Wesen der Sünde aus-
macht, nichts anderes. Dieser Mangel haftet aber am AVillen, denn
nur der Wille ist gerecht oder ungerecht (de concept. virginal.
2 ff.). Deshalb kann auch die Sünde nicht eigentlich in den
„unreinen Samen^' (Hiob 14, 4) verlegt werden: non tamen
magis est in semine culpa quam est in sputo vel in sanguine
(ib. 7), Die Fortpflanzung der Sünde kommt dadurch zu stände,
dass die Natur der Adamskinder cum debito satisfaciendi pro
peccato Adae behaftet ist (8). Durch diese Gedanken aber
ist die augustinische Erbsündenlehre faktisch aufgehoben. —
5) Dagegen hat Anselm die servitus des Willens als die impotentia
non peccandi recht energisch betont (Hb. arb. 11. 12). Die
Gn ade allein gehe dem Willen die Richtung der rectitudo, ver-
möge welcher er das Gute wollen kann (de conc. praesc. etc.
qu. 3, 1 — 5). In diesem Sinn hat Anselm sehr stark betonen
können, dass die Erlösung ganz auf die Gnade zurückzuführen
^i. — 6) Zu diesen Einzelheiten kommt aber weiter ein gewisser
^) Dass auch dies auf „germanische Einflüsse" zurückweist, habe ich
schon früher bemerkt, es scheint aber keine Beachtung gefunden zu
haben.
Grosseteste's Bedeutung. 11
grosser und kühner Zug geistiger Selbständigkeit, der Anselms
Gedankenwelt kennzeichnet uud die Vielseitigkeit und Feinheit
seines religiösen Empfindens (s. z. B. die ,, Meditationen^'). Das
eine wie das andere weist auf Augustin zurück. So wenig An-
selm mit Augustins Prädestinations- oder Sündenlehre anzu-
fangen gewusst hat, so kräftig ist bei ihm die religiöse Grund-
stimmung Augustins — Gott das Heil der Seele — gewesen^).
Es würde zu weit führen, wenn hier gezeigt werden sollte,
wie die Methode Abälards den neuen dialektischen Betrieb
der Dogmatik durchführte und durchsetzte. Uns handelt es sich
nur darum, dass die Theologie Anselms mit ihrem kühnen
Realismus der Ideen, mit ihrer freien und doch streng kirch-
lichen E-ichtung, mit der augustinischen Stimmung ebenso wie
in einer Anzahl von einzelnen Anschauungen ein wichtiger
Faktor für die Entwicklung der englischen Theologie geworden
ist. Man kann das an Grosseteste's Gedankenwelt studieren,
aber auch bei Duns sind die Nachwirkungen Anselms, trotz
der Differenz der Methode, im einzelnen noch oft wahrzunehmen.
Wir wenden uns nun wieder Grosseteste zu. Er ist ein
mächtiger Mann gewesen, gleich gross als Charakter mit einer
edlen und feinen Seele wie als kirchlicher Organisator, Seelsorger
und ritterlich unerschrockener Vorkämpfer für Recht und Wahr-
heit in der Kirche, wie auch als selbständiger und kühner Forscher.
Ein strenger Kritiker wie Roger Bacon schreibt über ihn : vul-
gus philosophantium semper est imperfectum et pauci sapien-
tissimi fuerunt in perfectione philosophiae ut . ., Salomon et deinde
Aristoteles ... et in diebus nostris Robertus, episcopus nuper
Lincolniensis, Er wie sein treuer Genosse, der Professor Adam
von Marsh in Oxford, seien der Mathematik mächtig gewesen
und hätten daher verstanden causas omnium explicare et tam
humana quam divina sufficienter exponere -). Eine der wissen-
^) Augustinisch war es aucli, dass die Sündenvergebung als der
Effekt des Werkes Christi verstanden wird; daher bietet die Taufe Ver-
gebung, Aber es war ebenso augustinisch, wenn über die Vergebung
hinaus die Umschaffung des Willens gefordert wurde (s. de concord.
praesc. qu. 3). Diese beiden Elemente — Vergebung und Eingiessung —
haben der späteren Scholastik schwere Probleme gestellt.
') S. Opus tertium 22. 28. 25. Opus malus IV dist. 1 c. 3 fin.
12 Einleitung.
schaftliclien Eigentümlichkeiten des grossen Bischofs ist durch
diese Bemerkungen gekennzeichnet, und dieselbe ist nicht nur
für Roger Bacon selbst, sondern auch für den Betrieb der
Theologie in Oxford massgebend geworden. Es ist die mathe-
matische Erudition und die Richtung auf die empirische Natur-
erkenntnis. Die scharfe an mathematischen und physikalischen
Problemen geübte Beobachtung des Wirklichen, die Betonung der
Erfahrung für die Erkenntnis spürt man nicht nur immer wieder
in den Schriften des Duns — es gibt mathematische und astro-
nomische Erörterungen bei ihm, die nur der Mathematiker ver-
stehen dürfte — , sondern auch bei Occam und später bei dem
grossen Augustinianer und — Mathematiker Bradw^ardina.
Derselbe Empirismus tritt uns an dem Sinn des grossen
Bischofs für Sprachstudien entgegen. Er berief Griechen nach
England und Hess sich das Studium der griechischen Gram-
matik angelegen sein. Er übersetzte resp. Hess von Mitarbeitern
griechische Werke in das Lateinische übersetzen, so die Werke
des Areopagiten und Damasceners, die ignatianischen Briefe
und die Testamente der zwölf Patriarchen. Ja er scheint ein
gewisses dogmenhistorisches Interesse gehabt zu haben, wenig-
stens beruft sich Duns für die Differenz der griechischen
Theologie bezüglich des Ausganges des heil. Geistes auf die
Autorität Roberts (s. unten) ^).
Aber mit diesem Realismus im modernen Sinn des Wortes
verband sich in Robert ein nicht minder energischer Realis-
mus in der mittelalterlichen Bedeutung dieses Ausdruckes. Er
glaubt an die Universalien im Sinne der platonischen Ideen
und er erblickt in ihnen die Prinzipien alles Erkennens; aus
der Welt der Erscheinungen gewinnt der Geist diese ewigen
Realitäten als die eigentlichen Objekte der Erkenntnis -). So
wird diese Welt zum Gleichnis der ewigen Welt, und diese
wie jene, jene durch diese und diese in jener lässt sich mit
demselben Mass der Gewissheit als real erkennen. Aber diese
eigentümliche Kombination der geistigen Interessen war mancher
*) S. aber schon Anselm de iDrocess. spirit. s.
-) S. die Mitteilungen aus philosophischen Traktaten Roberts bei
Haureau. Bist, de la philos. scol. II 1. 178 ff.
Grosseteste und die Oxforder Theologie. 13
Abstufungen und Nuancen fähig. Aus der Schule Roberts
konnten „Realisten" sehr verschiedener Farbe hervorgehen:
empirische Forscher wie Roger Bacon und virtuose Dialektiker
wie Duns Scotus. Mau hob unten an, man beobachtete, aber
man schloss auch, und was man erschloss, was die Logik des
denkenden Geistes folgerte, das war AVahrheit und Wirklich-
keit. So blieb man Empiriker, der eine in Bezug auf die
untere Welt, der andere in Bezug auf die obere Welt. Und
dann: der Empirismus wirkte wieder fort; auch wenn die
Dialektik sich noch so hoch verstiegen, führte ein kurzer und
einfacher Weg zurück auf den Boden des Gegebenen oder der
kirchlichen Formel. Es ist doch nicht nur äusserlich veran-
lasst, oder nur Befolgung der anseimischen Vorschrift (s.
S. 9), sondern innerlich begründet, dass ein Empiriker und
Realist aus dieser Schule, wie Dans Scotus, zugleich der ener-
gische Begründer jenes kirchlichen Positivismus der römischen
Formel und Praxis wurde, der die spätere Scholastik charak-
terisiert. Aber weiter: ein genaueres Studium des Aristoteles,
eine schärfere Beobachtung der Empirie, und — jener empi-
ristische Nominalismus Occams ist da, der nur das wirklich
Erfahrene und Erfahrbare gelten lässt, freilich auch die For-
meln des positiven Rechtes des römischen Kirchenstaates.
Aber eins ist hinfort in dieser Richtung nicht mehr möglich,
jener uferlose Realismus früherer Zeiten, wie etwa des An-
selm — seine Autorität stand im übrigen bei den englischen
Theologen, wie man bei Duns sehen kann, sehr hoch im
Kurse — , wo man sich es an der Wahrheit genug sein Hess,
ohne sich um die Wirklichkeit viel zu kümmern. Hinfort war
wahr nur das Wirkliche. Der Realismus, den man vertrat,
war nicht mehr Produkt der reinen Spekulation, eine unbe-
wiesene Voraussetzung, man erwarb ihn auf den Wegen der
Dialektik auf dem Boden der Empirie. Der spekulative aprio-
ristische Realismus wird ersetzt durch den dialektischen aposte-
rioristischen Realismus, zum Realismus der Ideen kommt der
Realismus der Begriffe. In dieser Richtung ist gerade Duns
Scotus thätig gewesen. Aber dieser Vertreter des Realismus
hat — man wird das jetzt verstehen — auch denen den Spaten
]4: Einleitung'.
in die Hand gedrückt, die dem Realismus sein Grab graben
sollten, Occam und den Nominalisten.
Bei der geringen Zahl theologischer Schriften Grossetestes,
die bisher gedruckt sind ^), hält es nicht ganz leicht, ein Urteil
über seine theologische Stellung abzugeben. Er hat die Auto-
rität der heil. Schrift kräftig betont. Der Glaube werde —
anders als das Wissen — durch die Autorität begründet, die
oberste Autorität ist die heil. Schrift. Daher gilt vom Glauben
im engeren Sinn : fides eorum (est) quae sacrae scripturae auc-
toritate creduntur. Vor allem komme es auf die Wahrheiten
an, in deren Schauung die Seligkeit besteht. Der Glaube an
sie rechtfertigt: Inter haec autem quae sacrae paginae auc-
toritate creduntur maxime credenda sunt quae iustifi-
cant; haec autem, ut puto, sunt ea, ex quibus speramus
beatitudinem, haec autem sunt quorum visio in patria est
vita aeterna. Das ist aber der Glaube an den creator und
recreator, den das apostolische Symbolum enthält. Die
Artikel desselben sind fundamentum iustificationis, omnia tamen
quae in canone scripturae continentur et quae credit univer-
salis ecclesia extra symbolum contenta possunt per accidens
dici causa iustificationis, quia cum contra auctoritatem scrip-
turae vel ecclesiae discreduntur sunt causa damnationis -). Es
ist interessant zu sehen, wie bei der stärksten Betonung der
Autorität der Schrift das kirchliche Symbol ihr doch eben-
bürtig zur Seite tritt. Wir werden ähnlichem auch bei Duns
begegnen. — Die Gnade versteht Grosseteste als die bona
voluntas dei sowie als die von dieser ausgehende Gabe. Die
Gnade wirkt in uns das velle et facere, die aversio a malo und
die conversio ad bonum. Gott wirkt das Gute in uns, denn
sein velle ist ein facere, aber auch nostra voluntas libera thut
es. Die Gnade ist wie die Wärme der Sonne und wie die
^) Bei Brown Fasciculus rerum fugiendarum et expetendarum, Ap-
pendix (Londini 1690). Manches Einschlägige auch in seinen Briefen (ed.
Luard, London 1861). Wichtige Werke, wie eine Summa theologiae, ein
tractatus de Septem sacramentis, harren noch des Herausgebers, genaue
Angaben s. bei Wharton, Anglia sacra 11, 346.
^) S. den Traktat de fide et eins articulis bei Brown 1. c. p. 281;
vgl. auch epist. 123 p. 346 ff.; ep. 115 p. 336.
Grossetestes Lehre. 15
Feuchtigkeit des Bodens, der Wille wie die Keimkraft des
Samens. Der ewige Wille Gottes und seine Bestimmung sind
der Grund dafür, dass Gott jetzt diese und dann jene zur
Rechtfertigung kommen lässt, quia sie est ordinatissimum in
rerum universitate, omnia enim sie facit deus, sicut sunt in
universitate ordinatissima. Aber durch dieses alles soll der
Freiheit nicht zu nahe getreten sein ^). — Gottes Thaten gehen
immer zugleich aus Gerechtigkeit und Barmherzigkeit hervor.
Misericordia quae est in deo est voluntas praestandi bonum
immeritura. Die Gerechtigkeit ist die Beschaffenheit Gottes
die seiner immensa bonitas gemäss ist, somit wird jedes Werk
der Barmherzigkeit auch die göttliche Gerechtigkeit bezeugen ^).
— Der Hierarchie, besonders dem Papst, hat Grosseteste alle
Ehre gewährt. Aber indem er den päpstlichen Thron zur
„Sonne der ganzen Welt'^ erhebt, thut er das doch nur, um
dem Papst einzuschärfen, dass er, wie Mose, die Stiftshütte
nach einem himmlischen Muster einrichten solle. Nach Christi
und der Apostel Beispiel handelt es sich in der Kirche um
die Errettung der Seelen (maximum et principalissimum opus
est animas salvare), dem muss alles übrige dienen. ^) Das
opus curae pastoralis besteht nicht bloss in der Celebration
von Messen und der Administration der Sakramente, sed in
veraci doctrina veritatis vitae, in vitiorum terrifica condemnatione
... et rigida castigatione, im Besuch und der Unterstützung der
Armen. Durch das Beispiel sei das Volk in vitae activae
sanctis exercitiis zu unterweisen *).
Lässt man diese Gedanken und die Stimmung, die die
Briefe Grossetestes kennzeichnet, im ganzen auf sich wirken,
so wird man anerkennen, dass ein gewisser augustiuischer
Zug in dem Oxforder Kreise geherrscht hat. Kirche und
Frömmigkeit sollten sich der salus animarum unterordnen.
^) S. De gratia et iustificatione hominis a. a. 0. p. 282; weiteres aus
diesem Aufsatz kommt unten bei der scotist, ßechtfertigungslehre zur Sprache.
^) S. Quod in omni opere dei sint simul misericordia et iustitia ib.
p. 295 f.
') S. die Rede Grossetestes vor dem Papst in Lyon 1250, a. a. O.
p. 254 £f., vgl. p. 400, s. auch ep. 23. 124.
*) Ibid. p. 253.
IQ Einleitung.
Gott ist gnädiger Wille, unser Heil sein Werk, die Welt und
der Zusammenhang des Geschehens die Ordnung eines all-
mächtigen AVillens. Die Betonung der Allwirksamkeit Gottes
und der Gnade weist freilich für das genauer prüfende Auge
andere Schattierungen auf, als sie bei Augustin zu finden sind,
aber das tliut hier nichts zur Sache. Im ganzen kann man
in dieser Richtung des Interesses, sowie in der Innigkeit und
sittlichen Höhe der Lebensanschauung in der That augustini-
sierende Stimmung erblicken, ßesässen wir reichlichere Nach-
richten über Grossetestes Theologie, so würde man vermutlich
die Beziehungen, die Duns Scotus mit diesem grossen Theologen
verbunden, noch mehr in das einzelne verfolgen können. So
sind wir auf Vermutungen angewiesen. Neben der Gnaden-
lehre hat Grosseteste sehr stark die Freiheit des Willens be-
tont. Auch das ist für die Oxforder Schule massgebend ge-
worden. Das gilt von Duns, aber ebenso von seinem etwas
älteren Zeitgenossen, dem nach der Überlieferung ebenfalls
aus Oxford hervorgegangenen Franziskaner Richard von
Middleton.i)
3. Es ist für unsere Ausgabe von Interesse wenigstens in
den Grundzügen die Theologie dieses Mannes kennen zu lernen.
An der Lehre dieses Zeitgenossen, der derselben Schule wie
Duns entstammt, wird man bemessen können, dass bei Duns
die gemeinsame Schulrichtung sich mit grosser Originalität
verband. Die folgende Skizze verweilt naturgemäss bei den
Punkten, die Beziehungen zu Duns gewähren, etwas länger. -)
Die Theologie bestimmt Richard als eine praktische
Wissenschaft, die uns Gott als den obersten Zweck unseres
Handelns kennen lehrt (Prolog, quaest. 4, 1). Und zwar ist
es die heil. Schrift, die uns dei proprietates et dei operationem
kennen lehrt (ib. quaest. 6). Die Grundwahrheiten der Schrift
sind in den 14 Artikeln des Apostolicums zusammengefasst, die
^) Über sein Leben wissen wir so gut wie nichts. 1283 lehrte er in
Paris; s. Little, the Grey Friars in Oxford, Oxford 1892, p. 214.
^) Mir liegt die Ausgabe des Sentenzenkommentars und der Quod-
libeta vom J. 1509 Venetiis, vor. Die folgende Darstellung ist etwas
ausführlicher ausgefallen, da m. W. bisher keine Bemühungen auf diesen
Gegenstand gerichtet wurden.
Der Vorläufer des Duns : Richard von Middleton. 17
von den übrigen Bekenntnissen erläutert werden (III dist. 25
principale 2 quaest. 1). Der Glaube als die Zustimmung zu
den praktischen Wahrheiten der Religion hat seinen Sitz in
intellectu practico und ist ein eingegossene!" Habitus practicus
(III dist. 23 princ. 5 quaest 2). Hierdurch ist das Glauben
etwas Sichereres als jede scientia acquisi ta(ib. princ. 7 quaest. 1. 2).
Nun wirkt aber im Glauben auch der Wille mit: credere
actus est intellectus ad imperium voluntatis oder voluntarie
assentire summae veritati. Für den Fall, dass der den Intellekt
antreibende Wille von der Liebe bewegt ist, wird die fides zur
fides formata (ib. princ. 4 quaest 2). Es bedarf der Ein-
giessung des Glaubenshabitus, weil unsere Erkenntnis an sich
der Erfassung der Glaubensobjekte nicht fähig ist (ib. princ. 7
quaest. 2). Zweifel an dem Begriff des Habitus (s. Duns unten
Kap. I) haben Richard nicht bedrückt. Ein Vorläufer des
Duns ist er aber durch seine starke Betonung des Willens und
seiner Freiheit. Voluntas est nobilissima potentia in
anima (I dist. 17 princ. 1 quaest. 1 u. 3). Voluntas sim-
pliciter nobilior est quam intellectus, wie denn der Begriff der
Güte, auf den der Wille abzielt, höher steht als der der
Wahrheit, mit dem es der Intellekt zu thun hat, das diligere
mehr ist als das intelligere (II dist. 24 princ. 1 quaest. 5).
Intellectus enim se habet ad voluntatem sicut serviens qui
portat lucernam ante dominum suum, qui nihil facit nisi
ostendere viam et persuadere et dominus imperat sibi ( - ei),
et divertat quocunque sibi placuerit, et sicut consiliarius ad
imperatorem qui ostendit et persuadet quid faciendum sit, im-
perator autem quandoque imperat secundum quod sibi consultum
est et aliquando contrarium (II dist. 38 princ. 2 quaest. 4).
Daher vollzieht sich auch der Genuss Gottes durch den
Willen (I dist. 1 princ. 2 quaest. 3). Die Seligkeit wird
nicht als ein Zustand, sondern als in Thaten sich realisirend
vorgestellt, per bonum actum magis assimilatur homo deo, qui
est purus actus, quam per habitum tantum (IV dist. 49 princ. 1
quaest. 4). Die Akte der Seligkeit sollen aber, sofern der
Geist Gott als die summa veritas und die summa bonitas er-
greift, zugleich Erkenntnis- und Willensakte sein, wobei aber
principaliter die Seligkeit doch mehr in den Willensbewegimgen
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 2
lg Einleitung.
erfahreu wird (ib. quaest. 6 u. 7). Dabei ist der Wille aber
allerdings mehr passiv oder receptiv als aktiv zu denken:
magis est passiva quam activa. denn recipere est quoddam
pati (ib. princ. 2 quaest. 6).
Wir wenden uns den einzelnen Lehren zu. Die Möglich-
keit von Beweisen für das Dasein Gottes wird zugestanden.
Man kann es erweisen aus der ünwandelbaikeit des natur-
gesetzlichen Geschehens, das einen unwandelbaren Schöpfer
voraussetzt, aus dem Trieb der Seele in einem unerschaffenen
Gut zu ruhen, aus der Bewegung in der Welt und der Ziel-
strebigkeit in derselben (I dist. 3 princ. 1 quaest. 3). Aber
erst die Offenbarung macht die allgemeine und dunkle Gottes-
erkenntnis, die man auf diesem Wege erwirbt, klar und deut-
lich (ib. princ. 2 quaest. 1). Gottes Wesen wird bestimmt als
Denken und Wollen. Gott denkt und will als actus purus
unter Ausschluss jeder Potenzialität : divina scientia semper
est in actu, deus enim est purus actus summe simplex
et summe perfectus : in puro actu uuUa est potentialitas, in
summe simplici nulla compositio, in summe perfecto nuUa im-
perfectio (I dist. 35 quaest 7). Hinsichtlich des göttlichen
Willens stellt Richard fest, dass derselbe allmächtig ist. Dabei
wird die potentia absoluta von derpotentia ordiuata unterschieden.
Nach ersterer ist Gott alles möglich, was nicht einen logischen
Widerspruch in sich schliesst, wie etwa Geschehenes ungeschehen
oder einander ausschliessende Grössen zugleich sein zu lassen
(I dist. 42 quaest. 4 u. 5 ; dist. 43 quaest. 7); dagegen hält
sich die potentia ordinata in dem von Gott geschaffenen Spiel-
raum der regulären Ordnung (ib.). Hieraus ergibt sich, dass
nichts was der potentia absoluta möglich ist, nicht auch hätte
von der potentia ordinata verwirklicht werden können. Daher
hätte Gott auch früher die Welt oder eine andere Welt schaffen
können (I dist. 44 quaest. 3 u. 4). Wie also der göttliche
Wille der einzige Grund der Beschaffenheit der Welt ist, so
ist er auch der alleinige Grund dessen, dass etwas für recht oder
unrecht gilt (I dist. 43 quaest. 7). — Da die voluntas Gottes
rectissima ist, richtet sie sich auf das maxime volibile oder das
nächste Objekt des göttlichen Wollens ist Gott selbst. Alles,
was sonst Gott will, will er, indem er sich selbst will, ohne dass
Richards Theologie. 19
er es also wollen müsste, nur ex abundantia bonitatis suae,
bonitatem suam decet illa velle (I dist. 45 princ. 1 quaest. 2
u. 4). Schöpfung und Erhaltung, als göttliche Akte gedacht,
sind daher Gott selbst, quidquid enim est in deo realiter idem
est quod deus (II dist. 1 princ. 1 quaest. 3). Unter diesem
Gesichtspunkt betrachtet, sind daher auch Schöpfung und Er-
haltung identisch, während sie vom Standort der Kreatur her
sich unterscheiden als accipere esse non de aliquo und als
teneri in esse praedicto (ib. princ. 2 quaest. 1). Die praktische
Anschauung Ton Gott vollzieht sich in den Begriffen der Ge-
rechtigkeit und der Barmherzigkeit. Wie jene sich darin offen-
bart, dass Gott seinem Wesen nach die Verdienste ultra meri-
tum ])elohnt und die demerita citra meritum straft, so diese in
der Hilfsbereitschaft gegen die Elenden (IV dist. 46 princ. 1
quaest. 1 ; princ. 2 quaest. 1). — Den Gedanken der Prä-
destination hat Richard weit weniger straff als Duns gefasst,
indem er das propositum Gottes abhängig macht von der
Präscienz und die Prädestination also wesentlich als die das
Handeln in sich schliessende praescientia practica fasst (I dist. 40
princ. 1 quaest. 1 u. 3 ; dist. 41 princ. 1 quaest. 2, vgl. auch
Quodlib. II quaest. 6 darüber, dass Gott Prädestinierte auch
nicht hätte prädestinieren können). — In der Lehre vom Menschen
ist zunächst der Urständ zu beleuchten. Der erste Mensch
konnte ohne die gratia gratum faciens, also ohne die Gnade
im eigentlichen Sinn, vermöge des liberum arbitrium alle
Sünde meiden, und zwar deshalb, weil ihm die iustitia origi-
nalis, die als donum superadditum mehr eine sonderliche Natur-
ausrüstung oder gratia gratis data ist ^), zu Teil geworden
war und durch diese das sinnliche Leben dem Geist unter-
worfen war (II dist. 24 princ. 1 quaest. 1). Es ist also nicht
richtig mit einigen die Justitia originalis in solis naturalibus
bestehen zu lassen. Diese bildeten blos die Disposition für
das jene begründende donum naturalibus superadditum (II dist. 30
princ. 3 quaest. 1 u. 2.). Der Wille ist aber seinem Wesen
nach schlechtweg frei, denn die Freiheit ist der Wille selbst
und nicht ein zu ihm hinzutretender Habitus (II dist. 24
S. zum Sprachgebrauch und Gedanken meine DG. II 77 f.
2*
20 Einleitung.
priiic. 1 quaest. 3). Der Mensch selbst bewegt seinen Willen,
und nicht thun das die Objekte. Keine Kreatur kann den
Willen zwingen, aber auch Gott kann das nicht thun, solange
er eben will, dass freier Wille sei, denn sonst gerate sein
Handeln in einen unmöglichen Widerspruch mit sich selbst (II
dist. 25 princ. 4 quaest. 1 u. 2 ; dist. 38 princ. 2 quaest. 2). Aus
diesem Gedanken ergibt sich, dass für einen durch die Sünde
unfreien Willen im System Richards kein Platz übrig ist. — Die
Erbsünde wird — nach Anselm — bestimmt als die carentia
alicuius iustitiae debitae. Darin besteht ihr Wesen oder das
Formale; aber dazu kommt als das Materiale der Sünde (wie
bei Thomas) die concupiscentia, die eine gewisse habilitas zur
inneren Unordnung im Menschen mit sich brachte, und des-
halb als Habitus bezeichnet werden kann (ü dist. 30 princ. 1
quaest. 1 ; dist. 31 princ. 2 quaest. 1). Durch die Kon-
cupiscenz natura humana in suis naturalibus peiorata est. Dies
ist vermittelt durch die moralische Unordnung, die durch die
Verdrängung der gratia gratis data entstand, sowie durch die
schädlichen Folgen des Genusses jener ßaumfrucht (dist. 30
princ. 1 quaest. 2). Die Pejoration der Natur erbt sich aber
vermöge der Lust bei der Zeugung fort (dist. 31 princ. 2
quaest. 2), und zwar entsteht die Erbsünde in der Seele in
dem Moment, wo diese dem Fötus von Gott eingegossen wird
(dist. 32 princ. 4 quaest. 2) ^). Wiewohl diese Gedankenreihe
die wesentlichen Elemente der augustinischen Theorie acceptiert,
verlegt Richard doch das eigentliche Wesen der Sünde nicht
in die sündhafte Habitualität, sondern in die einzelneu Akte
wie ihm denn diese überhaupt wichtiger sind als der Habitus
(dist. 35 princ. 2 quaest. 4). Das eigentlich Bleibende von der
Sünde ist nicht die habituelle Concupiscenz, sondern jene
Carenz einer Gerechtigkeit, zu der der Mensch verpflichtet
bleibt als Nachkomme Adams. Diese Carenz begründet eine
obligatio ad poenam, solange als für die Sünde keine Satis-
faktion dargebracht wurde (II dist. 42 princ. 2 quaest. 1).
Die Synderesis endlich ist nach Richard zunächst im
Intellekt und dadurch dann im Willen wirksam: in intellectu
^) Richard ist, wie alle Scholastiker, Creatianer.
Richard über Sünde und Gnade. 21
est aliquod quo determinatiir naturaliter intellectus ad dictan-
dum boiium absolute esse volendum . , . Secundum quod est
in affectu . ., est illud quo formaliter voluntas determinatur
naturaliter ad bonum absolute volendum. Man sieht, dass
Richard bestrebt ist, die Synderesis rein formal zu fassen als
die der praktischen Vernunft immanente Regel, dass das Gute
jederzeit zu wollen ist. Auf diesem Wege wird sie zu einem
Inclinativum zum Guten für den Willen (II dist. 39 princ. 3
quaest. 1 u. 2).
Dem Gang des Lombarden folgend kommt im 3. Buch
die Christologie und die Gnadenlehre zur Sprache. In der
Christologie wird die übliche scholastische Lehre vorgetragen,
die originellen Lichter, die Dnns auch in diesem Zusammen-
hang aufsteckte, fehlen, — Persona filii dei purus actus est.
Dadurch ist jede Veränderung und jedes Werden für die gött-
liche Person Christi ausgeschlossen (III dist. 1 princ. 1 quaest. 1).
Der Logos nahm nicht aliquem hominem an (III dist. 6 princ.
1 quaest. 2), sondern er nahm die menschliche Natur an, die
zwar der Potenz nach persönlich war, aber, indem sie von der
Logosperson angenommen wurde, nie eigene Personalität erlangte
(ib. dist. 5 princ. 2 quaest 2). Daher ist nur ein Subjekt in
Christo anzunehmen (dist. 6 priuc. l quaest. 1). Die ünio ist
eine relatio, in welche der Logos die Menschennatur zu sich
versetzt (dist. 5 princ. 3 quaest. 1). Eingehend wird von den
Problemen, die die Erkenntnis der menschlichen Seele Jesu
aufgab, gehandelt. Die Seele Jesu schaut alles im Logos, und
andererseits ist ihr eine besondere scientia der species der
Dinge anerschaffen. Von einem Fortschritt der Erkenntnis
kann nur insofern die Rede sein, als zu der schon an sich
klaren Erkenntnis der Species die Bestätigung durch die all-
mähliche Erkenntnis der experientia hinzukam (III dist. 14
princ. 2 quaest. 2 u. 4). — Hinsichtlich der Maria meint
Bichard noch mit der älteren Scholastik, auch ihre Seele sei
durch die Verbindung mit dem Fleisch sündlich befleckt wor-
den. Anima virginis ex sui unione ad illam carnem peccatum
originale contraxit (III dist. 3 princ. 1 quaest. 1). Aber er
modifiziert diesen Gedanken, indem er behauptet: vor ihrer
Geburt, noch im Mutterleibe sei Maria geheiligt worden, da
22 Einleitung.
sonst die Kirche ihre Geburt nicht würde festlich begehen
können! In ihrem Leben blieb sie von jeder Sünde und sünd-
liaften Regung frei, vollends nach der Empfängnis Christi war
jede Möglichkeit der Sünde ausgeschlossen ^ib. quaest. 3 u. 4).
Als Mutter kommt ihr für die Entstehung und Geburt Jesu
ein aktiver Anteil zu (ib. princ. 2 quaest 2 ; dist. 4 princ. 2
quaest. 1). Die unbefleckte Empfängnis hat Richard also nicht
gelehrt. Die Frage, ob der Logos, auch ohne die Sünde,
Mensch geworden wäre, lässt er unentschieden (III dist. 1
princ. 2 quaest. 4).
Das Leben und Leiden Christi wird dem Gesichtspunkt
des meritum unterstellt. Durch conversatio und passio konnte
er vermöge seines liberum arbitrium — von dem Moment seiner
Konzeption an — verdienen (III dist. 18 princ. 1 quaest. 1 — 4).
Für sich selbst verdiente er die gloria corporis — die gloria
animae stand ihm schon durch die Unio zu — , für uns die
Eröffnung des Paradieses und durch seine condigna satis-
factio die gratia gratum faciens (ib. princ. 2 quaest. 1 — 4), die
Vergebung der Sünden, die Befreiung vom Teufel und der
ewigen Strafe (dist. 19 princ. 1 quaest. 1 — 3). An diese Zu-
sammenstellung schliesst Richard eine Erörterung des Satis-
faktionsgedankens. Die Satisfaktion war für Gott conveniens,
weil an ihr Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit offenbar
wurde; für uns war sie conveniens, weil es dessen bedurfte,
dass, nachdem Gott entehrt worden durch die Sünde, ihm seine
Ehre durch das Leiden restituiert wurde (III dist. 20 quaest. 3).
Damit sind die Hauptwendungen von Anseluis Gedanken
wiederholt. Aber dass Richard dieselben keineswegs im
einzelnen sich aneignet, zeigen alsbald die Erörterungen der
Frage, ob der Tod Christi nötig war zum Zweck der Satis-
faktion. Es scheint so, denn da die Sünde als Verfehlung
gegen den unendlichen Gott unendlich sei, so müsse ein Un-
endliches Gott als Satisfaktion dargebracht werden. Nun
sagen aber einige, dass jede Strafe zur Satisfaktion genügend
gewesen wäre, wenn anders Gott sie als zu diesem Zweck ge-
nügend angeordnet hätte. Der Tod Christi ist es nur, weil
Gott ihn dazu verordnete. Andere dagegen hätten gemeint,
dass dieser Tod notwendig war, da die Menschheit dem Tode
Richard über Christus und die Kirche. 23
verfallen war und da ausserdem Christus ja zu jeder sonstigen
Bethätigung des Gehorsams gegen Gott an sich verpflichtet
war. Dagegen ist freilich zu sagen, dass er zu keiner einzigen
Form der Strafe verpflichtet war (ib. quaest. 4). Die Frage
bleibt unentschieden. Man sieht aber, wie der Gedanke der
göttlichen Willkür das Auselmsche Gedankengefüge zerstört,
und dass diese Form der Kritik schon vor Duns bräuchlich war.
Wenn durch diese Gedanken die sog. objektive Seite im
Erlösungswerk bezeichnet ist, so hat Richard die subjektive
Seite durch den Gedanken zum Ausdruck gebracht, dass
Christus das Haupt der Kirche sei und ihre Glieder leitet
(III dist. 13 princ. 2 quaest. 1). Christus ist aber Haupt
der Kirche nach seiner göttlichen und menschlichen Natur:
ratione divinae naturae influit effective et principaliter membris
ecclesiae sensum rectae cognitionis et motum rectae affectionis,
ratione autem humanae naturae non influit ista nisi meritorie
et dispositive; ideo magis est caput ecclesiae ratione divinae
naturae quam humanae (ibid quaest. 3). In diesem Zusammen-
hang hat er aber eine Betrachtung über die Kirche vorge-
tragen, die von höchstem Interesse ist, weil der durch sie aus-
gedrückte Gedanke in der lehrhaften Litteratur des Mittelalters
überaus selten ist. Die Kirche wird, wie üblich, als coUectio
fidelium definiert. Die fidel es sind dabei, wie stets, die Gläu-
bigen im Gegensatz zu den „Ungläubigen", d. h. Heiden und
Juden. Nun muss aber unter den fideles ein Unterschied ge-
macht werden : Inter autem homines quidam sunt iusti, quidam
peccatores. Pideies primi simpliciter pertinent ad
corpus Christi mysticum, quia inter eos est naturae con-
formitas et coUigatio per fidei iuncturas et sacramentorum et
communicantia ^) per charitatem et omnes vivificantur uno spiritu
sancto, et ideo istorum Christus est caput simpliciter. Peccato-
res autem fi de les^) non pertinent ad corpus Christi
mysticum nisi secundum quid, quia quamvis habeant
conformitatem in natura et aliquo modo sint coUi^^^ati per iunc-
turas fidei et sacramentorum, non tamen inter se habent com-
1) sie!
^) Für den Begrifif fideles ist diese Bezeichnung' lehrreich.
24 Einleitung.
municantiam per cbaritatem neque vivificaiitur vita spirituali
per spiritum sanctum et ideo istorum Christus non est caput
nisi secundum quid. — Nihilominus autem est caput infidelium,
qui ultra conformitatem in natura actu non habent aliquid quod
pertinet ad corpus Christi mysticum et ideo non est caput
eorum nisi in potentia et sie patet, quomodo Christus est caput
cuiuslibet partis ecclesiae (ib. quaest. 2). Das ist die Unter-
scheidung Augustins zwischen den wirklichen und schein-
baren Gliedern der Kirche ^).
Christi Wirken hat zum Erfolg, dass Gott durch die Sakra-
mente die gratia gratum faciens dem Sünder schenkt. Die
Gnade ist wesentlich der eingegossenen Liebe gleich. Sofern
die Seele das Gott gefällige esse supernaturale erlaugt, reden
wir von Gnade; sofern sie verdienstlich zu handeln vermag,
von Liebe. Deshalb kann gesagt werden, dass die Gnade un-
mittelbar in der Essenz der Seele, die Liebe nur median te
voluntate in jener wohne (II dist. 26 quaest. 2 u. 4). Die
Gnade wirkt auf den Willen in der Weise der excitatio vel
inclinatio ein, ohne aber alleinige Ursache eines Willensaktes
zu werden, da zu diesem es immer der Kooperanz des freien
Willens bedarf (ib. quaest. 5). Die Gnade ist als übernatür-
licher Habitus zu denken, der den Handlungen eine höhere
vollkommene Qualität verleiht. Indem Gott aber summa veri-
tas, summum arduum und summum bonum ist, bedarf es eines
dreifachen Habitus: des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe
(III dist. 23 princ. 1 quaest. 2 ; princ. 3 quaest. 2). Die
Gnade befähigt den Menschen zum verdienstlichen Handeln im
Sinn des meritum de condigno, während eine Handlung bloss
als Produkt des Willens betrachtet, nur de congruo verdienst-
lich wäre. Deshalb sind auch die der Gnade vorangehenden
Thaten nur de congruo verdienstlich, tamen ex divina liberali-
tate homini facienti quod in se est gratia datur (II dist. 27
princ. 2 quaest. 1 — 3).
In der Sakramentslehre befolgt Richard die in der Pran-
ziskanerschule übliche Unterscheidung des sinnlichen Symbols
und der demselben parallel laufenden Einwirkung der Gnade.
^) Vgl. noch Alexander v. Haies Summ. IV quaest. 4 membr. 1 — 3.
Die Sakramentslchrc Richards. 26
Die Sakramente sind nicht causa instrumentalis, und sie „ent-
halten^' nicht die Gnade, sondern der Sachverhalt ist der, dass
das äussere Symbol semper habet concomitantem virtutem di-
vinam gratiam conferentem (IV dist. 1 princ. 4 quaest. 2).
Den sakramentalen Charakter hält Richard nicht für eine
blosse Relation, sondern für etwas Absolutes in der Essenz der
Seele. Character est signum spirituale indelebile distinctivum
et spiritualis potestas iiidelebilis deputata ad aliquod sacra-
mentum (IV dist. 5 princ. 1 quaest. 4. 1. 2). — Im Abend-
mahl gilt : substantia corporis Christi vere et realiter continetur
sub speciebus panis (IV dist. 10 princ. 1 quaest. 1) ^). Unter
diesen Species ist sonach der ganze Leib Christi gegenwärtig,
aber eben eigentlich als Substanz und nur lolgeweise — durch
Konkomitanz — auch nach seiner Quantität. Deshalb ist der
Leib an sich auch nicht an einem besonderen Ort der Hostie
vorhanden, sondern nur sofern er zu den lokal bestehenden
Species in ein quantitatives Verhältnis tritt. Corpus Christi
est in loco speciei ut in loco, non per se sed per accidens, in-
quantum continetur sub specie quae per se est in loco, sicut
anima per accidens est in loco corporis (IV dist. 10 princ. 2
quaest. 1). Das kommt im Wesentlichen auf die thomistische
Auffassung heraus, nach der nur die Substanz, nicht aber die
Quantität des Leibes Christi im Abendmahl gegenwärtig sei,
nur dass Richard ausdrücklich die Quantität als unabtrennbar
von der Substanz diese begleiten lässt (ib. princ. 1 quaest. 2).
Trotzdem soll aber die lokale Gegenwart des Leibes nur vom
Standort der Species aus angenommen werden.
In die Darstellung des Busssakramentes ist die Recht-
fertigungslehre hineinverflochten. Ich referiere die Haupt-
gedanken. Alle Busse ist Selbstbestrafuug (punire proprium
peccatum IV dist. 14 princ. 3 quaest. 1). Im Vollmass kann
man die Busse nur durch Infusion der Gnade erlangen. Aber
diese erfolgt auf eine vorangehende Disposition hin. So be-
ginnt die Busse ex fide et ex spe et aliquo amore et timore
(princ. 4 quaest 2). Das ist die Attrition, die mit innerer
^) Die Consubstantiationstheorie. für die Duns eine Vorliebe hat,
wird verworfen (Quodlib. II quaest. 12).
26 Einleitung.
Notwendigkeit die Führung in dem Bussvorgang übernimmt'),
da die Kontrition einerseits erst Produkt der Gnadeneingiessung,
andererseits an sich das genügende Mittel zur Zerstörung der
Sünde ist. Durch die Attrition disponiert sich der Sünder auf
den Gnadeiiempfang und verdient sich, indem er thut quod in
se ist, de congruo die Gnade (dist. 17 princ. 1 quaest. 1 — 3
u. 7). Durch den Vollzug des Sakramentes wird die Liebe
dem Herzen eingegossen und durch sie wird der informe
Pönitenzakt der Attrition verwandelt in den formierten Akt
der Kontrition. Durch diese aber als Liebesakt wird die Sünde
aufgehoben und zerstört (ib. quaest. 2). Die Kontrition ist
also nicht die Voraussetzung des Prozesses, sondern die Folge
(quaest. 7). Die informe Attrition mag der Sündenvergebung
vorangehen, die Kontrition ist später als diese und die Gnaden-
eingiessung. Die Frage, ob die Gnadeneingiessung der Sünden-
vergebung oder letztere ersterer folgt, hängt mit der anderen
zusammen, ob nämlich beide Begriffe durch eine reale Differenz
von einander getrennt sind. Nimmt man eine solche an, so ist
zu sagen, dass die Gnadeneingiessung ihr direktes Ziel an der
Formierung der Attrition und erst das weitere Ziel an der Sünden-
vergebung hat. Ist man dagegen der Meinung, dass Gnadeneingies-
sung und Vergebung nicht realiter diversa, sondern nursecundum
rationem intelligendi unterschieden sind, so kann man sagen,
dass zuerst die Aufhebung des alten Schuldverhältnisses und
dann die Herstellung des neuen Verhältnisses zu denken sei
(IV dist. 17 princ. 1 quaest. 4; princ. 4 quaest. 4 ib.
quaest. 7) -).
Der Begriff der lustificatio kann in engerem und
weiterem Sinn gebraucht werden. Im weiteren Sinn begreift
er den ganzen inneren Prozess der conversio in sich, im
engeren Sinn bezeichnet er die in einem x\ugenblick ge-
schehende Rechtfertigung als Eingiessung der Gnade. So be-
trachtet stellt dann die conversio die subjektive Disposition für
den Empfang der Gnade durch die Justifikation dar. Die con-
') S. unten die Bemerkungen zur Busslehre des Duns.
^) Bei Darstellung der scotistisclien Rechtfertigungslehre komme ich
hierauf zurück.
Die Kechtfertigungslehre des Kicliurd. 27
versio nostrae voluntatis ist also eine voluntaria dispositio act
susceptionem gratiae. Der freie Wille bewirkt die aversio a
peccato und die conversio ad deum (IV dist. 17 princ. 4
quaest. 1 u. 3 vgl. Quodlib. III quaest. 3). Die Bekehrung
fasst also in sich die Vorgänge der Attrition. Nimmt man
diese subjektiven Regungen zusammen mit der Gnadenein-
giessung, so fasst die Justifikation — im weiteren Sinn — in
sich: impietatis destructio quae est culpa e remissio
„et gratiae in fusio et dispositio ad destructionem
impietatis quae est culpae detestatio et dispositio
ad susceptionem gratiae, quae est liberi arbitrii
ad deum conversio (dist. 17 prir.c. 1 quaest. 2). Während
nun der Vorgang der Bekehrung kein momentaner zu sein braucht,
gilt von der Justifikation im speziellen Sinn derGnadeneingiessung
als einem schöpf er is eben Akt Gottes : semper eam infundi t
in instanti (ib. princ. 4 quaest. 6). Diese Darstellung bringt
in klassischer Weie die vulgäre katholische Lehre von der Recht-
fertigung zum Ausdruck. Das gilt auch bezüglich der Ab-
stufung der Infusion und der Vergebung, indem die Recht-
fertigung essentialius in der gratia infusioiiis als in der Sünden-
vergebung bestehe (ib. quaest. 7).
Hinsichtlich des Ablasses verwirft Richard die Meinung,
dass derselbe sich nur beziehe auf poenas taxatas a iure vel a
iudice d. h. auf die offiziellen satisfaktorischen Buss werke (über
diese s. dist. 15 princ. 1 quaest. 8), und nicht auf die poena
a deo taxata. Da die Kirche ciucli letzteres lehrt, so würden
Bach jener Theorie die Ablässe geradezu schädlich wirken.
Folglich ist anzunehmen, dass sie soviel gelten, als die amt-
liche Leitung der Kirche ex rationabili causa seil, pro utili-
tate ecclesiae ihnen Geltung beimisst: per eas enim remittitur
ah qua portio paenae a deo taxatae (IV dist. 21 princ. 3
quaest. 1).
Im einzelnen die Sakramentslehre des Richard zu behan-
deln, griffe über unseren Zweck hinaus. Nur das sei bemerkt,
dass auch er dieselbe zu einer Eundgrube für die Ethik seiner
Zeit gestaltet hat. Das gilt besonders von der Busse, wo Al-
mosen, Fasten. Gebet, die Pflicht der Restitution, Zinsen und
28 Einleitung.
Kapital ^), Spiele -) etc. behandelt werden (s. bes. IV dist. 15
u. 16), sowie von der Ehe; s. Doch die Betrachtungen über
das aktive und kontemplative Leben (III dist. 25 princ. 1)
sowie die Lehre vom Gesetz, wo die ethischen Fragen der
zehn Gebote^) behandelt siud (III dist. 3"; s. noch dist. 29
u. 33)^). Der gesetzliche Zug der Zeit kennzeichnet auch die
ethischen Erörterungen des vorsichtigen Mannes. Die peinliche
Kasuistik und ethische Advokatenkunst, die bei Duns auffällt,
fehlt auch bei ihm nicht, obwohl sie noch nicht so stark aus-
gebildet ist. Zum Belege seien aufs Geratewohl einige Bei-
spiele herausgegriffen. Das Sabbatgebot verbietet die Arbeit
excepto casu necessitatis, nicht aber die opera liberalia, wie
etwa das Studium oder die Überlegung seiner Arbeiten (III
dist. 37 princ. 2 quaest. 4). Im Notfall darf man stehlen (ib.
princ. 3 quaest. 4). Der Verkehr mit meretrices ist Sünde, aber
der Staat gestattet ihn, um schlimmeren Dingen vorzubeugen
(ib. quaest. 3). Die Ausübung des debitum coniugale während
der Schwangerschaft ist gestattet, wenn nicht die Gefahr des
abortus vorliegt, sei doch die geschlechtliche Begierde bei
Schwangeren besonders lebhaft (IV dist. 32 princ. 2 quaest. 3).
Richard pflichtet denen nicht bei, die den Konkubitus während
der Menstruation verbieten, weil, wie sie sagen, der Körper
des Weibes in jener Zeit sich in einem Zustand der corruptio
befinde, quam ostendit earum foetor illo tempore oder weil
die dann erzeugten Kinder oft aussätzig werden (ib. princ. 4
quaest. 1) usw.
Statt weitere Details aus der Theologie Richards anzuführen,
möchte ich jetzt nur noch in Kürze einen für seine Gesamt-
^) Über den Handel s. interessante Betrachtungen Quodlib. II
quaest. 23.
2) Vgl. Quodlib. II quaest. 29.
^) Die eingehende Behandlung, die Richard aU diesen Fragen widmet,
lässt den Wunsch als gerechtfertigt erscheinen, dass jemand seine Ethik
einer eingehenden Untersuchung unterziehen wollte.
*) S. noch Quodlib. III quaest 12 über die Zauberei, mit z. T. recht
naiven Bemerkungen, z. B, : quandoque videbis mulieres turpes et oculos
turpes habentes et tarnen quandoque aspicientes magis ad suum amorem
alliciunt ex aspectu suo quam longe pulchriores mulieres . . ., unde viris
periculosum est tales mulieres respicere. Das war also auch Hexerei!
Ethik und Philosophie des Richard. 29
anschauung wichtigen Punkt aus seiner Philosophie zur Sprache
bringen. Es ist seine Anschauung von den Universalien ^).
Quidquid a deo creatum est singulare est, universale enim est
per Operationen! intellectus (I dist. 36 princ. 1 quaest. 1 ; cf.
Quodlib. I quaest. 1). Das Eeale für uns ist also das einzelne,
das Universale besteht für uns nur in der Form des Gedankens.
Das greift über den Kealismus der Späteren noch nicht hinaus.
Ebenso gibt Richard nur das Übliche wieder, wenn er betont,
dass wir die species increatae der Dinge an sich nicht erkennen,
denn dieselben sind unserem Intellekt, der vielmehr eine leere
Tafel ist, nicht mitgegeben und sie werden uns in den phan-
tasmata, die unsere Sinneswahrnehmung von den Dingen über-
kommt, auch nicht unmittelbar offenbar. Also: non cognosci-
mus per naturam de lege communi substantiam per propriam
eins speciem, nisi accipiatur species pro verbo, quod
intellectus concipit de ea per suas proprietates (II dist. 24
princ. 3 quaest. 3; cf. dist. 25 princ. 5 quaest. 1). Wir be-
sitzen sonach das Universale oder die Species des Dinges nur
als subjektive Vorstellung, als das Wort, das wir uns unter
dem Eindruck der Merkmale des Dinges bilden. So ist unsere
Erkenntnis aber beschaffen, weil wir als Sünder nicht die volle
und unmittelbare Gotteserkenntnis besitzen. Hätten wir diese,
so hätten wir auch die unmittelbare Erkenntnis der Ideen,
denn diese sind mit Gottes Wesen identisch (ib.). Die Ideen
sind nämlich, nach Richard, zwar wirklich, aber nicht an sich
seiende oder absolute Realitäten, sondern sie sind im göttlichen
Intellekt, indem Gott von Ewigkeit her seine Essenz erkennt,
in welcher plures relationes secundum rationem ad diversas
creaturas gesetzt sind (I dist. 36 princ. 2 quaest. 3). Das
heisst, Gott sieht seine Essenz an als das durch die Kreatur
Dargestellte oder Nachgeahmte und Darzustellende oder Nach-
zuahmende und schuf so in sich die Ideen oder Urbilder der
Kreaturen nicht nur bezüglich der Species, sondern auch
der Individuen (ib. quaest. 4). — In diesen letzten Gedanken
biegt Richard freilich von den geläufigen Wegen des Realis-
^) Hierauf ist schon Haureau eingegangen (Hist. de la philos.
scol. II 2, 109 ff.), aber er überschätzt m. E. die Hinneigung zum Nomi-
nalismus bei Richard.
30 Einleitung.
mus ab. Das Gedaclite oder die geistige Species des Dinges
ist keine an sich seiende Realität, sondern es ist die Relation
des Dinges zu Gottes Wesen als seinem Urbild.
Demgcmäss ist die Ansicht, dass das Universale als etwas
den Intellekt Bewegendes real sei, ebenso falsch als die Meinung,
dass das Universale in quolibet singulari real bestehe. Das
Universale kann vierfach vorgestellt werden: 1. als Ursache
aller Dinge, dann ist es Gott; 2. als die Form, die fähig v/äre
die verschiedenen Teile der Materie zu formen, si esset actu
existens a materia separata; 3. als der Begriff von der intelli-
giblen Species, den wir universal nennen, sofern er z. B. nicht
nur einen bestimmten Menschen, sondern den Menschen dar-
stellt; 4) nach Porphyrius: universale est quod praedicatur (die
Ausg. hat : patitiir) de piuribus, et hoc est proprie univer-
sale, denn die drei ersten Gruppen bezeichnen eigentlich Singula-
ria. Das Universale bezeichnet also die Essenz des Dinges in seiner
Einheit, wie sie erkannt wird aus der Vielheit seiner Merkmale, so-
wie ipsam universalitatem quae est praedicabilis de piuribus.
Aber in diesem wie jenem Sinn ist das Universale für uns ein
Gedankending, quia ipsa universalitas est res constituta a rati-
one. Das Universale non potest esse actu in re extra (II
dist. 3 princ. 3 quaest. 1). Obgleich nun aber das Universale
realiter non existat, tamen eins species realiter in intel-
lectu existit. Es existiert in keinem Subiectum corporale
und hat keine existentia realis, ist aber trotzdem res aliqua und
hat an der geistigen Existenz eine existentia realior, als die
der Körper ist. Das Universale besteht also einerseits in
den subjektiven Begriffen, die wir uns von den Dingen und
ihren Arten machen, und andererseits darin, dass die Dinge
Darstellungen und Abbilder des göttlichen Seins sind und als
solche unseren Intellekt bewegen (ib.) — Hieraus ergiebt sich
aber, dass Richard dem Peripatetismus des Thomas weit
näher stand als jenem formalen Realismus des Duns. Bei
Duns entspricht jedem Gedanken eine intelligible Realität, bei
Richard ist der Gedanke rein subjektiv und nicht fähig, das
Wesen des Dinges als solches zu erfassen, weil dieses nicht eine
besondere intelHgible Grösse ist, sondern ein Bestandteil des
göttlichen Wesens selbst, denn quidquid est in divino intellectu
I
Richard über die üniversalien. 31
realiter idem est cum eo (I dist. 19 prioc. 3 quaest. 3).
Von diesem Standpunkt aus ist es begreiflich, dass Richard
solche Konsequenzen des Realismus wie die seit Bonaventura
iu der franziskanischen Dogmatik vorgetragene Lehre von der
materia prima ebenso zurückweist (Quodlib. II quaest. 5), wie
er den realen Unterschied zwischen dem esse actualis existen-
tiae und der essentia cuius est esse verneint (Quodlib. I quaest. 8).
Zu diesen Fragen hat Duns Scotus ganz anders gestanden,
aber beide Denker treffen sich doch in dem einen Punkt,
dass das Einzelne und Individuelle das Ziel der Schöpfung
und das eigentlich Bedeutende in der Welt sei. Von hier aus
bewährte sich dem einen Denker die intelligible Realität, die
allem einzelnen zu gründe liegt, den andern hingegen trieb das
Bewusstsein von den Bedingungen des wirklichen Daseins zur
Behutsamkeit bezüglich des intelligibeln Seins der Dinge, es
schien genug daran zu sein, dass alle Dinge in Gott Urgrund
und Urbild haben, die genauere Erkenntnis in diesem Leibes-
leben unerreichbar zu sein.
Richard von Middleton hinterlässt seinem Leser keinen unan-
genehmen Eindruck. Mit grosser, sich überall gleichbleibender
Gründlichkeit und Sorgfalt behandelt er alle dogmatischen und
ethischen Fragen seiner Zeit. Er besitzt eine erhebliche Be-
iesenheit und deutet durch seine Citationsweise ^) an, dass er
die Bücher, die er citiert, selbst in Händen gehabt hat. Ebenso
ist er ein sorgfältiger und geschickter Dialektiker. Aber der
grosse systematische Zug, der manchen seiner Zeitgenossen
kennzeichnete, fehlt ihm. Der Ansatz zu vielen der Gedanken,
die Duns später zu den originellbten Konsequenzen verwandte,
war ihm wohl bekannt ^), aber er hütete sich ängstlich eine
Ansicht zu acceptieren, welche die kirchlichen Autoritäten wider
sich hatte. Nicht selten betont er, dass er nur unmassgeblich,
sine praeiudicio etwas lehre, häufig referiert er nur die üb-
lichen Anschauungen, ohne eine Entscheidung zu wagen. Es
ist lehrreich für die Stimmung des Mannes aber nicht minder für
1) Z. B. „gegen Ende", „in der Mitte" etc. des betr. Buches.
^) Man ist erstaunt, wie viel Scotistisches vor Scotus Bestandteil der
gelehrten Tradition war.
32 Einleitung.
den Geist der Zeit die Erörterung der Frage, ob ein Lehrer
eine Quaestio aufnehmen darf, die zwar nützlich zu wissen ist,
ihm aber malivolentia eintragen würde, zu lesen, s. Quodlib. III
quaest. 22. Es ist eine Todsünde, die betreffende Lehre nicht
vorzutragen, wenn durch die Unterlassung Glauben und Sitten
Schaden leiden würden. Wenn aber letztere Gefahr nicht vor-
liegt, wohl aber es den auditores nützlich wäre über diese
Frage etwas zu hören, so begeht der aus Furcht sie aus-
lassende Dozent eine veniale Sünde. Wenn aber probabiliter
sich für die Kirche keine schlimmen Folgen aus der Auslassung
ergeben, und der Dozent sie vornimmt pro conservanda chari-
tate et pro vitanda turbatione et scandalo et malis iudiciis quae
ex receptione et determinatione illius quaestionis oriri possent :
sie dico, quod mereretur. Aus dieser Stimmung begreift sich
auch das Sclilusswort des Sentenzenkommentars : si quid autem
dixi novum in hoc quarto vel in aliquo aliorum librorum quod
non sit confirmatum auctoritate solida vel ratione necessaria
vel certa experientia, intendo, quod accipiatur, ut dictum sine
pertinaci assertione et sine praeiudicio sententiae melioris. Et
quamvis non recolam nee credam me alicubi scripsisse aliquid
quod retractatione indigeat, tarnen si aliquid tale inveniretnr
in libris meis, quod non credo, paratus sum humiliter retrac-
tare. Wie lehrreich sind diese Worte doch zur Erklärung
jener Unterwerfung unter die kirchliche Glaubensautorität bei
Duns Scotus (s. unten). Aber wie charakterisieren sie doch
auch den Gegensatz der beiden Zeit- und Ordensgenossen!
Richard hatte Recht, er hat nichts „Neues" gebracht und
daher nichts zurückzunehmen, er war kein Häretiker. \) Aber
Duns hat, unter denselben ungünstigen Zeitverhaltnissen arbeitend,
eine nicht geringe Anzahl der Lehren, die Richard ängstlich
als zu frei mied, aufgegriffen und sie durch die Virtuosität
seiner Dialektik und seinen wissenschaftlichen Mut zu Schul-
lehren seines Ordens ausgeprägt. Er hat etwas „Neues" zu
sagen gewagt und hat das Denken von zwei Jahrhunderten in
seine Bahnen gezwungen. Der hierarchischen Beschränkung
^) Vgl. Sent, IV dist. 13 princ. 5 quaest. i : baereticus üle e8t qui
profitetur Christum et eius dogmata corrumpit.
Duns und Richard. 33
der theologischen Lehre, wie sie damals beliebt zu werden anfing,
hat er freilich einen Preis zahlen müssen, um den sie es riskieren
konnte, der Wissenschaft bis zu einem gewissen Grade Frei-
heit zu gewähren: die Theorie des kirchlichen Positivismus.
Die Hauptmerkmale der Oxforder Schule, die Richard
und Duns gemeinsam sind, dürften folgende sein: die Erkennt-
nis, dass die Theologie eine praktische Wissenschaft ist, der
Gedanke vom Willensprimat im Menschen, die Bestimmung des
göttlichen Willens als absolute Freiheit und Willkür (potentia
absoluta und ordinata), die anseimische Fassung der Sünde,
sowie die Ansicht von der durch sie unbeeinträchtigten Freiheit
des Willens, der symbolische Sakramentsbegriff, der aber über-
haupt franziskanische Doctrin war. Beide vertreten im ganzen
wie in vielen Einzelheiten die Theologie ihres Ordens wie der
besonderen theologischen Schule, aus der sie hervorgegangen
sind. Aber wie gross sind trotz dieser gemeinsamen Grundlagen
die Unterschiede. Der eine war ein tüchtiger Professor, dem
spätere Zeiten^) nicht ohne Recht die Ehrentitel Doctor solidus
oder fundatissimus beilegten, der andere war ein genialer Denker,
gleich gross als scharfer Kritiker wie als mutiger Forscher, ein
bahnbrechender Geist. Gegenüber diesen grossen Differenzen
rücken die einzelnen Abweichungen in ihren Schatten.
Ich bedaure lebhaft, dass mir die Sentenzenerläuterungen
von Männern wie Wilhelm von Ware oder Nikolaus v. Occam,
Robert Cowton oder die verschiedenen Werke des Johann
von Wales ^) nicht zugänglich waren. Indessen meine ich, dass
wir ihnen kaum mehr als weitere Bestätigungen für den er-
kannten historischen Zusammenhang würden entnehmen können.
Die englische Theologie ist von Anselm angebahnt worden,
sie empfing für die Zeit der späteren Scholastik ihre Prägung
durch Robert von Lincoln. In diesem historischen Zusammen-
hang hat sich die Entwicklung des Duns Scotus vollzogen. In
welcher Richtung die wissenschaftlichen Fortschritte seines
Zeitalters — bes. durch Thomas von Aquino und Heinrich
^) Little, Grrey friars p. 214.
^) Von dieser ganzen Litteratur ist bisher m. W. nichts gedruckt
Über die Handschriften giebt Auskunft Little, Grey friars p. 213 (Wil-
helm). 158 (dieser ältere Occam). 222 (Robert).
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 3
34 Einleitung.
von Gent — für ihn bedeutsam wurden, wird in anderem Zu-
sammenhang zu berühren sein.
4. Damit ist in grossen Zügen der geschichtliche Rahmen
bezeichnet, innerhalb welches sich das Leben des Duns abge-
spielt hat. Hinsichtlich dieses Lebens selbst sind wir fast ganz
im Dunkeln. Die genaueren Nachrichten, welche die Bio-
graphen, die einige hundert Jahre nach ihm schrieben, bringen,
sind — auch falls sie auf Ordenstraditionen zurückgreifen —
im höchsten Grade fragwürdig. Die Mehrzahl verrät nur zu
deutlich die Absicht, Grosses und Wunderbares von dem Mann
zu berichten, den die Jahrhunderte nur immer grösser gemacht
hatten. Ich stelle zunächst die urkundlich sicheren Daten aus
dem Leben des Duns zusammen. Es sind nur wenige : 1) Der
Name: Johannes Duns Scotus. Ein direkter Schüler des
Duns, der Herausgeber der expositio in XTI 11. Metaphys.
Arist. gibt zum Ende dieses Werkes den Namen an: magister
Joannes Duns qui fuit natione Scotus, religione
Minor. Zwei „Johannes Scotus" finden sich unter den
Unterschriften der 1309 vollzogenen Approbation der Werke
des Raymund Lullus, damals war aber unser Autor bereits tot.
2) Er starb am 8. November 1308 zu Köln. So berichtet
Trithemius und so stand es auch auf der Tafel der verstorbenen
Franciskaner in Köln : D. P. Fr. Joannes Scotus, sacrae theo-
logiae Professor, doctor subtilis nominatus, quondam lector
Coloniae, qui obiit anno 1308, VI. Idus Novembris. In seiner
positiven Knappheit kann dies Datum nicht wohl bezweifelt
werden (s. W ad ding, Leben des Duns zu Anfang des 1.
Bandes seiner Ausg. der Werke § 34. 47). 3) Er gehörte
dem Franziskanerorden an, studierte in Oxford, docierte hier
und in Paris und verfasste in Oxford wie in Paris eine Anzahl
von Schriften, die alsbald näher zu besprechen sein werden.
Diese Daten bedürfen keiner Belege. 4) Ein sehr wichtiges
Datum bietet eine Oxforder Urkunde dar, die Wood mitteilt ^).
Am 26. Juli 1300 beantragt der Minoritenprovinzial Hugo de
Hertelpol bei dem Bischof von Lincoln für 22 Minoriten die
Befugnis zum Beichtehören. Der Bischof erteilt das Recht
1) Wood, City of Oxford ed. Clark, II, p. 386 f.
Die sicheren Daten aus dem Leben des Duns. 35
aber nur acht Brüdern. Unter den Vorgeschlagenen, aber
Zurückgewiesenen, befindet sich auch an 16. Stelle Johannes
Do uns. üass dies unser Duns ist, kann schlechterdings nicht
bezweifelt werden. 5) Auf die Übersiedlung von Oxford nach
Paris nimmt Bezug die zweite amtliche Urkunde^ welche des
DuDS ErwähnuDg thut. Es ist ein Schreiben des Ordensgene-
rals Gondisalvus aus Ascoli an den Guardian des Pariser Kon-
ventes der Franziskaner, vom 18. November (XIV. Kai. Dec.)
1304. Hier wird die statutenmässige Präsentation zweier,
nicht der Ordensprovinz Francia angehörenden Franziskaner
zum Magisterium in Paris angeordnet ^). Der General empfiehlt
sonderlich zu diesem Zweck Johannes Scotus: dilectum in
Christo patrem loannem Scotum, de cuius vita laudabili,
scientia excellenti ingenioque subtilissimo aliisque insignibus
condicionibus suis partim experientia longa, partim f am a
quae ubique divulgata est, informatus sum ad plenum,
dilectioui vestrae assigno etc. Daneben ward der andere (Albert
von Metz), obgleich der Altere, nur bedingungsweise und kurz
erwähnt (s. Wadding 1. c. 24). Man kann gegen diese Urkunde
Zweifel erheben ^). Zwar nicht wegen der Namensform, denn
dieselbe braucht auch der Kölner Konvent in dem Verz'eichuis
der Toten, wohl aber wegen der experientia longa, welche der
in Italien lebende General von dem — nach üblicher Berech-
nung des Geburtsjahres — damals erst dreissigj ährigen Mino-
riten zu haben behauptet. Andrerseits stimmt aber die Charak-
teristik und auch die Zeit so vorzüglich zu allem, was wir
sonst wdssen, dass die Beziehung auf unseren Duns Scotus als
sicher bezeichnet werden kann. Man wird aber freilich durch
diese Urkunde geneigt sein, die übliche Tradition des Geburts-
jahres in Zweifel zu ziehen. Lassen wir aber diese Frage zu-
nächst beiseite, so ergibt sich aus der Urkund esoviel, dass Duns
im Jahre 1304 bereits im Orden einen bekannten Namen besass
^) Vgl. hierzu die franzisk. Generalkonstitutionen v. J. 1292 (bei
Ehrle, Archiv f. Litt.- u. Kirchengeschichte des Mittelalters VI, 107 n):
quod illorum qui Parisius sunt lecturi sententias vel ad magisterium prae-
sentandi tertius semper de provincia Franciae, alii vero duo de aliis pro-
vinciis ordinis magis idonei assumantur.
^) Vgl. Renan in der Histoire litteraire de la France XXV, 410.
3*
36 Einleitung.
und dass er — der Brief kam kaum vor Anfaüg 1305 nach
Paris — etwa im Frühjahr 1305 nach Paris übersiedelte. —
Diese Daten empfangen aber eine Erläuterung aus dem, was
wir sonst aus dem Studiengang der Oxforder Franziskaner
wissen ^). Die philosophischen Studien sollten in der Regel
acht Jahre währen, es folgen sechs Jahre theologischen bes. bib-
lischen Studiums. Drei Jahre über bethätigte der Mönch sich
dann als theologischer Opponent und Respondent. Nach diesem
— neunjährigen — theologischen Studium wurde es gestattet,
über die Sentenzen zu lesen, oder das theologische ßaccalaureat
zu übernehmen. Nach dreijähriger akademischer Thätigkeit
findet dann eine grosse akademische Disputation statt und nun
wird der Baccalaureus Doktor der Theologie. Das theologische
Studium bis zum ßaccalaureat umfasst also einen Zeitraum von
neun Jahren, bis zum Doktorat von etwa zwölf Jahren. Die
Situation im Leben des Duns ist nun ohne Frage die, dass er
in Oxford theologischer Baccalaureus war und in Paris dann
den theologischen Doktorat empfing. Sowohl die Chronologie
als die Verfügung des Ordensgenerals beweisen das ^). Duns
hat also, äusserlich angesehen, in Oxford keine irgendwie leitende
Stellung eingenommen.
Das ist es also, was wir aus dem Leben des Duns mit
Sicherheit wissen. Nun erhebt sich aber die Frage, ob und
inwieweit den sonstigen Überlieferungen positive Daten ent-
nommen werden können. Es handelt sich zunächst um Jahr
und Ort seiner Geburt. Nach Wadding (§ 12) und Hugo
Cavellus^) ist Duns geboren im Jahre 1274. Wadding er-
blickt in dem Zusammenfallen der Geburt des Duns und des
Todes Bonaventuras in demselben Jahre ein besonderes Zeichen
der göttlichen Gnade gegen die Minoriten. Renan folgert
daraus, dass dieses Zusammentreffen nicht wohl habe unbe-
^) S. Little, The grey friars p. 44 seqq.
^) Im J. 1300 ist Duns nach der oben S. 34 erwähnten Urkunde^
nicht Doktor, da ihm nicht, wie zweien von den Vorgeschlagenen, diese Würde
ausdrücklich beigelegt wird.
^) In seiner Vita Scoti (4) im Anfang zu Scoti ... in I et II Sent.
quaestiones . . nunc noviter recognitae per Hugonem Cavellum, Ant-
verp. 1620.
Chronologie des Lebens des Duns. 37
merkt bleiben können, die Richtigkeit des Datums ^). Es ist
gewiss anzuerkennen, dass die beiden gelehrten Franziskaner
einer Tradition ihres Ordens folgten. Indem dieselbe aber
der quellenmässigen Begründung entbehrt, ist sie gerade durch
den pragmatischen Zusammenhang mit dem Tode Bonaventuras
verdächtig. Dazu kommt die soeben aus dem Schreiben des
Generals von 1304 sich ergebende Beobachtung. Dass die
Angabe falsch ist, lässt sich aber evident und nicht nur ver-
mutungsweise zeigen. Ende Juli 1300 wurde Duns zum Beichte-
hören vorgeschlagen, wie wir sahen. Damals muss er aber
sein dreissigstes Lebensjahr bereits vollendet haben. Die
Generalkonstitutionen des Ordens von 1292 bestimmen, dass
erst nach vollendetem 25. Lebensjahr die Brüder Priester
werden dürfen et exsecutionem confessionis quarumcunque per-
sonarum extra nostrum ordinem existentium et praelationis offi-
cium nullus habeat de cetero nisi qui XXX annos com-
pletos habuit in aetate-). Hieraus folgt unweigerlich,
dass Duns nicht nach 1270 geboren sein kann. Da es aber
doch nicht wahrscheinlich ist, dass gerade in dem Jahr, wo e r
das 30. Lebensjahr vollendete, jene 22 Brüder proponiert wurden,
so werden wir an das Ende der sechziger Jahre gewiesen. —
Die Entstehung der entgegenstehenden Überlieferung begreift
sich einfach. Wusste man, dass Duns Scotus jung gestorben
war, so lag es nahe, um das Wunderbare seiner Lebensarbeit
zu erhöhen, ihn möglichst jung zu machen und es lag auch
nicht zu fern, gerade das Todesjahr Bonaventuras zu seinem
Geburtsjahr zu machen. Wie wenig Positives von seinem
Leben bekannt war, ergiebt sich daraus, dass Trithemius einen
ähnlichen, von Späteren gedankenlos nachgeschriebenen Pragma-
tismus konstruiert, indem er ihn zu einem Zuhörer des ersten
grossen Meisters der Franziskanerschule, des Alexander von
Haies macht, obwohl Alexander doch schon 1245 starb ! Nun
hat aber ein anderer Franziskaner, Thevet, eine andere Tra-
dition gekannt. Nach dieser ist Duns nicht im 34., sondern im
43. Lebensjahr gestorben, sonach also 1266 geboren^). Dann
^) 1. c. p. 405. — 1274 starb übrigens auch Thomas v. Aquino.
") Ehrle, Archiv für Litt. u. KG. etc. VI, 129 f. Anm.
^) Lesvraies portraits et vies des hommes illustres, Paris 1584, p. 148 r.
38 Einleitung.
wäre Duns damals, als der Provinzial ihn als Beichtiger vor-
schlug, 34 Jahr alt gewesen, und als sein General ihn so hoch
pries, immerhin ein Mann von 38 Jahren gewesen. Wie also
bei dieser Datierung die beiden uns überlieferten Urkunden
erklärlich sind, so auch die Riesenarbeit, die uns in den
Werken des Duos vorliegt. Freilich geschichtlich kontrolier-
bar ist auch diese Angabe nicht, aber alle uns bekannten Daten
stimmen zu ihr: Duns war im Jahre 1300 vierunddreissig Jahr
alt. Als er im Jahre 1304 für den Pariser Doktorat vorge-
schlagen wurde, musste ein Studium von ca. 20 Jahren hinter
ihm liegen (vgl. S. 36). Er hätte also mit 18 Jahren seine Studien be-
gonnen. Letztere Kombination lässt es auch nicht geraten er-
scheinen, weit hinter das Jahr 1266 zurückzugehen. Man wird
also mit einiger Sicherheit sagen dürfen: Duns ist zwischen
1265 — 1270 geboren. Dann dürfte aber die Angabe 1266 auf
zuverlässiger Tradition beruhen ^).
Dasselbe Dunkel, das über dem Datum der Geburt lagert,
erstreckt sich auch auf den Ort derselben. England, Schott-
land und Irland streiten sich um die Ehre, den grossen Lehrer
hervorgebracht zu haben. In Oxford stellte 1451 — 1455 ein
deutscher Abschreiber neun Abschriften des Sentenzenkommen-
tars von Duns her. Zum Schluss der Abschriften fügte er
ein Explicit an. Das erste lautet: Explicit lectura Doctoris
Subtilis in universitate Oxoniensi super primum librum Sen-
tenciarum, sc. Doctoris lohis. Duns nati in quadam
villicula pochiae (= parochiae) de Emyldon vo-
cata Dunstan in Comitatu Northumbrie pertinente
domui Scolarium de Merton halle in Oxonia, et quondam
socii dicte domus. ^) Auf Grund dieses Zeugnisses wird seit Thevet
(1. c. 147 V) von manchen Duns als Engländer in Anspruch ge-
^) Könnte nicht eine einfache Umstellung der Zahlen im Gedächtnis
— sie war beeinflusst vom Eindruck der kurzen Lebenszeit des grossen
Mannes — die Entstehung der 34 Lebensjahre aus 43 Jahren erklären?
Dann spräche indirekt auch die landläufige Tradition für die von uns
befolgte.
^) Renan 1. c. p. 405; Wadding § 9. Der mitgeteilte Text (ge-
schrieben 1451) genau nach Henderson, Merton-CoUege (üxf. 1899)
p. 289.
Zeit und Ort der Geburt des Duns. 39
nommen. Nach einer anderen alten Überlieferung, die auf
Schüler des Duns zurückgeht, war er Schotte und wurde ge-
boren zu Duns, einem acht Meilen von der englischen Grenze
belegenen Dorf der schottischen Provinz Marchia. ^) Mit dieser
Annahme würde das bekannte Epitaphium des Duns über-
einstimmen :
Scotia me genuit,
Anglia me suscepit,
Gallia me docuit,
Colonia me tenet» ^)
Dagegen behaupten die irischen Franziskaner, wie besonders
Wadding und Cavellus, Duns Scotus sei geboren zu Dun oder
Dunum, einer alten Stadt der irischen Provinz Ulster, nämlich
dem heutigen Down -Patrick. Hier soll nach alter Sage in
einem Grabe die Asche des heil. Patrick, des heil. Columban
und der heil. Brigitte ruhen. Da nun bekanntlich Scotia im
früheren Mittelalter nicht selten für Hibernia gebraucht wird,
— noch 1256 nannte, gelegentlich der Einteilung der Ordens-
provinzen, Bonaventura die provincia Hiberniae sive Scotiae,
wobei nur an Irland gedacht ist, da die wenigen schottischen
Minoritenklöster der Provinz Anglia zugeteilt waren — , so
soll der Beiname Scotus einen Iren bezeichnen. ^) Dass nun
irische Franziskaner sich um die Erklärung und Herausgabe
der Werke des Duns hervorragend verdient gemacht haben,
bildet natürlich ebenso wenig eine Instanz für diese Annahme,
als dass in irischen Klöstern die scotistische Theologie besonders
eifrige Anhänger fand. — Es ist m. E. unfraglich, dass dieser
dritte Anspruch als unbegründet zurückzuweisen ist. Was
^) Belege bei Renan p. 406.
^) Renan, p. 407 meint, dass diese Verse „fort bien'' zusammenfassen
was wir über Duns' Leben wissen. Das ist aber ein selir unvorsichtiges
Urteil. Sicher ist nur die 4. Zeile. Zeile 8 ist, obgleich in ihr ,,la France
est en possession de la meilleure pari", offenbar unrichtig. Zeile 1 ist
fraglich, daher natürlich auch das suscepit von Z. 2.
^) S. auch den Handschriftenkatalog von Assissi v. J. 1381, wo es
heisst: opus super quatuor libros Sententiarum mag. fratris Johannis Scoti
de ordine Minorum qui et doctor subtilis nuncupatur de provincia Hi-
berniae.
40 Einleitung.
aber die erste und die zweite Ansicht anbetrifft, so spricht
für Schottland der Beiname Scotus, für England die positive
Notiz jenes Schreibers, der offenbar eine im Merton - College
herrschende Tradition bezüglich des Duns wiedergibt. Dazu
kommt, dass nach derselben Notiz Duns selbst zu dem ge-
nannten College gehört habe. Ist dies zutreffend, so würde
die Bestimmung der Statuten des Colleges, dass niemand auf-
genommen werden dürfe, der nicht aus einer Diöcese stammt,
in der das College Eigentum besitzt ^), wohl auch für die
englische Herkunft des Duns sprechen. -) Die Zugehörigkeit
des Duns zum Merton-College ist freilich neuerdings ^) und so
zuletzt von Henderson in seiner Geschichte des Merton-
College bestritten worden (S. 289 f.). Aber das Resultat
„that the Franciscan monk Duns Scotus was not a scholar
of Merton" scheint mir doch etwas zu zuversichtlich formuliert
zu sein. Eür die Zugehörigkeit zum College spricht 1. die
einhellige Tradition, 2. die sehr genaue und positive Angabe
jenes Schreibers von 1451. Dass kein Mönch zum College ge-
hören durfte, ist richtig, aber Duns kann ja, als er Mönch
wurde, das College verlassen haben, wie etwa Johann von
Wales bereits Baccalaureus der Theologie war, als er in den
Orden eintrat ^j. Der handschriftlich vorhandene Catalogus
vetus (ca. 1422, Henderson p. 287. 290) führt nun wirklich einen
Doune (korrigiert in Doun^) an, unter Eduard II. (1307 — 27).
Man kann nun diese Notiz als die Quelle der — falschen —
Tradition ansehen. Man kann aber auch hier eine zufällig
oder absichtlich abweichende Schreibung des Namens an-
nehmen. Dass aber auf die Chronologie des Kataloges für die
älteste Zeit nicht viel Verlass zu sein scheint, folgt schon daraus,
dass auch Roger Bacon in ihm aufgeführt ward (Henderson
p. 288), der doch schon ca. 1214 geboren ist, während die
Anfänge des Colleges in das J. 1264 fallen. Demnach kann
m. E. nur gesagt werden, dass die Tradition über die Zuge-
hörigkeit von Duns zum Merton-College unsicher ist, dass aber.
^) Bei Henderson. Merton-Coll. p. 15.
^) Das scheint die Meinung von D ö 1 1 i n g e r zu sein, Kirchenlex. X,^ 2128.
') Z. B. Maxwell Lyte. hist. of university of Oxford, 1886, p. 116.
*) S. Monumenta franciseana ed. Brewer 1 542.
Herkunft des Duns. 41
angesichts des präcisen Zeugnisses von 1451, von einer ge-
wissen Wahrscheinlichkeit immerhin wird geredet werden dürfen.
Alles in allem scheint also doch die englische Herkuuft
des Duns als die wahrscheinlichste zu bezeichnen zu sein.
Zur Erklärung des Beinamens Scotus wären verschiedene
Möglichkeiten denkbar: vielleicht konnte man einen Northum-
brier im 13. Jahrhundert auch als Schotten bezeichnen, oder
die Familie des Duns war wirklich schottischer Herkunft oder
Duns ist in einem schottischen Minoritenkloster gewesen. Letz-
teres erscheint am wahrscheinlichsten. Dazu stimmt S. 39 A 3.
Jedenfalls wird der Name Duns die lokale Herkunft des Mannes
— wie die Beinamen Aquinas, Alesius, Gandavensis etc. — bezeich-
nen, während Scotus auf die Stammeszugehörigkeit oder auf
klösterliche Beziehungen zu Schottland ginge. In der amtlichen
Bezeichnung konnte man von dem unbekannten Dun oder Dunstan
absehen und ihn einfach Scotus nennen, wie ja auch andere Männer
der Zeit bezeichnet wurden. Aber aus der Häufigkeit letzterer
Benennung ist es erklärlich, dass die Bezeichnung Duns sich
neben Scotus behauptete. ^) Schliesslich sei noch bemerkt, dass
jedenfalls die schottische und englische Tradition mit einander
gegen die irische Herkunft des Duns sprechen, denn beiden
liegt offenbar eine und dieselbe Kunde zu Grunde, nämlich
dass Duns Scotus nicht weit von der schottischen Grenze ge-
boren ist. Ob nördlich oder südlich von derselben, das wird
sich allerdings kaum je zur vollen Gewissheit erheben lassen.
Auch die Kindheit und der Bildungsgang des Duns liegen
im Dunkeln. Die Erzählungen aus seiner Kindheit, etwa dass
er auffallend unbegabt und stumpfsinnig gewesen, die heilige
Jungfrau ihm aber auf sein Gebet und Flehen hin erschienen
sei und ihm unter der Bedingung, dass er ihr hinfort sonder-
lich dienen solle, wunderbaren Scharfsinn und Gelehrsamkeit
verliehen haben, diese und ähnliche Erzählungen sind natürlich
historisch vollständig wertlos. Dass er zum Merton-College
') In der gelehrten Sprache des Mittelalters sprach man in der
Regel von Scotus. Dann wurde in Analogie zu dem Doppelnamen der
anderen Scholastiker Duns Scotus üblich, fast so als wäre Duns ein Vor-
name, und neuerdings sagen wir in der Regel nur Duns und nicht Jo-
hannes.
42 Einleitung.
gehörte, kann höchstens als wahrscheinlich bezeichnet werden.
Ebenso unsicher ist die Tradition, dass er den Wilhelm von
Ware zum Lehrer hatte. ^) In welcher Richtung diese Ox-
forder Studien auf ihn eingewirkt haben, wurde bereits oben
erörtert. Auch darüber wann und wo er in den Minoriten-
orden eintrat, fehlen alle sicheren Nachrichten. Die Irländer
meinen in Down-Patrick, die Schotten in Dunfries, wieder
andere zu Oxford oder zu Newcastle oder zu Ware. ^) —
Wilhelm von Ware mag in Oxford gelehrt haben, dass er in
Paris wirkte, ist sicher. Dass aber Duns an seiner Stelle in
Oxford Magister wurde, wie die übliche Angabe will, ist schon
dadurch ausgeschlossen , dass er in Oxford überhaupt nur
Baccalaureus war. Damit fällt auch die Angabe hin, dass die
Schärfe seiner Dialektik viele Studierende nach Oxford ge-
zogen haben soll, ihre Zahl sei von 3000 auf 30 000 gestiegen.-^)
In Oxford werden seine philosophischen Schriften (s. unten)
entstanden sein, aber der Hauptsache nach auch der grössere
Sentenzenkommentar, das sog. Opus Oxoniense. Wadding hat
einige Anhaltspunkte zur Zeitbestimmung dieses Werkes aus-
findig gemacht. Darnach ist der Prolog zum ersten Buch mit
grosser Wahrscheinlichkeit nach 1300 geschrieben (§ 19). Dazu
stimmt nun, dass IV dist. 6 quaest, 8 eine Bulle Bonifaz VIII.
vom Jahre 1398 citiert ist, sowie IV dist. 25 quaest. 1 eine
Bulle seines Nachfolgers Benedikt XI., der seit 20. Oktober 1303
die päpstliche Gewalt innehatte. Da nun Duns, wie wir
sahen, im Jahre 1305 nach Paris kam, so ist das Opus
Oxoniense ca. 1301 — 1304 entstanden^) und wohl erst in Paris
zum Abschluss gekommen. Am 18. November 1304 hatte der
1) S. Little. Grey friars in Oxf. p. 213.
^) S. die Angaben bei Renan 1. c. p. 408.
^) Das ist natürlich Fabel, aber es verdient vielleicht angemerkt
zu werden, dass wir eine päpstliche Verfügung vom J. 1295 besitzen,
welche der Klage der Minoriten, dass die scolares ad studium in sacra
pagina und auch die anderen Gläubigen am Hören des Wortes durch za
enge Räumlichkeiten behindert würden, dadurch Abhilfe schafft, dass
ihnen die Gebäude der Brüder de poenitentia überwiesen werden, s.
Annales minorum V, 575.
*) 1301 mag Duns zum ersten Male über die Sentenzen gelesen haben.
Thätigkeit in Oxford und Paris. 43
Ordensgeneral angeordnet, dass Duns in Paris zum Doktorat
vorgestellt werde. Bald darauf wird er in Paris die Doktor-
würde erworben haben. Nach dem Bericht der Biographen
wurde er auf einem Generalkapitel der Minoriten in Toulouse
im J. 1307 zum zweiten Regens in dem Pariser Konvent seines
Ordens ernannt.
Wenn nach den späteren Biographen die Übersiedlung nach
Paris mit einer grossen Disputation, die zwischen Franziskanern
und Dominikanern über die unbefleckte Empfängnis der Maria
stattfinden sollte, zusammenhängen und Duns hierbei wegen
seiner siegreichen Führung der Sache der Maria den Bei-
namen eines Doctor subtilis erhalten haben soll, so ist dies
alles sagenhaft, denn 1) die „Subtilität" des Duns rühmt schon
das Schreiben des Generals vom Jahre 1304; einer besonderen
Probe desselben bedurfte es also zur Entstehung jenes Beinamens
nicht; 2) schon d'Argentre macht darauf aufmerksam, dass
erst im Jahre 1480 der Minorit Bernhardin von Busti von
dieser Disputation berichtet und dass in einem Dekret vom
Jahre 1496 die theologische Fakultät in Paris erklärt, dass in
dem letzten (d. h. dem 15.) Jahrhundert die Streitigkeiten über
die puritas conceptionis der Maria häufiger zu werden be-
ginnen ^) ; somit ist also der mariologische Gegensatz der beiden
grossen Bettelorden späteren Ursprungs ^). 3) Dazu kommt
aber, dass Duns selbst keineswegs über die volle Sicherheit
in Betreff jener Lehre, die der Orden später zeigt, verfügte.
Mehr als eine „probable" Hypothese war ihm die Annahme
im Grunde nicht 3). Also ist die ganze Disputation mitsamt
allem, was sich an Folgen an sie geschlossen habe, als Legende
aufzugeben.
Dagegen ist als sicher anzusehen, dass Duns der Pariser
Sitte entsprechend sich um den Pariser Doktorat durch eine
Disputation über verschiedene theologische Themata bewarb.
Quaestiones quodlibetales oder Quodlibeta nannte man diese
Erörterungen. Wie wir von fast allen hervorragenden Scholas-
tikern Quodlibeta erhalten haben, so auch von Duns Scotus.
1) Collectio iudiciorum (Paris 1728) I, 275 f.
'^) Vgl. auch Döllinger im Freiburger Kirchenlexikon X^. 2129.
^) Die Belege s. unten im 3. Kapitel.
44 Einleitung.
In Paris entstanden auch die sog. Reportata Parisiensia, ein
kürzerer Sentenzenkommentar. Die Reportata bieten die dog-
matischen Vorlesungen des Duns, die er in Paris gehalten hat,
dar. Das folgt aus den Worten, mit denen die 18. Dist. des
3. Buches schliest : et sie iinis disputationis in aula. Wadding
hat die scharfsinnige Beobachtung gemacht, dass Duns in den
Vorlesungen auf das erste Buch sofort das 4. hat folgen lassen,
und sich dann erst dem 2. und 3. Buch zuwandte ^), wobei er
in letzterem mit der Erklärung der 18. Dist. schloss. Dies
wird wohl mit seinem Fortgang von Paris zusammenhängen ;
ein Schüler hat später die Lücke nach dem grossen Oxforder
Kommentar geschlossen. Das Werk, wie es uns vorliegt, ist
freilich nicht viel mehr als eine verkürzte Wiedergabe jenes
grösseren Werkes. Es verhält sich zu demselben wie ein
Kollegheft zu einem grösseren Werk. Manches ist vereinfacht
worden, anderes ist fortgelassen, die Beweise sind zusammen-
gezogen worden, das Interesse mehr auf die theologischen
Gegenstände und das Sichere konzentriert worden. Aber die
Eorschung wird doch nach wie vor — selbst die Echtheit der
Reportata ist angezweifelt worden — aus dem grösseren Werk
die Lehre des Duns darstellen, wie denn auch die geschicht-
liche Bedeutung seiner Theologie sich an dasselbe geschlossen
bat 2).
Im Jahre 1308 hat Duns Paris verlassen. Er soll mit
einigen Schülern zur Erholung einen Spaziergang auf das
Land gemacht haben. Unterwegs erreichte ihn ein Bote mit
dem Befehl des Ordensgenerals, sich nach Köln zu begeben.
^) Der Beweis besteht darin , dass im 4. Buch häufig- Rückver-
weisungen auf das erste Buch, nicht aber auf das 2. und 3. sich finden.
Ferner verweist er aber in dem 4. Buch häufig auf solches, was im 2. und
3. Buch zur Erörterung kommen soll. Das zeigt sich besonders deutlich
an solchen Stellen, wo auch im 4. Buch auf Lehren des 2. und 3. Buches
verwiesen wird, die aber dann später in demselben gar nicht zur Dar-
stellung gelangten, z. B. IV dist. 15 quaest. 4, 24; dist. 49 quaest. 1, 9;
dist. 29 qu. un. § 9 fin: hoc forte dicetur in secundo libro; ähnlich
dist. 4 quaest. 3, 6, wo die Ausgaben zwar dicitur haben (Pariser Ausg-
Bd. 23, 600; Wadding XI. 590), Aielleicht aber dicetur zu lesen ist.
^) Vgl. hierzu Waddings Einleitung zu den Report.. Pariser Ausg.
Bd. 22 S.lfi".
Duns kommt nach Köln. 45
Er machte sich sofort auf. Die Frage der Schüler, ob er
nicht zuvor sich von dem Konvent verabschieden wolle, habe
er mit den Worten beantwortet: pater generalis Coloniam ire
iubet, non in conventum ad salutandos fratres i-edire. Er
gehorchte in mönchischem Gehorsam, obgleich diese Versetzung
für ihn ein schwerer Schlag sein musste. Die glänzende
Stellung eines Pariser Professors musste er mit der eines
Lektors bei dem Kölner Konvent vertauschen (s. Wadding,
Annal. 1308 n. 10), eine Universität hatte Köln damals noch
nicht. Die Biographen ergehen sich in Vermutungen zur Er-
klärung diesen auffallenden Massregel. Das ist wohlverständlich
und berechtigt. Renan freilich meint, que l'importance de son role a
ete exaggeree apres sa mort und dass daher an dieser V^ersetzung
nichts Aussergewöhnliches sei (l. c. p. 417). Allein letzterem
widerspricht doch schon das oft erwähnte Schreiben des
Ordensgenerals. — Jene Vermutungen gehen in verschiedene
Richtungen auseinander: es habe eine Universität gegründet
werden sollen, es hätte die Mariologie der Dominikaner bekämpft
werden sollen, der Frechheit der Begarden habe der grosse
unüberwundene Disputator steuern sollen. An letzterem mag
ja etwas sein. Aber mehr als Vermutungen erhalten wir da-
mit nicht. Nun sagt aber der Franziskaner Ferchi ^), es fände
sich in vetustis codicibus ein anderer Grund angeführt. Der
Ordensprovinzial und Regens primus, Reginald, der ebenfalls
Vorlesungen hielt, sei durch den ungeheuren Erfolg, den der
zweite Regens Duns hatte, mit Neid erfüllt worden und habe
deshalb jenes Schreiben des Generals erwirkt. Er habe ihm
mitgeteilt, dass in Köln eine Universität zu errichten beab-.
sichtigt werde und habe Duns zum Leiter dieser Bestrebungen
empfohlen. Das bezügliche Schreiben des' Generals habe er
dann sofort dem auf dem Spaziergang befindlichen Duns —
morae impatiens — nachgesandt. Das Verhalten des letzteren
bei Empfang des Schreibens rückte, so betrachtet, in ein neues
Licht. Die Angabe Ferchis und seines Gewährsmannes ist für
uns freilich unkontrolierbar, aber dass die innere Wahrschein-
lichkeit für sie spricht, wird nicht abgeleugnet werden können.
^) Apologia pro Joanne Duns Scoto libri tres, 1620, c. 7.
46 Einleitung.
So mag also der Neid die letzte Triebfeder zur EntfernuDg
des Duns aus Paris gewesen sein, selbst wenn auch andere
Gründe mitgewirkt haben, wie allgemeine Pläne über die Be-
gründung einer Hochschule oder der Streit gegen die Begarden.
— In Köln soll er mit hohen Ehren empfangen worden sein.
Er hielt im Minoritenkloster Vorlesungen und soll über die
unbefleckte Empfängnis, sowie mit den Häretikern disputiert
haben. Diese Angaben beruhen durchw^eg auf unsicheren
Kombinationen, die durch die breiten Ausführungen der Bio-
graphen nicht sicherer werden.
Lange hat diese Wirksamkeit nicht gedauert, denn bereits
am 8. November 1308 ist er gestorben. Auch hinsichtlich des
Todes des Duns Scotus variiert die Überlieferung. Spätere
meinen, er sei an einem Schlagfluss gestorben. Von grösserem
Interesse ist nun aber eine merkwürdige Überlieferung, die
zwar auch für uns erst spät auftritt, immerhin aber ernster
Erwägung wert ist. Paul Jovius ^) und der Annalist Bzovius -)
erzählen nämlich, Duns sei in eine Lethargie verfallen und
darauf lebendig begraben worden. Im Grabe wieder zum Be-
"wusstsein gekommen, habe er um Hilfe geschrieen, dann seine
eigenen Hände verzehrt^) und habe schliesslich den Schädel
an den Steinen zertrümmert. Dadurch habe er die Strafe
manifesti aut certe occulti criminis getragen. In der Sache
läuft eine Bemerkung, die in den Predigten des heil. Bern-
hardin von Siena (1380—1444) ganz gelegentlich vorkommt,
doch wesentlich auf das Nämliche hinaus : oportet sublevare
mentem ab istis sensualibus ad insensualia, sicut accidit magistro
subtiliscil. Scoto qui ita fuit extractus de sensualibus ad insensualia
et ita fuit elevatus, quod fratres qui ignorabant hunc eins solitum
morem, credentes ipsum fore mortuum subterraverunt eum
vivum; et postea venieutes eins discipuli scientes id sibi saepe
accidere, quid foret de eins modo interrogantes reperuerunt
^) Elogia virorum litteris illustrium, ßasil. 1577, p. 6.
2) Annales ecclesiastici, Colon. 1616, XIII, 1029.
') Dieser Zug bei Bzovius in der 2. Ausg., der sich dafür auf Gene-
brardus beruft, der aber nach Wadding (§ 37), nur mit einem „ferunt''
von dem unnatürlichen Tode erzähle.
Tod und Todesart des Duns. 47
eum vivum subterratum fore, est suffocatum ^). Es ist ziem-
lich gleichgiltig, ob der 4. Band der Predigten Bernhardins
von ihm selbst herrührte oder auf einen gewissen Daniel de
Purziliis zurückgeht, wie Ferchi und Wadding behaupten. Die
Überlieferung j dass Duns Scotus lebendig begraben wurde^
empfängt jedenfalls durch diese Stelle eine selbständige Be-
stätigung. Ich sehe nicht, dass die Gegengründe Waddings
durchschlagen (§ 33 ff.). Dass die Überlieferung im Lauf der
Zeit mit immer grausigeren Einzelheiten ausgemalt wurde, ist
verständlich, und dass die moralische Erklärung dieses Schick-
sals historisch irrelevant ist, ist einleuchtend. Die gegen die
Einzelheiten bei Jovius und Bzovius gerichteten Bemerkungen
tragen daher nichts aus. Die Thatsache selbst, die von drei
von einander unabhängigen Quellen dargeboten wird, ist nicht
von diesen Details abhängig. Vor allem müsste aufgezeigt
werden, wie und wodurch diese Tradition hat entstehen können.
Was aber Ferchi und Wadding in der Hinsicht bieten ^), ist
durchaus nicht überzeugend.
Die in Rede stehende Tradition wird aber noch von einer
Anzahl anderer Schriftsteller, darunter auch Minoriten, be-
zeugt. '^) Für sie scheint übrigens noch ein weiteres Zeugnis
angeführt werden zu können. Wadding beruft sich auf aliquot
carmina, ex variis vetustis epitaphiis, ad tumulum appensis(§46).
Allein in Wirklichkeit handelt es sich um ein zusammen-
hängendes Elogium, wie aus dem von Wadding selbst ange-
führten Text § 50 hervorgeht ^). Das Gedicht beginnt mit den
Worten :
Doctor subtilis solvens sua lustra Joannes
Scotus in obiectis ultima verba dedit.
Das erklärt Wadding so: Duns sei erhitzt von einer Dispu-
tation mit den Begarden heimgekehrt, habe sich erkältet und
^) Bernard. Sen. Opp. IV (Venet. 1591), serm. extraord. p. 5 b.
2) Ferchi c. 10; Wadding § 40 f.
^) S. die Angaben bei Braun, das Minoritenkloster und das neue
Museum zu Xöln, Köln 1862, S. 93.
'^) Wie die meisten, habe ich auch die beiden folgenden Verse —
nach Wadding — fälschlich auf den Tod des Duns bezogen, Prot. Real-
encycl. V, 65.
48 Einleitung.
sei bald darauf gestorben. An dem Tage seiner Erkrankung
habe er also disputiert (§ 46). Nun folgen aber Verse über
die Keuschheit, Weisheit, Gelehrsamkeit und wissenschaftliche
und kirchliche Bedeutung des Duns, besonders hinsichtlich der
Erbsündenfreiheit der Maria und seines Gegensatzes zu den
moderni oder Nominalisten :
Artibus egit opem tuto, nunc ille moderuos
Prosequitur pandens, quae via sit veterum ^).
Dann erst folgen Verse, die sich sicher auf den Tod des Duus
beziehen, diese Beziehung wird dann bis zum Schluss fest-
gehalten. Nach diesem Zusammenhang scheint es mir unzweifel-
haft zu sein, dass die obigen Verse mit dem Tode des Duns
nichts zu thun haben. Es soll nur gesagt sein, dass der grosse
Lehrer sein Leben damit zugebracht habe, in den Gegenständen
seiner theologischen Arbeit die letzten, d. h. die definitiven
und entscheidenden Worte auszusprechen. Von dem Tode
reden die Verse:
Tempora post Christi propria dulcedine lethum
Venit atrox, raptim carcere composito.
Man hat die tempora Christi propria auf das Lebensalter
Jesu beziehen wollen. Oder man hat gemeint, da die Jahres-
zahl sich dem Verse nicht einfügte, so habe der Dichter ein
nach Christi zu ergänzendes: ann. 1308 an den E,and
geschrieben gehabt ^). Allein in letzterem Fall würde man
wenigstens das Wort annus im Verse erwarten und in beiden
Fällen bleibt das dulcedine völlig unerklärt. Ich meine, dass
der Autor sagen wollte: Nach den Zeiten Christi ist der Tod
^) Der Nominalismus steht in Blüte und die Immaculata conceptio
ist bereits anerkannte üntersclieidungslehre. Das ist wichtig für die Ent-
stehungszeit des Gedichtes, es kann schwerlich vor dem 15. Jahrhundert
entstanden sein. Ich vermute, dass es gedichtet ist gelegentlich der
Transferierung der Gebeine des Duns zum Schmuck der neuen Begräbnis-
stätte, entweder in den siebziger oder achtziger Jahren des 15. Jahrh.
oder 1509 (s. unten). Jedenfalls ist es nicht von Anfang an am Grabe des
Duns angebracht gewesen, wie Braun (a. a. O. S. 94) anzunehmen
scheint.
2) So Wadding.
Art des Todes des Duns Scotus, 49
etwas Süsses, aber trotzdem kam er iu diesem Fall doch in
erschrecklicher Weise, und rasch wurde der Kerker, d. h. das
Grab, hergestellt. Es liegt ein Oxymoron vor: die dem Tode
eigentümliche geistliche Süssigkeit fehlte also auch in diesem
Fall nicht, obwohl äusserlich er schrecklich auftrat. Kennten
wir die in Frage stehende Tradition nicht, so würden wir ver-
mutlich deuten : weil der Tod so plötzlich eintrat, war er schreck-
lich. Aber, wenn der Tod wirklich unter harmlosen Umstän-
den eintrat, wozu dann die Bezeichnung atrox? Wer wird
diese auf jeden unerwarteten Todesfall anwenden ? Ich glaube
daher, dass auch diese Verse die Tradition bezeugen, dass
Duns lebendig begraben worden ist. Dann wird man aber,
glaube ich, berechtigt sein, diese Tradition für begründet zu
halten. Und zwar ist die Form, in der sie Bernhardin oder
auch jener Daniel berichtet, für die ursprüngliche anzusehen.
Eine etwaige böse Absicht bei der schnellen Bestattung ist
nicht anzunehmen, da keiner der Gewährsmänner derartiges
andeutet ^). Der Bericht des Jovius versteht sich leicht als
Ausschmückung. Aber gerade die Richtung, in der sich diese
Ausschmückung bewegt (Selbstmord als Strafe für geheime
Sünden), beweist, warum diese Tradition nicht offiziell geworden
ist und vom Orden unterdrückt wurde.
Die Gebeine des Duns haben ihre letzte Ruhestätte in der
Minoritenkirche zu Köln gefunden. Das Grab ist mehrfach
geöffnet worden und die Gebeine haben ihren Platz nicht selten
gewechselt (zuerst einmal vor dem Jahre 1489 -), dann 1509 ^),
^) Die „Strafe", an die Jovius denkt, soll doch nicht als von
Menschen vollzogen angesehen werden.
^) Das Datum ist unsicher. Der Terminus ad quem ist die im J.
1489 herausgegebene Kölner Chronik, die die Leiche an einem anderen
Platz liegen lässt als dem von Trithemius angegebenen ursprünglichen ad
introitum sacristiae. Man hat an das Jahr 1476 gedacht wegen einer zu
gunsten der unbefleckten Empfängnis erscheinenden Bulle Cum praecelso
Sixtus' IV. (Wadding § 53, die Bulle in den Annal. minor. XVI, 171.
Braun (das Minoritenkloster S. 98) erinnert daran, dass im J. 1483 die
Ubereste des Albertus Magnus von den Dominikanern in ein neues präch-
tiges Grab transferiert worden seien und meint, die Franziskaner hätten
daraus den Anlass zu einer ähnlichen Ehrung ihres Lehrers genommen.
^) In dem amtlichen Bericht heisst es : inventa sunt eius ossa integra
Seeberg, Die Theologie des Duus Scotus. 4
50 Einleitung.
1619, 1642, 1706, 1858, 1870). Das Grabmal, das sein letztes
Grab hinter dem Hochaltar schmückt, ist in dem Jahr 1870
errichtet worden. In den Jahren 1706 und 1707 haben die
Franziskaner den Versuch gemacht, Duns Scotus den Titel
eines „Heiligen" zu verschaffen. Dies Unternehmen scheitert
aber daran, dass es nicht möglich war zu erweisen, dass ihm
jemals öffentlicher Kultus erwiesen und dass er sich zu Leb-
zeiten des Eufes der Heiligkeit erfreut habe').
5. So "viel oder richtiger so wenig wissen wir von dem
Leben des grossen Scholastikers. Mit Recht sagt Renan:
les traces qu'avait laissees sur la terre le docteur franciscain
etaient dejä bien effacees, lorsqu'on se mit ä les rechercher -).
Man wusste eben nur, was ein dankbarer unmittelbarer Schüler
des Duns so ausdrückte: secutus sum doctrinam illius subti-
lissimi et excellentissimi docton's, cuius fama et memoria in
benedictione est, utpote qui sua sacra et profunda doctrina
totum orbem adimplevit et fecit resonare. (Am Schluss des
Exposit. in Metaphys.) Aber je weniger man positiv wusste,
desto üppiger wucherte die Legende, mit ihren Ranken das
Bild des Meisters zu schmücken. Sie lehrt uns aber nur ein
Doppeltes, nämlich dass der Ruhm des Duns sich im Lauf der
Jahrhunderte nur gesteigert hat, und dass er zu seinen Leb-
zeiten doch ein relativ unbekannter Mann gewesen sein muss. Ein
Abälard und ein Bernhard, ein Thomas und ein Bonaventura
haben während ihres Lebens die Blicke der Zeitgenossen in un-
gleich höherem Masse auf sich gezogen als Duns. Dass er aber trotz-
dem die Dornen, die grosse Erfolge mit sich zu bringen pflegen^
zu empfinden bekam, sahen wir. — Das einzige zuverlässige
Denkmal, das er hinterlassen, sind seine Werke. Aber die
Hoffnung, aus denselben etwas über sein persönliches Leben
et admodum redolentia, subrubra et in iuncturis alba, ad instar lactis
uncta (bei AVadding § 55).
^) S. hierüber Braun, Minoritenkloster S. 98fi'. sowie Jos. Müller,
Biographisches über Duns Scotus, Köln 1881, S. 17 ff., 20 ff. Über den
Kult, der Duns erwiesen, wusste- man nur, dass ein eifriger Bonner Pro-
fessor im 17. Jahrh. betete: „Seliger Johannes Scotus, bitte für mich'^
(Braun S. 108).
2) 1. c. p. 424.
Der Charakter des Duns Scotus. 51
und Wesen zu erfahren, täuscht, wenn auch keineswegs in dem
Grade, wie etwa Renan annimmt. Ich kenne nicht viele Schrift-
steller, die in dem Masse wie Duns auf persönliche Züge in
ihren Werken verzichtet haben. Von sich redet er nie, per-
sönlichen Eindrücken und Stimmungen begegnet man bei ihm
selten. Er tritt nie anders auf als der von Kopf zu Fuss ge-
panzerte, von Waffen starrende Ritter der strengen Wissen-
schaft. Der Wissenschaft gehört sein Herz, das logische
Turnier ist seine Freude. Er besass all die Kenntnisse aus
der Bibel und den Vätern, aus den Philosophen und den
scholastischen Theologen seiner Zeit und der Vorzeit, aus dem
Kirchenrecht und der Physik, Astronomie und Mathematik,
die zur gelehrten Rüstung des Theologen der Zeit gehörten, und
er besass sie wohl in reicherem Umfang und mit kräftigerer
innerer Beherrschung als viele seiner Arbeitsgenossen. Aber
nicht auf diesem Boden liegt seine eigentümliche Grösse. Gross
ist er in der Konsequenz und der Schärfe seines Denkens, in
der Virtuosität seiner Dialektik und Kritik und in der Beweg-
lichkeit seiner Logik. Duns liebt es, seine Leser in ein wahres
Labyrinth von Gründen und Gegengründen, von Beweisen und
Gegenbeweisen zu stürzen. Es gehört Übung und Fleiss dazu,
in diesem scheinbaren Gewirr den Faden nicht aus der Hand
zu verlieren, die Tendenz des Autors sich nicht verschieben
zu lassen. Aber wer sich durch all diese Gedankengänge hin-
durcharbeitet, der wird mit wachsendem Staunen gewahr, wie
kein Gegen grund ohne Gegenbeweis und auch guten Gegen-
beweis angeführt und wie kein Gegenbeweis unwiderlegt bleibt,
und wie schliesslich all die mühsamen dialektischen Kreuz- und
Quergänge zu einem einfachen und klaren Gedanken hinaus-
führen, und endlich wie ein starker Geist alle diese Gedanken
zusammenhält zur strengen Einheit einer wissenschaftlichen
Gesamtanschauung. Duns ist wirklich ein grosser Systematiker.
Er thut keinen Schritt umsonst und verliert bei keinem Schritt
das Ziel aus dem Auge, er weiss immer, was er will. Er
thut nicht bloss, als wenn er bewiese, sondern er arbeitet wirk-
lich. Je grösser die Schwierigkeiten, desto staunenswerter die
dialektische Anstrengung, desto subtiler die logischen Unter-
scheidungen, aber sie dienen immer einem positiven Resultat.
4*
52 Einleitung-.
Man kann allerdings Duns nicht so leicht lesen wie etwa Tho-
mas, denn man kann nie nach dem Anfang eines Abschnittes
erraten, was weiter folgen wird, dazu ist sein Beweisgang zu
originell, man begegnet immer wieder neuen, überraschenden
Wendungen des Gedankens. Ohne Gewaltsamkeiten geht es
bei Denkern dieser Art in der Regel nicht ab. — Gewiss ist uns
seine Methode fremdartig geworden, man begreift es. wenn ein
oberflächlicher moderner Leser seinen Spott hat an den end-
losen logischen Distinktionen, an der Häufung der Beweise,
an den neuen barbarischen Wortbildungen^). Aber man wird
auch begreifen, dass, bemessen an den Methoden des wissen-
schaftlichen Betriebes seiner Zeit, Duns das höchste, was
überhaupt zu erreichen war, erreicht hat.
Uns handelt es sich aber in diesem Zusammenhang um
die geistige Eigenart des Duns Scotus. Es sind vor allem
folgende Züge, die zur Charakterisierung derselben verwandt
werden können: die nie ruhende und rastende Neigung zur
Kritik. Alles wird in Frage gezogen, es seien philosophische
oder theologische Theoreme, es seien kirchliche oder w^eltliche
Ordnungen; mit einem nie versagenden Scharfsinn weiss der
Autor logische Fehler und Inkonsequenzen in ihnen aufzu-
zeigen. Aber dieser kritischen Neigung hält die Wagschale
die Absicht des Verfassers nur die Lehre der römischen
Kirche gelten zu lassen. Für ihn war die Kirche ein Staat,
der zu seinem Bestand der positiven Gesetze und Ordnungen
bedarf. An diesen zu rütteln lag ihm fern. Er lässt sie
durchaus als solche gelten, hier schweigt die Kritik. Und doch
ist das Bestreben des Duns auch darauf ausgegangen, das
Dogma zu rationalisieren. Die Anerkennung desselben beruht
freilich nicht auf dem Erfolg dieses Unternehmens. Aber das
wissenschaftliche Verständnis erfordert diesen Versuch. So
wenig Wunder als angeht, so psychologisch verständlich als
denkbar, und immer so positiv orthodox als möglich — das
sind die Massstäbe der scotistischen Dogmatik. Die Kritik
und der Positivismus des kirchlich Gegebenen, das sind die Ele-
^) S. z. B. die Urteile von Rabelais „barbouillamenta Scoti" oder
von Diderot: „sophisticaillerie puerile" bei Haureau 1. c. II 2, 182.
Wissenschaftliche Eigenart des Duns. 53
mente, durch die Duns seine eigene Weltanschauung zu be-
gründen unternimmt. Indem er den lebhaften Trieb empfand,
seine eigenen Gedanken zur Geltung zu bringen, zertrümmerte
er die Theorien anderer und bog und zerlegte er die kirch-
lichen Formeln so lange, bis sie sich zu seiner Auffassung
schickten. Nicht immer ' war das möglich, dann blieb es ein-
fach bei der gegebeneu Formel, dann hatte Gott es so gerade
gewollt. Man könnte diesen kirchlichen Positivismus als unehr-
lich bezeichnen wollen, wie man das nicht selten Occams dem
Duns abgesehener Methode gegenüber gethan hat. Das wäre
aber unbillig. Die ganze Auffassung ist eine einfache Folge
der praktischen Anschauung von der Kirche. Ist die Kirche der
Staat Gottes auf Erden, so müssen ihre Satzungen gelten, wie
die Satzungen des Staates bestehen müssen, wenn das Wohl
der Bürger nicht leiden soll. Dazu kam ein anderes. Es
herrschte in dem Zeitalter des Duns in den Kreisen der Hier-
archie eine scharfe kritische Stimmung gegen moderne Gedanken
in der Theologie ^), denn jeder Blütezeit in der Theologie folgt
eine juristische Orthodoxie der Hierarchen. Es ist lehrreich
zu lesen, wie grammatische und logische Detailfragen, von dem
dogmatischen Gebiet zu schweigen, von Stephan von Paris
1270 und 1276, sowie von Bobert Kilwardbi, Erzbischof von
Canterbury und seinem Nachfolger Johann Peccham 1279,
entschieden oder doch verdammt werden ^). Unter den ver-
dammten Sätzen befindet sich auch der: quod homo non debet
esse contentus auctoritate ad habendam certitudinem alicuius
quaestionis ^). Man muss diese Lage der Dinge mit in An-
schlag bringen — wir sahen oben, S. 32, wie dieselbe auf
Richard von Middleton gewirkt hat — , um die Stellung des
Duns zu verstehen *). Aber es wäre nicht nur unbillig, sondern
^) Dieselbe richtet sich zunächst gegen die strengere Handhabung
des Aristotehsmus, vgl. E h r 1 e im Arch. f. Litt. u. KG. des Mittelalt. VI,
610 ff.
2) S. d'Argentre, Collectio iudiciorum I, 175 ff. 234 ft'.
3) 1. c. p. 182.
*) Hier sei noch darauf hingewiesen, wie Richard von Middleton,
die Aussprüche des Pariser Bischofs als massgebend braucht, z. B. Sent. I
dist. 44 quaest. 4; dist. 45 principale 2 quaest. 3; II dist. 24 princ. 3
54 Einleitung.
auch gründlich verkehrt, unsere modernen Vorstellungen von
der „Freiheit der Wissenschaft" in jenes Zeitalter einzuführen.
In dem Mass, als die amtlichen Vertreter der Kirche auf die
Reinheit der Lehre Acht gaben, mussten die Männer der
Wissenschaft bereit sein, dieselbe sorgfältig zu erhalten. So
und nicht anders hat Duns die Situation aufgefasst. Nicht
Charakterschwäche, sondern nüchternen, praktischen Sinn be-
zeugt sein Positivisraus, vgl. oben S. 13. Dass er dabei der
Freiheit einen Spielraum doch zu wahren wusste, sahen wir
schon früher (oben S. 32 f.).
Ein strenger kritischer Geist, ein reiner Gelehrter, ein
nüchterner, praktischer Mann, das wären die Züge, die etwa
wir uns aus der bisherigen Erörterung für den Charakter des
Duns bilden können. Und dem entspricht der Stil, den er
schreibt, recht genau. Ohne Begeisterung, ohne Schwung
werden mit erschreckender Kälte und Nüchternheit die einzelnen
Lehren behandelt^). Nur hier und da wird ein grimmiger Witz
eingeflochten ; so wenn etwa der Leugner der Freiheit so lange
gefoltert werden soll, bis er einsieht, dass es auch möglich
wäre, nicht gefoltert zu werden ; oder wenn die physische Fort-
pflanzung der Sünde persifliert wird, indem dann auch der
Löwe, der einen Menschen frisst, Erbsünde überkommen müsse
etc. Auch an treffenden Gleichnissen fehlt es Duns nicht.
Aber derartiger Schmuck der Rede kommt nur selten zur
Anwendung.
Um den Stil des Duns gerecht zu würdigen, darf aber
nicht ausser Acht gelassen werden, dass er an manche seiner
Schriften offenbar nicht die letzte Feile gelegt hat; das gilt
besonders von den theologischen Werken. Das ergibt sich
quaest. 5. Vgl. eine ähnliche Bemerkung des Wilhelm v. Falgar bei
flaureau, Hist, de la phil. scol. II 2, 107 n,
^) Henan p. 424 sagt : Duns Scotus, s'y montre, en general, avec une
nature violente, avec un genie inculte et neglige. II n'est pas aussi mo-
dere que Saint Thomas. II ä le ton severe, rüde, tranchant; il se laisse
entrainer jusqu-ä l'invective; il est generalement tres-intolerant. Dies Ur-
teil ist im einzelnen, besonders was die Intoleranz angeht, übertrieben,
aber es gibt im ganzen den Eindruck, den die Schriften des Duns machen,
richtig' wieder.
Duns Scotus als Schriftsteller. 55
einesteils daraus, dass in manchen Partien der Beweis nur
ganz flüchtig skizziert ist, anderenteils aber auch aus manchen
unausgeglichenen Widersprüchen in den Details seiner Behaup-
tungen ^). Auf Rechnung dieses Umstandes wird auch etwas
von der rauhen und ud gefügen Darstellungsweise des Duns zu
setzen sein. Dass Duns auch wärmere Worte zu Gebote stan-
den, zeigen die Gebete, von denen die Darstellung in der
Schrift de primo principio eingerahmt ist, sowie die uds erst
jetzt bekannt gewordene Schrift de perfectione statuum. Mit
mächtigen und beredten Worten tritt der Bettelmönch hier für
die weltgeschichtliche Aufgabe seines Ordens ein, nicht ohne
zugleich das Treiben des Klerus einer schneidenden Kritik zu
unterziehen. Die leidenschaftliche Bewegung der grossen
Kämpfe zwischen Hierarchie und Mendikantentum zittert in
diesem Büchlein nach, durch das man sich an Marsilius und.
Occam erinnert fühlt. Und so wird man sagen dürfen, dass
der strenge und nüchterne Forscher doch auch eine stark und
kräftig empfindende Seele gehabt hat. Die harte und schmuck-
lose Arbeit seines Lebens war das Mittel, um die Ideale reali-
sieren zu helfen, an denen sein Geist hing^). Aber man
kann noch mehr sagen. Liest man die stetige Betonung des
Willenslebens als des massgebenden Faktors im Menschen und
vergleicht man damit etw^a den Gedanken, dass der Schmerz
Christi in der Hemmung seines Willens und nicht im sinnlichen
Leiden als solchem bestand, oder das Ideal von willensstarken,
im Gehorsam gegen Gott als seinen Herrn handelnden Menschen
oder die Vorstellung von der in Willensakten sich rea-
lisierenden Seligkeit : so wird man wohl annehmen dürfen, dass
Duns auch hierin ein Stück seiner eigenen Seele offenbart hat.
Wie er es lehrt, so wird auch in seinem Leben der Intellekt
im Dienst des Willens gestanden haben. Der wunderbare
Fleiss des Mannes, den seine Werke bezeugen, der rauhe und
^) In einer besonderen Schrift hat der Franziskaner Gruido ßar-
tolucci nicht weniger als 243 Widersprüche in den Werken des Duns
aufgezeigt und deren Lösung versucht; abgedruckt in der Pariser Ausg.
Bd. 26, 403ff.
^) Die Schrift de perfect. statuum (s. Genaueres im 6, Kapitel) ofien-
bart uns am meisten von dem Seelenleben des Duns.
56 Einleitung.
bittere Ernst seines Denkens und seiner Kritik, sie waren der
Ausdruck eines eisernen Willens. Auch bei diesem Engländer
fügte — nach dem bekannten Sprichwort — sich der Weg
dem Willen. Darf man die oben (S. 46) angeführte Über-
lieferung, nach der Duns an einem schweren chronischen Leiden
laborierte (etwa Epilepsie?), als historisch annehmen, so würde
die Macht dieses Willens in ein besonders helles» Licht rücken,
man denke nur an die wunderbare Lebensarbeit des jung Ver-
storbenen ^).
Täuschen wir uns nicht, so kann man also aus den Schriften
des Duns doch mehr über seine Persönlichkeit entnehmen, als
es auf den ersten Blick möglich erschien. Duns war eine
kalte, harte, verschlossene, mannhafte Persönlichkeit, ausge-
rüstet mit einem scharfen und hellen Verstände, der gleich
mächtig war, das Ganze wie alle seine einzelnen Teile zu
durchschauen, gleich stark in ätzender Kritik, in kühnen Kon-
struktionen wie in der nüchternen Anerkennung des Gegebenen.
Aber all diese Gaben standen in dem Dienst eines starken
energischen Willens, der sie hinzwang zu seinen Zwecken, dem
Dienst des Gottes, der Wille ist, und der Förderung der Sache
seines Ordens und dadurch der Kirche Gottes auf Erden. Die
Leiden haben ihn nicht müde, die Erfolge nicht satt, der Neid
nicht ungehorsam gemacht. Sehen wir recht, so ist es doch
ein mächtiger und starker Idealismus, der die herbe und
strenge Gestalt dieses Bettelmönches ziert. An eisernem Fleiss
werden ihn wenige in der Geschichte der Kirche übertroffen
haben, und noch geringer wird die Zahl derer sein, die ihm
an unbeugsamer Kraft des Denkens gleichgekommen sind. Von
den offiziellen Tugenden der Heiligen seines Ordens spürt man
an ihm wenig, obschon die Legende ihm derartiges natürlich
auch beilegte. Die Mystik des Empfindens, wie sie Franz oder
Bonaventura hatten, war ihm sicher fremd ; auch die weichliche
Marienschwärmerei, um derentwillen Spätere ihn hoch priesen,
sucht man in seinen Schriften vergeblich. Wadding hat dem
ersten Band seiner Ausgabe der Werke des Duns ein Bild
^) Soyons sincöres, pour nous cela tient du prodige, Haureau II
2, 173.
Die Persönlichkeit des Duns. 57
desselben voraDgestellt : in enger Zelle, in der Hand die Feder,
ein aufgeschlagenes Buch vor sich, sitzt Duns — den Rücken
dem offenen Fenster zugewandt — im Franziskanergewand an
seinem Tisch. Es ist eine Pause im Schreiben eingetreten,
wie Rat suchend, was weiter zu sagen, blickt der Doktor mit
verzückten Blicken aus verdrehten Augen empor zu einem an-
mutigen, mit dem Heiligenschein geschmückten Marienbilde in
der Ecke des Zimmers über dem Bücherschrein. Unter dem
Bild stehen die Verse:
Miraris, Doctor, puram sine labe Mariam
Quae de non pura stirpe creata fuit.
Esse dedit puram Christus : da, Doctor, haberi
Et sciri decus hoc debeat illa tibi.
Das ist die heilige Idealgestalt, den die Legende seines Ordens
aus Duns Scotus gemacht hat: der doctor Marianus, wie er
wohl auch genannt wurde. Aber ich bezweifle, dass diese ver-
zückte Jammergestalt irgend etwas mit der geistigen Art des
geschichtlichen Duns Scotus gemein hat ^).
6. Nachdem wir in allj^jemeinen Zügen Duns als Schrift-
steller und Mensch charakterisiert haben, erübrigt noch, einen
Überblick über seine Schriften zu geben. Da eine genaue
Chronologie kaum möglich sein dürfte, halten wir uns an die
Reihenfolge der Werke in der neuen Pariser Ausgabe ^).
Der erste Band enthält den Tractatus de modis
significandi sive grammatica speculativa. Die von
^) Ein anderes Bild des Duns Scotus befindet sich zu Oxford in dem
Merton-CoUege. Aber die derbe Gestalt mit dem in nervöser Spannung
auf ein Buch blickenden Kopf ist zwar charakteristisch, aber leider nur
für die bekannte Art des mutmasslichen Malers des Bildes, Spagnoletto
(f 1656). Mit dem Bilde hängt die Legende zusammen: Duns habe ein
Uelübde gethan, die Bibel abzuschreiben und nicht eher zu essen und zu
trinken, als bis er mit dieser Arbeit fertig geworden. Aber, als er die
Arbeit vollendet hatte, sei er tot zusammengebrochen. Ich verdanke
diese Notiz wie die Kenntnis des Bildes der Güte des Herrn Dr. Sanday
in Oxford. Ein Pantasiebild, s. auch in Thevet's „Portraits-'.
2) Vgl. besonders Renan in der Hist. litt, de la France XXV, 425 ff.,
wo auch über die ältesten Ausgaben und die Handschriften das Nähere
nachzulesen ist.
58 * Einleitung.
Wadding benutzte Handschrift (geschrieben 1456) bezeichnet
ihn als von Duns Scotus herrührend, der älteste Druck vom
Jahre 1480 legt ihn einem Augustinereremiten Albert (von
Sachsen) bei. Die Echtheit kann daher bezweifelt werden,
um so mehr als auch der Minorit Heinrich Willot schwankt ^).
Eingehend handelte neuerdings Werner über die interessante
Schrift -). — Es folgen Kommentare über die logischen Schriften
des Aristoteles samt der Isagoge des Porphyrius. Diese In
universam logicam quaestiones enthalten 1) super
Universalia Porphyrii, 2) in librum Praedicamen-
torum, 3) Aristotelis in primum librum Periher-
menias quaestiones, sowie in duos libros Periher-
menias . . quod appellant quaestiones octo.
Sodann im zweiten Bande die Fortsetzung der logischen
Quästionen, 4) in libros Elenchorum Aristotelis, 5)
in librum primum und in librum secundum priorum
Analyticorum Aristotelis, 6) in librum primum
und in librum secundum posteriorumAnalyticorum
Aristotelis. Die Echtheit dieser Schriften ist unangefochten.
— In dem zweiten Bande sind dann noch enthalten die drei
ersten Bücher der Schrift: Quaestiones in YIII libros
Physicorum Aristotelis.
Der dritte Band enthält Buch 4 — 8 dieser Schrift.
Wadding hat die Schrift für unecht erklärt, w^eü das Explicit
sie im Jahr 1300 in Paris vergetragen sein lässt, damals war
aber Duns noch nicht in Paris, und weil lib. VIII quaest. 1, 7
der Oxforder Sentenzenkommentar mit einem: vide Scotum
citiert wird und weil die Lehre mit der scotistischen nicht über-
einkomme •^). Nun ist aber Carolus Josephus a S. Floriano in
seinem Buch loannis Duns Scoti philosophia nunc primum re-
centibus placitis accomodata, 1782^) für die Echtheit des
Werkes gegen Waddiug eingetreten. Seine Gründe sind aller
Beachtung wert ; vor allem der, dass Duns selbst auf seine Er-
^) Athenae orthodoxer um sodalitii franciscani. Leodii 1598, p. 220.
2) Die SpracUogik des Duns Scot., Wien 1877.
^) S. die Censura zu Anfang des 2. Bandes seiner Ausg.
^) Die bezügliche Erörterung ist abgedruckt von den Pariser Edi-
toren Bd. 26. 491 ff.
Philosophische Schriften des Duns Scotus. 59
örterungen in diesem Werk anderwärts Bezug nehme ^). Die
Gegengründe Waddings dürften nicht unüberwindlich sein. Die
Frage bedürfte einer erneuten eingehenden Untersuchung, die
aber unserem Zweck zu fern liegt. — Im 3. Band steht ausser-
dem noch die wichtige Schrift : in libros Aristotelis de
a n i m a. Die Echtheit steht fest.
Der vierte Band bietet: Meteor ologicorum libri IV.
Wadding hat Zweifel an der Echtheit geäussert, und in der
That dürfte die Authentie dieses durch astronomische, optische
und mathematische Gelehrsamkeit ausgezeichneten Werkes
wenigstens als fraglich zu bezeichnen sein, worauf auch die
handschriftliche Überlieferung weist ^). — In diesem Bande
findet man auch die Schriften: de rerum principio und
de primo rerum omnium principio. Der Titel der
ersteren Schrift ist irreführend und irrig. Das Explicit gibt
den Inhalt richtig wieder: Quaestiones istae fuerunt disputatae
Oxonii per magistrum loannem Scotum de ordine fratrum mi-
norum et sunt quaestiones generales super philoso-
phiam. Die Schrift ist einfacher und klarer als die übrigen
Werke des Duns geschrieben, auch ist sie nicht, wie so viele
Schriften des Duns, ein Kommentar. Deshalb eignet sie sich
vorzüglich als Einführung in das Studium der scotistischen
Philosophie. In 26 Quaestionen handelt Duns von vei'schiedenen
philosophischen und auch dogmatischen Problemen. Die wesent-
lichen sind die Lehre von Gott, von der Materie, von der
menschlichen Seele und der Erkenntnis, von der Zahl, Zeit
und Ewigkeit, ob Christus unum vel plura gewesen, ob die
Kreatur, bevor sie in effectu ist, der Gnade oder eines Acci-
denz fähig sei. — In der Schrift de primo rerum omnium
principio wird auf dem Wege der Kausalität das Dasein und
das unendhche Wesen Gottes erwieseuo Anfang und Schluss
des Büchleins bildet ein Gebet.
Im fünften Bande sind abgedruckt die Theoremata
subtilissima, eine knappe Behandlung der philosophischen
^) S. die Stellen in der Pariser Ausg. ßd. 26, 493, oder ist, wie
Werner 112 annimmt, das echte Werk des Duns über die Physica ver-
loren gegangen?
2) Bei ßenan p. 431.
60 Einleitung.
Grundfragen ; Collationes seu disputationes subtilis-
simae, das sind Untersuchungen über Intellekt und Wille im
Menschen und in Gott, wobei auch die Trinitätslehre berührt
wird und zwar in der Weise, dass die Gründe und Gegen-
gründe der einzelnen Fragen dargelegt werden, ohne dass die
positive Lösung besonders vorgenommen würde. Mehrere Hand-
schriften bezeichnen die Schrift als Collationes Parisienses,
vielleicht haben wir daher in ihnen in Paris gehaltene akade-
mische Übungen zu erblicken. — Es folgt der unvollendete
Traktat de cognitione dei, sowie eine ebenfalls unvollendete
Abhandlung, die Wadding Quaestiones miscellaneae
de formalitatibus genannt hat. In letzterem Traktat
werden Erörterungen über verschiedene innerlich nicht zusam-
menhängende Fragen angestellt. Zunächst handelt es sich
darum, dass den Unterschieden, die unser Denken zwischen
Gottes Wesen und Attributen macht, ein wirklicher formaler
Unterschied in Gott korrespondiert; das ist eine Konsequenz
des Realismus, Von diesen Fragen hat der Traktat seineu
Namen erhalten. Dann wird darüber gehandelt, ob ein Priester,
der mit einer Todsünde behaftet, kirchliche Akte ausführt,
hierdurch Todsünde begeht, ferner vom x^blass, von der natür-
lichen Erkenntnis etc. — Derselbe Band enthält noch die vier
ersten Bücher der Expositio in duodecim^) libros Me-
taphysicae Aristotelis.
Der sechste Band bringt die Fortsetzung der Expositio.
Die Echtheit dieses Werkes wird mit starken Gründen ange-
zweifelt. Dempster und Ferchi fochten dieselbe seinerzeit be-
sonders deshalb an, weil aus der Stelle VII, 17 (in definitione
Francisci vel sancti Patricii) die Iren die irische Ab-
kunft des Duns ableiteten, denn als schottischer oder englischer
Minorit hätte er nicht den heiligen Patrick, sondern den heil.
Andreas oder Georg neben Franz genannt. Nach ihnen rührt
das Werk von einem Aragonier, dem Minoriten Antonius An-
dreas her, der ein Schüler des Duns war. Dieses findet seine
Bestätigung daran, dass am Ende des Werkes die Bemerkung
^) Das 13. und 14. Buch des Aristoteles ist nicht besprochen, was
am Schluss des Werkes aus der Tradition erklärt wird.
Philosophische Schriften des Duns. 61
gemacht wird, der Verfasser sei sowohl senteutiando als no-
tando der Lehre des berühmten Duns Scotus gefolgt: unde et
verba eins in isto scripto frequenter reperies, sicut ab ipso
traditae scripturae reperiuntur. Das Gute sei ihm, das Mangel-
hafte meae imperitiae zuzuschreiben. Nam ego quantum sapio
quantumcunque capio, quidquid est hie quod ipse exprimere
intendebat, pes meus eins vestigia secutus est. Dazu kommt,
dass die hervorragenderen älteren Bibliographen (wie Trithemius,
Pitsius, Possevinus, Willot) die umfängliche Schrift nicht unter
den Werken des Duns anführen, sowie dass auch Handschriften
Quaestiones super Metaphysica Aristotelis von Antonius An-
dreas kennen ^). Da aber andrerseits die echten Quaestiones
subtilissimae in Metaphysicam auf das in Frage stehende Werk
Bezug nehmen, so wird der Sachverhalt wohl der seiü, dass
Antonius ihm vorliegende Bemerkungen des Duns ausgeführt
und bearbeitet hat ^). Als ein Werk des Duns im eigentlichen
Sinn wird also die Schrift nicht zu bezeichnen sein. — Diesen
Band beschliessen die Conclusiones utilissimae ex XII
libris Metaphysicorum Aristotelis, eine knappe
Zusammenfassung des scotistischen Verständnisses der aristo-
telischen Methaphysik, die wohl einen Scotisten, und nicht den
Meister selbst zum Verfasser haben wird.
Der siebente Band ist ausgefüllt von den Quaestiones
subtilissimae in Metaphysicam Aristotelis. Von
den zwölf Büchern, welche kommentiert zu werden pflegten,
fehlt das 11. Buch=^).
Band 8—21*) der Pariser Ausgabe enthalten das bedeu-
tendste Werk des Duns Scotus: Super libros quatuor
Magistri Sententiarum Quaestiones, auch Scriptum
Oxoniense oder Anglicanum genannt. Sowohl für die Theo-
logie als die Philosophie des Duns ist dies Werk die Haupt-
^) Renan p. 435.
^) vgl, Werner S. 13, der aber die Bedeutung der Schlussworte
unterschätzt.
') s. Genaueres bei Renan p. 436 f.
■*) Der grosse Umfang erklärt sich aus den eingehenden Schollen
von Lychetus, Poncius, Cavellus, Hiquäus, die in den beiden Gesamt-
ausgaben mit abgedruckt sind.
62 Einleitung.
quelle. Wir werden unsere Darstellung seiner Lehre daher
in allem wesentlichen an dasselbe schliessen.
Band 22 — 24 bieten die Reportata Parisiensia, über
die schon S. 44 gehandelt wurde.
Band 25 und 26 endlich enthalten die Quaestiones
quodlibetales. Es sind theologische und philosophische Pro-
bleme, die, nach der Pariser Sitte, Duns bei Antritt seines
Lehramtes daselbst in öffentlicher Disputation behandelt und
dann nach weiterer Ausführung herausgegeben hat. — Hier-
zu kommt nun in der Pariser Ausgabe endlich die Schrift de
perfectione statuum. Sie lag schon Wadding vor, aber
die schneidende Kritik der Schrift machte ihn an der Echtheit
zweifelhaft. Sbaraglia erwähnt einen Tractatus de paupertate
Christi et apostolorura, der vom Verfasser des Fundamentum
trium ordinum am Ende des Defensoriums von Occam als
von Scotus herrührend angeführt wird. Er bestreitet seine
Echtheit^). Ist er aber identisch mit de periect. stat., so ist
die Echtheit m. E. unzweifelhaft. Nicht nur wird diese Schrift
von Pitsäus, Baleus, Wiilot unter den Werken des Duns auf-
gezählt, sondern sie ist auch in mehreren Handschriften unter
seinem Namen neben zweifellos echten Werken enthalten ^).
Die Tendenz der Schrift gilt nicht dem Armutsideal als solchem,
sondern der Verfasser will zeigen, dass die Kirche der Mendi-
kanten notwendig bedarf und dass sie dem Klerus nicht nur
gleich stehen, sondern für die Kirche — als Prediger — von
höherer Bedeutung sind (s. Genaueres im 6. Kap. unten).
Nun wissen wir, dass Bonifatius VIII. den Versuch machte,
die Vorrechte der Bettelmönche etwas einzuschränken. Die
Mönche sollen in den Stunden, in denen in der Pfarrkirche
gepredigt wird, nicht predigen ; in den Parochialkirchen dürfen
sie nur predigen, wenn sie dazu aufgefordert werden. Sie
sollen sich demütig das Recht des Beichtehörens vom Pfarr-
klerus erbitten. Letzterer aber soll sie ansehen als coope-
ratores besonders in praedicationis officio et propositionibus
^) Supplementum et castigatio ad scriptores trium ordinum St. Fran-
cisci a Waddingo aliisque descriptos, E-om 1806.
2) S. die Pariser Ausg. 26, 499 f.
Theologische Werke des Duns Scotus. 63
verbi dei ^). Den Erfolg dieser Verfügungen spricht der Nach-
folger des Papstes, Benedikt X., indem er diese Vorschriften
abmildert, in den Worten aus : pro qua intendebat quiete tur-
batio nata est ^). In die Kämpfe, welche sich hiernach an den
Erlass des Bonifatius geschlossen haben, wird unsere Schrift
fallen, sie wird also etwa 1296 — 1300 verfasst sein.
Das sind die uns bekannten Schriften des Duns. Die
Mehrzahl derselben ist in Oxford abgefasst, nur die Quodlibeta
und die K,eportata sind sicher, vielleicht aber auch die CoUa-
tiones, in Paris entstanden.
Ist das alles, was Duns geschrieben hat? Es ist nicht
leicht, auf diese Frage zu antworten. Die alten Bibliographen
führen nämlich noch weitere Schriften an. Trithemius
(1495) nennt Sermones de tempore lib. 1, Sermon es
de sanctis lib. 1. Von den sermones de temp. führt er so-
gar das Incipit an : „Erunt sigua etc. In hoc." Er setzt hin-
zu, er soll (dicitur) auch in Evangelium etApostolum,
sowie verschiedene andere Traktate geschrieben haben, die
aber zu seiner (des Trith.) Kenntnis nicht gelangt sind. Dies
Zeugnis ist um so bemerkenswerter, als Trithemius sonst
keineswegs alle uns bekannten Schriften des Duns aufführt.
Wilh. Eysengrein (1565) sagt gar, Duns sei in sacris scrip-
turis absolutissimus gewesen. Er führt von exegetischen
Werken an: Lucubrationes in sacra quatuor evangelia et epis-
tolas Pauli, ferner Sermones in honorem sanctorum. Sixtus
Senensis (1610) redet von dem Evangelien- und Apostel-
kommentar mit einem „fertur". Selbst gelesen hat er ein
Fragment aus der Erklärung des Römerbriefes, das tenebrico-
sum, obscurum et vix in eius schola detritis pervium ist. Das
Werk fing an: „Circa epistolam Pauli ad Romanos". Ein
Lyoner Typograph trug sich mit der Absicht, es in den
nächsten Jahren drucken zu lassen. Willot (1598) erklärt
die Existenz des Evangelien- und Pauluskommentars für extra
omnem controversiam. Aber gerade diese Form der Rede
^) S. die Bulle Super cathedram vom J. 1295 in den Annales minorum,
tlf.
V, 341 f.
*) Annal. minorum VI, 58
64 Einleitung,
macht es sehr zweifelhaft, ob er sie selbst gesehen. In dem
eigentlichen Verzeichnis der Werke sind sowohl die beiden
Predigtsammlungen erwähnt, als auch eine Lee tu ra in Gene-
sim, Tetragramm ata quaedam, endlich Commenta-
riorum imperfectorum lib. 1. Possevin endlich nennt
im Apparatus sacer (1608) : Tetragrammata quaedam, Sermo-
nes de tempore (Incipit: Erunt signa), Sermones de sanctis,
Commentaria super IV evaugelistas, Commentaria super epis-
tolas Pauli: (Inc.: Circa epistolam Pauli ad Romanos), Lectura
super Genesim ad litteram. Bei Pitsäus (1619) kehren die-
selben Schriften — mit Ausoahme der Tetragrammata —
wieder. Auch er führt unter ihnen nur bei den Sermones de
tempore die uns bekannten Anfangsworte an, — Es ist merk-
würdig, dass Initien immer wieder von denselben unter den
uns nicht bekannten Schriften angeführt werden. Geht man
hiervon aus, so kann als sicher gelten 1) dass Trithemius einen
Band Sermones de tempore gesehen hat, die dem Duns zuge-
schrieben waren, 2) dass ein Lyoner Buchdrucker dem Sixtus
Seneusis eine Handschrift oder die ersten Blätter einer solchen
mit einer Erklärung des Böinerbriefes, die man irgendwie als
scotistisch glaubte erkennen zu können, vorlegte. Auf diese
beiden Punkte schrumpfen die beiden Zeugnisse zusammen,
oder wenigstens wird nur dies als sicher in Anspruch ge-
nommen werden können.
Damit ist natürlich keineswegs ausgemacht, dass diese
Schriften wirklich von Duns Scotus herstammten. Noch zu
Anfang unseres Jahrhunderts sah Sbaraglia in Rom ein de-
fektes gedrucktes Exemplar von Commentarii in cantica
canticorum. Er hat sich nicht getäuscht, aber das Werk,
das wirklich im Jahre 1653 als Eigentum des Duns heraus-
gegeben wurde, gehört, wie alsbald amtlich konstatiert worden
ist, dem Cistercienser Thomas de Perseigne an^). Sollten
derartige Täuschungen nicht auch für andere der angeführten
Schriften anzunehmen sein? Hinsichtlich des Pauluskommen-
tars machen die Pariser Editoren auf ein Buch: Sedulii Scoti
^) S. Haureau in Notices et extraits des quelques Manuscrits de
la Bibl. nat. II, 144 und die Pariser Ausg. Bd. 26, 565.
Zweifelhafte Schriften. 65
Hibernensis in omnes b. Pauli Epistolas annotationes aufmerk-
sam (gedruckt Basel 1538; ebenso Sedulii Scoti Hibernensis:
in omnes epistolas Pauli collectaneum, Basel 1528 fol. und
eiusdem in epistolam Pauli ad Romanos, Basel 1528 fol. ^).
Wunderlicherweise denken die Pariser, wohl Tritliemius folgend,
als Verfasser den Dichter Sedulius Cälius aus dem Anfang des
5. Jahrhunderts, während natürlich der Sedulius Scotus, der im 8.
oder 9. Jahrhundert schrieb, gemeint ist. Von ihm besitzen
wir ausser den angeführten Werken noch Breviarium secundum
Matthaeum und Erläuterungen zu einem Argumentum in Mat-
thaeum : In argumentum secundum Matth. expositiuncula, eben-
so zu den Argumenten zu Markus und Lukas expositiunculae.
Aus einer Handschrift des 9. Jahrhunderts gab sie Mai her-
aus ^). Es gab sonach einen Scotus Hibernensis, der Paulus
und Matthäus exegetisch behandelt hatte. Diese Beobachtungen
dürften wenigstens den Pauluskommentar des Duns aus der
Welt schaffen^). — Zu Oxford befindet sich eine Handschrift
sec. XIV*), die Johann is Scoti super apocalypsim no-
^) a. a. 0. 564. Bei Migne Patrol, lat. 103,9 wird angegeben Col-
lectaneura sive explanatio in epistolas Pauli, Basel 1528 und 1534 in 8^.
^) Scriptorum collectio nova IX und Migne Lat. 103. Das Argu-
mentum in Mattli. s. schon bei Sabatier, Vulgat. vers. III, 1.
^) Allerdings stimmt das Init., das Sixtus und Possevin anführen
(circa epistolam Pauli ad Romanos), nicht mit dem Init. des in Basel ge-
druckten Kommentars (Paulus servus lesu Christi). Da aber letzterer
mit den paulinischen Worten selbst anhebt, so wäre die Einfügung eines
einleitenden Satzes nicht unwahrscheinlich. — Sollten die Commentaria
imperf ecta Willots sich nicht auf diese Argumenta der vier Evangelien
beziehen ? Ist diese Vermutung richtig, dann wird man den wirklichen
oder vermeintlichen exegetischen Nachlass des Sedulius zur Erklärung
der Tradition von exegetischen Werken des Duns Scotus heranziehen
dürfen.
'*) Cod. Laud. Mise. 434 fol. 75 — 222 der Kommentar zu Matthäus,
Inc.: Matheus ex iudea sicut in ordine primus ponitur ita euangelium in
iudea primus scripsit (dies stimmt mit dem alten Argum. bei Sabatier
und Sedulius, s. Anm. 2). Presens prologus in tres partes diuiditur, in
quarum prima actor describitur, in secunda opus distinguitur ibi Duorum
in generacione, tertio fructus promittitur ibi In quo euangelio utile
est (fol. 75 r). Eine weitere Probe : Liber generacionis ihu xpi. Sicut flu-
uius de loco uoluptatis egrediens ad irrigandum paradysum diuisus est in
quatuor capita, sie euangelium mathei egrediens ad ii-rigandam animam
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 5
66 Einleitung.
tulae und Eiusdem super S. Matthaei Evangelium
notae enthält, aber die Pariser Franziskaner haben sich nicht
davon überzeugen können, dass diese pulcherrimi commentarii
von Duns herstammen ^). Was sonst handschriftlich unter dem
Namen des Duns Scotus überliefert ist, sind belanglose Frag-
mente, insbesondere alchymistische Schriften über den Stein
der Weisen ^), es ist dieselbe Gruppe, wie die Tetragrammata
Willots und Posse vins ; für derartiges borgte man häufig illustre
Namen.
Wadding gab in der Einleitung zu seiner Ausgabe die
Absicht kund, in einer zweiten Abteilung drucken zu lassen
die Lectura in Genesim, die Comm. in evangelia, die Comm.
in ep. Pauli, die Sermones de tempore und de sanctis, den
Tractatus de perfectione statuum. Aber ausser letzterer Schrift
hatte der gelehrte Mann nichts von diesen Werken gesehen.
doctrina regalem dignitatem xpi hominis indicante diuiditur in quatuor
partes (fol. 76 r). Expl.: Item cum dicit in celo et in terra, quare non
dicit in Inferno ? Responsio quia potestas in illis duobus inferunt phil. II ut
in nomine ihu omne genu flectatur celestium etc. Item queritur de fonna
baptismi. Explicit liber Mathei (fol. 222 v). In derselben Handschrift
geht unmittelbar voran (fol. 1 — 74) der Kommentar zur Apokalypse.
Inc.: Apocalipsis ihu xpi quam dedit illi deus palam facere seruis suis
que oportet fieri cito et significauit mittens per angelum suum seruo suo
iohanni qui testimonium perhibuit uerbo dei et testimonium ihu xpi in
hiis quecunque uidit. Liber iste principaliter diuiditur in tres partes In
exordium et narrationem quae incipit eodem capitulo : Ego Johes frater
vester, et conclusio in qua ponitur infra ultimo capitulo. Et dixit mihi
hec uerba fidelissima. Exordium uero continet tria scilicet prohemium
salutationum. Johes VII ecclesiis xpi (fol. Ir). Expl.: ad felicitatem
quam nobis concedat ille qui dat omnibus aftluenter et non improperat
qui nee loco capitur nee tempore mutatur, immensus. infinitus et eternus
qui est deus bens in sei. sclorum. Amen. Expliciunt notule super apo-
calips. p. John Scotü. Explicit apocalips? Die vorstehenden Stellen hat
Herr Dr. Sanday in Oxford für mich abzuschreiben die Güte gehabt.
^) Jedenfalls ist der Matthäuskommentar nicht identisch mit der
Expositiuncula des Sedulius. Die beiden Kommentare haben die mo-
derne Kapiteleinteilung, wie mir Dr. Sanday mitteilt. Mit welchem Recht
die beiden Werke, die darnach allerdings der Zeit des Duns Scotus ent-
stammen werden, dem Duns selbst zugeschrieben wurden, kann ich zur
Zeit nicht entscheiden.
«) Pariser Ausg. 26, S. 567 f. 564.
Zweifelhafte Schriften. .67
deren Titel er den älteren Geschichtsschreibern der G-elehrten-
geschichte entnahm. Die Pariser Herausgeber bekennen : Atta-
men, non obstantibus quae efficere potuimus investigationibus,
nobis non fuit possibile supradictos tractatus invenire ^). An-
gesichts dieser Erklärung wird man sich dem Urteil Renans
gegenüber sehr skeptisch zu verhalten haben : II parait donc
certain que Duns Scot avait ecrit des commentaires sur le
Nouveau et peut-etre (?) aussi sur l'Ancien Testament =^), Schon
der Umstand, dass Duns, der sich nicht ganz selten citiert,
m. W. in seinen gedruckten Schriften nie auf seine Kommen-
tare verweist, macht stutzig. Die Geschichte der Erklärung
des Hohenliedes zeigt, dass man den guten Willen hatte, den
Duns auch als Exegeten seinem Rivalen Thomas gleichzustellen.
Mit einigem Nachdruck könnte, wie wir Oben zeigten, nach der
Überlieferungsgeschichte der Werke des Duns, nur die Existenz
des Paulinenkommentars und der Sermones de tempore be-
hauptet werden. Ersterer kommt, nach den angeführten Beob-
achtungen, sicher in Wegfall. Es bleiben also nur letztere. Die
Forschung hätte sich also vor allem darauf zu richten, was für
ein Buch es war, das Trithemius unter jenem Titel las und ob
dasselbe, wenn es wieder aufgefunden wird, mit Gründen als
dem Duns angehörig erwiesen werden kann. Daran schlösse
sich die Frage nach Alter und Herkunft der beiden Oxforder
Kommentare. Einen Kommentar über die Apokalypse erwähnt
übrigens keiner der Bibliographen.
1) Bd. 26, S. 564.
^) p. 447.
5*
Erstes Kapitel.
Philosophische und theologische Prinzipienfragen.
1. Die philosophischen Hauptlehren.
Die Aufgabe, die wir uns gestellt haben, bezieht sich auf
die Theologie des Duns Scotus. Diese Beschränkung erscheint
um so mehr berechtigt, als seine Philosophie öfter und glück-
licher als seine Theologie dargestellt worden ist. Indessen
werden wir dennoch gut thun, bei dem engen Zusammenhang
vieler theologischer und philosophischer Probleme in der Scho-
lastik, uns zuvörderst wenigstens über die Grundfragen der
scotistischen Philosophie zu orientieren, während anderes später
dort, wo es in die theologische Lehre eingreift, besprochen
werden soll.
1. Die Universalien und die Individuation.
Wir gehen aus von der Stellung des Duns zu den Uni-
versalien. Der Nominalismus war um der häretischen Kon-
sequenzen willen, die Roscellin aus ihm gezogen hatte,
schon vor der Blütezeit der Scholastik unterdrückt worden.
Erst Occam hat ihn wieder aufgenommen und zur Anerkennung
gebracht. Andererseits war aber auch der Realismus eines
Anselm, nach der Abälardischen Kritik, nicht möglich. So
war ein gemässigter Realismus zur Anerkennung gekommen,
wie ihn zuerst die Araber, dann Albert und Thomas vertreten
haben. Auf dieser Linie hält sich im ganzen auch Duns
Scotus. Aber er hat doch auch den realistischen Standpunkt
energischer und konsequenter vertreten als Thomas.
1. Die erste Frage ist die, ob den Universalia, d. h. den
Ideen und Gemeinbegriffen, nur subjektive oder auch objektive
Die philosophischen Prinzipien. 69
Wirklichkeit zukomme. Das Universale ist ein Seiendes, weil
es gedacht wird, denn sub ratione non entis nihil intelligitur,
quia intelligibile movet intellectum. Cum enim intellectus sit
virtus passiva non operatur, nisi moveatur ab obiecto. Demnach
muss das Universale als gedacht auch eine objektive Realität
sein (super universalia Porphyr, quaest. 4, 2 ; Quaest. in me-
taph. 1. VII quaest. 14, 5 ; q. 18, 5 u. o). Die objektive
Wirklichkeit wird also behauptet, aber so, dass das Universale
als solches seine Ursache an dem Intellekt hat, indem freilich
diese Produktion des Intellekts durch etwas ausserhalb des
Intellektes Belegenes veranlasst wird. Daher sind die Univer-
salia keineswegs nur fictiones intellectus, quod universale est
ab intellectu; sondern es entspricht ihnen ein Objektives. Et
cum dicitur ergo est figmentum, dico, quod non sequitur, quia
figmento nihil correspondet in re extra, universali autem ali-
quid extra correspondet, a quo movetur intellectus ad causan-
dum talem intentiouem (ib. § 4; de anima quaest. 17, 14). Die
Universalien sind somit die Kausalität für unsere Begriffe
von ihnen. Die Realität letzterer bezeugt die Wirklichkeit
ersterer. Eine Eigentümlichkeit des scotistischen Denkens
gibt sich hierin kund. Auf Grund der psychologischen Beob-
achtung oder der logischen Analyse wird objektives Sein er-
schlossen und eine übersinnliche Welt erschaffen. Das ist der
starke „realistische" Zug in seiner Weltanschauung, aber man
geht viel zu weit, wenn man sagt, der Centaur und die Chi-
märe nähmen für ihn die gleiche Stellung ein wie ein Sokrates
und Kallias d. h. wirkliche Menschen ^). Gewiss spielen „ab-
stractions realisees" in seinem Denken eine grosse Rolle, aber
nie handelt es sich dabei um blosse Phantasiegebilde, immer
wieder stellt der Kausalitätsbegriff die Beziehung zur wirklichen
Welt her und nur nach sorgfältiger Überlegung des Wirk-
lichen werden jene Schlüsse aufgestellt. Das zeigt sich gerade
in der Behandlung der Universalienfrage. Duns hält an der
Realität der üniversalien fest, weil ohne diese Annahme die
^) So Haureau, Histoire de la philosophie scolastique II 2, p. 182.
210. Eine zutreffende Darstellung gibt Pluzanski, Essai sur la philos.
de Duns Scot. p. 214 £f.
70 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
ganze Metaphysik, ja die Wissenschaft überhaupt aufhören
oder nur die Logik nachbleiben würde (Theoremata 4, 1).
Obwohl er an einer merkwürdigen Stelle erklärt, die plato-
nische Auffassung der Ideen als besonderer mit einer spezi-
fischen Natur ausgerüsteter Substanzen non potest bene impro-
bari, und Aristoteles habe nur die Nichtnotwendigkeit dieser
Annahme behaupten wollen (Quaestion. in Metaphys. 1. VII
quaest. 18, 3; dagegen aber Metaphys. YII summ. 2 c. 14,
110 ff. ; c. 15, 119 etc.), hat er doch auf Grund der Beobach-
tung der Entstehung der Universalien, von keiner anderen für
uns seienden Verwirklichung derselben als der im Intellekt
etwas wissen wollen. Das Universale als Gegenstand des Be-
griffes ist die quidditas rei absoluta und diese ist an sich nee
universalis nee singularis, sed de se est indifferens . . ., non
autem est in intellectu subiective, sed tantum obiective d. h.
nicht gegenständlich, sondern nur vorstellungsweise (de anima
quaest. 17, 14).
Die Ideen und Begriffe werden also freilich von dem In-
tellekt erzeugt, aber nicht willkürlich, sondern notwendig.
Wären nämlich die Objekte lediglich in ihrer Singularität real,
so wäre unverständlich, wie der Geist sie in der ihrem Wesen
widersprechenden universalen Form sollte denken können;
ebenso wäre alle Gruppenbildung unter den Objekten ausser
der durch die Zahl ausgeschlossen. Sokrates und Plato
verhielten sich also nicht anders zu einander als Sokrates und
ein Strich, Oder bei der Generation gäbe es keine reale und
und besondere Beziehung zwischen dem Erzeuger und
dem Erzeugten. Indessen kann um deswillen doch die
Universalität dem Objekt an sich so wenig beigelegt werden
als die Singularität. Vielmehr wird beides an das Objekt
oder die Materie von aussen herangebracht (Sent. II dist. 3
quaest. 1 § 6. 7 ; Theorem. 4). Non solum autem ipsa natura
est de se indifferens ad esse in intellectu et in particulari ac
per hoc ad esse universale et singulare, sed et ipsa habens esse
in intellectu, non habet primo ex se universalitatem ; licet
enim ipsa intelligatur sub universalitate ut sub modo intelligendi
ipsam, tarnen universalitas non est pars conceptus eius primi,
quia non conceptus metaphysici, sed logici. Die metaphysische
Die Realität der Universalien. 71
Eetraclitung würde das Objekt ausserhalb dieser Kategorien
fassen, die Betrachtung des Dinges als Universale erwächst
aus der Natur des menschlichen Geistes. Indem aber etwas
in den Objekten dieser Betrachtung entspricht^ erweist sich, dass
die Natur fähig ist, wie die Singularität so auch die Pluralität
anzunehmen (Sent. II dist. 3 quaest. 1 § 7. Quaest. in Meta-
phys. VII quaest. 13 § 8 ff.). — Nur so ist eine Wissenschaft
vom Wirklichen denkbar, sonst blieben nur noch subjektive
logische Operationen. Nur so sind die Aussagen über die Be-
ziehungen und Verhältnisse der Objekte unter einander vollziehbar.
2. Es ist aber nicht leicht zu sagen, wie die objektive
Realität der Universalien eigentlich zu denken sei. Die seit
Wilhelm von Champeaux geläufige Auffassung, dass das Uni-
versale das sei, was nachbleibt, wenn die rein individuellen
Züge in der Vorstellung von einem Ding abgestrichen werden,
wird missbilligt. Auf diesem Wege findet man nur das com-
mune, nicht das universale. Beide Begriffe aber unterscheiden
sich so, dass das commune ein den Individuen Gemeinsames,
das universale etwas an jedem Individuum der Gattung schlechthin
Identisches bezeichnet (Sent. II dist. 3 quaest. 1, 9). Die
Kommunität ist das allen einzelnen Individuen objektiv Gemein-
same, es existiert objektiv in der Natur. Von ihr unterscheidet
sich sowohl die Singularität d. h. das wodurch bestimmte ge-
meinsame Naturmerkmale zu Individuen zusammen gefasst sind,
als auch die Universalität oder das wodurch das gegebene Sein
allgemein und notwendig ist (1. c. § 10). Wie nun der Natur
ein Prinzip einwohnt, das individualisiert, so auch ein anderes
Prinzip, durch das der Intellekt zur Begriffsbildung genötigt
wird. Wir müssen uns natürhch gegenwärtig erhalten, dass diese
Prinzipien — für den Realismus — reale Grössen sind; z. B.
die communitas stellt eine reale Einheit dar, die freilich minder
real ist als die numerische Einheit (in creaturis est aliquod
commune unum unitate reali minori unitate numerali, ib. § 9
u. I dist. 7 quaest. unica § 23 fin.), sofern letztere in sich eins
ist, erstere aber an dem einen und anderen haftet. In diesem
Sinn wird also auch die Universalität etwas sein, was der
Natur anhaftet, es ist eine Unitas realis, welche sich von der
Einheit der Zahl ebenso wie von der Einheit der Kommunität
72 Kap, I : Philosophische und theologische Prinzipien.
unterscheidet (Sent. II dist. 3 quaest. 1, 4). Dieser Wirklich-
keit korrespondieren aber die Begriffe des Intellekts. Mehr ist also
mit der Realität der Universalien kaum ausgesagt als dass zur
Erklärung der Begriffe wir die Hypothese von einer ihnen irgend-
wie entsprchenden Einheit in deu Dingen brauchen. Die Meinung
des Duns ist somit erörtert ; aber sie ist so subtil, dass man be-
greift, dass auch Anhänger seiner Lehre ihn dahin missdeuten
konnten, als werde das Universale einfach a parte rei gegeben^).
3. Von den Univeraalien wenden wir uns der Frage
nach dem Prinzip derlndividuationzu. Wodurch werden
aus der substantia materialis Individuen? Nicht um die Einheit
der Quantität handelt es sich hier, sondern um das, wodurch
ausgechlossen wird, dass ein Ding in seine Teile zerfalle. Per
individuationem intelligo istam indivisibilitatem sive repugnan-
tiam ad divisibilitatem. Heinrich von Gent versuchte es rein
negativ zu bestimmen. Allein wenn das Ding der Zerteilung
widerstrebt, so kann dies seinen Grrund nur an einem Positiven
und nicht an einer Privation haben (Sent. II dist. 3 quaest.
2, 2. 4). Ein Stein wird also zum Individuum per aüquod
positivum intrinsecum huic lapidi. Dies ist die causa indivi-
duationis (1. c. § 4). Aber w^as ist es um diese ? Thomas
hat die Materie selbst zum Prinzip der Individuation gemacht
und zwar die materia signata d. h. die Materie, sofern sie
quantitativ und räumlich bestimmt ist. Allein dieselbe Materie
könnte auch ein anderes Individuum, also kann sie nicht die
Individualität des einen bedingen; w^eiter könnte die Materie
durch Zusammendrängung oder Ausdehnung ihre besondere
Bestimmtheit verlieren (Quaest. in Metaph. VII quaest. 13
§ 5. 6). — Nach seiner eigenen Ansicht wird also die Indivi-
duation durch ein positives Prinzip bedingt. Wie nämlich dem
Begriff der Einheit eine wirkliche Einheit korrespondiert, so
muss auch dem Gedanken der einfachen Einheit des Individu-
ums eine solche entsprechen. Wir können ferner die Differenzen
zwischen den Dingen nicht aus ihrer Natur oder Materie er-
klären, denn diese bezeichnet gerade das den Dingen Gemein-
same (Sent. I dist, 3 quaest. 6, 9). Die spezifische Differenz
^) Vgl. Pluzanski, Phil, de D. Scot. p. 222.
Die Individuation. 73
der Individuen kann aber nur hergestellt werden durch enti-
tates individuantes (ib. 14). Dies Seiende, was die Individua-
lität und dadurch die Differenz bewirkt, wird genauer bezeich-
net als etwas, was weder Materie noch Form noch eine Zu-
sammensetzung ist. Es ist die besondere entitas (haec et illa)
gegenüber der entitas quidditativa. Die entitas quidditativa
bezeichnet überhaupt und allgemein das Sein^ die „Washeit"
eines Dinges (z. B. quidditas = essentia quid est Socrates?
homo est), die besondere entitas stellt die ultima realitas
entis von allem Daseienden, es sei Form oder Materie, dar. Durch
diese Entität, die jedem Individum anhaftet, ist dasselbe was
es ist und unterscheidet sich dasselbe, trotz der sonstigen Gemein-
samkeit mit den Individuen der nämlichen Gattung, von denselben /
(ib. 15). Nun ist hieran noch die Beoabachtung zu schliessen, l
dass auch die Engel individuell sind. Es kann nämlich mit
keinem Grunde geleugnet werden, dass Engel derselben Species ';
im Plural vorkommen (gegen Thomas). Sonst könnte ja über- !
haupt kein Begriff der Engel gebildet werden. Hieraus aber {
folgt, dass auch den Engeln das Individuationsprinzip ein- \
wohnt. Ist das der Fall, so kann dasselbe unmöglich etwas \
Materielles oder Quantitatives sein (Sent. dist. 3 quaest. 7, |
3. 4). \
4. Auch hier ist es für uns aber schwer festzustellen,
wie man sich dies Individuationsprinzip eigentlich denken soll.
Es ist ein gewisses Etwas, was das Individuum zum Indivi-
duum macht, die haecceitas, wie die Scotisten später sagten,
oder das Sein des Dinges als hoc ^). Aber nicht eine UnvoU-
kommenheit der Kreatur wird hiedurch bezeichnet , sondern
etwas, was Gott gewollt hat. Das Wesen der Natur vollendet
sich in dem Individuum. Der göttliche Wille will die Welt
und damit die Verschiedenheit der Arten sowie die relative
Gleichheit ihrer Individuen, nicht mehr als die vielen einzelnen
von einander verschiedenen Individuen. Gerade diese will und
braucht Gott: propter bonitatem suam communicandam et
propter suam beatitudinem plura in eadem specie produxit
(es handelt sich zunächst um Engel); in principalibus autem
^) haecceitas bei Duns selbst Quaest. in Metaph. VII quaest. 13 § 9.
74 Kap. I : Philosophische und theologische Prinzipien,
entibus est a deo inteutum inclividuum principaliter (1. c. § 10).
Darnach kann man aber sagen, dass nach Duns im Individu-
ellen und Einzelnen die höhere Form des Daseins gegenüber
dem Allgemeinen zu erblicken ist (Reportat. T dist. 36 quaest.
4, 14). Indem aber das Ding nicht nur ein Sonderdasein
führt, sondern auch die allgemeine Natur darstellt, kann man
von formell unterschiedenen Realitäten im Ding reden, der
entitas quidditativa und der entitas individui; jene bedingt die
allgemeine Natur, diese die besondere Individualität des Dinges.
Ihren Zusammenhang kann man mit dem von Materie und
Form in einem Ding vergleichen (Sent. II dist. 3 quaest. 6,
15. Report. II dist. 12 quaest. 8, 9. 3 f.).
Also können wir kurz sagen : das, wodurch Petrus Mensch
wird, und das, wodurch er dieser besondere Mensch wird, ist
von einander formell zu unterscheiden. Wie beides eine reale
Entität darstellt, so weist beides auf eine besondere Ursache
zurück. Aber gerade dieses Etwas, durch das Petrus dies
Individuum wird, die Haecceitas oder Petreitas ist das, was
die Natur vollendet. Das individuelle Dasein ist die höchste
Form kreatürlicher Existenz. Dies das wichtige Resultat dieses
Abschnittes.
2. Die Einheit der Materie.
1. Mit diesem Resultat kontrastiert in eigentümlicher Weise
eine andere Gedankenreihe der scotistischen Metaphysik. Es ist
die Anschauung von der Einheit und Identität der Materie in
der ganzen Kreatur. Duns Scotus hat sich gegen die Auf-
fassung erklärt, dass die Materie reine Potenz sei, die nur
durch die hinzutretende Form aktualisiert werde, ohne diese
aber nicht real sei (de rerum principio quaest. 7 art. 1 § 1).
Dagegen sagt Duns : Die Materie ist von Gott geschaffen, des-
halb kommt ihr auch ein selbständiges Sein zu : ihr Sondersein,
nicht aber ihr Sein wird durch die Form gesetzt. Sonst wäre
die Materie überhaupt nichts. Also eignet ihr eine gewisse
Aktualität, nämlich die vom Sein unabtrennbare actualitas essendi.
Das ist ein actus debilis, indeterminatus, determinabilis. Eine
konkrete Form gewinnt die Materie freilich erst dadurch, dass
sie von einer von aussen herankommenden Form formiert wird.
Die Einheit der Materie. 75
Daraus erklärt es sich, dass man sie einfach als Potenzialität
glaubte bezeichnen zu können. Aber — und darauf kommt es
hier an — als seiend eignet ihr eine wenn auch nur minime
Aktivität, vermöge welcher sie fähig wird Formen und Be-
stimmungen aufzunehmen (1. c. § 3. 8)^).
2. Nun erhebt sich die Frage, ob eine solche Materie
auch in den geistigen Substanzen nachzuweisen ist. Thomas
hat dies verneint unter Berufung darauf, dass alles Materielle
nur durch quantitative Differenzen geschieden werde, von
solchen könne aber. z. B. bei den Engeln, nicht die Rede sein.
Duns dagegen erweist in einer scharfsinnigen Erörterung, dass
die Frage bejaht werden müsse. Sein Gedankengang ist kurz
folgender. Alles Erschaffene hat notwendigerweise eine po-
tentia passiva in sich, denn nur durch diese kann es als von
Grott abhängig gedacht werden. Es ist, mit anderen Worten,
die Fähigkeit von Gi-ott absolut bestimmt zu werden. Diese
Potenz ist mit der res creata einfach gegeben, da diese als
geschaffen schlechtweg von Gott determiniert wird. Sie ist
also in allem Erschaffenen und bewirkt in jedem, indem ihr
eine besondere Aktivität an die Seite tritt, die eigentümliche
Mischung von Passivität und Aktivität, die aller Kreatur an-
haftet. Dieses an sich Unbestimmte, auf die Bestimmung durch
ein anderes Angelegte kann nur als Substanz oder Materie,
nicht aber als Form gedacht werden, denn nach Aristoteles
ist die Form das Prinzip des Aktiven, die Materie das Prinzip
des Passiven. Handelt es sich aber hier um die Passivität
und Determinabilität des Erschaffenen, so kann dies nur als
Materie bezeichnet werden. Indem aber das Geschaffene als
solches diesem Gesichtspunkt untersteht, wird ihm auch die
geistige Substanz unterliegen. Zur Erläuterung bemerkt Duns,
dass man die materia für nicht similis materiae corporali
denken dürfe. Endlich aber gesteht er zwar die Möglichkeit
zu, dass Gott eine schlechthin immaterielle geistige Substanz
schaffen könnte. Dieselbe aber könnte dann nicht Gott gegen-
über schlechthin passibel und alterabel sein (1. c. § 10 — 28).
^) cf. Sent. II dist. 12 quaest. 1, 13: materia dicit entitatem
secuudum quam entitatem est capax formarum substantialium.
76 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
Der Gedanke ist also der: alles Kreatürliche hat die Po-
tenz schlechthiniger Abhängigkeit von Gott. Hiemit ist in
ihm Materie gesetzt, denn die Materie ist das Passible und
Rezeptive. Gilt das von jeder Kreatur als solcher, so auch
von den Seelen der Menschen und den Engeln.
3. Nun muss aber der Begriff der Materie selbst genauer
erläutert werden. Nach Aristoteles ist die Materie das Sub-
strat, in dem sich die Form realisiert. Aber der Begriff muss
folgen dermassen genauer bestimmt werden. Die materia primo
prima ist dasjenige in der Zusammensetzung des konkreten
Seins, was in stärkster Weise die Passivität desselben ausdrückt,
das schlechthin Formlose, was daher fast nur Materie ist und so
als ein medium zwischen dem ens und nihil bezeichnet werden
kann. Die materia secundo prima ist die Materie, an der sich
die Generation vollzieht; diese ist schon konkreter als die
vorige Materie, sie kann daher einer gewissen forma substan-
tialis nicht entraten. Die materia tertio prima bezeichnet end-
lich den Stoff, wie er bei einer künstlerischen oder sonstigen
Thätigkeit als Gegenstand vorausgesetzt wird (1. c. quaest. 8
art. 3 § 20).
4. Nachdem diese Voraussetzungen ins Reine gebracht,
beantwortet sich die Hauptfrage nach der Einheit der Materie
leicht. Die Einheit ist nämlich, wie schon Heinrich von Gent
angenommen hat, gegeben in der Identität jenes Materiellen,
das alles zur Abhängigkeit von Gott befähigt, oder der materia
primo prima. Diese liegt ja in der Mitte zwischen Sein und
Nichtsein, also kann sie nur eine sein, denn nähme man auch
nur zwei solche Materien an, so müsste die eine der Mitte
näher sein als die andere, diese andere wäre aber dann nicht
das, was sie doch sein soll. Weil alle passio in dem hier in
Frage kommenden Sinn schlechthin identisch, muss auch der
Grund identisch sein. Und indem die ganze Welt in der Viel-
heit ihrer Erscheinungen in Aktion und Passion unausgesetzt
in dem Verhältnis der Wechselwirkung ihrer Teile sich bewegt,
ist die ursprüngliche Einheit letzterer anzunehmen (1. c. § 24
bis 27). So ist die ganze Welt hervorgegangen aus der von
Gott erschaffenen materia primo prima, etwa wde die Zweige
eines Baumes aus der nämlichen Wurzel hervorgehen, oder der
Identität der Materie alles Seienden. 77
Same alle Glieder des künftigen Leibes in sich fasst. In toto
mundo ex materia una homogenea communis omnis multitudo
rerum procedit, cum non possit esse nisi unum primum indeter-
minatum, cuius natura salvatur in omnibus posterioribus, sicut
substantia et quantitas seminis in omnibus membris (§ 29).
Indem aber diese erste Materie als schlechthin unbestimmt ge-
dacht wird, ist vorausgesetzt, dass sie nur von einer schranken-
losen Kraft verändert werden kann. Oder die Entwicklung
derselben durch ihre Informierung ist das Werk Gottes (§ 40).
Wie Gott ihr Sein bewirkt, so gibt er demselben auch beson-
dere Formen. Das ist die unica materia, an der alles geschöpf-
liche Sein, es sei geistig oder körperlich, teil hat. Duns
bekennt sich zu dieser Aufstellung Avicebron's (1. c. art. 4, 24).
Materia prima est idem cum omni materia particulari (ib. art.
5, 38).
5. Schliesslich behauptet Duns, diese erste Materie könne
auch an sich ohne Verbindung mit einer Form existieren. Das
esse kann nämlich in dem Sinn, dass es dies und das ist, sofern
Gott die Idee davon hat, genommen werden, oder so, dass es
als wirklicher effectus dei gedacht wird, oder endlich so, dass
es konkret als Komposition aus Materie und Form vorgestellt
wird. In den beiden ersten Bedeutungen kann das esse auch
auf die erste Materie angewandt werden ; dieselben haben keine
Beziehung zur Form, sondern werden lediglich durch Gott be-
wirkt. Somit hätte diese erste Materie als die Potenz der
ganzen Welt eine besondere Existenz gehabt oder doch haben
können. Warum sollte das unmöglich sein , wenn doch die
Species der Abendmahlselemente ohne ihre Substanz fort-
bestehen, fragt Duns (1. c. art. 6 § 43).
Seine ganze Auffassung fasst Duns in einem grossartigen
Bilde zusammen: Ex his apparet, quod mundus est arbor quae-
dam pulcherrima, cuius radix et seminarium est materia prima,
folia fluentia sunt accidentia, frondes et rami sunt creata cor-
ruptibilia, flos rationalis anima, fructus naturae consilimis et
perfectionis natura angelica. Unicus autem hoc seminarium
dirigens et formans a principio est manus dei aut immediate,
ut coelos et angelos et animam rationalem, aut mediantibus
agentibus creatis, sicut producantur generabiHa et corruptibilia
78 Kap. I: Philosophische und theolog^ische Prinzipien.
De isto igitur totius universalis naturae fundamento materia
seil, primo prima rerum est, quod in fundamento naturae nihil
est distinctum. Dividitur radix ista immediate in duos ramos,
in corporalem et spiritualem .... Pars autem ramorum flaute
vento superbiae fuit in nmndi principio arefacta .... Et
sie patet, quod unitas uuiversi et collectio oius claudit et con-
cludit unitatem in principio indeteiminato seu in materia prima
(1. e. § 30).
6. Man hat diese Ansieht des Duns nicht selten als
Spinozismus bezeichnet ^). Gewiss mit Unrecht. Es ist näm-
lich klar, dass bei Duns die materia prima keineswegs als die
alleine Substanz, aus der alles Geschehen als Modifikation und
Wirkung hervorgeht, gedacht werden kann, sondern wie Gott
der Schöpfer jener Materie ist, so ist ihre Gestaltung und Ent-
wicklung bedingt durch von aussen her geschehende Einwir-
kungen Gottes wie die Informierung. Dazu kommt, dass das
Interesse, das Duns mit der Einführung dieser Theorie verfolgt,
dem des Spinoza nicht konform ist. Man hat das bisher über-
sehen, es scheint mir aber den Schlüssel zum Verständnis der
Ideen des Duns darzureichen. Duns will feststellen, dass die
Kreatur als solche ein Etwas in sich hat, das sie der gött-
lichen Determination fähig und bedürftig macht ; oder im Grunde
ihrer natürlichen Essenz ist die Natur etwas Rezeptives, was
der Einwirkungen Gottes bedarf, sie ist angelegt auf schlecht-
hinige Abhängigkeit von Gott. Da nun nur die Materie
schlechthiniger Determinabilität fähig ist, so ist alle Kreatur
materiell. Da aber die Determinabilität in allen Individuen
schlechtweg dieselbe ist, so ist sie ein identischer Bestandteil
in aller Kreatur, oder es ist dieselbe Materie, aus der alle und
alles her sind. — Ist dieser Zusammenhang richtig, so ist ein-
leuchtend, dass die Ansicht des Duns Scotus von der des Spi-
noza in einem durch die differente Absicht messbaren Abstand
steht. Spinoza eliminiert Gott durch den Gedanken der Natur-
notwendigkeit, Duns behauptet die in allen identische materia
prima als das Mittel, durch das sich die Abhängigkeit der
^) Soviel ich weiss zuerst Bayle. s, noch Haureau, Hist. de la
philos. scol. II a 225. 235,
Der religiöse Sinn der Einheit der Materie. 79
Kreatur von Gott realisiert ^). Und er steigert diesen Gedanken
durch die Behauptung, dass Geschöpf-sein an sich eine Realität
in aller Kreatur bedeutet, die Einheit der Materialität und da-
mit der Determinabilität durch Gott. Die physische Grundlage
des Seins bediugt die überall gleiche Empfänglichkeit des Sei-
enden den Einwirkungen Gottes gegenüber, denn stünde das
Sondersein am Anfang des Daseins, so wäre diese Rezep-
tivität keine absolute. Es ist der eine schlechthin abhängige
Ton, aus dem der himmlische Töpfer alles nach seinem Willen
gestaltet. Mir scheint sich hieraus zu ergeben, wie Duns zu
dem auffallenden Satz vou der Einheit der ersten Materie in
allen kam.
Dem metaphysichen Satz von der Einheit der ersten Ma-
terie in allem Seienden steht aber der andere Satz gegenüber,
dass das Sein sein Wesen vollende in dem individuellen Dasein
der Haecceität. Beide Sätze bezeichnen freilich eine Differenz
des Gesichtskreises, aber keinen Widerspruch. Duns hat ein
starkes Interesse an der Individualität, das Individuum ist die
Ej'one der Schöpfung. Nun ist aber alles Daseiende und so-
mit die Gesamtheit der Individuen nur, wie wir später sehen
werden, Mittel zur Realisierung des Zweckes Gottes. Deshalb
muss an jedem Daseienden die Fähigkeit schlechthin entsprechen-
des Mittel zu sein, aufgezeigt werden. Das geschieht aber durch
den Nachweis eines Elementes schlechthiniger Rezeptivität in
in ihm. So lassen sich beide Sätze mit einander verknüpfen.
Sie gewähren uns aber, so angesehen, einen Fingerzeig auf
die beiden Grundelemente in der Weltanschauung unseres
Denkers. Es ist die nie versagende Lebhaftigkeit, mit der
Duns das individuelle, persönliche Element am Menschen, die
uneingeschränkte Freiheit des Wollens betont, und es ist der
ebenso starke Gedanke von Gott dem absoluten Herrn, der
mit seinem allmächtigen Willen alles lenkt und leitet als
Mittel zur Realisierung seines Weltzweckes : schlechthinige
Freiheit und schlechthinige Abhängigkeit !
^) Vgl. unten die Erörterung darüber, dass Gottes Sein dem der
Kreatur nicht univok ist.
80 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
3. Die scotistische Psychologie.
1. Dies führt uns aber auf ein neues Problem. Während
bisher der Mensch mit aller Kreatur unter den Regriff des
Seienden subsumiert wurde, muss nun deutlich gemacht werden,
was es um das spezifische Sein des Menschen ist. Die Be-
trachtung, von der wir herkommen, stellte bereits fest, dass
wie bei allem Lebendigen auch im Menschen Aktivität und Pas-
sivität sich zur Einheit verbinden. Wie überall, so ist auch
im Menschen das Wesen durch die aktive Form bedingt, die
als forma actuans die materia suscipiens informiert (s. de prin-
cip. rerum quaest. 9 art. 1 § 2. 4. 8. 10). Das aktive Prinzip,
welches die menschliche Materie mit der besonderen Form des
Lebens versieht, ist die Seele. Hiebei ist an die anima ratio-
nalis zu denken, nicht au eine blosse anima sensitiva, die aus
der Potenz der Materie hervorginge (gegen Aristoteles, ib. a.
2, 12). Die Übermaterialität der Seele ergibt sich nämlich
aus der Selbstbeobachtung. Wir denken nicht nur die sinn-
lichen und räumlich begrenzten Einzeldinge, sondern die allge-
meinen UniversaHen samt einer Anzahl abstrakter rein logischer
Beziehungen zwischen den Dingen. Ebenso beobachtet der
Mensch an sich die Freiheit des Handelns. Diese kann nicht
erklärt werden aus den sinnlichen Trieben, da diese der Natur-
notwendigkeit unterliegen; ist das geeignete Objekt da, so
muss der Trieb darauf reagieren. Nun aber wird der Wille
durch kein Objekt determiniert, er ist also übersinnlich oder
geistig : ergo voluntas, qua sie indeterminate volumus, est appe-
titus non alicuius talis formae seil, materialis, et per consequens
est alicuius excedentis omnem talem, huiusmodi ponimus in-
tellectivam (Sent. IV dist. 43 quaest. 2, 10. 12). Wollte aber
jemand die Existenz dieser Faktoren leugnen, so : non est cum
eo ulterius disputandum, sed dicendum, quod est brutum ,
quia non habet illam visionem interiorem quam alii experiun-
tur se habere (ib. § 11).
Nun sind aber in dem Leben der Seele neben den geistigen
noch der vegetative und der sensitive Faktor zu unterscheiden.
Dies darf aber nicht so gedeutet werden, als ob hierdurch drei
substanziell verschiedene Seelenteile bezeichnet werden, wobei
Die Psychologie. 81
die geistige Seele durch die vegetative und sensitive Seele mit
dem Körper verbunden würde. Auf diesem Wege würde die
Verbindung zwischen der rationalen Seele und der Materie
nur als eine Konsubstantiation zu denken sein, etwa in der
Art wie Christi Gottheit mit seinem Körper verbunden war
(de princ. rer. quaest. 9 art. 2, 16. 42). Allein dann könnte
die Seele unmöglich die Form des Körpers sein, sowenig als
etwa Nase und Ohren, die dem übrigen Leibe ebenfalls konsub-
stanziell sind, denselben informieren können (ib. § 27).
2. Ist nun das ganze Sein des Menschen bedingt durch
die geistige Form der Seele, so ist diese als Form so mit der
Materie verbunden, dass sie mit ihr eine feste Zusammensetzung,
ein Kompositum bildet. Demnach gehen alle Aktionen des
Menschen a toto composito aus. Daher werden auch alle Ver-
dienste vom ganzen Menschen, nicht von der Seele als solcher
erworben. Die Form teilt eben der Materie ihre Thätigkeit
nur durch diese Vereinigung mit ihr mit. Die spe-
zifische Thätigkeit des so informierten ganzen Menschen ist
iutelhgere und libere agere (ib. § 31. 46). Der Mensch ist
ein compositum intelligens, also ist die forma intellectiva das,
was ihn informiert oder ihm sein Wesen verleiht (32). Das
Subjekt der intellektiven Thätigkeit (quod intelHgit) ist also der
ganze Mensch, das Mittel dieser Thätigkeit (quo intelligit) ist
die intellektive Seele als solche, denn nicht der Körper als
solcher denkt oder will (57. 60, quaest. 10, 29). Da also der
Mensch in seinem eigentümlichen Wesen nur verstanden werden
kann von der intellektiven Seele aus, so ist diese seine Form
(36). Sie ist das Aktive in ihm, also ist sie die Form und
nicht die Materie des Menschen (39),
Hieraus ergibt sich dann der weitere Gedanke, dass, da
die ganze Lebensbewegung des Menschen geleitet wird von
seiner Form, das sensitive und intellektive Leben in der näm-
lichen Form enthalten ist. Es ist im Menschen als die ihn
bewegende Form eine materia spiritualis vorhanden, die den
ganzen Menschen bewegt, denn nur sofern sie da ist, ist der
Mensch Mensch (44). So ist der Mensch ein Kompositum oder
ein Organismus, so ist auch sein Körper eine substantia mixta,
indem die geistige Seele ihn informiert. Er kann aber auch
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 6
82 Kap. 1: Philosophische und theologische Prinzipien.
als körperlicher Organismus betrachtet werden, sofern seine
körperliche Organisation ihn befähigt, sinnliche Eindrücke zu
empfangen (55). Aber die ihn bewegende und belebende Form
ist in dieser wie jener Richtung die intellektive Seele. Indes
gilt das nur so, dass die geistige Seele ihre Thätigkeit im
Körper hat, aber nicht so, als wenn die rein geistige Thätig-
keit des Denkens und Wollens an sich durch den Körper und
seine Organe gegeben wäre (63). Hier ist aber noch hervor-
zuheben, dass, obgleich die eigentliche Form des Körpers die
Seele ist, nach Duns noch in einem anderen Sinn von einer
Form des Körpers geredet werden muss, nämlich der corpo-
reitas oder der besonderen Zusammensetzung des Körpers
(forma mixtionis), durch die er zu einem Granzen wird. Als
lebendiger Körper hat er die Seele zur Form, als zusammen-
hängeuder Organismus die corporeitas. Der Hauptbeweis hie-
für ist, dass wenn im Tode die Seele den Leib verlässt, dieser
zunächst doch bleibt was er war. Also : forma animae non
manente corpus manet, et ideo universaliter in quolibet ani-
mato necesse est ponere illam formam qua corpus est corpus,
aliam ab illa qua est animatum (Sent. IV dist. 11 quaest. 3, 54).
Auch hier weicht Duns von Thomas ab, indem letzterer die
Form des Leibes schlechtweg der Seele zuschreibt.
Damit sind die Grundzüge der scotistischen Psychologie
klar gestellt. Der Mensch ist lebendiger Mensch durch die
geistige Seele, die die Form seiner Materie ist. Also ist die
Seele die nämliche in den rein geistigen wie in den sinnlichen
Bewegungen des Menschen. Der Mensch hat nur eine Seele,
nicht drei Seelen, wie anzunehmen wäre, wenn man den vege-
tativen und sensitiven Regungen des Menschen besondere Prin-
zipien oder Formen zuschreiben würde. Man soll nicht meh-
rere Prinzipien einführen, wo eins ausreicht (de prinio princ.
rer. quaest. 11, 7. 9). Indem Duns in dieser Erörterung das
ganze sinnliche Gefühls- und Triebleben der geistigen Seele
direkt unterzuordnen versucht, hat er einen bedeutenden Fort-
schritt über die alte Psychologie hinaus gemacht. Das Seelen-
leben wird wahrer und tiefer erfasst dadurch, dass das geistige
Element und das Gefühlselement eine Seele bilden. Es ent-
steht ein konkreteres Bild des Innenlebens, als die Scheidung
Die Seele Form der menschlichen Materie. 83
der beiden Sphären es ermöglichte. Freilich hat Duns dies
nicht einzuhalten vermocht.
3. Aber der Gedanke von der Einheit der Seele führt zu
einer Schwierigkeit. Der Kreatianismus oder der Gedanke^
dass die menschlichen Seelen von Gott direkt erschaffen werden,
hatte im Mittelalter dogmatische Giltigkeit und wird daher
auch von Duns anerkannt (1. c. quaest. 10 art. 1). Aber die
Frage ist dann, was bei der Erzeugung eines Menschen ge-
schehe? Die Erzeugung versetzt aus dem Nichtsein in das
Sein. Da nun der Mensch, wie wir sahen, ein Kompositum
ist, so wird dies zusammengesetzte Sein das Ziel der Erzeugung
sein, nicht aber brauchen notwendig alle Bestandteile der Kom-
position direktes Produkt der Erzeugung zu sein, da an den-
selben Merkmale vorhanden sein können, die diese Entstehung
ausscbliessen. In der Zeugung entsteht also der leibliche Or-
ganismus, jene forma mixtionis (S. 82), und zwar mit seiner
Disposition für die Einwirkungen der Seele. Diese wird aber
von Gott erschaffen (ib. quaest. 10 art. 2, 9. 11; Sent. IV
dist. 11 quaest. 3, 55). Nach Thomas wohnt dem Embryo zu-
nächst die eigene Seele als vegetative, dann als sensitive ein,
dann erst wendet sich Gott dem werdenden Menschen zu, in-
dem er die intellektive Seele erschafft; diese absorbiert dann
jene auf natürlichem Wege entstandene Seele in sich ^). Das
zeitliche Verhältnis dieser Zeugungen zu einander wird nicht
recht deutlich, doch scheint es ^), dass sie zeitlich zusammen-
fallen oder doch hart bei einander liegen. Es ist einleuchtend,
dass Duns die Seele als sensitive wie als intellektive in einem
entstehen lassen muss ; diese eine Seele wird von Gott er-
schaffen und dem erzeugten Leibe inspiriert (1. c. quaest. 10
art. 4, 23).
Hiebei erhebt sich aber die Frage nach dem Moment der
Erschaffung der Seele. Man kann die Frage sicher beantworten.
Nach Ansicht des Duns geht die Bedeutung der menschlichen
Zeugung darin auf, das Substrat für die erschaffene Seele her-
1) Thomas c. gentil. II, 89.
*) Summa theol. I quaest. 118 art. 2 : Quod anima intellectiva crea-
tur a deo in fine generationis humanae.
6*
84 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
zustellen; homo hominem generans non acquirit esse formae
in esse nee ut est in composito sive in materia nisi formando
et disponendo corpus, quo disposito agens supernaturale infun-
dit animam ex creatione (1. c. quaest. 10 art. 2, 11). Dem-
nach sieht er aber die Erzeugung mehr für eine That Gottes
als des Menschen an. Quoad actionem, qua homini acquiritur
esse humanum quod principaliter est ab anima sua, generatio
seil, hominis potest dici supernaturalis quodammodo et
magis quam naturalis, imo potius creatio quam generatio
et divina operatio quam humana generatio (ib. 11). Diese
Auffassung rückt die göttliche Erschaffung der Seele auf
das nächste zusammen mit der menschlichen Erzeugung des
Leibes. Nimmt man hinzu, dass die Seele das allgemeine
Prinzip der Lebendigkeit — auch schon der vegetativen — ist,
so kann kaum bezweifelt werden, dass nach Duns die Erzeu-
gung des Leibes und die Erschaffung der Seele zeitlich zusam-
menfallen, logisch aber letztere auf erstere folgt. Dieser Schluss
wird aber von Duns ausdrücklich bestätigt. ^) Die materia und
die forma mixtionis d. h. also die Leiblichkeit stellen ein passum pro-
portionatum compositum her für das agens superius und dies
statim inducit in illud illam formam cuius est capax; früher
hiess es: statim sequatur eam (die corporeitas) intellectiva in
generatione (Sent. IV dist. 11 quaest. 3, 56). Ebenso sagt Duns :
quod enim tunc in eodem instanti deus creat animam, hoc
non est prius naturaliter quam propagans inducat formam mix-
tionis, imo est posterius naturaliter, sicut forma ad quam est
dispositio, sequitur dispositionem (ib. § 39).
Während die menschliche Seele geistig und unräumHch
ist, ist die Tierseele an die Materie gebunden, wird von der
Kreatur erzeugt und hat in den verschiedenen Teilen des Kör-
pers ihren Sitz (de princ. rer. quaest. 13 art. 4, 13).
4. Nachdem wir uns über die Entstehung sowie
über das Verhältnis der Seele zum Leibe orientiert haben,
wenden wir uns der Frage zu, ob die Essenz der Seele
real von ihren Kräften, etwa dem Denken und Wollen, zu
unterscheiden ist ? Thomas hat diese Frage bejaht, indem er
das Verhältnis mit dem verglich, das zwischen den Accidenzien
^) Gegen Pluzanski, Philos. de D. Scot. p. 113.
Essenz und Kräfte der Seele. 85
der Wärme und des Lichtes und der Substanz des Feuers be-
steht. Anders Duns. Die Kräfte der Seelen unterscheiden
sich realiter weder von einander noch von der Seelenessenz.
Bei dieser Annahme erweist sich die Seele als ens nobilissimum,
indem sie durch eine Essenz verschiedenes wirkt; sie selbst und
nicht nur ihre Kräfte erreichen ihr Ziel, sie und nicht nur eine
ihrer Kräfte wird selig (Sent. II dist. 16 quaest. unic. § 15).
Aus diesen und anderen Gründen könne nichts dagegen einge-
wandt werden, dass dieselbe Seelenessenz das Prinzip mehrerer
seelischen Aktionen ist, ohne reale Unterscheidung der Kräfte.
Die Pluralität der Wirkung erfordert nämlich mit nichten Plu-
ralität der Ursache. Auf diese Weise würde dann Denken und
Wollen nur durch die verschiedene Beziehung zu den Objekten
unterschieden sein, essentiell aber dasselbe sein (16). Um nun
den Autoritäten entgegenzukommen, die von einem Hervortreten
der Kräfte aus der Seele reden, stelle man sich die Sache so
vor. Die Aktionen verhalten sich zur Seele wie die Begriffe
des Einen, Wahren, Guten zu dem Begriff des Seins, sie sind
also mit dem Grundbegriff zugleich gegeben, unitive in ihm
enthalten. Denken und Wollen sind enthalten in der Seele
gleichsam als passiones d. h. Eigenschaften derselben (17. 18).
Essentiell sind sie dann mit der Seele eins, aber formell sind
sie etwas anderes, indem sie eine besondere Thätigkeit der
Seele bezeichnen. Diese Besonderheit kann aber unmöglich in
der Essenz der Seele begründet sein, sie rührt her von den be-
sonderen Beziehungen, in die die Objekte der Aussenwelt zur
Seele treten. Die beschränkten und sinnlich wahrnehmbaren
Objekte lösen in der Seele die sinnlichen Wahrnehmungen,
die unbegrenzten und immateriellen Objekte das Denken aus.
Und je nachdem ob letztere Objekte mit der Erkenntnis oder
dem Affekt erfasst werden wollen, wird sich die erkennende und
wollende Thätigkeit in der Seele differenzieren (de rerum princ.
quaest. 11 art. 2, 27. 28). Der Unterschied beider Funktionen
lässt sich nach Duns so ausdrücken : sicut velle est motus ab
anima ad rem amatam ^), sie intelligere est motus a re ad ani-
mam; sed voluntas vere attingit per actum volendi rem quam
*) So und nicht animatam wird nach dem Folgenden zu lesen sein.
86 Kap. 1: Philosophische und theologische Prinzipien.
amat, ergo res cognita vere attingit intellectum, quem excitat
(ib. quaest. 14 act. 3, 36).
Das Resultat ist somit, dass die eine Seele das Subjekt aller
ihrer Operationen und in allen derselben gleichmässig gegen-
wärtig ist, dass aber die besondern Beziehungen zwischen der
Seele und den Dingen die Operationen derselben differenzieren.
Die scotistische Formel ist also, dass die Seele mit ihren Akten
zwar essentiell identisch ist, dass aber diese Akte unterein-
ander wie von der Seele formell verschieden seien.
Denkt man die Seele als Substanz oder Materie, so ist
dieselbe unteilbar und unräumlich, überall dieselbe ; denkt man
sie aber als wirksam d. h. als Form, so wird je nach der Art
der betr. Objekte eine besondere Weise der ßethätigung der
Seele erfordert sein. Dieser Gedanke bezeichnet nur eine Folge
aus der Erkenntnis der Einheit des Seelenlebens. Die Unter-
scheidung der Seelenkräfte ist, genau genommen, schärfer und
durchgreifender als bei Thomas, aber freilich nicht durchge-
arbeitet und durchgeführt.
4. Der Willensprimat.
1. Hiemit haben wir uns bis zu dem Denken und Wollen
hindurchgearbeitet. Damit sind die letzten Probleme, denen wir
nachgehen wollen, bezeichnet: die Anschauung des Duns vom
Willen und seine Erkenntnistheorie.
Wir kommen jetzt zu einem für die Weltanschauung des
Duns besonders bedeutsamen Faktor, dem Primat des freien
Willens. Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Wille nicht
minder als die Erkenntnis rein geistiger Art ist. Er darf
also nicht verwechselt werden mit den sinnlichen Trieben oder
den appetitus organici, die durch sinnliche Anreize mit Not-
wendigkeit hervorgerufen werden. Der Wille trägt, wie wir
sahen, den intellektiven Charakter an sich (vgl. Sent. IV dist. 43
quaest. 2, 12). Dieser appetitus rationalis ist im Unterschied
zum appetitus sensitivus ein appetitus cum ratione liber
(Sent. III dist 17 quaest. unica 2). Dieser geistige Wille ist
frei. Dass es überhaupt Freiheit geben könne, braucht nicht
theoretisch bewiesen zu werdeü. Es kann jedem empfindlich
gemacht werden: isti qui negant aliquod ens contingens expo-
Der Primat des Willens. 87
Dendi sunt tormentis, quousque concedant, quod possibile est
eos non torqueri (Seut. 1 dist. 39 quaest. un. § 13). Diese
Kontingenz oder Freiheit eignet also auch dem menschlichen
Willen. Sie besteht darin, dass der Wille frei ist ad oppositos
actus, indem er jederzeit auf einander entgegengesetzte Objekte
oder Erfolge sich zu richten vermag. Ergo voluntas perfecta
potest tendere in omne illud quod natuui est esse volibile
(ib. § 15). Hiebei ist natürlich vorzubehalten, dass der Wille
nicht gleichzeitig, sondern nacheinander nach Entgegengesetztem
streben kann. Das Verhältnis ist vielmehr dies, dass auf das-
velle des einen Objektes, das noUe desselben und das velle eines
anderen eintreten kann. Es ist also der Wille eine potentia
ad opposita manifesta. Logisch liegt hierin kein Widerspruch,
sofern das Vorhandensein eines Accidenz in der Seele nicht
das spätere Vorhandensein des entgegengesetzten Accidenz
ausschliesst (16). Demnach wäre der Satz, dass wer A will,
nicht B wollen kann, nicht richtig im Sinne der Komposition,
aber richtig im Sinn der Division. Für den Moment, wo der
Wille sich auf A richtet, ist die Möglichkeit B zu wollen für
die Kreatur ausgeschlossen, wohl aber vermag der Wille das
Wollen von A aufzugeben und dafür B zu wollen (17).
2. Der Wille vermag Entgegengesetztes zu wollen. Ist er
nun die einzige und ganze Ursache seiner einzelnen Volitionen?
Diese Frage wird von Duns bejaht. Es sei keine andere Ur-
sache denkbar, ohne den Willen zu zerstören. Wenn nämlich
eine andere Ursache eingeführt würde, so wäre das Wollen
ein Erleiden, dann wäre es aber auch nicht frei. Voluntas si
est solum receptiva et passiva respectu suae volitionis, nulla
volitio est in potestate eins (II dist. 25 quaest. un. § 2). Dem-
nach wird, wenn auch nicht ohne ein gewisses Schwanken (II
dist. 37 quaest. 2, 8) selbst bezüglich Gottes die unmittelbare
Wirkung auf den Willen geleugnet, denn sonst wäre die Kon-
tingenz für uns ausgeschlossen, indem wir nur Wirkung, nie
aber selbständige Ursache wären (ib. § 2. 3). Deshalb sei für
den Willen als die oberste aller aktiven Ursachen anzunehmen,
dass sein Vermögen die Totalursache aller einzelnen Voliti-
onen sei (ib. 4).
Diese Auffassung bewährt sich an der Kritik der übrigen
88 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
scholastischen Theorien. Ein doctor modernus, Gottfried,
habe gelehrt, das phantasma, d. h. das aus den sinnlichen
Dingen gewonnene Phantasiebild, sei die bewirkende Ursache
einer Volition, denn movens und motum müssen im Subjekt
unterschieden sein. Ein doctor antiquior, Heinrich v. Gent,
habe dagegen, dem Averroes folgend, gelehrt, dass das erkannte
Objekt den Willen bewege. Allein wäre das eine oder das
andere richtig, so wäre das Wollen ebenso natürlich und not-
wendig, als die Entstehung von Phantasiebildern und Begriffen.
Nun könnte aber auf diesem Wege höchstens die Entstehung
eines velle oder nolle in Bezug auf ein Objekt erklärt werden,
aber nicht dass der Wille für das nämliche Ding velle und
nolle verursachen kann (II dist. 25 qu. un. § 6). Man kann
der falschen Theorie auch dadurch nicht aufhelfen, dass man
sagt, sofern der Wille den Intellekt auf die Betrachtung der
Objekte hinlenke, habe er Gewalt über seine Wollungen, denn
diese Lenkung selbst müsste doch von aussen her, rein natür-
lich veranlasst sein. So lange aber der Willensakt rein
natürlich erklärt wird, erreicht man nicht das Verständnis der
vorausgesetzten Freiheit (7). Wollte man aber darauf ver-
weisen, dass doch mehrere Objekte, nicht nur eins, vom In-
tellekt dem Willen vorgestellt werden, er also doch wählen
könne, so genügt auch dies nicht, es sei denn die Kausalität
an dem vorgestellten Begriffsbild ausdrücklich negiert, denn
sonst komme es wieder nur zu einer notwendigen Wirkung, das
eine Objekt wirkt eben stärker als die anderen. Das ist aber
keine Freiheit: eodem enim modo est de appetitu bruti, nam
bos videt herbam quae movet appetitum suum et ex illo appe-
titu movetur progressive ad herbam, sed si in motu illo oc-
currit obiectum magis delectabile fortius movens appetitum,
tunc sistitur a primo motu et tamen non libere, quia necessa-
rio movetur ab illo maiori delectabili occurrente, quanquam
casualiter occurrat (ib. 8). — Und ebensowenig verfängt es,
wenn Heinrich die Objekte unter die Kategorien des Erfreu-
lichen oder Unerlaubten zu stellen anrät, auch dann würden
sie als Ursachen gedacht die Freiheit aufheben, den Willens-
entschluss natürlich produzieren (8). Ebensowenig reicht es
aus zu sagen, das Ziel als erkanntes bewege den Willen, denn
Der Wille bewegt sich selbst. 89
als Ziel kommt ihm keine effektive Bewegung zu. Ebenso-
wenig kommt man dadurch weiter, dass man die Objekte die
Affekte erregen und diese auf den Willen einwirken lässt
Auch dawider würden die angeführten Gründe sprechen (11).
Daraus ergibt sich, dass es keine Beantwortung unserer
Frage gibt als die: quod nihil aliud a voluntate est causa
totalis volitionis in voluntate (ib. 22). Das Vermögen des
Willens ist aber eine indeterminierte Ursache. Sie wird nicht
von aussen her bestimmt zu einer notwendigen Wirkung wie
eine natürliche oder mechanische Ursache, sondern sie vollzieht
ihre Wahl schlechthin unabhängig von dem natürlichen Zu-
sammenhang der Dinge^ d. h. contingenter vel non inevitabiliter.
Es ist Duns mit dieser Auskunft voller Ernst gewesen, denn
mit der grössten Energie wird betont, dass der Mensch frei
ist und dass frei handeln unabhängig von allen äusseren Ur-
sachen handeln heisst.
Nun kann freilich die Frage aufgeworfen werden, ob diese
Gedanken vereinbar sind mit der Determination des Weltlaufes
durch den göttlichen Willen. Wir können erst später hierauf
eingehen, hier genüge die Bemerkung, dass Gott selbst als freie
Ursache den Willen zu kontingenter Kausalität bestimmt hat.
3. Aber das eigentlich Charakteristische in der Willens-
lehre des Duns besteht darin, dass dem Willen unbedingt der
Primat und die Führung im geistigen Haushalt des Menschen
zukommt^). Nicht eine neue psychologische Theorie ist zu-
nächst in diesen Sätzen zu erblicken, sondern eine neue Welt-
stellung des Menschen, eine neue Stimmung bringen sie zum
Ausdruck. Noch Thomas und Heinrich waren dem hellenischen
Intellektualismus gefolgt. Das Erkennen ist die höchste
Seelenkraft, das Erkennen leitet den Willen. Demgemäss be-
steht die Seligkeit im intellektuellen Schauen Gottes. Indem
der Intellekt Gott ergreift, wird dem Menschen die höchste
Befriedigung zuteil. Der Intellekt aber ist eine höhere Seelen-
kraft als der Wille, indem er in direkte Beziehung zu dem
höchsten Gut tritt. Steht doch die Wahrheit dem Sein näher
^) Vgl. hierzu Kahl, der Primat des Willens bei Augustinus, Duns
Scotus u. Descartes, Strassburg 1886.
90 Kap. I : Philosophische und theologische Prinzipien.
als das Gute, und ist doch der Intellekt als Ursache der
Wollungen dem AVillen übergeordnet. — Diesen Gedanken
kann Duns nicht beipflichten. Die eigentümliche Grösse des
Menschen, die ihn über die Natur und das natürliche Leben
erhebt, besteht nicht in dem Intellekt, sondern im Willen.
Die Thätigkeit des Intellektes ist nämlich natürlich d. h. sie
erfolgt als ein notwendiges Produkt der Einwirkungen der
Weltobjekte auf den Intellekt. Dagegen erhebt sich der Mensch
durch seinen freien Willen über die Natur und den gesetz-
mässigen Naturzusammenhang (z. B. Sent. II dist. 25 qu. un. 22 ;
IV dist. 46 qu. i, 7. 11; I dist. 39 qu. un. 7. 14; Metaphys.
IX summ. 1 c. 5 § 22). Der Intellekt wird von aussen her
bestimmt, der Wille ist das Vermögen der Selbstbestimmung.
Diese Freiheit über sich selbst und über den natürlichen
Kausalzusammenhang, in dem der Mensch steht, bedingt den
Wert des Menschen und seine Stellung in der Welt. Wenn
nun der Wille selbst die alleinige Ursache seiner Bethätigung
ist, dann kann er natürlich weder dem Intellekt als solchem
noch den Reizen der Natur untergeordnet werden, sondern er
ist ganz frei. Weil er aber frei ist und seine Akte nur von
seinem freien Vermögen kausiert werden, darum ist der Wille
das Prinzip zur sittlichen Beurteilung des Menschen. Ob eine
Handlung meritorischen oder demeritorischen Charakter hat,
das hängt davon ab, ob sie frei gewollt ist. Die Gnade kann
das Handein der Freiheit irgendwie erleichtern und aus-
schmücken (s. unten), aber sie erzeugt es nicht. Der Mensch
selbst trägt die Schuld und erwirbt das Verdienst, weil er eben
frei ist (II dist. 25 qu. un. § 6 ; dist. 4 quaest. 4). Dem-
gemäss ist auch der tugendhafte Habitus des Menschen ganz
wesentlich aus der Selbstbestimmung des Willens zu verstehen,
denn er kommt dadurch zu stände, dass der Wille sich für
die Dauer selbst bestimmt zur Verwirklichung bestimmter
Ideale, die ihm die praktische Vernunft vorhält, und dass er
sich selbst hierin eine Gewöhnung erwirbt (III dist. 33 quaest.
un. 8 ff.; dist. 36 quaest. un. 11. 14 vgl. die Tugendlehre
unten). Ebenso realisiert sich aber auch das Beste im Menschen,
die übernatürliche Liebe nicht anders als durch Willensakte
(II dist. 25 q. un. 13 f. cf. IV dist. 49 quaest. ex lat. 19. 20). —
Der freie Wille und der Intellekt. 91
Ist nun der Wille das Organ der Freiheit und daher das
Prinzip der Sittlichkeit im Menschen, sodass das Beste und
Schlimmste durch ihn verwirklicht wird, so ist es verständlich,
dass auch die Seligkeit durch den Willen erleht wird. Nicht
die Erkenntnis, sondern der Wille ist zunächst auf das Ziel
der Seligkeit gerichtet, der frei handelnde Mensch erstrebt die
Seligkeit. Deshalb ist es auch der Wille , der in Gott die
höchste quietatio findet. Oder die Seligkeit besteht in der
Liebe zu dem vollkommen ergriffenen höchsten Gut (IV dist. 49
quaest. 4, 6 ff. vgl. unten die Eschatologie).
4. Man versteht die vorstehenden Gedanken leicht, be-
wegen sie sich doch in einer Richtung, die uns seit Kant ge-
läufig ist. Der Wille ist das Höchste im Menschen, der das
Höchste leistet und erlebt. Aber das Thema des Primates
des Willens schliesst im Rahmen der scotistischen Psychologie
vor allem die Frage nach dem Verhältnis des Willens zum
Intellekt in sich. Wir haben bisher nur das nepjative Ver-
hältnis kennen gelernt, dass der Intellekt den Willen nicht
kausiert. Aber wie ist das positive Verhältnis beider Begriffe
auszudrücken? Auch hierüber hat Duns sich mehrfach ge-
äussert, wie das bei einem so scharfen Denker nicht anders zu
erwarten ist. Man begegnet bei Duns nicht ganz selten dem Satz :
voluntas imperat intellectui. Was heisst das, wird dadurch das sonst
angenommene Kausalverhältnis einfach umgekehrt, sodass der
Wille die Ursache der Intellektionen würde? Darauf ant-
wortet Duns : Es sei überhaupt nicht richtig, zwischen Denken
und Wollen ein direktes Kausal Verhältnis zu setzen, denn
weder sei ein intellektueller Akt ganze Ursache des Willens-
aktes noch umgekehrt. Aber freilich selbst wenn das,
wie Thomas annimmt, wahr wäre, so würde gerade dadurch
seine Folgerung widerlegt, denn wenn der Intellekt als Ur-
sache dem Willen vorausgeht, so würde er ja dem Willen
dienen (IV dist. 49 quaest. ex lat. § 16). Aber weder dies
noch das Entgegengesetzte ist der Fall. Und doch besteht
ein deutlicher Zusammenhang zwischen Wollen und Denken.
Indem nämlich die geistige Funktion des WoUens es nicht
mit den sinnlichen Objekten als solchen, sondern mit von diesen
abgezogenen Begriffen zu thun hat, empfängt der AVille die
92 Kap. 1: Philosophische und theologische Prinzipien.
Objekte seiner Wahl von dem Intellekt. Es geht also dem
Willensakt notwendig ein Erkenntnisakt zeitlich voran. In-
sofern kann der Wille als abhängig von der Erkenntnis an-
gesehen werden. Aber diese Abhängigkeit ist nur scheinbar,
da in Wirklichkeit sich die Erkenntnis gerade hier dem
Willen unterordnet als das Mittel zum Zweck und die Materie
für die Form. Von einer Kausierung des Willens durch die
Erkenntnis des Intellekts kann in diesem Zusammenhang also
nicht geredet werden. Denn, wenn man das Verhältnis in
das Kausalschema rücken will, so würde die Erkenntnis doch
nur dienende Partialursache für die Volition sein, während der
Wille selbst die obere und entscheidende Ursache wäre (so lY
dist. 49 quaest. ex lat. § 18). — Wir werden also sagen können,
dass der Wille freilich das Denken voraussetzt und dass er
auf dies von ihm vorausgesetzte Denken (cogitatio prima) nicht
influieren kann. De prima (cogitatione) probo, quod non potest
esse in potestate voluntatis, quia aliqua cogitatio praecedit
necessario omne veUe (saltem natura), sed quod praecedit
omne velle, natura saltem non est in potestate nostra (II dist.
42 quaest. 4, 5). Sofern also der Intellekt den Spielraum für
die Wahl des Willens schafft, geht er dem Willen notwendig
voran; von einer Beeinflussung des Willens kann um so
weniger die Rede sein , als der Intellekt überhaupt nur
denkt, d. h. das Wahre oder Falsche erkennt, ohne aber das
Sein unter den Gesichtspunkt des Strebens zu rücken (II dist.
25 quaest. un. 22).
Nun muss aber auf der andern Seite behauptet werden,
dass der Intellekt auch vom Willen abhängt, ohne freilich, wie
wir sahen, durch ihn direkt kausiert zu werden. Diese Be-
hauptung gründet sich darauf, dass sonst der Intellekt, sobald
er das höchste Objekt gefunden, unausgesetzt demselben zuge-
wandt bleiben würde (11 dist. 42 quaest. 4, 5). Allein dies
Verhältnis genauer zu bestimmen, bereitet nicht geringe
Schwierigkeiten, denn da immer der Gedanke älter ist als die
Wollung, scheint ersterer in keiner Weise von letzterer ab-
hängen zu können. Duns weist zunächst fünf Versuche, den
Einfluss des WoUens auf das Denken zu erweisen, als unge-
nügend zurück. Man sagt erstens: es genüge zur Bewegung
Wollen und Denken. 93
des Willens die habituelle, nicht die aktuelle Erkenntnis der
Objekte; offenbar soll dann die aktuelle Erkenntnis unter
den Einfluss des Willens gerückt werden. Aber, sagt
Duns, die Voraussetzung trifft nicht zu, denn in Wirklichkeit
wird der Wille sich doch nur in Bezug auf eine besondere
aktuelle Intellektion bewegen. — Zweitens: eine allgemeine
Erkenntnis genüge als Voraussetzung der Volitionen. Aber
auch dies ist falsch, denn sollte es genügen, um meinen Willen
auf den Stein zu richten, dass mein Intellekt den Gremein-
begriff: substantia corporea bildet, könnte dieser Begriff den
Willen nicht ebensogut auf einen Ochsen oder Vogel hinweisen?
Also muss die Erkenntniss notwendig sich auch auf die Species
erstrecken. — Drittens : Eine Intellektion des Subjektes wird
zurückgeschoben und an ihre Stelle ein neues cogitabile ein-
geführt. Aber warum soll es der Wille sein, der diese Ver-
schiebung bewirkt, warum nicht der Intellekt selbst? Zudem
könnte der Wille, falls der Intellekt ihm keinen neuen Begriff
darböte, doch auch nur von sinnlichen Bildern bewegt werden. —
Viertens: Der Wille bewegt den Intellekt zum Festhalten der
einen Objekte im Vergleich zu anderen. Aber diese Be-
schränkung taugt nichts, indem der Wille auch ohne sie den
Intellekt von der Betrachtung der Objekte ablenkt. — Fünftens:
Der Intellekt habe es mit den Einzelbegriffen zu thun, der
Wille nötigt ihn aber, dieselben mit einander zu verbinden.
Aber wie sollte der Wille über die Verbindung der Objekte
bestimmen können, wenn ihm über sie als einzelne keine Ver-
fügung zusteht? Zudem sei allen diesen Lösungsversuchen
der Mangel gemeinsam, dass keiner einen intellektuellen Akt
zu bestimmen weiss, der jene Abhängigkeit vom Willen auf-
wiese (1. c. 6 — 9).
Zur Darstellung seiner positiven Ansicht bahnt sich Duns
den Weg durch drei Sätze. 1) Neben einer klaren und voll-
ständigen Intellektion können in dem Intellekt gegenwärtig
sein eine Anzahl undeutlicher und unvollständiger Intellektionen,
gerade ebenso wie in der sinnlichen Wahrnehmung Analoges
vorkommt. 2) Diesen Intellektionen kann der Wille Beifall
oder Missfallen, Zustimmung oder Widerspruch widmen.
3) Durch diese Bestätigung des Willens werden die betr. In-
94 Kap. 1 : Pliilosophisclie und theologische Prinzipien.
tellektionen gestärkt und befestigt, bezw. geschwächt und ge-
lockert. Es ist nämlich klar, dass eine [utellektion in dem
Mass sicher sein wird, als sie durch alle Kräfte der geistigen Seele
Bestätigung findet. Die Seele ist kräftiger etwas zu behaupten,
wenn alle Kräfte zu demselben Zweck konkurrieren, als wenn
diese Kräfte sich unter einander zersplittern (ib. 10). Nun
können also die undeutlichen und schwächeren Intellektionen
durch die Zustimmung des Willens gestärkt werden, in diesem
Sinn kann dann behauptet werden: et sie potest (voluntas)
iraperare cogitationem et convertere intellectum ad illam.
Ebenso wird umgekehrt eine Intellektion dadurch, dass der
Wille ihr widerstrebt, schwach und schwächer werden und
schliesslich aufhören : et sie dicitur voluntas avertere intellectum
ab intellectione (11). Schliesslich bemerkt Duns, es würde
mehr Schwierigkeit machen eine unmittelbare Gewalt des
Willens über den Intellekt zu erweisen (12). Diesen Versuch
hat er aber nicht unternommen.
5. Das Resultat dieser wichtigen Erörterung wird zunächst
auf den Leser einen überraschenden Eindruck machen, denn
der Primat des Willens kommt nicht in so deutlicher und
krasser Weise zur Aussage, als man nach der Ankündigung
erwarten möchte. Die beherrschenden Gedanken sind also
diese: der Wille ist frei, die geistige Freiheit über den Welt-
zusammenhang bildet das Charakteristikum des Menschen.
Nun erfahren diese Gedanken aber eine doppelte Beschränkung:
1) Wie die Freiheit von Gott gesetzt ist, so erfolgt die Be-
thätigung derselben stets so, dass sie den göttlichen Heils- und
Weltplan realisiert. Diese Bethätigimg ist von Gott vorher-
gewusst, indem vorherbestimmt. Die Unabhängigkeit vom
Weltzusammenhaug schliesst also nicht in sich die Unabhängig-
keit von Gott. In dieser Beziehung erscheint der Mensch viel-
mehr als durchaus abhängig. 2) Die Vorherrschaft des
Willens schliesst nicht aus, dass er die Sphäre seiner Be-
thätigung in den vom Intellekt ihm dargebotenen Ideen und
Begriffen findet. Da aber dieser einen umfassenden Komplex
durch das Mass ihrer Deutli-chkeit und Bestimmtheit gegen
einander abgestufter Vorstellungen enthält, behauptet der
WiUe seine Freiheit und Macht dem Intellekt gegenüber durch
Wille und Intellekt. %
die schlechthin freie Wahl und die hieraus resultierende Kräf-
tigung oder Schwächung der intellektuellen Ideen und Begriffe.
Allein diese Schwächung kann nie bis zur völligen Eliminierung
von Teilen des Vernunftinhaltes fortgehen , da dieser einen
angeborenen und daher unzerstörbaren Bestand im Menschen
darstellt. Ebensowenig kann der Wille dem Intellekt schlecht-
weg Vernunftwidriges aufdrängen. Das ist durchaus begreiflich,
denn nach dem ganzen Zusammenhang kann nur Gedachtes,
also Denkbares und der Vernunft Kommensurables den Willen
zur Wahl bewegen. Allein an diesem Punkt macht sich eine
gewisse Unklarheit in der Psychologie unseres Denkers geltend.
Jene verw^orrenen und undeutlichen Gebilde, welche neben
den klaren Begriffen in dem Intellekt angenommen werden,
entsprechen etwa dem, was wir als Vorstellungen, Empfindungen,
Ahnungen bezeichnen könnten. Allein wegen der schroffen und
abstrakten Scheidung des intellektiven und des sinnlich gefühls-
mässigen Elementes in der Vorstellung muss ihnen der streng
intellektive Charakter gewahrt bleiben; es ist aber schwer zu
sagen — man beachte die Kritik des Duns den anderen An-
sichten gegenüber — , wie die Undeutlichkeit und Verworren-
heit der Vorstellungen mit ihrer streng intellektiven Art sollte
vereinbart werden können? Ebenso bezeichnet die uns hier,
trotz dem S. 82 Bemerkten, entgegentretende abstrakte
Scheidung des Trieb- und Willenslebens eine Schranke der
scotistischen Psychologie. Indem nämlich das gesamte sinn-
liche Triebleben an sich weder den Willen beeinflussen und
drängen, noch auch für den Willen wählbare d. h. rein in-
tellektive Vorstellungen erzeugen kann, bleibt die Macht der
Triebe für das sittliche Leben des Willens im Unklaren und
kommt die Einheit des Seelenlebens ins Schwanken.
Und diese Schwierigkeiten werden, wie einleuchten wird,
nur erheblich verstärkt, wenn man weiter in Anschlag bringt,
dass dem Intellekt bestimmte praktisch vernünftige Ideen im-
manent sind und für ihn daher massgebend bleiben. Duns
hat dieselben freilich sehr viel vorsichtiger, d. h. möglichst
formal, bestimmt (s. unten), als die „Aufklärung", gegen die
Kants Kritik sich wandte. Aber immerhin wächst die
Schwierigkeit, die Selbständigkeit des Willens gegenüber dem
96 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
Intellekt und seine Beeinflussung desselben sich vorzustellen,
wenn dieser einen schlechtweg sicheren und un verdrängbaren
moralischen Inhalt besitzt.
Dazu kommt weiter, dass Duns bei der Erwägung der
Determinabilität des Willens den Gedanken seiner Aktivität
nicht nur durch den Ausschluss seiner Passivität, sondern auch
seiner Rezeptivität erläuterte. So wenig nun diese beiden Be-
griffe identisch sind, sowenig hat Duns die Leugnung jeder
Rezeptivität des Willens durchführen können. Denn ich sehe
nicht, wie, ohne irgend eine Annahme letzterer, der Gedanke
von dem übernatürlichen Habitus der Liebe im Willen (s. unten)
sollte aufrecht erhalten werden können? Nun schlägt aber,
das Obige bewährt das, diese Leugnung der Rezeptivität des
Willens um in eine übermässige Beschränkung des Willens
durch die intellektuellen Ideen. In Wirklichkeit hat also
Duns durch die Betonung der reinen Aktivität des Willens
die Anschauung von dem Willensprimat, die ihn leitete, nicht
gefördert, sondern beschränkt. Daher hat aber auch seine
Anschauung des religiösen Lebens — s. seinen Glaubensbegriff
unten — den Bann des Intellektualismus weniger überwunden,
als man nach den Voraussetzungen erwarten dürfte.
5. Die Erkenntnislehre.
1. Wir wollen schliesslich die Erkenntnistheorie des
Duns Scotus betrachten ^). Im allgemeinen hat er die im
Mittelalter gebräuchlichen aristotelischen Grundlagen einge-
halten, aber er hat doch auch eine Anzahl eigenartiger Be-
obachtungen ausgesprochen. Zunächst ist zu bemerken, dass
ein starker empiristischer Zug seine Theorie leitet. Er hängt
mit der Betonung des Einzelnen und Individuellen zusammen.
Sein „Realismus" gilt nicht nur der oberen, sondern auch der
unteren Welt. Nur die Erkenntnis des Konkreten ist wirk-
liche Erkenntnis. Sodann ist bei ihm das Bemühen wahrzu-
^) ^gl- hierzu Werner, Die Psychol. und Erkenntnislehre des Duns
Scot. Wien 1877; Prantl, Gesch. der Logik III, 202 ff. Pluzanski
a. a. 0. p. 41 ff. Aloys Schmid, Die Thomist. u. Scotist. Gewissheits-
lehre, Diliingen 1859.
Die Erkenntnislehre. 97
nehmen, die Aktivität des Subjekts bei dem Zustandekommen der
Erkenntnis zu wahren. Der Blinde oder der schlafende Hase sehen,
trotz offener Augen, nichts, weil ihnen diese Aktivität fehlt (de
anim. quaest. 12). Auch das hängt mit den Grundlagen seiner
Weltanschauung zusammen. Alle Erkenntnis entstammt sonach
der Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt, sie ist a
cognoscente et cognito (de princ. rerum quaest. 15 § 33).
2. Als psychologische Voraussetzung kommt für die Er-
kenntnistheorie zunächst in Betracht die Unterscheidung
zwischen der cognitio sensitiva und intellectiva (de rer. princ.
quaest. 13 art. 1, 1). Dieser Unterschied entspricht der
geistigen und körperlichen Natur des Menschen. Beide Fak-
toren sind bei dem Erkenntnisakt beteihgt (z. B. Sent. I dist.
3 quaest. 6, 5. 13; quaest. 7, 20. 24). Erkenntnis kommt nur
zu stände auf Grund bestimmter sinnlicher Eindrücke von
Seiten der Objekte. Es ist die Thätigkeit der fünf Sinne so-
wie des ihre Wahrnehmungen von einander unterscheidenden
sensus communis (de anima quaest. 10). So entstehen im
Menschen zunächst die apprehensiones sensitivae und sodann die
imaginationes oder phantasiae. Diese einzelnen Sinneseindrücke
samt den mit ihnen zusammenhängenden verworrenen partiku-
laren Vorstellungen der Phantasie sind also origo et semina-
rium aller Erkenntnis (de rer. princ. quaest. 13 art. 1, 4. 9 ;
art. 2, 19. 27; quaest. 15, 20). So sehr steht diese peripate-
tische Grundlage fest, dass selbst für die Engel und die ab-
geschiedenen Seelen ein Vermögen die aktuale Existenz eines
Dinges zu erfassen postuliert wird, das zwar nicht sinnlich, aber
doch auch nicht rein erkenntnismässig sein soll (ib. quaest.
13, 10).
3. Nun ist aber bei dem Menschen in den sinnlichen Wahr-
nehmungen und Empfindungen der Intellekt gegenwärtig und
zwar nicht in der Weise wie die Sonne die Erde bescheint
und erwärmt, sondern so wie die Seele dem Körper als ganzem
immanent ist (ib. art. 2, 15). Also ist auch in den Appre-
hensionen der Sinnlichkeit die eine Seele, die auch das Denken
in sich fasst, wirksam (vgl. oben S. 81 f.). So wenig es ohne
jene zur Erkenntnis kommen könnte, so sehr ist der Intellekt
-das Element, durch das diese Erkenntnis erst geistige d. h.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 7
98 Kap. 1: Philosophische und theologische Prinzipien.
perfecta cognitio wird. Daher kann die intellektive Kraft als
die Hauptursache der Erkenntnis als solcher bezeichnet
werden, für die die äussere Welt nur die occasio zur Bethätigung
hergibt (Quaest. in praedicam. 3), denn ohne diese Kraft ent-
stehen nur unzusammenhängende und verworrene Einbildungen,
wie etwa im Schlaf oder bei Wahnsinnigen (ib. 19). Aber
dies hat natürlich nicht den Sinn, als wäre ohne sinnliche Ein-
drücke eine Erkenntnis zu erlangen, oder der Intellekt die
Totalursache dieser. Beide gehören zusammen, numerisch
sind sensatio und intellectio ein Akt. Auch die Sonne ist
die Hauptursache zur Erzeugung der Früchte am Baum, aber
nur, indem sie zusammen und zugleich mit dem Baum wirkt,
entstehen Früchte (ib. 21). Blosse Anschauungen würden
tierartig verworren sein, blosse Begriffe könnten niemals das
esse reale extrinsecum huius rei sensibilis ergreifen und ver-
stehen : non cognoscit ipsum, nisi ut est sub sensu seu in ipsa
sensatione (ib. cf. Sent. I dist. 3 quaest. 7, 20. 24 ; quaest. 8, 2).
Aber wir vermögen doch deutlich die organische sinnliche Er-
kenntnis von der geistigen Erkenntnis zu unterscheiden, indem
der Gedanke sich nicht erschöpft in dem Umfang und der
Bichtung des sinnlichen Eindruckes. Die Erkenntnis umfasst
das Allgemeine und die nicht sinnlich wahrnehmbaren Eelationen
der Dinge unter einander, die rein logischen Zusammenhänge,
sowie das Denken selbst (Sent. IV dist. 43 quaest. 1, 7. 10 f.).
Demnach kann man im allgemeinen sagen, dass die sinn-
lichen Empfindungen und Erfahrungen dem Denken den Stoff
liefern, der vom Intellekt die Form erhält, indem er den Be-
griff prägt d. h. das Einzelne in geistiger Weise auffasst und
seine Eigenart durch Vergleichung und Unterscheidung, durch
Feststellung der Quiddität, des Genus und der Eigen-
schaften begreift. Und zwar erkennt der Intellekt zuerst die
einfachen Elemente des Daseienden (simplicia), dann ordnet er
diese zusammen. Der Intellekt aber ist befähigt, diesem Kom-
plex, wenn er die Art eines ersten Prinzips hat, zuzustimmen,
und in ihm auszuruhen. Dazu befähigt ihn aber das lumen
naturale oder der habitus principiorum, quo adhaeret primis
principiis (In Metaph. quaest. subtiliss. II qu. 1, 2 cf. de princ.
rer. quaest. 14 a. 3, 35). Nun soll der Intellekt freilich, wie
Die sinnliche Wahrnehmung und der Begrifi'. 99
schon Aristoteles lehrte, an sich eine tabula rasa vel nuda sein.
Dieser Gedanke wird aber dahin verstanden , dass der In-
tellekt von Natur Inhaber der metaphysischen und logischen,
sowie bestimmter moralischer Prinzipien (Naturrecht) ist. Es
sind dem Intellekt immanente formale Grundideen, an denen
er alles von aussen au ihn Herangebrachte bemisst. Demnach
sind die ersten notwendigen Begriffsbestimmungen (incom-
pilexa) und Urteile (complexa) schlechthin sicher, denn sie folgen
aus dem natürlichen Bestand des Geistes. Schlechthin gewiss
ist aber dem Geist das Seiende, sowie dass das Seiende eins,
wahr und gut ist, und der Widerspruchssatz, der sich daraus
ergibt, dass das Seiende nicht auch in derselben Richtung das
Nichtseiende sein kann. Das ist sowohl thomistische als sco-
tistische Lehre. Sofern also auf dem Wege der Sensation und
Intellektion erworbene Begriffe oder Urteile jenen obersten Prinzi-
pien konform sind, ist der Intellekt von ihnen befriedigt. Alle
wirkliche Erkenntnis trägt also, streng genommen, analytischen
Charakter. Apriorische synthetische Urteile gibt es nicht.
Man sieht auch hier wieder, wie stark das subjektive Moment
bei der Erkenntnis in Anschlag kommt. Übrigens vermisst
man eine klare abgegrenzte Einsicht in das Wiesen und die
Bethätigung dieses Habitus des natürlichen Lichtes.
Die rein geistige Thätigkeit kann auch dann fortgesetzt
werden, wenn der sinnliche Eindruck geschwunden ist, aber
zur konkreten Erkenntnis des besonderen Dinges gehört die
Fortdauer der sensatio (de rer. princ. 22 cf. Sent. I dist. 3
quaest. 6, 5). Hierbei muss aber in Acht behalten werden,
dass der Intellekt keineswegs immer das von der Sinnlichkeit
dargebotene Material einfach acceptiert. Er übt an demselben
auch eine rektifizierende Thätigkeit aus. Diese beruht einer-
seits darauf, dass er sonstige Sinneswahrnehmungen bezüglich
des Objektes mit in Anschlag bringt, andererseits auf den ihm
immanenten logischen Prinzipien. Der Stock erscheint dem
Auge im Wasser gebrochen, aber der Tastsinn widerlegt diese
Sinneswahrnehmung, ebenso wie die logische Erwägung, dass
das Wasser den Stock nicht zerbrochen haben kann. Ebenso
steht es z. B. mit dem sinnlichen Eindruck, dass die Sonne
100 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
nur zwei Fuss im Durchmesser habe (Sent. I dist. 3 quaest.
4, 11).
4. Also die Erkenntnis des Dinges haftet am sinnlichen
Eindruck desselben. Auch die rektifizierende Thätigkeit, die
der Intellekt an bestimmten Sinneswahrnehmungen vornimmt,
kann doch nicht ausser Zusammenhang mit anderweitigen sinn-
lichen Erfahrungen gedacht werden. Hier nun erhebt sich
eine Frage, die für die Erkenntnistheorie des Mittelalters von
grösster Bedeutung ist. Das Ding ist eine einzeln ausgedehnte
sinnliche Grösse, der Intellekt erfasst das Allgemeine und
Nichtsinnliche : wie kommt nun das sinnliche Ding in den In-
tellekt? Dasselbe Problem aber kehrt wieder bei der ima-
ginatio, denn auch diese vermag das Ding als solches in seiner
quantitativen Ausdehnung nicht in sich aufzunehmen. Man
kann nun weder Atome aus den Dingen in die Seele einströmen
lassen, noch auch einfach auf die so beschaffene Wirkung des
Dinges auf die Seele rekurrieren, denn ersteres ist unmöglich
und letzteres erklärt nichts. Man versucht nun, diese Schwierig-
keit durch einen neuen Begriff zu heben, durch die An-
nahme der species. Species ist die Erscheinung oder
das Abbild des Dinges. Sofern nun der Mensch das Ding
erfasst, aber das Ding an sich nicht erfassen kann, ist
anzunehmen, dass jedem Ding eine doppelte species imma-
nent ist, die species sensibilis als das Bild eines sinnlichen und
ausgedehnten Dinges, und die species intelligibilis als das im
Ding gegebene geistige Erkenntnisbild desselben ^). Es ist nun
nicht so, als wenn die Species blos von den Dingen abgezogene
subjektive Bilder wären, sie sind vielmehr als Ursachen der
besonderen Wirkungen der Dinge auf den Menschen als den
Dingen anerschaffene und ihnen immanente Eealitäten zu be-
greifen. Die species intelligibilis ist eine forma simplex im-
materialis vel spirituaKs, die unausgedehnt und uuausdehnbar
in jedem sinnlichen Ding vorhanden ist. Diese species — das-
selbe gilt von der species sensibilis oder imaginabilis — ist es,
die den Intellekt beeinflusst und ihn anregt zur Erfassung dieser
ihm kommensurabeln Grösse. Nicht das Ding, sondern die
^) Viele Beispiele aus Thomas s. bei Schütz, Thomas -Lexikon,
2. Aufl. 1895, S. 762 f.
Species sensibilis und intelligibilis. 101
species desselben nimmt die Seele auf und behält sie in sich
(Sent. IV dist. 45 quaest. 1, 3. 5 ; III dist. 14 quaest. 3, 7),
denn das Phantasma kann ebensowenig als das sinnliche Ding
den Intellekt bewegen, und ausserdem bleibt ja Begriff und
Imagination, auch wenn ihr Ding weit von uns entfernt ist (de
rer. princ. quaest. 14 art. 3, 37). Die Seele empfängt also
Einwirkungen von aussen. Diese sind so beschaffen, dass sie
von den Sinnen gespürt werden und zugleich in der Seele ein
Phantasma erzeugen (Sent. II dist. 11 qu. un. § 4), zugleich aber
auch so, dass der Intellekt aus der sinnlichen Empfindung wie
aus diesem Phantasma eine species intelligibilis abnehmen kann.
Das Phantasma und der Begriff resp. die s]Decies sensibilis und
intelligibilis unterscheiden sich also folgendermassen. Ersteres
befasst in sich das sinnliche Bild des Dinges, d. h. die Vor-
stellung von einem besonderen Quantum, einer Figur mit ihren
Farben etc.; letzterer enthält die von allen konkreten Merk-
malen abgezogene Erkenntnis. In letzterem Fall wird also
z. B. der abstrakte Gedanke gedacht: Das Ganze ist grösser
als sein Teil, in erst crem Fall wird dies von einem hölzernen
oder steinernen Ding mit allen seinen Accidenzien empfunden
(Sent. I dist. 3 quaest. 4, 22). Nun ist aber die species in-
telligibilis nicht etwa eingeschlossen in das Phantasma oder das
Vorstellungsbild, denn letzteres hat das Besondere und Einzelne
zum Gegenstand, erstere das Universale. Da aber das Uni-
versale seine Realisierung stets in dem Denken findet, das
Denken aber durch die Phantasmen angeregt wird, so ent-
nimmt der Intellekt oder erzeugt er sich die species intelli-
gibilis aus der species sensibilis: intellectus agens facit aliquid
repraesentativum universalis (d. h. eben die species intellig.)
de eo quod fuit repraesentativum singularis. Wo also das
Phantasma und der intellectus agens (über diesen Begriff s. unten
Genaueres) zusammentreffen, da wird durch die Thätigkeit des
letzteren aus ersterem die species intelligibilis hergeleitet und
dadurch das Ding denkbar — im strengeren Sinn — gemacht
(Sent. I dist. 3 quaest. 6, 8. 10. 16). — Allein mit alledem
soll nicht gesagt sein, dass die intelligible Species formal
identisch sei mit der sensibeln Species. Es ist die, konkret
angesehen, einheitliche Seele, welche sich zunächst auf das
102 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
Phantasma richtet^ aber so, dass sie demselben nicht nur Vor-
stellungen , sondern auch den Begriff entnimmt. Wie nun
ersteres eine objektive Realität am Ding voraussetzt, nämlich
die sensible Species, so auch letzteres, nämlich die dem Uni-
versale entsprechende intelligible Species. Auch letztere muss
daher eine forma realis in existentia sein, denn da der Denk-
akt sie und nicht das Phantasma zum Ziel hat und in ihr
und nicht im Phantasma zur Ruhe kommt, so muss sie real
vor dem Denkakt existieren, mag sie immerhin erst durch
diesen zur subjektiven Existenz im Menschen gelangen. Das
intelligible Bild des Universale ist das dem Intellekt kom-
possible Objekt seiner Thätigkeit (s. ib. quaest. 6, 5. 8. 11).
Diese ganze Vorstellung begreift sich also als eine Konsequenz
aus dem metaphysischen Lehrsatz von der objektiven Existenz
der Universalien. Der ganzen Betrachtung liegt zu G-runde das
Postulat, dass in den Dingen etwas Objektives sein muss, was sie
der geistigen Erfassung fähig macht oder auch etwas, wodurch
wir die Vielheit der Erscheinungen an einem Ding zur Einheit
der Vorstellung und des Begriffes zusammenfassen. Diese Be-
trachtung wäre aber noch erschwert worden, wenn Duns auf
letztere Wendung des Gedankens — von den Dingen gehen
auch species specialissimae aus, die aber durch die logischen
Schemata der Kausalität, der Eigenschaften etc. zur Einheit
zusammengehalten werden (1. c. quaest. 7, 41) — weiter ein-
gegangen wäre. Aber sein Realismus hob ihn über diese
Fragen hinweg. Erst Occam hat mit dem Realismus der
Universalien auch die Species abgethan.
5. Nun hat aber Duns, trotz seiner Übereinstimmung im
allgemeinen mit der thomistischen Erkenntnislehre, doch auch
im Verfolg seiner Grundanschauung seine Auffassung gegen die
thomistische abgegrenzt. Nach Thomas erfasst der Intellekt
die species intelligibilis oder das Universale, und zwar so, dass
der intellectus agens die species intelligibilis dem Phantasiebild
entnimmt und dann diese species dem intellectus possibilis
zur Annahme darbietet^). Letzterer ergreift dann das üni-
*) Diese Unterscheidung gibt die aristotelischen Begriffe i-ovg noirj'
ri-KOs und vovg dvvdus/, wieder. Ersterer bezeichnet die Vernunft, sofern
Der Begriff und die Erfahrung-. 103
versale direkt und durch sich. Allein Duns, der dem im ali-
gemeinen zustimmt (s. Sent. I dist. 3 quaest. 6, 8. 16), nimmt
an, dass der Intellekt auch das einzelne Ding erreicht, und
zwar deshalb, weil, wie wir sahen, der Intellekt ja von der
Sensatio konkret nicht getrennt werden kann. Daher wird
der Intellekt nicht nur eine blos schematische Erkenntnis er-
langen, sondern sich auch auf das Einzelne richten (de princ.
rer. quaest. 13, 28 — 33), um dann in diesem das Allgemeine
zu ergreifen. Die Leugnung dessen, dass der Intellekt das Kon-
krete und Einzelne erfasse, führt geradezu auf häretische Konse-
quenzen. Es war doch ein besonderer konkreter Mensch, den
die Apostel sahen und betasteten und den ihr Intellekt als
Gott erkannte (33). Ebensowenig kann gesagt werden, dass
der intellectus possibilis es nur mit dem Abstraktum zu thun
habe, denn wenn der Intellekt aus den Dingen Begriffe ge-
winnt, so kann das nur unter Wahrnehmung des Dinges ge-
schehen. Man bildet auf Grund der Wahrnehmung eines
Menschen eben den Begriff Mensch, und nicht den Begriff
Esel (34). Also hat es auch der intellectus possibilis mit der
sensatio und dem phantasma, und nicht nur mit dem Univer-
sale zu thun, denn das, was der intellectus agens aus dem
Phantasma entnimmt, wird Gegenstand des intellectus possi-
bilis (35). Wieder betont unser Denker, dass die Begriffe auf
der Erfahrung von dem sinnlichen Eindruck der Objekte be-
ruhen. Der Intellekt freilich hat bei diesem Prozess als
solcher nur das cognoscere zu besorgen, aber die volle Ge-
wissheit von der Realität eines Seienden kann nur durch
die Erfahrung und die sinnliche Berührung erworben werden.
Das zeigt die Aufforderung Christi an Thomas, seine Wunden-
male zu betasten (42). Und zwar muss hier gesagt werden,
dass die Gewissheit nicht einmal an der sinnlichen species
haftet, sondern nur an der sensatio selbst oder der sinnlichen
sie aus den Phantasmata Begriffe abstrahiert, letztere die Vernunft, wie
sie fähig ist diese Begriffe aufzunehmen und zu bewahren. Von ersterem
unterscheidet sich übrigens d voiJg d xar' iv^Q-ysiav , welcher nur Er-
scheinungsform des Denkvermögens oder des vovg övvdfiet ist. Vgl.
z. B. die notitia actualis des intellectus possibilis bei Duns Sent. Prol.
quaest. 1, 21.
104 Xap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
Berührung mit dem Objekt, denn die species würde nur das
Bild Petri darbieten, für das es indifferent ist, ob Petrus
lebendig oder tot ist (43).
Demnach urteilt Duns Scotus, dass der Intellekt zuerst
das Einzelne und Besondere und erst dann das Universale er-
kennt, prius cognoscit intellectus singulare quam universale ;
und dass das eigentliche Fundament alles Erkennens das
einzelne Ding in seiner Aktualität ist. Unde fundamentum
originale, a quo movetur omnis cognitio, dico radicaliter est
esse actuale. Et dico radicaliter, quia facta apprehensione
actualitatis rei, ipsa detracta re, ipsa remauet cognitio secun-
dum aliquem modum tarn in intellectu quam in imaginatione
(44). Die Erkenntnis wird also wirkliche Erkenntnis nur ver-
möge ihres rein geistigen Charakters, aber sie ist Erkenntnis
des Wirklichen nur vermöge ihres Zusammenhanges mit der
Sensation des besonderen Dinges. Zwischen diesen beiden
Endpunkten bewegt sich die Erkenntnis so, dass dieselben zu-
gleich die Hauptpunkte im Erkenntnisvorgang sind. Das
Empfinden des einzelnen Dinges und seiner Realität ist der
Ausgang, dann folgt die Entstehung des phantasma durch die
species sensibilis, sodann ergreift der Intellekt diese einzelne
species als geistige und dann erst erhebt er dies Einzelne und
Besondere auf die Stufe des Universale, dies ist der Endpunkt
(vgl. 1. c. § 45. 46). Die Erkenntnis ist rein geistig und doch
auch ganz konkret.
Die volle Gewissheit haftete, wie wir sahen, an der Sen-
sation. Letztere kann durch die Imagination oder durch das
Gedächtnis vertreten werden. Indem aber diese beiden
Potenzen nur subjektive Zustände repräsentieren, können sie
die Realität des Objektiven nicht mit der Gewissheit der Sen-
sation bewähren. Das Gedächtnis nämlich ist nicht aus
direkten Fortwirkungen der betreffenden Objekte zu erklären,
sondern daraus, dass dem Geist sein eigenes auf jene Objekte
gerichtetes Handeln und insofern auch die Objekte gegenwärtig
bleiben. Nicht also erinnere ich mich dessen, dass einer ge-
sessen hat, sondern der wirkliche Vorgang wird wiedergegeben
durch die Formel: recordor me vidisse vel nosse te sedisse.
Nicht das Ding als solches kann also festgehalten werden,
Gedächtnis, Selbsterkenntnis der Seele. 105
sondern nur die Ergreifung seiner Species seitens des Geistes.
Aber indem das sinnliche wie intellektive Gedächtnis besteht,
werden in ihm die sensibeln wie intelligibeln Species fort-
erhalten, auch wenn die Aktualität des auf sie gerichteten
Gedankens aufhört. Auch hierbei hat Duns die Frage, wozu
es denn der Imagination bedürfe, wenn doch die species intelli-
gibilis zur Erklärung des Gedächtnisses ausreiche, beantwortet
durch den Hinweis auf den engen und notwendigen Zusammen-
hang beider psychischer Funktionen (Sent. I dist. 3 quaest. 6, 28).
In dieser geistigen Art liege das Spezifische der menschlichen
im Gegensatz zur tierischen Erinnerung (Sent. IV dist. 45
quaest. 3, 4. 5. 8 ff. ; I dist. 3 quaest. 6, 14. 26).
6. Indessen führt uns diese Betrachtungsweise schon weiter
zu dem letzten Punkt, den wir aus der scotistischen Erkenntnis-
theorie hervorheben wollen. Es ist die Frage, ob die Seele
sich und ihre Habitus erkenne direkt aus ihrer essentia oder
aus ihren Akten, oder auch durch die Vermittlung von species ?
Duns beginnt seine Erörterung mit der Bemerkung, dass man
hier an eine dreifache Erkenntnis denken könne: die argui-
tive, die in der Wirkung die Ursache erkennt, die intuitive
oder direkt schauende und die spekulative oder auf die Quid-
dität der Seele gerichtete. Die Existenz der Seele in uns er-
kennen wir zunächst auf arguitivem Wege d. h. durch den Schluss
von den Funktionen der Seele auf ihr Wesen. Ut dum ex-
perior me velie, scio animam meam certissime esse et dum
considero, quod velle et intelligere sunt actus spirituales et
immateriales, concludo, quod anima est substantia spiritualis
et immaterialis et sie procedendo quicquid sciri potest per
effectum (de rer. princ. quaest. 15, 2. 7). Indem nun diese
Selbstgewissheit sich auf eine experimentatio intrinseca stützt,
zeichnet sie sich durch einen besonders hohen Grad der Festig-
keit aus. Beruht doch auch alle andere Gewissheit schliesslich
irgendwie auf der Gewissheit von dem subjektiven Erleben der
betr. Eindrücke und Species. Das gilt auch vom religiösen
Leben: non aliunde scio me credere nee certus sum me velle
credere et velle articulis assentire (ib. 3). Aber dieser Zu-
sammenhang schliesst nicht aus sondern ein, dass wir des
Seins unserer Seele erst dadurch gewiss werden, dass wir ihre
106 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
Funktionen in der Richtung auf bestimmte Objekte wahr-
nehmen : pervenit anima ad percipiendum se esse per illud
quod actu intelligit et sentit (ib. 9).
Doch was ist es mit den beiden anderen Formen der Er-
kenntnis? Was zunächst die spekulative anlangt, so ist leicht
ersichtlich, dass wir dieselbe von unserer eigenen Seele in ge-
nau der Weise wie von jeder anderen Seele erlangen werden,
denn die Untersuchung über die Quiddität wird hier und dort
mit den gleichen Mitteln geführt werden müssen (4). Gibt
es eine intuitive Erkenntnis der eigenen Seele? Dies wird von
vielen verneint. Duns will es aber bejahen, unter Berufung
auf die Autorität Augustins. Er meint, dass die Seele sich
selbst unmittelbar wahrnimmt. Durch die Erkenntnis ihrer
innersten Akte, wie etwa, dass sie lebt, will, strebt, erkennt
sie nicht nur, dass sie ist, sondern auch was sie ist (et quia
est et quid est, 19. 25). Hierfür kann man einen inneren
geistigen Sinn annehmen, der, ebenso w^ie die fünf Sinne sich
nach aussen richten, sich nach innen wendet (20). Nun ist es
aber Duns nicht entgangen, dass auch bei dieser Betrachtungs-
weise zunächst die seelischen Funktionen, wie sie auf bestimmte
äussere Objekte gehen, und dann erst die Seele selbst Gegen-
stand der Erkenntnis werden könnte. Was er dagegen ein-
wendet, ist nicht überzeugend, Er hält es für angemessen,
dess die Seele von der unvollkommeneren durch die Sinnlich-
keit vermittelten Erkenntnis fortschreite zu der vollkommeneren
Art der direkten Selbsterkenntnis (21). Aber wer sieht nicht,
dess dies Argument sehr wohl gegen die intuitive und für die argui-
tive Entstehung der Selbsterkenntnis ausgebeutet werden könnte?
Was nun weiter die Erkenntnis der seelischen Habi-
tualitäten anbetrifft, so meinte man, dass während die Seele
ihre Essenz durch den Fortschritt vom Dass zum Was
kennen lerne, die Erkenntnis des Habitus vom Was aus sich
des Dass bemächtige. Man müsse also zuerst wissen, was
Keuschheit ist, ehe man das Dasein dieses Habitus in sich
feststelle. Das ist nach Duns falsch. Man wird nämlich die
Keuschheit in sich zunächst an Akten und dann erst an dem
aus diesen hervorgegangenen regelmässigen und ordentlichen
Besitz, dem Habitus, zu erkennen haben. Wie also zuerst der
Selbsterkenntnis der Seele und ihrer Habitus. 107
Akt und dann der Habitus ist, so wird auch zuerst in Bezug
auf den Akt und dann erst in Bezug auf den Habitus sich
erkennen lassen , was man an ihnen als keusch bezeichnet.
Das ist das logische Verhältnis, während zeitlich jene Er-
kenntnis vom Was zugleich gewonnen wird vom Akt wie vom
Habitus (22). Jedenfalls aber ist bei dieser Sachlage die
obige Unterscheidung unveranlasst. Das ist sie freilich, wenn
man sie so deutet, dass in Bezug auf den Habitus jene Er-
kenntnis des Was erst neugewonnen werden muss, statt dass
sie von den Akten her für den Habitus vorausgesetzt würde.
Das Resultat der ganzen Betrachtung ist also folgendes.
Auf dem arguitiven Wege d. h. durch Schlüsse gewinnt die
Seele die Erkenntnis, dass sie ist und dann was sie ist. Sie
schreitet also fort von der Beobachtung ihrer Akte z. B. des
Denkens zu der Erkenntnis ihrer Potenz, z. B. dass sie in-
tellektiv ist, dann zur Erkenntnis ihrer Substanz, etwa dass sie
immateriell ist. Aber die Seele bedient sich auch des Weges
der unmittelbaren Intuition in Bezug auf das Was ihrer Essenz
und ihres Habitus (vgl. 24 ff.).
Aber wie steht es hier mit der Frage nach den Species ?
Duns meint, es sei klar, dass wenn die Seele ihre Essenz
oder ihre Habitus erkennen soll, von diesen etwas in sie
hineingesandt werden muss. Das sind species, aber nicht species
impressae, die von aussen in die Seele hineingeführt werden,
sondern species expressae d. h. Gestaltungen, in denen die
Seele sich selbst ausprägt. Soll also die Seele sich erkennen,
so muss sie in sich selbst eine similitudo ihres Seins und
Wesens erzeugen, auf die sich der Intellekt richten kann.
Aber diese Thätigkeit des Intellektes ist trotzdem intuitiv
oder direkt (27). Mit anderen Worten : In dem Akt der Selbst-
erkenntnis wird die Seele als Subjekt wie Objekt gesetzt. Sie
kann also den Erkenntnisakt in Bezug auf sich selbst nur voll-
ziehen, indem sie sich selbst objektiviert d. h. ein Bild von
sich erzeugt, auf welches als Objekt sich dann der Intellekt
als Subjekt richten kann. Das ist die species expressa. Und
hieraus ergibt sich dann, dass und in welchem Sinn man eine
intuitive Selbsterkenntnis der Seele annehmen kann.
Es braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden, dass
108 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
diese intuitive Erkenntnis nur in Bezug auf das Selbstleben
der Seele Geltung hat, dass aber jede Erkenntnis des ausser-
halb unser Gelegenen nur auf dem oben beschriebenen Wege
durch die species impressae erlangt werden kann.
7. Es mag an diesen Grandzügen der Erkenntnistheorie
des Duns Scotus für unseren Zweck genug sein. Es hat sich
uns bestätigt, dass dieselbe im Ganzen die Linie der aristo-
telisch-thomistischen Lehre einhält. Aber nicht minder muss
es einleuchten, dass auch hier die eigene Weltanschauung
unseres Denkers sich geltend macht. Ich verweise auf die
Hauptzüge. Mit grosser Energie wird ein Empirismus des
Erkennens verfochten. Gewisse Erkenntnisse lassen sich nur
erwerben auf Grund der sinnHchen Wahrnehmung und in
steter Berührung mit den Objekten derselben. Die Erfahrung
ist die dauernde Grundlage aller Erkenntnis. Nicht die Spe-
kulation, sondern die Empirie begründet und erhält die Er-
kenntnis. Ereilich diese Gedanken werden limitiert durch
andere Elemente der scotistischen Philosophie: Die schwer zu
kontrolierende Thätigkeit des intellektuellen Habitus principi-
orum, sowie die mit dem Realismus zusammenhängende An-
nahme der species. Aber trotzdem wird in dieser Seite der
scotistischen Erkenntnistheorie ein Element eines gewissen
Fortschrittes wahrgenommen werden müssen.
Neben den Empirismus tritt der Subjektivismus. Das
Erkennen ist eine That des Menschen. Wir selbst erkennen,
obgleich alle Erkenntnis sich an sich in einem naturnot-
wendigen Kausalzusammenhang (s. oben S. 90) vollzieht.
Aber innerhalb dieses Zusammenhanges hat der Intellekt doch
die Möglichkeit die sinnlichen Eindrücke zu verbessern und
vermöge seines Zusammenhanges mit dem Willen (oben S. 93 f.)
sie zurückzudrängen. Die empirisch erw^orbenen Gedanken-
bilder sind Inhalt des Menschen nur, sofern er selbst sie in
sich intellektuell realisiert, sie sind ein schlechthin subjektiver
Besitz. Nicht im Sinne aprioristischer Spekulation ist der
Subjektivismus hier zu verstehen, sondern als geistige Aneignung
des objektiv Gegebenen. So schliesst sich dieser Zug mit dem
Empirismus zusammen und ist gerade in diesem Zusammen-
hang zu einem wichtigen geschichtlichen Faktor geworden.
Empirismus, Subjektivismus, Positivismus. 109
Trotz seines „Realismus" ist Duns auch hierin als Vorläufer
des Occam und der modernen Theorien der Erkenntnis zu be-
zeichnen.
Ein dritter Punkt, der auch hier zu erwähnen ist, betrifft
die feine und sorgfältige Beobachtung des Seelenlebens bei
Duns. Auch hier begegnet uns wieder eine gewisse Konkretheit
der Anschauung. Immer wieder spielen die Sinneseindrücke in
das intellektuelle Gebiet und dieses in jenes hinein, wiewohl
die Theorie an der abstrakten Scheidung beider Gebiete fest-
hält. Aber das Bild des Menschen mit seinen Empfindungen,
Vorstellungen und dem Denken, mit seinen Trieben und dem
Herrscher Willen ist doch belebter, einheitlicher und frischer
geworden als bei den Vorgängern des Duns. Das bewährt
auch die Erkenntnistheorie etwa durch die Erörterungen über
die Entstehung der Erkenntnis sowie über die Selbster-
kenntnis.
Diese erkenntnistheoretische Methode verleugnet sich auch
in der theologischen Spekulation nicht. Überall setzt der
Denker bei der Analyse des wirklich Gegebenen ein. Gegeben
ist die Kirchenlehre, gegeben ist aber auch das Empfinden und
Erleben der Christenheit und des religiösen denkenden Menschen
überhaupt. Hier liegt der Ausgangspunkt und ^zugleich der
Kontroiapparat für die theologische Spekulation. Von unten
steigt sie nach oben. Aber es werden nun für die obere Welt
Schlüsse gezogen und Eormeln gebaut, die den uns nicht mehr
verständlichen Glauben des „Realisten" an seine Metaphysik
bezeugen. Gleich die Lehre von Gott und seinen Eigenschaften
bestätigt in lehrreicher Weise diese Methode des Duns nach
beiden Seiten hin. Das Ineinanderlaufen von Empirismus und
dogmatischem Positivismus und von ungemessener Vernunft-
kritik und kühnster Spekulation in der Dogmatik des Duns
Scotus erklärt sich von diesen erkenntnistheoretischen und
metaphysischen Eigentümlichkeiten seines Denkens her.
8. Fast scheint es, als wenn die Erkenntnistheorien der
Theologen mit einem eigentümlichen Geschick behaftet sind.
Entweder sind sie so beschaffen, dass sie keine Lehre vom Er-
kennen aufstellen, oder aber sie werden recht rationell ge-
zimmert, um aber über der Anwendung auf die theologischen
110 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
Objekte bald iu Vergessenheit zu kommen. Es geht beinahe
her wie bei den Biblizisteu aller Zeiten: wenn ihre schönsten
Einfälle zur Perzeption kommen sollen, werden die Grundsätze
über die rechte Auslegung der Bibel nicht ganz selten suspen-
diert. Um so reizvoller ist es, sich zu fragen, wie ein Fürst
in der Theologie und Philosophie, wie Duds Scotus, sich mit
seiner Erkenntnislehre seiner Theologie gegenüber abgefunden
hat? Diese Frage führt uns hinüber zu den theologischen
Prinzipien des Duns Scotus.
Wir sahen, dass es keine andere gewisse Erkenntnis gibt,
als die auf Grund der sinnlichen Erfahrungen durch vernunft-
notwendige Begriffe, Urteile und Schlüsse gewonnene. Lassen
sich die theologischen Begriffe auf diesem Wege gewinnen ?
Der beherrschende Begriff der Theologie ist der Gottesbegriff.
Ist eine Erkenntnis Gottes erreichbar? Diese Frage ist zu
bejahen. Indem nämlich auf dem Wege der zurückverfolgten
Kausalbetrachtung der Erscheinungen in der Welt, der Be-
griff des unendlichen Seins, das als wollende Ursache wirksam
ist, gewonnen werden kann (s. unten), ist der Gedanke des
persönlichen unendlichen Gottes als notwendige Folgerung an-
zunehmen. Allein Duns schränkt dies Resultat alsbald wieder
ein. Die Begriffe von Gott, die auf diesem Wege erworben
werden, sind nämlich univok oder gleichartig unseren sonstigen
an Naturobjekten gebildeten Begriffen , da sie ja auch an
solchen ihren Ursprung genommen haben. Ist nun Gottes Sein
dem allgemeinen Sein so zu subsumieren, dass Gott mit der
Kreatur univokes Sein zukommt? Daran scheinen sich be-
denkliche Konsequenzen knüpfen zu können. Heinrich und
die Thomisten hatten die Frage daher verneint. Wie stellt
sich Duns Scotus zu ihr? Er stellt zunächst fest, dass die
causa vor dem causatum voraus habe das jarius et principalius
esse. Wenn nun trotzdem der Seinsbegriff ebenso auf den
Schöpfer wie das Geschöpf angewandt wird, so soll damit
keineswegs Gottes Sein dem der Kreatur gleichgesetzt werden:
non est unitas geueris, sed est unitas analogiae. Nach Aristo-
teles ist das ens kein genus. Die unitas generis ist die Aus-
sage von der natürlichen Einheit, wie sie in all den Individuen
des Genus vorliegt. Die unitas analogi kommt dadurch zu
Die Erkenntnis Gottes. IIX
stände, dass man zwei Dinge zu einem Begriff so in Beziehung
setzt, dass dieser eine gemeinsame Beschaffenheit beider be-
zeichnet; z. B. die Gesundheit in Beziehung auf die Speise
wie auf den Urin. Oder auch so, dass von dem einen Ding
die Beschaffenheit des anderen vermöge seiner Beziehung zu
demselben ausgesagt wird ; so wird z. B. von dem Accidenz
das Sein ausgesagt, sofern es Teil hat an dem Sein der Sub-
stanz, wodurch aber eine eigene Entität desselben nicht aus-
geschlossen ist (de princ. rerum quaest. 1 art. 3, 15). Da nun
das Sein kein Genus ist, indem sonst alles Seiende gleichartig
sein müsste, da die Differenz durch das Genus ausgeschlossen
wird, so kann die Gemeinsamkeit des Seins auch nicht als ge-
nerische, sondern nur als analoge Einheit aufgefasst werden
(ib. 16). Gott und die Kreatur haben das Sein nicht in
gleicher Weise, denn Gott ist das schlechthin reine und ein-
fache Sein, das Sein der Kreatur ist abgeleitetes Sein, sie hat
das Sein als von einem anderen überkommen : de se non habet
esse, sed ab efficiente. Es kann also nicht von einem univoken
Sein Gottes und der Welt geredet werden (deo et creaturae nihil
reale est commune), sondern nur das Verhältnis der Analogie
zwischen dem an sich seienden Sein Gottes und dem ge-
setzten Sein der Welt angenommen werden (1. c. quaest. 19
art. 1, 4. 7).
Aber trotz dieser Widerlegung der Univozität des Seins
vermag Duns nicht in Abrede zu stellen, dass die Erkenntnis
Gottes, indem sie auf dem Boden der wahrnehmbaren Wir-
kungen Gottes in der Welt erfolgt, nach ihrer positiven Seite
sich in Vorstellungen, die dem Weltsein univok sind, ergehen
wird. Das hängt mit ihrem Ursprung zusammen.
Indem wir ausgehen von dem innerweltlichen Kausal-
zusammenhang, denken wir Gott als unendliche Ursache des-
selben, und zwar so, dass wir ihn von den Unvollkommenheiten
der endlichen Ursachen entschränken und die Vollkommen-
heiten letzterer für ihn auf das äusserste steigern. Aber
gerade diese Beobachtung beweist die Univozität unseres
Gottesbegriffes mit unseren weltlichen Begriffen (s. Sent. I
dist. 3 quaest. 2, 8. 10). Dazu kommt, dass wir auch formell
Gott nur in Begriffe fassen können, die uns als species dieser
112 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
Welt eingedrückt wurden, wie die Begriffe bonum, summum,
actus, die wir zusammenordnen, um den Begriff summum
bonum actualissimum zu bilden. Nun kann man allerdings den
Gottesbegriff, indem man ihn schlechthin vollkommen fasst,
auf eine alle Kreatur überragende Höhe steigern, nämlich zum
Begriff des ens simpliciter infinitum. Der Begriff" der Un-
endlichkeit würde dann nicht nur negativen Sinn haben, sondern
positiv den modus intrinsecus illius entitatis ausdrücken (ib. 17).
Er bringt etwas zum Ausdruck, was nur Gott und keiner
Kreatur eigen ist. So versteht es sich, dass Duns den Begriff
des unendlichen Seins als den entsprechendsten Ausdruck für
Gottes Wesen bezeichnen kann ; es ist die Formel , die sich
am höchsten über die kreatürlichen Species erhebt. Aber
trotz des Vertrauens, das Duns zu dieser Formel hegt, bleibt
es dabei, dass das Wesen Gottes erkenntnismässig nur in
seiner Univozität mit dem kreatürlichen Sein erfasst werden
kann: quod deus non est a nobis cognoscibilis naturaliter nisi
ens sit univocum creato et increato (1. c. quaest. 3, 9).
Im übrigen ist klar, dass die geistigen Wesen, also auch
Gott für den Geist erkennbar sind; nur das bedeutet die Be-
ziehung der Erkenntnis zu sinnlichen Eindrücken, dass der
modus cognoscendi an sinnliche Eindrücke gebunden ist. Ich
erkenne den Stein, indem die sinnliche Wahrnehmung für mich
Trägerin einer göttlichen Idee wird (ib. § 2 — 4).
Demnach ist eine Erkenntnis Gottes für den Geist er-
reichbar, mag dieselbe auch nicht schlechthin adäquat sein
(vgl. noch 1. c. § 26. 27). Aber die theoretische Erkenntnis
Gottes, die auf diesem Wege erreicht werden kann, ist nicht
spezifisch theologische Erkenntnis. In der Theologie handelt
es sich nämlich nicht um die theoretische Erkenntnis Gottes
als der causa prima, sondern um die praktische Erkenntnis
Gottes als des finis ultimus. Und in der Theologie ist eben-
falls nicht das allen gemeinsame Resultat der spekulativen
Weltbetrachtung massgebend, sondern die positive Lehre der
Bibel und der Kirche, die von besonderen kontingenten Thaten
Gottes berichtet, die als solche für die auf dem Weg der
Kausalität einherschreitende Metaphysik unzugänglich sind.
Somit unterscheidet sich der Begriff der scientia philosophica
Die theologischen Erkenntnisprinzipien. 113
auf das deutlichste von der scientia theologica. Letzterer Be-
griff bezeichnet also bei Duris nicht das, was wir „theologische
Wissenschaft" nennen, sondern vielmehr das „religiöse Erkennen"
im Unterschied zum theoretischen Erkennen. Die genauere
Bestimmung dieses Gegensatzes kann erst unten erfolgen. Hier
genügt es festzustelleD, dass Duns folgerichtig den besonderen
Charakter des religiösen Erkennens gegenüber der Wissenschaft
aufrecht erhalten hat. Demgemäss wird aber in der Religion
ein anderer Weg des Erkennens und eine andere Gewissheit
anzunehmen sein als die der wissenschaftlichen Evidenz. Das
ist klar, weil es sich in der Eeligion um kontingente geschicht-
liche Thatsachen handelt, während die an Aristoteles ange-
knüpfte Erkenntnislehre eigentlich nur dem naturwissenschaft-
lichen und metaphysischem Erkennen entnommen ist. Demnach
hat Duns darüber keinen Zweifel gelassen, dass in der Religion
eine andere Erkenntnismethode waltet, als in der Metaphysik
und Physik.
Indem aber der wissenschaftliche Beweis der Richtigkeit
theologischer Sätze aus ihrer Übereinstimmung mit dem Natur-
recht geführt werden soll (s. unten), wird freilich in der theo-
logischen Darstellung das rationale Element eine selbständige
Bedeutung beanspruchen. Dazu kommt als selbstverständlich,
dass die Theologie als Wissenschaft die dialektische Methode
auf das strengste zu handhaben hat.
Wir wenden uns nun der Frage nach den Quellen und
dem Wesen der religiösen oder theologischen Erkenntnis zu.
II. Die theologischen Erkenntnisprinzipien.
1. Die Offenbarung in der heiligen Schrift unddie
Lehre der Kirche.
1. Der Bestand der Theologie als der Wissenschaft des
religiösen Erkennens der Kirche hängt ab vom Bestand einer
besonderen Offenbarung. Dieser Begriff weist aber sofort
in eine bestimmte Richtung. Nicht um abstrakte Erkenntnis,
sondern um die praktische Regelung des Lebens handelt es
sich. Nach philosophischer Anschauung kann der Mensch, ver-
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 8
114 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
möge seiner Vernunft, aus der Thätigkeit der natürlichen Ur-
sachen, die zur Lebensführung nötige praktische Erkenntnis
erlangen. Allein der Theologe muss sagen, dass auf diesem
Wege der Mensch nicht zur deutlichen Erkenntnis seines Zweckes
gelangen kann. Das zeigt sich daran, dass die Philosophie es
zu keiner übereinstimmenden Fixierung dieses Zweckes hat
bringen können. Als wollendes Wesen strebt der Mensch aber
einem letzten Zwecke nach. Welches ist dieser Zw^eck? Ent-
spricht ihm derselbe, durch welche Mittel ist er zu erreichen?
Darüber muss er sich als denkendes Wesen klar werden. Hier
wird die Offenbarung notwendig. Sie verständigt den Menschen
darüber, über den Zweck und wie er zu erreichen ist, was hier-
zu erforderlich ist und dass die vorhandenen Mittel dem Zweck
entsprechen. Daher heisst es: quod sacra scriptura est quaedam
notitia divinitus data ad dirigendum homines in finem
supernaturalem (Miscell. quaest. 6, 18). Indem aber Gottes
freier Wille die Seligkeit als den letzten Zweck setzt und unsere
Thaten als Verdienste d. h. als Mittel zu diesem Zweck gelten
lässt, wird deutlich, dass nur eine direkte göttliche Offenbarung
über die bezeichneten Punkte belehren kann. Gott ist frei
und handelt nach seinem freien Willen, also kann nur eine
Selbstmitteilung Gottes über seine Absichten aufklären. Hoc
antem non est naturaliter scibile, ut videtur, quia in hoc errabant
philosophi ponentes omnia quae sunt a deo imraediate, esse
ab eo necessario (Sent. Prolog, quaest. 1 § 6—8 cf. IV dist. 14.
quaest. 3, 3). Und zwar gilt die Notwendigkeit einer Offen-
barung nicht so sehr für die einzelnen Wahrheiten , als für
ihren Zusammenhang. Der einzelne Begriff wird nämlich im
intellectus possibilis durch das Zusammenwirken des Phantasma
und des intellectus agens erzeugt; auf diese Weise können aber
auch die einzelnen Begriffe der religiösen Anschauung im
Menschen hervorgebracht werden, ohne dass es einer Offen-
barung, etwa durch einen raptus bedürfte. Dagegen wäre die
Verbindung dieser Begriffe unter einander ohne Offenbarung
nicht aufzufinden. Es könnte also jemand die Begriffe Gott
und Dreieinigkeit auf natürlichem Wege überkommen. Es ist
aber nicht möglich, dass er auf dem Wege der natürlichen
Erfahrung die richtige Komplexion diese Begriffe mit Sicherheit
Die Notwendigkeit der Offenbarung. 115
entdeckt (vgl. Sent. prol. qu. 1, 16. 21). Also bedurfte es der Offen-
barung als eines testimonium supernaturale der Wahrheiten, welche
die natürliche Weltbetrach tun g nicht zu erreichen vermochte.
Prima traditio talis doctrinae dicitur revelatio.
Diese Offenbaruug der richtigen Lehre liegt in der
heiligen Schrift vor. Sie ist übernatürlich, weil sie von einem
agens ausgeht, welches nicht der natürliche Beweger unseres
Geistes ist. Nun schliesst diese Deutung der Übernatür-
lichkeit der Schrift eine andere in sich. Das Agens kann ge-
dacht werden als Vertreter des Objektes, von dem es handelt.
Es wird vollkommen diese Vertretung ausüben, sofern es voll-
kommene Erkenntnis von dem Objekt, als wenn dieses selbst
sie gewirkt hätte, zu erzeugen vermag; es wird sie unvoll-
kommen leisten, wenn es nur eine unvollkommene Erkenntnis
zu wecken vermag. Nun erzeugt aber die Schrift etwa von
der Trinität nur eine gewisse dunkle Erkenntnis. Sofern diese
aber enthalten ist in der klaren Erkenntnis, die von Gott selbst
als dem Objekt ausgeht, vertritt die Schrift die Wirkungen
von Gottes Gegenwart. Pro quanto igitur haec notitia obscui'a
in illa clara includitur eminenter, sicut imperfectum in perfecto,
pro tanto revelans hanc obscuram et causans supplet vicem
obiecti illius clarae notitiae causativi . . . Oportet, quod in
causando etiam istam obscuram aliqualiter suppleat vicem obiecti
super naturalis (ib. 22). Die Schrift oder die in ihr enthalten«
Lehre ist also der Vertreter Gottes, und in diesem Sinn und
sofern sie Gottes Wesen unter den Menschen bekannt macht,
übernatürlich und göttlich. Freilich ist der Inhalt der Schrift
eine Lehre, die rechte Lehre von Gott, aber von ihr geht nicht
eine Wirkung aus, als wenn ein agens supernaturale einem
Menschen etwa die ganze Geometrie plötzhch eingösse, sondern
es sind menschliche Worte, die ein freilich nur dunkles Bild
von Gott zu geben versuchen und so Vertreter Gottes und um
deswillen auch übernatürlich sind. Wie ruhig und rational
ist diese Betrachtungsweise der Schrift gehalten.
Aber nicht eine Theorie will die Schrift darbieten, sondern
positive und praktische Wahrheiten (necessaria ad salutem, prol.
quaest. 2, 6).
2. Was nun weiter die Frage nach der Entstehung der
8*
116 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
heil. Schrift anbetrifft, so gilt die ganze Schrift als von Gott in-
spiriert, für wahr (quod deus inspiravit totam sacrara scrip-
turam, et quod ipse est veritas infaUibilis (IV dist. 14, quaest.
3, 5). Wie aber die Inspiration stattgefunden hat: an ex
locutione iuteriore an exteriore, an cum aliquibus signis adhibitis
sufficientibus ad causandum assensum, das erklärt Duns für
dubium. Beides ist möglich, nicht aber könne in diesem
oder jenem Fall ein Mensch als Offenbarungsmittler gedacht
werden (sed neutro modo potuit ab homine sine errore, primo
tradi, prol. quaest. 1, 23). Eine feste Inspirationstheorie gab
es noch nicht, nur darum handelte es sich, dass die Schrift
als die Offenbarung Gottes anerkannt wird.
Da nun aber die Juden das Neue, die Manicbäer das Alte
Testament leugnen, die Sarazenen aus beiden einiges annehmen,
immunditias innumeras hinzumengend, die Häretiker schlecht
verstandene Schriftlehren in den Vordergrund rücken, die übrigen
dafür vernachlässigend (ib. quaest. 2, 1), so muss auch auf ge-
schichtlichem Wege der Nachweis für die Glaubwürdigkeit der
heil. Schrift erbracht werden. Die Gründe für die Wahrheit der
Schrift sind folgende. 1. Nur Gott kann Kontingentes vorher-
sehen, also nur er oder ein von ihm Unterwiesener (ab illo
instructus) kann es vorhersagen. Nun sind Weissagungen er-
füllt, also ist der Beweis erbracht (ib. 3). — 2. Die Überein-
stimmung der vielen Verfasser, die doch diversimode dispositi
waren, begreift sich nicht, nisi a causa superiori ipsorum
intellectus inclinentur ad assensum; wollte man diese aus der
Abhängigkeit der jüngeren von den älteren Autoren erklären,
so trägt das nichts aus, denn in den Schulen der natürlichen
Weisheit widersprechen nicht selten die Jünger dem Meister
(Aristoteles u. Plato) oder schlagen ganz verschiedene Wege
ein (Aristipp u. Antisthenes). Ferner haben Jeremia und Ezechiel
gleichzeitig und ohne von einander zu wissen, Übereinstimmendes
geweissagt (4). — 3. Die Glaubwürdigkeit der Verfasser, welche
selbst die Lüge verdammen, also doch nicht selbst lügnerisch
Gott Worte in den Mund gelegt haben werden, zumal sie
bereit waren, für ihre Lehre Verfolgung zu ertragen. Sollten
aber doch diese Bücher von anderen herrühren, wer sollte sie
dann geschrieben haben? Nichtchristen werden sie doch nicht
Die Wahrheit der inspirierten Schrift. 117
verfasst haben , da sie zur VerherrlichuDg des Christeütums
dienen ; und Christen : quomodo illi christiani mendaciter tales
eis adscripserunt, cum lex eorum damnet mendacium? Auch
sei die Überlieferung der Bücher unter ihren Namen bei jener
Voraussetzung unerklärlich (5). — 4. Ein weiterer Beweis ergiebt
sich aus der Sorgfalt, mit welcher Synagoge wie Kirche über
den kanonischen Schriften gewacht haben. Will man nun nicht
auf jenen Standpunkt treten, der jede Überlieferung von kon-
tingentem Geschehen in Frage stellt, so wird man dem, was
die communitas aufbewahrt hat und in höchsten Ehren hält,
sein Vertrauen schenken müssen (6). — 5. Weiter, die ganze
Schrift enthält nur honesta et rationi consona. Was kann
es Vernünftigeres geben als das Gebot Gott und den Nächsten
zu lieben? Und sowohl die moralischen Ordnungen als die
Sakramente erweisen sich nach allen Seiten hin als quasi
quaedam explicatio legis naturae. Der Inhalt der Schrift ist
also wegen seiner Vernünftigkeit glaubwürdig (9). — 6. Wie
unvernünftig sind dagegen die Lehren der Widersacher der
Schrift! Wie thöricht die Juden, die das Neue Testament ver-
werfen, obwohl das Alte es bezeugt, wie insipid ihre Cere-
monien ohne Christus! Ebenso die asini Manichaei mit der
Thorheit vom primum malum, cum ipsi etsi von primi, tarnen
valde mali essent. Oder: Quid Saraceni vilissimi porci,
Mahometi discipuli, pro suis scripturis allegabunt, exspectantes
pro beatitudine quod porcis convenit seil, gulam et coitum!
Sinnlos aber ist es auch nur Teile des Kanons oder einzelne
Sprüche anzunehmen, cum ecclesia catholica cui credendo
canonem recipio, recipiat totum aequaliter (8). — 7. Die Kirche
ist beständig und bleibt stets dieselbe, während die Sekten ver-
gehen und auch die secta Mahometi im Jahr 1300 erheblich
geschwächt ist und nach einer ihrer Weissagungen bald zu
Grunde gehen wird (9). — 8. Dazu kommen die Wunder, welche
die Wahrheit der Schriftlehre bezeugen, sowohl die in der
Schrift berichteten als das grosse Wunder des Sieges des
Christentums : quid enim incredibilius quam ut ad legem con-
trariam carni et sanguini doctores pauci et rüdes et pauperes
possent plurimos potentes ac sapientes convertere, man denke an
den Manichäer Augustinus, an den Philosophen Dionysius, an
118 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
den Magier Cyprian (10) ! Diese Wunder wurden als Zeugnisse
begehrt. Wegen der AVahrhaftigkeit Gottes ist es nun nicht
denkbar, dass Gott sie, auch wenn sie nicht Zeugnisse wären,
sollte in Geltung bleiben lassen. Dass aber die Wunder nicht
dämonischer Provenienz sind, beweisen Wunder wie der Raptus
des Paulus oder die Vorhersagungen, die ihrem Wesen nach
nur von Gott herrühren können (11 f.)- — Schliesslich 9. beruft
sich Duns aut das bekannte Zeugnis des Josephus (Antiq.
XVIII, 9), auf das sibyllinische Akrostichon Augustins (de civ.
dei XVIII, 23), sowie 10. auf die Vielen, welche in der Wahr-
heit der Schrift ihr Heil gefunden haben (13).
Das Resultat dieser Betrachtung ist: quod doctrina
canonis est vera. Indem aber die Schrift sowohl das
Ziel des Menschen, nämlich: visio et fruitio dei, als auch die
zur Erreichung desselben nötigen und ausreichenden Mittel
(credenda, speranda, operanda) aufzeigt, ist weiter zu urteilen:
qtiod Sacra scriptura sufficienter continet doc-
trinam necessariam viatori (14). Hiegegen darf nicht
eingewandt werden, dass manches in der Schrift unnötig zu
sein scheine. Die Geschichten sind im einzelnen oft exempla
legis declarativa und : similiter ex toto processu scrip-
tura e patet ordinata dei gubernatio respectu hominis
et totius creaturae (ib. 15).
3. Um Missverständnisse zu verhüten, möchte ich nur be-
merken, dass diese Anschauung von der Schrift im allgemeinen
der im Mittelalter giltigen konform ist (vgl. z. B. Thomas
Summ, theol. I quaest. 1 art. 5. 10. 8; II. II quaest. 171. a. 6.
2. qu. 172 a. 3. Bonaventura Breviloq. 5, 7), im einzelnen geht
Duns hier oft auf augustinische Aussprüche zurück. — Gott
hat sich in der Schrift offenbart, sie enthält die ganze Heils-
wahrheit, d. h. die Lehre von Gott. Demgemäss kann dann
auch die Behauptung ausgesprochen werden, dass die heilsnot-
wendige Lehre notwendig in der Schrift stehen müsse: quae
autem sunt necessaria ad salutem oportet esse expresse in
Sacra scriptura (Miscell. quaest. 6, 18). Dabei wird ausdrück-
lich festgestellt, dass zu diesem autoritativen Zweck nur die
kanonischen Schriften, nicht aber auch die alttestamentüchen
Apokryphen — nach Hieronymus und Augustin — zur Ver-
Schrift, Symbol, Tradition. 119
wencluDg kommen dürfen (ib. 3) und dass man den Schrift-
beweis nur aus dem "Wortlaut der Schrift entnehmen darf:
solum potest argui aliquid seu probari ex sensu litterali (ib. 4).
Es scheint Duns also sehr Ernst mit der Lehrautorität der Schrift
zu sein. Dieser Gesichtspunkt bewährt sich auch an der
Behauptung, dass diese Wahrheit in knapper Form zusammen-
gefasst ist in den 14 articuli fidei oder dem apostolischen
Symbolum (Sent. III dist. 25 quaest. 1, 4) oder auch in den
drei Symbolen der Kirche (I dist. 26 quaest. unic. 25). Doch
ist Duns auf diesen Gedanken nicht weiter eingegangen, wie
etwa Thomas oder Bonaventura u. A. Doch hat er I dist. 11
quaest. 1, 5 seine Anschauung klar angedeutet. Was im
Apostolikum steht, ist, auch wenn das Evangelium es nicht
lehrt, wie die Höllenfahi-t: tenendum est sicut articulus
fidei, quia ponitur in symbolo apostolorum. Die
übrigen Symbole entstanden contra diversas haereses de novo
Orientes, quia quando iusurgebat nova haeresis, necessarium
erat declarare veritatem, contra quam erat illa haeresis.
4. Der zuletzt bezüglich des Apostolikums angeführte
Satz weist aber bereits über die alleinige Autorität der Schrift
hinaus. Ebenso hat nun Duns sehr oft als entscheidende
Autorität auch das Urteil nicht nur älterer und neuerer Väter
der Kirche, sondern vor allem die Meinung der römischen
Kirche eingeführt. Die Kirche besitzt die Wahrheit, mag sie
sie aus der Schrift oder aus den Traditionen der apostolischen
Zeit oder aus den Feststellungen von Konzilien und Päpsten
beziehen. Neben die biblische Überlieferung als Wahrheits-
quelle tritt mit aller Deutlichkeit die kirchliche Tradition.
Vieles aus der Sakramentslehre geht nicht auf Christus zu-
rück: et tamen ecclesia tenet illa esse tradita certitudinaliter
ab apostolis et periculosum esset errare circa illa quae non
tantum ab apostolis descendunt per scripta, sed etiam quae
per consuetudinem universalis ecclesiae tenenda
sunt. Aus dem Wort Joh. 16, 12 f. wird gefolgert: multa
igitur docuit eos Spiritus sanctus quae non sunt scripta in
evangelio et illa multa quaedam per scripturam, quaedam per
consuetudinem tradidit. Es hält sich doch auf der gleichen
Linie, wenn etwa die Höllenfahrt nur auf Grund des aposto-
120 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
lischen Symbols als Glaubensartikel auerkaDnt wird, wie wir
soeben hörten.
Die Schrift und die Kirche entscheiden also über Wahr-
heit und Irrtum der Lehre, nicht nur die Schrift, sondern
auch die Kirche. Nihil est tenendum tan quam de substantia
fidei nisi quod potest expresse haberi de scrijitura vel
expresse declaratum est per ecclesiam vel evidenter
sequitur ex aliquo plane contento in scriptura, vel plane
determinato ab ecclesia (ib. IV dist. 11 quaest. 3,5; ebenso
I. dist. 26 quaest. unica § 26). Ob eine Meinung häretisch
ist oder nicht, hängt somit blos vom Spruch der Kirche ab.
"Was zur Zeit des Lombarden nicht häretisch war, ist es in-
zwischen geworden (III dist. 6 quaest. 2, 1). Denn es kann
eine Meinung zwar gegen den Glauben Verstössen , ohne aber
mit der fides declarata d. h. dem kirchlich- symbolisch festge-
stellten Glauben zu kollidieren (vgl. I dist. 11 quaest. 1, 5).
Bisweilen wird das so motiviert, dass ein Teil des ius
divinum auch sine scriptura, per consuetudinem promulgiert
worden sei. JFür die strittigen Stellen gilt die Regel: eo
spiritu expositae sunt scripturae quo conditae, das ist aber
der Geist der katholischen Kirche. Et ita supponendum est,
quod ecclesia catholica eo spiritu exposuit, quo tradita est
nobis fides: spiritu seil, veritatis edocta et ideo hunc intel-
lectum eligit quia verus est. Zwar macht die Erklärung der
Kirche etwas nicht wahr ; was aber die Kirche erklärt ist wahr,
weil die Kirche ihr Verständnis von dem heil. Geist empfängt (III
dist. 11 quaest. 3, 15). Auch wenn eine Lehre von allen Autori-
täten und jeder rationalen Begründung verlassen ist, muss sie auf
die Autorität der römischen Kirche hin angenommen worden (IV
dist. 6 quaest. 9, 11.4. 16 — 17). Schliesslich hat Duns echt mit-
telalterlich im Anschluss an ein berühmtes Wort Augustins (c.
epist. Manichaei 5, 6) erklärt, dass unser Glaube an die Schrift
abhängig ist von dem Glauben an die Kirche : patet igitur per
eum quod libris canonis sacri non est credendum , nisi quia
primo credendum est ecclesiae approbanti et auctorizanti
libros istos et contenta in eis. Quamvis aliqui libri auctori-
tatem habeant ex auctoribus suis, non tamen adhaeremus eis
firmiter, nisi quia creditur ecclesiae approbanti et testificanti
Die kirchliche Autorität. 121
veraces esse eoriim auctores (Sent. III clist. 23 quaest. 1 , 4).
Die Kirche hat festgestellt, qui libri habendi sunt in canone
bibliae (I dist. 5 quaest. 1 , 8). ^) Und die Kirche bestimmt
auch darüber, qui libri habendi sunt authentici in libris docto-
rum , ihr steht das authenticare dicta eorum zu (I dist. 26
quaest. unic. 25). Ob etwas als christlich zu gelten hat, hängt
davon ab, ob es durch die Schrift, eine Erklärung der Kirche
oder eines doctor authenticus belegt werden kann (I dist. 26
quaest. unic. § 26 ; s. auch III dist. 34 quaest. unic. § 6).
Diese Autoritäten werden also in praxi koordiniert. Selbst
die Einsetzung des Abendmahls hat die Kirche nach ihrem
Gutdünken bald in gesäuertem Brot, bald in ungesäuertem
begangen nach der promulgatio des vicarius Christi. Nicht
weil die griechische Praxis der Einsetzung Christi zuwider-
läuft, sondern weil sie der päpstlichen Festsetzung wider-
spricht, ist sie Duns bedenklich (IV dist. 11 quaest. 6, 6).
Ebenso ist es gleichgiltig , ob Christus den Priestercölibat ge-
boten hat oder nicht, die Kirche tritt für ihn ein und sie
hat ,, vernünftig" entschieden: quod statutum fuerit rationabile,
sive habitum fuerit a Christo sive non (IV dist. 37 quaest.
unic. § 4). Gerade ebenso wird zwar nach 1. Kor. 7 das
,, göttliche Recht'' der Ehe zwischen Christen und Nichtchristen
anerkannt, dann aber kurzerhand erklärt, die Kirche habe es
rationabiliter anders angeordnet (IV dist. 39 quaest. unic. § 5).
— An und für sich sind die Gebote des neutestamentlichen Ge-
setzes nicht so schwer; dies Gesetz ist wesentlich eine Er-
läuterung und Vertiefung des alttestamentlichen Gesetzes (III
dist. 40 quaest. unic. § 3 ff.). Eigentliche Rechtsordnungen
hat Christus überhaupt nicht auferlegt. Dafür aber haben
die christlichen Richter um so mehr Gesetze geschaffen, für
ihre ,,Unterthanen'^ Und auch diese gelten als Bestandteile
des neuen Gesetzes. So rückt für Duns die kirchliche Satzung
auf eine Linie mit den Aussagen der Schrift. Sic ergo quan-
^) Beachte noch die rein juristische Betrachtungsweise an dieser
Stelle: Die Autorität des Lombarden steht fest, weil das Corpus iuris
nächst der Schrift kein Buch für so „authentisch" hält als das des Lom-
barden.
122 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
tum ad hoc videtur^ quod pauciora (nämlich als die alttesta-
mentlichen) sunt onera legis christianae , inquantum ipsa est a
Christo tradita , sed forte plura inquantum ipsi postea sunt
addita alia per eos qui habeiit regere populum christianum
(ib. § 6). Diesen Worten scheint sich doch fast ein Seufzer
zu entringen, eine Ahnung, dass es einst vielleicht anders
und — besser war.
Nicht anders, als etwa bei Thomas, setzt auch Duns trotz
der Anerkennung der obersten Autorität der Schrift neben
sie die jeweilige Kirchenlehre als gleichberechtigte oder schliess-
lich übergeordnete Autorität.
5. In der Kirche gilt das göttliche Recht, es sei in der
Bibel oder in den Symbolen der Kirche, in dem Kirchenrecht
oder in den Werken der kirchlich anerkannten Väter enthalten.
Aber dieser kirchliche Positivismus wird doch erweicht und
gebrochen durch die energische Verwertung der ratio. Aucto-
ritas und ratio, das waren nach Abälards Vorgang die Beweis-
mittel der Scholastik. Duns hat beide reichlich gebraucht.
Er hat sich — obwohl er mahnt auch der philosophorum antiqua
auctoritas . . . non debet facile contradici (IV dist. 13 quaest.
1, 9) — nicht gescheut, auch bei Autoritäten Irrtümer aufzu-
decken (Aristoteles: prol. quaest. 4, 42; I dist. 8 quaest. 5, 8.
III dist. 36 quaest. unica § 11 und oft; Augustin: I dist. 10
quaest. un. § 14; II dist. 27 quaest. 1, 18. Anselm: III dist.
20 quaest. unic.) und er hat mit dem Behagen des überlegenen
Verstandes die Grründe seiner Vorgänger, besonders des Thomas
und des Heinrich von Gent, zerpflückt. Er hat kaum etwas
gelehrt, was von auctoritates ganz entblösst gewesen wäre, aber
sein Herz hing am rationalen Element, am Beweis. Si sint
rationes aliquae necessariae pro creditis, non est periculosum
eas adducere nee propter fideles nee propter infideles (Sent. II
dist. 1 quaest. 3, 9). Und auch der Fall ist sehr wohl denk-
bar, dass eine Lehre eingeführt wird, die zwar die Autorität
nicht für sich aber auch nicht wider sich hat. Licet tenendum
sit pro vero quidquid tradidit auctoritas, non tamen est
negandum esse verum quidquid ipsa non tradidit
(I dist. 26 quaest. un. 26). Hiefür beruft sich Duns auf
Joh. 20, 30. Ein merkwürdiger Gedanke, der konsequent
Die Aufgabe der Theologie. 123
durchgeführt, den ganzen Positivismus aufheben müsste. In-
dessen hat Duns derartige Konsequenzen nicht gezogen. Duns
war ein dialektisches Genie, aber das erklärt nicht das rationale
Element in seiner Lehre. Ihm war das Wunderbare etwas inner-
lich Fremdes. Seine innere Stellung zum Wunderbaren spricht sich
unübertrefflich in seiner Behandlung der Transsubstantiation aus :
concedo quod etiam in creditis non sunt plura ponenda sine
necessitate ^), nee plura miracula quam oportet. (IV
dist. 11 quaest. 3, 14 vgl. unten). Nun ist aber in der Kirche
wie im Staat ein positives Gesetz vorhanden. An Aufhebung
desselben hat Duns nie gedacht, so klar er oft seine Schwächen
angedeutet hat. Wie das staatliche Gesetz gedeutet und der
Vernunft näher gebracht wird durch das Naturrecht, so auch
das Dogma und das Kirchenrecht durch die Übereinstimmung
mit der ratio. Das Vernünftige und das Kirchliche stehen zu-
sammen. Dass etwa ein votum solemne Ehehindernis ist, wird
so begründet: quod ecclesia illegitimavit sie voventem, et hoc
fuit rationabile, quia ipse posuit se in potestate ecclesiae (ib.
dist. 38 quaest. unic. § 6). — Die Theologie behandelt also
das positive Recht der Kirche, nicht ohne es zu erläutern und
zu begründen aus der ratio oder dem natürlichen Recht. Die
Schrift, das Dogma und das Kirchenrecht sind ihre Quellen,
die Vernunft aber nur formales Organ des Verständnisses.
Wenden wir uns jetzt einer genaueren Bestimmung des
Wesens und der Aufgabe der Theologie zu.
2. Die Aufgabe der Theologie.
1. Was ist das subiectum d. h. der eigentliche Gegenstand
oder das Prinzip im Sinn des Mittelbegriffes in der Theologie?
Es sind nicht die opera restaurationis, wie Hugo wollte, aber
auch nicht Christus, wie Bonaventura und Robert von Lincoln
lehrten (Sent. prol. quaest. 2 lateral. § 14 — 16), da in diesem
Fall aus dem Menschgewordenen sich die Trinität nicht ab-
leiten liesse. Nun gilt aber die Regel: quod ratio primi
subiecti est continere in se primo virtualiter omnes veritates
illius habitus cuius est, d. h. primo continere est ab aliis non
^) Ein aristotelischer Grundsatz.
124 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
dependerc in continendo (ib. 4). Hieraus folgt, dass Gott
der erste und eigentliche Gegenstand der Theologie ist (7).
Denn nur in Gott als solchem, und nicht in Christo oder einer
anderen trinitarischen Person, kann die Gesamtheit aller Wahr-
heiten enthalten sein. Demnach wird die Theologie auszugehen
haben von der Aussage über das Wesen Gottes, wird von dort
die trinitarischen Personen ergreifen und sodann das Verhält-
nis Gottes wie auch der einzelnen Personen zur Welt erfassen
(15). Aber als Ausgang muss streng das göttliche Wesen an-
gesehen werden, nicht die Relationen desselben, auch nicht
seine Unterordnung unter irgend welche Gemeinbegriffe (9 — 11).
Der Habitus der theologischen oder religiösen Erkenntnis hat
zum ersten Objekt Gott und zwar ist der höchste Gedanke
von Gott der, dass er ens iniinitum ist. Sofern nun in Gott
alle Wahrheiten enthalten sind, werden dieselben von der
Theologie befasst (23). Nun ist aber die Theologie an sich
d. h. das Wissen Gottes von sich zu unterscheiden von der
Theologie der Seligen und von unserer gegenwärtigen Theologie.
Während Gott schlechthin alles Wissbare in seinem Wesen
erschaut, umfasst die Theologie der Seligen gerade so viel als
Gott sie in seinem Wesen erschauen lässt. Dagegen ist für
die irdische Theologie in letzterem Sinn das Objekt nach Gottes
Willen auf einen bestimmten Umfang, nämlich den der bib-
lischen Offenbarung beschränkt. Igitur theologia nostra de facto
uon est nisi de bis quae continentur in scriptura et de bis quae
possint elici ex ipsis (ib. 24). Dieser Umfang schliesst aber neben
den notwendigen, Gottes Wesen betreffenden Wahrheiten (dass
Gott dreieinig, Christus vom Vater erzeugt, der Geist spiriert) auch
kontingente Wahrheiten ein, wie die geschichtlichen Thaten
Gottes, z. B. die Schöpfung, Erhaltung, die lukarnationc Jene be-
treffen das göttliche Wesen wie es ist, können also nur notwendig
sein, während letztere kontingent sind als Ausdruck der freien
Beziehungen Gottes zur Welt (6. 13). Die kontingenten That-
sachen können nun aber nicht als notwendig aus dem primum
subiectum hergeleitet werden-, wdewohl sie in demselben ent-
halten sind. Andererseits kann aber die Theologie dieser
Thatsachen gewiss werden. Diese kontingenten Thatsachen
sind nämlich so beschaffen, dass sie eine certa et evidens cog-
Theologie und Welterkennen. 125
nitio zulassen. Und zwar deshalb, weil sie sämtlich sich in
dem ersten Objekt der Theologie oder in Gott sehen lassen,
woselbst zugleich ihre Verbindung untereinander wahrnehmbar
wird (28). Indem also der Christ Gott erkennt, erkennt er die
Übereinstimmung der Gott beigelegten Thaten mit Gottes
Wesen und begreift den Zusammenhang dieser Thaten als in
Gott begründet. Sofern aber die kontingenten Thaten Gottes
unter diesen Ausgangspunkt und in diesen Zusammenhang
rücken, wird eine evidente Gewissheit von ihnen gewonnen (ib.).
Allein so gewiss immer der Christ dieser Erkenntnis
Gottes werden kann, so sehr kann unter diesem Gesichtspunkt
der Charakter der Theologie als Wissenschaft bezweifelt werden,
da es die Wissenschaft mit dem logisch Notwendigen, und
nicht mit Kontingentem zu thun habe. Duns meint, immerhin
könne man sie Wissenschaft nennen, weil sie ein Habitus ist,
quo determinate verum dicimus. Indessen erscheint es ihm
noch zutreffender, die Theologie als eine sapientia zu be-
zeichnen, da sie ihrer Art nach mehr intellectus principiorum
als scientia conclusionum sei (28). Mit anderen Worten: die
religiöse Erkenntnis ist wesentlich unmittelbare Erkenntnis
Gottes und seines Wesens, und nicht durch Syllogismen er-
worbene Kenntnis der Welt. — Hieraus ergibt sich aber die
Folgerung, dass das religiöse Erkennen oder die theologische
Wissenschaft zu keiner anderen Erkenntnis oder Wissenschaft
in einem Verhältnis der Unterordnung steht. Obwohl ihr
Gegenstand gewissermassen auch in der Metaphysik enthalten
ist: nuUa tamen accepit principia a metaphysica, denn die
Metaphysik hat es nur mit dem Sein als solchem zu thun.
Aber ebensowenig kann eine andere Wissenschaft der Theo-
logie subordiniert sein, da alle anderen Wissenschaften cognitio
naturalis sind, die sich ergibt aus aliqua principia immediata
naturaliter nota (29). Duns strebt also darnach, der Theologie
eine selbständige, gegen die übrigen Wissenschaften abgegrenzte
Stellung zu sichern. Auch hierin gibt sich ein charakteristischer
Unterschied zu der thomistischen Denkweise kund.
2. Dieses bestätigt sich auch bei der Beantwortung der
Frage, ob die Theologie ein spekulatives oder praktisches
Wissen sei? Nun ist ein habitus practicus ein solcher
126 Kap. I: Philosophische und thfiologische Prinzipien.
welcher Beziehungen zur Praxis hat, d. h. auf Willensakte ab-
zweckt (prol. quaest. 4, 4). Da die Theologie es mit der Er-
kenntnis eines besonderen Zieles zu thun hat, so dass diese
Erkenntnis zur Liebe dieses Zieles anregt (17), ist die theo-
logische Erkenntnis eine cognitio practica, die Theologie prak-
tisches Wissen. Sie befasst also in sich die praktische Er-
kenntnis des Zieles und hat an diesem das Prinzip ihres ge-
samten Erkennens. Somit wird sie alles übrige als Mittel zur
Erreichung dieses Zieles ansehen. Das heisst die theologische
Weltbetrachtung verläuft in praktischen Konklusionen, die sich
ergeben aus der praktischen Erkenntnis der Beziehung alles
Geschehenden auf den letzten Zweck (18). Da es aber klar ist,
dass alle Erkenntnis in der Theologie nur Mittel ist, um
den obersten Zweck zu verstehen und die Mittel zu seiner
Verwirklichung zu erfassen, so ist es nicht richtig die reli-
giöse Erkenntnis als spekulativ oder kontemplativ oder speku-
lativ und praktisch zugleich zu bezeichnen, wie Duns in längerer
Erörterung gegen Heinrich, Thomas u. a. zeigt, man könnte
höchstens (mit Bonaventura) von einer affektiven Erkenntnis
reden, die aber sachlich mit der praktischen Erkenntnis über-
einkommt. Ergo ex primo subiecto sequitur tam conformitas
quam prioritas theologiae ad voiitionem et ita extensio ad praxim,
a qua extensione cognitio dicenda sit practica. Confirmatur
ratio ista, quia cum primum obiectum theologiae sit ultimus
finis et principia in intellectu creato sumpta a line ultimo sint
principia practica : igitur principia theologiae sint practica, ergo
et conclusiones sunt practicae (31). Das eigentümliche Objekt
des religiösen Erkennens kommt also unter dem Gesichts-
punkt des ultimus finis in Betracht. Es ist Gott. Die erste
praktische Erkenntnis, die sich aus der Gotteserkenntnis er-
gibt, ist die cognitio fruitionis finis. Und so tragen alle aus
diesem Prinzip abgeleiteten Prinzipien und Schlüsse praktischen
Charakter, indem ihre Erkenntnis abzielt auf die volitio recta
des Menschen (32). Auch solche Lehren, wie die Trinität
oder die Zeugung des Sohües verleugnen nicht den prak-
tischen — nicht metaphysischen — Charakter, indem nämlich
die Erkenntnis dieser Lehren abzielt auf die rechte Liebe zu
den durch jene Sätze gekennzeichneten Objekten (32). So-
Die Theologie als praktische Erkenntnis und als Wissenschaft. 127
mit ist die Theologie eine praktische Wissenschaft in dem
Sinne, dass das von ihr behandelte Erkennen praktisches Er-
kennen ist. Damit ist zugleich die Selbständigkeit der Theo-
logie gegenüber der Philosophie erwiesen. In dem Mass
aber, als ihr Objekt ein höheres und die Gewissheit von dem-
selben eine grössere ist, ist sie die höhere Erkenntnis der
Philosophie gegenüber. Dabei müsste es bleiben, auch wenn
man überhaupt den streng wissenschaftlichen Charakter der
Theologie leugnen wollte, (ib. 42; Eeport. prol. quaest. 2, 8).
3. Dieser praktische Charakter des theologischen Er-
kennens verhindert natürlich nicht, dass formell in der Theo-
logie die sonstige wissenschaftliche Erkenntnis und Methode
zur Verwendung kommt. Der Glaube schliesst zwar das
"Wissen in dem Sinne aus, dass etwas nicht zugleich geglaubt
und gewusst werden kann (gegen Thomas und Heinrich). Das
Wissen hat nämlich seine Wesensmerkmale an der Sicherheit,
Notwendigkeit, der causa evidens und der Evidenz der syllo-
gistischen Verknüpfung der Sätze (Sent. III dist. 24 quaest.
unic. § 13). Diesen Forderungen fügt sich die theologische
und religiöse Erkenntnis nicht ein, indem sie auch Kontin-
gentes in sich befasst, also nicht der logischen Evidenz unter-
liegen kann. Man könnte hiernach folgerichtig zweifeln , ob
die Theologie überhaupt eine Wissenschaft in strengem Sinne
sei. Aber die Antwort auf diese Frage hat Duns (ib. 2) ver-
sagt. Wohl aber zeigt er, dass neben der nichtwissenschaft-
lichen Form der Schrift (ib. 14 fin.) in der Theologie die
wissenschaftliche Arbeit bestehen kann. Und zwar sowohl in
der exegetischen Arbeit (exponit scripturam per scripturam
scilicet unum locum per alium et obscurum per manifestum),
als auch durch Erläuterung der Schrift vermöge anderer
Wissenschaften : immiscendo philosophiam scripturae sacrae,
quod sine dubio multum valet, et praecipue metaphysicalia, ut
veritas scripturae de trinitate et intelligentiis et abstractis in-
telligatur), oder weiter die solutio contrariorum oder endlich
der intellectus exponendi moraliter ad aedificationem. x\.ber
hierbei hat Duns auf das schärfste betont ^ dass durch dieses
Verfahren keineswegs das Geglaubte zum Gegenstand des
Wissens im Sinn der theoretischen Wissenschaft wird. Denn
1 28 Kap. I : Philosophische und the^lop^ische Prinzipien.
der Wert des auf diesem Wege Erschlossenen ist natürlich
von der Evidenz der Prämissen durchaus abhängig. Ist nun
die Schriftlehre diese Prämisse, die also nicht in wissenschaft-
lichem Sinn evident ist, so kann ein auf sie gebauter Schluss
auch nicht auf theoretische Evidenz Anspruch erheben (ib. 16).
Man kann nicht umhin, die Schärfe dieser Betrachtung zu
bewundern.
4. Die Absicht des grossen Theologen ist ebenso klar als
einleuchtend. Die reUgiöse Erkenntnis ist nicht eine Abart
oder Unterart des wissenschaftlichen spekulativen Welterkennens.
Der religiösen Erkenntnis eignet vielmehr ein besonderes Ziel
und somit besondere Prinzipien und Schlüsse. Indem es sich
auf Gott als das höchste Ziel für den Grenuss des Willens
richtet, betrachtet es alles als Mittel zu diesem Zweck und hält
dem Willen das Ziel als das zu erreichende höchste Gut vor.
Der Ort des religiösen Erkennens ist also nicht die theoretische,
sondern die praktische Vernunft. Nun sind aber diese Ge-
danken mit dem kirchlichen Positivismus unseres Theologen
verbunden. Die biblischen Lehren sowie der Komplex kirch-
licher Dogmen und Gesetze haben a priori zu gelten als die
legitimen Mittel zur Erreichung jenes höchsten praktischen
Zieles. Der praktische Charakter der Theologie bedeutet im Sinn
des Duns also nicht nur die Beziehung der religiösen Erkenntnis
auf die Erreichung des höchsten Gutes, sondern auch die
Unterwerfung unter die positiven Lehren und Regeln der Kirche.
Diese Kombination vermittelt sich durch den Gedanken, dass
jene praktische Erkenntnis des höchsten Gutes der Menschheit
nur durch die Offenbarung in der Kirche dargeboten worden
ist. Deshalb ist die praktische religiöse Erkenntnis nur im
Gehorsam gegen die Kirche zu erreichen. Die innere Be-
rechtigung dieser Kombination kann aber erwiesen werden
durch die Übereinstimmung der kirchlichen Lehre mit der
praktischen Vernunft als der angeborenen natürlichen An-
schauung von dem Guten und Rechten. — Das ist es, nach
Duns Scotus, um die Theologie. Die Betonung des praktischen
Elementes im Geist des Menschen, der kirchliche Positivismus
und das Naturrecht sind die Punkte, an denen seine Gedanken
von der Theologie orientiert sind. Die kirchliche Theologie
Der Glaube. ^29
hat also die Wahrheit; dass es wirklich so ist, bewährt sich
daran, dass sie den praktischen Bedarf des Menschengeistes zu
decken vermag, denn sie bietet dem Willen das höchste ihn
schlechthin befriedigende Gut dar und gibt ihm die notwendigen
und entsprechenden Mittel zu seiner Erreichung an.
3. Der Glaube.
1. Die praktische religiöse Erkenntnis, welche den Gegen-
stand der Theologie ausmacht, wird im Leben durch den
Glauben ausgeübt. Wir kommen hiemit zum Begriff des
Glaubens bei Duns ^). Er geht aus von dem Unterschied der
fides acquisita und fides infusa. Die fides acquisita ist der
Glaube im natürlichen Sinn wie er sich auf rein psychologischem
Wege im Menschen entwickelt. Firmiter inhaeremus historiis
et gestis scriptis de rebus bellicis et aliis quae scribuntur in
chronicis fide acquisita, per hoc quod credimus veraces eos esse
qui talia referunt. So kann man auch fest anhangen historiae
scripturae sacrae et evangelio auf Grund der Überzeugung von der
Wahrhaftigkeit der betr. Schriftsteller. Es ist also unzweifelhaft,
quod in nobis est fides revelatorum credibilium acquisita. Wir
glauben den Büchern der Schrift, indem wir der Kirche glauben,
die sie als wahr bezeugt. Wir können also selbst den Glauben
erwerben auf Grund jener Überzeugung. Wenn ein Juden-
knabe unter Christen erzogen würde , so würde er die unter
ihnen gangbaren religiösen Vorstellungen sich ebenso aneignen,
wie getaufte Cbristenkinder es thun. Oder der getaufte Häre-
tiker, der bei Eintritt der Häresie den eingegossenen Glauben
verloren hat, glaubt mit erworbenem Glauben alles, ausser etwa
die Trinitätslehre. Ausdrücklich sagt Paulus : ex auditu fides.
Dieser Glaube kann doch nur der erworbene Glaube sein.
Soviel ist also sicher, dass der Glaube an die „offenbarten
Artikel'^ der Religion zu seinem Bestand nicht einer Ein-
giessung bedürftig ist. Dieser Glaube ist die Zustimmung zu
dem, was uns durch Berichte glaubwürdiger Zeugen versichert
wird. Daher eignet ihm ein höherer Grad der Gewissheit als
^) Die Erörterung von Ritschl, Fides implicita S. 20 £f. ist nicht
immer zutreffend.
Seeberg, Die Theologie des Duus Scotus. 9
130 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
einer blossen opinio, wie er andrerseits unter dem Wissen steht,
welches ihn durch die evidentia obiecti scibilis übertrifft. Wie
Duns es meint, zeigen seine Beispiele deutlich : ich glaube, da8s
Rom und dass andere Weltteile da sind, wiewohl ich sie nicht ge-
sehen, und ich glaube, dass es schon vor mir Welt gab, obwohl
ich das nicht erlebt habe. Ich nehme das aber an, weil glaub-
würdige Menschen es mir versichern. So ergreifen wir also
auch die Glaubensartikel, weil wir der Kirche glauben was sie
über den göttlichen Ursprung der Schrift, die jene Artikel
enthält, lehrt. Hoc igitur tenendum est tanquam certum, quod
revelatorum in scriptura est nobis fides acquisita, generata ex
auditu et ex actibus nostris, qua eis firmiter adhaeremus. —
Es scheint also Glaube an alle Artikel der offenbarten Religion
entstehen zu können, ohne dass man eines anderen, als dieses
natürlichen Glaubens bedürfte (III dist. 23 quaest. unic. § 1. 4 f.).
2. Was ist es dann mit dem eingegossenen Glauben,
wie er dem Christen in der Taufe schon (ib. dist. 24 quaest.
unic. § 12) mitgeteilt wird? Duns spricht sich hierüber mit
bemerkenswertem Schwanken aus. Man kann die fides infusa
etwa, parallel dem ,, erworbenen Glauben^^, so finden: der
Gläubige ,, assentiert" dem Offenbarten, weil er Gottes Wahr-
haftigkeit glaubt. Nun vollzieht sich Gottes Offenbarung in
übernatürlicher Weise, also muss der dem Offenbarten zu-
stimmende Glaube ein habitus supernaturahs sein, revelat autem
credibilia, quando infundit habitum. Oder der habitus der
Überzeugung, dass Gott wahrhaftig ist, muss zuerst dem
Menschen eingegossen sein, ehe er der göttlichen Offenbarung
glaubt. Demgemäss würde die Gewissheit des Glaubens sich
nicht aus dem Objekt selbst, sondern aus der Zuverlässigkeit
Gottes als des Zeugen dieser Wahrheiten ergeben. Hieraus sei
es auch zu verstehen, dass Paulus den Glauben mit Dunkelheit
und Rätselhaftem behaftet sein lässt, weil nämhch der Gläubige
non credit articulum esse verum ex evidentia obiecti, sed propter
hoc quod assentit veracitati infundentis habitum et in hoc
revelantis credibilia. Also Gott giesst uns ein den habitus der
Überzeugung von seiner Wahrhaftigkeit, hiedurch wird die
Lehre und Überlieferung für uns zur Offenbarung, der wir zu-
stimmen (ib. quaest. 23, 6). Diese Anschauung hat Duns zur
Der erworbene und der eingegossene Glaube. 131
Wahl gestellt (§ 3 extr.). Aber sie gefällt ihm nicht. Gesetzt
es stände so, so wäre der Glaube damit keineswegs erklärt.
Wenn nämlich der eingegossene Glaube sein Objekt an der
Wahrhaftigkeit Gottes hat, so ist nicht klar, wie es zum Glauben
an die einzelnen Glaubensartikel komme. Ich glaube an die
Dreieinigkeit. Warum? Weil Gott sie offenbart hat. Aber
woher weiss ich, dass Gott sie offenbart hat? Weil Gott
offenbart hat, dass er sie offenbart hat. Man könnte so in
infinitum fortgehen. Daraus aber ergibt sich, dass die einzelne
Glaubenswahrheit nicht das direkte und sichere Objekt unseres
Glaubens wird, sondern nur das indirekte Objekt. Also kann
es bei dieser Annahme zu keiner Glaubensgewissheit bezüglich
der credibilia kommen. — Sodann : Der Glaube als habitus realis
muss ebenso wie eine potentia realis ein reales Objekt und
Ziel haben. Nun ist aber in dem obigen Zusammenhang nicht
Gott selbst, sondern der Satz, dass die Offenbarung Gott lehrt,
das eigentliche Glaubensobjekt. Diese Kritik enthält, wie nicht
ausgeführt zu werden braucht, eine feine Beobachtung (1. c. § 8). —
Ferner: Dem ersten^ dem ein Glaubensartikel offenbart wurde,
also etwa dem Paulus, genügte der erworbene Glaube, um ihm
zuzustimmen, also muss er auch für alle Späteren genugsam
sein. Es ist möglich, dass ein Mann wie Paulus, Gott für
wahrhaftig, also auch die Offenbarung — ex puris naturalibus
— für wahr hielt, also ist die fides infusa nicht notwendig. —
Weiter: wie jemand, der nicht im stände ist die Sätze
der Geometrie zu erfinden, sie doch, wenn sie ihm überliefert
werden, zu begreifen und anzuerkennen vermag, so müsste auch
jemand, dem die Dreieinigkeit aus der Offenbarung überliefert
wird, sie anzuerkennen im stände sein ohne fides infusa. — Endlich :
die fides infusa soll den Gtauben sicherer machen als die fides ac-
quisita ; aber das ist falsch, denn die Gewissheit des Prinzips ist
grösser als die von einem aus ihm erst abgeleiteten Schluss, und nur
diese letztere Gewissheit gewährt der eingegossene Glaube. Zu-
dem wäre mein Glaube gewisser, wenn ich ihn selbst von den
Trägern der Offenbarung erworben hätte, als der mir jetzt einge-
gossene Glauben sein kann (8). — Fassen wir diese Gegengründe
zusammen : es bedarf keines eiDgegossenen Glaubens, denn indem
er nur eine indirekte durch einen Schluss gewonnene Glaubens-
9*
132 Kap. I: Philosophische und theolpgische Prinzipien.
gewissheit herzustellen vermag, wäre die Gewissheit des er-
worbenen Glaubens eine grössere. Es ist aber möglich, dass
der natürliche Mensch den Glauben an die Offenbarung gewinnt.
Folglich ist kein Grund da den eingegossenen Glauben anzu-
nehmen. Duns leitet die richtige Empfindung, dass wir direkt
an Gott selbst glauben müssen, nicht aber indirekt durch den
Schluss: weil wahrhaftige Menschen die Offenbarung Gottes
bezeugen, deshalb glauben wir an Gott.
3. Duns zeigt nun einen zweiten Weg zur Verteidigung
der fides infusa auf. Wir vermögea die Glaubensobjekte nur
im allgemeinen, sofern sie in die gemeinmenschlichen Begriffe
des Seienden und des Wahren gefasst werden, zu erkennen.
Wir erfassen also die Begriffe Einheit der Essenz, Dreiheit
der Personen etc. in ihrem allgemeinen logischen Sinn. Aber
diese Erkenntnis ist keine evidente und eigentliche, so lange
wir es bloss mit allgemeinen Begriffen zu thun haben und
diese Gedanken nicht von der besonderen Eigenart der Be-
griffe aus verstanden werden: nunquam cognoscimus evidenter,
nisi termini eins apprehendantur a nobis in particulari sub
propriis rationibus. Erst dann, wenn jene Begriffe in ihrer
besonderen Eigenart erfasst sind, kann man zu einem Urteil
darüber, ob sie wahr oder falscli sind, gelangen. Duns will
also sagen: das Wesen Gottes kann nicht erkannt werden ver-
möge der allgemeinen aus der Natur abstrahierten Begriffe
(vgl. oben S. 110). Nun offenbaren die Objekte der Welt uns
nicht jene Begriffe des göttlichen Seins sub propriis rationi-
bus. Wenn wir also den aus diesen Begriffen gebildeten
Glaubenssätzen zustimmen, so geschieht das nicht, weil sich
uns aus der Erkenntnis der Begriffe die Notwendigkeit dieser
Sätze ergibt, sondern weil durch die häufige Wiederholung
dieser Begriffe ein gewisser Habitus oder eine Denkgewohn-
heit in Bezug auf die Glaubenssätze entsteht (ib. 9). Sonach
kann, indem wir aus der Welt nicht die besondere Erkenntnis
des göttlichen Wesens gewinnen, die Gewissheit von den aus
weltlichen Allgemeinbegriffen gebildeten Glaubenssätzen nur
die Gewissheit einer gewissen Denkgewöhnung sein. Diese
scharfsinnige Betrachtung legt eine Lücke in der Bestimmung
des Glaubens als erworbenen blos. Der natürlich erworbene
Die Notwendigkeit des eingegossenen Grlaubens. 133
Glaube bringt es zu keiner innerlich notwendigen Anerkennung
der übernatürlichen Glaubenssätze.
Hier setzt Duns ein. Da wir einen kräftigen Assensus
zu den Glaubenssätzen empfinden, so muss eine entsprechende
Ursache dieser Kräftigkeit des Glaubens gefunden werden.
Da nichts in der AVeit, diese Ursache sein kann, so wird es
Gott sein. Gott giesst uns den Glaubenshabitus ein, der
unseren Intellekt auf Gott hinrichtet und ihn geneigt macht
der Komplexion der Begriffe, die in den Glaubenssätzen vor-
liegt, beizustimmen. Deus infundit nobis habitum fidei incli-
nantem intellectum nostrum in assensum articulorum, ita quod
fides respiciat ipsum deum, de quo formantur articuli, quibus
sicut obiectis secundariis assentimus per habitum. Dies hat
aber nicht den Sinn , als wenn wir durch diesen Habitus die
evidente Erkenntnis der von Gott handelnden Begriffe gewönnen ;
hätten wir eine solche, so würden wir nicht mehr glauben,
sondern wissen (cf. III dist. 24 quaest. unic. § 17). Also
kann auch die Erkenntnis der Glaubenssätze nicht eine schlecht-
hin vollkommene ex evidentia terminorum erwachsende sein.
Diese Sätze bezeichnen nämlich in Bezug auf das inwendige
Wesen Gottes schlechthin Notwendiges, in Bezug auf Gottes
nach aussen gerichtete Thaten kontingente Ordnungen des
göttlichen Willens. Nun sind aber die Aussagen von dem
einen wie anderen für uns nicht evident. Also ist der Glaube
— in diesem Sinn — eine unvollkommene Erkenntnis (§ 10).
Diese Auffassung unterscheidet sich von der zuerst dar-
gelegten vor allem dadurch, dass hier nicht die Wahrheit der
Offenbarung, sondern Gott selbst das direkte Objekt des Glau-
benshabitus ist. Es wird eine Anschauung Gottes, eine Bich-
tung auf ihn im Menschen erzeugt, die diesen befähigt und an-
treibt den Glaubenssätzen beizupflichten: fides respicit
deum sicut primum obiectum, de quo sicut de obiecto
primo continente huiusmodi veritates formamus huiusmodi
veritates complexas: deus est trinus et unus. Nee credo
hocesse verum, quia prius credo hoc esse revela-
tum a deo, sed ille habitus immediate inclinat in
articulos fidei (11). Niemand wird diese Sätze ohne ein
gewisses Staunen lesen. Der Autor scheint hart an das Rieh-
134 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
tige herangekommen zu sein. Der Satz: wir glauben an
Gott, weil wir an die Schrift glauben^ ist überwunden; der
Glaube wird dadurch erweckt, dass Gott den Geist auf sich
selbst hinrichtet. Aber — eine Wendung, und wir stehen
wieder im Mittelalter! Was ist der Zweck von alle dem?
Dass wir den intellektuellen Assensus zu den technischen For-
meln der Theologie zu leisten vermögen.
Aber Duns selbst führt gegen diese Auffassung eine An-
zahl von Gründen in das Feld. Erstens : in diesem Sinne ver-
standen ist der Glaube kein Habitus, wie die Kirche lehrt,
sondern eine Potenz. Der Habitus erleichtert das Handeln,
die Potenz ist der alleinige Möglichkeitsgruud desselben.
Hierauf aber scheint dieser Glaubensbegriff zu führen : Man
kann nicht glauben ohne diese fides infusa. Preilich kanu
man dagegen sagen, dass die Potenz auf Seiten der Seele
liegt, der Glaube aber nur in Bezug auf Objekte besteht, als
die Partialursache seiner Akte. Aber wäre letzteres richtig,
so müsste, wenn undeutliche Vorstellungen von Glaubens-
artikeln einem Neugetauften vor die Seele treten, derselbe in
Kraft des in der Taufe empfangenen Habitus und der Ein-
wirkung jener Vorstellungen — ohne jede Belehrung —
Glaubensakte bezüglich der Artikel hervorbringen können.
Aber ohne fides acquisita kommt es nicht zu solchen. —
Zweitens : Die Akte des eingegossenen und die Akte des er-
worbenen Glaubens würden total different sein, da sie auf ver-
schiedene Prinzipien zurückgingen, jene auf den Intellekt und
den Habitus, diese auf den Intellekt und das Zutrauen zu der
Wahrhaftigkeit der Überlieferung. Hierdurch empfängt die
im vorigen Punkt zuletzt geübte Kritik erst volles Licht. —
Drittens: so könnte man ganz ohne den Willen glauben, aber
der Wille gehört nach Augustin zum Glauben. — Viertens:
der eingegossene Glaube bringt den Assensus hervor, aber es
trägt nicht die credibilia in sich. Folglich müsste ein zweiter
Habitus angenommen werden, der die credibilia in sich fasste,
um sie dem ersten Habitus zum Assens darzubieten. Sonach
würde jeder perfecte credens, z. B. ein Theologe, zwei intellek-
tuelle Habitus des Glaubens haben müssen: das uninteressierte
Die Bedeutung des eingegossenen Glaubens. 135
Wissen von den Glaubensgegenständen und die Neigung zum
Assens (so § 12. 13).
4. Diese Folgerungen stellen nun auch die zweite Methode
des Beweises für den eingegossenen Grlauben in Frage, denn sie
führen auf Unmögliches und Unwahrscheinliches. Die positive
Erörterung geht aus von dem Satz: quod oportet ponere
fidem infusam propter auctoritatem scripturae
et sanctorum, sed non potest demonstrari fidem infusam
inesse alicui, uisi praesupposita fide, quod velit credere scrip-
turae et sanctis, sed infideli nunquam ostenderetur (14). Der
Positivismus gibt also die Grundlage für die Betrachtung her.
Wie ich an Gott glaube, so glaube ich, dass er den Glaubens-
habitus mir eiugeflösst hat. Das heisst nach dem Zusammen-
hang aber nur: ich glaube beides, sofern beides kirchlicher
Glaubenssatz ist. Nun soll der eingegossene Glaube freilich
ebenso den Intellekt heilen, wie die Liebe den Willen (14).
AVeiter wird behauptet, dass durch die fides infusa die Inten-
sität der Glaubensakte gesteigert werde , und dass dieselbe
auch überhaupt notwendig sei für den Assensus. Denn käme
dieser nur durch die Willensenergie zu stände, so wäre die
Bitte um Mehrung des Glaubens sinnlos. Ebenso verlangt die
Gewissheit des Glaubens die fides infusa, denn der erworbene
Glaube beruht auf der Glaubwürdigkeit an sich irrtumsfähiger
Menschen, kann also nie zur völligen Gewissheit führen (15).
Aber dies letzte Argument scheint unsicher zu sein. Setzen
wir ein Glauben, das firmiter und infallibiliter geschieht, so
ist zu sagen : firmiter geschieht auch das erworbene Glauben,
denn das liegt im Wesen des Glaubens, man kann in demselben
Akt nicht zugleich zweifeln und zustimmen. Also bedarf es hier-
zu nicht der fides infusa. Die Infallibilität des Glaubens aber
hängt überhaupt nicht mit den subjektiven Zuständen zusammen,
sondern ist abhängig von der Art der Objekte des Glaubens.
Sind diese falsch, so werden sie durch den subjektiven Glauben
nicht richtig, er sei eingegossen oder erworben. Man wird
also, wenn man diese Gründe nicht auflösen kann, gut thun,
die Notwendigkeit der fides infusa nur auf die beiden ersten
Argumente zu stützen. Sie ist nötig, damit es überhaupt zum
Glaubensakt kommen könne und damit die Intensität der
136 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
Glaubensakte gesteigert werde (16). Wollte man sich aber
auf die Selbstgewissheit des Glaubens berufen, so kann nur
gesagt werden, dass diese ihn zwar dessen, dass er glaubt, ver-
gewissert, aber nicht dessen, dass er das Wahre glaubt; er
habe denn hiefür eine besondere Offenbarung.
Somit muss es seine Bewandtnis bei dem Resultat haben,
dass wir den eingegossen en Glauben um der Autorität der
Kirche willen ebenso glauben, wie wir an Gott glauben. Den
Einwänden gegenüber gilt, dass der eingegossene Glaube die
Seele in vollkommenerem Mass vollendet als der natürlich er-
worbene Glaube (18). Gott wollte es, dass nur der durch den
Habitus vollendete Glaubensakt als acceptabel gelte (III dist.
25 quaest. un. § 2). Doch das ist wieder nur einer jener posi-
tivistischen Gründe, die nicht beweisen, sondern bloss eine
Voraussetzung umschreiben. — Von Wichtigkeit ist es aber,
dass man nicht vergisst, dass die beiden ersten — freilich
mit Gegengründen vorgetragenen — Gedankenreihen von Duns
ausdrückKch dem Leser zur Auswahl empfohlen waren. Nun
richtet sich seine Sympathie fraglos auf die zweite Gedanken-
reihe (S. 132 f.); wir werden dieselbe also hier zur Ergänzung
heranziehen dürfen, zumal dieselbe der später entwickelten An-
schauung von Liebeshabitus konform ist. Dann können wir
etwa sagen: der eingegossene Glaube ist für Duns die von
Gott im Menschen erschaffene Neigung und Richtung des In-
tellektes auf Gott und seine Offenbarung. Hieraus wird so-
wohl verständlich, dass aus diesem Habitus der erste reine
und gottgefällige Glaubensakt hervorgeht, als dass er die In-
tensität der Glaubensakte steigert. Aber diese Richtung auf
Gott realisiert sich bloss im Assens zur überlieferten Kirchen-
lehre. Und schliesslich darf auch das nicht vergessen werden,
dass der entscheidende Grund zur Annahme der fides infusa
die Autorität der Kirchenlehre war.
Vor allem dürfen wir aber nicht ausser Acht lassen, dass
der Glaube, wie er sich als eine Reihe konkreter Akte in
unserem Leben realisiert, niemals bloss Wirkung der fides in-
fusa ist, sondern erworben wird, indem man die christliche
Lehre, die in den 14 Glaubensartikeln zusammengefasst ist
(III dist. 25 quaest. 1, 4), hört und ihr in der Überzeugung
Der psychologische Sitz des Grlaubens, 137
von der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Lehrer zustimmt.
Diesen Glauben kann der Habitus nicht erzeugen, da er die
credibilia nicht in sich fasst, diese müssen von aussen heran-
gebracht und vom natürlichen Glauben erworben werden, wo-
bei freilich der eingegossene Glaube mithilft. Ideo necessario
requiritur cum fide infusa fides acquisita ex auditu (ib. 9. 11).
Die eigentliche Realität des christlichen Lebens bleibt doch
der erworbene Glaube, der eingegossene Glaube gibt ihm nur
eine gewisse Leichtigkeit und Kräftigkeit. Der erworbene
Glaube bestand aber darin, dass wir die christliche Lehre für
wahr halten, indem wir ihren Verkündigern glauben.
5. Nur eine Frage bedarf noch der Erörterung, welche
Rolle der Wille bei dem Zustandekommen des Glaubensaktes
inne hat. Thomas von Aquino lehrte, dass der Wille den
Intellekt zum Assensus antreibe (s. quaestio disput. de fide
art. 1). Nach Duns scheint die Beteiligung des Willens am
Glaubensakt eine geringere zu sein. Dem Intellekt werden
bestimmte Objekte vorgelegt, es ist damit zur Wahl und Ent-
scheidung angeregt. Eine solche ist aber psychologisch unvoll-
ziehbar ohne einen Willensakt (ib. 11). Die Sache wird also
so hegen. Damit es zum Glauben komme, bedarf es 1) einer
Lehre, d. h. wirksamer Objekte, 2) eines für deren Wirkungen
empfänglichen Intellekts, 3) des eingegossenen Habitus in ihm,
der den Glaubensakt erleichtert, 4) des Willens. Die Objekte
bewegen den Intellekt, da sie aber nicht logisch evident sind,
so wird seine Zustimmung nicht nur durch sie, sondern zu-
gleich vom Willen veranlasst. Der Wille ergänzt also sub-
jektiv, was den objektiven Motiven an Wirkungskraft abging.
Ohne diesen Willensakt würde wirklicher Glaube nicht da sein,
aber der Wille vermag andrerseits den Intellekt auch nicht
zum Dissens gegen die vorgelegten Objekte zu zwingen; er
könnte nur es zum Glaubensakte nicht kommen lassen, sofern
er seinen Einfluss nicht zur Verstärkung der Wirkungskraft
der gerade vorliegenden Glaubensobjekte einsetzte. Verstehe
ich Duns richtig, so ist sein Gedanke feiner als der des Tho-
mas: was dem Glauben an objektiver Evidenz dem Wissen
gegenüber fehlt, dass wird durch den subjektiven Willen er-
gänzt. Ohne Willen käme der Glaube über ein unklares
138 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
Meinen nicht heraus, erst durch den Willen wird er auf die
Höhe des kräftigen Assenses gerückt. Es ist in diesem Zu-
sammenhang verständlich, dass Duns erklärt, dass, wenn erst
auf diesem Wege die fides acquisita bezüglich eines Objektes
erlangt ist, bei den folgenden auf dasselbe Objekt gerichteten
Akten eine positive Wirkung des Willens nicht mehr erforder-
lich, sondern das uon contramovere genügend sei (ib. 11 und
quaest. 2 lateral. § 1).
Für die Stellung, die Duns zu dem eingegossenen Glauben
einnimmt, ist dies Resultat sehr interessant. Indem nämlich
der Wille dem Glaubensakt eine gewisse subjektive Festigkeit
verleiht, wird erst recht unverständlich, wozu es noch in dem
so entstehenden Glauben des übernatürlichen Habitus bedürfen
soll. Duns selbst hat diese Frage nicht gestellt. Er hat aber
gefragt, ob nicht auch der Wille zu der geschilderten Wirkung
eines übernatürlichen Habitus bedürfe. Soll er den Intellekt
auf die übernatürlichen Objekte hinlenken, so scheint er als
Haupt agens eines übernatürlichen Habitus noch mehr bedürftig
zu sein, als der Intellekt, der nur sein Mittel ist (ib. quaest. 2
lateral. § 1). Aber diese Frage ist verneint worden von den
Erwägungen her, die wir soeben wiedergegeben haben. Dar-
nach hat der Wille nicht die Stellung des Hauptagens inne,
sondern diese steht den Objekten zu. In seiner Bedeutung
aber als den Intellekt mit zur Zustimmung antreibend, wird er
an seiner natürlichen Kraft genug haben.
Der Glaube ist also der intellektive Assensus zur Lehre
der Schrift oder der vierzehn Artikel. Über diese seine Art
führt auch seine weitere Entwicklung nicht hinaus. Die fides
imperfecta ist die notitia articulorum primorum und die
fides perfecta ist explicita notitia de articulis (III dist. 34 quaest.
un. § 20). Der Gedanke, dass Gott selbst das direkte Objekt des
Glaubens sein soll, ist vergessen. Die Beteihgung des Willens am
Glaubensakt ist doch nur eine subsidiäre. So läuft die Anschau-
ung schliesslich auf den landläufigen Assensusglauben hinaus.
6. Es ist in der Natur der Sache begründet, dass der in-
tellektualistische Glaubensbegriff in der Praxis eine Abstumpfung
erfährt. Im Mittelalter ist für dieselbe die Formel der fides
implicita geprägt worden. Dens nuUum obhgat ad impossi-
Die fides implicita. 139
bile, et ideo si sit aliquis rudis qui iion possit concipere, quid
est natura et quid persona, non est necesse, quod habeat actum
explicitum de articulo pertinente ad essentiae unitatem et per-
sonarum trinitatem distincte, sicut habent clerici litterati, sed
sufficit quod si non potest talia intelligere quia nee terminos,
quod credat sicut ecclesia credit (ib. dist. 25 quaest.
1, 6). Jeder soll also die religiösen Glaubenssätze annehmen,
sofern sein Verstand dazu fähig ist, sonst aber bereit sein, ut
credat quod ecclesia credit. Von dem trinitarischen Dogma
gilt ausdrücklich, dass die Laien es nur durch fides implicita
erfassen können, während Thomas für die Dreieinigkeit und die
Menschwerdung sowie für alia huiusmodi, de quibus ecclesia
festa facit, auch von den Laien fides explicita verlangt hat
(de fide art. 11). Nach Duns sind es nur die grossa ad capi-
endum und Lehren, die überall und allgemein gepredigt werden,
die auch jeder Laie explicite glauben muss, etwa die Geburt
Christi von der Jungfrau, oder die Erlösung durch seinen Tod.
Die kirchlichen Lehrer sind verpflichtet ad veritatem scripturae
capiendam et explicite credendam. Nun können aber hiegegen
verschiedene Einwendungen erhoben werden. Man kann sagen,
dass auf diese Weise die Simplices überhaupt jeden den Ar-
tikeln entgegengesetzten L-rtum glauben dürfen, da sie zum
explizierten Glauben nicht verpflichtet sind. Oder man kann
sagen : wenn der Simplex etwas Falsches glaubt, so würde er
zugleich gläubig und ungläubig sein, gläubig, weil er ja den
explizierten Akt nicht braucht, ungläubig, weil er Falsches
glaubt. Aber die Einwände trefi'en nicht zum Ziel; der erste
nicht, weil jeder Christ verpflichtet ist zu meiden, was der
Schrift widerspricht. Auch die Pflicht die Todsünde zu
meiden, wird dadurch nicht aufgehoben, dass jemand nicht ge-
nau weiss, von welchem Grade an Hochmut Todsünde sei. —
Dem zweiten muss entgegengehalten werden, dass bestimmte
Dinge gewöhnlich in der Kirche gepredigt werden, wie also die
Geburt Christi oder die Kreuzigung zum Zwecke der Erlösung;
diese kann und soll jeder explicite glauben. Wenn aber ein
Glaubenssatz für gewöhnlich nicht, wohl aber an einem Ort
gepredigt wird, so wird der Laie gut thun, mit seinem Glauben
an diese Lehre zurückzuhalten, bis er sich vergewissert: credi
X40 Kap. 1: Philosopliiscbe und theologische Prinzipien.
ab ecclesia taiiquam verum. Hier ist Thomas gegenüber eine
Keduktion der Objekte des explizierten Glaubens nicht zu ver-
kennen, aber dieselbe erfolgt, um Konfusion und Irrglauben
nach Möglichkeit zu beschränken.
Andererseits könnte gesagt werden, dass auch die Maiores
in der Kirche an der fides implicita genug haben, denn die
Verpflichtungen bezüglich des Heils sind für alle Glieder der
Gemeinde die nämlichen und die Taufe hat sie in derselben
Weise wie die Laien zum Glauben verpflichtet. Dies ist ja
richtig, aber die besondere Lehrpflicht legt den Leitern der
Gemeinden die Aufgabe auf, die explizierte Erkenntnis der
Schriftwahrheit sich zu erwerben (6 — 9).
Die Annahme einer fides impKcita verzichtet ausdrücklich
auf den Glauben der Gemeindeglieder bezüglich einer grossen
Anzahl kirchlicher Lehren. Dieser Begriff ist daher die
schärfste Kritik, die die Geschichte am int ellektualis tischen
Glaubensgedanken geübt hat.
7. Mit diesem Abschnitt über den Glauben verlassen wir
die Prinzipienlehre und wenden uns nunmehr den einzelnen
theologischen Anschauungen des Duns zu. Zuvor noch einige
allgemeine Bemerkungen über den Glauben, Der Glaube ist
also nach Duns die Zustimmung zu den Wahrheiten der Offen-
barung auf Grund der Überzeugung von der Autorität und Zuver-
lässigkeit der Schrift oder der kirchlichen Verkündigung. Wir
werden dies nach dem vorigen Abschnitt (S. 126) dahin ergänzen
können, dass diese intellektuelle Zustimmung mit der praktischen
Vernunft vollzogen wird, d. h. in dem Bewusstsein geschieht
durch sie zu einer bestimmten Handlungsweise verpflichtet zu
werden. So angesehen, hat der Glaube doch eine engere Be-
ziehung zum Wülen, als es nach dem oben Bemerkten er-
schien. In dem Glauben sind nun aber zwei Bestandteile zu
unterscheiden : die Akte des Assensus selbst und die demselben
logisch vorausgehende Überzeugung von der Autorität der
Glaubensverkündigung. Jener erste Bestandteil wird durchaus
in der Form der fides acquisita vorgestellt werden müssen, denn
nur durch diese vermag der Mensch den assensus im einzelnen
zu erwerben. Aber Duns will auch die fides infusa festhalten.
Den nächstliegenden Gedanken, dass jene Überzeugung von der
Beurteilung des scotistischen Glaubensbegriffes. ' l4l
Autorität eingegossen werde, hat Duns verworfen in der Be-
fürchtung dadurch der direkten Beziehung des Glaubens zu
Gott zu nahe zu treten. Indem aber die Entstehung jener
Überzeugung auch nicht aus der Kraft oder der lebendigen
Autorität Gottes in seiner Offenbarung hergeleitet wird, bleibt
ihr Ursprung im Dunkeln. Man glaubt also das Einzelne, weil
man der Schrift oder der Kirche glaubt, aber es wird nicht
einleuchtend, wodurch es zu letzterem kommt, auch nicht, wenn
man darin einen rein natürlichen Vorgang, wie Duns anzunehmen
scheint, erblickt.
Also hat Duns die Entstehung des christlichen Glaubens
in keiner Weise klar gemacht. Die fides infusa soll schliesslich
dem Zweck dienen die einzelnen Akte des Glaubens mit einer
grösseren Kräftigkeit und Plerophorie auszurüsten, als sie durch
die fides acquisita erreicht werden könnte. Aber dass durch
diesen Gedanken jener Begriff im Zusammenhang der ganzen
Erörterung gesichert ist, kann nicht behauptet werden. Also
was soll die fides infusa und was ist sie ? Es ist von Bedeutung,
dass Duns hierauf keine stichhaltige Antwort gibt. Der wirk-
liche Glaube ist der an der Verkündigung der Kirche „er-
worbene Glaube^', der seinerseits die Überzeugung von der
Autorität der Kirche voraussetzt. Dieser Zweifel an der
fides infusa ist der Theologie geblieben (s. Occam und Biel).
Darf man zwischen den Zeilen lesen, so kann vielleicht be-
hauptet werden, dass neben dem kirchlichen Positivismus Duns
doch auch ein gewisses inneres Motiv zur Beibehaltmig des
Begriffes empfunden hat. Seine Argumente für den Begriff
laufen nämlich alle schliesslich hinaus auf die Empfindung, dass
das Objekt des Glaubens etwas Übernatürliches der Vernunft
an sich nicht Kommensurables sei. Der Mensch wird also nur
dann jene Objekte wirklich ergreifen und behaupten können,
wenn ein auf sie gerichtetes übernatürliches Leben in ihm
erzeugt wird. In diesem Gefühl davon, dass der Gläubige auch
in Bezug auf seine Erkenntnis von Gott angeregt ist und ein
übernatürliches Leben führt, scheint mir das Wahrheitsmoment
in dem Begriff' der fides infusa zu liegen. Es soll der religiöse
Glaube irgendwie in seiner Besonderheit gegenüber dem natür-
142 Kap. I: Philosophische und theologische Prinzipien.
liehen Erkennen abgegrenzt werden. ^) Freilich lässt es die
Kritik des Duns über dies „irgendwie" nicht hinauskommen.
Aber etwas ist freilich klar: was evangelischer Heilsglaube
ist und wie er entsteht, das hat auch dieser Scholastiker nicht
verstanden. Der Glaube ist, wenn wir alles zusammennehmen,
der Assensus zu der Lehre, die der kirchliche Staat als von
Gott offenbart, positiv vorschreibt. Es ist die gehorsame Unter-
werfung unter die Gesetze dieses Staates, aber es ist auch ein
praktisches Erkennen, sofern es abzielt auf die Erlangung des
höchsten Gutes. Somit ist aber der Glaube nur die Vorstufe
und Vorbedingung zur Liebe. Man kann die Genialität des
Duns auch hier bewundern. Gegenüber der theoretischen
Fassung des Glaubens, wie sie von alters her üblich war, be-
deutet es gewiss einen Fortschritt der Erkenntnis, wenn Duns
den Glauben bestimmt und deutlich der praktischen Vernunft
beilegt. Aber was er will, kann doch nur im Rahmen der
Kirche seiner Zeit verstanden werden. Dass es im Christentum
auf ,,gute Werke" ankommt, wird durch die Betrachtung des
Duns bestätigt. Indem der Glaube als Mittel für das mora-
lische Handeln gefasst wird, wird ihm — in diesem Zusammen-
hang — jeder Rest selbständiger religiöser Bedeutung abge-
sprochen. Und so wird der Fortschritt zum Rückschritt —
am absoluten Massstab bemessen.
Wenn wir im Folgenden die „Glaubenslehre'* des Duns
darstellen, so wird man diese massgebenden Gesichtspunkte
nie aus dem Auge verlieren dürfen.
^) Vgl. die Erörterung bei Biel Sent. III dist. 24 quaest. un. art. 2
conclusio 5 und dazu meine Bemerkung, Dogmengesch. II, 180. Hieraus,
aber besonders aus der in der Scholastik seit Duns üblichen rein natürlichen
Erklärung der Entstehung des Glaubens versteht es sich, dass Luther zu-
nächst eifrig gegen die fides acquisita zu gunsten der fides infusa sich
ausgesprochen hat, obgleich die von ihm gelehrte Auifassung der Ent-
stehung des Glaubens doch nur auf einen — freilich geistlich — „er-
worbenen Glauben" hinwies, s, hierüber Dogmengesch. II, 215 f. 238.
Zweites Kapitel.
Der Gottesbegriff. Die Lehre von dem Menschen
und der Sünde.
I. Der GotteslbegrifF.
1. Der Beweis für das Dasein Gottes.
1. Wir beginnen mit der Darstellung der Gotteslehre, als
des Hauptgegenstandes der Theologie. Indem die Theologie
als Wissenschaft ihre Sätze vor der Vernunft legitimiert, ist es
hegreiflich, dass Duns seine Darstellung mit einem metaphy-
sischen Beweis des Daseins Gottes eröffnet. Nun wurden wir
bereits (s. oben s. 112) auf den Gedanken geführt, dass die
höchste Formel zur BezeichnuDg des göttlichen Wesens die des
unendlichen Seins ist. Aber sind wir nun des Seins Gottes u n -
mittelbar gewiss? Dies wird verneint (I dist. 2 quaest. 2, 5)
Somit muss das Dasein Gottes a posteriori aus seinen Wir-
kungen in der Welt, bewiesen werden (ib. § 10). Dieser
Aufgabe unterzieht sich Duns in einer durch Scharfsinn und
Feinheit ausgezeichneten Erörterung^).
Zunächst wird erwiesen, dass der höchste Begriff, den
unser Denken erreicht, nämlich das ens infioitum, nicht a priori
als existierend behauptet werden kann. Der Satz „ens infinitum
^) Vgl. auch ßaur, die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und
Menschwerdung Gottes Bd. II (1842), S. 589£f. Werner, Duns Scot.
S. 331 ff.
144 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
est" ist nämlich nicht veiTaoge der ihn bildenden Begriffe not-
wendig, da wir die beiden Begriffe bilden und sie erst dann
zusammenfügen. Unser Begriff von Gott ist nicht eigentlich
und daher nicht schlechthin einfach. Nur aus einem derartigen
Begriff Hesse sich das per se notum herleiten. Ebensowenig
streben aber die verschiedenen Begriffe, die wir von Gott
haben, durch sich selbst zur Einheit (ib. 5). Folglich lässt sich
die Existenz nicht als analytisches Urteil aus unseren Begriffen
von Gott gewinnen. Wir können sie nur in der TVeise eines
synthetischen Urteils zu dem Gottesgedanken hinzufügen. Mit
anderen Worten : die apriorische Herleitung der Existenz Gottes
aus seinem Wesen, d. h. der Weg propter quid, ist uns ver-
schlossen. Wir können die Existenz Gottes nur a posteriori,
d. h. auf dem Wege quia, von der Kreatur aus erschliessen
(§ 10). Damit sind aber andere Wege zum Beweise des Daseins
Gottes erfordert, als sie Alexander, der eine angeborene
habituelle Gotteserkenntnis annahm, oder Heinrich, der von
einer natürlichen unmittelbaren Anschauung von Gott in der
Seele ausging, einschlugen.
Indem wir an den Beweis herantreten, ist es zunächst
deutlich, dass wir nicht von den absoluten Proprietäten des
Unendlichen ausgehen dürfen, sondern vielmehr von den Pro-
prietäten, die wir als auf das Endliche bezogen denken
müssen. Als solche relative Proprietäten des ens infiui-
tum denken wir aber die Kausalität, die entw^eder effi-
zient oder final sein kann, sowie die eminentia. Die Frage
ist also, ob in dem so gedachten Verhältnis des Unend-
lichen zur Kreatur , d. h. der Kausalität , der Finalität
und der absoluten Erhabenheit, die Bedingungen enthalten
sind, aus denen sich die Existenz des Unendlichen und damit
auch dieses ganzen vorausgesetzten Zusammenhanges erweisen
lässt. Dieser Nachweis vollzieht sich nun so, dass erwiesen
wird 1) Die Existenz eines schlechthin Ersten hinsichtlich der
Efficienz, der Finalität und der Eminenz ; 2) dass das schlecht-
hin Erste in einer der genannten Beziehungen identisch ist mit
den schlechthin Ersten der beiden anderen Beziehungen, und
dass 3) diese dreifache Primität einem Wesen zukommt. In
dem ersten Gliede kehrt dabei für alle drei Begriffe das Schema
Der Beweis für das Dasein Gottes. 145
wieder: 1) Notwendigkeit der Primität, 2) Inkausabilität der-
selben, 3) Realität der Existenz (§ 11).
2. Es ist zuerst nachzuweisen, dass ein schlechthin erstes
Effektivum, dass von allen sonstigen Ursachen unabhängig ist,
notwendig anzunehmen ist : wir nehmen ein ens effectibile d. h.
ein Ding, das veranlagt ist, verursacht zu werden, an. Als
Verursachendes desselben kann — rein abstrakt — gedacht
werden das Ding selbst, kein Ding oder ein anderes Ding.
Es kann das Verursachende nicht kein Ding sein, weil das
Nichts keine Ursache sein kann. Es kann aber auch nicht
das Ding selbst sein, weil nichts sich selbst erzeugt. Die Ur-
sache jenes Effectibile muss ein aliud effectivum sein. Dies
ist entweder sogleich die erste Ursache, oder aber ich kann
zurückgehen, bis ich auf das erste Verursachende komme. Nun
kann aber nicht in infinitum zurückgegangen werden, also muss
das Denken wirklich eine erste Verursachung als primitas
necessaria annehmen (1. c. 11).
Es fragt sich aber, ob wirklich der Regressus in infinitum
in Bezug auf die Kausalität unmöglich ist. Hierbei wird ein
Unterschied eingeführt zwischen der accidentellen Ordnung
oder Reihe der Ursachen und der essentiellen Ordnung der-
selben. Die essentielle Ordnung der Ursachen besteht darin,
dass jede folgende Ursache Wirkung der vorhergehenden Ur-
sache ist, indem sie sofern Ursache zugleich Wirkung ist. Die
zufällige Ordnung der Ursachen ist die, dass eine Ursache nicht
in derselben Hinsicht kausiert, in der sie kausiert wurde oder
ihre Wirkung ist nicht direkt als Wirkung ihrer Ursache zu
begreifen, wie etwa der Sohn seine Ursache zwar an seinem
Vater hat, die Erzeugung seines Sohnes aber nicht als Wirkung
seines Vaters erscheint. Es ist klar, dass die essentielle Reihe
die strengste Kausalordnung gibt, indem jedes Wirkende wirkt,
sofern es gewirkt ist. Hieraus ist aber die Folgerung zu ziehen,
dass die Ursachen in dieser Ursachenordnung schlechthin zu-
gleich wirken. Zur Verdeutlichung wollen wir an ein Ding
in dieser Ursachenordnung denken, das kausiert wird. Da
nun seine Ursache nur als Wirkung ihrer Ursache wirkt und
so weiter zurück, so ist die ganze Kausalreihe notwendig als
simultan mit dieser letzten Kausioruiig zu denken. Diese
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 10
146 J^ap, TI : Der Gottesbegrifl". Die Lehre -v. d. Menschen u. d. Sünde.
Simultaiieität ist aber füi* die accidentelle Ursachenreihe nicht
anzunehmen (12).
Hieraus ergibt sich die Antwort auf die obige Frage.
Indem jeder Ursache die ganze essentielle Ursachenreihe simultan
ist, kann letztere natürlich nicht als in unendlichem Regress
begriffen und nicht als unendlich angesehen werden. Infinitas
essentialiter ordinatorum (d. h. dieser Ursachenordnung) est
impossibilis. Dies wird besonders bewiesen. Und zwar so:
Die Gesamtheit der essentiellen Ursachenordnung ist kausiert;
dies muss herrühren: ab aliqua causa quae non est aliquid
illius universitatis, quia tunc esset causa sui. Die Gesamtheit
des Abhängenden muss von etwas, was ausserhalb dieser Ge-
samtheit ist, abhängen. Der Beweis scheint so zu verstehen
zu sein : da jede (essentiell geordnete) Ursache im Universum
mit allen übrigen simultan wirkt, kann keine von ihnen die
Ursache des Ganzen sein, daher kann aber auch keine in einen
unendlichen Abstand zu den übrigen gerückt werden. Also
kann eine Infinität der Kausalreihe nicht angenommen werden,
sofern man sie auf die Welt beschränkt. Wenn Duns dabei
die Folgerung zieht, dass also für das Universum eine ausser-
halb desselben belegene Ursache nötig ist, so ist das nicht
eine Erschleichung, ^) sondern wenn ich ihn richtig verstehe,
eine notwendige Folgerung aus der Simultaneität der innerwelt-
lichen Kausalität. — Diese Gedankenreihe wird durch einige
weitere Gründe für den obigen Satz unterstützt: es ist un-
möglich, dass unendlich viele Ursachen zugleich wirken ; es
gäbe kein prius, weil kein primum. Da die Verursachung
keinerlei Unvollkommenheit mit sich bringt, so ist es sehr wohl
möglich, dass ein Wesen in höchster Vollkommenheit die
schlechthin erste Verursachung in sich hat (14).
Damit wäre erwiesen, dass im Zusammenhang der essen-
tiellen Ursachenordnung an eine Unendlichkeit der Kausalreihe
überhaupt nicht gedacht werden kann, dass aber nichts dem
entgegensteht, dass man die notwendige ausserweltliche erste
Ursache der Welt einem höchsten Wesen zuschreibt. — Letz-
terer Gedanke findet aber eine Bestätigung auch an der Er-
^) Gegen Baur a. a. 0. II, 596.
Keine unendliche Ursachenreihe in der Welt. 147
wäguiig der accideii teilen Ursaclienordnung. Nach dieser würde
eine etwa aiizunehmende unendliche Kausalreihe in zufälliger
Aufeinanderfolge (nicht Simultaneität !) fortschreiten , wie ein
Mann einen Sohn zeugt, obgleich sein eigener Vater seit lange
tot ist. Nun ist aber eine solche infinitas successionis nur
denkbar, sofern sie von einem beständig währenden Wesen
gesetzt und erhalten wird oder auch sofern der Bestand der
ruhenden essentiellen Ordnung vorausgesetzt ist; Duns denkt
dieses und jenes zusammen d. h. die essentielle Ursachenordnung
ist das entsprechende Korrelat zu der göttlichen Kausalität.
Denn es kann keine Mannigfaltigkeit (difformitas) als dauernd
vorgestellt werden, wenn sie nicht als durch die Kraft eines
Dauernden bewirkt gedacht ist. Dies Dauernde kann aber
kein Glied in der Kette der Succession sein, sondern muss
ausserhalb derselben stehen (15).
Nun könnte aber die essentielle Ursachenreihe überhaupt
geleugnet werden, aber auch dann wäre die Unendlichkeit der
Kausalreihe nicht zu erweisen. Da kein Ding a nihilo sein
kann, muss es auch dann ein erstes verursachendes Wesen,
das in eigener Kraft kausiert, geben. Und selbst wenn man
zugestände, dass dasselbe in dem einen und anderen selbst
kausiert würde, so würde es in anderem auch unkausiert sein
können, da das ganze System dieser Ursachenreihe ein absolutes
Bestimmtsein durch anderes nicht in sich schliesst. Sonach
läge auch so kein Grrund vor eine unendliche Ursachenreihe
anzunehmen (15).
Wenn wir die vielfach sehr dunkle Darstellung des Duns
richtig begreifen, so ist seine Meinung in der Kürze folgende.
Es gibt zwei Kausalitätssysteme. Das eine ist das empirisch
zeitliche, nach dem zwar jede Wirkung eine Ursache hat, ohne
dass aber diese Ursache selbst das, was sie verursacht, gerade
als Wirkung ihrer Ursache verursacht. Neben diesem System
steht ein zweites unzeitlich ideelles ; nach diesem wird —
unter Absehung von der konkreten Beobachtung — die Welt
abstrakt als eine Summe von Reihen schlechthin notwendiger
und direkter Kausalität gedacht, in denen alles nur gedacht
wird sofern es den Kausalitätsgedanken ausdrückt, d. h. so,
dass es sofern Ursache AVirkung und sofern Wirkung Ur-
10*
148 Kap. II: Der Gottesbegrifif. Die Lehre v: d. Menschen u. d. Sünde.
Sache ist. Während jenes erste System sich in der zufälligen
zeitlichen Entwicklung darstellt, ist das zweite System als reine
Abstraktion zeitlos zu denken, indem jede Ursache oder Wirkung
das, was sie ist, nur ist, sofern die Gesamtheit der Ursachen
und Wirkungen zugleich wirksam gedacht werden. So begreift
es sich auch, dass Duns sagen kann, der Bestand des ersten
Systems sei nur aufrecht zu erhalten durch Hineinziehung des
zweiten. — Was aber der Denker mit dieser Erörterung er-
reichen will, ist dies : oben S. 145 waren wir zum Schluss ge-
kommen: es muss ein erstes Verursachendes geben. Des Ein-
wandes nun, der diesem Schluss aus dem Gedanken des
Regresses in infinitum erwuchs, hat Duns sich dadurch erw^ehrt,
dass er die Unmöglichkeit oder wenigstens die Nichtnotwendigkeit
dieses Gedankens an seinen beiden Kausalitätssystemen erweist.
Dabei wurde nebenher der Gedanke gewonnen, dass das erste
Verursachende ausserhalb des schlechtweg gleichzeitigen inner-
weltlichen Kausalzusammenhanges stehen müsse. Damit wäre
das Hindernis aus dem Wege geräumt; der Satz ist erwiesen,
dass es ein primum effectivum geben muss.
Daran schliesst sich nach dem dargelegten Schema (S. 145)
der Nachweis, dass das erste Verursachende keine Ursache
haben kann: quod simpliciter primum effectivum est incau-
sabile. Denken wir nämlich dies schlechthin erste Verursachende
von einem anderen abhängig, so wäre es ab alio effectibile.
Dies ist aber durch das erste Glied des Beweises einfach aus-
geschlossen. Ist es nun aber ineffectibile, so ist natürlich auch
incausabile und weiter auch nicht fähig Form oder Materie
in sich selbst zu erzeugen^), d. h. informabile und immate-
riabile. Dabei gilt das incausabile auch bezüglich der Final-
ursache, das erste Verursachende ist infinibile, weil die Finalur-
sache das Verursachende zu einem efficere bewegt. Dasselbe kann
dann auch bezüglich des immateriabile und informabile bewiesen
werden, indem das was hinsichtlich der äusserlich wirksamen
Ursache inkausabel ist, überhaupt der Kausalität, also auch der
innerlichen wirksamen Ursache nicht untersteht (§ 16). —
1) Diese Beschränkung scheint mir aus dem gleich folgenden Beweise
sich zu ergeben.
pas erste Verursachende ist inkausabel und wirklich. " 149
Somit ist bewiesen, dass das erste Verursachende schlechthin
inkausabel ist.
Drittens wird gezeigt, dass das erste Verursachende nicht
nur nötig und möglich, sondern dass es auch ahqua natura
existens actu ist. Ein Ding, dessen Wesen es widerspricht, von
einem anderen zu sein, wird, wenn es sein kann, auch von sich
sein können, denn sein Sein ist ein Vonsichsein. Das erste
Verursachende kann a se sein, also ist es a se. Dies wird
erwiesen : Was nicht von sich ist, kann auch nicht von sich
sein, da sonst gedacht werden müsste, dass es in einer Be-
ziehung, in der es nicht ist, sich zu etwas machen könnte,
d. h. dass es als Nichtseiendes ein Seiendes hervorbringen
könnte, was unmöglich ist. Dächte mau a.ber das Ding, das
von sich sein kann, als nicht von sich seiend, so müsste es
sich selbst kausieren. Diese Annahme widerspricht jedoch dem
Satz von der absoluten Inkausabilität des ersten Verursachenden.
Dies der Beweis. Da also nichts nicht von sich ist, es könne
denn nicht von sich sein und da das was von sich sein kann,
wenn es nicht von sich wäre, sich seiner Art nach zu dem
Vonsichsein kausieren müsste, Kausalität aber hier nicht möglich
ist, so ist anzunehmen, dass das erste Verursachende, indem
es von sich sein kann, wirklich von sich ist (16). Bei diesem
Beweise ist es noch von Interesse zu beobachten, wie streng
der Begriff der Inkausabilität gefasst wird; nicht einmal das
darf gesagt werden, dass das erste Bewirkende der von ihm
selbst ausgehenden Kausation fähig ist. Es wirkt kausierend
nur nach aussen hin, dagegen ist es nicht als sich selbst kau-
sierend oder erzeugend zu denken.
Damit ist der Nachweis für das Dasein Gottes in seinem
ersten und Hauptteil erbracht : Es muss ein erstes Verursachendes
geben, dies ist unkausabel und es existiert wirklich.
3. Der zweite Teil des Beweises behandelt den Begriff der
causa finalis unter denselben drei Gesichtspunkten. Es muss
ein schlechthin erstes finitivum geben d. h. eine Zwecksetzung,
die von keinem anderen abhängt, indem sie in seiner Kraft
wirkt. Wie also die ganze Welt von einem ersten Verur-
sachenden ausgeht, so bewegt sie sich auch einem letzten Zweck
150 Kap. II: Der Gottesbegriü". Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde,
ZU. Der Beweis hierfür wäre, sagt Duns, in derselben Weise
wie für das erste Verursachende zu führen.
Es wird dann weiter von dem schlechthin ersten (vom
Standpunkt der Welt aus: letzten) Zweck erwiesen, dass er
inkausabel ist. Wäre er das nicht, so wäre er eben nicht
infinibel d. h. der erste keiner höheren Zweckbeziehung fähige
Zweck. Dann wäre er aber auch nicht ineffektibel. — Drittens
endlich wird gesagt, dass dieser erste Zweck ein actu existens
ist. Für den Beweis wird auch hier wieder auf den ersten
Hauptabschnitt verwiesen (17).
4. Wir kommen zum dritten Teil des Bew^eises. Es gibt
ein alles schlechthin Überragendes, das hinsichtlich der Per-
fektion das schlechthin Erste ist. — Dasselbe ist inkausabel,
da es notwendig ineffektibel und infinibel gedacht werden muss,
denn hätte es Zweck oder Ursache an etwas anderem, so wäre
dies an Eminenz ihm überlegen. — Endlich ist auch dies
schlechthin Eminente ein wirklich existierendes Wesen (18).
5. Wir schreiten jetzt fort zu dem Nachweis des Duns,
dass die dreifache Primität, die wir gefunden haben, eine
Quiddität ausmacht. Dies folgt einfach aus der bisherigen
Erörterung. Das primum efficiens ist nämlich zugleich der
ultimus finis. Das primum efficiens ist nämlich per se efficiens.
Der Zweck, zu dem hin es handelt, kann also nicht ausser-
halb seiner gelegen sein, denn sonst fiele das per se. Also
handelt es aus sich und auch zu sich, und zwar so, dass der
selbstgesetzte Zweck seines Handelns die Ursache desselben
ist. Somit ist das primum efficiens der ultimus finis. — Nun muss
nur noch gezeigt werden, dass das primum efficiens identisch
ist mit dem primum eminentia. Das erste Verursachende ist
nicht die univoke (d. h. die gleichartige), sondern die äquivoke
(d. h. die ungleichartige) Ursache seiner Wirkungen, also ist es
eminentius als letztere. Da es aber das schlechthin erste Verur-
sachende ist, ist es efficiens eminentissimum und somit alles Ge-
wirkte an eminentia schlechthin übertreffend (18). Da also die Kau-
salität mit der Finalität identisch ist und ebenso mit der Eminenz,
so ist bewiesen, dass diese drei Primitäten eine Quiddität sind.
6. Dieser Satz wird noch genauer präzisiert. Nicht so
soll er nämlich verstanden werden, als wenn die drei Primitäten
Die absolute Kausalität, Finalität und Eminenz eine. Quiddität» 151
sich so in einem Wesen befinden, dass, wo die eine ist, auch
die beiden anderen wären . sondern es ist eine schlechthinige
Identität secundum quidditatem ot naturam, d. h. also so, dass
die eine das ist, was die andere ist. Dies wird nun noch be-
sonders bewiesen, obwohl es eigentlich von selbst aus dem
Vorhergehenden folgt. Das primum efficiens hat ein ex se
necesse esse, sofern es schlechthin inkausabel ist. Ist es aber
schlechthin notwendig, so kann nichts ihm Inkompossibles in
ihm sein, weder kann ein solches von ihm selbst, noch von
etwas anderem ausgehen. Ginge das Inkompossible von ihm
•selbst aus, so würde es dadurch sich selbst aufheben. Das ist
unmöglich, da das erste Verursachende notwendiges Sein ist.
Ginge es von einem andern aus, so würde nach der Regel, dass
kein Ding ein anderes Ding wegen der Repugnanz seiner
"Wirkung zu jenem zerstören kann, es sei denn, dass es seiner
Wirkung ein vollkommeneres und intensiveres Sein gibt als das
zerstörbare Ding hat, anzunehmen sein, dass es vollkommeres
Sein gäbe, als das primum efficiens aii. Das ist aber unmög-
lich. Also ist das erste verursachende Sein frei von jeder
Inkompossibilität. Hieraus ergibt sich die unitas naturae primae.
Denkt man nämlich zwei Naturen als schlechthin notwendiges
Sein, so müssten sie das durch irgend welche rationes propriae
■reales sein. Nun sind beide schlechthin notwendig, also müsste
eins das andere bedingen, während doch jedes an sich schlecht-
hin notwendig ist. Wir kämen also auf eine unmögliche
Inkompossibilität. Demnach kann nur ein schlechthin not-
wendiges Wesen gedacht werden. Ebensowenig wäre es aber
jnöglich, dass man mehr als eine natura eminentissima, daher auch
mehr als ein schlechthin erstes Verursachendes oder mehr als einen
schlechthin letzten Zweck denkt. Also ist bewiesen was zu be-
weisen war : es gibt ein schlechthin höchstes Wesen, das sowohl
-das erste Verursachende als der erste (resp. letzte) Zweck ist.
7. Der Beweis für das Dasein Gottes, den wir kennen
gelernt haben, berührt sich im allgemeinen mit den üblichen
Formen des kosmologischen Argumentes. Doch überragt er
dieselben durch die Schärfe der Logik und die umfassende
Absicht seines Urhebers. Er hat sich nicht damit begnügt
aus dem Kausalzusammenhang in der Welt auf eine erste
152 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
Ursache zu schliessen, sondern er hat auch die Art dieses
Kausalzusammenhanges genau erwogen und hat denselben
mit dem Finalzusammenhang kombiniert, er hat sodann die
Frage nach der Wirklichkeit der Existenz der ersten Ur-
sache von dem Postulat ihrer Notwendigkeit unterschieden
und er hat endlich den sorgfältigen Beweis geführt, dass der
gekennzeichnete Zusammenhang zur Welt die Annahme eines
"wirklichen höchsten Wesens verlange. — Für den Gottesbegriff
des Duns ist hierbei von besonderer Bedeutung die Erwägung
der Kausalität in der Welt. Indem Duns die empirische Be-
obachtung der Kausalreihe von der essentiellen Kausalordnung
unterscheidet und jene diese voraussetzen lässt, ist nämlich
klar, dass er die ideale und wirkliche Form der Kausalordnung
in der essentiellen Reihe erblickt. Denkt man sich also die
Welt vom Standort Gottes aus, so ist sie als eine durch die
direkte Beziehung aller ihrer Glieder untereinander schlechthin
notwendige Kausalreihe vorzustellen. Diese ganze Kausalreihe
kann aber in der Simultaneitat ihrer Wirkungen im Grunde
als eine Wirkung angesehen werden, deren eine allbeherr-
schende Ursache Gott ist. Aus diesem Verhältnis ergeben
sich zwei Folgerungen zur Bestimmung des göttlichen Wesens:
1. Gott ist die absolute Ursache des Kausalsystems der Welt,
dadurch stellt er die Welt in das Verhältnis schlechthiniger
Abhängigkeit von sich. 2. Da der Kausalzusammenhang in
der Welt so beschaffen ist, dass jede Ursache auch Wirkung
ist, so muss die erste Ursache als etwas, das nicht Welt ist,
vorgestellt werden. Nicht also wird Gott als innerweltliche
Kausalität gedacht, sondern Gott ist die ausserweltliche Ur-
sache, die die Welt als ein Kausalsystem setzt.
2. DasWesenGottes.
1. Der Beweis für das Dasein Gottes ging aus von det
Annahme, dass wenn es ein unendliches höchstes Wesen gibt,
die Existenz desselben nur aus seiner Wirkung an der Welt
a posteriori erwiesen werden kann. Dieser Nachweis ist nun
geführt, also jene Annahme gerechtfertigt. Wir haben zu
Ende des vorigen Abschnittes schon darauf verwiesen, dass aus
dem Beweise des Daseins Gottes sich bereits eine gewisse
Das Wesen Gottes. 153
positive Erkenntnis des Wesens Gottes ergibt. Der Begriff
von Gott auf den wir geführt wurden, war die ausserweltliche
unendliche absolute Ursache der Welt. Aber als christlicher
Theologe hat Duns dieses Schema in einer Weise ausgeführt,
die eine Anzahl wertvoller positiver Gedanken über das Wesen
Gottes erbringt. Dies geschieht, indem Duns aus dem Begriff
des primum efficiens und seiner Beschaffenheit als per se
agens weitere Schlüsse zieht. Handelt das erste Verursachende
per se, so handelt es propter finem. Hieraus ergiebt sich aber
der Satz, quod primum efficiens est intelligens et volens
(20). Dieses kann so bewiesen werden. Das primum agens
handelt propter finem. Nun dient alles Handeln in der Welt
Zwecken, und zwar auch dann, wenn der Handelnde ohne solche
handelte, also ist das primum agens als vernünftig anzusehen.
Weiter: handelt das primum ageus propter finem, so bewegt
der Zweck es. Dann wird dieser entweder mit freiwilliger
oder mit natürlicher Liebe geliebt. Letzteres ist unmöglich,
denn dann wäre das agens hingezogen zu dem Ziel wie die
Schwere zum Zentrum. Das verträgt sich aber nicht mit seiner
Art als Ursache, folglich bleibt ersteres nach und dadurch wird
der Wille als die erste Ursache erwiesen. — Sodann : Es gibt
in der Welt zufällige verursachende Erscheinungen. Da nun
jede causa secunda kausiert in quantum movetur a prima, so
muss die erste Ursache in kontingenter Weise wirksam sein.
Kontingent ist das, was sein oder auch nicht sein kann, was
also nicht schlechtweg notwendig ist d. h. cuius oppositum
posset fieri quando illud fit (21). Nun ist es unzweifelhaft, dass
vieles, was in der Welt geschieht, hätte nicht oder anders ge-
schehen können. Dieser Satz wird von Duns nie bewiesen,
sondern als einfaches Axiom aulgestellt. Da nun alles in der
Welt von dem ersten Verursachenden abhängt, so muss dieses
als in kontingenter Weise wirksam gedacht werden. Kontingent
wirkt aber nur der Wille, denn alles andere, wie etwa die Er-
kenntnis, wirkt natürlich d. h. notwendig (§ 20). Also ist
Gott ein wollendes Wesen. — Es ist wichtig darüber, was
Duns hier sagt, völlig in das Klare zu kommen. Die Kontingent
des Geschehens besteht darin, das etwas geschehen das auch
nicht geschehen kann. Die Kontingenz der ersten Ursache
154 -Kap. 11: Der Gottesbegriff. Die Lehne v. d. Menschen u. d, Sünde.
'wird also so zu denken sein^ dass sie statt dieses Geschehens
auch ein anderes Geschehen hätte wirken können. Yel igitur
nihil fit contingenter id est evitabiliter causatur, vel primum
sie causat immediate quod possit etiam non
causare (ib. 21). Hiermit sagt Duns aber nicht mehr, als
dass Gott das wirklich Geschehende bewirkt, dass er aber auch
durch unmittelbare Kausation etwas anderes hätte bewirken
können, indem die Ordnung des Geschehens auf dem freien
göttlichen Wollen beruht. Keineswegs ist aber in diesem Zu-
sammenhang gesagt, dass die kontingenten Akte und Gescheh-
nisse im Leben der Welt in dem Sinn frei wären, dass sie der
göttlichen Kausalität gegenüber eine eigene Kausalität aus-
üben. Ihre Freiheit besteht doch nur insofern, als sie auch
hätten anders ausfallen können, wenn nämlich Gott anders
gewollt hätte. Nicht eigentlich an eine subjektive Freiheit,
sondern an ein objektives Andersseinkönnen denkt Duns, indem
er hier von dem Kontingenten in der Welt, sofern es von Gott
kausiert wird, redet.
Weiter entledigt sich Duns einiger Einwendungen. Man
könnte nämlich sagen, nur unser Wille, nicht aber das erste
Verursachende handle kontingent, oder man kann die Kontingenz
des Geschehens bedingt sein lassen durch die Mannigfaltigkeit
der vielen Wirkungen in ihrem Zusammensein. Oder man
kann endlich sagen, es bedürfe für die Kontingenz nicht der
Existenzform des Willens, sofern z. B. ein Wille in seiner
Bethätigung durch etwas anderes gehemmt werden kann. BQer
liegt etwas Kontingentes vor, ohne dass es als Wille zu denken
wäre. — Gegen das erste dieser Argumente führt Duns aus:
wenn Gott das erste Verursachende auch bezüglich unseres
Willens ist, so verhält sich dieser so wie alles andere zu Gott
d. h. Gott bewegt den Willen unmittelbar oder durch Ver-
mittlung eines anderen notwendig, der Wille wird daher not-
wendig wollen. Dann müsste aber alles notwendig kausiert
werden und kein Kontingentes bestehen. Das ist aber falsch.
Auch hier wird noch nichts Positives über die Freiheit des
Willens gelehrt. — Gegen das zweite ist zu sagen, dass wenn
eine Bewegung von einer notwendigen Ursache gesetzt wird,
diese Notwendigkeit sich selbstverständlich auf alle einzelnen
. Die Kontingenz in der Welt durchi Gottes Willen. 155
Teile der Wirkung erstrecken wird. Es kann daher die Kon-
tingenz der zweiten (kreatürlichen) Ursachen nur gehalten werden
unter der Voraussetzung, dass auch die erste Ursache un-
mittelbar kontiugente Wirkungen ausübt. — Was den letzten
Einwand aa betrifft, so wäre eine derartige Hemmung des Willens
nur durch eine höhere Ursache, die schliesslich auf die erste
Ursache hinführt , möglich. Dann würde aber einfach Not-
wendiges geschehen und die Freiheit ganz aus dem Spiel
bleiben (§ 21).
Duns hat also gezeigt, dass das erste Verursachende als
Wille und Intellekt gedacht werden muss. Drei Gründe waren
dafür entscheidend : dass die Natur Zwecke verwirklicht, indem
sie abhängt von etwas was Zweck erkennt; dass dieses primum
agens handelt propter finnem; und dass es kontingente Wir-
kungen, also auch Kontingenz der ersten Ursache gibt.
2. Wir sind hier auf einen der wichtigsten Gedanken des
Duns gestossen. Es wird sich empfehlen denselben gleich jetzt
genauer ins Auge zu fassen. Duns ist also von der Erfahrungs-
thatsache ausgegangen, dass es Kontingenz d. h. freies nicht
naturnotwendiges Geschehen in der Welt gibt. Durch Folter
und Stock liesse sich dafür der Beweis erbringen (s. oben S. 87).
Aber dieser Erfahrungssatz kann nur aufrecht erhalten werden
unter der Voraussetzung der Kontingenz der AVirkungen der
ersten Ursache. Notwendige Wirkungen der absoluten ersten
Ursache sind nämlich nicht denkbar, denn dann wäre diese
abhängig von der Welt. Denn wenn eine Wirkung der ersten
Ursache notwendig wäre, so hinge letztere von ersterer ab,
indem sie nicht wäre, wenn jene nicht wäre. — Wenn weiter
die erste Ursache mit Notwendigkeit wirkte, so müssten alle
folgenden causae secundae durchaus notwendig wirken. Es
müsste also auch die Sünde in die Notwendigkeit dieses
Kausalnexus eingeschlossen und von der ersten Ursache ab-
hängig gemacht werden (I dist. 8 quaest. 5, 19). — Sodann:
Denkt man sich die erste Ursache als notwendig wirkend, so
müsste dieselbe jederzeit das Vollmass ihrer Kraft entfalten.
Der Spielraum der letzteren ist aber die Gesamtheit des Seins.
Darnach wäre aber jede Wirkung der zweiten Ursache über-
flüssig und ausgeschlossen. Es würde also das gesamte Sein
156 Kap. II: der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
unum causatum sein, alles wäre das eine, indem alles in einem
durch die erste Ursache gesetzt wäre (ib. § 21). Wir wurden
auf diese Gedanken allerdings oben S. 146 bei Erwägung der
essentiellen Ursachenordnung hingewiesen. Aber Duns scheint hier
den Rahmen des Determinismus zerbrechen zu wollen. Es gibt ja
freies Geschehen. Es ist nach dem Obigen nicht möglich dieses
aus den zweiten Ursachen als solchen zu erklären, wie Aristoteles
und Thomas wollen, denn werden diese notwendig bewegt, so
werden auch sie mit Notwendigkeit weiter bewegen. Tota ergo
ordinatio causarum usque ad ultimum effectum necessario pro-
duceret, si habitudo primae causae ad sibi proximam sit necessaria
(I dist. 39 quaest. unic. § 12). Also kann man der Folgerung nicht
entgehen, quod nulla causatio alicuius causae potest salvare
contingentiam, nisi prima causa ponatur immediate contingenter
causare (ib. § 14 vgl. I dist. 8 quaest. 5, 12). Diese Freiheit
kann nicht in die Erkenntnis verlegt werden, denn jeder intellek-
tuelle Akt, der, abgesehen vom Willen, besteht, ist rein natür-
lich, also nicht frei; die Freiheit ist daher in dem aktiven
Prinzip des Willens zu suchen (ib.). — Indem ich also Gott
als Ursache des Weltzusammenhanges denke, denke ich nicht
eine unendliche abstrakte Kraft, sondern ich denke den persön-
lichen freien und allmächtigen Willen oder ich denke den
freien Herrn der Welt, der eine Welt mit freien Subjekten
gesetzt hat und erhält.
Das ist der scotistische Gottesbegriff. Man sieht, dass er
die Ausführung in den biblischen persönlichen Attributen, die
wir später kennen lernen werden, zulässt: Gott ist der gerechte
und gnädige Herr der Welt.
3. Ehe wir diesem Gedankenzusammenhang weiter nach-
denken, müssen wir aber versuchen den Widerspruch auszu-
gleichen, in dem zwei wesentliche Gedanken des Duns Scotus
mit einander zu geraten scheinen: Das Korrelat zu dem Ge-
danken Gottes als der ersten Ursache war der Weltzusammen-
hang im Sinn der essentiellen Ursachenreihe (S. 145 f.). Andrer-
seits soll es aber in der Welt freien Willen geben, welcher
der alleinige Grund seiner Wollungen ist. Die Freiheit hier
scheint mit der Notwendigkeit dort in Widerspruch zu stehen.
Nun ist es klar, dass Duns die Freiheit nicht nur in dem
Die göttliclie Kausalität und die menschliche Freiheit. 157
objektiven Sinn, dass statt dieses aucli etwas anderes hätte ge-
schehen können (S. 157) denkt, sondern dass er sie als die sub-
jektive Möglichkeit so oder anders zu wollen fasst (oben S. 87).
Ebenso scheint es, dass er das Gebiet des Kontingenten oder
des Willens nicht in die essentielle Ursachenreihe mit ein-
rechnet. Wir werden demnach auf Grrund des bisher uns
bekannt gewordenen Materials etwa so urteilen müssen: Gott
als erste schlechthin freie Ursache setzte sowohl frei den in
Notwendigkeit sich vollziehenden Kausalzusammenhang der
Welt als auch freie Subjekte, die sich kontingent bethätigen. Wie
die Notwendigkeit jenes, so hat die Kontingenz dieses Ge-
schehens ihre Ursache an der freien Bestimmung Gottes, beide
sind also frei von Gott kausiert, aber zu einer verschiedenen
Seins- und Wirkungsweise, jenes zur Notwendigkeit, dieses
zur Kontingenz. Dies ergibt sich, wie gesagt, aus den bisher
angestellten Beobachtungen.
Die Sache will aber doch noch genauer erwogen sein und
zwar von einem doppelten Gesichtspunkt aus. Die Freiheit
des kreatürlichen Willens muss bewährt werden sowohl der
Allmacht des all wirksamen Gotteswillens als auch der distinkten
Präscienz Gottes gegenüber, von der wir weiter hören werden.
Man könnte ja meinen, erstere Schwierigkeit sei sehr ein-
fach dadurch gelöst, dass man sagt: Gott will Freiheit, also
ist Freiheit. Nun ist aber der Wille Gottes die Ursache nicht
nur einzelner freier Faktoren, sondern eines Weltsystems von
Ursachen und Wirkungen, durch das der Plan der Prädestination
realisiert wird. Ist denn nicht die Freiheit des Handelns der
Menschen nur der Form nach kontingent, weil nicht durch eine
Naturursache veranlasst, in Wirklichkeit aber lediglich Folge
einer göttlichen Bestimmung und Mittel zur Realisierung der-
selben? Und erhält dies Urteil nicht seine direkte Bestätigung
durch die Annahme der absoluten göttlichen Präscienz? Es
ist begreiflich, dass das Gewicht dieser Fragen an keinem
Punkt des Systems so lebhaft empfunden wird, als bei der
Sündenlehre. Dort werden wir der Frage also wieder begegnen.
Aber sie will auch hier erwogen werden.
Duns spricht die Beobachtung aus, dass Gottes Intellekt
Notwendiges und Kontingentes werden sieht, indem der Wille
158 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
Gottes Notwendiges wie KontiDgentes — in kontingenter Weise —
will. Es giebt kontingente Handlungen und Geschehnisse, die
Gott eben als kontingente voraus wollte und -wusste. Quam-
vis autem haec volitain se et in suis causisproximis
habeant contingentiam, relata tarnen ad divinum
intuitum et beneplacitum sie eveniunt, ut sunt
praevolita et praevisa (de rerura princ. quaest. 3 art. 3
§ 21). Dieser Satz bestätigt in überraschender Weise unsere
soeben ausgesprochenen Bedenken. Es giebt also freies Handeln
bei den Kreaturen. Wir hörten früher (S. 89), der Wille habe
keinen anderen Grund als eben sein Wollen. Das ist für die
empirische Betrachtung des Selbstbewusstseins ganz zutreffend,
indem freilich das Gefüge des Naturzusamraenhanges den Willen
nicht kausiert und dieser sich daher frei selbst bestimmt. Aber
wenn man die Sache vom Standort Gottes aus ansieht, so kann
doch nur geurteilt werden, nicht nur dass der Wille frei will,
weil Gott ihn dazu bestimmte, sondern auch dass der Wille
eben nur das will, was Gott vorherbestimmt oder zu dessen
Wollen er ihm freien Willen gab. Der Effekt des Willens ist
also an sich frei, aber er ist per accidens notwendig. Dies
Accidens ist aber die Beziehung auf Gottes Willen, so ange-
sehen ist die Yolition notwendig (ib. quaest. 4 art. 2 § 37).
Das wird erläutert durch das analoge Verhältnis bei einem
Prädestinirten. An sich, d. h. von seinem kreatürlichen Sein
her, kann er verdammt oder selig werden. Aber er wird selig,
weil ihn Gott dazu bestimmt hat (ib. § 38). So ist denn, so
angesehen, unser gesamtes Wollen und Nichtwollen diesem oder
jenem gegenüber in dem ewigen Willen Gottes enthalten
(ib. 46). — Man kann angesichts dieser Gedanken über die
wahre Meinung des Duns keinen Zweifel hegen : Es gibt freien
Willen, sofern der Wille empirisch und formal kontingent d. h.
nicht natumotwendig wirkt, aber material wirkt er nichts anderes,
als was die oberste Ursache Gott ihn wirken lässt, freilich in
der Form der Kontingenz. Der Determinismus des Systems
ist also nur verborgen worden durch die Wendung des Ge-
dankens, dass die freie Kreatur nicht der immanenten Natur-
notwendigkeit, sondern einem besonderen Willen Gottes folgt. ^)
*) Aber selbst diese Differenz kann bezweifelt werden. Erinnert
Die kreatürliche Freiheit untersteht Gottes Kausalität. 15^
Duns selbst hat dies keineswegs als Beschränkung der Freiheit
empfunden. Dass der Mensch dem Gefüge der innerweltlichen
Kausalität entnommen ist, das macht seine Freiheit aus. Dasa
aber ein höherer Faktor dieselbe bestimmt, hemmt sie nicht,
geradeso wie Duns es ausdrücklich in Abrede stellt, dass die
göttliche Einwirkung auf den Willen zur Ergreifung der Selig-
keit im ewigen Leben die Freiheit aufhebe, da ein höherer
und nicht ein niederer Faktor hier auf den Willen einwirke
(IV dist. 49 quaest. 6, 15). Dass aber unser Denker bei der
Sündenlehre und dem Prädestinationsbegriff allen Scharfsinn
aufbietet, um den Konsequenzen des Determinismus auszu-
weichen, ist nur selbstverständlich. Wir werden darüber au
seinem Ort berichten.
Nun wenden wir uns der zweiten der oben aufgeworfenen
Fragen zu, wie kann neben der Kontingenz die certitudo
scientiae in Gott aufrecht erhalten werden? Die Antwort ist
jetzt leicht zu geben. Gottes Intellekt hat kein anderes Objekt
als seine Willensbestimmung. Diese ist unwandelbar und inim-
pedibel. Daher ist Gottes Erkenntnis der Welt schlechthin
sicher und gewiss (Sent. I dist. 39 quaest. unic. § 22). Man
kann aber auch vom Intellekt ausgehen und sagen, dieser biete
dem göttlichen Willen die Ideen dar entweder als einfache oder
in einer Anzahl möglicher Kombinationen derselben. Der Wille
wählt nun in absoluter Freiheit eine dieser Kombinationen als
in einer bestimmten Zeit zu realisierende. Und zwar wird sie
in kontingenter Weise — nach Gottes Willen — realisiert.
Weil Gott es so will, wird es. Daher aber erkennt der Intellekt
dies Werden mit absoluter Sicherheit (ib. § 23. 24). Gott
sieht also auch das Freie als absolut notwendig, weil er es
eben so gewollt hat (25). Somit erkennt es auch der Intellekt
als etwas vermöge jener Bestimmung Notwendiges. Es ist aber
diese Notwendigkeit für den Intellekt die necessitas conse*
quentiae, nicht die necessitas consequentis (ib. 35). Das heisst,
man sich nämlich aus der scotistischen Metaphysik der Lehre von der
prima materia als der Potenz schlechthiniger Abhängigkeit von Gott, so
wird man diese Determination des Willens mit jener Idee in Zusammen-^
hang zu bringen geneigt sein. Doch darf das nur angedeutet werden, so-
fern es von Duns nicht direkt gelehrt wird.
1(;0 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
es ist eine Notwendigkeit der Abfolge, des Schlusses, der durch
die Prämissen unumgänglich ist, es ist aber nicht eine Not-
wendigkeit, mit der etwas aus einem anderen, als seinem un-
mittelbaren Grunde, hervorgeht. Also nicht macht die Er-
kenntnis Gottes dies Geschehen notwendig, sondern es er-
scheint der Erkenntnis als notwendig in der Konsequenz der
göttlichen Willensbestimmung.
Damit ist die schwierige Frage im Sinn des Duns Scotus
gelöst. Das Resultat ist in der Kürze folgendes : da die Welt
sich nicht erschöpft in einer schlechthin notwendigen essentiellen
Ursachenreihe, sondern kontingentes Handeln umfasst, so kann
die für jene wie dieses massgebende erste Ursache selbst nur
als kontingent wirksam gedacht werden. Diese erste Ursache
setzt nun die Welt sowohl in ihrer Notwendigkeit als in ihrer
Freiheit als Mittel zur Realisierung ihres Selbstzweckes. ^)
Sie gewährt einem Teil der Kreatur die Freiheit im denkbar
umfassendsten Masse. Indem aber die Freiheit nur gegeben wird
als ein Mittel, durch das der göttliche Selbstzweck verwirklicht
wird, ist es im Zusammenhang der Gedanken des Duns einfach
undenkbar, dass die Freiheit etwas anderes wirkte, als was Gott
will oder wozu sie von ihm erschaffen wurde. — So versteht
es sich, wenn ich recht sehe — Duns selbst hat den Zusammen-
hang nie recht durchsichtig gemacht — , dass neben dem nicht
selten durchblickenden Determinismus Duns in so krasser Weise
die absolute Freiheit des Willens behauptet hat. Der Wille
ist in der That frei nicht nur von der Notwendigkeit des
Naturzusammenhanges, sondern auch von einer ihn im einzelnen
bestimmenden und zwingenden Einwirkung Gottes. Die Frage
aber, ob der Wille im stände sei sich schlechtweg gegen Gottes
Willen zu wenden, hat er sich nicht gestellt und konnte er
sich — genau genommen — auch nicht stellen, indem er ja
die Freiheit desselben nur dachte als verursacht von Gott be-
hufs Realisierung des göttlichen Selbstzweckes. So wenig je
der Naturzusammenhang gegen Gottes Willen Verstössen kann,
so wenig die Gesamtheit des freien Wollens der Menschheit,
denn das eine wie das andere haben ja ihre Ursache an Gott
^) Genaueres hierüber wird einige Seiten später zur Mitteilung
kommen.
Der Wille Gottes. 161
und zwar ihre freie Ursache, die sie zu ganz bestimmtem Zweck,
nämlich dem ultimus finis Gottes, schuf und bestimmte.
4. Nachdem wir so über das Verhältnis des göttlichen
Willens zur menschlichen Freiheit ins Reine gekommen sind,
wenden wir uns einer etwas genaueren Betrachtung des gött-
lichen Willens und seiner Freiheit selbst zu.
Zunächst muss die göttliche Freiheit abgegrenzt werden
gegen die Freiheit, wie die Kreatur sie hat. Die Freiheit der
Kreatur besteht in der Möglichkeit eines velle oppositos actus
(s. oben S. 87). Wollte man nun auch Gott ein indifferentes
Wollen beilegen, so trüge man damit kreatürliche UnvoU-
kommenheit in Gott hinein. Unser Wille hat es nämlich immer
mit einer Vielheit wählbarer Objekte und ihnen proportionierter
Handlungen zu thun. Dadurch ist er stets dem Gegensatz
unterstellt, denn er kann in vielen einzelnen Volitionen die
verschiedenen Objekte nur in ihrer Gegensätzlichkeit ergreifen.
Der unendliche Wille Gottes aber vermag in einer Volition
das zu Wollende zu ergreifen und festzuhalten. lila voluntas
potest unica volitione simplici illimitata tendere in quaecunque
volibilia, ita quod si voluntas illa vel illa volitio esset tantum
unius volibilis et non posset esse opposita, quod tamen est de
se volibile, hoc esset imperfectionis in voluntate (I dist. 39
quaest. unica § 21). Also Gott ergreift in einem Willensakt
das Wollbare schlechthin, daher richtet sein Wille sich nicht
auf Gegensätze, er ergeht sich nicht in fortdauerndem Wählen
zwischen Vielem und Gegensätzlichem.
Hieraus ergibt sich für die logische Betrachtung eine ge-
wisse Schranke im göttlichen Willen. Unsere voluntas ist
productiva actuum, indem sie an sich frei und befähigt ist zu
entgegengesetzten Akten. Diese voluntas operativa ist aber
auch receptiva, sofern dies Vermögen eine der möglichen Vo-
litionen oder Wollungen annimmt und sie dann verwirklicht.
Die eigentliche Freiheit haftet am Willensvermögen oder der
voluntas operativa. Diese Freiheit ist nun auch in vollem Um-
fang in Gott. Indem aber die Wahl für Gott fortfällt, gilt
die rezeptive und produktive Willensfreiheit zunächst nicht von
ihm. Aber nur zunächst, denn in gewissem Sinn können, auch
diese auf Gott übertragen werden. Denkt man nämlich Gott
Seeberg, Die Theologie des Diins Scotus. 11
162 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v, d. Menschen u, d. Sünde.
als Schöpfer der Welt, so ist die productio in esse volito, so-
fern Grott von Ewigkeit her will, dass Welt sei, notwendig.
Aber es ist an sich nicht notwendig die productio in esse
existentiae d. h. die Erschaffung der Welt als zeitlich be-
stehender. Man kann also hier von einer relativen produktiven
Freiheit reden, sofern aus dem Wollen der Welt an sich noch
nicht das Wollen dieser zeitlichen Welt folgt, letzteres also
gewissermassen eine besondere Volition ersterem gegenüber be-
dingt (ib. § 21). Duns hat aber ganz Recht, wenn er diesen
Gedanken verklausuliert, denn an sich könnte ja auch gedacht
werden, dass jene erste und einzige Volition nicht nur das Sein,
sondern auch das Sosein der Welt in sich fasste. Diese Be-
trachtungsweise kann in unserem Zusammenhang dadurch ge-
stützt werden, dass ja Duns selbst seine ganze Deduktion nicht
nur an das Dasein, sondern an das Sosein der Welt geknüpft
hat. Allein Duns hat dennoch an seinem Gedanken festge-
halten und zwar mit gutem Grunde. Denkt man nämlich Gott
an sich, so kann als an sich notwendig nur das Wollen seiner
selbst, natürlich dann mit Einschuss seiner Ideen, also auch der
Weltideen, gedacht werden. Dagegen kann man nicht als not-
wendig bezeichnen das Wollen der besonderen zeitlichen Ge-
staltung dieser Welt; hier kann vielmehr Kontingenz ange-
nommen werden, da Gott seinen Zweck durch viele einander
entgegengesetzte Mittel zeitlich verwirklichen konnte (ib. 22).
Man kann also sagen: indem Gott will, will er seine bo-
nitas, alles andere will er nur, sofern es zu dieser in Beziehung
steht, also kann Gott nichts Böses wollen (de rerum princ.
quaest. 4 art. 2, 15. 17). Der Wille Gottes ist in jenem Sinn
unveränderlich; indem aber die zeitliche Verwirklichung des-
selben nicht an äussere Verhältnisse gebunden ist, kann er hier
kontingent handeln und dadurch die Kontingenz der Kreatur
ermöglichen (ib. 29 f.) Fragt man aber, warum Gott so will,
wie er will, so ist diese Frage nur ein Zeichen der Unbildung.
Wie die Wärme wärmt, weil sie Wärme ist, so will der Wille
weil er Wille ist. Et ideo huius quare voluntas voluit
hoc, nulla est causa, nisi quia voluntas est volun-
tas; es gibt dafür keine causa prior (Sent. I dist. 8 quaest.
5, 24).
Gottes Wille nicht Willkür. l63
Nun ist es aber docli fehlerhaft, wenn man etwa in An-
knüpfung an diese Stelle sich zufrieden gibt mit der Formel:
der Gott des Duns ist schlechthinige und regellose Willkür^).
Das ist ganz einseitig. Geradeso wie der menschliche Wille
seinen Spielraum an dem objektiv Gegebenen und daher Denk-
baren hat, so ist der göttliche Wille gebunden an das göttliche
Sein. Gott will, das heisst zunächst, er will sich wie er ist;
er will also auch die Welt , wie sie als seine Idee ein Bestand-
teil seiner selbst ist. In dieser Hinsicht ist der Wille Gottes
also gebunden durch sein Wesen. Dagegen ist er frei zu
Differentem in Bezug auf die zeitliche Gestaltung der Welt.
Hier war eine andere Ordnung als die wirkliche an sich mög-
lich. Doch auch diese bleibt an einen bestimmten Spielraum
geschlossen, nämlich an die bonitas Gottes. Dies darf nicht
übersehen werden, wenngleich Duns selbst, etwa durch seine
Leugnung, dass etwas an sich als gut gelten könne für die
Kreatur, und ähnliche Schulwitze, dazu auffordert. Aber ihn
leitet bei solchen Erwägungen — wir kommen gleich zu ihnen
— ein anderer Gesichtspunkt. Er will einschärfen, dass inner-
halb der positiven Grösse der christlichen Religion (s. S. 113 f.)
nichts gilt als der positive Wille Gottes als des Herrn. Die
Erwägung anderer Möglichkeiten, etwa in der christlichen
Moral, soll doch nur eindrücklich machen, dass es nur ein
positiv Wirkliches für den Christen gibt, das was Gott wirk-
lich will. Innerhalb seiner Gesamtanschauung sind jene Mög-
lichkeiten der sog. potentia absoluta daher für seine Theologie
— streng genommen — nichtssagend, sofern sein Positivismus
jede Geltung derselben ausschliesst. Er hat als Philosoph mit
solchen Möglichkeiten rechnen können, aber sie haben inner-
halb seiner Theologie schliesslich nur die Bedeutung, die
Eigenart des positiven Christentums schärfer zu beleuchten.
5. Wir wurden auf die Begriffe der potentia absoluta
und der potentia ordinata geführt. Der Spielraum dieser
^) Diese Auffassung ist durch die einseitige und keineswegs er-
schöpfende Darstellung von B a u r (Lehre von der Dreieinigkeit II, 654 ff.)
zu einem Dogma der Dogmenhistoriker und Dogmatiker unseres Jahr-
hunderts geworden.
11*
164 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
Begriffe ist also in den Wirkungen Gottes in der Welt zu
suchen, indem Gott dieser neben der wirklich erfolgten auch
andere Gestaltungen hätte gewähren können. Dieser Unter-
schied ist in analoger Weise bei jedem agens libere vorhanden,
sofern es sowohl nach Gesetz und Vernunft als auch unter
Absehung von diesen Normen handeln kann (I dist. 44 quaest.
un. § 1). Nun ist klar, dass Gott an sich an kein über ihm
stehendes Gesetz gebunden ist. An sich hat jene Unterscheidung
für Gott also einen anderen Sinn als für die Menschen, denn
auch das gegen die Regel verstossende Thun Gottes würde
einer anderen gleich guten Regel folgen. Wir reden von der
absoluten Macht Gottes, sofern sie der regelmässigen Ordnung
nicht entsprechen würde (ib.) Sie bezeichnet also die schlecht-
hin unbeschränkte Macht Gottes so oder anders in der Welt zu
handeln. Die potentia ordinata ist dagegen die göttliche Macht,
wie sie sich auf Grund und in Zusammenhang bestimmter von
Gott fixierter Gesetze und Ordnungen bethätigt. Diese Ord-
nungen haben ihren Grund in Gottes Willen. Gottes Gesetz
und Ordnung ist recht, weil Gott es gerade so gewollt hat.
Das Gute ist gut, weil Gott es will, nicht will es Gott, weil
es gut ist (III dist. 19 quaest. unic. § 7). Was immer Gott
will, ist als von ihm gewollt gut, da nämlich sein Wille der
oberste Massstab zur Unterscheidung von Gut und Böse ist:
nou potest aliquid velle quod non possit recte velle, quia vo-
luntas sua est prima regula (IV dist. 46 quaest. 1, 6). Dass
aber Gott nicht etwa im Sinne des Duns, auch Böses und
Thörichtes wollen könnte, folgt aus den oben S. 162 f. gemachten
Bemerkungen. Es ist aber in der potentia absoluta begründet,
dass Gott auch von seinen eigenen Ordnungen absehen und
anders handeln könnte. Sicut potest aliter agere, ita potest
aliam legem statuere rectam, quia si statueretur a deo, recta
esset, quia nulla lex est recta, nisi quatenus a voluntate divina
acceptatur. Darnach ist etwa die von Gott gegebene Ordnung,
quod omnis glorificandus prius est gratificandus, zu beurteilen.
Die göttliche Macht kennt dabei, abgesehen von den in dem
göttlichen Wesen begründeten Schranken, als von aussen ge-
geben nur eine Schranke: das logisch Unmögliche. Quodhbet
tenendum est esse deo possibile quod nee est ex terminis mani-
Potentia absoluta und ordinata. 165
festum impossible nee ex eo impossibilitas vel coiitradictio evi-
denter concluditur (IV dist. 10 quaest. 2 § 5. 11). Gott kann
den Sünder, der in Todsünden stirbt, erretten, er kann auch
den bereits verdammten Judas retten , er kann aber nicht
etwa einen Stein selig machen, weil das logisch unmöglich ist
(I dist. 44 quaest. un. § 2 — 4; cf. dist. 42 quaest. un. § 2).
Auch kann Gott Geschehenes nicht ungeschehen machen (IV
dist. 1, quaest. 6, 5). Ebenso kann Gott zwar Kalte erzeugen,
aber nicht in der Weise, dass die Wärme die causa activa
bezüglich der Kälte wäre (IV dist. 1. quaest. 1, 26).
Wir haben also erkannt, dass Gott als primum agens
Vernunft und Wille ist. Das selige Leben Gottes besteht somit
darin, dass er denkt und will (I dist. 8 quaest. 4, 7).
6. Ehe wir aber weitergehen, müssen wir zu dem Zu-
sammenhang zurückbiegen, in den Duns seine ganze Erörte-
rung über Gottes Willen und Intellekt gerückt hat. Die
zweite Distinktion des 1. Buches der Sentenzen ging aus von
dem !N achweis, dass es eine erste und letzte Ursache, sowie
ein schlechthin Eminentes in Gott gebe. Diese Betrachtung
führte zu dem Resultat, von dem wir herkommen, dass Gott
Denken und Wollen ist. Aber für Duns ist letzteres formal
nur ein Zwischengedanke. Er führt seine Erörterung weiter
fort zu dem Begriff der Unendlichkeit Gottes. Der Weg
ist folgender. Da wir erkannten, dass Gott erste Ursache und
sofern erste Ursache Willen ist, so ist hiermit der Ausdruck
für Gottes Wesen gefunden. Da nun aber der sich selbst
wollende Gott als geistig sich selbst erkennt, so ist das gött-
liche Sein gleich Wollen und Erkennen, oder mit anderen
Worten geistiges Leben, denn jene beiden Begriffe vertragen
ja auch eine Zusammenfassung (oben S. 85). Ist nun Denken
und Wollen die göttliche Essenz (quod eius intellectus et vo-
litio non est aliud ab essentia eius), so ist kein Gedanke und
keine Wollung in Gott denkbar, die accidentell oder von aussen
veranlasst sein könnte, denn dadurch würde ja eine Modifikation
der göttlichen Natur selbst veranlasst. Vor allem aber ist
nichts vorhanden oder denkbar, was Gott einen neuen Ge-
danken oder Antrieb bringen könnte, denn alles was ist, ist
ja nur als von ihm der prima causa gedacht und gewollt
166 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
(I dist. 2 quaest. 2, 22. 23). Also entstehen in Gott keine
neuen Gedanken und Anregungen. Endlich muss festgestellt
werden, dass der göttliche Intellekt immer denkt und unaus-
gesetzt distinkte und aktuelle Erkenntnis alles Erkennbaren hat,
da ja alles vom göttlichen Willen gesetzt wird und das distinkte
Erkennen zur Klarheit dem Einzelnen gegenüber gehört (24).
Diese Sätze stellen die Praeambula her für den Nachweis
der Unendlichkeit Gottes. Der Nachweis gestaltet sich folgen-
dermassen. Zuerst wird aus der causa efficiens bewiesen. Das
Erste bewegt motu infinito, denn das Sein ist endlos, dann ist
das Erste aber selbst unendlich. Indem es omnes effectus
possibiles in sich fasst, muss ihm eine unendliche Kraft zuge-
schrieben werden (§ 25). — Zweitens: da Gottes Intellekt alles
zumal aktuell und distinkt erkennt, ist er auch von hier aus
als unendlich zu bezeichnen (§ 30). — Drittens : unser Wille
kann das Unendliche erstreben und lieben, wir machen die un-
mittelbare Erfahrung vom Unendlichen, experimur de actu
amandi bonum infinitum (§ 31). — Viertens : das schlechthin
Eminente verträgt nichts Vollkommeneres neben sich, es ist
ihm inkompossibel, dagegen ist das Endliche nicht inkompossibel
einem Vollkommeneren. Also ist das schlechthin Eminente
nicht endlich, sondern unendlich (§ 31). Mit diesem letzten
Satze kombinirt Duns den anseimischen Beweis für das Dasein
Gottes. Das summe cogitabile kann nicht nur im Intellekt sein,
dann könnte es eben nur denkmöglich, aber zugleich so sein,
dass es nicht wirklich sein kann. Daher ist es freilich ein
maius cogitabile, wenn es wirklich und nicht nur intellektuelle
Fiktion ist. Das hat nicht den Sinn, als wenn das Gedachte
dadurch mehr denkbar würde, dass es ist, sondern es bedeutet,
dass grösser als alles Übrige im Intellekt nur ein solches
cogitabile sein wird, das wirklich existiert. Dies kann auch
so erläutert werden, dass die wirkliche Existenz des Dinges
erst die Bedingungen zu wirklich vollkommener denkender Er-
fassung desselben darbietet (l..c. § 32). — Somit ist bewiesen,
dass der persönliche Gott der unendliche Gott ist. Den Ver-
such des Thomas, diesen Nachweis aus der Immaterialität Gottes
zu führen, verwirft Duns, da etwa die Engel immateriell, aber
nicht unendlich sind (§33).
Gottes Unendlichkeit und Einheit. 167
7. Schliessen wir liier die hiermit eng zusammeDhängende
Aussage von Gottes Einheit gleich an. Wilhelm Varro hat
die Beweisbarkeit derselben geleugnet. Dem gegenüber führt
Duns einen siebenfachen Beweis für die Einheit Gottes: 1. Gott
hat den unendlichen Intellekt, dieser muss alles schlechthin
vollkommen erkennen, ein Gott könnte aber den anderen nie
mit der Vollkommenheit des Erkennen s durchschauen wie die
von ihm geschaffene Welt (I dist. 2 quaest. 3, 2). 2. Als
schlechthin gerecht liebt Gott alles nach Verdienst, also müsste
er einen anderen Gott unendlich lieben, er würde aber sich
selbst mehr und eher unendlich lieben, was unmöglich ist (§ 3).
3. Der Wille des Menschen könnte nicht Ruhe finden im Unend-
lichen, wenn er zwischen dem einen und anderen Gott abwechseln
müsste (§ 4). 4. Zwei Totalursachen eines Effektes (der Welt)
sind undenkbar (ib.). 5. Das Unendliche ist schlechthin voll-
kommen, aber zwei Unendliche müssten vollkommener sein, das
ist Unsinn. 6. Ebenso müsste das schlechthin Notwendige pluri-
ficabel sein (§ 5). 7. Ein Gott könnte zerstören was der andere
schafft, eine doppelte Allmacht ist undenkbar (§ 6). — Ist also
eine Mehrheit von Göttern nicht denkbar, so ist der unendliche
Gott schlechthin einer.
Diese Betrachtung stellt den wissenschaftlichen Zusammen-
hang in der Konstruktion der Gotteslehre des Duns Scotus
fest. Duns geht aus von dem Gedanken der ersten Ursache
und erweist die PersonaUtät derselben. Gottes Sein ist Denken
und Wollen. Daran schliesst sich an der Nachweis der
Unendlichkeit Gottes, nicht nur in Bezug auf die Kau-
salität, sondern ebenso auch in Bezug auf die Personalität Gottes.
Der persönliche, denkende und wollende, Gott ist schlechthin un-
beschränkt durch die Welt und bedingt alles in der Welt. Der
persönliche Gott ist also der absolute Gott. ^)
^) Dieser Begriff entspricht dem Gedanken des ens infinitum bei
Duns, denn letzterer Begriff soll, wie Duns ausdrücklich hervorhebt, nicht
nur in negativem Sinne (non dicit quid est deus, sed quid non est) ver-
standen werden, sondern positiv. Dann ist sein Sinn folgender: per
„infinitum" intenditur significari illud poni in perfectione divina, ad quod
consequitur exclusio sive negatio cuiuslibet termini et finis tarn intrinsecl
168 Kap. II : Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d, Menschen u. d, Sünde.
Das ist der systematische ZusammeDhang in der Konstruktion
unseres Dogmatikers.
Der Gottesbegriff wurde also aus dem Verhältnis Gottes
zur Welt abgeleitet. Nun hat Duos hierbei allerdings seine
Gedanken nicht so, wie Luther, an die positive Heilsoffenbarung
in Christo angeschlossen, sondern an das allgemeine Kausalitäts-
verhältnis Gottes zur Welt angeknüpft. Indem man aber ge-
nauer seine Bemerkungen über das Verhältnis Gottes zur Welt
studiert, kommt man zu dem Resultat, dass trotz der schwer-
fälligen metaphysischen Formen, in denen er sich bewegt, im
Hintergrund eine lebhafte religiöse Anschauung von Gottes
Wirken wahrnehmbar wird.
8. Wir sahen, dass das göttliche Wesen geistiger Wille
ist. Dieser Wille ist der Welt schlechthin mächtig, indem er
als allmächtiger die direkte und unmittelbare Gewalt Gottes
über alle Dinge darstellt, sodass alles, was ist und wird, direkt
oder durch die causae secundae, auf den allmächtigen Willen
Gottes als letzte Ursache zurückgeht (Sent. I dist. 42 quaest.
un. § 2). Dem unendlichen Spielraum der Bethätigung der
göttlichen Allmacht entspricht die Unendlichkeit Gottes (de
princ. rer. quaest. 3 art. 3, 18). Nun schliesst aber die Un-
endlichkeit Gottes jede zeitUche Succession in Gott ebenso aus
wie die Beziehung auf einzelne Objekte als solche. Wie der
göttliche Intellekt alles Einzelne in einer Intuition zugleich
erschaut, ohne eine Succession und Wiederholung der Gedanken,
so ergreift auch der AVille in einem Akt alles Wollbare:
sie voluntas uno actu volendi non innovato nee diviso vult
omnia opposita, omnia volita esse idem et non esse respectu
diversorum temporum vel respectu eiusdem nunc divisim (1. c.
§ 20). Der Wille ergreift also in einem Akt die Objekte,
quam extrinseci. Per „infinitum" enim dictum de deo intelligitur iUud
significare, quo deus omne finitum excedit, quod non potest
esse negatio tantum, sed necessario est aliquid positivum
maximae dignitatis et perfeotionis. Quod autem talia positiva
et tales perfectiones significentur per nomina negativa hoc est, quia talia
positiva et tales perfectiones sunt nobis magis ignotae quam eorum con-
traria et ideo talia positiva significamus per nomina negativa et eorum
contraria significamus per nomina positiva (Miscellan. quaest. 5 § 20).
Gott ist actus purus. 169
ohne dass ihre zeitliche Entfernung oder die Gegensätzlichkeit
unter ihnen hindernd in den Weg kämen. Der Wille will die
also getrennten Objekte zugleich (simul vult), aber er will sie
nicht als gleichzeitige (simul esse, 1. c. 20). Der Wille setzt
in der Ewigkeit die zeitliche Welt, bestimmt von Ewigkeit her
den zeitlichen Anfang und Fortgang derselben. Dens ia
aeternitate voluit aliquid aliud a se esse pro aliquo tempore
et tunc illud creavit pro quando voluit illud esse (Sent. I
dist. 8 quaest. 5, 23). Aus diesen Gedanken folgt, dass aus
dem Entstehen der Dinge und ihrem Wandel in der Zeit kein
Wandel oder Wechsel und keine Zeitfolge des Handelns in
Gott abgeleitet werden kann. Ist nun das Sein und W^erden
der Dinge in dem einen ewigen Willensakt Gottes beschlossen,
dann wird Gott schlechthinige Aktualität sein. Indem
das Spätere nicht das Frühere und das Zweite nicht das Erste
in Gott verdrängt, gibt es in Gott keine Potenzialität. Diese
brächte zeitliche Aufeinanderfolge und damit UnvoUkommenheit
in Gott hinein. Gott aber ist actus purus d. h. schlecht-
hinige Aktivität (vgl. z. B. I dist. 27 quaest. 3, 10 ; III dist, 32
quaest. un. § 2). Mit dieser Formel, die Duns mit den übrigen
Scholastikern gemein hat, ist aber die absolute Unveränder-
lichkeit des unendlichen Gotteswillens erwiesen. — Was ist es
aber nun um den Inhalt dieses Willens?
9. Auf diese Frage hat Thomas die Antwort gegeben, dass
der gütige die Welt bewegende Wille Gottes Liebe ist. ^) Eine
ähnliche Betrachtung hat auch Duns angestellt.
Die 32. Distinktion des 3. Buches behandelt nämlich die
Frage: Utrum deus diligat ex caritate omnia aequaliter? In
dem Zusammenhang dieser Erörterung ist nun Duns zu dem
wichtigen Kesultat gelangt, die Gesamtheit der Beziehungen
Gottes zur Welt unter den Gesichtspunkt der Liebe zu stellen.
Duns geht, wie Thomas, von dem Satz aus, dass Gott als ver-
nünftiges und wollendes Wesen, in dem es den Wechsel von
Potenz und Aktus nicht gibt, sich selbst erkennt und liebt und
zwar actu (1. c. quaest. unic. § 2). Nun kann sich aber der Wille
^) S. hierüber Ritschi in Jahrbücher f. Deutsche Theol. 1865,
S. 279 ff. sowie m. Dogmengesch. II S. 90.
170 Kap. II: Der Gottesbegriff, Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
auf jedes volibile richten: igitur voluntas divina potest diligere
omnia diligibilia alia a se. Diese Liebe ist nun eine wirksame
(dilectio efficax) all dem gegenüber, das Gott zum Sein führt (1. c).
Oder der Grund der Schöpfung sowie aller Bethätigung Gottes
an der Kreatur ist der göttliche Liebeswille. Diese Liebe darf
aber nicht auf eine der trinitarischen Personen beschränkt
werden. Dächte man etwa, sie wäre ein Proprium des heiligen
Geistes, so müsste entweder gefolgert werden, dass der heilige
Geist nicht notwendig aus dem Vater hervorgeht, was falsch
wäre (s. unten), oder man müsste von einer nicht freien, sondern
notwendigen Liebe Gottes zur Kreatur reden, was ebenfalls
irrig wäre, denn keine Beziehung auf ein ausserhalb seiner
selbst gelegenes Sein, kann für Gott als notwendig bezeichnet
werden (§ 3). Es ist sonach Gott, welcher liebt, wobei dann
freilich gesagt werden kann, dass wie der Vater alles im Wort
sagt, er alles im Geist liebt, doch so, dass diese Liebe den
drei Personen gemeinsam ist (4).
Diese Liebe ist nun, nach dem oben Entwickelten, als
ein auf alles zugleich gerichteter göttlicher Akt zu denken.
Von hier aus beantwortet sich die zum Eingang aufgeworfene
Frage. Setzt man die Handlung zum Handelnden in Beziehung,
so ist Gleichheit des Liebens vorhanden, denkt man an die von
jener Handlung betroffenen Objekte, so ist Ungleichheit da,
sofern dieselben untereinander im Verhältnis der Abstufung
stehen. Das vernünftige Wollen hat nämlich zum nächsten un-
mittelbaren Objekt das gewollte Ziel, das nächstfolgende Objekt
ist dann das, was unmittelbar an das Ziel heranreicht ; es folgt
drittens das , was mittelbar zur Erreichung dieses Zieles be-
stimmt ist. Der göttliche Wille also hat zum nächsten Objekt
sein Ziel, das ist Gott selbst. In sich als dem Unendlichen
ruht der göttliche Wille in Seligkeit aus. Zweitens richtet
sich der göttliche Wille auf dasjenige, was unmittelbar Be-
ziehung zu diesem göttlichen Selbstzweck hat. Das ist die
göttliche Prädestination, welche andere dazu erwählt, dass sie
thun, was Gott thut, nämlich ihn zu lieben und darin Seligkeit
zu haben. Secundo vult illa quae immediate ordinantur in
ipsum praedestinando scilicet electos qui immediate attingunt
ipsum, et hoc quasi reflectendo, volendo aliis diligere idem
Gott ist Liebe. 171
obiectum secum ... et hoc est velle aliis habere amorem suum
in se, et hoc est praedestinare eos, si velit eis hoc bonum fin-
aliter. Drittens befasst dann der göttliche Wille in sich die
Mittel, vermöge welcher die Prädestinierten das Heil erlangen,
das sind die Erweisungen der Gnade : quae sunt necessaria ad
attingendum tunc finem scilicet bona gratiae. Viertens will
Gott um der Erwählten willen , die noch ferner liegenden
Mittel, also diese Welt, welche ihre Beschaffenheit in Beziehung
auf die Erwählten erhalten hat, indem diese den Zweck der
Welt darstellen. Quarto, schreibt Duns: vult propter illos
alia quae sunt remotiora, puta hunc mundum sensibilem, ut
serviat eis . . . Sive igitur quia deus vult mundum sensibilem
in ordine ad hominem praedestinatum, sive quia quodammodo
vult immediatius hominem amare se quam mundum sensibilem
esse, homo erit finis mundi sensibilis (1. c. § 6 vgl. denselben
Gedanken II dist. 20 quaest. 2, 2). Sonach ist die Abstufung
der Liebe Gottes zu der Kreatur bedingt durch das Verhältnis,
das die Kreatur zur Verwirklichung des göttlichen Selbstzweckes
einnimmt. Indem hierfür nicht nur die generelle Differenz der
Daseinsgruppen, sondern auch die individuelle Differenz von
Prädestiniert- und Nichtprädestiniertsein in Betracht kommt,
verwirklicht sich die eine göttliche Liebe in verschiedener Weise
an der Welt, non solum quantum ad gradus specificos, sed
etiam in individuis eiusdem speciei (III dist. 32 qu. un. § 6).
Hierdurch ist die von Duns aufgeworfene Frage beant-
wortet. Es gibt nur eine göttliche, das Weltall, sein Sein und
Werden, umspannende göttliche Liebe. Indem aber die Objekte
in der Welt eine nähere oder fernere Beziehung zum letzten
Ziel jenes Liebeswillens haben, kann gesagt werden, dass
Gott das eine mehr als das andere liebt. Das hat nicht den
Sinn, als wenn das eine eine grössere Liebe verdiente als das
andere, der Grund liegt lediglich im göttlichen Willen, der
diese Abstufung mit der von ihm gewollten Weltordnung setzt:
ratio est in ipsa voluntate divina, quia sicut ipsa acceptat alia
in gradu, ita sunt bona in tali gradu et non e converso (ib.).
Bei einer Entwicklung wie der eben mitgeteilten, vermisst
man es besonders schmerzlich, dass es dem Duns Scotus nicht
vergönnt gewesen ist, seine Gedankenwelt in einer „Summa"
172 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
zum System zusammenzuordnen. Mitten in jenem 2. Teil des
3. Buches des Sentenzenkomraentars, der mit seinen ethischen
Fragen den ursprünglich christologischen Zusammenhang ganz
vergessen hat, stehen diese Ausführungen. Und doch, hätte
Duns ein System geliefert, so hätte ihnen eine auch systematisch
durchgreifende Bedeutung zukommen müssen. Was es um das
Grundverhältnis Gottes als des absoluten Willens zur Welt
ist, darüber spricht sich Duns hier aus. Gott wiU sich oder
er liebt sich. Indem nun alles Sein und Werden auf Gott
zurückgeht, ist es diesem letzten Zweck untergeordnet und teilt
sonach mit jenem die auf ihn gewandte göttliche Liebe. Gott
hebt, indem er sich liebt, die Erwählten, welche in ihm ihr
Ziel finden und er liebt, weil er die Erwählten liebt, alle Dinge,
sofern sie diese zu ihrem Ziel führen. Die Liebe ist das Grund-
verhältnis Gottes zur Welt. Alles Geschehen in ihr dient
dem Zweck seines Liebeswillens, darum sind alle Dinge in
dieser Welt dem Menschen untergeordnet. Durch diese Ge-
danken erhält die Anschauung des Duns vom persönlichen Gott
noch deutlichere und lebhaftere Formen, als es durch die obigen
Feststellungen schon der Fall war. Oder Duns hat den im
Rahmen der natürlichen Betrachtung gewonnenen Begriff von Gott
ergänzt durch den christlichen Gedanken, dass Gott Liebe ist.
10. Die Liebe Gottes zu der Welt ist also abgestuft je
nach dem Grade der Beziehung, den die Weltwesen zu Gott
und seinem Zweck haben. Alles Daseiende wird von Gottes
Willen gefördert, sofern es dazu dient, dass Gott von ihm ge-
liebt werde, wie er sich selbst liebt. Nun sind aber die Be-
dürfnisse und die Beziehungen der Menschen zu Gott sehr
mannigfaltige. Daher wird sich jene Liebe auch in verschiedener
Weise an den Menschen offenbaren. Hier greift die Betrachtung
über Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ein,
die Duns wieder in anderem Zusammenhang vorgetragen hat,
dort wo er von dem letzten Gericht handelt. In diesen Ge-
danken kommt der positive Gottesgedanke des Duns zur Voll-
endung.
Die Gerechtigkeit wird im Anschluss an Anselm^ definirt
^) S. Anselm de veritate 12: iustitia est rectitudo voluntatis propter
se servata.
Gottes CTerechtigkcit. ' 173
als rectitudo volimtatis propter se servata und zwar bezüglich
des esse ad alterum. Dieser Begriff ist auf Gott anwendbar,
denn der göttliche Wille ist an sich recht, da er die erste
Regel zur Bemessung des Rechten bildet, und dieser Wille kann
auch nur so bleiben. Ist aber Gottes Wille in sich gerecht, so wird
er es auch in Bezug auf andere sein (IV dist. 46 quaest. 1, 2).
Diese Gerechtigkeit Gottes kann aber, streng genommen, nicht
wie die menschliche Gerechtigkeit als Übereinstimmung mit einer
von aussen gegebenen Norm, d. h. als iustitia legali^ gedacht
werden, es sei denn, dass man etwa den Satz : deus diligendus
est, als solch eine Norm ansieht, sofern diese veritas practica
jeder Bestimmung des göttlichen Willens voraogeht (§ 3). Wir
yerstehen diesen Satz aus den vorhergehenden Betrachtungen
über die göttliche Liebe. Ist nämlich die Selbstliebe der Zweck
Gottes und ergeht Liebe über die Kreatur nur sofern sie jenem
Zweck dient, so kann man freilich sagen, dass jede Willens-
bethätigung Gottes der Norm „deus diligendus est'' untersteht. —
Weiter kann die göttliche Gerechtigkeit noch unter folgende
Gesichtspunkte gestellt werden. Da der göttliche Wille recht
ist, bedingt seine Beschaffenheit, dass er nur solches will, was
seiner bonitas gemäss ist. Indem Gott so d. h. gut will, voll-
führt er gewissermassen eine redditio debiti sibi ipsi, id est suae
bonitati, also er bewährt seine Gerechtigkeit vor sich selbst
wie vor einem anderen. Wird hier Gott selbst gleichsam zum
Objekt der Erzeigung der göttlichen Gerechtigkeit gemacht,
so ist weiter als Objekt die Welt zu denken. So betrachtet
ist von der iustitia commutativa et distributiva zu reden (§ 3).
Jene richtet sich auf die dem Verdienst eines jeden korre-
spondierende Belohnung oder Bestrafung, diese lässt jedem das
seiner Natur Gemässe zukommen, wie etwa im Staatswesen
Ehren und Würden je nach dem Stande verteilt werden; es
sind perfectiones superadditae, die diese Gerechtigkeit spendet (4).
Diese zweite Form der Gerechtigkeit kann einfach auf Gott über-
tragen werden. Dagegen aber leugnet Duns, wie Thomas, — und
das ist von grösster Wichtigkeit — , dass man das erste Verhält-
nis der commutativen Gerechtigkeit einfach auf Gott übertragen
darf. Von einer wirklichen Korrespondenz der menschlichen
That und der göttlichen Vergeltung kann nicht geredet werden,
174 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
sondern das Verhältnis Gottes zu den Menschen ist vorzustellen
in der Weise wie das Verhältnis des Herrn zu seinen Knechten,
Hier waltet nun nicht die Regel streng rechtlicher Äquivalenz,
sondern hier gilt die Billigkeit, da der dominus liberalis ein
maius bonum geben muss (decet), quam servus possit mereri.
Thut der servus quod suum est, so wird der Herr das gleiche
thun (§ 4). Diese Betrachtung zeigt also, dass im Sinn des
Duns die Verdienste der Menschen keinen rechtlichen Anspruch
an Gott begründen — das ist begreiflich, da sie ja nur gelten,
sofern Gott sie „acceptierf' — , und dass überhaupt zwischen
Gott und Mensch nicht ein streng rechtliches, sondern das
patriarchalische Verhältnis eines wohlwollenden Herrn zu seinen
Knechten besteht. Wenn Gott die Seligkeit für die Ewigkeit ver-
leiht, so ist das nicht durch den Wert der menschlichen Verdienste
bedingt, sondern Gottes liberalitas gewährt den Menschen mehr
als sie verdienen (cf. IV dist. 49 quaest. 6, 21 ; dist. 50 quaest.
6, 16). Das ist Gottes „Milde'', die schon die altdeutsche
Dichtung an dem Himmelsfürsten zu rühmen fand.
Sehen wir von dem zuerst behandelten Gesichtspunkt (Ge-
rechtigkeit als Normrichtigkeit) ab, so sind zwei Gesichtspunkte
anzuwenden: die Gerechtigkeit Gottes 1) als die der Art des
göttlichen Willens entsprechende rechte Willensbethätigung und
2) als die rechte Willensbethätigung den Bedürfnissen der
Kreatur gegenüber (§ 5). Um den Unterschied zwischen beiden
Arten eindrücklich zu machen, hebt Duns besonders hervor,
dass Gott nicht gegen die erste, wohl aber gegen die zweite
handeln könne (§ 6). Das ist selbstverständlich, denn dass das
göttliche Handeln dem göttlichen Willen nicht konform sein
könnte, ist undenkbar, dagegen kann man sich — in abstracto —
vorstellen (nach der potentia absoluta), dass jener Wille eben
einen anderen Inhalt gehabt, Gott also auch anders an der
Welt gehandelt hätte.
Diese beiden Gesichtspunkte können aber bei Gott auch
auf einen reduziert werden. Das Handeln Gottes hat nämlich,
wie wir sahen (oben S. 162), nur eine notwendige Beziehung, das
ist die zu Gottes bonitas; die Beziehung zu allen einzelnen
Objekten der Welt ist rein zufällig. Somit wird allen mög-
lichen Beziehungen genug geschehen, wenn man Gottes Ge-
Gottes Gerechtigkeit abhängig von seiner Güte. 175
rechtigkeit sich erschöpfen lässt ad reddendum suae bonitati
vel voluntati quod eam condecet (§ 7). Die Gerechtigkeit
Gottes kann sonach im Sinn des Duns bestimmt werden als die
Handlungsweise, vermöge welcher Gott sich selbst d. h. seinem
Gutsein treu bleibt. Indem sein Handeln sich auf einzelne
Objekte richtet, ist es auch diesen gegenüber gerecht. Aber
Gott hängt von diesen nicht ab, er wird nicht etwa diesem
oder jenem gegenüber gerecht, sondern sofern sein Wille handelt,
handelt er als der gute gerecht (8. 9). Wie nun der Staat
zur Erhaltung des iustum boni publici absehen kann von der
partikularen Gerechtigkeit dem einzelnen gegenüber, so kann
bei Gott, sofern es dem Gutsein seines Wesens nicht wider-
spricht, die partikulare Gerechtigkeit dem einzelnen gegenüber
zurücktreten gegen das iustum publicum oder die condecentia
divinae bonitatis (11). Die göttliche Gerechtigkeit ist sonach
die gute Handlungsweise Gottes, durch die er seinem Wesen
entspricht. Sein Handeln ist also auch im einzelnen Fall ge-
recht, auch dann, wenn es um seinem Wesen zu entsprechen,
zum Unheil des einzelnen, auf den es gerade trifft, dient.
Hiernach ist es aber deutlich, dass Duns die göttliche Ge-
rechtigkeit nicht im Rahmen eines privatrechtlichen Verhältnisses
versteht. Denken wir an das Beispiel vom Herrn und seinen
Knechten sowie an die Parallele mit dem öffentlichen Recht,
so werden wir sagen, die in der Konsequenz seines Gutseins
geschehende Handlungsweise ist Gottes Gerechtigkeit, die dann
den einen nach der Billigkeit mehr Gutes gewährt als sie ver-
dienten, aber auch anderen Übel zumisst. Das eine wie das
andere geschieht aber, weil Gottes Handeln gut ist wie sein
Wille. Hieraus begreift sich sowohl, dass die Gerechten über
ihr Verdienst belohnt werden, als dass die, welche in der Sünde
verbleiben ohne Busse zu thun, der Strafe verfallen (1. c.
quaest. 4, 7). Könnte an sich Gott auch ohne Verschulden
einzelne verdammen, so ist doch konkret im Zusammenhang
der potestas ordinata die Sache so zu denken, dass sein gutes
Handeln die verdammt, die den von ihm gesetzten Heilsbe-
dingungen nicht entsprechen.
1 1 . Wir wenden uns nun der göttlichen Barmherzigkeit
zu. Die Barmherzigkeit ist die sittliche Form, qua nolumus
17fi Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehr'e v. d. Menschen u. d. Sünde.
miseriam alterius, diese sei gegenwärtig oder zukünftig. Daraus
ergeben sich, actus nolendi miseriam alterius, die verbunden
sind mit den Affekten der Unlust und des Mitleides bezüglich
des Leides, das dem anderen droht oder ihn trifft. Diese
Affekte können, wie schon die Etymologie zeigt (miserum cor
habens, quia compatiens miseriae alienae), von Gott nicht aus-
gesagt werden, wohl aber jenes Nichtwollen eines drohenden
oder schon eingetretenen Elendes (IV dist. 46 quaest. 2, 2).
Wie kein Gut dem Menschen zu Teil wird, es sei denn durch
Gottes Wollen, so kann auch kein Übel abgewandt oder auf-
gehoben werden, anders als durch Gottes Nichtwollen (2).
Wie nun das allgemeine Wollen des Guten von dem besonderen
(voluntas antecedens et subsequens) unterschieden wird, so kann
man auch denselben Unterschied bezüglich des NichtwoUens
des Übels machen. Also Gott will im allgemeinen nicht, dass
Übel den Menschen triff't und er will im besonderen nicht, dass
dieses Übel diesen Menschen trifft. Nur dies zweite ist als
Barmherzigkeit zu bezeichnen. Sie kann aber eine doppelte
sein: Gott will überhaupt diesen Menschen von allem Übel
befreien (misericordia liberans), und Gott will für diesen
Menschen einen Teil der verdienten Übel aufheben (misericordia
parcens oder mitigans), ib. § 3.
Die Barmherzigkeit ist also stets ein die einzelnen Krea-
turen treffendes Handeln, während die Gerechtigkeit die Art
des göttlichen Handelns schlechthin bezeichnet. Bei dieser ver-
schiedenen Orientierung der Begriffe sei nicht, wie Thomas
versuchte, die Barmherzigkeit als der Güte Gottes entsprechend
der Gerechtigkeit unterzuordnen. Die Barmherzigkeit blickt
eben nur auf den Bedarf des anderen, wie die Gerechtigkeit
nur auf die göttliche Würde. Daher sind beide Begriffe in
Gott formell unterschieden zu denken (IV dist. 46 quaest. 3, 2 ff.).
— Im Übrigen erscheint es als gekünstelt, an jedem göttlichen
Handeln eine Konkurrenz von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
zu erweisen. Man thut dies, indem man die Begriffe zu sehr
verallgemeinert. Die Schöpfung z. B. kann doch nicht als eine
spezifische Offenbarung der Gerechtigkeit gedacht werden, und
dass Gott die Bedürfnisse der Kreatur erfüllt, ist doch auch
kein Werk seiner Barmherzigkeit (ib. quaest. 4, 3). Aber das
Gottes Barmherzigkeit. 177
Argument gegen die Gerechtigkeit, das Duns bringt, gründet
sich seinerseits wieder auf eine Verengerung des gewonnenen
Begriffes (proprie iustitia est in reddendo debitum). Im Sinn
der ursprünglichen Anlage würde man daher wohl zu sagen
haben, dass zwar die Gerechtigkeit jedes göttliche Handeln
begleitet, dass aber die Barmherzigkeit nur von dem Handeln,
das auf besondere Objekte trifft, gilt.
12. Indem wir die praktische Anwendung dieser Gedanken
der Darstellung der Eschatologie überlassen, möchten wir hier
nur auf ihre Stellung in der scotistischen Gotteslehre hinweisen.
Der Wille Gottes hat zum letzten Zweck die Liebe Gottes zu
sich selbst. Hieraus ergibt sich, dass alles, was Gott schuf,
der Verwirklichung jener Selbstliebe dient und durch diese
Zwechbeziehung und je nach der Nähe derselben von Gott
gehebt wird. Es kann also die Gesamtheit der Wirkungen
Gottes als Bethätigung seines Liebeswillens bezeichnet werden.
Dies kann jetzt nach Obigem dahin ergänzt werden, dass die
Bethätigung Gottes immer dem göttlichen Wesen entspricht;
Gottes Liebe ist also gerechte Liebe, sowohl wenn sie Billig-
keit als wenn sie Strenge walten lässt. Es ist keine Gottesthat
denkbar, die nicht als gottgewollte der Durchsetzung des „deus
diligendus est" diente. Das wird mit dem Titel „Gerechtig-
keit" ausgedrückt. Kann so die Gerechtigkeit als Begleiterin
der Liebe oder als die Quahfizierung der Liebe als gottge-
mässer angesehen werden, so lernen wir eine Äusserung der
Liebe auch in der Barmherzigkeit kennen als dem Willen,
dass Übel nicht kommen oder doch vorübergehen. Hiedurch
werden dem alldurchherrschenden Liebeswillen die milderen
Züge der Bücksichtnahme auf Leid und Not angefügt. Und
hiezu kommt jene praktische Näherbestimmung der Gerechtig-
keit als der fürstlichen „Liberalität" oder „Milde", auf die wir
hinwiesen (S. 174). Das wird aber der Begriff gewesen sein,
nach dem Duns Gott praktisch gedacht hat. Er empfindet
hierin, wie auch Anselm, germanisch. Der „Hberale" Himmels-
herr ist Gott, „manno miltisto", wie bereits das Wessobrunner
Gebet sagt ^). Diese Auffassung des praktischen Gedankens
^) Auf die „(xermanisierung" des Gottesbegriffes — sie wirkt in sehr
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 12
178 Kap. II: Der Gottesbegriff, Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
von Gott bei Duns empfängt eine lehrreiche Bestätigung an
seiner Auffassung der Gebetspfiicht. Sie richtet sich auf die
dankbare Anerkennung Gottes als des Herrn, der uns alles
Gute gibt. Vor diesem Herrn beugen wir unsere Kniee, um
dadurch zu bekennen summam esse dominationem in
e 0 , cui taüa exhibentur, et subiectionem esse ad illum in
exhibente (III dist. 9 quaest. un. § 2). Dominatio —
subiectio: das ist das religiöse Verhältnis
zwisiehen Gott und der Seele.
Das fragmentarische Material, auf das wir für die Gottes-
lehre des Duns gewiesen sind, gestattet hier keine weiteren
Aussagen, trägt doch schon die zuletzt vorgetragene Ver-
knüpfung der Begriffe hypothetischen Charakter, da Duns
diese Kombinationen selbst nicht ausgeführt hat. Aber für die
Methode der scotistischen Theologie ist der ganze Aufbau von
grösster Bedeutung. Duns hat also den natürlichen Gottes-
gedanken aus dem Weltzusammenhang abgeleitet. Damit hat
er den Bahmen gewonnen, in den die positiv christliche Er-
kenntnis von Gottes Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
gestellt werden kann. Indem dieser Zusammenhang möglich
ist, ist sowohl der Christlichkeit des Gedankens als der Wissen-
schaftlichkeit des Begriffes Rechnung getragen.
Hiemit können wir die Lehre vom Wesen Gottes be-
schliessen. Ich hoffe, dass man erkennen wird, wie wenig die
in der Dogmengeschichte beliebte Formel, Gott sei nach Duns
Scotus die absolute Willkür, die Sache wiedergibt, denn diese
Formel bringt eigentlich nur die hypothetische Annahme der
Möglichkeit unendlich verschiedener Welten nach der absoluten
Macht Gottes zur Geltung. Aber so bedeutsam diese Hypo-
these als Handhabe der scotistischen Kritik gewesen ist, so
wenig Bedeutung kommt ihr innerhalb des positiven Entwurfes
der Weltanschauung des Duns zu. Sie empfiehlt sich deshalb
aber nicht als Stichwort für die scotistische Theologie. Die
wirklich massgebenden Gedanken in der Gotteslehre des Duns
modern klingenden Gedanken nach — habe ich schon vor Jahren auf-
merksam gemacht, vgl. m. Untersuchungen über das german. Christentum
in Ztschr. f. kirchl. Wiss. 1888, S. 92, 100 f., 147, 161.
Die göttlichen Eigenschaften. 179
sind vielmehr folgende : Gott ist unendlicher freier Geist, allmäch-
tiger Wille, schlechthinige Aktivität. Dieser Gott setzt eine freie
Welt. Aber Zweck, Zusammenhang und Erfolg der Welt und
des freien Handelns in ihr sind von Gott prädeterminiert. Die
Leitung des Weltlaufes, die hiemit festgestellt wird, fasst sich
zusammen in die Formel der Liebe, und die Art dieser wird
gekennzeichnet durch den Gedanken, dass Gott sein Regiment
in Gerechtigkeit führt als der gütige und milde König des
Weltstaates. Diese Gedanken stellen einen gewissen Abschluss
der Entwicklung dar, die der Gottesbegriff seit Anselm — mit
unter dem Einfluss germanischer Vorstellungen — durchge-
macht hat. Die Differenzen zwischen Thomas und Duns sind
in dieser Richtung gering. Das Resultat war der Gedanke,
dass Gott der die Welt durchherrschende geistige Wille ist.
Dieser Gottesbegriff war auch für die Reformatoren massgebend.
3. Die göttlichen Eigenschaften.
1. Die Rücksicht auf den Raum verbietet die scotistische
Gotteslehre in alle Einzelheiten zu verfolgen. Immerhin können
wir an der Lehre von Gottes Eigenschaften nicht vorübergehen,
obgleich manches Einschlägige schon im vorigen Abschnitt vor-
kam. Der Eigenschaftslehre schicken wir voran die Lehre von
der absoluten Simpl ici tat Gottes. Sie ergibt sich leicht
aus den gewonnenen Gedanken. Gott kann kein Kompositum
sein, da jede Art der Komposition seinem Wesen widerstrebt.
Er kann nicht aus Materie und Form zusammengesetzt sein,
da in ihm keine Potenz ist (I dist. 8 quaest. 1, 2). Er kann
nicht aus quantitativen Teilen komponiert sein, denn das wird
durch die Unendlichkeit ausgeschlossen (3), auch nicht aus Sub-
jekt und Accidenz, denn, da körperliche Accidenzien an ihm nicht
denkbar sind, so müssten es das Denken und Wollen betreffende
Accidenzien sein, da aber Gottes Essenz Denken und Wollen
ist, sind solche nicht denkbar (4). Ebenso wäre es ein Wider-
spruch, das schlechthin Notwendige anders denn als absolute
Einheit zu denken. Ebenso ist aber die Zusammensetzung
dadurch absolut ausgeschlossen, dass sie nicht endliche Teile
befassen kann, denn Gott ist unendlich; aber auch nicht unend-
liche, da das Unendliche keinen Plural verträgt (5).
12*
180 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
2. In diesem Zusammenhange hat Duns (I dist. 8 quaest. 4)
die Frage aufgeworfen, ob eine Unterscheidung der perfectiones
essentiales im göttlichen Wesen an sich anzunehmen sei, oder
ob die göttlichen Eigenschaften als Vielheit nur subjektiv
in unserm Verstände existieren, indem sie per respectum ad
extra, durch Vergleichung mit der Kreatur gewonnen werden ?
AVährend Thomas und ähnlich Heinrich von Gent sich in
letzterem Sinne äusserten eben wegen der Einfachheit des gött-
lichen Wesens, hat er sich für ersteres ausgesprochen.
Die entgegenstehende Auffassung unterzieht Duns einer
eingehenden Kritik. Folgende Gegengründe werden angeführt.
1) Was an Vollkommenheiten in der Kreatur vorhanden ist,
muss urbildlich in Gott vorhanden sein. 2) Da alle Attribute
Gottes die göttliche Vollkommenheit bezeichnen, können diese
Attribute nicht durch Beziehungen nach aussen distinguiert
werden. Wenn nämlich etwas die absolute Fülle der Idee in
sich fasst, so steht es in dem gleichen Verhältnis zu allen
einzelnen Dingen, die von dieser Idee bestimmt sind. Man
kann also zwischen der göttlichen Weisheit und der Weisheit
der Kreatur kein andersartiges Verhältnis annehmen als zwischen
jener und der Farbe etwa, denn beide sind durch die Weisheit
Gottes bestimmt. Dann aber wird man unmöglich von der
menschlichen Weisheit auf die göttliche Weisheit schliessen
und so letztere gegen andere Eigenschaften Gottes abgrenzen
können (1. c. § 6). — 3) Die Unterscheidung der Attribute
steht in einem fundamentalen Verhältnis zu den personalen
Emanationen der Trinität. Indem nämlich vom Sohn die Ent-
stehung durch den Intellekt naturaliter nascendo, vom Geist
durch den Willen libere spirando feststeht, wird in Gott der
Unterschied von Denken und Willen als objektiv real gesetzt.
4) Gott erkennt sein Wesen, sofern es wahr ist, und will es,
sofern es gut ist. Ohne jede äussere Beziehung ist dies daraus,
dass er denkt und will, zu folgern. Da Gott sich von Ewig-
keit her als den weiss, der dieses weiss und will, sind die
Kategorien gut und böse, erkennend und erkannt, wollend und
gewollt objektive Realitäten in Gott. — 5) In der Ausführung
von vollkommenen Akten des Denkens und Wollens besteht
Gottes Seligkeit. Nun beziehen sich alle Attribute auf diese
Die göttlichen Eigenschaften eine Healität in Gott. IQl
beiden Funktionen des göttlichen Geistes; würde also ein
Attribut abhängig von äusseren Beziehungen, so würde damit
auch die göttliche Seligkeit unter diesen Gesichtspunkt ge-
stellt (7).
3. Das Resultat dieser Kritik ist, dass die göttlichen
Eigenschaften nicht bloss ideell oder durch eine differentia
rationis von einander unterschieden sein können. Sie haben
ihren Grund nicht an den diversi modi concipiendi idem obiectum
formale, wie wir also etwa einen solchen rein subjektiven Unter-
schied bilden, indem wir vom sapiens die sapientia, oder von
der sapientia die veritas unterscheiden. Dann müssen wir aber
annehmen, dass die Unterscheidung der Eigenschaften vor
unseren subjektiven Begriffen erfolgt und dass sie somit ob-
jektiv real ist. Wir denken die Weisheit und die Güte Gottes,
weil sie in re und ex natura rei dasind. Nach Thomas werden
von der Erkenntnis der realen Unterschiede der Vollkommen-
heiten in der Welt aus diese Vollkommenheiten in der höchsten
Potenz als unendliche Vollkommenheiten der Gottheit beigelegt.
Es entspricht diese Fülle aller Vollkommenheit freilich dem
göttlichen Wesen, aber der vielheitliche Ausdruck hiefür ist
nur subjektiver Art. Duns Scotus führt den Gedanken von
einer formalen Differenz der Attribute ein. Es liegen
begrifflich notwendige, weil im Wesen der Sache begründete,
Unterschiede vor. Wollte man nämlich formaliter die unend-
liche Güte der unendlichen Weisheit gleich setzen, dann müsste
man überhaupt Weisheit gleich Güte setzen. Denn das Attribut
der Unendlichkeit könne doch die Art des Begriffes, zu dem
es tritt, nicht aufheben, müsste doch sonst die Entwicklungs-
reihe der Vollkommenheit eines Dinges eine fortlaufende Meta-
morphose desselben darstellen (ib. 17). Da auch nicht nach-
gewiesen werden kann, dass die Weisheit die Güte oder um-
gekehrt diese jene formaliter in sich schliesse — das müsste
sonst in der Definition der Begriffe, die auch ihre Quiddität
betrifft, hervortreten — : so ist der Gedanke von der wesent-
lichen Unterscheidung der Eigenschaften notwendig (18).
4. Diese Pluralität besteht aber zusammen mit der ab-
soluten Simplicität Gottes, ebenso wie auch die Unterscheidung
zwischen Innascibilität und Paternität im Vater seine hypo-
182 Kap. II: Der Gottesbegrifif. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
statische Einheit nicht behindert. Und dies ist um so eher
miiglich, als die trinitarischen Proprietäten an sich nicht ewig
sind, wie die hier in Rede stehenden Attribute (21). Auf
die hiedurch angeregte Analogie zur Trinität muss später ein-
gegangen werden. Hier ist nur das klar zu machen, dass ähn-
lich wie Duns Scotus die trinitarischen Hypostasen nicht nur
auf Relationen, sondern auf etwas im göttlichen Wesen real
Seiendes zurückführt, er auch die Differenzierung der gött-
lichen Eigenschaften auf formal in Gott Seiendes zurückführt.
Während aber bei uns Menschen die Weisheit eine Form ist,
die uns weise macht, so ist sie — wie die übrigen Eigen-
schaften — für Gott nicht etwas Zweites, von Aussen Hinzu-
kommendes, sondern quo illud, in quo est, est sapiens. Gott
ist in sich einfach und einheitlich, es kommt nichts zu ihm
hinzu, sondern es besteht in ihm vera identitas (22). Aber
Gottes Wesen ist so beschaffen, dass es uns nötigt zu der
Aussage vieler Attribute. Diese sind daher in seinem Wesen
begründet. Da wir sie so empfinden und denken müssen,
muss ihnen eine formale Distinktion in Gott entsprechen. Hier
macht sich der eigentümliche Realismus des Duns und seine
Vorliebe für den Formbegriff geltend. Das Denken ist das
Abbild des Wirklichen. Man kann nicht urteilen, dass die
thomistische Auffassung der Eigenschaften durch Duns wirklich
widerlegt sei, aber die eigentümliche Verbindung von Empiris-
mus und Idealismus bei unserem Denker tritt in diesem Ab-
schnitt besonders klar hervor.^)
4. Die Lehre von der Trinität.
1. Wir kommen zu der Trinitätslehre des Duns. Für
ihn ist, ebenso wie für die grossen Scholastiker vor ihm, eine
selbstverständliche Voraussetzung, dass die Begriffe der zweiten
und dritten trinitarischen Person aus dem göttlichen Denken
und Wollen herzuleiten sind. Mit dieser dem Augustin folgenden
psychologischen Betrachtungsweise der Trinität verbindet sich
der dem Begriff „Sohn" entlehnte Generationsgedanke, dem
^) Vgl. Schwane, Dogmeng-esch. der mittleren Zeit S, 130 f.
Die Lehre von der Trinität. 183
analog eine Spiration des Geistes aDgenommen wird. Mit
diesem Material wird also der trinitarische Gedanke bear-
beitet.
Nach Duns ist, wie wir sahen, Gott denkender und
wollender Geist. Somit muss angenommen werden, dass im
Geist überhaupt, also auch im menschlichen Geist, Trinitarisches
ist oder dass das kreatürliche Geistleben die Trinität wieder-
spiegle. Dies gilt von unserem Denken und Wollen nicht
nur bezüglich seiner Aktivität, sondern auch seiner Poten-
zialität. Wie in der Trinität sowohl reale Unterscheidung als
Konsubstantialität der Hypostasen anzunehmen ist, so sind die
aktiven Bethätigungen unseres Intellektes und Willens distinkt,
während die Seele sie alle in der Potenz konsubstantiell in sich
fasst (I dist. 3 quaest. 9, 3).
2. Duns erörtert zunächst die Frage, ob in Gott eine
productio stattfinden kann. Die Frage wird bejaht. Wenn
nämKch etwas, seinem Begriff nach, ein principium productivum
sufficiens ist, so ist es das überall, wo es von sich aus und
ohne ünvollkommenheit ist. Nun ist der Intellekt ein pro-
duktives Prinzip in Bezug auf die notitia genita; also ist er
das auch in Gott. Somit ist in Gott eine productio notitiae
genitae anzunehmen. Und ebenso wird der Wille zu dem vom
Denken ihm dargebotenen Objekt Liebe fassen ; so ist die
voluntas : productiva amoris perfecti producti (I dist. 2 quaest.
7, 3). Dieser Produktionen gibt es aber in Gott nur zwei.
Heinrich von Gent meint, dies könne dadurch bewiesen
werden, dass die actus notionales auf actus essentiales beruhen,
d. h. dass die charakteristischen trinitarischen Bethätigungen
dem Sein der Gottheit entsprechen. Nun ist dies Sein aber
Denken und Wollen, also kann auch die Trinität nur hierin
bestehen. Das Denken und Wollen ist nicht nur in den auf
bestimmte Objekte gerichteten Akten wirksam, sondern es ist
zugleich eine intelligentia und volitio conversiva, d. h. Denken
und Wollen richten sich auf ihre eigene Thätigkeit (intelligendo
se intelligere , volendo se velle) , wie auf diese in Bezug
auf das bestimmte Objekt und dieses selbst als erkanntes oder
gewolltes (§ 13). Dieser Doppelheit würde nun auch das gött-
liche Denken und Wollen in seinem Verhältnis zum trinita-
184 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
rischen Denken und Wollen entsprechen.^) Diese Betrachtungs-
weise widerlegt Duns. Soll nämlich die notitia genita erst
entstehen, nachdem die positive Erkenntnis eines Objektes
stattgehabt, als Reflexion über die Erkenntnis dieses Objektes,
so müsste ein solches Objekt dasein, also müsste vor der Er-
zeugung des Sohnes das Vorhandensein einer zweiten Person
in Gott angenommen werden, was offenbar häretisch ist (14).
Ebenso ist es falsch, den von aktualer Erkenntnis erfüllten
Intellekt zum hervorbringenden Prinzip der notitia genita zu
machen. Nach Augustin wird das Wort von der Memoria und
nicht von der Intelligenz als solcher hervorgebracht. Sollte
aber wirklich jene Intellektion eines Objektes der Grund zu
dem den Sohn setzenden reflektirenden Denkakt werden, so
würde eigentlich das jener Reflexion voraufgehende Erinnerungs-
bild von jenem Objekt eher als Sohn oder Wort bezeichnet
werden müssen (15 f.). Überhaupt ist diese ganze Betrachtung
unnütz, da der Intellekt Gottes als genügendes Prinzip zur
Hervorbringung der notitia genita erscheint (17).
Nun muss allerdings überall in der Wissenschaft die Pluraütät
der Prinzipien so viel als möglich reduziert werden. Jedoch ist
es in unserem Fall nicht möglich, die beiden Formen der Pro-
duktion auf einander zurückzuführen. Denn indem der Intellekt
natürlich und notwendig, der Wille aber frei und kontingent
produziert, müssen diese beiden Prinzipien neben einander
erhalten werden, d. h. es gibt ein principium productivum per
modum naturae und ein principium productivum per modum
voluntatis. Diese beiden Prinzipien sind nun als productiva
ad intrazu denken, denn das Denken, wie der Wille des un-
endlichen Gottes erfordert unendliche Grössen als nächstes
Objekt (§ 18 f.). Die Kreatur aber ist nur secundarium volitum
et productum a voluntate dei (33). So nun kommt es zu der
Dreizahl der Personen: sunt tantum duae productae et una
improducta, ergo tantum tres sunt personae (34). Sonach ist
1) G. A. Meier, Die Lehre von der Trinität I (1844), 283 hat diese
Gedanken reproduziert und dem Duns anlässlich derselben Lob gespendet.
Er hat übersehen, dass hier nur Gedanken des Heinrich von Gent repro-
duziert sind, die gleich darauf „improbiert" werden, s. § 14flf.
Die Trinität durch das göttliche Denken und Wollen. 185
der Sohn das Produkt des göttlichen Denkens, der Geist des
göttlichen Wollens.
Es gibt also eine Person, die durch einen Akt des In-
tellektes produziert wird. Der Intellekt kommt dabei als per-
fecta memoria in Betracht d. h. als eine Intellektion, die ein
obiectum intelligibile actu in sich gegenwärtig hat. Sie ist nun
fähig aus sich etwas zu erzeugen. Dies Erzeugte ist unendlich
gemäss der Essenz des Erzeugers. Und nur so kann die Pro-
duktion des unendlichen Intellekts als vollkommen bezeichnet
werden. Es ist aber auch von letzterem verschieden, denn
Erzeuger und Erzeugtes sind immer von einander verschieden.
Es gibt also eine unendliche durch einen intellektiven Akt er-
zeugte Person (34). Ahnlich kann der Beweis für den Willen
erbracht werden (ib.). Diese beiden erzeugten Personen müssen
aber alia et alia sein, weil eine Person nicht auf zweierlei ver-
schiedene "Weise erzeugt werden kann (ib.).
3. Der Vater erzeugt den Sohn durch einen Denkakt.
Das Denken ist natürlich. Da erhebt sich die Frage, ob die
Erzeugung des Sohnes willentlich (volens) geschieht? Wenn dies
zu bejahen ist, so wird sich weiter fragen, woher diese Er-
zeugung nicht voluntate geschehe?
Nach Heinrich und ähnlich auch nach Thomas erzeugt
der Vater den Sohn necessitate naturae (I dist. 6 quaest.
un. § 3 f.). Nach Duns selbst vollzieht der Vater den be-
treffenden Denkakt, indem er so will (5). Aber der Wille soll
dabei nicht als principium productivum in Betracht kommen,
denn als solches wirkt er bei der Spiration des Geistes. Es
sei aber nicht möglich, dass ein produktives Prinzip in Gott
zu verschiedenem Zweck wirksam sei. Also wird der Sohn
nicht voluntate erzeugt (6). Der Wille kommt bei dieser
Zeugung nur als complacens, nicht als principians zur Wirkung.
Logisch geht also der intellektive Zeugungaskt dem Wollen
des Sohnes voraus (7).
Hiermit hängt nun eine weitere Frage zusammen. Ist
nämlich die potentia generandi etwas Absolutes oder ist sie
eine Eigentümlichkeit des Vaters? Nach Thomas ist das, wo-
durch der Vater zeugt, seine Essenz, weil der Zeugende das
Erzeugte in der Essenz, nicht in einer Proprietät sich ähnlich
186 Kap. II: Der Gottesbegriff, Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
macht (ib. dist. 7, 2). Dies wird mit mehreren Gründen von
Duns widerlegt. Vor allem müsste sonst die göttliche Essenz
an sich zeugen, und nicht die Hypostase des Vaters (ib. 3).
Nach Heinrich kann die Relation nicht Prinzip der Produktion
sein, weil Relation nicht Prinzip von Bewegung sein kann;
ebensowenig aber kann die unbestimmte Essenz an sich pro-
duzieren, weil sie allen Personen gleicherweise gemeinsam ist.
Also wird die durch die Relation bestimmte Essenz das Pro-
duktionsprinzip sein (4). Auch diese Auffassung wird abgelehnt.
Was soU die indeterminierte Essenz sein ? Denkt man an eine
illimitierte virtus productiva, so bedarf dieselbe keiner Deter-
mination zum Handeln. Soll dagegen an eine unbestimmte
Materie gedacht sein, so passt diese Vorstellung nicht auf
Gott (5).
Duns selbst erörtert jetzt den Begriff der potentia. Er
kann gefasst werden als Möglichkeit. Aber Potenz im Gegen-
satz zum Akt darf in Gott nicht angenommen werden. Sonach
bleibt nur die potentia realis als das principium agendi et
patiendi. Letzteres fällt für Gott fort. Die Macht zu handeln
aber bezieht sich auf eine relatio, also ist sie die potentia
generandi relationem. Die Macht eine Relation zu setzen
muss nun ihr Fundament in einem Absoluten des göttlichen
Wesens haben. Es ist die potentia productiva (7. 8). Jetzt
muss aber bewiesen werden, dass die potentia generandi in
Gott keine Relation, sondern etwas an sich Seiendes oder
Absolutes ist. Jede Relation stellt ein gegenseitiges Verhältnis
zwischen den korrelativen Grössen her. Nach dieser Voraus-
setzung wäre dann eine Produktion durch den freien Willen —
als Relation — nicht möglich. Zweitens wäre dann diese
Relation, etwa das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, das
Prinzip ihrer selbst, da nichts gedacht ^iirde was diese Relation
begründet. Drittens wäre bei dieser Voraussetzung der Stand
der Filiation einfach unvollkommener als der der Paternität,
weil das Produzierende, wenn es nicht dieselbe Form mit dem
Produzierten hat, es virtualiter' in sich enthält, also vollkommener
ist. Zudem würde der Vater in der Relation als handelnd
vorgestellt, während die Filiation an sich noch kein Handeln
enthielte (9). Sonach führt die Bestimmung der Produktivität
Produktion des Sohnes und Geistes. 187
als Relation zu unhaltbareu Folgerungen. Also muss sie etwas
Absolutes sein. Dies ist nun weiter positiv zu beweisen. Der,
welcher sich selbst in der Vollkommenheit seiner Natur mit-
teilt, ist vollkommener als der, welcher ein zweites und drittes
durch Relation herstellt. Das Feuer, das sich selbst mit dem
Holz vereinigt, ist Prinzip der Wärme in vollkommenerer Weise,
als wenn es bloss in Relation zu dem Holz träte (10). Von
Gott ist aber nur das Vollkommene auszusagen.
Die potentia generandi ist somit nicht die göttliche Essenz
des Vaters. Sie ist aber auch nicht die durch Relation be-
stimmte Essenz. Die potentia generandi ist ein Absolutes in
der göttlichen Essenz, indem, diese durch sich selbst die trini-
tarischen Hypostasen herstellt.
4. Ahnliche Fragen kehren in der Lehre von der Pro-
duktion des heiligen Geistes wieder. Gott hat Willen und sein
Wille ist produktives Prinzip. Gottes Wille ist Liebe, als
göttliche Liebe ist es unendliche Liebe. Die unendliche Liebe
bedarf eines unendlichen Objektes oder stellt ein solches her.
Das ist der amor productus, das unendliche Objekt der gött-
lichen Liebe. Als unendlich ist es Gott, als Produkt ist es
nicht identisch mit dem Produzierenden, sondern ein per se
subsistens oder eine Person (I dist. 10 quaest. un. § 2).
Hier erheben sich etliche Fragen.
Zuerst: wie kann hier der Wille das Prinzip zur Mit-
teilung von Natur sein, während er doch bei Kreaturen nicht
in dieser Weise produziert? Heinrich beantwortet die Frage
so, dass der Wille als Wille auch hier nicht produziert, so-
wenig als der Litellekt, sondern dass beide mit Hilfe der Natur
produzieren, d. h. so, dass sie die Natur zu produktiven Akten
bestimmen (2). Diese Gedanken sind offenbar nach der Beob-
achtung des menschlichen Produzierens gebildet. — Es ist
aber, wie Duns zeigt, diese Koasisstenz der Natur überflüssig.
Der allmächtige Wille Gottes fasst in sich das Subjekt des
Handelns, die Vollkommenheit und das Geeignetsein zum
Handeln. Wozu bedarf es da einer Koassistenz? Nach
Heinrich w^ürde ausserdem die Natur das eigentliche Prinzip
der Handlung sein und doch soll sie nur koassistieren ? (6).
Weiter kann die Ansicht auch deshalb nicht aufrecht erhalten
188 Kap. IT: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
werden, da der Wille logisch der Essenz oder Natur folgt^
diese also als produzierend ganz — ohne den Willen — pro-
duzieren würde (7). Es werden noch weitere Gegenargumente
auf einander gehäuft. — Duns selbst macht zunächst darauf
aufmerksam, dass der Wille, von dem hier die Rede ist, der
unendliche Wille Gottes ist. Der Wille, der unendlicher Liebe
fähig ist, ist auch fähig unendliche Liebe zu produzieren. Was
aber unendlich ist, ist göttliche Natur oder Essenz. Man müsste
den Willen irgendwie als beschränkt gegenüber der Natur
fassen, wenn man ihm, der doch produktives Prinzip ist, die
Fähigkeit Unendliches zu produzieren, absprechen will (8).
Die zweite Frage ist die, ob und wie der Wille notwendig
produzieren könne ? Heinrich antwortet, indem er ein dreifaches
Wollen in Gott unterscheidet: das freie Wollen in der Liebe
zum bonum finitum; das freie und notwendige Wollen in der
Liebe zum summum bonum, das frei ist als vom Willen aus-
gehend und notwendig wegen seiner Unwandelbarkeit; das
Wollen in der Produktion des heiligen Geistes, das frei ist als
Wollen, aber notwendig wegen seiner Unwandelbarkeit und
wegen der Verbindung mit der Natur bei Hervorbringung des
Geistes (ib. 5). — Duns sagt, dass die Produktion des Geistes
allerdings als notwendig bezeichnet werden muss. Wenn näm-
lich der unendliche Wille ein Unendliches produziert, so kann
dies als unendlich nur notwendig sein, quia nullum infinitum
potest esse possibile non necessarium. Wird aber das Produkt
als notwendig erkannt, so folgt, dass auch die Produktion des-
selben notwendig sein wird (ib. 9). Hier ist aber die Not-
wendigkeit der Produktion nur durch einen Schluss gewonnen,
es ist aber auch zuzusehen, wie sie aus dem Wesen des
Willens selbst begründet werden kann. Dieser Nachweis kann
nur auf Grund der Unendlichkeit sowohl des geliebten Objektes
als des Liebesaktes erbracht werden. Setzt man das Objekt
endlich, so könnte unmöglich von einer Notwendigkeit dasselbe
zu lieben geredet werden, weil Gott sonst alles Endliche lieben
müsste. Der unendliche Wille aber ist notwendig recht und
befindet sich daher nur in der Ausübung rechter Akte. Dies
ist notwendig. Hierdurch wird dieser Wille aber noch nicht
an bestimmte Objekte gebunden, ausser an die göttliche Essenz^
Der heil. Geist durch den Willen und notwendig produziert. 189
die ex se volenda ist. Igitur voluntas illa de necessitate est
in actu recto voleudi illud obiectum quod est ex se recte
volendiim, et sicut ex necessitate est principium volendi ita ex
necessitate est principium producendi amorem illius. Daraus
ergibt sich dann, dass weder der unendliche Wille an sich,
noch das unendliche Objekt an sich die Notwendigkeit des
WoUens als Totalursache bedingen, sondern der Wille, der
dies Objekt hat, ist die Ursache der Notwendigkeit (11). Also
das Resultat der Erörterung ist dies. Der unendliche Wille
hat das rechte Wollen, das rechte Wollen ist die Liebe des
unendlichen Gutes. Folglich ist es notwendig, dass Gott das
unendliche Gut, seine eigene Essenz will. Also ist die willent-
liche Produktion des Geistes zugleich eine Notwendigkeit.
Die Frage endlich, ob, wenn die Notwendigkeit der Pro-
duktion des Geistes gelehrt wird, dieselbe nicht per modum
naturae geschehen müsse, wird hier nicht behandelt. Aber
Quodlib. XVI, 8 f. zeigt Duns, quod cum necessitate ad volendum
stat libertas in voluntate. Dass die göttliche Natur bestimmte
auf das Unendliche bezogene Akte notwendig vollzieht, gehört
ebenso zu ihrer Vollkommenheit, als es unvollkommen wäre,
wenn sie zu etwas Endlichem in dem gleichen Verhältnis stände.
Indem aber Gott dies notwendige Wollen mit Lust und frei
wählend (delectabiliter et eligibiliter) vollzieht, ist es freies
Wollen (1. c. § 10).
5. Die Spiration des Geistes geht aus vom Vater und dem
Sohn. Dass die Griechen sie nur auf den Vater zurückführen,
wird, unter Berufung auf Robert von Lincoln, anerkannt, aber
als Wortstreit erklärt. Die Sache sei einfach. Da dem Sohn
bei der Zeugung die ganze göttliche Vollkommenheit mitgeteilt
wurde, so empfing er auch einen Willen. Da er an diesem
Willen das produktive Prinzip zur Setzung von Unendlichem
hat, wird er dasselbe auch brauchen : ergo potest ea producere,
igitur et ea producit (I dist. 11 quaest. 1, 2). Dass aber die
Zeugung des Sohnes der Spiration des Geistes logisch voran-
geht, versteht sich daraus, dass jeder Willensakt eine intellek-
tive Thätigkeit voraussetzt, da erst diese ihm die Objekte seiner
Wahl präsentiert (ib. 4). — Übrigens verwirft Duns die Auf-
fassung Gottfrieds, dass die Frage, ob, wenn der Geist nicht
190 Xap. II: Der (iottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
auch vom Sohn ausginge, Sohn und Geist noch unterschieden
werden könnten, als Inkompossibles in sich fassend, überhaupt
indiskutabel sei. Das sei nur eine fuga quaestionis, die um so
Aveniger berechtigt ist, als die verworfene Auffassung keineswegs
von vornherein unlogisch sei, da ja der Begriff Sohn an und
für sich die aktive Spiration garnicht notwendig in sich fasst
(I dist. 10 quaest. 2, 1. 2). Wollte man derartige Fragen
verwehren, so würde die "Wissenschaft aufgehoben ; auch ein
Augustin, Richard oder Aristoteles sind ähnlichen Fragen nach-
gegangen (ib. 3. 4).
Also war Thomas ganz im Recht die Frage zu erörtern.
Nach seiner Meinung würde, wenn der Geist nur vom Yater —
wie der Sohn — ausginge , zwischen Geist und Sohn kein
Unterschied zu finden sein. Denn 1. sind Sohn und Geist
durch relatioues oppositae unterschieden, fallen diese, so fällt
der Unterschied ; 2. wenn der Unterschied nicht auf diesen
Relationen, sondern auf jeder beliebigen relatio disparata —
d. h. einer solchen Beziehung, die nicht zu einer anderen in
fester logischer Verbindung resp. Gegensatz steht — beruhen
könnte, so würde der Vater, da in ihm sowohl die Relation
der aktiven Generation als der aktiven Spiration anzunehmen
ist, zwei Personen ausmachen (I dist. 11 quaest. 2, 5). — Gegen
beide Argumente hat Duns sich gekehrt. Jedes Ding, zeigt
er, habe sein unterscheidendes Merkmal daran, wodurch sein
Sein konstituiert wird, der Sohn also an der passiven Filiation.
Diese ist das ihn vom Geist Unterscheidende, nicht aber das
Vorhandensein der aktiven Spiration (ib. 6). Gegen den zweiten
der Gründe des Thomas richtet sich der Gedanke, dass der
eigentliche Grund der Unterscheidung nicht sowohl in der
aktiven als in der passiven Produktion zu suchen sei. Es ist
nämlich unmöglich, dass ein Ding von zwei gegensätzlichen
Produktionen hervorgebracht wird, während es freilich möglich
ist, dass ein Ding durch zwei aktive Produktionen sein Sein
verschiedenen Personen mitteilt (ib. 11).
Dafür aber, dass, auch wenn nicht ein Ausgang des Geistes
vom Sohn anzimehmen wäre, der Sohn vom Vater persönlich
unterschieden gedacht werden könnte, beruft sich Duns auf das
Zeugnis Anselms, der (de process. spirit. s. 1) ausführt: der
Zusammenwirken von Vater und Sohn zur Erzeugung des Geistes, 191
Unterschied beider beruhe darauf, dass der eine nascendo, der
andere procedendo das Sein vom Vater erhalte. Ginge aber
der Geist nicht vom Sohn aus, so müsste der Sohn vom Geist
ausgehen. Sonach kann zwar das als notwendig hingestellt
werden, dass die zweite oder dritte Hypostase von zwei Prin-
zipien hervorgebracht werden, keineswegs aber das filioque als
absolute logische Notwendigkeit bezeichnet werden.
Nun stellt aber das 6. Buch der Dekretahen fest, dass
Vater und Sohn als ein Prinzip den Geist hervorbringen.
Dieser Satz ist also zu begründen. Der Vater besitzt die
zeugungskräftige Fruchtbarkeit des Intellektes vor der des
Willens. Nun teilt der Vater dem Sohn sein Wesen, also
auch seinen Willen bezw. die fecunditas voluntatis mit. Indem
erst Vater und Sohn gemeinsam den Geist produzieren, ist es
ein Willensprinzip, das dies bewirkt. Duns will offenbar sagen,
die Wirkung des Intellektes erzeugt den Sohn samt seinem
Wollen. Auf diese Wirkung folgt erst die Produktion des
Geistes. Letztere setzt also das Zusammenwirken des Willens
des Vaters mit dem des Sohnes voraus.
Damit ist die Sache aber noch nicht klar gestellt. Es
sind ja zwei Subjekte mit zwei Willen da. Soll die eben
dargelegte Einheit in der Weise strenger Einheit oder nur der
Übereinstimmung gedacht werden (una oder Concors ; I dist. 12
quaest. 1, 2)? Nach Heinrich wäre una vis spirativa anzunehmen,
die aber sub ratione concordis voluntatis zu verstehen ist, so-
fern Vater und Sohn in der Vereinigung ihrer gegenseitigen
Liebe den Geist spirieren (3). Dem gegenüber zeigt Duns,
dass dann zu folgern ist, dass der Vater einen und der Sohn
den anderen heiligen Geist spiriert (5). — Seiner Meinung
nach muss daher gesagt werden, dass Vater und Sohn den
Geist so spirieren, inquantum voluntas omnino una est in patre
et filio, da der beiderseitige Wille schlechtweg das nämliche
Prinzip zur Erzeugung des Geistes ist. Die Einheit, von der hier
geredet wird, ist aber weder die Einheit der Essenz, denn diese
zeugt nicht, noch der Personen, denn diese sind verschiedene
Subjekte, sondern die Einheit in vi spirativa (ib. 17).
Da aber auch Richard v. St. Viktor von einer concordia
der beiden Hypostasen geredet hat, so soll ein Weg, der zur
192 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
Rettung dieser Autorität betreten werden kann, namhaft ge-
macht werden. Es kann nämlich die concordia als zwischen
den einzelnen hervorgelockten Akten (actus secundi eliciti) be-
stehend gedacht werden und sie kann mehr als ein habitueller
Zustand zwischen beiden Grössen gedacht werden. Im ersteren
Sinn kann hier von keiner „Concordia" geredet werden, also
als wenn Vater und Sohn besondere Akte ausführen, indem sie
dieselben freiwillig in Übereinstimmung setzen. "Wohl aber kann
man von Concordia reden, wenn man an eine Zuständlichkeit,
eine Richtung denkt (d. h. an einen actus primus). Das heisst
man kann also sagen, die beiden Willen seien derartig bei
einander, dass sie den Geist einmütig hervorbringen (11).
Denkt man sich die Ordnung, in der sich die Erzeugung
des Sohnes und die Hervorbringung des Geistes vollzieht, in
einer zeitlichen Folge, so ergeben sich folgende Stufen: 1. in
patre utraque fecunditas a se, 2. in patre actus primae fecun-
ditatis, und damit zugleich : in filio secunda fecunditas, 3. actus
secundae fecunditatis simul a patre et filio (ib. quaest. 2, 2).
Somit ist der orthodoxe Satz, dass der Vater und der
Sohn als ein Prinzip den Geist hervorbringen, erwiesen. Aller-
dings wird man die Stringenz dieses Beweises anfechten dürfen.
Die dialektische Kunst unseres Autors vermag nämlich nicht
darüber hinwegzutäuschen, dass gerade die schärfere Betonung
der Personunterschiede , die der skotistischen Lehre eigen-
tümlich ist, deutlich die Auffassung Richards oder Heinrichs
erfordert.
Es erübrigt nur noch hinzuzufügen, dass nach der tra-
ditionellen Lehre die Zeugung als ewig bezeichnet wird wegen
der Vollkommenheit und Ewigkeit Gottes (I dist. 9 quaest.
un. § 2), sowie dass die Hypostasen wegen der ihnen eignenden
LTnendlichkeit mit einander vollkommen gleicher Grösse sind,
wobei natürlich nicht an eine materielle quantitas molis, sondern
an die quantitas virtutis zu denken ist (I dist. 19 quaest. 1, 4. 7).
Das Zahlverhältnis findet an sich auf die Gottheit keine An-
w^endung wegen der Unendlichkeit Gottes. Die Anwendung
von numerischen Verhältnissen auf Gott ist also nur als Form
unserer Auffassung anzusehen. Wir denken drei Personen zu-
gleich (I dist. 24 quaest. un.)
iSubstimz und Hypostase. 193
Wir haben uns nunmehr über die Fragen, die durch Er-
wägung der Art der einzelnen Hypostasen angeregt werden,
verständigt. In Gott ist potentia productiva. Diese ist etwas
Absolutes, welches die Relationen der trinitarischen Hypostasen
herstellt. In der göttlichen Essenz ist die Memoria, aus der
der Sohn hervorgeht. Von dem Yater wie dem Sohn wird in
der Weise eines Willensaktes der Geist gesetzt.
6. Nun erhebt sich eine Anzahl von Fragen, die den
Problemen gelten, welche dem Verhältnis von Essenz und
Hypostasen zu einander entstammen. Die Pluralität der Per-
sonen hebt die Einheit der Essenz nicht auf. Um die zwischen
beiden Begriffen seiende Kompossibilität zu verstehen, müssen
die Begriffe Natur und Subjekt (suppositum) erläutert werden.
Die Begriffe verhalten sich nicht zu einander wie das Uni-
versale zum Singulare, denn Singularität können auch Acci-
denzien haben, ohne dass sie die Art eines Subjektes an sich
tragen, ja selbst Substanzen, wie die vom Logos angenommene
menschliche — subjektlose — Natur. Auch die Unterscheidung
von quo und quod reicht nicht aus, da jedes quo auch irgend-
wie ein quod ist. Dagegen ist es richtig, dass jedes Subjekt
immer auch ein Singulare sein muss und dass es niemals ein
quo im Hinblick auf ein anderes sein kann, denn indem es
selbst ein subsistens ist, kann es nicht zum Akt eines anderen
subsistens werden.
Auf Grund dessen kann man sagen, dass die Art eines
Subjektes durch eine doppelte Inkommunikabilität festgestellt
w^erde. Komunikabel ist etwas durch Identität des Wesens oder
durch Information. In ersterem Sinn ist das, dem etwas mit-
geteilt wird, ipsum, im anderen wird es ipso. Oder die erste
Weise ist die, in welcher das Allgemeine dem Einzelnen mit-
teilbar ist, die zweite die, in der die Form der Materie mit-
geteilt wird. Die Natur ist nun in diesem wie jenem Sinn
kommunikabel, dagegen ist das Subjekt in diesem wie jenem
Sinn in kommunikabel (I dist. 2 quaest. 7, 38).
7. Zur Bestimmmung der Eigentümlichkeit der Hypostasen
dient auch die später angestellte Erörterung der Frage, ob die
Hypostasen primae oder secundae intentiones seien. Mit anderen
Worten : ob der Begriff Person direkt von seinem Gegenstand
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 13
194 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde,
abgezogen werden kann, oder ob es ein Begriff ist, der durch
Reflexion auf das Verhältnis des Begriffes zu einem Allgemeinen
gewonnen wird. Solche intentiones secundae wären die Species
oder das Besondere, die nur gebildet werden können im Zu-
sammenhang mit den Begriff'en des Genus und des Allgemeinen
(I dist. 23 quaest. un. § 2).
Bichard von St. Viktor definiert die Person (de trinit. 22)
als intellectualis naturae incommunicabilis exis-
tentia. Hiernach ist die Definition des Boetius zu berichtigen,
der von individua substantia sprach. Dann nämlich wären
auch die Seele oder die deitas Personen ; ^) auch könnte man,
genau genommen von göttlichen Personen nicht reden, da das
Individuum ein dividuum jedenfalls als logisch möglich setzt.
Ist aber die Definition Richards richtig, dann liegt kein Grund
vor, die Person als intentio secunda zu fassen. Die Person
ist nicht kommunikabel wie das Universale, das in vielen ein-
zelnen identisch ist, oder wie die Form, die sich der Materie
mitteilt. Diese doppelte Inkommunikabilität bestimmt grade
das Wesen der Person, während die Natur kommunikabel ist
(4). Nun scheint aber der Begriff der Person hierdurch rein
negativ bestimmt zu sein, denn die Inkommunikabilität ist
Negation. Jede Negation ist aber intentio secunda, da sie
durch Reflexion auf ein Positives gebildet wird.
Aber dieser Schluss ist falsch, denn der Begriff der Person
ist nicht nur durch ein Negatives, sondern auch durch das
positive Element der Intellektualität konstituiert. Aber auch
wenn man dies Element ganz in die Natur verlegen wollte und
die Personalität auf Inkommunikabilität beschränkte, wäre jener
Schluss falsch. Jede intentio secunda wird nur durch die
reflektierende Beschäftigung des Intellekts mit Vorstellungen
erzeugt. Ist nun vor einer solchen vergleichenden Reflexion
der betreffende Begriff da, so ist er nicht intentio secunda,
sondern intentio prima. Dies ist aber möglich, da doch die
doppelte Negation, die unserem Personbegriff anhaftet, nur auf
^) Es wird also ausdrücklich verneint, dass die Gottheit als Person
bezeichnet wird, so stark haftet die Tradition an diesem Begriff, wiewohl
Duns von der Persönlichkeit Gottes ein lebhaftes Empfinden hat I
Der Personbegriff. 195
Grund einer positiven Beschaffenheit des betr. Dinges entsteht.
Man kann eine Negation weder anbeten, noch vermag sie zu
handeln, und beides gilt doch von den göttlichen Hypostasen!
AVenn man vom Menschen sagt, er sei nicht Esel, so ruht
dieser negative Begriff auf der positiven Erkenntnis seines
Wesens. So beruht die doppelte Negation im Personbegriff
auch auf einer doppelten Position, nämlich auf der Erkenntnis
der Natur und der besonderen Art Natur zu haben.
Haben nun aber die drei Hypostasen die Negation des
Personbegriffes gemeinsam, so kann gefragt werden, ob sie
nicht auch ein gemeinsames Positives haben. Es müsste das
etwas sein, was sich aus den drei Personen abstrahieren lässt.
bevor man die ihnen anhaftende Negation denkt. Es kann
nun aber nicht die Gottheit sein, da diese nicht in einem
numerisch zu fassenden Verhältnis zu den drei Personen als
solchen steht. Das heisst der Begriff der Gottheit konstituiert
nicht an sich die Persondreiheit. — Aber die ganze Frage-
stellung ist falsch, da es nicht notwendig ist, dass einer Negation
eine bestimmte positive Grösse entspricht. Wenn ich sage :
non-homo, so kann das auf Pferd und Esel, ja auf ein ens
oder non-ens sich beziehen. Sonach ist ein allgemeiner positiver
Begriff nicht zu finden. Es muss bei der allgemeinen negativen
Bestimmung des Personbegriffes sein Bewenden haben. Positiv
Hesse sich die Person vielleicht in dieser Weise durch ein
proprium bestimmen (ib. 5. 7). Duns führt dies nicht weiter
aus. Liesse sich etwa im Sinn des Duns an die Geistigkeit
der Person denken, sodass die besondere Bestimmtheit dieser
in den Personen ihre Inkommunikabilität bedingte?
Der Begriff Person ist also direkt gebildet. Wiewohl ihm
eine positive Grösse zu Grunde liegt, stehen für unser Be-
wusstsein doch die negativen Merkmale der Inkommunikabilität
im Vordergrund.
8. Wir nehmen jetzt wieder die Frage auf nach dem Ver-
hältnis der drei zu dem Einen. Die göttliche Natur ist kommu-
nikabel, ohne freilich der Teilung zu unterliegen. Es kann
also dieselbe Natur in mehreren Subjekten zugleich sehi
(I dist. 2 quaest. 7, 38). Ein analoges A^erhältnis wie zwischen
der Essenz und den Subjekten liegt vor zwischen der Seele
13*
196 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
und den einzelnen Teilen des Körpers. Die eine Seele formiert
und vollendet nämlich gleichzeitig verschiedene Körperteile.
Dies erscheint aber als ein Zeichen ihrer Vollkommenheit ; dass
aber die Seele Materie formiert nnd diese die Form nur in
vielen Teilen empfängt, das erscheint uns als unvollkommen.
Wenn man nun diese doppelte Un Vollkommenheit fortdenkt,
also dass Materie informiert wird und dass Teile informiert
werden, so bleibt nach eine schlechthin einfache Form, die
nicht eine vorhandene Materie informiert, sondern Sein setzt und
zwar mehreren Subjekten, die aber nicht wie Teile sich zu
einander verhalten, sondern durch sich selbst bestehen. Wir
geben die Worte unseres Autors : remanebit forma habens per-
fectam unitatem, sed non informans materiam, sed dans totale
esse et hoc pluribus distinctis, quae non erunt partes unius
totius, sed erunt per se subsistentes ; et tunc erit una
natura dans totale esse pluribus distinctis: ergo
essentia divina quae est penitus illimitata, a qua aufertur quid-
quid est imperfectionis, potest dare totale esse pluribus
suppositis distinctis (§ 40).
Aber hier wird eine Näherbestimmung gebracht. Es ist
nämlich schwer zu verstehen, wie imd wodurch die Subjekte
in der Mehrzahl vorhanden sind, ohne dass auch die Essenz
pluralisiert wird. Sine assertione et praeiudicio sententiao
melioris, meint Duns, dass zwischen dem Begriff des formaliter
inkommunikabeln Subjekts und dem Begriff der Essenz als
solcher eine Unterscheidung bestehe, die jedem Akt des In-
tellekts vorhergehe. Dies wird so bewiesen. Das erste Sub-
jekt hat eine mitteilbare Entität, sonst könnte es nicht mit-
teilen ; aber es hat auch eine unmitteilbare Entität, sonst
wäre es nicht wirklich und positiv Subjekt. Ehe also ein
Denkakt dieses Subjektes eintritt, ist diese Entität da ; und sie
wäre da, auch wenn überhaupt kein Denkakt vollzogen würde.
Nun gibt es aber keine Entität vor dem Denkakt, die so be-
schaffen wäre, dass sie nicht durch den Denkakt kommunikabel
werden könnte, und es gibt keine Entität, die an sich derartig
inkommunikabel wäre, dass es ihr widerspräche , kommuni-
kabel zu sein ausser vor dem Denkakt. Also ist vor dem
intellektiven Akt bereits ein gewisser Unterschied zwischen
Die Essenz und die Absolutheit der Personen. 197
Natur und Subjekt anzunehmeu. Wollte man dagegen sagen,
dass im Vater vor dem den Sohn zeugenden intellektiven Akt
nur unterschiedsloses Sein bestände , so müsste der Vater
auch dieses dem Sohn mitteilen, er würde dann mit der Essenz
auch die Paternität dem Sohn mitteilen (41). Man kann an-
nehmen, dass der Vater im Uranfang seine Essenz und in
dieser seine Personalität denkt, oder dass er die Essenz und
die Personalität als unterschieden denkt. Ersteres führt dazu,
dass der Vater dem Sohn nicht nur die Essenz, sondern auch
seine eigene Personalität mitteilt. Da das unmöglich ist, muss
die zweite Annahme gelten (42). Also hat der Vater die
Personalität in sich als etwas von der Essenz logisch Ver-
schiedenes.
Nach Duns Scotus werden also die Hypostasen genau von
der Essenz unterschieden. Letztere gibt ersteren das Sein.
Aber dies Sein ist so beschaffen, dass in ihm Essenz wie
Personalität als besondere Grössen vorhanden sind. Also ist
die Personahtät etwas Besonderes und Absolutes.
9. Dies Resultat erfährt aber in den der Trinität gewid-
meten Quästionen mehrfach Näherbestimmungen. Zunächst
bezüglich der Frage, wie aus der einen Essenz die Pluralität
von Subjekten hervorgeht. Wir wenden uns diesem Pro-
blem zu.
Einleitend mag die Frage nach dem Sinn einer Gene-
ration in Gott erörtert werden. Man habe allgemein seit
Augustin das generare und generari auf die trinitarischen
Vorgänge angewandt; indem die göttliche Essenz sich mit-
teile, erzeuge sie (I dist. 5 quaest. 1, If.). Trotzdem hat Duns
die Anwendung des generare und generari auf die göttliche
Essenz für logisch unzulässig erklärt, weil die konkrete Aus-
sage der Generation nicht gut als Prädikat zu der allgemeinen
Essenz treten könne (§ 5). Dies wurde ein Streitpunkt der
scotistischen Theologie der Folgezeit. Duns gesteht aber zu.
dass man sagen dürfe: deus generat (7).
Nun erhebt sich aber die Frage, wie das zu denken sei,
(»der wie sich die drei Hypostasen zu der einen Essenz ver-
halten? Nach Heinrich und Gottfried soll der Sohn aus der
g()ttlichen Substanz so erzeugt werden, dass diese quasi als
198 Kap, II: Der Gottesbegritf. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
Materie anzusehen ist (I clist. 5 quacst. 2, 2 ff.). Duns mis-
billigt das. Von einer solchen Materie oder Quasimaterie
hätten die Väter nicht geredet. Der Sohn ist de substantia
patris. Damit werde sowohl die Konsubstantialität. als die
Origination bezeichnet, der Sohn ist so de substantia patris.
ut sit homousion cum patre (ib II. 12). Es tritt der Einheit
des Sohnes mit dem Vater zu nahe, wenn man ihn von jenem
in der Weise der Schöpfung aus einer Materie gebildet werden
lässt.
Nun ist aber die Einheit der Essenz ebenso einleuchtend
als die Differenzierung^ die durch die hypostatischen Beziehungen
bewirkt wird. Ist die Sache also nicht doch so zu denken,
dass die göttliche Essenz das Materiale bildet für die personalen
Delationen? Allein diese Beobachtungsweise würde selbst be-
züglich der menschlichen Natur einzuschränken sein. Die Quiddi-
tät des Menschen oder sein Menschsein, nicht anders als die
natürliche Individualität des Einzelnen darf nicht einfach als
„Materie" im logischen Sinn angesehen werden, sondern dieser
wie jener eignet eine gewisse unvollkommene Aktualität, sie ist
gewissermassen Form, nämlich sofern sie irgendwie die Natur
aktiv zu diesem oder jenem Sondersein bestimmt. Nun ist
Gott von jeder UnvoUkommenheit frei. Ist jetzt — das will
Duns sagen — bereits das menschliche Wesen nicht einfach
unvollkommene passive Materie, sondern irgendwie formartig.
so wird es völlig verkehrt sein, die vollkommene göttliche
Essenz als Materie zu fassen. Es darf vielmehr in Gott nichts
Unvollkommenes, keine Potenzialität (s. oben) oder Materialität
gedacht werden, also ist die göttliche Essenz selbst formaliter
actus infinitus. Dann aber kann davon nicht die Bede sein,
dass die personalen Relationen die Essenz aktuieren oder dass
diese als Materie, jene als Form zu denken seien (I dist. 5
quaest. 2, 14).
Es ist ein Satz von grosser Bedeutung, der uns hier ent-
gegentritt. Die überlieferte Lehre sah in der That nicht selten
darnach aus, als wenn die drei Hypostasen die Formprinzipien
für die göttliche Materie oder Substanz seien. Dem gegenüber
will Duns mit voller Bestimmtheit die eine göttliche Essenz
selbst als schlechthinige Aktivität, d. h. als persönliches Seia
. Die Einheit der Essenz und die personalen Differenzen. 199
fassen.^) .Das folgt wie aus der VorstelluDg von Gott als
actus purus, so aus der lebhaften Empfindung von Gott als
persönlichem Leben. Gottes Natur ist aktives Personleben,
nicht irgendwie eine ruhende Naturpotenz.
Aber — so fragt Duns weiter — wie können nun die
beiden Faktoren der göttlichen Essenz und der personalen
Relationen eine Einheit bilden, ohne in dem Verhältnis von
Form und Materie zu einander zu stehen ? An das Verhältnis
der Komposition kann hier nicht gedacht werden, weil keine
göttliche Hypostase Teil der Gottheit ist, ist diese doch schlecht-
weg unteilbar. Die beiden Begriffe, deren Verhältnis hier zur
Erörterung steht, sind allerdings formaliter von einander ver-
schieden. Die Relation zwischen Vater und Sohn ist logisch
different von dem Begriff der absoluten Essenz. Indem aber
letzterer Begriff als unendlich zu denken ist, kann nichts mit
ihm und an ihm Seiendes anders denn als schlechthin voll-
kommen gedacht werden. Wenn also mit der absoluten Essenz
zugleich die Relation von Vater und Sohn gedacht werden
soll, so ist letztere notwendig als ebenso vollkommen oder un-
endlich zu denken wie erstere. Daraus folgt aber, dass jedes
Verhältnis der Komposition oder von Akt und Potenz zwischen
beiden Grössen undenkbar ist, denn es besteht Identität der
Vollkommenheit zwischen ihnen.
Andererseits aber schliesst die gemeinsame Infinität beider
Begriffe formelle Unterschiede zwischen ihnen nicht aus. Also
das Resultat ist dies, dass die göttliche Essenz wie die Person-
verhältnisse gleichermassen unendlich und vollkommen sind,
dass aber diese Identität bezüglich ihrer Infinität die logische
Unterscheidung der Personen nicht aufhebe : unum simpli-
cissimum ex istis, quia una ratio est perfecte, imo perfectissime
eadem alteri et tamen non est formaliter eadem (ib. § 15).
10. Die Relationen sollen demnach zwar eine reale Unter-
scheidung der Personen bedeuten, nicht aber die Einheit der
Essenz einschränken. Ist es aber möglich, dass sie letzteres
nicht wirken, wenn sie ersteres thun? Duns versucht diese
Möglichkeit nachzuweisen. Die Relationen sind anzusehen als
^) Vgl. Essentia est actus quidditativus (1. c. § 16).
200 Kap. II : Der Gottes begriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
personale Akte, nicht aber als quidditative Akte, d. h. solche,
in denen die Essenz lebt. Letztere Akte können nur als un-
endlich gedacht werden, sofern die Unendlichkeit dem Begriff
der göttlichen Essenz einfach iuhäriert. Dagegen ist ein Person-
akt an sich keineswegs unendlich : non sie autem est actus per-
sonalis de se formaliter infinitus. Dies würde freilich zu
nichts führen, wenn bei Gott ebenso wie bei der Kreatur die
Individualität zur Determinierung der Essenz diente. Dies ist
aber nicht der Fall; also bestimmen die personalen Proprie-
täten in keiner Weise die göttliche Essenz (§ 16). Man sieht
an dieser Betrachtung, wie lebhaft Duns bedacht ist auf
Wahrung des Gedankens der göttlichen Einheit als Person.
Ewig und unendlich ist das göttliche Wesen in seiner Aktua-
lität. Dies einheitliche Wesen wird nicht determiniert oder
distinguiert durch die personalen Differenzen. Ja Duns geht
hier fort bis zum Satz, dass die persönlichen Akte an sich
nicht unendlich sind. Nun sahen wir aber soeben, dass sie
doch auch unendlich sind. Die Lösung wird sich daraus er-
geben, dass diese Akte, sofern sie an der Gottheit gedacht
werden, Teil haben an der Infinität, nicht aber an sich. Aber
bedeutet dies nicht schliesslich, dass die trinitarische Anschauung
an sich eine menschlich endliche ist, dass wir bloss endliche
Ausdrücke von der Gottheit brauchen, wenn wir die Relationen
der Trinität auf sie anwenden?
Diese Folgerung liegt nahe, dass sie aber nicht im Sinn
des Duns wäre, zeigt die weitere Erörterung über das Funda-
ment der triuitarischen Relationen. Der Weg. dass man die
Essenz wie Materie den formgebenden Relationen gegenüber-
stellt, ist ja abgeschnitten (s. oben). Diese Betrachtung über-
trägt nämlich auf Gott den Entwicklungsgedanken, nach dem
dies Unvollkommenere wie die Materie dem Vollkommeneren wie
der Form vorangeht. Da aber der göttlichen Essenz ein esse
per se et de se zukommt, ist nicht Entwicklung in Gott.
Werden also die drei Personen von Gott ausgesagt, so können
sie nicht als etwas zur göttlichen Substanz Hinzukommendes
gedacht werden, sondern auch ihnen eignet das ewige esse per
se. Dann aber werden sie ihr Fundament an der göttlichen
•Essenz haben. Das soll aber nicht heissen, dass letztere
Die göttliche Essenz als Realgrund der Hypostasen. 201
potenziell sei, sondern sie ist Fundament quasi per modum
formae, in qua istae formae natae sunt subsistere. Es ist ein
Verhältnis wie Sokrates in der humanitas, ein subsistens in der
natura ist (§ 16). Man vergesse hierbei nicht den Realismus
des Duns Scotus. Die Menschheit ist ein real Seiendes, das
sich in gleicher Weise in Plato wie in Sokrates offenbart.
Man kann also sagen: die ewig aktive göttliche Natur ist so
beschaffen, dass die trinitarischen persönlichen Relationen in
ihr möglich sind. Denkt man dies als einen logischen Prozess.
so teilt nicht etwa die Gottheit sich als Materie den form-
gebenden Relationen mit, sondern die Relationen werden gött-
lich, sofern sie in der Gottheit sind. Ita intelligitur deitas non
communicari quasi materia, sed relationibus subsistentibus, si
personae ponantur relative, communicatur deitas per modum
formae non informantis, sed qua relatio vel relativum subsistens
est deus (ib. 17). Doch soll nun nicht die Essenz zur wirk-
lichen Form der hypostatischen Relationen werden, sondern sie
steht eher in einem form-, als in einem materien artigen Ver-
hältnis zu derselben. Konkret — in der Person — betrachtet
sind aber Essenz und hypostatische Relation in Gott durchaus
identisch. Diese Relationen sind in der göttlichen Essenz und
diese in ihnen. Dico igitur breviter, quod relatio et essentia
ita sunt in persona, quod neutra est forma informans alteram,
sed sunt perfecte idem, licet non formaliter (17).
Wir haben also gesehen, das Duns Einheit und Dreiheit
neben einander aufrecht erhält. Die Relationen, die die per-
sönlichen Unterschiede in Gott bezeichnen, sind also in und
mit dem göttlichen Wesen gesetzt. In dem persönlichen Leben
der göttlichen Essenz ist der Realgrund der trinitarischen Hypo-
stasen zu erblicken. Das ist der wichtigste Fortschritt, den
dieser Abschnitt erbringt. .
11. Hieran werden wir füglich die weitere Frage nach
der Seinsart der trinitarischen Hypostasen schliessen können.
Die übliche scholastische Lehre (s. bes. Thomas) fasst die
trinitarischen Hypostasen als innergöttliche Relationen. Dem
ist auch Duns bisher gefolgt. Die Beziehungen, die in Gott
als selbstdenkendem und selbstgedachtem, als selbstwollendem
und selbstgewolltem bestehen , machen die Hypostasen aus.
202 Kap. II: Der Gottesbegriff, Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
Diese Ansicht kann durch Autoritäten ebenso wie durch Gründe
bewiesen werden. Wären nämlich die Personen nicht Rela-
tionen, so müssten sie etwas Absolutes , d. h. etwas an sich
Seiendes sein. Da sie in der absoluten göttlichen Essenz sind,
so würde zu einem Absoluten Absolutes gefügt; dann müsste
aber Gott zusammengesetzt sein. Dies ist unmöglich (I dist. 26
quaest. un. § 5). Ebenso kann gesagt werden, dass die Hypo-
stasen als etwas für sich Seiendes oder Absolutes die gött-
liche Natur nur als etwas von einander Geschiedenes oder
Besonderes in sich fassen könnten. Es würde also die Natur
um ihre Einheit gebracht und numerisch geteilt (ib.). Weiter
wären aber die Relationen, wenn sie nicht die Personen kon-
stituieren, blosse Accidenzien derselben; dadurch würde die
Simplicität der Personen gefährdet. Sodann aber würden die
Personen, wenn sie als absolut oder für sich seiend gedacht
würden, die Relation, in der sie nach der Kirchenlehre zu
einander stehen, nicht zulassen oder jedenfalls nicht fordern.
Denkt man also Vater und Sohn als für sich seiend, so denkt
man nicht die wechselseitige Abhängigkeit beider von einander
mit (ib. 6). Man wird also kurz sagen können, die absolute
Fassung der Hypostasen zerstört (nach Meinung des Thomas)
die Einheit des göttlichen Wesens, sie führt zum Tritheismus.
Demnach wäre also die Setzung und Unterscheidung der Hypo-
stasen zurückzuführen auf die mit der innergöttlichen Pro-
duktivität gegebenen Relationen von Setzung und Gesetztem.
Dies ist aber auf die relationes originis zu beschränken, d. h.
auf die Fruchtbarkeit der göttlichen Natur als intellectus in-
finitus und voluntas infinita (8. 9).
Duns Scotus hat dieser üblichen Anschauung eine andere
gegenübergestellt. Der Begriff der Relation bezeichnet näm-
lich nur das Mittel zur Beziehung einer Grösse auf die andere,
nicht aber diese Beziehung selbst. Das bezogene Ding wird
also freilich als etwas für sich Seiendes angesehen werden
müssen. Also müssen auch in . Gott zuerst die für sich seienden
Subjekte und dann erst die Relationen derselben gedacht
werden. Die Relation von Leib und Seele macht den Menschen
aus, aber diese Relation setzt das Sein von Leib und Seele
voraus (10). Somit wird auch in Gott das absolute Sein von
Der Personbegriff und die Relationen. 203
Person und Person die Voraussetzung der Relation von Person
zu Person sein (12). — Der zweite Weg der Bekämpfung geht
aus vom Begriff der Origination. Das principium originans ist
notwendig vor dem originatum wie vor der origo selbst da.
Denkt man dagegen Vater und Sohn bloss durch Pelation ver-
bunden, so ist zwar eine Korrelation zwischen beiden gesetzt^
nicht aber eine Origination. Das originatum setzt also das
absolute Sein eines originans voraus. Es wäre zudem unmög-
lich, die differente Produktion von Sohn und Geist aufrecht
zu erhalten , wenn beide ebenmässig nur im Verhältnis der
Korrelation zum Vater ständen (13).
Drittens stellt Duns den Satz auf: alles was in einem
Ersten das Sein formaliter und als Einheit konstituiert, wider-
strebt durch sich selbst jeder Unterscheidung, die der Einheit
dieses Seins entgegengesetzt ist. Wenn also das Pationale das
Sein und die Einheit des Menschen konstituiert, so widerstrebt
dies einer Teilung in ihrer Art nach unterschiedene Naturen.
Hieraus wird also folgen, dass der Paternität die Kommuni-
kabilität widerspricht. Dieser Satz wird aber als falsch er-
wiesen. Erstens: diejenigen, welche diese Auffassung vertreten,
seien doch selbst der Meinung, dass keine Quiddität, also auch
nicht die Paternität, inkomunikabel sei. — Zweitens sei die
Paternität in Gott garnicht isoliert als au sich seiend gedacht,
sondern, indem sie als unendlich gedacht wird, wird sie in den
Zusammenhang des unendlichen Gottes gestellt. Ist nun die
Paternität nicht an sich, so ist sie auch nicht inkommunikabel. —
Drittens : jede relatio divina originis muss der anderen gleich
sein, ermangelt die eine der Kommunikabilität, so auch die
andere. Nun ist aber die spiratio activa oder die Hervor-
bringung des Geistes jedenfalls kommunikabel, da Vater und
Sohn sie gemeinsam haben. Sonach ist die Voraussetzung
falsch. — Viertens : auf einander bezogene Gegensätze müssen
dieselbe Stellung zur Kommunikabilität einnehmen, wäre also
die spiratio activa nicht kommunikabel, so wäre es auch nicht
die spiratio passiva. Das ist nun falsch, wenn man der Relation
das Constituere beilegt. — Fünftens: der Generationsweg in
der Trinität fordert die Kommunikabilität (§ 15). — Gegen
das Resultat dieser Erörterung, d. h. dass die Paternität ihrem
204 Kap. II : Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. 3ren8chen u. d. Sünde.
Begriff nach als kommunikabel zu denken ist, werden zwei
Gegengründe aufgeführt, aber von Duns widerlegt (§ 16 ff).
Demnach kann als Resultat dieses dritten Argumentes der
Satz ausgesprochen werden^ dass das absolute Sein der trini-
tarischen Hypostasen ihre Kommunikabilität nicht behindert.
Dies wurde aber so erwiesen, dass die entgegengesetzte Fol-
gerung der In kommunikabilität als unrichtig aufgezeigt wurde.
Viertens endlich wird die Richtigkeit der in Frage stehenden
These durch verschiedene Autoritäten bewährt, besonders
Augustiii, der z. B. sagt: omne relativum est aliquid excepta
relatione. Also scheint erwiesen zu sein , dass die in der
Trinität durch Relation verbundenen Pej'sonen, den Grund ihres
Seins nicht an der Relation, sondern an ihrem eigenen absoluten
oder selbständigen Sein haben.
Diese Erörterung scheint nun ihren Abschluss zu erhalten
in der Erörterung des Duns Scotus über die Lehre des Bona-
ventura und des Johannes de Ripis. Nach diesen wären die
trinitarischen Personen nicht nur Relationen, sondern absolut,
d. h. ihnen kommt ein selbständiges an sich seiendes Bestehen
zu. Die Personen würden also als Substanzen gedacht. Nun
kann aber, nach Richard von St. Viktor, der Begriff Substanz
doppelt gebraucht werden, zur Bezeichnung entweder eines
quid oder eines aliquid. Im ersteren Fall wird die allgemeine
natürliche Beschaffenheit, im anderen Fall das besondere Sein
gemeint. So kann der Substanzbegriff von Menschen gebraucht
werden im Hinblick auf die gemeinsame Natur des Menschen-
geschlechtes wie auf sein besonderes Wesen. Im ersteren Sinn
ist der Substanzbegriff* zu verwenden, wenn wir von Gottes
Essenz reden, in letzterem Sinn, wenn wir an die Personen
denken. Nun ist es klar, dass die Substanz in ersterem Sinn
schlechtweg absolut ist und ihr Sein an sich in keiner positiven
Relation zu anderem steht. Dagegen ist das hypostatische
Sein auf Relation angelegt. Hiernach empfingen also die Per-
sonen ihre Eigenart aus bestimmten inkommunikabeln und
selbständigen Realitäten, die aber auf Relation angelegt sind.
Duns selbst schreibt: Secundum hoc igitur poneretur, quod
personae divinae distiuguerentur per aliquas realitates incommuni-
cabiles absolutas, non tarnen illa constituentia et distinguentia
Verhältnis zu Bonaventura. 205
essent absoluta primo modo secl secundo modo, quia etsi non
esseiit formaliter relationes, constituta tarnen per ipsas essent
referibilia (1. c. § 23). ^)
Diese Anschauung lässt sich mit der üblichen, dass die
Personen durch die Relationen geschieden werden , dadurch
ausgleichen, dass man (mit Bonaventura) die bezüglichen
Proprietäten die Personen unterscheiden lässt, nicht sofern sie
Beziehungen, sondern sofern sie Ursprünge ausdrücken. Dies
kann nun so verstanden werden, ^) dass die Ursprünge die Per-
sonen nicht formaliter unterscheiden, sondern in der Weise
eines Prinzips oder einer wirksamen Ursache. Wenn also die
vielen Menschen ihre Natur durch die Zeugung von dem ersten
Menschen erhalten, so würden die verschiedenen Zeugungen
nicht einen formalen Unterschied zwischen den einzelnen
Menschen konstituieren, wohl aber hätten alle die Ursache
ihrer Art an ihrem Ursprung. Übertragen wir das auf das
trinitarische Leben Gottes. Die göttlichen Personen haben an
der göttlichen Natur nur durch ihren Ursprung Teil. Dieser
Ursprung unterscheidet andererseits die Personen, indem jede
ihn für sich hat, sodass sie das Prinzip ihres Seins an der gött-
lichen Natur hat. Demnach ist die Sache also etwa so vor-
zustellen. Die drei Hypostasen sind absolutes oder substanzielles
Sein. Dies Sein geht gemeinsam auf die göttliche Natur zu-
rück. Somit sind sie sowohl einander gleich, sofern sie ihren
Ursprung in Gott haben, als auch ungleich, sofern jede von
ihnen einen besonderen Ursprung in Gott hat. Die Selb-
ständigkeit ihres Seins ist damit ebenso gewahrt, als die Selb-
ständigkeit der Existenz der einzelnen Menschen trotz ihres
gemeinsamen Ursprunges. Indem nun aber der Kausalitäts-
zusammenhang zwischen Person und Natur gedacht wird, sind
') Letztere Worte erklärt B a u r (Lehre von der Dreieinigkeit II,
712 Anm.) nicht verstanden zu haben. Der Sinn ist aber doch einfach
der: die trinitarischen Personen werden konstituiert durch bestimmte ab-
solute Merkmale. So wenig letztere ihrem Wesen nach (formaliter) Re-
lationen sind, so wird doch das durch sie bestimmte Wesen der Relation
fähig sein (referibilia), indem sie ja nicht die Art der Substanz erster,
sondern zweiter Ordnung haben.
^) Duns setzt hinzu: licet forte ipse non sie intelligat.
206 Kap. II: Der Gottesbegrifl". Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
die Relationen auch gewahrt. Ja man kann sagen: Non enim
minus salvantur relationes, sed magis, ut videtur, si ponantur
aliqua absoluta quae possent referri, quam si non ponantur
aliqua talia absoluta (24).
Somit scheint das Problem gelöst zu sein. Man hat die
Hypostasen als absolut zu denken und sie andererseits — wie
die Orthodoxie fordert — zu einander in Relation zu setzen.
12. Duns zeigt, dass man gegen dieses Resultat Bedenken
haben kann. Die Namen, welche die Schrift und die kirch-
lichen Symbole zur Bezeichnung der Hypostasen brauchen,
drücken nämlich Relationen aus, z. B. Vater und Sohn. Allein
hieraus lässt sich kein entscheidender Grund gewinnen. Denn
da wir auch Vater, Sohn und Geist in Relation zu einander
stellen, kommen wir mit der Autorität überein, haben aber
keinen Aulass etwas zu unterdrücken, was die Autorität zwar
nicht für sich, aber auch nicht gegen sich hat (26). Aber man
kann auch die positive Übereinstimmung mit der Schrift auf-
zeigen (27). Dass aber Christus bei der Einsetzung der Taufe
die massgebend gewordene relative Nomination anwandte, er-
klärt sich aus seinem Absehen auf Gemeinverständlichkeit (28).
Noch andere Einwände gegen jene Theorie werden abgelehnt
und aufgelöst (28 ff. 31 f.). Weiter werden die für die übliche
Theorie aufgeführten Gründe entkräftet (33 ff.).
Dies alles würde für die Anerkennung der Lehre des
Bonaventura durch Duns sprechen. Nun hat er aber § 41ff\
Kritik geübt an der Kritik gegen die übliche Theorie, die er
selbst § 10 ff. gegeben hat (oben S. 202 f.). Zwar sei es richtig,
dass jede Relation ein zu Beziehendes voraussetzt, aber dies
ist das zu Grunde liegende Subjekt, das nicht eine relatio,
aber doch relativ und nicht absolut ist (41 f.). Hinsichtlich
der Origination (S. 203) sagt Duns, quod patrem originäre filium
est patrem habere filium pro correlativo, non quocunque sed
tali correlativo. Das heisst die Relation zwischen Vater und
Sohn ist die Relation der Origination; sonach könnte man es
bei der Formel Relation sein Bewenden haben lassen (44).
Sodann wird der Satz, dass die Paternität die Inkommuni-
kabilität in sich fasse (S. 203 f.), bewiesen, und zwar die Paterni-
tät als solche nicht nur in Gott, sondern auch bei der Kreatur.
Schwanken zwischen Bonaventura und Thomas. 207
Jene Realität, die die Paternität ausmacht und die nicht mit
der Essenz selbst identisch, aber in ihr ist, ist nicht kommuni-
kabel. Denn sie ist wie die Essenz selbst actus ultimus, d. h.
vollkommenes Sein, also unfähig der Potenzialität oder Deter-
minabilität, deren es zur Kommunikabilität bedürfte (45).
Ebenso ist der Satz falsch, dass auf einander bezogene Gegen-
sätze in gleicher Weise komunikabel oder inkommunikabel
sind, denn wenn die aktive Spiration, indem zweien eigen,
mitteilbar sein muss, kann sie diese Beschaffenheit nicht ver-
lieren dadurch, dass die passive Spiration inkommunikabel
ist (46).
Es würde zu weit führen, und trüge auch nichts aus, vv^enn
wir auf all die übrigen Gegengründe des Duns eingehen wollten.
Es ist genug an dem Resultat, dass Duns ebenso die Auffassung
des Thomas als die des Bonaventura mit Gründen empfiehlt
und durch Gründe widerlegt. Es liegt ein logisches Exerzitium
vor, das zu keiner Lösung führt. Es ist daher begreiflich,
dass seine Schüler und seine Gegner ihm diese oder jene Auf-
fassung zugeschrieben haben. Wir können nur sageu, dass er
sowohl für möglich hält, dass man die trinitarischen Personen
als Relationen in der göttlichen Essenz fasst, als auch dass
man sie für etwas Absolutes hält, das aber Relationen setzt
und bedingt. Sehe ich richtig, so hat Duns doch für letztere
Möglichkeit mehr Sympathie empfunden.^) Hier ist au die frühere
Betrachtung zu erinnern, nach der die Personalität im Vater
als etwas Besonderes besteht vor der durch die denkende Er-
zeugung des Sohnes bewirkten Relation zu diesem (s. S. 196 f.).
In anderem Zusammenhang bemerkt Duns ausdrücklich, dass
die göttlichen Personen positive Entitäten in Gott seien
(III dist. 1 quaest. 1, 10).
13. Ist das richtig, dann hat Duns Scotus das trinitarische
Problem weitergeführt, indem er es verschärfte. In der gött-
lichen Essenz gibt es eine dreifache Relation, diese bildet die
trinitarischen Hypostasen. Das ist die seit Augustin übliche
Theorie. ISHm betont Duns 1. die Personalität der göttlichen
^) Anders urteilt Werner, Duns Scotus S. 358. Baur, Dreieinig-
keit II, 712 verzichtet auf eine Lösung.
208 Kap. LI : Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
Essenz, sie ist schlechthin persönlicher Akt; 2. er bezeichnet
die Hypostasen als etwas was an sich als Absolutes in dieser
Essenz ist und die hypostatischen Relationen hervorbringt.
Daraus würde sich eine neue Problemstellung ergeben, nämlich
wie es möglich ist, dass persönliche Aktivität dreifaltige Aktivi-
tät oder eine Person drei Personen ist. Hierdurch aber ist
das Problem schärfer formuliert. Auf dem Boden des Person-
lebens entscheiden sich die Probleme der Trinität wie der
Christologie, nicht im Rahmen des „Natur-" und „Substanz"-
Begriffes. Die Annahme der dreifachen Relation in der einen
Substanz vermochte die Personalität aller drei Relata niemals
klar zu machen. Das praktische Denken ging daher den um-
gekehrten Weg — wir treffen zuerst die Kappadozier auf dieser
Bahn, — man fing an bei drei Personen und dachte sie zu-
sammen in der unpersönlichen Einheit der Substanz. Das führte
zum Tritheismus. Duns empfindet das Wahrheitsmoment in
dieser Betrachtung. Es sind die drei Personen wirklich an
sich seiende absolute Subjekte, aber er fasst die Essenz, in
der sie sind, ebenfalls deutlich als persönliches Leben. Nun
ist freilich zu sagen, dass er weder das so bezeichnete Problem
klar ausgedrückt, noch dass er die Mittel,' die ihm zu seiner
Lösung zu Gebot standen — die Personalität der göttlichen
Essenz und die Zv^^eckbeziehung Gottes auf das Sein und
Gotteswerden der Welt — in der Richtung der bezeichneten
Fragestellung verwandt hat. — Aber es lohnte sich doch viel-
leicht darauf aufmerksam zu machen, dass auch diese Abschnitte,
die von allen Dornen scholastischer Dialektik umrankt sind,
Gedanken und Ahnungen offenbaren, die des Nachdenkens
wäirdig sind.
Wir haben gesehen, dass die Essenz die Personen hervor-
bringt. Diese Personen sind an sich etwas Absolutes, aber
sie sind dazu bestimmt mit einander in Relation zu treten.
Die göttliche Essenz ist also so beschaffen, dass die Hypostasen
als etwas Absolutes in ihr sind. Aber nicht anders verwirk-
lichen sich diese Hypostasen als dadurch dass sie von der gött-
lichen Essenz als zur Korrelation bestimmt, als Relationen aus
sich herausgesetzt werden.
14. Die überkommene Lehre stellt nun eine weitere Formel
Die gegenseitige Inexistenz der Hypostasen. 209
für die BeziehuDg der Hypostasen unter einander her. Wie
sie aus derselben Essenz hervorgehen , so stehen sie im Ver-
hältnis der Perichoresis zu einander, die Hypostasen sind in
einander. Was ist hierunter zu verstehen? Es ist klar,
dass der Gedanke, dass die eine Hypostase in der anderen
ist, nicht in der Weise gemeint sein kann, wie die Form in
der Materie oder die Natur im Subjekt ist. Es soll ein sub-
sistens in dem anderen subsistens sein. Nun ist aber das
Merkmal der Person oder des Subjektes ein incommunicabiliter
in se esse. Man muss also sagen, es ist eine inexistentia qua
totus filius inexistit praesentialiter et intime in toto patre (I dist.
19 quaest. 2, 7). Das ,,in'' bezeichnet also nicht ein Darinent-
haltensein (continentia), sondern praesentiam subsistentis in sub-
sistente (8). Dadurch wird die Inexistenz zu einer gegenseitigen,
wenn ein Subjekt in dem anderen enthalten sein soll, so ist
auch dieses in jenem vorhanden. Es mangelt uns an den ge-
hörigen Analogien für diesen Zustand, doch kann versuchsweise
das eine und andere angeführt werden. Man könnte etwa
denken an eine Seele, wie sie im Körper im Augenblick des
Todes ist, einem Moment also, wo sie in ihm ist, ihm aber
nicht mehr als Form gegenwärtig ist, oder auch an einen Engel,
der in einem Körper ist, ohne ihn aber zu informieren. In-
dessen fehlt bei diesen Beispielen die Anschaulichkeit der
Gegenseitigkeit des Ineinanderseins. Besser noch denke man
an verklärte Leiber in ihrem Verhältnis zu einander, oder an
das Ineinandersein der einzelnen Seelenkräfte in der einen
Seelenessenz: una erit in alia, quia in alia est essentia animae,
cui illa potentia est eadem. Denkt man diese Kräfte als per
se subsistentes, so würde ein per se subsistens im anderen und
dies in jenem sein (§ 10).
Fragt man aber nach dem Grund dieser Inexistenz, so
kann es weder die Essenz noch die Helation für sich sein.
Nicht die Essenz, denn sonst wäre der Vater, abgesehen von
den Belationen, in sich. Nicht die Relationen, denn da diese
in den verschiedenen Subjekten verschieden sind, so würde das
Ineinandersein nicht ein schlechthin gleiches sein. Ausserdem
sind diese Relationen des Ursprungs auch bei den Kreaturen
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotiis. 14
210 Kap. II:. Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
vorhandeD, ohne dass diese ineinander sind. Es bleibt also nur
noch, da kein anderer Grund ausser den genannten erfindlich
ist, und keiner von diesen beiden Totalgrund sein kann, sie in
ihrem Zusammenwirken als Grund des Ineinanderseins anzu-
nehmen. Eine Analogie bietet der Begriff der Ähnlichkeit dar.
Alle Ähnlichkeit gründet sich auf die Einheit wie die Differenz
der Qualität der Dinge und durch das Zusammenwirken dieser
beiden entsteht sie. So steht es auch in unserem Fall. Weder
die Einheit der Substanz noch die Differenz der Hypostasen
erklärt die Sache, sondern das Zusammenwirken beider. Wie
aber zur Konstituierung der Ähnlichkeit die Einheit wichtiger
ist als die Differenz, so ist auch für das Ineinandersein der
Hypostasen die Einheit der Essenz wesentlicher als die Unter-
schiede der Hypostasen (ib. 9).
Das Resultat dieser Erörterung ist also : die Hypostasen
gehen hervor aus der einen Essenz, daher können sie in ein-
ander sein, sofern die Essenz in allen identisch ist; aber nur
sofern sie als Subjekte different sind, entsteht dies besondere
Ineinandersein von Hypostasen.
15. Wir wollen hiermit die Gotteslehre des Duns Scotus
beschliessen. Die Gedanken über die Trinität, die wir kennen
lernten, können sich an Bedeutung nicht messen mit den
grossen Grundgedanken seiner allgemeinen Gottesiehre. Der
nie versagende Scharfsinn und die dialektische Meisterschaft
treten dem Leser in der Trinitätslehre wieder entgegen.
Aber indem unser Theologe hier in ein festes Gehege über-
kommener Lehren gebannt ist, kommen seine originalen Auf-
fassungen nicht zur klaren Anschauung. Und aus dem näm-
lichen Grunde wird die Dialektik oft gesucht und gezwungen
und deshalb nicht selten stumpf. Die Diskussion ist herab-
gedrückt auf das Niveau des dialektischen Schulbetriebes. Es
muss diskutiert werden und es wird daher das Pro et contra
reichlich und kunstvoll dargeboten. Immerhin scheint aber
auch auf diesem Gebiet es an. einer Fortführung der Gedanken
nicht zu fehlen. In der scharfen Bestimmung des Person-
begriffes sowie in der Empfindung dafür, dass die trinitarischen
Personen absolutes in der persönlichen göttlichen Essenz wur-
zelndes Sein sind, dürfte dieser Fortschritt — er erhebt übrigens
Der Begriff des Schaffens. . . 211
wesentlich Gedanken von Vorgängern zur Bedeutung, die ihnen
als scotistische Theologie eignet, empor — bestehen.
Aber das historisch Bedeutsame an der Gotteslehre des
Duns Scotus ist die Sicherheit, mit welcher er Gott als persön-
liches Leben, als geistigen Willen erfasst hat. Alles Sein
lässt sich einteilen in voluntarium und involuntarium. Letzteres
ist unvollkommen, ersteres vollkommen. Gott ist schlechthin
auf der Seite des vollkommenen wollenden und freien Seins.
Er ist in absoluter Vollkommenheit freier geistiger Wille
(cf. III dist. 32 quaest. uuic. § 2). Zwar findet man schon
bei Thomas darauf zielende Gedanken, aber Duns hat doch
mit grösserer Bestimmtheit und umfassender Tendenz das
Wesen Gottes als Person gedacht. „Der Fortschritt von der
Substanz zum Subjekt ist unstreitig durch Duns Scotus ge-
schehen" (Baur, Lehre v. der Dreieinigkeit II, 655).
II. Die Schöpfung der Welt.
1. Der Begriff des Schaffens.
1. Es gibt in Gott, wie wir gesehen haben, ein principium
productionis intrinsecae, quae est necessaria. Dem steht ein
principium productionis extrinsecae, quae est contingens gegen-
über. Indem die trinitarischen Personen von der nach innen
gerichteten Fruchtbarkeit des göttlichen Wesens hervorgebracht
werden, haben sie alle drei teil an dieser Fruchtbarkeit. Da
nun das endliche Sein der Welt eine unendliche Ursache vor-
aussetzt (vgl. S. 144 ff.), so ist Gott das Prinzip zur Schöpfung
der Welt; insonderheit, sind die trinitarischen Hypostasen zu-
sammen das principium productivum causationis ad extra (II dist.
1 quaest, 1, 8. 11). Kein Zug in der perfectio Gottes kann
nur einer trinitarischen Person beigelegt werden. Denn dann
wäre die schlechthinige Notwendigkeit dieses Zuges für die
Gottheit ausgeschlossen. Dann wäre aber auch die Person,
welcher dieser Zug eignet, nicht absolut notwendig (cf. III
dist. 32 quaest. unica § 3).
Die iunertrinitarische Bewegung geht also voraus der
schöpferischen Thätigkeit Gottes an der Welt. Wie Gott
14*
212 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
denkend und wollend sich zu einer dreifachen Subsistenz setzt^
so ist das göttliche Denken und Wollen, wie es in diesen
Hypostasen gesetzt wurde, auch weiter Ursache alles Seienden
ausserhalb seiner selbst. Es besteht also ein fester Zusammen-
hang zwischen der nach innen produktiven göttlichen Fekundität
und der nach aussen gerichteten. Creare est aliquid de nihilo
producere in effectu (ib. quaest. 2, 3). Die Frage, ob Gott
von Ewigkeit her habe schaffen können, die Thomas bejaht,
Heinrich von Grent, Bonaventura und E-ichard verneint hatten,
hat Duns nicht entschieden (ib. quaest. 3, 9 ff.). Für das eine
wie das andere lassen sich G-ründe anführen ; z. B. dem Wesen
des Steins widerspricht die ewige Existenz, also muss er einen
Anfang gehabt haben. Aber andererseits ist der Gedanke der
ewigen Schöpfung von keinem logischen Fehler bedrückt (16).
Das erschaffene Ding hat als solches eine doppelte Beziehung,
sowohl zu Gott, als der bewirkenden Ursache, als zu dem
seinem Sein vorangehenden Nichtsein. Denkt man letzteres
Verhältnis als ein dauerndes, so kann von einer andauernden
Schöpfung die Rede sein (ib. quaest. 4, 27). — Das Verhältnis
der Welt zu Gott muss nun als eine dependentia essen-
tialis d. h. als wesentliche oder sachliche Abhängigkeit be-
zeichnet werden. Diese Erkenntnis ergibt sich ebenso aus der
Erwägung der creatio als der conservatio. Hinsichtlich des
realen Verhältnisses Gottes zur Welt bezeichnen nämlich diese
Begriffe keine Differenz. Denn es ist derselbe göttliche Wille,
der die absolute Ursache des Seins der Welt ist, man denke
diese nun als erschaffen oder erhalten und es ist auch keine
Differenz der realen Abhängigkeit in diesem oder jenem FaU
denkbar (s. Quodlib. quaest. 12, 2. 3). Die Differenz, welche
die Begriffe der Schöpfung und Erhaltung bezeichen, ist so-
nach keine reale auf das Wesen des Verhältnisses bezügliche,
sondern nur eine rein logische. In dem ersten Fall denken
wir an das Werden, im zweiten an das Sein der Welt, in dem
ersten Fall setzen wir die absolute Ursache in E-elation zu
einem vorhergehenden Nichtsein, in dem zweiten zu einem vor-
hergehenden Sein. Das ist logisch eine verschiedene Art der
Dependenz, aber es ist sachlich in beiden Fällen dasselbe Ver-
hältnis schlechthiniger Abhängigkeit bezeichnet (ib. 6. 7). Durch
Die schlechthinige Abhängigkeit der Welt von Grott. 213
diese Betrachtung ist das Verhältnis der Welt zu Gott zum
Ausdruck gekommen, das dem Gedanken Gottes als des schlecht-
hin freien allmächtigen Herrn der "Welt korrelat ist. Damit
hat aber auch die Lehre von der Schöpfung und Erhaltung
in der religiösen Weltanschauung des Duns Scotus ihre Be-
gründung empfangen.
Zu demselben Resultat ist aber Duns auch in einem
anderen Zusammenhang gekommen. Unter Verwendung des Ge-
dankens von der materia prima (oben S. 76 f.) hat Duns den
Gedanken gebildet, dass die Schöpfung von Gott im logischen
Fortschritt de imperfecto ad perfectum erfolgt sei (de rerum
princ. quaest. 8 arte 4, 2). Darnach ist alles Sein der Welt
ex materia una homogenea communi, der von Gott erschaffenen
ersten Materie, durch Gottes formgebende Wirkung hervor-
gegangen, wie etwa aus dem Samen der Leib mit allen seinen
Gliedern entsteht (ib. 29). Nur Gottes schlechthin unbestimmte
und schrankenlose Macht kann aber als das ausreichende
Prinzip zur Informierung der schlechthin unbestimmten ersten
Materie vorgestellt werden (ib. art. 5, 40). Durch diese Ge-
danken ist aber zugleich der wissenschaftliche Beweis für die
absolute Abhängigkeit der Welt von ihrem Schöpfer erbracht
(vgl. S. 79). — Man kann sonach von einem dreifachen Sein
der Dinge reden. Sie existieren als zu verwirklichende Idee
in Gott, oder sie sind als effectus dei im esse actuale der
ersten Materie objektiv real vorhanden, oder sie sind die von
Gott besonders informierte Materie d. h. dieses und jenes
konkrete Ding. Während nun die dritte Art des Seins ihr
Prinzip an den Formen, die Gott gibt, hat, bestehen die beiden
ersten Arten, nach der Meinung des Duns, ohne jede Beziehung
zu Formen, sofern die göttliche Kausalität als solche der ge-
nügende unmittelbare Grund für ihr — nicht individuelles —
Sein ist (ib. art. 6, 43 vgl. Sent. II dist. 12 quaest. 2, 3 f.).
2. Das grösste Interesse bei der Besprechung der erschaffenen
Welt hat Duns den Engeln zugewandt.^) Allein das hat
keineswegs den Sinn, als wenn er ihnen eine besondere religiöse
Bedeutung beilegte, vielmehr hat ihm dieser abgelegene Stoff
^) Vgl. ßaur, Lehre von der Dreieinigkeit II, 759 ff.
214 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
Gelegenheit gegeben zu einer Menge von abstrakten Unter-
suchungen über Raum, Zeit, Bewegung oder über die Er-
kenntnistheorie. Vieles von diesen zum Teil sehr scharf-
sinnigen Erörterungen, ist bereits oben (Kapitel I) verwandt
worden. Hier müssen wir uns mit wenigen Bemerkungen be-
gnügen. Ob die Engel leiblich sind, ob sie räumlich sind, ob
ein Engel zu gleicher Zeit an verschiedenem Orten sein kann,
oder ob mehrere Engel gleichzeitig an einem Ort sein können,
die Bewegung der Engel — das sind die Probleme, die in der
2. Distinktion des 2. Buches behandelt werden. Da werden
auch im Zusammenhang der Erkenntnis der Engel die Grund-
züge der Erkenntnistheorie entwickelt. — Auch die Engel
haben ihre Seligkeit verdient. Jede auf das Ziel bezogene
Handlung, ist entweder factiva fiuis oder meritoria linis, letzteres,
wenn das Ziel den Kräften des ihm Nachstrebenden nicht
proportional ist. Die Seligkeit kann also nur unter diesem
letzteren Gesichtspunkt als etwas Verdientes angesehen werden
(n dist. 5 quaest. 1, 3).
Ausgerüstet mit dem freien Willen konnten die Engel, die
ihnen eingegossene übernatürliche Gerechtigkeit bewahren oder
aufgeben, sie konnten also sündigen (quaest. 2, 11). Die erste
Sünde der Engel will Duns nicht eigentlich als Hochmut,
sondern als eine gewisse luxuria bezeichnen, die zurückgeht auf
ungezügelte Selbstliebe (dist. 6 quaest. 2, 14 f.). Die gefallenen
Engel können ihren Willen nicht mehr auf das Gute richten,
denn es fehlt ihnen an der Kraft, die das Prinzip eines
solchen Wiillens sein könnte. Der Wille, der sich für das
Böse entschieden hat, kann nur unter Mitwirkung der Gnade
Gutes wollen, oder Verdienstliches wollen, er kann es aber
nicht von sich aus (dist. 7 quaest. unica § 14 ff.). Es ist aber
weiter unmöglich, dass Gott einem gefallenen Engel Gnade
verleihe, nämlich nach der potentia ordinata. Dieses wird aus
Aussprüchen der Schrift und Augustins erwiesen (18). Nach-
dem dann eine genaue Untersuchung über die locutio angelorum
unter einander angestellt worden (dist. 9 quaest. 2), wird nur
kurz über die missio angelorum und ihre Thätigkeit unter den
Menschen gesprochen (dist. 11).
Die Lehre vom Teufel wird von Duns natürlich aner-
. . Engel, Teufel, Mensch. 215
kanut und gelegentlich verwandt. Aber eine besondere Theorie
vom Teufel und seinem Wirken hat er nicht dargeboten. Wie
das Apostolikum und die von ihm bedingte Anlage der Dog-
matik hierzu keinen Anlass boten, so sind auch die Lehren
von der Sünde, der Erlösung und der Heilsaneignung ohne prin-
zipielle Bezugnahme auf die Teufelslehre entworfen. Mochte
das praktische kirchliche Leben noch so reichlich Teufels-
spekulationen zeitigen, in der Theorie empfingen sie keinen
festen Platz. Für die geschichtliche Stellung dieser Lehre ist
dieser Umstand von grosser Bedeutung gewesen.
2. Der Mensch.
Wir wenden uns dem Menschen zu. Die imago dei hat
ihren Sitz nicht in den Kräften der Seele, sondern in Akten.
Indem die Seele denkt und will, ist sie ein Abbild des gött-
lichen Lebens (II dist. 15 quaest. unic. § 20). Hier soll
der wichtige Begriff der Synderesis bei Duns erörtert
werden. Die älteren Franziskanertheologen, wie Alexander und
Bonaventura, verlegten dieselbe sowohl in den Intellekt als den
Willen. Heinrich von Gent lehrte (Quodlib. I quaest. 18) sie im
Willen finden. Die Synderesis sei die dem Willen einwohnende
natürliche Übereinstimmung mit dem dictamen legis naturae,
die Conscientia die daraus abfolgende mit dem Naturgesetz
übereinkommende spezielle electio deliberativa. Dagegen macht
Duns geltend, dass der hier vorausgesetzte natürliche WiUens-
trieb auf Gott notwendiger Weise die partialen Willensmotive
beherrschen und bestimmen müsste. Dann würde aber das
Zustandekommen böser Thaten undenkbar. Ebenso werde für
die Conscientia eine Willenshabitualität postuliert, die zum
Grunde nicht^ wie es notwendig wäre, Willensakte sondern
intellektuelle Akte hätte. Auch würde so die Freiheit des
Willens beschränkt, da er von den natürlichen Akten des
Intellektes abhängig werde (II dist. 39 quaest. 2, 2). Die Frei-
heit des Willens und seine Unabhängigkeit vom Intellekt ist
auch hier das leitende Motiv der Kritik. Nach Duns hat die
Synderesis ebenso wie die Conscientia ihren psychologischen Ort
in dem Denken des Menschen. Die Synderesis ist die praktische
Vernunft als der habitus principiorum qui semper est rectus
216 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u, d. Sünde.
quia ex ratione terminorum virtute luminis intellectus naturalis
statim intellectus acquiescit illis. Der Wille ist fähig sich von
diesen schlechthin vernünftigen praktischen Prinzipien des In-
tellekts leiten zu lassen, wobei seine Freiheit aber jeden Zwang
ausschliesst. Im Unterschied hiervon ist die conscientia der
habitus proprius conclusionis practicae, welcher bestimmend auf
die Wahl der rechten einzelnen Handlungen einwirkt und so
zum Gruten stimuliert, bezw. gegen das Böse ein remurmurare
ausübt (ib. § 4). Es befasst also die Synderesis die der prak-
tischen Vernunft immanenten ethischen Prinzipien, welche dann
die Consicentia im gegebenen Fall auf das menschliche Handeln
anwendet. Oder man kann auch sagen: Die Synderesis be-
zeichnet den Besitz der angeborenen Ideen des ^^natürlichen
Rechtes^', von welchen die Conscientia die Anwendung macht
auf die einzelne Handlung. So tritt der Zusammenhang dieser
Gedanken mit ihrer Wurzel, den fÄeQTq %ov Xöyov in der Seele
bei den alten Apologeten, wieder deutlich hervor. — Im Üb-
rigen soll hier nur daran erinnert werden (Genaueres s. in der
Tugendlehre), dass der Primat des Willens die Vorstellung
von angeborenen sittlichen Ideen sprengt, denn kann überhaupt
die praktische Vernunft vom AVillen beeinflusst werden, warum
kann dann diese Beeinflussung keine dauernde sein und schliess-
lich jenes Naturrecht überhaupt aufheben?
IIL Die Sünde.
1. Die Entstehung der Sünde.
1. Die erste Sünde hätte auch eine veniale, d. h. die Über-
tretung eines Eates, nicht; eines positiven Gebotes sein können
(n dist. 21 quaest. 1, 3). Die erste Sünde Adams war eine über-
mässige Liebe zu Eva, welche er durch eine Abweisung
nicht beleidigen wollte (ib. quaest. 2, 2). Weit schwerer war
Evas Sünde, nämlich die Begierde nach der Gleichheit mit
Gott und seinem Wissen (ib. 4). Der Grund der Sünde kann
aber nicht in Unwissenheit erblickt werden: prius peccavit
quam erravit (dist. 22 quaest. unic. § 2). Ihren Grund hat
die Sünde im Willen. Der Wille schliesst notwendig die Mög-
Die Entstehung der Sünde. 217
lichkeit, so oder anders zu wollen in sich. Ein Wille, welcher
von Natur nicht fähig zur Sünde wäre, ist undenkbar. Voluntas
creata in puris naturalibus non potest necessario immobilitari
in summo bono (dist. 23 quaest. unic. § 6). Aber es ist eben-
so undenkbar, dass der natürliche Wille als solcher der Sünde
entginge. Er findet nämlich in keinem natürlichen Objekt Ruhe,
80 lange aber das ihn befriedigende unendliche Gut nicht gegen»
wärtig ist, kann er immer wieder von Gott nicht gefallenden
Gütern angezogen werden. Daher kann die im Paradies be-
stehende positive Sündlosigkeit nur durch ein donum supernatu-
rale Gottes erklärt werden (ib. 7).
Diese ursprüngliche Gerechtigkeit hätten aber die Eltern,
als nicht zur Natur gehörig, nicht an und für sich auf ihre
Kinder übertragen können.
2. Die an diesem Ort von Duns besprochene Lehre von
der Willensfreiheit haben wir schon früher dargestellt (S. 86 ff.).
Der Mensch bedurfte, das folgt aus Obigem, schon im status
purorum naturalium der Unterstützung der Gnade. Die Gnade,
als der vom heiligen Geist gewirkte Habitus der Liebe zu Gott,
befähigt erst den Menschen verdienstlich zu handeln (dist. 27
quaest. un. § 3). Von Natur nämlich lehnt sich das niedere
Triebleben im Menschen gegen die Vernunft auf. Ebenso ist
der Wille von Natur darauf angelegt, sich in den sinnlichen
Trieben zu ergehen. So besteht von Natur im Menschen eine
innere rebellio. Nur die übernatürliche Gnade kann dieselbe
heben, indem sie die niedere Sphäre, ohne ihr Trauer zu he-
reiten, der oberen unterwirft und dem Willen ein Ziel vorhält,
das ihm ergötzlicher erscheint als die sinnliche Lust (dist. 29
quaest. unic. § 4). — Da nun von Anfang an Gott zur Ein-
giessung der Gnade bereit und der Wille ihrer fähig war, so
ist der Mensch von Anfang an positiv zur Gerechtigkeit ver-
pflichtet oder schuldig, nämlich auf Grund seines freien Willens.
Dico igitur, quod iustitia ista, ratione cuius debitor est homo
vel angelus iustitiae, non est nisi potentia naturalis voluntatis
moderandi inclinationem naturalem quae est contra iustitiam
infundendam, et illud est liberatas quae non est aliquid super-
additum voluntati imo de per se ratione eins. Also ist die
Freiheit gegenüber der gratia infundenda der Grund, durch
218 Kap, II: Der Gottesbegriff. iJie Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
den die Kreatur debitor Gottes wird, sofern diese natürliche
Beschaffenheit den Menschen befähigt, gottgefällig zu werden als
die iustitia naturalis, qua potuit conservare iustitiam infusam sibi
(II dist. 5 quaest. 2, 11). Die Willensfreiheit rüstet den
Menschen also aus Gnade zu empfangen und sie zu behalten.
Empfängt oder behält er sie nicht, so ermangelt er der über-
natürlichen Gerechtigkeit, aber dieser Maugel ist ein verschul-
deter, indem sein Wille sich der Eiiigiessung derselben wider-
setzte. Sonach kann vom ersten Moment der bewussten Existenz
her die Schuld als möglich bezeichnet werden (ib.). Zugleich
aber zeigt diese Erwägung, dass die Sünde Schuld wird wegen
des Bestandes der Freiheit.
2. Die Erbsünde.
1. Gehört nun aber der Widerstreit des sinnlichen und
geistigen Lebens, sowie die Beeinflussung dieses durch jenes
zur Natur des Menschen, so ist klar, dass darin die Erbsünde
nicht bestehen kann. Nicht Konkupiszenz also macht das
AVesen derselben aus, denn die ist natürlich und zudem auf
dem sinnlichen, der Sünde nicht zugäuglichen Gebiet wirksam.
Nein, die Erbsünde ist nichts anderes als carentia iustitia e
originalis (II dist. 30 quaest. 2, 3). "Wenn oft von Autori-
täten die Konkupiszenz als Wesen der Sünde angesehen wird,
so kann das nur in dem Sinn gelten, dass sie das Materiale
der Erbsünde ist, welches aber erst durch das Fehlen des
frenum cohibens übermässig und Sünde wird (dist. 32 quaest.
unic. § 7).
Wodurch aber pflanzt sich die Sünde als Erbsünde fort?
Dürfte man die Erbsünde für eine qualitas morbida halte, von
welcher auch das Fleisch infiziert wurde, so wäre diese Frage
sehr einfach zu beantworten, sofern im Augenblick der Ein-
giessung der Seele diese von dem infizierten Fleisch befleckt
würde (so Heinrich von Gent). Aber Duns widerlegt diese
Theorie. Die Sünde haftet am- Willen, sie besteht in Willens-
akten, wie könnte der geistige Wille Adams den ganzen Körper
krank machen und umwandeln? Es ist aber auch nicht
zu verstehen, warum der Same mehr von der Sünde sollte in-
fiziert sein, als Blut oder Speichel. Und sollte sich auf dem
Die Erbsünde. 219
blos leiblichen Wege die Sünde fortpflanzen, so müsste ein
Löwe, der einen Menschen frisst, auch den fomes in sich auf-
nehmen! Ferner ist nicht zu begreifen, wie die physische Be-
schaffenheit den Willen sollte umwandeln können. Gesetzt
aber auch, Adam hätte sein Fleisch infiziert durch seinen
Willen und vererbte diese Beschaffenheit, so müssten die Nach-
kommen nun ihrerseits wieder zu der überkommenen Infektion
willentlich ein Neues hinzufügen und dann müsste die Erbsünde
in jeder neuen Generation grösser werden (dist. 32 quaest.
un. § 4 — 6).
2. Indem Duns mit Anselm die Erbsünde lediglich als
carentia iustitiae debitae fasst, ergibt sich ihm eine andere
Lösung. Diese Gerechtigkeit ist nämlich debita, sofern Adam
sie für sich und das ganze in ihm beschlossene Menschenge-
schlecht empfing, Gott dieselbe also gerechtermassen von allen
Menschen verlangen kann. Denn Gott hätte, wenn Adam
nicht gefallen wäre, die Gerechtigkeit sine speciali dono auf
die Kinder übertragen. Dadurch wird der früher ausgesprochene
Gedanke, dass Adam die Gerechtigkeit auf die Kinder hätte
fortpflanzen können, ergängt: sed quod deus cooperaretur regu-
lariter dando iustitiam propagato. Man wird übrigens kaum
irre gehen, wenn man in dieser Ergänzung nur ein Produkt
dogmatischer Not erblickt.
Doch dem sei, wie ihm wolle, Duns stellt die Regel auf:
ex tali datione fit voluntas cuiuscunque filii debitrix (ib. § 8 — 11).
Aber die Erbsünde wird nicht so fortgepflanzt, als wenn das
sündliche Fleisch die Sünde in der Seele verursachte, sed ex
hoc quod caro concupiscibiliter seminatur et ex ipsa formatur
corpus orgauicum, cui infunditur anima constituens personam
quae est filius Adae. Ista ergo persona, quia naturalis filius
Adae, ideo debitrix est iustitiae originalis datae a deo ipsi Adae
pro Omnibus filiis et caret ea (12). Man sieht, dass es nur täu-
schender Schein ist, wenn Duns hier die augustinische Theorie
festzuhalten versucht ; die Einmengung der Konkupiszeuz in den
letzten Sätzen ist sachlich ganz unveranlasst. Duns selbst
sagt später, es sei nicht nötig eine infectio in carne anzunehmen,
dass aber die caro doch als causa instrumentalis in Betracht
komme, in quantum in ipso semine est vis activa producendi
220 Kap. II : Der Gottesbegi'ifi'. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
filium Adae qui per hoc est debitor (17). Faktisch kann der
Gedanke nur der sein, Gott sehe die Seele für sündhaft an,
indem sie in ein Fleisch kommt, das von Adam herrührt und
indem sie vermöge dieses Zusammenhanges ideell die Schuldig-
keit zur Gerechtigkeit gegen Gott übernimmt. Aber der Be-
griff kommt noch mehr ins Schwanken, wenn man sich dessen
erinnert, dass schon die Einführung der Vererbung der Schul-
digkeit Adams eigentlich dem Gedanken von der Unvererb-
lichkeit des donum supernaturale widerspricht. Man wird nicht
zuviel sagen mit der Behauptung, dass Duns die Erbsünden-
lehre in dem Sinn Augustins, aufgegeben und dafür nur mühsam
einen formellen Ersatz in einer Art Erbschuld gefunden hat.
Entsprechend seiner Anschauung wird dann in der Taufe der
Mensch ausgerüstet mit der Gnade als dem Ersatz für die
iustitia originalis und freigesprochen von dem debitum habendi
istud donum, d. h. die ursprüngliche Gerechtigkeit (13). Das
heisst also die Taufe bringt die Sündenvergebung in dem Sinn,
dass Gott von der dem Menschen ideell vermöge seines Zu-
sammenhanges mit Adam aufliegenden Verpflichtung zur ur-
sprünglichen Gerechtigkeit absieht, indem er die Neuerzeugung
dieser Gerechtigkeit im Menschen erfolgen lässt. Über den
Zusammenhang beider Begriffe wird bei der Rechtfertigungs-
lehre (s. unten) w^eiter zu reden sein. — An diesem Ort des
Systems ist nur dies von Bedeutung, dass jeder positive und
konkrete Sinn der Erbsünde oder auch der Erbschuld bei Duns
ausgeschlossen * ist. Das Nichtvorhandensein der Erfüllung
einer ideellen Verpflichtung ist die Erbschuld. Jedes lebhaftere
Empfinden für die konkrete Art der Schuld als culpa fehlt,
und das kann nicht verwundern, wenn man die Bedingungen
der Schuld (S. 217) in Erwägung zieht. Es waren die Bereit-
schaft Gottes Gnade zu geben und die Freiheit dieselbe anzu-
nehmen. Indem nun für die Erbschuld ersterer Faktor in
Wegfall kommt, kann Duns die Verschuldung der Adams-
sprossen nicht deutlich machen. Es bleibt bei der farblosen
Formel einer objektiven Karenz d. h. eines historischen Ver-
hängnisses. — Aber im Rahmen der Gesamtanschauung des
Duns ist dieser Mangel nicht unverständlich. Indem das Gute
und Böse bei der Kreatur von der göttlichen Acceptation allein
I
Die aktualen Sünden. 221
abliäugt, hat er kein Bedürfnis für eine genauere positive Er-
kenntnis der Art und der Tenazität der Sünde. Jene Formel
eines objektiven Mangels genügte. Und ^da er weiter bei dem
sittlichen Leben hauptsächlich an die einzelnen Willensakte dachte,
fehlte ihm das Verständnis für die tiefsten Tendenzen Augustins.
Er hat mit scharfer Kritik das physische Element in Augustins
Hamartiologie bekämpft, aber er hat keine positive Sünden-
lehre zu geben vermocht. Endlich aber wurde durch seinen kirch-
lichen Positivismus sein Interesse durchaus auf die kirchliche
Neuschöpfung des Menschen gelenkt, es genügte tabula rasa
gemacht zu haben, um ein nichts als Voraussetzung jener
Schöpfung gewonnen zu haben; die subjektiven Zustände des
Sünders vor der kirchlichen Gnadenmitteilung interessierten
ihn daher wenig.
Es ist aber andererseits dieser starken Depotenzierung der
Erbsünde ganz gemäss, wenn Duns ausdrücklich von denen, die
nur mit der Erbsünde behaftet sterben, sagt: nullam habebunt
poenam sensus exterioris, puta ignis; ebensowenig würden sie
innere Strafe, wie die Traurigkeit, erleiden. Sie würden nur
ewig entbehren der visio dei supernaturalis , aber aliqualem
beatitudinem naturalem de deo cognito in universali poterunt
attingere (dist. 33 quaest. un. § 2. 5. 3).
3. Die aktualen Sünden.
1. Etwas lebhafter als die Erbsündenlehre ist der Begriff
der aktualen Sünde bei Duns ausgefallen, wiewohl erst
hier die tiefsten Gründe für die obigen Bestimmungen uns ganz
einleuchten werden.
Jede Sünde ist in ihrem Wesen Verfehlung gegen das
göttliche Gesetz. Diese Verfehlung ist sündhaft, quia peccans
potuit concordari legi superioris agentis et discordavit. Nicht
eigentlich die positive Handlung macht etwas zur Sünde, sondern
die privatio illius concordiae (11 dist. 37 quaest. 1, 3). Nun
fragt es sich aber, welches Gutes der Mensch durch die
Sünde beraubt werde ? Es können weder die natürlichen Güter
sein (Bonaventura), denn dann könnte durch Wiederholung
der Sünde die Natur des Menschen ganz zerstört werden,
aber nur Gott, der die Natur erschaffen hat, kann sie zer-
222 Xap. II: Der Gottesbegriff. Die Liebe v. d. 3Ienschen u. d. Sünde.
stören. Noch kann es das übernatürliche Gut der Gnade sein
(Thomas), denn da Gott dieses erschaffen hat, kann nur er
es zerstören. Ebensowenig können es die Tugendhabitus sein,
denn ein solcher wird durch eine Todsünde nicht zerstört,
könnte also neben ihr fortbestehen (ib. 4. 5). Nach Duns
selbst ist die Sünde eine corruptio rectitudinis in actu secundo
d. h. eine Zerstörung der Gerechtigkeit der einzelnen und be-
sonderen Akte, nicht aber eine Zerstörung der rectitudo natu-
ralis oder auch habitualis, somit keine mutatio de esse ad nou
esse. Sonach vernichtet die einzelne Sündenthat nicht die
Güte oder Gerechtigkeit des Menschen überhaupt, sondern die
Gerechtigkeit dieser besonderen That, und das formaliter,
denn peccatum est formaliter corruptio rectitudinis in actu
secundo quae opponitur illi rectitudini, dadurch ist sie dann
auch eine privatio habitui d. h. keine Vernichtung, sondern
eine Minderung an dem betr. Tugendhabitus. Dass eine solche
Handlungsweise aber sündhaft ist, ergibt sich daraus, dass der
Wille verpflichtet ist seine einzelnen Akte gemäss dem gött-
lichen Verbot aus sich herauszulocken. Die Sünde realisiert
sich also in einzelnen Willensakten. Daher kann nichts sündig
genannt werden als ein freiwilliger Willensakt. Peccatum est
omnis actus vitiosus, adeo est peccatum quo voluntarium;
quodsi uon est voluntarium, non est peccatum (Sent. IV
dist. 15 quaest. 3 § 3).^) Weicht also der durch das Gebot
verpflichtete Wille in einem Akt vom Gesetz ab : caret iu-
stitia actuali debita, haec est iustitia quae deberet in esse actui
et non inest, et haec carentia, inquantum est actus voluntatis
deficientis ... est formaliter peccatum actuale (II dist. 37
quaest. 1 § 6). Nochmals wird betont, dass nicht eigentlich
der positive Willensakt die Sündhaftigkeit bedingt, sed carentia
debiti ordinis in actu illo, sofern nämlich dieser Akt statt sich
auf das höchste Gut zu richten, seine Ruhe in einem irdischen
Gut findet. Für diese Auffassung beruft sich Duns auf
augustinische Aussprüche (7). •
2. Nach dieser Betrachtung sind die Sünden also unter
^) cf. Aristotel. Eth. Nicom. V. 10: dSiy.r^fca öh y.cd Sty.atoTToryrj/iia
iOQLOrai xo} iaovauo y.al dy.oioiqj.
Das Wesen der Sünde. 223
den negativen Gesichtspunkten der aversio, des nolle und der
Übertretung der Gebote anzusehen. Diese Aversion ist in jeder
Todsünde vorhanden und sie macht das eigentUche Wesen der-
selben aus. Nun ist die Aversion das Widerspiel einer positiven
Stellung zu dem höchsten Gut. Da letztere eine verschieden-
artige sein kann, wird auch der Gegensatz die entsprechende
Mannigfaltigkeit in sich tragen (ib. 8). Folglich können die
einzelnen Sünden als carentiae diversae specie bezeichnet
werden. Ebenso ergibt sich von diesem Gesichtspunkt her die
Beurteilung der Gnade und des Schwergewichtes der Sünden.
Wie schwer eine Art von Sünde wiegt, hängt ab von dem
sittlichen Gewicht der ihr entgegengesetzten Tugend, gerade
ebenso wie die Grösse des Irrtums von der Grösse der durch
ihn verkannten Wahrheit abhängt. Wenn so eine Al)stufung
der Sünden gegeneinander gewonnen wird, so lassen sich die
gleichen Sünden ihrer Gradation nach von einander nach dem
Mass der auf die betr. That gewandten libido des Willens
unterscheiden, indem dem Mass der an die Sünde gewandten
Willenskraft das Mass der Tugend, die durch jenen Kraft-
aufwand hätte verwirklicht w^erden können, korrespondiert (9).
3. Indem die Sünde in dieser Weise keine corruptio der
Natur, sondern nur eine privatio bewirkt und zwar nicht des
Guten quod infuit, sed quod deberet inesse, ist klar, dass die
Sünde die Natur nicht aufzehrt, und dass sie deshalb in iu-
finitum fortgesetzt werden kann. Nur von einer Verwundung
der Natur durch die Sünde kann geredet werden, und
zwar von dem Gesichtspunkt her, dass die crebra carentia
rectitudinis actualis die Natur inhabilis ad usum rectum macht.
Mit anderen Worten :. die Wiederholung der bösen Handlungen
erzeugt eine Habitualität des Bösen, durch welche der Mensch
in der natürlichen Ausübung der Wahlfreiheit dem Guten
gegenüber gehemmt ist. So wenig die Natui- durch die Sünde
zerstört wird, so wenig vermag dieselbe an sich die Gnade zu
zerstören. Gnade und Sünde könnten an sich zu gleicher Zeit
im Menschen bestehen. Wenn aber wo Sünde ist, die Gnade
weicht, so geschieht das nicht wegen Inkompossibilität beider
Grössen, sondern ut demeritum, d. h. indem Gott zur Strafe
für die Sünde die Gnade dem Sünder entzieht (10).
224 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
4. Was macht also eine Handlung sündhaft? die Antwort
lautet, dass sie abweicht von der positiven Norm des göttUchen
Willens und dass dadurch das höchste Gut nicht gewollt wird,
sondern statt seiner ein kreatürliches Gut. Der Mensch hat
die Pflicht Gottes Willen zu erfüllen, eine Handlung, die von
dieser Norm abweicht, ist dadurch sündhaft, und zwar zunächst
nur diese besondere Handlung, nicht der Mensch als solcher,
nicht die Richtung seines Willens, denn erst allmählich auf
dem Wege der Wiederholung könnte eine sündhafte Habitualität
des Willens entstehen. Also das Merkmal der Diskordanz mit
Gottes Gesetz kennzeichnet eine Handlung als sündhaft. In-
dem also die Sünde lediglich an den Handlungen als einzelnen
haftet, ohne eine andere als die natürlich und allmählich habituell
werdende Korruption des Menschen zu bewirken, ist klar, dass
Duns die genuin pelagianische Theorie von der Sünde vertritt,
denn gerade in dieser Isolierung der einzelnen Sünden besteht
das Eigentümliche dieser Theorie.^) Durch eine Sünde trennt
sich also der Sünder nicht von Gott, er hebt die Lebens-
gemeinschaft mit ihm nicht auf durch eine jener entgegen-
gestetzte Hichtungnahme , sondern er übertritt einmal irgend
ein Gebot. — Hier blickt man tief in die religiöse und sitt-
liche Anschauung des Duns hinein. Das Verhältnis des Menschen
zu Gott ist nicht das persönliche Verhältnis einer Lebens-
gemeinschaft, sondern es ist die Befolgung bestimmter Gebote.
Dem gemäss besteht auch die Sünde lediglich in der Nicht-
befolgung jener Gebote. Weder wird der Mensch an sich da-
durch verändert, noch ergibt sich mit innerer Notwendigkeit
eine Veränderung des Verhältnisses zu Gott. Hier greift der
Gottesbegriff in den Zusammenhang ein. Die willkürlich ge-
gebenen Gebote sind zu erfüllen, w^erden sie nicht erfüllt, so
entzieht Gott nicht in der Konsequenz des inneren Verhält-
nisses zwischen sich und dem Menschen, sondern, weil er so
will, dem Menschen die Gnade.
Hiedurch freilich scheidet sich der Weg des Duns von
dem des Pelagius. Nach Pelagius bleibt die Gnade; es ist
daher unverständlich, wie Sünden den Sünder und wie Sünder
^) Vgl. m. Dogmengesch. I, 261 f.
Wodurch eine Handlung sündhaft ist. 225
eine sündhafte Menschheit erzeugen. Nach Duns wird dem Sünder
die Gnade genommen und dies Verhängnis Gottes erklärt bis
zu einem gewissen Grade, weshalb der Mensch und die Mensch-
heit der Sünde verfallen. So wird dann die Notwendigkeit der
Gnade und der Erlösung auch wieder erkennbar. In dem
Mass aber als kein innerer Grund für die Entziehung der
Gnade angeführt werden kann, gerät doch auch der Erlösungs-
gedanke ins Schw^anken. Aber obgleich dies Urteil an der
scotistischen Kritik (s. unten) seine Bestätigung empfängt,
rückt der scotistische Positivismus doch immer wieder alles
zurecht.
Es wird endlich aus dieser Auffassung der einzelnen Sünden
erhellen, weshalb die Erbsündentheorie des Duns nicht anders
hat ausfallen können, als sie wirklich ist. Wenn nämlich das
Sündhafte ausschliesslich in der Nichtkonkord anz der zufälligen
einzelnen Handlungen mit dem Gesetz besteht, so kann eine
Erbsünde überhaupt nicht gedacht werden. Eine Erbschuld
kann aber nur in der künstlichen Weise der Karenz einer
ideell geschuldeten adamitischen Gerechtigkeit vorstellig ge-
macht werden. Man thut also nicht zu viel, wenn raa.n nicht
nur die augustinische , sondern jede Erbsündenlehre in dem
scotistischen System streicht. Dass Gott um der That Adams
willen der Menschheit bis auf Christum nicht mehr Gnade oder
übernatürliche Gerechtigkeit einflösst, und dass daher die Hand-
lungen der Menschen, sowie ihre Handlungsweise der super-
naturalen und gesetzmässigen Beschaffenheit, die Gott will,
ermangeln, — das ist in Kürze die Ansicht.
5. Hier nun ist der Ort, auf eine Frage einzugehen, auf
die wir schon in der Gotteslehre gestossen sind (S. 159), die
Frage, wie sich das Vorhandensein der Sünde mit der absoluten
Herrschaft des göttlichen Willens vertrage? Im allgemeinen
ist es leicht hierauf zu antworten. Sofern das Böse überhaupt
eine positive letzte Ursache haben kann, ist es a bono, da es
kein summum malum gibt. Denn die Einführung eines solchen
hat den Umstand gegen sich, dass nur dem summum bouum
die höchste Vollkommenheit absoluter Kausalität zustehen
kann (II dist. 37 quaest. 1, 12). Nun hat Bonaventura ge-
lehrt: bonum est causa per accidens mali. Diese Formel kann
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 15
226 Kap. II: Der Gottesbegriö'. Die Lehre v. d. Menschen u. d. Sünde.
heissen, dass der Wille, sofern er aus dem Nichts stammt und
daher defectibilis ist, Ursache des Bösen wird, oder sie kann
bedeuten, dass der Wille einem Effekt nachstrebt, wobei sich
ihm als Accidenz das Böse anheftet. Aber beide Möglich-
keiten widersprechen einander: ist der zweite Weg richtig, so
kann es der erste nicht sein und umgekehrt. Der erste Weg
würde übrigens dazu nötigen, den Schöpfer zur direkten Ur-
sache des Bösen zu macheu (ib. § 13. 14). Der zweite würde
die Sünde, die blosser Zufall wäre, gradezu aufheben (17). —
Aber auch Augustins berühmte Formel, die Sünde gehe auf
eine causa deficiens, nicht efficiens im Menschen zurück, kann
so verstanden werden, dass Gott Ursache des Bösen wird,
denn non efficere rectitudinem quae deberet effici, est quasi
causare effective vel defective peccatum (18).
Zunächst scheinen zur Lösung zwei Voraussetzungen in
Betracht zu kommen, dass nämlich 1) die Sünde in einem Er-
mangeln der Gerechtigkeit besteht, und 2) dass der Wille die
Totalursache seiner Wollungen ist. Dann scheint man sagen
zu können, dass Gott nicht Ursache des Bösen sein könne, da
sowohl material als formal jede Handlung vom Willen kausiert
werde; Gott kann also nur mittelbar als Schöpfer des wahl-
freien Willens in Betracht kommen. Wollte man einwenden,
dass dann Gott auch nicht Ursache der Verdienste sein könne,
so ist dagegen zu sagen, dass letztere doch in einem anderen
und näheren Verhältnis zur göttlichen Kausalität stehen, so-
fern erst die besonders eingegossene Gnade Verdienste ermög-
licht und zu ihnen die Seele hinneigt (1. c. quaest. 2, 6). —
Es könnte aber weiter jemand sagen, dass nach dieser Theorie
die Sünde von den Wirkungen der causa prima völlig eximiert
sei. Aber in diesem Fall kann man die Regel angewandt
denken, dass die causa prima und die causa secunda gelegent-
lich neutral gegen einander bleiben, sodass jede von beiden
hinsichtlich des Effektes als ganze Ursache zu bezeichnen ist.
Z. B. der Bestand eines Sohnes hängt von seinem Vater wie
auch von der Sonne ab ; obgleich erstere Ursache von letzterer
abhängt und jene daher mehr wdrkt als diese, wirkt diese zweite
Ursache doch selbständig (7). Aber dem grossen Kritiker
entgeht nicht, dass diese Lösungen nicht ausreichen. Er fühlt
Die Ursachen der Sünde. 227
sich durch die Vordersätze seines Gedankenbaues verhindert
sie zu acceptieren. So nämlich wäre Gott nicht im absoluten
Sinn naturaliter praescius futurorum und er wäre ebenso wenig
omnipotens. Kann nämlich der Wille als alleinige Ursache
seines Wollens schlechthin alles wollen, so ist nicht einzusehen,
wie Gott die besonderen Erscheinungen der Kontingenz voraus-
wissen und wie er die göttliche Yorherbestimmung aufrecht er-
halten könnte, es sei denn violentando. Wegen dieser Unaus-
kömmlichkeit ist der ganze Weg aufzugeben (8).
Duns selbst nimmt seinen Ausgang von dem Gedanken,
dass in jeder Todsünde zwei Momente konkurrieren, ein posi-
tives als das Materiale der Handlung und ein negatives oder
die privatio iustitiae debitae als das Formale der Handlung.
In Bezug auf letzteres ist keine causa efficiens, sondern nur
eine causa deficiens zu denken. Der Wille ermangelt in seiner
Handlung der kausalen Einwirkung der Gerechtigkeit und so
sündigt er formaliter. Hier darf man nun an den oben be-
sprochenen Gedanken sich erinnern, dass eine Handlung sündig
werde durch eine causa per accidens. Das Nichtvorhanden-
sein der Gerechtigkeit ist an sich eine causa deficiens ; indem
es aber eine positive Wirkung, nämlich die formal sündhafte
Handlung, hervorbringt, kann es auch als ein efficere von etwas
Positivem angesehen werden. Dann ist es aber eine accidentelle
Ursache der Sünde als positiver Handlung (9). Daher ist nun
aber auch der Wille als solcher nicht schlechtweg die Ursache
der Sünde. Zwar steht er kausal der Sünde näher als jener
Defekt der Gerechtigkeit, aber dass er wirklich Ursache der
Sünde wird, beruht auf der Defektibilität, die ihm eignet als
kreatürlich beschränktem Willen (10). Demnach hat die
Sünde als positive Handlung ihre Ursache sowohl daran, dass
der Wille der Gerechtigkeit ermangelt, als daran, dass der
kreatürliche Wille defektibel ist. Aber das eine wie das andere
ist an sich causa deficiens; von einer effektiven Wirkung ist
nur die Eede angesichts des positiven Effektes dieser Wirkungen.
Indem nun die eine Kausation auf Gottes Willen, die
andere auf den menschlichen Willen zurückgeht ^), erhebt sich
^) An sich könnte doch auch — wovon Duns schweigt — die De-
15*
228 J^ap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v, d. Menschen u. d. Sünde.
die Frage, ob und wie denn doch nur der menschliche Will&
als Ursache der Sünde bezeichnet werden kann? Man kann
darauf, mit Augustin, antworten, Gott kann, da er weiser ist
als die Menschen, nicht die Ursache der Verschlechterung der
Menschen sein; oder, mit demselben, als Ursache des Seins
kann Gott nicht Ursache des Nichtseins d. h. der Sünde, sein ;
oder endlich, mit Anselm, Gott könne zwar den Willen ver-
nichten, aber ihm nicht die Gerechtigkeit fortnehmen (11).
Allein das ist logisch nicht genügend. Denn Gott kann dem
kreatürlichen Willen zum Guten kooperieren, er kann es aber
auch nicht thun. Und Gott kann daher deficiendo freilich
Ursache des Bösen sein, da er nicht die alleinige ausschliess-
liche Ursache des Seins und Werdens hat sein wollen. Es
steht fest, dass Gott durch Strafen das malum über die
Menschen verhängt. Warum kann nun Gott nicht sowohl die
Ursache der Sünde als Schuld als ihre Ursache, sofern sie
Strafe ist, sein, so dass er die gratia im Sünder annihiliert?
Sagt man aber, mit Anselm, Gott könne die Gerechtigkeit
nicht nehmen, so scheint die Sünde überhaupt unmöglich zu
werden (12. 13).
Nun kann aber die Beobachtung festgestellt werden, dass,
indem zwei Fartialur Sachen zu einem gemeinsamen Effekt zu-
sammenwirken, der Defekt an diesem Effekt auf die eine oder
andere der Partialursachen zurückgehen kann. So steht es
auch bei der Sünde. Nach der Art des Willens muss jeder
durch ihn gewirkte Defekt in ihm selbst begründet sein. Nun
kann die andere Ursache dem Willen nur kooperieren, sofern
der Wille diese Kooperation zulässt. Da aber die obere Ur-^
Sache (Gott) kausieren würde, wenn die niedere Ursache (der
Wille) kausierte, dieser aber diese Bedingung bezüglich des
Guten nicht erfüllt, so setzt die obere Ursache ihre Kooperanz
aus ; der WiUe ist aber dann die alleinige und direkte Ursache
des sündhaften Defekts an seinen Handlungen (14). Da aber
diese beiden Partialursachen durchaus gleichzeitig kausieren,
gilt der Einwand nichts, dass doch Gott als der oberen Ur-
fektibilität des kreatürlichen Willens bis zu der schöpferischen Kausalität
zrurückverfolsft werden.
Der Wille, nicht Gott, Ursache der Sünde. 229
Sache die Priorität auch bezüglich des Defektes zukommen
müsse (15).
Duns meint also, dass der Wille des Menschen die Ursache
der Sündhaftigkeit seiner Handlungen sei. Nun wäre freilich
keine Sünde da, wenn Gott nicht dem Willen die Gerechtigkeit
eingeflösst oder wenn er sie ihm grundlos genommen hätte,
denn dann gäbe es keine iustitia debita, sonach auch keine
carentia derselben, also keine Sünde. Es hat aber Gott Adam
die Gerechtigkeit gegeben und sie ihm nur aus demeritorischeu
Ursachen genommen: daher ist Sünde da (17). Diese Sünde
ist aber Schuld, da der Mensch vermöge seiner Freiheit dem
Willen Gottes gemäss leben konnte (20). So betrachtet ist
die Sünde Strafe Gottes, denn die Strafe ist carentia boni
convenientis voluntati et volenti, Gott nahm aber dem Menschen
die Kooperanz der Gerechtigkeit, weil der Mensch nicht ge-
recht wollen wollte (22). Also ist die Sünde wirklich Schuld,
denn, wenn auch ihr Wesen in der Karenz der übernatürlichen
Gerechtigkeit besteht, so ist dieser Mangel eben veranlasst
durch den freien Willen als die causa activa (23).
So scheint die Frage ausreichend beantwortet zu sein.
Den Scharfsinn und die systematische Umsicht unseres Autors
lehrt auch diese Betrachtung bewundern. Die komplizierte
Aufgabe ist gelöst, dass dieselbe Sünde, die zunächst nichts
anderes ist als die von Gott verhängte Karenz der Gerechtig-
keit, doch wieder Schuld des Menschen, weil lediglich durch
seinen Willen veranlasst, sein soll. Theologisch betrachtet,
gipfelt die Sündenlehre des Duns fraglos in diesen Betrach-
tungen. Wie Gott und Mensch sich bezüglich der Sünde ver-
halten, wird gezeigt, und was wir bisher über Gott, Mensch
und Sünde gehört haben, findet dabei Platz und Verwertung.
6. Aber trotzdem sind die Probleme der Sündenlehre durch
diese Erörterungen kaum erledigt. Zunächst ist es wenig ein-
leuchtend, trotz aller dialektischen Kunst, die Duns darauf
verwandt hat, wie die göttliche Determination, die Präscienz
und die Omnipotenz auf diesem Wege aufrecht erhalten bleibt.
Wenn wirklich der Mensch schlechthin frei sich für die Sünde
bestimmt — dieser Gedanke ist hier von Duns freilich etwas
eingeschränkt worden — , wo bleiben dann die Mittel zur Durch-
230 Kap. II: Der Gottesbegriff. Die Lehre v. d. Menschen u. d, Sünde.
führung der göttlichen Präscienz ? Ich finde bei Duns auf diese
bekannten Fragen keine Antwort. Nun wird aber die Frage
dadurch etwas modifiziert, dass Duns die vorliegende Betrach-
tung offenbar nur an Adams Sünde orientiert hat. Wegen der
ersten Sünde wurde der Menschheit der Gnadenhabitus im
Willen entzogen und sie ihrem natürlichen Geschick überlassen.
So scheint es verständlich zu werden, dass Gott von der durch
ihn selbst der Gnade beraubten Menschheit die Karenz der
Gnade oder die Sündhaftigkeit des Handelns vorherweiss und —
als Strafe — vorherbestimmt. Aber diese Lösung ist von einer
doppelten Schwierigkeit bedrückt, erstens von der Undeutlichkeit
des Zusammenhanges zwischen Adams Sünde und der Sünde
der Menschheit (oben S. 219), zweitens aber davon, dass doch
auch der Eintritt der ersten Sünde der göttlichen Präscienz
dieselben Schwierigkeiten bereitet, wie überhaupt die Gesamt-
heit der Sünden. Wie konnte Gott Adams Sünde vorherwissen,
ohne sie vorherzuwollen? Mit der Defektibilität des Willens
war doch nur die Möglichkeit, nicht aber die Notwendigkeit
zu sündigen bei dem Menschen, der die Gnade erhalten hatte,
gesetzt. Zwar kann man diese Schwierigkeit nicht dadurch
steigern, dass man die Gnade des ersten Menschen als ein seine
Sünde erschwerendes Moment veranschlagt, denn, da die Sünde,
nach Duns, das rein natürliche Handeln ist und die Gnade die
Natur ebensowenig als die Sünde beeinflusst, so erwuchs dem
Sündigen aus dem Vorhandensein der Gnade keine Hemmung.
Aber auch so bleibt die angeführte Schwierigkeit deutlich
genug bestehen. Die Defektibilität ist von Gott; weiss Gott
alles vorher, so wusste er, dass sie zur Sünde führen würde;
wusste er das, woher wollte er es nicht, wenn doch Wollen und
Wissen in ihm in keinem Gegensatz sein können (S. 159)? —
Aber weiter: Hat die Sünde, wie Duns will, zur aktiven und
Hauptursache den freien Willen, muss dann nicht ihr Wesen
in der positiven Beschaffenheit des bösen Willens aufgezeigt
werden und nicht in der negativen Formel der Karenz über-
natürlicher Gerechtigkeit? Aber hier greift der scotistische
Gottesgedanke, wie wir sahen, bestimmend in die Entwicklung
ein. Und von hier aus lösen sich für das scotistische Denken
wirklich alle Schwierigkeiten: Gott wollte es so, es ist ein
Beurteilung der scotistisclien Sündenlehre. 231
positiver Thatbe stand, wir mögen ihn verstehen oder nicht.
Aber wozu dann alle dialektische Mühe in der Dogmatik?
Stat pro ratione voluntas!
Es ist merkwürdig, in der Formel carentia iustitiae trifft
sich das schlimmste Element der scotistischen Sündenlehre mit
einer wirklichen religiösen Erkenntnis. Die Sünde ändert den
Menschen nicht, sie depraviert nicht sein Wesen und seinen
Charakter, sie tötet nicht, sie verwundet höchstens. Das ist
der Pelagianismus des Duns, der die besten religiösen Empfin-
dungen in der abendländischen Sündentheorie preis gibt. Dem
gegenüber behält Augustinus recht und der grosse Kampf gegen
den Pelagianismus im ausgehenden Mittelalter und in der Re-
formationszeit ist ein Kampf Augustins wider Duns Scotus.
Aber andererseits kommt doch auch wieder in jener Formel
zum ersten Mal auf das schärfste der rein geistige Charakter
der Sünde zum Ausdruck. Das Dasein ohne Gott, das bloss
natürliche Leben ist Sünde. Nicht die Sinnlichkeit, nicht die
Unwissenheit bewirkt die Sünde, sondern die neue Lage in die
der Mensch sich dadurch versetzte, dass er gottlos wurde. Der
Spielraum der natürlichen Möglichkeiten, die dem Menschen
gesetzt sind, blieb der gleiche und die rein natürlichen Potenzen
seiner Bethätigung wurden nicht verändert. Aber indem die
Gnade ihm genommen wurde, verlor er das übernatürliche Ziel
und das übernatürliche Motiv zu seiner Erreichung. Dies auf
sich selbst Gestelltsein, das „Gehen der eigenen Wege", die Gott-
losigkeit — das ist die Sünde. Aber freilich diese Richtung
der Gedankenbildung konnte nur eingehalten und reicher und
kräftiger befolgt werden, bei einer tieferen Beobachtung und
einer positiveren Bestimmung des Wesens der Sünde, als Duns
sie hat geben können und wollen. Und so sind wir wieder auf
den Grundmangel der scotistischen Sündenlehre zurückgeführt
worden. Die Heillosigkeit und Korruption der Sünde ist ihm,
trotz allem, nicht aufgegangen. Der Mensch bleibt, trotz der
Sünde, was er ist; dass jene Karenz alle Schrecken und alle
Verderbnis der HcHle in sich fasst, das kommt nicht zur Aus-
sage. Denn es ist eine freie Ordnung des göttlichen Willens,
dass er Adams That durch jene Karenz bestraft.
232 Kap. II: Der Gottesbcgriff. Die Lehre v. d. Mensehen u, d. Sünde.
4. Die Einteilung der Sünden.
1. Was die Einteilung der Sünde anlangt, so geht Duns
aus von dem Gedanken, quod malitia primo et formaliter non
est nisi in aliquo actu voluntatis. Formal oder ihrem Wesen
nach ist also jede Sünde ein Willensakt, aber material an-
gesehen, kann dieselbe sich in den verschiedenen Formen
menschlicher Bethätigung ergehen, wie im Gedanken, im Wort
und im Werk (II dist. 42 quaest. 4, 1. 2). Der AVille kooperiert
in allem, diesen, wie im Einzelnen nachgewiesen wird (ib. § 13 f.
16); ebenso unterstehen das sinnliche Gebiet und die Triebe
der Gewalt des Willens, der diesen Formen der Bethätigung
einen geistigen und ethischen Charakter aufdrückt (ib. § 18. 19).
Genau unterschieden wird in der bekannten W^eise auch
zwischen den Todsünden und den venialen Sünden.
Nur für erstere bedarf es der Busse, letztere werden in der
Regel durch gute Handlungen ausgetilgt. De peccato autem
veniali non oportet dubitare, quia de illo non est necessitas
poenitentiae (IV dist. 9 qu. unic. § 4). Dabei erscheint es
aber Duns als sehr wohl denkbar, dass ein Christ während
eines Jahres, d. h. in der Zeit von einer Beichte bis zur
anderen, überhaupt keine Todsünde begeht. Nee est incredibile
multos esse in ecclesia qui per aunum vivant sine mortali, imo
per dei gratiam multi multo maiori tempore sine peccato mortali
se custodiunt et multa opera perfectionis exercent, de quorum
meritis thesaurus ecclesiae congregatur (IV dist. 17 quaest. un.
§ 32). Der Zusammenhang des werkheiligen Wesens mit der
Sündenlehre tritt hier scharf hervor.
2. Über die sieben Todsünden s. dist. 42 quaest 5. —
Grade diese Unterscheidung von Tod- und venialen Sünden
hat für die praktische Anschauung die verhängnisvollsten Folgen
gehabt, wie man an der Ethik des Duns — noch besser später
an der Jesuitenmoral — studieren kann. Ernsthaft kommt
überhaupt nur die Todsünde in. Betracht. Mit den venialen
Sünden kann man sich nebenher abfinden, man beachte den
Ton, in dem Duns von ihnen redet (z. B. IV dist. 38 quaest.
un. § 11. 14), Aber hieraus ergab sich w^eiter auch jene
juristische Abmessung der Sünde, jene ethische Schlauheit,
Die Einteilung der Sünden. 233
mit der eine Sünde so lange psychologisch analysiert wird, bis
sie sich zur Beruhigung des Sünders als veniale Sünde entpuppt
(s. z. B. IV dist. 39 quaest. un. § 4 ; 111 dist. 38 quaest. un.
§ 12 und unten die Darstellung der ethischen Fragen).
Die Sünde wider den heiligen Geist wird erklärt als das
peccatum ex certa malitia, indem sie sich wider die göttliche
bonitas oder den heiligen Geist richtet (II dist. 43 quaest. 1, 4).
Doch ist diese Bestimmung zu allgemein, da sie auf jede be-
wusste Sünde passt. Da diese Sünde die höchste Stufe der
Sünde darstellt, müssen folgende Merkmale zu jenem hinzu-
kommen: Diese Sünde muss Verfehlung gegen die Gebote der
ersten Tafel, oder Abwendung vom höchsten Ziel sein. Und
zwar eine Abwendung, welche actus oppositus perspectissimo
actui conversivo ist. Da der Mensch Gott nicht fassen kann,
so wird jene Sünde nicht im Widerspiel der Liebe, sondern
der Hoffnung bestehen : et hoc est peccatum desperationis sive
abstinationis in malo cum desperatione et proposito non poeni-
tendi; et hoc est peccatum in spiritum sanctum (ib. § 5). Un-
vergeblich ist diese Sünde aber nicht nur in dem Sinne, wie
es jede Todsünde, der keine Busse folgt, ist, sondern deshalb,
weil sie das Prinzip der Vergebung, d. h. die göttlichen Barm-
herzigkeit, für sich aufhebt und Gott nur als gerecht beurteilt,
talis enim diffidit et desperat de misericordia dei ; sodann aber,
weil die Voraussetzung nicht Busse zu thun, jede subjektive
Disposition auf den Empfang der Sündenvergebung aufhebt
(ib. § 7).
3. Auch in der Sündenlehre wird der aufmerksame Leser
die Abweichungen von der überkommenen Lehre nicht ver-
kennen. Die der augustinischen Auffassung anhaftende Ver-
quickung der Sünde mit dem physischen Leben ist prinzipiell
aufgehoben. Die Sünden sind die verkehrten Handlungen des
Willens und nichts anderes. Eine Erbsünde gibt es eigentlich
nicht, denn nur sehr uneigentüch kann die carentia iustitiae
als solche bezeichnet werden, nicht die Sünde erbt fort, sondern
der Anspruch Gottes an die menschliche Natur.
Drittes Kapitel.
Die Person Christi und die Erlösung.
I. Jesus Christus der Gottmenscli.
1. Der Begriff der Unio und der Menschwerdung.
1. Indem wir uns den christologischen Ideen des Duns
zuwenden, mag gleich hier bemerkt werden was Duns später
behandelt, dass es nicht die göttliche Natur ist, die die mensch-
liche annimmt (III dist. 5, quaest. 1, 2), und dass ebensowenig
eine menschliche Person assumiert werden kann, da diese
Personalität die natürliche Dependenz von einer andern Person
ausschlösse, ist die Person doch gerade die Negation der
Abhängigkeit von einem anderen, wie sich später zeigen wird
(ib. quaest. 2, 4). Die Menschwerdung bewegt sich also zwischen
den beiden Termini: Logosperson und Menschennatur. Die-
selben werden durch eine Unio verbunden.
Die christologische Darstellung hat Duns mit der Frage
eröffnet, ob und wie die unio personahs vorstellbar sei, sowohl
von Seiten der persona quae assumit, als der natura quae
assumitur (III dist. 1 quaest. 1, 2)? Die unio ist zu denken
als eine relatio. Diese Besiehung ist aber nicht kausabel vor-
zustellen, es ist eine relatio ordinis und zwar ein Verhältnis
der Abhängigkeit der menschlichen von der göttlichen Natur.
Man kann dieselbe etwa vergleichen mit der Beziehung des
Accidenz zu der Substanz, wobei aber nicht daran, dass das
Accidenz seinem Subjekt etwas hinzugefügt, sondern daran,
dass es von diesem getragen wird, zu denken ist (ib. 3). Dieses
Der Begriff der Unio und der Menschwerdung. 236
Verhältnis beschränkt nun in keiner Weise die göttliche Natur,
sofern diese, als die menschliche Natur zur Abhängigkeit be-
stimmend, ihrerseits weder der compositio noch der potentialitas
oder limitatio unterliegt (ib. 4).
Auch kann nicht gesagt werden, dass notwendig alle drei
Personen die Assumption ausführen müssen. Denn obgleich
alles auf die göttliche Natur Bezügliche wie die schöpferische
Kausalität den drei Hypostasen durchaus gemeinsam ist, ist
doch kein Grund dagegen anzuführen, dass nicht jede Person
für sich das in Rede stehende Abhängigkeitsverhältnis sollte
herstellen können (ib.).
2. Hieran schliesst sich aber weiter die Frage, ob die
menschliche Natur fähig ist in dies Verhältnis einzutreten.
Dabei handelt es sich vor allem um die Frage, wie die an
sich seiende Menschennatur in solch ein naturhaftes Abhängig-
keitsverhältnis geraten kann? Hier kommt zunächst der Unter-
schied der Person und der Natur als singulären zur Sprache.
Die Lösung wurde von Varro und Heinrich folgendermassen
versucht. 1. Die natürliche Singularität geht der Personalität
vorher, also konnte in dem Augenblick, wo die Singularität
zur natürlichen Personalität werden sollte, der Logos eingreifen
und die Personierung der menschlichen Natur von sich aus
ausführen. 2. Wie im Abendmahl Accidenzien für sich, d. h.
in der Weise der Substanz, bestehen, so könnte auch eine
Substanz die Art eines Accidenz annehmen, also in diesem
Fall die menschliche Natur der göttlichen wie ein Accidenz an-
haften. 3. Die Differenz der Art ist nicht ein Grund gegen
die TJnibilität der beiden Dinge, da gerade artgleiche Dinge
nicht vereinbar sind, dagegen die schärfsten Gegensätze als
Subjekt und Prädikat Zusammensein können. Warum soll
dann die Vereinigung des Erschaffenen mit dem Unerschaffenen
nicht auch möglich sein?
Mit Recht weist Duns diese Gründe ab. Der erste gilt
nicht, denn wenn die Natur ohne Singularität bestehen kann,
könnte sie auch ohne Personalität sein. Gegen den zweiten
bemerkt er, dass die Übertragung dessen was einmal vom
Accidenz gilt, auf die Substanz unbefugt sei. Und das dritte
Argument beweist nichts, weil der Begriff der Unio eine Distanz
236 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung-,
zwischen imibeln Elementen nur fordert, wenn die Potenzialität
des einen der Aktualität des anderen, wie etwa bei Subjekt
und Accidenz entspricht, wo letzteres sich zu ersterem wie der
Akt zur Potenz verhält. Da aber die Distanz in unserem
Pall nicht durch das Verhältnis von Akt und Potenz bemessen
werden kann, so gilt jener Beweis nicht (1. c. § 5).
Duns selbst stellt die Frage so: wie verhält sich das,
wodurch die intellektuelle Natur Person wird zu dem, wodurch
sie diese singulare und individuelle Natur ist? Um den Grund
der Personalität zu finden, sind zwei Wege gangbar. Man kann
die Personahtät als etwas Positives, was zu der . natürhchen
Individualität hinzukommt, ansehen und es dann entweder als
etwas Absolutes und Substanzielles oder als eine Relation
fassen. Der andere Weg lehrt, dass die Natur durch den
blossen Hinzutritt einer Negation Person wird. Die letzte
positive Entität wäre die, welche die Natur zu dieser besonderen
macht, dagegen würde durch eine Negation der weitere Gedanke
gewonnen , dass diese Natur persönliches Subjekt sei (6). —
Duns versucht nun die CJngangbarkeit des ersten Weges nach-
zuweisen : 1. Unter Voraussetzung desselben wäre in der mensch-
lichen Natur eine positive Entität, die vom Logos nicht an-
genom-men werden könnte, denn die menschliche Person könnte
nicht in die natürliche Union mit dem Logos treten. 2. Wäre
aber die menschliche Natur doch vom Logos angenommen, so
würde sie — unter jener Voraussetzung — ihrer vollen und
höchsten Realität entbehren müssen. 3. Diese Natur könnte
nicht (vom Logos) entlassen werden und doch personiert bleiben,
da eine Realität, wie die der Personalität, nicht in einer Natur
enthalten sein kann, die nicht mit ihr identisch ist. 4. Die
intellektuelle Natur müsste diese besondere wirklich existierende
werden können, ohne personiert zu sein, denn da die Persona-
lität nicht zur Natur gehört, könnte diese letztere ohne jene
zur Entfaltung kommen (7).
Aber auch gegen den zweiten Weg werden Gründe an-
geführt. 1. Die Negation würde erfolgen in Bezug auf eine
andere Person, dann aber müsste auch eine abgeschiedene Seele
Person sein, weil sie nicht diese oder jene bestimmte Person
ist. Aber Richard (de trin. X, 23) habe das geleugnet. 2. Jede
Individualität und Personalität, 237
Person ist inkommuriikabel, keine Negation ist inkommunikabel,
also muss die Personalität etwas Positives sein. 3. Diese
Negation müsste ihren Grund an der positiven Beschaffenheit
des Subjekts haben. 4. Teilbarkeit ist Un Vollkommenheit.
Die Personalität ist unteilbar, also ist sie vollkommenes d. h.
positives 8ein. Dieselbe Linie könnte auch für den Nachweis
benutzt werden, dass es unvollkommen sei von einer äusseren
Person abzuhängen, dass also nur eine positive Entität sich
von dieser Abhängigkeit frei halten könne (8).
3. So scheinen beide Wege nicht zum Ziel zu führen.
Der erste Weg ist ausgeschlossen, weil die positive Entität
der Persönlichkeit das Mass an Abhängigkeit, das die Christo-
logie für die Menschennatur fordert^ unmöglich erscheinen lässt.
Der zweite Weg, dass eine Person dadurch Person wird, dass
sie nicht diese andere Person ist, würde auch die Natur zu
Personen machen. — Duns erklärt nun aber, dass das Verhältnis
der Abhängigkeit verschieden verstanden werden könne, nämlich
als dependentia actualis, potentialis et aptitudinalis. Die aptitu-
dinale Abhängigkeit ist diejenige, die von sich aus immer ist,
wenn sie nicht durch etwas von aussen herankommendes auf-
gehoben wird. So gravitiert das Schwere immer zum Centrum^
wenn er nicht von aussen behindert wird. Die Potenziale Ab-
hängigkeit ist die, welche durch Kompossibilität der in Betracht
kommenden Beziehungen jederzeit möglich ist. ^- Nun ist es klar,
dass eine kreatürliche Person in ihrem Verhältnis zum Logos durch
die Negation der aktualen Abhängigkeit nicht ausreichend be-
stimmt wird, während die Negation der Potenzialen Abhängigkeit
zu weit ginge, da keinem Erschaffenen die Abhängigkeit vom
Logos schlechtweg inkompossibel ist. Dagegen kann freilich die
Negation der aptitudinalen Abhängigkeit als charakteristisch für
die geschaffene Person in ihrem Verhältnis zur Logosperson zu-
gestanden werden. Nicht aber kann dabei von der Potenzialen
Abhängigkeit Umgang genommen werden, denn sonst würde der
Logos gewaltsam in einer Menschenseele Platz nehmen, wie
auch nur auf dem Wege der Gewalt der Stein oben in der
Höhe zum Stillstand gebracht werden kann. Indem aber die
aptitudinale Abhängigkeit in Wegfall kommt, wird die Mög-
lichkeit einer wirklichen Abhängigkeit nicht negiert. Die Natur
238 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
als meDschliche steht nämlich in einem Verhältnis des Ge-
horsams zu Gott, das sie bereit hält in das von Gott durch
übernatürliche Aktion hergestellte Abhängigkeitsverhältnis ein-
zutreten. Auf diese Weise sei die menschliche Natur Christi
fähig gewesen von dem Logos personiert zu werden. Wo da-
gegen dies nicht eintritt, bei allen übrigen Menschen, da voll-
zieht sich die Personierung auf dem Wege der Negation und
nicht durch eine positive Entität (9). Das Resultat dieser Er-
örterung ist also dies, dass die kreatürliche Person zu der
Logosperson im Verhältnis nur potenzialer Abbängigkeit steht,
lind dass die Natur des Menschen fähig ist gehorsam in das
Verhältnis völliger Abhängigkeit zu treten, in dem sie von der
Logosperson personiert wird. Ehe wir an dies iu mancher
Beziehung auffallende Resultat einige Bemerkungen knüpfen,
wollen wir unseren Autor weiter begleiten.
Zunächst werden die gegen den negativen Charakter der
Personalität gerichteten Gründe entkräftet. Bezüglich des
Einwandes, dass die Negation nicht inkommunikabel ist, bemerkt
Duns, dass letzterer Begriff die Kommunikabilität des Quod
und Quo ausschliesse (oben S. 193), und dass die erschaffene
Natur, als singulare, in der That die Kommunikation des Quod
ausschüesse. Dagegen eignet ihr nicht die Tnkommunikabilität
bezüglich des Quo. Nun aber kommt der göttlichen Person
die doppelte Inkommunikabilität zu (S. 194), folglich ist der
Personbegriff in kräftigerer und vollkommenerer Weise auf Gott
als auf die Menschen anzuwenden. Et hoc modo concedo non
€sse personam in creatis. Nulla erit perfecte persona
nisi divina (10). Die göttliche Person hat nämlich schlechtweg
und überall die absolute Repugnanz gegen Kommunikation
sowohl hinsichtlich des Quod als des Quo, während die mensch-
liche Person nur in erster Hinsicht inkommunikabel ist. Daher
kann eine göttliche Person nie anders denn als positive personale
Entität gedacht werden, während es zur Konstituierung der
menschlichen Person nur jener Negation bedarf (10). Jeden-
falls ist es aber einleuchtend, dass die Kreatur stets der er-
forderten Abhängigkeit von Gott fähig ist.
4. Noch eine Frage kann in diesem Zusammenhang ge-
stellt werden. Indem nämlich die menschüche Natur Jesu zu
Die Unio nicht durch ein neues Absolutes im Menschen. 239
dem Logos in ein Verhältnis der Abhängigkeit tritt, kann man
als Fundament dieser Beziehung eine neue absolute Entität
fordern. Man kann dies damit begründen, dass sonst die
Folge wäre eine mutatio ad relationem et a relatione, d. h.
eine solche Veränderung , die von einem Bezogensein zum
Nichtbezogensein oder umgekehrt führt, sodass also die Natur
als solche ohne inneren Grund die Relation wechseln würde.
Denn, wenn das Wort die angenommene absolute Natur aus
der Beziehung zu sich entliesse, wäre die Beziehung der Unio
nicht mehr und es wäre auch kein neues Absolutes da. Und
wenn der Logos eine Natur annähme, die in Petrus personiert
war, so würde die Veränderung bestehen in einer neuen relatio
ad aliquid. Nun sagt aber Aristoteles: in „ad aliquid", non
est motus nee mutatio. Mit anderen Worten die Veränderung
kann nicht durch blossen Relationswechsel erklärt werden, in-
dem dieser Wechsel durch etwas Absolutes im Subjekt ver-
anlasst sein müsste. Weiter sagt Duns, dass die Relation eben
nicht neu werden könne, es entspreche ihr dann ein neues
Absolutes. Da das Neue nicht im Logos sein kann, so müsste
es in der menschlichen Natur sein (12).
Aber trotz dem scheint das Gegenteil probabilius zu sein.
Denn wenn ein solches Absolute in der Menschennatur Funda-
ment der Relation wäre, so erwartet man, dass es notwendig
Relationen zum Logos setzt. Aber eine derartige Entität ist
unmöglich. Zudem wäre nicht klar zu machen, wie man sie
sich vorstellen könnte. Sie kann kein Accidenz sein, weil
die intellektuelle Natur an sich personabel zu sein scheint,
also keine Accidenz zwischeneintreten muss, wenn sie in einem
anderen personiert werden soll. Aber sie kann auch nicht
Substanz sein, denn dann würde die Menschheit Christi anders
komponiert sein als die aller übrigen Menschen, ja einen Be-
standteil mehr enthalten (13). Also ist das neue Absolute in
der menschlichen Natur Christi undenkbar. Ohne diese Ver-
mittlung nimmt die göttliche Person Christi die Beziehung zu
der menschlichen Natur ein. Nicht an eine Zusammensetzung
von Unendlichem und Endlichem ist also zu denken, denn das
Unendliche non est componibile. Aber es ist unibile, sofern
ea potest termioare dependentiam alterius ad ipsum (ib. 16).
240 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
Diese Einigung zur Abhängigkeit ist die Mensch-
werdung. Quod incarnatum esse est unitum esse carni in
unitate personae (IV dist. 11 quaest. 2, 5).
5. Halten wir hier für einen Moment stille. Die Entwick-
lung hat, wie der letzte Satz es ausspricht, auf die orthodoxe
abendländische Theorie hinausgeführt. Die Logosperson assu-
miert die unpersönliche menschliche Natur, indem sie sich die
Relation des Subjektes zu ihr gibt. Diese Theorie hatte Abä-
lard nicht eigentlich umgebildet, wohl aber neu accentuiert, in-
dem er die Formel homo assumptus a Verbo so anwandte,
dass die personale Art der Menschennatur samt ihren Be-
thätigungen Raum behielten. Demselben Zuge begegnet man
auch bei seinem Schüler, dem Petrus Lombardus.^) Auf dieser
Linie bewegt sich aber auch die Anschauung des Duns Scotus.
Es kann bei seiner dialektischen Virtuosität nicht befremdeo,
dass er das erwünschte Resultat der orthodoxen Formel er-
reichte. Aber eine genauere Erwägung der Sache kann nicht
umhin die Spuren der abälardischen Tendenz aufzudecken.
Es ist zunächst auffallend, dass Duns den positiven Charakter
der Personalität leugnet. Zwar hatte er dies auch bezüglich
der göttlichen Hypostasen anempfohlen. Aber wie uns dieser
Gedanke schon oben S. 195 zweifelhaft erschien, so begegnet
uns hier die ausdrückliche Versicherung, dass die göttlichen
Personen allerdings positive Entitäten seien. Man kann aber
den Verdacht nicht unterdrücken, dass wie in der Trinitätslehre
nur der Orthodoxie zu Gefallen die Person als blosse Relation
bestimmt wurde, auch hier derselbe Grund zu gleichem Resultat
wirksam wird. Dazu kommt nun aber, dass es im Zusammen-
hang der scotistischen Denkweise in hohem Grade auffällt,,
dass die menschliche Personalität nur negativ bestimmt wird,
während doch die natürliche Individualität eine positive Entität
sein soll. Da Duns die Personalität scharf als eine Realität
empfand, so führte die Konsequenz seiner Ideen darauf, auch
sie als eine positive Form zu verstehen. Alle Dialektik bringt
über diese Forderung und ihr Recht nicht hinweg, denn die
Gründe, die dagegen aufgeführt werden (S. 238), greifen über
*) Vgl. meine Dogmengesch. II, 49.
Duns Begriff der Menschwerdung-. 241
eine Petitio piincipii nicht hinaus : die menschliche Natur wird
vom Logos als unpersönliche personiert, also muss sie freilich
unpersönlich sein, oder aber die Personalität darf doch keine
positive Realität in ihr sein! Denn wird sie nur negativ als
das Nichtsein von anderem bestimmt, so hindert das nicht ihre
Annahme durch den Logos. Es kann als ein Zeichen des
wissenschaftlichen Taktes und der systematischen Virtuosität
unseres Autors bezeichnet werden, dass er nicht etwa den Satz
bildet: an sich ist die menschliche Personalität eine positive
Entität, aber nur in Christo war sie es nicht. Indem er das
Problem bezüglich der Person Christi den allgemeinen Be-
dingungen einordnen will, beweist er wissenschaftlichen Ernst.
Aber es wäre freilich nicht sehr schwer den Spiess umzukehren
und aus den Voraussetzungen des Duns den Satz herzuleiten,
dass volle und wirkliche Personalität überhaupt nur den gött-
lichen Personen eignet. Und die Depotenzierung der mensch-
lichen Personalität, deren Duns sich schuldig macht, wiese
wirklich in diese Richtung.
Bei dieser Betrachtung muss allerdings in Acht behalten
werden, dass auch Duns einen umfassenden Begriff der Person
nicht erlangt hat. Nach der von ihm gebilligten Definition
des Richard ist sie intellectualis naturae incommunicabilis
existentia (oben S. 194) d. h. etwa das geistige Fürsichsein. ^)
Aber auch von dieser Definition aus wird es unklar bleiben,
wie menschliche Natur ohne dieses Fürsichsein real gedacht
werde könne, oder wie unverkürzt menschliche, aber Impersonale
Natur in Christo sein soll. Dazu kommt aber weiter, dass
Duns die menschliche Natur Jesu wirklich mit Merkmalen der
Personalität ausgestattet hat. Wenn nämlich Duns von einem
Gehorsam dieser Natur redet, durch den sie sich dem Logos
unterordnen kann (oben S. 239 f.), so ist dieser Gehorsam doch
nicht irgendwie denkbar ohne jenes geistige Fürsichsein, oder
anders denn als Akt persönlichen Lebens. Duns entgeht ja
freilich dieser Folgerung dadurch, dass er das Personale rein
^) Vgl. aber III dist. 2 quaest. 3, 3: corpus animatum. si in aliquo
tempore est in se subsistens est persona (von Jesu Anfängen im Mutter-
leibe ist die Rede). Aber die intellectualis natura ist jedenfalls im Person-
begriff konnotiert, s. III dist. 5 quaest. 2, 5.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 16
242 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
negativ bestimmt. Aber dies ist nur ein Produkt dogmatischer
!Not. In Wirklichkeit weist uns die eben gemachte Beobachtung
wieder auf dasselbe Resultat hin, dass Duns nämlich das
menschliche Leben Jesu als persönliches Leben und persön-
liche Natur — in unserem Sinn — gedacht hat. Aber dann
bleibt doch kaum eine andere Christologie nach, als die von
Abälard angedeutete: der Logos vereinigte sich mit einem
persönlichen Menschen, den er anregte, durchdrang und be-
lebte und der sich in vollendetem Gehorsam mit ihm zu schlecht-
hiniger Abhängigkeit vereinigen liess. Duns hat das nicht
„gelehrt", aber er hat so empfunden und gedacht.
Sind wir mit diesen Bemerkungen im Recht, so ist die
Christologie des Duns Scotus doch wieder eigenartiger, als man
gemeinhin annimmt.^) Jedenfalls ist mit diesen Gedanken das
dogmenhistorische Problem bezeichnet, das die scotistische
Christologie stellt. Wir müssen also dieses Gesichtspunktes
im folgenden eingedenk bleiben.
6. Lehrreich für diese Gesamtauffassung der Christologie
ist weiter die Behandlung der Formel: deus est factus homo.
Die Factio passiva, von der dieser Satz redet, schliesst logisch
in sich eine Beziehung des Gemachten zum Machenden, sowie
zu einem vorangegangenen Nichtsein. Gott wurde Mensch,
da er es früher nicht war und indem er dazu von einem
Machenden gemacht wurde (III dist. 7 quaest. 2, 3). In
mathematischen Verhältnissen geschieht die factio in der Weise
einer Änderung, indem das Gemachte aus der Potenzialität
durch die Thätigkeit des Machenden in die Aktualität versetzt
wird. Hier dagegen hat das agens supernaturale dem unver-
änderlichen Logos die menschliche Natur vereinigt. Also es
ist eine factio realis, die von der Trinität gewirkt wird, vor-
handen ; ebenso eine factio passiva, qua homo est factus deus^
quae fuit unio passiva naturae humanae ad Verbum. Real ist
also die Gottwerdung, resp. die Einigung der Menschheit mit
^) Schwane hat also von seinem Standpunkt aus ganz Recht, wenn
er urteilt (Dogmengesch. der mittleren Zeit S. 288) : „Duns Scotus hat
sich in der Lehre von der Person und dem Werk des Herrn keine Lor-
beeren errungen, auf diesem Gebiet vielmehr mit seinen kritischen Auf-
stellungen am meisten Fiasko gemacht".
Das Resultat der Unio oder der Gottmensch. 243
der Gottheit. Nur eine factio passiva secundum dici ist
es, wenn man sagt, das Wort sei Fleisch geworden. Die
Änderung, welche das Werden mit sich bringt, vollzog sich
somit lediglich mit dem Menschen, nicht am Logos (ib. 5. 6).
Beide Sätze aber, sowohl der, dass der Mensch Gott wurde,
als dass Gott Mensch wurde, sind zu verstehen und herzuleiten
aus dem Satz : natura humana unita est personaliter Verbo
(ib. 8). Der Sinn der Formel ist wirklich doch nur der, dass
der Mensch Gott wurde, nicht aber dass Gott in irgend
einem Sinn Mensch wurde. Diese Gedanken weisen uns auf
das obige Resultat zurück.
Zwar tritt Duns der Meinung des Thomas entgegen, dass
drei Personen eine Natur annehmen könnten, denn, sagt er,
in jeder dependentia essentialis sei nur die Beziehung zu einer
Person vorstellbar (III dist. 1 quaest. 2, 5). Dagegen, erklärt
Duns, sei die andere Frage, ob eine Person mehrere mensch-
liche Naturen annehmen könne, zu bejahen, denn das Ab-
hängigkeitsverhältnis derselben würde sich unter einander nicht
ausschliessen, ist doch jede Kreatur von der Gottheit abhängig
(ib. quaest. 3, 2). Ja auch das wird als möglich erwiesen,
dass die Logosperson sich auch mit anderen, unvernünftigen
Kreaturen vereinigte (III dist. 2 quaest. 1, 5. 6). Wie diese
Möglichkeiten die berüchtigten Formeln Occams: deus est
asinus, deus est lapis (m. Dogmengesch. II, 176) anbahnen, so
erweisen sie andererseits, wie völlig fern Duns dem Gedanken
einer wirklichen Menschwerdung stand. Die Vereinigung
des Logos mit der Menschheit Jesu ist nur s o beschaffen ge-
wesen, dass dieselbe VereiniguDg gleichzeitig mit vielen anderen
Menschen hätte statthaben können.
2. Das Resultat der Unio oder der Gottmensch.
1. Was ist es aber weiter um das Produkt jener unio oder
relatio? Es kann keine unitas naturae entstehen, denn dann
würde die natura assumens als mit der natura assumpta identisch
anzusehen sein. Aber auch nicht eine unitas personae, denn
nicht die Person, sondern die Essenz ist das Ziel dieser
Einigung. Diese unitas besteht in Wirklichkeit in der unio
naturae huius ad illam, nicht so, als wenn dadurch eine neue
16*
244 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
durch Verwandlung oder Zusammensetzung seiende Natur ent-
stünde, sondern so, dass die Einheit in der Vereinigung liegt:
dico quod non est concedendum, quod sit ad unitatem naturae,
sed tantum est ibi unio ad naturam vel ad unitatem unionis
naturae cum natura (III dist. 1 quaest. 2, 10). Nicht eine
unitas naturae wird also hergestellt, sondern eine Unio, welche
in dem Verhältnis schlechthiniger Abhängigkeit besteht, sodass
die Menschennatur von der göttlichen Natur so abhängig ist,
wie sie es jetzt von ihrer eigenen Person ist (specialis depen-
dentia naturae ad naturam, ib.).
In diesem Abhängigkeitsverhältnis der menschlichen Natur,
könnte nun, wie Heinrich von Gent annahm, beschlossen sein
ein ständiges Geniessen der menschlichen Natur durch und an
der ihr gegenwärtigen göttlichen Natur, indem sie durch die
Vereinigung mit dem Logos verklärt und in den Zustand der
ewigen Seligkeit versetzt würde. Duns meint dieses mit einer
Anzahl von Gründen, unter anderen auch dem, dass unter Vor-
aussetzung jenes frui, eine Eingiessung des übernatürlichen
Habitus in die Seele Jesu unnütz wird (III dist. 2 quaest. l,
3 f.), abweisen zu können. Es ist auch nicht notwendig, dass
die menschliche Natur verwandelt werde, um die Wirkungen
des Logos empfangen zu können, sondern der Logos ver-
setzt sie, wie sie ist, in das Abhängigkeitsverhältnis zu sich
(ib. 9).
2. Da nicht eine Natur, sondern nur zwei zu einander
in Relation stehende Naturen das Resultat der Unio sind, so
ist es nur konsequent, zu lehren, dass auch nach der Inkar-
nation von einem doppelten esse essentiae zu reden, dagegen
nur ein esse subsistentiae anzunehmen sei. Strittig ist dagegen
ein drittes, ob nämHch ein besonderes kreatürliches esse actualis
existentiae in Christo anzusetzen sei? Mit anderen Worten,
es fragt sich, ob die menschliche und göttliche Natur in Christo
nicht nur als abstrakt, sondern auch konkret besondere und
different seiende Grössen vorzustellen sind. Auch hier verlässt
Duns die üblichen gebahnten Pfade der übrigen Meister der
Scholastik, insonderheit auch des Thomas. Heinrich von Gent
hat die Frage verneint, denn, da die göttliche Natur bei der
menschlichen Personstelle vertrete, sei auch von einem kon-
Die Existenz der menschlichen Natur Christi. 245
kreten Fortbestand der menschlichen Natur nach der Mensch-
werdung nicht zu reden. Duns lässt das nicht gelten. Die
Personierung der menschlichen Natur durch die göttliche Person
setzt erstere nur in ein Abhängigkeitsverhältnis, wandelt aber
nicht ihr esse existentiae ; ist die Personalität nur eine Negation
des Abhängigkeitsverhältnisses, so wird das konkrete Sein der
Natur durch Wegfall derselben nicht modifiziert werden. Ergo
quantumcunque persona tollatur, esse naturae uon tolletur.
Weiter: wenn zu einem Ganzen ein neuer Teil hinzukommt,
so wird dieser das Sein des Ganzen nicht verändern, sondern
nur eine neue Beziehung des Ganzen begründen. Der Gedanke
empfängt hiermit eine neue Nuance. Wäre Heinrich im Recht,
so würde das göttliche Sein in Christo durch den Hinzutritt
des menschlichen Seins irgendwie zu einem gottmenschlichen
Sein modifiziert. Das erste Argument wahrte mehr die Sache
der menschlichen, das zweite die der göttlichen Natur. Zu
dem Sein der göttlichen Natur kommt das Sein der mensch-
lichen Natur, und obwohl letzteres durch ersteres personiert
wird, also aus ihm sein hypostatisches Sein hat, bleibt ihm doch
ein besonderes Sein der Existenz (III dist. 6 quaest. 1, 2).
Hierdurch stellt Duns sich nicht nur zu Heinrich, sondern auch
zu. Thoraas in Gegensatz. Er führt aber den Gedanken noch
weiter fort. So wenig verliert die menschliche Natur ihre
Existenz, dass sie sogar für die Existenzweise des Logos wirk-
sam wird. Die Existenz meines Fusses ist nicht meine Existenz,
weil ich nicht der Fuss bin, auch nicht sein Subjekt im be-
sonderen, weil ich das Suppositum meiner Natur überhaupt bin.
Eher existiert der Fuss durch meine Existenz, so dass er
partiell an ihr Teil hat. Aber anders verhält es sich in Christo.
Der Logos ist als Subjekt der menschlichen Natur wirksam,
weshalb er Mensch genannt wird. Also existiert er in der
Existenz dieser Natur (proprie est existens existentia huius
naturae, ib. § 5). Indem also der Logos Person der Mensch-
heit Jesu wird, hat er seine existentia an der existentia creata
des Menschen Jesus. — Somit ist das Menschliche in Christo
als eine konkrete und reale Grösse zu denken, nicht bloss als
ideelles oder potenzielles Sein. Der von der Jungfrau Maria
Geborene, der den Tod erlitt, der eine von Gott aus dem
246 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung-,
Nichts geschaffene Seele hatte, der war wirklicher konkreter
Mensch, wie wir auch (cf. Report. III dist. 6 quaest. 1).
3. Spezielle Probleme der Christologie, besonders
hinsichtlich des wahren menschlichen Lebens
Jesu.
Nachdem wir im allgemeinen den Begriff der unio be-
sprochen haben, wenden wir uns der Erörterung der einzelnen
Züge der Menschwerdung zu.
1. Da steht obenan die Frage, ob der Logos sofort und
unmittelbar die ganze menschliche Natur annahm, oder ob er
den Leib mediante anima annahm, sodass diese zuerst und
dann erst jener angenommen wurde ? Duns bekämpft diese von
Varro vertretene Auffassung, würde doch so der Mensch-
gewordene nicht sofort ein ganzer Mensch, ja überhaupt nicht
Mensch. Und weiter könnte man in Frage ziehen^ ob er jemals
wirklich Mensch genannt werden kann, denn der Leib bliebe
nur ein später Hinzutretendes, für seine Menschheit bloss poten-
zielles Element. Auch müsste bei dem Tode Christi — unter
jener Voraussetzung — eine neue Assumption stattgefunden
haben, denn da Leib und Seele sich hier von einander trennen,
hätte der Leib jetzt direkt angenommen werden müssen vom
Logos. Aber auch das ist nicht ersichtlich, warum die Gott-
heit nicht sollte direkt den Leib angenommen haben (III dist. 2
quaest. 2, 2 f.). Nur in dem Sinne kann jene These aufrecht
erhalten werden, dass die Seele die Form der menschlichen
Natur ist; sie ist somit dasjenige, worin und wodurch die
menschliche Natur und somit auch das Fleisch angenommen
werden kann (ib, 5. 6).
Man hat andererseits (so Bonaventura) der Gnade eine
solche Mittlerstellung bei der Menschwerdung zugewiesen. Das
sei unmöglich. Die menschliche Natur kann nicht als unpersön-
liche bestehen. Im Moment ihres Entstehens muss sie somit
durch die göttliche Person personiert werden, oder sie wird
— was ausgeschlossen sein soll — eine menschliche Person.
Nun ist die Gnade ein habitus als principium operandi; ihre
Mitteilung setzt also ein operari und somit die Personalität
<des Begnadigten voraus. Also würde die Gnadenmitteilung
Spezielle Probleme der Christologie etc. 247
die menschliche Person fertig vorfinden, sie könnte also nicht
Mittel zur Personierung derselben durch den Logos sein. So-
mit ist jener Satz falsch (ib. 12). Aus dem genannten Grunde
darf auch die Belebung des Leibes Jesu im Mutterleibe nicht
vorangehen der Inkarnation : corpus enim animatum, si in aliquo
tempore est in se subsistens, est persona (ib. quaest. 3, 3).
2. Von hier aus kommt Duns, den Bahnen des Lombarden
folgend, zur Erörterung der Frage, ob Maria in der Erbsünde
empfangen sei? Da Christus auch ihr Erlöser sei, und da sie
aus menschlichem, d. h. sündlich infiziertem Samen entstand,
sowie den natürlichen Übeln, welche Strafe der Sünden sind,
unterlag, wird diese Frage für gewöhnlich bejaht (III dist. 3
quaest. 1, 3). Allein gegen diese Gründe können Einwände
erhoben werden. Christus, als der schlechthin vollkommene
Mittler kann in Bezug auf eine Person auch eine schlechthin
vollkommene Vermittlung anwenden. Diese besteht darin, dass
er verdiente, dass die ihm am nächsten stehende Person von
der Erbsünde bewahrt blieb (4). Das zweite Argument fällt
für Duns, vermöge seiner oben dargelegten Erbsündenlehre,
von selbst fort, zudem hätte Gott auch im Moment der Er-
zeugung in der Maria die Infektion durch Mitteilung der Gnade
tilgen können. Wenn man schliesslich auf die Leiden rekurriert,
so ist es doch nicht undenkbar, dass Gott jemanden die ihm
nützlichen Leiden treffen lässt, ihn aber von den ihm schäd-
lichen befreit. Da die Erbsünde schädlich ist, so wäre dieses
somit erklärlich (ib. 8). Aus dieser Betrachtung ergibt sich
also die Möglichkeit der Freiheit der Maria von der Erbsünde.
Es kann Gott, wie er sonst in der Taufe die Sünde tilgt,
es auch im Moment der Konzeption thun (9). Sicut posset post
primum instans conferre ei gratiam, ita posset et in primo in-
stant! (14). Aber hiemit ist im Sinne des Duns nur eine Mög-
lichkeit bezeichnet. Ausdrücklich stellt er dem Leser die Mög-
lichkeiten zur Auswahl: dass Maria von Erbsünde frei war,
dass sie ihr nur für einen Moment unterstand und dass sie
per tempus aliquod in der Erbsünde war. Freilich ist ihm
selbst die erste Möglichkeit die sympathischste: Quod autem
horum trium quae ostensa sunt esse possibilia factum sit,
deus novit; si auctoritati ecclesiae vel auctoritati
248 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
scripturae non repugnet, videtur probabile, quod
excellentius est attribuere Mariae (10). Die positive
MeinuDg des Duns tritt auch an einer anderen Stelle recbt
deutlich hervor, Report. III dist. 18 quaest. 1, 14: virgo beata
quae nunquam fuit inimica actualiter respectu peccati actualis
et forte nee pro peccato originali, quia fuit praeservata, ut
supra dictum est.
Aber auch bei dieser Annahme habe Maria natürlich
des Erlösers bedurft, sofern nur durch seine Gnade sie vor
der Erbsünde bewahrt blieb, er war ihr mediator praeveniens
(ib.). Christi Passion war von Gott im voraus speziell als Er-
lösungsmittel für sie acceptiert (ib. 17). — Wollte man aber
sagen, dass sie doch jedenfalls zuerst Adams Tochter und als
solche Sünderin, und dann erst eine Begnadigte war, so ist
auch das nach Duns kein zwingender Schluss : aus der Her-
kunft von Adam folge an und für sich weder die Gerechtigkeit
noch der Mangel derselben. Aber wenn sie erst durch einen
göttlichen Akt gerecht wurde, war sie dann nicht früher un-
gerecht? Auch das ist falsch, da hier letzteres durch ersteres
eben ausgeschlossen werden soll (ib. 17) u. s. w. Ja, selbst
wenn man die Seele im Moment der Konzeption, durch die
fleischliche Zeugung entstehen lässt, ist keine Nötigung von
erbsündlicher Infektion zu reden, vorhanden, da, wenn Gott
in demselben Moment die Gnade der Seele eingoss, diese vom
Fleisch nicht infiziert werden konnte (ib. 20).
Einen Lehrsatz über die immaculata conceptio hat Duns,
genau genommen, nicht entwickelt, er hat nur, mit der ihm
eigenen Disputationslust, wie so oft die Erbsündentheorie an-
gegriffen und die Möglichkeit der gegenteiligen Ansicht erwiesen»
Denn es ist deutlich, dass seine Auffassung auf das engste
mit seiner Erbsündenlehre zusammenhängt; ebenso aber, dass
an dieser bemessen der Vorzug der Maria vor den übrigen
Sterblichen als ein relativ geringer erscheint. Duns hat die
Möglichkeit derSündlosigkeit der Maria als Hypothese empfohlen,
ohne ein sonderliches Interesse an derselben zu verraten. Die
Gründe, die er bietet, sind seinem Orden später zu pass ge-
kommen, aber es ist nicht genau, wenn man ihn selbst die
Lehre von der immaculata conceptio- zur „allgemeinen An-
Immaculata conceptio, Gottesmutter. 249
nähme" bringen und zu einer „Ehrensache für den Orden" er-
heben lässt. ^)
3. Die Sündlosigkeit der Geburt Christi wird nur kurz
behandelt (ib. quaest. 2). Indem Duns dann fortschreitet zur
Besprechung des Titels „Gottesmutter", sieht er sich ver-
anlasst eine Theorie über das Verhältnis von Mann und Weib
bei der Zeugung zu entwerfen. Die Ansicht des Thomas,
dass der Vater die aktive Ursache bei der Erzeugung sei,
während die Mutter sich nur passiv verhalte, wird widerlegt.
Mann und Weib gehören zu derselben Spezies, also können
ihre natürlichen Kräfte einander nicht schlechthin als aktiv
und passiv entgegengesetzt sein. Man mag es sich nun so
denken, dass der männliche Samen bei der Erzeugung sofort
in das Kind verwandelt wird, oder dass der Same als aktive
Kraft im Moment der Erzeugung bleibt, in keinem Fall ist die
Aktivität der Mutter ausgeschlossen, ja dieselbe erscheint sogar
erheblicher als die des Vaters. Dazu kommt, dass der Vater
eben nur den Samen hergibt, während die ganze weitere Ent-
wicklung bis zur Geburt unter dem Einfluss der condiciones
matris (Zustand der Gebärmutter etc.) erfolgt. Ferner, die
Mutter liebt die Kinder von Natur mehr als der Vater, sie
können ihr mehr als ihm ähnhch sehen. Auch diese Züge
weisen auf aktiven Anteil der Mutter bei der Empfängnis
zurück. Die Rolle, welche jene Theorie der Mutter zuweist,
entspricht also nicht dem Thatbestand; die Mutter wird wie
ein blosses Gefäss gedacht, oder ihr wird keine erheblich
andere Holle zugewiesen, als die ein Mensch hat, in dem an
einer faulen Stelle des Körpers ein Wurm entsteht (III dist. 4
quaest. unic. § 3 f. 13). Auch dem Weibe eignet also eine
virtus activa bei der Empfängnis. Hierbei bleibt es auch den
Auffassungen des Bonaventura und Varro gegenüber. Nach
ersterem kommt der weiblichen Natur eine gewisse Aktivität
bei der Empfängnis zu, die aber nicht zur Auswirkung gelangt
sei, indem der heilige Geist ihr zuvorkam. Der Grund für
diese Einschränkung liegt in der Erbsünde, die nach Bona-
^) Z. B. Schwane, Dogmengesch. der mittleren Zeit S. 424 f.. vgl.
oben S. 43.
250 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösunpr.
Ventura der Maria anhaftete. Varro dagegen meinte , der
heiligen Jungfrau sei im Konzeptionsmoment eine übernatürliche
Kraft mitgeteilt worden, vermöge deren sie dem heiligen Geist
habe kooperieren können. Gegen beide Ansichten wendet Duns
ein, dass sie die wirkliche Mutterschaft der Maria aufheben;
hat sie überhaupt keinen aktiven Anteil an der Entstehung
Jesu, so ist sie ebensow^enig seine Mutter, als wenn ein solcher
Anteil ihr durch das Accidenz einer übernatürlichen Kraft ver-
liehen würde; sie wäre nicht per se et vere, sicut aliae matres
Mutter Jesu (ib. 5. 6).
Nun kann angenommen werden, dass die drei Momente
zur Erzeugung eines Körpers, nämlich die Versetzung des
Samens resp. des Blutes, aus dem der Körper des Kindes gebildet
wird, an den hiefür geeigneten Ort, so^Yie die Gestaltung und
die Verdichtung des Körpers (ib. 7), bei Maria in einen
Moment fielen, sodass ihr Blut nicht zur Gebärmutter strömte,
auch keine allmähliche Figuration eintrat, sed in ultimo instanti
illius temporis erat in loco isto corpus iiguratam et densum (8).
Auch in diesem Fall hat die heilige Jungfrau nach Art aller
Weiber aktiv zur Entstehung des Kindes mitwirken können.
Der heilige Geist konnte dabei ,,die Rolle eines natürlichen
Vaters ausfüllen'^, und Maria vermochte mitzuwirken in der
Kraft der weiblichen Kausalität bei der Zeugung. Ihre
Thätigkeit war demgemäss die ihrer Art natürliche, indem der
heilige Geist das für die erste, männliche Kausalität erforder-
liche von sich aus leistete (12). So betrachtet, kann Maria
die natürliche Mutter Jesu genannt werden.
Indem aber ihre natürliche Anlage auf nicht natürlichem
Wege in Thätigkeit gesetzt wurde, ist sie auch in wunderbarer
Weise Mutter Jesu. Das gilt auch im Hinblick auf die der
Geburt vorausgehenden Momente, die entweder in einen Augen-
blick, oder doch in einen sehr viel kürzeren Zeitraum als ge-
wöhnlich und natürlich ist, zusammengedrängt waren (14).
Diese Betrachtungen bieten ein wunderliches Gemenge
dar von ungezügeltem Wunderglauben, logischem Fanatismus,
gynäkologischer Gelehrsamkeit und — gewissen rationalistischen
Neigungen. Ein Wunder über alle Wunder verlegt das fertige
Kind in den Leib der Mutter, aber diese muss doch dabei die
Die Gottgebärerin. Prädestination Jesu. 251
ganze Aktivität ihrer natürlichen Fruchtbarkeit entfaltet haben !
Und doch ermangelt auch dieser Abschnitt, trotz aller krausen
und abstrusen Ideen , nicht der Wichtigkeit. Wenn unser
Denker — im Gegensatz zu den Zeitgenossen — dem Weibe
eine gewisse Aktivität bei dem Empfänguisakt zuschreibt, so
hat das für die Christologie den Erfolg, dass Avirklich mensch-
liche Faktoren bei der Entstehung Jesu wirksam waren.
4. Duns wendet sich sodann der Besprechung einer Anzahl
von Fragen zu, welche die menschliche Natur Jesu betreffen.
Hier lässt sich wieder die Beobachtung feststellen, dass er für
das rein menschliche Leben Jesu mehr Verständnis gehabt hat,
als etwa Thomas. Aber daran, dass all die Anregungen, welche
die mittelalterliche Erbauungslitteratur — man denke an die
Anschauung des Menschen Jesus, welche Bernhard und Franz
gewonnen hatten — in dieser Hinsicht darbot, ausgebeutet
worden wären, kann nicht die Rede sein. Aber die folgenden
Erörterungen werden uns eine Bestätigung für die oben (S. 240 f.)
ausgesprochene Beobachtung über das persönliche menschliche
Leben Jesu bringen.
Der Mensch Jesus ist prädestiniert Gottes Sohn zu werden,
lehrt Duns, mit Augustin (III dist. 7 quaest. 3). Die Prä-
destination ist praeordinatio alicuius ad gloriam principaliter
et ad alia in ordine ad gloriam (1. c. § 2). So ist auch die
menschliche Natur Jesu präordiniert zur Herrlichkeit und zu
der Unio mit dem Logos, die dadurch Beziehung zur gloria
hat, dass diese durch jene vergrössert wird. Die Unio bedeutet
für die Person Christi in diesem Zusammenhang etwa das, was
die merita de congruo für uns besagen. Also Jesus war prä-
destiniert. Duns selbst erhebt jetzt den Einwand: nur Per-
sonen können prädestiniert werden. Da an die Logosperson
natürlich nicht zu denken ist, so tritt die menschliche Persona-
lität Jesu wieder in Sicht. Duns hilft sich durch die Unter-
scheidung, dass während sonst die Personen präordiniert werden,
hier, da die Person nicht prädestinabel ist, die Natur Gegen-
stand der Prädestination ist.
Wichtiger als diese fragwürdige Auskunft ist eine hieraus
abgeleitete Hypothese, die Duns mit vielen mittelalterlichen
Lehrern teilt, nämlich, dass auch ohne Eintritt der Sünde
252 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
Christus Mensch geworden wäre. ^) Der Wille richtet sich zu-
erst auf das dem letzten Zweck Nächstgelegene. Es ist also
im göttlichen Willen die gloria einer Seele vor der gratia für
dieselbe, gewollt. Nun steht die Seele Christi zum letzten
Zweck in einer näheren Beziehung als die übrigen Seelen.
Also will Gott für die Seele Jesu die gloria, bevor er sie für
die übrigen Menschen, somit für Adam, wdll. Dann ist aber
jener göttliche Wille auch früher als die Voraussicht des Falles
Adams : ergo a primo prius vult animae Christi gloriam quam
})raevideat Adam casurum (ib. § 3). Wie diese Seele, so hat
Gott auch, alle Engel und Menschen ad illam curiam coelestem
quos voluit habere, erlesen, ohne Beziehung zur Sünde; nullus
est praedestinatus tantum, quia alius praevisus est casurus
(ib. 4).
5. Die grössere Selbständigkeit der menschlichen Natur
Jesu, wie sie im Zusammenhang mit der aktiven Thätig-
keit seiner Mutter bei der Empfängnis sich ergab, tritt auch
bei der Erörterung der Frage, ob eine oder zwei Sohnschaften
(filiatio) in Christo anzunehmen seien? Thomas, Bonaventura,
Heinrich, Gottfried nehmen eine Sohnschaft an, weil diese
am Subjekt hafte und in Christo nur ein Subjekt sein, sowie
deshalb w^eil zwei Dispositionen derselben Art nicht in einem
sein können. Duns bestreitet beide Gründe. Gegen den ersten
gilt, dass wenn das Fundament der Filiatiou plurifiziert werden
kann, auch diese selbst des Plurals fähig sein müsse. Das
könnte nur dadurch entgründet werden, dass entw^eder jede
Kelation in Christo oder die besondere Relation des Ursprunges
Christi als nicht plurifikabel erwiesen w^ürden. Aber ersteres
ist unmöglich, weil sonst Christus keine Relation mit anderen
gemein haben könnte ; letzteres, weil wir mit dem Damascener
von zwei Generationen Christi reden müssen. Ausserdem hat
der Vater zwei Relationen des Ursprunges, nämlich zum Sohn
und zum Geist, also kann auch die Möglichkeit eines doppelten
Ursprunges in positivem Sinn für Christus nicht in Abrede
genommen werden (III dist. 8 quaest. un. § 3. 4). — Was
aber den zweiten Hauptgrund anlangt, so ist er einfach falsch.
*) Vgl. Dorner, Lehre von der Person Christi II, 437 fif.
Doppelte Filiation. Anbetung Christi. 253
da etwa eine Ursache zu verschiedenen Effekten Beziehung
haben kann, oder viele Phantasiebilder zugleich in dem näm-
lichen Phantasieorgan sein können. Das gilt auch von der
Filiation bezw. der Paternität. Zudem ist es auch nicht richtig,
wenn Thomas die ewige und zeitliche Filiation in eine Spezies
zusammenfasst (5 ff.).
Demgemäss ist positiv zu sagen, quod alia est filiatio in
Christo ad patrem et alia ad matrem et utraque est realis.
Indem Christus einen doppelten Ursprung hat, ist er Sohn im
doppelten Sinn, nämlich ewig und zeitlich. So wenig die ewige
Paternität des Vaters sich auf den Menschensohn als solchen
beziehen kann, so wenig kann die zeitliche Filiation dasselbe
mit der ewigen sein. Neben die ewige Paternität tritt daher
die zeitliche Maternität der Maria, und dem entspricht die
zeitliche und ewige Generation und Filiation. Die eine ist nicht
minder real als die andere. Bezüglich der ewigen Sohnschaft
wird das zugestanden. Aber es gilt auch von der zeitlichen
Sohnschaft. Maria war bei Jesu Empfängnis nicht minder
thätig, als wenn sie einen blossen Menschen hätte gebären sollen;
und Jesus empfing nicht minder die menschliche Natur von
ihr, als wenn er ein blosser Mensch hätte werden sollen (10 f.).
Liegt hier also dasselbe Sohnesverhältnis wie bei allen Menschen
vor, so ist Christo ebenso wie ihnen die volle menschliche Filia-
tion zuzusprechen. Auch hier ist das Interesse des Duns an der un-
geschmälerten Realität der menschlichen Natur Christi ersichtlich.
6. Aus diesen Gedanken ergeben sich zwei Folgerungen.
Die erste betrifft die Anbetung Christi. Auch hier macht sich
die strenge Unterscheidung zwischen Gottheit und Menschheit
geltend. Der menschlichen Natur kommt nur die hyperdulia
zu, quae est extrema reverentia exhibita creaturae (ib. dist. 9
quaest. un. § 9. 11 f.). Die anbetende Verehrung kann ent-
weder aus der bonitas intrinseca des Angebeteten abgeleitet
werden, oder daraus, dass durch dieselbe als causa secunda
dem Anbetenden ein grosses Gut zu teil wird. In diesem
Sinn ist der Mensch Jesus causa meritoria salutis nostrae
und als caput ecclesiae in der letzten Weise zu verehren
(1, c). Dagegen gebührt Christo als Gott und als dem,
der in sich die bonitas infinita intrinseca hatte und als causa
254 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
principalis die Erlösung bewirkte, natürlich, wie auch dem
Schöpfer, die adoratio (ib. § 8).
7. Die zweite Folgerung betrifft die Frage, ob Christus
Gottes Adoptivsohn genannt werden könne? Die Frage
wäre mit Sicherheit zu verneinen, wenn der Begriff der Sohn-
schaft ausschliesslich an der Person, und nicht auch an der
Natur haftete. Der Begriff der Adoption hat bei den Juristen
eine dreifache Beziehung: die Extraneität infolge Mangels der
natürlichen Erzeugung, den freien gütigen AVillen des Adop-
tierenden und die Bestimmung des Adoptierten zur Erbschaft
und zum ius succedendi. Es ist klar, dass der Begriff auf die
göttliche Natur Christi keine Anwendung finden kann; aber
es scheint, dass die Extraneität auch zu der menschlichen
Natur Jesu wegen ihrer Unschuld nicht passe (III dist. 10 quaest.
un. § 2). Doch dies letztere lässt sich nicht halten. Denn
sonst wäre die von der Erbsünde frei gebliebene Maria, oder
wären auch die sündlosen Engel mehr als Adoptivkinder Gottes.
Zudem wird hier ein dem Begriff der Adoption fremdes Ele-
ment hineingetragen, als wenn die Feindseligkeit zur Extraneität
gehöre, während diese doch bloss den durch die Generation
bedingten Mangel eines natürlichen Anrechtes auf die Erbschaft
bezeichnen soll. Nun hat aber kein zeitliches Wesen, also auch
nicht der Mensch Jesus als solcher, ein Anrecht auf das ewige
Erbe. Also kommt ihm diese Extraneität zu, deren es zur
Adoption bedarf. Sonach ist Jesus seiner Menschheit nach
als Adoptivsohn Gottes zu bezeichnen (3). Wollte man dem
dadurch entgehen, dass ja Christus im ersten Moment seines
Daseins schon die Gnade und damit das Recht der Erbschaft
hatte, also nie der Extraneität unterstand, so würde doch da-
gegen sprechen, dass auch ein etwa in der Gnade erschaffener
Engel nicht mehr als ein Adoptivsohn Gottes sein könnte, vor
allem aber, dass es sich hier nur darum handelt, ob die Gene-
ration als Generation das Erbrecht verleiht oder nicht. Dies
würde aber von dem zeitlich entstandenen Menschen Jesus nicht
gelten können (4). Somit bleibt es bei dem gewonnenen Re-
sultat, zu dem sich Duns auch in den Reportata ausdrücklich
bekennt. Ein Adoptivsohn Gottes war also der Mensch Jesus.
Duns sieht sich genötigt, das auf die menschliche Natur des
Christus Adoptivsohn; ob Kreatur? 255
Herrn einzuschränken. An sich läge es nur nahe an die
menschliche Person zu denken.
8. An die entwickelten Gedanken schliesst sich nun weiter
die Frage an, ob Christus Kreatur genannt werden könne.
Bonaventura hat das verneint, da eine Kommunikation der
Idiome nicht möglich sei , wenn dieselben sich direkt wider-
sprechen, wie etwa in diesem Fall der zeitliche Anfang der
Ewigkeit widerspräche. Varro dagegen bejahte die Frage, so-
fern diese Bejahung auf die Menschheit Jesu bezogen wird, an
sich aber sei die Frage wegen der häretischen Misdeutung zu
verneinen. Duns kommt eigentlich auf dasselbe heraus, es
handelt sich um einen belanglosen Wortstreit, da die Kreatür-
lichkeit der Menschheit natürlich festgehalten wird (III dist. 11
quaest. l). — Ahnlich liegt es mit der anderen Frage, ob
Christus Kreatur sei? Subjekt und Prädikat dürfen einander
nicht einfach ausschliessen, das wird auch dadurch nicht er-
möglicht, dass mau das Subjekt verdoppelt. Wohl aber ist es
möglich die Spannung dadurch zu heben, dass das Prädikat
als nur in bestimmter Beziehung giltig gesetzt wird. Ich kann
weder sagen: der Äthiopier ist weiss, noch: der Äthiopier, der
Zähne hat, ist weiss, wohl aber: der Äthiopier ist weiss hin-
sichtlich seiner Zähne. In diesem Sinn kann die Kreatür-
Hchkeit von der Menschheit Christi, nicht aber von Christus
an sich oder auch Christus dem Menschen prädiziert werden
(III dist. 11 quaest. 2, 3 f.)
Die Frage, ob Jesus sündigen konnte, kann, wenn man
rein abstrakt an die Wandelbarkeit seiner menschlichen Natur
denkt, bejaht werden. Indem aber Christus durch die Union
mit der göttlichen Natur selig wird, ist auch seine menschliche
Natur in derselben Weise zum Sündigen unfähig wie es die
Seligen sind^) (III dist. 12 quaest. un. § 2. 3). Diese Un-
fähigkeit zu sündigen soll aber nicht eigentlich aus der An-
schauung des Logos oder der gloria und gratia abgeleitet werden,
denn erstere könnte als Erkenntnis den Willen nicht bestimmen
und letztere machten die Sünde zwar unwahrscheinlich aber
nicht unmöglich. Die Sündlosigkeit erklärt sich aus der völligen
*) Vgl. weiter unten die Eschatologie.
256 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
Befriedigung, die der Wille Jesu als Liebe in Gott fand:
pleuissima fruitio quam Christus habuit (Report. III dist 12
quaest. un. 2). Auch hier wird also ein Versuch rein psycho-
logischer Erklärung gemacht.
9. Von grösserem Interesse als diese logischen Exerzitien
sind wieder die folgenden Fragen, die sich auf die Ausstattung
Jesu mit Gnade und auf die Art und den Umfang seines Er-
kennens beziehen, denn hier erlangt man einen gewissen Ein-
blick in das konkrete Christusbild unsers Autors. In vier
Fragen verläuft der Abschnitt, der der Gnadenausrüstung ge-
widmet ist {III dist. 13).
1) Konnte Christus die höchste Gnade, deren die Kreatur
fähig ist, zugeteilt werden? Da die menschliche Natur Christi
der höchsten Union mit Gott fähig ist bezüglich des Seins, so
auch bezüglich des Handelns. Die Union in dieser Hinsicht
vollzieht sich aber durch die Mitteilung des Habitus der Gnade.
Und entsprechend der Seinseinigung konnte auch dieser im
höchsten Mass der menschlichen Natur Jesu zu Teil werden
(quaest. 1). — 2) War diese höchstmögliche Gnade wirklich
der Seele Christi mitgeteilt? Unter Berufung auf Bibelstellen
und andere Autoritäten wird das kurz bejaht (quaest. 2). —
3) War es möglich, dass der Wille Christi den der Kreatur
höchstmöglichen Genuss hatte? Ja, denn Christus hatte, wie
gezeigt, die höchstmögliche Gnade. Die Gnade ist aber die
übernatürliche Ursache, die den Akt der Fruition bewirkt
(quaest. 3). — 4) Konnte aber die Seele Christi den höchsten
Geuuss Gottes ohne die höchste Gnade haben? Da die höchste
Gnade durch einen Akt geschaffen werden konnte,^) so konnte
sie auch sofort zu Anfang der Seele Christi ganz eingegossen
werde©. Es ist probabile zu sagen, dass Gott Christo die
höchstmögliche Gnade mitteilte, das ist die summa gratia
creabilis (quaest. 4, 5. 9). Die Gnade ist aber Christo in
einzigartigem Mass mitgeteilt worden ; dies ist aus der potentia
ordinata Gottes zu erklären, die nur das Haupt der Kirche,
von dem die Gnade in die Glieder der Kirche einströmt, mit
^) Über den Gnadenbegriff ist in anderem Zusammenbang unten
zu reden.
Christus empfing Gnade. 257
<lein höchstmöglichen Grade der Gnade ausrüstete, wiewohl
de potentia absoluta natürlich auch anderen Kreaturen dieser
Gnadengrad hätte zu Teil werden können (ib. 8). Nun wäre
es ja an sich auch möglich, dass Gott der Seele Christi die
höchste Fruitio ohne Vermittlung der Gnade mitteilte, da die
Seele eines solchen Accidenz fähig ist. Die Seligkeit besteht
aber in Willensakten, welche zur causa secunda den Habitus
der Gnade haben. Will man die obige Frage bejahen, so
müsste man Gott, als die erste Ursache, irgendwie die Gnade
in der Seele Christi supplieren lassen. Aber Duns ist doch
der anderen Ansicht zugethan, nach der die Gnade so auf
den Willen Christi einwirkte, dass dieser in sich die Willens-
akte des Genusses der Gottheit erzeugte und zu erzeugen ver-
mochte (ib. 19).
Dies Resultat ist wieder von grosser Bedeutung. Der
Mensch Jesus empfing also von Gott zu seinem sittlichen
Handeln wie zum Vollzug der Willensakte der Seligkeit den
übernatürlichen Habitus der Gnade. Es kam somit in ihm
zum Handeln auf demselben Wege der Vermittlung wie bei
allen Menschen. Nur besass er die Gnade und die durch die-
selbe vermittelte ethische Vollkommenheit und Seligkeit in dem
höchstmöglichen Grade oder in der Weise, wie sie den Seligen
zu eigen ist. Die Absicht unseres Dogmatikers ist also darauf
gerichtet, das sittliche und religiöse Leben des Menschen Jesus
psychologisch zu erklären. Er denkt sich dies Innenleben
so, wie er sich das Leben der seligen V^ollendeten vorstellt.
Zu dieser Betrachtung treten aber erläuternd und weiterführend
die Erörterungen über das verdienstliche Handeln Christi, denn
dieselben zeigen, dass Christus sich auch in den Formen der
menschlichen Sittlichkeit bewegt hat. Wir kommen weiter
unten hierauf zu sprechen.
10. Hier ist zunächst die Frage nach der Erkenntnis Christi
zu untersuchen.
Es sind zwei Fragen zu stellen, ob der Intellekt der Seele
Jesu unmittelbar vollendet wurde durch die vollkommenste für
die Kreatur erreichbare Schauung des Logos, und ob dieses
Erkennen fähig war, im Logos alles zu schauen, was der Logos
schaut? (III dist. 14 quaest. 1, 1). — Die erste Frage ist zu
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 17
258 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung,
bejahen. Der Seele Jesu kam die summa fruitio zu , dieser
setzt aber voraus die summa visio. Diese kann aber der
Seele Christi uninitcelbac zu Teil geworden sein, da sie
die fotenz zu derselben oder diese Periektibilität besass, es
also irgend welcher Mittel nicht bedurfte (ib. quaest. 1, 2). Auf
diese Schauung ist der Geist angelegt und in ihr findet der
Intellekt erst seine volle Befriedigung. Der Logos selbst ist
es, der in der Seele Christi, indem er ihr gegenwärtig ist, un-
mittelbar und supernatural die Schauimg des Intellekts er-
zeugt. Diese Schauung hat zum Gregenstand den unendlichen
Inhalt des Intellekts des Logos; das widerstrebt aber nicht
der Natur des Geistes , da der Intellekt darauf angelegt ist
das Unendliche zu ergreifen : Itaque posset dici, quod intellectus
animae Christi potest passive recipere visionem Verbi prima
et immediate, et hoc ita, quod non perficiatur prius aliquo
lumine tanquam forma absoluta alia a visione (ib. quaest. 2.
3. 4).
In Bezug auf die zweite Frage hat Thomas behauptet, die
Seele Jesu habe aicht alles erkennen können, was der Logos
erkennt, wenigstens nicht 'm Sinne einer scientia simplicis
notitiae, sonderr nur in der Weise der scientia visionis. Jene
ist die ruhende Erkenntnis alles Seienden, des Wirklichen wie
des Möglichen, sie ist auj de? göttlichen >Tatur uiöglich. Diese
ist die durch Vision vermittelte Erkenntnis dessen was in einer
besonderen Zeit wirklic'i st. Ohne diese 'Beschränkung müsste
nämlich vom geschöpflicher "ntellekt gesagt werden, dass er
in den unendlich vielen Wirkungen die unendliche Ursache
oder Gott selbst begreife. Das ist aber unmöglich (9). Gerade
hier setzt die Polemik (-es Duns ein. Das Erkennen der Un-
endlichkeit Gottes ist nicht dasselbe wie das Begreifen oder
Verstehen des unendlichen Gottes. Wer in den unendlich
vielen möglichen Wirkungen die Unendlichkeit Gottes erkennt^
hat sie darum noch lange nicht begriffen. Wer im Logos
etwas als Gewirktes erkennt, hat dadurch noch nicht begriffen,
wie und wodurch diese Wirkung entstand (10 f.). Also die
Seele Christi erkennt oder nimmt wahr alles Mögliche im
Logos, nicht nur Vergangenes, sondern auch Zukünftiges, aber
sie begreift das Erkannte nicht. Damit soll aber nicht ge-
Das Erkennen Christi. 259
sagt sein, dass die Seele Christi Dur habituell in einer Schauung,
nicht aktuell alles im Logos schaue, wie Heinrich und Bona-
ventura lehren. Aber dann - - wendet Duns ein - müsste es
einen erschaffenen Habitus geben , der auf unendlich viele
Objekte gerichtet ist : aber das Erschaffene ist nicht unendlich.
Meint man aber, der Habitus sei nicht an sich unendlich,
sondern begründe blos unendlich viele Beziehungen zu der un-
endlichen Anzahl von Objekten, so v/ürde man gerade darauf
geführt, was man vermeiden wollte, nämlich die aktuelle Er-
kenntnis von unendlich vielen Objekten (13 f.).
Duns legt daher eine andere Auffassung vor. Die Seele
sieht alles actualiter im Logos. Dem Intellekt ist der Trieb
zur Erkenntnis jedes Objektes eigen und diese ist ihm möglich.
So steht es auch mit der Erkenntnis im Logos, die die voll-
kommenste Erkenntnis ist. Und zwar kann der Intellekt un-
endlich viele Objekte erkennen. Kann er nämlich von zwei
zugleich Erkenntnis gewinnen, so auch von unendlich vielen.
Nun kann aber die unendliche Zahl dieser Objekte als dem
kreatürlichen Intellekt inkompossibel bezeichnet werden. Dem
begegnet Duns durch eine subtile Erörterung. Ein an sich
rezeptives Vermögen ist ebenso vollkommen in seiner Art,
wenn es potenziell bleibt gegenüber den vielen möglichen Akten,
als wenn es die Potenzen in Akte umsetzt, denn die Akte
fallen eigentlich nicht unter den Begriff des Rezeptiven. Nun
befindet sich der Intellekt jederzeit und zwar gleichzeitig in der
Potenzialität für alle möglichen Bethätigungen, etwa Visionen.
"Wenn nun diese Potenzialität in unendlich viele Akte um-
gesetzt wird, so ist dadurch der Seele keine grössere Infinität
mitgeteilt, als sie an sich hatte (ib. 16). Also konnte die
Seele Jesu UQbeschadet ihrer Kreatürlichkeit gleichzeitig un-
endlich viele Objekte im Logos schauen. Dies kann aber ver-
schieden vorgestellt werden. Erstens so, dass die Seele eine
Vision hatte, in der sie den Logos als primäres Objekt schaute
und in ihm als sekundäre Objekte alle sonstigen Erkenntnis-
objekte, zu denen sie besondere Beziehungen einnimmt. Der
Einwand, dass dann der Akt der Vision unendlich sein müsse,
sofern er diese unendlich vielen Beziehungen herstelle, wird
dadurch widerlegt, dass diese Beziehungen nicht aktuell sind,
17*
260 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
also jener Akt nicht unendlich viel Relationen wirklich real
macht. Zweitens könnte man aber auch sagen, dass die Seele
vom Logos zugleich unendlich viel Visionen des Objekts em-
pfängt. Da aber der Seele Christi hier Unendliches beigelegt
wird, scheint diese Meinung — gemäss der Autorität der Theo-
logen und Philosophen — nicht richtig zu sein (18). Aber
bei dieser oder jeuer Auffassung bleibt doch immer die Schwierig-
keit, dass der menschliche Intellekt irgendwie zu dem Un-
endlichen in zu nahe Beziehung rückt, sei es dass er eine
Vision bezüglich unendlich vieler Objekte oder dass er unend-
lich viele Visionen hatte. Man versteht nicht, wie der end-
liche Intellekt sollte unendliche Visionen aus sich hervorrufen
können (19).
Da also gegen die entwickelte Auffassung Zweifel erhoben
werden können, weist Duns auf einen weiteren Weg der Lösung
hin: Die Seele Jesu sieht alles im Logos habitualiter, nicht
aber actualiter. Aber diese Formel Bonaventuras (oben S. 259)
ist anders zu deuten, als dieser es that. Durch die Schauung,
w^elche die Seele auf den Logos richtet, wird ihr die ganze
Welt der Objekte, die sich in ihm widerspiegelt, potenziell
gegenwärtig und dadurch habituell bekannt. Das Wort be-
wirkt aber diese Schauung als willentlich wirksamer Spiegel
des Weltalls (ut speculum voluntarium repraesentans omnia).
Nicht also schaut die Seele distinkt und im einzelnen die un-
endlich vielen Objekte, sondern eine allgemeine und habituelle
Erkenntnis derselben wird ihr zu Teil. Die besondere und ge-
nauere Erkenntnis erwirbt sie aus der Berührung mit den
wirklichen Objekten. Diese Erkenntnis ist also nicht aktuell,
und deshalb sind ihre Akte auch nicht simultan. Es ist näm-
lich nicht möglich, dass eine endliche Kraft mit gleich kräftiger
Aufmerksamkeit gleichzeitig mehrere oder gar unendlich viele
Objekte schaut. Ebenso würden aber die seelischen Funktionen
Jesu unter Voraussetzung einer simultanen Schauung aller
Objekte in einen Abstand zu der übrigen Menschheit gesetzt
werden, der nicht wohl angenommen werden zu können scheint. —
Das Resultat der Erörterung lässt sich dahin zusammenfassen,
dass die Seele Christi habituell und potenziell alle; Dinge er-
kennt, dass aber die konkrete Erkenntnis sich in einzelnen
Christi Erkenntnis der LJniversalien und des Einzelnen. 261
Akten und an einzelnen Objekten, je nach dem gerade vor-
liegenden Interesse der Seele, allmählich vollzieht, licet Verbum
ut voluntarie ostendens omnia sit praesens voluntarie illi animae,
ipsa tamen non potest simul omnia recipere , sed quodlibet
singillatim et ita potest videre quodcunque de numero infini-
torum ad quod se convertit (ib. 20).
11. Man unterscheidet eine cognitio abstractiva und in-
tuitiva. Beide können sich sowohl auf die Natur als auf das
einzelne Ding erstrecken. Unter der abstraktiven Erkenntnis
versteht Duns eine von der wirklichen Existenz des Dinges
abgelöste Erkenntnis desselben als Sein ; unter der intuitiven
die Erkenntnis der Quiddität des Dinges nach seiner konkreten
Existenz (s. II dist. 3 quaest. 9, 6). In dieser Hinsicht ist nun
zu sagen, dass, vermöge der abstraktiven Erkenntnis, die Seele
Jesu habitualiter alle üniversalien erkennt und zwar vermöge
gewisser, der Seele mitgeteilter, species infusae. Diese ein-
gegossene Erkenntnis vom Sein der Dinge muss für die Seele
Christi ähnlich wie für die Engel angenommen werden. Da-
gegen ist nicht eine solche eingegossene abstraktive Erkenntnis
bezüglich der einzelnen Dinge anzunehmen, da das — ebenso
wie die Mitteilung dieser Erkenntnis durch species propriae —
auf eine Wirkung unendlich vieler Spezies in einem kreatür-
lichen Geist führen würde. Wohl aber kann die Eingiessung
einiger species propriae zugestanden werden (III dist. 14
quaest. 3, 4. 5). Darnach wäre also zu sagen, dass Christus
eine doppelte habituale Erkenntnis hatte, die durch die An-
schauung des Logos gewirkte und die durch die species infusae
in seiner Seele erzeugte Erkenntnis von den Universalien.
Beide sollen nach einem Wort Augustins einander kompossibel
sein, ohne dass allerdings einleuchtet, wozu es dieser zweiten
Erkenntnisquelle neben der ersten bedürfte. Durch die Be-
schränkung aber, die Duns dieser eingegossenen Erkenntnis
auferlegt, tritt er wieder in Gegensatz zu Thomas, der sie
für eine vollkommene und umfassende ansah.
Die intuitive Erkenntnis von dem Ding als einem konkret
existierenden ist vollkommen, wenn sie ein gegenwärtiges Ding
erfasst, dagegen unvollkommen^ sofern sie opinio de futuro vel
memoria de praeterito ist. Es liegt in der Sache, dass die
262 Kap. III: Die Person Christi und die Erl«>sung.
Seele Jesu diese Erkenntnis von den konkreten Vorgängen der
Vergangenheit oder Zukunft nicht durch die Anschauung des
Logos erlangen konnte, denn diese intuitive Erkenntnis besteht
eben im Erfassen der konkreten und gegenwärtigen Existenz
des Dinges. Eine solche Erkenntnis von der sessio Petri
konnte also nicht durch Anschauung des Logos, sondern nur
durch die Anschauung des gegenwärtigen historischen Faktums
erworben werden. Aber auch durch species infusae konnte
diese geschichtliche Erkenntnis nicht erlangt werden, denn
ihrem Wesen nach sind diese nur abstrakte Begriffe, können
also, ebensowenig wie etwa angeborene Ideen, ein Bild er-
zeugen von dem kontingenten und konkreten, sagen wir ge-
schichtlich werdenden Zusammenhang jener Begriffe. Von
diesen kontingenten Wahrheiten konnte die Seele Jesu also
Erkenntnis nur erwerben durch die Einwirkung derselben als
gegenwärtiger oder durch die konkrete Anschauung derselben.
Deshalb muss die Erkenntnis Jesu auf diesem Gebiet als eine
fortschreitende , allmählich sich entwickelnde , wie die aller
Menschen es ist, bezeichnet werden : profecit sicut et alia anima,
quia alia et alia obiecta alio et alio modo cognovit. Auch das
Vergangene war für ihn nicht Gegenwart, sondern konnte nur
im Gedächtnis festgehalten werden, als unvollkommene Er-
kenntniS; bemessen an der Vollkommenheit der Erkenntnis des
gegenwärtigen Objekts. Hoc modo Christus per experientiam
didicisse dicitur multa, hoc est per cognitiones intuitivas, id est
illarum cognitorum quantum ad existentiam et per memorias
derelictas ab eis (6 f.). Demnach sind auch die Worte des
Lukas-Evangeliums (2, 52) , dass Jesus fortgeschritten sei an
Weisheit, wörtlich zu nehmen: texias ev."»'^elii i^ o i est
ex^JO ' e '• d ü s, vi tr >la*>\ pjOj'ecit secutd.'in appa-
re»»i;?am. Die Sache liegt also so, dass die Seele Christi
zwar Erkenntnis aller Ideen besass, aber hinsichtlich der in-
tuitiven Erkenntnis der einzelnen Dinge Fortschritte machte:
non quod aliquorum cognitionem abstractivam habitualem ac-
quisivit, sed intuitivam tam actualem quam habitualem (ib. 8). —
Das Eesultat dieser Betrachtung ist also: Wiewohl die Seele
Ohristi vermöge ihrer Gemeinschaft mit dem Logos die Er-
kenntnis von allen Ideen habitualiter besitzt, muss sie doch das
Jesu Erkennen des Kontingenten, 263
einzelne Ding als solches in allmählichem Fortschritt kennen
lernen. Ein Stück ,, wahrer Menschheit'' bricht hier aus dem
dogmatischen ßegriffsapparat wie ein Strahl hervor.
12. Wir haben jetzt die Ansicht des Duns Scotus über
die Erkenntnis Jesu kennen gelernt. Die Seele Jesu empfängt
Erkenntnis aus der Anschauung des Logos, sowie durch die
wunderbare Eingiessung geistiger Bilder, die ihr zu Teil Avird.
Beides ist wunderbar wenigstens für dieses Erdenleben und ist
in dieser zeitlichen Welt für uns nicht erreichbar, indem wir
hienieden Begriffe nur auf Grund sinnlicher Eindrücke zu bilden
vermögen (1. c. § 9). Aber der Erfolg dieser wunderbaren
Ausrüstung ist doch geringer, als man erwarten möchte. Die
Anschauung des Logos bewirkt nur eine habituale und all-
gemeine Erkenntnis der Objekte, die sich im Logos abspiegeln.
Die species infusae aber sind nur abstrakte Begriffe. Dagegen
vermag auch die Seele Jesu die Erkenntnis vom kontingenten,
konkreten und geschichtlichen Geschehen nur durch die gegen-
wärtiq^e Einwirkung jener Objekte, bezw. die durch sie gewirkte
Anschauung zu erwerben. Der Vorzug der Erkenntnis Jesu
vor unse^'er besteht also darin, dass sie reichlicher und klarer
mit abstrakten Begriffen ausgerüstet ist, dagegen steht sie der
unseren hinsichtlich der Erkenntnis des konkreten Geschehens
gleich. — Es ist einleuchtend, dass diese Entwicklung im
höchsten Mass bedeutsam ist. Zunächst durch die Sorgfalt
und Konsequenz, mit der Duns die psychologischen und er-
kenntnistheoretischen Kategorien auf Jesu Seele anwendet.
Er wirft nicht mit Wundern um sich, er lässt den Logos nicht
das menschliche Seelenleben zerstören, er will nüchtern und
deutlich erklären, wie die Erkenntnis in Jesu Seele wurde und
war. Sehen wir für einen Augenblick von dem scholastischen
Begriffsapparat ab, so lässt sich die Auffassung des Duns in
sehr einfacher Weise wiedergeben. Die Seele Jesu, die sich
der heiligen Anschauung des Logos ergab, empfing aus dieser
Anschauung ein gewisses allgemeines Verständnis des Weltalls
und seiner Begriffe. Andererseits besass sie eine Fülle reiner
und scharfer Begriffe; wie die ältere Auffassung von aner-
schaffenen Ideen redete, so war diesem Kind ein grösserer und
reicherer Schatz solcher Ideen mitgegeben. So trat Jesus,
264 -Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
"wmiclerbar begabt und stetig durch die Gemeinschaft mit dem
Logos von Ideen und Idealen erfüllt, auf den Schauplatz dieser
Welt; zu den Ideen und Begriffen fügte er hier lernend und
fortschreitend Erkenntnis des wirklichen Lebens, nicht ohne
dass auch für ihn die Bilder der Vergangenheit blasser als die
der Gegenwart und die Erscheinungen der Zukunft in ihrer
geschichtlichen Besonderheit undeutlich gewesen wären. Man
überlege nur, in welchem Grade diese Sätze der üblichen Auf-
fassung zuwiderlaufen mussten! Aber auch bei der Erwerbung
dieser positiven Erkenntnis wurde Jesus natürlich durch seine
wunderbare Ausrüstung gefördert. — Das sind die Gedanken
unseres Autors. Biegen wir aber von hieraus zurück in die
theoretischen Hauptgeleise seiner Christologie, dann ist diese
sich entwickelnde, allmählich Erkenntnis erwerbende Seele nicht
etwa persönlich zu denken, sondern es ist nur eine Funktions-
reihe in den Bethätigungen der Logosperson gemeint! Es ist
klar, wie wenig das zu den scotistischen Gedanken stimmen
will und wie energisch auch hier wdeder die Personalität der
Menschennatur sich hervordrängt.
13. Die folgende 15. Distinktion ist der Frage gewidmet^
ob auch in dem oberen Teil der Seele Christi Schmerz ge-
wesen sei? Dies Leiden bezieht sich auf den Willen und den
Intellekt. Dem Schmerz im sinnlichen Leben, den auch Christus
empfand, entspricht im höheren Leben die Traurigkeit. Duns
hat seine Ansicht im Gegensatz zu Heinrich entworfen. Nach
diesem habe die Seele Jesu in ihrem oberen Teil Schmerz
empfunden, sofern dieser Natur war, nicht aber sofern er Geist
(ratio) war. Dagegen erinnert Duns daran, dass der obere
Teil der Seele unmöglich als der eigentliche Träger der Schmerz-
empfindung angesehen werden darf, da der Schmerz als solcher
zunächst an der Sensation haftet. Ebensowenig kann die
Natur der Seele als Subjekt des Schmerzes bezeichnet werden,
denn dann müsste der Schmerz naturgemäss dort eintreten, wo
die Seele die natürliche Verbindung mit dem Leibe verliert.
Aber Jesu Seele war gerade nach dieser Trennung schmerzlos
(III dist. 15 quaest. un. § 3). — Man müsse, um ins Reine
zu kommen, zunächst die Begriffe Schmerz und Traurigkeit
richtig bestimmen. Nach Heinrich soll der Schmerz zwei
Schmerz und Traurigkeit in Jesu, 265
Wurzeln haben: 1) die verletzende oder verderbende Ver-
änderung der der Natur zustehenden Verfassung, und 2) Per-
zeption dessen durch die Seele, die einen von den Sinnen durch
Apprehension erfahrenen Vorgang als Diskonvenienz empfindet
(ib. 5). Das ist wieder falsch nach Duns. Die erste Wurzel
kann logisch überhaupt nicht als Wurzel des Schmerzes an-
gesehen werden, denn die Konvenienz oder Diskonvenienz er-
zeugt nicht die Perzeption des Schmerzes, sondern ist ein Urteil,
das dieser Empfindung folgt, also kann hieraus die Schmerz-
empfindung als solche nicht abgeleitet sein (6).
Nach Duns selbst soll ausgegangen werden von der Be-
obachtung, dass unsere Organe sich zu den Objekten wie ein
Passives zum Aktiven verhalten; so empfängt z. B. der Ge-
sichtssinn die Einwirkungen der weissen Farbe. So bald ein
Objekt als Perfektivum auf die rezeptive Seele einwirkt,
empfindet diese ein Lustgefühl (delectatio). Um dieses zu er-
klären, muss angenommen werden ein appetitus sensitivus, denn
erst aus ihm entsteht die Neigung (inclinatio) der Seele zur
Annäherung an jenes Objekt. Diese Lustempfindung hat keinen
anderen Grund, als das was jene Neigung hervorbringt. Wenn
dagegen der Seele ein Objekt nahe tritt, das jener Inklination
widerspricht, so tritt die Schmerzempfindung ein (9 ff.). Lust
und Schmerz sind also Empfindungen des sinnlichen Triebes,
die Hinneigung zu dem betreffenden Objekt oder die Abneigung
vor ihm.
Ganz ähnlich verhält es sich auf geistigem Gebiet mit der
Traurigkeit. Ihr Gebiet ist der Wille. Auch der appetitus
intellectivus erleidet etwas. Löst das in ihm ein nolle aus, so
haben wir die Traurigkeit. Tristitia est de bis quae nobis
nolentibus accidunt (12). In diesem Erleiden ist der Wille
allerdings nicht frei, sondern erleidet etwas als Bestandteil der
menschlichen Natur, doch wird dadurch seine Freiheit nicht
aufgehoben. Das Nichtwollen ist ja nur die Folge eines freien
Wollens. Indem der Wille an dem Wollen eines positiven
Zieles festhält, erwächst ihm aus der Verhinderung der Er-
reichung desselben das Nichtwollen in Bezug auf jenes Hinder-
,nis. Er will nicht, weil er will. Die Notwendigkeit dieses
Nichtwollens ist also die Folge des freien Wollens. Es liegt
266 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
nur eine necessitas consequentiae vor, ähnlich jener, von der
man sagen kann: wenn ich einmal will, will ich notwendig (13).
Zur Traurigkeit ist es also genügend, dass ein Objekt das nolle
des Willens hervorruft. Das kann eintreten, indem ein Objekt
für dies Subjekt ein nolitum libere ist, oder indem ein 01)jekt
dem Subjekt naturaliter disconveniens ist, oder auch indem ein
Objekt nur im sinnlichen Triebleben Abneigung hervorruft und
der Wille, der auf das Wohl des ganzen Menschen aus ist,
hierdurch zu einem nolle veranlasst wird. Die Traurigkeit kann
aber auch hervorgerufen werden durch das nolle condiciouatum,
d. h. ein beziehungsweises Nichtwollen. Z. B. ein Kaufmann
will seine Ware behalten. Aber die Gefahr des Schiffes bringt
es mit sich, dass er sie über Bord werfen muss, sie also be-
ziehungsweise nicht will. Indem dieses bedingte Nichtwollen
einem positiven Wollen widerspricht, vermag es auch Traurig-
keit zu erzeugen, denn nur traurig wirft der Kaufmann die
Ware über Bord (17).
Wie sieht es nun mit dem Schmerz und der Traurigkeit
der Seele Jesu? Zunächst ist klar, dass in der sinnlichen Seite
der Seele Jesu wirklich Schmerz vorhanden war (18). Auch
darf hierbei nicht, unter Absehung von wirklichen Sinnes-
empfindungen, an einen von der Einbildungskraft hervorge-
rufenen Schmerz gedacht werden, denn dieser wäre ebenso-
wenig wirklich Schmerz als der Schmerz, den man im Traum
fühlt (cf. lY dist. 10 quaest. 5, 4). — Unter der portio animae
superior, von der hier die Rede ist, ist die Seele in ihrer un-
mittelbaren Beziehung zum Ewigen zu verstehen, dann aber
die Seele als denkende und wollende, sofern diese Funktionen
die Mittel jener Beziehung sind (ib. 20). Nun wird eine solche
Traurigkeit in Beziehung auf Gott veranlasst durch die Ent-
behrung des Genusses Gottes oder durch unsere Sünde oder die
anderer und durch sonstige hemmende Übel, die uns oder andere
geliebte Personen bedrücken (ib.). Traurigkeit hinsichtlich der
Sünde konnte Christus nur in Bezug auf die Sünden anderer,
wie den Unglauben der Jünger und der Juden und die Grau-
samkeit letzterer, empfinden (21). Dies ist die Hauptquelle
der Traurigkeit Jesu. Auch die Passion samt dem Tode regten
in dem natürlichen Wollen Jesu Traurigkeit an, indem der
Der Schmerz Christi ist Nichtwollen der Sünde. 267
Wille eine natürliche Abneigung hiergegen empfindet und das
sinnliche Leiden mitempfindet. So entstand auch in seiner
Seele das nolle der Traurigkeit. Indem aber der Wille zugleich
freier Wille ist , hat dies nicht den Sinn , als wenn Jesus
schlechthin das Leiden nicht wollte. Er wollte es als Mittel
zur Erlösung, aber das schliesst jenes natürliche Nichtwollen
nicht aus (23 ff.). Dies Nichtwollen kann als ein kondizioniertes
Nichtwollen bezeichnet werden, indem Christus freilich be-
dingungsweise — d. h. wenn die Erlösung es nicht erfordert
hätte — - das Leiden nicht wollte (vgl. oben das Gleichnis vom
Kaufmann). Aber das darf nicht so verstanden werden, als
-wenn nur der höhere, direkt auf Gott gerichtete Wille Jesu
leiden wollte, Avogegen der niedere Wille absolut vom Leiden
nichts wissen wollte, denn der Wille ist einer und die Kraft
des Entschlusses jenes höheren Wollens bestimmt daher das
Wollen überhaupt. Mit allen Kräften seines Wollens wollte
Christus somit zum Heil der Menschheit leiden und sterben.
Aber der Wille als natürliche Potenz empfand freilich auch
das nolle, wenn auch nur in der bezeichneten bedingten Weise (26).
Und auch die Auffassung wird als möglich zugestanden, dass
wenn man das niedere Wollen streng für sich fasst, das nolle
desselben der Grund der tristitia sein konnte (ib. 31 init).
Aber die Tendenz des Duns ist darauf gerichtet, das eigent-
liche Leiden Christi nicht in der Empfindung physischer
Schmerzen, sondern in dem Leid über die Sünde der Mensch-
heit oder dem Nichtwollen derselben aufzuzeigen. Daher hat
sein Empfinden sich auch nicht auf die sinnlichen Schrecken
des Leidens Jesu gerichtet. Der leidende Christus ist ihm der
starke Herr, der mit grossem ungebrochenem Willen, trotz aller
natürlichen Regungen dawider, leiden und sterben will zur
Erlösung der Menschheit. Dieser Tod ist eine Willensthat.
Nicht der Tod an sich, sondern dass die Sünde ihn vernot-
wendigte, ist des Leidens tiefster Grund. — Verstehe ich diese
Gedanken richtig, so gewähren sie auch einen Einblick in die
männliche, strenge und herbe Seele ihres Urhebers selbst.
14. Musste Christus sterben ? Diese Frage wird in der 16.
Distinktion behandelt. Der Logos hat die Menschennatur da-
durch, dass er sie annahm, verklärt. Dabei ist aber durch ein
268 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
besonderes Wunder diese Glorie nicht auf den Leib überge-
gangen. Hierin liegt begründet die Notwendigkeit der Auf-
lösung dieses Körpers und der Abtrennung dieser Seele vom
Körper. Unrichtig ist es aber, mit .der Mehrzahl der Theologen
(Varro, Bonaventura, Thomas), die Sterblichkeit des Leibes
Christi auf seine Materialität zurückführen. Indem, meinen
jene, die Materie des Leibes Christi ihrer Formen beraubt
wird, wird sie wie alle nicht informierte Materie causa corrup-
tionis. Aber das ist falsch, weil es auch von dem Leib Christi
im Himmel und unserem Leib nach dem Gericht gesagt werden
könnte (III dist. 16 quaest. 2, 3. 4). Nicht die Materialität,
sondern das wunderbare Fehlen der Glorie, die nicht den
Leib Jesu überströmte, erklärt die Sterblichkeit desselben.
Auch hatte dieser Körper nicht, wie vor dem Fall Adam, die
iustitia originalis praeservans corpus a corruptione. Dieser
Körper war also notwendig sterblich, war er doch auch bloss
ein corpus animale (1 Kor. 15, 44) und deshalb nicht unter
einer so völligen Herrschaft der Seele, dass dadurch etwa seine
Leiden verhindert werden konnten. Hierzu kommt weiter der
sinnliche Erhaltungsprozess durch Nahrungszufuhr (5). Diese
irdische Nahrung nun ist unrein, sie erzeugt schlechtes Blut
und einen schwächlichen Körper. So war auch die Nahrung
eine causa extrinseca corruptiva (6). Gegen dieses Resultat
der Sterblichkeit des Leibes Christi kann auch nicht auf die
Vereinigung mit dem Logos rekurriert werden, da ja von der
der menschlichen Natur mitgeteilten Herrlichkeit der Leib
durch ein besonderes Wunder ausgeschlossen blieb und dem-
gemäss vergänglich sein musste. Auch dieser Leib hat ge-
schwitzt und Abgang erfahren durch das Beschneiden der Nägel
oder der Haare etc. (7. 8). Schliesslich sei bemerkt, dass die
natürliche Notwendigkeit des Todes Christi die Yerdienstlichkeit
seines Sterbens nicht beeinträchtigt, indem der Wille freiwillig com-
placendo und acceptando diese Notwendigkeit bejahte (ib. 14).
15. Hier wird sich am besten eine Erörterung der Fragen
nach der Verweslichkeit des Leibes und nach dem Hadeszu-
stand Christi anschliessen. Heinrich meint, der Leib Christi
sei an sich freilich verweslich gewesen, aber Gott habe die
Verwesung durch die Unio verhindert, eines besonderen Wunders
Christi Leib sterblich; nicht Mensch im Triduum. 269
hierzu habe es nicht bedurft. Duns verneint letzteres, da ja
die Unio nicht einmal im Stande war, das Schweissvergiessen
des Körpers zu verhindern ; folglich sei ein besonderes neues
Wunder nötig gewesen, um Christi Leib vor der Verwesung
zu bewahren (III dist. 21 quaest. un. § 2 ff.).
Bei Besprechung der Frage, ob Christus während des
Triduums Mensch war, handelt es sich um einen Wortstreit.
Es ist die Frage, ob man diese Formel zu brauchen logisch
berechtigt sei. Hugo und der Lombarde thun es im Hinblick
darauf, dass die Seele Jesu auch während des Triduums mit
dem Logos vereint blieb. Aber Duns weist in eingehender
Erörterung nach, dass die Materie als ein Teil der Qiüddität
eines materiellen Dinges anzusehen sei. Es ist kein Wesen
Mensch zu nennen, in dem nicht Materie und Form als die
inneren Ursachen seines Bestandes zusammen sind. Das gehört
zur Quiddität des Menschen (III dist. 22 quaest. un. § 5 f. 13).
Da nun der volle Bestand der huraanitas in Christo während
des Triduums nicht vorhanden war, so ist von der in Frage
stehenden Formel abzusehen (18). — Dieselbe ist auch, rein
logisch angesehen, zweifelhaften Wertes. Eine notwendige
Zusammengehörigkeit von Subjekt und Prädikat ist nur dann
anzunehmen, wenn das Subjekt einen einheitlichen Begriff
enthält oder wenn die Zusammensetzung des Begriffes dem
Prädikat gemäss ist. Aber „Christus" ist ein zusammenge-
setzter Begriff. Er fügt sich der Verbindung: Christus fuit
homo; nicht aber passt er in den Satz Christus est homo oder
auch Chr. est homo in triduo. Also ist dieser Satz logisch
falsch gebildet (19 ff.).
16. Die Erwägungen der letzten Abschnitte haben uns einer-
seits die Art des sittlichen und intellektuellen Lebens Jesu
kennen gelehrt und haben andererseits uns einen Blick in sein
Leiden gewährt. Der eine wie der andere Gesichtspunkt führte
auf die Annahme eines menschlichen Willens. Ist ein solcher
für Jesus anzunehmen, und wenn die Frage bejaht wird, hat
er durch diesen Willen Verdienste erwerben können? Zu
diesen Fragen schreiten wir weiter fort. Duns konstatiert ge-
mäss der dogmatischen Tradition zwei Willen in Christo, ent-
sprechend der Vollständigkeit der beiden Naturen. Es handelt
270 Kap. IIJ : Die Person Christi und die Erlösung.
sich dabei für die menschliclie Natur um den rationalen Willen ^
nicht den sinnlichen Trieb , der im weiteren Sinn auch als
Willen bez(^ichüet wird (III dist. 17 quaest. un. § 2). Hierbei
behauptet Duns die völlige Freiheit des menschlichen Willens^
denn der menschliche AVille in Christo steht zu dem Logos in
keinem anderen Verhältnis als zu der ganzen Trinität, folglich
ist seine Freiheit in der Vereinigung mit dem Logos keine
geringere, als sie ausserhalb dieser Vereinigung gewesen wäre.
Aber die Kausalität der Trinität bezieht sich hierbei aur auf
das esse des freien Willens, nicht aber auf ein besonderes
operari, welches durchaus frei bleibt (4). Es ist ja von einer
Mitwirkung Gottes bei der Bethätigung des freien Willens zu
reden (oben S. L58ff.), in unserem Fall wegen der communicatio
idiomatum speziell des Logos ; aber dieselbe ist so beschaffen,
dass der Freiheit des Willens durch sie kein Abbruch ge-
geschieht. — Dico, quod voluntas in Christo (natürlich der
menschliche Wille) ita libere elicit et dominatur actui suo,
sicut voluntas mea suo, quia deus non operatur ad operationem
illam , nisi voluntate libere agente et determinante se ad
operandum et tunc deus operatur cum ea. Es ist eine Freiheit
so gross, als sie überhaupt bei einer Kreatur möglich ist (5).
Und diese menschliche Natur mit dem freien Willen, der zum
Logos kein anderes Verhältnis hat, als jeder andere Menschen-
wille, sollte die wirklich unpersönlich vorgestellt werden tonnen ?
17. In der 18. Distinktion wird das Problem behandelt, ob
die menschliche Natur ,, verdient'^ habe? Übersetzen wir diese
Formel in unsere Sprache, so bedeutet sie etwa, ob die Seele
Jesu in einem ethischen Verhältnis zu Gott stand. Zimächst
wird der Begriff des meritum bestimmt: quod meritum
est aliquid acceptatum vel acceptandum in alio, pro quo ab
acceptante est aliquid retribuendum illi, in quo est quasi
debitum illi pro illo merito vel alteri, pro quo meruit (quaest.
unic. § 4). Man erkennt die Spuren des Gottesbegriffes deut-
lich an der acceptatio. Weil es von Gottes Willen allein ab-
hängt, ob etwas gut oder böse ist, ist das, was eine Handlung
zum meritum macht, auch nur der Wille Gottes. — Alles Ver-
dienen hat seine Wurzel an einem Willensaffekt; verdienstlich
ist aber nur eine solche Handlung, welche vom Wollen der
Christi freier Wille und sein Verdienen. 271
Gerechtigkeit hervorgerufen wird, Dicht aber eine solche, welche
auf den Vorteil abzielt. Das erste Objekt nun, welches bei
einer verdienstlichen Handlung in das Auge gefasst wird, ist
Gott, in dem Sinn, dass man gewissermassen sein Gutes wünscht :
vult deo bonum. Meritum est ordinatus motus circa deum
volendo sibi (= ei) bonum et post volendo cum debitis circum-
stantiis sibi coniungi ipsum in se et in aliis. Man wird diesen
Gedanken dahin ausdrücken dürfen, dass nach Meinung des
Duns verdienstlich ist die Liebe zu Gott und der Wille zur
Gemeinschaft mit ihm. Diesem gerechten und selbstlosen
Willen steht gegenüber die affectio commodi, d. i. der immo-
deratus appetitus proprii boni, der das Widerspiel des Ver-
dienstes oder das demeritum begründet. — Die Retribution
des Verdienstes braucht endlich nicht dem zu Gute zu kommen^
der es frei vollbringt. Er kann nämlich mit der Absicht ver-
dienstlich handeln, dass ein anderer davon den Nutzen habe.
Dann nimmt Gott das Verdienst an im Hinblick auf den, für
den es geschah, ut retribuat ei pro quo acceptatur. Wenn aber
der Verdienende selbst keiner Retribution bedarf, so wird die-
selbe naturgemäss denen zu Teil, für die er verdiente.
Durch einen solchen Willen hat nun Christus verdient,
und zwar nicht für sich, sondern für uns. Er war ja ein
irdischer Mensch (viator), sein Sinnenleben, sowie der niedere
Wille stellten ihm eine Anzahl von Objekten vor, die er
contra affectionem commodi verwerfen konnte. So konnte er
ieiunando, vigilando, orando et multis aliis talibus verdienen.
Da nun aber der Wille in Wirklichkeit nur einer ist, so
empfiehlt es sich auch den oberen Willen, und nicht nur die
auf die Sinnlichkeit bezogenen Akte des niederen Willens als
verdienstlich handelnd anzusehen ; denn obgleich jener obere
Teil des Willens in Christo mit Gott vollkommen verbunden
war, wird doch der ganze Wille als Einheit als Träger der
sittlichen Handlung anzusehen sein (1. c. § 4 — ö). Allerdings
erhebt sich hier die Schwierigkeit, dass doch die Seligen, in
denen nur jener obere Teil des Willens in Wirkung ist, nicht
verdienen, da sonst ihr Verdienst und Lohn unendlich werden
müssten. Nun kann aber jeder geschöptliche Akt vor Gott
als Verdienst gelten, sofern Gott ihn als solches acceptiert.
272 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung,
Er wollte aber Christi Akte, die doch hier Akte eines viator
waren, allesamt als verdienstlich gelten lassen. Darin lag auch
nichts Unlogisches, könnte doch Gott auch den Engeln ihre
Thaten als Verdienste anrechnen, was aber deshalb nicht ge-
schieht, weil sie sich nicht im Status merendi befinden (9). —
Weiter wird ausgeführt, dass Christus vom ersten Augenblick
seines kreatürlichen Daseins an verdienen konnte, denn alles
dazu Gehörige war da: die natürliche potentia, die perfecta
gratia und Gott als Objekt. Wollte man urgieren, dass es
an der gehörigen Deliberation doch gefehlt habe, so konnte die
Seele Jesu doch vermöge der ihr eigenen cognitio abstractiva
von Anfang an, ohne zeitraubende Deliberation, das Rechte er-
kennen und also verdienstlich handeln (11). Also Jesus ver-
mochte im ersten Moment seiner Konzeption schon verdienst-
lich zu handeln! Man bedauert, bei dem ernsten Denker auf
eine solche Abgeschmacktheit stossen zu müssen. Das ver-
dienstliche Handeln Christi ist uns zu Gute gekommen, nicht
ihm selbst, der Mensch Jesu hat nicht sich selbst die fruitio
der Trinität verdient, denn der Genuss der Trinität ging all
seinem Handeln voran vermöge der Vereinigung seiner Natur
mit dem Logos: igitur deus liberaliter sine aliquo merito prae-
cedente coniunxit voluntatem istam per fruitionem ultimo fini,
et ita non meruit sibi fruitionem (ib. § 12). Aber auch dass
er sich die Impassibilität von Leib und Seele verdient habe,
wie der Lombarde meint, könnte nur in beschränkter Weise
gesagt werden. Denn an sich stand ja die Glorie seinem
ganzen Wesen zu, und nur absichtlich wurde ihre Erstreckung
auf den Leib verhindert. Man könnte also höchstens die Auf-
hebung jenes Hindernisses als Erfolg seines Verdienstes ansehen.
18. Lassen wir hier einen Ruhepunkt eintreten, indem wir
auf die scotistische Christologie zurückblicken.
Der Gesamteindruck, den die Christologie des Duns ge-
währt, ist dem ähnlich, den man so oft bei dem Studium seiner
Lehren empfindet: er trägt die orthodoxe Lehre seiner Zeit
vor, auf weiten Strecken begegnet man nur dialektischen Diffe-
renzen zu Thomas oder Bonaventura. Und doch geht durch
seine ganze Darstellung ein anderer mehr rationaler, psycho-
logisch deutender Zug. Er wird greifbar in vielen Einzel-
Beurteilung der Christologie des Duns. 273
heiten, und man empfindet ihn auch im Ganzen. Der abend-
ländischen Tradition folgend (Augustin, Abälard), wird die
Menschwerdung darin erkannt, dass der Logos den Menschen
Jesus annimmt, die Logosperson die Menschheit Jesu personiert.
Eine Relation stellt diese Verbindung her, die menschliche
Natur soll ihrer Art nach unverändert bleiben, nur die Per-
sonalität fehlt ihr. Das war die zur Annahme gelangte Lehre.
Die "Weiterbildung, die bei Duns wahrnehmbar ist, besteht darin,
dass er durchweg bemüht erscheint, eine möglichst grosse Voll-
ständigkeit resp. kreatürliche Beschränktheit der Menschennatur
zu erzielen und deshalb die Vereinigung mit dem Logos auf das
schärfste im Sinn blosser Relation zu fassen. Das Vorwiegen
dieses Gesichtspunktes bedingt dann die unbewusst immer wieder
eintretende persönliche Fassung der Menschennatur. Man be-
greift es von hier aus, dass das Interesse des Duns nicht eigent-
lich an dem Logos haftet, sondern durchaus auf den Menschen
Jesus geht, dessen Beziehungen zum Logos auf dem Wege
psychologischer Analyse einleuchtend gemacht werden sollen.
Nicht wie der Logos den Menschen ergreift und durchdringt,
sondern wie der Mensch sich den Logos zu eigen macht, ist
der Gesichtspunkt.
Wir haben auf die einzelnen Lehren schon im Lauf der
Einzeluntersuchung aufmerksam gemacht. Es dürfte einleuch-
tend sein, dass sie sich den bezeichneten Gesichtspunkten
unterordnen. Man denke au die aktive Rolle der Maria bei
der Empfängnis Jesu, an die aktuale Existenz seiner Menschen -
natur und die Adoption derselben durch Gott, an seine sitt-
liche Ausrüstung durch die Gnade, an die Beschränkung seiner
Erkenntnis durch die Anschauung des Logos, sowie an die Ent-
wicklung seiner Erkenntnis des Wirklichen, an die Beteiligung
des ganzen Geistes an Schmerz und Leiden und an die Frei-
heit seines menschlichen Willens, der von dem göttlichen
Willen nicht mehr und nicht anders als auch jeder andere
menschliche Wille bestimmt wird, an den Gehorsam, in dem
Jesus sich dem Logos zur Vereinigung unterwirft, an die Be-
gründung der ünsündlichkeit durch die Sättigung des Willens
an Gott. Diese Gedanken hängen deutlich von seineu Richt-
Seeberg, Die Theologie des Duns 3cotus. 18
274 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
punkten ab. Sie leiten durchweg an Jesu menschliches Leben
möglichst menschlich psychologisch zu verstehen und sie führen
alle zur Forderung einer wahren, d. h. personalen Menschheit
Jesu. Dass aber mit diesen ßeoba'chtungen unterscheidende
Eigentümlichkeiten der scotistischen Christologie bezeichnet
sind, ergibt sich aus dem geschichtlichen Faktum, dass die
herausgehobenen Punkte fast durchweg Differenzen zur tho-
mistischen Lehre darstellen.^) Bis zu einem gewissen Grade
kann man selbst den von Duns im Gegensatz zu Thomas ge-
lehrten Eintritt der Erscheinung Christi, auch abgesehen von
der Sünde, hieb er rechnen, denn diese Hypothese tritt bei Duns
nur als eine Folge der Prädestination des Menschen Jesus auf.
Man kann sich einen Augenblick über versucht fühlen, die
Christologie des Duns Scotus so w^iederzugeben , dass man
Jesus als einen Menschen denkt, der sich mit freiem Willen
Gott ergibt und von Gott in ein Verhältnis einzigartiger Ge-
meinschaft und schlechthiniger Abhängigkeit eingesetzt wird, und
der in Gott die Wahrheit hat, die er im einzelnen erst allmählich
fortschreitend ergreift, und der aus der Gemeinschaft mit Gott
die Kraft bezieht, vermöge welcher er unentwegt wie die Seligen
droben das Gute will und thut.^) Dies Bild wäre gar nicht
direkt falsch, aber es würde die „Lehre" des Duns freilich
nicht wiedergeben, ja nicht einmal genau seine Empfindungen —
in die Sprache der Modernen übersetzt — ausdrücken. Man
vergesse nicht, dass Duns es für möglich gehalten hat, dass
Jesus vom ersten Moment seiner Konzeption an die sittliche
Bethätigung des Verdienen s ausübte, und dass er — in der
Theorie wenigstens — trotz aUem die menschliche Natur als im-
personal behauptete. Ferner muss man sich aber gegenwärtig
halten, dass die Lehre entworfen ist ohne eine prinzipielle
Unterscheidung der Zustände und Bedingungen des Lebens
Jesu auf Erden und im Himmel. Durch diesen Mangel wird
aber die geschichtliche Gestalt Jesu notwendig in ein falsches
^) Vgl. in der Kürze Schwane, Dogmengesch. der mittl. Zeit
S. 288—294.
*) Darauf, dass Duns der Macht Jesu nicht eine besondere Er-
örterung gewidmet hat, ist kein Gewicht zu legen. Er wird sie sich
analog der Erkenntnis gedacht haben.
Christi AVerk. 275
Licht gerückt.^) — Doch soviel dürfte nun klar sein, dass wir
oben S. 241 f. das Problem der Christologie des Duns richtig
bestimmt hatten.
II. Das Werk Christi.
1 . Christi Verdienst.
1. Indem wir jetzt zur Untersuchung der Lehre vom Werk
Christi fortschreiten, müssen wir zuerst dessen eingedenk sein,
dass der mittelalterlichen Lehre die Unterscheidung der Person
und des Werkes Christi nicht geläufig ist. Das Werk Christi
wird seit dem Lombarden in der 18., 19. und 20. Distinktion
des 3. Buches der Sentenzen, dort wo von Christi Verdienst
und seinem Tode zu handeln war, besprochen. Der enge Zu-
sammenhang von AVerk und Person Christi wird durch diese
Verbindung besonders anschaulich. Da nun in der christlichen
Dogmatik die Christologie als Lehre vom Erlöser in Betracht
kommt, wird die Probe für die Berechtigung und Brauchbar-
keit der Anschauungen von Christi Person darin bestehen, dass
dieselben als fruchtbar und wirksam zur Erlösung erkannt
werden. Die abendländische Theologie hat im ganzen, an
diesem Gesichtspunkt bemessen, die Menschheit des Herrn leb-
hafter und energischer als seine Gottheit zu erfassen verstanden.
Der Versuch des Anselm , auch letztere für die Erlösung
fruchtbar zu machen, erschien in unserem Zeitalter der Mehr-
zahl der Theologen als unsicher. In einer glänzenden Dar-
stellung hatte Thomas immerhin die objektive Versöhnung auf-
recht zu erhalten versucht. Wie stellte sich unser Denker zu
diesen Fragen?
2. Die 19. Distinktion des 3. Buches des grossen Sen-
tenzenkommentars handelt von Christi Verdienst für uns und
seiner Thätigkeit als Mittler. Nach Thomas soll Christus durch
sein Verdienst, der Suffizienz nach, für alle die Zerstörung der
^) Aus diesem Mangel in der älteren Theologie begreift sich auch,
dass noch Luther die schärfere Unterscheidung des Standes der Er-
niedrigung von der Erhöhung abgeht; andere Momente kommen bei ihm
hinzu (s. meine Dogmengesch. II, 312 Anm.).
18*
276 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung-.
Schuld und die Mitteilung der Gnade und Herrlichkeit verdient
haben, aber die Efficacität des Verdienstes sich nicht auf alle
erstreckt haben. Das Verdienst Christi wird also nach Thomas
gewissermassen unendlich sein, denn indem das göttliche Sub-
jekt die Handlungen der menschlichen Natur leitete, empfingen
die Bethätigungen und Leiden des Menschen Jesus quandam
infinitatem, sodass sie genügend waren zur Erwerbung der
Aufliebung unendlich vieler Sünden und der Darbietung un-
endlich vieler Gnaden. Ebenso habe Anselm dem Leben Christi
einen unendlichen Wert zugemessen, sodass sein Leben Gott
liebenswerter erschien, als die Sünden unendlich vieler Menschen
hassenswert waren (1. c. quaest. un. § 2). Dass aber die Effi-
cacität des Verdienstes nicht allen zu gute kommt, habe an
ihrer mangelnden subjektiven Disposition seinen Grund (3). —
Nun handelt es sich aber bei dem Verdienst Christi um das
bonum velle Christi, und zwar seiner menschlichen Natur (vgl.
S. 271). Der Inhalt dieses Willens ist der Gehorsam Christi.
Unter diesen Gesichtspunkt fällt das ganze Wirken und Leiden
Christi. Um seines Gehorsams willen liebte ihn Gott (s. Sent. IV
dist. 2 quaest. 1, 7). Christi Gehorsam ist das Verdienst, um
des willen Gott dem Sünder Gnade gibt (IV dist. 15 quaest.
1, 7). Es ist aber falsch, dieses velle abzuschätzen nach dem
Wert des Wollens des Logos, wie überhaupt jene ganze Dar-
stellung falsch orientiert ist: genügte Christi Verdienst zur
Erlösung, so war es unendlich und zwar wegen der Unend-
lichkeit der Logosperson; oder es war nicht unendlich, dann
genügte es nicht für die Schuld unendlich vieler. Sagt man:
Gott nimmt nichts an, nisi quantum habet de acceptabilitate,
und nimmt er in diesem Fall ideell nur Unendliches, konkret
Christi Verdienst an, so würde das dem Logos eigentümliche
unendliche Wollen an Wert dem Wollen des Menschen Jesus
einfach gleich gesetzt. Das ist aber falsch, quia hoc est ponere
creatum habere tantam diligibilitatem sicut increatum (III d. 19 q.
un. 5). Soll aber dies verdienstliche Wollen des Menschen Jesus an
Wert dem Logos gleichgesetzt werden, so müsste dies in der Re-
lation zur Logosperson geschehende kreatürliche Wollen formal
unendlich sein, und Jesu Seele würde gemessen wie der Logos,
d. h. man müsste die Seele Jesu dem Logos gleichsetzen (ib.).
Christi Verdienst war endlich. 277
Also ist zu sagen, dass das Wollen und das Verdienst Jesu nicht
unendlich war. Denn das Prinzip des verdienstlichen Willens
Christi, nämlich sein menschlicher Wille, ist endlich und bleibt
es, trotz aller Relationen zum Logos. Auch kann diesem
Willen in keiner Weise vom Logos zur Unendlichkeit verholten
werden, denn als Kreatur untersteht er keineswegs mehr der
Kausalität des Logos als der der ganzen Trinität. Aber ge-
setzt auch, der Logos übte auf die Wirkungen dieses WoUens
eine besondere Einwirkung aus, so würde daraus noch keines-
wegs die formale Infinität der betr. Akte folgen, denn es kann
endliche und unendliche Kausalität so zusammenwirken, dass
erstere die wesentliche Ursache, letztere nur accidentelle Ur-
sache ist ; das ist aber hier der Fall, sofern gerade der mensch-
liche endliche Willen es ist, vermöge welches Verdienst er-
worben wird. Also war Christi Verdienst nicht unendlich und
wurde, weil endlich, auch nicht als unendlich von Gott accep-
tiert (5).
Wenn aber Thomas weiter meint, Christus habe secundum
efficaciam nicht für alle verdient und das damit begründet,
quia agens non agit nisi in disposito et unito, so ist auch das
verkehrt; denn dann würde Christus uns ja nicht die Be-
gnadigung, sondern nur die Verherrlichung verdient haben,
ohne das klar würde, woher die Taufgnade, überhaupt die
gratia prima komme, denn diese stellt ja die Disposition her,
die Thomas für die Wirkungen Christi voraussetzen will. Viel-
mehr ist es richtig, gerade darauf den Ton zu legen, dass
Christus uns die erste Gnade verdiente. Meruit nobis gratiam
primam qua coniuncti essemus sibi (= ei) : Igitur meruit, ut
non coniuncti coniungerentur sibi et in hoc potissime consistebat
meritum; igitur non solum meruit, ut coniuncti sibi ulterius
cooperarentur ei et sie tandem glorificarentur, sed meruit, ut
non uniti unirentur, etiam qui nunquam se disposuerunt. Unde
magis meruit gratiam baptismalem et primam quam quod-
cunque opus postea ex gratia (5). — Also das ist das positive
— dem Thomas entgegengestellte — Resultat: Christi Ver-
dienst war, weil von seinem kreatürlichen Willen allein ge-
wirkt, endlich, und es diente der Absicht uns vor
allem die gratia prima zu erwerben.
278 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
2. Hier erheben sich nun aber drei Fragen: 1) Wie ver-
diente Jesus quantum ad efficaciam, 2) quantum ad sufficientiam,
3) quid moruit? (6).
Die Antwort auf die erste Frage ist folgende: Logisch
betrachtet geht in der göttlichen Prädestination und dem gött-
lichen Vorherwisseu, wie bereits gezeigt wurde, die Mensch-
werdung Christi und seine Prädestination ad gloriam et gratiam,
sowie die Prädestination aller Erwählten voraus der Voraus-
sicht des Falles und der Erlösung der Gefallenen durch
Christum, wie der Arzt zuerst die Gesundheit des Kranken
und dann erst die zu demselben dienliche Medizin in das
Auge fasst. Zuerst also sind die Erwählten zu gloria et gratia
bestimmt, dann erst ist die Passion Christi als Mittel zur Ver-
wirklichung dieses Zweckes angesetzt. Demgemäss sah der
Logos vorher seine für die praedestinati et electi dem Vater
darzubringende Passion und brachte sie dann efficaciter dar
in effectu, wie denn auch die Trinität sie so annahm, und
zwar so, dass sie nur für die Erwählten als wirkungskräftig
acceptiert wurde. Demnach hat Christus, gemäss der göttlichen
Prädestination und Prävidenz, für die Erwählten sein Leiden
als ein wirkungskräftiges, d. h. gemäss jener Vorherbestimmung
annehmbares, dargebracht, und unter diesem Gesichtspunkt ist
es von Gott angenommen worden. Also die gehörige Effi-
cacität eignet dem Leiden Christi nicht an sich, sondern ver-
möge der Vorherbestimmung des göttlichen Willens, die das-
selbe als wirkungskräftig acceptiert (§ 6). Duns hat hiemit
einen Gedanken Augustins aufgenommen, freilich in der be-
sonderen Prägung, welche durch seinen Gottesbegriff erfordert
war. Gott wollte das Heil der Prädestinierten und Christus
als ihren Erlöser, wegen dieser göttlichen Ordnung erstreckt
Christi Thun und Leiden als verdienstlich seine Efficacität
auf die zu Erlösenden, nämlich die Erwählten.
Genügte (sufficientia) nun aber dieses Verdienst Christi
als Mittel zur Erreichung des besagten Zweckes? Es war
endlich, so sahen wir, weil von dem endlichen Prinzip der
menschlichen Natur Jesu ausgehend. Hier gilt nun die Ant-
wort: dico, quod sicut omne aliud a deo ideo est bonum, quia
a deo volitum et non e converso, sie meritum illud tantum
Efficacität und Sufficienz des Verdienstes Christi. 279
bonum erat pro quanto acceptatum ,, non autem e converso
quia meritum est et bonum ideo acceptatum, et tantum potuit
acceptari passive, quantum tota trinitas potuit et voluit acceptare
active (ib. § 7). Also nicht das Verdienst Christi als solches
genügt, sondern nur sofern es der göttliche Wille als genügend
annimmt. Nach seinem AVesen konnte aber dieses Verdienst
nicht für unendlich angenommen werden : non potuit acceptari
in infinitura et pro infinitis, sed pro finitis. Doch lag angesichts
des Subjektes der verdienenden Person ein äusserer Grund vor,
der es angemessen erscheinen Hess, dass Gott das Verdienst
als unendliches annahm , scilicet extensive pro infinitis. Nur
muss daran festgehalten werden, dass das Verdienst an sich
nur endlich war, und dass es nur vermöge der göttlichen Accep-
tation galt, und zwar für so viele als Gott wollte, also auch
für unendlich viele (7). Im Grunde genommen, geht also die
eben gemachte Konzession nicht hinaus über die Zulassung
einer volltönenden Redensart, die freilich in der Sache nicht
genau ist.
Im Übrigen hat schon Duns die richtige Beobachtung
gemacht, dass es, streng gefasst, auch falsch ist, von der Un-
endlichkeit der Sünde in intensivem Sinn zu reden; das führe
auf Manichäismus hinaus. Aber auch der Anseimische Satz,
dass die Sünde so gross sei als der, wider welchen sie gerichtet
ist, ist nicht richtig. Gesetzt, es wäre möglich das Unendliche
zu zerstören, so könnte diese Zerstörung unendlich nur in dem
Sinne genannt werden, dass sie sich gegen Unendliches richtete,
ohne aber wirklich unendlich zn sein. Wie ein Vergehen gegen
den König schwerer gilt, als das gegen einen seiner Soldaten,
so könnte man also in ungenauer Kede wohl von der Unend-
lichkeit der Schuld reden, an sich ist die Sünde aber endlich
(ib. § 13). Ebenso ist von der Strafe für die Sünde nur in
dem extensiven Sinn die Unendlichkeit auszusagen, dass Gott
sie über ein Subjekt ergehen lässt, solange und sofern es
sündigt. Es wäre aber an sich keine Ungerechtigkeit, wenn
Gott für eine Todsünde die Seele nur einen Tag strafte und
dann vernichtete (et annihilaret animam). Wieder solch ein
merkwürdiger Einfall, der aufflammt, um sofort wieder zu
verschwinden! Das Verdienst Christi genügt also, vermöge
280 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
(1er göttlichen Acc(*ptati()n für so viele, als Gott es gelten lassen
will. An sich könnte es ja für alle Menschen gelten, aber
Gottes Wille beschränkte seine Geltung auf die Erwählten.
Das bonum velle Christi oder seine passio wurde angenommen
und dargebracht pro electis et praedestinatis tantum, et non
pro aliis (ib. § 14). — Wie also das Verdienst Christi nur für
die Erwählten zum Mittel der Erlösung verordnet, also nur
in dieser Richtung wirksam war, so eignete dic^se Wirkung
dem Verdienst Christi lediglich durch Gottes Ordnung und
Acceptation.
Endlich bleibt die Frage : quid et quibus meruit ? Christus-
hat zunächst die Zuteilung der prima gratia an alle, die ge-
rettet werden, verdient, und zwar ita quod ibi non cooperatur
voluntas nostra. ausser etwa bei erwachsenen Täuflingen, wo
mit innerer Notwendigkeit eine gewisse gute Willensdisposition
vorauszusetzen ist. Hinsichtlich der gratia poenitentialis (also
nach dem Fall in eine Todsünde) kommt das Verdienst Christi
als principale in merendo et totalis causa de condigno in Be-
tracht, doch wird von dem Büssenden de congruo irgend etwas,
wie etwa die Beue, gefordert. Endlich eröffnet das Verdienst
Christi als totalis causa uns die Thür zum Paradies. Wiewohl
nun lediglich Christi Verdienst das Hindernis des Eintrittes
fortschafft, so kommt doch niemand herein, der nicht cooperiert
und sich der prima gratia bedient: nos autem passioni exhibitae
et amoto obstaculo cooperamur ad actualem ingressum, nisi
impotentia excuset sicut in parvulis (§ 8). Das Verdienst
Christi ist also nach Gottes Ordnung die alleinige Ursache,
um die erste Gnade in der Taufe, und die prinzipale Ursache,
um die Gnade der Busse, sowie die ewige Herrlichkeit den
Prädestinierten zu erteilen.
3. Doch hier erheben sich einige Bedenken. Ihre Lösung
dient der weiteren Klärung des Problems, hat doch Duns bis-
her eigentlich nur gelehrt, dass Christi Leiden von Gott als
genügendes Verdienst anerkannt werde, um daraufhin den
Erwählten die Gnade mitzuteilen. Das erste Dubium ist: hat
Christus allen Erwählten die erste Gnade verdient, so doch
auch Adam und den Patriarchen, d. h. es hat zeitlich vor
seiner Passion Gnadenmitteilung gegeben. Doch wurde das
Die Satisfaktionslehre. 281
Yerdienst Christi von Ewigkeit her von Gott vorhergesehen, und
daraufhin konnte den vor Christus lebenden Erwählten die Erb-
sünde erlassen und Gnade dargeboten werden (§ 9. 10). Dabei
ist einerseits der Glaube dieser Erwählten, dass einst in der
Zeit für sie Sühne dargebracht werden würde, vorausgesetzt,
andrerseits vorbehalten, dass keiner derselben vor Vollzug des
Erlösungswerkes die Seligkeit im Paradiese erlangt habe (10).
Also wurde das ganze Heilsgut ihnen erst nach der wirklichen
Beschaffung des Heiles zu Teil. Sie konnten sich jenes, ob-
gleich mit der Gnade ausgerüstet, auch nicht selbst verdienen,
da die Hauptursache zur Öffnung des Paradieses Christi
Verdienst, und unser Verdienst nur Nebenursache ist (11).
Man kann aber auch einwenden, dass, wenn die von Gott
vorhergesehene Passion Christi verdienstlich und Grund der
Gnadenerteilung an die Patriarchen war, sie auch für die Trinität
Anlass zur Prädestination anderer werden konnte und somit
die Erwählung durch eine causa meritoria bewirkt werde (§ 9).
Allein diese Folgerung ist logisch fehlerhaft, da — nach dem
oben Bemerkten — die Väter früher prädestiniert waren, als
die Passion Christi vorhergesehen wurde. Das logisch Erste ist,
dass Gott alle Prädestinierten mit Gnade und Herrlichkeit aus-
rüsten will, dann erst folgt die Voraussicht ihres Falles und
des Mittels zu der Erlösung. Die Passion kommt also als
Mittel der Sündenvergebung und der Gnadenmitteilung in Be-
tracht, unmöglich aber kann sie als ratio praedestinationis an-
gesehen werden (§ 11). — Es ist also in der 19. Distinktion
gelehrt, dass Gott die Passion Christi als Mittel zur Begnadigung
der Prädestinierten feststellte, indem er sie als genügendes
Verdienst acceptieren wollte, um welches willen er jenen nach
ihrem Fall Gnade schenkt.
2. Die Satisfaktionslehre.
1. Duns schreitet nun fort zur Stellungnahme zu der
Satisfaktionslehre. Es wird die Frage aufgeworfen, ob das
Leiden Christi zur Erlösung der Menschheit notwendig gewesen
sei? (III dist. 20 quaest. unic. § 1). Er stellt dar und
kritisiert die Meinung des Anselm in Cur deus homo ? Anselms
282 Kap. III: Die Person Christi und die Erlüsun"^.
Thoorio ist bekannt; ich reproduzier^ sio nichtsdestoweniger,
<leDn es ist doch interessant zu sc.^hen^ wie (»in so scharfsinniger
Mann, wie Duns, sie verstanden hat.
In vier Gedankenreihen gibt er Anselms Lehre wieder.
1) Gott und die Natur machen nichts umsonst. Erreichte nun
der Mensch nicht den höchsten Zweck, nämHch das höchste
Gut um sein selbst wiUen zu heben , so wäre er umsonst
erschaffen worden, also ist es notwendig, dass Gott den in
Sünde gefallenen Menschen erlöse. 2) Eine Erlösung ohne
Satisfaktion war unmöglich, denn der Mensch hat Gott die
Ehre, die er ihm schuldete, nicht gewährt. Bevor er Gott
dafür Satisfaktion gibt, ist er ungerecht. Dagegen gelten auch
nicht die Einw^ände, dass der Mensch auch ohne Satisfaktion
gerecht w^erden kann, da er durch sein Unvermögen entschuldigt
werden könne, oder aber die Barmherzigkeit Gottes ihm ohne
Satisfaktion die Sünde vergeben könne. Der erste Einwand
trifft nicht zu, da der Mensch seine Impotenz selbst verschuldet
hat : ipsa impotentia est peccatum, quia debet eam non habere,
debet enim posse reddere honorem deo. Der zweite Einw^and
genügt ebenfalls nicht. Dass die Schuld durch die Barm-
herzigkeit vergeben werde, kann entweder bedeuten, dass das
debitum Gott die Ehre zu erweisen aufgehoben werde, da
der Mensch es nicht leisten kann, oder dass die Strafe für die
Schuld erlassen werde durch Verleihung der Seligkeit. In
dem einen Fall erlasse Gott das debitum, weil es der Mensch
nicht leisten könne; eine solche Barmherzigkeit annehmen
heisse aber Gott verhöhnen. In dem andern Fall werde dem
Menschen wegen seiner Unfähigkeit die Seligkeit gewährt,
d. h. — nach dem Obigen — wegen seiner Sünde, was eben-
falls unmöglich ist. 3) Die notwendige Satisfaktion kann nicht
von einem reinen Menschen geleistet werden, da der Mensch
als Satisfaktion etwas darbieten müsste, was grösser ist als das,
um dessentwdllen er die Sünde nicht thun durfte. Nun durfte
er aber die Sündenthat nicht begehen, um aller wirklichen
oder denkbaren Kreaturen willen, folglich musste er etwas dar-
bieten, was grösser als die wirkliche oder denkbare Kreatur
ist. Das konnte kein Mensch, also musste Gott es leisten.
Wenn aber ein Sünder nur das thäte, w^ozu er als Unschuldiger
Duns Wiedergabe von Anselms Satisfaktionslelire. 283
verpflichtet gewesen war, so würde dieses, sofern er dazu an
sich verpflichtet ist, doch nicht die Satisfaktion ausmachen.
Sodann: der Mensch muss Gott restituieren alles was er fort-
nahm. Er nahm Gott das, was er aus der menschlichen Natur
herzustellen beschlossen hatte, nämlich den numerus electorum,
zu dessen Vollendung jeder Mensch erschaffen wurde. Das
konnte kein Mensch wiedergeben, weil der Sünder einen Sünder
nicht gerecht machen kann. Auch war es nicht ziemlich, dass
ein unschuldiger, nicht von Adam herstammender, Mensch die
Menschen durch seinen Tod in ihre pristina dignitas restituierte,
denn dann wären die Sünder diesem Menschen doch soviel für
die Erlösung verpflichtet gewesen, als Gott für die Schöpfung.
Dazu konnte, wie wir sahen, solch ein reiner Mensch nicht
einmal die Satisfaktion darbringen. 4) Die Vernunft lehrt,
dass der Genugthuer etwas darbringen musste, grösser als
alles, was unter Gott ist, und zwar freiwillig und nicht pflicht-
mässig, wie die Menschen sich freiwillig dem Teufel unter-
worfen haben. Wie nun der Mensch sündigte, indem er um
der Süssigkeit willen sich dem Teufel unterwarf, so wird diese
Darbringung durch ihre Bitterkeit den Teufel überwinden
müssen. Das Bitterste, was der Mensch zur Ehre Gottes frei-
willig leisten kann, ist der Tod. Daher musste der Mensch
Christus, der grösser als alles unter Gott ist, durch seinen
freiwilligen Tod die Satisfaktion darbringen. Indem sein Leben
so wertvoll war, wurde die Hingabe desselben oder sein Tod
von Gott acceptiert als Satisfaktion. Duns schHesst seinen
Bericht: haec veraciter, ut potui, ex dictis eins (Anselms)
collegi (§ 6). 1)
2. Mit den bescheidenen Worten: in istis dictis Anselmi
videntur aliqua dubia, leitet Duns seine schneidende Kritik
ein (§ 7). Es ist gleich zweifelhaft, ob die Erlösung nui*
durch Christi Tod oder durch die Darbringung von etwas alle
Kreaturen Überragendem bewirkt werden konnte. Augustin
de trinit. XIII, 10 sage, es hätte Gott auch die Möglichkeit
^) Also hat Duns diese Darstellung auf Grund eines besonderen
Studiums der anselmischen Schrift gegeben. Das legt die Frage nahe,
ob sein Verständnis Anselms richtig war. Doch kann dieser interessanten
Aufgabe hier nicht näher getreten werden.
284 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
einer andern Weise der Erlösung gehabt. Aber auch logisch
kann jene Notwfmdigkeit angefochten werden. Die necessitas
ist nur eine necessitas consequentiae, d. h. sie gilt für den
Fall, dass Gott vorher diese Art der Erlösung festgesetzt hätte.
Duns erläutert das an einem Beispiel: wenn ich laufe, so bin
ich in Bewegung. Letzteres stellt freilich eine Notwendigkeit
dar, aber eine Notwendigkeit der Konsequenz. Indem aber
ersteres etwas Kontingentes ist, ist es auch letzteres. So ist
auch in unserem Fall jene Festsetzung selbst eine kontingente
Handlung, also ist auch der Tod Christi kontingent. — Die
Notwendigkeit desselben kann also nur im Sinne der Kon-
sequenz aus einer freien Vorausbestimmung behauptet werden. —
Sodann ist aber von der Notwendigkeit der Erlösung, also auch
des Todes Christi nicht zu reden. Die Erlösung hat zum
letzten Grunde die göttliche praedestinatio ad gloriam. Die
Prädestination ist nun keinesfalls eine notwendige Handlung,
sofern sie durch nichts ausserhalb Gott Liegendes bedingt wird,,
vielmehr ist sie eine rein kontingente Handlung. Folglich
kann von einer absoluten Notwendigkeit weder der Prädesti-
nation noch der Erlösung durch Christi Tod geredet werden (7),
Es ist also die Notwendigkeit der Erlösung nicht erweisbar,
somit auch nicht die Notwendigkeit der Satisfaktion.
Gesetzt aber, die Notwendigkeit einer Satisfaktion wird
zugestanden, so folgt daraus noch keineswegs, dass der Genug-
thuende Gott sein müsse. Wenn Anselm sagt, zur Satisfaktion
bedürfe es eines Grösseren als die ganze Kreatur, so meint
Duns dazu: credo, salva reverentia sua, quod hoc uon est
verum. Es wäre durchaus genug gewesen, wenn für die Sünde
des ersten Menschen dargebracht worden wäre ein malus bonum,
quam fuerit malum illius hominis peccantis. Wenn also Adam^
vermöge ihm mitgeteilter Gnade einen oder mehrere Akte der
Liebe gegen Gott um Gottes selbst willen vollzogen hätte, sa
würde diese Liebe als ein grösseres Unternehmen, als es die
erste Sünde war, zur Bewirkung der Sündenvergebung und
der Satisfaktion genügt haben. Jene Liebe zu Gott übersteigt,
sofern sie an Gott ihr Ziel hat, jede Liebe zur Kreatur in
dem Mass, als Gott über die Kreatur erhaben ist. Somit wäre
die Liebe zu dem kreatürüchen Objekt in der Sünde gesühnt
Kritik der anseimischen Theorie. 285
durch die ihr absolut überlegene Liebe zu Gott. Allerdings
bedürfte es hierbei zur Satisfaktion einer Liebe, die die Liebe
zur Kreatur, d. h. die Sünde überragt. Aber diese Liebe ist,
nach ihrem Wesen betrachtet, keineswegs grösser als alle
Kreatur, war doch auch die „erschaffene Liebe" Christi zu
Gott so beschaffen (§ 8). Aus der Thatsache der verdienstlichen
Liebe Christi selbst, die ja „erschaffen" war — als Mensch ver-
diente Christus — folgt, dass nicht etwa mehr als alles Erschaffene
Gott darzubringen war. Der Satz Anselms, dass die Genug-
thuung von Gott ausgehen müsse, ist sonach als falsch erwiesen.
Vgl. noch die Kritik Anselms IV dist. 15 quaest. 1, 4 ff.
Aber auch die Notwendigkeit dessen, dass die Satisfaktion
von einem Menschen ausgehe, ist nicht als schlechthin not-
wendig zu erweisen. Kann überhaupt einer für den andern
Satisfaktion darbieten , so ist nicht einzusehen , warum nicht
auch ein guter Engel es hätte für den Menschen thun können.
Nicht in dem dargebrachten Ding liegt ja der Wert, sondern
in der willkürlichen göttlichen Acceptation, quia tantum valet
omne creatum oblatum, pro quanto deus acceptat illud. Wie
Gott die Tbat eines Engels annehmen konnte, so kätte ein
ohne Sünde empfangener Mensch, dem Gott die höchste Gnade
mitgeteilt hätte, ebenfalls die Satisfaktion leisten können.
Solch ein Mensch, d. h. ein Christus ohne die Gottheit Christi,
geboren wie Christus und mit dem gleichen Mass der Gnade
"wie er, ohne vorhergegangene Verdienste, ausgerüstet, hätte
auch die Zerstörung der Sünde und die Seligkeit verdienen
können. Und wenn Anselm meint, dann würden wir jenem
soviel verdanken wie Gotte, so ist das falsch, weil jener alles
was er hat, von Gott erhalten hätte. Wir würden ihm soviel
verdanken wie der Maria und andern Heiligen, die für uns
verdient haben. Schliesslich kann auch das noch als möglich
betrachtet werden, dass jeder beliebige Mensch die Satisfaktion
für sich hätte darbringen können , wenn Gott ihm nur ohne
vorausgegangene Verdienste die gratia prima hätte geben
wollen. Wie nämlich der sündige Mensch, ohne eigene Ver-
dienste die gratia prima empfängt und sich dann die Seligkeit
verdient (meretur beatitudinem), so könnte er sich dann auch
die Zerstörung der Schuld verdienen (§ 9).
286 Kap. 111: Die Person Christi und die Erlösung.
Diese Kritik ist überaus cliarakteristisch. Für Duns
Theologie ist überall massgebend die Idee von Gott als dem
absolut Freien. Von irgend einer absoluten Notwendigkeit
kann nicht die E-ede sein. Alles ist -so, w(dl Gott es so wollte.
Es kann etwas als notwendig nur unter dem Gesichtspunkt der
Konsequenz bezeichnet werden, d. h. als Folge aus einer freien
Ordnung und Verfügung Gottes. Logisch denkbar w^ären auch
noch ganz andere Wege. Gott konnte erlösen durch einen
Christus, der ein blosser Mensch w^ar, durch einen Engel, ja
es hätte zur Not jeder sein eigner Erlöser werden können. —
Anselm und sein Kritiker repräsentieren hier in lehrreichster
Weise den Geist der angehenden und der ausgehenden Theologie
des Mittelalters. Dort erscheint alles als notwendig, sola
ratione zu begreifen, hier ist alles zufällig, weil eine freie
Fügung des persönlichen Gottes.
3. Denn es ist die positive Ansicht des Duns, dass alles, was
Christus zu unserer Erlösung gethan hat, an sich nicht notwendig
war, sondern dass es nur vermöge der vorangehenden göttlichen
Anordnung notwendig wurde, d. h. im Sinne der necessitas con-
sequentiae: Tantum necessitate consequentiae necessarium fuit
Christum pati, sed tamen totum fuit contingens simpliciter et an-
tecedens et consequens, § 10 cf. IV dist. 15 quaest. 1, 7. — Wozu
hat denn Christus gelitten ? Er litt um der Gerechtigkeit willen.
Er sah die Sünden der Juden, ihre verkehrte Hingebung an
das Gesetz, etwa dass sie zwar den Ochsen am Sabbat aus
dem Brunnen zu retten gestatten, aber den Menschen am
Sabbat zu heilen verbieten. Christus w^ollte sie ab errore
illo revocare per opera et sermones. Er musste ihnen die
Wahrheit sagen, er wollte lieber sterben als schweigen, und
daher ist er für die Gerechtigkeit gestorben. Hiezu kommt,
dass er seine Passion dem Vater, und zwar für uns dargebracht
hat, wofür wir ihm zu Dank verpflichtet wurden. Passionem
suam ordinavit et obtulit patri pro nobis, et ideo multum tene-
mur ei. Diese Dankespflicht wird nur gesteigert durch die
Erwägung, dass wir nicht notwendig gerade auf diese und keine
andere Weise erlöst werden mussten. So dient also diese be-
sondere Gestaltung der Erlösung zur Anreizung zur Liebe
gegen Gott und zur Hingabe an Christus, wie etwa ein Mensch
Die Versöhnung. 287
sich dem, der ilm erzeugte und auch noch zu Zucht uud
Heiligkeit erzogen hat, mehr verpflichtet fühlt, als dem, welcher
ihn blos erzeugte. Ideo ad alliciendum nos ad amorem suum,
ut credo, hoc praecipue fecit et quia voluit hominem amplius
teneri deo (§ 10).
Duns hat sich leider nur sehr kurz (sowohl im Opus Oxon.
als in den Report. Paris.) über die positive Gestaltung der
Lehre ausgesprochen. Aber es kann hiernach doch als sicher be-
zeichnet werden, dass seine Satisfaktionslehre im wesentlichen
dem Typus des Abälard folgt : Christus ist der Lehrer der Ge-
rechtigkeit, die Offenbarung der Liebe Gottes; durch ihn
werden wir zur Gegenliebe und zur dankbaren Hingabe an
Gott angeregt. Freilich redet er von einer Darbringung für
uns, hier wie auch sonst im Obigen; aber durch diesen Ge-
danken wird nur ein relativer Gegensatz zu dem abälardischen
Typus hergestellt, da auch Abälard von einem betenden Ein-
treten Christi für uns und von einer Ergänzung unserer Verdienste
durch seine Verdienste geredet hat.^) Soviel ist jedenfalls er-
sichtlich, dass Duns eine Satisfaktionstheorie im Sinne Anselms
nicht lehrte. — An der Stelle in Sent. IV. dist. 2 quaest 1, 7
entwickelt Duns folgenden Zusammenhang: Gott will dem
Sünder die Sünde nicht vergeben, es würde ihm denn etwas
dargebracht, was ihm mehr gefällt, als ihm die Sünde der
Menschheit missfiel. Dies konnte nun nichts anderes sein,
als der Gehorsam einer Person, die von Gott mehr geliebt
wurde als die ganze Menschheit, die gesündigt hat, von Gott
geliebt worden wäre, wenn sie nicht gesündigt hätte. Talis
persona non est nisi Christus, cui non ad mensuram dedit
deus spiritum caritatis et gratiae (Job. 3), et tale obsequium
est illud in quo maxima apparet Caritas, quod est offerre se
usque ad mortem pro iustitia. Das ist die objektive Seite in
der Versöhnungslehre des Duns. Um des Gehorsams Christi
willen, der sich in seiner Liebe offenbart, vergibt Gott der
Menschheit die Sünde und rüstet sie mit allen Gaben der
Gnade aus — es handelt sich im Zusammenhang um die Ein-
^) Vgl. meine Abhandlung über die Versöhnungslehre Abälards in
den Mitteilungen und Nachrichten für die ev. Kirche in Kussland 1888,
S. 128 ff.
288 Kap. III : Die Person Christi und die Erlösung.
Setzung der Sakramonte ; hi(»rin besteht die Gnadenerteilung.
Im Ansatz ist diese Darstellung möglichst Anselm angenähert.
Der Gedanke läuft aus in die Erwägung, dass wie in der Er-
lösung, so auch in dem Gehorsam Christi zum Zweck derselben.
Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zusammenwirken (§ 8). Der
Zusammenhang zu der subjektiven Seite des Begriffes ist auch
hier nicht angedeutet.
Zur Rettung des Anselm (si autem volumus salvare Ansel-
mum) wird endlich die Bemerkung gemacht, man könne alle
seine Gründe nur unter Annahme einer praesupposita ordinatio
divina begreifen, dann ergäbe sich etwa der Gedanke, dass
Gott zur Erlösung der Menschheit nur den Tod seines Sohnes
acceptieren wollte. Jedenfalls darf von einer necessitas ab-
soluta nicht die Eede sein (III. dist. 20 quaest. unic. § 10).
4. In zwei Gedankenreihen vollzog sich die positive Ent-
wicklung der Erlösungslehre. 1) Der fromme Wille des Menschen
Jesus, oder sein Gehorsam, welcher sich auf die Förderung der
Sache Gottes richtet, begründet sein Verdienst. Dies Ver-
dienst kommt den Erwählten zu gute, sofern nämlich Gott
sich dasselbe — nach seinem freien Willen — zum Anlass
werden lässt, den Erwählten die Gnade und die Seligkeit zu
verleihen. Das heisst aber im Sinn des Duns, dass Gott um
Christi willen und durch ihn den Menschen die Sakramente
gibt. 2) Im Gegensatz zu Anselm ist die Notwendigkeit
des Leidens Christi nicht aus der Notwendigkeit einer gott-
menschlichen Satisfaktion zu verstehen. In Wahrheit gibt es
keine absolute Notwendigkeit der Passion. Jesus hat gelitten
in der Absicht, seine Lehre durch den Tod zu besiegeln, sowie
uns durch diese Selbstdarbringung zur Liebe und zum Dank
anzuregen. — Trotz der zerhackten und kompendiarischen Dar-
stellung bekommt man einen innerlich zusammenhängenden
Gedanken. Die Frömmigkeit des Menschen Jesus, nicht nur
im Leiden, sondern auch im Handeln, das freie Wollen Jesu
begründet sein Verdienst. Dieses acceptiert Gott behufs Be-
gnadigung des Sünders durch die Sakramente. Dieses Handeln
und Leiden Christi gibt aber auf der anderen Seite den An-
stoss zu der religiösen und ethischen Erneuerung des Menschen-
geschlechtes. Das fromme, auf den Zweck Gottes gerichtete
Zur Beurteilung der scotistischen Erlösungslehre. 289
Leben bewirkt eioerseits, dass von Gott die Gnade zu dem
Menseben berabkommt, nnd bewirkt andererseits, dass die
Menschenberzen sich zu Gott emporheben.
Man fühlt sich angetrieben, einen logischen Zusammenhang
zwischen diesen beiden Gedankenreihen herzustellen. Es scheint
nahezuliegen, den ersten Gesichtspunkt dem zweiten unterzu-
ordnen und zu sagen: weil das Menschengeschlecht durch
Christus sittlich erneuert wird, so ist es dadurch auf den
Empfang der Gnade seitens Gottes vorbereitet. Aber hie-
durch ist der Gedanke des Duns sicher nicht richtig wieder-
gegeben, denn Duns legt das grösste Gewicht darauf, dass die
Gnadenmitteilung in keiner Weise von der Disposition der
Sünder abhängig gemacht werde (oben S. 280). Dies aber
wäre hier notwendig, da Christi Lehre die Verfassung her-
stellen würde, die den Menschen des Gnadenempfanges würdig
macht. Ausserdem ergibt sich noch die Differenz des Gesichts-
kreises, dass die der subjektiven Umwandlung folgende Gnade
im Sinn Abälards die Vergebung bezeichnet, während Duns
in unserem Zusammenhang nur an die sakramentale Gnade
denkt. Also ist die obige Kombination verfehlt.
Zur positiven Erkenntnis der Sachlage kann man sich
dessen erinnern, dass das Heils- und Gnadenwerk von Duns
im Schema von Mittel und Zweck gedacht war. In dem
Willen Gottes kommt nämlich der Glorifizierung und Grati-
fizierung der Erwählten die Priorität zu vor der Sendung Christi
und der Verwirklichung der Erlösung durch ihn, sofern letztere
nur das Mittel darstellt zur Beschaffung von Gnade und Glorie.
Wendet man diesen selben Gesichtspunkt auf das Verhältnis
an, das zwischen Christi Werk nach selten seiner Beziehung
auf Gott einer- und seiner Beziehung zur Menschheit anderer-
seits besteht, so ist klar, dass logisch der der Menschheit zu-
gewandten Seite die Priorität gebührt. Indem nämlich der
Zweck die Glorifizierung der Erwählten ist, steht die direkte
Einwirkung auf die Menschen diesem Zweck näher als die
Wirkung auf Gott behufs Begnadigung der Menschheit. Man
könnte dann etwa folgenden Zusammenhang konstruieren: um
in den Menschen Liebe und Dankbarkeit gegen Gott erregen
zu können, wirkte Christus auf den Vater ein, damit dieser
Seeberg. Die Theologie des Duns Scotus. 19
290 Kap. III : Die Person Christi und die Erlösung,
den Menschen Gnade schenke. Dies könnte entweder bedeuten^
dass die Kraft der sakramentalen Gnadenmitteilung die Men-
schen innerlich disponierte für die religiösen Einwirkungen
Christi, oder aber dass schon die .Thatsache an sich: Gott
hat Gnade gegeben, die Menschen für jene Einwirkungen er-
weichte und vorbereitete. Wirklich wird man doch nur an
ersteres denken können. Ich bezweifle aber hiemit die Meinung
des Duns zu treffen, denn mit keinem Wort wird angedeutet,
dass erst die sakramentale Gnadenverleihung es ermöglicht
habe, dass Christus als Lehrer und Prediger geistliche Wir-
kungen zu erreichen vermochte. Dem w^iderspricht freilich,
dass er schon vor seiner Passion — also bevor Gnade da
war — derartige Einwirkungen versucht und ausgeübt hat.
Aber dies Argument ist nicht durchschlagend, denn die Frage-
stellung muss in dieser Sache offenbar an den gegenwärtigen
Zuständen orientiert werden. Nun ist aber auch für diese
nicht nachweisbar, dass Duns die Wirkung der Predigt von
der vorhergehenden Einwirkung der sakramentalen Gnade ab-
hängig gemacht hat.
Da eine Subordination der einen unter die andere Ge-
dankenreihe auf Schwierigkeiten stösst, so wird es sich empfehlen
beide mit einander zu koordinieren. Man wird also die An-
schauung des Duns etwa durch die Formel wiedergeben können :
Christus erwarb Gnade vom Vater für die Menschen, die er
durch sein Lehren und Leben für den Vater gewann. Hiebei
gibt weder der Nebensatz den Grund für den Hauptsatz her,
noch soll durch den Hauptsatz der Nebensatz ermöglicht
werden. Sondern die Meinung ist die: Gottes Vorherverord-
nung bewirkt die Erscheinung Christi zum Zweck der Er-
lösung, diese wird von Christo einerseits dadurch, dass er von
Gott die Einsetzung der Sakramente erwirbt, andererseits da-
durch, dass er die Menschen über Gott belehrt und sie der
göttlichen Liebe vergewissert, verwirklicht. Das eine wie das
andere ist aber eine Folge des ganzen Lebens Christi, sowohl
seines aktiven als seines passiven Leidens- und Todesgeliorsams.
Dieses Urteil empfängt eine überraschende Bestätigung
durch eine Erörterung, die Duns in ganz anderem Zusammen-
hang, nämlich in der Schrift de perfectione statuum, über Christi
Der Zusammenhang der Erlösungslehre des Duns. 291
Wirken angestellt hat (vgl. Genaueres in Kap. 5). Christus
führte die Schafe zurück, die von der Wahrheit abgeirrt waren,
insbesondere die aus dem Hause Israel. Dazu besass er die
Sana doctrina, sowie die perfecta vita und die pbtestas
faciendi miracula (1. c. § 92). Dies sein Wirken setzen die
Prälaten, aber vor allem die Minoriten fort. Christi Werk hat
sich in keiner anderen Richtung bewegt als diese seine Nach-
folger — so auch sein vicarius der Papst — befolgten : er
gab das neue Gesetz und setzte die Sakramente ein, und er
regte an und begeisterte die Menschen für die Wahrheit durch
die Macht seiner Person, durch seine Liebe und sein vollkommenes
Leben. Also ist das Werk Christi in seiner doppelten Be-
ziehung zu verstehen aus der Fortsetzung, die dasselbe in der
Geschichte der Kirche gefunden hat. Das Heil wird den
Menschen zu teil durch die Sakramente, über die die Hier-
archen Gewalt haben, und durch das Wort, welches die Bettel-
mönche verkündigen. Beide sind Nachfolger Christi, denn er
setzte die Sakramente ein, indem er sie von Gott durch sein
Verdienst erwarb, und er lehrte die Wahrheit. Das Werk
Christi besteht also in der Erwerbung der Sakramente und in
der Predigt des Wortes, die durch sein persönliches Leben
Bestätigung fand und kräftig wurde.
5. Duns Scotus hat also, in ähnlicher Weise wie Thomas,
den Gedanken Abälards angewandt, aber in abgeschwächter
Weise ; und er hat daran einen gewissen Ersatz für die anseim-
ischen Ideen geschlossen. Seine Anschauung vom Verdienst
oder Gehorsam Christi und dessen Wirkung ist aber an innerer
Geschlossenheit der thomistischen Theorie in dem Mass über-
legen, als Thomas ihn an diesem Punkt an Reichtum der Ge-
sichtspunkte überragt.^) Es war ein systematischer Fortschritt,
dass die unklare Vorstellung von der Unendlichkeit des Ver-
dienstes Christi abgethan wurde, und dass andererseits dies Ver-
dienst — dem mittelalterlichen Verständnis des Christentums ge-
mäss — auf den Erfolg der Sakramentsstiftung bezogen wurde.
Ebenso ist von Duns in verständlicher Weise die Begriffs-
bildung an dem Gottesbegriff orientiert worden: nicht an
^) S. in der Kürze m. Dogmengesch. II, 94 ff'.
19*
292 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
sich sei diese Form dos Erlösuiigsworkes notwendig gewesen, son-
dern sie ist von Gott frei als das entsprechende Mittel zum Zweck
gewählt worden. Dabei stellt der Gedanke der Prädestination
die A'erbindung zwischen Christus uud den Erlösten her, die
Bonaventura und Thomas durch die Ideen von Christus als
dem Haupt der Gemeinde zu erreichen versuchten. — Nur
eine Frage ist nicht zur Entscheidung gekommen, die Frage
nach der Begründung der Sündenvergebung. Indem aber die
ganze Gnadenmitteilung an die Sakramente geschlossen wird,
ist es kein systematischer Fehler, dass Duns hier von der Ver-
gebung nicht ausdrücklich redet. Dieselbe wird erst in der
Sakramentslehre zur Erörterung gelangen können, wo Duns in
der That von ihr handelt.
6. Die Theorie von dem Werk Christi, die wir kennen
gelernt haben, entspricht darin der Lehre von der Person
Christi, dass Duns in dieser die menschliche Natur Christi mit
ihrem menschlichen freien Willen und seiner Verdienstlichkeit
energisch betont hat und demgemäss für seine Erlösungslehre
eigentlich nur mit Motiven operiert, die dem menschlichen
Leben Jesu entnommen sind. Denn weder die Verdienstlichkeit
seines Handelns noch die gesetzgebende Lehrthätigkeit, die er
geübt, oder das Beispiel, das er dargeboten hat, scheinen die
Union des Logos mit dem Menschen Jesus zu vernotwendigen.
In dieser Richtung bewegte sich ja die ganze scholastische
Theorie, es ist Folge der Schärfe und Klarheit des Duns, dass
bei ihm die dadurch entstehende Diskrepanz zu der Christo-
logie besonders fühlbar wird. Erst viel später in der Escha-
tologie wird ein Gesichtspunkt geltend gemacht, durch den die
Gottheit Christi zu praktischer Bedeutung gelangen soll, es ist
die Thätigkeit Christi bei dem letzten Gericht. Wir kommen
bei der Eschatologie darauf zurück. Man hat die Fehler
Anselms erkannt, aber für das Grosse in seinem Versuch,
nämlich die Gottheit Christi aus dem Werk Christi als religiös
notwendig zu verstehen, hat man kein Verständnis gehabt und
daher keinen Ersatz dafür gefunden Eine Ausnahme machte
etwa Abälard, indem er die historische Offenbarung Christi
auf den in ihm wirksamen Logos zurückführte. — Das nun
Gnade und Prädestination. 293
gewonnene Verständnis des Werkes Christi bei Duns Scotus
bewährt also unsere Auffassung seiner Christologie.
III. Der Erfolg des Werkes Christi oder die Lehre von
der Gnade.
1. Die Prädestination.
1. Ehe wir dem Hinweis, den wir im Vorstehenden für
die Sakramentslehre erhalten haben, nachgehen, werden wir
gutthun uns über den Begriff der Gnade in der Lehre des
Duns Scotus im allgemeinen zu verständigen. Der Erfolg des
AVerkes Christi ist, dass wir Gnade erhalten, d. h. dass die
Sakramente eingesetzt wurden. Die Gnade wird der Mensch-
heit dargeboten in den Sakramenten der Kirche. Sacramenta
nostra quae habent efficaciam in virtute passionis Christi ex-
hibitae plus conferunt de gratia quam sacramenta veteris legis.
Praeter haec habemus plura adiutoria gratiae, quia plura sacra-
menta (III dist. 40 quaest. unic. § 7). Dieser letzte Satz zeigt
in lehrreicher Weise den festen Zusammenhang von Gnade
und Sakramenten. Einfach : deshalb hat man im neuen Bund
mehr Gnadenhilfe, weil man mehr Sakramente hat. Erst hier-
auf gelangt zur Erwähnung, dass die Christenheit eine doc-
trina magis explicata et declarativa veritatis habe, et exempla
San Ctorum plura et efficaciora ad imitandum, sodann plura
merita sanctorum (1. c). So ganz fällt der Nachdruck auf die
Sakramente. Wir untersuchen also zunächst den Begriff der
Gnade bei Duns.
2. Wir sind mehrfach im Obigen dem Begriff der Prä-
destination, sowie den electi begegnet. Die straffe Be-
handlung, welche Duns diesem Begriff in der 32. Dist. des
3. Buches hat angedeihen lassen, ist für die Anschauungen der
späteren Dogmatik ersichtlich nicht ohne Einfluss geblieben.
Die abgestufte Begriffsfolge : Gott prädestiniert die Erwählten,
deshalb ist Christus, die Erlösung und sind die Gnadenmittel
für sie da, und alle Dinge um ihretwillen — findet sich später
auch in der orthodoxen reformierten Dogmatik wieder. Duns
entlehnte den Prädestinationsgedanken der theologischen Rüst-
294 Kap. III: Die Person ('liristi und die Erlösunj^^.
kammer des Mittelalters, d. h. Augustins Schriften. Der Ge-
danke fügte sich seiner eigenen Anschauung von Gott und
seinem Wirken ein. Die Frage ist nun, welche Anwendung
Duns von dieser Idee gemacht hat • und weshalb er andere
Folgerungen aus ihr herleitete als Augustin?
Zur Beantwortung dieser Fragen holen wir einige Erörte-
rungen des Duns aus dem ersten Buch nach. Zuerst handelt
es sich um die Frage^ ob ein Prädestinierter verdammt werden
kann (Sent. I dist. 40 quaest. unica). Diese Frage scheint
verneint werden zu sollen, denn alles der Vergangenheit An-
gehörige ist als solches absolut notwendig. Hat Gott jemanden
von Ewigkeit her zum Heil prädestiniert, so muss das also
eingetreten sein. Andererseits muss gesagt werden, dass unter
dieser Voraussetzung niemand sich um sein Heil bemühen
würde, frustra ergo ponitur tota lex divina (§ 1). Zunächst
wird die Prädestination definiert, sie ist actus voluntatis divinae
videlicet ordinem electionis per voluntatem divinam alicuius
creaturae intellectuaHs vel rationalis ad gratiam et gloriam.
Die Prädestination als göttlicher Willensakt ist eine freie und
zufällige Handlung. Gott kann jemanden prädestinieren und
er kann es nicht thun, aber er kann nicht zugleich das eine
und das andere thun (non simul ambo opposita). Er kann
auch nicht das eine auf das andere folgen lassen — beides
wäre logischer Widerspruch — , sondern beides besteht in Ewig-
keit für sich in Gott (sed utrumque divisum in instanti aeter-
nitatis).
Trotzdem kann die Frage an und für sich dahin beant-
wortet werden, dass ein Prädestinierter doch verdammt werden
könne (quod iste qui est praedestinatus, potest damnari), denn
seine Prädestination ist noch kein Grund dafür, dass sein Wille
befestigt werde. Hieraus ergibt sich aber die Möglichkeit der
Sünde und des Beharrens in der Sünde für ihn, demnach muss
es auch möglich sein : in peccato stare finaliter et ita iuste
damnari, d. h. nämlich : potest non praedestinari (§ 2). Somit
kann von demselben Subjekt ausgesagt werden : esse praedesti-
natum und posse damnari. Aber dieses ist so zu verstehen^
dass zwei kategorische Sätze bezüglich desselben Subjektes ge-
bildet werden nicht aber so, als wenn die beiden Sätze eine
Ob ein Prädestinierter verdammt werden könne? 295
einander bedingende Zusammensetzung ausmachen. Nun sind
jene beiden kategorischen Sätze richtig, doch nicht in dem
Sinn, als wenn die durch sie ausgedrückten Gegensätze zugleich
sein könnten, oder als wenn der eine dem anderen folgen könnte.
Es sind beide Sätze zugleich wahr, sofern das göttliche Wollen
in Betracht gezogen wird. Der Wille ist nämlich von Natur
früher als seine Kichtung auf das Subjekt^ durch die diesem
die Herrlichkeit zu teil wird. In diesem Willen entsteht kein
Widerspruch durch das Sein einer entgegengesetzten Richtung,
freilich können aber die beiden Richtungen in Bezug auf das-
selbe Subjekt nicht zu gleicher Zeit in ihm enthalten sein. Ich
setze die schwierigen Worte, die ich zu umschreiben versucht
habe, zur Kontrole her: sed vera simul (nämlich: sind jene beiden
Sätze) iuquantum volitio divina consideratur , ut prior natura-
liter transitu ipsius super illud obiectum quod est gloria isti.
In illo priori naturaliter non repugnat sibi esse oppositi obiecti,
imo posset aequaliter esse opposite, licet non simul amborum
{§ 2). Es ist also die Meinung nicht die, als wenn der einmal
Prädestinierte hinterher doch noch verdammt werden könnte, wie
man zunächst meinen konnte, sondern Duns will sagen: bevor
Gottes Wille sich gnädig auf den Prädestinierten richtete, war
es möglich, dass im göttlichen Willen die entgegengesetzte
Absicht, nämlich zu verdammen, eintrat. Oder mit anderen
Worten, da die Prädestination lediglich Sache des göttlichen
Willens ist, hätte ein Prädestinierter ebenso gut verdammt
werden können. Dass wir Duns richtig deuten, empfängt eine
Bestätigung durch die, gegen den oben erwähnten Gedanken,
dass die Prädestination zur Unsittlichkeit anleite, gerichtete
Widerlegung. Der menschliche Wille vermag nämlich die gött-
liche Anordnung nicht zu hemmen und den göttlichen Beschluss
nicht zum Stillstand zu bringen, indem er ihm sein Gegen-
teil verwirklicht entgegenstellte. Wenn nämlich ein Mensch
sich die Verdammnis verdienen kann, so kann andererseits eben
hieraus sich ergeben, dass Gott ihn nicht zur Herrlichkeit vor-
herbestimmt hatte. So wenig Gott irren kann, so wenig ist es
möglich, dass sein Wille eine Hemmung von aussen her erführe,
quia non potest stare ordinatio sui cum opposito eius quod
ordinavit (ib. § 3). Somit geschieht, was geschieht gemäss der
296 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
AnordiuiDg des göttlichen Willens, es ist nicht möglich, dass
das Gegenteil dessen wirklich würde. Angewandt auf jenen
Einwand, würde also zu sagen sein, dass jeder sich ethisch so
bethätigen wird , wie es dem göttlichen Willensbeschluss über
ihn gemäss ist. — Weiter wird immer als selbstverständlich an-
gesehen, dass die Prädestinierten errettet werden. Aus dem
Prädestinationsgedanken ergibt sich also die Folge, dass alle
Prädestinierten Gnade empfangen und dass ihnen die Sünden
vergeben werden, denn niemand kann die Glorifikation, auf die
die Prädestination abzielt, erlangen, es sei denn zuvor die Ver-
haftung unter die Strafe aufgehoben (IV dist. 14 quaest. 1, 8).
3. Wir haben also in der Prädestination eine schlechthin
freie Willensverfügung Gottes zu erblicken. Die absolute Frei-
heit dieser Verfügung wird daran anschaulich , dass ein Prä-
destinierter, wenn Gott es anders gewollt hätte, auch hätte
nicht prädestiniert werden können. Dies findet seine Bestäti-
gung an den Betrachtungen der folgenden 41. Dist. des ersten
Buches über die Frage, ob Verdienste der Prädestination oder
Reprobation vorausgingen ? Es wird die Ansicht des Thomas
reproduziert, wonach diese Akte lediglich auf Gottes Willen
beruhen, der aus derselben massa perditionis die einen zum
Heil erwählt^ die anderen aber dem Verderben überlässt zum
Erweis seiner Gerechtigheit. Daher darf die Kreatur nicht nach
dem Grunde forschen (Summa I quaest. 23 art. 5). Es folgt
sodann die Kritik, welche Heinrich von Gent hiegegen gerichtet
hat, sowie die positive Anschauung desselben (Quodlibeta IV
quaest. 14). Heinrich wies darauf hin, dass die Permission zum
Bösen, genau genommen, selbst böse sei und daher von Gott
nicht ausgesagt werden dürfe. Auch sei von einer Wahl zu
reden unmöglich, wenn alle einander gleich seien. Heinrich
selbst meint, dass wenn man einen göttlichen Akt in Bezug
auf Gott als agens betrachte , es keinen Grund für denselben
gebe, ausser Gott. Sofern nun abeT der Akt auf ein Ziel be-
zogen werde , könne ein gewisser Grund angegeben werden^
nämlich bezüglich der Beziehung des Seins, an welchem die
göttliche Thätigkeit geschieht, zum Ziel dieser Thätigkeit, oder
konkret gesprochen: die göttliche Barmherzigkeit erwählt
Menschen, aber so^ dass die Beschaffenheit derselben mit dafür
Die Prädestination nicht auf vorhergesehene Verdienste begründet. 297
in Anschlag kommt. Es steht also eigentlich so, dass die von
Gott vorhergesehene freie AVillensbethätigung des Menschen
ein mitwirkender Grund zur Prädestination oder Verwerfung
ist. Das ist die seit Gregor dem Grossen und dann seit den
Tagen des Hinkmar und Hraban im Mittelalter übliche Ab-
plattung der augustinischen Lehre (I. dist. 41 quaest unic. § 8 f.). —
Aber gegen diese Ansicht ist einzuwenden, dass Gott die gute
Handlungsweise eines Menschen nicht anders als durch seine
(Gottes) Ordnung veranlasst voraussieht, indem die sichere Vor-
aussicht des kontingenteu Geschehens bei Gott immer auf die
Abhängigkeit dieses Geschehens von Gottes Willen gestützt ist.
Wenn also Gott den einen dazu verordnet hat seinen freien
AVillen gut zu brauchen, den anderen aber nicht, so lässt sich
hiefiir kein Grund ausser dem göttlichen freien Willen an-
führen (ib. § 10). Dann kann diese Handlungsweise, die eine
Folge des göttlichen Willens ist, aber nicht als Grund desselben
angesehen werden. Zudem würde die Betrachtung des Heinrich
auf die früh sterbenden Kinder, die doch auch erwählt oder
verworfen sind, ohne dass eine Willensbethätigung sich ent-
wickelt hat, nicht stimmen. Aber auch die beliebte Wendung,
dass Gott in dem Fall voraussehe, was jene gethan haben
würden, wenn sie länger gelebt hätten, hilft zu nichts, denn
dann müsste derselbe Grundsatz auch auf alle erwachsenen Ver;
storbenen angewandt werden. Durch diese Einführung etwaiger
künftiger Verdienste wird aber das Verdienstschema durch-
löchert, nicht wegen seiner wirklichen, sondern wegen der vor-
hergesehenen Verdienste erwürbe sich der Mensch Lohn (ib. 10).
Seine eigene Anschauung hat der Lehrer mit einem : potest
aliter dici, eingeleitet. Nicht eine fertige Theorie, sondern eine
Hypothese will er dem Leser vorlegen. Die Prädestination
hat freilich keinen Grund auf selten des Menschen, welcher
der Prädestination voranginge. Wohl aber hat die Reproba-
tion einen Grund. Nicht als wenn Gott durch etwas Äusseres,
d. h. also menschliche Verdienste, beeiuflusst oder in Passivität
versetzt würde, sondern das hat einen Grund, dass Gott seine
bezügliche Thätigkeit auf dieses und nicht ein anderes Objekt
richtet (§ 11). Das erste beweist Duns aus der Priorität des
gew^oUten Zweckes vor den demselben untergeordneten Mitteln.
298 Kap, III: Die Person Christi und die Erlösung.
Zuerst will Gott, dass die Kreatur die Seligkeit erlange, dann
erst folgen gratia , fides , merita €t bonus usus liberi arbitrii.
Igitur propter nuUum istorura praevisum vult ei beatudinem
(ib.). Der Beweis für den zweiten Satz bestellt in folgendem :
Reprobare beisst velle damnare, die Verdammung scheint gut
nur sein zu können , falls sie gerecht ist : videtur enim esse
crudelitatis punire aliquem non praeexistente in eo culpa;
igitur a simili, non vult prius aliquem punire quam videat ali-
quem esse peccatorem. Folglich wird auf Seite des Objektes
der Strafe ein Grund für sie anzunehmen sein , nämlich das
peccatum finale praevisum (ib).
Einem so scharfsinnigen Mann, als es unser Autor ist, ist
natürlich nicht entgangen, dass dieses Raisonnement nicht alle
Schwierigkeiten beseitigt. Er selbst erhebt sofort Einrede.
Petrus und Judas sind dem göttlichen Willen gegenwärtig und
zwar sofern sie aequales in naturalibus von Gott gewollt sind
behufs des esse existentiae. Dem Petrus will Gott die Seligkeit
geben. Was will er in Bezug auf Judas ? Sagt man die Ver-
dammnis, dann reprobiert Gott doch ohne Grund; sagt man:
die Seligkeit, dann hätte er den Judas prädestiniert (§ 12).
Duns selbst meint, man kann auf diese Einwände antworten,
dass Gott im ersten Moment, in Bezug auf Judas überhaupt
nichts gewollt habe, womit die negatio volitionis gloriae gegeben
ist. Im zweiten Moment, in welchem er für Petrus die Gnade
will, will er für Judas auch noch nichts. Im dritten Moment
will er gestatten, dass Petrus zur massa perditionis gehöre,
also des Verderbens würdig werde. Dasselbe Wollen gilt in
diesem Moment auch dem Judas. Es bleibt nun in dieser
Lage, weil der göttliche Wille zur Erteilung von gloria und
gratia in Bezug auf ihn nicht ergangen ist. Endlich will der
göttliche Wille, dass der dauernde Sünder Judas gerecht be-
straft und verworfen werde (ib). — Seine Anschauung ver-
deutlicht Duns durch ein Gleichnis: Es sind zwei Menschen
da, die mir gegenüber die gleiche freundliche Stellung haben.
Ich liebe den einen, den anderen aber nicht. Den, welchen
ich liebe, verordne ich zu einem Gut, vermöge welches er mir
gefallen kann, dagegen wird der Ungeliebte zu nichts derartigem
verordnet. Läge es nun in meiner Gewalt beiden zu gestatten
Die positive Ansicht von der Prädestination. 299
mich zu beleidigen , so würde , indem ich vorher weiss , dass
der eine nichts hat, um mir wieder einmal zu gefallen, die
Beleidigung dieses eine andauernde, die Strafe, die ich etwa
an ihm vollziehe, eine gerechte sein. Andererseits wüsste ich
aber vorher, dass der andere, vermöge meiner Verordnung, in
die Lage kommen wird, meine Vergebung zu erwerben (ib.). —
Aber, wendet Duns ein, weiss denn Gott sicher voraus,
dass Judas fällt ? Daraus , dass er es voraus weiss , dass er
erlauben wollen wird, dass er fällt, ergibt sich doch Dicht im
voraus die Gewissheit vom Fall des Judas oder auch des
Lucifer. Und schliesst dieses velle permittere peccare nicht
in sich einen actus positivus voluntatis respectu peccati? (§ 13).
Gegen den ersten Einwand ist zu sagen, dass Gott voraus
weiss seine Kooperanz bezüglich der Substanz menschlicher
Handlungen, indem er kooperieren will. Gott weiss also Be-
gehungssündeu voraus, sofern jene Handlungen als Handlungen
nur durch seinen kooperierenden Willen zu stände kommen.
Er weiss die Unterlassungssünden voraus, sofern er voraus
weiss, dass er zu einer notwendigen Handlung des Menschen
nicht die gehörige Mitwirkung erteilen wird (ib.). Also Gott
weiss die Sünde voraus, weil er sein eignes Handeln bezüglich
des menschlichen Handelns voraus weiss. — Der zweite Einwand
bleibt unerledigt. Zum Schluss erinnert Duns an die Worte
des Paulus über die Tiefe der Weisheit und Erkenntnis Gottes.
Man vertiefe sich nicht in Grübeleien, sondern wähle die einem
zusagende (quae magis placet) Meinung. Nur müsse gewahrt
bleiben die göttliche Freiheit ohne jeden Zusatz von Un-
gerechtigkeit, und was sonst zu wahren ist circa deum ut libera-
liter eligentem. Klar hat er, wie gesagt, die Sache nicht ge-
stellt: et qui aliam opinionem tenuerit, respondeat ad ea quae
tacta sunt contra eam (13).
4. Man kann auf Grund dieses Materials (vgl. noch S. 159.
230) sagen, dass Duns wirklich die Lehre von der göttlichen Prä-
destination gehabt hat. Dass ein Mensch selig wird, das hat
seinen Grund an einer von Ewigkeit her seienden Willens-
bestimmung Gottes. Der Realisierung dieser Willensbestimmung
dient alles Geschehen der Welt, sowie auch die Lebensge-
staltung des betreffenden Menschen. Ein anderer ward ver-
300 Kap. III : Die Person Christi und die P>l()sung.
dämmt, das hat seinen letzten Grund darin, dass er nicht
prädestiniert ist. Von Anfang an schwebt über ihm ein Manko^
verglichen mit jenem ersten. Der Gedanke der Freiheit des
göttlichen Willens erfordert es, dass das eine, wie das andere
lediglich an dem freien , grundlos handelnden Gotteswilleu
seinen Ursprung hat. So tritt dieser Gedanke auch hier wieder
hervor, er gibt der Prädestinationslehre eine neue Färbung.
Auch hier ist Duns für eine Anzahl von Erscheinungen des
früheren Protestantismus massgebend geworden. Duns denkt
nicht an eine unendliche alles durchdringende, in allem wirk-
same Substanz, wenn er von der Prädestination redet, er denkt
an den freien geistigen Willen , der schlechthin allmächtig,
alles Geschehen in der Welt bestimmt; dann ist für ihn das
praktisch massgebende Element in seinem Gottesbegriff, dass
Gott der freie Wille, der allmächtige Herrscher der Welt ist.
Voluntas dei quantum ad omnia semper del3et
impleri, quiasicut omnipotens potest omne possi-
bile, ita quando voluntas divina determinat se ad
ponendum aliquid in esse ultima determinatione,
illud erit. Velle autem illud voluntate beneplaciti est ultima
determinatio quae potest poni ex parte voluntatis ipsius omni-
potentis volentis ponere effectum in esse. Ergo, respectu
cuiuscunque effectus, si deus est sie volens, illud
erit (I dist. 46 quaest. unic. § 2). Lediglich als eine Kon-
sequenz aus dieser Anschauungsweise muss man den Gedanken
der Prädestination bei Duns begreifen. Dieser Gedanke hat ihn
selbst nicht zu augustinischen Konsequenzen geführt, wurzelt
er doch nicht in spezifisch religiösen Interessen; er mag aber
ein Motiv mehr zur Rückkehr zu Augustin bei den englischen
Theologen der Folgezeit hergegeben haben. Duns selbst hat
diese Rückkehr nicht vollzogen.
2. Der Begriff der Gnade.
1. Dieses wird sich uns bestätigen an der Betrachtung
der Gnade und ihres Wirkens im Menschen, zu der wir jetzt
kommen. Einerseits ist bei Duns , wie überhaupt bei den
mittelalterlichen Theologen, die Gnade, als gratia increata, die
göttliche Gunstgesinnung (vgl. z. B. Thomas Summa I. II
Der Begriff der Gnade, 301
quaest. 111 art. 2; quaest. 110 art. 2, quaest. 109 art. 9 ad 2).
Aber der Hauptbegriff ist der der gratia creata. Nach
Duns ist nun die gratia derselbe habitus, den man auch die
dem Menschen eingegossene Liebe nennt. Der heilige Geist
wirkt durch diesen , dem Menschen eingeflössten Habitus
irgendwie auf den Willen des Menschen^ so dass derselbe da-
durch fähig wird, verdienstliche Akte hervorzubringen: eodera
habitu, quo Spiritus sanctus inbabitat animam, inclinatur voluntas
in suum actum meritorium (Sent. II dist. 27 quaest. unica § 3).
Der Begriff des Habitus, der hier und im folgenden gebraucht
wird, ist ein spezifisch theologischer; nicht um die auf dem
AVege der natürlichen psychologischen Entwicklung erworbene
moralische e^ig des Aristoteles handelt es sich, sondern um
eine übernatürliche von Gott schöpferisch im Menschen erzeugte
ethische Qualität, die den einzelnen Akten vorangeht und sich
nicht als Folge aus ihnen erst ergibt (cf. III dist. 34 quaest.
un. § 8). Die Liebe ist ein hölierer und vollkommenerer
Habitus, als die Habitus des Glaubens (s. oben S. 129 ff.) und
der Hoffnung im Menschen.
Die gratia und die charitas sind nun zwar materiell ein-
ander gleich, nichts destoweniger aber formell zu unterscheiden.
Der Habitus heisst Liebe, sofern man vermöge seiner Gott
liebt, er heisst Gnade, sofern vermöge seiner wir Gott lieb
sind. Caritas dicitur, qua habens eam habet deum carum, ita
quod respicit deum non in ratione diligentis, sed in ratione
diligibilis ; gratia est, qua deus habet aliquem gratum, ita
quod ipsa respicit deum acceptantem sive diligentem, non
autem dilectum (ib. § 4). Nicht alles freilich, um wessent-
willeu Gott liebt, kann als Gnade bezeichnet werden, sonst
wäre auch das göttliche Sein des Sohnes Gnade, liebt Gott
doch den Sohn, um desselben willen: sed illud propter quod
deus acceptat habentem ut dignum beatitudinis diguitate, quae
est in correspondentia meriti ad praemium, illud
dicitur gratia (1. c). Sonach ist die Gnade diejenige Be-
schaffenheit, welche dem Menschen mitgeteilt wird, um Gott
verdiensthch lieben zu können, und sich die Anwartschaft auf
den ewigen Lohn zu erwerben. Das Verhältnis des Menschen
zu Gott, wird sonach unter dem Gesichtspunkt des Verdienstes
302 Kap. III: Die Person (yhristi und die Erlösung.
bemessen. Diese uralte abendländische Anschauung ^) wird
von Duns auf das klarste und schärfste ausgesprochen. Der
Wille des Menschen muss wirksam werden, aber er ist nur
eine Teilursache des verdienstlichen Handelns, es bedarf not-
wendig dazu einer Kooperanz. Die Gnade ist ein principium
cooperans. Voluntas quidem respectu rectae volitionis est
principium activum partiale . . . Sed istud principium non est
totale, quia non sufficit sola voluntas ad meritorie volendum,
sed requiritur gratia tanquam principium cooperans (II dist. 7
quaest. unic. § 15). Dabei muss aber der Wille als das princi-
pale principium, das die einzelnen Akte aus sich herauslockt^
angesehen w^erden, während die Gnade oder Caritas das principium
secundarium ist; wollte man dieses Verhältnis umkehren, so
würde der Wille nicht in geistig freier W^eise, sondern in der
Weise der Natur, als durch eine Ursache notwendig bedingt,
wirken (Collat. XVIII, 2. 3). Gnade und Wille sind also
bezüglich der Kausalität des Aktes koordiniert, aber so, dass
rein psychologisch betrachtet, dem Willen die erste Stelle zusteht.
Nun hat aber diese Koordinierung der Gnade und des
Willens für das verdienstliche Handeln, nicht den Sinn, als ob
die Gnade durch den Willen erworben oder gesetzt werden
könne. Der Wille kann unter Benutzung der Gnade handeln,
aber sie muss ihm zuvor gegeben sein. Das geschieht durch
einen schöpferischen Akt Gottes, indem er in der Seele diesen
neuen ethischen Habitus erzeugt. Quamvis enim gratia iam
habita voluntas utens sit principium agens respectu actus, tameu
gratia non habita ipsa non est sufficiens ad ponendum gratiam
in esse, quia gratia non potest in esse nisi a solo deo creante
(Sent. 1. c.)2)
2. Wir haben damit die Grundlinien gew^onnen und können
uns jetzt der zusammenhängenden Darstellung der Sache zu-
wenden, die Duns in der 17. Distinktion des 1. Buches vor-
getragen hat, anlässlich der Frage, ob der heilige Geist die
Liebe im Mensch sei?
^) S. meine Dogmengesch. I, S. 93. 154.
^) Diese Betrachtung geht zunächst auf die Engel, bezieht sich aber
in ihrer Allofemeinheit natürlich auch auf den Menschen.
Der Begriff der Gnade, gegen Heinrich und Gottfried. 303
Die Auffassungeu Heinrichs und Gottfrieds werden ab-
gelehnt. Nach Heinrich (Quodlib. IV qu. 10) ist der habitus
infusus genau vom habitus acquisitus zu unterscheiden. Letz-
terer ist Vollendung der Natur in ihrer Richtung auf' das
Handeln, ersterer ruft die ganze Handlung hervor, oder der
erworbene Habitus erleichtert die Handlung, der eingegossene
Habitus erzeugt sie (I dist. 17 quaest. 2, 4). Dieses wird
widerlegt, denn erstens wäre unter jener Voraussetzung der
eingegossene Habitus als das, was das Handeln ermöglicht, als
Potenz zu fassen; zweitens könnte man von einer Güte des
Willens ebensowenig reden bei guten Handlungen wie von der
Güte des Holzes, wenn es von der Wärme durchwärmt wird,
da es sich in dem einen so wenig als in dem anderen Fall um
eine freie That handelt. Auch müsste der Habitus gerade so
wie die Wärme wärmt, auch wenn sie vom Holz abgetrennt
wird, gute Thaten auch getrennt vom Willen wirken, d. h.
Potenz sein (4). Drittens : wird der Wille von einem Natur-
prinzip, wie dieser Habitus es wäre, bestimmt, so kann es keine
freien Handlungen geben. Viertens wäre es aber auch un-
möglich, dass jemand, der einmal jenen Habitus empfing, Tod-
sünden beginge. Fünftens meine sittlichen Thaten wären, in-
dem gewirkt von einem Naturprinzip, nicht mein, also auch
nicht verdienstlich (5). Somit ist gezeigt , dass der super-
naturale Habitus nicht als der Grund der Handlungen anzu-
sehen ist.
Dagegen hat Gottfried gelehrt, dass die Handlung ihre
Substanz von der Kraft empfange, ihre Intensität aber durch
den Habitus bestimmt werde, so dass also Substanz und Inten-
sität in der Handlung unterschieden sind und auch auf differente
Prinzipien zurückgreifen. — Auch diese Auffassung wird be-
kämpft. Erstens könne man nicht die Kräftigkeit eines Aktes
von seiner Substanz trennen, da die Kraft nichts äusserlich
Hinzutretendes ist, sondern nur die Art der Substanz kenn-
zeichnet; dann ist aber auch eine derartige Spaltung der Ur-
sächlichkeit unerlaubt (ib. 6). Zweitens: soll ein natür-
liches Prinzip zugleich mit dem freien W^illen agieren, so muss
es bei jeder Willensbewegung mit seiner ganzen natürlichen
Kraft in Aktion treten. Sollte nun die Intensität des Handelns
304 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
abliäo^eu von einem natürlichen Prinzip, so würde jede Hand-
lung den gleichen höchstmöglichen Grad der Intensität an sich
tragen. Denn auch die leisesten Willensregungen würden von
jenem natürlichen Prinzip die nämliche natürliche Intensität
verlangen. Drittens: wiikt der Habitus nur die Steigerung
der Kräftigkeit der Handlung, so würde ein entsprechend
kräftigerer Wille ebenso intensiv wie der durch den Habitus
verstärkte Wille wirken, dann kann aber die obige Unter-
scheidung von Substanz und Kräftigkeit der Handlung nicht
aufrecht erhalten werden (7). — Also auch die Auffassung,
nach der der Habitus die Kräftigkeit der Handlung bewirkt,
ist abzulehnen.
Die dritte Auffassung, wie sie die meisten Scholastiker
(z. B. Thomas) vertreten, welche auch Duns für acceptabel
ansieht, ist nun folgende. Der Habitus ist in gewissem Sinne
als aktives Prinzip der Handlung vorgestellt , indem der
Habitus in dem Zusammenwirken mit der natürlichen Po-
tenz, d. h. hier dem AYillens vermögen, die eine aktive Teil-
ursache zur Yollführung eines Aktes ist (quod habitus est
causa partialis activa cum quo ipsa potentia etiam est causa
partialis respectu actus perfecti, I dist. 17 quaest. 2, 8). Indem
nun ein Zusammenwirken des Willensvermögens und des Habitus
angesetzt wird, ergibt sich die Frage, welchem dieser beiden
Faktoren die leitende Stelle zukommt. Diese gebührt nach Duns
der Potenz des Willens, sofern dieser zum Handeln schlechter-
dings keines Habitus bedarf. Nur das kann gesagt werden,
dass letzterer das Handeln vervollkommnen werde; minus tamen
perfecte operabitur (nämlich potentia) sine habitu quam cum
habitu ... Et hoc modo salvatur, quod actus est intensior a
potentia et habitu quam a potentia sola (ib. § 9).
Aber auch gegen diese Anschauung sind Einwendungen
möglich (s. § 10 f.). Ich resümiere dieselben. Es ist unmög-
lich, dass zwei Grössen, die zu unterschiedenen Arten gehören,
einander gegenseitig hervorbringen. Ist nun der Akt die Ur-
sache des Habitus (wenigstens des erworbenen), so kann der
Habitus nicht den Akt erzeugen. Zweitens: gehen zwei Wir-
kungen auf dieselbe Ursache zurück, so muss zwischen beiden
eine feste und notwendige Ordnung bezüglich der Reihenfolge
Ist die Gnade ein aktives Prinzip zum Handeln ^ 305
oder der Nähe zu der Ursache bestehen. So steht es etwa
mit dem Subjekt im Verhältnis zu den verschiedenen Passionen
desselben. Nun ist die natürliche Veranlagung (potentia) die
Ursache sowohl des Aktes als des Habitus. Da aber der Akt
dem Habitus als seine Ursache vorangeht, kann diese Ordnung
der Wirkungen nicht dahin verkehrt werden, dass auch der
Habitus dem Akt vorangehe (10). Drittens: da bei äquivoken
Ursachen ^) die causa causae vollkommener ist als die causa
causati, und der Akt die Ursache der Entstehung des Habitus
ist, so ist der Akt vollkommener als der Habitus. Kann nun
der Habitus in Verbindung mit der natürlichen Potenz einen
vollkommenen Akt wirken , so müsste derselbe erst recht
zustande kommen, wenn sich jene Potenz mit dem den Habitus
erzeugenden Akt verbände. Viertens: soll der Habitus als
zweite Ursache gleichsam die Kraft der Kausalität kompletieren,
so wäre auch denkbar, dass die Kräftigkeit des Habitus so
stark ist, dass sie ohne die natürliche Kausalität wirkt. Fünftens :
würde angenommen, dass ein Ding durch Beschleunigung oder
Verlangsamung seiner Bewegung vernichtet würde, so könnte
der Habitus nicht die Ursache des Aktes sein, da er durch
den von ihm erzielten Akt vernichtet wird, aber nichts kann,
indem es vernichtet wird, Ursache sein (11).
3. Diese Einwendungen werden Duns zum Anlass, einen
Weg anzugeben, auf dem denselben Rechnung getragen werden
könnte. Nicht eigentlich als ein principium activum soll der
Habitus für das Handeln in Betracht kommen, sondern er
rege zum Handeln an, wie eine Handlung, die bestimmend
auf eine andere einwirkt, oder wie die Schwere des Steines ihn
zu einem bestimmten Ort hintreibt, ohne dass sie doch eigent-
lich ein aktives Prinzip ist bezüglich der Raumlage des Steines.
Sonach wäre das Merkmal der aktiven Kausalität in der obigen
Erörterung zu streichen. Man darf ja keinem Ding eine solche
Kausalität beilegen, wenn dieselbe nicht aus seiner Beschaffen-
heit evident wird. Nun kommt man aber bei Erklärung des
Handelns aus mit der in der Potenz oder der natürlichen Aus-
^) D. h, homonyme Ursachen, wo die Wirkung der Ursache ungleich-
artig ist.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 20
306 Kap. III : Die Person Christi und die E^rlösung-,
rüstuu^ cnthaltonen Kausalität, es bedarf sonach nicht der
Hiüzunahme einer weiteren aktiven Kausalität, um das Zu-
standekommen ein(T Handlung zu erklären (ib. § 12). Auf
diesem Wege lassen sich aber die vier Merkmale, die man ge-
wöhnlich von dem Habitus aussagt, aufrecht erhalten: videlicet
quod est quo habens faciliter operatur, delectabiliter, prompte
et expedite. Denn wir können den Hal)itus als das denken,
was der Potenz eine gewisse Hinneigung verleiht in die Aktion
zu kommen (propter solam inclinationem habitus quam tribuit
potentiae, ut receptiva est operationis, ib.).
Der Habitus ist also etwas, w^as die natürliche Beschaffen-
heit zur Handlung geneigt macht. Dies ist nicht im aktiven
Sinn, sondern rezeptiv, in der Weise einer Qualität zu ver-
stehen. Diese Beschaffenheit bildet eine natürliche Disposition
für das Eintreten der Handlung. Es ist verständlich, wie dann
die obigen Merkmale des Habitus zur Geltung gelangen. Denn
ist in der Natur eine gewisse Neigung in Aktion versetzt zu
werden vorhanden, so wird durch diese Neigung die Aktion
selbst erleichtert werden und Lust erregen und ungehindert
und prompt sich vollziehen (13).
Der erste und der zweite Weg sind als ungangbar ab-
gewiesen. Dagegen erklärt Duns den dritten und vierten für
möglich (13). Nach dem dritten ist der Habitus eine aktive
Partialur Sache für das Zustandekommen einer Handlung; nach
dem vierten aber die Steigerung der Rezeptivität des natür-
lichen Vermögens in Aktion gebracht zu werden zur Inklination
hierzu. Bei dieser Annahme kommen dann die gegen die dritte
Auffassung erhobenen Einwendungen — sie richteten sich samt
und sonders gegen die aktive Kausalität des Habitus — in
Wegfall. Trotzdem, dass Duns diese letztere Auffassung hier
zu bevorzugen scheint, greift er doch im folgenden auf die
dritte Anschauung zurück, quae videtur plus attribuere habitui
(1. c. quaest. 3, 6). Er zieht sie vor, erklärt aber wieder auch
die andere für möglich (cf. quaest. 3, 11. 23). Er erläutert
erstere jetzt durch das Beispiel vom Stein. Wie zum Fallen
des Steines sich die ihm inhärente Schwere mit einer äusseren
Ursache verbinden kann, und infolge dieser Verbindung der
Stein rascher hinabstürzt, so sei die Verbindung der Potenz
Bedarf es des eingegossenen Gnadenhabitus ? 307
mit dem Habitus vorzustelleD. Er verstärkt das aktive
Willensvermogen, welches an sich Handlungen erzeugen kann,
sodass dieselben leichter zustande kommen, ohne freilich seiner-
seits eine Handlung hervorrufen zu können. Habitus movet
potentiam quasi quoddam pondus, qui tarnen ex se non sufficit
ad eliciendum active ipsam operationem, sufficit autem sola
virtus potentiae activae sine tali pondere (ib.).
4. Bedarf es nun des eingegossenen Habitus zum verdienst-
lichen Handeln? Es ist die entscheidende Frage in der mittel-
alterlichen Gnadenlehre. Wir erinnern uns des gezwungenen
und gequälten Zuges an den Betrachtungen des Duns über die
^Notwendigkeit des eingegossenen Glaubens (S. 140 f.). Kehrt
derselbe hier wieder?
Man kann jene Frage verneinen, heisst es zuerst, und
zwar dadurch, dass man, wie der Lombarde, den heil. Geist
ohne Vermittlung eines Habitus, direkt den Willen zum Guten
anregen lässt. Der Habitus sei zum Handeln nicht nötig, wie
wir sahen, und dass der eingegossene Habitus das Handeln
leicht mache, bewährt sich nicht an der christlichen Erfahrung
von der Schwierigkeit bei den guten Werken zu bleiben. Also
ist kein eingegossener Habitus im Gerechtfertigten anzunehmen,
denn sonst würde dieser leicht und sicher gut handeln. — Oder
es scheint doch der Wille, der von Natur fähig ist, übernatür-
liche Güter zu ergreifen, auch in diesem Fall das höchste Gut.
wenn es ihm nur gezeigt wird, lieben zu können. — Ferner
scheinen, wenn der Habitus, aus dem die sittlichen Akte
hervorgehen, übernatürlich ist, auch diese Akte übernatürlich
sein zu sollen. Endlich bewährt sich das Vorhandensein des
Habitus nicht, da sonst die Frommen mit Leichtigkeit zu jeder
Zeit die höchsten sittlichen Akte müssten hervorrufen können
(1. c. § 16).
Somit scheint der Lombarde im Eecht, und der Habitus
infusus unnütz zu sein. Die Annahme des Habitus lässt sich
an der Beobachtung des ethischen Lebens nicht bewähren.
Eine zweite Gruppe von Gründen weist nach, dass auch vom
Standort des heil. Geistes her der Habitus als unnütz erscheint :
die erste Ursache kann auch von sich aus wirken, was sie in
den zweiten Ursachen wirkt. Deshalb kann der heil. Geist
20*
308 Kap. III : Die Person Christi und die Erlösung.
ohne Habitus dasselbe wirken, wie mit dem Habitus. — Ferner :
dem Willen, der den Habitus hat, soll doch auch der heil.
Geist kooperieren, da er sonst nicht die erste Ursache in den
Handlungen aller Kreatur wäre. Entweder kooperiert nur der
Habitus oder der Geist. — Sodann: der Logos war so mit
einer Menschennatur verbunden, dass er alle Handlungen der-
selben leitete, die aber trotzdem frei geschahen ; könnte nicht
ebenso der heil. Geist mit dem Willen aller Menschen sich
irgendwie vereinigen zur Bestimmung ihres sittlichen Handelns ?
Schliesslich: kann der Intellekt ohne informierende übernatür-
liche Form die selige Anschauung des ihm sich gegenwärtig
machenden Gottes erreichen , wozu bedarf es da einer In-
formierung des von Natur mehr zur Aktion geneigten Willens?
5. Es könnte scheinen, als wenn damit die Negation des
Habitus erwiesen wäre. Duns macht nun den Versuch, seine
Notwendigkeit zu erweisen. Auch hier werden zwei Beweis-
gruppen vorgeführt. Die erste ist dem Vorgang der Justi-
fikation entnommen, die andere der Verdienstlichkeit des
ethischen Handelns.
Diese Gedaukenreihen zerfallen in eine Anzahl von
Gründen. Die erste schHesst sich also an die Justifikation
an. Vor derselben ist der Sünder ungerecht, nach ihr ist
er gerecht. Die Ungerechtigkeit ist eine privatio , sie kann
nur durch den entgegengesetzten Habitus aufgehoben worden,
quia privare privationem est habitum ponere. Es muss im
Gerechtfertigten etwas Neues im Verhältnis zu früher da sein,
sonst wäre jene Privation nicht aufgehoben. Si enim nihil
inesset sibi formaliter nunc quam prius, non magis careret
privatione nunc quam prius caruit (1. c. § 18). — Sodann ist
der Sünder vor der Busse unwürdig des ewigen Lebens, nach
ihr aber desselben würdig, also muss etwas in ihm vorgegangen
sein, cui secundum regulas divinae iustitiae iudicatur vita
aeterna reddenda. — Weiter: deus non acceplat peccatorem
ad vitam aeternam, iustum tarnen acceptat. Gibt also Gott
dem Sünder das ewige Leben, das ihm früher versagt blieb,
so muss im Menschen etwas vorgegangen sein, was diesen
Wechsel erklärt, nicht in Gottes schlechthin unveränderlichem
Willen (ib.), sowenig als in Gott ein Wandel vorgeht, wenn
Die Notwendigkeit des Gnadenhabitus. 309
er liebt oder has8t. — Schliesslich ist, wie anerkannt wird,
das gegenseitige Verhältnis zwischen Gott und Mensch ver-
ändert. Da Gott unveränderlich ist, ist die Veränderung im
Menschen geschehen. Da aber auch im Sünder Glaube und
Liebe erhalten bleiben, wird die Veränderung durch die Mit-
teilung der Liebe bedingt sein. Duns bemerkt noch, dass man
ein weiteres Argument so bilden könnte: vergibt Gott dem
Büsser die Sünde, nachdem er ihm zuvor zürnte, so kann die
eingetretene Veränderung sich nur aus etwas im Menschen
Geschehenen erklären lassen. Aber dies Argument wird zu-
rückgewiesen, da Gott zuerst die Sünde vergibt und dann erst
Gnade gibt, wie wir alsbald sehen werden. Daher müssen alle
vorangehenden Argumente nicht auf die Sündenvergebung be-
zogen werden, sondern auf die Annahme des Gerechten zum
ewigen Leben (19).
So wäre also der Habitus erforderlich. Zu demselben
Resultat kommt man, wenn man die Sache vom Standort des
meritorischeu Aktes her betrachtet. Leugnet man den über-
natürlichen Habitus, so sei der Mensch, da sein Wille die ver-
dienstliche freie Handlung ausführt, allein Ursache des sittlichen
Verdienstes, quod videtur error Pelagii! Dieser Habitus kann
sich aber nicht auf die Hoffnung und den Glauben beschränken,
denn diese bleiben auch im Sünder. Also ist es der Habitus
der Liebe. — Weiter wäre eine meritorische Handlung un-
möglich, wenn das christliche Handeln durch Hilfe des heil.
Geistes, d. h. durch die coassistentia illius extrinseci, geschähe,
denn in diesem Fall läge keine wirkliche, in eigener Macht
gethane Handlung des Menschen vor. Es gäbe also auch kein
Verdienst ; folglich bedarf es dessen, dass dem Menschen inner-
lich eine Form gegeben werde, über die er verfügen und in
Gemässheit derer er wirklich handeln und gut handeln könne. —
Ebenso könnte die Bewegung, welche der heil. Geit dem mensch-
lichen Willen mitteile, nur als Schöpfung gedacht werden;
damit sei die eigene Handlung und sonach das Verdienst wieder
aufgehoben (§ 19). — Endlich die Selbigkeit zwischen Vater
und Sohn wird, da in einer Natur bestehend, jedenfalls nicht
geringer sein als eine Einigung zwischen dem heil. Geist und
dem Willen es wäre; aber trotzdem thut der Vater nicht das
310 Kap. 111: Die Person Christi und die Erlösung.
was der Sohn thut. Also wäre es völlig verkehrt, weDn man
den Geist das wirken Hesse, was wir thun.
Es bleibt also nur ü])rig : entweder der Habitus oder
der Pelagianismus. Dass der heil. Geist nicht das Prinzip der
guten Handlungen in uns sein kann, folgt aus der Verdienst-
lichkeit derselben ; dass der Wille als rein natürliches Ver-
mögen es nicht sein könne, ergibt sich daraus, dass das Pela-
gianismus wäre. Die Lösung bietet jene übernatürliche, dem
Menschen eingegossene Form dar, die den Willen irgendwie
beeinflusst, aber seine Freiheit und die Verdienstlichkeit seines
Handelns in nichts beschränkt. Das sind die Hauptgedanken !
Wie charakteristisch sind sie doch für das religiöse Bewusst-
sein der Kirche des ausgehenden Mittelalters. E concessis
argumentiert die Lehre mit vollster Sicherheit: Im Busssakra-
ment bei der Bechtfertigung wird der Mensch bekanntlich ge-
recht gemacht, da muss doch etwas Übernatürliches an ihm
vollzogen werden. Es gibt ein im Himmel verdienstliches
Handeln, also muss es einen übernatürlichen Grund in uns
haben! Pelagius ist verdammt, also muss man seiner Lehre
aus dem Wege gehen !
6. Die Meinung des Lombarden scheint widerlegt zu sein.
Aber damit ist das Problem nicht gelöst. Die Frage muss
genauer erörtert werden. Da ist nun zunächst festzustellen,
dass die Beobachtung unseres Handelns und sittlichen Lebens
den Schluss auf solch einen habitus supernaturalis in uns in
keiner Weise ermöglicht. Denn jeder, der die Liebe hat,
könnte zwar mit Gewissheit erkennen, dass diese Akte der
Liebe in ihm sind, dass sie eine bestimmte Intensität haben,
dass sie in angenehmer Weise da sind, dass sie der Vernunft
gemäss sind etc. Dagegen wird er nie dazu kommen, aus diesen
Akten oder ihren Umständen jenen Habitus zu erkennen, denn
entweder könnten die Akte aus dem Willensvermögen erklärt
werden, oder ein etwa anzunehmender Habitus könnte ein
habitus acquisitus sein. Aber auch durch die Plötzlichkeit
der Verwandlung des Willens zu leichtem, intensivem und er-
freulichem Handeln lässt sich jener Habitus nicht beweisen,
da das gleiche auch unter natürlichen Bedingungen geschieht
(§ 21).
Der Habitus macht uns Gott accoptabel. 311
Duns positive Antwort lautet: Ausser den angeführten
Relationen der sittlichen Handlungen, wie Intensität, Leichtigkeit,
Güte, Vernunftgemässheit, ist noch eine Relation vorhanden,
nämlich diese Handlungen des Christen sind Gott acceptabel,
d. h. Gott setzt sie als entsprechende Verdienste in Beziehung
zum ewigen Leben als ihrem entsprechenden Lohn (ordinatio
huius actus ad vitam aeternam tanquam meriti coiidigni ad
praemium). Nun nehmen wir aber auch an, dass unsere Natur
von Gott habitualiter, d. h. auch dann, wenn sie nicht gerade
Thaten thut, als gerecht acceptiert und vermöge einer ihr ein-
wohnenden Disposition als würdig zum ewigen Leben verordnet
wird. Diese doppelte Acceptation von Seiten Gottes erfordert
als Grund im Menschen einen derartigen Habitus: Propter
haue acceptationem naturae beatificabilis habitualem , etiam
quando non operatur, et propter acceptationem actualem actus
eliciti a tali natura, oportet ponere unum habitum supernatu-
ralem, quo habens formaliter acceptetur a deo et quo actus
elicitus eins acceptetur tanquam meritorius (§ 22).
Aber wodurch macht dieser Habitus den Menschen an-
nehmbar bei Gott? Ist er ein dem göttlichen Willen gefallender
geistlicher Schmuck ? Er ist nicht nur dieses, weil er sonst zu
dem menschlichen Handeln keine Beziehung hätte. Oportet igitur
dicere, quod iste habitus praeter hoc, quod est decor spiritualis,
etiara est inclinans ad determinatus actus, und zwar je nachdem,
für welche der oben gegebenen Definitionen des Habitus (S. 306)
man sich entscheidet, entweder nicht aktiv oder — was wahrschein-
licher ist — aktiv (§ 23). So stimmt man mit Augustin überein,
der das Verhältnis der Gnade zum freien Willen, dem des
Reiters zum Pferd vergleicht, nämlich quia sessor active regit
et movet equum qualiter vult, und der die voluntas als pedisse-
qua, non domina gratiae bezeichnet (ib.).
7. Es werden also die Gnade und das Willensvermögen
die Ursachen des Handelns sein. Die Gnade scheint die causa
prima zu sein. Hiegegen aber können Einwände erhoben
werden. Zunächst die, dass die Potenz sich des Habitus be-
dient, nicht umgekehrt; ferner, dass unter jener Voraussetzung
die Handlung keine freie wäre, denn der Wille würde von
der Gnade in Bewegung gesetzt werden, also nicht frei handeln.
312 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
Drittens schiene der einmal mit der Gnade ausgerüstete Wille
nicht sündigen zu können , indem die causa secunda doch
immer von der Bewegung der causa prima abhängt. Endlich
wird angenommen werden müssen, dass der Wille sich unbe-
schränkter zum Handeln verhält als der Habitus, daher also
wohl eine nähere Beziehung zur Handlung haben wird. — Zur
Lösung der obigen Frage stellt Duns folgende Erwägung an.
Im meritorischen Akt ist zweierlei zu unterscheiden: 1) als
dem eigentlichen Verdienst voraufgeheud die Kräftigkeit
(intensio) und die Substanz des Aktes samt der moralischen
Korrektheit (rectitudo moralis) ; 2) sodann das was diesen
Akt real zu einem meritorischen macht, nämlich dass Gott
ihn gnädig für annehmbar ansehen will. Considero et ipsam
rationem meritorii quod est sie acceptum a divina voluntate
in ordine ad praemium vel acceptabile esse sive dignum accep-
tari (1. c. § 24). Es ist nicht richtig, dem Akt an sich etwas
beizulegen, was ihn schon an und für sich verdienstlich mache.
Das läuft der ganzen Anschauungsweise des Duns zuwider.
Auch hier hängt alles am göttlichen Willen. Dass der göttliche
"Wille eine solche That gratuite zum Lohn in Beziehung setzt,
das, und nichts anderes, macht sie verdienstlich (§ 25). Aber
ist irgend eine menschliche Handlung dann überhaupt ver-
dienstlich oder ist nicht vielmehr das Verdienst Gottes, sofern
er die Handlung erst zum Verdienst macht? Darauf ist zu
sagen, dass allerdings die einzelne Handlung auch als ver-
dienstliche in meiner Gewalt steht, sofern ich im Besitz des
freien Willens und der Gnade bin. Dabei ist es richtig, dass
das, was diese Handlung verdienstlich macht, von Gott als
eine Kompletion derselben herstammt, aber so, dass es eine
göttliche Ordnung ist, dass bestimmtes Handeln immer als
Verdienst acceptiert wird, ähnlich wie der Erzeugung immer
die Animation folgt. Es ist eine stetige Ordnung Gottes, ver-
möge welcher Gott festsetzte, dass bestimmte Handlungen zum
Lohn in Beziehung setzen oder Verdienste sind. Nicht der
innere Wert der Handlungen also, sondern lediglich der gnädige
Wille Gottes lässt jene Handlungen zu Verdiensten und zu
Mitteln zur Erwerbung des ewigen Lebens werden. Deus
praemiat ultra meritum condignum, universaliter quidem ultra
Der Habitus als Haupt- und Nebenursaclie der ethischen Handlung. 313
dignitatem actus qui est meritum, quia quod ille actus sit con-
dignum meritum, lioc est ultra uaturam et bonitatem actus
intrinsecam ex mera gratuita acceptatione divina; et forte ad-
huc ultra illud quod de commuui lege esset actus acceptandus,
quandoque deus praemiat ex mera liberalitate (§ 26 cf. Report.
I dist. 17 quaest. 2, 5). Gott ist eben der „liberale" Herr
seiner Kreaturen.
Wie wir nun an der guten Handlung zwei Seiten unter-
schieden haben , nämlich die Substanz und Korrektheit der-
selben, — sowie ihre Geltung als Verdienst, so kann auch im
Habitus ein doppeltes unterschieden werden, was zu diesen
zwei Seiten in Beziehung steht. Habitus gratiae est quaedam
qualitas. Indem er gut ist, beeinflusst er die Güte der Hand-
lung. Aber er hat andererseits auch eine besondere Beziehung
zu dem die Handlung als gut acceptierenden göttlichen Willen.
Nach der ersten Richtung bewirkt der Habitus als Teilursache
mit dem AYillensvermögen zusammen die Handlung. So be-
trachtet ist er, wie wir oben sahen (S. 302), die causa secunda,
das Willenvermögen die causa prima. Aber nach der anderen
Richtung betrachtet, scheint dem Habitus der Vorrang vor
dem Willen zuzukommen, denn die Handlung wird verdienstlich
priucipaliter durch den Habitus und minus principaliter durch
den Willen, denn die Handlung wird doch mehr deshalb, weil
sie von der Liebe hervorgerufen ist, als weil sie frei vom Willen
erzeugt wurde, für verdienstlich angesehen. Etwas kleinlaut
fügt Duns hinzu : quamvis utrumque necessario requiratur.
Duns verdeutlicht dieses durch einige Beispiele, aus denen
hervorgeht, dass die Hauptursache nicht immer den Wert be-
stimmt, welchen ihr Produkt in der Schätzung einer Person
findet. AVenn jemand einen Körper mit einem Messer in seine
Teile zerlegt, so ist natürhch die erste Ursache die Kraft des
Armes, aber ob diese Arbeit dem Beschauer gefällt, dafür wird
in vielen Fällen die Schärfe des Messers, das dem Arm zu
Gebote steht, entscheidend sein. So ist auch der Vater die
causa principalis, die Mutter non principalis des Sohnes, und
doch kann es geschehen, dass die Mutter, nicht der Vater, die
massgebende Ursache dafür wird, dass jemand den Sohn liebt
(§27, andere Beispiele siehe Report. I dist. 17 quaest. 2, 8 f.).
314 Kap. 111: Die Person Christi und die Erlösung,
So nun kann auch Gott dio Anordnung getroffen haben, dass
eine Handkmg als Verdienst angenommen wird, nicht um des
Willens willen, der sie hervorbrachte, sondern um des Habitus
willen, der nur als Nebenursache zur Entstehung der Handlung
wirksam war. Die Acceptation macht zwar die Handlung
verdienstlich, aber diese Acceptation erfolgt nur dann, wenn
die That des freien Willens zu dem Gnadenbabitus in Beziehung
steht. Duns kommt hier auf das Gleichnis vom Reiter zurück.
Das Eoss kann irgend jemandem nur insofern wert sein, als
es dem Zügel des Reiters folgt, würfe es den Reiter ab, oder
trüge es ihn in eine andere, als die von ihm gewollte Richtung,
so würde es jenem gar nichts oder weniger gelten. Der Wille
ist das Ross, der Reiter die Gnade, welcher einwirkt auf das
Ross oder den Willen. Sofern der Wille der Gnade folgt,
gefällt er Gott. Ist das nicht der Fall, ja wirft gar das Ross
den Reiter ab, d. h. handelt der Wille gegen den Druck jenes
Habitus, so tritt das Misfallen Gottes ein (§ 28). Man kann
also sagen, bezüglich der Handlung als Handlung ist der Wille
die erste Ursache, bezüglich derselben Handlung als verdienst-
licher oder Gott wohlgefälliger ist der Gnadenhabitus die erste
Ursache. Nach jenem Gesichtspunkt kommt dem Habitus, nach
diesem dem Willen die Mitwirkung als zweite Ursache zu.
8. Die so gewonnene Bedeutung des Habitus versucht
Duns zu erläutern und zu stützen durch die Annahme einer
Beziehung zwischen dem Habitus und dem Objekt, auf welches
er hintreibt. Wie nämlich jede intellektuelle Zuständlichkeit
notwendig das intelhgible Objekt in sich gegenwärtig hat, so
muss auch eine Willenshabitualität das Objekt als diligibles
Gut, gewissermassen in sich tragen. Vor den einzelnen auf
das Objekt gerichteten Akten ist also vermöge der Einwirkung
des Objektes im Menschen eine innere Neigung imd Richtung
auf dasselbe anzunehmen. Das wäre der Habitus. Regt nun
etwa der moralische Habitus zum Handeln an, so wird die
daraus entstehende Handlung die Richtung auf jenes moralische
Objekt erhalten. Hieraus begreift sich, dass der Habitus be-
stimmter als der Wille in seinen einzelnen Akten zu dem
moralischen Objekt hintreibt. Indem nun der Habitus seine
Kraft wesentlich aus dem Objekt empfängt, kann man sagen,
Der Habitus als ethische llichtung. 315
dass die ihm zustehende partielle Kausalität (s. oben) ihm,
vermöge der Aktivität des Objektes der Handlung, nicht ver-
möge der Aktivität des Willensvermögens zukommt (§ 28).
Der Gedanke des Duns ist somit der: der ethische Habitus
der Liebe erscheint nicht sowohl als Produkt der Willens-
bethätigungen des Menschen, sondern als Produkt des Objektes,
welches seinerseits wirksam wurde diese Richtung hervorzu-
rufen. Denken wir uns als Objekt der Handlungen der Liebe
Gott, so wird der Habitus der Liebe im Menschen zu diesem
Objekt eine nähere und bestimmtere Beziehung haben, als der
Wille als solcher. Diese scharfsinnige Erörterung dient freilich
dazu, den Gedanken des Duns zu verdeutlichen, dass es der
Habitus ist, welcher die Handlungen Gott gefällig macht,
denn der Habitus leitet und treibt die Handlungen auf Gott
als ihr Ziel hin. Noch kürzer und einfacher gesagt : nicht der
Wille als solcher , sondern die habituelle Pichtungnahme des
Willens auf sein höchstes Ziel entscheidet über den Wert der
ethischen Handlung; das meint Duns doch.
9. Hier schliessen sich aber noch einige Fragen an, die
um der Vollständigkeit willen nicht übergangen werden können.
Es fragt sich nämlich, ob, wenn die dem Menschen mitgeteilte
Gnade oder Liebe eine Steigerung erfährt, etwa infolge der
guten Werke, die neue gesteigerte Liebe die alte Liebe auf-
hebt oder in welchem Verhältnis beide zu einander stehen?
Gottfried (Quodlib. VII quaest. 7) ist in der That für die
Ansicht eingetreten, dass die neue vollkommenere die alte
weniger vollkommene Liebe ganz aufhebe, denn man müsse
sich die erste Liebe als Terminus a quo, die zweite als Terminus
ad quem vorstellen; die beiden sind aber in einem Ding
inkompossibel. Duns hat diese Meinung verworfen und sie
mit einer Anzahl von Gründen widerlegt. Folgende sind die
wichtigeren: Obgleich es nicht nötig ist, dass Gott immer um
eines meritorischen Aktes wallen, durch den eine Gnadenmehrung
verdient wird, die Liebe vermehrt, so kann das doch geschehen.
Dann aber ist die Mehrung gleichzeitig dem sie begründenden
Liebesakt. Folglich ist die alte Liebe da, indem die neue
einzieht, also können sie einander nicht inkompossibel sein
(I dist. 17 quaest. 4, 3). — In den actus augmentativi des
316 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
Habitus der Liebe kann der zehnte unvollkommener sein als
der erste, und doch vermehrt er den Habitus mehr als zehnter,
denn jener als erster; das wäre unmöglich, wenn die alte Liebe
jedesmal zerstört würde (5). Auch, ist es nicht einzusehen,
warum hier andere Gesetze gelten sollen, als bei der Mehrung
der sinnlichen Materie (7). Duns selbst erklärt sich für die
übliche Meinung, dass nämlich die positive Realität der alten
Liebe bleibt, auch wenn dieselbe Mehrung erfährt.
Nun kann aber die weitere Frage aufgeworfen werden,
ob nämlich diese positive Realität der alten Liebe die ganze
Essenz der gesteigerten Liebe ausmache? Hiefür hat sich
Thomas erklärt. Duns ist dawider: Dasselbe Ding kann nicht
zweimal hervorgebracht werden, dann kann also eine bereits
vorhandene Realität nicht durch eine Änderung hergestellt
werden. Ebenso muss ein motus realis einen terminus realis
haben, also der Fortschritt an Liebe eine neue Liebe u. s. w.
(ib. quaest. 5, 3). Positiv ist also die Meinung unseres Autors,
dass die positive Realität der alten Liebe der positiven Re-
alität der neuen Liebe nicht ganz gleich ist. Könnte man
die beiden Lieben von dem sie in eins fassenden Subjekt sondern,
so würde die zweite um so viel grösser sein, als der Zuw^achs
über die Realität der ersten ausmacht. Diese erste blieb ja
erhalten und die zweite trat hinzu wie ein neuer Teil gleich-
sam. Es liegt also ein ähnliches Verhältnis vor, wie auf den
Gebieten der quantitativen materiellen Welt (ib. 6 cf. quaest 6, 4).
Somit ist die mitgeteilte Gnade, d. h. die Richtung der
Liebe im Menschen, einer Steigerung fähig. Diese wird von
Gott um der verdienstlichen Werke willen verliehen. Sie kann
aber auch durch andere Sakramente, sofern dieselben nicht
nur restitutiven Charakter haben, gewirkt werden. Man hat
sich diese Steigerung aber in quantitativer Weise, wie wir
sahen, vorzustellen.
10. Halten wir hier einen Augenblick Rast. Die Frage,
von der wir ausgingen, war die: bedarf es eines eingegossenen
Habitus zum verdienstlichen Handeln (S. 307)? Der Habitus
wirkt stärkend und anregend auf das Willens vermögen, in Be-
zug auf bestimmte Handlungen, so sahen wir früher (S. 306).
Aber die Beobachtung der sittlichen Handlungen des Christen
Beurteilung der scotistischen Gnadenlehre. 317
nötigt nicht dazu, eine solche übernatürliche Zuständlich-
keit im Menschen anzusetzen ; diese Handlungen können vom
freien Willen produziert werden, oder jene Zuständlichkeit kann
eine, durch die Gewohnheit des Handehi erworbene sein, und
braucht nicht eine von Gott schöpferisch neu mitgeteilte zu
sein. Die Bejahung der Frage ergab sich nicht von diesem,
sondern von einem ganz 'anderen Gesichtspunkt her. Vor Gott
verdienstlich sind diejenigen Handlungen, und gerecht sind die-
jenigen Menschen, die Gott als solche acceptiert. Das eine
wie das andere erfordert einen eingegossenen übernatürlichen
Habitus, der den Handlungen des Menschen eine besondere
Richtung gibt. Wie also die Hauptursache einer Handlung
an und für sich immer das Willensvermögen ist, so ist die
Hauptursache der Verdienstlichkeit derselben der Habitus. So
verhält es sich aber, weil der Habitus in einer unmittelbareren
Beziehung zum Ziel des ethischen Handelns steht als das
Willens vermögen .
So scheint es dem scharfsinnigen Mann abermals gelungen
zu sein^ ein Stück der überkommenen Kirchenlehre zu retten
vor dem kritischen Heisshunger seines Verstandes. Aber ist
es ihm wirklich gelungen ? Die christliche Sittlichkeit kann
auch ohne die Annahme dieses eingegossenen Habitus erklärt
werden, und Gott erklärt als verdienstlich die Handlungen, die
er als solche gelten lassen will: wozu ist dann dieser Habitus
innerlich notwendig? Man kann das christliche Leben auch
ohne ihn begreifen. Aber wenn wir die Wahrheit des zuletzt
ausgesprochenen Gedankens von Duns zugestehen, dass in der
Gesamtrichtung der Liebe die Beziehung auf das Ziel des
ethischen Handelns schärfer und deutlicher hervortritt als in
der einzelnen Handlung : ist dann diese Richtung nicht nur wirk-
lich in den Handlungen selbst, realisiert sie sich nicht so in
ihnen, dass sie selbst wieder von dem Objekt angeregt werden
und sich auf dasselbe wenden? Weshalb soll dann die Rich-
tung oder der Habitus in einer direkteren Beziehung zum Ziel
stehen als die Handlungen, weshalb soll der Habitus von Gott
erschaffen sein, nicht aber die Handlungen? Wollte man übrigens
auch darin einen Mangel erblicken, dass nicht nur der Sünder,
sondern auch der Sündlose dieser Art Gnade bedürftig sei.
318 Kap, JII: Die Person Christi und die Erlösung.
SO wäre hiermit doch nur eine dem katholischen System überhaupt
anhaftende Eigentümlichkeit bezeichnet, da bekanntlich schon
zur iustitia originalis die gratia gratum faciens hinzutreten
musste.
Doch ich breche mit der Kritik ab. So viel wird klar
sein, dass Duns nur in sehr modifizierter Form die katholische
Gnadenlehre beibehält. Was er denkt, scheint sich in die Sätze
zusammenzufassen, dass der Wert des sittlichen Handelns vor
Gott abhängt von der Richtung dieses Handelns auf Gott, dass
die Beziehung des Herzens auf seinen höchsten Zweck, den
einzelnen Handlungen ihren sittlichen Charakter verleiht, und
dass diese Gesamtrichtung des Menschen eine Gabe Gottes ist.
Es ist eine schöpferische That Gottes, welche diese Liebes-
richtung auf den letzten Zweck im Menschen setzt, oder in ihm
die Liebe oder die gratia creata, den habitus supernaturalis
erzeugt. Duns hat gewiss Recht mit seiner ethischen Beobach-
tung, sie bringt einen wertvollen sittlichen Gedanken zur Geltung,
dass die Richtung der praktischen Vernunft auf Gott (Gesinnung)
den Charakter und Wert des Handelns des Menschen bestimmt
(s. die Ethik des Duns); nur das muss bezweifelt werden, dass
der katholische Gedanke von der gratia infusa durch diese
Idee richtig wiedergegeben ist. Man wird schwerlich behaupten
können, dass Duns auf einem anderen Wege zur Vertretung
dieser Formel gelaugt ist, als auf dem Wege der pflichtmässigen
äusseren Zustimmung zu der überkommenen Kircheulehre.
Sind wir mit unserer Darstellung im Recht, so erhellt, dass
das Urteil von Ritschi, dass die Gnade den Stoff, der freie
Wille die Form des Verdienstes darbiete , ^) in seiner An-
wendung gerade auf Duns verkehrt ist. Obwohl Ritschis
Formel an sich die katholische Lehre treffend wiedergibt, ist
doch für Duns ungefähr das Umgekehrte richtig: Die „Sub-
stanz der Handlung'' (S. 312), also der Stoff derselben, ist pri-
mär Sache des freien Willens , die besondere Form des Ver-
dienstes empfängt jene Handlung durch den Habitus der ein-
gegossenen Gnade oder der Liebe.
Das spricht Duns im weiteren Verlauf seiner Erörterung
^) Rechtfertigung und Versöhnung I S. 101.
Resultate der Gnadenlehre. 319
selbst aus, nicht ohne eine unserer obigen Einwendungen zu
bestätigen. Er sagt, dass Gott nach der potentia absoluta sehr
wohl die Natur des Menschen, wie die sittlichen Akte desselben,
abgesehen von der Gnade, hätte als verdienstlich acceptieren
können. Sed non creditur ita disposuisse, weil sich das dem
error Pelagii nähern würde! Ideo verisimilius creditur, quod
acceptat naturam et actum eins tanquam meritorium per habi-
tum super naturalem (1. c. § 29). So wenig also unter dem
Gesichtspunkt der potentia absoluta die Notwendigkeit der
Gnade sich erweisen lässt — konnte Gott doch auch den
Menschen an sich, ohne jedes voraufgehende Verdienst, selig
machen — , so sehr erfordert die empirische Betrachtung vom
Standpunkt der potentia ordinata her die Annahme der Gnade :
quam ordinationem colligimus ex scriptura et ex dictis sanc-
torum, ubi habemus, quod peccator est indignus vita aeterna
et iustus dignus (ib.). Das Resultat lässt sich also kurz so
zusammenfassen : quod iste habitus simpliciter dat acceptabiliter
operari et etiam dat ahquam activitatem respectu actus sicut
aliqua causa secunda respectu eins , sed non dat delectabiliter
neque faciliter, quae conveniunt habitui acquisito inquantum
distinguitur ab infuso per hoc quod acquiritur ex frequenter
agere (1. c. § 33). Es ist nicht eigentlich der verdienstliche
Akt, der von Gott geschaffen wird, denn der Akt wird vom
Willen durchgeführt, tamen potest dici supernaturalis ratione
formae sive habitus concurrentis ad eius productionem, licet
non immediate creetur (§ 34). Hier wird es auch dem Wort-
laut nach deutlich, dass wir mit der oben gegen Ritschl gerich-
teten Bemerkung im Eecht bleiben.
11. Das ist die Gnadenlehre des Duns. Die Auflösung der
wider den Habitus vorgebrachten Gründe (S. 305. 307) ergibt sich
nun von selbst, zumal das faciliter und delectabiliter Handeln auf
den habitus acquisitus soll zurückgeführt werden. Die Lehre
ist leicht zu verteidigen, nachdem sie ihres spezifischen Cha-
rakters entkleidet worden ist (§ 34 ff.). — Ist aber unser Autor
eigentlich Pelagianer oder Augustinianer ? Er hat sich mit Ab-
scheu gegen ersteres verwahrt und mit Befriedigung letzteres
konstatiert. Aber hätte er so geurteilt, wenn der Pelagianis-
mus nicht offiziell der „error Pelagii'* gewesen wäre? Man
320 Kap. III : Die Person Christi und die Erlosunj?.
konüte sich darauf berufen , dass Duns selbst die Möglichkeit
des Pehigianismus ziemlich unverblümt zugestanden hat. Aber
derselbe Duns hat andererseits sich die augustinische Prä-
destiuatioDslehre bis zu einem gewissen Grade aneignen können.
Er hat den durchaus unpelagianischen Gedanken von einer
sittlichen Gesamtrichtung im Christen, die den einzelnen Hand-
lungen vorangeht, mit Ernst angewandt. Soll man dies Zu-
sammensein disparater Elemente aus dem Gottesbegriff und der
potentia absoluta erklären ? Alles was ist, ist Setzung des gött-
lichen Willens, alles Geschehen ist nur eine Auswirkung dieser
ersten Ursache. An sich kann dieselbe in unendlich verschie-
dener Weise wirksam werden, warum nicht auch so, dass sie
die pelagianische Heilslehre ermöglicht? Aber es wäre nicht
nur unbillig, sondern auch ein methodischer Fehler, wollte man
aus der Hypothese der potentia absoluta — sie soll nur die
Schrankenlosigkeit der göttlichen Allmacht veranschaulichen —
die Lehre des Duns konstruieren. Gottes Ordnung, die „Wahr-
heit^' lässt sich nur auf dem realen Boden der potentia ordi-
nata erkennen. Der göttliche Wille hat eben nicht den pela-
gianischen Weg gewählt, wie die kirchliche Praxis zeigt. Damit
ist zu rechnen. Die pelagianische Theorie, die in abstracto
möglich wäre, ist von Gott nicht gewollt, sonst hätte sie die
Kirche nicht verdammt! Der pelagianisierende Zug, der die
Sündenlehre des Duns Scotus kennzeichnet, tritt bei seiner
Gnadenlehre ganz zurück. So ist Duns Augustinianer? Auch
dieses Urteil trifft nicht zum Ziel. Zwar spricht er von einer
Prädestination, aber sein Gnadenbegriff ist ein anderer. Man
möchte sagen, Duns hat den substanziellen Gnadenbegriff,
wie er seit Augustin bräuchlich wurde, vergeistigt und ver-
flüchtigt, „sublimiert^' (mit Goethe zu sprechen), soweit das
möglich war, ohne den ganzen Begriff aufzugeben. Nicht wirk-
liche neue Kräfte, einen neuen Lebensstoff bedeutet die „er-
schaffene Gnade,'' wie etwa Thomas lehrt. Sie wird allerdings
dem Menschen einerschaffen, aber sie ist schliesslich nur eine
habituelle Richtung der Seele auf Gott, welche vor und über
den einzelnen ethischen Handlungen im Menschen vorhanden
ist und einerseits den Willen zur Ausführung solcher Hand-
lungen anregt und unterstützt, andererseits das Prinzip ist, au
Die Rechtfertigung, 321
welchem Gottes Urteil über jene Handlungen sich orientiert.
Wie spiritualisiert ist hier der Stoff oder die Kraft zum Guten,
als die mau sonst die Gnade bezeichnete! Der übernatürliche
Habitus wird auf dem Wege der Psychologie gefunden, yom
Dogma ist eigentlich nur eins übrig geblieben, dass dieser Habi-
tus oder die neue Richtung „geschaffen'* wird im Menschen.
Und das ist ein Wort!
Hat Duns das „Richtige^' getroffen? Die protestantischen
Darsteller pflegen durchweg nur herben Tadel zu haben für
seine Betonung des freien Willens und seine Verflüchtigung
der Einwirkung der Gnade. Daran ist richtig, dass Duns ge-
wiss weniger als andere mittelalterliche Autoren das Bedürfnis
empfand, den Begriff der eingegossenen Gnade in seinen Ge-
dankenbau einzuführen. Aber hat gerade der protestantische
Dogmatiker das Recht, ihn um deswillen zu schelten? Wenn
er selbst von einer von Gott gewirkten ethischen Habitualität,
die den einzelnen guten Werken des Christen vorangeht, redet,
sagt er damit etwas wesentlich anderes als Duns? Es ist
nicht billig zu vergessen, dass Duns dem, dem Denken und Empfin-
den des Evangeliums durchaus entgegengesetzten, Begriff der
eingegosseneu Gnade eine Korrektur hat angedeihen lassen,
welche soweit ging, dass dieser Begriff eigentlich nur dem Wort-
laut nach aufrecht erhalten wurde. Er hat dadurch, wenn ich
recht sehe, die Eliminierung desselben angebahnt. Es waren
jene augustinisch gesinnten Männer vom Schlage Bradwardinas,
welche dem 16. Jahrhundert das lebendige Gefühl des sola
gratia übermachten, aber es waren Nachwirkungen des Geistes
des Duns Scotus mit im Spiel, wenn einem neuen Geschlechte
die alte Form der Gnadenlehre in den Händen zerbrach und
die neubelebte Gnadenerfahrung sich auch einen neuen Gnaden-
begriff schuf.
3. Die Rechtfertigung.
1. Nachdem wir uns jetzt über den Gnadengedanken des
Duns belehrt haben, vermögen wir endlich seinen Begriff von
der Rechtfertigung festzustellen. Schon in der 17. Distinktion
des ersten Buches sind einige Bemerkungen über dieses Thema
gefallen. So lesen wir quaest. 3, 26 : in ratione meriti de con-
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 21
322 Kap. III : Die Person Christi und die Erlösung.
gruo, quomodo attritus moretur iustificari, und ebenso § 19:
quod prius natura deus remittit offensam quam det ei gratiam —
und dazu : dass die Würdigkeit zum ewigen Leben dem lustifi-
catus zukommt, non autem ex sola remissione offen sae, quod
secundum se est minus quam iustum esse. Hier nun verweist
Duns selbst auf die Erörterung dieser Frage in der 16. Distink-
tion des 4. Buches — der Darstellung des Busssakramentes.
Das ist der solenne Platz der Rechtfertigungslehre.
Was nun den, durch das erste obige Citat angeregten, Ge-
danken anlangt, so ist es freilich Anschauung des Duns, dass
nach Begehung einer Todsünde der Mensch durch die Erwä-
gung derselben als einer Beleidigung gegen Gott vor der Ein-
giessung der Gnade zu einer gewissen Reue über dieselbe
kommen kann. Iste autem motus dicitur attritio et est dis-
positio sive meritum de congruo ad deletionem peccati
mortalis quae sequitur in ultimo instanti alicuius temporis,
in quo tempore ista attritio duravit (IV dist. 14 quaest. 2, 14).
Die bekannte durch die Erwägung der Sünde und ihrer
Strafbarkeit erzeugte ,, Halbreue'' oder ,, Galgenreue," wie z. B.
Johann v. Paltz und Luther sie nannten, ist also ein meritum
de congruo ad iustificationem, ihr folgt die Eingiessung der
Gnade und dadurch die Zerstörung der Sünde. Deus dis-
ponit per attritionem in aliquo tempore tanquam per aliquod
meritum de congruo in aliquo instanti dare gratiam et pro illa
attritione ut pro merito iustificat, sicut est meritum iustifica-
tionis (1. c. § 15 vgl. dist. 19 quaest. unic. § 32: adulti per
attritionem tanquam per meritum de congruo iustificantur etc.).
Das ist der Anfang der Rechtfertigung des Sünders. Es
ist also Gottes Ordnung, dass dieselbe Reue, zu welcher der
Sünder von sich aus zu kommen vermag, anerkannt wird von
Gott als ein gewisses Verdienst, um welches willen Gott dann
dem Sünder die Gnade verleiht und dadurch die Sünde in ihm
vernichtet. Auch ist es ferner selbstverständlich nicht der
innere Wert des Verdienstes, w^elcher die Begnadigung erwirkt,
sondern es ist wieder die willkürliche Anordnung Gottes, welche
dieses Handeln als meritum de congruo gelten lässt, wie sie
das Handeln nach Empfang der Gnade als meritum de condigno
beurteilt.
Sündenvergebung und Gnadeneingiessung nicht identisch. 323
2. Worin besteht die RechtfertigiiDg? Nach Thomas von
Aquino ist dieser Begriff bekanntlich so angeordnet, dass auf
die vollzogene Gnadeneingiessung die Anerkennung der dadurch
erfolgten Zerstörung der Sünde durch die Sündenvergebung
folgt (Thomas Summa II, I quaest. 113. art. 6 cf. Bonaventura
Breviloq. 5, 3 etc.). Duns geht auch hier einen andern Weg.
Zunächst stellt er fest, dass die Gnadeneingiessung und die
Sündenvergebung nicht einfach schlechthin eine Veränderung
im Menschen sind (IV dist. 16 quaest. 2, 4). Hierfür führt
er vier Gründe an: 1) dasselbe Ding kann nicht zu gleicher
Zeit in der Einzahl und in der Mehrzahl existieren. Nun
giebt es im gegebenen Fall nur eine Gnadeneingiessung, der
aber die vielen Vergebungen der einzelnen Sünden des Menschen
gegenüber stehen, also besteht eine begriffliche Differenz zwischen
den beiden Grössen. 2) Wären die beiden Dinge identisch, so
könnten sie schlechterdings nicht von einander getrennt werden.
Nun hat aber Got den nicht gefallenen Engeln die Gnade ohne
Sündenvergebung eingegossen, und er hätte nach seiner potentia
absoluta den Menschen in puris naturalibus erschaffen können,
sine culpa et sine gratia und demgemäss nach dem Fall ihn
bloss durch Sündenvergebung, ohne Eingiessung von Gnade,
Aviederherstellen können (1. c. § 4). 3) Schuld und Gnade
sind nicht formale Gegensätze. Das Agens nämlich, welches
effektiv oder defektiv Gewalt hat über das Sein des einen
solcher Gegensätze, hat auch effektiv oder defektiv Gewalt über
das Nichtsein des andern. Nun hat der Wille Gewalt über die
Schuld, denn aus ihm rührt die Schuld her, nicht aber vermag
er die Gnade zu annihilieren, denn keine Kreatur kann etwas
zu nichts machen. 4) Eine Veränderung zum Ziel einer posi-
tiven Form geschieht nur von der Negation dieser als Aus-
gangspunkt her; die Schuld ist aber nicht eigentlich die
Negation der Gnade. — Sonach sind die Sündenvergebung
und die Gnadeneingiessung nicht formal identisch.
Auf diesen ersten Satz folgt die Behauptung, dass die
Gnadeneingiessung und die Sündenvergebung nicht zwei reale
Änderungen sind. Die Gnadeneingiessung ist eine reale Änderung
(mutatio realis), denn sie tritt zwischen das Nichtvorhandensein
einer wirklichen Form und das Vorhandensein dieser Form;
21*
324 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung,
das heisst also, da, bevor Gnade eingegoasen wird, im Menschen
keine Gnade war, so ist jene Eingiessung eine wirksame
Änderung des Menschen. Dagegen ist die Sündenvergebung
keine reale Änderung. Das ist zu beweisen. Da nämlich das
peccatum actuale nicht eine Korruption oder eine formale
Vernichtung der menschlichen Natur oder eines Teiles der-
selben sein kann (s. S. 223), so ist klar, dass die Vertreibung
der Schuld (expulsio culpae) nicht eine reale Veränderung
im menschlichen Wesen hervorruft (ib. § 6). Die sündige
That hinterlässt im Menschen nicht iniustitia actualis, sondern
nur die iniustitia habitualis, quae est carentia gratiae (s. S. 222).
Ist also die Sündenthat vorübergegangen, so bleibt im Menschen
nicht eigentlich die Sünde, sondern die Verhaftung unter eine
der durch dieselbe begangenen Verschuldung entsprechende
Strafe (ib. § 7). Hieraus ergiebt sich aber, dass die Schuld
nicht eine reale Grösse, sondern eine ideelle Beziehung ist.
Wird nun durch die Sündenvergebung jene Verhaftung unter
die Strafe in ein Nichtverhaftetseiu verwandelt, so ist jetzt
klar, dass auch diese keine mutatio realis ist.
Nun ist freilich zuzugestehen, dass ein transitus sich am-
Menschen durch die Sündenvergebung vollzieht, da der, welcher
eben strafwürdig und zur Strafe bestimmt war, jetzt der Strafe
nicht mehr würdig und nicht zu ihr bestimmt ist. Aber es
ist nicht richtig, wenn man auch im göttlichen Geist einen dem
entsprechenden Transitus von einem „illum esse puniendum"
zu einem „illum non esse puniendum" annimmt. Vielmehr ist
im göttlichen Geist der Wille des einen wie des anderen ein
bedingter. Gott will, dass der non puniendus unter bestimmten
Bedingungen ein puniendus wird, und er will, dass der puniendus
unter bestimmten Bedingungen ein non puniendus wird. Indem
dieses doppelte, auf das Objekt gerichtete Wollen ein bedingtes
ist, ist es in Gott in Ewigkeit bei einander und in einander,
wiewohl an dem Objekt sich in zeitlicher Folge bald das eine
und bald das andere auswirkt. Gott will also nie, dass einer
gestraft werde, ohne zugleich zu wollen, dass er unter be-
stimmten Bedingungen nicht mehr gestraft werde, und er will
nie, dass er nicht gestraft werde, ohne zugleich zu wollen, dass
er unter bestimmten Bedingungen gestraft werde. In Gott
Die Sündenvergebung keine mutatio realis. 325
findet also freilich kein Übergang aus einem Gegensatz in den
andern statt, wenngleich der Mensch bald das eine, bald das
andere Wollen als auf sich gerichtet empfindet. Hie ergo
non est transitus aliquis ab uno opposito in aliud oppositum,
sed hie est circa idem obiectum velle condicionatum affirma-
tionis pro uno instanti et velle condicionatum negationis pro
alio instanti; et ista duo velle in aeternitate simul stant et
circa obiectum in aeternitate volitum, licet non pro aeternitate,
sed pro alio et alio nunc (1. c. § 12). Wäre das eine oder
andere Wollen in Gott nicht ein bedingtes^ so würde er doch
den puniendus sofort strafen, was aber nicht der Fall ist (§ 13).
Somit findet bei der Sündenvergebung an und für sich
keine reale Änderung statt, weder in Gott, noch auch an dem
Sünder. Wohl aber ist zu sagen, dass die Sündenvergebung
begleitet wird, vermöge der göttlichen potentia ordinata, von
einer realen Veränderung, indem Gott freilich nicht Sünden
vergibt, ohne zugleich die Gnade mitzuteilen, wiewohl vom
Standpunkt der potentia absoluta aus angesehen, das erste sehr
wohl ohne das zweite stattfinden könnte (§ 15). Demnach
ergibt sich als zweiter Satz, dass die Gnadeneingiessung eine
reale Veränderung des Menschen bewirkt, während die Sünden-
vergebung nur einen Übergang aus einem ideellen Zustand in
den andern bedeutet. Nicht eine reale, sondern eine ideelle
Veränderung bewirkt sie im Menschen, es ist ein mutari
mutatione rationis ab obligatione (zur Strafe) ad non obliga-
tionem (1. c. § 18).
Ja, nicht einmal das darf man sagen, dass die Sünden-
vergebung eine dispositio realis auf die Gnade und ihren
Empfang herstelle. Die remissio ist carentia obligationis ad
poenam . . .: Si ergo accipias, quod remissio mutatio est,
dispositio ad illam mutationem quae est Infusio gratiae, nego,
quia remissio non est aliqua mutatio neque activa neque passiva,
nee rei nee rationis (§ 17). Letzteres scheint allerdings der
bald darauf folgenden von uns zu Ende des vorigen Absatzes
mitgeteilten Stelle zu widersprechen, wo eine mutatio rationis
zugestanden war. Aber der Unterschied scheint der zu sein,
dass § 17 eine Veränderung in Gott oder in dem Objekt als
Objekt abgewiesen wird, während § 18 an eine den zeitlichen
326 Kap. ITl: Die Person Christi und die Erlösung.
libergang von dem Moment der Verschuldung zu dem des
Nichtmehrverscliuldetseins konkomiticrende Änderung denkt.
3. Nachdem so die Differenz der beiden in Frage stehenden
Begriffe genügend klargestellt ist, erhebt sich zum Schluss
die Frage, welchem von beiden die Priorität gebührt ?
Zunächst stellt Duns nach Aristoteles fest, dass der Be-
griff der Priorität einen doppelten Sinn haben kann: aliqua
sunt priora generatione, aliqua perfectione. Und zwar stehen
diese beiden Prioritäten in der Regel im umgekehrten Ver-
hältnis zu einander, sodass bei dem Generationsverhältnis das
Unvollkommenere zuerst ist, während bei dem Perfektionsver-
hältnis zuerst das Vollkommenere ist. Wäre nun die expulsio
culpae ein Seiendes, wie auch die Gnade neingiessung, so käme
nach dem Generationsverhältnis der expulsio culpae die Priorität
zu. Umgekehrt wäre auf dem Wege der Vollkommenheit der
Gnadeneingiessung die Priorität zuzusprechen. Auch im Ver-
hältnis der Folge kann das Unvollkommenere früher, als das
Vollkommene sein, im allgemeinen aber wird das Folgende
unvollkommener sein als das Vorangehende. Also würde, auch
unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, die Gnadeneingiessung
vor der Schuld Vertreibung die Priorität haben ; die andere
Möglichkeit im Konsequenzverhältnis würde deshalb nicht gelten,
weil die beiden Begriffe nicht einander ausschliessende Gegen-
sätze bezeichnen , also braucht auch nicht einer den andern
abzulösen (§ 18). Die Priorität scheint also der Gnadenein-
giessung zuzukommen. Aber es kann nun doch bezweifelt
werden, dass darum die Vergebung der Eingiessung folge, und
zwar weil — wie wir gesehen haben — beide Begriffe nicht
formale Gegensätze darstellen. Nun kann man versuchen,
diesen Gegensatz so zu erreichen, dass man die Gnade als
Gottes Freund sein, die Schuld als Gottes Feind sein be-
stimmt. Dann würden die beiden Begriffe Gegensätze bilden
als Aufhebung der Feindschaft und Einführung der Freund-
schaft. Aber dieser Versuch führt nicht zum Ziel, die Freund-
schaft durch Gnade bedeutet zum ewigen Leben verordnet
werden , die Feindschaft durch Schuld zur entsprechenden
Strafe verordnet werden. Dieses beides schliesst aber an sich
einander nicht aus, wiewohl es zeitlich nicht neben einander
Ob Vergebung vor der Eingiessung ? 327
bestehen kann. Also ist der obige Gegensatz logisch inkorrekt
gebildet. Will man zwischen beiden Begriffen das Verhältnis
der formalen Abfolge herstellen, so folgt eher aus dem inesse
gratiam das nou inesse culpam als das umgekehrte Verhältnis,
während aus dem Fehlen der Schuldverhaftung in keiner Weise
die GnadeumJtteilung folgen könnte (19). Die Priorität der
Konsequenz steht also ebenfalls der Eingiessung zu.
Wenn man aber weiter die Frage nach der Priorität der
Kausalität hinsichtlich der beiden Begriffe aufwirft, so ist das
überhaupt keine berechtigte Frage (non est quaestio), denn
weder kann die Aufhebung der Schuldverhaftung die Ursache
der Gnade sein, noch kann das Umgekehrte der Fall sein.
Letzteres nicht, weil ja lediglich der göttliche Wille die Schuld-
verhaftung, wie die Aufhebung derselben bestimmt, jene nach
seiner Gerechtigkeit, diese nach seiner Barmherzigkeit, also
die eingegossene Gnade nicht als Ursache erforderlich ist.
Ersteres nicht, weil es deutlich ist, dass die göttliche Verfügung
des Schulderlasses keineswegs die notwendige Ursache der
Gnadeneingiessung ist (§ 19).
Endlich ist zu fragen nach der Abstufung der Sünden-
vergebung und der Gnadeneingiessung, sofern sie im göttlichen
Willen enthalten sind. Hier nun gilt die Regel, dass im gött-
lichen Willen das dem Ziel Nächststehende das Erste ist
(vgl. S. 170 f.). Nach diesem Gesichtspunkt will Gott dem Sünder
zunächst die Gnade und dann erst die Sündenvergebung geben,
denn die Gnade, welche den Menschen bei Gott annehmbar
macht, steht in einem direkteren Verhältnis zur Seligkeit als
die Vergebung. Allein für die wirkliche Durchführung dieser
Absicht gilt natürlich die umgekehrte Folge. Wie Gott näm-
lich an und für sich zuerst für einen die gloria und dann erst
als Mittel zu jener das meritum will, so will er an sich zu-
nächst, dass der Mensch begnadigt werde und dann die Sünden-
vergebung; aber in der zeitlichen wirklichen Durchführung
dieser Absicht, kehrt sich die Folge um: zuerst werden die
Sünden vergeben, dann wird die Gnade eingegossen. Prius
enim vult propinquius fini et ita simpliciter prius vult isti pro
A, postquam seil, peccavit, gratiam quam non vindictam
loquendo de prioritate intentionis. Sed exequendo vult e con-
328 Kap. III: Die Person ('hristi und die Erlösung.
verso, sicut enim prius vult istum habere merita quam gloriam,
ita vult prius ordine executionis isti non inesse culpam quam
inesse gratiam (§ 19).
Man kann demnach sagen, dass' zwischen der Sündenver-
gebung und der Gnadeneingiessung, bezüglich der Vollkommen-
heit eine Ordnung besteht, sofern der göttliche Wille sie je
nach der Unmittelbarkeit ihrer Beziehung zum letzten Ziel
wertet. So angesehen gebührt also der Gnadeneingiessung vor
der Sündenvergebung die Priorität. Dasselbe ist wohl auch
zu sagen, wenn man beide Begriffe durch das Konsequenz-
verhältnis verknüpfen will. Dagegen ist unter den Gesichts-
punkten der Kausalität und Generation überhaupt kein Zu-
sammenhang zwischen den beiden Begriffen zu erkennen. Denkt
man sich aber die Verwirklichung des Heils in der Seele, so wird
man annehmen, dass Gott zuerst dem Sünder die Schuld vergibt
und dann erst die Gnade eingiesst (vgl. eine andere Stelle
oben S. 322).
Die ganze Erörterung verläuft in dem grossen Sentenzen-
kommentar nicht sonderlich zuversichtlich. Es ist fast, als
wenn Duns noch schwankt, ob er diese Oxforder Lehre halten
soll oder nicht. Dagegen hat er in den Report. IV dist. 16
quaest. 2, 23 f. den Satz sicherer vertreten. Dies „non ordinari
ad poenam" sei secundum geueratiouem et naturam et rationem
früher als das ordinari ad gloriam, das zum nächsten Mittel
die Gnadeneingiessung hat. Dagegen kommt letzterem die
Priorität der Vollkommenheit wegen seiner Nähe zum Zweck zu.
4. Wie kommt Duns zu dieser Anordnung: zuerst Ver-
gebung, dann Eingiessung ? Thomas von Aquino und Bonaven-
tura hatten umgekehrt gelehrt: Der Gerechtmachung des Sünders
folgt die Anerkennung seiner Gerechtigkeit oder die Sünden-
vergebung.^) Aber Duns wird, hier offenbar nicht vom Gegen-
^) S. meine Dogmengeseh. II. 103 f. Es ist kein Widerspruch, wie
z. B. Ritschl meint, wenn Thomas die Vergebung der Rechtfertigung
gleichsetzt und dann doch die Infusion an die Spitze des Vorganges stellt,
denn dadurch soll sie als das Mittel zur Herstellung der Beschaffenheit, die
Vergebung ermöglicht, gedacht werden. Wenn aber Thomas (Summ. II, I
■qu. 113 art. 1) die Vergebung als Mittel zur Herstellung der transmutatio
Grosseteste über Vergebung- und Eingiessung. 329
satz gegen Thomas geleitet. Er folgt vielmehr, so viel ich
urteilen kann, dem Vorgang des Robert Grosseteste (s.
dessen Abhandlung do gratia et iustificatione hominis, bei
Brown, Fasciculus rerum fugiendarum et expetendarum, L'on-
dini 1690, II, p. 282). In diesem Traktat wird die Gnade als
bona voluntas dei sowie als donum, quod datnr a tali volun-
tate definiert. Et tunc dicitur gratia infundi, cum voluntas
divina in nostram voluntatem incipit oporari. Die Konformität
unseres Willens mit dem göttlichen Willen ist die gratia data,
die uns Gott angenehm macht. Es ist zu unterscheiden der
Wille Gottes, sofern er gerecht machen will, sofern er zu diesem
Zweck die Sünden vergibt und sofern er als wirksamer Wille
unseren Willen gerecht macht. Dies dreifache Wollen ist zeit-
lich zugleich, aber logisch abgestuft, indem das erste Wollen
die Ursache des zweiten und dritten ist. Haec gratia simul
est tempore cum peccatorum remissione et ^) cum aversione
voluntatis a malo et prius est natura quam sit peccatorum
remissio utpote eins causa; simul etiam tempore cum hac est
bona voluntas dei, qua vult hominem converti ad bonum. Sed
haec voluntas quae est gratia gratificans posterior est natura
quam sit proximo dicta et quam sit peccatorum remissio : prior
causa est natura 2) quam sit voluntatis nostrae ad bonum con-
versio. Dazu kommt dann viertens die Erhaltung des Willens
im Guten. Der letzte der oben citierten Sätze scheint das
Kausalverhältnis nur zwischen dem Gnaden willen und der ein-
gegossenen Gnade , nicht aber zwischen dieser und der Ver-
gebung zu konstatieren. Dann besteht zwischen diesem Ge-
dankengefüge und dem des Duns im allgemeinen — aber nur
im allgemeinen — eine Analogie. Abgesehen von unserer
Frage ist noch von Interesse, dass auch Grosseteste die Gnaden-
eingiessung möglichst psychologisch als Anregung des Willens
fasst. Unter den älteren Scholastikern findet man die Voran-
bezeichnet, so denkt er offenbar die Vergebung zusammen mit dem
gnädigen Willensentschluss, der aller Gnadenwirkung vorangeht.
^) Bei Brown steht nur ein i.
^) Dafür liest eine andere Handschrift : prior tamen est natura quod
sit vol.
330 Kap. 111: Die Person Christi und die Erlösung.
Stellung der non-imputatio vor die Eingiessung z. B. noch bei
Wilhelm von Paris (de sacramentis, Opera II fol. 48v).
Zur Erläuterung muss aber auch die Behandlung der
Frage herangezogen werden , die ein Zeit- und Schulgenosse
des Duns, Richard von Middleton , angestellt hat.^j Eichard
führt vier Meinungen an (Sent. IV dist. 17 principale 4 quaest.
4 u. 7). Die einen lassen die Vergebung der Gnadeneingiessung
als Wirkung folgen, dies sei aber falsch, da das Kausalverhält-
nis zwischen den beiden Begriffen nicht angenommen werden
kann^ da beide göttliche Thaten bezeichnen. — Die zweite
Gruppe lässt die Vergebung der Eingiessung vorangehen. Das
wird so begründet: Gott will, dass wer seine Sünde bereut,
nicht mehr dem Strafbann untersteht. Die gratuita voluntas
dei vergibt ihm — d. h. dem Sünder im Stand der attritio,
denn die die contritio bewirkende Gnadeneingiessung hat noch
nicht stattgefunden — die Sünde, et hoc vocant gratiam, per
quam remittitur peccatum. Das wäre also eine Anwendung des
ersten Begriffes von der Gnade als des gnädigen Willens
Gottes (oben S. 300). Dann erst folgt die Gnadeneingiessung,
die den Sünder der göttlichen Liebe würdig macht. Aber auch
diese Meinung — sie trifft, genau genommen, weder mit Duns
noch mit Grosseteste zusammen — wird verworfen, weil Gnade
nur etwas Positives und habituell in der Seele Bleibendes ge-
nannt werden kann , was nicht auf die Vergebung passt und
maxime quod sit contra dicta sanctorum et contra communem
opinionem doctorum in theologia.^) — Wieder andere lehren:
die infusio sei früher zu denken bei Gott; bei dem Menschen
aber die remissio. Aber die Gnade ist überhaupt nur zu denken
als etwas was als wirksam in die Seele aufgenommen wird. —
Die vierte Auffassung leugnet jede reale Priorität und nimmt
nur eine logische an. Die Eingiessung ist sachlich identisch
mit der Vergebung, denn sie bezeichnen nicht zwei reale
Veränderungen , denn da die Sünde keine positive Essenz ist,
so kann sie nicht anders zerstört werden^ als durch die Restitu-
1) Vgl. oben S. 16 ff.
^) Die erste Meinung ist die tliomistische, aber wer hat die zweite ver-
treten? Es scheint doch, als wenn die Ansicht des Grosseteste gemeint
ist. Bei der Kürze seiner Äusserungen ist das aber nicht klar zu erweisen.
Richard über Vergebung und Eingiessung. 331
tion des Gutes, dessen Negation sie ist, also ist die Gnaden-
eingiessung zugleich Sündenvergebung. Sachlich kommt dann
der Eingiessung, wenn man die beiden Begriffe unterscheidet^
die Priorität zu , aber logisch muss die Vergebung zuerst ge-
dacht werden. Quia tarnen infusio gratiae giatum facientis
est remissio peccati, per quod anima deo displicebat et est
quaedam perfectio animae, per quam deo placet, et prius per
rationem intelligendi est animam deo displicere quam sibi
(d. h. Gott) placere : ideo ipsius gratiae infusio prior est secundum
rationem intelligendi sub ratione qua est peccati remissio quam
sub ratione qua per eam anima pLicet deo illa placentia qua
eam reputat dignam vita aeterna. Hienach ist die Meinung
Richards klar: die Gnadenmitteilung ist Gnadeneingiessung
und damit und dadurch Sündenvergebung. Da wir aber die
Aufhebung des alten Verhältnisses vor dem Eintritt des neuen
Zustandes denken müssen, wird die ratio intelligendi sich zu-
erst auf die Vergebung und dann erst auf die Eingiessung
richten. — Diese Erörterung ist deshalb von Wert, weil sie
uns den Stand der Frage in der Zeit erkennen lehrt und zu-
gleich eine deutliche Lösung derselben vorbringt.
Damit ist uns aber auch ein Fingerzeig zum Verständnis
der Ansicht des Duns geworden. Wir müssen aber doch ver-
suchen, seine Meinung aus dem Zusammenhang seiner eigenen
Lehre zu erklären. Greifen wir zurück auf die scotistische
Sündenlehre. Die Sünde besteht in dem Fehlen der Gott
schuldigen Gerechtigkeit. Diese ideelle Verpflichtung hält
Gott aufrecht. Soll nun der Mensch zum Zweck der gloria
aus diesem Schuldzustand befreit werden, so ist das diesem
Zweck zunächst stehende Mittel die Zerstörung jener carentia.
Diese geschieht durch die Eingiessung der Gnade als Ersatz
für die fehlende iustitia origiualis. Indem dies aber geschieht,
ist die Verpflichtung, die ursprüngliche Gerechtigkeit zu haben,
aufgehoben bezw. ersetzt durch die Pflicht eine andere Gabe
oder die neue Gerechtigkeit zu haben. Das ist die Vergebung
(s. Duns II dist. 32 quaest. un. § 13). In dem Gefüge von
Zweck und Mittel vorgestellt, ist somit die Eingiessung früher
als die Vergebung, weil dem Zweck näherstehend. Stellt man
sich dagegen die konkrete Erreichung des Zweckes vor, so
332 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
wird zunächst das Mittel der Vergebung, dann erst das der
Eingiessung in Pereeption kommen. So begreift sich die
Meinung des Duns. Die Hauptsache ist die Gnadeneingiessung,
der neue ethische Habitus. Wird aber dieser verliehen, so ist
damit die Verpflichtung zu der ursprünglichen Gerechtigkeit
aufgehoben. Eine zeitliche Folge soll ebensowenig wie in der
thomistischen Rechtfertigungslehre für diese Vorgänge ange-
nommen werden. Wir vermögen es uns aber nur so vorzu-
stellen, dass zuerst das alte Verhältnis aufhört und dann erst
das neue eintritt. Dasselbe erkannten wir als die Auffassung
Eichards. Nichts wäre also so verkehrt, als wenn man aus
dieser Ordnung der Begriffe eine Bevorzugung der Sünden-
vergebung — etwa im Gegensatz zu Thomas — ableiten wollte.
Schön das ist zuviel, wenn man die Sündenvergebung hier
als „die indifferente Voraussetzung der effektiven Begnadigung"
gewertet finden will, ^) denn „Voraussetzung" ist sie — genau
geredet — garnicht. Die sachliche Differenz zu Thomas
schrumpft also an diesem Punkt ganz ein, nur ein rein formeller
Gegensatz ist anzunehmen. -)
^) Ritschi, Rechtfertigung- und Versöhnung I^, 99.
^) Trotzdem hat auch diese Lehrdifferenz eine langwährende und
nicht uninteressante Geschichte gehabt. Die einen unter den Theologen
der Folgezeit folgten dem Duns, wie Occam (Sent. IV quaest. 8 et 9 L:
de facto tarnen et regulariter prius est cxpulsio culpae quam infusio gratiae) ;
die anderen hielten sich an Thomas, z. B. Johann t, Paltz (Supplementum
Coelifodinae, Lips. 1516, Bogen R 5^), und auch Gabriel Biel schreibt:
Secundum potentiam ordinatam non sit peccati remissio, nisi per infu-'
sionem novae gratiae , per quam realiter mutatur qui fuit peccator (in
Sent. IV. dist. 14 quaest. 1 art. 1 not. 2; cf. not. 4: sunt enim insepara-
biles. saltem remissio culpae a gratia. Dazu art. 2 concl. 5 Q: Stante
tarnen ordinatione divina sie infusio gratiae est prior remissione culpae,
quia remissio non fit sine infusione gratiae). — Aber noch in den Debatten
des Tridentiner Konzils machte sich auch diese Schuldifferenz geltend,
wie ich in meinen „Beiträgen zur Entstehungsgeschichte der Lehrdekrete
des Konzils von Trient" gezeigt habe (Zeitschrift für kirchliche Wissen-
schaft 1889, S. 651. 673. 678). Aber man hat die scotistische Formel in-
folge der reformatorischen Bewegung mit einem neuen und reicheren In-
halt erfüllt. An den beiden zuletzt angegebenen Stellen ist von der Recht-
fertigungsle'nre des Seripando, sowie des Pighius und Gropper die Rede,
welche eine Rechtfertigung durch imputatio der iustitia Christi von der
iustificatio durch die iustitia inhaerens unterschieden, wobei sie aber erster e,
Rückblick auf die ünadenlehre. 333
5. Fassen Avir die Giiadeulelire in einige kurze Sätze zu-
sammen. 1) Gott erschafft im Menschen einen übernatürlichen
Habitus, welcher den freien Willen zum Guten mitbestimmt,
und um welches willen Gott die so entstandene Handlung, als
verdienstlich acceptiert, sofern dieser Habitus zu dem letzten
Ziel des sittlichen Handelns in direkter Beziehung steht.
2) Die Gnade empfängt der Mensch auf folgendem Wege durch
die Sakramente, zuerst durch die Taufe ; dann, indem er immer
wieder in Sünde fällt, durch das Busssakrament. Durch dies
erlangt er die Gerechtigkeit. Daher wird hier von der Recht-
fertigung geredet: In der attritio erwirbt er sich ein meritum
de congruo. Gott erwidert dies Bemühen durch die iustificatio.
Diese schliesst in sich die Gnadeneingiessung und die Sünden-
vergebung. Erstere bezeichnet eine reale, letztere eine bloss
ideelle Veränderung am Menschen. Zwischen beiden besteht
kein kausaler Zusammenhang. Logisch und dem Wert nach
geht für Gott die Gnadeneingiessung der Vergebung voraus,
für die Verwirklichung müssen wir die umgekehrte Folge
denken. 3) Es ist selbstverständlich und daher nicht weiter
auszuführen, dass der Justifizierte , indem er den Habitus
empfing, zu verdienstlichem Handeln und somit zur Glori-
fizierung befähigt wird (s. sub. 1). 4) Aber dieser Prozess
wird nur von denen durchgemacht, die Gott erwählt hat, denn
nur für sie war die Gnade und Christus bestimmt, oder
auch: alle Christen, die gerechtfertigt sind, waren von Gott
erwählt.
Sieht man von letzterem Punkt hier ab, so sind besonders
charakteristisch an dieser Gnadenlehre 1) die Forderung des
meritum de congruo als einer Vorbedingung für die Justifikation.
Dieser Punkt ist für die Auffassung des späteren Mittelalters
d. h. die Sündenvergebung, nicht nur wie Duns äusserlich voranstellen,
sondern auch stark betonen und praktisch religiös verwerten. Dagegen
muss man der Versuchung widerstehen, auch die reformatorische Recht-
fertigungslehre wenigstens äusserlich sich dem scotistischen Schema an-
lehnen zu lassen, denn der geschichtliche Ursprung des Rechtfertigungs-
gedankens bei Luther widerstrebt dem durchaus. Eher könnte man bei
Melanchthons Trennung von Rechtfertigung und Heiligung an unbewusste
Nachwirkungen eines scotistischen Schemas denken.
334 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
massgebend geworden. ^) 2) Durch die klare Abzweckung der
Gnadenmitteilung auf verdienstliche Werke bringt Duns die
mittelalterliche Frömmigkeit trefflich zum Ausdruck. 3) Die
Trennung der Gnadeneingiessung 'von der Sündenvergebung
und die sachliche Überordnung jener über diese, sowie die um-
gekehrte Folge in der Verwirklichung. 4) Die Einordnung der
Justifikationslehre in das Busssakrament entspricht ebenfalls
der praktischen Frömmigkeit des Mittelalters, denn im Zu-
sammenhang des Busssakraments vollzog sich die Eechtfertigung
des Sünders vor Gott. Einem neuen Verständnis des religiösen
Verhältnisses der Seele zu Gott muss daher notwendig eine
]S^eugestaltung der im Kahmen des Busssakraments zusammen-
geschlossenen Begriffe folgen. -)
Indem nun der Massstab der praktischen religiösen Selbst-
beurteilung nach Duns in den verdienstlichen Werken zu er-
bhcken ist, ist natürlich der Begriff, welcher letztere ermöglicht,
als der religiöse Zentralgedanke zu beurteilen. Das ist jener
übernatürliche Liebeshabitus. Diese Gedanken hat Duns in
straffem Zusammenhang entwickelt. Man kann seine Dar-
stellung — abgesehen von der doch stark von des Gedankens
Blässe angekränkelten Formulierung des Habitusbegriffes —
geradezu als den klassischen und einfachen Ausdruck der
Stimmung der offiziellen Beligiosität im ausgehenden Mittel-
alter bezeichnen.
6. Zum Schluss thun wir gut, noch des Verhältnisses dieser
Gnadenlehre zur Lehre von dem Werk Christi zu gedenken.
Der Zusammenhang ist in der Hauptsache deutlich. Das Werk
Christi hat seine Spitze darin, dass Christus ein Verdienst
1) Vgl. z. B. Biel in Sent. IV. dist. 14 quaest. 1 T. U. Durandus
in Sent. IV dist. 17 quaest. 1. Wäiirend Duns selbst in der Taufe die
Gnade allein wirken lässt, hat ßiel — in der Konsequenz der scotistischen
Busstheorie — auch für die Taufe ein meritum de congruo konstruier.t,
nämlich das Verdienst der den Täufling darbringenden Personen (IV dist. 19
art. 2 concl. 5). Somit ist Christus nie sola et totalis causa meritoria.
Duns nimmt dagegen auch an, dass Christus als totalis causa uns das
Paradies verdiente (III dist. 19 quaest. un. § 8).
^) Vgl. meinen Versuch, die reformatorischen Gedanken Luthers als
Ersatz für die Frömmigkeit des Busssakramentes zu verstehen (Dogmen-
gesch. II).
Die Gnadenlehre und das Werk Christi. 335
erwarb. Dieses Verdienst nun lässt Gott sich zum Anlass
werden, die Menschen mit dem Habitus zu verdienstlichem
Handehi auszurüsten. Das geschieht aber durch die Einsetzung
der Sakramente. Der Zusammenhang: Verdienst Christi —
Sakramentseinsetzung — Gnadenhabitus — verdienstliche Werke
ist damit klar gestellt. Nun bietet aber das Werk Christi
noch eine andere Seite dar: die heilige Belehrung und An-
regung. Dass Duns in der Fortwirkung dieser Bethätigung
Jesu ebenfalls Gnadenmauifestation erblickt hat, kann nicht
wohl bezweifelt werden. Dann ist es aber eine Lücke in seiner
Gnadenlehre, dass er dieselbe nur auf die Sakramente, und
nicht auch auf das Wort hin angelegt hat. Das Verständnis
vom Werk Christi, das Duns hat, erfordert vielmehr, dass die
Gnade und damit die Gnadenwirkungen durch die augustinische
Formel verbo et sacraraento ausgedrückt werden ; oder nicht
nur eine Lehre vom Sakrament, sondern auch eine Lehre vom
Wort wäre zu entwickeln gewesen. Der Gesichtspunkt der
Koordinierung von Wort und Sakrament war Duns übrigens
nicht fremd, wie die Schrift „de perfectione statuum" zeigt,
nach der Bettelmönche und Prälaten das Werk Christi fort-
führen, indem jene die Predigt, diese die Sakramente versehen
(vgl. oben S. 291). Ebenso war es ihm ganz geläufig, dass
die eigentlich zu Gott bekehrende q Mächte gewonnen werden
durch audire missas, praedicationem, correctionem, instructionem,
per quae convertitur ad diligendum deum (Sent. III dist. 30
quaest. uu. § 3). Aber die Macht der Tradition hat es trotz
alledem auch bei Duns zu keiner Theorie vom Worte Gottes
kommen lassen. ^) — Nur ein Gedanke der Gnadenlehre findet
keine direkte Anlehnung im Werke Christi, das ist der Ge-
danke der Sündenvergebung. Indessen kann uns das um so
weniger überraschen, als wir die untergeordnete Stellung dieses
Begriffes in der Eechtfertigungslehre des Duns soeben erkannt
haben. Die Vergebung bildete ja nur eine selbstverständliche
Folge der effektiven Begnadigung, also bedurfte es für sie
^) Erst das Tridentinum macht einen gewissen Ansatz , auch dem
Wort eine Rolle bei der Rechtfertigung zuzuweisen, s. Dogmengesch.
II, 426. 428.
336 Kap. III: Die Person Christi und die Erlösung.
keiner besonderen Begründung in Christi Werk. Die durch
Abälard wieder angedeutete Begründung der Vergebung auf
die „Nachfolge Christi" — kurz gesagt — , hätte der Sünden-
yergebung eine Bedeutung vindiziert j die ihr in dem Gedanken-
zusammenhang dos Duns nicht zustand, und es wäre im Zu-
sammenhang damit die Bedeutung des Habitus für die Recht-
fertigung geschwächt worden.
Viertes Kapitel.
Die Lehre von den Sakramenten.
I. Die allgemeine Sakramentsielire.
1. Der Begriff Sakrament.
1. Nicht nur die vom Lombarden hergestellte Ordnung
der Begriffe, sondern auch der innere Zusammenhang führt
Duns im 4. Buch weiter fort zu den Sakramenten. Denn nach-
dem wir die Begnadigung des Sünders kennen gelerot haben,
ist in VerbinduDg mit der selbstverständlichen Voraussetzung,
dass dieselbe in der Kirche sich verwirklicht, weiter von den
kirchlichen Mitteln zur Heilung und Heiligung des Sünders zu
reden. Diese weisen über sich auf die Eschatologie hinaus :
nam curatio semiplena fit per gratiam sacramentorum quae
sunt medicinae salubres, plena autem fit per collationem prae-
miorum, quae sunt iucundae refectiones (in Sent. IV dist. 1
praef. § 2).
Indem wir von der Besprechung des Werkes Christi her-
kommen, wird zunächst der Zusammenhang der Sakramente
mit demselben ausdrücklich aufgezeigt. Das Christentum ist
die höchste Stufe der Offenbarungsreligion (lex). Nach der
historischen Begel: in processu ab imperfecto posteriora sunt
perfectiora, werden auch die Sakramente des neuen Bundes die
besten sein. Auf dasselbe Resultat führt die Erwägung, dass
Christus durch sein Leben und Leiden die perfectissima causa
meritoria gratiae für uns geworden ist. Indem Gott hiedurch
zur Verleihung von Gütern an die Menschen geneigt gemacht
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 22
338 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten.
wird, wird er auch willig, maxima adiutoria ad gratiam
liominibus conferri (IV dist. 2 quaest. I, 2 f.). AVie alle guten
Gaben, die der Sünder von Gott empiängt, ihren Grund an
der verdienstlichen Gehorsamsthat Christi haben, so auch die
Institution der Sakramente (§ 6. 7) und ihre Wirksamkeit
(§ 9 ff.). Diese Vollkommenheit der neutestamentlichen Sakra-
mente ist intensiv und extensiv die höchste ; intensiv, sofern
sie als Zeichen, in vollkommener Weise für die menschliche
Erkenntnis das Darzustellende abbilden und sofern sie voll-
kommen Gnade bewirken. So kommt die „Gnade und Wahr-
heit", die Christus gebracht hat, hier zur Geltung. Zum
andern eignet ihnen in extensivem Sinn die Vollkommenheit,
da sie das ganze Leben mit seinen Bedürfnissen und Bezieh-
ungen umspannen. Geburt, Ernährung, Kräftigung, Wieder-
herstellung der etwa verlorenen Gesundheit, liegen auf jedem
normalen Lebensweg. Auch auf dem geistlichen Gebiet be-
gegnet man ihnen: Taufe, Eucharistie, Konfirmation. Busse.
Da aber dieses Leben nur eine Vorbereitungsstufe für ein
höheres Leben ist, wird der Übergang von dem einen zum
andern durch die letzte Ölung gefördert. Aber andererseits
hat jedes Leben die Aufgabe der Förderung der es umgebenden
Gemeinschaft. Diese geschieht einerseits durch die Zeugung,
welche die notwendige Voraussetzung des Bestandes einer geist-
lichen Gemeinschaft ist, andererseits durch den ordo zur Her-
stellung von letzterer. So ergibt sich die Siebenzahl der Sakra-
mente und ihre Bedeutung für alle Seiten des Lebens: Bap-
tismus pertinens ad generationem spiritualem, eucharistia neces-
saria ad nutritionem, confirmatio ad roborationem, poenitentia
ad lapsi reparationem, extrema unctio ad finalem praeparationem,
matrimonium ad multiplicationem in esse naturae vel carnali et
ordo ad multiplicationem in esse gratiae vel spirituali (1. c. § 3).
2. Von diesen Sakramenten wird sodann behauptet, sie
seien samt und sonders von Christo eingesetzt. Hierfür wird
der Versuch eines Schriftbeweises gemacht, s. § 4. 5.^)
Die Gnade, von der hier die Rede ist, ist die gratia creata.
^) Es entspricht den wirklichen Verhältnissen, wenn Duns gelegent-
lich sagt: Alia sacramenta a baptismo et poenitentia forte non sunt neces-
Der Begrift" Sakrament. 339
Daraus ergibt sich als erstes Problem die Frage, ob eine
Kreatur etwas erschaifeu könne. Man könnte sagen, dass wie
eine Kreatur etwas vernichten kann, so muss sie auch schaffen
können, da in beiden Fällen es sich von dem Übergang von
dem nichts zu etwas handelt (IV dist. 1 quaest. 1, 2). Da-
gegen sprechen aber die Autoritäten des Damasceners und
Augustins, die beide selbst den Engeln die schöpferische
Thätigkeit absprechen (§ 4). Und dementsprechend haben auch
Thomas, Heinrich von Gent und Agidius jene Frage verneint
(§ 5 f.). Und zwar mit verschiedenen Gründen, etwa weil die
Schöpfung ein schlechthin direkter Akt Gottes sein müsse, da
doch das esse simpliciter das Ziel der Schöpfung sei und des-
halb nur von Gott gegeben werden könne (Thomas). Aber auch
weil der unendliche Gegensatz von einem Seienden und einem
Nichtseienden nur von einer virtus infinita überwunden werden
kann (so Heinrich Quodlibet. IV quaest. 37). Aber auch weil
das niedere Agens bei seinem Handeln voraussetzt ein von
einem höheren Agens Gewirktes, wie etwa die Kunstbethätigung
die Existenz der Natur, oder alles Menschenthun ein Gottes-
thun voraussetzt. Endlich aber, da alles Erschaffene in seinem
Handeln Potenzialität, folglich auch Bewegung und Verände-
rung in sich hat, daher kann es auch nicht schaffen. Da
nämlich das Schaffen ein nichts voraussetzt, das Subjekt aber
der Bewegung ausgesetzt ist, würde der Akt des Schaffens,
der absolute Aktivität sein müsste, indem das Nichtseiende
seinerseits keinerlei Realität beisteuert, unmöglich sein (Agidius
Quodlib. I quaest. 3. 4; quia creare est de nihilo, motus autem
in subiecto est).
Nach seiner Weise widerlegt Duns diese Gründe als un-
genügend. Was den ersten Grund anlangt, so wird dagegen
der Satz erwiesen, dass ein zusammengesetztes Sein sehr wohl
von einer geschaffenen Ursache hervorgebracht werden kann
(§ 7). Aber auch das Argument des Heinrich führt nicht
zum Ziel. Denkt man sich zwei äusserste Gegensätze, so wird
ihr Abstand untereinander so gross sein, als der eine grösser
saria (IV dist. 40 quaest. unica § 5). Das eigentliche Hauptsakrament
war aber doch die Busse.
22*
340 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten.
ist als der andere. Es wird also z. B. der A})stand zwischen
Gott und einer belic^bigen höchsten Kreatur ein unendlich
grosser sein, weil Gott unendlich viel grösser ist als jede
Kreatur. Die Distanz wird also an dem Überschuss der
Quantität des einen Gegensatzes vor dem anderen erkannt.
Nun ist aber, wenn man das Nichtseiende einem geschaffenen
Seienden gegenüberstellt, letzteres ein endliches, also kann der
Abstand zwischen beiden nur ein endlicher sein. Wollte man
aber bei dem Nichtseienden einsetzen, so führte das nur zu
demselben Resultat, denn da das nichts nicht ein Seiendes ist,
so wird immer das Mass des Abstandes gleich dem Überschuss
an Sein bei dem Seienden, d. h. endlich sein (§ 11). Das
3. Argument läuft entweder auf eine petitio principii hinaus,
weuQ nämlich der Obersatz im Beweise ebenso lautet wie der
zu beweisende Satz, nämlich dass das niedere Agens voraus-
setzt als Objekt seiner Thätigkeit ein Produkt des primum
agens. Oder der Satz wird allgemein genommen, dann ist er
richtig sofern jedes operari ein esse, nämlich das des Handelnden,
voraussetzt; dann beweisst der Satz hier aber nichts (§ 14).
Der 4. Beweis taugt endlich deswegen nichts, weil die der
Kreatur eigene Potenzialität nicht den Schluss begründet,
dass ihr Handeln der Bewegung und Veränderung im Sinne
des Aufhörens unterliegt, sondern nur den, dass es jeweilig
auch die Form der Potenzialität annimmt. Aber nur jenes und
nicht dieses würde den Schluss, dass die Kreatur nicht schöpfer-
ische Ursache eines anderen sein kann, rechtfertigen (§ 15).
3. Indem also jene Argumente nicht ziehen , ist ein
anderer Weg zu suchen zur Lösung der Frage. Duns geht
aus von der Unterscheidung zwischen dem creare instrumen-
taliter et principaliter. Agere principaliter kann sowohl heisseu,
unabhängig von einer höheren wirksamen Ursache handeln, als
auch vermöge der dem Handelnden einwohnenden und eigen-
tümlichen Form (per formam propriam et intrinsecam agenti)
handeln, mag immerhin die Handlung auch auf eine höhere
Ursache zurückweisen. Im ersten Sinn würde jede Handlung
einer causa secuuda ein agere instrumentaliter sein. Bemessen
am zweiten Sinn des agere principaliter werden wir aber jedes
Handeln ein instrumentales neuneu, das nicht aus einer dem
1
1
Keine Kreatur kann Gnade schaffen. 341
HaDflelndeii eigenen aktiven Form erwächst, sondern durch ein
anderes Subjekt veranlasst wird, wie etwa bei dem Handeln
des Beils oder der Säge (§ 26).
Ein prinzijDales Handeln im erstgenannten Sinn kann nur
von Gott ausgesagt werden. Dagegen ist es fraglich, ob das
prinzipale Handeln im zweiten Sinn auch vom Menschen gelte.
Man versucht das zu beweisen, indem man zeigt, dass nichts
gegen die Möglichkeit spreche , dass der Mensch derartige
AVirkungen frei hervorbringe (§ 27). Duns selbst aber verneint
das creare principaliter auch in diesem Sinne für die Kreatur.
Dieses wird durch eine Anzahl Beobachtungen bewiesen. Die
erste lautet: keine erschaffene rein intellektuelle Natur kann
eine Substanz erschaffen. Und zwar deshalb, weil die Jn-
tellektion im Menschen ein Accidenz ist. Als solches kann sie
nun nicht eine feste und notwendige Beziehung zwischen dem
Subjekt und einem Objekt herstellen. Anders ist es bei Gott:
cuius intellectio et volitio sunt essentia eins et ideo per in-
tellectiouem et volitionem potest substantiam producere, creatura
autem non sie (§ 28). Der zweite Satz heisst: keine forma
materialis, d. h. eine an die Materie gebundene und in ihr
bestehende Form, kann von einer Kreatur erschaffen werden.
Das wird so bewiesen: eine geschaffene Form ist naturgemäss
früher von der sie bewirkenden Ursache abhängig, ehe sie die
Materie informiert. Die in der Materie sich auswirkende Form
kann nicht von irgend einer Kreatur herkommen, bevor sie
ihrer Materie zur Form wird, also kann sie nicht von einer
Kreatur erschaffen sein. Der Obersatz ist klar, der Untersatz
bewährt sich aber daran, dass wenn eine Kreatur die Form in
ihrer von der Materie noch getrennten Substanz erschaffen
könnte, sie auch diese Form an und für sich, unabhängig von
der Materie, irgend müsste erhalten können, sodass wirklich
eine Weile über durch die Kraft dieser Kreatur eine Form
ohne Materie bestände. — Der dritte Satz endlich wird so
ausgedrückt: keine forma materialis kann das Prinzip zur
Schöpfung von etwas sein. Das ist einleuchtend, weil wie
jene Form nur innerhalb einer Materie besteht, so auch bei
ihrem Handeln eine Materie, auf die sich dasselbe bezieht, vor-
ausgesetzt ist (§ 28). Aus diesem Satz folgt, dass weder ein
342 Kap. IV^: Die Lehre von den Sakramenten.
Engel noch eine materielle Substanz — denn die Materie an
und für sich ist nicht Prinzip einer produktiven Handlung — ,
noch auch eine materielle Form etwas erschaffen könne (§ 29).
Damit ist aber die aufgestellte Frage beantwortet. Ein Schaffen
im Sinne des prinzipalen Handelns kommt also keiner Krea-
tur zu.
Aber auch das leugnet Duns , dass eine Kreatur ein
instrumentaliter creare ausüben könne, in dem Sinn, dass sie
dabei ein instrumentum proprio activum ist. Ein Werkzeug
kann doch nur in Bezug auf eine vorangehende Disposition
oder auf das fixierte Ziel thätig werden. Bei der Schöpfung
ist aber etwas Vorhandenes nicht gegeben, und andererseits
kommt dem Werkzeug als solchem eine forma activa nicht zu
(§ 31). — Ist demnach jedes Schaffen der Kreatur versagt
geblieben, so kann doch der Fall eintreten, dass die sonder-
liche Beschaffenheit einer Kreatur die Disposition zu einer
götthchen Schöpfung darbietet. Das gilt — nach den Grund-
lagen der scotistischen Lehre — natürlich nicht an und für
sich, sondern nur relativ, sofern nämlich es Gottes Verfügung
so ist. Gott kann also freilich dem Priester die Gewalt geben,
in dem Sünder eine Disposition hervorzurufen, die ihrerseits
einen Erguss der göttlichen Gnade bedingt. Aber den bedingt
sie nur, weil Gott es so geordnet hat, dass er jedem so und
so Disponierten die Gnade erteilen wird. Von einer schöpfe-
rischen Thätigkeit des Priesters kann also auch in diesem Fall
nicht die Bede sein (§ 31).
4. Duns kommt in der zweiten Quästion zu der Frage
nach der Definition des Sakramentes. Hier wird zunächst
festgestellt, dass das Sakrament definiert werden kann, da die
Bedingungen, unter denen eine Definition vorgenommen werden
kann, bei ihm in Erfüllung gehen. Es sind folgende, dass 1)
ein Seiendes da ist, 2) das in sich eine Einheit bildet, 3) das
real ist, d. h. nicht ein blosses Verstandesbild, sondern ein
Abbild des Wirklichen, 4) dass es nicht ein schlechthin ein-
faches Ding ist, und 5) dass es nicht etwas schlechthin Singuläres
ist (IV dist. 1 quaest. 2, 2 f.). Diese fünf Merkmale der
Definibilität gelten von dem Sakrament. Dass Gott eine un-
sichtbare Wirkung zum Heile des Menschen erschaffen könne.
Die Definibilität des Sakramentes. 343
ist dem Theologen aus der göttlichen Macht an sich einleuchtend.
Es ist aber auch möglich, dass Gott ein äusseres Zeichen ein-
setzen kann zur Bezeichnung jener unsichtbaren Wirkung.
Solcher Zeichen bedienen sich auch die Menschen, nämlich der
rememorativen, die auf Vergangenes, der prognostischen, die
auf Zukünftiges, und der demonstrativen, die auf Gegen-
wärtiges hinweisen. Es ist nun nicht unmöglich, dass Gott
solche Zeichen einsetzte, indem er sich selbst dazu bestimmte,
ut cooperetur ad aliquod Signum ab eo institutum ad causandum
effectum signatum, nisi impediat indispositio eins cui adhibetur.
Es ist etwas Ahnliches, wie wenn ein Mensch sich etwa vor-
setzt, dass er z. B. die Berührung der Hand oder das Auf-
heben des Fingers immer mit seinem Wohlwollen begleiten
wolle, es sei denn, dass der durch dieses Zeichen Ausgezeichnete
ihn daran verhindere. Ein Zeichen aber, mit dessen An-
wendung der Einsetzende zu regelmässiger Mitwirkung sich
bestimmt, kann ein signum verax vel certum genannt werden,
im Gegensatz zum signum incertum vel aequivocum, das ebenso
sehr das Bezeichnete als sein Gegenteil mit sich bringen kann.
Signum efficax nennen wir aber das Zeichen, si adhibito signo
sequitur signatum ordine naturae, sodass also die Setzung des
Zeichens den Eintritt des Bezeichneten bewirkt. Wie nun
Gott ein sinnliches Zeichen einsetzen konnte, so auch mehrere
(§4).
Indem nun dieser Gedankenzusammenhang in sich eine
Einheit bildet und seine Teile einander nicht widersprechen,
ist deutlich, dass er nicht auf etwas Unmögliches, d. h. ein
Nichtseiendes geht. Somit ist dem ersten der obigen Merk-
male entsprochen. Auch dem 2. Merkmal ist das Sakrament
konform. Denn wenn auch mehrere Dinge zu seinem Bestand
konkurrieren, so ist dadurch die Einheit des Begriffes nicht
ausgeschlossen. Was, zum dritten, die Forderung der Bealität
xinbetrifft, so ist zuzugestehen, dass der Begriff signum ex
institutione — das ist ja das Sakrament — solch ein direktes
Fundament in der äusseren Welt nicht hat. So angesehen
kann also eine Definition des Sakramentes nicht gegeben
werden, wohl aber darf es definiert werden, sofern es einen
einheitlichen Begriff im Verstände darstellt. Duns meint also,
344 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten.
(lass das Sakramont nicht so definiert worden kann, wie die
Objekte, die eine quidditas extra animam bilden, sondern so
wie die logischen Begriffe, die tantummodo conceptus in anima
sind. Nicht im objektiven Bestand, sondern für den subjektiven
Verstand ist also das Sakrament ein einheitliches und daher
definibles Ding (§ 7). Über den vierten und fünften Punkt geht
Duns schnell hinweg, da es klar sei, dass das Sakrament weder
etwas schlechthin Einfaches noch etwas schlechthin Singuläres
ist (ib.). Das ist richtig, da nach seinen Erörterungen, die zum
ersten Punkt vorgetragen sind, es ebenso einleuchtend ist, dass
es etwas Zusammengesetztes, wie etwas seine Art mit anderen
Zeichen Teilendes ist. Somit kann das Sakrament definiert
werden. — Es ist signum sensibile gratiam dei vel effectum
dei gratuitum ex institutione divina efficaciter significans ordi-
natum ad salutem hominis viatoris (§ 9 cf. IV dist. 19 quaest.
un. § 23).
5. Die Frage nach der Notwendigkeit der Einsetzung der
Sakramente kann, nach dem Gottesbegriff des Duns natürlich
nicht in absolutem Sein bejaht werden, quia deus extra se
nihil agit necessario (IV dist. 1. quaest. 3, 2). Wohl aber
war es congruum, dass Gott, sofern er den Menschen zum
Heil verordnen wollte, die unsichtbare Wirkung auf den Menschen
an ein sinnliches Zeichen knüpfte, damit der Mensch, der aus
dem Sinnlichen die Erkenntnis sucht, um so sicherer jene un-
sichtbare Wirkung erkennen könne. Je praktischer und sicherer
ein solches Zeichen war, desto sicherer wurde die Erkenntnis
des dadurch Symbolisierten, und desto stärker dadurch das
Verlangen des Menschen nach jenem wie diesem (ib.). Aber
nur als ein besonderes signum institutum war es zu diesem
Zweck geeignet. — Noch von einem anderen Gesichtspunkt her
kann die relative Notwendigkeit der Einsetzung derartiger
Zeichen erwiesen werden. Solche Zeichen vereinigen sow^ohl
die Anhänger einer religiösen secta, als sie dieselben von
anderen sectae unterscheiden, zumal wenn von der Anwendung
der Zeichen ein praktischer Erfolg erwartet wird (ib.). Aber
sicher ist ein solches Zeichen nur, w^enn die es einsetzende
Person schlechthin zuverlässig ist. Das ist aber der Fall,
wenn Gott es ist, der seine Kooperanz zu dem angeordneten
Die Notwendigkeit der Sakramente. 345
ZeicheD zusagt (§ 4 f.). Demnach fasst die Einsetzung der
Sakramente, genau betrachtet, zwei göttliche Akte in sich, die
Einsetzung des Zeichens und den Willensentschluss , dieses
Zeichen mit einer ihm entsprechenden Wirkung zu begleiten.
Ita est in deo alius actus rationis ad instituendum signum
sensibile ad practice signandum effectum dei , et alius quo
determinat se realiter ad cooperandum tali signo regulariter,
id est semper quando indispo.sitio suscipientis non impedit (§ 6).
Wenn nach dieser Darstellung die Sakramente formell
den Symbolen der übrigen Religionen gleichgestellt werden
können, so ist doch andererseits klar, dass in jeder Religion
(in quacunque lege) es besondere Sakramente geben muss.
Indem Duns hier an die Offenbarungsreligion denkt, stellt er
zunächst fest, dass in processu generationis human ae semper
crevit notitia veritatis, somit: lex autem posterior semper fuit
perfectior, quia deus Ordinate agens procedit de imperfecto ad
perfectum. Demnach wird die Entwicklung und Verbesserung
der Religion sich auch auf die Heilmittel erstrecken, d. h. die
sakramentalen Symbole werden immer deutlichere Zeichen einer
zunehmenden Gnadenerweisung w^erdeu (quaest. 3, 8). Hier-
aus ergibt sich aber, dass besser neue Symbole gewählt werden,
um die neue Stufe der Gnadenerweisung auszudrücken, da
sonst Verwechslungen in der Bedeutung des Zeichens unver-
meidlich wären (ib.).
6. Die Sakramente sind also Symbole der durch sie ab-
gebildeten Gnadenwirkungen Gottes; aber sichere Symbole, so-
fern ihre äussere Anwendung, nach Gottes Ordnung, sicher die
Gnadenwirksamkeit mit sich führt. In diesen Gedanken stecken
zwei neue Probleme : wie verhält sich die Gnade zum äusseren
Zeichen? Utrum sit possibile sacramentum quantumcunque per-
fectum habere causalitatem activam respectu gratiae conferendae?
(IV dist. 1 quaest. 4), und : an possibile sit in sacramento esse
virtutem supernaturalem, d. h. enthält das Symbol, wie etwa
eine Medizin, formaliter eine gewisse Kraft? (quaest. 5, 1).
Die Theologen des Mittelalters haben diese Fragen bekannt-
lich verschieden beantwortet. Mit einem derben „continere"
hat Hugo von St. Viktor die zweite Frage bejaht. Spätere,
allen voran Thomas, haben sich vorsichtiger ausgedrückt. Nach
346 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten.
der Ansicht des Thomas, die ich hier h;diglich nach Diins
(§ 2. 3) referiere, müssen die Sakramente eine gewisse Kau-
salität hezüglich der Gnade haben, denn wenn sie letztere bloss
symbolisierten, so würde kein realer' Unterschied zu den alt-
testamentlichen Sakramenten erkennbar sein, denn dass hier
dieses, dort jenes Symbol ])räuchlich war, würde einen wirk-
lichen Unterschied nicht l)egründen. Die Sakramente haben —
als äussere Zeichen betrachtet — eine dispositive Wirkung,
sie bewirken im Menschen den sakramentalen Charakter, oder
einen diesem entsprechenden Schmuck der Seele. Das ist die
Antwort auf die erste Frage. Aber auch die zweite der obigen
Fragen ist im Sinne des Thomas zu bejahen: im sinnenfälligen
Sakrament ist eine übernatürliche Kraft, zwar nicht in der
Weise eines ruhenden Seins, sondern in der Weise des un-
vollständigen Seins, d. h. als ein Werden, das auf das Sein
hinausstrebt. Die Kraft wohnt im Sakrament, wie etwa die
Begriffe in den sinnlich vernehmbaren Worten, oder wie ge-
wissermassen die Kunst dem vom Künstler bewegten Werkzeug
einwohnt. Das ist also die Ansicht des Thomas : das äussere
Zeichen als solches wirkt auf den Menschen disponierend für
den Empfang der sakramentalen Gnade; diese Gnade aber
wird dem Menschen nicht anders als durch Vermittlung dieses
Zeichens zu Teil.
Gegen beides richtet Duns seine zersetzende Kritik. Auch
seine Anschauung hat Vorgänger. Die grossen Theologen der
Franziskanerschule — Alexander und Bonaventura — haben
den symbolischen Sakramentsbegriff Augustins festgehalten, so-
weit derselbe mit der mittelalterlichen Orthodoxie vereinbar
war. Sie haben das äussere Symbol scharf getrennt von der
innerlichen, von ihm unabhängigen Gotteswirkung in der Seele.
Nicht in den Sakramenten, sondern nur in der Seele kann die
Gnade sein. Die Sakramente sind Symbole, wie das königliche
Siegel an einem Brief. Es besteht aber eine pactio Gottes,
dass er die Anwendung dieser Symbole mit seinen Wirkungen
in der Seele begleiten werde. Ex tali pactione dominus astrinxit
se quodammodo ad dandam gratiam suscipienti sacramentum
(Bonaventura in Sent. IV dist. 1 pars 1 art. 1 quaest. 2 seqq.).
Auf dieser Bahn geht Duns fort.
Die Gnade ist nicht in den sakramentalen Zeichen. 347
Gegen den ersten Gedanken des Thomas wendet er ein,
dass die Herstellung dör entsprechenden Dispositionen auf die
Gnade ein schöpferisches Thun wäre, dies aber keiner, am
wenigsten einer materiellen Kreatur zukomme , wie Thoinas
selbst lehrt. Gesetzt aber nun weiter, das Sakrament vermittle
als äussere Ursache die Gnadenmitteilung, so müsste, da jedes
Sakrament einem allmählichen A'oUzug unterliegt, auch die
Gnadenwirkung allmählich eintreten. Das ist aber nicht mög-
lich, da sie als göttliche Wirkung in instanti gegeben wird.
Zudem umfasst jeder Sakramentsvollzug eine grössere Anzahl
von Wörtern, bei welchem derselben sollte nun jene Wirkung
eintreten ? Endlich ist es ein anerkannter philosophischer Satz,
dass man nicht ohne Not Pluralitäten einführen darf, die
thomistische Annahme einer der Sakramentsgabe vorhergehen-
den Disposition sei aber durchaus unnötig (§ 4 — 7).
Bezüglich des zweiten Satzes des Thomas führt Duns
aus, die übernatürliche Kraft, die irgendwie im sinnlichen
Sakrament sein soll, müsste als unteilbare in letzterem
entweder tota in toto et tota in qualibet parte, oder tota
in toto et pars in parte sein. Aber das erstere Verhältnis
eignet nur der Form der vernünftigen Seele in ihrer Materie
oder dem Körper. Das letztere kann von einer geistigen Kraft
nicht gelten, indem es eine Ausdehnunung in sich schliesst.
Weiter: da das Sakrament in einer Einheit von vielen Wörtern
besteht, so müsste die geistige Kraft, entweder von Wort zu
Wort wandern, oder sich in die vielen Wörter verteilen. In
ersterem Fall würde ein Accidenz von Subjekt zu Subjekt
gehen und bestehen, während jene untergehen, im anderen
Falle würde es sich nicht um eine schlechthin einheitliche
Kraft handeln (§ 8). — Sodann: nimmt man eine solche Ver-
einigung an, wann soll sie eintreten, vor dem Gebrauch der
Sakramente, oder während desselben? Sie kann nicht vorher
stattfinden, denn dann müsste jedesmal durch ein neues Wunder
jene übernatürliche Kraft erzeugt werden, ohne dass das kirch-
liche Thun — es folgt ja erst — dafür irgend in Betracht
käme. — Aber auch nicht in der Handlung selbst, denn dann
ergäbe sich der unmögliche Gedanke, dass ein Werkzeug erst
durch den Gebrauch zum Werkzeug wird, während die Fähig-
348 Kap. IV : Die Lehre von den Sakramenten.
keit AVerkzeug zu sein, notwendig der Anwendung als Werkzeug
vorangeht. Endlich: man soll auch hier nicht die Sache unnütz
und mehr als der Glaube verlangt, komplizieren. Der Glaube
verlangt aber keineswegs, in das Wasser oder die Worte irgend
eine übernatürliche Kraft zu verlegen und einzuschliessen (§ 9).
7. Damit ist die thomistische Theorie widerlegt. Positiv
lehrt Duns folgendes zur Beantwortung der beiden S. 345
aufgeworfenen Fragen. Der Zweck der Sakramente ist die
Gnade. Von einer durch das äussere Sakrament gewirkten
Vorbereitung kann deshalb nicht die Rede sein , weil diese
erschaffen werden müsste. Hierzu ist aber das äussere
Sakrament, nach den S. 347 wiedergegebenen Erörterungen
ebenso unfähig, als etwa zur Erschaffung der Gnade selbst.
Nun aber war es eine kirchliche Formel, dass das Sakrament
causa gratiae ist. Dies erkennt Duns natürlich an. Er deutet
diesen Satz folgendermassen : Jede Beschaffenheit eines Dinges,
welche die unmittelbare Voraussetzung der Form ist, diese
also herbeinötigt, kann gewissermassen in Bezug auf diese
Form als aktive oder instrumentale Ursache bezeichnet werden,
wie z. B. das Verdienst als eine solche Beschaffenheit die
Ursache des Lohnes genannt wird. Nun ist das äussere
Sakrament oder auch sein Empfang eine derartige Beschaffenheit :
ergo ipsa potest dici quodammodo causa activa vel instrumen-
talis respectu gratiae (§ 12). Nämlich so: der Empfang des
Sakraments ist die gehörige Beschaffenheit, dispositio necessitans,
zum Eintritt der durch das Sakrament bezeichneten Wirkung,
natürlich nicht so, als wenn das Sakrament als solches die
Gnade hervorbrächte , sondern so , dass Gott es so geordnet
hat, dass er jedem, der dies äussere Zeichen empfangen werde,
die dadurch bezeichnete Gnade eingiesst. Nicht ist in dem
Zeichen eine Form, welche die Gnade hervorbringt, sed tan tum
per assistentiam dei causantis illum effectum , non
necessario absolute, sed necessitate respiciente potentiam ordi-
natam. Disposuit enim universaliter et de hoc ecclesiam certi-
iicavit, quod suscipienti tale sacramentum ipse conferret effectum
signatum (§ 13). Nur in diesem Sinn kann von einer Kausa-
lität der Sakramente bezüglich der Gnade geredet werden,
sofern Gott es so angeordnet hat, dass der Einwirkung jener
Symbole und reale Wirkuno^en. 349
Symbole auf die Sinne sich unmittelbar eine direkte über-
natürliche Einwirkung auf die Seele anschliesse. Haec est
enim excellentia sacramentorum novae legis , quod eorum
susceptio est dispositio sufficiens ad gratiam (1\' dist.' 19
quaest. un. § 24).
Diese zur Beantwortung der ersten Frage angestellten
Betrachtungen lösen auch die zweite Frage. Von der Ein-
wohnung einer übernatürlichen Kraft in den Sakramenten kann
nicht die Rede sein. Es wäre zwecklos, dieselbe so und so oft
entstehen und wieder vergehen zu lassen. Und da jenes doch
nur in der Kraft des göttlichen Paktes mit der Kirche ge-
schehen könnte, so ist nicht einzusehen, warum dieser Pakt
sich nicht direkt in der Seele selbst sollte realisieren können?
Aber auch hier ist Duns bereit, dem üblichen Sprachgebrauch
entgegenzukommen. Man kann sagen, dass das äusserste an
Kraft, was einem wirksamen Zeichen (signum practicum) zu-
kommen kann, dieses ist, quod significet efficaciter, hoc est
praevie et certitudinaliter. Die Kraft, welche so dem Sakra-
mente einwohnt, ist nicht eine ihm an und für sich eignende
Form (forma absoluta), sondern nur die Beziehung der Gleich-
förmigkeit zwischen dem äusseren Zeichen und dem dadurch
Dargestellten (relatio conformitatis signi ad signatum). Damit
ist nicht viel gesagt ; die Kraft, welche dem Symbol einwohnt,
ist die Beziehung zu dem Objekt, welches es abbildet. Diese
Beziehung kann im Symbol auch äusserlich begründet sein (z. B.
bei der Abwaschung der Taufe), oder sie kann eine rein ideelle
sein, wie bei den meisten Sakramenten ; eine weitere Kraft
über diese hinaus kann in dem Zeichen oder Symbol nicht
enthalten sein (quaest. 5, 16).
8. Wir können hier gleich einige Bemerkungen anschliessen,
die Duns erst im Zusammenhang der Tauflehre vorträgt. Das
sinnliche Zeichen und die Einsetzungsworte verhalten sich nach
der üblichen scholastischen Theorie bekanntlich in den Sakra-
menten so zu einander, wie Materie und Form. Duns zeigt
aber, dass das Verhältnis an und für sich ein anderes ist. Die
Materie ist, genau geredet, die gesamte Grundlage einer sakra-
mentalen Handlung, und die Form ist die besondere Beziehung
des Zeichens, welche es gerade zu diesem Sakramente macht
350 Kap. IV: Die Lclire von den Sakramenten.
(IV clist. 3 quaest. 2, 3). Diese Betrachtungsweise ist ein-
leuchtend. Die Materie im Sakrament sind also alle die
Elemente, welche bei Vollzug der Handlung in Wirkung
kommen, also das Zeichen und die • Einsetzungsworte, bozw.
die Worte bei dem Vollzug, sowie das Geben und Empfangen.
Dagegen besteht das Wesen oder die Form des Sakraments —
ganz richtig — in dem besonderen Zweck, an welchem jene
Elemente ihre Einheit haben. Da nun aber die Materie im
Sakrament aus verschiedenen und für das Ganze verschieden-
artigen Teilen besteht, so kann, wie Duns weiter ausführt, der
die übrigen Teile bestimmende Teil wohl auch als die Form
der anderen bezeichnet werden. Denn es ist Art der Materie,
voranzugehen und sich bestimmen zu lassen, während die Form
folgt und bestimmt. Ebenso kann ein principalius et actualius
oder ein spiritualius als Form bezeichnet werden, gegenüber
dem mehr potenziell und weniger geistig Beschaffenen. In
diesem Sinn ist die übliche Unterscheidung zu verstehen. Die
Worte sind das Bezeichnende und das Geistige im Verhältnis
zu den sinnlichen Zeichen.
9. Weiter sei hier auf die Lehre von der Intention des
das Sakrament vollziehenden Priesters verwiesen. Hievon
handelt Duns IV dist. 6 quaest. 6. Zu der Unterscheidung
einer thatsächlichen Intention (intentio actualis) von der habi-
tuellen Intention, wo ein Habitus auf den betreffenden Akt
hinweist, fügt Duns die intentio virtualis. Jene Einteilung ist
nämlich nicht erschöpfend, denn es ist ein weiterer Fall denkbar.
Jemand beginnt etwa eine Messe zu lesen mit der aktuellen
Absicht, die Messe zu feiern. Aber über der Feier wird er
zerstreut, jene Absicht tritt aus seinem Bewusstsein. Und
doch liest er weiter. Es ist aber zu wenig, jetzt bloss eine
habituelle Intention anzunehmen, denn eine solche wohnt ja
auch dem Schlafenden bei. Diese Intention nun, da jemand
seine Handlung fortsetzt in der Kraft der voraufgehenden
aktuellen Intention, nennt Duns die virtuelle Intention. Jene
erste wirksame Intention trägt nämlich potenziell in sich die
ganze Beihe der folgenden Akte. Wenn also etwa jemand
eine Wallfahrt zum heiligen Jakobus beschliesst, so ist das
eine intentio actualis, welche eine grosse Anzahl von Mitteln
Materie, Form, Intention. Charakter. 351
in sich befasst. Aber nicht während jedes Momentes der
Wallfahrt denkt er an den heiligen Jakobus, trotzdem ist jeder
Moment ethisch verdienstlich, sofern er entweder von Inten-
tionen bezüglich der Mittel zur Erreichung des Zweckes oder
von aus jenen hervorgegangenen Handlungen ausgefüllt ist.
In diesen Intentionen wie Handlungen wirkt aber virtuell jene
erste Intention fort (§ 2).
Wendet man diese Beobachtungen auf das Sakrament an,
so ist zuerst zu sagen, dass die habituelle Intention des Priesters
nicht genügt, denn diese allgemeine Neigung bewirkt nichts in
Bezug auf eine menschliche Handlung. Diese kommt durch
sie nicht zu stände. Andererseits ist aber auch die aktuelle
Intention nicht vom Priester erfordert, quia non obligavit deus
hominem ad impossibile vel nimis difficile, cuius modi est non
distrahi. Gesetzt also, der Priester hat die aktuelle Intention,
das Abendmahl zu celebrieren, so geschieht das, auch wenn er
beim Sprechen der Einsetzungsworte zerstreut sein sollte. Wer
sich also ankleidet mit der Absicht die Messe secundum usum
romanae ecclesiae zu begehen und die betreffenden notwendigen
Handlungen vornimmt, führt die sakramentale Handlung wirk-
lich aus, mag er immerhin noch so sehr durch andere Dinge
abgezogen sein (§ 3). Mit anderen Worten, wo der wirkliche
AVille das Sakrament der römischen Kirche zu begehen vor-
liegt, da wirkt er nach als virtuelle Intention und das genügt
zum Vollzug des Sakramentes. Die Handlung geschieht eben,
gerade so, als wenn jemand irgendwohin gehen will und sich
unterw^egs diesem Entschluss gemäss vorwärts bewegt, mag
seine Phantasie dabei immerhin auf ganz andere Dinge als sein
Ziel gerichtet sein (§ 4).
2. Der sakramentale Charakter.
1. Zum Schluss muss hier schon die Lehre vom sakra-
mentalen Charakter behandelt werden, die Duns erst
unter der Taufe, in der 6. Distinktion quaest. 9, darstellt.
Duns geht aus von der philologischen Bemerkung, dass das
griechische Wort Charakter dem lateinischen figura z. B.
Hebr. 1, 1 entspreche, ebenso könne es aber auch durch
Signum wiedergegeben werden (l. c. § 2). Die Theologen ver-
352 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten.
stehen gewöhnlich unter diesem Begriff quoddam spirituale
Impressum a deo suscipienti sacramentum non iterahile. Hieraus
ergeben sich zwei allgemeiue Merkmale des Begriffes, nämlich
1) es ist eine Form, die eine Ähnlichkeit des Inhabers mit
anderen Inhabern herstellt, und die 2) den Inhaber von dorn
Nichtinhaber unterscheidet. Dazu kommen drei spezielle Merk-
male : der Charakter ist 1) ein signum rememorativum, 2) ein
Signum conformativum Christo, 3) und Obligatorium ei. — Der
Charakter ist nun nicht eine Gnade, noch eine eingegossene
geistliche Kraft (Glaube , Hoffnung, Liebe), da nicht jeder-
mann, der das Sakrament empfängt, Gnade oder Tugend mit-
geteilt wird, wohl aber die bezüglichen Sakramente jedermann
den Charakter geben. Auch ist der Charakter deshalb nicht
Gnade oder Tugend, weil diese zerstörbar sind, der Charakter
aber indelebilis ist.
Mit diesen Bestimmungen ist lediglich die üblich gewordene
kirchliche Anschauung reproduziert und logisch in ihre Elemente
zerlegt. Aber was ist der Charakter? Setzt er etwas Reales
in die Seele des Sakramentsempfängers? Man verneint diese
Frage. Wie etwa bei einer Weihe dem geweihten Gegenstand
keine formale Heiligkeit, also nichts Reales mitgeteilt wird,
so ist es auch mit dem Charakter. Man kann dies durch den
Gedanken beweisen, dass man nicht unnütz eine Vielheit von
Wirkungen setzen muss, wo die Einheit genügt. Nun verlangt
WTder die Schrift noch die Autorität der Heiligen, noch auch
das Wesen des Sakraments, welches nur durch das sichtbare
Zeichen eine unsichtbare Wirkung, nämlich die Gnade, hervor-
bringen soll, die Annahme dieses Begriffes. Also scheint von
ihm abzusehen zu sein (§ 4). Es hat freilich Thomas sich
auf einige Stellen des Areopagiten und des Damasceners zu
gunsten des Charakters berufen. Aber diese Stellen beweisen
nichts (§ 5 f.). Auch auf Augustin kann man sich nicht be-
rufen, denn er hat diesen Begriff nicht ausdrücklich gelehrt;
etwa in seinen eingehenden Erörterungen über die Taufe (§ 8).
— Weiter kann man gegen diesen Begriff anführen, dass er
unnütz ist, indem man nichts Überflüssiges in dem Wirken
Gottes annehmen darf. Beruft man sich darauf, dass doch um
derentwillen, die heuchlerisch die Taufe — d.h. ohne Wirkung —
Gründe wider den sakramentalen Charakter. 353
empfangen , der Cbarakter als die Disposition für etwaige
künftige Wirkungen der Taufe notwendig ist, so wird diesem
Bedürfnis einfacher entsprochen durch die Annahme, dass Gott
hier später seine wirksame Assistenz eintreten lässt, die in der
Regel mit der Taufhandlung zusammen erfolgt (§ 9).
Ebensowenig bedarf es des Charakters von dem Gesichts-
punkt her, dass der Empfänger bestimmter Sakramente den
übrigen Empfängern ähnlich und dem Nichtempfänger unähnlich
werden müsse , denn bei einem professus in religione gehen
doch jene beiden Merkmale auch in Erfüllung, ohne jede ihm
inhärierende Form, bloss wegen des von ihm vollzogenen Aktes
der Profession (§ 10). Auch die Verpflichtung zur Zuge-
hörigkeit zu Christo ist schlechterdings nicht an jene Form
gebunden, wie denn etwa einer, der das Homagium abgelegt
hat, auch an den betreffenden Herrn — ohne Charakter —
gebunden ist. Aber auch die Idee des rememorativen Charakters
trägt nichts aus, denn Glauben und Liebe, die doch vorzüglichere
Gaben sind, als die Annahme etwa der Taufe, hinterlassen
nichts derartiges. Auch für Gott oder für die Gemeinschaft
der Seligen bedarf es dieses Erkennungszeichens nicht, denn
Gott braucht derartiges überhaupt nicht, und in der Gemein-
schaft der Seligen werden Glaube und Liebe den Ausschlag
geben (§ 10). — Oder sollte eine besondere excellentia gloriae
dadurch zum Ausdruck gelangen? Aber dann würde diese
in hervorragender Weise nur den Priestern eignen, die allein
alle Charaktere empfingen, sie würde andererseits Christo und
der Maria vollkommen abgehen, die keinen derselben er-
hielten. — Sollte ferner Gott einem Heuchler, der die Taufe
nachsucht und dadurch eine Todsünde begeht, ein donum
speciale schenken? Jede Gottesgabe ist gratis data oder gratum
faciens, d. h. sie dient dem Wohl des Empfängers oder der
Kirche. Aber der Charakter erfüllt weder die eine noch die
andere Bedingung (§ 11). Schliesslich aber ist zu sagen, dass
der Charakter unmöglich indelebilis sein kann, denn hat Gott
ihn erschaffen , so kann er ihn doch auch zerstören. WoUte
man aber aus der Unwiederholbarkeit bestimmter Sakramente
den Charakter begründen, so wäre zu sagen, dass sie un wieder-
holbar sind, weil Gott sie so eingesetzt hat. Ja, man kann
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 23
354 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten.
hier den Spiess umdrehen. Gerade dadurch wird das Sakrament
unwiederholbar, dass es keinen Charakter einprägt. Denn in
dem Mass, als ein solcher gegeben wäre, wäre er allmählich
zerstörbar. Wird aber das Sakrament als unwiederholbar
gesetzt, so ist es, gerade wenn es der Vergangenheit angehört,
schlechthin unwiederholbar, da selbst die potentia absoluta
Gottes Geschehenes nicht ungeschehen machen kann (s. S. 165).
Es würde sonach der Gedanke der Un Wiederholbarkeit be-
stimmter Sakramente schärfer begründet, wenn mau von dem
Begriff des Charakters absieht (§ 12).
2. Diese glänzende Kritik stellt den Scharfsinn ihres
Urhebers wieder in helles Licht. Nach den Vorstellungen und
Methoden seiner Zeit hat Duns unwiderleglich gezeigt, dass
kein Zug der römischen Sakramentslehre den Begriff des
Charakters erfordert. Weder die Autoritäten, noch das Wesen
der sakramentalen Gnade und ihr Zweck, noch die allgemeinen
oder speziellen Merkmale, die an dem Begriff des Charakters
haften , erfordern diesen Begriff. Im Gegenteil , man kann
diese Instanzen gegen ihn kehren. Eine leere nichtssagende,
von allem konkreten religiösen Gehalt entblösste Formel ist
der Charakter!
Und doch! der Charakter muss gehalten werden. Der
Prozess ist in allen Instanzen verloren. Das gesteht Duns
selbst ein (§ 13), aber: oportet aliquam auctoritatem habere,
cui initatur qui ponit eum, et tunc facile erit solvere quae
obiiciuntur (ib.) ! Merkwürdige Worte, die einen Blick in die
Wissenschaft des Mannes gewähren ! Die Autorität ist der
Archimedespunkt, ist er gegeben, dann werden alle Einwürfe
der Vernunft facile sich lösen lassen.
Was er hier sucht, findet er bald : breviter sentiendum est
de sacramentis ecclesiae, sicut sentit romana ecclesia. Bomana
autem ecclesia videtur sentire characterem imprimi in anima
in baptismo. Dafür wird ein Satz von Innocenz III. ange-
führt; dann fährt Duns fort: propter ergo solam au-
ctoritatem ecclesiae, quantum occurrit ad praesens, est
ponendum characterem imprimi (§ 14).
3. Jetzt dreht sich plötzlich die ganze Gedankenreihe
unseres Kritikers um. Es erscheint doch „angemessen" den
Die kirchliche Autorität allein fordert den Charakter. 355
Charakter anzunehmen: 1) Es erscheint als angemessen, dass
für die supernaturale Gnade, eine gewisse superuaturale Dispo-
sition erschaffen werde. 2) Es erscheint als angemessen, dass
Gott niemand das Sakrament umsonst empfangen lasse, dass
auch, wenn die Gnade fehlt, ein sonstiger Effekt verursacht
werde. 3) Es erscheint angemessen, dass die Zugehörigkeit
zur Kirche durch ein inneres Zeichen markiert werde (§ 15).
Das letzte dieser Argumente ist magis rationabilis, es bezieht
sich aber nur auf die Taufe (§ 15). Auch das erste lässt
eigentlich nur die Anwendung auf die Taufe zu. Da alle
Sakramente Gnade bringen, müsste durch alle eine derartige
Disposition erzeugt werden, man kann aber bei der Be-
schränkung auf die Taufe sagen, dass für sie, als für das erste
Sakrament, eine solche Disposition notwendiger sei. Dagegen
ist das zweite Argument nicht stichhaltig, wegen der Analogie
zu den übrigen Sakramenten (§ 16). Somit steht die Lehre
lediglich durch die Autorität der römischen Kirche fest, aber
man kann für sie doch zwei probable Kongruenzgründe in
das Feld führen! (ib.)
Es ergibt sich die schwierige Aufgabe die Gründe zu
entkräften, die er selbst aufgestellt hatte. Duns leistet auch
in dieser Beziehung, was nach Lage der Dinge zu leisten war.
Folgende Selbstwiderlegungen seien erwähnt. Wird nicht den
Dingen solch ein Charakter aufgedrückt, sondern nur dem Men-
schen, so ist auch der Mensch allein sein fähig. Lässt sich
auch die Notwendigkeit nicht erweisen, so genügt doch die
Autorität der Kirche. Könnte Gott nach der potentia absoluta
auch vom Charakter absehen, so hat seine potentia ordinata
ihn doch gesetzt, er hat eine Vielheit gewählt, wo eine Einheit
genügt hätte (§ 17). Könnte Gott auch die Verähnlichung
und Unterscheidung des Christen dem Nichtchristen gegenüber
durch einen vorübergehenden Akt hervorbringen, so erscheint
es doch angemessen, dass sie durch eine überbleibende Form
erhalten werde. Ebenso kann der Seele die Verpflichtung als
feste Form eingedrückt werden (§ 18). Zwar kann Gott sein
Schaf auch ohne dieses Zeichen erkennen, aber er kann es
auch mit Zeichen erkennen. Das Argument mit Christus und
Maria hebt sich dadurch auf, dass es sich hiebei um eine
23*
356 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten.
peifectio supplens imperfectionem handelt (§ 19). Auch in
Todsündern will Gott einen solchen Effekt verursachen. Was
die Unzerstörbarkeit anbetrifft, so lässt Gott übernatürliche
Gaben nur durch Sünden zerstört werden, da aber der Charakter
selbst Todsündern mitgeteilt wird, so kann die Sünde ihm
nichts anhaben, er ist somit unzerstörbar (§ 28). Man liest
diese Ausführungen mit einem gewissen Mitleid. Ein so
scharfer Denker wie Duns hat natürlich Zug um Zug em-
pfunden, dass er nichts beweist, sondern dass er höchstens das
als unnütz und unmöglich Erwiesene nun doch als relativ denkbar
hinstellt.
Duns wendet sich sodann der Frage zu, ob der Charakter
eine forma absoluta sei. Dies hat Thomas behauptet. Duns
bestreitet seine Gründe (quaest. 10). Das Resultat ist, dass
der Charakter gemäss der Merkmale, die ihm nach der Kirchen-
lehre zukommen, sehr wohl als absolute Form gedacht werden
könne, aber ebenso gut als respectus realis oder eine sachliche
Beziehung (§ 13). Warum nur drei Sakramente diese un-
verlierbare Relation in der Seele erzeugen, beantwortet Duns
damit, dass diese Sakramente ihrer Natur nach eine Wieder-
holung ausschliessen, denn die Aufnahme in eine Familie, die
Einstellung in den Militärdienst und die Erhebung zum Lehr-
amt sind einmalige Akte, die nicht wde Nahrung, Zeugung,
Versöhnung mit Gott, zu wiederholen sind (§ 12).
4. Wie aber eigentlich der Charakter konkret vorzustellen
ist, wird hier noch nicht ersichtlich. Jetzt aber wendet sich
Duns — wieder den Thomas bekämpfend — dem neuen
Problem zu, wo der psychologische Sitz des Charakters sei?
Die Gnade ist nach Thomas in essentia animae, ist nun der
Charakter eine potenzielle Disposition auf die Gnade, so wird
er in potentia animae sein. Da aber der Charakter eine be-
sondere Form sein soll, so kann er nur in einem besonderen
Seelenvermögen sein. Das wird aber der Intellekt sein. Da
nun aber nach Thomas die Vermögen der Seele später sind,
als ihre Essenz, gerät er in Widerspruch mit sich selbst, da
doch die dispositive Wirkung (des Charakters) unmöglich an
der späteren Seelenkraft geschehen kann (dist. 6 quaest. 11, 2),
Aber auch das ist nicht richtig, dass die Gnade sich un-
Der Charakter im Willen. 357
mittelbar in der Essenz der Seele finde, da die natürliche
Seele erst vollendet sein muss, ehe Übernatürliches in ihr ge-
geschieht. Ist sie nun vollendet, so fasst sie auch die Seelen-
vermögen in sich, diese sind also früher als die Gnade (§ 3).
Und auch das ist falsch, dass Thoraas den Intellekt vor dem
Willen bevorzugt (ib.). — Nun ist früher festgestellt worden,
dass die Gnade oder Liebe ihren Sitz im Willen habe (S 304 ff.) ;
da der Charakter auf den Gnadenempfang vorbereitet, ist er
ebenfalls in den Willen zu verlegen (§ 4). Ist aber der
Charakter das Zeichen oder die Grundlage der Bindung der
Seele an Gott, so ist es ganz richtig, dass er in die Hauptkraft
der Seele versetzt ist.
Hiernach wäre also schliesslich der Charakter eine gewisse
Bindung der Seele an Gott, die mit bestimmten Sakramenten
zugleich gewirkt wird, und die Seele auf den Empfang der
Sakramente selbst vorbereitet. Diese Erörterung verläuft in
ihrem positiven Teil ebenso unerfreulich, wie die über den
Habitus (s. S. 307 ff.).
5. Das sind die Grundzüge der scotistischen Sakraments-
lehre. Die Sakramente sind an sich nur symbolische Hand-
lungen. Keine andere Kraft wohnt ihnen ein, als die, dass sie
die Seele erinnern und hinweisen auf die Gnade, welche sie
abbilden. Und keine andere Kausalität hinsichtlich dieser
Gnade eignet ihnen , als die , dass , gemäss der Verfügung
Gottes, der Anwendung dieser sinnlichen Zeichen eine über-
natürliche Wirkung auf die Seele parallel laufen soll. Man
sieht, dass diese Anschauung an und für sich durchaus der
Augustinischen entspricht. Das Sakrament als solches ist nichts
als ein Symbol und wirkt nur was ein solches wirken kann.
Indem aber der Gedanke der Zuverlässigkeit Gottes jene Zeichen
zu sicheren Zeichen einer mitwirkenden Gnadeneinflössung macht,
ist doch wieder das mittelalterliche Interesse am Sakrament
gewahrt. Aber auch hier hat man den Eindruck, dass Duns
die kirchlichen Formeln — man denke vor allem an den Cha-
rakter — nur konserviert, weil sie eben kirchlich sind. Die
Prädestinationslehre hat er in diesem Gedankengefüge nicht
benützt. Die „Sicherheit*^ der sakramentalen Zeichen hätte
dann eine andere Deutung erfahren müssen.
358 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Taufe.
Aber zum vollen Verständnis dieser Lehre gehört noch,
dass man sich gegenwärtig erhält, was eigentlich nach Duns,
der durch die Sakramente, genauer geredet: im Anschluss an
sie, eingeflösste Gnadenhabitus ist. Nicht sowohl um geistliche
Kräfte, einen psychischen „Stoff'^ oder derartiges, handelt es
sich, sondern, indem Gott der Seele gegenwärtig wird, erzeugt
er «ine habituelle Neigung der Seele zu sich (oben S. 315).
Das bewirken die Sakramente also. Das äussere Symbol richtet
die Seele hin auf Gott und seine Gaben ; dann ist Gott gegen-
wärtig der Seele, und die Seele empfängt die Neigung und die
Richtung zu ihm, und durch diese den Antrieb sich zu ergehen
in Thaten, die auf ihn als Zweck abzielen. — Man muss diese
beiden Seiten des Sakramentsbegriffes nebeneinander halten —
das Symbol und die Gnade, wie Duns sie versteht, — um zu
begreifen, wie sehr er in diesem Hauptpunkt des kirchlichen
Lebens seiner Zeit, wenn man der Sache auf den Grund
sieht, von dem Gehalt der Kirchenlehre abweicht. Dort eine
heilige supernaturale Naturkraft, die dujch den Spruch des
Priesters in ein Ding der Sinnenwelt gebannt, eine neue geistliche
Substanz im Menschen erzeugt; bei Duns ein psychologischer
Prozess: heilige Symbole vermitteln Gottes Gegenwart und
diese zieht unser Herz zu Gott empor. Man muss dieser Grund-
differenzen bei den einzelnen Sakramenten eingedenk bleiben.
Immer wieder wird man durch psychologische Erörterungen über
die Wirkung der Sakramente überrascht (s. bes. die Busse,
aber auch das Abendmahl); darin liegt aber für den nichts
Auffallendes, der verstanden hat, dass der übernatürliche Ha-
bitus, den die Gnade durch die Sakramente erzeugt, eben nichts
anderes ist, als die E-ichtung der Seele auf Gott.
II. Die einzelnen Sakramente.
1. Die Taufe.
1. Bezüglich einiger Sakramente können wir uns im Ein-
zelnen kürzer fassen, da unsere Darstellung natürlich die üb-
liche Kenntnis der mittelalterlichen Dogmengeschichte vor-
aussetzt.
Form und Materie der Taufe. 359
Zuerst über die Taufe einige Bemerkungen. Die Form —
der Ausdruck in ungenauerem Sinn (s. S. 350) gebraucht —
sind die Worte : ego baptizo te in nomine etc. Diese Form
muss der Priester der ecclesia romana notwendig befolgen
(dist. 3 quaest. 2, 5). Sie ist deshalb genau einzuhalten, da
die Kirche verfügt hat, quod officia ecclesiastica dicantur et
sacramenta ministrentur in latino grammatico, et hoc rationa-
biliter, quia istud distinctius potest scribi et proferri (ib. 8).
Es ist also nicht erlaubt, für die drei Personen andere Aus-
drücke, wie genitor und genitus oder das zusammenfassende
trinitas, zu brauchen. Nun ist aber in der ältesten Zeit auf
den Namen Christi allein getauft worden. Da Duns nicht sieht,
ob diese ,, Dispensation'' von der Kirche jemals zurückgenommen
wurde, so ist es ihm zweifelhaft, ob heute eine so vollzogene
Taufe giltig ist oder nicht. Es scheint also sicher zu sein, bei
so Getauften eine bedingungsweise Wiedertaufe vorzunehmen,
wie bei solchen, von denen nicht bekannt ist, ob sie schon ge-
tauft, mit der Formel : si baptizatus es, non baptizo te ; sed si
non es baptizatus, ego te baptizo in nomine patris etc. (§ 10).
Geringfügige Auslassungen (§ 11) oder aus Unkenntnis her-
rührende Sprachfehler (z. B. in nomine patria et filia et sj^iritu
sancta § 12) heben dagegen den sakramentalen Charakter
nicht auf.
Wasser ist die Materie, nicht künstliches Wasser (dist. 3
quaest. 3, 3). Ob aber Wasser, welches gekocht wurde, in
das Mehl und Fleisch hineinkamen, ob Bier noch als wirkKches
Wasser bezeichnet werden können, das zu untersuchen ist Auf-
gabe der Naturphilosophen, da es sich darum handelt, ob die
species des Wassers trotz jener Zusätze erhalten geblieben
(ib. § 5). Durch die Taufe wurde die Beschneidung aufgehoben
(dist. 3 quaest. 4).^) Übrigens wird Gleichzeitigkeit der An-
wendung des Wassers und der begleitenden Worte für die
Taufe, wie auch für die übrigen Sakramente erfordert, da näm-
lich nur die Vereinigung beider das signum bildet, nicht das
eine für sich ohne das andere. In den Betrachtungen, die an-
^) S, die interessanten Bemerkungen über den Streit zwischen Petrus
und Paulus in Antiochien IV dist. 3 quaest, 4 § 14 ff.
360 Kap. IV : Die Lehre von den Sakramenten ; die Taufe,
lässlich dieses Gedankens von anderen angestellt wurden, ob
nämlich ein Esel das Sakrament trinken könne, erblickt Duns
mit Recht subtilitates asininae ! Er macht dem gegenüber die
treffende Bemerkung, dass es nicht auf das Wasser, sondern
auf die ablutio in aqua ankomme, und dass diese sich kein
Esel durch Trinken aneignen könne (dist. 6 quaest. 3, 2).
Unter Gleichzeitigkeit ist nicht mehr zu verstehen, als man in
Anwendung auf menschliche Handlungen unter diesem Begriff
versteht: quando incipit unum, antequam totaliter finiat aliud
(ib. § 4).
2. Bei der Kindertaufe setzt sich Duns ziemlich eingehend
mit den gegen sie erhobenen Einwendungen auseinander (ib.
dist. 4 quaest. 2), vor allem damit, dass der Glaube die Vor-
aussetzung des Gnadenempfanges sei, weil er die erste Ver-
bindung der Seele mit Gott sei und doch eine derartige Ver-
bindung notwendig dem Gnadenempfang vorangehen müsse (ib.
§ 1. 2). Wiewohl das Vorhandensein des Glaubens im ge-
tauften Kind nicht beweisbar ist, ist es doch anzunehmen, da
Gottes Werke vollkommen sind. Sagt man weiter, es müsse
dem Sakramentsempfaug eine erfüllte Bedingung vorangehen,
so ist das weder auf den Glauben der Eltern zu beziehen —
sie können ja Häretiker und Ungläubige sein, ohne dass da-
durch die Giltigkeit der Taufe angetastet wird — , noch auf
den Glauben der Kirche — denn auch, wenn niemand in dieser
gläubig wäre, könnte man eine giltige Taufe sich vorstellen.
Duns sagt, dass freilich eine meritorische Ursache für die
Gnadenerteilung anzunehmen sei, dass aber als solche nur
Christus — nicht irgend eine innere, dem Guadenempfang vor-
angehende — in Betracht komme (ib. § 3. 4). —
Duns erörtert weiter die Frage, ob ein Kind im Mutter-
leibe getauft werden könne. Sie wird verneint für den Fall,
dass das ganze Kind noch im Mutterleib ist, da die Taufe
eine Abwaschung mit Wasser oder eine Eintauchung in das-
selbe verlange. Dagegen wäre eine Taufe wohl möglich, wenn
das Haupt oder auch nur Hand oder Fuss aus dem Mutter-
schosse hervorgekommen sind (ib. quaest. 3, 3).
3. Von Interesse ist die Besprechung der Frage, ob ein
non consentiens die Wirkung der Taufe erhalten könne (quaest. 4).
Die Taufe von Kindern und Heuchlern, 361
Hier handelt es sich um Wahnsinnige oder Blödsinnige. Die-
selben sind zu taufen, quia nuHi deus excludit remedium ad
salutem (quaest. 4, 2); nur thut man gut, auf einen lichten
Moment zu warten, falls ein solcher überhaupt zu erwarten ist.
Bei vernünftigen erwachsenen Menschen, die nicht consen-
tienties sind, muss unterschieden werden die Negation des actu-
ahs consensus und ein actualis dissensus. Wer nun in dieser
doppelten Weise dissentiert, der empfängt nicht das Sakrament,
da Gott niemand wider seinen Willen der Familie Christi ein-
fügt (§ 3). Wenn aber jemand nur secundum quid dissentiat —
also nur aus Furcht — , im übrigen aber den sakramentalen
Charakter der Handlung anerkennt, so empfängt er wirklich das
Sakrament (§ 3). Das wäre selbst dann der Fall, wenn diese
Zustimmung in ihm nur in virtueller Gestalt, wie etwa im
Schlaf, vorhanden wäre (§ 6). Der Heuchler, der in Wirklich-
keit das Sakrament im Sinne der Kirche nicht will, emptängt
nicht die Wirkung des Sakraments (quaest. 5, 2), es sei denn,
dass er in der Busse seine Heuchelei bereut, da natürlich die
Taufe an ihm nicht wiederholt werden kann (§ 3). In diesem
Fall wird dann die Taufgnade an ihm wirksam werden und
zwar in Bezug auf alle vor seiner Taufe begangenen Sünden,
natürlich mit Ausnahme jener Sünde der Heuchelei, welche
die Taufgnade behinderte und erst durch die Busse zu tilgen
war. Sicut deus signo suo prius astitisset ad causandum effectum
eins vel dandum, quando suscipiatur, nisi fuisset impedimentum
in suscipiente, ita paratus est semper post susceptionem eius
signi assistere ei qui suscepit ad causandum effectum eius,
quando cessat illud impedimentum .(§ 4).
4. Der Erfolg der Taufe hängt somit ab von Gott als der
causa principalis, von Christi Leiden als der causa meritoria
und vom Empfänger des Sakraments. Jeder dieser Faktoren
ermöglicht nun eine Abstufung der Gnadengabe. Indem Gott
sich dazu bestimmt hat, die Anwendung des Taufzeichens mit
seiner Gegenwart zu begleiten, ist freilich wegen der certitudo
signi ein bestimmter Gnadeneffekt bei jeder Taufe zu erwarten,
aber warum sollte Gott nicht die einen Erwählten zu einer
höheren, die anderen zu einer niedrigeren Stufe der Herrlich-
keit prädestiniert haben? Aber dies würde nur den Sinn
362 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Taufe.
haben, dass Gott dem einen eine specialis benevolentia zu-
wenden wollte, nicht aber, dass dies das Gewöhnliche überragende
Gnadenmass an die Taufe geschlossen sei. Sonach kann man
unter diesem Gesichtspunkt dabei bleiben, dass das gleiche
Mass der Gnade in der Taufe allen mitgeteilt wird (dist. 4
quaest. 7, 3). Ebenso kann man in Bezug auf Christus sagen,
dass er für die einen, nämlich die Erwählten und die zu einer
höheren Gnade Erwählten , in vollerer Weise seine Passion
darzubringen die Absicht hatte, et praecipue cum se offerret
pro genere humano ad hoc, ut de eis impleretur divina prae-
destinatio (§ 4). Ebenso darf man sagen, dass für uns, die
wir uns in lege evangelica befinden, der Gehorsam Christi, als
ein bereits eingetretener, kräftiger wirksam ist, als für die
Patriarchen, für die er als erst zukünftig in Betracht kam.
Beschneidung und Taufe haben ja propter inaequalem appli-
cationem causae meritoriae nicht den gleichen Effekt. Duns
spricht sich hier freilich nicht recht deutlich aus: dubium est
de facto, sed possibilitas et ostensa (§ 4). Denkt man endlich
an die gewöhnlichen Emplänger der Taufe, an die Kinder, so
ist hier die Bedingung zum Empfang die gleiche, also kann
von hier aus nicht auf eine Ungleichheit der Gabe geschlossen
werden. Nimmt man aber an, dass die Eltern des einen
Kindes einen maior motus als die des anderen haben, oder dass
der fromme Priester erhörlicher betet als der gottlose, so
kommt die durch das eine oder andere etwa bewirkte Gnaden-
mehrung nicht sowohl auf die Rechnung des Sakraments, als
des meritum der Eltern oder des Priesters (ib. 5), ist doch
der Erfolg des Sakraments von der sittlichen Beschaffenheit
des redenden Priesters völlig unabhängig (dist. 5 quaest. 1, 5;
2, 5). Weiter wird gelehrt, dass die erwachsenen Täuflinge,
indem sie vor der Taufe, durch das Nichtvorschieben des
obex, aliquem motum disponentem und ein gewisses Verdienst
aufzubringen vermögen, also zur Taufe besser disponiert sind
als die Kinder (§ 5). Dico, quod magis et minus participant
effectum baptismi secundum quod magis et minus per opera
propria sunt dispositi ad fidem et devotionem (Eeport. IV
dist. 4 quaest. 7 § 2).
5. Diese zuletzt gehörten Bemerkungen sind in ihrem Zu-
Das Gnadenmass, unfreiwillige Taufen. 363
sammenhaDg überraschend. Sie zeigen, dass Duns, trotz aller
Versicherungen vom signum certum, seinen Gottesbegriff nicht
vergessen hat. Zwar weist Duns zurück, dass Gott durch die
Taufe ein verschiedenes Mass von Gnade erteile. Aber, wenn
es denkbar ist, dass Christi Werk in verschiedenem Mass für
die einzelnen wirksam wird, warum ist jenes erste abzuweisen,
ist es nicht in dem zweiten implicite enthalten ? Ja, müsste nicht
wenn man mit dem Gottes- und Prädestinationsgedanken des
Duns Ernst machte, die Sicherheit der Zeichen nur auf die
Erwählten bezogen werden ? Oder sind etwa alle , die zur
Taufe gelangen, erwählt? Aber auch hier hat die kirchliche
Praxis die Konsequenz der Gedanken eingeschränkt. Noch
merkwürdiger ist die Bemerkung des Duns über die Möglichkeit
einer reicheren Taufgnade für die durch ihre Verdienste —
gemeint ist natürlich das meritum de congruo s. S. 322 —
auf dieselbe prädisponierten Erwachsenen. Dieser Gedanke
beweist ziemlich deutlich den Zusammenhang der täuferischen
Praxis mit der scotistischen Dogmatik. Denn wenn wirklich
die Gnadenmitteilung eine grössere wird, wenn der Mensch
sich durch Verdienste auf die Taufe vorbereitet, und wenn
letzteres, auch abgesehen von der Taufe möglich ist, warum
sollte dann nicht die Taufe auf eine Zeit verschoben werden,
da die Bethätigung solcher Verdienste bereits sicher, und die
möglichst gesteigerte Wirkung der Taufe dadurch garantiert ist ?
6. In der 9. Quästion beantwortet Duns sodann die Frage,
ob Kinder von Juden und Heiden auch gegen den Willen
ihrer Eltern getauft werden dürfen ? Nun kann allerdings gegen
einen Privatmann, der dies thun wollte, geltend gemacht werden,
dass die Eltern ein Recht auf ihre Kinder haben. Allein
diese privatrechtliche Beschränkung kommt in Wegfall, wenn
man den Fürsten als den^ der jene Kinder taufen lässt, denkt.
Denn der Fürst hätte in diesem Falle die Aufgabe das höhere
Recht gegen das niedere zur Geltung zu bringen, oder das
Recht des dominus inferior zu gunsten des dominus superior
aufzuheben. Der Fürst muss also, wenn jemand Knecht des
Titius, Titius aber Knecht des Petrus ist, vor allem das Recht
des Petrus auf den betreffenden ersten Knecht wahren, für
den Fall, dass Titius ihn^nur für sich brauchen wollte. Folglich
364 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Taufe.
muss er auch das Recht Gottes über das Recht der Eltern stellen
(quaest. 9, 1). Judenkinder dürfen sonach zwangsweise getauft
werden, wobei allerdings vorausgesetzt ist die Vorsorge für
eine christliche Erziehung (§ 2), das heisst aber doch, dass
sie den Eltern genomraen worden. ^) Ja selbst das erscheint
Duns als richtig, dass man auch erwachsene Juden gewaltsam
taufe, denn ob sie auch ungläubig blieben, wäre es ihnen doch
besser ihre unerlaubte Religion nicht ungestraft ausüben, als
sie frei behalten zu dürfen : Item filii eorum , si bene edu-
carentur, in tertia et quarta progenie essent vere fideles (§ 2).
Wendet man aber hiegegen ein , es müsse doch bis zu Ende
aller Tage Juden geben zur Erfüllung der biblischen Weissagung,
indem sie sowohl dann Anhänger des Antichrists sein werden,
als sich zu Christo bekehren werden, so meint Duns, dazu
bedürfte es doch nicht so vieler Juden in so vielen Welt-
gegenden, quia finalis fructus de eis ecclesiae est et erit modicus.
Unde sufficeret, aliquos paucos in aliqua insula sequestratos
permitti legem suam servare, de quibus tandem prophetia
Isaiae (Jes. 10, 22, cf. Rom. 9, 27) impleretur (§ 3). Auch
eine Lösung der „Judenfrage" ! ^)
7. In der 1. und 2. Quästion der 5. Distinktion wdrd die
Frage nach der sittlichen Beschaffenheit des Täufers dahin
beschieden, dass dieselbe an und für sich die Taufe nicht be-
einträchtigt. Wo dagegen der Priester Geld für den actus
baptizandi verlangt, also völlig der Simonie ergeben ist, da ist
es Todsünde für sich oder sein Kind bei ihm die Taufe zu
begehren. Da taufe man das Kind lieber selbst. Indessen
wird dieser Fall kaum je real werden. Denn wenn ein Priester
aquam suam durchaus verkaufen will, so kann man es ja
^) Thomas dagegen hat gemeint, es sei ein Verstoss wider das Natur-
recht, unmündige Kinder der Sorge und Entscheidung der Eltern zu ent-
ziehen. Obgleich die Juden servi principum Servitute civili seien, würde
dadurch der ordo iuris naturalis vel divini für sie nicht aufgehoben
(Samm. II. II quaest. 10 art. 12).
^) Über die Juden hat Grosseteste eingehend gehandelt in der Schrift
De cessatione legalium (Lugdun. 1652 und London 1658), vgl. Feiten,
Hob. Grosseteste S. 76 f. 91. S. noch Guttmann, Die Beziehungen des
Joh. D. Scot. zum Judentum, Jüd. Monatsschrift 1893, 26 ff.
Die Konfirmation. 365
kaufen, indem man an das Wasser, aber keineswegs an die
Weihe denkt! Und ebenso, falls der Priester darauf besteht,
den actus baptizationis zu verkaufen, so denke man bei der
Bezahlung nicht an den Akt als Sakrament, sondern sofern er
dem Priester Mühe verursacht, gerade so wie der Priester sonst
für die Mühe bezahlt wird : ipsi vendunt laborem et alii emunt
eum, quia oportet unum quemque de suo labore taliter qualiter
victitare et vitam acquirere (quaest. 2 , 7). Uns begegnet
hier einer jener Vorläufer jesuitischer Kasuistik, die bei Duns
nicht ganz selten sind.
Über die Bedeutung der Intention wurde bereits oben das
Hergehörige referiert, s. S. 350.
8. Der Grund für die Unwiederholbarkeit der Taufe ist
die göttliche Einsetzung oder der göttliche Wille. Doch kann
diese Einrichtung auch als vernünftig erwiesen werden. Die
Taufe ist nämlich vor allem gegen die Erbsünde eingesetzt;
wie diese eine und un wiederholbar ist, so auch das Mittel
wider sie. Oder : da die Taufe plena remissio poenae et culpae
bringt, so w^ürde der Mensch — wenn er öfter diese volle Ver-
gebung erlangen könnte — leichter sündigen, als bei der Ein-
maligkeit. Es wäre dieses Mittel nämlich bequemer als das
Busssakrament, das eine grosse Strafe für die Sünde erlegen
lässt. Zum dritten ist die Taufe einmalig, weil sie den Ein-
tritt in die Familie Christi bezeichnet (dist. 6 quaest. 7, 3).
Den Schluss der Tauflehre bildet eine ausführliche Definition:
Baptismus est ablutio hominis viatoris aliqualiter consentientis
vel libero arbitrio nunquam usi, facta in aqua elementari
fluida ab alio simul abluente et verba certa actum et susci-
pientem cum invocatione trinitatis designantia proferente tarn
in abluendo quam in proferendo, intendente facere quod
Christus instituit faciendum, vel quod inten dit facere ecclesia
christiana, efficaciter signans ex institutione divina ablutionem
animae a peccatis (dist. 6 quaest. 11, 5).
2. Die Konfirmation.
Die Konfirmation wird IV dist. 7 quaest. 1, 1 definiert,
dann wird von Materie und Form gehandelt (§ 2). Die Not-
wendigkeit ist keine absolute, es wäre aber Verachtung, das
366 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
Sakrament sich nicht erteilen zu lassen, wo die Möglichkeit
gegeben ist (quaest. 2, 1). An sich ist freilich die Taufe an Voll-
kommenheit der Konfirmation überlegen, doch überragt diese jene
durch die Person des sie verwaltenden Dieners (quaest. 3, 2).
3. Das Abendmahl.
Wir kommen jetzt zur Lehre vom Abendmahl.
1. Die Betrachtung des Duns nimmt ihren Ausgang von
dem Zweifel, ob das Abendmahl, wie die übrigen Sakramente,
ein Symbol sei, das am Empfänger durch das, was es abbildet,
wirksam wird (IV dist. 8 quaest. 1, 1). Im Abendmahl ist Leib
und Blut Christi sub speciebus panis et vini gegenwärtig, die
ihrerseits, nach Gottes Einrichtung, Leib und Blut bezeichnen.
Dies Verhältnis des Leibes Christi zum Brot ist ebenso mög-
lich als angemessen. Und zwar sowohl deshalb, weil hiedurch
die Messe besondere Bedeutung erhält (quasi omnis devotio
in ecclesia est in ordine ad illud sacramentum), als auch weil
Brot und Wein schickliche Symbole der geistlichen Er-
nährung, und die Priester die geeigneten Personen dazu
sind: per cuius actum ministerialem Christus sie incipiat esse
nobiscum (§ 2. 3). Von dem Abendmahl kann nun auf Grund
dieser Verbindung von Zeichen und Sache behauptet werden,
dass es die übrigen Sakramente an Vollkommenheit überrage,
sowohl deshalb weil hier schlechthin immer das signatum dem
Signum entspricht, ganz unabhängig von der Disposition der
etwaigen Empfänger , als auch deshalb : quia quod significat
istud sacramentum, hoc realiter continet (§ 5), denn hoc modo
instituit istas species, ut post consecrationem assistat eis ad
praesentiam corporis Christi (§ 6). Während endlich alle
übrigen Sakramente consistunt in usu et in fieri, gilt vom
Abendmahl: in termino prolationis verborum incipit esse
sacramentum. Der Leib ist ja gegenwärtig ante und post
usum (§ 5).
2. Unter „Brot" ist ungesäuertes Weizenbrot zu verstehen.
Die Griechen brauchen auf Grund der Annahme, dass Christus
das Passahlamm schon am 13. Nisan gegessen habe, gesäuertes
Brot (dist. 11 quaest. 6, 4. 5). Da aber nach Anselm „de
azymo et fermentato" zwischen beiden ein substanzieller
Die Elemente, die Konsekration. 367
Unterschied nicht besteht, so haben auch die Griechen ein
wirkliches Abendmahl. Wenn zur Zeit Leos man auch in der
römischen Kirche gesäuertes Brot brauchte , so sei das ge-
schehen, um dem iudaizare der Ebjoniten zu widerstehen.
Später sei die abendländische Kirche zurückgekehrt zur Ein-
setzung Christi, der erst am 14. Nisan das Mahl als echte
Passahmahlzeit hielt, et promulgationi factae per eins vicarium
Petrum. Im Abendland ist die Feier in ungesäuertem Brot
jedenfalls nötig, et forte etiara graviter peccant Graeci, qui
non se conformant ecclesiae Petri (ib. 6). Vinum artificiale
oder vinum pomorum sind nicht das rechte Element (qu. 7, 1).
Wasser dem Wein beizumengen ist an sich nicht nötig; jeden-
falls soll es aber nur wenig sein, und soll die Beifügung so
früh geschehen, dass zur Zeit der Konsekration das Wasser
schon in Wein verwandelt sein kann (ib. 2).
3. Diese G-egenwart des Leibes wird bewirkt durch die
Worte der Konsekration, deren Substanz das hoc est corpus
meum ist (dist. 8, qu. 2, 4). Die Konsekrationsworte werden,
dabei angesehen als das sinnliche Zeichen, welches die Dispo-
sition bildet, deren Eintritt die göttliche Wirkung folgt vermöge
des Paktes Gottes mit der Kirche. Theologo sufficit, quod
ista oratio, ut est tale signum sensibile institutum a deo, est
instrumentum dei ad consecrationem illam, quae aequitur in
ultimo instanti, ita quod deus assistit sibi tanquam cuidam
dispositioni praeviae efficaci, ut ea completa causet talem
effectum invisibilem (§ 23). Also sind die Konsekrationsworte
freilich signum efficax, respectu consecrationis , quia dispositio
praevia cui deus ex pacto assistit ad causandum effectum effi-
caciter in termino (24). Indem also die Konsekrationsworte
gesprochen werden, vollzieht Gott die Konsekration. Da nun
aber die Verwandlung unter Voraussetzung der Einsetzung
von Gott vollzogen wird, so wird sie im Verlauf der Rezitation
der Konsekrationsworte, und nicht erst nach ihrer Vollendung
eintreten (§ 19 ff.). Die göttliche Tliat folgt sonach logisch
dem Menschenwort, ist ihm aber, zeitlich betrachtet, gleichzeitig.
4. Doch dies führt uns zu der Hauptsache. Darin besteht
sie, dass der Leib Christi in der Eucharistie enthalten ist
(IV dist. 10 init.). Hiebei erheben sich aber drei Fragen,
368 Kap. IV: Die Lohre von den Sakramenten; das Abendmahl.
nämlich 1) ol) die Existenz dos Leibes Christi im Abendmahl
möglich sei, 2) die Frage darnach, was dem Leibe Christi zu-
kommt, und 3) nach der dem in der Hostie beschlossenen
Christo etwa zustehenden Thätigkeit?
Die Erörterung der ersten Frage wird eröffnet durch eine
Anzahl von Gegengründen: 1) da die Spezies (les Brotes sich
nicht ändert in Beziehung auf den von ihr beschlossenen Leib,
so müsste eine Änderung des Leibes in Bezug auf das Brot
angenommen werden, was aber unmöglich ist, da der Leib im
Himmel bleibt (IV d. 10 qu. 1, 1). 2) Der Leib kann als
Quantum oder Nicht- quantum vorgestellt werden. Da er im
Himmel Quantum ist, muss er es auch auf Erden sein. Dies
aber scheint unmöglich zu sein, da ein Quantum von dem
modus quantitatis nicht getrennt werden kann. Ein solcher
aber ist unannehmbar für Christi Leib im Abendmahl, müsste
doch sonst das grössere Quantum im kleineren enthalten sein
(ib. § 2). 3) Es wäre anzunehmen, dass die Teile des Leibes
den Teilen der Hostie korrespondieren ; ist dies nicht denkbar,
so kann von einem quantitativen Sein des Leibes Christi im
Abendmahl nicht die Rede sein (ib.).
Die eigentliche Erörterung der Frage beginnt mit der
Bemerkung, dass zweierlei festzustellen sei: 1) quid tenendum
est et propter quam auctoritatem, dann 2) declarandum est,
qualiter illud est possibile quod creditur. — Die Gegenwart
des Leibes Christi gehört aber zur Glaubenssubstanz wiegen
der Einsetzungsworte, denn es ist klar, dass diese eigentlich,
und nicht figurative zu verstehen seien. Zu letzterer Auf-
fassung sei man nur dort, wo es der Zusammenhang erfordert,
berechtigt. Also etwa wenn Christus sich den Weinstock, die
Jünger aber die Reben nennt (ib. 3). Darnach legen mit Recht
alle rechtgläubigen Lehrer die Einsetzungsworte de reali prae-
sentia corporis Christi, non figurative aus. ünde sit simpliciter
haeresis hodie sentire, quod non sit ibi realiter verum corpus
Christi (4).
5. Aber jetzt erhebt sich die schwierige Frage, wie denn
der Leib Christi, der im Himmel ist, auf dem Altar zu sein
anfange; und wie derselbe ohne Quantität in quantitativer
Weise auf dem Altar vorgestellt w^erden könne. — Hinsichtlich
Der himmlische Leib auf dem Altar. 369
ersterer Frage hätten Thomas und Varro ein Anfangen des
Seins des Leihes auf dem Altar in Ahrede gestellt, die Trans-
substantiation bewirke nur für das Brot oder den lerminus a
quo eine Veränderung, indem es zu sein aufhört, dagegen sei
für den tcrminus ad quem eine Veränderung nicht erforderlich
(§ 5). Dem gegenüber zeigt nun Duns, dass diese Annahme
freilich erkläre , dass das Brot in die Substanz des Leibes
übergehe, aber durchaus nicht die Gegenwart dieses Leibes
deutlich mache (6), könnte doch, trotz der Wandlung des
Brotes, der Leib im Himmel an seinem Ort bleiben (8). Dazu
kommt, dass ja Gott den Leib auch ohne Transsubstantiation
— manente substantia panis — gegenwärtig werden lassen
kcmnte (7). Ferner w^ürde bei jener Annahme vom Abend-
mahlsleibe nicht das ubi definitive ausgesagt werden können.
Wie nämlich der durch Wandlung hergestellte Leib Christi
nicht das ubi circumscriptive, d. h. das Korrespondieren zu den
Raumteilen des Brotes hätte, so auch nicht das ubi definitive,
d. h. das Eingeschlossensein in einen Baum ohne circumscrip-
tives Ausfüllen seiner Teile (8). — Es ist sonach nicht nötig,
zur Lösung des vorliegenden Problems seine Zuflucht zur
Transsubstantiation zu nehmen (9). Es ist auszugehen von
dem Gedanken, dass, wenn ein Körper sich von einem Ort
zum anderen bewegt und hiedurch ein anderer Körper ver-
drängt wird, sich vier Veränderungen ergeben, zwei für den
verdrängenden und zwei für den verdrängten Körper, nämlich
die deperditio prioris ubi und die acquisitiva ubi. Wenn aber
der Körper durch seine Bewegung keinen anderen verdrängt,
so würden nur für ihn diese zwei Bewegungen zu fordern sein.
Wenn aber endlich ein Körper, ohne sein früheres Wo auf-
zugeben, in ein neues eintritt, so liegt nur die eine Verände-
rung der acquisitiva ubi vor. Unter Wahrung dieser Gedanken
muss eine Veränderung auch bezüglich des im Abendmahl
gegemvärtig werdenden Leibes Christi angenommen werden,
denn so klar es ist, dass hier etwas ist, was früher nicht da
war, so klar ist auch, dass dies nur durch eine Veränderung
dieser Grösse zustande kommen kann (9). Dabei aber kann
vom Leibe Christi nicht angenommen werden, dass er sein
früheres Wo aufgibt. Es liegt also zwar eine Veränderung,
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 24
370 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
aber nicht proprie mutatio localis vor. Das Ziel der Ver-
änderung ist nicht eigentlich ein zweites Wo, sondern terminus
est quaedam praesentia simplex ipsi speciei, vera tarnen et
realis (10). Das Sein Christi in der Gestalt des Brotes kann
also verglichen werden mit dem repletiven Sein eines Engels
in einem Körper; es ist freilich eine Änderung da, deren
Wesen aber nicht in dem lokalen Wechsel liegt. Von Christo
gilt das in noch höherem Mass, da ja sein Sein in einem Wo das
Sein in einem anderen Wo (dem Himmel) nicht ausschliesst (11).
AVill man aber vermeiden, von einer Veränderung hinsichtlich
des Leibes Christi zu sprechen, so wird immerhin zur Wahrung
der Realität der Gregenwart Christi im Abendmahl eine neue
Beziehung, in die derselbe tritt, anzunehmen sein. Hierfür
steht unserem Denken nur die Kategorie des Ubi zu Gebote,
man könnte freilich eine neue Beziehungsform für das Ver-
hältnis postulieren (ib.) — Also wir können zusammenfassend,
sagen: der Leib Christi bleibt im Himmel, er ist
aber auch im Abendmahl gegenwärtig. Dies kann
nun nicht aufrecht erhalten werden ohne die Annahme einer
gewissen Veränderung, die sich an Christi Leibe vollzieht, so-
fern er in ein neues räumliches Verhältnis eintritt.
6. Kann nun bei dieser Betrachtungsweise Christi Leib
als Quantum vorgestellt werden? Duns weist zunächst die
Ansicht von Agidius, Varro und Heinrich zurück. Diese
meinten, da es sich im Abendmahl um die Gegenwart der
Substanz des Leibes Christi handle, so sei die Quantität nur
concomitanter anzunehmen, der quantitative Leib sei modo
non quantitativo im Abendmahl vorhanden. Dieser Schluss
erinnert in etwas an den von Duns selbst bezüglich der Raum-
gegenwart gezogenen. Er wird aber scharf kritisiert. Da eine
Substanz nicht ohne ihre Proprietäten gegenwärtig sein kann,
die Quantität aber eine Proprietät des Leibes ist, so ist jene
Betrachtung abzuweisen. Dazu kommt, dass sie die Realität
der Verwandlung in Frage stellen würde (12). Sodann wendet
er sich gegen eine Auffassung, nach der die Teile des Leibes
Christi im Abendmahl ineinander seien, sodass sie auf den ge-
ringsten Grad der Quantität reduziert würden. Das ist die
Ansicht der späteren Nominalisten, wer sie vor Duns schon
Ob Christi Leib ein Quantum ist? 371
vertreten hat, weiss ich nicht, oder liegt hier ein selbstgemachter
Einwand, wie dist. 10 qu. 2, 4, vor? Dagegen zeigt Duns, dass
jeder Körper als solcher die Unterscheidung und den Abstand
seiner Teile fordere (13). — Steht nun dies fest, so muss die
Lösung des Problems auf einem anderen Wege gesucht werden.
Es sei denkbar, dass der Körper an sich quantitativ ausgedehnt
und proportioniert bleibt. Und zwar sowohl so, dass Gott den
quantitativen Körper ausserhalb der räumlichen Welt existieren
liesse, als auch so, dass er zwar in der räumlichen Welt
existiert und Beziehung zu den Gegenständen in derselben hat,
nicht aber in eine Beziehung seiner einzelnen Teile zu den
einzelnen Teilen jener tritt: possibile esset deum conservare
quantum et coexistentiam eins ad aliud quantum, et tamen sine
ista coexistentia partium unius ad partes alterius (14). An
sich ist nämlich die Relation der Quantität eines Dinges zu
den räumlichen Teilen eines anderen Dinges für die Existenz
jenes nicht notwendig. Besteht nun die allgemeine Eaum-
relation des Dinges fort, so bleibt diese zwar erhalten, während
eine andere an das Ding von aussen herantretende, ihm also
nicht wesentliche Relation nicht zur Verwirklichung käme (16).
Duns glaubt hiedurch den Fehler der soeben geschilderten
Auffassung des Heinrich etc. vermeiden zu können. Das
quantitative Ding steht zu dem anderen räumlichen Ding frei-
lich in einem allgemeinen Quantitätsverhältnis — der Leib
Christi ist grösser als die Hostie — , aber eine Kommensuration
oder Koextension der Teile des einen Dinges mit dem anderen,
die simultas partis cum parte, ist nicht notwendig. Jenes Ver-
hältnis ist ein innerlich in der Sache begründetes, dieses ein
äusserlich hinzukommendes. Letzteres kann fortfallen, ersteres
steht fest. Hostie und Leib stehen demnach in einem räum-
lichen Verhältnis zu einander, das bezüglich ersterer als eine
mutatio bezeichnet werden kann, liegt doch wirklich eine nova
praesentia corporis ad species vor, aber über das Verhältnis
der einzelnen Teile des Leibes zu den Teilen der Hostie braucht
man sich keine Gedanken zu machen, denn ein solches Ver-
hältnis ist nicht mit logischer Notwendigkeit zu postulieren;
damit erledigen sich auch die oben gemachten Einwände (vgl.
§ 17). Wie so oft, hat Duns auch hier das Problem schein-
24*
372 Kap. IV: Dio Lehre von den Sakramenten; das Abendraah].
bar kompliziert, in Wirklichkeit vereinfacht. Es ist genug,
eine Gegenwart des Leibes Christi imAbendmahl
anzunehmen, die Logik verlangt dieselbe quanti-
tativ zu denke U; aber sie hebt auch hinweg über
die peinliche Frage nach dem Wie dieser Gegen-
wart in dem sinnlichen Brot.
7. Aber ein neues Problem erhebt sich jetzt. Ist im
ganzen das Sein Christi im Abendmahl verständlich geworden,
so fragt es sich nun, wie denn der nämliche Leib zugleich an
den vielen Orten, wo das Abendmahl begangen wird, gegen-
wärtig sein könne (IV dist. 10 qu. 2)? Nachdem zunächst in
gewohnter Weise einige allgemeine Gründe gegen jene Möglich-
keit vorgebracht sind, sodann Gegengründe von Heinrich und
Thomas erwähnt (§ 2. 3) und dem eigene angefügt (4) sind,
erweist Duns negativ und positiv die Möglichkeit. Alles logisch
nicht Unmögliche ist ja Gott möglich (oben S. 164 f.). Es sei
nicht auffälliger, dass ein Körper an zwei Orten, als dass zwei
Körper zugleich an einem Orte sind. Ist nun letzteres möglich,
so empfiehlt sich die erstere Annahme vor letzterer noch da-
durch, dass es leichter ist die ursprüngliche Einheit vielheitiich
vorzustellen als das Gegenteil (ib. 5. 7). Gegen die Auffassung
aber, dass die Gegenwart des Leibes an vielen Orten zwar
sakramental, aber nicht lokal zu denken sei, wendet Duns ein,
dass wenn Gott eine Substanz mit anderen als den ihr eigen-
tümlichen Merkmalen erschaffe, er sie doch auch einfacher mit
letzteren herstellen könne (9). Positiv meint Duns, dass kein
Grund erfindlich sei, um jene Frage zu verneinen. Anders
als Thomas will er die Gegenwart des Leibes wirklich quanti-
tativ verstehen. Warum sollte aber die lokale Gegenwart eines
Körpers an verschiedenen Orten undenkbar sein? Wird doch
nur eine neue äussere Beziehung dem betr. Körper beigelegt.
Die Vervielfältigung der Beziehungen ändert aber nicht das
Wesen der Sache. Das Weisssein kann in die Beziehung der
Ähnlichkeit mit anderen Dingen treten, ohne verändert zu
werden. Nichts anderes als eine äusserlich hinzutretende Be-
ziehung sollte aber, wie wir sahen, die Räumlichkeit des Leibes
Christi sein (S. 370). Nur die Vorstellung non separat locum
a corpore, sie vermag daher nicht beide auseinander zu halten.
Der Leib zugleich im Himmel und in der Hostie. 373
Dagegen unterscheidet die vernünftige Betrachtung den Raum
vom Körper. Dann ist es sehr wohl denkbar, dass Raum wie
Körper bleiben was sie sind, und nur die Beziehungen dieses
zu jenem vermehrt werden (§ 11). Die Voraussetzung dieser
Argumentation ist natürlich die realistische Auffassung des
Raumes, als eines besonderen Wesens. Von hieraus könnte
auch gegen die Ubiquität des Leibes Christi kein Widerspruch
erhoben werden, da Gott auch einem von sich verschiedenen
Ding die Ubiquität geben kann (ib. 15), und da er auch jeden
Körper des Universums in Christi Leib verwandeln könnte (14).
Duns lässt noch eine Auflösung der Gegenargumente folgen.
8. Kann nun aber dieser Leib, dessen Sein in jedem
Abendmahl als denkbar erwiesen wurde, zugleich im Himmel
sein? Zunächst ist festzustellen, dass die Christenheit dies
glaubt. Aber ebenso, dass dieser Glaube in keinem inneren
Zusammenhang mit der Wandlungslehre steht, da der Leib auf
dem Altar ebenso gut wie mit der Quantität des Brotes auch
zugleich mit der Substanz desselben auf dem Altar gegenwärtig
sein könnte (quaest. 3, 3. 4). Genauer genommen ergibt sich
aber hier eine Anzahl von Unterfragen. Zunächst, ob die
Teile und Proprietäten im himmlischen und sakramentalen
Leibe einander gleichzusetzen sind? Dagegen scheint freilich
zu sprechen, dass eine Verwandlung in die Proprietäten des
Leibes nicht stattfindet, oder dass die Quantität des himm-
lischen Leibes nicht in und mit der Brotquantität bestehen
könne, dass man ohne Not nicht eine Pluralität setzen dürfe,
es also an der substanziellen Gegenwart des Leibes genug sei
(quaest. 4, 1. 2). Duns erklärt nun — zur Beantwortung sich
wendend — zunächst, dass der Leib Christi im Himmel modo
naturali, im Abendmahl modo sacramentali gegenwärtig sei,
dass der sakramentale Leib also weder die Seele noch die
Accidenzien, wie das Blut, enthalte (3). Sind nun aber Teile
oder Eigenschaften in diesem Leibe anzunehmen? Eine ab-
solute Notwendigkeit ist hierfür nicht beizubringen, da einer-
seits wir nach der Auferstehung keine Eucharistie mehr haben
werden, und da andererseits die Existenz des Leibes Christi an
sich indifferent ist gegen die besonderen Formen des natür-
lichen und sakramentalen Bestandes. Sonach ist eine absolute
374 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl,
Notwendigkeit nicht erfindlich (4). Es könnte also auch vor-
der Menschwerdung der sakramentale Leib dagewesen sein, oder
der Leib Christi könnte jetzt die natürliche Existenzweise ver-
lieren und nur in der sakramentalen,, in der Eucharistie fort-
bestehen. Zum Verständnis dieser paradoxen Gedanken muss
man sich gegenwärtig erhalten, dass sie sich auf dem Boden
des Nichtwirklichen oder des für die potentia absoluta Mög-
lichen bewegen, freilich ist es aber interessant an ihnen zu sehen,
wie locker der Zusammenhang zwischen dem wirklichen und
dem sakramentalen Christus ist.
Wendet man aber nun die Betrachtungsweise secundum
quid an oder denkt an die relative in dem Gewordensein be-
gründete Notwendigkeit, so ist zu sagen, dass die sakramentale
Leiblichkeit die Teile und Poprietäten der natürlichen Leib-
lichkeit an sich hat, denn da erstere durch eine besondere
Beziehungsnahme der letzteren zustande kommt, kann letztere
hiedurch nicht innerlich verändert werden (ib. § 10). Gegen
die obigen Gegenargumente gilt, dass die Wandlung hier über-
haupt garnicht in Frage kommt, sondern Gottes Macht be-
wirkt, dass der Leib Christi auch eine anderweitige als die
ihm natürliche Gegenwart hat, und das kann natürlich ebenso
für den Leib wie seine Teile und Proprietäten bewirkt werden.
Man erkennt hier wieder, wie die ganze Betrachtimg an dem
Gedanken orientiert ist, dass die sakramentale Gegenwart
Christi durch eine besondere Beziehung des Leibes zu der
Hostie hergestellt wird.
9. Ist jetzt erwiesen, dass der Leib Christi auch nach
seinen Teilen und Proprietäten im Abendmahl gegenwärtig zu
denken ist, so erhebt sich die weitere Frage, ob auch jede
actio immaneus des natürlichen Christusleibes im sakramentalen
Leibe anzunehmen ist? Hierauf wird die Antwort in drei
Konklusionen erteilt: 1) Concomitanter habe Christus im
Abendmahlsleibe jede operatio, die er im Himmel hat, denn
eine absolute Form, wie das Handeln, kann nicht aufgehoben
werden durch eine äussere Beziehung (ib. quaest. 5, 2). Gilt
das vom Gedanken, so natürlich auch von der demselben
vorausgehenden Sinnesempfindung (sensatio), wde auch dem
Schmerz (§4). — 2) Die zweite Konklusion besagt, dass keine
Thätig-keit und Bewegung des sakramentalen Leibes. 375
sensatio zuerst dem sakramentalen Leibe vor dem wirklichen
zu Teil werden könne , denn eine solche kann nur den wirk-
lichen quantitativen Leib selbst more quantitativo treffen, nicht
aber den sakramentalen Leib, weil dieser cuicunque corpori
ut agenti, ac si non esset praesens, gegenwärtig ist. Daher
kann er keine sinnlichen Eindrücke empfangen (§ 5). 3) Da-
gegen lehrt die dritte Konklusion, dass eine geistige, intellek-
tuelle oder voluutative , operatio allerdings zuerst dem sakra-
mentalen Christus zukommen könne, da nämlich die Seele
Christi in ihrem Erkennen, ebensowenig wie die der Engel,
von sensitiver Vermittlung abhängt, vielmehr über eine intuitive
Erkenntnis verfügt (§ 5). So werde die Operation Christi
durch das Abendmahl vermehrt und vollendet. Um den schein-
baren Widerspruch zwischen der 3. und 2. Konklusion zu ver-
stehen, muss mau sich gegenwärtig halten, dass der sakramentale
Leib eigentlich nur eine Beziehung des wirklichen Leibes ist.
Diese Beziehung kann nun nicht wohl sensitive Eindrücke
empfangen, wohl aber können von ihr Gedanken und Wollungen
ihren Ausgang nehmen.
10. Hat man diesen Gesichtspunkt aus den Gedanken des
Duns herausgeschält, so wird man auch den abstrusesten Er-
örterungen mit Interesse folgen. Immer wieder wird jener
Gesichtspunkt Licht in sie hineintragen. So schreitet Duns in
der 6. Quästion der 10. Dist. fort zur Frage, ob in dem eu-
charistischen Leibe ein motus corporalis sein könne? Der eu-
charistische Leib kann nicht bewegt oder verändert werden
durch eine geschaffene Kraft, denn eine solche bethätigt sich
nur in lokalen Verhältnissen, aber corpus Christi est hie non
ut in loco, bewegt kann also durch Kreatur nur die Spezies
des Brotes werden (qu. 6, 2. 3). Wird nun aber die Hostie
von einem Ort zum anderen fortgetragen, so ist nicht an eine
konkomitierende Bewegung des Leibes zu denken , wie etwa
dadurch, dass ein Schiff in Bewegung gesetzt wird, auch eine
schwere Masse in ihm fortbewegt wird, da die Kreatur den
Leib als solchen ebenso wenig bewegen kann, als ein Engel
dadurch bewegt würde, dass man den Stein, dem er gegen-
w^ärtig sein wollte, weiter rollte (4. 5). Der Leib Christi bleibt
also der fortgetragenen Hostie freilich gegenwärtig, aber nicht
376 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
durch die Vermittlung der sinnlichen Bewegung letzterer,
sondern weil Gott will, dass er der Hostie gegenwärtig sein
soll (6). Der Abendmahlsleib kann also nur immediate a deo
fortbewegt werden (2). Jeder Veränderung des himmlischen
Leibes könnte aber eine Änderung im eucharistischen Leibe
entsprechen (7), freilich aber wäre es auch denkbar, dass jener
der Auflösung verfiele , ohne dass in diesem eine Änderung
einträte, da ja die Beziehung des himmlischen Leibes zur
Eucharistie forterhalten werden kcinnte auch bei der Lösung
der internen Beziehungen von jenem (9). — Wie einfach ver-
stehen sich doch auch diese Gedanken, wenn man daran fest-
hält, dass die Gegenwart Christi im Abendmahl nichts anderes
ist, als eine besondere Beziehung, die Gott dem himmlischen
Leibe zur Eucharistie gibt.
IL Ist nun erkannt, dass eine sinnliche Bewegung von
aussen her nicht an den eucharistischen Leib kommen kann,
so fragt sich weiter, ob dieser von sich Verschiedenes durch
seine natürliche Kraft bewegen kann? Denkt man sich nun
den Leib Christi im Abendmahl gegenwärtig, so scheint damit
auch die körperliche Bewegungskraft mitgesetzt zu sein
(quaest. 7, 1). Allein diese Erwägung erweist sich als un-
haltbar, wenn man bedenkt, dass eine körperliche Kraftwirkung
nur in lokalen Verhältnissen ergehen kann. Indem nun diese
vom Leibe Christi nach Obigem nicht ausgesagt werden dürfen,
kann auch von jener Wirkung nicht die Rede sein (2). Da-
gegen ist die Wirkung der geistigen, nicht organisch ver-
mittelten Kraft nicht an lokale Verhältnisse gebunden. Indem
nun die Seele Christi im Abendmahl gegenwärtig ist. kann
eine solche geistige Kraftwirkung allerdings von dem mit ihr
verbundenen Abendmahlsleib ausgehen. Diese geistige Kraft
könnte nun auch Körperliches in Bewegung setzen, wie es die
menschliche Seele und auch die Engel thun (3). Ergo anima
Christi in eucharistia existens poterit uti ista potentia movendo
species illas vel hostiam, et forte sie aliquando mota est hostia
a Christo (5). Das führt unser Verständnis um einen Schritt
weiter. Jener Beziehung Christi zur Eucharistie eignet keine
sinnlich movierende Kraft, wohl aber der geistigen Gegenwart
Christi im Abendmahl. Gewiss, denn die Gegenwart des
Wirkungen, Unsichtbarkoit des Abendmahlleibes. 377
Leibes ist schliesslich nur eine logische Beziehung, wie könnte
dieselbe eine physische Kraftwirkung ausüben? Aber mit
jener Beziehung ist die geistige Gegenwart Christi verbürgt.
Wie von dieser Kraftwirkungen ausgehen können, das ist ver-
ständlich, könnte doch die Seele Christi einen bei dem Abend-
mahl gegenwärtigen Engel geistig erleuchten (3). In der
geistigen Sphäre ist also die kräftige Gegenwart Christi zu
suchen.
12. Ist aber das der Fall, kann dann ein erschaffener
Geist die Gegenwart Christi im Abendmahl in natürlicher
Weise sehen (naturaliter videre) ? Thomas und Richard haben
die Frage verneint, aber sie in Bezug auf die Seligen bejaht,
sei doch der Leib Christi ein Übernatürliches und daher nur
dem Glauben zugänglich (quaest. 8, 1. 4). Nun ist es gewiss
richtig, dass der natürliche Intellekt, der seine Erkenntnis aus
den sinnlichen Erscheinungen schöpft, jenes Sehen nicht voll-
ziehen kann, da die sinnliche Erscheinung des Brotes die
gleiche bleibt vor wie nach der Konsekration (6). Dagegen
ist die abstrakte logische Erkenntnis des Satzes : „der Leib ist
in der Eucharistie" möglich, da sonst jener Satz garnicht
formuliert werden könnte (5). Aber jenes intuitive „Schauen"
des Leibes ist als möglich nur für den an das Sinnliche nicht
gebundeneu Geist, wie den der Engel, zugestanden worden (7) ;
dagegen verfängt die Übernatürlichkeit des Objektes garnichts,
da das Übernatürliche sehr wohl unvollkommener, d. h. leichter
erkennbar sein kann als das Natürliche, so wenn dies Substanz,
jenes aber Accidenz ist. Zudem kann nicht geleugnet werden,
dass die Engel eine intuitive Erkenntnis der übernatürlichen
theologischen Tugenden haben (9). Doch das ist nur eine ab-
strakte Betrachtung. — Interessanter ist es, dass Duns leugnet,
dass die Seligen den Körper Christi sehen würden. Der Zu-
stand der Seligen unterscheidet sich nämlich offenbar nur
dadurch vom Zustand der Nichtseligen, dass sie das Obiectum
beatificum schauen. Zur Seligkeit gehört aber das Schauen
der Dreieinigkeit und des Wortes, keineswegs aber das Er-
kennen des Zusammenhanges der einzelnen Sakramente oder
auch des irdischen Lebens Christi. So wenig das Schauen
des Abendmahlsleibes, sowenig gehört das Schauen des natür-
378 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
liehen Christusleibes im Himmel zur Seligkeit (10. 14). Merk-
würdige Gedanken! So wunderlich immer die Form ist, so
klar ist die Absicht: nicht die theoretische Intuition, sondern
die praktische AnschauuDg, der innere Besitz Gottes wird die
Seligkeit begründen. Das sind antihellenische und antitho-
mistische Gedanken ! Erinnert man sich aber an das uns be-
schäftigende Problem, so darf man vielleicht im Sinn des Duns
sagen, nicht auf das Erkennen kommt es l)ei dem Genuss des
Abendmahls an, sondern auf das Bewusstsein von der realen
und geistigen Gegenwart Christi, des Heilsgutes. Doch so hat
es Duns ja nicht ausgesprochen, vielleicht erlagen wir der
Versuchung, die einen so oft bei ihm überkommt, zuviel zu
sagen.
13. Damit sind die Hauptgedanken der 10. Distinktion
reproduziert. Wo das Zeichen der Abendmahlsworte gesprochen
wird, da lässt Gott den Leib Christi gegenwärtig sein. Es ist
der wirkliche Leib Christi, der an sich in seinem himmlischen
lokalen Sein keine Wandlung erfährt, sondern nur eine neue
Beziehung mehr, die zur Hostie, annimmt. Diese Gegenwart
kann aber, eben weil sie nur in einer Relation des Leibes be-
steht, nicht im einzelnen quantitativ gedacht werden. Sie
kann sich natürhch zugleich auf viele Orte beziehen, aber von
einem sinnlichen Empfinden oder Bewegtwerden des Abend-
mahlsleibes kann nicht wohl die Rede sein. Das sind die
Hauptgedanken. Der Leib Christi ist der Hostie gegenwärtig,
sofern der im Himmel befindliche Leib eine besondere Be-
ziehung zur Hostie einnimmt.
14. Aber was wird aus der Transsubstantiation?
Die Frage erhebt sich hier notwendig, denn es ist klar —
und Duns hat es deutlich ausgesprochen — ^ dass diese Gegen-
wart Christi auch ohne jede Bezugnahme zur Transsubstan-
tiation behauptet werden kann. Der Leser wird daher mit
grossem Interesse den Ausführungen der 11. Distinktion über
die Transsubstantiation entgegensehen.
Die Transsubstantiation ist transitus totalis sub-
stantiae in substantiam (dist. 11 quaest. 1, 2). Dieser transitus
totalis kann nun im Sinn der geueratio gefasst werden, d. h.
so, dass totum in totum übergeht oder ein nach Materie und
Der Begriff der Transsubstantiation. 379
Eorm Neues gesetzt wird; aber auch im Sinn der alteratio,
d. h. so, dass etwas in ein anderes übergeht, indem er nur
eine neue Form empfängt, wie etwa warmes Holz kaltes Holz
wird (2). Hier sind nun die Termini zwischen denen sich der
Übergang bewegt offenbar Substanzen : transsubstantiatio, nicht
transaccidentatio (3). Die logische Möglichkeit eines solchen
Überganges kann nicht angezweifelt werden, denn warum sollte
nicht eine Substanz gerade dort und dann beginnen können, wo
und wann eine andere aufhört (4)? Da aber die Termini Sein
und Nichtsein, über die nur Gott Gewalt hat, vorliegen, kann
Gott allein dies bewirken (4). Nach dem Obigen kann auch
nicht bloss an eine Veränderung gedacht werden, es sei denn,
dass man an die Veränderung eines Subjektes in das andere
denkt (10).
Nachdem so der Begriff der Transsubstantiation in der
üblichen und orthodoxen Weise gewonnen ist, fragt es sich, ob
jedes Ding in jedes Ding verwandelt werden könne? Hier ist
die Verwandlung von Gott in eine Kreatur zu verneinen, denn
da das innere Sein Gottes absolut notwendig ist, kann auch
Gott selbst es nicht wandeln. Wohl aber kann jede Kreatur
in jede Kreatur verwandelt werden, da sowohl das Sein als
das Nichtsein jeder Kreatur in Gottes Gewalt steht (qu. 2, 3).
Also kann auch Brot in Leib verwandelt werden. Aber
geschieht das wirklich? Drei Ansichten können hier geltend
gemacht werden, deren jede die reale Gegenwart des Leibes
Christi voraussetzt, da die Leugnung hievon Häresie wäre.
Die erste Ansicht ist : das Brot bleibt, der Leib kommt hinzu ;
die zweite: eine Annihilation des Brotes findet dabei statt; die
dritte ist die übliche Transsubstantiationslehre (qu. 3, 3). Die
erste Ansicht lässt sich sehr wohl hören, da der Bestand der
Brotsubstana der Gegenwart des Leibes nicht entgegensteht,
ja die Brotsubstanz ein geeigneteres Signum für das signatum
des Leibes ist, als die blossen Accidenzien des Brotes. Zudem
entspricht manhiedurch besser, als durch die Transsubstantiation
der Lieblingsregel unseres Dogmatikers : ponenda sunt pauciora
miracula quantum possibile est (3). Ausserdem erwachsen
unnütze Schwierigkeiten aus der Annahme von Accidenzien,
die ohne Substanz gedacht werden sollen : est occasio avertendi
380 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
omoes philosophos imo fere omncs sequentes rationem naturalem
a fide vel saltem impediendi eos, ne convertaiitur ad fidom, si
dicatur eis talia pertinere ad fidem nostram (4). Schliesslich
sei die Transsubstaritiation auch nicht durch die Schrift oder
eine ausdrückliche Erklärung der Kirche als de substantia
fidei seiend festgestellt; die Einsetzungsworte nötigen nicht zu
ihr, da das hoc sich nicht auf das Brot, sondern auf das cou-
tentum in pane beziehe : hoc ens , will Christus sagen , con-
tentum sub isto visibili est corpus meum (5). Es ist keine
Frage , dass schon Duns diese Konsubstantiationstheorie mit
unverholenem Wohlwollen der Transsubstantiation gegenüber
behandelt hat. Durch seinen Einfluss ist sie bei den Späteren
beliebt gewesen und hat durch d' Ailli auch auf Luther Ein-
fluss gehabt. ^)
Ebenso könnte die zweite Annihilationstheorie als die ein-
fachere verteidigt werden (7).
15. Nun hat aber Thomas beide Theorien angefochten,
und zwar die erstere mit dem Argument, dass das Zusammen-
sein von Brot und Leib wider die letzterem schuldige Ehrfurcht
Verstösse, ausserdem aber der letzterem gebührende cultus
latriae leicht auch auf die Substanz der Hostie ausgedehnt
werden könnte. Dann würde aber auch leicht als das zuerst im
Abendmahl Bezeichnete die Brotsubstanz angesehen werden
können ; und sodann sei das Abendmahl nur geistliche, nicht
aber, wie bei dem Bleiben der Brotsubstanz angenommen
werden müsste, auch leibliche Speise (7). Ferner kann etwas
dort, wo es früher nicht war, zu sein beginnen nur durch eine
Veränderung seiner selbst. Da Christus unveränderlich ist,
das Brot nicht verändert werden soll, so würde schliesslich
nichts geschehen und nur Brot auf dem Altar nachbleiben.
Endlich sei die ganze Ansicht häretisch, da die Einsetzungs-
worte nicht ein auf das Brot bezogenes hie, sondern ein den
Leib bezeichnendes hoc bieten (8). Wesentlich die gleichen
Argumente werden mutatis mutandis gegen die zweite Theorie
gerichtet.
Die Fadenscheinigkeit dieser Argumente konnte natürlich
1) S. meine Dogmengesch. II, S. 188 f. 273.
Anerkennung der Transsubstantiation. 381
einem so strengen Denker wie Duns nicht entgehen. Auch bei
der Transsubstantiationstheorie bestehen die Accidenzien neben
dem Leib, die Anbetung kann auch auf sie bezogen werden.
Überhaupt müsse man sagen : simplices adorant in fide ecclesiae
et hoc sufficit eis ad salutem (9). Ebenso würden auch die
blossen Accidenzien die Gegenwart des Brotes bedeuten (ib.).
Das Brot aber bedeutet den Leib^ es sei nun die Substanz
oder die Accidenzien desselben vorhanden. Dass aber das
Abendmahl auch leibliche Nahrung ist, kann angesichts von
1. Kor. 11 nicht bezweifelt werden, da hier von einem Trunkeu-
werden geredet wird. Das contentum, auf das es ankommt,
würde auch so nur geistliche Speise sein. Auch mit dem hoc
ist nichts zu machen, da auch hie auf den im Brot Enthaltenen
gedeutet werden könnte, was freilich durch hoc noch deutlicher
wird (10). Kommt man nun mit diesen Gründen freilich nicht
durch, so ist doch anzuerkennen, dass communiter in der
Kirche die Transsubstantiationslehre gilt, und dass sich auch
die Lehre der sancta romana ecclesia dahin ausspricht. Dieses
könne noch dadurch bewährt werden, dass, obgleich der Priester
die Messe nüchtern begehen soll, er doch mehrere Messen
hintereinander, ohne also durch leibliche sakramentale Speise
um die Nüchternheit zu kommen, celebrieren dürfe (13).
So wird schliesslich doch auch die mit sichtlicher Vorliebe
dargestellte Konsubstantiationstheorie reprobiert, nicht ohne
dass bemerkt wird, dass Gott es auch in ihrem Sinn hätte
einrichten können. Der Positivismus des Duns gibt schliesslich
das einzige Argument zu gunsten der Transsubstantiation her,
hat doch die Kirche die Schrift in demselben Geist ausgelegt,
aus dem sie hervorgegangen ist (15).
16. Also die Transsubstantiation bleibt als die Kirchen-
lehre nach. Sie ist, weil kirchlich, auch wirklich. Doch für
den Kenner des Duns wird die Sache jetzt erst spannend.
Wie wird sich der kühne Dialektiker mit einer Theorie ab-
finden, die ihm offenbar unsympathisch ist? Nachdem die
Wirklichkeit festgestellt, fragt es sich nach der Möglichkeit.
Die beiden Termini, zwischen denen sich die Transsubstantiation
vollzieht, sind Substanzen. Gott kann, da beide Substanzen
in seiner Gewalt sind, die eine in die andere verwandeln, was
382 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
aber keiner Kreatur möglich wäre, da diese nie Gewalt über
die Materie als solche hat (ib. §§ 16. 17). Nun erbebt sich
aber bei genauerem Nachdenken eine Schwierigkeit bezüglich
des Terminus ad quem. Es soll nämlich die Verwandlung
nicht in ein beliebiges neues Ding, sondern in ein Präexis-
tierendes vollzogen werden, das sein altes Sein behält (22). um
dieser Schwierigkeit Herr zu werden, führt Duns eine Distinktion
ein. Es kann ein Ding in ein anderes so verwandelt werden,
dass dies andere durch die Verwandlung erst sein substanzielles
Sein erhält. Es kann aber auch eine Verwandlung so statt-
finden, dass die Substanz, in die verwandelt wird, nicht das Sein,
sondern nur das Hiersein durch die Wandlung empfängt (23). Es
ist also zu unterscheiden eine transubstantiatio productiva
und adductiva: Uno modo quod sit ad substantiam ut per
ipsam (die Transsubst.) accipientem esse; alio modo ut sit ad
substantiam ut per ipsam accipientem esse hie. . .
Et sub aliis verbis potest esse vel ad entitatem sui termini vel
ad praesentialitatem eins alicubi (23).
Der aufmerksame Leser wird merken, worauf diese Unter-
scheidung abzielt. Die Transsubstantiation, die dem Wortlaut
nach erhalten bleibt, wird sachte zur Seite geschoben. Es handelt
sich in ihr nur darum, dass der Leib gegenwärtig werde. Wir
wissen aber aus der vorigen Distinktion genau, was das be-
deutet. Nur das, dass der Leib zu seinen sonstigen Eelationen
die Beziehung zur Hostie hinzugefügt erhält. Ist das aber
der Fall, dann kann vom Standpunkt der Transsubstantiation
her nichts dagegen eingewandt werden, dass das Brot im
Abendmahl erhalten wird. Nicht sein Sein braucht aufgehoben
zu werden, wenigstens nicht vermöge der Transsubstantiation
als solcher, sondern nur sein Hiersein (s. ib. quaest. 4, 14. 15).
Die Transsubstantiation besteht also darin, dass das Brot
Platz macht dem durch sie hinkommenden Leib. Soll nun
der Leib im Brot enthalten sein, und soll das Brot sein Sein
nicht verlieren, so genügt es im Brot gleichsam einen leeren
Hohlraum vorzustellen, in den der Leib einzieht. Hier hätte
das Hiersein des Brotes aufgehört und dem Hiersein des Leibes
Platz gemacht. Aber das ist noch nicht genug. Vergegen-
wärtigen wir uns, dass ja der himmlische Leib nicht lokal,
Produktive und adduktive Transsubstantiation. 383
sondern nur vermöge einer Relation im Abendmahl gegenwärtig
ist, so kann man noch viel weiter gehen. Letztlich besteht die
Transsubstantiation darin, dass das Brot Platz gewährt der
Relation des Leibes zur Hostie. Das würde heissen: Das
Brot kann bleiben was es ist und wo es ist ; es ist genug, wenn
der Gedanke möglich bleibt : hier hat eine Relation des Leibes
Platz. Es wäre also genug, wenn der Gläubige das Bewusst-
sein empfängt: hier ist Brot, wie ich sehe und empfinde, aber
dies Brot fasst ausser den konkreten Relationen des Brotes
auch ein anderes in sich, die Relation Christi za dieser Handlung.
Wo diese ist, da ist ein neues hie esse eingetreten, dem das
entsprechende hie esse des Brotes Platz gemacht. Ich beziehe
mein Empfangen nicht auf das Brot als solches, sondern auf
etwas in der Handlung, was nicht Brot ist, denn in dieser
Handlung wird eine Relation Gottes zu mir wirksam, die ausser
und über den besonderen Relationen des Brotes zu mir liegt,
und doch nur im Zusammenhang mit diesem Brot mir wird.
Das wäre ungefähr lutherisch gedacht, aber ist sicher auch
nicht unscotistisch gedacht! Dass wir den eigentlichen Nerv in
der scotistischen Theorie mit diesen Ausführungen treffen, wird
niemand leugnen, der die scotistische Vorhebe für die Konsub-
stantiation und die Bestimmungen der Gegenwart des Leibes
als einer Relation des himmlischen Christus zur Hostie ge-
bührend in Acht behält. Alles ist jetzt klar, die Transsub-
stantiation bleibt, aber sie bleibt in einem dem eigentlichen
Gedanken fremden Sinn. Es kommt nur auf eins an, dass
Christus in der Abendmahlshandlung gegenwärtig gedacht wird.
Und nicht einmal auf die Gegenwart des Leibes kann im
Sinn des Duns sonderliches Gewicht gelegt werden.
17. So ist es freilich klar, dass und wie die Verwandlung
auch in eine präexistierende Substanz stattfinden kann. Aber
niemand kann Duns nachsagen, dass er es sich zu leicht mache.
Der gefundene Gedanke muss noch gegen eine Anzahl von
Einreden geschützt werden. Man konnte nämlich leugnen, dass
dies wirklich als Transsubstantiation bezeichnet werden könne,
da der Terminus nicht die Substanz , sondern die Gegenwart
ist. Man kann weiter einwenden, dass der Terminus ad quem,
also der Leib, hier einer Ortsveränderung unterliege, die früher
384 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
geleugnet wurde. Und man kann schliesslich meinen, dass auf
diese Weise soviel praesentialitates des Leibes, als Verwand-
lungen geschehen, anzunehmen seien (23). Aber diese Gedanken
beweisen nichts. Gegen den ersten- Einwand ist aufrecht zu
erhalten, dass allerdings eine Substanz den Terminus ad quem
bildet, wenn es auch nicht ein esse substantiale novuni, sondern
eine praesentia nova ist. Eine gewisse Änderung an dem
himmlischen Leib durch Annahme der neuen lokalen Beziehung
ist allerdings zuzugestehen. Das hat Duns ja schon früher
gelehrt (s. oben S. 369 f.). Was aber die Wahrheit der Gegen-
wart anlangt, so ist es doch im Grunde die Gegenwart des
einen Leibes bei dem einen Brot, die sich teilt in viele Einzel-
erscheinungen (23).
Das Resultat ist also : eo modo terminus prior convertitur
in terminum posteriorem, quomodo terminus posterior succedit
termino priori; sed terminus posterior non succedit secundum
esse simpliciter, sed secundum esse hie praesens pani prae-
existenti ; ergo nee panis convertitur nee transit in
corpus Christi, nisi secundum esse hie praesens
pani praeexistenti (24, s. noch § 58 ad 4). Freilich ge-
steht Duns selbst zu, dass nach dieser Theorie an ein wirk-
liches Aufhören des Brotes durchaus nicht zu denken ist.
Die Kirchenlehre von der Transsubstantiation ist also glücklich
so präpariert worden, dass sie sich mit der Konsubstantiation
aufs beste verträgt! Soll aber die Brotsubstanz aufhören, so
bedarf es einer weiteren mutatio. Mit einem responsionem
quaere! schliesst Duns (24).
18. Diese responsio wird im folgenden gesucht, indem die
Erage S. 379 wieder aufgenommen wird, ob das Brot im
Abendmahl annihiliert werde (quaest. 4)? Dies scheint
wahrscheinlich zu sein, da ja Leib und nicht Brot nach der
Konsekration da ist ; ist das Brot nicht da, so scheint es nicht
mehr zu sein. Dem schöpferischen Akt Gottes, der Sein her-
vorbringt, korrespondiert die Vernichtung von einem anderen
Seienden; allerdings aber sei Vernichten kein göttliches Werk
(quaest. 4, 1. 2). Den Weg zur Darlegung seiner eigenen An-
sicht bahnt Duns sich durch eine kritische Analyse der Ideen
von Heinrich, Agidius und Varro. Nach Heinrich ist das Brot
Die Annihilation des Brotes. 385
nach der Verwandlung nicht nichts, sondern etwas; natürlich
aber nicht was es früher war, denn das hat eben durch die
Verwandlung aufgehört, sondern es ist etwas als das, was. ver-
wandelt wurde. Dies genüge nicht zur Widerlegung der An-
nihilation, denn die Verwandlung scheine doch das Nichtsein
des einen Terminus zu bedingen, da dieser dem anderen Ter-
minus inkompossibel ist. Sodann hat das Brot doch keine
aliquitas im Leibe Christi, wie andererseits der Leib das bleibt
was er war, also könne auch von einem weiteren Sein des
Brotes nach geschehener Wandlung nicht wohl geredet werden
(§ 3.. 4).
Ägidius hat gemeint, das Brot werde nicht vernichtet, da
es wie der Leib Materie ist und in diese übergeht; so wenig
also eine Schöpfung, so wenig finde eine Vernichtung statt (5).
Allein wäre das richtig, so würde überhaupt, solange Körper-
lichkeit besteht, die Annihilation des Brotes unmöglich sein.
Andererseits würde hienach, auch wenn die Annihilation vor-
ausgesetzt wird, das Brot doch potenziell in der Materie des
Leibes Christi bleiben. Dann kann aber auf diesem Wege
die Annihilation unmöglich widerlegt werden (ib.). Varro end-
lich hat gemeint, es bleibe nach der Verwandlung nichts vom
Brote nach, doch werde deshalb das Brot nicht annihiliert, da
nicht das Nihil das Ziel der Wandlung sei. Aber hiegegen
könne doch gesagt werden, dass durch die Wandlung immerhin
die nihileitas des Brotes vorausgesetzt werde (6). Freilich
aber ist nicht das nihil purum ein Terminus im Vorgang der
Transsubstantiation, während bei der Annihilation es darauf
ankomme, dass von dem terminus a quo nichts im terminus ad
quem übrig bleibe (8. 9).
Immerhin scheint Duns der Annihilation zuzuneigen, denn
was sich schlechtweg als nichts zeigt, ist nichts etc. (10). Man
könnte die Sache etwa so vorstellen: es folgt dem esse panis
simpliciter ein non esse simpliciter, wobei per accidens kon-
kurriert die praesentia corporis Christi hie. Die Vernichtung
des Brotes hat also mit der Wandlung nichts zu thun; es
würde nur anzunehmen sein, dass avo die adduktive Transsub-
stantiation den Leib Christi gegenwärtig machte, unabhängig
von ihr, zeitlich aber zusammenfallend, eine Annihilation der
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 25
386 Kaj). TV: Die Tjehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
Brotsubstaiiz stattfinde. Bei der produktiven Traiissubstantiation
könne man ein gewisses Bleiben dessen, aus dem etwas wurde,
in dem was daraus wurde, vorstellig machen. Bei der ad-
duktiv(m Form aber sei ein Beweis geg(Mi die Annihilation un-
möglich, — mehr sagt Duns hier nicht (14).
19. Damit ist aber die Transsubstautiationslehre des Duns
zum Ziel gekommen. Es findet frciilich ein Übergang einer
Substanz in die andere statt, aber nur im Sinn eines trausitus
zum hie esse. Wie nun der Ltdb durch diese mutatio posi-
tiva nur ein hie esse, nicht das esse erhält, so wird ent-
sprechend die mutatio deperditiva am Brot sich nur auf das
hie esse, und nicht das esse erstrecken : non deperdit panis esse
simpliciter, sed esse hie. Wie Christi Leib eine neue Gegen-
wart erhält, ohne die alte zu verlieren, so verliert das Brot
die alte Gegenwart, ohne eine neue zu erhalten. An sich
könnte also das Sein der Brotsubstanz aufrecht erhalten bleiben.
Soll aber das esse substantiale des Brotes verloren gehen, so
geschieht das nicht durch die Wandlung, sondern alia desitione ;
diese annihilatio hat mit der conversio, wie Duns immer wieder
hervorhebt, nichts zu schaffen (15).
Überschlägt man die ganze Gedankenentwicklung, die wir
bisher kennen lernten, so ergibt sich ein klarer und einfacher
Zusammenhang: Nach Gottes Ordnung nimmt der Leib
Christi zur konsekrierten Hostie eine besondere
Beziehung ein, die Wandlung bew^irkt das Hier-
sein jenes Leibes. Nur ein Gedanke will sich diesem ein-
fachen Zusammenhang nicht einfügen, das ist die Annihilation
des Brotes. Allein dieser Hypothese, zu der Duns sich übrigens
nicht ausdrücklich bekennt, kommt in dem Zusammenhang
seiner Gedanken keine erhebliche Bedeutung zu. Sie ist deut-
lich als Verlegcnheitsauskunft zu erkennen ; schon dadurch,
dass sie grade der von Duns so liebevoll behandelten Anschau-
ung von dem Bleiben der Brotsubstanz widerspricht. Man
versetze sich in die Lage des Duns. Die Orthodoxie verlangte
den Verzicht auf die Brotsubstanz. Dieser Verzicht konnte aber
nur auf zwei Wegen erreicht werden, entweder durch die Annahme
der vulgären produktiven Transsubstantiation, oder durch die
Hypothese der Annihilation. Jener Weg war Duns schlecht-
Dauern die Accidenzien ohne Subjekt fort? 387
hin durch seine Gedanken von der Gegenwart des Leibes ver-
legt, so musste er sich dazu bequemen, auf die Annihihition
als Ausweg hinzuweisen. So sicher aber die Konsubstantia-
tionstheorio ihm die allein sympathische war, so sicher ist die
jener entgegengesetzte Annihilationshypothese nur als logisches
Manöver zur Aufrechterhaltuug des Scheines der Ub(M-eiii-
stimmung mit der Kirchenlehre zu beurteilen. Man beachte
noch die Geflissentlichkeit, mit der Duus immer wieder her-
vorhebt, dass das Transsubstantiationsdogma keineswegs den
Untergang der Brotsubstanz fordere!
Duns schliesst seine Erörterung mit einer Betrachtung über
den sprachlichen Ausdruck des Wandlungsprozesses. Man könne
dazu nicht das Verbum esse brauchen, aber ebenso wenig fieri
im Sinn des Geformtwerdens oder posse, da das Brot weder der
Leib ist, noch Leib wird, noch Leib sein kann (quaest. 5, 1).
Wohl aber kann man sagen : ex pane fit corpus (quaest. 6, 1).
20. Doch eine mühsame Erörterung wartet noch des
Lesers: die Brotsubstanz soll annihiliert werden, die Accidenzien
bleiben, bestehen sie nun ohne Subjekt, d. h. ohne einen Träger,
an dem sie haften, im Abendmahl? So sehr die Logik und
der Augenschein diese Frage zu verneinen erheischen (dist. 12
quaest. 1, L 2), so sehr muss sie im Eahmen der Vernichtung
der Brotsubstanz gestellt werden. Alexander und Thomas
meinten, dass wenn von einem zusammengesetzten Sein ein
Accidenz losgelöst wird, es von Gott ein neues Subjekt erhalte,
da doch nicht mehr das ganze Sein des Zusammengesetzten
sein Subjekt bleiben könne. Nach Heinrich erhält es eine
gleichsam übernatürliche Kraft, vermöge welcher es per se
bestehen könne. Gegen beides wendet Duns ein, dass es logisch
unmöglich sei. Soll das Accidenz abgetrennt werden, so hat
es sein eigenes Sein, das vor dem neuen Subjekt besteht. Zu-
dem müsste letzteres doch irgendwie entstehen und selbst etwas
sein, sei es Substanz oder Accidenz. Aber wie entsteht es
und was ist es? Mag es übernatürlich entstehen, so muss es
doch im konkreten Zusammenhang etwas Natürliches werden,
wie auch der Blinde, dem übernatürlich das Augenlicht wieder
wurde, natürlich sehen würde (ib. 3. 4).
Wie immer, so bahnt sich auch hier Duns den Weg durch
25*
388 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl,
logische Distinktion. Das Wort Accidenz kann in verschiedenem
Sinn gehraucht werden. 1) Der Begriff als solcher genommen
fasst notwendig in sich, dass das Accidenz einem anderen als
seinem Suhjekt anhaftet, denn es gehört zum genus respectus
extrinseci advenientis (5. 6). 2) Das Accidenz als accidens
respectivum drückt, wie paternitas, similitudo, eine konkrete
Beziehung aus (8). In diesem wie jenem Sinn kann das Ac-
cidenz nicht ohne ein Subjekt, an dem es haftet, gedacht werden ;
3) Nun kann es aber auch als etwas Absolutes gedacht werden ;
so kann es sein oder nicht sein in einem Subjekt, wird aber
notwendig die Hinneigung zu einem Subjekt haben: necessario
inest aptitudinaliter (5). Es könnte also etwa das Accidenz
albedo vorgestellt werden als etwas Absolutes, was als solches
zu keinem anderen als seinem Subjekt Beziehung hätte (9).
Dem gegenüber kann nun nicht gesagt werden, dass die In-
härenz zur Essenz der albedo gehöre. Jene Inharenz ist ein
respectus, ein solcher aber kann nicht intrinsice zur quidditas
der albedo gehören (12. 14). Die Inharenz der albedo ist also
nicht identisch mit der albedo (18). Trotzdem dass nun der
respectus inhaerentiae später ist, als die albedo selbst, kann
doch nicht gefolgert werden: also bedarf die albedo keines
terminus respectus, denn es kann etwas abhängig sein von dem
terminus respectus, nicht aber vom respectus selbst, wie etwa
die Substanz des Steines nicht abhängen kann von der Be-
ziehung Glottes zum Stein, wohl aber von Gott selbst (20).
Doch muss auch zugestanden werden, dass die Inharenz der
albedo inhäriert, denn nur so begreift man ihre Tendenz zur
Adhärenz und zwar ist diese Inharenz der Inharenz nicht ver-
schieden von dieser selbst (18). Aber das heisst nicht, dass
die Inharenz dem Accidenz schlechthin notwendig ist. Soll
dasselbe als ein Absolutes gedacht sein, so wird es Accidenz
durch einen respectus extrinsecus adveniens. Diese Vereinigung
ist aber eine zufällige, da nämlich Gott beide Absolute, die
sich verbinden, auch für sich hätte bestehen lassen können (21).
Zusammenfassend können wir also sagen: die Inharenz gehört
nicht zum Wesen des Accidenz, sofern ein solches absolut
gedacht werden kann. Die Inharenz inhäriert vielmehr dem
Accidenz, wobei letzteres die Tendenz auf Inhäsion hat.
Quantität und Qualität. 389
Es handelt sich weiter um die Frage, ob jedes Accidenz
ohne Subjekt sein könne? Nach Duns ist hier zu unterscheiden
zwischen dem nächsten und dem letzten Träger des Accidenz.
An sich könne in letzterem Verhältnis nur einis Substanz, in
ersterem auch ein Accidenz als Subjekt eines Accidenz in Be-
tracht kommen. Natürlich könne aber auch jedes Accidenz
als absolut oder subjektlos gedacht werden. Ebenso ist aber
sicher, dass ein Accidens respectivum nicht entraten kann des
Subjektes zweiter Art, indem keine Beziehung möglich ist,
ohne dass sie alicuius und ad aliquid sei. Allerdings ist dies
Verhältnis nicht im Accidenz als solchem begründet, sondern
tritt als Relation zu demselben hinzu (dist. 12 quaest. 2, 14).
In diesem Fall wäre aber das Subjekt des Accidenz selbst
wieder ein Accidenz, nämlich die habitudo ad terminum.
21. Wendet man diese Unterscheidungen auf das Abend-
mahl an, so handelt es sich darum, ob man die Quantität für
eine essentia absoluta hält, die sich sonach essentiell von der
Qualität unterscheiden würde. Dies sei die communis opinio.
In diesem Fall müsste man sich die * Quantität als absolutes
Accidenz, d. h. subjektlos im Abendmahl bestehend denken,
während die Qualität ihr Subjekt an dem Accidenz der Quan-
tität haben könnte. Also würde nach Aufhören der Substanz
die Quantität des Brotes als solche fortbestehen, und dieser
würden die Qualitätsbestimmungen des Brotes anhaften. In
diesem Zusammenhang macht nun aber Duns ein überraschendes
Zugeständnis. Er führt ohne Widerlegung die Auffassung an,
dass die Quantität einer körperlichen Substanz nicht essentiell
verschieden ist von der Substanz selbst. Dann könnte natürlich
nicht davon die Bede sein, dass die Qualitäten der Quantität
anhaften, sondern eher könnte man die Quantität der Qualität
anhängen (ib. 15). Hier ist die nominalistische Behandlung
der Frage ^) begründet. Die Quantität ist nur der quantitative
Leib. Dann wird aber Quantität nur so lange sein, als Leib
ist. Der Gedanke verstösst in seiner Konsequenz wider die
Transsubstantiation. Er würde aber gut harmonieren mit jener
Annahme eines Bleibens der Brotsubstanz. Doch hat Duns
sich nicht genauer hiezu geäussert.
^) Z. B. bei üccam, s. m. Dogmengesch. II S. 189.
390 JKap. TV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
Duns fragt weiter, ol) die zurückl)leiben(leii Accidenzien
dieselben Wirkungen ausüben könnten, die sie an der Substanz
hatten? An sieb scheint durch Aufhc^bung des esse auch das
agere aufzuhören (quaest. 3, 1. 4). -Duns weist nach, dass
das von der Substanz abgetrennte Accidenz \v(?der das Werk-
zeug zur Hervorbringung einer Substanz (7. 9), noch auch
das principium effectivum zur Entstehung einer Substanz sein
kann, da jedes Accidenz seiner Art nach unvollkommener ist als
eine Substanz (13). Wohl aber kann solch ein Accidenz thätig
sein zur Bewirkung von Accidenzien. Die Qualität nämlich,
die abgelöst von ihrer Substanz, bleibt — nämlich der Quan-
tität — muss auch wirkungskräftig sein , denn : ablatio illius
subiecti nihil aufert per se principio agendi (17). Also: die
Accidenzien wirken nach der Konsekration was sie auch vor
derselben, als sie die Substanz zam Subjekt hatten, wirkten.
22. Duns untersucht ferner: ob jede Veränderung, die ein
Geschaffenes an den Accidenzien des Abendmahls bewirkt, not-
wendig das Bleiben der gleichen Quantität voraussetzt? Vier
Arten der mutatio sind zu unterscheiden: 1) die lokale Ver-
änderung bezüghch des ubi, 2) der Wandel der Qualität ohne
quantitative Änderung, 3) qualitative und quantitative Änderung
d. h. secundum rarum et densum, und 4) bloss quantitative
Änderung durch appositio oder ablatio. Es ist klar, dass im
ersten und zweiten Fall die Quantität — als eine Art Subjekt,
an dem sich die qualitativen Mutationen vollziehen — erhalten
bleibt (ib. quaest. 4, 19). Schwieriger sind der 3. und 4.
Fall (20). Wenn nämlich eine Verdichtung oder Ausbreitung
von aussen her bewirkt wird, so scheint doch das von Gott
erhaltene Quantitätsaccidenz von einer Kreatur nicht zerstört
werden zu können. Soll also in diesem Fall eine neue Quan-
tität angenommen werden , so kann dieselbe nur von Gott
direkt gesetzt werden, und zwar so, dass Gott mit der Ver-
ordnung der Eucharistie zugleich eine Veränderung der Acci-
denzien setzte, die eintritt in Gemässheit der Änderung der
Accidenzien, wie sie einträte, wenn das Brot zur Zeit der
Veränderung noch bestände. Wenn nämlich die Spezies sich
konkret als unwandelbar erwiese, so würde dem Glauben sein
Verdienst genommen (21). Wenn also jemand die konsekrierte
Wirkungen und Veränderungen der Accidenzien. 391
Hostie zusammondrückt, so tritt ein Wandel dnr Quantität
als solcher ein, der entspricht dem quantitativ(Mi Wandel an
der nicht konsekriorten, also noch substanzioll vorhandenen
Hostie. — Im vierten Fall dagegc^n ist kc^ne Veränderung der
Quantität anzunehmen, da bei jeder Teilung wie bei jeder
Zufiigung die bleibenden Teile als das Subjekt dableiben.
D. h. also die Quantität der Hostie bleibt, ob ihre Teile nun
bei einander sind oder getrennt werden , ob etwas zu ihnen
zugefügt wird oder, nicht. Das Resultat ist also, dass eine
Änderung der Quantität nur bewirkt werden kann, sofern Gott
eine solche als möglich gesetzt hat.
Folgerichtig w^ird an diese Frage die andere geschlossen,
ob nämlich die Accidenzien eine transmutatio corruptiva
erfahren können ? Thomas hat diese Frage bejaht mit der Be-
gründung, dass die Accidenzien ein der früheren Brotsubstanz
konformes esse haben, dass also wie letztere auch erstere
korrumpiert werden können (ib. quaest. 5, 2). Das ist offenbar
unrichtig, denn indem das esse der Substanz aufgehoben wird,
wird keineswegs ein neues jenem konformes esse der Accidenzien
gesetzt (3). Aber die Accidenzien können freilich, nach der
gewöhnlichen Auffassung, dass sie an der Quantität ihr Subjekt
haben, zerstört werden, da diese dann doch nachblieben.
Schwieriger wird aber die Sache bei der anderen Annahme,
die Duns wieder ernsthaft ansetzt, dass Quantität und Substanz
nicht von einander unterschieden sind, denn hier bliebe bei
Zerstörung der Accidenzien, die ja nach dieser Anschauung
kein von der Substanz verschiedenes Sein haben, nichts, also
auch nicht die Quantität, nach (4). Duns' Meinung ist die,
dass nach Zerstörung der Qualitäten die Eucharistie überhaupt
aufhört, da sie nach Gottes Willen eben nur unter diesen
Qualitäten bestehen soll (4).
23. Kann nun aber für diesen Fall die Wiederkehr einer
gewissen irdischen Substanz angenommen werden? Man meint,
dass das Brot wiederkehre, sobald jene zur Eucharistie not-
wendigen Bestandteile aufhören. Aber wann sollte das ein-
treten? Etwa in dem Moment, da die neue Substanz da ist,
dann wären in jenem Moment doch wohl Brot und Nichtbrot
bei einander; oder früher, dann wären Eucharistie und Brot-
392 -Kap. IV: J)ie Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl.
Substanz zugh^ich da. Die Schwi(Tigk(nt besteht darin, dass
man nicht recht angehen kann, wann das Brot, d. h. seine
Accidenzien aufhören Brot zu sein; und wie soll dann, wenn
diese aufhören, grade das Brot zu sein anfangen (ib. quaest. 6,
3. 4)? Hier will Thomas durch die Aimahme eines schöpferischen
Aktes helfen, der eine neue Substanz hervorbringe (5). Aber
auch dann bleibt die Schwierigkeit, dass man den Eintritt der
neuen Substanz nicht vorstellig machen kann. Weder kann
sie im letzten Moment des Bestandes der Eucharistie entstehen,
da sie dann mit jener zugleich da wäre, was gegen die Trans-
substautiation verstiesse, noch kann man annehmen, dass sie
erst im Moment ihrer generatio die corruptio der Spezies be-
wirke, da das in ihrer generatio nicht liegt, noch kann man
sie überhaupt denken, da ihr die Form fehlen würde, was
wieder ein überflüssiges Wunder erheischte (5). — Duns selbst
beantwortet die Frage so : Einige Änderungen in den Qualitäten
können eintreten, ohne den Bestand der Eucharistie zu
schädigen (11). Jede Änderung, die ein incomj)ossibile pani,
wenn es geblieben w^äre, nicht bewirkt, wie jede Änderung der
Qualität bezüglich der rarefactio und condensatio, würde die
Eucharistie nicht aufheben, wohl aber jede Änderung, die das
Brot, wenn es da wäre, zerstörte, wie etwa die Zerstörung des
Brotes resp. seiner Spezies durch Feuer. In letzterem Fall
wäre die Eucharistie zerstört, auch wenn die Quantität des
Brotes erhalten wäre, da die Eucharistie zu ihrem Bestand
nicht nur der Brotquantität, sondern auch der übrigen Acci-
denzien bedarf (13). Bleibt nun aber die Quantität nach, so
hat alles, was übrig bleibt, an ihr sein Subjekt (11). Wird
aber auch die Quantität zerstört, so muss freilich eine neue
Substanz als Inbegriff des in der corruptio Nachbleibenden
eintreten. Diese lässt Gott direkt entstehen im Moment der
Korruption. Hatten nämlich die Spezies ihr Subjekt, solange
Eucharistie war, an dieser, so ist klar, dass in dem Moment
des Aufhörens derselben ein neues Subjekt eintreten muss.
Diese Substanz muss dann aber so beschaffen sein, dass sie
zu den übrig gebliebenen Accidenzien passt (13). Also sind
drei Fälle zu unterscheiden: 1) geringere Veränderungen der
Brotaccidenzien bewirken kein Aufhören der Eucharistie;
Erhebliche ÄnderuDgen der Accidenzien vernichten die Eucharistie. 393
2) erheblichere V(u-änderuiigen bringen, solange die Brot-
quantität erhalten bleibt, keine neue Substanz hervor, obgleich
die Eucharistie aufhört; 3) hört aber das Brot nach Quantität
und Qualität auf, so ist nicht mehr Brot da, sondern eine
neue Substanz, die dem Brot nach Massgabe der von ihm
übrig gebliebenen Accidenzien entspricht.
24. Die Erörterung dieser Distinktion ruht auf der
Hypothese der Annihilation der Brotsubstanz. Die Frage ist,
was nach der Aufhebung der Brotsubstanz das Subjekt der
übrig bleibenden Accidenzien ist? Das Accidenz kann absolut
gedacht werden, aber immer nur mit der Tendenz auf Inhäsion
an einem Subjekt. So wird dann die Quantität des Brotes
vorgestellt als das Subjekt der sonstigen Accidenzien des Brotes,
die nach Zerstörung der Substanz bleiben. Diese Accidenzien
können die nämliche Wirkung ausüben, die ihnen zur Zeit des
Bestandes der Brotsubstanz zukam. Werden sie aber zerstört,
so hört die Eucharistie auf; wenn auch die Quantität zerstört
wird, so muss für die übrig bleibenden Accidenzien eine neu
entstehende Substanz als Subjekt angenommen werden. Die
ganze Betrachtung ruht auf der realistischen Auffassung der
Quantität als eines an sich Seienden. Aber Duns kennt auch
eine andere Anschauung, nach der die Quantität nichts anderes
als das quantitativ gedachte Ding selbst ist. Diese Anschauung
wird als möglich zugestanden. Man darf nun sagen, dass nur
diese Auffassung der Theorie des Duns entspricht. Ist das
Bleiben der Brotsubstanz das Wahrscheinliche (S. 380), bezieht
sich demgemäss die Transsubstantiation nicht schlechthin auf
das esse, sondern auf das hie esse, so muss das Subjekt der
Accidenzien in der res quanta selbst erblickt werden. Man
kann das dann etwa so denken: für die fromme Betrachtung
ist als Substanz in der Eucharistie nur noch der Leib vor-
handen; mag nun immerhin die Brotsubstanz fortbestehen, die
religiöse Betrachtung bemerkt nur noch die sinuenfälligen
Accidenzien, sie sieht nicht mehr das Brot als solches, sondern
nur noch ein gewisses Quantum, das ihr als Subjekt für die
übrigen Accidenzien genügt. Wird dies Quantum vernichtet,
dann hört auch das Bewusstsein von der Eucharistie auf, dann
sieht man nur eine neue irdische Substanz in dem Übrig-
394 JKap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; das Abendmahl,
bleibenden. Diese Lösung entspricbt vioUeiclit der Unklarheit,
die Duns, wohl nicht ohne Absicht, über seinen Gedankenzu-
sammenhang verbreitet. Die Substanz bleibt, aber sie bleibt
auch nicht; hinsichtlich der Beziehung zu den Accidenzien
vertritt die Quantität sie, die Quantität aber darf auch als
das quantitative Ding selbst gedacht werden ; die Substanz
wäre da, aber was von ihr in Betracht kommt, wäre bloss die
Quantität samt den ihr anhaftenden Qualitäten. Hierauf
führen die Grundideen des Duns über die Transsubstantiation.
25. Nachdem wir so erkannt haben, was es im Sinn des
Duns um die Transsubstantiation ist, bleibt schliesslich die
Frage nach dem Verhältnis zwischen der göttlichen und priester-
lichen Thätigkeit bei der Konsekration zu erörtern. Hievon
redet die 13. Distinktion. Duns beginnt mit der Frage, ob
der Leib Christi nur durch eine actio Gottes konfiziert werden
könne? Nach dem allgem.einen Sakramentsbegriff (vgl. S. 348)
ist die Frage zu bejahen ; da ja ein unmittelbar Neues eintritt,
kann es nur von Gott gewirkt werden (quaest. 1, 3). Nun
kann aber doch gefragt werden, ob hier, da doch nur eine
neue Belation zu früher Seiendem, nicht aber ein neues
Sein hergestellt wird, ob; hier eine göttliche Aktion notwendig
ist? Andererseits scheint es aber gleichgiltig zu sein, ob die
Verwandlung etwas in ein praeexistens oder ein non praeexistens
umwandelt (ib. § 3). Zunächst ist hier die Unterscheidung
der Begriffe actio und relatio festzustellen. Die Actio wie
die Belatio sind nicht forma absoluta, da sie nicht für sich
bestehen können (§ 5. 6). Beide unterfallen dem Gesichts-
punkt des respectus, wobei letztere ein respectus extrinsecus
adveniens , erstere ein respectus intrinsecus adveniens ist (9).
Nun ist weiter bei jeder Actio zu unterscheiden das agens
(Subjekt) und das passum (Objekt). Ist nun die Actio ein
hinzutretender respectus, so fragt sich es, ob sie zum Subjekt
oder Objekt hinzukommt. Darauf ist zu sagen, dass sie zu
beiden kommt (10). Es kann aber unter Actio sehr Ver-
schiedenes verstanden werden, nämlich 1) die operatio, wie
intellectio und volitio, 2) ein respectus, und zwar der respectus
producentis ad productum, oder 3) educentis ad eductum, 4) die
res acta, sofern sie von einem anderen hervorgebracht ist^
Gott allein vollbringt die AYandlung-. 395
5) der respectus transmutantis ad transmutatum (12). In
. letzterem Sinn ist aber in die Relation eingeschlossen sowohl
das Yerhältuis des ändernden Subjektes zu seinem Objekt als
die passive Änderung des Objektes (13). Streng genommen
sind nun aber auf Gott nur zwei Kategorien anwendbar, näm-
lich die Kategorie der Substanz und der Relation (17), nicht
aber die actio. Gottes Thun ist nämlich totalis productio, bei
einer solchen fehlt aber das passum im Sinn des potenziell
gestaltbaren Objektes. Immerhin könne man aber auch von
göttlicher actio reden, nicht freilich im strengen Sinn, aber
doch so, dass das Betreffende in Gott der menschlichen Aktion
korrespondiert. Blicken wir jetzt auf die Conversio, so ist
soviel klar, dass wir sie als Relation zu denken vermögen.
Dagegen scheint bezweifelt werden zu können, dass diese
Relation mit dem menschlichen Handeln verwandt ist: wird
nämlich die Substanz so verwandelt, dass die alte aufhört zu
existieren, so ist kein passives Objekt der Wandlung vorhanden,
und scheint also diese selbst auch nicht als actio vorgestellt
werden zu können. Allein wenn man sich daran erinnert, dass der
eigentliche Zweck der Conversio in der Setzung einer praesentia
nova des Leibes bestand, so kann man die Wandlung des hie esse
als eine passio in corpore ansehen und dann allerdings von einem
gewissen Handeln reden (19). Auch hier ist der Duns eigen-
tümliche Transsubstantiationsgedanke deutlich erkennbar.
Demnach kann die Wandlung als göttliche Aktion be-
zeichnet werden. Aber bedarf es einer solchen ? Diese Thätig-
keit scheint doch auch von einem Menschen vollzogen werden
• zu können, da der Mensch auch göttliche Werke, sofern sie
nicht formell unendlich sind, ausführen kann. Dies Schaffen
von Kreaturen scheint auch nicht unendlich zu sein, da sonst
alle Vollkommenheit darin beschlossen sein müsste. Und wenn
der Mensch die Substanzen verändern könne, müsse er doch
auch die Wandlung zu vollziehen im stände sein (30). Allein
diese Erwägungen scheitern daran, dass der Mensch nie über
das Sein als solches verfügt. Weiter aber muss, da Gott in
seinem Handeln sehg ist, dasselbe freilich unendlich sein,
allerdings nicht in extensivem, sondern in intensivem Sinn (31).
•So wenig man daher der Kreatur die Wandlung beizulegen
396 Kap. IV: Sakramente; Abendmahl, Busse.
genötigt ist, so wonig kann mit Thomas behauptet werden, die
Kreatur sei die instrumentah^ Ursache der Wandlung (§ 34 ff.).
Der Priester oder die prolatio verborum kann nur insofern
Ursache der Wandhmg genannt werden, als er nach Gottes
Pakt die dispositio necessaria für die von Gott vollzogene
Wandlung herstellt, nicht aber so, dass sein Thun an sich
jenes Ziel erreichte, wie das vom instrumentalen Handeln ge-
sagt werden kann (40). Das ist die Antwort des Duns. Sie
folgt konsequent aus seiner allgemeinen Anschauung von den
Sakramenten.
26. Die letzte Frage, die Duns erörtert, ist die : ob jeder
Priester, der die Intention zur Konsekration hat und sie an
der rechten Materie vollzieht, konsekrieren kann (dist. 13
quaest. 2)? Diese Frage ist zu bejahen, sofern das posse
Ordinate facere bei dem betr. Priester vorausgesetzt wird. Er
muss also sacerdos sein, er darf nicht stumm sein, sondern
muss die Konsekrationsworte auszusprechen vermögen (§ 3. 4).
Dies gilt auch von dem degradierten Priester. Zwar sagt
man, derselbe habe das priesterliche Privilegium verloren, indem
er der Staatsgewalt überliefert werde. Nun aber überliefert in
diesem Fall die Kirche, und die staatliche Gewalt handelt nur
als Dienerin des kirchlichen Richters. Also kann das priester-
liche Privilegium hiedurch nicht aufgehoben werden. Aber
auch dem Schismatiker und Häretiker — von letzterem heisst
es : quod plus est — kann die Fähigkeit zu konsekrieren nicht
abgesprochen werden, sofern auch der Häretiker, selbst wenn
er credit eucharistiam nihil valere, immerhin im allgemeinen
die Intention haben kann, die Einsetzung Christi und die Aus-
führung derselben durch die Kirche auch seinerseits zu voll-
ziehen (§ 5).
Nachdem so im allgemeinen gezeigt worden, worauf
das posse Ordinate facere beruht, muss weiter betrachtet
werden, wie der einzelne hieran Teil hat. Er muss frei
sein von einer culpa mortalis, wovon früher die Rede war (vgl.
dist. 5 quaest. 2; dist. 8 quaest. 3); er muss nüchtern sein
(cf. dist. 8 qu. 3), sodann frei sein von einer durch kanonische
Strafen bewirkten prohibitio ministrandi, sei es dass dieselbe
wegen Verbrechen oder Gebrechen erfolgte (7. 8). Die igno-
Der konsekrierende Priester. Die Busse. 397
rantia iuris entschuldigt weder in diesem noch dem anderen
Fall, dass ein Laie konsokrieren will (von ihm gilt: peccat
mortaliter et nihil facit, irregularis est), da man ja verpflichtet
ist, dies Recht zu kennen. Die Strafe der Irregularität trrflFt
den Priester wie den Laien für unbefugtes Konsekrieren. Wohl
aber kann eine ignorantia facti den betr. Priester entschuldigen,
wenn er etwa nicht sicher wusste, dass ihm wegen Exkommuni-
kation oder ähnlichen Gründen etwas verboten sei (10). Die
kleine Exkommunikation verhindert nicht an der Konsekration,
wenngleich sündigt wer mit ihr behaftet, celebriert (11). Ein
öffentlicher notorischer Sünder begeht eine Todsünde durch
die Konsekration, indem er Ärgernis gibt; dagegen ist ein
Simoniacus irregularis (11).
27. Damit können wir unsere Darstellung der Abend-
mahlslehre des Duns Scotus beschliessen. Wie wir es bei der
sich nun anschliessenden Busslehre thun werden, haben wir
hier allen verschlungenen Pfaden der Dialektik unseres Autors
folgen müssen. Denn wie jene, so bietet auch die scotistische
Abendmahlslehre den Schlüssel zum Verständnis der späteren
Entwicklung dar. Duns hat gezeigt, in welche Verwirrungen
die Transsubstantionslehre stürze, und wie man an dem Dogma
der Transsubstantiation festhalten und doch die Wandlung auf-
geben konnte. Er hat eine Lehrform zuerst energisch ver-
teidigt, die dann durch die Vermittlung von Occam, d'Ailli und
Biel für Luthers Auffassung von Bedeutung wurde. ^)
4. DieBusse.
1. Kein Stück aus der Geschichte der mittelalterlichen
Theologie beansprucht bei dem protestantischen Dogmatiker
und Dogmenhistoriker ein so grosses Interesse als die Ge-
schichte des Busssakramentes. Denn nicht nur hat die Re-
formation an einer Kritik der mittelalterlichen Busslehre ihren
Anfang genommen, man kann vielmehr die zentralen und
^) Man kann diese Abhängigkeit auch bei Wiclif wahrnehmen:
Conversio illa non destruit naturam panis . . . , sed facit praesentiam cor-
poris Christi et toUit principalitatem panis, ut in corpore Christi colligatur
tota intentio adorantis (de eucharistia ed. Loserth p. 100). Das sind
scotistische Gedanken oder Stimmungen, vgl. oben S. 393 f.
398 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
wesentlichen Gedanken derselben als einen Ersatz des Buss-
sakramentes bezeichnen. Die Begriffe der Reue und des Glaubens,
der Rechtfertigung und Gnade, der guten Werke und des
Lebensideals , wie sie der Protestantismus ausgebildet hat,
bilden das Gegenstück zu den religiösen Vorgängen, die das
Busssakrament in sich beschloss, und sie haben unter diesem
Gegensatz ihre besondere Prägung empfangen. Die Reue,
die an den zehn Geboten erzeugt werden soll, bildet die Vor-
aussetzung der segensreichen AVirkung dieses Sakramentes. Die
Beichte war im ausgehenden Mittelalter immer mehr mit einem
Glaub ensexamen an der Hand der zwölf Artikel des Aposto-
likums verbunden worden. Die Absolution des Priesters be-
wirkt aber die Rechtfertigung des Sünders oder die Gnaden-
eingiessung ; dies ist der solenne Ort zur Behandlung der Recht-
fertigung. Endlich aber befasst die Satisfaktion die Ver-
pflichtung zu bestimmten frommen Werken in sich. In
diesen Werken stellt sich aber zugleich das asketische Lebens-
ideal der mittelalterlichen Frömmigkeit dar. Indem also das
Busssakrament von dem Protestantismus gesprengt wurde, wurde
die ganze mittelalterliche Auffassung des religiösen Lebens
aufgehoben, und war es notwendig, für dieselbe einen ent-
sprechenden Ersatz aufzustellen. Der Hegt aber in der evan-
gelischen Rechtfertigungs- und Heiligungslehre vor.
2. Wir wenden uns nun der Busslehre des Duns Scotus
zu, indem wir auch hier der Darstellung in dem Opus Oxoniense
folgen (IV dist. 14-22).
Die Sünde im Menschen soll zerstört werden. Ist dazu
die Busse erforderlich und ist sie fähig, das zu leisten?
Die Sünde bestimmt Duns bekanntlich in bloss negativer
Weise. Sie ist ein Defekt im Willen, das Fehlen der rectitudo
an der Handlung, sowie das habituelle Fehlen des schuldigen
Gnadenbesitzes (IV dist. 14 quaest. 1 § 3; dist. 22 quaest.
unica § 3 cf. II dist. 37 quaest. 1 § 6 f.). Geht nun aber auch
die einzelne sündige That vorüber, so bleibt doch quaedam
iniustitia habitualis im Menschen nach. Nun kann diese aber
nicht den spezifischen Charakter des Sünders ausmachen, müsste
doch sonst der, welcher eine Todsünde beging, dem gleich-
zuachten sein, der ihrer zweitausend hinter sich hat, denn jede
Sünde ordinatio ad poenam, Gottes Zorn. 399
Todsünde tilgt den ganzen Gnadenbesitz im Mcmschen aus.
Aber auch durch den Gedanken einer realen, nicht bloss ide-
ellen, der Seele immanenten Beziehung ad poenam debitam illi
culpae (§ 4), kann der Charakter des Sünders nicht bedingt
sein. Einerseits ist nämlich der Bestand einer solchen der
Seele immanenten Beziehung nicht erweisbar, andererseits konnte
dieselbe nur von Gott gesetzt sein, auf Gott könnte aber nicht
zurückgehen, was den Menschen zum Sünder macht (ib. § 5).
Sonach kann man sagen, dass eine Todsünde, die vorübergeht,
nichts eigentlich Reales im Menschen zurücklässt. Freilich
bleibt ein habitus vitiosus als die Disposition zur Sündenthat
nach, aber dieser ist nicht Sünde, da er auch im Gerecht-
fertigten noch besteht. Er würde geradezu allmählich ver-
schwinden, wenn er nicht durch fortgesetzte Sündenakte er-
halten würde. Der Sünder würde aber Sünder genannt werden,
auch wenn er in alle Ewigkeit nicht sündigte, also liegt hier
keine reale, sondern nur eine ideelle Beziehung vor.
Sünder bleibt der Sünder also weder durch den sündhaften
Habitus, noch durch eine innere Beziehung zur Strafe, Sünder
ist er vielmehr vermöge der ideellen Beziehung, die Gott
zwischen der Sünde und Strafe geordnet hat (§ 6). Solange
er ein puniendus ist, ist er Sünder. Propter peccata trans-
euntia nihil est aliud abiectio istius nisi reprobatio vel repulsio
in voluntate divina et in peccatore relatio rationis ut abiecti
vel reprobati, ad talem et talem poenam ordinati. Die Mei-
nung des Duns wird klar an einem Gleichnis : Wer den Fürsten
beleidigt, erleidet dadurch keine innere und reale Veränderung;
die Änderung besteht nur darin, dass der Fürst ihn hinfort
zur Strafe bestimmt.
Also nach vollbrachter Sündenthat bleibt von ihr im Men-
schen als das, was ihn zum Sünder macht, die ordinatio ad
poenam nach. Man führt dieselbe auf den göttlichen Zorn
zurück. Dieser Begriff fasst aber keine Affekte in sich, sondern
bezeichnet den göttlichen Willen, den zu strafen, der sich gegen
sein Gesetz vergangen hat. Nihil enim aliud est offen di vel
irasci in deo quam volle vindicare ista poena; et licet deus
dicatur figurative iratus vel offensus, tamen accipiendo istam
rationem irasci pro velle vindicare, exclusa passione conco-
400 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die i3us3e.
mitante istud volle, cleus formaliter est iratus vel offensus, quia
formaliter est volens vindicare peccatum commissum contra
legem suam (§ 7). Man sieht, wie der Gottesbegriff des Duns
hier durchschlägt. Wie jedes Verdienst als solches nur kraft
des göttlichen Willens anerkannt wird, so besteht das Wesen
der Sünde zuhöchst darin, dass Gott sie als das zu Strafende
ansieht.
Nun spricht aber das apostolische Symbolum von einer
„Vergebung der Sünden". Es muss also eine solche geben,
d. h. dies von der Sünde in uns Nachbleibende kann getilgt
werden. Die Notwendigkeit der Sündenvergebung ergibt sich
auch von der Betrachtung her, dass Prädestinierte in Tod-
sünden fallen, wie David oder Petrus. Sind sie prädestiniert,
so ist dadurch ihr Heil absolut sicher gestellt. Es kann das-
selbe aber nur deleto peccato erlangt werden. Und da weiter
die Seligkeit zusammen mit jener Strafverhaftung nicht be-
stehen kann, so muss ihrem Eintritt die Vergebung der Strafe
vorangehen (§ 8).
3. Aber dieser Gedanke der Sündenvergebung ist zu er-
gänzen. Die potentia ordinata Gottes bedingt nämlich, dass
Vergebung nicht stattfindet sine poena vel aequivalente in
acceptatione divina. Der sündige Mensch als solcher steht
unter Gottes Zorn als dem velle punire, bezw. als dem aliquid
sufficiens ad placandum exigere. An dieser Regel ist festzu-
halten, quod non potest reliqui in universo aliqua culpa, cui
non correspondeat poena ordinativa (§ 9).
Die Sündenvergebung Gottes setzt also voraus, dass seinem
Zorn Genugthuung werde, oder dass Gott das velle punire auf-
heben könne. Dies kann nun bloss durch eine poena vel
punitio voluntaria erreicht werden. Nur die freiwillig ertragene
Strafe zerstört die Schuld, keineswegs aber die zwangsweise
vollzogene (§ 10). — Kann aber eine Strafe überhaupt frei-
willig ertragen werden? Diese Frage sei zu bejahen, sowohl
indem man den Begriff der Freiwilligkeit als ein Nichtwider-
streben und geduldiges Ertragen, wie als ein williges Annehmen
und endlich als ein williges Verursachen, sei es als die nächste
Teilursache , die nicht auf diesen besonderen Effekt abzielt,
sei es als entfernte Prinzipalursache, die auf jenen Effekt ge-
Die Busse Selbstbestrafung. 401
richtet ist — versteht. In letzterer Hinsicht ist klar, class
der Wille den Schmerz oder die Traurigkeit über die Sünde
verursacht, indem er das Objekt, das sündige Lust erzeugt,
zugleich will und nicht will (§ 12). Beides wirkt zusammen
zur Erzeugung der Traurigkeit. Das kann nun aber so vor-
gestellt werden , dass der Wille gerade den Konkurs des
Wollens und Nichtwollens beabsichtigt, um hieraus eine tristitia
punieus zu erzeugen. Und zwar ist der Wille hier in der
Weise der entfernteren Ursache wirksam. Konkret ist die
Sache dann so zu denken: der Wille lässt den Intellekt ein
Gut der Welt samt der daran hängenden Lust betrachten,
verursacht aber wie jene Betrachtung so zugleich das Nicht-
wollen von Gut und Lust. So erzeugt er mit jenem Zu-
sammenstoss von Lust und Nichtwollen resp. Unlust die
Traurigkeit. Diese ist somit eine von dem Menschen freiwillig
übernommene Strafe (§ 13). Und die Möglichkeit einer solchen
stand zu beweisen.
Genauer angesehen, enthält der geschilderte innere Vor-
gang der Selbstbestrafung durch Traurigkeit folgende Momente
in sich: dass man die Strafe selbst will, dass man die voll-
zogene That verabscheut, dass man die auferlegte Strafe auf-
nimmt und dass man sie geduldig trägt (§ 14). Somit bedarf
es zur Zerstörung einer Todsünde der punitio voluntaria vel
voluntas punitionis. Dies ist aber die poenitentia als poenae
tenentia actualis. Hiebei ist natürlich an die einzelnen actus
poenitendi gedacht, die die obigen vier Momente in sich ent-
halten müssen (§ 17).
Busse ist also die Traurigkeit, die sich aus dem Zusammen-
stoss der Lust an der Welt mit dem Nichtwollen derselben
ergibt. Diese Traurigkeit will der Fromme als Strafe tragen.
In ihr wendet sich der Mensch sonach ab von der Kreatur
und Gott zu, sie ist das Widerspiel dessen, was in der Sünde
geschah (§ 18).
Aber bedarf es einer solchen Selbstbestrafung? Kann
nicht Gott, wie ja auch ein erzürnter Mensch, anderen Sinnes
werden und so vergeben ? Diese Frage ist ebenso zu verneinen,
wie die erste zu bejahen ist. Denn Gottes Wille ist in
Ewigkeit schlechthin unveränderlich. Er kann nicht anders
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 26
402 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
als wollen, dass der Sünder gestraft werde. Daher muss die
Busse eintreten und dadurcli der Sünder verändert werden,
damit er nicht mehr dem punire unterstehe (ib. § 19). Frei-
lich kann hier ebensowenig als sonst bei Duns von einer
absoluten Notwendigkeit die Rede sein. Nach der potentia
absoluta kcmnte Gott etwa vermöge eines plötzlich im Menschen
aufkommenden Liebesdranges, der etwa zum Martyrium trieb,
die Sünde vergeben (17). Aber das Normale und Wirkliche
ist der Weg der Busse.
Wenn man diese Gedanken überschlägt, so ergibt sich ein
deutlicher und einfacher Zusammenhang. Die Sünde macht
den Menschen zu einem puniendus. Das ist ihr bleibendes
religiöses Wesen. Gott vergibt nur, sofern die Strafe durch
Selbstbestrafung getragen wird. Das ist der Reueschmerz.
In ihm vollzieht sich die der Sünde gebührende Strafe und da-
durch wird das, was von ihr nachblieb im Menschen, getilgt.
4. Die Busse in dem besprochenen Sinne ist als christliche
Tugend zu bezeichnen. Und zwar ist die Busse virtus appeti-
tiva , keine intellektuelle Tugend , denn sie entstammt einem
Willenstrieb, der sowohl das Wollen als das Denken bestimmt
(IV dist. 14 quaest. 2 § 2 ff.). Wiewohl nun der Bussakt auf
das Subjekt selbst abzielt und sich an ihm realisiert, fällt die
Busse doch nicht unter die Gruppe der appetitiven Tugenden,
die auf das Subjekt selbst Bezug haben, wde etw^a die Enthalt-
samkeit und Tapferkeit. Vielmehr ist sie unter die Gerechtigkeit
zu stellen, die ihre Richtung auf anderes nimmt, denn gerade
die Realisierung am Subjekt selbst ist bedingt durch die Be-
ziehung desselben zu Gott als dem Gesetzgeber. Die Selbst-
bestrafung ist also zuhöchst ein auf Gott bezogener Akt der
Gerechtigkeit (ib. § 5). Im übrigen gilt die Bezeichnung der
Busse als Willenstugend von ihr nach ihrem ganzen Umfang,
denn sowohl die Trauer als die Verabscheuung der begangenen
Sünden und die willige Übernahme, sowie das geduldige Er-
tragen der Strafe sind in gleicher Weise vom Willen voll-
zogene Tugendakte (§ 10 — 12).
Es kommt hier Duns der Gedanke , dass man die Busse
auch als Freundschaftsakt ansehen könne, so dass der Mensch
unter dem sittlichen Einfluss Gottes die Versöhnung mit ihm
Die Busse eine Tugend der Gerechtigkeit. 403
sucht, zumal der höchste Zweck der Busse nicht eigentlich
Strafvollzug, sondern Besserung zu sein scheine (§ 6). Aber
Duns will diesen fruchtbaren Gesichtspunkt nicht gelten lasseo,
denn der Akt der Strafe beruhe auf der durch das Gesetz
geregelten Beziehung der Strafe zur Schuld; und nicht die
Besserung, sondern die Aufrechterhaltung des Gesetzes sei die
eigentliche Absicht der Strafe. Indem auch das Absehen des
positiven menschlichen Gesetzes nicht der Gesetzgeber oder
sein Vorteil ist, sondern das bonum commune, wird es richtiger
sein, die Busse ebenfalls unter diesem rechtlichen Gesichts-
punkt zu betrachten und sie nicht dem privaten Nutzen des
Gestraften unterzuordnen. Duns bleibt damit dem Gedanken
treu, dass zwischen Gott und Mensch nicht ein rechtliches
Privatverhältnis besteht, sondern dass dies Verhältnis als das
Verhältnis der Unterthanen zu der vom Herrscher erlassenen
gesetzlichen Ordnung zu betrachten ist, deren Durchsetzung
nicht einseitig dem Wohl der einzelnen, sondern dem Gesamt-
wohl dient. Da nun aber in dem vorliegenden Zusammenhang
der Gesetzgeber — Gott — absolut erhaben ist über das
Gesetz, so muss als letzter Zweck der Erhaltung der von Gott
gegebenen Rechtsordnung das Wohl Gottes bezeichnet werden. —
Als Akt der Freundschaft sei die Busse aber auch deshalb
nicht zu betrachten, weil in der Freundschaft die Strafe nicht
als ein notwendiges Mittel enthalten sein könnte, ein Freund
vielmehr von diesem Mittel in der Regel absehen würde (§ 7).
Somit ist die Notwendigkeit der Busse herzuleiten aus
dem notwendigen Zusammenhang, den das Gesetz zwischen
Schuld und Strafe herstellt, d. h. also aus der göttlichen Straf-
gerechtigkeit (§ 8). Duns hat aber an einem anderen Ort
(s. oben S. 169 f.) die Gesamtheit aller möglichen Beziehungen
Gottes zu der Welt und ihrem Geschehen in den Begriff der
göttlichen Liebe zusammengefasst. Wenn in unserem Zu-
sammenhang die Frage nach dem Verhältnis von Liebe und
Gerechtigkeit nicht aufgeworfen wird, so liegt hier eine Lücke
vor. Aber man wird diese dem grossen Systematiker umso
eher vergeben dürfen, als bekanntlich noch heute die Konfusion
auf diesem Punkt oft eher grösser als geringer denn bei ihm
zu sein pflegt.
26*
404 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
Der Bussschmerz als Sell)stbestrafung hobt die Schuld
oder Straf Verhaftung des Sünders auf. Das Resultat ist die
„Zerstörung der Sünde". Nun ist aber die Vergebung der
Sünde eine That Grottes. Dies ist die Voraussetzung für
die obige Darstellung. Demnach muss die Busse in Beziehung
zu jenem Gottcsthun gesetzt werden. Das kann auf doppelte
Weise geschehen, entweder so, dass man sie als vorbereitende
Disposition auf die göttliche That der Sündenzerstörung oder
als einen letztere begleitenden Akt denkt. In ersterem Sinn
genügt ein actus informis , ja es ist nur ein solcher möglich,
da ja vor der Gnadenmitteilung die formierende Macht der
Liebe dem Menschen fehlt. Dagegen bedarf es im zweiten
Sinn eines actus formatus. Im Moment der Zerstörung der
Sünde ist nämlich die Liebe da, was aber diese begleitet,
würde ein formierter Akt sein (§ 13).
5. Diese Betrachtung führt uns auf den wichtigen Begriff
der Attritio. Der Sünder vermag nämlich nach Begehung
der Sünde sehr wohl diese als Beleidigung Gottes und Ver-
letzung seines Gesetzes, als Verhinderung des Lohnes und als
Ursache der Strafe zu verstehen und mit seinem Willen zu
verabscheuen. Hiezu genügt eine allgemeine influentia, ohne
dass es der Gnadeneingiessung bedürfte. Iste autem motus
dicitur attritio et est dispositio sive meritum de congruo ad
deletionem peccati mortalis, quae sequitur in ultimo instant!
alicuius temporis, in quo tempore ista attritio duravit (§ 14).
Damit diese Attrition die geeignete Disposition auf die Recht-
fertigung werde , bedarf sie der rechten Circumstantiierung
(perfecte moraliter circumstantionata). Diese besteht eigent-
lich nur darin, dass sie eine bestimmte von Gott festgesetzte
Zeit über währt. Ist das der Fall, so verdient sie — de
congruo — die Gnadeneingiessung und dadurch die Verwand-
lung der informen Attritio in die formierte Contritio. NuUa
potest esse sufficientior dispositio ad istam iustificationem, quam
ista attritio perfecte circumstantionata in genere moris, ut
tunc in ultimo instanti vel aliquo usque ad quod deus deter-
minavit attritionem debere durare ad hoc, ut sit meritum de
congruo ad iustificationem, infunditur gratia, et tunc simpliciter
deletur peccatam . . . Idem motus, qui prius fuit attritio, in
Die Attrition wird durch das Sakrament Kontrition, 405
illo iiistanti fit contritio , quia in illo iDstanti fit concomitaus
gratiae et ita actus formatus , quia habens secum caritatem
quae est forma actus (ib. § 14). Es fiodet also kraft der Eiii-
giessuDg der Liebe eine YerwandluDg der Attrition in Kon-
trition statt. Der letzte Grund zur Zerstörung der Sünde ist
an und für sich nicht die Kontrition^ sondern die von dieser
vorausgesetzte Liebe. Grott hat es also so angeordnet, dass
die Attrition, wenn sie eine bestimmte Zeit über dauert, als
meritum iustificationis angesehen wird, welches ihm Veran-
lassung gibt, den attritus durch die Gnadeneingiessung in einen
contritus zu verwandeln. Übrigens ist für die Attrition nur
ein bestimmter Zeitraum erforderlich, nicht aber braucht sie
gerade bis in die Beichte hinein zu währen (§ 15). Wenn
freilich der Beichtende im entscheidenden Moment einen obex
vorschöbe, d. h. eine Todsünde beginge, so würde er wohl —
weil nicht disponiert — keine Gnade empfangen (§ 16).
Nur eines bedarf hier noch der Erklärung, das ist das
Verhältnis der Gnade zu der Contritio. Logisch betrachtet,
bewirkt die Gnadeneinflössung die Kontrition. Aber zeitlich
angesehen, geht diese jener voran, freilich in dem gleichen
Zeitmoment. Actus qui est contritio in eodem instanti temporis
praecedit natura deletionem, licet ut contritio, hoc est ut
formatus, sequatur deletionem ordine naturae. Als nächste
Disposition ist er der Form, auf die er disponiert, gleichzeitig
(§ 16). Der Sinn dieser Sätze ist offenbar der: An sich zer-
stört die eingegossene Liebe die Sünde, und zwar so^ dass sie
die Kontrition hervorruft. Aber konkret betrachtet ist es der
Akt der Kontrition , der die Sünde austilgt , d. h. also , die
Gnade ist die letzte Ursache, aber die Kontrition ist das wirk-
same Mittel der Sündentilgung. Die Infusion und Kontrition
fallen schlechthin zusammen, aber logisch muss man jener die
Priorität vindizieren, die zeitliche Anschauungsweise fasst zu-
erst das Mittel der Kontrition, dann erst die letzte Ursache
derselben ins Auge. Gott wirkt im Menschen den Grad des
Bussschmerzes, der zur Aufhebung der Straf Verhaftung genügt..
6. Um den Gedanken des Duns völlig zu verstehen, müssen
wir uns in Erinnerung rufen, dass die auszutilgende Sünde
nicht etwa die Konkupiscenz bedeutet, sondern den Mangel an.
406 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
Gerechtigkeit uud die aus diesem resultierende Schuldver-
haftuDg. Diese Karenz der Gerechtigkeit samt der Schuld-
verhaftung wird also dadurch aufgehoben, dass der Mensch in
Liebe zu Gott den Reueschmerz empfindet. Den natürlichen
Schmerz verwandelt die Gnade in diesen von der Liebe ge-
tragenen Schmerz. Und dies verdienstliche Thun bedingt dann
die Verleihung der Gnade und die Vergebung der Sünde.
Wirft man endlich die Frage auf, welche von jenen vier an
der Busse nachgewiesenen Beziehungen die beste Disposition
auf die Sündenzerstörung darbiete, so ist zu antworten, dass
diejenige Disposition für die beste anzusehen sei, die durch
die besten und vornehmsten Tugenden zustande kommt. Da
die beiden letzten Beziehungen erst in der Folge des bereits
erregten Bussschmerzes auftreten, ist von ihnen hier überhaupt
abzusehen. Nun ist es aber möglich, dass der Bussakt mit
dem Liebesakt in Zusammenhang tritt, und zwar so, dass jener
aus diesem hervorgeht (auch die umgekehrte Ordnung ist mög-
lich und häufig ib. § 10). Falls dann Liebe und Gerechtig-
keit zusammenwirken, um den Bussschmerz zu erzeugen^ ist
dieser vollkommener^, als wenn er bloss von der Gerechtigkeit
hervorgerufen wird. Es kann auch vorkommen, dass die blosse
Liebe, ohne die Gerechtigkeit, sofort den höchsten Schmerz
erzeugt, während wiederum die Gerechtigkeit ausser stände
sein kann, den Menschen zur Busse zu bewegen, wenngleich
sie die eigentlich hiezu wirksame Kraft ist (§ 17). Letzteres
hängt damit zusammen, dass bei manchen Menschen der sinn-
liche Trieb den geistigen bestimmt; ist nun jener nicht zur
Traurigkeitsempfindung aufgelegt, so wird auch der Wille nicht
leicht in Traurigkeit versetzt werden können (18). Sonach kann
jemand den umfassendsten äusseren Bussakt darstellen, ohne,
oder mit nur massigem inneren Erfolg, da die befehlende Ge-
rechtigkeit keinen Bussschmerz in ihm hervorruft. Dagegen
kann ein anderer nur von der Liebe her — ohne eigentlichen
Bussakt — in jenen Schmerz versenkt werden.
Die bisherige Betrachtung ging aus von dem Gedanken.,
dass die Busse Selbstbestrafung ist. Dieser Gedanke ist an
und für sich natürlich und vernünftig. In diesem Sinn gibt
es nur eine Strafe für die Sünde. Nun aber belehrt die
Motive des Bussschmerzes ; das Busssakrament. 407
Offenbarung genauer über das Wesen der Sünde, wie über die
ihr korrespondierenden Strafen. Sieht man die Sache so an,
so wird der Büssende — von der Offenbarung belehrt —
mehrere Strafen an sich vollziehen, und zwar soviele, als Gott
angeordnet hat (1. c. quaest. 3 § 2 f.). Die Meinung des Duns
ist sonach einfach die: es ist eine natürliche Forderung der
Sitthchkeit, dass jemand Schmerz über seine Sünde emj^findet
und sich dadurch selbst straft; aber erst die positive Offen-
barung leitet dazu an^ diesen in einer Summe besonderer Hand-
lungen, resp. Selbstbestrafungen zu bethätigen (§§ 6. 7).
Dem Leser wird nicht entgehen, von wie grosser Bedeutung
diese Bemerkung ist. Sie stellt den Bing dar, der die Busse
mit dem Busssakrament verbindet. Nicht nur das Bussgefühl
hat Gott gegeben und verlangt, er fordert auch eine Bethäti-
gung desselben in einer Anzahl von Handlungen. Die Offen-
barung erbaut über der Bussempfindung das Busssakrament.
7. Bedarf es des Busssakramentes? Vergibt nicht Gott
allein die Sünden, und nicht der Priester (IV dist. 14 quaest. 4
§ 1)?
Duns beginnt die Erörterung dieser Fragen mit einer De-
finition des Busssakramentes : Poenitentia est absolutio hominis
poenitentis facta certis verbis cum debita intentione prolatis a
sacerdote iurisdictionem habente ex institutione divina, effica-
citer significantibus absolutionem animae a peccato (ib. § 2).
Bezüglich dieser Definition muss zunächst auf ein Doppeltes
aufmerksam gemacht werden, nämlich dass das Wesen dieses
Sakramentes in der priesterlichen Absolution besteht, dann
aber, dass die Definition der allgemeinen Sakramentslehre des
Duns genau entspricht (vgl. S. 349). Duns unterscheidet auch
hier scharf zwischen dem sakramentalen Zeichen, das die Gnade
„bedeutet", und dem dies Zeichen — vermöge eines Paktes
Gottes mit der Kirche — begleitenden unmittelbar in der Seele
wirksamen Gnaden akt.
Nun erhebt sich aber die Frage, ob dieser Definition etwas
Wirkliches entspreche? Die Möglichkeit des Busssakra-
mentes ergibt sich einfach aus den Worten des Symbols von
der Vergebung. Ebenso muss aber für möglich erachtet werden,
dass Gott diese Vergebung an ein Signum efficax, wie die
408 Kap. IV: Die Lehre von den »Sakramenten; die iiusse.
übrigen Sakramente es auch sind, schliesst. Aber nicht nur
möglich, auch angemessen (congruitas) ist dies Sakrament,
denn wenn bestimmte Worte der Sündenvergebung vergewissern,
so wird dadurch der Mensch auch zur. Busse angeleitet. Ebenso
erscheint es als passend, dass gerade der Priester die Abso-
lution spricht, denn ein Extrem wird zum anderen durch das
Mittlere zwischen ihnen gefülirt. Zudem ist der Priester der
zuständige Richter des Sünders. Dies leitet zu einem Ge-
dankenfortscbritt an: das Busssakrament ist einzuordnen der
kirchlichen Gerichtsbarkeit. Es ist sacramentum iudi-
ciale oder iudicium sacramentale (§ 4). Indem nun der Urteils-
spruch des Richters nicht immer in der gleichen Form zu er-
folgen braucht, versteht es sich auch, warum für dies Sakra-
ment nicht so präzise Formeln wie für Taufe und Abendmahl
gegeben sind. Gemeinhin werden als geeignet gebraucht die
Worte : ego te absolvo. Ferner ergibt sich in diesem Zu-
sammenhang die Forderung als passend, dass der Sünder poe-
nitens sei: id est habens aliquam displicentiam de
peccato commisso (§ 4). Man sieht, wie die Attrition als die
reguläre Vorbereitung angesehen wird.
Aber nicht nur möglich und angemessen, sondern wirk-
lich ist dies Sakrament, und zwar wegen der Einsetzung durch
Christus, Matth. 16, 19 und Joh. 20, 23. Dass aber nur der
Priester es verwaltet, ergibt sich aus der Verfügung des 4. Late-
rankonzils, sowie aus dem Gedanken, dass, wer über den wahren
Leib des Herrn Gewalt habe (Konsekration), sie auch über den
mystischen Leib (Kirche) ausüben müsse (§ 5). Natürlich ist
aber nach dem ganzen Sakramentsbegriff diese Thätigkeit des
Priesters eine rein ministeriale , er spricht nur die verba
significantia absolutionem, ut signum repraesentet signatiim,
Gott allein wirkt die absolutio interior (§ 3. 11, cf. IV dist. 17
quaest. unica § 11).
Freilich mit dem Nachweise der Notwendigkeit dieses
Sakramentes hat es bei Duns eine ähnliche Bewandtnis, wie
etwa bei Thomas. Der Lombarde hat unter Berufung auf
Hieronymus gelehrt, dass Gott, nicht der Priester, von der
Schuld freispreche. Das scheint das Sakrament herabzusetzen,
denn da der Priester dann doch nur unter Voraussetzung der
Die Notwendigkeit der Attrition für das Sakrament. 409
von Gott geschehenen Lösung oder des Vorhandenseins von
Kontrition handehi könnte, so würde letztere zur Voraussetzung
der Absolution. Da jene aber selbst bereits die Sünde zerstört,
so bedürfte es der Absolution gar nicht, üann ist die Busse
auch nicht mehr die secunda tabula. Wir stehen hier an einem
wichtigen Punkt, an dem wir sozusagen das geschichtliche
Werden belauschen können. Die alte Forderung der Kon-
trition als der Voraussetzung der Beichte kollidiert mit dem
Busssakrament, denn ist Kontrition da, so bedarf es des
letzteren nicht. Man kann die Sache auch so wenden: der
Todsünder hat keine formierten Tugendakte und kann sie in
eigener Kraft auch nicht aufbringen, wie soll er dann vor dem
Busssakrament die Kontrition — als formierten Akt — in sich
erzeugen ? So oder anders drängte die Sache zum Fortschritt.
Dieser bestand darin, dass man den Prozess seinen Ausgang
von der Attrition nehmen Hess, mochte man immerhin zunächst
die überkommene Formel contritio au die Spitze stellen. Das
ist der geschichtliche Fortschritt gewesen, dass man, um das
Recht des kirchlichen Sakramentes zu wahren, die sittliche
Forderung herabstimmte. Man kann dies, wie an Thomas, so
an Duns studieren. Duns nimmt^ genau betrachtet, drei Mög-
lichkeiten der Sündenzerstörung an: 1) dass jemand durch seine
Kontrition ^) die Sünde zerstört, derselbe bedarf aber doch des
Busssakramentes, — da Gott und die Kirche seinen Gebrauch
gebieten! 2) Dass jemand Attrition in sich erweckt, und diese
durch die Gnade in Kontrition verwandelt werde ; ^) 3) dass
jemand parum attritus ist, aber doch nach dem Sakrament ver-
^) Der Text bietet in der mir vorliegenden Pariser Ausg. hier frei-
lich motum attritionis. Ich vermute aber einen Druckfehler oder
eine Verschreibung, da 1) die Parallelstelle Report. IV dist. 14 quaest. 4
§ 13 von displicentia interior redet, 2) da die in Hede stehenden Stellen
Augustins und Cassiodors schwer auf Attrition zu deuten sind. — Dass
contritio in ungenauer Rede als der allgemeine Ausdruck auch für attritio
stehen kann, ist zuzugeben. Aber das Umgekehrte ist mir zweifelhaft,
daher scheint mir die Ansicht der Herausgeber, an unsrer Stelle vertrete
attritio in ungenauer Redeweise contritio, sehr unwahrscheinlich.
^) In der Regel geschieht das durch das Busssakrament, s. aber
dist. 19 quaest. unica § 32: frequenter hie adulti per attritionem tanquam
per meritum de congruo iustificantur, antequam con fi teantur.
410 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
langt und dadurch ein gewisses Missfalhm an der Siiiide kund-
gibt. Duns ist also s(?lbst die Forderung der Attrition zu hoch
gewesen. Zunächst stellt diese dritte Gruppe allerdings nur
eine Spielart der zweiten dar, es ist eine gewisse momentane —
zu kurze (die Attrition soll ja eine bestimmte Weile währen) —
Attrition, es sind aliqualiter attriti (s. ib. dist. 19 quaest. unica
§ 32 cf. § 23). Aber Duns hat doch diese Attrition bis zum
nichts herabzudrücken vermocht. Der Sünder soll thuu, was an
ihm ist, zur Erlangung des Heilmittels. Er geht also zur Beichte ;
hat er keinen obex, so erhält er die Vergebung: nulla alia
(sc. via) est ita facilis et ita certa, hie enim non oportet,
nisi Ttton ponere obicem ad gratiam, quod multo minus est quam
habere aliquam attritionem, quae per modum meriti de congruo
sufficiat ad iustificationem (ib. dist. 1 quaest. unica § 13). Hier
liegt schon vor die frivole Herabdrückung der Attrition zur
„Galgenreue" (Job. v. Paltz) und die Reduktion des facere quod
in se est bis auf den Kirchgang bei den Späteren (m. Dogmen-
gesch. II S. 159 ff.).
Wie lehrreich ist dieser Zusammenhang! Je weniger Reue,
desto sicherer steht das Sakrament da! Bei mehr Reue gerät
es in das Schwanken, der contritus, aber auch der attritus,
kann sich auch ohne Sakrament die Vergebung verdienen. Man
kann sagen, von diesem Punkt aus habe sich weissagen lassen,
was später Johann v. Paltz von seiner Zeit berichtet : fast alle,
die zur Beichte kommen, sind nicht contriti, auch nicht attriti
im vollen Sinne, sondern attriti in secundo gradu: facientes
aliquo modo quod possunt, tales adiuvantur per sacerdotes in
absolutione sacramentali (Coelifodina, Lips. 1510, Bogen R 1^).
8. Ehe wir auf das einzelne eingehen, halten wir einen
Augenblick Umschau. Von der Sünde bleibt uns die Karenz
der Gerechtigkeit und der Strafbann. Gott hebt beides auf,
indem er die Selbstbestrafung des Menschen durch ]VIit-
teilung der Liebe zu der gehörigen Intensität steigert. Bringt
es der Mensch nur zu einer gewissen Attrition, zum Miss-
behagen über seine Sünde , so wird durch Beichte und Ab-
solution diese Stimmung in die volle, von der Liebe zu Gott
getragene Zerknirschung verwandelt. Die dunkle Regung mit
dem Motiv der Furcht wird durch den feierlichen kirchlichen
Psychologische Deutung des ßusssakramentes. 411
Akt mit den Worten, die so Grosses „bedeuten", in wirklichen
Busssclimorz mit dem Motiv der Liebe zu Gott verwandelt.
Wie fein psychologisch ist das doch gedacht! Das unbestimmte
Gefühl der Verpflichtung zur Selbstbestrafung im Sünder
steigert sich, im Bewusstsein der gnädigen Gegenwart Gottes
(bei der Absolution), in dem von der Liebe zu Gott erwärmten
Herzen zum heissen Reueschmerz. Wo dieser aber ist, da ist
die Sünde getilgt und vergeben, die Satisfaktion, die die gött-
liche Rechtsordnung will, geleistet. Gern thut aber der Be-
gnadigte, was Gott und die Kirche ihm an äusseren Straf-
thaten auflegen. Und hier schiebt sich nun der ganze kirch-
liche Apparat des Busssakramentes wieder ein. Es geht einem
hier wie so oft bei dem Studium des grossen Denkers. Man
glaubt seinen Grundgedanken zu verstehen und es scheint
einem, als w^enn derselbe mit zerschmetternder Wucht alle
Formen und Formeln der Kirche und ihrer Dogmatik zer-
malmte! Aber einen kurzen Augenblick nur dauert dieser
Ausblick, Wolken und Nebel versperren ihn plötzlich wieder:
der originale Denker hat sich in einen orthodoxen Theologen
des 14. Jahrhunderts verw^andelt. Und doch glaube ich, dass
jener Ausblick kein blosses Phantasiebild war, auch nicht in
unserem Fall. Entsprechen denn diese Vorstellungen nicht
genau dem scotistischen Gnadenbegriff? Nichts anderes war
die Gnade als die dem Menschen von Gott geschenkte Richtung
und Neigung zu ihm, zuhöchst also die Liebe. Indem Gott
die Liebe zu sich in den Herzen erweckt, ist das neue Leben
da, in welchem die attritio sich in contritio wandelt. Das
Herz, das sich Gott zuwandte, fühlt erst ganz seine Sünde
und den Schmerz über sie. Das alles liegt auf der Bahn der
scotistischen Grundanschauung von der Gnade und den Sakra-
menten. Die psychologische Entwicklung, die wir zeichneten,
entspricht wirklich den Grundtrieben und Grundstimmungen
seines religiösen Denkens, — und doch kann man wieder sagen,
er hat sie nicht so „gedacht". Wie oft empfindet man ähn-
liches bei der geschichtlichen Betrachtung der Gedanken
der Vorzeit — sie mögen „orthodox" oder „häretisch" ge-
wesen sein.
9. Wir behalten diese Beobachtungen im Auge, indem
412 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
wir zur Besprechung des einzelnen fortschreiten. Auf den
Spuren des Lombarden einhergehend , redet Duns von dor
Satisfaktion, Konfession und Absolution.
In der 15. Distinktion wird zunächst der Bogriff der
Satisfaktion festgestellt. Satisfactio est redditio voluntaria
aequivalentis alias indebiti. Mit diesem Begriff ist also gesetzt:
die Korrelation und Kommensuration zu etwas Vergangenem,
die Freiwilligkeit der Darbringung und das Nichtverpflichtet-
sein zu derselben (I. c. quaest. 1 § 3). Von hier aus wird wieder
der anseimische Satisfaktionsbegriff verworfen (vgl. S. 283 f.). Es
wäre nämlich die Zukehr zu Gott das durchaus entsprechende
Äquivalent für die Abkehr von ihm gewesen. Und zu jener
hätte der Mensch durch die gratia prima ebenso befähigt
werden können, als Christi Seele diese, auch vor seiner Passion,
erhielt. Thäte der Mensch dann ein opus supererogationis, so
wäre jenen Bedingungen genügt (§ 4 — 7). Allein vom Stand-
ort der potentia ordinata her kann freilich die Hegel gebildet
werden, dass wir nur in kraft der Passion Christi Satisfaktion
zu leisten im stände sind (§ 7).
Wir haben oben bereits gesehen, dass die Selbstbestrafung
der Busse sich von den göttlichen und kirchhchen Geboten
regeln lässt. So ist die satisfactio : operatio exterior laboriosa
vel poenalis voluntarie assumpta ad puniendum peccatum
commissum a se et hoc ad placandum divinam offensam, vel
est passio seu poena voluntarie tolerata in ordine praedicto.
Sonach treten die solennen kirchlichen Bussstrafen, Fasten,
Gebet und Almosen — samt den etwa freiwillig zu ihrer Be-
gleitung übernommenen Leiden — unter den Gesichtspunkt
sowohl der Selbstbestrafung als der Gott dargebrachten Satis-
faktion (§ 12), oder die Selbstbestrafung des Sünders ist die
Gott für seine Sünde dargebrachte Satisfaktion.
Diese Satisfaktionen werden von der Kirche auferlegt.
Duns ermahnt die Beichtiger, nicht unmögliche oder allzu un-
bequeme Strafen zu wählen, da sonst leicht die Erfüllung über-
haupt ausbleibe. Man wird also dem Armen, der unausgesetzt
um das tägliche Brot arbeiten muss, keines jener drei solennen
Werke zumuten dürfen. Seine beständige Arbeit selbst ist
ein stetes Fasten und eine stete Kreuzigung des Fleisches.
Die Satisfaktion. 413
So möge er diese selbst unter dem Bussgesichtspunkt (in
remissionem peccatoruni) thuu. oder dann eine geringe ihm
auferlegte Leistung erfüllen. Aber ebenso wird abgeraten, den
verweichlichten Reichen mit Fasten und Kasteiungeu zu ' be-
helligen, er würde sie doch nicht ausführen! Man trage ihm
etwas auf, quod libentius recipit, etwa Almosen oder Gebet.
Aber auch, wenn er überhaupt ablehnt, eine Satisfaktion zu
übernehmen, ist er nicht von der Absolution auszuschliessen,
könnte er doch sonst in Verzweiflung gestürzt werden. Man
nenne ihm die Strafe , ermahne ihn zur Übernahme oder er-
innere ihn daran , dass er sie im Purgatorium doch tragen
müsse. So zu handeln schreibt das Wort vom zerstossenen
Rohr und dem glimmenden Docht vor (§ 14). Wenn aber
jemand überhaupt nur die commutatio poena aeteruae in
temporalem durch die Beichte erreichen will, indem er bereit
ist, die zeitlichen Strafen aus Gottes Hand zu empfangen, daher
die kirchlichen nicht ableisten will, so darf ihm die Absolution
nicht versagt werden. Denn wenn die Priester häufig die
Strafen auf Wunsch der Beichtkinder abmindern, so steht
auch dem nichts entgegen, dass sie überhaupt auf Auferlegung
einer Strafe verzichten (dist. 19 qu. un. § 27 f.). Es ist demnach
möglich, dass jemand büsst, ohne doch die Satisfaktionen zu
übernehmen.
Noch widerlegt Duns an dieser Stelle die Meinung des
Thomas, als wenn jemand, der sich mit einer neuen Todsünde
befleckt hat, in diesem Zustand keine Satisfaktion leisten
könne: ista sententia videtur nimis dura contra peccatores.
Sie leite geradezu zur Übertretung an. Wenn jemand drei
Tage fasten soll, am ersten dieser Tage eine Todsünde begeht,
so fastet er — nach jener Auffassung — am zweiten und
dritten Tage umsonst. Liesse er nun aber vom Fasten nach
Eintritt der Todsünde, so würde er durch Ungehorsam gegen
das kirchliche Gebot abermals eine Todsünde begehen. Des-
halb hält Duns das betr. Busswerk für giltig, auch wenn es
von einem Todsünder ausgeführt wird (s. aber unten zu Ende
von n. 18). Es ist ein Bestandteil der im Gehorsam ausge-
führten Satisfaktion, zu welcher nur das willige Handeln, nicht
aber auch das Motiv der Liebe gehört (ib. § 15. 16).
414 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
Anlässlich der Frage, ob jemand, der gestohlen hat, zur
Restitution verpflichtet sei, legt Duns seine Ideen über Eigen-
tum, Handel, Zinsen etc. dar (quaest. 3 — 4). Wir dürfen hier
davon absehen. Nur das sei hervorgehoben, dass die Wieder-
erstattung gestohlenen Gutes, ebensowenig als die Verpflichtung,
einen Schaden, den wir innerlich oder äusserlich dem Nächsten
zufügten, zu ersetzen oder für Mord die Todesstrafe zu tragen
oder verleumderische oder indiskrete Aussagen zurückzunehmen,
in den Rahmen des Busssakramentes fallen. Denn alle diese
Verpflichtungen sind einfach durch göttliches Recht gegeben,
fallen also nicht in den Bereich der spezifisch kirchlichen
Rechtsordnung (ib. quaest. 2 § 28 ; quaest. 3 § 3. 6 ; quaest. 4
§ 3. 4). Dieser Gedanke ist keineswegs gleichgiltig. Die
Moral des praktischen Lebens wird nicht eingeschlossen in das
Busssakrament, sie ist nur eine Voraussetzung desselben (s. z. B.
IV dist. 15 quaest. 3, 1 init.). Das Busssakrament diktiert
nur die spezifisch kirchlichen Strafen; wie der Sünder sich
mit der praktischen Restitution des Schadens, den er seinem
Nächsten zufügte, abfindet, ist seine Sache, obgleich der
Beichtiger ihn auch hiezu anhalten soll, was allerdings nicht
immer geschehe (IV dist. 15 qu. 3, 6). Man begreift aber
doch, warum Duns die „Satisfaktion" so gering wertet, und
woher die Kritik der Späteren gerade diesen Punkt so oft
anfechten konnte.
10. Somit wäre ein Bestandteil des Busssakramentes be-
sprochen, die Satisfaktion, als eine von Gott gebotene Form
der Selbstbestrafung. Jetzt erst wirft Duns die Frage auf, ob
die drei bekannten Bestandteile der Busse wirklich auch in
dem Sakrament nachzuweisen seien. Man begreift es, dass er
die Frage formuliert: ist die Busse ein einfacher Tugendakt,
ist es dann nicht an der Kontrition genug (dist. 16 quaest. 1
§ 1. 2)? Die Busse als Tugend befasst in sich den Besitz
der strafenden Gerechtigkeit gegen die eigene Sünde, das
Wollen dieser Strafe in Bezug auf sich selbst samt den einzelnen
hierauf bezüglichen Willensakten, sowie den Vollzug der Strafe
(1. c. § 3). Diese Bestandteile können aber auch als einzelne
in der Seele vorkommen, denn der Vollzug der Strafe kann
ohne Gerechtigkeit, und diese ohne die Anwendung auf sich
Die drei Stücke des Busssakramentes. 415
selbst da sein etc. (§ 3. 4). In ihrem Zusammenwirken bilden
sie aber die Tugend der Busse, die man also als habituelles,
wie im einzelnen Fall als aktuelles Wollen der Strafe in Bezug
auf sich selbst bezeichnen kann (ib. § 4). Indem nun die
Busse in diesem Sinn als Tugend habituelles Sein in sidi fasst,
nämlich jene beiden ersten Bestandteile der gegen sich selbst
gerichteten Gerechtigkeit und des habituellen WoUens der
Selbstbestrafung, dagegen die sakramentale Busse aus einer
Eeihe von Akten besteht, die nur sind, sofern sie (neu) werden,
können die Teile der sakramentalen Busse unmöglich als Teile
der habituellen Busstugend angesehen w^erden. Wohl aber ist
ein Zusammenhang zwischen der Busstugend und dem Buss-
sakrament wahrzunehmen, wenn man von dem dritten und
vierten Bestandteil ersterer (dem Strafwillen im einzelnen und
dem Strafvollzug) ausgeht. Dieses Wollen schliesst nämlich in
sich, dass der Sünder durch die innere Traurigkeit nach innen
und durch verecundia und labor corporalis nach aussen die
gebührende Strafe empfange (§ 5). Wer sonach das allgemeine
Wollen, seine Sünde zu strafen, ausprägt zu den Willensakten,
die Strafen bezüglich der einzelnen Sünden zu vollziehen, der
hat an diesem tugendhaften Wollen zugleich die Triebfeder
zur Contritio, Confessio und Satisfactio (§ 6).
Wer also bussfertig ist, der wird auch die einzelnen im
Busssakrament vorgeschriebenen Handlungen vollziehen^ indem
sie von Gott und der Kirche gebotene Mittel des Strafvoll-
zuges sind. Sieht man aber schärfer zu, so sind die drei Teile
des Sakramentes einander nicht koordiniert. Streng genommen
ist nämlich Sakrament doch nur der kirchliche Akt der Abso-
lution. Das folgt klärlich aus der Definition, wie aus dem
Wesen des Sakramentes. In Wirklichkeit ist die Kontrition,
bezw. die Attrition nur die Voraussetzung für den Empfang
der Absolution. Und die Satisfaktion ist nur eine Folge der
Absolution, durch die sie erst wirksam wird. Ista enim sen-
tentia sacerdotis sie absolvit, quod tamen ligat. Absolvit
quidem a debito poenae aeternae, sed ligat ad solutionem
poenae temporalis, nisi sit sufticienter iam soluta (§ 7). Die
Absolution also verwandelt die Attrition in Kontrition und
vertauscht die ewige Strafe mit einer ev. vom Sünder selbst zu
41.6 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die i3usse.
vollzielieiulen zoitlichen Strafe. ^) Ganz konsequent schliesst
sich dieser Gedanke an, denn der Sünder, der von Zer-
knirschung durchdrungen ist, wird gern Gott zu Ehren sein
Fleisch züchtigen. — Gewiss, die äusseren Bestandteile des Sakra-
mentes hat Duns korrekt gewahrt. Aber was bleibt schliess-
lich nach , als ein psychologischer Prozess , in welchem der
Sünder durch die Absolution innerlich zerknirscht, an sich,
weil die ewige Strafe ihm erlassen wurde, die zeitliche Selbst-
bestrafung Gott zur Genugthuung übt?
11. Die Hauptsache im Busssakrament als solchem ist
also die Absolution. Diese bringt die Sündenvergebung und
die Gnadenmitteilung. Über das Verhältnis dieser beiden Be-
griffe zu einander wurde oben eingehend gehandelt, S. 323 ff.
Duns entscheidet sich dafür, dass die expulsio culpae keine reale,
sondern nur eine ideelle Neuerung im Menschen bedeutet.
Dabei geht in der Durchführung der Gnadenabsicht Gottes
die Sündenvergebung der Gnadeueingiessung voraus. Doch
wollen wir das oben Dargelegte nicht wiederholen. Nur ist es
nötig, die Bedeutung des Busssakraments unter unserm Gesichts-
punkt festzustellen. Hier wird die Eingiessung der Gnade und
die Rechtfertigung des Sünders behandelt.
12. Mit der Absolution hängt auf das engste der sakra-
mentale Akt der Konfession zusammen. Duns wendet sich
diesem Begriff zu, indem er fragt: utrum necessarium sit ad
salutem peccatori confiteri sua peccata omnia suo sacerdoti
(d. 17 quaest. un. § 1)? Indem nun die Schrift wie die Väter
die Vergebung von der inneren Herzensänderung abhängig zu
machen scheinen, und weiter die Konfession nicht immer mög-
lich zu sein scheint (wenn einer stumm ist, oder keinen Priester
findet, oder keinen, der seine Sprache versteht), scheint jene
Frage verneint werden zu sollen. Aber eine Reihe anderer
Autoritäten urteilt in der entgegengesetzten Richtung (§ 2).
Die erste Frage, die sich hier erhebt ist die, welches Gebot
die Konfession verlangt. Darauf ist zunächst zu sagen, dass
^) So fasst Duns auch de perfectione statuum § 14 die Bedeutung
des Busssakraments zusammen: et peccantes poenitentes ab obligatione ad
poenam aeternam absolverent et in poenam temporalem commutarent.
Die Konfession, kirchenrechtliche Begründung. 417
es kein Gebot des Naturrechts ist, da sonst zu allen Zeiten jede
Religion es hätte enthalten müssen (§ 5). Die sakramentale
Konfession findet sich aber weder in der alttestamentlichen
Religion (§ 6), noch kann sie aus dem naturrechtlichen Gedanken,
dass der Schuldige einem Gericht untersteht, abgeleitet werden.
Dieser Gedanke reicht nämlich nur aus zu dem Nachweise,
dass Gott den Sünder richtet, beziehungsweise, dieser Gott
seine Sünden bekennen muss, nicht aber zum Beweise, dass
die Sünde einem besonderen Menschen zu bekennen notwendig
sei (§ 7. 8). Sonach wird die Forderung der Konfession unter
das positive Recht fallen. Das kanonische Recht sieht sie für
positives Kirchenrecht an. Aber es ist nicht im stände den
positiven Urprung auf diesem Wege zu erweisen, denn wenn es
sich nur im allgemeinen auf eine überall vorhandene kirchliche
Tradition beruft, so ist dieser allgemeine Hinweis einem Kano-
nisten ebenso schimpflich, als wenn ein Theologe etwas als
bibhsch behauptete, ohne den Fundort angeben zu können (§ 9).
Gegen die Annahme, dass die Konfession positiv biblisches
oder göttliches Recht sei, scheint zu sprechen, dass die Griechen
sie nicht haben. Allein diese haben, seit ihrem Abfall von
der Kirche, mancherlei biblische Gebräuche fortgelassen, warum
nicht auf diese notwendige Einrichtung (§ 10)? Sonach ist
die Konfession als praeceptum divinum positivum zu verstehen.
Und zwar ist Job. 20, 23 als die bezügliche Stelle anzusehen, denn
wenn hier den Priestern der Vollzug der Sündenvergebung
zugesprochen wird, so ist die Konfession mitgesetzt, da der
Priester nur über eine ihm bekannt gewordene Sache zu richten
vermag (§11).
Man kann dieses auch von jenem Grundgebot aus : Du sollst
Gott den Herrn über alles lieben, beweisen. Denn dieses Gebot
wendet sich auch an denjenigen, der die prima gratia durch eine
Todsünde verloren hat; er vermag es aber nur zu erfüllen,
sofern er durch die Busse jene Gnade in sich wiederherstellen
lässt. Wollte aber jemand sagen^ dass es zu letzterem Zweck
auch andere Wege gäbe, dass etwa ein attritus durch ein
meritum de congruo ein Anrecht auf Justifikation habe, so ist
zu erwidern, dass der Weg des Busssakramentes als
der bequemste und einfachste jedem anderen vor-
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 27
418 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
gezogen werden muss: nulla alia sc. via est ita
facilis et ita certa, hie enim non oportet, nisi non ponere
obicem ad gratiam, quod multo minus est quam habere ali-
quam attritionem (§ 13). Ebenso kann man des Umstandes,
dass man keinen obex oder keine aktuale Sünde im Augen-
blick hat, viel leichter subjektiv vergewissert worden, als der
Attrition. Ist aber das Busssakrament der sicherste und be-
quemste Weg zur Wiedererlangung der Gnade, so ist jeder,
der es verschmäht, ein Verächter seines Heils, und jeder Christ
zu seinem Gebrauch ebenso verpflichtet, wie zu dem der Taufe
(§ 14).
Dagegen kann man Jak. 5, 16 die Einsetzung des Buss-
sakraments nicht entnehmen, denn woher hätte Jakobus, der
doch nur Bischof von Jerusalem und nicht von Rom war, das
Recht hergenommen, eine Satzung für die ganze Kirche fest-
zustellen (§ 15)? Aber auch 1. Joh. 1, 9 redet nicht vom
Busssakrament, sondern von demütigem Bekenntnis der Sünde
der Laien untereinander (§ 16). Sollte nun aber das Resultat,
dass die Konfession durch positiv göttliches, im Evangelium
enthaltenes Recht eingesetzt wurde, angefochten werden, so
könnte man daran denken, dass Christus den Aposteln diese
Forderung gebot, und sie von letzteren mündlich der Kirche
weitergegeben wurde (§ 17).
Nachdem Duns die biblische Provenienz der Konfession
aufgezeigt hat, weist er nach, dass dieses Gebot sich auf alle
Christen, die vernünftig genug sind, um Gut und Böse von
einander zu unterscheiden, ohne dass gerade ein besonderes
Lebensalter zu bezeichnen wäre, bezieht (§ 18).
13. Zum zweiten ist über den Inhalt des Bekenntnisses
zu reden. Da niemand auf veniale Sünden hin aus dem Schiff
der Kirche ausgestossen wird, indem diese mit vollkommener
Liebe zugleich bestehen können, so bedarf man um ihretwillen
nicht der rettenden Planke des Busssakraments. Nur die
Todsünden sind zu bekennen. Und zwar aUe Todsünden, die
man im Gedächtnis hat oder die durch sorgfältiges und ge-
schicktes Ausfragen des Beichtvaters einem in das Gedächtnis
gerufen werden. Diese sind alle zusammen, nicht um sich zu
schonen, die Beichte teilend, zu bekennen (§ 19). Aber nicht
Der Inhalt der Beichte. 419
nur die Sünden selbst sind zu beichten, sondern auch die be-
gleitenden, die Sünde erschwerenden Umstände, etwa dass die
betreffende Sünde besonders verboten ist. Z. B. : es ist ver-
boten zu stehlen , aber es ist besonders verboten , aus einer
Kirche etwas zu entwenden ; oder der Geschlechtsverkehr mit
einem andern als dem eignen Weibe ist verboten, aber es ist
ein erschwerender Umstand, wenn jenes andere Weib dazu
noch einem anderen angehörte. So kann die Sünde überhaupt
durch persönliche und sachliche Beziehungen besonders schwer-
wiegend werden. Nach diesem Gesichtspunkte sind also die
begleitenden Umstände bei der Beichte zu erwähnen, wogegen
für die Sünde als solche, gleichgiltige Dinge, wie dass das
Mädchen Bertha oder Lucia geheissen habe , füglich ausser
Betracht bleiben können (§ 20 vgl. Berta vel Alitia IV dist. 21
quaest. 2, 22).
Weiter ist für das Bekenntnis erforderlich, dass es vor
dem dazu befugten Priester geschieht (cui § 26). Das Be-
kenntnis vor einem Laien kann immerhin, wenn es in Einfalt
geschieht, als Bethätigung der Demut verdienstlich sein. Aber
ein kirchliches Gebot wird dadurch nicht erfüllt und der Laie
hat keinerlei Vollmacht, einen Spruch über die Sünde zu fällen.
Man kann vielleicht sogar sagen, dass es besser sei, sich dem
Laien nicht anzuvertrauen, da man sich selbst nicht diffamieren
dürfC; und dies doch leicht einträte, wenn der Laie indiskret
ist (§ 27). Auf die Frage Quando ist zu antworten, dass be-
sonders dann, wenn Todesgefahr vorliegt, wie vor dem Kriege,
oder wenn man sich auf etwas Grosses, wie die Kommunion vor-
bereitet, zu beichten ist (§ 21). Genauer ist bezüglich dieses
Punktes zu sagen, dass allerdings in alten Zeiten sofort nach Be-
gehung der Sünde die Beichte stattfand. Dies ist jetzt aus kirch-
licher Entscheidung anders geworden, sodass einmal im Jahre zu
beichten genügt. Freilich gibt es Theologen, die auch jetzt
noch für die andere Praxis eintreten. Nach Duns genügt es^,
dass man nach Begehung einer Todsünde den Vorsatz fasse,
sie zum festgesetzten Termin zu bekennen (§ 28).
14. Zu der Beschaffenheit des Bekenntnisses gehört nun
weiter, dass der Betreffende Misfallen an der begangenen Sünde
empfindet und bereit ist sich ihrer zu enthalten, sowie der
27*
420 Kap. IV : Die Lehre von den Sakramenten ; die Busse.
Kirche bezüglich der Satisfaktion zu gehorchen (qualiter).
Dies braucht aber nicht zu heissen, dass er bereit ist, die
kirchlichen Bussstrafen zu übernehmen, sondern auch die Be-
reitschaft, die Strafen Gottes auf Erden oder im Fegfeuer zu
tragen, genügt. Hat er aber eine Bussstrafe vom Beichtiger
übernommen, so soll er auch bereit sein sie zu tragen resp.
zu erfüllen (§ 22).
Nun kann aber hier ein Einwand erhoben werden. Wenn
nämlich, wie wir früher sahen, es möglich ist, dass jemand die
Strafe für eine Sünde leisten kann, ohne sich um die anderen
zu kümmern, so scheint auch angenommen werden zu können,
dass jemand eine Sünde bekennen darf, indem er zugleich die
anderen verschweigt. Allein die Voraussetzung im ersteren Fall
ist, dass der Sünder seine Sünde bekannt hat, und von ihr frei
gesprochen wurde ; denn nur auf Grund dessen kann die ewige
Strafe als durch die zeitliche ersetzbar angesehen werden.
Ohne Absolution ist also die Satisfaktion nichtig, denn sie kann
das, wozu sie unternommen wird, nicht erreichen. Die Abso-
lution kann aber nur erfolgen auf Grund eines Bekenntnisses
sämtlicher Sünden (23).
Weiter kann man einwenden, dass wenn jemand keine Tod-
sünde zu beichten hat, er um dem Beichtgebot der Kirche zu
genügen, die venialen Sünden beichten müsse (so Richard).
Aber Duns verneint das, denn wenn kirchenrechtlich omnia
peccata zu bekennen geboten ist, und dieses nur auf Todsünden
gedeutet wird, so ist klar, dass wenn solche fehlen, auch keine
Beichte nötig ist (§ 24). Aber auch der Kontrition oder Attri-
tion bedarf es für die lässlichen Sünden nicht, gelegentlich
verschwinden sie, ohne eine besondere That des Sünders. Dem-
nach wird es vorkommen, dass der Beichtiger von dem Beicht-
kind das sittlich berechtigte Bekenntnis hört : Domine, regratior
deo, quia ex quo fui ultimo confessus, non habeo conscientiam
de peccato mortali, date mihi eucharistiam ! (§ 25).
Schliesslich muss hervorgehoben werden, dass Duns die
Beichte durch einen Dolmetscher ebenso, wie die schriftliche
Beichte verwirft, denn weder die eine noch die andere Form
bietet die gehörige Sicherheit des Beichtgeheimnisses dar, die
Sache kann leicht öffentlich werden. Bei der schriftlichen
Absolution, Schlüssel. 42 1
Beichte kommt ausserdem die Selbstdemütigung in Wegfall
(§31. 32).
15. Von der Beichte kommen wir zur Absolution.
Duns wirft die Frage auf, ob jedem Priester vermöge der
Ordination die Schlüssel des Himmelreiches zu Teil werden.
Wiewohl hiegegen eine Anzahl von Gründen sind, wie Apoc. 3, 7
oder eine Stelle Augustins, die Christo allein Schlüssel und
Lösegewalt zuzusprechen scheint, wird die Frage doch schon
von dem Gedanken aus zu bejahen sein, dass wem das Höhere
zu Teil wurde, auch das Niedere nicht versagt bleibt. Wer
Christi Leib machen kann, wird also auch die Absolution voll-
ziehen können (dist. 19 qu. un. § 1. 2).
Genauer ist aber von fünferlei zu reden : 1) der rite ordi-
nirte Priester hat einen Schlüssel, als die potestas sententiandi
in foro poenitentiae, 2) sodann den anderen Schlüssel, als die
potestas cognoscendi in causa rei confitentis ; 3) diese Schlüssel
sind nicht ein, sondern zwei Schlüssel; 4) wie verhält sich die
Macht des Inhabers der Schlüssel zu dem wirklichen Gebrauch
der Schlüssel, und 5) ob es ausser diesen beiden noch andere
Schlüssel in der Kirche gebe?
Unter dem Schlüssel verstehen wir die auctoritas iudiciara
sentendiandi coelum huic aperiendum vel apertum esse (§ 4).
Als auctoritas simpliciter principalis eignet sie Gott allein,
denn er allein ist aus sich gerecht, und daher auch allein der
absolute Richter (§ 4). Als auctoritas praecellens eignet sie
dem, der einerseits alle merita und demerita kennt und anderer-
seits in absoluter Übereinstimmung mit der göttlichen Gerechtig-
keit urteilt. Dies kommt Christo allein, aber keiner Person
in der streitenden Kirche zu, indem kein Mensch diese Be-
dingungen zu erfüllen vermag. Die richterliche Autorität da-
gegen mit beschränktem Wissen und mit einem nicht immer
mit Gottes Gerechtigkeit übereinstimmenden Urteil, kann auch
von Personen der streitenden Kirche ausgeübt werden. Es ist
also möglich, dass die Kirche über einen Schlüssel verfügt als
die auctoritas sententiandi particulariter et non irrevocabiliter,
alicui esse coelum apertum. Indem nun die Hierarchie die
Vermittlung zwischen Gott und der Kreatur vollzieht, kommt
ihr die Handhabung dieses Schlüssels zu. Hierarcha est medius
422 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
inter cloum peccatoremque reducendum. Diese Kausalität ist
der Kreatur an und für sich möglich, und eine derartige Kau-
salität verhindert Gott nicht: immo et illam communicat et ad
eius actionem causis secuudis assistit. Dass aber diese Autorität
und Gewalt der Kirche wirklich eignet, geht aus Joh. 20. 23
hervor (§ 6). Damit ist die Möglichkeit und Wirklichkeit des
ersten Schlüssels als der richterlichen Autorität und Gewalt
der Kirche festgestellt.
Zu anderen ist von der auctoritas cognoscendi die Rede.
Nur wo diese vorliegt, kann nämlich die Urteilssprechung in
gerechter Weise vollzogen worden. Auch diese eignet zunächst
Gott, dann aber auch dem Menschen in der soeben behandelten
Weise. Neben die clavis potestatis tritt die clavis
seien tiae, oder sie ist eigentlich die Voraussetzung für den
Gebrauch der ersteren und ist also zugleich mit ersterer Joh. 20
der Kirche mitgeteilt. Bei dieser scientia ist aber nicht an eine
aktuale, wie der Lombarde will, oder an eine habituelle Wissen-
schaft, oder an eine gewisse discretio zu denken (§ 7), denn
die potestas oder auctoritas cognoscendi ist ebenso wenig Er-
kenntnis, als die richterliche Gewalt an sich Gerechtigkeit ist.
So sehr aber letztere sich an der Gerechtigkeit zu orientieren
hat, so sehr erstere an der Erkenntnis, aber an und für sich
ist sie mit der Erkenntnis nicht identisch.
Drittens handelt es sich um die Frage nach der Identität
der beiden Schlüssel. Duns wendet sich zunächst gegen die
Ansicht des Thomas, als wenn der sakramentale Charakter der
Ordination selbst der Besitz der Schlüssel sei. Nun besteht
aber die eigentliche Gewalt, welche durch die Ordination auf
den Menschen übergeht, in dem conficere corpus Christi. Aus
dieser kann aber die Schlüsselgewalt nicht abgeleitet werden.
Ebenso wenig kommt man zum Ziel vom Gesichtspunkt des
Charakters aus. Der Charakter ist eine Beziehung ; eine solche
kann nicht auf verschiedene Ziele gehen, also kann der Charakter
nicht eo ipso die Konsekrations- und Absolutionskraft in sich
fassen (ib. § 9). So wenig also die Schlüsselgewalt an sich mit
dem geistlichen Charakter der Ordination zusammenfällt, so
wenig ist es notwendig, die Schlüssel überhaupt als eine ab-
solute Einheit zu fassen. Nach der potentia absoluta könnten
Begründung der Schlüsselgewalt. 423
sie sehr wohl von einander getrennt werden. Wie der Vor-
sitzende des Gerichtshofes nämlich die auctoritas cognoscendi
und die auctoritas seutentiandi getrennt von einander auf jemand
übertragen kann, so konnte sie auch Gott hei der Übertragung
dieser Gewalten an den Priester von einander trennen. Die
Lösung der Frage hat Duns nur in Kürze gegeben. Es müsse.
da doch sowohl die Konsekrations- als die Absolutiousmacht in
der Ordination dem Menschen gegeben werden: wie duae po-
testates, so auch duo characteres angenommen worden. Der
erste wird mit den Worten accipe potestatem celebrandi, der
andere durch das accipe spiritum sanctum mitgeteilt Ja selbst
daran könnte man denken, dass die beiden Schlüssel auch zwei
mitgeteilten Charakteren entsprechen. Aber man kann auch
von einem character sacerdotalis reden; indem der Priester
durch ihn die Konsekrationsgabe empfängt, wird ihm eine
führende Stellung in der Familie Gottes als ihr geistlicher
Nährvater zu Teil. Diese Stellung nun lässt ihn als den ge-
eigneten Mann erscheinen, auch über den mystischen Leib
Christi die Gewalt des Lösens und Bindens auszuüben. So
angesehen, ist der geistliche Charakter die Disposition zum
Empfang der Schlüssel und jener würde gleichzeitig mit diesen
mitgeteilt. So, aus der Gemeinsamkeit des Zweckes der beiden
Schlüssel, begreift es sich auch, dass sie gewissermassen als
Einheit angesehen werden können (§ 11).
Viertens wird gezeigt, wie verschieden von einander die
Schlüssel und die Konfektionsgewalt sind. Letztere näm-
lich hat an Brot überall und allzeit das entsprechende passive
Element, an dem sie sich aktiv bethätigen kann. Man könnte
nun ebenso bezüglich ersterer sagen: der bussfertige Sünder
ist dem Priester überall gegeben, er kann an ihm allzeit seine
Gewalt bewähren (§ 12). Aber dem steht entgegen, dass der
Priester nur dann den Schlüssel brauchen darf, wenn ihm subditi
zur Jurisdiktion zugeteilt wurden, denn nur der Spruch eines
dazu befugten Eichters ist wirklich ein Urteilsspruch. Dem-
nach wäre, wenn der Vorgesetzte die Jurisdiktion des Priesters
aufhebt, die etwaige Absolution des letzteren nichtig. Dadurch
ist der Unterschied klar. Das conficere kann der Priester
immer ausüben, was schadet es denn, wenn er jede mögliche
424 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
Materie konsekrierte ? Dagegen muss dem Lösen und Binden
jene doppelte Schranke gezogen werden, denn nicht jeder
Priester kann es an jedem beliebigen Sünder ausüben f§ 13).
In diesem Fall tritt also die Kraft nur dadurch in Aktion,
dass eine andere Kraft — der die Jurisdiktion erteilende
Bischof — mit jener konkurriert (§ 14).
Zum fünften nimmt Duns den Ausgang von der Betrachtung,
dass in der Kirche ein forus (sie) duplex anzunehmen sei. Es
ist ein forus secretissimus, da der Kläger und der Schuldige die
gleiche Person sind; hier walten jene beiden Schlüssel. Es
gibt aber auch einen forus publicus. Hier tritt die Autorität
der Kirche in Kraft Sünde zu vergeben und zu behalten. Es
handelt sich dabei um die Gewalt der Kirche als der com-
munio fidelium, sich durch die excommunicatio den Sündern
zu verschliessen oder sich ihnen wieder zu eröffnen, durch Rück-
nahme jener (§ 15). Indem aber der gewöhnliche Priester
diese Gewalt nicht hat, andererseits auch Nichtordinierte nach
kirchlicher Ordnung sie ausüben dürfen, sind diese Schlüssel
hier nicht identisch mit jenen obigen, von denen sie vielmehr
scheiden (ib). Hier nun ist die Frage zu behandeln, ob jeder,
der „Jurisdiktion" hat, innerhalb derselben berechtigt ist zur Ex-
kommunikation ? Die Exkommunikation ist der Ausschluss aus
der Kirche per prohibitionem, ne communicet cum aliis nee
alii eum eo. Allein dies Verbot braucht doch nur von denen
gehorsam aufgenommen zu werden, die dem betreffenden Priester
Gehorsam schulden oder seiner amtlichen Jurisdiktion unter-
stehen; die übrigen geht es nichts an. Soll also eine Exkom-
munikation wirklich kräftig werden, so muss sie von dem aus-
gehen, dessen Verbot der ganzen Christenheit gilt (cui tenetur
obedire quiHbet christianus), d. h. von dem Papst. Jede andere
allgemeine Exkommunikation kann also nur gerechtfertigt werden
durch Zurückführung auf die commissio illius, cui ^) tenentur
omnes alii obedire (§ 16). Sonach wird hier die Rechtsregel
in Anwendung kommen: quod non est concessum, est prohibitum
(§ 16), d. h. die Exkommunikation ist nur in den Fällen giltig,
für die der sie verhängende Priester expresse dazu vom Papst
^) Nicht qui, wie die Ausg. Hest.
Die Wirkungen der Absolution. 425
berechtigt ist: et sie excluduntiir quaedam pericula quae pro-
veniunt ex pronitate quorundam fatuorum ad excoramunicaii-
dum (§ 17). Der häufigen Anwendung dieses Verfahrens ent-
sprechen nicht die wenigen Fälle der apostolischen Praxis, die
überliefert sind. Sie werden genau besprochen (§ 17. 18).
Wenn Paulus den korinthischen Blutschänder oder Alexander
und Hymenäus dem Teufel übergibt, so erscheint das wohl-
begründet, weil ein peccatum enorme et publicum vorlag und
andererseits durch die gerechte Strafe die correctio deliuquentis
beabsichtigt wurde (19). Aber gegen die leichtfertige und über-
eilte Verhängung der Exkommunikation spricht sich Duns dabei
klar aus.
16. Nun ist aber noch eine Frage zu erheben, nämlich
was die Absolution wirke? Die Tradition war hier keine ein-
heitliche und deutliche. Nach Abälard erlässt Gott allein die
ewige Strafe. Der Lombarde hat diese augustinische Vor-
stellung reproduziert, dabei aber auch dem Priester eine feste
Funktion zuerteilt, sofern er anzeigt, ob jemand gelöst oder
gebunden sei, beziehungsweise demselben die zeitliche Strafe
auferlegt. ^) Demnach scheint gesagt werden zu können, 1) dass
die Absolution nicht die Schuld oder die ewige Strafe aufhebe,
und 2) dass sie sich nur auf die zeitliche Strafe beziehe (§ 21).
Allein dies ist nicht richtig, denn einerseits würde das Sakra-
ment auf diese Weise überhaupt nicht wirksames Sakrament
sein, denn die Anzeige, dass jemand gelöst sei, setzt vielmehr
die wirklich geschehene Lösung bereits voraus. Andrerseits
ist der Empfang dieses Sakramentes ein instrumentum ad
gratiam, als ein Zeichen, dass nach Gottes Verfügung die
Gnade kommen wird. Indem nun dies sakramentale Zeichen
nicht Erinnerungszeichen (signum rememorativum) ist oder auf
Vergangenes zurückweist, sondern vielmehr auf etwas, was ein-
treten soll, „aufmerksam" macht, ist es keineswegs notwendig,
dass es auf die bereits geschehene göttliche Absolution zurück-
deute. Nach der scotistischen Ansicht vom Sakrament ist zu
sagen: absolutio sacramentalis est signum efficax illius abso-
lutionis sequentis in ultimo instanti ipsius, sicut prolatio ver-
1) D. G. II, S. 65—67.
426 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
borum est Signum confectionis corporis Christi (§ 23). Hienach
beantwortet sich die aufgeworfene Frage einfach. Allerdings
kann man sagen, dass der Priester die Schuld und ewige Strafe
aufliebe, aber er thut das nur instr-umentaliter. Er bewirkt
nicht direkt jenen Effekt, sondern er erreicht jene Vorbereitung
desselben, nämlich das sakramentale Zeichen, dessen Eintritt
vermöge der pactio divina notwendig die Gnadenmitteilung
folgt. Der Priester vermittelt die Gnade und Vergebung, aber
Gott allein wirkt sie, proprium autem est deo principaHter
mundare et remitiere illud debitum. Es ist dann aber nicht
richtig, wenn der Lombarde den Priester die bereits geschehene
Lösung bloss anzeigen lässt, vielmehr bewirkt der Priester die
Disposition, welche notwendig die Lösung von Gottes Seite
eintreten lässt (§ 24).
17. Mit der Absolution verband die Praxis die Aufer-
legung der Satisfaktion. Duns behandelt deshalb noch
die Frage, ob der Büssende verpflichtet sei, die von dem
Priester ihm auferlegte Leistung zu erfüllen. Die Antwort
lautet, dass es hier ganz auf die Absicht des Büssenden an-
kommt. Will derselbe nämlich sich dem Priester unterwerfen,
um sowohl die Absolution als die Strafe zu erhalten, so ver-
pflichtet er sich freilich auch zu den Werken. Will er aber
nur die commutatio poenae aeternae in temporalem erzielen,
indem er die ihm zustehenden Strafen aus Gottes Hand, sei
es hier auf Erden, sei es im Hades bereit ist zu empfangen,
so soll auch solch einer nicht von der Absolution zurückge-
wiesen werden. Dadurch würde er in Verzweiflung gestossen.
Gegen diesen Standpunkt ist eigentlich nichts einzuwenden,
denn er ist ja bereit die Strafe hinzunehmen und zwar aus
der Hand Gottes, die sie zu verhängen hat (§ 27). Aber auch
Ungehorsam gegen die Kirche kann man dem Betreffenden
nicht nachsagen. Es komme ja oft vor, dass auf Wunsch des
Beichtkindes der Priester ihm eine massige Strafe^ die ausser
Verhältnis zur Schuld steht, auferlegt, mit dem Bemerken, den
Best würde er im Purgatorium zu büssen haben. Warum soll
der Priester dann nicht auch darauf eingehen, überhaupt keine
Strafe aufzulegen, freilich unter Hinweis darauf, dass ihn nun
die ganze Strafe im Fegefeuer treffen würde. Andernfalls steht
Die Satisfaktion; der Ablass. 427
ZU befürchten, dass der Sünder, von dem doch nicht zu er-
warten ist, dass er die Strafe wird tragen wollen, nur zur Tod-
sünde des Ungehorsams verleitet werde (28).
18. An diesem Ort wollen wir über die Ansicht des Diins
vom Ablass, von dem der Seutenzenkommentar schweigt, nach
den Miscellan. quaest. 4 referieren: Indulgentia est remissio
poenae temporalis debitae pro peccatis actualibus poeni-
tentium, non remissae per absolutionem sacramentalem factam
per praelatos ecclesiae, de thesauro ecclesiae id est meritis
Christi et sanctorum, ex causa rationabili (1. c. quaest. 4, 4).
Das ist die offizielle Lehre. Die Übertragung der Werke der
Heiligen kann aber erfolgen, da die Legenden ihnen die Ab-
sicht zuschreiben für das Gemeinwohl zu leiden (ib. 2). Hier
ist aber in Acht zu behalten, dass der Ablass nicht das einzige
Mittel zur Vermeidung der zeitlichen Sündenstrafen darstellt.
Ein Teil derselben wird durch die devotio und humilitas guter
Werke abgebüsst, ein anderer findet seine Erledigung schon
durch die sakramentale Absolution (5). — Als Zweck des
Ablasses erscheint honor dei vel ecclesiae utihtas (3). Wenn
den kirchlichen Prälaten die Befugnis der Ablasserteilung zuge-
sprochen ist, so soll dieselbe keineswegs in ihre Willkür
(pro libito) gestellt werden, da sie nur eine dispensatio zu voll-
ziehen haben (5). Ablass erteilen kann nur das Oberhaupt
der Kirche oder der Papst, die Bischöfe — wie auch die
Legaten — nur ex commissione papae, sofern sie in partem
sollicitudinis berufen sind (19).
Aber in diesem Zusammenhang gelangt eine Anzahl inter-
essanter Einzelfragen zur Erörterung, auf die wir in der
Kürze eingehen wollen, da sie für die Stellung des Duns zum
Ablass lehrreich sind. — Es gibt, sagt er, quaestuarii, die be-
haupten, dass vierzig Tage Indulgenz mit Almosen gleich viel
gelte, als wenn man vierzig Tage fasten würde. Dies wird von
Duns verworfen, da nämlich die Indulgenz nur auf den Erlass
zeitlicher Strafen geht, während das Fasten eine Anzahl weiterer
sittlicher Zwecke im Menschen fördert, indem es zur Unter-
drückung der Konkupiszenz, zur Bändigung des Körpers, zur
Erlangung ewigen Lohns und zur Mehrung der Gnade
dient. Demnach ist also Duns der Meinung, dass die opera
428 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
poenalia nur in unvollkommener Weise durch den Ablass er-
setzt werden können, indem dieser nur in einer Hinsicht Ersatz
für sie bietet.
Sodann wird festgestellt, dass in fünf Fällen der Papst
plenarias indulgentias gibt, seil, ut remittat tot am poenam
peccatis debitam. Es sind folgende: der Inquisitor, der sein Leben
daran setzt, die Teilnahme an Kreuzzügen, Besuch des heil.
Landes oder anderer heil. Stätten, etwa Roms ; solche, die in-
ständig darum bitten, zumal wenn sie die Gewohnheit haben
ihre Güter der Kirche zu schenken; endlich Menschen, von
denen feststeht, dass ihre Verdienste dem Schatz der Kirche
wegen ihrer Heiligkeit zu gute kommen werden. Endlich
kann der Papst Plenarablass auch propter aliam causam ratio-
nalem gewähren ; es ist das nicht als Leichtsinn anzusehen, wenn
dadurch die Ehre Gottes und der Nutzen der Kirche und
Mehrung des Schatzes der Kirche erstrebt wird (6).
Wie ist es aber zu verstehen, wenn in litteris der Papst
jedem, der dies oder jenes thut, für eine bestimmte Frist, wie
vierzig Tage oder ein Jahr, Ablass gewährt ? Dies ist immer, es
sei nun in der Urkunde ausdrücklich gesagt oder nicht, zu be-
ziehen auf die poenitentia iniuncta in confessione vel quae de-
beret iniungi. Letzteres sagt Duns von der Erwägung her,
dass oft die volle Strafe nicht auferlegt wird wegen der Ge-
fahr, dass der Sünder sie doch nicht tragen würde, wobei aber
natürlich die volle Abbüssung dem Fegfeuer aufbehalten bleibt.
Sonach bezieht sich der Ablass immer auf die Strafen des
Busssakramentes, durch ihn wird also die Handhabung dieses
vorausgesetzt (7).
Aber Duns fragt weiter, ob es ratsam sei, nach Erlangung
des Ablasses von den auferlegten Busswerken abzusehen? Er
verneint das, denn wenn der Betreffende nicht in caritate wäre,
so würden die Indulgenzen ihm nichts nützen, zudem würde,
wie wir sahen, die Ertragung der Pönitenz ihm grösseren inneren
Nutzen gewähren. Es ist also mit dem Ablass recht unsicher
bestellt: unde bonum et securum est, quod homines
faciant poenitentias sibi iniunctas, quia in eis
plus merentur. Aber freilich kann der, welcher probabi-
liter in der Liebe steht und die durch den Ablass erforderte
Busswerke besser als Ablass. • 429
Leistung erfüllt, die iniuncta poenitentia lassen, ohne trans-
gressor zu werden, weil seine geistliche Obrigkeit ihm das er-
laubt (7).
Die Ansicht des Duns wird aus diesea Erwägungen klar:
der Ablass ist kirchliche Ordnung und als solche anzuerkennen,
aber es ist besser, sich auf ihn nicht zu verlassen, denn weder
bringt er den positiven Nutzen der Pönitenzwerke, noch kann
man seines Erfolges sicher sein. Darnach ist es ziemlich ein-
leuchtend, dass Duns selbst an dem Ablass kein Interesse ge-
habt hat, er hat ihn nur vom Standort seines kirchlichen
Positivismus her aufrecht erhalten. Er hat auch hier der
Auflösung des Busssakramentes im späteren Mittelalter vor-
gearbeitet.
Im Verfolg der Abhandlung hat Duns Scotus eine Anzahl
von Gründen wider den Ablass geltend gemacht, die er aber
dann selbst auflöst. Die wesentlichen derselben wollen wir
herausheben: hat Gott den Sünder zur zeitlichen Strafe ver-
urteilt, so kann kein Mensch diese aufheben. Aber Gott hat
es nach seiner „Liberalität" so eingerichtet, und die Heiligen
haben es so verstanden, und die Befreiung von den Strafen
geschieht nur nach Gottes Verordnung (12). Sodann: niemand
wird dadurch geheilt, dass ein anderer eine Medizin einnimmt,
so muss auch der Sünder selbst die guten Werke, die ihn von
seiner Krankheit heilen sollen, ausführen. Aber die Werke
Christi und der Heiligen hatten satis faktorische Bedeutung,
daher kommen ihre Verdienste uns zu gut (13). — Aber weiter:
wenn meine Kontrition oder Konfession dem anderen nicht
angerechnet werden, wie sollen es dann die satisfaktorischen
Werke werden? Duns meint, die Parallele stimme nicht, da
jene beiden zu der der Persönlichkeit geltenden Absolution in
Relation stehen, nicht aber die Satisfaktion.^) Die Absolution
befreie von der Schuld, aber der Sünder bleibt doch obli-
gatus ecclesiae. Davon befreien die Prälaten. ^) Als
^) Man erinnere sich daran, dass nach Duns die satisfactio operum —
genau genommen — aus dem Rahmen des Sakramentes herausfällt; Beichte
und Absolution machen eigentlich das Sakrament aus, vgl. S, 413.
^) Macht man hiemit Ernst, so bleiben als Gegenstand des Ablasses
430 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
Beichtender ist der Sünder noch tot, er kann daher von den
Lebenden keine Einwirkungen empfangen ; wohl aber ist das
möglich, dass er, nachdem er durch die Absolution lebendig
wurde, solchen Einwirkungen untersteht. — Ferner: Johannes
ermahnt, der Busse würdige Früchte zu wirken. Darauf weiss
Duns nur zu sagen, dass die Früchte der Heiligen uns an-
gerechnet werden: tamen melius esset, quod unusquis-
que suam poenitentiam faceret (14). — Endlich: nur
Christus kann sakramentale Effekte hervorbringen, aber der
Ablass als Strafnachlass ist auch solch ein Effekt, der doch
von Menschen hervorgebracht wird. Duns hilft sich dadurch,
dass jene These nur von den prinzipalen, nicht aber von den
nichtprinzipalen sakramentalen Effekten, gelten soll. Demnach
ist es für ihn vollkommen klar, dass die eigentliche Sünden-
vergebung mit dem Ablass nichts zu schaffen hat: Dicendum
igitur, quod effectus principalis sacramenti poenitentiae est di-
mittere culpam, et iste non potest fieri per aliud; sciHcet per
indulgentias (15).
Wenn man diese Bemerkungen liest, so leuchtet es ein,
dass Duns eigentlich alle Einwendungen, die man zu Ende des
Mittelalters wider den Ablass erhob, schon geläufig w^aren, und
dass er schliesslich keine Widerlegung derselben zu geben ver-
mocht hat. Die Gegenbemerkungen laufen doch alle auf eine
ziemlich kleinlaute Wiederholung der kirchlichen Praxis hinaus,
wobei Duns darüber gar keinen Zweifel bestehen lässt, dass
es besser ist, die Werke zu thun, statt sich mit Ablass zu
befassen.
Aber — dem sei wie ihm wolle — der Ablass steht doch
fest. Kann er nun aber so viel leisten als er verspricht? Man
kann Nein sagen, qnia tunc quilibet posset se quittare a tota
poena debita peccatis suis sine poenitentia et evolaret sine
punitione faciendo multoties opus indulgentiae. Aber — meint
Duns — die Sünde selbst ist ja Strafe; dazu kommt, dass der
Sünder in Christo et aliis sanctis ^) gestraft ist, also die Strafe
eigentlich nur die kanonischen Strafen. So fasste ihn auch Luther in den
Thesen.
^) Diese zufällige Wendung ist für die Stimmung des Duns bezüg-
lich des Verdienstes Christi doch nicht uninteressant.
Widerlegung der Gründe wider den Ablass. 431
genügend vollzogen wird. — Es gibt nun aber aliqui, die
meinen, dass es nicht möglich sei, durch Geld sofort frei zu
werden (statim evolaret), ^) weil in der Seele durch die Sünde
ein gewisser Schmutz nachbleibe und dieser nur durch die
Pönalität selbst getilgt werden könne : ideo non sufficit dare
pecunias ad indulgentias. Aber hier kommt Duns sein Sünden-
begriff zu pass. Die Sünde bewirkt in der Seele nur eine
macula culpae, sowie eine pronitas ad actum similem und die
obligatio ad poenam aeternam. Die Schuld wird durch die
contritio zerstört und Tiiedurch wird die ewige Strafe in zeit-
liche Strafe verwandelt und diese durch den Ablass abgelöst.
Aber auch die pronitas wird durch die Gnade, resp. die con-
tritio zerstört, indem durch sie der Mensch die Neigung zu
den entgegengesetzten Akten empfängt. Also bedarf es nicht
einer Tilgung des Sündenschmutzes durch besondere ethische
Akte (16).
Endlich wirft Duns die Frage auf, ob diejenigen im
Recht seien , die meinen , das man Indulgenzen erlangen
könne , auch wenn man nicht im Gnadenbesitz steht. Das
heisst: ein Mensch, der beichtet und contritus war, könnte
auch, wenn er darauf eine Todsünde beging, die Indulgenz
mit Nutzen empfangen. Diese Ansicht verwirft Duns. Die
Indulgenzwerke können nämlich Gott nur dann gefallen, wenn
der Mensch selbst Gott gefällt, er gefällt ihm aber nur
vermöge des Gnadenbesitzes. Folglich würde der Todsünder
von der Indulgenz keinen Nutzen haben. Deshalb aber empfiehlt
es sich auch, den Pcmitenten keine zu langwierigen Pönitenzen
aufzuerlegen, damit sie nicht vor ihrer Erledigung in Todsünde
fallen. Die Ansicht, dass der Todsünder als solcher unfähig
ist, Pönitenzwerke auszuführen — es ist die des Thomas — hat
Duns aber in dem Sentenzenkommentar bekämpft (s. oben S. 413).
Vielleicht ist also, wie Wadding (Opp. III, 460 schol. 5) an-
nimmt, hierin ein Anzeichen dafür zu erblicken, dass der Sen-
teazenkommentar nach den Miscellanea geschrieben wurde.
Soviel ergibt sich aus diesen lehrreichen Erwägungen des
^) Das Bild von dem Herausfliegen oder Herausspringen der Seele
kommt also schon hier vor.
432 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
Duns mit Sicherheit, dass der Ablass in seiner Umgebung
eine wichtige kirchliche Institution war, dass aber über seinen
AVert oder Unwert vielfach Schwankungen herrschten. Die
Gründe wider den Ablass hat Duns scharf bestimmt, ohne
ihnen beizustimmen. Aber indem er den Ablass als Bestand-
teil des positiven kirchlichen Rechtes verteidigt, hat er selbst
ihm eine geringe religiöse Bedeutung beigemessen, denn
,, sicherer^' und daher empfehlensw^ert ist es, statt des Ablasses
die satisfaktorischen Werke zu wählen. Freilich kann der
Sünder auch dieser entraten (oben S. 413. 426). Die kritische
Stimmung des Duns tritt auch in dieser Erörterung hervor.
Er hat am Treiben der quaestuarii des Ablasses keine Freude
gehabt.
19. Noch eine Frage bleibt bezüglich der Absolution übrig.
Wie, wenn die clavis scientiae irrt? Es kommt vor, dass der
Beichtiger thörichte Fragen stellt, dass er sich nach Dingen
erkundigt, nach denen ihm die Ohren jucken, dass er sich
gleichsam eine Geschichte erzählen lässt. Diese Neugierde ist
Sünde. Wenn aber der Mann neben diesen unnützen Fragen
doch auch die Hauptumstände der Sünde in Erfahrung bringt,
so wird er ein rechtes Urteil fällen. Hat er letzteres aber
versäumt, so kann sein Urteil nur durch Zufall richtig aus-
fallen (Sent. IV dist. 19 § 28 f.). Trotzdem wird dieses Urteil
an dem Empfänger von Gott „ratifiziert", da der Irrtum nicht
seine Schuld ist. Wenn dagegen der Beichtende Schmerz
heuchelt, so trifft den Beichtiger keine Schuld, da er nicht
das Herz, sondern nur das Äussere sieht; dagegen aber wird
die Absolution an dem Heuchler nicht „ratifiziert", da er ihrer
unfähig ist, wegen der mangelnden Vorbereitung (§ 29).
20. Überschlägt man diese Lehre von der Absolution, so
fällt einem sofort ein doppeltes auf. Die priesterliche Abso-
lution untersteht ganz dem scotistischen Sakramentsbegriff, und
der augustinische Zug desselben tritt dabei zu Tage: des
Priesters Worte disponieren die Seele und damit zerstört
Gott in ihr die Sünde. Indem nun mit der Absolution und
auf Grund derselben die Auferlegung der satisfaktorischen
Werke erfolgt, wird durch jene die ewige Strafe in eine zeit-
liche verwandelt. Allein es ist mögHch, dass der Sünder von
Ob Vergebung nach diesem Leben? 433
dem Vollzug letzterer überhaupt absieht, oder ihn Gott für dies
Leben oder für den Todeszustand überlässt. Mag immerhin dies
nicht als Regel gelten (s. z. B. ib. § 31), dogmatisch lässt sich
nichts dagegen einwenden. Wie aber dann , wenn man die
Zucht überhaupt lieber in Gottes Hände als in die des Priesters
stellt, oder beobachtet, dass Gott auch die Werkthäter seiner-
seits mit Leiden heimsucht (Yg\. AVessel), oder wenn man
meint, jener sakramentalen Disposition nicht mehr zu bedürfen,
um von Gott Gnade zu erhalten? Dann bricht das Buss-
sakrament zusammen! Auch hier hat Duns, wie so oft, mit
der einen Hand gebaut und mit der anderen zerstört.
21. Auf der Bahn des Lombarden fortgehend, handelt
Duns in der 20. Dist. von der Möglichkeit und Schwierigkeit
der späten Busse und in der 21. Dist. zunächst von der Frage,
ob eine Sünde nach diesem Leben vergeben werden könne? Da
der Mensch mir selig wird nach Ertragung der nötigen Strafen,
so wird der — dem die Sünde vergeben wurde — sie nach
diesem Leben tragen. Indem aber diese Strafe nicht freiwillig
getragen wird, so wird sie besonders schwer sein, quia poena
quanto minus voluntaria, tanto minus satisfactoria (d. 21 q. 1, 2).
Schwieriger ist eine andere Frage, nämhch ob für eine Sünde,
die auf Erden nicht vergeben wurde, eine jenseitige Busse
geschehen, und sie dadurch vergeben werden könne ? Die übliche
Lehre war, dass wer in einer Todsünde stirbt, der ewigen Strafen
verfällt, dass aber veniale Sünden, indem sie ja mit der Liebe
zusammen bestehen, nur zeitlich gestraft werden ; nach Alexander
von Haies gebührt auch ihnen an sich ewige Strafe, aber jenes
Zusammensein lässt sie per accidens nur zeitlicher Strafe
würdig sein (ib. § 3). Duns ist der Ansicht, dass die venialen
Sünden durchaus durch die zeitlichen Strafen des Purgatoriums
aufgehoben w^erden. Ebenso die Todsünden, falls die Absolution
die zeitlichen statt die ewigen Strafen ihnen korrespondieren Hess.
Da nun diese Verwandlung, resp. Vergebung der ewigen Strafe,
nach Gottes Willen nur bei dem, der eine voluntaria displi-
centia ordinata hat, besteht, so gilt sie natürlich nicht für den
ohne Busse in einer Todsünde Sterbenden (§ 6). Hienach
wäre die Vergebung der venialen Sünden identisch mit dem
Vollzug der Strafe für sie. Duns hat zur Ausw^ahl noch einen
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 28
434 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
anderen Weg der Betrachtung vorgelegt. Danach würden die
venialen Sünden vergeben um der guten Werke willen , die
Gott mehr gefallen, als jene Sünden ihm misfielen. Der
Sterbende würde dann im Moment des Todes selbst für die
bis zu demselben währenden venialen Sünden Vergebung er-
langen. Oder auch so, Gott kann in diesem Moment überhaupt
um der vorangegangenen Verdienste willen dem Sünder die
lässlichen Sünden vergeben (§ 8. 9). Zwischen diesen Wegen
trifft Duns keine Entscheidung, dagegen erklärt er eine Lösung,
die im jenseitigen Leben Verdienste erworben werden lasse,
für unzulässig, da der Theologe derartige sittliche Bewegungen
im Todeszustand nicht kennt (§ 10).
22. In der 2. Quästion wird darauf das Beichtgeheimnis
besprochen. Dasselbe ist vom Priester einzuhalten bis in den
Tod (§ 20). In fünf Sätzen vollzieht sich die Darstellung:
1) die Verschwiegenheit bezüglich des Beichtgeheimnisses wird
gefordert vom Naturrecht, freilich nicht, wie Richard meinte,
deshalb, weil der Priester die Beichte in Vertretung Gottes
empfange, also sobald letztere aufhöre, sehr wohl die Kenntnis
des Gehörten für seine Person in Abrede stellen dürfe (§ 4),
denn freilich hört und redet der Priester bei der Beichte für
seine Person, wenn auch mit Gottes Autorität (§ 7). Die
richtige Begründung ergibt sich dagegen von dem Gedanken
her, dass das Naturrecht uns lehrt, anderen das zu thun, was
wir uns gethan sehen wollen. Wie jeder seinen eigenen guten
Ruf gewahrt wissen wolle, so ist er es auch dem anderen gegen-
über zu thun schuldig (§ 8. 9). Ebenso lehrt das Naturrecht
die Treue zu halten, der Beichtende aber setzt voraus die
Verschwiegenheit des Beichtigers (§ 9. 10). Endlich verlangt
die Ordnung des Gemeinwesens die Verschwiegenheit des Vor-
gesetzten, würde doch sonst der Untergebene nicht seinen Rat
in geistlichen Dingen zu suchen fortfahren (10). — 2) Das
Beichtgeheimnis ist Forderung des positiven göttlichen Rechtes.
Christus hat die Beichte geboten, also soll kein Christ den
anderen von ihr abhalten. Dies würde aber geschehen durch
Preisgabe jenes Geheimnisses. Ferner soll nach Christi Willen
das Beichtverhältnis das letzte Forum sein; das wäre es aber
nicht, wenn die betreffende Sache von hier vor ein weiteres.
Das Beichtgeheimnis. Wiederkehr einer Sünde. 435
Forum gebracht würde (§ 11). — Dass 3) das Beichtgeheimnis
durch das positive Kircheurecht gefordert ist, bedarf keines
Beweises. — 4) Das Gebot des Schweigens erstreckt sich auch
auf die Personen, denen der Priester das Geheimnis aus-
plauderte, oder die zufällig die Beichte mit anhörten (13). Es
ist ein Gebot für immer. Nur scheinbar tritt bei den den
höheren geistlichen Amtern reservierten Fällen eine Ausnahme
ein, sofern der Priester verpflichtet ist über sie an jene Autori-
täten zu berichten. Aber in Wirklichkeit findet das Beicht-
verhältnis hier zwischen jenen kirchlichen Oberen und dem
Sünder statt, der Priester ist nur Dollmetscher , der aber
natürlich auch zum Schweigen verpflichtet ist, nach dem eben
Gesagten (14). Wie über die That und ihre Umstände , so
ist auch über alle an ihr beteiligten Personen zu schweigen
(§ 16). — 5) wird noch bemerkt, dass das Naturrecht überhaupt
zur Wahrung jedes uns anvertrauten Geheimnisses verpflichtet
(§ 17)-
23. Nachdem so die Absolution behandelt wurde, kommt
zur Frage, ob bei dem rückfälligen Sünder, die in der Busse
erlassenen Sünden eadem numero, d. h. als dieselben einzelnen,
zurückkehren? Nach vollbrachter Sündenthat bleibt, wie sich
früher ergab, iu der Seele die carentia gratiae oder die obli-
gatio propria ad poenam correspondentem culpae actuali.
Gott könnte nun an und für sich , d. h. nach der potentia
absoluta, sehr wohl dies, was allein wiederkehren kann, von der
Sünde, nämlich die Verhaftung unter eine bestimmte Strafe,
wieder eintreten lassen, und zwar nicht nur bei dem recidiven
Sünder, sondern auch — nach seiner freien Willkür — bei
dem, der nicht wieder fiel (dist. 22 quaest. un. § 3 — 5). Aber
die potentia ordinata schliesst in sich, dass Gott die Sünde
bedeckt und nicht doppelt anrechnet, also kann nach Ver-
gebung einer Sünde dieselbe nicht mehr wiederkehren in dem
Sinn, als wenn die durch sie bewirkte Strafverhaftung wieder
in Kraft treten würde (§ 6). Während aber die Strafe völlig
sowohl im göttlichen Denken als Wollen ausgetilgt wird, bleiben
vermöge der göttlichen Barmherzigkeit die verdienstlichen guten
Werke in seiner Acceptation erhalten (§ 7).
24. Wer von der landläufigen Vorstellung herkommt, als
28*
436 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
wenn es sich in der scholastischen Theologie wesentlich um
logisclie Spielereien und Klopffechtereien handelt, wird an-
genehm üherrascht sein von der straiFen Systematik, welche in
der Busslehre des Duns herrscht. Vergegenwärtigen wir uns
nochmals die Elemente derselben. In dem Reich Gottes herrscht
die göttliche Rechtsordnung. Dies öffentliche Recht, nicht ein
privates Rechtsverhältnis, regelt das Verhältnis des Menschen
zu Gott. AVer gegen jene Rechtsordnung sich verfehlt, wird
dadurch ein puniendus. Nun aber kann der Sünder, d. h. der
dem Strafbann verfallene Mensch, Gott oder der göttlichen
Rechtsordnung dadurch eine Genugthuung bieten, dass er selbst
an sich die Strafe vollzieht. Diese Selbstbestrafung ist der Buss-
schmerz. Derselbe kann entweder ein durch die Liebe formierter,
vollkommener sittlicher Akt sein, die Kontrition, oder ein in-
formes natürlich sittliches Handeln als ein gewisses Missfallen
an der Sünde samt dem Streben von der Schuld frei zu werden,
die Attrition, oder auch nur die Vorstufe des parum attritus.
Der Christ, dem es ernst ist mit der Selbstbestrafung, bezieht
in diese alle von Gott geordneten Formen mit hinein, d. h. er
unterwirft sich der kirchlichen Bussdisziplin. So unterfällt so-
wohl die Tugend der Bussfertigkeit als die Unterwerfung unter
das Busssakrament dem massgebenden Gesichtspunkt der Selbst-
bestrafung oder der durch sie Gott gewährten Satisfaktion.
Hier greift die göttliche Liebe durch die objektive Kraft des
Sakramentes ein. Durch die Beichte und Absolution wird die
Attrition in Kontrition verwandelt. Der gottesdienstliche Akt
bewirkt eine psychologische Wandlung im Menschen. Und jetzt
ist, sofern der satisfaktorische Reueschmerz auf das höchste
gesteigert wurde, der Schuldbann aufgehoben, der puniendus
ein non puniendus geworden. Es ist aber mehr geschehen, so-
fern die schuldige Liebe dem Menschen restituiert ist. Es
bleiben demselben, da die ewige Strafe für die Sünde auf-
gehoben wurde, nur noch zeitliche Strafen zu tragen resp. zu
leisten, oder jene wurde in diese umgewandelt. Nun ist aber
der ganze Zusammenhang auf den Zweck gerichtet, dass der
Mensch der ewigen Strafe ledig werde, dass der puniendus
zum non puniendus werde. Dieser Zweck ist aber erreicht,
indem die Absolution die Kontrition erzeugt. Die eigentliche
Zusammenfassung der scotistischen Busslehre. 437
Satisfaktion, die der Sünder bieten soll, ist der Bussschmerz
der Attritiou und Kontrition. Was darüber binausliegt, d. h.
die zeitlichen Buss werke kann er ablehnen, falls er die zeit-
lichen Strafen Gottes zu tragen bereit ist. Dasselbe gilt dann
auch von dem Ablass, der aber ausserdem an sittlicher Be-
deutung die Vergleichung mit den Pönitenzwerken nicht aus-
hält, sodass diese ihm unbedingt vorzuziehen sind. Indem
also Duns den Bussgedanken zuhöchst an der ewigen Strafe
orientiert, fallen die zeitlichen Satisfaktionen, resp. der Ablas3
nicht notwendig mit in die Busse herein. Die Satisfaktion,
durch die der Sünder aus der ewigen Strafverhaftung heraus-
tritt, hat er geleistet, indem er ein attritus und contritus wurde.
Auf diesen inneren Vorgang kommt es also vor allem an.
An dieser Darstellung fallen folgende Züge auf: 1) Die
strenge Unterordnung des ganzen Bussvorganges unter den
Gesichtspunkt der Satisfaktion. 2) Die Bestimmung der Busse
als Selbstbestrafung. 3) Die psychologische Deutung der Vor-
gänge. 4) Der Ausgang von einem Minimum der Attrition;
je geringer diese ist, desto einleuchtender wird die Notwendig-
keit des Eingreifens des Busssakramentes. 5) Die Orientierung
des Zusammenhanges an dem Gedanken, von der ewigen Strafe
frei zu werden ; nicht nur Austilgung der Sünde, sondern auch
Aufhebung der Schuld ist das Absehen. 6) Die Eliminierung
der Notwendigkeit der zeitlichen Busswerke. 7) Die geringe
Schätzung, die dem Ablass zu Teil wird.
25. Um die geschichtliche Bedeutung dieser Busslehre zu
bestimmen, müssen in einigen Yv^orten die Wendepunkte in der
Geschichte derselben berührt vvxrden. Die Busse, von der
schon Tertullian und Cyprian reden, ist ein domino offensa
satisfacere (TertuU. de poenit. 10). Der durch die Sünde be-
leidigte Gott wird durch Reue und fromme Werke als die ihm
dargebotene Satisfaktionen umgestimmt. Die Vergebung haftet
an der Satisfaktion, die man immer mehr in bestimmte Werke
setzte (schon Cyprian). Ebenso hat auch das frühere Mittel-
alter im Prinzip die Absolution an die Werksatisfaktion ge-
knüpft. Indem nun aber faktisch die Absolution letzterer vor-
ausging und dies, besonders durch die Kreuzzüge, geradezu zur
Regel wurde, haben Abälard und die ihm folgenden Theologen
438 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Busse.
die Vergebung an die Kontrition geschlossen, die Satisfaktion
dagegen bloss auf die zeitlichen Strafen bezogen.^) Damit
schien aber die Notwendigkeit der Beichte und Absolution auf-
gehoben zu sein. Nach dem Vorgang des Hugo von St. Viktor
wurde das eigentliche Wesen des Sakramentes in die Abso-
lution und Beichte verlegt. So die grossen Scholastiker, auch
Uuns Scotus. Damit stellte sich aber sofort eine neue Schwie-
rigkeit ein. Das kirchliche Interesse verlangte die Betonung
der Absolution, aber nach alter Vorstellung haftete die Ver-
gebung als direkte Gottesthat eigentlich an der Kontrition. Der
Ausweg aus diesem Dilemma bestand darin, dass faktisch der
Begriff der Attrition die Führung übernahm, die Kontrition als
Folge der Absolution gefasst wurde. Aber auch damit war
das Problem des Busssakramentes nicht gelösst. Es blieb die
Frage: bringt die Absolution die Gnade als Sündenvergebung,
wozu dann die Satisfaktion oder die Ablässe? Hier setzt die
ernste Kritik des späteren Mittelalters ein. Nicht auf ein
corpus contritum, sondern auf ein cor contritum komme es an,
wie Wessel (opp. p. 801) sagt. So sind im Lauf der geschicht-
lichen Entwicklung die verschiedenen Elemente des Busssakra-
mentes betont w^orden als Mittel zur Sündenvergebung, zuerst
die Satisfaktion, dann die Kontrition, dann die Absolution.
Aber jede derartige Betonung eines der Elemente bewirkt die
Eliminierung eines anderen : Ist es die Satisfaktion, wozu dann
die Kontrition ? Ist es die Kontrition, wozu dann die Ab-
solution? Ist es die Absolution, wozu dann die Kontrition und
die Satisfaktion samt den Ablässen? 'Das wird einen nicht
wunder nehmen, wenn man überlegt, aus wie disparaten Ele-
menten das Busssakrament komponiert ist. Der evangelische
Gedanke, dass wer bussfertig seine Sünden bereut, Vergebung
hat, ist verbunden mit der juristischen Auffassung des Ver-
hältnisses zu Gott, welche die Erlegung einer Satisfaktion, die
Erwerbung von merita fordert, das Ganze in den Zusammen-
hang des Kirchenrechtes geschoben.
1) Vgl. zu diesem „Umscliwung" ausser dem massgebenden Werk von
Morinus. Comment. historicus de disciplina in administr. sacram. poenit.
Paris 1651, die lehrreiche Untersuchung von K. Müller in den Weizsäcker
gewidmeten Abhandlungen (1892) S. 289 ff.
Historische Bedeutung der scotistischen Busslehre. 439
Mau muss diese Entwicklung im Sinn l)elialten, um die
Gedankenarbeit des Duns Scotus voll zu würdigen. Duns
scheint zunächst ganz auf den Boden der altkirchlichen Be-
trachtungsweise zurückzutreten: die gesamte Busse ist eine
grosse, Herz, Mund und Werk umfassende, Gotte dargebrachte
Satisfaktion. Aber er hat diese Gedanken dadurch modifiziert
und verbessert, dass er das Verhältnis zu Gott nicht als privat-
rechtliches fasst und Gott nicht als durch die Satisfaktion be-
stimmt und verändert ansieht. Was er meint, ist doch nur,
dass in Gottes Reich die Ordnung gilt, dass niemand Vergebung
seiner Sünde erhält, als wer sich selbst um ihretwillen strafte.
Das ist aber etwas anderes als die alte Deutung des satis-
facere. Zudem will beachtet sein, wie stark für Duns der
Nachdruck auf die inneren Vorgänge des Reueschmerzes fällt.
Man könnte meinen, dass er mit Abälard geht, auf die Kon-
trition kommt alles an. Aber er hat den Lombarden, der dies
Abälard und Augustin nachsprach, widerlegt. Die Kontrition
ist nur ein Produkt der auf die Attrition gesetzten Absolution.
Das trifft allerdings mit der gemein scholastischen Lehre zu-
sammen: um das Sakrament zu halten, wird die Kontrition
aus einer Voraussetzung eine Folge der Absolution. Aber
doch fällt die Lehre des Duns keineswegs mit der üblichen
zusammen. Dort handelt es sich um Austilgung der Kon-
kupiszenz, bei Duns zuhöchst um Aufhebung der Schuld ; dort
ist die eingegossene Gnade eine konkrete Grösse, bei Duns ein
fragwürdiges Etwas, das die Richtung des Menschen bestimmt,
ihn schmückt und vor Gott wert macht. Da drängt sich ge-
radezu die rein psychologische Deutung des Vorganges auf,
die wir oben darlegten. Die Feierlichkeit der Stunde, die
Nähe Gottes, die Zusicherung seiner Gnade wandelt den An-
fangsschmerz über die Sünde — wie gering er auch war —
in den tiefen, vollen, von der Liebe zu Gott getragenen Reue-
schmerz, auf den es ankommt. — Endlich aber ist auch nicht
zu verkennen, wie die Gedanken des Duns die satisfactio operum
sowie die Ablasstheorie entgründen.
440 Kap. IV : Sakramente ; die letzte Ölung, die Ordination.
5. Die letzte Ölung.
Die letzte Ölung ist das signum efficax finalis remissionis
venialium, und zwar bezeichnet in wirksamer Weise die Salbung
des Priesters mit dem vom Bischof geweihten Öl, indem zu-
gleich von ersterem bestimmte Worte gesprochen werden, die
schliessliche Heilung dieser Sünden (ex institutione divina effi-
caciter significans curationem finalem venialium, IV dist. 23
quaest. unica § 3). Das Sakrament setzt den Gnadenstand
voraus und ist nur an solchen zu vollziehen , die fähig sind
seinen Vollzug selbst zu wollen (ib.). Eingesetzt wurde es
von Christus, Jakobus hat es aber promulgiert (ib. 7). Gesalbt
wird der Sterbende aber an den Organa potentiarum, mit denen
er häufig veniale Sünden verbrochen hat, utpote Organa quinque
sensuum et potentiae motivae (4).
6. Die Ordination.
1. Auch der Ordo wird von Duns nur kurz behandelt.
Er wirft die Frage nach dem Eecht der sieben ordines auf.
Die Definition Bonaventura's : sacramentum ordinis est potestas
spiritualis ad aliquem actum exequendum in ecclesiastica
hierarchia ist offenbar falsch. Nach ihr wäre der Episkopat
doch auch ein besonderer ordo, was aber Bonaventura selbst
leugnet. Ausserdem gäbe es, nach dieser Definition, keine anderen
dem Priestertum untergeordneten Ordines, da diese keine wirk-
liche geistliche potestas besitzen. Zum dritten müsste das
Priestertum, da es über zwei Potestäten, die Konfektion des
Abendmahls und die Absolution, verfügt, zwei ordines in sich
schliessen (IV dist. 24 quaest. unica § 2). Nun bezeichnet der
Ausdruck ordo im staatlichen Leben sowohl die rechte Ab-
stufung der Gesellschaft nach der Gleichheit und Ungleichheit
der Personen, als den gradus praeeminens, der den leitenden
Personen zusteht. Da nun auch die Kirche politia ordinata
ist, erscheint es angemessen in diesem doppelten Sinn von
ordo in ihr zu reden, wobei die erste Bedeutung die zweite
schon in sich schliesst (§ 3). Ist der ordo also ein gradus, so
kann er an sich keine potestas sein, sondern nur die geeignete
Disposition zu einer solchen abgeben. Die hervorragenden
Ordo und ordinatio ; ob der Episkopat ein ordo? 441
actus ecclesiae sind aber diejenigen, die auf die Sakramente
Bezug haben. Also würde der ordo ein gradus disponens ad
aliquem actum sacramentalem sein (4). Ist es das um den
ordo, so ist es klar, dass er an sich, indem ein gradus spiri-
tualis, kein Sakrament ist, das Sakrament ist als ordinatio
zu bezeichnen; und diese ist die Handlung und das wirksame
Zeichen, das die Gnade bezeichnet, durch die der Ordinierte
den Gottesdienst zu verrichten vermag (ex institutione divina
efficaciter signans gratiam praeeminentem qua ordinatus digne
aliquod miuisterium exequatur, 1. c. § 8). Da aber der höchste
Akt der Kirche die Konsekration ist, ist zu sagen : supremus
gradus sive nobilissimus propter nobilitatem actus, ad quem
disponit, est sacerdotium. Ist aber die Ordination Mitteilung
der Kraft sich am Gottesdienst zu bethätigen, so wird die
Ordination bei allen sieben ordines irgend eine Beziehung zu
der obersten gottesdienstlichen Bethätigung haben. Der erste
Grad befähigt also zur Konsekration, der zw^eite (Diakonat)
zur Austeilung Avenigstens des Blutes, das Subdiakonat zur
Darreichung materiae eucharistiae consecrandae. ^) Zur ge-
hörigen Stimmung der Gemeinde auf den Empfang der Eucha-
ristie erweisen sich die übrigen Amter als dienlich, indem der
Akoluth die Devotion durch Anzünden der Lichter fördert,
der Lektor die Erkenntnis mehrt, während der Ostiarius
die Unwürdigen, der Exorcist aber die Dämonen zurückhält
(1. c. § 7).
2. Hier ist nun eine viel behandelte Streitfrage zu er-
wähnen, ob nämlich der Episkopat als besonderer ordo anzu-
sehen sei? Die Konsequenz der Entwicklung führte gewiss zu
diesem Resultat ; dem entsprechend haben die Kanonisten auch
so gelehrt. Duns führt die Gründe für und wider an. Der
Episkopat ist ein besonderer ordo, weil ihm besondere Sakra-
mente vorbehalten sind (1. c. § 4). Dies kann behauptet
werden, unbeschadet der Anerkennung des Priestertunis als
des höchsten Amtes, indem der Priester zwar zum höchsten
Sakrament, der Bischof aber zu der Gesamtheit der Sakra-
^) Hierin, und nicht in Verlesung des Evangeliums und der Epistel,
besteht sonach der proprius actus des Diakonus und des Subdiakonus.
442 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Ordination.
mente Beziehung hat. In den Reportata (lY dist. 24 quaest. 1, 9)
gab Diins der Sache die Wendung, dass hoher als das con-
ficerc stehe das posse constituer(3 aliquem in illa eminentia
cui competit talis actus. Er folgert daraus, dass der Epis-
kopat der achte ordo sei, der die Aufgabe habe die übrigen
ordines zu verleihen. Auch in dem Oxoniense scheint Duns
die Ansicht zu vertreten, dass der Episkopat ordo sei, aber
Deutliches bietet er nicht. Gegen Thomas, der gegen jene
These ist, wird bemerkt, dass dann auch nicht darüber ge-
stritten werden könne, ob der Papst Bischöfe absetzen könne ;
denn gibt es keinen bischöflichen ordo, so kann der Papst als
der Inhaber der obersten Jurisdiktion die bischöfliche wie
jede andere Jurisdiktion aufheben (§ 6). Auch hier war
Thomas der konsequentere Vertreter des hierarchischen Ge-
dankens, der Episkopat als ordo bildet ein mächtigeres Boll-
werk gegen die papalistischen Ideen, die bloss jurisdiktioneile
Bedeutung des Episkopates fügt sich jenen Tendenzen.
3. Duns schliesst seine Erörterungen über dies Sakrament
mit kirchenrechtlichen Erwägungen betreffs der Frage, ob eine
poena canonica die Erteilung eines ordo an jemand, bezw. die
Annahme des ordo durch denselben ausschliesse. Ein kano-
nische Strafe ist eine von den Canones ausgesprochene oder in
Gemässheit der Grundsätze derselben verhängte Strafe, die
darin besteht, dass sie den Betreffenden ausschliesst von
einem kirchlichen Grad, der ihm an sich zusteht. Es sind
sieben oder sechs : ^) Depositio d. h. totalis amotio a statu
clericali, verbunden mit der Degradatio, die sich aber auch
nur auf einen determinatus gradus beziehen kann. Durch die
Absetzung wird allerdings die licentia exercendi actum cuius-
cunque ordinis samt den besonderen Privilegien (geistliche
Gerichtsbarkeit) entzogen, nicht aber der Charakter und die
Fähigkeit zu jener Thätigkeit. Verhängt wird sie wegen haeresis,
Schisma, revelatio confessionis ; nur der Papst vermag sie auf-
zuheben (1. c. quaest. 1, 4). Ferner die Infamia, d. h. publice
notatus de crimine. Für das bürgerliche Leben ist diese Strafe
^) Zuerst (IV dist. 25 quaest. 1. 3) zählt Duns sieben, später sechs
(ib. §§ 13. 15), indem die zwei ersten zusammengehören.
Kanonische Hindernisse des Ordo. 443
noch schwerer als die Entsetzung, weil die Person verächtlich
geworden ist und bleibt, auch wenn sie Busse gethan hat. Es
folgt die Irregularitas : et ista est inhabilitas ad susceptionem
et executionem actuum ordinum. Dieselbe haftet an Simonie,
an der Erschleichung des ordo, ^) dem Dienst in einem nicht
empfangenen ordo, der Nichteinhaltung der Kirchenstrafen
(ib. § 7 f.). Wie diese Vergehen die Irregularität zur Folge
haben, so auch etliche Geschicke, die nicht persönliche Ver-
gehen darstellen, so der Sklavenstand oder die illegitime
Geburt, da so Geborene praesumuntur imitatores paternae
incontinentiae und male educati; sowie enormis mutilatio vel
infirmitas , Todschlag in der Notwehr etc. Bezüglich dieser
werde aber leicht Dispens erteilt (8. 9). — Ferner kommt als
kanonische Strafe in Betracht die Excommunicatio (11), das
Interdictum: arctatio a quibusdam actibus ecclesiasticis exer-
cendis vel ab assistendo quibusdam talibus. Aber in der Regel
haftet das Interdikt an bestimmten Orten (13). Schliesslich
die Suspensio, quae est prohibitio ab aliquo alias conveniente,
et hoc ad tempus (13).
Um nun auf die Frage, von der Ausgang genommen
wurde, zurückzukommen, ist zu sagen, dass die fünf zuletzt
genannten kanonischen Strafen de iure die Kollation oder
Susception der ordines aufheben, da die Kirche es ist, die
ihre Diener einsetzt. De facto aber können dieselben die
Ordination wirksam erteilen und empfangen, da keine Bedingung
zu diesem sakramentalen Handeln ihnen verloren gegangen ist.
Ob aber auch bei der Degradation, zumal wenn sie an einem
Bischof vollzogen wurde, die Fähigkeit zu ordinieren bleibt,
das sei fraglich (§ 14). Die Antwort hängt damit zusammen,
ob man den Episkopat für einen ordo ansieht oder nicht
(s. oben). Es ist klar, dass im ersteren Fall jene Fähigkeit
bleibt, im letzteren aufhört.
Kindern und Weibern müssen die ordines versagt bleiben
(ib. quaest. 2, 3). Die Kirche hätte das weibliche Geschlecht
^) Bezüg-lich des furtum in ordine wird unterschieden : aut prohibetur
per excommunicationem, ne quis accedat nisi de illo episcopatu et
prius legitime examinatus et receptus, aut non est taHs excom-
municatio vel prohibitio (ib. 8).
444 Kap. IV: Die Lehre von den Sakramenten; die Ehe.
sicher nicht von den ordines ausgeschlossen , wäre das doch
eine grosse Ungerechtigkeit wie gegen das ganze Geschlecht,
so auch die einzelnen, wenn die lex divina es nicht geböte (4).
7. Die Ehe.
1. Schliesslich behandelt Duns das Ehesakrament.
Nachdem er dargelegt hat, dass die Ehe als unlösliche Ehe
und durch den freiwillig geschlossenen Vertrag der gegenseitigen
Überlassung der Leiber zu einer sittlichen Gemeinschaft wird
(wovon weiter unten gehandelt werden soll), zeigt er, dass es
angemessen ist, wenn Gott zur Erfüllung der übernommenen
schweren Pflichten Gnade gewähre (IV dist. 26 quaest. unica
§ 11). Diese aber gibt Gott durch ein wirksames sinnliches
Zeichen oder ein Sakrament. Hieraus ergibt sich eine Anzahl
dogmatischer Fragen.
2. Zunächst: von wem und wo wurde dies Sakrament ein-
gesetzt? Man kann antworten im Paradiese nach Gen. 1, 28.
Allein dagegen spricht, dass alle Sakramente im Hinblick auf
das Leiden Christi eingesetzt sind, das kann von jener noch
im Stande der Unschuld geschehenen Einsetzung aber nicht
gesagt werden. Auch Matth. 19, 4 ff. und 1. Kor. 7 bieten keinen
Bericht einer Einsetzung des Sakramentes. Daher könnte man
wohl das Sacramentum magnum (Ephes. 5, 32) ganz allgemein
pro signo sacrae rei fassen, worauf der Zusammenhang der
Stelle führe, da die Ehe doch nicht ein signum efficax be-
züglich der Verbindung der Kirche mit Christo sein kann
(ib. § 12). Da aber, fährt Duns fort, die Kirche die Ehe zu
den sieben Sakramenten rechnet: non est aliter sentiendum
quam sentit ecclesia romana. Dann muss aber auch ange-
nommen werden, dass Christus dies Sakrament eingesetzt hat
(§ 13). Christus hat also Matth. 19 die Ehe als solche nicht
eingesetzt, wohl aber sie als Sakrament eingesetzt; und zwar
mit den Worten: „was Gott zusammengefügt hat. soll der
Mensch nicht scheiden". Hienach werde der menschliche Kon-
trakt begleitet von der gnädigen Verbindung durch Gott. Die
Form ist dann, wie bei allen Sakramenten, ein sinnliches
Zeichen, das nach Gottes Willen ein wirksames ist. Aber auch
so betrachtet, bleibt die Sache zweifelhaft. Mau kann nämlich
Einsetzung der Ehe, sakramentale Wirkung. 445
Dicht sagen, dass Gott bestimmte Worte zum Zeichen eingesetzt
hat (etwa : accipio te in meam vel in meum), denn auch ohne
diese Worte ist Ehe. Ebensowenig können überhaupt irgend-
welche Worte als Zeichen dienen, denn auch Stumme können
eine christliche Ehe scliliessen. Also kann nur gesagt werden,
dass in lege evangelica jede Ehe, die nach menschlicher Ord-
nung durch irgend ein Zeichen abgeschlossen wird, Sakrament
ist, indem jenes Zeichen das sakramentale signum efficax ist
(§ 14). Da nun die Ehe geschlossen werden kann auch von
den Nupturienten selbst oder ihren Eltern, und da jede mensch-
liche Form des Eheschlusses — nach Obigem — der Träger
der sakramentalen Gnade ist, so muss gesagt werden, jeder,
der im. stände ist minister in contractu matrimonii zu sein,
ist auch minister huius sacramenti (§ 15).
Die Wirkung dieses Sakramentes ist aber die Gnaden-
mitteilung, die eintritt, sofern die Nupturienten frei sind vom
obex der Todsünde, bezw. für diese Busse gethan haben. Im
Besonderen ist die Wirkung gratiosa coniunctio animarum (ib.).
3. Hienach w^äre also jede geordnete Eheschliessung inner-
halb der Christenheit, sie sei in noch so privaten oder auch
„zivilen" Formen vollzogen, eo ipso auch Sakrament. So hat
Duns gelehrt, erst nachträglich schränkt er diesen freisinnigen
Gedanken ein. Sollte man nämlich für das Sakrament ein
bestimmtes Zeichen und besondere Diener für notwendig halten,
so müsste man sagen, dass nicht jeder christliche Eheschluss
Sakrament ist, dass aber jeder Gnade bringe, non tarnen
tantam gratiam quantam perciperent cum sacramento, maxime
si impossibilitas non excuset (ib.). Lässt man aber die Ge-
danken des Duns in ihrer Konsequenz auf sich wirken, so ist
deutlich, dass er eigentlich das Ehesakrament aufgehoben hat.
Die Ehe ist Produkt einer rein menschlichen Abmachung, die
Gott mit seiner Gnade begleitet. Nur der kirchliche Positi-
vismus bewirkt, dass Duns sie doch als Sakrament gelten
lassen will. Über die weiteren zum Teil sehr eingehenden
Erörterungen des Duns über die Eheschliessung und die Ehe-
hindernisse werden wir besser weiter unten bei Besprechung
der Ethik des Duns referieren können.
Fünftes Kapitel.
Die jenseitige Vollendung und die diesseitige Vollkommen-
heit der Christenheit.
I. Die Yollendung.
1. Die Auferstehung.
1. Wir haben nun weiter über die eschatologischen
Gedanken des Duns, die er im weiteren Verlauf des 4. Buches
dargelegt hat, zu berichten. Indem die Eschatologie die höchsten
Ideale wie die tiefste Depravation, das Beste wie das Schlimmste
des Lebens, zum Ausdruck bringt, lässt sie einen tiefen Blick
in das religiöse Empfinden eines Zeitalters thun. Es ist daher
methodisch richtig, die Eschatologie eines Dogmatikers nicht
nur obenhin zu berühreo, sondern eingehend zu studieren. In
wie lehrreicher Weise stechen doch die ,, heilsge schiebt -
liehen" Erwägungen in der Eschatologie etwa unseres Jahr-
hunderts ab von der Konzentrierung des gesamten Interesses
auf die Schilderungen der persönlichen Seligkeit und Unselig-
keit im Mittelalter. Wir werden dem auch bei Duns begegnen.
Daneben aber berührt auf diesem dunkeln Boden eigentümlich
der ungeheure dialektische Apparat, der in Bewegung gesetzt
wird. Doch man begreift das, wenn man erwägt, dass je un-
bekannter und je weniger durch positive Grenzen eingeschränkt
ein Gebiet ist, desto kecker die dialektische Kunst ihre Würfel
darüber rollen lassen kann.
2. Wir handeln zunächst von der allgemeinen Auf-
erstehung. Gegen die Möglichkeit einer solchen kann nichts
Die Auferstehung nicht beweisbar. 447
eingewandt werden, da Gott wie das creari, so auch post
annihilationem ein recreari eintreten lassen kann , ohne dass
einer anerkannten Wahrheit ein Widerspruch daraus erwüclise
(IV dist. 43 quaest. 1, 3). Sonst würde es auch Gott unmög-
lich sein müssen, tote Tiere wieder lebendig zu machen, was
doch Heihge gethan haben (ib. 5). Weder von selten Gottes,
noch von selten der menschlichen Natur ist solch ein Wider-
spruch zu erbringen (10). Allein ein rein rationaler Beweis
lässt sich trotzdem nicht führen für die Auferstehung. Ver-
weisungen auf das desiderium naturale genügen hier ebenso
wenig, als die allgemeinen Erwägungen der Notwendigkeit das
Ziel zu erreichen etc. (ib. quaest. 2, 1. 29). Der rationale
Beweis wäre nur zu führen, wenn drei Voraussetzungen der
natürlichen Vernunft durchaus festständen, nämlich dass die
intellektuelle Seele die spezifische Form des Menschen ist, dass
sie unzerstörbar ist und dass sie als die spezifische Form des
Menschen nicht dauernd ausserhalb des Körpers bestehen könne
(§ 4). Die erste Voraussetzung ist freilich allgemein anerkannt
und lässt sich zudem leicht beweisen aus der Thatsache des
Denkens. Da diese Funktion sich deutlich von der sinnlichen
Wahrnehmung unterscheidet und unsinnlich ist, so muss sie
ein nichtsinnliches Subjekt haben und das ist die Seele (ib. § 12).
— Dagegen können die Gründe des Aristoteles für die Un-
sterblichkeit der Seele nicht für zwingend anerkannt (§16 ff.),
und dass die Seele des Leibes bedarf, nicht einleuchtend ge-
macht werden (§ 24). So wenig der Beweis mit diesen Mitteln
sich führen lässt, so wenig genügt der Nachweis aus dem Gegen-
satz von Handeln und Geschick, der einen Ausgleich fordere,
da der hiebei leitende Gedanke von einem gerechten Lenker
der Welt in der natürlichen Vernunft nicht einfach voraus-
gesetzt werden darf (§ 27). Daher kann die Auferstehung aus
dem lumen naturale weder a priori noch a posteriori bewiesen
werden : ergo hoc tanquam omnino certum non tenetur nisi per
fidem (§ 28).
3. Die Wiederherstellung des Leibes bei der Auferstehung
ist nicht von der Natur selbst gewirkt. Nicht durch eine
natürliche Entwicklung kommt sie zu stände und nicht richtet
sie sich auf eine solche, sondern es ist eine plötzliche und mit
44.3 Kap. V: Die jenseitige Vollenduüg etc. der Christenheit.
einem Mal abgeschlossene Wiederherstellung (ib. quaest. 3, 20).
Ebenso wird auch Gott die Seele mit diesem Leibe vereinigen,
wie ja er auch bei der Generation die Seele erschafft und dem
Leibe eingiesst. ^) Ist auch bei derAViederbelebung die Seele
die causa lormalis, so ist doch von dieser die causa efficiens
(Gott) zu unterscheiden (§ 21). Da nun Gott die wirkende
Ursache bei der Wiederbelebung ist, so erscheint es ange-
messen, diese als in instanti geschehend vorzustellen. Die
Wiederherstellung des Leibes, wie die formatio oder Beseelung
desselben geschehen also in einem Moment (ib. quaest. 5. 4. 7)
und zwar so, dass beides zeitlich zusammenfällt, obgleich eine
doppelte mutatio von Gott gewirkt wird (§ 8); dagegen soll
die Sammlung der zerstreuten Leibespartikeln allmählich und
in der Zeit, weil von zeitlichen Engeln ausgeführt, geschehen
(§ 3). Weiter behauptet Duns, dass die Toten nicht alle gleich-
zeitig erstehen werden. Da nämlich Christus und Maria ge-
storben sind ,' ist anzunehmen , dass auch die das Ende er-
lebenden Menschen sterben werden. Dann ist es aber walir-
scheinlich, dass die übrigen Toten vor ihnen erstehen (ib. 10. 3).
Das Gericht wird sich kaum zu Mitternacht vollziehen, da die
betr. Bibelaussagen bildlich zu nehmen sind, sondern zur
Stunde der Auferstehung oder des Gerichtes vor Pilatus oder
des Todes Christi. Als Ort denkt man sich das Thal Josaphat
(§ 12).
4. Endlich wird eine Untersuchung über die Beschaffenheit
des Aufcrstehungsleibes angestellt, wobei eine Anzahl physio-
logischer Erörterungen mitunterläuft. Das Resultat ist in
Kürze folgendes. Der Mensch wird in der Form erstehen,
die sein Leib im 30. Lebensjahr hatte oder gehabt hätte
(IV dist. 44 quaest. 1, 15). Dieser neue Leib wird hergestellt
aus den besten Bestandteilen des einstigen Leibes, nämlich aus
dem von den Eltern ererbten Fleisch, und von den besten
Teilen, die durch die Nahrung allmählich dem Leibe agge-
neriert wurden ; doch kommt hievon nur soviel in Betracht
als nötig ist, um mit jenem ersten Bestandteil zusammen die
angegebene Quantität zu erreichen (§ 16). Hieraus ergibt
^) Duns ist Kreatianer, wie auch die übrigen Scholastiker.
Gericht, Seligkeit, Verdammnis. 449
sich, dass der Auferstehuiigsleib natürlich nicht präzis identisch
sein kann mit irgend einer Leibesform, die der Mensch in
einem besonderen Moment seines irdischen Lebens hatte, denn
nur das elterliche Erbe wird identisch sein, alles Übrige ist
ja freie Auslese aus vielen gegebeneu Elementen (§ 17).
Soviel über die Auferstehung. Sie ist, wie gesagt, Glaubens-
artikel im strengsten Sinn, weil durch vernünftige Betrachtung
nicht zu erweisen.
2. Gericht, Seligkeit, Verdammnis.
1. Hieran schliessen wir die Frage, ob ein allgemeines
Gericht zu erwarten ist? Unter diesem Gericht ist zu ver-
stehen die absolute Bestimmung bezüglich von Lohn und Strafe
nach Massgabe des Verdienstes (dist. 47 quaest. 1, 4). ^) Für
die positive Behauptung der Allgemeinheit dieses Gerichtes
lässt sich ein Vernunftbeweis nicht erbringen. Als Wahrschein-
Hchkeitsgründe kann man die Notwendigkeit einer Trennung
der Guten und Bösen, die Offenbarung der annoch verborgenen
Gerechtigkeit Gottes über alle Menschen, die Trennung der
beiden Reiche, indem die einen zum Eeich Gottes bestimmt
sind, diese also auch einmal offenbar in seinen Besitz treten
müssen (ib. § 5). Allein, abgesehen von diesen Beweisen, ist
das Gericht positiv sicher. — Dass das Gericht Zeit ausfülle,
ist nicht erforderlich, da Gott allen momentan einflössen kann
zusammen mit der Erkenntnis seiner Sentenz die Einsicht in
ihre Gründe (§ 6 f.). Dies Gericht wird Christus ausführen
nach der Schrift, aber nicht in der forma servi (Thomas)
sondern in der ihm dermalen eignenden forma gloriosa
(IV dist. 48 quaest. 1, 10). Doch kommt für Ausübung des
Gerichtes seine Menschheit nur mehr „kommissarisch" in Be-
tracht; da dies Gericht Allwissenheit wie Allmacht im Eichter
^) Dass aber jemand, der Lohn verdient hat, darum um den Lohn
kommen könnte, dass er im Augenblick des Todes einen obex vorschöbe,
ist dadurch ausgeschlossen, dass er, indem den Lohn auch das Nichtvor-
handensein eines solchen jenen hindernden Momentes verdiente, II dist. 5
quaest. 1, 6.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 29
450 Kap. V : Die jenseitige VoUendunpf etc. der Christenheit.
voraussetzt, wird er es zunächst nach seiner göttlichen Natur
ausüben (ib. §§ 4. ly)
2. Wie Auferstehung und Gericht den Bcisen und den
Guten gemein ist, so kann auch für beide geraeinsam die
Untersuchung nacli der Erkenntnis der abgeschiedenen Seelen
geführt werden. Da die Erkenntnis durch die Erfassung der
species intelligibiles zustande kommt und ein rein geistiger Akt
ist (s. oben S. 104), so ist Erkenntnis auch ohne Sinnlichkeit
möglich, indem die geistig ergriffenen und festgehaltenen Spezies
dem Geist bleiben können, ohne dass das Medium der Sinnlich-
keit fortbesteht (IV dist. 45 quaest. 1, 3. 4). Alle Erinnerung
versteht sich nämlich nicht sowohl als Erneuerung der Ein-
drücke der äusseren Objekte, denn als eine Vergegenwärtigung
der inneren Akte, die wir in Bezug auf jene Objekte vollzogen
haben. Hieraus ergibt sich dann auch, dass der abgeschiedene
Geist nicht nur in Bezug auf die einzelnen Objekte, sondern
auch auf ihre Verbindung Erkenntnis hat (1. c. quaest. 3, 4 ff.
7 ff. 20 f.). Die Erkenntnis war hier im Sinn der Erinnerung
genommen. Nun fragt es sich aber weiter, ob die abge-
schiedenen Seelen auch neue Erkenntnis zu erwerben ver-
mögen? Thomas wie auch Gottfried halten an sich eine Ver-
mittlung für nötig zwischen dem geistigen Bild und dem
äusseren Sein. Doch soll es auch möglich sein, dass der von
der Sinnlichkeit frei gewordene Geist durch den Einfluss
höherer Substanzen, wie Gottes oder der Engel, Erkenntnis
empfange. Schon auf Erden bahne sich dies in etwas an, wie
im Schlafeszustand oder im Excessus empfangene Offenbarungen
das zeigen (1. c. quaest. 2, 3. 4). Allein bei dieser Betrachtung
wird nach Duns der Würde des Geistes Abbruch bereitet, in-
dem man ihm eine Funktion abspricht, die ihm zukommt,
nämlich Erkenntnis zu erwerben. Man behandelt also den
Geist schlechter als etwa einen Stein. Dazu kommt, dass man
unnütz eine Vielheit von Faktoren zur Erklärung einer Er-
scheinung herbeizieht, was gegen eine Lieblingsregel des Duns
verstösst (§ 5). Die Berufung auf Schlaf und Ekstase verfängt
^) Das wäre einer der wenigen Fälle, in denen abendländische Dog-
matiker aus der Gottheit Christi praktische religiöse Folgerungen ziehen..
1
Die Erkenntnis der Abgeschiedenen. 451
deshalb Dicht, weil nicht gezeigt werden kann, dass die Tiefe
des Schlafes die Erkenntnis fördert; oder es müsste denn der
Epileptiker fähig sein eine besondere Fülle von Offenbarungen
zu empfangen, wie Mohammed gemeint habe (10). Die Ekstase
aber sei doch oft ein Produkt des Wachens (11).
Nach Duns eigener Meinung kann der abgeschiedene Geist
freilich neue Erkenntnisse erlangen. In ihm haften nämlich,
wie wir sahen, eine Anzahl von Begriffen (durch die Er-
innerung). Indem er mit diesen operiert, kann er neue Be-
griffe und Einsichten erwerben (12). Wenn Gott solche un-
mittelbar einflösste, so könnten diese in der Seele nur das un-
deutliche und unlebendige Bild von einem Sein, nicht aber die
geistige Anschauung wirklichen und konkreten Seins erwecken
(13); ebenso wäre eine bekehrende Einwirkung im Limbus
unter jener Voraussetzung nicht als notwendig zu verstehen
(ib.). Es ist aber das Resultat des Duns offenbar mit einer
Einschränkung zu versehen. Der abgeschiedene Geist kann,
nach Obigem , doch keineswegs die Erkenntnis neuer Objekte
erwerben, diese könnte ihm ja nur von aussen her zugeführt
werden. ^) Sein Vermögen zu neuer Erkenntnis beschränkt
sich also auf die Kombination der früher während seines
Erdenlebens erworbenen Begriffsbilder. Diese Erörterung
bietet wieder Anlass die geistige Sicherheit des Duns zu be-
wundern. Der neue Gedanke wird nicht durch irgendwelche
ad hoc erfundenen Faktoren gewonnen, sondern unter deutlicher
Wahrung der dem Denker feststehenden erkenntnistheoretischen
Sätze. Auch für das Totenreich wird keine Erkenntnis der
gegenwärtigen Welt preisgegeben. Soll es auf diesem Gebiet
zu einer Erkenntnis kommen, so kann nur der Weg der
Lebendigen zu ihrer Eruierung benützt werden. Das ist eine
grosse methodische Wahrheit, mag das Einzelne bei Duns uns
noch so wunderlich anmuten.
3. Nachdem wir so an der Hand des Duns uns im all-
gemeinen über Auferstehung und Gericht verständigt und so-
*) Daher werden die Seligen die Gebete derer, die sich auf ihre
Verdienste berufen, durch besondere Offenbarung Gottes kennen lernen
(IV dist. 45 quaest. 4, 4).
29*
452 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
dann seine Meinung über die Seelen der Abgeschiedenen kennen
gelernt haben, wenden wir uns dem Zustand der Verdammten
und der Seligen zu.
Die Verdammten kommen in einen Strafzustand. Die
Strafe besteht in der empfindbaren Abwesenheit eines Gutes,
das der vernünftigen Kreatur als solcher zusteht, und in der
empfindbaren Anwesenheit eines Übels, das ihr nicht zusteht,
dem malum culpae und der poena damni (IV dist. 46, quaest.
4, 4). Indem das Denken wie das Wollen hiedurch gebunden
wird, ergibt sich ein Zustand der Traurigkeit sowohl über diese
Beschränkung als über ihren Grund, d. h. die Sünde. Das ist
die poena vermis (5).
4. Hier müssen wir die interessante Betrachtung einschieben,
die Duns über die Feuerstrafe der Unseligen anstellt. Zu-
nächst wirft er die Frage auf, wie das Feuer die bösen Geister
quälen könne? Thomas und Agidius meinen, das geschehe,
sofern die Geister es als ein disconveniens auffassen. Dagegen
sagt Duns, ist das richtig, so ist jedenfalls der Ausdruck dis-
convenientia zu unbestimmt. Es kann aber auch als falsch
erwiesen werden, da in dem Fall die Qual nicht vom Feuer,
sondern von einer verkehrten Auffassung desselben ausginge, und
wie soll ein Engel zu einer solchen kommen? Heinrich führt
die Qual zurück auf einen übernatürlichen Habitus, vermöge
welches sie die Feuerqual empfinden. Aber dieser Habitus
müsste entweder geistig oder leiblich sein; ist er geistig, so
nützt er nichts, da er zur Erduldung von Wirkungen des
Feuers nicht mehr proportioniert wäre, als der an sich seiende
Zustand der Geister; soll der Habitus aber leiblich sein, so
spricht man etwas Widersinniges aus, etwa als wenn man von
einem weissen Engel oder einem weisen Stein reden woUte!
Also ist es auch hiemit nichts (IV dist. 44 quaest. 2, 3 f.).
Ein sinnlicher Schmerz kann also nicht die Wirkung dieses
Feuers sein (5). Die Wirkung ist aber zu erblicken in einer
Traurigkeit, die dadurch entsteht, dass das Feuer als ein
obiectum disconveniens definitiv zurückhält und fesselt (7).
Nicht das Feuer als solches hemmt den Geist, sondern Gott,
der dies Feuer den Engeln als eine Schranke und als einen
Bann zu empfinden gibt (8 f. 12 f.). Nicht also das Feuer als
Die Feuerstrafe der Verdammten. 453
Feuer peinigt die Geister, sondern dass Gott ihnen das Feuer
zum Objekt ihres Denkens gibt und dass er sie hiedurch an
dies Objekt bindet und von anderen Objekten abhält.
Von hier aus ist dann der Frage nach der Bedeutung des
Feuers für die verdammten Menschen nachzudenken. Bei ihnen
ist, weil sie leiblich sind, eine reale Wirkung des Feuers vor-
stellbar. Aber an sich genügte diese nicht, wenn nicht eine
intentionale Wirkung Gottes hinzukäme. Denn Feuer an und
für sich kann auch wärmen, ohne zu schmerzen. Darauf kommt
es also an, wenn das Feuer Strafe sein soll, dass Gott es dazu
bestimmt. Und diese Bestimmung genügt, ohne dass das Feuer
reale Schmerzwirkungen ausübt, zur Erregung der Traurigkeit
(1. c. quaest. 3, 2 f.). Und es wird gut sein, bei dieser geistigen
Wirkung des Feuers es sein Bewenden haben zu lassen. Soll
man überhaupt so wenig Wunder als möglich setzen, so wird
diese Regel erst recht bezüglich der Verdammten gelten. Man
kann ja eine immutatio realis durch das Feuer an ihnen an-
nehmen, dann müsste diese Wirkung aber so gedacht sein, dass
sie nicht zu ihrem vollen Effekt gelangt, sodass also die Leiber
nicht verbrennen. Da nun aber dies wunderbar wäre, so wird
man eine passio realis als unsicher, dagegen eine passio inten-
tionalis als sicher bezeichnen müssen (1. c. 4. 7. 8). Mit anderen
Worten: die Feuer strafe ist so zu denken, dass die Ver-
dammten zum Gegenstand ihrer Gedanken das
Feuer bekommen, sodass dies Feuer und der Ge-
danke an dasselbe ihr Denken bannt und be-
schränkt. Wenn aber der Mensch sich von Feuer umgeben
denkt, und dies Feuer daher zum Objekt seines Denkens und
zum Anlass der Empfindung der Detention wird, so ist damit
über den Menschen ein naturwidriger, seinen Geist degradie-
render Zustand verhängt. So wird also das Feuer zum Mittel,
durch welches Gott Gericht übt, indem er den Menschen in
einen naturwidrigen Zustand versetzt. Wie wunderlich werden
hier die uralten biblischen Bilder vom Gerichtsfeuer misdeutet,
aber wie geistreich ist doch die Umdeutung! Das heisst ver-
dammt sein : Feuer sehen, Feuer denken und sich durch Feuer
von der Welt des Lebens und den Gedanken derselben getrennt
fühlen und dadurch in ein Gefängnis gebannt sein, das Allein-
454 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
sein mit dem Feuer im Geist, dem Feuer als Schranke des
Daseins (cf. IV dist. 46 quaest. 4, 5. 6). Freilich kann mau
zweifeln, ob Duns mit diesen Gedanken sich allzuweit von den
Gedanken des Thomas und Agidius . entfernt, denn das reale
Feuer spielt doch auch bei ihm keine Rolle, die Deutung und
der Gedanke sind alles!
So ist also der Verdammte gebunden, gebunden durch den
Schmerz über die nicht getilgte und nicht vergebene Schuld
und durch das ihn vom Leben abtrennende Feuer. Alles hängt
an dem Fortbestand der Schuld. Daher ist Gott nicht die
positive Ursache des Zustandes der Verdammten, denn er will
den Fortbestand der Schuld so wenig als ihre Entstehung.
Aber er ist die negative Ursache, sofern er die Schuld nicht
vergibt und die Seligkeit nicht gibt. Dieser Zustand der De-
tention geht auf Gott zurück und ist daher gut und gerecht.
Gott verhängt es über den Menschen, dass er seine Schuld als
unersetzte und unvergebene fühlt und dass er das Feuer als
Druck auf sein Denken und Wollen in Traurigkeit empfindet
(IV dist. 46 quaest. 4, 6).
5. Dass aber die Verhängung dieser Strafe gerecht ist,
steht an sich fest, weil Gott sie eben verfügt und sein Thun
als solches gerecht ist. Aber wir können das auch a poste-
riori verstehen. Es ist gerecht, dass der Sünder, der die Busse
nicht suchte und sich nicht meritorie de congruo auf den
Gnadenempfang disponierte, der dem Bösen unausgesetzt nach-
strebte, ihm oder dem Strafzustand schliesslich verfällt. "Wenn
jemand, erläutert Duns, sich mutwillig in einen Brunnen stürzt,
so hat er nicht das Recht von dem anderen, gegen den er da-
durch, dass er sich hinabstürzte, Hass und Verachtung bezeugt
hat, Hilfe zu erwarten (1. c. 7). Ebenso ist es gerecht, dass
die Bösen in ihrer Bewegung beschränkt werden, die sie doch
nur zu Bösem brauchen würden, sowie dass sie durch die
Feuerstrafe an ihrem geistigen Leben, dass sie gottwidrig ge-
braucht haben, gehemmt werden (§ 9). Wenn sonach die Ge-
rechtigkeit Gottes in dem Vollzug der Strafe offenbar wird,
so ist es doch fraglich, ob auch die Barmherzigkeit dabei kon-
kurriert, etwa indem Gott die Verdammten nicht so hart, wie
sie es verdienen, straft (Thomas). Das widerspricht an sich
Die Gerechtigkeit ewiger Strafen. 455
nicht der Gerechtigkeit (ib. § 14. 17), obgleich allerdings es
schwer ist, eine scharfe Grenzlinie zu finden. Kann ein Teil
der Schuld unbestraft bleiben, unbeschadet der Gerechtigkeit,
warum nicht auch ein anderer Teil und schliesslich die ganze
Schuld? Responsionem quaere! Doch fügt Duns selbst den
Versuch einer Antwort hinzu. Es wäre denkbar, dass Gott
sich im Spielraum der gerechten Strafe haltend, dieselbe nur
um einige Grade mässigte, oder auch dass Gottes Thun, so wie
es ist, gerecht ist (18).
6. Ewig ist aber diese Strafe entweder deshalb, weil der
Sünder ewig sündigen würde, wenn er solange lebte (Thomas),
oder — was Duns mehr zu gefallen scheint — weil die Person,
die sündigt, ihrer Art nach ewig besteht (20), oder, wie er
anderwärts sagt, weil die Sünde fortdauert. Solange das Böse
bleibe, bleibe auch seine Vergeltung (IV dist. 50 quaest. 6, 16).
An sich freilich könnte Gott auch von der Ewigkeit der Strafe
Abstand nehmen, denn die Strafe korrespondiert der Schuld
vermöge ihrer Qualität, nicht ihrer Quantität. Dens posset
infligere poenam aliquam quae, si tantum per momentum
duraret, sufficienter tameu puniret peccatum ; nee forte duratio
poenae cadit sub demerito, sicut nee duratio beatitudinis sub
merito, sed ratione liberalitatis (ib.). Also die Ewigkeit der
Seligkeit wie der Verdammnis kann nicht als notwendig erkannt
werden. Kann aber erstere auf die „Liberalität" Gottes be-
gründet werden, so schwebt letztere eigentlich in der Luft.
Wie, wenn auch hier die göttliche Gerechtigkeit ihre Liberalität
walten Hesse und das Mögliche, dass die Strafe nur zeitweilig
währt, wirklich würde?
7. Wie die Seligkeit Stufen haben wird, so auch der Zu-
stand der Verdammten, und zwar ist diese Ungleichheit be-
gründet auf die Ungleichheit der Schuld; wer schwerer oder
mehr sündigte, beraubte sich dadurch eines grösseren Gutes, als
wer eine geringere Sünde thut, dieser ist magis nolens peccatum
suum. So wird dann auch der Wurm des Gewissens und die
Traurigkeit verschieden stark sein (dist. 50 quaest. 6, 12. 14).
Hinsichtlich der Feuerstrafe hängt die Gleichheit oder Un-
gleichheit davon ab, ob die Verdammten an einem Ort sind:
dann ist die Gleichheit wahrscheinlich, da die Ungleichheit
456 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
nur durch das Wunder verschiedener Affliktion seitens des
Dämlichen Feuers möglich wäre, oder ob sie beweglich sind:
dann ist je nach ihrem Ort leicht ein verschiedener Grad der
Affliktion durch das Feuer denkbar (ib. 15).
Schliesslich noch die Bemerkung, dass die Verdammten
den Wunsch haben werden, ihr qualvolles Sein mit dem Nicht-
sein zu vertauschen, da dies ja an sich kein Übel ist, wie die
Qual (dist. 50 quaest. 2, 14). Da aber dies Wollen Gottes
Willen, der ihnen Sein gibt, widerspricht, ist es sündhaft. Das
Wollen des Nichtseins ist nämlich nur unter der Bedingung
berechtigt, dass wir darüber gewiss wurden, dass Gott es so
wiU (ib. 8).
8. Die Lehre von dem Zustand der Seligkeit eröffnet
Duns mit der Frage, ob sie eine operatio sei? Diese Frage
wird bejaht. Unter den Objekten, welche die geistige Natur
erstrebt, befindet sich das Unendliche als das schlechthin
höchste, nach dem jede geistige Natur um seiner selbst willen,
strebt (IV dist. 49 quaest. 1, 19. 20); und sie ist erst dann
vollendet, wenn sie dies Höchste erreicht hat (22). Nun kann
aber diese Erreichung nur in der Weise gedacht werden, dass
die Seele sich mit jenem beseligenden Objekt verbindet. Das
heisst die Seligkeit besteht in einer geistigen ope-
ratio (27).
Es fragt sich aber, ob sowohl das Denken und Wollen
(Richard) oder nur eines von beiden hiebei in Aktion treten.
Thomas dachte an das Denken als die betr. Thätigkeit (ib.
quaest. 3, 3 f.). Duns meint, dass wenn man bei der Seligkeit
streng an den Akt der Ergreifung des höchsten Gutes denkt,
sie als Willensoperation zu fassen ist. Denkt man dagegen an
den Zustand der Seligkeit im Sinne der höchsten Befriedigung
des ganzen Menschen, so hat natürlich auch der Intellekt an
der Seligkeit Teil (ib. 5. 6).
9. In diesem Zusammenhang hat Duns die oben (S. 91)
bereits berührte Frage, ob die Seligkeit mit dem Intellekt
oder dem Willen genossen werde, eingehend besprochen. Die
Seligkeit, so sahen wir eben, ist also zunächst nicht ein Em-
pfinden oder ein Widerfahrnis, sondern eine geistige Operation.
Das Seligkeitsgut ist etwas an sich ausser uns Seiendes. Da-
Die Seligkeit ein Willensakt. 457
her wird es unser dadurch, dass wir es an uns und in uns
ziehen. Dies geschieht aber mehr durch das AVoUen als durch
das Erkennen (ib. quaest. 4, 4). Nun wird aber durch die
Seligkeit eine Quietatio bewirkt. Man stellt sich ihren Eintritt
etwa so vor, dass sie der intellektuellen Schauung des höchsten
Zieles als beseligendes Gefühl folgt. Für Duns ist diese Auf-
fassung natürlich unbrauchbar. Der Wille ist es ja, der die
Beziehung zwischen der Seele und dem Seligkeitsgut herstellt.
Wenn nun der Wille Willensakte zur Erreichung jenes Gutes
produziert, so wird es auch der Wille sein, der in dem er-
reichten Ziel ausruht. Hiebei geht natürlich die Erkenntnis
des betr. Zieles als eines fruibile voraus (l. c. § 6. 7).
Doch bedarf der Begriff der Quietatio einer Näherbe-
stimmung. Im Sinn des Duns soll derselbe nichts Quietistisches
besagen. Der Wille ist in Bezug auf das Seligkeitsgut in
zweierlei Weise thätig, nämlich als desiderium und als prima
consecutio finis ultimi. Als potentia operativa kann also seine
Quietation nur durch eine operatio perfecta bewirkt werden,
nämlich die perfecta assecutio obiecti. Damit und dadurch,
dass der Wille dies Ziel oder Gut ergreift, ist seine Quietation
gegeben, nicht folgt diese erst nach. Es ist also nicht so wie
bei einer Bewegung, die zuerst aufhört, worauf der Euhe-
zustand eintritt (§ 8). Überlegt man diesen Zusammenhang,
so ist also die Seligkeit nicht ein Gefühl der Freude oder des
Wohlbefindens als solches, sondern der Willensakt, durch den
der Wille Gott erfasst; oder der Vollzug des Liebesaktes zu
Gott ist die höchste Befriedigung des Willens oder Sehgkeit.
Der Akt des Willens selbst ist also der Genuss der
Seligkeit, indem in diesem Akt die Kreatur ihr höchstes Ziel
ergreift und so all ihrem Sehnen Befriedigung wird.
10. Das Wollen zerfällt in ein velle und nolle. Da das
nolle ein böses Objekt voraussetzt, ist die Seligkeit nur ein
velle. Das velle aber kann propter bonum voliti (amor ami-
citiae) geschehen, oder propter bonum volentis (amor concu-
piscentiae). Das velle der Sehgkeit gehört zur ersten Art, nur
so ist es ein frui : quod est amore inhaerere propter se ^), id
^) se wie oft Duns = eum.
458 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
est amatum. Nicht in der Lust am eigenen Wohl besteht
also die Seligkeit, sondern in dem Wollen deo bene esse.
Der Selige liebt also Gott, damit der Zweck Gottes, jenes
deus diligendus est, erfüllt werde, und dadurch, dass er diesen
Zweck realisiert, ist er selig in seinem Wollen ; dies Wollen
ist schlechthin gut, da es dem an sich guten Objekt gilt,
während das Wollen der concupiscentia bei richtiger Circum-
stantiierung ja auch gut sein kann, aber an sich nur auf ein
für uns Gutes, nicht auf das an sich Gute geht und daher
auch irrig sein kann z. B. durch Übermass (1. c. quaest. 5, 3).
Also die nicht egoistisch interessierte Hingabe an Gott, das ist
das Wesen der Liebe, die die Seligkeit ausmacht. Die un-
endliche Güte Gottes gefällt mir, und ich will durch dies mein
Gefallen und Annehmen, dass alle Güte, die in ihr ist, sei.
Dies kann der viator schon erleben, während es der compre-
hensor in dem höheren Grad, den man als Seligkeit bezeichnet,
erfährt (4). Hienach wäre die Seligkeit hieuieden und droben
nur graduell unterschieden, obgleich man auch einen spezi-
fischen Unterschied annehmen kann (5 vgl. S. 463).
Wir haben hiemit einen Gedanken kennen gelernt, der
seine Grundlage an später in der Ethik des Duns darzulegenden
Gedanken hat. Das ist das Wesen der seligen Liebe, dass
sie will, dass der Zweck Gottes, nämlich geliebt zu werden,
erfüllt werde. Hierin ist nun ein Doppeltes enthalten , wir
wollen, dass alle Gott lieben, und wir wollen, dass dadurch der
gute Wille Gottes sich in der Welt durchsetze oder realisiere.
Oder dass Gottes Ehre und Herrlichkeit sei und sich durch-
setze, das ist der Inhalt des Liebeswillens der Seligen. In-
dessen wird hier durch das Offenbarwerden der Verdammnis
eine Schranke gezogen, indem unsere Liebe im Jenseits nur
auf das Mitlieben der Prädestinierten und Erlösten gerichtet
sein kann (vgl. unten in der Ethik den Abschnitt über die
Liebe).
11. Man versteht diese Gedanken. Aber es bleibt eine
Frage, ob nämlich dies Ruhen des Willens in dem schlechthin
höchsten Zweck den Wollenden befriedigt, ihm also die delec-
tatio der Seligkeit gewährt? Nach Thomas bedarf es letzterer,
da nur so das völlige Widerspiel zum Zustand der Verdammten
Die Seligkeit Liebe und dadurch Befriedigung. 459
erreicht wird (1. c. quaest. 7, 2). Hält man daran fest, dass
die Seligkeit eine operatio ist, so gehört die delectatio nicht
zu ihrem Wesen, da diese eine passio ist. Wir werden uns
hier dessen erinnern dürfen, dass Gott nach Duns vor allem
Wille ist. Die höchste Form der Vereinigung mit dem abso-
luten Willen wird aber nur durch aktives Wollen erreicht
werden können. Das gilt sowohl vom Jenseits als vom Dies-
seits. Ist also die Seligkeit mit dem Gefühl der Freude ver-
bunden, so gehört dies als eine passio nicht zur eigentlichen
Essenz der Seligkeit (3). Aber sie ist doch auch von dieser
nicht abzutrennen. Im Willen steckt nämlich neben dem
aktiven auch ein passives Element. Jenes realisiert sich in
der Aktion, und in einer solchen besteht das eigentliche Wesen
der Seligkeit. Dieses ist rezeptiv und bedarf daher der Passion.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist daher ein über-
natürliches Gefühl der Freude unabtrennbar von der Seligkeit.
Also der Wille kommt zur Ruhe, indem er aktiv das höchste
Gut ergreift und will. Das ist die Seligkeit. Aber indem er
dies Gut will und es dadurch sein wird, geht von diesem
so ergriffenen Gut in den Willen des Menschen oder viel-
leicht genauer gesagt durch den Willen in das Empfindungs-
vermögen ein Gefühl der seligen Freude über (§ 4). So ist
also der aktive Willensakt, der die eigentliche Seligkeit ist,
immer begleitet von der Empfindung der höchsten Freude.
Hier schliesst sich aber eine weitere Frage an : gehört die
securitas zum Wesen der Seligkeit? Nun ist die Sicherheit
undenkbar ohne das Bewusstsein von der Ewigkeit der
Seligkeit. Hierüber ist also zunächst zureden. Nun kann
der Grund für den ewigen Bestand der Seligkeit nicht in
letzterer gefunden werden. Das ist ja einleuchtend, denn die
Seligkeit wäre doch die nämliche, wenn sie nur momentan em-
pfunden würde, und sie wäre auch so mehr, als wir als Lohn
für die Frömmigkeit verlangen dürfen. Ist sie also ewig, so
hat das zum Grunde lediglich den Willen Gottes, genauer
noch die Liberalität Gottes (iustitia et liberalitas supereffluens,
mera liberalitas), der reicher lohnt, als die strikte Gerechtigkeit
verlangt (IV dist. 49 quaest. 6, 21 cf. IV dist. 50 qu. 6, 16). Gott
will wie die Natur vollenden, so sie in dieser Vollendung er-
460 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
halten (IV dist. 49 quaost. 6, 10). Innerlich bleibt ja auch dem
Vollendeten die Potenz zur Sünde. Nicht die Natur des Men-
schen, sondern Gottes Wille lässt diese Potenz nicht zum Akt
kommen (ib. § 11). Dadurch wird aber die Freiheit des Willens
in den Seligen nicht beschränkt. Gegen die Freiheit verstiesse
es nur von einem untergeordneten oder gleichen Faktor be-
stimmt zu werden, nicht aber von einem höheren, über den sie
keine Gewalt hat, dem sie also ihrer Natur nach nicht wider-
streben kann. Zudem wird durch jenes Eingreifen Gottes die
formale Freiheit in keiner Weise begrenzt, denn der Wille
handelt von sich aus frei, nur dass sein Effekt nicht nur aus
dieser Freiheit, sondern zugleich aus der Mitwirkung einer
anderen höheren Ursache herrührt. Die Kontingenz des
Willens, die auch die Fähigkeit zum Bösen einschliesst,
bleibt, nur dass Gottes Wille es nie zum Bösen kommen
lässt (§ 15).
Die Ewigkeit des seligen Lebens ist somit nur von dem
göttlichen Willen, dass es ewig sei, abhängig. Diese Perpe-
tuität kann aber weder einfach zeitlich, noch einfach ewig ge-
dacht werden; dieses nicht, weil die Kreatur nicht ewig ist,
jenes nicht, weil es keine successio umfasste. Es ist die relative
Ewigkeit des aevum, die nicht aus sich notwendig ist, sondern
von Gott erhalten wird: dico ergo, quod illa perpetuitas non
est aeternitatis nee necessarii esse, sed aevi possibilis esse et
non esse, tarnen perpetuo conservati. Denkt man sich das
aevum als Succession in sich fassend, so würde die Perpe-
tuität besagen, dass maximitas quantitatis in ihm sei, also etwa
die Zeitfolge in das Unendliche ausgedehnt. Ist dagegen das
aevum ein indivisibile, so würde die Perpetuität nichts Positives
zu dem aevum hinzufügen, sondern nur negativ das Aufhören
des Zustandes verneinen (§ 17). Doch dem sei wie ihm wolle,
jedenfalls ist die Seligkeit ewig zu denken (19). Und sie ist
ewig, weil, wie gesagt, Gott will, dass sie ewig sei.
Jetzt kann die Frage nach der Gewissheit wieder auf-
genommen werden. Da die Seligkeit ewig ist nur vermöge
einer äusseren Festsetzung und nicht vermöge der Natur der
Sache, und da ohne Ewigkeit keine securitas der Seligkeit
denkbar ist, so kann die Sicherheit des Seligkeitsbesitzes dem
Ewigkeit und Gerechtigkeit der Seligkeit. 461
Menschen nur aus der besonderen Offenbarung seiner Ewigkeit
erwachsen (§ 22).
12. Damit sind die grundlegenden Gedanken bezüglich
der Seligkeit gefunden. Der Wille als freier Wille ergreift
Gott als sein höchstes Ziel, und zwar nicht zu seiner Befrie-
digung, sondern um Gottes willen. Dies Wollen Gottes, dass
nämlich sein Werk und seine Ehre in der Welt durchgesetzt
werde, ist die Liebe zu Gott oder dann die Seligkeit. Dieser
Wille zu Gott an und für sich ist die Seligkeit, denn hier ist
der Wille auf sein Ziel gestossen. Aber er wird begleitet von
den Gefühlen der Freude und der Sicherheit, sowie der höchsten
Befriedigung des Intellekts. Man kann von hier aus ohne viel
Mühe sich das Ideal des Duns von dem religiösen Leben hie-
nieden bilden. Hierin zuhöchst beruht für uns die Bedeutung
dieser Betrachtungen.
13. Ehe ich mich der Darstellung des Leibeszustandes in
der künftigen Welt zuwende, ist noch einer Frage zu gedenken :
kann jemand ex puris naturalibus die Seligkeit erlangen?
Diese Frage wird allgemein verneint etwa mit der Begründung,
der endliche Intellekt sei unfähig den unendlichen Gott in sich
aufzunehmen, indem die beiden einander nicht proportional
sind (z. B. Thomas, Heinrich). Diese Begründung verwirft
Duns. Gewiss müssen Subjekt und Objekt, wenn ersteres
letzteres fassen soll, einander gemäss sein. Aber dies Ver-
hältnis ist ja dann gegeben, wenn das Objekt als potentia
movens auf das Objekt als mobile einwirkt. Und wenn es
wirklich gegen die Natur des Endlichen verstiesse das Unend-
liche aufzunehmen, so ist nicht einzusehen, wie durch das
Gnadenlicht dies Unmögliche möglich werden sollte (IV dist. 49
quaest. 11, 4). Man wird vielmehr sagen müssen, dass, wie-
wohl Endliches und Unendliches nie im geometrischen Sinn
einander proportional sein können, sodass das eine das andere
ausfüllt, sie doch für das Erkennen und die Willensoperation
für einander sein können (5. 6). Also ist die Natur an und
für sich fähig die Seligkeit in sich aufzunehmen, sonst könnte
sie nie sehg werden, auch nicht durch einen übernatürlichen
Habitus, denn durch den Habitus werden nicht Aktionen ge-
geben, sondern umgekehrt. Nun wird aber der etwaige Defekt
462 Knp. V : Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
der Natur nicht in ihrer Habitualität liegen, sondern, da die
Seligkeit in Operationen besteht, eher in der Unfähigkeit Akte
zu erzeugen, die an das Unendliche heranreichen. Die Er-
kenntnis der Seligen ist eine cognitio intuitiva. Diese setzt
voraus ein in sich Haben des zu erkennenden Objektes seitens
des erkennenden Subjektes. Es ist nicht nötig, dass die Seele
vor den Seligkeitsakten etwas Übernatürliches in sich habe,
sondern nur in diesen Handlungen. Folgert man daraus, dass
es also doch vor den Handlungen da sein müsse, so wäre es
dann da nicht propter receptionem, sed propter actionem, um
eine Handlung zu bewirken, die Gott erreicht. Es sind drei
formae supernaturales praecedentes denkbar: die species intelli-
gibilis im Gedächtnis, das lumen gloriae im Intellekt und die
Liebe im Willen (8. 9). Setzt man aber das betr. Objekt dem
Geist gegenwärtig, so bedürfte es eigentlich keiner dieser über-
natürlichen Formen. Nun ist aber nach der Schrift und der
Kirchenlehre die übernatürliche Liebe anzusetzen, aus der die
Operationen hervorgehen ; daher muss diese genannt werden.
Dagegen bedarf es nicht des lumen gloriae, denn je lichtvoller das
Objekt ist, desto weniger hell braucht das Subjekt zu sein ; eher
noch könnte die species intelligibilis im Gedächtnis oder eine über-
natürliche Vollkommenheit des Gedächtnisses postuliert werden.
Die eigentliche Meinung des Duns ist doch auch hier
ziemlich ersichtlich. Die aufgeworfene Frage ist zu bejahen.
Die Natur als solche ist der Sehgkeit fähig, sonst wäre Selig-
keit überhaupt nicht denkbar. Zu den Akten der Seligkeit
bedarf es keines übernatürlichen Habitus, sondern nur dessen,
dass die Seele aktiv das Sehgkeitsgut erreicht. Tritt letzteres
vor sie, so ist das möglich, doch müsse man um der Kirchen-
lehre willen wenigstens die Mitteilung einer übernatürlichen
Liebe annehmen. Man hüte sich dieser Lehre unevangelischen
Pelagianismus vorzuwerfen, denn was anderes lehrt Duns, als
dass die Natur der Erfassung Gottes im Jenseits fähig sein
wird, wie sie dessen — nach protestantischem Verständnis —
im Urzustand fähig war ? Es ist doch nicht zu übersehen, dass
die Voraussetzung für diese ganze Betrachtung das Nicht-
mehrsein der Sünde und Schuld ist. Es verstÖsst nicht gegen
dies Verständnis, dass Duns an sich es für möglich erklärt,.
]
Die menschliche Natur der Seligkeit fähig. 463
dass Gott bereits im Diesseits jemand die Akte der Seligkeit
erfahren liesse (1. c. quaest. 12, 3). Wenn er aber in con-
creto diesen Gedanken verwirft, so geschieht das freilich nicht
ganz mit der Begründung^ die etwa der evangelische Christ
erwartet. Duns rekurriert auf die sterbliche sinnhche Natur
des Menseben. Der sinnliche Genusstrieb im Diesseits würde
nämlich entweder das geistige Leben hemmen, oder wenn nicht,
würde er in seiner Unterdrückung durch letzteres Unlust empfinden
(4). Beides aber schliesst die Seligkeit aus. Zur wirklichen
Seligkeit gehört demnach auch die Seligkeit des Leibes, daher
kann Seligkeit im strengen Sinn hienieden nicht erreicht
werden, man rekurriere denn auf ein Wunder (5). Dazu hat
aber Duns, wie wir wissen, wenig Lust! Nur für Christus
darf es angenommen werden (7). Dass aber eine relative
Seligkeit auch im Diesseits erreichbar ist, sahen wir bereits
(oben S. 458).
14. So sind wir weiter auf die Seligkeit des Leibes ge-
wiesen. Dass es ihrer zur vollen Seligkeit bedarf, haben wir
soeben gesehen (s. quaest. 13, 2). Dass aber der Leib impassibel
wird, ist lediglich aus dem positiven Willen Gottes, dass es so
sei, zu erklären. Gott wirkt eben nicht mit mit den causae
secundae, die dem Leib Leiden und Vergänglichkeit bringen.
Es ist wie bei den drei Männern im feurigen Ofen, das Feuer
ist da, aber Gott lässt es nicht wirken was es sonst am Leibe
wirkt. Nicht von innen aus dem Leibe her, sondern von aussen
aus Gottes Willen erklärt sich also die Impassibilität und Un-
sterblichkeit der Leiber der Seligen (9).
Doch nun das Nähere über diese Leiber. Ihnen steht
eine besondere Agilität zu. Alle Bewegung der Körper ge-
schieht entweder durch das quantitative Verhältnis ihres Schwer-
gewichtes oder von innen her durch die vis motiva der Seele
(1. c. quaest. 14, 2). Diese Bewegung ist auf Erden eine
organische, indem die Seele das Herz bewegt und durch dieses
vermöge der Organe des Menschen den ganzen Menschen (3. 4).
Die Seele wird nun auch die Auferstehungsleiber bewegen,
aber nicht auf dem Wege der organischen Vermittlung. Nun
scheint diese Seelenkraft von der organisch wirkenden unter-
schieden werden zu müssen, da sonst auch hier schon die Seele
464 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
ohne organische Vermittlung den Körper müsste bewegen können.
Da aber von einer Vielheit der Ursachen möglichst abzusehen
ist, so ist die Identität dieser und jener bewegenden Kraft
anzunehmen. Bewegt nämlich die Seele das Herz, so kann sie
doch auch — ohne organische Vermittlung — den ganzen
Körper bewegen. Es wird also dieselbe bewegende Kraft sein,
die hier und dort die Leiber bewegt, nämlich die Seele (6. 7. 9).
Es bedarf somit nicht, wie Richard und Thomas meinen, für
den Auferstehungsleib einer übernatürlichen Qualität, die die
Körper leicht macht, würde doch eine solche, die ja eine be-
wegende Kraft sein müsste, die Körper zu einem Wo bewegen,
also ihre Agiütät eher hemmen als fördern (10). So wird also
im Jenseits die Seele die Körper bewegen nach ihrem Gut-
dünken, ohne an den organischen Zusammenhang des Menschen
gebunden zu sein. Da aber der Agilität die aufrechte Lage
des Körpers am besten entspricht, werden die seligen Leiber
stehen und nicht sitzen oder liegen ; daher sah auch Stephanus
Jesum zur Eechten des Vaters „stehen'^ (12). — Das ist ge-
wiss thöricht, weil ohne einleuchtende Voraussetzungen und
Gründe gedacht, aber sind ähnliche Thorheiten heute aus-
gestorben?
Das zweite Merkmal der Vollkommenheit an den Leibern
der Seligen ist die Helligkeit derselben, der Grad dieser
richtet sich nach ihren Verdiensten (1. c. quaest. 15, 2). Wenn
dieselben als durchsichtig bezeichnet werden, so ist das nicht
auf eine krystallartige Beschaffenheit zurückzuführen, sondern
die Seligen sehen einander durch die Poren in das Innere, so
wie man vom Luchs sagt, er sehe durch die Wand. Oder
man könnte auch sagen, dass das Geistesauge durch den ver-
klärten Leib hindurchsehe (4).
Zur Agilität und Durchsichtigkeit kommt als weiterer Vor-
zug die Subtilität. Dabei handelt es sich um die Frage, ob
vermöge derselben zwei Körper zugleich an demselben Ort sein
können. Wenn man etwa sagt, wegen der Porosität könne ein
Körper in den anderen hineindringen, so handelte es sich hie-
bei nur um ein derartiges Verdrängen, wie etwa der Pfeil die
Luft verdrängt, um sich Raum zu schaffen (quaest. 16, 4).
Nun sagt aber der Glaube, dass bei Jesu Geburt die Thore
Die Beschaffenheit des Leibes der Seligen. 465
der Jungfrau geschlossen blieben, dass Christus clauso sepulcro
erstand und durch geschlossene Thüren ging. Bei alle dem ist
ein Zugleichsein von Teilen seines Körpers mit den Teilen
anderer Körper in dem nämlichen Raum vorausgesetzt. Da das
nach dem Glauben wirklich ist, muss es auch möglich sein.
Zu der Impassibilität dieses Körpers passt aber nach Duns
Ansicht die rarefactio oder condensatio, durch die man das
Problem erklären könnte, nicht (4). Nach Duns soll also der
verklärte Leib zugleich mit einem anderen sein können. Der
allgemein logische Grund dafür ist, dass Formen, die einander
noch so entgegengesetzt sind, doch nebeneinander bestehen
können, wenn sie an verschiedenen Subjekten haften. Nun
sind aber die zwei Ubi an vorschiedenen Subjekten, also ist
kein formaler Widerspruch vorhanden, wenn sie in demselben
ßaumteil sind. Es ist doch nicht unmöglich, dass zwei äussere
Beziehungen an verschiedenen Subjekten sich auf das gleiche
Ziel beziehen. Dieses fragwürdige Argument wird durch die
Behauptung ergänzt, dass Gott zwei Quanta Zusammensein
lassen kann, wenn er ihnen als causa prima den besonderen
einander ausschliessenden Effekt nimmt. So könnten sie bei-
sammen sein, wenn die beiden bestimmten Quanta nicht ver-
schiedene situs (d. h. die Anordnung der Teile im Kaum oder
die Korrespondenz der Teile des Körpers zu den Kaumteilen)
haben. So würden also zwei Körper in einem Räume sein,
indem ihre Teile nicht mit den Raumteilen korrespondieren
{§ 17). Diese Fähigkeit eignet aber dem verklärten Leibe,
indem er seine Form von der seligen Seele erhält, die ihm
diese Subtilität gewährt (18). Doch soll diese Subtilität nicht
eine besondere Qualität des verklärten Körpers sein. Diese
könnte nicht passiv sein, denn sie würde dann den verklärten
Leib zu einem passibile machen. Sie müsste also aktiv sein,
so würde sie sich in körperlichen Akten offenbaren, aber diese
würden doch darauf abzielen expellere aliud corpus und das
hülfe hier zu nichts (19). Wir werden wohl als Resultat der
mühsamen Erörterung, in Erinnerung an die Ubiquitätslehre
des Duns (oben S. 371 f.), sagen dürfen: zwei Körper können
zugleich an einem Ort sein, indem sie als ganze gemeinsame
Beziehungen zu ihm als ganzem haben. So sehr sind sie ver-
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 30
466 Xap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
geistigt gleichsam, dass sie, wie der geistige Wille der Menschen,
auch im Raum Zusammensein können, ohne einander zu stossen.
So freilich scheint es — genau geoommen — der Annahme
einer besonderen göttlichen Wirkung und sonderlicher Einflüsse
der Seele auf den Leib nicht zu bedürfen.
Soviel lehrt Duns über den verklärten Leib. Man kann,
wenn man die genaue Beziehung, in die Duns jedes dieser
Attribute des verklärten Leibes zur Seele stellt, unter Ab-
sehung von allen übernatürlichen Qualitäten des Leibes, man
kann kurz sagen: der Leib wird das völlig entsprechende
Werkzeug der Seele sein, daher seine Agilität, seine Durch-
sichtigkeit und seine Subtilität als die Fähigkeit ganz in dem-
selben Raum mit einem anderen Leib zu sein. Behält man
diesen massgebenden Gesichtspunkt in Acht, so gewinnen die
z. T. sehr wunderlichen Spekulationen doch einen guten Sinn,
Der verklärte Leib wird sein was der Leib sein soll, das
schlechthin entsprechende Mittel zur Bethätigung jeder Seelen-
regung, der durchaus genaue Ausdruck des Seelenlebens, der
Träger jeder möglichen Beziehung der Seele zur räumlichen
Welt. Wie so oft bei Duns leuchtet aus den abstrusen Be-
trachtungen schliesslich ein geistreicher Gredanke hervor.^)
15. Noch eine Frage bleibt uns: ist die Seligkeit der
Seligen (so auch die Seligkeit ihrer Leiber) bei allen die
gleiche? Man kann die Frage verneinen, da Seligkeit eben
Seligkeit ist, doch spricht Christus von ,, vielen Wohnungen"
der Seligen (lY dist. 50 quaest. 5). Es kann nun allerdings
in der Spezies Seligkeit eine Vielheit der Stufen geben. Der
Willenstrieb kann in der That in dem Seligkeitsobjekt zur Ruhe
gekommen sein, ohne die ganze Vollkommenheit, deren er fähig
ist, erreicht zu haben. Alles Schwere hat den Trieb nach
unten, aber doch bedarf nicht jedes Schwere zu seiner Be-
friedigung dessen, dass es bis zum Erdzentrum vordringt, wie
man an jedem fallenden Steine, der auf der Erdoberfläche
^) Nach dem traditionellen Text von Sent. 11 dist. 20 quaest. 2, 4
hätte Duns noch gelehrt, dass die Seligen, ausser der Maria, alle männ-
liche Leiber haben werden. Die Pariser Ausg. lässt diesen Passus wohl
mit Recht — der Gredanke begegnet uns in der Eschatologie nicht —
als Zusatz fort, s. Bd. XIII, 124.
Grade der Seligkeit. 467
liegen bleibt, sehen kann. Es ist die distributive Gerechtigkeit
Gottes, die jeder Seele nach ihrem Verdienst ihre Stufe der
Vollendung anweist (1. c. quaest. 6, 3). Und auch der natür-
liche Trieb muss so voll befriedigt sein, da er die Stufe er-
reicht hat, die er nach der Ordnuug Gottes — als der ersten
Ursache — erreichen soll (4). Wille und Intellekt ruhen im
Unendlichen, das Objekt ist also für alle das nämliche, ebenso
ist aber auch die Rezeptivität an sich bei allen die gleiche.
Der Grund der Differenz wird also weder in der Art Gottes,
noch in einem natürlichen Unterschied der Menschen zu suchen
sein, sondern in der ethischen Differenz dieser, nämlich in dem
verschiedenen Grad der Liebe (5). Das ist ein Gedanke, der
weite Perspektiven eröffnet : der innere Zusammenhang zwischen
der religiösen Entwicklung hier und dem Seligkeitsgut dort,
die Perfektibilität der Seligen. Duns ist aber hierauf nicht
eingegangen.
Nur eines Einwandes sei noch Erwähnung gethan. Wenn
der Wille dem höchsten Gut zustrebt, so scheint etwa Linus
das höhere Seligkeitsgut der Maria mehr lieben zu sollen als
sein eigenes niedrigeres. Aber dieser Einwand scheitert an der
Erwägung, dass jeder nächst Gott sich selbst der nächste ist;
wie er vor allen für sich die Sünde zu fliehen hat, so wird er
auch für sich Gott mehr lieben als für einen anderen (§ 8).
16. So läuft das System aus in den schroffen Unterschied
zwischen Seligkeit und Unseligkeit. Keine Stufe führt von hier
dorthin, obgleich Duns den Gedanken wenigstens gestreift hat,
die Güte Gottes könnte dem Zustand der Verdammten ein
Ende finden lassen, wie ja die Ewigkeit der Seligkeit nur einen
Grund, nämlich seinen gütigen Willen hat (oben S. 460). Aber
Ernst ist es ihm hiemit nicht gewesen. Daher bleibt uns nur
noch die eine Frage, ob die Seligen die Strafe der Verdammten
sehen werden ? Hier ist natürlich an kein sinnliches und eigent-
liches Sehen zu denken, weil dazu die Raumbedingungen fehlen.
Aber sie sehen wie alles so auch dies im Logos, in dem alles
Sein gründet (1. c, quaest. 3, 2). Indem nun die Strafen mit
dem Bösen als ihrem Grund zusammenhängen, können diese
selbst für sie so wenig als für Gott direkt ein Grund zur
Ereude sein. Wohl aber freuen sie sich der Gerechtigkeit des
30*
468 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
Richters, indem sie alle dem, was Gott will, zustimmen (5. 6).
Aber Traurigkeit kann ihnen, wiewohl die Strafen als solche
ihnen keine Freude bereiten, aus denselben nicht erwachsen,
weil ihr seliger Wille der Traurigkeit überhaupt nicht fähig
ist (6). Die Seligkeit währt ewig, aber auch, solange das Böse
da ist, die Strafvergeltung, a qua nos custodire dignetur qui
est benedictus in secula seculorum, Amen (1. c. quaest. 6, 16).
Das sind die Schlussworte des grossen Sentenzenkommentars.
II. Die Kirche und die ideale Form ihres diesseitigen
Daseins.
1. Der Begriff der Kirche.
Nachdem wir die scotistische Sakramentslehre und Escha-
tologie besprochen haben, wollen wir einige Bemerkungen über
seinen Kirchenbegriff machen. Wären wir hiefür nur
auf die Sentenzenkommentare gewiesen, so wäre nicht viel zu
sagen. Da der Lombarde über die Kirche nicht eingehend
gehandelt hat, so sucht man bekanntlich in den scholastischen
Lehrgebäuden meist vergebens nach einem genaueren Abschnitt
de ecclesia. — Die Definition der Kirche teilt Duns mit seinen
Arbeitsgenossen. Die Kirche ist universitas fidelium (Report.
IV dist. 24 quaest. 1, 5), communio fidelium (in Sent. IV
dist. 19 qu. unic. § 15), congregatio fidelium (de perfectione
statuum § 34. 9 cf. communitas IV dist. 21 quaest. 2, 10).
Aber diese Definition besagt nur, dass die Kirche alle Christen
umfasst, die fideles sind eben nicht die Gläubigen im religiösen,
sondern im statistischen Sinn. Das zeigt besonders die zuletzt
angeführte Stelle : die Sarazenen gehören nicht zur Kirche,
denn sie ist congregatio fidelium tantum. Indem aber die
Kirche eine politia ordinata ist, ist in jene Definition der ganze
hierarchisch sakramentale Apparat eingeschlossen, wie be-
sonders klar die Darstellung des Thomas zeigt (s. meine
Dogmengesch. II, S. 127 f.). Hienach ist es aber zwecklos
auszuführen, dass auch nach Duns die Kirche die Christenheit
ist, die durch das evangelische und kirchliche Recht mit seinen
Glaubenssatzungen, seinem Sittencodex und seiner sakramentalen
Der Begriff der Kirche. 469
Ordnung, dem Papst, den Bischöfen und den praelati unter-
worfen ist. Das sind Gedanken, die ebenso allgemein waren,
als die Belege aus Duns im Vorhergehenden unschwer zu
finden sind. Auch dass Duns den positiv rechtlichen Charakter
der Kirche mit ihren Lehren und Satzungen besonders betont
und darin ein Gegengewicht zu seiner kritischen Theologie ge-
funden hat, ist bereits gesagt worden (oben S. 122 f.). ^)
2. Das Ideal der Kirche und die Kritik ihres
wirklichen Zustande s.
1. Nun hat uns aber die neue Pariser Ausgabe der Werke
des Duns eine Schrift bekannt gemacht, in der Duns eingehend
von den kirchlichen Amtern und Ordnungen handelt (oben
S. 62), dabei aber als Minorit eine Anzahl von Gesichts-
punkten und Urteilen bietet, die man nach den Sentenzen-
kommentaren nicht hätte erwarten können. Er zeigt sich
dabei ebenso sehr als begeisterten Franziskaner, wie als unab-
hängigen Theologen.
Es ist die Schrift de perfectione statuum, auf deren
Gedanken wir jetzt einzugehen haben. Die Hierarchie hat
partes essentiales , die notwendig da sein müssen um des an
der Kirche durch sie zu verwirklichenden Zweckes willen. Das
christliche Volk braucht nämlich wegen seiner Unbildung und
Neigung zum Bösen verständige Männer, die als seine Lehrer
auftreten, es im Glauben ernähren und erhalten, sowie die
cura animarum an den Bekehrten bethätigen, besonders da-
durch, dass sie die Sünder absolvieren oder ihre ewige Strafe
in zeitliche verwandeln. Cura animarum werden wir wohl sach-
entsprechender mit „Kirchenzucht" als mit „Seelsorge" über-
setzen. Sodann bedarf es solcher, die den von Christus ge-
stifteten Kultus, der nur in Gebet und der Darbringung der
Hostie besteht, ausführen. Die Hostie vermögen nur Priester
zu weihen. Da nun alles Sein nicht schlecht geordnet ist, so
wird diese Macht der vielen Priester auf ein Prinzip zurück-
^) Eine Unterscheidung der wirklichen und der scheinbaren Glieder
der Kirche, wie ich sie bei Richard von Middleton nachgewiesen habe
(oben S. 23 f.), ist mir bei Duns nicht begegnet.
470 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
greifen. Das ist der Papst: et hunc dicimus vicarium Christi
super totum mundum potentiam habentem et ordinationem.
Auf diese Grundelemente geht die hierarchische Bethätignng
zurück (1. c. § 14). Sonach niuss die Kirche lehren und über die
Bekehrten wachen, wobei der dazu Verpflichtete bereit sein
muss auch zu sterben zum Heil einer anderen Seele (15), und
endlich die Verwaltung der Sakramente ausüben. An und für
sich kann die Sorge um die Seelen der Brüder in dem näm-
lichen Sinn als Pflicht aller Christen bezeichnet werden. Die
christliche Liebe ist es, die dazu veranlasst, selbst sein Leben
für die Seele des Bruders einzusetzen, nicht aber der Papst,
der niemand zu sterben befehlen darf (15). Aber dies schliesst
natürlich nicht aus, dass der Papst einigen die amtliche Pflicht
zu dieser Sorge für die Seelen auferlegt, sonst ginge es in
der Kirche leicht her, wie in einem Hause mit sehr vielen
Dienstboten, wo jeder sich auf den anderen verlässt und daher
schliesslich nichts geschieht. Indem nun dem Papst commit-
titur regimen et ordinatio universorum, setzt er gesetzeskundige
und gute Männer ein, denen man die Sorge für eine Gemeinde
zutrauen kann. Man nennt diese Leute daher curati. Auf
eine Gemeinde soll ein solcher seine Sorge richten und dadurch
unterscheidet sich sein Beruf von dem gemeinchristlichen. Alle
Christen sollen also für die Seelen der Brüder Sorge tragen,
aber nur einzelnen ist die Pflicht dies in einem besonderen
Kreise zu thun auferlegt. Es ist klar, dass indem die Qualität
des Handelns bei diesen und jenen die gleiche ist, an sich
dem Handeln der curati keine grössere Verdienstlichkeit zu-
kommt als dem der Laien (16). Zu der Erfüllung der Auf-
gaben des Amtes gehört auch das Streben nach sittlicher Voll-
kommenheit, da aller Augen auf die Lehrer hinblicken. Aber
der Prälat erreicht nicht als solcher die Vollkommenheit,
sondern nur, sofern er, wie die anderen auch, durch die That
zeigt, dass er die Welt mit ihren Gütern verachtet imd dies
Leben für eine Pilgrimschaft ansieht (19). Damit haben wir
die erste Wesensfunktion der Kirche kennen gelernt: es ist
die Sorge um die Seele der Bekehrten, die jedem Christen
obliegt, insonderheit aber den kirchlichen Beamteten für ihre
Sprengel vom Papst aufgetragen wird.
Die seelsorgerliche und episkopale Thätigkeit der Kirche. 471
2. Hiezu kommt die sacerdotale und die episkopale
Funktion in der Kirche. Beide gewähren die Gewalt über
bestimmte Sakramente. Aber diese Gewalt verpflichtet an sich
nicht einmal zur Sorge um die Seelen. Es ist aber geziemend,
dass der Priester ein sittliches Leben führt (21), geradeso wie
es dessen bei dem Seelsorger bedarf. Die sakramentale Seite
in der Arbeit des Prälaten bedarf also nur des Auftrages,
einer gewissen technischen Fertigkeit sowie der allgemeinen
christlichen Sittlichkeit (23). Ebenso empfängt die seelsorger-
liche Fimktion ihre ethische Qualität nicht aus einer spezi-
fischen Vorschrift oder Befähigung, sondern aus der allen
Christen geltenden Regel der Liebe. ^) Wie nun der Priester-
stand nach den beiden Funktionen, die er ausübt, ethisch
nicht über den Laien steht, sondern mit ihnen der Regel
der Liebe untersteht, so kann auch von den bischöflichen
Funktionen nicht gesagt werden, dass sie auf eine höhere
geistliche Stufe heben. Adhuc staute ordinatione ecclesiae
sufficit ad salutem quae fidei et necessaria ad salutem simpH-
cibus verbis explicare, populum rudern et indigentem per se
vel per alium instruere, bonos fovere, malos corripere et poeni-
tentes absolvere et sacramenta indigentibus et poscentibus
ministrare et citius quam unus de populo in tempore quo non
nisi per eum salvari potest proximus, morti se exponere, quia
magis scandalizabuntur tam subditi quam fideles alii, si fugiat
(23). Das ist der Bischof wie er sein soll. Es sind altertüm-
liche Formen, in denen Duns ihn schildert. Dass durch die-
^) Es greift prinzipiell über die in unserer Schrift eingehaltene
Linie nicht hinaus, wenn Duns Miscellan. quaest. 5, 14 ff. ausführt, dass
man zwar die actus praedicandi, praedicationes et confessiones audiendi,
horas dicendi, psallendi, corripiendi, consulendi, missam audiendi et ad
ecclesias eundi auch mit einer Todsünde behaftet, ausführen kann, ohne
dadurch eine neue Todsünde zu begehen; dass aber dagegen die Spender
wie Empfänger eines Sakramentes immer Todsünde thun, wenn sie dabei
in einer Todsünde sind. Eine Ausnahme liegt aber vor, wenn ein ein-
facher Kaplan oder Mönch, der nicht sacerdos curatus et deputatus ex
officio ist, tempore neeessitatis ein Sakrament zu vollziehen genötigt ist.
Da er hiezu nicht jederzeit, wie der Curatus, bereit zu sein braucht, würde
er, auch wenn er eine Todsünde an sich hat, keine neue Todsünde thun.
472 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
selben der Episkopat auf keine höhere ethische Basis gerückt
wird als der Klerus überhaupt ist aber klar.
3. Nun sind aber die Funktionen der Kirche (oben S. 469)
noch nicht vollständig wiedergegeben. ^) Der Prälat setzt
nämlich mit seinem Wirken den Bestand des Glaubens in der
Kirche voraus, denn nur Gläubige, und nicht Sarazenen und
Juden, erkennen ihn an und sind zum Gehorsam gegen ihn
verpflichtet (§ 8). Der Prälat ist gleichsam nur der Nähr-
und Ziehvater der Christenheit, dieser setzt aber den eigent-
lichen pater generans voraus. Der Prälat thut genug, indem
er die Gemeinde regiert und schützt und gute Werke in ihr
anregt (9. 10). Aber bei alle dem ist der Bestand einer
solchen Gemeinde vorausgesetzt. Es muss also einen beson-
deren Stand geben, der die Ungläubigen bekehrt, sowie in den
Gemeinden wirkliches Leben anregt. Dieser Stand, der bekehrt
und erweckt, der der Kirche die Kinder gebiert und der ihre
sterbenden Mitglieder mit neuem Leben stärkt und belebt, ist
der Stand der Männer des apostolischen Lebens d. h. der
Bettelmönche.
4. Die Notwendigkeit eines Standes apostolischer Voll-
kommenheit begründet Duns nun in mannigfacher Weise, näm-
lich aus der Aufgabe des Papstes , aus dem wirklichen Zu-
stand des Klerus^ aus den Bedürfnissen der Christenheit und
der Thätigkeit der Bettelorden. Wir müssen ihm auf diesen
Wegen folgen. Der Papst ist der vicarius Christi im um-
fassenden Sinn. Also nicht nur als der praelatus ecclesiae,
sondern auch sofern Christus totius mundi tarn fidelium quam
infidelium dominus. Deshalb kann der Papst auch die Länder
von NichtChristen oder ihre Güter nach seinem Gutdünken an
Christen verschenken, wie ein Keichsverweser über die rebelli-
schen Unterthanen seines Herrn und ihren Besitz verfügt.
Aus dieser Stellung des Papstes , der also als solcher einfach
das Königtum Christi vertritt, folgt : et papae ut sie nullus est
aequalis nee similis, ipse enim ut sie unus est et singularis,
nulli debet scribere ut fratri tauquam sibi pari. Bischöfe und
Kardinäle sind seine Untergebenen, bezw. dienende Berater.
^) Dies ist sachlich klar, formell aber nicht so ausgedrückt.
Der Papst und seine kirchliche Aufgabe. 473
Es gilt nun aber vom Papst wie von den Bischöfen, dass sie
nur ratione ordiuis ihre überragende Stellung innehaben.
Persönlich und sittlich betrachtet steht aber der Papst samt
dem ganzen Klerus unter den apostolisch Vollkommenen.
Status ergo papalis vel episcopalis ut sie est statu alio dignior
in ratione ordinis, est tamen minus perfectus in gradu meri-
toriae conversationis (1. c. § 46). Es ist ethisch angesehen
schwerer und daher von grösserer sittlicher Vollkommenheit
auf die ganze Welt zu verzichten, wie die Bettelmönche, als
die ganze Welt zu regiereu, wie die Päpste (77 f.). Die Hoheit
des Papstes ist also rein amtlich und keinesfalls persönlich zu
verstehen. 'Das ist eine Konsequenz, die Duns völlig klar ein-
sieht. Er weiss , dass die päpstliche Gewalt auch in infideli
pessimo et vilissimo peccatore sein kann, denn sie ist weder
ein Tugendakt noch eine eingegossene Qualität (75), also
nur ein Amt und eine Befugnis, die von den sittlichen Quali-
täten des Inhabers nicht berührt wird.
Die amtliche Stellung des Papstes schliesst nun aber einen
Komplex von Pflichten in sich. In dem Papsttum lebt Christus
fort in der Welt, es hat das Werk Christi auszurichten. Der
Papst ist der Herr der Schafe, aber auch ihr Hirte, wie
Christus (71). Daher: inquantum Christi vicarius de universo
ordinat ad dei honorem et ad salutem animarum
(46). Wie Christi Werk abzielte auf die Ehre Gottes und das
Heil der Seelen, so hat auch der Papst zu diesem Zweck
zu wirken.
Nun sind die Grundfunktionen, vermöge welcher Christus
und dann die Kirche Leben verbreiten und erhalten, die Seel-
sorge an den Bekehrten, die Sakramente und die Einwirkung
durch das christliche Leben. Dass dies geschehe zu bewirken,
ist also die Aufgabe des Papstes, sofern er Christi Nachfolger
ist. Die persönliche Durchführung der beiden ersten Aufgaben
ist ihm aber naturgemäss unmöglich. Daher bedarf er der
kirchlichen Amter, die die Sakramente austeilen und für ein
gutes Regiment sorgen. Aber in den meisten Fällen ist er
auch nicht in der Lage die Macht des christlichen Lebens zu
repräsentieren, daher bedarf er der apostolisch Vollkommenen
oder der Bettelmönche (72. 73). Man muss sich hier noch
474 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
daran erinnern, dass der Papst auch Herr der Nichtchristen
ist; diese erreicht er aher nur durch die Mission, wie sie
wirkungsvoll nur die Bettelorden ausübon können (s. unten). ^)
So besteht denn für Duns die ganze- Macht und Herrlichkeit
des Papsttums fort, aber dieselbe ist zunächst Pflicht und
Dienst. Eine vorgeschriebene Norm haben die Päpste zu er-
füllen, das Werk Christi zur Ehre Gottes sollen sie treiben,
nicht nach ihren persönlichen Velleitäten herrschen. Und
dieser Dienst schliesst als notwendiges Mittel in sich, nicht
nur das kirchliche Amt, sondern vor allen Dingen das geist-
liche vollkommene Leben, das die Bettelmönche repräsentieren.
Daher ist es eine Pflicht der Päpste diese Orden vor allem
zu schützen und zu unterstützen, denn sie sind der Kirche
nötiger als die Priester (94) ; die Päpste sollen sie daher gegen
Verleumder verteidigen und sie nicht öffentlich und mit Diffa-
mation tadeln (95).
So braucht also die, Kirche, wenn sie Christi Werk treiben
will, unbedingt die Bettelorden. Das gilt vom Klerus, aber
erst recht vom Papst. Nicht die Lehre, nicht die Kirchen-
zucht, nicht die Sakramente bringen Leben in die Kirche und
erhalten das Leben, das thut nur das neue Leben, wie Christus
und die Apostel es lebten und wie die Jünger des heiligen
Franz es wieder leben.
5. Aber diese Forderung wird erst recht einleuchtend,
wenn man erwägt, wie wenig das Amt der Prälaten von unten
an bis oben herauf vom christlichen Leben zu seiner Aus-
übung bedarf. Die ganze Bitterkeit eines überzeugten franzis-
kanischen Reformers spricht aus den Ausführungen des Duns.
Die Prälaten bedürfen zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht des
vollkommenen Lebens der Apostel. Sie können ihr Amt ver-
sehen, mit hohen Ehren und grossen Reichtümern, mit aller-
hand Vergnügungen, mit Macht und Anhang (familia), gerade
ebenso wie die grossen Herren und Könige der Welt. Sie
können um alle diese Güter kämpfen und grosse Heere dazu
^) Die Mission erscheint also neben der Predigt als eine notwendige
Funktion der Xirche. Man wird sich dabei der reichen Missionsthätigkeit,
die die Minoraten entfaltet haben, zu erinnern haben.
Prälaten und BettelmÖnche. 475
in das Feld führen et infinitum populum ducum, comitum,
baronum, militum et aliorum nobilium unter sich haben. Ja
sie können sich's wohl sein lassen mit „Delikatem" und schliess-
lich sich auch mit Gattinnen vergnügen, sie dürfen Feldlager
und Pfalzen errichten, ihre Verwandten bereichern, alles so
wie die Leute, die kein anderes Leben kennen. Imo multi, de
quibus non diceretur ab aliquo, quod in statu sunt damnan-
dorum, magis mundane ad ista temporal ia se habent quam
antiquitus consules , senatores , imperatores , infideles totius
mundi. Und ein Stand, dem ein solches Leben möglich ist,
der sollte die Ungläubigen zum Leben erwecken und die
Gläubigen durch sein Leben von dieser Welt auf die andere
Welt hinweisen können (12)! Das Volk kann doch nur, dem
Augenschein folgend, in ihnen Leute sehen, die Ruhm, Macht
und Geld suchen (28). Und wenn solche Männer in den Zeiten
der Gefahr fliehen, so kann das die einfachen Leute garnicht
Wunder nehmen : sciunt enim homines de populo, quanto aliquis
magis est in honoribus , dignitatibus , divitiis et aliis mundo
pertinentibus, pascitur splendidius, vestitur nitidius, sibi servitur
et ministratur velocius, cubat mollius, equitat egregius, et de
statu humili et despecto aliquando quasi subito et ex inopinato
elevatur superius et omnes sibi obediunt promptius, prospera
quaeque sibi eveniunt abundantius quam ipsis : magis debere
inclinari ad vivendum et ad ipsa quae in mundo sunt diligenda
quam ipsos populäres, quibus talia non contingunt, sed tribu-
lationes et labores et frequenter cetera mundi mala et nonnun-
quam a suis et superioribus et aequalibus persecutiones
patiuntur (29). Bei dieser Sachlage wird der Klerus durch
sein Leben nie und nimmer zum ewigen Leben erleuchten,
sondern eher die Kirche in ihrem entgegengesetzten Leben
bestärken (29).
Das Leben eines Prälaten bietet also wenig Arbeit und
viel Gewinn und Lust, sodass die Mehrzahl der Menschen sich
für alle Ewigkeit kein besseres Los zu wünschen wüsste:
delectabilem in magnis divitiis et honoribus et ceteris aliis
bonis vitam ducunt, quam hilariter acceptant asserentes se
super alios omnes in merito maiori esse. Und dazu: non
obstantibus quibuscunque laboribus quas vident in praelatis,
476 Kap. V: Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
commuiiitas muudi omnis sustineret et beatam se diceret, si
aeternaliter talem statum cum tota sollicitudine habere posset
(32). Gibt es doch Bischöfe, die nie oder nur ganz selten ihr
Bistum betreten haben, und die niemand weder dort noch ander-
wärts hat predigen hören (44).
Aus diesem sittlichen Stand der Prälaten folgt ihre Un-
fähigkeit die Heiden zu bekehren, die Bösen zu echter Busse,
die unvollkommenen zum Streben nach Vollkommenheit anzu-
regen. Tagediebe und Wollüstlinge, die überdem sich mit
imaginären Verdiensten brüsten, können naturgemäss die Welt
eher dazu bringen, dass sie Busse und Mühe flieht, um in
Reichtum und Herrlichkeit weiter zu leben : et hoc videmu8
ad oculum verum esse (32. 30). Also bedarf die Kirche der
Bettelmönche, die das Leben Christi und der Apostel führen
und wirksam werden lassen.
6. Schliesslich wird durch das Leben der apostoüschen
Vollkommenheit der Beweis für ihre Notwendigkeit in der
Kirche erbracht. Was sie verbo lehren, bewähren sie facto
(11). Jedem Menschen wird aber der instinctus rectae rationis
sagen, dass niemand Beichtum, Ehren und Freuden verachten,
das Vaterland und die Freunde verlassen und sich ganz dem
Willen eines anderen unterordnen, mit dem Notdürftigsten zu-
frieden sein wird: nisi bona alia multo excellentiora et magis
appetenda quam ista et vitam futuram aeternam crederet et
ibi inaestimabilem remunerationem maximorum bonorum fir-
missime speraret (13). Das fromme Leben der Mönche, ihre
Entsagung hinsichtlich der Welt bewährt sonach der Welt,
dass es ihnen Ernst ist mit dem Glauben an die andere Welt
und ihre Güter. Wird so durch ihren sittlichen Ernst das
Vertrauen zu ihrer Wahrhaftigkeit erzeugt, so ruft die sittliche
Güte ihres Wandels auch Vertrauen zu ihrer Sache hervor.
So war es auch bei Christo, er lebte und that zunächst^ und dann
erst lehrte er (35). Nichts ist so kräftig Glauben zu erzeugen
als die bonitas loquentis. Ad fidem faciendam de trinitate et
incarnatione et multis aliis quae debet praedicans proponere,
desunt argumenta sufficientia et indispositio est in auditoribus ;
ergo ad fidem faciendam de trinitate, citra miracula dico, et
sie de ceteris aliis multis ad fidem pertinentibus, maxime valet
Das Bettelmönchtum als Herz der Kirche. 477
bonitas loquentis (13). Das fromme Leben der Bettelmönche
wirkt auf ihre Hörer und macht diese bereit auch ihrer Lehre
zu folgen. — Nun bedarf es aber einer solchen Wirkung, so-
wohl in der Mission den Ungläubigen gegenüber als auch unter
den Gläubigen. Daher bedarf die Kirche dieses Standes
apostolisch vollkommener Männer (14). Gegenüber der blossen
Technik des sakramentalen und kirchenzuchtlichen Handelns
ist hier nicht nur das Wort, sondern auch die That wirksam.
Und dadurch wird mehr gewirkt: praecipere enim opera vir-
tuosa perfecta illis qui ex voto tenentur et alia necessaria ad
salutem et pertinentia ad honestatem toti communitati christia-
norum et nolentes excommunicare vel alio modo punire et
poenitenter absolvere et sacramenta conferre credentibus : tales
actus non ita movent homines etiam christianos ad praedicta
bona opera meritoria facienda, sicut contemptus omnium mundi-
alium, perpessio voluntaria et cetera talia (81). Deshalb aber
wirken sie nicht nur äusserlich , sondern innerlich, bekehrend
und zur Busse und guten Werken anregend (33). Daher sind
sie die rechten geistlichen Väter der Kirche, die Glaube, Liebe
und Hoffnung in den Herzen erzeugen und diese darin er-
halten, während die Prälaten nur durch ihre äusseren Mittel
sich an der Erhaltung dieses Lebens beteiligen. So sind die
Bettelmönche in ihrem Leben wie in ihrem Wirken die rechten
und eigentlichen Nachfolger der Apostel und Christi: spiritu
sancto inspirati vitam perfectam et poenalem cum sana doctrina
fidei et contemptu mundi tenent Christi et apostolorum (93).
7. Durch diese Betrachtungen ist das Bettelmönchtum in
den Mittelpunkt des kirchlichen Lebens gerückt. Die Hierarchie
ist die Schale, das Mönchtum der Kern der Kirche. Die
wirklichen Werte im Leben der Kirche, der Glaube und die
Liebe werden nicht von den äusseren Mitteln der Prälaten,
sondern von den Mönchen gewirkt in der Kraft des neuen
Lebens, das sie führen, wie auch die Apostel Bekehrer waren
nicht zunächst vermöge ihres Amtes, sondern vermöge des
apostolischen Lebens der Vollkommenheit (40). — Hieraus
ergibt sich nun die höhere Bedeutung des Mönchsstandes vor
den Prälaten. Das Mass dieser Überlegenheit kann aus den
beiderseitigen Wirkungen erkannt werden, wie das in folgenden
478 Kap. V : Die jenseitige Vollendung- etc. der Christenheit.
merkwürdigen Sätzen zum Ausdruck kommt: quauto fides
mundo est necessarior quam sacramentalisin aqua
ablutiOj infidelium conversio, fidei confirmatio
quam fidelibus praelatis ecclesiasticis subiectio,
articulorum et ad salutem necessarior um praedi-
catio, de peccatis contritio quam sacramentalis
absolutio, voluntaria bona operatio quam timor
excommunicationis vel poenarum, honesta exterior
conversatio: tanto unus status magis quam alius est in se
perfectior et mundo simpliciter magis necessarius, sed status
vitam apostolorum tenentium et status praelatorum sie se
habent (93). Steht es aber so, dann verhalten sich die Prä-
laten zu den Bettelmönchen wie der Positiv zum Komparativ,
nämlich hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit für die Kirche (17),
dann ist jeder Christ ihnen mehr als den Prälaten verpflichtet,
denn erstere erzeugen das neue Leben in ihnen und thun es
umsonst, während letztere gemietet und bezahlt werden (34).
Gott hat dem gegenwärtigen Zeitalter wieder die Männer
der apostolischen Vollkommenheit gesandt, da es ihrer bedarf.
Aber sie sind schon früher dagewesen. In der ersten Zeit
der Kirchengeschichte oder der Periode der Verfolgungen
■waren sie als Bekehrer und Missionare unbedingt nötig. Dann
folgte die Periode der Häresien, hier genügte es an Männern,
die über die rechte Lehre verfügten. Aber nachdem dann die
Liebe in der Kirche erkaltet und die Weltlust übermächtig ge-
worden und man ähnlich, wie einst die Juden, zwar das rechte
Gesetz besitzt, aber nicht darnach thut, bedurfte es wieder der
Mönche (41).
8. Wenn also die Bettelmönche zur Wohlentwicklung der
Kirche absolut notwendig sind und sie doch auch leiblicher
Nahrung bedürfen, so kann ihnen das Recht, diese von anderen
zu empfangen, noch weit weniger abgestritten werden, als den
Prälaten (60). Wie die Apostel Christi ziehen sie durch das
Land und predigen das Evangelium, ohne nach Nahrung oder
Kleidung zu fragen, denn sie kennen das Wort von den Lilien
auf dem Felde. Nun sagt man freilich, gerade weil sie keine
sicheren Einnahmen und keinen Besitz haben, müssten sie mehr
als alle anderen Menschen an das tägliche Brot denken und
Die Bedeutung der Bettelmönche für die Geschichte. 479
darum Sorge tragen, es hier oder dort zu erlangen. Aber das
ist eine falsche Anschuldigung, denn erst das Eigentum be-
wirkt, dass die Seele au deu äusseren Gütern klebt (61), sie
dagegen nehmen es wie es kommt, sie haben bald Mängel,
bald Überfluss, sie brauchen alles, aber nicht als Eigentum (62).
9. Das ist es um die Männer der apostolischen Voll-
kommenheit. Sie sind der Kirche nötiger als jeder andere
Stand, denn sie sind die wirkungskräftigen Prediger des Evan-
geliums, wirkuugskräftig eben vermöge ihrer perfecta vita. Sie
stehen wie jede kirchliche Organisation unter dem Papst als
dem Vikar Christi. Nun war Christus der Herr der Schafe
wie ihr Hirte, und Petrus wie die Päpste folgten ihm in beidem.
Kegieren und Weiden sind also die Aufgaben des Papstes wie
der kirchlichen Amt er. Jenes geschieht durch die kirchliche
Zucht, dies durch die Predigt. Jenes kann der Papst be-
sorgen, selten aber dies. Als Regent steht er über den Prälaten
wie über den Predigern, wie denn im Staat der Herrscher auch
den Weisen zu befehlen hat. Aber sie haben das Leben und
er die Macht, und das Leben ist mehr als die Macht (71).
Aber nie darf ein Papst die Macht vom Leben trennen, denn
beides gehört zur Leitung der Kirche und muss daher im
höchsten Hierarchen vereinigt sein.^) Daher muss der Papst
die Repräsentanten des Lebens ansehen wie einen Teil von
sich selbst, sie folgen in der hierarchischen Abstufung sofort
auf den Papst (72). Post ergo domini papae virtutem regitivam
immediate est Status praedictus tanquam sua vita ad sim-
pliciter perfectam hierarchiam intranee requisita, et per conse-
quens est de intranea ratione perfectae hierarchiae (74).
So stehen in der Kirche Christi die praelati und die
Bettelmöche einander gegenüber. Et quamvis de scribis et
pharisaeis (Christus) diceret: „omnia quaecunque dixerint vobis,
servate et facite", non tamen eos, sed alios vitam perfectam
tenentes ad praedicandum voluit destinare, quia plus vita
quam doctrina mundum potest movere (95).
10. Das hohe dogmengeschichtliche Interesse dieser Aus-
^) Mutatis mutandis kann man sich bei diesem Idealpapst erinnern
des „Kirchenfürsten", wie ihn Schleiermacher auffasste.
480 Kap. Y : Die jenseitige Vollendung etc. der Christenheit.
fühniii^en des grossen Dogmatikers liegt auf der Hand. Die
Ideen der grossen Reformation des 13. Jahrhunderts klopfen
an die Thore des Kirchenbegriffes und begehren Einlass. Noch
tastet man nicht an den Thron des Papstes und an die Sessel
der Bischöfe, noch bleibt das Kirchenrecht und die Sakraments-
zucht bestehen. Aber das Eine was not thut, sucht man bei
ihnen vergebens. Dies Eine liegt in etwas anderem. Es ist
die Predigt des Evangeliums von der Armut und Weltab-
geschiedenheit, die Predigt von einem neuen Leben, die eine
überwältigende Macht ist, weil sie von erlebter Überzeugung,
von dem neuen Leben selbst getragen wird. Diese Predigt
und dies Leben ist die Grossmacht in der Kirche, der alles
andere unterzuordnen ist. Sie und nur sie wirken und erhalten
das neue Leben in der Christenheit. Die Kirchenzucht und
die Sakramente stellen nur den Rahmen her für diese Wirk-
samkeit, sie schaffen und erhalten die Ordnung, aber sie er-
zeugen nicht die Ideen und das Leben, nur Schriftgelehrte und
Pharisäer, nicht lebensmächtige Prediger des Evangeliums.
Welch eine Fülle von Ausblicken gewähren diese Ge-
danken, hineingestellt — wie sie es sind — in den Organismus
der römischen Kirche! Man kann von dieser Grundlage aus
Papst und Prälaten noch weit schärfer kritisieren als Duns es
gethan; man kann die ganze hierarchische Ordnung noch äusser-
licher und juristischer fassen, als er; man kann die evangelisch
Vollkommenen und ihre Kräfte in anderen und weiteren Kreisen
als in denen der Bettelmönche suchen, man kann von hier aus
furchtbare Forderungen im Namen der ,, Armen'' und der ,, Voll-
kommenen'' erheben. Und man kann endlich den Begriff der evan-
gelischen Predigt und des vollkommenen evangelischen Lebens
sehr anders, ja vielfach entgegengesetzt wie Duns bestimmen und
dann dem ganzen Baum der Hierarchie die Axt an die Wurzel
legen. Und dies alles ist geschehen. Es genügt an die Arbeit zu
erinnern, die Occam, Wiclif und — Luther an den Kirchen-
begriff gewandt haben. Der Historiker wird die Unterschiede,
die diese Bemühungen von denen des Duns trennen, nicht
übersehen, er wird vor allem die mittelalterlichen Schranken
seines Denkens immer wieder betonen — ihm fehlte das Beste,
der rechte Verstand des Evangeliums — ; aber er wird auch
Geschichtlicher Ausblick, 481
nicht verkennen , wie scharf unser Dogmatiker die Konse-
quenzen der reformatorischen Bewegung seiner Tage an dem
überkommenen Kirchenbegriff durchgeführt hat, man vergleiche
damit etwa die Ausführungen des Thomas über die Kirche in
seiner Erklärung des apostolischen Symbols. — Aber schliess-
lich wiederholt sich, was wir so oft bei Duns gefunden, neben
den neuen Gedanken und der kühnen Kritik des Überkommenen
steht das positive Eecht der Kirche (s. z. B. Sent. IV dist. 21
quaest. 2, 10. 18; dist. 17 quaest. un. 15), der kirchliche Posi-
tivismus. Papst und Prälaten bleiben wie sie waren und be-
halten was sie hatten ; am kirchlichen Staat darf nichts ver-
ändert werden, das wäre gegen das Kirchenrecht; das alte
Kleid wird mit neuen Lappen geflickt.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 31
Sechstes Kapitel.
Aus der Ethik des Duns Scotus.
I. Die ethischen Prohleme.
1. Die Kombination zwischen der antiken Tugendlehre
und der christlichen Liebe, die Augustin vollzogen hat, ist für
die Ethik des Mittelalters massgebend geworden, nur dass bei
den Theologen des Mittelalters es nicht in dem Grade gelungen
ist, jene und diese mit einander zu vereinigen. ^) Der Lombarde
hat auch für die Ethik die seither immer wiederkehrenden
Themata festgestellt. Abgesehen von der im 2. Euch der
Sentenzen gegebenen Sündenlehre ist die eigentliche Fundgrube
für die Ethik das 3. Buch, wo im Zusammenhang der Christo-
logie die Tugend- und Gesetzeslehre dargestellt ist; dazu
kommt das ethische Material, das sich bei Besprechung des
Ehe- und Busssakramentes einstellt. Eingehend haben dann
auch Alexander und Bonaventura, Eichard von Middleton und
Heinrich von Gent, besonders aber Thomas — in der grossen
Darstellung der Secunda in seiner Summa — die ethischen
Probleme behandelt. Durch Thomas dringt der ganze aristo-
telische Begriffsapparat in die Ethik ein. — So häufig und ein-
gehend die Ethik des Thomas dargestellt worden ist,-), sowenig
^) Vgl. z. B. die Bemerkungen Augustins über die Einheit der Kardi-
naltugenden mit der Liebe, de moribus eccl. cath. I, 15, 25.
^) S. bes. Bietter, Die Moral des heil. Thomas Aquinas, München
1858. Nennenswerte Bemühungen um die Ethik des Duns Scotus existieren
m. W. nicht. Die gelegentlichen Notizen in den Geschichten der Ethik
sind nicht dazu angethan, die Erkenntnis zu fördern. Dasselbe gilt be-
züglich des umfänglichen ethischen Materials bei Bichard und Heinrich.
Die ethischen Probleme. 483
haben die Historiker der Ethik in der Regel für Duns an Zeit
und Kaum übrig gehabt. Wenngküch auf den ersten Blick
seine Auffassung vielfach mit dem augustinisierenden Aristote-
lismus des Thomas zusammenzufallen scheint, so zeigt eine ge-
nauere Betrachtung doch auch eine Fülle eigenartiger Gedanken.
Indem die ethischen Auffassungen des Duns aber auch für
seine Gesamtansicht vom Christentum wichtig sind, wollen wir
dieselben im folgenden — soweit das lückenhafte Material es
gestattet — darstellen.
Eine Anzahl von Begriffen, die man an diesem Ort be-
handeln könnte, sind von uns bereits früher dargestellt worden.
Vor allem erinnern wir an die Lehre von der Sünde und Frei-
heit (S. 216 ff.), an den Begriff des Habitus der Gnade (S. 300 ff.)
und an den Verdienstgedanken (S. 313 f.). Fassen wir die dabei
gewonnenen Resultate kurz zusammen, so empfangen wir zu-
gleich die massgebenden Gesichtspunkte für die Ethik des Duns.
Trotz der Sünde behält der menschliche Wille seine
Freiheit bei. Allein keine Entschliessung des Willens wird
von Gott als gut acceptiert, sie gehe denn aus dem eingegossenen
Habitus der Liebe hervor, denn nur in dem Zusammen-
hang dieses Habitus erkennt Gott eine Handlung als sittliches
Verdienst an. — Wenn also das Ziel aller Menschen oder
das höchste Gut die beatitudo ist,^) so wird jeder Mensch den
Antrieb haben, dies Ziel zu erreichen. Nun kann die operatio
zur Erreichung eines Zieles factiva finis oder meritoria finis
sein, je nachdem ob die Thätigkeit das Ziel zu verwirklichen
trachtet oder nur bewirkt, dass sie es als Gabe eines anderen
erreicht. Indem aber die Seligkeit nur in letzterem Sinn als
Ziel bezeichnet werden kann, ist deutlich, dass jedes auf sie be-
zogene Thun meritorischen Charakter trägt (II dist. 5 quaest. 1, 3).
Sonach sind alle Akte und Habitu alitäten des Menschen,
die zur Erreichung des höchsten Gutes dienen, sowohl ver-
dienstlich als auch irgendwie durch den Habitus der Liebe be-
stimmt. Nun aber kann auch, abgesehen hievon, eine Hand-
lung als gut bezeichnet werden, sofern eine dreifache Form
^) Vgl. Aristotel. Eth. Nie. I, 2. 5. Thomas Summa II. I quaest. 1
art. 4. 6. 8; quaest. 3 art. 2. 4fi'.
31*
484 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
moralischer Güte im monschlichen Willen anzunehmen ist, je
nachdem, ob man daran denkt, dass der Wille das dictamen
rectae rationis verwirklicht, oder dass er allen Umständen ent-
spricht, die jenes dictamen der praktischen Vernunft in sich
fasst. Aber wirklich gut, d. h. ein vor Gott giltiges Verdienst
wird eine Handlung nur dadurch, dass sie von der Liebe ab-
hängt (II dist. 7 quaest. un. § 11). Im Vollsinn gut ist also
ein moralischer Akt, der allen diesen Bedingungen entspricht,
d. h. ein Akt, der dem Willen Gottes gemäss ist und zwar
nicht nur hinsichtlich der Güte des Aktes und seines Objektes,
sondern vor allem im Zweck und in der entsprechenden Ge-
staltung aller Umstände, die sich aus der besonderen Lage des
Menschen ergeben (I dist. 48 quaest. un. § 2).
2. Aus diesem Zusammenhang lässt sich aber abnehmen,
nach welcher Ordnung wir im folgenden die Ethik darzustellen
haben. Es ist zuerst von den Normen zu handeln, nach denen
die Güte einer Handlung zu bemessen ist, nämllich von dem
Gesetz der praktischen Vernunft oder dem Naturrecht, sowie
von den positiven Gesetzen. Es ist sodann darzustellen, was
es um den Habitus der Tugenden ist, wobei zunächst die ver-
schiedenen Gruppen festzustellen sind, dann aber das Ver-
hältnis derselben unter einander zu untersuchen ist, besonders
wie sich die moralischen Tugenden zu der Vernunft und wie
sie sich zu dem übernatürlichen Habitus der Liebe verhalten.
Drittens werden w^ir einige praktische ethische Fragen (besonders
aus der Sozialethik) erörtern.
IL Die Normen des ethischen Handelns; Natnrrecht,
göttliches und kirchliches Gesetz.
1. Das Naturrecht.
1. Die Norm des ethischen Handelns ist das Gesetz. Das
Gesetz ist ethisches Naturrecht (lex naturae) und positives
göttliches und menschliches Recht. Unter das Naturrecht fällt
jede ethische Forderung, die als ein praktisches Prinzip auftritt,
das an sich, seinem Begriff nach der Vernunft einwohnt, oder
aber praktische Forderungen enthält, die direkt auf dem Wege
Das Naturrecht. 485
des Schlusses oder der logischen Demonstration aus jenem her-
geleitet werden können. Propriissime de lege naturae est prin-
cipium practicum per se notum et conclusio demonstrative de-
scendens ex tali principio. Nur im weiteren Sinn können als
naturrechtlich solche Forderungen bezeichnet werden, die zwar
deutlich übereinstimmen mit jenen vernunftnotwendigen sittlichen
Gedanken, die aber doch nicht mit Evidenz aus ihnen abgeleitet
werden können (IV dist. 26 quaest. unic. § 7 ; ebenso III dist. 37
quaest. unic. § 5 ; IV dist. 17 quaest. unic. § 3 cf. dist. 33
quaest. 1, 7).
2. Zum Verständnis dieser Gedanken müssen wir uns der
Lehre von der Synderesis erinnern (oben S. 215). Der antike
Gedanke von den dem Geist immanenten, schlechthin allgemeinen
praktischen Vernunftprinzipien liegt dieser das ganze Mittel-
alter beherrschenden Idee des Naturrechtes, d. h. im einzelnen
Menschen der Synderesis samt dem Gewissen, zu Grunde.^)
Es ist aber ein Zeichen der Denkschärfe und Konsequenz
unseres Autors, dass er bemüht ist, diese Prinzipien als rein
formal und abstrakt vernünftig zu bestimmen, sie also von
jeder inhaltKch positiven Forderung auch des göttlichen Ge-
setzes zu unterscheiden. Dadurch wird prinzipiell wenigstens
der Widerspruch mit dem Satz, dass der Intellekt vor der
Gewinnung konkreter Anschauungen tabula rasa sei (oben
S. 97), vermieden. Andererseits wird aber auch, allerdings
nur im Prinzip, die leichte Gleichsetzung von kirchlichen An-
sprüchen und Forderungen mit dem Naturrecht, wie die Hier-
archen des früheren Mittelalters sie vollzogen, sowie die Prä-
dizierung jeder Kritik der Hierarchie als naturrechtlich be-
gründeter, die im späteren Mittelalter beliebt war, ausgeschlossen.*)
Im eigentlichen Sinn naturrechtlich sind für Duns also nur solche
sittliche Gebote, die direkt und formal aus der Vernunft her-
stammen, also etwa: dass man das höchste Wesen ehren soll.
^) Vgl. z. B. Aristotel. Etb. Nicom. II. 10 : alle Gerechtigkeit beruht
auf vöfioi, das Recht zerfällt in (pvcfnov und vofimov.
'') Vgl. meine Dogmengesch. II S. 36. 155 f. 167 f. Für die Ge-
schichte der Ethik war besonders wichtig die Verwendung des Begriffes
in dem Dekret des Gratian, sowie der Gebrauch, den Abälard von ihm
gemacht hat, s. bes. den Dialog, bei Migne 178, 1619 ff.
486 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
oder dass mau niemand das thun soll, was man sich nicht
selbst gethan sehen möchte. Indem diese Gebote einfach mit
der Vernunft gegeben sind, kann niemand von ihnen dispensieren.
Daher ist klar, dass eine lauge Eeihe von Sittengeboten, wie
viele der sog. zweiten Tafel des Dekalogs, nicht zum Natur-
recht gehören, da sie nicht principia practica simpliciter neces-
saria sind (IV dist. 37 quaest. uii. § 5). Gratian irrt also,
wenn er die Gebote des Alten und Neuen Testamentes als
naturrechtlich ansieht, da weder hier noch dort die Gebote
rein vernünftig sind; ja häufig den Vernunftforderungen nicht
einmal entsprechen (IV dist. 17 quaest. un. § 3). Diese Kritik
Gratians folgt aus der scharfen Begrenzung des Naturrechtes
bei Duns. Allein diese Einsicht wird nicht immer eingehalten,
so z. B. wenn Duns meint, das ursprüngliche Naturrecht sei
memorialiter ad filios per patres gekommen (Sent. prol. quaest.
2, 15)^ wobei doch offenbar an positive sittliche Eegeln und
nicht an Prinzipien der praktischen Vernunft zu denken sein wird.
2. Das positive göttliche und kirchliche Gesetz.
1. Vom Naturrecht sind genau zu unterscheiden die leges
positivae divinae, die Gott zu bestimmter Zeit und für be-
stimmte Zeiten gegeben hat. Ursprünglich herrschte in der
Menschheit nur das Naturrecht. Dann gab Gott das mosaische,
dann das evangelische Gesetz, und zwar so, dass in processu
generationis humanae semper crevit notitia veritatis, d. h. dass
auf dem Wege geschichtlichen Fortschrittes das spätere Gesetz
vollkommener als das frühere wurde (IV dist. 1 quaest. 3, 8
cf. dist. 2 quaest. 1, 2). Das positive Recht erweist sich als
eine geschichtlich notwendige Ergänzung des Naturrechtes.
Die Menschen lassen es sich nicht genug sein an der blossen
Vernunftforderung und bedürfen der positiven Formen. Minus
obediunt homines soll legi naturae quam deo praecipienti, quia
minus timent et reverenter conscientias proprias quam aucto-
ritatem divinam (IV dist. 26 quaest. un. § 9). Das gilt auch
im besonderen von den ungebildeten Menschen der Urzeit, zumal
nach dem Fall, denen auch das an sich Natürliche durch
eine lex data klar und eindrücklich gemacht werden musste
Das göttliche Recht. 487
(III dist. 37 quaest. un. § 13). Dazu kommt, dass die An-
wendung des Natnrreclites auf die einzelnen Fälle des prak-
tischen Lebens nur selten vollkommen deutlich und der Ver-
nunft einleuchtend ist. Daher greift das positive Gesetz
hier ergänzend ein (IV dist. 26 quaest. un. § 9). Die positive
Gesetzgebung Gottes ergänzt und erläutert also die moralische
Ausrüstung, die er mit der Vernunft dem Menschen verliehen
hat. Niemals aber kann das positive Gesetz ein Naturrecht
umstossen. Quod autem est de lege naturae non tollitur per
aliud quod est tan tum de lege positiva (IV dist. 36 qu. 1, 5).
Das positive Recht ist, da es für bestimmte Zeiten und Men-
schen gegeben wird, von dem natürlichen Recht dadurch ver-
schieden, dass letzteres schlechthin uniform, ersteres geschicht-
lich mannigfaltig ist. Es ist z. B. eine der Vernunft immanente
und überall identische Forderung, dass Gott zu verehren ist,
aber die Formen der Gottesverehrung wandeln sich in dem
steten Wechsel des positiven Rechtes (IV dist. 17 quaest. un.
§ 30). Diese Formen aber können im einzelnen nicht als ver-
nunftnotwendig erwiesen werden, wie etwa die Tieropfer oder
die Verehrung Gottes durch Darbringung der Eucharistie und
Psalmengesang. Es liegt in ihnen ein Zugeständnis an die
wechselnde geschichtliche Art des Menschen. Dies ist also das
ius positivum divinum, quod continetur in scrip-
tura divina (1. c. § 4).
Die heil. Schrift ist somit das göttliche Gesetzbuch, die
positive Ergänzung zu den moralischen Vernunftprinzipien.
Nun beschränkt sich aber das göttliche Recht nicht nur auf
die heil. Schrift, sondern es umfasst auch alles das, quod absque
omni scriptura die Apostel der Kirche als von Christus her-
rührend promulgiert haben (1. c. § 17). Demnach ist auch die
ganze ungeschriebene Tradition der römischen Kirche göttliches
Recht.
2. Doch hiermit ist es nicht genug. Gott hat auch der
Kirche die Gewalt gegeben, positive Rechte herzustellen. Diese
bilden eine weitere Norm der Sittlichkeit. Wie nämlich das
göttliche Gesetz das natürliche erläuterte, so haben die Führer
der Kirche das Gesetz Christi (speziell das christliche Straf-
recht), das an und für sich einfach und leicht war, genauer
488 Kap. VI : Aus der Ethik des Duns Scotus.
erklärt und ergänzt, indem sie von ihrem Recht als Richter
Gebrauch machten, quia licitum est iudicibus statuere leges ad
pacem servandam. Sic konnten die Ergänzungen dem mosaischen
Gesetz oder anderen Rechtsquellen entnehmen; sofern sie der
lex divina nicht zuwiderlaufen, sind die kirchlichen subditi zu
ihrer Einhaltung verpflichtet. Es entgeht Duns nicht, dass das
christliche Gesetz auf diesem Wege durch die Zusätze der
principes christiani eine gravitas empfängt, die ihm an sich
fremd ist. Es ist viel hinzugesetzt per eos qui habent regere
populum christianum (III dist. 40 quaest. un. § 6).
3. Die ethischen Normen des Duns sind also die Forde-
rungen der praktischen Vernunft, das Gesetz Christi sowie die
Ordnungen des gesamten Kirchenrechtes. Diesen Normen
Gehorsam zu leisten, ist die Aufgabe des sittlichen Menschen.
Diese kirchenrechtliche Auffassung umspannt die gesamte
Offenbarung; es ist daher auch eine ethische Forderung, den
Gehorsamsakt des Glaubens allen Punkten der Überlieferung
gegenüber zu vollziehen. Und diese Anschauung koordiniert
die tiefsten moralischen Anweisungen Christi mit all den
kirchenrechtlichen Kunststücken des Ehesakramentes oder der
Restitution. Man muss sich diese Auffassung gegenwärtig er-
halten, um die kirchenrechtliche Kasuistik der mittelalterlichen
Ethik zu begreifen. AVar erst das Kirchenrecht mit der
höchsten ethischen Autorität bekleidet, so war es wirklich eine
Aufgabe des Ethikers, die Wege zu bahnen, auf denen das-
selbe in das kirchliche Leben einziehen konnte, ja die Härten
und Grausamkeiten desselben abzumildern. Wir werden dies
weiter unten zu beobachten Gelegenheit haben.
3. Naturrecht und göttliches Gesetz.
Abschliessend müssen wir jetzt den Erörterungen des Duns
über das Verhältnis der zehn Gebote zum Naturrecht und des
alttestamentlichen zu dem neutestamentlichen Gesetz nachgehen.
1. Es fragt sich, ob die zehn Gebote Forderungen
des Naturrechtes zum Ausdruck bringen? Thomas hat
diese Frage bejaht, die Gebote ergeben sich aus den ersten
praktischen Prinzipien der Vernunft, sie richten den Willen
Kirchliches Recht. Ob die zehn Gebote Naturrecht? 489
auf das letzte Ziel. Wegen dieser Art der Gebote könne auch
Gott nie von ihnen dispensieren. Demgegenüber sagt Duns,
das dispensare sei nicht das Bewirken dessen, dass man staute
praecepto gegen letzteres handeln könne, sondern es bedeute
die revocatio iuris oder eine declaratio iuris. Nun kann Gott
freilich wie jeder Gesetzgeber ein positives Recht zurücknehmen
oder aufheben, er kann aber nicht dasselbe zugleich fort-
bestehen und den von ihm verbotenen Akt erlaubt sein lassen.
Es kann also nicht zugleich das Gesetz: Du sollst nicht töten
gelten und Abraham seinen Sohn töten sollen (III dist. 37
quaest. un. § 3). Wollte man nun die Gebote des Dekalogs
als Naturrecht d. h. als schlechthin vernunftnotwendig ansehen,
so müsste Gottes Willen den Geboten absolut entsprechen.
Das ist aber nicht möglich, da Gottes Wille zu allem ausser
ihm Liegenden nur willkürliche Beziehungen hat. Man kann
also nicht behaupten, dass die Forderungen des Dekalogs an
sich wahr sind; sie sind es, sofern Gott sie als solche gelten
lässt, dann sind sie aber auch nicht naturrechtlich (ib. § 4).
Nach Duns Ansicht sind sicher die Gebote der zweiten
Tafel nicht Naturrecht, denn weder was hier geboten noch was
verboten wird, ist einfach eine bonitas convertens ad finem
ultimum oder eine malitia necessario avertens a fine ultimo.
Auch ohne diese Satzungen wäre diese Beziehung zum letzten
Ziel oder höchsten Gut denkbar. Diese ist aber vernunft-
notwendig oder Naturrecht. Sofern die Gebote der zweiten
Tafel nicht unmittelbar unter diese Beziehung befasst sind, sind
sie nicht Naturrecht (ib. 5). Da aber diese direkte Beziehung
zu Gott durch die Gebote der ersten Tafel ausgedrückt wird,
gehören sie freilich mit unter das Naturrecht, nämlich das
1. und 2. Gebot: ista sunt stricte de lege naturae, quia sequitur
necessario : si est deus, est amandus ut deus et quod nihil aliud
colendum tanquam deus nee deo est facienda irreverentia (§ 6).
Dies gilt aber nicht vom 3. Gebot. Es kann nämlich nicht
als vernunftnotwendig erwiesen werden, dass jemand gerade zu
diesem bestimmten Zeitpunkt Gott seine Verehrung darbringen
soll. Da nun das Verbot der Arbeit am Sabbath nur den
Zweck habe, den Kultus zu ermöglichen, so kann das Gebot
weder in jenem positiven noch in diesem jenem subordinierten
490 Kap. VI: Aus der Ethik des Dans Scotus.
negativen Teil als Naturrecht angesehen werden (7). Das dritte
Gebot ist also so, wie die Gebote der zweiten Tafel zu be-
urteilen.
Gehören diese Gebote aber auch wegen ihres besonderen
und positiven Charakters nicht strikt zum Naturrecht, so kann
doch eine gewisse Beziehung zu demselben angenommen werden,
quia sunt multum consona illi legi, licet non sequuntur necessario
ex principiis practicis. In diesem Sinn sind alle Gebote der
zweiten Tafel Naturrecht, da sie durchaus mit den Prinzipien
der praktischen Vernunft übereinstimmen, ohne freilich mit
absoluter Notwendigkeit aus ihnen abgeleitet werden zu können.
Zur Erläuterung bildet Duns ein Beispiel. Dass die Bürger
im Staat friedlich zusammenlebeo, ist eine naturrechtliche For-
derung. An sich kann dieselbe zusammenbestehen mit dem
Kommunismus, aber auch mit dem Privateigentum. Aber die
Erwägung der wirklichen Verhältnisse legt nahe, dass jene
naturrechtliche Forderung besser bei der Form des Privat-
eigentums erfüllt wird. So dienen die bezüglichen positiven
Gesetzesbestimmungen dem Naturrecht und haben also eine
gewisse Beziehung zu ihm. Nur in diesem mittelbaren Sinn
enthält die zweite Tafel Naturrecht.
Streng genommen sind also nur das erste und zweite Gebot
identisch mit Forderungen des Naturrechtes (§ 8).
2. Gegen dies Resultat erhebt aber Duns einen Einwand.
Man kann auf Grund von Matth. 22, 39 die zweite Tafel auf
das Gebot der Menschenliebe reduzieren, diese aber aus der
Liebe zu Gott ableiten. "Wenn dieser Schluss ein vernunft-
notwendiger ist, würde freilich die zweite Tafel als naturrecht-
lich erwiesen sein. Etwa so : die vollkommene Liebe liebt mit,
was der Geliebte liebt, also lieben wir die Kreatur, weil Gott
sie liebt (9).
Aber hiegegen können wichtige Gründe angeführt werden.
1) Vor allem könne man bezweifeln, ob das Gebot Gott zu
lieben in dieser positiven Form schlechtweg naturrechtlich ist.
Das scheint nur von der negativen Form zu gelten: non odire
enim est simpliciter de lege naturae. Diese scharfsinnige
Beobachtung zeigt, wie streng Duns es mit dem rein formalen
Naturrecht und zehn Gebote. 491
Charakter des Naturrechtes nimmt. Aber es ist deutlich, dass
aus der Negativa der obige Schluss nicht ableitbar ist. —
2) Man kann sagen: die Vernunft verpflichtet mich nie dazu
zu wollen, dass irgend ein Gut gerade einer besonderen Person
zukomme. Die Bemerkung aber von der Pflicht zu lieben,
was der Geliebte liebt, ist auf den beschränkt, cuius dilectio
l^lacet dilecto. Indem sie aber nicht schlechthin gemeingiltig
ist, ist sie auch nicht naturrechtlich. — 3) Aber gesetzt die
Ableitung der Nächstenliebe aus der Liebe zu Gott wäre aus-
reichend begründet und die Nächstenliebe als Naturrecht er-
wiesen, so könnte dies doch nur den Siini haben: simpliciter
esse volendum proximo ipsum diligere deum, quia hoc est dili-
gere proximum. Kann nur das der Sinn des allgemein natur-
rechtlich gedeuteten Liebesgebotes sein, so folgen die besonderen
Regeln der zweiten Tafel keineswegs aus jenem Prinzip. Denn
daraus, dass ich einem die Liebe zu Gott wünsche^ folgt nicht
mit logischer Notwendigkeit, dass ich ihn an seinem Leben
oder Eigentum zu schädigen unterlasse (§ 11). — Die Gebote
der zweiten Tafel sind also nicht naturrechtlich oder vernünftig ;
es sind positive göttliche Gebote, die erläuternd anzeigen, wie
die von Gott dem Menschen eingeflössten Prinzipien des Natur-
rechtes im praktischen Leben verwirklicht werden sollen. Als
natur rechtlich kann nur der Gedanke velle proximo ipsum dili-
gere deum bezeichnet werden. Aber mit ihm harmonieren die
positiven Forderungen des Gesetzes, ihm auch im übrigen das
Gute oder wenigstens nichts Böses zu wünschen (§ 12). Im
allgemeineren Sinn können sie also auch als naturrechtlich be-
zeichnet werden (cf. II dist. 21 quaest. 2, 3).
4. Das alt- und neu testamentliche Gesetz.
Wir wenden uns weiter zu der Frage nach dem Verhältnis
des alttestamentlichen zum neutestamentlichen Gesetz. Ein
Gesetz ist in dem Mass schwerer denn ein anderes, als es
schwerere Lasten auferlegt und geringere Hilfsmittel zu ihrer
Ertragung zulässt. Nun sind in dem Gesetz praecepta moralia,
caeremonialia et iudicialia zu unterscheiden (III dist. 40 quaest.
un. § 2). Was nun diese Gebote betrifft, so gilt vom Neuen
492 Kfip. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
Testament im Verhältnis zum mosaischen Gesetz: in lege nova
moralia sunt eadem quae tunc, sed magis explicata. Caere-
monialia sunt multo pauciora et leviora quae imposita sunt per
Christum. ludicialia nulla sunt posita per Christum, sed magis
est lex mititatis et humanitatis, in qua non oportet habere
iudicialia iuxta illud I. Cor. 6 (§ 3). Wenn man nun auch
angesichts der Vertiefung des alten Gesetzes durch die Berg-
predigt zugesteht, dass die moralischen Satzungen im Neuen
Testament schwerer sind, so wird dies doch reichlich auf-
gewogen durch die Fülle der ceremonialgesetzlichen Vorschriften
— Rabbi Moyses enumeravit plus quam sexcenta praecepta —
und die Schwierigkeit ihrer Erfüllung (§ 4). Daher habe schon
Petrus davon abgemahnt, die Heidenchristen mit diesem Joch
zu beschweren (Act. 15). Das Neue Testament habe nur sieben
leicht zu erlangende Sakramente, deren nicht einmal jeder be-
darf, ja von denen vielleicht nur Taufe und Busse nötig sind (5).
Das gleiche gilt eigentlich von den praecepta iudicialia. Doch
hat die Kirche die leichten Satzungen Christi auf diesem Gebiet
sehr erheblich erweitert und verschärft (§ 6 s. oben S. 488). —
Schliesslich muss aber noch darauf hingewiesen werden, dass
den Christen mehr und bessere Hilfsmittel zur Gesetzeserfüllung
zu Gebote stehen als den Juden. Nämlich die sieben Sakra-
mente, eine doctrina magis explicativa et declarativa veritatis,
endlich exempla sanctorum plura et efficaciora ad imitandum
und plura merita sanctorum. Daher: plura adiutoria et effi-
caciora sunt in lege christiana quam in veteri et ideo ex ea
parte lex nova est levis. Hiezu kommt die Verheissung ewiger
Güter als Lohn, während im Alten Testament wenn, dann nur
zeitliche Güter versprochen wurden (§ 7). Somit muss man
im Sinn des Duns sagen, dass die neutestam entlichen Gebote
zwar tiefere und umfassendere Forderungen stellen, als die alt-
testamentlichen, dass aber trotzdem das neutestamentliche Gesetz
als das leichtere zu bezeichnen ist wegen des fast völligen
Mangels an Ceremonialgesetzen und wegen der kräftigen Unter-
stützungen, die es seinen Dienern gew^ährt.
2. Es kann aber weiter festgestellt werden, dass für die
Christenheit jenes schwierigere mosaische Gesetz hinsichtlich
seiner iudicialia abgethan ist. Die Christenheit soll nicht
Das mosaische Gesetz gilt an sich nicht der Kirche. 493
iudaizare. ^) Aber obgleich das mosaische Recht als solches
nicht mehr in Geltung steht, so kann doch das positive Recht,
sei es der Kirche oder des Staates, seinerseits ebenso Anleihen
bei dem mosaischen Gesetz machen, wie etwa ein anderes Volk
die französischen Gesetze nachahmen oder ein Orden die Ein-
richtungen und Satzungen eines anderen herübernehmen kann.
In diesen Fällen gelten die betreffenden Bestimmungen natür-
lich nur deshalb, weil der betreffende Staat oder Orden sie
annimmt und seinerseits approbiert (IV dist. 15 quaest. 3, 4).
So gilt auch die mosaische Strafgesetzgebuug nicht an sich, son-
dern nur vermöge der Approbation des Staates oder der Kirche :
Et hoc modo iudicialia multa legis Mosaicae possent a papa
et ab imperatore statui a christianis observanda, nee observa-
rentur ut a Moyse statuta, sed ut a legislatore evangelico, nee
hoc esset iudaizare, quia non servatur lex Mosaica, sed quia
eadem statuitur a principe qui potest statuere leges in lege
christiana (1. c. § 4). — Dazu kommt, dass das mosaische Ge-
setz immerhin von Gott herrührt und daher nicht thöricht ist.
Es enthält vieles Harte, aber auch viel Vernünftiges (dura quae
non oportet in evangelio servare, tarnen multa dedit rationa-
bilia valde etiam pro statu quocunque in hac vita mortali),
was der Gesetzgeber gut thut aufzunehmen. Wieviel weltliche
Gesetze sind nicht fehlerhaft! Oder wäre es nicht richtiger
Gotteslästerer, Ehebrecher oder Götzendiener mit dem Tode
zu bestrafen, statt die Diebe aufzuhängen? Dazu macht Duns
die feine Bemerkung: Sed patet ad quid aspiciunt plus principes,
quia magis ad commodum temporale quam ad honorem dei, et
per hoc plus puniunt et reprimere volunt peccata in proximum
quam in deum (ib. 5). -)
3. Die obige Betrachtung über die Abrogation des
mosaischen Gesetzes bezog sich zunächst auf die Strafgesetz-
gebung, sie muss aber natürlich auch auf die Ceremonialgesetze
ausgedehnt werden. Hinsichtlich der moralischen Gesetze des
Alten Testamentes vermisse ich eine ausdrückliche Auseinander-
^) Man vergl. hiezu auch Robert Grossetestes Liber de cessatione
legalium (Lugdun. 1652, auch London 1658).
^) Vgl. hiezu eine überraschende Parallele bei Calvin (in dem be-
rühmten Brief an Somerset Corp. Ref. XLI p. 76).
494 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
Setzung. Da aber Christi Gesetz zu denselben in dem Ver-
hältnis der Ausführung und Auslegung steht, so wird zu
urteilen sein, dass das alttestamentliche Gesetz in diesem Sinn
nicht aufgehoben ist. Indessen hat Duns, wenn ich recht sehe,
die Erkenntnis von der bloss zeitgeschichtlichen Geltung des
mosaischen Gesetzes nicht streng eingehalten. Denn er be-
handelt doch wieder auch die mosaische Strafgesetzgebung als
gemeingiltiges, weil göttliches, Kecht. So wird etwa die
Frage, ob es Recht sei, jemand um einer gerechten Ursache
willen zu töten, bejaht unter Berufung auf das mosaische Ge-
setz, das für Blasphemie, Mord, Ehebruch etc. den Tod ver-
ordnet. Kein menschliches positives Gesetz wäre an sich im
Stande die göttliche Ordnung: non permittas hominem occidi
aufzuheben, wenn nicht und sofern nicht das göttliche Gesetz
Ausnahmen statuierte (IV dist. 15 quaest. 3, 7). Deshalb erklärt
sich Duns auch mit erfreulichem Freimut wider die im Mittel-
alter gang und gäbe Anwendung der Todesstrafe für Dieb-
stahl. Die Schrift ordnet das nicht an und daher : non vides,.
quod lex aliqua iusta possit statuere hominem occidi pro furto
solo. Anders könne man nur urteilen, w^enn etw^a der Dieb
als Räuber auftrat und dann seine Bereitschaft zum Morde
präsumiert werden darf. Und wenn auch die Juden bisweilen
Diebe mit dem Tode bestraft haben, so erfordert die evan-
gelische Barmherzigkeit mehr noch für den Dieb als für den
Ehebrecher (vgl. Job. 8, 11) Milde (ib. § 8. 9).
4. Damit haben wir die Normen des sittlich Guten bei Duns
erkannt. Es ist das Gesetz in vollem Umfang. Nämlich das
dem Menschen angeborene rein vernünftige Naturrecht, das in
dem Menschen als praktische Vernunft oder Synderesis wirk-
sam ist; sodann das positive göttliche Recht im Alten imd
Neuen Testament, geschrieben und ungeschrieben, das an das
Naturrecht anknüpft und dasselbe erläutert, erweitert und an-
wendet; endlich aber das positive kirchliche Recht, das den
praktischen Bedürfnissen entsprechend das göttliche Recht aus-
legen und erweitern kann, sei es dass es alttestamentliche Ord-
nungen auf die Kirche überträgt, sei es dass es staatliche
Ordnungen als kirchlich giltig recipiert. — Es ist kar, dass
eventuell sittliche Forderungen nicht nur von einer dieser
Pflicht und Tugend. 495
Normen, sondern von allen zugleich ausgehen können, wie etwa
die Pflicht, das Beichtgeheimnis einzuhalten (IV dist. 21 quaest.
2, 4 cf. II dist. 21 quaest. 2, 3). Aber ebenso einleuchtend
ist es, dass jede dieser Normen schon für sich eine sittliche
Pflicht des Christen begründen kann, denn jede repräsentiert
den göttlichen Willen bezüglich des sittlichen Handelns des
Christen, entweder sofern er als Mensch die praktische Ver-
nunft hat, oder sofern er als Christ Gott und Christo glaubt,
oder sofern er als Mitglied der Kii'che ihren Ordnungen als
göttlichen unterworfen ist.
Man könnte erwarten, dass wir, nach Kenntnisnahme von
den Normen des Sittlichen, nun weiter eine Darstellung der
ethischen Anlagen des Menschen nach Duns Scotus, besonders
also die Freiheitslehre vortragen. Davon kann aber Abstand
genommen werden, indem die bezüglichen Gedanken bereits in
anderem Zusammenhang dargestellt wurden (S. 86 ff.).
Wir wenden uns deshalb sofort dem zweiten ethischen
Problem, dem unser Denker eine eingehendere zusammen-
hängende Darstellung gewidmet hat, zu, der Tugendlehre. Der
Zusammenhang derselben zu der Gesetzeslehre ist einfach.
Das Gesetz zerfiel in positives göttliches (bezw. auch kirch-
liches) Recht und Naturrecht. Die hier in Betracht kommenden
Tugenden sind die theologischen und die moralischen. Die An-
regung, die von dem theologischen Habitus ausgeht, treibt den
Christen zu Handlungen an, durch die er den Willen Gottes
oder sein Gesetz erfüllt. Andererseits sind die Urteile der
praktischen Vernunft oder des Naturrechtes die massgebenden
Normen für die natürlichen moralischen Willensbethätigungen des
Menschen. Also wird durch die theologischen Tugenden das
göttliche Gesetz, durch die moralischen Tugenden das Natur-
recht seine Erfüllung finden. Indem aber die moralischen
Tugenden in den Dienst der theologischen Tugenden gezogen
werden können, tritt im Leben eine Kombination beider
Tugendgruppen ein. Hievon wird nun weiter zu handeln sein»
496 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
III. Die Tugendlehre, theologische und moralische
Tugenden.
1. Die EinteiluDg der Tugenden.
1. Die Tugend ist der Habitus des Guten im Menschen.
In der Regel entsteht der Habitus aus der Wiederholung be-
stimmter HandluDgen. Yirtus non acquiritur nisi ex actibus
(de perfect. statuum 51). In dem Antrieb zur Wiederholung
derselben, sowie in der Leichtigkeit und Gewandtheit, mit der
sie hinfort vollzogen werden, gibt er sich kund. Er bewirkt,
dass wir faciliter, delectabiliter, prompte, expedite zu handeln
vermögen (I dist. 17 quaest. 2, 12 cf. oben S. 311). So heisst
es von dem Willenshabitus: in ipsa (sc. voluntate) ex actibus
eins frequenter electis quaedam habilitas inclinans ad similes
actus, et illum voco virtutem (III dist. 33 quaest. unica § 5).
Das sind die natürhchen Habitus, wie sie sowohl für den In-
tellekt als den Willen auf dem Wege natürlicher seelischer
Entwicklung erworben werden (habitus acquisitus). Von
diesen sind nun zu unterscheiden die übernatürlichen Habitus,
w^elche Gott der Seele direkt eingiesst (habitus infus us),
nämlich Glauben, Liebe, Hoffnung. Dass die moralischen Ha-
bitus im eigentlichen Sinn dem Menschen in übernatürlicher
Weise eingegossen werden können, hat Duns geleugnet (III
dist. 36 quaest. un. § 28, Genaueres s. unten). Es ist also
zwischen dem natürlichen und dem übernatürlichen Habitus so
zu unterscheiden, dass ersterer auf dem Wege der psycholo-
gischen Entwicklung aus der Wiederholung der Handlungen
entsteht, während letzterer erschaffen wird und den von ihm
abhängenden Akten vorausgeht. ^)
Dieses doppelten Habitus bedarf es also, um ein voll-
kommenes sittliches Leben zu führen oder um den Forderungen
des Gesetzes zu genügen.
•^) cf. Aristotel. Eth. Nie. I, 13: tcöv e^ecov de rag sTtacvsrdg d^Exas
Xiyofisv^ sowie II, 1: in rcöv ofioiäiv kvEQyeccöv al e^eis yivovrai'j über den
theol. Habitus s, oben S. 301.
Die Einteilunof der Tugenden. 497
Das Gebiet der Tugend — das Wort im allgemeinsten
Sinn als geistige Vollendung genommen — wird vollständig
überblickt durch die Einteilung in virtutes morales,
intellectuales et theologicae. Die natürliche Betrach-
tung gibt an die Hand die Notwendigkeit eines doppelten
habitus intellectualis, eines, der den Intellekt circa speculabilia
und eines, der ihn circa operabilia vollendet. Es ist also an-
zunehmen ein habitus intellectualis speculativus et practicus. ^)
Ebenso muss aber auch für das Begehrungsvermögen ange-
nommen werden ein habitus perficiens appetitum circa ea quae
sunt appetibiha in ordine ad se, et alterius circa appetibilia
in ordine ad alterum. Das ist die virtus appetitiva, die also
die Habitus in Bezug der auf sich, wie der auf andere ge-
richteten Handlungen in sich fasst. So lassen sich aus der
rein natürlichen Betrachtung die intellektuellen wde die mora-
lischen Tugenden herleiten. -) Nun richten sich aber die Ha-
bitus und Akte dieser Tugenden zunächst nur auf die Kreatur.
Der Christ aber richtet seine Seele auf Gott. Hierin empfängt
er nun die Vollendung sowohl nach Seiten des Denk- wie des
Begehrungsvermögens durch die drei theologischen Tugenden.
Der habitus cognitivae ist der Glaube, die habitus appetitivae
sind die Hoffnung und die Liebe (III dist. 34 quaest. unic. 6).
Hienach bedarf der Mensch auf Erden dieser sieben Ha-
bitus, durch die sein Wesen vollendet wird; vier davon beziehen
sich auf sein Verhältnis zur Kreatur, drei auf sein Verhältnis
zu Gott. Drei haben ihren Sitz im Intellekt (der Habitualität
circa speculabilia, der in eine Vielheit geistiger Fertigkeiten
auseinander geht, die aber nicht eigentlich Tugenden sind, wes-
halb Duns nicht auf sie eingeht ; prudentia und fides), vier im
Willen (temperantia, iustitia und spes, fides), s. § 7.
2. Das bisher angewandte Einteilungsprinzip der Habitus
bestand im Gegensatz von Erkenntnis- und Begehrungsver-
mögen. Nun kann diese Einteilung aber w^eiter gespalten
1) cf. Aristotel. Eth. Nie. VI, 2.
^) Vgl. die dianoetischen und ethischen Tugenden des Aristoteles,
z. B. Eth. Nie. II, 1; VI, 2.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 32
498 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
werden durch die Unterscheidung von habitus infusi und acqui-
siti. Oder man kann anders einteilen, indem man von letzterer
Unterscheidung ausgeht und dann die so entstehenden beiden
Gruppen nach dem intellektuellen und appetitiven Gesichtspunkt
weiter einteilt, wobei ersterer Gesichtspunkt — hier wie in der
ersten Einteilung — nach dem Schema: spekulativ und prak-
tisch, letztere in ordine ad se et ad alterum weiter verfolgt
werden können.
Hieraus ergeben sich zwei Tugendtafeln, die ich auf S. 499,
um mir weitere Beschreibungen zu ersparen, folgen lasse (§ 8).
Hierzu bemerkt Duns, dass da fast der ganze habitus in-
tellectivi, besonders die scientia speculativa den Menschen nicht
zu einem guten Leben anleitet, dieser nicht zu den eigentlichen
Tugenden zählt, sodass der Intellekt nur mit dem eingegossenen
Glauben und der freilich mancherlei in sich fassenden pru-
dentia an der Tugend beteiligt ist. Dagegen kommen vier appe-
titive Tugenden in Betracht, zwei eingegossene (Liebe, Hoffnung)
und zwei erworbene; in Bezug auf den anderen ist erworben die
Tugend der Gerechtigkeit, dagegen ist für die Tugend in Bezug
auf sich selbst kein einheitlicher Begriff zu finden. Hier greift
die aristotelische Unterscheidung des concupiscibile und des
irascibile ein. Beide bedürfen der Ordnung durch die praktische
Vernunft. Das concupiscibile begehrt nach Lust, es wird ge-
leitet von der temperantia. Das irascibile will alles fort-
schaffen, was die Lust hemmt und hindert. Es empfängt,
indem es dazu geeignet wird, den Habitus der fortitudo oder,
wie Duns auch sagt, der bellicositas, während die Fähigkeit das
zu ertragen, was getragen werden muss, die patientia ist (§ 9 — 11),
Auf diesem Wege ergeben sich als eigenthche Tugenden nur
sieben, nämlich Glaube, Hoffnung, Liebe und die vier Kardi-
naltugenden: Weisheit, Gerechtigkeit, Massigkeit, Tapferkeit.
Das ist das Resultat dieser Erörterung. Von den intellektuellen
Habitus in den beiden Tafeln kommen also nur der Glaube
und die Weisheit für die Ethik in Betracht, dadurch verlieren
die Tafeln ihr wunderliches Gesicht. Der Besitz dieser sieben
Tugenden bedingt die Vollkommenheit des Menschen.
Wer sie in der intensivsten Weise, die auf Erden erreicnt
werden kann, hat, ist ein homo simpliciter perfectus , der Grad
Ableitung der Tugenden.
Erste Tafel.
speculativus :
Habitus
r acquisitus
intellectivus: j
realis
rationalis
499
( mathematicus
\ metaphysicus
\ physicus
{logicus
rhetoricus
grammaticus
infusus, fides
practicus :
circa agibile: prudentia
lana
. circa factibile : <
nemus
miles
navigatio
rus
medicina
ars fabrilis
Habitus appetitivus:
acquisitus : l
U
{
in ordine ad se
( fortitudo
( temperantia
in ordine ad alterum : iustitia
, infusus
in ordine ad se: spes
in ordine ad alterum: Caritas
Habitus infusus:
Zweite Tafel.
/ intellectualis : fides
( in ordine ad se : spes
i appetitivus : <
' intellectualis
Habitus
acquisitus:
^ appetitivus
in ordine ad aliud : Caritas
realis :
speculativus :
{metaphysicus
mathematicus
physi(
icus
. rationalis
logicus
rhetoricus
grammaticus
practicus :
circa agibile: prudentia
lana
nemus
circa factibile ; ^ °^^ ^^
j navigatio
rus
[ medicina
/
in ordine ad alterum: iustitia
] . , . , ( fortitudo
t m ordine ad se: < .
^^ temperantia.
32*
500 -K-ap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
ihrer Intensität bedingt den Grad der sittlichen Vollkomnien-
heit (§ 14).
Wir haben nun im Folgenden die einzelnen Gruppen der
Tugenden zu besprechen. Wir beginnen mit den theologischen
Tugenden, und reden dann von den moralischen Tugenden, wo-
bei der Zusammenhang dieser sowohl mit den theologischen
Tugenden, als auch mit der einzigen für die Ethik in Betracht
kommenden intellektuellen Tugend, der prudentia, zur Sprache
kommen wird.
2. Die theologischen Tugenden.
1. Die theologischen Tugenden unterscheiden sich
von den moralischen Tugenden dadurch, dass sie Gott zum un-
mittelbaren Objekt haben, dass sie von Gott als der ersten
das menschliche Handeln bestimmenden Regel, nicht aber von
einer erworbenen Regel abhängen und dass sie von Gott un-
mittelbar eingegossen werden (III dist. 26 quaest. unic. § 15).
Während also der Habitus aller natürlichen Tugenden ein all-
mählich erworbener ist, liegt hier eine von Gott mitgeteilte
Habitualität vor.
Die theologischen Tugenden sind der Glaube, die Liebe
und die Hoffnung.
Yom Glauben haben wir schon in anderem Zusammen-
hang geredet (s. oben S. 129 ff.). Dort ergab sich, dass ein über-
natürlicher Habitus dem Menschen mitgeteilt wird, der seinen
Geist befähigt der Lehre der Kirche zuzustimmen.
2. Von dem Glauben gehtDuns zur Hoffnung fort. Zunächst
scheint die Hoffnung nichts anderes zu sein als der auf Zu-
künftiges bezogene Glaube (III dist. 26 quaest. unic. § 3).
Indem aber 1. Kor. 13, 13 die Hoffnung als besondere Tugend
dem Glauben koordinirt, wird diese Auffassung unzulänglich
sein (§ 4). Die Hoffnung wird auf folgendem Wege als be-
sondere Tugend erwiesen. Wir erfahren in uns die Sehnsucht
darnach, dass das bonum infinitum in uns sei, dass es auch
uns ein Gut ist (1. c. 10 cf. 23). Dieser Akt der Sehnsucht
richtet sich auf das höchste Gut und er ist, wenn recht verum-
tändet, gut. Sonach kann eine übernatürliche virtus incliuans,
Die theologischen Tugenden, 501
d. h. ein besonderer dem Akt vorausgehender Habitus bezüg-
licli der Hoffnungsakte ebenso, wie für die Glaubensakte ange-
nommen werden (10). Dass dieser Habitus eine theologische
Tugend ist, wird dadurch klar, dass die einzelnen Merkmale
letzterer (S. 311) auf ihn passen. Weder die erworbenen
Hoffnungen, die die erforderliche Festigkeit nicht erreichen
(16), noch auch die natürlichen hoffnungsartigen Kegungen der
Phantasie gehören hieher, sondern nur der habitus, cuius est
inclinare in talem actum qui est desiderare bonum infinitum
esse mihi bonum a deo liberaliter conferente ex meritis, quae
habeo vel mihi spero ^) (23). — Schliesslich sei noch bemerkt,
dass die Hoffnung ebenso wie der Glaube in dem ewigen
Leben nicht vorhanden sein werden, da es ihrer dort nicht
bedarf, da nämlich der Glaube sich nur auf das verum latens,
die Hoffnung nur auf das bonum absens sich bezieht, Wahr-
heit wie Gut aber in der Ewigkeit offen und nahe sein werden
(dist. 31 qu. un. § 2).
3. Die erste Frage bezüglich der Liebe lautet natürlich,
ob es eine virtus theologica inclinans ad diligendum deum super
omnia gibt und geben kann?
Die Erörterung geht, da jeder Habitus seine Art in be-
sonderen Akten offenbart, aus von der Frage, was es um den
Akt des diligere deum super omnia sei; nur diese auf Gott
bezogene Liebe kommt nach der allgemeinen Definition der
theologischen Tugend S. 497 in Betracht. Dass dieser Akt
aber gut ist, ergibt sich aus der Vernunft oder dem Natur-
recht: es ist recht, das Beste über alles zu lieben. Da nun
diese Handlung auch die direkte Beziehung auf Gott nimmt,
so kann sie auf eine übernatürliche oder theologische virtus
inclinans zurückgeführt werden. Das ist der Habitus der ein-
gegossenen Liebe, diese Tugend aber unterscheidet sich vom
Glauben und der Hoffnung in dem Mass, als die Akte des
Glaubens und Hoffens von dem Liebesakt verschieden sind.
Der psychologische Ort aber, innerhalb welches dieser Habitus
den Spielraum seiner Bethätigung findet, ist der Wille. Hunc
virtutem affectivam perficientem voluntatem, inquantum habet
^) Man beachte diesen charakteristischen Relativsatz
502 ^ap- VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
affectionem iustitiae, voco caritatem (III clist. 27 quaest. uiiic.
§ 2). Die übernatürliche Liebe ist also eine confortatio actus
dilectionis naturalis (de princ. rer. quaest. 15, 25).
4. Wir sahen schon, dass die Li'ebe Gott zum Objekt hat.
Gott kann dabei an sich nach seinem absoluten Begriff oder
sofern er bonum conveniens amanti oder sofern er beides ist,
gedacht werden. Im zweiten Fall wird Gott als das obiectum
beatificum geliebt, im dritten wird die unendliche Güte Gottes
als das, woran der Mensch Teil hat, gefasst (sicut finitum est
quaedam participatio infiniti), da nur so Gott als höchstes
Liebesobjekt gedacht werden kann (1. c. 3). — Es handelt sich
also um die Frage, was wir an Gott lieben oder mit anderen
Worten, was in Gott der objektive Grund unserer Liebe zu
ihm ist?
Aber gegen jede dieser Auffassungen lassen sich Gegen-
gründe ausfindig machen. Die erste Auffassung lässt in der
Schwebe, ob nicht Gott von seiner Liebe her mehr zu lieben
wäre denn als absolutes Sein, oder ob der nämliche Gott als
Sein nicht, wohl aber als Liebe, oder auch umgekehrt geliebt
würde (4). Die zweite Betrachtungsweise führt dazu, dass als
höchster Grund der Liebe zu Gott nicht sein Sein, sondern
eine Beziehung zur Kreatur erscheint. Sodann aber käme
Gott hier entweder in Betracht nach seiner aptitudo zum
beatificare; das aber ist unmöglich, da diese aptitudo Liebe
nur hervorrufen könnte, wenn sie mit dem göttlichen Wesen,
dem sie eigen ist, eins gedacht würde. Oder man stellt Gott
unter der. Gesichtspunkt, quo actu beatificat; aber dies führt
doch wieder auf den eben abgewiesenen Gedanken, da Gott
nur insofern actu beatificat, als er hiezu die aj)titudo in sich
trägt (5). Die dritte Betrachtungsweise endlich verwirrt die
Sache erst recht, da die ratio formalis für die Liebe zu Gott
nur das eine oder andere sein kann, es bedürfte also nur des
einen der beiden kombinierten Begriffe. Wenn die Wärme
Wärme erzeugt, so ist in sie die ratio formalis calefaciendi
bereits eingeschlossen (6). — Das Problem bleibt sonach be-
stehen: der Mensch liebt Gott, aber was ist es an Gott, das
er liebt, oder was erzeugt diese Liebe in ihm? Es kann nicht
das Sein Gottes an sich, auch nicht seine Liebe an sich sein,
Der Grund der Liebe zu Gott. 503
auch nicht beides vereinigt. Das führt zu logischen ünaus-
kömmlichkeiten, da mau zeigeu kann, dass nicht das eine ohne
das andere, aber auch nicht das eine mit dem anderen logisch
klar als das alleinige Objekt oder der sachliche Grund unserer
Liebe zu Gott gedacht werden kann.
Zu der positiven Beantwortung der Frage bahnt sich Duns
den Weg durch folgende Unterscheidung. Der objektive Grund
der Liebe zu Gott, als Akt oder Habitus, ist etwas, was an
sich fähig ist, zur Liebe zu bestimmen, oder eine Beschaffen-
heit, die dem Akt vorausgeht und die Gott dazu befähigt, in
uns Liebesakte hervorzurufen, oder aber etwas, was begleitet
und folgt auf die zur Erzeugung der Liebe wirksamen Akte.
In ersterer Hinsicht ist also Gott als das ens primum Objekt
und Grund der Liebe, da die intellektuelle und wollende
Kreatur in keinem Sein zur Kühe und Befriedigung kommt,
ausser in dem ersten oder absoluten Sein (ib. 7). — Wie nun
aber einer Kreatur gegenüber neben dem Hauptgrund zur
Liebe gegen sie, etwa ihrem bonum und honestum, anderes als
Nebengrund wirksam sein kann, etwa quia scitur redamans : so
ist auch in Gott neben dem Hauptgrund oder Ziel, nämlich
dass er bonitas infinita ist, zur Erzeugung der Liebe in und
gegen ihn kräftig quod haec bonitas amaverit me communicando
se mihi und zwar sive creaudo, sive reparando, sive disponendo
ad beatificandum. Aber diese beiden Gründe Gott zu lieben
wirken konkret zusammen : non solum boni honesti, sed boni
communicativi et amantis et quia amantis ideo digni redamari;
wir lieben nicht Gott als den einen oder anderen, sondern so,
dass das eine wie das andere Grund unserer Liebe ist, freilich
so, dass rein logisch betrachtet, das zweite secundario nos
allicit (8). — Zum dritten kann Gott angesehen werden als
das obiectum beatificum diligentis; es ist eine Folge seines
Wesens und Handelns, dass es mir zur Seligkeit gereicht, diese
Folge kann mich in der Liebe zu ihm bestärken, ohne dass
sie der eigentliche Grund der Liebe — dieser liegt in dem
göttlichen Wesen, dass diese Folge erzeugt — ist. — Duns
verdeutlicht dies an einem Beispiel. Es sei ein schönes, seiner
Natur nach sichtbares Objekt da, dieses gebe dem Auge ein
virtus visiva, vermöge derer es es sieht, und es befriedige das
504 Kap. VI : Aus der Ethik des Duns Scotus.
Gesicht völlig. Könnte man nun im Gesicht Liebe denken, so
würde der Hauptgrund der Liebe zu dem betr. Objekt in
seinem Wesen liegen, das dem Gesicht Befriedigung bringt;
als sekundäre Gründe wären zu nennen, dass es sich sehen
lässt vom Gesicht, und dass hiedurch das Gesicht völlig be-
friedigt wird. Daher — man wird übrigens das Beispiel nicht
als sehr glücklich gewählt bezeichnen dürfen — sei es klar,
dass nur impropriissime Gott als obiectum beatificum Grund
und Ziel unserer Liebe ist. Der wahre Grund ist Gottes
Wesen, sein absolutes Sein (9). Was Duns sagen will, ist
offenbar dies : der eigentliche Bealgrund für die Liebe zu Gott
ist nicht sein Handeln, und nicht die diesem entspringende
subjektive Befriedigung in uns, sondern sein Sein, das diese
wie jenes bedingt. Diese Auffassung ist nur eine systematische
Folge der Gotteslehre, die wir oben S. 165 ff. kennen lernten.
Das eigentliche Wesen Gottes sollte in dem Gedanken des
absoluten Seins, nicht in seiner Liebesoffenbarung erkannt
werden. Daher muss auch in jenem, nicht in diesem Begriff
der letzte Grund für unsere Liebe zu Gott erblickt werden.
5. Nachdem die Liebe als theologische Tugend erkannt
und sodann ihre Beziehung zu Gott besprochen ist, erhebt sich
nun weiter die Frage, ob es zum Vollzug dieser Liebe eines
eingegossenen Habitus bedarf? Dies wird von Thomas be-
hauptet. Nach ihm würde nämlich der natürliche Trieb zu
der eigenen Natur stärker sein, als der Trieb zu Gott (§ 10).
Nach Gottfried dagegen könnte allerdings die Natur Gott mehr
als sich lieben, da es natürlich ist, dass ein Teil mehr das
Gesamtsein als sein Teildasein liebt^ wie etwa die Hand sich
selbst einer Gefahr aussetzt, um dadurch das Haupt zu schützen.
Andererseits tötet der Verzweifelte sich, indem er sich hasst,
aber er würde doch gern die Seligkeit erlangen, er wird also
das obiectum beatificum auch mehr lieben als sein eigenes
Sein (§ 11). Aber diese Gegengrüude verfangen nicht, denn
das Beispiel von der Hand zeigt nur, dass das Ganze minder-
wertige Teile zur Erhaltung der Hauptteile auf das Spiel setzt;
das Beispiel von der Seligkeit beweist aber nur, dass der Be-
treffende sich als Zweck mehr liebt als die Seligkeit als
Mittel u. s. w. (§ 12).
I
Kann der Mensch von sich aus Gott lieben? 505
Dagegen sagt Dims selbst, dass die natürliche Vernunft
feststellt, dass etwas im höchsten Grade zu lieben ist, da unter
den möglichen Beziehungen von Akt und Objekt eine die
höchste sein, es also auch eine höchste Liebe geben muss.
Die Vernunft lehrt nun nicht, dass dies Objekt vom bonum
infinitum verschieden sei; da für sie das Unendliche das Höchste
ist, muss sie dies auch dem Willen als höchstes Ziel vorhalten,
und der Wille muss fähig sein ihm nachzustreben : igitur dictat
solum summum bonum infinitum esse summe diligendum et
per consequens voluntas hoc potest ex puris naturalibus; nihil
enim potest intellectus recte dictare, in quod dictatum non
possit voluntas naturalis naturaliter tendere, alias voluntas esset
naturaliter mala vel saltein non libera ad tendendum in quod-
libet secunduni illam rationem boni, secundum quam ostenditur
sibi ab intellectu (§ 13). Duns meint also, dass wie die natür-
liche Vernunft das Unendliche als Höchstes denkt, der natür-
liche AVille auch von sich aus ihm nachzustreben vermag.
Hienach ist also zuzugestehen, quod ex puris naturalibus potest
quaecunque voluntas saltem in statu naturae institutae diligere
deum super omnia (§ 15). Dies ist also freilich auf den Ur-
zustand beschränkt, aber bei der Auffassung des Duns von der
Sünde will diese Einschränkung nicht viel bedeuten.
6. Dies Resultat bedarf der Erläuterung und der Begren-
zung. Gott „über alles lieben" kann in extensivem Sinn be-
deuten, dass man alles Sein zusammen nicht so hoch wertet
als Gott und dass man eher alles andere als Gott nicht seiend
haben möchte, oder dass man intensiv mit stärkerem Affekt
Gott das Wohlsein als irgend einem anderen Wesen wünscht.
In ersterer Hinsicht herrscht allgemein Übereinstimmung über
die Liebe zu Gott. Bezüglich der Intensität kann der Unter-
schied der mehr glühenden und zarten oder der mehr starken
und festen Liebe (z. B. Mutterliebe und Vaterliebe) heran-
gezogen und nur letztere in der Beziehung auf Gott verlangt
werden, sodass Gott fester als alles andere zu lieben ist, eine
Kreatur aber glühender, inniger und lieblicher als Gott geliebt
werden kann (ib. § 16). Hier muss nun vor allem klar gemacht
werden, dass es sich nicht um ein sinnliches Liebesgefühl,
sondern um den anior intellectivus und seine Willensakte
50() Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotua.
handelt. In diesem geistigen Sinn ist der Christ zur Liebe
gegen Gott sowohl in höchster Extensität wie auch Intensität
verpflichtet. Diese Verpflichtung kann auf Erden erfüllt werden,
sofern Gott mehr und aft'ektvoller- als alles Irdische gelieht
wird, dagegen wird die Modalität, die durch die Zusätze zum
Liebesgebot: „von ganzem Herzen und von ganzer Seele"
ausgedrückt ist, auf Erden nicht erfüllt, da die höchste Voll-
kommenheit der geistigen Akte, solange dieselben von der
Sinnlichkeit beeinflusst werden, nicht erreichbar ist (§ 17).
Gott ist also über alles, in quantitativem wie qualitativem Sinn
zu lieben.
Zu der Ausübung dieser Liebe ist jedermann verpflichtet,
und zwar nicht nur durch Vermeidung des Gegenteils, sondern
auch positiv in einzelnen Akten, denn so wenig jemand tugend-
haft sein kann ohne einzelne Akte, ebensowenig kann er die
Richtung auf das höchste Ziel einhalten, ohne sie in Akten zu
bethätigen. Aber wann sollen diese geschehen? Vielleicht
gibt, meint Duns, das Sabbathgebot hierauf die Antwort. Das
Gebot, am Sabbath zu Hause zu bleiben (Exod. 16, 29), ist
zu erläutern: recoUigendo se et ascendendo ad deum suum,
was die Kirche näher bestimmt hat durch das Gebot, am
Sonntag die Messe zu hören (§ 18). Also w^ürde das Gebot
der Liebe zu Gott direkt durch den Besuch der Messe erfüllt
werden.
Von dieser Pflicht hat Duns unter einem anderen Gesichts-
punkt eingehender gehandelt. Jede vernünftige Kreatur ist
nämlich zur reverentia gegen Gott verpflichtet. Der Mensch
soll Gottes Güte in seinem Herzen erheben im Hinblick darauf,
dass er von Gott alles Gute empfangen hat. Er erkennt da-
durch Gott an als summus dominus und summum bonum.
Dieser Akt ist nun an sich innerlich, aber er offenbart sich
auch in äusseren Zeichen. So etwa im Opfer und in KJnie-
beugungen. Aus diesen inneren wie äusseren Akten ergibt
sich dann ein Habitus, der zu leichter und bequemer Aus-
führung derselben befähigt (TU dist. 9 quaest. un. § 2).
Es ist vernünftig, dass die Kreatur diese Akte ausübt.
Aber es ist die Frage, wann das geschehen soll? Die Pflicht
der Gottesverehrung gibt darauf an sich noch keine ausreichende
Der direkten Liebe zu Gott dient der Sonntag-. 507
Antwort. Denn da die besondere Gelegenheit, dies zu tliun,
ausbleiben könnte, könnte diese Pflicht als eine solche er-
scheinen, die niemals in der Zeit ausgeübt wird. Das ist un-
möglich. Nun hat aber das Naturrecht bereits den Sabbath
von der gewöhnlichen Arbeit freigemacht. Das wurde durch
das 3. Gebot, sowie durch die Einführung des christlichen
Sonntags bestätigt. Es kann aber nicht genügen, bloss von
der Arbeit an diesem Tage abzusehen, vielmehr wird für
ihn ein positiver Akt erfordert und zwar in sanctificando id
est magnificaudo deum. Dies geschieht in der neutestament-
lichen Zeit durch die Darbringung des eucharistischeu Opfers,
an dem sich das Volk geistlich beteiligt, indem es verpflichtet
ist, sonntäglich die Messe zu hören. Wer aber hievon ab-
gehalten ist, wird Sorge tragen müssen, dass er wenigstens
einen Akt an diesem Gott geweihten Tage auf Gott richtet. —
Ob aber jemand noch zu anderer Zeit hiezu verpflichtet ist,
ist zweifelhaft. Es ist aber sicher, dass an diesem Tage adoratio
aliqua necessario exhibetur (ib. 4).
Nun ist freilich an sich diese latria keine theologische
Tugend, weil sie nicht Gott zum unmittelbaren Objekt hat, wie
etwa die Liebe oder der Glaube, sondern nur die Gott zu er-
weisende Ehre. Sie fällt also in das Gebiet der moralischen
Tugenden und wird etwa der Gerechtigkeit, sofern diese dem
Höheren die ihm gebührende Ehre zuteilt, zu subsumieren
sein (§ 3). Da aber, wie wir bald sehen werden, die moralischen
Tugenden von den theologischen aufgenommen werden können,
so ist die Erwähnung an diesem Ort berechtigt. — Für die
sittliche und religiöse Anschauung des Duns ist die Stelle
überaus lehrreich. Die Bethätigung des unmittelbaren Ver-
hältnisses zu Gott besteht darin, dass man ihn als Herrn
dankbar anerkennt. Das geschieht Sonntags, indem man die
Messe anhört. Ob es auch sonst während der Woche zu ge-
schehen habe, bleibt zweifelhaft.^)
7. Schliesslich wird gezeigt, inwiefern nun doch ein
eingegossener Habitus für die Liebe vorauszusetzen ist; der-
1) Auch für die Geschichte des Gebetslebens sind diese Darlegungen
wichtig.
508 Kap. VI: Aus der Ethik des Dans Scotus.
selbe gebe der Substanz der Liebesakte eine gewisse iutensio
alterior, welche das natürliche Vermögen für sich nicht in seine
Akte hineinlegen könnte. Die Neigung zu Gott und die
Eichtung auf ihn ist dieser Habitus, wie wir früher gelernt
haben (S. 306). Dazu kommt, wie ebenfalls früher gezeigt
wurde (S. 312 ff.), dass gerade der Habitus es ist, der die Liebes-
akte Gott wert und acceptabel macht. Doch wird auch hier
zugestanden, dass das Dasein solcher übernatürlichen Habitus
nicht durch die natürliche Vernunft bewiesen werden kann.
Nur eine congruitas ist erweisbar, quod non possit perfectissime
perfici suprema portio, nisi immediate a deo (§ 19).
8. Nachdem die Pflicht der Kreatur Gott zu lieben, sowie
die Übernatürlichkeit dieser Liebe erwiesen ist, erhebt sich die
Frage nach dem Verhältnis dieser Liebe zu der Nächsten-
liebe. Duns geht aus von der Beobachtung, dass die Liebe
zu Gott nicht private Liebe ist, d. h. wie bei der Eifersucht
die Liebe anderer ausschliesst, quia deus qui est bonum com-
mune non vult esse bonum privatum alicuius (III dist. 28
quaest. unica § 2). Weil aber Gott das allgemeine Gut sein
will, deshalb fasst der Habitus der Liebe zu ihm auch das
Wollen in sich, dass er von allen denen, deren Liebe ihm ge-
nehm ist, geliebt werde. Das ist der Weg, auf dem Duns aus
der Liebe zu Gott die Liebe zum Nächsten ableitet. Letztere
ist in ersterer enthalten gerade ebenso wie auch die Selbstliebe.
Die vollkommene Liebe zu Gott fasst nämlich notwendig in
sich den Wunsch, dass er von allen denen geliebt werde, von
denen er geliebt werden will. Indem ich aber diesen Wunsch
in Bezug auf irgend wen, einen anderen oder auch mich selbst,
habe, wünsche ich jenem oder mir selbst das Beste oder das
bonum iustitiae, nämlich die Liebe zu Gott (2). Hieraus ergibt
sich dann, dass die christliche Liebe zum Nächsten diesen nicht
zum direkten Objekt hat, sondern dass der Nächste w^ie zufällig
geliebt wird: et in hoc quasi accidentaliter eum diligo non
propter eum, sed propter obiectum quod volo ab eo condiHgi
et volendo hoc ab eo diligi volo sibi ^) simpliciter bonum, quia
bonum iustitiae (§ 3).
1} = ei.
Die Nächstenliebe beschlossen in der Gottesliebe. 509
9. Nachdem so der Begriff der Nächstenliebe abgeleitet
worden, erhebt sich die Frage, ob die Nächstenliebe an sich
mit der Gottesliebo gesetzt sei. Diese Frage muss zunächst
verneint werden, denn sowenig die Aufhebung einer nicht not-
wendigen Konklusion aus einem notwendigen Prinzip unmöglich
ist, sowenig kann an sich bestritten werden, dass die Liebe
zum unendlichen Gut auch ohne Liebe zu endlichen Gütern
gedacht werden kann. Nun ist aber der Habitus der Liebe
dem Menschen zu Teil geworden in Verbindung mit dem Ge-
bot der Nächstenliebe, da die Liebe eben keine private Liebe
sein will. Wenn der Mensch Gott lieben wollte ohne den
Nächsten zu lieben, so würde er damit gegen Gottes Ordnung
Verstössen, der will, dass er von allen geliebt werde. Er würde
aber durch diesen demeritorischen Ungehorsam bewirken, dass
Gott sich ihm entzieht und so sowohl der Habitus als der Akt
der Liebe zerstört würde, denn, wenn die Liebe zu Gott das
condiligere des bonum commune ist, so muss sie in dem Augen-
blick aufhören, wo der Mensch das condiligere aufhebt (1. c. 4).
Obgleich es also logisch denkbar wäre, dass man Gott liebte,
ohne den Nächsten zu lieben, so ist das doch in concreto aus-
geschlossen, da Gott die Liebe uns als ein condiligere einflösst.
Wir kommen also um diesen Habitus, wenn wir dem Nächsten
nicht das Gute wollen, d. h. dass auch er Gott liebt.
Wer ist aber der Nächste ? Nach dem Zusammenhang ist
dieser Begriff auf den, welchen ich in die Nähe Gottes bringen
kann, zu deuten. Ich liebe den Nächsten, damit er Gott liebe,
also ist jeder mein Nächster, von dem Gott geliebt werden
will. Indem nun aber praktisch die Liebe nur einzelnen In-
dividuen wird zugewandt werden können, ist jene Frage im
Sinn des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter zu beant-
worten. Dort ist der die Barmherzigkeit Thuende der Nächste,
vom Standpunkt des Thäters aus also der Empfänger der
Wohlthat. Daraus folgt : ille cui possum servire in necessitate,
est habendus ut proximus, oder: omnis potens bene pati a nobis.
Hieher gehören auch die Seligen. Zwar können sie äusserlich
nichts Gutes von uns empfangen, wohl aber können sie unsere
Liebe erleiden (III dist. 30 quaest. unic. § 13). Mein Nächster
ist also jeder, der meiner Wohlthat bedarf; diese Wohlthat
510 Kap. VI: Aus der Ethik dca Dims Scotus.
aber zielt schliesslich ab auf die Erregung des condiligere
in jenem.
Vor allem werden wir die Seligen lieben, weil von ihnen
völlig sicher ist, dass ihre Liebe Gott angenehm ist. Den
viatores kann die Liebe nur bedingungsweise zugewandt werden,
insofern nämlich, als Gott etwa an ihrer Liebe Gefallen hat. Da
nun aber immer anzunehmen ist, dass Gott von einigen unter
ihnen geliebt werden will, so kann einfach gesagt werden, dass
Gott ihre Liebe will, also wir sie lieben sollen (§ 5). Hier
spielt die Prädestination offenbar mit in die Gedanken des
Duns hinein. Er erwähnt sie aber nicht und das mit Recht,
denn da uns die Prädestinierten nicht bekannt sind, so würde
eine nähere Bestimmung durch jenen Begriff nicht erzielt werden.
Die Meinung ist also die, dass unsere Nächsten alle die sind,
die Gott lieben sollen, d. h. die Prädestinierten droben und
hienieden. Da wir aber dieselben auf Erden nicht unterscheiden
können, sollen wir alle Menschen lieben, d. h. ihnen das Beste
wollen, nämlich dass sie Gott lieben. Hier nun leuchtet uns
der oben (S. 458) angedeutete Unterschied der Liebe hienieden
und im seligen Leben ein. Dort kann sich die Liebe nur auf
die Prädestinierten richten, hier gilt sie allen Menschen, sofern
sie prädestiniert sein könnten.
Diese interessante Erörterung erhöht die Liebe zum
Nächsten dadurch, dass sie sie zum Mittel der Liebe zu Gott
erhebt. Indem so die Liebe zu Gott die Liebe zum Nächsten
in sich fasst, ist letztere in den Zusammenhang der theolo-
gischen Tugenden hineingezogen.
10. Aus dieser Untersuchung folgt erstens die Verpflichtung
zur Selbstliebe. Da nämlich die Liebe zu Gott durch micK
vollzogen wird, so muss ich mich auf diese Liebe hinrichten.
Dadurch will ich mir das Beste, also liebe ich mich (1. c. dist. 29
quaest. unic. § 2).
Zweitens folgt die Feindesliebe. Der Feind kann als
Feind wie als Mensch betrachtet werden. Wie die sittliche
Freundschaft sich auf die Tugend im Geliebten richtet, so
wird die sitthche Feindschaft sich abwenden wegen des Bösen
in dem Feind. In diesem Sinn kann der Feind nicht geliebt
werden, in diesem Sinn seien auch die alttestamentlichen
Die Feindesliebe. 511
Kachepsalmen zu deuten (dist. 30 quaest. unic. § 2). Wenn
aber der Feind als Mensch betrachtet wird, so ergibt sich eine
difficultas. Man kann hier die Liebe verschieden deuten, einer-
seits als positive Bethätigung, andererseits als Ausschluss einer
den Feind schädigenden Bethätigung. Dieses non odire wird
die Hauptsache sein, quia praecepta affirmativa magis obli-
gaut, ne contraria eorum fiant. Duns meint offenbar, dass
jedes positive Gebot schwerer dadurch dass man sein Gegen-
teil thut, als dadurch dass man von seiner Erfüllung absieht,
verletzt wird. So, d. h. indem man es nicht hindert, könne man
dem Feind sowohl geistliche Güter wünschen, durch die er be-
kehrt werden kann, als auch äussere Güter (§ 3). Hinsichtlich
der geistlichen Güter ist die Sache klar, sofern nämlich unsere
Liebe zu Gott ausschliesst das Nichtwollen dessen, dass er
durch andere geliebt werde und dass diese dazu geführt werden.
Wenn auch sofern sie böse sind, Gott nicht von ihnen geliebt
werden will, so wissen wir doch nicht, ob er nicht von ihnen
als Menschen geliebt werden will (§ 4).
11. Wie steht es aber mit den äusseren Gütern? Die
Selbstliebe kann das Nichtwollen derselben in Bezug auf sich
selbst in sich fassen, sei es weil man sie verachtet, sei es weil
man sie entbehren will als Bussstrafe. Wie ich nun diese
Mängel zu meinem positiven Heil mir wünsche, so kann und
darf ich sie unter diesem Gesichtspunkt auch dem Feind
wünschen. Etwa damit er durch solchen Mangel gebessert oder
Versuchungen des Überflusses entnommen werde (§ 5).
Allein kann man dem Feind auch den Tod wünschen?
Soll man nicht den Tod etwa eines Verfolgers der Kirche
wünschen dürfen, damit die Kirche Frieden habe (6)? Duns
hat genug ethischen Takt gehabt, um diese Frage zu verneinen.
Da nämlich, nach allgemeiner Annahme, Busse und Bekehrung
nach dem Tode nicht möglich ist, würde ich durch den Wunsch,
dass ein Böser stirbt, an meinem Teil den Kreis der Gott-
liebenden einschränken, also gegen das condiligere Verstössen.
Es will dem gegenüber nicht viel besagen, dass Duns als denk-
bare Ausnahme anführt, dass man jemand den Tod wünscht,
weil man sein Verharren im Bösen vorhersieht, oder weil man
hindern will, dass er durch Aufhäufen der Sünden eine
512 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
schwerere Strafe empfange, oder damit er den Heiligen Raum
mache ') (§ 7). Aber auch in solchen Fällen würde der
Fromme nur unter Trauer dem anderen den Tod wünschen,
wie etwa der Ricliter ein Todesurteil fallt. Damit ist die Sache
freilich aus den Schranken der Rachsucht herausgerückt (9).
Ferner wird darauf aufmerksam gemacht, dass der Druck der
Tyrannen der Kirche nicht selten zum Segen gereiche. Auch
müsse jemand dasein, der das Gericht an dem Tyrannen voll-
ziehe; dann könnte man ja mit der gehörigen Traurigkeit dem-
selben den Tod wünschen (10). Die Meinung ist also die : in
der Regel darf kein Christ seinem Widersacher den Tod
wünschen, es sei denn dass andere Rücksichten vorliegen, die
aber durch allerhand Bedingungen sehr beschränkt werden.
Die bisherige Erörterung der Feindesliebe stellte dieselbe
unter den Gesichtspunkt eines nolle des Bösen dem Feinde
gegenüber. Es handelt sich weiter um die JDOsitive Forderung
der Liebe. Braucht man den Feind positiv zu lieben? Wenn
ich der Kontemplation lebe, habe ich ihn überhaupt vergessen.
Aber auch wenn ich an ihn denke, scheint meine Liebe zu
Gott sehr wohl bestehen zu können, ohne diese Akte der
Feindesliebe (ib. § 11). Aber dies ist falsch, denn die Liebe
zu Gott hat, wie gezeigt, die Weise des condiligere. Indem
ich will, dass auch der Feind Gott liebt, bin ich positiv ver-
pflichtet, zu seiner Belehrung und Bekehrung alles beizutragen,
was in meiner Gewalt ist. Hiezu leitet schon das Gebet an,
indem jeder nicht nur für sich, sondern die ganze Kirche, für
Gute und Böse zum Gebet verpflichtet ist : et tenetur velle istam
orationem valere bono et malo ad bonum spirituale (12). -)
^) Letzteres ist veranlasst durch eine AVendung in dem Brief der
Märtyrerin Anastasia an Chrysoponus über ihren Mann.
^) Nur gelegentlich redet Duns vom Gebet (IV dist. 45 quaest. 4, 5 ff.,
s. aber auch oben S. 506 f. über die latria). Es ist das Gebet dabei ganz
unter den Gesichtspunkt des verdienstlichen Handelns gestellt. Wenn
jemand betet, so erwirbt er sich selbst dadurch ein erhebliches Ver-
dienst, es wird aber auch sein Gebet dem. für den er etwa betet, als
verdienstlich angerechnet (1. c. § 8). In diesem Sinn machen auch die
Verstorbenen betend ihre Verdienste für die geltend, die Gott um Unter-
stützung durch dieselben bitten: rationabile est, ut velit merita sua illi
valere ad salutem qui deum specialiter invocat sibi per illa merita sub-
Der Liebeshabitus besteht in Ewigkeit. 513
Was die positive Verpflichtung dem Feinde in äusseren Dingen
zu helfen anbetrifft, so ist nach den oben angeführten Be-
schränkungen der negativen Verpflichtung auch hier zu ent-
scheiden. Ebenso besteht auch die positive Pflicht, jedem
Nächsten das Leben zu retten. Nun ist der Beweis hiefür zwar
weder aus Schrift noch Vernunft ganz einfach zu führen. Denn
wenn der in Lebensgefahr Befindliche gut ist, dann würde der
Tod ihn besser und selig machen. Indem man aber voraus-
setze, dass der Gute noch besser, der Böse gut werde im Ver-
lauf des weiteren Lebens, ^) müsse man die Lebensrettung aus-
führen (§ 12).
"Wir haben damit den Begriff des Duns von der Liebe
kennen gelernt. Der eingegossene Liebeshabitus fasst zunächst
nur den Antrieb in sich Gott zu lieben. Indem aber Gott von
allen geliebt werden will, v,^erde ich den Willen haben, dass
diese ihn lieben. So will ich ihr Wohl. Dies bewährt sich an
der geistlichen Fürsorge wie der leiblichen Hilfe Guten und
Bösen gegenüber.
12. Die letzte Frage ist nun die, ob der Habitus der
Liebe auch in der Ewigkeit bestehen wird? Wir hörten schon,
dass bezüglich des Glaubens und der Hoffnung die Frage ver-
neint werden musste (oben S. 501), denn diese Akte werden
wegen des Schauens des höchsten Gutes und seiner Nähe un-
nötig. Dies ist nicht so vorzustellen, als wenn sie zerstört
würden, sondern so dass sie aufgehen in die Liebe (dist. 31
quaest. unic. § 2f). Die Liebe ist amicitia dei ut in se bonum
oder der habitus tendens in deum. Dieser Habitus nun erregt
nicht unterschiedlich einen vollkommenen Akt der Liebe gegen
Gott (wo Gott der Liebe gegenwärtig ist) und einen unvoll-
kommenen Akt (wo Gott nur in Rätsel Weise gegenwärtig ist),
sondern er bleibt derselbe, ob er nun diesen oder jenen Akt
venire. lila autem oratio non repugnat beatitudini, quia bene potest ali-
quis perfeclionem summam adeptus volle, ut per sua merita, per quae ad
illam perfectionem attigit, alius per suam orationem attingat, ita ut sua
merita non sibi soli sint propria, sed alii de beneficio dei acceptantis
valeant (5).
^) Hoc enim est pie iudicare seil, interpretari semper melius, quando
non est oppositum manifestum.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. «^3
514 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
hervorruft. Daher ist auch für den Vollendungszustancl der
Fortbestand der Liebe als Habitus und Akt anzunehmen
(1. c. § 7). AVenn man nun sagt, die Liebe dort empfange
ihren Gregenstand per visionem, die Liebe hieuieden per fidem,
folglich müsse die Liebe hienieden und droben unterschieden
werden, so ist dies ganz richtig. Aber es wäre verkehrt diese
Unterscheidung in die psychische Funktion der Liebe zu ver-
legen, vielmehr ist der Unterschied lediglich bedingt durch die
Anwesenheit oder Abwesenheit des Objektes. Das principium
tendendi in deum bleibt das nämliche, Gott sei nahe oder ferne,
nur der Erfolg und die Leistung wird durch letztere Differenz
betroffen werden (§ 8). Der Unterschied bedingt also keine
Änderung der Liebe im Himmel, sondern er besteht nur ver-
möge der verschiedenen Existenzbedingungen im Jenseits und
im Diesseits (§ 9).
13. Nachdem der Nachweis erbracht ist, dass die Liebe
zwar — nach der Meinung des Paulus — bleibt, Glaube und Hoff-
nung aber vergehen oder in sie aufgehen, ist die Antwort auf
die später aufgeworfene Frage, ob die drei theologischen Tu-
genden untereinander konnex seien, leicht zu geben. Kann
nämlich Gott diese drei Tugenden einstmals hinsichtlich ihres
esse von einander trennen, so auch vorher hinsichtlich ihres
fieri. Wenn aber Gott diese theologischen Tugenden dem
Sünder zusammen verleiht, so ist das lediglich eine Äusserung
seiner Liberalität, die will, dass der ganze Schaden des Men-
schen sowohl im Willen als im Intellekt Heilung finde (III
dist. 36 quaest. unica § 30). Man kann die Frage aber auch
so stellen, ob Glaube und Hoffnung ohne die Liebe Tugenden
wären ? Darauf wäre wie bei den moralischen Tugenden
(s. unten) zu antworten, dass sie in ihrer Art ja vollkommen
und also Tugenden sind, dass ihnen aber die letzte Vollendung
abgeht, denn die Berührung mit dem letzten Ziel fehle ihnen,
diese stelle nur die Liebe her. Wollte man dagegen sagen,
dass Gott aber doch auch den Glauben und die Hoffnung
für sich als Tugenden acceptieren könne, so ist nur zu
erwidern, dass er die Akte derselben eben nur in Verbindung
mit der Liebe als tugendhafte Handlungen acceptieren will
(ib. § 31).
Die theologischeu Tugendeu nicht konnex. 515
14. Das sind die theologischen Tugenderij der Akt der
Gnade, durch den Gott den Christen zum Christen macht, das
neue Lehen in ihm erzeugt. Will man Termini der protestan-
tischen Lehre als Parallelen zuziehen, so ist an die Wieder-
gehurt und Bekehrung zu denken. Gott wandelt den Menschen
um, indem er ihm eine schlechthin neue Richtung gibt. Aber
man braucht diese Parallele bloss auszusprechen, um der ganzen
Differenz bewusst zu werden. Bei Duns liegt, trotz aller Um-
deutungen, die Erinnerung an eine eingegossene Gnade, eine
physische Neuschöpfung, die schlechthin — Avenn auch nicht
innerlich — gebunden ist an die Sakramente, doch noch vor;
der Protestant denkt an die geistliche persönliche Wandlung,
die Christus in der Kraft seiner geistigen Gegenwart hervor-
bringt. Wer aber diesen Zusammenhang erfasst hat, wird die
Unbilligkeit der protestantischen Polemik gegen die katholische
Verwendung des Glaubens verstehen. Auch im Zusammenhang
der Gedanken des Duns wird man es nur als einleuchtend
bezeichnen dürfen, dass der Glaube der Liebe sudordiniert ist.
Solange nämlich der Glaube nichts anderes ist als die Hin-
neigung zum Assens zu der überlieferten Kirchenlehre, ist er
in der That nur die Vorstufe zur Liebe als der Ergreifung
Gottes und der Lebensgemeinschaft mit ihm. Wenn man den
Glauben nur als eine besondere Form der moralischen Be-
thätigung gegen Gott versteht, muss die Liebe ihm den Eang
ablaufen. Auch die Formel der Zuversicht zu Gott ändert dies
Verhältnis für eine genauere Betrachtung nicht genügend.
Erst wenn man — mit Luther — den Glauben als die Hin-
nahme des in Christus offenbaren Gottes verstehen lernt, wird
seine spezifische religiöse Bedeutung der Liebe und jeder
Tugend gegenüber festgestellt und seine im Wesen der Sache
begründete Überordnung über die Liebe wie jede moralische
Bethätigung erkannt. Aber diese Differenz greift bis in die
tiefsten Gründe des Gegensatzes katholischer und evangelischer
Lehre hinab. Davon ist hier nicht zu handeln. Nur der
billigen Beurteilung des Duns sollten diese Andeutungen dienen.
Aber noch eine andere Lücke in der Gedaukenentwicklung
wird uns vor das Auge treten. Wenn wir an die grossartige
Erörterung über die Liebe zu Gott und dem Nächsten zurück-
33*
516 ^^np- VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
denken (vgl. auch die Eschatologie), so war dort in dem Ge-
danken der Liebe der Zweck Gottes mit der Welt und die
Realisierung desselben durch uns und in uns beschlossen. Man
erwartet, dass von diesem höchsteti Gesichtspunkt her eine
Neugestaltung des ethischen Ideals und des Gefüges der Älittel
seiner Verwirklichung unternommen wird, etwa in der Weise
wie Augustin alle menschliche Tugend aus der Liebe herzuleiten
versuchte, oder so, dass alles Gute und daher die Seligkeit in
der Liebe bestehe. Aber diese Erwartungen gehen nicht in
Erfüllung. Duns hat das jenseitige Ideal nicht für das Dies-
seits fruchtbar zu macheu vermocht.
3. Die moralischen Tugenden.
1. An die theologischen Tugenden schliessen sich die
moralischen, d. h. die erworbenen moralischen Habitus
(fortitudo, temperantia, iustitia). Auch sie sind ?Js eine innere
Habitualität im Menschen zu verstehen. Die Frage ist zu-
nächst die, wo in der Seele sie ihren Sitz haben. Thomas
meinte in der pars sensitiva, da der Wille als frei ebensosehr
dieser Leitung nicht bedürfe, als die sinnlichen Triebe derselben
benötigen (III dist. 33 quaest. un. § 3). Demgegenüber hat
Augustin die Kardinaltugenden als amor ordiuatus bestimmt,
sie sonach in den Willen verlegt (§ 4). Die thomistische Auf-
fassung wird von Duns verworfen. Man müsse gerade um-
gekehrt sagen, weil der Wille frei ist, bedarf er einer ihn
leitenden stetigen Macht des Guten. Aber auch w^er den
Willen vom Intellekt bestimmt sein lässt, muss einseben, dass
dann auch der das Handeln bestimmende Habitus nicht sowohl
im Intellekt als im Willen liegen kann. Die intellektuelle
Thätigkeit ist nämlich an sich rein natürlich. Wohl kann hier
der Habitus des rechten Urteils oder die prudentia entstehen.
Aber das Urteil bewegt nicht den freien Willen. Daher be-
darf es eines anderen diesem eigenen Habitus ; indem der freie
Wille wiederholentlich bestimmte Handlungen vollzog, entsteht
in ihm eine babilitas inclinans ad similes actus. Diese Ge-
wöhnung und Neigung des Willens zu einem bestimmten Han-
deln ist nach Duns die Tugend oder der moralische Habitus.
Die moralischen Tugenden sind Willenshabitiis. 517
(1. c. § 5. 13). So wird der Habitus aber uicht nur das
recte, sondern auch das delectabiliter agere bewirken; grade
letzteres ist aber ohne einen Habitus im Willen undenkbar
(ibid.).
2. Nun kann aber diesem Gedanken von einer Gewöhnung
des Willens die Freiheit des Willens entgegengehalten werden.
Sofern der Wille Freiheit ist, bestimmt er sich nur selbst (s.
oben S. 87) ; dies schliesst aber nicht aus, dass er selbst durch
Handeln sich die Neigung und das Geschick zur Wiederholung
bestimmter Handlungen erwirbt. Nicht von aussen her oder
durch eine forma naturalis wird ihm diese Bestimmung gesetzt,
sondern sie ergibt sich aus den freien Volitionen der indetermi-
nierten Willenskraft (1. c. § 8). Endlich macht Duns für seine
Meinung geltend, dass die sinnlichen Triebe überhaupt ihre
Regelung aus dem "Willen empfangen, dass also ein dieser
Regelung dienender Habitus auch in dem Willen anzusetzen
sein wird. Soll aber der Habitus dazu dienen, den Menschen
in die rechte Beziehung zum letzten Ziel zu setzen, so ist sein
Sitz im geistigen Triebleben oder dem Willen, und nicht in den
sinnlichen Affekten zu suchen (§ 9).
Der moralische Habitus entsteht also ganz in der Weise
des intellektuellen Habitus. Mindestens ein Akt geht der
Habitualität des Handelns voran. Durch die Wiederholung
der Akte, in unserem Fall der rechten Wollungen, wird im
Willen die virtus recta erzeugt, inclinans ipsam ad recte eligen-
dum (ib. § 12). Somit ist zu unterscheiden bei einer tugend-
haften Handlung die intellektuelle prudentia, die aus Beobach-
tung des Wesens der Handlungen die Wiederholung des
Handelns anrät, von dem dem Willen immanenten geistigen
Hang die Handlung zu wiederholen. Der Verstand billigt und
fordert auf, aber die Neigung treibt an. Dieser Habitus ist
also direkt, jener nur indirekt an der Entstehung der guten
Handlung beteihgt. Aber gut ist die Handlung nur, sofern sie
von dem Verstand gebilligt wird. Genauer gesagt, kommt es
so zur Handlung, dass der moralische Habitus einen aktuellen
AVillensentschluss veranlasst, dieser setzt dann die sinnlichen
Organe zur Ausführung in Bewegung. Voluntas autem prius
vult aliquid in se, quam imperet potentiae inferiori actum circa
518 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
illud, iioii euim, quia imperet potentiae inferiori ideo vult, sed
e converso (§ 13).
Das Wesen der moralischen Tugend besteht also darin,
dass sie der habituelle Antrieb zum Handeln im Willen ist.
Sofern nun die sinnlichen Organe durch den Willen regel-
mässig zu einem besonderen Handeln angehalten werden, ent-
steht auch in ihnen ein gewisser Habitus, der sie gern dem
Willen folgen lässt. Es ist die physische Gewöhnung. Mit
Recht sagt Duns, nur aliquo modo könne diese virtus genannt
werden (ib.). Es ist eine physische habilitas, die man der
durch die Übung gewonnenen Kunstfertigkeit vergleichen kann.
Tugend kann diese sinnliche Geschicklichkeit aber nur im un-
eigentlichen Sinn genannt werden, etwa sofern sie die Aus-
führung der moralischen Handlung erleichtert (§ 19). Damit
hat Duns die thomistische Auffassung entgründet und seine
entgegengesetzte Anschauung begründet.
3. Wir wollen gleich hier feststellen (unten ist darauf
zurückzukommen), dass der moralische Habitus, weil er nie
ohne Mitwirkung der Prudenz besteht, auch nicht die direkte
Kausalität zur Erzeugung guter Handlungen ausübt wie die
theologischen Habitus. — Der moralische Tugendhabitus wird
zu dem, was er ist, indem er sich als der prudentia gemäss
erweist. Verschiedene Grössen wirken zusammen, um eine
Tugend oder einen Akt moralisch zu machen. Wie die Schön-
heit nicht eine absolute Qualität ist, sondern eine aus dem
Zusammensein von Grösse, Gestalt, Farbe und der Beziehungen
dieser untereinander und zum ganzen Körper entstandene
Kongregation, so ist auch die moralisch gute Handlung durch
eine gewisse inwendige Schönheit charakterisiert. Diese schliesst
in sich das richtige Verhältnis zu allem, wie zur Kraft, zum
Objekt, zur Zeit, dem Zvv^eck, dem Ort. Vor allem aber muss
die Vernunft alle diese Beziehungen als notwendige anerkennen.
Im ganzen kann man also sagen, quod convenientia actus ad
rationem rectam est, qua posita actus est bonus, qua uon
posita, quibuscunque aliis conveniat, non est bonus. Sofern
nun ein erworbener Habitus sich mit der prudentia vereinigen
lässt, ist er eine Tugend: quando iste habitus ex natura sua
natus est, esse conformis prudentiae. Sowie aber von dieser
Unterschied der moralischen und theologischen Tugenden. 519
BeziehuDg zur prudentia abgesehen wird, ist der betreffende
Habitus eine Qualität, die an sich weder gut noch böse ist. —
Hieraus ergibt sich aber weiter ein Unterschied zwischen dem
moralischen Habitus und den theologischen Habitus. Letztere
waren aktive Prinzipien als Neigung zum auf Gott bezogenen
Handeln. Solch eine Neigung zum Handeln ist jeder Habitus,
also auch der moralische. Nun aber nicht als moralischer,
denn die Qualität des Moralischen ist nichts an sich Seiendes
in diesem Habitus, sondern seine Relation zur Prudenz (siehe
unten). Eine Relation kann aber nicht aktives Prinzij) sein,
sondern das sind die unter einander sich beziehenden Dinge.
Der Habitus ist also nicht an sich moralisch, sondern nur
wegen seiner Relation zur Vernunft, deshalb kann er auch nicht
an sich moralische Handlungen erzeugen, sondern nur Hand-
lungen, die wieder nur sofern auch sie vernunftgemäss sind,
als moralisch tugendhaft zu gelten haben (s. I dist. 17 quaest.
3, 3. 5. 14). Sonach besteht eine Differenz zwischen der
Triebkraft und Kausalität der spezifisch religiösen und der
moralischen Tugendhabitus.
4. Nachdem wir vom Wesen der moralischen Tugenden
gehandelt, müssen wir weiter den einzelnen derselben nach-
zugehen versuchen. Diese Aufgabe wird dadurch erschwert,
dass Duns diese Tugenden nur nach ihrem Verhältnis zu den
acht beatitudines (Matth. 5), den sieben dona Spiritus (Jes. 11)
und den fructus (Gal. 5) behandelt. Die drei uns beschäfti-
genden Tugenden sind genera intermedia, d. h. mittlere Be-
zeichnungen der Art, die in engem Zusammenhang mit anderen
verwandten Artbegriffen stehen. Für das concupiscibile wurde
einfach der Habitus der temperantia gebildet. Nun richtet
sich aber das concupiscibile sowohl auf den honor als die
voluptas. In ersterem Fall wird die temperantia die Art der
humilitas annehmen, in letzterem Fall wird man den Aus-
druck temperantia zwar beibehalten dürfen, aber doch unter-
scheiden müssen, ob dieselbe sich auf tangibilia oder gustabilia
richtet, ob sie die Freude des Willens in der sinnlichen Lust
oder die Lust des Willens an sich mässigt (1. c. dist. 34 quaest.
un. § 15). Indem nun jemand die eine Form der temperantia
haben kann, ohne die anderen zu besitzen, müssen diese Ver-
520 -Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
zweigungen des einen liabitus freilich von einander unterschieden
werden. So etwa, wenn der eine in seinem geschh'chtlichen
Leben temperiert ist, sodass er sich mit seinem Weibe begnügt,
aber der andere überhaupt vermöge jener Moderation auf den
Geschlechtsverkehr verzichtet; oder wenn einer zwar auf dem
sinnlichen Gebiet enthaltsam ist, aber auf dem Boden einer
unnützen Spekulation moralisch nicht förderlichen Ausschwei-
fungen sich hingibt (§ 16). — Ahnliches zeigte sich schon
früher bei der Erwägung der fortitudo (S. 498), die nicht nur
die aktive Tapferkeit zur Vertreibung der Übel, sondern auch
die passive Tapferkeit der Geduld in sich fasst, welche die
nobilissima fortitudo ist, quae non repellit repellenda, ita quod
pati est quoddam permittere (§ 16).
Ebenso lässt die Gerechtigkeit weitere Subdivisionen zu.
Dieser Habitus äussert sich zunächst als amicitia, d. h. in
der Mitteilung seiner selbst an einen anderen. Amicitia, qua
quis dat se ipsum proximo quantum potest se dare et in quan-
tum potest proximus habere eum. Da nun niemand etwas
Höheres als sich selbst geben kann, so ist diese Form die
höchste Stufe der Gerechtigkeit und die höchste Bethätigung
der moralischen Tugend überhaupt. Es ist die Tugend, die
wir als christliche Bruderliebe bezeichnen würden. Die nicht
unschwer zu vollziehende Kombination mit der theologischen
Tugend der Caritas ist aber von Duns nicht gemacht worden.
Des Weiteren äussert sich die Gerechtigkeit darin, dass man
dem Mitmenschen etwas mitteilt, was er zum Leben bedarf.
Es ist zunächst auf dem Gebiet des Austausches, im sozialen
Leben die iustitia commutativa, die auf der Äquivalenz
der Tauschgegenstände beruht. Man vermisst hier eine Er-
wähnung der Barmherzigkeit, wie sie sich in Verbindung mit
dem ersten Gesichtspunkt notwendig ergeben würde und wie
Duns sie im folgenden auch bietet. Sodann aber ist die
Gerechtigkeit in dem geregelten Verhältnis zwischen Obrigkeit
und ünterthanen. Für die Obrigkeit ergibt sich dabei eine
Tugend, die man nennen kann praesidentiavel dorainatio
iusta, für die ünterthanen die subiectio iusta oder obedientia
(ib. § 17). Das sind die Formen der Gerechtigkeit, wie sie
Die Tugenden und die Seligpreisungen etc. 521
sich in der Anwendung auf das persönliche, soziale und staat-
liche Gebiet des Lebens ergeben.
5. Auf Grund der jetzt gewonnenen Erkenntnis kann man
die Tugenden in den acht Seligprcisungen der Bergpredigt
den bisher gewonnenen Schemata leicht einordnen, denn sie
bieten nur speziellere Beziehungen der besprochenen Tugenden
dar. Unter die temperantia fallen die humilitas der geist-
lich Armen und die Lustbändigung derer, die reines
Herzens sind. Zur fortitudo gehört das Erleiden der
Verfolgung; zur Gerechtigkeit: die Freundschaft der Sanft-
mütigen und die Art der pacifici, pax quippo servatur in
hoc, quod praesidens recte regit et subditus recte obedit ; end-
lich aber auch die Barmherzigkeit, nullo enim alio modo
potest aliquis esse perfecte dispositus circa exteriora communi-
canda proximo quam per misericordiam, misericors enim com-
municat non ut rehabeat nee ut prius rebeneficiatus ab eo cui
communicat. Das ist der oben bei der iustitia von uns ver-
misste Gedanke. Dagegen untersteht der Hunger und Durst
nach Gerechtigkeit und das Leidtragen nicht mehr den
moralischen Tugenden, sondern den theologischen Habitus,
ersterer der Liebe, letzteres der Hoffnung (§ 18. 19).
Ahnlich nun kann gezeigt werden, dass die sieben Geistes-
gaben bei Jes. 11 sich mit den bisher erkannten sieben Tugenden
decken. Die prudentia ist das donum consilii, die forti-
tudo wird ausdrücklich genannt, eine Art der temperantia ist
der timor, die pietas ist gleich der iustitia. Die nach-
bleibenden drei Gaben kommen überein mit zwei theologischen
Tugenden, da die sapientia gleich Caritas ist, intellectus
und seien tia aber im Glauben enthalten sind (§ 20).
Ebenso sind die Früchte des Geistes Gal. 5 nur Bezeich-
nungen von jenen sieben Tugenden oder ihren Unterarten, oder
es sind delectationes, die aus diesen folgen (s. § 21).
6. Dann aber darf als Kesultat der ganzen Erörterung
ausgesprochen werden, dass alle möglichen und denkbaren
Tugenden systematisch beschlossen sind in die sieben Tugenden,
nämlich die drei theologischen und die vier Kardinaltugenden,
von denen drei moralische Habitus, eine einen intellektuellen
Habitus darstellt, wie eine theologische Tugend im Intellekt,
522 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
zwei im Willen sich bethätigen. Die Beschreibung des voll-
kommenen Christen ist somit gegeben mit der Darlegung dieser
sieben Haupttugenden samt ihren Unterarten und Verzweigungen.
7. Wenn die moralischen Tugenden sich in einem Menschen
vereinigen, so ist zu fragen, ob sie mit einander konnex sind
oder ob sie sich nur zufällig vereinigen? Nach Heinrich v. Gent
seien sie nicht mit einander konnex, solange die Tugend erst
als Prädisposition nämlich in der Ausübung der einzelnen, die
Habitualität vorbereitenden Akte, bestehe, da sich jemand nur
in der einen, und nicht auch in der anderen Tugend üben
könne. Dagegen sei jede Tugend, die als vollendet auftritt,
konnex mit den übrigen moralischen Tugenden, also kann nie-
mand den höchsten Grad der temperantia besitzen, ohne zu-
gleich die Tapferkeit zu haben, würde doch jene sonst etwas
Schrecklichem gegenüber nicht Bestand haben (III dist. 36
quaest. un. § 2 f.). Doch meint Duns, dass nicht einleuchte,
woher die Scheidung für die ersten Stufen auf den späteren
aufhöre (1. c. § 4 vgl. 9). Nach der Ansicht des Thomas soll
zwar ein vollkommener Habitus durch Wiederholung der Hand-
lungen erreicht werden können, aber erst in der Konnexion
mit den anderen Tugenden w^erde diese Habitualität zur Tugend.
Wenn nun aber die Tugend aus Akten, die der recta ratio ge-
mäss sind, entsteht, so wird diese Konformität das Wesen
dieses Habitus begründen, also wird Tugend da sein auch ohne
jene Konnexion (§ 5). Zudem komme man hiebei auf logisch
Unmögliches hinaus: ein Habitus wird Tugend, indem er in
Zusammenhang tritt mit den anderen Tugenden, also bewirkt
die Tapferkeit als Tugend, dass die Massigkeit Tugend wird,
wie wiederum die Tugend der Massigkeit der Tapferkeit den
Tugendcharakter verleiht. Dann müsste aber etwas Tugend
sein, bevor es Tugend ist, da ja Tugend nur entstehen könnte,
wenn sie sich an bereits vorhandene Tugend anlehnt (6).
Nach der Ansicht des Duns sind die moralischen Tugenden
nicht notwendig mit einander konnex. Jeder Tugendhabitus
bedeutet eine perfectio des Menschen, diese ist aber nicht
totalis, da sonst eine Tugend genügend zur Vollkommenheit
wäre. Die Tugend ist durch Übung erw'orbene Fertigkeit.
AVie jemand zwar sehr gut sehen, darum aber doch taub sein
Die Tilgend der Priulcnz. 523
kaun, so kann jemand wohlgeübt in der temperantia sein, dabei
aber der Tapferkeit ermangeln. Gewiss ist /Aizugestehen, dass
ein solcher Mangel die Sittlichkeit des Menschen einschränkt,
ohne dass aber dadurch die bezügliche Tugend selbst beschränkt
würde. Der Taube ist ja auch allerdings minus perfecte sentiens,
kann aber über das schärfste Gesicht verfügen (§ 9). Es muss
aber für das praktische Leben allerdings eine Konnexion der
Tugenden zugegeben w^erden.
Wer eine Tugend verliert, fällt leicht von einer anderen
ab, andererseits unterstützen sich die Tugenden unter einander
wie Schwestern, sie sind aber unter sich ebenso wenig identisch
oder zugleich geboren, als das bei Schwestern der Fall ist (§ 10).
8. Die moralischen Tugenden bestehen also unabhängig
von einander im Menschen, wie etwa die Fertigkeiten der ver-
schiedenen physischen Organe. Hier greift nun weiter die
Frage ein nach dem Verhältnis der drei moralischen Kardinal-
tugenden zu der vierten, der intellektuellen prudentia. Im
Gesamtzusammenhang der scotistischen Gedanken ist diese
Frage sehr begreiflich. Die Norm, an welcher die Willens-
handlungen sich als moralisch bewähren, war die praktische
Vernunft (vgl. S. 484), also kann ein Willenshabitus nur in-
sofern für gut gelten, als er dem Naturgesetz resp. der Er-
kenntnis desselben durch die Prudenz gemäss ist. — Im ein-
zelnen liegen zwei Fragen vor: wie verhält sich die Fertigkeit
zu der mit ihr gesetzten prudentia, und bilden diese vielen
prudentiae ein prudentia?
Die erstere Frage wird gewöhnlich mit Aristoteles einfach
bejaht, denn, sagt man, wenn der Wille schlecht handelt, hat
der Intellekt ihn schlecht beraten ; ohne prudentia keine mora-
lische Tugend und ohne moralische Tugend keine prudentia.^)
Man könnte dies bewähren wollen durch den zu Paris ver-
dammten Satz : staute scientia in universal! et particulari volun-
tatem non posse velle oppositum. Dieser Satz ist aber im Sinn
einer Division falsch, weil er dem Willen potestatem volendi
oppositum nimmt; dagegen ist er als Compositio genommen,
richtig, wenn man den Ablativus absolutus .durch si oder dum.
') cf. Aristotel. Eth. Niconi. YI, 13.
524 ^^P- ^^^' Aus der Ethik des Duüs Scotus.
nicht aber durch quia auflöst. Mit quia wäre der Sinn, dass
die Gerechtigkeit im Intellekt Ursache der Gerechtigkeit des
Willens wäre. Bei der Auflösung mit si besteht dagegen nur
ein Verhältnis der Konkomitanz. Dies, kann zugestanden werden.
In Wirklichkeit nämlich kommt bei jedem Irrtum die sachliche
Priorität dem Willen zu, ihm folgt erst logisch — bei kon-
kreter Gleichzeitigkeit — der Intellekt. Voluntate libere er-
rante intellectus excaecatur, etsi simul tempore tamen posterius
natura (§ 11). Gegenüber jenen Meinungen, wie sie etwa
Heinrich, Gottfried, Thomas vertreten, macht also Duns zu-
nächst seine Auffassung vom Primat des Willens geltend.
Aus der Unabhängigkeit des Willens von Intellekt ergibt sich
aber, dass der Intellekt zw^ar das Rechte vorschreiben kann,
ohne dass aber der Wille es erwählt. Sonach kann die prudentia
ohne moralische Tugend bestehen. Auf der anderen Seite kann
der Wille durch seine Wahl des Bösen den Intellekt auch nicht
plötzlich verblenden bezüglich der agibilia, indem diesem be-
stimmte Prinzipien sowie das syllogistische Vermögen einwohnen.
Wohl aber vermag der Wille zeitweilig den Intellekt vom
Rechten abzuwenden, obwohl st ante prudentia, d. h. trotz Fort-
bestandes der habituellen Klugheit, wird der Intellekt vom Willen
gezwungen Unrechtes zu denken (§ 12). Nun setzt aber das
velle avertere, das der Wille der Vernunft gegenüber bethätigt,
in letzterer den Fortbestand der recta ratio, von der abgewandt
werden soll, voraus. Dann wäre aber — nach jener Voraus-
setzung — dies velle avertere keine Sünde, sofern es ja mit
recta ratio zugleich besteht. Erweist sich hierin die Verkehrt-
heit jener Voraussetzung, so auch weiter an der Beobachtung,
dass jene es eigentlich zu keiner Sünde kommen lässt, da jede
böse Willensthat nur Folge eines Irrtums wäre. Aber dieser
Irrtum selbst ist eigentlich undenkbar, denn wie sollte ein
Mensch, der doch, solange er auf Erden lebt, corrigibilis ist,
bezüglich der ersten praktischen Prinzipien irren (§ 13)?
Der Gegner ist ad absurdum geführt. Positiv hat sich
aber ergeben, dass der Intellekt das Rechte diktieren kann,
ohne dass der Wille ihm folgt, dass also der Intellekt auch
prudentia in sich erzeugen kann, ohne dass dieser die Habitua-
lität moralischer Tugenden korrespondierte. Wenn nun aber
Die Prudenz und die moralischen Tugenden. 525
Autoritäten den Intellekt von der Bosheit verfinstert werden
lassen, so ist das sowohl in privativem wie positivem Sinn
richtig, indem nämlich der Wille die Vernunft zwingt sich von
der Betrachtung des Rechten abzuwenden und indem er sie
nötigt zur Erwägung der Mittel und Wege, deren es zur Er-
reichung des bösen Zieles bedarf. Voluntas praestituens ibi
malum finem praecipit iutellectui inveuire media necessaria ad
delectabilia prosequenda et tristia opposita fugienda (§ 14).
Nach dem oben Gesagten ist aber durch diesen zeitweiligen
Missbrauch der Vernunft das Vorhandensein der praktischen
Vernunftprinzipien in ihr nicht ausgeschlossen, vgl. die Lehre
von der Synderesis oben S. 215 f.
9. Nachdem wir jetzt erkannt haben, dass die Erzeugung
des habitus rectus intellectivus und des habitus bonus appe-
titivus nicht zusammenzufallen braucht, muss weiter gefragt
werden, ob denn dieser intellektuelle Habitus ohne die Ver-
bindung mit den moralischen Tugenden als Tugend, und ob
jene Regelung des Trieblebens ohne die prudentia als habitus
moralis angesehen werden könne (14) ?
Die erste Frage kann man dahin beantworten, dass die Klug-
heit ohne die Verbindung mit den moralischen Habitus garnicht
dasei. Bei dieser Annahme wären also die prima dictamina
bezüglich der priucipia agibilium bei einer Handlung an sich
nicht prudentia, sondern nur seminaria prudentiae. Sodann
bedürfte es, damit die Mittel für die vom Willen gesetzten
Zwecke erwogen würden, eines besonderen intellektuellen Ha-
bitus. Dieser wäre aliquis habitus recte dictativus, et tarnen
non esset prudentia. Somit wäre ein doppelter intellektueller
Habitus circa agibilia gesetzt, aber keiner von beiden wäre
prudentia. Der eine Habitus geht der besonderen Wahl des
Rechten voraus, als ein habitus consiliativus, der andere würde
die Beherrschung der rechten Mittel zur Verwirklichung des
Erwählten bedeuten. Indem nun aber die prudentia sich stets
circa ordinata ad finem bewegt, ist es deutlich, dass der erste
Habitus nicht prudentia ist; der andere hat allerdings die Be-
ziehung auf das Ziel, aber er stände ausser Beziehung zu dem
appetitus rectus bezüglich jenes Zieles. So gäbe es also zwei
intellektuelle Habitus, die nichts mit der der moralischen
526 Kap, VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
Tugend konuexen Prudenz zu tlmn haben (§ 15). Dagegen
kann man aber auch nicht sagen, dass es nicht nötig sei, dass,
wie die moralischen Tugenden unabhängig neben einander be-
ständen, sie der Prudenz konform -seien. Es kann nämlich
diese letzere Beziehung freilich schon aus der Definition der
Tugend als notwendig erwiesen werden, da sie ein habitus
electivus secunclum rectam rationem ist. Sagt man aber ein
Akt könne doch unmöglich zur Erzeugung zweier Tugenden
dienen, so ist das richtig, wenn es sich um morahsche Tugenden
handelt, braucht aber nicht zuzutreffen, wenn etwa derselbe
Akt prudentia und temperantia erzeugt, nämlich so dass jene
als regulativum, diese als regulatum zu stehen kommt (§ 16).
So würde man denken können, dass die intellektuelle Tugend
der prudentia jede moralische Tugend als ihr Regulativ be-
gleitet, indem beide Habitus durch die nämliche Reihe von
Handlungen erzeugt würden.
Damit sind zwei Auffassungen als möglich hingestellt. Die
Beteiligung des Intellektes, deren es auch für eine moralische
Tugend bedarf, kann entweder durch Annahme zweier die
Wahl des Zieles und die Mittel für dasselbe ermöglichenden
intellektuellen Habitus erreicht werden, oder durch die Kon-
nexion der moralischen Tugend mit dem Habitus der Prudenz.
Nun ging aber die erste Auffassung — es ist wesentlich
die thomistische — von der Voraussetzung aus, dass die Pru-
denz sich nur auf das Verhältnis von Mittel und Zweck richte,
weshalb der konsiliative Habitus von der Prudenz unterschieden
wurde. Diese Annahme ist aber unbegründet, da die Prudenz
auch dictando de ipso fine saltem particulari wirksam wird.
Die Prudenz wird also z. B. durch die Erkenntnis des Wertes
der Keuschheit diese dem Willen zur Wahl vorlegen. Der
Wille wählt ein moralisches Ziel, dies setzt voraus, dass der
Mensch fähig ist und angetrieben wird ein solches zu denken.
Es scheint nun, dass hiefür der Habitus der prudentia völlig
ausreichend ist (18). Die prudentia selbst wäre dann der
habitus consiliativus bezüglich des sittlichen Zweckes, wie auch
bezüglich der dem Zweck proportionalen Mittel. Der Habitus
der Prudenz ergibt sich also aus der Thätigkeit des Intellektes,
sittliche Ziele samt den Mitteln zu ihrer VerwirkKchung zu
Der Wille und die ethische Prudenz, 527
fixieren (§ 19. 20). Diese werden dann dem Willen zur Wahl
vorgestellt. Da aber der Wille dadurch in keiner Weise ge-
bunden wird, so braucht der Tugend der Prudenz keine mora-
lische Handluug, also auch kein moralischer Habitus zu folgen.
In diesem Sinn kann die Konnexion zwischen der Prudenz und
den moralischen Habitus geleugnet werden. Da aber anderer-
seits der Wille es zu keiner moralischen Habitualität bringt.
er stimme denn — freiwillig — überein mit dem dictamen
rectum, das den Habitus der praktischen Vernunft, d. h. die
Prudenz erzeugt, oder aus ihm hervorgeht, so kann diese Kon-
nexion auch zugestanden werden. Also einerseits setzt die
Prudenz keine moralische Tugend, denn sie zwingt nicht den
Willen, aber andererseits kann kein moralischer Willenshabitus
bestehen sine prudentia circa suam materiam.
Wie demnach der Wille dem Intellekt gegenüber seine
Freiheit behauptet, so ist auch der Intellekt nur vorübergehend
vom Willen abhängig. Derselbe kann den Intellekt zwar
zwingen von der consideratio prudentiae abzugehen und sich
auf das Laster zu richten, aber dadurch würde der Habitus
der Prudenz an sich nicht geändert. So wenig der Wille den
Irrtum im Intellekt erzeugt, so wenig ist er die Ursache des
Habitus der Prudenz im Intellekt. Demnach ist das normale
Verhältnis des geistigen Gleichgewichtes dieses : der Intellekt
entwirft ein Ideal und befiehlt dem Willen die Wahl und Ver-
wirklichung desselben an. Der Wille kann frei zustimmen ;
thut er das, so wird er freilich nicht die Ursache jenes Ideals
der praktischen Vernunft, wohl aber kann er dadurch, dass er
das Ideal für sich erwählt, die Ursache der Beständigkeit jenes
rectum dictamen der Vernunft werden, indem er darauf hin-
wirkt, dass der Intellekt bei jenem Ideal bleibt (§ 20).
10. Damit hätten wir die Ansicht des Duns über das
wichtige ethische Problem, wie sich der Wille zu der praktischen
Vernunft verhält, kennen gelernt. Auch hier greift seine
Grundvoraussetzung von der schlechthinigen Freiheit des
Willens ein. Die praktische Vernunft findet die sittlichen Ideale
samt den Mitteln zu ihrer Verwirklichung. In imperativischer
Weise hält sie die Ideale dem AVillen zur Annahme und Ver-
wirklichung vor. Der Wille kann sie ablehnen oder annehmen
528 K[\l^. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus,
ohne einen anderen Grund als den, dass er Wille ist. Dies
ist klar (vgl. auch ohen S. 90). Aber Duns meint weiter,
der Wille könne von sich aus die Vernunft zur Erwägung von
Zielen samt den entsprechenden Mitteln zv/ingen, freilich unbe-
schadet des Fortbestandes jener Veriiunftideale. Mit anderen
Worten: die Gedanken können die Triebe bewegen, aber die
Triebe können auch Gedanken anregen, genauer gesagt, die un-
deutlichen und unbewussten Enipfiudungen und Wahrnehmungen
in die Sphäre bewusster Gedanken erheben (vgl. oben S. 93 f.).
Da nun die Gedanken den geistigen Zusammenhang entwerfen,
den der Wille verwirklicht, so wird hier eine Rückwirkung des
vom Willen angeregten Intellektes auf den Willen anzunehmen
sein. Nun scheint sich aber hier ein neues Problem zu erheben,
auf das, so viel ich sehe, Duns nicht reflektiert hat. Setzen
wir den Fall, dass der Wille nicht andauernd das Vernunft-
ideal billigt, sondern andauernd die Vernunft zur Entwerfung
neuer den Willenstrieben angepasster Ideale nötigte, müsste
nicht da im , Intellekt vermöge der Wiederholung dieser
Thätigkeit ein neuer Habitus einer sündhaften und unver-
nünftigen Prudenz entstehen? Indessen hätte Duns, wie ich
meine, diese Konsequenz zurückgev/iesen, und zwar deshalb
weil er doch nicht nur eine formale Vernunftthätigkeit annahm,
sondern die Vernunft als von Natur mit bestimmten Idealen
erfüllt dachte, d. h. den Wahrheiten des Naturrechts oder dem
feststehenden Inhalt der Synderesis. Gelöst ist das Problem
durch diese Annahme allerdings nicht, denn wenn Duns der
praktischen Vernunft, wenn auch nur für eine bestimmte Zeit-
dauer, einen von aussen durch den Willen in sie hineinge-
tragenen Ideenstoff zuweist, so ist doch zu fragen, weshalb
derselbe nicht die dauernde Herrschaft in ihr erwerben und
jenen angeborenen Gredankenstoff nicht nur momentan, sondern
dauernd sollte zurückdrängen können? Man sieht also, wie der
Gedanke vom Willensprimat die Vorstellung von einem imma-
nenten Gehalt der praktischen Vernunft zu zerstören droht.
Hierin ist, wenn ich recht sehe, keine unwichtige Folge der
scotistischen AVeltanschauung zu erblicken.
11. Doch erst die erste der S. 525 aufgeworfenen Fragen
ist jetzt gelöst. Es bleibt die zweite Frage, die nach der
Theologische und moralische Tugenden. 529
Konnexion aller moralischen Tugenden mit einer prü-
de ntia ?
Hierüber wäre zu sagen, dass wie die Kunstfertigkeit sich
auf verschiedene factibilia erstreckt, so die Prudenz auf ver-
schiedene agibilia. Wie nun verschiedene Künste verschiedene
und in sich nicht zusammcuhilDgende Fertigkeiten voraussetzen,
so sei durch die verschiedenen moralischen Tugenden auch eine
Summe verschiedener prudentiae erfordert (1. c. § 22). Hat
man aber den Zusammenhang der ganzen Betrachtung durch-
schaut, so ist die Losung nicht schwer. Gewiss setzen die
einzelnen moralischen Tugenden die Konzeption verschiedener
Ideale und demgemäss verschiedener Mittel in der Vernunft
voraus, aber es ist doch dieselbe Vernunft, die diese Ideale
in sich fasst, und letztere ordnen sich unter dem intellektuellen
Habitus der Erkenntnis primi principii practici. Die Prudenz
ist daher eine, wie ein genus, das viele species in sich fasst.
Und in diesem Sinn ist allerdings zu urteilen, dass alle mora-
lischen Tugenden einem intellektuellen Habitus, der Prudenz,
konnex sind (§ 23. 24). Mit anderen Worten, es ist die näm-
liche praktische Vernunft, die aber verschiedene zu verwirk-
lichende Ideale in sich fasst, zu der jede moralische Handlung
— je nach ihrem Ziel in besonderer Weise — in Beziehung
steht.
4. Theologische und moralische Tugend.
1. Wieder liess sich verfolgen, wie unser Autor auch
bei den kompliziertesten Untersuchungen ein einfaches Ziel im
Auge behält. Über den inneren Zusammenhang von den
"Willenstugenden und dem Habitus der praktischen Vernunft
oder über die Bedeutung des Naturrechts für die ethischen
Tugenden, sind wir jetzt ins Reine gekommen. Es ist ganz
konsequent, wenn sich hier ein neues Problem von grösster Be-
deutung aufschliesst, nämlich die Frage, ob die morahschen
Tugenden zu den theologischen in Zusammenhang stehen (vgl.
■dazu oben S. 500 ff. 516).
Nach Augustin scheine es, dass es keine wirkliche Tugend
ohne Liebe geben könne. Man könnte diese Annahme dadurch
begründen, dass, indem die Liebe als theologische Tugend
Seeberg, Die Theologie des Dmis Scotus. 34
530 Kai>. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
sich auf das letzte Ziel richtet, die moralischen Tugendeo, die
an sich auf innerweltliche Ziele hinweisen, durch den Anschluss
an die Liebe jene höchste Richtung auf Gott gewönnen, d. h.
also dass sie erst in dieser Unterordnung unter die Liebe, als
Mittel zum Zweck, ihre Vollkommenheit erreichen. Dagegen
sagt aber Duns, dass durch diese Beziehung die moralische
Tugend keine innere Steigerung oder Veränderung erfahre; es
kann also jede moralische Tugend auch ohne diese Beziehung
zur Liebe in sich und in ihrer Art vollkommen sein. Nun
aber ist es doch wahr, dass die moralische Tugend erst da-
durch ihre richtige Stellung und Beziehung empfängt, dass ihre
partikularen Tendenzen sich unterordnen der Absicht der Liebe
auf den letzten Zweck. Deswegen sind die moralischen Tu-
genden an und für sich als informes zu bezeichnen, die ihre
Eorm von der Liebe empfangen. Pro tanto igitur dicantur
esse informes sine caritate, et formatae per caritatem, pro
quanto Caritas ordiuat ipsas et earum fines in finem ultimum,
in qua ordinatione est ultima earum perfectio, licet extrinseca
(1. c. § 26). Die Meinung des Duns ist sonach deutlich. Der
sittliche Habitus und seine Bethätigungen bleiben materiell
wie sie sind, der Mensch habe nun die Liebe oder nicht. Ist
aber die Liebe da, so werden jene natürlichen Bethätigungen
von ihr aufgenommen und so zum höchsten Ziel in Beziehung
gesetzt, d. h. sie werden zu einem Dienst Gottes und erst durch
diese Zweckbeziehung zu vor Gott giltigen Verdiensten (s. S. 317
u. vgl. IV dist. 26 quaest. unic. 4). Auf den Gedanken, ob
diese Beziehung in ihrer Andauer die natürliche Habitualität
nicht stärken oder modifizieren wird, ist Duns nicht eingegangen.
Wohl aber hat er ausdrücklich in Abrede gestellt, dass die
theologischen Tugenden den moralischen Habitus erzeugen.
Es kann nämlich jemand in dem Busssakrament die drei theo-
logischen Tugenden eingegossen bekommen, ohne dass er des-
halb moralische Tugenden hätte, sofern letztere nämlich
erworben werden müssen (§ 27).
Allein dies führt zu einer weiteren — zwischen Scotisten
und Thomisten viel erörterten — Streitfrage, ob nämlich nicht
auch zugleich mit den theologischen gewisse moralische Tu-
genden eingegossen würden? Das Kind in der Taufe, wie der
I
i
Die Liebe informiert die moralischen Tugenden. 531
Beichtende im Beichtstuhl empfangen hienach nicht bloss Glaube
und Liebe oder die allgemeine Richtung auf Gott, sondern
auch besondere moralische Habitualitäten. Duns erklärt diese
Annahme für unbeweisbar. Man könne den ganzen inneren
Vorgang genügend verstehen, wenn man die theologischen Tu-
genden eingegossen werden lässt (habitus infusus), während die
moralischen allmählich auf dem Wege natürlicher Entwicklung
(als habitus acquisitus) erworben würden. Diese Entwicklung
empfängt nämlich ihren Zielpunkt, indem sie sich von der
Liebe leiten lässt, während der eingegossene Glaube modus et
medium bestimme (§ 28). Duns fasst die Sache also so auf,
dass wenn Glaube und Liebe einem Menschen eingegossen sind,
dadurch ihm auch eine gewisse konkrete Besserung zu teil
wird, ohne dass ein moralischer Habitus eingegossen werde ,
denn die natürlichen Regungen des Menschen würden sittliche
Art dadurch empfangen, dass die Liebe ihnen ein Ziel weist,
der Glaube sie über den Weg und die Mittel zu demselben
verständigt. Es würde also jenen natürlichen Handlungen
gegenüber die Liebe den moralischen Habitus vertreten, während
der Glaube für die Prudenz vikarieren würde. So würden auch
die Kinder, die sofort nach der Taufe starben, im Himmel
zwar nicht moralische Tugenden haben, wohl aber von der
Liebe circa appetibilia richtig disponiert werden. Oder man
könnte ihnen in instant! beatitudinis die moralischen Quali-
täten eingegossen werden lassen, oder sie selbst sich dieselben
im Himmel allmählich erwerben lassen (§ 28).
2. Auch an diesem Punkt wird sich der aufmerksame
Leser eines Bedenkens nicht erwehren. Wir haben hier ge-
sehen , dass die theologischen Tugenden im stände sind , das
natürliche Handeln zu leiten; aber wir hörten früher, dass sie
schlechterdings ausser stände sind, einen moralischen Habitus
zu erzeugen. Nun kann allerdings nicht gefolgert werden,
dass nach dem ersten Gedanken die theologischen Tugenden
doch auch fähig sein müssten wie eine moralische Handlung,
so auch einen moralischen Habitus zu erzeugen. Denn dieser
Habitus würde doch immer nur auf natürlichem Wege, d. h.
aus der Wiederholung von Handlungen als solchen hervor-
gehen, es sei mit dem Ursprung letzterer bestellt wie immer
34*
532 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
es wolle. Er würde sich also an die voraufgehende Handlung
anlehnen und somit aus dieser, nicht aber aus dem übernatür-
lichen Habitus hervorgehen. Wohl aber stellt sich hier die
schon oben erhobene Frage wieder ein, ob nämlich die Be-
ziehung des theologischen Habitus auf den natürlichen nicht
auch auf die Art des letzteren, und nicht bloss auf die Abzielung,
also nicht nur formell, sondern auch materiell einwirken werde.
3. Dies ist die Tugendlehre des Duns. AVie wir früher
sahen, dass nur der vollkommen ist, der im Besitz der Tugend-
habitus steht, so entspricht dem auch die praktische Bedeutung,
die sie für das Leben haben. Wer diese Habitus erlangt und
erworben hat, der ist dadurch sowohl bis zu einem gewissen
Grade vor dem Fall gesichert, als auch, wenn er doch in Sünde
fällt, durch den Habitus die Rückkehr erleichtert wird. Dies
erklärt sich nicht nur aus naheliegenden psychologischen Gründen,
sondern auch propter dei benignitatem merita praedicta ad hoc
aliqualiter acceptantem. So erinnert sich Duns, von einem
Mann gehört zu haben, der valde perfectus war und der dann
auf das schlimmste in Sünden verfiel. Zum Tode verurteilt: per-
fectissima poenitentia sibi (= ei) subito inspirata est. Daher muss
ein jeder streben nicht nur nach dem Habitus der Sittlichkeit,
sondern auch nach der Bethätigung derselben in verdienstlichen
Werken, die ihm zu gute kommen, er sei mansurus sive lap-
surus (lY dist. 22 quaest. unic. § 13). — In diesem Zusammen-
hang will weiter im Auge behalten werden, dass jede wieder-
kehrende Sünde ein schwereres Gewicht an Schuld bedeutet,
als vor dem Vollkommenheitsstande, indem sie wider die Dank-
barkeit verstösst, die der Sünder Gott schuldig ist, also gravius
peccat propter ingratitudinem. Zudem verfehlt sich der rück-
fällige Sünder ausser gegen das betr. Gebot noch gegen das
Versprechen, das er saltem voto gegeben hat, die Sünde nicht
mehr zu begehen (ib. 14).
4. Aus der Möglichkeit des Zusammenwirkens der Tugenden
ergibt sich, dass in einem sittlichen Akt eine multiplex bonitas
moralis sein kann, weil der Akt mannigfach verumständet sein
kann. Man denke z. B. an einen Kirchgang. Er erfolgt, weil
der Betreffende die Christenpflicht erfüllt, oder etwa ein Ge-
lübde übernommen hat, oder auch aus dem Motiv der Liebe,
i
Die christliche Vollkommenheit. 533
indem er Gott den ihm gebührenden cultus latriae darbringen
und durch sein Beispiel die Brüder erbauen will. Je mehr
solche motiva ordinata in einem Akt zusammenwirken, desto
wertvoller ist er in sittlicher Hinsicht (Quodlib. quaest. 18, 8). —
Wir können endlich fragen, wann und wodurch eine Hand-
lung sittlich gut ist? Zur vollkommenen Güte der Hand-
lung gehört nun dreierlei. Die Handlung ist gut, sofern sie
nach dem dictamen rectae rationis sich auf ein angemessenes
Objekt richtet; sodann indem die betreffende Volition aus dem
Willen unter Wahrung aller von der Vernunft gebotenen Um-
stände hervorgerufen wird, und endlich sofern sie aus der
Liebe hervorgeht und dadurch meritorisch, d. h. bei Gott
acceptabel wird. Als Beispiel führt Duns an das Almosen-
geben. Es ist gut Almosen zu geben, es ist gut es dem Armen
zu geben und es ist gut es ihm aus dem Motiv der Liebe, und
nicht nur aus natürlicher Übung und Gewöhnung, zu geben
(Quodlib. 18, 8). Die Güte des Werkes wird also davon ab-
hängen, dass es objektiv der Norm entspricht, dass es subjektiv
einem moralischen Vorgang entstammt und dass es religiös aus
der Beziehung zu Gott hervorgeht und ihr dient.
Man kann aus diesen Bemerkungen abnehmen, wie die
sittliche Norm und die moralischen Habitus in der praktischen
Bethätigung zusammenwirken, und unter welchen Bedingungen
die „guten Werke" zu stände kommen.
5. Die christliche Vollkommenheit.
1. Wir sind im Vorhergehenden gelegentlich auf den Ge-
danken gestossen, dass der Tugendhabitus die sittliche Voll-
kommenheit des Christen begründe, oder dass der gut ist, der
Gottes Gebote erfüllt (IV dist. 50 quaest 2, 10). Diesen Ge-
danken hat Duns auch in einem anderen Zusammenhang fest-
gestellt. In der Schrift de perfectione statuum weist er nach,
dass jeder, der alles was zum Heil notwendig ist, einhält,
vollkommen genannt werden müsse, da er ja hiedurch das
Ziel der Seligkeit erreicht. Dies gilt zunächst von den Welt-
priestern, aber auch von allen Christen. Was die Bestimmung
der Art dieser Vollkommenheit betrifft, so ist es nur der Ge-
534 Kap. VI: Au3 der Ethik des Duns Scotus.
sammtansiclit des Duns entsprechond, wenn er sie in der aktiven
Bethätigung erblickt. Wie die Seligkeit in Willensakten be-
steht, die der Ehre Gottes und ihrer Verwirklichung dienen
(s. S. 458), so wird auch das Lebensideal des irdischen Daseins
vorzustellen sein. Ist das Verhältnis zu Gott das der Knechte
zu dem Herrn, so wird der Inhalt dieses Lebens der willens-
starke Dienst im Gehorsam gegen Gott sein. In diesem voll-
kommenen Leben kommt es aber nicht auf besondere Gefühls-
erregungen und sinnliche Affekte an, denn diese Gefühle des
dulcedo sind keine sittlichen Willensakte, sondern passio quaedam
actu retributa qua deus allicit et nutrit parvulos, ne deficiant in
via. Sittlich stehen diese Gefühlschristen unter den Willens-
christen: aliqui qui dicuntur devoti, sentiunt aliquam ma-
iorem dulcedinem quam alii multi solidiores in amore dei qui
centuplum promptius sustinerent naartyrium (III dist. 27 quaest.
unic. § 17). — Wenn man bei der multitudo christianorum
von der Anwendung des Titels der Vollkommenheit in der
Regel absieht, so versteht sich das daraus, dass bei diesen
Leuten wegen ihrer Neigung zur Sinnlichkeit und Sünde der
Stand der Vollkommenheit schwer als dauernd vorgestellt
werden kann. An sich aber gibt es christliche Vollkommenheit
auch im Laienstande. Wenn aber dieses Prädikat insonderheit
den Mönchen zugeeignet ward, so ist eigentlich genauer ihnen
eine Vollkommenheit im Komparativ beizulegen (1. c. § 18).
Diese Betrachtung ist überaus lehrreich, weil sie 1) auch dem
Nichtmönch und Laien die sittliche Vollkommenheit der christ-
lichen Eeligion beilegt, und w^eil sie 2) die Zwiespältigkeit
des mittelalterlichen Lebensideals auf das krasseste ausspricht.
Aber für die historische Betrachtung ist die Konzession dieses
Bettelmönches kaum weniger wichtig als die Bezeugung des
Selbstbewusstseins seines Standes. Jeder schlichte Christ kann
die Vollkommenheit erreichen, ist dann die &Qrjoy.eia äyyeliov
— mit Paulus zu reden — , die darüber hinausliegt, wirklich
noch das höhere Ideal?
2. Aber die qualitative Schätzung des sittlichen Lebens
als des Berufslebens hat Duns trotzdem nicht erreicht. Das
sittliche Leben löst sich doch wieder auf in einzelne Werke,
die quantitativ als mehr oder minder verdienstlich betrachtet
Die ethische Vollkommenheit. 535
werden. So etwa, wenn er ausführt, dass falls jemand nicht
zu etwas Speziellem verpflichtet ist — ist das denn denkbar? — ,
er sich ein höheres Verdienst erwirbt, wenn er eine schwerere
statt einer leichteren Leistung wählt. Das gilt auch dann,
wenn die letztere dem Nächsten mehr Nutzen brächte. Qui-
cuuque facit quod difficilius est propter deum et vellet facere
quaecunque alia minus difficilia, proximis tarnen utiliora, si
alius non faceret, plus meretur quam ille qui tantum facit
Opera minus difficilia, utiliora tarnen proximis, quae possent
per alium aeque bene fieri, et non facit quod secundum se
perfectius et difficilius est (de perf. stat. 84). Indessen können
Eälle eintreten, wo das Leichtere Pflicht ist, weil es uns posi-
tiv aufgetragen. Wie etwa bei Einbruch einer Häresie, die
Wahrheit zu verkündigen, statt das Martyrium zu suchen (ib.).
Über den Wert einer Handlung entscheidet nicht der objektive
Nutzen — darin wäre der Papst ja mit niemand zu vergleichen — ,
sondern das Mass der Anstrengung (ib. 85. 82. 92). Die sitt-
liche Schranke dieses in seinem ersten Teil unanfechtbaren
Satzes bedarf nicht erst der Hervorhebung.
3. Die Tugendlehre des Duns Scotus bietet einen mit
Strenge und Schärfe durchgeführten Gedankenbau dar. Der
Zusammenhang mit der aristotelischen Ethik ist ebenso ersicht-
lich, als die Differenzen von derselben.
Trotz des Schemas der Sentenzen ist ein grossartiger und
eigenartiger systematischer Zusammenhang nicht zu verkennen.
Es sind zwei Doppelreihen von Kräften, die die vollkommene
Sittlichkeit im Menschen hervorbringen. Es sind erstens die
Ideen der praktischen Vernunft, die in der prudentia zu einem
intellektuellen Habitus der ethischen Zwecke und Mittel zu-
sammengefasst sind. Es ist zweitens der Wille, dem diese
Zwecke und Mittel zur Verwirklichung dargeboten werden. Er
ist schlechthin frei, sich für oder gegen dieselben zu entscheiden ;
ja er vermag der Vernunft die intellektuelle Zubereitung der
Ziele seiner Triebe, die als Vorstellungen im Intellekt schlum-
merten, abzuzwingen. Folgt er aber der Vernunft, so erzeugt
er durch wiederholentliches Handeln in sich bestimmte ethische
Habitus. — Zu diesen rein natürlichen Kräften treten nun weiter
die eingegossenen geistlichen Kräfte der Wiedergeburt. Es ist
536 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
(drittens) der Glaube, der einen gewissen übernatürlichen intellek-
tuellen Habitus erzeugt. Man kann sagen, dass er die Prudenz
ergänzt, indem er zu dem natürlichen Sittengesetz die intellek-
tuelle Annahme der Regeln des positiven offenbarton Gesetzes
fügt. Und es ist (viertens) der dem Willen eingegossene
moralische Habitus der Liebe, der dem AVillen eine gewisse
Richtung auf Gott einstiftet; daraus erwachsen nun spezifisch
christliche Tugenden, aber vor allem werden dadurch die natür-
lichen moralischen Tugenden in die Richtung zu Gott als ein
Gottesdienst gestellt, und erst in diesem Zusammenhang accep-
tiert sie Gott als verdienstlich.
4. Die evangelische Betrachtung wird gegen diesen Zu-
sammenhang vor allem geltend machen, dass die ethische Be-
deutung des Glaubens hier völlig verkannt ist (vgl. S. 515). Da
aber dies Organ zum Empfang der persönlichen Einwirkungen
Gottes fehlt; wird die eigentümliche sittliche Wirkung der
Gnade im Sünder nur gebrochen und unklar zur Anschauung
gebracht werden können. Das Wesen und die praktische Kraft
der eingegossenen Habitus hat Duns, trotz aller Bemühungen,
nicht deutlich und kräftig zu bestimmen vermocht. Es ist ein
übernatürliches Etwas, eine Anregung des Willens, die über
den Kräften der Seele schwebt, ohne sie eigentlich zu ergreifen
und zu leiten und gerade in ihnen und durch sie kräftig zu
werden. Duns hat schärfer als seine Vorgänger die natürliche
und die positive Religion zu unterscheiden gewusst, aber er
ist doch über eine Übereinanderstellung beider nicht hinaus-
gekommen. Was von seiner Theologie überhaupt gilt, gilt auch
von seiner Ethik, ja es tritt hier noch klarer als bei den
früheren hervor: das sittliche Leben ist das Leben unter der
praktischen Vernunft des natürlichen Menschen. Auf diesen
Grundbau wird dann wie ein zweites Stockwerk die positive
christliche SittHchkeit gesetzt und behauptet, dass sie irgend-
wie auch auf die natürliche Sittlichkeit einwirke, jedenfalls
aber notwendig sei, wenn diese vor Gott etwas gelten soll.
Und hier treten dann die Mängel des ganzen Aufbaues deut-
lich hervor. Die Synderesis und das angeborene Naturrecht
sind die eigentlichen Grundlagen des Sittlichen. Damit wird
dann das positive biblische und kirchliche Recht verbunden in
Die Ehe. . 537
der Weise des Positivismiis unseres Autors. Wenn aber doch
die Gnade erst die natürliche Sittlichkeit gut oder verdienst-
lich machen soll, so weiss Duns dafür schliesslich keinen anderen
Grund als die Acceptation Gottes anzuführen. Endlich be-
gegnete uns auch hier wieder jener schlecht vernünftige und
vernünftelnde advokatische Scharfsinn unseres Autors, der die
ethischen Urteile des Duns so oft kennzeichnet. Der Grund-
schaden der mittelalterlichen Ethik wird auch hier klar.
lY. Einzelne von Duns Scotus behandelte ethische und
sozialethische Fragen.
1. Die Ehe.
1. Die Ehe besteht darin, dass Mann und Weib vinculo
indissolubili sibi niutuo vereinigt sind. Diese Vereinigung
hat zum Zweck die Erzeui]jung von Nachkommenschaft. Dies
ist nun an sich kein Unrecht, da doch alle Kreaturen die
naturalis inclinatio zur Erhaltung ihrer Art haben ; ist dieser
Trieb bei dem Menschen besonders stark, so erklärt sich das
aus der Vollkommenheit der zu erhaltenden Art. Sodann aber
hat Gott selbst das Gebot der Propagalion erteilt (IV dist. 26
quaest. unica § 2). Endlich aber werde auf diesem Wege der
Fall der Engel gutgemacht ^) und das himmlische Jerusalem
nach der göttlichen Prädestination gefüllt (ib.). Aber ebenso-
wenig kann die Zeugung als etwas an sich Gutes angesehen
werden. Denn an sich gut ist nach dem Objekt oder nach
der Substanz der Handlung nur die Liebe zu Gott, wie au
sich böse nur der Hass gegen Gott ist. Also wird die Zeugung
gut oder böse werden, je nach den sie begleitenden Umständen.
Entscheidend ist hiefür die die betr. Handlung beherrschende
Zweckbeziehung. Sittlich ist daher die Zeugung als velle
procreare prolem religiöse educandam ad ampliandum caltum
divinum. Als beherrschender Gesichtspunkt erscheint also der
^) Nach der bekannten Idee Augastins, der Zahl der gefallenen Engel
komme die Zahl der Prädestinierten gleich (s. m. Dogmengesch. I, 279
Anm.).
538 . Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
Dienst Gottes oder seine Ehre sowie die Liebe zu dem zu er-
zeugenden Kinde. Wie nämlich die Selbstliebe sich zu richten
hat auf die honesta conversatio und den divinus cultus, so auch
die Liebe zum Nächsten, zumal die zum Kinde (4). Behält
man dies im Auge, so ergibt sich als weiterer ethischer Um-
stand für die Geschlechtsvereinigung, dass sie in der dauernden
Verbindung der Ehe geschieht, nam vaga coniunctio est contra
bonum prolis, quod est finis hie intentus, contra bonum familiae
et contra bonum civitatis (5). So wäre nämlich eine religiöse
Erziehung der Kinder unmöglich, indem ja die Eltern —
wenigstens der Vater — ihre Kinder nicht einmal sicher
kennen würden, und die Kinder auch der Ehrfurcht und kind-
lichen Furcht verlustig gingen. Und gerade diese bewirken
mehr Gehorsam, als irgend etwas anderes erzwingen kann.
Ebenso würde das bonum familiae, das in der firraa adhaesio
principalium personarum familiae besteht, leiden (5), und ebenso
der Staat, in dem die propinquitas nova, die den Grund für
den Fortbestand der amicitia bildet, fortfiele (6). — Als dritter
Umstand ergibt sich die Unlöslichkeit der ehelichen Verbindung.
Diese aber wird durch die obigen Bestimmungen einfach erfordert.
Jene Aufgaben können nämlich nur gelöst werden, sofern das
Zusammenleben von Mann und Weib unlösbar ist und nicht von
allerhand Gelegenheiten, Missfallen etc. abhängig wird (7).
2. Nachdem Duns zuerst gezeigt hat, dass die Zeugung
sittlich berechtigt ist, kommt er zum Beweis des Satzes, dass
es ehrbar ist, dass Mann und Weib sich gegenseitig die Herr-
schaft über ihre Leiber gewähren behufs Erzeugung und Er-
ziehung von Kindern. Diese Vereinbarung ist eine freiwillige,
da sonst — wenn etwa der Staat sie bewirkte — leicht Hader
eintreten könnte. Es wird also freiwillig ein contractus
mutuae donationis hergestellt, der demnach erfordert: actus
voluntatum concordes in translatione mutua, sicut in permutati-
onibus et venditionibus communiter accidit. Dies muss aber
durch deutliche Zeichen zum Ausdruck gebracht werden. Duns
betont dabei stark, dass ein durchaus freies Handeln hier vor-
liege. Jeder ist Herr seines Leibes und kann nur freiwillig
diese Herrschaft einem anderen abtreten. Was also der
andere suchte am Leibe jenes wird ihm freiwillig zugesprochen
Berechtigung der Zeugung; Freiheit des Ehekontraktes. 539
unter einer bestimmten Bedingung. ^) Das ist es um diesen
Kontrakt^ der also gebildet wird nach der Formel: do, si des
oder do, ut des (ib.).
Dass die traditio, welche der Kontrakt in sich fasst, eine
durchaus freie sein muss, hat Duns oft betont (s. noch dist. 28
quaest. unic. § 2. 7). Deshalb ist jede Ehe ungiltig, wo der
Konsens nicht völlig frei erfolgt ist. Wenn nun aber jemand
mit dem Tode bedroht wird, falls er ein Weib nicht heiratet,
oder ihr Lebensgefahr droht, oder sie sich der Prostitution zu
überliefern droht, in diesen oder ähnlichen Fällen der Not
muss der betreffende allerdings die verba matrimonialia sprechen
et ex consequenti debet consentire interius concorditer verbis.
Aber durch einen derartigen Konsens räumt er dem Weibe
noch keine Gewalt über seinen Leib ein, denn da sein Konsens
nicht in völliger Freiheit geschah, ist er nicht translativ.
Oder man könnte auch sagen, dass Gott als der superior
dominus in ista translatione non ratificat eam, nisi sit mere
libera (dist. 29 quaest. unic. § 9). So hat er die Translation
vollzogen quantum in se ist, sed seit se non transferre, quia
seit haec non ratificari a superiori (ib.). Es bedarf übrigens
in diesem Fall nicht des ausdrücklichen Zusatzes : si deus per-
miserit, da diese Restriktion natürlich zu allem hinzuzudenken
ist: Et isto modo debet intelligi absolute verbum eins: accipio
te in meam, supple : quantum in me est, praesupposita violentia
ista, et si deus ratificaret per talem consensum . . . traderem tibi
meum (§ 10). Da haben wir also die Mentalreservation
in vollster Deutlichkeit. Sonach kann jeder nicht völlig freie
Konsens keine Ehe begründen. Wenn aber jemand, etwa um
das Mädchen vor der Prostitution zu bewahren, den Konsens
ernst meint, so wäre das ein opus perfectum, aber dieser Con-
sensus wäre auch über ex charitate (§ 10).
Nun bereitete es aber Schwierigkeiten, diese Gedanken aus
dem Naturrecht zu beweisen. Also erschien es als angemessen,
dass sie durch positives göttliches Recht der Menschheit ge-
^) Daher kann ein senex omnino impotens eigentlich keine Ehe ein-
gehen; et ita — setzt Duns hinzu — multae magis desponsant divitias
quam personas (dist. 35 quaest. un. § 7).
540 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
boten wurden, zudem gehorcht die Menschheit letzterem sicherer
als ersterem (ib. 9). Dieser Forderung entsprechen Genes. 2
und Matth. 19 (§ 10). Andererseits sagt man, da der Leib
Gott gehöre, könne man doch erst vermöge jenes Gebotes ihn
einer anderen Person abtreten (Richard). Duns sagt dagegen :
in quibus deus non obligat sibi hominem vel sua, relinquit ea
voluntati hominis, wie also jemand sich auch als Sklave ver-
kaufen kann, ohne dadurch gegen ein göttliches Gesetz zu Ver-
stössen (ib.).
3. Nachdem so festgestellt ist, dass die Geschlechtsver-
bindung sittlich sein kann, dass sie aber als sittliche eine
dauernde sein muss, hat Duns gezeigt, dass diese dauernde
Hingabe zu geschlechtlicher Geraeinschaft auf einem freiwiUig
eingegangenen Vertrage beruht.
Da nun der besprochene Kontrakt eine sehr schwierige
Verpflichtung auferlegt, die Erfüllung dieser aber die Sittlich-
keit (honestum) der Ehe bedingt, erscheint es billig, dass dazu
Gnade erteilt werde (11). Damit ist der Übergang zu dem
Sakrament der Ehe gewonnen, von welchem wir früher ge-
handelt haben, s. S. 444 f.
Durch die das Sakrament begleitende geistliche Einwirkung
Gottes — die übrigens auch dort stattfindet, wo die kirchlich
sakramentalen Formen nicht gebraucht werden — empfängt
die Ehe einen religiösen Charakter. Hörten wir bisher immer
nur von einer gegenseitigen Überlieferung des Leibes, so wird
die christliche Ehe überall durch Gottes Einwirkung auch eine
gratiosa coniunctio animarum (1. c. § 15). Und erst vermöge
dieser vermag dann der Mensch alle schweren Pflichten, die
jene Abmachung ihm auferlegte, recht zu erfüllen.
4. Die bisherige Darstellung hat die Ehe lediglich als
zum procreare prolem debite educandam bestimmt dargestellt.
Duns bemerkt aber, dass sie auch eingesetzt wurde in remedium
seil, vitandae incontinentiae post lapsum. Allein der Gedanke,
dass die Ehe auch zur Befriedigung der Geschlechtslust ein-
gesetzt sei, erscheint Duns zweifelhaft. Als finis laudabilis des
Geschlechtsverkehrs könne doch nur die procreatio prolis ge-
dacht werden (§ 19). Zudem gebe das Alte Testament immer
die Kindererzeugung als Zweck der ehelichen Verbindung an.
Zweck der Ehe. Annullierung der Ehe. 541
Dagegen allerdiDgs nehme 1. Kor, 7 „Tndulgenz" an und eine
solche hat wohl schon von Anfang au gewaltet. Stillschweigend
wird daher in der Darstellung mit ihr gerechnet. Einigen
ethischen Stoff bieten auch die weiteren — oft allerdings rein
juristisch gehaltenen — Erörterungen über die Ehe.
5. Ein dreifacher Irrtum annulliert die bereits geschlossene
Ehe, nämlich die Verwechselung der Person, dass ein Sklave
für frei gehalten wurde und dass die zweite der kontrahierenden
Personen ihrerseits nicht halten wdll was sie verspricht, während
dies Haltenw^ollen gerade die Voraussetzung meiner Willens-
abgabe ist (dist. 30 quaest. 1, 2. 3).
Hier werden nun zwei Fälle besonders hesprochen. Jemand
spricht die Konsensworte, aber nur um seine Lust befriedigen
zu können; oder der eine Teil in einer Ehe erklärt, er habe
hei dem Eheschluss gelogen und jene Worte gar nicht
ernst gemeint. Ist im ersteren Fall der unschuldige Teil ge-
bunden, da er sich ja ernsthaft gebunden hat? Das ist zu ver-
neinen, weil diese Bindung die — nicht vorhandene — Bindung
des anderen voraussetzte (§ 4). Im anderen Fall kann der
unschuldige Teil sich Gewissensbisse machen wegen der Lüge
des anderen und sich selbst der Hurerei schuldig fühlen.
Charakteristisch empfiehlt Duns als via tutior sich kein Ge-
wissen wegen der Lüge des anderen zu machen, ist es doch
probabiiius, dass er jetzt bezüglich seiner damaligen Absicht
lüge, als dass er damals hei feierlicher Gelegenheit gelogen
habe. Wenn man aber im Gewissen nicht frei ist, so hüte
man sich, jenem das debitum zu gewähren, denn das w^äre
allerdings Hurerei (§ 5).
Ist nun aber der Lügner des ersten Falles einfach frei?
Er muss nach Duns dem anderen Teil als Satisfaktion das
geben, was jener ihm gab, d. h. er muss den Scheinkonsens in
einen wirklichen verwandeln. Ist er freilich mittlerweilen mit
jemand anders verheiratet, so muss er Busse thun und sich
bemühen, der anderen Person als Ersatz eine Ehe zu ver-
schaffen (1. c. § 6. Boh genug lautet hiefür an einem anderen
Ort der Ausdruck: reddatur illi mulieri per ipsum corpus
alterius viri potentis aequivalentis corpori suo quantum ad
contr actum istum, so IV dist. 42 quaest. un. § 5). Wenn die
542 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
Sache aber zum Streit kommt (in foro contentioso), wird die
Kirche, falls es sich zeigt, dass er wirklich mit der ersten Frau
einen contractus exterior abgeschlossen hat, ihn verurteilen bei
ihr zu bleiben, sed in foro conscientiae dicetur oppositum, quia
secunda est vera uxor eins, prima non. Aber er muss der
kirchlichen Entscheidung als Strafe für seinen Betrug folgen
(dist. 42 quaest. uu. 5). — Übrigens wird in den obigen Aus-
einandersetzungen der Freiheit ein Spielraum von erschreckender
Weitschaft gewährt, so gesetzlich auch die Erörterungen ge-
halten sind.
6. Aus dem Wesen der Ehe ergeben sich auch die Güter,
die sie dem Menschen bringt. Die Ehe ist eine unlösliche
Verbindung. Die Unlöslichkeit selbst ist das erste Gut, sie
ist quid spirituale in mentibus contrahentium (dist. 31 quaest.
unic. § 5). Diese Unlöslichkeit äussert sich in der sittlichen
Bethätigung als fidelitas, die Treue, die dem Gatten und keinem
anderen gibt was ihm gehört. Dazu kommt dann der Zweck,
auf dem diese Verbindung sich richtet, das ist die Erzeugung
und Erziehung von Kindern (ib. 4 f.). So rechtfertigt sich die
übliche Aufzählung; fides, proles, sacramentum; dagegen ver-
wirft Duns den Gedanken, dass diese Güter den Zeugungsakt
entschuldigen, wessen dieser bedürfe, sofern er den Menschen,
nach Aristoteles, zeitweilig der Vernunft beraube. Dawider
sagt Duns, dass diese Güter auch im Urständ vorhanden waren,
wo es eines solchen Entschuldigens nicht bedurfte; dann aber,
dass auch der Schlaf der Vernunft beraube, ohne dass dafür eine
Kompensation stattfinde (ib. 2. 3). Auf das eigentlich sittliche
Wesen des ehelichen Zusammenlebens geht Duns nicht ein.
Die Ehe ist einerseits die gegenseitige Bereitschaft zur Ge-
schlechtsgemeinschaft mit dem Zweck der Kindererziehung,
andererseits eine übernatürliche seelische Verbindung der Gatten,
die aber nicht genauer besprochen wird. Die juristische Be-
trachtungsweise prävaliert auch hier über die ethische.
7. Übrigens kann, sofern die Ehe nur matrimonium ratum,
noch nicht consummatum ist, sie durch den Eintritt in einen
Orden aufgelöst werden, wie Christus den Johannes vom Hoch-
zeitsmahl ab zu seinem Jünger berufen habe (ib. 7). Das ist
Güter und Pflichten der Ehe. 543
vernünftig, da hier ein höheres Gut für ein niederes erwählt
werde (8).
8. Aus dem ehelichen Leben kommt wieder nur die recht-
liche Frage nach der Gewährung des debitum coniugale in
Betracht. Die Gewährung ist Pflicht, es liege nun der Ge-
sichtspunkt der Kindererzeugung oder der Vermeidung der
Hurerei vor. Diese Pflicht darf aber versagt werden, wenn
der Bittende sich Hurerei hat zu schulden kommen lassen,
und so durch Verletzung des Kontraktes von seiner Seite, auch
die andere Seite von der Pflicht der Treue gelöst hat. Ebenso
darf ein Versagen stattfinden alsbald nach Abschluss der Ehe,
da nämlich vor Eintritt des matrimonum consummatum der
eine Teil vielleicht das Bedürfnis empfindet darüber schlüssig
zu werden, ob er nicht doch besser in das Kloster gehe (IV
dist. 32 quaest. unc. § 2). Eine zweite Gruppe von Fällen,
wo die Erfüllung des debitum versagt werden darf, ergibt sich
vom Gedanken aus, dass man vinculo fortiori davon abgehalten
wird. Ein solches liegt aber vor, wenn etwa die Folge der
Gewährung Tötung der Frucht oder Abort sein könnten. Da-
gegen muss, wenn ein Teil mit Lepra behaftet ist, das debitum
gewährt werden, nach den bestehenden kirchlichen Vorschriften.
Duns tröstet sich dabei damit, dass bei dieser Berührung doch
kaum viel Ansteckungen stattfinden würden. Aber die bei dem
Eheschluss übernommene Pflicht muss erfüllt werden. Daher
die Priester dies auch hie und da bei der Kirchthür aussprächen
(bei der Trauung?) (§ 6).
9. Die Polygamie scheint vom Naturrecht nicht ver-
boten zu sein, da ein Mann auch mehrere Frauen befruchten
könnte. Die Polygamie ^) der Patriarchen verstehe sich dar-
aus, dass in jener Zeit nur wenige Verehrer Gottes da waren
und diese geringe Zahl möglichst kräftig vermehrt werden
sollte (ib. dist. 33 quaest. 1, 2. 3). Das sei heute nicht mehr
nötig. Doch könne man annehmen, dass wenn ein Land durch
Kriege und Seuchen einen unverhältnismässig grossen Teil
^) Duns redet immer von „bigamia", denkt aber nicht nur an diese^
sondern auch an Polygamie.
544 Kap, VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
seiner männliclieii Bevölkerung verloren habe, der Kirche
wieder das Hecht der Polygamie würde offenbart werden (ib. 6).
10. Bezüglich der Frage nach der Scheidung wird ledig-
hch untersucht, ob das mosaische .Gesetz sie gestattet habe,
was einige unter Berufung auf Christi Wort Matth. 19 leug-
neten (ib. quaest. 3, 3). Duns entscheidet sich gegen diese
Auffassung. Wie Gott die Polygamie ratifiziert hat, so konnte
er auch, falls nämlich der Schade, der aus dem Fortbestand
der Ehe erwächst, grösser ist als der Vorteil der Unlöslichkeit
der Ehe, diese Ordnung aufheben. Das Übel wäre das uxori-
cidium, das die Rache der betr. Eltern nach sich zöge ; dann
blieben die Kinder unversorgt nach, kurz, die Familie würde
zerstört werden. Daher liess Gott in jenen Zeiten den Ehe-
kontrakt nur auf Zeit geschlossen werden, donec mulier dis-
pliceat viro (§ 5). Also die Frage wird rein geschichtlich be-
sprochen.
Die in der Kirche geltenden Scheidungsgründe sind identisch
mit den die Ehe verhindernden Gründen. Da eine Anzahl
ethischer Gesichtspunkte konkurrieren, möchten wir dieselben
in der Kürze hier zur Darstellung kommen lassen. Duns macht
folgende Gründe namhaft: die unheilbare Impotenz, sofern
sie vor dem Eingehen der Ehe da ist, quia contractus est datio
potestatis corporum ad talem actum, si petatur (dist. 34 quaest.
unic. § 2). Nun gebe es aber auch eine künstliche durch
Zauberei oder maleficium bewirkte Impotenz. Böse Geister
treten nämlich mit den Menschen in ein Bundesverhältnis,
durch das diese das maleficium ausführen. Die Hexe (maga)
macht also mit dem Dämon aus, dass sie einen bestimmten
Mann von der Ausführung des Zeugungsaktes abhält, quamdiu
tale maleficium perseverat, puta acus curvata vel aliqua huius-
modi. Es ist gut, wenn Gott in diesem Fall die Bitten der
Heiligen erhört; doch scheint es Duns sicherer zu sein, dass
man das Zauberzeichen aufsucht und zerstört, quia ex pacto
non assistit (d. h. der Dämon), nisi dum durat aliquod Signum
(ib. 4). Das Vorhandensein eines maleficium ist aber anzu-
nehmen, wenn der Augenschein und die ärztliche Untersuchung
keine natürliche Impotenz oder Gründe für eine solche erkennen
lassen (6).
Ehehindernisse. 545
Zweitens neunt Duns das adulterium nebst Veranstaltungen
zur Ermordung des rechtmässigen Gatten und dem Ehever-
sprechen an den Ehebrecher. Das erste und dritte dieser
Vergehen sind an und für sich kein Ehehindernis, wohl aber
in Verbindung mit einander oder mit dem dritten, das zweite
kann es unter Umständen sein, und ist es immer in Verbindung
mit dem dritten (dist. 35 quaest. un. 3. 7. 9).
Drittens kommt die Sklaverei als Ehchindernis zur
Sprache. Indem die positive Rechtsordnung die Sklaverei
kennt, muss, wenngleich Duns Bedenken gegen das Recht der
servitus hegt (s. unten), die ethisch juristische Betrachtung sie
als festen Faktor in Rechnung stellen. Die Frage ist, ob der
Sklave ohne den Willen seines Herrn heiraten darf? Es ist
falsch, diese Frage, unter Berufung auf das Naturrecht, ein-
fach zu bejahen. Die Ehe ist nämlich erstens nur in sekun-
därer Weise auf das Naturrecht zurückzuführen (s. S. 539 f.),
sodann aber hebt das Naturrecht die positiven ethischen Einzel-
verpflichtungen nicht einfach auf, z. B. : ich schulde dir nichts
von Natur, muss aber doch den dir versprochenen Gehorsam
halten. Gegen jenes angenommene Recht des Sklaven spricht
also, dass er durch die Ehe an der vollen Erfüllung der
Pflichten gegen seinen Herrn behindert werden kann. Sagt
man aber, jedem stehe von Natur das Recht, die Art zu er-
halten, zu, so ist auch das nicht richtig, denn dass ich gerade
dies Recht auszuüben verpflichtet wäre, kann nicht bewiesen
werden, da die Erhaltung der Art ja nicht von mir allein ab-
hängt (IV dist. 36 quaest. 1, 5).
Das Reguläre wird also sein, dass der Herr die Ehe er-
laubt resp. verbietet. Hat er sie aber einmal erlaubt, so muss
er die Konsequenzen daraus ziehen, d. h. dem Sklaven die
Führung des ehelichen Lebens ermöglichen. Wollte er also
seine Erlaubnis zurückziehen oder den Sklaven an der copula
carnalis hindern, ihn in andere Gegenden versetzen oder ihn
vom Besuch seiner Gattin zurückhalten, so würde er dadurch
eine Todsünde begehen und von der Kirche zu korrigieren sein
(§ 7). — Doch gesteht Duns auch die Möglichkeit zu, dass
Sklaven ohne die Erlaubnis ihres Herrn heiraten, sofern sie
sich gegenseitig zufrieden geben mit dem durch den Willen
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 35
546 Kap. VT: Aus der p]thik des Duns Scotus.
des Herrn etwa beschränkten Mass der gegenseitigen Ver-
fügung über ihre Leiber (§ 7), Unter dieser Bedingung kann
der Sklave auch eine Freie heiraten, sofern sie nur weiss, gegen
welches beschränkte jMass der Verfügung über den Leib des
ander(m su) ihm die volle Verfügung über ihren Leib zugesteht
(8). Wenn nun bei einer solchen ohne Willen der beider-
seitigen Herren geschlossenen Ehe der eine Herr ihn nach
Afrika, der andere sie nach Francia sendet, so wären sie aller-
dings abzumahnen von solchem Thun, sind aber nicht ver-
pflichtet davon abzustehen (8).
Das vierte Ehehindernis ist die aetas puerilis. In
Beziehung auf die künftige geschlechtliche Potenz der beiden
können hier nur sponsalia, keine Ehe getroffen werden. Diese ist
erst möglich mit der rechtlich festgesetzten Pubertätszeit (14 Jahr
beim Knaben, 12 beim Mädchen); sed aliquando malitia supplet
aetatem et complexio praevenit tempus reguläre, dann wäre
der Konsens auch früher möglich (ib. quaest. 2, 2).
Das fünfte Hindernis ist der Ordo. In der alten Kirche
ist dies freilich nicht eingehalten, und ob Christus es geboten,
steht dahin (IV dist. 37 quaest. unic. § 2). Aber für die
Gegenwart hat die Kirche es so geboten. Das ist genug (4).
Es ist aber auch vernünftig, denn wer der Kirche dient, soll
ein reines Herz, Klarheit des Verstandes und Wärme des
Affektes haben. Dazu disponiert die Kontinenz ^ der Ge-
schlechtsverkehr zum Gegenteil. Also hat die Kirche Recht.
Pauli Forderung ,unius uxoris vir* bedeute quod non habuit
plures, dadurch würde er irregulär; doch konnte er diese eine
Frau behalten, durfte sich aber nicht zum zweiten Mal ver-
heiraten (ib. § 5).
Sechstens hindert an der Ehe ein Votum continentiae,
das gilt vom votum solemne. Das ist kirchliche Ordnung und
„vernünftig" (IV dist. 38 quaest. un. § 4 ff.).
11. Siebentens fragt es sich, ob eine Ehe zwischen
Ungläubigen oder zwischen einem Christen und
einer Ungläubigen oder umgekehrt möglich ist?
Man hat die Möglichkeit einer Ehe zwischen Ungläubigen
geleugnet, weil diese keines der Güter der Ehe realisieren
könnten (Richard). Das ist falsch, quia fides id est fidelitas
Ehehindernisse. 547
servari potest sine fide, qua creditur in deum et hanc servant
infideles fidelibus in contractibus (IV dist. 39 qaaest. un. § 2).
Auch das bonum prolis ist in der heidnischen Ehe, wenn auch
nur unvollkommen, vorhanden, da auch die Heiden ihre Kinder
per rationem naturalem so gut sie es verstehen, erziehen ; und
endlich ein Ehesakrameut hat es vor dem Christentum auch
auf dem Boden der Offenbarung nicht gegeben. Man muss
sich hier daran erinnern, in wie wenig überzeugender Weise
Duns selbst den sakramentalen Charakter der Ehe behauptet
hatte (S. 444 f.).
Schwieriger sei nach Duns die Frage, inwiefern der Heide
seinen Leib einem anderen geben könne, da doch das Bewusst-
sein der göttlichen Approbation ihm abgeht. Aber ein all-
gemeines Gefühl davon, dass Gott dies Kecht gewähre, haben
doch alle, es wird sich aus der Urtradition erklären. Wenn
aber der eine Teil in einer heidnischen Ehe christlich wird,
darf er die Ehe auflösen, da für ihn ein fortius vinculum in
Kraft getreten ist (ib. § 4). Diese im Zusammenhang wenig
einleuchtende Erklärung versteht sich aus der kirchenrecht-
lichen Gebundenheit des Duns.
Trotz der Aussprüche Pauli 1. Kor. 7 erklärt er sich daher
für die Ausflösbarkeit der Ehe, wenn der eine Teil christlich
wird oder christlich war. Nach göttlichem Recht ist eine
solche Ehe freilich möglich, nicht aber de iure positivo eccle-
siae, quia ecclesia illegitimavit fidelem nämlich in dieser Be-
ziehung. Und auch das ist wieder eine „vernünftige" Ordnung,
denn im entgegengesetzten Fall würde die Vollkommenheit des
bonum prolis gehemmt (5). Weil es so kirchliche Ordnung ist,
wird also angenommen, dass Paulus bei seiner Erlaubnis an
die Möglichkeit einer Bekehrung des nichtchristlichen Ehegatten
durch den Christen gedacht habe; cessante autem evidenter
causa illa, sollen sie auseinandergehen. Man glaube doch nicht
zu sehr an die Bekehrung des Ungläubigen, bekehrte er sich
nicht im Bausch der ersten Liebe, so tliut er es später gewiss
nicht: quia multum amans coniugium multa et magna faceret,
ut illud attingeret, quae non esset facturus ipso adepto (6)!
Das ist gewiss eine feine psychologische Beobachtung.
12. Zum Schluss werden dann die die Ehe verhindernden
35*
548 Kap. VI: Au3 der Ethik des Duns Scotus.
Verwandtschaftsgrade besprochen. Das Naturrecht selbst be-
lehrt den Menschen hierüber, und zwar erscheint die Ver-
bindung zwischen Eltern und Kindern als grösserer Frevel
denn die zwischen Geschwistern, und in ersterem Fall lehnt
sich die Natur mehr gegen die Vereinigung von Sohn und
Mutter, als von Vater und Tochter auf, da in jener ein höherer
Grad von irreverentia offenbar wird (IV dist. 40 quaest. un.
§ 3). Die Kirche hatte früher die Ehen zwischen Verwandten
bis zum siebenten Grad verboten (so noch der Lombarde),
seit Innocenz III. nur bis zum vierten Grade (4). Der Grund
hiefür ist also die kirchliche Ordnung: et ratio non est nisi
statutum ecclesiae illegitimans affines (dist. 41 quaest. un. § 4).
Ebenso habe die Kirche die cognatio spiritualis und legalis
als Ehehindernisse festgestellt (dist. 42 quaest. un. 2. 3).
Zum Schluss hat Duns die Ehehindernisse rekapituliert
und dabei seine Auffassung in einige Memorialverse zusammen-
gefasst (IV dist. 42 quaest. un. § 11):
Vis, fraus personae. servi, dationis et amens
Addita condicio tria coniugii bona tollens
Erigidus, arcta, puer, truncatus, praestigiatus,
Alterius coniux obstant mutuae dationi.
Ordo sacer, votum, duo cultus. sponsio moechi.
Carnalis, legis cognatio spiritualis
Haec vi praecepti sit huic affinis honestas.
13, Wir sind in der Wiedergabe der Darstellung der An-
sichten von Duns über die Ehe deshalb so ausführlich gewesen,
weil hier die eigentümlichen Schranken seiner Ethik besonders
deutlich wahrzunehmen sind ; sowohl die kasuistische Kunst, die
die sittlichen Pflichten bequem zu gestalten weiss, als der kühle
rechtliche Charakter. Dass eine mutua datio corporum vor-
liegt, haben wir sehr oft zu hören bekommen. Über das innere
Leben der Ehegatten hören wir nichts, ebenso wird man ent-
täuscht sein über die wenigen Bemerkungen, die Duns über
die soziale und ethische Bedeutung der Ehe macht. Dass sie dem
Staats wohl diene, wurde oft betont. Doch fehlt es auch nicht
ganz an darüber hin ausgreifenden Gedanken. So wenn Duns
den Grund für das kirchliche Verbot der Verwandteuehe darin
erblickt, dass bis zum vierten Grade die Verwandten noch im
SchätzuLg der Frau. 549
Zusammenhang miteinander stehen, dann aber sie als Fremde
einander gegenübertreten und dass in dem weiten Kreise
der Fremden die eheliche Liebe einen Ersatz für die Ver-
wandtenliebe herstellt: congruum est tunc per vinculum coniu-
gale tepescentem amicitiam revocare (IV dist. 40 quaest. un.
§ 5). Ebenso wenn Duus die Darstellung schliesst mit dem
Gedanken, die Kirche habe nicht umsonst soviel Mühe auf die
Ordnung der Ehe gewandt, quia communitas christianorum
utitur matrimonio, per cuius usum multiplicatur populus christi-
^nus, et ideo sie ordinari debet, ut in eins contractu et usu
vitentur ea quae obviant charitati sive in deum sive in proxi-
mum, et servanda sunt quae congruunt honestati, sodass die
Ehe wirklich die Verbindung zwischen Christus und der Kirche
abzubilden fähig werde, eine Verbindung, die jetzt per fidem
et aliqualem dilectionem, einst per visionem perfectara et frui-
tionem sponsae non habentis maculam neque rugam ad spon-
sum speciosum stattfindet (dist. 42 quaest. un. § 12).
Aber gerade das, was in obigen Sätzen verlangt wird,
lässt die Darstellung des Duns selbst vermissen. Wir haben
kaum etwas von der Liebe, als dem Bande der Ehe zu lesen
bekommen.
2. Schätzung der Frau.
Was die Schätzung der Frau anlangt, so hegt Duns die
übliche Auffassung. Auf eine hohe Schätzung weist der Ge-
danke, es sei nur aus dem göttlichen Gebot zu erklären, dass
Frauen zu kirchlichen Amtern als unfähig erachtet würden.
Nun entspricht auch die natürliche Vernunft dem apostolischen
Mulier taceat in ecclesia, denn die Natur verwehrt es, dass ein
Weib gradum eminentem in specie humana einnehme, saltem
post lapsum, da ja zur Strafe für ihre Sünde sie unter die
Gewalt des Mannes gegeben ist. Und selbst die Mutter Christi,
cui nuUa alia potuit vel non poterit in sanctitate aequiparari,
hat von ihrem Sohn kein Amt angewiesen erhalten (IV dist. 25
quaest. 2, 4). Aber als durchaus sicher gilt, dass das Weib
die gleiche gratia und gloria, wie der Mann zu erlangen ver-
mag (ib. § 6).
550 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
3. Die Restitutionsp flicht (Eigentum, Ehre).
1. Im ZusammenhaDg der Frage nach der Restituierung
gestohlener Güter hat Duns seine Ansichten über das Eigentum
entwickelt. Er handelt davon bei der Darstellung des ßuss-
sakramentes, das allmählich immer mehr zur Erörterung wirt-
schaftlicher Fragen benutzt wurde (s. bes. Biels Ausführungen,
aber auch Thomas, Richard, Heinrich etc.). ^)
Nach dem göttlichen oder dem Naturrecht ist der Besitz
der Dinge kein unterschiedener, sondern ist allen gemeinsam.
Dies wird durch eine Anzahl augustinischer Stellen, sowie durch'
Decret. dist. 8 cap. 1 (iure naturae sunt omnia communia
Omnibus) bewiesen (lY dist. 15 quaest. 2, 3). Diese — übrigens
dem ganzen Mittelalter eigentümliche — Anschauung -) wird
aber auf den Status innocentiae eingeschränkt. Es sei freilich
das Vernünftigste, dass die Menschen sich der Güter der Welt
bedienen, sicut congruit ad congruam et pacificam conver-
sationem et necessariam sustentationem. Im Stand der Un-
schuld wäre dies durch den Kommunismus am leichtesten zu
verwirklichen, da keiner sich aneignen würde, was er nicht
braucht und nicht gewaltsam nehmen würde, was ein anderer
notwendig braucht (ib. § 4). Sosehr nun im Stand der Un-
schuld der friedliche Wandel und der notwendige Unterhalt
sich mit dem Kommunismus vertrugen, sowenig war das mög-
lich, nachdem der Fall geschehen. Daher ist nach dem Fall
der Kommunismus aufgehoben w^orden. Sowohl der Friede als
die Erhaltung des Menschengeschlechtes fordern dies. In der
sündigen Menschheit würden nämlich alle mehr als sie brauchen
von den Gütern an sich reissen, und es würde dadurch der
Kampf um die Güter erst recht entfacht, sowie der Schwache
des notwendigen Lebensunterhaltes beraubt werden. Auch
^) Die nationalökonomischen Anschauungen des Thomas sind mehr-
fach dargestellt worden, so von Baumann, Die Staatslehre des heil.
Thomas v. Aquino, Leipzig 1873, S. 166 ff. Maurenbrecher, Thomas
V. Aquinos Stellung zum Wirtschaftsleben s. Zeit, Lpz. 1898. Über die
bezüglichen Ideen der späteren Scholastiker s, Funk in der Ztschr. f.
die ges. Staats wiss. 1869, 125 ff., sowie ßoscher, Gesch. der National-
ökonomik S. 22 ff.
^) S. z. B. meine Dogmengesch. II, 167.
Kommunismus und I'rivateigentum. 551
wendet der Mensch mehr Anstrengung auf seine privaten Güter
als auf den gemeinschaftlichen Besitz, und er würde immer mehr
darauf aus sein, sich selbst als der Gemeinschaft Güter zu erwerben
(so IV dist. 37 quaest. un. § 8). Mit Recht habe daher Aristo-
teles den Satz, quod non sint omnia communia verfochten (5).
Indem aber der ursprüngliche naturrechtliche Kommunismus
unmöglich wurde, ist dies Gebot des Naturrechtes aufgehoben
worden.
2. Die aktuelle Anordnung des Privateigentums kann
aber direkt weder auf göttliches noch auf Naturrecht zurück-
geführt werden. Denn wenn es auch eine natürliche Wahr-
nehmung ist, dass alles geteilt werden, d. h. hier, dass Privat-
eigentum eingeführt w^erden soll , so wird doch die prima
distinctio dominiorum als positives Recht zu bezeichnen sein.^)
Die Gerechtigkeit des positiven Rechtes ist nun aber nicht eine
an sich seiende, sondern es ist im einzelnen zuzusehen, ob das
betr. Gesetz gerecht sei oder nicht. Das positive Recht be-
darf eines Urhebers und in dem Mass als demselben Klugheit
und Autorität eignen, wird sein Recht geeignet erscheinen, die
communitas zu binden (§ 6). Es gibt eine doppelte Autorität,
die elterliche und die staatliche, wobei die letztere von einer
Person oder von der communitas ausgeübt wird. Die paterna auc-
toritas ist gerecht nach dem Naturrecht, das alle Kinder an-
leitet, ihren Eltern zu gehorchen ; und dies Recht ist weder
durch das mosaische noch das evangelische Recht aufgehoben.
Dagegen ist die politische Autorität gerecht ex communi con-
sensu et electione ipsius communitatis. Hier macht sich die
mittelalterliche Auffassung von der Entstehung des Staates
geltend. Die Menschen kamen zusammen den Staat zu gründen,
sie erkannten, dass es zu seinem Bestand einer auctoritas be-
V
dürfe. Eine solche schufen sie, indem sie ihrem Inhaber ent
wieder nur für seine Person oder erblich eine Autorität ver-
^) Was die Aneignung der Gefässe der Ägypter durch die Israeliten
anlangt, so meint Duns, dass Gott als oberster Herr potuit transferre
dominium illarum rerum in eos etiam invitis inferioribus dominis (III dist. 37
quaest. un. § 15). Doch ist das eine Ausnahme. Die gefährlichen Kon-
sequenzen, die Wiclif aus dem Satz, dass Gott das dominium über alle
Dinge eignet, zog (s. Dogmengesch. II, 168), sind Duns fremd.
562 Kap. IV : Aus der P]thik des Duns Scotus.
lieht'n. Et ista auctoritas politica . . . iusta est, quia iuste
potest quis se submittere uiii personae vel commuiiitati in bis
quae noii sunt contra legem dei, in quibus melius potest clirigi
per illum cid se submittit quam per seipsum. Aus dieser Er-
wägung ergibt sich nun der Scbluss, dass positives Recht sehr
wohl gerecht sein kann. Wenn nämlich ein verständiger Mann
von der Gemeinschaft die Autoritätsstellung empfängt, so darf
er der Gemeinschaft positives Recht auferlegen und dies kann^
wie so formell, so auch inhaltlich gerechtes Recht sein (§ 7).
So ist es also zum positiven Recht und durch dasselbe zur Ver-
teilung der Güter gekommen. Man denke an Noah, der die
Welt unter seine Söhne teilt, an das Abkommen zwischen
Abraham und Loth (8). Damit ist die Frage nach der Ent-
stehung des Eigentums beantwortet. Steht nun auch der
mönchische Verzicht auf das Eigentum höher als der Besitz
desselben, so gilt doch nicht der Satz: ergo dominium est
malum, der Verzicht auf das Eigentum bedeutet nur eine pri-
vatio imperfectionis, denn der Besitz ist nur ein bonum imper-
fectum, also kein Unrecht (de perfectione statuum § 48).
3. Zum anderen ist von der Übertragung des Eigenturas
zu reden. Dieselbe kann sich erstrecken auf das dominium
über das betr. Ding oder auf den usus bezw. das ins utendi,
also auf Eigentümlichkeit oder Niessbrauch. Die Übertragung
muss aber iusta translatio sein. Das ist sie, wenn sie mit der
richtigen Autorität stattfindet, sei es auctoritate publica vel
principis vel auctoritate legis, sei es auctoritate privata ipsius
domini immediate possidentis (in Sent. 1. c. § 9). Es ist nun
jede Translation, die auf die Autorität mes gerechten Gesetzes
hin erfolgt, gerecht. Es ist aber ein gerechtes Gesetz, welches
auf usucapio (Ersitzung) und praescriptio (Verjährung) Eigen-
tumsanrecht stellt. In beiden Fällen hat nämlich der ursprüng-
liche Eigentümer sein Eigentum vernachlässigt. Sollte nun ihm
das Eigentumsrecht trotzdem gewahrt bleiben, obgleich ein
anderer seit lange von der Sache Besitz ergriffen oder sich
öffentlich als Inhaber derselben erklärt hat, so würden ewige
Streitigkeiten die Folge sein. Der Staat muss aber solche zu
vermeiden trachten, daher ist es eine gerechte Ordnung, wenn
das Eigentum in der bezeichneten Weise seinen Besitzer
Translation und Tausch des Eigentums. 553
wechselt (§ 9). Dazu kommt, dass der, welcher sein Eigentum
vernachlässigte, dadurch auch den Staat gefährdete — sein
Handeln ist ein impedimentum pacis — , also billigerweise von
diesem dadurch bestraft wird, dass er sein Eigentum, das er
unbenutzt liegen Hess, auch öffentlich dem zuspricht, der es zu
benutzen verstand. Die Gemeinschaft übt in diesem Fall also
ihr gerechtes Recht aus, das Eigentum ihrer Mitglieder unter
einander zu übertragen (10).
4. Die andere Form der Translation ist die, dass ein
Privatmann, der unmittelbare Gewalt über sein Eigentum aus-
übt, dasselbe aus freiem Willen einem anderen überträgt. Hie-
bei kann er aus reiner Güte handeln (per actum mere liberalem),
sodass er keinerlei Gegenleistung erwartet oder auch so, dass er
die Translation an bestimmte, ihm zu erfüllende Bedingungen
knüpft. Erstere Form ist gerecht, da wenn jemand mit freiem
Willen Besitzer ist, er auch nicht mehr Besitzer sein zu wollen
vermag, während ein anderer an seiner Stelle Besitzer sein
will. Auf beiden Seiten muss aber volle Freiheit vorliegen.
Diese Freiheit fehlt in bestimmten Fällen, sei es dem Geber,
sei es dem Empfänger. So kann der Mönch ohne die Erlaub-
nis des Abtes, der Sohn nicht ohne Genehmigung des Vaters
etwas verschenken, wie andererseits ein Minorit nicht Empfänger
einer Translation sein kann (§ 11). — Bei der zweiten dieser
Formen liegt eine Abmachung vor, man tauscht mit einander
nach dem gegenseitigen Vorteil Güter aus (do, ut des oder:
do, si des). Da nun der Tausch in unmittelbaren Nutzgegen-
ständen schwer durchzuführen war, hat man die Münzen er-
funden : et dicitur commutatio numismatis pro re usuali emptio,
e converso vero venditio. Neben den Tausch und den Kauf
tritt dann noch mutui datio, wo Münze für Münze gegeben wird,
also das Ausleihen und Wiedererstatten von Geld. Hiebei
kommen nun folgende Regeln in Betracht. Hinsichtlich des
Tausches muss der Betrug ausgeschlossen sein, der sich auf
die Substanz, die Qualität und Quantität des betr. Gutes er-
strecken kann (z. B. Wasser statt Wein, verdorbener Wein,
falsches Mass oder Gewicht, § 13). Es muss eine gewisse
Gleichheit zwischen den Tauschobjekten bestehen. Im einzelnen
regelt das positive Gesetz oder auch die Gewohnheit die Ver-
554 K&ii. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
hältnisse. Es kann aber auch lediglich der gute Wille der
Tauschenden in Betracht kommen, und in diesem Fall greift
das Naturgesetz regelnd ein mit seinem Satz: hoc facias alii
quod tibi vis fieri (15).
4. Dieselben Eegeln gelten auch für das Kaufen oder
Verkaufen. Nun kann der Verkäufer zwar, wenn er eines
seiner Güter selbst dringend bedarf, durch den Verkauf also
Schaden erleidet, sich durch einen höheren Preis schadlos
halten ; dagegen darf der Preis nicht um deswillen in die Höhe
getrieben werden, dass der Käufer gerade das betr. Gut not-
wendig braucht, denn dieser Umstand macht das Gut für seinen
jeweiligen Inhaber nicht wertvoller oder besser. So sehr also
der Verkäufer sich schadlos halten darf, so wenig darf er aus
der Not des anderen für sich einen Extravorteil herausschlagen
wollen (16).
Was endlich das Leihen von Geld anlangt, so ist im all-
gemeinen zu sagen, dass für die Wiedererstattung die Gleich-
heit nach Zahl und Gewicht zu fordern ist. Hiebei wäre also
abzusehen von jedem Zins für das geliehene Geld. Einerseits
nämlich kann man sagen, dass der Leihende das dominium über
sein Geld auf den Entleihenden überträgt, er also kein Anrecht
auf das hat, was das Geld unter dem dominium des anderen
hervorbringt. Andererseits ist zu sagen, dass das Geld seiner
Natur nach unfruchtbar ist: non habet ex natura sua aliquem
fructum, sicut habent aliqua alia ex se germinantia. Die in-
dustria des Menschen entlockt dem Geld Früchte, das ist aber
die industria des Entleihenden, nicht die des Verleihenden, also
hat letzterer kein Anrecht an jene Früchte: ergo ille volens
recipere fructum de pecunia vult habere fructum de industria
aliena (17). — Doch sind hier zwei Ausnahmen zu konstatieren.
Wenn ich nämlich mein Geld zu einem bestimmten Termin
selbst brauche, kann ich ausmachen, dass mir für den Fall,
dass der Entleihende es nicht rechtzeitig wiedergibt, von ihm
eine poena Conventionalis entrichtet werde. Das habe mit der
fraus usurarum nichts zu thun. Aber auch, wenn ein solcher
Kontrast nicht vorliegt, der Creditor aber durch das Aus-
bleiben der Zahlung des Debitor notorisch geschädigt wird, ist
letzterer zwar nicht rechtlich, wohl aber in foro conscientiae
Kauf und Zins, 555
gehaltcD, ersterem den ihm entstandenen Schaden de Interesse
zu ersetzen (18), also eine Zahlung ultra sortem, d. h. die über
das Kapital hinausgeht, zu leisten. Doch will hier noch etwas
in Acht behalten werden. Das Geld hat aliquem usum utiiem
ex propria natura, indem es seinem Inhaber zum Schmuck und
zur Erhöhung seines Ansehens, wir würden sagen zum „Kredit",
gereicht (ad videndum, ornandum vel ostentendum possibilitatem
tanquam divitem). In diesem Fall nun leiht der Verleihende
eigentlich sein Geld dem Entleihenden nicht, sondern er bleibt
der Besitzer, er vermietet es nur zum Gebrauch (locari), wie
man etwa ein Pferd vermieten kann. Hier tritt aber das Miets-
recht in Kraft. Der Verleihende kann beanspruchen, dass ihm
dies pondus, das er dem Entleihenden überliess, restituiert werde,
nisi forte sufficiat locati aequale in pondere et valore (19).
Duns hält also seinerseits das von Aristoteles und dem kano-
nischen ßecht vorgeschriebene Zinsverbot aufrecht, aber dem
scharfsinnigen Mann entgeht nicht, dass die alte Idee, dass
Geld keine Kinder kriege, doch fragwürdig ist. Geld gibt
Macht und Kredit und auch diese Gabe will dem Verleiher
restituiert w^erden. Er deutet das freilich nur schüchtern an
und er zieht nicht von hier aus die entscheidende Konsequenz,
dass auch jene industria am Besitz des Geldes einen Grund
hat. Immerhin dämmert in dem zuletzt referierten Gedanken
ein gewisses freieres modernes Verständnis der Sache. Das
Zinsnehmen als solches aber bleibt auch nach Duns ein Ver-
brechen. Er beruft sich auf Ez. 18, Ps. 14, Luk. 6. Dass
der Verleiher sich schadlos halten müsse und der Entleiher
freiwillig Zins zahlt, beweise nichts, da der Verleiher ja nicht
gezwungen ist, sein Geld hinzugeben ; wenn er aber ein gutes
ll Werk thun will, vom göttlichen Gesetz gezwungen wird, ut
non faciat eam vitiatam (1. c. § 26). Eine wunderliche Argu-
mentation !
Zu dem Gebiet des Handels und Tausches fügt Duns
hier einige Bemerkungen an. Es wird der Fall gesetzt, dass
der Verkäufer nicht sofort das entsprechende Entgelt erhält,
was ist dann rechtens? Hiefür werden zwei Regeln aufgestellt,
dass nämlich 1) der Verkäufer nicht die Zeit verkauft, da sie
ihm nicht gehört, und 2) dass er sich nicht den gesamten
556 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
Gewinn sichern, wie dem Käufer den gesamten Schaden zu-
schieben darf. Den Sinn der ersten Regel verdeutlicht Duns
an folgendem Beispiel. Jemand will etwas zu Weihnachten
oder auch zu Johannis verkaufen. AVenn er es nun zu Weih-
nachten verkauft, aber den Kaufpreis erst zu Johannis ver-
langt, so erweist er dem Käufer eine Wohlthat. Wenn er da-
gegen unter denselben Umständen zu Johannis einen höheren
Preis als er für Weihnachten billig war, verlangt, so ist er ein
usurarius, denn er verkauft die Zeit. Recht einleuchten will
diese Argumentation allerdings nicht. Ist es wirklich ein be-
sonderes gutes Werk, mit der Zahlung bis Johannis zu warten,
so scheint es doch nicht Wucher zu sein, wenn jemand auf
dies Werk verzichtet. Und kann der Käufer denn nicht doch
besser fahren, wenn er auch zu Johannis einen höheren Preis
zahlt?
Aber es kommt Duns wesentlich darauf an, das kirchliche
Zinsverbot aufrecht zu erhalten, im einzelnen lässt er dann mit
sich reden. Hier tritt jener jesuitische Zug in seiner Moral
hervor. Man kann sich schadlos halten, wenn man es nur
nicht Zinsen nennt und die Sache richtig anfängt. Jemand
kann nämlich von der Überlegung aus, dass das betr. Gut
allmählich im Preise steigen wird, die certificatio pretii auf-
schieben. Bestimmt er den Preis sofort gemäss des gegen-
wärtigen Wertes, nämlich für die künftige Zahlung, so erweist
er dem Käufer eine Wohlthat. Wenn er dagegen zwar einen
höheren Preis stellt, als der gegenwärtige Wert der Sache
rechtfertigt, dieser Preis aber nicht übermässig ist und wahr-
scheinlichpT'iveise gezahlt werden wird zur Zeit der Bezahlung,
so : ratione dubii excusatur (20). Eine ethisch sehr fatale
Auskunft! Dagegen wird auf Grund der zweiten Regel es
verworfen, dass jemand sich den höchsten Preis, der für das
betr. Gut in der Zeit zwischen der Hingabe desselben und der
Zahlung dafür erreicht wurde, ausbedingt, da er sich hier den
höchstmöglichen Gewinn sichert, dem Käufer dagegen ein Ver-
lust wahrscheinlich ist.
5. Duns schliesst hier einige Bemerkungen über den
Handel an. Der Kaufmann kauft die Waren nicht zu
seinem persönlichen Gebrauch, sed ut vendat, et hoc carius.
Der Handel. 557
Hierüber sind nun zwei ethische Regeln zu bilden: 1) dieser
Austausch inuss dem Staat nützlich sein, 2) der Kaufmann
muss für den Fleiss, die Einsicht, Betriebsamkeit und die Ge-
fahren, die er auf sich nimmt, ein pretium correspondens in
commutatione empfangen (ib. § 22). Es ist nun klar, dass der
Kaufmann dem Staat nützt, sei es, dass er Waren feil hält,
die dadurch jedem leicht zugänglich werden, sei es, dass er
die Produkte seiner Heimat gegen die fremder Länder aus-
tauscht. Jeder aber, der durch seine Arbeit dem Staat in
opere honesto dient : oportet de suo labore vivere. Der Kauf-
mann aber erweist dem Staat solch einen Dienst und zwar in
ehrbarer Weise, anders als histriones et meretrices, also darf
er verlangen, aus seiner Arbeit auch Nahrung zu beziehen.
Der Kaufmann wendet nun fraglos eine Menge Anstrengung
an, etwa bei dem Export und Import und der Abwägung der
betr. Bedürfnisse. Dazu kommt die Gefahr, die er bei dem
Transport der Waren oder ihrer Überwachung aussteht, sowie
sein Bisiko etwa bei Untergang eines Schiffes, einer Feuers-
brunst. Für dies alles ist er durchaus berechtigt, einen Ersatz
zu fordern (22). Gäbe es keine Kaufleute, so müsste der Staat
sie anstellen ; wie dieser sie dann besolden müsste, so können
sie nun auch selbst bei Herstellung des Preises der Waren
sich schadlos halten für ihre Arbeit und ihr Risiko. Nicht
als Kaufleute will aber Duns die Zwischenhändler (et vocantur
tales gallice regratiers) anerkennen, die ohne Mühe und Arbeit
die Ware vom Produzenten zum Interessenten hinübertragen
und dadurch nur beide schädigen. Solcher Leute bedarf der
Staat nicht und sie müssten daher vertrieben werden (23).
6. Nachdem wir die Gedanken unseres Autors über das
wirtschaftliche Leben kennen gelernt haben, tliun wir gut,
die sittliche Stellung des Einzelnen zum Gut, wie sie die
Restitutionspflicht vorschreibt, zu besprechen. Durch auferre
und detinere bringt mau den Nächsten um das Seine ; es
ist Pflicht, es ihm wiederzuerstatten (1. c. § 30) und zwar,
wenn es Frucht getragen hat nach seiner Natur, mitsamt diesen
Früchten. Ausdrücklich wird hievon das Geld wieder eximiert,
da es ja nicht Früchte trage und wir die Frucht unseres
Fleisses dem anderen nicht zu überliefern haben (31). Ist
558 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
derjenige, dem wir das Seinige genommen hatten, bereits ge-
storben, so soll der Ersatz an seine Verwandten gehen, da
nach dem Naturrecht angenommen werden muss , dass der
Verstorbene es diesen am liebsten .zugewandt hätte. Wenn
aber dieselben uns unbekannt sind oder auch die Kosten für
die Versendung der betr. Sache den Wert, die sie für den
Empfänger hätte, überstiegen, so gebe man sie den Armen ; so
werde geistlich ersetzt, was man leiblich nahm : redditio spiri-
tualis fit maxime reddendo pauperibus pro illo (§ 32). — In
jedem Fall muss aber der Ersatz sofort geleistet werden, da
man sofort innerlich wie äusserlich sich von der Todsünde los-
machen muss.
Allein es genügt auch der gute Wille zur Restitution ; in vielen
Eällen wird die äussere That aufschiebbar sein, nämlich dann,
wenn der Besitzer selbst Vernünftigermassen wünschen müsste,
dass sie verschoben würde. Das wäre aber der Fall, w-enn
durch die sofortige E-estitution ihm selbst oder der communitas
oder endlich auch dem Entwendenden ein Schade erwüchse.
Letzteres ist besonders interessant. Wenn also jemand ge-
stohlen hat, so darf er die AViedergabe hinausschieben, damit
es nicht herauskommt, dass er es gewesen und er so an seiner
Ehre geschädigt werde.
Aber auch für den Fall, dass ihm durch die Restitution
ein magnum incommodum, dem Bestohlenen aber nur ein modi-
cum commodum erwüchse, kann er annehmen, dass jener auf
sofortige Restitution verzichtet und daher von ihr absehen (§ 33).
Und wenn dieser Verzicht auch garnicht als actus elicitus
stattfindet, so ist er doch ein actus debitus: quia dominus
debet velle, quod qui suum habeat, teneat quousque possit red-
dere opportune. Endlich ist zu sagen, dass wenn jemand etwas
heimlich fortnahm, er auch nicht zur persönlichen Wieder-
erstattung verpflichtet ist, er soll es durch einen Mittelsmann,
am besten den Beichtiger, hinsenden (34). — Auch bei diesen
Erörterungen macht sich der Zug geltend, auf den bereits
einigemal verwiesen wurde, eine vernünftige Kasuistik macht
es dem Sünder so leicht als möghch.
Diese Beobachtung kann an einigen w^eiteren Beispielen
scotistischer Kasuistik bewährt werden. Wenn z. B. der eigent-
Die Resiitutionspflicht. 559
liehe und der zeitweilige Besitzer beide die von letzterem
angeeignete Sache absolut notwendig zur Erhaltung ihres Lebens
brauchen, so muss der letztere sie dem ersteren zurückerstatten,
aber nur für den Fall, dass dieser wirklich zuerst oder durch-
aus gleichzeitig in diese Lage gerät; kommt er selbst zuerst
in sie, so ist er nicht dazu verpflichtet (ib. § 36).
7. Eine andere Frage dieser Kasuistik ist, was ein Weib,
das ohne Wissen ihres Mannes im Ehebruch einen Sohn empfangen
hat, bezüglich der Erbschaft dieses Kindes thun soll. Man
antwortet darauf, sie solle es dem Sohn oder ihrem Mann
kundthun. Allein Duns widerspricht dem. Es sind bei dem
Sohn zwei Fälle denkbar, entweder er glaubt, was die Mutter
ihm erzählt oder er glaubt es nicht. Glaubt er es, so wird
er kaum gewillt sein, auf die Erbschaft zu verzichten, quia
pauci inveniuntur ita perfecti, ut propter iustitiam servandam
in foro dei, dimittant magnas possessiones. In diesem wahr-
scheinlichen Fall hätte die Mutter sich umsonst bei dem Sohn
diffamiert. Also schweigt sie besser! Glaubt der Sohn ihr
nicht, so hätte sie sich nur vor ihm diffamiert und die Erb-
schaft träte er doch an. Der Erfolg widerspricht also auch
hier einem Geständnis. — Sagt die Frau es aber ihrem Mann,
so setzt sie sich der Gefahr aus, von ihm erschlagen zu w^erden
und bringt ihn daher in das periculum uxoricidii, oder zum
mindesten setzt sie sich dem aus, dass er sie hasst, sie ver-
stösst oder in stetem Hader mit ihr lebt. In Ländern^ wo der
Erstgeborene dem Gesetz nach der Erbe ist, ist ausserdem der
öffentliche Skandal nicht zu vermeiden. All diesen Übeln —
quae sunt valde probabilia — soll sich die Frau nicht aus-
setzen propter incertum bonum haereditatis restituendae. Heisst
das, dass der Mann eventuell doch den spurius erben Hesse, oder
dass die Erbschaft selbst ein zweifelhaftes Glück bedeutet?
So oder so ist es klar, dass sie schweigen muss (§ 38). — Nun
meint Duns allerdings, dass sie sich Mühe geben soll, dass das
Erbe auch dem berechtigten Erben zu teil werde: dico autem
quantum in se est, quia non debet se diffamationi exponere, sed
ex aliis causis honestis filium spurium quantum potest inducere,
ut dimittat haereditatem. Sie soll ihn etwa überreden, Mönch
(ut intret religionem) oder Kleriker zu werden und dann sein
560 K'ip- ^'^'' Aus der Ethik dos Duns Scotus.
Erbe freiwillig dem berechtigten Briirler zu überlassen. Gelingt
das aber nicht, so soll sie sich nicht verraten, da das auf
den Sohn, der jenen Mahnungen unzugänglich blieb, doch keine
AVirkung ausüben würde. Sie würdeihn nur zur Lüge bewegen.
Aber sie soll doch, soviel sie kann, für einen genügenden Er-
satz sorgen für den rechten Sohn seines Vaters, sodass der-
selbe doch wenigstens sein anständiges Auskommen, und wo-
möglich mehr als das, hat (39). Nach der Methode des Duns
wird sie aber wahrscheinlich auch hierauf verzichten, ist der
Erfolg, an dem alles normiert wird, doch auch hier ein un-
sicherer! Es bleibt schliesslich nichts übrig, als die Dinge
gehen zu lassen und das Gewissen durch „probabilia" zum
Schweigen zu bringen — und das ist wieder Jesuitenmoral I
So hat Duns in der Moral die Grundsätze des „Probabilismus"
und „Intentionalismus" bereits mit Virtuosität gehandhabt.
Das zeigt auch das folgende Beispiel. Durch meinen
Acker gehen Wasseradern, die den Brunnen meines Nachbars
speisen. Schneide ich ihm nun dieselben ab, so kommt es auf
meine „intentio" an : wollte ich ihn dadurch schädigen, so bin
ich sittlich zur Restitution des ihm erwachsenden Schadens
verpflichtet; dachte ich aber nur an meinen eigenen Vorteil
(etwa dass ich eine Maner aufführen will, was auf dem feuchten
Boden nicht angeht), so habe ich keinerlei Verpflichtung ihm
gegenüber (40).
Wir sahen bereits, dass unbeschadet der sittlichen Art des
Eigentums, doch die Eigentumlosigkeit ethisch höher steht
(oben S. 550 f.). Wollte mau aber den Verzicht auf das Eigen-
tum als unsittlich bezeichnen, indem der Mönch durch ihn um
die Subsistenzmittel kommen könne, so ist daran zu erinnern,
dass das Naturrecht kommunistisch ist und dass man daher
im Fall der äussersten Not, sich, trotz alles Widerspruches,
nehmen darf was man braucht. Dabei wird vorausgesetzt,
dass der Mönch es nicht zu seinem Eigentum macht. Würde
letzteres zur unumgänglichen Bedingung gemacht, so müsste er
freilich lieber sterben, als accipere rem cum dominio. Aber
diese Betrachtungsweise ist nicht die einzig mögliche. Man
könnte auch sagen, der Verzicht auf Eigentum meine dies nur
als etwas Überflüssiges. Tritt nun der obige Fall ein, durch
Der Verzicht auf das Eigentum. 561
den das Eigentum notwendig wird, so braucht man sich sein
nicht zu weigern. Auch könnte ich in diesem Fall in meinem
Gewissen jene für mich unsittliche Klausel des Gebers .auf-
heben, die Gabe also nur zum Gebrauch empfangen, während
jener sie mir zum Eigentum überliess (de perfectione statuum
§ 50). Hier heiligt also der Zweck das Mittel und eine reser-
vatio mentalis hilft aus aller Not des Leibes und der Seele!
Man beachte noch die wichtige Unterscheidung zwischen do-
minium und usus sine dominio. Gerade in letzterem besteht
das ethische Heroentum des Mönches. Usus und dominium
an allen Dingen erstreben ist das eine Extrem, auf beides
verzichten ist das andere. Dazwischen stehen zwei Möglich-
keiten : nur das dominium erstreben, das ist die Unvernunft
des Geizigen und nur den usus wollen, das thut der Mönch:
et istud est bonum (1. c. § 52). Das ist der Standpunkt der
geistlich Armen, die auf alles irdische Eigentum verzichten,
sich innerlich davon loslösen und nur den notwendigen Gebrauch
davon haben wollen (63. 64), aber auch allen Mangel geduldig
tragen (65). Solcher ist das Himmelreich, in dessen Besitz sie
sofort, nach Auflösung des hindernden Leibes eintreten werden
(ib. § 55). — Aber wie, soll man nicht leben von seiner Arbeit
und sich durch körperliche Arbeit ein Eigentum erwerben, hat
nicht Paulus darnach gehandelt? Doch Paulus handelte nur
aus Not so, wieder Christus noch ein anderer der Apostel hat
solche Arbeit gethan. Die Apostel haben weder Hand noch
Fuss zu körperlichem Erwerb und zur Beschaffung der Lebens-
bedürfnisse gerührt, sie widmeten sich ganz dem Gebet und
dem Dienst am Wort (§ 56). Es haben ja die Apostel, die
Christus zum Predigen aussandte, als sie zu lehren anhüben,
keine Beutel getragen ; den Beutel hatte Judas, der Dieb (1. c.
§ 58). Auch keiner der Philosophen hat jemals ein solches
äusserliches Erwerbsleben als Ideal empfohlen. Nur die roheren
Mönche haben derartiges getrieben und sie sind, wie die Ge-
schichte zeigt, dadurch nur zu oft in Irrtum und Sünde ge-
fallen (§ 56). Das ist die antike Lebensauffassung mit ihrer
souveränen Verachtung der Arbeit und des Erwerbes. Wenn
aber ein Denker wie Duns, der dem praktischen Leben, wie
wir sahen, nicht ganz ohne Verständnis gegenübersteht, solche
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 36
562 -Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
Gedanken niederschreiben kann, so sieht man wieder, wie wenig
die Kirche des Mittelalters der Lösung der wirtschaftlichen
Probleme, die schon durch jene Zeit gingen, gewachsen war.
8. Nicht nur die äusseren Güter werden unter dem Ge-
sichtspunkt der Restitution behandelt, sondern auch allerhatd
andere Güter des inneren und äusseren Lebens des Menschen.
Es gibt eine Schädigung des Leibes und eine Schädigung der
Seele. AVenn jemand der Seele des Nächsten Schaden zufügt
durch Abhaltung vom Guten und Verführung zum Bösen, so
ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Das geschieht
aber so, dass er ihn zur Busse und zu tugendhaften Hand-
lungen anleitet. Dabei freilich zeigt es sich: facilius est per-
vertere quam convertere. Daher wird die Fürbitte für den
Verführten und die Veranlassung von anderen Personen zu seiner
Ermahnung — denen aber seine geheimen Sünden nicht offen-
bart werden dürfen — hinzu kommen müssen. Aus der Schwie-
rigkeit, jemand zu bekehren, folgt aber, wie sehr man sich
davor hüten muss, ihn zu verführen (IV dist. 15 quaest. 3, 3).
Was dagegen die Schädigung am Leibe anlangt, so kann
diese tödlich oder nur eine, sei es heilbare, sei es nicht heil-
bare, schwerere oder leichtere Verletzung sein (z. B. eine Ver-
wundung und andererseits das Abschlagen eines Gliedes, wobei
wieder die schwerere Verstümmlung z. B. Verlust der rechten
Hand, von der leichteren z. B. Abschneiden eines Fingers oder
eines Teils davon, unterschieden wird). Für solche Beschädi-
gungen wäre das ius talionis an und für sich wohl berechtigt,
da irgend welche bona fortanae dem Geschädigten keine recom-
pensatio aequivalens darbieten (§ 4). In vielen Staaten wird
der Mord nach dem ius talionis bestraft. Die Todesstrafe aber
ist vom mosaischen und evangelischen Gesetz geboten und
wird auch durch das Naturrecht bestätigt. Der Mörder soll
sich also der Todesstrafe unterwerfen. Wo sie aber nicht
rechtens ist, soll er sein Leben für eine gerechte Sache,
etwa die Bekämpfung der Feinde der Kirche , einsetzen,
nicht aber zu dem von Gott verbotenen Selbstmord greifen.
Nichts aber kann so thöricht sein, als, wie einige Beichtiger es
thuD, Mörder zu absolvieren, ohne ihnen die notw^endige Re-
stitution zur Pflicht zu machen. Dadurch kommt der homicida
Restitution bei Mord und Verleumdung, 563
leichter weg als ein caüicida oder bovicida. Der Mörder soll
wenigstens eine restitutio spiritualis aequivalens vitae leisten,
sowie Sorge tragen für die etwaigen Hinterbliebenen des Er-
mordeten, die so um ihren Ernährer gekommen sind. Aber
die beste Restitution wird immer durch die willig übernommene
Todesstrafe geleistet (§ 6).
Eür alle Arten der Körperverletzung hat die Kirche Geld-
entschädigungen festgestellt. Dieselben sollen nicht nur an
dem dem Geschädigten erwachsenden Schaden — wobei zu
beachten ist, dass der Arme durch einen hemmenden Leibes-
schaden schwerer betroffen wird als der Reiche — bemessen
werden, sondern auch die Kurkosten sind dem Geschädigten
zu ersetzen (1. c. § 9).
9. Aber auch bei der Schädigung des guten Namens eines
Menschen oder der Diffamation muss die Restitution Platz
greifen. Duns nimmt drei Formen der Diffamation an : 1) dass
man jemand fälschlich ein crimen nachsagt, 2) dass man ein
von jemand w^irklich aber im Geheimen begangenes Vergehen,
unter Umgehung der Rechtsordnung, bekannt macht, 3) dass
man einem, der solch ein geheimes Vergehen öffentlich macht,
widerspricht und ihn dadurch zum Verleumder stempelt. Im
ersten Fall muss man seine Aussage ebenso öffentlich zurück-
nehmen, als man sie gethau hat. Man kann hiegegen nicht
sagen, dadurch diffamiere der Betreffende sich selbst, er ist
verpflichtet, der Liebe zum Nächsten dies Opfer zu bringen;
auch diffamiert er sich nicht, sondern wendet nur ein Lob von
sich ab, dessen er durch seine Lüge unwürdig wurde (IV dist. 15
quaest. 4, 2). Auch die Entschuldigung will Duns nicht recht
gelten lassen, dass jemand ja nur nach Hörensagen etwas er-
zählt haben könne und dann doch nicht als zur Zurücknahme
verpflichtet anzusehen sei. Freilich, hat er wirklich nur etwas Ge-
hörtes referiert, ohne von sich aus der Sache mehr Gewissheit zu
verleihen, so träfe seine Zuhörer die Schuld des Leichtsinus,
wenn sie es als gewiss hinnehmen. Aber es gibt, wie Paulus sagt,
viel Schwache; wenn man diese durch seine Rede zur sünd-
haften Beurteilung des Nächsten verführt, so wird es schwer
halten, sich von einer Todsünde freizusprechen (ib. § 3). Es
ist im Zeitalter des Duns offenbar viel und bösartig geklatscht
36*
564 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
wordeD, sein sittliches Urteil auf diesem Punkt ist echt christ-
lich gewesen.
Ist es aber zweitens wahr, was man dem Nächsten nach-
gesagt hat, so darf man natürlich nicht das Gesagte zurück-
nehmen. Wohl aber soll man bekennen : male dixi, fatue dixi,
quia non servato ordine iuris ; man soll sagen : non reputetis
istum malum, da man, bevor es öffentlich erwiesen, niemand
für böse halten dürfe. Man soll also seine Zuhörer abhalten
von der sittlichen Verwerfung des Beschuldigten (ib. 4).
Im dritten Fall muss man den, welchen man der Ver-
leumdung zieh, entschuldigen; er habe aus bona intentio ge-
handelt und geglaubt, seine Aussage beweisen zu können, ob-
gleich der Angeschuldigte ihre Richtigkeit bestreite (5).
Merkwürdig ist aber nun die folgende Erörterung. Duns
fragt, ob der eine Todsünde begeht, der ein im Greheimen be-
gangenes Verbrechen, das ihm öffentlich vorgeworfen wird,
leugnet? Er vergeht sich doch gegen den Staat, indem er
sich der gebührenden Bestrafung entzieht. Aber in Wirklichkeit
werde der Staat hiedurch nicht verletzt, da er nur das, w^as
bewiesen ist, zu bestrafen berufen ist, das übrige muss dem
göttlichen Urteil vorbehalten bleiben. Er schädigt aber auch
nicht seinen Ankläger, denn indem dieser einen verkehrten
Weg, ihn anzuschuldigen, einschlug, muss er sich selbst die
üblen Folgen für seinen Ruf, die hieraus erwachsen, zuschreiben ;
jener fusst auf seinem guten Recht, wenn er sich nicht früher
öffentlich schuldig bekennt, als bis der gehörige öffentlich giltige
Beweis erbracht wurde (§ 5). Aber sündigt der Angeschuldigte
nicht doch, indem er zu seinem besten lügt? Es ist hart
(durum videretur), von ihm zu verlangen, dass er, der von
einem angeklagt ist, sich sofort dem Blutgericht preisgeben
soll. Es würde, abgesehen von der Strafe, seine Ehre mehr
als alle anderen schädigen, wenn man vor dem weltlichen Gre-
richt dem, der ihn anklagt, glaubte. Er kann doch sagen, ohne
zu lügen, dass die Sache, die jetzt öffentlich geworden, auch
öffentlich bewiesen werden müsse: sie autem ea negare potest
quis, si seit ea probari non posse in publico ! Nötigt ihn aber
der Richter zu einem Bekenntnis, so kann er, nach dem Rat
der Juristen, sagen, dass er eine genügende Antwort gegeben
Die Sklaverei. 565
habe und voq ihr nicht abgehen könne, der Richter möge gegen
den Ankläger thun was rechtens ist (6). Wieder greift der
Intention alismus ein: intendens tarnen negare illud, ut pro-
positum est, scilicet ut publicum. Dasselbe thut ja auch der
Priester, wenn er von einem Menschen, dessen Schuld vor
einem anderen Forum ihm bekannt wurde, vor dem weltlichen
Forum erklärt: nihil mali scio istum fecisse. Aber in tali casu
tutum est für die betr. Schuld, die man öffentlich abgeleugnet
hat, Busse zu thun, je nachdem ob sie Todsünde oder veniale
Sünde ist (7). Hier ist die Kunst des Advokaten zur mora-
lischen Norm erhoben und das Gewissen durch die Mental-
reservation gestillt.
4. Die Sklaverei.
1. Weiter einige Worte über die Sklaverei. Nach dem
Naturgesetz werden alle Menschen frei geboren, und dasselbe
kennt keine andere als die kindliche Unterwerfung unter die
Eltern. Das Institut der servitus dagegen ist durch das posi-
tive Recht eingeführt worden. Die aristotelische Auffassung,
dass einige zu Knechten, andere zu Herren geboren sind, hält
Duns für falsch. Es ist wahr, dass einigen die Leitung zufallen
muss, aber daraus folgt noch nicht, dass die übrigen wie seelen-
lose Wesen behandelt werden dürfen (IV dist. 36 quaest. 1, 2. 3).
Indem aber das positive Recht hier dem Naturrecht zuwider-
läuft, erhebt sich die Frage, ob seine Feststellung sich ethisch
rechtfertigen lässt? Der Nachweis, dass dem so sei, ist nicht
einleuchtend. Man kann annehmen, dass jemand sich freiwillig
unterworfen hat. Es war thöricht das zu thun, ja es verstiess
gegen das Naturrecht, das jedem Freiheit zuspricht. Nachdem
es aber einmal geschehen, ist es einzuhalten. Dieses Einhalten
der Sklaverei ist also positive Gerechtigkeit. Weiter kann ge-
sagt werden, dass wie ein Herrscher das Recht hat, dem Staats-
wohl das Leben widerspenstiger Bürger zu opfern, er auch die
Sklaverei über sie verhängen darf (ib. § 2). Weniger klar
liegt die Sache bei Kriegsgefangenen (3). Aber Duns kommt
mit alle dem über die Bedenken an der Gerechtigkeit der
Sklaverei nicht hinaus (4). Jedenfalls ist auch dem Sklaven
566 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
ein gewisses Mass von Freiheit zu lassen, da er Mensch ist,
etwa die Freiheit zu essen, zu trinken, zu schlafen. Es ist
eine maledicta servitus, wenn er wie ein Stück Vieh behandelt
wird: quantumcuuque sit servus, est tarnen homo et ita liberi
arbitrii, ex quo patet magna crudelitas fuisse in prima inductione
servitutis, quia liominem arbitrio libero et dominum suorum
actuum ad virtuose agendum facit quasi brutum et libero
arbitrio non utentem nee potentem agere virtuose (§ 9). Des-
halb will Duns bis zu einem gewissen Grade dem Sklaven auch
das Recht auf die Ehe gewahrt wissen (s. oben).
2. Man versteht diese Betrachtung, wenn man sich gegen-
wärtig erhält, dass das Naturrecht den ethischen Massstab zur
Kritik der positiven Eechtsordnung darbietet. Von Natur ist
jeder Mensch frei geboren, also ist die Beraubung des Menschen
an seiner Freiheit unrecht. Das ist die Betrachtungsweise
eines Epiktet und Seneca, spezifisch christliche Gedanken spielen
nicht herein. Zu Vorschlägen der Besserung erhebt sich Duns
auch hier nicht. Selbst der brutalen Grausamkeit gegenüber,
dass etwa, wxnn zwei Sklaven, ohne den Willen ihrer beider-
seitigen Herren, geheiratet haben, die Herren ihn hierhin, sie
dorthin senden, wagt er nicht fest entgegenzutreten, handeln die
beiden doch nach ihrem guten Recht (ib. 8).
5. Lüge und Meineid.
1. Eine längere Erörterung hat Duns über die Lüge
angestellt. Mit dem Lombarden wird gefragt, ob jede Lüge
Sünde ist? Zunächst kann man sich dagegen darauf berufen,
dass mancher heilige Mann gelogen habe. Dafür spricht
aber, dass die Kirche die Lüge für eine Todsünde erklärt,
sowie dass sie gegen die uaturrechtliche Regel verstösst, anderen
nicht zu thun, w^as man selbst nicht erfahren will (III dist. 38
quaest. un. § L 2). — So allgemein die Verwerfung der Lüge
aber ist, so schwankend sind die Gründe der Theologen für
diese Beurteilung. Sagt man etw^a: die Lüge ist Sünde, weil
sie gegen die Wahrheit, d. h. gegen Gott verstösst, so ist das
verkehrt, weil Gott nicht jede beliebige, sondern die erste
Wahrheit ist (1. c. § 3). Nach Thomas sei bei jeder Lüge
Die Lüge. 567
das Objekt der Handlung böse, also könne kein Umstand die
Handlung der Lüge gut machen (4). Nun könnte aber doch
an sich der Mord erlaubt sein, falls Gott sein dagegen ge-
richtetes Gebot zurücknimmt oder ihn gar, wie Abraham, an-
befiehlt. Dasselbe könnte auch mit der Lüge geschehen, da
es doch weniger ist einem eine wahre Meinung als das Leben
zu zerstören (5). — Nach der Meinung Bonaventuras ist die
Lüge Sünde, weil eine positive mala intentio in ihr vorliegt.
Dies erläutert Duns dahin, dass Handlungen, die an sich gut
sein könnten, durch besondere Umstände böse werden, z. B,
die Aneignung eines Gutes, sofern sie wider den Willen des
Besitzers geschieht. So würde auch hier das Sprechen der
betr. Worte Sünde durch die damit verbundene intentio fallendi.
Es ist also keine Sünde, wenn ein Grieche falsche lateinische
Ausdrücke braucht (6).
2. Die Lüge wird eingeteilt in mendacium perniciosum,
officiosum et iocosum. Das mendacium perniciosum
schädigt an sich den Belogenen. Es wird zur Todsünde, wenn
es den christlichen Glauben oder die christliche Sitte betrifft,
oder auch die Schädigung des Nächsten an äusseren Gütern,
wie Leben oder eheliche Treue bezweckt. Hiedurch wird
gegen das 8. Gebot Verstössen; die Absicht, den Nächsten zu
hintergehen, stempelt die Handlung zur Sünde. Quicunque
igitur cum intentione decipiendi illum cui profert oppositum
eius quod seit vel credit esse verum, et sie dicendo intendit
nocere illi cui loquitur, vel de quo loquitur dicit falsum testi-
monium contra proximum (ib. 7).
Mendacium officiosum est quod nulli nocet et alicui
utile est.
Mendacium iocosum ist nicht jede Unwahrheit, etwa das
Erzählen einer Geschichte, von der jeder Zuhörer weiss, dass
sie nicht wirkliche Ereignisse wiedergeben will. Aber mend.
iocosum est^ quando aliquis iocando intendat decipere, ita quod
deceptus vere decipitur, non tamen in aliquo in quo sibi nocu-
mentum magnum inferatur, in quo etiam iocantur illi qui sciunt
ipsum decipi. So etwa Joseph mit seinen Brüdern, indem er
sich auch nicht seriöse , sed iocose vorstellte. Von beiden
Gruppen von Sünden pflegt in der Regel zugestanden zu
568 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
werden, dass sie bei Laien oder imperfecti nicht Todsünden
sind, da sie nicht gegen die Liebe Verstössen. Dagegen meinen
einige, dass sie bei viri perfecti Todsünden seien, sofern die-
selben ihre Autorität durch sie beschränken und ihren heiligen
Stand verächtlich machen (8). Dagegen kann aber gesagt
werden, dass der vir perfectus bezüglich der Wahrhaftigkeit
keine höheren Verpflichtungen übernommen hat, als jeder andere
Christ (9). Indessen muss hier unterschieden werden. Eine
Person kann vollkommen sein in statu perfectionis exercendae
wie ein Prälat, oder in statu perfectionis acquirendae wie ein
Mönch. Wenn nun ein Prälat bei Ausübung seiner amtlichen
Funktionen, wie docere, iudicare, praedicare, jene Sünden
thäte, so könne man zugestehen, dass sie Todsünden seien.
Durch die Scherzlüge würde die Predigt und Lehre des Be-
treffenden um ihre Autorität gebracht werden. Ebenso bei
dem iudicare, wobei aber freilich eine trufa beigemengt werden
kann, von der jeder weiss, dass sie nicht de iudicio ist. Nun
würde aber nicht ein Fall, sonden die Gewohnheit des Handelns
die Autorität hemmen. Da nun auf letzterem der Charakter
als Todsünde beruht, von einer Gewohnheit aber frühestens
bei dem zweiten Mal der Begehung der Sünde die Rede sein
kann, so wird erst der actus secundus als Todsünde anzusehen
sein (10). Bei dem Mönch liegt die Sache anders, es sei denn,
dass er zugleich als Lehrer und Prediger thätig ist. Überhaupt
wolle aber erwogen sein, dass diese Sünde, begangen von einem
Vertreter eines so hervorragenden Standes, besonderes Ärgernis
geben könnte. Indessen dürfe man die Thatsachen doch nicht
beurteilen nach den möglicherweise eintretenden Folgen. Also
ist diese Sünde bei dem Mönch an sich nicht Todsünde, sofern
sie aber als ein actus scandalizativus wirken kann, ist sie aus
Liebe zum Nächsten zu meiden (11).
Sonach ist die Lüge Sünde, wenn auch nicht immer Tod-
sünde. Auch im Kampf gegen die Ungläubigen ist der Christ
zur Wahrheit verpflichtet, nur einige cautelae belli sind erlaubt,
die an sich nicht Lüge sind und die Wahrheit nicht aus-
schliessen (15). Wenn man die Lüge der Judith (Jud. 10)
damit entschuldigt hat, dass sie zu Gott und nicht zu Holo-
Die Heuchelei. 569
fernes .geredet hat, so verwirft Diins diese Entschuldigung^)
in der richtigen Erkenntnis, dass diese Methode jede certitudo
de loquela proximi loquentis aufhebt. Er will also, zugestehen,
dass Judith gelogen hat. Doch sei die Sache nicht so schlimm:
non videtur magnum inconveniens concedere eam fuisse mentitam
officiose genti suae, sed perniciose illi cuius mortem intendebat;
ista tarnen officiositas praefertur illi perniciositati, quia bonum
reipublicae maxime colentis deum praefertur bono temporali
privatae personae maxime infidelis. Doch erscheint es Duns
unsicher, ob Judith von aller Sünde frei blieb, denn ihre Ab-
sicht in Bezug auf Holofernes schloss ein velle ahum velle
peccare mortaliter in sich, und das ist Todsünde. Wenn Judith
also von der Kirche gerühmt wird, so bezieht sich das auf
ihre religiositas, nicht aber alle annexa derselben (ib. 15).
3. Von der Lüge geht Duns über zur Simulatio. Die-
selbe fasst folgende Formen in sich. Jemand sucht durch
Gebete und Kniebeugungen den (falschen) Eindruck hervor-
zurufen, als wenn er fromm wäre. Das ist die Sünde der
Heuchelei oder hypocrisis. Oder jemand kann sich dadurch
verstellen, dass er Sünden, die in ihm sind, verbirgt, indem er
äussere Geberden und Formen anwendet, die auf das Nicht-
vorhandensein jener Sünden weisen; oder indem er doch die
Formen unterdrückt, die auf ihr Vorhandensein schliessen Hessen.
Letzteres wäre keine. Sünde, ja geradezu löblich, da es keine
fromme That ist, wenn man die Sünde im Innern auch nach
Aussen hin offenbar macht. Ersteres dagegen, also wenn etwa
ein Wollüstling zum Zeichen seiner Reinheit ausspiee^ wenn
von Weibern geredet wird, wäre die Sünde der Heuchelei.
Dagegen wird dies Urteil nicht von indifferenten Dingen gelten.
Schwitzen gilt als Zeichen der Ermüdung durch Anstrengung,
den Speichel in den Bart laufen lassen als Zeichen der furia.
Und doch heuchelt niemand, der schwitzt, ohne müde zu sein,
und Schaum vor dem Mund hat, ohne wahnsinnig zu sein (16 f.).
^) Diese von Duns mit einem dicitur eingeführte und widerlegte
Auffassung hat Pluzanski Duns selbst zugesehrieben (Essai sur la philos.
de D. Scot. p. 278). Die Mentalreservation, die hier von Duns gelehrt
sein soll, ist also von ihm vielmehr zurückgewiesen.
570 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
4. Endlich v\'ird vom Eid und Meineid geredet.
Da die Menschen lügen, hat Gott den Eid eingesetzt als
modus asserendi dicta adducendo alium in testem qui est verax
et sciens, qui nee fallere nee falli potest, nämlich Gott (III dist. 38
quaest. un. § 2). Der Eid kann sich auf Vergangenes und
Zukünftiges beziehen (assertorischer und promissorischer Eid),
jener wird iuramentum , dieser obligatio genannt (§ 9). Au
sich müsste der Eid bei Gott als grösster Eid gelten, da aber
per deum im gewöhnlichen Leben communiter et leviter et fre-
quenter sine deliberatione geschworen wird, lässt die Kirche
die Eide feierlich bei dem Evangelium und unter gehöriger
deliberatio vollziehen. Nur wer hiebei einen Meineid thut,
wird ,, infam", denn er begeht ein crimen publicum und wird
als violator fidei augesehen und deshalb rationabiliter für „infam"
erklärt (ib. 13).
Die ethische Frage ist nun zunächst die, ob jeder Meineid
eine Sünde ist? Dagegen kann man sagen, dass jemand etwas
Unrechtes zu thun geschworen haben kann und dass das doch
durch den Eid nicht recht werden kann; oder dass die com-
munes personae doch den ganzen Tag über pro uihilo bei
Gott schwören etiam asserendo falsum. Es erscheint durum,
das als Todsünde zu verwerfen. Nun heisst aber Schwören
Gott zum Zeugen anrufen. Wenn man nun Gott anführt
tanquam testem faisi oder tanquam ignorantem veritatem, so
verstösst das gegen die gehörige Ehrerbietung. Also ist jedes
falsche, auch das leichtsinnige Schwören, Todsünde (1. c. dist. 39
quaest. un. § 2).
5. Ist aber der Meineid nicht entschuldbar, wenn er mit
indeliberatio ^) erfolgte, oder wenn jemand das beschwor, was
nach seiner opinio das nichtigere war? Zu ersterem pflege
man zu sagen, dass einmalige periurium leve sei noch keine
Todsünde, erst die Gewohnheit mache es dazu. Aber wie kann
der erste Akt nicht Todsünde sein, wenn der aus ihm hervor-
gehende Habitus todsündhaft ist (§ 3)? Nun wird aber kein
^) Der mir vorliegende Text (Pariser Ausg. XV. 1004) liest: an
deliberatio excuset a peceato mortaU. Ofienbar ist aber zu lesen:
an indeliberatio etc., wie das Folgende zeigt.
Eid und Meineid. 571
Akt ethisch, d. h. meritorisch oder demeritorisch, weDn er nicht
ein actus pleoe humanus ist. Zu einem solchen gehört aber
die deliberatio, also ist ein periurium indeliberatuni in keinem
Fall als Todsünde anzusehen. Da indessen die Habitualität
die Deliberation verkürzt, so könnte auch die zeitlich kürzeste
Überlegung hinreichen, um den Meineid zur Todsünde zu
machen. Nicht die Häufigkeit, sondern ob Deliberation da
war oder nicht, entscheidet daher darüber, ob ein leichtfertiger
Meineid Todsünde ist oder nicht (4). — Was die zweite Frage
anbetrifft, so ist es Todsünde etwas als gewiss zu beschwören,
wenn man es nur für wahrscheinlich hält. Man dürfe also
nicht bei Gericht, wie oft geschehe, auf solche Eide die Sentenz,
wohl gar ein Todesurteil bauen. Mau sage auch nicht, dass
der Staat solche Eide brauche, um die Bösen zu strafen, es
könne auch Vergehen geben, die ultioni divinae zu überlassen
sind (5). Weiss aber der Richter, dass der betreffende Eid
nur auf credulitas und coniectura hin geschah, so ist es keine
Todsünde, diesen Eid abzulegen, aber der Richter darf nach
ihm nicht das Urteil fällen. — Unter diesem Gesichtspunkt
seien auch die Eide zu beurteilen, die abgelegt werden bezüg-
lich der Würdigkeit einer Person zu einem ordo, zum magiste-
rium an einer Universität oder zur praelatio in einem Orden.
Man beschwöre, dass der Betreffende würdig sei, sofern man
von seiner Unwürdigkeit nichts wisse (6 f.).
6. Duns wendet sich weiter dem Meineid unter dem Gesichts-
punkt des Assertorischen und Promissorischen zu. Von ersterem
ist nichts was über das bisher Dargelegte hinausginge, zu sagen.
Der promissorische Meineid kann eingeteilt werden in
periurium dolosum, incautum, coactum. Es ist dolos,
wenn der Schwörende bei seinem Schwur intendit oppositum.
Das ist eine Todsünde, da er Gott zum Zeugen von etwas
Nichtgewolltem anruft. Aber dieser Schwur verpflichtet ihn zu
nichts, da niemand in Privatsachen zu etwas, was er nicht
will, verpflichtet ist. Aber einen Vorteil hat er davon nicht,
da es jedenfalls schwerer ist eine Todsünde zu tragen als das,
was er zu thun beschwor, falls er auch unabhängig von seinem
Eide dazu verpflichtet war, zu erfüllen (§ 10). — Der unvor-
sichtige Meineid erstreckt sich 1) auf sittlich Unerlaubtes
572 -Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
wie Mord oder Ehebruch. Er darf natürlich nicht erfüllt
werden. Er ist aber immer Todsünde, man habe nun das Be-
schworene thun wollen oder nicht, denn in letzterem Fall wäre
es Beleidigung Gottes, in ersterem gilt : velle peccare mortaliter
est peccare mortaliter. — Dieser Meineid tritt 2) ein, wo man
etwas eidlich verspricht, was man wohl versprechen, aber nicht
unter Eid versprechen darf. Also darf man z. B. nicht ab-
schwören die opera perfectionis, denn dadurch bezeugt man
das fixum velle nunquam faciendi opera perfectionis. Indem
man sich aber hiemit fest vorsetzt eventuell der motio Spiritus
sancti zu widerstreben, ist es eine Todsünde (11). — 3) Jemand
schwört was er glaubt halten zu können, was zu halten er aber
in Wirklichkeit ausser stände ist. Kann er es irgend thun, so
soll er seinen Eid halten, wenn nicht: excusatur in favorem (12).
Über den erzwungenen Eid wird nichts gesagt. Es gebe
darüber opiniones, zu deren Studium Duns durch ein „Quaere''
auffordert.
Nimmt man aber einen promissorischen Eid an, auf welchen
die entwickelten Bedingungen nicht Anwendung finden, so ver-
pflichtet derselbe den Schwörenden nur, nie das Entgegen-
gesetzte von dem, was er beschworen, zu wollen ; dabei kann
er die Erfüllung rationabiliter hinausschieben ; zur Todsünde
käme es erst, wenn er es überhaupt nicht mehr erfüllen woUte.
Denn jetzt erst würde er Gott zum testis falsi herabwürdigen
(§ 12). Die sittliche Schlauheit dieser Erörterung läuft wieder
auf die Kunst heraus, der Sünde nahezukommen, ohne der
Todsünde zu verfallen.
7. Zum Schluss sei hervorgehoben, dass Duns für die
sittlichen Gefahren des Eides ein gesundes Gefühl gehabt hat.
Der Meineid enthalte sowohl eine Verfehlung gegen die erste
als gegen die zweite Tafel in sich, sofern man durch die Lüge
den Nächsten schädige, durch die Eidesform derselben wider
die Ehrerbietung gegen Gott Verstösse. Umsomehr müsse
man sich vor dem häufigen und leichtfertigen Schwören hüten :
Periculum igitur est habere frequ enter iuramentum in ore, quia
in multis sermonibus sine iuramento non peccaret, ubi addito
iuramento peccat, et graviter si fiat ex deliberatione ; propter
quod utile est illud Matth. 5 sit sermo vester: est est, non non.
Siebentes Kapitel.
Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
1. Die Standpunkte der Vergangenheit.
1. Je umfassender die geistige Bedeutung eines Mannes
ist, desto weiter bat sein Darsteller den Rabmen zu spannen,
in den sein Bild gestellt werden soll. Man behauptet nicht zu
viel, wenn man der Philosophie und Theologie des Duns eine
weltgeschichtliche Bedeutung zuschreibt. Für die innersten
Triebe der mittelalterlichen Religion hat er vielfach den zu-
treffendsten Ausdruck gefunden; er hat Ideen fortgesponnen,
die bis in die Ursprünge des Christentums zurückreichen, und
er hat Urteile ausgesprochen, die für das reformatorische Denken
von Belang wurden. Damit ist der Umfang des Rahmens be-
zeiclinet, den wir um das Bild des Duns Scotus legen wollen.
Die Bedeutung und Stellung seiner Ideen ist an dem ganzen
Verlauf der Dogmengeschichte zu bemessen.
2. Der Gegensatz zwischen der philosophischen Weltan-
schauung der Hellenen und dem Christentum ist nicht zuhöchst
als Verschiedenheit der „Lehren" und Anschauungen zu beur-
teilen, sondern er fasst eine differente praktische Seelenstellung in
sich. Trotz der Unterschiede im einzelnen sind Plato und Aristo-
teles einig in der Grund anschauung, in der Stellung der Seele zur
Welt. Der geistige Kosmos der ewigen Ideen spiegelt sich wieder
in dem Geschehen dieser Welt. Die sinnliche Welt in stetem
Eluss der Bewegung begriffen, ist nur wechselnde Erscheinung
574 -Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
der wirklichen und wahren, d. h. der intelligibeln "Woll. Die
intellektuelle theoretische Anschauung der Ideen ist Glück,
Seligkeit und Ziel. So Plato. Und Aristoteles sieht in dem
Werden, dem Entstehen und Vergehen dieser Welt die Offen-
barung einer ewigen Welt der Formen. Der grosse Forscher
hat in hervorragender Weise den Sinn für das Empirische be-
währt, er hat angeleitet, aus den Wahrnehmungen der Sinne
sichere Begriffe zu bilden. Aber trotzdem blieb auch für ihn
das Wertvolle in der Welt das Allgemeine, das gedankenmässig
erfasst wird. Hinter der wirklichen Welt liegt die Welt der
Wahrheit. Sie ist Gegenstand der Wissenschaft. Die Meta-
physik stellt diese ewige Welt dar. Zwar wird Piatos Ideen-
lehre scharf kritisiert und verworfen, denn seine ,,Tdeen" seien
nur transcendente Doppelgänger zu den sinnlichen Erscheinungen
(aiodrjTcc aiÖLo). Was aber Plato eigentlich Vs^ollte, nämlich der
Wissenschaft zugängliche geistige — von der Materie unab-
hängige — Grössen zu reservieren, das meint Aristoteles besser
zu erreichen durch die Unterscheidung von Stoff (vlrj) und
Form (eiöog). Die gestaltlose passive Materie und die ge-
staltende aktive Form, die övva^ig und die Iveqyeta vereinigen
sich in dem Wirklichen, wie Leib und Seele.
Das ist der grosse Gegensatz des Daseins, der alles Werden
bedingt. Als äusserste Endpunkte des Gegensatzes stehen
schliesslich einander gegenüber die TtQcjtri vlrj als die absolut
formlose Potenzialität und das ttqCjtov eiöog als die absolut
stofflose schlechthinige Aktivität. Es ist Gott als das tzqu/iov
Tiivouv, die schlechthin aktive intelligible Ursache der Welt,
wie Aristoteles es im 12. Buch der Metaphysik eingehend aus-
führt. So bietet die Natur die Fülle von Kräften und Mög-
lichkeiten dar, aus welcher wie aus einem unerschöpflichen
Urgründe immer neue Erscheinungen emporsteigen.
Aber der Gottesgedanke, auf den wir damit geführt sind,
unterscheidet sich doch, so sicher er auf Thomas und Duns
Theologie eingewirkt hat (vgl. oben S. 169), auf das deutlichste
von dem Gedanken dieser Männer. Der Gott des Aristoteles
ist die vörjGcg vorjaecogj der sich selbst erkennende absolute Geist,
der lebt in der theoretischen Schauung, nicht im aktiven Wollen
oder Handeln, schlösse das doch die Unvollkommenheit un-
Plato und Aristoteles. 575
erreichter Zwecke in sich. Von diesem Gedanken unterscheidet
sich scharf der wollend und handelnd als pure Aktivität sich
darlebende Gott der mittelalterlichen Theologen. — Aber mehr
noch interessiert uns in unserem Zusammenhang ein anderes.
Auch nach Aristoteles erreicht der menschliche Geist die Höhe
seiner Bethätigung in der theoretischen Erkenntnis der Welt
intelligibler Formen oder der Metaphysik. Demgemäss wird
dann auch die höchste Glückseligkeit zwar nicht als Unthätig-
keit bezeichnet, wohl aber — dem Vorbild der Götter gemäss —
als theoretische oder beschauliche Thätigkeit. '// öh xeleia
ev6(XL(.iovLa oxi d-eiOQrfir/,!^ tlq, Iö%\v Iveqyua -/.cd evxevd^ev ctv
(paveivi • TOvg ^€Ovg yccQ (.idXiGia viteilrjcpai^iev (^lazaQwvg Y.a\ evöai-
fiovag elvai, jtQa^eig de rcoiag ccjtovel^iai XQetov avrolg; man kann
ihnen doch nicht Handel und Wandel, Tapferkeit, Freigebig-
keit etc. nachsagen ! Dann bleibt für die Götter nur die d^ecoQia
nach. Dasselbe gilt von den Menschen, sofern sie das höchste
Glück erlangen: zolg f.iev yaq d^eolg ajtag ö ßlog (^layiccQLog, Tolg
ö^ ävd^QCüTtOLg ecp^ oöov ö{.iOLiO{,id %i xf^g xotavxrjg Iveoyeiag vTcdQ%si . . •
i(p^ oGov örj Siaxelvet fj ^ecogla, zal fj evöai^wvla xal olg {.läXXov
vTtdQxet xo d^ecooeiv^ zcu evdai{.tovelv (Aristotel. Ethic. Nicom.
X, 8 fin. cf. Metaph. XII, 7).
Dieser eigentümlichen Bestimmung der Weltstellung des
Menschen korrespondiert nun der Zustand der Willenslehre bei
den Griechen. Die Auffassung spricht sich prägnant aus in
dem Satz des Sokrates: r; dgExi] €7iioxi]/^irj. Mit der Stellung-
nahme der Vernunft ist auch die Willensstellung gegeben.
Dem Urteil korrespondiert immer die That. Es ist lehrreich,
den Anfang des dritten Buches der iSIikomachischen Ethik zu
lesen. Die sittliche Handlung ist etwas FreiwiUiges. Das
heisst, sie entstammt einer Ttgoalgeocg, die ihrerseits ein Re-
sultat der Überlegungen {ßovXeveöd-ai) ist : xo ycxQ k/. xfjg ßovk'^g
7tQ0/.QLd^ev TtQoalQexöv loxLv. Die Überlegung und der Vorsatz
oder Entschluss entscheiden über das Wollen: «x xov ßovlev-
Gao&ai yccQ yLqivavxeg dQeyöf.ied^a Tiaxä xrjv ßovlsvGiv (1. c. III, 5 fin.).
Das Handeln ist frei, sofern es überlegt und beschlossen ist
(III, 7 in.), und das Überlegte und Beschlossene wird in Handeln
umgesetzt. Nicht eigentlich um Willensfreiheit handelt
es sich in diesen Gedanken, sondern um Urteilsfreiheit.
576 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
Liberum arbitrium im eigentlichen Sinn, nicht eigentlich libera
voluntas ist die Hauptsache.^) Der Wille folgt immer den
Urteilen und Erwägungen der praktischen Vernunft. Der
Primat des Intellekts im Menschen wird als selbstverständlich
angesehen. Dabei ist es dann auch in der Christenheit, zumal
der griechischen, auf lange hinaus geblieben. Für die sittliche
Unfreiheit des Willens hat man von diesen Voraussetzungen
aus kein Verständnis gewinnen können, wie man etwa an den
Apologeten und Origenes sehen kann. Erst Augustin ver-
mochte von seinem neuen Willensbegriff aus hierin einen Um-
schwung herbeizuführen.
So ist die Vernunft die Gebieterin in der Burg der Seele.
Das Denken ist die höchste Funktion des Geistes. Dem Denken
korrespondiert aber der intelligible Kosmos der Metaphysik.
Der Geist ruht aus in der Epoptie der Begriffsw^elt. Ein ge-
niessender Zuschauer der grossen Weltdramas ist der Mensch,
nicht als mithandelnde Person des Dramas kommt er in Be-
tracht. Darin besteht sein gottähnliches Wesen.
Man kann den Bann dieser Grundstellung an den ver-
schiedenen Gebieten des Lebens nachweisen. Der Harmonie
des hellenischen Geistes fehlte es nicht an der Lust am Schaffen.
Aber dieser Hang war merkwürdig beschränkt, er ging nie in
das Grosse; der Hellene will die Welt nicht wandeln, sondern
dem persönlichen Darstelluugstriebe Genüge verschaffen. Er
kennt kein geschichtliches Werden, keine grosse Zukunft und
deshalb auch keine grosse Kraft. Besonders ist es von In-
teresse dies an den Anschauungen von der Gesellschaft und
dem Staat sich bestätigen zu sehen.-) Das Naturrecht mit seiner
Vertragstheorie ist nichts anderes als die abstrakt metaphysische
Auffassung der sozialen Menschheit. Man kann hier mit Nutzen
den „Staat" Piatos mit Augustins „Gottesstaat" vergleichen,'^)
um den Wandel im Verständnis des geschichtlichen Elementes
^) Für die Geschichte der Lehre von der Willensfreiheit ist dieser
Unterschied von grosser Bedeutung.
^) Vgl. Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaft I (1883)
S. 271 ff.
^) Auch in Hinsicht der Doppelheit der Tendenz und der Mittel, die
durch beide Werke sreht.
Die Fülle der Zeiten. 577
in der cliristlichen und vorchristlichen Zeit sich anschaulich zu
machen.
3. Es muss für unseren Zweck genügen auf diese Schranke
der hellenischen Bildung hingewiesen zu hahen. Die Stoa und
später der Neuplatonismus haben den Kultus der Metaphysik
und die Verherrlichung der weltflüchtigen Epoptie nur ge-
steigert. Sie hahen die Bedeutung des Positiven und Einzelnen
immer mehr untergraben, auch dann, wenn sie in ihm die
Gleichnisse der oberen Welt meinten aufzeigen zu können.^)
Die „Fülle der Zeiten" ist nicht zuletzt hiedurch bedingt.
Man schrie nach Positivem und grub nach ihm mit gieriger
Hand in dem Schutt veralteter Superstitionen. Und man be-
gehrte mit heissem Gefühl nach Idealen, für die man etwas
thun und wollen könnte. Nicht nach den Aufgaben des Tages,
nach politischer That und Macht ging das Sehnen, sondern
nach einem Grossen und Letzten, das zur That aufruft und
die geringe Thatenfolge des Lebens adelt durch ewigen Wert
und reale Bezithung zum Höchsten. Man idealisierte die
römische Herrscliaft zur Idealweit, man flocht dem gebietenden
Imperator den Kranz der Gottheit, man träumte von der freien
Menschheit als dem Weltzweck. Aber die Göttergeschichten der
Vorzeit zerfielen vor der Metaphysik der i^iufgekl arten, und
^) Vgl. aucli das Urteil von Eucken über die „Grösse und die
Grenze des Altertums'- (Lebensanschauungen der grossen Denker, 3. Aufl.
1899, S. 136) : „Die enge Verbindung von Wahrheit und Schönheit, von durch-
dringendem Erkennen und künstlerischem Schaffen, welche alle griechische
Arbeit auszeichnet, erschien auch in den Lebensanschauungen. Ihr tiefster
Zug ist das Aufsuchen eines Wesenhaften, das dem Leben einen sicheren
Halt und eine unwandelbare Ruhe gewährt, und das zugleich das Chaos
der ersten Erscheinung in einen herrlichen Kosmos verwandelt. Die An-
schauung der alles durchdringenden Vernunft, die Vergegenwärtigung der
grossen Weltordnung mit ihrer vollendeten Harmonie, die Freude an der
„ewigen Zier" wird zur Höhe des Lebens. Unser Thun hat dabei nichts
umzuwandeln, sondern nur die vorhandene Wirklichkeit anzueignen ....
Dem griechischen Leben versank die sichtbare Gegenwart der Vernunft;
mit um so grösserer Energie suchte die Philosophie eine unsichtbare fest-
zuhalten. Aber sie musste dafür immer grössere, immer gewaltsamere
Anstrengungen aufbieten, immer ferner rückte jene Welt des Wesens und
der Schönheit, immer mehr verloren die Ideen einen anschaulichen Inhalt,
immer leerer wurde das menschliche Dasein."
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 37
578 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus,
das römiscbc Imperium bot nicht den Spielraum, in dem die
wollende Seele die Kraft und den Drang zur höchsten That
ausleben konnte.
Die Seele zog durch die Welt. Aber die arme Seele
fand nicht was sie glauben konnte und kein Ziel, an dem
das Lieben sich erschöpfen konnte. Jenes tiefste Rezeptive
im Menschen, das Leben und Nahrung zieht aus der Macht
eines persönlichen Lebens, aus geistiger Autorität, blieb un-
befriedigt. Die freie Seele findet nicht die Noim ihres Daseins
an dem Naturzusammenhang und seinen Gesetzen resp. an den
letztere bejahenden „Instinkten". Die Norm der Bethätigung,
nach der sie ringt, bietet ihr nur das freie persönliche Leben,
das eine freie persönliche Bejahung zulässt. Es ist die Auto-
rität als freie lebendige Macht. Und jene höchste Aktivität der
Seele, die nur ruht in dem Grössten, das die höchste An-
spannung aller ihrer Kraft dauernd erfordert — denn nur
dieser Zweck erweist sich als der natürlichen Ausrüstung pro-
portional — , ermangelte des Zieles. Nicht die Zauberwelt der
Metaphysik und nicht die Symbole der Vergangenheit bot jenes;
und in den Träumen von Idealstaaten oder dem Dienst des
Tages mit den kurzen Schritten zum Zweck fand man dieses
nicht. Es war jener Zu>^tand eingetreten, da Religion und
Leben, Formel und Form die Natur des Menschen drücken
und beengen. Die Empfindung der Unnatur, der Unmöglichkeit
des Bestellenden geht immer den grossen AYendepunkten in
der Geschichte der Menschheit voran. Man kann dabei an
das Paradoxon von der anima naturaliter christiana denken. —
Das war die ,, Fülle der Zeiten'^, der grösste Umschwung in
der menschlichen Geschichte, nicht nur auf dem Boden der
Religion, sondern auch der Kultur, der gesamten Geistes-
geschichte und Seeienstellung : das Ende der ,, Götter Griechen-
lands''.
4. Das Christentum hat die Zeiten von einander ge-
schieden. In der Person Jesu Christi empfand man die
Offenbarung Gottes, das ,,Wort'', das „hervorging aus dem
Schweigen'', „den untrüglichen Mund Gottes''.^) Aber mit dem
1) Za Job. 1, 1 vgl. Hebr. 1, 1 u. Ignat. Magnes. 8, 2; 9, 2 ßoman. 8, 2.
Jesus Christus. 579
Wort verbunden war das Licht und das Leben. Die Gedanken
von dem, den man „Logos^' nannte, hatten ursprüngbeh wenig
mit den antiken Ideen gemein. Nicht eine spekulative .Idee
oder ein Aon der metaphysischen LJberwelt wurde in ihm kund.
Der Gott, dessen Offenbarung man in ihm empfand, war der
w^altende Herr, der einst Israel aus Ägypten, dem Diensthause
geführt hat — immer wieder klingt dies Grundfaktum hervor
aus der israelitischen Gottesbetrachtung — , der Gott, der
grosse Thaten thut, der den Wandel der Geschichte, des
Himmels und seiner Kräfte, der Erde mit ihren Bergen und
Thälern verheissen hat. Die Gottheit war bisher welthaft, sei
es, dass man sie als personifizierte Naturkraft dachte, sei es,
dass man sie als abstrakte metaphysische Grösse, als Schatten
gleichsam der Welt sich vorstellte. Erst im Christentum, ist der
Begriff vom schlechthin weltfi'eieu und weltmächtigen persön-
lichen und lebendigen Gott gebildet werden, indem man seine
geistige Macht erlebte und empfand. — Die „Königsherrschaft'^
dieses Gottes will Jesus in Ausübung bringen. Darum war er
zuhöchst seinen Anhängern nicht der Lehrer oder der Gesetz-
geber, sondern der ,,Herr'^ Die ßaoUeia und der xvQwg sind
korrelate Begriffe.
Auf eine umgrenzte positive Erscheinung, auf ein persönliches
Leben, aus dem der ganze unwiderstehliche Zauber einfacher
Wahrheit und ungezwungener Kraft hervorleuchtete, war die
Menschheit gewiesen. In diesem Leben empfand man das
göttliche Leben. Hier war das Höchste, das man gesucht
hatte ; der ,,Herr^' mit seiner allmächtigen, die Herzen wan-
delnden Kraft, die Autorität, die sich den inwendigen J^Ienschen
erschliesst und unterwirft. Und der, von dem diese Wirkungen
ausgingen, war nicht Idee und Metaphysik, sondern Wille und
Kraft, persönliches Leben. Dies war doch offenbar das
Empfinden, auf dessen Erzeugung in den Jüngern Christus
hinarbeitete. Nicht „lehren" wollte er sie, sondern die Herr-
schaft Gottes an ihnen ausüben, ihre höchste und einzige
Autorität werden. Das ist das Absehen, wenn er „Nachfolge"
— der ursprüngliche Sinn des Begriffes unterscheidet sich von
dem heute bräuchlichen — fordert. Und erst von hier aus
vermag man die Bedeutung der eschatologischen Reden Jesu
37*
580 Kap. VII : Die geschichtliche Stollung^ des Duns Scotus.
ZU verstellen. ^) Das Einzelne mag immerhin unserem Ge-
schlecht fremdartig geworden sein, die Tendenz dürfen wir
uns dadurch nicht verhüllen lassen : Jesus ist der Herr der
Geschichte und der Welt. Nur die Anwendungen und den
Widerhall dieser Gedanken hahen wir in jenen Worten der
Apostel zu erblicken, welche die Einwohnung des „Herrn" in
uns, die Leitung der Seele durch ihn schildern: „Ich lebe,
doch nun nicht ich, Christus h'bt in mir", oder in dem uralten
Bekenntnis 1 Kor. 12, 3: „Herr ist Jesus", oder in dem
Grusswort einer versin kend<-n Welt an die Morgenröte des
ewigen Tages: „Ja. komm Herr Jesu!"
Man uiuss unsere kleinlichen schulmeisterlichen „christo-
logischen" Kategorien und die steife Pedanterie, die über unser
eigen Konterfei hinaus keinem Menschensohn die Bahn frei-
geben mag, abzustreifen fähig sein, um die ganze Wucht und
Kraft der Person Jesu, w^ie sie an dem Wendepunkt der Welt-
geschichte wirksam war, zu empfinden. Gemessen an den
Wirkungen dieses Lebens, erscheint kein Zug in ihm als zu
lioch gegriffen.
Versuchen wir die wesentlichsten derselben, sofern sie in
diesem Zusammenhang in B- tracht kommen, zusammenzustelleii.
1) Die Menschheit eilebt in Christo die Gedanken, dass Gott
geistige Kraft, allmächtiger Wille, höchste Autorität ist, dass
er die Geschichte leiiet und der Herr der Welt ist. Nicht
eine Idee, sondern eine geistige Person ist das Höchste; nicht
das Denken bestimmt ihr Wesen, sondern der Wille. — 2) Dies
gilt folgerichtig auch von der menschlichen Person, auch dieser
Begriff erfährt eine Umbildung. Schon die alttestara entliche
Anschauung erblickte die höchste Leistung des geistigen Lebens
in der Willensthat der Liebe zu Gott. Indem das Cliristentum
unlösh'ch gebunden war an die Anschauung der Willenseuergie
im persönlichen Leben Jesu, und indem die Forderung, die
dies Leben au den einzelnen richtete, durch den Willen bejaht
werden soll, hat auch die chiistliche Auflassung den Willen
zur beherrschenden Funktion des Geistes erhoben. — 3) So
^) Die eschatologischen Reden sind das wichtigste und entscheidende
Zeugnis für das „Selbstbewusstsein Jesu".
Das Christentum. 581
wenig Christus eine „Idee" war, wie etwa der „Logos" der
Antike, so Avenig war die Vereinigung mit seiner Person durch
die intellektion zu erreichen. Neue psychologische Kategorien
mussten gefunden werden. Das Erleben, die Enipfinduiig und
Erfahrung, die persönliche Gewissheit kommen in den Vorder-
grund. jSicht der Gedanke, sondern der Glaube erscheint
als das Organ zur Ergieifung des Höchsten. Dem Glauben
korrespondiert die lebendige geistige Autorität. An dem Er-
lebnis der überwältigenden Autorität der Person Jesu hat die
Menschheit nicht nur was es mit der Persönlichkeit auf sich
hat, zu erleben bekommen, sondern auch den Gedanken des
Glaubens — dies Wert im tiefsten psychologischen Sinn ge-
nommen — erfassen lernen. — 4) In dem Mass aber, als eine
feinere und reichere Auffassung des persönlichen Lebens er-
worben wurde, steigerte sich das Gefühl für das Recht der
Individualität und den Wert der Einzelseele; ebenso aber auch
das Bewusstsein für die Verantwortlichkeit der Seele für sich
selbst. Damit gewinnt auch der Gedanke der Willensfreiheit
eine neue Nuance. Der Wille wird ein selbständiger Faktor,
die Einsichten der praktischen Vernunft bestimmen ihn nicht
eo ipso. Die Wiliensstellang korrespondiert nicht immer dem
Gleichgewicht der Werte der praktischen Vernunft. Man fangt
an zu verstehen, dass und wie der Mensch nicht nur wider
besseres Verstehen, sondern auch wider sein besseres Streben,
ja Wollen, vv^ollen und handeln kann (Rom. 7, 18. 19). Die
religiösen Ideen von der Sünde und Schuld haben auch die
Psychologie bereichert. Das liberum arbitrium wird übertroifen
durch das Verständnis der psychologischen Selbständigkeit des
Willens. — 5) Die göttliche Herrschaft, die Christus ausübt,
verbindet alle diejenigen, welche ihr unterworfen werden und
sich ihr unterwerfen, in dem gemeinsamen Wollen der Durch-
setzung dieser Herrschaft. Deshalb gewinnt die Menschheit
an dem Ergebnis der Herrschaft Christi nicht bloss religiöse
Befriedigung, sondern auch ein den Willen zum Iiöchsten Mass
der Aktivität anreizendes Ideal. Die Herrschaft Gottes be-
fähigt uns und treibt uns an zum W^ollen des Peiches Gottes.
Indem aber diese Vorstellung vom Reich Gottes das ganze
persönliche Leben sowie den gesamten vorstellbaren Spielraum
582 Kap, VTI: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
des geschichtlichen Werdens in der Welt unter sich stellt und
beherrscht, ergibt sich, dass sie der ganzen Menschheit, bezw.
allen einzelnen Anhängern Christi das höchstmögliche Mass
natürlicher Kraftentfaltung und Willensanspannung auferlegt.
Wie dadurch einerseits einem wesentlichen Bedürfnis des
Willens in der Menschheit genügt ist,^) so ergibt sich weiter
von diesem Gedanken her bie Verklärung jedes einzelnen Dinges
und Handelns vermöge der Beziehung auf jenen letzten Zweck.
Die Umwandlung der Anscliauungen von der Arbeit und dem
Beruf hat hier eine ihrer Wurzeln; sonst hat die ganze Ver-
änderung der Anschauung vom Menschen hiezu, wie leicht er-
sichtlich, mit beigetragen.-) Endlich aber ergibt sich aus dieser
Zweckstellung die Stimmung der Freiheit und der Sicherheit
in der Welt, die — trotz der Sünde und der Mächte des Ver-
derbens — diese Welt als Gotteswelt ansieht und im Wechsel
der Geschicke die Überzeugung bewährt: „denen, die Gott lieb
haben, müssen alle Dinge zum besten dienen", und ,.ist Gott
für uns, wer mag wider uns sein" ? — 6) Noch eins will in
diesem Zusammenhang hervorgehoben sein. Der Gedanke der
frei wollenden Person kombiniert mit der Zweckbeziehung alles
Geschehens und Handelns auf ein höchstes Ziel organisiert
das Leben der Menschheit zur Geschichte. Das Alte
Testament in seinem Zusammenhang mit dem Neuen, die Vor-
stellung von Weissagung und Erfüllung, die Vorstellung eines
leitenden Zieles im Werden hat den Anlass zu der geschicht-
lichen Betrachtungsvreise hergegeben. Die Propheten waren
die ersten Lehrmeister der geschichtlichen Idee ; an dem Be-
wusstsein des persönlichen freien Lebens und dem Weltzweck
des göttlichen Willens hatte sie ihre ersten Elemente.
Das Christentum hat eine neue Weltstellung und Welt-
anschauung in die Menschheit eingeführt. Wir haben dieselbe
^) Ich kann hier diesen Gedanken so wenig als die übrigen Anschau-
ungen dieses Abschnittes genauer durchführen. Ich bemerke nur, dass
von hier aus der moralphilosophische Beweis für die Gemeingiltigkeit des
Reiches Grottes als höchsten ethischen Zieles geführt werden kann.
^) Schon Schleier mache r hat die feine Beobachtung gemaclit,
dass der Gedanke vom Reich Gottes der christlichen -Frömmigkeit teleo-
logische Art verleihe.
Die neue Weltstcllung- des Christentums. 583
soeben zu kennzeichnen versucht. Wenn in der antiken Mensch-
heit, wie wir sahen, es schliesslich fehlte an einer lebendigen
höchsten Autorität, sowie an einem letzten Strebeziel, so ist
dieses wie jene von dem Christentum gebracht worden. Die
Gestalt Jesu hat die göttliche Herrschaft als die höchste Auto-
rität in den Herzen stabiliert und das Reich Gottes als letztes
Ziel den Gemütern nahegebracht. An Jesus hat die Mensch-
heit den Glauben als das Grundveihältnis zu Gott gefunden,
und an der Idee des Reiches hat der Wille und die Liebes-
fähigkeii der Menschheit den Antrieb zu dem intensivesten und
umfassendsten Grad ihrer möglichen Bethätigung empfangen.
In die Gedanken des Glaubens und der Liebe kann man
schliesslich die neue Stellung des Menschen, die das Christen-
tum bewirkt hat, zusammenfassen.
Zerlegt mau aber diese Formeln in ihre einzelnen Be-
standteile und vergleicht diese mit den Elementen der antiken
Weltanschauung, so muss geurteilt werden, dass das Christen-
tum eine Befreiung und Erhöhung der menschlichen Natur
war. Gewiss hat es, nicht anders als die Mehrzahl der Re-
ligionen der Menschheit, die Sinnlichkeit und die Natur des
Menschen gemartert und zertreten. Aber das waren zufällige
historische Tendenzen — sie hingen zudem deutlich mit antiken
Ideen und Idealen zusammen — , die nicht das Prinzip be-
zeichnen. Es erweckt nicht viel Zuversicht zu der historischen
Einsicht und Umsicht der betr. Schriftsteller, wenn man bis
heute in der philosophischen Ethik nicht ganz selten der Fabel
vom „finsteren Asketismus" des Christentums begegnet. Nein,
wie später die Reformation, so hat das Christentum auch bei
seinem Eintritt in die Welt die Unnatur gebrochen und der
Natur die Bahn geebnet.
5. In jeder weltgeschichtlichen Bewegung wirken sich zwei
Bewegungsprinzipien aus. Das eine treibt vorwärts, das andere
hält zurück. Aus den Gegenwirkungen dieser Prinzipien geht
die wirkliche Geschichte hervor. Auch in der Geschichte des
Christentums gelangten sie, sobald das Christentum eine feste
historische Grösse wurde, zur Auswirkung. Daraus versteht
sich einerseits die geschichtliche Notw^endigkeit des Prozesses,
den man als seine Verweltlichung, wenn man wdll auch „Helle-
584 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
nisierung'', bezeichnen kann. Andererseits ergibt sich von hier
aus der geschichtliche Massstab zur Bewertung aller Ereignisse
und Lehren der Geschichte des Christentums. Mit anderen
Worten der wirkliche Fortschritt in' der Christenheit ist kon-
form den ursprünglichen christlichen Anschauungen. Nicht
um Identität von Formen und Formeln handelt es sich hiebei,
sondern um die Gemeinsamkeit der religiösen Empfindung und
der sittlichen Tendenz. Das ist der Sinn des reformatorischen
Gedankens, dass nur das als christlich gelten dürfe, was den
aus sich selbst interpretierten, d. h. genuin gedeuteten Ur-
kunden des urchristlichen Lebens und Geistes entspricht. Das
Christliche soll s chriftgem äss, d. h. urchristlich sein.
In welcher Richtung ist die Abweichung von diesem Mass-
stab erfolgt? Man kann auf die Herausbildung einer festen
christlichen Lehre verw^eisen. Aber dass eine solche sich bildet,
ist ebenso eine geschichtliche Notw^endigkeit, wie dsi^s sie ihre
Formen aus den vorhandenen geistigen Organen eines Zeit-
alters entnimmt. Dass eine hellenisch gebildete Welt im Ver-
ständnis des Evangeliums „hellenisierte'*, war selbstverständlich.
So bald man dachte, stellten sich die Begriffe Logos, Usia,
Hypostasis etc. von selbst ein, und das war zunächst unver-
fänglich. Es war auch nicht zu vermeiden, dass man dea neuen
geistigen Erwerb in die Richtung der bisherigen Ziele rückte.
Trotz des mächtigen Paradoxons von der „Thorlieit" des Evan-
geliums, die aber „Kraft" ist (1. Kor. 1, 18), w^ar es begreif-
lich, dass man das Evangelium als höchste Weisheit, als Ent-
schleierung der tiefsten Geheimnisse, als Abschluss und Spitze
der Pyramide der Metaphysik zu deuten begann. Und ebenso
einleuchtend ist es, dass man das höchste geistige Ziel, das
das ganze Leben umfassen sollte, immer einseitiger dorthin zu
verlegen anfing, wo allerdings seine Wirklichkeit am wahr-
nehmbarsten w^ar, in die katholische Kirche mit ihren Mitteln
und Kräften ; so empfing sie allmählich immer mehr die Di-
mensionen und Formen des Weltreiches. Mit alle dem voll-
zogen sich nur Vorgänge , die in analoger Weise die Ein-
wurzelung jedes geistigen Erwerbes begleiten.
und doch lag andererseits hierin die innere Möglichkeit
des Rückschrittes begründet. Dieselbe Formel, die ursprünglich
Die Verweltlichimg des ClirisleDtums. 685
das Ausdrucksmiitel der neuen inneren Stellung war, drückt
diese Stellung allmäblich hinab auf das Niveau, in dessen Zu-
sammenhang ihre (der Formel) Elemente gewachsen sind. JDer
lebendige Gott und der thatkrät'tige Logos, die man als Spitze
der metaphysischen Pyramide dachte, konnten versteinert werden
zu metaphysischen Formeln, zu himmlischen .^Substanzen" und
ruhenden „Ideen". Und damit musste sich notwendig die innere
Stellung zu Gott und der Welt ändern. Ebenso konnte man
das letzte Ziel immer näher und niedriger stecken, immer mehr
vergessen, dass die kirchliche Ordnung und der hierarchische
Komplex nur Mittel, nicht das Ziel selbst waren. Und dann
war man wieder so weit, dass man das Himmlische anschauen
und nach Irdischem streben konnte, d. h. man war in die alte
Stellung zurückgeworfen. Freilich fast nirgends wtirde diese
als solche einfach wiederholt, ein Empfinden vom lebendigen
Gott und eine Ahnung davon, dass „unser Staatswesen im
Himmel ist", blieb auch in der gröbsten Abstumpfung der
christlichen Empfindung und bei den ärmlichsten Epigonen der
Heroen des Evangeliums übrig. Einen Nachhall urchristlichen
Empfindens kann man in den Spekulationen der syrischen Mouo-
physiten ebenso, wie in den Schwärmereien der Mystiker und
den Gedanken der Aufklärer wahrnehmen.
Man kann das katholische Christentum wie die lleligion
der Ketzer an der Antike messen, und sie steigen empor in das
Eiesengrosse : das „Neue", nachdem „das Alte vergangen". Und
man kann sie am Evangelium messen, und sie sinken rapid
herab unter das Normalmass: die verweltlichte Kirche, fremde
Spekulationen. Das ist der doppelte Massstab, der hinlänglich
die Schwankungen auf diesem Gebiet erklärt, und der beide
Urteile begründet, sowohl das eine, dass ein neues Zeitalter
mit dem Christentum angeg;^ngen ist, als das andere, dass man
dies Zeitalter tadelt, weil es in das Alte zurückgefallen war.
Wir haben hier nach dem zweiten der genannten Ge-
sichtspunkte zu rechnen. Wenn das Christentum die Mensch-
heit dadurch wandelte, dass es den Glauben und die Liebe
brachte, dann ist alles für Rückschritt zu erachten, was Glauben
und Liebe hemmte. Der Glaube brauchte den nahen Gott, den
man erlebt und empfindet; die Liebe oder der Wille brauchten
586 Kap. yil: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
das ferne Ziel, an das nur die ausgespannte Kraft heranreicht.
Aber aller Rückschritt in der Religion ist dadurch bedingt,
dass man Gott in die Ferne der Spekulation, an den Horizont
des Wirklichen, in die Metaphysik verweist, und dass man das
Strebeziel des Willens nah und niiher, in das Irdische und
Gemeine hineinrückt. Und nun wird die Seele wieder arm und
zieht aus zu suchen den fernen unbekannten Gott und leidet
unter den nahen Zielen, die ihr die Kraft nicht auslösen.
Ich brauche nicht zu zeigen, dass und wie die dargelegten
Ideen auf das Verhältnis des katholischen Christentums zu der
christlichen Urzeit passen. Die Abstraktionen, die man um
den Gottesgedanken spann, die Depotenzierung des lebendigen
und gegenwärtigen Herrn zum Logoslehrer und Vorbild, die
Herabstimmung der Zwecke und Stimnningeu vom Himmel zur
Erde, die eintrat nicht minder bei den sinnenfeindlichen Asketen
als bei den in Furcht und Sicherheit der Kirche gehorsamenden
Vulgärchristen mit ihren guten Werken und Verdiensten —
dies alles lässt sich auf die bezeichneten Gesichtspunkte zurück-
führen, wie hier nicht w^eiter gezeigt w^erden kann.
Es ist höchst einseitig, wenn man die ..Dogmen" für diese
Rückstände verantwortlich macht, oder auf sie den sogen.
Hellenisierungsprozess konzentriert. Nicht um intellektuelle Miss-
verständnisse handelt es sich hier, sondern um ein diiferentes
Leben der Seele. Dass man in die psychische Stellung der
Antike zu Gott und Welt zurückverfiel, das war der Schade.
Daher kommt die „Eellenisierung" weit klarer am Moraiismus
als an der Dogmenbildung zum Ausdruck, denn jener ist der
Exponent einer besonderen inneren Stellung, diese entstammt
einem unveräusserlichen Bedürfnis des Geistes und bleibt daher
an sich indifferent gegen den uns beschäftigenden geschichtlichen
Gegensatz.
6. Es ist die weltgeschichtliche Bedeutung August ins,
dass er den Prozess der Verweltlichung des Christentums ge-
hemmt und die Seelenstellung der christlichen Religion in die
Philosophie und Kultur eingeführt hat. Es war in dem wunder-
baren Mann eine unerreichbare und unerschöpfliche Kraft per-
sönlichen Lebens. „Wie ein ungebundenes mächtiges Natur-
element war er durch die Welt gegangen, unaufgehalten von
Augustinus. 587
konventionellen Einschränkungen , ein gewaltiger Mensch : er
hatte immer gelebt was er gedacht hatte" (Dilthey, Einleitung
in die Geisteswiss. I, 335). Er suchte die „Wahrheit" und die
Schönheit, aber was eigentlich von Anfang an sein Inneres be-
wegte war ein anderes ; es w^ar der Hunger der Seele nach
Glück, Leben, Seligkeit. Nicht der Kontemplation strebte
dies wogende Gemüt zu, sondern der höchsten Anspannung
aller Kraft der Seele. Aber der Mann mit dem gewaltigen
Lebensdrang verfügte zugleich über eine Kraft der psycho-
logischen Analyse ohne gleichen und über einen mächtig an-
dringenden spekulativen Trieb.
So wusste er, was er in Ringen und Sehnen erlebt hatte,
in grosse kühne Gedanken zu fassen und er verstand diese
auszudrücken mit dem ganzen Zauber des Selbsterlebten, mit
der AVucht der Wahrheit, hinter der ein Leben als Zeuge steht.
Nicht der Intellekt ist es, der über das Geschick des Menschen
entscheidet. Nicht der spekulative Trieb oder die metaphysische
Erkenntnis ergreift das Leben und die Seligkeit, sondern der
Wille.
Des Willens Art ist es aber selbst zu w^ollen. Volantas
igitur nostra nee voluntas esset, nisi esset in nostra potestate.
Porro quia est in potestate, libera est nobis (Augustin de lib.
arb. III, 3, 8; de civ. dei V, 10). Der Wille bestimmt das
Denken zur Richtung auf die Objekte (de trin. XI, 2, 2). Er
ist das für die Seele was die Schwere für die Körper ist, d. h.
er bestimmt ihre Bewegung und Richtung (de civ. dei XI, 28, 1).
Der Wille richtet sich frei auf das Böse oder das Gute. Nur
von ihm hängt es ab, ob der ]\[ensch böse oder gut ist (de lib.
arb. I, 12, 26; de civ. dei ILIY, 6). Das ist der böse Wille,
der sich losreisst vom wahren Sein und dadurch nach aussen
sich ausreckt, aber sein Innerstes von sich wirft: et quaesivi,
quid esset iniquitas et non inveni substantiani, sed a summa sub-
stantia te deo detortae in infima voluntatis perversitatem, pro-
icientis intima sua et tumescentis foras (Confess. VII, 16, 22).
Er schmiedet die Kette der Lust um den Menschen, die zur
Gewohnheit und dann zur Notwendigkeit wird : quippe ex volun-
tate perversa facta est libido. Et dum servitur libidini, facta
est consuetudo. Et dum consuetudini non resistitur, facta est
568 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
necessitas (ib. VIIT, 5, 10). Der AVille, der sich der Lust
der Welt hingibt, ist der Grund für alles Elend des Menschen,
auch für die Verdunkelung des Intellekts (de civ. dei XXII,
22, 1). — Das ist daher die Erlösung, dass dem in seiner Lust
erstorbenen und geknechteten Menschen ein neuer Wille, die
Lust an Gott oder die Liebe ,,inspiriort^^ wird (de spir. et
litt. 25, 42; 4, 6; de corrept. et grat. 2, 3). Das ist der Ent-
scheidungskampf in der Seele des Christen, dass zwei Willen
mit einander ringen (Conf. VIII, 5, 10). Und das ist die Ent-
scheidung, dass der Wille Gott hat und ihn nahe hat zu seliger
Gemeinschaft: et non illuc ibatur navibus aut quadrigis aut
pedibus . . . Nam non solum ire, verum etiam pervenire illuc
nihil erat aliud quam velle iie, sed velle fortiter et integre,
non. semisauciam liac atque hac versare et iactare voluntatem,
parte assurgente cum alia parte cadente luctantem (Conf. XIII,
10, 19).
Der unruhige Trieb im Menschen, das Schwanken der
Sehnsucht, der Drang nach der höchsten Lust ist befriedigt,
indem der Wille das höchste Gut, Gott liebt. Aber Gott selbst
inspirierte und schuf dies neue Wollen, indecliuabiliter et insu-
perabiliter leitet seine virtus den Willen (de corrept. et grat. 12,
38). Aber jetzt erst — das hat Angnstin immer wieder be-
tont — ist der Wille frei, Gottes Wirken schränkt die Freiheit
nicht ein, sondern bewirkt sie erst (de spir. et litt. 30, 52).
Man kann das als Selbsttäuschung tadeln, jedenfalls hat Augustin
so gedacht oder empfunden.
7. Hier greift nun das zweite Element seiner religiösen
Grundanschauung ein. Augustin hat einmal geschrieben, wenn
er ,.Gott^' S'^^ge, denke er sich: magna et summa quaedam
substantia, quae transcendat omnem m^utabilem creaturam, car-
nalem et animalem (in Joh. tract. I, 8). Die innersten Triebe
seines religiösen Empfindens kommen in dieser Definition (vgl.
zu ihr z. B. Rufin, Exposit. symboli 4) nicht zum Ausdruck.
Der Gott, den er gefunden hatte, war nicht das qualitätslose
absolute Sein, sondern war geistiger Wille, allmächtige Liebe.
Man kann das persönliche Element in Augustins Gottesgedanken
an den bekannten psychologischen Erklärungen der Triiiität
leicht aufzeigen und dabei die Bedeutung des Willens auch
Augiistin über den Willen und Gott. 589
für das persönliche Leben der Gottheit — seine Psychologie
steckt zum guten Teil in der Triuitätslehre, wie Diins Erkennt-
nistheorie in der Engellehre — nachweisen. Aber hier handelt
es sich um mehr. Der Gott, den die religiöse Erfahrung der
Seele, den Augustins Bild von der Welt und ihrer Geschichte
Yoraussetzt, ist nicht das ruhende Absolute^ sondern ist plan-
mässig wirkende Macht, die Kraft, die alles Sein und Werden
schafft, der allmächtige Herr der Welt. In diesem streng
aktiven Sinn der Schöpferkraft ist es zu verstehen, dass Gott
Liebe ist. Erst unter diesem Gesichtspunkt empfängt die ge-
waltige Idee Augustins von der Prädestination ihr gebührendes
Licht. Sie ist der absolute Wille des ewigen Herrn, der sich
realisiert in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, durch Sünde
und Tod, in Ohristi Wirken — er ist unser Führer zu Gott — ,
in der Entstehung und Ansbreitung der Kirche, in ihren Lehren
und ihren Institutionen, durch V/ort und Sakrament, bis hin
zum letzten Gericht mit der Seligkeit und Verdammnis. Über
alle Halten und Schrecken der Gegenwart, über alle Rätsel
der Geschichte, über alle Ausserlichkeiten und Schäden der
Kirche goss diese Idee ihr Licht. Es war doch alles schliesslich
nur Ausdruck des ewigen Gotteswillens. Darum ist dann die
gegenwärtige Kirche — mag es Schäden und praesciti in ihr
in Fülle geben — das Reich Gottes. Der Gecianke der Prä-
destination, der alle irdischen Ordnungen als solche lockert,
stabiliert sie wieder auf ewigem Grunde. Er macht alles Ein-
zelne relativ, aber das Ganze wird absolut. Das ,, Positive" ist
nichts, wenn mnn an seine irdischen Urheber denkt; und es
ist alles, wenn man es sub specie aeternitatis betrachtet.
Man darf diese Gedanken spinnen, obwohl sie Augustin
so nicht gesponnen hat. Er kam zu seinem Positivismus, weil
er den gewaltigen Eindruck von der katholischen Kirche
empfangen hatte; aber dass er diesem Eindruck erlag, das
wird sich auf dem angedeuteten Wege erklären. Die Ord-
nungen der Kirche wurden ihm zu Offenbarungen des göttlichen
AVillens.
8. Wer den Zusammenhang der Gedankenwelt Augustins
verstehen will, muss' noch ein Weiteres in Erwägung ziehen.
Der Wille oder die Liebe stellt die Beziehung des Subjekts
590 Kap. Yll : Die geschichtliche Stellung des Diins Scotus.
zum Objekt her. Er treibt die Seele au, die Bilder der Dinge
zu l)ild(m und in sieh aufzunehmen. Quia in iis est quae cum
amore cogitat, sensibilibus autem id est corporalibus, cum
amore assuefacta est, nou valet sine imaginibus eorum esse in
semetipsa (de trin. X, 8, 11). Das Gewollte muss also zu-
nächst ein Bestandteil der Seele, ein Bekanntes werden: certe
enim amari aliquid nisi notum non potest (ib. X, ], 2). Aber
die gewisse und sichere Erkenntnis ist nur die Selbsterkenntnis,
die Erkenntnis der Dinge ist das Erkennen der Erkenntnis von
ihnen. Ubi ergo nosse suum novit, si se non novit (ib. X, 3, 5) ?
Nur eines ist der Seele schlechthin gewiss und behauptet sich
aller Skepsis der Akademiker gegenüber, das ist, dass sie lebt
und wirkt, würde dies auch nur am Zweifel selbst empfunden.
Vivere se tarnen et nieminisse et intelligere et velle et cogitare
et scire et iu^icare quis dubitet? Quaudoquidem etiam si du-
bitat, vivit, si dubitat unde dubitet, meminit ; si dubitat, dubitare
se intelhgit; si dubitat, certus esse vult; &i dubitat, cogitat; si
dubitat, seit se nescire ; si dubitat, iudicat non se temere con-
sentire oportere. Quisquis igitur aliunde dubitat, de bis Omni-
bus dubitare non debet, quae si non essent de ulla re dubitare
non posset (ib. X, 10, 14). So schöpft gerade aus dem Zweifel
selbst die Seele die Gewissheit ihrer Eealität: ergo sum, si
fallor (de civ. dei XI, 26). Ist sie aber eine Realität, so ist
sie auch eine Substanz, und zwar eine Substanz, die ihrer
selbst bewusst wird in der dreifachen Funktion des Denkens,
Wollens und Erinnerns (de trin. X, 10, 16. 18).
Die Seele nimmt nun in sich auf und schaut in sich die
Bilder der Dinge, die als solche ausserhalb ihrer bleiben.
Vermöge der phantasia imaginaria denkt sie diese Dinge, nicht
mit der Gewissheit der Selbsterkenntnis (ib. X, 10, 16; 5, 7. 8).
Aber neben und über der sinnlichen Wahrnehmung und dem
Phantasiebilde steht der sensus iuterior, der das AYesen der
Dinge per iutelligibilem speciem versteht (de civ. dei XI, 27, 2).
Und dies führt auf eine neue Wendung. Nicht etwas Er-
worbenes, sondern etwas Angeborenes ist diese species intelli-
gibilis, welche die Norm zur Beurteilung aller Grössen der
sinnlichen Wahrnehmung ist. Es gehört nicht her, wie Augustin
in seinen älteren philosophischen Schriften zeigt, wie der denkende
Augustins Erkenntnislehre. 591
Geist iu sich ein Gerüst formaler Massstäbe der „Wahrheit"
findet. Es hat Augustin immer hierüber hinaus fortgerissen zu
dem intellegibeln Kosmos Platop, zur phantasievollen Anschau-
ung des Ewigen. — Alles Irdische — so hören wir ander-
wärts — ist nur Abbildung ewiger und unwandelbarer Formen^
die in Gottes Gei^t enthalten sind. Diese ewigen Formen oder
die platonischen Ideen erkennt nur der Geist des Menschen^
der von dem lumen intelligibile erleuchtet ist, und diese An-
schauung der Ideen beseligt den Geist. Quod si hoc rerum
omnium creandarum creatarumve rationes in diviua mente
coutinentur neque in divina mente quidqxiam nisi aeternum atque
incommutabile pote3t esse atque has rerum rationes principales
appellat ideas Plato : non solum sunt ideae, sed ipsae verae
sunt, quia aeternae sunt et eiusmodi atque incommutabiles
manent; quarum paiticipatione fit, ut sit quid quid est quomodo
est. Sed anima rationalis inter eas res quae sunt a deo conditae
omnia superat et deo proxima est, quando pura est eique in
quantum caritate cobaeserit, in tantura ab eo lumine ilio intelli-
gibili perfusa quodani modo et illustrata cernit, non per cor-
poreos oculos, sed per ipsius sni principale quo excellit, id est
per intelligentiam suam, istas rationes quarum visione ht bea-
tissima (de quaest. octog. tiibus 46, 2).
9. Das sind die Gedankenmassen, in denen der ringende
Geist Augustins arbeitete. Es ist einerseits die urchristliche
Stelkmg der Seele zu Gott und der Welt, die er theoretisch
verarbeitet. Gott ist Herr, Wille, Liebe. In Christo wird die
Liebesmacht Gottes offenbar und wirksam, ^) zur Realisierung
des vorzeitlichen Willensbeschlusses Gottes in einer Welt
werdender wollender Menschen, in der Geschichte. So ist auch
des Menschen Stellung zu Gott W^illensstellung. Wer Gott
liebt, in dem hat der Drang nach Leben Befriedigung gefunden.
Cum enim te deum meum quaero, vitam beatam quaero ; quae-
ram te, ut vivat anima mea (Confess. X, 20). So angesehen
ist Gott das höchste Gut; das Interesse des Geistes erschöpft
^) Diese Seite in Christo Werk hat Augustin doch wohl im Vorder-
grund gestanden gegenüber der sühnenden Stellvertretung, vgl. Dogmen-
gesch. I, 211. 304 Anm.
592 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
sich in der ErkenntDis des Gottes, dem seine Liebe gilt und
seiner selbst, der diese Liebe gibt. Quid ergo scire vis, breviter
ea collige. — Deum et auimam scire ciipio. — Nihilne plus? —
Nihil omnino. ^) Und diese Beschränkung des Interesses er-
gibt sich aus dem Gedanken: nibil aliud amo quam deum
et animam. Hierhin zielt das Interesse, weil hierhin die Liebe
(Soliloq. I, 2, 7). — j\lit diesen Interessen verschmilzt aber
— andererseits — der Piatonismus Augustins, um es kurz zu
bezeichnen. Gott ist der Urquell. der Wahrheit und Schönheit,
das ewige ruhende Sein, in dem urständen alle wechselnden
Erscheinungen der sichtbaren Welt. Dies absolute Sein denkend
ergreifen, die Bealität der Ideen em})finden — das ist nun
höchste Lust und Seligkeit des frommen Geistes.
Gerade in der wunderbaren Ineinandermengung dieser
Ideenkreise liegt der Zauber, den Angustin auf seine Zeit-
genossen und auf die Frommen und Theologen von anderthalb
Jahrtausenden ausgeübt hat. Er hat den Lebensdrang und
die straffe Willensstellung des Christentums verschmolzen mit
den süssen Zauberklängen und den düsteren Schaudern der
platonischen und neuplatonischen Metaphysik. Er hat schroffer
als einer seiner Vorgänger das Eigenartige der christlichen
Weltstellung betont, und er hat doch den Bund von Christen-
tum und Antike eher gekräftigt als geschwächt. — Der Gott,
den der Wille erstrebt, ist zunächst die Macht der Liebe.
Aber die Phantasie krönt sie alsbald mit dem Zauberdiadem
der Metaphysik; und nun funkelt und glänzt das Bild Gottes
im Glanz unsagbarer Ideen und unnennbarer Yollkommenheit.
Und die Seele, welche ausging für den Willen und die Liebe
ein Ziel zu finden, findet es zwar, aber sie findet auch anderes,
nämlich jenen Wechsel von Licht und Dunkelheit, von Freude
und Schaudern, der ausgeht von dem Gott mit dem überlichten
und darum dunkeln, dem unnennbaren und darum schrecklichen
Diadem.
Zwei Auffassungen Gottes und zwei Auffassungen des
Lebensinhaltes kreuzen sich in dieser Gedankenbildung. Man
wird urteilen dürfen, dass für Augustin je länger, desto mehr
^) Auf diese Stelle verwies zuerst Dilthey a. a. 0. I, 326.
Verschiedene Gedankenelemente bei Augustin. 593
die zweite gegen die erste zurückgetreten ist, oder dass die
Willensstellung sein Denken immer kräftiger beherrscht hat.
Aufgegeben ist der Hellenismus darum nicht. Und jener zweite
Gedankenkomplex ist gerade die Brücke geworden, auf der
die mystische Metaphysik in das Mittelalter einzog. — Doch
man kann noch mehr sagen. Misst man die augustinische
Kombination von der Welt als dem Verhältnis des geschaffenen
Willens zu dem ungeschaffenen Willen an den urchristlichen
Gedankentrieben, so ist auch hier die Differenz unverkennbar.
So sehr sich Augustin müht, die rein geistige Art des Willens
aufrecht zu erhalten, so sehr schimmert doch immer wieder
eine andere Auffassung durch. Der Gott, der die geschaffene
Liebe dem Willen einflösst und der Wille, der durch dies
schöpferische AVunder in einen neuen gewandelt wird — sie
behalten doch etwas von der Naturmacht und unpersönliche
Züge an sich. Gott ist die Macht, die den neuen Willen
schafft. Diese Formel schliesst nicht ein persönliches und
geistiges Verhältnis in sich. Darum findet auch der evan-
gelische Gedanke vom Glauben in diesem Gefüge keinen Platz.
Glauben heisst auch bei Augustin nur die Anerkennung der
christlichen Lehre; das religiöse Erleben des Menschen voll-
zieht sich nur in der Liebe, die Gott schenkte und die offen-
bar wird in einer langen Kette von Lebensempfindungeu und
sittlichen Thaten. Und bei letzterem setzen dann neue Ge-
dankenformen an, die rechtlichen Kategorien, in denen das
ältere lateinische Christentum die Keligion vorstellte. Auch
sie wurden angezogen, assimiliert und verklärt.
10. Wer sich an diese Hüllen und Hülsen der augusti-
nischen Gedanken hält, der sieht leicht die Umrisse des mittel-
alterlichen Katholizismus aus ihnen hervorwachsen: Die scho-
lastische Metaphysik und die Naturmystik, die Kirche und die
guten Werke, die eingegossene Gnade und die Verdienste.
Gott scheint wieder sehr weit im „Himmel" zu sein, und das
Ziel des sittlichen Lebens gar nah in Fasten und Almosen.
Und doch, w^er das alles als „Lehre" Augustins vortrüge, ver-
stünde Schale und Kern nicht von einander zu sondern.
Schliesslich machte nicht der Piatonismus und nicht der katho-
lische Positivismus die Religion Augustins aus, sondern in dem
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 38
594 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
Empfinden und Erleben der Willonsmacht droben und drunten
war ibm der Spielraum der Religion gegeben. Hier ist das
Schönste und Grösste in seinem Fühlen und Denken begründet.
Aber hier liegt auch der eine Punkt, an dem sich der geistige
Fortschritt des Augustinismus für mehr als ein Jahrtausend
brechen sollte. Das sola gratia wurde so gefasst, dass es das sola
fide nicht einschloss. Das heisst das Bedürfnis des Geistes nach
persönlicher Erfahrung der Gottheit ward zurückgeschoben.
Und dieser Punkt war es nun gerade, an dem alle jene fremden
Elemente sich Bahn brachen, um in breitem Strom in das
augustinische Gedankengefüge einzudringen.
Wir müssen hier natürlich auf die dogmengeschichtlichen
Details verzichten. Es genügt, auf die geschichtlichen Kräfte
in Augustins Gedankenwelt verwiesen zu haben. Augustin hat
in die Kirche des Abendlandes die Wissenschaft im grossen
Stil eingeführt, er hat ihr die griechische Metaphysik gebracht ;
aber er hat zugleich durch den Reichtum seiner religiösen
Konzeptionen und seiner Lebensanschauung die Triebe zu neuer
selbständiger Spekulation dem Abendland eingepflanzt. Augustin
hat das alte abendländische Problem der salus animarum neu
verstanden und es vertiefen und auseinanderlegen gelehrt ver-
möge einer neuen reichen und anregenden Psychologie. Augustin
hat die Kunst, die positiven Formen zu konservieren, indem sie
einen neuen Inhalt oder neue Beziehungen empfangen, mit
Virtuosität gehandhabt und ist auch darin vorbildlich geworden ;
auch reformatorische Geister konnten kirchlich bleiben und an
ihrer Kirchlichkeit stumpfte sich ihre reformatorische Kraft
ab. Vor allem wegen dieser Neigung, die das Lebenswerk des
grossen Mannes begleitet, ist er als der Vater des mittelalter-
lichen Katholizismus zu bezeichnen. Bedeutsamer als dies alles
ist es aber, dass Augustin der abendländischen Kirche das Wesen
der Religion erschlossen hat ; nicht das Fürwahrhalten der Lehre,
nicht die kirchliche Observanz und der Apparat rechtlicher
Begriffe, sondern das innere Erleben, Erfahren, Empfinden ist
die Religion.
Die Theologie des Mittelalters. 595
2. Die Theologie des Mittelalters.
1. Wie diese Gedanken und Gesichtspunkte bei Augustin
selbst in den mannigfachsten Kombinationen mit einander ver-
schlungen, mit und gegen einander wirkend auftreten so erst
recht in der durch Augustin bestimmten mittelalterlichen Theo-
logie. Die Geschichte der mittelalterlichen Theologie ist die
Geschichte des Augustinismus. In diesem Rahmen ist auch
das Werk des Duns Scotus zu begreifen.
Die Herrschaft Augustins — neuplatonische Gedanken
wirkten mit — brachte dem Mittelalter zunächst die ganze
Welt ewiger Ideen und himmlischer Gestalten. Man rechnete
wieder mit den ewigen Urbildern alles Seienden und erwartete
sie in Gott zu schauen. Trotzdem war die Gottesanschauung
eine lebhaftere und unmittelbarere als früher, auch wenn sie
vielfach in mythologische Vorstellungen sich kleidete. Man
empfand Gott als den waltenden Herrn, der die Geschicke der
Welt leitete. Dazu kam das lebhaftere Verständnis für die
menschliche Art Christi. Ein Bernhard und später Franz
leiteten an dazu, in der Menschheit Jesu den Weg zur Gott-
heit zu finden. Die Gemeinschaft mit Gott sollte aber in der
mystischen Anschauung erlebt werden. Der Gott, der straft
und belohnt, der Gott, dessen Nähe man irgendwie physisch
meinte empfinden zu können, erforderte doch eine andere innere
Stellung als die blosse Anschauung der ewigen Usie samt den
ihr immanenten Ideen ; die einfachen und grossen Gedanken des
Christentums von Gott waren umgebildet und eingeengt, aber
sie lebten doch fort in der Frömmigkeit des Volkes und in
den Empfindungen der Frommen. So sehr man abhängig war
von den altlateinischen Rechtsschemata und von den helle-
nischen Ideen, so sehr lag doch ein gewisser Fortschritt vor
in der Erkenntnis des lebendigen Gottes. In der Theologie
trat derselbe zunächst am wenigsten hervor. Da blieb Gott
•die ferne ewige Substanz oder dann der ferne Getetzgeber und
Richter. Man war zu sehr gebannt in die Vergangenheit, als
dass man die Ahnungen der Seele hätte klar auszudrücken
vermocht.
2. Dasselbe tritt dem Beobachter entgegen, wenn er die
38*
596 Kap. VII : Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
aktive Bethätigung des religiösen Lebens studiert. Es handelt
sich darum, die mancherlei Satzungen der Kirche zu beob-
achten. Als Ziel erscheint dabei immer die Förderung der
Kirche. Die Kirche war das Reich Gottes, das irdische
Himmelreich, dem es zur Vollendung nur an der Unsterblich-
keit mangelte. Wie einst das römische Reich eingehüllt war
in die Idee des Weltstaates, so v/urde jetzt die römische-
Kirche mit göttlicher Autorität und ewigem Wert bekleidet.
Man wusste immer mehr sie als himmlische Grösse, als gött-
lichen Staat sich vorzustellen. Ihre Leiter und ihre Institu-
tionen, die positiven geschichtlichen Ergebnisse einer kompli«
zierten Rechtsbildung rückten unter den Gesichtspunkt „gött-
lichen" oder „natürlichen Rechts". So sollte die einzelne Seele,
die an die kirchlichen Ordnungen und an die Satzungen einer
sehr äusserlichen Moral sich gebunden fühlte, hinweggetäuscht
werden über die enge Umzäunung ihrer Bethätigung. Dem
Trieb, an das höchste Ziel mit seinem Thun hinanzulangen,
schien so Befriedigung gewährt zu sein. Wirkte doch jedes
Verdienst ewigen „Lohn", waren die Sakramente der Kirche
und die kirchlich vorgeschriebenen Bethätigungen doch kräftig
genug, nicht nur den Thätern oder Empfängern selbst, sondern,
auch bereits Verstorbenen den Himmel zu öffnen.
3. Unser Ttolkev^a ist im Himmel, hat Paulus gesagt und
die Apokalypse lässt die Werke ihren Thätern nachfolgen. Ea
ist wunderbar, wie gerade in die fremdartigsten Auswüchse
des mittelalterlichen Christentums sich urchristliche Empfin-
dungen hineinretten. Die asketische Imitatio Christi mit dem
Zweck des Gottschauens, die Spekulationen auf die Vergeltung
Gottes im Diesseits und Jenseits auf der einen Seite, und die
Werke, mit denen wir den Himmel erwerben, durch die wir
ewige Zwecke für uns und andere realisieren, auf der anderen
Seite — beides ist ganz unevangelisch, aber in beidem spürt
man einen Überrest der urchristlichen Seelenstellung. Soll
man von einer corruptio optimi pessima reden, oder soll man
die verschlungenen Pfade der Geschichte bewundern, die das
Unnötigste zum Deckblatt des Nötigen, das Unevangelische zum
Träger von Evangelium macht ? Man hat ein Recht zu ersterem,
denn was Glaube und Liebe ist, das ist durch diese Gedanken.
Die Religion des Mittelalters. 597
liicht ausgedrückt und keine Kunst der Dialektik kann es
ihnen abzwingen. Aber ist die schroffe Paradoxie von letzteren
5un verständlich ? Der Zusammenhang der zwischen dem Gottes-
glauben Luthers und der mittelalterlichen Idee vom waltenden
Herrn besteht ist historisch doch ebensowenig zu leugnen, als
der Zusammenhang zwischen der ethischen Teleologie der
reformatorischen Gedankenbildung und der mittelalterlichen
Beziehung des praktischen Christentums auf den Begriff des
im Himmel giltigen Verdienstes. Es waren doch nicht nur die
kritischen Gedanken der „Reformatoren" oder die Empfindungen
der „Mystiker", die Luther den Weg bereiteten, auch der
breite Strom des mittelalterlichen Lebens und Denkens war
doch nicht nur rückläufige Bewegung oder gar Hemmung aller
Bewegung. Die Geschichte kennt nicht rein negative Werte.
Was eingeht in das Spiel der Kräfte in ihr, das wirkt irgend-
wie mit zur Herstellung der positiven Grössen, in denen sie
ihre Wandlungen vollzieht.
Der wirksame Herr, der offenbar wird den Herzen in
seinem geschichtlichen Thun, und die Forderung der höchsten
Aktivität im Menschen — das waren die beiden Leitmotive
die wir fanden. Indem aber die mittelalterliche Kirche zwischen
beiden keinen Zusammenhang herzustellen vermochte, ver-
kümmerten und degenerierten beide. Weil man auf der einen
Seite nur von magischen Sakramentswirkungen oder von einem
leeren Schauen Gottes oder einem noch leereren Glauben zu
reden wusste, deshalb blieben auf der anderen Seite die Werke
auf den engen Spielraum der Technik der Kirchlichkeit oder
ihrer offiziellen Frömmigkeit beschränkt, Produkte zuhöchst
nur des den Thaten formgebenden freien Willens, dem die
„Gnade" irgendwie als Stoff subordiniert war. Und weil hier
es genug war, wenn die Zielstrebigkeit der sittlichen That bis
an die Schlagbäume des Kirchenrechtes und seiner Satzungen
reichte, so zerfiel das Streben nach dem Glauben als dem
Empfinden der Autorität und Kraft des ewigen starken Gottes,
der die Sünde vergibt und die Macht ist, die unsere Be-
thätigung auf das höchste Ziel hinrichtet.
So musste die ursprüngliche Tendenz des Christentums sich
in fremde Formen schmiegen und darüber verkümmern. Nicht
598 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
die Differenzen der Lehren als einzelne kommen für den Stand-
ort unserer Betrachtung zunächst in Frage, sondern die Ab-
schwächung der Ziele und der inneren Stellung der christlichen
Seele. Weil man den ursprünglichen Sinn des Glaubens ver-
loren hatte, ward der Kreis und die Kraft der Liebe be-
schränkt. Und indem die Liebe verengt ward, erlahmten die
Motive der Liebe. Ein wechselseitiges Verhältnis von Ursache
und Wirkung lag hier, wie so oft im geistigen Leben, vor.
4. In diesem grossen Zusammenhang der treibenden Kräfte
hat die Theologie ihre Arbeit gethan. Sie war zunächst in
höherem Grade von Augustin beeinflusst als das kirchliche
Leben, Aber sie hatte doch früh schon die treibenden Ideen
Augustins aufgelöst und verflüchtigt. Der Prädestinationsge-
danke war gefallen oder durch den Providenzgedanken unwirksam
gemacht. Dadurch war auch die Idee des göttlichen Herrnwirkens
depotenziert, die Begriffe der Sünde und Gnade verflacht und
das Ziel der Weltentwicklung und des auf dieses hinwirkenden
Menschen hinabgedrückt worden. Den grossen Gedanken „aus
Gott" und ,,zu Gott" wiederholte man unzählige Mal, aber
man schob zwischen diese beiden Endpunkte ein unsäglich wider-
spruchsvolles und kompliziertes System von Mitteln, in dessen
Reihen jene sich immer wieder fingen und verhäkelten bis sie
abgestumpft, eingesponnen und unwirksam wurden. So wurde
die Macht jenes Gedankens für die freie Seele undeutlich, in-
dem sie sich an den mannigfachen Windungen jenes Systems
der Mittel brach. Dieser Zustand wurde oben an den Grund-
verhältnissen von Glaube und Liebe aufgezeigt, man könnte
den Nachweis ohne viel Mühe für die Theologie bis in das
Einzelne verfolgen.
In dem Mass als diese Zustände geschichtlich wurden,
wurde die theoretische Aufgabe der Theologie schwieriger. Wie
sich am Anfang des zwölften Jahrhunderts die Theologie eines
bewusst orthodoxen Kirchenmannes gestaltete, kann man den
Werken des Hugo von St. Viktor entnehmen. Aber diese
Theologie war nicht mehr naiv, sie stand unter dem Gegen-
satz. Nur von der Schrift — man kann hinzusetzen von dem
Üblichen und ,, Positiven'* — will Hugo sich leiten lassen;
Hugo, Abälard und Anselm. 599
Dur wo ratio und experimentum fehlen, ist der Glaube ver-
dienstlich (s. Summa sentent. prolog. u. I, 11).
Aber diese Theologie der Reproduktion, des nackten Für-
warhaltens und des kirchlichen Gehorsams schien keine Zukunft
zu haben. Seit länger als einem Jahrhundert standen andere
Mächte auf dem Plan und neue Methoden begeisterten die
Gemüter der Denkenden. Die theologischen Schulen von
Tours und von Bec repräsentierten sie. In den Tagen Beren-
gars griffen die neuen Gedanken zuerst spürbar in das Leben
der Kirche ein.
5. Es waren zwei geistige Strömungen, die hier ihren Aus-
gang nahmen. So oft sie sich miteinander berühren, so deut-
lich unterscheiden sie sich. Man kann die eine durch die
dialektische Methode und durch die kritische Rich-
tung charakterisieren. Die ratio beurteilt die Überlieferung;
und was sich kritisch und dialektisch von den ratio erweisen
lässt, darf geglaubt werden. Eine sorgfältige Systematisierung
und eine umfassende Reduktion der Überlieferung war die
Aufgabe der Theologie. In Abälard fand diese Richtung
ihren mächtigsten Vertreter. Das systematische Talent dieses
Mannes legte nicht nur die Grundlage für die dogmatische
Methode des Mittelalters, sondern schenkte seiner Kirche auch
eine zusammenhängende Sakramentslehre.
Neben dieser dialektisch-kritischen Theologie stand eine
spekulative Theologie. Anselm von Canterbury war ihr
grösster Vertreter. Die Theologie der Überlieferung ist an-
zunehmen und zu glauben. Indem man aber ihre Wahrheit
innerlich erlebt, ist man befähigt, sie spekulativ zu repro-
duzieren. Der Realismus der Ideen trat helfend hinzu. Ein
Stück augustinischer Selbständigkeit lebte auf. Ein spekula-
tives System aufgeführt auf dem Boden der religiösen Er-
fahrung war das Ziel. Wir haben schon früher (S. 8 ff.) auf
die Hauptideen Anselms verwiesen. Nicht eine Reduktion und
kritische Einschränkung des überkommenen Lehrstoffes, sondern
eine neue originelle Reproduktion des Ganzen der Tradition
schwebte seinem Geist als Ziel vor. Er hatte mit seinem
„sola ratione" schliesslich ein weit grösseres Vertrauen zur
Tragkraft der Vernunft als Abälard, und doch blieb er ein
600 Kap, VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
orthodoxer Mann jenem Heterodoxen gegenüber. Es ist das
eigentümliche Geschick, das die kritischen Geister nicht selten
trifft, wegen Heterodoxien verklagt zu werden, während weit
kühner zugreifende spekulative Denker das Lob der Orthodoxie
ungefährdet behalten. Nicht an dem positiven Gedanken, sondern
an der Negation eines Gegebenen entzündet sich in der Regel
in der Geschichte der Widerspruch und der Streit. Das Nein
ruft für den Augenblick kräftigere und lautere Wirkungen
hervor, das Ja wirkt stiller aber nachhaltiger. Darum die er-
regte Bekämpfung der Kritiker und die rasche Blüte ihres
Ruhmes. Man kann sich dies vielleicht auch an den Wirkungen
Abälards und Anselms bestätigen sehen.
6. Der grosse Umschwung, den die Theologie seit dem
dreizehnten Jahrhundert erlebt hat, setzt zunächst voraus den
relativen Abschluss, den die kirchlichen Institutionen, aber auch
die Dogmatik — durch die Arbeit eines gemässigten und ortho-
doxen Abälardianers, des Petrus Lombard us — gefunden hatte.
Sodann aber ist er bedingt durch einen neuen Aufschwung
des geistigen Lebens, von dem die Bettelorden nicht minder
als die emporstrebenden sektiererischen und häretischen Be-
mühungen zur Reform der Kirche Zeugnis abgeben. Mit diesen
Regungen geistiger Selbständigkeit verknüpfte sich die un-
geheure Bereicherung des Weltbildes und die Vervollkomm-
nung der wissenschaftlichen Methode, welche die Theologie den
Schriften des Aristoteles und seiner arabischen Kommentatoren
verdankte.
Wer die Sentenzen des Petrus Lombardus mit der um-
fassenden Summa des Alexander von Haies, von der Roger
Baco mit Recht sagt: quae est plus quam pondus unius equi,
vergleicht, wird unmittelbar gewahr des gewaltigen Umschwunges,
den die Theologie im Verlauf des Menschenalters, das die
beiden Männer von einander trennt, durchgemacht hat. Man
hat in das theologische System die Grundfragen der Philosophie
in technischer Zuspitzung hineingezogen, man hat in grossem
Massstab alle theologischen Meinungen der Vergangenheit ge-
sammelt und man ist auf das lebhafteste bemüht, den dia-
lektischen Nachweis für ihr Recht oder Unrecht zu führen.
Aristoteles und die Araber. 601
Die Methode^ deren man sich dabei bediente, war der aristo-
telischen resp. arabischen Dialektik abgesehen.
Die Sicherheit, mit der man schon früh die Amalgamie-
rung der fremdartigen Stoffe und die Anwendung der neueren
Methode auf die Lehren der Vorzeit vollzog, wäre nicht so
rasch erworben worden, wenn nicht die arabische Philosophie
unter dem Druck einer ähnlichen Fragestellung — Aristoteles
und die positive Religion — gearbeitet hätte. Schon früh hatten
die Araber eine Religionsphilosophie herausgebildet, welche die
Religion oder nach ihrer Auffassung die religiöse Rechtslehre
begründen sollte. Von der Welt, von Gott, von der Offen-
barung, von Propheten und Gesetzgebung war man hier zu
reden gewohnt. Die Fragen nach der Allmacht Gottes in
ihrem Verhältnis zur menschlichen Freiheit waren ihnen wohl
vertraut.^) Ein Mann wie Ibn Sina (Avicenna) hatte dann
die Behauptung verfochten, dass Wissenschaft und Glaube in
keinem Gegensatz zu einander ständen. Die Propheten hätten,
ohne Beweise zu liefern, die Wahrheiten vorweggenommen, die
zu beweisen der Philosophie obliege. Die Theologie spreche
daher vielfach Wahrheiten aus, die der unerleuchtete Verstand
des Menschen zunächst nur für möglich ansehen könne. ^) —
Noch der letzte unter den grossen arabischen Philosophen,
Ibn Roschd (Averroes) hat diesen Problemen eifrig nach-
gedacht. Non est modus ad perveniendum ad scientiam, nisi
postquam pervenerit ad religionem meint er. Nur für wenige
sei die philosophische Erkenntnis erreichbar, die grosse Menge
wird für immer sich mit der positiven Religion oder dem Ge-
setz begnügen müssen. Aber die Erkenntnisse der Religion
tragen einen rein praktischen Charakter, daher beschränken sie
die Spekulation nicht. Das Gesetz, das die Propheten gaben,
kann nicht das Naturgesetz aufheben. ^) Es mögen diese
Notizen zur Vergegenwärtigung der Problemstellung genügen.
Es versteht sich von selbst, dass sie der ganzen Philosophie
neue Fragen und neue Schwierigkeiten zuführte. Trotzdem ist
') S. K i 1 1 e r , Geschichte der Philosophie Bd. VII (1844), S. 704 f. 738 ff.
2) Kitter a. a. 0. Bd. YlII, 26. 49 f.
» Ritter VIII, 118ff.
602 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
der arabischen Pliilosopliie bei weitem nicht in dem Mass
wie der Scholastik der theologische Charakter aufgedrückt.
Das l)egreift sich zur Genüge aus der wissenschaftlichen Ge-
staltung, welche die christliche Religion im Dogma empfangen
hatte, und aus dem Umfang der Beziehungen zwischen dem
Dogma und der gesamten Weltanschauung.
So wiederholte sich denn in der Kirche der Kampf zwischen
Aristoteles und dem Dogma, den schon der Islam gekannt hat.
Aber die Situation war insofern auch eine völlig andere, als
das Dogma der Kirche eine ausgeprägte und vielseitige Welt-
anschauung und -beurteilung in sich schloss und dadurch die
Philosophie immer nur als Dienerin und Ergänzerin brauchen
konnte.
7. Bekanntlich ist es vor allem Albert der Grosse ge-
wesen, der mit emsigem Fleiss die aristotelische Wissenschaft
erläuterte und dadurch zum Gemeingut machte. Thoraas
von Aquino versuchte dann zuerst in seinen beiden Summen
ein System der Theologie herzustellen, das überall auf aristo-
telischer Grundlage ruht, und doch die kirchlichen Lehren auf
das korrekteste wiedergibt. Aber dies Unternehmen stiess zu-
nächst auf schweren Widerspruch. Zum Verständnis der Ge-
schichte der Theologie des 13. Jahrhunderts ist es wichtig, sich
über diesen und seine Gründe klar zu werden. ^) Die theo-
logischen Censurierungen, die Stephan von Paris und Robert
Kilwardby, sowie Johann Peccham von Canterbury vornahmen
(s. hierüber oben S. 53), waren in erster Linie wider den
Aristotelismus des Albert, des Thomas und ihrer Anhänger
gerichtet, sie galten aber auch überhaupt einer Steigerung des
rationalen Elementes in der Theologie. Die ältere Theologie —
wie Alexander von Haies, Wilhelm von Auvergne — hatte die
platonisch-augustioische Philosophie befolgt. Diese galt daher
zunächst als „kirchliche'' Lehrweise. Dem schwebenden und
unbestimmten Idealismus dieser Lehre schien mehr religiöse
Stimmung und Weihe eigen zu sein, als der nüchternen und
^) Vgl. Ehrle im Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des
Mittelalters Ed. VI 603 ff".
Die Theologie des dreizehnten Jahrhunderts. 603
kritischen Methode des Aristoteles.^) Wie man also im einzelnen
die aristotelischen Lehren missbilligte , so erschien auch die
ganze dialektisch kritische Methode als nicht unbedenklich.
Der Erfolg dieser Massregeln ist doch nur ein geringer
gewesen. Den Fortgang der formalen Dialektik und Kritik in
der Theologie vermochte nichts aufzuhalten, denn in dieser
Richtung bewegten sich die geistigen Tendenzen des Zeitalters.
Dagegen könnte man annehmen, dass in etwas diese Censur
zum Fortbestand der platonisch-augustinischen Richtung bei-
getragen habe. Indessen sind es doch in Wirklichkeit andere
Gründe, die hiefür in Betracht kommen. Einerseits ist es nur
selbstverständlich, dass eine Geistesrichtung nicht plötzlich aus
dem Zusammenhang der Geschichte ausgeschaltet wird. Eine
Erscheinung, wie die des Heinrich von Gent, der dem
Augustinismus resp. Piatonismus zugethan war, darf also nicht
als eine historische Anomalie bezeichnet werden. Andererseits
greift aber hier die englische Theologie bestimmend in die
Geschichte der Scholastik ein. Die Linie Anselm — Robert
von Lincoln — Duns Scotus, die früher (oben S. 9 ff.) aufgezeigt
wurde, wird hier zu einer historischen Macht. So ist Duns
Scotus durch seine theologische Herkunft der berufene Ver-
treter platonisch-augustinischer Ideen gegenüber dem Thomas.
Der grosse Gegensatz zwischen Thomisten und Scotisten ist
also in gewissem Sinn ein Gegensatz moderner und älterer
Theologie gewesen.
^) Die aristotelische Philosophie hat ihren kirchlichen Vertretern
nicht selten üble Nachrede eingetragen, man denke an die christologischen
Gegensätze in der alten Kirche. Eine überraschende Parallele zu den
mittelalterlichen Gegensätzen — der fromme Plato und der gottlose
Aristoteles — bietet der Pietismus dar. Der Pietist J oh. Wilh. Zierold
hat in seiner „Einleitung zur gründlichen Kirchenhistorie" (Leipz. u. Star-
gard 1700) geradezu das Verhältnis zu Plato und Aristoteles zum Wert-
massstab für die leitenden Personen der Kirchengeschichte gemacht. Die
alte Kirche war mehr platonisch gesinnt (I, 313), das Mittelalter war ganz
aristotelisch. Als Luthers Hauptverdienst erscheint, dass er die aristo-
telische Philosophie verachtete (I, 375), während das ganze Elend der
evangelischen Kirche sich daraus verstehe, dass Melanchthon als ein
„listiger aristotelischer Dialektikus" die Scholastik wieder eingeführt habe
(I, 384).
604 Kap. VlI : Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
Die Richtigkeit dieser historischen Kombination kann da-
durch nicht angefochten werden, dass Duns in seiner Philo-
sophie sachlich von Aristoteles ebenso beeinflusst ist, als seine
dialektische Methode auf ihn zurückweist. Denn trotzdem ist
er als Philosoph in der Frage nach den üniversalien Plato
weit näher gekommen als Thomas. Und als Theologe hat
Duns an einem der Hauptpunkte , der Sakramentslehre,
Augustin näher gestanden ^) als Thomas.
8. Somit ist der Gegensatz von Duns Scotus zu Thomas
zunächst zu verstehen aus der Reaktion der älteren theolo-
gischen Tradition gegen die Aristotelisierung der Theologie.
Dazu kam aber, dass Duns auch wissenschaftlich den Thomis-
mus zu überbieten versuchte. Mit weitschauendem Geist schuf
er neue Kombinationen der Mittel und eine schärfere Be-
stimmung der Ziele. Mit dem Scharfsinn und der Sicherheit
des überlegenen Geistes führte er für seine Ideen den Nach-
weis. Aber er hat dabei den Vertreter der alten Theologie,
Heinrich von Gent nicht minder scharf bekämpft als den
Führer der Modernen von damals, Thomas. Die alte Lehre
sollte in neue Formen gefasst, durch neue Beweise gestützt
werden. Aber schliesslich muss man doch urteilen, dass Duns
nicht ein Vertreter des Alten war. In ihm hat die spekulative
Erfahrungstheologie Anselms und Roberts eine Hohe erreicht
und Formen angenommen, die sie nicht minder wie den Thomis-
mus als Fortschritt und Neuerung erscheinen lassen. Der
Scotismus stellt, wie der Thomismus, einen neuen selbständigen
Versuch dar die Probleme der Zeit zu bearbeiten und zu lösen.
Ja man darf noch mehr sagen, der Vertreter der alten anti-
aristotelischen Theologie war im Grunde in weit höherem
Masse ein Neuerer und ein freier kritischer Geist als der
Aristoteliker Thomas.
Das zeigt sich daran besonders deutlich^ dass Thomas fast
nie in die Lage kam der Vernunft Schweigen vor dem Dogma
zu gebieten, sie harmonierten bei ihm eben beide trefflich mit-
einander. Dagegen hat Duns die Theorie des kirchlichen
Positivismus oft genug wider seine Kritik zu Hilfe rufen
^) Wie auch die übrigen Franziskanertheologen.
Der innere Zusammenhang der Geschichte der Scholastik. 605
müssen. Die äusseren Verhältnisse haben ihm diese Theorie
nahegerückt, aber nicht nur diese, auch innerlich ist sie in
seinem Denken begründet gewesen, wie wir schon angedeutet
haben (oben S. 13, 33, 53).
Hieraus ergibt sich die Stellung des Duns Scotus in der
Geschichte der Scholastik. Zwei grosse geistige Strömungen
bedingen den Gang dieser Geschichte, sie sind mehr als zwei
Jahrhunderte über — vielfach sich berührend und in einander
greifend — deutlich erkennbar. Die dialektisch - kritische,
formal wissenschaftliche Richtung führt von Berengar zu Abä-
lard, von Abälard zum Lombarden, vom Lombarden zu Thomas
und seinen Schülern. Die logische Verarbeitung des Dogmas
und der dialektische Nachweis seiner Richtigkeit resp. Wahr-
scheinlichkeit oder Möglichkeit — das war hier die Aufgabe,
diesem Zweck diente auch Aristoteles. Eine andere Reihe, in der
religiöse Empirie, kirchliche Positivität und kühne spekulative
Tendenzen zusammenwirken, schritt, einerseits von Anselm aus-
gehend, durch Theologen wie Hugo von St. Viktor, Wilhelm
V. Auvergne und Alexander zu der streng kirchlichen Spekulation
Heinrichs und Bonaventuras fort. Andrerseits knüpfte speziell
in England an Anselm die Oxforder Schule an, sie führte von
Grosseteste zu Männern wie Richard von Middleton und Roger
Bacon, und endlich zu Duns Scotus. Aber mit Duns Scotus
tritt diese Richtung in ein neues Stadium. Er hat sie einer-
seits auf die höchste Höhe der Wissenschaft, die das Mittelalter
überhaupt erreicht hat, erhoben, und er hat sie andrerseits so
modifiziert, dass aus ihr ein ganz Neues hervorging, das sich
gegen bestimmte Grundelemente in ihr selbst siegreich kehrte.
Doch kann letzteres erst später genauer bestimmt werden.
9. Ehe wir nun den Versuch machen, die Gedankenwelt
des Duns in einer einheitlichen Übersicht zu reproduzieren^
soU wenigstens durch einige Bemerkungen die Tendenz seiner
beiden Rivalen Heinrich und Thomas kurz beleuchtet werden.
Heinrich von Gent (f 1293)^) kann mit Sicherheit
^) Für die folgende Darstellung habe ich besonders benützt Heinrichs
Quodlibeta (ed. Zuccolius Yenetiis 1613 2 Bde. fol.) Ausserdem ist
von seinen Schriften noch gedruckt Summa quaestionum ordinariarum ;
da es der erste die Gotteslehre enthaltende Teil einer Summa ist, auch
606 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
als ein Theologe der älteren Richtung bezeichnet werden.
Strenge Orthodoxie vereinigt sich bei ihm mit einem lebhaften
spekulativen und metaphysischen Interesse. Er stellt sich mit
Bewusstsein auf die Seite Piatos : Pläto multo melius sentiebat
et fidei magis congruentia quam Aristoteles (Summa theol.
art. 25 qu. 3. Augustin, der Areopagite, von Neueren auch
Anselm sind seine Autoritäten. Aber er glaubt auch an
Aristoteles. Der aristotelische BegrifFsap parat erscheint ihm
als der allein mögliche v^^issenschaftliche Ausdruck der Wahr-
heit, die Dialektik als die notwendige Methode der Wissen-
schaft. Daraus ergibt sich die Eigenart seines Standpunktes.
Mystischer Idealismus und methodische Dialektik, die Kontem-
plationen und Spekulationen eines frommen Instinktes und die
strenge Erkenntnis des Wirklichen sollen sich zur Einheit einer
wissenschaftlichen und kirchlichen Weltanschauung verbinden.
Die beiden Interessen stossen wider einander, aber eine fromme
Phantasie und ein nicht unerheblicher formaler Verstand
stehen immer bereit durch allerhand Distinktionen und auf
mancherlei Brücken den Frieden und die Verbindung wieder her-
zustellen. Ein starkes lebhaftes Empfinden ist Heinrich eigen;
dazu kommt die Neigung zu psychologischen Erörterungen und
ein reger Sinn für praktische, kirchliche oder ethische, Fragen.
Der langatmige Idealismus seiner Ausführungen mit ihrer wort-
reichen Breite erinnert bisweilen an Clemens von Alexandrien.
Heinrich hatte zwischen zwei feindlichen Heerlagern eine Burg
des Friedens errichten wollen, hat man seine Lehre doch mit
Recht als „une glose platonicienne des aphorismes d'Aristote**
bezeichnet. Er stand auf Seiten des Klerus im Kampf wider
die Ansprüche der Bettelorden und er hat die Censur des
Summa theologica genannt (Paris 1520, 2 Bde. fol.). Eine einigermassen
genügende Darstellung seiner philosophischen, theologischen und ethischen
Anschauungen fehlt uns. Man sehe über ihn H u e t , ßecherches historiques
et critiques eur Henri de Gand, Gand et Paris 1838. Werner, H. v. Gent
als Repräsentant des christl. Piatonismus, in den Denkschriften der Wiener
Akademie der Wiss. Phil.-hist Gl. Bd. 28 (1878), S. 97fif. Schwane,
Dogmengesch. des Mittelalters S. 71 — 76. Prantl, Gesch. der Logik
III, 190 ff. H a u r e a u , Hist. de la philos. scolastique II 2, 52 £F. S i e b e c k
in Ztschr. für Philos. u. phüos. Kritik Bd. 93, S. 200 ff.
Der Realismus des Heinrich von Gent. 607
Stephan von Paris mit herstellen helfen ^), er war aber andrer-
seits ein Schüler Alberts, wie Thomas, und hat die aristotelische
Zucht nie vergessen. Was wunder, wenn sein Bau von beiden
Lagern her beschossen wurden, von den Thomisten wie auch
von Duns Scotus ! Er hat den Bettelmönchen weichen müssen,
nicht nur in Paris, sondern auch in der Wissenschaft.
10. Heinrich ist Eealist in der Weise der Alten. Der
Intellekt erkennt das Universale und vermag erst durch eine
reflexio — so lehrt er mit Thomas — das einzelne Ding zu
ergreifen, d. h. so, dass er dessen gewahr wird, dass dies
Universale ihm durch ein bestimmtes Phantasma vermittelt
wiu'de (Quodlib IV quaest. 21). Aber gegenüber der dem
Thomas in der Erkenntnislehre eigenen Zurückstellung der
Universalia ante rem gegen die Universalia post rem, hat
Heinrich mit aller Energie das ideelle überexistentielle Sein
der Dinge betont. Die Ideen oder Formen seien rationes
aeternae im göttlichen Intellekt. Sie sind die Urbilder alles
Seienden, das nur ist, sofern es an ihnen partizipiert als exem-
platum am exemplar; dies gilt aber nur von den wirklichen
res naturales, nicht von etwaigen formae artificiales oder den
intentiones secundae (wie die Begriffe genus, species, aber auch
die Zahlbegriffe), Die Essenz oder die Quiddität eines Dinges
ist sonach die göttliche Idee desselben. Das ist das esse
essentiae. Diese Ideen befassen nicht das einzelne Ding als
solches in sich, sondern nur die Gattung, die dann, wie ein
Lichtstrahl sich in vielen Strahlen bricht, in den Einzeldingen
sich ausstrahlt. Also die animalitas oder humanitas sind in
Gott ewig und an sich den Kategorien der Existenz oder der
Nichtexistenz, des Singularen und Universalen nicht unterstellt.
Hievon ist aber zu unterscheiden das esse existentiae als das
aktuelle Dasein und das esse rationis als das Sein im logischen
Begriff der Erkenntnis. Erst letztere prägt das Ding als Universale
oder Singulare, aber die Quiddität des Dinges ist doch ein an sich
in der göttlichen Idee Seiendes. Damit kommt Heinrich dem
Peripatetismus einerseits entgegen und bringt doch wieder den
Piatonismus auf einen klaren Ausdruck. Dies essentielle Sein
^) Quodlib. II quaest. 9.
608 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
ist aber der Natur an sich eigen^ sofern Gott ist; dagegen
wird sie in das existentielle Sein erst durch eine schöpferische
That Gottes versetzt, zugleich aber ist es auch als eine Aus-
strahlung ans jenen ewigen Ideen Gottes zu betrachten. Aus
letzterem versteht es sich nun auch, dass Heinrich einen realen
Unterschied zwischen der essentiellen und existentiellen Seins-
weise der Dinge leugnet. Alle Dinge sind also, nach Heinrichs
Auffassung, an sich in Gott als Idee real, aus dieser Idee
strahlt aus — nach Gottes Willen — das wirkliche Ding, und
dies wird dann von der Erkenntnis als Universale resp. Singu-
lare aufgefasst (Quodlib. VII quaest. 1 ; III qu. 9 ; I qu. 9).
Nun ist aber das Subjekt der Erkenntnis die Seele. Wie
nun das Sein und das Sondersein der Person identisch sind,
so ist auch die Seele identisch mit ihren Kräften, sodass die
denkende wie die sensitive und vegetative Potenz der Seele
eine Substanz ausmachen und sich nicht substanziell von ein-
ander unterscheiden (Quodlib. III qu. 6 u. 14). Heinrich
weicht durch diese Ansicht von Thomas ab und rückt der
scotistischen Ansicht nahe (oben S. 80 f.). In diesem Zusammen-
hang ist es aber begründet, dass für Heinrich das Erkennen
ähnlich wie die Wahrnehmung von sinnlichen Eindrücken als
etwas von aussen Gewirktes, Passives zu stehen kommt. Hier
will weiter erwogen sein, dass nach Heinrich die Materie nicht
reine potentia ist, sondern dass sie, indem sie als selbständiges
Wesen von Gott erschaffen wurde und von uns gedacht wird,
ein, vermöge einer ihr eigenen Form, actu subsistena, wenn-
gleich nicht in der vollkommenen Weise wie die Form, ist
(Quodlib. I quaest. 10 u. 12).
Es empfängt sonach die Materie ihr Sein nicht erst durch die
besondere Form, sondern ist vermöge der Schöpfung in vollem
Sinn Seiendes. Dem entsprechend wird nun, um die Vereinigung
der Seele mit der Materie zu einem konkreten Wesen vorstell-
bar zu machen, eine die Materie zu dieser Vereinigung dispo-
nierende Form der corporeitas (auch forma mixti) angenommen
(Quodl. IV quaest. 13 vgl. Duns oben S. 82).
Auch über das Individuationsprinzip hat Heinrich gehandelt.
Die Individuation (vgl. oben S. 72) sollte nach Thomas an der
materia signata, d. h. dem besonderen einer Form unterstellten
Heinrich über Universalien und Individuation, 609
Teil der Materie ihr Prinzip haben, dagegen sollen die rein
geistigen Wesen (die Engel) solch eines Prinzips nicht be-
dürfen, weil diese als besondere Formwesen an sich individuell
wären. Heinrich will Form und ludividuation scharf getrennt
wissen , da man in keinem Ding die Individualität als be-
sonderen Bestandteil desselben aufzeigen kann. Somit müsse
sie negativ erklärt werden. Wenn ein Ding wird, so ist dies
Werden von einer doppelten Negation begleitet, nämlich
1) wird von diesem Ding nach innen hin die Plurifikabilität
und Verschiedenheit entfernt, 2) nach aussen hin die Identität.
Das heisst also etwa, das Ding bildet eine in sich zusammen-
hängende unteilbare Einheit, die so bei keinem anderen wieder-
kehrt. Wie ein Accidenz hafte diese negative Determination
allen Dingen an (Quodlib. V quaest. 8). Die fatale Konsequenz.
dieser Auffassung war es nun aber, dass Heinrich dem Ein-
zelnen und Realen in seinem Denken immer ferner rückte.
Ding und Ding derselben Gattung unterscheiden sich nur da-
durch, dass dies nicht jenes ist, ohne dass der Grund dieser
Differenz ersichtlich würde. Dies tritt ziemlich deutlich dort
hervor, wo Heinrich die individuelle Differenz der Engel be-
spricht. Auch ihre Vielheit muss von Gott herrühren, qui est
natura naturans omnia ; nur wissen wir nicht, wodurch sie wird
und ist : quales secundum substantiam sint differentes, nescimus ;
solus autem deus qui fecit eos novit (Quodl. II quaest. 8).
Die Sachlage ist also die, dass die Welt der Objekte auf
den Menschen eine aktive Wirkung übt, durch die zunächst
Imaginationen oder Phantasmata (species sensibilis impressa)
im Menschen bewirkt werden, welche dann durch die Thätigkeit
des intellectus agens in Begriffe umgesetzt und in den Geist
eingeführt werden. Eigentliche Species intelligibiles gibt es
nach Heinrich nicht. Heinrich vergleicht diesen Vorgang der
Beleuchtung der Farben auf einer Fläche durch ein Licht,
wodurch sie erst in das Auge versetzt werden (Quodlib. V
quaest. 14; III quaest. 12; IV quaest. 7). Je grösser nun in
diesem Vorgang die Bedeutung der Objekte ist, desto ver-
hängnisvoller ist es, dass Heinrich keine klare Vorstellung von
ihnen hat. Das was der intellectus agens dem Phantasma ent-
nimmt, soll das Universale sein, das auf reflexivem Wege dann
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. -^9
610 Kap, VII: Die geschichtliche Stellung de3 Duns Scotus.
auf das das Phantasma verursachende Ding übertragen wird,
wie wir sahen. Nach Thomas ist die Materie reine Potenzia-
lität, darum kann die sie aktuierende Form für den Erkenntnis-
akt als Exponent des Wesens der Dinge in Betracht kommen.
Da Heinrich von einer besonderen Form der Materie redet,
so wird im Erkenntnisakt nicht das Wesen dieses Dinges dem
Phantasma entnommen werden, sondern nur eine allgemeine
Erkenntnis von einem Seienden. Erst recht difiPerent wird die
Sache bei Duns Scotus, und zwar dadurch, dass er gemäss
seiner Schätzung des individuellen Seins die Erkenntnis auf
die Erkenntnis des einzelnen abzielen lässt (oben S. 73 f., 103 f.).
11. Das Universale allein soll also der Ertrag des Er-
kennens sein. Und nun rückt plötzlich, trotz aller peripatetischen
Formeln, das Erkennen, wie bisweilen bei Augustin, in die rein
religiöse Sphäre. Da unsicher und schwankend die Welt der
Objekte wie unser eigenes Wahrnehmungsvermögen, so wird
zu der Wirkung der sinnlichen Gegenstände noch ein be-
sonderes Gotteswirken hinzugefügt. Nur durch ein be-
sonderes Organum, das von Gott erleuchtet wird, vermag der
Mensch das wirkliche Wesen der Dinge, das ist aber das
Unisersale, zu erkennen. Immer wieder zieht die Sinnenwelt
den Geist ab von diesem überirdischen Licht. Trotzdem hält
die Seele jene nicht durch die Sinne übermittelte Erkenntnis
fest und bildet aus ihr die Habitus wahrer Erkenntnis.
Attingendo autem illas corporeas rationes illustratione quadam
ab illa specie lucis aeternae, etsi non ut obiecto cognito, sed
ut ratione cognoscendi cognoscit de illis sinceram veritatem
quam ex sensibus et phantasmatibus haurire non posset . . .
et per hoc auima habitus veros scientiales acquirit eorum quae
iatelligimus. Et sie per formas quae sunt essentiae rerum,
ut secundum se conspiciuntur, illustratione lucis increatae cogno-
scuntur vera notitia ipsae eaedem formae, ut habeut esse in
materia quae conspiciuntur in phantasmatibus illustratione lucis
creatae quae est intellectus agentis (Quodlib. IX qu. 15).
Diese Erleuchtung durch die Erkenntnis der Urbilder alles
Seins ist aber eine reine Gnadengabe Gottes. Homo ex puris
naturalibus attingere non potest ad regulas lucis aeternae, ut
in eis videat rerum sinceram veritatem, . . . sed illas deus
Heinrich über Erkenntnis und Wille. QW
offert quibus vult, et quibus vult subtrahit (Summ. th. art. 1
quaest. 2).
Diese Betrachtung zieht allerdings die Sache aus der
Sphäre der Wissenschaft heraus. Aber sie ist für die innersten
Tendenzen Heinrichs und der älteren Theologie sehr charakte-
ristisch. Schliesslich bleibt es dabei, dass man soviel erkennt,
als einen Gott erkennen lässt, oder man zu erkennen für nötig
hält; Aristoteles darf nur mitreden, sofern er diese Schranke
respektiert.
12. Wir wenden uns nun der Bedeutung des Willens in
der Psychologie Heinrichs zu. In dem Mass, als der Intellekt
passiv vorgestellt wurde, musste zur Herstellung des Gleich-
gewichtes der Seele der Welt gegenüber auf den Willen ein
stärkerer Ton fallen. Wille und Intellekt stellen den Zusammen-
hang zwischen dem Subjekt und dem Objekt her, aber durch eine
in entgegengesetzter Richtung verlaufende Bethätigung: intelli-
gere est quasi motus circularis aut reflexus incipiens a re reflexa
in intellectum et ab intellectu iterato terminatur in rem intel-
lectam. Velle autem e contrario est quasi motus circularis aut
reflexus incipiens a voluntate in obiectum et ab obiecto iterum
terminatur in obiectum. Dieser Gegensatz der Richtung wie
die durch ihn vernotwendigte Unterscheidung der beiden Funk-
tionen ist dadurch bedingt, dass der Mensch das Wahre zu-
nächst als etwas in ihm Seiendes, das Gute aber als etwas
ausserhalb seiner Belegenes empfindet. Zwar geht dem Willens-
akt ein Gedanke immer voran, sofern der Wille nur Gedachtes
zum Objekt machen kann, trotzdem hängt das eigentliche
Wollen nicht von jenem begriffenen Objekt, sondern von einer
Selbstbestimmung ab : bonum tamen cognitum nullam impressi-
onem aut motum facit in voluntatem, sed voluntas in ob-
iectum ostensum seipsam movet seipsa (Summ,
art. 45 qu. 2).
Genauer betrachtet ist der Wille ein principium activum,
nicht aber in der Weise eines appetitus sensitivus, vielmehr:
voluntas est rationalis et liberi arbitrii naturalis appetitus
(Quodl. I quaest. 16). Dieser geistige Trieb ist nun von Natur
so beschaffen, dass er, wie die Vernunft nur in dem, was ihr
formal als wahr gilt, ruht, nur auf etwas ihn gut Dünkendes
39*
612 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
abzielt, Dach Augustins AVort: naturale est nobis volle viver(3
bene. Das ist der Wille, rein fornial als Trieblebon ange-
sehen. Nun ist aber dieser Wille, sofern er zu wirklichen
Gütern in Beziehung tritt, schlechthin indeterminiert. Die
Vernunft hält ihm die Möglichkeiten der Entscheidung vor und
empfiehlt eine unter ihnen an. Aber der Wille lässt sich da-
durch nicht bestimmen , sondern behält sich allein die Delibe-
ration vor. Als voluntas arbitrio libera vollzieht der AVille in
schlechthiniger Unabhängigkeit, sowohl von der natürlichen
Neigung zum Guten als von der Beratung seitens der Ver-
nunft, seine Entscheidung und hält an ihr fest. Er wird nicht
bestimmt, sondern bestimmt sich selbst : differt libere sui ipsius
determinationem quo aliquid velit, et si velit libere, eligit contra
rationis determinationem et contra utramque inclinationem (der
Vernunft und der Natur). Nee est aliquo habitu determina-
bilis voluntas in quantum est arbitrio libera, quia hoc est contra
naturam libertatis (Quodl. IV quaest. 22; XIV quaest. 11). Da-
her müsse man unterscheiden zwischen der libertas arbitrandi
in ratione und der libertas eligendi arbitratum in voluntate
(Quodl. I qu. 16). Eine causa voluntatis wird, mit Berufung
auf Augustin, ausdrücklich verworfen. Man kann weder bei
einer guten noch bösen That nach der Ursache fragen, cuius
nulla alia causa est quam ipsa voluntas sibi (ibid.).
Heinrich hat also den Indeterminismus der Willensfreiheit
vertreten. Einen Widerspruch zu dem Gedanken , dass Gott
alle Dinge bewege, hat Heinrich dabei nicht befürchtet. Gott
ist allerdings der generalis motor in qualibet actione omnia
creaturae et hoc in ehciendo ipsum actum . . ., non solum in
dando vim qua actus elicitur. Gott lässt alles sein und werden^
das schliesst aber die Freiheit im Sinn des Nichtbestimmt-
werdens durch die umgebenden Naturgüter oder Vernunftgründe
nicht aus (Quodlib. XIII quaest. 11). — Mit diesem Gedanken
hat Heinrich die Idee des Primates des Willens vor der Ver-
nunft verbunden. Es kann nämlich erwiesen werden, dass die
Seligkeit mit dem Willen erlebt Tverden wird. Die Seligkeit
soll nämlich principaliter im Objekt bestimmter Akte, nicht in
den Akten selbst bestehen. Nun ist es aber Eigenart des
Willens Lust zu empfinden in den eigenen auf bestimmte Ob^
Heinrich über Freiheit und Primat des Willens. 613
jekte gerichteten und in diese eingehenden Akten, während die
Lust des Erkenntnisvermögens an fremden Akten oder Objekten
Befriedigung findet. Deshalb wird also die Seligkeit als engste
Verbindung mit Gott mehr in Willensakten als in Denkakten
bestehen. Das gilt von jeder Vereinigung des Geistes mit
Gütern oder Zwecken. Voluntas unitur fini per dilectionem,
quia ipsa subintrat finem, sese in ipsum quo ad id quod est
quantum possibile est transformando. Et propterea voluntas
perfectius unitur fini et verius quam intellectus,
quanto verius et perfectius est rei uniri secundum seipsam quam
secundum speciem suam (Quodlib. XIII quaest. 2. Summ,
art. 50 quaest. 2). Es ist aber der Wert der Seelenpotenzen
nach den Akten und Habitualitäten, in denen sie sich auswirken,
zu bemessen. Da nun die Liebe mehr ist als die Weisheit, ist
also der Wille höher als die Erkenntnis zu stellen. Sonach
kann der Satz als begründet gelten: voluntas praeeminet in-
tellectui et est altior potentia illo. Der Wille ist primus motor
in regno animae. Heinrich beruft sich für diese Anschauung
ausdrücklich auf Augustin und Anselm (Quodl. I quaest. 14).
Hienach wird aber festgestellt werden dürfen, dass in der
älteren Theologie dieser Zeit, und nicht bloss in der Oxforder
Theologie (oben S. 33), überhaupt der Gedanken vom Willens-
primat vertreten ist, und dass daher die Gelehrten, die diesen
wie eine Erfindung des Duns Scotus behandeln, im Unrecht
sind (vgl. Eichard von Middleton oben S. 17). Die Anregung
dazu — mehr möchte ich nicht sagen — stammte von Augustin,
was man über dem geknechteten Willen seiner Sündentheorie
leicht übersieht.
13. Diese Bemerkungen werden die Geistesart des be-
rühmten Lehrers dem Leser einigermassen veranschaulicht
haben. Auf der einen Seite steht die starke Sehnsucht^) die
ewige Wahrheit Gottes zu erkennen oder die Lehren der Kirche
samt der überkommenen Weltanschauung mit Sicherheit und
Vernunft als die himmlische Offenbarung behaupten zu können,
Spekulation und mystischer Erkenntnisdrang. Auf der anderen
^) Vita enim boni christiani sanctum desiderium est, Quodlib. V
qu. 22.
614 Kap; VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
Seite wird der Gedanke betont, dass der Mensch wollendes
Wesen ist, dass der Wille, die That und die Liebe sein Wesen
ausmachen. Erscheint dort die Anschauung Gottes als das
Ideal, so hier die Liebe und die freie That. Das war Augustins
spekulativer Idealismus und es war ein Rest seiner Willens-
anschauung.
Man hat sich darüber gewundert, dass Heinrich trotz seiner
Willenslehre die Theologie nicht als praktische Wissenschaft
bestimmt hat ^). Allein das ist nicht wunderbar. Im Vorder-
grund seines geistigen Interesses standen doch die spekulative
Theologie und die Dogmen und Institutionen der Kirche. So
hatte er es von Anselm überkommen, so verstand er Plato
und Augustin. Die Willenstheorie war für ihn schliesslich
nicht mehr als ein Stück augustinischer Lehre, nicht ein Aus-
druck seines Lebens und seiner inneren Seelenstimmung, wie
bei Augustin selbst. Zwar soll der letzte Zweck des theo-
logischen Erkennens die Liebe zu Gott und der Genuss des
höchsten Gutes sein. Die Theologie dient aber jenem Zweck
dadurch, dass sie dem Willen den Gedanken des höchsten
Gutes als Strebeziel vorhält. Ihr Inhalt soll daher spekulative
Erkenntnis sein. Mit diesem Gedanken wird aber der spezifisch
christliche Standpunkt verrückt. Gott ist in der Ferne, nar
Gedanken von ihm und ein unsicheres Streben zu ihm haben
wir : qua quidem actione voluntatis in praesenti tendit in deum
ut in quodammodo distans a se, quia amore imperfecto
(Summ. art. 8 quaest. 3).
14. Demgemäss wird auch der Glaube von Heinrich
ganz intellektualistisch gefasst. Der Glaube ist ein einge-
gossener Habitus, quo elicitur actus credendi, d. h. er ist
ein habitus intellectus, der zum assentiri anleitet, indem er den
Intellekt zur Zustimmung zu einem Begriff hinneigt (Quodlib. V
quaest. 21). Gegenstand des Glaubens sind die Glaubensartikel
oder auch die biblischen Schriften als aeternae veritatis ora-
cula. Sie enthalten die absolute Wahrheit. Wo diese sieb
aus dem Wortlaut oder dem sensus historicus nicht ergeben
will, muss man zum sensus mysticus seine Zuflucht nehmen
^) Werner a. a. 0. S. 153.
Heinrich über Theologie und Glauben. 615
(Quodl. III quaest. 18). Dazu kommen die kirchlichen Obser-
vanzen. Dens quod utile nobis est cognoscere revelavit, quod
autem non poteramus ferre siluit (Quodl. V qu. 36). Die
Autorität beider wird einander gleichgesetzt, wofür Heinrich die
klassische Formel bildet : non enim minor est auctoritas
ecclesiae in agibilibus quam Script urae in credi-
bilibus (QuodUb. XV qu. 14). — Für die Glaubensartikel
wird die Möglichkeit eines Beweises — Heinrich wendet sich
dabei gegen Richard v. St. Viktor (de trin. I, 4) — energisch
bestritten. Das Gegenteil der Glaubenssätze erscheint der
Vernunft, die ihre Beobachtungen an den natürlichen Dingen
gesammelt hat, wahrscheinlicher als die Glaubenssätze. Daher
kann nur die Gnade uns den Glauben schenken. Der Glaube
ruht auf Autorität. Aber dieser an sich richtige Gedanke
wird so interpretiert, dass wir zuerst der Autorität glauben,
dann den einzelnen von ihr gelehrten Gedanken, von denen wir
dann zu einem Zusammenhang unter ihnen fortschreiten. C r e -
dere est veritati alicuius complexi propter aucto-
ritatem propositis signis et prodigiis ceterisque
huiusmodi confirmatam voluntarie per intelle-
ctum adhaerere (Quodlib. VIII quaest. 14). Der Glaube
kann daher garnicht rational begründet werden, sondern nur
signis pro argumentis, prodigiis pro experimentis. Nicht soll
nämlich der Vernunft durch Gründe das zu Glaubende nahe-
gebracht werden, sondern der Wille zur Annahme überredet
werden. Et sie credere repugnat omni aperto intellectui veri-
tatis, quia semper debet secum habere annexam obscuritatem,
ne omnino clarescat veritas perspicua. Jedenfalls ist jedes Be-
greifen vor dem Glauben unmöglich; wohl aber kann der be-
reits Gläubige auf diesen Gebieten gradatim zu einer gewissen
Erkenntnis fortschreiten (ibid.). — Das ist der alte Glaubens-
begriff mit massiver Paradoxie verfochten.
Das Christentum besteht aus Glaube und Sakramenteu.
Daher soll die Kirche vor allem Sorge tragen circa ea quae
sunt fidei et sacramentorum. Hier haben Christus und die
Apostel bestimmte Schranken errichtet; man sehe zu, dass die
doctores die clavis scientiae, die rectores die clavis potestatis
nicht misbrauchen (Quodl. V quaest. 36), Häretisch ist jede
616 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotua.
Lehre, die direkt gegen den Glauben und die Sitten streitet;
als erroneum ist der Irrtum zu bezeichnen, wenn er gegen die
annexa des Glaubens geht (Quodl. YII qu. 23) ^).
Es würde in diesem Zusammenhang viel zu weit führen,
wollten wir jetzt die einzelnen theologischen Lehren Heinrichs
darlegen ; zudem sind dieselben mehrfach nach der Wiedergabe
und mit den Widerlegungen des Duns in den vorigen Kapiteln
zur Sprache gekommen. Daher mag es an einigen Bemerkungen
genug sein.
15. Gott wird als denkender und wollender Geist bestimmt.
Hinsichtlich der Frage, ob der Vielheit der von uns Gotte bei-
gelegten Attribute in Gott etwas Eeales entspreche, hat Hein-
rich bejahend geantwortet. Die Attribute haben ihr Funda-
nientum in re, unabhängig von den Relationen Gottes zu den
einzelnen Seiten der Welt. Wie also die trinitarischen Diffe-
renzen in Gott Realitäten sind, so auch die Attribute des Er-
kennens und Wollens , in denen die trinitarischen Differenzen
wurzeln. Dasselbe soll dann von den verschiedenen Eigen-
schaften Gottes gelten, die wir mit der göttlichen Essenz zu
denken genötigt sind (Quodlib. V quaest. 1). — Das Wollen
wird auch in Gott dem Denken vorgeordnet, beide Begriffe
sind aber dem absoluten Sein unterstellt. Trotzdem wird das
Verhältnis Gottes zur Kreatur unter dem Gesichtspunkt der
königlichen Leitung behandelt. Nichts geschieht in der Welt,
es sei denn von Gott ordiniert. Alles geht darauf zurück, dass
es von der interior invisibilis atque intelligibilis aula summi
imperatoris befohlen oder erlaubt wird. Somit stellt die ganze
Welt amplissima quaedam immensaque respublica dar (Quodl.
IV quaest. 19). Gott ist allen Dingen gegenwärtig als ihre
Ursache und ihr Beweger (Quodl. Yll qu. 3) ; und er weiss
alles, da es von ihm gewollt ist (Quodl. VIII qu. 2).
I
^) Auch Heinrich hat der Frage nachgedacht, ob ein Doctor sive
Magister, determinans quaestiones sive exponens scripturas publice (das
sind also seine Aufgaben), die Wahrheit verbergen darf. Er entscheidet,
er dürfe nicht mentiri oder falsum dicere, wohl aber verum ocultare, wenn
die Zuhörer es nicht begreifen könnten. Es ist interessant, dass die Zeit
hierüber viel Sorge empfand, vgl. noch Quodl. XII qu. 16 u. s. Richard
V. Middleton oben S. 32.
Heinrich über Gott, Gnade, Berufung. 617
16. Dementsprechend ist auch die Prädestination lediglich
eine operatio aeterna divinao voluntatis. Sie kommt de occulta
dei voluntate und beruht nicht auf unserem Verdienste. Daher
hat auch die gratia prima keinerlei eigentliche Ursache in uns,
da sie jedem motus liberi arbitrii in uns vorangeht; dagegen
setzt die gratia secunda ein Verdienst unsererseits voraus.
Aber auch für die gratia prima könne in uns eine gewisse
causa congrui angenommen werden , sofern es der göttlichen
liberalitas angemessen (congruum) ist, sich der Ernstgesinnten
anzunehmen (ibid.). Es ist klar, wie diese Betrachtung die
ursprüngliche Anschauung verschiebt und nun doch vor der
Gnade ein Menschenthun ansetzt, das von Gott als angemessene
Vorbereitung gekannt und gelten gelassen wird. Das laxe
Schema der merita congrui beengt auch hier schon die Be-
deutung der Gnade.
Auch Bonaventura liess den Menschen — unter den Ein-
wirkungen einer vorbereitenden allgemeinen gratia gratis data
sich die eigentliche gratia gratum faciens selbst — de congruo —
verdienen (darüber m. Dogmengesch. II, 105 f.). Genau so hat
auch Heinrich gedacht und er hat dabei jene vorlaufende
Gnade in lehrreicher Weise konkret zu machen gewusst. Nach
der potentia absoluta könnte Gott auch eine andere Ordnung
befolgen, aber in Kongruenz zu seinem Wesen gibt er die
Gnade aus Barmherzigkeit. Nun muss hiebei doch auch ge-
wissermassen seine Gerechtigkeit konkurrieren. Dies geschieht
auch, nämlich durch die vocatio. Die Berufung findet statt
sive intrinsecus ubi nullus homo videt, sive extrin-
secus per sermonem sonantem. Man kann diese in-
clinatio der Gnade annehmen oder verwerfen. Wenn jemand
sie annimmt, so wird er disponiert — vermöge der iustitia
congrui — ad gratiam gratificantem. Der Grund der wirk-
lichen gerechtmachenden sakramentalen Gnadenmitteilung oder
aber der Prädestination ist also die vocatio durch das äussere
oder auch innere Wort, resp. die Annahme der vocatio oder
die Bekehrung. Es geht also etwas in dem Sünder vor, wo-
durch er zwar noch nicht gerechtfertigt, aber der Rechtfertigung
würdig wird. So ist dann Gott in seiner Barmherzigkeit auch
gerecht. Nach der ersten admonitio, qua deus omnino prae-
618 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
venit peccatorem, tritt der freie Wille sofort in sein Recht und
wird nun der Grund, ihm weitere gratia gratis data zu gehen.
Wird diese recht gebraucht, so wird das der Grund zur Er-
teilung der gratia gratum faciens. Das ist so Gottes Ordnung,
für die wir ebensowenig eine Erklärung zu geben wissen als
dafür, dass er die verschiedenen Teile der einen Materie mit
verschiedenen Formen versieht (Quodlib. YIII quaest. 5).
Hier haben wir also bei einem Scholastiker eine Lehre
von dem Gnadenmittel des Wortes, wobei ausdrücklich
das innere und äussere Wort koordiniert werden. ^) Aber wie
charakteristisch ist doch diese Wortlehre! Das Wort bringt
Gnade, aber nur eine allgemeine die Seele erweckende und an-
regende Gnade. Darin erschöpft sich die Vocatio. Erst wenn
sich der Mensch dann selbst bekehrt, empfängt er die wirk-
liche rechtfertigende Gnade, und die haftet ausschliesslich an
den Sakramenten. Behält man diese wichtige Betrachtung im
Auge, so versteht man erst, welche Bedeutung die Thatsache
des Bettelmönchtums für die Geschichte des Wortes Gottes
gehabt hat. Dem Bettelmönch Duns Scotus geht, wie wir
sahen, die Bedeutung seines Ordens auf in der Predigt des
^) Für die Geschichte des Begriffes „Wort Gottes" (vgl. aber auch Duns
oben S. 291. 473 ff.) ist diese Stelle von Wichtigkeit, besonders aber auch
für den Begriff des „inneren Wortes". Der Gedanke von einem inwendigen
Reden Gottes ist von dem Mann aufgebracht worden, der zuerst über den
Begriff „Wort Gottes" reflektiert hat, d. h. von Augustin (s. in Johann,
tract. 57, 3; 40, 5; 71, 1; 77, 2; de bapt. V, 11, 24). Dann hat Gregor
der Grosse scharf unterschieden zwischen dem äusserlichen hörbaren und
dem innerlich wirksamen Wort (Moral. XXIX, 24, 49), auf das innere
Reden Gottes hat er die inspiratio oder aspiratio gratiae und die Ein-
flössung der Liebe zurückgeführt (Moral. XXX, 1, 4. 5; XI, 9, 12; XVIII,
40, 63 f.; XXYII, 21, 41; XXII, 9, 20; in Ezech. I hom. 9, 2; 7, 16). An
diesen Gedanken knüpfen Heinrich und Bonaventura an, nur dass ihre
Vorstellung von den Sakramenten sie nötigt, die Wortwirkung zu depo-
tenzieren. Dies ist die erste Wurzel des Gebrauches des inneren Wortes
in der Reformationszeit, auch Luther folgte ihr anfangs. Die zweite Wurzel
ist in der Idee des anerschaffenen göttlichen oder Naturrechtes zu erblicken.
Die dritte aber in den mystischen Gedanken von einer ekstatischen In-
spiration resp. des Geborenwerdens des Logos in uns in den Zuständen
der Ekstase. Es gab eine kirchliche, eine rationalistische und eine mystische
Porm des „inneren Wortes".
Heinrich über das Wort, den Urständ, die Sünde. 619
Wortes, und aus dieser leitet er den Anspruch her seinen
Orden über die ganze Sakramente spendende Hierarchie zu
stellen (oben S. 291. 480)!
17. Die lustitia originalis Adams war quaedam
super naturalis gratia . . . quae naturalem iustitiam
roboravit (Quodl. II quaest. 11). An sich ist die natürliche
Gerechtigkeit, nach Heinrich, genügend als die rectitudo volun-
tatis naturalis; nur damit sie immer bleiben konnte, bedurfte
es einer übernatürlichen Gabe. Diese macht zusammen mit
der natürlichen Gerechtigkeit die iustitia originalis aus : Donum
ipsum una cum rectitudine naturali dicitur originalis iustitia.
An sich aber besteht die ursprüngliche Gerechtigkeit nur in
puris naturalibus. Die Bestimmungen schwanken hier bei den
Scholastikern (Quodl. VI quaest. 11 vgl. Richard oben S. 19
und überhaupt Dogmengesch. II, 97 ff.). Der erste Sünder
verlor erstere und dadurch: in rectitudine naturalis voluntatis
debilitatus est. Hieraus ergab sich der Widerstreit des
Fleisches gegen den Willen. Das infizierte Fleisch wurde
durch die Zeugung fortgepflanzt, durch den Zusammenhang
des Fleisches mit der Seele erhielt diese die pronitas ihm zu
folgen. Daher haben schon die Kinder die culpa peccati, nicht
nur die poena pro reatu culpae, wie Augustin es zeige in den
Büchern contra Donatistas, qui peccatum originale negabant
(so! Quodl. II qu. 11 u. qu. 21). Als Erfolg der Sünde er-
scheint vor allen Dingen, dass die libertas modo per peccatum
debilitata ist, aber dies wird sofort abgeschwächt durch die
Bemerkung: hoc nihil facit ad variationem naturae speciei.
Sodann die deordinatio in der Vernunft, sie folgt aus der
deordinatio voluntatis per pravam concupiscentiam (Quodl. I
qu. 17). Die Freiheit ist also ,, geschwächt", aber der natür-
liche Bestand des Menschen nicht verändert. Das ist die ge-
mein scholastische Lehre. Solange man im Bann der augusti-
nischen Fragestellung stand, Hess sich eine andere Auskunft,
die den psychologischen und ethischen Thatsachen gerecht
wurde, in der That schwer finden. Eine morbida dispositio,
ein languor naturae haftet dem Fleisch aller Erzeugten an, aus
ihr erklärt sich die den Willen schwächende Konkupiscenz und
die Rebellion der niederen Seelentriebe (Quodl. VI quaest. 32).
620 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotua.
Die Sünde erbt sich also durch die Zeugung fort wie eine Art
Lepra. Daher kann nur der frei von Sünde sein, der nicht
aus der Substanz Adams hervorging (Quodlib. I quaest. 21
vgl. dazu Quodl. XV qu. 11). — Das eigentliche Wesen der
Sünde besteht in der aversio a deo, da die conversio zu den
kreatürlichen Gütern an sich und ohne jene nicht Sünde wäre
(Quodlib. I qu. 25).
Eine eigentümliche Wendung erhielt bei Heinrich der
Begriff der Synderesis. Während Alexander diese als den
der Vernunft wie dem Willen immanenten Trieb zum Guten
bestimmte (vgl. auch Bonaventura) und die Späteren, wie
Thomas und Duns, sie ausschliesslich dem Intellekt zuwiesen
(s. Dogmengesch. II, 97 f. Anm.), hat Heinrich die der Vernunft
einwohnende lex naturalis als die universalis regula operan-
dorum ausdrücklich von der Synderesis unterschieden. Diese
hat ihren Sitz im Willen als ein angeborener Antrieb dem
Naturgesetz nachzukommen. Dem gegenüber ist die Conscientia
die aus jenem allgemeinen Trieb sich ergebende, auf das Be-
sondere gerichtete electio deliberativa des Willens. Die Syn-
deresis ward folgendermassen definiert: ex parte voluntatis est
quidam universalis motor Stimulans ad opus secundum regulas
universales legis naturae, et dicitur synderesis quae est in volun-
tate quaedam naturalis electio semper coneordans cum naturali
dictamine. Daher erkläre sich auch der Name, der aus sjrn
und haeresis zusammengesetzt sei und conelectio bedeute
(Quodlib. I quaest. 18). Diesen undeutlichen und mit der
Willensfreiheit schwer auszugleichenden Begriff hat sich Duns
nicht angeeignet, wie war S. 215 gesehen haben.
18. Die Gnade wird als die göttliche Gabe, die uns zur
Erlangung des ewigen Lebens befähigt, verstanden. Es ist eine
Gott gefälüge Qualität des Menschen. Dies ist nun die Liebe ;
Gnade und Liebe sind also sachlich identisch. Nach den psycho-
logischen Voraussetzungen wird als Sitz der Gnade sow^ohl die
Seelenessenz als auch die Bethätigungen der Seele im Willen an-
gesehen. Die Gnade ist Liebe, sofern sie der Seele einwohnt als die
Potenz zu guten Akten, und sie heisst Gnade, sofern sie als
die die einzelnen Handlungen Gott genehm machende Qualität
vorgestellt wird. Noch Alexander wollte die beiden Begriffe
Heinrich über Synderesis, Gnade, Sakramente. 621
von einander unterscheiden, ohne freilich den Unterschied klar
gemacht zu haben (Quodl. IV qu. 10). — Die Liebe wird also
dem Menschen eingegossen. Darin besteht die Rechtfertigung.
Der Gerechtfertigte ist aber befähigt sich Verdienste zu er-
werben. Caritas necessaria fuit, quia sine illa iustificatio non
fit, ut iustificatus possit mereri. Bei der verdienstlichen Hand-
lung wirken die Caritas und das liberum arbitrium zusammen,
doch eignet ersterer vorwiegend der verdienstliche Wert
(Quodlib. V quaest. 22). Auf dem Wege des meritum wird
dann sowohl eine Mehrung der Gnade verdient, als auch durch
das Widerspiel der verdienstlichen That oder die Todsünde
die Liebe in uns zerstört wird. Dabei eignet aber nur der
Todsünde diese Wirkung. Es wird ausdrücklich abgewiesen,
dass durch veniale Sünden die Liebe oder Gnade wenigstens ver-
mindert werde. Nur die actio caritatis werde durch veniale Sünden
gehemmt, indem der debitus fervor der Bethätigung leicht fortfällt.
Das heisst also, die übernatürliche Liebe bleibt intakt in dem
venial Sündigenden, aber der natürliche Mitfaktor oder der freie
Wille erfährt eine gewisse Abstumpfung (Quodlib. V quaest. 23).
19. Die Rechtfertigung wird aber vermittelt durch die
Sakramente. In denselben wirkt sich eine schöpferische
Kraft Gottes aus. Das Schaffen als solches kommt Gott allein
zu. Andrerseits vollzieht es sich hier durch die Sakramente.
Die Sakramente sollen signa gratiae praesentis et causa eins
sein. Mit dieser Formel kehrt sich Heinrich gegen die franzis-
kanisch-augustinische Sakramentstheorie, die verneint, dass die
Sakramente causa gratiae seien. Aber auch die thomistische
Formel der instrumentalen Kausalität der Sakramente wird
nicht acceptiert. Der Sachverhalt ist, nach Heinrich, vielmehr
dieser. Die Sakramente schaffen oder bewirken die Gnade
nicht, sed solum dicuntur esse causa gratiae praesentis, cuius
sunt signa in hoc, quod sunt contentiva eins quod est per se
causa gratiae, inquantum creat eam. Der Gedanke ist also der, dass
Gott in dem Sakrament zu dem besonderen Effekt gegenwärtig
ist Gnade zu schaffen (Quodl. IV quaest. 37). Die Wirkung der
Sakramente wird als vivificare et iustiiicare bestimmt (ibid.)
Mehrfach und eingehend hat Heinrich von der Trans-
substantiation gehandelt. Er hält an der strengen Ver-
622 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotua.
waiullungstheori(3 fest. Subito, per motum prolationis verborum
praecedentem^ indem diese die vis conversativa instrumentaliter
enthalteo, finde die Verwandlung statt (Quodlib. III quaest. 7).
Und zwar: materia paiiis convertitur in materiam corporis
Christi et forma in formam. Somit bleiben weder die Materie
noch die Form des Brotes das, was sie waren; aber sie sollen
andrerseits auch nicht aufhören zu sein. Mit Wilhelm meint
Heinrich: Nihil de pane remanet, sed transit in id quod prius
erat, in quo non annihilatur (Quodl. IX qu. 10). Die Annihi-
lation soll vermieden w^erden, aber es ist nicht leicht zu sagen,
wie Heinrich es meint, dass das Brot doch nicht vergehe, sondern
etwas werde, indem es in eine aliquitas verwandelt wird. Das
könne aber nicht die Gottheit Christi sein, da Endliches nicht
in Unendliches verwandelt werden könne (Quodl. XI qu. 4).
Die Resultatlosigkeit dieser Erörterungen hat Duns richtig er-
kannt, vgl. oben S. 384 f.
20. Auch dem Busssakrament sind einige Quästionen
gewidmet. Die sakramentale Absolution verwandelt die den
Todsünden gebührende ewige Strafe in zeitliche Strafe und
relaxiert auch letztere in etw^as. Nun soll die Pflicht zur zeit-
lichen Strafe, nach der bekannten Lehre, durch die Satisfaktion
abgetragen werden. Statt der eigentlichen luitio der aufer-
legten Strafe kann aber die redemptio durch Almosen ein-
treten (unter Berufung auf Daniel 10 : peccata tua eleemosynis
redime), oder endlich die indulgentia (Quodl. XV quaest.
14). Die Satisfaktion kann nun aber in verschiedener Weise
von dem Priester verhängt werden. Die Satisfactio wird nämlich
auferlegt (iniungitur) sacramentaliter solum, aut s i m u 1
et sacramentaliter et indulgentialiter und zwar
letzteres ab eo qui potest conferre indulgentias. In ersterer
Hinsicht, d. h. wenn bloss bestimmte Werke als satisfaktorische
Leistung auferlegt werden, wird die Satisfaktion nur wirksam,
wenn die Werke geleistet w^erden secundum determinatam quan-
titatem. Tritt nun aber im anderen Fall die Indulgenz hinzu,
so ist es leicht totam ponam debitam relaxare. Wenn nun
der Papst festsetzt, dass jemand der die poenas taxatas richtig
erledigt, sit liber ab omni poena peccatis illis debita, vere liber
est. Aber zu dieser völhgen Freiheit von der Sündenstrafe,
Heinrich über Transsubstantiation, Ablass, Kirclienrecht. 623
die mit Sicherheit auch auf das Purgatorium erstreckt werden
darf, kaDD der Sünder eben nur durch den Ablass kommen:
non ex hoc wird er frei, quod opus huiusmodi sacramentale est,
sed solum ex hoc, quod est indulgentiale. Die Frage, von der
die ganze Erörterung ausging, war die, ob jemand durch die
Satisfaktion sich als vom Purgatorium befreit ansehen darf.
Diese Frage wird nun bloss für den Fall bejaht, dass der Be-
treffende zugleich mit der Auferlegung der satisfaktorischen
Strafen Ablass empfing. Diese Auffassung ist deshalb so
interessant, weil sie zeigt, wie die ganze Satisfaktion in Heinrichs
Zeit schon durch den Ablass abgelöst wird. Den eigentlichen
Zweck, den jemand bei Übernahme satisfaktorischer Werke
intendiert, den erreicht er nur vermöge des Ablasses (Quodlib.
VIII quaest. 19). — Im Übrigen schärft Heinrich ein, dass
der Ablass aus dem thesaurus spiritualis ecclesiae hervorgehe,
dass sein Zweck honor dei et profectus ecclesiae sei ; entrüstet
wendet er sich gegen diejenigen^ welche die Giltigkeit des
Ablasses nicht von dem Wortlaut des Ablassschreibens, sondern
dem Verdienst der Empfänger abhängig machen, wodurch der
ganze Ablass nur zu einer pia fraus würde (Quodlib. XV
quaest. 14).
Man kann schon aus diesen Bemerkungen, wenn man sie
mit den scotistischen Gedanken über den Ablass vergleicht,
abnehmen, wieviel innerlich positiver die Stellung Heinrichs zu
den kirchlichen Institutionen ist. Dies bestätigt sich an seinen
Darstellungen der Hechte der Prälaten sowie des Papstes, des
sponsus universalis ecclesiae (s. Quodlib. IX quaest. 22), be-
sonders aber auch an den oft wiederkehrenden Besprechungen
des grossen Zeitproblems nach der Abgrenzung der Befugnisse
der Mendikanten dem Pfarrklerus gegenüber. Jene sind nur
coadiutores, den Pfarrern steht das pinguius ins zu ; sie brauchen
die Mendikanten ebensowenig, als Martha die Maria brauchte
(Quodlib. VII qu. 21). Ebenso wird die These bekämpft,
dass das Leben vom Bettel den übrigen Erwerbsformen über-
legen sei (Quodlib. XIV quaest. 17, IV quaest. 26 u. s. w.^)
1) Für die innere Greschichte der Kämpfe wider die Mendikanten
sind die Quodlibata Heinrichs eine ergiebige Quelle. — Sehr wichtig ist
624 Kap. YII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
21. Das Interesse, das uns bei der Darstellung Heinrichs
leitete, war dies, dass wir einen Repräsentanten der älteren
Theologie des 13. Jahrhunderts kennen lernen wollten. Es
ist ein Theologe, mit dem sich Duns beständig auseinander-
nuch das ethische Material, das in dem grossen Werk zur Sprache
kommt und dessen Verarbeitung für die Geschichte der Ethik wie auch für
die Kulturgeschichte von Bedeutung wäre. Nur beispielsweise mache ich
auf einiges aufmerksam. Über Zinsen, Kauf und Handel s. Quodlib. I
quaest. 39. 40. 42. III qu. 28. II qu. 15. Lex divina lex naturae est 11
qu. 16 (das positive Recht muss mit dem Naturrecht stimmen II qu. 15),
Über die Restitution VI qu. 24 — 28. Über den Kommunismus IV qu, 20.
Über die Todesstrafe gegen Diebe (H. verteidigt sie) XI qu. 18. Über das
Duell V qu. 31, die Zauberei V qu. 33, die Ehe V qu. 40. 41. Über
Martha und Maria XII qu. 28. — Pastoraltheologische Fragen, z.B.
über die Möglichkeit plura beneficia ecclesiastica zugleich innezuhaben
resp. die Verpflichtung zum residere s. II qu. 17 ; zur Frage, ob viri eccle-
siastici mehr als nötig von den Kirchengütern ausgeben dürfen, s. II qu. 19.
Über Fragen des Beichtrechtes VII qu, 25 — 27; ob der Pfarrer eine
parochiana, mit der er sich versündigt hat, selbst absolvieren dürfe IX
qu. 24; Mönch und Pfarrer VII qu. 21; ob der Prediger an einem Ort,
der wohl Arbeit, aber keinen Unterhalt bietet, vorübergehen darf? VII
qu. 19; ob die kirchlichen Lehrer sich daraus ein Grewissen machen sollen,
wenn sie nichts zur Bekehrung der Ungläubigen thun? Nein, sofern die
Verhältnisse es verbieten XIV qu. 12. Dass man in einem liber interdictus
überhaupt nichts lesen darf XII qu. 19. — Weiter sei die entwickelte
ethische Kasuistik erwähnt: Ein Mord, der in sinnloser Trunkenheit
ausgeführt wird, ist an sich keine Sünde, s. III qu. 26. Ob eine Frau
ihrem toten Mann, wenn er auferstehen sollte, wieder verbunden wäre
III qu. 27. Ob ein Täufling, der zwei Köpfe hat, auch zwei Namen er-
halten müsse VI qu. 16 u. 17. Ob jemand, der würdig ist licentiari in
theologia, es aber unterlässt, dafür eine Aureole erhält? II qu. 12. Hin-
sichtlich der Juden: ob die Pfarrer von den Juden sich die auf den
Häusern derselben etwa ruhenden Abgaben auszahlen lassen sollen XIII
qu. 16; ob ein Jude, der die Hostie zersticht und durch das etwa aus
dieser hervorquellende Blut bekehrt wird, noch nachträglich bestraft
werden soll XIV qu. 15. — Im übrigen geht aus Heinrichs Angaben
hervor, dass die behandelten Fragen ihm von der Fakultät vorgelegt
und wirklich diskutiert worden sind, z. B. I qu. 39 init. : contra primum
arguebatur, oder: ut dixit opponens II qu. 15, eine frühere Antwort hat
einigen misfallen, daher wird eine neue Frage gestellt II qu. 15. Daselbst
sagt Heinrich in quadam alia quaestione anni praecedentis. S. noch IV
qu. 14; V qu. 1; VI qu. 1, 14. 22; VII qu. 1. 12. 22; VHI qu. 1; X qu. 1
(überall zu Beginn der betr. Quästion) u. s.
Duns und Heinrich. Thoraas v. Aquino. 625
setzt. Wenn man den redseligen Mann aber zum „Vorläufer^*
des Duns Scotus hat avancieren lassen wolleü, so war das doch
zu viel gesagt. Es fehlt allerdings nicht an Beispielen, wo der
gemeinsame Gegensatz und die gemeinsame Grundrichtung
Duns zum Schüler Heinrichs machten; wie man das von ein-
zelnen Lehren behaupten kann, so vor allem von der Methode.
Das spekulative Element und der altmodisch werdende Realis-
mus waren bei Heinrich verbunden mit dem Versuch die speku-
lativen Probleme in dialektischer Fragestellung zu erfassen und
zu bearbeiten. Man könnte sagen, Plato sollte hier seine Ideen
in aristotelischer Dialektik entwickeln und begründen. Diese
Methode hat fraglos auf Duns Scotus Einfluss ausgeübt. Wie
man den spekulativen Realismus beibehalten und doch den
ganzen Aristoteles und seine Dialektik virtuos gebrauchen
kann — das hat Duns von Heinrich gelernt. Aber im übrigen
hat er sachlich wie methodisch in unzähligen Fällen Heinrich
bekämpft. Der schwebende fromme platonische Realismus
Heinrichs genügte einem so strengen und klaren Geist, wie
Duns, ebensowenig, als die unmethodischen breiten dialektischen
Beweise Heinrichs in einigen Wendungen als unstichhaltig zu
erweisen ihm stets ein besonderes Vergnügen bereitet hat. So
wird man vielleicht die Bedeutung Heinrichs für Duns dahin
zusammenfassen können, dass er von ihm im allgemeinen und be-
sonderen die Anregung empfing die alte Theologie mit den neuen
Mitteln zu begründen, eine Anregung, die nicht minder positiv
war durch das Ziel, das Heinrich sich gesetzt, als negativ durch
die ungenügende Art, mit der er es zu erreichen versuchte.
22. Neben Heinrich war es vor allem Thomas von
Aquino, an dem sich Duns Anschauungen orientiert haben.
Wir müssen daher, wenn auch nur mit einigen Bemerkungen
auf den Standpunkt seines grossen Rivalen eingehen, ohne dass
uns die rein historischen Fragen nach dem Verhältnis der
thomistischen Lehre zu der seines Lehrers Albert hier auf-
halten dürfen. Die Bedeutung von Thomas besteht zunächst
darin, dass er die aristotelische Philosophie, so wie er sie
verstand, in vollem Umfang in das christliche Lehrsystem ein-
geführt hat. Nicht nur das Naturbild, sondern auch die Meta-
physik, die Erkenntnistheorie, die Psychologie, ja selbst die
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 40
626 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung- des Duns Scotus.
Ethik wurden einfach von Aristoteles herübergenommen. Die8
würde aber an sich nicht den Unterschied deutlich machen^
denn diese Abhängigkeit von Aristoteles wurde damals in der
Wissenschaft allgemein. Das war' das Entscheidende, dass
Thomas die aristotelische Wissenschaft und die Offenbarung
unter einem Dach zusammenbringen wollte. Sie sollten sich zu
einander verhalten wie Grundlegung und Vollendung der Er-
kenntnis. Die natürliche Philosophie läuft aus in ein System
der offenbarten Religionsphilosophie.
Die Offenbarung ergänzt die philosophische Erkenntnis
durch eine Anzahl von Wahrheiten, die der Vernunft sonst
unerreichbar geblieben wären (z. B. die Trinität oder Christo-
logie), oder aber nur langsam und schwer erreicht worden
wären, wie etwa die Einheit Gottes (Thomas contra gentiles I,
3 ff. Summ, theol. I quaest. 1 art. 1). Durch die Theologie
oder das religiöse Erkennen wird somit zuhöchst der Intellekt
befriedigt und dadurch das Glück des Menschen bewirkt. In
nullo alio quaerenda est ultima felicitas quam in operatione
intellectus, cum nullum desiderium tam in sublime feratur, sicut
desiderium intelligendae veritatis (c. gentil. III, 50, 4). Diese
Erkenntnis Gottes ist der Zweck, auf den hin der Geist ge-
schaffen ist und in dessen Erreichung er darum ausruht (ib.
III, 25 ff.). Demgemäss wird dann die Theologie, im Gegen-
satz zu Albert, als spekulatives Wissen bezeichnet. Zwar
könne die Theologie nicht umhin auch von menschlichen
Handlungen zu reden, aber diese seien nur Mittel, durch die
der Mensch zur Erkenntnis Gottes geführt werde : principalius
agit (die Theologie) de rebus divinis quam de actibus humanis,
de quibus agit secundum quod per eos ordinatur homo ad
perfectam dei cognitionem , in qua aeterna beatitudo consistit
(Summa I quaest. 1 art. 4).
Die spezifisch theologische Erkenntnis wird von der Offen-
barung dargeboten, da der Intellekt von Natur nicht fähig ist
sie zu erfassen. Die Offenbarung ist in der heil. Schrift ent-
halten. Gott ist der eigentliche Verfasser der Schrift (ib. I
quaest. 1 art. 10), indem er die Propheten erleuchtete, quod
lumen propheticum insit animae prophetae per modum cuius-
dam passionis vel impressionis transeuntis (ib. II. II quaest. 171
Thomas über Philosophie und Offenbarung. 627
art. 2). Das göttliche Licht flösst also der Seele des Propheten
eine besondere Belehrung ein, die er dann seinerseits in Worte
kleidet. Prophetia est quaedam cognitio intcllectui prophetae
impressa ex revelatione divina per modum cuiusdam doctrinae
(ib. art. 6). Um dieser ihrer Herkunft willen ist die Schrift
bindende Autorität (ib. I quaest. 1 art. 8). Wenn Thomas
lehrt, dass die Schriftlehre in den altkirchlichen Symbolen zu-
sammengefasst und geordnet sei, so ist das nur gemeinscho-
lastische Lehre. Für uns ist hier nur dies von Interesse, dass
er die ganze Offenbarung nur als eine wegen der Schwäche
des Menschen erfolgte Ergänzung der philosophischen Welt-
anschauung ansieht. Der Gottesgedanke ist es, der samt einer
Reihe von Mitteln, die zum Genuss Gottes anleiten, den Inhalt
der Offenbarung ausmacht (II. II quaest. 1 art. 1).
Nun greift aber diese Erkenntnis Gottes über das natür-
liche Vermögen unseres Geistes hinaus. Es bedarf also dessen^
dass die natürliche an das Gebiet der sinnlichen Wahrnehmung
gebundene Erkenntnis erweitert werde. Die natürliche Er-
kenntnis reicht nämlich nicht hinaus über die aus dem Kausal-
zusammenhang der Welt gewonnene Erkenntnis, dass Gott die
erste Ursache ist (ib. art. 12). Diese Erkenntnis wird ver-
tieft durch die infusio luminis gratuiti. Oder genauer geredet,
durch letztere wird das geistige Vermögen des Menschen er-
höht, während ausserdem noch auf das Gebiet der Phantasie
und selbst der sinnlichen Wahrnehmungen Einwirkungen statt-
finden können. Eigentlich stellt diese Erkenntnis also nur eine
Steigerung der natürlichen Erkenntnis dar. Dicendum quod,
licet per revelationem gratiae in hac vita non cognoscamus de
deo quid est, et sie ei quasi ignoto coniungamur: tamen
plenius ipsum cognoscimus in quantum plures et excellentiores
effectus eius nobis demonstrantur et in quantum ei aliqua
attribuimus ex revelatione divina, ad quae ratio
naturalis non pertingit, utdeum esse trinum et
unum (I quaest. 12 art. 13).
23. Diese sonderliche christliche Erkenntnis ist der Glaube.
Der Intellekt kommt zum Urteil entweder durch die unmittel-
bare Einwirkung eines Objekts oder durch den Druck des
Willens, der ihn zur Zustimmung nötigt. Also etwa so, dass
40*
628 Kap. VII: Die g-eschichtliche Stellung des Duns Scotus.
der Wille durch die Bilder des ewigen Lebens erregt wird und
die Vernunft zur Zustimmung bewegt. Aber dies Urteil läuft
der Psychologie des Thomas — dem Primat des Intellekts —
zuwider und muss daher motiviert werden. Das geschieht nun
dadurch, dass für den Intellekt ein habitus fidei divinitus in-
fusus angenommen wdrd, w^elcher den Intellekt befähigt jenem
Wunsch des Willens nachzukommen (s. Quaestio disputata de
fide art. 1. 4). Der Glaube ist also ein Erkennen, ^) das aller-
dings von praktischen Motiven abhängig gedacht wird, aber
immerhin seine Vollendung in der überirdischen Erkenntnis
Gottes findet (ib. art. 2. 10; c. gentil. III, 25, 8; 26; 50. 6;
IV, 42, 1). Der Intellektualismus verlangt diesen Zielpunkt,
mag auch andererseits der Glaube seine Formation durch die
Liebe erhalten. ^) Gott bis zu einem gewissen Grade erkennen,
ist hier unseres Lebens Inhalt, die Steigerung dieser Erkenntnis
das Ideal für das Jenseits.
Die Erkenntnis Gottes, die wir auf dem Wege des Glaubens
erlangen, ist übervernünftig, aber keinesw^egs widerveruünftig
(de fide art. 10). Die Theologie hat nun die Aufgabe, die
Möglichkeit dieser Erkenntnis zu erweisen. Das soll nicht be-
deuten, dass sie zwingende Vernunftbeweise für die Offenbarung
führt — wie man im Zeitalter Anselms und Abälards ver-
langte — , sondern nur, dass sie aus der Philosophie die theo-
logischen Sätze erläutert und ihre Gegner widerlegt (Summ.
IL II quaest. 1 art. 5; c. gentil. I, 9). Weiterreichende Be-
weise sind deshalb nicht möglich, weil die übervernünftigen
Glaubenssätze direkt von Gott herrühren, also nicht unter
unsere Vernunftprinzipien gebeugt werden dürfen (Summ. I
quaest. 1 art. 5. 8).
24. Zur Erläuterung dieser Gedanken haben wir noch
zweier philosophischen Ansichten des Thomas zu gedenken.
■^) Vgl. II. I quaest, 15 art. 1 ad 3, wo der Assensus dem Intellekt,
der Consensus dem Willen beigelegt wird; um ersteren handelt es sich
bekanntlich bei dem Glauben.
^) Man wird sich dies so vorstellen müssen, dass jener egoistische
zum Glauben drängende Willenstrieb jetzt in Liebe zu Gott verwandelt
wurde, und so die Liebe mit zur Erzeugung des rechten Glaubens wirk-
sam wird.
Thomas über Erkenntnis und Wille. 629
Die erste betrifft das Verhältnis des Willens zur Erkenntnis.
Wie sich uns schon gelegentlich zeigte, folgt er auch auf diesem
Gebiet durchaus der aristotelischen Auffassung. Der Intellekt
ist es, der das eigentliche Wesen aller höheren geistig organi-
sierten Naturen bildet. Der Wille erscheint ihm nur als eine
besondere Art des natürlichen Begehrens, wie etwa auch das
Irascibile und Concupiscibile. Erst der Intellekt drückt dem
Willen seinen geistigen Charakter auf. Voluntas secundum id
quod est appetitus, non est proprium intellectualis naturae, sed
solum secundum id quod ab intellectu depeudet (c. gentil. III,
26, 1). Als intellectivus appetitus gehört der Wille dem
höheren Teil der Seele an. Durch diesen Zusammenhang ist
auch die Freiheit des Willens bedingt. Nach griechischer
Weise ist Thomas der Meinung, dass die Vernunft der eigent-
liche Sitz der Freiheit sei. Liberum arbitrium dicimus
id quod est huius actus principium, scilicet quod
homo libere iudicat (Summ. I quaest. 83 art. 2). Hierin
sollen aber zwei Seelenvermögen sich treffen, nämlich die
cognitiva und die appetitiva. Davon heisst es : ex parte quidem
cognitivae requiritur consilium per quod diiudicatur quid sit
alteri praeferendum ; ex parte autem appetitivae requiritur quod
appetendo acceptetur quod per consilium diiudicatur. Trotzdem
meint Thomas schliesslich, dass die electio, d. h. das Wesen
des liberum arbitrium, eigentlich eine appetitiva potentia sei,
weil es sich bei ihr um die Beziehung auf ein Ziel oder Gut
handelt, das mit dem Willen erstrebt wird (ib. quaest. 83
art. 3). Daher wird dann auch die Frage, ob das liberum
arbitrium eine vom Willen verschiedene Kraft sei, verneint.
Denn das eligere ist ein appetere aliquid propter alterum con-
sequendum. Dadurch rückt es aber in die Eeihe der Willens-
funktionen, oder noch genauer gesagt: das liberum arbitrium
oder die vis electiva verhält sich so zur voluntas, wie die ratio
zum Intellekt (ib. art. 4).
Demnach ist das liberum arbitrium das geistige Wahl-
vermögen. Seine Freiheit wird dadurch erwiesen, dass sonst
alle Ermahnungen umsonst wären (ib. quaest. 83 art. 1). Der
Gedanke eines selbständigen geistigen Wollens fehlt Thomas
eigenthch. Das, an was er denkt, ist schliesslich nur das Ver-
t)30 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
mögen der praktischen Vernunft eine freie Entscheidung zu
treffen. Mit dieser ist die Nachfolge des Willens von selbst
gegeben. Ausdrücklich beruft er sich hiefür auf Aristoteles
(ib. art. 3). Im Urteil besteht die Willensfreiheit und die
geistige Art des Willens. — Hiebei erscheint es dann als sehr
verständlich^ dass Thomas die Streitfrage seiner Zeit, ob der
Wille dem Intellekt oder der Intellekt dem Willen übergeordnet
sei, zu gunsten letzterer Möglichkeit entscheidet. Denn das
Höchste, das Einfache und Absolute ist das direkte Objekt der
Erkenntnis, während es nur mittelbar Objekt des Willens wird.
Obiectum enim intellectus est simplicius et magis absolutum
quam obiectum voluntatis, nam obiectum intellectus est ipsa
ratio boni appetibilis; bonum autem appetibile, cuius ratio est
in intellectu, est obiectum voluntatis. Quanto autem aliquid
est simplicius et abstractius, tanto secundum se est nobilius et
altius. Et ideo obiectum intellectus est altius quam obiectum
voluntatis. Cum ergo propria ratio potentiae sit secundum
ordinem ad obiectum, sequitur, quod secundum se et simpliciter
intellectus sit altior et nobilior voluntate. Diese Betrachtung
ruht auf dem aristotelischen Satz, dass der Intellekt sein
Objekt (wahr und falsch) in sich trägt, während es der Wille
(gut und böse) in den Dingen hat. Daraus zieht nun Thomas
eine Folgerung. Wenn das Ding, das das Gute ausmacht,
edler als die Seele ist, in der der Begriff jenes Dinges ist, so
würde in Beziehung zu einem solchen Ding der Wille höher
als die Erkenntnis sein. Wenn aber jenes Ding, an dem das
Gut haftet, unter der Seele steht, dann würde das Erkennen
höher als der Wille in dieser besonderen Beziehung sein. ^)
Unde melior est amor dei quam cognitio, e contrario autem
melior est cognitio rerum corporaHum quam amor. Dadurch
wird aber das absolute Verhältnis der Erhabenheit des Denkens
über das Wollen nicht aufgehoben.
Das Denken ruht also in sich, das Wollen tendiert nach
aussen. Ist das Objekt der Seele kommensurabel, so ist die
Erkenntnisthätigkeit ihm gegenüber die höhere; ist das Objekt
^) Man vergleiche hier die ähnliche, aber doch ganz verschiedenartige
Betrachtung Heinrichs oben S. 612 f.
Der Intellektualismus des Thomas. 631
dagegen über die Seele erhaben, so wird sie dasselbe näher
durch einen Willensakt als in dem inadäquaten Erkenutnisbild
ergreifen. Diese Beobachtung ist begreiflich , wiewohl man
ihre Richtigkeit im Kahmen der thomistischen Psychologie be-
zweifeln kann. Ist nämlich nur Erkanntes Objekt des WoUens,
so ist schwer verständlich, inwiefern dann der Wille über das
Erkennbare hinaus ein Objekt finden soll. Aber es ist auch
weiter nicht wohl einzusehen, wie man dieser Regel gegenüber
den Satz aufrecht erhalten will, dass die Theologie resp. das
religiöse Erkennen wesentlich spekulative Gotteserkenntnis sein
soll. Sodann aber hat Thomas die Seligkeit in intellektiven
Akten sich vollziehen lassen. Jedes Ding strebt seinem Ziel zu und
findet Ruhe nur in ihm. Wie der Intellekt der superior motor
im Inneren des Menschen ist, so ist auch das inteUigere sein
höchstes Ziel (c. gentil. III, 25, 7). Ultima autem homi-
nis Salus est, ut secundum intellectivam partem
perficiatur contemplati one virtutis primae. So
wird mit Berufung auf Aristoteles gelehrt (ib. IV, 42, 1 ; III,
44, 4; cf. Summ. I quaest. 1 art. 4; II. I quaest. 2 — 5. II. II
quaest. 175 art. 3; quaest. 180 art. 5). Man mag nun die
Differenz der Erkenntnis der Seligen von der der viatores
noch so hoch schätzen, ^) so wird man doch über den Wider-
spruch, der zwischen diesen Gedanken und obiger Bemerkung
besteht, nicht hinausgelangen.
Es kann sich hier nicht um die Künste der Harmonistik
handeln, wie sie etwa an die Bemerkung des Thomas ange-
knüpft werden könnte, dass doch auch die jenseitige intellektive
Anschauung Gottes einer gewissen Kompletion durch den
Willen erhalte, quia per voluntatem homo quodammodo quiescit
in eo quod intellectus apprehendit (c. gentil. III, 116, 1). Das
alles sind nur Ergänzungen, die der augustinisch-kirchlichen
Idee zuliebe, dass die Liebe zu Gott das Höchste sei, ange-
bracht werden. ^) Die Grundanschauung ist klar. Wie der
Glaube der Anfang der Erkenntnis Gottes ist, so wird er seine
^) S. z. B. Summ, suppl. quaest. 92 art. 1: die Seligen werden Gott
so erkennen, dass er selbst die Form (wie der Gegenstand) ihrer Er-
kenntnis sein wird.
^) Ebenso wie der Gedanke, dass die Liebe den Glauben informiere.
632 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
Vollendung durch die Seligkeit in der intellektiven Kontem-
plation Gottes finden. Mit vollem Recht sagt Werner von dieser
Idee des Thomas : „seine Auffassung des seligen Seins ist
eigentlich nur die ins Christliche umgesetzte aristo-
telische Ansicht von der Glückseligkeit der kon-
templativen Müsse". ^)
Für die uns hier beschäftigende Absicht ist diese Er-
kenntnis von grösster Bedeutung. Sie lehrt uns nämlich die
Grundidee der thomistischen Prinzipienlehre erfassen. Nicht
um eine psychologische Sonderraeinung handelt es sich, sondern
darum, dass Thomas ganz in die griechische Weltanschauung
und Seelenstellung zurückgefallen ist. Er ist nicht ungestraft
bei Aristoteles in die Schule gegangen und er ist hinter
Augustins Grunderkenntnis zurückgegangen. Das ist die Auf-
gabe der christlichen Wissenschaft, dass man das Weltbild des
Aristoteles acceptiert und darüber dann den Himmel der christ-
lichen Offenbarung spannt. Erkennende Betrachtung ist dem
einen wie dem anderen gegenüber die rechte Stellung und diese
Erkenntnis soll sich steigern zu der seligen Kontemplation im
Jenseits. Die Eigenart der christlichen Weltanschauung ist
aufgelöst, und die Offenbarung muss verkümmern in der Zwangs-
ehe, die zwischen ihr und Aristoteles hergestellt ist. Dies
wäre einstweilen das Resultat. Es gibt christliche Elemente
bei Thomas — auf eins sind wir schon gestossen — , die dem
widersprechen ; wir können erst später von ihnen reden.
24. Das war der eine Punkt, dessen Betrachtung wir oben
S. 628 in Aussicht nahmen. Zum anderen handelt es sich um
die Erkenntnislehre, besonders um die Frage nach den Uni-
versalien. Haureau hat sich bemüht, Thomas — im Zusammen-
hang mit Aristoteles — wesentlich als Nominalisten darzu-
stellen. ^) Allein der gelehrte Kenner der scholastischen Philo-
sophie ist hier — ich lasse Aristoteles aus dem Spiel — wie
auch in anderen Teilen seiner Darstellung wohl dem Fehler
verfallen, zu rasch zu finden was er suchte. Dass derartige
^) Werner in Denkschriften der Wiener Akademie Bd. 28 (1878),
S. 136.
^) Histoire de la philosophie scolastique II 1, 338—462.
Thomas' Erkenntnistheorie, 633
Elemente bei Thomas wie bei Albert wirklich vorkommen, ist
freilich evident. Thomas geht mit dem aristotelischen Empi-
rismus: nihil est in intellectu quod non fuerit in sensu (z. B.
Summ. I quaest. 85 art. 3. 7); von hier aus erscheint dann
das Universale als ein Produkt unseres Geistes, der das com-
mune in dem Wechsel der Erscheinungen ergreift und fixiert.
So betrachtet ist objektiv das Einzelne und Sinnliche, während
nur subjektive intellektuelle Existenz dem Gemeinbegriff zu-
kommt, mit dem wir jenes Sinnliche bezeichnen. Ipsa igitur
natura, cui accidit vel intelligi vel abstrahi, vel intentio univer-
salitatis non est nisi in singularibus ; sed hoc ipsum quod
est intelligi vel abstrahi vel intentio universali-
tatis est in intellectu. Daher heisst es im Beispiel:
humanitas, quae intelHgitur, non est nisi in hoc vel in illo
homine ; sed quod humanitas apprehendatur sine individualibus
condicionibus, quod est ipsam abstrahi, ad quod sequitur intentio
universalitatis, accidit humanitati secundum quod percipitur ab
intellectu, in quo est similitudo naturae speciei et non indi-
vidualium principiorum (Summ. I quaest. 85 art. 2 ad 2). Nur
scheinbar widerspricht es dieser Auffassung, dass nach Thomas
eine direkte Erkenntnis überhaupt nur bezüglich des Universale
oder des Begriffes existiert. Alles Erkennen vollzieht sich
nämlich durch die Thätigkeit des intellectus agens, d. h. ab-
strahendo speciem intelligibilem ab huiusmodi materia. Das
Erkennen hat es also direkt nur mit den allgemeinen Begriffs-
bildern zu thun. Nur indirekt per quandam reflexionem, d. h.
indem der Geist zurückschaut zu den Vorstellungen und Ein-
drücken (phantasmata) , aus denen ihm jene Begriffsbilder
wurden, vermag er Erkenntnis von dem einzelnen Ding als
solchem zu gewinnen (Summ. I quaest. 86 art. 1). Das läuft
dem Nominalismus nicht zuwider, sofern jene Art universaler
Begriffsbildung ja doch nicht die objektive Existenz der Uni-
versalien beweist.
Also ist die nominalistische Auffassung bei Thomas aller-
dings klar bezeugt. Es kann daher nicht wunder nehmen, dass
Thomas nicht selten diese Gedankenbildung zur Polemik wider
die platonische Ideenlehre und zum bewussten Bekenntnis zu
Aristoteles steigert. Aristoteles habe Becht mit seiner Be-
Ö34 -Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotua.
kämpfung Piatos; es sei eine opinio irrationabilis, dass die
species rerum naturalium separatao per se subsistentes existieren,
sodass also das Pferd an sich oder der Mensch an sich eine
Realität wären (ib. I quaest. 6 art. 4). — Soweit scheint alles
klar zu sein, aber Prantl wird doch Eecht behalten, wenn er
sagt: „schnell wendet sich das Blatt (wie bei Albertj, und
Thomas ist trotz aller dieser peripatetischen Plagiate, deren
Tragweite er natürlich gar nicht versteht, nichts weniger als
ein Aristoteliker^^ ^) Dies tritt gerade in den für seine Theo-
logie wichtigeren Gedankenwendungen hervor.
Die vorgetragenen Gedanken entstammen nämlich der rein
empirischen Erkenntnislehre. Anders nimmt sich die Frage
unter dem Gesichtspunkt der Metaphysik aus. Da unsere
Erkenntnis ihren Ausgang an sinnlichen Eindrücken hat, so
ist die Erkenntnis des einzelnen Dinges früher als die des
Universale, das durch eine Abstraktion des Intellekts gewirkt
wird (Summ. I quaest. 85 art. 3). Nun kann aber auch die
allgemeine Natur, die in den Einzeldingen offenbar wird, als
formales Prinzip derselben angesehen werden, Thomas denkt
dabei an die aristotelischen Formen, denen er eine objektive
Wirksamkeit beilegt. Si autem consideremus ipsam naturam
generis et speciei, prout est in singularibus, sie quodammodo
habet rationem principii formalis respectu singularium; nam
singulare est propter materiam, ratio autem speciei sumitur ex
forma (ib. art. 3 ad 4). Diese Formen, die also in den Ge-
meiübegriffen zum Ausdruck gelangen, sind nun allerdings
nicht wie die platonischen Ideen als in der Sonderexistenz eines
Dinges an sich begriffen anzusehen, wohl aber existieren sie als
Realitäten im göttlichen Geist. Wie etwa die Idee des Kunst-
werkes vor seiner Ausführung in unserem Geist besteht, und
diese bedingt, so similiter per rationes aeternas deus producit
creaturas (de veritate quaest. 8 art. 9). Der göttliche Geist
ist sonach der Ort der Ideen. Ideen sind die Formen der
Dinge, die ausser diesen selbst sind. Sie können als exemplar
wie als principium cognitionis ihres Dinges gedacht werden.
In diesem wie in jenem Sinn sind sie in Gott anzunehmen.
1) Prantl, Gesch. der Logik III, S. 112.
Thomas über die Universalien. 635
Also werden, sofern Gott Schöpfer der Welt ist, in seinem
Geist wirksame Formen angenommen werden als die Urbilder,
denen gemäss alles in der Welt verwirklicht wird (Summ. I
quaest. 15 art. 1). So präexistiert im göttlichen Geist die idea
ordinis universi wie die Schlachtordnung im Geist des Führers.
Aber ebenso auch die Idee oder Form aller einzehien Arten.
Und zwar schaut Gott alle diese Formen in seiner Essenz, sofern
diese für die Kreaturen das Urbild darstellt. Sic igitur in
quantum deus cognoscit suam essentiam ut sie imitabilem in
tali creatura, cognoscit eam ut propriam rationem et ideam
huius creaturae et similiter de aliis. Et sie patet, quod deus
intelligit plures rationes proprias plurium rerum quae sunt plures
ideae (ib. art. 2).
Sonach ist die Meinung des Thomas klar. Die Univer-
salien oder die Ideen der Dinge präexistieren freilich und sind
der Grund der Existenz der einzelnen Dinge. Insofern hatte
Plato Recht (c. gentil. III, 24). Nur sollen diese Ideen oder
wirksamen Formen des göttlichen Denkens in Gottes Geist
präexistieren , nicht aber ist es , wie Plato wollte , quod
ponebat ideas per se existentes, non in intellectu (seil, dei, ib.
art. 1). — Damit haben wir aber bei Thomas die üblich ge-
wordenen Gedanken von dem Universale post rem, wie ante
rem nachgewiesen. ^)
Indem nun die religiöse Betrachtungsweise naturgemass
die zuletzt vorgetragenen Gedanken bevorzugte, so erwuchs
auch aus der thomistischen Erkenntnislehre jene hellenisie-
rende Stimmung, nach der der Christ am Glauben die an-
fangende Erkenntnis des Weltsystems hat und in den kontem-
plativen Zuständen im Diesseits wie Jenseits die Seligkeit erlebt.
25. So scheint Gott wieder in die Ferne gerückt zu sein,
und die Mannigfaltigkeit guter Werke, die dem Christen geboten
werden, ersetzt nicht das Erlebnis von dem wirksamen Gott.
Allein Thomas hat den Begriff von Gott in einer Weise aus-
geführt, welche geeignet war, den Bann seiner fremdartigen
Seelenstellung zu beschränken. Die aristotelischen Ideen von
Gott als dem absolut wirksamen letzten Zweck und der ersten
^) Die dritte Formel in re ergibt sich nun von selbst.
636 Kap. VI: Aus der Ethik des Duns Scotus.
Ursache, Anselms Anregungen und ein christliches Empfinden
haben in diesem Gottesbogriff zusammengewirkt. So ergab
sich, dass Gott der absolut geistige, denkende und wollende
erste Beweger der Welt und dass er absoluter actus purus sei,
absque alicuius potentialitatis permixtione. Da dieser schlechthin
aktive Gott sich selbst als letzten Zweck will, aber auch die
Welt setzt, ist es klar, dass er die Welt als Mittel zu diesem
Zweck will. Dann wird auch sein Verhältnis zur Welt genau
dem Verhältnis zu jenem Zweck analog sein. Oder: wie Gott
sich selbst liebt, so liebt er die Welt. In hoc vero, quod
aliquis amat alium, vult bonum illi et sie utitur eo tanquam
se ipso referens bonum ad illum sicut ad se ipsum (Summ. I
quaest. 20 art. 1 ad 3, s. die ganze Erörterung ib. quaest. 19
und 20). Alles was ist und wird, ist sonach Wirkung des
göttlichen Willens und Offenbarung seiner Liebe. In diesem
Zusammenhang ist nun die praktische Gottesempfindung des
Thomas zu suchen. Die Liebeskraft der schlechthinigen Ur-
sächlichkeit ist als der gerechte gubernator der Welt gedacht.
Ordo universi, qui apparet tam in rebus naturalibus quam
in rebus voluntariis, demonstrat dei iustitiam. Und zwar ist
Gott also gerecht, indem er sich selbst Norm ist (deus autem
sibi ipsi est lex, I quaest. 21 art. 1). Da aber die Gerechtigkeit
in allen Handlungen Gottes mit der Barmherzigkeit verbunden
ist, so wird der Weltregent überall eine gütige Gerechtigkeit
walten lassen: deus ex abundantia suae bonitatis largius dis-
pensat quam exigat proportio rei (ib. art. 4).
Es ist der christliche Gottesgedanke, der durch diese
Formeln einen wenn auch nur unvollkommenen Ausdruck
findet. Dieser Gedanke leitet nun auch die Erwägungen des
Thomas über die Providenz und Prädestination. In dem Geist
Gottes präexistiert die ratio ordinis rerum in finem. Praecipere
de ordinandis in finem quorum rectam rationem habet competit
deo secundum illud psaltis regii: praeceptum posuit et non
paeteribit (ib. quaest. 22 art. 1). Dies besteht aber darin:
causalitas dei qui est primum agens se extendit usque ad omnia
entia, non solum quantum ad principia speciei sed etiam quantum
ad individualia principia. Wie nun Gott durch die Providenz
direkt den Lauf aller Dinge ordnet, so lässt er sich diese
Thomas über Gott und die Prädestination. 637
Ordnung durch ein System von Mitteln realisieren, was als
gubernatio bezeichnet wird (1. c. art. 3 u. I quaest. 103 art. 6).
Dabei hat die Providenz aber angeordnet, dass einiges infalli-
biliter et necessario, anderes contingenter geschehe (ib. art. 4).
Die Prädestination ist, unmittelbar betrachtet, die providentielle
Verordnung bestimmter Menschen zur Seligkeit; diese Verord-
nung verwirklicht sich aber auf dem Wege der gubernatio,
etwa in der Berufung. Est autem executio praedestinationis
vocatio et magnificatio cf. Rom. 8, 30 (ib. quaest. 23 art. 2).
In diesem Sinn können dann auch verdienstHche Handlungen
zur Verwirklichung der Prädestination dienen, indem sie in ihr
beschlossen sind, keinesfalls aber sie begründen. Ihr Grund
ist lediglich im Willen Gottes gegeben. Unde et id quod est
per liberum arbitrium est ex praedestinatione (ib. art. 5 und 8).
Das Böse komme vermöge der göttlichen permissio zu stände.
Doch dürfe die reprobatio nicht auf die blosse Präscienz zu-
rückgeführt werden, denn sie ist voluntas permittendi aliquem
cadere in culpam et inferendi damnationis poenam pro culpa;
aber nicht eine positive causa, sondern eine derelictio Gottes
sei anzunehmen (ib. art. 3).
Thomas hat behauptet, dass Prädestination und Freiheit
einander nicht ausschlössen. Es soll nämlich die Providenz
sich nicht nur in notwendigem, sondern auch kontingentem
Geschehen auswirken, letzteres secundum condiciones causarum
proximarum. ^) Sic igitur et praedestinationis ordo est certus
et tamen libertas arbitrii non tollitur, ex qua contingenter pro-
venit praedestinationis effectus (ib. art. 6). Dasselbe Resultat
ergibt sich auch vom Standort der Präscienz aus. Indem Gott
eine ewige Anschauung von allem Geschehen als von einem
Gegenwärtigen in sich trägt, geschieht alles, wie er es erkennt;
aber er kennt in diesem Geschehen auch freie Entwicklungs-
reihen (I quaest. 14 art. 13). Gottes Wille ist Ursache auch
der kontingenten Handlungen, aber eben als kontingenter, wäre
^) Vgl. I quaest. 103 art. 7 ad 3: dicendum, quod dicuntur aUqui
effectus contingentes per comparationem ad proximas causas quae in suis
effectibus deficere possunt; non propter hoc, quod aliquid fieri possit extra
totum ordinem gubernationis, quia hoc ipsum quod aliquid contingit praeter
ordinem causae proximae est ex aliqua causa subiecta gubernationi divinae.
638 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
doch sonst das meritum oder demeritum ausgeschlossen (I qu. 105
art. 4 ad 3).
26. Dass die bekannten Schwierigkeiten durch diese Ge-
danken nicht gehoben sind, ist einleuchtend. Aber ein anderes
interessiert uns im Augenblick. Wir wollten die Eigenart des
thomistischen Gottesgedankens erforschen. Dass Gott die schlecht-
hinige Ursächlichkeit oder dann der absolute Herr ist, haben
war gesehen. Aber die Frage ist nun weiter, ob Thomas dieser
Gedanken derart Herr gewesen ist, dass sie den Glauben im
Sinne der christlichen Religion ermöghchten ? Diese Frage ist
zu verneinen. In der grossartigen Einteilung der theologischen
Summe (von Gott — zu Gott — durch Christus) ist zwar
Christus als via nobis tendendi in deum bezeichnet und dem-
gemäss ist in der Erlösungslehre die Offenbarung Gottes in
Christo kräftig betont worden. Aber diese Gedanken werden
unwirksam gemacht durch die sonstigen Elemente der thomi-
stischen Theologie. Erstens tritt der Gedanke der Gegenwart
Gottes regelmässig in der abstrakten und unkräftigen Form
der ersten Ursache auf. Dadurch aber wird für das religiöse
Bewusstsein Gott immer wieder in die metaphysische Ferne der
Kontemplation gerückt. Zweitens wird der Begriff der Gnade
nach Möglichkeit des persönlichen geistigen Elementes ent-
kleidet. Für die persönliche wirksame Liebesmacht Gottes
gewinnt man quiddam supernaturale in homine a deo proveniens
(Summ. II. I quaest. 110 art. 1), d. h. die in der Seele neu
erschaffenen qualitates supernaturales (ib. art. 2 — 4). Auch
diese Auffassung verkürzt das geistige Verhältnis zu Gott und
die durch naturhafte Seelensteigerungen gewonnene Kontem-
plation lässt erst recht die Empfindung von der Ferne der ab-
soluten Substanz Gottes von unserem Herzen zurück. Drittens
hat Thomas der Sakramentslehre eine Form gegeben, die sie in
der nämlichen Richtung wirksam werden Hess. Die Gnade
wird zwar von Gott erschaffen, aber durch die Rezitation der
Einsetzungsworte geht diese geistige Kraft in die äusseren
Zeichen ein, denen sie so lange einwohnt, bis die Kraft ihr
Ziel d. h. die Seele erreicht hat. Gott ist also die Prinzipal-
ursache, die Sakramente sind aber die Instrumentalursachen
der geschaffenen spiritualis virtus (Summ. III quaest. 62 art.
Das praktische Gottesbewusstsein nach Thomas. 639
1 u. 4). Auch diese Lehre ist nicht dazu angethan einen
geistigen Verkehr der Seele mit Gott zu befördern. Da nun
aber für die thomistische Anschauung die Wirkungen Gottes
auf den Sünder sich schlechtweg konzentrieren in den Sakra-
menten, muss es einleuchten, wie schwer durch diese Ideen von
der Gnade und den Sakramenten die wirklich christliche Gottes-
erkenntnis gehemmt wurde. Indem die Autorität des persön-
lichen Gottes hinter seineu Schöpferthaten verschwindet, ge-
winnt die Seele zwar die Antriebe zur Betrachtung dieses
Systems von Thaten, nicht aber zum Glauben als der persön-
lichen Hinnahme des sich offenbarenden Gottes. Auch Augustin
hat die angeführten Gedanken gehabt und sie mit seinem Gottes-
gedanken verbunden. Formell that Thomas nichts anderes,
aber während bei Augustin der Gedanke der göttlichen Provi-
denz eine machtvolle Realität war, hatte der Aristoteliker
Thomas an ihm schliesslich nur eine Formel mehr, um das
kirchliche „System" auszubauen. Die Problemstellung, die
seiner Dogmatik zu gründe liegt, hat seine Gedanken immer
wieder beschränken und knicken müssen.
27. Aber noch eine Frage müssen wir dem System des
Thomas stellen, es ist die Frage nach dem ethischen Ideal oder
nach der Liebe. Es sind drei Gesichtspunkte, von denen her
die Antwort auf diese Frage zu suchen ist, nämlich das Ver-
hältnis der Kirche zu dem einzelnen Christen, die Lebensge-
rechtigkeit des Sünders und die aristotelische Tugendlehre.
Die menschlichen Handlungen, sagt Thomas einmal, sind
verdienstlich oder misverdienstlich je nach ihrer Beziehung zu
Gott als dem höchsten Zweck: ratione quidem ipsius (dei), in
quantum est ultimus hominis finis ; est autera debitum, ut ad
finem ultimum omnes actus referantur . . . Unde quifacit actum
malum non referibilem in deum, non servat honorem dei qui
ultimo fini debetur (II. I quaest. 21 art. 4). Hiemit wäre also
das ethische Ideal als der Dienst für Gott gekennzeichnet. Es
ist aber die Frage, in welchem Sinne und Umfang dieser
schöne Grundsatz befolgt wird. Nun ist aber das Reich Gottes
identisch mit der amtlich organisierten römischen Kirche. Diese
aber ist eine congregatio politica, in der die rectores die Ge-
setze geben oder auslegen; die subditi sie aber zu befolgen
640 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
haben. ^) Somit wird im Sinn des Thomas der Dienst am
Reiche Gottes sich erschöpfen in der Befolgung der kirchlichen
Gebote. Ist dies aber die Meinung, so wird dieselbe Verengung
des ethischen Horizontes — trotz jenes Satzes — auch für
Thomas anzunehmen sein, die überhaupt die mittelalterliche
Ethik kennzeichnet. Dazu kommt noch, dass Thomas als
höchstes Ziel doch nicht jene Willensbethätigung fassen will,
sondern vielmehr die Erkenntnis Gottes als die höchste Glück-
seligkeit (II. I quaest. 2 art. 8 ; quaest. 3 art. 4 — 8).
Zum anderen wenden wir uns der konkreten Beurteilung
der Sittlichkeit des Sünders zu. Die Sünde besteht nach
Thomas formaliter in dem Mangel der iustitia originalis,
materialiter aber in der concupiscentia als einer Verwundung
der Natur, dem languor naturae (11. I quaest. 82 art. 1 u. 3 ;
quaest. 85 art. 3). — Aus diesem Zustand kann der Mensch
nur befreit werden durch eine Wirkung der ersten Ursache.
Necesse est, quod ad ultimum finem convertatur homo per
motionem primi moventis (ib. quaest. 109 art. 6). Gott selbst
ist es, der als die erste Ursache den freien Willen zu sich hin-
bewegt (ibid.). Gemäss dem Doppelcharakter der Sünde wird
die Justifikation des Sünders sowohl die Gerechtmachung durch
die eingegossene Gnade als die durch dieselbe bedingte Sünden-
vergebung in sich fasssen (s. ib. quaest. 113). Ersterer Be-
griff ist auch für Thomas fraglos der massgebende (vgl. oben
S. 328 f. Anm.). Sofern nun aber in diesem Zusammenhang
das Verhältnis von Gott und Mensch in das Gebiet des un-
persönlichen zu versinken droht, wird auch von Thomas der
Verdienstgedanke als Gegengewicht verwertet. Der Wille wirkt
mit der Gnade zusammen, so werden die von der Gnade an-
geregten Handlungen verdienstlich. Es gilt als congruum, dass
Gott operanti secundum suam virtutem Lohn gebe (11. 1 quaest.
114 art. 3. 2. 8. 9). Damit wird aber das sittliche Leben in
die kleinen Verhältnisse der offiziellen guten AVerke hinab-
gezogen.
Wir kommen zu demselben Resultat bei Erwägung des
aristotelischen Elementes in der Ethik des Thomas. Fast die
^) S. Genaueres hierüber Dog-menoresch. II, 127 ff.
Thomas über die Weltstellung des Christen. 641
ganze aristotelischen Ethik ist von Thomas in dem 2. Teil der
Summa (de motu rationalis cieaturae in deum) hineingezogen
worden. Er bleibt seiner Methode auch hier treu. Im Unter-
schied zu Augustin wird nicht etwa der Versuch gemacht in
der Liebe den Ansatz zu den hellenischen Tugenden nachzu-
weisen, sondern, wie Luthardt richtig sagt, „das Christliche ist
nur wie ein höheres Stockwerk^ welches auf die aristotelische
Grundlage, und zwar ziemlich unvermittelt, aufgebaut er-
scheint".^) Nimmt man nun die Überordnung der dianoetischen
über die ethischen Tugenden hinzu, sowie die Definition der
Tugend als ein in medio esse (II. I quaest. 64 art. 2) und die
Höherstellung des kontemplativen Lebens über das aktive (IL
II quaest. 179 — 182), so ist es klar, wie auch hier der ganze
Gedankenbau seine Richtung von den aristotelischen Ecksteinen
in seinem Fundament erhält.
28. Wir dürfen aber nicht weiter in die Details der tho-
mistischen Theologie eingehen. Für unseren Zweck genügt die
Prüfung der Prinzipien und der Methode. Man nennt Thomas
gern „den grössten aller Scholastiker'^ Man kann diesem Ur-
teil — auch wenn man die Anwendung solcher rein formalen
Kategorien nicht eben für geistreich hält — in einer bestimmten
Beziehung beipflichten. Was die planmässige Erschöpfung des
ganzen Stoffes, die geschmackvolle und sachentsprechende An-
ordnung, die Gabe das Viele unter einige einfache Gesichts-
punkte zusammenzufassen und die Gewandtheit in der Hand-
habung der Dialektik anlangt, hat Thomas allerdings unter den
mir bekannten Scholastikern nicht seinesgleichen. Aber es
fehlt auch nicht an dem Schatten neben dem Licht dieser Vor-
züge. Ein Systematiker in der Weise Anselms oder auch des
Duns Scotus ist er nicht gewesen. Er vermag nicht den ganzen
überkommenen Gedankenstoff flüssig zu machen, um ihn nach
bestimmten leitenden Ideen in einen neuen Guss zu bringen.
Er führt dazu immer zu viel fertige Massen mit sich, die not-
dürftig zugestutzt an einem Platz des Systems untergebracht
werden müssen. Einmal sind es die aristotelischen Ideen, die
etwa in der Ethik doch nur recht äusserlich an die christlichen
1) Luthardt, Geschichte der christl. Ethik II, 296.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 41
642 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
Gedanken angestickt werden. Sodann aber ist es die formu-
lierte Kirchenlehre, der Thomas innerlich viel unfreier als
Duns — trotz des Positivismus — gegenübersteht. Duns
ist bemüht die kirchliche Lehre geistig zu durchdringen, sie
innerlich zu erfassen und frei zu reproduzieren, mag schliesslich
immerhin die Formel als solche das ultimum refugium sein.
Thomas ist es genug daran, die kirchliche Formel wiederzu-
geben und sie durch äussere dialektische Mittel als konsequent
und vernunftgemäss zu erweisen. Duns stellt sich zu dem über-
lieferten Stoff immer kritisch, weil ihm eine Gesamtanschauung
vor der Seele steht; Thomas ist immer bereit alles Überlieferte
als solches zu acceptieren, weil es ihm nur darauf ankommt
alle Dogmen auf den ganzen Aristoteles zu setzen. Beiden
lag ein Fertiges vor, aber der eine wusste in dem „Gegebenen"
etwas zu suchen, der andere war zufrieden es gefunden zu
haben. Der eine rang um eine Weltanschauung, der andere
erwies eine überkommene Weltanschauung.
Man würde das Gesagte missverstehen, dächte man sich
schon im Ausseren der Darstellung diese Differenz klar ausge-
drückt. Zunächst scheint der entgegengesetzte Eindruck der
berechtigte zu sein. Thomas stellt Definitionen her, die sich
wie eine höhere Einheit zwischen Aristoteles und dem Dogma
ausnehmen ; Duns ist rastlos beschäftigt die alten Beweise
zu kritisieren und neue Beweise zu erfinden, während die
Formel der römischen Kirche ausserhalb der Diskussion steht.
Und doch wird unsere Charakteristik im Recht bleiben. Hinter
den glatten Definitionen und der gewandten Dialektik des
Thomas steckt schliesslich nur der äusserüche Autoritätsglaube,
der Aristoteles und das Dogma miteinander verbindet. Bei
Duns sind aber alle Bemühungen um Beweise nur Ausdruck
des Kampfes um ein eigenes sicheres Verständnis der
Offenbarung, wobei der Positivismus der Formel schliesslich
nur die Anerkennung einer positiven Offenbarung Gottes in
der Kirche bedeutet. Wenn die Hierarchen für das Unter-
nehmen des Thomas seit den Zeiten der grossen Umwälzung
im 16. Jahrhundert immer mehr Sympathie besessen haben,
so hat sie ein richtiger Instinkt geleitet. Auf die Dauer war
Anselm doch gefährlicher als Ab älard, die Spekulation als die
Thomas, Heinrich und Duns Scotus. 643
Dialektik. Und letztlich schritt Thomas auf den Bahnen
Abälards fort wie schon der Lombarde , während Duns die
Pfade Anselms ging. Es war freilich ein Neues zwischenein-
gekommen, das die Arbeit der Nachfolger von der der An-
fänger unterschied. Das war Aristoteles ; seine Gedanken sind
eine Macht für Duns nicht minder als für Thomas, und doch
in anderer Weise.
Sieht man von den Traditionen der Oxforder Schule ab
(vgl. oben S. 33), so sind Heinrich und Thomas die beiden
Theologen, die am meisten auf Duns Scotus eingewirkt haben.
Heinrichs Realismus befestigte ihn in der Richtung seines
Denkens, seine Methode regte ihn zur Kritik und neuen Be-
weisen an. Von Thomas dialektischer Methode und seiner
aristotelischen Gelehrsamkeit hat er viel gelernt, aber die
Orientierung seiner Gedanken hat auf ihn wesentlich nur negativ
gewirkt. Jener halb bewiesenen und halb geglaubten Lehre
stellte er einerseits die nackte positive Kirchenwahrheit und
andererseits die fides intellectum quaerens entgegen. Worin
der eine von den beiden Männern ihn abstiess, zog ihn dey
andere an und umgekehrt. Material regte Heinrich ihn an und
stiess ihn formal ab; formal lernte er von Thomas, um ihn
material zu bekämpfen. So haben beide Theologen — der
Vertreter der alten wie der modernen Theologie der damaligen
Zeit — auf Duns Scotus gewirkt. Darum aber stellt seine eigene
Theologie ein Neues dar. Es ist der Versuch die alte augusti-
nisch-anselmische spekulative Erfahrungstheologie mit aller Ge-
lehrsamkeit der neuen Zeit zu verbinden und mit allen neu
erlernten Mitteln der Logik und Dialektik zu beweisen. Die
alte Theologie sollte auf die Höhe der neuen Zeit erhoben
werden. Aber zu dem Zw^eck sollte sie neu durchdacht, neu
gedeutet werden, und sie sollte doch die alte Theologie bleiben.
Aber war das ein mögliches Unternehmen? Freie Spekulation
und die gegebene Lehre, kühner Kritizismus und strenger
Positivismus der kirchHchen Formel, der naive Piatonismus
und die strenge Methode des Aristoteles, der Voluntarismus
Augustins und der Intellektualismus der Hellenen — Hess sich
das vereinigen ? Die Antwort darauf kann nur gefunden werden,
indem wir die Grundideen des Duns zusammenhängend zu
41*
644 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung- des Duns Scotus.
erfassen versuchen. Das soll im folgenden Abschnitt ge-
schehen.
3. Rückblick auf die Grundideen des Duns Scotus.
1. Duns Scotus hat uns kein System der Theologie hinter-
lassen, und von seinen Sentenzenkommentaren kann nicht ge-
rühmt werden, dass sie alle Glieder eines Systems in einiger-
massen ebenmässiger Ausführung darbieten. Allein man hat
sicher kein Recht diesen Mangel, wie oft geschieht, aus der
Geistesart und der Tendenz des Duns zu erklären. Es ist der
Tod gewesen, der ihn von einer zusammenhängenden Dar-
stellung seiner theologischen Gedanken abhielt. Die Hoffnung
aus seinen Schriften trotzdem ein System herstellen zu können,
ist vergeblich. Wenn man seine Gedanken auf die Fäden des
Thomas aufreihen wollte, so würde man seine Gedankenver-
bindung damit natürlich nicht treffen , sondern das Ergebnis
des Unternehmens wäre etwa eine scotistische Anthologie zur
Dogmatik.
Trotzdem kann man den Eindruck einer zusammenhängen-
den theologischen Anschauung aus den Schriften des Duns mit
zunehmender Stärke erwerben. Bestimmte Ideen kehren immer
wieder und organisieren den Gedankenstoff. Wer hierauf Acht
hat, wird den Antrieb empfinden, diese Grundidee aufzudecken
und ihre Bedeutung für die Gesamtansicht des Duns zu er-
weisen. Erst wenn dieser Versuch gemacht wurde, wird es
möglich sein, die Bedeutung des Duns Scotus für die Dogmen-
geschichte auf eine knappe Formel zu bringen. Zugleich aber
wird hiedurch dem Bedürfnis des Lesers Rechnung getragen
werden, die mannigfaltigen und verstreuten Einzelheiten dieses
Buches in kurzer Ausführung zusammengefasst zu bekommen.
2. Ehe wir die Grundgedanken feststellen, wollen wir uns
in Kürze der Voraussetzungen der scotistischen Theologie er-
innern. Duns operiert mit den Begriffen des Aristoteles, nicht
anders als seine Zeitgenossen. Aber er ist trotzdem mit Bewusst-
sein Realist. Für das Subjekt realisieren sich die üuiversalien
in den Vernunftbildern. So lehrt er mit Thomas. Aber er
geht über Thomas hinaus, indem er mit aller Deutlichkeit die
Duns' Realismus und Empirismus. 645
objektive Existenz der Universalien behauptet, dabei sich
geradezu auf Platö berufend (oben S. 70). Indes er kommt
deshalb doch nicht mit Heinrich oder der älteren Theologie
völlig übereiu. Die Differenz beruht in dem Empirismus seiner
Methode. Hier zeigt er sich als Schüler der Oxforder Kichtung.
Nicht wird die Erkenntnis der Ideen irgendwie von Gott —
durch eine Inspiration oder dergl. — hergeleitet, sondern Duns
gewinnt sie aus der Beobachtung des Denkens. Der sinnhche
Eindruck erwirkt in unserem Denken die Ideen, sowie die
mancherlei Komplexiouen derselben. Nach dem Gesetz der
Kausalität muss also ein Objektives in den Dingen — nicht
etwa nur in Gottes Geist — angenommen werden, das die
Ideen und ihre Verknüpfungen hervorruft. Nicht minder aber
muss ein Objektives in den Dingen sein, das ihre Erfassung
als Individua bewirkt (haecceitas). Duns hat nicht, wie Thomas
oder Heinrich (oben S. 607, 633), das einzelne Ding als solches
erst durch eine Keflexion vom Begriff auf das Phantasma erfasst
werden lassen , sondern wie er in dem Einzelding die Voll-
endung der Schöpfung sah, so sollte der Geist eine direkte
Erkenntnis des Einzeldinges gewinnen. Den Begriffen des
Geistes entspricht also eine objektive Realität in den Dingen ;
das gilt ebenso von den Universalien als den Singularien. Der
Beweis dafür besteht also darin, dass die einheitliche Seele
aus den objektiven Eindrücken mit derselben Notwendigkeit
Phantasmen wie Begriffe schöpft. Die Realität des not-
wendigen Denkvorganges verbürgt die objektive Realität des
Gedachten.
Mit grosser Energie wird von Duns betont, dass alle Ge-
wissheit an der sinnlichen Erfahrung vom Ding haftet. Aber
mit dieser Erfahrung ist das Denken notwendig gegeben. Es
teilt also mit ihr die Gewissheit. Der Gedanke von der Ein-
heit der Seele (oben S. 81) — wieder im Gegensatz zu Thomas
— kommt, wie ersichtlich, Duns hier zu Hilfe. — Wir brauchen
auf das Einzelne der scotistischen Erkenntnislehre hier nicht
wieder einzugehen. Seine geschichtliche Stellung — Heinrich
wie Thomas gegenüber — ist nach den gemachten Beobach-
tungen klar. Von beiden unterscheidet er sich durch seinen
Empirismus oder dadurch, dass er ausgeht von der Beobachtung
646 Kap. VII : Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
des Denkens. Nicht mit den in Gott seienden Ideen will er
anfangen ; sondern mit den durch die Vorgänge der Sensation
und Intellektion gegebenen Begriffen. Wenn die Dinge im
Denken Begriffe wirken , so ist in den Dingen die Kausalität
für die Begriffe. Das Individuelle wie das Universale ist gleicher-
massen objektiv real. Durch Duns Scotus ist der Realismus
dem Boden der unklaren religiösen Empfindungen entnommen,
und hat eine streng wissenschaftliche Begründung empfangen.
Darin besteht die Bedeutung des Duns Scotus auf dem in
Frage stehenden Gebiet. Der Realismus wurde dem Aristote-
lismus gegenüber eine ebenbürtige wissenschaftliche Grösse.
Es war freilich nicht mehr der alte naive Realismus mit seinen
Empfindungen und seinen an den Himmel projizierten Ahnungen
und Wünschen. Was man an jenem in der Kirche hochge-
schätzt hatte, die Möglichkeit über die strenge Wirklichkeit
und die Logik hinaus eine Welt ewiger und überirdischer
Ideale zu besitzen, das was durch den scotistischen Realismus —
genau genommen — noch schärfer und deutlicher abgeschnitten
als durch den thomistischen Aristotelismus.
3. Und doch schien sich ein Weg zu finden, auf dem der
merkwürdige Mann der Theologie alles wieder zurückgab, was
seine Wissenschaft ihr hatte absprechen müssen. Für Thomas
war die Theologie nur ein himmlischer Zusatz zur Philosophie.
Und auch Heinrich und den Alteren gingen die Religion und
die Philosophie ineinander über. Duns Scotus hat den Grund-
satz von der Selbständigkeit der Theologie oder des religiösen
Erkennens zum ersten Mal klar ausgesprochen. Man lässt sich
diesen unermesslichen Fortschritt, den die Theologie durch
Duns Scotus macht, nur zu leicht verdunkeln und einschränken
durch die gigantischen Bruchstücke von Metaphysik, die er
in seine Theologie hineingearbeitet hat. Und doch, im letzten
Grunde, ist dies nur eine zeitgeschichtliche und vergängliche
Form, die das Prinzip nicht berührt. Im Prinzip ist Duns
darüber völlig klar, dass die Philosophie die rein natürliche
Deutung des Weltzusammenhanges im Sinn der Metaphysik
und Naturwissenschaft zur Aufgabe hat. Davon ist das reli-
giöse Erkennen auf das genaueste nach seinem Gegenstand zu
unterscheiden, und demgemäss ist auch die Aufgabe der Theo-
Theologie, Religion und Metaphysik bei Duns. 647
logie eine spezifisch andere als die der Philosophie. Das Wesen
der Natur und des Geistes erforscht die Philosophie und sie
bedient sich dabei der Kausalmethode. Um das Finden an sich
seiender und sich immer schlechthin gleicher Gesetze handelt
es sich ihr dabei, die dem Geist immanenten Prinzipien der
Logik und des Naturrechtes sind die ihr zustehenden Massstäbe.
Ganz anders steht es mit der Theologie. Sie hat es mit
der Religion zu thun, die Religion aber ist ein geschichtlicher
Thatbestand. In ihr handelt es sich um kontingente und be-
sondere Thaten Gottes. Gott hat sich offenbart, in der Schrift
liegt diese Offenbarung vor. Es ist ein genau beschränktes
positives Gebiet, mit dem die Theologie zu schaffen hat. Auf
das strengste genommen kennt die Theologie daher keine
andere Aufgabe als Schriftauslegung (s. oben S. 124). Aber
die Offenbarung hat eine Fortsetzung gefunden in der Kirche.
Neben die Schrift rückt das positive Recht der Kirche. In
diesem wie in jener wird Gott offenbar als der Leiter und
Regent der Christenheit. Dies sein Regiment zweckt ab auf
seinen Selbstzweck, die Menschen sollen diesen kennen lernen
und in Thaten realisieren helfen. Nicht um die kausale Er-
kenntnismethode handelt es sich hier, sondern um die Methode
der Finalität. Gott ist Wille, und er hat offenbart, was seines
Willens letzter Zweck ist und durch welche Mittel diesem ge-
dient wird. Das zu erkennen ist die Aufgabe des religiösen
Menschen bezw. der Theologie. Nicht an der theoretischen
Vernunft hat sie ihren Spielraum, sondern an der praktischen
Vernunft; nicht um Gewinnung metaphysischer Erkenntnis,
sondern einer Wiilensstellung handelt es sich ihr ; nicht imma-
nente Vernunftprinzipien, sondern die Offenbarung des positiven
Willens Gottes ist für sie massgebend; nicht den Ursachen
forscht sie nach, sondern den Zwecken; nicht mit dem „Wort"
sondern mit der „That" — könnte man sagen — hat sie zu-
höchst zu schaffen.
Man muss an die immer wiederkehrenden Äusserungen
des kirchlichen Positivismus bei Duns denken, man muss sich
der kühnen am Zweck der Kirche orientierten Kritik in der
Schrift „de perfectione statuum" erinnern, um die Tragweite
dieser Gedanken zu verstehen. Es handelt sich wirklich um
648 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
nichts anderes in der Theologie, als darum, dass man Gottes
That und Willen verstehen lernt, um das Wollen und das
Thun zu erlernen. Der Glaube ist ein wunderbares Erkennen.
Nicht eigentlich ist er eine eingegossene Qualität, er ist die
Richtung, die Gott unserem Geist ein für allemal zu sich hin
gibt (s. oben S. 133). Dadurch dass Gott uns zu sich selbst
hinzieht, uns auf sich weist, vermögen wir ihn zu erkennen.
Aber nicht die Erkenntnis als solche, nicht die selige Schauung
ist das Ziel des Glaubens, sondern die Unterwerfung unter den
erkannten Gotteswillen, der Willensentschluss an ihm zu bleiben
in Ewigkeit. Um jeden Rest von selbständiger Bedeutung ist
der Glaube hier gebracht; es ist völlig klar, dass und wie er
nur Vorbereitung und Mittel für die Liebe ist. Das war die
Auffassung des Mittelalters, aber immer wieder spielte in der
Theorie neben der Komparierung Glaube — Liebe die andere
Glaube — Schauen eine Rolle, und sie umfasste die Ewigkeit.
Duns hat diesen zweiten Komparativ überwunden, er hat einen
Trieb der mittelalterlichen Frömmigkeit dadurch klar heraus-
gestellt. Es mag sein, dass er dadurch vom Evangelium noch
einen Schritt w^eiter abgerückt ist, als seine Zeitgenossen.
Wir kommen später darauf zu reden. Nicht ganz selten in
der Geschichte werden grosse geistige Fortschritte durch Ein-
seitigkeiten und Rückschritte erkauft.
Das Wesen der Religion und des religiösen Erkennens
wäre hiemit erkannt. Wer die Geschichte der Zeit kennt und
im Stande ist über den Details und ihren Widersprüchen den
Faden des geschichtlichen Werdens im Auge zu behalten, der
wird kaum leugnen können, dass in den dargelegten Gedanken
der grösste Fortschritt zu erblicken ist, den die Theologie in
der Zeit zwischen Augustin und Luther erlebt hat, und dass
dieser Fortschritt dem Duns Scotus zugleich seine feste Stellung
in der Entwicklungslinie zwischen Augustin und Luther sichert.
In der klaren Erkenntnis — um es noch einmal zu sagen — ,
dass die Religion praktische Erkenntnis und eine Willens-
stellung ist, dass die Theologie es mit den positiven Grössen
der Offenbarung und der Kirche zu thun hat, besteht dieser
Fortschritt. Duns hat erkannt, dass die Fragen der Religion
und der Wissenschaft sich nicht unter einen Generalnenner
Die wissenschaftliche Methode in der Thcoloo-ie. 649
bringen lassen. Nicht nur ist damit die Selbständigkeit der
Religion der Wissenschaft gegenüber festgestellt, sondern es
handelt sich auch um einen Fortschritt in der Richtung der
ursprünglichen christlichen Seelenstellung dem hellenisierenden
Intellektualismus gegenüber.
4. Duns hat gelegentlich wohl dem Zweifel darüber, ob
die Theologie überhaupt „Wissenschaft" im eigentlichen Sinn
sei, Ausdruck verliehen (s. oben S. 125). Wer verstanden hat,
dass die Begriffe Theologie und religiöses Erkennen für ihn
noch ungeschieden sind, wird hierin nur eine Bestätigung
unseres soeben ausgesprochenen Urteils erblicken. Aber trotz-
dem hat nichts Duns Scotus so fern gelegen, als auf den wissen-
schaftlichen Charakter der Theologie zu verzichten. Auch
Schleiermacher hat bei einer in mancher Hinsicht vergleich-
baren Stellung zur Sache, nichts weniger als Verkürzung der
wissenschaftlichen Art der Theologie gewollt.
Aber wie konnte Duns bei seinem Grundgedanken und
bei dem Vertsändnis der Wissenschaft in seiner Zeit die Wissen-
schaftlichkeit der Theologie aufrecht erhalten, wie konnte er
„beweisen'^, wo doch alles feststand als gegeben? Uns stehen
in ähnlicher Lage vielleicht andere Mittel zu Gebote, aber es
wäre doch kaum weise die ernsten Bemühungen des Sohnes
einer anderen Zeit als „scholastisch'' zu belächeln.
Zu dem bezeichneten Zweck boten sich Duns nach seiner
wissenschaftlichen Stellung folgende Mittel dar. Der wissen-
schaftliche Empirismus seiner Methode liess sich auch auf die
Religion anwenden. Es handelt sich in der Religion um
Wirkungen und Antriebe Gottes, welche die Seele erlebt.
Duns Scotus hat sein hervorragendes psychologisches Interesse
auch als Theologe nicht verleugnet. Wie er das Denken des
Menschen überhaupt zu analysieren wusste, so auch das reli-
giöse Empfinden. Immer wieder bricht dieser Gesichtspunkt
aus seiner Theologie hervor. Wenn er von der Versöhnung
und Rechtfertigung, von den Gnadenhabitus oder von den
Sakramenten der Busse und des Abendmahls und selbst der
Eschatologie etc. redet, empfindet man ziemlich deutlich die
religiöse Empirie seiner Betrachtungsweise. Von dem Erleben
vund Empfinden der Seele geht er innerlich aus und von der
650 Kap. VII : Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
Analyse desselben geht er zurück auf die verursachenden
Faktoren. Sein llealismus verleiht diesen Schlüssen eine Ge-
wissheit, die wir nicht immer teilen können. Man darf dieser
Methode aber nicht entgegenhalten; dass hier doch wieder das
Kausalitätsschema das der Finalität verdränge. Denn die Er-
kenntnis der finalen Bewegung eines geistigen Zusammenhanges
schliesst für die Erkenntnis des einzelnen Punktes innerhalb
desselben die methodische Anwendung des kausalen Rückganges
nicht aus, indem sich der denkende Geist von einem gegebenen
Punkt her des Verständnisses der Vorwärtsbewegung durch Rück-
gang bemächtigt. — Täusche ich mich nicht, so ist auch diese
Anwendung der Empirie auf religiöse Vorgänge bei Duns
Scotus nicht ohne Bedeutung für die Geschichte der Theologie
gewesen.
Aber es darf zum Schluss nicht unerwähnt bleiben, dass
Duns mit dieser Methode der psychologischen und spekulativen
Rekonstruktion des Dogmas sich beeinflusst zeigt von dem Geist
Anselms. Nirgends ist diese Methode in so grotesker Weise
zur Anwendung gekommen als in Anselms „Cur deus homo?"
Es wird jetzt kaum mehr der Bemerkung bedürfen, in welchem
Grade und Umfang Duns die Methode Anselms — eben durch
seinen Empirismus — modifiziert hat. Aber gerade hier liegt
ein Punkt vor, an dem Duns seinen grossen Rivalen aus dem
Dominikanerorden überragt. Thomas versucht dialektisch die
gegebene Lehre als wahrscheinlich oder doch nicht widersinnig
zu erweisen, Duns Anliegen ist es, die betrefi'ende Lehre inner-
lich aus der religiösen Erfahrung zu reproduzieren. Es ist
freilich denkbar, dass die Reproduktion missglückt, indem sie
auf andere Formeln hinausläuft als die kirchlich gegebenen.
Dann hat Duns bei letzterer sich zu beruhigen geraten. Das-
selbe that ja schon Anselm (oben S. 9). Der methodische Fort-
schritt wird aber dadurch nicht aufgehoben, dass die Methode bis-
weilen versagt, wo nämlich stärkere Prinzipien ihrer Verwendung
entgegenstehen. Aber im ganzen hat Duns doch die ver-
schiedenartigen Lehren der Kirche mit bewundernswertem Ge-
schick aus der Beobachtung des religiösen Lebens erwiesen,
wobei es freilich ohne starke Umdeutungen nicht abging. Bei-
spiele haben wir öfters beigebracht, man denke etwa an die
Die theologische Beweismethode nach Duns. 651
Transsubstantiationslehre. Hier ist der Punkt, wo dem Leser
ein Verständüis dafür aufgeht, woher wir Dicht ganz selten bei
Duns Stimmungen und Gedankeuansätze wahrzunehmen glauben,
die im weiteren Verfolg der Entwicklung verschwinden. Die
Neigung, die Gedankenarbeit auf die positive kirchliche Formel
hinauszusteuern, wird an letzterem kund. Inwiefern diese
Neigung mit den wertvollsten Tendenzen der scotistischen Theo-
logie zusammenhängt, hat sich uns oben ergeben.
Ein zweites Mittel der wissenschaftlichen Bearbeitung theo-
logischer Sätze ist dies, dass die logische Bildung derselben
nachgewiesen wird. Hier ist nun Duns Scotus in seinem Ele-
ment. Nichts ist so häufig in seinen Schriften als die Auf-
deckung logischer Fehler in den Argumentationen seiner Geg-
ner und andererseits das Bemühen, die logische Folgerichtigkeit
seiner eigenen Beweisführung zu erweisen. Man hat um des-
willen seine Arbeit wesentlich auf den Anbau von Beweisen
reduzieren wollen. Hieran ist richtig, dass, indem die theo-
logischen Sätze gegeben sind, der Wissenschaft eigentlich nichts
anderes übrig bleibt als ihre logische Bearbeitung. Aber im
ganzen steht diese Arbeit bei Duns doch in genauem Zu-
sammenhang zu der zuerst besprochenen Methode. Rein for-
male logische Operationen an dem gegebenen Stoff mögen hie
und da vorkommen, in der Begel dient die Dialektik dem Be-
streben, ein einheitliches Verständnis der Überlieferung zu ge-
winnen. Duns Scotus ist freilich in hervorragender Weise
kritisch gestimmt und interessiert gewesen. Wenn man ihn
aus einer kritischen Erörterung in die andere sich stürzen sieht,
kann man zunächst wohl den Eindruck gewinnen, es hätte sich
ihm eben nur um die Kritik gehandelt. Aber ein schärferes
Auge entdeckt, dass alle die kritischen Operationen nur Mittel
zur geistigen Durchdringung des Stoffes sind. Indem Duns
eine Auffassung in ihre Elemente auflöst, zeigt er, woher sie
unhaltbar ist; und nachdem er die Elemente so gefunden, ver-
sucht er sie ihrer Natur entsprechend zu verbinden. Es handelt
sich ihm immer darum, zusammenhängende Anschauungen zu
gewinnen. Dem dient seine Kritik ebenso wie die positiven
Konstruktionen. So schliesst sich dieser zweite Weg mit dem
ersten zusammen. Gegeben ist die Lehre der Kirche. Die-
652 Kap. VII: Die geschichtliche Stellunf^ des Duns Scotus.
selbe soll auf Grund der Erfahrung und Beobachtung ihrer
Objekte reproduziert werden , und zwar soll dies in streng
logischen Formen geschehen, indem von diesen aus sich ge-
meingiltige Beweise gegen andere Formulierungen wie für die
eigene Formel gewinnen lassen. Die Reproduktion der kirch-
lichen Formel sollte dieser grundsätzlich nie widersprechen,
in Wirklichkeit ist sie oft genug zu einer scharfen Kritik der-
selben gCAvorden, die nur mühsam durch Umdeutungen ver-
deckt wurde.
Zu diesem zweiten Punkt kommt aber drittens noch, dass
Duns sich, nicht nur mit dem Nachweis der formalen logischen
Korrektheit der theologischen Sätze beschäftigt, sondern auch
gern ihre Analogie oder Identität mit philosophischen Ideen
erweist. Man muss ihn hiebei nicht missverstehen. Nicht
„bewiesen" sollen die theologischen Sätze dadurch werden,
sondern sie sollen durch die Analogie Erläuterung und Be-
leuchtung erhalten, wie etwa zur Bibelexegese auch naturwissen-
schaftliche und philosophische Erkenntnisse nützlich sind (oben
S. 127). Wenn also die spezifisch theologische Erkenntnis
Gott als den Gesetzgeber und das letzte Strebeziel versteht, so
ist die Existenz des geistigen und persönlichen Gottes dabei
vorausgesetzt; aber diese Voraussetzung wird deutlicher, w^enn
sich die Möglichkeit eines metaphysischen Beweises für das
Dasein Gottes herausstellt. — Vor allem gilt dies hinsichtlich
der Bedeutung des Naturrechtes. Dieser im Mittelalter so be-
deutungsvolle Begriff wird auch von Duns sehr gern in die
Erörterungen der Ethik hineingezogen. Da das Naturrecht
nicht minder von Gott inspiriert ist als die Schrift, so können
zwischen den ethischen Geboten beider nur hinsichtlich des
Umfanges und der Modalität, nicht aber des Inhaltes und der
Tendenz Differenzen bestehen. Duns hat allerdings, wie wir
früher sahen (S. 485 f.), prinzipiell das Naturrecht möglichst
formal als den Habitus ethischer Urteilskraft, der dem logischen
Habitus des Geistes korrespondiert, zu fassen versucht. Immer-
hin liegt hier ein Punkt vor — die das Naturrecht in dem
einzelnen darstellende Synderesis kommt mit in Betracht — ,
wo Duns seiner Methode nicht recht treu zu bleiben vermag.
Durch das Naturrecht und den Begriff des Gewissens als des
Der Beweis. Die Grundprinzipien bei Duns. ()53
Orgaues des Naturrechtes strömte natürliche Religion und
Sittlichkeit immer wieder in den christlichen Gedankenbezirk
hinein (oben S. 536). ^) An sich soll das positive Gesetz, das
in der Kirche gilt, allein iu Betracht kommen, das natürliche
Recht würde nur eine interessante Analogie darbieten. Aber
in Wirklichkeit schlagen die naturrechtlichen Ideen immer wieder
ihre Ranken in den Boden der positiven Auffassung. Duns
Scotus zahlt damit seiner Zeit den Tribut, aber welcher Denker
wäre frei von den Idealen und dem common sense — das ist
schliesslich auch das Naturrecht des Mittelalters — seiner
Zeit?
Wir haben somit erkannt, was es um das Verständnis der
Religion bei Duns Scotus ist, und worin die wissenschaftliche
Aufgabe der Theologie nach seiner Meinung bestehen wird.
Jetzt werden wir aber begreifen, dass die scotistischen Ge-
danken wirklich den Weg zeigten (oben S. 646) , den die
strengere Erkenntnislehre zu verlegen schien. Was die ältere
Theologie im Grunde wollte, war doch die Freiheit der Religion
von dem straffen Zusammenhang der aristotelischen Begriffs-
welt. Diesem Drang entsprach die freie Theologie des prak-
tischen Erkenuens die Duns Scotus vorschwebte.
5. Wenn man fragt, welche Gedanken in dem theologischen
Gedankenbau des Duns Scotus die beherrschenden sind, so
weist schon die Erkenntnis des positiven Charakters der Offen-
barung auf die richtige Antwort. Dieser war nämlich bedingt
durch den Willen Gottes, dem Willen Gottes zu dienen war
wiederum das höchste Ziel, das unser Wille findet. Dies
sind die beiden Gedanken, von denen aus sich die Eigentüm-
lichkeiten der scotistischen Theologie verstehen lassen. Gott
der herrschende Wille und der Mensch, der mit freiem Willen
Gott dient; der souveräne absolute Herr und sein ganz ab-
hängiger und doch freier Knecht, dominatio et subiectio (s.
oben S. 178) — das sind die Gedanken, die uns immer wieder
^an den Gelenkstellen der Theologie des Duns begegnen. Man
kann von beiden aus grosse Teile des Systems konstruieren,
und in beiden tritt einem die geistige Eigenart des Duns Scotus
^) Doch habe ich mich dort einseitig ausgedrückt.
654 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
entgegen, nicht minder in der Erkenntnis von der freien Seele
als in der Empfindung von dem waltenden Herrn. Aber mit
beiden Ideen greift Duns zugleich auf die Anregungen Augustins
zurück.
6. Duns hat Gott als den absoluten geistigen Willen ver-
standen. Wie die christliche Betrachtung dieses durch die
Vorstellung von Gott als dem letzten Zweck und als dem Gesetz-
geber voraussetzt, so lässt es sich auch aus dem Begriff der
Weltursache erweisen. Da nun in der Welt neben dem not-
wendigen Geschehen auch kontingentes Geschehen vorhanden
ist; dies aber wie jenes auf die erste Ursache zurückgehen
muss, so ist klar, dass die erste Ursache, indem sie auch Kon-
tingentes, und zwar dies neben Naturgesetzmässigem wirkt,
selbst kontingent oder frei wirksam ist. Dieser Gedanke
fixierte, wie wir früher gezeigt haben, die kreatürliche Freiheit
als Freiheit von dem gesetzmässigen Naturzusammenhang
(S. 168). Dagegen war ausdrücklich verneint, dass diese Frei-
heit sich aus deu causae secundae als solchen verstehen lasse
(S. 156). Sie wurde auf Gottes Willen zurückgeführt, aber in
dieser Beziehung wurde dann jede freie Bethätigung als ganz
abhängig von Gott hingestellt (S. 158). — Wie aber nun der
absolute Wille Gottes das alleinige Prinzip alles Seins und
Werdens ist, so geschieht notwendig auch alles in der Welt zur
Verwirklichung des von Gott gewollten Zweckes. Gerade diese
Betrachtungweise ist nach Duns die spezifisch-theologische. So
ergibt sich der Begriff eines Weltsystems, das der göttliche
Wille so organisiert, dass es als eine abgestufte Reihe von
Mitteln den Willen Gottes realisiert. Diese Willensstellung
Gottes zur Welt ist seine Liebe. Genauer bestimmt dieselbe
sich als die gütige Stellung des Herrn zu seiner Schöpfung.
Die Liebe Gottes ist aber wirksam als Prädestination. In dem
ewigen AVeltplan Gottes ist das Geschehen aller Dinge so fest-
gestellt, dass sie als Mittel auf den höchsten Zweck bezogen
sind. So ist also von Ewigkeit her gewollt eine Anzahl Er-
wählter, die von Christo durch die Sakramente der Kirche, in
dieser Welt für eine andere Welt erlöst und begnadigt werden.
Dass die Menschen und die Ereignisse in bestimmten Be-
ziehungen stehen, dass die Dinge sind wie sie sind, das alles
Duns' deterministisches Weltbild. 655
hat seinen Grund lediglich an der Prädestination, durch die
alles in der Welt seine Richtung und Bedeutung empfängt.
Darum haben die Werke und Ordnungen der Menschen nicht
durch sich ihren Wert und ihre Bedeutung, sondern nur sofern
Gott sie zur Geltung vorher bestimmt hat.
So ist der ganze Lauf der Geschichte und der Welt,
indem Wirkung Gottes, Mittel zur Verwirklichung seines
Zweckes. Ist dies der Fall, so werden sich alle Dinge mit
Notwendigkeit jenem Zweck entgegenbewegen. Wie das ge-
schieht, ist bezüglich des Naturzusammenhanges vermöge der
Prädetermination, die von der ersten Ursache her in ihn einge-
gangen ist, gewiss leicht zu verstehen. Indessen muss Duns auch
für die Geister, deren Freiheit ja in dem Nichtbestimmtwerden
seitens des Naturzusammenhauges bestand, irgendwie eine Deter-
mination bezüglich ihres Zieles gedacht haben, vermöge derer
ihr Dasein den Zwecken, zu denen Gott sie erschaffen hat,
wirklich dient. Denn indem alle Wesen von Gott unter dem
Gesichtspunkt seines Zweckes erschaffen werden, können sie,
sofern sie Geschöpfe sind, gegen die schöpfungsmässige Ordnung
ihres Daseins überhaupt nicht Verstössen. In dieser Richtung
ist eine Freiheit gegen Gott logisch undenkbar (oben S. 158).
Über diesem streng deterministischen System ist nun aber
Gott als der waltende Herr wirksam, der in seiner Freund-
lichkeit Dinge und Geschicke der Menschen gütig gestaltet.
Er lohnt weit über Gebühr und straft nicht nach Verdienst.
Seiner milden Herrschaft darf man sich in Gehorsam und Zu-
versicht trösten. Das ist die Grundstimmung der Duns Gott
gegenüber gewesen. Der freien Macht Gottes entspricht die
absolute Abhängigkeit der Welt. Alles Geschaffene geht zurück
auf jene erste Materie (oben S. 76 f., 78 f.), deren Wesen die
schlechthinige Potenziahtät oder Bestimmbarkeit Gott gegen-
über war. Daher heisst erschaffen sein von Gott absolut ab-
hängig sein. Schöpfung oder Erhaltung bedeuten in dieser
Richtung keinen Unterschied.
Das System, das Gott in der Welt verwirklicht, ist eine
positive und konsequent fortschreitende Grösse. Es ist Thorheit
zu fragen, warum Gott es so gerade gewollt habe, denn sein
Wille kennt keine Determination. Duns hat diese Gedanken
656 J^ap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
gern zu j^aradoxen Wendungen benützt, nämlich wie nach der
poteutia absoluta Gott die Welt auch ganz anders hätte ein-
richten kcinnen. Aber durch derartige Sätze soll eben nur die
Unverbrüchlichkeit der potentia ördinata eingeprägt werden,
sowie jeder aprioristischen erfahrungslosen Konstruktion von
Gedanken oder Zusammenhängen die Wurzel durchschnitten
werden. Der Zusammenhang der Welt ist von Gott willkürlich
gesetzt. Das heisst aber nicht, dass Gott ihn jeden Augen-
blick durchlöchern oder aufheben würde oder könnte, sondern
das bedeutet nur, dass der götthche Wille unter den unendlich
vielen möglichen Weltsystemen eines, das unsere, zur Realisie-
rung erwählt hat und dass er demgemäss auch gerade diese
besondere Ordnung realisiert. Nicht die einzelnen Aktionen
Gottes sind willkürlich, sondern die einmalige AVahl und Ord-
nung des Weltsystems erfolgte willkürlich.
7. Diese Ordnung hat die Prädestination zur Grundlage.
Es wird vorausgesetzt, dass Menschen fielen ; es w^aren solche,
denen Gott nicht helfend konkurieren wollte. Daher fielen sie,
weil der absolute Herr nicht mitwirkte, und doch fielen sie
durch eigene Schuld. Dass sie von Gott sich abgewandt, dass
sie das höchste Gut nicht wollten, dass sie dem Herrn nicht
gehorsamten — das ist die Sünde. Nicht eine natürliche
Korruption, an sich nicht einmal eine Depotenzierung der
Natur, sondern diese Loslösung der Seele von ihrem Herrn
macht das Wesen der Sünde aus.
Die Prädestination greift hinweg über die Sünde. Sünder
sind prädestiniert und Christus ist zu ihrem Erlöser prädesti-
niert. Der Realismus seiner Metaphysik hat Duns befähigt
die trinitarischen Personen mehr als Sonderpersonen denn als
blosse Relationen zu fassen. Dem Gemeindeglauben rückt er
dabei näher, die Probleme wurden verschärft, besonders da er
das persönliche Leben der Gottheit scharf betonte. Ich finde
nicht, dass diese seine Gedanken auf die Christologie und Er-
lösuDgslehre eingewirkt hätten. Etwas anderes in der Christo-
logie fiel uns auf. Duns hat sich um die Formeln ernst be-
müht. Alle Beobachtungen zielen aber in eine Richtung. Dans
hat Christum möglichst menschlich und natürlich zu verstehen
die Neigung gehabt, daher blickt immer wieder aus seinem
Duns über Sünde und Erlösung. ß57
Christusbild menschliche PersoDalität und Beschränkung uns
entgegen. Mit diesem Bemühen war das andere eng verknüpft,
nämlich die Vereinigung des (persönlichen) Menschen Jesus
mit dem Logos recht präzis als blosse Relation vorzustellen.
Unter den Schemata der Lehrtradition merkt das aufmerksam
prüfende Auge doch nicht selten diese andersartigen Umrisse.
Diese Tendenz ist aber auf den Gesamtzusammenhang gesehen
sehr verständlich. Orientierte Duns seinen christologischen
Gedanken an dem Zweck des Werkes Christi, so bedurfte er
ebensowenig des göttlichen Lebens und der göttlichen Kraft in
Christo, als wenn er von dem göttlichen Willen ausging. Hat
dieser den Menschen Jesus zum Erlöser prädestiniert und ist
Christi Werk nur, sofern es Gott dazu bestimmte, erlösungs-
kräftig, so fällt jeder innere Grund die Gottheit Christi kräftiger zu
betonen hin. Der allwirksame Gotteswille thut alles und be-
stimmt alles, alles Geschichtliche ist nur zufällig gewähltes
Mittel und Organ seinen Willen unter den Kreaturen durch-
zusetzen. Von hier aus hat Duns das Wirken Christi und
daher auch, wegen des finalen Zuges seiner dogmatischen Kon-
struktion, die Person des Herrn betrachtet. Auch hier tritt
wieder deutlich der eine Grundzug seines Systems zu Tage.
Mit dem Sündengedanken war Duns der Erlösungsgedanke
vorgezeichnet. Darum handelte es sich, dass die Erwählten
durch Christus den Impuls zu Gott hin gewinnen. Die Kirche
knüpfte die Gnade an die Sakramente. Bestand die Sünde in
einer Zerstörung der Natur des Menschen, so mussten die
Sakramente die physischen Kräfte zur Reparatur der ver-
derbten Natur darbieten. Aber nach Duns war die Sünde,
wie wir gesehen haben, schliesslich nur die Abwendung von
Gott dem höchsten Ziel und Gut zu anderen niederen Gütern.
Da konnte die sakramentale Gnade oder der eingegossene
Habitus dem Menschen doch nichts anderes bringen als die
Anregung zum Guten, die Hinwendung des Willens auf Gott.
Dadurch wurde dem übrigens freien und daher verdienstlichen
Handeln die Qualität mitgeteilt, die es Gott wieder als wohl-
gefällig erscheinen Hess, weil er unter dieser Bedingung es sich
wieder gefallen lassen wollte. Dass der katholische Gnaden-
gedanke dadurch prinzipiell aufgehoben ist, kann nicht in Ab-
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 42
658 Kap, VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
rede gestellt werden. Auch hier ist Gottes Wille wieder alles,
das kirchliche Handeln lediglich Organ und Mittel.
Dies tritt auch in der Sakramentslehre sehr deutlich hervor.
Duns hat sich der bei den Franziskanern ü])lichen augusti-
nischen Sakramentslehre angeschlossen. Irdische Zeichen,
menschliche Symbole sind an sich die Sakramente ; sie dienen
dazu den Menschen psychologisch auf den Empfang der Gnade
vorzubereiten. Ist diese psychologische Disposition hergestellt
— und Duns meint, daran könne es nicht fehlen — , so erfolgt
unmittelbar Gottes Wirkung in der Seele, es wird dem Menschen
von Gott selbst die neue Richtung, der neue Antrieb einer-
schaffen. Indem er Gottes Wirken in sich fühlt, wird er an-
getrieben, seine Seele auf Gott zu richten (vgl. oben S. 314 f.).
Es war besonders das Hauptsakrament der Busse, an dem sich
dieser Zusammenhang der Gedanken studieren Hess, indem die
priesterliche Absolution die seelische Disposition für den
Empfang der Einwirkung Gottes herstellte. Aber auch das
Abendmahl empfing unter den Händen des Duns eine neue
Bedeutung. Für die produktive trat die adduktive Transsub-
stantiation ein, die Beziehung des Leibes Christi zur kirch-
lichen Abendmahlshandlung mit dem Brot war die Gabe des
Sakramentes. Es ist alles nach neuen Gesichtspunkten gedeutet,
und es sind alle überkommenen Formeln konserviert worden.
Das war die eine Seite des Werkes Christi. Es hat Gott
die Veranlassung gegeben die Sakramente und mit ihnen die
Gnade der Kirche zu gewähren. Die Sakramente korrekt aus-
zuüben war die eine Hauptaufgabe der Kirche, sie steht dem
Klerus zu. Aber Christi Werk hat noch eine andere Seite,
und auch die soll in der Kirche fortwirken. Christus hat durch
Lehre und Beispiel auf die Menschen eingewirkt, er hat ihnen
dadurch Gott offenbart. Diese Richtung seines Werkes setzen
die Bettelorden in der Kirche fort, und auf sie kommt es vor
allem an.
8. Nirgends tritt das systematische Talent des Duns so
glänzend hervor als in diesen Abschnitten. Man überlege den
Zusammenhang zwischen 'der Sünde und Christi Werk, zwischen
Christi Werk und der Gnade, zwischen der Gnade und dem
Wirken der Kirche. Es sind einfache Gedanken, die in
Zusamraenhang- der scotistischen Lehre. 659
scharfem Zusammenhang untereinander stehen, die ebensosehr
dem System als den tiefsten Trieben der mittelalterlichen
Frömmigkeit gemäss sind. Aber diese Gedanken stehen im
Mittelpunkt des Systems. Geht man von ihnen aus hinauf bis an
den Ausgangspunkt, so folgen sie deutlich aus der Idee des
allwaltenden prädestinierenden Gottes ; und steigt man hinab
zu den konkreten Effekten, so sind es die guten Werke und
die Verdienste der Christen. Von dem absoluten Willen Gottes
hinab zum freien Wollen des Guten bei den Erwählten, von
der Prädestination zu den Verdiensten läuft die Bahn. Und
weiter liegt nur noch die Seligkeit, die erlebt wird, von denen
die sie verdienten, im ungehinderten Wollen des Guten.
Vor uns steht ein grossartiger Gedankenbau. Es ist ein
System von Ideen der praktischen Vernunft, das anleitet, wie
und warum man Gott lieben soll. Das ist der Inhalt des
Glaubens oder der Offenbarung. Die Offenbarung Gottes be-
lehrt uns darüber, dass er das höchste Gut und das letzte Ziel
ist, dass er bestimmte Menschen für dies Ziel erwählt hat, dass
er ein Gefüge von Ordnungen und Mitteln hergestellt hat,
durch die er selbst die Erwählten an ihr Ziel führt. Die
Menschen w^enden sich von Gott ab, er wendet sie wieder
sich zu. Dadurch verwirklicht er sein Ziel, dass seiner Herr-
lichkeit die Kreatur diene, und dadurch erreichen die Menschen
ihr Ziel, dass sie Gott lieben. Um dieses Zieles willen sind
alle Dinge, die Natur wie die Geschichte, das Gute wie das
Böse, Christus und die Kirche, die Gnade und die Sakramente.
Aber alles ist von Gott gewirkt, direkt und unmittelbar; er ist
der Töpfer, die Welt der Thon; er ist der freie Herr, wir
sind seine schlechthin abhängigen Knechte; dominatio —
subiectio: das ist die Religion. So lernt es der Glaube oder
die praktische Vernunft aus der Offenbarung, und so befindet
es der Theologe, der empirisch das religiöse Leben analysiert
und die Dogmen der Kirche deutet, man könnte auch sagen:
kritisch bearbeitet. Verschwunden ist die Philosophie, ausge-
stossen sind die Ideen des Welterkennens der theoretischen
Vernunft. Nicht Gott und die Welt will diese Theologie er-
kennen lehren, sondern die Empfindung bringen, dass Gott der
Herr ist und dass ihn zu lieben des Daseins letzter Zweck ist.
42*
660 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
Ich weiss es, dass ich in grossen Zügen zeichne ; und ich
weiss auch, dass in der Geschichte der systematischen Theo-
logie die Regel der Statistik in gewisser Weise wiederkehrt:
die Regelmässigkeit der grossen Beobachtungsfelder kommt auf
den kleineren Gebieten ins Schwanken. Aber nicht nur
das Kleine mit seinen Widersprüchen und Irrungen, seinen
zeitgeschichtlichen und individuellen Engen wirkt, sondern auch
das Grosse und Allgemeine, die letzte Tendenz, die nicht selten
ihrem Urheber selbst verschwimmt und entstellt wird durch
Rücksichten und Absichten. Deshalb aber wäre eine historische
Darstellung unvollständig und ungenügend, welche diese halb
unbewussten und doch mächtig starken Tendenzen eines grossen
Mannes aufzudecken nicht wenigstens versuchte. Mögen die
gemachten Bemerkungen von hier aus einiges Verständnis
finden.
9. Aber die bisherige Darstellung war mit Absicht ein-
seitig gehalten. Man kann das System des Duns von dem
Gottesgedanken her konstruieren, und man kann versucht sein
seine Eigenart von der Willensfreiheit her zu verstehen. Es
ist in der Regel von den Darstellern dieser zweite Weg bevor-
zugt worden. Von dem Indeterministen Duns Scotus redet
alle Welt, von dem deterministischen System des Mannes zu
sprechen ist nicht üblich. Wir müssen uns aber weiter
dem zweiten Brennpunkt in der scotistischen Gedankenwelt zu-
wenden.
Der Wille ist frei. Das heisst, es gibt schlechterdings
nichts, was ihn determinierte ausser eben dem Wollen. Duns
ist nicht müde geworden diesen Gedanken zu wiederholen.
Diese unbeschränkte Selbstbestimmung begründet vor allem den
Primat des Willens über den Intellekt. Zwar bietet der
Intellekt dem Willen die Begriffe zur Auswahl dar, aber Ver-
nunftgründe kausieren nicht den Willen. Das Denken ist nicht
anders als die sinnliche Empfindung ein natürlicher Vorgang,
durch den der Mensch — trotz der Aktivität im Denkakt —
in Abhängigkeit von der Natur gerät. Dagegen ist der Wille
unabhängig von der Natur, er bewegt sich in der Sphäre rein
persönlicher Freiheit. Das sind Gedanken, die nicht als ge-
legentliche Paradoxa beurteilt werden können, sondern die
Die Willensfreiheit. 661
einen absolut festen Einschlag in dem Gedankengewebe des
Duns Scotus darstellen. Es wäre also ein vergebliches Unter-
faugen sie fortzuinterpretieren.
Freilich der Widerspruch, in dem sie zu der ersten Gedanken-
reihe des Systems zu stehen scheinen, ist viel zu schwer, als dass
man ihn als möglich mit in den Kauf nehmen könnte. Duns
muss irgendwie diese Gedanken mit einander vermittelt haben.
Wir wollen noch einmal hierauf mit einigen Worten zurück-
kommen. Die Freiheit des Willens bezieht sich erstens auf
alle Naturursachen, zweitens auf die Begriffe der eigenen Ver-
nunft, drittens auf alle geistigen Einwirkungen von aussen her,
also durch andere Menschen oder durch Engel etc., viertens
aber auch, bezüglich des einzelnen Aktes, auf Gottes Ein-
wirkungen. Nun steht aber dem entgegen, erstens dass Gott
den freien Willen wie alles übrige schuf zur Realisierung seiner
Zwecke, zweitens dass alles Geschaffene als solches von Gott
schlechthin abhängig ist, drittens dass Gott wirklich in dem
Erwählten durch den Gnadenhabitus den Willen bestimmt,
mag immerhin der Wille in freien Akten sich dieser ihm ge-
wordenen Richtung bemächtigen. Er thut das frei und doch
geben Schöpfung und Wahl ihm die Richtung zu dieser freien
Bethätigung. — Die Lösung der Schwierigkeit muss auf folgende
Momente achthaben, erstens dass die Freiheit des Willens nie
über den Spielraum der von der praktischen Vernunft ihm ge-
botenen Begriffe hinausreichen kann. Daher kann der Wille
seiner Natur nach nie zur unvernünftigen Willkür werden, er
kann nur logisch mögliche Begriffsbilder zu seinem Objekt
machen. Zweitens will in acht genommen sein, dass der
Gnadenhabitus als eine besondere göttliche Schöpfung im
Willen erscheint. Drittens ist daran zu erinnern, dass Duns
die Willensfreiheit sich als Bethätigung in einzelnen Akten
vorstellt.
Dann w^erden wir die Meinung des Duns wohl in folgenden
Sätzen wiedergeben dürfen. Der Wille ist nicht frei im Sinn
unvernünftiger Willkür, aber er ist innerhalb des vernünftigen
Gebietes der praktischen Vernunft in allen seinen einzelnen
Wollungen desselben nur durch das eigene Wollen bestimmt.
Andererseits aber liegt freilich seitens Gottes eine Deter-
662 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
minatioii nicht der einzelnen Wollungon als solcher, sondern
der Richtung des Willens vor. Dieselbe erfolgt erstens ver-
möge der praktischen Vernunft, zweitens durch eine allgemeine
in der Schöpfung begründete Influenz, die jedem Wesen die
durch die Weltregierung bedingte Richtung anweist, drittens
und vor allem durch die Erschaffung des Habitus der Liebe,
welche den Willen irgendwie auf Gott hintreibt — die Be-
reicherung des Kreises der praktischen Vernunft durch den
Glauben wirkt hier mit — , wobei dann der einzelne Willens-
akt allerdings ganz frei erfolgen soll. Sehe ich recht, so hat
Duns doch wesentlich bei der Behauptung der Indeterminabilität
des Willens auf die Freiheit desselben vom Naturzusammen-
hang, nicht auf die Freiheit in Beziehung auf Gott reflektiert.
Bei der geschilderten Sachlage scheint mir aber beides ver-
ständlich zu werden, sowohl dass Duns im religiösen Zusammen-
hang den Determinismus seines Gottesbegriffes auch auf den
Willen erstreckt hat, als auch dass er in den psychologischen
und ethischen Betrachtungen in Bezug auf die einzelnen Voli-
tionen den Indeterminismus des Willens auf das stärkste betont
hat. Er hat die Schwierigkeiten dieser Position — das Einzelne
wurde früher an seinem Ort besprochen — kaum empfunden.
Das Y^SiT in seinem Gedankengefüge nicht unmöglich, wie wir
soeben gezeigt haben ; aber es zeigt andererseits, wie schlecht-
hin fest beide Gedankenreihen in seinem Denken hafteten.
10. Wir haben es hier mit der indeterministischen Ge-
dankenreihe zu thun. Auch sie läuft durch das ganze System
und bestimmt sehr oft die Gedanken und Urteile des Duns.
Es wird nicht nötig sein hiefür eingehendere Zusammenstellungen
beizubringen. Nur einiges sei wiederholt. Ich erinnere zunächst
an den Sündenbegriff. In einzelnen Willensthaten besteht die
Sünde, es gibt keine habituelle sündhafte Konkupiscenz, keinen
kranken Willen, kein servum arbitrium. Woher das alles?
Weil es zum AVesen des Willens gehört, in seinen Volitionen
schlechthin frei zu sein, allmählich bildet er sich seine flabi-
tualität, aber auch diese vermag die Freiheit nicht aufzuheben.
Das ist echt pelagianisch gedacht. Und doch — sieht man
genauer zu, so wirft auch in dies „pelagianische Paradies"
die andere Gedankenreihe ihre Schatten. Das war ja der
Wirkungen der Freiheitstheorie auf das System. 663
tiefste Gehalt jener Vorstellung von der carentia iustitiae
debitae, dass Gott den Sünder gottlos werden lässt und ihn
der selbstgewählten Richtung überlässt. Ist das aber der Fall,
dann mag der Wille immerhin frei sein zu den einzelnen Voli-
tionen, der Spielraum derselben ist ein beschränkter. Gott
und das Gute existieren für ihn nicht mehr. Wer will es
dann wehren hier von einem Zustand sittlicher Unfreiheit des
AVillens zu reden?
Aber auch in die Gnadenlehre greift die indeterministische
Auffassung ein. Einmal durch die verhängnisvolle Betonung
des meritum de congruo, jenes Thuns des unbegnadigten Sünders
(Attrition), das von Gott durch die Gnadenmitteilung belohnt
wird. Die Ausbreitung dieses Gedankens ist nur begreiflich
von der Voraussetzung jenes Indeterminismus aus. Der Wille
kann auch im Sünder in einzelnen Volitionen doch Gutes —
wenn auch nur de congruo — produzieren. Mit Eecht hat die
protestantische Polemik diesen Punkt oft scharf herausgegriffen,
er stellt einen der schlimmsten Faktoren in der Weltanschauung
des Duns dar. Aber es ist freilich nicht recht, wenn man bis-
weilen thut, als wenn Duns ausser dieser Theorie und etwa
noch einer unvernünftigen göttlichen Willkürtheorie — deren
Unvernunft aber auf die Rechnung der Referenten fällt —
nichts zu sagen gewusst hätte.
Aber die Wirkungen der Theorie in der Gnadenlehre
gehen noch weiter. Jene Angst des Duns den Habitus der
Gnade irgend zu weit auszudehnen, die Versicherung, die
einzelne Handlung werde nur ganz im allgemeinen von der
Gnade bestimmt, die Betonung des Verdienstes, sie gehen zu-
rück auf die scotistische Willenslehre. Freilich man muss hier
nicht vergessen, dass dieselben Ideen es waren, die Duns zu
seiner Kritik des Habitusbegriffes und zu einer feineren psycho-
logischen Erklärung des sittlichen Handelns, als man sie bisher
kannte, antrieben- Ebenso kann man viele der schlimmsten
ethischen Betrachtungen des Duns, die seine Ethik in manchen
Teilen zu einer Vorläuferin der jesuitischen Ethik machen,
ihre Wurzeln in dies Gebiet treiben sehen. Es ist die Dis-
membrierung des ethischen Handelns in einzelne Akte mit der
Voraussetzung der stets gleichen Freiheit der betr. Volitionen.
664 l^ap- VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
Aber es steht doch wieder auch die Verwerfung der blossen
Devotion zu gunsten einer soliden und thatkräftigen Liebe
nicht ausser Zusammenhang zu diesen Gedanken (vgl. oben
S. 530).
11. Es war ein grosser Gedanke, den Willen zum Zentrum
des Menschen zu erklären; auch hierin haben die Theologen
der älteren Schule Duns vorgearbeitet, wie wir gezeigt haben.
Von hier aus fand Duns die starke Betonung der Liebe als
der Aufgabe des christlichen Lebens, sowie die treffliche Ab-
leitung der Liebe zu den Menschen aus der Liebe zu Gott
(oben S. 508) und die Unterordnung aller Tugenden unter die
Liebe (S. 530) ; von hier aus ergab sich ihm die starkmutige
Stellung des freien Menschen über dem Naturzusammenhang;
noch mehr, auch die Vorstellung von dem praktischen Charakter
des religiösen Erkennens treibt eine ihrer Wurzeln in dies Ge-
biet. Auch hier reichen die Anregungen, denen er folgt,
schliesslich bis auf Augustin zurück.
Aber wie ist es geschehen, dass Duns Scotus die Willens-
theorie zu den paradoxen Formeln, die wir kennen lernten,
steigerte? Man kann dafür verschiedene Gründe anführen.
Es wird erstens die augustinische Erbsündentheorie, die den
Willen in die Abhängigkeit von der Konkupiscenz stellte, auf
Duns negativ eingewirkt haben. Hier schien die Sünde die
geistige Natur des Menschen zu zerstören und letztere unter
die Sinnlichkeit zu beugen. Diesen Gedanken, die Duns nur
im höchsten Mass unsympathisch sein konnten, schien man nur
entgehen zu können, wenn jede Einwirkung auf den Willen von
aussen her abgeschnitten wurde. Hiemit verband sich wohl
zweitens die Erwägung, dass ein wirklicher Primat des Willens
vor dem Intellekt nur so vorstellbar zu sein schien, dass der
Wille jederzeit in neuen, nur durch sich selbst bedingten Akten
seine Selbständigkeit gegen den Intellekt behauptet. So kam
Duns zu der Betonung der Einzelakte des AVillens — wie ihrer
schlechthinigen Willkür. Indem ihn das Bestreben leitete, die
schlechthinige Geistigkeit und Freiheit des Willens herauszu-
stellen, schien es sich zu empfehlen, jede Möglichkeit einer Be-
einflussung des Willens, sei es durch die Begriffe, sei es durch
eine Richtung oder Habitualität, abzuschneiden. Was dann
Gründe für die Lehre vom freien Willen. 6ß5
nachblieb, war eben der zu jedem Einzelakt sich schlechtweg
willkürlich selbstbestinimende Wille.
Damit zeigt sich der Mensch als Abbild des göttlichen
Willens. Gott will als actus purus unausgesetzt, daher will
auch der Mensch, nicht durch irgend welche Einwirkungen von
aussen gefesselt, in stets gleicher Freiheit. Bei dem eAvigen
Gott bethätigt sich die Willkür dieser Freiheit nur in dem
einen Akt der Setzung eines Weltsystems, bei dem zeitlichen
Menschen lebt sie sich dagegen aus in einer langen Reihe
freier willkürlicher Akte (vgl. hiezu oben S. 161). Dieser
Unterschied wird dem Leser einleuchten. Man könnte ihn auch
so ausdrücken : da Gott ewig ist, offenbart er sich in der Ord-
nung der potentia ordinata, die potentia absoluta bezeichnet
nur die irreale Hypothese, was wohl hätte sein können, wenn
Gott es eben so gewollt hätte. Dagegen bilden für den zeit-
lichen Menschen alle ihm und seiner Vernunft überhaupt denk-
baren Möglichkeiten den Spielraum; man könnte sagen in
Analogie zu Gott geredet: für ihn enthält die potentia absoluta
eine Fülle realer Hypothesen. Allerdings muss man sich davor
in acht nehmen die Beschränkung, die von der praktischen
Vernunft ausgeht, zu unterschätzen.
Aber musste nicht — so könnte man weiter fragen —
diese Auffassung vom Willen durch die Idee von der absoluten
Verfügung des göttlichen Willens aufgehoben werden? Dass
Duns dies nicht für nötig hielt, haben wir einige Seiten früher
erkannt. Man darf aber im Gegenteil die Behauptung wagen:
gerade der Determinismus der Weltanschauung, der sich vom
Gottesgedanken aus ergab, sei ein Motiv mehr für den In-
determinismus des Willens bei Duns gewesen. Die religiöse
und ethische Stimmung des Duns Scotus erforderte sowohl
einen Gott, der absoluter Herr ist, als eine Seele, die schlechthin
frei ist. Es ist im Denken der grossen Geister nicht anders
als im Geistesleben der Menschheit: nicht nur die Folgerichtig-
keit produziert neue Gedanken, sondern die Gegensätze rufen
— beinah mit der Macht von Naturtrieben — nach einander.
Weil sein Gottesgedanken den Menschen aller Freiheit zu be-
rauben schien, darum stattete er seinen Menschen mit einer
Freiheit aus, die schier unvernünftig zu sein schien. Nur so
666 Kap. VII : Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
schien das Gleichgewicht der Weltanschauung und Seelen-
stimmung, das er innerlich empfand, auch theoretisch aufrecht
erhalten werden zu können. Er glaubte Augustin nicht anders
halten zu können, als indem er Pelagius zu seiner Verteidigung
zu Hilfe rief. Aber — und das ist das wunderbarste — auch
zu dieser That zog er die Anregung aus augustinischen Ge-
danken. ^)
Diese Gedanken bestätigen sich bei einiger Überlegung an
dem System des Duns. Nimmt man die grossen Gedanken-
zusammenhänge, so ist es immer wieder, als sollte die Allein-
wirksamkeit der Gnade so weit eingeschränkt werden, dass die
freie Kreatur doch ihren Platz behalte. Die Prädestination
gibt uns das Heil, aber wir verdienen uns den ewigen Lohn.
Die Gnade erschafft die Richtung zum Guten in uns, aber wir
selbst ergreifen das Gute. Die Sakramente allein bringen uns
Gnade, aber wir können uns auf die Gnade vorbereiten. —
Aber warum kommt unser Dogmatiker über dies Bedenken
nicht hinweg? Sein Interesse war darauf gerichtet, die freie
geistige Art des Menschen auch für den religiösen Menschen
zu behaupten. Aber das Verhältnis von Gott und Mensch,
wie die Dogmatik es schilderte, fasste die Idee der „ein-
gegossenen Gnade", der Einschaffung einer neuen „Qualität"
in sich. Für das geistige Verhältnis hatte man ein physisches.
Hier lag die Schwierigkeit. Ein Empfinden für sie haben auch
andere scholastische Lehrer gehabt. Wenn der gratia infusa —
das „Verdienst" gegenübertrat, so wurden Begriffe von ganz
verschiedenem Ursprung und Absehen aneinander geschoben,
damit jeder von beiden die Lücken des anderen ausfülle, der
physische Gnadengedanke dem altlateinischen Moralismus und
dieser jenem zu Hilfe komme. So hat auch Duns gefühlt, aber
er hat sich stärker und energischer als seine Mitarbeiter um
den Ausgleich dieser Gedankenkreise bemüht. Er hat die Idee
^) Die Differenz meines Verständnisses des Duns Scotus von dem
üblichen kann vielleicht so formuliert werden : nach üblicher Meinung
nimmt Duns innerlich seinen Ausgang von Pelagius und fügt Augustins
Gedanken wie einen Rahmen um diesen; nach unserer Ansicht geht er
aus von Augustin und sucht sich den ganzen Augustin dadurch zu er-
halten, dass er ihn mit Pelagius versetzt.
Die historische Bedeutung des Dans Scotus. 667
der' eingegossenen Gnade bis zum äussersten verfeinert; darüber
dass sie von Gott „geschaffen" sei, kam er allerdings nicht
hinaus. Er hat aber sodann, wie wir gezeigt habeü, für die
Freiheit des Willens nach Formen gerungen, die sie erhalten
sollten auch neben der schöpferischen Gewalt der Gnade. —
So wird es sich begreifen, dass die zweite Gedankengruppe
trotz und neben der ersten im Gefüge der Gedanken des Duns
Scotus Platz behalten hat.
12. Es wird genug sein dieser Rückblicke. Ein „System"
des Duns konnten und wollten wir nicht herstellen, die Grund-
gedanken seiner Theologie dürften wir in ihrem Zusammen-
hang wiedergegeben haben.
Die geschichtliche Stellung dieser Gedanken ist klar. Dass
Gott Wille und dass unser Leben Lieben sei, hatte Augustin
dem Mittelalter eingeprägt. Diese beiden Ideen haben durch
Duns Scotus ihre schärfste Zuspitzung erfahren. Indem sein
theologisches Denken sich um sie gruppiert, zeigt er sich als
Fortsetzer der älteren Theologenschule des dreizehnten Jahr-
hunderts. Aber wie an Methode (oben S. 625. 643), so war er
auch an Schärfe und Konsequenz der Gedanken seinen Vor-
gängern unendlich überlegen.
Es sind Wahrheiten von bleibender Bedeutung, die durch
ihn in die Theologie eingeführt worden sind. 1) Duns Scotus
hat zuerst erkannt, dass die Religion im Willen und der prak-
tischen Vernunft ihren Sitz hat, dass ihr Erkennen praktisches
Erkennen sei. Er hat weiter die christliche Religion als eine
besondere geschichtliche Grösse erkennen gelehrt. Und er hat
in Gemässheit der ersten Erkenntnis die Selbständigkeit der
Theologie der Metaphysik gegenüber, infolge der zweiten Ein-
sicht aber den streng positiven Charakter der Theologie als
Wissenschaft behauptet. Man sagt doch nicht zu viel mit der
Behauptung, dass diese Gedanken erst eine Theologie im
strengeren Sinn ermöglicht haben, über ihre epochemachende
Bedeutung ist kein Wort zu verlieren. 2) Duns Scotus hat
den Gedanken von Gott, den die mittelalterliche Frömmigkeit
im Anschluss an Augustin allmählich herausgearbeitet hat, in
klassischer Weise zu formulieren gewusst. In dem Gottes-
gedanken besteht aber die eigentliche bleibende Grossthat der
€68 Kap. VlI: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
mittelalterlichen Dogmengeschichte. ^) Mit ihr bleibt der Name
des Duns dauernd verbunden. 3) Duns hat ein starkes Em-
pfinden für die Freiheit der Persönlichkeit und für die psycho-
logische Seite der religiösen Phänomene gehabt. Dieser Sinn
für die Empirie ist auch für die Folgezeit von Bedeutung ge-
worden. 4) Duns Scotus hat eine eminente wissenschaftliche
Kraft an die Erforschung der christlichen Religion gesetzt. Er
hat nicht nur Überkommenes registriert und summiert, sondern
er hat die Meinungen der Vorzeit kritisch analysiert und die
Gedanken der Kirche in eindringendem Nachdenken umge-
schmolzen. Er hat den Mut der Kritik und den ungeblendeten
Wahrheitssinn eines rechten Forschers gehabt. Darum hat er
in Lehren, wie der Gnaden- und Sündenlehre, in der allge-
meinen Lehre von den Sakramenten, bes. aber von dem Abend-
mahl und der Busse, wirklich Neues geschaffen und das Alte
zerbrochen. Aber freilich auf der Linie seiner Gedanken lag
auch jener äusserliche Positivismus der kirchlichen Formel,
von dem wir so oft geredet haben. Von Duns hat man nicht
nur strenge kritische Fassung, sondern auch die Unterwerfung
unter die Formel lernen können.
Es ist vom Standort des Protestanten her nicht möglich
alles zu rühmen, was Duns gelehrt hat. Aber darum kann es
sich hier ja nicht handeln. Nur das muss hier gesagt werden,
dass er eine historische Grösse von epochemachender Be-
deutung ist. Das hat die Geschichte der Theologie nach ihm
eindringlich genug gezeigt.
13. Lässt man den Positivismus des Dogmas bei Duns aus
dem Spiel — derselbe hebt seine Orthodoxie im Prinzip über
jede Konkurrenz — , so ist Duns Scotus unter den Häuptern
der Scholastik fraglos derjenige, der am stärksten zu Hetero-
doxien neigt. Man denke nur an die Erbsündenlehre, die
Lehren vom Gnadenhabitus und der Transsubstantiation. Trotz-
dem oder wohl darum ist es Duns mehr als irgend einem der
zeitgenössischen Theologen gelungen die innersten Triebe der
mittelalterlichen Frömmigkeit zum Ausdruck zu bringen. Das
^) Die Sakramentslehre ist die andere, aber sie ist vom Protestantis-
mus verworfen worden.
Duns als Repräsentant des mittelalterlichen Christentums, 669
begreift sich aus seiner Methode Theologie zu treiben sehr ein-
fach ; nicht Lehren der Vergangenheit, sondern den Glauben der
Gegenwart wollte er finden. Dass aber die Praxis derbere und
gröbere Formen als das System des scharfsinnigen Theologen
darbot, das entspricht ja einer häufigen historischen Beobachtung.
Gott ist der gütige Herr und der Gesetzgeber. Christus lehrte die
Sünder die Wahrheit und erwirkte bei Gott die Einsetzung
der Sakramente zur Rettung der Sünder. Die Kirche ver-
waltet die Sakramente und lehrt die Wahrheit. Glauben heisst
dem positiven Glauben der Kirche gehorchen. Die Kirche
befiehlt zu lieben, die Sakramente geben die Kraft zu lieben.
Gute Werke sind Verdienste. In diese Sätze liesse sich
das Christentum der Zeit zusammenfassen und dasselbe sagt,
wenn auch mit etwas anderen Worten, Duns auch. Er geht
freilich darüber hinaus; nicht nur in der Vertiefung vieler
Gedanken, sondern auch in der kritischen Abschwächung
anderer und der Einführung neuer Mittel. Aber der Stimmung
des besseren Christen, der seine Abhängigkeit vom höchsten
Herrn in freier Ausübung guter Werke meinte bethätigen zu
sollen, entsprach doch sein System ebensosehr, als es dem
Durchschnittschristen, der meinte, es sei genug „zu glauben
was die Kirche glaubt" und zu thun so viel man kann, die
Existenzberechtigung w^ahrte. Wir setzen den Mann durch diese
Beobachtung nicht herab, sondern sehen auch in dieser Beob-
achtung eine Bestätigung seiner theologischen Genialität.
14. Damit könnten wir diesen Abschnitt beschliessen^
wenn nicht ganz unwillkürlich sich hier die Frage erhöbe,
weshalb Duns trotz seiner Nachfolge Augustins von der ur-
christlichen Gedankenbildung so fern geblieben ist? Die Frage
ist einfach zu beantworten. Duns schritt in den Bahnen fort,
die Augustin gewiesen hatte : Der Wille droben und der Wille
unten. Aber die Zeit hatte manches vergröbert und abge-
plattet von Augustins Ideen. Duns reproduzierte sie in origi-
naler Weise. Er schränkte die physischen Gedanken von der
Sünde und Gnade ein und suchte gegen die erdrückende Prä-
ponderauz des göttlichen Willens ein Gegengewicht in der
schrankenlosen Freiheit des menschlichen Willens. Aber was
dadurch erreicht werden sollte, wurde 'von ihm ebensowenig
670 Kap. YIL: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
erreicht als von Augustiri selbst. Nach Augustin ist der Effekt
der Gnade der gute Wille oder die Liebe. Wie es aber zu
dieser kommt, wurde psychologisch freilich nicht klar. Duns
sucht alles Physische und Magische' dabei auszuschliessen, aber
er gibt das Beste bei Augustin dadurch auf und weiss schliess-
lich trotzdem nicht deutlich zu machen, wie es zur Liebe kommt.
Freies Menschenwerk ist sie und doch von Gott erschaffen.
Das ist der Punkt, wo die beiden Willensreihen seines Systems
aneinanderstossen, sie sollen einander ergänzen, aber sie ver-
derben einander.
Woraus begreift sich dieser Mangel? Augustin wie Duns
Scotus haben nicht verstanden was „glauben" heisst. Cnd
dadurch verlegen sie sich selbst den Weg zu einer persönlichen
geistigen Gemeinschaft mit Gott. Gott ist der Herr and die
Liebe ist das Ziel. Beide Sätze sind richtig, aber man weiss
sie nicht zu vereinigen. Entweder wird Gott als Gesetzgeber
gedacht, dann ist es Verdienst des freien AVillens ihm zu ge-
horchen, dann gibt es keine Gnade. Oder Gott erschafft die
Liebe, dann wird das innerliche Verhältnis zu ihm und die
Geistigkeit der Seele alteriert. Diese beiden Systeme haben
seit Tertullian und Augustin bis auf Luther die Geister be-
schäftigt ; sie zu kombinieren war das Hauptanliegen der Dog-
matik des abendländischen Katholizismus. Die Geschichte hat
gezeigt, dass die Aufgabe, so wie man sie stellte, unlösbar ist.
Die Lösung, die man vergebens suchte, ist im urchristlichen
Glaubensgedanken enthalten. In Christo erfährt der Mensch
die persönliche Gegenwart und Autorität Gottes; das heisst
er kommt zum Glauben. Der Glaube ist das Empfinden und
Innewerden der lebendigen Autorität und Einwirkung Gottes,
durch ihn nehmen wir hin was Gott uns sein und geben will.
Darum empfangen wir auch im Glauben neue Ideale und Güter,
neue Impulse und Kräfte von oben. Gott gibt und wir nehmen,
und doch ist es keine Vergewaltigung unserer Seele. Zwischen
Gottes Wirken und unserer freien That stellt der Glaube die
Brücke her. Wir thun in der Liebe mit freiem Willen was
uns gegeben wurde von Gott im Glauben.
Hiedurch ist allen Forderungen genügt. Eine rein geistige
persönliche Gemeinschaft ohne alle physische Beimengung liegt
Der Grundfehler im System des Duns. f)71
vor. Und Gottes Gnade ist unverkürzt die gebende Ursache
alles Guten; aber nicht minder ist der Freiheit der Menschen
Rechnung getragen, nicht nur in der Liebe allein, sondern schon
im Glauben, denn dieser Glaube ist nicht mit der persön-
lichen Passivität der Erlernung einer Formel behaftet, viel-
mehr ist in ihm die Aktivität, die in jeder geistigen Rezep-
tivität enthalten ist. Aber weiter, dieser Glaubensgedanke
schliesst auch jeden Positivismus äusserlicher Kirchlichkeit aus
— von dem blossen Assensus ist derselbe untrennbar — , denn
um das Erleben der Gegenwart einer geistigen Person handelt
es sich in ihm.
Weil Duns Scotus der evangelische Glaubensgedanke fehte, .^
deshalb fiel sein System in zwei Hälften auseinander: der ab-
solute Herr im Himmel und der absolut freie Mensch; des-
halb wurde er dazu gedrängt, um Gott gegenüber Raum für
die Seele zu finden, eine Freiheit schrankenloser Willkür dem
Menschen anzudichten. Hier wird es klar, wie doch alles in
der christlichen Religion am Glauben liegt. Vergleicht man
Duns mit seinen Vorgängern, so hat er auf diesem Boden
freilich Thomas gegenüber einen erheblichen Fortschritt ge-
macht, indem er den Glauben ganz der praktischen Vernunft
zuwies. Aber es ist noch nicht genug den Glauben zum
Formelbuch für die Liebe zu erklären.
Wir verstehen jetzt auch, woher die Theologie des Duns
mehr auflösend als bauend gewirkt hat. Je schärfer er die
Elemente der mittelalterlichen Theologie herausgearbeitet hat,
desto mehr mussten die Widersprüche derselben empfunden
werden; und je energischer er eine Anzahl von Begrifi^en um-
gedeutet, potenziert und depotenziert hatte, desto grösser musste
die Verwirrung im dogmatischen System werden — das neue
Flick auf dem alten Mantel — , hatte doch Duns selbst die
Unantastbarkeit der kirchlichen Formel eingeschärft. — Das
grosse Problem war nicht gelöst: Gott blieb der ferne Gott
und der Seele mit aller ihrer Willkürsfreiheit blieben die nahen
Ziele (vgl. oben S. 586).
672 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
4. Duiis Scotus und die Folgezeit.
1. Man dürfte ein Buch, ebenso dick wie das vorliegende,
schreiben, wollte man das in der 'Überschrift bezeichnete his-
torische Problem auch nur einigermassen erschöpfend behandeln,
denn man müsste zu diesem Zweck die Geschichte der Theo-
logie bis zum Tridentinum und zur Konkordienformel ein-
gehend beleuchten. Um so knapper werden unsere Bemerkungen
über diese Frage an diesem Ort ausfallen dürfen. ^)
Die übliche Auffassung der scholastischen Entwicklung ist
etwa die, dass auf die Versuche Abälards und des Lombarden
Thomas von Aquino folgte, der mit Hilfe von Aristoteles die
ganze Bewegung zum Abschluss brachte. Aus Querköpfigkeit
und Pelagianismus widersprach ihm aber Duns. Die späteren
eigneten sich dann den ihnen sympathischen Pelagianismus an
und machten auch Versuche Duns an Querköpfigkeit gleich zu
kommen. Die Unrichtigkeit des ersten Teils dieser Auffassung
hat sich uns früher ergeben. Aber der zweite ist nicht minder
verkehrt. Nicht ein zwischeneingekommener Störenfried ist
Duns gewesen, sondern das dem Thomas ebenbürtige Haupt
einer neuen Entwicklungsreihe. Was immer an Fortschritts-
elementen in der Theologie der Folgezeit sich regte, knüpfte an
seine Methode an und repetierte seine Gedanken oder führte
sie fort. Er hatte nicht nur Schüler, die seine Gedanken
wiederholten, sondern auch solche, die sie weiter ausdeuteten und
ihnen widersprachen. Und schon früh sind seine Einwirkungen
auch bei Thomisten wahrzunehmen. ^)
2. Vor allem muss man der grossen geistigen Bewegung, die
sich an den Namen Occams schliesst, hier gedenken. Je ge-
nauer man Occam kennen lernt, desto klarer wird es einem,
in wie hohem Grade dieser kühne und selbständige Geist von
Duns Scotus beeinflusst ist. Das ist um so bemerkenswerter,
als an einem für jene Zeit besonders bedeutungsvollen Punkt
Occam die Fahne des Duns verlassen hat. Duns ist, wie wir
^) Ich habe diese Zusammenhänge im II, Bande meiner Dogmen-
geschichte aulzudecken und etwas eingehender zu behandeln versucht.
^) Man vergleiche hier was ich über Hervaeus Natalis gesagt
habe, Realencyclop. VII », 772.
Duns Scotus und .Occam. 673
erkannt haben, energischer Vertreter des Kealismus, Occam
dagegen hat dem Nominalismus die Herrschaft erobert. Er hat
die spccies intelligibilcs geleugnet und die Universalien aus der
Art des Geistes die von dem Intellekt erzeugten Abbilder
der Dinge allgemein zu denken erklärt. Aber er hat dabei
das Empfinden davon, dass diese geistigen Gebilde nicht rein
willkürliche Fiktionen seien, sondern dass ihnen Objektives ent-
spreche, gehabt : universale non est figmentum tale, cui nou
correspondet aliquid consimile in esse subiectivo ^) quäle illud
fingitur in esse obiectivo (Sentent. II quaest. 8 H). Es würde
viel zu weit führen, wollten wir den Zusammenhang zu Duns
hier im einzelnen aufdecken. In Kürze sind es folgende Punkte
durch die Duns für Occam vorbildlich wurde. Die Genauig-
keit der psychologischen Analyse, speziell in der Betrachtung
des Erkenntnisvorganges, die Hervorhebung der aktiven Seite in
demselben, die stark betonte Erkenntnis, dass die Natur sich
im Individuum vollende, die unerbittliche Strenge in der Durch-
führung des empiristischen Grundsatzes, dass nur Wirksames
als wirklich bezeichnet werden kann. Behält man dies im Sinn,
so ist der Weg vom scotistischen Eealismus zum Nominalismus doch
nicht bloss als ein Sprung in das entgegengesetzte Extrem zu be-
zeichnen. Aus der Beobachtung des Denkens erschloss Duns die
objektive Wirklichkeit des Gedachten, Occam blieb bei der
subjektiven Realität der Begriffe stehen, denn weiter reicht die
Empirie nicht, aber er nahm doch auch an, dass etwas in den
Dingen diesen Begriffen entspreche, ohne darum aber das Be-
griffsbild als objektive Realität bezeichnen zu können. Es ist
derselbe nüchterne — von theologischen Voraussetzungen un-
beengte — Empirismus hier und dort.
3. Noch deutlicher ist der Zusammenhang, wenn man auf
die Dogmatik beider Männer hinsieht. Aber auch hier ist
Occam um einen Schritt weitergegangen. Duns übte Kritik
und paralysierte die Kritik durch die Formel des Dogmas und
des Kirchenrechtes. Hierin ist ihm Occam Schritt um Schritt
gefolgt. Aber bei seiner kritischen Analyse leitete Duns die
^) subiective bezeichnete das gegenständliche , obiective das vor-
^tellungsmässige Sein.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 43
674 Kap. Vll : Die geschichtliche Stellung des Diins Scotas,
Absicht einer positiven wissenschaftlichen Reproduktion der
kirchlichen Lehren. Diese Absicht ist bei Occam zurückge-
treten. Seine Kritik ist rein negativ, er will die ünhaltbarkeit
der Lehren aufzeigen und sie rein auf den Boden des kirchen-
rechtlichen Positivismus verpflanzen. Den anseimischen Zug
in Duns DciikAveise hat er ausgeschaltet. Dadurch hat er die
scotistische Kritik zur Vernichtung des scholastischen Lehr-
sytems gesteigert und hat den Positivismus jedes wissenschaft-
lichen Zuges entkleidet. Hatte schon Duns sehr stark die
ausschliessliche Autorität der Schrift behauptet, so hat ihn
Occam auch darin überboten, freilich nicht ohne Schrift und
Naturrecht einander zu koordinieren. Er hat die päpstliche
Infallibilität auf die Schrift übertragen und hat dies gestützt
durch eine möglichst kräftige Inspirationstheorie. Dadurch hat
er den rechtlich-biblischen Positivismus begründet, der durch
Calvin auch in dem Protestantismus Einzug gehalten hat, im
Gegensatz zu Luthers religiöser Begründung der Schriftautorität. ^)
Aber auch hierin ist er nur ein Schüler des Duns Scotus ge-
wesen, wie nicht erst bewiesen zu w^erden braucht.
4. Duns hat der scholastischen Theologie die Probleme
und Fragen für eine Arbeit von zwei Jahrhunderten geboten ;
aber er hat mehr gethan, er hat die Auflösung der Scholastik
und ihren Übergang in andere Formen der Theologie ange-
bahnt. In welchem Grade seine Gedanken den Schulbetrieb
beherrschten, kann man noch am Sentenzenkommentar des
sog. „letzten Scholastikers" Gabriel Biel studieren. Allerdings
war die Theologie der Zeit in gewissem Grade eklektisch, wie
überhaupt in den Zeitaltern erlahmender Kraft die Gräber
aller Propheten geschmückt werden. Aber die Linie der Ent-
wicklung geht doch durch Occam auf Duns Scotus zurück.
Thomisten wie Capreolus oder Dionysius Carthusiauus haben
diese Entwicklung nicht hemmen können. Erst ganz am Ende
der Periode, wo der Bankrott der Scholastik in aller Munde
war, wo die Dialektik zu widrigen Kunststücken herabgewür-
digt, dem Leben der Kirche immer femer stand, w^o die
1) Vgl. hiezu m. Dogmengesch. II, 153 f. 155 f. 179. 181. 384 f. 285 ff.
und die anregende Untersuchung von F. Kropatscheck, Occam und
Luther (Beiträge zur Förderung christl. Theol. IV).
Duns und die Ausgänge der Scholastik. 675
Skejjsis und Kritik den kirchlichen Machthabern immer un-
heimlicher wurde, kommt der Thomismus, die „alte Theologie"
wieder in die Höhe, vertreten durch Männer wie Thomas del
Vio und Silvester Ferrariensis. Und bei dieser Losung ist
man ja neuerdings wieder angelangt.
Doch kehren wir zu dem Ausgang der scotistischen Theo-
logie zurück. Was war von ihr geblieben ? Geblieben waren der
Kritizismus und sein Gegengewicht der Positivismus ; geblieben
war das lebhafte philosophische Interesse samt der dialektischen
Routine, geblieben war auch eine Anzahl einzelner Lehrformu-
lierungen, dann aber der Voluntarismus in seiner Beziehung
auf Gott und den Menschen, endlich aber und vor allem die
pelagianisierenden Theorien von der Sünde und der Gnade, dem
meritum de congruo und dem Thun dessen quod in se est. —
Aber viel war auch verschwunden, oder es war doch nicht mehr
so, wie es gewesen. Die tiefsten Tendenzen im Denken des Duns
Scotus waren nicht entfaltet worden ; aber einem starken Ein-
druck von der eigenartigen Grösse des Mannes haben sich auch
damals an der Wende des Mittelalters und der Neuzeit manche
Leser nicht entziehen können. Aber das Grosse seiner Ge-
samtanschauung war doch nicht mehr eine lebendige Grösse ;
so etwa der Gesamtentwurf des Systems von dem Gedanken
des prädestinierenden weltregierenden Liebeswillens aus, das
geistige Verständnis der Sünde, die Ansätze zur Umbildung
des Gnadenhabitus, jenes unklare Streben nach Vergeistigung
der Religion, oder schliesslich die relativ freie Stellung der
Überlieferung gegenüber, die innerlich zu reproduzieren ist.
Das lebte nicht mehr, man verstand es im Sinn der Inter-
preten und ihrer Problemstellungen. Man wollte etwas ganz
Neues oder ganz Altes. Die Mystik und Augustin, in praktisch-
theologischen Monographien verarbeitet, kommen in die Höhe.
Den Geist der Scholastik fand man nicht mehr, und das
Phlegma ekelte an.
Niemand, der verstanden hat, wie das System des Duns
sich innerlich aufreiben musste an den einander widerstrebenden
Grundtendenzen seiner Arbeit, kann es wunder nehmen, dass
es lebte und doch tot war. Was sollten diese feinen dialek-
tischen Distinktionen einem Zeitalter, das leben wollte und
43*
676 Kap. YII: Die geschichtliche Stelhiog des Duns Scotus,
nicht spekulieren ? Was sollte im rcissenden Strom praktischer
Gegensätze, unter dem Krachen der Fugen einer Welt eine
Theologie die zu allem Nein und schliesslich wieder zu allem
Ja sagte? Die Theologie des Duns war unter den Händen
seiner Schüler zur negativen Theologie geworden. Was man
wieder brauchte war eine positive Theologie, eine Theologie
aus der Keligion. Die Geschichte hatte den Mann immer
grösser und grösser gemacht, und sie hatte ihn klein gemacht.
Der mächtigste Träger seines Geistes, Occam war schliesslich
doch nur ein scharfsinniger Philosoph, ein politisierender Mönch
und ein Skeptiker, Kritiker und Verehrer der fides implicita,
kein Vertreter positiv kraftvoller religiöser Gedanken. Von
kleineren Geistern, die byzantinische Gelehrsamkeit an der
Deutung und Verteidigung alles Kleinen und jeden Details ent-
falteten, und von parteimässig borniertem Eigensinn dabei ge-
leitet wurden, kann ganz geschwiegen werden.
5. Ist das das Ende der geschichtlichen Wirkungen des
Duns Scotus? Mau kann diese Frage bejahen, denn es ist
das Ende der geschichtlichen Entwicklungsreihe, die von ihm
ausgegangen ist. Aber ist damit, dass die direkte Wirkung
einer geschichtlichen Erscheinung aufhört, ihr „Ende" be-
zeichnet ? Gewiss die, mit denen das geschieht, können sich an
historischer Grösse nicht messen mit den ganz Grossen der
Geschichte, von deren Bäumen die wechselnden Generationen
des Menschengeschlechtes neue Früchte pflücken — man denke
an Augustin oder Luther. Aber auch in der Geschichte gilt
das Gesetz der „Erhaltung der Kraft", es ist eines ihrer
Grundgesetze. Die Kräfte und die Werte wirken fort^ unend-
lich oft ungeformt^ in neue Formen verkapselt, geteilt und
reduziert, zerstäubt in ihre Atome, entblösst bis auf ihre letzten
Tendenzen, von der Wirkung zur leisesten Mitwirkung herab-
gesetzt, aus dem Positiven in das Negative oder auch umge-
kehrt gewandelt — und dennoch auch in dieser Unkenntlich-
keit — positiv oder auch negativ — noch immer wirksame
Kräfte. Aber auch in diesem Prozess gibt es eine lange Reihe
von Stufen. Sieht man auf die scholastische Theologie, so darf
man vielleicht sagen, dass die Wirkungen des Duns Scotus auf
die neue Zeit auf einer der obersten dieser Stufen stehen.
Duns Scotus und der moderne Katholizismus. 677
An Breite und Tiefe der geschichtlichen Wirkungen ist
er doch Thomas und allen scholastischen Meistern — ausge-
nommen etwa Occam, der aher sein Schüler war — üherlegen
gewesen. Wollte man dies Urteil dadurch schlagen, dass man
an die direkten Wirkungen erinnert, die Thomas bis zur Stunde
in seiner Kirche ausübt, so hätte man zwar den Schein für sich.
Aber ist es wirklich die fromme Aufklärung im Sinne des
Thomas, die heute in der katholischen Kirche herrscht? Übt
nicht die eigentliche Herrschaft jener gesetzliche Positivismus
des Staates der Kirche, der anerkannt werden soll, aber mit
dem der natürliche Mensch sich durch mancherlei Künste der
Kasuistik abfinden kann? Dieser Positivismus des Jesuit is-
mus steht aber sowohl hinsichtlich seiner Grundanschauung
als der kasuistischen Ethik sicher in Zusammenhang mit der
Gedankenwelt des Duns Scotus und seiner Nachfolger. Das
Gegebene und Positive ist das Richtige, man muss sich ihm
unterwerfen; freilich der Glaube schrumpft dabei noch mehr
zusammen als im Mittelalter, an Stelle des Jasagens genügt
auch das Nicht-neinsagen. Man kann sehr liberal sein und doch
ganz positiv bleiben ; man kann die Sittengebote der Kirche
konservieren und sie doch trefflich den „modernen" Bedürf-
nissen akkomodieren. — Das ist nicht der geschichtliche Duns
Scotus, es ist nur das „Phegma" seines Geistes, aber ein Stück
seiner Anschauungen hat sich auch hierin erhalten, zeitgemäss
„umgebildet". Für das Auge des Historikers ist es doch ein
merkwürdiges Schauspiel I Derselbe Mann, dessen Kritik der
reformatorischen Auflösung der mittelalterlichen Lehre vor-
gearbeitet hat, hat auch die Waffen geschmiedet, die dieser
Auflösung auf weiten Gebieten Halt geboten haben. Und doch
ist das Verhältnis weniger rätselhaft, als es zunächst scheint.
Es war etwas Modernes in dem merkwürdigen Mann. Die
grosse Frage der Krisis des ausgehenden Mittelalters, wie man
als moderner Mensch in den neuen geistigen und Kulturver-
hältnissen Christ bleiben könne, haben Luther und der Jesui-
tismus, beide in ihrer Weise, zu lösen versucht. Und beiden
hat bei diesem weltgeschichtlichen Unternehmen der Mann
etwas zu bieten gehabt^ der innerlich der Lehre seiner Kirche
frei gegenüberstand, wie kaum ein anderer Lehrer des Mittel-
678 Kap. VII: Die geschichtliche Stelhmg des Duns Scotus.
alters, und der sie doch äusserlich in allem konservieren wollte
bis zum „Tüttelchen" herab.
6. Aber die „neue Zeit" ist in der Geschichte der Theo-
logie und der Kirche durch Martin Luther bezeichnet; das
gilt nicht nur von denen, die ihm nachfolgten, sondern auch
von denen, die an ihm vorbeigingen oder ihn befehdeten. Gibt
es — das wird die Frage sein — einen historisch wahrnehm-
baren Zusammenhang zwischen Luther und Duns Scotus?
Diese Frage kann mit Sicherheit bejaht werden, und zwar in
fünffacher Beziehung.
Man kann den Kampf Luthers gewissermassen als einen
Kampf wdder Duns Scotus bezeichnen. „Scotus, ihr für-
nehmester Lehrer und grösster Sophist schreibet, dass ein
Mensch aus seinen natürlichen Kräften und freiem Willen
könne Gott und seinem Gesetze genug thun, was die Substanz
und das Wesen des Worts an ihm selbs belanget ohne des
Heiligen Geists Gnade ex merito congrui, dadurch er geschickt
wird, dass ihm Gott gewiss gibt, das nicht feihlen kann, Gnad
und kriegt ihn lieb; da folget alsdann nach meritum condigni,
dass, es verdienet würdig zu sein. Sagt weiter: dann kann einer,
spricht er, lieben das wenigere Gut, vielmehr kann er das
grössere lieben als Gott ist" (Luthers Werke Erl. Ausg. Bd. 60,
262). Die „Hauptketzerei" war aber für Luther, „die man
heisset der Pelagianer vom freien Willen und Verdienst der
Werke, welche sich hat allezeit neben eingeflochten und an-
geklebet, wie der Kot am Rade" (Erl. Ausg. ^ 19, 184). Das
war dieselbe Klage, die, seit Bradwardina sie erhoben hatte,
in den frommen Kreisen des Mittelalters nicht verstummte,
während in Theologie und Kirche die scotistisch-nominalistische
Freiheitstheorie zu immer kühnerem Ausdruck gelangte. Und
hierin fühlte auch Luther sich seit ziemlich früher Zeit von
den grossen Meistern der Scholastik geschieden. ^) Gabriel
^) Luther hat allen Scholastikern den pelagianischen Irrtum vor-
geworfen , mit alleiniger Ausnahme eines Lehrers seines Ordens , des
Gregor von Rimini (9. Weim. Ausg. II, 295. 303. 308. 394 f. etc.), der
allerdings die augustinische Sünden- und Gnadenlehre verfochten hat; er
war wie Luther Gegner des Aristoteles, ohne Freund des Plato zu werden,
denn er war Nominalist. Hierauf wurde verwiesen Dogmengesch. II, 225.
Luther wider Duns Scotus. 679
Biel, meinte er schon früh, sei sonst zwar ganz gut, aher über
Gnade, Liebe, Hoffnung, Glaube, Tugend wisse er nichts
Rechtes zu sagen (Briefe ed. de Wette I, 34). Man kann es
hieherziehen, dass er auch später von dem Lombarden an-
erkennend redet, aber seine Lehre vom Glauben und der
Rechtfertigung für „zu dünn und zu schwach" erklärt (Erl.
Ausg. 25. 258). Gerade hier fand er die verderblichsten Ein-
wirkungen des Aristoteles. ,,Hier tritt Frau Hulda hervor mit
der Potznasen, die Natur, und darf ihrem Gott widerbellen und
ihn Lügen strafen, hängt um sich einen alten Treudelmarkt,
den Strohharnisch, das natürlich Licht, die Vernunft, den
freien Willen, die natürlichen Kräfte, darnach die
heidnischen Bücher und Menschenlehre, Gebot und scharret
daher mit ihrer Geigen und spricht: dass vor der Recht-
fertigung sind auch gute Werke und sind nicht Kains
Werke, wie Gott sagt, und sind so gut, dass die Person
dadurch rechtfertig werde. Denn also hat Aristo-
teles gelehret, wer viel Gutes thut, der wird dadurch gut.
Darauf haftet sie fest und also kehret sie die Schrift um;
meinet, Gott soll die Werke zuvor ansehen und darnach die
Person. Solche teuflische Lehre regiret jetzt in allen hohen
Schulen, Stiften und Klöstern^' (Erl. 7, 239). Dies Urteil
wendet sich, wie die gesperrten Stellen zeigen, gegen die
herrschende Sünden- und Gnadenlehre, für die Aristoteles ver-
antwortlich gemacht wird. Dem gegenüber hat dann Luther
mit voller Wucht das servum arbitrium behauptet und die
augustinische Sündenlehre erneuert. Aber freilich, er hat sie
erweitert: .Und ist also kurz und dürre in dies Wort Sünde
172, Jüngst hat Stange eine Anzahl interessanter Fragen hinsichtHch
dieses Verhältnisses von Luther und Grregor aufgeworfen (Neue kirchl,
Zeitschrift 1900, S. 574 ff.). Es kann hier nicht darauf eingegangen werden.
Ich bemerke nur, dass man bei Luther pelagianisierende Ideen auch in
seinen Anfängen nicht nachweisen kann. Lehrreich hiefür sind die Rand-
bemerkungen zum zweiten Buch der Sentenzen, die zeigen, dass Luther
anfangs formal von der spätscholastischen Sündenlehre abhing, ohne doch
material ihr zuzufallen (Weim, IX, 71, 73. 74 f,). Zu einer anseimischen
Stelle (non idem est arbitrium et libertas) setzte er an den Rand: contra
modernos (ib. 111). Wir verstehen jetzt den Sinn dieser Bemerkung des
Mannes, der sich selbst zu den „Modernen" von damals rechnete.
f)80 Kap. YII : Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
beschlossen was man lehrt und thut ohn und ausser
dem Glauben an Christum" (Erl. 12,111). Der Zustand
des Menschen ohne Gott, d. h. ohne Glauben, war Luther die
Sünde. — Hier hat die scotistischo Lehre also negativ auf
Luther eingewirkt, wenngleich man auch der Frage nachdenken
kann, ob und inwiefern die Kritik der Vorzeit an Augustins
Lehre zur Vertiefung der Sündenlehre mit beigetragen haben mag.
7. Zum anderen ist aber auch ein positiver Zusammenhang
zwischen Luther und der späteren Scholastik zu konstatieren.
Derselbe ist zunächst formaler Art. Luther war durchgebildeter
scholastischer Theologe. Nicht nur an der Schrift ..de servo
arbitrio'^ lässt sich das zeigen, wie es neuerdings — freilich
nicht eindringend genug — versucht worden ist, sondern auch
an der technischen Konstruktion vieler seiner theologischen
Begriffe. Luther hat seine Theologie aus der Schrift geschöpft.
Aber das schliesst den bezeichneten geschichtlichen Zusammen-
hang nicht aus. Man kann ihn an so wichtigen Lehrstücken
wie der Versöhnung, der Rechtfertigung und der Sakraments-
lehre aufzeigen. ^) In der Abendmahlslehre ist Luther aus-
gegangen von Anregungen Occams und d'Ailli's und er ist
immer tiefer in Gedankenzusammenhänge gekommen, die zuerst
Duns hergestellt hatte. Man darf derartige Urteile nicht auf
die Spitze treiben ; weder ist direkte litterarische Abhängigkeit
zu konstatieren, noch sind die Tendenzen identisch, aber in der
Wahl der Mittel und der Anlage der Gedanken ist doch ein
Zusammenhang nicht zu verkennen.
Aber wie war es nur möglich, dass der scholastisch wohl-
gebildete Mann sich von den Lehren des Mittelalters, trotz
allem, so leicht löste? Das führt uns zum dritten. Es ist die
kühne Kritik der theologischen und kirchlichen Überlieferung,
die Duns Scotus eingeführt hat. Man könnte dem gegenüber
auf die kritische Stimmung des Humanismus verweisen, aber
Luther war kein Humanist und er hat dem erfahrungslosen
E-äsonnement vieler Humanisten gegenüber seine eigenen Ge-
danken gehabt — und hing jene humanistische Kritik nicht
selbst mit den theologischen Zuständen zusammen? Wenn
^) S. die Nachweise in m. Dogmengesch. II, 248. 256 f. 268.
Positive Beziehungen zwischen Luther und Duns. 681
man erwägt, wie viele Lehren seit Duns' Kritik leere Schemen
geworden waren — die eingegossene Gnade, der sakramentale
Charakter, die Transsubstantiation, manclie Züge des Buss-
sakramentes — , und wie gewaltig diese kritische Stimmung
angewachsen war — viele Geister und mancherlei Hände haben
wie immer in der Geschichte dazu mitgearbeitet: dann wird
man auch hierin die geschichtliche Bedeutung des Duns Scotus
anzuerkennen bereit sein. Allerdings auch diese Kritik war
unfähig zu bauen, wie man an Occam sehen kann. In dem
Dialog der Ideen der AVeltgeschichte ist mächtig allein das Ja
der positiven Überzeugung, aber es bedarf doch immer auch
des Nein der Kritik. So ist auch Luther der Reformator der
Kirche durch den positiven Inhalt seiner Glaubenserfahrung
geworden, aber das darf uns nicht ungerecht machen in der
geschichtlichen Schätzung jenes „vorreformatorischen^^ Nein, zu
dem Duns den Anstoss gab, mag der Ton in den wechselnden
Bedürfnissen und Strömungen der Zeit noch so oft neu ge-
stimmt worden sein.
8. Ein vierter Punkt bezieht sich auf die Bestimmung der
Theologie als positiver Wissenschaft. Luther hat mit dem
kirchenrechtlichen Positivismus der Scholastik gebrochen. Aber
er hat die Einsicht, die wir soeben aussprachen, nicht auf-
gegeben. Freilich er ist auch nicht einfach eingebogen in die
Pfade der kirchenrechtlichen Schätzung der heil. Schrift. Seine
Auffassung der Schrift ist nun einmal verschieden von der des
Duns Scotus oder Occams. Der Glaube ergreift Christum und
in Christo in lebendiger Erfahrung die Offenbarung Gottes in
der Schrift. „Weyss ich aber was ich glewb, sso weyss ich
was ynn der schrifft stehet, weil die schrifft hat nit mehr
denn Christum und Christlichen glawben ynn sich'^
(Weimarer Ausg. 8, 236). Nicht das „Naturrecht'S auch nicht
das ,, göttliche Recht'^ war ihm der Inhalt der Schrift, sondern
sie bot ihm die positive Offenbarung Gottes in Christo, deren
Kraft und Wirklichkeit der Mensch erfährt und empfindet in
der Person Jesu Christi. Wir stehen vor dem Grössten, was
die Kirche und die Theologie Luther verdanken. Auch für
ihn war die Religion das Erleben eines von Gott gegebenen
besonderen geistigen Inhaltes. Aber dieser Inhalt war eine
682 Kap. VII: Die pfeschichtliche Stellung des Duns Scotus.
geistige PersoD, persönlicher Wille, Liebe und Kraft. ^) Hie-
mit Avar aber der urchristb'che Glaubensbegriff notwendig resti-
tuiert; die Annahme dessen, was diese Person uns ist und
gibt, das war für Luther der Glaube. Diese Empfindung der
Herrschaft Christi war gewiss auch nur als in Vorgängen der
praktischen Vernunft sich verwirklichend vorstellig zu machen.
Aber wie gross ist doch hier die Differenz Luthers von Duns.
Bei Duns war der Glaube die Aneignung einer Summe von
praktischen Vorstellungen, die uns dazu anleiten Gott zu lieben.
Bei Luther ist er das persönliche Erlebnis der gnädigen Gegen-
wart und der wirksamen Kraft des persönlichen Gottes. Man
sieht leicht, wie von hieraus auch die Begriffe der Gnade,
sowie der sittlichen Liebe und der guten Werke eine Wand-
lung erfahren müssen. Aber nicht hierum handelt es sich uns.
Wir wollten nur zeigen, wie Luther einerseits den Anregungen
des Duns hinsichtlich der Selbständigkeit der Eeligion und der
Freiheit der Theologie als positiver Wissenschaft gefolgt ist —
es war eben ein besonderer Bereich, in dem er die Theologie
zu denken gewohnt war — , und wie er andererseits gerade
hier die völlig neuen Bahnen einschlug, die ihm seine Er-
kenntnis Christi und sein Glaube erschlossen.
Aus dieser inneren Stellung wird sich die tiefe Abneigung
begreifen, die Luther gegen ,, menschliche platonische und philo-
sophische Gedanken'^ über Christus hegte. ,,Er will uns nicht
zerstreuen in die Kreaturen, die durch ihn geschaffen sind,
dass wir ihm da nachlaufen, suchen und spekulieren sollen, w^ie
die Platonici thun, sondern er will uns aus denselben w-eit-
läufigen spazierflüchtigen Gedanken sammeln in Christum'^
(Erl. 10, 181. 188). Hier dürfte aber auch ein Punkt vorliegen,
der die heftige Abneigung Luthers gerade wider Thomas
von Aquino erklärt. Er fühlte, dass der Aristoteliker Thomas
Fremdartiges in die Theologie eingeführt habe, und je mehr
Thomas damals wieder in Blüte kam, desto tiefer ward sein Un-
wille wider ihn. Thomas multa haeretica scripsit et autor est
nunc regnantis Aristotelis vastatoris piae doctrinae (Weim. 8, 127).
Thomas war ihm „der Brunn und Gruudsuppe aller Ketzerei^
^) S. Dogmengesch. II, 237.
Luther, Thomas und Dans. 683
Irrthumb und Yertilgimg des Evangelii, wio seine Bücher be-
weisen'^ (Erl. 24, 240); charakteristisch heisst es von ihm ,,deni
mau die Taube ins Ohr malet; ja ich meine, es sei ein junger
Teufel gewesen'^ (Erl. 15, 459).
So viel ist also klar, dass Luthers Theologie durchaus
positive Wissenschaft, weil die Wissenschaft vom Glauben, war.
Auch hier führte aber eine Verbindungslinie zurück zu den
Ideen des Duns Scotus.
9. Noch ein fünfter Punkt muss hier erwähnt werden.
Es ist der Gottesbegriff. Die heute häufige Wiedergabe von
Luthers Gottesgedanke, Gott sei die Liebe, ist ohne nähere
Erläuterung höchst missverständlich, zumal wenn man aus dieser
Formel einen Gegensatz zu dem Gedanken des Mittelalters —
oder auch Calvins — ableitet. Der Satz: deum omnia in Omni-
bus operari ist doch nicht nur eine vorübergehende Idee in
„de servo arbitrio" gewesen. Vielmehr hat dieser Gedanke in
der praktischen Form, dass Gott der allwirksame Herr sei,
Luthers Weltanschauung je und je bestimmt, nicht anders als
etwa seine Epigonen Butzer und Calvin. Wir lernten oben
den einen Grund von Luthers Hass gegen Aristoteles kennen,
es war die Freiheit des sündigen Willens. Nicht minder wichtig
ist aber der andere Grund. Es ist der unlebendige Gottes-
begriff. Davon sagt Luther: „Und der Oberste sitzet über
dem Himmel und siebet garnichts was irgend geschiehet,
sondern, wie man das blinde Glück malet, rüttelt er den
Himmel herum ewiglich alle Tage einmal ; da kommt denn ein
jeglich Ding wie es kommt. Und ist seine Ursache: sollte er
alle Dinge sehen, würde er viel Böses und Unrechtes sehen,
davon würde er unlustig. Dass er nun seine Lust behalte,
soll er nichts sehen denn sich selbst und also die Welt
blintzlich regieren, gleichwie die Frau das Kind wieget
in der Nacht" (Erl. 10, 320 f.).
Das ist der Gegensatz, wider den sich Luthers positiver
Gedanke von Gott wendet. Der Gott, den er empfand, ist die
allmächtige Liebesenergie, die allem Sein und Werden gegen-
w^ärtig ist (Erl. 30, 58). „Alle Kreaturen sind Gottes Larven
und Mummereien, die er will lassen mit ihm wirken und helfen
a,llerlei schaffen, das er doch sonst ohne ihr Mitwirken thuu
684 Kap. VII: Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus.
kann nnd auch thut, auf dass wir bloss an seinem Wort allein
hangen" (Erl. 11, 110). Damit soll ja die Aktivität der Kreatur
nicht ausgeschlossen werden, aber doch soll Gottes Wille es
sein, der alles in allen wirkt. „Die Mittel sind Gottes Larven
und Mummerei, darinnen er läuft auf Erden. Er will mir helfen
in allen Diogen, an Leib und Seel und dass ich allein auf sein
Wort vertraue, dennoch will er auch, dass ich das Meine dazu
thuu soll, Ross, Spiess, Schwert und Wagen haben ....
Unter dieser Rüstung und Kriegswehren, da will Gott bei dir
sein und sich darunter verbergen, dass andere Leute gedenken
möchten, du würdest es ausrichten mit deiner Kriegsrüstung
und eigener Macht, so es doch Gott allein thut. Also thut
Gott auch mit den anderen Dingen ; er heisst uns beten,
arbeiten etc., welches alles nur ein lauter Spiegelfechten ist"
(Erl. 35, 251. 252).
Der Gott Luthers ist Gewalt, Macht, AVille, That. In
allem gegenwärtig, wirkt er alles als der Herr und Regent der
Welt. Es ist nun unfragHch, dass dieser Gottesbegriff zurück-
greift auf die Auffassung, die Duns mit besonderer Deutlichkeit
vorgetragen hat. Durch die Vermittlung Luthers ist eine der
wertvollsten Ideen der mittelalterlichen Theologie auf die Neu-
zeit übergegangen. Aber es darf doch auch nicht verkannt
werden, dass die religiöse Genialität Luthers diesen Gedanken
vertieft hat. Seine Gotteserkenntnis erwächst aus der Erkennt-
nis Christi. Dadurch gewinnt die dem Duns Scotus geläufige
Formel, dass Gott Liebe sei, einen tieferen und streng persön-
lichen Gehalt. In Christo wird die allmächtige Gottesliebe als
persönlicher barmherziger Wille empfunden und angeschaut.
Es ergibt sich die Einsicht „göttliche Natur ist nichts
anders denn eitel Wohlthätigkeit" (Erl. 7, 159. 68.
72 ff.). Der metaphysischen Erwägung der Weltursache hat
Luther nicht bedurft, die geistige Einwirkung der Person Christi,
wie sie Glauben wirkt, erschloss ihm die Tiefen der Gottheit.
Wie nun aber die Erkenntnis Christi und seiner Wirkungen
von Luther immer wieder in die Formeln „Herr" und „Herr-
schaft" gefasst ist ^), so wird das Wesen Gottes oder des ewigen
^) S. Dogmengescli. II, 263.
Luthers CTottesbegriff im Verhältnis zu Duns. 685
Liebeswillens das Merkmal der Herrschaft und Alleinwirksam-
keit nie entbehren. Alles Gute und alle Frömmigkeit wird uns
dadurch zu Teil „das goth das sein in uns habe und er allein
in uns sey, lebe und regire. Dis solt man am höchsten und
ersten begeren" (Weim. 2, 98). — So kann auch hier der Zu-
sammenhang von Luthers Gedankenbildung mit der Arbeit
voriger Jahrhunderte beobachtet werden. Die Ideen der
Schrift „vom unfreien Willen" sind doch nicht nur zufällige
Reminiscenzen, sondern sie reichen bis in das Innerste von
Luthers Religion hinein.
Wenn nun Luther trotz dieser Gedanken das Verhältnis
von Gotteswillen und Menschenwillen nicht eigentlich als
quälendes Problem empfunden hat, wenn er die Gnade und
das Wort, unbehindert durch prädestinatianische Voraussetz-
ungen, wirksam werden Hess, so versteht sich das einmal aus
dem lebhaft persönlichen Empfinden von dem Wirken Gottes
in dem Gläubigen, dann aber daraus, dass er die scotistische
Idee von der Willkür des menschlichen Willens nicht vertreten
hat. Er hat den Willensprimat theoretisch nicht gelehrt,
sondern meint: „wo die Vernunft hingehet, da folget
der Wille hinnach; wo der Wille hingehet, da folget die
Liebe und Lust hinnach" (Erl. 10, 207). Die Spannung
zwischen jenen Begriffen wurde gemindert, indem die starre Ein-
seitigkeit der scotistischen Auffassung des menschlichen Willens
aufgegeben wurde.
10. Damit w^äre auch die letzte Frage, die der geschicht-
liche Zusammenhang uns stellt, erledigt. Es griffe über den
dogmengeschichtlichen Rahmen hinaus, wollten war etwa der
Frage nachdenken, ob und iüwiefern Duns auf die Philo-
sophie der Folgezeit — etwa Leibniz — eingewirkt hat. Es
ist genug, wenn wir erkannt haben, wie die geistige Arbeit des
grossen Scholastikers eine feste Stellung einnimmt in dem Ge-
füge der geistigen Entwicklung der Menschheit und der christ-
lichen Theologie. Auch hier ist die Kraft erhalten worden,
nicht ohne jene Wandlungen zu erfahren, welche die Geschichte
an allen ihren Gebilden ausübt.
11. Möge es dieser Darstellung beschieden sein ein wenig
zur Aufhellung der Geschichte der Gedanken des späteren
686 Kap. Vll: Die ß^cschichtliclie Stellung des Duns Scotus.
Mittelalters beizutragen. Zum Schluss seien einige Aussprüche
zusammengestellt, welche zeigen, wie auch in der neuen Zeit
die Forscher von der geistigen Arbeit des Duns Scotus einen
grossen und imponierenden Eindruck empfangen haben. Eras-
raus schreibt: Scotus et huius similes ad rerum cognitionem
utiles sunt, ad dicendum iuutiles ^). Das ist der Humanist,
wie er leibt und lebt! Dann aber: Malim cum Chrysostomo
pius esse theologus quam cum Scoto esse invictus ^). — Luther
gibt seinen Eindruck von der geschichtlichen Stellung des
„fürnehmsten Lehrers und grössten Sophisten" (oben S. 678)
wieder in den Worten : Surrexit Scotus unus homoet
omnium scholarum et doctorum opiuiones im-
pugnavit et praevaluit^). — Und in unserem Jahr-
hundert urteilt Haureau, der Historiker der scholastischen
Philosophie: „Nous rendons, pour notre part, le plus sincere
hommage au puissant genie du Docteur Subtil ; nous recon-
naissons que parmi les philosophes de son ecole, il occupe
sinon le premier, du moins un des premiers sieges. Non seule-
ment il congoit promptement, resolüment, mais, ce qui est le
don particulier des nobles esprits il congoit sans iuquietude,
comme assure par avance que toute idee nouvelle, toute Solution
d'un Probleme nouveau a sa place determinee dans un ensemble
que rien ne peut venir troubler. Et quel ingenieux artisan
des syllogismes! Parmi les plus fameux dialecticiens, en est-
il un seul qui procede avec plus de methode, pour enserrer
l'auditeur en des liens mieux tisses? Oui, nous nous in clinons
avec le plus profond respect devant cet eminent philosophe;
mais nous ne pouvons nous declarer pour sa philosophie" *)
Aber auch der Kritiker der Scholastik und grimme Gegner des
Realismus, Prantl meint: „Es ist leicht gesagt, Duns Scotus
sei der abstruseste aller Scholastiker, während doch ein ge-
naueres (allerdings mühevolles) Studium seiner Schriften ihn
uns als einen scharfsinnigen Denker zeigt, welcher das damals
zugängliche Material vollständig kannte und zugleich mit
distinktivem Verstände durchdrang. Anziehende Reize als
^) Erasmi Opera, Lugdun, Bat. 1704, V, 857.
2) ib. 137.
') Weimar. Ausg-. II, 403.
*) Haureau, Hist. de la philo'sopbie scolast. II 2, 259.
Urteile über Diins Scotus, 687
Schriftsteller besitzt er wahrlich nicht .... Aber hinter
dieser struppigen Form steckt ein Denken, welches, soweit dies
im Mittelalter überhaupt müglich war, wenigstens weiss was es
will, und auf Grundlage der damaligen allgemeinen Anschau-
ungen die Begriffe durchmisst, und dies ist, im Vergleich mit
der Borniertheit eines Albert und eines Thomas, jedenfalls für
den Leser wohlthuend" ^). — Um endlich noch einen Theo-
logen zum "Wort kommen zu lassen, sei das Urteil von A.
Ritschi erwähnt. Sein Biograph berichtet davon nach einem
Brief: „Mit besonderem Vergnügen, sagt er, habe er über die
Sache (fides implicita), den Duns gelesen. Er wünschte, dass
diejenigen, die „unter uns in Dogmatik machen, sich einmal
in dem Dr. subtilis spiegeln wollten. Wenn derselbe nicht in
Ketten von Syllogismen procediert, so ist er lichtvoll, wie nur
irgend einer . . . Ich möchte wohl wissen, ob noch ein evan-
gelischer Theolog ausser mir den Duns zu den Sentenzen im
Zimmer stehen hat" -). Dies Urteil ist um so interessanter,
als der Beurteiler und der Beurteilte in ihrer geistigen Eigen-
art einer gewissen Wahlverwandtschaft nicht entbehrt haben.
Noch manches billige und unbilhge Urteil könnte man
anführen. Indessen wird das Gesagte genügen, um — falls es
dessen noch bedürfte — den Aufwand an Zeit und Kraft, die
der Verfasser an diese Untersuchungen gewandt hat, und den
er auch seinen Lesern zumuten musste, zu rechtfertigen.
^) Prantl, Gesch. der Logik III, 202.
2) 0. Ritschl, A. Ritschls Leben II, 483.
Inhalt.
Einleitung.
Seite
Die Aufgabe, Leben und Schriften des Johannes
Duns Scotus l
• 1. Bedeutung der Aufgabe, neuere Bearbeitungen, Methode der
Darstellung S. 1 — 7. — 2. Die wissenschaftlichen Tendenzen der Fran-
ziskaner S. 7 f. Robert Crrosseteste und die Oxforder Theo-
logie S. 8. Zusammenhang mit Anselm S. 8 — 11. Grossetestes
Realismus S. 11 — 13. Grrossetestes theologische Lehren S. 14 — 16. —
3. Richard von Middleton als Vorläufer des Duns Scotus
S. 16-33. Theologie, Schrift, Glaube, Willensprimat S. 16—18.
Gottes Wesen S. 18. Die Prädestination S. 19. Justitia originalis,
Freiheit des Willens S. 19 f. Die Erbsünde S. 20. Synderesis S. 20 f.
Christologie, Mariologie S. 21 f. Erlösung und Satisfaktion S. 22 f.
Wirkliche und scheinbare Glieder der Kirche S. 23 f. Gnade S. 24.
Sakramente S. 24 f. Rechtfertigung S. 26 f. Ablass S. 2f?. Ethische
Fragen S. 27 f. Anschauung von den Universalien S. 29 fi". Ver-
gieichung von Richard und Duns S. 31 — 33. Die Oxford er Theo-
logie S. 33. — 4. Sichere Daten aus dem Leben des Duns Scotus
5. 34 — 36. Die Chronologie seines Lebens S. 36 — 38. Geburts-
orts. 38—42. Lebensgang S. 42— 46. Tod und Todes art S. 46— 50.
— 5. Charakteristik der wissenschaftlichen und persönlichen Eigen-
art des Duns Scotus S. 50 — 57. Bilder des Duns Scotus S. 57. —
6, Die Schriften des Duns Scotus S. 57 — 63. Zweifelhafte Schriften
S. 63—67.
Erstes Kapitel.
Philosophische und theologische Prinzipienfragen 68
I. Die philosophischen Hauptlehren 68
1. Die Universalien und die Individuation . . 68
1, Realität der Universalien S. 68 — 71. — 2. Singularität, Kom-
munität, Universalität S. 71 f. — 3. Die Individuation S. 72 f. —
4. Häcceität und Individualität S. 73 f.
Inhalt. 689
Seite
2. DieEinheitder Materie 74
1. Das Sein der Materie S. 74 f. — 2. Die Materie Potenz
schlechthiniger Abhängigkeit von Grott S. 75 f. — 3. Materia primt)
prima, secundo prima, teri;io prima S, 76. — 4, Einheit der ersten
Materie S. 76 f.; — 5. sie besteht an sich S. 77 f. — 6. Die Materie
der Grund schlechthiniger Determinabilität der Welt durch Gott
S. 78 f.; Einheit der Materie und Wert des Individuums S. 79.
3. Die scotistische Psychologie 80
1. Geistigkeit und Einheit der Seele S. 80 f. — 2. Die Seele
die Form des Menschen S. 81 f. — 3. Kreatianismus S. 82 f. —
4. Die Kräfte der Seele von der Seelenessenz nicht real unter-
schieden S. 84 f. Denken und Wollen real unterschieden S. 85 f.
4. DerWillensprimat 86
1. Geistige Art des Willens S. 86. Kontingenz S. 87. — 2. Die
W i 1 1 e n s f r e i h e i t S. 87. Gottfried und Heinrich S. 88. Der Wille
alleinige Ursache der Volitionen S. 89. — 3. Der Primat des Willens
vor dem Intellekt S. 89 fT. — 4. Der Zusammenhang zwischen Wollen
und Denken S. 91—94. — 5. Schwierigkeiten S. 94—96.
5. DieEr kenntnislehre 96
1. Aktivität im Erkenntnisakt S. 96 f. — 2. Sensation und In-
tellektion S. 97. — 3. Der Vorgang des Erkennens S. 97—100. —
4. Species sensibilis et intelligibilis S. 100 — 102. — 5. Die Erkenntnis
richtet sich auf das Einzelne und Besondere S. 102 f. Die Erfahrung
und das Denken S. 103. Gewissheit S. 103 f. Gedächtnis S. 104 f.
— 6. Die Selbsterkenntnis der Seele und ihrer Habitus S. 105 — 108.
— 7. Der Empirismus und Subjektivismus der scotistischen Erkennt-
nislehre S. 108 f. — 8. Die Erkenntnistheorie in ihrer Anwendung
auf die Erkenntnis Gottes S. 109—113.
II. Die theologischen Erkenntnisprinzipien . . . 113
1. Die Offenbarung in der heiligen Schrift und die
Lehre derKirc he 113
1. Theologie und Offenbarung, praktischer Zweck der letzteren
5. 113 ff. — 2. Die Wahrheit der Schrift S. 115 f. Die Inspiration
S. 116. Beweis der Glaubwürdigkeit der Schrift S. 116 ff. Die Schrift
die suffiziente Lehre von Gottes Weltregierung S. 118. — 3. Die
Schrift die alleinige Lehrautorität S. 118 f. — 4. Schrift, Symbol,
Tradition S. 119. Schrift und Kirche entscheiden über die Lehre
.S. 120. Der Glaube an die Schrift ruht auf dem Glauben an die
Kirche S. 121. — 5. Der kirchliche Positivismus S. 122 f.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus. 44
690 Inhalt.
Seite
2. Die Aufgabe der Theologie 123
1. Gottes Offenbarung Gegenstand der Theologie S. 123 f.
Die Theologie ist nicht Metaphysik S. 125. — 2. Die Theologie oder
das religiöse Erkennen ist praktische Erkenntnis S. 125 — 127. —
3. Die Theologie als "Wissenschaft S. 127 f. — 4. Der praktische
Charakter des religiösen Erkennens und der kirchliche Positivismus
S. 128 f.
3. Der Glaube 129
1. Eides acquisita und lides infusa S. 129 f. — 2. Ob der ein-
gegossene Glaube die Überzeugung von Gottes Wahrhaftigkeit ist?
S. 130 f. — 3. Ob die Art der Glaubensobjekte den eingegossenen
Glauben erfordert? S. 132 — 135. — 4. Der eingegossene Glaube ist
propter auctoritatem anzunehmen S. 135; es ist die Neigung und
Richtung zur Erkenntnis Gottes S. 136 f. — 5. Der Wille und der
Glaube S. 137 f. — 6. Die fides implicita S. 138-140. — 7. Be-
urteilung des scotistischen Glaubensbegriffes S. 140 — 142.
Zw eites Kapitel.
Der Gottesbegriff. Die Lehre von dem Menschen
und der Sünde 143
I. Der Gottesbegriflf 143
1. Der Beweis für das Dasein Gottes. . . , 143
1. Der Gottesbegriff nicht an sich notwendig, der Nachweis
eines schlechthin Ersten S. 143 f. — 2. Das erste Glied des Beweises :
es gibt ein schlechthin erstes Verursachendes S. 145. Unmöglichkeit
eines regressus in infinitum sow^ohl für die essentielle als die empi-
rische Ursachenreihe S. 145 — 148. Das erste Verursachende ist
inkausabel und informabel S, 148, es ist wirklich S. 149. — 3. Das
zweite Glied des Beweises : es gibt einen absoluten Zweck S. 149 f. —
4. Drittes Glied des Beweises: es gibt ein schlechthin Eminentes
5. 150. — 5. Diese drei Primitäten sind eine QuidditätS. 150, —
6. und schlechthin identisch S. 150 f. — 7. Beurteilung S. 151 f.
2. Das Wesen Gottes 152
1. Gott denkt und will, die Freiheit des göttlichen Willens
wird bewiesen aus der Kontingenz in der Welt S. 152 — 155. —
2. Die erste Ursache wirkt kontingent S. 155 f. — 3. Die Freiheit
der ELreatur und Gottes Wille S. 156 f. Der freie Wille will,
wozu Gott ihn bestimmt S. 157 f., die Freiheit bezieht sich auf den
Naturzusammenhang S. 159. — Gottes Präscienz und die mensch-
liche Freiheit S. 159 f. Determinismus und absolute Freiheit des
Willens bei Duns S. 160. — 4. Gottes Freiheit bethätigt sich in
Inhalt. 691
Seite
einer Volition S. 161, Beziehung zur Welt S. 162. Dieser Wille
grundlos S. 162. Gottes Wille als positiver Grund alles Wirklichen
5. 163. — 5. Die potentia absoluta und ordinata S. 163 — 165. — ^
6. Der denkende und -wollende Gott ist unendlich S. 165 f. —
7. Die Einheit Gottes S. 167, Zusammenhang der scotistischen
Gotteslehre S. 167f. — 8. Gott ist actus purus S. 168f. — 9. Gott
ist die Liebe S. 169. Gottes Liebe zur Kreatur ist abgestuft je
nach der Nähe zum göttlichen Zweck S. 170 f. Gottes Liebe sein
Grundverhältnis zur Welt S. 172. — 10. Gottes Gerechtigkeit
S. 172 f. lustitia commutativa et distributiva, nur letztere einfach
auf Gott übertragbar S. 173 f. Gottes liberalitas S. 174. Gottes Ge-
rechtigkeit ist seine Treue gegen sich selbst und die dieser ent-
sprechende Handlungsweise S. 175, der Begriff nicht privatrechtlieh
zu verstehen S. 175. — 11. Gottes Barmherzigkeit ist kein
Affekt, sondern der Wille Gottes, dass die Menschen nicht Übel
treffen S. 176. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit S. 176. —
12. Gottes Liebe als rechte Liebe, Gottes Liberalität, Gottes
dominatio und die subiectio der Kreatur S. 177 f. Der Gottesbegriff
des Duns ist nicht als absolute Willkür zu charakterisieren S. 178 f.
3. Die göttlichen Eigenschaften .... 179
1. Die Einfachheit S. 179. — 2. Der Vielheit der Eigenschaften
entspricht Keales in Gott, gegen Thomas und Heinrich S. 180 f. —
3. Die formale Differenz der Eigenschaften unter einander S. 181. —
4. Der Realismus in dieser Lehre S. 181 f.
4. Die Lehre von derTrinität 182
1. Ableitung aus dem göttlichen Denken und Wollen S. 182 f.
Ob in Gott productio möglich? productio ad intra S. 183—185. —
3. Der Sohn durch einen Denkakt erzeugt, der Wille ist complacens
5. 185. Wodurch der Vater zeugt? gegen Thomas und Heinrich
S. 185 f. Die Produktivität in Gott ist etwas Absolutes S. 186 f. —
4. Produktion des Geistes durch den Willen S. 187. Wie der Wille
zur Mitteilung von Natur diene? S. 187 f. Ob und wie der Wüle
notwendig produziere? gegen Heinrich S. 188 f. Doch auch freies
Wollen S. 189. — 5. Logisch geht die intellektive der voluntativen
Produktion voran S. 189. Ob der Geist nur vom Vater oder auch
vom Sohn ausgehe? S. 190. Im Gegensatz zu Thomas kann eine
logische Notwendigkeit hier nicht erwiesen werden S. 190 f. Die
kirchenrechtliche Feststellung entscheidet, Vater und Sohn sind in
vi spirativa eins S. 191, ihre concordia (Richard v. St. Viktor) S. 192.
Ewige Zeugung S. 192. — 6. Verhältnis der Essenz zu den
Hypostasen. Natur und Subjekt, das Subjekt durch eine doppelte
Inkommunikabilität charakterisiert S. 193. — 7. Ob die Hypostasen
44*
692 Inhalt.
Seite
primae oder secundae intentiones sind ? S. 193 f. Definition des Richard
V. 8t. Viktor, doppelte Inkommunikabilität der Hypostasen; dazu
kommt das Merkmal der Intcllektualität S. 194. Da die doppelte
Negation der Inkommunikabilität auf Position beruht, sind die Hypo-
stasen intentiones primae S. 195. Ein positiver Begriif nicht zu finden
S. 195. — 8. Die eine Essenz und die drei Personen S. 195 f. Die Per-
sonalität und die Essenz sind etwas Verschiedenes S. 196 f. — 9. Gene-
ration in Gott, die göttliche Essenz ist actus infinitus, dann kann die
Essenz nicht wie eine Materie gedacht werden, gegen Heinrich und
Gottfried S. 197 f. Der Essenz und der Hypostase ist die Infinität ge-
meinsam, formale Differenzen sind dadurch nicht ausgeschlossen S. 199.
— 10. Die personalen Relationen unterscheiden die Personen real,
ohne die Essenz zu spalten S. 199 f. Das personale Leben der gött-
lichen Essenz der Realgrund der trinitarischen Relationen S. 200 f. —
11. Die Seinsart der trinitarischen Hypostasen nach üblicher Auf-
fassung Relationen der Setzung und des Gesetzten S. 201 f. Duns
fordert das Sein der Hypostasen als Voraussetzung der Relationen,
das absolute Sein der Hj^postasen hindert ihre Kommunikabilität
nicht S. 202 — 204. Nach Bonaventura werden die Hypostasen als
durch die Kausalitätsrelation verbundene Substanzen gedacht, sie
sind also absolut und auch Relationen S. 204 — 209. — 12. Gründe
gegen diese wie die übliche Auffassung ohne eine deutliche Ent-
scheidung S. 206 f. — 13. Duns verschärft das trinitarische Problem,
indem die Substanz personal und die Personen substanziell gedacht
werden S. 207 f. — 14, Das Ineinandersein der trinitarischen Hypo-
stasen S. 209 f. — 15. Bedeutung der Trinitäts- und Gotteslehre des
Duns S. 210 f.
II. Die Schöpfung der Welt 211
1. Der Begriff des Schaffens 211
1. Productio extrinseca , der dreieinige Gott der Schöpfer
S. 211. Ob Gott von Ewigkeit her schaffe? S. 212. Creatio und
conservatio drücken die dependentia essentialis der "Welt von Gott
aus S. 212. Die Abhängigkeit begründet aus der materia prima
S. 218. — 2. Die Engel und ihr Fall, der Teufel S. 214 f.
2. Der Mensch 215
Synderesis und conscientia S. 215 f.
III. Die Sünde 216
1, Die Entstehung der Sünde 216
1. Der Wille als frei der Sünde fähig S. 217. — 2. Die Gnade
des donum superadditum S. 217 f.
Inhalt. 693
Seite
2. Die Erbsünde 218
1. Die Konkupiscenz als Datüi-lich konstituiert nicht die Erb-
sünde, diese ist carentia iustitiae originalis ; die Sünde im Willen, nicht
im Fleisch S. 218 f. — 2. Jene iustitia ist debita, dadurch unterfallt
die Menschheit der Sünde Adams S. 219. Keine Erbsünde, sondern
eine gewisse Erbschuld bei Duns S. 220 f.
B. DieaktualenSünden 221
1. Die Sünde besteht in einzelnen freiwilligen Akten S. 221 f. —
2. Die Sünde eine aversio S. 222 f. — 3. Die Sünde keine corruptio,
sondern eine privatio und Verwundung S. 223. — 4. Die Sündhaftig-
keit Diskordanz mit dem Gesetz S. 224. Duns und Pelagius S. 224 f.
— 5. Die Sünde und der absolute Gottes wille S. 225. Die
üblichen Lösungen ungenügend S. 226 f. Das Formale und Materiale
in einer Todsünde, Lösung aus der Kooperanz Gottes; sie setzt aus,
wenn der Wille Böses will S. 227 f. Die von Gott verhängte Karenz
der Gerechtigkeit unsere Schuld S. 229. — 6. Schwierigkeiten im
Verhältnis zu Allwissenheit und Allmacht S. 229 f. Der geistige
Charakter der Sünde bei Duns S. 231.
4. DieEinteilungder Sünden 232
1. Todsünden und veniale Sünden S. 232. — 2. Die Sünde
wider den Geist S. 233. — 3. Zur Beurteilung S. 233.
Drittes Kapitel.
Die Person Christi und die Erlösung ... 235
I. Jesus Christus der Gottmensch 235
1. Der Begriff der Unio und der Menschwerdung . 235
1. Unio zwischen der Logosperson und der Menschennatur
S. 235, ein Abhängigkeitsverhältnis S. 236. — 2. Ob die menschliche
Natur dieses Verhältnisses fähig? gegen Heinrich und Varro S. 235f.
Ausgang von den Begriffen Personalität und Individualität, die Per-
sonalität positiv oder negativ bestimmt S. 236 f. — 3. Der Begriff
der Abhängigkeit S. 237. Die Negation der aptitudinalen Abhängig-
keit vom Logos charakterisiert eine geschaffene Person. Die reale
Abhängigkeit möglich, die menschliche Natur Christi also fähig durch
Personierung vom Logos abhängig zu werden S, 237 f. Gegen die
negative Fassung der Personalität S. 238. — 4. Dies Abhängigkeits-
verhältnis nicht durch ein neues Absolutes S. 239. — 5. Beziehungen
zu Abälards Christologie, Duns empfindet die menschliche !Natur als
persönliche S. 240—242. — 6. Die Formel ,.deus est factus homo*^
S. 242 f.
694 Inhalt.
Seite
2. Das Resultat der Unio oder der Gottmensch . 243
1, Das Verhältnis der Abhängigkeit der menschlichen Natur
vom Logos S. 243 f. — 2. Nach der Inkarnation ein doppeltes esse
essentiae, ein esse subsistentiae S. 244. Ob ein kreatürliches esse
actualis existentiae in Christo? Gegen Heinrich und Thomas wird
die Frage bejaht S. 245.
3. Spezielle Probleme derChristologie, besonders hin-
sichtlich des wahren menschlichen Lebens Jesu . 246
1. Der Logos nahm unmittelbar die ganze menschliche Natur
an, gegen Varro und Bonaventura S. 246f. — 2. Ob Maria in der
Erbsünde empfangen ? Ihre Bewahrung von der Erbsünde als möglich
empfohlen S. 247 ff. — 3. Der Titel „Gottesmutter", bei der Zeugung
ist auch die Mutter aktiv S. 249 ; so Maria, der heil. Geist als Vater
S. 250 f. — 4. Die Prädestination des Menschen Jesus S. 251. Not-
wendigkeit der Menschwerdung auch ohne Sünde S. 252. — 5. Eine
oder zwei filiationes in Christo? Zeitliche und ewige Sohnschaft
S. 252f. — 6. Die Anbetung Christi, hyperdulia seiner Mensch-
heit gegenüber S. 253f. — 7. Christus Gottes Adoptivsohn nach
seiner Menschheit S. 254. — 8. Kreatürlichkeit kann nur be-
züglich der menschlichen Natur von Christo ausgesagt werden S. 255.
Unsündlichkeit Jesu S. 255 f. — 9. Die Gnade wird Christo
in höchstem Mass zu Teil, Christi Wille hatte den höchsten Genuss
S. 256 f. — 10. Die Erkenntnis Christi ist summa visio durch
den Logos S. 257 f.; ob Jesu Seele alles erkenne was der Logos er-
kennt? Gegen Thomas, der die Erage verneint S. 258 f. Die Seele
Christi erkenne habituell und potenziell alle Dinge, nicht aber das
einzelne Konkrete S. 259 — 261. — 11. Habituelle Erkenntnis aller
Universalien durch die Anschauung des Logos sowie durch species
infusae S. 261. Die intuitive Erkenntnis des Einzelnen und Kontin-
genten erworben durch Anschauung des Wirklichen, daher wirklicher
Fortschritt dieser Erkenntnis S. 262. — 12. Rückblick auf die
Erkenntnis Christi , die menschliche Art derselben S. 263 f. —
13. Schmerz und Traurigkeit in Christi Seele, gegen Heinrich
S. 264 f.; die Begriffe als Abneigung und Nichtwollen bestimmt
S. 265 f. Christi Schmerz und Traurigkeit, der geistige Charakter
von Christi Leiden S. 266 f. — 14. Christus war sterblich durch
das wunderbare Fehlen der leiblichen Glorie S. 267 f. — 15. Christus
im Tri du um nicht Mensch S. 268f. — 16. Christi Willen doppelt
S. 270. Christi menschlicher Wille frei wie jeder Menschenwille
S. 269f. — 17. Ob Christus verdiente? Der Begriff des meritum
S. 270. Christus hat durch freies Handeln für uns verdient, von der
Empfängnis an S. 271 f. — 18. Zusammenfassung der scotistischen
Christologie, Fortbildung: starke Betonung der Wirklichkeit der
Inhalt. 695
Seite
Menschheit Jesu, die Unio nur die Abhängigkeitsrelation, personale
Züge im Menschenbild Jesu S. 272—275.
II. Das Werk Christi 275
1. Christi Verdienst 275
1. Die Behandlung des Werkes Christi in der mittelalterlichen
Dograatik S. 275. — 2. Christi Verdienst war als menschlich endlich,
gegen Thomas S. 276 fil". — 3. Christi Verdienst wirksam für die Er-
wählten; genügend, weil von Gott acceptiert S. 278 f. Christus ver-
diente uns die erste Gnade S. 280. — 4. Die Prädestination logisch
dem AVerk Christi übergeordnet S. 280 f.
2. Die Satisfaktionslehre 281
1. Keproduktion von Anselms Theorie S. 280 ff". — 2. Kritik
Anselms S. 283 — 286. — 3. Christi Leiden zur Belehrung und Be-
kehrung geschehen S. 286 f. Um des Gehorsams Christi willen ver-
gibt Gott die Sünde und gibt die Gnade S. 287. Anselm umgedeutet
S. 288. — 4. Zwei Gedankenreihen, ob ein Zusammenhang zwischen
beiden? S. 288 f. Nicht Subordination, sondern Koordination beider
S. 289 f. Vergleich der Schrift de perfectione statuum S. 290 f. —
5. Fortschritt über Thomas S. 291 f. — 6. Zusammenhang mit der
Christologie S. 292 f.
III. Der Erfolg des Werkes Christi oder die Lehre von der Gnade 293
1. Die Prädestination 293
1. Gnade und Sakramente S. 293. — 2. Die Prädestination.
Ein Prädestinierter kann nicht verdammt werden, hätte aber an sich
auch nicht prädestiniert werden können S. 294 ff. — 3. Bekämpfung
der Begründung der Prädestination auf die Präscienz der Verdienste
(Heinrich) S. 296 f. Die Prädestination grundlos, die Reprobation
wegen des peccatum finale praevisum S. 297 f., und zwar weiss Gott
das Nichteintreten seiner Kooperanz voraus S. 298 f. — 4. Der gött-
liche Machtwille der Grund der Prädestination S. 299 f.
2. Der Begriff der Gnade 300
1. Gratia creata und Caritas sachlich identisch, formell unter-
schieden. Die Gnade macht die Handlung verdienstlich S. 300 f. Gnade
und Wille koordiniert bezüglich der Kausalität eines Aktes S. 302. —
2. Nach Heinrich erzeugt der habitus infusus die Handlung, nach
Gottfried verleiht er der Handlung Intensität, beides widerlegt
S. 303 f. Thomas und der meisten Auffassung, die Gnade sei Teilursache,
ist acceptabel, aber der Wille ist leitend für die Handlung S. 304.
Einwendungen gegen die übliche Anschauung S. 304 f. — 3. Die
aktive Kausalität der Gnade für die Handlung wird ausgeschaltet,
696 Inhalt.
Seite
die Gnade bewirkt eine gewisse Neigung zur Handlung S. 305 f.
Diese wie die vorige Auffassung werden anerkannt S. 3(X3f. —
4. Bedarf es der Annahme des (Tnadenhabitus? Gründe dagegen
5. 307, der Geist könnte direkt auf den Willen einwirken S. 308, —
5. Der Habitus wird als notwendig erwiesen aus dem Vorgang der
Justifikation S. 308 f. und aus der Verdienstlichkeit des Handelns,
ohne Habitus käme man zum error Pelagii S. 309 f. — 6. Die habi-
tuelle Acceptabilität unserer sittlichen Handlungen verlangt den
Habitus der Gnade, und zwar sofern dieser inclinans ad deterrainatos
actus ist S. 310f. — 7. Nach Seite der Sittlichkeit einer Handlung
ist der Wille, nach Seiten der Verdienstlichkeit der Habitus die
Hauptursache S. 311 — 314. — 8. Der Habitus stellt eine dauernde
Beziehung zu Gott her S. 314 f. — 9. Gegen Gottfrieds Meinung,
dass die neueingegossene Liebe die frühere aufhebe S. 315, eine
quantitative Steigerung ist anzunehmen S. 316. — 10. Rückblick und
kritische Bemerkungen S. 316 — 318. Duns gibt nicht, die übliche
katholische Gnadenlehre wieder, gegen Ritschi S. 318 f. — 11. Ist
diese Gnadenlehre augustinisch oder pelagianisch? Nicht Pelagianer,
Sublimierung der augustinischen Gnadenlehre S. 319 f. Die protes-
tantische Kritik der scotistischen Gnadenlehre S. 321.
3. Dießechtfertigung 321
1. Frühere Bemerkungen, Hauptort das Busssakrament S. 321 f.
Die attritio als meritum de congruo S. 322. — 2. Thomas S. 323.
Duns unterscheidet Sündenvergebung und Gnadeneingiessung S. 323,
nur letztere eine reale Änderung, Sündenvergebung nur ein transitus,
nicht einmal dispositio realis auf die Eingiessung S. 323 — 326. —
3. Der Begriff Priorität S. 326. Die Sündenvergebung hat zeitlich
die Priorität vor der Eingiessung, sachlich diese vor jener, kein
kausaler Zusammenhang zwischen beiden S. 326 — 328. — 4. Vergleich
mit Grossetestes Recht fertigungslehre S. 329. Richard
von Middleton über Vergebung und Eingiessung S. 330 f. Zu-
sammenhang zu Duns Sündenlehre S. 331 f. Zur Geschichte der
scotistischen Rechtfertigungslehre S. 332 Anm. — 5. Zusammenfassung
der Gnadenlehre, Hauptpunkte S. 333 f. — 6. Die Gnadenlehre und
das Werk Christi, „verbo et sacramento" S. 334 — 336.
Viertes Kapitel.
Die Lehre von den Sakramenten .... 337
I, Die allgemeine Sakraineutslehre 337
1. Der Begriff Sakrament 337
1. Christi Werk und die Sakramente S. 337 f. — 2. Gnade und
Sakrament, Kreaturen können nicht schaffen, gegen Heinrich, Thomas,
Inhalt. 697
Seite
Agidius S, 337 f. — 3. Creare instrumentaliter et principaliter, weder
dies noch jenes der Kreatur möglich S. 338 — 342. Der Priester stellt
nur die Disposition für Gottes Wirken her S. 842. — 4. Definibilität
des Sakramentes S. 342 ff. — 5. Relative Notwendigkeit der Sakra-
mente, Vergleich mit anderen Heligionen S. 344 f. — 6. Die Sakra-
mente Symbole, Form und Inhalt S. 345. Verschiedene Meinungen
S. 345 f. Duns Kritik S. 346—348. — 7. Die Sakramente sind Sym-
bole, Gott begleitet sie durch ein schöpferisches Thun S. 348 f. —
8. Duns über Form und Materie des Sakramentes S. 349 f. —
9. Die Intention des Priesters S. 350 f.
2. Der sakramentale Charakter 351
1. Die kirchliche Ansicht S. 351 f. Der Begriff ist unnütz
S. 352 f., der Charakter unmöglich indelebilis S. 353 f. — 2. Ein Satz
Innocenz III. beweist den Charakter S. 354. — 3. Der Charakter als
angemessen erwiesen S. 355, Versuch einer Selbstwiderlegung S. 355 f.
Der Charakter eine forma absoluta S. 356. — 4. Der Charakter im
Willen, gegen Thomas S. 356 f. — 5. Rückblick S. 357. Die sym-
bolische Auffassung der Sakramente und der sublimierte Gnadenbegriff'
zu verbinden S. 358.
II. Die einzelnen Sakramente 358
1. Die Taufe 358
1. Form und Materie S. 358 ff. — 2. Die Kindertaufe, der
Glaube der Kinder, ob ein Kind im Mutterleib getauft werden kann?
S. 360. — 3. Taufe von Wahnsinnigen und Heuchlern S. 361. —
4. Ob die Taufe allen das gleiche Gnadenmass bringt? S. 361 f. —
5. Zusammenhang mit der Gesamtanschauung S. 363. — 6. Gewalt-
same Taufe von Juden S. 363 f. — 7. Ob Geld für die Taufe zu
zahlen? S. 364 f. — 8. Unwiederholbarkeit der Taufe S. 365.
2. Die Konfirmation 365
3. DasAbendmahl 366
1. Abendmahl und Messe; nicht nur in usu S. 366, — 2. Ob
auch gesäuertes Brot zulässig? S. 366 f. — 3. Die Konsekration
S. 367. — 4. Ob die Existenz von Christi Leib im Abendmahl mög-
lich ist? Der Glaube erfordert die Bejahung S. 368. — 5. AVie der
Leib im Himmel und auf dem Altar sein kann? Der Leib rückt in
eine bestimmte Beziehung zum Brot und bleibt im Himmel S, 369 f.
— 6. Ob der Leib Christi quantitativ zu denken ist ? gegen Agidius,
Varro, Heinrich S. 370. Der Leib quantitativ, ohne im Einzelnen
in Raumbeziehungen zu den Dingen zu treten S. 371. Resultat S. 372.
— 7. Kann der Leib an vielen Orten zugleich gegenwärtig sein?
Es ist eine Vervielfältigung der Beziehungen des Körpers S. 372 f. —
698 Inlialt.
Seite
8, Der Leib im Himmel modo naturali, im Abendmahl modo aacra-
mentali, daher ohne Seele und Blut. Die Teile und Eigenschaften
des himmlischen Leibes auch in dem sakramentalen S. 373 f. —
9. Operationen des himmlischen und sakramentalen Christus S. 374 f.
— 10. Ob im eucharistischen Leib ein motus corporalis sein kann?
S. 375 f. — 11. Ob der eucharistische Leib etwas bewegen kann?
S. 376 f. — 12. Über das Sehen des Leibes Christi S. 377 f. —
13. Rückblick : der wirkliche Leib Christi nimmt eine neue Beziehung,
die zur Hostie an S. 378. — 14. Die Transsubstantiation. der
Begriff. Die Transsubstantiation: ob das Brot bleibt, ob es anni-
hiliert wird, ob nur die Accidenzien bleiben? S. 379. Vorliebe für
die erste oder Konsubstautiationstheorie S.380. — 15. Thomas Polemik
wider sie S. 380. Duns Widerlegung, schliesslich aber aufgegeben
S. 381. — 16. Unterscheidung der produktiven und adduktiven
Transsubstantiation; letztere besteht darin, dass der Leib mit dem
Brot ist S. 381 — 383. — 17, Ob diese Lehre die Transsubstantiation
erhält ? Konsubstantiation und adduktive Transsubstantiation S. 382 f.
— 18. Die Annihilationstheorie, Kritik an Heinrich, Agidius und
Varro S. 384 ff. — 19. Zusammenfassung S. 386 f. — 20. Dauern
die Accidenzien der Elemente fort? Der Begriff Accidenz S. 388
bis 389. — 21. Quantität und Qualität, die Quantität der Qualität
angehängt S, 389 f. — 22. Veränderung und Wirkungen der Acci-
denzien S. 390 f. — 23. Wann das Brot wiederkehrt und die Eucha-
ristie aufhört ? S. 391 — 393. — 24. Was ist nach Aufhören des Brotes
Subjekt der Accidenzien? S. 393 f. — 25. Die Wandlung ist eine
göttliche Aktion S. 394 ff. — 26. Der konsekrierende Priester S. 396 f.
— 27. Bedeutung der acotistischen Abendmahlslehre S. 397.
4. Die Busse 397
1. Dogmengeschichtliche Bedeutung des Busssakramentes S. 397 f.
— 2. Von der Sünde bleibt die ordinatio ad poenam, der Zorn
Gottes kein Affekt S. 398—400. — 3. Sündenvergebung nicht ohne
Genugthuung, dies ist die Busse als Selbstbestrafung S. 400 — 402. —
4. Die Busse eine Tugend der Gerechtigkeit S. 402 f. Zusammenhang
mit der Gottesthat der Vergebung S. 404. — 5. Die Attritio
5. 404 f., durch Gnadeneingiessung in Contritio gewandelt S. 405. —
6. Die Arten des Bussschmerzes S. 406 f. — 7. Möglichkeit und
Wirklichkeit des Busssakramentes S. 408, die Notwendigkeit erhellt
vom Standort der Attritio her S. 408 — 410. — 8. Rückblick, psycho-
logische Deutung des Busssakramentes S. 410 f. — 9. Der Begriff
der Satisfaktion, Auswahl der satisfaktorischen Werke S. 412 f.,
auch Todsünder satisfaktionsfähig S. 413. — 10. Zusammenhang der
Bestandteile des Busssakramentes S. 414 — 416. — 11. Die Absolution
S, 416. — 12. Die Konfession biblisch geboten S. 416—418. —
13. Inhalt und Zeit der Beichte S. 418 f. — 14. Zur Beichte gehört
Inhalt. 699
Seite
die Bereitschaft die ßussstrafe zu tragen ; möglich, dass jemand eine
Todsünde nicht zu beichten hat S. 420. — 15. Die Absolution;
die Schlüssel, die clavis potestatis S. 421 f., clavis scientiae S. 422,
ob die Schlüssel eine Einheit bilden? Die Ordinationsgabe S. 422 f.
Schlüssel und Konfektionsgewalt S. 423 f. Die Exkommunikation
S. 424 f. — 16. Die priesterliche Absolution und Gottes Gnaden-
mitteilung S. 425 f. — 17. Die Möglichkeit von satisfaktorischen
Werken abzusehen S. 426 f. — 18. Der Ab las s S. 427. Ablass er-
setzt unvollkommen die Werke S. 427 f. Päpstlicher Plenarablass,
Sinn des Erlasses S. 428. Sicherer die Werke zu thun S. 428 f.
Gründe wider den Ablass S. 429 f. Der Ablass dennoch kräftig
S. 431; Duns hat keine Neigung zum Ablass S. 431 f. — 19. Wann
Gott das Urteil des Beichtigers ratifiziert? S. 432. — 20. Absolution
und satis faktorische Werke S. 432 f. — 21. Ob Sünden nach
diesem Leben vergeben werden können? S. 433 f. — 22. Das Beicht-
geheimnis S. 434 f. — 23. Wiederkehr von Sünden S. 435. — 24. Re-
kapitulation der leitenden Gesichtspunkte S. 436 f. — 25. Die ge-
schichtliche Stellung der scotistischen Busslehre S. 437 — 439.
5. Die letzte Ölung 440
6. DieOrdination 440
1. ürdo und ordinatio S. 440 f. — 2. Ob der Episkopat ein
ordo? S. 441 f. — 3. Kanonische Hindernisse des ordo S. 442 — 444.
7. Die Ehe 444
1. Das Sakrament S. 444. — 2. Einsetzung desselben, sakra-
mentale Wirkung S. 444 f. — 3. An sich jeder christlicher Ehe-
schluss Sakrament S. 445.
Eünftes Kapitel.
Die jenseitige Vollendung und die diesseitige Voll-
kommenheit der Christenheit 446
I. Die Vollendung 446
1. Die Auferstehung 446
1. Bedeutung der Eschatologie S. 446. — 2. Die Auferstehung
nicht beweisbar S. 447. — 3. Die Auferstehung ein schöpferischer
Akt, also in instanti S. 447 f. — 4. Der Auferstehungsleib S. 448 f.
2. Gericht, Seligkeit, Verdammnis .... 449
1. Das Gericht nicht vernünftig beweisbar, aber positiv sicher
S. 449. Christus nach seiner Gottheit Richter S. 449 f. — 2. Die
Erkenntnis der Abgeschiedenen S. 450 f. — 3. Die Verdammten
S. 452. — 4. Der Sinn der Feuerstrafe S. 452-454. — 5. Ge-
700 Inhalt.
Seite
rechtigkeit der Strafe S. 454 f, — 6. Ewigkeit der Strafe S. 455. —
7. Stufen der Verdammnis S. 455 f. — 8. Die Seligkeit besteht in
Willensakten S, 456. — 9. Die Quietatio des Willens nicht quietistisch
gemeint S. 456f. — 10. Die Seligkeit das Wollen, dass Gott geliebt
werde S. 457 f. — 11. Hierin liegt höchste Befriedigung S. 459.
Securitas und Ewigkeit S. 459 f. — 12. Inhalt der SeUgkeit S. 461.
— 13. Nachweis, dass die menschliche Natur der Seligkeit fähig ist
S. 461 — 463. — 14. Zur Seligkeit gehört die Seligkeit des Leibes,
worin diese besteht S. 463 f. Die Subtilität des Verklärungsleibes,
zwei Körper an einem Ort S. 465. Der Sinn dieser Betrachtungen
S. 466. — 15. Grade der Seligkeit S. 466 f. — 16. Die Seligen und
die Strafen der Verdammten S. 467 f.
II. Die Kirche und die ideale Form ihres diesseitigen Daseins 468
1. Der Begriff derKirche 468
Die übliche Definition: communio, universitas fidelium S. 468 f.
2. Das Ideal derKirche und die Kritik ihres wirklichen
Zustandes 469
1. Die Schrift de perfectione statuum. Die erste Funktion der
Kirche ist die Sorge um das Heil der Seelen, dazu sind der Papst und
die curati S. 469 f. — 2. Der Bischof wie er sein soll S. 471. —
3. Es bedarf eines besonderen Standes, der die Ungläubigen bekehrt
und Leben in der Kirche weckt S. 472. — 4. Auch hiefür hat der
Papst Sorge zu tragen S. 472 f. Der Papst und die Bettelorden
S. 474. — 5. Das Leben der Prälaten widerspricht jener Aufgabe
S. 474 — 476. — 6. Das fromme Leben der Bettelmönche entspricht
ihr S. 476 f. — 7. Die Bettelmönche stehen über den Prälaten
S. 477 f. — 8. Wie die Apostel predigen sie ohne Eigentum S. 478 f.
— 9. Die Bettelmönche das bewegende El^ent der Kirche S. 479. —
10. Die Bedeutung dieser Kritik, geschichtlicher Ausblick S. 480 f.
Sechstes Kapitel.
Aus der Ethik des Duns Scotus .... 482
I. Die ethischen Probleme 482
1. Die Ethik der Scholastik S. 482 f. Die ethischen Begriffe
S. 483 f. — 2. Disposition S. 484.
II. Die Normen des ethischen Handelns ; Naturrecht, göttliches
und kirchliches Gesetz 484
1. Das Naturrecht 484
1. Begriff des Naturrechts S. 484 f. — 2. Die Synderesis;
das Naturrecht rein formal S. 485, das Alte und Neue Testament
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nicht Naturrecht; praktisch ein weiterer Begriff des Naturrechts
S. 486.
2. Das positive göttliche und kirchliche Gesetz . 486
1. Das mosaische und das evangelische Recht; positiv, nicht
vernunftnotwendig. Die heil. Schrift und die römische Tradition
göttliches Recht S. 4861". — 2. Das positive Recht der Kirche
S. 485 f. — 3. Die ethischen Normen S. 488.
3. Naturrecht und göttliches Gesetz. . . . 488
1. Ob die zehn Gebote das Naturrecht enthalten? S. 488—490.
— 2. Ob die positive Nächstenliebe naturrechtlich ist? S. 490 f.
4. Das alt- und neutestamentliche Gesetz . . 491
1. Ob dieses oder jenes klarer ist? S. 491f. — 2. Das mosaische
Recht für die Christenheit ungiltig S. 492 f. — 3. Schwanken auf
diesem Gebiet, gegen die Todesstrafe, für diese S. 493 f. — 4. Rück-
blick auf die ethischen Normen S. 494 f. Übergang zur Tugend-
lehre S. 495.
III. Die Tugendlehre, theologische und moralische Tugenden 496
1. Die Einteilung der Tugenden 496
1. Die Tugend, habitus infusus et acquisitus S. 496. Virtutes
murales, intellectuales, theologicae S. 497. — 2. Kombination der
Eingiessung und Erwerbung der Tugend mit der intellektiven oder
appetitiven Art derselben. Darnach zwei Tugendtafeln S. 498—500.
2. Die theologischen Tugenden 500
1. Differenz von den moralischen Tugenden. Der Glaube früher
S. 129 ff. besprochen S. 500. — 2. Die Hoffnung als besondere Tugend
S. 500 f. — 3. Die Liebe zu Gott S. 501. — 4. Der Grund unserer
Liebe zu Gott ist sein absolutes Sein S. 502 — 504. — 5. Im Urständ
konnte der Mensch Gott von sich aus lieben? S. 504 f. — 6. Gott
„über alles lieben", dem dient der Sonntag S. 504— 507. — 7. Es
bedarf aber doch eines eingegossenen Liebeshabitus S. 507 f. — 8. Die
Nächstenliebe aus der Gottesliebe hergeleitet S. 508. — 9. Gott
gibt uns die Liebe als ein condiligere, Gottesliebe ohne Nächsten-
liebe unmöghch S. 509. Der Begriff des Nächsten S, 509 f. —
10. Selbstliebe, Feindeshebe S. 510 f. — 11. Die Feindesliebe bezüg-
lich äusserer Güter S. 511 f. Gebet für die ganze Kirche, auch die
Feinde S. 512 f. Rekapitulation des Begriffes der Liebe S. 513. —
12. Die Liebe währt in Ewigkeit S. 513 f. — 13. Die drei theo-
logischen Tugenden nicht konnex untereinander S. 514. — 14. Be-
urteilung: Liebe und Glaube S. 515. Mangel einer theologischen
Orientierung S. 516.
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3. Die moralischen Tugenden 516
1. Die moralischen Tugenden sind erworbene Willcnshabitus
S. 516. — 2. Durch AViederholung entstehen Habitus, Mitwirkung
der intellektuellen prudentia S. 517. Habitus der sinnlichen Organe
S. 518. — 3. Difterenz in der Triebkraft und Kausalität der mora-
lischen und theologischen Tugenden S. 518 f. — 4. Die einzelnen
moralischen Tugenden S. 519 f. — 5. Die Tugenden der Seligpreisungen,
die sieben Geistesgaben und die Früchte des Geistes S. 521. — 6. Alle
möglichen Tugenden beschlossen in den drei theologischen, drei
moralischen Tugenden und in einer intellektuellen Tugend S. 521 f. —
7. Die moralischen Tugenden nicht notwendig konnex. Gegen Hein-
rich und Thomas S. 522 f. — 8. Die Bedeutung der Prudenz für
die drei übrigen — moralischen — Kardinaltugenden. Gegen Hein-
rich, Thomas, Gottfried S. 523 fif. — 9. Konnexion der Prudenz mit
dem moralischen Willenshabitus, Wille und Intellekt bei dem ethischen
Handeln S. 525 — 527. — 10. Der Wille und die praktische Vernunft
S. 527 f. — 11. Ob alle moralischen Tugenden mit einer Prudenz
konnex sind? S. 528 f.
4. Theologische und moralische Tugenden . . 529
1. Die Liebe informiert die moralischen Tugenden, keine mora-
lischen Tugenden eingegossen S. 529 — 531. — 2. Bedenken dawider
S. 531 f. — 3. Praktische Bedeutung der Tugend S. 532. — 4. In
einer That verschiedene Tugenden S. 532f. Merkmale sittlicher Güte
einer Handlung S. 533.
5. Die christliche Vollkommenheit .... 533
1. Vollkommenheit, Gefühlschristen und Willenschristen S. 533 f.
Mönche und Laien S. 534. — 2. Der Wertmassstab sittlicher Hand-
lungen S. 534 f. — 3. E-ückblick auf die Tugendlehre des Duns
S. 535 f. — 4. Beurteilung S. 536 f.
IV. Einzelne yon Duns Scotus behandelte ethische und sozial-
ethische Fragen 537
1. Die Ehe 537
1. Die Ehe und die sittliche Berechtigung der Zeugung S. 537 f.
— 2. Freiheit des Ehekontraktes; Mentalreservation S. 538 f. —
3. Die Ehe als Sakrament gibt Gnade S. 540. — 4. Ob die Ehe
auch zur Befriedigung der Geschlechtslust diene? S. 540 f. — 5. An-
nullierung der Ehe S. 541 f. — 6. Die ethischen Güter der Ehe
S. 542. — 7. Auflösung des matrimonium ratum durch Eintritt in
einen Orden S. 542 f. — 8. Gewährung und Versagung des debitum
coniugale S. 543. — 9. Die Polygamie S. 543. — 10. Scheidung
und Ehehindernisse S. 544 — 546. — 11. Ehen zwischen Christen und
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Ungläubigen S, 546 f. — 12. Verbotene Verwandtschaftsgrade, Zu-
sammenfassung der Ehehindernisse S. 547 f. — 13. Bedeutung dieses
Abschnittes für die scotistische Ethik S. 548 f.
2. Schätzung der Frau 549
3. Die Restitutionspflicht (Eigentum, Ehre). . . 550
1. Der naturrechtliche Kommunismus nach dem Fall aufgehoben
S. 550 f. — 2. Das Privateigentum S. 551 f. — 3. Übertragung des
Eigentums S. 552 f. — 4. Der Tausch S. 553 f. Kauf S. 554. Zins
S. 554 f. Leihen S. 555. Umgehung des Zinsverbotes S. 556. —
5. Der Handel S. 556f, — 6. Die Restitution, Kasuistik S. 557 ff. —
7. Fortsetzung der Kasuistik S. 559—562. — 8. Restitution bei
Mord und Körperverletzung S. 562 f. — 9. Restitution bei Ver-
leumdung und Diffamation S. 563 f.
4. Die Sklaverei 565
1. Das Naturrecht, Aristoteles, ein gewisses Mass von Freiheit
S. 565 f. 2. Unfruchtbarkeit der Betrachtung S. 566.
5. LügeundMeineid 566
1. Die Lüge S. 566 f. — 2. Arten der Lüge S. 567 f. Bei
Mönchen, bei den Prälaten S. 568. Sündhaftigkeit der Lüge S. 568 f.
— 3. Die Heuchelei S. 569. — 4. Eid und Meineid S. 570. —
5. Sündhaftigkeit des Meineids S. 570 f. — 6. Der promissorische,
der fahrlässige Meineid S. 571 f. — 7. Gegen leichtfertiges Schwören
S. 572.
Siebentes Kapitel.
Die geschichtliche Stellung des Duns Scotus . 573
1. Die Standpunkte der Vergangenheit . . . 573
1. Die Aufgabe dieses Abschnittes S. 573. — 2. Die Differenz
der christlichen und hellenischen Weltanschauung S. 573. Plato
S. 574. Aristoteles S. 574 — 576. Der hellenische Intellektualis-
mus, die Geschichtslosigkeit S. 576. — 3. Die Fülle der Zeiten: für
Glaube und Liebe kein Raum S. 577 f. — 4. Das Christentum
bringt den Glauben an den nahen Gott und richtet die Liebe auf
das ferne Ziel des Reiches Gottes. Es ist ein weltgeschichtlicher
Fortschritt S. 578 — 583. — 5. Die Verweltlichung des Christentums :
der ferne Gott, die nahen Ziele, Glaube und Liebe gehemmt S. 583
bis 586. — 6. Augustinus S. 586 f. Der Voluntarismus Augustins
S. 587 f. — 7. Augustins Gottesbewusstsein, Wille, Prädestination
S. 588f. — 8. Augustins Erkenntnislehre S. 589— 591. — 9. Mit der
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voluntaristischen Grundanschauung- verschmolzen der Piatonismus der
Ideen S. 591 — 593. — 10. Augustins weltgeschichtliche Bedeutung
S. 593 f.
2. Die Theologie des Mittelalters . . . . 595
1. Die altlateinischen Rechtsschemata, der Realismus der Ideen.
Augustins Gottesempfindung wirken zusammen S. 595. — 2. Die
römische Kirche das Ziel der ethischen Bethätigung S. 596. — 3. Die
positive und negative Bedeutung der mittelalterlichen Frömmigkeit
für die Geschichte S. 596 — 598. — 4. Der Augustinismus der Theo-
logie S. 598f. — 5. Zwei geistige Strömungen in der Theologie: die
dialektisch-kritische und die spekulativ-reproduktive Methode : A b ä -
lard und Ans e Im S. 599 f. — 6. Petrus Lombardus, Alexander
von Haies S, 600. Aristoteles und die Araber S. 601 f. — 7. Albert,
Thomas, die Censurierungen des Stephan von Paris und des
Robert Kilwardby. Die aristotelische und die ältere platonisierende
Theologie S. 602 — 604. — 8. Duns Scotus setzt die ältere Theologie
mit den Mitteln der Modernen fort S. 604 f — 9. Heinrich von
Gent als Repräsentant der älteren Theologie, aristotelischer Plato-
nismus S. 605 — 607. — 10. Heinrichs Ansicht von den Universalien
S. 607 f., die Individuation S. 608 f. Die Erkenntnis S. 609 f —
11. Religiöse Art des Erkennens S. 610 f. — 12. Willensfreiheit, In-
determinismus, Willensprimat S. 611 — 613. — 14. Der spekulative
Idealismus Heinrichs S. 613 f. — 14. Der Glaubens begriff Heinrichs
S. 614—616. — 15. Die Gotteslehre Heinrichs S. 616. — 16. Die
Prädestination, die gratia gratis data oder die vocatio durch das
Wort S. 617 ff. Das „innere Wort" S. 618 Anm. — 17. Urständ,
Sünde, Freiheit S. 619 f. Die Synderesis S. 620. — 18. Die Gnade
S, 620 f. — 19. Die Sakramente S. 621. Transsubstantiation S. 622.
— 20. Busse und Ablass S. 622 f. Mendikanten und Pfarrklerus
S. 623. Ethische und pastoraltechnische Fragen S. 624 Anm. —
21. Heinrich und Duns Scotus S. 624 f. — 22. Der Aristotelismus
des Thomas von Aquino S. 625 f. Die Offenbarung ergänzt die
natürliche Erkenntnis S. 626 f. — 23. Der Glaube und die Theologie
S. 627 f. — 24. Thomas über Erkenntnis und Wülen S. 629 f. Der
Intellektualismus S. 631 f. Thomas Rückfall in die griechische Seelen-
stellung S. 632. — 24. Die Erkenntnistheorie des Thomas, nomina-
listische Elemente S. 632 ff. Die Präexistenz der Universalien S. 634 f.
— 25. Thomas über Gott S. 635 f., die Prädestination S. 636 f., die
Freiheit der Kreatur S. 637 f. — 26. Das praktische Gottesbewusst-
sein des Thomas S. 638f. — 27. Das christliche Leben nach Thomas
S. 639—641. — 28. Charakteristik der thomistischen Theologie S. 641 f.,
Unterschiede von Duns S. 642 f. Duns im Verhältnis zu Thomas und
Heinrich, Übereinstimmung und Gegensatz S. 643.
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3. Rückblicke auf" die Grundideen des Duns Scotus 644
1. Kein „System", aber Grundideen S. 644. — 2. Düns' Realis-
mus und Empirismus S. 644 — 646, — 3. Der praktische Gharakter
der Religion, die positive Auffassung der Theologie S. 646 — 649. —
4. Die Wissensehaftlichkeit der Theologie des Duns S. 649f. Er hat
die Freiheit der Theologie, der Tendenz der älteren Theologie ge-
mäss, gegenüber dem Aristotelismus aufrecht erhalten S. 653, —
5, Die Grundideen: der absolut freie Gott und der absolut freie
Mensch S. 653 f. — 6. Der Gottesbegriff, der Determinismus seiner
Weltanschauung S. 654 ff, — 7, Der Zusammenhang der Theologie
des Duns von dem Determinismus der Prädestination aus S. 656 — 658.
— 8. Der absolute Gott und die schlechthin abhängige Welt : domi-
natio et subiectio S. 658 — 660. — 9. Der andere Brennpunkt in Duns
Gedankenwelt : der schlechthin freie Wille des Menschen S. 660. Aus-
gleichung des Widerspruchs zwischen dem religiös-theologischen De-
terminismus und dem ethisch-anthropologischen Indeterminismus des
Duns S. 661 f. — 10. Sünde, Freiheit, Gnade S. 662 f. Überall das
Bestreben, die Freiheit aufrecht zu erhalten S. 663 f. — 11. Der
Willensprimat auf das höchste gesteigert, so der Mensch Abbild
Gottes, Gegengewicht gegen den Determinismus, Augustin und Pe-
lagius verschmolzen S. 664—667. — 12. Duns hat Augustins Ideen
vom Willen oben und dem Willen unten auf die Spitze getrieben,
Gottesbegriff, praktischer Sinn der Religion, Freiheit der Persönlich-
keit S. 667 f. — 13. Duns heterodox, aber doch Interpret der mittel-
alterlichen Frömmigkeit S. 668 f. — 14. Schlussurteil: Duns auf der
Bahn Augustins. Mangel des evangelischen Glaubensbegrififes, das
Auseinanderfallen des Systems S, 669 — 671.
4. Duns Scotus und die Folgezeit , , , , 672
1. Duns dem Thomas ebenbürtig S. 672. — 2. Sein Einfluss
auf Occam und die Nominalisten, positiver Zusammenhang S. 672 f.
— 3. Der Positivismus bei Duns und Occam S, 673 f. — 4. Was von
Duns Scotus bis zum Ausgang des Mittelalters blieb S. 674 — 676. —
5. Die „Erhaltung der Kraft" in der Geschichte S. 676. Duns und
der Jesuitismus S. 677. — 6. Luther bekämpft den scotistischen
Pelagianismus S. 678 ft". — • 7, Positive Zusammenhänge zwischen
Luther und Duns Scotus : einzelne Lehren, die Kritik, der positive
Charakter der Theologie S. 680—682. Luther wider den Aristotelis-
mus des Thomas S. 682 f. — 9. Der Gottesbegriff Luthers, Zu-
sammenhang mit Duns S. 683-685. — 10. Abschluss S. 685. ~ 11, Ur-
teile über Duns Scotus : Erasmus, Luther, Haureau, Prantl S. 686.
A, Ritschi S. 687.
Seeberg, Die Theologie des Duns Scotus,
45
Lippert & Co. (G. Pätz'sche BucliJr.), Nau)nbuig a/S.
IHL INSTITUTE CF WFC'
10 ELMSLEY PLACE
TORONTO 5, CANADA,
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