Google
This is a digital copy of a bix>k lhat was preservcd for gcncralions on library sIil-Ivl-s before il was carcfully scanncd by Google as pari ol'a projeel
to makc the world's books discovcrable online.
Il has survived long enough Tor the Copyright lo expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subjeel
to Copyright or whose legal Copyright terni has expired. Whether a book is in the public domain niay vary country tocountry. Public domain books
are our gateways to the past. representing a wealth ol'history. eulture and knowledge that 's ol'ten dillicult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this lile - a reminder of this book's long journey from the
publisher lo a library and linally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries lo digili/e public domain malerials and make ihem widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their cuslodians. Neverlheless. this work is expensive. so in order lo keep providing this resource. we have laken Steps lo
prevent abuse by commercial parlics. iiicIiiJiiig placmg lechnical reslriclions on aulomatecl querying.
We alsoasklhat you:
+ Make non -commercial u.se of the fites We designed Google Book Search for use by individuals. and we reüuesl lhat you usc these files for
personal, non -commercial purposes.
+ Refrain from imtomuted qu erring Do not send aulomated üueries of any sorl to Google's System: If you are conducling research on machine
translation. optical characler recognilion or olher areas where access to a large amounl of lex! is helpful. please contacl us. We encourage the
use of public domain malerials for these purposes and may bc able to help.
+ Maintain attribution The Google "walermark" you see on each lile is essential for informing people about this projeel and hclping them lind
additional malerials ihrough Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use. remember that you are responsable for ensuring lhat what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in ihc United Siatcs. lhat ihc work is also in the public domain for users in other
counlries. Whelher a book is slill in Copyright varies from counlry lo counlry. and we can'l offer guidance on whelher any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be usec! in any manncr
anywhere in the world. Copyright infringemenl liability can bc quite severe.
About Google Book Search
Google 's mission is lo organize the world's information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover ihc world's books wlulc liclpmg aulliors and publishers rcacli new audiences. You can searcli ihrough llic lull lexl of this book on llic web
al |_-.:. :.-.-:: / / bööki . qooqle . com/|
Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches. Jas seil Generalionen in Jen Renalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Well online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat Jas Urlieberreclil ühcrdaucrl imJ kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich isi. kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheil und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar. das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren. Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Original band enthalten sind, linden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Niitmngsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichlsdcstoiroiz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sic diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sic keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zcichcncrkcnnung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist. wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google- Markende meinen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sic in jeder Datei linden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuchczu linden. Bitte entfernen Sic das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sic nicht davon aus. dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich isi. auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sic nicht davon aus. dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechlsverlelzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Wel t zu entdecken, und unlcrs lül/1 Aulmvii und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchlexl können Sic im Internet unter |htt : '- : / /-■:,■:,<.-: . .j -;.-;. .j _ ^ . .::-;. -y] durchsuchen.
71/2
Die theologische Fakultät
in Tübingen
vor der Reformation
1477—1534
von
Lic. Dr. HEINRICH HERMELINK,
Privatdozent der Kirchengeschichte in Leipzig.
TÜBINGEN
VERLAG VON J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK)
1906
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellßchaft zu Stattgart.
IN MEMORIAM ALFRED HEGLER
j6/.f7
T9I2
H tt3 1
Vorwort.
Die vorliegende Untersuchung ist ebenso wie die ihr zur
Seite gehende über die Anfänge des Humanismus in Tübingen
(Württ. Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 1906) als Neben-
frucht meiner jahrelangen im Auftrag der Württembergischen
Kommission für Landesgeschichte unternommenen Arbeit an
der Edition der Tübinger Universitätsmatrikeln entstanden. Die
Nützlichkeit und Unentbehrlichkeit solcher ermüdenden Klein-
arbeit an konkreten Beispielen nachzuweisen, war mir persön*
liches Bedürfnis und sollte anderen als Antwort auf mannig-
fache Fragen des Zweifels dienen. So ist der Zweck dieser
Untersuchung erreicht, wenn sie den Eindruck hinterläßt, daß
die minutiöseste Lokalforschung, in die großen Bewegungen der
Geschichte hineingestellt, nicht nur einen leuchtenden Hinter-
grund erhält, sondern selbst aufzuhellen im stände ist.
Ich danke Herrn Pfarrer D. Bossert und meinem Lehrer
Professor D. von Gottschick für Anregungen mannigfacher
Art; ebenso danke ich Herrn Archivdirektor Dr. von Schneider,
daß er mir bei Benützung des Stuttgarter Staatsarchivs stets
bereitwilligst zur Seite gestanden ist. Der, dem ich am meisten
zu danken hätte, ist zu früh gestorben. Er hat, ohne es zu
wissen und zu wollen, durch sein schlichtes Beispiel meinen
Entschluß, zur Profangeschichte überzugehen, verändert und
hat mich zum Theologen gemacht.
Leipzig, 20. Juni 1906.
Hermelink.
Abktrmngeii.
Bacc. Mag. art. = baccalaureus, magister artium.
Coppinger, Hain, Proctor bezeichnen die bekannten Inkunabelnkataloge.
Denifle-Chatelain = Ghartularium universitatis Parisiensis, ed. Denifle et
Ohatelain I — IV et Auctuarium I. II.
Kaufmann = Gg. Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten,
I 1880; II 1896.
Matr. verweist auf meine demnächst im Buchhandel erscheinende Aus-
gabe der Tübinger Universitätsmatrikeln. Die im Anhang hinter
den einzelnen Namen stehenden Zahlen geben die Ordnungsziffern
des Rektorats und der Inskription innerhalb der Rektorate in jener
Matrikeledition an.
Prantl = K. Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande. III 1867.
IV 1870.
Rep. gibt über benützte Urkunden das betreffende Repertorium des Staats-
archivs in Stuttgart an.
Roth = Rud. Roth, Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen
1877.
Steiff = K. Steiff, Der erste Buchdruck in Tübingen. 1881.
Die Werke über einzelne Universitäten sind in der Weise zitiert,
daß der Verfassername und Ortsname der Universität zusammengestellt
sind (z. B. Bianco, Köln; Prantl, Ingolstadt u. s. w.). Die genauen Titel
sind mit Hilfe der neuen Bibliographie von Ermann und Hörn leicht
aufzufinden.
Verbesserungen.
S. 44. Zu der epistola Pauli ad Laodicenses (welche nach einem handschriftlichen
Vermerk in dem Buche J. J. Mosers von mir mit dem Epheserbrief identifiziert
wurde) vgl. Brooke Foss Westcott, On the canon of the New Testament 6. ed.
1899 8. 468 ff., 580 ff.
S. 86 von unten Zeile 10 lies Werner Wick aus Unshausen in Hessen-Nassau.
S. 99 Note l Zeile 2 statt De terminorum propositionibus lies proprietatibus.
Inhalt.
Seite
Einleitung 1
I. Abschnitt. Aeußere Geschichte der Fakultät . . 5
1. Das Verhältnis der Fakultät zu Georgenstift und Pfarrei . . 5
Plan einer personalen Verbindung von Universität und Georgen-
stift 5—7. Undurchfuhrbarkeit derselben 7—10. Wirkung für
die theologische Fakultät 10—12. Pfarrei 12. Prädikatur 18.
Schloßpfarrei 14. Kirchenrechtliche Fixierung 15 — 17.
2. Die Organisation der Fakultät und ihr Verhältnis zu den an-
deren Fakultäten 17
Die vier Fakultäten 17 — 18. Uebergang von der niederen zur
höheren 19 — 20. Die regentes in facultate theologica 21 — 23.
Verhältnis der theologischen Fakultät zu der der Artisten und
Juristen 24. Stellung zum akademischen Senat 25. Der Dekan
der Fakultät 26. Die Statuten 26—29. Neuanstellung der
Lehrer 29. Besoldungen 30.
3. Die Studienordnung 31
Die theologischen Grade 32 — 38 (cursor und sententiarius 33;
licentiatus 34; doctor 35 — 36; Vergleich mit anderen Universi-
täten 36 — 38). Die Lektionen 38 — 47 (Kursorische Lektüre der
Bibel 38—40; der Sentenzen 40 — 41. Vorlesungen der ordent-
lichen Lehrer über die Bibel 41 — 44; über die Sentenzen 45 — 46.
Zahl der Lektionen 46—47). Die Resumtionen 47 — 50. Die Dis-
putationen 50 — 55. Die Kollationen 55 — 56. Die humanistische
Reformation der Universität im Jahr 1525 56 — 60.
4. Die theologischen Fakultäten und die Universitäten des Mittel-
alters in ihrem Verhältnis zur Kirche 60
Die theologischen Fakultäten und die Universitäten dienen im
Mittelalter den Zwecken der Kirche 60 — 62. Widerlegung der
Ansicht Kaufmanns über den staatlichen Charakter der mittel-
alterlichen Universität 62 — 69. Das landesherrliche Interesse an
den Universitäten 69 — 70. Kanzleramt und Lizentiateneid 70 — 72.
Die kirchengeschichtliche Bedeutung der mittelalterlichen Uni-
versitäten 72 — 75. Sie lehren die Wissenschaft der Kirche 75 — 76.
VIII Inhalt.
V
Seite
II. Abschnitt: Die in Tübingen gelehrte Theologie 77
Einleitung 77
1. Die ordentlichen Lehrer der Fakultät 78
Die AnfangBzustände 78 — 79. Die moderni 80 — 82. Die an-
tiqui 82—85. Werner Wick 85—86.
2. Die via moderna 87
Schriften von Steinbach und Flansch 87. Die Werke Biels:
Predigten 88 — 89; Collectorium 90 — 91; Erläuterungen zum
Meßkanon 91 — 92. Die geschichtliche Bedeutung des von Biel
vertretenen Ockamismus ist die Wirkung auf Luther 92 — 96.
Sein Wesen ist nicht Erneuerung des Nominalismus 96 — 98,
sondern scharfe Abgrenzung von Glauben und Wissen 98 — 113.
(Die neue Logik des Terminismus 98 — 102; das Schillern zwi-
schen Eonzeptualismus und Rationalismus 102 — 104 ; Unmöglich-
keit einer realen Wissenschaft 105. Realität der gottlichen
Ideen 106—108, und der göttlichen Willensoffenbarung 108—110;
Notwendigkeit schlechthinigen Glaubens 110—113.) Das Gegen-
gewicht der Lehre vom freien Willen und den eigenen Kräften
114 — 115. Die Quellen der gegensätzlichen Anschauungen: Au-
gustin 116—117, und die Stoa 118—119. Luther geht von den
drei Elementen der ockamistischen Lehre aus 120 — 121 ; die ein-
seitige Betonung des „Neuplatonismus" ist nicht berechtigt 121
bis 126. Seine reformatorische Entwicklung 126—129. Luther
und einzelne Lehren der Bielschen Dogmatik 129 — 133.
3. Die via antiqua 133
Das siegreiche Vordringen der via antiqua von 1450 an 133
bis 135. Die Differenzpunkte beider Richtungen bezüglich der
Lehrmethode 135 — 145 (Skotismus und Aristo telismus 136 — 138,
gegen den Terminismus 139—144). Sachliche Unterschiede in
Theologie 145—147, Metaphysik 148—150 und Grammatik 150
bis 151. Via antiqua und Humanismus 152—154. Die Tübinger
antiqui: Heynlin 145—155; Summenhart 156—162; Scriptoris
163—166; Lemp und Käufelin 166—168; Kircher und Wytten-
bach 168—170.
4. Der Humanismus 170
Die Tübinger Humanistenschule 170 — 172; ihre Gegnerschaft
gegen die Reformation 172—177. Die Schriften Altenstaigs 178
bis 183. Die humanistische Theologie 184—186; die Quellen der-
selben 186—189.
Anhang.
Liste der theologischen Promovierten 190
1. Doctores 191—204. 2. Licentiati 204—209. 3. Sententiarii
209—212. 4. Biblici 212—220.
Einleitung,
Die Universität Tübingen ist im Jahr 1477 durch Graf
Eberhard im Bart gestiftet worden. In den Jahren 1534 und
1535 ließ Herzog Ulrich an ihr die Reformation durchführen.
Innerhalb dieser beiden historischen Grenzpunkte soll im folgen-
den die Geschichte der theologischen Fakultät an dieser Uni-
versität dargestellt werden.
Die monographische Behandlung einer einzelnen theo-
logischen Fakultät vor der Reformation ist noch nie ver-
sucht worden und mag gewagt erscheinen. Aus doppeltem
Grunde: Jede Fakultät ist Teil eines größeren Ganzen; be-
sonders im Mittelalter hängen die Fakultäten unter sich und
mit dem Universitätskörper aufs engste zusammen und be-
dingen gegenseitig ihre Geschichte. Daß ein Lehrer zugleich
in zwei Fakultäten liest, bezw. daß er von der einen in die
andere übertritt, ist durchaus Regel. Darin liegt in der Tat
eine Schwierigkeit für die folgende Darstellung; sie wird es
sich nicht versagen dürfen, auf die Verhältnisse in den Neben-
fakultäten einzugehen und die Geschichte der Universität jeweils
zu streifen; ja es wird notwendig sein, von diesem Einzelbei-
spiel aus die allgemeine Lage und die geschichtliche Stellung
der Universitäten im öffentlichen Leben des Mittelalters kurz
zu beleuchten. Allein gerade darin zeigt sich das Berechtigte
der monographischen Behandlung einer solchen Fakultäts-
geschichte, daß sie Beispiele und Materialien liefert. Sie stellt
Fragen, zu welchen der Geschichtschreiber einer Universität
bezw. der Universitäten des Mittelalters sich nicht ohne weiteres
veranlaßt sieht. Und sie ist darum auch im stände, voreilige
Schlüsse und allgemeine Zusammenfassungen zu korrigieren
oder zu modifizieren.
Die zweite und größere Schwierigkeit liegt darin, daß einer
Fakultätsgeschichte die innere Einheit zu fehlen scheint. Es
ist die Geschichte von Personen, die nebeneinander gelebt,
individuell sich entwickelt und verschiedenartig gewirkt haben.
Auch dies macht sich in der folgenden Darstellung geltend.
Herme link, Die theologische Fakultät in Tübingen. 1
Einleitung.
Verzeichnisse von Lehrern und Schülern sind notwendig ; Auf-
zählungen von Personen, von denen fast nicht mehr zu sagen
ist als der bloße Name. Die bedeutenderen, von welchen wir
mehr wissen, haben zum Teil nur äußere Berührungspunkte,
und die Darstellung droht in eine biographische beziehungs-
weise bibliographische Sammlung auseinander zu fallen. Und
doch muß und darf dem nicht so sein. Es handelt sich um
eine Zeit des inneren Garens. Es ist eine Periode der Ueber-
gänge im Geistesleben. Wie sich diese auswirkt in einer
Korporation, die zu den Trägern der geistigen Kultur gehört,
inwiefern die Uebergänge in der einzelnen Persönlichkeit und
innerhalb der Generationen stattgefunden haben, das ist zu
zeigen, und dadurch gewinnt das disparate Ganze die innere
Einheitlichkeit.
Die Geschichte einer theologischen Fakultät soll dar-
gestellt werden. Das erleichtert die beiden eben skizzierten
und mit ihren Schwierigkeiten aufgezeigten Aufgaben. Wie
bekannt ist, spielten die theologischen Fakultäten eine Führer-
rolle im Universitätsleben des Mittelalters, und gerade sie ver-
anlassen zu jenen Fragestellungen, welche für die Gesamtauf-
fassung der Universitätsgeschichte wichtig sind. Ferner wirkten
naturgemäß innerhalb der theologischen Wissenschaft am nach-
haltigsten jene Größen in der Geschichte des Geistes, die wir
mit dem Namen der Scholastik, des Humanismus und der Re-
formation zu bezeichnen gewohnt sind, wenn sie auch nicht
unbedingt aus theologischen Kontroversen entstanden sind und
noch weniger von den theologischen Fakultäten ihren Ausgangs-
punkt genommen haben.
Aber anderseits wird gerade dadurch die zu leistende Auf-
gabe wieder erschwert. Es zeigt sich, daß jene großen ge-
schichtlichen Erscheinungen in ihrer komplizierten Wirklich-
keit noch nicht genügend erfaßt sind. Für die Reformationszeit
ist das Menschenmögliche geleistet; aber für die sie vorbereiten-
den Bewegungen der Spätscholastik und des Humanismus fehlt
es gänzlich am Notwendigen. Durch das Gestrüpp der Spät-
scholastik gewährt Prantl eine gute Führung; aber da er
sich nur auf die Geschichte der Logik beschränkt, muß er
vielfach ergänzt und gelegentlich auch berichtigt werden. Die
Forschungen über den Humanismus sind in der letzten Zeit
von zwei Seiten frisch aufgenommen worden. Ueber den Früh-
Einleitung.
humanismus und über die Geschichte seiner Rezeption an den
verschiedenen deutschen Universitäten hat G. Bauch sehr wert-
volle Untersuchungen veröffentlicht. Anderseits haben Kal-
koff, K. Müller und Wernle das eigentümliche Wesen der
Erasmischen bezw. humanistischen Frömmigkeit näher zu be-
stimmen gesucht. Wie dankenswert diese Arbeiten sind, wie
viel aber noch dazu zu leisten ist, das zeigt sich erst bei Be-
wältigung solcher Aufgaben, wie die gestellte eine ist.
Die Geschichte anderer theologischen Fakultäten mit reiche-
rem Quellenmaterial und mit bedeutenderen Persönlichkeiten
mag noch eher zur geschichtlichen Erforschung und mono-
graphischen Darstellung reizen. Allein so bedauerlich der Ver-
lust des ältesten Tübinger Universitätsarchivs durch den
Brand des Sapienzhauses (Januar 1534) ist, so gewähren doch
die damals geretteten Archivalien ein immerhin anschauliches
Bild, ganz abgesehen von den gleichzeitigen im Druck ver-
ewigten Dokumenten. Und dieses Bild ist der Darstellung
wert. Nicht nur um der Person des „letzten Scholastikers* 4
willen, der in Tübingen seine Hauptwirksamkeit entfaltete und
auch nicht allein wegen der beiden vorreformatorischen »Zeugen
der Wahrheit", Scriptoris und Summenhart, die von Flacius
und den Polemikern nach ihm in Anspruch genommen worden
sind, sondern vielmehr noch wegen der besondersartigen Ver-
bindung zwischen Scholastik und Humanismus, die wir bei den
Tübinger Theologen wahrnehmen, und die sie in eine eigen-
tümliche Stellung der Reformation gegenüber hineindrängt.
So möchte dieser Versuch, der sich seiner Schwierigkeiten
bewußt ist, einen Beitrag liefern zur Vorgeschichte der Re-
formation und in seinem Teil die Forderung erfüllen helfen,
die W. Maurenbrecher schon vor einem Menschenalter auf-
gestellt hat und die auch gegenüber den neuesten maßlosen
Angriffen gegen unseren Reformator als berechtigt anerkannt
werden mußte: „Es ist unerläßliche Vorbedingung für eine
historische Würdigung der Person Luthers, daß der Zustand
der Theologie vor der Reformation aufs genaueste untersucht
werde/
Die oben skizzierte Doppelaufgabe gibt der folgenden
Darstellung die äußere Gestalt, so daß in einem ersten Ab-
schnitt die äußere Geschichte der Fakultät geschildert wird,
ihre Stellung zu den Nebenfakultäten und dem Universitäts-
Einleitung.
körper, sowie ihre Organisation einschließlich der Studien-
behandlung; der zweite Abschnitt gruppiert die Tübinger
theologischen Lehrer nach ihrer Zugehörigkeit zu den Parteien
der Scholastik und zum Humanismus und versucht aus ihrem
Lebenswerk die allgemeingeschichtliche Bedeutung der Partei-
schattierungen innerhalb der vorreformatorischen Theologie klar
zu legen. Ein Anhang stellt das biographische und biblio-
graphische Material über sämtliche Promovierten zusammen,
die mit der theologischen Fakultät zu Tübingen in Berührung
kamen.
I. Abschnitt.
Aeußere Geschichte der Fakultät.
1. Das Verhältnis der Fakultät zu Georgenstift und Pfarrei.
Die entscheidende Tat, mit welcher die Stiftung der Uni-
versität Tübingen eingeleitet wurde, war die Verlegung eines
Teils des Augustiner-Chorherrenstifts zu St. Martin in Sindel-
fingen (O.-A. Böblingen) an die St. Georgenkirche nach Tübingen.
In der Bulle des Papstes Sixtus IV. vom 11. Mai 1476 ist
diese Verlegung auf Bitten des Grafen Eberhard im Bart und
seiner Mutter Mechthild, der Erzherzogin von Oesterreich, ange-
ordnet; zunächst ohne daß die Absicht der Universitätsgründung
erwähnt wird 1 ). An der Georgenkirche in Tübingen, welche
dem Kloster Bebenhausen inkorporiert war, fungierten bis
dahin ein ständiger Pfarrverweser (vicarius perpetuus) und
neben ihm die Inhaber von zwölf ständigen Kaplaneien. Ersterer
blieb von der ganzen Umwandlung vorerst unberührt. Letztere
sollen Vikare des zu errichtenden Stiftes werden. Von Sindel-
fingen sollen die Propstei, acht Eanonikate und zwei Drittel
der täglichen Distributionen an das neue Georgenstift fallen.
Noch ehe der päpstliche Kommissar, der Abt Heinrich
Fabri von Blaubeuren, die Verlegung des Stifts ausgeführt
hatte, genehmigte der Papst in einer neuen Bulle vom
13. November 1476 die Errichtung einer Universität in
Tübingen 2 ). Ihr sollen fünf Kirchen, deren Patronat bisher
dem Grafen von Württemberg zustand, inkorporiert werden 3 ).
Außerdem stehen der Universität die acht Kanonikate des neu
errichteten Georgenstifts zur Verfügung, doch so, daß zwei
von ihnen unterdrückt und in vier gleichen Teilen als neu zu
errichtende Pfründen den vier künftigen Magistern in der
Artistenfakultät zuerkannt werden. Die sechs übrigen Kanoni-
kate sind demnach unvermindert für Lehrer der oberen Fakul-
täten vorgesehen. Die zehn Chorherren, welche diese Kanoni-
J ) Roth 1 ff. — *) Roth 12 ff.
8 ) In Brackenheim, Stetten am Heuchelberg, Ringingen und Asch
(O.-A. Blaubeuren), Eningen (O.-A. Reutlingen).
6 I. Abschnitt.
katspfründen innehatten und also zugleich Professoren an der
Universität waren, sind zur Teilnahme am Chordienst nur in
dem beschränkten Maße verpflichtet, welches im analogen Fall
für die Mitglieder von Universität und Heiliggeiststift in Heidel-
berg durch die Bullen Urbans IV. (2. August 1387), Boni-
fazius' IX. (12. Dezember 1399) und Eugens IV. (13. Mai 1434)
vorgesehen war 1 ). Der eigentliche Chordienst in der Georgen-
kirche (seit der Vereinigung auch ecclesia SS. Georgii et Mar-
tini genannt), soll von den zu Stiftsvikaren gewordenen In-
habern der ehemaligen Kaplaneien versehen werden; ihnen
kommen wesentlich die Präsenzgelder zu. Ueber dem Ganzen
steht der Propst, welcher zugleich das Amt eines Kanzlers an
der Universität und damit die Befugnis zur Erteilung der
Grade in allen Fakultäten vom Papste erhält.
Der Inhalt der beiden Bullen wurde durch den päpst-
lichen Kommissar in Urach am 11. März 1477 publiziert und,
soweit es vorerst möglich war, zur Ausführung gebracht. Aus
der öffentlichen Bekanntmachung, welche Graf Eberhard darauf-
hin am 3. Juli 1477 in alle Welt ergehen ließ 2 ), um zum
Besuch des neuen Generalstudiums einzuladen, erfahren wir,
daß an den oberen Fakultäten zehn Doktoren für die ordent-
lichen Lehrstühle vorgesehen waren; und zwar drei für die
Theologie, drei für das kanonische Recht, zwei Legisten und
zwei Mediziner. Für die sechs ersteren, für die Theologen
und Kanonisten, waren, wie aus der Universitätsordnung des
Grafen von 1481 hervorgeht 3 ), die sechs Chorherrenpfründen
vorgesehen, welche in der zweiten Bulle des Papstes noch
nicht näher verteilt sind. Die beiden Legisten und die beiden
Aerzte, sowie zwei neu hinzukommende Lektoren, einer „in
institutis", der andere »in Oratorien 1 *, sollen ihre Besoldung
aus den Einkünften der inkorporierten Kirchen durch einen
Universitätsrechner, den „ Syndikus*, erhalten. Zugleich stellt
der Graf dem Chorherrnstift die Inkorporation einer neuen
Kirche (zu Aidlingen, O.-A. Böblingen) in Aussicht. Ihre Ein-
künfte sollen für Notfälle, z. B. Reparaturen an der Barche
und andere Beschwerden, in den „gemeinen Säckel* fallen.
Deutlich voneinander geschieden sind in der gräflichen Ord-
J ) Vgl. Jus Universitatis Heidelbergensis (1748) S. 19.
2 ) Roth 28 ff.
8 ) Roth 70 ff.
Aeußere Geschichte der Fakultät.
nung diejenigen Lehrer, welche „Sölden" durch den Syndikus
erhalten und die zehn Ordinarien der Theologie, des kanoni-
schen Rechts und der freien Künste, welche die Chorherrn-
pfründen am Georgenstift innehaben sollen.
Das war also die ursprüngliche Absicht des Grafen (denn
der Papst führte ja nur aus, was Eberhard erbat), daß die
drei Theologen, die drei Kanonisten und die vier Eollegiaten
der Artistenfakultät zusammen unter dem Propst das Kapitel
des neuen Stiftes bilden und die von Sindelfingen nach Tübingen
verlegten und teilweise zerlegten Chorherrnpfründen selbst ver-
walten sollten. Die Kanonikate, auf welche dem Grafen bezw.
seiner Mutter zu deren Lebzeiten 1 ) das Präsentationsrecht ein-
gestanden war, sollten in Zukunft nur mit Geistlichen (viri
ecclesiastici) besetzt werden, die zugleich zur Uebernahme des
bezüglichen Lehrstuhls fähig seien. Allein der ganze Plan
einer solchen personalen Verbindung zwischen Stift
und Universität stieß auf Schwierigkeiten und ließ sich
nicht durchführen. Das eine ist schon angedeutet: Der Uni-
versitätskörper war geteilt in Chorherren, welche ihre Pfründen
nach kirchlichem Recht lebenslänglich innehatten, und in be-
soldete Lehrer. Dort konnte man dem Verdienst nicht steigern,
hier lebte selbst der Tüchtigste in gewisser Unsicherheit, da
die Anstellungsverträge nach der Sitte der Zeit von Jahr zu
Jahr erneuert wurden *). Dazu kommt, daß die eigene Pfründ-
verwaltung immerhin eine erkleckliche Zeit kostete, welche
dem Universitätslehrer, wenn er nebenbei auch gewisse kirch-
liche Pflichten hatte, fehlen mochte. Anderseits war zu
hoffen, daß der schon bald verschuldete Universitätsfiskus Er-
sparnisse mache, wenn ihm die Kanonikatspfründen eingeworfen
würden und wenn dementsprechend an alle Dozenten gleich-
mäßig größere oder geringere Besoldungen zu bezahlen seien,
*) Das Stift Sindelfingen gehörte zum Witwengut, welches die Erz-
herzogin nach dem Tod ihres ersten Gatten von Württemberg zur Nutz-
nießung erhalten hatte. Vgl. Roth S. 13: racione dotis sue.
2 ) Ueber den Unterschied zwischen Pfründen und SÖlden vgl. Roth
S. 73 oben. Das Moment des Steigernkönnens in der Bulle von 1482
(Freib. Diöz.-Arch. 30, 120): iuxta eorum sufficientiam, labores et merita
distribuantur-, deutlicher in der Ordnung von 1491 (Roth S. 90): sollen
macht haben solichen sold umb ein zimlichs zu meren oder zu min-
dern. Ueber die Nachteile der nicht lebenslänglichen Anstellung s. Roth
S. 119 f.
g I. Abschnitt.
oder wenn noch gar neue Pfründen für Universitätsangehörige
zur Verfügung kommen könnten. Die Hauptschwierigkeit bei
dem geplanten Verhältnis zwischen Stift und Universität lag
nämlich darin, daß die gegenwärtigen, aus Sindelfingen mit
herübergekommenen Inhaber der bezüglichen Eanonikate einer-
seits zum Teil die Lehraufgabe nicht übernehmen konnten oder
wollten, und anderseits naturgemäß auf ihre Pfründe nicht
Verzicht leisteten *). Der Graf, welchem an der raschen Heran-
ziehung möglichst tüchtiger Kräfte zur jungen Universität ge-
legen war, mußte zu deren Dotierung durch den Syndikus
Gelder aufnehmen lassen 2 ). Daß solche Schwierigkeiten zu
Tage getreten sind, ist aus einer neuen Bulle des Papstes
Sixtus zu entnehmen, welche Graf Eberhard von seiner Reise
nach Rom im Frühjahr 1482 mitbrachte 8 ). Sie ist vom
13. April 1482 datiert 4 ) und durch sie ist das Verhältnis
J ) Sproll in seinem dankenswerten Aufsatz über die Verfassung des
Georgenstifts in Tübingen (Freib. Diöz.-Arch. 30, 105 ff. ; 31, 141 ff.) zählt
30, 150 die acht Kanoniker auf, welche im Jahr 1477 die aus Sindel-
fingen transferierten Pfründen innehatten. Daß von ihnen nur Vergen-
hans Vorlesungen an der Universität übernommen habe, ist falsch. Auch
Mangold Widmann erscheint später als Ordinarius des kanonischen Rechts
(8. Freib. Diöz.-Arch. 31, 192; Seeger, Die strafrechtlichen consilia
Tubingensia [1877] S. 19). Von Menckler, der 1467—1475 in Heidelberg
dozierte, und von dem betagten Dekretisten Hegbach kann auch ange-
nommen werden, daß sie Vorlesungen gehalten haben. Er, Vergenhans
und Tegen heißen „in dicta universitate actu regen t es" in dem Einblatt-
druck von 1479 (Coppinger Suppl. II, 1762). Dagegen andere, wie Konrad
Mutschlin, Michael Kremer und Martin Kell, verhielten sich ablehnend
zur neuen Ordnung und ließen sich nicht einmal in die Universitätsmatrikel
eintragen.
*) Ueber die Ablösung der für die Universität aufgenommenen Gülten
vgl. Roth S. 71 Mitte; namentlich der Ueberschuß aus den Bursen soll
zur Ablösung dienen, Roth S. 72 u. 88. Ein Gefühl der Verpflichtung mag
die alten aus Sindelfingen mitgekommenen Stiftsherren bestimmt haben,
die Amortisation der Schuld durch Uebernahme von 400 fl. Hauptguts zu
beschleunigen (Freib. Diöz.-Arch. 31, 156).
8 ) Sie sei devotionis gratia unternommen worden (vgl. Stalin, Württ.
Gesch. 3, 591). Daß der Graf die kirchlichen Verhältnisse in seinem
Land und namentlich die an der Universität zur Sprache bringen wollte,
beweisen die Namen seiner Begleiter: Joh. Vergenhans, erster Rektor
der Universität; Peter Jakobi von Arlun, Propst zu Backnang; Gabriel
Biel, damals Propst zu Urach und Joh. Reuchlin, damals Geheimschreiber
des Grafen (vgl. Corpus Reformatorum XI, 1003).
4 ) Bisher unbekannt (Stalin S. 594 N. 2 und Roth S. 78 N.) ist sie
durch Sproll (Freib. Diöz.-Arch. 30, 115 ff.) veröffentlicht worden.
Aeußere Geschiebte der Fakultät. 9
zwischen Georgenstift und Universität wesentlich umgeändert
worden. Dadurch wird auch die Stellung der in Betracht
kommenden Universitätslehrer eine andere. Die zehn durch
die Stiftungsurkunde für Dozenten bestimmten Chorherrn-
pfründen werden nunmehr extinguiert; statt dessen sind die
zwölf ehemaligen Kaplaneien, deren Inhaber seit 1477 als
Stiftsvikare fungieren, zu selbständigen Kanonikaten erhoben.
Drei Pfründeninhaber zusammen mit dem Propst sollen jähr-
lich die Einkünfte der alten zehn Pfründen durch den Syndikus
der Universität in eine Masse zusammenfließen lassen, aus der
die Lehrer der Theologie, des kanonischen Rechts und der
freien Künste je nach ihrem Können, ihrer Arbeit und ihren
Verdiensten besoldet werden 1 ). Die Personalvereinigung zwischen
Chorherren und einem Teil der Dozenten ist also aufgehoben ;
die zwölf neuen Kanoniker stehen in keinem näheren Zu-
sammenhang mit der Universität, sie versehen für sich Dienst
und Chorgebet an der Georgenkirche. Dagegen die zehn bezw.
acht Sindelfinger Pfründen sind der Universität inkorporiert 2 ).
Außerdem kommt auch der Universität und nicht nur dem
Stift die Neuerrichtung von dreien „ Ehrenstellen B an der Kirche
des heiligen Georg zu gute: eines Dekanats mit der Aufsicht
über die Stiftsangehörigen, das durch zwei kleine ältere und
*) Dictas decem prebendas regen tibus cathedras assignatas penitus
et omnino extinguimus ac volumus quod dictus prepositus eiusdem studii
cancellarius pro tempore existens et tres ecclesiastici viri in dieta ecclesia
8. Georgii pro tempore prebendati per sindicum universitatis predicte
omnes et singulos proventus dietarum decem prebendarum (cedentibus
vel decedentibus canonicis dicte ecclesie) in unara massam annis singulis
redigi faciant illique postmodum inter regentes cathedras predietas iuxta
eorum sufficientiam , labores et merita distribuantur (Freib. Diöz.-Arch.
30 , 120). Daß unter den tres ecclesiastici viri drei Chorherren des neuen
Kapitels zu verstehen sind, wie Sproll meint (a. a. 0. 31, 155), ist nicht
wahrscheinlich. Denn für die auffallende Tatsache, daß Mitglieder des
neuen Kapitels einen Teil der Vermögensverwaltung für die Universität
übernehmen, müßte sich in der Folgezeit ein Beleg finden lassen. Nein,
die Universität wird Rechtsnachfolgerin des alten Kapitels, so daß sie
geradezu als „Propst und altes Kapitel " bei Sindelfinger Stiftsvermögens-
geschäften Urkunden kann (a. a. 0. 31, 157); darum muß es als sinn-
gemäß veränderte Ausführung der obigen Bestimmung des Papstes an-
gesehen werden, wenn Graf Eberhard später vier Ordinarien als Ver-
mögensverwalter dem Universitätssyndikus beiordnet (Roth S. 87).
2 ) Und mit ihnen ein Teil der Präsenz, wie sich aus der späteren
Praxis ergibt (Freib. Diöz.-Arch. 31, 154).
10 I. Abschnitt.
zusammengelegte Eaplaneipfründen besoldet wird 1 ); einer Scho-
lastrie, die mit Amt und Pfründe des jeweiligen Stadtpfarrers
(eines vom Kloster Bebenhausen angestellten vicarius perpetuus,
wie oben schon gesagt ist) vereinigt wird ; und einer Prädikatur,
die aus den Präsenzeinkünften mit einem bestimmten Emolu-
ment dotiert werden soll 2 ). Die Errichtung dieser drei Stellen
soll nicht nur eine Zierat schaffen, wie ihn andere Kollegiat-
stifte eben auch haben 8 ); sondern wie noch gezeigt werden
muß, wird Graf Eberhard diese Stellen und namentlich die
beiden letzteren gewünscht haben, um bisher neutrale Pfründen
für seine Universität dienstbar zu machen und so Besoldungs-
gelder zu sparen.
Für die Geschichte der theologischen Fakultät
geht aus dem Inhalt all dieser Bullen und gräflichen Ver-
ordnungen hervor, daß sie von Anfang an aus drei Ordinarien
bestehen sollte, die zugleich Kanoniker des neu errichteten
Georgenstiftes sind. Tatsächlich hat nun, soweit sich nach-
weisen läßt, kein einziger der acht aus Sindelfingen gekom-
menen Chorherren theologische Vorlesungen an der Universität
übernommen. Als der erste von ihnen im Jahr 1478 abging,
hat der aus Heidelberg kommende Theologieprofessor Christian
Wolmann aus Giengen a. Br. dessen Pfründe erhalten. Er
blieb aber auch der einzige in seiner Fakultät 4 ), bei dem die
ursprüngliche Intention praktisch wurde. Schon vor seiner
J ) Wie Sproll (Freib. Diöz.-Arch. 30, 170) nachweist, hat sioh das
Amt eines Dekans offenbar schon vor der offiziellen Errichtung durch
die Bulle aus der Praxis heraus entwickelt.
2 ) „Que persona de proventibus ipsorum mense capitularis con-
veniencia ipsorum praepositi et oapituli arbitrio moderanda emolumenta
percipiat" (Freib. Diöz.-Arch. 30, 120).
s ) „. . . pro decore et venustate dicte ecclesie s. Georgii" heißt es in
der Bulle.
4 ) Doch nicht der einzige an der Universität (gegen* Sproll a. a. O.
30, 151). Vielmehr ist anzunehmen, daß die Pfründe des Joh. Vergen-
hans, als er in der Pfarrei Nachfolger des Joh. Heynlin wurde (um
1480), in zwei Kanonikate zerlegt und gemäß den ursprünglichen In-
tentionen den beiden Kollegiaten in der Artistenfakultät Konrad Feßler
und Johannes Stein (vgl. a. a. O. 31, 192 und 194) zugeteilt wurde.
Sonst wäre es nicht denkbar, wie diese beiden zugleich Kanoniker und
Universitätslehrer sein könnten. Denn das gehört ja eben zum Begriff
des „Chorherrn der zweiten Periode u (a. a. O. 30, 152), daß er nicht
mehr zugleich Universitätslehrer ist.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 11
Berufung war Graf Eberhard darum besorgt, daß die Theologie
durch tüchtige Männer gelehrt werde und daß diesen, solange
die bezüglichen Eanonikate noch nicht erledigt seien, andere
Nebenbeschäftigungen mit ihren Emolumenten zugewiesen
werden. Der erste theologische Lehrer in Tübingen, von dem
wir aus der Matrikel erfahren, und der im ersten Jahr die
Sentenzen las, Johann Hann von Horrheim, war zugleich auch
der erste Syndikus der Universität 1 ). Viel wichtiger noch
ist der Vorgang, der 1478 durch die Berufung des berühmten
Predigers Johann Heynlin von Stein geschaffen wurde : Er ist
in der Matrikel inskribiert als sacre theologie professor, ple-
banus huius loci Tubingen ') ; zu seiner Entlastung genehmigen
Abt und Konvent von Bebenhausen im Jahr 1479 einen zweiten
Gehilfen an der dem Kloster inkorporierten Pfarrkirche und
setzen dem ersten Pfarrer, der zugleich Theologieprofessor war,
statt der portio congrua ein festes Einkommen von 120 fl.
samt der Wohnung im neuerbauten Pfarrhaus fest- 8 ). Auf
diese Weise, die in ihrer Verbindimg der Hauptpredigerstelle
mit einer Universitätsprofessur bis auf den heutigen Tag vor-
bildlich gewirkt hat, wurde der Mangel der anderweit besetzten
Chorherrnpfründen für die theologische Fakultät vorerst not-
dürftig gedeckt.
Da es jedoch zu lang dauerte mit der Vakanz der Stifts-
kanonikate und da auch in anderer Hinsicht die ursprünglich
geplante Einrichtung sich als unzweckmäßig erwies, wurde in
jener durch den Grafen Eberhard erwirkten Bulle von 1482
auch für die theologische Fakultät die Verbindung mit dem in
neuer Selbständigkeit errichteten Georgenstift prinzipiell aufge-
hoben. Wohnann behielt zwar seine Pfründe und blieb Kanoni-
ker bis zu seinem Abgang; aber danach floß die Pfründe ebenso
wie die beiden anderen für theologische Ordinariate vorge-
sehenen Kanonikate in den Universitätsfiskus. Aus ihm erhielten
auch die Ordinarien der Theologie künftig ihre Besoldung;
und zwar soll, wie die zweite Universitätsordnung Eberhards
vom Jahr 1491 festsetzt, jeglicher der drei Doktoren, die «in
der heiligen Geschrift lesen", mit 100 fl. besoldet werden 4 ).
J ) Matr. 1, 4.
2 ) Matr. 2 70.
8 ) Tübinger Blätter V (1903/4) S. 33.
4 ) Roth S. 83.
12 I. Abschnitt.
Auch das wurde offenbar wegen finanzieller Unzulänglich-
keit niemals praktisch, daß drei Theologen nebeneinander je
mit 100 fl. besoldet waren. Schon die neuen Fakultätsstatuten
vom Jahr 1496 bringen eine Aenderung in der Verteilung
jener für die theologischen Ordinariate ausgesetzten 300 fl.
Danach erhalten die beiden älteren Ordinarien je 100 fl.; die
übrigen 100 fl. aber sollen zu gleichen Teilen an zwei jüngere*
Lehrer verteilt werden. Sobald nämlich die Universität dazu
in die Lage komme, soll sie einen vierten Theologen, der
zugleich ein Extraordinariat im kanonischen Recht versieht,
eben um den Sold von 50 fl. anstellen 1 ).
Das waren Hungerlöhne, mit welchen die Mitglieder der
obersten Fakultät abgespeist wurden und die offenbar für die An-
fangszeit nicht einmal immer flüssig waren. Die Fakultät richtet
deshalb auch in der eben erwähnten Redaktion der Statuten
die Bitte an die Universität, sie möge bei dem Herzog und
sonst bei Patronen von kirchlichen Stellen sich verwenden, daß
ihren Lehrern exilitate stipendiorum durante solche Pfründen
übertragen würden, mit denen „in absentia" die Deckung
ihres Mangels möglich sei 2 ). Das war der einzige Weg, auf
welchem der anfänglichen Not abgeholfen werden konnte. Wie
schon erwähnt, hat ihn Graf Eberhard zusammen mit dem
Kloster Bebenhausen schon bei der Berufung Heynlins und
bei seiner Belehnung mit der Tübinger Pfarrverweserei
eingeschlagen. Nach Heynlins Abgang war kurze Zeit Vergen-
hans Pfarrer 3 ), der Lehrer des kanonischen Rechts, bis er im
Jahr 1481 zur Propstei des Stifts und zum Kanzleramt vor-
rückte. Sein Nachfolger wurde Schöferlin, einer der vier
ersten Collegiati der Artisten. Ob er in einer der oberen
Fakultäten Vorlesungen gehalten hat, läßt sich nicht nach-
weisen. Unter ihm fand die Neuorganisation des Georgen-
stifts im Jahr 1482 statt. Wie oben erzählt ist, sorgte Graf
Eberhard dafür, daß „zur Zierde und Schönheit des Stifts"
das Pfarrgehalt zur Errichtung einer Scholastrie verwendet
werde und daß man daneben eine Prädikatur mit anderweitigem
Einkommen dotiere. Während die dritte im Zusammenhang
*) Roth S. 264, 269.
2 ) A. a. O. S. 267.
3 ) Vergenhans heißt plebanus am 5. Oktober 1479 (vgl. den Einblatt-
druck Coppinger IT, 1762).
Aeußere Geschichte der Fakultät. , 13
mit diesen geschaffene Ehrenstelle des Dekans offenbar inner-
halb des Organismus des Chorherrnkapitels ein bestimmtes Ge-
biet der Betätigung hatte, haben gemäß der tatsächlich geübten
Praxis jene beiden anderen Stellen wesentliche Bedeutung für
die Universität und zwar speziell für deren theologische Fakultät.
Der Pfarrrektor, welcher in den überlieferten Dokumenten den
Titel des Scholasters nur einmal führt, seit 1479 durch einen
Gehilfen bezüglich der cura animarum entlastet und offenbar
auf Predigttätigkeit sich beschränkend, hatte zwar einen be-
sonderen Platz im Chor der Stiftskirche, sowie Sitz und Stimme
im Kapitel; allein wichtiger war doch sein Aufsichtsrecht gegen-
über der Universität. Er hatte zusammen mit dem Kanzler
über die Ausführung der Universitätsordnung zu wachen und
war wie jener Tädingsmann bei Irrungen zwischen Landes-
herrn und der Universität, oder zwischen der letzteren und der
Stadt Tübingen 1 ). Die beiden Nachfolger Schöf erlins, Martin
Plansch (seit 1491) und nach ihm Gall Müller (bis 1534),
waren außerdem nicht nur wirksame Kanzelredner, sondern
beide lehrten auch in der theologischen Fakultät. Müller war
lange Jahre einer der vier Ordinarien; Plansch entgegen der
allgemeinen Tradition offenbar nicht; immerhin mag er ge-
legentlich Vorlesungen gehalten haben, namentlich in Zeiten, da
die Fakultät mangelhaft besetzt war. Von der Prädikatur
heißt es in der päpstlichen Bulle von 1482, daß sie aus den
Einkünften der mensa capitularis mit einem von Propst und
Kapitel zu moderierenden Emolument dotiert werden soll. Offen-
bar konnten oder wollten die Chorherrn ihre Präsenz zu diesem
Zweck nicht verringern ; denn Graf Eberhard sah sich im Jahr
1489 veranlaßt, die Prädikatur am Stift besonders zu dotieren.
Schon 1446 hatte eine fromme Witwe 19 fl. jährlichen Zins
zu einem Predigtamt gestiftet. Zu diesen widmet Eberhard
noch weitere 35 fl. , über welche ihm der frühere Pfarrherr
und Dekan zu Tübingen, Konrad Breuning (Vorgänger Heyn-
lins) freie Verfügung zu gottesdienstlichen Zwecken gelassen
hatte 2 ). Diese Prädikatur ist, soweit wir sehen können, von
*) Roth S. 74. Wegen dieser bevorzugten Stellung war er auch von
der Wahl zum Rektor ausgeschlossen, a. a. 0. S. 43.
2 ) Vgl. dazu den unkritischen Aufsatz von Th. Schon in Tübinger
Blätter V (1903/4) S. 34. Die dabei getroffene Bestimmung, daß jeder
Inhaber der Prädikatur Priester und Doktor sein soll, oder zum wenigsten
14 I- Abschnitt.
einzelnen in Tübingen studierenden Baccalaren der Theologie,
zum Teil aber auch von Doktoren oder Ordinarien der Fakultät
versehen worden. So war von 1515 an Balthasar Sattler
Prediger in Tübingen, der seit 1518 einige Jahre Ordinarius
der Theologie war. Und neben Plansch bezw. Gallus Müller
findet sich auch für den Theologieprofessor Balthasar Eäufelin
die Bezeichnung als „concionator" und „Prädikant" zu Tü-
bingen 1 ).
Ganz in derselben Richtung liegt eine weitere kirchliche
Aktion des Grafen Eberhard, die auf die Universität und die
theologische Fakultät Bezug hat. Im Jahr 1481 wurde die
gräfliche Schloßkapelle in Tübingen zur Parochie er-
hoben und mit den Einkünften der bisherigen Barche auf dem
St. Florian bei Metzingen, sowie mit dem Neubruchzehnten
der Dörfer Dußlingen, Oeschingen, Gönningen, Nehren und
Gültlingen dotiert. Das Stift der Brüder des gemeinsamen
Lebens in Urach, welchem jene Florianskirche inkorporiert
war, erhielt das Patronatsrecht auf die neue zweite Pfarrkirche
von Tübingen; und zugleich erlaubte der Graf den Fratres,
daß sie „ex corpore suo Leute im Pfarrhaus in Tübingen haben
mögen, die da studieren und sich züchtig und ehrbarlich halten
und dem Pfarrer im Schloß zu Vollbringung des Gottesdienstes
helfen* 2 ). Der erste und einzige Schloßpfarrer war Wendelin
Steinbach, zugleich Ordinarius der theologischen Fakultät. Als
die Brüderhäuser der Windesheimer Kongregation im Jahr
1516 in Württemberg aufgehoben wurden 3 ), wurde die alte
Schloßkaplanei wieder hergestellt; die Kirche auf dem Florians-
berg mit den Novalien der obengenannten Dörfer wurde von
Herzog Ulrich zur Dotierung seiner Kirchen- und Hofmusik
verwandt. Nach Ulrichs Vertreibung hat Kaiser Karl V. damit
zehn Stipendien für Magister der Artistenfakultät in Tübingen
gestiftet (14. Januar 1522) 4 ).
baccalaureus factus in theologia vel si talis haberi non potuit, saltim in
liberalibus artibus magister, findet sich häufig in den Stiftungsbriefen
von Predigerpfründen jener Zeit.
') Z. B. bei der Disputation zu Baden 1526 (Schnurrer, Erläute-
rungen der württ. Kirchen- und Gelehrtengesch. S. 329).
2 ) Tübinger Blätter VI, 37 f.
3 ) Vgl. Theolog. Realenzykl. III 8 , 494.
4 ) Vgl. Sattler, Württembergische Geschichte unter den Herzogen
I, Beil. S. 236. Roth, S. 128 ff. *
Aeußere Geschichte der Fakultät. 15
Den bisher geschilderten Tatbestand mit Hilfe der kirchen-
rechtlichen Begriffe näher zu umschreiben, erscheint
schwierig; es muß aber zur Klarlegung der Verhältnisse versucht
werden. Handelt es sich doch lediglich um kirchliche Besitztitel,
welche hier zur Ausstattung der theologischen Fakultät und der
Universität mobil gemacht werden. Vor der Organisationsände-
rung von 1482 ist ein denkbar enges Verhältnis zwischen dem
Georgenstift und der theologischen Fakultät geplant. Den In-
habern der aus Sindelfingen stammenden zehn Martinspfründen 1 )
wird vom Papst für den Genuß des beneficium außer dem be-
schränkten Chordienst die Verpflichtung zur Lehrtätigkeit in
der theologischen bezw. juristischen und Artistenfakultät auf-
erlegt. Seit der Bulle von 1482 sind diese zehn Martinspfründen
der Universität inkorporiert, ebenso wie dies schon vorher mit
den fünf Universitätspfarreien geschehen war. Die bisherigen
(wegen mangelhafter Ausführung der ersten Bulle zum Teil nur
fingierten) Inhaber der zehn Martinspfründen, die Professoren der
Theologie, des kanonischen Rechts und der freien Künste, haben
keinen Chordienst mehr, wohl aber haben sie ihr Lehramt zu ver-
sehen und zwar gleichsam als „vicarii perpetui", welche aus der
Inkorporationsmasse des Fiskus ihre „portio congrua", die Be-
soldung von 100, 50 oder 25 fl. erhalten. Um diese „portio
congrua tt möglichst gering halten zu können, ja um sie unter
Umständen ganz überflüssig zu machen, begünstigt der Landes-
herr die Kumulation anderer Pfründen. Von solchen kommen
für die theologische Fakultät in erster Linie in Betracht: die
von der cura animarum entlastete Pfarrei an der Georgskirche,
deren Inhaber überdies noch mit dem Titel eines Scholasters
am Georgenstift geschmückt wurde; ferner die aus zwei früheren
Stiftungen neu errichtete Prädikatur am Georgenstift, und end-
lich die Schloßpfarrei, die zur Förderung der Studien nament-
lich unter den Brüdern des gemeinsamen Lebens durch Ver-
einigung der Kircheneinkünfte vom Floriansberg mit der ehe-
maligen Schloßkaplanei entstanden ist.
Der Patron aller Pfründen, die der Universität inkorporiert
*) So seien in der Kürze die acht ehemals zum Martinstift in Sindel-
fingen gehörigen Pfründen genannt, die 1477 bei der Transferierung nach
Tübingen in zehn zerlegt wurden. Während die zwölf ehemaligen Ka-
planeien der Georgskirche, welche 1477 in Vikariate und 1482 in Ka-
nonikate umgewandelt wurden, Georgspfründen heißen mögen.
16 I. Abschnitt.
sind, ist der Landesfürst; und somit ist er auch der „Patron*
der Universität 1 ). Er begibt sich aber ausdrücklich des am
Patronat haftenden Präsentationsrechts 2 ) und behält in wirk-
samer Ausübung das Aufsichtsrecht (ius advocatiae). Das letztere
ist zwar in der Schenkungsurkunde von 1486 nicht ausdrücklich
gesagt; es versteht sich aber bei einem Landesherrn des aus-
gehenden Mittelalters ganz von selbst. Insbesondere Eberhard
im Bart hat das landesherrliche Vogteirecht über Kirchen und
Klöster seines Territoriums in wirksamer Tätigkeit ausgeübt 3 ).
Er hat nicht nur Visitationen veranstaltet, sondern auch reformiert
und, wie schon aus der Gründungsgeschichte der Universität
hervorgeht, ganze kirchliche Institute verlegt und neu organi-
siert; und zwar, wie ebenfalls aus der Gründungsgeschichte der
Universität Tübingen ersichtlich ist, vollständig unter Um-
gehung des bischöflichen Ordinariats 4 ), allein mit dem Papst
von Fall zu Fall verhandelnd 5 ).
Als Patrone und Vögte der Universität haben dann die
württembergischen Landesherrn mehrfach selbständig in das
innere Leben unserer theologischen Fakultät eingegriffen 6 ).
x ) Koth S. 66 und 16 (erste Zeile). "
s ) D. h. erst nach dem Tode seiner Mutter Mechthild; so lange sie
lebte, stand ihr die Präsentation der Universitätslehrer zu (Roth S. 13;
vgl. oben S. 7 N. 1). Nach ihrem Abgang soll die Universität mit dem
Kanzler und dem Kirchherrn zu Tübingen den Tauglichsten erwählen.
„Denselben sollend dann unser nachkommen presentieren u (Roth S. 73 f.)*
Vgl. dazu die vollständige Verzichtsurkunde von 1486 (Roth S. 79).
8 ) Vgl. D. Fr. Cleß, Versuch einer kirchl. politischen Landes- und
Kulturgesch. von Württemberg (1807 und 1808) II, 1, S. 340 ff., 491;
II, 2, S. 355 ff.; besonders S. 362 und 153—161.
4 ) Vgl. dazu Freib. Diöz.-Arch. 30 S, 180.
5 ) K. Müller, Kirchengeschichte II, 1, S. 140: „Das Papstum be-
durfte je länger je mehr der Fürsten ... So bekamen die Fürsten
wieder Raum, teilweise mit Hilfe des Papsttums selbst, große Stücke
ihres alten Einflusses auf die Kirchen zurückzuerobern." Wie im wei-
teren ausgeführt wird, boten die Rechte des Patronats und der Vogtei
dazu die Handhabe. #
6 ) Vgl. die herzogliche Ordnung von 1491, die durch Mitwirkung
von Universitätsangehörigen zu stände gekommen ist (vgl. Roth S. 93).
Die Fakultätsstatuten von 1496 sind vom Herzog ausdrücklich genehmigt
(Roth S. 269). Und bei der Anstellung des Theologen Lemp (1509) be-
lehrt Herzog Ulrich seine theologische Fakultät, es scheine ihm besser
und nützlicher, „das wenig person und für ander giert und geschickt,
die andren mögen lern, mit guten stipendia fursehung haben, dann viel
personen, so nit also geschigt, zu und erhalten".
Aeußere Geschichte der Fakultät. 17
Allein daraus zu folgern, daß die Fakultät eine „ staatliche tt
und „nicht kirchliche Körperschaft* gewesen sei 1 ), das wäre
ebenso falsch wie die Meinung, als ob die Klöster und Stifte
des Fürstentums seit den Visitationen und Reformationen durch
den Grafen aus kirchlichen auf einmal staatliche Institute ge-
worden wären. Wenigstens für die theologische Fakultät ist
der kirchliche Charakter sichergestellt durch die Bestimmung
der Stiftungsurkunde, daß viri ecclesiastici auf die betreffenden
Lehrstühle ernannt werden sollen 2 ). Die gräfliche Ordnung
von 1491 führt das noch näher aus. „Der Baccalar der hei-
ligen Schrift soll Clericus sein ; wer aber werden will Lizentiat,
der soll der großen und mehr Weihen eine haben; welcher
aber Doktor und Magister will werden in der heiligen Ge-
schrift, der soll zuvor Sacerdos sein 448 ).
2. Die Organisation der Fakult&t und ihr Verhältnis zu
den anderen Fakultäten.
Die ältesten Statuten von 1477 bestimmen, daß die Uni-
versität gemäß dem vierfältigen Charakter der in ihr zu lehren-
den Wissenschaften in vier Fakultäten geteilt werden soll,
von denen die erste und oberste die theologische genannt
wird 4 ). Das ist ja das Eigentümliche bei den Universitäten
des Mittelalters, daß in ihrem Studienbetrieb das einheitliche
Ziel aller Wissenschaft viel lebhafter betont wird, als gegen-
wärtig möglich ist; und daß ferner diese Einheitlichkeit auch
in der Organisation der Universität deutlich zum Ausdruck
gelangt. Ermöglicht wurde dies mit Hilfe der allgemein an-
genommenen areopagitisch-neuplatonischen Weltansicht , die
*) Vgl. Kaufmann II, 111 ff.; vgl. dazu 88 ff. u. 146 ff.
2 ) Roth S. 15. Auch die Artisten und Kanonisten mußten demnach
viri ecclesiastici sein.
3 ) Roth S. 84. Später wurde dies Statut modifiziert: „Es soll auch
keiner promoviert werden in keinerley gründen der h. geschrifft, er habe
dann eine uss den großen vnd meren wyhungen. u Auch die Mitglieder
anderer Fakultäten, wie z. B. die Juristen, waren, wie aus dem Gutachten
über den Rechtstag in Rottenburg hervorgeht, sämtlich Priester oder
gedachten, solche zu werden (vgl. Roth S. 153: „in an seh u Dg das der
merer thail uss uns priester, die andern zu priesterlichem stand in
künftig Zeit komen u ).
4 ) Item dicta universitas iuxta differentiam quadrinariam in illa
doctrinandarum scientiarum in quatuor distinctas esse debeat partita
facultates, quarum prima et suprema theologica. Roth S. 40.
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 2
lg J. Abschnitt.
alle Vielheit durch konzentrische Kreise und durch das Ver-
hältnis der Stufenfolge zur Einheit zurückführen konnte. So
wird zwar die Verschiedenheit, die differentia quadrinaria der
Wissenschaften zugegeben, die aus praktischen Gründen zur
Trennung der vier Fakultäten führt, wobei diese geradezu die
quattuor differentiae genannt werden können. Jedoch diese
„vier Unterschiede u schließen sich nicht gegenseitig aus, son-
dern ergänzen sich je in stufenmäßiger Folge. Der Anfang
und das Fundament aller Weisheit sind die freien Künste, der
Fortgang oder, um in dem oft dargestellten Bilde zu bleiben,
die mittleren Stockwerke des Weisheitsturms sind die Medizin
und die Jurisprudenz. Innerhalb der letzteren stehen wieder
die Kanonisten dem höchsten Ziele näher als die Legisten.
Dieses höchste Ziel, das Ende der Weisheit, ist die aeterna
sapientia, die divina philosophia, die Theologie, darin Christus
ist der Lehrer und die Heilige Schrift das Buch 1 ). So hat
in seinem Werk von den „ vierundzwanzig güldenen Harfen %
der auch in der Geschichte der Ketzer- und Hexenprozesse
bekannte Dominikaner Johann Nider das Wissen der Zeit in
ein System gebracht 2 ) in theoretischer Ausführung dessen t
was in den Köpfen aller damals lebte und in der Organisation
der Bildungsstätten seinen Ausdruck fand: primum locum
habeant atque teneant magistri theologiae, secundum doctores
decretorum, tertium doctores legum (salva ordinatione, quam
domini canonistae et legistae inter se sine aliorum preiudicio
duxerint forsitan faciendam), quartum doctores medicine; post
hos magistri artium in suo ordine. So lautet die Rangordnung
in den ersten Tübinger Statuten 3 ).
Da das Ideal, die Kurse sämtlicher Fakultäten in der
Reihenfolge zu absolvieren, nicht durchführbar war, hat die
Praxis bekanntlich die drei „oberen Fakultäten" von der
Artistenfakultät geschieden. Während jene mit ihrem tech-
nischen Wissen in Selbständigkeit und tatsächlicher Gleich-
berechtigung auf das reale Leben vorbereiteten, war die
*) Vgl. den Auszug aus den „vierundzwanzig goldenen Harfen" dea
Joh. Nider bei Paulsen, Gesch. d. gelehrten Unterrichts I, 33.
2 ) Vgl. dazu noch aus humanistischer Zeit die Margarita philo-
sophica des Gregor Reisch. Schreiber, Gesch. der Universität Freiburg
I, 32 ff.
3 ) Roth S. 61. Der Rangordnung entspricht auch die Kleiderordnung
a. a. 0. S. 54.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 19
Artistenfakultät, das theoretische Wissen lehrend, die Vor-
bereitungsanstalt für die altiores facultates. Der Magister der
freien Künste, welcher die Kurse der untersten Fakultät ab-
solviert hatte, konnte in allen oberen Fakultäten hören, wie
dies bei den berühmtesten Tübinger Studenten unserer Epoche
Philipp Melanchton und Johann Eck aus ihrem Bildungsgang
hervorgeht. Jedoch wenn er einen weiteren Grad erlangen
wollte, mußte er auf eine bestimmte Fakultät sich beschränken
und in ihr den vorgeschriebenen Kurs absolvieren. Dabei war
er aber zugleich durch seinen Magistereid verpflichtet, in der
unteren Fakultät Vorlesungen zu halten, „doctor simul bonarum
literarum et discipulus graviorum studiorum*, wie Heerbrand
in der Gedächtnisrede auf Melanchton rühmend schildert *).
Eine Schwierigkeit besteht nun darin, die Fakultäten gegen-
einander abzugrenzen und festzustellen, wann der Uebertritt
aus der einen in die andere stattgefunden hat 2 ).
Mitglied einer Fakultät konnte nur derjenige sein, der sich
einen Grad erworben hatte. Die „matriculae" aller Fakultäten
sind deshalb nach unseren Begriffen nichts anderes, als Promo-
viertenregister. Die Masse der Nichtgraduierten, die „suppo-
sita a gehörten offiziell keiner Fakultät an und konnten be-
liebig bei jedem Dozenten Vorlesungen hören. Nur wer Grade
erwerben wollte, mußte einen bestimmten Studiengang und
die vorgeschriebene Stufenfolge einhalten. Nach Bestehung
des ersten Examens wurde er als baccalaureus artium in die
Matrikel der Artistenfakultät eingetragen und galt von da an
als „membrum ipsius facultatis* 3 ), das sich lehrend („exer-
citia complere* 4 ) und in derselben Fakultät hörend auf den
nächsthöheren Grad vorbereitete. Vollberechtigtes Mitglied der
J ) Corp. Ref. X, 298.
2 ) Vgl. Kaufmann II, 198: „Für die einzelnen Universitäten bedarf
dieser Punkt noch genauerer Untersuchung; er ist von nicht geringer
Wichtigkeit für die Erkenntnis des Verhältnisses der Fakultäten unter-
einander. u Meines Erachtens muß noch schärfer, als es Kaufmann tut,
unterschieden werden zwischen einzelnen Ehrenrechten (bei Prozessionen
und offiziellen Akten), bei deren Gewährung die Praxis schwankend sein
konnte und zwischen dem tatsächlichen Einfluß auf Angelegenheiten der
Fakultät und Universität, welcher den Graduierten oberer Fakultäten,
die nicht Ordinarien waren, in Tübingen nur in und vermittelst der
Artistenfakultät möglich war.
8 ) Koth S. 326, 351 : Nullus baccalaureus membrum facultatis artium
esse censeatur, nisi matricule facultatis rite inscriptus et iuratus fuerit.
20 !• Abschnitt.
Fakultät wurde er aber erst als „magister actu regens*, d. h.
wenn er nach erstandenem Examen und abgeleistetem Eid,
eingetragen in die Magisterliste, die ihm der Ordnung nach
zufallenden Lektionen und Disputationen (»formales" actus
lectiones et disputationes) abhielt. Nach zwei Jahren erfüllter
Regenz wurde er „magister de consilio facultatis" und nahm
zunächst als stimmberechtigtes, später auch als wahlfähiges
Mitglied des Lehrkörpers teil an der Verwaltung Ton Fakultät
und Universität. Besoldung bekam er für seine Lehr- und
Verwaltungstätigkeit nur, wenn es ihm gelang, eine Kollegiatur,
d. h. eines der vier Ordinariate zu erlangen. Wollte er weiter
steigen an der akademischen Stufenleiter, so mußte er noch
neben den Verpflichtungen für die eigene Fakultät Vorlesungen
in einer der höheren besuchen. Es fragt sich nun: Wann
konnte er in eine solche eintreten? Wann galt speziell
der Studierende der Theologie als membrum facul-
tatis theologicae? Jedenfalls nicht vor Erwerbung eines
Grads in der theologischen Fakultät. Denn erst dann wurde
er ja in die Fakultätsmatrikel inskribiert. Allein als bacca-
laureus biblicus oder sententiarius hatte er so wenig Rechte
in der theologischen Fakultät, als seiner Zeit der baccalaureus
artium in der unteren Fakultät gehabt hatte. Wollte ein theo-
logischer Baccalar also nicht auf die Vorrechte eines Lehrers
und Fakultätsmitglieds verzichten, dann mußte er auch nach
Erwerbung der niederen theologischen Grade der Regenzpflicht
in der Artistenfakultät genügen, d. h. Vorlesungen daselbst
halten. War ihm das zu viel, so blieb er Magister der Artisten
als „actu non legens", d. h. in inaktiver Stellung, und hatte
dazu als theologischer baccalaureus etwa seinen bestimmten
Ehrenplatz bei kirchlichen und akademischen Festlichkeiten;
aber er nahm nicht mehr teil an irgend einer Fakultätsver-
sammlung und begab sich somit seiner Vorrechte in Universi-
tätsangelegenheiten. Tatsächlich war er somit Mitglied keiner
Fakultät; jedenfalls wurde er nicht als membrum facultatis
theologicae anerkannt. Die Baccalare der sacra theologia, die
wir unter den Rektoren der Universität antreffen, sind darum
als aus der Artistenfakultät gewählte Vertreter anzusehen;
wie denn auch unter deren Dekanen eine ganze Reihe von
Baccalaren und Lizentiaten der oberen Fakultäten uns ent-
gegentreten.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 2 1
Daß die Baccalare der Theologie nicht Mitglieder der
facultas theologica waren, daß vielmehr der Kreis der Fakul-
tätsangehörigen ein viel engerer war, geht schon unzweideutig
aus den alten Fakultätsstatuten (von 1480) hervor. Ihre Gel-
tung erstreckt sich nur auf die „regentes quicunque in facul-
tate nostra theologica" *), während die Statuten der Artisten-
fakultät z. B. zu halten sind „per ipsius facultatis supposita
pro tempore" 2 ). Wer sind nun die „regentes" in facultate
theologica? Sind unter ihnen nur die ordentlichen besoldeten
Lehrer zu verstehen, oder ist der Begriff weiter zu fassen?
Der Ausdruck ist deutlich dem kanonistischen Sprachgebrauch
entnommen (vergl. regere ecclesiam, rector parochialis, regentia
in canonicatu) und bedeutet daselbst das Innehaben einer kirch-
lichen Stelle nach zweierlei Gesichtspunkten: 1. als tatsäch-
liches Versehen und Besorgen der damit verknüpften Pflicht-
leistungen und 2. als Innehaben der Hauptstelle im Gegensatz
zu etwaigen demselben Zweck dienenden Nebenstellen. Unter
dem ersten Gesichtspunkt steht der rector ecclesiae im Gegen-
satz zum Patron oder zum Kloster, dem seine Kirche inkor-
poriert ist; unter dem zweiten tritt er im Gegensatz zu den
Kaplänen und Inhabern der Nebenpfründen an seiner Kirche.
Bei der Uebertragung des Ausdrucks auf die Universitäts-
verhältnisse scheint sich der erstere Gesichtspunkt geltend zu
machen, wenn die Rede ist von dem magister artium, der als
actu regens die ordnungsmäßigen Lektionen und Disputationen
abhält 3 ). Doch fehlt es in den Tübinger Universitätsurkunden
nicht an Wendungen, wo die zweite Nuance jenes kirchen-
rechtlichen terminus stärker hervortritt. Das scheint nament-
') Roth S. 255. Im Folgenden ist dann von den supposita die Rede :
decanus facultatis theologice iuret, quod statuta pro se et suppositis pro
posse integre servet (S. 256). Der Dekan beschwört also Einhaltung der
Statuten, welche sein Amt und die supposita, d. h. die Kandidaten der
Grade betreffen. Vor der Zulassung zum cursus biblicus beschwor der
betreffende Kandidat statuta cursorem concernentia (S. 258). Bei den
nächstfolgenden Graden wird dies ähnlich gewesen sein. Die Verpflich-
tung zum Gesamtinhalt der Statuten geschah erst bei ordentlicher An-
stellung in der Fakultät: „ita tarnen quod vivat legibus editis et edendis
iuxta ordinationes" ; „iuravitque ordinationes ac leges editas edendas-
que"; so und ähnlich lautet die jeweilige Formel am Schluß der An-
stellungsnotizen im Liber conductionum.
a ) Roth S. 322.
3 ) Vgl. z. B. a. a. 0. S. 326.
22 I- Abschnitt.
lieh der Fall zu sein in der Verbindung regere cathedra m,
wenn z. B. Graf Eberhard in seiner öffentlichen Bekannt-
machung vom 3. Juli 1477 verkündigt, daß er ein neues
Generalstudium errichtet habe, cuius felix cursus sub decem
doctoribus quatuorque liberalium artium magistris cathedras
inibi regentibus compleretur 1 ). In diesem Zusammenhang
sind die regentes cathedras nichts anderes als die Ordinarien
der betreffenden Fakultäten im Gegensatz zu den übrigen
Magistern und Doktoren. Und in solchem Sinn scheint der
Ausdruck auch in den ersten Statuten der theologischen Fakultät
verwendet zu sein. Jedenfalls in der zweiten Redaktion der
Statuten von 1496 ist nur noch die Rede von den quatuor
magistri theologie ordinarii, qui in nostra facultate theologica
habeantur 2 ). Georg Kaufmann glaubt, daraus eine Entwick-
lung konstatieren zu müssen, daß die Fakultät zuerst aus allen
Magistern und 16 Jahre später nur aus den besoldeten sich
konstituiert habe 8 ). Auch wenn Kaufmann mit seiner Aus-
legung recht haben sollte, so wird doch tatsächlich die theo-
logische Fakultät stets nur aus besoldeten Doktoren bestanden
haben 4 ). Denn die Doktorenpromotionen sind verhältnismäßig
spärlich; und da die Doktoren einerseits in ihrem Promotions-
') Roth S. 29. Vgl. S. 13: ad regentes decem cathedras in tmi-
versitate.
2 ) Roth S. 264.
a ) Kaufmann II, 200.
4 ) Es ist zuzugeben, daß es eine gewisse Härte hat, einen doppelten
Begriff der Regenz für die untere und für die oberen Fakultäten zu
konstruieren. Aber einmal muß der Uebergang doch stattgefunden haben,
daß der Begriff der Fakultätsgenossen (= regentes in facultate) sich ver-
engerte und nur noch auf die besoldeten Ordinarien Geltung hatte. Daß
dies zuerst in der theologischen und dann überhaupt in den oberen Fa-
kultäten geschah, ist ungemein wahrscheinlich. Denn hier erweist sich
der Unterschied zwischen besoldeten Doktoren und anderen Dozenten
schon darin als wirksam, daß die ersteren inhaltlich lesen konnten, was
sie wollten und nur bezüglich der Zeit an bestimmte Vorschriften ge-
bunden waren; dagegen den letzteren wurde das Thema der Vorlesung
in der Fakultätsversammlung zugewiesen (vgl. dazu Kaufmann II, 333
und Note). Anders in der Artistenfakultät, wo die Verteilung der Vor-
lesungen zwischen besoldeten und unbesoldeten Lehrern nach Wahl oder
Los oder in Einhaltung eines bestimmten Turnus vor sich ging (Roth
S. 322). Um 1510 beginnt in Tübingen auch in der unteren Fakultät
die Abgrenzung der collegiati bezüglich des Lehrstoffes gegenüber den
nichtbesoldeten Fakultätsmitgliedern (vgl. Roth S. 379).
Aeußere Geschichte der Fakultät. 23
eid nicht wie anderwärts zu weiteren Pflichtvorlesungen sich
verstehen mußten und da sie anderseits vermöge ihres an-
gesehenen Grades mit Leichtigkeit irgend eine kirchliche
Stellung sich erringen konnten, so ist kaum anzunehmen, daß
je ein Doktor der Theologie als unbesoldeter actu regens neben
den Ordinarien gelehrt habe. Im Gegenteil fehlte es in den
ersten Dezennien immer an der ordnungsmäßigen Zahl von
Lehrern, so daß man wohl meistens die neu promovierten
Doktoren sofort für eines der drei Ordinariate zu gewinnen
suchte. Dagegen aus der späteren Zeit läßt sich an einem
Beispiel deutlich nachweisen, daß mit der Doktorpromotion
der TJebertritt in die höhere Fakultät nicht stattgefunden hat,
sondern erst mit der ordentlichen Anstellung in derselben.
Balthasar Sattler wurde Doktor der Theologie am 18. Juni 1516.
Noch 1518 war er Collegiatus in der Artistenfakultät; am
22. Februar dieses Jahrs wurde seine Kollegiatur auf ein
weiteres Jahr verlängert, ebenso wie die des Dr. Simon Keßler,
welcher seit dem Jahr 1512 Doktor der Medizin war. Am
28. Juni 1518 wurde Sattler zur vierten Lektur in der theo-
logischen Fakultät berufen, die er am 15. Dezember (incipiendo
in angaria Lucie) antreten sollte, unter der Bedingung quod
cedat tunc lecture collegiatorum tempore, quando incipit annus
eius lecture in theologia 1 ). Der TJebertritt in die höhere
Fakultät findet also erst mit der Berufung zu einem Ordinariat
in derselben statt. Ein weiteres nicht uninteressantes Beispiel
ist die Konduktion des Johannes Armbruster, der als bacca-
laureus der Theologie im Jahre 1532 zu einer vakanten Lektur
in der theologischen Fakultät bestimmt wurde unter der Be-
dingung, daß er den ordnungsmäßigen Gehalt bekomme, sobald
er die Lizenz oder die Doktorinsignien sich erwerbe. Vorerst
solle er nur ein Buch der Sentenzen lesen und dafür eine an-
gemessene Entschädigung von der Fakultät erhalten. Wieder
hängt der TJebertritt in die höhere Fakultät zusammen mit der
Einsetzung in eine ordentliche Lektur.
Zusammenfassend muß also gesagt werden, daß die theo-
logische Fakultät jedenfalls tatsächlich, wahrscheinlich aber
auch prinzipiell durch Bestimmung der ersten Statuten sich
lediglich aus den drei bezw. vier ordentlichen Lehrern der
*) Aus dem Liber conductionum im Universitätsarchiv.
24 !• Abschnitt.
Theologie zusammensetzte. Ihre Schüler dagegen waren bis
zur Erwerbung des Doktorgrads und gelegentlich darüber
hinaus Mitglieder der Artistenfakultät und nur hinsichtlich
der Promotionsbestimmungen an die Statuten der theologischen
Fakultät gebunden.
Eine direkte Folge dieses Verhältnisses war das Aufsichts-
recht der Theologen über die Artistenfakultät. „Dieselben
theologi sollen auch ein sonder Aufsehen haben, daß nützlich
und wohl in den freien Künsten geregiert werde; sie sollen
ihre Bursen und actus visitieren, sträfliches auf das beste
reformieren, dieweil sie ihre supposita von ihnen erziehen* 1 ).
In dieses Aufsichtsrecht teilte sich die theologische mit den
anderen höheren Fakultäten, die ja ebenso ihren Nachwuchs aus
den Bursen der Artisten bezogen. Wie es praktisch gehand-
habt wurde, läßt sich nicht mehr deutlich übersehen; nur das
kann als selbstverständlich festgestellt werden, daß die Ver-
treter je der via moderna oder antiqua Inspektoren der Bursen
ihrer Richtung waren. Kamen hierbei Vertreter der theologi-
schen Fakultät in Berührung mit solchen anderer Fakultäten
infolge der Gemeinsamkeit der Studienrichtung, so hat weiter-
hin die Identität der kirchlichen Interessen Beziehungen zu
stände gebracht zwischen den beiden Fakultäten der Theologie
und Rechtsgelehrsamkeit. Das gilt in erster Linie natürlich
für den kanonistischen Teil der Juristenfakultät. Nicht nur
haben einzelne Lehrer des kirchlichen Rechts (Feßler und
Ebinger) in der theologischen Fakultät sich Grade erworben,
sondern auch einzelne Theologen (wie Wick und Summenhart)
haben Vorlesungen gehalten, deren Themen dem Grenzgebiet
zwischen Moral und Kanonistik angehören, bis im Jahre 1496
von der Fakultät und daraufhin dem Senat die Errichtung
einer vierten theologischen Lektur beschlossen wurde, die durch
2 ) Roth S. 83, 72. Eine weitere Folge jenes Verhältnisses ist die
Forderung, daß zwei von den vier collegiati artium „theologi" je von den
beiden Richtungen sein müßten, d. h. Studierende der höchsten Fakultät
und beflissen, dort Grade zu erwerben. S. Roth, S. 378 Note. Die dort
bei Roth zusammengestellten Bestimmungen über die collegiati finden
sich auch im Liber conductionum fol. 6 ff. unter den Eintragungen des
Jahres 1510. Ein bei Roth fehlender Satz lautet daselbst: Item collegiatus
theologus debet esse sie condictionatus : qui petit assumi in collegiatum
debet esse actu theologus, non ut primum post electionem velit effici
theologus.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 25
Personalunion mit einem Extraordinariat im kanonischen Recht
verbunden war 1 ). Allein nicht nur für die Kanonisten, son-
dern auch für die Mehrzahl der Legisten war es offenbar
ehrenvoll und angenehm, als Kleriker eine kirchliche Stellung
zu besitzen. Das geht aus dem Gutachten von Rektor und
Regenten vom Jahre 1527 hervor, in welchem die Universität
sich weigert, zwei Doktoren, »den kaiserlichen Rechten ge-
lehrt", zur peinlichen Aburteilung der Wiedertäufer nach Rotten-
burg zu schicken, da „der mehrere Teil aus ihnen Priester
seien, die andern zu priesterlichem Stand in künftiger Zeit
kommen", so daß ihnen dabei die Teilnahme an einem pein-
lichen Gericht Hinderung gebären möchte 2 ).
Im akademischen Senat war die theologische Fakultät
ebenso wie die übrigen oberen Fakultäten durch ihre sämt-
lichen Mitglieder vertreten. Außer dem Rektor und dem je-
weiligen Dekan der Artistenfakultät saßen noch darin vier
gewählte Vertreter der Artisten, darunter zum mindesten zwei
Kollegiaten 3 ). Sieht man vom Rektor ab, dann hatte die
theologische Fakultät drei bezw. (seit 1496) vier Stimmen gegen
dreizehn. Die dominierende Stellung, welche die suprema et
prima facultas in dieser Korporation inne hatte, erhellt aus
der Tatsache, daß unverhältnismäßig oft die Mitglieder unserer
Fakultät zur Würde des Rektorats gelangten. Eine Zählung
(wobei ganz abgesehen wird von den theologischen Graduierten
und späteren Ordinarien, die aus der Artistenfakultät zu jenem
Amt gewählt wurden) ergibt bis zum Jahre 1500 ein annähernd
normales Verhältnis, nämlich daß in 45 Rektoraten elfmal Theo-
logen, daneben auch eine ganze Reihe von Dekretisten und
Legisten gewählt werden; von 1500 — 1535 dagegen wurden
beim Wechsel von 60 Rektoraten 37mal Mitglieder der Theo-
logenfakultät gewählt, somit öfter als bei jedem zweiten Rek-
torat. Die regelmäßige Kompetenz des Senats war außer der
Rektoratswahl die Unterstützung des Rektors bei Aufrecht-
erhaltung der Ordnung und namentlich die Genehmigung neuer
Statuten für die Fakultäten 4 ). Die Festsetzung der letzteren,
*) Roth S. 264.
2 ) Roth S. 153.
3 ) Roth S. 42.
4 ) Roth S. 41 : nulla ordinatio cuiuscunque facultatis habeat vim seu
efficaciam ligandi, nisi prius fuerit per universitatem legitime approbata.
26 I. Abschnitt.
sowie das größtmögliche Maß von Eigenbestimmung in den
Dingen der Verwaltung, des Unterrichts und der Graduierung
war den einzelnen Fakultäten zugestanden 1 ).
Dem Dekan, der die Geschäfte der Fakultät führte, in
den Gonsiliarii eine Stütze zu geben, wie das z. B. in der großen
Artistenfakultät notwendig war, dazu bestand in der theologi-
schen Fakultät wohl kein Grund. Er hatte Aufsicht zu führen
über Einhaltung der Statuten; bei den Promotionen und feier-
lichen Akten der Fakultät hatte er seine Stelle auszufüllen und
in den Sitzungen der Fakultät war er Vorsitzender. Die Haupt-
sitzung, eigentlich die einzige entscheidende des Jahrs, fand
zu Anfang der großen Sommerferien statt. Da wurde über
etwa neu zu erlassende Ordnungen und Statuten beraten, dann
fand die Verteilung der Vorlesungen, Disputationen, Kollationen
und Besumtionen für das folgende Studienjahr statt; endlich
beriet man sich über die in demselben zur Promotion gelangen-
den Kandidaten der Grade 2 ). Um diese Zeit mußten auch
alljährlich die Statuten den Mitgliedern der Fakultät vielleicht
im Beisein der Baccalare vorgelesen werden. Von sich aus
konnte der Dekan Dispens geben zum Lesen an Universitäts-
feiertagen für Baccalare, welche zur Erreichung der vor-
geschriebenen Zahl von Vorlesungen ein Interesse daran hatten.
Außerdem hatte er Mühe und Gewinn bei Promotionen in
gleicher Weise unter den doctores actu regentes zu verteilen.
Er führte das Siegel und das Fakultätsbuch, das Buch, in
welchem vorn die Statuten mit ihren Nachträgen aufgezeichnet
waren und in welchem hinten die Fakultätsmatrikel, d. h. das
Verzeichnis der Promovierten geführt wurde. Wollte er länger
als zwei Monate verreisen, so hatte er Buch und Siegel an
das älteste Fakultätsmitglied zu übergeben. Ueber die Wahl
des Dekans geben die Statuten keine nähere Vorschrift.
Die ersten Statuten der Fakultät, welche die Geschäfte
des Dekans, sowie außer einigen Sätzen über Disputationen
ausführliche Bestimmungen über Vorbedingungen, Eid und
Riten der Promotionen festlegen, sind kurz nach der Gründung
der Universität, wohl unter dem Einfluß Johann Heynlins,
Aenderungen der Universitätsstatuten dagegen bedurften der Genehmigung
seitens der Regierung. Roth S. 66.
') Roth S. 40 f.
2 ) Roth S. 257.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 27
entstanden. Eine Edition der Basler Statuten könnte wohl
näheren Aufschluß bringen.
Unter den bisher veröffentlichten Statuten der mittelalter-
lichen theologischen Fakultäten Deutschlands können deutlich
zwei Gruppen unterschieden werden, die je unter sich in
näherer Verwandtschaft zusammenhängen. Zu der einen Gruppe
gehören die Statuten von Wien, Köln und Ingolstadt, zur
anderen die von Leipzig, Heidelberg und Tübingen. Eine
gewisse selbständige Mittelstellung nehmen Erfurt und Frei-
burg ein; doch finden sich in beiden viel mehr Anklänge an
die erste, als an die zweite Gruppe. Innerhalb der ersteren sind
die Statuten von Wien und Köln, unabhängig voneinander,
ungefähr zu gleicher Zeit (1389 und 1394) ausgearbeitet; die
Kölner nach einer Kopie der damaligen Pariser Bestimmungen,
die der Pedell von dorther holen mußte, die Wiener offenbar
auch nach einer Pariser und nach einer Bologneser Vorlage 1 ).
Die Statuten der Ingolstadter Fakultät sind einfach eine Kopie
der von Wien 2 ), Innerhalb der zweiten Gruppe scheinen die
Statuten von Heidelberg (1452) und Tübingen (1480) von denen
der Leipziger Fakultät (1409?) abhängig zu sein. Ob auch
diese mit irgend einer älteren Redaktion (Prag?) im Zusam-
menhang stehen, ob fernerhin, was wahrscheinlich ist, auch die
Basler Statuten hierher gehören und das Mittelglied für Tü-
bingen bilden, kann bis jetzt nicht gesagt werden. Jedenfalls
hängen die Leipziger Statuten ebenso wie die von Erfurt (1400?)
und Freiburg (1460) aufs engste mit den Bestimmungen der
Pariser theologischen Fakultät zusammen, welche die Lehr-
meisterin aller anderen gewesen ist. Eben weil die Quelle
aller statutarischen Bestimmungen eine gemeinsame ist, treten
in den verschiedenen Redaktionen im wesentlichen auch nur
formelle Unterschiede zu Tage. Die Institutionen und Gebräuche
selbst, welche durch die Statuten geregelt werden, sind in den
Grundzügen an allen Universitäten dieselben; wichtigere Ab-
weichungen werden in der folgenden Darstellung an ihrem
Orte angemerkt werden. Das gilt auch von den Einrichtungen
der theologischen Fakultät Wittenbergs, deren Statuten in
*) Ueber Köln s. Bianco I, Anl. S. 34 Note; über Wien s. Kink II,
94 u. 122. Daß die Bologneser Vorlage mit der Pariser im wesentlichen
Punkte übereinstimmte, darüber vgl. Denifle-Chatelain II, 693 N. 5.
2 ) Prantl I, 40 f.
28 I- Abschnitt.
formeller Hinsicht von allen obengenannten wesentlich ver-
schieden sind. Die Wittenberger Statutenredaktion von 1508
und ihre (von Muther publizierte) Ueberarbeitung von 1513
ist der äußeren Form nach ein Produkt der humanistischen
Gelehrsamkeit, in einem Gusse entworfen von dem aus Bologna
berufenen Juristen Otto Scheurl; auf den Inhalt gesehen ist
sie nichts weniger denn ein Produkt des humanistischen Geistes,
sondern lediglich eine neue Kodifizierung aller und jeglicher
scholastischen Gebräuche der Universitäten des Mittelalters.
Darum ist auch das, was in der theologischen Fakultät Witten-
bergs vor der Reformation Rechtens war, wenig verschieden
von den Sitten der Tübinger und letztlich der Pariser theo-
logischen Fakultät 1 ).
Die Tübinger Fakultät hat später aus praktischen Bedürf-
nissen von Jahr zu Jahr bis 1494 eine Reihe von Zusätzen
zu den Statuten beschlossen, die aber auch dem gemeinen
Gebrauch an allen Universitäten, bezw. dem Pariser Vorbild
entsprachen. Es sind dies namentlich nähere Bestimmungen
über die Kosten der Doktoren- und Lizentiatenpromotion, dann
über die Sitzordnung der auswärts promovierten, sowie der
einheimischen, aber nicht zur Regenz gehörigen Doktoren.
Als Festtage der Fakultät wurden festgesetzt die Tage des
heiligen Thomas und der vier doctores ecclesiae (Ambrosius,
Augustinus, Hieronymus und Gregorius Magnus). Endlich
wurde dem Dekan erlaubt, im Einverständnis mit der Fakultät
die alljährliche Statutenverlesung in seiner Wohnung vorzu-
nehmen (statt ordinarie in scola tempore lectionis) ; auch diese
J ) Wie Gust. Bauch im X. Arch. f. sächs. Gesch. 18 (1897) S. 299 f.
zeigt, hat Muther nicht wie er meinte, die Redaktion von 1508, sondern
eine Ueberarbeitung von 1513 herausgegeben. Vor 1508 hat zweifellos
in Wittenberg eine Statutenredaktion Geltung gehabt, die sich auch
stilistisch aufs Engste an Tübingen anschloß. Durch die Tatsache, daß
die neuen Statuten der Wittenberger Universität in stilistischer Hinsicht
ein ganz Neues bedeuten, ist ihr Herausgeber R. Muther zu weitgehen-
den Schlüssen über den besonderen neuzeitlichen Charakter der Witten-
berger Universität als einer reinen Staatsanstalt veranlaßt worden. Die
Wittenberger Statuten nennt er geradezu „Marksteine der alten und
neuen Zeit". Dem gegenüber hat G. Kaufmann mit Erfolg nachgewiesen
(Deutsche Zeitschr. f. Geschieh tswissensch. XI, 1894 I, 114 ff.) t daß die
Stellung der* Universität zu Staat und Kirche zu Wittenberg keine
wesentlich andere war, als an allen deutschen Universitäten des Mittel-
alters.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 29
Bestimmung tut die sehr geringe Zahl der Fakultätsmit-
glieder dar.
Im Jahr 1496 wurde eine neue langatmige Ordination der
Fakultät erlassen, deren wichtigster Inhalt die Neuanstellung
eines vierten Ordinarius betrifft. Außerdem werden die dadurch
ermöglichten Repetitionskurse (Resumtiones) und das ebenfalls
neue Institut der außerordentlichen Disputation besprochen und
geregelt; ebenso die Vertretung in Krankheitsfällen. Endlich
ist hier die schon oben besprochene Bitte der Fakultät zum
Ausdruck gebracht, die Präsentation ihrer Mitglieder zu kirch-
lichen Pfründen auf jede Weise zu fördern.
Die Neuanstellung von Fakultätsmitgliedern, sowie die
Erneuerung der Dienstverträge (die conductio und perpe-
tuatio) erfolgte nicht durch den Senat, sondern durch ein
Konsortium 1 ), bestehend aus dem Kanzler, dem Rektor, den
Ordinarien der oberen Fakultäten, sowie den beiden Kollegiaten,
welche in der theologischen Fakultät weiter zu studieren beab-
sichtigten. Die Form der Anstellung war ursprünglich die
Präsentation zu einer Kanonikatpfründe (was aber ja in unserer
Fakultät nur bei Einem Ordinarius praktisch wurde). Seit
der Inkorporation der Chorherrnpfründen (1482) findet die An-
stellung in der Form des Dienst Vertrags statt 2 ), der zunächst
auf ein oder mehrere Jahre abgeschlossen wird und später im
Falle der Bewährung auf Lebenszeit ausgedehnt werden mochte.
Die sofortige Anstellung auf Lebenszeit finden wir zwar schon
in der ältesten Anstellungsurkunde, die uns überliefert ist, in
dem Revers des Peter Brun von 1503 ; sie ist motiviert durch
die hohe kirchliche Würdestellung des Berufenen, der bis
dahin als Nachfolger Gabriel Biels die Propstei des Stifts
*) Per eos, quorum interest lautet die stehende Formel im Liber
conductionum.
2 ) Und zwar sich annähernd an die bei Anstellung der weltlichen
Staatsdiener üblichen Formen von Bestallung und Revers (vgl. Wintterlin,
Gresch. der Behördenorganisation in Württemberg I, 103). Die Anstellungs-
urkunde des Peter Brun (Roth S. 1 10 ff.) ist ein Revers. Die Anstellung
des Jakob Lemp (ebenda S. 113 ff.) ist der Form nach eine Notiz für
die Yerwaltungszwecke der Universität, wie sie von da an dutzendmal
im Liber conductionum allerdings weniger ausführlich vorkommt. Die
Form einer Bestallung wurde nie ganz erreicht, weil die Anstellung ja
nicht vom Landesherrn, sondern von der Universität ausging. Am meisten
nähert sich ihr eine Anstellungsurkunde des Balth. Käufei in vom 1. März
1522 (Staatsarchiv Rep. Universitäten).
30 I- Abschnitt.
Einsiedel im Schönbuch innehatte. Bei Beginn der regel-
mäßigen Eintragungen im Liber conductionum *) vom Jahr 1510
an waren in der theologischen Fakultät Peter Brun und Jakob
Lemp lebenslänglich angestellt, abgesehen natürlich von Wendel
Steinbach, welcher mit der Schloßpfarrei belehnt war, Bal-
thasar Käufelin, welcher 1521 zum ersten Male berufen ist,
wurde am 21. März 1522 lebenslänglich angestellt. Mit Gall
Müller sind von 1518—35 die Verträge in Zeiträumen von
1 — 3 Jahren erneuert, ebenso mit Sattler und Armbruster, so-
lange sie in der Fakultät tätig waren *).
Ueber die Besoldungen der theologischen Lehrer ist
schon oben in anderem Zusammenhange geredet worden. Seit
1496 bekamen die zwei älteren Vertreter der beiden verschie-
denen Richtungen je 100 Gulden und die zwei jüngeren je
50 Gulden. Herzog Ulrich wollte der Kalamität der niedrigen
Löhne dadurch abhelfen, daß er den Jakob Lemp mit der
ganzen Summe der für die via antiqua vorgesehenen 150 Gul-
den belohnen ließ. Angedauert hat diese Aenderung nicht.
Im Jahr 1518 werden wieder in jeder der beiden viae Balth.
Sattler und Gall Müller je mit einem Stipendium von 50 fl. an-
gestellt. Stets wird bei derartigen Neuanstellungen sofort auch
die Aussicht auf Vorrücken in die höhere Gehaltsklasse der be-
treffenden Via in den Vertrag mit aufgenommen. Von An-
fang der Zanzigerjahre des 16. Jahrhunderts scheinen alle vier
Ordinarien eine, wie immer wieder versichert wird, stets wider-
*) In dem Liber conductionum (genauer Liber dominorum conduc-
torum ordinarie legentium atque collegiatorum) wurden die Anstellungs-
verträge sämtlicher Universitätslehrer in kurzem Auszug zusammengestellt.
Es beginnt mit der eben erwähnten Urkunde des Peter Brun; dann folgt
der Bericht über die veränderte Anstellung des Jakob Lemp im Jahr
1509 (Roth S. 113 ff.). Darauf beginnen mit dem Jahr 1510 die regel-
mäßigen Eintragungen. Am Schluß stehen die Berichte über das Jahr
1519, welche Roth als Beigabe zum Doktoren Verzeichnis der philo-
sophischen Fakultät in Tübingen im Jahr 1867 veröffentlicht hat.
2 ) Die von Herzog Ulrich (1510) der Universität angebotene Ver-
günstigung, ihre Lektüren auf Lebenszeit zu verlängern, hat diese selbst
als unzweckmäßig zurückgewiesen mit der Begründung, daß einzelne
Lehrer dadurch zu Unfleiß und geringerer Achtsamkeit verleitet werden
könnten (Roth S. 120). Die österreichische Regierung verbot in ihrer
Universitätsordnung von 1525 die Anstellung eines Lehrers auf Lebens-
zeit, bevor er sich in zehnjähriger ehrenvoller Tätigkeit legitimiert hatte
(Roth S. 149).
Aeußere Geschichte der Fakultät. 3 1
rufliche Addition von je 10 fl. erhalten zu haben. Interessant
ist endlich die besondere Art von Pensionsberechtigung, die
um dieselbe Zeit in den Verträgen sich ausgesprochen findet.
Danach soll der betreffende Ordinarius in der Zeit seiner
Schwachheit im ersten Jahr das volle Stipendium, in den
folgenden Zeiten aber die Hälfte desselben erhalten 1 ).
3. Die Studienordnung,
Der Studiengang der mittelalterlichen Universität hängt
noch viel mehr als die Organisation der Fakultäten mit der
eigentümlichen Wissenschaftsvorstellung des Mittelalters zu-
sammen. Das Ziel ist nicht Forschung, sondern stufenmäßiges
Eindringen des Adepten in das einheitlich fertige Wissen, wie
es dargeboten war von Aristoteles und von der heiligen Schrift,
von den Canones und Leges, sowie von den Doctores ecclesiae,
die im Werk des Lombarden zusammengestellt sind. Die Einheit-
lichkeit dieses Wissens ist sichergestellt durch die Kirche, die
als einheitlich fertige Größe jene verschiedenartigen Wissens-
quellen hütet und empfiehlt. Es ist ein Wissen, das erworben
wird um seiner selbst willen, mit dessen Absolvierung keinerlei
Berechtigung verknüpft ist. So wird es prinzipiell geübt für
die Schule und nicht für das Leben. Von der Schule hat die
Unterrichtsmethode unserer Zeit den Namen, aber sie ist bemüht,
mit ihren schulmäßig unzulänglichen Mitteln die ganze Fülle
des kirchlichen Lebens zu erfassen und zu deuten. Diese fertig
kirchliche Wissenschaftsvorstellung macht sich geltend in dem
komplizierten Stufensystem der Grade und nicht minder in den
*) Zur Illustrierung sei die Notiz über Balthasar Käufelin vom
I. März 1522 hier angeführt: Fuit conductus et perpetuatio egregius
dominus Dr. Balthasar Keufelin ad lectionem suam ordinariam secun-
dariam in theologia pro stipendio quinquaginta florenorum adiunctis
decem usque ad revocationem universitatis et habeat tempore infirmitatis
sue pro primo anno integrum Stipendium, sequentibus autem temporibus
infirmitatis dimidietatem prenominati stipendii percipiat et in eventum
quod si contingeret, dominum doctorem Jacobum Lempp decedere aut
cedere per mortem vel alias, tunc habeat pro stipendio centum florenos
adiunctis decem usque ad revocationem universitatis et cum hoc habeat,
tempore infirmitatis sue primo anno integrum Stipendium, sequentibus
autem temporibus infirmitatis dimidietatem eiusdem percipiat et vivat
legibus editis et edendis; quam conductionem et ordinationem iuravit.
(Lib. cond. fol. 20.)
32 I. Abschnitt.
starr gewordenen Formen des Unterrichts, den Lektionen, Re-
sumtionen und Disputationen.
Zum Teil rechnen noch die älteren Statuten der theologi-
schen Fakultäten mit der Möglichkeit, daß die Doktoren der
juristischen und medizinischen Fakultät sich nachher noch in
richtiger Stufenfolge die theologischen Grade erwerben
wollen. In Tübingen ist diese Vorstellung nicht mehr fest-
gehalten; da sind nur unter Wiederholung eines Pariser Statuts
Bestimmungen darüber getroffen, daß ein magister artium fünf
Jahre und ein anderer, der das nicht ist, sieben Jahre sich
auf den niedersten Grad in der Theologie vorzubereiten habe.
Fast ausnahmslos sind die Tübinger Theologen Magister
der Artistenfakultät gewesen, ehe sie sich um die theologi-
schen Grade bewarben 1 ); die Frist von fünf bis sechs Jahren
bis zur Zulassung zum cursus biblicus ist Regel; nur in zwei
Fällen ist der Zeitraum verkürzt, häufiger bis zu acht und
zehn Jahren, einmal bis' zu vierzehn Jahren verlängert*). In
dieser Zeit übte also der theologische Baccalaureand als Lehrer
und eventuell als Dekan und Examinator der Artistenfakultät,
ja vielleicht als Universitätsrektor seine Tätigkeit aus. Da-
neben hatte er als Vorbereitung für die höhere Fakultät die
ordentlichen Vorlesungen der Doktoren, sowie mindestens einen
Cursor und einen Sententiarius vollständig zu hören und ein-
mal öffentlich als Respondent in einer theologischen Dispu-
tation aufzutreten. Speziell das Letztere galt als Examens-
leistung, da ein eigentliches Examen in Rede und Antwort
nicht stattfand. Nach Erfüllung all dieser Bedingungen konnte
der Kandidat sich bei der Fakultät um Zulassung zum cursus
') Nur bei einzelnen Professen läßt sich noch nicht feststellen, ob
sie den Magistergrad schon auswärts erworben haben. Die Statuten
anderer Universitäten sehen für Ordensangehörige Dispensationen vor,
sofern sie sich schon im Kloster mit theologischen Studien beschäftigt
haben. Aehnliches mag in der Praxis in Tübingen auch vorgekommen sein.
2 ) Bei Feßler und Mutschelin, den beiden Kollegiaten der ersten Zeit
und späteren Lehrern des kanonischen Hechts verstreichen 15 und 16 zum.
Teil auswärts verbrachte Jahre zwischen Erwerbung des Magistergrads
und des theologischen Baccalaureats ; ein Wendelin Bregel läßt 14 Jahre
dazwischen verstreichen. Sonst sind 10 Jahre das Maximum. Bei Thomas
Wyttenbach ist das Intervall auf vier Jahre, bei Plansch sogar auf drei
verkürzt. Letzterer war allerdings vorher fünf Jahre lang baccalaureus
artium (vgl. Anhang).
Aeußere Geschichte der Fakultät. 33
biblicus melden; an anderen Universitäten geschah das durch
einen Magister, mit dem er besonders bekannt war und den
er sich zum „determinator* oder „pater" erwählte, ähnlich
wohl auch in Tübingen. In der großen jährlichen Sitzung zu
Beginn der Sommerferien entschied sich die Fakultät über die
einzelnen Bewerber (de idoneitate, scientia et moribus). Dann
wurde vor versammelter Fakultät der Baccalaureand zum Eid
zugelassen, in welchem er die Unterordnung unter die Fakultät,
die Ergebenheit an den Glauben der Kirche und die Ein-
haltung der vorgeschriebenen Studienordnung beschwor *). Die
Studienordnung, welche der nun sogenannte Cursor zu be-
folgen hatte, war, daß er zwei Jahre lang je 80 Kapitel aus
den ihm von der Fakultät angewiesenen biblischen Büchern
lese, ferner in beiden Jahren in je einer Disputation als Re-
spondent auftrete und daß er einmal eine öffentliche Rede
(collatio) halte. Den Text dieser Rede hatte er vorher zur
Korrektur oder Abkürzung dem dirigierenden Doktor einzu-
reichen.
Nach Verlauf dieser beiden Jahre konnte er unter den-
selben Förmlichkeiten wie früher zu den Sentenzen zugelassen
werden. Der sententiarius hatte im ersten Jahr die beiden
ersten Bücher, im zweiten das dritte und vierte Buch der Sen-
tenzen des Petrus Lombardus, welches das einzige dogmatische
Lehrbuch im Mittelalter war, zu lesen. Jedes Buch begann
er mit einem „principium", d. h. mit einer Eröffnungsvorlesung
über den Gesamtinhalt des Buchs, zu der alle Fakultätsmit-
glieder feierlich geladen waren.- Zwischen diese Vorlesungs-
tätigkeit hinein hatte der einzelne noch seine Regenzpflicht in
der Artistenfakultät zu erfüllen und außerdem die Vorlesungen
und Disputationen der Doktoren der Theologie zu besuchen
und jährlich eine Kollation zu halten. Der also zwischen zwei
Stufen sich emporarbeitende theologische Student hieß während
dieser vier Jahre 2 ) baccalaureus in theologia ;• näher konnte der
*) Daß natürlich Zahlung der Gebühren und Einhaltung der Kleider-
vorschriften im Eid nicht vergessen waren, ist selbstverständlich. Eine
weitere, in allen Promotionseiden vorkommende Formel war die, den
Grad an einer fremden Universität nicht zu wiederholen. Dadurch sorgte
die Fakultät für Anerkennung ihrer Grade, die nicht bei allen Universi-
täten selbstverständlich war.
*) Diese Zeit konnte durch Dispensationen verkürzt werden. Summen-
hart, Hiller und Flansch sind nur ein Jahr Kursoren, desto länger be-
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 3
34 I* Abschnitt.
cursor in Tübingen auch als baccalaureus biblicus bezeichnet
werden 1 ), und der sententiarius hieß im letzten Jahr, d. h. nach
Eröffnung des dritten Buchs, „baccalaureus in theologia for-
matus". Er war nun wirklich ein gemachter Mann und fertiger
Theologe 8 ); nach Beendigung des vierten Buchs konnte er sich
zur Lizenz melden, über welche in eigens einberufener Ver-
sammlung aller theologischen Doktoren entschieden wurde.
Auch hier ist wichtig die Eontrolle, ob der Kandidat die vor-
geschriebenen Bedingungen erfällt habe und ob er die nötigen
Qualitäten besitze. Nach dem Entscheid der Fakultät wurde
er dem Kanzler zur Promotion vorgeschlagen und zwar münd-
lich durch den Dekan in feierlicher vorgeschriebener Ansprache.
Der Kanzler setzte nun Zeit und Ort der Promotion fest, teilte
sie schriftlich dem Kandidaten mit und machte sie zudem
öffentlich bekannt 3 ). Den Promotionsakt selbst eröffnete der
Kanzler mit einer Rede, die auf Empfehlung des Lizentianden
hinauslief. Dieser schwor den Eid, in welchem er den Ge-
horsam gegen die römische Kirche und das Streben nach Ein-
tracht zwischen den Lehrenden und Lernenden, zwischen den
weltlichen und religiösen Universitätsangehörigen 4 ) versprach;
außerdem verpflichtete er sich, die Kosten zu zahlen und den
teuren Doktorgrad nicht an einer fremden Universität zu er-
werben, sondern an der eigenen zu einer von den Magistern
trägt bei ihnen das Intervall zwischen dem principium sententiarum und
der Lizenz. Brun ist nur ein Jahr, Themmen sogar nur ein halbes Jahr
sententiarius.
*) An anderen Universitäten wurde eine Unterscheidung gemacht
zwischen beiden Begriffen; vgl. unten S. 38.
2 ) In Paris und Bologna wird auch der Ausdruck baccalaureus per-
fectus gebraucht (Denifle-Chatelain II, 402). Der Sprachgebrauch rührt
daher, daß die Baccalare in Paris und an anderen Universitäten nach Be-
endigung der Sentenzenvorlesung noch einige Jahre bis zur Zulassung
zur Lizenz abwarten mußten; und in diesem Stadium hießen sie ur-
sprünglich „formati".
8 ) Die intimatio publica geschah durch Anschlag an den Türen der
Georgenkirche und der Bursen. Vgl. Freib. Diöz.-Arch. 81 (1903) S. 167,
Note 3.
4 ) Diese Bestimmung ist seit den Pariser Kämpfen um die Mitte des
13. Jahrhunderts (vgl. Welzer u. Weite den Artikel Wilhelm v. St. Amour)
in die Eide wohl aller theologischen Fakultäten übergegangen. In Oxford
wird schon 1311 als usus Parisius gefordert quod quilibet bachellarius
[saecularis] antequam incipiat magistrari iurabit, quod observabit pacem
religiosorum (Rashdall in Oxford Hist. Society Collect. II, 222, 229).
Aeußere Geschichte der Fakultät. 35
festzusetzenden Zeit. Daraufhin erteilte der Kanzler dem knieen-
den Kandidaten in feierlicher Formel die Lizenz, sich das ma-
gisterium sive doctoratum in der Theologie zu erwerben, und
dann nach Erfüllung der gewohnten Feierlichkeiten die mit dem
Grad verbundenen Rechte auszuüben.
Die Lizenz war nämlich nichts anderes, als die vom Kanzler
auszusprechende Erlaubnis, sich den Doktorhut durch die Fa-
kultät verleihen zu lassen. Der Grad des Magister 1 ) oder
Doktor der Theologie erforderte nicht mehr neues Studium,
sondern seine Erwerbung war nun lediglich mit einer Reihe
von Förmlichkeiten und mit erheblichen Kosten verknüpft. Die
Promotion zum Doktor konnte sofort oder erst später, je nach
dem Belieben des Kandidaten vor sich gehen. Aermere Leute
verzichteten auch ganz; wie denn Gabriel Biel sein Leben lang
Lizentiat blieb. Mit zwei großen Redeturnieren waren die
Feierlichkeiten der Doktorpromotion verknüpft. Das erste
fand am Nachmittag vor dem Hauptturnier statt und hieß
daher vesperiae; das andere schloß sich Tags darauf an den
Festakt an. Der Verlauf dieser beiden Disputationen ward
aufs genaueste geregelt und vorher besprochen; beide hatten
den Zweck, die dialektische Gewandtheit des Doktoranden und
überhaupt die Künste der scholastischen Wissenschaft in
glänzendstem Lichte zu zeigen. Am Vorabend beschloß der
präsidierende Doktor den Akt in längerer scherzhafter Rede 2 )
mit einer lobenden Empfehlung des Vesperianden. Der Fest-
akt selbst am Vormittag des folgenden Tages, die sogenannte
Aula, fand im Chor der Stiftskirche statt und wahrscheinlich
wurde wie anderwärts auch in Tübingen der Doktorand in
*) Ursprünglich waren die Titel des Magister und Doktor miteinander
identisch; beide bezeichneten die höchsten Grade in allen Fakultäten.
Im Laufe der Zeit setzte sich die Uebung durch, den Doktortitel für die
drei oberen Fakultäten zu reservieren; aber man konnte immer noch
auch für sie die andere Bezeichnung gebrauchen. Erst seit der Refor-
mation wird der Magister der philosophischen Fakultät eigentümlich.
2 ) Drei solcher Reden, von W. Steinbach gehalten (Manuskript der
Tübinger Universitätsbibliothek Mc 201), gedenke ich später zu ver-
öffentlichen. Eine im Jahr 1516 gehaltene beginnt: Consummatis con-
certationibus scolasticis nunc ludendum salibus et iocis . . . Und die
Wittenberger Statuten bestimmen : Praefectus cathedrae tandem, ut assolet,
orationem habeat facetiis refertam, plenam salibus et schematibus, citra
tarnen alicuius iniuriam (Muther S. 20 oben). Die Rede hat ernsteren
Inhalt in Paris und Bologna, vgl. Denifle-Chatelain II, 693.
36 *• Abschnitt.
feierlichem Zug zur Kirche und zurück geleitet. In der Kirche
schwur der Lizentiat knieend, Ehrerbietung zu wahren gegen
die Magister und bei künftigen Promotionen nach Pflicht und
Gewissen zu urteilen. Darauf setzte ihm der den Vorsitz
führende Doktor das Barett auf das Haupt mit den Worten:
„Beginnt im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geistes. a Der neue Doktor begann sofort mit einer Rede zum
Lob der heiligen Schrift, an welche sich die zweite oben er-
wähnte Bedeschlacht anschloß.
Die Kosten einer solchen Doktorpromotion waren die, daß
der Kandidat zunächst für seinen Nachfolger einen Doktorhut
zu stiften hatte; ferner hatte er Barette zu überreichen dem
Rektor, dem Kanzler und allen lesenden Doktoren der Uni-
versität. Außerdem hatte er ein Paar hirschlederne Hand-
schuhe zu geben an all diese, sowie an die Grafen, Barone
und die übrigen Ehrengäste der Universität, ferner an den
Stiftsdekan, den Pfarrer, an die alten aus Sindelfingen gekom-
menen Kanoniker, an den Dekan der Artistenfakultät, an die
Lizentiaten der oberen Fakultäten und endlich an die Baccalare
der Theologie, welche sich bei den beiden Disputationsakten
der Vesper und Aula beteiligt hatten. Für alle übrigen Ma-
gister, für die Kanoniker des neuen Stiftskapitels, sowie für
die Ratsherren der Stadt Tübingen genügte die Abgabe von
weniger kostbaren Handschuhen. Dem die Vesperien und die
Aula leitenden Doktor und ebenso denjenigen Doktoren, welche
sich bei den Disputationsakten beteiligt hatten, war noch be-
sonders je ein Gulden zu überreichen. Außerdem hatte die
Fakultät noch das Recht, auf Kosten der Doktoranden ein
Prandium anzusetzen, dessen Qualität und Reichlichkeit nach
der Zahl der gerade zusammen Doktorierenden sich richtete.
Um nicht die Doktorkosten ins unheimliche zu steigern, ward
von Papst Klemens V. eine besondere Dekretale ausgegeben,
deren Bestimmung auch in die Statuten unserer Fakultät auf-
genommen wurde, daß nämlich die Kosten nicht 3000 Turiner
Silbermark übersteigen sollen 1 ).
In ähnlicher Weise wie in Tübingen wurden an allen anderen
Universitäten die theologischen Grade durchlaufen. Vielfach
war zur Bewerbung um das Baccalaureat ein Mindestalter,
*) Roth S. 260 Note. Vgl. 0. 2 de magistris in Clement. V, 1 und
Denifle-Chatelain II, 169 f.; vgl. Freib. Diöz.-Arch. 21 (1890), S. 19.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 37
nämlich das 25. Lebensjahr, vorgeschrieben; auch dauerte die
Zeit zwischen Zulassung zum Kursus und zur Lizenz meist
etwas länger, als an unserer Fakultät. Ein bemerkenswerter
Unterschied ist der, daß in Paris und an einer Reihe von
deutschen Universitäten die Vorlesungen der Baccalare nicht
auf vier Jahre wie zu Tübingen verteilt sein müssen, sondern
die Kursoren und Sententiare können die beiden biblischen
Bücher in möglichst kurzer Zeit, sowie die Sentenzen gedrängt
in einem Vorlesungsjahre absolvieren, um dann den Rest ihrer
Zeit (d. h. nach den beiden Kursen meist ein, nach den Sentenzen
zwei Jahre) für die Vorbereitung auf den nächsthöheren Grad
und für die Regenzpflicht in der Artistenfakultät frei zu haben.
In der Regel galten auch anderwärts die pflichtmäßigen Dis-
putationsübungen als Examensleistung, und speziell vor der
Zulassung zur Lizenz wurde generaliter über die schon von
Gregor IX. in dem Brief vom 13. April 1291 genannten vier
„puncta examin is" de vita, scientia, facundia necnon spe pro-
fectionis 1 ) entschieden. Nur in Wien, Ingolstadt und Frei-
burg, sowie in Erfurt fand in Gegenwart des Kanzlers ein
besonderes Examen des Lizentianden nach dem Muster der
Schule von Bologna statt, an den drei ersteren Universitäten
über zwei Distinktionen aus zwei verschiedenen Büchern der
Sentenzen, in Erfurt über Stellen aus dem alten und neuen
Testament. So wie uns diese Examensforderungen in den
Statuten beschrieben sind, erscheinen sie als theologische Dis-
putationen im engsten Kreis, wobei der Wert auf glatte Lösung
der in der betreffenden Textesstelle gefundenen Schwierigkeiten
gelegt wird. Jedenfalls ist das Erwerben der Grade nirgends
so sehr an das Ergebnis von Prüfungen gebunden, und nie
an solche, die das Können eines Kandidaten in selbstän-
digem Urteil würdigen ; sondern es ist vielmehr bedingt durch
ein bestimmtes „ Absitzen", d. h. durch eine zeitlich vorge-
schriebene und hinlänglich kontrollierte Beschäftigung mit dem
fertigen Wissensstoff. Und dann sind es feierliche Akte, be-
stimmte Riten, durch welche hindurch der Adept je von einer
Stufe zur höheren und höchsten emporsteigt. Diese theo-
logische Stufenleiter, der „ordo militantium in facultate theo-
*) Denifle-Chatelain I, 137; II, 683 f., N. 6; vgl. dazu die Bestim-
mungen von Köln, Wien, Ingolstadt und Freiburg.
38 I. Abschnitt.
logica", ist in den Freiburger Statuten direkt mit der Himmels-
leiter des Vater Jakob und mit den Rangstufen der Engel-
scharen verglichen 1 ).
Unter den Lektionen sind zu scheiden diejenigen,
welche von den Baccalaren und diejenigen, welche von den
Doktoren gehalten wurden. Die Vorlesungen der Bacca-
laren waren im wörtlichsten Sinn ein Vorlesen der zu be-
handelnden Schriften, mit nur kurzen den Sinn zusammen-
fassenden und erklärenden Bemerkungen. Der Zuhörer hatte
in Tübingen den Text regelmäßig zur Hand und korrigierte
ihn, wenn es nötig schien. Der Zweck dieser Anfangervor-
lesungen war einfach der, sowohl den Lehrer, wie die Zuhörer
mit dem Inhalt der Bibel und der Sentenzen bekannt zu machen.
In diesem Sinne werden von der Tübinger Fakultät die zwei-
mal 80 Kapitel der Bibel ausgewählt worden sein, welche der
Kursor in den ersten zwei Jahren zu lesen hatte. In den
Statuten der älteren Fakultäten müssen die Studenten besonders
ermahnt werden, sich die Texte der Sentenzen und der bibli-
schen Bücher zu verschanzen und bei den Vorlesungen zu be-
nützen 2 ).
Die Geschichte dieser kursorischen Bibellektüre an
den anderen Universitäten ist interessant genug, um hier weiter
ausgeführt zu werden. Ein sehr altes Pariser Statut, das 1312
als solches in Oxford bekannt gemacht wurde 3 ), schrieb vor,
dass der Baccalar zwei „cursus", d. h. zwei Bücher je nach
Wahl aus dem alten und dem neuen Testament zu lesen habe,
ehe er zu der Sentenzenvorlesung zugelassen wird. Nur von
den Studierenden aus den vier Mendikantenorden ward ver-
langt, daß jeder einzelne in zwei Jahren die ganze Bibel lese;
ihnen wurde darum auch erlaubt, mehr als ein Kapitel in
einer Lektion zu bewältigen und sie hießen im Unterschied
von den „cursores" in besonderem Sinn baccalaurei „biblici*
oder „bibliam ordinarie legentes". Gegen Ende des 14. Jahr-
hunderts wurde in Paris den Cursores erlaubt, ihre beiden
Kurse sich aus den Büchern des alten oder neuen Testaments
*) Vgl. Freib. Diöz.-Arch 21 (1890), S. 7 f.
2 ) Vgl. z. B. Bianco, Köln I Anl. S. 37; Kink, Wien II, 102, vgl.
Denifle-Chatelain IV, 716; II, 698 § 14 u. 15.
*) Rashdall in Oxford Hist. Society Collectanea II, 233 und Denifle-
Chatelain II, 704, N. 23.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 39
zu wählen; ja man konnte sogar seit dem 4. Juni 1387 ganz
ohne Bibelvorlesung zu den Sentenzen zugelassen werden, wenn
man sich zwei besonderen Examensdisputationen unterzog 1 ).
Die letztere Erleichterung, daß man den Grad eines Bacca-
laureus biblicus durchlaufen konnte, ohne jemals Vorlesungen
über die Bibel zu halten, ist, soviel sich bisher übersehen läßt,
nirgends in die Bestimmungen einer deutschen Universität
übergegangen. Zwar berufen sich die theologischen Statuten
von Wien (1389) und von Köln (1394) mehrfach auf den
modus cursorie legendi Parisius observatus und sie, wie die
von Wien abhängigen Ingoldstädter Bestimmungen (1475)
kennen den Pariser Unterschied zwischen cursores und biblici,
der an den übrigen deutschen Universitäten verwischt ist;
allein sie verlangen bestimmt von sämtlichen Sentenziariern,
daß sie zwei biblische Kurse, bezw. als Ordensangehörige die
„ordinaria lectio biblica* absolviert haben. Die Auswahl der
biblischen Bücher für die Kurse geschah in Köln offenbar wie
in Paris nach dem Belieben des einzelnen; an anderen Uni-
versitäten (in Wien, Ingolstadt, Erfurt und Freiburg) sollen
die Kurse durch die Fakultät dem einzelnen zugewiesen wer-
den und zwar in der Weise, daß nacheinander im Turnus die
ganze Bibel zur Vorlesung gelangt. In Leipzig, Heidelberg,
Tübingen und Wittenberg sind es eine bestimmte Anzahl von
Kapiteln und nicht mehr ganze biblische Bücher, die wohl
unter ähnlichem Gesichtspunkt den Baccalaren zugeteilt wurden;
und zwar schreiben Leipzig und Heidelberg ebenso wie Tübingen
zweimal 80 Kapitel vor, während die Wittenberger Statuten
von certa capita in novo et veteri instrumento legenda reden.
Einige alte Pariser Bestimmungen über die Art der kursorischen
Bibelvorlesung sind in die oben abgegrenzte Gruppe von Sta-
tutenredaktionen (Köln — Freiburg) übergegangen, daß nämlich
der Kursor nicht mehr als ein Kapitel in einer Lektion be-
handeln, und daß er den Text sinngemäß zerlegen, sowie die
bemerkenswerten Glossen mitanftihren soll 2 ). Einzig dastehend
*) Denifle-Chatelain , Chartularium II, 704, N. 24, 32, 37 und III,
441 f. „Lectura bibliae in oblivionem venit" bemerkt dazu Denifle.
2 ) Vgl. z. B. das Wiener Statut : ^Item bacealarii biblici et cursores
legendo cursus suos seu bibliam inter alia Ordinate et solide textum
exponant et glossas notabiles declarent." Sink, Wien II, 107. Das fast
gleichlautende Pariser Statut (Denifle-Chatelain II, 698 § 18 und 705
§ 5 ; III, 143) fügt hinzu : secundum modum antiquitus in dicta facultate
40 I. Abschnitt.
ist, soweit sich bis jetzt übersehen läßt, die Erlaubnis der
Erfurter Statuten, daß wer will, die textkritischen Schwierig-
keiten kurz berühren und sich für eine Lesart entscheiden
dürfe 1 ).
Auch der Sentenziar hatte sich und seine Zuhörer wirklich in
den Sentenzentext des L ombarden einzuführen, während die
Doktoren meistens einen Sentenzenkommentar traktierten. Er
las textum per conclusiones legendo et diligenter exponendo *),
Parisiensis studii approbatum. In Freibarg hielt man einen das Ueber-
maß abwehrenden Zusatz nicht für unnötig: textum cum notabilioribus
glossematis declarando , supervacaneas aut logicas aut physicas glossas
penitus omittendo (Freib. Diöz.-Arch. 21 (1890), S. 13 f.).
*) „si voluerint, dubia literalia compendiose et breviter moveant
et solvant" (Weißenborn, Erfurt S. 55 § 57).
*) Roth S. 259 oben. Diese und die weitere Bestimmung, daß nicht
mehr als eine Distinktion in der Stunde behandelt werden dürfe, findet
sich auch in ähnlicher Weise in den Statuten von Leipzig, Heidelberg
und Freiburg. Die Erfurter bestimmen : quod quilibet baccalarius legens
sententias totum textum de verbo ad verbum et ipsum [quando] difficilis
est, exponendo declaret (Weißenborn a. a. 0. S. 56 § 65). Die Kölner
warnen bei dieser Gelegenheit vor häretischen Entgleisungen (legant
textum fideliter nee doctrinas suspeetas . . . dogmatisare praesumant,
ßianco I. Anl. 39). Wien und Ingolstadt enthalten keine nähere Be-
stimmung über die Art der Sentenzenvorlesung. Auch die Pariser Sta-
tuten legen Wert darauf, daß hauptsachlich der Text zum Vortrag ge-
langt und daß im Anschluß daran mehr die theologischen, spekulativen
und moralischen Fragen erörtert werden sollen, als die logischen und
philosophischen Probleme (Denifle-Chatelain II, 698 § 6 u. 7; III, 144:
Legentes sententias legant textum ipsarum ordinate et exponant ad utili-
tatem auditorum; . . . non tractent questiones aut materias logicas vel
philosophicas, nisi quantum textus sententiarum requiret, aut solutiones
argumentorum exigent, sed moveant et tractent questiones theologicas
speculativas vel morales ad distinetiones pertinentes, vgl. dazu schon den
Brief Gregors IX. vom 13. April 1231, Denifle-Chatelain I, 138). Eine
alte Pariser Bestimmung verbietet die Benützung von Vorlesungsheften.
Im allgemeinen soll der Sentenziar seine Bemerkungen zum Text des
Lombarden frei vortragen, es sei ihm jedoch gestattet, einen Merkzettel
zur Stütze des Gedächtnisses mit auf den Katheder zu nehmen (Denifle-
Chatelain II, 698 § 8; III, 144). Dies wurde in der Reformation von
1452 (Denifle-Chatelain IV, 717) abgeändert mit der ausdrücklichen Moti-
vierung, daß es nach dem Urteil sachverständiger Männer mehr im Inter-
esse der Schüler sei, wenn der Baocalar aus einem Hefte gute und nütz-
liche Meinungen vorlese, als wenn er aus freiem Gedächtnis Bemerkungen
zu den Sentenzen machen müsse. Die Fakultät solle darauf achten, daß
der Baccalar nun wirklich sein Heft aus den besten Autoren zusammen*
stelle und nicht einfach ein altes Heft abschreibe. Die damit zusammen-
Aeußere Geschichte der Fakultät. 41
d. h. er las den Text und zeigte durch Zusammenfassung und
Erläuterung, was darinnen stand. Mehr als eine Distinktion
des Werks sollte er in der Stunde nicht lesen; höchstens
konnte er eine längere teilen und den Rest mit der folgenden
kürzeren zusammen erledigen. Die beiden ersten Bücher des
Sentenzenwerks hatten zusammen (48 + 44 =) 92 Distinktionen,
die beiden letzten Bücher enthielten (40 -f- 39 =) 79 Distink-
tionen. 80 — 90 Vorlesungen im Jahr zu halten, war demnach
für den Baccalar das Normale, d. h. also wöchentlich 2 bis
3 Stunden, wenn man 12 Wochen Vakanz rechnet *). Am meisten
hatte der Sentenziar im ersten Jahr seine Zeit einzuteilen,
und ihm hauptsächlich mag die Bestimmung der Statuten zu
gute gekommen sein, daß die Baccalare nach eingeholter Er-
laubnis seitens des Dekans auch an den festa collegii, d. h. an den
offiziellen Feiertagen der Universität und Fakultät, zur Voll-
endung ihres Kurses lesen durften.
Die Vorlesungen der ordentlichen Lehrer bezogen sich
auf denselben Gegenstand, wie diejenigen der Baccalare. Auch
die Doktoren erläuterten die Bücher der Sentenzen und die
Schriften des alten und neuen Testaments (quorum tres sacris
theologie libris atque scripturis intenderent heißt es in der
Stiftungsurkunde der Grafen Eberhard). Nur wurde der Text
als bekannt vorausgesetzt und im Anschluß an die üblichen
Kommentare fand die Erörterung der an den Text sich an-
knüpfenden Schwierigkeiten und Streitfragen statt.
Soweit sich bis jetzt übersehen läßt, gerieten die ordent-
lichen Vorlesungen über die Bibel ganz ins Hintertreffen 2 ).
hängende Bestimmung, daß niemand ein solches Vorlesungsheft zu den
Sentenzen ohne Genehmigung der Fakultät veröffentlichen dürfe, ist in
die Statuten einiger deutschen Universitäten übergegangen (Wien, Ingol-
stadt, Köln, Freiburg).
*) Wenn man jeden „dies legibilis" ausnützte, dann konnte man die
Sentenzen in einem Jahr zu Ende bringen (vgl. Freiburger Statuten im
Freib. Diöz.-Arch. 21 (1890), S. 15). Wollte man zwei Jahre darauf ver-
wenden, dann mußte man dreimal in der Woche lesen (vgl. ebenda und
Weißenborn, Erfurt S. 55 § 64).
2 ) Das Verhältnis der Vorlesungen über die Bibel zu denjenigen über
die Sentenzen an den mittelalterlichen Universitäten muß noch näher
untersucht werden. In Deutschland scheinen nur wenig Doktoren die
Auslegung der Bibel sich zur Aufgabe gemacht zu haben; eine rühm-
liche Ausnahme bildet namentlich die Universität Wien (Denifle, Luther
und Luthertum 2. Aufl. 1 , 2, S. 235 ff.)* Daß die Sentenzen einen un-
42 I- Abschnitt.
Es läßt sich deshalb auch wenig Bestimmtes über sie sagen.
Zu Grunde gelegt wurde natürlich der lateinische Text der
Vulgata mit der glossa ordinaria des Walafried Strabo bezw.
mit der glossa interlinearis des Anselm von Laon. Das
Sammelwerk des Walafried Strabo war bekanntlich 700 Jahre
lang das exegetische Hauptwerk der kirchlichen Wissenschaft,
analog dem dogmatischen Kompendium der Sentenzen. Aber
während jeder bedeutende Lehrer seine Vorlesungen über die
Sentenzen als neuen Kommentar veröffentlichte, war dies bei
den exegetischen Vorlesungen nicht so sehr üblich. Nur in
moralischen und erbaulichen Abhandlungen/ in Moralisationes,
Sermones, in Gollationes und Postillae geben die mittelalterlichen
Theologen Rechenschaft von ihren biblischen Studien, mehr
oder weniger in der Form der allegorischen und symbolischen
Auslegungskunst im Dienst der Homilie. Auch das berühmteste
nüchtern-exegetische Werk des Mittelalters, die Postillen des
Nikolaus von Lyra, erklären bekanntlich nicht nur den Wort-
sinn, sondern enthalten auch 35 Bücher moralitates und moralia.
Die Geschichte der Verbreitung dieses Werks sollte mit Hilfe
der in jeder Bibliothek vorhandenen Handschriften und an
der Hand der Wiegendrucke noch festzustellen sein. Speziell
möchte man fragen, ob eine und welche der beiden viae sich
die Verbreitung dieses Werkes besonders angelegen sein ließ ;
ferner, ob eine der beiden Richtungen zur Bibel eine besondere
Stellung eingenommen hat 1 ). In Tübingen hört man vor der
verhältnismäßigen Vorrang vor dem Text der Bibel einnehmen, beklagt
schon Roger Baco (ca. 1267) an vierter Stelle unter den Septem peccata
studii principalis, quod est theologiae (Opus minus in Opera hactenus in-
edita ed. J. S. Brewer 1859, p. 328 und Denifle-Chatelain I, 473 f. Vgl.
die gleichlautende Klage Luthers in der Schrift an den Adel. Weim.
Ausgabe VI, 460). Dagegen vergleiche das etwas frühere Zeugnis des
Robert Grosset este Denifle-Chatelain I, 169 f. und die merkwürdige Be-
weisführung der Pariser Dekretisten gegen einen unbequemen Kollegen:
Et nous veons que en thäologie les maistres lisent la bible et les bacheliers
sentences, et se un maistre vouloit lire sentences, on ne li soufferroit pas
(Denifle-Chatelain III, 427). Vgl. außerdem Denifle, Quel livre servait
de base ä l'enseignement des maitres en th£ologie dans l'Universite de
Paris in Revue Thomiste 1894, p. 149—161 u. s. unten S. 44 N. 2.
*) In dem Brief Klemens 1 VI. an die Universität Paris vom 20. Mai
1346, der nach Denifle gegen das Ueberhandnehmen des Ockamismus ge-
richtet ist, beklagt der Papst, daß im Zusammenhang mit der neuen
Philosophie die biblische Grundlage der theologischen Wissenschaft ver-
lassen werde: Plerique quoque theologi, quod deflendum est amarius, de
Aeußere Geschichte der Fakultät. 43
humanistischen Reformation der Universität im Jahre 1525 von
exegetischen Vorlesungen der ordentlichen Lehrer nicht sehr
viel; im Gegenteil in einer reformatorischen Flugschrift von
1521 ist sogar eine Nachricht überliefert, daß auf der Tübinger
Universität' ein gelehrter Mann unter großem Beifall ange-
fangen habe „Paulum zu lesen nach des Erasmus Schreibung tt .
Aber er sei von dem Professor Lemp daran gehindert worden,
der ein Statut durchsetzte: „Welcher lesen wöll, der sol die
alten doctores als Scotum, Thomam, Tartaretum und dergleichen
lesen, sunst werd man im das Stipendium nit geben* 1 ). Be-
zeichnend ist, daß bei Männern, wie Summenhart und Biel
textu bibliae, originalibus et dictis sanctorum ac doctorum expositionibus
(ex quibus vera illa acquiritur theologia, cui non attribuendum est quic-
quid ab hominibus sciri potest, ubi plane nulla vanitatis et curiositatis
noxia reperitur sed hoc, quo fides saluberrima, quae ad veram ducit beati-
tudinem, initiatur, gignitur, roboratur et defenditur) non curantes, philo-
sophicis questionibus et aliis curiosis disputationibus et suspectis opinioni-
bus doctrinisque peregrinis et variis se involvunt . . . (Denifle-Chatelain
II, 588 und N. 7).
*) In dem von Urban Rhegius verfaßten Dialog „Kunz und Fritz"
(Schade, Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit II, 120; Zeit-
schrift f. deutsche Philologie 37, 1905, S. 106 ff.). Je nachdem das Wort
„Stipendium" verstanden wird, ist eine doppelte Deutung des Vorgangs
möglich. Wäre damit eines der von Kaiser Karl V. für Magister der
Artistenfakultät in Tübingen gestifteten Stipendien bezeichnet (Steiff im
Korr.-Bl. f. Gel.- u. Realschulen W.s 1882, S. 357) , dann wäre an einen
Humanisten zu denken (eventuell Urban Rhegius selbst?), der die Paulus-
briefe „nach des Erasmus Schreibung", d. h. unter philologischem Ge-
sichtspunkt als Lesestoff für die Artistenfakultät traktieren wollte und dem
dann der Senior der theologischen Fakultät rite entgegentrat. Allein da
die kaiserliche Stipendienstiftung erst vom 14. Januar 1522 datiert ist
(Roth S. 128 f.) und da anderseits die Satire des Urban Rhegius späte-
stens Juli 1521 entstanden sein kann (Knaake in Stud. u. Krit. 1891,
602; Kolde, Die Loci communes Phil. Melanchtons in ihrer Urgestalt
3. A. S. 17, N. 3), scheint es sich um einen Doktor der Theologie ge-
handelt zu haben, der mit einem „Stipendium" und regelrechten Lehr-
auftrag in der via antiqua (Thomas, Scotus, Tartaret) angestellt werden
sollte. Dann bezöge sich die obige Stelle auf einen Mann, der um
1520/21 Nachfolger Sattlers werden sollte (anstatt K'äufelins). Das kann
aber niemand anders sein als Johann Kreß, der 1517 Doktor der Theo-
logie wurde, dann noch eine Zeitlang in Tübingen blieb und 1521 Stifts-
prediger in Ell wangen wird, um dann 1525 in Dillingen als Märtyrer
des Evangeliums den Tod zu erleiden. Es ist nicht unmöglich, daß er
erst nach Ellwangen ging, nachdem die Aussicht auf eine Tübinger theo-
logische Professur wegen seiner reformatorischen Gesinnung sich für ihn
zerschlagen hatte. (Weiteres über ihn s. im Anhang.)
44 !• Abschnitt.
auch nicht die geringste Andeutung über Abhaltung von Bibel-
vorlesungen tiberliefert ist. Immerhin wissen wir von einem
Lehrer der Tübinger Hochschule ganz bestimmt, daß er Vor-
lesungen über Bücher der heiligen Schrift gehalten hat. Das
ist Wendel Steinbach, dessen Bibelkenntnis und frommen
Lebenswandel schon ein Melanchton nicht genug rühmen
konnte. Unter den Handschriften der Universitätsbibliothek
befindet sich ein vollständiger Kommentar zum Galaterbrief und
ein solcher zum Ebräerbrief von der Hand Steinbachs für
seine Vorlesungen in den Jahren 1513 — 16 niedergeschrieben.
Der erstere ist in 37 Lektionen, der zweite in mehr als 70 Lek-
tionen abgeteilt. Ferner berichtete J. J. Moser im Jahre 1718,
daß in der Bibliothek des Martinsstiftes in Tübingen an Manu-
skripten von der Hand Steinbachs vorhanden waren ein Com-
mentarius in epistolas Pauli ad Philippenses et Colossenses,
sowie ein Gommentarius in epistolam Pauli ad Laodicenses
(-Epheser) *). Den beiden noch vorhandenen Manuskripten mit
ihrer gedrängt gleichmäßigen, vielfach durchkorrigierten und
schön rubrizierten Schrift sieht man schon äußerlich den Fleiß
und die Pünktlichkeit des Verfassers an. Diese neu aufge-
fundenen Kommentare verhelfen der Tübinger Hochschule zum
Ruhm, daß an ihrer theologischen Fakultät noch vor der Re-
formation und nicht direkt beeinflußt vom Humanismus ein
erneutes Studium der Paulusbriefe durch einen Bruder des
gemeinsamen Lebens aufgeblüht ist 2 ).
1 ) Vgl. J. J. Moser, Vitae professorum Tubingensium ordinis theo-
logici (1718) S. 45. Moser muß die Handschriften noch selbst gesehen
haben, denn er verfaßte jene Schrift als Alumnus des Martinstifts, wie
sich aus seiner eigenhändigen Widmung auf dem Titelblatt des Tübinger
Bibliothekexemplars ergibt. Wo die fehlenden Handschriften des Martin-
stifts (darunter die Annales academici Tubingenses aus dem Anfang des
16. Jahrhunderts) heute sind, ist unbekannt.
2 ) Es ist ein Verdienst Denifles, gezeigt zu haben, daß auch im
Mittelalter die Psalmen und Paulinen viel häufiger kommentiert worden
sind, als man gemeiniglich anzunehmen geneigt war (Luther und Luther-
tum I, 2). Allein wenn auch noch mehr handschriftliche Kommentare
aufgefunden werden, wenn auch nachgewiesen wird, daß gelegentlich
Einleitungsvorlesungen über die Bibel abgehalten worden sind, wie denn
ein Mainzer Kollege von Steinbach ein Buch „In prologum biblie lib. I u
verfaßt hat, das eine Art Einleitung zur Bibel enthalten haben soll
(Katholik 1898 II, 248; Mitteil. d. Gesellsch. f. d. Erziehungs- u. Schul-
gesch. IX 1899, 126), trotz alledem bleibt die Tatsache bestehen, daß
die Bibel an den mittelalterlichen Universitäten nicht in dem Maße
Aeußere Geschichte der Fakultät. 45
Für viel wichtiger als die Bibelvorlesungen gelten im
Zeitalter der Scholastik die Vorlesungen über die Sen-
tenzen. Das erhellt schon daraus, daß für den heranwach-
senden Studenten die Bibelkenntnis mit Hören und Lesen von
je zweimal 80 ausgewählten Kapiteln oder von zwei biblischen
Büchern abgemacht war, während die Sentenzen im Zusammen-
hang vollständig gehört und gelesen werden mußten. Das
erhellt aber noch deutlicher aus den Aussagen des berühmtesten
und bedeutendsten Theologen der Tübinger Fakultät. Gabriel
Biel führt in seinem Prolog zum Sentenzenkommentar aus,
daß es schwierig und unzweckmäßig sei, die Anfänger in der
Theologie an die heilige Schrift zu verweisen, dieses so große
und weite Meer, das nur von Erfahrenen ohne Gefahr durch-
schifft werden kann. Zudem sei die Schrift, um zur satten
Erkenntnis und zur feurigen Liebe Gottes zu führen, viel zu
breit angelegt 1 ). Darum habe der Magister Petrus Lombardus
wie eine fleißige Biene aus den Honigkörben der heiligen Väter
ein sehr nützliches Werk zusammengestellt 2 ). Seit längerer
Gegenstand der wissenschaftlichen Bearbeitung und des Studiums ge-
wesen ist, wie die Bücher der Sentenzen. An manchen deutschen Univer-
sitäten wurden jahrzehntelang keine ordentlichen biblischen Vorlesungen
gehalten (vgl. Freiburg, Ingolstadt, Heidelberg, Erfurt) und Luther be-
hält recht : Biblia erat incognita; arbitrabar nullum esse evangelium nee
epistolam nisi in postillis (Colloquia ed. H. E. Bindseil III, 1866, S. 270 f.).
Darüber hilft auch der Einwand nicht hinweg, daß man mit hohen
Worten und unter Aufzählung vieler Gründe von der Nützlichkeit des
Bibelstudiums und von den Eigenschaften eines lector s. scripturae zu
reden wußte (Zeitschr. f. kath. Theologie 22, 1898, S. 168 ff.). Von einem
„Lehrstuhl für Bibelkunde " oder „Bibelforschung" an einer mittelalter-
lichen Universität zu sprechen und sacrae scripturae professor mit „Pro-
fessor der Exegese" zu übersetzen (Fr. Falk, Bibelstudien u. s. w. in
Mainz 1901 S. 63, 54, 69), ist falsch und ungeschichtlich.
') Et quoniam scriptura qua ad cognoscendum deum dueimur latissima
est, est denique dispendiosum difficile et fere inutile, ineipientes prae-
sertim et in sacra theologica primogenitos infantes in mare tarn magnum
quam spaciosum mittere, eapropter ad catholice fidei exaltationem et
studencium profectum Mag. Petrus Lumbardi, Parisiensise piscopus . . .
Biels Collectorium 1501, Prolog.
2 ) „ut opus non sit querenti librorum numerositatem evolvere, cui
brevitas collecta, quid querit, offert sine labore." Dieser scholastische
Grundsatz ist auch den Männern der Reformationszeit gegenüber zu be-
rücksichtigen. Die frappante „Belesenheit" eines Eck erklärt sich zum
Teil hieraus. Auch bei Luther muß durch literarkritische Vorunter-
46 I- Abschnitt.
Zeit habe man beim Vortrag der Theologie dieses Werk, in
welchem die kirchlichen Lehren enthalten und begründet sind,
zur Grundlage genommen. Da aber die Wege und Weisen,
die Theologie zu behandeln, sehr verschieden sind, ist es gut,
sich vornehmlich einen Führer zu wählen, damit nicht der
unschlüssige und unkundige Wanderer dahin und dorthin ab-
irrend jeglicher soliden Grundlage entbehre und statt bei der
Wahrheit bei Irrtum anlange. Biel ist zwar mit Hochachtung
für alle Richtungen erfüllt: „omnium dogmata veneramur, lau-
damus et amplificamus eisque tanquam utiliter in domini vinea
laborantibus gratias habemus amplissimas et laudes immortales
dicimus semper". Aber eben aus den obigen Gründen will
er sich an den einen Ockam halten, ohne sich jedoch gegen
andere Autoritäten vollständig abzuschließen *). Diese Aus-
führungen sind bezeichnend für den theologischen Schulbetrieb
in der Scholastik. So wurden denn auch in Tübingen jahraus
und jahrein in den ordentlichen Lektionen von den Doktoren die
Sentenzen traktiert; in der via antiqua nach dem Kommentar
des Duns Scotus, in der via moderna nach Wilhelm Ockam. Der
ewig gleiche Lehrstoff war derselbe wie anderwärts. Nur der
Fleiß der Tübinger Lehrer war, wie sie selbst rühmen 2 ), größer
als an anderen Universitäten, wo vielfach in der Theologie die
wenigen Lehrer die Lektionen ganz den Baccalaren überließen.
Die Zahl der Lektionen war in Tübingen durch die
gräflichen Universitätsordnungen den Doktoren vorgeschrieben.
Eine ordentliche Lektion mußte täglich gelesen werden. Diese
sollte nach der ersten Ordnung von 1481 täglich abwechselnd
von je zwei der Ordinarien besorgt werden, während jedes-
mal der dritte einen Monat lang nicht las, sondern dafür
eine Disputation zu halten hatte. Dieser Disputationsmonat
ging bei allen drei herum, so daß einer im Jahre, abge-
rechnet die Ferien, drei Monate lang nicht zu lesen und
dafür drei Disputationen zu halten hatte. Mit einer geringen
Zahl von Schülern neun Disputationen halten zu müssen und
suchungen noch deutlicher festgestellt werden, welches die Kanäle waren,
durch die ihm der kirchliche Lehrstoff zugeführt wurde.
*) Biels Collectorium 1501, Prolog A 3 ; vgl. Linsenmann in Theol.
Quartalschrift 1865, 219 f.
2 ) Roth S. 117, Abs. 2. Vgl. dazu Hartfelder in Hist. Zeitschr. 64,
54 ff. ; Kaufmann II, 334.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 47
außerdem nach je zwei Monaten die Vorlesungen wieder einen
Monat lang einzustellen, das war gewiß nicht zweckmäßig.
Die Ordnung von 1491 bringt darum eine Aenderung; danach
sollen die drei Doktoren der Reihe nach abwechselnd die vor-
geschriebenen Tageslektionen abhalten. Nur am Samstag
hatten alle drei frei, da fand wegen der Disputation in der
Artistenfakultät keine ordentliche theologische Vorlesung mehr
statt. Es hatte also der einzelne in der Woche nur 1 — 2 Vor-
lesungen zu halten. Außerdem hatte jeder zweimal im Jahr
zu disputieren, durfte aber um der Disputation willen keine
seiner ordentlichen Vorlesungen ausfallen lassen.
Auch die neue Fakultätsordnung von 1496 bestimmt, daß
an jedem Tag, an welchem ordinarie gelesen wird (d. h. täglich
mit Ausnahme der Samstage 1 ), Sonntage, Feiertage und Va-
kanzen), eine lectio ordinaria stattzufinden hat, die von den
vier Ordinarien der Reihe nach versehen wird. An den ein-
zelnen kommt also wöchentlich eine Vorlesung; nur alle vier
Wochen sind es zwei. Außerdem sind aber die ordentlichen
Lehrer hier auch zu Resumtionen verpflichtet. Innerhalb jeder
via soll jeden Tag eine resumtio stattfinden, so daß der ein-
zelne jeden andern Tag eine solche Wiederholungsübung zu
leiten hatte. Sie fiel aus, wenn der Betreffende, der sie halten
sollte, gerade auf diesen Tag mit einer ordentlichen Vorlesung
an der Reihe war, ferner fand in der Fastenzeit keine Resum-
tion statt. Daß aber sonst die Vorlesungen nicht ohne Grund
ausgesetzt werden, dafür sorgten hohe Strafandrohungen. Der-
jenige Lehrer, welcher ein Stipendium von 100 fl. bezog, mußte
für jeden Kollegausfall 1 fl., der mit 50 fl. Besoldete mußte
ebenso */ 2 A- bezahlen. Aehnliche Geldstrafen waren für den
Ausfall von Disputationen und Resumtionen festgesetzt.
Die Resumtionen, welche uns in diesem Statut von 1496
zum erstenmal in Tübingen urkundlich entgegentreten, sind
eigentlich Wiederholungsübungen der ordentlichen Vorlesungen,
') Der spätere dies academicus hängt in seiner Entstehung mit der
Einrichtung der wöchentlichen Artistendisputation zusammen, an welcher
die Theologen als Aufsichtspersonen teilnehmen sollten. Der „Gleich-
förmigkeit" halber wurde den Juristen und Aerzten gestattet, in der
Mitte der Woche am Donnerstag nicht zu lesen (Roth S. 119, 143, 277).
Seit der Reformation feiern auch die Theologen Donnerstags statt Sams-
tags.
48 I« Abschnitt.
abgehalten in Rede und Gegenrede x ). Allmählich aber nehmen
sie freiere Formen an und dienen geradezu zur Ergänzung
der ordentlichen Vorlesung, die in starrer, althergebrachter
Uebung de facto in der Erklärung der Sentenzen sich erschöpfte.
Der Resumtion sollte zur regelmäßigen Grundlage dienen die
Schrift eines Doktors, nicht die eines Kollektors 2 ). Und zwar
sollte entweder diejenige Schrift behandelt werden, welche der
betreffende Doktor über die vier Bücher der Sentenzen ge-
schrieben hat, oder eine „Summe* 8 ) bezw. ein anderes Werk,
in welchem ein solcher Doktor sich über Dinge verbreitet, die
in den Sentenzen erwähnt sind. Mit anderen Worten: Die
Resumtionen sollen abgehalten werden, in unvermitteltem oder
vermitteltem Anschluß an die Sentenzen an der Hand einer
anerkannten scholastischen Autorität. Wenn aber der resü-
mierende Doktor wegen der Beschaffenheit des Stoffs es für
nötig und nützlich hält, über die erwähnten Schriften und
Summen der Doktoren hinaus zur Verdeutlichung einer Materie
irgend einen Teil aus der Summe eines Kollektors einzuschieben,
so soll ihm das frei stehen. Denn manchmal haben die Kol-
lektoren in gewissen Titeln einzelne Materien aus dem Gebiet
der Praxis und Kasuistik ausführlicher behandelt als diejenigen,
welche „die Majestät der Sentenzen* kommentiert haben. Ja,
falls ein vernünftiger Grund es fordert, kann der Resumtor
irgend einen beliebigen nützlichen Traktat seinen Uebungen
zu Grunde legen, wenn er nur Zuhörer findet, welche sich
den Traktat kaufen. Die regelmäßige Resumtion soll dagegen
a ) Kaufmann II, 366.
s ) Mit dem ersten Titel sind offenbar die anerkannten Häupter der
Scholastik bezeichnet, die Doktoren mit den schmückenden Beinamen,
der Dr. angelicus oder subtilis, der Dr. profundus oder resolutissimus u. s. w.
Unter einem Kollektor ist dagegen offenbar ein Schriftsteller zweiten
Ranges zu verstehen, der aus den Schriften der Doktoren das Beste zu-
sammensucht. (Ein Beweis für die große Bescheidenheit Gabriel Biels
ist es, daß er sich in seinen Schriften immer Kollektor nennt; doch hängt
dies wohl auch damit zusammen, daß er sich den Doktorgrad nie er-
worben hat.) Schließlich kam der Unterschied darauf hinaus: Die
Doctores sind diejenigen, welche maiestatem sententiarum commentati
sunt; die Collect ores sind solche, welche andere theologische Werke ver-
faßt bezw. zusammengestellt haben (Roth S. 266).
8 ) So hieß die zweite Hauptform des scholastischen Schrifttums, im
Gegensatz zum Kommentar der Sentenzen die systematische Zusammen-
fassung der theologischen Weisheit.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 49
* — ■ — ■ ■ ■ ■ — - ■■■■ «■■■■■■ -- M i .■■■,■■■■■■■ —^ ■■■■ » ■■■■■ ■«— .. ■ ■ * ■^■» ■ ■ mm i , ■ i i^— ^^
im Anschluß an die Sentenzen stattfinden unter Zugrundlegung
des theologischen Hauptwerks eines anerkannten Doktors.
Dabei soll aber der Lehrer unter Vermeidung der spekulativen
und scholastischen Spitzfindigkeiten seine Schüler hauptsächlich
in die moralischen Materien und in die täglichen Falle des
praktischen Lebens einführen 1 ).
In den Resumtionen wird also den Sentenzenvorlesungen
eine weitere Unterrichtsform beigegeben, welche es ermöglicht,
mehr praktisch-kirchliche, moralische und kanonistische , ja
naturwissenschaftliche und nationalökonomische Themen breiter
zu behandeln. All die einschlägigen Schriften der Tübinger
Theologen, die Erklärung des Meßkanons durch Gabriel Biel,
die Erörterung der Frage, ob die Parochianen in ihrer eigenen
Pfarrkirche Messe hören und beichten müssen, durch Joh. Stau-
pitz und Werner Wick, nicht minder die Traktate Summen-
harts über die Verträge und über die Zehnten, sein Werk
über die Physik des Albertus Magnus und ähnliches sind aus
solch freieren Vorlesungen entstanden. Hier fordert das prak-
tische Leben sein Recht und modifiziert die Wissenschaftsvor-
stellung des Mittelalters: Es gibt materiae casualium et agi-
bilium rerum, die im majestätischen Werk der Sentenzen nicht
erschöpft sind. Das war der Anfang zur Ueberwindung der
Scholastik, daß das Leben mit seinen praktischen Forderungen
Probleme stellt, die von der Wissenschaft notwendig aufge-
griffen werden müssen. Aber wie zäh jene alte Wissenschaffcs-
') Item magi8tri resumentes debebunt resumere regulariter scriptum
alicuius doctoris theologiae circa sententiarum libros digestum aut quot-
libeta vel summam alicuius doctoris theologie ea pertractantem, que in
sententiarum libris memorantur. Si tarnen magister ipse resumens ob
materie qualitatem, que circa predicta scripta quotlibeta vel summas
doctorum emergit, necessarium iudicaverit vel utile, ad aliquantulum
temporis interserendo et quasi pro arapliatione digrediendo resumere
titulum aliquem de summa alicuius collectoris, id eius arbitrio relinquen-
dum duximus, eo quod collectores in certis titulis nonnunquam materias
«altem agibilium et casualium rerum particularius, quam qui maiestatem
sententiarum commentati sunt digesserunt. Quin imo si interdum utilitas
aut rationabilis poposcerit causa posset, resumptor ad tempus alium utilem
tractatulum resumere, dum modo eciam auditores eundem sibi comparan-
dum invenirent. Regularis tarnen resumptio et regulariter loquendo
fieri debet in scriptis et summis atque quotlibetis supra memoratis, neque
tantum in apicibus speculativis et scholasticis , verum etiam in materia
moralium casualium atque agibilium suos curent instituere in resumptioni-
bus auditores. Roth S. 266.
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 4
50 !• Abschnitt.
Torstellung haftet, das zeigt gerade das obige Tübinger Statut:
Nur notgedrungen und möglichst selten entferne man sich von
der königlichen Majestät der Sentenzen, die aber doch eigentlich
alles Wissen in sich enthält!
Daß die Wissenschaft für den mittelalterlichen Menschen
eine einheitlich fertige Größe war, das beweist endlich auch
die dritte Form des Unterrichts an der mittelalterlichen Uni-
versität, die der Disputationen. Auch sie dienten zur
Aneignung der einheitlichen Wissenschaft, die nur scheinbar
entgegengesetzte Sätze und Behauptungen in sich enthält. Es
handelt sich dabei nicht so sehr, wie bei unseren heutigen
Uebungen, um Ausbildung eines Könnens, das den Schüler in
stand setzt, in selbständiger Forschung sich frei weiter zu
betätigen, sondern geübt wird die Kunst, in dialektischer Ge-
wandtheit die höhere Einheit entgegengesetzter Behauptungen
herauszufinden — ein Ziel, wie es sich nicht anders der Areo-
pagite bei seiner Erklärung der Welt gesteckt hatte.
Die Disputationen wurden in der Regel geleitet von einem
Doktor. Dieser hatte, wie an den meisten Universitäten aus-
drücklich vorgeschrieben war, über eine^ „materia fecunda*
einige Fragen (quaestiones) und Sätze (Thesen, sophismata)
auszuarbeiten und sie zwei Monate vor dem Termin den
respondierenden Baccalaren mitzuteilen, daß diese sich genü-
gend vorbereiten können *). Die Disputation selbst fand ent-
weder an einem Fasttag oder an einem lektionsfreien Samstag
statt, und begann im Winter um 6 Uhr, im Sommer um 5 Uhr
Morgens. Zuerst unterhielt sich der Doktor mit seinen Respon-
denten drei Stunden lang allein. Diese stellten ihre positiones
auf, deren Vortrag sich nicht über */* Stunde ausdehnen sollte;
und Magister wie Baccalare verständigten sich über die in der
Materie liegenden Schwierigkeiten und möglichen Gegensätze,
sowie über deren zweckmäßigste Lösung. Dieses Einpauken
der respondierenden Baccalare, das in der Artistenfakultät
drei Tage lang dauerte 2 ), war nun erst das Vorspiel und
allerdings die pädogogisch wichtige Grundlage der eigentlichen
Disputation. Diese begann damit, daß die übrigen Doktoren
der Reihe nach auftraten und gegen die Propositionen Gegen-
thesen aufstellten (argumenta opponere, arguere). Entsprechend
') Vgl. Roth S. 256.
2 ) Roth S. 339.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 51
den Ausmachungen in den vorbereitenden Stunden bestritt der
disputierende Magister, sekundiert von seinen Respondenten t
die Argumente seiner Gegner und hatte die Schwierigkeiten
„pro possibilitate" zu lösen. Nach der Disputation konnte
der präsidierende Doktor die Fakultätsgenossen zu einem
Prandium einladen, aber er war dazu nicht gezwungen. Der
erste Zweck bei der ganzen Uebung war offenbar der, die
Schüler auf die in einem Problem steckenden Schwierigkeiten
aufmerksam zu machen und ihnen deren glatte Lösung bei-
zubringen. Ein Nebenzweck, der natürlich die Hauptsache
werden konnte, lag in dem Kitzel persönlicher Eitelkeit, die
Kunst eleganter Dialektik zu zeigen. In diesem Sinne
waren namentlich auch die wöchentlichen Disputationen der
Artisten, welche von den theologischen Lehrern gelegentlich
zur Aufsicht besucht werden sollten, berühmt und bildeten
einen Treffpunkt für die ganze Universität.
Jeder Baccalar der Theologie hatte (außer seinen Disputa-
tionen in der Artistenfakultät) jährlich mindestens einmal als
Respondent in einer Disputation der Theologenfakultät aufzu-
treten. Sonst wurde ihm die Zulassung zum nächsthöheren
Grade versagt. Zur Ermöglichung dieser pflichtmäßigen Re-
sponsionen war den Doktoren die Abhaltung einer bestimm-
ten Anzahl von Disputationen vorgeschrieben. Die Fakultäts-
statuten von 1480 sehen drei bis vier über das Studienjahr
passend zu verteilende Disputationstage vor. Die gräfliche
Ordnung von 1481 schrieb sogar für jeden Monat eine solche
Uebung vor. Das ließ sich, wie oben schon erwähnt ist,
nicht durchführen; die Zahl der theologischen Baccalare war
dazu zu gering 1 ). Nach der Ordnung von 1491 hatte jeder
Magister der Theologie zweimal im Jahre eine Disputation
zu halten. Dies blieb prinzipiell auch nach dem Statut von
1496 bestehen; wer aber mehr als zwei Disputationen hielt
und wer speziell zur Uebung seiner Schüler eine „außer-
ordentliche" Disputation einschaltete, der durfte so oft seine
Resumtion ausfallen lassen, so viele Stunden die Disputation
dauerte. Unter der „außerordentlichen" Disputation ist aber eine
solche zu verstehen, welche unter Aufsicht eines Doktors nur
unter den Baccalaren stattfand. Als Vorbereitungsübung für die
*) Im Jahr 1491 waren, wie wir aus der gräflichen Ordnung er-
fahren, nur zwei theologische Baccalare in Tübingen. Roth S. 84.
52 I. Abschnitt.
ordentlichen feierlichen Disputationen wurden dabei unter der
Schar der Schüler die arguentes und respondentes abgeteilt und
gegeneinander losgelassen. -Später ist die Gewohnheit durch-
gedrungen, daß die zwei ordentlich Torgeschriebenen Disputa-
tionen durch Abhaltung von außerordentlichen Vorlesungen
(Resumtionen) ersetzt werden konnten. Im Jahr 1520 bitten
sogar die Fakult'ätsgenossen den Senat um Dispens von ihren
zwei pflichtmäßigen Disputationen, obwohl sie keine außer-
ordentlichen Vorlesungen gehalten hätten. Das Vorbild der
juristischen und medizinischen Fakultät, in welchen die Dis-
putationen bald ganz abgeschafft waren, mochte da zur Nach-
folge reizen. Der Senat aber schlug die Bitte ab und verlangte,
daß die Theologen nicht nur die außerordentlichen Vorlesungen
wieder aufnehmen, sondern auch die ausgefallenen Disputa-
tionen nachholen sollen 1 ).
Weitaus die feierlichsten und für uns lächerlichsten Dis-
putationsakte waren die beiden großen Redeschlachten, welche
mit der Doktorpromotion verknüpft waren. Bei der Vesper
stellte der leitende Doktor eine vom Doktoranden aufgestellte
Quaestio zur Diskussion, welcher einige dazu gewonnenen Bacca-
lare respondierten; dagegen opponierten der die Vesperien
leitende Doktor, sowie der Reihe nach sämtliche übrigen Bac-
calare. Nur dem leitenden Doktor aber hatte der Vesperiand
direkt zu antworten. Nach diesem Vorgefecht betraten die
übrigen Doktoren den Kampfplatz und einer der älteren theo-
logischen Lehrer proponierte eine neue Quaestio mit Festlegung
der Begriffe und mit Erörterung der Gründe dafür und da-
gegen. Der Doktorand erörterte nun seine Ansicht und ent-
schied sich für eine der Auffassungen. Gegen ihn arguierte
darauf der erstere Doktor wieder und nach diesem opponierten
alle Doktoren der Reihe nach. Ihnen allen gegenüber hatte
l ) Liber conductionura 1520 Juni 4 : petierunt in universitate domini
theologi dispensationem super duabus disputationibus neglectis, quos
(cum extraordinarie non legerint) habere debuissent; quorum petitioni
universitas una cum domino cancellario concludendo respondit, quod
domini theologi duas disputationes neglectas recomplere deberent, tum
etiam alias duas hoc anno (ipsis ad disputandum concesso) habendas
similiter complerent, sumentes officiales vel scolares theologie sibi respon-
dentes, elapso dein de hoc anno pristinam legendi ordinationem cum
lectionibu8 extraordinariis reassumere teneantur.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 53
der Doktorand mit seiner Auffassung siegreich das. Feld zu
behaupten.
Noch komplizierter war der Disputationsakt in der Aula.
Im Vorgefecht proponierte ein Magister der Artistenfakultät eine
Quaestio mit Gründen und Gegengründen und einer der älteren
Baccalare der Theologie respondierte ihm; dagegen zu oppo-
nieren hatten der neue Doktor, sowie derjenige, welcher ihm
das Barett aufgesetzt hatte. Der nun folgende Teil war nur ein
Redeturnier, weniger unter aktiver Beteiligung des neuen
Doktors als zu seiner Ehre vor ihm abgehalten. Er hatte
selbst die Doktoren und Magister zu diesem Schaugefecht auf-
zufordern und zu bezahlen; und die, welche er dazu gewann,
hießen galli, Eampfhähne. Einer der älteren Magister stellte
zuerst die These auf (die gallinaria quaestio) und erörterte sie
mit den Gegengründen. Ihm respondierte ein anderer und
beiden wurde aus dem Auditorium mehrfach repliziert. Dar-
auf nahm ein dritter Magister dieselbe These auf, vertrat die
entgegengesetzte Auffassuug und begründete sie durch andere
Deutung der Begriffe. Ihm respondierte ein vierter Magister,
in gewisser Beziehung das Gegenteil vertretend von dem, was
der Respondent an zweiter Stelle ausgeführt hatte. Zum Schluß
erhob sich wieder der erste Magister, welcher den „ Hahnen-
satz tt aufgestellt hatte und schränkte die Gegengründe wie-
der ein.
Die Grundzüge dieser Disputationsfeierlichkeiten bei der
theologischen Doktorpromotion sind an allen Universitäten
gleich, in Bologna und in Oxford, in Köln und in Wien, in
Leipzig und in Wittenberg. Und alle bezeugen gleichermaßen
in den Statuten, daß sie einem uralten Pariser Gebrauch folgen,
der dort so fest eingesessen war und so regelmäßig geübt
wurde, daß eine schriftliche Aufzeichnung darüber für unnötig
gehalten und gänzlich unterlassen wurde. Die Pariser Sitten
bei den Doktordisputationen können darum nur aus den Sta-
tuten aller anderen Universitäten, die sich auf sie berufen,
rekonstruiert werden 1 ). Ueberall waren es vier Disputations-
gänge, deren Verlauf aufs genaueste geregelt war : je zwei am
Vorabend der Vesperien und an dem folgenden Tag in der
Aula, und jedesmal wurde die erstere Disputation von den Bac-
*) Vgl. Denifle-Chatelain II, 693 N. 5.
54 I- Abschnitt.
calaren ausgefochten als Einleitung zu dem darauffolgenden
Hauptturnier der Magister. Ueberall wurden die Vesperien
abgeschlossen durch die Rede des die Promotion leitenden
Magisters, während den Disputationen der Aula die feierliche
Einsegnung des jungen Doktors und seine Rede zur Empfeh-
lung der heiligen Schrift vorangingen. Nachdem der neue
Doktor in den drei ersten Disputationen seine Kunst gezeigt
hatte, wurde ihm überall im „ Hahnenkampf a der älteren Ma-
gister die Sieghafbigkeit der scholastischen Wissenschaft vor-
geführt, deren höchste Spitze zu erreichen ihm eben geglückt
war. In Wittenberg, der am Vorabend der Reformation ge-
gründeten Universität, wurde dies scholastische Spiel besonders
wirksam gestaltet dadurch, daß irgend ein Knabe aus der
Stadt auf den Disputationspult gestellt wurde, der eingedrillt
war, die zur Disputation gelangende Frage recht unbestimmt
und hilflos vorzutragen. Mit einem verbindlichen siegreichen
Lächeln (urbaniter faceteque discutiant) bestiegen die beiden
als Kampfhähne bestimmten Doktoren rechts und links von
dem Kinde den Katheder und lösten glatt die Knoten, die der
Unverstand geschürzt hatte x ).
Graf Eberhard soll, wie Melanchton erzählt 2 ), öfters den
Disputationen der Theologen und Juristen beigewohnt haben,
und obwohl er nicht Lateinisch konnte, ließ er sich die wichti-
geren Sätze übersetzen und stellte in deutscher Sprache auch
seine eigenen Gedanken zur Diskussion. Einmal, bei der Doktor-
promotion seines Beichtvaters Wendel Steinbach und des Konrad
Summenhart (am 12. und 13. Oktober 1489) war er auch bei
den eben geschilderten Redeturnieren zugegen und zahlte sämt-
liche Doktorkosten. Wenn er denn weiterhin gefragt haben
soll, zu was denn eine solche Disputation gut sei (qua de re
disputatio instituta esset) 2 ), so zeigt sich darin das gesunde
Urteil eines nüchtern praktischen Menschen. Sein Beichtvater
W. Steinbach begründet (in einer von ihm am Schluß der
Doktorvesper von 1516 gehaltenen Rede) die Sitte der concer-
tationes scholasticae damit, daß sie eben nicht erst kürzlich ent-
standen, sondern seit langen Jahrhunderten überkommen seien.
Die Disputationen gehören als notwendiger Bestandteil zum
*) Muther, Wittenberg S. 20.
2 ) Corp. Ref. XI, 1026.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 55
Betrieb der scholastischen Wissenschaft, die überall das Sic
und das Non aufzusuchen und die Gegensätze in einer höheren
Einheit zu lösen verstand.
Noch eine weitere Form, zwar nicht gerade des Unterrichts,
aber doch der lehrenden Betätigung seitens der Fakultäts-
genossen, ist zu erwähnen und das sind die Kollationen. Das
sind Reden über geistliche Dinge, zu welchen die theologischen
Lehrer und Studenten verpflichtet waren. Jeder theologische
Baccalar und jeder Doktor in Tübingen und an allen anderen
Universitäten mußte jährlich eine solche halten. Wie aus
dem Pariser Statut (14. Jahrhundert) hervorgeht, sollten Lehrer
und Studierende der theologischen Fakultäten dadurch in der
Predigttätigkeit geübt werden 1 ). Diese Kollationen wurden an
kirchlichen Festtagen gehalten, an unserer Universität am hei-
ligen Christabend des Morgens um 8, am Mittwoch in der Kar-
woche früh um 6 Uhr, am Pfingstsamstag auch um 6 Uhr,
am Tage vor Himmelfahrt Maria um 9 und am Tage vor Aller-
heiligen ebenfalls um 9 Uhr. Die Baccalare redeten an den
beiden Tagen, da die Universitätsmesse stattfand und außer-
dem, wenn noch weitere übrig waren, an Feiertagen zu einer
von der Fakultät im Einverständnis mit den übrigen drei De-
kanen festgesetzten Zeit. Die Kollationen wurden abgehalten
im Saal der Universität oder sonst an gelegenen Orten, und
jeder graduierte Universitätsangehörige hatte bei Pön von einem
Ort eines Gulden zu erscheinen ; die fehlenden Scholaren mußten
einen Schilling bezahlen 2 ). Der Inhalt der Kollationen paßte sich
dem Feste an, zu dessen Feier sie gehalten wurden. Der
Traktat des Konrad Summenhart „quod deus homo fieri vo-
luerit u 3 ) ist die Zusammenfassung zweier solcher Kollationen,
welche der Verfasser je am Weihnachtsabend 1494 und 1495
gehalten hat. Er beweist in der Form, wie er uns vorliegt,
welche langatmigen Ausführungen bei derartigen Gelegenheiten
*) Vgl. Denifle-Chatelain II, 699 § 27 : „in propria persona", „ut elo-
quentia et arte praedicandi comprobetur". So erklärt sich wieder die
in den Stiftungsbriefen der Prädikaturen so häufig uns entgegentretende
Bestimmung, daß nur Doktoren oder Baccalare der heil. Schrift mit der
Predigtpfründe begabt werden sollen. Vgl. oben S. 13 N. 2.
2 ) Man beachte den Unterschied zwischen den „ingelipt der uni-
versitet" und zwischen den , schulern". Roth S. 84 und vgl. dazu oben
S. 21 f.
3 ) Steiff S. 52 ff.; Linsenmann, Konr. Summenhart S. 16 f.
56 !• Abschnitt.
die sämtlichen Mitglieder der Universität mit anhören mußten.
Die Statuten anderer Fakultäten (Heidelberg, Wien und Ingol-
stadt) suchen etlichen Mißbräuchen in der Abhaltung von Kol-
lationen zu begegnen und verbieten nicht nur alle ungewöhn-
lichen Redensarten und die allzugroße Länge der Predigt,
sondern sie eifern auch gegen die Anhäufung von nichtssagen-
den oder unpassenden Phrasen und gegen die Aufzählung von
Bibelstellen, die deutlich nicht in den Zusammenhang gehören.
Wie schon erwähnt ist und wie es auch aus obigem Traktat
Summenharts hervorgeht, waren nämlich diese Collationes in-
sonderheit eine Gelegenheit für die theologischen Lehrer, zu
zeigen, daß sie nicht nur librorum sententiarum, sondern auch
sacrae scripturae doctores seien. Die Wien-Ingolstädter Sta-
tuten schreiben ausdrücklich als Thema für die Kollationen
irgend eine Stelle aus der Bibel vor; aber nur eine solche
darf gewählt werden, die in sich geschlossen einen zusammen-
hängenden Sinn ergibt, nicht irgend ein Wort oder eine
Silbe, die zu einer weiteren zusammenhängenden Ausführung
sich ausgesprochenermaßen nicht eignen 1 ).
Eine nachdrücklichere Beschäftigung mit der heiligen
Schrift wurde den Tübinger Theologen durch die humanisti-
sche Reformation der Universität im Jahr 1525 2 ) vor-
*) Vgl. Kink, Wien II, 97 und Prantl, Ingolstadt II, 57 : Item quod
praedicaturus vel collationem aliquam facturus pro themate accipiat de
biblia aliquam perfecti ac pertinentis sensus orationem et non dictionem
unam aut syllabam perfectae orationi expresse non aequivalentem. (Vgl.
dazu Bianco, Köln I, Anl. S. 36.) Vitari etiam volumus in talibus
verborum fictiones inconsuetorum atque ritmorum sterilium coacervationes
vanas et curiosas ad rem non pertinentes allegari, quia disponimus in
sermonibus auctoritates et concordancias de biblia reales et non solum
vocales, quae nee probant nee provocant, sed magis sua impertinencia
praedicantem vituperant et audientium aures turbant, cum audiunt allegari
aut distorte exponi aliquid verbi gratia de Christo , quod notum est de
diabolo dici, aut similia. Vgl. außerdem Freib. DiÖz.-Arch. 21 (1890),
S. 9 : Easque [orationes] faciant theologie studiosi perfeetam pro themate
orationem sumentes, omnem inconsuetam fictionem, verborum novitatem,
rithmorum formationes, curiosas allegationes et similia queeunque prorsus
evitantes, et ad maximum per horam concionentur. Zur letzteren Be-
stimmung 8. Weißenborn, Erfurt, S. 46 § 3.
2 ) Ihre Vorgeschichte ist noch näher zu untersuchen. Sie wurde
als „ordinatio regis Ferdinandi", „iussione nostra" in die Wege geleitet
durch Vertreter der Österreichischen Regierung in Stuttgart (die während
der Verbannung Herzog Ulrichs [1519—1534] das Land verwaltete) und
Aeußere Geschichte der Fakultät. 57
geschrieben. Die entscheidenden Neuerungen für die theologi-
sche Fakultät sind, daß erstens der bis dahin geltende Unter-
schied der beiden viae aufhören soll, daß zweitens die außer-
ordentlichen Vorlesungen, d. h. die Resumtionen wegfallen und
daß an ihrer Stelle drittens ein fünfjähriger Lektionsplan aufge-
stellt wird, in dessen Turnus neben den vier Büchern der Sen-
tenzen die ganze heilige Schrift zum Vortrag gelangt.
Es bleibt die Zahl von vier Theologen, von denen einer
ein Lizentiat oder Lizentiand sein kann. Sie haben zu zweit
jeden Tag eine volle Stunde (integra hora) zu lesen, so daß
jeder jeden anderen Tag daran kommt; der eine Morgens vor
dem Prandium (das zirka 10 — 11 Ulfr stattfand), der andere
Nachmittags, je zu einer den Zuhörern gelegenen Stunde. Zwi-
schen der Vormittags- und Nachmittagslektion durfte der Aeltere
wählen. In strittigen Fällen entschied das Los. Bezüglich des
Lektionsplans sind zu unterscheiden eine ursprüngliche und
die später angenommene Fassung x ). Ursprünglich waren die
Lektionen so verteilt: ein Professor hatte zu lesen die fünf
durch den Kanzler der Universität (Ambr. "Widmann) und den Pfarr-
herrn von Tübingen (Mart. Plansch), welche beide bekanntlich eine Auf-
sichtsstellung der Universität gegenüber innehatten. Die Vertreter der
österreichischen Regierung sind der kaiserliche Rat Jakob Spiegel aus
Schlettstadt (über ihn vgl. Allg. D. Biogr.), ein württembergischer Jurist
Johann Faut, der im Dienste Oesterreichs stand, sowie der talmudisch
gelehrte und getaufte Jude Paul Ricius, ehemaliger Leibarzt Kaiser Maxi-
milians. Vgl. Roth S. 141—152.
l ) Die ursprüngliche Fassung lernen wir aus einem durchkorrigierten
Konzept kennen, das im Jahr 1893 von der österreichischen Regierung
aus Innsbruck an das Staatsarchiv in Stuttgart extradiert worden ist. Die
Korrektur, die sich auf das ganze Stück erstreckt, verfolgte noch mehr
als das Konzept humanistische Grundsätze und betrifft vielfach auch
stilistische Verbesserungen. Bei letzteren ist es erfreulich zu sehen, wenn
gelegentlich eine doppelte Negation eingesetzt wird, wenn ein „minus"
mit „quam minimum", wenn „que tt mit einem „ve", wenn „se" mit
„sese" ersetzt wird, wenn die Stellung geändert wird aus „in lectionibus
suis" zu „suis in lectionibus", wenn das silberne „profitentes iura" umge-
wandelt wird in das goldene „ legen tes iura", oder wenn die harte Kon-
struktion in der Kleidervorschrift „manicorum indutio libera sit" verbessert
wird zu „manicis indui vel non liberum sit". Der Schlußabschnitt von
„Nos autem huiusmodi ..." (Roth S. 151) an kommt in der endgültigen
Redaktion neu hinzu. Sonst sind außer dem oben im Text erwähnten
keine wesentlichen sachlichen Aenderungen zu konstatieren. Die Korrek-
toren stammen zweifellos von Jakob Spiegel, der das Ganze als verant-
wortlicher Redakteur unterschrieben hat.
58 I. Abschnitt.
Bücher Moses mit Psalter und Jesaias; der zweite sollte lesen
Matthäus, Johannes, alle Briefe des Paulus mit Ausnahme der
Ebräer, Lukas, die Acta und die katholischen Briefe; der dritte
sollte den Text der Sentenzen erklären, die Schwierigkeiten
daraus erläuternd, je kürzer und lichtvoller, desto besser 1 );
außerdem den Jeremias, Ezechiel und Daniel. Dem vierten
waren die kleinen Propheten, die Proverbien, „Cantica canti-
corum cum Ecclesiaste et Job", „Paulus ad Hebreos 44 , „Ecclesia-
sticus cum libro Sapientiae" zugeteilt.
Der Zweck der Neuerung war, die Vorherrschaft der Sen-
tenzen zu brechen und deren Kommentare ganz zu beseitigen.
Es war aber Gefahr vorhanden, daß dies nicht in dem ge-
wünschten Umfang geschehe, wenn ein einzelner Lehrer ex
professo hauptsächlich mit den Sentenzen sich zu befassen
hatte. Darum mag der zweite und endgültig durchgeführte
Modus der Verteilung vorgezogen worden sein. Danach hat
der erste Professor zu lesen den Pentateuch, alle Briefe des
Paulus außer dem Ebräerbrief und ein Buch der Sentenzen.
Der zweite Professor las Matthäus und Johannes, den Psalter,
Hiob und ein Buch der Sentenzen. Der dritte las Jesaias,
Jeremias, Daniel, Markus, Lukas, Acta, „die kanonischen
Briefe u und wieder ein Buch der Sentenzen; und endlich der
vierte las Ezechiel, die kleinen Propheten, die „libri sapen-
tiales tf , den Ebräerbrief („eam, que est ad Hebreos, epistolam")
und das letzte Buch der Sentenzen. Abgesehen von der anders-
artigen Verteilung der Sentenzen fällt hier gegenüber dem
ersten Projekt auch auf, daß Schriften des Alten und Neuen
Testaments gleichmäßiger jedem einzelnen zugewiesen sind.
Der aus dem Entwurf übernommenen Vorschrift, daß man
möglichst kurz und lichtvoll den Text des Lombarden und
nur diesen zu erklären habe, ist noch die Begründung bei-
gefügt, „denn wir werden durch den Glauben Söhne Gottes
und nicht durch nichtige und frivole Quaestionen, die da
stammen aus dem aufgeblasenen und zur ewigen Verdammnis
führenden Fleisch und aus einer Lehre, welche dem Geist
Gottes zuwider ist" *).
*) „Tertius interpretetur textom magistri sententiarum, difficultates
autem ex textu ipso emergentes , quanto brevius et lucidius posrit, ab-
solvat."
2 ) „quoniam per fidem efficimur filii Dei et non per inanes et fri-
Aeußere Geschichte der Fakultät. 59
Die im Turnus vorgeschriebenen Lektionen mußten unter
allen Umständen abgehalten werden. Wurde ein Lehrer krank,
so hatte er aus seinen Kollegen oder den Baccalaren für. einen
Ersatzmann zu sorgen. Bei einem Todesfall sollten die über-
lebenden Lehrer bis zur Neubesetzung die Lektionen unter
sich verteilen. Wenn der fünfjährige Kurs zu Ende war, dann
konnte eine neue Verteilung stattfinden, doch nicht so, daß
der Lektionsplan dabei geändert wurde, sondern nur in der
Weise, daß der eine mit dem anderen die vorgeschriebenen
Lektionen für die nächsten fünf Jahre tauschte. Ausschlag-
gebend bei der ganzen Reform war das humanistische Inter-
esse, daß zu den Quellen, d. h. in der Theologie zur heiligen
Schrift zurückgegangen werde. „Aller Fleiß und Sorge soll
darauf gerichtet sein, daß die heiligen Bücher in lebendigem
Fortschritt rein und lauter gelehrt werden, unter Einschränkung
und gänzlicher Vermeidung der syllogistischen Schlüsse, sowie
der anderen weniger zur Sache dienlichen Ausführungen* *).
Nichts geändert wurde an der Sitte der Disputationen. Sie
sollen in vollem Umfange aufrecht erhalten bleiben, die ordent-
lichen und nicht ordentlichen, die feierlichen und nicht feier-
lichen, so wie sie durch die Ordnungen des Stifters der Uni-
versität und durch die Statuten der Fakultät festgelegt sind.
Nur das soll nicht mehr gelten, daß eine abgehaltene Dispu-
tation den betreffenden Doktor von soviel Lektionen befreie,
als sie Stunden dauere. Allein am Disputationstag darf er
seine Vorlesung ausfallen lassen. Und die Gegenstände, über
welche disputiert wird, sollen sich auf die wahre Theologie
selbst und auf die heiligen Schriften beziehen 8 ). Der Humanis-
mus hat also das überlebte Institut der Disputationen nicht
volas questiones, quae sunt inflantis et in aeternum exitium aedificantis
carnis et doctrinae, quae spiritui Dei adversatur (Roth S. 143). Der
Gegensatz von fides und frivolae quaestiones findet sich schon 1518 bei
Erasmus in der Ratio theologiae (Opera ed. Le Olerc V, 80 A). Beach-
tenswert ist, daß obige lutherisch klingende Formulierung von dem
Jakob Spiegel stammt, der in den Verhandlungen des Wormser Reichs-
tags eine für die lutherische Sache so bedenkliche Rolle gespielt hat.
') Omnium vero erit Studium et sollicitudo, ut sacra volumina ex-
pedito progressu pureque et syncere tradantur, resecatis et penitus omissis
argumentis syllogisticis ac aliis minus ad rem pertinentibus. Roth
S. 144.
*) Fiant autem disputationes de rebus ipsam veram theologiam
divinasque scripturas respicientibus. A. a. 0. S. 144.
60 I. Abschnitt.
abgeschafft, und zwar wohl in erster Linie deshalb nicht, weil
sich dabei die persönliche Gewandtheit im glänzendsten Lichte
zeigen kann. Damit wurde aber diejenige Einrichtung der
mittelalterlichen Universität beibehalten, welche in der nun
folgenden Eampfeszeit die größte und zugleich unheilvollste
geschichtliche Wirksamkeit ausgeübt hat. Die scholastischen
Scheinkämpfe und Schauturniere mit ihrer unwahren Voraus-
setzung der einheitlichen Lösung aller Widersprüche und mit
ihrer Befriedigung des persönlichen Eitelkeitsbedürfnisses haben
in heilloser Weise alle die Colloquia und die Disputationstage
der Reformationszeit heraufbeschworen 1 ), auf denen nie eine
Einigung erzielt ward, auf welchen vielmehr in persönlicher
Rechthaberei zu beiden Seiten der Riß meist größer wurde
denn zuvor.
4. Die theologischen Fakultäten und die Universitäten des
Mittelalters in ihrem Verhältnis zur Kirche.
Daß die Tübinger theologische Fakultät eine in irgend
welchem Sinne kirchliche Körperschaft war, ist am Schluß
des ersten Kapitels ausgeführt worden. Aehnliches läßt sich
aus in der Sache liegenden Gründen von sämtlichen theologi-
schen Fakultäten des Mittelalters vermuten. Es ist nun Auf-
gabe der folgenden Untersuchung, diese kirchliche Stellung
der theologischen Fakultäten näher zu präzisieren und womög-
lich rechtlich klar zu legen.
Der kirchliche Charakter der theologischen Fakultäten des
Mittelalters ist in der Hauptsache nicht dadurch gewährleistet,
daß ihre Mitglieder dem geistlichen Stande angehören und
meist mit kirchlichen Pfründen ausgestattet sind, sondern er
ergibt sich in erster Linie daraus, daß sie demselben Zwecke
wie die Kirche dienen, nämlich dem Lobe Gottes und der
Verbreitung des katholischen Glaubens. Ganz unzweideutig
geht dies aus dem Wortlaut von sämtlichen Statuten der mittel-
alterlichen Universitäten hervor. So wollen denn auch die
Tübinger Theologen nichts anderes, als „das Verständnis für
den orthodoxen Glauben unter den Menschen verbreiten und
den anderen Wissenschaften den Weg zur honigsüßen himm-
lischen Wahrheit zeigen** 2 ). Die Kirche, so wie sie für den
] ) Vgl. z. £. des Urteil des neuesten Biographen Karlstadts (W. Bärge
I, 1905, S. 6 Mitte). — 2 ) Roth S. 255.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 6 1
mittelalterlichen Menschen eine greifbare Größe war, ist im
Besitz dieser „himmlischen Wahrheit" ; darüber besteht für die
Verfasser solcher Statuten gar kein Zweifel. Darum schworen
die Doktoranden der theologischen Fakultät, ehe sie zur Lizenz
zugelassen wurden, in Tübingen, wie an allen anderen mittel-
alterlichen Universitäten, den Eid des Gehorsams gegen die
römische Kirche. Es fragt sich nun, ob die theologischen
Fakultäten hierin eine isolierte Stellung gegenüber den drei
anderen Fakultäten und gegenüber dem Universitätsganzen ein-
genommen haben. Die Vertreter der Ansicht, daß die Uni-
versitäten des Mittelalters staatliche und nicht kirchliche In-
stitute gewesen seien, hätten konsequenterweise die Aufgabe,
auf diesen Punkt Gewicht zu lögen und nachzuweisen, daß die
theologischen Fakultäten in ihrer zweifellos kirchlichen Ab-
zweckung eine Sonderstellung innerhalb des mittelalterlichen
Universitätsorganismus innehatten. Es wäre weiterhin nach-
zuweisen, welche rechtlichen Handhaben den Vertretern der
offiziellen Kirche zu Gebote standen, um die richtige Fassung
der an den theologischen Fakultäten vorgetragenen kirchlichen
Lehren zu beaufsichtigen. Denn darüber dürfte wohl kein
Zweifel sein: sobald die Universitäten nach allgemeiner Rechts-
anschauung nichtkirchlichen Zwecken dienen, dann muß die
katholische Kirche ein Aufsichtsrecht über ihre theologischen
Fakultäten erstreben, und die römische Kirche des Mittelalters
hätte sicherlich ein solches durchzusetzen gewußt.
Allein ein solcher Nachweis, daß die theologischen Fakultäten
des Mittelalters eine Sonderstellung innehatten, ist nicht mög-
lich. Im Gegenteil ist allgemein zugegeben und auch in der
obigen Darstellung mehrfach hervorgehoben worden, daß sie
in engstem Zusammenhang mit ihren Schwesterfakultäten stehen.
Die Theologie ist ebenso wie die übrigen Fakultätswissen-
schaften ein Teil, und zwar ist sie der edelste und wichtigste
Teil der einen göttlichen Wissenschaft. Die theologische
Fakultät steht nicht für sich allein, sondern sie ist die höchste
Spitze und das Haupt eines lebensvollen Organismus ; die übrigen
Fakultäten haben teil an ihrem kirchlichen Ziel. Wie das
Haupt, so sollen auch die Glieder und der gesamte Organis-
mus der Universitäten den Zwecken der Kirche dienen. Uni-
versitäten werden im Mittelalter gestiftet zur Verminderung
der Unwissenheit, zum Lob Gottes und zum Wachstum des
62 I. Abschnitt.
katholischen Glaubens« In irgend welcher Form ist das in
den Stiftungsurkunden und zum Teil auch in den Statuten
sämtlicher Universitäten des Mittelalters bis herab zur Witten-
berger Statutenredaktion von 1513 zum Ausdruck gebracht 1 ).
In Tübingen genehmigt der Papst die Inkorporation der Kirchen
und die Verlegung des Sindelfinger Stifts ad querendum lite-
rarum studia, per que militantis ecclesie respublica geritur,
divini nominis ac eiusdem fidei cultus protenditur omnisque
prosperitatis humanae conditio augetur*). Und Graf Eberhard
will mit seiner Stiftung „helfen zu graben den Brunnen des
Lebens, daraus von allen Enden der Welt unversieglich ge-
schöpft mag werden 11 . Er glaubt, daß dies „der ganzen Christen-
heit Trost, Hilf und Macht wider die Feind unseres Glaubens
gebären werde 113 ). Dieses kirchliche Ziel verlieh den General-
studien des Mittelalters einen gewissen kirchlichen Charakter.
Darum gelten die deutschen Universitäten des Mittelalters nach
ihrem eigenen Zeugnis und im Bewußtsein ihrer Zeitgenossen
vorzugsweise als kirchliche Anstalten 4 ).
Diese Ansicht von dem kirchlichen Charakter der deutschen
Universitäten des Mittelalters war früher von der Forschung
allgemein angenommen. Sie ist aber von Georg Kaufmann
in seinem Werk über die Geschichte der deutschen Uni-
versitäten (I 1888, II 1896) durchweg bekämpft worden.
Kaufmann hat zweifellos das Verdienst, auf mangelhafte Be-
gründungen jener Theorie und auf falsche Schlüsse, die aus
ihr gezogen worden sind, aufmerksam gemacht zu haben. Allein
') Vgl. die Zusammenstellung in Hist. Zeitschr. 80, 448, N. 2 u. 3.
s ) Roth S. 12, vgl. S. 14: Attendentes, quod ex literarum studio
animorum saluti consulitur etc.
8 ) Roth S. 31. Vgl. dazu S. 28 unten.
4 ) Für die außerdeutschen Universitäten gilt dieser Satz nicht in
dieser Ausdehnung, weil sie in ihren Anfängen lokal verschiedenartige
Entwicklungen durchgemacht haben. Jedoch die mittelalterliche Kirche
sorgte, so gut es ging, für Uniformierung der Universitäten. S<* hat sich
schon vor Beginn der deutschen Universitätsgründungen eine gemeine
Anschauung über den Begriff der Generalstudien gebildet, welcher die
kirchliche Abz weckung der Generalstudien als integrierender Bestandteil
angehört. Thomas von Aquino z. B. schrieb um 1256: patet quod
ordinäre de studio pertinet ad eum, qui praeest rei publicae et praeci-
pue ad auctoritatem apostolicae sedis, qua universalis ecclesia
gubernatur, cui per generale Studium providetur. (Contra im-
pugnantes cap. 3.)
Aeußere Geschichte der Fakultät. 63
er geht entschieden zu weit, wenn er den mittelalterlichen
Universitäten den kirchlichen Charakter abspricht und sie für
staatliche Anstalten erklärt. Zum Beweis macht er einerseits
geltend, daß „die Zugehörigkeit zur Universität niemanden
geistlich machte, und daß die Universität den kirchlichen Be-
hörden als solche nicht unterstand* 4 und anderseits verweist er
auf die Tätigkeit der Landesherren und Stadtregimente, welche
die Universitäten gegründet und „deren Verfassung und Ge-
richtsbarkeit in einer Weise geregelt und vielfach umgewandelt
haben, wie sie es mit kirchlichen Anstalten niemals hätten tun
können** x ).
In der näheren Ausführung des ersten Satzes, daß „die
Zugehörigkeit zur Universität niemand geistlich
machte**, muß Kaufmann zunächst zugeben, daß ein großer
Teil der Magister und Scholaren an den Universitäten geist-
lichen Standes war. Er schwächt dies aber sofort wieder ab,
indem er ausführt, daß „viele Mitglieder der Universität, welche
geistlichen Standes waren, nur die niederen Weihen empfangen
hatten und aus dem Laienstand noch nicht völlig und endgültig
geschieden waren**. „Es waren das Zwischenstellungen, welche
in älteren und breiteren Schichten der Gesellschaft ihren Ur-
sprung genommen hatten.** „Alle Welt, möchte man sagen,
wurde geistlich, um die alle Welt einschnürenden Privilegien
des Klerus für sich unschädlich zu machen.** „Wo Handwerker,
Händler und Schreiber die niederen Weihen nahmen, da ver-
flüchtigte sich die Bedeutung des geistlichen Charakters.**
Solche Ausführungen beweisen, daß ihr Verfasser über die
prinzipielle Bedeutung des geistlichen Charakters keine klare
Vorstellung hat. So recht eigentlich „geistlich** ist danach
also nur der sacerdos; eine Korporation, innerhalb deren sich
auch subdiaconi und accoluthi oder gar ungeweihte Laien nach-
weisen lassen, die darf nicht als geistlich bezeichnet werden.
Demnach müßte allen Orden, welch Laienbrüder zuließen, der
geistliche Charakter abgesprochen werden, die Ritterorden der
Johanniter und Deutschherren, die Brüder des gemeinsamen
Lebens, die Beghinen und Begharden und ähnliche Erschei-
nungen der Kirchengeschichte wären nicht als geistliche Kon-
gregationen zu beurteilen. Dies beweist, wie äußerlich und
*) Kaufmann II, 89 u. 107; 20—33.
64 I- Abschnitt.
falsch die Kaufmannsche Auffassung des Wortes „geistlich*
ist. Im ausgehenden Mittelalter war allerdings fast jedermann
zum Heil seiner Seele und zur Erlangung von sozialen Vor-
teilen bemüht, Mitglied irgend welcher geistlichen Korporation
zu werden. Jedoch der Empfang einer Weihe war dabei mehr
oder weniger nebensächlich, die Hauptsache war das geistliche
Ziel, die besondere Leistung, die mit dem Zweck der Kirche
in Uebereinstimmung sich befand. So fühlte sich der Hand-
werker, der Mitglied irgend einer Bruderschaft war, als dem
Himmel näher, als „geistlich" gegenüber einem, der ohne solche
Leistung in der Welt stand. Auch bei den Universitäten ver-
leiht das besondere Ziel, dem sie dienen wollen, dem einzelnen
Mitglied einen persönlichen Charakter. Es sind buntgemischte
Korporationen, welchen hohe und niedere Kleriker, Geweihte
und Unge weihte, Säkulargeistliche und Religiöse angehören;
sie sind zusammengehalten durch das gemeinsame Ziel; in dem
Bewußtsein, Gott auf besondere Weise zu dienen, fühlen sie
sich als der clerus universitatis, im Gegensatz zu der Masse
der ungelehrten Laien. Aeußerlich kommt das in dem beson-
deren Gerichtsstand zum Ausdruck, der allen Universitäten
verliehen ist 1 ).
') Die akademische Gerichtsbarkeit in ihrer Entstehung und in ihrer
Analogie zur kirchlichen Jurisdiktion ist noch nicht genügend untersucht.
Jedenfalls darf man sich nicht allein auf die deutschen Universitäten be-
schranken, wie dies F. Stein in seiner Monographie (1891) tut. Kauf-
mann hat auf einzelne Fehler Steins hingewiesen; allein er selbst geht
von zwei falschen Voraussetzungen aus. Judex Ordinarius in geistlichen
Dingen ist im Mittelalter keineswegs der Bischof, sondern schon in erster
Instanz der Papst (E. Friedberg, Kirchenrecht 5. Aufl., 1903, S. 283).
Ferner darf die Exemtion der Universitäten von den ordentlichen Ge-
richten seitens der Landesherren doch nicht unter dem Gesichtspunkt
betrachtet werden, als ob dadurch ein neues landesherrliches (Universitäts-)
Gericht errichtet worden wäre (vgl. Kaufmann II, 99: „So wurde an allen
Universitäten die akademische Gerichtsbarkeit durch und nach dem
Willen des Landesherrn bezw. der städtischen Behörde geregelt*). Ein
solches Verfahren wäre erstens nicht verständlich seitens der Landes-
herren, die gerade im Gegenteil ihre geistlichen Gewalten und Hoheits-
rechte zu konzentrieren suchten; und zweitens wäre nicht denkbar, daß
die Kirche ihren Klerikern ein solches landesherrliches Gericht aufzu-
suchen erlaubt hätte. Nur wenn die Kirche in der akademischen Ge-
richtsbarkeit eine besondere Form des geistlichen Gerichts sah, konnte
sie ihren studierenden Geistlichen das Aufsuchen des Universitätsgerichts
gestatten. Ob nun die Personen desselben Kleriker waren oder nicht,
Aeußere Geschichte der Fakultät. 65
Wenn die mittelalterlichen Universitäten also in gewissem
Sinn geistlichen Charakter haben, wenn sie kirchliche Korpo-
rationen gewesen sein sollen, dann ist nach Kaufmann weiter-
hin ihr Platz innerhalb der kirchlichen Hierarchie zu suchen.
Er findet, daß »die Universität den kirchlichen Behör-
den als solchen nicht unterstanden habe" und versteht
unter „kirchlichen Behörden" vorzugsweise den Bischof 1 ). Dabei
wird aber vollständig übersehen, daß das Bischofsamt zu jener
Zeit die Bedeutung gar nicht hatte, die ihm hier zugeschrieben
ist. Schon oben hat die Gründungsgeschichte der Universität
Tübingen gezeigt, in welch . weitgehendem Maße bei solch
kirchlichen Aktionen das bischöfliche Ordinariat übergangen
werden konnte 3 ). Diese Tatsache erklärt sich daraus, daß im
12. und 13. Jahrhundert ständische Elemente innerhalb des
kirchlichen Organismus emporkamen 8 ), die eine Schwächung
der bischöflichen Gewalt herbeiführten. In dem darauffolgen-
den Kampf um die oberste Gewalt innerhalb der Kirche stan-
war nur eine Etikettenfrage, insofern es den Studierenden geistlichen
Standes leichter wurde, vor einem Geistlichen als vor einem Laien zu
erscheinen. An sich ist nicht einzusehen, warum nicht auch ein Laie
vom iudex Ordinarius der Kirche oder dessen Bevollmächtigten mit der
Rechtsprechung in geistlichen oder Universitätsangelegenheiten hätte be-
lehnt werden können. (Vgl. das Beispiel Heidelbergs, wo der als Richter
über die Geistlichen der Universität bestellte Bischof von Worms sein
Amt unbedenklich einem Laien und kurfürstlichen Beamten übertrug.
Kaufmann II, 99 N. 1 , 103 N. 3.) Das prinzipielle Gewicht dagegen
liegt darauf, daß an allen Universitäten ein besonderer und in den
Grundzügen gleichartiger Gerichtsstand existiert, der durch die univer-
salen Gewalten des Papsttums und des Kaisertums genehmigt und privi-
legiert ist. Damit dieser Gerichtsstand innerhalb der territorialen Ge-
richtsbezirke Rechtskräftigkeit erlange, bedurfte es der Exemtion seitens
des zuständigen Gerichtsherrn ; und es ist nur selbstverständlich, daß die
aufstrebenden Landesherren des ausgehenden Mittelalters dabei mög-
lichst viele Verfügungs- und Aufsichtsrechte für sich zu reservieren
suchten. Gegen die Ausführungen Kaufmanns (II, S. 92) muß darauf
hingewiesen werden, daß „Exemtion" nur stattfinden kann bei Zulassung
einer fremdartigen Gerichtsbarkeit innerhalb eines sonst einheitlichen
und geschlossenen Gerichtsbezirks.
*) Vgl. z. B. S. 110: Die Entwicklung der deutschen Universitäten
lehrt, daß „sie nicht wie die kirchlichen Anstalten dem Bischof unter-
standen"; S. 88 Note: „Sonst wäre der Bischof ihr iudex Ordinarius ge-
wesen " u. a. a. 0.
2 ) Vgl. S. 16.
3 ) Vgl. K. Müller, K.-Gesch. II, 1, S. 3 ff.
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 5
QQ I. Abschnitt.
den die Bischöfe als solche mehr im Hintergrund. Der Kampf
wurde ausgefochten zwischen den Päpsten, welchen die Ver-
treter der papalistischen Theorien zur Seite standen und zwi-
schen den ständischen Korporationen innerhalb der Kirche, zu
welchen sich, wie aus der Geschichte der großen Konzilien
bekannt ist, die Universitäten in erster Linie rechneten.
Von den zeitgeschichtlichen Verhältnissen aus angesehen,
verliert auch der positive Einwand Kaufmanns an Beweiskraft,
daß nämlich die Landesherren in das innere Leben der
Universitäten in einer Weise eingegriffen hätten, „wie
sie es mit kirchlichen Anstalten niemals hätten tun können".
Wer mit der Lokalkirchengeschichte jener Zeit auch nur
einigermaßen vertraut ist, weiß, daß tatsächlich die Landes-
herren gegenüber dem Weltklerus und den Klöstern ihres
Fürstentums ein Aufsichts- und Reformationsrecht ausgeübt
haben, das nach dem Urteil Fr. von Bezolds der obrigkeitlichen
Behandlung der Universitäten vollständig analog ist 1 ). In einer
Zeit, die den Grundsatz prägte : Dux Cliviae est papa in terri-
toriis suis, beweisen die landesherrlichen Eingriffe in die Auto-
nomie der Universitäten auch nicht das geringste für oder
gegen den kirchlichen Charakter derselben. Auch die Gründung
der Universitäten seitens der Landesherren oder Städte beweist
nichts ; denn die Klöster und Kollegiatstifte, die durch Landes-
herren und Städte gegründet wurden, waren deshalb doch nicht
staatliche Anstalten. Die Stiftungsurkunden der Fürsten be-
zeichnen den Akt des Papstes, der ihnen auf ihre Bitte die
geplante Gründung einer Hochschule ermöglicht, meist als
Konzession oder Erlaubnis, als Geschenk oder Privileg 2 ). In
ähnlicher Weise lassen die Fürsten, wenn sie es für zweck-
mäßig finden, ihre junge Schöpfung von der anderen univer-
salen Macht, dem Kaiser, privilegieren und sichern sich dann
als die eigentlichen Stifter mittels des Patronat- und Vogtei-
rechts einen mehr oder weniger weitgehenden Einfluß auf die
*) Hist. Zeitschr. 80, 445; zur Sache vgl. die Literaturzusammen-
stellung von Gg. von Below in Hist. Zeitschr. 75, 452 N. 6, und ülr. Stutz
in Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswissenschaft 6. Aufl. II, 868;
außerdem D. Fr. Cleß, Versuch einer kirchlich-politischen Landes- und
Kulturgeschichte Württembergs (1808) II, 1 S. 340 ff., 489 ff. ; H, 2 S. 355 ff.
u. 153 ff.
2 ) Vgl. die Zusammenstellung Fr. v. Bezolds in Hist. Zeitschr. 80,
444, Note.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 67
kirchlich autonome Anstalt. Das sind Verhältnisse, welche den
der landsässigen Klöster gänzlich analog sind und in denen
sich die Reste des alten Eigenkirchenrechts besonders lange
erhalten haben. Der Vergleich mit den früheren Städte-
gründungen ist irreführend 1 ); denn diese geschahen allerdings
auch seitens der Territorialherren, allein mit Vollmacht des
Königs, d. h. des Staatsoberhaupts. Die deutschen Univer-
sitäten dagegen werden von Fürsten und Städten gegründet
mit regelmäßiger Privilegierung seitens des Papstes und mit
gelegentlich nachgesuchter Vollmacht des Kaisers; d. h. es
war die Mitwirkung der universalen Gewalten notwendig, die
beide im Mittelalter kirchliches Ansehen genossen 2 ).
Mit Vorliebe beruft sich Kaufmann auf das Selbstzeugnis
des Mittelalters 3 ). Da werden zwei Zeugnisse namhaft ge-
macht, das des Königs Jakob von Aragon, der bei der Grün-
dung der Universität Lerida sich ausbedingt, daß das Kanzler-
amt nicht als ein kirchliches anzusehen sei und das des Thomas
von Aquino, der den Satz ausspricht: cum collegium scholasti-
cum non sit collegium ecclesiasticum 4 ). Nun beweist die Ver-
wahrung des Königs von Aragon geradezu, daß, wie Fr. v. Be-
zold bemerkt, „auch die gegenteilige Ansicht ihre Vertreter
hatte" 5 ). Jedenfalls ist es nicht erlaubt, weitgehende Schlüsse
zu ziehen auf Grund einer solch vereinzelten Aeußerung eines
um seine Souveränität besorgten Landesherrn. Und das andere
„klassische Zeugnis" des Aquinaten ist von Kaufmann gründ-
lich mißverstanden worden. Unter „ecclesia" im Begriff colle-
gium ecclesiasticum ist „Einzelkirche" zu verstehen, wie aus
dem Kontext aufs deutlichste hervorgeht. Unter collegium
ecclesiasticum meint Thomas ein an einer Einzelkirche be-
stehendes collegium, d. h. ein Kollegiatstift 6 ). Die interessanten
J ) Kaufmann II, 18.
2 ) Ueber die kirchliche Bedeutung der kaiserlichen Privilegien vgl.
Denifle, Die Universitäten des Mittelalters I, 781 f.
3 ) „Darauf wird es doch ankommen, wie das Mittelalter selbst die
Frage beurteilt, und nicht auf die Meinung moderner Gelehrten." Kauf-
mann II, S. 89 f. u. S. 107.
4 ) In der gegen Wilhelm v. St. Amour gerichteten Streitschrift Contra
impugnantes dei cultum et religionem cap. 3.
B ) Hist. Zeitechr. 80, 441.
6 ) Die Gegner, welchen es darum zu tun ist, die Ordensangehörigen
von der Universität Paris auszuschließen, operieren mit dem Satze : quod
68 I. Abschnitt.
Ausführungen der kleinen Streitschrift beweisen geradezu, wie
ferne es dem mittelalterlichen Denken lag, den Generalstudien,
die den Zwecken der ecclesia universalis dienen, den kirch-
lichen Charakter abzusprechen.
Zahlreiche weitere Aeußerungen aus dem Mittelalter lassen
sich anführen, in denen die Anschauung über den kirchlichen
Charakter der Universität deutlich zu Tage tritt 1 ). Die be-
weiskräftigsten positiven Zeugnisse sind jedoch nicht solche
Aeußerungen, die zum Teil im Streit der Meinungen (für oder
gegen die Ansprüche der Landesherren und Städte) gefallen
sind, sondern das sind zwei Tatsachen, die den endgültigen
Beweis liefern, daß die Universitäten dem allgemeinen Zeit-
und Rechtsbewußtsein als kirchliche Anstalten galten. Das
eine ist die rechtlich sonst ganz unerklärbare Erscheinung, daß
allen Universitäten Deutschlands im Mittelalter Stifte, Kirchen
und Präbenden inkorporiert worden sind oder mindestens in-
unu8 non possit esse de duobus collegiis. Sie behaupten, man könne nicht
zugleich Angehöriger eines collegium religiosorum, d. h. eines Ordens und
eines collegium saecularium doctorum sein. Thomas erwidert, jener kirch-
liche Reohtssatz beziehe sich nur auf die „collegia eccleeiastica", „quia
unus non potest esse canonicus in duabus ecclesiis absque dispen-
satione". Da aber die Universität weder lediglich ein collegium saecu-
larium magistrorum noch ein collegium ecclesiasticum im angeführten
Sinne sei, dürften Mönche unbedenklich an der Universität lehren. „Quia
docere et disoere religiosis et saecularibus competit, collegium studii
non debet censeri quasi collegium religiosorum vel quasi collegium saecu-
larium, sed quasi collegium in se comprehendens utrosque." „Unde cum
collegium scholasticum non sit collegium ecclesiasticum, nihil prohibet
eum, qui est de collegio aliquo religioso vel saeculari, esse simul de
collegio 8cholastico. " Also das „collegium ecclesiasticum " kann nur aus
„saeculares" bestehen, im Gegensatz zur Universität, an welcher Ordens-
und Weltgeistliche zugleich Mitglieder sein können. Die ganze Aus-
führung läuft darauf hinaus, daß der Papst als das Oberhaupt der uni-
versalis ecclesia, cui per generale Studium providetur, die Universitäten
zwingen könne, die Ordensgeistlichen in ihre Korporationen aufzunehmen.
*) Vgl. Hist. Zeitschr. 80, S. 461 f. Der Widerstand der Kölner
Geistlichkeit gegen die Verwendung der Pfründen „secundae gratiae"
für Universitätszwecke richtet sich nicht so sehr gegen die Tatsache der
Verwendung, denn sonst hätte der Widerstand ja schon bei der ersten
Inkorporation „primae gratiae" laut werden müssen. Sondern angegriffen
und als „Säkularisation" bezeichnet wurde nur die Form, in der das
geschah, insofern nämlich die Stadt und nicht die Universität samt den
geistlichen Instituten das Verfügungsrecht darüber haben sollte. Vgl.
Keussen in Westdeutsche Zeitschr. IX (1890) S. 396.
Aeußere Geschichte der Fakultät. QQ
korporiert werden sollten. Kaufmann sucht die Bedeutung dieser
Tatsache abzuschwächen, wenn er sagt: „Dadurch werden die
Universitäten so wenig zu kirchlichen Anstalten, wie Vasallen
durch Eirchenlehen zu Klerikern oder die Unternehmungen
zu kirchlichen Akten, zu denen sich die Fürsten kirchliche
Einkünfte überweisen ließen" 1 ). Das ist ungenau, denn die
kirchenrechtliche Form der Inkorporation läßt sich sonst gar
nirgends nachweisen, als bei geistlichen Korporationen 2 ). Noch
schwerer wiegend ist die andere Tatsache, daß die Universitäten
an den großen Kirchenversammlungen des Mittelalters durch
offizielle Vertreter teilgenommen haben. Wie hätte das statt-
finden können, wie hätten ferner die Universitäten als solche
zu kirchlich gültigen dogmatischen und praktischen Gutachten
aufgefordert werden können, wenn nicht ihr kirchlicher Cha-
rakter in der allgemeinen Anschauung fest gestanden wäre?
Es ist also nicht angängig, die Universitäten des Mittel-
alters in erster Linie für staatliche Anstalten zu erklären.
Staatliche Veranstaltungen im Vollsinn waren zur Zeit des aus-
gehenden Mittelalters doch wohl nur die Institute, welche der
Ausübung der Gerichtshoheit und der Steuergewalt dienten;
denn deren Zweck deckte sich restlos mit dem des werdenden
Territoriums, während die Erfüllung von Kulturaufgaben noch
nicht klar mit dem Staatsgedanken verknüpft war. Kulturelle
und geradezu kirchliche Einrichtungen konnten jedoch in den
Dienst des staatlichen Interesses treten, insofern sie das Terri-
torium gegen außen abzuschließen im stände waren. Es ist
bekannt, daß in diesem Punkt die Städte die Vorbilder ge-
liefert haben für die spätere territoriale Entwicklung 8 ). So ent-
standen nicht nur städtische Schulen und städtische Wohl-
tätigkeitsanstalten, sondern man redete auch von landsässigen
Klöstern und schließlich bemühte sich sogar ein Landesherr
um territoriale Abgrenzung des Bistums in seinen Landen. Wo
das nicht möglich war, die kirchliche oder kulturelle Anstalt
geradezu als Mittel zur territorialen Abgrenzung zu benutzen,
da waren die ihrer Kraft bewußten Landesherren bestrebt, so
weit als möglich wenigstens die heterogenen Elemente inner-
') Kaufmann II, 88.
2 ) Vgl. zu diesem Punkt die demnächst erscheinende Untersuchung
von Ulr. Stutz über die Freiburger Universitätspfarreien.
8 ) Vgl. G. v. Below in HiBt. Zeitschr. 75, 452 ff.
70 I. Abschnitt.
halb ihres Territoriums zu überwachen und die Hoheitsrechte
auszudehnen über Kirchen und Klöster, über Spitaler und
Schulen des Landes. In solch abgeleitetem Sinne kann man
auch den deutschen Universitäten des Mittelalters einen ge-
wissen staatlichen Charakter zuschreiben. Jedoch sind die
vielen Betätigungen des landesherrlichen Aufsichtsrechts über
die deutschen Universitäten eher als ein Zeugnis gegen den
prinzipiell staatlichen Charakter aufzufassen, als ein solches für
denselben. Die Kirche war ihres Einflusses über die mittel-
alterliche Universität vollständig sicher und hat ihn still und
konsequent ausgeübt ; die mittelalterlichen Staatsoberhäupter
dagegen mußten ihre Rechte auf die Universitäten zum Teil
erst erkämpfen, jedenfalls in immer neuer Ausübung bekräftigen.
Sowenig nun geleugnet werden soll, daß diese Entwicklung
auf die allmähliche Verstaatlichung der Universitäten hindrängte,
sowenig darf ein weiterer Punkt außer acht gelassen werden,
daß nämlich die Landesherren und Stadtmagistrate ihre Auf-
sichts- und Hoheitsrechte über Kirchen, Klöster und Universi-
täten im Mittelalter ausgeübt haben als getreue Söhne ihrer
Kirche. Im Konfliktsfalle mußten sie sich des Einverständnisses
mit dem Oberhaupt gegen die kirchlichen Lokalbehörden ver-
sichern oder (wie die Stadt Köln im Streit um die Universitäts-
pfründen „secundae gratiae") einfach nachgeben. Erst seitdem
die Gewissen von dem letzthinigen Gehorsam gegen das sichtbare
Oberhaupt der Kirche entbunden waren, kann man im strengen
Sinne von Landeskirchen und von staatlichen Universitäten
reden ; erst seither ist die Erfüllung der Kulturaufgaben prin-
zipiell und ohne Gefahr eines Konflikts in den Zweck des
Staats mitaufgenommen.
Vor der Reformation waren sämtliche deutschen Universi-
täten des Mittelalters letztlich der Autorität des Papstes unter-
worfen. Dies kommt zum Ausdruck in dem vor dem Kanzler
zu schwörenden Lizentiateneid, wie er nach dem Pariser
Vorbild an sämtlichen deutschen Universitäten Sitte war. Ueber
Amt und Stellung des Kanzlers an den deutschen Universitäten
sind die Meinungen entsprechend der oben erörterten Streit-
frage geteilt. Einig dürfte man darüber sein, daß das Wesen
des Kanzleramts in der Erteilung der Lizenz zu den höheren
Graden bestand. Im Zusammenhang damit steht die aus allen
bisher veröffentlichten Statuten ersichtliche Tatsache, daß der
Aeußere Geschichte der Fakultät. 71
Lizentiateneid regelmäßig die Ergebenheit und Unterwürfigkeit
unter die römische Kirche ausspricht. Dieser wenig beachtete
Zusammenhang charakterisiert deutlicher die Bedeutung des
Kanzleramts, als all die übrigen darüber angestellten Beobach-
tungen und Erörterungen. Ob ein höherer oder niederer
Geistlicher mit dem Amt beauftragt war, ob der bischöfliche
Kanzler seine Funktion selbst ausübte oder einen anderen an
oder außerhalb der Universität damit betraute, ob ein solcher
Vizekanzler geistliche Weihen hatte oder nicht, ob der Landes-
herr seinen Einfluß bei Besetzung des Kanzleramts geltend
machte oder ob der Kanzler, wie meist in Deutschland der
Fall war, direkt durch den Papst eingesetzt wurde, all das sind
doch Nebenfragen gegenüber der einen bedeutungsvollen Tat-
sache, daß an allen mittelalterlichen Universitäten ein einheit-
liches Amt existiert, dessen wesentlichste und überall gleich-
artige Aufgabe es ist, von den zu Promovierenden eine gewisse
Qualifikation und den Eid der Ergebenheit gegen die römische
Kirche zu fordern. Ganz abgesehen von dem Inhalt des Lizen-
tiateneides ist eine solche Einheitlichkeit doch nur möglich
infolge der Autorität der Kirche. Wäre das Kanzleramt, wie
Kaufmann will, „ eines der Organe, durch welche die Landes-
herren die Universität verwalteten" *), dann wäre gar nicht ver-
ständlich, wie diese Einheitlichkeit in allen Territorien ent-
stehen konnte; es wäre in erster Linie gar nicht einzusehen,
warum die Landesherren nicht selbst die Aufsicht über die
Prüfungen ihrer Universität in die Hand nahmen oder einen
ihrer ordentlichen Beamten damit betrauten. Wenn aber alle
Landesfürsten in gleicher Weise sich veranlaßt sahen, irgend
einen geistlichen Würdenträger zum Kanzler ihres General-
studiums zu bestellen oder seitens einer der universalen Ge-
walten ernennen zu lassen, so waren hierbei dieselben Gründe
maßgebend, welche auch bei Neugründungen von Universitäten
es empfahlen, päpstliche und kaiserliche Stiftungsbriefe zu er-
beten. Wie durch diese Stiftungsbriefe die allgemeine, in aller
Welt gültige Anerkennung des neuen Generalstudiums bewirkt
wurde, so sollte das Kanzleramt die universale Wirkung der
an der einzelnen Universität vorgenommenen Graduierungen
versichern. Da aber im ausgehenden Mittelalter nur der Papst
l ) Kaufmann II, 157.
72 I- Abschnitt.
die überall anerkannte universale Gewalt war, bedurfte der
Kanzler der päpstlichen Autorität, um die Lizenz zu verleihen
und die Erlaubnis ubique docendi zu erteilen; durch die Be-
rufung auf irgend welche andere Autorität wäre jene Erlaubnis
illusorisch gewesen. Aus dem praktischen Bedürfnis der all-
seitigen Anerkennung der Grade ist somit die Entstehung und
kirchliche Bedeutung des Kanzleramts an den deutschen Uni-
versitäten des Mittelalters zu erklären. Mit Vorliebe berufen
sich die deutschen Universitätsprivilegien auf den berühmten
Brief des Papstes Honorius an den Archidiakon Gratia von
Bologna vom 28. Juni 1219, worin der Archidiakon vom Papste
mit der Leitung der Prüfungen und der Promotionen betraut
wird, damit in Bologna nicht mehr, wie bisher, schlecht Unter-
richtete zu dem Lehramt zugelassen werden. Mag auch Sa-
vigny recht haben 1 ), daß dieser Auftrag nur für den einzelnen
Fall erteilt worden ist und mag auch zugegeben werden, daß
die Bedeutung des Kanzleramts infolge der landesfürstlichen
Selbstherrlichkeiten in vielen Fällen sehr gesunken ist, so hat
doch auf Grund jenes päpstlichen Briefs an den Archidiakon
von Bologna sich eine Theorie gebildet, die bis zum Schluß
des Mittelalters in Konfliktsfällen Geltung behalten hat, daß
die Promotionen zu den päpstlichen Vorrechten gehören und
nur von einem Kanzler mit apostolischer Autorität ausgeübt
werden könnten. Die Universität Tübingen hatte unter dieser
Theorie lange Zeit zu leiden. Als bei Durchführung der Re-
formation im «fahr 1534 der damalige katholisch gebliebene
Kanzler Widmann nach Rottenburg entwich, konnten jahre-
lang keine Promotionen in Tübingen stattfinden. Die Unter-
handlungen mit dem sich weigernden Kanzler zogen sich bis
zum Jahr 1556 hin und die Regierung hat erst langsam den
Entschluß gefaßt, aus eigener Machtvollkommenheit einen
Kanzler zur Erledigung der Promotionen einzusetzen 8 ).
Die mittelalterlichen Universitäten sind eine Neubildung
im kirchlichen Leben des Mittelalters, ähnlich wie das
') Savigny, Gesch. des röm. Rechts im Mittelalter III, 2. Aufl. 228
u. 418; vgl. Kaufmann II, 149 N. 1.
2 ) Vgl. Roth S. 19 Note. Dieses einzige geschichtliche Faktum wider-
legt die Ausführungen Kaufmanns II, S. 147. Die S. 151 angeführte
kaiserliche Urkunde für Tübingen ist mißverstanden und falsch aus-
gelegt.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 73
Mönchtum eine Neubildung im Leben der alten Kirche bedeutet
hat. Wie dort, so haben auch hier die verschiedenartigsten Ele-
mente zusammengewirkt, Ursachen lokalen Charakters und
solche, die mehr im Wesen der allgemeingeschichtlichen Entwick-
lung zu suchen sind. Bei beiden Erscheinungen war das kirch-
liche Interesse zunächst das brennendste und dort wie hier
hat die Kirche die verschiedenartigen Neuansätze verein-
heitlicht und hat den Universitäten, wie dem Mönchtum ver-
mittels ihrer die Länder umspannenden Organisation die
rechte geschichtliche Wirksamkeit ermöglicht. Das Interesse
der auf ihrem Höhepunkt angelangten mittelalterlichen Kirche
bei Entstehung der Universitäten war die Ausbildung einer
traditionalistisch-analytischen Methode, welche das kirchliche
Leben in seiner breitesten Wirklichkeit zu erfassen und zu
deuten im stände war. Diese Aufgabe leistete die Scholastik,
nachdem die ihr vorausgehende dialektisch-synthetische Methode
eines Anselm und Berengar mehr in Mißkredit geraten war *) ;
und als Pflanzstätten dieser kirchlich-scholastischen Wissen-
schaft sind vorzugsweise die französischen und englischen
Universitäten entstanden. Nun ist es weiterhin als besonders
günstige geschichtliche Fügung zu erachten, daß die Methode
der Bearbeitung des neu aufkommenden römischen Rechts,
welcher in erster Linie die italienischen Universitäten die Ent-
stehung verdanken, genau dieselbe traditionalistisch-analytische
ist, deren auch, wie gesagt, die Kirche um jenen Zeitpunkt
bedurfte 2 ). Dadurch ward der Kirche die Vereinheitlichung
der Universitäten besonders leicht gemacht; sie war schon
vollzogen vor Gründung der ersten deutschen Universitäten,
deren Statuten sich auf das Vorbild von Paris und von Bologna
als auf dieselbe Sache berufen. So kann von den deutschen
Universitäten ohne jede weitere Einschränkung gesagt werden,
daß sie aus dem Nährboden der Kirche in ihrer geschichtlichen
Gestalt erwachsen sind. Sie sind autonome Korporationen,
collegia, die sich, wie Thomas von Aquino zeigt, am ehesten
mit Klosterkonventen oder mit Chorherrenstiften vergleichen
lassen. Ihre kirchengeschichtliche Bedeutung besteht nächst
der Ausbildung der Scholastik darin, daß sie, wie schon er-
*) Ueber den Unterschied beider Methoden vgl. A. Hauck, K.-Gesch.
Deutschlands IV, 408 f.
2 ) Vgl. dazu A. Hauck, K.-Gesch. Deutschlands IV, 410 f.
74 I- Abschnitt.
wähnt, die Wirksamkeit der ständischen Elemente innerhalb
der Kirche des ausgehenden Mittelalters wesentlich verstärkt
und theoretisch gerechtfertigt haben. Kirchenrechtlich gehören
sie zu den Instituten, welchen Kirchen inkorporiert werden
können und deren Mitgliedschaft zu einem besonderen exi-
mierten Gerichtsstand berechtigt. Mit dem hierarchischen
Organismus der Kirche können die Universitäten in mehr-
facher Beziehung zusammenhängen: zunächst sind sie ver-
mittels des Kanzleramts der apostolischen Autorität des Papstes
letztlich unterworfen; die Aufsicht und Verfügung über die
der Universität einverleibten geistlichen Pfründen kann eben-
falls dem Kanzler übertragen sein, meist sind andere geistliche
Würdenträger oder Vorsteher kirchlicher Institute als Konser-
vatoren damit betraut; ebenso ist endlich die Aufsicht über
die akademische Gerichtsbarkeit irgend welchen Personen der
geistlichen Hierarchie übertragen. Wenn auch im Lauf der
Jahrhunderte zahlreiche päpstliche Verordnungen und eine
Reihe von Konzilsbeschlüssen für einzelne oder für alle Uni-
versitäten erlassen worden sind, so ist doch das Urteil be-
rechtigt, daß die Kirche nicht allzuviel in das innere Leben
der einzelnen Universität hineinregiert hat. Sie war während
des späteren Mittelalters des grundsätzlichen Einflusses auf
die Bildungstätten ihrer Beamten und Geistlichen viel zu sicher,
so daß sie der lokalen Entwicklung freie Bahn lassen konnte.
Umsomehr benutzten die Territorialgewalten sämtliche Hand-
haben, die ihnen durch die Reste des Eigenkirchenrechts zur
Verfügung standen, um als Patrone ihrer Universitäten diese
Fremdkörper innerhalb ihres Hoheitsbereichs zu beaufsichtigen
und zu beherrschen. Es ist kein Zweifel, daß jede Universität
dieser lebendigen Beziehung zum Landesherrn viele Fort-
schritte und manch nützliche Reformation zu verdanken hatte.
Jedoch darf nicht übersehen werden, daß das, was zum Wesen
der Universität bis auf den heutigen Tag gehört, der freie
Betrieb der Wissenschaft, durch diese Beziehungen zum Landes-
herrn in keiner Weise gefördert werden konnte *).
Darin liegt nämlich die geschichtliche Bedeutung der im
Gegensatz zu G. Kaufmann erörterten Tatsachen, daß die
*) Hiernach sind die Ausführungen Fr. v. Bezolds in Hist. Zeit-
schrift 80, 462 zu berichtigen.
Aeußere Geschichte der Fakultät. 75
deutschen Universitäten ihrem kirchlichen Ursprung mit das
Beste verdanken, was sie heute noch ziert. Die viel gerühmte
und nie genau umgrenzte akademische Freiheit, die über
die Zeiten des territorialen Polizeistaats hinaus gerettet wurde,
ist eine Folge der eigentümlich kirchlichen Stellung der Uni-
versitäten des Mittelalters. Sie ist errungen worden in zahl-
reichen Kämpfen zwischen Papst und Bischof, zwischen Kurie
und Konzil, zwischen Kirche und Landesherren.
Diese freiheitliche Art des Studienbetriebs bei aller Ge-
bundenheit an die Kirche läßt sich zum Schluß am auffälligsten
gerade bei den theologischen Fakultäten nachweisen, von denen
die bisherige Erörterung ausgegangen ist. Das Studium der
Theologie im Mittelalter hatte in keiner Weise irgend welche
Berechtigung zur Folge. Es wurde rein um seiner selbst
willen betrieben ; ganz im Gegensatz zu der späteren Zeit der
Staatsuniversitäten, da man um der kirchlichen Anstellung
willen Theologie studierte. Die Wissenschaft wurde gelehrt
und angeeignet scheinbar ganz ohne Rücksicht auf die Kirche.
Aber nur scheinbar, denn es war ja tatsächlich die Wissen-
schaft der Kirche. Nicht nur für das theologische und kano-
nistische Wissen und für ihren Aristoteles, der in der Artisten-
fakultät gelehrt wurde, war die Kirche Hüterin, sondern sie
glaubte sich auch der Legisten und Mediziner annehmen und
deren Wissen in zahlreichen Dekretalen bestimmen und um-
grenzen zu müssen. So hatten denn auch alle akademischen
Grade, insonderheit aber die theologischen, eine gewisse kirch-
liche Bedeutung. Die zu promovierenden Schüler schworen
zu Tübingen nach dem Vorbild anderer Universitäten vor dem
vom Papst beauftragten Kanzler, Gehorsam gegen die römische
Kirche zu üben, die Häresien eines Wiclif und Hus nicht an-
zunehmen und jegliche Heterodoxie, die ihnen zu Ohren komme,
sofort anzuzeigen *). Tzschackert hat neuestens durch Ver-
öffentlichung eines Gutachtens des Göttingischen Kanzlers
Mosheim aus dem Jahr 1759 gezeigt, wie lange diese
Anschauung von der kirchlichen Bedeutung der theologischen
Grade auch an den protestantischen Fakultäten und an den
staatlichen Universitäten der nachreformatorischen Zeit fort-
bestand 2 ). Jedenfalls im Mittelalter ist es Amt und Pflicht
*) Roth S. 258 u. 260.
2 ) Tzschackert in den Theologischen Studien zu Mart. Kählers
76 !• Abschnitt.
des Doktors der Theologie, die Wissenschaft der Kirche zu
bearbeiten und fortzupflanzen. Inwiefern die Tübinger Dok-
toren sich dieser Aufgabe unterzogen haben, insonderheit
welche geschichtliche Bedeutung ihrer Tätigkeit zukommt, ist
im folgenden Abschnitt zu untersuchen.
70. Geburtstag 1905, S. 189 ff.; heutzutage noch widerspricht es dem
allgemeinen Empfinden, ist aber rechtlich korrekt, wenn ein von einer
theologischen Fakultät honoris causa graduierter Pfarrer von der kirch-
lichen Behörde zensiert wird.
77
II. Abschnitt.
Die in Tübingen gelehrte Theologie.
Einleitung.
Die Scholastik am Ende des Mittelalters ist nicht eine ein-
heitliche Erscheinung, sondern eine sehr differenziierte Größe,
die in ihrer Mannigfaltigkeit verstanden und aufgesucht werden
muß 1 ). Zur Erfüllung dieser Aufgabe sind noch kaum die
ersten Schritte getan, obwohl ein tieferes Eindringen zum Ver-
ständnis des großen Umschwungs in der Geschichte der Welt-
anschauungen unumgänglich notwendig ist. Es ist neuestens
immer klarer erkannt worden, daß der Humanismus sowohl,
wie die Reformation Luthers in der wissenschaftlichen Ent-
wicklung der vorhergehenden Zeit ihre Anknüpfungspunkte
haben. Dank der verdienstvollen Forschungen G. Bauchs
wissen wir, daß der Humanismus nicht im Gegensatz zur
Scholastik sich an den Universitäten heimisch gemacht, son-
dern daß er allmählich sich mit ihr vermengend sie verdrängt
hat. Ebenso hat Denifle das unleugbare, auch von seinen
Kritikern zugegebene Verdienst, von neuem wirksam darauf
hingewiesen zu haben, daß auch die Anschauung Luthers zum
guten Teil aus der scholastischen Vergangenheit heraus zu
erklären ist. Es sind darum in den verschiedenen Richtungen
der spätesten Scholastik die Ausgangspunkte aufzusuchen , die
zu den erwähnten neuen geschichtlichen Erscheinungen hinüber-
führen.
Nun kennt zwar jedermann die Unterschiede der beiden
scholastischen Parteien, der via antiqua und der via moderna,
die sich am Schluß des Mittelalters auf den Hochschulen Vor-
rang und Geltung streitig zu machen suchten. Aber was der
Zweck dieser Kämpfe ist, ob diese Unterschiede auch sachlich
etwas zu bedeuten hatten, darüber ist noch recht wenig be-
*) Luther vergleicht die aristotelische Philosophie seiner Tage mit
der lernäischen Schlange, deren einzelne Köpfe Thomas, Scotus u. s. w.
heißen. Vgl. Köstlin-Kawerau, M. L. I 5 , 129.
78 II. Abschnitt.
kannt. Ja nicht einmal darüber herrscht allgemeine Klarheit,
daß die Parteibezeichnungen der antiqui und moderni an den
einzelnen Hochschulen verschiedene Bedeutung haben. Der
Name der via antiqua kann an einzelnen Universitäten den
Thomismus im Gegensatz zur via Alberti oder Scoti bezeichnen,
während in der unten noch näher zu umgrenzenden Gruppe
der südwestdeutschen Hochschulen eine skotistische Reaktion
gegen den herrschenden Ockamismus darunter zu verstehen ist.
Die Forscher, die sich bisher mit diesen Dingen beschäftigt
haben, wiederholen meist wörtlich die Urteile Prantls, der mit
umfassender Literaturkenntnis, aber nur für das Gebiet der
Logik, die einschlägigen Fragen untersucht hat ; und zwar nicht
ohne Voreingenommenheit gegen die antiqui, die mit ihrem
„ perfid" „pfäffischen Haß gegen Ockam" die „geborenen Vor-
läufer der Jesuiten 44 gewesen seien und einen „unheimlich
widerlichen Eindruck hinterlassen 44 *). Solche Urteile zu prüfen
und an der Hand der konkreten Verhältnisse einer einzelnen
Hochschule die Bedeutung der scholastischen Richtungen für
die Folgezeit festzustellen, soll in diesem Abschnitt versucht
werden. Nach dem Stand der wissenschaftlichen Forschung
kann davon nicht die Rede sein, die Arbeit der Tübinger Theo-
logen nach rückwärts in einen klaren geschichtlichen Zusammen-
hang zu stellen; wir wissen noch zu wenig über das letzte
Jahrhundert der Scholastik. Es beschränkt sich also im folgen-
den die Fragestellung darauf, die wesentlichen Unterschiede
und die historischen Nachwirkungen der in Betracht kommen-
den Richtungen zu charakterisieren. In einem ersten Kapitel
sind zunächst die Personen der Tübinger Lehrer nach ihrer
Parteirichtung zu gruppieren. In zwei weiteren Kapiteln ist
die theologische Arbeit der via moderna und als Reaktion gegen
diese die der via antiqua zu würdigen. Zum Schluß muß die
theologische Bedeutung des Tübinger Humanismus klargestellt
werden.
1. Die ordentlichen Lehrer der Fakultät.
Drei Ordinariate waren für die theologische Fakultät von
Anfang an vorgesehen. Diese sollten zwischen den beiden
scholastischen Richtungen, welche an der Universität zugelassen
') Gesch. der Logik IV, 193; Gesch. der Ludwig-Maximilians-Uni-
versität I (1872) 54.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 79
waren, in gerechter Weise verteilt werden; und zwar so, daß
je alternierend bei jeder neuen Besetzung die andere Richtung
wieder das Uebergewicht bekommen sollte. Als Ersatz für
einen der beiden antiqui oder moderni, die gerade bis dahin
im Uebergewicht waren, sollte jedesmal ein Doktor der ent-
gegengesetzten Richtung angestellt werden, so daß nun diese
dominierend wurde 1 ). Wir haben zu wenig sichere Nachrichten
über die ersten Lehrer der Fakultät, als daß wir kontrollieren
könnten, wie dieser komplizierte Anstellungsmodus funktionierte.
Jedenfalls konnte dem Gebot der Gerechtigkeit gegenüber den
beiden Richtungen viel leichter entsprochen werden, seitdem
von 1496 an vier Ordinarien und zwar je zwei Vertreter einer
via angestellt werden sollten 2 ).
Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Reihe der Lehrer zwar
vielleicht vollständig zusammengestellt werden, aber nicht mit
absolut sicherem Entscheid über die Tatsache der Lücken-
losigkeit und nicht mit genauer Angabe des Jahres der An-
stellung und des Abgangs. Aus den Quellen ist zu ent-
nehmen 3 ) und in dieser Darstellung schon mehrfach erwähnt
worden, daß nicht alle für die Theologen vorgesehenen Lehr-
stellen in der frühesten Zeit besetzt waren. In der oben an-
geführten Ordinatio facultatis theologicae hören wir denn auch
tatsächlich zum ersten Male, daß zur Zeit an der Fakultät wirk-
lich drei Ordinarii tätig seien 4 ). Anfangs fehlte es an dem dazu
nötigen Gelde, gelegentlich auch an der geeigneten Persönlich-
keit. Immerhin muß rühmend hervorgehoben werden, daß die
Besetzung der theologischen Fakultät in Tübingen niemals so
mangelhaft war, wie an den Nachbaruniversitäten Basel und
Ingolstadt, oder gar in Freiburg, wo ein einziger Lehrer aus
Angst vor Konkurrenz sich jahrelang weigern konnte, irgend
jemand zum Doktor zu promovieren 5 ).
Im Gründungsjahr der Universität wurden die Sentenzen
von Johann Hann aus Horrheim gelesen, dem Syndikus der
*) Roth S. 89.
2 ) Roth S. 264 ff.
8 ) Roth S. 89: „soverr man sie hatt u . Vgl. S. 72: „so ir dry werden".
4 ) Roth S. 267 f.: quod praesentes . . .
B ) Vgl. Prantl, Gesch. der Ludwig-Maximilians- Universität I (1872)
113; Schreiber, Gesch. der Universität Freiburg II (1859)281 ff.; Vischer,
Gesch. der Universität Basel S. 221 ff.
80 H. Abschnitt.
Hochschule. Im Jahr darauf, wahrscheinlich mit Beginn des
zweiten Semesters der jungen Universität 1 ), begannen zwei von
auswärts berufene Lehrer ihre Tätigkeit in der theologischen
Fakultät als Vertreter der beiden verschiedenen Richtungen:
der berühmte Johann Heynlin aus Stein (wahrscheinlich bei
Pforzheim), welcher in Paris im Jahr 1473 mitbeteiligt war
bei der gewaltsamen Unterdrückung der via moderna und der
in Basel dem Realismus wenigstens zur Anerkennung verholfen
hatte; und neben ihm Christian Wolmann aus Giengen a. Br.,
bisher Mitglied der Artistenfakultät zu Heidelberg und von
1476/77 Rektor der dortigen Universität. Heynlin, der im
Wintersemester 1478/79 Rektor in Tübingen war, verließ im
Jahre 1479 aus unbekannten Ursachen 8 ) seine Lehrstelle und
wurde Rektor des Stifts zu Baden-Baden. An seiner Statt
erhielt im Jahr 1480 Walter von Werve das für die via
antiqua reservierte Ordinariat. Dieser Magister Galtherus aus
dem niederländischen Städtchen Werve (Provinz Gelderland) kam
um Neujahr 1480 nach Tübingen als theologischer Lizentiat
des Pariser Studiums, der dort seit zirka 1450 studiert und schon
verschiedene Ehrenstellungen innerhalb der germanischen Na-
tion bekleidet hatte. Er bewarb sich in Tübingen sofort um
den Doktorgrad und um die freigewordene Professur, welche
er bis zu seinem Tode im Jahr 1497 beibehielt. Gleichzeitig
mit ihm erhielt ein anderer, Elias Flick aus Isny, die Doktor-
würde und vielleicht auch ein Ordinariat an der theologischen
Fakultät. Er kommt aus Freiburg (im S.-S. 1478 inskribiert)
und vertritt also im Gegensatz zu Walter die neuere Richtung.
Im Jahr 1481 war somit die Fakultät ordnungsgemäß mit drei
Doktoren besetzt, mit zwei moderni und einem Vertreter der
antiqua via.
Die beiden moderni wurden bald ersetzt durch einen der
bedeutendsten Vertreter des Ockamismus, der den Einfluß Hevn-
lins paralysiert und in hervorragender Weise für seine Rich-
tung Schule gemacht hat. Flick war im S.-S. 1481 noch Rektor;
1 ) Wolmann hat am 12. März 1478 in Heidelberg noch in der Artisten-
fakultät eine Amtshandlung ausgeführt. Für Heynlin wird ein spaterer
Bearbeiter seiner Fredigten den genaueren Zeitpunkt festsetzen können.
2 ) Was Theol. Realenzykl. VIII 8 , 37, 40 f. angegeben ist, ist un-
richtig. Denn Scriptoris gehörte der via antiqua an, also derselben Rich-
tung wie Heynlin; und Biel kam erst 1484 an die Universität.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 81
von da an verliert sich seine Spur in Tübingen; im Jahr 1500
starb er als Inhaber der Predigerpfründe seiner Heimatstadt.
Auch von Wolmann, der wie oben erwähnt, mit einem Kano-
nikat des Georgenstifts belehnt war, hört man vom Jahre 1483
ab nichts mehr. Der Nachfolger eines dieser beiden wurde
Gabriel Biel. Er kam nach Tübingen am Cäcilientag
(22. November) 1484, durch den Einfluß seines Gönners Eber-
hard im Bart von der Propstei der Brüder des gemeinsamen
Lebens in Urach an die Universität berufen. Die Dauer seiner
Wirksamkeit war keine sehr lange; 1491 scheint er nicht mehr
der Fakultät anzugehören; spätestens 1495 hat er sich in das
neugegründete Stift auf dem Einsiedel in dem Schönbucher
Wald zurückgezogen. Doch nach ihm haben zwei treue Schüler,
gleich wie er Brüder des gemeinsamen Lebens, seine Schriften
herausgegeben und in eifriger Lehrtätigkeit bis weit in die
Reformationszeit hinein dafür gesorgt, daß ihres Meisters Name
nicht vergessen werde. Der eine, Biels unmittelbarer Nach-
folger, war Wendelin Steinbach aus Butzbach, seit 1482
Pleban der Schloßpfarrei in Tübingen, 1489 Doktor der Theo-
logie und wohl bald darauf ordentlicher Lehrer der Fakultät,
bis zu seinem Tode im Jahr 1518. Der andere, Peter Brun
aus Kirchheim, war zunächst Biels Nachfolger in der Propstei
auf dem Einsiedel und kam erst 1503 nach Tübingen; nach
dem Tode Steinbachs rückte er in die erste Professur der via
moderna vor und versah sie bis zur Reformation der Universität.
Biel und Steinbach, der eine Freund und der andere Beicht-
vater des Grafen Eberhard, haben durch ihren Einfluß und
durch glückliches Lehrtalent das Uebergewicht der modernen
Richtung an der Tübinger Hochschule begründet. Die Tätig-
keit dieser beiden vom Norden kommenden „ Kappenherren*,
welche bei den Schwaben zum Teil wegen ihrer fremdartigen
Aussprache und wegen ihrer seltsamen Ordenstracht unbeliebt
waren, wurde harmonisch ergänzt durch den Pfarrer von Tü-
bingen Martin Plansch aus Dornstetten im Schwarzwald,
einem gefeierten Volksredner und einflußreichen Berater vieler
Studenten. Im Jahr 1491 kam er durch Tausch von seiner
Pfarrei Dußlingen nach Tübingen; 1494 wurde er Doktor der
Theologie. Er ist als einer der berühmtesten Lehrer der Uni-
versität vor der Reformation überliefert. Sein Verhältnis zur
theologischen Fakultät läßt sich jedoch nicht genau feststellen ;
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 6
82 U. Abschnitt.
Ordinarius war er jedenfalls nicht; ob er Vorlesungen gehalten
hat, ist zweifelhaft 1 ). Größeren Einfluß, als durch die Lehr-
tätigkeit, hat er jedenfalls dadurch ausgeübt, daß er eine große
Reihe von Studenten aus seinem Heimatstadtchen und vom
Schwarzwald auf die Universität nachgezogen hat, die zweifel-
los bei ihrem berühmten Vetter und Landsmann aus und ein
gingen. Für diese und sonst überhaupt für arme Schüler hat
er noch vor seinem Tode (im Jahre 1533) ein Stipendienhaus ge-
stiftet, darin „ftirnehmlich die sollen aufgenommen und gehalten
werden, so in dem newen Weg, genannt via modernorum oder
nominalium studieren und lernen in der Heiligen Geschrift* 2 ).
Das ist der Anfang des heute noch blühenden Martinsstifts.
Planschs Nachfolger in der Pfarrei wurde Gallus Müller aus
Fürstenberg, schon ehe er Pfarrer wurde, seit 1519 bis zur
Reformation zugleich zweiter Ordinarius der via moderna neben
Peter Brun.
Gegenüber einer solch einflußreichen und geschickten Ver-
tretung der neuen Richtung hatten die antiqui von vorn-
herein einen schweren Stand. Heynlin scheint das geahnt zu
haben. Vielleicht wirkten aber auch andere Gründe mit bei
seinem raschen Fortgang aus Tübingen: die prekären Ver-
hältnisse in der Anfangszeit der jungen Universität und - es
ist nicht unmöglich — ein erster Zug der Sehnsucht aus einem
kampfbewegten Leben heraus in die klösterliche Stille, die
er dann 8 Jahre später in der Eartause zu Kleinbasel auf-
gesucht hat. Von Walter von Werve wissen wir zu wenig;
jedenfalls scheint er nicht der Mann gewesen zu sein, Biel
und Steinbach gegenüber aufzukommen. Jedoch zwei jüngere
Männer sind, wohl nicht ohne Heynlins Einfluß, aus Paris nach
Tübingen gekommen, welche hier durch Gelehrsamkeit und
praktischen Sinn dem Skotismus immerhin zu einer gewissen
Blüte verholfen haben. Der eine ist Eonrad Summenhart
aus Calw, der als Magister artium des Pariser Studiums um
dieselbe Zeit wie Heynlin (1480) in der Tübinger Matrikel
sich inskribieren ließ und mit Steinbach zusammen am
*) Nur einmal, als er in feierlichem Zusammenhang alle seine Titel
aufführt, nennt er sich „sacre theologie professor", gelegentlich „der
heiligen Geschrift Lehrer". Aber beides kann auch promiscue mit dem
Titel eines Doktors der Theologie gebraucht sein.
2 ) Nach der Stiftungsurkunde im Staatsarchiv.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 83
13. Oktober 1489 in feierlicher Aula unter Anwesenheit des
Grafen Eberhard zum Doktor promoviert wurde. Vor 1491 x )
erhielt er ein Ordinariat und lehrte in der Fakultät bis zu
seinem Tode im Jahre 1502. Der andere Pariser Theologe
ist Paul Scriptoris aus Weil der Stadt. Er war zwar nicht
an der Universität inskribiert, aber als Guardian des Franzis-
kanerklosters las er öffentlich und unter großem Zulauf der
Studentenschaft über mathematische Fächer und über den
Sentenzenkommentar des Doctor subtilis. Ein Schüler des
Konrad Summenhart ist Jakob Lemp aus Steinheim an der
Murr, der erste Typus des eingesessenen schwäbischen Ge-
lehrten, der nie über die heimatliche Hochschule hinauskam.
Er erwarb sich den Doktorgrad in der Theologie (1500) und
im kanonischen Recht und wurde wahrscheinlich an die im
Jahre 1496 in Aussicht genommene vierte Professur ernannt,
die ein theologisches Ordinariat und ein juristisches Extra-
ordinariat in Personalunion vereinigen sollte. Er war ein
geschickter Sachwalter in Universitätsangelegenheiten 2 ) und
lange Zeit der angesehenste Lehrer in Tübingen ; mit direkter
Beziehung auf ihn spricht Herzog Ulrich im Jahre 1509 den
Grundsatz aus, man müsse die gelehrten und berühmten Leute
zu halten suchen, daß sie „dann uns und unserer Universität
zu Lob, Ehren, und gutem Geschrei dienen mögen*; es sei
wichtiger, „ wenige Personen, vor anderen gelehrt und ge-
schickt a , mit guten Stipendien zu versehen, statt viele mittel-
mäßige Kräfte anzustellen. Und doch scheint es dem also
gefeierten Manne am glücklichen Lehrtalent gefehlt zu haben.
Es gelang ihm nicht, eine größere Zahl von Schülern heran-
zuziehen und als Vertreter ihrer Richtung an die Hochschule
zu fesseln; mit seinem ausgebreiteten Wissen in Schriften
Propaganda zu machen, dazu war er offenbar zu schwerfällig.
Lemp war seit dem Tode Summenharts von 1502 an erster
Ordinarius des alten Wegs; als zweiter scheint kurze Zeit
neben ihm Reinhard Gaißer aus Fellbach gewirkt zu haben.
Dieser wurde 1503 Lizentiat, und im November 1504 Doktor;
1 ) Vgl. Roth S. 93.
2 ) Er wurde elfmal zum Rektor gewählt und spielte im Jahr 1519
unter den „domini de universitate" eine führende Rolle. Roth, Beitr.
zur Gesch. der Universität Tübingen 1869 (Beil. zum Doktorenverzeichnis
der philos. Fakultät) S. 10 ff.
84 IL Abschnitt.
im S.-S. 1504 ist er Rektor und heißt sacre theologie professor.
Jedoch lange scheint er nicht dagewesen zu sein; das Stipen-
dium von 50 fl. war ihm wohl zu gering. Später tritt er als
Pfarrer von Markgröningen auf.
„Weil Mangel ist an einer Person des Wegs der Realisten
und auch der, so dazu geschickt wäre, um solch Stipendium
nit mag wol zu wegen gebracht werden, wie das augenschein-
lich sich anzeigt" 1 ), darum wurden im Jahre 1509 beide
Ordinariate des alten Wegs in einer Person vereinigt und an
Lemp mit dem gedoppelten Stipendium von 150 fl. übertragen.
Auch für den modernen Weg wurde aus Gerechtigkeitsgründen
dieselbe Reduzierung für den Fall der nächsten Vakanz vor-
gesehen; bis dahin aber sollte zur Vermeidung aller Ungleich-
mäßigkeit der Jurist Kaspar Forstmeister die Stimme eines
zweiten Theologen der antiqua via übernehmen und in Unter-
stützung von Lemp das Interesse dieser Richtung in jedem
Falle zu wahren suchen. Jedoch eine Vakanz in den Ordi-
nariaten der moderna via trat erst im Jahre 1518 mit dem
Tode Steinbachs ein und bis dahin scheint man den Plan
wieder aufgegeben zu haben, nur zwei gut besoldete Ordinariate
mit je einem Vertreter der beiden viae in der Fakultät zu
besetzen. Jedenfalls wurde, wie erwähnt, an Stelle Steinbachs
sofort (1519) in Gall Müller ein Nachfolger gefunden; und
schon vorher (seit Dezember 1518) ist wieder neben Lemp
ein zweiter Vertreter des alten Wegs angestellt, der in Leipzig
mit der via antiqua bekannt gewordene Balthasar Sattler
von Gannstatt. Er war schon 1513 Lizentiat, dann wurde er
Prediger in Tübingen, 1516 erwarb er sich die Doktorwürde
und wirkte bis zu seiner Anstellung in der theologischen Fa-
kultät als Kollegiat der Artisten. Er blieb nicht lange theo-
logischer Lehrer in Tübingen. Schon 1521 wird an seiner
Stelle Balthasar Eäufelin aus Wildberg angestellt, offen-
bar ein Schüler von Jakob Lemp und geistesverwandt mit
ihm. Wie dieser hat er ununterbrochen der heimischen Uni-
versität angehört, von seiner ersten Inskription im Jahre 1510
bis zu seinem Tode im Jahre 1559 all die Wechselfälle der
humanistischen und kirchlichen Reformation, des Interims und
der Neuorganisation unter Herzog Christoph als einzige Säule
*) Roth S. 114.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 85
-^ * ■ — — * " — * " ■*■■— - - - ' — ■ - - |- imi i ~ - ■—■■ ■ l l ■ ■ n ■ ■■ i ■ i
aus alter Zeit überdauernd. Nach Lemps Tode im Jahre 1532
rückte Käufelin an dessen Stelle vor und an seiner Statt
wurde als vierter Theologe der Magister Johann Arm-
brust e r von Walddorf (bei Tübingen) angestellt , noch ein
junger Baccalar der Theologie, der ohne den Doktorgrad sich
zu erwerben im Jahre 1535 als Gegner der Reformation die
Universität verlassen hat. Bei seiner Anstellung spielte der
Gegensatz zwischen dem alten und neuen Wege keine Bolle
mehr, denn seit der humanistischen Reformation der Universität
im Jahre 1525 war es verboten, diesen Zwiespalt zu nennen
oder gar zu schüren.
Zum Schluß sind noch die Namen zweier Theologen an-
zuführen, die uns als Lehrer der Fakultät überliefert sind und
von welchen nicht sicher angegeben werden kann, in welche
der beiden obigen Reihen sie hineingehören. Der eine ist
Andreas Rempis von Geislingen ; er wurde im selben Jahre
wie Lemp und Staupitz (1500) Doktor der Theologie; im S.-S. 1501
war er Rektor und ist in der Matrikel überliefert als An-
dreas Geyslinger, sacre pagine Professor. Wenn man bedenkt,
daß um 1501 die via antiqua durch Summenhart und Lemp
vertreten war, und daß anderseits seit dem Abgang Biels
(ca. 1492) außer dem nicht in Betracht kommenden Stadt-
pfarrer Plansch allein Steinbach den neuen Weg lehrte, dann
wird man wohl Rempis dem letzteren zuweisen dürfen. Im
Jahre 1503 bei der Anstellung Bruns hatte er zweifellos die
Universität schon verlassen. Der andere hier noch anzuführende
Theologe ist Werner Wick aus Onshausen in Bayern. Er
ist in den Universitätsurkunden nirgends aufgeführt 1 ). Daß
er Lehrer der theologischen Fakultät in Tübingen gewesen
sei, wird geschlossen aus der Vorrede zu seiner bei Johann Ot-
mar im Jahre 1500 erschienenen Schrift Tractatus trium
quaestionum 2 ). Er nennt sich da Magister Wernherus de
Onsshusen, Professor theologice facultatis atque pontificii iuris
doctor; der Traktat schließt mit der volltönenden Ortsangabe:
ex famosa Tubingensi universitate. Nun sind wir über diesen
Werner Wick sonst nicht schlecht unterrichtet. Er war von
1 ) Er ist von Roth and von mir in meiner Matrikelausgabe fälsch-
licherweise mit dem Mag. Wernherus de Unnhausen identifiziert, welcher
sich im Frühjahr 1479 inskribieren ließ (3, 54).
2 ) Steiff S. 65 ff.
86 IL Abschnitt.
1468 bis 1510 mit Unterbrechungen Stiftsprediger in Stuttgart
und unterschreibt sich als solcher, abgesehen von früheren und
späteren Terminen, auch am 26. Juni 1491, am 7. März 1500
und am 2. Dezember 1505 1 ). Es ist nicht unmöglich, daß
er kuze Zeit in Tübingen die Professur mit den beiden Lehr-
aufträgen in der theologischen und in der juristischen Fakultät
verwaltete; aber um des mageren Soldes willen wird er bald
wieder auf seine Prädikatur nach Stuttgart zurückgekehrt
sein. Das muß sich dann jedenfalls in dem ersten Intervall
vor 7. März 1500 ereignet haben; denn später hatte Lemp
jene Professur inne. Er wäre also*Vorgänger Lemps gewesen,
und damit würde stimmen, daß der ehemalige Leipziger Ma-
gister und Kollegiat der dortigen Artistenfakultät wohl sicher
in der via antiqua gelehrt hat. Auch seine an uns gekommene
l ) Im S.-S. 1451 inskribierte er sich in der natio Bavarorum der
Universität Leipzig. Er stammt aus Unshausen in Hessen-Nassau (Kreis
Homberg). Im S.-S. 1452 wurde er Baccalar, W.-S. 1454 Magister; 30. Juni
1459 beginnt er den cursus biblicus; am selben Tag 1463 wird er ad
sentencias legendas zugelassen. Im W.-S. 1460 war er Dekan der Artisten-
fakultät und fungiert als Lehrer derselben bis zum Jahr 1466 ; noch am
13. September 1466 wird er zum Examinator baccalariandorum gewählt.
Ueber seine späteren Aufenthaltsorte sind wir durch den Umstand unter-
richtet, daß er schon in jungen Jahren eine größere Summe Geldes dem
Rat der Stadt Delitzsch (Kreis Merseburg) geborgt hat gegen eine be-
stimmte jährliche Leibrente. Ueber diese Beziehungen des Stuttgarter
Stiftspredigers Wick zum Rat der Stadt Delitzsch unterrichten eine Reihe
von Quittungen und Mahnbriefen, die im Staatsarchiv zu Stuttgart (Rep.
„Stift Stuttgart u ) aufbewahrt sind. Sie bieten insofern auch ein ge-
wisses wirtschaftsgeschichtliches Interesse, als der Briefschreiber nicht
unterläßt, zur Unterstützung seiner Forderungen gelegentlich teure und
wohlfeile Zeiten mit Angabe der Lebensmittelpreise seines Aufenthalts-
orts zu schildern. Im Jahr 1466 (21. Juli) unterschreibt er sich noch
„Konventor ym großen Koleg zen Leipczk u . 1468 wurde er von Vogt
und Gericht zu Stuttgart dem Bischof von Konstanz auf die Prädikatur
des Stifts präsentiert. 1469 (Miseric. Domini) ist er noch Prediger zu
Stuttgart. Aber schon 24. Juni 1470 ist der nächste Brief aus Frankfurt
geschrieben, unterschrieben zum letztenmal als Magister W. W. Von
1470 — 73 war Wick Pfarrer zu Frankfurt und wird wohl von dort aus
in Mainz doktoriert haben. 1473 Freitag nach crucis exaltationis (17. Sept.)
nennt er sich Doctor Wernh. Wycken, Pfarrer zu Frankfurt. Von 22. Juni
1474 an bis zu seinem Tod im Jahr 1510 unterschreibt er sich vollends
als Prediger zu Stuttgart. Ueber Wick vgl. noch D. Fr. Oleß, Versuch
einer württ. Kirchen- und Kulturgesch. II, l S. 468; II, 2 S. 167, 400,
467 u. 866. Stalin, Wirtembergische Geschichte IV, 46.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 87
Schrift behandelt ein Thema aus dem Grenzgebiet der Theo-
logie und Eanonistik in der Art, wie sie innerhalb der via
antiqua üblich war.
2. Die via moderna.
Die Tübinger Theologen der via moderna, welche Schriften
hinterlassen haben, aus denen ihre Ansichten und Bestrebungen
zu erkennen sind, sind Gabriel Biel, Wendelin Steinbach und
Martin Plansch. Von ihnen kommt für die oben angegebene
Fragestellung in erster Linie und fast ausschließlich Gabriel Biel
in Betracht. Mit zu berücksichtigen ist sein Freund und
Schüler Steinbach, insofern er vorzugsweise das Lebenswerk
seines Meisters geschichtlich wirksam gemacht und der Nach-
welt tiberliefert hat. Steinbach hat nicht nur fast sämtliche
Schriften seines Lehrers herausgegeben, sondern er hat auch in
dem „Supplementum Gabrielis Biel" den Sentenzenkommentar
des Meisters, dessen viertes Buch ein Torso geblieben war,
ergänzt, die 28 letzten Distinktionen breit und ausführlich
behandelnd *). Außerdem hat Steinbach für seinen Partei-
standpunkt durch Herausgabe von Schriften des Peter d'Ailly
gewirkt 3 ). Seine interessantesten und wichtigsten Arbeiten
aber, die oben schon erwähnten handschriftlichen Kommentare
zu den Paulusbriefen, müssen einer besonderen Publikation vor-
behalten bleiben 8 ). Der dritte der oben genannten Theologen,
der Tübinger Pfarrherr Martin Plansch, war kein N Mann der
Wissenschaft und hat wahrscheinlich in der theologischen
Fakultät kein ordentliches Lehramt ausgeübt. Inwiefern er
trotzdem durch seine persönliche Stellung für Verbreitung der
via moderna zu Tübingen von Einfluß war, ist oben gezeigt
worden. Er hat für Studierende seiner Richtung ein Stipen-
dienhaus hinterlassen, zu einer Zeit, da der Unterschied der
scholastischen Parteiungen schon der Vergangenheit anzuge-
hören begann. Die von ihm herausgegebene Schrift „de sagis
maleficis", entstanden aus Predigten, die er 1505 anläßlich
einer Hexenverbrennung zu Tübingen in der Stiftskirche ge-
') Das Werk ist nach Steinbachs Tod 1521 von seinem Schüler Gall
Müller zum Druck befördert worden ; Steiff 245 ff.
2 ) Vgl. Steiff S. 227 f. Es sind dies die ohne Herausgeber genannten
Drucke Hain 841 u. 848.
8 ) Vgl. oben S. 44 und im Anhang unter Steinbach.
88 H. Abschnitt.
halten hat, fallt außerhalb des Rahmens der uns gesteckten
Aufgabe 1 ).
Die Schriften Gabriel Biels zerfallen in drei große Gruppen.
Die erste, aus der frühesten Zeit seiner Wirksamkeit stammend,
ist die Sammlung seiner Predigten, deren Druck nach dem
Tode Biels in den Jahren 1499 und 1500 von Wendelin Stein-
bach besorgt wurde 8 ). Es sind dies, wie ausdrücklich gesagt
wird, die Predigten, welche Biel als Vikar und Domprediger
in Mainz gehalten hat. Die Sammlung, in die vier Teile de
festivitatibus Christi, de festivitatibus gloriose virigims Marie,
de sanctis und de temporibus zerfallend, bildet ein einheitliches
Ganzes, dem noch einige Gelegenheitsreden contra pestilentiam
und der Traktat de fuga pestis, sowie das während der Mainzer
Bistumsfehde entstandene Defensorium obedientie apostolice
angehängt sind. Die Sammlung enthält alle auf uns ge-
kommenen Predigten Biels mit Ausnahme des früher gedruckten
Sermo historialis passionis dominicae. Diesen ebenfalls aus
Predigten zusammengearbeiteten Tractat ließ Biel schon zu
seinen Lebzeiten (1489) durch die Presse gehen, zur Berichti-
gung und Entkräftung eines noch früheren, fehlerhaften und
') 1507 in Pforzheim erschienen; Steiff S. 231 f. Wir wandern uns,
daß einer christlichen Gemeinde über dieses Thema ein Zyklus von
Predigten gehalten wurde. Aber innerhalb der einmal vorhandenen Vor-
aussetzungen macht Plansch seine Sache recht gut. Er betont sehr stark
die Allmacht Gottes, daß kein Hexenwerk geschehe ohne Zulassung des
Höchsten ; daraufhin aber verwendet er Wissenschaft und Schrift für den
Beweis von der Wirksamkeit des Teufels und seiner Buhlen. Der Hexen-
flug wird nicht wissenschaftlich erhärtet, aber als Volksmeinung vor-
getragen: Sic enim dicitur, quod usu catulorum seu aliarum bestiarum,
usu furcarum, aut baculoscobarum (d. h. Besenstiele) aut aliarum rerum
equitent ad cellaria divitum et eorundem vina luxuriando ebibant, aut
ad montem foeni, vulgo Heuberg dictum, ubi choreisando laeta celebrent
convivia (fol. 13). Der Mössinger Heuberg, jetzt Dreifürstenstein, ist
auch der Versammlungsort der Rottenburger Hexen und der Wohnplatz
verschiedenster Gespenster. Oberamtsbeschr. Rottenburg I, 1899, S. 180,
186 ff. Ein Moment tritt ganz deutlich hervor (fol. 29 ff.), welches, so-
viel ich sehe, bisher bei Beurteilung dieser Dinge außer acht gelassen
worden ist, daß nämlich der Hexenwahn für die Leute jener Zeit (und
für das Landvolk heute noch) die Lösung des Problems der Theodicee
war. Weil durch ihn das unverschuldete Uebel in der Welt scheinbar
erklärt wird, darum hat er sich leicht festgesetzt und war schwer aus-
zurotten. Erst in der Aufklärungszeit besann man sich über das Erd-
beben von Lissabon.
2 ) Steiff S. 59 ff.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 89
von unbefugter Hand ausgegebenen Druckes 1 ). Die Predigt-
tätigkeit Gabriel Biels hat Gustav Plitt in einer besonderen
Schrift (1879) gewürdigt; nicht untersucht wurden dabei die
Vorlagen, welche Biel benützt hat 2 ). Daß er von solchen ab-
hängig ist, wird nicht nur aus seiner sonstigen Arbeitsweise
wahrscheinlich, sondern man gewinnt auch aus den Predigten
selbst den Eindruck. Die Spielereien mit dem Ave Maria z. B.
und ähnliches haben gewiß schon ihre Geschichte hinter sich.
Sichere Urteile sind erst möglich, wenn für alle Teile Deutsch-
lands solch treffliche Untersuchungen vorliegen, wie sie Plo-
rens Landmann für Westfalen geleistet hat. Der Heraus-
geber der Predigten Biels spricht die Hoffnung aus, daß
andere Prediger für ihre eigenen Ausarbeitungen möglichst
viel Nutzen daraus ziehen mögen. Jedem Sämann im Acker-
feld des Herrn, für Volkspredigt und zur wissenschaftlichen
Verkündigung sei hier Gelegenheit geboten, quaternionem secum
ferendi omni semoto labore. Steinbach rühmt ferner den viel-
fältigen Inhalt der Predigten, daß man eigentlich alles darin
finde, was zum orthodoxen Glauben der Kirche gehöre und
fährt fort: Nisi fallor, inveniet quisquam in orationem (!) ad
doctorum virorum concionem facturus dicendi copiam iamiam
elaboratam et digestam. Die Predigten scheinen in diesem
Sinn gewirkt zu haben; sie sind sechsmal nachgedruckt wor-
den, zum letztenmal in Köln im Jahr 1619 3 ).
J ) Steiff S. 226 f. ; vgl. Fl. Landmann in Vorreformationsgeschichtl.
Forschungen I, 77 N. 3, der einen frühen Druck „der Passionspredigt"
Gabr. Biels s. a. aus der Paulinisc)ien Bibliothek zu Münster erwähnt.
2 ) Nur die in sechs Predigten sich findenden kirchlichen Autoritäten
und Väter hat Plitt zusammengestellt a. a. 0. S. 36.
8 ) Dem, der mit der Predigtliteratur jener Zeit noch nicht vertraut
ist, fällt in erster Linie die U ebermenge von Zitaten auf, die in echt
scholastischer Weise zur Unterstützung der eigenen Ausführungen mit-
geschleppt wird. Anderseits ist das Streben nach praktischer Verkündi-
gung unverkennbar, wie die Predigt während der Mainzer Bistumsfehde
und die Pestpredigten beweisen, aber auch z. B. die Marienreden und
andere, die in kasuistischer Differenziierung der inneren und äußeren Nöte
stets auf die eine Hilfe hinweisen. Aber — das ist das Dritte, was uns
auffällt — nicht in psychologischer Motivierung und Quieszierung , son-
dern in dogmatisch-imperativischer Forderung vom Standpunkt der fest-
stehenden kirchlichen Autorität aus. Zu alledem darf aber nicht vergessen
werden, daß die Predigt im Mittelalter noch viel mehr als gegenwärtig
lehrhaft wirken, d. h. das ohne Bibel und Katechismus in religiöser Hin-
sicht mangelhaft gebildete Volk mit den heiligen Stoffen und kirchlichen
90 IL Abschnitt.
Das zweite Hauptwerk Biels ist sein Collectorium, dessen
ganzer Titel Epithoma pariter et collectorium circa quattuor
sententiarum libros lautet. Biel hat sich zu seinen Lebzeiten
gesträubt, das Werk herauszugeben, weil es nur ein „ Collec-
torium'* sei und nichts oder nur wenig Eigenes enthalte. In-
dignum censuit sese huiusce operis titulo decorari eo quod de
suis (ut inquit) nulla vel minima, sed que a maioribus digesta
comperit, calamo designavit, sagt der Herausgeber in der Vor-
rede und rühmt, daß der Meister wie eine fleißige Biene den
Stoff aus den Honigkörben der berühmtesten Männer zusam-
mengesucht und sich nicht mit einem Theologen gleichsam
verheiratet habe, die anderen beiseite liegen lassend; jeder habe
nämlich eine beachtenswerte Eigentümlichkeit *). Während also
Steinbach gerade den eklektischen Charakter des Werks betont,
bekennt Biel selbst, daß er in erster Linie dem Sentenzenkom-
mentar des Wilhelm Ockam folgen, und fernerhin die An-
sichten solcher Autoren beifügen wolle, die nicht von den
Grundsätzen Ockams abweichen 2 ). um seines kollekto-
Geboten bekannt machen mußte. Reine Erbauungspredigt ist erst auf
einer höheren Stufe der religiösen Volksbildung möglich. Wenn daher
Luther (Erl. Ausg. 2. A. II, 6) die langen Passionssermonen rügt, welche
die Leute nur zum Weinen bringen und von der Historia viel zu viel
Wort machen, die aber nicht lehren, wie man solch Leiden ansehen, sein
genießen und es brauchen soll, so trifft wohl dieser Vorwurf weniger den
einzelnen Prediger als das kirchliche System, welches die Aufgaben der
religiösen Volksbildung vorzugsweise der Predigt überließ.
') Comperiet lector collectorem ipsum veluti apem argumentosam
ita prescriptorum virorum illustrium alvearia sacrosancta perlustrasse.
(Dieses für die wissenschaftliche Methode jener Zeit sehr bezeichnende
Bild wird von den späteren Scholastikern sehr häufig als Ruhmestitel
angewandt; Biel rühmt so den Peter Lombardus in Collectorium 1501
Prolog A. 3 Col. 1; Steinbach vergleicht seine eigene Arbeit bei Zu-
sammenstellung des G-alaterkommentar8 mit der apis argumentosa, s. u.
Anhang; vgl. ferner Prantl IV, 192 N. 82 Mitte; IV, 292 N. 730 u. s. w.)
Est enim in venire apud singulos insigne aliquid et precipuum, quod non
sit commune ceteris. Non potest ex omnibus sibi recte provinciam dele-
gisse propriam, qui omnes prius familiariter et in ealtu quodam non
agnovit. Turpe quoque est theologo unius se thoro maritasse invisis
aliis, qui et ipsi celso lucent ingenio. S. Collectorium 1501 A. 2.
8 ) Cum nostri propositi est, dogmata et scripta venerabilis inceptoris
G-uilelmi Ockam, veritatis indagatoris acerrimi, circa quatuor sententiarum
libros abbreviare, tentabimus, . . . circa prologum et singulas quaestiones
scholasticas movere quaestiones et, ubi praefatus doctor scribet diffusius
suam sententiam, verba accurtare, ... in aliis vero, ubi parum vel nihil
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 91
rischen und dabei streng ockamistischen Charakters willen wurde
das Sentenzenwerk Biels in dieser letzten Zeit der Scholastik
zu einem geschickten Lehrbuch für die Schule der Modernen,
das auch an den Universitäten zu Erfurt und zu Wittenberg
fleißig benutzt wurde, wertvoll besonders auch deshalb, weil
es die Lehren des venerabilis inceptor vollständig wiedergab,
ohne dessen anrüchigen Namen an der Stirn zu tragen 1 ).
Die dritte Gruppe von Schriften Biels sind Erläuterungen
zum Meßkanon. Das grundlegende Werk ist die Expositio
canonis misse, welches Steinbach im Jahr 1488 nach Vor-
lesungen Biels und ohne des Freundes Wissen in den Druck
gegeben hat. Er hatte darüber bittere Vorwürfe zu hören:
Alta mente repostum teneo, quam amaras, quam indignabundas
ab eo verborum suscepi glebas, quamque totus stupui et tabens
pallui, safft er in der Vorrede zum Collectorium. Nach Biels
Tod wurde zuerst ein von ihm selbst verfaßter Auszug aus
dem Hauptwerk, die Epithoma expositionis canonis misse durch
Steinbach zum Druck befördert. Die Epitome hat Biel offen-
bar als Propst auf dem Einsiedel („iamiam emeritus") zu-
sammengestellt, nachdem er sich von der Tübinger Professur
zurückgezogen hatte; und zwar für „simplices sacerdotes", die
„scolasticarum sublimitatum minus exercitati sunt". Darauf
wurde von Steinbach das Hauptwerk selbst, die Expositio, ent-
haltend 89 in Tübingen gehaltene Vorlesungen, auf Grund des
Originalmanuskripts durchgearbeitet und neu herausgegeben.
Endlich hat Steinbach noch einen ganz kurzen Auszug aus
den beiden größeren Werken, eine Expositio brevis et inter-
linearis sacri canonis misse verfaßt 2 ). Das hierin sich zeigende
Bedürfnis nach gekürzten und handlichen Ausgaben und nicht
minder die Tatsache, daß die Expositio im ganzen 15mal ge-
scribit, aliorum doctorum sententias a dicti doctoris principiis non de-
viantes, quantum potero, ex clarissimorum virorum alveariis in unum
comportare. Hinc et laborem nostrum collectorium pariter et epythoma
placuit nominare (Prol. A 3 Col. 2; vgl. oben S. 45).
*) In Wittenberg z. B. vermied man den strengen Thomisten gegen-
über den Namen Ockams und sprach in den Anfangsjahren der Uni-
versität von der via Gregorii (Ariminensis ; vgl. N. Arch. f. sächs. Gesch.
18, 316); später nannten sich die Anhänger der via moderna daselbst
Gabrielistae (Köstlin-Kawerau , Luther 5. Aufl. I, 133; De Wette, Brief-
wechsel Luthers I, 34).
2 ) Steiff 58 ff., 72, 226.
92 IL Abschnitt.
druckt werden mußte (zuletzt Lyon 1612), beweisen die praktische
Brauchbarkeit der Bielschen Arbeit. Luther hat noch in spä-
teren Jahren bezeugt, daß er dieses Buch für ein sehr gutes
gehalten habe: „Wenn ich darinnen las, dann blutete mein
Herz. Biblie autoritas nulla fuit erga Gabrielem* *). Biel
selbst hat in seiner Bescheidenheit auch bei diesem Werk
immer wieder betont, daß es auf Vorlagen beruhe. Nament-
lich gibt er den Eggeling von Braunschweig an, dessen Werk
über die Messe er fast ganz in das seinige aufgenommen habe 2 ).
Das praktische Geschick und die Gewissenhaftigkeit des Eom-
pilators bleiben trotzdem bestehen und sind auch neuerdings
wieder von dem katholischen Forscher Linsenmann anerkannt
worden 3 ).
Nicht in diesen Kreis gehört ein grammatisches Werk
unseres Autors, wahrscheinlich nach dem Tode Biels und ohne
dessen Auftrag von unbekannter Hand in Speier herausge-
geben 4 ), während ein ebenfalls später selbständig erschienener
Traktat über die Münzen dem Collectorium (IV, dist. 15 qu. 9)
entnommen ist 5 ).
Die Schriften Gabriel Biels und insonderheit das Collectorium
zeichnen sich, wie der Verfasser aufs stärkste betont, nicht
durch Originalität aus; sie enthalten, was von vielen, die über
Gabriel Biel geschrieben haben 6 ), bis jetzt übersehen worden
*) A. Lauterbachs Tagebuch ed. Seidemann (1872) S. 18, Colloquia
ed. H. E. Bindseil (1866) III, 270.
2 ) Angelus Becker von Braunschweig war Student und Magister in
Erfurt, dann Domprediger in Mainz und an beiden Orten wohl mit Biel
zusammen. Er starb in Straß bürg 1484. Biel drückt sich über das Ver-
hältnis seines Werkes zur Vorlage so aus: Expositio ex viri clarissimi
ingenii quondam acerrimi magistri Eggelingi de Brunswig sacr. theol.
licentiati profundissimi vita pariter et doctrina prefulgidi lectura in insigni
metropoli Moguntina ad clerum pronunciata, declarata et exposita, paucis
omissis, pluribus additis ac mutatis, quam accuratissime compor-
tata (Prol. A. 2).
3 ) Theol. Quartalschrift 1865, 218 f.
4 ) Ich habe das seltene Schriftchen (Hain 3189) bis jetzt nicht zu
Gesicht bekommen.
5 ) Steiff S. 240 ; Hain 3188. Vgl. Koscher in Ber. der kgl. sächs.
Gesellsch. der Wiss. 1861, S. 168 N. 39 und Gesch. der Nationalökonomie
S. 21 ff.
6 ) Vgl. z. B. A. Ritschi, Fides implicita 1890, S. 30 und G. Hoff-
mann, Die Lehre von der fides implicita 1903, S. 156; vgl, Linsenmann
in Theol. Quartalschrift 1865, S. 601 ff. und Prantl m, 343 ff.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 93
ist, meistenteils nur Wiederholungen aus anderen Schriftstellern.
Was dieser „letzte Scholastiker* 4 Eigenes haben sollte, könnte
erst im Rahmen einer lückenlosen Geschichte des Ockamismus
festgestellt werden. Immerhin muß die sorgfältige und ge-
wissenhafte Arbeit des Sentenzenkommentars gewürdigt werden
als vollständige und systematische Zusammenfassung der philo-
sophischen und theologischen Lehren der via moderna, die in
dieser letzten Zeit der Scholastik ihre Wirksamkeit ausgeübt
hat. Die geschichtliche Bedeutung der Schriften Biels
besteht darin, daß durch sie der größte der „Modernen* in
die theologische Wissenschaft eingeführt wurde, um bald über
alle Richtungen der Scholastik hinauszuwachsen. An der
ockamistischen Universität Erfurt sind die Werke Biels von
Luthers Lehrer Jod. Trutfetter in seinen logischen Schriften
benützt worden *). Staupitz und Nathin, die Vorgesetzten und
Lehrer Luthers im Augustinerkloster, waren in Tübingen
Schüler von Biel und Sfceinbach 2 ); der erstere beruft sich in
seiner Erstlingsschrift auf Biel 3 ). Die Anhänger der via moderna
zu Erfurt und zu Wittenberg bildeten eine Partei der „Ga-
brielisten" ; Luther nennt seine Schüler mei Gabrielistae 4 ). Und
von Luther selbst bezeugt Melanchton, daß er im Kloster sich
aufs eingehendste mit Biel und mit Peter von Ailly beschäftigt
habe 5 ) ; des letzteren Schriften lagen ihm wohl in der von
Steinbach, dem Schüler Biels, besorgten Ausgabe vor. Luther
gesteht, die auctoritas Gabrielis sei ihm höher gestanden, als
die der Bibel 6 ). Biel war sein Führer zu der Theologie
Ockams, des „lieben Meisters ", zu dessen Faktion er sich mit
Stolz und mit Ironie bekennt 7 ). Als Vertreter der via moderna
kam Luther an Stelle Trutfetters nach Wittenberg 8 ). Und
*) G. Plitt, Jod. Truttfetter (1876) S, 14; Prantl IV, 241 N. 379.
*) S. unten im Anhang.
*) Th. Kolde, Die deutsche Augustinerkongregation 1879, S. 219.
4 ) In dem Briefe an Johann Lang bei De Wette I, 34 vgl. KÖstlin-
Kawerau, Luther I, 133.
5 ) Corp. Ref. VI, 159 : Gabrielem et Cameracensem poene ad verbum
memoriter recitare poterat.
6 ) A. Lauterbachs Tagebuch ed. Seidemann (1872), S. 18.
7 ) Erl. Ausg. 24 (1. Aufl.), S. 347; Weim. Ausg. VI, 195 u. 600:
mea secta, scilicet Occamica. Vgl. auch den Ausdruck „mei moderni"
in der Schrift de servo arbitrio. Erl. Ausg. Op. lat. varii arg. VII, 190.
8 ) N. Archiv f. sächs. Gesch. 18, 314 u. 334.
94 II. Abschnitt.
die dort im September 1516 abgehaltene Disputation über die
Kräfte und den Willen des Menschen ohne Gnade, in welcher
Luther zum erstenmal gegen die Gnadenlehre der Scholastik
öffentlich auftrat, war äußerlich veranlaßt durch Streitigkeiten
mit seinen Gegnern aus der via antiqua (Carlstadt und
Peter Lupinus) *), aber auch seine „Gabrielisten* verwunderten
sich gewaltig über deren Thesen 8 ). An die scholastische
Partei, aus welcher er hervorging, hat Luther sich auch später-
hin öfters erinnert, wenn es galt, scholastische Gegner zu
überwinden 3 ), oder irgend welche schwierigen Deduktionen
mit Hilfe spitzfindiger „termini" annehmbar zu machen 4 ).
Wenn er den Leipziger Thomisten zeigen will, daß sie den
Aristoteles am allerwenigsten verstanden haben 5 ), wenn er in
der Schrift an den Adel rühmt, daß er den griechischen
Heiden mit mehr Verstand gelesen habe, als ein Thomas oder
Scotus, wenn er dessen Logik, Rhetorik und Poetik als nütz-
lich gelten läßt 6 ), so glaubt man daraus den Schüler der via
moderna zu hören, der des Vorzugs seiner Auffassung bewußt
ist und der die „sermocinalen" Fächer der aristotelischen
Schulwissens chaffr höher schätzt, als die realen Disziplinen.
Vielleicht läßt sich auch der Haß, welchen Luther gegen
Thomas mehr als gegen andere Schulhäupter äußert, zum Teil
hieraus erklären. Nicht nur negativ in Opposition gegen Tho-
mas und gegen Thomisten zeigt der spätere Reformator seinen
ursprünglich ockamistischen Standpunkt, sondern er hat, wie
allgemein zugegeben ist, denselben auch positiv niemals ver-
*) Köstlin-Kawerau I, 133 u. 129.
2 ) De Wette I, 34 u. Opera latina varii arg. (Erl. Ausg.) I, 232 f.
3 ) In der Schrift gegen die Bulle Execrabilis weist Luther das Wort
„respective", welches zweimal in der Bulle vorkommt, höhnisch zurück:
Nolo tantum respective, sed absolute et certe doceri. Sum enim Occa-
micae factionis, qui respectus contemnunt, omnia autem absoluta habent,
ut sie iocer in istam moriam Weim. Ausg. VI, 600. Aehnlich gegen
die thomistischen Fakultäten zu Löwen und Köln. Weim. Ausg. VI, 195.
Luther schätzt an der Logik Ockams besonders, daß er in seinem Kom-
mentar über den „Elenchus" gelehrt habe, die Trugschlüsse der Sophisten
zu vermeiden. Lauterbachs Tagebuch a. a. 0. S. 66. Vgl. dazu
Prantl III, 420.
4 ) In der Abendmahlsfrage seinem Fürsten gegenüber. Colloquia
ed. H. L. Bindseil III (1866), 151.
5 ) Endere, Briefwechsel (Erl. Ausg.) I, 351, 174.
6 ) Weim. Ausg. VI, 458. Vgl. Köstlin-Kawerau I, 108.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 95
leugnen können. Bekannt ist, daß der Gottesbegriff Luthers,
daß ferner bestimmte Vorstellungen in der Abendmahlslehre
und Christologie von Biel, D'Ailly und Ockam beeinflußt sind.
Das innere Werden und die Anfänge der Theologie Luthers
müssen noch viel mehr, als bisher geschehen ist, aus der
ockamistischen Basis heraus erklärt werden. Die Versuche,
dabei von einer angeblichen „ Ordenstheologie g der Augustiner-
eremiten auszugehen, haben sich als verfehlt erwiesen 1 ). Wie
aus der folgenden Darstellung hervorgehen wird, ist es auch
nicht richtig, mit Ueberspringung aller Mittelglieder direkt
') Die früheren Konstraktionen einer augustinischen Tradition inner-
halb des Ordens sind seit Erscheinen des Buchs von Kolde, über die
Augustiner-Kongregation (1879) nicht mehr möglich. Aber auch die
neueren Ausführungen K. Stanges über die Beziehungen Luthers zur
Theologie seines Ordens (N. kirchl. Zeitschr. 1900, 574 ff.) sind nicht
stichhaltig. Es ist nicht richtig, daß die Theologie des Mittelalters vor-
zugsweise „Ordenstheologie" war und daß „das Ordensgelübde die An-
erkennung des offiziellen Ordenslehrers einschloß". Die Theologie des
Mittelalters ist im wesentlichen Universitätentheologie : in Köln war nur
Thomas und Albertus Magnus zugelassen, in Erfurt und Wien nur
Ockam; dort waren die Ordensmitglieder antiqui, hier moderni. Höchstens
innerhalb des Predigerordens kann infolge der überragenden Bedeutung
des Thomas von einer „Ordenstheologie" geredet werden, aber auch da
nicht ausschließlich. Von den beiden angeführten „Ordenstheologen"
der Augustiner ist Aegydius Romanus einfach Thomist und Gregor von
Rimini Ockamist. Mit ersterem hat Luther nichts zu tun; der Satz
des Hieronymu8 Dungersheim: Egydius Rhomanus ordinis heremitarum
s. Augustini, quem et Luther professus est ist von Stange (a. a. 0. S. 578)
falsch ausgelegt, denn das Relativpronomen geht auf ordinis. Mit Gre-
gor von Rimini ist Luther bekannt geworden, weil er Ockamist war.
Die via moderna zu Wittenberg nannte sich in den Universitätsstatuten
via Gregorii (vgl. oben S. 91 , N. 1) ; identisch damit war die via
Gabrielis. Die Meinung, daß Luther sich im Gegensatz zu Ockam zur
Schule Gregors gerechnet und daß er diesen über alle anderen Schola-
stiker gestellt habe (N. kirchl. Zeitschr. 1902, 725 ff.) , wird durch die
in den vorhergehenden Anmerkungen angeführten Stellen widerlegt (vgl.
auch über Ockam Weim. Ausg. VI, 183: scholasticorum doctorum sine
dubio princeps et ingeniosissimus). Die Aeußerungen Luthers über Gregor,
welche K. Stange a. a. 0. in dankenswerter Weise zusammengestellt hat,
beweisen uns, daß Luther zur Zeit der Leipziger Disputation in Gregor
eine scholastische Autorität für seine augustmische Gnadenlehre gefunden
hatte. Aber nirgends ist erwähnt, daß Luther schon früher sich mit
Gregor eingehend beschäftigt hätte (Luther konnte die entscheidenden
Ausführungen Gregors auch aus dem Collectorium G. Biels kennen ge-
lernt haben, II dist. 28 qu. un. A); daß er gar durch Gregor zu Augustin
gewiesen worden wäre, scheint mir durch den Wortlaut der bekannten
96 H. Abschnitt.
am Neuplatonismus Augustins anzuknüpfen 1 ). Vielmehr läßt
sich an der Hand des Bielschen Collectoriums nachweisen,
daß in dem philosophischen und theologischen System Ockams
schon positiv und negativ die Ansätze vorhanden waren, welche
ein tiefer religiös veranlagtes Gemüt zu der durch den ge-
schichtlichen Verlauf bekannten reformatorischen Entwicklung
Luthers hindrängen mußten.
Für gewöhnlich wird die geschichtliche Bedeutung des
ockamistischen Systems nicht darin erblickt, daß aus der Schule
Ockams der Reformator Luther hervorgegangen ist und soweit man
von geschichtlichen Notwendigkeiten reden darf, hervorgehen
mußte; sondern man sagt, die Bedeutung Ockams liege in der
„Erneuerung des Nominalismus", der mit seiner „Rich-
tung auf das konkrete Einzelding " und mit seiner „ Abwendung
von den hohlen Abstraktionen der realistischen Scholastik"
die „Entwicklung der realen Wissenschaften begünstigt" und
die „induktive Erforschung der äußeren Natur, sowie der
psychischen Erscheinungen angebahnt* habe 2 ). Diese Urteile
bedürfen einer weitgehenden Einschränkung und Berichtigung.
Zwar das ist ganz zweifellos als zweites Hauptverdienst Ockams
und seiner Schule hervorzuheben, daß hier die neuen Methoden
der empiristischen Psychologie und Erkenntniskritik ihren
Anfang genommen haben; aber falsch ist, daß Ockams Philo-
sophie die Entwicklung der „realen Wissenschaften tt und die
neue Aera der naturwissenschaftlichen Forschung angebahnt
habe, oder gar daß damit den hohlen Abstraktionen der Scho-
lastik ein Ende bereitet worden sei. Im Gegenteil ist gerade
seit Ockam das Gestrüpp der scholastischen Spitzfindigkeiten
immer dichter geworden: „Unmittelbar nach Ockam und durch
ihn veranlaßt beginnt in der geschichtlichen Entwicklung der
Logik eine zum Erschrecken reichhaltige Literaturperiode, deren
Stelle: ante quam in libros eius [Augustini] inci diesem ausgeschlossen.
Die Behauptung Luthers im Verlauf der Leipziger Disputation, daß
Gregor v. Bimini auf allen Universitäten vorgetragen werde, ist zweifellos
übertrieben und Eck hatte Grund, sie in Zweifel zu ziehen. (N. kirchl.
Zeitschr. 1902, 723 f.)
*) Vgl. neuestens Hunzinger in dem ersten Heft seiner „Luther-
studien" (1906), welchem ich manchen wichtigen Nachweis verdanke.
2 ) Vgl. Ueberweg-Heinze, Grundriß d. Gesch. d. Philosophie 9. Aufl.
1905, S. 340; Windelband, Gesch. d. Philosophie 1892, S. 271; Harnack[
Dogmengeschichte III, 3. Aufl. S. 451.
s
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 97
Formalismus und Abstrusität, ja — wir müssen uns so aus-
drücken — deren Sinnlosigkeit fast alle Vorstellung übersteigt",
so beginnt Prantl seinen vierten Band der Geschichte der
Logik. Kaum ein Name aus der Schule Ockams läßt sich
während deren zweihundertjährigen Dauer nachweisen, dessen
Träger Sinn für die realen Wissenschaften gehabt oder der
auch nur die naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles
studiert hätte 1 ). Das folgende Kapitel hat im einzelnen den
Nachweis zu führen, daß im Gegensatz zum Ockamismus eine
skotistisch-realistische Reaktion durch ontologisch motivierte
Hinwendung zu den konkreten Einzeldingen die neuen Anfänge
der realen Wissenschaften und zugleich den Sieg des Huma-
nismus angebahnt hat. Hier ist vorerst nur zu zeigen, daß
die Erkenntnislehre Ockams die Erforschung der konkreten
Einzeldinge direkt ausschloß. Der Fehler jener geschichtlich
unrichtigen Urteile rührt von einer falschen Einschätzung des
ockamistischen „ Nominalismus* her.
Ockam war nämlich nicht der „Erneuerer des Nominalis-
mus 44 , als welcher er vielfach gefeiert wird; in doppeltem Sinne
nicht : schon vor ihm haben Durand von St. Porciano und Peter
Aureolus sich gegen die Realität der AUgenieinbegriffe in jeg-
licher Form erklärt 2 ), so daß also jedenfalls Ockam die Priorität
nicht zuerkannt werden darf; sodann ist seine logisch-erkennt-
nistheoretische Position und sein wissenschaftliches Interesse so
vollständig verschieden von dem früheren Nominalismus z. B.
eines Roscellin, daß von einer Erneuerung keine Rede sein kann.
Nicht die Leugnung der Realität der Allgemeinbegriffe ist die
Tendenz des Ockamismus; nicht darauf wird der Hauptnach-
druck gelegt, die Erkennbarkeit der Einzeldinge in irgend
welchem Sinne nachzuweisen; sondern der Schlüssel zu den
*) Windelband macht für diese unleugbare Tatsache allein die scho-
lastische Methode verantwortlich: „Die eigentliche Lebenskraft des No-
minalismus war auf die Entwicklung der realen Wissenschaft gerichtet,
und wenn deren Erfolge während des 14. und 15. Jahrhunderts nur sehr
beschränkt geblieben sind, so lag das wesentlich daran, daß die zu voller Aus-
bildung gelangte scholastische Methode mit ihrer buchgelehrten Diskussion
der Autoritäten den Betrieb der Wissenschaft nach wie vor allmächtig be-
herrschte und daß die neuen Ideen, in diese Form gezwängt, sich nicht
frei entfalten konnten." A. a. 0. S. 271.
2 ) Vgl. Prantl, Gesch. d. Logik III, 292 ff.; 319 ff.; 344. üeberweg-
Heinze, Grundriß der Gesch. d. Philosophie 9. Aufl. II, 341.
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 7
98 II. Abschnitt.
Systemen des Ockamismus ist in der scharfen Abgrenzung
der Gebiete des Glaubens und des Wissens zu suchen.
Es sind Systeme der Scholastik, d. h. derjenigen wissenschaft-
lichen Methode, welche die breite Fülle des kirchlichen Glaubens
und Lebens mit Gründen der Vernunft zu rechtfertigen unter-
nimmt. In der Geschichte dieses Unterfangens beginnt eine
neue Phase damit, daß Ockam und seine Schüler mit einer Ge-
wissenhaftigkeit ohnegleichen, mit der genauesten Aufzählung
aller Gründe und Gegengründe die eigene Vernunft dazu führen,
sich selbst außer Kraft zu setzen und die alleinige Berechtigung
des Glaubens an die kirchlichen Wahrheiten desto ausschließ-
licher zu fordern 1 ). Man hat in Ockam und seinen Schülern
Skeptiker und Kritiker vermutet; man muß zu diesem Urteil
gelangen, wenn man die erkenntnistheoretischen und logischen
Ausführungen dieser Schule allzusehr in Vordergrund stellt,
und wenn man den Nachweis der Irrationalität bei allen theo-
logischen Lehren als Selbstzweck auffaßt. Jedoch davor sollten
schon die Charaktere und die geschichtliche Bedeutung der in
Betracht kommenden Persönlichkeiten bewahren: Der venera-
bilis inceptor, welcher als Mönch bis ins höchste Alter den
geistlichen Armutsstreit gegen die Päpste fortgeführt hat, war
doch keine skeptische Natur, sondern eine durchaus religiöse
Persönlichkeit, die sich innerlich gebunden fühlte an Autorität
und Tradition ; D'Ailly und Gerson haben sich der Mystik zu-
gewandt; Gregor von Rimini und Gabr. Biel waren das Gegen-
teil von kritischen Köpfen. Biel war ein praktischer Kirchen-
mann und, wie aus seinem Verhältnis zu Steinbach und zum
Grafen Eberhard hervorgeht, von bescheidener und lauterer
Frömmigkeit; in seinen Schriften wußte er innerliche Töne zu
reden, so daß dem jungen Luther das Herz darob blutete, und
daß der Reformator sein Leben lang von jenen Büchern sich
nicht trennen konnte 2 ). All diesen Männern ist es darum zu
tun, in ihrer theologischen Arbeit die Kirchenlehre zu stützen.
Dies wird erreicht, indem dem Glauben mit Gründen der Ver-
nunft ein eigenes selbständiges Gebiet erobert wird. Die An-
wendung einer neuen Logik setzte Ockam in Stand, eine
*) Vgl. D'Ailly und Gerson: Fides est donum gratuitum, quo in-
tellectus propter deum credit contra se ipsum. Tzschackert, Peter
von Ailly 1877, S. 309 N. 2.
2 ) Colloquia ed. H. E. Bindseil III (1866), 270.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 99
kritische Erkenntnistheorie anzubahnen und dadurch das Gebiet
der eigentlichen Wissenschaft gegenüber der Theologie auf das
engste einzuschränken. Die neue Logik war zuerst im Abend-
land in den Pariser Hörsälen um die Mitte des 13. Jahrhunderts
gelehrt worden; woher sie stammt, ist bis heute noch unauf-
geklärt 1 ). Ockam hat sie zum Angelpunkt seines Systems ge-
macht 2 ), und ist dadurch zum venerabilis inceptor geworden;
in den folgenden zwei Jahrhunderten heißen diejenigen „mo-
derni", welche jene Logik anwenden und ihr klassisches Lehr-
buch, die Parva logicalia des Petrus Hispanus als Grundlage
aller Studien benutzen. Das Wesen dieser neuen Logik ist,
daß bei engster Verbindung von „Wort" und „Begriff" die rein
J ) Es handelt sich um den Logica modernorum oder Parva logicalia
genannten siebten Abschnitt (De terminorum propositionibus) der Sum-
mulae logicales des Petrus Hispanus (f 1277), dessen logische Schrift
aber abhängig ist von den nur handschriftlich vorhandenen Werken des
Wilhelm Shyreswood (f 1249) und des Lambert von Auxerre (um 1250).
Während die sechs ersten Abschnitte des Petrus Hispanus (Logica an-
tiqua) im wesentlichen der Logik des Aristoteles und Boethius folgen,
enthält jener siebte Abschnitt Zusätze der „moderni", die in ihrer eigen-
tümlichen Vermengung von Grammatik und Logik an stoische Vorbilder
gemahnen (Prantl, Gesch. d. Logik III, 73 f.). Prantl, der zuerst auf
diese Tatsachen aufmerksam gemacht hat (a. a. 0. II, 2. Aufl. S. 271 ff.
III, 10 ff.), war der Ansicht, daß jener stoische Nebenstrom neben der
aristotelisch-arabischen Logik aus der byzantinischen Schul tradition durch
ein angebliches Lehrbuch (Sovo^t? eis *ty 'AptoxotsXoos sitiaTYjfrqv) des
Michael Psellus (geb. 1020) dem Abendland zugeführt worden sei. Nach-
dem diese Meinung schon früher mehrfach bekämpft worden war, hat
neuerdings R. Stapper (in Festschrift zum 1100 jähr. Jubiläum des deut-
schen Gampo santo in Rom 1896, S. 130 ff.) überzeugend nachgewiesen,
daß jene griechische Synopsis jedenfalls kein Werk des Psellus sein kann;
sie ist vielmehr wahrscheinlich eine spätere Uebersetzung der lateinischen
Summulae logicales ins Griechische. (Die Literatur über die Kontroverse
s. Ueberweg-Heinze , Grundriß der Gesch. der Philosophie 9. Aufl. II,
231 f.) Ob nun diese Logik der Modernen mit ihren stoischen Reminis-
zenzen doch auf anderem Wege aus Byzanz ins Abendland gelangt ist,
oder ob sie aus der arabischen Tradition stammt, ist noch ungewiß. Die
dritte Möglichkeit, daß die neue Logik sich selbständig aus der aristote-
lischen im Laufe des Mittelalters entwickelt habe, scheint mir durch die
tatsächlichen Entlehnungen aus der stoischen Literatur (Prantl III, 74
N. 271) ausgeschlossen.
2 ) Auch hierauf hat Prantl zuerst hingewiesen, daß die „byzantinische"
Logik der Schlüssel des Verständnisses nicht nur für das philosophische,
sondern auch für das theologische System Ockams sei (Sitzungsber. der
Münchner Akad. 1864 II, 65 f.; Gesch. der Logik III, 827 f. 344).
100 H. Abschnitt
subjektive Funktion aller Denktätigkeit auf das stärkste betont
wird 1 ). Während in den Systemen des Realismus die zur
Urteilstätigkeit verwandten Allgemeinbegriffe irgendwelche
objektive Realität besitzen, während also irgendwie die Außen-
dinge real in der Seele gegenwärtig gedacht werden, bezeichnet
Ockam mit Ausdrücken jener neuen Logik die Allgemein-
begriffe als „termini", welche für die Einzeldinge in der Funk-
tion des Urteils „supponieren" ; d. h. die suppositionsfähigen
termini sind subjektive „ Vertreter 44 oder Zeichen (signa) eines
unbekannten Objektiven 2 ). Direkte Folge dieser These ist
natürlich die Bekämpfung aller Theorien, welche die reale Exi-
stenz der Universalien außerhalb der Seele behaupteten 3 ). Spe-
ziell die Ansichten des Duns Scotus von den formalitates und
von den species (daß das Allgemeine in jedem Einzelding exi-
stiere, nur „formaliter* 1 von diesem unterschieden und daß es
durch die intermediären Vorstellungen der species sensibiles
und intelligibiles für den Verstand real erkennbar sei) werden
als unnötige Vervielfältigungen der Erkenntniselemente bei-
seite gesetzt 4 ). Allein ob die Universalien innerhalb der Seele
Realität besitzen oder nicht, läßt Ockam unentschieden 5 ); ja
') Vgl. Prantl a. a. 0. II, 265, 280 f. u. Archiv f. Gesch. der Philo-
sophie 1897, S. 321 f.
2 J Einer der bezeichnendsten Sätze für die ganze Auffassung findet
sich bei Biel anläßlich der Unterscheidung von scientia realis und scientia
rational iß: Et si quandoque dicitur scientia esse de rebus universalibus,
intelligitur, quod est de universalibus praedicabilibus pro rebus. Non
ergo dicitur scientia realis, quia res sunt partes propositionis scitae, sed
quia termini supponunt pro rebus quoad scientiam realem, aut
quia supponunt pro signis mentalibus vocalibus vel scriptis quoad
scientiam rationalem. Collect. I, dist. 2 qu. 4 E.
3 ) Universalitas non convenit rei extra animam ex se, sed ex conside-
ratione intellectus. Collect. I, dist. 2 qu. 6 B. Universalis non in essen do,
sed in repraesentando. Ibid. dist. 3 qu. 5 A. Universale non nisi in
intellectu et per operationem intellectus. Ibid. dist. 8 qu. 6 art. 5 G.
*) Gegen die Lehre von der formalitas (u. haecceitas) wendet Biel
mit Worten Ockams ein, daß es dann so viele Arten als Individuen
haben müßte u. s. w. (vgl. Prantl III, 354) Collect. I, dist. 2 qu. 6. Für
die Annahme der species könne kein evidenter Grund angegeben werden
weder aus an sich bekannten Grundsätzen noch aus der Erfahrung: non
est ponenda pluralitas sine necessitate. Collect. II, dist. 3 qu. 2 E. (vgl.
Prantl III, 335 f.).
6 ) Prantl III, 344 N. 780 : Purus logicus non habet disputare, utrum
universalia, quae sunt termini propositionum , sint res extra animam vel
i
i
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 101
er ist weit entfernt, sie in nominalistischer Weise für einen
„ flatus vocis" zu erklären, denn die eigentlichen „natürlichen"
Universalien entstehen in der Seele infolge einer „intentio"
derselben als natürliche für die Urteilsfunktion zu benützende
Zeichen der Außendinge (naturale universale est signum natu-
rale praedicabile de pluribus); erst in zweiter Linie wird durch
eine willkürliche Tätigkeit jene Intention der Seele mit einem
Wort bezeichnet, so daß die Worte schließlich auch als Uni-
versalien, aber als universalia per voluntariam institutionem,
als universalia ad placitum angesehen werden können 1 ). Er-
tantum in anima, vel in voce vel in scripto. Ockam möchte diese Fragen
der Metaphysik zuweisen (a. a. 0. N. 756 u. 777) , aber wie unten zu
zeigen ist, gibt es für Ockam eigentlich keine andere Wissenschaft, als
die Logik und an der Stelle, wo er die obigen Fragen metaphysisch
zu lösen versucht, läßt er zwei Möglichkeiten offen; vgl. Prantl III, 358
N. 810. ßiel referiert über diese beiden Möglichkeiten. Die Frage,
utrum universale univocum sit aliquid reale alicubi existens subiective
(nach unserem heutigen Sprachgebrauch „objektiv") kann nach Doktor
Ghiilelmus zwei gleich probable Antworten finden : entweder, quod uni-
versale non est res aliqua neque habet esse subiectivum i. e. esse reale
sive actuale neque extra animam neque in anima, sed est quoddam
fictum ab intellectu, habens tantum esse obiectivum in anima, cuius esse
non est aliud, nisi cogitari vel intelligi ab intellectu oder, quod universale
est vera res et qualitas existens in mente, quae ex natura sua est signifi-
cativa rerum extra, sicut vox est Signum commune plurium ex voluntaria
institutione. Biel entscheidet sich für die letztere realistische Ansicht : Vi-
detur secunda opinio probabilior, quod universale est conceptus raentis i. e.
actus cognoscendi, qui est vera qualitas in anima et res singularis, signifi-
cans univoce plura singularia aeque, primo, naturaliter, proprie, quorum
singularium est naturalis similitudo, non in existendo sed in repraesentando,
propter quod dici potest fictum , similitudo, imago vel pictura rei, etiam
obiectum cognitum, sed non se ipso, sed alio conceptu reflexo. Est etiam
universale vox vel scriptum aut quodcunque aliud signum ex institutione
vel voluntario usu significans plura singularia univoce. Quod tarnen Sig-
num est res aliqua singularis et sicut conceptus, ita et ipsum solum re-
praesentative est universale, ita quod esse universale nihil aliud est quam
repraesentare vel significare plures res singulares univoce. Et secundum
hunc modum omnia faciliter possunt solvi et intelligi. Collect. I dist. II
qu. 8 B. C. L. Einen solchen Standpunkt darf man aber doch nicht
Nominalismus nennen. Der nominalistische Gegensatz gegen den Uni-
versalismus war seinem innersten Wesen nach ontologisch bestimmt
(vgl. die tritheistische Konsequenz Roscellins) , ' während hier die onto-
logische Frage ganz nebensächlich erscheint und nur eine logische, er-
kenntnistheoretische Kritik am herkömmlichen Realismus geübt wird.
') Vgl. Prantl III, 345 N. 782; die entsprechende Meinung Biels
8. in der vorhergehenden Anmerkung.
102 II. Abschnitt.
möglichte somit die Lehre vom terminus und von der suppositio
einerseits die wirksame Bekämpfung der Ansichten von der
objektiven Realität der Allgemeinbegriffe mit all ihren Aus-
wüchsen, so bewahrte sie anderseits vor einem extremen onto-
logisch bestimmten Nominalismus. Wohl sind die konkreten
Einzeldinge das einzig Wirkliche, mit dem es der denkende
Verstand außer sich (in esse subiectivo) zu tun hat 1 ), aber
über ihre reale Essenz sagt der durch sie in der Seele gewirkte
terminus nichts aus ; er ist eben nur suppositionsfahiger termi-
nus, d. h. als Vertreter des Außendings zum Zweck der Urteils-
funktion in der Seele gewirkt. Biel warnt ausdrücklich vor
etwaigen Mißverständnissen: wenn häufig von den res geredet
wird, so ist stets der ihnen entsprechende terminus darunter
zu verstehen 8 ). Denn nulla substantia corporea exterior potest
a nobis naturaliter in se cognosci 3 ).
Dieser erkenntnistheoretische Standpunkt ist also ein Kon-
zeptualismus und zwar ein Konzeptualismus des Urteils.
Dies wird noch deutlicher, wenn der Erkenntnisprozeß ins
Auge gefaßt wird 4 ). Das Einzelding wirkt in der sensitiven
Seele ohne weitere Vermittlung eine komplexe 5 ) Vorstellung
') Cum enim esse cognoscibile sit singulare, certum est, quod primum
cognitum et medium et ultimum est singulare. Eo, quod quidquid cognos-
citur est singulare. Collect. I dist. 8 qu. 5 A. Die Einzeldinge sind in
ihrer Singularität gewollt und erschaffen worden : Agens naturale id quod
intendit producit. Intendit autem rem singularem, ergo et producit rem
singularem. Hoc autem intendere est producere; intendit autem unam
determinate, hanc scilicet, quam producit. Ibid. dist. 2 qu. 4 H. Vgl.
Prantl III, 345 N. 783.
2 ) In praedicamentis frequenter esse capitur pro dici et res pro
termino. Oder weiter unten: „Rerum quaedam universales quaedam
particulares" id est terminorum importantium res veras seu supponen-
tium pro rebus quidam sunt universales quidam singulares. Et vocan-
tur termini res, quia supponunt pro rebus. Collect. I dist. 2
qu. 4 J.
3 ) Collect. Prol. qu. 1 N fin. Auch hier fährt er fort : Et secundum
hoc etiam saepe opus est dicta sua [doctoris Gulielmi] moderare. Et
ita habetur duplex modus loquendi: Vel, quod subiici et praedicari est
rerum et similiter esse terminum ; et hoc in esse reali vel obiectivo. Vel
[subiici et praedicari] est signorum.
4 ) Er wird von Biel bei der Lehre von den Engeln zusammenfassend
beschrieben. Collect. II dist. 3 qu. 2 J ff. Vgl. dazu Collect. I dist. 3
qu. 6.
5 ) Inkomplex oder distinkt kann eine solche Vorstellung nur in-
sofern genannt werden, als durch sie das einzelne Ding von einem anderen
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 103
(cognitio intuitiva oder apprehensiva ; intentio prima), die auch
nach dem Verschwinden der äußeren Eindrucksursache als
inneres Anschauungsbild (phantasma) sei es bewußt, sei es un-
bewußt als „habitus" bestehen bleibt. Zu beachten ist, daß
nicht nur die Einzeldinge der Außenwelt, sondern auch die
einzelnen Aeußerungen des eigenen seelischen Lebens (intellec-
tiones et actus voluntatis, delectationes et tristitiae) Gegenstände
solcher intuitiven Erkenntnis sind 1 ). Der Intellekt verarbeitet
nun die Eindrücke der ersten Intention entweder schon während
ihres aktualen oder erst während ihres habitualen Zustands,
indem er die conceptus complexi (indistincti, confusi) in be-
griffliche Einheiten (termini incomplexi, distincti; termini se-
cundae intentionis oder impositionis) zerlegt und indem er All-
gemeinbegriffe abstrahiert. Bei dem nunmehr möglichen dis-
kursiven Denken werden die einzelnen so gewonnenen Begriffe
unter Mitwirkung des Willens (wodurch der Irrtum erklärlich
wird) affirmativ oder negativ zusammengefügt und getrennt,
oder es werden die ganzen Bewußtseinsinhalte bejaht oder ver-
neint. Erfahrung (experimentum) heißt die Zustimmung zu
solchen Urteilen, deren Bestandteile anschaulich erkannt worden
sind (propositiones contingentes); Verstandeserkenntnis (intellec-
tus im Sinne von intellectio) wird gewonnen aus Begriffen,
deren Zusammenfügung zum Urteil denknotwendig ist (in den
propositiones necessariae) ; durch ein Schlußverfahren (illatio)
aus evidenten Prämissen entsteht das Wissen (scientia evidens).
Wie nun ersichtlich ist, wird der konzeptualistische und
der rationalistische Charakter dieser Wissenschaftslehre
besonders dadurch gesteigert, daß die Objekte unseres Erkennens
nicht so sehr in Begriffen, als in Urteilen erfaßt werden, als
complexa oder confusa, d. h. in ihrem Zusammengesetztsein mit
ihren Qualitäten (Größe, Gestalt, Bewegung u. s. w.) und daß
erst durch die abstraktive Tätigkeit des Verstandes die deut-
unterschieden wird. Jedoch rein für sich betrachtet wird das Ding zu-
sammen mit seinen Qualitäten als ein confusum erfaßt ; und nur in dieser
letzteren Hinsicht dient seine Vorstellung als Grundlage für die spatere
Erkenntnis.
*) Notitia intuitiva non est tantum sensibilium, sed etiam intelligi-
bilium, licet non omnium . . . quia intellectus noster cognoscit intellectio-
nes et actus voluntatis, delectationes et tristitias. Nam evidenter scio me
intelligere, velle, nolle, cogitare, quod fieri non potest sine notitia in-
tuitiva. Collect. Prol. qu. 1 F. Vgl. Prantl HI, 833 N. 751.
104 H. Abschnitt.
liehen begrifflichen Elemente der wissenschaftlichen Aussagen
gebildet werden. Auch darin tut sich dieser Konzeptualismus
des Urteils kund, daß sofort bei der Apprehension eine willens-
mäßige Zustimmung oder Ablehnung des Bewußtseinsinhalts
erfolgt, so daß also die Entgegennahme des äußeren Eindrucks
sofort mit einer spontanen Urteilsbildung verknüpft ist. Mit
Recht macht H. Siebeck in seiner Untersuchung über die
historische Bedeutung der Erkenntnislehre Ockams darauf auf-
merksam, daß in diesem merkwürdig ungefügen Aufbau An-
sätze zu den beiden sich ausschließenden erkenntnistheoretischen
Standpunkten der Folgezeit enthalten sind 1 ). Einerseits leuchtet
die Beziehung zum sensualistischen Empirismus der Engländer
und Franzosen ohne weiteres ein. Aber anderseits kann sich
ebenso der Rationalismus eines Descartes und Leibniz auf
Ockam berufen. Einerseits ist die Sinneswahrnehmung die
Quelle aller Erfahrung und nur sie liefert die logisch zu be-
arbeitenden Bausteine zum Gebäude der Wissenschaft; ander-
seits ist aber gerade die Sinneserkenntnis verworren und muß
durch willensmäßige Erfassung geklärt werden, sie wird desto
deutlicher, je mehr sie vom Intellekt selbständig bearbeitet
wird. Die eigentliche Wissenschaft der scientia evidens wird
in sehr weiter Entfernung vom Ursprung ihrer Elemente be-
tätigt.
Dieses Schillern zwischen zwei entgegengesetzten und sich
selbst aufhebenden Standpunkten gehört aber zum Wesen des
Ockamismus. Diese Not ist theologisch betrachtet gerade die
Tugend des Systems; denn die Absicht Ockams ist, daß die
Vernunft sich selbst unwirksam macht. Das gelingt ihm auch :
eine selbständige Wissenschaft ist auf Grund dieser Erkenntnis-
lehre nicht möglich. Ockam wiederholt zwar die althergebrachte
Einteilung der Wissenschaften in scientiae reales und rationales.
Scientiae reales sollen die sein, deren Sätze aus der Erfahrung,
d. h. aus den anschaulich erfaßten Begriffen gebildet sind.
Aber da diese Begriffsinhalte noch undeutlich und verworren
sind, da ferner von den Dingen selbst ein Wissen nicht möglich
ist, sondern nur von den Beziehungen der Dinge zueinander,
da diese erfahrungsmäßige Erkenntnis spontan weitertreibt zu
*) Archiv f. Gesch. d. Philosophie X, 1897, S. 317 ff.; namentlich
330 f. Vgl. auch Prantl III, 332 f.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 105
intellektuell-logischer Verarbeitung, darum gibt es eigentlich
nur eine scientia rationalis 1 ) und das ist die Logik, welcher
höchstens die Wissenschaften von den die Begriffe vertretenden
Worten zur Seite gestellt werden können (Grammatik und
Rhetorik ; mit der Logik zusammen auch scientiae sermocinales
genannt). Eine inhaltlich bestimmte selbständige
Wissenschaft von den res gibt es nicht. Die Wissen-
schaft im Sinne Ockams, die scientia evidens, baut sich erst
auf korrektem Schlußverfahren auf 2 ); sie ist also schon von
der Erfaßbarkeit der Dinge sehr weit entfernt, noch weiter
aber von der Wirklichkeit derselben 3 ). Der wissenschaftliche
Erfolg der Schule Ockams ist darum auch die Ausbildung der
spitzfindigsten und ödesten Logik, die es jemals gegeben hat,
einer Logik, die allerdings den Ruhm hat, eine Reihe er-
kenntniskritischer und psychologischer Fragen angeregt zu
haben, die aber niemals von sich aus eine Aera empiristischer
Forschung eingeleitet hätte. Da die mißverständliche Bezeich-
nung „Nominalismus" jene falschen Urteile über die geschicht-
liche Bedeutung Ockams verschuldet hat, darum ist der Vor-
*) Vgl. oben S. 100 N. 2 u. 5. Die tatsächliche Gleichsetzung der
scientia realis mit der scientia rationalis geht aus folgenden Worten her-
vor: Scientia quaelibet, sive sit realis, sive rationalis, est tantum de
propo8itionibus, quia solae propositiones sciuntur . . . Quamvis aliquarum
propositionum prolatarum scientia sit realis, alia rationalis, quia ali-
quarum propositionum partes supponunt pro rebus, aliquarum pro con-
ceptibus, sie proportionabiliter de mentali propositione dicendum. Nihil
ergo refert ad sientiam realem, ut talis dicatur, an termini illius propo-
sitionis sint in anima vel extra animam, dummodo saltem stant pro
rebus extra. Collect. I dist. 2 E. Die besondere Stellung der Logik bei
Ockam s. Prantl III, 366 N. 843 fin. und die der obigen parallele Stelle
S. 352 N. 797. Ueber den Begriff realis vgl. auch S. 338 N. 767.
2 ) Est autem scientia notitia evidens veri necessarii, nata causari
per praemissas applicatas ad ipsum per discursum syllogisticum. Collect.
Prol. qu. 2 C. Ebenda auch eine Verwischung des Unterschieds zwischen
den beiden Arten von Wissenschaft: Notitia conclusionis adquisita per
demonßtrationem (= scientia rationalis) et per experientiam (= sc. realis)
sunt eiusdem speciei, quia mutuo se intendunt.
8 ) Vgl. den Satz des Ockamisten Marsilius von Inghen: Triplex est
seibile: seibile propinquum, et vocatur conclusio demonstrata; seibile
remotissimum, et vocatur res significata per terminos in conclusione positos ;
seibile remotum, ut terminus . . . Si demonstretur ista „Homo est visible",
ista propositio ipsa est seibile propinquum, et iste terminus in ea positus
est seibile remotum, et res signata per terminum „homo" i. e. animal
rationale, erit seibile remotissimum. Prantl IV, 98 N. 388.
106 IL Abschnitt.
schlag Prantls aufs lebhafteste zu unterstützen, den dieser
schon im Jahre 1864 gemacht hat und der neuestens von dem
französischen Gelehrten M. de Wulf wiederholt worden ist 1 ),
daß man für den konzeptualistischen Standpunkt Ockams die
charakteristische und schon von seinen Schülern gebrauchte
Bezeichnung „Terminismus" oder „ Intentionalismus u allgemein
einführe.
Gott, die Engel und die beati erkennen die Dinge wie sie
an sich sind 2 ), der viator erkennt sie nur in ihrer Verwend-
barkeit für seine logischen Urteile. Darum ist der viator auf
den Glauben angewiesen. Den cognoscibilia steht gegenüber
das Gebiet der credibilia. Während die cognitio auf die breite
Masse der Einzeldinge sich bezieht 9 ), ohne deren eigentliches
Wesen zu erreichen, ist das Objekt des Glaubens eine Ein-
heit: Gott, in dem alles wirkliche und wahre Sein vereinigt
ist. Der Kreatur, bestehend aus der zahllosen Masse von
Einzeldingen kommt an sich kein Sein zu 4 ); der Grund ihres
Seins liegt in Gott. Nur insofern sind die singularia real, als
sie an dem Sein Gottes teilhaben. Sie können aber an dem
einzig wahren, ewigen Sein Gottes teilhaben, weil ihre Er-
kenntnisursache (ratio cognoscendi) und ihr Urbild (exemplar
producendi), d. h. weil ihre Ideen von Ewigkeit her in
Gott sind 5 ). Die naheliegende pantheistische Konsequenz,
') Prantl in Sitzungsber. der Münchner Akademie 1864 II, 66. Gesch.
d. Logik III, 344. IV, 146 f., 186 f , 193. Maur. de Wulf, Histoire de
la philosophie me*dievale 2. ed. 1905, S. 449. Vgl. auch Nie. Paulus,
Barth. Arnoldi von Usingen 1893, in Straßburger Theol. Studien I, 3
S. 11 f.
2 ) Die Erkenntnis der Engel im Verhältnis zu der Gottes wird in
Collect. I dist. 3 qu. 2 R — U auseinandergesetzt; über die Erkenntnis
der beati vgl. unten.
3 ) Vgl. S. 102 N. 1.
4 ) Nullum esse convenit creaturae de se quia nihil convenit creaturae
a se. Quidquid enim habet creatura, habet ab alio, scilicet a suo effi-
ciente. Collect. II dist. 1 qu. 3 H.
5 ) Collect. I dist. 35 qu. 5 B : Quae rationes [cognoscendi] non
solum sunt ideae, sed ipsae vere sunt, quia aeterna sunt et eiusmodi
atque incommutabiles manent, quarum partieipatione fit, ubi fit, quid-
quid et quoquo modo est . . . Haec exemplaria rerum omnium deus
intra se habet . . .; plenus his figuris est, quas Plato ideas appellat im-
mortales, infatigabiles ; itaque homines quidem pereunt, ipsa autem
humanitas, ad quam homo affingitur, permanet. — Ideae sunt in mente
divina stabiles et aeternae, et sunt rationes sive exemplaria, ad quae
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 107
welche in der Schule Ockams von Marsilius von Inghen for-
muliert worden ist (Idea est realiter divina essentia), wird von
Biel als nicht übereinstimmend mit der ursprünglichen Meinung
des Schulhaupts abgelehnt 1 ). Die göttlichen Ideen seien nicht
identisch mit der göttlichen Essenz, sondern sie seien nur die
Gedanken Gottes von demjenigen, was von ihm verschieden
ist. Daher ist zu sagen, daß die Ideen in Gott sind, nicht
subiective et realiter, sed tantum obiective et intellectualiter 2 ).
So viel Ideen gibt es in Gott, als es mögliche Einzeldinge gibt,
denn einerseits ist die Idee nichts anderes, als das Ding selbst,
wie es von Gott erkannt wird und anderseits sind, wie schon
oben gesagt wurde, die Einzeldinge das einzige Produkt der
Schöpfung 8 ). Die Allgemeinbegriffe erkennt Gott nur in sekun-
därer Weise, indem er weiß, daß sie Abstraktionen sind, die
von den denkenden Kreaturen gebildet werden können ; insofern
werden die Universalien von Gott auch als Einzeldinge gedacht' 1 ).
In solchem Sinne kann man dann sagen, daß alle Dinge in
Gott beschlossen sind : Omnia sunt in deo, et omnia vivunt in
deo; item unitive omnia continentur in deo. Und Gott kann
von sich sagen: Ego ero omnia, quaecunque ab hominibus
honeste desiderantur ; a me est omne bonum, effective et causa-
aspioiens [deus] producit omnia, quae producit. Vgl. auch ibid. S:
Item ideae dicuntur ab Augustino formae principales, non quia sint
aliquae formae minus principales, quae non sint ideae, sed quia res ipsae
creatae necessario sunt ideae, quia necesse a deo intellectae; et prius
natura et duratione intellectae, quam actualiter sint extra deum. Et
cum extra deum actualiter sunt, non necessario sed contingenter solum
sunt in rerum natura.
*) Ibid C.
2 ) Ibid. K: Patet, quod ideae eo modo dicuntur esse in deo, quo
creaturae a deo intellectae sunt in deo.
8 ) Vgl. S. 102 N. 1. Collect. I dist. 35 qu. 5 K prop. 4: Ideae primo
sunt singularium, et non specierum vel generum; tenendo, quod univer-
salia et conceptus sint qualitates mentis; alias secus probatur, quia solum
singularia sunt extra producibilia. Ibid. prop. 7: Deus habet infinitas
idea8, sicut infinita sunt ab eo cognoscibilia ; infinitae enim sunt res ab
eo producibiles et cognitae. Hoc est autem habere ideam, cognoscere
creaturam.
4 ) Ibid. prop. 5 : Generis, speciei, differentiae et aliorum universalium,
si habent tantum esse obiectivum in mente, non sunt ideae. Sed cum
ponitur talia fore qualitates mentis, singulares in existendo, communes
tantum in praedicando, tunc eorum sunt ideae, sicut aliarum rerum
singularium. Vgl. dazu Collect. I dist. 38 qu. 1 U.
108 H. Abschnitt.
liter 1 ). Die Sehnsucht des Wanderers und das Ziel seines
Wegs ist daher nichts anderes als die Vereinigung mit Gott
und das Schauen der Dinge in ihm, was durch den Glauben
allein ermöglicht wird 2 ).
Die Alleinberechtigung des Glaubens wird noch deutlicher
erwiesen in der Lehre vom göttlichen Willen. Durch
die bisherige Lehre von der göttlichen Erkenntnis ist die Ewig-
keit der Welt nicht ausgeschlossen; sie ist im Gegenteil pro-
babler als die Ansicht von einer zeitlichen Schöpfung 3 ). Es
kann auch nicht an demonstriert werden, warum die Welt gerade
so geworden ist und nicht anders; denn die Ideen sind von
Ewigkeit her in unendlicher Anzahl in Gott, als rationes facti-
bilium für unendlich viele Möglichkeiten 4 ). Daß aber die Welt
gerade so geworden ist, wie sie ist, daß sie einen zeitlichen
Anfang genommen hat, ja noch viel mehr, daß Gott den Unter-
schied zwischen Gut und Böse in der Welt statuiert und für
die gefallene Kreatur Heilsveranstaltungen getroffen hat, daß
er eine Anzahl von Menschen zum Heile führt und die anderen
1 ) Collect. I dist. 35 qu. 5 T fin. u. dist. 36 K: Item numeri sunt
in monade, non realiter sed ut in principio omnis numeri. Item crea-
turae sunt in deo, non realiter nee essen tialiter, sed causaliter intelligi-
biliter et cognitive. Item lineae uniuntur in centro, non realiter sed quia
centrum est terminus vel prineipium earum. Item deus est vita viven-
tium, causaliter et effective u. s. w. Vgl. auch dist. 35 an der Spitze: Quia
omnia novit, omnia dieuntur esse in deo et fuisse in eo ab aeterno et in
eo fuisse vita.
2 ) Has etiam ideas solum anima rationalis, non quaelibet sed saneta
i. e. fidelis in via et beata in patria intuetur, clare cognoscit aut firmiter
credit sub ratione propria ideae i. e. cognoscit, quod res omnes sunt ab
aeterno a deo distinete cognitae et ab eo produetae . . . Etiam visione
harum idearum anima fit beatissima, non beatitudine essentiali, sed
accidentali, quae potest haberi a creaturis. Collect. I dist. 35 qu. 5 S.
Ueber die nahe Beziehung des ockamistischen Systems zur Mystik vgl.
Prantl III, 328.
s ) Deus ab aeterno fuit sufficiens producere mundum et non impe-
dibilis; igitur ab aeterno potuit producere mundum. Collect. II dist. 1
qu. 3 A.
4 ) Thomas will die Zahl der göttlichen Ideen auf das einschränken,
was Gott wirklich ausführt; dagegen wird auf den artifex creatus hin-
gewiesen, welcher aliquas operationes exeogitat, quas nunquam operari
intendit. Umsomehr gelte es von Gott, daß er die ganze unerschöpfliche
Ausdehnung seiner Allmacht kenne. Ipse enim novit totam potentiam
suam et quidquid potest. Unde omnium, quae potest, habet rationes
quasi exeogitatas. Collect. I dist. 35 qu. 5 X fin.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 109
verwirft — für all das ist einzig und allein die freie Ent-
scheidung des göttlichen Willens bestimmend. Die willkürliche
Freiheit Gottes ist etwas schlechthin Gegebenes; sie kann nur
geglaubt, niemals aber bewiesen werden 1 ). Wenn Scotus aus
der Kontingenz der Vorgänge in der geschaffenen Welt den
Schluß zieht, daß auch die erste Ursache frei wirke, so ist zu
sagen, daß der Obersatz des Beweises bedarf; man müßte viel-
mehr zuerst die göttliche Freiheit beweisen, um voraussetzen
zu können, daß die geschaffenen Ursachen nicht mit Natur-
notwendigkeit wirken. Der Beweis ist also nicht möglich, der
göttliche Wille ist schlechthin Sache des Glaubens. Für den
Glaubenden ist die Welt des Geschaffehen eine Summe von
contingentia, d. h. sie ist durch einen frei wählenden Willen
so geworden, wie sie ist 2 ). Das kontingente und das deter-
minierte Sein sind einander vollständig parallel. Determiniert
ist alles Sein im Zustand seiner Verwirklichung, indem es von
Gott in der Idee erkannt, d. h. indem es von der göttlichen
Ursache gewirkt ist. Kontingent ist alles zukünftige Geschehen,
weil Gott auch die Idee des Gegenteils verwirklichen könnte,
wenn er wollte 3 ). Der göttliche Intellekt kennt die zukünftigen
Entscheidungen seines Willens ; in welcher Weise das möglich
ist, das kann der geschaffene Verstand des Wanderers nicht
1 ) Non potest näturali ratione probari, deum esse causam effectivam
liberam et non naturalem; quin sicut ex perfectione solis naturaliter
sequuntur effectus multi, ita ex perfectione naturae divinae sequuntur
effectus multi, qui aliter esse non possunt. Itaque fide tenendum est,
quod deus contingenter et libere causat omnia alia a se. Collect. I
dist. 42 C D.
2 ) Der Begriff des contingens, der dem Begriff der Freiheit korrelat
ist, wird in der 38. Distinktion des 1. Buchs ausführlich erörtert: Con-
tingentia effectus praesupponit libertatem alicuius causae agentis (F.).
Liberias sive contingentia agentis ad opposita tarn dei quam humanae
voluntatis. (Gr fin. Die Rücksicht auf die humana voluntas wird in diesem
Gedankenzusammenhang ganz ausgeschieden.) Capitur contingens pro
eo, quod priusquam esset, potuit produci et non produci (A).
3 ) Diese Sätze stehen als Ergänzungen nebeneinander: Conclusio
prima: Omnia et singula cognoscibilia deus cognoscit cognitione
infallibili et determinata. Concl. secunda: Deus certitudinaliter et
evidenter seit omnia futura contingentia. Collect. I dist. 38 qu. 1 J.
Contingentia in rebus produetis dependet ex libertate arbitrii producentis.
Tnfallibilitas congnitionis divinae non repugnat contingentiae creaturae.
Ibid. M.
HO II- Abschnitt.
ausklügeln 1 ). Genug daß die göttliche Voraussicht das ganze
Gebiet der contingentia umfaßt, nicht nur die natürlichen Dinge,
sondern auch die Heilsveranstaltungen und die Heilsziele 2 ).
Wie Gott will, so geschieht es und so ist es gut. Das Sitten-
gesetz ist gut, weil Gott es so wollte 3 ). Wie er will, erwählt
er die Guten zum Heil und verwirft die Bösen zur Verdammnis 4 ).
Das Gute kann also nicht mit der Vernunft erkannt oder an-
demonstriert werden, sondern man muß an die Willensoffen-
barung glauben.
Das ganze Interesse bei dieser Gotteslehre gegenüber allen
bisherigen Positionen ist deutlich darauf gerichtet, die Not-
wendigkeit und Alleinberechtigung des Glaubens sicher dar-
zutun. Allerdings muß zugegeben werden, daß das Dasein
Gottes und einzelne wenige Attribute (wie Verstand, Güte, Leben,
l ) Insbesondere wird die Meinung des Scotus abgewiesen, daß die
voluntas divina, quae est prima regula contingentium, priua determinat
contingentia, antequam illa intellectus divinus intelligat. Unde intellec-
tu8 divinus videns determinationem divinae voluntatis videt illud fore
pro a, quia voluntas determinat pro a. Diese und ähnliche Ausführungen,
welche zur Unterscheidung zwischen necessitas consequentiae et conse-
quentis fuhren, werden von Ockam abgewiesen, quia talis processus in
divinis ac prioritas ac posterioritas in deo non sunt ponendae. Eher
bringt ein Vergleich mit der menschlichen Erkenntnis Aufklärung:
Wie die notitia intuitiva gegenüber der Außenwelt, so hat es auch der
göttliche Intellekt gegenüber den Entscheidungen seines Willens mit
schlechthin gegebenen Tatsachen zu tun. Ibid. L. M.
s ) Die praedestinatio ist eine species der göttlichen scientia, sapientia
und Providentia. Collect. I dist. 40 in.
3 ) Deus potest aliquid facere, quod non est iustum fieri a deo. Si
tarnen faceret iustum esset fieri. Unde sola voluntas divina est prima
regula omnis iustitiae. Et eo quod vult aliquid fieri, iustum est fieri;
et eo quod vult aliquid non fieri, non est iustum fieri. Unde quod non
est iustum fieri, potest iustum fieri, sine tarnen voluntatis mutatione aut
nova volitione. Collect. I dist. 43 qu. 1 E.
4 ) Die Ausführung der Frädestinationslehre s. bei Ferd. Kattenbusch,
Luthers Lehre vom unfreien Willen (1875) 81 ff. S. 84 N. 1 muß beide-
mal potest gelesen werden. Der Widerspruch in dem Satze: Quicunque
est praedestinatus , contingenter est praedestinatus, et ita potuit non
praedestinari et per consequens potest damnari et potest non salvari löst
sich, sobald man sich vergegenwärtigt, daß Biel zur via moderna gehört,
für welche die Wissenschaft in der logisch richtigen Setzung der termini
besteht. Die zweite Hälfte des Satzes soll den t er minus contingenter näher
erklären. So bedeuten die beiden potest nicht eine sachliche, sondern
nur eine logische, gewissermaßen vorzeitliche Möglichkeit. Vgl. dazu
Collect. II dist. 27 qu. un. 0.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 111
reine Aktualität) auch vom Verstand erschlossen werden kön-
nen 1 ), allein das führt zu keinem weiteren Ziel. Die Gottes-
lehre Ockams ist in ihrem ganzen Zusammenhang ein Kampf
gegen alle rationalen Beweisversuche der Vorgänger. Der be-
merkenswerte Unterschied seiner Ideenlehre gegenüber der
platonischen liegt klar am Tage. Der Piatonismus (und die
mit ihm zusammenhängende aristotelische Scholastik bis auf
Duns Scotus) vermitteln den Uebergang vom unterschiedslosen
einfachen Sein Gottes zu den Einzeldingen durch eine Stufen-
folge vom Allgemeinen zum Besonderen. Die ockamische Ideen-
lehre schaltet alle Mittelglieder aus, vermittels deren die
menschliche Seele zu einer spekulativen Erfassung der Gottes-
idee gelangen könnte. Gott ist kein ens universalissimum, in
welchem die perfectiones creaturarum realiter vorhanden wären 8 ).
In schroffem, durch keine Uebergänge vermitteltem Dualismus
stehen sich die beiden Gegensätze gegenüber : Gott, die Quelle
und der Träger alles Seins, die Einheit, in der kein Wider-
spruch ist 3 ), und die singularia, der Erkenntnisbereich des
Menschen, die Masse der sich ausschließenden Vielheiten. Will
der Mensch das wahre Sein der Dinge erkennen, dann muß er
Gott schauen, in dem die Dinge sind. Er muß beatus werden
durch die fides. In diesem Zusammenhange hat der Glaube
die non apparentia, die invisibilia, die res sperandae zum Ob-
') Vgl. Collect. III dist. 25 qu. 1 D u. Prol. qu. 1 D fin.: Aliquae
veritates naturaliter notae sunt theologicae, ut: Deus est bonus, vivens,
sapiens, intelligens, quas etiam philosophus demonstrat. XII Metaph. In
metaphysica demonstrantur demonstratione quia, in theologia propter quid.
Vgl. dazu Luther: Menschliche Vernunft und "Weisheit kann von ihr selbst
so weit kommen, daß sie schleußt (wiewohl schwächlich), daß da müsse
ein einig, ewig, göttlich Wesen sein u. s. w. Köstlin, Luthers Theologie,
2. A. II, 57. Nach Ockam und Biel kann Gott von der Vernunft in
einem conceptus quidditativus erfaßt werden, nicht aber in einem con-
ceptus connotativus (Collect. I dist. 3 qu. 3). Vgl. Luthers Unterscheidung,
die ratio erkenne die quidditates, nicht aber die qualitates und quanti-
tates Gottes (Weim. Ausg. III, 419, 27). Der „conceptus quidditativus"
und die „quidditas" einer Sache betreffen nach der seit Scotus üblichen
Unterscheidung die Wesenheit (esse esse) ; der conceptus connotativus, die
qualitas beziehen sich auf die Existenz, auf das Sosein (esse existere).
Also derselbe Unterschied wie oben zwischen quia (daß) und propter
quid (warum).
2 ) Collect. I dist. 36 qu. un.
8 ) Nihil non includens contradictionem negandum est a potentia di-
vina. Collect. II dist. 1 qu. 3 A. Vgl. auch S. 112 X. 2.
112 II. Abschnitt.
jekt 1 ), die alle zusammengefaßt sind in der göttlichen Einheit
(credere deum, credere in deum). Der religiöse Wert dieser
Position läßt sich nicht verkennen : das Ziel unserer Sehnsucht
ist scharf unterschieden von der Welt des Scheins ; all unsere
Glaubensaussagen beziehen sich auf den Einen, Allmächtigen
und Allgegenwärtigen 2 ).
Während dieser Teil der ockamistischen Gotteslehre mit der
Mystik im engeren Sinne verwandt ist, ist anderseits die Lehre
vom göttlichen Willen geeignet, die Gefahren einer inhalts-
leeren und ungeschichtlichen Mystik zu überwinden. Die Lehre
vom Primat des Willens ist bekanntlich ein Erbe der skotisti-
schen Theologie ; aber gerade im Gegensatz zu Duns wird hier
dfe schlechthinige Unerklärbarkeit und Unbeweisbarkeit, sowie
die strikteste Durchführung der göttlichen Willkür behauptet.
So erschreckend die Eonsequenzen sind, die hier gezogen wer-
den, so müssen doch auch diesem Standpunkt eigenartige reli-
giöse Vorzüge zugestanden werden : alles, was von Gott kommt,
selbst wenn es einer vernünftigen und natürlichen Notwendigkeit
zuwider ist, ist gut. Gott wird nicht erreicht in weltferner
mystischer Verzückung, sondern durch positive Kenntnis seiner
Willensoffenbarung. Das Objekt des Glaubens in dieser Hin-
sicht sind die omnia revelata, quae in scriptura canonica con-
tinentur oder deren Zusammenfassung in den articuli fidei in
*) Collect, in dist. 23 qu. 2 C. und dist. 24.
*) Die Lehre vom suppositionsfähigen terminus ermöglicht es, die
areopagi tische Lehre von den göttlichen Eigenschaften umzustoßen: Die
Attribute, welche wir Gott beilegen, sind nur termini, sie sind verschie-
dene Zeichen für ein und dieselbe Sache. Der Unterschied findet nur
in unseren Begriffen statt; die göttlichen Eigenschaften sind unter sich
in keiner Weise verschieden, weder realiter, noch formaliter, noch ratione.
Attributs divina non distinguuntur ab essentia, tametsi attributorum
nomina non sint synonima . . . Sapientia et veritas dei et aeternitas
non diversa sunt inter se, sed unum sunt, sicut et omnia. Sapientia
enim dei non magis sapientia, quam veritas est; et non magis veritas
est, quam sapientia, quam aeternitas, quam cetera dei omnia. Unum
enim sunt in deo, et non solum haec eadem sunt in deo, sed non aliud
sunt quam ipse deus. Collect. I dist. 2 qu. 1 K und an vielen anderen
Orten. Z. B. der Satz Praedestinatio dei est reprobatio dei ist gültig,
weil beide Begriffe pro eodem supponunt, nämlich pro essentia divina.
Ibid. dist. 40 qu. 1 C. Vgl. dazu Luther: „Gottes Gewalt, Arm, Hand,
Wesen, Geist, Weisheit u. s. w. ist alles Ein Ding". Köstlin, Luthers
Theologie 2. A. I, 449.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 113
apostolorum symbolo distincti 1 ). Es muß betont werden, daß
diese positivistische Lehre vom göttlichen Willen die Basis ist
für das spätere protestantische Schriftprinzip, obwohl aus dem-
selben Gedankenzusammenhang heraus von der ockamistischen
Scholastik mit unheimlicher Eonsequenz die Forderung des blin-
den kirchlichen Autoritätsglaubens durchgeführt worden ist 2 ).
Von besonderem Wert ist endlich auch der Begriff des
Glaubens, welcher dieser Gottesanschauung entspricht. Aufs
deutlichste wird die eigenartige Gewißheit betont, die uns der
Glaube gibt : das Anschauungsvermögen verleiht firmitas ; durch
das Beweisverfahren wird evidentia gewonnen ; untrüglicher als
beide ist die certitudo, die im Glauben liegt 3 ). Die unumstöß-
liche Gewißheit des Glaubens beruht auf der Wahrhaftigkeit
des sich offenbarenden Gottes und auf den Aussagen der
Kirche 4 ). Mit Berufung auf das Apostelwort: Fides ex au-
ditu est, wird die Notwendigkeit der fides acquisita, d. h. die
positive Kenntnis der göttlichen Willensoffenbarung gefordert 5 ).
Weil aber der Inhalt der göttlichen Offenbarung der Vernunft
so zuwider ist, wird der Glaube der psychologischen Form
nach als willensmäßiges Erfassen näher bestimmt 6 ).
*) Collect. III dist. 25 qu. un.
2 ) Vgl. Ritschi, Fides implicita (1889) S. 34 ff.; Gg. Hoffmann, Die
Lehre von der fides implicita (1903) S. 193 ff. Biels protestatio theo-
logica an mehreren Stellen seiner Werke. Vgl. z. B. den Eingang zum
2. Buch.
3 ) Certitudo respicit obiecti infallibilitatem; firmitas respicit intel-
lectus adhaesionem ; evidentia respicit manifestationis modum, quo scilicet
yeritas sie manifestatur, ut intellectus non possit dissentire ... Et haec
evidentia non est fidei, sed scientiae et intellectus prineipiorum. Fides
enim est non apparentium, i. e. veritatum non evidentium ; fides ergo est
certa, immo certissima, immo omni humana cognitione viae certior. Est
enim revelatorum a deo. Collect. III dist. 23 qu. 2 D.
4 ) Homo non dubitat de veritate dei, quia illud naturaliter cuilibet
insertum est deum esse veracem. Nee dubitat de approbatione ecclesiae,
quia approbat dieta et scripta virorum veracium, ergo eis fide acquisita
ex auditu firmiter adhaeret. Ibid. J.
6 ) Collect. III dist. 23 qu. 2 art. 3 concl. 1. Vgl. dazu Luther, dem
das Wort Fides ex auditu est besonders wertvoll ist. Weim. Ausg. IX,
92, und an mehreren Orten der ersten Psalmenvorlesung. Eöstlin, Luthers
Theologie I 2 , 59 ; Hunzinger, Lutherstudien I, 54 ff. 62.
6 ) Actus autem fidei est credere qui est actus intellectus vero assen-
tientis, procedens ex voluntatis imperio, quia nullus credit nisi volens
seeundum b. Augustinum. Ibid. C. Vgl. Luther, welcher ebenfalls das
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 8
114 II. Abschnitt.
Aber wenn auch die angeführten Punkte in eminentem Sinn
religiös wertvoll wirken können, so muß doch die Grundstim-
mung des religiös ernsten Individuums gegenüber einer solch
absolutistischen Gottesanschauung eine direkt verzweifelte sein.
Das Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit ist bis zur nieder-
drückenden Unsicherheit und bis zum Gefühl- der eigenen Wert-
losigkeit gesteigert. Persönlichkeitsentfaltung, das Ziel aller
Religion, ist nicht möglich, wenn der Mensch sich als Spielball
der göttlichen Willkür fühlt. Darum mußten solche Voraus-
setzungen in der Gotteslehre, wenn sie nicht auf die Dauer
jede Religiosität ertöten sollten, irgend welchen Ausgleich in
anderen Teilen der religiösen Anschauung herausfordern. Nur
unter diesem Gesichtspunkt ist es uns heute verständlich, daß
die dem bisherigen so vollständig widersprechende Lehre von
der Freiheit des Willens und von den natürlichen Kräften
des Menschen in die ockamistische Glaubenslehre Aufnahme
fand und durch zwei Jahrhunderte hindurch nicht als un-
erträglicher Widerspruch empfunden worden ist. Ihre Haupt-
thesen sind bekannt 1 ). Die natürliche Ausstattung des Men-
schen ist sein freier Wille, vermittels dessen er Gott über alle
Dinge lieben, d. h. alle Gebote einschließlich des höchsten und
schwierigsten vollständig erfüllen kann. Diese substantielle
Erfüllung der göttlichen Gebote samt der rechten Gesinnung
(caritas) genügt aber noch nicht, wenn nicht dazu noch die
formale Genehmigung seitens der göttlichen Gnade kommt
(acceptatio). Diese ward dem ersten Menschen in der Form
der iustitia originalis als donum superadditum gewährt, muß
aber seit der ersten Sünde in jedem einzelnen Fall erneuert
werden. Seither besteht die Schuld der Erbsünde gerade darin,
daß der Mensch die Gnade sich hat wieder nehmen lassen
(carentia iustitiae originalis zusammen mit dem debitum ha-
bendi) ; allein der Mensch bleibt nach wie vor in puris natura-
libus und kann sich (facere quod in se est) „moralische"
Tugenden erwerben, die eine „Disposition" schaffen für das
Eingießen der Gnade, deren Hinzutritt jene Tugenden zu
willensmäßige und affektvolle Moment in der Psychologie des Glaubens
stark betont. Vgl. Hunzinger, Lutherstudien I, 63 f.
*) Vgl. Dieckhoff in Theol. Zeitschr. herausg. von A. W. Dieckhoff und
Th. Kliefoth I, 1860; S. 657 ff. und Herrn. Schultz in Theol. Studien und
Kritiken 1894, 304 ff.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 115
„meritorischen" macht. Biel ist eifrig bemüht, das eigene Tun
und das Wirken der Gnade nicht in Kausalbeziehung zueinan-
der zu setzen 1 ). Aber es gibt doch einen Anspruch auf Gnade,
die Gott dem, der das Seinige tut, verleiht, nicht necessitate
coactionis, sed necessitate immutabilitatis 2 ). Nach dem Wirken
der Gnade ist verdienstliches Wirken (meritum de condigno)
im Sinne der Kirche in weitestem Umfang möglich.
Diese Verdienst- und Gnadenlehre mit ihren pädagogischen
und kirchlich praktischen Tendenzen hat sich zum Ausgleich
gegen jene schroffe Gotteslehre als sehr brauchbar erwiesen.
Hier war der sittlich persönlichen Arbeit der Wert zuerkannt,
dort erschien die Souveränität Gottes genügend gewahrt. Daß
der unhaltbare Widerspruch zwischen beiden Gedankenfolgen
nicht störend bemerkt wurde, dürfte weniger auffallen, wenn
man bedenkt, daß in religiösen Anschauungen ein Widerspruch
gemeinhin leichter ertragen wird, als in intellektuellen Ge-
dankensystemen, zumal wenn es sich um verschiedene gleich-
berechtigte praktische Tendenzen handelt. Der Widerspruch
konnte umsomehr ignoriert werden, da die Vernunft als
Richterin der Widersprüche im Ockamismus unwirksam ge-
macht ward; ja da geradezu nach diesem Gedankenzusammen-
hang das Glauben wider die Vernunft als verdienstliches Werk
gewertet ward 3 ).
*) Anima obicis remotione ac bono motu in deum ex arbitrii über-
täte elicito primam gratiam mereri potest de congruo. Probatur, quia
actum facientis quod in se est, deus acceptat ad tribuendam gratiam
primam non ex debito iustitiae, sed ex sua liberalitate. Sed anima remo-
vendo obicem, cessando ab actu et consensu peccati et eliciendo bonum
motum in deum tanquam in suum principium et finem, facit quod in se
est. Ergo actum remotionis obicis et bonum motum in deum acceptat
deus de sua liberalitate ad infundendum gratiam. Collect. II dist. 27 qu.
un. K.
2 ) Est necessitas coactionis et est necessitas immutabilitatis. Vel
posset poni alia distinctio: est necessitas simpliciter dicta seu absoluta,
cuius oppositum includit contradictionem ; et est necessitas ex conditione
seu suppositione. Tunc dicitur, quod deus dat gratiam facienti quod in
se est necessitate immutabilitatis et ex suppositione, quia dispoauit dare
immutabiliter gratiam facienti, quod in se est . . . Si homo facit, quod in
se est, deus dat gratiam. Ibid. 0.
3 ) D. h. es soll streng genommen, kein widervernünftiges Glauben
sein, sondern es ist eine willensmäßige Entscheidung für das von Gott
geoffenbarte Glaubensobjekt vor Eintreten der Vernunfttätigkeit (ratio
consequens im Gegensatz zur ratio praecedens). Cum aliquis assentit
116 II. Abschnitt.
Es ist hier nicht notwendig, ins einzelne zu verfolgen,
wie Biel in zahllosen Wendungen sich um den skizzierten
Gegensatz seiner Grundanschauungen herumdrückt. Mitten in
den schroffsten Ausführungen über Reprobation und Elektion
der Prädestinierten wird eine kurze Weile ausgeführt, daß
Gott das Verhalten der Menschen vorherwisse und deshalb so
urteile *) ; und mitten in den Ausführungen über die natürliche
Dispositionsfähigkeit des Menschen für den Stand der Gnade
wird betont, daß Gott rein nach Willkür ex sua liberalitate,
niemals ex debito iustitiae den Sünder erwähle 2 ). Immerhin
mögen hier einige Worte Platz finden, die in den Zusammen-
hang der prädestinatianischen Anschauungen hineingeboren
und die im jungen Luther, der sie hier zum erstenmal las,
nachgewirkt haben mögen: Deus, quemcunque beatificat, mere
contingenter, libere et misericorditer beatificat ex gratia sua;
non ex quacunque forma vel dono collato, nisi quod deus miseri-
corditer ordinavit, quod habens tale donum mereatur vitam
aeternam. Et hoc dictum maxime recedit ab errore Pelagii.
. . . Sicut deus libere et contingenter infundit gratiam ex
sua benignitate, ita concessa quacunque forma ad hoc libere
et misericorditer de sua gratia dat vitam sempiternam, et
semper (sine sui iniusticia) posset non conferre. Ipse enim
est, cui nullus dicere potest: Cur ita facis? Et quaecunque
facere potest, faciendo iusta sunt et iuste sie ea facit. Solche
Sätze werden von Biel zum Teil mit Hilfsmitteln der neuen
terministischen Logik bewiesen 3 ) ; noch öfters aber werden sie
veritati fidei propter rationam convincentem alias non crediturus, sie
ratio indueta diminuit meritum fidei, immo totum tollit, ita quia sie
assentiendo non meretur. Nihil enim est meritorium nisi voluntarium,
sed talis non voluntarie et propter divinam revelationem et auetoritatem,
sed convictus necessario assentit. Alio modo ratio humana se habet ut
consequens, cum scilioet homo habet promptam voluntatem credendi divinae
auetoritati et diligit veritatem creditam et super ea exeogitat, si quas
rationes adhoc invenire posset; non quidem ut firmius credat, sed ut
credita magis intelligat, defendat ac piis opituletur. Sic ratio humana
non tollit meritum, sed est Signum maioris meriti. Collect. HI dist. 26
qu. un. T. Vgl. übrigens auch dist. 24 qu. un. L unten S. 129 N. 2.
*) Vgl. Ferd. Kattenbusch, Luthers Lehre vom unfreien Willen 1875,
S. 83 ff.
2 ) Vgl. oben S. 115 N. 1.
3 ) Collect. I dist. 17 qu. 1 D. F.: Et est considerandum , quod in
praefatis dictis, cum sit sermo de gratia et caritate, sumuntur illa
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 117
durch Heranziehung von Autoritäten, und darunter namentlich
durch Augustin und auch Paulus bekräftigt. August in ist im
Collectorium der nächst Ockam wohl am meisten zitierte Schrift-
steller 1 ); neben ihm werden sehr häufig paulinische Stellen
angeführt. Daß außerdem auch andere augustinisch gerichtete
Theologen, wie Thomas und Bonaventura, Gerson und Gre-
gor v. Rimini zu Wort kommen, sei erwähnt. Allein sie treten
gegenüber Augustin selbst zurück, und es ist durchaus nicht
notwendig anzunehmen, daß irgend einer von ihnen, z. B.
Gregor, dem jungen Luther den Weg zu Augustin gewiesen
hätte. In Luther konnte durch Biel selbst das Interesse zum
Studium der Augustinischen Schriften wachgerufen werden;
und wenn er einmal an Augustin „geraten" war, dann mußte
er erkennen, daß die Lehren über Gott und seine Gnade hier
viel widerspruchsloser und schriftgemäßer vorgetragen waren,
als bei seinen Meistern und Lehrern Ockam und Biel.
In seiner Ideen- und Prädestinationslehre , in manchen
Teilen der Gottes- und Gnadenlehre ist Biel wesentlich von
Augustin abhängig. Ist es auch erlaubt, nach den Quellen
jener entgegengesetzten Aussagen über die natürlichen Fähig-
keiten des freien und seiner selbst bewußten Willens zu fragen ?
Es ist eines der wichtigsten Probleme der spätmittelalterlichen
Dogmengeschichte: woher stammt der semipelagianische Ein-
schlag? Die thomistische Gnadenlehre ist augustinisch; Duns
nomina absolute, ut supponunt pro qualitate certa, non connotando
quamcunque gratificationem vel animae ad vitam acceptationem. Nam
accipiendo ea connotative, verum esset dicere: Quicunque habet in se
caritatem aut gratiam, est acceptus ad vitam. Patet ex connotato
t ermini. Man beachte, daß Ockam in seinem Centilogium conclusio 44
den Satz Justitia dei est misericordia dei und ähnliches ebenfalls mit den
Regeln der „modernen" Logik beweist (weil beide für essentia dei sup-
poniert werden können, vgl. oben S. 112 N. 2). Der Klang solcher Sätze,
die der junge Luther in der „modernen" Logikstunde zu Erfurt hörte, mag
nachgewirkt haben, auch wenn sich im Lauf der Zeit ein ganz anderer
Gedankeninhalt daran knüpfte. Aehnliche Sätze, wie die oben ange-
führten Bieh bei Ockam, s. J. B. Schwab, Johannes Gerson 1858, S. 282
N. 4 und 283 N. 1.
*) Vgl. nur z. B. Collect. II die ganze 26. Distinction. Außerdem
oben S. 106 N. 5 und S. 113 N. 6. Vgl. ferner Collect. I dist. 35 u. ff.,
III dist. 23 qu. 2 ; dann die Ausführung über den verschiedenen Gebrauch
von verbum in Collect. I dist. 27 qu. 2 u. s. w. Auch die Mainzer
moderni behaupten, nur den besten Autoren, dem Aristoteles, Boethius,
Augustinus und Marsilius zu folgen. Prantl IV, 192 N. 81.
118 H. Abschnitt.
will bewußtermaßen Augustinianer sein x ). Aber bei ihm schon
ist eine Unterströmung vorhanden, die im Ockamismus zur
Hauptströmung wird, und die selbst von katholischen Schrift-
stellern als zu weit gehender Irrtum gekennzeichnet wird 2 ).
Woher tauchen plötzlich die Ausführungen über den freien
Willen und über die natürlichen Kräfte des Menschen auf,
denen gegenüber zeitgenössische Augustiner die Causa dei ad-
versus Pelagium verteidigten und die „pelagianischer waren
als Pelagius u ? Woher stammen die Bausteine des Bollwerks,
gegen welches Luther zuerst Sturm laufen zu müssen glaubte 3 )?
Die geschichtlichen Bedingungen des ockamistischen Systems
scheinen eine Antwort nahezulegen. Wie oben ausgeführt ist 4 ),
verdankt der Ockamismus seine Eigenart einer stoisch beein-
flußten Logik, welche in Kommentaren des Aristoteles, sei es
über Byzanz, sei es über arabische Philosophenschulen, dem
lateinischen Abendland mitgeteilt worden ist. Stammt nun
jene Lehre von der eigenen Kraft des frei sich entscheidenden
Willens mit allem, was sich für die Theologie daraus ergibt,
nicht ebenfalls aus stoisch beeinflußten Kommentaren zur
Ethik des Aristoteles? Jedenfalls ist die Tendenz der ocka-
mistischen Lehre von den eigenen Kräften des Menschen dar-
auf gerichtet, auch in der vor- und außerchristlichen Mensch-
heit die relativ guten Werke anzuerkennen 5 ). Diese Tendenz
steht im Gegensatz zum Augustinismus, nach welchem die
Tugenden der Heiden glänzende Laster sind ; wohl aber dürfte
sie genuin stoisch sein (vgl. die Lehre vom Xö^fo? arcepjta'cixöc).
Die Vermutung, daß nicht nur die moderne Logik des Ter-
minismus, sondern daß auch die moderne Ethik des Semipela-
gianismus aus stoisch beeinflußten Kommentaren des Aristoteles
*) Vgl. R. Seeberg, Die Theologie des Joh. Duns Scotus in Stadien
zur Gesch. d. Theologie u. Kirche V, 1900, S. 319 ff.
2 ) Krogh-Tonning, Der letzte Scholastiker 1900, S. 10 f.; vgl. das
Urteil des späteren Bischofs Linsenmann: „Darin geht Biel zu
weit, jedoch ist es nicht semipelagianisch gemeint". Theol. Quartal-
Schrift 1865, 653.
') Leider hat K. Stange in seiner Ausgabe der ältesten ethischen
Disputationen Luthers (Quellenschriften zur Gesch. des Protestantismus
1. Heft 1904) es unterlassen, die angegriffenen Sätze der mittelalterlichen
Theologen zusammenzustellen.
4 ) Vgl. oben S. 99 N. 1.
B ) Vgl. K. Werner, Die Scholastik des späteren Mittelalters IV,
1 Endausgang 1887 S. 284.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 119
stamme, wird durch zwei Tatsachen gestützt. Erstens beruft
sich Biel bei allen hiehergehörigen Aussagen nächst Ock&m
und Scotus auf die Ethica des philosophus. Ebenso wie bei
den andersgearteten Ausführungen der Gottes- und Prädesti-
nationslehre Augustin die Autorität ist, so ist es Aristoteles
und BoSthius bei den Sätzen über das liberum arbitrium in-
differentiae, über die contingentia, über die primi motus in
voluntate, über die virtutes morales und über ähnliche Dinge *).
Zweitens ist bekannt, daß Luther seine Angriffe gegen Aristoteles
damit begründete, daß die Ethik dieses heidnischen Philosophen
die eigene Gerechtigkeit lehre und die Quelle sei fttr den
pelagianischen Standpunkt seiner scholastischen Gegner 2 ). Ist
nun dieser Aristoteles, den Biel benützt und den Luther be-
kämpft, derselbe, welcher dem augustinischen Aristoteliker Thomas
vorlag? Oder ist, wie Prantl meint, seither ein stoisch beein-
flußter Kommentar der abendländischen Christenheit bekannt
geworden, dessen Einflüsse sich zunächst bei Duns Scotus be-
merkbar machen 3 ), der aber dann bei Ockam und seinen
Schülern eine ganz neue Auffassung, eine via moderna in der
Logik und in der Ethik bedingt hat? Jedenfalls wird es Auf-
gabe der Dogmengeschichte sein, auch der Geschichte der
mittelalterlichen Aristoteleskenntnis mehr als bisher ihre Auf-
merksamkeit zu schenken 4 ).
*) Vgl. z. B. Collect. I dist. 38 qu. un. A. u. dist. 44 qu. 1 B;
II dist. 25 qu. un. A. u. dist. 28 qu. un. D; namentlich aber III dist. 23
qu. 1 und an vielen anderen Orten.
2 ) Köstlin-Kawerau, M. Luther I 6 129.
3 ) Daß Duns die „moderne" „byzantinisch "-stoische Logik gekannt
und z. T. weitergebildet hat, darüber vgl. Prantl III, 129 u. 325 ff.
Sollte nicht auch die zuerst bei Scotus auftretende Lehre vom Primat
des Willens mit ihren Konsequenzen aus derselben Quelle stammen?
Ein gewisser Anhaltspunkt für diese Vermutung ist dadurch gegeben,
daß in der „modernen" Logik die Urteilsformen der contingentia gegen-
über den necessaria und possibilia eine gewisse Rolle Bpielen (vgl. Prantl III,
14, 132 u. s. w.). Nun hangen die spätscholastischen Anschauungen über
das contingens mit der (stoischen) Lehre vom liberum arbitrium indiffe-
rentiae aufs engste zusammen (vgl. oben S. 109 N. 2); speziell die Lehre
von den Urteilen de futuro contingenti bot Raum zu theologischen Er-
örterungen über den göttlichen Willen und über die Prädestination und
Präscienz (vgl. Prantl III, 419 N. 1039 und unten im nächsten Abschnitt
über die Differenzpunkte der antiqui und moderni).
4 ) Wie mir Herr Prof. Dr. Baur in Tübingen mitzuteilen die Güte
hatte, ist über die Geschichte des mittelalterlichen Aristotelestextes
120 II- Abschnitt.
In den zur Genüge erörterten Dualismus der theologischen
Grundanschauung ist Luther als Student zu Erfurt eingeführt
worden. Es läßt sich nachweisen, daß sämtliche Elemente
der ockamistischen Lehre dem jungen Luther nahegetreten
und von ihm bewegt worden sind. Am wenigsten allerdings
sind die mühsamen, logischen und erkenntnistheoretischen Aus-
führungen Ockams in den Schriften Luthers zu finden. Allein
das Resultat derselben, das starke Mißtrauen gegen die selb-
ständigen Leistungen der eigenen Vernunft, das alleinige Fest-
halten an dem positiven Offenbarungsinhalt des Glaubens ist
bei Luther bekanntlich in ausgeprägtem Maße vorhanden. Ab-
gesehen von dem Resultat dürfte auch die Form der philo-
sophischen Wissenschaft Ockams auf den jungen Luther ein-
gewirkt haben: Die via moderna war in jener Zeit die Schule
der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit. Die antiqui gingen
über die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen zur Tages-
ordnung, d. h. zu den res über, die moderni dagegen waren
theoretisierende Scholastiker der schlimmsten Sorte. Keinen
Stein durften sie auf dem anderen lassen; er mußte geprüft
und von neuem behauen werden und dann erst konnte man
ihn zum Bauwerk benützen. Jeder Einwand der eigenen Ver-
nunft mußte hervorgelockt, gehört, entkräftet und zurückge-
stellt werden. Sollte diese peinliche Gewissenhaftigkeit in den
Gewissenskämpfen des jungen Luther nicht nachgewirkt haben?
Doch sehen wir von diesen logischen und erkenntnistheore-
tischen Voraussetzungen des Ockamismus ab, die Luther teilt 1 ),
ohne sie in extenso zu wiederholen, so ist jedenfalls ganz
sicher, daß Luther die übrigen untereinander disparaten Ele-
mente der ockamistischen Grundanschauung in sich bewegt und
sich mit ihnen auseinandergesetzt hat. Ihm ist sowohl die
platonisch-augustinische Gottes- und Ideenlehre, als auch die
„aristotelisch 44 -skotistische Lehre von der göttlichen Willkür und
von den eigenen Kräften des freien Menschen übermittelt wor-
den. Niemand bezweifelt dies von der Lehre von den eigenen
und der Kommentare bisher zu wenig bekannt, als daß obige Fragen
entschieden werden könnten.
*) Vgl. z. ß. die Sätze: Philosophia semper de visibilibus et appa-
rentibus, vel saltem ex apparentibus deducta loquitur (Hunzinger
S. 47) oder Fides non sensitiva, nee ex sensitiva procedens cognitio,
sed desursum solum intellectualis (ebenda S. 68) mit der ockamistischen
Erkenntnis- und Wissenschaftslehre (oben S. 103 u. 105).
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 121
Kräften des Menschen, die Luther in den Disputationen des
Jahres 1516 und 1517 bekämpft hat. Er hat sich da von
Anschauungen losgemacht, die er einstens geteilt und die ihn
innerlich beschäftigt haben; er hat es versucht, selbst gerecht
zu sein und aus „Möncherei" den Himmel zu erringen. Aber
der Schluß, daß Luther durch diese Disputation sich von allen
Einflüssen Ockams und Biels freigemacht habe, wäre voreilig
und verfehlt. Es darf im Gegenteil als ausgemacht gelten,
daß Luther die Grundvoraussetzungen der skotistisch-ockamisti-
schen Lehre von der göttlichen Willkür in der Schrift „de
servo arbitrio" geteilt hat 1 ). Die Lehren vom unerforschlichen,
verborgenen Willen Gottes und von der doppelten Prädesti-
nation hat Luther nicht erst nach 1517 sich angeeignet, son-
dern sie stammen aus der ockamistischen Schule, die Luther
durchgemacht hat, d. h. er kennt sie ihrem ersten Eindruck
nach aus dem Collectorium Biels. Zuzugeben ist, daß diese
Lehren ums Jahr 1517, auch im ersten Psalmenkom-
mentar, zurücktreten; allein geteilt und anerkannt hat sie Luther
stets, seitdem er in jungen Jahren mit ihnen bekannt gewor-
den war und sich über die „Versehung" geängstigt hatte 2 ).
Daß aber weiterhin Luther auch die platonisch- augustinische
Gottes- und Ideenlehre zunächst in der ockamistischen Form
kennen gelernt hat und daß er durch sie zu Augustin selbst
weitergeführt worden ist, bedarf noch eines besonderen Be-
weises. Erst neuerdings ist nachgewiesen worden 3 ), daß eine
Reihe platonischer und augustinischer Elemente in der theo-
logischen Anschauung des jungen Luther, namentlich in dessen
Psalmenvorlesung von 1513 — 1516, zu finden seien. Nur darf
dieser „Neuplatonismus" Luthers nicht so ausschließlich betont
werden, wie es sein Entdecker tut. Im Gegenteil ist, wie
schon oben betont worden ist, die ockamistisch-lutherische
scharfe Scheidung zwischen der unseren Sinnen offenstehenden
Welt des Scheins und zwischen dem wahren Sein der Dinge,
das nur durch den Glauben erreicht werden kann, den letzten
Prinzipien nach etwas völlig anderes, als die platonische Lehre
von Stufenfolgen des Seins, die auf spekulativem Wege er-
*) Vgl. Ritschi in Jahrbücher f. deutsche Theologie 1868, S. 87 ff.
Kattenbusch, Luthers Lehre vom unfreien Willen 1875, S. 77 ff.
2 ) Vgl. Köstlin, Luthers Theologie I 2 19 f., 361 f.
3 ) A. "W. Hunzinger, Lutherstudien I 1906.
122 II. Abschnitt.
klommen werden müssen. Darum ist es falsch, wenn Hunzinger
sagt, daß „der Gottes-, Welt- und Menschheitsbegriff in Luthers
Anfangstheologie auf rein spekulativem Wege gewonnen" seL
Und die fünffach abgestuften Seinsformen, die er aus den
Worten Luthers herausentwickeln will, sind reine Konstruktion x ).
Luther kennt genau so wie Ockam nur den Unterschied zwischen
den zwei schroff einander gegenüberstehenden Wirklichkeits-
formen des sinnenfälligen, nur scheinbar wirklichen Einzel-
dings *) und der unsichtbaren in Gott zusammengefaßten wahren
Einheit aller Dinge 3 ). Und zwar gehören wie bei Ockam, so
auch bei Luther die einzelnen Aeußerungen des eigenen
seelischen Lebens zu den sensibilia und yisibilia, d. h. zu den
tatsächlich unwirklichen Außendingen 4 ). Wie bei Ockam ist
auch bei Luther das wahre Sein eines Wesens bedingt durch
seine Anteilnahme an der Welt der ewigen Dinge, die zu-
sammengefaßt sind in Gott 5 ). Von Vermittlungen und Stufen
zwischen diesen beiden einander entgegengesetzten Seinsformen
der scheinbaren Wirklichkeit und des wahren Seins ist bei
*) A. a. 0. S. 18 u. 19. Vollends darf der „Neuplatonismus" Luthers
nicht zur Erklärung des verschiedenartigen Verhaltens Luthers gegen-
über dem Mönch tum verwandt werden. S. 3.
2 ) Das Leben in der sinnenfälligen Welt ist ein Schlafen, quia sicut
dormiens non veris rebus gaudet, tristatur, sed phantasmatibus et
rerum imaginibus fallitur, Weim. Ausg. III, 398, 6. Das dividi in multos
et diversos, d. h. das Auseinanderfallen der wahren Einheit in Einzel-
dinge ist das Merkmal der temporalia, im Gegensatz zu den spiritualia.
Weim. Ausg. IV, 400, 35 ff. Hunzinger S. 6, 12 f. Vgl. oben S. 102 N. 1
u. S. 106 N. 4.
8 ) Der Satz: „Ego autem sperabo in domino u i. e. in spiritualia,
cum quibus est dominus veritatis, quia et illa vera sunt et veritates,
Weim. Ausg. III, 167, 14, besagt ebenso wie die Ausführungen der
ockamistischen Ideenlehre (vgl. oben S. 108 N. 1), daß Gott einerseits die
Zusammenfassung aller wahren Wesenheiten sei, daß aber anderseits die
veritates, d. h. die Ideen von ihm zu unterscheiden seien. Vgl. Hun-
zinger S. 8. Diese Zusammenfassung der spiritualia in Gott ist unter-
schiedsloses, unveränderliches, einheitliches Sein. Weim. Ausg. IV, 146, 8,
vgl. oben S. 111 N. 3 u. S. 112 N. 2.
4 ) Hunzinger S. 16 f., vgl. oben S. 103 N. 1.
5 ) Vgl. die Stelle Weim. Ausg. VI, 255, 17 ff.: „In quibus licet sit
deus et ipsi in deo sint, moveantur et vivant, non tarnen stabiliter habitat
in eis." Hunzinger S. 9. Auch der Gedanke Luthers, daß Gott als das
Objekt der Seligkeit die essen tia der Seligen sei, ohne welches die Seligen
nichts seien (Köstlin, Luthers Theologie I 3 , 73), ist gut ockamistisch. Er
besagt, daß das Maß der Seligkeit von dem Maß des Seins in Gott abhänge.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 123
Luther so wenig wie bei Ockam die Rede. Darum kann auch
Luther nicht wie Plato und die platonisch-aristotelischen Scho-
lastiker des Mittelalters durch diese Vermittlungen hindurch
auf spekulativem Wege zur göttlichen Einheit und Wahrheit
gelangen. Sondern die invisibilia, die non -apparentia werden
nach Luther ebenso wie nach Ockam allein erfaßt durch den
Glauben *) , der in erster Linie affectus, d. h. willensmäßiges
Erfassen des Offenbarungsinhalts ist 2 ), und der erst in zweiter
Linie intellectus invisibilium ist 3 ) , d. h. eine (unvollkommene)
*) Wie oft konnte Luther bei Ockam und Biel, nachdem alle Gründe
der Vernunft und Spekulation vernichtet waren, lesen: Sola fide tenetur!
Gehört ein solch häufiger, wenn auch andersartiger Gebrauch nicht auch
in die Geschichte dieses Begriffs?
2 ) Hunzinger S. 63 f. Vgl. oben S. 113 N. 6. Die Ausführungen Hun-
zingers über das verbum internum (S. 56 ff. 62) sind übertrieben und
falsch; er muß sie deshalb S. 65 N. 1 selbst einschränken. Hätte er
z. B. Weimarische Ausgabe IX, 92, 31 f. zum Vergleich herangezogen
oder seine Hauptstelle IV, 10, 5 im Zusammenhang angesehen (S. 9, 38 :
solus deus est verbi sui autor et locutor, licet utatur ministerio
1 i n g u a e), dann hätte er erkannt, daß zur inneren Wirkung des Worts
unbedingt die äußere Verkündigung der Offenbarung vorausgegangen sein
muß (vgl. III , 255 , 28 u. 262 , 9). Luther betont an manchen Stellen
stark die Notwendigkeit der inneren Wirkung (z. B. IV, 10, 38 ff.), aber
nie laßt er das verbum externum außer acht. Die testimonia scripturae
und das verbum internum sind, wie Hunzinger selbst zugeben muß,
Korrelatbegriffe. Im Buche Hunzingers ist überhaupt mancher Aus-
druck aus der biblischen oder allgemein mystischen Terminologie in neu-
platonischem Sinne verzerrt und in übertriebener Weise ausgenutzt. Luther
war eben nie „Neuplatoniker", sondern betonte ebenso wie Ockam die
Notwendigkeit einer positiven Offenbarung (vgl. auch Weim. Ausg. IX,
51, 30 ff; 29, 21 f.; 46, 16 f.). Daher seine Ausführungen über die fides
ex auditu. Wenn aber Luther weiterhin betont, daß der äußeren Ver-
kündigung ein inneres Wirken des Geistes irgendwie zur Seite gehen
müsse, so unterscheiden sich seine Ausführungen im ersten Psalmen-
kommentar (Hunzinger S. 58) in keiner Weise von späteren Gedanken
(Köstlin, Luthers Theologie II 2 , 223). Sie sind jedenfalls nicht neuplatoni-
schen Ursprungs, sondern wenn man kühn sein will, kann man sagen,
daß die lutherische Lehre vom „Wort" ihre Vorgeschichte hat in der
(stoisch-Jterministischen Gleichsetzung von Grammatik und Logik, in der
gegenseitigen Suppositionsfähigkeit von Wort, Begriff und Wesen einer
Sache (vgl. oben S. 100 N. 1 u. 2).
8 ) Daß die fides das Primäre vor dem intellectus ist, sagt Luther
aufs deutlichste in Weim. Ausg. IV, 318, 31 (vgl. Hunzinger S. 65 f.).
Nur um seine Idee vom spezifisch „intellektualistischen Neuplatonismus u
Luthers durchführen zu können, hat Hunzinger die ungerechtfertigte Um-
stellung vorgenommen.
124 H. Abschnitt.
Kenntnis der jenseits der Sinnenwelt liegenden Wahrheiten
vermittelt 1 ). Der Glaube wird deshalb mit Vorliebe bei Luther
wie bei Biel nachHebr. 11, 1 als das argumentum non appa-
rentium, oder als die substantia rerum sperandarum bezeichnet *).
Aus all diesen Parallelen gebt hervor, daß die Quelle des
angeblichen „Neuplatonismus" Luthers in der ockamistischen
Theologie und insbesondere in deren Zusammenfassung im
Gollectorium Gabriel Biels zu suchen ist. Sachlich bietet Luther
innerhalb dieser Gedankenfolge nichts, was über Ockam und
Biel hinausginge; nur die Form der Ausdrucksweise ist in
manchem verschieden: statt der Begriffe der ockamistisch-
terministischen Logik und Psychologie verwendet Luther mehr
die Terminologie der mystischen Literatur und der Bibel.
Luther ist sich dessen vollständig bewußt, wenn er z. B. den
Begriff intellectus nicht im Sinne der ockamistischen Psycho-
logie zur Bezeichnung der obersten Stufe des empirischen Vor-
stellungsvermögens verwendet, sondern wenn er unter intellec-
tus, wie er meint im Sinne der Schrift, den inneren Sinn zur
Erfassung der Glaubenswahrheiten versteht 8 ). Mit der eigent-
lich mystischen Terminologie ist Luther nach seinem eigenen
Zeugnis und nach dem des Melanchton zuerst durch Bona-
ventura bekannt geworden, schon ehe er an Augustin geriet 4 );
') Der Gedanke Luthers, daß wir in diesem Leben keine certa scientia
des Jenseitigen haben, daß wir nur die testimonia oder signa rerum, nicht
aber die res selbst erkennen (vgl. die Belege Hunzinger S. 66), ist gut
ockamistisch : Vgl. z. B. die Bedeutung, welche das signum als Suppo-
sition für die res in der terministischen Logik innehat (oben S. 100 N. 2)
und vgl. ferner die Ausführungen Biels über die dem viator mögliche
Gotteserkenntnis: de credibilibus non est scientia proprio dicta. Collect.
Prol. qu. 7.
2 ) Vgl. Hunzinger S. 66 f. und Köstlin, Luthers Theologie I 8 , 38,
41; oben S. 112 N. 1.
8 ) Intelligere in scriptura aliter quam in philosophia capitur (Hun-
zinger S. 47): „Intellectus" in scripturis sanctis potius ab obiecto quam
potentia nomen habet, contrario quam in philosophia . . . Sed quia totum
hoc est in fide et non in sensu neque ratione, ideo etiam intellectus
hominum in scriptura dicitur sensualitas, eo quod nonnisi sensibilia capiat,
quantumcunque sit subtilis et acutus et prudens. Weim. Ausg. III, 176,
3 u. 12 f. Unter „ philosophia u ist die Philosophie zu verstehen, welche
Luther auf der Schule zu Erfurt kennen gelernt hat', d. h. die ockami-
stische.
4 ) Vgl. Corp. Ref. VI, 159 und die Stellen in Köstlin-Kawerau, M.Luther
I 5 , 746 zu S. 57, 1 und 65, 1. W. Köhler, Luther und die Kirchen-
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 125
ferner läßt sich schon im Kloster ein Einfluß des ockamisti-
schen Mystikers Gerson und des heil. Bernhard nachweisen 1 );
ersterer, welcher die mystische Theologie des Areopagiten dem
Verständnis näher bringen will, könnte die Bekanntschaft mit
der Mystica theologia des Dionysius Areopagita vermittelt
haben, welcher Luther sehr wichtige Begriffe und Vorstellungen
entnommen hat 2 ). Man hüte sich, in die aus der mystischen
geschichte I, 1900, 333 ff. Ueber die Verwendung des Begriffs intellectus
bei Bonaventura vgl. Theol. Realenzykl. III 8 , 284, 38 und 286, 35.
*) Vgl. Köstlin-Kawerau I 5 , 71 f. W. Köhler, L. und die Kirchen-
, geschichte 1, 1900, 301 ff.; 342 ff. Auch Gerson nennt das höhere Er-
kenntnisvermögen intelligentia im Unterschied zur ratio und sensualitas
(J. B. Schwab, Joh. Gerson S. 333 f.). Vgl. dort und bei Biel Collect. II
dist. 39 den Begriff Synteresis (Köstlin, Luthers Theologie P, 51 u. Note),
der ebenfalls bei Luther im Sinn der ockamistischen Literatur gebraucht
ist. Ueber die Benutzung Bernhards durch Luther im Psalmenkommentar
vgl. Hunzinger S. 74. Bernhard und Bonaventura sind ihm „experti" in
der Mystik (Weim. Ausg. III, 233, 22).
'*) So abfallig Luther später über den Areopagiten geurteilt hat
(vgl. W. Köhler, L. und die Kirchengeschichte I, 1900, 289 ff.), so wenig
darf man verkennen, welch großen Einfluß namentlich die kleine Schrift
Mystica theologia auf die Terminologie Luthers ausgeübt hat. Aus
den scholae dieser zu Luthers Zeit in vielen lateinischen Drucken vor-
liegenden Schrift gewann Luther wohl die Ueberzeugung, daß der Ge-
brauch der Begriffe intellectus und intelligibilia für himmlische Dinge
schriftgemäß sei (vgl. vorige Seite N. 3). Hier konnte er bestärkt werden in
der ockamistischen Anschauung, daß die Außen dinge nur phantasmata und
signa seien. Von hier stammen die Vorstellungen, daß die negative
Theologie vollkommener sei als die affirmative (Köstlin, Luthers Theo-
logie I 2 , 75), daß Gott caligo, ein deus absconditus, silentium (vgl. Weim.
Ausg. III, 124, 150, 372) seinem wahren Wesen nach sei. Diese Be-
griffe hat Luther zeitlebens beibehalten, aber sie waren bei ihm stets
mit ockamistischem Inhalt erfüllt. Er wußte sie zu verbinden mit der
ockamistischen Unterscheidung zwischen voluntas signi und voluntas
beneplaciti. Der deus absconditus ist für Luther der in ockamistischem
Sinne willkürlich Wollende (vgl. Köstlin, Luthers Theologie I 2 , 359, II 2 ,
72 f.). Zum Beweis, wieviel Begriffsmaterial Luther aus dem kleinen,
keine 8 Folioseiten füllenden Schriftchen entnehmen konnte, seien die
Ueberschriften der drei ersten Kapitel hier angegeben: 1. quaenam sit
divina caligo (hier wird der Unterschied zwischen visibilia und intelli-
gibilia erörtert), 2. quomodo opportet ei coniungi et laudes referre om-
nium cuncta excellenti, 3. quaenam in theologia affirmantia, quae
negantia (in den Scholien wird Ps. 44 : eructavit cor meum verbum bonum
und Fs. 96 (?) : Gott als silentium erörtert ; vgl. Weim. Ausg. III, 124,
255 u. 372). In den Scholien zu allen drei Kapiteln werden die Posi-
tionen des Areopagiten biblisch zu begründen versucht.
126 H. Abschnitt.
Literatur und aus der Bibel übernommenen, religiös wertvollen
Formeln (spiritualia-corporalia, intellectus invisibilium, appetitus
non apparentium, caro-spiritus u. s. w.) allzuviel neuplatonische
Systematik hineinzuzwängen ! Welch eigentümliches Lutherbild
gewinnt man, wenn man annehmen muß, Luther habe mehr-
mals seine philosophisch-theologischen Grundanschauungen ge-
wechselt 1 ); denn 1525 in der Schrift de servo arbitrio ist er
doch wieder Ockamist! Die wissenschaftlich exakte Luther-
forschung wird davon auszugehen haben, daß Luther zu Er-
furt tatsächlich in aller Weisheit der moderni unterrichtet
worden ist und daß er die Schriften Biels, D'Aillys und Ockams
wirklich studiert und sich zu eigen gemacht hat. Was sich
nun hieraus zur Erklärung des Entwicklungsgangs Luthers
beibringen läßt, dafür braucht man den Erklärungsgrund ander-
wärts nicht zu suchen. Der ockamistische Grundsatz: non
est ponenda pluralitas sine necessitate gilt auch hier.
Nun ist erstens mehr als wahrscheinlich, daß Luther durch
Gabriel Biels Gollectorium die erste theologische Ausbildung
erhalten hat. Zweitens läßt sich nachweisen und ist bisher
nachgewiesen worden, daß die in der ockamistischen Theologie
und insbesondere bei Gabriel Biel disparat und unvermittelt
nebeneinanderstehenden Grundanschauungen des skotistisch-
indeterministischen Gottesbegriffs, des platonisch-augustinischen
Weltbegriffs und der „aristotelisch*-,, modernen" Freiheitslehre
sämtlich von dem jungen Luther übernommen worden sind
und daß all diese widerspruchsvollen Elemente bei Ockam
wie bei Luther zusammengehalten sind durch einen gegen alle
Vernunft mißtrauischen, auf positive Offenbarungstatsachen
sich aufbauenden Glaubensbegriff. Drittens geht aus Selbst-
zeugnissen Luthers hervor, daß er unter den Widersprüchen
der ockamistischen Theologie nicht nur gelitten und sie inner-
lich durchgekämpft hat ; nein, daß ihm die daraus erwachsene
Stimmung der Verzweiflung geradezu zum Anlaß geworden ist,
neue reformatorische Gedanken zu bilden: Luther hat im
Kloster einerseits versucht zu leisten, «quod in se est* ; er
wollte aus lauter „ Möncherei B sich den Himmel verdienen 2 ).
1 ) Hunzinger S. 4. Auch Hunzingers Irrtum rührt von der falschen
Bezeichnung des „Nominalismus" und den daraus gezogenen Konse-
quenzen her. Vgl. oben S. 96 f.
2 ) Köstlin-Kawerau I 5 , 61—64; Köstlin, Luthers Theologie I 2 , 18 f.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 127
Er hat es unter schweren Anstrengungen erfahren, daß der
Mensch aus eigenen Kräften sich kein Verdienst erwerben
könne. Anderseits hat ihn zu gleicher Zeit die Lehre von
der ewigen „Verseilung" in noch größere Verzweiflung ge-
bracht 1 ). Die Anfechtung, welche vom Gedanken der grund-
losen Willkür Gottes ausgehe, war ihm die gefährlichste, in
welche der Teufel die geängstigten Gewissen verstricke. Aber
gerade dieser verzweiflungsvolle Zwiespalt, der in der ocka-
mistischen Theologie verborgen lag, war für Luther „ heilsam * ;
er hat ihn der „Gnade nahe" gebracht 2 ).
Also aus den Widersprüchen der ockamistischen Theologie
und speziell des Bielschen Collectoriums heraus ist das Werden
des Reformators zu begreifen. Aber wie ging es vor sich?
Wie ist er dadurch der „Gnade nahe" gekommen? Indem er
sich zunächst auf den dritten Bestandteil der ockamistischen
Grundanschauungen, auf die platonisch - augustinische Gottes-
und Weltlehre zurückzog. Dabei wurden ihm namentlich Bo-
naventura und der Areopagite Führer, noch deutlicher als
bisher zu unterscheiden zwischen der den Sinnen und der Ver-
nunft zugänglichen Welt des Scheins und zwischen der höheren
und verborgenen Glaubenswelt des Seins. Eines Tages „ge-
riet" er an Augustin, als an den bei seinem bisherigen Ge-
währsmann Biel am häufigsten zitierten Schriftsteller 3 ). Hier
*) Köstlin-Kawerau I 5 , 64 f. ; Köstlin, Luthers Theologie I 2 , 19 f.
2 ) Ego ipse non semel offensus sum (an dem Gedanken, quod deus
mera voluntate sua homines deserat, induret, damnat etc.) usque ad pro-
fundum et abyssum desperationis, ut optarem nnnquam esse me creatum
hominem, antequam scirem, quam salutaris illa esset desperatio et quam
gratiae propinqua. Erl, Ausg. Op. lat. varii arg. VII, 268. Zu dem
„ex mera sua voluntate" vgl. Ockam, Sent. lib. IV qu. 3 (zur Frage,
warum ein nicht getauftes Kind verbannt werde) : Sicut deus creat
creaturam quamlibet ex mera voluntate sua, ita ex mera voluntate sua
potest facere de creatura quidquid sibi placet. Sicut enim si aliquis dili-
geret deum et faceret omnia opera deo accepta, potest eum deus anni-
hilare sine aliqua iniuria, ita sibi post alia opera potest non dare vitam
aeternam , sed poenam aeternam sine iniuria ; et ratio est , quia deus
nullius est debitor et ideo quidquid facit nobis ex mera gratia facit et
ideo ex hoc ipso, quod deus facit aliquid, iuste factum est. Vgl. Col-
lect. IV dist. 4 qu. 2: Ex sua misericordia dominus perdito homini
remedia constituit, quem et quando et quomodo voluit, quem sine
remediis iuste damnare potuit . . . Miseretur enim cui vult; et quem
vult indurat.
3 ) Luther war tatsächlich der Meinung, die Lehre Augustins mit
128 II. Abschnitt.
fand er nun den vollständigen religiös wertvollen Ausbau der
platonisch-dualistischen Welt- und Gotteslehre und verwendete
diese Gedanken reichlich in seiner ersten Psalmenvorlesung.
Diese Gedanken waren aber bei Augustin verknüpft mit der
antipelagianischen Sünden- und Gnadenlehre, die auf Paulus
und auf das Evangelium zurückwies. Luther, bei dem die
Anfechtungen über den Zwiespalt zwischen der eigenen Ver-
dienstfähigkeit und zwischen dem vorzeitigen Wollen Gottes
noch nicht zur Ruhe gekommen waren, entdeckte die evan-
gelisch-paulinische „ Gerechtigkeit aus dem Glauben" und er-
hielt dadurch die Kraft, die ockamistische Lehre vom freien
Willen und von den eigenen Kräften des Menschen über Bord zu
werfen. Dabei ist aber beachtenswert, daß die übrigen Teile
der ockamistischen Grundanschauung desto wirksamer zur Gel-
tung kamen, namentlich der in der Schule Ockams gewonnene
Begriff des Glaubens, der wider die Vernunft am Wort der
Offenbarung festhält und der sich ohne Grübeln beugt unter
die freie Entscheidung des göttlichen Willens. Ex mera volun-
tate sua macht Gott den Sünder selig. Gott will es und
darum beugen wir uns unter ihn mit einer Freudigkeit, die
alle Verzweiflung über unser eigenes Nichtvermögen vertreibt.
So. kann Luther sagen, daß dieses horribile dictum von der
göttlichen Willkür heilsam sei und den Menschen der Gnade
nahebringe. Nachdem die ockamistische Lehre von den eigenen
Kräften abgeworfen war, hat Luther die beiden gegeneinander
keineswegs harmonischen Gottesanschauungen um ihres eigen-
artig religiösen Wertes willen beibehalten: die ockamistisch-
skotistische von der Willkür Gottes, der anderseits die Not-
wendigkeit einer positiven Kenntnis der göttlichen Willens-
offenbarung entspricht, und die ockamistisch-augustinische von
dem hinter der Welt des Scheins liegenden wahren und ver-
borgenen Wesen Gottes. Die Widersprüche zwischen diesen
beiden verschiedenartigen Gottesauffassungen hat Luther für
sich selber nie gelöst 1 ). Inwieweit Luther auch in diesen Ge-
der seiner moderni vergleichen und vereinigen zu können. Vgl. Weim.
Ausg. IX, 9, 15 — 35 ; 33, 30 f. Auch dies eine Gewähr dafür, daß Luther
wahrscheinlich durch Biel und Ockam selbst zu Augustin weiter geführt
worden ist. („ Vide Occam . . ., ubi satis ingeniöse concordat et exponit
verba beati Augustini u .)
*) Vgl, Köstlin, Luthers Theologie II 2 , 363, 73 f.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 129
dankenzusammenhängen über Ockam und auch über Augustin
hinausgegangen ist, das ist hier nicht weiter zu erörtern. Die
durch Denifle angeregte Forschung wird weitere Aufklärung
bringen. Hier war nur zu zeigen, welch hohe Bedeutung dem
Collectorium G. Biels als dem theologischen Schulbuch der via
moderna zu Erfurt und Wittenberg zukommt. So viel dürfte
sicher sein und ist von Theologen beider Eonfessionen zuge-
geben 1 ), daß Luthers Entwicklung eine ganz andere gewesen
wäre, wenn er nicht aus der via moderna, sondern aus einer
thomistischen oder skotistischen Schule hervorgegangen wäre.
Deshalb ist es auch berechtigt, innerhalb der Fragestellungen
der ockamistischen Theologie und in der Schulliteratur der
via moderna die Gründe für den Entwicklungsgang des jungen
Luther zu suchen.
Bis jetzt sind nur die theologischen Grundvoraussetzungen
Gabr. Biels erörtert und in ihrer Bedeutung für die Entwick-
lung Luthers dargestellt worden. Die ganze Dogmatik Biels
ins einzelne darzustellen, würde an diesem Ort zu weit führen.
Sie ist in ihrem gesamten Verlauf eine Rettung des vollständigen
kirchlichen Glaubensinhalts. Für jeden kirchlich approbierten
Satz werden der Vernunft die motiva credibilitatis vorgelegt.
Entweder kann nun die Vernunft die Gründe des Glaubens nicht
entkräften, dann stimmt sie denselben bei wegen der Unzu-
länglichkeit ihrer Einsicht (quia nescit solvere rationes); oder
die Vernunft erkennt die Gründe nicht als notwendig, sondern
nur als probabel an, dann tritt der Wille ein und bewegt die
Vernunft auf Grund der fides infusa den probabeln Gründen
ihre Zustimmung zu geben 2 ). Also es ist ein durch und durch
*) Vgl. Ritschi in Jahrbücher f. deutsche Theologie 1868, 71 f. und
Krogh-Tonning, Der letzte Scholastiker 1904, S. 10 : Die historisch nach-
weisliche aktuelle Veranlassung des Protestantismus sei der „Nominalis-
mus" mit seiner Geringschätzung der Gnade u. s. w.
2 ) Collect. III dist. 24 qu. un. L: Aut seit solvere argumenta facta
pro fide et consequentias faetas inferentes articulos fidei aut etiam
miracula; aut non. Si non, tum talis necessario adhaeret articulis, quia
argumenta sibi concludunt; non tarnen propter evidentiam assentit, sed
magis propter ignorantiam, quia nescit solvere rationes. Et talis assen-
8U8 non est virtuosus, quia non est in potestate voluntatis. Si seit solvere,
tunc assentit contingenter ; et illum assensum potest voluntas virtuose
iraperare, ut illi articulo de novo assentiat, quia non potest virtuose
imperare saltem meritorie, nisi ex caritate imperet, quae Caritas prae-
supponit fidem. Sed loquendo de imperio virtuoso moraliter, ut philo-
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingeu. 9
130 H. Abschnitt.
scholastisches Verfahren, welches aber in seiner Eigenart die
Steine zu neuen und andersartigen Gebäuden liefert. Die Eigen-
art gegenüber den älteren scholastischen Systemen besteht
darin, daß die Vernunft nicht die Beweisgründe für die Glaubens-
sätze stützt, sondern daß sie ihre eigene Unzulänglichkeit und
Wertlosigkeit, sowie die alleinige Berechtigung des Glaubens
dokumentiert. Wie kann die Vernunft ein gefährlicher Gegner
des Glaubens sein, wenn sie solch törichte Schlüsse ermöglicht,
wie sie Ockam in seinem Centilogium zusammengehäuft hat:
Deus est lapis, deus est asinus (c. 7); deus est pes Christi;
caput Christi est pes Christi; pes est manus (c. 13) u. s. w.
Allein diese zersetzende Tätigkeit der Vernunft, die nur ihr
eigenes Unvermögen beweisen sollte, konnte tatsächlich doch
den Glaubensinhalt verändern, wenn die Voraussetzung der
unbedingten Unterwürfigkeit unter die kirchliche Autorität ge-
schwunden war. Inwieweit diese Voraussetzung bei Biel noch
vorhanden war, beweist sein bekanntes Verhalten in der Ablaß-
frage 1 ). Als aber der „Gabrielist" Luther infolge der Er-
eignisse von 1517 — 1519 sich innerlich mehr und mehr von
Rom losgemacht hatte, da regten sich in ihm die Erinnerungen
an die „probabeln" Gründe seiner Lehrer gegen das katholische
Dogma 8 ). Also auch in dieser Hinsicht ist der Ockamismus
und insbesondere das Collectorium Biels von Bedeutung für
den Reformator Luther gewesen. Bekannt ist die hervorragende
Stellung, welche Ockam und Biel bei aller Unterwürfigkeit unter
die Autorität der Kirche in der Geschichte des Schriftprinzips
einnehmen 3 ). In den Ausführungen über das Werk Christi
sophus loquitur de virtute, quae non praesupponit caritatem, tone conce-
ditur, quod poteet virtuose imperare. Also auch hier zwei widerstreitende
Auffassungen, eine religiöse und eine philosophisch-moralische (vgl. oben
S. 115 f.). Nach der letzteren ist die widervernünftige Glaubenszustimmung
verdienstlich, nach der ersteren nicht.
*) Theol. Realenzykl. IX 8 , 93, 41—47.
2 ) Er sagt dies selbst in der Schrift von der „babylonischen Ge-
fangenschaft" betreffs der Lehre von der Transsubstantiation, wobei ihm
eine' Ausführung des Theologen d'Ailly besonderes Nachdenken bereitet
habe (Köstlin-Kawerau I 5 , 343). Biel verweist auf Peter von Ailly und
wiederholt dessen Resultate, da er die Meinung Ockams am besten er-
gänzt habe (Collect. IV dist. 11 qu. 1 C).
8 ) F. Kropatschek, Ockam und Luther in Beiträge zur Forderung
christl. Theol. IV, 1, 1900 u. F. Kropatschek, Das Schriftprinzip der
Die in Tübingen . gelehrte Theologie. 131
finden sich bei Biel neben der allgemein mittelalterlichen Be-
tonung der aktiven Satisfaktion auch schon Ansätze zu der
späteren lutherischen Lehre von der oboedientia passiva 1 ). Die
damit zusammenhängenden Ausmalungen des Straf leidens haben
Luthern in seiner Jugend das „Herz bluten gemacht" 2 ); und
zeitlebens ist ihm der Gedanke, daß Christus alle Strafen, die
wir verdient hätten, auf sich genommen hätte, ein sehr wich-
tiger gewesen 3 ). Die terministische Logik und Suppositions-
lehre ist die Voraussetzung für die Lehre von der communi-
catio idiomatum in der lutherischen Christologie 4 ). Daß in der
Begründung der Abendmahlslehre und in den Ausführungen
über Ubiquität 5 ) Luther von Biel abhängig ist, ist längst er-
kannt 6 ). Ganz unbeachtet aber ist geblieben, daß auch in der
Lehre von der Buße bei Ockam und Biel sich Ansätze finden,
die über die katholisch-scholastische Lehre hinausführen. Nicht
nur löst Biel die herkömmliche Einteilung der Buße in contritio,
confessio, satisfactio tatsächlich auf, indem er die einzelnen
Bestandteile als aggregativae partes bezeichnet, während die
luth. Kirche I (1904), 309 ff. Seeberg in Dogmengeschichte II (1898),
176 f. u. Theol. Realenzykl. XIV 5 , 272 f.
*) Gottschick in Zeitschr. f. K-Gesch. 24, 1903, S. 226—28.
*) Vgl. oben S. 92 N. 1.
s ) Köstlin, Luthers Theologie II 2 , 152—154.
4 ) Ausgeführt bei Biel in Collect. III dist. 7 qu. un. Luther selbst
beruft sich in seinen diesbezüglichen Ausführungen auf die „regula scho-
lasticis usitata u . Erl. Ausg. 46, 366 u. Comment in ep. ad Gal. (Erl.
Ausg.) I, 382 f. Die scholastici , die Luther genauer kennt , sind im
wesentlichen Biel, D'Ailly u. Ockam.
5 ) Da die vorliegende Untersuchung einen lokalen Ausgangspunkt
hat, sei erlaubt darauf aufmerksam zu machen, daß Biel in seinen Aus-
führungen über das ubique esse Gottes Beispiele und Analogien aus
dem Menschenleben bringt, in denen die Orte Tübingen und Stuttgart
eine Bolle spielen (Collect. I dist. 37 qu. un. E.).
6 ) Steitz in den Artikeln „Transsubstantiation" und „ Ubiquität u in
Theol. Real-Enzykl. 1. Aufl. Steitz hat recht, wenn er die Lehre
Luthers von der seiner Vorgänger unterscheidet: erst Luther behauptet
ein repletives Sein auch des erhöhten Leibes Christi. Aber vgl.
immerhin die 29. Conclusion in Centilogium Ockams: idem corpus
numero extensivum potest ubique esse extensive, bewiesen mit Beziehung
auf den Leib Christi. Dagegen erklärt sich der Ockamist Gerson: Non
concedimus, quod Christus sit ubique corporaliter dimensive, sed tantum
in coelo et sacramentaliter in templo. Logica hie opus est una ex ancillis
sapientiae, si nolumus male loqui. (J. B. Schwab, Joh. Gerson 1858,
S. 289 N. 1.)
132 IL Abschnitt.
poenitentia eine qualitas simplex sei 1 ), sondern er bemüht sich
auch diese qualitas simplex als Sinnesänderung aufzufassen,
die einerseits in Gott als gleichzeitige remissio culpae und in-
fusio gratiae geschildert wird 2 ) und der anderseits im Menschen
als dispositio concomitans nicht praevia eine conversio, bestehend
aus odium in peccatum (detestatio peccati) und dilectio in deum
zur Seite geht 8 ). Gleichwie Gott die Sünde rein aus seiner
Macht heraus ohne Bußsakrament erlassen könnte 4 ), so kehrt
er sich auch nicht an noch so große Bußleistungen 5 ); er bindet
sich nicht an die Absolution des Priesters 6 ), sondern vergibt
aus freier Gnade. Das Bußsakrament ist weder die causa
efficiens, noch auch die causa formalis des Nachlasses der Tod-
sünden; die causa efficiens ist eben nur Gott selber und die
causa formalis ist die von ihrem sakramentalen Zeichen zu
unterscheidende habituelle Gnade 5 ). Daß Biel daneben bestrebt
ist, den kirchlichen Sinn des Bußsakramentes möglichst zu
retten, und daß die Widersprüche der Gesamtanschauung nicht
verwischt sind, daß gerade in diesem Kapitel neben dem will-
kürlichen Walten Gottes die freie Entscheidung des Menschen
stark betont wird, ist selbstverständlich. Aber ein innerlich
*) Collect. IV dist. 16 qu. 1 D. E. Biel referiert über die Lehre des
Scotus von der attritio (dist. 14 qu. 2 D) und polemisiert gegen dieselbe
(ibid. L. corr. 4 u. dist. 16 qu. 1 K — M).
2 ) Simul tempore remittitur culpa et infunditur gratia. Eo ipso,
quo gratia datur, per quam acceptatur ad vi tarn, tollitur obligatio ad
mortem aeternam, quia simul stare non possunt (Collect. IV dist. 14 qu.
1 K). Der Vorgang der transmutatio macht ihm Schwierigkeit: Et est
difficultas communis omnium mutationum, quae fiunt inter contraria, an
expulsio unius contrarii eit prior inductione alterius, an econverso
inductiö prior expulsione. Und er kommt auf die Lösung: non est ordo
temporis, quia simul sunt expulsio et inductiö quantum ad moram
tempori8 (ibid. Q).
8 ) Ibid. u. qu. 2 L. corr. 2. His duobus motibus voluntatis, odii
in peccatum et dilectionis in deum respondent duo, quae a deo sunt iu-
stincante, seil, gratiae infusio et peccati expulsio dist. 14 qu. 2 E med.
Hoc idem quantum ad conversionem ad deum per actum amo-
ris testatur b. Johannes ibid. E fin. Ausführlich wird der Prozeß ibid.
RS beschrieben.
4 ) Collect. IV dist. 14 qu. 1 K fin. L. in. vgl. mit dist. 4 D.
5 ) Collect. IV dist. qu. 1 N.
6 ) Nee unquam sacerdos absolvit eum, qui non prius a deo summo
sacerdote absolutus est. Unde sacerdos absolvendo confitentem pronun-
ciat eum absolutum, non remittit peccatum Collect. II dist. 27 qu. un. Q.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 133
veranlagtes Gemüt konnte aus den mitgeteilten Bruchstücken
den Weg finden zu einer tiefen religiösen Erfassung der
Buße.
Es sind nur Andeutungen, die über das theologische System
Ockams und über das Collectorium Biels gemacht werden
konnten. Allein sie ermöglichen ein deutliches Bild über die
Bedeutung und historische Stellung der via moderna auch an
der Hochschule zu Tübingen. Ihre Bedeutung besteht nicht
in der Ueberwindung der scholastischen Spitzfindigkeiten und
nicht in der Herbeiführung einer Aera der realen Wissenschaften;
sondern diese scholastische Schule hat deshalb eine große Wir-
kung hinterlassen, weil sie zum erstenmal deutlich die beiden
Gebiete des Wissens und Glaubens getrennt und weil sie so-
wohl positiv, als noch mehr negativ die reformatorische Ent-
wicklung Luthers vorbereitet hat. Sind alle Vermutungen
richtig, die über die Vorgeschichte der via moderna aus-
gesprochen wurden, dann wäre merkwürdig, daß durch ein
neues Hereinfluten griechisch-stoischen Geistes (in der termi-
nistischen Logik und Ethik) die deutsche Tat der Reformation
veranlaßt worden wäre. Doch sei dem, wie ihm wolle, zum
Verständnis der Theologie Luthers muß eine Geschichte dieser
scholastischen Richtung geschrieben werden, von dem venera-
bilis inceptor und seinen Vorläufern an bis zum „letzten
Scholastiker" und bis zum Erfurter Lehrer Trutfetter ; es muß
dargestellt werden, wie der Ockamismus allmählich die Uni-
versitäten erobert hat und wie seine Lehre in verschiedenen
Wandlungen von den einzelnen Anhängern vorgetragen wurde ;
wie er hier und dort kämpfen mußte um die Gleich- und
Alleinberechtigung ; wie er in diesen Kämpfen trotz häretischer
Verdächtigung seine kirchliche Brauchbarkeit bewährt hat und
wie trotz aller ängstlichen Unterwürfigkeit seiner Anhänger
unter die kirchlich- offizielle Lehre doch aus seiner Mitte die
größte „Häresie* 4 aller Zeiten hervorgegangen ist.
3. Die via antiqua.
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren die deutschen
Universitäten hinsichtlich der scholastischen Parteigrup-
pierung derart verteilt, daß die via moderna an den Uni-
versitäten in Mittel- und Süddeutschland gelehrt wurde; da-
gegen die via antiqua herrschte an den Hochschulen des Nor-
134 H. Abschnitt.
dens und des äußersten Ostens 1 ). Köln (gegr. 1389) blieb als
Dominikanerschule vorzugsweise dem Thomismus treu; Prag
(gegr. 1348) mit seinen husitischen und utraquistischen Streitig-
keiten bewahrte für den überkommenen „Realismus" ein lebhaf-
teres Interesse, als für die ockamistischen Spitzfindigkeiten rauch
in Leipzig (gegr. 1409) und Greifswald (gegr. 1456) blieb die
via antiqua jedenfalls stets die herrschende Richtung. Dagegen
Wien (gegr. 1365), Heidelberg (gegr. 1386) und Erfurt (gegr.
1392) waren von ihrer Gründung an rein ockamistische Uni-
versitäten: die ockamistische Tradition war in Wien durch
Gregor von Bimini begründet und durch berühmte Männer,
wie Heinrich von Langenstein und Heinrich von Oyta befestigt;
.in Heidelberg war der erste Rektor Marsilius von Inghen. Im
Südwesten wurden noch 1456 Freiburg und 1459 Basel aus-
schließlich als Universitäten der „Modernen" gegründet. Aber
schon hatte eine Bewegung eingesetzt, die, soviel sich über-
sehen läßt, wesentlich von Paris ausgehend, der via antiqua
neben dem Ockamismus eine Heimstätte an den südwest-
deutschen Universitäten zu erkämpfen suchte. In Wien und
in Erfurt ist das nie gelungen ; beide blieben rein ockamistische
Universitäten, bis die neue Studienordnung des Humanismus
oder der Reformation die Scholastik ablöste. Aber an den
anderen genannten und an den neugegründeten Universitäten
Südwestdeutschlands mußten beide Richtungen im Studien-
betrieb zugelassen werden. In Heidelberg wurde im Jahr 1452
die Richtung der antiqui durch Kurfürst Friedrich der Uni-
versität aufoktroyiert 8 ), nachdem der Versuch der Zulassung
früher schon zweimal am Widerstand der gelehrten Körper-
schaft gescheitert war. Es ist beachtenswert, daß auf der
Plassenburg über Kulmbach die um die Markgrafen Johannes
und Albrecht Achilles versammelten Humanisten diese Maß-
regel als eine Gewähr für den Sieg ihrer Sache begrüßen 3 ).
') Vgl. zum folgenden Prantl, Gesch. d. Logik IV, 185 ff.; G. Bauch,
Die Rezeption des Humanismus in Wien 1903, S. 3 ff.; ders., Erfurt im
Zeitalter des Frühhumanismus 1904, S. 11 f.; Kaufmann, Gesch. d. deut-
schen Universitäten II, 357 ff. Ferner Württ. Vierteljahrshefte 1906,
S. 322 ff.
2 ) Die neuen Magister der via realium stammen, wie sich aus der
Matrikel ergibt, großenteils aus Köln.
8 ) Vgl. Karl Hartfelder in Zeitschr. f. allg. Gesch., herausg. v. H. v.
Zwiedineck-Südenhorst II, 1885, 181.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 135
An Heidelberg schließt sich Basel an, das nach heftigen
Kämpfen im Jahre 1464 drei Vertreter der via antiqua an
seiner Hochschule aufnehmen muß. Die drei um diese Zeit
neugegründeten Universitäten in Südwestdeutschland Ingolstadt
(1472), Tübingen (1477) und Mainz (1477) müssen schon von
ihrer Gründung an beide Richtungen zulassen. Von Tübingen
aus wird nicht ohne Pariser Einfluß auch in Freiburg um
1484 neben der via moderna die via realium eingeführt und
auf Anregung eines ehemaligen Tübinger Magisters wird in
Wittenberg das offizielle Lehrbuch der via antiqua gedruckt.
In Heidelberg, Tübingen, Freiburg und Wittenberg wechseln
die Dekane in der artistischen Fakultät zwischen den beiden
Richtungen; in Basel und Ingolstadt bilden die beiden Rich-
tungen sogar zwei Fakultäten für sich mit gleichzeitig fungieren-
den Dekanen. Die Studierenden sind je nach der Richtung,
die sie wählen, in Tübingen und Freiburg in zwei unter ver-
schiedener Leitung stehende Bursen verteilt; und die Universi-
tätsgesetze haben von Zeit zu Zeit die gegenseitige Befehdung
der feindseligen Parteiglieder zu verbieten. In Paris, von wo
aus diese Propaganda der via antiqua nachweislich ihre besten
Reserven bezieht, gelingt es im Jahre 1473 dieser Richtung,
über den bis dahin an der Universität einflußreichen Ockamis-
mus vollständig zu siegen. Ludwig XL, beeinflußt von seinem
Beichtvater Jean Boucard, verhängt über die Modernen einen
Bann und ihre Schriften werden in der Bibliothek an Ketten
gelegt. Doch verteidigen sich die davon betroffenen Lehrer
der Universität gegen solche. Einseitigkeit und 1481 wird der
Ockamismus wieder zugelassen.
Dieser Geschichtsverlauf bietet das Bild einer siegreich vor-
dringenden Reaktion gegen die via moderna. Nur in Wien
und Erfurt konnte sich der Ockamismus unbestritten erhalten ;
neue Universitäten hat er zu dieser Zeit nicht mehr erobert.
Was ist das Ziel jener Reaktion? Und welche geschichtliche
Bedeutung kommt ihr zu ? Die antiqui an den südwestdeutschen
Universitäten nennen sich reales oder realistae und ihren Geg-
nern werfen sie vor, daß sie neoterici und nominalistae seien.
Die moderni lassen den Vorwurf, daß sie nominalistische Hä-
retiker seien, nicht gelten, sondern nennen sich terministae;
ihre Gegner aber werden von ihnen Scotistae, formalistae oder
formalizantes genannt. Aus diesen Namen geht erstens her-
136 II. Abschnitt.
vor, daß an den süd westdeutschen Universitäten (und nur von
diesen gilt die vorliegende Untersuchung) unter dem Namen
der via antiqua eine vorwiegend skotistische Reaktion gegen
den herrschenden Ockamismus zu verstehen ist. Zweitens
läßt sich aus den Namen ersehen, daß die antiqui in der Ent-
wicklung des Ockamismus eine Gefahr für den alten Glau-
ben erblicken. Die Lehre dieser „ Neuerer" löst nach ihrem
Urteil die Realität der Glaubenstatsachen auf; sie scheint dem
von der Kirche verworfenen Nominalismus Roscellins zu gleichen.
Die Partei der antiqui ist also die Erfinderin der irrigen, bis
heute noch nicht vertilgten Formel, daß Ockam der Erneuerer
des Nominalismus sei. Demgegenüber geht drittens aus den
von den moderni gebrauchten Bezeichnungen hervor, daß sie
den Unterschied zwischen beiden scholastischen Schulen auf
einen Unterschied in der Logik zurückführen. Die moderni
haben die terministische, die antiqui haben die for-
malistische Logik.
Diese Schlüsse aus den im Streit gebrauchten Namen
werden durch die offiziellen Dokumente und durch gelegent-
liche Aeußerungen aus den beiden gegeneinander streitenden
Lagern ergänzt und bestätigt. Es handelt sich in der Tat
um einen Angriff gegen den Ockamismus, der mit Elementen
der skotistischen Philosophie begründet wird. Das offizielle
Lehrbuch der Logik für die antiqui in Tübingen war der
Kommentar des Nikolaus Tinctor zu Petrus Hispanus x ). Dessen
Verfasser war bei der Vergewaltigung des Ockamismus an der
Pariser Universität im Jahre 1473 mitbeteiligt 2 ) und wirkte
später für seine Richtung in Ingolstadt, unter vielfachen
Kämpfen und Zurücksetzungen seitens der ockamistischen Ma-
*) Hain 15528 u. Prantl IV, 198 f. Auf der Kehrseite des Titelblatts
steht: Hoc percelebre opusculum secundum subtilissimi doctoris Johannis
Scoti viam compilatum . . . Am Schlüsse : Finitum est et completum hoc
super magistro Petro Hyspano Tinctoris commentum per peritos almae
universitatis Tubingensis magistros. Das dem entsprechende offizielle Lehr-
buch der Logik für die moderni in Tübingen sind die Exercitata par-
vorum logicalium secundum viam modernorum des Johannes Faber de
Werdea (Steiff, Der erste Buchdruck in Tübingen 226; Prantl IV, 203 f.).
2 ) Sein Name ist unter den magistri der Artistenfakultät im Edikt
Ludwigs XI. genannt. Bulaeus, Historia universitatis Parisiensis Y (1670),
S. 708.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 137
jorität 1 ). Nach Mainz wurde die via antiqua durch Stephan
Brulefer, auch einen ehemaligen Pariser Lehrer, verpflanzt,
welcher ein streng skotistisches Lehrbuch der Logik heraus-
gegeben hat 2 ); dessen Schüler Scriptoris hat in Tübingen als
acutissimus Scotista Vorlesungen gehalten und das erste Buch
der Sentenzen in den Druck gegeben, subtilissimas Doctoris
subtilis sententias declarando 8 ). In Freiburg heißen die antiqui
in den offiziellen Vorlesungsankündigungen der Universität Scoti-
stae 4 ). Das offizielle Lehrbuch der via antiqua in Wittenberg 5 ) war
ein Nachdruck der Aristoteleskommentare des Tartaret, eines
Pariser Doktors und bedeutenden Wortführers dieser skotistisch-
formalistischen Reaktionsbewegung 6 ). Es ist aber weiterhin
beachtenswert, daß der skotistische Standpunkt vorzugsweise
zur logisch - erkenntnistheoretischen Grundlegung von dieser
gegen den Ockamismus kämpfenden Strömung benützt wird,
daß aber im weiteren Ausbau der philosophisch-theologischen
Lehren ein weitgehender Eklektizismus sich breit macht, bis
schließlich die Bewegung der via antiqua aus unten (S. 149 f.)
angegebenen inneren Gründen in einen reinen Aristotelismus
übergeht. Am deutlichsten tritt ein solcher Eklektizismus bei
Johann Heynlin von Stein zu Tage, dem weitaus bedeutend-
sten Vertreter dieser scholastischen Gruppe, der den mehr-
erwähnten Pariser Gewaltstreich (1473) in führender Stellung
mitgemacht hat und dessen Lebenswerk darin bestand, in Süd-
deutschland zu Basel, Tübingen, Freiburg und Bern im Sinn
der via antiqua reformierend tätig zu sein. Auch bei den
] ) Prantl, Gesch. der Ludwig-Maximilianeuniversität I, 91, 121; II,
484, Nr. 8.
*) Prantl IV, 198. Außerdem vgl. über Brulefer Theol. Quartalschr.
1893, 289 ff.; Wetzer u. Weite, Kath. Kirchenlexikon II 2 , 1355 f.
3 ) Steiff, Der erste Buchdruck in Tübingen S. 49 f.
4 ) H. Schreiber, Gesch. der Albert^Ludwigsuniversität zu Freiburg
I, 1857, S. 62. Daß auf S. 61 „In via Nominalium seu Scotistarum" ein
Schreibfehler ist, dürfte sicher sein. Auch in den Senatsprotokollen, die
ich durchgesehen habe, sind die „realistici" mehrfach mit dem „modus
doctrinandi Scoti* identifiziert.
5 ) Vgl. G. Bauch, Wittenberg und die Scholastik im N. Archiv f.
sächs. Gesch. 18, 301 ff.
6 ) Vgl. K. Werner, Die Scholastik des späteren Mittelalters IV, 1.
Endausgang S. 305; Prantl IV, 204 ff. Daselbst noch weitere Namen,
deren Träger für die Geschichte der via antiqua in Deutschland nicht
von Bedeutung sind.
138 II. Abschnitt.
anderen erwähnten Männern finden wir einen ähnlichen Eklekti-
zismus: Brulefer z. B. gab zu Mainz einen Sentenzenkommentar
nach Bonaventura heraus. Und das Edikt König Ludwigs XL
von 1473, das als offizielle Kundgebung im Namen der
darin genannten Lehrer der via antiqua aufzufassen ist, besagt:
Visum est rursus doctrinam Aristotelis, eius commentatoris
Averrois, Alberti Magni, s. Thomae de Aquino, Aegidii de
Roma, Alexandri de Ales, Scoti, Bonarenturae aliorumque doc-
torum realium, quae quidem doctrina retroactis temporibus
sana securaque comperta est, tarn in facultate artium quam
theologiae in praedicta universitate deinceps more consueto
esse legendam, dogmatizandam, discendam et imitandam, ac
eandam ad sacrosanctae dei ecclesiae ac fidei catholicae aedi-
ficationem iuvenumque studentium eruditionem longe utiliorem
esse et accomodatiorem, quam sit quorundam aliorum doctorum
renovatorum doctrina, ut puta Guilelmi Ockam, monachi Ci-
sterciensis 1 ), de Arimino, Buridani, Petri de Alliaco, Marsilii,
Adam Dorp 2 ), Alberti de Saxonia 9 ) suorumque similium, quam
non nulli studentes, quos nominales terministas vocant, imitari
non verentur 4 ). Der reine Aristotelismus tritt schließlich in
Paris am deutlichsten zu Tage in der realistischen Schule des
Jakob Faber Stapulensis 5 ). Er macht sich aber auch z. B. in
Tübingen geltend in dem Bestreben der beiden antiqui Franz
Kircher und Melanchton, eine Ausgabe des „echten Aristo-
teles " zu veranstalten 6 ).
Also die antiqui wollen die Lehren der Alten von Aristo-
teles bis Scotus in weitestem Umfang wieder zur Geltung
bringen. Die Meinungen der Neuerer sind nicht nur un-
passend für den Jugendunterricht, sondern sie bilden geradezu
') Von Scholastikern aus dem Zisterzienserorden, die der Zeit nach
in Betracht kommen könnten, habe ich in Harter index literarias theol.
cathol. IV (1899) nur zwei gefunden : Thomas Colyngham (S. 558, Note 1)
u. Petrus de Ceffona (S. 517). Prantl IV, 186, Note 62 zieht den monachua
Cisterciensis mit dem folgenden Gregor von Rimini zusammen. Daß ein
solcher Fehler möglich wäre, darüber vgl. folgende Anm.
2 ) Ein Kommentator des Buridan (vgl. Prantl IV, 237), der übrigens
Johannes Dorp heißt.
3 ) Albert von Riggensdorf in Sachsen, gest. 1390 als Lehrer in Wien ;
Prantl IV, 60 ff.
4 ) Bulaeus, Historia universitatis Parisiensis V, 708.
6 ) Prantl IV, 278 ff., vgl. dazu Württ. Viertejjahrhefte 1906, S. 324 N. 1.
6 ) Vgl. Corp. Reform. XI, 20 und im Anhang unter Eircher.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 139
eine Gefahr für den alten Glauben. In welchem Sinne
das zu verstehen ist, erhellt aus dem Namen realista und
realis, den sich* die antiqui beilegen und aus der Begründung,
die sie diesen Namen geben. Wie aus der Verteidigungsschrift
der modemi gegen die Pariser Vergewaltigung zu ersehen ist 1 ),
kämpfen die Realisten gegen die Lehre von den proprietates
terminorum und halten überhaupt die moderne Logik für ge-
fahrlich für den Kirchenglauben. Das heißt sie mißbilligen
und verwerfen die durch Ockam in die Wege geleitete und
oben angedeutete enge Verknüpfung der „terministischen"
Logik mit der scholastischen Glaubenslehre. Die Realisten
sagen „nos imus ad res, de terminis non curamus" 2 ). In
doppeltem Sinn wird das wohl gemeint sein : Erstens mochten
sie fühlen, daß der terministische Konzeptualismus Ockams und
die damit zusammenhängende Diskreditierung der eigenen
Vernunft trotz aller noch so energisch betonten Unterwürfig-
*) Item illi doctores „nominales* dicti sunt (von den Gegnern), qui
diligentiam et Stadium adhibuerunt cognoscendi omnes proprietates
terminorum, a quibus dependet veritas et falsitas orationis et sine quibus
non potest fieri perfectum iudicium de veritate et falsitate propositionum ;
quae proprietates sunt suppositio, appellatio, ampliatio, restrictio, di-
stributio, exponibilia (das sind die einzelnen Begriffe und Unterabteilungen
des die neue Logik enthaltenden und als „Parva Logicalia* bekannten
siebenten Abschnitts der Summulae des Petrus Hispanus, vgl. Prantl
III, 84, Note 142; 50 — 73); cognoscunt praeterea obligationes et in-
solubilem naturam, vera fundamenta argumentorum dialecticorum , et
omnes eorum defectus (obligatoria und insolubilia sind Erweiterungen
der mpdernen, nach Prantl byzantinischen Logik, die auf die Disputations-
gewohnheiten Bezug nehmen; vgl. Prantl III, 143 f.; IV, 40 ff., 52 ff.,
89 ff. u. s. w.) ; quibus rebus instructi de unaquaque argumentatione
faciliter cognoscunt, an bona sit, an mala (damit ist ebenfalls eine unter
dem Namen der consequentiae laufende Erweiterung der modernen Logik
gemeint, die sich auf die Figur der hypothetischen Syllogismen bezieht
und die in bona und mala consequentia eingeteilt wurde; vgl. Prantl
III, 137 ff. u. s. w. , namentlich IV, 46 , Note 177). Reales autem haec
omnia negligunt et contemnunt (d. h. sie verwerfen die ganze moderne
Logik) dicentes: „nos imus ad res, de terminis non curamus". Vgl.
Steph. Baluzii Miscellanea (novo ordine digesta ed. J. Dom. Mansi) II
(1761), S. 293.
3 ) Schon Gerson kennt solche, die sagen : Quid agis de logica, quam
Studiosi no8tri temporis vilem habent, terministam irridentes, eo quod
omnia referat ad terminos; nos inquiunt rem inquirimus, ad rem imus;
quid ad nos de terminis. Prantl IV, 146, Note 609. Die moderni zu
Paris zitieren diese Stelle und antworten mit Gersonschen Argumenten.
140 IL Abschnitt.
keit unter die Autorität der Kirche immerhin gefährlich für
den Eirchenglauben sein konnte. Aus diesem keineswegs un-
richtigen Gefühl heraus ist der sachlich nicht gerechtfertigte
Vorwurf eines häretisch verdächtigen „Nominalismus* gegen
die Schule Ockams zu verstehen. Und zweitens spricht aus
jenen Worten: „De terminis non curamus" ein Gefühl für die
Nutzlosigkeit, für den Öden Formalismus der terministischen
Logik. In mehreren überlieferten Aussprüchen wird diesem
Gefühl Ausdruck gegeben: Das Edikt von 1473 redet davon,
daß die moderni „suo nimium ingenio freti, aut rerum quidem
novarum avidi steriles doctrinas minusque fructuosas" traktieren,
„oniissis eorundem patrum realiumque doctorum solidis salu-
bribusque doctrinis" *). Und im Manuale scholarium sagt Ca-
millus, der eine der sprechenden Studenten von den Modernen:
Yersantur in sophismatibus tantum, veram doctrinam asper-
nantes. Fama eorum parva est; elaborant solum in Parvis
logicalibus et sophisticis opinionibus. In vera scientia nihil
sciunt 2 ).
Also in den Kreisen der via antiqua herrscht ein starkes
Gefühl für die Nutzlosigkeit der terministischen Spitzfindig-
keiten ; ebenso ist man von ihrer Gefährlichkeit für den Jugend-
unterricht, namentlich in ihr er Verquickung mit der Theologie
überzeugt. Allein auf die Universalienfrage wurde der Unter-
schied auch in den Kreisen der via antiqua nicht allgemein
hinausgedeutet 3 ). Soviel sich bis jetzt übersehen läßt, geschah
*) Bulaeus a. a. 0., S. 707, oben. Allerdings muß diese Stelle mit
Baluzius, Miscell. a. a. 0. verglichen werden. Unter den doctrinae steriles
sind vorzugsweise die «modernen* Erörterungen über die göttliche Will-
kür gemeint. Vgl. unten S. 146 f.
2 ) Fr. Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter 1857,
S. 12 f. Bartoldus entgegnet ihm unter anderem: Offendis veritatem,
nam eruditissimi viri reperiuntur inter modernos. Nonne audisti in
quibusdam terris eos possidere integras universitates ? ut Viennae, Er-
fordiae, utque quondam hie (nämlich in Heidelberg) erat. Clari sunt in
enunciationibus et syllogismis. Non reperies artium studiosos, qui
Syllogismus ceterasque species argumentationis facilius noscant quam
moderni. Hoc interest : alium habent docendi modum , quam realistae.
Quodsi intenta cura audiemus, non parum fruetus est allatura eorum
doctrina.
3 ) Z. 6. der Student, welcher die in voriger Anmerkung zusammen-
gestellten Urteile abgibt, schätzt selbst die via realium höher und will
ihr angehören: Non tanto amore amplector doctrinam [modernorum] ut
ealistarum, censeo tarnen nullius doctrinam esse spernendam.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 141
dies zuerst durch einen Albertisten zu Köln, Heimerich de Campo,
welcher eine Menge von Differenzpunkten zwischen Thomas
von Aquino und Albertus Magnus erörtert 1 ) und da nebenbei
den Parteigegensatz der antiqui und der moderni lediglich in
die Universalienfrage verlegt 2 ). Es ist zu beachten, daß dieser
Heimerich de Campo von Köln nach Löwen berufen wurde und
dort 15 Jahre lang (von 1429 an) Theologie gelehrt hat 3 ), und
daß ferner die Pariser Vergewaltigung von 1473 ihre Vor-
geschichte hat in noch zu erwähnenden Vorgängen an der Uni-
versität Löwen. Somit kann man schließen, daß der Vorwurf
des Nominalismus gegen die Schule Ockams von Köln über
Löwen nach Paris gewandert ist und von dort durch die ge-
schilderte Missionstätigkeit der via antiqua an die süddeutschen
Universitäten weitergetragen wurde.
Im Gegensatz hierzu können die moderni nicht genug be-
tonen, daß sie keine Nominalisten seien 4 ) und daß der Haupt-
unterschied gegenüber den antiqui in der Anwendung oder
Nichtanwendung der terministischen Logik liege 6 ).
Die Verteidigungsschrift der Pariser Ockamisten von 1473
führt aus, daß die terministische Philosophie keineswegs eine
Gefahr für den Kirchenglauben bedeute, sondern daß sie ihn
im Gegenteil stütze; sie wahrt jedenfalls die Einheit Gottes
viel besser, als die skotistiscbe Lehre von den Formalitates 6 ).
l ) Problemata inter Albertum Magnum et Sanctum Thomam ad utrius-
que opinionis intelligentiam multum conferentia. Köln 1496 (Hain 4302).
') Primo contra modernos sine argumentis haec incidunt dubia sive
quaesita : An universalia sint ; an sint a parte rei extra animam ; an
sint separata a singularibus et an etiam sint in ßingularibus ; an sint
materia vel forma vel compositum ex utrisque; an sint corporalia vel
incorporalia ; an sint tantum quinque. His enim lucide perscrutatis et ex
doctrina Aristotelis evidenter discussis promptum erit videre, quam fructuosa
et fidelis est sententia antiquorum, quamque vituperabilis nova adinventio
et contraria modernorum (A II). Vgl. Württ. Vierteljahrshefte 1906 S. 323.
8 ) Vgl. Hurter, index literarius theol. cathol. IV (1899), 738.
4 ) Vgl. die Wendung: illi „nominales" dicti sunt, qui u. s. w.,
S. 139 N. 1 und unten N. 6.
6 ) Vgl. S. 139 N. 1 u. S. 140 N. 2. Camillus sagt weiterhin, die vera
scientia der antiqui bestehe in den Praedicabilia Pbrphyrii und in den Kate-
gorien des Aristoteles, in quibus ant porum noscunt ant nihil moderni.
6 ) Illi doctores „nominales" dicti sunt, qui non multiplicant res
principaliter signatas per terminos secundum multiplicationem terminorum,
reales autem, qui e contra res multiplicatas esse contendunt, secundum
multiplicitatem terminorum. Verbi gratia : Nominales dicunt, quod deitas
142 H. Abschnitt.
Ganz ungerechtfertigterweise sei der Ockamisraus verfolgt
und verdächtigt worden: zuerst durch Papst Johann XXII.,
den aber Ockam selbst der Härese überwiesen hat; dann in
Böhmen, als die „Nominalisten* aus Prag ausziehen mußten,
um die Universität Leipzig zu gründen. Aber gerade der
„Realismus* hat damals zu Wiklifie und Husitismus geführt;
und Gott mußte ockamistische Männer erwecken, einen Peter
d'Ailly und Gerson, welche die Kirche auf dem Eonstanzer
Konzil von der böhmischen Häresie gereinigt haben. Zum
drittenmal sei der Ockamismus an der Universität Paris wäh-
rend des französischen Bürgerkrieges, als die meisten Magister
und Doktoren in alle Welt zerstreut waren, auf Anraten
einiger Albertisten kurz unterdrückt worden 1 ). Doch diese
Verfolgung war, wie auch die neuerliche vierte, gänzlich un-
gerecht und willkürlich. Der Ockamismus mit seiner ter-
ministischen Logik ist die beste Schulung des Geistes und er-
möglicht eine genaue Kenntnis von Wahrheit und Unrichtig-
keit der Urteile. Die Realisten streiten sich oft um Fragen
herum, die bei genauer logischer Einsicht gar keine Schwierig-
keit mehr bieten 8 ).
Nach dem Urteil der moderni kommt somit der Partei-
gegensatz mehr oder weniger auf einen Unterschied in der
Lehrmethode hinaus: alium habent docendi methodum sagt
der Student im Manuale scholarium. Während die einen mehr
den Porphyrius und Aristoteles traktieren, holen die anderen
et sapientia sint una res et eadem omnino, quia omne, quod est in deo,
deus est (vgl. oben S. 112 Note 2). Reales autem dicunt, quod sapientia
divina dividitur a deitate (Baluzius , Miszell. a. a. 0. II , 293). Prantl
IV, 187, Note, bemerkt mit Recht, daß damit die skotistische Unter-
scheidung der Formalitates (entitas individui, entitas quidditiva) getroffen
werden soll (vgl. zur Sache Theolog. RealenzykL V, 67, 5 ff.). Aber ge-
rade dieses Beispiel aus der Gotteslehre ist gewählt und an die Spitze
der ganzen Verteidigungsschrift gesetzt worden, weil es den von der
Universität ausgeschlossenen Ockamisten darauf ankam, zu zeigen, daß
ihr „Nominalismus" nicht zum Tritheismus führe.
') Von dieser „tertia persecutio nominalium post occisionem ducis
Aurelianensis* (1407) habe ich weder in Bulaeus noch im Chartularium
universitatis Parisiensis eine Spur finden können.
2 ) „Dum vos ad res itis , terminis neglectis, in totam rei caditis
ignorantiam." Dicti reales se involvunt difficultatibus inexplicabilibus,
dum difficultatem quaerunt, ubi non est nisi difficultas logicalis. Baluzius
a. a. 0. II, 293.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 143
ihre Weisheit aus den Parva logicalia des Petrus Hispanus.
Die realistae glauben, es mit den res selbst in ihren Urteilen
zu tun zu haben, während die moderni erkennen, daß nur
die signa, die termini rerum als Subjekt und Prädikat im Ur-
teil verwandt werden 1 ). Doch dieser Unterschied führt weiter
von der Logik zur Erkenntniskritik und Ontologie. So kommt
es, daß die beiden Parteien zwei ganz verschiedene Wissen-
schaftsvorstellungen haben 8 ). Nach dem Standpunkt des Ocka-
mismus beschränkt sich die Wissenschaft, wie oben schon aus-
geführt worden ist 3 ), wesentlich auf Logik, welcher höchstens
noch die übrigen „rationalen" oder „sermocinalen" Wissen-
schaften beigesellt werden 4 ). Die Gegner bezeichnen die für
den ockamistischen Standpunkt möglichen scientiae rationales
der Logik, Grammatik und Rhetorik als minderwertig 5 ) und
] ) Hierfür sei das Urteil von Luthers Lehrer Bartholomaeus Arnoldi
von Usingen angeführt: Antiqui passiones logices per prius rebus attri-
buunt, cum terminis utamur loco rerum et termini non pro se, sed pro
suis significatis praedicentur. Moderni passiones logicas per prius signis
attribaunt, quia signa immediate propinqne et per prius subiiciuntur,
praedicantur et diffiniuntur, non quidem pro se, sed pro suis significatis,
ratione cnius signata dicuntur remote subiici. Prantl IV, 244, Note 398.
Aehnlich der Ingolstadter Joh. Parreut: Dubitatur, quid subiiciatur et
pradicetur in praedicatione , an res realis vel terminns. De quo dubio
est controversia inter modernos et realistas. Prantl IV, 240, Note 875.
*) Vgl. das Urteil Aventins: Yeterani seien tiam, utpote aemulam
naturae, de rebus sive in rebus existere (nempe notatio naturae et sensus
animadversio peperit artem) [et] ea, quae confusa sunt notione mente cogi-
tatione, dumtaxat distinguuntur, diversa quoque esse contendunt; sicuti
est numerus et res quae numeratae sunt, magnitudo et res magna,
caecus et caecitas atque huiuscemodi alia (man erkennt den Versuch
die Lehre von den Formalitates klar zu machen). Hi [= moderni] seien-
tiam quoque potissimum de dictionibus et nusquam nisi in animi notioni-
bus atque rationibus esse docent. Joh. Turmair, Sämtliche Werke III,
•1884, S. 200 f.
8 ) S. oben S. 105.
4 ) Zwar behauptet wird immer wieder, daß der Ockanismus auch
für die realen Disziplinen einen Platz schaffe. Vgl. die als Abwehr
schön klingende Ausfuhrung der Mainzer Summula. Prantl IV, 192,
Note 82 und Bartholomaeus Arnoldi: , Seien tia realis traditur per ter-
minos primae impositionis , et sientia rationis terminos seeundae impo-
sitionis." Als ob die termini nach Ockam im Zustand der prima im-
positio ohne weitere Bearbeitung zu wissenschaftlich gültigen Sätzen
zusammengefügt werden könnten.
5 ) Logica non est scientia proprie dieta, sed solum est modus sciendi.
Grammatica et rhetorica non sunt scientiae proprie aeeipiendo, quia
144 IL Abschnitt.
fordern desto eifriger die Pflege der scientiae reales, der Physik,
Metaphysik, Ethik und Arithmetik. Wir sehen, der Gegensatz
in der Lehrmethode führt weiter auf sachliche Differenzen.
Darum ist das Urteil Prantls nicht richtig, welcher sich ganz
auf den Standpunkt der moderni stellt und den Parteigegensatz
rein für einen literarischen erklärt 1 ). Nur die „Perfidie" und die
„Verdrehung des Tatbestandes" seitens der Thomisten sei
schuld, wenn die Sache in das spekulative Gebiet und in die
lediglich den Universalienstreit betreffende Schablone hinüber-
gewendet worden sei 2 ). Tatsächlich ist das Verhalten der
antiqui nicht so schlimm ; sie fühlten einen sachlichen Gegen-
satz und suchten für die moderne und ihnen gefahrlich
scheinende Philosophie eine Analogie in der guten alten Zeit;
dabei entdeckten nicht nur böswillige Thomisten, sondern auch
ernsthafte und gerecht denkende Skotisten, daß der Ockamis-
mus nichts anderes sei, als eine Erneuerung des Nominalismus 3 ).
Ihnen gegenüber haben auch die moderni von ihrem Stand-
punkt aus vollständig recht, wenn sie darauf hinweisen, daß
der Gegensatz in erster Linie ein literarischer sei und seinen
Grund habe in der verschiedenartigen Erziehungsmethode der
beiden Schulen. Doch solch literarische Gegensätze führen
leicht zu sachlichen über. Wenn der Gegensatz nur auf den
sunt de entibus rationis, quae oriuntur ex placito instituentis (vgl. oben
S. 101, Note) variabilibus in dem Clipeus Thomistarum des Petras Nigri.
Prantl IV, 222, Note 267. Moderna dialectica ait scientiam esse prin-
cipaliter ac per se de terminis atque conceptibus, secundario autem ac
per accidens de rebus ipsis in den Dubia super logicam Pauli Veneti
des Thomisten Bartbolomaeus Manzolus. Prantl IV, 274, Note 616.
*) Die antiqui erklären den Aristoteles und die Sentenzen im An-
schluß an die älteren Kommentatoren, die moderni knüpfen in der Logik
an die durch Ockam begonnene Erweiterung und Fortbildung des Petrus
Hispanus an, welche „sich vor allem auf die sogenannten proprietates
terminorum, d. h. auf die Wortformen der Begriffe und auf die Verhält-
nisse des SSatzbaues warf und von hier aus zu einer unablässigen Uebung
in Spitzfindigkeiten und Sophismen, sowie in Gewandtheit des Dis-
putierens derartig hinüberleitete, daß über diese neuen Zweige der Logik
(Sophismata, Insolubilia, Obligatoria, Gonsequentiae, vgl. oben S. 139 Note 1)
eine ganze Flut von Schriften enstand*. Prantl, Geschichte der Ludwig-
Maximiliansuniversität I, 53.
2 ) Prantl, Gesch. d. Logik IV, 193.
8 ) Vgl. das Urteil Tartarets bei Prantl IV, 205, Note 159. Nur wir
müssen uns davor hüten, die Meinung nachzusprechen, als ob die Uni-
versalienfrage im Ockamismus eine wesentliche Rolle spiele.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 145
Lehrbetrieb und auf die Unterrichtsmethode sich bezieht, dann
sind immerhin die vielen kleinen Streitigkeiten an den pari-
tätischen Universäten verständlich, welche zwischen den Bursen
beider Richtungen stattfanden und durch immer neue Verord-
nungen geregelt werden mußten 1 ). Sie würden den Gegen-
sätzen entsprechen, welche heutzutage in jeder kleinen Stadt
zwischen Realschülern und Gymnasiasten mit Schneebällen und
Steinen ausgefochten werden und welche in den pädagogischen
Zeitschriften zur Erörterung des humanistischen oder realisti-
schen Bildungsideals veranlassen. Aber wie diesen Erörterungen
über das Bildungsideal schließlich ein über das literarische
Gebiet hinausgehender Unterschied in der Lebens- und Welt-
anschauung zu Grunde liegt, so war es auch bei den mittel-
alterlichen Kämpfen über die Lehrmethode. Ein ernsthafter
Mann wie Heynlin hätte es sich sonst nicht zur Lebensauf-
gabe setzen können, seiner Richtung in Paris und an den
Universitäten Süddeutschlands zur Alleinherrschaft zu verhelfen.
Fragen wir also nach den sachlichen über die Lehr-
methode hinausgreifenden Unterschieden, welche die
beiden scholastischen Richtungen voneinander trennen, so sind
im wesentlichen drei Punkte in den zeitgenössischen Quellen
angedeutet. Der eine Punkt betrifft theologische Fragen; die
beiden anderen beziehen sich auf Fragen der Logik, von denen
die eine auf das Gebiet der Erkenntnistheorie und Ontologie,
die andere auf das der Grammatik überleitet.
Auch die theologische Erörterung geht von Fragen der
Logik aus und die Berichte darüber 2 ) geben weiteres Licht
über die Vorgeschichte des Pariser Gewaltstreichs von 1473.
An der Universität Löwen waren zunächst in der Artisten-
fakultät Streitigkeiten ausgebrochen über die Urteilsform de
futuro contingenti, d. h. über die Frage, ob die Urteile über
zukünftige Dinge nur contingenter oder auch (wenn sie aus
dem Munde Gottes stammen) determinate wahr seien. Daran
schlössen sich weitere Streitigkeiten über die Allmacht und
über die Pr äszienz Gottes. Die Universität sah sich genötigt,
J ) Für Tübingen vgl. Roth S. 102; für Freiburg Schreiber I, 62 u. 152.
2 ) In der mehrerwähnten Verteidigungsschrift der Pariser Ockamisten,
BaluziuB a. a. 0. II, 294 und in der für Petrus de Rivo, regens in Löwen
aufgesetzten Rechtfertigungsschrift von 24 Doktoren des alten Wegs zu
Paris. Baluzius II, 294—97.
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 10
146 IT. Abschnitt.
ein Statut aufzugeben, daß die vanae und inutiles doctrinae
vermieden werden sollen, und daß Disputationen über die gött-
liche Allmacht und ähnliche Fragen nicht mehr in der Ar-
tistenfakultät stattfinden dürfen, sondern daß diese ausschließ-
lich der theologischen Fakultät vorbehalten bleiben sollen. Ein
Lehrer des alten Wegs, Petrus de Bivo, verfaßte einen von
der Universität Löwen als gültig anerkannten Traktat „ad
elucidationem veritatis dictae sententiae seu opinionis phiio-
sophi de futuris contingentibus" 1 ). Dieser Traktat wurde auch
an die Pariser theologische Fakultät eingesandt und hat da die
Streitigkeiten veranlaßt, die mit der Austreibung der Ockamisten
im Jahre 1473 endigten. Die Doktoren der via antiqua er-
klärten sich mit dem Traktat einverstanden, die Ockamisten
verwarfen ihn als häretisch. Der letzteren Führer, Heinricus
de Zomoren, verklagte den Verfasser des Traktats beim Papst
und erreichte eine Verurteilung desselben, obwohl Petrus de
Rivo in einer Rechtfertigungsschrift von 24 Pariser Doktoren
der via antiqua verteidigt wurde. Trotzdem habe ein Lehrer
der Artistenfakultät aus Deutschland die Häresien von Löwen
auf der Place de la Feurre (in vico Stramineo) öffentlich ver-
kündigt und dabei gesagt, Christus könne nicht in Wahrheit
dem Petrus gegenüber das Zukunftsurteil ausgesprochen haben:
Ter me negabis 8 ). Aus der ganzen Geschichte des Streits geht
*) Qui quidem tractatus, quoad primam partem incipit : An in pote-
state Petri etc.; quoad aliam partem: Sicut Tullius testatur in libro de
fato ; quoad aliam partem incipit : Ponentes in proposüionibus ; et quoad
aliam : A quolibet catholico ; et quoad aliam decem capitula continentem :
Utrutn philo8ophi tres virtutes; et quoad aliam novem capitula con-
tinentem incipit: Finalis particula. A. a. 0. Vgl. Hurter IV, 862, 738, 837.
2 ) Der letztere Satz aus der Schrift der Modernen. Ueber den in
Betracht kommenden Traktat urteilen sie folgendermaßen: Quidam
Lovaniensis regens tractatum composuit, in quo negabat certitudinem et
praesentiam divinain de contingentibus, asserens propositiones de futuro
contingenti, etiam contentas in biblia et a Christo prolatas non esse
veras. Dem widersprechen die antiqui: Non enim sicut adversarii obi-
ciunt, negat veritatem a propositionibus de futuro contingenti, quae in
symbolo fidei aut canone sacrae scripturae continentur, quin potius eas
verissimas fatetur ab omni catholico firmiter et usque ad mortem cre-
dendas, sed loquendo de veritate propositionis creata et inhaerente for-
maliter et actualiter ex praesentia rei significatae existente, dicit quod
in talibus propositionibus de futuro contingenti non est veritas deter-
minata, sicut in illis de praesenti et de praeterito; ita scilicet quod
sicut illae de praesenti et praeterito, quae sunt verae, sunt inimpedi-
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 147
hervor, daß die Ockamisten getreu der Lehre ihres Meisters
die ewige Gültigkeit und Absolutheit der göttlichen Willens-
entscheidungen behaupten, während ihre Gegner im Anschluß
an bestimmte Stellen in Aristoteles die logische Unverbindlich-
keit sämtlicher Zukunftsurteile festhalten wollen. Dadurch ge-
raten die antiqui in den Verdacht der Härese 1 ). Die sehr
wichtige Tatsache dieser zwischen beiden scholastischen Par-
teien bestehenden Differenz erhebt die oben ausgesprochene
Vermutung zur höchsten Wahrscheinlichkeit, daß mit der ter-
ministisch-stoischen Logik die „ moderne" Lehre von der Will-
kür in Gott und von dem liberum arbitrium indifferentiae in
die Wissenschaft des Abendlands eingedrungen ist. Auch hier
streiten, wie überhaupt in dem Kampf zwischen moderai und
antiqui, Stoizismus und Aristotelismus gegeneinander 2 ). Inter-
essant ist, daß die göttliche Willkür, um deren Gültigkeit hier
gestritten wird, den jungen Luther zur Verzweiflung gebracht
hat und doch heilsam war für seinen Glauben.
Sind die antiqui in diesen theologischen Streitigkeiten von
der Lehre ihres Duns Scotus abgewichen, der viel von jener
terministisch-stoischen Ethik angenommen hat, so sind sie
dafür umsomehr geneigt in erkenntnistheoretischen, bezw.
ontologischen Fragen skotistische Bahnen zu wandeln. Der
Gegensatz zwischen res und terminus, zwischen realista (for-
malista) und terminista deutet die Fragestellung an. Es ist
biliter verae, et quae falsae, inimpedibiliter falsae, sie se habent illae
de futuro contingenti; qnoniam postquam ponuntur esse de futuro con-
tingenti, ponuntur esse impedibiliter ; et per consequens possunt dici
neutrae, sie quod non sunt verae inimpedibiliter nee falsae inimpedi-
biliter, eo modo quo verae sunt determinate et inimpedibiliter illae
de praesenti et de praeterito. Et ipse sensus exprimitur evidenter in
traetatn praelibato. Im weiteren wird die Uebereinstimmung dieser An-
sicht mit Aristoteles nachzuweisen versacht; aber Ockam polemisiert
direkt gegen Aristoteles (vgl. Prantl III, 419, Note 1039).
*) Vgl. den Satz in der Verteidigungsschrift der Ockamisten : In his,
quae realitatem et nominalitatem concernunt, pars nominalium semper
est fidei conformior et ab ecclesia frequenter approbata, pars autem
realium periculosa et in multis ab ecclesia reprobata, ut patet in materia
universalium de aeternitate propositionum (gemeint sind eben die Sätze
de futuro contingenti) et multitudine entium sine causa. Baluzius a. a. 0.
II, 294 ; vgl. Prantl IV, 187, Note 63.
2 ) Vgl. das Urteil Aventins über den Streit der Schulen: antiqui
Aristotelis opinionem recentiores Stoicorum seetantur. Joh. Turmair,
Sämtliche Werke III, 1884, S. 201 f.
148 IL Abschnitt.
den antiqui darum zu tun, 1. die Einzeldinge als Wirk-
lichkeit im ontologischen Sinn nachzuweisen und
2. ihre reale Erkennbarkeit zu behaupten. Beides ist
sehr schwer, wenn man die ideell-universalistische Grund-
anschauung des Piatonismus, die in der Orthodoxie des Mittel-
alters nie aufgegeben ist, beibehalten und doch den radikalen
Bruch nicht vollziehen will, der sich durch das ockamistische
System hindurchzieht, daß die platonische Welt der Ideen und
des wahren Seins dem Gebiet des Glaubens und der Theologie
zugewiesen wird, während die erkennbaren Einzeldinge Gegen-
stand einer auf unsicheren Grundlagen stehenden Wissenschaft
sind, die nur auf logische Bearbeitung konzeptualistisch ge-
wonnener Begriffe hinausläuft. Nun ist es das Bestreben der
antiqui, mit Hilfe skotistischer Erkenntnisprinzipien eine Wissen-
schaft nachzuweisen, welche Erkenntnis der realen Außenwelt
ermöglicht. So werden zunächst die Einzeldinge als Wirklich-
keit in ontologischem Sinn nachgewiesen, indem in eigentüm-
licher Weise das universale in re behauptet wird. Die Realität
eines Einzeldings kommt zu stände durch Vereinigung des In-
dividuums mit dem individuell gestalteten Universalprinzip.
Da nach allgemein mittelalterlicher Anschauung das Einzel-
ding keine Realität besitzt, wenn es nicht an der universalen
Idee irgendwie teilhat und da die Realität des Einzeldings
sich ja nach der Partizipation am universale richtet, darum
behaupten die antiqui, denen es um die volle ungeteilte Realität
des Einzeldings zu tun ist, gemäß der Lehre ihres Meisters
Duns, daß im Individuum das universale ante rem als entitas
quidditiva die individuale Existenz (entitas individui) zur höch-
sten Essenz (ultima realitas) bringe 1 ). Ueber die Verschieden-
heit dieser drei Seinsformen, die sachlich identisch aber for-
maliter verschieden seien, entsteht in der Schule der antiqui
eine mächtig anschwellende Literatur der Formalitates 2 ), daher
werden die antiqui von den Gegnern formalistae oder formali-
zantes genannt 3 ). Der Zweck der Natur vollendet sich nach
*) Vgl. dazu R. Seeberg, Die Theologie des Joh. Duns Scotus 1900,
72 ff. ; Prantl III, 217 ff.
2 ) Vgl. Prantl III u. IV im Register sub Formalitates ; der Tübinger
Theologe Scriptoris behandelt dieselben in seiner Lectura (Hain 12493;
Steiff S. 49) fol. 73, col. 2—4; speziell in der Lehre von der Dreieinig-
keit spielt die Formalität eine Rolle.
8 ) Prantl IV, 146, Note 607 ; 198, Note 114 u. s. w.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 149
diesem Standpunkt im Individuum: Ein Ding ist, indem es
individuell ist. Das ttfSe zi etvoti des Aristoteles, das Sosein,
die „haecceitas" wird als besonderes Prinzip der Individuation
aufgestellt 1 ).
Nachdem also die volle Realität der Einzeldinge auf diese
Weise garantiert ist, ergibt sich die andere nicht minder kom-
plizierte Aufgabe nachzuweisen, wie der menschliche Geist
deren Realität erkenne. Die skotistische Erkenntnislehre ant-
wortet darauf: durch die intermediären Vorstellungen der species
intelligibiles 2 ). Dagegen hat Ockam den Grundsatz aufgestellt:
Nulla pluralitas sine necessitate 3 )! Soviel sich aus der Kampf-
literatur der moderni und antiqui ersehen läßt, hat die skoti-
stische Schule der via antiqua auf diesen Punkt weniger Wert
gelegt. Die Gegner werfen ihnen geradezu Oberflächlichkeit
in den erkenntnistheoretischen Fragen vor: Sie sagen nur „Nos
imus ad res"; wie man aber diese Dinge erkennen könne, dar-
über machen sie sich keine Gedanken. Daraus ist zu ersehen,
daß es den antiqui in erster Linie darauf ankam, nur mit dem
ganzen Wust der terministischen Spitzfindigkeiten und Sophis-
men zu brechen 4 ). Sie wenden sich den Dingen zu; pflegen
„reale Wissenschaft". Sie glauben an die Möglichkeit einer
selbständigen Metaphysik 5 ) und einer rationalen Unterstützung
der Glaubenslehre. Sie treiben vorzugsweise im Anschluß an
Aristoteles und Albertus Magnus Physik und Ethik ; sie suchen
aus Euklid und Ptolemäus Mathematik, Geometrie und Astro-
nomie zu lernen. Aus dieser geschichtlichen Wirkung der
Lehre von der haecceitas ersieht man, daß dieser eigentümliche
Individualuniversalismus, der als die höchste Stufe scholastischen
Unsinns bezeichnet worden ist, einen Portschritt in der Ge-
*) Vgl. Paul Scriptoris : Secundum Scotum natura et haecceitas sunt
una res. Cum ergo sit una res ex se ipsa in re, est singularis ut idem
Doetor expresse vult. Lectura fol. 72, col. 2.
2 ) Prantl III, 210 ff.; Seeberg 100 ff. Paul Scriptoris in Lectura
fol. 90, col. 2; fol. 100, col. 1.
8 ) Vgl. oben S. 100 N. 4.
4 ) Man beachte das Urteil Gersons über die „subtilitates" seiner
eigenen Parteigenossen: Yitandae sunt et explodendae araneae, quae
ipsi Minervae ideo invisae ac odiosae feruntur, quod in subtilissimorum,
sed fragilium, filorum contextione se ipsas eviscerant. Prantl IV, 146,
Note 606.
5 ) Woher denn auch die Gegner der Terministen „metaphysicantes"
von Gerson genannt werden. Prantl IV, 147, Note 611.
150 n. Abschnitt.
schichte der Kultur bedeutet hat. Die statistische Reaktion
der via antiqua gegen die ternrinistische Häufung von logischem
Unsinn hat mit dieser aus Duns Scotus geschöpften Lehre den
realistisch-empirischen Standpunkt des Aristoteles erneuert 1 )
und so Boden geschaffen für die Naturforschung des Humanis-
mus.
Auch der dritte sachlich bedeutsame Streitpunkt, in welchem
via antiqua und via moderna voneinander abweichen, bedeutet
einen Fortschritt zu Gunsten des Humanismus. Nach der Dar-
stellung Prantls könnte es den Anschein haben, als ob die anti-
qui die Literatur der modernen Logik, die Parva logicalia und
die daran sich schließenden Erweiterungen in ihren Schulen gar
nicht traktiert hätten. Dem ist aber nicht so ; auch die antiqui
haben die Lehre von den proprietates terminorum, speziell von
der Supposition ihren jungen Studenten beigebracht; sie wußten
nur der Lehre vom terminus und von der suppositio
einen anderen Sinn zu geben. In einer Handschrift der Schaff-
hauser Stadtbibliothek 2 ), enthaltend das Kollegheft eines Basler
Studenten Konrad Ufflinger aus Schaffhausen, welcher bei dem
später als Lehrer des kanonischen Rechts in Tübingen wirken-
den Konrad Feßler 8 ) die Parva logicalia nach dem alten Weg
gehört hat, ist die suppositio vom Standpunkt der antiqui aus
so definiert: suppositio est acceptio termini subiectivi pro ali-
quo esse reali und sie wird scharf von der significatio unter-
*) „Duns Scotus half sich durch die Erfindung der berüchtigten
haecceitas, die oft genug ohne viel Rücksicht auf den Zusammenhang
der Begriffe als der Gipfel scholastischen Unsinns zitiert wird. Es scheint
in der Tat eine absurde Idee, die Individualität wieder zur Wirkung
eines Allgemeinen ad hoc zu machen, und doch steht diese Lösung der
Schwierigkeit unter allen Auswegen, die man hier eingeschlagen hat,
noch im besten Einklang, oder sagen wir lieber im geringsten Wider-
spruch mit der gesamten aristotelischen Lehre.* Fr. A. Lange, Gesch.
d. Materialismus I 6 , 1898, 174. Von hier aus wird es begreiflich sein,
wie sich bei Faber Stapulensis und bei anderen der skotistische Stand-
punkt der via antiqua zum reinen Aristotelismus steigern konnte.
*) H. Boos, Verzeichnis der Inkunabeln und Handschriften der Schaff-
hauser Stadtbibliothek 1903, S. 70 f., Note 14. Auch Faber Stapulensis
und seine Schüler Clichtoveus u. Bovillus u. a. Übernehmen ähnlich wie
Feßler die Lehre von der suppositio, legen sie aber im Sinn der antiqui
zurecht und eifern gegen die „sophistische Logik " der (ockamistischen)
„barbari". Prantl IV, 280 ff., namentlich Note 666.
8 ) Vgl. die Tübinger Universitätsmatrikeln, herausg. von H. Herme-
link 3, 9.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 151
schieden. Dagegen die moderni sagen nach derselben Quelle:
suppositio est acceptio termini in propositione pro aliquo, Tel
pro aliquibus, de quo et de quibus talis terminus verificatur
mediante copula illius propositionis. In echt ockamistischer
Weise wird hiernach der Logik die Bildung gültiger Urteile
und die Konstruktion richtiger Sätze als Aufgabe zuerkannt.
Noch mehr wird die ockamistische Vermengung der Logik und
Grammatik ersichtlich, wenn man erwägt, daß die moderni den
Hauptwert auf die suppositio materialis legen (quando terminus
non supponit significative, sed supponit vel pro voce vel pro
scripto), während die antiqui mehr die suppositio personalis
gelten lassen (quando terminus supponit pro suo significato) 1 ).
Den antiqui kommt es darauf an, die Grammatik von der Logik
zu trennen, während in den Kreisen der via moderna mit Hilfe
der modi significandi eine grammatica philosophica (speculativa,
doctrinalis) getrieben wird 2 ). Indem die sprachliche Bezeich-
nung (significatio) eines Dings scharf von der logischen Suppo-
sition für dasselbe getrennt wird, wird die Bahn frei für Ent-
wicklung der „ positiven* (praktischen) Grammatik, wie sie vom
Humanismus gefordert wird 3 ). Auch hier erstrebt die via anti-
qua eine Reaktion gegen die terministisch-stoische Verquickung
von Grammatik und Logik.
Aus alledem ist zu ersehen, daß nicht, wie vielfach be-
hauptet worden ist, der Ockamismus den hohlen Abstraktionen
und unfruchtbaren Spitzfindigkeiten der Scholastik ein Ende
gemacht hat, sondern, daß dies gerade durch eine Reaktion
gegen den Ockamismus geschah, die vom realistisch-empirischen
Standpunkt der skotistisch-aristotelischen Philosophie ausging
und die zu den neuen humanistischen Bestrebungen überleitete 4 ).
J ) Prantl IV, 145 , Note 601 ; III, 374, Note 877. Vgl. Paul Scrip-
torius, Lectura fol. 107, col. 1.
2 ) G. Bauch, Die Rezeption des Humanismus in Wien 1903, S. 7.
8 ) G. Bauch, Der Frühhumanismus in Leipzig in Beihefte zum Zen-
tralblatt für Bibliothekswesen 22 (1899), S. 39, Note 3. Vgl. Luther, als
er über die Lehre der suppositio bei seinen Modernen spricht: Haec
omnia ex ignorantia grammaticae et figurarum grammaticarum accide-
runt. Colloquia ed H. E. Bindseil III, 1866, 152.
4 ) Dieser Zusammenhang, der durch die Antipathie Prantls gegen
die antiqui (unter denen er jesuitische Thomisten wittert) verdunkelt
wurde, war früher schon von Zarncke deutlich erkannt: „Die Realisten
sind es, denen wir die humanistischen Studien verdanken, während da-
gegen die Partei der Nominalisten anfangs weit weniger Notiz von ihnen
152 H. Abschnitt.
Das tritt noch mehr zu Tage, wenn wir die persönlichen Be-
ziehungen der Vorkämpfer für die via antiqua zu den
Vertretern des Humanismus und zu den Ideen der neuen
Zeit ins Auge fassen. Johann Heynlin und Wilhelm Fichet,
die Wortführer 1 ) der via antiqua bei dem Pariser Gewaltstreich
gegen die moderni von 1473, haben um 1470 die Buch-
druckerkunst in Paris eingeführt und begannen mit humanisti-
schen Drucken 8 ). Ihre technischen Gehilfen, die sogenannten
alemannischen Brüder, Ulrich Gering und Michael Friburger
waren Basler Baccalare des alten Wegs. Der Freund und Ge-
nosse dieser Drucker, Erhard Windsberger (Ventdmontanus,
Aeolides), ein Schüler Heynlins, hat von 1476 an in Ingol-
stadt neben seiner medizinischen Professur Poetik gelesen und
astrologische Studien getrieben. Konrad Celtis und seine
Ingolstädter Freunde Tucher, Adorf, Tolhopf, Buttersaß,
Zingel u. s. w. waren Realisten 3 ). In Paris hat die realistisch-
aristotelische Schule des Faber Stapulensis, wie bekannt ist,
den Uebergang zum Humanismus vermittelt. In Basel war
Johann Mathias von Gengenbach, ein Pariser Magister des
alten Wegs, der erste, welchem das regelmäßige Lehrfach der
Poesie übertragen war 4 ). Sein Nachfolger in diesem Lehrfach
Jakob Carpentarius und dessen Nachfolger Sebastian Brant,
sowie auch Geiler von Eaisersberg gehörten zum alten Wege.
Auch Reuchlin, der in der via moderna magistrierte 5 ), war in
nahm und besonders tätig für dieselben keiner unter ihnen gewesen ist/
Einl. zu Seb. Brants Narrenschiff 1854, S. XX.
J ) Vgl. Bulaeus, Hist. univ. Paris V, 707 ; Baluzius, Miszellen a. a. 0.
II, 295; Wilh. Vischer, Geschichte der Universität Basel 1460—1529
(1860), 161.
2 ) Jules Philippe, Origine de rimprimerie ä Paris 1885, vgl. G. Bauch,
Die Anfänge des Humanismus in Ingolstadt. Histor. Bibliothek XIII, 17 ff.
3 ) Bauch a. a. O. 19, Note 2; Prantl, Gesch. d. Ludwig-Maximilians-
Universität I, 122 zählt die Männer auf, die sich für die via antiqua in
Ingolstadt verwandten.
4 ) Vischer a. a. O. 148 ; 187 ff.
5 ) Vgl. Vischer, 170. Die Tatsache erklärt sich wohl dadurch, daß
Reuchlin seine Studien an der damals rein ockamistischen Universität Frei-
burg begonnen hatte und daß er, seit seinem Pariser Aufenthalt innerlich
erhaben über den Unterschied der beiden Wege, möglichst rasch die Grade
erwerben wollte. Darum hat er den nach den Universitätsgesetzen zeit-
raubenden Wechsel der via unterlassen. Sommer 1474 ist er inskribiert,
Frühjahr 1475 baccalaureus. — In Basel gehörten auch der humanistisch
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 153
Paris um 1473 Schüler Heynlins und unterhielt freundschaft-
liche Beziehungen mit diesem älteren Humanistenkreis in Basel,
der sich nach dem alten Wege nannte. Daß in Heidelberg die
Einführung der via antiqua von den Humanisten freudig be-
grüßt wurde, ist schon erwähnt 1 ). Rudolf Agricola, der Heidel-
berger Humanist, war in Paris Schüler von Heynlin. In Frei-
burg fand die Einführung der via antiqua im Jahre 1487 durch
die Tübinger Magister Georg Nordhofer und Michael Lindel-
bach statt 2 ). Lindelbach war der erste Lehrer der Oratorien
in Tübingen, Vorgänger Bebeis und Verfasser der „Praecepta
latinitatis", eines Lehrbuchs für elegantes Latein 8 ). Und Georg
Nordhofer wird als fleißiger Bibelforscher und Kenner des
Scotus und Alexander von Haies gerühmt 4 ). Gregor Reisch,
der Verfasser der Margarita philosophiae war Schüler Lindel-
bachs, also auch „Realist". Zu derselben Richtung gehörte
Johann Caesar, der Herausgeber des von Summenhart verfaßten
Kommentars zu der Physik des Albertus Magnus ; sein Schüler
war der Humanist und Reformator Capito 5 ). Derart lassen sich
ungemein zahlreiche Beziehungen zwischen der via antiqua und
dem Humanismus aufdecken, die aus den oben angegebenen
inneren Gründen sich erklären lassen. Verfolgt man die in
Janssens erstem Bande in ihrer Wirksamkeit geschilderten
gesinnte Bischof Christof von Utenheim und der Buchdrucker Jobann
Amerbach zur via antiqua.
*) Vgl. S. 134 N. 3. Im übrigen scheint der Humanismus gerade
in Heidelberg sehr rasch die scholastischen Parteigegensätze überwunden
zu haben, indem durch vielfache direkte Beziehungen zu Italien die Ent-
wicklung sich rascher vollzog als anderwärts. Auch die Tatsache, daß
die via antiqua in Wien und Erfurt keinen Boden fand, erklärt sich
daraus, daß an beiden Universitäten durch Peuerbach und Regiomontan
einerseits, durch Rueder anderseits (Bauch, Erfurt im Zeitalter des Früh-
humanismus 1904, S. 25 ff.) angeregt von außen eine Pflege der mathe-
matischen Wissenschaften, d. h. eine Hinwendung zu den res und eine
innere Ueberwindung des ockamistischen Formalismus durchgeführt worden
war (vgl. hierzu Württ. Vierteljahrhefte 1906, S. 329 f. N. 4).
2 ) Beide sind 13. Mai 1487 inskribiert; nach gütiger Mitteilung des
Herausgebers der Matrikel Prof. H. Mayer.
3 ) Vgl. den Aufsatz über die Anfänge des Humanismus in Tübingen,
Württ. Vierteljahrhefte 1906, S. 335.
4 ) Schreiber, Gesch. d. Univ. Freiburg I, 132—144; 64, Note. Janssen,
Gesch. d. deutschen Volks I, 17. u. 18. Aufl., 131.
5 ) Vgl. Steiff, Der erste Buchdruck in Tübingen S. 233; Württ.
Vierteljahrhefte 1906, S. 336 N. 2.
154 II. Abschnitt.
Personen nach ihrem Bildungsgang, so ist man erstaunt zu
finden, daß die Mittelschicht von bedeutenden Männern zwischen
Scholastik und ausgesprochenem Humanismus der via antiqua
angehört. Nicht nur die Beziehungen zum Humanismus, Be-
ginn neuer Sprachstudien und Beschäftigung mit den Fächern
der Mathematik und Astronomie lassen sich bei diesen Männern
nachweisen, sondern ihre Opposition gegen den herrschenden
Ockamismus ist mit einer vielfältigen Kritik der bestehenden
Verhältnisse verknüpft, so daß sie von der kommenden Gene-
ration als „Reformatoren vor der Reformation" und als .Zeugen
der Wahrheit* 4 begrüßt worden sind. Auf dem Gebiet der
praktischen Reformtätigkeit, die sich ebenfalls aus dem Pro-
gramm „Nos imus ad res" ergab, haben die Realisten Stephan
Brulefer und Jakob Faber Stapulensis in Paris, Ulrich Surgant,
der Verfasser des Manuale curatorum, Jakob Philippi, der Ver-
fasser des Reformatorium vitae clericorum, Peter von Andlau,
der Verfasser des ersten deutschen Reichsstaatsrechts, alle drei
in Basel, endlich Johannes Trithemius, der Abt von Sponheim
und andere mehr sich ausgezeichnet 1 ); ganz abgesehen von
den noch zu nennenden Tübinger Reformern Heynlin und
Summenhart, Scriptoris und Thomas Wyttenbach.
Nachdem nun die geschichtliche Bedeutung der via antiqua
und der Verlauf dieser Reformbewegung im allgemeinen klar
gelegt ist, muß nun noch kurz der Anteil der Tübinger theo-
logischen Fakultät an dieser Bewegung geschildert werden.
Nach Tübingen ist die via antiqua durch Lehrer der Pariser
Universität übertragen worden; von Tübingen aus wurde sie,
wie erwähnt, nach Freiburg und nach Wittenberg verpflanzt.
Bei sämtlichen Vertretern der via antiqua an der Tübinger
theologischen Fakultät lassen sich Beziehungen zum Humanis-
mus und zum Teil auch Bestrebungen kirchlicher Reformtätig-
keit nachweisen, aber keiner hat die Grenze zwischen alter und
neuer Zeit überschritten.
Als Johann Heynlin im zweiten Semester der Tübinger
Hochschule an die Tübinger Stiftskirche und an die damit
l ) Die Literatur über Philippi s. Theolog. Realenzykl. XV s , 319 ff.;
über Peter von Andlau ebenda 319, 55; 320, 40 und 322, 25. üeber
Brulefer s. unten S. 163 N. 3. üeber Surgant vgl. Hurter IV (1899)
S. 995 f. Ueber Faber Stapulensis und Trithemius vgl. die Artikel in
Theolog. Realenzykl. oder in Wetzer und Weite.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 155
verbundene theologische Professur berufen wurde, da hatte er
schon den wichtigeren Teil seines Lebenswerks getan und die
Höhe seines Ruhms erreicht. Die glänzendste Zeit seines
Lebens war der zweite Pariser Aufenthalt (1466 — 74), da er
zweimal zum Prior der Sorbonne und einmal zum Rektor der
Universität gewählt wurde, da er Männer wie Reuchlin, Agri-
kola und Wessel zu Schülern hatte, da er den Sieg seiner
Richtung gegen den „ Nominalismus u (1. März 1473) herbei-
führen half und da er mit seinem Kollegen Fichet zusammen
die erste Druckerei in der Sorbonne einrichtete, um die Haupt-
stadt der mittelalterlichen Wissenschaften mit den ersten
humanistischen Drucken zu versehen. Seine Wirksamkeit in
Tübingen war eine nur kurze, aber bedeutungsvoll dadurch,
daß in seinem Gefolge die bedeutsamen Vertreter der via an-
tiqua Walter von Werve, Eonrad Summenhart und Paul Scrip-
toris aus Paris an die Tübinger Hochschule gekommen sind.
Von den Werken, die er verfaßt hat, kommen für Tübingen
nur Predigten in Betracht, die in einer fünf bändigen Samm-
lung auf der Bibliothek zu Basel handschriftlich vorhanden
sind 1 ). In seinen logischen, am Schluß des ersten Pariser
Aufenthalts verfaßten Schriften vertritt er einen ausgesprochenen
Eklektizismus. Er folgt nicht nur albertistischen und thomisti-
schen Grundsätzen, sondern er schöpft auch reichlich aus
Paulus Venetus, der um 1400 die bis dahin vorhandene ocka-
mistische Literatur der Logik zusammengearbeitet und darüber
hinaus auch die Realien der Philosophie in den Umkreis seiner
Beschäftigung gezogen hat 2 ). Von 1474 an gab er sich vor-
zugsweise der Predigttätigkeit hin, in Tübingen, Baden, Bern
und Basel kirchliche und weltliche Mißbräuche bekämpfend 8 ).
Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte der Lehrer
und Freund der Humanisten in der Karthause zu Basel, wie
erzählt wird, mit sich selbst uneins, ob er den richtigen Schritt
getan. Er stand auf der Schwelle der Zeiten.
Von Heynlins Nachfolger Walter von Werve (in Gelder-
*) W. Vischer, Gesch. d. Univ. Basel S. 164.
*) Prantl IV, 230, 118.
8 ) Z. B. ,Das werfen der iunkfrowen in die b&ch, der mezger un-
sinnig umbloufen und all t&nz in der ganzen vasten." Valer. Anshelm,
Bernerchronik ed. E. Stierlin und J. R. Wyss I, 227. N. Ausg. 1884,
I, 165.
15(3 IL Abschnitt.
land) ist nicht viel bekannt. Doch lassen sich Beziehungen
zum Humanismus aus der Tatsache erschließen, daß sein Diener,
den er nach Tübingen mitbringt, der Mainzer Baccalar Jo-
hann Pauli von Pfedersheim ist, der Freund Geilers von Kaisers-
berg, selbst ein berühmter Prediger und Verfasser der Schwank-
sammlung „Schimpf und Ernst* *).
Ein echter Vertreter der realistischen Richtung der via
antiqua ist der unter Heynlins Rektorat aus Paris nach Tü-
bingen gekommene Konrad Summenhart aus einem Dörf-
chen bei Calw. In der Vorrede zu seinem Werk über die
Verträge hat er seine realistischen Grundsätze entwickelt: Er
meint , daß man von den logischen und metaphysischen Unter-
suchungen fortschreiten müsse zu jenen praktischen Forderungen
des Lebens, welche für die Sicherstellung des Gewissens und
des Seelenheils in den mannigfachen Verwicklungen der ge-
sellschaftlichen Rechte und Pflichten von großer Wichtigkeit
seien. „Wenn die Häresie an den Toren rüttelt, dann wende
man Kraft und Schweiß auf für die Fragen des Glaubens,
aber jetzt ist es Zeit, von den wortreichen Sophismen und
von den logisch-metaphysischen Phantasmen hinweg sich den
sittlichen Fragen des Lebens zuzuwenden" 2 ). In diesen Zu-
sammenhang hinein gehört das Wort, welches Johann Staupitz
aus Summenharts Mund überliefert hat: «Wer wird mich
Unglücklichen erlösen von diesem theologischen Gezanke* s ).
Damit ist in etwas gesteigerter Form der echt realistische
Grundsatz der via antiqua zum Ausdruck gebracht: Nos imus
*) Vgl. Matrikeln der Univ. Tübingen, herausg. v. Hermelink 5, 22.
Die Identität des „Paulus de Pfedershain" mit Johann Pauli wurde von
mir bei Ausarbeitung der Matrikelausgabe nicht erkannt. Vgl. Chronikon
des K. Pellikan herausgeg. von Bernh. Riggenbach 1877, S. 14; Geigerin
Jahrb. f. deutsche Philologie 1876, S. 203; Gödeke, Grundriß d. deutschen
Dichtung I 2 , 404.
2 ) Fr. X. Linsenmann, Eonr. Summenhart 1877, S. 18 f.
8 ) Kolde, Augustinerkongregation und J. St. S. 215, Note 3. Ebenso
gehört hierher das Urteil Melanchtons über Summenhart : Schurff habe
ihn gehört, quem et alii iuris studiosi audiebant, quia doctrinam ecclesiae
evolvere ex praestigiis inutilium disputationum et ex superstitiosa inter-
pretatione traditionum humanarum conabatur, et Gersonis imitator erat.
Corp. Ref. XII, 90. Summenhart selbst beruft sich auf Gereon (Linsenmann
a. a. 0. S. 19). Gerson war eben der weiße Rabe innerhalb der ocka-
mistischen Schule, welcher den Wert der realen Wissenschaften gegen-
über der Logik betonte, vgl. Prantl IV, 145 f.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 157
ad res, de terminis non curamus. Im althergebrachten Uni-
versitätsbetrieb wurde dieser Grundsatz zur praktischen An-
wendung gebracht durch das neue Statut der theologischen
Fakultät über die „Resumtionen" (1496), bei dessen Erlaß
Summenhart zweifellos in erster Linie mitbeteiligt war 1 ).
Die Schriften Summenharts sind eine Illustrierung jenes
Grundsatzes. Sie zerfallen in drei Gruppen: Die erste umfaßt
zwei Werke aus dem Grenzgebiet der Theologie, Kanonistik
und Sozialwissenschaft. Der „Tractatus bipartitus de decimis*
ist im Jahr 1497 nach Vorlesungen und Resumtionen, die
Summenhart in Tübingen gehalten hat, in den Druck ge-
geben 8 ); das große „Septipertitum opus de contractibus pro
foro conscientiae" erschien zum erstenmal im Jahr 1500 8 ).
Zur zweiten Gruppe gehören die Kommentare zur Physik des
Albertus Magnus 4 ). Die dritte Gruppe besteht aus Gelegen-
heitsschriften 5 ), von denen zwei Universitätsreden enthalten,
zwei andere das kirchliche Reformbestreben des Verfassers
kennzeichnen. Von den Universitätsreden ist die eine die
Oratio funebris et luctuosa, gehalten bei der Leichenfeier,
welche die Universität nach dem Tode ihres Stifters, des
Grafen und Herzogs Eberhard im Bart im Jahr 1496 ver-
anstaltete. Die andere ist der aus zwei Kollationen für das
Weihnachtsfest im Jahr 1494 und 1495 entstandene Traktat
„Quod deus homo fieri voluerit*. Von den praktischen Re-
*) Vgl. oben S. 47 ff. Das übliche Urteil Über die „Examenspaukerei*
der Resumtionen (Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten II,
369) muß wohl hiernach etwas modifiziert werden. Da der Inhalt der
lectiones ordinariae stets fest und unveränderlich vorgeschrieben war,
suchen die antiqui durch neue Bestimmungen über die Resumtionen neue
bis jetzt nicht in den Lehrplan aufgenommene Schriften den Schülern
zu übermitteln oder irgendwelche Streitfragen der Zeit mit ihnen zu be-
handeln. Vgl. Prantl, Gesch. d. Ludwig-Maximiliansuniversität I, 81 und
Statutenbücher von Leipzig, herausgeg. von Zarncke, S. 490 Note 1.
s ) Steiff S. 229; Hain 15177.
8 ) Steiff S. 230.
*) Steiff S. 232 f. Der Herausgeber der nach dem Tod des Verfassers
in den Druck gegebenen „Commentaria in Summam physice Alberti
Magni* war der damalige Rektor der Freiburger Hochschule Johann
Cäsar ; und zwar benutzte er, wie Steiff wahrscheinlich macht, nicht das
Originalmanuskript des Verfassers, sondern die Nachschrift eines Tübinger
Studenten, die sehr verderbt war und nach Möglichkeit aus der Mar-
garita philosophica des Gregor Reisch wieder ergänzt wurde.
8 ) Steiff S. 50—53.
158 H. Abschnitt.
formbestrebungen des Realisten Summenhart legen Zeugnis
ab der „Tractatulus exhortatorius super decem defectibus viro-
rum monasticorum", enthaltend eine Rede, welche Summenhart
im Jahr 1492 im Kloster Hirsau auf Ansuchen des damaligen
Abts vor versammeltem Provinzialkapitel der Mainzer Bene-
diktinerprovinz gehalten hat; sowie der handschriftlich in der
Stuttgarter Landesbibliothek vorhandene „ Tractatulus pro
monialibus ad vitandam symoniam in receptione novitiarum ad
consultationem cuiusdam abbatissae ac sororum eiusdem 1496* 1 ).
Schon die Titel dieser Schriften beweisen, daß das oben
gekennzeichnete Reformprogramm der via antiqua hier in vollem
Umfang durchgeführt wird. Zunächst in praktischen
Dingen: die Mißbräuche im Leben der Klöster hat Summen-
hart in einschneidender Kritik gegeißelt. Die Rede an die
Mönche zu Hirsau enthält ein sittengeschichtlich wichtiges Kul-
turbild 8 ). Ein Ordenskapitel, welches diese Ausführungen
mitanhörte, mußte, wie Linsenmann richtig sagt, von der Er-
kenntnis der Mißstände und von dem Willen zur Besserung
tief durchdrungen sein.
Mit seinen moralisch-nationalökonomischen
Schriften steht Summenhart in einem großen geschichtlichen
Zusammenhang, welcher noch nicht genügend untersucht ist.
Vor ihm und nach ihm haben Scholastiker, Reformatoren und
Gegenreformatoren über die „Verträge" und über die Zehnten
gehandelt, zum Teil in den Sentenzenwerken an gewohnter
Stelle beim Bußsakrament, zum Teil in besonderen Schriften.
Dabei sind von unseren Reformatoren ihren Gegnern (z. B.
einem Eck und Cajetan) unlautere Motive vorgeworfen worden,
1 ) Unter den Handschriften der E. Hof bibliothek Cod. dogmat. et
polem. Nr. 56. Aus diesem Werk und aus dem verschollenen Tractat
de suffragiis defunctorum hatte sich Steinbach Auszüge gemacht, die
noch J. J. Moser in der Bibliothek des Martinsstifts gefunden hat
Vitae professorum (1718) S. 45. Vgl. Linsenmann S. 25. Verloren ge-
gangen sind die Gonclusiones in die Bücher der Sentenzen, dann die
wahrscheinlich als Kollationen für die Karwoche und für Allerheiligen
verfaßten Traktate „De sanguine Christi* und „De suffragiis defunctorum",
endlich ein „Tractatus de patribus et sanctis veteris et novi testamenti,
qui etiam in saecularibus literis evaserunt eruditi." Wie Summenhart
in der Oratio funebris selbst sagt, hat er außerdem auch die „Medita-
tiones et Soliloquia* des Augustin für den Grafen Eberhard ins Deutsche
übertragen.
2 ) Vgl. Linsenmann S. 69—76.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 159
weil sie namentlich in der Frage des Zinsnehmens weitergingen,
als jene. Wohl mit Unrecht; denn Eck ist von seinem Lehrer
Summenhart abhängig; und bei diesem sind es wirklich sittlich-
religiöse Motive, die ihn dazu drängen, die Forderungen des
praktischen Lebens der Zeit mit der vielfach entgegengesetzten
kirchlichen Gesetzgebung in Einklang zu bringen. So ent-
scheidet er sich z. B. mit Bücksicht auf die soziale Lage der
Bauern dafür, daß der Zehnte nicht natürliches, sondern posi-
tives Recht sei, also abgeschafft werden könne; er meint, das
sei vielleicht möglich durch ein gewohnheitsmäßiges Nicht-
zahlen, wodurch ein Verjährungsrecht entstehe; an eine ge-
setzlich geregelte Ablösung denkt er nicht. Aehnlich ist es
ihm darum zu tun, gegenüber der Tatsache des Kapitalismus
in seiner Zeit den sittlichen Kern der kirchlichen Gesetze über
Wucher und Rentenkauf herauszuschälen und diese so tolerant
als möglich auszulegen 1 ). So sucht Summenhart als rechter
Vertreter der via antiqua innerhalb der Voraussetzungen der
Scholastik der Wissenschaft neue Betätigungsfelder zu ver-
schaffen, indem er die neuen Erfahrungen und Forderungen
des praktischen Lebens der Nation mit der althergebrachten
Theorie in Einklang zu bringen und sittlich zu normieren
bestrebt ist.
In dem Kommentar zur Physik des Albertus Mag-
*) Daß er damit die tatsächlichen Bedürfnisse der Zeit und den nicht
mehr aufzuhaltenden Sieg der kapitalistischen Wirtschaft deutlicher er-
kannt hat, als die Reformatoren, das ist ohne weiteres zuzugeben. Auch
kann das Verhalten Ecks verstanden werden, wenn er sich für Geltend-
machung seiner (schon früher in der Schule Summenharts gefaßten)
Meinung von den Fuggern bezahlen ließ (gegen Theol. Realenzykl. V 3 ,
138 f.). Aber auch darüber sollte kein Streit mehr möglich sein, auf
welcher Seite die tiefere und innerlichere Erfassung des sittlichen Prinzips
ist. Luther hat jeglichen Wucher bekämpft aus seinem religiösen Idealis-
mus heraus, weil er das Zinsnehmen einfach für lieblos hielt. Er hat
aber in jenem religiössittlichen Idealismus prinzipiell den Standpunkt
ermöglicht, welcher jede in sich notwendige Ausgestaltung des prakti-
schen Lebens nicht nur von vornherein anerkennt, sondern auch durch das
Gebot der Liebe regelt. Anders die gewundenen Ausführungen Summen-
harts und Ecks, welche ein bestehendes kirchliches Gesetz mit den späteren
tatsächlichen Lebensausgestaltungen in Einklang zu bringen genötigt
sind. Sie erinnern in bedenklicher Weise an eine gewisse Eonzessions-
ethik, wie sie noch heute in beiden Kirchen gegenüber den tatsächlichen
Gestaltungen des modernen Lebens (z. B. Streiks, Nuditäten in der
Kunst u. ä.) üblich ist.
160 U- Abschnitt.
nus baut Summenhart von statistischen Grundvoraussetzungen
ausgehend eine Naturphilosophie in enzyklopädischer Fülle auf.
Das Werk nimmt mehrfach Bezug auf das berühmtere enzy-
klopädische Buch der Zeit, auf die Margarita philosophiae des
Gregor Reisch. Da aber dieses erst 1503 in Freiburg in den
Druck gegeben wurde 1 ), können jene Beziehungen erst von
der Hand der Freiburger Herausgeber des Summenhartschen
Kommentars stammen. Beide für das Verständnis der Zeit
hochwichtigen Werke, deren gegenseitiges Abhängigkeitsver-
hältnis noch näher untersucht werden muß, sind aus dem
philosophisch-realistischen Interesse der via antiqua heraus zu
verstehen; eine Darstellung der gesamten Wissenschaft von
den Tatsachen in der Gotteswelt und eine fromme Erklärung
dazu zu geben, ist ihre Absicht. So enthielten denn auch die
dem Kommentar zu Grunde liegenden Vorlesungen Summen-
harts mehr Naturphilosophie, als empirische Beobachtung.
Er erzählt zwar, eine Mondfinsternis von seiner Wohnung in
Tübingen aus beobachtet zu haben; aber trotzdem gehörte er
zu den „metaphysicantes" unter den antiqui. Sein Buch ist
voll von absonderlichen Konstruktionen und merkwürdigen
Fragestellungen, während zu gleicher Zeit in Tübingen durch
den anderen Pariser „Realisten 14 und Rivalen Summenharts,
Paul Scriptoris, der Sinn für empirische Naturkunde vorbe-
reitet wurde.
Summenhart ist schon den humanistischen Theologen bei-
gezählt worden *). Mit Unrecht, denn dazu fehlt es ihm schon
an der Sprachkenntnis. Er konnte nicht Griechisch und He-
bräisch, wie schon behauptet worden ist 3 ). Vollends fehlte
ihm die eigene Beobachtung und selbständige Vertiefung in
Natur, Altertum und Bibel. Immerhin beweist er in seinen
Beziehungen zu Reuchlin, Wimpheling und Pellikan ein reges
Interesse für die neuen Studien. Eine Uebersetzung der Medi-
*) Vgl. Janssen, Gesch. d. deutschen Volkes I 18 , 131, Note 6.
*) K. Müller, K. Gesch. II, 1, S. 203.
3 ) Vgl. S. 161 Note 3. Seine Bedeutung für die Geschichte der hebräi-
schen Sprache in Deutschland besteht lediglich darin, daß er als Uni-
versitätsrektor dem jungen Pellikan zu dessen hebräischen Studien aus
der Bibliothek die Stella Messiae des Peter Nigri zu verleihen hatte, und
daß er auch sonst freundlich gegen diesen strebsamen Studenten war.
Chronicon des Pellikan , herauag. von Beruh. Biggenbach 1877 , S. 17.
Gommentarii des Pellikan fol. 7.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 161
tationen und Soliloquia des Augustin verfertigte er im Auf-
trag und auf Antrieb des Grafen Eberhard. Das eingehende
Bibelstudium dieses Fürsten wußte Summenhart zu schätzen
und hat ihm in der Oratio funebris ein bleibendes Denkmal
gesetzt. Auch in seinem Vortrag an die Mönche zu Hirsau
rühmt er die Wissenschaft der heiligen Schrift, welche in den
Klöstern viel eher betrieben werden müsse, als das kunst-
volle Bemalen der Kirchenwände und als die ausschließliche
Sorge für Verwaltung und Oekonomie 1 ). Allein nicht er,
sondern sein Kollege Wendel Steinbach hat dem Grafen Eber-
hard die ausgezeichnete Kenntnis der heu. Schrift beigebracht»).
Und das Dokument seines Bibelstudiums, welches Summenhart
in seiner Weihnachtsrede hinterlassen hat, trägt ganz anderen
Charakter, als die gründlichen Kommentare Steinbachs. Ganz
in der traditionellen Weise wird hier mit überaus kühner
Symbolik und Allegorie der Beweis für die Gottheit Jesu aus
dem Alten Testament geführt. Die seltenen und dilettantischen
Versuche, über Nikolaus von Lyra hinaus geringfügige Sprach-
kenntnisse textkritisch zu verwerten, sind, wie selbst Linsenmann,
der Lobredner Summenharts, zugeben muß, „nicht frei von
einer gewissen Ostentation mit außergewöhnlicher fremdartiger
Gelehrsamkeit* 8 ). Auch in der Form seiner Darlegungen
ist Summenhart vollständig Scholastiker. Er kennt die pul-
chriores et politiores probationes, aber er nimmt seine gelehrte
*) „Ja fürwahr gleichwie in nicht wenigen Theologenschulen viel
lauter Aristoteles und sein Kommentator Averroes das Wort führen,
als Christus und der Apostel, so hört man in manchen Klöstern mehr
die Landwirte und Jäger, als die Lehre der heiligen Schrift/ Linsen-
mann a. a. 0. S. 16.
2 ) Was Summenhart in der oratio funebris ganz verschweigt, obwohl
er seine eigenen Verdienste anzubringen weiß.
8 ) A. a. 0. S. 17. In diesem Stück ist Summenhart allerdings mehr
Humanist, als die beiden Scholastiker Biel und Steinbach, die fast von
übertriebener Bescheidenheit sind. Die sprachlichen Renommistereien
und die reichlichen Zitate aus einer lateinischen Uebersetzung des Talmud
und aus der „glossa chaldaeica" (= Midrasch), deren Kenntnis Summen-
hart nach eigener Angabe (Quod deus homo fieri voluerit K II a, Spalte 2)
einem Römer namens Wilhelm Raymundi verdankt, darf man nicht so
hoch einschätzen, daß man ihm die Kenntnis der hebräischen Sprache
zuschreibt (Linsenmann a. a. 0. S. 82, Note 12 und Chr. Frdr. Schnurrer,
Nachrichten von hebräischen Lehrern in Tübingen 1792, S. 2; vgl. dagegen
Janssen-Pastor, Gesch. d. deutschen Volkes I 18 , S. 143).
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 11
162 n. Abschnitt
und von Schwierigkeit zu Schwierigkeit langsam weiterschrei-
tende Darstellung in Schutz gegen die, welche „auf die schönen
Worte achten und gewohnt sind, sich durch solche einzu-
schmeicheln" *). Er weiß es nicht, daß er einer neuen Zeit
entgegengeht, die er mit der Forderung einer realistischen
Wissenschaft herbeiführen hilft. Während die Humanisten in
jugendlich frischem Lebensgefühl die Deduktionen der Scho-
lastik bekämpfen, entschuldigt Summenhart sich gleichsam, daß
er dasselbe tut. In der Vorrede zu dem Werk über die Ver-
träge, in welcher das oben ausgeführte Reformprogramm auf-
gestellt ist, meint Summenhart, daß die Welt altert und dem
Untergang nahe sei; in ihrer Jugend war die Hauptsünde die
Wollust, jetzt aber nehme die Habsucht überhand, „welche,
wie man sagt, mehr bei den Alten zu Hause ist*. Damit
wird die Notwendigkeit einer Gesellschaftswissenschaft auf
sittlich religiöser Grundlage begründet 2 ). Daß die „Habsucht",
d. h. die kapitalistische Wirtschaftsform Zeichen und Begleit-
erscheinung einer neuen Zeit war, das ahnte der Vertreter der
via antiqua nicht. Nicht umsonst trägt diese scholastische
Richtung ihren Namen; aber ein Spiel der Geschichte ist's,
daß sie den Fortschritt vermittelt.
Aehnlich wie von Summenhart wird auch von Werner \JSTick,
dem Stuttgarter Stiftsprediger, welcher vielleicht einen Lehrstuhl
der Theologie in Tübingen kurze Zeit innehatte, die praktische
Theologie und das Grenzgebiet der Kanonistik in seiner uns er-
haltenen Schrift „Tractatus trium quaestionum" gepflegt 3 ). Der
erste Teil bespricht die drei Fragen, welche der ewige Richter
einst den Geistlichen vorlegen werde, wie sie zu ihrem Amte
gekommen seien, wie sie dasselbe verwaltet und wie sie sich
überhaupt betragen haben. Der zweite Traktat handelt von dem
vierzigtägigen Fasten und von der seit einiger Zeit an einigen
Höfen und in einigen Familien eingeführten Sitte, zweimal in
der Woche während dieser Zeit verbotene Speisen öffentlich zu
genießen. Am interessantesten ist die dritte Abhandlung, die
zu einem jahrelangen Streit zwischen dem Stift und zwischen
') In der Einleitung zur Schrift über die Verträge vgl. Linsenmann,
a. a. 0. S. 20.
2 ) Linsenmann a. a. 0. S. 18 f.
s ) Steiff S. 65 f.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 163
den Predigermönchen in Stuttgart Stellung nimmt *). Be-
merkenswert ist, daß der Stiftsprediger auch den Mendikanten
das Recht Beichte zu hören zuspricht. Diese Entscheidung
erinnert an die Erstlingsschrift; des Johann Staupitz aus dem-
selben Jahr 1500 „Entscheidung der Frage, ob die Parochianen
gehalten seien, nach kirchlicher Vorschrift an Sonn- und Fest-
tagen in ihrer eigenen Kirche Messe zu hören", worin der
Mönch Staupitz das zweifellose Recht des Ordinarius geltend
macht 2 ). Beide Zeugnisse des Gerechtigkeitssinns sind gleich
ehrend für den Weltkleriker, wie für den Religiösen.
Paul Scriptoris, auch ein Pariser Sendbote der via
antiqua, hat namentlich auf dem mathematisch-astronomischen
Gebiet, die Brücke zur neuen Zeit geschlagen. An der Pariser
Hochschule hörte er die Vorlesungen des Minoriten Ste-
phan Brulef er, eines hochangesehenen „Realisten", der später
während seiner Wirksamkeit an den Ordensschulen zu Mainz
und Metz einen Sentenzenkommentar nach Bonaventura heraus-
gab und um 1496 in seiner Heimat an der Küste der Bretagne
gestorben ist 3 ). In Tübingen war Scriptoris nicht Ange-
höriger der Universität und hat nicht in der theologischen
Fakultät gelehrt. Aber er gehört in eine Geschichte der-
selben notwendig hinein, indem er die Lehrtätigkeit des Kon-
rad Summenhart ergänzt und überboten hat. Er war gegen
Ende des Jahrhunderts Guardian des Franziskanerklosters
(bis 1501) und hat als „acutissimus Scotista" auch aus der Stadt
besuchte Vorlesungen über die Sentenzen nach Duns Scotus
gehalten. Unter seinen Schülern werden genannt Thomas Wyt-
tenbach, der Basler Lehrer Zwingiis; ferner Paul Volz, welcher
später zu Wimpfelings Schlettstadter Kreis gehörte, dann als
evangelischer Pfarrer zu Straßburg gegen die Konkordie
predigte und sich durch seine Sympathie für Schwenkfeld aus-
gezeichnet hat; endlich der Augustiner Johann Mantel, der
als evangelischer Prediger aus Stuttgart verwiesen ward und
*) Cless, Versuch einer Württ. Kirchen- u. Kulturgesch. II, 2, S. 166.
2 ) Kolde, Augustinerkongregation S. 216 ff.
3 ) Ueber Brulef er vgl. Wetzer u. Weite, Kathol. Kirchenlexikon II 1 ,
1355 f. ; Prantl IV, 198 ; Theol. Quartalschr. 1893, 289 ff. Auch er scheint
sich freimütige Aeußerungen über Kirche und Zeit erlaubt zu haben.
Auf der Tübinger Bibliothek befindet sich eine Handschrift seines Sen-
tenzenwerks, ein Beweis, daß er durch des Scriptoris Vermittlung hier
Einfluß ausgeübt hat.
164 H* Abschnitt.
im Jahr 1530 zu Elgg im Zürichbiet gestorben ist. Ja fast
das ganze Augustinerkloster unter Führung von Johann Stau-
pitz sei in seine Vorlesungen über Duns Scotus gegangen,
erzählt sein bedeutendster Schüler und Ordensgenosse Kon-
rad Pellikan, dessen Vater ebenso wie Scriptoris aus der
schwäbischen Reichsstadt Weil stammte *). Für den schwäch-
lichen Pellikan und neben ihm her trug Scriptoris einen
hebräischen Prophetenkodex von Mainz nach Tübingen. Er
selbst konnte nicht Hebräisch, wie früher gesagt worden ist.
Griechisch lernte er bei Reuchlin, doch scheint er es nicht zu
biblischen Studien verwendet zu haben. Wenigstens die einzige
Notiz bei Pellikan über seine Bibelauslegung besagt, daß er
am Fest der Priesterweihe des Pellikan eine Predigt über die
fünf goldenen Mäuse der Philister (1. Sam. 4, 6 f.) gehalten
und dies Thema allegorisch auf die hebräischen Studien des
Primizianten angewandt habe; Pellikan weiß später selbst
nicht, wie ihm das gelungen sei. Dagegen hat Scriptoris die
Kenntnis der griechischen Sprache für seine mathematischen
Studien benützt. Er hielt in seinem Kloster Vorlesungen über
die Kosmographie des Ptolemäus; da habe er fast alle Doktoren
und Magister der Universität zu Zuhörern gehabt ; namentlich
verkehrte er mit dem späteren Humanisten Johann Stöffler
und suchte ihn mit Pellikan in seiner Pfarrei zu Justingen
auf. Den Mönchen in Bebenhausen zeigte er die Anlegung
eines Astrolabs ; und in engerem Kreise in seinem Kloster er-
klärte er die 5 Bücher des Euklid.
Gehören diese letzteren Notizen nicht unbedingt in die Ge-
schichte einer theologischen Fakultät, so sind sie doch ge-
eignet, die Bestrebungen und Wirkungen der via antiqua zu
kennzeichnen. Auch bei Scriptoris regte sich das Bedürfnis
nach einer praktischen Reform der bestehenden Mißstände. Er
sprach mit Pellikan über eine Zeit, da man die Theologie um-
gestalten werde, da man die scholastische Methode aufgebe
und zu den alten Kirchenvätern zurückkehre ; auch die meisten
Gesetze müßten verändert werden. Er selbst suchte in aus-
gedehnter Predigttätigkeit bei der erhofften Reform mitzu-
wirken; auf die Kanzeln in der Umgegend, nach Reutlingen
und Horb ward er öfters berufen und geißelte hier in so frei-
l ) Chronicon, herausg. v. Bh. Riggenbach 1877, S. 12 ff., 20, 28 ff., 44.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 165
mutiger Rede die Mißbräuche der Zeit, daß er darob den Un-
willen der Tübinger theologischen Universitätslehrer hervor-
rief, welche ihm wegen des starken Zulaufs seitens der Stu-
dentenschaft ohnehin mißgünstig gesinnt sein mochten. Er
wurde bei seinem Provinzial verklagt und da er zudem bei
seinen Mönchen nicht beliebt war, im Jahre 1501 abberufen 1 ).
Nach mancherlei Irrfahrten starb er am 21. Oktober 1505 im
Kloster Kaisersberg.
Wegen seiner Maßregelung seitens der geistlichen Oberen
hat man ihn zum Reformator vor der Reformation stempeln
wollen. Aber er hat sich von der Lehre und von der Methode
der Scholastik nicht losgemacht. Das beweist am besten sein
Kommentar zum ersten Buch der Sentenzen des Scotus, zu
dessen Druck er die Uebersiedlung des Buchdruckers Otmar
von Reutlingen nach Tübingen veranlaßte. So ward denn die
„Lectura fratris Pauli Scriptoris ordinis minorum de observantia,
quam edidit declarando subtilissimas doctoris subtilis sententias
circa Magistrum in primo liber tt als allererster Tübinger Druck
am 24. März 1498 beendigt 2 ). Die drei ersten Distinktionen
sind breit und ausführlich auf mehr als 100 Blättern des
Werks behandelt, während die übrigen Distinktionen nur ganz
kurz erörtert sind. Das umfangreiche Werk in dieser Gestalt be-
weist, daß Scriptoris in erster Linie scholastischer Theologe
war; von eigentlich reformatorischen Ansichten kann keine
Rede sein. Auch aus der Ausführlichkeit der ersten Dis-
tinktionen geht hervor, daß die eigentliche Begabung des Ver-
fassers in erster Linie auf logischem und mathematischem Ge-
*) Nikolaus Paulus in Theol. Quartalschr. 1903 , S. 308 hat Recht,
wenn er den Bericht Pellikans einschränkt: Scriptoris habe sich frei ge-
äußert de sacramentis , indulgentiis , votis et aliis articulis, qui postea
dicti sunt ut hodie Lutherani. Es ist methodisch nicht richtig, auf
solche Aeußerungen zuviel Gewicht zu legen. — Eine andere Frage ist,
wie gerade die Tübinger Theologen dazu kommen, den Mann wegen
Heterodoxie zu verklagen. Den milden Steinbach trifft wohl keine
Schuld. Sollte Summenhart die Gelegenheit benutzt haben, den Eon-
kurrenten, welchem alle Hörer der via antiqua zuliefen, zu entfernen;
und sollte Lemp Helfersdienste geleistet haben? Oder war Plansch der
Anstifter, der Pfarrer zu Tübingen, welcher auf der Züricher Disputation
die alten Bräuche und Satzungen der Kirche verteidigte?
2 ) Steiff S. 49 f. Er wurde nachgedruckt in Carpi Prov. Modena,
verbessert durch den Spanier Ja Montes docea. Vgl. Blätter f. Württ.
Kirchengesch. 3 (1888), S. 88.
166 H. Abschnitt.
biet zu suchen ist. Hier ward er Bahnbrecher im Sinn der
via antiqua. Sein reiner Charakter, ersichtlich aus der selbst-
losen Freundschaft mit Pellikan und aus der Freimütigkeit,
welche mit dem Verlust der wissenschaftlichen Muße bezahlt
werden mußte, hat ihm eine Anzahl von späteren Anhängern
der Reformation als Schüler zugeführt.
Auch bei den beiden letzten ordentlichen Professoren der
via antiqua zu Tübingen, Lemp und Eäufelin, welche keine
Schriften hinterlassen haben, zeigt sich in ihrem Charakter
und in ihrem Lebensgeschick die eigentümliche Bedeutung,
welche der via antiqua. am Wendepunkt der neuen Zeit zu-
kommt. Die sehr widersprechenden Nachrichten über Jakob
Lemp hat neuestens Otto Clemen zusammengestellt 1 ); aber
er hat dabei übersehen, daß eben die Zugehörigkeit zur via
antiqua die Erklärung gibt für die Widersprüche dieses Cha-
rakterbildes. Lemp ist Schüler Summenharts und hat sich
mit großem Fleiß in die von seinem Meister gelehrte ange-
wandte Theologie in Verbindung mit der Kanonistik einge-
arbeitet. Die seit 1496 neu geschaffene außerordentliche Pro-
fessur für kanonistische Theologie versah er seit dem Tode
Summenharts zusammen mit dessen Lehrfächern und galt bei
der Universität wie bei der Regierung als höchst gelehrte
Größe. Nebenbei war er ein geschickter Verwaltungsmann,
der oftmals zum Rektor gewählt, im kritischen Jahr 1519 der
Universität diplomatisch und gewandt über die schwierige Ent-
scheidung zwischen Herzog Ulrich und der österreichischen
Regierung hinübergeholfen hat. Die hier geübte Zurückhaltung,
die abwartende und vorsichtig abwägende Entscheidung charak-
terisiert ihn auch in seiner Stellung zu Humanismus und Re-
formation.
Die Beziehungen Lemps zu den Humanisten sind von den
Lehrern und von der Tradition seiner scholastischen Richtung
übernommen. Das gute Verhältnis zu Reuchlin war durch
Summenhart angebahnt; und wenn Lemp als Rechtsbeistand
zu Reuchlins Handel vor dem geistlichen Gericht in Mainz
gegen Hochstraten erscheint, so war das sowohl in Konsequenz
seiner persönlichen Entwicklung, als auch im Sinn der wissen-
J ) Archiv für Reformationsgeschichte II, 90 ff. Vgl. dazu die Be-
sprechung Bosserts in Theol. Literaturzeitung 1906, Sp. 112 und Alfr.
Götze in Zeitschr. f. deutsche Philologie 1905, S. 108.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 167
schaftlichen Richtung, die er vertrat, geboten. Als einziger
Vertreter der via antiqua war Lemp lange Zeit Superattendent
der Bursa realistarum. In dieser Burse suchten aus den oben
angeführten Gründen die Humanisten eher Aufnahme, als in
der der moderni. Ihm als Vorgesetzten hat z. B. Simler seine
Observationes de arte grammatica gewidmet 1 ). Das war höflich
und klug, andere murrten und seufzten unter seiner etwas
schwerfälligen und rückständigen Natur. Johannes Brassikan
schrieb eine Grammatik mit Beispielen über den „Pannutius"
(Lumpen), auf seinen Namen anspielend 8 ); und Melanchton,
der auch in der Bursa der Skotisten angestellt war, ärgerte
sich über die „insulsitas 44 des Mannes s ) und sehnte sich zum
Schluß fort von Tübingen. Die insulsitas bestand eben in
dem Bestreben, nirgends anzustoßen. In seiner vorsichtigen
und möglichst deutlichen Demonstrationsweise hat Lemp die
Transsubstantiation vor seinen Schülern an die Tafel gemalt.
„Wenn er nur Eselsohren dazu gemalt hätte", sagte Melanch-
ton, als er das erzählte. Es kann sein, daß der vorsichtige
Lemp ebenso wie sein ihm ähnlicher Schüler Eäufelin seine
praktische Gelehrsamkeit auch in den Dienst der neuen Sache
gestellt hätte, wenn es zu seinen Lebzeiten von oben de-
kretiert worden wäre. Diese Charaktereigentümlichkeit der
Vorsicht und „ insulsitas 14 ward zum Gespött in einer Zeit, die
auf Entscheidungen drängte. Die Mißstimmung der unter
ihm dienenden Humanisten zusammen mit einer mißverstan-
denen Ueberlieferung über die Teilnehmer der Züricher Dispu-
tation von 1523 4 ) hat Lemp in den populären Kampfschriften
der Reformation den Ruf als „Lumpen 41 und „Haderfetzen 44 von
*) In der Vorrede s. Steiff S. 84.
2 ) Steiff im Korrespondenz*) latt f. Gel. und Realschulen in Württ.
29, 351.
8 ) Corp. Reform. IV, 718.
4 ) In einer verbreiteten Ausgabe der 67 Schlußsätze Zwingiis waren
die Namen der bischöflichen Deputierten beim Züricher Gespräch von
1523 unrichtig angegeben. Es heifit da: „Dr. Eonrad Lemp, Pfarrherr,
Predikant zu Tübingen" habe teilgenommen. Natürlich ist der weniger
bekannte Plansch hier vom Herausgeber mit dem bekannteren Tübinger
Namen Lemp verwechselt. Obwohl es einen Tübinger Pfarrherrn Eonrad
Lemp überhaupt nie gab , fiel auf den Tübinger. Professor Jakob Lemp
das Odium der hilflosen und schwächlichen Bestreitung der Reformation.
Vgl. Zwingli, Werke ed. Schuler u. Schultheß I (1828), 113. Enders,
Briefe Luthers IV, 74 und Archiv für Reformationsgesch. II, 83.
168 II. Abschnitt.
Tübingen eingetragen. Ein Heynlin und noch Summenhart
konnten innerhalb der Voraussetzungen des Alten ihre Reform
anstreben; zur Zeit Lemps mußte man sich entscheiden, ob
man zu den Alten oder Neuen gehören wolle. In seiner
Person hat die realistische Richtung der Tübinger Scholastik
den wissenschaftlichen Stillstand erreicht; in der Person seines
Nachfolgers Kauf elin entwickelt sie sich zur Charakterlosig-
keit. Eäufelin war langjähriger Kollege Lemps und nahm als
Gegner der Reformation an der Disputation zu Baden im
Jahr 1526 teil. Bei der Reformation der Universität soll er
durch seinen Studiengenossen Blarer für die neue Lehre ge-
wonnen worden sein. Er war kurze Zeit Kollege von Brenz
und Schnepf, fügte sich unter das Interim, und dann wieder
unter die Neuorganisation der Universität unter Herzog Christoph,
und lehrte als Ueberbleibsel aus alter Zeit die evangelische
Theologie bis zu seinem Tod im Jahr 1559. Lemp und
Kauf elin haben es erfahren, daß die Reformbestrebungen der
via antiqua durch tiefere und mächtigere Bewegungen abge-
löst und überboten waren.
Aehnlich wie Lemp nimmt auch der Schüler der via antiqua
Franz Kircher, ein Freund des jungen Melanchton, eine ge-
wisse Mittelstellung zwischen alter und neuer Zeit ein. Kircher,
nach seinem Heimatort Stadianus genannt, führte den jungen
Melanchton in die Dialektik ein. Danach wurde er durch
den Schüler mit den Aristoteleskommentaren des Themistius
und Johann Philoponus bekannt gemacht, welche Reuchlin
seinem Neffen geliehen hatte 1 ). Beide näherten sich in engem
Freundschaftsbund und beschlossen, den echten Aristoteles
l ) Corp. Reform. XI, 20; I, 21 f. Melanchton war in Heidelberg
und in Tübingen Skotist; denn die Nachricht des Camerarias (Theolog.
Realenzykl. XII 8 , 515, 16), daß er in Tübingen zur via moderna über-
gegangen sei, kann nicht richtig sein, da Melanchton 1. in Tübingen
viel zu rasch das Magisterexamen macht (vgl. Matrikeln d. Universität
Tübingen, herausg. von H. Hermelink 68, 46), was bei einem Wechsel
der via nach den Universitätsgesetzen nicht möglich gewesen wäre; und
weil er 2. als conventor der (Realisten-) Burse die offizielle Rede de arti-
bus liberalibus zum Lobe des skotistischen Realismus gehalten hat (Corp.
Reform. XI, 5 ff.). Bei Melanchton kann wie bei Faber Stapulensis ver-
folgt werden, wie der skotistisch-eklektische Realismus zu einem aristo-
telisch-platonischen Humanismus sich weiterentwickelt.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 169
herauszugeben l ). Doch eine Aeußerung Melanchtons 8 ) und
ein Vers in den Epistolae virorum obscurorum 3 ) beweist, daß
der von der Realistenschule herkommende Kircher den
entschiedenen Uebertritt zum Humanismus nicht vollzogen habe.
Als letzter Schüler der via antiqua in Tübingen sei Tho-
mas Wyttenbach genannt, dessen Lehrer Scriptoris und
Summenhart waren 4 ). Bei beiden lernte er, wie er sagt, die
„läppischen Sophistrien der Scholastik" verachten, die er selbst
bei Gabriel Biel gehört hatte. Diese Formulierung des rea-
listischen Standpunkts erinnert deutlich an Summenhart 5 ). Die
Predigt gegen den Ablaß und das Auftreten wider die viel-
fältigen Mißstände in der Kirche wird sich anfänglich bei
Wyttenbach nicht weit entfernt haben von der ähnlichen
Wirksamkeit eines Heynlin, eines Summenhart oder Scriptoris.
Auch die Mahnung, statt der gelehrten Spitzfindigkeiten der
Scholastik das Studium der heiligen Schrift zu betreiben, ist
nicht unähnlich den Worten Summenharts an die Mönche zu
Hirsau 6 ). Aber interessant ist, wie in der Person Wyttenbachs
und in seinem berühmten Schüler die Reformbewegung der via
antiqua durch Vermittlung des Humanismus sich zur großen
*) K. Hartfelder, Phil. Melanchthon als praeceptor Germaniae 1889
in Mon. Germ, paedag. VII, 39 f.
2 ) Melanchton schreibt von ihm an Reuchlin: Franciscus sese tibi
noster nexum scribit et vindicari vult, non cen in gregem tuum immissus
aries, sed ceu arbuscula, quae in agrum aliquando tuum radices egit.
Corp. Reform. I, 21.
8 ) Philipp Schlauraff, welcher von den Humanisten Bebel, Joh.
Brassikan, Geraeander und Melanchton durchgebläut werden soll, wird
gerettet :
Sed quidam theologus
Cum nomine Franciscus
Sua cavisatione
Portavit me ex illa regione.
(Vgl. Hutteni opp. ed. Böcking, Supplem. I, 1864, S. 201; II, 1869,
S. 478 f.) Wenn nun der Theologe Franciscus einerseits von den An-
schlägen der Humanisten weiß und wenn er anderseits den Scholastiker
davor bewahrt, muß er mitten zwischen den Parteien stehen, was zur
Charakterisierung der via antiqua trefflich paßt.
4 ) Vgl. Chronicon des Pellikan, herausg. von Bh. Riggenbach 1877,
S. 12. Das folgende ist dem ausführlichen Artikel der Theolog. Real-
enzyklopädie entnommen.
8 ) Vgl. oben S. 156.
e ) Vgl. oben S. 161 Note 1.
170 n. Abschnitt.
Barchenreformation weiterentwickelt hat. Zwingli, der sonst
seine völlige Unabhängigkeit von allen menschlichen Einflüssen
auf das entschiedenste betont, hat es immer wieder bezeugt,
daß er Thomas Wyttenbach, dem „frommen und gelehrten
Mann, seinem geliebten treuen Lehrer a den ersten Anstoß zum
Schriftstudium und die Befreiung vom Banne der kirchlichen
Schlüsselgewalt zu verdanken habe. Der Humanist Zwingli
ward durch einen der letzten Vertreter der scholastischen
Reformbewegung der via antiqua zum Reformator, während
der Mönch Luther durch „den letzten Scholastiker" der via
moderna auf seine reformatorische Bahn getrieben wurde.
4. Der Humanismus.
Der Humanismus hat in Tübingen die scholastischen Gegen-
sätze der Parteien überwunden. Nicht von Anfang an, denn
schon die Gründung der Universität geschah, wie sich nach-
weisen läßt 1 ), unter seinem Einfluß und die Eröffnungsurkunde
atmet humanistischen Geist 2 ). Aber der Humanismus war da-
mals noch keine Macht im öffentlichen Leben Deutschlands;
der Wettbewerb der beiden scholastischen Parteien mußte an
der jungen Universität zugelassen werden. Und innerhalb
dieses Wettbewerbs hatten die Anschauungen der neuen Zeit,
wie gezeigt worden ist, zu wirken und sich allmählich durch-
zusetzen. Für Verbreitung des humanistischen Geistes war der
seit 1481 eingerichtete Lehrstuhl für Oratorien von Wichtig-
keit. Anfänglich wurde er von einem Vertreter der via anti-
qua versehen; aber seit 1496 ist ein echter Humanist Lehrer
der Oratorien, Heinrich Bebel aus Justingen, gebildet auf der
für den deutschen Humanismus so ungemein wichtigen Uni-
versität Krakau 8 ). Er selbst trat zur theologischen Fakultät
in Tübingen in keine Beziehungen, abgesehen von seinen Lob-
gedichten auf die einzelnen Professoren. Aber eine Reihe seiner
unmittelbaren Schüler haben sich Grade in der theologischen
Fakultät zu Tübingen geholt. Da bleibt für eine Geschichte
dieser Fakultät zum Schluß noch die Aufgabe, in einem kurzen
Ueberblick die Frage zu erledigen, welche Stellung ihre Schüler
1 ) Vgl. den Aufsatz über die Anfänge des Humanismus in Tübingen
in Württ. Vierteljahrshefte 1906, S. 319 ff.
2 ) Fr. Paulsen, Gesch. d. gel. Unterrichts I 2 , 137.
8 ) G-. Bauch, Deutsche Scholaren in Krakau 1901, S. 44 f.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 171
in dem nun ausbrechenden Kampfe der Geister eingenommen
haben.
Eine merkwürdige Beobachtung drängt sich uns da auf:
Die aus der Tübinger Humanistenschule hervorgegangenen
Theologen sind fast ausnahmlos der Reformation nicht bei-
getreten, sondern haben dieselbe bekämpft. Die nicht allzu
zahlreichen Anhänger der Reformation, die auf der Universität
Tübingen bis 1534 gebildet worden sind, standen weniger unter
humanistischem Einfluß, als nach dem Zeugnis Peüikans und
Melanchtons unter dem Einfluß der milden Scholastiker Scrip-
toris und Steinbach. Außer den oben (S. 163) genannten Wytten-
bach, Volz, Mantel und Pellikan werden noch Leonhard Wern-
heri, der spätere Prädikant zu Waiblingen, und Johannes Ereß,
der Märtyrer des Evangeliums zu Ellwangen, als Schüler jener
Männer angesehen werden müssen 1 ). Auch Blarer, der vor
seinem Eintritt in das Kloster zu Alpirsbach von 1505 — 1510
zu Tübingen studierte, stand außer Zusammenhang mit dem
Tübinger Humanismus.
Die Tübinger Humanistenschule blühte bis zum Tode
Bebeis (im Jahr 1518); aber auch nachher bis zur Einführung
der Reformation (im Jahr 1534) scheinen dieselben Traditionen
wie früher innerhalb des Humanistenkreises wirksam gewesen
zu sein. Aus der Mitte dieses Tübinger Humanistenkreises sind
sechs Männer zweifellos zur Reformation übergetreten 2 ); aber
die Gründe sind sicherlich bei allen nicht in Anregungen zu
suchen, die in Tübingen auf sie eingewirkt haben. Für Me-
lanchton (in Tübingen von 1512 — 1518) war die Berufung
nach Wittenberg entscheidend; Oekolampad (in Tübingen
1513 — 1514) und Urban Rhegius (1519) sind nacheinander
als vermeintliche Gegner der Reformation an die Augsburger
Dompredigerstelle berufen worden (1518 und 1520) und haben
sich erst dort in der neuen Umgebung als Anhänger der Lehre
Luthers erwiesen. Durch welche Umstände die drei Reutlinger
Reformatoren Alber (von 1513 — 1518 in Tübingen), Butzbach
(von 1510 an in Tübingen, seit 1520 lector der Poesie und
') Die Nachweise im einzelnen s. unten im Anhang.
a ) Nicht mitgerechnet ist Franz Kircher aus Stadion, dessen evan-
gelische Gesinnung mir auf sehr unsichern Grundlagen zu beruhen scheint.
"Vgl. Anhang.
172 n. Abschnitt
Oratorien; seit 1525 Pfarrer in Reutlingen) 1 ) und Schradin
(1522 — 1524) für die neue Lehre gewonnen wurden, laßt sich
nicht feststellen 2 ). Jedenfalls hat keiner unter diesen in der
theologischen Fakultät einen Grad erworben, während ron
der vorhin genannten älteren Generation von reformatorisch
gesinnten Männern Wyttenbach und Wernheri Tübinger Bac-
calare der Theologie gewesen sind, und Ereß sogar das Dok-
torat erlangt hat. Urban Rhegius, Oekolampad, ferner Konrad
Sam (inskribiert 8. Dezember 1509) und Schradin sind nur
ganz kurz in Tübingen gewesen; sie können deshalb auch
nicht als eigentliche Glieder des Tübinger Humanistenkreises
gelten.
Dagegen die führenden Männer der Tübinger Humanisten-
schule und die meisten der Schüler, insbesondere alle unter
ihnen, welche theologische Grade in Tübingen erlangt haben,
sind nicht nur der alten Lehre treu geblieben, sondern sie
haben auch das Luthertum in Wort und Schrift be-
kämpft. Das gilt zunächst von den drei ordentlichen Pro-
fessoren der Theologie in Tübingen, deren Zugehörigkeit zur
Humanistenschule aus den Distichen und Vorreden in den
Schriften Bebeis und Henrichmanns hervorgeht: Balthasar
Sattler, der bis 1521 als Lehrer in Tübingen tätig war, kämpfte
von 1523 an als Pfarrer in Eßlingen und später als Chorherr
in Speier gegen die neue Lehre. Gall Müller, bis 1534 Pfarrer
und Professor in Tübingen, trat auf der Badener Disputation
im Mai 1526 als Gegner Zwingiis auf und stritt von der Tü-
binger Kanzel aus gegen die zur Reformation übergetretenen
Prediger der benachbarten Reichstadt Reutlingen. Nach 1534
trat er in österreichische Dienste und hatte als Hofprediger
in Innsbruck die reformatorischen Regungen in Tirol zu be-
kämpfen. Johann Armbruster, der Nachfolger Lemps, hat eben-
*) Blätter f. württ. K. -Gesch. 1892, 22 f.; für die vorher genannten
vgl. die Artikel in der Theol. Realenzyklopädie.
2 ) Immerhin könnte man auch hierfür den Einfluß des Scriptoris
geltend machen. In Reutlingen hat Scriptoris seine Predigten gehalten, um
derentwillen er abberufen wurde ; und der Oheim des Reutimger Refor-
mators, Hans Schradin, der in Kirchentellinsfurt die neue Lehre predigte
und wohl nicht ohne Einfluß auf die Entwicklung seines Neffen war,
konnte in Tübingen Schüler von Scriptoris und Steinbach gewesen sein.
Vgl. auch Heinr. Votteler, Hans Schradin (Progr. des Gymnasiums in
Reutlingen 1893) S. 22 f.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 173
falls bei Einführung der Reformation Tübingen verlassen und
ließ sich später ein Kanonikat in Würzburg verleihen. Zu
diesen drei humanistisch und zugleich reformationsfeindlich
gesinnten Professoren der Tübinger Universität kommen zwei
weitere, die in Tübingen bis zum Sententiar promoviert haben,
um dann an anderen Universitäten zu doktorieren und das Lehr-
amt auszuüben: Kügelin und Kretz. Martin Kttgelin hat in
Freiburg jahrelang in höchst eigentümlicher Professorenherrsch-
sucht die theologische Fakultät tyrannisiert und einfach nie-
mand zum Doktor promoviert, um keinen Rivalen neben sich
aufkommen zu lassen. Seine Gutachten gegen die Reformation 1 )
werden nicht allzu große Wirkung gehabt habend Zweifellos
bedeutender war Matthias Kretz, seit 1518 Doktor der Theo-
logie in Ingolstadt, von 1521 an als Nachfolger des Urban
Rhegius Domprediger in Augsburg, wo er mehrere gegen die
Reformation gerichtete Predigten drucken ließ. Seit 1533 war
er Dekan in München. Von den übrigen theologischen Bacca-
laren unserer Fakultät, deren Zugehörigkeit zum Tübinger
Humanistenkreis bezeugt ist und deren Lebensschicksale sich
eingermaßen verfolgen lassen, seien genannt: Johann Asch-
mann, der 1534 als Kustos des Stiftes Backnang aus Württem-
berg floh, um später Propst des Michaelisstifts in Pforzheim
zu werden; ferner Friedrich Schaup von Besigheim, der 1536
als Prediger in Riedlingen und als Gegner der Reformation
überliefert ist; endlich Stephan Summenhart, der in den Türken-
steuerlisten von 1542 als alter, d. h. bei der Reformation ver-
leibdingter Pfarrer zu Neckarweihingen genannt ist. Ein Tü-
binger Baccalar der theologischen Fakultät ist auch Jodokus
Lprcher, Dekan in Ansbach, der 1518 die Ablaßgnaden in
Augsburg predigte. Der bedeutendste der Tübinger theologi-
schen Baccalare ist Johann Altenstaig aus Mindelheim, Lehrer
der humaniora und der Theologie am Kanonikerstift zu Polling
in Oberbayern, seit 1512 theologischer Lehrer im Augustiner-
kloster seiner Vaterstadt. Er starb zu früh (ca. 1523), um als
Gegner der Reformation wirksam auftreten zu können. Aber
seine Schriften ermöglichen uns den Einblick in die psycho-
logischen Gründe, welche diese Humanisten bestimmt haben,
gegen die Reformation aufzutreten.
') Schreiber, Gesch. der Universität Freiburg II, 281 f.
174 II. Abschnitt.
Nach solchen Gründen fragt man unwillkürlich, wenn
man sieht, daß nicht nur die genannten in der theologischen
Fakultät graduierten Humanisten der alten Kirche treu ge-
blieben sind, sondern daß noch viel mehr nicht theologisch
gebildete Genossen und Freunde Bebeis in der polemischen
Literatur der altgläubigen Partei eine Bolle spielen. Man
kann sagen, daß aus der Tübinger Humanistenschule eine
Reihe der bedeutendsten Bestreiter der Reformation hervor-
gegangen ist. Die berühmtesten Johann Eck (1499 — 1501)
und Johann Emser (1493 — 1497) waren zwar nicht allzu lang
in Tübingen; allein sie blieben in stetem Verkehr mit den
Führern des Humanismus in Tübingen und übten dadurch auch
auf die Schüler einen Einfluß aus. Fünf Tübinger Humanisten
haben später in hohen kirchlichen Ehrenstellungen und zu-
letzt als Bischöfe gegen die Reformation gewirkt und ihre
Studiengenossen durch Pfründenverleihung zu ähnlichem Tun
veranlaßt : Johann Haigerlin, genannt Faber (inskribiert 22. Ok-
tober 1505) ist 1541 als Bischof von Wien gestorben 1 ); Chri-
stoph von Stadion (inskribiert 22. April 1490) ist 1543 als Bischof
von Augsburg gestorben 2 ); dessen Nachfolger war Otto Truch-
seß von Waldburg (inskribiert 23. Dezember 1524; gestorben
1573) 3 ). Michael Heiding (inskribiert Ende 1525) war Mit-
verfasser des Interim und ist 1561 als Bischof von Merseburg
gestorben 4 ); Albert Kruß (inskribiert 19. Januar 1510) ist als
Weihbischof in Brixen gestorben 5 ). Zu ihnen gesellt sich noch
ein Pfründenjäger und Pfründenverleiher im größten Stil, der
spätere Kardinal Ambrosius von öumpenberg (inskribiert
*) Vgl. Theol. Realencyklopädie V 8 , 717 ff.
2 ) Vgl. Zapf, Christoph v. Stadion 1799; Plac. Braun, Gesch. der
Bischöfe von Augsburg DI (1814), S. 178 ff.
3 ) Plac. Braun a. a. 0. S. 358 ff. ; Schnurrer , Erläuterungen zur
Kirchen- und Reformationsgeschichte S. 310 ff.; vgl. auch dort das über
Nikolaus Buchner (inskribiert 31. Mai 1525) Gesagte.
4 ) Schnurrer a. a. O. S. 808 f. ; Hurter, Index literarius theol. cathol.
IV 1899, 1202.
5 ) Vgl. meine Ausgabe der Tübinger Matrikeln 60, 93 und Zeitschr.
f. Kirchengeschichte 1900, S. 89. Von den dort angeführten constantes
in fide catholica doctores, auf welche Faber seine Hoffnung setzt, sind
zehn in Tübingen gebildet. Statt Kenß lies Kruß. Der Doctor N. N.,
praedicator in Überlingen, ist Georg Oswald (in Tübingen 17. Juli 1495
inskribiert); über ihn die Nachweise in meiner Ausgabe der Tübinger
Matrikeln 85, 54.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 175
15. September 1514), an den sich Melanchton aus seiner Tü-
binger Studienzeit noch erinnerte 1 ). Von den vier letzteren
soll hier abgesehen werden. Die Bedeutung, welche Johann
Faber bei Bekämpfung der Reformation in Oberdeutschland
zukommt, ist hinlänglich bekannt. Von Tübingen kamen durch
seine Vermittlung Johann Gaudens Anhauser (inskribiert 5. De-
zember 1526)*) und Johann Alexander Brassikan (inskribiert
13. Januar 1514) s ) als Professoren der Universität nach Wien;
beide taten sich als humanistisch gebildete Verfechter des alten
Glaubens hervor. Noch nicht so beachtet wie Faber ist die
Gestalt des Christoph von Stadion, welcher die bedeutendsten
Köpfe der Tübinger Humanistenschule um sich wieder ver-
sammelte 4 ). Christoph von Stadion hatte ein eifriges Interesse
für Förderung der humanistischen Studien; zugleich war er
ein Gegner der Reformation, obwohl er bei seinen eigenen
eifrigeren Glaubensgenossen als halber Lutheraner, d. h. eben
als Erasmianer verdächtigt war 5 ). Bezeichnend ist, daß der
Augsburger Bischof mit seinen Kollegen von Konstanz und
Straßburg im Jahr 1523 eine Zusammenkunft verabredet, um
die geeignetsten Maßregeln zur Abwehr der neuen Lehre, d. h.
um eine Beilegung des Streits im humanistischen Sinne zu be-
raten, und daß hierzu Tübingen als geeignetster Ort gewählt
wird 6 ). Von Tübinger Schülern sind denn auch nacheinander
Oekolampad, Urban Rhegius und Matthias Kretz ausdrücklich
zur Bekämpfung der Reformation an die Dompredigerstelle
nach Augsburg berufen worden. Jakob Henrichmann (inskri-
biert 20. November 1497), der Verfasser der gramaticae in-
stitutiones, ward Kanoniker und später Generalvikar zu Augs-
burg 7 ). Johann Altenstaig widmet seine Schriften dem Bischof
') K. Hartfelder, Melanchtoniana paedagogica 1892, 173 f.
2 ) Hurter a. a. 0. 1202; Schnurrer a. a. 0. S. 305 ff. Nik. Paulus,
Der Augustinermönch Johannes Hoffmeister 1891, S. 102 f.
3 ) Vgl. Hartl und Schrauf, Nachträge zum 3. Band von Aschbachs
Gesch. der Wiener Universität I (1898) S. 43—101. Hurter a. a. 0. 1053.
4 ) Außer Bebel und Johannes Brassikan (der im Jahr 1514 gestorben
ist) fehlen nur Melanchton und Simler. Letzterer blieb bis zu seinem
Tod (1535) als Lehrer der Jurisprudenz in Tübingen, ohne sich mit der
Reformation zu befreunden.
5 ) Wetzer u. Weite, Kathol. Kirchenlexikon XI 2 , 698.
6 ) Fr. Roth, Reformationsgeschichte Augsburgs P, S. 120.
*) Ueber ihn vgl. Allg. deutsche Biographie u. Steiff S. 82.
176 H. Abschnitt.
Christoph von Stadion und wurde von diesem als Visitator
des bayrischen Teils der Augsburger Diözese aufgestellt 1 ).
Auch Alexander Brassikan 2 ) und sogar Erasmus 3 ) widmeten
ihm einzelne Werke. In diesen Humanistenkreis um Christoph
von Stadion gehören noch die beiden Juristen Baron Christoph
von Schwarzenberg (inskribiert 22. Februar 1507) und Konrad
Braun (inskribiert 19. Oktober 1510) 4 ). Der erstere ist der
Sohn des als Verfasser der bambergischen Halsgerichtsordnung
und als Reformator der Strafgerichtsbarkeit bekannten Johann
von Schwarzenberg, welcher 1524 aus innerer Ueberzeugung
zur evangelischen Sache übertrat und der deshalb um so größeren
Schmerz darüber empfand, daß sein in Tübingen und Bologna
gebildeter Sohn als Freund Christophs von Stadion und als
bayrischer Landhofmeister nicht nur zur alten Kirche hielt,
sondern auch für den katholischen Glauben als Schriftsteller
eingetreten ist 5 ). Konrad Braun gehört zur Familie Brun aus
Kirchheim a. N., aus welcher zwei Theologen in die Gemein-
schaft der Brüder des gemeinsamen Lebens eingetreten sind.
Er starb 1563 als Kanoniker in Augsburg, ein literarischer
Vorkämpfer des Katholizismus und der erste, welcher in
Deutschland gegen die Magdeburger Zenturien schrieb 6 ). Fried-
rich von Ow (inskribiert 24. Juni 1516) ist 1541 auf dem
Reichstag zu Regensburg im Gefolge des Bischofs von Augs-
burg.
*) Joh. Altenstaig, Tres libri de felicitate triplici 1519 a 2 : Ob quam
rem in tribus tuae diocesis partibus visitationem institueras, ut mali ad
rectitudinem, boni vero ad perseverantiam flecterentur et cohortarentur.
Dolui autem non modicum et perturbatio fuij quia tua praestantia mihi
iniunxeras officium visitationis in districtu Bavariae exequendum. Sind
von dieser frühesten Kirchenvisitation vor der Eeformationszeit sonstige
Nachrichten vorhanden?
2 ) Hartl u. Schrauf, Nachtrag zu Aschbachs Gesch. der Universität
Wien I, 1898, S. 94 N. 158 ; 95 N. 160.
8 ) Erasmus widmete ihm seinen Ecclesiastes sive ratio concionandi.
Der Zueignungsbrief bei Zapf, Christoph v. Stadion 1799, S. 287 — 91.
4 ) Auch Ambrosius Kun (in Tübingen inskribiert 18. Mai 1512),
Kleriker in Augsburg, könnte hier angeführt werden. Vgl. Fr. Roth,
Reformationsgeschichte Augsburgs I s , 311.
& ) Nikolaus Paulus in Historisch-politische Blätter 111, 10 ff.; 112,
144 ff.
6 ) Vgl. Wetzer u. Weite u. Fr. Ant. Veith, Bibliotheca Augustana
IV alph. (1788) 176 ff.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 177
Zu den humanistisch gebildeten Gegnern der Reformation
gehört ferner Sebastian Linck aus Stuttgart (inskribiert Früh-
jahr 1526), der in einem Johann Aschmann gewidmeten Ge-
dicht ein Klaglied über den Abfall von der Kirche anstimmte,
von 1535 an Rhetorik in Ingolstadt lehrte und 1548 in Frei-
sing gestorben ist 1 ). Zu gleicher Zeit wie Linck ist Jakob
Jonas aus Feldkirch inskribiert (26. Februar 1526), Lehrer der
hebräischen und griechischen Sprache in Tübingen, welcher
nach der Reformation in österreichische Dienste trat und als
kaiserlicher Vizekanzler ein eifriger Proselytenmacher zu Gun-
sten der katholischen Sache geworden ist 2 ). Auch dessen Nach-
folger im Lehramt der hebräischen Sprache, der Prämonstra-
tenser Wilh. Uelin (inskribiert 26. Oktober 1529), floh 1535
bei Einführung der Reformation ins Kloster Roggenburg und
wurde später Lehrer des Hebräischen in Ingolstadt 3 ). In öster-
reichische Dienste trat endlich auch Georg Hipp (inskribiert
28. September 1520), ein Schüler Gall Müllers, welcher als Rat
König Ferdinands in Tirol im Sinn der Gegenreformation
tätig war 4 ).
Doch genug der Aufzählungen und Inskriptionsdaten ! Der
aus einer genaueren Durchsicht der Tübinger Universitäts-
matrikeln sich ergebende Tatbestand ist, daß die meisten Tü-
binger Humanisten und insonderheit ihre Lehrer in der durch
Luther geschaffenen Fragestellung der alten Kirche treu ge-
blieben sind, und daß ein Teil von ihnen die Neuerung schrift-
stellerisch bekämpft hat. Zur Erklärung dieses Tatbestands
kann man, wie oben angedeutet wurde, darauf hinweisen, daß
die Humanisten von ihren kirchlichen Gönnern mit Pfründen
ausgestattet wurden. Doch dieser Grund allein genügt nicht.
Der bedeutendste Patron der Tübinger Humanisten, Bischof
*) Steiff S. 175 f. ; Prantl, Gesch. der Ludwig-Maximilians-Universität
I, 212.
2 ) Chrn. Fr. Schnurrer, Nachrichten von ehemaligen Lehrern der
hebr. Literatur in Tübingen 1792, S. 71—87.
s ) Daß er zu den Humanisten gehörte, beweist sein Encomium aquilae,
Steiff S. 183; vgl. Chrn. Fr. Schnurrer am eben angeführten Ort S. 89 ff.
4 ) G. Bossert im Jahrbuch f. Gesch. des Protestantismus in Oesterreich
1885, 173. Bei einem weiteren Gegner der Reformation in Speier, Kon-
rad Träger (inskribiert 18. Juni 1498), konnte ich die humanistische Bil-
dung nicht nachweisen (vgl. Nikolaus Paulus, Der Augustinermönch Joh.
Hoffmeister 1891, S. 145 f.).
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 12
178 U- Abschnitt.
Christoph von Augsburg, stand mit Erasmus im Briefwechsel
und wurde um seines milderasmischen Standpunktes willen von
den strengeren Anhängern beider Parteien als schwankendes
Rohr angesehen 1 ). Schon aus dieser persönlichen Stellung-
nahme geht hervor, daß nicht überall Opportunitatsgründe bei
dem Verhalten der Tübinger Humanisten gegenüber der Refor-
mation wirksam waren, sondern daß innere Ueberzeugung und
eigenartige Frömmigkeit sie ins Lager der Gegenreformation
getrieben hat. Diese eigenartige Frömmigkeit und persönliche
Ueberzeugung unseres Humanistenkreises kennen zu lernen,
dienen namentlich die Schriften des Johann Altenstaig.
Altenstaig hat von 1497 bis 1509 in Tübingen studiert,
und zwar war er Schüler und später Lehrer in der Bursa
modernorum. Als Frucht dieser Tätigkeit hat er ein oft auf-
gelegtes lateinisches Vocabular herausgegeben 2 ), in dem Hein-
rich Bebel, Matthias Eretz, Jakob Henrichmann und Baron
* Christoph von Schwarzenberg den Verfasser und sich gegen-
seitig mit Widmungsversen und Anreden beehren. Von seiner
Lehrtätigkeit im Kanonikerstift zu Polling in Oberbayern gibt
ein im Jahre 1512 erschienener Sammelband 8 ) Rechenschaft, der
mit einem Opus pro conficiundis epistolis beginnt und mit
einer Oratio de militia christiana schließt. Diese letztere
Rede hat Altenstaig bei Gelegenheit einer Primizfeier vor dem
Pollinger Konvent gehalten. Er fordert auf zum Kampf gegen
die hostes animi, qui sunt diabolus, Venus, Cupido et vitia.
Sumenda sunt arma! Bei Beschreibung der Waffen werden
nacheinander Horaz (Integer vitae — fusce pharetra) und
Paulus (Rom. 13, 12 ff.) angeführt: Arma christianorum sunt
virtutes. Signifer erit fides, Caritas imperator, spes tribunus
*) Wetzer u. Weite XI 1 , 698.
8 ) Steiff S. 234.
3 ) Erschienen impensis circumspecti viri Joannis Rynman de Oringaw
bei Heinrich Gran in Hagenau 1512 in vigilia nativitatis beatae virginis
Mariae 4°. Der Sammelband enthält: 1. Opus pro conficiundis epistolis
fol. 1 — 14. 2. de generibus epistolarum fol. 14 — 57. 3. de vocabulis,
qnae abhorrent a latinitate fol. 57 — 113. 4. de orationibus, quibus in
epistolis sit abstinendum et quibus utendum fol. 113—126. 5. de orna-
mentis sive coloribus rhetoricis, qui sunt orationis lumina fol. 126 — 140.
6. epistolae discipulorum Joh. Altenstaig fol. 140 — 161. 7. discipulorum
praecepta regulaeque morum et studii (wohl eine Ansprache an neu ein-
tretende Schüler) fol. 161 — 165. 8. oratio de militia christiana fol. 165 — 168.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 179
aerarii. Der Weg zum Ziel der christlichen Hoffnung ist
schwer und dornig; nur der kann den Sieg erringen, welcher
aufblickt zu Gott und seine Gebote hält. Post hoc laeti et
gaudentes hoste capto et victo . . . ingredi merebimur in
vitam felicissimam, quam nobis praestare dignetur Jesus Christus
optimus maximus (welcher an dieser Stelle zum ersten- und
letztenmal genannt ist). Dixi.
Die nächste Schrift des Johann Altenstaig ist die im Jahr
1514 für die Pollinger Brüder verfaßte „Dialectica* , deren
„Quellen und ganze Haltung auf terministischem Boden
stehen* 1 ). Im Jahr 1517 erschien sein Vocabularius theo-
logiae 2 ), ein Lexikon der theologischen Schulbegriffe. Es ent-
hält eine sehr fleißige und wegen seiner Zitate heute noch
brauchbare Zusammenstellung und Uebersicht über die theo-
logische Literatur, speziell der ockamistischen Scholastik, deren
Schüler ja Altenstaig in Tübingen gewesen war. Heinrich
Bebel und Jakob Henrichmann haben mit zwei weniger be-
kannten Humanisten Distichen auf das Werk verfaßt s ). Diesen
Versen folgt ein Empfehlungsschreiben des Verfassers an den
neugewählten Bischof Christoph von Stadion, worin er die Ab-
fassung des vorliegenden Werks rechtfertigt 4 ); sowie ein
*) Prantl IV, 265 f. Er nennt in der Einleitung mit Wärme den
Cicero und die Humanisten Pilelfo und Vittorino da Feltre; daneben
gelten ihm Trutfetter, Ockam, Peter v. Ailly, Gerson, Gregor v. Rimini,
Holcot, Buridan, Marsilius und Gabriel Biel, also die ganze Reihe der
moderni als Muster.
2 ) Vocabularius theologie complectens vocabulorum descriptiones,
diffinitiones et significatus ad theologiam utilium, et alia, quibus prudens
et diligens lector multa abstrusa et obscura theologorum dicta et dissolvere
et rationum et argumentorum difficiles nodos, et facile ea que in ducem
et principem sententiarum doctores scripserunt, intelligere poterit, magno
cum labore et diligentia compilata a Joanne Altenstaig, Mindelhaimensi,
sacre scripture vero amatore. — Cum gratia et privilegio divi Maxi-
miliani Caesaris semper augusti; non sine ingenti impensa sumptuque
Joannis Rynman de Oringaw 1517 fol. Das Werk ist bis 1619 fünfmal
nachgedruckt worden, in den beiden letzten Ausgaben mit einem Auctua-
rium versehen. Im Jahr 1580 verfertigte ein Fr. Thomas Beauxalmis in
Paris aus dem größeren Werk des Altenstaig ein Compendium vocabularii
theologici scholastici.
s ) Henrichmann rühmt:
Noster Joannes libro isto barbara multa
Exposuit verba non sine laude tarnen . . .
En voces quibus et sunt usi Scotus et Occam . . .
4 ) n"Ut glaciem frangerem literas sacras amantibus et discere
180 n. Abschnitt.
solches an Johann Staupitz, den Generalvikar des Augustiner-
ordens der Observanz, worin Altenstaig sich seinem jetzigen
Vorgesetzten l ) als alten Schüler von Tübingen her vorstellt.
Er erinnert daran, daß er den „Triumphus Veneris" des Bebel
mit einem Kommentar herausgegeben habe 2 ) und verspricht,
daß er jetzt als Kleriker und Theologe den Kampf gegen die
Laster und gegen den spielenden Zeitvertreib in noch würdigerer
und ausschließlicherer Weise als früher aufnehmen werde 3 ).
Der Kampf gegen das Laster und die rechte Tugendübung
werden auch in dem theologischen Hauptwerk des Johann
Altenstaig gepredigt, in den „Tres libri de felicitate
triplici" (1519 erschienen) 4 ). Der schon erwähnten Wid-
mungsschrift an Christoph von Stadion 6 ) folgt ein längeres
Gedicht von Urban Rhegius. Den Schluß bildet eine Zuschrift
an den Juristen Johann Alantse, Generalvikar des Bischofs
von Augsburg. Im ersten Buch wird über die philosophische
oder falsche Seligkeit gehandelt. In bunter Reihenfolge werden
cupientibus aliosque ad legendum excitarem." „Ut sacerdotes aliqui,
qui non omnes vel admodum paucos legerunt theologos ad hunc librum
recursum habeant, et doctorum scripta melius intelligant , acuta quoque
et difficilia dicta eorum facilius cognoscant, a quibus scriptis abhorreri
et deterreri solent, quod dictionum vis eos latet." „Ne denique theologia
contemnatur et pessundetur propter vocabulorum ignorantiam."
1 ) Seit 1513 bis zu seinem Tode war Altenstaig theologischer Lehrer
im Augustinereremitenkloster zu Mindelheim.
2 ) 1515 vgl. Steiff S. 235, N. 24.
s ) „Non enim a delitiis itur ad delitias et voluptates, sed per adversa,
tribulationes et tormenta et poenas eundum est ad regnum coeleste, ut
sanctorum et martyrum vita probat et saepe testatur scriptura.* „Omitto
voluptates cibi et potus, quae nihil egregium, arduum et bonum cogitare
et perficere sinunt." „Neque opinabatur me posse consummate et bene
vivere, si ludis insisterem, etiam quibuscunque, vel ludo scacorum (Schach)
quo ego delector, qui quibusdam videtur esse licitus."
4 ) Tres libri de felicitate triplici: una, que dicitur bracteata, perso-
nata sive philosophica , humana falsa et erronea; altera christicolarum
deo militantium terrestris sive vie, vera recta et meritoria vel dispositiva ;
tertia celestis, beatorum sive triumphantium , sempiterna absoluta et
integra. Et que in hisce libris continentur, desumpta sunt ex penetra-
libus, sacre scripture doctrina et institutione sanctorum et theologie
primatum et ex scriptis philosophorum, poetarum et oratorum et histori-
corum illu8trium. In officina Henrich Gran Hagenau. Sumptibus Joannis
Rynman de Oringaw 1519 April 4. 4°.
6 ) Vgl. oben S. 176 N. 1.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 181
die Aussprüche der heiligen Schrift und sämtlicher heidnischer
und christlicher Schriftsteller zusammengetragen, um zu zeigen,
daß das wahre Glück nicht in voluptas, honor und gloria,
potestas und dominium, scientia, otium, rusticatio und divitiae,
zu suchen ist. Die virtus ist zwar effectrix beatae vitae,
aber nicht per se, darum ist auch die Ansicht des Aristoteles
über die felicitas nicht ganz richtig (Kap. 16 u. 17). Das erste
Buch schließt mit Widerlegung derer, welche die Unsterblich-
keit der Seele und die Auferstehung des Leibes leugnen. Im
zweiten Buch wird die irdische vorbereitende Seligkeit des
streitenden Christenmenschen beschrieben. Die beatitudo viae
wird durch viele tribulationes et adversa gestört; darum wird
zunächst erklärt, warum der Mensch das Unglück zu ertragen
habe. Es ist der Kampf, die pugna corporis et animae auf-
zunehmen. Zur Erkenntnis des Unterschieds zwischen der via
virtutis et vitii ist die Kenntnis der praecepta dei notwendig,
quae via sunt ad coelum. Deshalb folgt eine Erklärung der
zehn Gebote. Darauf werden die virtutes aufgezählt, quae
beatitudinem parant, indem die acht Seligpreisungen erläutert
werden. Schon aus der Gleichsetzung: prima, secunda . . .
virtus s e u beatitudo est . . . kann man ersehen, wie sehr diese
humanistische „Frömmigkeit der Bergpredigt 1 * vom wahren
Sinn der Worte Jesu abweicht. Zur Erkenntnis der via vir-
tutis ist ferner eine cognitio dei et sui notwendig. Zur Gottes-
erkenntnis verhelfen die articuli fidei, in quibus continetur tota
lex evangelii. Der Erklärung der zwölf Artikel des Symbols
folgt eine Angabe des Wegs zur cognitio sui, eine merkwürdige
Zusammenstellung stoisch-ciceronianischer Aussprüche aus der
Literatur des fvödt osaoTÖv und mystisch-psychologischer An-
weisungen namentlich aus des heil. Bernhard Canticum canti-
corum. Dann wird bewiesen, daß der amor dei et sui den amor
praesentis saeculi ausschließe. Die Polgen der Weltliebe sind
die flagitia et crimina, in specie zusammengefaßt in den pec-
cata mortalia. Gegen diese werden die remedia et arma an-
gegeben, indem zunächst (Kap. 26) höchst bezeichnenderweise
in einer Reihe von moralischen Abhandlungen die Tugenden
namhaft gemacht werden, welche zur Vermeidung der einzelnen
Untugenden am ehesten geübt werden sollen. Dazu wird im
allgemeinen und besondern eine custodia quinque sensuum an-
empfohlen und dabei über die sensus spirituales et potentiae
182 IL Abschnitt.
animae geredet. Jetzt erst (Kap. 31) wird zu den Sakra-
menten übergeleitet: Quia sine sacramentis ad beatitudinem
pervenire non possumus, saltem quibusdam, de his etiam
perbreviter disseremus! In Kürze werden dann auch die sieben
Sakramente abgehandelt, indem die Definitionen verschiedener
kirchlicher Schriftsteller zusammengestellt werden. Dann folgt
ein kurzes Kapitel über die Prädestination, welches nach An-
führung der bekannten Schriftstellen und einiger scholastischen
Definitionen mit den Worten schließt: Quia adiutores dei sumus,
cooperatur liberum arbitrium nostrum in nobis ad iustificationem.
Unde congruum est et decens ex divina liberalitate taleß prae-
destinari ad vitam aeternam, postquam obsecuti sunt bonae
motioni divinae. Des näheren verweist der Verfasser auf den
Chrysopassus seines Freundes Eck, des berühmtesten Theologen
der Jetztzeit, dem auch die obigen Worte entnommen sind:
Sed ego in illam silvam non ingredior. Haec enim plena est
scrupulis et multa indiget perscrutatione et ingenii acumine.
t Darauf werden die signa gratiae beschrieben : man kann sich
als praedestinatus einschätzen, wenn man die Sünde haßt und
meidet. Im Gegensatz hierzu stehen die signa peccatorum vel
damnationis. Im Schlußkapitel wird gezeigt, inwiefern die
Heiligen zu unserer Seligkeit mithelfen. Wir dürfen sie an-
flehen propter nostram inopiam et sanctorum gloriam et dei
reverentiam. Das dritte Buch behandelt die ewige vollendete
Seligkeit des triumphierenden Christen und zwar zunächst ihre
verschiedenen Namen (regnum coelorum, domus dei, civitas
dei, paradisus, salus aeterna, summum bonum, requies sempi-
terna, mons domini, pax, lux coelestis, Corona vitae vel gloriae,
denarius, coena, tabernaculum). Dann wird das Wesen dieser
Seligkeit beschrieben: es ist visio et fruitio divinae essentiae;
ausführlich werden die pars sensitiva der Seligkeit, die dotes
corporis et animi, die Sättigung aller appetitus und die
praemia beatifica geschildert. Zu den letzteren gehören die
aureolae, körperliche Auszeichnungen derjenigen Glieder, mit
denen man besondere Verdienste erworben hat *). Dann wird
') Per redundantiam in corpore erit quaedam decentia et pulchritudo
singularis repraesentativa aureolae: praedicatori in ore, virginibus in
illa parte, martyribus in cicatricibus vel aliis partibus corporis secundum
genus martyrii, ut statim ex aspectu corporis sciatur qualisquisque fuit:
virgo, martyr aut doctor. lib. 3 cap. 8.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 183
die Größe der Freude im himmlischen Vaterland und die
Schönheit der Wohnungen daselbst gerühmt. Jeder wird sich
über die Freude des anderen freuen; und die Seligkeit wird
vollkommen, nie verlierbar sein. Zum Schluß wird noch ein-
mal gefragt: Quis beatitudinem perfectam consequi potest?
Ex puris naturalibus kann der Mensch nicht die ewige Selig-
keit finden; das zu behaupten, wäre nach dem Wort des Scotus
eine Häresie größer als die des Pelagius. Beatus fit homo
solo deo agente. Aber hier kommt sofort der kühne Sprung,
mit Berufung auf Joh. 13, 17: requiruntur tarnen etiam bona
opera ad beatitudinem consequendam, non solum exteriora,
sed interiora. Auf die schwierige Frage: An deus sine meritis
possit confefre beatitudinem? antworteten einige wie Peter
von Ailly: Sic de potentia dei absoluta, secus de potentia
ordinata. Altenstaig selbst aber meint: In hanc silvam modo
non ingredior, sed ad alium locum reiicio. Immerhin glaubt
er, daß der Erwachsene Gottes Gebote halten und gute Werke
tun müsse; das Verdienst Christi gilt eigentlich nur für die
pueri baptizati 1 ). Das letzte Kapitel tut dar, daß man die
Welt verachten und das Fleisch töten müsse, um zur Seligkeit
zu gelangen. Mit einem bewegten Wort der Hoffnung, daß
er bald in das ersehnte Glück des ewigen Lebens aufgenommen
werden möge, schließt der Verfasser sein Buch 2 ).
Eine Zusammenfassung derselben Gedanken in deutscher
Sprache gibt das im Jahre 1523 in Augsburg erschienene
letzte Werk unseres Autors: „Ain nuzlich und in heiliger Ge-
schrift gegründter Unterricht, was ein Christenmensch
') Quod dicit apostolus ad Romanos: beatitudinem hominis esse cui
deus confert iustitiam sine operibus, intelligit hoc Antonius (Summa
theologiae 1. IV tit. 7 cap. 7 § 7) dictum esse de beatitudine spei quae
habetur per gratiam iustificantem data sine operibus praecedentibus;
oportet itaque aduitum operari opera meritoria, si consequi vult vitam
aeternam. Et dico aduitum propter pueros baptizatos, quibus subvenit
meritum Christi ad beatitudinem consequendam, licet desint merita propria,
eo quod per baptismum sunt membra Christi effecti. Quisquis igitur
perfectae aetatis homo non vellet operari bona opera, dei praecepta non
servare, beatitudinem minime adipiscetur. üb. 3 cap. 13.
2 ) Mox vero cum ex hac luce migrabimus, ut in aeternam vitam et
felicem et iucundam et optatam recipiamur, quae summum est bonorum,
ubi beatissimi sempiterno aevo quam felicissime perfruamur. Id nobis
concedat creator, redemptor et gubernator deus optimus maximus et
sempiternus. Amen.
184 IL Abschnitt.
thun oder lassen soll, daß er selig und nicht verdammt
wird" x ).
Es muß anerkannt werden, daß eine eigenartige persönliche
Frömmigkeit dieser humanistischen Theologie zu Grunde
liegt, eine Religiosität, die nichts in ihr theologisches System
aufnimmt, was nicht selbst erlebt und persönlich empfunden
ist. Der theologische Stoff wird nach einem praktischen
Gesichtspunkt einheitlich gruppiert. Was beatitudo ist, kann
jeder nachempfinden; bonum enim est, quod omnia appetunt.
Die Sehnsucht der Menschen nach dem höchsten Gut zu be-
friedigen hat Gott sein Evangelium und sein Gesetz gegeben;
und die Kirche mit ihren Glaubensartikeln und Sakramenten
lehrt den Weg zum wahren Glück und heilt die Schäden des-
selben. Es ist Theologie der frommen Erfahrung, die hier
vorgetragen wird; was nicht persönlich erlebt ist, wird kurz
oder gar nicht behandelt. Und auch das muß anerkannt
werden: diese fromme Erfahrung schöpft ihre beste Kraft aus
den Worten der heiligen Schrift. Sacre scripture amator nennt
sich Altenstaig mit Vorliebe; sein Unterricht ist „in der hei-
ligen Geschrift gegründet*. Reichlich sind die biblischen Be-
griffe und Sentenzen angewandt und erläutert, wie z. B. aus
der Besprechung der Namen der himmlischen Seligkeit hervor-
geht. Die Aussagen der Bibel werden ergänzt durch die
ganze Fülle der Lebensweisheit, wie sie in den Sprüchen der
frommen Männer in alter und neuer Zeit niedergelegt ist. Die
Samenkörner der Gottesweisheit sind überall zu finden bei
philosophi und historici, bei medici und oratores, bei poetae
und canonici, bei sancti und doctores. Ein Universalismus
der Religionsauffassung tut sich kund, welcher allerdings dem
augustinischen Mittelalter fremd ist.
Ist dieser Universalismus, wie neuerdings behauptet
worden ist 2 ), mit modernen antisupr anaturalistischen und anti-
!) Vgl. Fr. Ant. Veith, Bibliotheca Augustana IV alph. S. 162.
Daselbst ist auch ein ,Tractat von der Füllerey' erwähnt.
2 ) Tröltsch in „Die Kultur der Gegenwart", herausg. v. Paul Hinne-
berg I, 4 (1906). Die christliche Religion S. 272 f. Bei Besprechung
des Bruchs zwischen Erasmus und Luther: „Es ist nicht bloß der Kon-
flikt des religiösen Tiefsinns und der moralistischen Flachheit, sondern
der Konflikt des werdenden modernen antisupranaturalistischen und uni-
versalen Religionsgedankens und des schroff erneuerten mittelalterlichen
Supranaturalismus und Dualismus". Tröltsch ist in seinen Ausführungen:
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 185
dualistischen Gedankengängen verknüpft? Um diese Frage für
Altenstaig zu beantworten, ist es notwendig, auf den Unter-
schied einzugehen, den er zwischen der Tugendübung der
Antike und des Christentums feststellt. Die Ansichten des
Aristoteles und des Zeno über Tugend und Seligkeit genügen
nach seiner Meinung nicht; das Neue, was der vom Himmel
gekommene Menschensohn gebracht hat, die gratia dei, besteht
in der Aussicht auf das himmlische Glück 1 ). Die Alten suchten
das Glück ganz im Diesseits; die wahre Glückseligkeit aber
ist die des miles christianus, der im Kampf dieses Lebens sich
vorbereitet auf die jenseitige Herrlichkeit, die ihm durch
Christus und durch die Kirche verbürgt ist. Mit einem Beweis
für die Unsterblichkeit und für die Gewißheit der Auferstehung
schließt deshalb Altenstaig den ersten Teil seines Hauptwerks
über die falsche oder philosophische Seligkeit. Wohl ist die
Tugendübung des Christen in via der des antiken Philosophen
ähnlich, aber der große Unterschied besteht darin, daß sie in
via geschieht: Der Christ arbeitet nicht für diesen Aeon, er
erwartet einen Lohn in patria. So waltet bei Altenstaig, Kretz
und Baron v. Schwarzenberg, sowie bei den noch zu nennenden
Autoren, von welchen sie abhängen, eine geradezu dualistisch-
asketische Grundstimmung vor, deren Motive und Quietive
durch eine vollständig supranaturalistische Jenseitshoffnung und
Lohnidee bestimmt werden. Darum ist auch der Universalis-
mus, die scheinbare Gleichsetzung von Antike und Christen-
tum nur quantitativ, nicht aber prinzipiell verschieden von
dem, was durch das ganze Mittelalter hindurch geübt wurde:
nicht nur wie bisher allein Aristoteles, sondern das ganze neu-
entdeckte Altertum hat die Wahrheit des Christentums zu
stützen und zu bestätigen.
deutlich von P. "Wernle, Die Renaissance des Christentums im 16. Jahr-
hundert 1905 abhängig.
*) Neque Stoici cum duce suo Zenone, neque peripatetici cum duce
Aristotele recte de felicitate senserunt. Uli enim in virtute sola, isti in
operatione virtutis eam collocant. Sed nos a deo illuminati et illustrati
edoctique virtuti operationique virtutum superaddimus dei gratiam, sine
qua nullus salvus erit . . . Aristoteles, qui ad speculationem corporeae
naturae se converterat, super incorporea et celestia oculos elevare non
potuit. Nee aliud felicitatis genus vidit, quam eius, quae in huius vitae
turbinibus potest vel nullis, vel certe admodum paucis aeeidere. Sed
filius hominis, qui de celo descendit, nos ad alium finem monitos esse
monuit. De triplici felicitate lib. 1 cap. 17.
186 IL Abschnitt.
Aber wie flach und einseitig wurde dadurch dieses Christen-
tum! Es ist reiner Moralismus, der der sakramentalen An-
stalt eigentlich entbehren könnte, wenn die Kirche nicht zu-
gleich die Garantie für die jenseitige Belohnung übernehmen
würde. Die beste Eigenschaft dieser humanistischen Theologie
war es, daß sie in eklektischer Manier und unter dem Vor-
geben, die theologische Sprache verbessern zu wollen, die
Theologie der Vorzeit durcharbeitete und so den Bund zwischen
Scholastik und Humanismus vorbereitete, welcher in der Theo-
logie »der Gegenreformation und des Jesuitismus geschlossen
ward. Bei diesem Bund stammte aus der Scholastik das bessere
Teil, nämlich der wirklich religiöse Sinn der demütigen Unter-
werfung, während dem Humanismus das Zurückgehen auf die
Quellen der Schrift und der Väter, sowie der Sinn für die
persönlich-neuzeitlichen Fragestellungen zu verdanken war.
Daß diese Theologie des Tübinger Humanistenkreises in
Bekämpfung der Reformation sich betätigte, dürfte nun nicht
mehr wunderbar erscheinen. Trotz aller persönlich ethischen
Fragestellung, trotz des Zurückgehens auf die Schrift war der
Grundzug dieser Theologie, wie aus der obigen Analyse der
Schriften Altenstaigs hervorgehen dürfte und wie durch die
Schriften von Kretz bestätigt wird, ein flacher Moralismus,
dem der Sinn für Luthers tiefe religiöse Fragestellung voll-
ständig abgehen mußte. Dies Urteil gilt zunächst nur von
den humanistischen Theologen zweiter Größe, die hier im
Zusammenhang der Geschichte der Tübinger Theologie in Be-
tracht kommen. Es ist aber selbstverständlich, daß damit in
gewisser Hinsicht auch ein Urteil abgegeben ist über die
theologische Bedeutung des Sterns erster Größe, von dessen
Licht die anderen zehren. Daß Altenstaig wesentlich von
Er asm us abhängig ist, müßten wir erschließen, auch wenn
er es nicht sagen würde. Dessen Theologie hat in Tübingen
so gewirkt 1 ). Für die gegenwärtig schwebende Revision des
') Daß die Schriften des Erasmus bei den Humanisten der Tübinger
Schule großen Eindruck gemacht haben, darüber fehlt es anderwärts
nicht an Nachrichten: Melanchton schreibt nach Erscheinen des Römer-
kommentars von Erasmus an Reuchlin über seinen Eindruck: <J> Zeu, <j>
ßpovtal (Corp. Reform. I, 21). Ueber Schwarzenbergs Stellung zu Eras-
mus unterrichtet ein Brief Hummelbergers vgl. Hist. polit. Blätter 111
(1893) S. 13. Ueber Kretz s. unten im Anhang.
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 187
geschichtlichen Urteils über die theologische Bedeutung des
feinsinnigen Luthergegners sei zur gerechten Würdigung darauf
hingewiesen: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Es
wird nötig sein, auch die übrigen Humanistenkreise auf diese
Frage hin zu untersuchen und man wird wohl mit wenigen
Ausnahmen finden, daß die theologischen Erasmianer in mora-
listischer Einseitigkeit die Gegenreformation gestärkt haben.
Könnte man nicht mit gutem Willen auch bei ihnen, wie bei
ihrem Meister eine „Religion der Bergpredigt und des schlichten
Jesusglaubens u im Gegensatz zu Paulus und Augustin ent-
decken? Eine Religion, die tatsächlich nichts anderes ist, als
ein gewiß ernstes Streben der eigenen Kraft mit der Anwart-
schaft auf den himmlischen Lohn, läßt sich in den Formeln
der Bergpredigt unterbringen. Kann aber ein religiöser Stand-
punkt, der im 16. Jahrhundert von der tatsächlich gegebenen
und historisch notwendigen Entwicklung des Christentums über
Paulus und Augustin absieht, anders als mit dem Urteil der
moralistischen Verflachung bezeichnet werden? Ein anderes
Urteil wäre doch wohl nur möglich, wenn Erasmus das pau-
linisch-augustinische Christentum weitergebildet, wenn er es
von seinen von niemand geleugneten Mängeln befreit hätte,
ohne die religiös wertvollen und für den geschichtlichen Fort-
schritt notwendigen Grundpositionen zu erschüttern oder zu
leugnen.
Neben Erasmus nennt Altenstaig noch andere Quellen seiner
Theologie, die kurz angeführt werden sollen, weil sie von
Bedeutung sind für die Genesis der Theologie der Gegen-
reformation. Sehr ausgebeutet von ihm wurde die Summa
theologiae moralis des Antonius, genannt Antoninus (gest.
1459 als Erzbischof von Florenz, Ord. Praed.) 1 ). Sein Ge-
dächtnis scheint in der katholischen Reformbewegung gefeiert
worden zu sein; er wurde von Hadrian VI. am 31. Mai 1523
heilig gesprochen. Mit Begeisterung nennt Altenstaig nament-
lich zwei humanistische Theologen: den Johannes Baptista
Mantuanus, einen neulateinischen Dichter, der um 1516 als
theologischer Lehrer im Karmeliterorden gestorben ist 2 ). In
seinem Gedicht de calamitate temporum tres libri klagt die
*) Wetzer und Weite; Hurter, Index liter. theol. cathol. IV, 795 ff.
2 ) Wetzer und Weite I 2 , 1970 f.
188 II. Abschnitt.
Virtus im zweiten Buch elegisch über Mißachtung und Ver-
leumdung. Für Altenstaig kamen in erster Jänie die Prosa-
schriften „Isagoge ad patientiam* und „Libellus de vita beata*
in Betracht. Weit höher wird Paulus Cortese von unserem
Autor gestellt, der „Cicero der Scholastiker" (gest. 1510) *).
Er war Sekretär und Protonotar bei den Päpsten Alexander VI.
und Pius III. Dann zog er sich auf das Schloß Cortese zurück,
viel aufgesucht und gefeiert von Gelehrten und Fürsten. Sein
theologisches Hauptwerk, das hier in Betracht kommt, lautet:
In Sententias Libri IV, erschienen in Rom 1504. Es ist ein
Versuch, die Scholastik in ihrer eigenen Hochburg aufzusuchen
und zu schlagen. Das Werk war auch in Deutschland sehr
verbreitet 2 ). Zur Erkenntnis der Anfänge der Theologie des
Humanismus und der Gegenreformation in Deutschland wird
eine nähere Beschäftigung mit demselben unerläßlich sein.
Cortesius gibt keinen eigentlichen Kommentar zu den Sen-
tenzen, sondern ein kleines Kompendium der Theologie im
Anschluß an die Einteilung der Sentenzen; jedes Buch ist in
je 8 — 11 Distinktionen eingeteilt, wobei die hauptsächlichen
in Betracht kommenden Fragen mit einem großen Phrasenreich-
tum, mit vielen Auszügen aus allen möglichen Schriftstellern der
alten und mittelalterlichen Kirche und mit wenig theologischer
Schärfe erörtert werden. Darin besteht namentlich auch die
Bedeutung dieser humanistischen Theologie, daß sie durch
eklektische Zusammenfassung der Ergebnisse der mittelalter-
lichen Scholastik die theologische Arbeit der Gegenreformation
vorbereitet und ermöglicht hat. Altenstaigs Vocabularius theo-
logiae hat aus diesem Grunde mehrere Auflagen erlebt und
ist auch zu einem Kompendium zusammengearbeitet worden.
Von Altenstaig oft angeführt ist das Aureum s. theologiae
x ) Wetzer und Weite; Hurter IV, 931. „Disertissimus theologus",
„qui inter ceteros magna claret eloquentia et elegantia et putares Cice-
ronem loqui, quam ipse scribit elegantissime" rühmt Altenstaig.
2 ) Im Jahre 1513 wurde es zum ersten Male in Deutschland bei Froben
in Basel gedruckt, mit einem Gedicht des Verfassers und mit einem
Empfehlungsschreiben des Conrad Peutinger an Beatus Rhenanus an der
Spitze. Auf dem schönen Titelholzschnitt dieses theologischen Werks ist
oben die Humanitas zusammen mit Vergil, Nullius, Demosthenes und
Homer abgebildet. Rechts und links prangen Kairos und Nemesis.
Von dem Verfasser wird gerühmt: qui in hoc opere eloquentiam cum
theologia coniunxit. Boni igitur ac studiosi gaudento atque emunto!
Die in Tübingen gelehrte Theologie. 189
rosarium ex doctrina doctoris subtilis et doctoris Bonaventurae
des Pelbartus von Temesvar (Ord. Min. f 1490) *), eine Art
skotistisches Parallelwerk zu dem hauptsächlich aus ockamisti-
schen Theologen zusammengestellten Vocabularius theologiae.
Das Beispiel Altenstaigs, der wie Henrichmann aus der
Burse der Modernen hervorgegangen ist, der auch in seiner
theologischen Arbeit die ockamistische Literatur bevorzugt und
der doch zu den anderen meist aus der Burse der antiqui
hervorgegangenen Humanisten die engsten Beziehungen unter-
hält, — dieses Beispiel Altenstaigs ist eines der ersten sicheren
Zeugnisse, daß zu Anfang des zweiten Jahrzehnts im 16. Jahr-
hundert in Tübingen der Gegensatz der scholastischen Parteien
zu schwinden beginnt. Bis zum Beginn der zwanziger Jahre
hat sich der Humanismus vollends ganz durchgesetzt und ist
1525 zu unbestrittener Herrschaft gelangt. Man hat bis jetzt
geirrt, wenn man glaubte, daß der Humanismus nach dem
Tode Bebeis wieder durch eine scholastische Reaktion, an deren
Spitze man sich Lemp dachte, zurückgedrängt worden sei.
Man irrte noch mehr, wenn man meinte, der Tübinger Humanis-
mus habe die Reformation der Universität und des Landes
vorbereitet 2 ). Im Gegenteil, die Tübinger Hochschule war seit
der Vorherrschaft des Humanismus aus Gründen, deren Er-
klärung in diesem Kapitel versucht worden ist, ein Haupt-
waflfenplatz der gegenreformatorischen Bewegung. Weithin ist
der Ruf hiervon gedrungen; selbst ein Rabelais hat hiervon
gehört 8 ). Die Einführung der Reformation im Jahre 1534
bedeutete deshalb nicht nur für die theologische Fakultät,
sondern für die gesamte Hochschule den Abbruch sämtlicher
wissenschaftlicher Traditionen.
*) Hurter IV, 832 ; zuletzt 1594 in Brixen gedruckt.
2 ) Beide Annahmen werden hinfällig durch die auf S. 174 ff. gemachte
Zusammenstellung von humanistischen Gegnern der Reformation, die
zwischen 1520 und 1534 immatrikuliert wurden.
8 ) Zentralblatt für Bibliothekswesen IV, 59.
190
Anhang.
Liste der theologischen Promovierten.
Vorbemerkung. In diesem Anhang soll eine bio-bibliographi-
sche Uebersicht über sämtliche Lehrer und Schüler der theologi-
schen Fakultät zu Tübingen dargeboten werden. Aufgenommen
sind alle Tübinger Studenten, die irgendwie als Graduierte einer
theologischen Fakultät sich nachweisen lassen. Die Daten über Paul
Scriptoris und Werner Wick, deren Namen nicht in der Studenten-
matrikel stehen, sind an anderer Stelle (s. oben S. 163 ff. u. 86 N. 1)
zusammengestellt. Nicht in Tübingen promoviert sind Johann
Heynlin, Gabriel Biel und Johannes Hann, je die ersten in der Liste
der Doctores, Licentiati und Sententiarii. Unter den Biblici stehen
Rockenbach und Martin Riecker nicht in der Tübinger Theologen-
matrikel. Somit sind von 1477 — 1634 in Tübingen sicher pro-
moviert worden: 23 Doktoren der Theologie, 4 Lizentiaten, 9 Sen-
tentiarii und 23 Biblici. Von einem Doktor der Theologie und
14 Baccalaurei biblici wissen wir weiter nichts oder ungewisses.
Wir sehen von ihnen ab, rechnen jedoch die in Tübingen nicht
promovierten, aber hier wirkenden Theologen in folgende Zu-
sammenstellung mit ein : Unter 23 Doktoren sind 13 Weltkleriker
und 10 Religiösen (5 Augustiner, 2 Brüder des gemeinsamen Lebens,
2 Karmeliter, 1 Benediktiner). Unter 5 Lizentiaten sind 2 Welt-
kleriker und 3 Brüder des gemeinsamen Lebens. Unter 10 Sen-
tentiaren sind 5 Weltkleriker und 5 Religiösen (2 Brüder des ge-
meinsamen Lebens, 1 Augustiner und 1 Johanniter). Unter 11 Biblici
ist 1 Religiöse (Benediktiner). 30 Weltkleriker stehen also 19 Reli-
giösen gegenüber (7 Augustiner, 7 Brüder des gemeinsamen Lebens,
2 Benediktiner, 2 Karmeliter und 1 Johanniter). Unter diesen
Religiösen sind drei bis zu ihrem Tod Universitätsprofessoren ge-
wesen (Steinbach, P. Brun, Nathin); die übrigen sind wohl im
Kloster oder als Würdenträger ihres Ordens gestorben. Von den
13 weltlichen Doktoren sind 4 als Professoren, 7 als Pfarrer oder
Prediger, 1 im Kloster gestorben und von 1 (Wolmann) fehlt die
Nachricht. Die beiden weltlichen Lizentiaten sind als Pfründner
in einem Stift gestorben. Unter den 5 weltlichen Sententiarii starb
einer (Kügelin) als Universitätslehrer, die 4 anderen als Prediger.
Unter den 10 Biblici wurde 1 Professor (der Kanonistik), 1 er-
warb sich anderwärts den Doktorgrad (Kretz), 6 starben als
Pfarrer, 3 als Stiftspfründner. Aus allen Promovierten der Tü-
binger Fakultät haben sich 3 der Reformation angeschlossen
(Kress, Wernheri, Wyttenbach), 10 haben sie offen bekämpft
1. Doctores. 191
(Lemp, Plansch, Nathin, Kügelin, Gall Müller, Sattler, Armbruster,
Kretz, Schaup, Aschmann), 6 haben sich in sie in irgend welcher
Form gefugt (Käufelin, die beiden Brun, Stephan Summenhart,
Sigloch und Bücheier).
1. Doctores.
1. Johann Heynlin von Stein (2, 70), wie jetzt sicher fest-
steht, aus der Diözese Speier gebürtig (Zentralbl. für Bibliothek-
wesen 1885, 88) ist W. S. 1448 in Leipzig inskribiert und wurde.
1452 Baccalar unter Mag. Johann Schwertmann von Frankfurt,
einem späteren Dekretisten der Leipziger Universität. Von 1454
bis 1464 und wieder von 1466 bis 1474 war er an der Universität
Paris (1456 und 1459 wurde er Prokurator der natio Anglicana,
zu welcher die Deutschen gehörten; 1458 war er Receptor der-
selben; 15. Februar 1471 ist er Lizentiat, 12. Oktober 1472 Ma-
gister der Theologie. 1467 und 1470 war er Prior der Sorbonne,
1469 Rektor der Universität, vgl. Chartularium universitatis Pari-
siensis Auctuarium II, namentlich 913 Note 3).
Dazwischen führte er zu Basel den Realismus in der Artisten-
fakultät ein. Seine Mithilfe bei Unterdrückung des „Nominalis-
mus", sowie seine Verdienste um die Einführung der Buchdrucker-
kunst in Paris sind oben (S. 164 f.) erwähnt. Von 1474 an ist er
an verschiedenen Kirchen der Stadt Basel als Prediger tätig.
Meteorartig tritt er dann seit 1478 kurz nacheinander in Tübingen,
Baden, Bern und wieder in Baden auf, lehrend und predigend,
eifernd und kämpfend. Er geißelt z. B. „das Werfen der Jung-
frauen in die Bach, der Metzger unsinnig Umblaufen und alle
Tanz in der ganzen Fasten" (Valer. Anshelm, Berner Chronik ed.
E. Stierlin und J. R. Wyß, I, 227. N. Ausg. 1884 I, 165). Im
Jahr 1484 ließ er sich dauernd in Basel nieder, zunächst in der
Oeffentlichkeit drei Jahre als Münsterprediger; dann aber im Jahr
1487 verließ der berühmte Volksredner und gefeierte Freund der
Humanisten den Schauplatz der Welt und trat in die Karthause
ein, bis zu seinem Tode im Jahr 1496 unter der. harten Zucht
leidend und von inneren Widersprüchen gequält. („Dazu da er
im gefaßten Entschlüsse fest zu verharren fortfuhr, fing er an,
auch einiges von inneren Widersachern auszustehen, d. h. von
sich selber, da er noch nicht gänzlich in sich zerknirscht war; und
dann quälte ihn ein gefahrlicher Zwiespalt, der sich ihm gegen-
über seinem Vorgesetzten erhob, so daß es Kleingläubigen zu einem
Aergernis der Unbeständigkeit und der Eifersucht ward. Ferner
ward er versucht zu klagen, weil der Prior, nämlich Pater Jakob,
ihn härter als bei seinem Alter geschehen sollte behandelte. Also
ist es wenigstens einigen vorgekommen; vorzüglich aber darum,
weil sie lieber ihn als den Pater Jakob zu ihrem Vorsteher ge-
wollt hätten." Chronik von der Stiftung der Karthause im Min-
deren Basel, übersetzt und herausgegeben von K. Buxtorf, 1847,
S. 110 f.) Seine aus 283 Bänden bestehende Bücherei mit den
schönen Erstlingsdrucken aus Paris ist aus der Karthause in den
192 Liste der theologischen Promovierten.
,■■■■■■ ■ i — ■■■ ■ — ■■ — ■ ■■ , ■ ■ ■■■■-■ Mi» ■ ■ — i ■ ■■■ .^ ... — — — i^— ^^^^»^^— — ■ ■ ■
Besitz der Stadt gelangt und bildet heute eine Zierde der Basler
Bibliothek.
Von eigenen Schriften Heynlins sind, soweit sich übersehen
läßt, zwei Werke im Druck erschienen: Das eine (Hain 9919;
Proctor 7651) Libri artis logicae enthält einen Kommentar zum
Organon, dem zwei weitere Traktate de propositonibus exponi-
bilibus und de arte solvendi importunas sophistarum argumen-
tationes angehängt sind. Für die Abfassungszeit ist entscheidend,
daß Heynlin im Anfang des Werks (fol. 2 a) sich in artibus
Parisius regens nennt; beim Explicit (fol. 290a col. 2) heißt er
in artibus magister, tunc in studio Basiliensi in eisdem regens.
Der Buchdrucker Johann Amorbach hat also das Manuskript ge-
nau in dem Zustand abgedruckt, in welchem es der Autor im
Jahr 1464 oder 1465 verlassen hat. Das andere Werk ist ein
praktisch kirchliches mit dem Titel Resolutorium dubiorum circa
celebrationem missarum occurrentium (Hain 9899 — 9918 ; Coppinger
Suppl. 3493—97; Proctor 9900-9918 u. 8324), das in der Stille
der Karthause entstanden, durch seine zahlreichen Auflagen und
Nachdrucke die praktische Brauchbarkeit bewiesen hat. Eine
gründliche Biographie dieses interessanten Mannes und eine Durch-
arbeitung seiner in Basel, Tübingen und Baden-Baden gehaltenen
Predigten unter dem Gesichtspunkt der kirchlichen Sittengeschichte
ist unbedingtes Erfordernis (vgl. über ihn Theol. Realenzykl. V1LL 8 ,
36 f.; Allg. D. Biographie 12, 379).
2. Christian Wolman (2, 73) aus Giengen a. d. Br. ist in
Heidelberg am 26. November 1461 inskribiert. Er wurde bacca-
laureus artium in der via moderna am 5. Januar 1463, magister
unter einem Heinrich Vogt von Wangen am 10. Juni 1466. Er
blieb in der Heidelberger Artistenfakultät und wurde im Jahr 1475
als Baccalar der Theologie ihr Dekan und im Jahr 1476 Rektor
der Universität. Die unter ihm determinierenden Schüler sind
lauter Schwaben, aus Göppingen und Deckingen, aus Donauwörth,
Stetten, Asperg u. s. w. Den letzten empfiehlt er zum Magiste-
rium am 12. März 1478. Im Sommersemester 1478 ist er in Tü-
bingen inskribiert als Ordinarius der Theologie. Den Doktorgrad
hat er sich entweder noch in Heidelberg oder vielleicht unter
Heynlin als erster in Tübingen erworben zu einer Zeit, da die
Fakultätsmatrikel noch nicht angelegt war. (Für das letztere
scheint der Umstand zu sprechen, daß Wolman in der Tübinger
Studentenmatrikel nur als Magister eingetragen ist.) Er erhielt
an Stelle des abgegangenen Michael Kremer ein Kanonikat an
der St. Georgenkirche und war also Chorherr im Sinn der päpst-
lichen Bulle von 1476. (Freib. Diöz.-Archiv 30, 1902, S. 149 und
31, 1903, S. 193 f.) Noch 26. November 1484 erscheint er unter
den repraesentantes universitatem Tuebingensem (Roth S. 51), nach-
dem er im Sommersemester 1480 Rektor gewesen war. Später
ist seine Spur verschwunden. Nach Scheffauer, Geschichte der
Stadt Stuttgart (Manuskript im Staatsarchiv zu Stuttgart, unter
dem Abschnitt „Das Stift Stuttgart") ist ein Magister Christannus
1. Doctores. 193
de Giengen einige Jahre Stiftsprediger in Stuttgart gewesen. Ob
dieser mit Wolman identisch sein kann, bezw. inwiefern diese
Notiz mit den über den Stiftsprediger Werner Wick bekannten
Nachrichten vereinigt werden kann, das müßte noch untersucht
werden.
3. Elias Flick von Isny (2, 77) ist 1465 in Freiburg in-
skribiert (Württ. Vierteljahrshefte 1880, S. 179, Nr. 171), zu einer
Zeit, da an dieser Universität nur die via moderna zugelassen
war. Im Sommersemester 1478 kam er als Magister artium und
baccalaureus formatus in theologia nach Tübingen. Er wurde
1480 Doktor der Theologie, mit dem folgenden zusammen als erster
in das Buch der theologischen Fakultät eingetragen. Im Sommer-
semester 1481 war er Rektor. Von da an ist er in Tübingen
nicht mehr nachzuweisen. An den beiden Universitätsbeschlüssen
vom 13. Mai 1483 und 26. November 1484 ist er nicht beteiligt
(Roth S. 49 u. 51, Note). Später wurde Flick Kaplan und In-
haber einer Predigerpfründe in Isny, die ein Johannes Rudolf im
Jahr 1490 zum Spital daselbst gestiftet hat. Am 25. Juli 1500
starb er in seiner Vaterstadt. (Nach handschriftlichen Einträgen
R. Roths in sein Exemplar der Tübinger Universitätsurkunden
1877.)
4. Walter von Wer via (5, 44) hat seinen Namen nach dem
niederländischen Städtchen Werve in der Provinz Gelderland; er
selbst ist in Ryswiick geboren. Im Jahr 1445 erscheint er in
den Akten der natio Anglicana der Universität Paris als Baccalar
der Artistenfakultät. Er wurde im selben Jahre noch Magister
und bat pro scola, d. h. um einen Lehrauftrag. Im Jahr 1448 und
1450 war er Prokurator der Nation; und dabei unterschreibt er
sich als Galterus de Weruia Ghelrensis, natus de Ryswiick Tra-
jectensis dyocesis. Im Jahr 1452 war er von der Nation mit zwei
anderen als Deputierter zur Ausarbeitung der neuen Statuten der
Universität gewählt; 16. Dezember 1456 ist er Rektor der Uni-
versität. 8 Juni 1451 beginnt er den cursus biblicus; 2. Januar
1466 heißt er in sacra theologia baccalaureus formatus. 13. Januar
1480 ist er in Tübingen inskribiert als Magister artium und als
Lizentiat der Theologie des Pariser Studiums. Daß er öfters in
Geldverlegenheiten war, bekunden mehrere Notizen in den Akten
der englischen Nation zu Paris. Seine Armut wird der Grund
gewesen sein, daß er den Doktorgrad in Tübingen erst im Alter
von ungefähr 55 Jahren sich erwarb. Sein Diener, den er nach
Tübingen mitbringt, ist der Mainzer Baccalar Johann Pauli von
Pfedersheim (s. oben S. 156 N. 1). In Tübingen wurde er sofort
Ordinarius der Fakultät und erhielt als Besoldungsteil entsprechend
den prekären Verhältnissen der Anfangszeit eine Stube im Kollegien-
haus zur Wohnung (Roth S. 90 u. 91; nach Walters Tod wurde
dieses „oberste Gemach" im Universitätsgebäude in eine Wirt-
schaft zur Rekreation der Kollegiaten und Scholaren umgewandelt).
Bei der feierlichen Doktorpromotion im Jahr 1489, welcher Graf
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 13
194 liste der theologischen PromoTierten.
— - - j — * — m — — — - — ■ — — ^_^-^ ^ — — . — . — — —^ ^^^ — ^ _ — ^ — ^ . _ _^_ ^ — ^ — -_ _ - _
Eberhard im Bart persönlich anwohnte, fahrte Walter den Vor-
sitz. Im Jahr 1497 starb er; die beiden (wie er der via antiqua
angehörigen) Doktoren Feßler und Summenhart sind Testaments-
vollstrecker. Aus der Erbmasse erhielt die Universität 25 fl., um
dafür jährlich einen ewigen Zins von 1 fl. zur Abhaltung einiger
Messen in der St. Georgenkirche am Laurentiustag zu verwenden
(nach der Urkunde vom 9. August 1497 im Universitätsarchiv
M h 1 105 ° : ad decantationem quarundam missarum in capella nostre
universitatis ecclesie collegiate oppidi Tuwingensis). Von den Her-
ausgebern des Chartularium universitatis Parisiensis (s. IV und
Auct. II im Register) ist sein Name stets fälschlicherweise Wernia
gelesen worden. In der Theologenmatrikel zu Tübingen ist er als
Galterus de Werfia (statt des üblichen Weruia) eingetragen.
5 Johannes Benzenreuter, Bentzenryter, Penssenruter
(10, 14), Karmeliterbruder und Mitglied des Konvents in Heil-
bronn, ist schon Sommersemester 1466 als frater in Erfurt in-
skribiert. Um 1473 und 1475 kommt er in einem aus dem ge-
nannten Kloster stammenden Handschriftenband der Stuttgarter
Landesbibliothek als fleißiger Abschreiber Aristotelischer Werke vor.
Von seiner Hand stammt der Sammelband Cod. theol. fol. 164,
enthaltend einen Traktat des Heinrich von Frimaria, ferner Schriften
des heiligen Thomas mit kirchlich praktischem, weniger philo-
sophischem Inhalt, dann eine lectura über das vierte Buch der
Sentenzen, endlich Boethius de consolatione und die Ethik des
Aristoteles. (Wenn Teile dieses Sammelbands schon in Erfurt ent-
standen sind, dann würde auch hiedurch meine anderwärts [Württ.
Vierteljahrshefte 1906, S. 329 f. Note] ausgesprochene Wahrnehmung
bestätigt, daß an den rein ockamistischen Universitäten, wie Erfurt,
eine lautlose Ueberwindung des Terminismus und eine innere Hin-
wendung zu den von Thomas und Aristoteles dargebotenen res
stattgefunden habe.) Vor 1475 ist er Lektor des Konvents in
Neckarsulm; von 1475 -82 ist er Prior des Heilbronner Klosters
zur Nessel (nach der Kapelle unserer Frau ad caticam so genannt).
Im Juni 1482 ließ er sich in Tübingen inskribieren und begann
am 2. Juli den cursus bibliae, darauf normalerweise im Jahr 1484
die Lektur der Sentenzen und am Fest der Bekehrung Pauli
(25. Januar) 1486 erwarb er sieb den Doktorhut. Von 1490 bis
1499 ist er wieder Prior des Heilbronner Konvents zur Nessel.
12. August 1494 urkundet er als Provinzial der oberdeutschen
Provinz des Karmeliterordens; 12. Oktober desselben Jahres ver-
ordnet ihn Bruder Poncius Raynaudi, magister generalis des Kar-
meliterordens, zu seinem General vikar. Am 26. Juli 1495 urkundet
er als „Professor der Theologie" und Provinzial der oberdeutschen
Karmeliterprovinz, sowie als Generalvikar und Spezialdeputierter
des Bruder Poncius. 1498 heißt er „der heiligen Schrift Doktor".
(Nach Urkunden des Staatsarchivs Rep. „Heübronn".)
6. Konrad Summenhart (2, 76) ist zwischen 1450 und
1460 in dem altwürttembergischen Städtchen Calw oder wahrschein-
licher in dessen Nähe in dem Dorfe Sommenhardt geboren. (Vgl.
1. Doctores. 195
Linsenmann , K. S. 1877, S. 79; daß ^Summenhart selbst seinem
Namen stets de Calw beifügt, ist kein Grund gegen die Herkunft
aus jenem Dorfe, wie das Beispiel Kügelins beweist.) Er studierte
zuerst in Paris und kam mit Heynlin als Magister artium im
Sommersemester 1478 nach Tübingen. Unter den nicht zahlreichen
Vertretern der via antiqua in Tübingen nahm er bald eine hervor-
ragende Stellung ein. Im Sommersemester 1484 ist er aus der
Artistenfakultät zum Rektor gewählt; im selben Jahr tritt er uns
als Kollegiat entgegen und 1487/88 ist er Dekan der Artisten.
Seine theologische Laufbahn begann er am 27. Januar 1484 als
Kursor; am 8. Februar 1485 begann er die Sentenzen und am
12. Oktober 1489 erhielt er die Lizenz, machte noch am selben
Abend die Vesper mit und wurde am folgenden Tag zusammen
mit W. Steinbach doktoriert in feierlicher Aula unter Anwesen-
heit des Grafen Eberhard. Bald darauf muß er eine theologische
Professur erhalten haben. Das Rektorat bekleidete er noch drei-
mal, Sommersemester 1491, Wintersemester 1496,97 und Sommer-
semester 1500. Er starb im rüstigen Mannesalter an der Pest am
20. Oktober 1502 im Kloster Schuttern bei Offenburg, wohin er sich
offenbar zur Erholung zurückgezogen hatte. (Nach dem Eintrag
im Ohronicon coenobii Schutterani vgl. Linsenmann, K. Summen-
hart 1877, S. 80.) Ueber seine Schriften und über sein Lebens-
werk s. oben S. 156 ff.
7. WendelSteinbach(9,15) heißt sich regelmäßig de Butz-
bach, ist also wahrscheinlich dort um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts (zirka 1453) geboren und trat schon in jungen Jahren in
seiner Vaterstadt in das Haus der Brüder des gemeinsamen Lebens
ein. Schon dort erhielt er unter Gabriel Biel seine erste Ausbildung,
kam 1477 nach Urach und wurde 1481 in Tübingen mit Versehung
der zur Parochie erhobenen Schloßpfarrei beauftragt. Wahrschein-
lich die Empfehlungen Biels und dann seine eigene Tüchtigkeit be-
gründeten in dieser Stellung das Vertrauensverhältnis, welches der
gelehrte und bescheidene Schloßpfarrer dem etwas älteren Grafen
Eberhard gegenüber einnahm. Mit Uebergehung der Grade in der
Artistenfakultät begann er als Cursor am 27. April 1486, als sen-
tentiarius am 11. Mai 1487, Lic. theol. 16. Juli 1489. Doktorvesper
und Aula fanden am 12. und 13. Oktober 1489 statt ; Graf Eberhard
ließ es sich nicht nehmen, den Ehrentagen seines Freundes und
Beichtvaters selbst beizuwohnen und alle Kosten für ihn und für
seinen Konkathedralen Summenhart zu bezahlen. Von da an hat
Steinbach neben seiner Schloßpfarrei, die ihm nicht viel Zeit weg-
nahm, bis zu seinem Tod am 14. Januar 1519 in der theologischen
Fakultät gelehrt und eine sehr ausgedehnte wissenschaftliche Tätig-
keit entfaltet. (Die Daten in der Vorrede des Gall Müller zu Stein-
bachs Supplementum s. Steiff S. 245 f.) Er wurde in der Propstei
auf dem Einsiedel begraben zu Füßen seines Lehrers Gabriel Biel,
zu dem er sein Leben lang voll Verehrung aufblickte und von dem
er gelernt hat, von seiner selbstlosen Arbeit voll peinlichster Sorg-
falt nicht viel Wesens zu machen.
196 Liste der theologischen Promovierten.
Steinbach hat zu seinen Lebzeiten ebenso wie Biel eigene
Schriften im Drucke nicht veröffentlicht, aber er hat eine Reihe
von fremden Werken herausgegeben. Darunter ist in erster Linie
der gesamte literarische Nachlaß Gabriel Biels, mit dessen Edition
er vom Tode des Meisters bis zum Jahr 1500 beschäftigt war;
schon früher hat er, ohne die Erlaubnis Biels einzuholen, dessen
Expositio canonis missae um 1488 drucken lassen und mußte
darob schweren Tadel seitens des Verfassers hören (vgl. Steiff
65 ff. , 226). 1490 gab er Werke des Peter von Ailly zu Straß-
burg in den Druck, Quaestiones in drei Bücher der Sentenzen und
Tractatus et sermones compilati (Steiff S. 227 f.); endlich versah
er im Aufkrag des Buchfahrers Fr. Meynberger die Fredigten des
Wilhelmus Feraldus für den „sacerdos praedicaturus" mit einem
handlichen Sachregister (Steiff S. 54). All diese Ausgaben zeichnen
sich, wie Steiff bemerkt (S. 56), durch peinlichste Sorgfalt in ge-
schickter Bearbeitung der Register und in gleichmäßiger Durch-
fuhrung von Orthographie und Interpunktion aus, so daß die von
Steinbach revidierten Werke von den übrigen Drucken je der be-
treffenden Pressen deutlich zu unterscheiden sind.
Das einzige nach seinem Tod im Druck erschienene Werk
Steinbachs (vgl. oben S. 87) diente dazu, den Sentenzenkommentar
Biels noch brauchbarer zu gestalten. Andere von ihm im Manu-
skript hinterlassene Werke sind : Auszüge aus mehreren Schriften
des Summenhart; mehrere Sermones und Disputationes , die er
während seiner akademischen Tätigkeit gehalten hat; und endlich
die oben (S. 44) erwähnten Kommentare zu den Briefen des Paulus.
Heute befinden sich in der Tübinger Universitätsbibliothek noch
zwei handschriftliche Bände von Steinbachs Hand. Das eine ist
die Epistola ad Galathas, lecta anno 1513 etc. (mit der Signatur
M c 256 bezeichnet und an den Druck der Explanatio Origenis in
epistola Pauli ad Romanos divo Hieronymo interprete, Venetis
1606 angebunden, darum auch wohl bei J. J. Moser, Vitae Pro-
fessorum Tubingensium ordinis theologici 1718, S. 45 übersehen).
Am Schluß steht vor den beiden Registern : Hec ego Wendelinus
Steinbach, sacre theologie professor anno aetatis meae sexagesimo
in gymnasio Tubingensi velut apis argumentosa ex sacrosanctis
patrum alveariis diligenter et fideliter adunare et congerere conatus
sum. Quid effecerim, videat lector et auditor, maiorum salva in
omnibus sententia. Das andere Manuskript ist ein dicker Sammel-
band, ohne Verfasserangabe, Steinbachiana enthaltend (mit der Sig-
natur M c 201) und zwar 1. einen Kommentar zum Hebräerbrief
1516 (fol. 1—256). 2. eine Abhandlung de oracione, wahrschein-
lich als Kollation verfaßt (fol. 270 — 72). 3. Reden und Quästionen
bei theologischen Doktorpromotionen, und zwar a) eine Quaestio
expectatoria doctorialis 1516 (fol. 278—83); b) Rede, gehalten
14. Juni 1516 in vesperia (fol. 286—90); c) Rede 1517 (fol. 292—94)
und d) Rede 1517 (fol. 295—97). Alles dies ist von derselben
Hand geschrieben, die mit dem Schreiber des Galaterbriefs über-
einstimmt. Daß auch Interpunktion und Registeranlage der Ge-
1. Doctores. 19 7
wohnheit Steinbachs entsprechen, hat Herr Oberstudienrat Steiff,
solange er Beamter an der Tübinger Bibliothek war, festgestellt.
Angehängt ist dem Band noch eine fremde Abschrift von einem
Werk des Joh. Vergenhans: „An clerici possint disponere de
fructibus" (fol. 298-305).
Die ganze literarische Tätigkeit dieses Mannes bekundet einen
ungewöhnlichen Fleiß; er hat, wie sein Schüler Gall Müller be-
zeugt, sehr viel Nachtarbeit darauf verwendet. Für seine Stellung
zu den Fragen der Zeit ist das bisher gänzlich unbeachtet ge-
bliebene Urteil Melanchtons (Corp. Ref. XI, 1026 f.) charakteristisch,
welcher den betagten Theologen persönlich gekannt hat und ihn
unter allen Tübinger Lehrern weitaus am höchsten schätzt. Er er-
zählt, von allen Tübinger Lehrern, einschließlich Biel und Summen-
hart, habe Steinbach am innigsten mit dem Grafen Eberhard ver-
kehrt; er sei so innig mit ihm gestanden, daß er in Wahrheit
versichern konnte, Eberhard habe die eheliche Treue und Keusch-
heit nie verletzt. Wendelin sei ein fleißiger Forscher der heiligen
Schrift und des Augustin gewesen, er habe viele Irrtümer in den
Schriften des Thomas und Scotus erkannt und habe in sehr
freimütiger Weise auf der Universität eine reinere Lehre von der
Gnade vorgetragen. (Ob das richtig ist, hat die Untersuchung der
paulinischen Kommentare zu lehren.) Er hat nach Melanchtons
Aussage ferner seines Fürsten Beichte gehört, hat diesen über
die Wohltaten des Sohnes Gottes unterrichtet und hat auch für
Eberhard eine summa doctrinae christianae in deutscher Sprache
verfaßt. Nachdem dann Melanchton das selige Ende des Fürsten
ausführlich geschildert hat, fügt er hinzu, Dr. Wendelin sei seinem
Freunde in der letzten Todesnot beigestanden und habe die Ge-
schichte von diesem glaubensstarken und schönen Sterben als
seltenes Vorbild oft und immer wieder erzählt.
Steinbach hat Ernst gemacht mit tatkräftigem Eindringen in
das Studium der Bibel. Er kennt die neuen humanistischen Drucke
(z. B. den Origeneskommentar , welchem seine Handschrift über
den Galaterbrief angebunden ist); aber er selbst ist nicht Humanist;
in seinen Schriften findet sich nicht ein einziges griechisches Wort.
Aus persönlich religiösem Interesse hat er sich in die Briefe des
Paulus vertieft, der erste Tübinger Theologe an der Spitze einer
langen Reihe von solchen, deren Lebenswerk in der Erforschung
der Bibel bestand.
8. Martin Plansch aus Dornstetten (1, 223) hat im Gründungs-
jahr der Universität die Hochschule bezogen, Bacc. art. 19. Mai
1478; Mag. art. Februar 1483; Cursor 27. April 1486; sententiarius
17. Mai 1487; Lic. und Dr. theol. 28. und 29. April 1494 zusammen
mit Nr. 9 und 10 und als erster unter ihnen. Er muß ein be-
gabter Mensch und bedeutender Redner gewesen sein; so gelang
es ihm schon während der Studienzeit kirchliche Pfründen und
zwar Pfarreien zunächst in der Umgegend von Tübingen und dann
in der Universitätsstadt selbst zu erlangen. Vor 1488 war er
Pfarrer in Gültlingen, O.A. Herrenberg; 1488 wurde er von der
198 Liste der theologischen Promovierten.
Grafschaft Württemberg auf die Pfarrei zu Dußlingen präsentiert
und 28. September 1491 erhielt er durch Tausch die Pfarrei zu
Tübingen (Reutlinger Gesch. Blätter 1898, S. 85; Prediger in Heil-
bronn kann also Plansch nicht gewesen sein, wie Bl. f. württ. K.-
Gesch. VII, 1892, S. 24 vermutet wird. Wenn jener „Dr. Martin
aus Dornstetten" nicht überhaupt ein anderer ist, kann das be-
treffende Aktenstück sich nur auf Vorverhandlungen beziehen), mit
der die Scholastrie am Georgenstift und eine gewisse Aufsicht-
stellung gegenüber der Universität verbunden war. Vorher war
er Dekan der Artistenfakultät 1488.89 und Rektor der Universität
im Wintersemester 1489,90. Wie lange er die Pfarrei beibehielt,
ist ungewiß ; am 14. September 1531 urkundet er als „alter Pfarrer
zu Tübingen". Im September 1509 erscheint er als Dekan des
Ruralkapitels zu Tübingen. Auch sonst wußte er sich eine sehr
angesehene Stellung zu verschaffen und wurde mehrmals vom
Bischof zu Konstanz sowie vom Abt von Bebenhausen als Kom-
missar und Sachwalter in Schiedsgerichten beauftragt (s. Staatsarchiv
Rep. „Bebenhausen" Register). 18. Juli 1533 ist er gestorben und
hat außer dem oben erwähnten wichtigen Stipendium des Martin-
stiftes an kirchlichen Stiftungen 200 aureos an das Kloster Beben-
hausen vermacht, sowie eine Pfründe in der Dreifaltigkeitskirche
bei den minderen Brüdern zu Tübingen dotiert.
Mitten im kirchlichen Leben stehend wirkte Plansch in ge-
feierter Predigttätigkeit für Beibehaltung der althergebrachten
kirchlichen Sitten und Anschauungen. Diesen Konservatismus be-
tätigte er auch in dem Moment, da ihm auf dem Schauplatz der
Weltgeschichte in einer Nebenrolle handelnd aufzutreten vergönnt
war. Als Begleiter des Konstanzer Vikars Johann Fabri hat er
am Religionsgespräch zu Zürich im Januar 1523 teilgenommen.
Er kam nur einmal zum Wort und verteidigte den „alten Brauch
und Satzung der christlichen Kirchen, so namentlich von den hei-
ligen ConciGis geordnet ist". Was in den vier Gonciliis beschlossen
ist, das soll man in der christlichen Kirche gleich den Evangeliis
halten. Dann verbreitete er sich noch über Anrufung der lieben
Heiligen, welche er aus Hieronymus, dem Meßkanon, der Litanei
und den zahlreich von ihnen verrichteten Wundern zu rechtfer-
tigen suchte. Zwingli behandelte ihn sehr von oben herab: „Der
gut Herr vermischt sich ouch zu reden, wendt hie für vil der
Satzung und Bruch der Küchen". Auch muß er sich eine Be-
richtigung in seinem Zitat aus Hieronymus gefallen lassen. (Corp.
Reform. 88 [Zwingli Op. I 1906] S. 534 ff. , 559.) Auf der Rück-
reise in Konstanz erfuhr der «gute Herr" eine weitere Ent-
täuschung, indem es ihm nicht gelang, statt des beliebten evan-
gelisch gesinnten Predigers Wanner zum Volke von der Kanzel
zu reden (Schnurrer, Erläuterungen zur württ. Kirchen- und Ref.-
Gesch. 1798, S. 299). Ueber seine Bedeutung für die via moderna
in Tübingen s. oben S. 81 f. ; über sein opusculum de sagis male-
ficis Steiff 231 f. s. oben S. 88 Note.
9. Johann Brühem (Brieheym, Bruheim) von Gotha (21, 22)
1. Doctores. 199
ist 11. April 1481 schon als Augustinereremit in Heidelberg in-
skribiert. Sechs Jahre später, im Sommersemester 1487, tritt er
als lector sacre theologie in den Universitätsverband zu Erfurt
ein ; aber schon am 11. August 1488 kommt er nach Tübingen,
als Lektor im Augustinerkloster inskribiert. Am 13. Oktober 1489
beginnt er den cursus biblicus als Prior des Konvents ; am 7. No-
vember 1491 fängt er mit den Sentenzen an, die Lizenz erhielt er
28. April 1494 und den Doktorhut mit Plansch den Tag darauf.
10. HertwigThemmen (Teman, Demmen) aus Goslar (28, 20)
kommt aus dem Augustinerkloster Himmelspforte (bei Wernigerode)
im Sommersemester 1482 an die Universität Leipzig; am 10. Ok-
tober 1485 wird er magister artium in Heidelberg in der via
realistarum; im Sommersemester 1487 trägt er sich mit Dr. Paltz
in Erfurt ein, der Universität, welche ausschließlich Angehörige
der via modern a beherbergte. In Tübingen inskribierte er sich
im Dezember 1491, beginnt 21. März 1492 den biblischen Kurs
und am 9. Oktober desselben Jahres die Sentenzen. Mit Rücksicht
auf seine lange Laufbahn an Universitäten und im Kloster wurde
ihm das wohl erlaubt. Non sine rationali causa facultas pro tanto
tempore secum dispensavit, sagt die theologische Matrikel. Lizenz
und Doktorhut erhielt er normalerweise mit Plansch zusammen
am 28. April 1494.
11. Johann Busch von Weinsberg (38, 50), Karmeliter-
bruder aus dem Eßlinger Konvent, wird am 2. April 1497 in Tü-
bingen inskribiert und an demselben Tag unter die Baccalare der
theologischen Fakultät aufgenommen tanquam baccalaureus for-
matus theologie unversitatis Tholosanae, exhibito nobis super hoc
fideli literarum testimonio. Er erhielt die Lizenz am 21. August
desselben Jahres und den Doktorhut am 6. Februar 1498.
12. Jakob Hörn aus Oehringen (30, 54) kam als Baccalar
der Theologie aus Ingolstadt am 12. März 1493 nach Tübingen;
er begann die Sentenzen am 16. Juli desselben Jahres, erhielt die
Lizenz am 14. Juni 1496 und den Doktorgrad mit Busch am
, 6. Februar 1498.
13. Jakob Lemp aus Steinheim O.-A. Marbach (10, 4) ist in
Tübingen Anfang Mai 1482 inskribiert ; Baccalar der Artistenfakultät
wurde er 18. Dezember 1483, Magister 27. Februar 1486. Den
biblischen Kurs begann er 19. Dezember 1493, Sentenziar wurde
er 26. Oktober 1495 und Lizentiat 21. August 1497 Den theo-
logischen Doktorgrad erwarb- er sich am 6./7. Juli 1500. Schon
vorher muß er decretorum Doctor in der Juristenfakultät geworden
sein, denn als Rektor im Wintersemester 1500,01 heißt er decre-
torum et theologiae Doctor. Er war Dekan der Artistenfakultät
1493/94 und von Wintersemester 149495 bekleidete er elfmal das
Rektorat bis zu seinem Tode am 2. April 1532. Ueber seine
durch die Zugehörigkeit zur via antiqua bedingte eigentümliche
Mittelstellung zwischen alter und neuer Zeit vgl. oben S. 166 ff.
14. Joh. Staupitz von Gotha (39, 20) ist in Tübingen am
30. Mai 1497 inskribiert; er wurde Cursor am 29. Oktober 1498
200 Liste der theologischen Promovierten.
und Sentenziar am 10. Januar 1499. Lizenz und Doktorhut er-
hielt er 6. und 7. Juli 1500 zusammen mit Lemp und Bempis.
(Vgl. Th. Kolde, Die deutsche Augustinerkongregation und Jo-^
hann Staupitz 1879.) Auf zwei Beziehungen sei hier aufmerksam"
gemacht: Staupitz, der Schüler der via moderna, mußte bei Wendel
Steinbach Vorlesungen hören, welcher nach dem Zeugnis des Me-
lanchton ein fleißiger Forscher der heiligen Schrift und des Au-
gustin war und noch mehr durch seine sittlich-religiöse Persön-
lichkeit wirkte. Und ferner scheint Staupitz Einfluß auf die
religiösen Anschauungen der jungen Humanistenschule in Tübingen
gehabt zu haben, wenn das nicht bloße Schmeichelei ist, was
Johann Altenstaig in dem Brief behauptet, den er am 6. Oktober
1517 an Staupitz richtet (Vocabularius theologicus 1517, fol. 3 u. 4;
vgl. oben S. 180).
15. Andreas Bempis von Geislingen (12, 45) ist am 4. März
1484 in Tübingen inskribiert, wurde Magister der Artistenfakultät
im Jahr 1487, Cursor 21. März 1492; Sentenziar 13. Oktober 1494;
die Lizenz erhielt er am 21. August 1497 und den Doktorhut am
7. Juli 1500. Er war Dekan der Artistenfakultät im Jahr 1496 97
und Universitätsrektor Wintersemester 1495 '96 und Sommersemester
1501. Das erste Mal scheint er aus der artistischen, das zweite
Mal aus der theologischen Fakultät gewählt zu sein. Bempis
wurde später Pfarrer zu Nürtingen: 29. Mai 1507 und 24. Mai 1518
siegelt er in Urkunden („Geistl. Verw. Nürtingen" im Staatsarchiv
Stuttgart), 11. März 1516 ist er in einen Zehntstreit mit dem
Kloster Salem verwickelt, worüber ein libellus actorum von 72 Folio-
seiten Aufschluß gibt (Bep. „Kloster Salmannsweil").
16. Peter Brun von Kirchheim a. N. (22, 38) ließ sich am
29. April 1489 als Baccalareus artium aus Basel inskribieren und
war damals, wie es scheint, schon in höherem Alter. Er wurde Ma-
gister der Artistenfakultät am 25. Januar 1492. Gefesselt von der
Persönlichkeit Biels, wurde er Kanoniker in der Propstei zu St. Peter
auf dem Einsiedel im Schönbuch und nach dem Tode Biels er-
hielt er die Propstwürde. Vom Einsiedel aus studierte er in Tü-
bingen weiter, wurde Cursor biblicus am 27. September 1498, Sen-
tenziar am 29. Januar 1501 und Lizentiat am 3. Februar 1502.
Als solcher wurde er Sommersemester 1503 Bektor der Universität;
und am 24. August während seines Bektorats erhielt er die Be-
stallung als ordentlicher Lehrer der Theologie. Am 27. November
1504 erwarb er sich die Doktorwürde. Er ist im ganzen neun-
mal Bektor gewesen, zuletzt im Sommersemester 1534, als der Sieg
bei Lauffen die Geschicke des Landes und der Universität ent-
schied. Noch 7. November 1522 erscheint Peter Brun als Propst
vom Einsiedel (Bep. „Einsiedel")- Später wurde sein Verwandter
Konrad Brun sein Nachfolger. Peter Brun ist einer der wenigen
Württemberger, die in den Verein der Brüder des gemeinsamen
Lebens eintraten, und hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das
Andenken an den alten Vater Biel zu bewahren. Nach der Be-
formation erhielt er einen Buheposten mit 80 fl. Er blieb „in der
1. Doctores. 201
Universität Eat u und starb erst 1553 im Alter von 90 Jahren
(Schnurrer, Erläuterungen zur schwäb. Ref.-Gesch. S. 300; Roth
S. 112, 165 u. 184; Joh. Friedr. Baumhauwer, Inscriptiones monu-
mentorum, quae sunt Tubingae 1624, C 2); ein persönlich ehren-
werter Mann und ein Epigone der letzten Richtung der Scholastik.
Noch als Greis erzählte er immer wieder von seinem Lehrer Biel
und ermahnte die jungen Studierenden, der guten lieben Mutter,
der Kirche nicht zu entlaufen. (Oratio funebris de Christoph.
Bindero 1597, 4°, pag. 8; Oratio funebris de Jacobo Beurlino 1613,
4°, pag. 18.)
17. Reinhard Gaißer auch Gayßlin (25, 45), stammt aus
Fellbach; inskribiert 22. September 1490; Bacc. art. 15. Dezember
1491; Mag. art. 18. August 1493; biblicus 10. Januar 1499; sen-
tentiarius 1. April 1501; er erhält die Lizenz am 7. Juli 1503 und
wird Doktor zusammen mit Brun am 27. November 1504. Als
Rektor im Sommersemester 1504 heißt er sacre theologie Pro-
fessor. Er wurde später Pfarrer in Groningen und hatte zugleich
eine Kaplaneipfründe in Eßlingen. Als Pfarrer von Groningen ist
er 10. Januar 1514 in Kompetenz- und Zehntstreitigkeiten mit dem
Gröninger Spitalmeister verwickelt. In der von Herzog Ulrich
ausgestellten und von dem Chorherrn Dr. Konrad Kraft in Stuttgart
verfaßten Schlichtungsurkunde müssen sich beide sagen lassen,
daß es nicht zur Erhöhung des geistlichen Ansehens diene, wenn
ein Pfarrer seinen persönlichen Gegner von der Kanzel herab be-
schimpfe. (Rep. „Geistl. Verwaltung Groningen".)
18. Dionysius Bickel (16, 24) ist am 1. Februar 1486 in-
skribiert. Als Heimatort ist in der Studentenmatrikel Weil, in
der Matrikel der Artisten Böblingen und in der der Theologen
Cannstatt angegeben. Bacc. art. 7. Juni 1487 ; Mag. art. 25. Februar
1489. Den cursus biblicus beginnt er in Tübingen 14. Novem-
ber 1499. Er ging dann mit Epp, berufen von Staupitz, als Ma-
gister artium an die neugegründete Universität Wittenberg und
wurde dort Sentenziar. Aber er kehrte ebenso wie Epp bald
wieder nach Tübingen zurück, wurde hier am 12. Februar 1504
Lizentiat und am 27. November desselben Jahres Doktor. Er ist
nicht Augustinereremit gewesen, wie Th. Kolde fälschlich ver-
mutet (Die deutsche Augustinerkongregation und Joh. Staupitz
1879, S. 221 ; vgl. Schnurrer, Erläuterungen zur Ref.-Gesch. S. 290),
sondern er war nach dem Zeugnis Melanchtons Benediktiner und
starb im Kloster zu Hirsau (Corp. Ref. Xu, 90; 1534 ist er nicht
mehr unter den Konventualen genannt, die sich für oder gegen
die Reformation erklärten).
19. Sigismund Epp von Bönnigheim (31, 44) ist in Heidel-
berg am 30. Dezember 1489 inskribiert und wurde 11. Januar 1492
Bacc. art. in der via moderna. Er wurde in Tübingen am 18. Ok-
tober 1498 aufgenommen und hat in der Matrikel durch ein Ver-
sehen des Schreibers den Vornamen Stephan. Er wird Magister
1494 und dabei ist als Heimat ex Nüwenburg angegeben. In der
Theologenmatrikel ist er als professus des Augustinerkonvents
202 Liste der theologischen Promovierten.
bezeichnet und wird biblicus am 14. November 1499 ; er geht 1502
mit Bickel nach Wittenberg. Dort wurde er Sentenziar und regte
den Druck des kompilatorischen Lehrbuchs nach Tartaret für die
Wittenberger via Scoti an (G. Bauch im N. Archiv f. sachs. Gesch.
18, 302 f. und Hm. Bärge, Andreas Bodenstein von KarlBtadt I,
1905, S. 7). Dadurch, daß er von Haus aus modernus der Heidel-
berger Universität, also Ockamist war, wird vielleicht erklärt, warum
er und Bickel die Universität Wittenberg so rasch verließen, wo
um jene Zeit nur die Thomisten und Scotisten ein Heimatrecht
hatten. (Trotz der verdienstlichen Arbeit von G. Bauch sind die
scholastischen Parteiverhältnisse an der Universität Wittenberg
noch nicht genügend aufgeklärt.) Epp ging wie Bickel 1504 wieder
nach Tübingen, wurde 12. Februar theologischer Lizentiat und am
27. November des nämlichen Jahres Doktor. Im Wintersemester
1504,05 bekleidete er das Rektorat ; von der späteren Zeit ist nichts
mehr bekannt. Leider bricht Melanchton in der Bede, da er die
beiden ersten Wittenberger lectores philosophici erwähnt, zu früh,
ab (Corp. Reform. XH, 90).
20. Augustin Luft (oder Lupf) aus Heidelberg (14, 22), Au-
gustinerbruder, kommt als nicht mehr junger Mann ins Kloster nach
Tübingen, wird 30. Januar 1499 inskribiert, erhält als „honorabilis
pater" 1508 die Lizenz und 1510 die Doktorwürde. Im Jahr 1518,
als Luther das Augustinerordenskapitel in Heidelberg besuchte
und sich dort die neuen süddeutschen Freunde erwarb, war Luft
Prior des Konvents zu Heidelberg (Vierordt, Bad. Ref.-Gesch.
I, 110).
21. Balthasar Sattler (Sellatoris, Sellarius) aus Cannstatt
(54, 11) ist im Sommersemester 1501 in Leipzig inskribiert. Er
wurde am 17. September 1502 Baccalareus artium unter einem
Alexander Birckhammer aus Eßlingen. Er ist in Tübingen am
1. Dezember 1504 inskribiert, wird Magister im Jahr 1505, biblicus
8. April 1510; über den Beginn der Sentenzen findet sich keine
Notiz, wie überhaupt die späteren Eintragungen der Theologen-
matrikel ungenau sind. Die Lizenz erhielt er 21. April 1513 und
die Doktorwürde am 18. Juni 1516. Schon vorher (1515) ward er
Prediger in Tübingen (Tübinger Blätter 1902, 36). Bis Dezember
1518 wirkte er als Kollegiat in der Artistenfakultät, von da an
wurde er in der theologischen Fakultät als Lehrer angestellt. Am
8. Juli 1519 ist sein Lehrauftrag auf zwei Jahre verlängert. Von
da an verschwindet seine Spur in Tübingen. Er wurde 1523
Pfarrer in Eßlingen und erhielt nebenher eine Pfründe in Speier.
Als Gegner der Reformation verließ er am 25. Februar 1531 die
Stadt Eßlingen und starb im Frühjahr 1532 zu Stuttgart (Zeitschr.
f. Gesch. des Oberrheins 1904, S. 599 ff., 610).
22. Johann Kreß (Kreuß) von Blaubeuren (51, 33) hat sich
als Baccalaureus (welcher Universität?) am 9. Oktober 1503 in
Tübingen inskribiert. Er wurde Magister im Januar 1505, biblicus
am 30. Januar 1513, Sentenziar am 14. Februar 1514. Die Doktor-
würde erwarb er sich 10. Februar 1517. Er wurde 1521 Stifts-
1. Doctores. 203
prediger in Ellwangen und erlitt 1525 den Märtyrertod fürs Evan-
gelium zu Dillingen. (Oberamtsbeschr. Ellwangen S. 496 ff.; Keim,
Schwab. Ref.-Gesch. S. 46 ) Unter seinem Dekanat 1513 — 14 wurde
Melanchton Magister. Zur Zeit des Martyriums der Ell wanger er-
innerte sich Melanchton seines Lehrers Johann Croesus, wie er
ihn nennt (Corp. Reform. X, 297; Manlius, Locorum communium
Collect. 1565, S. 116). Die Gründe, welche diesen einzigen unter
den Tübinger Doktoren bestimmten, sich der Reformation anzu-
schließen, möchten wir gerne kennen. Die persönlichen Beziehungen
zu Melanchton spielten offenbar nicht mit herein.
23. Gall Müller von Fürstenberg (60, 11) kam als Kölner
Baccalar am 1. Juni 1509 nach Tübingen, wurde Mag. art. im Juli
1510; Bacc. biblicus 12. Februar 1515; sententiarius 21. April 1517;
Dr. theol. 2. Mai 1519. Bis zum Tag der Erlangung der Doktor-
würde war er Dekan der Artistenfakultät im Wintersemester 16. Ok-
tober 1518 bis 1. Mai 1519. Er war sechsmal Rektor, zuerst
1516/17 aus der Artistenfakultät gewählt, zuletzt im Wintersemester
153233. Seit Pfingsten 1519 ist er als Ordinarius der theologi-
schen Fakultät angestellt, zum letztenmal ist sein Vertrag in Tü-
bingen am 27. April 1532 auf zwei Jahre erneuert. Obwohl er
als Kölner Baccalar von Lehrern der via antiqua ausgebildet worden
war, fühlte er sich doch als Schüler Steinbachs und wurde dessen
Nachfolger in der Professur. Dies beweist, wie sehr die Humanisten-
schule, welcher Müller angehörte, die Parteiunterschiede verwischt
hat (s. auch unten bei Altenstaig). Daß er Humanist war, geht
nicht nur aus der rhetorischen Vorrede zum posthumen Werk seines
Lehrers Steinbach hervor (vgl. oben S. 87 N. 1; Steiff S. 245 f.),
sondern es wird auch durch eine Aeußerung des Humanisten Jon.
Alexander Brassikan erwiesen, welcher im Jahr 1531 eine seiner
Schriften dem Dr. Gall Müller, „parocho Tubingen si, domino et
amico suo optimo", widmet (W. Hartl und R. Schrauf, Nachtrag
zu Aschbachs Gesch. d. Universität Wien I, 1898, S. 94 f., N. 159).
Als „Pfarrer und Ordinarius" von Tübingen unterschreibt er sich
schon in den Akten der Badener Disputation (Mai 1526), bei
welcher die ganze theologische Fakultät von Tübingen anwesend
war. (Th. Wiedemann, Joh. Eck S. 243 ) Somit ist er Nachfolger
Planschs in der Pfarrei geworden und hat sein Ordinariat daneben
beibehalten (vgl. oben S. 13). Als streitbarer Kanzelredner hat
er während des Bauernkriegs im Jahr 1525 mehr denn eine ärger-
liche, zum Aufruhr reizende Predigt getan und mußte deshalb eine
Zeitlang auf dem Hohen-Urach gefangen gehalten werden (Lud-
wig Heyd, Herzog Ulrich von Württemb. II, 1841, 266). Später
wurde er der österreichischen Regierung in Stuttgart desto nütz-
licher, indem er von der Kanzel namentlich die zur Reformation
übergetretenen Prediger der benachbarten Reichsstadt Reutlingen
bekämpfte (Heyd a. a. 0. S. 302, 308, Note; Christoph Fr. Gayler,
Denkwürdigkeiten von Reutlingen I, 1840 S. 427, 430; Jul. Hart-
mann, M. Alber 1863, S. 51). 23. Januar 1530 arbeiteten er und
Balth. Käufelin eine Protestation in Sachen der Erhaltung des
204 Liste der theologischen Promovierten.
christlichen Glaubens in Stuttgart aus (Universitätsarchiv in Tü-
bingen). Bei Einführung der Reformation in Tübingen predigte
er gegen das Evangelium, so daß ihm Blarer die Kanzel verbot
(Th. Pressel, A. Blarer 1861, S. 350). Die Universitätsordnung
vom 30. Januar 1535 enthob ihn seines Amtes (Roth S. 184) und
er zog zunächst nach Freiburg, wohin er 1537 sein ganzes Ver-
mögen zur Stiftung einer Burse, nach seinem Patron S. Galli ge-
nannt, vermachte (H. Schreiber, Gesch. der Univ. Freiburg II,
1857, S. 80). Schon Juni 1535 wurde er nach Innsbruck als Hof-
prediger König Ferdinands berufen und widmete nun den Rest
seines Lebens der katholischen Restauration Tirols. Als eifrig
treuer Gegner der Reformation (Zeitschr. f. K.-Gesch. 1900, S. 89)
nahm er 1540 am Religionsgespräch zu Hagenau teil. 1543 wurde
ihm die große Pfarrei zu Meran übertragen. Viel Widerwärtig-
keiten hatte er in seinen letzten Lebensjahren zu erdulden. Der
hochorthodoxe Adel, welchem der humanistische Theologe nicht
katholisch genug war, wußte einen Volksauflauf gegen ihn zu er-
regen und ihn sogar vorübergehend bei seinem Gönner Ferdinand
anzuschwärzen. Mit sittlichem Ernst hat Gall Müller Verleumdung,
Kummer und laugdauernde Krankheit ertragen und ist im Sommer
1546 als ehrlicher Kämpfer gestorben (G. Bossert im Jahrb. f. d.
Gesch. d. Protestantismus in Oesterreich 1885, 169—180).
24. Balthasar Käufelin, auch Keuffelin, KefFlin, Keule
(61, 89), stammt aus Wildberg und ist am 25. Oktober 1510 in-
skribiert. Bacc. art. Februar 1512; Mag. art. Juli 1513. Sen-
tenziar wurde er am 2. März 1519; Dr. theol. 18. Juni 1521. Am
2. Juli 1521 ist er als ordentlicher Professor zum erstenmal an-
gestellt worden und blieb in der theologischen Fakultät zu Tü-
bingen bis zu seinem Tod am 4. Oktober 1559. Auf der Dispu-
tation zu Baden im Jahr 1526 erscheint er unter den Gesandten
des Bischofs von Basel als „Ordinarius theologiae und predicant
zu Thuwingen" (Th. Wiedemann, Joh. Eck S. 243; Schnurrer, Er-
läuterungen zur Ref. -Gesch. S. 329 ff.). Auf der Heimreise hat
er eine Begegnung mit seinem Universitätsfreund Blarer in Kon-
stanz gehabt (Th. Pressel, A. Blarer 1861, S. 94 f.), und durch
Meister Ambrosius soll er auch nach 1534 für die neue Lehre
gewonnen worden sein. Tatsächlich war er jedenfalls eine zweifel-
hafte Akquisition, schwach und wankelmütig, aber während der
nun folgenden stürmischen Zeiten lange der einzige theologische
Lehrer an der Universität. Nach seinem Tode vermachte er sein
Vermögen zu einer Stiftung für studierende Nachkommen seiner
Verwandten in Wildberg (Haldenwang, Nachweis über das Käu-
felinsche Stipendium 1839). Vgl. Allg. Deutsche Biographie XV,
462 f. und oben S. 168.
2. Licentiati.
1. Gabriel Biel aus Speier (14, 22) ist im Sommer 1432 in
Heidelberg immatrikuliert, damals bereits Frühmesser des Altars
der Zehntausend Märtyrer in der Kapelle des heiligen Petrus zu
2. Licentiati. 205
Speier (Töpke, Heidelb. Matr. I, 191). Er wird baccalareus artium
am 28. Januar 1434 und magister am 21. März 1438, determiniert
von Mag. Konrad von Gomaringen, einem Kleriker der Konstanzer
Diözese und späteren Doktor des kanonischen Rechts. Im Jahr
1441 determiniert er selbst in Heidelberg zwei Schüler zum Magi-
sterium. Im Jahr 1442 ging er nach Erfurt und hat sich ohne
Zweifel dort bis zum Rang eines Lizentiaten der Theologie herauf-
gedient. (G. Pütt, G. Biel als Prediger 1879, S. 4 f.; im Register
der Erfurter Matrikel ist er nicht zu finden; die Promovierten-
matrikeln von Erfurt sind leider nicht ediert.) Von Erfurt aus
scheint er nach Mainz an die dortige Hauptkirche des heiligen
Martin als Prediger gekommen zu sein. Während der Bistums-
fehde als Anhänger Adolfs von Nassau und Verteidiger der päpst-
lichen Gewalt von der Stadt verbannt, hat er im Rheingau eine
ausgedehnte Predigttätigkeit im Kreuzzugston eröffnet. Diese
Predigten sind in dem Traktat Defensorium oboedientiae apo-
stolicae verarbeitet und zusammengefaßt und in dieser Form der
von Wendelin Steinbach besorgten Sammlung der Predigten Biels
angehängt. (Vgl. Steiff, Der erste Buchdruck in Tübingen S. 59 f.;
Plitt a. a. 0. 7.) Unter dem neuen Erzbischof war er offenbar
nicht mehr lange Domprediger. Denn noch vor 1468 vollzog sich
sein Eintritt in den Orden der Brüder des gemeinsamen Lebens.
Alle entgegenstehenden Angaben, daß er erst in hohem Alter diesen
Anschluß vollzogen habe (vgl. Theol. Realenzykl. III 8 , 209), be-
ruhen auf Verwechslung mit seinem Eintritt in das neue St. Peter-
stift zu Einsiedeln. Zunächst ward Biel in das Haus zu Marien-
tal aufgenommen; von 1468 ab ist er Propst in Butzbach. Als
solchen lernte ihn Graf Eberhard im Jahr 1476 bei seinem Oheim
Friedrich von der Pfalz in Heidelberg kennen; er forderte Biel
auf, ihm bei seinen kirchlichen Reformplänen in Württemberg be-
hilflich zu sein. Als Beauftragter einer Kongregation von mittel--
und niederdeutschen Fraterhäusern (zu Butzbach, Mariental, König-
stein und Wesel) war Biel am 16. August 1477 bei Eröffnung des
neuen Bruderhauses an der Amanduskirche in Urach zugegen; er
begünstigte die Wahl seines Genossen Benedikt von Helmstedt
zum Propst und versorgte dieses erste württembergische Haus mit
einer Anzahl von Brüdern aus den mitteldeutschen Stiften. Unter
den ersten war Wendelin Steinbach, bisher Untergebener Biels in
Butzbach. (Vgl. Theol. Realenzykl. III 8 , 492 ff.; Sattler, Gesch.
Württembergs unter den Grafen IV, 53 ff.) Spätestens 1482 wurde
er selbst Propst zu Urach. (Die von Linsenmann in Theol. Quartal-
schrift 1865, S. 206, Note, erwähnte Ablaßbulle von 1479 ist ge-
druckt in dem Einblattdruck von Konrad Fyner [Coppinger Suppl.
II, 1762]. Die Ablaßverkündigung wird verbreitet durch „Gabriel
Byel, sacre theologie licentiatus, prepositus ac capitulum ecclesie
sanctorum Marie Andree et Amandi in Urach" [5. Oktober 1479].
Inwiefern hiegegen ein Diplom von 1482 streitet [Theol. Real-
enzykl. III 8 , 492 48 ], müßte erst noch gezeigt werden.) Biel begleitete
im selben Jahr 1482 den Grafen Eberhard auf dessen Romreise.
206 Liste der theologischen Promovierten.
1494 wurde er ordentlicher Lehrer der Theologie in Tübingen.
Sein Nachfolger in der Propstei zu Urach, die er zwar vorerst
noch behielt, ist nicht Wendelin, sondern dessen Bruder Heinrich
Steinbach. (Gegen Theol. Realenzykl. IQ 8 , 493 "; als Universitäta-
rektor von 1485,86 heißt Biel noch necnon praepositus ecclesie
collegiate in Urach ; Sommersemester 1489 nicht mehr.) Im Jahr
1492 wurde Biel Propst der neuen Stiftung des Grafen Eberhard,
des St. Peterstiftes auf dem Einsiedel im Schönbucher Wald
(l 1 /« Stunden von Tübingen entfernt). Nach einer eigenartigen
Idee des Grafen sollte hier der der Fraternität des gemeinsamen
Lebens zu Grunde liegende Gedanke auf Vereinigung der drei
Stände des Mittelalters angewandt werden. Je zwölf Geistliche,
Bitter und Bürger sollten hier unter der obersten Leitung des
geistlichen Propsts (d. h. unter Biel) zusammenleben und Gott
dienen. (Vgl. die Beschreibung der Stiftung, Ulm Reger 1493;
Hain 6557. Biel hat nach der Schlußschrift diesen Druck ver-
anlaßt. Als Verfasser wird Graf Eberhard selbst überliefert. Das
seltene Schriftchen ist abgedruckt bei Joh. Jak. Moser, Sammlung
württ. Urk. 103 -182; ein Auszug bei Cleß, Versuch einer kirchl.
Landes- und Kulturgesch. Württ. II, 2, S. 285 ff.) Der Zweck
war nicht so sehr Nivellierung der ständischen Unterschiede, als
vielmehr Ergänzung zu gemeinsamem Wirken. Aber für dieses
fehlte die einheitliche Aufgabe, und so trug die Stiftung den Keim
des Verfalls in sich. Biel erlebte diesen nicht, sondern starb nach
kurzem Aufenthalt auf dem Einsiedel im Jahr 1495, nicht siebzig-
jährig, wie Trithemius berichtet, sondern mindestens im Alter von
achtzig Jahren.
Biel hat noch auf dem Totenbett mit Steinbach über die
Herausgabe seiner Schriften gesprochen und dieselbe dem Schüler
nur auf vieles Bitten hin erlaubt und nur unter der Bedingung,
daß er peinlichste Durchsicht und Genauigkeit walten lasse (nisi
eo per me lecto vi so et reviso videatur eius publicatio ecclesie et
eius membris theologicam veritatem adamantibus non obesse, sed
prodesse, sagt Steinbach in Biels Collectorium IV 11 5 a Col. 2).
Steinbach war gewissenhaft genug, diese Bedingung zu erfüllen.
Ueber die Hauptschriften s. oben S. 88 ff, Das Collectorium ist
aus Vorlesungen entstanden, die Biel teils an der Universität,
teils in den Fraterhäusern , denen er vorstand, gehalten hat (et
partim 9 rdinarie in theologorum scolis partim in edibus ab eodem
lectum et elucidatum Prol. 21 3 a Col. 1; am Schluß IV ü 5 a Col. 1
heißt es: in Tübingensi gymnasio possetenus elaboratum et pro
parte ibidem ordinarie lectum solenniter denique et publice dispu-
tatum). Von einer handschriftlich vorhandenen Schrift Biels über
die Brüder des gemeinsamen Lebens weiß J. G. R. Acquoy, Het
revormed klooster te Windesheim III, 1880, S. 330. Briefe von
ihm liegen auf dem Staatsarchiv zu Darmstadt.
Die Bedeutung Gabriel Biels für die Tübinger Hochschule und
für das Württemberger Land kann nicht hoch genug angeschlagen
werden. Es war ein äußerst glückliches Zusammentreffen, das
2. Licentiati. 207
den frommen und geistig regsamen Grafen im Jahr 1476 mit dem
nüchtern-praktischen und charakterfesten Kirchenmann zusammen-
führte. Die kirchlichen Stiftungen, welche Biel aus seiner hessi-
schen Heimat nach Württemberg verpflanzte, hatten allerdings
keinen dauernden Bestand ; immerhin kam frisches geistiges Leben
ins Land, was sich schon darin dokumentiert, daß eine Zeitlang
derSEßlinger Drucker Fyner innerhalb der Landesgrenzen in Urach
seine Tätigkeit ausübte. Länger als seine kirchlichen Pflanzungen
dauerte der Eindruck der Persönlichkeit Biels. Noch hundert Jahre
nach seinem Tode, am Grabe eines württembergischen Prälaten,
erzählt dessen Leichenredner, daß des Verstorbenen Lehrer Brun
noch als neunzigjähriger Greis immer wieder das Andenken des
alten Vater Biel nicht genug habe rühmen können, wie er so
pünktlich und nüchtern gewesen sei, so gedankenreich in seinen
Vorlesungen und Predigten , ein trefflicher Bildner der Jugend.
(Oratio funebris de Christophoro Bindero, Tübingen 1597, pag. 8.)
Biel muß in erster Linie als charaktervolle Persönlichkeit ge-
würdigt werden, deren Andenken lange nachgewirkt hat. Wie
spricht z. B. nur aus den Vorreden Steinbachs zu den Bielschen
Werken eine edle Freundschaft zwischen Lehrer und Schüler, die
beiderseits wetteifert in bescheidener Selbstkritik und klarer An-
erkennung des anderen!
Ueber Biels schriftstellerische und dogmengeschichtliche Be-
deutung, insbesondere über den Einfluß, den er als collector der via
moderna auf Luther ausgeübt hat, s. oben S. 93 ff. ; die hier ange-
führten Daten dienen zur Ergänzung und Berichtigung des Artikels
in TheoL Realenzykl. HI 8 , 208 — 210; daselbst die weitere Literatur.
2. Johann Hiller von Dornstetten (1, 134), ist im Gründungs-
jahr der Universität inskribiert und wurde sofort 26. Oktober 1477
Bacc. art. Das Studium hatte er 1476 in Freiburg begonnen (Württ.
Vierteljahrshefte 1880, S. 180, Nr. 302). Mag. art. 2. Januar 1479;
Bacc. biblicus 8. Februar 1485 ; sententiarius 27. April 1486. Die
Lizenz erhielt er zusammen mit Plansch, Brühem und Themmen und
wird als der erste unter den Vieren bezeichnet. Er war 1484/85
Dekan der Artistenfakultät (vgl. auch Roth S. 51) und aus ihr
1488 zum Rektor gewählt. Daß er ebenso wie sein Landsmann
Plansch zur via moderna gehörte, geht daraus hervor, daß er
den Druck der Exercitata parvorum logicalium secundum viam
modernorum des Joh. Fabri de Werdea (Hain 6849; Proctor 2710;
Steiff S. 226; vgl. Prantl IV, 203 f.) veranlaßte. Er wurde später
Chorherr und Keller des Stiftes in Stuttgart und starb jung im
Jahre 1502. Dienstag nach Judica (15. März) 1502 vergleicht sich
das Stift Stuttgart mit seinem Vater Marquard Hiller aus Dorn-
stetten wegen der Hinterlassenschaft seines Sohnes Liz. Joh. Hiller,
gewesenen Stiffcskellers, der als solcher noch einige Früchte schuldig
war und der wegen eines Umbaus in seiner Stiftswohnung in
Spenne mit Dekan und Kapitel geraten sei. Marquard Hiller er-
hält nach allen Abzügen noch 82 Pfund 8 Seh. 9 Hl. (Rep. „Stift
Stuttgart" im Staatsarchiv zu Stuttgart).
208 Liste der theologischen Promovierten.
3. Heinrich Steinbach (9, 20) aus Butzbach, ist mit seinem
Bruder Wendelin zusammen als Canonicus des Uracher Frater-
hauses 14. November 1481 in Tübingen immatrikuliert. Ohne
einen Grad in der Artistenfakultät zu durchlaufen, begann er den
cursus biblicus 13. Oktober 1489 und heißt in dem betreffenden
Eintrag noch Canonicus in Urach. 7. November 1491 begann er
die Sentenzen und 14. Juni 1496 erhielt er die Lizenz. Er wurde
Nachfolger Biels in der Propstei zu Urach (Steiff S. 57).
4. JohannesRebmann(ll, 56) von Neuhausen, ist 26. August
1483 inskribiert. Als Canonicus in Urach beginnt er 7. November
1491 zugleich mit Heinrich Steinbach und mit Brühem den cursus
biblicus. Die übliche Vorbildung in der Artistenfakultät wird bei
ihm durch den Unterricht in der Schule der Brüder des gemein-
samen Lebens zu Urach ersetzt worden sein. Die Sentenzen zu
lesen begann er 3. Dezember 1499 und erhielt die Lizenz zusammen
mit Peter Brun am 3. Februar 1502. Am Band der Theologen-
matrikel steht an seiner Stelle: praepositus in Herrenberg. Bei
Umwandlung des Fraterhauses zu Herrenberg in ein weltliches
Chorherrenstift 1516 wird auch er nicht mehr genannt.
5. Johann Armbruster (75, 18) von Walddorf bei Tübingen,
ist 7. Januar 1520 immatrikuliert; Bacc. art. Dezember 1521, Mag.
art. Juli 1523. Am Band der Magisterliste steht von späterer Hand
bei seinem Namen : Canonicus Herbipolensis. Bacc. biblicus 3. April
1528; sententiarius 16. August 1530. Er wird als Pfarrer zu
Walddorf erwähnt in einer Urkunde vom 17. Juni 1529, worin
ihm die Herrschaft Württemberg verspricht, den ihm zukommen-
den Zehnten seiner Kaplanei zu Eltingen (bestehend in 50 Malter
Dinkel, 20 Malter Haber und 2 1 /« Fuder Stroh) regelmäßig zu
liefern. Am 5. April 1532 wurde ihm die durch Lemps Tod
erledigte theologische Professur übertragen, mit der Bedingung,
vorerst gegen ein entsprechendes Gehalt die Sentenzen zu lesen.
Erst wenn er den Doktorgrad erworben habe, werde er das volle
Stipendium von 50 fl. erhalten. Im Wintersemester 1534,35 wurde
er zum Rektor gewählt und heißt da Licentiatus theologiae.
Während seines Rektorats wurde die Reformation in Tübingen
eingeführt und er gehörte zu denjenigen, welche den herzoglichen
Deputierten Blarer und Grynäus Schwierigkeiten in den Weg legten
(Roth S. 163). Nach der neuen Universitätsordnung vom 30. Januar
1535 (Roth S. 184) soll er das Rektoramt bis zum Schluß des
Semesters weiterführen und noch ein Jahr lang die Besoldung
für seine theologische Lektur empfangen. „So er sich in der-
selbigen Zeit wohl schicken und sich mit der rechten Wahrheit
und Gottes Wort vergleichen will, soll alsdann weiter mit ihm
nach Gebühr gehandelt werden." Er hat sich aber nicht wohl
geschickt, sondern ging als entschiedener Gegner der Reformation
nach Würzburg, auf eine Pfründe wartend (Zeitschr. f. K. Gesch.
1900, S. 89), die er dann auch daselbst erhielt.
3. Sententiarii. 209
8. Sententiarii.
1. Johann Hann (1, 4) von Horrheim, kam im Ghründungsjahr
der Universität nach Tübingen als Presbyter, der Speirer Diözese
und als baccalaureus formatus des Wiener Studiums schon vom
Jahre 1467. Mag. art. war er in Wien im Jahre 1465 geworden.
Er war der erste Syndikus der Universität und las im ersten
Winter die Sentenzen. Er examinierte in der Artistenfakultät
im neuen Weg und war 1478/79 Dekan. Er starb 1508 als
Pfarrer von Brackenheim (Oberamtsbeschr. Brackenheim, S. 165).
Nach Hartmann, Magisterbuch (Manuskr. auf der Landesbibliothek
in Stuttgart) war er von 1487 an Pfarrer in Brackenheim.
2. Johannes Kattun von Neukirchen in der Diözese Mainz
(12, 19), ist in Erfurt 1465 inskribiert. Nach Tübingen kam er
als Augustinerbruder und Magister der Artistenfakultät, um das Tü-
binger Kloster zu reformieren (Th. Kolde, Die deutsche Augustiner-
kongregation 1879, S. 137) und als Lektor zu dienen (inskribiert
18. November 1483). Er begann 1484 den cursus bibliae, 25. Januar
1486 die Sentenzen. 11. Juli 1488 ist er in Heidelberg inskribiert
und 1493 wieder in Erfurt. 21. Oktober 1493 wird er Dr. theol.
(Motschmann, Erfordia literata, 1. Forts. 1733, S. 24). Im Erfurter
Augustinerkloster war Nathin Luthers Lehrmeister; er lobte
Luthers strenges Klosterleben und ist manchmal zusammen mit
ihm in Geschäften des Ordens tätig. Nathin hat ferner dem
jungen Luther bei der theologischen Doktorpromotion (1512)
Schwierigkeiten bereitet, weil dieselbe in Wittenberg stattfand
und weil den Erfurter Ordinarien dadurch die Promotionsgelder
verloren gingen. Später wurde er ein ausgesprochener Gegner
Luthers. (Köstlin-Kawerau , M. Luther I 5 , 55, 135 f.; Kolde,
Augustinerkongregation 168, Note 1, 246 f., 391 f.) Der Humanist
Mutian urteilt über Nathin: ,barbarus est et morosus" (vgl. Nik.
Paulus, in Barth. Arnoldi von Usingen, [1893] in Straßburger
theol. Studien I, 3, S. 14f., Note).
3. Johannes Gouch, Gauch, Gäch (3, 14) von Frankfurt, ist
Ende des Jahres 1478 in Tübingen immatrikuliert, wird Bacc. art.
23. Februar 1480, wobei ihm aus Gnaden eine Dispensation erteilt
wird, weil er irgend eine der vorgeschriebenen Bedingungen nicht
erfüllt hat. Mag. art. 19. September 1482. Bei dem Universitäts-
beschluß von 1484 (Roth S. 51) wirkt er als jüngster Collegiatus
der Artistenfakultät mit und zwar muß er, weil Mütschelin und
Summenhart antiqui waren, dem neuen Weg angehört haben.
Bacc. biblicus 17. Mai 1487; sententiarius 6. Juli 1490. Im Winter-
semester 1490/91 ist er Dekan der Artistenfakultät. Damit hören
die Notizen über ihn für uns auf.
4. Simon Leonis (7, 19) von Biel (Bühl bei Rottenburg?),
ist 21. Dezember 1480 inskribiert. Als „frater ordinis s. Johan-
nis Jerosolymitani" wird er 28. Februar 1482 Bacc. art. Mag.
art. 23. Februar 1484. Er war Dekan der Artistenfakultät im
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen. 14
210 Liste der theologischen Promovierten.
•
Wintersemester 1491/92 ; als solcher begann er den cursus biblicus
am 21. März 1492. Als Rektor (Sommersemester 1498) begann
er am 27. September 1498 die Sentenzen. Wenn Bühl Oberamt
Rottenburg sein Heynatort war, dann wird er einer der beiden
Johanniterkomm enden in der Gegend (Hemmendorf-Rexingen oder
Dätzingen-Rohrdorf) angehört haben.
5. Leonhard Wernheri von Cannstatt (29, 56), inskribiert
15. Oktober 1492. Bacc. art. 20. Februar 1494; Mag. art. 18. August
1495. Mit Reinhard Gaißer beginnt er den cursus in bibliam
und wird „solus" im Jahre 1503 sententiarius. Er ist Dekan der
Artistenfakultät im Wintersemester 1503/04. In den Zwanziger-
jahren war er Pfarrer in Waiblingen und predigte dort die neue
Lehre. Deshalb mußte er 1528 weichen und wandte sich nach
Ulm. 1531 beriefen ihn für kurze Zeit die Eßjinger zum Prediger.
1536 wurde er von Schnepf wieder in Waiblingen eingeführt.
Nach 1540 begann er ein neues Wanderleben und predigte um
1550 das Interim in Hall. Er geriet darob in Verachtung bei
den Anhängern der Reformation und wurde im Jahre 1547 von
Hall entlassen (Theol. Studien aus Württemberg 1881, 222) und
trat in den Dienst des Herzogs von Zweibrücken. Näheres über
ihn und seine Schriften s. G. Bossert in Blätter f. württ. K.-Gesch.
VI 30 f.; vgl. die Notiz Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrheins N. F. 19,
1904 S: 603 N. 5.
6. Ulrich Bühler, Bücheier, Buchler (35, 88) von Ravensburg,
ist 20. August 1495 immatrikuliert. Bacc. 4. Juni 1499 (schon
da im Unterschied von den anderen Studenten mit dominus geehrt,
vielleicht seines höheren Alters wegen?); Mag. art. Januar 1506.
Als Canonicus des Amandusstiftes in Urach, mit dem das Frater-
haus der Brüder des gemeinsamen Lebens verknüpft war, beginnt
er 18. Dezember 1510 den biblischen Kurs und 30. Januar 1513
eröffnet er die Vorlesung über die Sentenzen. Bei Umwandlung
des Fraterhauses im Jahre 1516 ist er unter denen, welche mit
einer weltlichen Pfründe abgefertigt wurden (Rep. „Stift Urach").
7. Konrad Brun(41, 28) von Kirchheim a. N., ist 9. August
1498 immatrikuliert. Er muß durch seinen älteren Verwandten
Peter Brun für die Brüder des gemeinsamen Lebens gewonnen
worden sein. Beim Examen als Bacc. art. 23. Februar 1502 ist
er schon Frater ; Mag. art. Juni 1504. Bacc. biblicus 18. Dezember
1510; sententiarius 30. Januar 1513. Schon 1510 ist er als
Canonicus des St. Peterstiftes auf dem Einsiedel im Schönbuch
eingetragen ; 1516 wurde er auf Geheiß seiner Oberen ins Frater-
haus nach Herrenberg geschickt. Er konnte aber die Umwand-
lung des Hauses in ein weltliches Chorherrnstift nicht verhüten,
obwohl er von sich selbst rühmt, daß er es mit den Pflichten
seiner Kongregation sehr ernst nehme und daß er als Prediger
in der Landessprache beliebt sei (praeterea circiter 20 conciones
non indoctas ad populum habui et credo plus ceterorum in hoc
gratus et acceptus fui, quia sum huius teritorii lingue et non
peregrine; Rep. „Stift Urach" vgl. E. Schneider in Bl. f. württ.
3. Sententiarii. 211
K.-Gesch. 1 1886 S. 15). Er wurde später Nachfolger Peter Bruns
in der Propstei auf dem Einsiedel; als Propst nahm er 1538 nach
Einführung der Reformation ein Leibgeding an und ließ sich
29. April 1589 noch einmal in Tübingen inskribieren. 24. August
1552 ist er gestorben und wurde in Bebenhausen begraben (sein
Grabstein bei Rothenhäusler a. a. 0.) Er vermachte sein Ver-
mögen seinen Verwandten in Kirchheim zum Studium der Söhne
und zur Ausstattung der sich verheiratenden Töchter. Von den
ersteren müssen die Nutznießer das Magisterium in artibus erlangt
haben und in den drei höheren Fakultäten Theologie, Jurisprudenz
oder Medizin studieren (Das Testament in Rep. „Stift St. Peter
auf dem Einsiedel"). Dieser Theologe Konrad Brun darf nicht
verwechselt werden mit dem ebenfalls aus Kirchheim a. N. stam-
menden Juristen (61, 79; inskribiert 19. Oktober 1500; vgl. oben
5. 176). Unser Konrad Brun scheint der Sohn eines Müllers ge-
wesen zu sein; in der oben erwähnten Urkunde (Rep. „Stift
Urach") heißt er: Conradus Mollitoris, alias Brun.
8. Friedrich Schaup (63, 58) von Besigheim, inskribiert
6. Oktober 1512; Bacc. art. 24. März 1514; Mag. art. 23. Juli
1515. Er beginnt den cursus biblicus 3. Juli 1521 ; die Sentenzen
24. Mai 1524. Um 1536 wird er als Prediger in Riedlingen von
Joh. Fabri unter den constantes in fide catholica doctores aufge-
führt (Zeitschr. f. K.-Gesch. 1900 S. 90).
9. Franciscus Kircher von Stadion, genannt Supplinger
oder Sipplinger, auch Stadianus (59, 83), ist 3. März 1509 inskri-
biert. Bacc. art. 3. Juni 1510; Mag. art. 21. Juli 1512; biblicus
21. April 1517; sententiarius 2. März 1519. Er ist 1518/19 Rektor
der Universität, aus der Artistenfakultät gewählt. Ueber seine
Rolle in dem Kampf zwischen Herzog Ulrich und dem Schwäbischen
Bund vgl. Roth, Beiträge zur Gesch. d. Univ. Tübingen 1867
S. 39. (Beil. zum Doktorenverzeichnis der philos. Fakultät; die
Vermutung Roths, daß der Vater des Franz Sipplinger aus Sipp-
lingen am Bodensee nach Stadion gezogen sei, ist ansprechend.)
Ueber die Zugehörigkeit Kirchers zur via antiqua und über seine
Beziehungen zum Humanismus, sowie über seine Freundschaft mit
Melanchton vgl. oben S. 168 f. Im Dezember 1529 wird ein M. Franz
Stadian als angeblich „lutherischer" Prädikant von dem katholischen
Rat der Stadt Gmünd zur Belehrung der Wiedertäufer berufen
(Württ. Vierteljahrsh. 1881, 186). Er wird mit Franz Kircher
identisch sein und das Evangelium als Humanist in erasmischem
Sinne gepredigt haben. Denn daß ein ausgesprochen evangelisch-
lutherischer Prädikant in Göppingen unter der katholischen Re-
gierung in Württemberg und bei der anerkannt katholischen
Richtung des Stifts sich hätte halten können und daß er gar von
dem Rat der katholischen Reichsstadt Gmünd bei der Exekution
gegen die Wiedertäufer herbeigerufen worden wäre, ist allzu un-
wahrscheinlich. Vgl. G. Bossert in Blätter f. württ. K.-Gesch.
VI 21. (Die Identifikation des Fr. Kircher mit dem Freiburger
Studenten Fr. Keßler scheint mir nicht wahrscheinlich; die aus
212 Liste der theologischen Promorierten.
Roth stammende Notiz, daß Kircher mit Balth. Käufelin zusammen
im Jahre 1521 Dr. theol. geworden sei, beruht auf einer Verwechs-
lung, indem Kircher mit Käufelin zusammen zu den Sentenzen
zugelassen wurde. Die von Roth selbst angeregte Verbesserung
bei Hutteni Opp. Supplem. II ed. Ed. Böcking S. 479.)
10. Martin Kügelin (75, 34) ist gebürtig aus Büchenbronn,
das zwischen Birkenfeld und Pforzheim liegt; meist gibt er einen
dieser beiden größeren Orte als Heimat an. Inskribiert 22. April
1520; Bacc. art. 19. September 1521; Mag. art. Juli 1523; Bacc.
biblicus 3. April 1528; sententiarius 4. Juli 1531. Er ist seit
1525 als Collegiatus und Vorstand der bursa realistarum angestellt.
Er wurde Rektor Sommersemester 1529 und 1529/30 Dekan der
Artistenfakultät. Im Jahr 1531 suchten die Freiburger einen
geeigneten Mann für ihren vakanten Lehrstuhl der Theologie.
Nachdem Erasmus abgelehnt hatte, gerieten sie an den Baccalar
der Theologie Kügelin in Tübingen. Dieser war sich seines Werts
bewußt und forderte für den Anfang mindestens 100 fl. jährlich,
sowie Bedenkzeit, ob er absagen wolle. „Huius arrogantia" ver-
letzt brachen die Freiburger die Verhandlungen ab. Aber 13. Dezem-
ber 1531 wurde doch der Vertrag mit Kügelin abgeschlossen;
15. April 1532 ist er in Freiburg immatrikuliert und am 23. wurde
er als Ordinarius in Pflicht genommen. 21. September 1533 er-
warb er den Doktorgrad und übte neben dem alten Brisgoicus
und seit dessen Tod (1539) allein das Lehramt aus, eifrig darauf
bedacht, das Einkommen aus seiner „fetten Pfründe" zu mehren
und niemand neben sich aufkommen zu lassen. Jahrelang bestand
die theologische Fakultät allein aus ihm (Dr. Martinas tunc solus
facultatem repraesentabat), und er weigerte sich, ungeachtet aller
Mahnungen der Senatsmitglieder, eine Doktorpromotion vorzu-
nehmen , so daß die Kandidaten auf die erledigte Professur mit
Einwilligung der Senatsmehrheit auswärts (in Ingolstadt bezw.
in Padua) die Doktorwürde holen mußten. (H. Schreiber, Gesch.
der Univ. Freiburg I 1857 S. 155 Note; H 1859 S. 279 ff.) Von
Johann Fabri wird er als einer der treugebliebenen Söhne der
Kirche genannt (Zeitschr. f. K.-Gesch. 1900 S. 89) und hat im
Auftrag des Königs Ferdinand ein theologisches Gutachten gegen
die Reformation abgefaßt. Zur Vollendung dieser Arbeit mußte
er allerdings auch dringend moniert werden (Schreiber a. a. 0.
S. 281). Am 1. September 1559 ist dieser merkwürdige Vertreter
der scholastisch-humanistischen Theologie der via realistarum ge-
storben.
4. Biblici.
1. K o n r a d F e ß 1 e r (1, 9) von Eberhardzell kam im Gründungs-
jahr der Universität von Basel als Collegiatus der via antiqua nach
Tübingen. In Basel war er 14. Juli 1467 Mag. art. geworden.
(W. Vischer, Gesch. d. Univ. Basel S. 168.) Ueber seine Uebungen
in den Parva Logicalia vgl. das Kollegheft des Studenten Friedrich
Ufflinger in Basel (H. Boos, Verzeichnis der Inkunabeln und Hand-
4. Biblici. 213
Schriften der Schaffhauser Stadtbibliothek 1903 S. 71; vgl. oben
S. 150). Er war schon 1477 Clericus der Konstanzer Diözese.
Er und Mütschelin (s. unten Nr. 4) waren die ersten ordentlichen
Lehrer der Artistenfakultät in der via antiqua und die ersten
Rektoren der betreffenden Bursen (Roth S. 321, 403). Der un-
mittelbare Nachfolger Feßlers wurde Summennart (vgl. Roth
S. 61 Note, wo Summenhart neben Mütschelin die via antiqua
vertritt). 1482 erhielt Feßler zusammen mit seinem Kollegen
Johann Stein nach dem Tode des Propstes Tegen die durch Auf-
rücken des Vergenhans freigewordene Chorherrnstelle und war
somit ebenso wie Wolmann Canonicus des Georgenstifts im Sinn
der päpstlichen Bulle vom 13. November 1476 (vgl. oben S. 10
N. 4 gegen Freib. Diöz.-Arch. 30, 1902 S. 151 f.). Feßler studierte
zuerst Theologie in Tübingen und begann den cursus biblicus
2. Juli 1482. Später wandte er sich dem Rechtsstudium zu und
wurde 1491 decretorum Doctor (als Rektor 1490/91 heißt er in
decretis licentiatus; 20. Dezember 1491 heißt er decr. Doctor
vgl. Roth S. 93). Ein Irrtum Roths ist es, wenn er ihn schon bei
dem Universitätsbeschluß vom 13. Mai 1483 unter den Juristen
nennt (Roth S. 49 Note muß statt D. Conrado [Veßler] der am
13. Dezember 1480 inskribierte Dr. iur. utr. Konrad Mälius er-
gänzt werden). Feßler war lange Jahre Professor des kanoni-
schen Rechts an unserer Hochschule und ist als solcher 1. Juli
1503 zum letzten Mal erwähnt (Freiburger Diöz.-Arch. 31, 1903
S. 192 f.).
2. Matthias Grammer (1, 104) aus Bondorf OA. Herrenberg
kam um Kathrinentag (25. November) 1477 nach Tübingen als
Baccalar des Heidelberger Studiums. In der Heidelberger Matrikel
ist er nicht zu finden. In Tübingen wurde er 29. Dezember 1477
Magister und zwar in der via antiqua. Den cursus biblicus begann
er 27. Januar 1484.
3. Bernhard Gibinslicht (6, 31) von Urach ist als Professor
des Benediktinerklosters Bebenhausen schon 30. September 1476
in Heidelberg immatrikuliert; in TübiD gen ließ er sich 26. August
1480 eintragen und begann im Jahre 1484 den cursus biblicus
zusammen mit Joh. Nathin. In der Theologenmatrikel ist er
versehentlich als Frater Johannes Gibislicht eingeschrieben. Die
Promotion in der Artistenfakultät wird ihm wohl erlassen worden
sein, weil er in der Bebenhäuser Klosterschule genügend vor-
gebildet worden war.
4. WilhelmMütschelin von Rottenburg(l, 11) ist in Heidel-
berg 11. April 1466 inskribiert; wurde daselbst Mag. art. Oktober
1469. Im Gründungsjahr der Universität kommt er als Clericus
der Konstanzer Diözese nach Tübingen und wird sofort Collegiatus
der via antiqua in der Artistenfakultät. Das Dekanat der Fakultät
bekleidet er im Sommersemester 1478. Er ist von 1477 an Rektor
in einer der Bursen und nimmt 1484 an einem Universitätsbeschluß
über die Bursen teil (Roth S. 51, vgl. 403 und 321). 8. Februar
1485 beginnt er den cursus in bibliam. Canonicus des Georgen-
214 Liste der theologischen Promovierten.
stifts in Tübingen ist er nicht gewesen (Freib. Diöz.-Arch. 30,
1902 S. 151 f.).
5. Caspar Rockenbach (22, 24) ist 25. Februar 1489 als
„Cursor theol. ordinis s. Augustini" inskribiert. Er verdient als
Schüler unserer Fakultät an dieser Stelle nur Erwähnung, wenn
„Cursor theologicus" im technischen Sinn als baccalaureus, welcher
den cursus bibliae liest, verstanden werden darf. Wenn aber, was
wahrscheinlicher ist, „Cursor theologiae" gleichbedeutend ist mit
lector theologiae im Augustinerkloster, dann war dieser Bocken-
bach nicht Schüler unserer Fakultät. Dann ist aber auch seine
Identität mit dem weltlichen Ganonicus Caspar Rockenbach aus
Magstadt (1488 Roth S. 68) zweifelhaft, der 1491 als Pfarrer zu
Magstadt (Freib. Diöz.-Arch. 1903 S. 194) und 28. Februar 1509
als Canonicus in Stuttgart (Rep. „Stift Stuttgart") erscheint und
welcher 6. März 1513 stirbt (Crusius, Annales Suevici ad annum).
Oder sollte der Zusatz „ordinis s. Augustini" in seltsamer Weise
seine Zugehörigkeit zu den Chorherren nach der Regel Augustins
ausdrücken ?
6. Simon Currificis (3, 7) von Besigheim ist Ende 1478
immatrikuliert; Bacc. art. 8. Dezember 1479; Mag. art. 19. Sep-
tember 1482. Dann muß er kurze Zeit von Tübingen fortgewesen
sein. 28. Oktober 1483 ist er von neuem inskribiert ; den cursus
biblicus beginnt er 6. Juli 1490.
7. Johann Tegen, Degen (8, 2), von Urach ist 10. Mai
1481 immatrikuliert; Bacc. art. 29. September 1482; Mag. art.
25. Februar 1485. Er gehört zu den Magistern, welche die via anti-
qua nach Freiburg übertragen haben (vgl. oben S. 135 und Württ.
Vierteljahren. 1906 S. 336) und ist in Freiburg 30. April 1488
immatrikuliert. Später nach Tübingen zurückgekehrt, wird er
Bacc. bibl. 26. Oktober 1495. Mag. Hans Tegen kommt als Pfarrer
von Großbettlingen zum ersten Male 1511 und zum letzten Male
1529 in Urkunden vor (Rep. „Geistl. Verwaltung Urach").
8. Johann Gray (45, 2), de villa Gigantis in Scotia, wurde
7. Mai 1500 als baccalaureus theologiae formatus in Tübingen auf-
genommen, nachdem er sich durch Zeugnisse genügend ausge-
wiesen hatte. Für die Universität, an der er promoviert hat, ist
in der Theologenmatrikel eine Lücke gelassen. Seinen Rang in
der Artistenfakultät erhält er vor den Dezember 1486 promo-
vierten Magistern angewiesen. Er kam vielleicht nach Tübingen,
um billig zu doktorieren oder in Hoffnung auf einen Lehrauftrag.
Lange scheint dieser Fremdling nicht zu den Schülern unserer
Fakultät gehört zu haben.
9. Sebastian Widmar (23, 37) von Frickingen , auch
Widmer und Frickinger genannt, ist 15. Oktober 1489 immatri-
kuliert. Bacc. art. 3. März 1491; Mag. art. 21. August 1492;
Bacc. biblicus 29. Januar 1501. Im Wintersemester 1501/02 ist
er Dekan der Artistenfakultät.
10. Martin Rieker, auch Rücker (28, 26), von Lustnau ist
2. Januar 1492 immatrikuliert. Bacc. art. 14. Februar 1494:
4. Biblici. 215
Mag. art. 24. Januar 1498. Er ist Dekan der Artistenfakultät
1503/04 und heißt da: sacrae theologiae baccalaureus. In der
Tübinger Theologenmatrikel ist er nicht eingetragen. Nach Ende
seines Dekanatsjahrs hat er rasch und formlos Tübingen ver-
lassen, ohne den offiziellen Eintrag in die Fakultätsmatrikel ge-
macht zu haben. Der Pedell konnte in seiner Wohnung nicht
einmal mehr eine Liste der unter seinem Vorsitz stattgefundenen
Promotionen finden. Nach Einführung der Reformation wird ein
gewisser Chorherr Rucker in Backnang erwähnt (Konr. Rothen-
häusler, Abteien und Stifte im Herzogt. Württ. im Zeitalter d.
Reform. 1886 S. 203), der vielleicht mit diesem oder mit Nr. 12
identisch ist.
11. Thomas Wyttenbach (38, 14) aus Biel in der Schweiz
ist 16. Dezember 1496 immatrikuliert; Bacc. art. 1. März 1498;
Mag. art. 8. Juli 1500; Bacc. biblicus 10. Juli 1504. Er setzte
das theologische Studium in Basel fort, und wurde daselbst
26. November 1505 zu den Sentenzen zugelassen. Er ist der
Lehrer Zwingiis und Leo Juds und hat auf beide einen bestim-
menden Einfluß ausgeübt. November 1507 wurde er Kirchherr
von Biel und 1515 zugleich Chorherr in Bern. Ueber sein refor-
matorisches Wirken daselbst vgl. d. Art. in Theol. Realencyclo-
pädie und in Wetzer und Weite, Kathol. Kirchenlexikon. Ueber
sein Verhältnis zur via antiqua vgl. oben S. 169.
12. G-eorg Riecker (53, 24) von Schorndorf ist 28. Juli
1504 immatrikuliert. Er scheint vorher an einer anderen Univer-
sität studiert zu haben (Mainz, Basel, Ingolstadt oder Wien?),
denn er wird ohne Zwischenstufe 17. Juli 1506 Mag. art. Den
cursus biblicus beginnt er 19. Februar 1512. Vgl. Nr. 10.
13. Stephan Summen hart (31, 27), auch Summelhart ge-
nannt, von Groningen ist 14. August 1493 immatrikuliert; Bacc.
art. 16. Juni 1495; Mag. art. 16. August 1497; Bacc. biblicus
23. September 1506. In den Türken steuerlisten von 1542 er-
scheint er (nach gütiger Mitteilung Q. Bosserts) als „alter Pfarrer
von Neckar weihingen, d. h. er ließ sich bei Durchführung der
Reformation im Jahre 1534 als Anhänger der alten Lehre ver-
abschieden.
14. Johann Altenstaig (39, 34) aus Mindelheim bei Mem-
mingen ist 27. Juli 1497 immatrikuliert; Bacc. art. 19. Februar
1497; Mag. art. 11. Januar 1502; Bacc. biblicus 21. Januar 1507.
Im Sommersemester 1507 war er Dekan der Artistenfakultät. Er
war mit Jakob Henrichmann zusammen (der 20. November 1497
inskribiert wurde und 24. Juni 1502 magistrierte) Schüler und
Lehrer in der bursa modernorum — der erste Beweis für das Wirken
Bebeis innerhalb der via moderna und für die humanistische
Nivellierung der scholastischen Parteigegensätze. Beide Schüler
Bebeis, Henrichmann nnd Altenstaig, gaben als Frucht ihrer Lehr-
tätigkeit die Hauptwerke der jungen Tübinger Humanistenschule
heraus: Henrichmann die Grammaticae institutiones, Altenstaig
den Vocabularius. 1509 verließ Altenstaig Tübingen und erhielt
216 liste der theologischen Promovierten.
1510 eine kirchliche Pfründe in seiner Vaterstadt. Im selben
Jahr noch wurde er nach Polling in Oberbayern berufen, um im
dortigen Kanonikerstift nicht nur humaniora, sondern auch philo-
sophisch-theologische Fächer zu lehren. Im Jahr 1512 erhielt er
einen ähnlichen Auftrag im Augustinerkloster zu Mindelheim und
wußte beim Weggehen die PolÜnger Professur seinem Tübinger
Schüler Matthias Kretz zu verschaffen. Noch 1523 erscheint eine
Schrift von ihm, in der er „Priester zu Mindelheim" genannt
ist. Aus späterer Zeit ist keine Spur mehr von ihm vorhanden.
Ueber seine Schriften und seine humanistische Theologie s. oben
S. 178 ff. Vgl. dazu Fr. A. Veith, Bibliotheca Augustana IV alph.
1788 S. 151 bis 163; Hurter, Nomenciator literarius cathol. theol.
IV 1899 S. 1061; AUg. D. Biogr.; Wetzer und Weite, Kathol.
Kirchenlexikon.
15. Johann Aschmann (Astmann) aus Vaihingen (45, 10),
inskribiert 24. Mai 1500; Bacc. art. 23. September 1501; Mag.
art. Januar 1503; Bacc. biblicus 23. Oktober 1508. Dekan der
Artistenfakultät 1508 09 und 1512/13. 1512 ist er als Prediger in
Tübingen überliefert (nach einer Notiz Gabelkofers vgl. Th. Schön
in Tübinger Blätter 1902 S. 86). 6. April 1514 wird er von
Bebel als concionator Tübingens gefeiert in einem Gedicht, das
Ecks Chrysopassus beigedruckt ist (Th. Wiedemann, Joh. Eck
S. 456; Blätter f. württ. Kirchengesch. HI 1888 S. 8). 1515 ist
Balth. Sattler als Prediger in Tübingen überliefert. Daß Asch-
mann zum Tübinger Humanistenkreise gehörte, wird nicht nur
durch das Gedicht Bebeis, sondern auch durch die Tatsache er-
wiesen, daß der Humanistenschüler Seb. Linck ihm seine Schrift
Querela zueignet (Steiff S. 175 f.). Auch diese „Klage", in welcher
der vierfache Abfall von der Kirche in deren lasterhaften Gliedern,
in den Lutheranern, in den Sakramentsleugnern (Zwinglianer) und
in den Anabaptisten bejammert wird, ist bezeichnend sowohl für
die religiöse Gesinnung Aschmanns als auch für die des Humanisten-
kreises, aus dem er hervorging. In dem Gedichte Bebeis wird
von Aschmann gerühmt (vgl. Cortesius oben S. 188 N. 1 u. 2) : Hie
theologiae musas coniunxit amoenas Doctus mellifluo cum Cicerone
loqui. 30. September 1523 wird ihm die Pfarrverweserei der dem
Kloster Lorch inkorporierten Kirche zu Welzheim übertragen
(Rep. „Kloster Lorch ). 21. März 1530 finden wir ihn als Cano-
nicum des Stiftes Backnang (Steiff a. a. 0. 175). Bei Einfuhrung
der Reformation wurde er Kustos des Stifts und floh zum Aerger
Herzog Ulrichs mitsamt der Kasse außer Landes (Konr. Rothen-
häusler, Abteien und Stifte des Herzogt. Württ. im Zeitalter der
Reformation 1886 S. 202 f. 205; Oberamtsbeschreibung Backnang
S. 149). Der Bischof von Speier schätzte ihn sehr und verschaffte
ihm durch Empfehlung an Markgraf Ernst von Baden die Propstei
des St. Michaelisstifts zu Pforzheim. Er nahm als Gegner der
Reformation an dem Religionsgespräch zu Hagenau (1540) teil
und wurde von Contarini 1541 zu Rom als Weihbischof für den
Bischof von Speier vorgeschlagen. Während des Interims bemühte
4. Biblici. 217
er sich ohne dauernden Erfolg um Wiederherstellung des Stifts
Backnang (GL Bossert in Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrheins N. F. 20,
1905 S. 42).
16. Wendelin Bregel, auch Pregel (34,8), von Lauffen ist
21. Juni 1492 in Heidelberg inskribiert; Bacc. art. viae modernae
13. Januar 1494. In Tübingen 24. November 1494. Er läßt sich
7. Januar 1495 unter die Baccalare der Artistenfakultät aufnehmen
und wird zwischen die Baccalare vom Juni und die vom September
1494 einrangiert. Mag. art. 29. Januar 1495. Nach langer Pause
beginnt er den cursus biblicus am 13. März 1509.
17. Johann Sigloch (50, 10) aus Backnang. Inskribiert
19. Mai 1502; Bacc. art. 22. September 1503; Mag. art. Januar
1505. Als plebanus in Baccana beginnt er 17. Februar 1511 den
cursus biblicus. Noch 1534 ist er Pfarrer in Backnang. Bei Ein-
führung der Reformation wird er mit den Stiftsherren und dem
Propst gefangen gesetzt, weil der Kustos Hans Aschmann (s. Nr. 15)
geflohen war. 1537 wurde er mit Urfehde entlassen (Oberamts-
beschreibung Backnang S. 149). Er ist 1542 gestorben (K. Rothen-
häusler , Abteien und Stifte des Herzogt. Württ. im Zeitalter der
Reformation 1886 S. 225).
18. Jodokus Lorcher (61, 139) kommt als „Doctor [iuris]
et Ganonicus de Brandenburg" am 10. März 1511 nach Tübingen,
um 1. April 1511 als „decanus in Anspach" den cursus biblicus
zu beginnen, so daß er von nun auch den Titel „necnon in theo-
logicis baccalaureus" führen kann. Wo er früher studiert hat,
läßt sich aus den bisher gedruckten Matrikeln nicht feststellen.
Er muß ein Pfründenjäger und Finanzkünstler schlimmer Sorte ge-
wesen sein. Bernhard Adelmann schreibt über ihn : qualis sit optime
nosti animarum pastor (Fr. H. Thurnhofer in Erläuter. und Ergän-
zungen zu Janssens Gesch. d. deutschen Volkes herausg. v. L. Pastor
II, 1, 1900 S. 58). Im Jahre 1517 war er auch Hofprediger zu
Neumarkt und wurde vom Erzbischof Albrecht von Brandenburg
beauftragt, die berühmte Ablaßpredigt für den Neubau der Peters-
kirche in den Diözesen Bamberg, Würzburg, Eichstädt und Augs-
burg zu übernehmen (Joh. Heumann, Documenta literaria varii
argumenti, Altdorf 1758, S. 167 und Isag. S. 91). So kam er
auch im Reformationsjahr 1517 nach Augsburg und erregte hier
den Widerwillen der besser gesinnten kirchlichen Kreise (F. Roth,
Ref.-Gesch. Augsburgs I 2 , 48).
19. Matthias Kretz (53, 46) aus Landsberg, geboren in
Haunstetten bei Augsburg, kam 6. Oktober 1504 als Baccalar der
Wiener Universität nach Tübingen und wurde iuxta tenorem
statuti 1505 (Roth S. 350, Nr. 46 und S. 351 Note 1) vor die
Baccalare des Dezember 1504 einrangiert. Mag. art. 17. Juli 1506.
Bacc. biblicus 30. März 1512. In Tübingen gehörte Kretz zum
Humanistenkreis um Bebel und verfaßte Gedichte auf Henrichmann
(in dessen Grammaticae institutiones 1506) und Altenstaig (in dessen
Vocabularius 1509). 1512 wurde er der Nachfolger Altenstaigs
in der theologischen Professur im Kloster Polling und versah von
218 Liste der theologischen Promovierten.
hier aus den Kommentar Altenstaigs zum Triumphes Veneris des
Bebel mit Gedichten, auch einem anf Heinrich Bebel (1515 ; Steiff
8. 235 Nr. 24, vgl. oben S. 180).
Im Jahr 1516 verließ er Polling, wurde 12. Juni in Ingol-
stadt immatrikuliert und vollendete das Studium der Theologie,
bis er im November 1519 zum Doktor durch Johann Eck pro-
moviert wurde (vgl. Prantl, Gesch. d. Ludwig-Maximiliansuniver-
sität II, 486). Nach einer kurzen Versehung der Dompredigerstelle
in Eichstädt wurde Kretz als Nachfolger des Urban Rhegius nach
Augsburg an die Domkanzel berufen und wirkte dort gegen die
Reformation (vgl. Fr. Roth, Augsburgs Ref.-Gesch. 2. Aufl. [I]
1901 8. 72; 130 und 146 N. 80; 174 f. und 187 N. 67; 301 ff.;
353 f.). Er nahm am Religionsgespräch zu Baden gegen Zwingli
teil (Th. Wiedemann, Joh. Eck 1865 8. 221, 244), beherbergte
während des Augsburger Reichstags 1530 die angesehensten Führer
der katholischen Partei, wie er selbst an Erasmus schreibt (Spici-
legium autographorum illustrantium rationen, quae intercessit Eras-
mo Roterodamo cum aulis et hominibus aevi sui praecipuis 7. ed.
J. Fr. Burscherus XXI Lipsiae 1795 p. V und VI) und erhielt für
seine Mitarbeit an der Konfutation des Augsburgischen Bekennt-
nisses 30 fl. aus der kaiserlichen Kasse (J. Ficker, Die Konfutation
d. A. B. 1891 S. XCVIII). Nach dem Sieg der Reformation in
Augsburg sehnte er sich fort aus der lutherischen Stadt und war
froh, als ihn der Herzog von Bayern 1531 in das Dekanat des
Stifts in Moosburg und 1533 in das Dekanat der Liebfrauenkirche
zu München einsetzte. 1540 nahm er an dem Wormser Colloquium
teil. 1543 ist er gestorben.
Ueber seine Schriften, die aus dem Kampf gegen Urban
Rhegius, Leo Jud und Cellarius (Borrhaus) entstanden sind,
vgl. Fr. Roth a. a. 0., Wetzer und Weite und den gründlichen
Aufs, von Nie. Paulus in Hist. polit. Blätter 114 (1894) 1 bis 19.
Eine Schrift über die Messe wurde mit Vorwort des Christoph
von Schwarzenberg in die Oeffentlichkeit übergeben. Interessant
ist die Stellung dieses Mannes zu Erasmus. Nachdem er schon
1524 Urban Rhegius gegenüber die Ohrenbeichte mit Berufung
auf Erasmus nicht für eine Stiftung Christi, sondern für eine
Einrichtung der Kirche erklärt hatte (Hist. polit. Blätter a. a. 0.
S. 8), richtete er unmittelbar nach dem Reichstag zu Augsburg
den ersten Brief an Erasmus. Er habe schon vor 7 Jahren das
Enchiridion militis christiani öffentlich auf der Kanzel erklärt und
habe vor 6 Jahren eine Schrift verfaßt mit dem Titel : An Eras-
mus Roterodamus sit Lutheranus. Aus des Erasmus Schriften
und Briefen habe er bewiesen, Erasmum catholicissimum esse, immo
vero saeculi nostri Hieronymum catholicaeque nostrae fidei currum
et aurigam vindicemque fortissimum. Heutzutage sei dieser Nach-
weis ja nicht mehr notwendig. Er schickt ihm zugleich zwei
Fragmente dieser Schrift, den Anfang und den Schluß. Diesem
ersten Brief folgten drei weitere ; Erasmus antwortete zweimal und
ließ sich von seinem echtesten Anhänger in Augsburg, von dem
4. Biblici. 219
Stiftspropst Johann Kohler, Näheres über Kretz melden (Spicilegium
a. a. 0. und Hist.-polit. Blätter a. a. 0. S. 14 ff.). In dem Nach-
wort der angeführten Schrift über Erasmus beklagt Kretz, daß
die Welt seit Luthers Auftreten viel schlechter geworden sei.
Die Regel huius novae sectae sei: Quodlibet, licet impune. Dem
Erasmus sei es ernst gewesen mit der Geißelung der schlechten
Sitten der Zeit. Luther dagegen habe gegen die herrschenden
Unsitten nicht geschrieben, um ia erster Linie zu bessern , sondern
ut sub praetextu malorum morum , quos carpit, falsam et haereticam
invehat doctrinam. Auch hieraus (vgl. oben S. 184 ff.) ist zu ersehen,
worauf es diesen humanistischen Theologen ankam. Der Grund ihrer
Absage an das Luthertum ist eine durchaus moralistiscbe Reli-
gionsauffassung. Wohl weiß Kretz, wie sein Meister Erasmus,
schöne evangelische Worte zu reden. Der Spruch: Spes mea tu
Jesu es; gratia, non merita! ziert als Motto die meisten seiner
Schriften und im „Sterbbüchlein" mahnt er: „Im Tode verzweifle
an dir selbst und deinen Verdiensten und befiehl dich gänzlich in
das Leiden Christi!" Es sei pharisäisch, auf seine Verdienste
pochen zu wollen, wenn man auch für die guten Werke von Gott
eine ewige Belohnung hoffen dürfe. Die durchweg herrschende
Auffassung von einem verdienstvollen, strengen Leben im Diesseits
und von einer gnadenreichen Belohnung im Jenseits muß uns
lehren, jenen evangelisch klingenden Wahlspruch bei Kretz ka-
tholisch auszulegen.
20. Sebastian Keffer, auchKefer, Koefer (62, 55) aus Schorn-
dorf. Inskribiert 23. März 1504; Bacc. art. 28. September 1505;
Mag. art. 24. Juli 1507. Bacc. biblicus 30. März 1512. Er gehörte
zum Humanistenkreis, als Schüler Altenstaigs und Henrichmanns
in der bursa modernorum und machte auf beide Lehrer Gedichte
(in des ersteren Vocabularius und in des letzteren Grammaticae
institutiones). Später wurde ihm die Predigerpfründe seiner Heimat
übertragen. In einem Instrumentum procuratorii des Abts Johann
von Hirsau wird 19. September 1524 Sebastian Koefer, concionator
in Schorndorf aufgefordert, auf die Pfarrkirche in Ditzingen zu
Gunsten eines Hirsauer Konventualen zu verzichten (Rep. „Kloster
Hirsau").
21. Gregor Köler, auch Koler (59, 69), von Reutlingen,
ist 12. Januar 1609 inskribiert. Er muß vorher anderwärts studiert
haben, denn er ist schon 15. Juli 1510 Mag. art. Nach langer
Pause wird er 2. März 1519 Bacc. biblicus.
22. Bernhard Seuter, auch Sytter, Siter (61, 72), von
Sielmingen. Inskribiert 11. Oktober 1510; Bacc. art. Februar 1512;
Mag. art. Juli 1514. Er blieb in der Artistenfakultät und ist
1521/22 deren Dekan. Den cursus biblicus beginnt er 24. Mai 1524.
23. KonradHelmschrot (65, 86) von Tübingen ; inskribiert
5. Januar 1515; Bacc. art. Mai 1516; Mag. art. Januar 1519.
Den cursus biblicus beginnt er 9. April 1527. Interessant wäre
zu erfahren, wie sich dieser Tübinger zur Reformation gestellt.
Sollte er mit den anderen 1534 ausgewandert sein? 1507 besitzt
220 Liste der theologischen Promovierten.
ein Max Helmschrot ein Haus in der Neckarstaig unter der
St. Georgenkirche (Tübinger Spitalurkunden vgl. Manuskr. auf d.
Univ.-Bibliothek), vielleicht der Vater unseres Helmschrot.
24. Melohior Ruch (62, 65) aus Kempten ; inskribiert
8. November 1511; Bacc. art. Juni 1513; Mag. art. Juli 1523;
Bacc. biblicus 21. Juli 1529. Er ist Dekan der Artistenfakultät
im Wintersemester 1531/32 und bis 1533 Rektor einer der Börsen.
Die Reformation scheint ihn von Tübingen vertrieben zu haben.
Register.
1. Ortsregister.
Aidlingen (O.-A. Böblingen) 6.
Alpirsbach (Kloster) 171.
Ansbach 173. 217.
Asch (O.-A. Blaubeuren) 5.
Asperg 192.
Augsburg 171. 173. 174. 175 f. 217.
218.
Backnang 8 N. 173. 215. 216. 217.
Baden-Baden 155. 172. 192. 203.
218.
Bamberg 217.
Basel 27. 79. 187. 152 N. 154. 155.
163. 191 f. 200. 204. 212. 215.
Bebenhausen (Kloster bei Tübingen)
11. 12. 198. 211. 213.
Bern 137. 155. 215.
Besigheim 173. 211.
Bettlingen, Groß- (O.-A. Nürtingen)
214.
Biel (in d. Schweiz) 215.
Birkenfeld (bei Pforzheim) 212.
Blaubeuren 5. 202.
Böblingen 201.
Bologna 27. 34N. 37. 53. 73.
Bondorf (O.-A. Herrenberg) 213.
Bönnigheim (O.-A. Besigheim) 201.
Brackenheim 5. 209.
Brixen 174.
Büchenbronn (bei Pforzheim) 212.
Bühl (O.-A. Rottenburg) 209.
Butzbach (in Hessen) 81. 195. 205.
208.
Calw 82. 194.
Cannstatt 84. 201. 202. 210.
Carpi (Prov. Modena in Spanien) 165.
Darmstadt 206.
Dätzingen-Rohrdorf(Johanniterkom-
tuende) 210.
Deggingen (O.-A. Geislingen) 192.
Delitzsch (Kreis Merseburg) 86.
Ditzingen (O.-A. Leonberg) 219.
Donauwörth 192.
Dornstetten (O.-A. Freudenstadt) 81.
197. 207.
Dußlingen (O.-A. Tübingen) 198.
Eichstädt 217. 218.
Einsiedel (bei Tübingen) 81. 195.
200. 205f. 210.
Elgg (im Zürichbiet) 164.
EUwangen 43 N. 171.
Eltingen (O.-A. Böblingen) 208.
Eningen (O.-A. Reutlingen) 5.
Erfurt 27. 37. 40 u. N. 45 N. 91.
129. 184. 153 N. 194. 199. 205. 209.
Eßlingen 172. 199. 201. 202. 210.
Feldkirch 177.
Fellbach (O.-A. Cannstatt) 83. 201.
Florenz 187.
Florian (Berg u. Kirche bei Metzin-
gen) 14. 15.
Frankfurt a. M. 86. 191. 209.
Freiburg i. B. 27. 37. 39. 40N. 45 N.
79. 184. 137. 152 N. 154. 160. 198.
204. 207. 214.
Frickingen (O.-A. Neresheim) 214.
Fürstenberg (bad. B.-A. Donau-
eschingen) 82. 203.
Geislingen 85. 200.
Gengenbach (bei Offenburg) 152.
Giengen a. Br. 80. 192.
Gmünd 211.
Gomaringen (O.-A. Reutlingen) 205.
Göppingen 192. 21 1.
Goslar 199.
Gotha 198. 199.
Groningen, Mark- (O.-A. Ludwigs-
burg) 201. 215.
Gültlingen (O.-A. Herrenberg) 197.
Hagenau 204. 216.
Hall (Schwab.) 210.
222
Register.
Heidelberg 6. 27. 89. 40 N. 45 N. 56.
134 u. N. 153. 199. 201. 202. 204.
209. 218. 217.
Heilbronn 194. 198.
Hemmendorf-Rexingen (Johanniter-
kommende) 210.
Herrenberg 208. 210.
Heuberg (bei Mössingen) 88 N.
Himmelspforte (b. Wernigerode) 199.
Hirsau (Kloster) 158.
Horb 164.
Horrheim (O.-A. Vaihingen) 11. 209.
Ingolstadt 27. 87. 39. 40 N. 45 N.
56. 79. 135. 136. 143. 157 N. 173.
177. 199. 212. 218.
Innsbruck 172. 204.
Isny 80. 193.
Justingen (O.-A. Münsingen) 164. 170.
Kaisersberg (Kloster im Elsaß) 152.
165.
Kempten 220.
Kirchentellinsfurt (O.-A. Tübingen)
172 N.
Kirchheim a. N. 81. 176. 200. 210.
Köln 27. 37. 39. 40 N. 53. 134 u.
N. 141. 203.
Königstein (in Hessen-Nassau) 205.
Konstanz 175. 198. 204. 205.
Krakau 170.
Landsberg 217.
Lauffen (O.-A. Besigheim) 200. 217.
Leipzig 27. 89. 40 N. 53. 86 N. 94.
191.
Lerida (in Spanien) 67.
Löwen 94 N. 141. 146.
Lustnau (O.-A. Tübingen) 214.
Magstadt (O.-A. Böblingen) 214.
Mainz 44N. 86 N. 135. 137. 143.
158. 164. 166. 205.
Mariental (im Rheingau) 205.
Meran (in Tirol) 204.
Merseburg 174.
Mindelheim (bei Memmingen) 173.
180N. 215.
Moosburg (in Bayern) 218.
München 173. 218.
Neckarsulm 194.
Neckarweihingen (O.-A. Ludwigs-
burg) 173. 215.
Neuenbürg (?) 201.
Neuhausen (O.-A. Urach) 208.
Neukirchen (in der Diözese Mainz)
209.
Neumarkt (in Mittelfranken) 217.
Nürtingen 200.
Oehringen 178 N. 199.
Oxford 34 N. 53.
Fadua 212.
Paris 27. 84 N. 37. 39. 40 N. 42 N.
58. 55. 67 N. 73. 80. 83. 134 f.
186. 142. 145. 155. 163. 191. 193.
Pfedersheim (in Hessen) 156. 193.
Pforzheim 173. 212. 216.
Plassenburg (bei Kulmbach) 134.
Polling (Oberbayern) 173. 178. 215.
217.
Prag 27.
Ravensburg 210.
Regensburg 176.
Reutlingen 164. 165. 171 f. 216.
Riedlingen 173. 211.
Ringingen (O.-A. Blaubeuren) 5.
Roggenburg (Kloster im Bistum
Augsburg) 177.
Rom 205. 216.
Rottenburg 17 N. 25. 88. 213.
Ryswiick (in den Niederlanden) 193.
Salem (Kloster am Bodensee) 200.
Schlettstadt 163.
Schorndorf 215. 219.
Schuttern (bei Offenburg) 195.
Sielmingen (O.-A. Stuttgart) 219.
Sindelfingen (O.-A. Böblingen) 5 ff. 15.
Sommenhardt (O.-A. Calw) 156. 194.
Speier 172. 177 N. 202. 204 f. 216.
Sponheim (bei Kreuznach) 154.
Stadion, Ober- (O.-A. Ehingen) 171 N.
175 ff 211.
Stein (bei Pforzheim) 11. 191.
Steinheim (a. d. Murr) 83. 199.
Stetten (?) 192.
Stetten (O.-A. Brackenheim) (am
Heuchelberg) 5.
Straßburg 163. 175. 196.
Stuttgart 86. 131 N. 158. 163. 177.
201. 204. 207. 214.
Temesvar (in Ungarn) 188.
Toulouse 199.
Tübingen (Stadt) 36. 131 N. 175.
198. 202. 219.
Ueberlingen 174 N.
Ulm 210.
Register.
223
Unshausen (hessen-nassauischer Er.
Homberg) 85 f.
Urach 8N. 203. 205. 207. 208. 210.
213.
Vaihingen 216.
Waiblingen 171. 210.
Walddorf (O.-A. Tübingen) 85. 208.
Wangen 192.
Weil (?) 201.
Weil der Stadt 83.
Weinsberg 199.
Welzheim 216.
Werve (in Gelderland) 80. 193.
Wesel 205.
Wien 27. 37. 39. 40 N. 41 N. 53. 56.
134. 153 N. 174. 175. 217.
Wildberg (O.-A. Nagold) 84. 204.
Wittenberg 27. 28 N. 39. 53. 54. 62.
91. 93. 129. 135. 137. 154. 171.
201. 202. 209.
Worms 59 N.
Würzburg 173. 208. 217.
Zürich 165. 167.
Zweibrücken. 210.
2. Personenregister.
Adelmann, Bernh. 217.
Adorf 152.
Aegydius Romanns 95. 138.
Agrikola, Rud. 153. 155.
Ailly, Peter von 87. 93. 95. 98. 126.
130 N. 131 N. 138. 142. 179 N.
183. 196.
Alantse, Joh. 180.
Alber, Matthä. 171.
Albertus Magnus 49. 78. 141 f. 149.
153. 157. 159 f.
Albert von Riggensdorf in Sachsen
138.
Albrecht Achilles, Markgraf von
Eulmbach 134.
Alexander VI., Papst 188.
Alexander Halesius 138. 153.
Altenstaig, Joh. 173. 175. 178 ff.
200. 215 f. 217.
Ambrosius 28.
Amerbach, Joh. 153 N. 192.
Andlau, Peter von 154.
Anhauser, Joh. Gaudens 175.
Anselm von Canterbury 73.
Anselm von Laon 42.
Antonius, genannt Antoninus 187.
Aristoteles und Aristo telismus 75.
119. 137. 138. 141 N. 142. 144.
147. 149. 161 N. 168 f. 185. 194.
Armbruster, Joh. 23. 30. 85. 172.
208.
Arnoldi, Bartholomäus, von Usingen
143.
Aschmann, Joh. 173. 177. 216.
Augustin 28. 95 N. 117 u. N. 124.
127 u. N. 158 N. 161. 187. 197.
Aureolus, Peter 97.
Aventin (Turmair), Joh. 143 N. 147 N.
Averroes 138. 161 N.
Baco, Roger 42.
Baden, Ernst, Markgraf von 216.
Beauxalmis, Thom. 179.
Bebel, Heinrich 169 N. 170. 172.
178. 179. 189. 215. 216. 217.
Becker, Angelus 92.
Benedikt von Helmstedt 205.
Benzenreuter, Joh. 194.
Berengar von Tour 73.
Bernhard von Clairvaux 125. 180.
Bickel, Dionys. 201.
Biel, Gabr. 3. 8 N. 29. 43. 45 f. 49.
81. 88 ff. 169. 179 N. 196. 200.
204.
Blarer, Ambros. 168. 171. 204.
Boethius 119. 194.
Bonaventura 117. 124. 125 N. 138.
163.
Bonifazius IX., Papst 6.
Boucard, Jean 135-
Brant, Seb. 152.
Brassikan, Joh. 167. 169 N.
Brassikan, Joh. Alex. (Sohn des
vorigen) 175. 176. 203.
Braun, Konr. (s. auch Brun) 176.
178 211.
Bregei, Wend. 32 N. 217.
Brenz, Joh. 168.
Breuning, Konr. 13.
Brisgoicus, Joh. 212.
Brühem, Joh. 198 f. 207.
Brulefer, Steph. 137. 154. 163 u. N.
224
Register.
Brun, Pet. 29. 30. 34 N. 81. 200.
207. 208. 210.
Brun, Konr. (s. auch Braun) 210.
Bühler, ülr. 210.
Buridan 138. 179.
Busch, Joh. 199.
Buttersaß, Mich. 152.
Butzbach, Joh. 171.
Caesar, Joh. 157 N.
Cajetan, Thom. 158.
Capito, Wolfg. 153.
Carpentarius, Jak. 152.
Cellarius (Borrhaus), Mart. 218.
Celtis, Konr. 152.
Christoph, Herzog von Württem-
berg 168.
Contarini, Casp. 216.
Cortese, Paulus 188. 216.
Currificis, Sim. 214.
Dionysius Areopagita 125.
Dorp, Adam und Johannes 138.
Dungersheim, Hieron. 95 N.
Durandus von St. Porciano 97.
Eberhard im Bart, Graf und Herzog
von Württemberg 5 ff. 16. 41.
54. 83. 157. 158 N. 161. 194. 195.
197. 205 f.
Ebinger, Konr. 24.
Eck, Joh. 19. 96 N. 158. 159 N. 174.
182. 216.
Eggeling von Braunschweig 92.
Emser, Joh. 174.
Epp, Sigism. 201.
Erasmus 43. 59 N. 176. 178. 212.
218 f.
Eugen IV., Papst 6.
Euklid 149. 164.
Faber, Jak., gen. Stapulensis 138.
154. 168 N.
Faber, Fabri, Joh. (Vikar in Kon-
stanz und Bischof in Wien) s.
Haigerlin.
Fabri, Heinrich, Abt von Blau-
beuren 5.
Fabri, Joh., de Werdea 207.
Faut, Joh. 57 N.
Ferdinand, König 177. 204. 212.
Feßler, Konr. 10 N. 24. 82 N. 150.
194. 212.
Fichet, Wilh. 152. 153. 155.
Filelfo, Quarino 179.
Flick, Elias 80. 193.
Friburger, Mich. 152.
Frickinger, Seb., s. Widmar.
Frimaria, Heinr. von 194.
Fyner, Konr. 205.
Gaißer, Reinh. 83. 201. 210.
Geiler, Joh., von Kaisersberg 152.
156.
Geraeander, Paul 169 N.
Gering, ülr. 152.
Gerson 98. 117. 125 N. 131 N. 149 N.
156 N. 179 N.
Gibinslicht, Bernh. 213.
Gouch, Joh. 209.
Gramm er, Matthi. 213.
Gratia, Archidiakon von Bologna 72.
Gray, Joh. 214.
Gregor IX., Papst 40 N.
Gregor von Rimini 91 N. 95 N. 98.
117. 138 u. N. 179 N.
Gregorius Magnus 28.
Großeteste, Rob. 42 N.
Grynaeus, Sim. 209*
Gumpenberg, Ambros. von 174.
Hadrian VI., Papst 187.
Haigerlin, Joh., genannt Faber 174.
198» 211. 212.
Hann, Joh. 11. 79. 209.
Heerbrand, Jak. 19.
Hegbach, Johannes 8 N.
Heimerich de Campo 141.
Heinrich von Langenstein 134.
Heinrich von Oyta 134.
Heinrich von Zomoren 146.
Heiding, Mich. 174.
Helmschrot, Konr. und Max 219.
Henrichmann, Jak. 172. 175. 178.
179. 189. 215. 217.
Heynlin, Joh. ION. 11. 12. 26. 80.
137. 145. 152 f. 154 f. 168. 169.
191. 195.
Hieronymus 28. 196. 198.
Hiller, Joh. 33 N. 207.
Hiller, Marquard 207.
Hipp, Gg. 177.
Hochstraten, Jak. 166.
Holcot, Rob. 179.
Honorius IIL, Papst 72.
Horaz 178.
Hörn, Jak. 199.
Hummelberger, Mich. 186 N.
Hus, Joh. 75.
Jakob von Aragon 67.
Jakobi, Peter 8 N.
Register.
225
Johann XXIL, Papst 142.
Johannes, Markgraf von Kulmbach
134.
Jonas, Jak. 177.
Jud, Leo 215. 218.
Karl V., Kaiser 14. 43 N.
Karlstadt, Andr. 94.
Käufelin, Balthasar 14. 29 N. 30.
31 N. 43 N. 84. 166. 168. 203.
204. 211.
Keffer, Sebast. 219.
Kell, Mart. 8 N.
Keßler, Franz 211.
Keßler, Simon 23.
Kircher, Franz, genannt Stadianus
138. 168 f. 211. .
Klemens V., Papst 86.
Klemens VI., Papst 42 N.
Kohler, Joh., 218.
Köhler, Greg. 219.
Kraft, Konr. 201.
Kremer, Mich. 8 N. 192.
Kreß, Joh. 43 N. 171 (lies Joh. Kreß
statt Matthias Kretz) 172: 202.
Kretz, Matthi. 178. 175. 178. 185.
216. 217.
Kraß, Alb. 174.
Kügelin, Mart. 173. 195. 212.
Kun, Ambros. 176.
Lemp, Jak. 30. 43. 83 f. 166 ff. 172.
189. 199.
Leonis, Sim. 4. 209.
Linck, Seb. 177. 216.
Lindelbach, Mich. 153.
Lombardus, Peter 33. 40. 45. 90.
Lorcher, Jod. 173. 217.
Ludwig XI. von Frankreich 185.
Luft, Augustin 202.
Lupinus, Peter 94.
Luther, Mart. 42 N. 77 N. 92. 93 f.
IHN. 112 N. 113 N. 120 ff. 130.
143 N. 207. 216.
Mälius, Konr. 213.
Mantel, Joh. 163.
Mantuanus, Joh. Bapt. 187.
Marsilius von Inghen 107. 134. 138.
179.
Matthias, Joh. von Gengenbach 152.
Mechthild, Erzherzogin von Oester-
reich 5. 7. 16 N.
Melanchton, Phil. 19. 54. 124. 138.
156 N. 167. 168 N. 169. 171. 186 N.
197. 200. 202. 211.
Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen.
Menckler, Chorherr 8.
Meynberger, Friedr, 196.
Montes docea, Ja. 165.
Moser, Joh. Jak. 44.
Mosheim, Lor. von 75.
Müller, Gall 13. 14. 30. 82. 172.
195. 203.
Mutian, Konr. 209.
Mütschelin , Wilh. 32 N. 209. 213.
Mutschlin, Konr. 8 N.
Nassau, Adolf von 205.
Nathin, Joh. 93. 209. 213.
Nider, Joh. 18.
Nigri, Peter 160.
Nikolaus von Lyra 42. 161.
Northofer, Georg 153.
Ockam und Ockamismus 42 N. 46.
78 ff. 90 N. 93 f. 96 ff. 130. 136.
138. 141. 144. 179 N.
Oekolampad, Joh. 171. 172. 175.
Oswald, Gg. 174 N.
Otmar, Joh. 165.
Ow, Friedr. von 176..
Parreut, Joh. 143.
Pauli, Joh. 156. 193.
Paulus, Apostel 44. 117. 178. 187.
196.
Pelagius 118. 183.
Pelbartus von Temesvar 188:
Pellikan, Konr. 160. 164. 166. 171.
Peraldus, Wilh. 196.
Petrus de Ceffona 138 N.
Petrus de Rivo 145 N. u. 146.
Petrus Hispanus 99. 136.
Peuerbach, Georg 153 N.
Peutinger, Konr. 188 N.
Philippi, Jak. 154.
Pius III., Papst 188.
Plansch, Martin 13. 14. 32 N. 33 N.
57 N. 81. 87. 88 N. 165 N. 167 N.
197. 207.
Plato und Piatonismus 106 N. 121 ff.
148.
Porphyrius 141 N. 142.
Psellus, Mich. 99 N.
Ptolemäus 149. 164.
Rabelais, Francois 189.
Raymundi, Wilh. 161.
Raynaudi, Poncius 194.
Rebmann, Joh. 208.
Regiomontan, Joh. 153 N.
Reisch, Greg. 18 N. 153. 157 N. 160.
Rempis, Andr. 85. 200. •
15
226
Register.
Reuchlin, Joh. 8 N. 152. 155. 160.
164. 166. 186 N.
Ehegius, Urban 43 N. 171. 172. 175.
180. 218.
Rhenanus, Beat. 188 N.
Ricius, Paul 57 N.
Riecker, Georg 215.
Rieker, Mart. 214.
Rockenbach, Kasp. 214.
Roscellin 97. 136.
Ruch, Melch. 220.
Rueder, Christian 153.
Rynmann, Joh. 178 N.
Sam, Konr. 172.
Sattler, Balth. 14. 23. 30. 43 N. 84.
172. 202. 216.
Schaup, Friedr. 173. 211.
Scheurl, Otto 28.
Schnepf, Erh. 168. 210.
Schradin, Hans 172 u. N.
Schöf erlin, Konr. 12.
Schwarzenberg, Christoph von 176.
185. 186 N. 218.
Schwarzenberg, Johann von 176.
Schwenkfeld, Kasp. 163.
Schwertmann, Joh. 191.
Scotos, Joh. Dun 8, und Scotismus 43.
46. 77 N. 78. 94. 100. 109. 110 N.
111. 135 f. 138. 147 ff. 153. 160.
168. 167. 179 N. 197.
Scriptoris, Paul 83. 149 N. 154. 155.
160. 163 ff. 169. 171. 172 N.
Seuter, Bernh. 219.
Sigloch, Joh. 217.
Simler, Georg 167.
Sipplinger s. Kircher.
Sixtus IV., Papst 5 ff.
Spiegel, Jak. 57 N. 59 N.
Stadian, Franz s. Kircher.
Stadion, Christoph von 174. 175 f.
178.
Staupitz, Joh. 49. 93. 163. 164. 180.
199 f.
Stein, Joh. 10 N. 213.
Steinbach, Heinrich 206. 208.
Steinbach, Wendelin 14. 30. 44. 54.
81. 87. 161. 165 N. 171. 195 ff.
200. 203. 205 f.
Stöffler, Joh. 164.
Summenhart, Konr. 3. 24. 33 N. 43.
49. 54. 55 f. 82. 154. 155. 156 ff.
166. 168. 169. 194 f. 209. 218.
Summehhärt, Steph. 173. 215.
Surgant, Ulr. 154.
Tartaretus, Petr. 43. 202.
Tegen, Joh. I. (Propst) 213.
Tegen, Joh. IL 214.
Themmen, Hertwig 34 N. 199. 207.
Thomas Colyngham 138 N.
Thomas von Aquino 62 N. 67. 73.
77 N. 78. 94. 117. 119. 134. 141.
144. 194. 197.
Tinctor, Nikol. 136.
Tolhopf, Joh. 152.
Tröger, Konr. 177 N.
Trithemiu8, Joh. 154.
Trutfetter, Jod. 93. 133. 179 N.
Tucher, Sixtus 152.
Uelin, Wilh. 177.
Ufflinger, Konr. 150. 212.
Ulrich, Herzog von Württemberg
14. 30.. 56. 166. 201. 211.
ürban IV., Papst 6.
Utenheim, Christoph von 153 N.
Venetus, Paulus 155.
Vergenhans (Nauclerus), Joh. 8 N.
10 N. 12. 197. 218.
Vittorino da Feltre 179.
Vogt, Heinr. 192.
Volz, Paul 163. 171.
Walafried Strabo 42.
Waldburg, Otto, Truchseß von 174.
Walter von Werve 80. 155 f. 193.
Wanner, Joh. 198.
Wernheri, Leonh. 171. 172. 210.
Wernherus de Unnhausen 85 N.
Wessel, Joh. 155.
Wick, Werner 24. 49. 85. 86 N.
162 f. 192.
Wiclif 75.
Widmann, Ambr. 57 N. 72.
Widmann, Mang. 8 N.
Widmar, Sebast. 214.
Wilhelm von St. Amour 34 N. 67 N.
Wimpheling, Jak. 160. 163.
Winasberger (Ventimontarus, Aeo-
lides), Erhard 152.
Wolmann, Christian 10. 11. 80. 192.
213.
Württemberg s. Eberhard, Ulrich,
Christoph.
Wvttenbach, Thom. 32 N. 154. 163.
169 f. 171. 215.
Zeno 185.
Zingel, Georg. 152.
Zwingli, Ulr. 163. 16TN. 170. 172.
198. 215. 218
I
Register.
227
3. Sachregister,
insonderheit über die technischen Ausdrücke des mittelalterlichen UniversitätSi
betriebs und der scholastischen Terminologie.
Acta regens ; actu non legens 8N. 20.
Arguere, argumenta opponere 50.
Autoritas apostolica 72. 74.
— caesarea 67.
Baccalaureus artium 19.
— intheologia: Cursor 38; sententia-
rius 33 f.
— biblicus 34. 38 f.
— formatus 34.
Biblicus s. baccalaureus.
Bursae 8N. 34 N.
Cancellarius 34. 70 ff.
Carentia iustitiae originalis cum
debito habendi 114.
Clerus universitatis 64
Cognitio intuitiva, apprehensiva 103.
Gollationes 55.
Collector (Unterschied von doctor) 48.
Collegiatus, collegiatura (= Ordina-
rius, Ordinariat in der Artisten-
fakultät) 12. 20. 24 N.
Collegiam ecclesiasticum, collegium
scholasticum 67 f.
Communicatio idiomatum 131.
Gomplere exercitia 19.
Gonceptus complexi, confusi, indis-
tincti 103; conceptus quiddita-
tivuß, connotativus HIN.
Conceptualismus 102. 103. 106. 139.
Conductio und perpetuatio 29 u. N. ;
liber conductionum 30 N.
Consiliarii 26.
Consilium facultatis 20.
Contingens, contingentia 109 f.
— Urteile de futuro contingenti 145 ff.
Contingentes propositiones in Unter-
schied von den necessariae 103.
Cursor, cursus biblici s. baccalaureus.
Determinator, pater 33.
Dies academicus 47 N.
Disputatio 32. 50. 59 f. ; quaestiones,
sophismata disputationis 50; po-
sitiones disputationis 50, dispu-
tationes extraordinariae 29. 51.
Doctor und magister theologiae 35 f.;
8. auch collector.
Ena universalisBimum 111.
Esse esse u. esse existere HIN.
Examen 37; puncta examinis 37.
Exemtio 65 N.
Experimentum u. Annitas 103. 113.
Facere quod in se est 114.
Facultates, differentiae 17 f.
Fides u. certitudo 113.
Formales actus, lectiones et dispu-
tatione8 20.
Formalistae, formalizantes 135. 140.
148.
Formalitates 100.
Formatu8 s. baccalaureus.
Gabrielista 91 N. 93.
Galli, gallinaria quaestio 53. 54.
Generale Studium 62 N. 68.
Glossa chaldaeica = Midrasch 161N.
Grammaticapo8itiva(im Unterschied
von der Gr. philosophica) 151.
Haecceitas 100 N. 149 u. 150 N.
Hexenglaube u. Theodicee 88 N.
Humanismus 152 ff.
Ideae 106 f.
lllatio 103.
Incorporatio der Universitätspfrün-
den 5. 15. 69.
Intentio, impositio 101. 108.
Intentionalismus 106.
Jntimatio, publica 34 N.
Iurisdictio 64 N.
Lectiones ordinariae 38 ff. 46 f. 57 f.
Licentia 34 f. 70 f.
Logica modernorum 99 N.
Magister artium 20.
— theologiae = doctor theologiae 35.
Martinsstift 198.
Matricula 19.
Meritum de condigno 114.
Necessitas coactionis u. necessitas
immutabilitatis 115.
Neoterici = moderni 135.
Nominalismus 96 f. 135. 189 f. 141.
Oboedien tia passiva 131.
Parva logicalia 99 N. 139 N. 150.
Pater s. determinator.
Patronus der Universität 16.
228
Register.
Phantasma 103.
Poenitentia 131 f.
Position es s. disputatio.
Predigt im Mittelalters (s. auch col-
latio) 89 N.
Principiam (der Vorlesung) 83.
Propositiones s. contingentes pro-
positiones.
Proprietates terminorum 99 Ni (wo
in der 2, Zeile proprietatibus zu
lesen ist) 139 Ni.
Quaestiones s. disputatio u. galli-
naria quaestio.
Quaestiones frivolae et inanes im
Gegensatz zu fides 58 f, N.
Quidditas IHN.
Ratio cognoscendi = idea 106.
Rationes factibilium 108.
Reales, realistae 135 ff. 139.
Regentia, regens 20. 21 f.
Respondere (in der Disputation) 50.
Resumtiones 29. 82. 47 ff. 52. 157.
Scientia evidena 103. 104. 118.
— rationalis u. sermocinalis 104 f.
143 f. 94.
— realis 104 f. 143 f. 149.
Semipelagianismus 117 f.
Sophismata s. disputatio ; sophismata
modernorum 140.
Species sensibiles, intelligibiles 100.
149.
Stipendien (für Magister der Artisten-
fakultät) 14. 43 N.; Stipendien-
stiftung 82. 198. 204.
Stipendium = Besoldung 11 f. 30.
48 N. Pfründen u. Sölden 7 u. N.
Stoische Logik 99 N. 117. 147 u. N.
151; stoische Ethik 118 f.
Subiective, obiective 101 N; esse
subiectivum 102.
Summulae logicales 99 N.
Supposita 19. vgl. auch 55 N«.
Suppositio 100. 102. 117 N. 150 f.
Terminismus, terministae 106- 135 f.
189.
Terminus 94. 100. 102. 112N. 116N.
140. 150 f.; termini incomplexi,
distincti 103; terminorum proprie-
tates 99 N. 139 u. N.
Ubiquität 131.
Universale, universalia 101. 140.
141 N. 148.
Universale Gewalten 67. 71 f.
Via antiqua 79 ff. 133 ff.
— moderna 79 ff. 87 ff.
Visitation der Diözese Augsburg
171Ni.
41
w&***
3 2044 038 467 411
/^
X